Individualität als Fundamentalgefühl: Zur Metaphysik der Person bei Jacobi und Jean Paul 9783787322541, 9783787322534

In den letzten Jahren ist der Begriff der ›Person‹ zu einem Schlüsselbegriff des philosophischen wie des gesellschaftlic

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Individualität als Fundamentalgefühl: Zur Metaphysik der Person bei Jacobi und Jean Paul
 9783787322541, 9783787322534

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OLI V ER KOCH Individualität als Fundamentalgefühl

ST UDIEN ZUM ACHTZEHNTEN JA HR HU NDERT Herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts Band 35

FELI X MEINER V ER L AG  H A MBURG

OLI V ER KOCH

Individualität als Fundamentalgefühl Zur Metaphysik der Person bei Jacobi und Jean Paul

FELI X MEINER V ER L AG  H A MBURG

Die vorliegende Studie wurde im Jahr 2010 an der Friedrich-Schiller-Universität Jena als Dissertation angenommen. Mein besonderer Dank gilt meiner Betreuerin, Frau Prof. Dr. Birgit Sandkaulen, der das Buch philosophisch viel verdankt.

Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 978-3-7873-2253-4 ISBN E-Book: 978-3-7873-2254-1

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Förderungsund Beihilfefonds der VG Wort.

© Felix Meiner Verlag, Hamburg 2013. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Film, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Satz: work :at:book k/ Martin Eberhardt, Berlin. Druck und Bindung: bookfactory, Bad Münder. Werkdruckpapier: alterungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany. www.meiner.de

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Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 I. Ein erster topographischer Streifzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 α) Emphatische Versicherungen I: Jacobi und Jean Paul im Briefwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 β ) Emphatische Versicherungen II: Jacobi und Fichte im Briefwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 γ) Emphatische Versicherungen III: Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 II. Zu Anliegen, Methode und Aufbau der vorliegenden Studie . . . . . . . . 25 A. Jacobis Vorlage: Kritik systemischen Philosophierens und metaphysische Neuorientierung im Namen der ›Person‹ . . . . . I. Jacobis Spinozarekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Metaphysische Grundverhältnisse im ›Spinoza‹ . . . . . . . . . . . . . β ) Grundlinien der Kritik Jacobis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Jacobis Kritik des transzendentalen Idealismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Kantische Kritizismus als theoretischer und praktischer ›Egoismus‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α ) Ambivalenzen I: Jacobi und die Kantische Epistemologie . . . . . β ) Ambivalenzen II: Kants (Vernunft- )Glaube . . . . . . . . . . . . . . . γ) Ambivalenzen III: Jacobi und die Kantische Ethik . . . . . . . . . . 2. Fichtes Wissenschaftslehre als ›umgekehrter Spinozismus‹ . . . . . . . III. Die Unphilosophie als alternative handlungstheoretische Metaphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Metaphysik I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Sinn – Verstand – Vernunft: eine Orientierung. g ............ γ) Von der Epistemologie zur Handlungsmetaphysik . . . . . . . . . . δ ) Sinn – Verstand – Vernunft: asymmetrische Vermittlungen . . . ε) Sittliche Individualität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ζ) Metaphysik II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35 48 48 56 64 64 64 76 80 90

102 107 113 118 126 133 141

VI

Inhalt

B. Die philosophische Doppelsinnigkeit von humoristischem Spiel und poetisch-sittlichem Ernst – Jean Paul auf den Spuren Jacobis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Jean Paul und die Transzendentalphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Jean Paul und Kant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α ) Kants Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Kants theoretische Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . γ ) Kant-Kritik in der Rede des toten Christus . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Jean Pauls Fichte-Kritik – die Clavis Fichtiana seu Leibgerberiana . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Die »Clavis« Leibgebers – Jean Pauls Kritik der Interpersonalitätslehre Fichtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α ) Anliegen, Strategie und Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . β) Fichtes Interpersonalitätstheorem im Licht der Leibgeberschen Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Die ›Druckfassung‹ der »Clavis« und die sprachtheoretische Kritik Fichtes durch den fiktiven Herausgeber ›Jean Paul‹ . . . . c. Die »Vorrede« als Kritik am Prinzip der Wissenschaftslehre . . II. Eine höllische ›Himmelfahrt‹ – Jean Pauls ›unphilosophisches‹ Konzept des Humors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Leibgeber-Schoppe – der Humorist und Fichteaner . . . . . . . . . . . . . α ) Leibgeber im Siebenkäs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β ) Schoppe im Titan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Jean Pauls Konzept des Humors als das ›Romantisch-Komische‹ in der Vorschule der Ästhetik . . . . α ) Momente des Humors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β ) Programmatische Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ernste Poesie und sittliche Praxis – Jean Pauls Poesiekonzept und seine anthropologisch-metaphysischen Grundlagen . . . . . . . . . . . 1. Die Grundbegriffe der Ästhetik: Das romantisch Schöne und der poetische Charakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Organe und Konstituentien der schönen poetischen Tätigkeit . β ) Witz und Metapher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . γ ) Poetischer Charakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . δ) Roman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

149 162 165 165 170 171 175 184 184 208 221 232

234 243 243 247 263 264 270

277 277 281 288 297 301

Inhalt

2. Grundzüge einer Metaphysik der Person: Anthropologie, Moral, Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α ) Poesie und Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Anthropologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . γ ) Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . δ ) Freundschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ε ) ›Religion‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII

304 304 310 320 330 342

Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 Siglenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375

Für meinen Vater (†)

VORWORT

In den letzten Jahren ist der Begriff der ›Person‹ zu einem »Schlüsselbegriff«1 des philosophischen wie des gesellschaftlichen Diskurses geworden.2 Obwohl das Problem von ›Personsein‹ und ›Personalität‹ als Grundtopos des menschlichen Selbstverständnisses seit der Antike auf eine lange, wechselhafte Geschichte zurückblicken kann, ist ihm wohl noch niemals ein mit dem gegenwärtigen vergleichbares Interesse entgegengebracht worden. Eine ›Philosophie der Person‹ beginnt sich als eigene Disziplin zu etablieren.3 »Nach der sogenannten Toderklärung des Menschen und des Subjekts«, so wird von prominenter Seite herausgestellt, »hat die Philosophie der Person die Aufgabe übernommen, epistemische und moralische Selbstverhältnisse konzeptionell wie praktisch zu rehabilitieren« und damit das »Erb[e] der philosophischen Anthropologie« anzutreten.4 Zugleich ist die Personenfrage aus der theoretisch-akademischen Nische ins Licht öffentlicher Aufmerksamkeit gerückt.5 Denn zum einen spiegelt das Personenkonzept das herrschende Selbstverständnis des modernen westlichen Menschen wider, ein selbständiges und eigenverantwortliches Leben nach (mehr oder weniger) selbstgewählten Wertvorstellungen und individuellen Lebensentwürfen zu führen. Zum anderen provozieren die weitreichenden Herausforderungen und die dramatischen Veränderungen in der Lebensweise, die die neuen kognitions- und neurowissenschaftlichen Methoden und Erkenntnisse,6 die neuen diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten der modernen Medizin, der Bio- und Gentechnologie wie auch die jüngsten Entwicklungen der Kommunikationstechnik mit sich bringen, die Notwendigkeit einer erneuten und neuartigen Vergewisserung des menschlichen Selbstverständnisses, der theoretischen Erklärung und der moralischen wie rechtlichen Beurteilung handelnder Wesen. Aufgrund der unterschiedlichen aktuellen Problemkonstellationen ist der Begriff der ›Person‹ zum Einheits- und Bezugspunkt für vielfältige Fragestellungen inner1

Brasser (Hg.) (1999), 11. Neben Brasser (Hg.) (1999) sei hier von der wachsenden Zahl an Veröffentlichungen zum Personenkonzept genannt: Asmuth (Hg.) (2007), Ausborn-Brinker (1999), Beyer (2006), Gillitzer (2001), Kather (2007), Kobusch (²1997/1993), Löhr (2006), Mohr (Hg.) 2002, Northoff (2001), Quante (Hg.) (1999), Quante (2007), Schenk (Hg.) (1998), Spaemann (1996), Sturma (1997), Sturma (Hg.) 2001, Wald (2005). 3 Sturma (1997), 27. 4 Sturma (2001), 11 f. 5 Spaemann (1996), 7. 6 Zur neurowissenschaftlichen Diskussion personaler Identität vgl. u. a. Northoff (2001). 2

X

Vorwort

halb der theoretischen und praktischen Philosophie geworden. Die gegenwärtige Debatte umfaßt die Bedingungen der Personalität (synchrone Einheit) genauso wie die Bedingungen der personalen Identität (diachrone Einheit) oder den moralischen Status von Personen; im Zeichen der Person werden Fragen nach den Kompetenzen von Bewußtsein, Selbstbewußtsein und Rationalität genauso reformuliert wie solche nach der leib-seelischen Einheit, solche von narrativer und biographischer Identität ebenso wie die nach sozialen Rollen und sozialen Zugehörigkeiten. Schließlich wird auch gefragt nach der Freiheit und Verantwortung des Einzelnen und nach der moralischen oder politischen Anerkennung im gesellschaftlichen Raum.7 Trotz dieser Diversität der Frageintentionen und trotz des bis heute umstrittenen Verhältnisses des Personenbegriffs zu Konzepten wie ›Subjekt‹, ›Ich‹, Selbst‹ oder ›Selbstbewußtsein‹ ist ein weitgehend gemeinsamer Grundzug des Personendiskurses festzustellen. Er liegt in der Überzeugung, daß es beim ›Personsein‹ um den Menschen als konkreten Einzelnen geht, als »individuell existierende[s] leibhafte[s] Lebewesen, das um sich selbst wissen, sich zu sich selbst verhalten und sich in [sein]em Handeln selbst bestimmen« kann.8 Mit der ›Person‹ sind untrennbar Grundfragen im Blick auf die konkreten Problemlagen des alltäglichen Lebens, die existentiellen und moralisch-normativen Aspekte der Lebensführung des Individuums verbunden. Das fundamentale Problem der zeitlichen Identität des Einzelnen als eines wesentlich frei und verantwortlich in der Welt Handelnden führt schließlich, so zeigt sich u. a. an den Untersuchungen Spaemanns, auf das Paradigma der Selbstbindung zukünftigen Handelns im Versprechen, das man anderen Personen gibt, als einer der »tiefsten Eigentümlichkeiten der Person«.9 Doch auch eine weitere weitgehende Gemeinsamkeit der aktuellen Debatte um den Personenbegriff ist zu notieren: Angesichts der Verschmelzung systematischer Grundfragen der theoretischen und praktischen Philosophie mit dringenden Klärungen der Angewandten Ethik unter der Vorherrschaft der Ansprüche der letzteren wird wiederholt ein Defizit an diskursiver Gründlichkeit, »systematische[r] Distanz und semantische[r] Tiefe« der Personendebatte diagnostiziert.10 Dagegen hat bereits Theo Kobusch nachgewiesen, inwiefern der Personenbegriff und seine konstitutiven normativen Momente eine meist verborgen bleibende Metaphysik, eine der »aristotelischen Naturdingontologie« alternative »Metaphysik der Freiheit« bzw. »Metaphysik der Person« voraussetzt.11 7

Zu den verschiedenen Ansätzen der Diskussion zur Frage nach ›Person‹ vgl. AusbornBrinker (1999), 1-37, Quante (2007), 1-16. 8 Mohr (2001), 26; vgl. auch Ausborn-Brinker (1999), 18 u. Kobusch (²1997/1993), 20. 9 Spaemann (1998), 6. 10 Sturma (2001), 21. 11 Kobusch (²1997/1993), 12/18/23. Wie Kobusch spricht auch Mohr ausdrücklich von einer (seit dem 13. Jh. nachweisbaren) moralphilosophisch motivierten »Metaphysik der Person« (Mohr [Hg.] [2002], 14).

Vorwort

XI

Wie mit der systematischen Untersuchung einer ›Metaphysik der Person‹ bei Kobusch eine historische Versicherung einhergeht, verbinden sich auch mit den Versuchen, eine ›Philosophie der Person‹ als philosophische Disziplin zu etablieren oder mit Blick auf die Person grundlegende aktuelle Fragen Angewandter Ethik zu beantworten, zunehmend Rückversicherungen in der philosophischen Tradition. – In der in den letzten Jahren sich in diesem Sinne etablierenden Geschichtsschreibung des Personenbegriffs spielen zwei Namen indes bisher kaum eine oder gar keine Rolle: Friedrich Heinrich Jacobi und Johannes Paul Richter (genannt Jean Paul). Während diesem noch immer im ganzen von philosophischer Seite kein nennenswertes Interesse entgegengebracht wird,12 wird jener in jüngerer Zeit zwar verstärkt wieder als bedeutender Philosoph, der auf Augenhöhe mit Fichte und Schelling den nachkantischen Philosophiediskurs mitbestimmt und wesentlich mitprägt, ja vereinzelt auch als Denker der ›Person‹ wahrgenommen13; in den 12

Eine der wenigen Ausnahmen stellt die jüngst erschienene Studie von Sandra Hesse (Hesse [2010]) dar, deren wichtiges Verdienst der Nachweis ist, daß Jean Paul (1.) einen bisher stets unterschätzten substantiellen Beitrag zur philosophischen Diskussion seiner Zeit und auf Augenhöhe mit »der zeitgenössischen, insbesondere der frühromantischen, aber auch der gegenwärtigen Fichte-Rezeption« (ebd., 15) geleistet habe und daß (2.) Jean Pauls Dichtung allererst in seinen philosophischen Überlegungen und speziell in seiner Fichte-Kritik ihre Fundierung erfahre (ebd.). – Allerdings interpretiert Hesse die philosophische Debatte zwischen Jean Paul und Fichte ganz im Paradigma einer Theorie des Selbstbewußtseins. – Doch ist es nicht nur im Falle Fichtes fragwürdig, die Wissenschaftslehre auf eine Theorie des Selbstbewußtseins zu verengen (so Hesse mit Berufung auf Henrich und Frank [ebd., 39/45 ff./79]). Denn ähnlich wie schon Descartes verfolgt Fichte – und der Name ›Wissenschaftslehre‹ zeigt dies deutlich an – als Programm eine Theorie des Wissens. – Vielmehr ist darüber hinaus auch zu bedenken, daß ein Streit über die rechte Auffassung des Selbst bzw. Ich nicht notwendig in eine Selbstbewußtseinsdebatte im Sinne einer Subjektivitätstheorie, d. h. einer Theorie von der Struktur von Subjektivität, führt. Wenn Jacobi Fichtes Ich-Begriff kritisiert und in ihm eine ›Derselbigkeit ohne Der‹ beklagt, dann grade nicht, weil Fichte in seinen Augen die Struktur der Selbstheit des Subjektes mißdeute, sondern weil die Wissenschaftslehre die Wirklichkeit eines Einzelnen, der allererst ein existierender Mensch ist und sich als solcher nicht in der Aktualisierung der Struktur von Subjektivität erschöpft, prinzipiell verfehle. Mit Jacobi im Rücken wird sichtbar, so die These der vorliegenden Studie, daß auch für Jean Pauls Auseinandersetzung mit Fichte und der Transzendentalphilosophie überhaupt nicht das ›Subjekt‹, sondern die (gerade nicht auf Subjektivität reduzierbare) ›Person‹ den zentralen Streitpunkt bildet. Daraus folgt dann, daß Jean Pauls Formel ›ich bin ein Ich‹ (Selberlebensbeschreibung; JPSW I/6, 1061) nicht einen Beleg für die Stabilisierung des zweistelligen reflexiven Modells des Selbstbewußtseins durch die Einführung einer dritten Stelle, das Jean Paul auf den Spuren Jacobis Fichtes vermeintlich einstelligem Selbstbewußtseinskonzept entgegensetze, darstellt (so aber Hesse [2010], 79/82), sondern vielmehr die Singularität und Wirklichkeit des (je bestimmten existierenden) Ich einklagt, die ganz jenseits des Streites um das zutreffende Strukturmodell von Subjektivität bzw. Selbstbewußtsein liegt. Angezeigt ist damit nicht weniger als ein Paradigmenwechsel. 13 Hier ist vor allem die Studie Birgit Sandkaulens (Sandkaulen [2000]) zu nennen, daneben auch Kahlefeld (2000), Christ (1998), Henrich (1993). Etwas früher setzte bereits das Interesse an

XII

Vorwort

Mainstream des Personendiskurses hat er gleichwohl noch keine Aufnahme gefunden.14 Bedauerlich ist dies gleich auf mindestens doppelte Weise: Denn zum einen leisten gerade Jacobis Schriften in dem Maße einen genuinen Beitrag zur ›Philosophie der Person‹, wie sie sich um den konkreten, real und normativ orientiert handelnden Einzelnen zentrieren und das Versprechen und das im Modell des Versprechens gedeutete Freundschafthalten bereits als dessen konstitutive Fähigkeit identifizieren. Dabei läßt Jacobi keinen Zweifel, daß die philosophische Verständigung über menschliches Personsein nur als eine ›Metaphysik der Person‹ bzw. eine ›Metaphysik der Freiheit‹ möglich ist, der er in Kritik der Spinozanischen und (transzendental-)idealistischen Systementwürfe eine originelle eigene Gestalt gibt. – Zum anderen erschließt sich unter dem Blickwinkel der Personenfrage auch Jacobis Verhältnis zum zumeist nur als humoristischen Schriftsteller bekannten Johannes Paul Richter (Jean Paul), der gerade um 1800 in der Hochphase des öffentlichen Diskurses um die (nach-)kantische Philosophie einer der engsten philosophischen Vertrauten Jacobis ist. Unter der Perspektive des Jacobischen Personenkonzeptes wird dabei die keineswegs unbedeutende, doch häufig unterschätzte philosophischee Dimension, die auch dem Jean Paulschen Denken selbst eigen ist, allererst in angemessener Weise sichtbar. Es ist alles andere als ein Zufall, daß es gerade der Briefwechsel zwischen Jacobi und Jean Paul ist, in dem sich wesentliche Hinweise darauf finden, inwieweit die Frage des Personseins bzw. des individuellen Daseins das Zentrum der Jacobischen Überlegungen und damit auch seiner einflußreichen Einreden gegen die idealistische Philosophie bildet. »Individualität ist«, so formuliert Jacobi in einem Brief vom 16. März 1800 an Jean Paul die Quintessenz seiner Fichte-Kritik wie seiner eigenen Position, »ein Fundamentalgefühl; Individualität ist die Wurzel der Intelligenz und aller Erkenntniß; ohne Individualität keine Substantialität, ohne Substanzialität überall nichts«. Nicht nur expliziert Jacobi damit ausdrücklich seinen Begriff der »Persönlichkeit«, sondern er versichert Jean Paul zudem, daß dieser Jacobi von Seiten der Kant- und Fichte-Forschung ein (Baum [1969], Hammacher [1969], Hammacher [Hg., 1971], Höhn [1971], Homann [1973], Fichte-Studien 14 [1998]). In den letzten Jahren folgten schließlich, angeregt durch die Arbeiten Sandkaulens, Henrichs und Kahlefelds einige weitere Untersuchungen zur Philosophie Jacobis und ihrer zeitgenössischen Rolle (Götz [2008], Fetzer [2007], Schick [2006], Nenon [2005], Donovan [2004], Schumacher [2003]). 14 Bei den genannten Autoren (Fn.2) findet Jacobi nur bei Kobusch (²1997/1993) Erwähnung. Aber auch hier geht dies nicht über eine kurze Erinnerung an Jacobis Vorgängerschaft hinsichtlich Martin Bubers These von der Gleichursprünglichkeit und ontologischen Gleichrangigkeit des Du neben dem Ich hinaus (ebd., 226/235). – Einzig Birgit Sandkaulen, deren Untersuchungen die vorliegende Studie Vieles und Wesentliches verdankt, arbeitet die Personenproblematik als Grundthema Jacobis heraus und weist dessen Personenkonzept als ebenso zentrale Herausforderung für die philosophische Grundlagenreflexion seiner Zeit wie auch als noch immer grundlegenden und aktuellen Beitrag zur Philosophie bzw. Metaphysik der ›Person‹ nach (Sandkaulen [2000], [2001], [2004a] u. [2004b]).

Vorwort

XIII

der erste sei, dem er sich so frei entdecke. Denn Jean Paul sei der bisher einzige, der ihm darin »auf halbem Wege schon entgegengekommen«, ja der durch seine analog ansetzende Kritik der Wissenschaftslehre »[i]n das innerste meines Geistes [d. i. des Geistes Jacobis, O. K.] […] eingedrungen« sei (JNach I, 238). – Der Entdeckung dieser grundlegenden, im Personenkonzept wurzelnden Gemeinsamkeit des Denkens Jean Pauls und Jacobis – und mithin dem Philosophen Jean Paul – sind die folgenden Ausführungen gewidmet.

EINLEITUNG

I. Ein erster topographischer Streifzug »Wenn Sie ein Buch begehren, das mein ganzes philosophisches Gebäude umgebauet und dessen Tiefsin und Behauptungen gleich selten sind: so kaufen Sie …« An dieser entscheidenden Stelle ist der Brief an Pfarrer Vogel in Arzberg vom 16. Februar 1789 beschädigt und unlesbar. Man könnte diesen Umstand bald für einen Scherz halten, ist sein Absender doch niemand anderes als der Satirenautor Johannes Paul Richter, genannt Jean Paul. Alsbald wird er, nicht zuletzt gerade wegen des angesprochenen Umbaus, zu einem berühmten Autor humoristischer Romane ebenso wie zu einem originellen Theoretiker auf dem Feld von Ästhetik und Pädagogik werden. Bei dem empfohlenen philosophischen Buch, das so nachhaltig Jean Pauls Überzeugungen beeinflußt haben soll, handelt es sich höchstwahrscheinlich um Jacobis Gespräch David Hume über den Glauben.1 Dazu würde passen, daß Jean Paul, wenn auch Jahre später, seinen Briefwechsel mit Jacobi mit der emphatischen Anrede »Verehrtester Lehrer meines Innersten«, »königliche[r] Beschützer seines Glaubens« eröffnet und Jacobi zugleich als philosophischen Mentor anerkennt.2 Vor allem aber spricht für diese Annahme ihre inhaltliche Plausibilität: Jean Paul ist nämlich seit den frühen 1780er Jahren philosophischer Skeptiker – nach eigener Aussage aufgrund der Einsicht, daß allem Wissen notwendig das Gefühl des Individuums zugrunde liegen müsse, dieses jedoch rein subjektiv sei: Gründe vorzubringen, so argumentiert Jean Paul im Rückblick 1790 für seine (vormalige) skeptische Position, heiße nämlich »zeigen, daß der zu begründende Saz ein Theil, eine Folge etc. eines schon begründeten ist«. Zur Vermeidung eines unendlichen Begründungsregresses, der zur Aufhebung jedes Wissens führen würde, müsse daher angenommen werden, daß sich die ganze Schlußkette zuletzt auf eine »blos gefühlte Wahrheit stüz[e]«. Gründe seien mithin eigentlich »nur eine verstekte Appelazion« an das Wahrheitsgefühl. Die Erfahrung, daß dieses auch Ansichten begleitet, die

1

Schon Berend, Herausgeber der Werk-Ausgabe Jean Pauls, gibt an, daß der Brief an Pfarrer Vogel wohl auf Jacobi verwiesen habe. Allerdings könnten, so Berend weiter, die Spinozabriefe »nicht gemeint sein, da sie erst im Frühjahr 1789 erschien[en]«, wohl aber das Gespräch David Hume, das »in der Unsichtbaren Loge neben Woldemar, Allwill und Spinoza als ›das beste über, für und gegen Philosophie‹ gepriesen wird (I. Abt., II, 142), während in den Teufelspapieren nur erst der ›Vermischten Schriften‹ (1781) gedacht wird (I. Abt., I/349, 36 f.)« (JPSW III/1, 496; vgl. Die Unsichtbare Loge, JPW I/1, 152 u. Der Komett JPW I/6, 671). 2 Brief Jean Pauls an Jacobi vom 13.10.1798 (JPSW III/3, 106 f.).

2

Einleitung

später als Irrtümer erscheinen, es sich mithin »chamäleontisch« verändere »nach Stunde und Alter und Zuständen und Seelen und Ländern und Welttheilen«, weise jedoch auf ein grundsätzliches Problem hin: Die Wahrheit des Gefühls selbst sei nicht wiederum (durch etwas anderes) zu garantieren und aufzuzeigen. Aufgrund seines vermeintlich bloß privat-innerlichen Charakters könne nicht ausgeschlossen werden, daß ich mich im Gefühl stets täusche. Daraus folge letztlich aber sogar, so der Kernpunkt der radikalen Skepsis Jean Pauls, »die Ungewisheit, ob ich existiere: denn dieses ExistenzPostulat ist aufs bloße Gefühl gebaut – Ich will hoffen, daß ich existiere: ich wüste auch nicht, was Sie an mir lobten, wenn ich gar nichts hätte, nicht einmal Dasein.«3 – Mehr noch als eine Anspielung auf Descartes’ Wissensbegründung qua methodischem Zweifel in der Selbstgewißheit des ›cogito sum‹4 ist diese Argumentation Jean Pauls ein starkes Indiz für seine Nähe zu Jacobis philosophischer Position schon weit vor Beginn ihres Briefwechsels 1798. Denn auch für Jacobi ist die Problematik des Begründungsregresses ein zentrales Motiv, das ihn zuletzt ebenso auf die Frage nach der Existenz des Ich als Grundvoraussetzung allen Wissens führt. Zudem ist es im Gegensatz zu Descartes bei Jacobi, vor allem auch in der Erstauflage des David Humee von 1787, ausdrücklich das ›Gefühl‹, das die Daseinsgewißheit eines Menschen ausmacht. Und es ist Jacobi, der die Existenzfrage unmittelbar mit der Frage nach dem sittlichen Wert, dem ›Lobenswerten‹, verbindet. Der entscheidende Aspekt besteht aber darin, daß der von Jacobi im David Humee verteidigte Gefühls- und Glaubensbegriff dieses als ein objektivitätsgebendes höheres und sichereres ursprüngliches Wissen konzipiert und damit einen unmittelbaren Ausweg aus der Problemlage zu eröffnen scheint, die Jean Paul in den Skeptizismus führte. Viele Jahre später stellt dieser selbst nämlich klar, daß im Begriff des Gefühls (bzw. der ›Vernunft‹5) und des Glaubens als dem ihm/ihr zugehörigen Gewißheitsmodus nicht ein rein Subjektiv-Privates gemeint sei: Eigentlich, so Jean Paul, glaubten wir das Wahre nicht, wenn dies nur einen innerlichen Akt meint, sondern »wir schauen es wirklich als schon [g]egeben oder [s]ich-[g]ebend [an]; und dieses Schauen ist eben ein Wissen, nur ein höheres«.6 – Für Jacobis Schrift David Humee als Gegenstand von Jean Pauls Lektüreempfehlung spricht schließlich zuletzt auch noch, daß Jean Paul gerade in ihr am deutlichsten Motive des von ihm seit Jugendtagen philosophisch hochgeschätzten Leibniz in Jacobis Philosophie wiederfinden kann. Denn in diesem Werk führt Jacobi zwei ursprünglich eigenständige Gesprächsentwürfe zusammen, von denen einer ausdrücklich Leibniz zum Gegen-

3

Brief Jean Pauls an Wernlein vom 9.-11.8.1790 (JPSW III/1, 305). Zu Jean Paul und Descartes vgl. Decke-Cornill (1987), 102 ff. 5 So die zunehmend von Jacobi präferierte Charakterisierung, die die im Vergleich zur bloß sinnlichen Gewißheit ›höhere‹ geistigee Natur dieses Gefühls markiert. 6 Brief Jean Pauls an Jacobi vom 25.-27.1.1816 (JPSW III/7, 55 f.). 4

Einleitungg

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stand hatte. Zugleich fällt auf, daß sich um 1790 herum Jean Pauls Verhältnis zu Leibniz in einer Weise ändert, die ihn noch einmal näher an Jacobi heranbringt: Jean Paul kritisiert nunmehr nämlich verstärkt den Leibnizischen Parallelismus von Körper und Geist, der jede Kausalität aufeinander ausschließt, im Namen der Freiheit des Handelns, die zwar rätselhaft und wunderbar sei und sich nur, aber hier unabweislich im Gefühl, daß ich mit meinem Willen auch in der Körperwelt wirke, manifestiere.7 Genau diese Freiheit des Handelns ist aber ein, ja das philosophische Hauptmotiv Jacobis. –

α) Emphatische Versicherungen I: Jacobi und Jean Paul im Briefwechsel Jean Pauls (mutmaßliches) Bekenntnis zu Jacobis David Humee aus dem Jahr 1789 ist jedoch nicht nur entwicklungsgeschichtlich interessant, insofern es seine Selbstfindung als Romanautor mitbestimmt. Vielmehr verweist es auch, so die These, auf für Jean Paul fortan maßgebliche und stabile Basisüberzeugungen, die nicht nur seine großen Romane der nächsten zwei Jahrzehnte wesentlich mitformen, sondern auch seine philosophischen, ästhetisch-poetologischen und pädagogischen Abhandlungen. Diese Annahme erhärtet bereits ein oberflächlicher Blick in Jean Pauls Briefwechsel mit Jacobi. Dieser setzt 1798 ein, gestaltet sich gerade in den Jahren bis ca. 1802 sehr intensiv und dauert bis 1816, 3 Jahre vor dem Tod Jacobis, an, wenn zuletzt auch mit großen Unterbrechungen. Entscheidend ist aber die Konstanz des Inhaltes über all die Jahre hinweg: 1798 erklärt Jean Paul Jacobi, »wie viel mein Herz und mein innerer Tag den ihrigen schuldig ist«, genauso wie 1802, daß Jacobis »Lehren und meine Hofnungen« die »Wurzeln« seien, »womit du mein Herz fässest«. Und noch 1816 hebt Jean Paul ausdrücklich heraus, daß die von ihm zuvor im Brief beschriebenen philosophisch-metaphysischen Eckpunkte seines Denkens, »kein anderes wahres Wort« seien als Jacobis eigenes.8 Jean Paul, so läßt sich seinen Briefen zudem entnehmen, liest in diesen zwei Jahrzehnten wiederholt Jacobis Schriften, die ihm von Anfang an »klar und doch jährlich klärer« vorkommen.9 Zudem übersendet er ihm philosophische, zum Teil aber auch literarische Texte zur Begutachtung, wobei er vor allem bei ersteren Jacobis Urteil größtes Gewicht

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Vgl. u. a. Über vorherbestimmte Harmoniee (JPW, II/2, 649–652). Briefe Jean Pauls an Jacobi vom 13.10.1798 (JPSW III/3, 106), 13.8.1802 (JPSW III/4, 169) u. 25.-27.1.1816 (JPSW III/7, 56). – Zur Stabilität bzw. Entwicklungslosigkeit von Jean Pauls Themenwahl wie seiner philosophischen Grundüberzeugungen vgl. auch Decke-Cornill (1987), 80. 9 Brief Jean Pauls an Jacobi vom 27.1.-4.2.1800 (JPSW III/3, 283); vgl. auch Brief Jean Pauls an Jacobi vom 21.1.-6.3.1806 (JPSW III/5, 80). 8

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beilegt.10 Und schließlich ermuntert Jean Paul Jacobi zugleich mehrmals, ja fordert ihn regelrecht auf, weitere philosophische Schriften zu veröffentlichen, um ihre gemeinsamen Überzeugungen in einer zusammenhängenden Form darzustellen.11 Diese gemeinsamen Überzeugungen seien, so versichert er verschiedentlich, für den Roman Titan genauso entscheidend wie für die kleine Streitschrift Clavis Fichtiana seu Leibgeberianaa oder sein ästhetisches Hauptwerk Vorschule der Ästhetik.12 Jean Paul steht mit seiner Versicherung der Übereinstimmung nicht allein. Auch Jacobi, so zeigt u. a. der bereits zitierte Brief vom 16. März 1800, erkennt umgekehrt in Jean Paul den Gleichgesinnten. Nicht nur tauscht er sich daher seinerseits intensiv über philosophische Sachfragen mit ihm aus, sondern er beurteilt Jean Pauls eigene Werke, gerade die philosophischen Überlegungen, tatsächlich mit großer Zustimmung – so die Clavis Fichtiana, die Vorschule der Ästhetik, den kleinen Aufsatz über Madame Corday bzgl. einer ›höheren Moral‹ und schließlich auch (zumindest im zweiten Anlauf) den Titan.13 Der Briefwechsel zwischen Jacobi und Jean Paul verrät auch bereits die wesentlichen Themen dieser versicherten Übereinstimmung: Dabei handelt es sich erstens um die Kritik des transzendentalen Idealismus von Kant und Fichte. Diese nimmt sowohl im je eigenen Denken Jacobis und Jean Pauls eine zentrale Stellung ein als sie zugleich auch einen Hauptgegenstand des gegenseitigen Austauschs bildet. So sind es kritische Beobachtungen zu Fichtes Schrift Über die göttliche Weltregierung, g die den Anlaß für Jean Pauls Kontaktaufnahme zu Jacobi geben.14 Denn von diesem erhofft er für sich, für seine Zeitgenossen, ja für sein »ganzes Jahrhundert«

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Briefe Jean Pauls an Jacobi vom 22.12.-26.12.1799 u. 21.2.-6.3.1800 (JPSW III/3, 267 bzw. 301). 11 Vgl. Briefe Jean Pauls an Jacobi vom 13.10.1798 (JPSW III/3, 106), 22.12.-26.12.1799 (JPSW III/3, 266) u. 21.1.-6.3.1806 (JPSW III/5, 81). 12 Vgl. Briefe Jean Pauls an Jacobi vom 3.12.1798 (JPSW III/3, 128 ff.) u. 21.7.1801 (JPSW III/4, 90); vgl. weiterhin u. a. Briefe Jean Pauls an Jacobi vom 27.1.-4.2.1800 (JPSW III/3, 283) u. 30.-31.1.1804 (JPSW III/4, 273). 13 Briefe Jacobis an Jean Paul vom 11.1.1800 (JBr II, 290) und vom 3.9.1800 (JNach I, 279); weiterhin Briefe Jacobis an Jean Paul vom 19.1.1806 (JBr II, 385 f.), 18.4.1814 (JNach II, 119) u. 31.7.1802 (JBr II, 307). – Bei der Erstlektüre des zweiten Buches des Titan hat Jacobi zunächst das innerlich Ergreifende vermißt und sich oft »unbehaglich« gefühlt. Das Buch, so schreibt er Jean Paul, habe ihm »Mühe, Kummer und Sorge« gemacht und ihn gegen Jean Paul verstimmt (Brief Jacobis an Jean Paul vom 3.9.1800 [JNach, 279 f.]). Diese Beurteilung ändert sich im zweiten Anlauf jedoch vollständig: »Ich will an Dich schreiben mit Gewalt, lieber Friedrich, weil ich es nicht ertrage, Dir länger meinen Dank für die Freude zu verschweigen, die mir schon im vorigen Jahre Dein zweiter Titans-Theil, und für die noch viel größere, die mir der dritte jetzt verursacht hat. […] Ungeduldig eilte ich zum Ende des dritten Theiles, um beim ersten wieder anzufangen. Mit Entzücken las ich ihn durch, und begriff nicht, wie er mir vor zwei Jahren so ganz anders vorgekommen war.« (Brief Jacobis an Jean Paul vom 31.7.1802, JBr II, 307) 14 Vgl. Brief Jean Pauls an Jacobi vom 13.10.1798 (JPSW III/3, 107).

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die Rettung »durch alle kritische und fichtische Strudel«,15 die Rettung vor der »fuga pleni«, in der »jede[r] Welten- und Kometenkern in einen Nebel zertreiben« soll.16 Jean Pauls Diagnose und Vorwurf scheint mithin darin zu bestehen, daß der transzendentale Idealismus alle Realität und Positivität in die Nachkonstruktion ihrer begrifflich-idealen Sinnstrukturen auflöse und in Fichtes Vorstellungsbegriff die Beziehung auf deren reale Bedingungen verlorengehe. Darstellung und Form würden zum Substitut des Gehaltes und insbesondere das Ich (als reine, alle ideale Realität für es konstituierende Selbsttätigkeit) sei von der »Beschauung« (Anschauung) losgerissen worden – so, »als müsse nicht diese auf jenes wirken«. Fichtes Ich bzw. seine Vernunft sei, so Jean Paul eine Formulierung aus Jacobis Allwilll aufnehmend, das ›Licht‹ oder das ›Auge‹, das selbst für das Objekt gehalten werde.17 – Das »Ruder«, um sich vor dem beschriebenen idealistischen ›Strudel‹ der Fichteschen ›Luftleerheit‹ zu retten, habe dabei eben Jacobi gegeben – außer im Gespräch David Humee vor allem in der »einzige[n] VII. Beilage« im »ewigem Spinoza«, gemeint ist Jacobis Buch Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn in der reichlich vermehrten zweiten Auflage von 1789. Bereits der vermeintliche philosophische Dilettant Jean Paul identifiziert Beilage VII der Spinozabriefee also zielsicher als eines der philosophischen Hauptwerke Jacobis.18 Das ›Ruder‹ – oder wie es mit Blick auf die Claviss heißt, der ›Schlüssel‹, den von Jacobi empfangen zu haben Jean Paul bekennt –19 hat genaugenommen sogar eine doppelte Funktion: Es/er leitet und eröffnet sowohl das rekonstruktive Verständnis der Transzendentalphilosophie als auch ihre Kritik. Jacobi seinerseits bestätigt Jean Paul gegenüber diese Deutung und reklamiert ausdrücklich im genannten Sinne eine zweifache philosophiehistorische Rolle für sich: Er habe schon, so erklärt er mit Blick auf die Beilage Über den transzendentalen Idealismuss zum David Humee (1787), »bei der ersten Erscheinung der kritischen Philosophie auf das bestimmteste vorausgesagt, was sich heute [1798, O. K.] zuträgt«. Dadurch sei er den nachkantischen Transzendentalphilosophen »ein Täufer Johannes« und ein ›Prophet‹ der Wissenschaftslehre geworden.20 Denn im Text von 1787 hat er als konsequentere, weil sich aus den transzendentalidealistischen Prämissen

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Briefe Jean Pauls an Jacobi vom 3.12.1798 (JPSW III/3, 130) u. an Thieriot vom 23.2.1800 (JPSW III/3, 294). 16 Brief Jean Pauls an Jacobi vom 13.10.1798 (JPSW III/3, 106); vgl. auch Brief Jacobis an Jean Paul vom 5.11.1798 (JBr II, 259). 17 Brief Jean Pauls an Jacobi vom 3.12.1798, (JPSW III/3, 129). Vgl. Jacobi: Allwilll (JW I, 115). 18 Brief Jean Pauls an Jacobi vom 3.12.1798 (JPSW III/3, 130). – Zur VII. Beilagee als Hauptwerk vgl. Birgit Sandkaulen (Sandkaulen 2000). 19 Brief Jean Pauls an Jacobi vom 27.1.-4.2.1800 (JPSW III/3, 283). 20 Brief Jacobis an Jean Paul vom 5.11.1798 (JBr I, 259).

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notwendig ergebende Fassung der Kantischen Philosophie eine solche empfohlen, die jeden Bezug auf ein ›Ding an sich‹, mithin eine dem Ich bzw. dem Vorstellungssubjekt transzendente Realität leugnen würde. Und Fichte hat für Jacobi (wie für Jean Paul) mit der Wissenschaftslehre tatsächlich diese Empfehlung umgesetzt. Er habe durch eine konsequente Reduktion des Realismus auf einen bloß empirisch-phänomenalen, so Jacobi in Bekräftigung der Überlegungen Jean Pauls in der Clavis, »den Traum der Erfahrung als Traum« gesetzt und jedes reale »Erwachen« daraus ebenso vernichtet wie die Objektwelt als wirkliche praktische Handlungssphäre, indem er sie zu einem vom Ich selbst allererst Gesetzten erklärt – gesetzt in einer Reflexion auf seinen Akt freier Selbstbeschränkung als widerständiges Korrelat seiner Tätigkeit.21 – Mit dem Verweis auf die systemische Bedeutung der Prämissen hat Jacobi zugleich, dies ist ebenso ihrem Briefwechsel zu entnehmen, auch die methodische Vorlage für die Art und Weise von Jean Pauls Fichte-Rezeption gegeben: Für die Beurteilung des Charakters der Wissenschaftslehre komme es aufgrund ihres Systemanspruches, so Jean Paul, vor allem auf das Fassen ihres Prinzips an, da sich aus ihm alle Folgerungen und mithin das ganze System mit Notwendigkeit ergäben.22 Diesen Folgerungen widersprechende oder sie überschreitende ausdrückliche Intentionen und Behauptungen des systembildenden Philosophen würden, genau betrachtet, weder seinen philosophischen Entwurf erweitern noch ihn gar rechtfertigen helfen, sondern wiesen im Gegenteil auf die Begrenztheit systemischen Erklärens hin. In diesem Sinne hat Jacobi im David Humee mit der Erinnerung an die von Kant selbst im Begriff der Sinnlichkeit mit in Anspruch genommenen realistischen Annahmen den Weg zur Kritik des transzendentalphilosophischen Ansatzes und seiner Prämissen angezeigt. Und in diesem Sinne deutet Jacobi, vor allem aber auch Jean Paul die Behauptung eines vermeintlichen Primats des praktischen Ich und damit die Prinzipienfunktion des Freiheitsbegriffs in der Wissenschaftslehre letztlich als Indiz eines systemisch nicht beherrschbaren praktisch-realistischen Überschusses.23 Die Übereinstimmung von Jean Paul und Jacobi soll sich zweitens auch noch auf die konkrete Gestalt dieses Realismus erstrecken: »In das innerste meines Geistes bist Du«, so schreibt Jacobi an Jean Paul, »an der Stelle eingedrungen, wo Du von Fichte sagst: ›Hier wird er unheilig.‹«24 Mit diesen Worten widerspricht Jean Paul in einem Brief an Jacobi Fichtes Bestreiten der Personalität Gottes, das aus dessen systemisch notwendiger Identifizierung von Personsein, Endlichkeit, natür-

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Vgl. Brief Jacobis an Jean Paul vom 16.3.1800 (JNach I, 239 f.) Brief Jean Pauls an Jacobi vom 15.5.-4.6.1799 (JPSW III/3, 198); vgl. Brief Jacobis an Jean Paul vom 16.3.1800 (JNach I, 241). 23 Vgl. Brief Jacobis an Jean Paul vom 16.3.1800 (JNach I, 241). 24 Brief Jacobis an Jean Paul vom 16.3.1800 (JNach I, 238 f.). 22

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lich-körperlicher Einzelheit und bloßer Phänomenalität einerseits sowie von Absolutheit, Unendlichkeit und Allgemeinheit andererseits folgt.25 Beharren Jean Paul und Jacobi gegen das transzendentalphilosophische System auf einem Realismus, geht es daher primär, so die Grundthese vorliegender Untersuchung, um die persönlichee Existenz eines sittlichen Individuums. Diese läßt sich als reale nach Jacobi nicht »a priori oder ursprünglich und absolut« durch eine philosophische Erklärung bestimmen, liegt zugleich aber jeder philosophischen Erklärung und transzendentalidealistischen Konstitutionshandlung voraus.26 »Ichheit«, wie Fichte sie verstehe, »als eine bloße Handlung des Gleichsetzens von – Nichts, als Nichts, in Nichts, durch Nichts,« sei, so Jacobi gegenüber Jean Paul in der Überzeugung, von einer gemeinsamen Auffassung zu reden, »ein baarer Un-Gedanke; und das Entgegensetzen, als Bedingung dieses Gleichsetzens, eine wahre Tollheit, da ich zum Entgegensetzen nur ein Nichts plus Nichts, eine unendliche Größe von plus Nichts vorfinde. Reine Selbstheit ist reine Derselbigkeit ohne Der.« Genau dieser Gedanke bestimmt tatsächlich den Ansatz von Jean Pauls sachlich ernster Fichtekritik in der Clavis ebenso wie die humoristische Vermischung von empirischem und reinem Ich in Claviss und Titan, denen Jacobi mit seinen Erläuterungen vollständig beipflichtet. »Der oder das«, so skizziert Jacobi weiter seine alternative Position, die sich nicht nur gegen die transzendentale Subjektivitätsauffassung, sondern auch gegen einen empiristischen Personenbegriff wendet, sei »nothwendig immer ein Individuum. Also liegt der Identität Substanzialität, der Substanzialität Individualität schlechterdings zum Grunde. Bewußt ist ein Adjectiv; es kann ohne Substantiv nicht gedacht werden, und dieser Substantivus ist das, was sich im Gefühl der Identität unanschaubar darstelt. Die Persönlichkeit des Menschen ist als ein bloßes Schweben durch Synthesis ganz undenkbar; als ein Erzeugniß in der Zeit, als etwas, das durch Besinnung erst entstünde, ist sie erweislich unmöglich. Ich, Fr. Heinr. Jacobi erkenne mich als solchen ohne alles Merkmal, unmittelbar, Kraft meiner Substanz; ich brauche mich nicht erst zusammen zu setzen.« »Ich bin«, so faßt Jacobi in direkter Ansprache Jean Pauls diese Haltung schließlich zusammen, »Realist, wie es vor mir noch kein Mensch gewesen ist, und behaupte, es giebt kein vernünftiges Mittelsystem, zwischen totalem Idealism und totalem Realism. – Du bist der erste, dem ich mich auf diese Weise entdecke, weil Du der erste bist, dem ich es zutraue, daß er mir auf halbem Wege schon entgegen gekommen sei.«27 – Tatsächlich war Jean Paul Jacobi bereits entgegengekommen, indem er in analoger Weise seine eigenen realistischen Intentionen von der Fragestellung nach der

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Vgl. Brief Jean Pauls an Jacobi vom 21.2.-6.3.1800 (JPSW III/3, 299) sowie Brief Fichtes an Reinhold vom 8.1.1800 (GA III,4 178 ff.). 26 Brief Jacobis an Jean Paul vom 30.4.1801 (JNach I, 288). 27 Brief Jacobis an Jean Paul vom 16.3.1800 (JNach I, 238 f.).

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(sittlich-)handelnden Person aus anging und diese zugleich noch als Fundament aller systemisch-wissenschaftlichen Einsichten ansah. Schon 1798 schrieb Jean Paul in diesem Sinne Jacobi und wiederholte damit wesentliche Aussagen aus dessen Spinoza-Buch, daß die Wissenschaft als solche zu Recht überall nur ›mechanische‹, nur wirkende Ursachen antreffen könne, aber »nirgends Endabsichten«. Diese jedoch, und hier liegt der systemkritisch entscheidende Punkt, begleiteten eigentlich nicht nur »jedes Gesez der Natur« wie auch »Physik, Metaphysik und Teleologie«, sondern würden es allererst selbst machen. Die Perspektive des zweckhaft Handelnden, d. i. der Person, verleiht m. a. W. nach Jean Paul (wie nach Jacobi) der wissenschaftlichen Erkenntnis erst Realität und Bedeutsamkeit und kann darum nicht selbst wieder vollständig wissenschaftlich erklärt werden.28

β) Emphatische Versicherungen II: Jacobi und Fichte im Briefwechsel Doch ist es nicht Jean Paul allein, der beharrlich Jacobi als philosophisch Gleichgesinnten beschwört. Auch Johann Gottlieb Fichte wirbt kaum weniger ausdauernd bereits seit 1794 um das philosophische Einverständnis Jacobis. 1796 versichert er ihm schließlich sogar, trotz der scheinbaren Gegnerschaft als Idealist (Fichte) und Realist (Jacobi) philosophisch mit ihm vollständig übereinzustimmen.29 In diesem Sinne nehmen auch seine publizierten Schriften, wie das Naturrechtt (1796, SW III, 29) und die Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehree (1797, SW I, 481 f.), wiederholt positiv auf Jacobi Bezug. Die Fichtesche Abhandlung Über die Bestimmung des Menschen (1800) wirbt schließlich durch die geradezu exzessive Verwendung einer besonders Jacobi-nahen Terminologie, die bis hin zu einer Vielzahl wörtlicher Zitate reicht, nochmals ausdrücklich um Jacobis Beistimmung. Und selbst das Spätwerk Fichtes zeigt ein nicht verlöschendes Bemühen, Jacobi für sich zu gewinnen,30 indem nicht nur dessen Einwände gegen die Transzendentalphilosophie Ursache einer produktiven Beunruhigung bleiben,31 sondern die Wissenschaftslehre Trans-

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Brief Jean Pauls an Jacobi vom 3.12.1798 (JPSW III/3, 129); vgl. auch Brief Jean Pauls an Jacobi vom 25.-27.1.1816 (JPSW III/7, 55 f.). 29 Fichtes Briefe an Jacobi vom 29.9.1794 (GA III,2 202) und vom 26.4.1796 (GA III,3 17 f.), vgl. auch Fichtes Brief an Jacobi vom 30.8.1795 (GA III,2 391 ff.). Zum Bild als idealistischer Grundsatzphilosoph, das Fichte in seiner frühen Wissenschaftslehre abgibt, vgl. u. a. auch Traub (1990), 44 u. Frank (1997), 101. 30 So berichtet bspw. Jean Paul 1805, daß Fichte sich sehr nach Jacobi ›sehne‹ und wirklich hoffe, diesen »mündlich in seine Meinung herüber zu ziehen« (Brief Jean Pauls an Jacobi vom 15.4.- 4.5.1805 [JPSW III/5, 40]). 31 So sammelt Fichte noch in den Jahren 1806/07 Material für eine weiterhin geplante Antwort auf Jacobis Sendschreiben (vgl. GA II,11 35 ff.).

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formationen erfährt, wie eine ›Bildtheorie des Wissens‹,32 die sich neuerlich als eine versuchte Annäherung u. a. an Jacobi interpretieren lassen. Umgekehrt vermutet auch Jacobi bereits vor Fichtes Kontaktaufnahme eine gewisse Affinität zwischen ihnen beiden, da dieser »mehr als alle seine Vorgänger in der Predigt des in die Welt gekommenen neuen Lichts auch noch für das am ersten Tage geschaffene Licht ein Auge« offen zu haben scheine.33 Vor allem aber glaubt er mit Blick auf die Programmschrift Begriff der Wissenschaftslehree bei Fichte alle wesentlichen eigenen Motive an entscheidenden Stellen aufgenommen zu finden: »[D]ieser neue Professor« pflüge, so schreibt Jacobi an Goethe, »mit meinem Kalbe, ja mit allen meinen Kälbern, und nicht für die lange Weile«.34 Dabei überlegt Jacobi wenig später sogar, ob er von Fichte hinsichtlich des besseren Verständnisses seiner eigenen Motive nicht selbst noch etwas lernen könne.35 – Allerdings währt diese Zuversicht nur kurz. Ab Dezember 1797 ist bei Jacobi das Gefühl der »Harmonie«36 mit Fichte der Sicherheit über eine trotz aller Berührungspunkte grundsätzliche Differenz ihrer philosophischen Anschauungen gewichen.37 Durch Fichtes Zusendung seiner Appellation an das Publicum über die durch ein Churf. Confiscationsrescript ihm beigemessenen atheistischen Aeusserungen (SW V, 191–238) am 18. Januar 1799, verbunden mit einigen wenigen handschriftlichen Zeilen mit dem Ersuchen um Jacobis Freundschaft (vgl. GA III,3 176), sieht sich dieser schließlich veranlaßt, in den Jenaer ›Atheismusstreit‹ einzugreifen und zugleich endlich grundsätzlich seine Position gegenüber der Fichteschen Philosophie kritisch zu bestimmen und die Differenz zu markieren. Dies geschieht im berühmten Sendscheiben An Fichte vom 3. bis zum 21. März 1799, das für Jean Paul schließlich zur entscheidenden Quelle seiner eigenen Fichte-Kritik wird.

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Vgl. u. a. Asmuth (1997). Brief Jacobis an Goethe vom 7.6.1794 (FiG I, 115), vgl. auch Brief Jacobis an Wilhelm v. Humboldt vom 2.9.1794 (FiG I, 141). 34 Brief Jacobis an Goethe vom 7.6.1794 (FiG I, 115). 35 Vgl. Jacobis Briefe an Reinhold vom 22.2.1797 (FiG I, 408) und an Baggesen vom 21.10.1797 (FiG I, 463). 36 Jacobis Brief an Fichte vom 24.12.1795 (GA III,2 436). 37 Jacobis Brief an Dohm vom 13.12.1797 (FiG I, 471 f.). – Genaugenommen zweifelt Jacobi bereits 1795 erstmals an der vermeintlichen philosophischen Übereinstimmung mit Fichte, vermutlich, wie Ives Radrizzani überzeugend dargelegt hat, veranlaßt durch Fichtes Aufsatz Ueber Belebung und Erhöhung des reinen Interesse für Wahrheit, in dem Fichte eine »strikt immanente, formale Bestimmung der Wahrheit« vornehme, die Jacobi als Indiz eines in einer absoluten schöpferischen Tätigkeit des Ich gründenden absoluten Idealismus bei Fichte deute (Radrizzani [1998], 58 ff., vgl. Jacobis Brief an Goethe vom 1.3.1795 [FiG I, 252]). – 1796 ist es dann Friedrich Schlegels polemische Rezension von Jacobis Roman Woldemar, r die Jacobi auch hinsichtlich der Einstellung Fichtes zu ihm verunsichert (vgl. Lauth [1989], 274 ff.). 33

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Auch im Fall des Verhältnisses von Jacobi und Fichte erlauben bereits ihr Briefwechsel sowie ein erster Blick auf die angesprochenen ausdrücklichen Stellungnahmen Fichtes zu Jacobi in seinen frühen Veröffentlichungen eine Orientierung über die Sachgehalte hinter den beiderseitigen Vermutungen hinsichtlich ihrer Übereinstimmung und/oder Divergenz. Als eigene Theoriestücke in der Wissenschaftslehre identifiziert Jacobi im Einklang mit Fichtes expliziten Bekenntnissen dabei zunächst die Kritik am Kantischen ›Ding an sich‹ als einer den transzendentalphilosophischen Prämissen fremden Annahme.38 Dasselbe trifft auf die bereits in den Spinozabriefen entwickelte Charakterisierung streng systematischen Wissens zu. Die dortige Bestimmung des Begriffs des ›Wissens‹ bzw. der ›Wissenschaft‹ als ein aus einem obersten unbedingten, selbst indemonstrablen Prinzip deduktiv-notwendig folgendes System von einander bedingenden Sätzen nimmt Fichte augenscheinlich programmatisch im Begriff der Wissenschaftslehree auf.39 Zugleich sucht er auch an Jacobis Bestimmung von ›Gefühl‹ und ›Anschauung‹ als höchsten Erkenntnisweisen und von ›Glauben‹ als ursprünglichem Erkenntnismodus anzuknüpfen.40 Eine grundlegende Gemeinsamkeit erkennen Jacobi wie Fichte daher in der vernunft- bzw. verstandeskritischen Intention ihrer Projekte.41 – Auch reklamiert

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Vgl. Fichte: Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehree (SW I, 480 f.). Zu Jacobis Kritik am Ding an sich als überaus wichtige Verbindung zu Fichte vgl. auch Sandkaulen (2007); Kahlefeld (2000), 116; Frank (1997), 65 f./99; Oesterreich (1998), 158; Lauth (1989a), 270; Summerer (1974), 42 und Rohs (1991), 34; Baumanns (1974), 23–25. 39 Vgl. Fichte: Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehree (SW I, 508) sowie den Brief Fichtes an Jacobi vom 26.4.1796 (GA III,3 17 f.). Zu Jacobis Entdeckung des Unbedingten bzw. seinem ›erkenntnistheoretischen Fundamentalismus‹ und Fichtes (grundsatzphilosophischem) Anschluß daran vgl. auch Frank (1997), 66/153/168/606; Zöller (1998), 34 f.; Rohs (1991), 42 und di Giovanni (1997), 259; Hammacher (1996), 6–8. – Zwar hat Kant selbst bereits in der Kritik der reinen Vernunft die Frage des Systems überhaupt (wie auch die seines Verhältnisses zum »Weltbegriff« bzw. zum »Sittengesetz« [A 838 f./B 866 f.]) für seine Nachfolger auf den Weg gebracht, indem er die Philosophie als Wissenschaft auf die systemische Form, d. i. auf die »systematische Einheit« der »mannigfaltigen Erkenntnisse unter einer Idee« durch ihre »Ableitung von einem einigen obersten und inneren« Prinzip, wodurch sowohl der »Umfang des Mannigfaltigen«, inklusive des »Sittengesetzes«, »als die Stelle der Teile unter einander, a priori bestimmt wird« (A 832 f./B 860 f.), verpflichtet. Die eigentliche Schärfe der in dieser Verpflichtung liegenden Problematik, durch die allererst Fichtes anhaltendes, intensives Ringen um die angemessene Gestalt der Wissenschaftslehre verständlich wird, resultiert jedoch aus Jacobis Bestreiten der Möglichkeit der von Kant geforderten systemischen Einheit von theoretischer und praktischer Philosophie. 40 Daher stimmt Jacobi auch Fichtes Diktum »Was für eine Philosophie man wähle, hängt davon ab, was man für ein Mensch ist« (SW I, 434) emphatisch zu (JW III, 55). – Zur Nähe Jacobis und Fichtes hinsichtlich Unmittelbarkeits- und Gefühlsbegriff vgl. Zöller (1998), 34; Loock (1997), 222. Zu dabei erfolgenden weitreichenden Verschiebungen vgl. Loock (1997), 237; Zöller (1998), 22; Henrich (1992), 90; Sandkaulen (1997), 362; Hammacher (1969), 88. 41 JW III, 31. Zur Übereinstimmung im negativen Geschäft einer Rationalitätskritik vgl. auch Homann (1973), 139; Kahlefeld (2000), 116.

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Fichte für den dritten Grundsatz der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, der die quantitative Wechselsetzung von Ich und Nicht-Ich als bestimmten behauptet, die Vorgängerschaft des Jacobis Spinozarekonstruktion zugrundeliegenden Satzes ›omnis determinatio negatio est‹42 sowie von Jacobis These vom instantanen, aber zeitlichen Zugleichgegebensein von Bewußtsein und seinem Gegenstand, von Selbst- und Fremdgewißheit.43 Daher beruft Fichte sich auch in seiner eigenen Zeitkonzeption auf Jacobi und das bei diesem intim mit der Zeitfrage verbundene Verhältnis von Zweckbegriff, Handeln und Dauer. Und Jacobi selbst meint zwischenzeitlich in diesem Sinne in Fichtes Quantitätsbestimmung tatsächlich seinen eigenen Körperbegriff wiederzufinden.44 – Zentrales Moment einer scheinbaren Übereinstimmung ist daher letztlich der Vorrang der praktischen Tätigkeit des/ eines Ich als frei und vernünftig nach Zwecken handelndes Wesen. War bei Kant das Verhältnis von theoretischem und praktischem Ich, von Spontaneität und Freiheit noch offengeblieben, erhebt Fichte auf Jacobis Spuren das moralisch-praktische Ich geradezu zum Prinzip des transzendentalphilosophischen Systems.45 – Im Anschluß an diese Wendung wird deutlich, daß über die Frage nach der Übernahme einiger bestimmter, wenn auch äußerst zentraler Theoriestücke Jacobis in der Wissenschaftslehre hinaus bei Fichtes Bemühen um Jacobis philosophische Beistimmung zugleich wesentlich mehr auf dem Spiel steht. Vor allem nämlich, gerade dies zeigt ihr Briefwechsel, geht es um eine Verständigung über das Konzept und die Rolle der Philosophie im ganzen. Zur Diskussion steht m. a. W. das Verhältnis zwischen unserer ursprünglichen Selbst- und Weltgewißheit als konkrete

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Vgl. Spinozas Brief an Jelles vom 2.6.1674: »determinatio negatio est« (Spinoza: Briefwechsel. 50. Brief). 43 Vgl. Brief Jacobis an Dohm vom 13.12.1797 (FiG I, 471 f.) sowie den David Humee (DH 65). Darüber hinaus vgl. Loock (1997), 220 Anm. 3; Frank (1997), 128. Zur Ausdehnung dieses Gedankens auf mögliche Übereinstimmungen in der Intersubjektivitätslehre von Jacobi und Fichte vgl. Siemek (1997), 251; Höhn (1971), 290. 44 Vgl. hierzu Jacobis Kladdennotiz (JKl. VI, 28), in der er vermutet, »daß Fichte hier durch die Quantität eben das meynt, was ich in meinem David Hume Cörperlichkeit genannt habe, die immer, folglich auch der Begriff der Ausdehnung, dessen Abstractum der Raum ist, entstehen muß, wo zwey Singuläre Wesen miteinander in Verbindung kommen«. Vgl. hierzu: Radrizzani (1998), 55 ff. Zur Zeit- und Kausalitätsproblematik und möglichen Beziehungen Fichtes zu Jacobi hierbei vgl. Jacobis David Humee (DH 111 ff.) und Fichtes Wissenschaftslehre nova methodo (Wlnm, 206) u. Grundlage des Naturrechtss (SW III, 29) – darüber hinaus: Loock (1997), 220, Anm. 3 u. 233; Lauth (1989a), 270; Fuchs (1990), 206. 45 Fichtes Erklärung, seine Philosophie sei »vom Anfange bis zu Ende nur eine Analyse des Begriffs der Freiheit«, so daß »in ihm diesem nicht widersprochen werden [könne], indem gar kein anderes Ingrediens hineinkommt (Brief an Reinhold vom 8.1.1800 [GA III,4 182]). Zur jeweiligen praktischen Fundierung bei Fichte und Jacobi und der gemeinsamen Freiheitsthematik vgl. Lauth (1989a), 271, Hammacher (1989), 253; Hammacher (1969), 176; Homann (1973), 158; Fuchs (1990), 216; Kahlefeld (2000), 103.

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vernünftige, in der Welt und mit anderen Einzelnen handelnde individuelle Wesen und dem philosophisch-wissenschaftlichen, systematischen Begreifen dieser Gegebenheiten als begrifflich-allgemeine. Es geht also, in der Perspektivierung dieser Frage durch Fichte gesprochen, um das Verhältnis von »empirischem Realismus« und »transcendentalem Idealismus«, vom »Gesichtspunkte des Lebens« und dem spekulativen »philosophischen Gesichtspunkte«.46 Als entscheidendes Problem deutet sich dabei die Frage an, ob, wie Fichte annimmt und sich darin vom 15. Brief aus Jacobis Briefroman Allwilll bestärkt fühlt (vgl. JW I, 124), eine ›Aussöhnung‹ beider Standpunkte durch die Deduktion des lebensweltlichen Realismus aus dem transzendentalen Idealismus, des Ich als individuellem aus dem allgemeinen ›absoluten‹ Ich erfolgen könne und müsse.47 Jacobi akzeptiert zwar auch im Sendschreiben an Fichtee 1799 öffentlich seine Rolle als ›Prophet‹ und Geburtshelfer der Wissenschaftslehre, indem er einerseits an Spinoza das Wesen systemisch-begrifflichen Philosophierens sowie andererseits auch Kants Inkonsequenzen angesichts seiner transzendentalidealistischen Prämissen aufgezeigt habe, ja er reklamiert diese Vorgängerschaft unter Anerkennung der philosophischen Konsequenz und Brillanz der Wissenschaftslehre ausdrücklich für sich.48 Sein daraus folgendes Verständnis der Wissenschaftslehre als »umgekehrten Spinozismus« (JW III, 12) markiert jedoch nicht nur Hochschätzung für ein rational überzeugendes System, sondern zugleich seine Gegnerschaft. Denn bereits dem Spinozismus hatte Jacobi im Namen des konkreten individuellen Daseins eines vernünftig Handelnden einen ›Sprung‹, einen ›salto mortale‹ aus der bloß begrifflichallgemeinen, erklärenden Philosophie in eine vorgängige unmittelbare Seins- und Weltgewißheit entgegengesetzt (Spin 26). Versucht Fichte den gemeinen realistischen Standpunkt philosophisch durch eine subjektivistische Konstitutionstheorie

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Brief Fichtes an Reinhold vom 4.7.1797 (GA III,3 69 f.), vgl. auch Brief Fichtes an Jacobi vom 30.8.1795 (GA III,2 391 ff.) bzw. Fichte: Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre (SW I, 482 f.); vgl. zur Entwicklung von Fichtes Verhältnisbestimmung von ›Philosophie und Leben‹ Breazeale (1989), 81–104. Zur Frage nach dem Verhältnis von Philosophie und Leben als entscheidender Angel- und Streitpunkt zwischen Jacobi und Fichte vgl. u. a.: Kahlefeld (2000), 112 ff.; Zöller (1998), 35/40; Lauth (1989a), 272; Oesterreich (1998), 157 u. 168; Verra (1969), 218; Homann (1973), 155 f.; Sandkaulen (1997), 362. 47 Brief Fichtes an Jacobi vom 30.8.1795 (GA III,2 393). 48 JW III, 15; vgl. David Humee (DH 229). Nicht nur der Eliminierung des ›Dings an sich‹ in der Wissenschaftslehre stimmt Jacobi innersystemisch zu, sondern er erkennt im übrigen auch in der praktischen Philosophie eine solche richtige, in den eigenen Aphorismen über Nichtfreyheit und Freyheit in der zweiten Ausgabe der Spinozabriefee bereits vorweggenommene Konsequenterstellung bei Fichte, indem dieser bereits in den Vorlesungen Von den Pflichten der Gelehrten zeige, wie man den kategorischen Imperativ und die regulativen Ideen »leicht« »aus dem Triebe der mit sich selbst Uebereinstimmung« herleite (JW III, 42; vgl. hierzu auch Lauth (1989a), 291 u. Müller-Lauter (1994), 51).

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zu überbieten, behauptet Jacobi im Gegenzug durch die Unterscheidung eines vorgängigen substantiellen ›Wahren‹ von einer bloß formalbleibenden nachkonstruierenden philosophischen ›Wahrheit‹ ein geradewegs umgekehrtes Fundierungsverhältnis, das sich darum auch nicht mit den Mitteln Fichtes oder Spinozas mehr beschreiben lasse. Nicht durch Widerlegung des philosophischen Systems, sondern durch das Freilegen seiner Leerstellen gilt es nach Jacobi, gegen die Allmacht rationaler Welterklärungsansprüche die Sphäre menschlichen Daseins als noch dieser Erklärung allererst Wirklichkeit und Bedeutsamkeit verleihend (un-)philosophisch wiederzugewinnen (vgl. JW III, 17, 29 u. 32 ff.).

γ) Emphatische Versicherungen III: Folgerungen Zwei Autoren berufen sich also emphatisch mit der Versicherung der vollkommenen philosophischen Übereinstimmung auf Jacobi und stellen diesen der philosophischen Bedeutung nach neben oder gar über Kant,49 die auf den ersten Blick unterschiedlicher kaum sein könnten. Bedeutet für Jean Paul die Kongruenz der eigenen Überzeugungen mit denen Jacobis dabei letztlich die Transzendierung allerr Systemphilosophie und die grundlegende Kritik an Fichte, so tritt umgekehrt für Fichte Jacobi zunächst vor allem gerade dort ins Mittel, wo es um die begrifflich notwendige idealistische Überbietung der Kantischen Philosophie geht – oder anders ausgedrückt: um ihre Überführung in eine eigentlich erst wahrhaft systematische Form. – Für eine Analyse der philosophischen Beziehung Jeans Pauls zu Jacobi ergeben sich aus dieser Konstellation unmittelbar zwei wesentliche allgemeine Gesichtspunkte: 1. Wendet sich Jean Paul Jacobi als Mentor zu, handelt es sich entgegen mancher Behauptung bei dieser Allianz keineswegs nur um den Austausch zweier philosophischer Außenseiter oder gar Dilettanten.50 Im Gegenteil indizierte bereits der flüchtige Blick auf Fichte Jacobis kaum zu überschätzenden Einfluß auf die

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Vgl. »Fichte erklärt Jacobi für den tiefsten Denker unserer Zeit und setzt ihn weit über Kant; ich auch.« (Brief Jean Pauls an Thieriot vom 23.2.1800 [JPSW III/3, 294]). Vgl. Fichtes Bemerkung über Jacobi als den »mit Kant gleichzeitigen Reformator in der Philosophie« (Sonnenklarer Bericht an das grössere Publicum, über das eigentliche Wesen der neuesten Philosophie [SW II, 334]). 50 Vgl. u. a. Haselberg (1974), 205: »Zwischen Jean Paul und der Philosophie seiner Zeit besteht kaum eine Beziehung. Seine Freundschaft zu Jacobi machte ihn zum Gefolgsmann eines outsiders, die Clavis Fichtiana war zu sehr auf einen einzigen spekulativen Punkt der Wissenschaftslehre zentriert, als daß von ihr aus der Disput hätte eine Fortsetzung nehmen können. Mit erstaunlicher Einhelligkeit haben die Philosophen der Epoche den beliebtesten Dichter zumindest eines Teils ihrer Lebenszeit ignoriert.«

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Herausbildung der Wissenschaftslehre,51 der sich um 1799/1800 im Blick auf Veränderungen in Fichtes Konzeption zeitweilig vielleicht sogar noch einmal verstärkt.52 Insofern Fichte zugleich fraglos eine zentrale Rolle in der nachkantischen Philosophie zukommt, gehört allein schon dadurch auch Jacobi zum Zentrum, nicht zur Peripherie der philosophischen Entwicklung um 1800. Bekennt sich Jean Paul nun wiederum zu Jacobi und folgt er tatsächlich, wie von ihm selbst behauptet, dessen Überlegungen, ist auch sein Philosophieren der Sache nach keineswegs randständig. Vielmehr bewegt er sich dann ebenso inmitten der zentralen philosophischen Probleme seiner Zeit, mag er historisch auf die Entwicklung der Diskussion auch keinen großen Einfluß gehabt haben. Dies gilt umso mehr, als er, so die These, die brisante, eine große Dynamik in der Entwicklung der Transzendentalphilosophie initiierende und mitbestimmende Doppelrolle Jacobis als Systematiker mit antisystemischen Zielen nicht nur bemerkt, sondern für sich selbst übernimmt. – Jean Paul ist zudem, dieses läßt sich zuletzt auch noch bereits seinem Briefwechsel mit Jacobi entnehmen, alles andere als ein philosophischer Laie, der unvorbereitet in diffizile Problemlagen der nachkantischen Philosophie gerät. Vielmehr bringt er eine reiche Vorbildung mit, hat er sich seinem eigenen Zeugnis nach doch von seiner Jugend an, und in den ersten Jahren sogar vornehmlich, intensiv mit Philosophie beschäftigt.53 Diese Kenntnisse baut er später beständig durch die zeitnahe Lektüre wichtiger Neuerscheinungen der verschiedensten Disziplinen und Genres weiter aus.54 Dabei bleibt Jean Paul keineswegs nur bei der Rezeption stehen, sondern entwickelt philosophische Vorlagen auf originelle Weise weiter55 – allerdings, so die These, wesentlich dem Geiste Jacobis treubleibend. Dies zeigen sowohl seine sprachtheoretischen Argumente gegen Fichte und seine Kritik der Interpersonalitätstheorie der Wissenschaftslehre als auch seine eigenen poetologischen und pädagogischen Überlegungen.

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Fichtes Position gilt in diesem Sinne heute in weiten Teilen der Forschung sogar als »Synthesis« bzw. »Balanceakt« zwischen den Konzeptionen Kants und Jacobis (Lauth [1989a], 274; Zöller [1998], 35). – Anders hingegen Baumanns und Tilliette, die vor einer Überbetonung der Bedeutung und Nähe Jacobis für bzw. zu Fichte warnen (vgl. Baumanns [1974], 25 und Tilliette [1997], 6). 52 Vgl. u. a. Breazeale (1989), 94; Oesterreich (1998), 158–160; Hammacher (1993), 73; Hammacher (1989), 243; Summerer (1974), 30. 53 Vgl. Briefe Jean Pauls an Jacobi vom 13.10.1798 (JPSW III/3, 131) u. vom 4.10.-11.11.1799 (JPSW III/3, 253) 54 Vgl. Harich (1970), 7 f. – Angesichts der eigenen großen Belesenheit erscheinen Jean Paul im übrigen umgekehrt sowohl Fichte als auch Friedrich Schlegel wenig gebildet (Briefe Jean Pauls an Jacobi vom 29.5.1800 [JPSW III/3, 338] u. 154.-4.5.1805 [JPSW III/5, 40]). 55 Vor allem Harich hat dies besonders hervorgehoben und gewürdigt (Harich [1970], 15/81 ff.).

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2. Die sich im Briefwechsel zeigende merkwürdige Konstellation gegenseitiger Übereinstimmungsversicherungen scheinbar sehr unterschiedlicher Autoren indiziert außerdem und vor allem, daß nicht nur historisch wie der Sache nach die Beziehung zwischen Jacobi und Fichte verwickelt und perspektivenreich ist, sondern daß die Philosophien Jacobis und Fichtes auch je für sich betrachtet bereits eine hochkomplexe, vermutlich sogar ambivalente Struktur aufweisen und sich daher allen einfachen Bewertungen entziehen. Darauf aufzumerken oder nicht führt im Fall Jacobis außer zu recht unterschiedlichen Beschreibungen seines tatsächlich und konkret ausgeübten historischen Einflusses auf Fichte zu signifikant verschiedenen Urteilen über seine inhaltlichee Nähe oder Differenz im philosophischen Projekt. Dies betrifft in gleicher Weise ebenso die sachliche Konstellation zwischen Jacobi und Spinoza. – Mißdeutungen zweierlei ganz unterschiedlicher Art sind daher häufig: Die erste Variante resultiert aus dem Übersehen oder Ignorieren der kritischen Intention von Jacobis Spinoza- und Fichterekonstruktion, deren strategisch-systematische Aufgabe trotz oder gerade wegen der systemisch-rationalen Affirmierbarkeit der rekonstruierten Positionen durch Jacobi eigentlich die Vorbereitung des unmittelbaren Übertritts in eine alternative, ›Unphilosophie‹ genannte Metaphysik von Individualität und Personalität ist. Ungeachtet dieser ursprünglich und fundamental doppelbödigen Positionierung wird Jacobi bereits von Zeitgenossen zumeist auf eine Weise rezipiert, die nicht streng zwischen den Überzeugungen Spinozas bzw. Kant-Fichtes und Jacobis eigenen unterscheidet und Motive seines ›Spinoza‹ wie seines ›Antispinoza‹, aber auch (wie im Falle Fichtes) seines ›Kant‹ und seines ›Antikant‹ unmittelbar verbindet.56 In der Folge einer solchen Lesart erscheint Jacobi selbst sogar als nur mühsam kaschierter ›Spinozist‹.57 – Tatsächlich teilt Jacobi zwar, dies gehört zu den komplexen Verhältnissen seiner »Doppelphilosophie«,58 mit Spinoza das allgemeinste philosophische Prinzip des ›Totum parte prius necesse est‹. Doch bildet dieses in Jacobis Augen nur den gemeinsamen Rahmen von Metaphysikk überhaupt. Innerhalb dieser versucht er aber eine grundlegende Differenz

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Zur merkwürdigen Rezeptionsgeschichte von Jacobis Auseinandersetzung mit Kant wie auch mit Spinoza vgl. u. a. Kahlefeld (2000), 8; Timm (1974), 137, 197 u. 226; Henrich, (1993), 19 f.; Höhn (1971), 281. 57 Vgl. bspw. Hermann Timm, der eine weitgehende Übereinstimmung von Spinozas Konzept des amor Dei intellectualis und Jacobis Vernunftbegriff sieht und daher Jacobis ›Antispinoza‹ nur für den »andere[n] Spinoza des 5. Buches der ›Ethik‹« hält, allerdings unter Verwerfung des ›pantheistischen‹ 1. Buches (Timm [1974], 210). In ähnlicher Weise behauptet Henrich, daß Jacobi in seinem eigenen Begriff des ›Daseins‹ selbst verborgen spinozistisch sei (Henrich [1992], 89 f.). Kurzzeitig hatte im übrigen bereits Fichte Jacobi im Verdacht, ›Spinozist‹, d. h. Leugner der persönlichen Freiheit des endlichen Wesens zu sein, weil er alle Tätigkeit auf den Unendlichen als letzten Grund übertrage (Brief Fichtes an Reinhold vom 8.1.1800 [GA III,4 182]) – Dagegen allerdings vehement Kahlefeld (2000), 25/106 und Sandkaulen (2000). 58 Henrich (1993).

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zwischen einer rational-systemischen Philosophie der Substanz oder Subjektivität einerseits, die das ›Totum parte prius necesse est‹ identitätslogisch als Grund-Folge-Beziehung deute, und einer vernünftig-›unphilosophischen‹ Metaphysik von Existenz und Personalität andererseits, die das metaphysische Grundprinzip im Modus der Ähnlichkeit bzw. in der reale Verschiedenheit bewahrenden ›Logik‹ von ›Ursache‹ und ›Wirkung‹ auslege, zu etablieren. – Die zweite Variante des Mißverständnisses der Philosophie Jacobis beruht im Gegenteil darauf, daß die konstitutive Bezogenheit von Jacobis eigener unphilosophischer Position auf die rationale Systemphilosophie und der noch beiden gemeinsame Rahmen philosophisch-metaphysischen Denkens nicht angemessenen berücksichtigt werden, ja ganz aus dem Blick geraten. Allein deshalb können Lesarten der Position Jacobis im Sinne eines bloß empiristischen Realismus der sinnlichen Unmittelbarkeit und als irrationalistischer, radikal dualistischer Gefühls- und Glaubensphilosophie den Anschein von Plausibilität erwecken.59 Verbreiteter noch als die Diagnose eines vermeintlichen Spinozismus Jacobis ist indes der Vorwurf eines verkappten Fichtianismus Jean Pauls,60 wobei gerade die Deutung des Jean Paulschen Liebesbegriffs zudem stark spinozistische Züge gewinnt. Jean Pauls Kritik am Idealismus sei, so heißt es oftmals, engstens mit der idealistischen Ich-Philosophie verwandt und bleibe in deren Aporien befangen.61 Denn auch Jean Paul gehe von einem allgemeinen geistigen Ich aus, das sich aus allen Weltbezügen herauslösen lasse und noch unter der Voraussetzung einer aufgehobenen Welt bestehen bleibe. Damit sei es Fichtes ›reinem Ich‹ sehr ähnlich.62 In gleicher Weise sei Jean Pauls Liebesbegriff als Urbeziehung dieses Ich letztlich narzißtisch und befreie keineswegs aus der Ich-Isolation in eine Ich-DuKorrelation.63 Die Liebe beruhe bei Jean Paul m. a. W. nicht auf schätzenswerten Eigenschaften und auf der konkreten Individualität des Geliebten, sondern allein auf dem allgemeinmenschlichen Faktum des Zum-Tode-geweiht-Seins; man liebe in Jean Pauls Romanen nicht einander, sondern miteinander das Unendliche – allerdings nicht das natürliche Unendliche, das Universum, sondern eine höhere, geistige, transzendent-jenseitige Welt. Die natürliche Welt erscheine vielmehr, so die verbreitete Deutung des Dualismus Jean Pauls, als vollkommen wert- und realitätslos, als bloße, schmutzige physische Fessel der Seele, die es zu überwinden gilt. Ihre Überwindung und Negierung geschehe dabei solipsistisch-idealistisch

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So u. a. Homann (1973), 140 sowie Zöller (1998), 24. Vgl. Brose (1975), 66; Kommerell (1966), 344; Baumann (1967), 19; Schweikert (1970), 43; Storz (1951), 60 f. 61 Decke-Cornill (1987), 102. 62 Brose (1975), 93. 63 Decke-Cornill (1987), 10. 60

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durch Verwandlung in einen Bewußtseinsinhalt. Ideale würden, statt sie als reale praktische Tugenden oder Handlungen zu verteidigen, in die bloße Innerlichkeit ›gerettet‹ und ihre Erfüllung für ein unbestimmtes Jenseits aufgespart.64 Das Geistig-Jenseitige Jean Pauls sei dabei letztlich, so die kritische Diagnose, also ein bloß durch die Innerlichkeit des verzweifelt hoffenden endlich-sterblichen Ich gesetztes Subjektives. Dieser Vorwurf erinnert nicht nur an Friedrich Schlegels Kritik Jacobis, daß bei diesem ein bloßer ›individueller Optativ‹ Basis seiner (Un-)Philosophie sei,65 sondern dient zugleich vereinzelt auch als Indiz für die These, daß Jean Pauls Dualismus von humoristisch-erkenntnisskeptischer Weltvernichtung und religiösgläubiger Jenseitshoffnung letztlich ganz der Dialektik Fichtes von theoretisch-kritischer und praktisch-spekulativer Philosophie entspreche.66 Der Gott Jean Pauls, so heißt es darum weiter, sei in Analogie zu Kants regulativen Ideen kaum mehr als eine nützliche Illusion und »eine religiös verklärte«, eigentlich jedoch bloß ästhetische »Wiederholung des Ich«. Deshalb trage Jean Pauls Position, recht besehen und an den Maßstäben seiner eigenen Kritik von Transzendentalphilosophie und Zeitgeist gemessen, selbst stark atheistische Züge.67 Zugleich erscheint sie damit als ein letztlich ästhetischerr Fichtianismus in großer Nähe zur Frühromantik68 – obwohl Jean Paul diese wiederholt, so u. a. in der Vorschule, ausdrücklich als ›poetischen Nihilismus‹ kritisiert. Doch soll dessen ungeachtet auch für seine eigenen literarischen Texte, wenigstens unter der Hand, genauso wesentlich gelten, daß in ihnen ein omnipräsenter Dichter seine epische Welt als creatio ex nihilo erschaffe und alle Personen, Ideen und Gegenstände in einer absolut gemachten poetischen Reflexionsbewegung auflöse.69 Jean Pauls Begriff des Humors würde danach, die poetische Inszenierung des Humoristen Leibgeber als Fichtianer im Roman Titan unmittelbar beim Wort nehmend, ebenso als eine Spielart romantischer Ironie gedeutet werden müssen wie er als Ausdruck eines bei Jean Paul nie überwundenen Skeptizismus erscheint.70

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Decke-Cornill (1987), 137 ff.; Storz (1951), 12 f./22 f./44 f. – Selbst wenn Jean Paul nicht vollständig auf die objektive Natur der poetischen Gehalte verzichte, so ergänzt Kiermeier diese Lesart, bleibe aufgrund seines starken ›Hangs zum Allgemeinen‹ und zur ›Gattung‹ in der ›symbolischen Individualität‹ statt wirklicher Objekte (und Personen) nur eine allgemeine »Schablone«, »die besetzt werden kann, wie immer es gefällt« (Kiermeier [1980], 171 f.). 65 Vgl. Friedrich Schlegel: Jacobis Woldemar (1796; KSF 1, 186). 66 Brose (1975), 93. 67 Decke-Cornill (1987), 134 f. 68 Vgl. Preisendanz (1963). 69 Decke-Cornill (1987), 48; Storz (1951), 22 f. – Auch Kiermeier betont, daß Jean Paul, insofern bei ihm im Gegensatz zu seinem geistigen Vorbild Platon letztlich die Phantasie die Idee im irdischen Abbild in Erscheinung treten lassen soll, »in der Ausweglosigkeit der trugbildnerischen Nachahmung stecken[bleibe]« (Kiermeier [1980], 170). 70 Wirtz (2001), 121.

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Jacobi selbst hat angesichts einer an Jean Pauls Romanen in der Tat zu beobachtenden großen Freude am humoristisch-poetischen Spiel und aufgrund zahlreicher intensiver Inszenierungen ästhetischer Künstlerpersönlichkeiten, wie der Roquairols im Titan, Jean Paul kurzzeitig ebenso im Verdacht des ästhetischen Fichtianismus gehabt. Grund dafür ist nicht das schlichte Vorhandensein und die Intensität dieser Motive.71 Auch er, so bekennt Jacobi, hätte Roquairol erdichten können, ja habe es in seinen Romanfiguren Woldemar und Allwill auch getan. Die Gefahr des Fichtianismus bestehe aber wegen einer möglichen Einseitigkeit Jean Pauls, d. h. aufgrund des scheinbaren Fehlens des ›Wahren‹, des ›Ernstes‹ jenseits des freien ästhetischen und humoristischen Spiels, denen dieses noch unterworfen sein sollte.72 – Jean Pauls Reaktion auf diesen Verdacht könnte eindeutiger jedoch kaum sein: Dieser Fehler, so beteuert er wiederholt, betreffe, betrachte man den Roman im Ganzen und seine Intention, allein bestimmte Romanfiguren, nicht aber ihn selbst.73 In ihm sei vielmehr ein »unwandelbarer Ernst«; auch er gehe von einem Wahren aus, das kein anderes als das Jacobis sei: Der »Scherz«, so versichert er diesem, »begehre freilich die ganze Lehr- und Lern-Welt, aber nur als Ingredienz, nicht als Ziel. Ohne Ernst kenn’ ich keinen Scherz, aber Ernst ohne Scherz ist denkbar und sogar ursprünglich.«74

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So erscheint es etwa bei Brose, insofern auch er die Vorlage Jacobis nicht genau im Blick hat (vgl. Brose [1975], 86 f.). 72 Brief Jacobis an Jean Paul vom 31.7.1802 (JBr II, 307 f.), vgl. auch den Brief Jean Pauls an Christian Otto vom 12.-13.6.1812 (JPSW III/6, 272). 73 Brief Jean Pauls an Jacobi vom 19.-23.11.1800 (JPSW III/4, 23 f.); Brief Jean Pauls an Christian Otto 24.10.1800 (JPSW III/4, 9). – Allerdings räumt Jean Paul für die ersten beiden Bücher des Titan die Gefahr eines solchen Fehlers ein, doch entstamme diese einer persönlichen Schwäche und erhaltenen Resten eines noch unvollkommenen früheren literarischen Plans. Anliegen und Grundkonzeption seien davon jedoch nicht infiziert, wie die Bücher 3 bis 5 bewiesen, in denen kein Fehler und er »Selbst-Sieger« über seine humoristische Manier sei (Briefe Jean Pauls an Christian Otto vom 21.11.1801 [JPSW III/4, 120] u. vom 20.9.1802 [JPSW III/4, 178] sowie an Jacobi vom 13.8.1802 [JPSW III/4, 167]). 74 Brief Jean Pauls an Jacobi vom 21.1.-6.3.1806 (JPSW III/5, 81). – Bereits 1797 komponiert Jean Paul daher seine Schrift Das Kampaner Tal oder über die Unsterblichkeit der Seelee aus zwei ganz unterschiedlichen Teilen: einem ernsten, im erhabenen Gestus gehaltenen, wesentlichen Teil, der »Hoffnung« gibt »durch den Glauben der Unvergänglichkeit« und einem zweiten durch »Zerstreuungen« »Frohsinn« gebenden Teil, der den Menschen nötig sei in einem »Zeitalter, in dem viele […] bluten und weinen« (1797; JPW I/4, 565), wobei wohl allgemeiner gilt: aufgrund der menschlichen Vergänglichkeit und Endlichkeit überhaupt. – Und im Nachschreiben zum Siebenkäss heißt es in diesem Sinne: »Die wachsende Menschenliebe bricht dem satirischen Vergnügen an fremder Torheit immer mehr ab; die Torheit eines Busenfreundes macht uns nichts als bittern Schmerz: warum wollen wir nicht alle Menschen als Busenfreunde behandeln?« (JPW I/2, 433 Anm.)

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Nimmt man dieses Zeugnis beim Wort, geht man also probeweise vom Gleichklang der Überzeugungen Jean Pauls und Jacobis aus75 und achtet man zudem auf die Doppelbödigkeit des Jacobischen ›Spinoza-Antispinoza‹, sollte sich einerseits im Blick auf einfache frühromantisch-fichtianisierende Lesarten auch für Jean Paul ein differenzierteres Bild ergeben, für alternative Deutungen andererseits aber ein wesentlich geschärftes Verständnis der zugrundeliegenden philosophischen Problemlage. Jean Pauls Fichtisieren, Humorkonzept, Weltverachtung, Todesproblematik etc. sind, so die These, deutbar als Momente einer komplexeren Bewegung von Rekonstruktion und Kritik systemischen Philosophierens im Namen des individuellen Daseins eines Menschen als sittlich-praktisches Vernunftwesen und werden von ihm selbst auch so verstanden. – Zwar trifft zu, daß Jean Pauls Charakterisierung dessen, was es heißt, ein sittlich-praktisches Vernunftwesen zu sein, an der Oberfläche häufig an fichtesche Beschreibungen erinnert: Vor allem dort, wo er zur Abgrenzung gegen eine empiristische Bündeltheorie des Ich, dem »zufällige[n] Weg- und Zuwägen einzelner Kräfte« (QF 221 f.), dem sittlich-praktischen Ich die ›schlechte‹, sinnlich-zufällige Einzelheit, das »bloß[e] Bewußtsein persönlicher [d. i. physischer und bürgerlicher, O. K.] Verhältnisse« bestreitet76 und es vielmehr als »Gattung«, »in welcher sich die Menschheit widerspiegelt«, mithin als das »ReinMenschliche« auffaßt (V 59). Dem korrespondieren tatsächlich auch Überlegungen, wonach Liebe und Freundschaft, zumindest in ihrem höchsten Grad der ›Menschenliebe‹, von gewissen zufälligen Verhältnissen, wie Verwandtschaft, absehen würden und der Freund auch nicht als der konkretee Freund geliebt werde, sondern als »etwas Höheres«: als ›Mensch‹ bzw. ›Menschheit‹ (QF 224, V 221 f.). Daher würde jeder bekannte (sittliche) Fehler das Freundschaftsverhältnis bedrohen, so daß Freunde wie Geliebte sittliche Perfektion einander ›vortäuschen‹ müßten.77 – Liest

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Jean Pauls Versicherung widerspricht der Sache nach auch nicht seine einzige überlieferte inhaltliche Kontroverse mit Jacobi über dessen Satz, »daß die Objekte den Menschen vernünftig ordnen« (Brief Jean Pauls an Jacobi vom 4.10.-10.11.1799 [JPSW III/3, 251]). Nicht weil Jean Paul später selbst diesen Satz doch für identisch erklärt mit der eigenen Überzeugung, daß wir »durch einen Ruk […] beim Erwachen auf einmal vernünftig« werden, indem er die ›Objekte‹ als unsere eigenen Nerven deutet, die uns ›innerlich‹ bestimmen (Brief Jean Pauls an Jacobi vom 1.-7.4.1800 [JPSW III/3, 315]). Vielmehr beruht Jean Pauls Widerspruch auf dem Mißverständnis, Jacobi wolle mit seinem Satz das Bewußtsein in seiner Bewußtseinsform selbst vom Objekt ableiten, vielleicht ganz und gar noch durch effiziente Kausalität. Jacobi liegt jedoch, so werden wir sehen, das eine so fern wie das andere. 76 Brief Jean Pauls an Jacobi vom 1.-7.4.1800 (JPSW III/3, 315). 77 Vgl. Brief Jean Pauls an Amöne Herold vom 19.3.1796 (JPSW III/2, 183). – Zudem scheint es so, als könnten Einzelne als ›schlechte‹ Individuen auch ganz aus der sittlichen Ordnung herausfallen: Wenn Madame Corday Marat erdolcht, dann tötet sie nicht unzulässigerweise als einzelne Bürgerin einen anderen einzelnen Bürger, sondern als Agentin eines sittliches Organismus (und ausgestattet mit dem Glaubensmut des sittlichen Genies) den »Staatsfeind«,

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man diese Äußerungen jedoch vor der Folie der ›Doppelphilosophie‹ Jacobis, zeigt sich, daß sie keineswegs Indiz eines ausdrücklichen oder verkappten Universalismus kantisch-fichtescher Art bei Jean Paul sind. Die Erinnerung an Jacobi hilft deutlicher zu sehen, daß Jean Pauls sittliches Vernunftwesen genauso wenig ein transzendental Allgemeines, ein reines Ich oder Ichheit überhaupt sein soll, wie es ein bloßes Bündel vermeintlich individuierender natürlicher Bestimmungen ist. Die dritte, Jean Paul mit Jacobi verbindende Option zum Verständnis des Ich ist vielmehr die Idee einer »geistige[n] Individualität«, einer höheren konkreten vernünftigen Einheit, die alle ästhetischen, sittlichen und intellektuellen Kräfte, mithin seine sinnlich-natürlichen Bestimmtheiten und die allgemeinen Regeln, Gesetze und begrifflichen Einsichten des Verstandes, zu einer (individuellen) Seele bindet und beherrscht. Diese sei nichts anderes als der »Charakter« eines Menschen. Allein auf diesem je bestimmten »durch das ganze Leben reichende[n] Wollen« (L 783, vgl. auch 18), das kein überindividuelles reiness Wollen, sondern, so läßt sich vor dem reklamierten Hintergrund Jacobis und dessen ausdrücklicher Bezugnahme auf Aristoteles sagen, eine konkrete Tugend ist (V 56, L 560), gründet nach Jean Paul der Wert eines Menschen. Auf ihm beruhe unser Vertrauen, Befreunden und Anfeinden ebenso wie unser Glauben an eigene oder fremde Autorität, die entscheidend für Überzeugungen auch im theoretischen Feld sei (L 18/73/636 f.). Ein solches an Jacobis Vorlagen geschärftes Verständnis von Jean Pauls Personenkonzept erleichtert auch die Orientierung hinsichtlich gelingender und fehlschlagender Verwirklichungen von Freundschafts- und Liebesverhältnissen in seinen Romanen. Leicht sichtbar wird dann, daß die Freundschaft zwischen Roquairol und Albano im Roman Titan gerade an der Unfähigkeit scheitert, im Gegenüber den realen Menschen (als geistig-sittlichen) zu erblicken und nicht nur das selbst entworfene Ideal des Anderen, das uns gemeinsame Allgemeine. Der Jacobische Hintergrund hilft dabei weiterhin besser zu verstehen, daß auch Jean Pauls Dualismus im Kern nicht im reinen Widerspruch zwischen einer endlichen, wertlosen sinnlich-natürlichen Welt, die überwunden werden muß, und einem höheren geistigen Jenseits, dem allein unsere zukünftigen Hoffnungen gelten, besteht. Vielmehr legt das rechte Verständnis des sittlichen Wesens im Sinne einer »allegorischen oder symbolischen Individualität« (V 221) eine durchaus positive, wenngleich gebrochene Beziehung zwischen Geist und Welt, zwischen

das ›kranke Glied‹ (Jean Paul: Dr. Katzenbergers Badereisee [JPW I/6, 337]). – Jacobi im übrigen zeigt sich von diesem scheinbar universalistisch-systemischen Zungenschlag keineswegs irritiert, sondern weiß ihn richtig einzuordnen. Denn gerade die Ausführungen Jean Pauls im Aufsatz über Madame Corday bezüglich einer ›höheren Moral‹ gehören zu den Überlegungen, die seine ausdrückliche lobende Zustimmung finden (vgl. Brief Jacobis an Jean Paul vom 18.4.1814 [JNach II, 119]).

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seelischer und sinnlich-körperlicher Verfassung des Menschen nahe (Sieb 546, KT 565). In analoger Weise verbindet Jacobis ›salto mortale‹ – als ›Sprung‹ aus der rationalen-systemischen Welterschließung qua allgemeiner Begriffe in die unerklärliche, ›unphilosophische‹ Realitäts-, Handlungs- und Freiheitserfahrung des je Einzelnen – ›Absprung-‹ und ›Landestelle‹ in der Relation von ›zuhandenem‹ Mittel und Zweck, wodurch beide zugleich prinzipiell und real voneinander unterschieden bleiben. Auch Jean Paul, so die These, erscheinen zwar Welt, Sinnlichkeit, Endlichkeit als das Gegenteil des ›Jenseits‹, des Geistes, der Unendlichkeit, doch letztlich von diesen durchdrungen und als Momentee seiner bestimmten endlichen Unbedingtheitt als geistiges Individuum gerechtfertigt, ohne ihren Eigensinn und ihre Gegenständigkeit jedoch gänzlich in die Form des Geistes und in die poetische Tätigkeit der Einbildungskraft aufzulösen. Angesichts des metaphysisch-realistischen Projektes Jacobis wird damit auch deutlich, daß Analogisierung bzw. Metaphorisierung für Jean Paul mehr als ein poetisch-literarisches formales Verfahren ist. Der reale Mensch istt selbst gleichsam eine ›Metapher‹ aufgrund seiner wesentlichen und ursprünglichen Fähigkeit als zweckhaft handelndes Wesen, durch Anverwandlung den Körper temporär zur »Reliquie des Geistes«, eines konkreten Geistes zu machen.78 Und nur weil dies die ontisch-ontologischee Verfassung des Menschen ist, wird für Jean Paul, auch dies läßt sich bereits an Jacobi studieren, die Poesie mit ihrer auf Ähnlichkeit, nicht auf Identität beruhenden sinnlichen, d. h. für Jean Paul ihrer schönen oder humoristischen Konkretion zum Medium der unphilosophisch-metaphysischen Auseinandersetzung. Eine solche an Jacobi orientierte Lesart vermag daher auch das poetische Verfahren bzw. die lebensweltliche Haltung des Humors, als mildes Verlachen des Endlichen

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Sieb 452. – In ähnlicher Weise, so werden wir sehen, bemüht sich auch Jacobi, die konkrete Bezogenheit in der Entgegensetzung von theoretischer Systematizität und praktischer Freiheit in der Logik von Analogisierung und Symbolisierung zu erschließen. Im Differenzgefälle von Urbild- und Abbildlichkeit im ›Anthropomorphisieren‹ soll die Verbindung von Unendlichkeit, Freiheit und Anschauung (unmittelbarer Gewißheit) einerseits und Endlichkeit, Notwendigkeit und (theoretisch-rationalem) Wissen andererseits in nicht systemisch-monistischer Weise aufgefaßt werden können. Diesem Gefälle entspricht, daß sich der Weg von der Endlichkeit zur Unendlichkeit, vom Wissen zur unmittelbaren Gewißheit, von der Theorie zur Praxis in der um ihres antisystemischen Charakters ›Unphilosophie‹ genannten Philosophie Jacobis nur als ›Sprung‹ darstellen kann. ›Analogie‹ und ›Sprung‹ bilden die komplementären Figuren der komplexen, weil doppelbödigen Position Jacobis, die einzig – so ist dieser überzeugt – der Verfassung des Menschen, zugleich als natürliches und als sittliches Wesen zu existieren und diese beiden Momente allein in seinem Dasein selbstt zu verbinden, angemessen ist. Nur durch eine solche Betrachtung ließen sich die Chancen, berechtigten Ansprüche und Gestaltungen systematischer (philosophischer) Erkenntnisse ebenso erkennen wie auch ihre Bedingungen, Grenzen und notwendigen Transzendierungen.

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angesichts des Unendlichen, in dem Maße gegen die romantische Ironie, die Aufhebung des Endlichen in einem endlosen immanenten Reflexionsprozeß, zu profilieren, wie seine grundsätzliche, von Jean Paul versicherte Verwiesenheit auf den ihm transzendenten poetisch-ontologischen ›Ernst‹, als positiver, metaphorischer bzw. ›schöner‹ Manifestation des Absoluten im Endlichen, im Blick bleibt. Dasselbe gilt für die zahlreichen nihilistischen Schreckensvisionen, die Jean Paul entwirft, im Hinblick auf eine vermeintliche in ihnen sichtbar werdende anhaltende skeptische Haltung. Ebenso wie die in den Augen Jean Pauls intuitiv und existentiell unerträgliche, weil in der Leugnung aller Transzendenz heillose Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott seii im Siebenkäss soll auch die humoristischparodierende Rekonstruktion der Fichteschen Wissenschaftslehre in der Clavis Fichtianaa durch groteske Veranschaulichung und Bewußtmachung absurder Konsequenzen eine Form praktischer Widerlegung darstellen – einer Widerlegung, die einen aber selbst nicht ihrerseits wieder im bloßen ›Nicht‹ stehenläßt, sondern zum substantiell Wahren als ihrer Voraussetzung zurückführt. Insofern die Aufgabe der poetischen Darstellung dabei bei Jean Paul, wie analog bei Jacobi diejenige der philosophischen Rekonstruktion der rationalen Systemphilosophie, darin besteht, eine reale (praktische) Entscheidungg zu evozieren, stellen auch diese Verfahren, recht besehen, eine literarisch-sinnliche Ausdeutung von Jacobis salto mortale dar und stehen im Zweifel selbst Fichte in dessen (für Jacobi und Jean Paul systemisch allerdings nicht vollständig integrierbaren) praktischen Intentionen noch näher als etwa dem ›logischen Enthusiasmus‹ der frühromantischen Poesie von Friedrich Schlegel oder Novalis.79 – Die Orientierung an Jacobis Doppelphilosophie erlaubt schließlich auch eine Lesart von Jean Pauls Reden über die Personalität Gottes, die auch dieses als genuin philosophisch-metaphysisches, im Bemühen um die Selbstverständigung über endliches, über menschlichess Personsein wurzelndes versteht,80 d. h. weder als christlich-religiöses noch als allein innerliches im Modus bloß hoffender ästhetischer Projektion der Subjektivität des Ich selbst.

79

Das Verhältnis von Philosophie und Poesie ist m. a. W. bei Jean Paul (und dies gilt für Jacobi ebenso) weder als widersprüchlich noch als geradezu identisch gefaßt: vielmehr gilt die Dichtkunst im obigen Sinne als »elektrischer Kondensator der Philosophie, die erst das elektrische Spinngewebe und die Beatifikation dieser zu Blitzen verdichte, die erschüttern und heilen«. »Der Mensch geht nicht allmählich von einer Überzeugung zur entgegengesetzten […], sondern mit einem Sprung: bloß ein Wetterstrahl kehret seine magnetischen Pole um.« (KT 563 f.) 80 Auf Seiten der Jean-Paul-Forschung war es dabei vor allem Schmidt-Biggemann, der bereits 1975 die Problematik der Person und ihre metaphysische Behandlungsart als zentralen Gesichtspunkt Jean Pauls und wesentlichen Aspekt seiner Übereinstimmung mit Jacobi markierte, allerdings im Rahmen einer Jean Pauls frühen, vor 1790 entstandenen Satiren und dem in ihnen sichtbar werdenden Hintergrund der gesamten europäischen Geistesgeschichte gewidmeten Studie (Schmidt-Biggemann [1975], vgl. vor allem 259 ff.).

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Das Ernstnehmen von Jean Pauls Versicherungen der gänzlichen Übereinstimmung mit Jacobis Philosophie führt jedoch nicht nur zur Profilierung der Überlegungen Jean Pauls mit Hilfe der doppelbödigen Konstellationen bei Jacobi. Vielmehr werfen umgekehrt auch sich an Jean Paul zeigende Problemlagen ein Licht zurück auf Jacobis eigene Position. Dies gilt zumindest für den Fall, daß markante Auffälligkeiten bei Jean Paul sich auch bei genauerer Betrachtung weder als philosophisch-sachlicher Widerspruch zu Jacobi noch als ausschließlich in den besonderen persönlichen und psychischen Verhältnissen Jean Pauls begründet zeigen, sondern als symptomatisch für das erklärtermaßen gemeinsame Projekt Jacobis und Jean Pauls genommen werden dürfen. Solche Differenzen zu Jacobis Texten bestehen ohne Zweifel bei Jean Paul sowohl hinsichtlich Gestus als auch in bezug auf thematische Schwerpunktsetzungen. Jean Pauls Texte sind skeptisch-besorgter, stellen Todes- und Unsterblichkeitsproblematik, Selbstbeobachtungen der eigenen Innerlichkeit, Existenzangst und Vernichtungsvisionen viel intensiver in den Vordergrund.81 Sowohl die nicht immer kontrollierte satirisch-humoristische Neigung als auch das wiederholte Bemühen um die Rechtfertigung seines Wunsches nach Unsterblichkeit der Seele, zumindest anfangs sogar im Rückgriff auf traditionelle rationalistisch-metaphysische Beweise,82 zeigen eine Intensität an Beunruhigung, an Unbefriedigtsein im Akzeptierenmüssen, daß sich das Unendliche, Ewige, Wahre zuletzt nicht beweisen und philosophisch erschließen lasse, sondern wie das eigene Handeln in der Verantwortung des Einzelnen verbleibt, die über Jacobis Texte um einiges hinausgeht. Entgegen der bei Jean Paul wiederholt aufleuchtenden Sorge über eine möglich scheinende bloße Subjektivität des Geistgefühls, strahlt der philosophische Glaube Jacobis trotz seiner Unbeweisbarkeit viel eher gleichsam die Ruhe der Erfahrungssättigung aus.83 Der Sache nach liegt gleichwohl nahe, so die These, diese Haltung Jean Pauls als forcierte Erfahrung und literarische Verarbeitung der Doppelbödigkeit von Jacobis

81

Vgl. Jacobis Bewertung von Jean Pauls Text Wunderbare Gesellschaft in der Neujahrsnacht, die sich wesentlich mit dem Problem von Tod und Seelenunsterblichkeit beschäftigt: »Deinen neuen Aufsatz hab ich nur einmahl, noch in Eutin gelesen, und muß ihn noch einmahl lesen, um bestimmter zu erfahren, wie er sich zu mir verhält. Bewundert habe ich ihn durchaus. Betrachtungen dieser Art haben etwas zu fürchterliches für mich, als daß ich mich wohlgefällig darin waiden könnte.« (Brief Jacobis an Jean Paul vom 3.9.1800 [JNach I, 279]) 82 Vgl. Jean Paul: Über die Fortdauer der Seele und ihres Bewustseinss (JPW II/1, 776–798), vgl. hierzu weiterhin Baierl (1992), 41 f.; Harich (1970), 56. 83 Vielleicht liegt die Sache psychologisch auch genau andersherum. Zumindest Jean Paul scheint Jacobis Distanz gegen seinen Aufsatz Wunderbare Gesellschaft in der Neujahrsnacht, dessen Betrachtungen ihm ›fürcherlich‹ seien, in seinem Antwortbrief so zu verstehen. »Dein Schauder vor der tiefen Perspektive der langen langen Zeit hat mich unter dem Schreiben und schon öfters ergriffen; nur nicht so stark wie dich. Die Unendlichkeit kann sich der Nichtigkeit nie fürchterlicher gegenüberstellen.« (Brief Jean Pauls an Jacobi vom 19.-23.11.1800 [JPSW III/4, 23])

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eigenem Philosophieren zu verstehen, die dieser im Sendschreiben an Fichtee selbst als Hin-und-her-gerissen-Sein zwischen Wahrem und rationaler Wahrheit beschreibt und dabei zugleich die in ihr liegende praktisch-existentielle Dramatik andeutet. Diese ergibt sich daraus, daß das Hin-und-her-gerissen-Sein auch bei Jacobi nicht allein die Binnenstruktur einer philosophischen Theorie beschreibt, sondern vor allem des Daseins des einzelnen Menschen selbst: Entweder, so bekenntt Jacobi, schäme er sich fast, sobald er in intellektueller Hinsicht den Standpunkt Fichtes eingenommen habe, anderer Meinung als Fichte zu sein, oder aber, von der Position der ›Unphilosophie‹ aus betrachtet, ärgere und erzürne er sich bald über das »künstliche Von-Sinnen-Kommen« der Wissenschaftslehre (JW III, 18 f.). Auch ist zu beobachten, daß die an der Romanfigur Schoppe vorgeführte Verfallsanfälligkeit des Humors hin zur fichtianisierenden ironischen Welt- und Selbstvernichtung als Individuum, für die sich, wie wir sehen werden, prinzipiell nicht einmal ein überzeugender Grund angeben läßt, eine Entsprechung bei Jacobi hat: Denn einen ähnlichen Verfall, einen Fall in die reine Verstandesphilosophie, der überhaupt erst die Doppelphilosophie84 zu einer notwendig doppelbödigen macht, kennt auch der Anfang der »natürlichen Geschichte der spekulativen Philosophie« in Beilage VII der Spinozabriefe.85 Danach wären auch die bei Jean Paul deutlich zu Tage tretenden Ambivalenzen und scheinbaren Affinitäten zu Fichte nicht Zeichen für eine ›mittlere Position‹ Jean Pauls zwischen diesem und Jacobi,86 was streng systematisch genommen heißen müßte zwischen ›Unphilosophie‹ und Systemphilosophie, sondern würden

84

»Doppelgesichtigkeit« (Hesse [2010], 15) bzw. »Janusköpfigkeit« (ebd., 33) als »Simultaneität von Weltbezug und Weltverlust« (ebd., 15), von Wunschtraum und Alptraum, von Gefühl und Rationalität, von Realismus und Idealismus (ebd., 33) bzw. von Transzendenz und Immanenz (ebd., 36) erkennt auch Hesse vollkommen zu Recht als entscheidendes Kompositionsprinzip des Denkens Jean Pauls. Dieses liege – so ist auch Hesse überzeugt – der Bildungskonzeption der Levanaa ebenso zugrunde wie dem ästhetischen Programm der Vorschulee und bilde schließlich auch »das philosophische Prinzip seiner poetischen Praxis« (ebd.). – Keineswegs jedoch spielt Jean Paul damit »im Konzert seiner Zeit ein Solo« (so Hesse, ebd., 15), sondern hat gerade Jacobis Doppelphilosophie des ›Spinoza-Antispinoza‹ als entscheidenden Vorgänger. Nicht erst bei Jean Paul, sondern bereits bei Jacobi ist der Mensch wesentlich ein gemischtes Wesen, gemischt aus »Geistige[m] und Körperliche[m], Göttliche[m] und Weltliche[m]«, Glaubendem und Wissendem (so Hesse über Jean Paul, ebd. 153). 85 Daher wäre in der Tat der These zuzustimmen, daß Jean Pauls Kritik des ›poetischen Nihilismus‹ bzw. ästhetischen Nihilismus auch eine Selbstkritik der eigenen Poesie ist (Hesse [2005], 146) – und zwar nicht nur wegen einer persönlichen Manier, sondern als Verweis auf eine grundsätzliche Ambivalenz und Gefährdung aufgrund der bruchhaften Natur von konkreter poetischer und praktischer Tätigkeit. 86 So Riedel (1999), 93. Ähnlich Rose, wenn er als ›dritten Weg‹ neben der Entscheidung zwischen der (nihilistischen) Selbstvergötterung des (absoluten) Ich und dem Gottesglauben auf Jean Pauls metaphorischen Gott verweist (Rose [1990], 221).

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auf prinzipielle Schwierigkeiten auch der Unphilosophie Jacobis wie jeder philosophischen Annäherung an die ›Person‹, an den Einzelnen als sittlich handelndes vernünftiges Wesen überhaupt verweisen, besonders eingedenk des berechtigten (philosophischen wie praktischen) Interesses an über das Jetzt und Hier hinausgehender Verbindlichkeit, Stetigkeit und Selbstgleichheit. Für eine auf einem antisystemischen Dualismus aufbauende Kritik, die die bloß immanente Perspektive der strengen Argumentation transzendiert, wird das Problem ihrer methodischen Möglichkeit, soweit sie zugleich sehr wohl Relevanz für die philosophische Debatte beansprucht und unter den Bedingungen einer wesentlich auf allgemeinen begrifflichen Ausdrücken basierenden Sprache steht, ähnlich drängend wie für Skeptiker und Mystiker; seine Lösung bleibt indes ungewiß und ruhelos. Denn der Verdacht, so zeigt sich gerade an Jean Paul, daß trotz des erklärten Willens zur Metaphysik seine Position, weil sie als ›Logik‹ des Bruches von Urbild und Abbild auf Symbolisierung und Metaphorisierung setzt, gegen ihre eigenen Intentionen in Wahrheit den »Prozeß der Auflösung des Metaphysischen ins Metaphorische, der Rückstellung der Philosophie in die Rhetorik« bewirke,87 ist unwiderlegbar.

II. Zu Anliegen, Methode und Aufbau der vorliegenden Studie Anliegen dieser Studie ist es, die Plausibilität der gerade kurz skizzierten Lesart Jean Pauls zu überprüfen, die sich im Ernstnehmen seiner Bekenntnisse zur Philosophie Jacobis unmittelbar nahelegte. Dies setzt, so die These, ein Verständnis der Position Jean Pauls und Jacobis als einer Philosophie der Person, die allererst in der Abstoßungsbewegung zur Systemphilosophie zu sich kommt, voraus, mithin als Entwurf einer systemkritischen alternativen Metaphysik. Aufgrund der eindeutigen, expliziten und emphatischen Zeugnisse einer philosophischen Nähe zu Jacobi, die sich außer in Jean Pauls Briefwechsel seit den Teufelpapieren ebenso in seinen öffentlichen Schriften finden, überrascht nicht, daß auch die Jean-Paul-Forschung schon frühzeitig auf die Verbundenheit Jean Pauls mit Jacobi aufmerksam geworden ist. Ja die Erinnerung an den großen Einfluß Jacobis ist seit langem geradezu einer ihrer Gemeinplätze. Verschiedene Kandidaten für sachliche Ähnlichkeiten und historische Vorlagen wurden bereits wiederholt herausgestellt. Dies betrifft bspw. Jean Pauls Charakterisierung des Humors als ›Kopf-unter-Auffliegens‹ zum Unendlichen, insofern dieses offensichtlich auf Jacobis Beschreibung des ›salto mortale‹ als ›Kopf-unter-Schwingen über den Abgrund‹ anspielt. Weil die Sprungfigur Jacobis dabei, genauer betrachtet, nichts anderes ist als eine Denkbewegung, die aus dem Negativen unmittelbar gegen dieses Negativum

87

Riedel (1999), 94.

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schließe, gilt auch das gleichsam tragische Pendant des Humors, d. h. Jean Pauls Verfahren experimentalnihilistischer Schreckensvisionen, seit langem als von Jacobi inspiriert.88 Und dies wird naheliegenderweise natürlich auch für die beiden Autoren gemeinsame Begrenzung und Fundierung rationaler philosophischer Erkenntnis durch eine unmittelbare Realitätswahrnehmung qua Geistgefühl und Glauben wie für dessen Bestimmung als die Selbstgewißheit eines konkreten, sich originär auf ein Du beziehenden personal und finalkausal praktisch Handelnden behauptet. – Bereits 1992 hält Redmer Baierl die Beziehung zwischen Jacobi und Jean Paul daher gar für so bekannt, daß er auf eine eigene Analyse verzichtet: »Bei Jacobi«, so Baierl in seiner ansonsten philosophisch ebenso ambitionierten wie sachkundigen Studie zu Jean Paul, »kann ich mich kurz fassen, da die Beziehung zwischen Jacobi und Jean Paul bekannt genug ist.«89 Diese Einschätzung wird der tatsächlichen Lage jedoch nicht gerecht – und nicht nur deshalb, weil Baierl zu ihrem Beleg nur auf die genau 8-seitigen Betrachtungen Götz Müllers zum Verhältnis Jacobis und Jean Pauls verweist. Ein genauerer Blick offenbart entgegen dem ersten Anschein nämlich ein nur vergleichsweise geringes Bemühen in der stark literaturwissenschaftlich dominierten Jean-Paul-Forschung um eine umfassende und philosophischh fundierte Aufarbeitung des inhaltlichen Verhältnisses der Positionen Jacobis und Jean Pauls. Die Mehrzahl der wenigen vorliegenden Studien, die über eine bloße Erinnerung und Nennung des großen Einflusses Jacobis auf Jean Paul wirklich hinausgehen, sind entwicklungsgeschichtlich s interessierte Untersuchungen und legen ihr Hauptaugenmerk auf den frühen, satirischen Jean Paul (Schmidt-Biggemann, Goebel) oder auf die Interpretation eines einzelnen Romans.90 Zudem bilden die Ausführungen zum Verhältnis der philosophischen Konzepte Jacobis und Jean Pauls in der Regel nur einen kleinen, keineswegs zentralen Teil innerhalb einer allgemeinen Betrachtung zu den mannigfaltigen philosophischen Einflüssen auf Jean Pauls Denken (Schmidt-Biggemann, Müller). Oder aber sie bleiben im Schatten der Analyse der Bedeutung Herders für Jean Pauls Werk, dessen Überlegungen zu Sprache und Analogie aus ästhetisch-poetologischer Sicht als folgenreicher erscheinen (Rose, Goebel). Am schwersten wiegt jedoch, daß gerade in der Jean-Paul-Literatur den meisten Studien altbekannte Stereotype der Interpretation Jacobis zugrundeliegen, aufgrund derer dann fichtianisierende Jean Paul-Interpretationen genauso an Plausibilität gewinnen sollen (Goebel) wie solche, die vermeintlich grundlegende Unterschiede zwischen Jean Paul und Jacobi behaupten (Rose, Baierl). So gilt bspw. bereits Jacobis programmatische Aussage, ›Daseyn

88

Vgl. u. a. Goebel (2002), 152. Baierl (1992), 95. 90 So Rose im Blick auf die Flegeljahree – und hier eher auch nur als Nachtrag zur eigentlichen Interpretation (Rose [1990], 214–242). 89

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enthüllen‹ und ›Menschheit vor Augen legen‹ zu wollen als Projekt, das »nicht de[n] Mensch[en], sondern das Menschliche, nicht das Einzelne, sondern das Allgemeine, aus dessen Perspektive ›alles gleich ist‹«, zum »Fluchtpunkt des Schreibens« habe.91 Dem korrespondieren Thesen einer auch bei Jacobi intendierten gänzlichen Freiheit des Geistes vom Körper und einem Freundschaftsideal im Sinne einer reinen, nackten und des Individuellen entkleideten Menschenliebe.92 Betroffen sind aber auch weitverbreitete Charakterisierungen der Jacobischen Position als »fast naiver Sensualismus«,93 als »gefühls- oder glaubensphilosophisch fundierte[r] Realismus«,94 der auf einem unkritischen, ›vorkopernikanischen‹ Standpunkt stehenbleibe,95 als »Gefühlsreligiosität«96 oder als »gefühlhafter Irrationalismus«, der letztlich Glaubensakt und Seinsgewißheit im offenbarten Gott sichere.97 Aus diesem Befund soll sich ergeben, daß Jacobis Jenseitsorientierung der Zentralität des Einzelnen, der ohne göttliche Offenbarung poetisch Geist und Sein vermitteln müsse, bei Jean Paul gegenüberstehe.98 Während Jacobi angeblich einem ›zeichentheoretischen Cartesianismus‹ des endlosen Vergleichs ohne Urbild verhaftet bleibt, der einen rigiden Dualismus von reiner Transzendenz und reiner Immanenz bei ihm provoziere, gelinge allein Jean Paul – und zwar auf den Spuren Herders – das Durchbrechen der semiotischen Immanenz der Worte durch eine nichtrational-analogische Vermittlung von Transzendenz und Immanenz, Unendlichkeit und Endlichkeit.99 – Eine solche Sicht der Philosophie Jacobis entspricht jedoch in keiner Weise dem Stand der heutigen Forschung. Dank einiger Untersuchungen zu Jacobi selbst100

91

Goebel (2002), 152. Ebd., 143 f. 93 Rose (1990), 220. 94 Buschendorf (1989), 402 sowie ders. (2001), 221. – Auch wirft er Jacobi bei seiner KantKritik im David Humee eine Konfusion der »Begriffe von empirischer und transzendentaler Affektion« vor (ebd., 222 Anm.). 95 Brose (1975), 73. 96 Harich (1970), 76. 97 Baierl (1992), 96; ähnlich Müller (1983), 123; vgl. auch Rose (1990), 228. 98 Baierl (1992), 96. 99 Rose (1990), 239. 100 Exemplarisch sei hier verwiesen auf: Hammacher (1969), Homann (1973), Kahlefeld (2000), Fetzer (2007). Auch Schick (2006) ist hier zu nennen, der die Unangemessenheit des einfachen, abstrakt-dualistischen Gegensatzes von Unmittelbarkeit von Anschauung bzw. Vernunft und Vermittlung des Verstandes im Blick auf Jacobis Konzept hervorhebt (vgl. z. B. ebd., 291). Insofern Schick sich auf die Frage nach dem Verhältnis von Unmittelbarkeit und Vermittlung konzentriert, bleibt seine Studie jedoch nicht nur letztlich einem epistemologischen Zugang verhaftet, sondern auch den wesentlichen, um das ethische Problem eines tugendhaften freien Daseins zentrierten Sachgehalten der Jacobischen Position äußerlich. Die bis zum späten Schelling dokumentierte, für die Entwicklung der nachkantischen Philosophie höchst einflußreiche Provokation des Jacobischen Denkens kann auf diese Weise schließlich nicht mehr recht verständlich werden. 92

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sowie zur Entwicklung der Philosophie Fichtes101 und zu den Konstellationen philosophischer Theoriebildung um 1800 im allgemeinen,102 in denen jeweils auch der Rolle Jacobis zunehmendes Interesse entgegengebracht wurde, begann sich in den letzten Jahren ein gerechteres, klischeefreieres Bild Jacobis jenseits der kanonisierten Urteile Hegels und Schellings zu etablieren. Bahnbrechend dabei war die Studie Birgit Sandkaulens »Grund und Ursache«. Entgegen traditioneller Lektüren, die Jacobi als Theoretiker der sinnlichen Gewißheit, als Gefühlsphilosoph, als christlichen Glaubensphilosoph und Irrationalist verstehen, zeigt ihn Sandkaulen konsequent als philosophisch gewandten, auf Augenhöhe mit Fichte, Schelling und Hegel streitenden Vertreter einer Metaphysik der Person.103 – Selbstkritisch wies daher jüngst auch Baierl darauf hin, daß die Arbeiten zu Jean Paul aufgrund eines vorrangig historisch-historisierenden Interesses bisher bedauerlichweise zumeist eine gründliche Auseinandersetzung mit den Jacobischen Vorgaben versäumt und sich in der Regel mit der Auffassung der Unphilosophie im Sinne ihrer kritischen Darstellung durch Hegel und Schelling begnügt haben.104 Bemerkenswert ist dies umso mehr, als Baierl in seiner Studie zu Jean Paul aus dem Jahr 1992, ähnlich zu der hier vertretenen Lesart, statt von einer vermeintlichen radikalen Weltverachtung Jean Pauls von einer grundsätzlich positiven Weltzuwendung im Modus des Metaphorischen ausgeht,105 jedoch ohne zu bemerken, daß diese allererst vor dem Hintergrund der Jacobischen Doppelphilosophie und der sie bestimmenden Logik des Bruches, der nichtidentischen Ähnlichkeitsrelation von Urbild und Abbild bzw. der handlungspraktischen Relation von Ursache und Wirkung philosophischh wirklich verständlich zu machen und gegen scheinbar andere Motive bei Jean Paul als plausibelste Lesart zu verteidigen ist. Zweierlei grundlegende Bedenken gegen eine Interpretation wie die hier vorgelegte, die Jean Pauls philosophische Position in der Berufung auf seine eigenen Zeugnisse vollkommener Übereinstimmung im Ausgang von Jacobis Vorgabe rekonstruiert, könnten sich indes noch ergeben. 1. Es könnte zweifelhaft erscheinen, Jean Paul auch nur annähernd gerecht wer-

101

So wurde u. a. innerhalb der Fichte-Studien ein eigener Band zum Verhältnis von Jacobi und Fichte herausgegeben. (Hammacher [Hg., 1998]: Fichte-Studien 14). 102 Erinnert sei bspw. an die Projekte Dieter Henrichs und Manfred Franks. 103 Sandkaulen (2000). 104 Vgl. Baierl (2006), 131 f. 105 Vgl. auch Hörisch (1979), 90: »Daß Sein selbst als Zeit verfaßt ist und sich auf dem Schauplatz des Daseins entsprechend temporal auslegt, gilt der Prosa Jean Pauls als primäres diskursives Ereignis, das kategorial zu verkehren und deshalb zu verkennen er den philosophischen Konstitutionstheorien ständig vorwirft. Nicht die Unversöhnlichkeit von Geist und Endlichkeit, wie Kommerells Deutung will, sondern umgekehrt ihre vorgängige Verschränkung ist Jean Pauls perennierendes Thema«.

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den zu können, ohne wesentliche andere philosophische Einflüsse substantiell mit zu bedenken oder gar höher zu bewerten. Naheliegend dafür wären vor allem die Positionen von Herder und Leibniz, wobei aber auch, gerade aufgrund seiner ungeheuren Belesenheit auf wissenschaftlichem, theologischem, philosophischem und literarischem Gebiet, zahlreiche weitere Einflüsse auf Jean Paul, wie der Platons und neuzeitlicher Platonismen, Kants, Plattners oder der stoischen Philosophie zweifellos gegeben sind. Eine dem philosophischen Gehalt und Anliegen nachh gleichartige Beziehung wie diejenige Jean Pauls zu Jacobi besteht dabei, recht besehen, jedoch weder im Falle Herders noch bei Leibniz, erst recht aber nicht bei einer der anderen Positionen. Zwar ist Interpretationen zuzustimmen, die Herder als poetisch-poetologisches und sprachphilosophisches Vorbild Jean Pauls hervorheben106 und darauf hinweisen, wie sehr Jean Paul Herders Charakter wie den Geist seines Denkens verehrt habe. Doch gilt diese Nähe im philosophisch-metaphysischen Feld gerade nicht. Angesichts eines vermuteten »Mangels an philosophischer Reflexion und Abstrakzion« bei Herder, so hält Jean Paul bspw. gegen dessen Metakritikk fest,107 glaubt er sich diesem hier weit überlegen. Zudem steht er dem für Herder grundlegenden spinozistisch-pantheistischen Ansatz ablehnend gegenüber.108 – Und Jean Pauls lebenslange Orientierung an der Philosophie Leibniz’ geschieht, so zeigten bereits Schmidt-Biggemann und Müller, unter Eintragung entscheidender Modifikationen, die in wesentlichen Teilen gerade an Jacobis eigene Aneignung von Leibniz’ Monadologie erinnern. Dies gilt insbesondere für das Durchbrechen des jede kausale Beziehung ausschließenden Parallelismus von Körper und Geist im Namen einer unerklärlichen, aber unmittelbar gewissen Wirksamkeit meines vernünftigen Wollens in der Körperwelt. 2. Eine entscheidende Verkürzung, Vereinseitigung und Verfestigung des Jean Paulschen Denkens durch seine Interpretation von Jacobis Philosophie aus könnte auch befürchtet werden mit Blick auf die Eigenheit von Arbeitsstil und Oeuvre Jean Pauls: Denn erstens fehlt gerade eine eigene zusammenhängende Darstellung seiner Philosophie oder Metaphysik. Das theoretische Hauptwerk Jean Pauls Die Vorschule der Ästhetikk entwickelt zwar in der Durchdringung mit konkreten handwerklichen Ratschlägen für ambitionierte Künstler109 auch eine komplexe Poetologie;

106

Rose (1990), 18; Chamberlain (1989), 83; Kommerell (1933/1967), 349. Brief Jean Pauls an Christian Otto vom 20.1.-5.2.1800 (JPSW III/3, 286). 108 Dies muß sogar Harich zugeben, nachdem er zuvor behauptet hat, daß gerade Herders Einfluß die wichtigste »Komponente der Weltanschauung Jean Pauls« darstellen soll. Im philosophisch-metaphysischen Feld übernehme er, von der gemeinsamen Gegnerschaft gegen Kant abgesehen, nur wenige Motive Herders und stehe ihm sogar kritisch-reserviert gegenüber (Harich [1970], 51 f.). 109 Dieses methodische Verfahren, daß zum Teil an traditionelle poetische Kunstlehren anschließt und Jean Pauls Ästhetik von den transzendentalen Ästhetiken seiner Zeit unterscheidet, 107

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eine ausdrückliche und zusammenhängende Entwicklung ihrer philosophischen Grundlagen gibt sie gleichwohl nicht. Auch die Vielzahl kleiner philosophischer Aufsätze, Anhänge und Notizen, die sich in Jean Pauls Werk trotzdem findet, kompensiert das Fehlen einer umfassenden Darstellung nicht. Denn hier sattelt Jean Paul zumeist nur auf bestimmte philosophisch-metaphysische Figuren und Konzepte auf, behält eklektizistisch aus verschiedenen Systemen, was ihm je einleuchtend erscheint, und verwirft, was seinen Anschauungen widerspricht. Überzeugt von der originären Evidenz des Wahren für den Leser (vgl. Selina 1183), werden die vorgestellten Theoreme meist weder grundlegend und eigenständig entwickelt, noch gar bewiesen. Daraus folgt aber keineswegs, daß Jean Paul eine wohldurchdachte philosophische Grundlage in seinem Werk nicht habe oder wenigstens nicht für zusammenhängend darstellbar erachte. Vielmehr beruht das Fehlen ihrer Ausarbeitung erstens auf seinem primären Selbstverständnis als Dichter, nicht aber als Philosoph. Der Sache nach glaubt Jean Paul hingegen sehr wohl an eine ›systematische‹ Explizierbarkeit seiner Philosophie – und erhofft deren Ausarbeitung eben von keinem anderen als Jacobi.110 Von dessen Philosophie ausgehend Jean Pauls Position erschließen zu wollen, stellt demnach keine bloß von außen herangetragene Lesart dar, sondern sollte vielmehr im Einklang mit seinen eigenen Intentionen helfen können, einen zusammenhängenden Weg durch seine philosophischen Überlegungen zu bahnen. Zweitens ist für Jean Pauls philosophische Erörterungen vielerorts charakteristisch, daß in der Orientierung an Platons Dialogen diese nicht selten bewußt auf das Explizitmachen der Ergebnisse verzichten und verschiedene Systeme oder Theoreme simultan nebeneinander stehen lassen, ohne sich ausdrücklich und offensichtlich für eines zu entscheiden. Weil jede Wissenschaft einseitig mache, solle man »all[e] Systeme und unähnlich[e] Wissenschaften« studieren.111 Zudem seien, so Jean Paul, in der Philosophie nur Waffenstillstände, keine Friedensschlüsse möglich, ein metaphysischer Streit könne im Medium des Begriffes nur abgebrochen, nicht durch Argumente abgeschlossen werden kann.112 Dieses Vorgehen Jean Pauls erinnert zwar an das pyrrhonische ›Verfahren‹ der ›Isosthenie‹, doch darf daraus gleichwohl nicht auf eine andauernde rein skeptische Haltung Jean Pauls geschlossen werden, die letztlich einem Einklang mit Jacobi entgegenlaufen würde. Als Kri-

läßt sich im übrigen durchaus auch als Ausdruck seines mit Jacobi geteilten praktisch-individuellen philosophischen Ausgangspunktes verstehen. 110 So zu Grundfragen, wie der nach dem Verhältnis von Freiheit und Begriff, Ursache und Wirkung oder nach der Notwendigkeit des Ausgehens vom Sein (vgl. Brief Jean Pauls an Jacobi vom 21.2.-6.3.1800 [JPSW III/3, 299 f.]). 111 Jean Paul: »Brief über die Philosophie«, in: Jean Pauls Briefe und bevorstehender Lebenslauff (JPW I/4, 1022). 112 Vgl. Jean Paul: Dr. Katzenbergers Bäderreisee (JPW I/6, 167).

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tik an der Schulbildung und verstärkt von der Beobachtung der schnellen Aufeinanderfolge einander vernichtender und übertreffender idealistischer Systeme, die alle die höchsten Ansprüche eigener Unfehlbarkeit erheben,113 sind viele Darstellungen Jean Pauls vielmehr Aufforderungen zum philosophischen Selberdenken. Dieses jedoch schließt das Finden des Wahren nach Auffassung Jean Pauls wie auch Jacobis (und Fichtes) gerade nicht aus, sondern ermöglicht es allererst. Auch angesichts dieser Eigenheit Jean Paulscher Texte erscheint ein kritischer Vergleich seiner philosophischen Ausführungen mit einer ihm nahestehenden Philosophie, wie der Jacobis, nicht nur möglich, sondern für ihre Konturierung sogar aussichtsreicher als ein direkter und immanenter Rekonstruktionsversuch. Drittens schließlich orientiert sich, wie bereits angedeutet, die Mehrzahl von Jean Pauls philosophisch-metaphysischen Betrachtungen leidenschaftlich an einer nicht nur für den heutigen philosophischen Diskurs eher ungewöhnlichen Frage: der Frage nach der Unsterblichkeit der (Individual-)Seele und dem Leben nach dem Tod. Auch in der metaphysischen Grundsatzdiskussion zwischen Fichte und Jacobi über die Möglichkeiten der Philosophie angesichts individuellen personalen Daseins ist diese schon längst eine eher randständige geworden. Gleichwohl läßt sich ihr für die Frage nach der Identität des einzelnen Ich als einzelnen sehr wohl ein philosophisch guter Sinn abgewinnen, ohne daß darüber hinausgehende Motive geleugnet werden sollen oder müssen. Daß bei der Analyse der entsprechenden Ausführungen Jean Pauls vor dem Hintergrund Jacobis und damit einer Theorie der Person im Einzelfall einige Aspekte und Interessenlagen nicht die gleiche Gewichtung erhalten wie in einigen seiner eigenen Texte und nicht vollständig ausgelegt werden können, wird durch die hier vorgelegte Untersuchung m. a. W. nicht nur in Kauf genommen, sondern ist zumindest in dem Maße beabsichtigt, wie manche Darstellungen und Gewichtungen Jean Pauls eher durch (religiös-)erbauliche Interessen und persönliche Schicksalsfragen als durch philosophisch-metaphysische Sachgründe motiviert scheinen.114

113

Vgl. neben dem »Brief über die Philosophie (JPW I/4, 1014 ff.) auch Philosophische Untersuchungen 1801 (JPSW II/7, 169). 114 So bietet Jean Paul gerade in den 1790er Jahren eine Sammlung von ausgewählten Beweisen für die Unsterblichkeit der Seele, bei denen er nicht nur affirmativ sonst von ihm bekämpfte Theoreme, wie die Kantische Postulatenlehre, wiedergibt, sondern deren Zweck auch in doppelter Weise zweifelhaft ist. Zum einen ist Jean Paul nämlich selbst davon überzeugt, daß diese Frage (wie alle wirklich metaphysischen) aus prinzipiellen Gründen eben nicht auf begrifflichargumentativem Weg zu klären ist. Zum anderen – und dies ist letztlich auch empfindlich für seinen Individualitätsbegriff – weiß er zwar selbst sehr genau über den (metaphysisch durchaus bedeutsamen) Unterschied zwischen der Frage nach der Unsterblichkeit bzw. Ewigkeit der Seele und derjenigen nach ihrer (endlosen) Fortdauer über den Tod des Körpers hinaus Bescheid; diese Differenz klärt er jedoch weder nachhaltig, noch bezieht er sie entscheidend in die Beurteilung seiner zusammengetragenen Argumente ein.

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Das Anliegen dieser Studie ist ein streng sachlich-philosophisches. Gefragt wird nach der Möglichkeit, das Werk Jean Pauls analog zu dem Jacobis als Beitrag zur Debatte um das Selbstverständnis und die Gestalt der Philosophie im ganzen und – speziell – als Beitrag zu einer Philosophie bzw. Metaphysik der Person zu verstehen. Methodisch bedeutet dies, daß für die vorliegende Untersuchung philosophie- und entwicklungsgeschichtliche Betrachtungen dabei nur in dem Maße eine Rolle spielen, wie sie zum Verständnis der Sachstrukturen und Ideen bzgl. eines alternativen systemkritischen Metaphysiktypus beitragen. Zugleich stehen daher weder philologisch strenge Erweise eines je konkreten historischen Einflusses Jacobis auf einzelne Gedanken Jean Pauls im Vordergrund noch weiterführende Betrachtungen über andere oder gemeinsame philosophiegeschichtliche Vorbilder, die zur Herausbildung bestimmter Überzeugungen auch mit beigetragen haben (könnten). Für Jean Paul haben Schmidt-Biggemann und Götz Müller im übrigen gutinformierte und weitblickende entwicklungsgeschichtliche Studien bereits vorgelegt. Entscheidend für die vorliegende Untersuchung ist hingegen vielmehr der Nachweis eines grundsätzlichen sachlichen Einverständnisses. Ihr Vorgehen ist daher philosophischargumentativ, nicht werk-, rezeptions- oder formgeschichtlich. – Durch die Fokussierung auf den philosophisch-sachlichen Gehalt der vermuteten philosophischen Übereinstimmung ergibt sich zudem, daß sowohl im Falle Jacobis wie auch Jean Pauls die bevorzugte Interpretationsgrundlage ihre vorwiegend philosophischen Werke darstellen und bei Jean Paul zudem diejenigen nach seiner Selbstfindung als Autor und dem vermeldeten Umbau seiner philosophischen Überzeugungen 1789/90, insbesondere aber jene aus der Zeit um 1800. Denn in diese fällt nicht nur Jean Pauls intensivster Kontakt mit Jacobi,115 sondern auch seine forcierteste eigene philosophische Positionierung;116 in den Werken aus dieser Zeit ist mithin der substantiellste Beitrag bzgl. des diese Studie leitenden Erkenntnisinteresses zu erwarten. Die sich neben der Levanaa dadurch für diese Untersuchung als Hauptgegenstand der Analyse Jean Pauls ergebenden Texte Clavis Fichtiana seu Leibgeberiana und

115

In analoger Weise konzentriert sich die Studie daher auch bei Jacobi auf die Texte bis ca. 1800, mithin auf jene, die Jean Paul bekannt waren. Da der Autor zugleich von der Konstanz der wesentlichen philosophischen Grundmotive bis in Jacobis Spätwerk überzeugt ist (mit Blick auf Jacobis Stellung zu Kant anders Verra [1969], 203), werden gleichwohl gelegentlich spätere Texte ergänzend herangezogen. Dies geschieht jedoch nur, wenn dadurch ein Gedanke plastischer herausgearbeitet oder konziser terminologisch gefaßt werden kann, nicht um ihn allererst zu etablieren. 116 Die Bedeutung, die Jean Paul selbst in diesem Sinne vor allem dem Roman Titan und der Vorschule der Ästhetikk einräumt, läßt bereits ein Stoßseufzer aus dem Jahr 1802 erahnen: »Nur dies Werk und meine philosophischen und ästhetischen Briefe vergönne mir Gott gar zu schreiben; dan will ich hinfahren« (Brief Jean Pauls an Jacobi vom 13.-16.8.1802 [JPSW III/4, 168]).

Einleitungg

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Vorschule der Ästhetikk zeichnen sich dabei zudem dadurch aus, daß gerade sie auch von Jean Paul selbst ausdrücklich in die Nähe Jacobis gerückt werden. Während dies bei der Claviss bereits durch die Widmung an Jacobi offen zu Tage liegt, zeigen selbiges für die Vorschulee Jean Pauls schriftliche Versicherung, »oft an oder in das heilige Land zu kommen, wo […] [Jacobis] Seele wohnt«,117 aber auch das wiederholte Bekenntnis zu Jacobi im Text selbst (vgl. V 60). Ähnlich verhält es sich mit dem Roman Titan, dessen Idee Jean Pauls Zeugnis nach aus Jacobis Behauptung der »poetischen Auflösung in lauter unmoralische Aronie durch lauter Reflexion« im Roman Allwilll hervorging.118 Allerdings kommen die literarischen Texte im engeren Sinne, d. h. vor allem die Romane, trotz ihrer unbestreitbaren philosophischen Relevanz in vorliegender Untersuchung nur in den Blick, wenn sie sachlich zur Explikation wesentlicher Gesichtspunkte beitragen können oder sie gar selbst explizieren und sich zugleich keine gleichwertige Explikation in den stärker philosophisch-systematischen Texten findet.119 Auch dann werden die Romane unter dem Aspekt einer darin erkennbaren philosophischen Fragestellung thematisiert. Die vorliegende Studie versteht sich daher nicht nur nicht als historische, sondern auch nicht als literaturwissenschaftliche Untersuchung

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Brief Jean Pauls an Jacobi vom 30.1.1804 (JPSW III/4, 273). Brief Jean Pauls an Jacobi vom 13.-16.8.1802 (JPSW III/4, 168). 119 Halten Jacobis Romane auch Erläuterungen und Veranschaulichungen bereit, die in einzelnen Fragen die Darstellungen der im engeren Sinne philosophischen Texte an Anschaulichkeit und Ausführlichkeit in der Tat übersteigen, gilt jedoch keineswegs, wie jüngst von Fetzer behauptet, eine Exklusivität der Romane hinsichtlich einer nur in ihnen erreichten Vollständigkeit und Vollendung der philosophischen Konzeption Jacobis (Fetzer [2007], 48). Fetzers These einer recht klaren systematischen Arbeitsteilung zwischen philosophischen und literarischen Schriften, die eine eigenständige und ausführliche Behandlung der Romane für das Verständnis der Jacobischen Position zwingend erfolderlich machen würde, erscheint bereits in dem Maße wenig plausibel, wie sie von Anfang an in Jacobis Texten umfangreiche, von diesem vermeintlich selbst verschuldete Verstellungen, Mißgriffe und Defizite angesichts der angeblich ihnen eigentlich zugedachten arbeitsteiligen Funktion einräumen muß (ebd., 164). Mit Fetzers These geht zugleich die zweifelhafte Auffassung der philosophischen Texte Jacobis als auf Allgemeinheit und Subsumption des Besonderen zielende »Traktat[e]« einher (ebd., 159). Indem Fetzer dabei als ihre Grundoperation den »deiktischen« Verweis auf den grundlegenden Vollzugscharakter des Selbstbewußtseins und einen sogenannten ›autonomistischen‹ Begriff des Ich diagnostiziert (ebd., 65/156), geraten Jacobis Texte de facto in verblüffende Nähe zu transzendentalphilosophischen Konzepten bzw. ihrer Rekonstruktion durch Jacobi. – Dies gilt im übrigen mutatis muntandis ebenso für die sachliche Grundthese Fetzers, wonach es sich bei Jacobi um ein komplexes System verschiedener Unbedingter und ihres gegenseitigen Bedingens handele (ebd., 7/217). Denn die Durchführung dieser These erfordert nicht nur in analoger Weise den Vorwurf einer mangelhaften Ausarbeitung dieses Systems, ja eines unzureichenden Problembewußtseins bei Jacobi, die Fetzer durch eigene Konstruktionen zu kompensieren sucht (ebd., 93/223/234), sondern behandelt die eingeforderte ›Rechtfertigung‹ des Bedingten aus dem bzw. den Unbedingten zuletzt in dem von Jacobi ausdrücklich kritisierten Modus (rationalen) Bedingens. 118

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und verzichtet damit auch auf die Thematisierung gattungsgeschichtlicher Vorbilder, wie es beispielsweise im Falle der humoristischen Romane Jean Pauls ohne Zweifel Laurence Sterne darstellt. Dies gilt trotz des Umstandes, daß sowohl Jacobis als auch Jean Pauls eher philosophisch-systematischen Texte wie auch ihre sachlichen Lösungsansätze aufgrund der antibegrifflich-anschaulichen Ausrichtung ihres gemeinsamen philosophischen Projekts bereits grundsätzlich von literarischer Qualität sind und ihre Metaphysik selbst zur Poesie drängt. Denn die Begründung dieser Affinität der Philosophie der Person zur Poesie gehört selbst noch in den Rahmen philosophischen Fragens. Da sich anhand der Vielzahl von Mißverständnissen gezeigt hat und durch Baierls Forderung bekräftigt wurde, daß zur angemessenen Beurteilung des sachlichen Verhältnisses von Jean Paul und Jacobi, ja angesichts ihrer vermuteten grundsätzlichen philosophischen Übereinstimmung bereits für das Verständnis von Jean Pauls Position selbst, eine fundierte Analyse von Jacobis Denken, und insbesondere der doppelbödigen Anlage seiner Philosophie als einer vernunftkritischen Metaphysik der Person, unerläßlich ist, besteht diese Untersuchung aus zwei gleichberechtigten Teilen. Um ihre komplexe und raffinierte Form sichtbar machen zu können, wird im ersten Teil die Jacobische Doppelphilosophie als eine zusammenhängende, in sich geschlossene Erläuterung ihrer wesentlichen Momente und deren Verhältnisse zueinander entwickelt – zumindest insoweit diese auch für Jean Paul als wichtig gelten müssen. Im zweiten Teil der vorliegenden Studie wird schließlich dann im Ausgang von der Jacobischen Vorlage in analoger Weise eine Lesart Jean Pauls vorgestellt, die dessen grundlegenden Ansichten zur Anthropologie, Moralphilosophie, zur Ästhetik und Poesie sowie seine Kritik der Transzendentalphilosophie ebenso als Momente einer wohldurchdachten und komplexen metaphysischen Verständigung über menschliches Personsein zeigt.

A. JACOBIS VOR L AGE: KR ITIK SYSTEMISCHEN PHILOSOPHIER ENS UND METAPHYSISCHE NEUOR IENTIERUNG IM NA MEN DER PERSON‹

In den Vorlesungen Zur Geschichte der neueren Philosophiee von 1827 ist es niemand Geringeres als der späte Schelling, der, nunmehr die Entwicklung der Klassischen Deutschen Philosophie von Kant bis Hegel im Ganzen vor Augen, Jacobis Denken in systematischer und historischer Hinsicht ausdrücklich eine zentrale Stellung in der gesamten nachkantischen Diskussion um die Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen systemischen Philosophierens bescheinigt. Dabei hebt er hellsichtig den wesentlich doppelbödigen Charakter der Jacobischen Schriften hervor, aus dem ihr weitreichender Einfluß ebenso erst zu verstehen sei wie ihre komplexe und diffizile Stellung inmitten des Spannungsfeldes von System und Systemkritik: Einerseits habe – so Schelling – keiner nämlich den »rein rationalen Systemen« »so v iel eingeräumt als Jacobi«, indem er ihre Konsequenz bewunderte und sie für unwiderleglich hielt. Andererseits aber habe unter den neueren Philosophen auch niemand das Bedürfnis der Überwindung dieses Philosophietyps lebhafter empfunden. Denn Jacobi habe »den wahren Charakter aller neueren Systeme erkannt, daß sie uns nämlich statt dessen, was wir eigentlich zu wissen verlangen, und, wenn wir aufrichtig seyn wollen, allein zu wissen der Mühe wer t h halten können, nur einen leidigen Ersatz bieten, ein Wissen, in welchem das Denken nie über sich selbst hinauskommt und nur innerhalb seiner selbst fortgeht, während wir eigentlich über das Denken hinaus verlangen, um durch das, was höher ist als das Denken, von der Qual desselben erlöst zu werden.«1

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Schelling (Sämmtliche Werkee X, 169). – Allerdings schließt auch Schelling sich dann im weiteren – auf diese Weise zugleich die Notwendigkeit rechtfertigend, mit seiner eigenen ›positiven Philosophie‹ erst zum wahren »Empirismus« vorzudringen (Schelling [Sämmtliche Werkee X, 168]) – der bereits von Schlegel in der Woldemar-Rezension begründeten und seitdem bis weit ins 20. Jahrhundert hinein häufig wiederholten These von Jacobis Flucht in die bloß subjektive Innerlichkeit des Gefühls an. – Dieses geradezu topische Urteil über Jacobis Unphilosophie versuchte erst die jüngere Forschung als Mißverständnis aufzuweisen. Hierbei sind die Arbeiten Klaus Hammachers ebenso hervorzuheben wie die Studie Günther Baums (Baum [1969]). Leidet diese auch unter einem einseitig erkenntnistheoretischen Ansatz und der Ausblendung Spinozas, so stellt sie sich doch vehement einer ›irrationalistischen‹ Interpretation Jacobis entgegen und faßt diesen vielmehr als Vertreter einer alternativen Vernunftphilosophie auf. Dieses Anliegen leitet auch die Studie Birgit Sandkaulens, die nunmehr vor dem Hintergrund der Spinozanischen Metaphysik Jacobi als den Philosophen einer etwas anderen, selbstreflexiv gewordenen Aufklärung und dabei als Vertreter einer »Handlungsmetaphysik« (Sandkaulen [2000], 220) bzw. einer ›Metaphysik der Person‹ rekonstruiert.

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Die entscheidende Bedeutung Jacobis für die gesamte nachkantische Philosophie, nicht nur diejenige Fichtes und Jean Pauls, geht dabei im wesentlichen auf die zuerst 1785 veröffentlichte Schrift Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn – und insbesondere auf deren reichlich vermehrte zweite Auflage von 1789 – zurück. Kaum weniger einflußreich ist zudem das 1787 erschienene Gespräch David Hume über den Glauben oder Idealismus und Realismus, in dem Jacobi erstmals seine philosophische Auseinandersetzung mit Spinoza mit einer Kritik der Kantischen Transzendentalphilosophie verbindet. – War es zunächst die von Jacobi verbreitete, 1785 noch als skandalös empfundene Nachricht, daß Lessing, der Schöpfer des Nathan und die Galionsfigur einer aufgeklärten Vernunftreligion, ein Anhänger des Spinoza (vgl. Spin 12 bzw. 13 Anm.), d. i. eines philosophisch weithin gemiedenen2 und als Atheist und Schwärmer gar verfemten Denkers, gewesen sei, die die intellektuelle deutsche Öffentlichkeit – mit Hegel gesprochen – wie ein »Donnerschlag vom blauen Himmel herunter« traf,3 so ist es eben auch in systematischer Hinsicht gerade Jacobis Auseinandersetzung mit Spinoza, die wiederum Hegel veranlaßt, den Anfang der »neuesten deutschen Philosophie« nicht allein in Kant, sondern zugleich auch in Jacobi zu setzen.4

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Bis zu Jacobis Spinozabriefen und der durch ihre Interpretation der Ethikk begründeten ›Spinozarenaissance‹ erfolgte keine nennenswerte und ernsthafte philosophischee Auseinandersetzung mit der Spinozanischen Metaphysik bzw. hatte nahezu jede öffentliche Beschäftigung mit Spinoza letztlich nur die Widerlegung, ja Diskreditierung seiner Philosophie zum Ziel. In diesem Sinne kritisiert bspw. Christian Wolff im 2. Teil seiner Theologia Naturaliss (Frankfurt/Leipzig 1737) nicht nur ausführlich den Beweisgang und die Begrifflichkeit der Ethik, sondern ihre Konsequenzen als »Akosmismus«, »Fatalismus« und ›Quasi-Atheismus‹, der noch schlimmer als die wörtliche »Gottesleugnung« sei (vgl. hierzu Scholz [1916], XLIII-LIX). – Diese Kritik Wolffs wird 1744 von Johann Lorenz Schmidt auch noch einmal als Anhang seiner ersten deutschen Übersetzung von Spinozas Ethikk beigefügt. Spinoza, der durch Wolff »überwundene Feind«, solle mit dieser Publikation – so die zeittypische, bei Schmidt allerdings schon nur noch vordergründige Ankündigung – »öffentlich zur Schau« gestellt werden, »damit nicht ungeübte Leute ihn noch länger für ein Gespenst ansehen, sondern sich angewöhnen, sein fürchterliches Gerassel zu verachten« (zitiert nach Scholz [1916], XLII). – Eben jene Ausgabe Schmidts ist es aber, die auch Jacobi zuerst mit Spinozas Ethikk bekannt machte (vgl. JW II, 188 = DH 79). 3 Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie IIII (Werke 20, 316 f.). – Ein eindringliches Zeugnis der Ungeheuerlichkeit der Nachricht liefert im übrigen Mendelssohn selbst. So erwägt er zunächst nämlich, Lessings berichtete Wendung zum Spinozismus als ein warnendes »eklatantes Beispiel« vorzuführen, das den »Liebhaber[n] der Spekulation« zeige, »welcher Gefahr sie sich aussetzen, wenn sie sich derselben ohne allen Leitfaden überließen« (Spin 55). Ihr Ausdruck ist aber auch noch Mendelssohns mit Rücksicht auf das Andenken des Freundes alsbald veränderter Plan, dem Spinozismus Lessings den Ruch des Skandalösen zu nehmen. In diesem Sinne suchen vor allem die Vorlesungen XIII bis XV der Morgenstunden – ähnlich wie wenig später Herders Gottt – eine mildere und ›geläuterte‹, jedenfalls eine nichtatheistische Lesart der Spinozanischen Metaphysik zu etablieren. 4 Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie IIII (Werke 20, 314).

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Daß das Philosophieren von Hölderlin und den Frühromantikern, von Schelling bis hin zu Hegel, ja selbst das des um einige Jahre älteren Fichte, in zumindest gleichem Maße unter dem Stern Jacobi-Spinozas wie unter der ›Kopernikanischen Wende‹ Kants steht, daß m. a. W. in Jacobi-Spinoza die entscheidenden Mittel und Wege gesucht werden, die Aporien der Kantischen Philosophie zu überwinden, läßt sich dabei nur aus Jacobis speziellem Zugang zu Spinoza verstehen. Von Beginn an gestaltet sich seine Auseinandersetzung mit der Ethikk nämlich als eine Diskussion über die (philosophische) Rationalität schlechthin, d. i. über die Gestalt und die Grenzen einer jeden (originär monistischen) Systemphilosophie im allgemeinen. Denn bereits im Gespräch mit Lessing begreift undd präsentiert Jacobi Spinozas Metaphysik als das Paradigma rationalen systemischen Philosophierenss überhaupt. Dies gelte deshalb, weil der »Geist des Spinozismus« nirgends anders als im Prinzip des »a nihilo nihil fit« liege, mithin in der jedes Wissen konstituierenden Logik lückenloser Begründung. g Eine ›Philosophie aus einem Stück‹, d. i. ein geschlossenes philosophisches System, erfahre im Spinozanischen Prinzip der Substanz bzw. des Seins ihre einzig mögliche philosophische Fundierung, insofern hier causa sui und causa rerum zusammenfallen: Das Bedingte werde zurückgeführt auf ein Unbedingtes, das ein Sich-selbst-Begründendes sei; alle Gründe auf einen letzten absoluten Grund, aus dem sie notwendig und vollständig folgen. Daher stimmt Jacobi Lessings Behauptung, daß es »keine andre Philosophie, als die Philosophie des Spinoza« gebe, nicht nur sofort zu, sondern begründet sie selbst auf eigene signifikante Weise: »[D]er Determinist, wenn er bündig sein will, muß zum Fatalisten werden: hernach gibt sich das Übrige von selbst.« (Spin 23 f.) – Eine solche streng systemisch-systematische, auf Einheit wie auf notwendigen Zusammenhang ausgehende, genuin wissenschaftliche Philosophie vermag zwar, wie für Jacobi die idealistischen Entwürfe später zeigen, ›umgekehrt‹, jedoch philosophisch weder widerlegt5 noch eigentlich überboten zu werden (vgl. Spin 313).

5

Dieser These steht auch nicht entgegen, daß Jacobi sie gelegentlich in ihrer starken Form zurückzunehmen und den Spinozismus nur noch als weniger widersprüchlich als alle anderen bisherigen Metaphysikentwürfe aufzufassen scheint (vgl. Spin 162). Denn Jacobis Kernaussage, daß der Spinozismus »nur von der Seite seiner Individuationen mit Erfolg angegriffen werden« könne (Spin 254), sollte nicht in der Weise mißverstanden werden, daß tatsächlich eine Kritik Spinozas innerhalb der ›reinen Metaphysik‹, bspw. im Sinne der Leibnizschen Monadenlehre, erwogen würde. Gerade dadurch, daß er als ›Argument‹ gegen Spinoza die Frage der Individualität auszeichnet, betritt Jacobi immer schon ein Feld, das sich in seinen Augen rational›mechanisch‹ (und damit i. e. S. ›philosophisch‹) nicht explizieren läßt. Wird Leibnizens Monadenlehre als Korrektiv herangeführt, so mobilisiert Jacobi bereits das genuin Unphilosophische in Leibniz’ Philosophie. – Zugleich zeigen die angeführten Stellen der Spinozabriefe aber, daß umgekehrt auch das gegenteilige Extrem zur systemphilosophischen Überbietung Spinozas bei der Interpretation des Jacobischen Anliegens zurückzuweisen ist: Unphilosophie im Sinne Jacobis darf keineswegs mit »Nicht-Philosophie« bzw. einem bloß naiven natürlichen oder religiösen Glauben verwechselt werden (vgl. Sandkaulen [2000], 26 ff.).

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Doch trotz aller rationalen Einsichtigkeit und Unwiderlegbarkeitt ist, wie Jacobi schon dem überraschten Lessing mitteilt, Spinozas Philosophie für ihn gerade nicht das letzte Wort. Vielmehr gelte es, der in Spinozas System uneingeschränkt waltenden, wenngleich auch als ›Freiheit‹ gedeuteten, fatalistischen Notwendigkeit zu widersprechen6. »Ich helfe mir« – so Jacobi – »durch einen Salto mortale aus der Sache […] Die ganze Sache bestehet darin, daß ich aus dem Fatalismus unmittelbar gegen den Fatalismus, und gegen alles, was mit ihm verknüpft ist, schließe. – Wenn es lauter würkende und keine Endursachen gibt, so hat das denkende Vermögen in der ganzen Natur bloß das Zusehen; sein einziges Geschäfte ist, den Mechanismus der würkenden Kräfte zu begleiten […] Wer nun dies annehmen kann, dessen Meinung weiß ich nicht zu widerlegen. Wer es aber nicht annehmen kann, der muß der Antipode von Spinoza werden.« (Spin 26 f.) – Drei wesentliche Hinsichten der unphilosophischen Operation des ›Springens‹ hat Jacobi mit ihrer Charakterisierung als ›Schluß aus dem Fatalismus‹ hier bereits unmittelbar angesprochen: Insofern es eben um einen ›Schluß‹ gehen soll, erhebt der »Salto mortale« erstens selbst den Anspruch auf Vernünftigkeitt und philosophischee Relevanz. Als ein »unmittelbar[er]« ›Schluß‹, als »Kopf-unter«-Schwingen über einen Abgrund in den Stand (Spin 26/36), stellt er jedoch offenbar einen eigenen (und, wie sich zeigen soll, letztlich fundamentaleren) Typ bzw. eine spezifische (und ursprünglichere) Betrachtungsweise des Schließens dar. Die verständig-deduktive Folgerung bzw. die Auffassung des Schlusses innerhalb der formalen Logik ist davon nach Jacobi grundlegend zu unterscheiden. Gleichermaßen jenseits von bloßer Theorie wie vom Irrationalismus, ist Jacobis ›Schluß‹ in Wahrheit – und hierfür steht das Stichwort der ›Endursachen‹ – ein Entschluß, ß eine Entscheidung, g ist der ›Sprung‹ eine Operation der ›praktischen › Vernunftt‹ bzw. der ›vernünftigen Praxis‹. – Daher kommt es zweitens wesentlich auf den Aktcharakter t des ›Springens‹ (und damit auch jedes Schlusses überhaupt) an. Als wirklichee und nach Jacobi originär freie Handlungg ist der ›Salto mortale‹ (wie schließlich jeder geistige Akt) nicht nur von jedermann selbstt durchzuführen und daher ursprünglich ans Individuum gebunden,7 sondern setzt, wie Lessing treffend bemerkt, paradoxerweise seine ›Landestelle‹ (die Freiheit) t auch immer schon zum Abspringenkönnen voraus: Man müsse – so Jacobi – die

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Zum ›Widerspruch‹ im Gegensatz zur argumentativen ›Widerlegung‹ vgl. u. a. JW IV/2, 198 sowie Birgit Sandkaulen (2000), 31 ff. 7 Bereits bei Jacobi liegt der Haupteinspruch gegen Spinozas System also in der Diagnose, daß trotz aller gegenteiligen Bemühungen alles empirisch Einzelne in der Absolutheit der Substanz untergehe. Seine spezifische Gestalt, der ihn in der Jacobischen Form als Verlust der Zeitlichkeit und der Ursache-Wirkungs-Relation erscheinen läßt, folgt aus der Überzeugung, daß empirisch Einzelnes wesentlich zeitlich verfaßt ist (dies behauptet im übrigen auch Spinoza) und daß unser ursprüngliches Zeitbewußtsein ursprünglich als Bewußtsein unseres konkreten praktisch-ursächlichen Handelns vorkommt.

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»elastische Stelle« des Spinozismus, d. i. den Fatalismus, nur betreten, dann ginge das Springen ganz »von selbst«; doch schon das Betreten sei ein »Sprung« (Spin 36). Im Blick auf den Vollzugscharakter existiert umgekehrt die ›Landestelle‹ aber auch nur, wenn und weil wirklich gesprungen wird. Jede weitere Frage nach ihrem Grund oder ihrer Quelle bleibt daher unbeantwortbar, so daß ihre Gegebenheitsweise wie auch der ›Sprung‹ selbst, obwohl ganz Vollzug und Aktivität, im Gegensatz zum logisch-deduktiv konstruierenden Hervorbringen und zur ursprünglichen Selbst(be)gründung einer ›causa sui‹ als ein Empfangen charakterisiert wird. Der Ort jenseits der Logik rationalen Erklärens und Deduzierens – das Unbegreifliche, Übernatürliche, Freie und Göttliche – soll im epistemischen Modus von ›Gefühl‹, ›Sinn‹ und ›Glauben‹ durch die alternative antisystemische (und eben darum später »Unphilosophie« [JW III, 9] genannte) Philosophie Jacobis aufgefunden, nicht konstruiert oder gesetzt werden (vgl. Spin 34 f.). Aufgefunden im Ausgang vom Systemdenken Spinozas und dessen eigenen nichtlogischen, d. h. praktisch-existentiellen, Voraussetzungen und den Defiziten ihrer theoretisch-systemischen Behandlung. – Jacobis unphilosophische Position ist daher drittens selbst wesentlichh mit der Rekonstruktion von Spinozas System als Paradigma der Verstandesphilosophie überhaupt verbunden.8 Zusammen bilden sie die Figur »meines Spinoza und

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Inwieweit Jacobi dabei eine kongeniale Darstellung der Ethikk gelungen ist, hat bereits Emmanuel Bauer gezeigt. Nach ausführlichem Textvergleich kommt dieser zu dem Schluß, daß Jacobi »in seiner kritischen Spinozadeutung erstaunlich viel philosophisches Gespür für die eigentliche, grund-gebende Struktur des Spinozismus« bewiesen habe. – Problematisch aus Jacobischer Perspektive ist jedoch die Leitthese von Bauers Untersuchung, wonach sich in Spinozas Unterscheidung von rationaler und intuitiver Erkenntnis ein unversöhnliches »Nebeneinander von extremer rationalistischer Logifizierung und unkontrollierter, überschwenglich emotionaler Religiosität« widerspiegele (Bauer [1989], 279 f.). Dieses – so Bauer weiter – nehme Jacobi seinerseits nur auf und forciere es letztlich in seinem »Hang zu einer mystischen, übertriebenen und ungebundenen Religiosität« (ebd., 264). Zugleich unterschlage er in der reinen Rekonstruktion jedoch ganz die irrational-emotionale Seite in Spinoza selbst. – – Zwar zeigt sich – so müßte Jacobi Bauer einräumen – die ›scientia intuitiva‹, indem sie im Gegensatz zur ›ratio‹ das Wesen der Dinge nicht in ihrer gemeinsamen und allgemeinen, d. h. in der durch die ›notiones communes‹ konstituierten, Bestimmung, sondern als Individuelless und dabei unmittelbar von Gott Verursachtes erkennt (vgl. Ethik V Prop. 24, 25 Dem.), in der Tat als ein Moment, das letztlich bei Spinoza die rationale Systemeinheit sprengt. Doch ist es keineswegs das einzige, das dies tut. Auch Spinozas Bemühen einer Integration von Dauer und Zeitlichkeit, ja selbst bereits die Figur der ›causa sui‹ sind, wie wir sehen werden, in Jacobis Augen ebenso Zeugen dieses Immer-schonüberschritten-Habens der bloßen Rationalität. – Allerdings geht Bauer aus Sicht Jacobis fehl, wenn er den Übergang von Spinozas System zur Unphilosophie als bloße Akzentverschiebung, noch dazu als eine solche von einem Übergewicht der ratio (Spinoza) zu dem eines »mystischemotionalen Glaubens« (Jacobi) (Bauer [1989], 282) versteht. Daß Spinoza die ›scientia intuitiva‹ noch ganz im Kontext des rationalen Immanenzmodells behandelt, führt vielmehr für Jacobi zu einer entscheidenden qualitativen Differenz im Vergleich zur unphilosophischen Position, die

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Antispinoza« (JW IV/2, 173), für die bereits die Beziehung gilt, die Jacobi später auch für sein Verhältnis zu Fichte reklamiert: Sie kommen »durch den höchsten Grad der Antipathie« miteinander in Kontakt und durchdringen sich »gewissermaßen« »im Moment der Berührung« (JW III, 15). Die Rekonstruktion der Jacobischen Philosophie hat darum mit der Rekonstruktion seines Spinoza-Verständnisses zu beginnen. – Jacobis großer philosophiehistorischer Einfluß und seine charakteristische Positionierung in der von ihm mitinitiierten Debatte – gerade auch im Blick auf eine Diskussionslage, die (wie eigentlich bereits Fichte) unter dem Stichwort eines ›Systems der Freiheit‹ Spinoza und Kant zu verbinden sucht – bliebe aber z.T. auch unbegreiflich, beachtete man nicht genauso, daß schon Jacobi selbst seine Spinoza-Auseinandersetzung mit seiner Verständigung über die Kantische Philosophie zusammenführt und dabei (vor allem in der Beylagee zum David Hume) e noch vor Maimons und Schulzes Kritik als einer der Ersten entscheidende Schwächen der Kantischen Transzendentalphilosophie aufdeckt. – So zeigt die Spinoza-Rekonstruktion in der Erstauflage der Spinozabriefee nicht nur ihrerseits deutliche Spuren des vorkritischen Kant,9 sondern der hier ebenso bereits zu findende Verweis auf die

sich daher als Projekt einer radikalen Umwertungg begreift, d. h. als Versuch, die dem konsequenten rationalen System als dessen Ermöglichungsbedingungen nicht integrierbaren Voraussetzungen aufzuspüren, ohnee sie dabei gerade wieder systemisch verorten und systematisch erklären zu wollen. Die noch im Bann der Immanenzlehre von Spinoza formulierte, durch die ›scientia intuitiva‹ zu erkennende (wesentliche) Individualität bleibt m. a. W. nicht nur merkwürdig unbestimmt und unfaßlich, sondern ist nach Jacobis Überzeugung mitnichten identisch mit der konkreten, zeitlich verfaßten Einzelheit, die ich im personalen und zweckgeleiteten Handeln allein als ›Gefühl‹ erfahre und die noch die Grundlage meines tatsächlichen rationalen Weltverhältnisses und damit allen systemischen Philosophierens, inklusive der Figur der ›scientia intuitiva‹, bildet. 9 Und zwar vor allem, insofern Jacobi Spinozas ›Substanz‹ bevorzugt als ›Sein‹ an- und dem Sein selbst jede Prädizierbarkeit abspricht. – Jacobi selbst macht im übrigen im David Hume auf diese Verbindung zu Kant aufmerksam. Seine eigene Überzeugung, daß Spinozas Fassung des ontologischen Gottesbeweises die einzig gültige sei, weil er nicht aus der Möglichkeit (im Begriff) auf die Wirklichkeit Gottes schließe, sondern Gott bzw. das Sein als absolute Position betrachte, die selbst erst den Begriffen als ihren Beschaffenheiten Möglichkeit und Wirklichkeit verleiht, habe er allein – so Jacobi – in Kants Einzig möglichem Beweisgrundd bestätigt gefunden (vgl. DH 78 ff. u. Kant: Vorkritische Schriften bis 1768, 640/643 f./653). In der Tat stellt hier der vorkritische Kant die Behauptung auf, daß Existieren bzw. Dasein eine absolute Position bilde, und legt damit nicht nur einen Beweisansatz vor, in dem Jacobi sein Verständnis des Spinozanischen Gottesbegriffs wiederentdeckt, sondern wirkt sicherlich ebenso in Richtung der unphilosophischen Überzeugungen. Dort kehrt Kants These schließlich wieder in Jacobis Aussage, daß das Dasein als Bestimmtes und konkretes Einzelnes nur unmittelbar gegeben werden könne. Darüber hinaus dürfte auch Kants Behauptung im Beweisgrund, d daß zum Gottesbegriff notwendig die »Eigenschaften des Verstandes und Willens gehören« (Kant: Vorkritische Schriften bis 1768, 649; vgl. JW III, 342), unphilosophisch bei Jacobi gewirkt haben. Denn in diesem

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strukturelle Ähnlichkeit von Kants Raum- und Zeitkonzept und dem Spinoza zugeschriebenen Prinzip »totum parte prius esse necesse est« (Spin 91 Anm. 1, DH 94) ist Ausdruck dafür, daß Jacobi die Kantische Transzendentalphilosophie vor dem Szenario seines ›Spinoza-Antispinoza‹ rezipiert. Letzteres bedeutet vor allem, daß es gerade die an Spinoza erprobte und geschulte hermeneutische Methode logischer Stringenz, Systematizität und Konsequenz ist, die auch Jacobis Bewertung des transzendentalen Idealismus leitet. Es ist diese Perspektive, unter der die Kantischen Begriffe der Sinnlichkeit und des ›Dings an sich‹ ins Zentrum von Jacobis Aufmerksamkeit gelangen und Kants Lehre als innerlich zerrissen und inkonsistent erscheint. Fast schon legendär ist die Formel, in der Jacobi den von ihm als in der Kritik der reinen Vernunftt ungelöst diagnostizierten konstitutiven Widerspruch zwischen den empiristisch-realistischen Prämissen und den idealistischen Konsequenzen des transzendentalphilosophischen Ansatzes zusammenfaßt, daß ohne die Annahme von die Sinnesempfindungen verursachenden Gegenständen nicht in das Kantische System hineinzukommen, mit dieser Voraussetzung aber nicht in ihm zu bleiben sei (vgl. DH 222 f.). Kants Philosophie erscheint Jacobi m. a. W. als eine Position, die entweder, um das spekulative Niveau Spinozas zu erreichen und so erst zu einem konsistenten philosophischen System, mithin zur möglichen unphilosophischen ›Absprungstelle‹ zu werden, in Antizipation Fichtes zum »spekulativen Egoismus« radikalisiert werden muß (DH 229) oder aber wegen ihrer dualistischen Grundintentionen zwar bereits das Lob des »vornehmeren« Denkens verdient (JW III, 4 ff.), zugleich aber selbst noch zum Antisystem der Unphilosophie zuzuspitzen ist.10 Jean Paul wird diese Konstellation mit Blick auf die Interpersonalitätslehre Fichtes noch einmal auf die Wissenschaftslehre anwenden. Die erste Option verfolgend, wird, so zeigt besonders deutlich die erst kürzlich veröffentlichte Jacobische Epistel über die kantische Philosophie, konsequenterweise auch Kants Zeitbegriff (wie zuvor schon der Spinozas) zu einem zentralen Moment der unphilosophischen Kritik. – Die angesprochene Ambivalenz in Jacobis Haltung gegen Kant entspringt jedoch nicht nur einer trotz aller programmatischen Differenzen ebenso anerkannten Gemeinsamkeit im vernunftkritischen Grundanliegen und in empiristischen erkenntnistheoretischen Intuitionen; die Auseinandersetzung mit Kant ist keineswegs auf die theoretische Philosophie beschränkt. Vielmehr ist hierbei vor allem auch die Übereinstimmung

Sinne beruft sich Jacobi in den Spinozabriefen tatsächlich explizit auf Kant, wenn nunmehr auch gar mit Blick auf die Kritik der praktischen Vernunftt (Spin 238, 249, 306 f., vgl. KpV 225 f. [Seitenangaben beziehen sich bei der Kritik der praktischen Vernunftt hier und im folgenden auf die Originalpaginierung der Erstausgabe von 1788]). – Zur Rolle des vorkritischen Kant bei Jacobi vgl. auch Frank (1997), 665 ff.; Henrich (1992), 50 ff.; Timm (1974), 153 f. sowie Kahlefeld (2000), 54. 10 In vollkommener Analogie dazu wird Jean Paul wenig später das Verhältnis von Fichtianismus und seiner Konsequenterstellung im ›Leibgerismus‹ konzipieren.

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in wesentlichen Motiven der praktischen Philosophie entscheidend. Hierzu zählt die gemeinsame Wendung gegen Eudaimonismus und Utilitarismus ebenso wie die Annahme eines Dualismus von rational begreifbarer Natur-Notwendigkeit und autonomer Freiheitt als theoretisch unableitbarem praktischem Faktum. – Jedoch setzt sich Jacobi letztlich auch hinsichtlich der unphilosophischen Freiheitserfahrung und Kants Freiheitskausalität über einen bleibenden grundsätzlichen Unterschied ins Klare. Insofern die nachkantische Diskussion sich (nicht zuletzt auf Veranlassung Jacobis) ihrerseits auf die Freiheitsfrage11 fokussiert, kann die Bedeutung dieser Abgrenzung besonders auch für das Verständnis von Jacobis Beurteilung Fichtes sowie einer Fichtekritik und eines Alternativentwurfs wie demjenigen Jean Pauls kaum überschätzt werden und verdient daher besondere Aufmerksamkeit. – Jacobis vielbeachtete spätere Auseinandersetzung mit Fichte stellt sich schließlich als konsequente Fortführung der rein polemischen Transzendierung Kants dar, die seiner bereits 1787 der Transzendentalphilosophie gegebenen Empfehlung, den »kräftigsten Idealismus« zu entwerfen, zugrunde lag. Den Haupteinwand gegen die Wissenschaftslehre in Jacobis Fichte-Brieff von 1799, daß die bewußtseins- und selbstbewußtseinskonstitutive Tätigkeit des Fichteschen Ich ebensowenig Realität wie eigentlichen Handlungscharakter besitzt, sondern als ein bloß imaginäres Verknüpfen von Nichts, als ein »reine[s] absolute[s] Ausgehe[n] und Eingehe[n] […] au s Nichts, zu Nichts, f ü r Nichts, i n Nichts« (JW III, 21 f.) strukturell nur die unhaltbare Spinozanische Figur einer causa immanens qua causa sui et rerum wiederholt, variiert in diesem Sinne die 1801 erscheinende Schrift Über das Unternehmen des Kritizismus, die Vernunft zu Verstande zu bringen dann wieder als Kritik der Kantischen Begriffe der Einbildungskraft und der ›ursprünglichen transzendentalen

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Jacobi teilt, so wird die Darstellung noch genauer zeigen, zwar mit Kant und Fichte die Zurückweisung eines Freiheitsbegriffes sowohl im Sinne von Willensfreiheit als Indifferenz von Entscheidungsgründen als auch im Sinne einer bloß empirisch-praktischen Freiheit als Abwesenheit äußeren Zwanges. Das Vermögen zur Selbstgesetzgebung aus reiner praktischer Vernunft oder die schlechthin unbedingte Tätigkeit als absolutes Ich ist als bloß ideall und allgemein in Jacobis Freiheitsbegriff gleichwohl genausowenig gemeint wie Begriffe der Freiheit als moralische Selbstbindung à la Leibniz oder als Übereinstimmung der Tätigkeit mit dem ewigen Wesen eines endlichen Modus (Spinoza), auch wenn Jacobi diesen Konzepten Wesentliches verdankt. Was Jacobis Freiheitsbegriff grundlegend von allen genannten Freiheitsauffassungen im Sinne eines schlechthin Unbedingten unterscheidet, ist der Umstand, daß es nach Jacobi genuin um nichts anderes gehen kann als um die Freiheit eines Einzelnen als Einzelnen, der sich im tatsächlichen willentlichen Handeln aus Zweckbegriffen als dieser und kein anderer entwirft und anerkennt. Freiheit bedeutet nach Jacobi m. a. W. die individuell-personale Selbstbindung als eine Verbindlichkeit sui generis im Modus der Endursächlichkeit, die als reall wirksame Freiheit eines je konkreten Menschen zugleich ursprünglich eine bloß eingeschränkte, eine bedingt-unbedingte bzw. eine endlich-unendliche ist – eingeschränkt durch ihre konstitutiven leiblich-sinnlichen, intersubjektiv-sozialen und historisch-kulturellen Bedingungen.

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Apperzeption‹. Denn schon diese stellt in der Kritik der reinen Vernunftt – wie Fichtes Ich in der Grundlagee – für Jacobi als reine Ichheit nur noch den entleerten und abstrakten Widerschein der ursprünglichen reichen und konkreten Ich-Erfahrung dar. – Wie der Fichte-Brieff anzeigt, verzichtet Jacobi im Blick auf die praktische Philosophie – anders im übrigen als auf seinen Spuren dann Jean Paul – auf eine eigenständige Kritik der Fichteschen Position, sondern trägt seine Kritik an Fichtes Morallehre als Kritik an Kant vor. Beide verfehlen, indem auch Fichte trotz gewisser Vorbehalte gegen den rein formal gefaßten kategorischen Imperativ Kants wie dieser auch im Praktischen vom Prinzip reiner Vernunft, von einer entindividualisierten allgemeinen Ichheit ausgeht, für Jacobi gleichermaßen und in gleicher Weise das Verständnis konkreter und realer sittlicher Verbindlichkeit. Insofern bereits die Zweitauflage der Spinozabriefee die Moraltheorien Kants und Spinozas zusammengezogen und ihnen den gemeinsamen Verlust des konkreten handelnden Einzelnen, des ganzen Menschen, vorgehalten hatte, trifft Fichte nach Jacobi schließlich der Vorwurf eines (wenngleich umgekehrten) Spinozismus nicht nur im Theoretischen, sondern auch im Praktischen – unbeschadet des Umstandes, daß dieser im Geiste Jacobis das eigene System im Sinne einer genuin praktischen Wissenschaftslehre gerade ausdrücklich als Alternative zum bloß theoretischen (und darum fatalistischen) System Spinozas inszeniert.12 Wie Novalis im Falle Kants,13 so ist Jacobi im Blick auf Kant und Fichte überzeugt, daß die Transzendentalphilosophie über eine bloß theoretizistische Betrachtung der Praxis nicht hinausgekommen ist. Die Praxis als Praxis (auch in ihrer eigenen Verbindlichkeit) (un-)philosophisch einzuholen, bedürfe einer ganz anderen Methode.

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Wegen dieser eigenen Frontstellung ist Fichte über Jacobis Kritik an der Wissenschaftslehre zunächst überrascht, ja bleibt zeitlebens irritiert. Erklärlich ist sie ihm allein aus der Vermutung, daß Jacobi offenbar seine Philosophie »nur zur Hälfte kennt: den praktischen Teil derselben nämlich gar nicht« (Brief Fichtes an Reinhold vom 8.1.1800 [GA III,4 180]). Der Bestimmung des Menschen geht es daher wesentlich darum, die grundlegende Rolle der praktischen Philosophie in der Wissenschaftslehre – gerade auch Jacobi gegenüber – noch einmal ins rechte Licht zu rücken. – Fichtes Vermutung bezüglich Jacobi ist, wie wir sehen werden, sogar wenigstens in dem Maße einschlägig, wie Jacobi nur den ersten Teil der Sittenlehree und den »unangewendeten Theil« des Naturrechtss gelesen hat (Brief Jacobis an Reinhold vom 28.1.1800; FiG II, 289). Doch indem Jacobi bei der Kritik der Wissenschaftslehre seinem Verständnis nach genau so vorzugehen meint, wie Fichte ursprünglich es von ihm forderte, nämlich kraft seiner Fähigkeit, »ein System von seinem künstlichen Apparate zu entkleiden und den Geist rein hinzustellen« (Brief Fichtes an Jacobi vom 26.4.1796 [GA III,3 18]), »aus den wankenden Grundlinien des Anfang eines Systems das ganze System zu folgern« (Brief Fichtes an Jacobi vom 30.8.1795 [GA III,2 391]), erscheint ihm die Unvollständigkeit seiner Kenntnis irrelevant. »Denn es ist nicht die Frage davon« – so Jacobi an Reinhold –, »was Fichte am Ende meint oder lehren will, sondern was er seinen Principien zufolge meinen und lehren muß« (FiG II, 289). 13 Vgl. Friedrich v. Hardenberg (Novalis): Fichte-Studien, 147 f./88 f.

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Werden die Darstellung von Jacobis Spinozarekonstruktion und, mehr noch, diejenige seines Verhältnisses zur Kritischen Philosophie notwendig bereits Grundlinien dieser nach Jacobi grundlegenderen Perspektive, d. h. der genuin unphilosophischen Überzeugungen, erkennen lassen, so ist es doch einem dritten Schritt vorbehalten, diese noch einmal gründlich und so zusammenhängend wie möglich zu präsentieren. Dabei darf diese Zusammenordnung der spezifisch unphilosophischen Motive aufgrund der wesentlich doppelsinnigen Anlage des ›Spinoza-Antispinoza‹ jedoch zugleich nicht als streng systematische Rekonstruktion mißverstanden werden.14 M. a. W.: Nicht nur im Blick auf die Positionierung zu Fichte und seinen Entwürfen eines ›Systems der Freiheit‹, sondern vor allem auch generell zur Profilierung von Jacobis Position sowie im weiteren von Jean Paulschen Aufnahmen grundlegender Jacobischer Figuren innerhalb seiner eigenen Auseinandersetzung mit Fichte und mit der frühromantischen Ästhetik gilt es, bei dieser Zusam-

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Eine solche zusammenfassende Darstellung der rein positiven unphilosophischen Ansichten fordert zwar nicht nur Jean Paul von Jacobi, sondern auch einige von dessen eigenen Überlegungen, so z. B. im David Hume, lassen sich als Elemente einer solchen Darstellung durchaus verstehen. Daß ein solches Werk Jacobis jedoch nicht vorliegt (wie auch nicht von Jean Paul), hat zugleich aber seinen sachlichen Grund in der antisystemisch-praktischen Grundfigur selbst und resultiert nicht nur, wie Jean Pauls Klage nahelegen könnte, aus der vermeintlichen Eigenheit Jacobis, sich seine Themen bloß zufällig vorgeben zu lassen (vgl. Brief Jean Pauls an Jacobi vom 14.8.1806 [JPSW III/5, 99]). Wie bei Jean Paul der Widerspruch gegen Fichte ebenso wie die Überlegungen zu ›zweiter Welt‹, Tugend oder Unsterblichkeit wesentlich narrativen Charakter haben, unterliegt auch die Zusammenordnung des Jacobischen »Theismus« (Spin 241) oder »Platonismus« (vgl. u. a. Brief Jacobis an Goethe vom 19.2.1808 [Briefwechsel zwischen Goethe und F. H. Jacobi, 246]) in zunehmendem Maße einer narrativen Ordnung, für die die Markierung von Intentionen und Absichten von Gedanken mindestens so entscheidend ist wie das Aufdecken terminologischer Zusammenhänge und Unterscheidungen. Dies gilt umso mehr, als sich die ›unphilosophischen‹ Absichten Jacobis und Jean Pauls, insofern sie auf das Unbedingte und Freie abzielen, gerade auf das Absichtsein selbst beziehen. Müssen sich nämlich, dies zeigt vor allem auch die Behandlung Fichtes bei Jacobi und Jean Paul, praktische Intentionen und Absichten des systemisch-wissenschaftlichen Philosophen am begrifflich Deduzierbaren messen lassen und werden sie dabei von diesem höchstens hinsichtlich ihres rationalen Gehaltes, nicht aber als reale Absichten gerechtfertigt, kommt ihnen unphilosophisch hingegen eine konstitutive Bedeutung zu. Dies natürlich deshalb, weil die Unphilosophie gerade den Einzelnen als praktische Absichten verfolgendes Wesen in den Blick nimmt und diese Verfassung auch als noch der Wissenschaft zugrundeliegend aufweist, weil diese selbst nur wirklich ist als eine von Einzelnen betriebene Tätigkeit. – Insofern schließlich, so sei schon angemerkt, Absichten und Intentionen als Momente konkreter Handlungen in den Blick kommen und mithin in den durch sie angefangenen freien Handlungen als so real gesetzt werden, wie die als real erfahrenen einzelnen Handlungen selbst, stellen auch das unphilosophisch intendierte Unbedingte bzw., mit Jean Paul gesprochen, die ›verlangten Ideen‹ mehr als bloße Postulate oder rein subjektiv-innerliche entontologisierte Vorstellungen dar.

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menfassung von Anfang an mindestens zwei Hinsichten im Auge zu behalten: Erstens geht die Rezeption zentraler Einsichten aus Jacobis Schriften nicht nur im Falle Jean Pauls weit über die bloß Spinozanischen oder rein kantdiagnostischen Lehrstücke hinaus und umfaßt auch bei Fichte, Schelling, den Frühromantikern und Hegel bestimmte genuin unphilosophische Überlegungen.15 Bemerkenswert und wegen ihrer systematisch-methodischen Gründe bedeutsam ist zweitens die Beobachtung, daß trotzdem mit Ausnahme Jean Pauls keiner von diesen Jacobis (un)philosophische Konsequenzen teilt und an der Figur des ›Sprunges‹ aus dem System des Wissens festhält. Vielmehr nivellieren deren philosophische Entwürfe sogar weitgehend wieder die kunstvolle Doppelbödigkeit des ›Spinoza-Antispinoza‹. In dieser Konstellation drückt sich das Grunddilemma der Jacobischen Position aus: Die unphilosophischen Motive, die je ihrer eigenen Kritik an bereits vorliegenden Ausarbeitungen der Transzendentalphilosophie maßgeblich zugrunde liegen, verwandeln sich für Jacobi in ihrem Wesen, wenn sie zugleich wiederum in einen modifizierten Systementwurf reintegriert werden, d. h. wenn die von der Unphilosophie begrifflich scharf getrennten, aber unmittelbar antithetisch auch aufeinander bezogenen Standpunkte eines wissenschaftlichen Systems und einer praktischexistenziellen Freiheit in einem ›System der Freiheit‹ t zusammengezogen werden. Die weitverbreitete Weigerung der Zeitgenossen, Jacobi in seinem antisystemischen Dualismus zu folgen, verweist zugleich jedoch wie auch noch Jean Pauls Leiden an ihm auf grundlegende Probleme der Möglichkeit einer solchen Doppelposition in der Philosophie. Eine Rekonstruktion Jacobis hat sich dieser Lage, die nichts anderes als den Grundwiderspruch streng antisystemischer System- bzw. transrationaler Rationalitätskritik beschreibt und sich daher in ähnlicher Weise auch bei Jean Paul wiederholt, zu stellen. – Jacobi selbst macht rückblickend auf diese merkwürdige Rezeptionslage aufmerksam und deutet auch deren sachlichen Gehalt an: »Man wollte mir meine Art und Weise Nic ht- Spi noz i st zu sein nicht gelten lassen, und behauptete von dieser Art und Weise, sie sei offenbar blinder Köhlerglaube, keine Philosophie, also sei meine Philosophie entweder Spinozismus, oder ich hätte gar keine, und dürfte deswegen von dieser erhabensten aller Wissenschaften nicht mitsprechen.« (Spin 314) – In der Tat war es bereits Friedrich Schlegel, der in diesem Sinne 1796 in seiner Woldemar-Rezension Jacobis Unphilosophie als bloßem Subjektivismus alle philosophische Relevanz absprach. Und es war Moses Mendelssohn, der hinter seinem Briefpartner Jacobi schon einen überzeugten

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Darunter vor allem Motive, wie die fundierende Rolle der praktischen Vernunft, der Vollzugscharakter der Freiheitserfahrung, die konstitutive Rolle der Zeitlichkeit für die menschliche Existenz und Selbstbewußtheit oder die Rolle der unmittelbaren Gewißheit für das reflexive Wissen.

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Spinozisten vermutete.16 – Für die Rekonstruktion der Unphilosophie wie noch für die analoge Situation bei Jean Paul hinsichtlich Fichte entscheidend ist dabei, daß sich scheinbar gerade letzteres, philosophiehistorisch häufig wiederkehrendes Urteil nicht nur auf die über weite Strecken affirmative und bewundernde Rekonstruktion der Spinozanischen Metaphysik durch Jacobi berufen kann, sondern eben auch auf wesentliche inhaltliche Übereinstimmungen im ›Antispinoza‹, insofern zentrale unphilosophische Motive auf den ersten Blick selbst unmittelbar auf spinozanischsystemische Figuren zurückführen: Dies betrifft Jacobis Wahrheitskonzept17 ebenso wie seinen Vernunft-, Geist- und Liebesbegriff sowie die Idee des Perspektivenwechsels. Auch identifiziert Jacobi das Prinzip des »totum parte prius esse necesse est« nicht nur mit dem Identitätssatz und dem Satz des Grundes und stellt es daher als Prinzip der rationalen Systemphilosophie vor (vgl. DH 94), sondern es

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Wie die Spinozabriefee dokumentieren, reagiert sogar bereits Lessing überrascht auf das Nebeneinander von Jacobis Spinozabewunderung und -ablehnung (vgl.: »Lessing. g Und Sie sind kein Spinozist, Jacobi! Ich. Nein, auf Ehre!« [Spin 33]). – Auch Herder zeigt sich in diesem Sinne von Beginn an von der Frage verwirrt, inwiefern Spinoza auch Jacobis »System sei oder nicht« (Brief Herders an Jacobi vom 6.6.1785; JBW I,4 109). – Recht besehen ist wenig überraschend, daß es im übrigen Jean Paul strukturell ganz ähnlich ergeht: Vermutet man in Jacobi nicht selten den Spinozisten, so in Jean Paul den Fichteaner oder den Parteigänger der Frühromantik. – Darauf, daß und warum aus der Übernahme zentraler Spinozanischer Motive durch Jacobi »nicht zwingend« auch die Übernahme der metaphysischen Grundstrukturen Spinozas folgt, hat indes Sandkaulen hingewiesen (Sandkaulen [2009], 265 Anm.). Inwiefern es sich ebenso hinsichtlich der vermeintlichen Nähe Jean Pauls zu Fichte darstellt, wird sich im Fortgang zeigen. 17 So antwortet Jacobi auf Lessings Frage nach dem ›Wohin‹ des Springens aus der rein rationalen Philosophie: »Dem Lichte nach, wovon Spinoza sagt, daß es sich selbst, und auch die Finsternis erleuchtet« (Spin 33; vgl. auch JW III, 445 u. 478) – und legt dadurch die enge Beziehung des eigenen unmittelbaren und realitätsgebenden Evidenzgefühles zu Spinozas Wahrheitsbegriff nahe. (Vgl. »Sane sicut lux seipsam, & tenebras manifestat, sic veritas norma sui, & falsi est.« [Ethik II Prop. 43 Sch.]) – Auf die Nähe seines Glaubensbegriffes zu Spinozas Lehre weist Jacobi auch explizit hin, wenn er Herder mitteilt, daß »der Abschnitt vom Glauben« in den SpinozaBriefen ihm nicht nur »ausgemachte Wahrheit« sei, sondern »gerade eben dasselbe, nur mit anderen Worten, was ich in den vorhergehenden Briefen auch schon vorgetragen und als meine eigenste Philosophie behauptet hatte. Deine Zweifel über die Grundsätze, von denen ich dort ausgehe, mag Dir« – so setzt Jacobi fort – »Spinoza nehmen, denn es sind seine Grundsätze. Die Definition der Gewißheit ist wörtlich und der ganze erste Absatz beinahe wörtlich aus ihm übersetzt; nur daß er des Wortes Glauben sich nicht bedient« (Brief Jacobis an Herder [JBr I, 389 f.]). – Zur Rolle von Spinozas Konzept der Wahrheit bzw. der ›adäquaten Idee‹ bei Jacobi vgl. auch die Überlegungen Brady Bowmans zu Jacobis David Hume, die darüber hinaus zeigen, wie (1) die realistisch verstandene Lehre von der unvermittelten Gleichzeitigkeit von Gegenstands- und Selbstgewißheit, also der mediale Sinnlichkeitsbegriff, bei Jacobi auf Spinozas Parallelismustheorem ebenso wie auf seine mechanistische Körper- und Affektionstheorie zurückführt und damit (2) die Jacobische ›Deduktion‹ allgemeiner objektiver Erfahrungsbegriffe in der Spinozanischen Theorie der ›notiones communes‹ wurzelt (Bowman [2004]). –

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dient ihm zugleich auch als intimster Ausdruck des eigenen unphilosophischen Glaubensbegriffs und metaphysischen Realismus (Spin 113).18 Ähnliches gilt vom Prinzip, daß allem Werden ein Sein zugrunde liegen müsse (Spin 89), dessen verständiger Modus das ›a nihilo nihil fit‹ darstellt. Schließlich enthält gar Jacobis Freiheitskonzept zunächst Anklänge an das Spinozas.19 Angesichts der bleibenden Abhängigkeit des menschlichen Handelns von Gott bzw. einer Freiheit, die als empfangen und aufgefunden gilt, war es nicht zuletzt Fichte, der zeitweilig ernsthaft an Jacobis Freiheitslehre zweifelte.20 – Jede Darstellung der Jacobischen Unphilosophie steht daher, gerade auch angesichts ähnlicher Konstellationen und Urteile hinsichtlich Jean Paul und seiner vermeintlichen Nähe zu Fichte, vor der Aufgabe, besonders gründlich Jacobis Vorgehen zu erarbeiten und zu prüfen. Unter welchen Bedingungen ist es philosophisch statthaft, so m. a. W. die Frage, wie Jacobi (und dann auch ähnlich Jean Paul) im Zeichen des alle Erklärungslogik sprengenden ›Fundierungsverhältnisses‹ von unphilosophischer Erfahrung (als Erfahrung freien individuellen Handelns) und konstruierender Verstandestätigkeit diese scheinbaren Übereinstimmungen von zentralen Spinozanischen und ›antispinozanischen‹ Begriffen und Motiven gerade sehr bewußt einzusetzen, weil sie zugleich in der Verhältnisbestimmung von »Ursache« und »Grund« radikal umgewertet werden sollen (vgl. Spin 282)? Erst Jacobis Überzeugung, daß in der Philosophie Spinozas wie in aller systemischen Philosophie immer schon unphilosophische Momente wirken, die auch nur unphilosophisch als Voraussetzungen der ratio aufgezeigt werden können, stellt den Maßstab bereit, vor dem die Kritiken an Jacobi und die positiven Bezugnahmen auf ihn, wie auch umgekehrt Jacobis anhaltende Vorbehalte gegen die philosophischen Entwürfe Fichtes, angemessen zu beurteilen sind. Mithin kann nur eine Rekonstruktion, die diesen Befund darlegt und reflektiert, überhaupt das in Frage stehende philosophische Ringen im Angesicht von Systemgedanken und Systemkritik zureichend und kritisch in den Blick bekommen und auf diese Weise ein Problembewußtsein gewinnen, dessen auch die Analyse der philosophisch zu Unrecht weithin unterschätzten und leichtfertig oft dem Fichtianismus oder Skeptizismus zugerechneten Position Jean Pauls bedarf.

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Zum naheliegenden tieferen Grund dieser Doppelrolle vgl. Sandkaulen (2004), 235. Vgl. »Ich verstehe unter dem Worte Freyheit dasjenige Vermögen des Menschen, Kraft dessen er selbst ist und alleinthätig in sich und außer sich handelt, wirkt und hervorbringt.« (JW II, 315) mit »Frei heißt ein Ding, das nur aus der Notwendigkeit seiner eigenen Natur heraus existiert und nur durch sich selbst zum Handeln bestimmt wird.« (Ethik I Def. 7). 20 Vgl. hierzu Fichtes Brief an Reinhold vom 8.1.1800, in dem Jacobi selbst in Verdacht gerät, daß er »die eigentliche persönliche Freiheit des endlichen Wesens läugnet« (GA III,4 182). – Ähnlich argwöhnte zuvor bereits Friedrich Schlegel in der Woldemar-Rezension (KSF 1, 189 f.). 19

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I. Jacobis Spinozarekonstruktion α) Metaphysische Grundverhältnisse im ›Spinoza‹ Anders als Christian Wolffs Widerlegung Spinozas und auch noch im Gegensatz zu Hemsterhuis’ Beurteilung der Spinozanischen Metaphysik hält sich Jacobi nicht an der Oberfläche der Ethik, d. h. bei der »Formularmethode der Geometer« (Spin 63), auf. Vielmehr müßten ihre Schlußsätze und Beweise »weit genug zurück verstanden« (Spin 49) und aus der »Seele« (Spin 64) von Spinozas Denken heraus erfaßt werden. Wenn Schopenhauer seine eigene Philosophie als die Darstellung eines einzigen Gedankens charakterisiert21 und damit zugleich das Wesensmerkmal eines philosophischen Systems ausspricht, so wiederholt er eigentlich nur dasjenige Philosophieverständnis, mit dem schon Jacobi Spinozas Ethikk liest. Daher kann dieser bereits für Spinoza behaupten, daß keiner sein System »gefaßt [habe], dem in der Ethik Eine Zeile dunkel blieb« (Spin 33). Spinoza läßt sich nur ganz begreifen – und zwar indem man den Grundgedanken richtig erfaßt und streng seine Konsequenzen verfolgt – oder man begreift ihn gar nicht. – Darum fällt in Jacobis Augen der Grundgedanke der Ethikk notwendig mit dem Prinzip konsequenter Rationalität zusammen. Es sei der »Satz des zureichenden Grundes«, »daß alles Bedingte eine Bedingung haben müsse« (Spin 282 f.) – gleichsam die positive Fassung des von Jacobi als »Geist des Spinozismus« diagnostizierten »a nihilo nihil fit« (Spin 14, vgl. 64)22 –, der sowohl Spinozas Metaphysikentwurf als auch jegliches rational-demonstratives Verstehen bestimme: »Wir begreifen« – so Jacobi – »eine Sache, wenn wir sie aus ihren nächsten Ursachen herleiten können, oder ihre unmittelbaren Bedingungen der Reihe nach einsehen: was wir auf diese Weise einsehen, oder herleiten können, stellt uns einen mechanischen23 Zusammenhang dar.« (Spin 284 Anm. 1) Erkennen heißt,

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Schopenhauer, Arthur: Die Welt als Wille und Vorstellung. Frankfurt/M. 1995, 7. Vgl. auch Ethik I Ax. 3–5 u. Prop. 11 Alit. (1); Spinoza: Briefe, 14/10 u. ders.: Abhandlung über die Verbesserung des menschlichen Verstandes, 53. – Nicht wegen der Darstellung ›more geometrico‹, sondern wegen des systematisch bestimmenden Prinzips ist Spinozas Philosophie für Jacobi also eine Manifestation geometrisch-rationalistischen Geistes. – Auch Hegel folgt Jacobi übrigens darin, im »ex nihilo nihil fit« das Prinzip des ›spinozistischen Pantheismus‹ zu sehen (vgl. Hegel: Logikk [Werke 5, 85]). Da dieses Prinzip in seinen Augen jedoch unmittelbarr den Gedanken des Werdens ausschließt, meint er – anders als Jacobi, aber ähnlich wie zuvor schon Schlegel – gerade den Begriff des Werdens entscheidend gegen die letztlich akosmistischen Spinozanischen Konsequenzen systemisch-systematisch mobilisieren zu können. 23 Jacobi verwendet den Begriff des Mechanismus dabei sehr weit: Er gilt als Charakterisierung des rationalen Denkens ebenso wie der Naturabläufe. An die beide Verwendungsweisen verbindende »Idee funktionaler Analyse«, d. h. der Übersetzung intrinsischer Eigenschaften in Relationen, hat jüngst Brady Bowman erinnert (Bowman [2006], 148 f.). – Weit ist Jacobis Begriff des ›Mechanismus‹ damit aber auch in einer zweiten Hinsicht. Diese bildet zugleich ein entscheidendes 22

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Gründe aufsuchen – und Gründe der Gründe etc., mithin, eine ebenso vollständigee wie notwendigee Abfolge selbst bedingter Bedingungen zu entdecken. Bewirkende Ursachen werden als rational erkannte zu logischen Gründen, zeitliche Abfolgen zu logischen Bedingungsverhältnissen, qualitative und reale Verschiedenheiten zu idealen quantitativen oder aber immanenten Differenzen.24 Wie sich aus der vollständigen Wirkursache real notwendig die entsprechenden Wirkungen ergeben, so kann das rationale Denken die logischen Folgen allein aus den zureichenden Gründen herleiten.25 Erkennen bedeutet letztlich also ein ideales systemisches Konstruieren; der Verstand begreift nur, was er in lückenloserr Ableitungskette selbst für sich hervorgebracht hat – dieses jedoch begreift er ganzz und als einen einzigen Zusammenhang. Die Logik vollständiger Erklärung führt nach Jacobi dabei letztlich notwendig auf das von Spinoza entworfene »Hen kai pan« (vgl. Spin 22/46/275) als dem genuinen Ausdruck des Monismus. Die Ethikk habe den Satz des zureichenden Grundes konsequent verfolgt, indem sie bis zum Begriff einer absoluten Ursache, die als ›causa immanens‹ zugleich und in selber Weise ›causa sui‹ und ›causa rerum‹ ist,

Moment nicht nur in der Konfrontation der Unphilosophie mit dem transzendentalen Idealismus, sondern vor allem auch noch in der Abgrenzung zu den organologisch verwandelten spinozistischen Konzepten der Naturphilosophie bei Schelling, Schlegel oder Novalis, die sich außer auf Kants Naturteleologie der Kritik der Urteilskraftt ihrerseits bereits auf Jacobis Mechanismuskritik und den unphilosophischen Lebensbegriff berufen. Jacobis Begriff des Mechanismus meint »jede nothwendige Verkettung […] nach dem Gesetze der Causalität in der Zeit«. Neben physikalischen Vorgängen umfaßt er mithin auch »chemische, organische, und psychologische Wirkungsarten«, insofern diese notwendig und gesetzmäßig ablaufen (JW II, 316 Anm.). Unabhängig davon, ob es sich um einen ›Grund‹ am Anfang (Wirkursachen) oder am Ende (Naturzwecke) einer Wirkungsreihe handelt, liegt für Jacobi ein Mechanismus immer schon dann vor, wenn keine Freiheit qua bewußt-zweckgeleiteter, r d. i. intentional-absichtsvoller, Handlungsbestimmung im Spiel ist. 24 Die Erkenntnis des Verstandes, das Begreifen aus Gründen, ist – wie Jacobi vielerorts herausstellt – nichts anderes als eine Anwendung des ›idem est idem‹ (vgl. DH 94), der Gleichheit des Ganzen mit all seinen Teilen. »Was nicht als ein Theil zu einem Ganzen gehört, läßt sich weder demonstriren noch deduciren.« Die Teile sind nicht allein zusammen dem Ganzen gleich, sondern auch notwendig – so Jacobi noch im Spätwerk – mit ihm zugleich vorhanden: »zwischen Grund und Folge, zwischen Subjekt und Prädicat, ist das Eintreten einer Zeit schlechthin unmöglich.« (JW III, 451) 25 Konsequenz dieses Zusammenschlusses ist schließlich Spinozas Behauptung, die Wirkungen Gottes als Verursachungen der endlichen Modi ergäben sich auf dieselbe Weise und mit der gleichen Notwendigkeit wie der Innenwinkelsatz aus dem Begriff des Dreiecks (Ethik I Prop. 17 Sch.). Vgl. hierzu auch in Brief 60 die Parallelisierung der Deduktionen aus dem Begriff des Kreises und aus dem Gottes (Spinoza: Briefe, 242). – Dementsprechend verwendet Spinoza ›causa‹ und ›ratio‹ letztlich synonym, wie die ständige Rede von »ratio seu causa« ebenso anzeigt (vgl. z. B. Ethik I Prop. 11 Alit [1]) wie die Formel ›was in sich (in einem anderen) ist und durch sich (durch ein anderes) begriffen wird‹ (vgl. Ethik I Def. 3 u. 5). Gleichwohl soll der Begriff ›causa‹ zugleich ausdrücken, daß es ihm nicht um mathematische oder logische Problemstellungen (reine Erkenntnisgründe), sondern um Sach- und Welterklärung (Seinsgründe) zu tun ist.

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gelangt sei.26 Das »a nihilo nihil fit« schließt nämlich – so Jacobi im Gespräch mit Lessing – jedes »Entstehen im Unendlichen«, d. h. »jeden Übergang des Unendlichen zum Endlichen«, aus (Spin 24). Es widerspricht demnach jedem Versuch, Anfangsproblem und Begründungsregreß durch die Vorstellung einer ersten Ursache aufzulösen, die nichts anderes ist als das erste unbedingte Glied in einer Kettee von bedingten Bedingungen bzw. Mittelursachen. Die philosophischee Alternative zu einer ersten Ursache, die wie der Gott der Schöpfungstheologie im Schöpfungsaugenblick einmalig einen Anfang setzt, kann aber gerade nicht im Verzicht auf einen absoluten Grund bestehen. Denn die ausschließliche Annahme eines unendlichen Begründungsregresses würde alle Begründung und Realität ebenso aufheben wie damit letztlich auch jegliche Veränderung. Spinoza unterläuft nach Jacobi vielmehr die Antithetik von Kants erster Vernunftantinomie (vgl. KrV A 426 ff.),27 indem er »ein nur immanentes Ensoph«, »eine einwohnende, ewig in sich unveränderliche Ursache der Welt« annimmt, »welche mit allen ihren Folgen zusammengenommen – Eins und dasselbe« ist (Spin 24). Spinozas erste Ursache ist »gleich würksam in jedem Punkte der Ausdehnung und der Dauer« und also gerade nicht über eine Kette von »Mittelursachen«, deren Anfangs-

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Insofern geht Spinoza auch noch über die Emanationslehre des Neuplatonismus hinaus, die dem Einen als solchem noch wesentlich Transzendenz zuerkannte. – Allerdings fallen auch in der Ethikk die beiden kausalen Hinsichten Gottes nicht gänzlich ungeschieden ineinander (vgl. Ethik I Prop. 25 Sch.; Deleuze [1993], 92). Vielmehr ist es Spinoza möglich, dank seiner (auf die Welterklärung ausgerichteten) ››Ausdruckslehre‹ (vgl. hierzu Deleuze [1993], 17 ff.) noch zwischen Gott als causa sui und causa rerum zu differenzieren. Die »Identität des nicht zu unterscheidenden« im absoluten Sein Gottes schließe – so auch Jacobis Interpretation der Ethikk – eine »Art von Mehrheit nicht aus« (Spin 45), wenn diese als »reine Scheidung ohne Trennung« (JW III, 429) verstanden wird – als nur unterschiedliche und dabei nicht äußerliche Perspektiven und Auffassungsweisen desselben, die als solche gerade keine quantitative, sondern eine vermeintlich qualitative, wenn auch eine immanent-qualitative ›Mehrheit‹ darstellen sollen. – Die unmittelbarsten ›Scheidungen‹ bzw. Ausdrucksdifferenzen im Nichtzuunterscheidenden bilden dabei die › ›Attribute‹ Gottes, die mit Gottes Wesen und Aseität zusammen die ›natura naturans‹, Gottes schaffende Natur, ausmachen (vgl. Ethik I Prop. 29 Sch.; Spin 97; Deleuze [1993], 29). Von der unendlichen Anzahl in sich selbst unendlicher Attribute, die als unmittelbare Ausdrücke von Gottes Wesen mit diesem gleich ewig und notwendig sind, sind uns Menschen nach Spinoza allein zwei bekannt: »cogitatio« und »extensio« (Ethik I Prop. 11, II Prop. 1–2; Spin 65/96). Von der internen Differenzierungs- und Ausdrucksqualität der Attribute ist diejenige der unendlichen Modii (sowie der endlichen Modi, insofern sie durch die unendlichen konstituiert sind) zu unterscheiden. Während jene ewig und notwendig sind, weil sie unmittelbare Ausdrücke des Wesens der Substanz darstellen, gelten diese nur als Ausdrücke der Attribute, als ›Affektionen‹ › Gottes bzw. als Folgen aus Gott, insofern die Attribute sie mit dem göttlichen Wesen gleichsam ›vermitteln‹. Da Realität, Notwendigkeit und Ewigkeit den unendlichen Modi nur deshalb zukommen, weil sie in Gott sind, d. h. von ihm verursacht werden, gehören sie nicht Gottes natura naturans an, sondern bilden zusammen mit den endlichen Modi die ›natura naturata‹, die von Gott abhängige und von ihm hervorgebrachte Natur (Ethik I Prop. 29 Sch., 31; Spin 97). 27 Vgl. hierzu Sandkaulen (2000), 138 ff.

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punkt sie bilden würde, mit ihnen verbunden (Spin 80); sie kann dabei auch nicht nurr als die Totalität der Bedingungsreihe aufgefaßt werden. Insofern sie den Begründungsregreß auf diese Weise transzendiert, hebt sie ihn andererseits aber auch nicht auf. Die Logik des »a nihilo nihil fit« zwingt im Gegenteil dazu, zugleichh ein unendliches und daher anfangsloses Bedingungsgefüge von bedingten Bedingungen und eine absolute, in jedem Glied gleich unmittelbar wirkende Ursache anzunehmen. Beide Annahmen schließen sich, anders als Kant später meinte, nach Spinoza keineswegs gegenseitig aus, sondern ergänzen sich sogar notwendigerweise.28 Während erstere unmittelbar aus dem »a nihilo nihil fit« folgt, ist letztere noch dessen Voraussetzung. Denn sowohl der im »fit« ausgedrückte Gedanke des Werdens als auch der Begriff des »Nichts« verweisen für (Jacobi-)Spinoza auf ein erstes Unwandelbares und Reales. Daher steht am Anfang von Jacobis 44 Spinoza-Thesen an Mendelssohn auch nicht das »a nihilo nihil fit«, sondern die Behauptung, daß »allem Werden […] ein Sein, welches nicht geworden ist, zum Grunde liegen [muß]; allem Entstehenden etwas nicht Entstandenes; allem Veränderlichen ein unveränderliches Ewiges« (Spin 89). – Inwiefern sich dieses Ewige bei Spinoza jedoch von anderen metaphysischen Konzepten und auch dem schöpfungstheologischen Gottesbegriff unterscheidet und letztlich wiederum selbst das ›a nihilo nihil fit‹ reflektiert, gibt Jacobis zweite These an: »Das Werden kann eben so wenig geworden sein oder angefangen haben, als das Sein«. Nicht also den Wandel selbst, aber einen Anfang des Wandels schließt Spinoza aus.

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Diese These Spinozas, die auf ihre Weise sowohl Jacobi als auch Hegel teilen (woraus unmittelbar Hegels verstecktes Lob des Ausgang der Ethikk von einer Antinomie folgt, vgl. Hegel: Differenzschriftt [Werke 2, 36]), als Befund festzuhalten und sie zugleich in der Spinozanischen Form (un)philosophisch zu bestreiten, verbindet Jacobis Spinozakritik also ebenso mit Kants Vernunftkritik wie sie diese auch auf eigentümliche Weise potenziert. Absoluter Grund und unendlicher Begründungsregreß, ewiges Sein und ewiges Werden ließen sich nämlich, so sieht Jacobi am Problem der Zeit, auch von Spinoza »nicht zu einem wahrhaft friedlichen Bunde vereinigen« (Spin 278 Anm.). Insofern die Überwindung der Antinomie des Weltanfangs letztlich auch mit den rein rationalen Mitteln Spinozas nicht konsistent zu erreichen ist, wird Jacobi am Ende gerade die Figur der causa sui zum Verweis auf einen zugrundeliegenden, nur unphilosophisch auffindbaren nichtrationalen Akt realen Anfangens. – Anders gewendet: Indem seine vernunftkritische Untersuchung nicht wie die Kants bei den abstrakt-allgemeinen Strukturgesetzen der Erkenntnis, sondern vielmehr bei ihren personal-existentiellen Konstituentien ansetzt (vgl. hierzu Sandkaulen [2000], 136–141), dienen die beiden bei Kant antinomischen (und darum von der Metaphysik in dieser Frage Urteilsenthaltung fordernden) Überlegungen Jacobi gleichsam als die Plausibilisierungsschritte für die Annahme einer absolut-ersten, jedoch personalen Ursache: Aus (1) der Ungereimtheit einer unendlichen Verursachungskette, d. h. einer unendlichen Zeit a parte ante (vgl. Spin 278 Anm.), als Existenzgrundd des gegenwärtigen Weltzustandes und (2) der Widersprüchlichkeit oder Unverständlichkeit der Annahme eines Anfanges aus dem Nichts bzw. einer unbedingten oder selbstbegründenden Ursache für die begründend-erklärende ratio resultiert für Jacobi die Gewißheit vom Wirken einer ersten realen, willentlich handelnden, d. h. transrationalen, Ursache (zu Jacobis Figur eines ersten ursächlichen Anfangs vgl. auch Bowman [2006], 152–155).

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Insofern es, wie die Erfahrung zeigt, das Endliche, Wandelbare und Bewegte wirklich gibt und es Spinoza gerade auch um dessen rationales Begreifen geht, müssen Sein und Werden bzw. Sein und Wirken in einer unzertrennlichen ewigen Vereinigung gedacht werden. Bereits die intimste Wesensbestimmung Gottes selbst drückt diese Vereinigung aus und bildet die ursprüngliche Bedingung für das Beieinander von unwandelbarem Ewigen und veränderlichem Endlichen: Als ›causa sui‹ ist Gottt zugleich sein Sein und sein Werden. Die göttliche Substanz ist – nach Jacobi strukturell ganz ähnlich Fichtes absolutem Ich qua ›Tathandlung‹ – nur, weil sie schon immer geworden ist bzw. sich schon immer selbst bewirkt hat; sie wird und bewirkt sich nur, weil sie immer schon ist. M. a. W.: Weil sie zuinnerst Macht und Selbstbewirkung, potentia, ist, schließt ihr Wesen notwendig die Existenz ein.29 Die Figur der ›causa sui‹ verletzt weder das Prinzip ›a nihilo nihil fit‹, weil von einem Werden aus Nichts, einen bestimmten Übergang ins Sein, nicht gesprochen werden kann, noch hebt es dieses dadurch auf, daß es überhaupt oder an einem Punkt (z. B. in Gott selbst) Werden und Wirken bestreitet.30 – Doch Gott ist ›causa sui‹ nach Spinoza eben zugleich nur, indem er alle Dinge hervorbringt.31 Das ursprüngliche Beieinander von ewigem Sein und ewigem Werden weist insofern im Moment der Veränderung immer auch schon auf ein Wandelbares, ein irgendwie Bestimmtes und Zeitliches, letztlich ein Endliches hin, das darum selbst von Ewigkeit her in der Immanenz Gottes ist. Gott ist ganz in den (zeitlich-endlichen) Dingen und die Dinge sind ganz in Gott – benso wie die Innenwinkelsumme von 180° bereits vollständig im Begriff des Dreiecks liegt und das Dreieck selbst nicht auch noch ›neben‹ seinen wesensmäßigen Eigenschaften existiert. Gott verhält sich bei Spinoza zu den Modi, wie ein (logisch) Ganzes zu seinen Momenten, die »nur in und nach ihm sein, nur in und nach ihm gedacht werden können« (Spin 91), die es in ihrer Gesamtheit zugleich auch sind. d 32 Dabei ist es die Figur einer ›doppelten Verursachung‹, die die wesenhafte Verbindung von Ewigem und Zeitlichem zu denken erlauben soll: Erstens gilt Spinoza jeder endliche Modus, sofern er allein als ››Affektion‹ der Substanz, d. h. in seinem Wesen, betrachtet wird, als von Gott hervorgebracht »auf eine ewige und unendli-

29

Ethik I Prop. 34 sowie Def. 1 u. Prop. 11. Zur ›causa sui‹ vgl. Jacobis Anmerkung in Beilage VII: I »Aus dem apodiktischen Satze: daß alles eine Ursache haben müsse, hielt es hart zu folgern: daß nicht alles eine Ursache haben könne. Darum erfand man die Causam sui, wozu notwendig auch der Effectus sui gehört.« (Spin 283 Anm. 1) 31 Vgl. Ethik I Prop. 16; Bartuschat (1993), 44. – Dabei drücken sich Gottes Sein und Werden dann unter dem Attribut der »extensio« als die unmittelbaren, d. h. nicht aufeinander rückführbaren (Spin 97), unendlichen Modi von ›Ruhe und Bewegung‹ bzw. von ›Verstand und Wille‹ unter dem Attribut der »cogitatio« aus (Spin 263/97 f.; Spinoza: Brieff 64; Ethik I Prop. 31 Cor. 2). 32 Vgl. Ethik Prop. 16/28. 30

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che, nicht auf eine vorübergehende, endliche und vergängliche Weise« (Spin 277 Anm.) und daher in dieser Hinsicht selbst als unveränderlich und ewig. Das Wesen endlich-bestimmter Modi schließt aber zugleich im Gegensatz zu dem Gottes die ›Existenz‹ seines Wesenss nicht ein, die ihm wie seine Bestimmtheit unmittelbar von Gott verbürgt werden muß.33 Erst recht umfaßt es nicht die reale (aktuale) Existenz des Dingess selbst. – Daher ist jeder endliche Modus als zeitlich verfaßtes Einzelnes zweitens eben auch Glied einer unendlichen mechanischen Wirkungskette existierender endlicher Modi und insofern durch seine Beziehung auf anderes Einzelnes hervorgebracht und zum konkreten Wirken bestimmt. ›Unmittelbar‹ ist also ein endlicher Modus, ein Gegenstand oder ein Begriff, in seinem Existieren von anderen endlichen Dingen bzw. Begriffen abhängig. – Von Gott – und dies ist schließlich ein drittes kausales Moment – wird er in dieser Hinsicht nur ›mittelbar‹ verursacht, insofern die göttliche Substanz nicht selbst ein Element – auch kein entferntes und erstes, sondern der »Inbegriff aller endlichen Dinge« (Spin 91) ist. Allerdings ist ›mittelbar‹ auch nur eine sehr provisorische Beschreibung, denn ›mittelbare‹ Ursache im eigentlichen Sinne kann Gott auch in diesem Falle nicht heißen, soll die reale Existenz der endlichen Modi nicht, wie noch in den Cogitata Metaphysica, aus der Immanenz herausfallen.34 Wie Kants reine Anschauungsformen von Zeit und Raum eröffnet der Gott Spinozas als ›Inbegriff der Welt‹, t d. i. als das vorausgehende Ganze, durch seine Attributee die Sphäre, in der die bestimmten Dinge bzw. Begriffe als im Wechsel begriffene ›Teile‹, mithin auch die unendliche Bedingungskette bedingter Bedingungen überhaupt, allererst gedacht werden können. Zugleich gibt er qua (sich zunehmend konkretisierender) unendlicher Modii bzw. notiones communess die allgemeinen und unveränderlichen Ordnungsbestimmungen vor, d. h. die Prinzipien und Gesetze, gemäß denen die endlichen Modii sich in ihrer zeitlichen Existenz untereinander unmittelbar hervorbringen und vernichten.35 Gott, der als in sich sich scheidende und bestimmende Wirkungskraft Ursache des (ewigen) Wesens der endlichen Modi ist, ist zugleich –

33

Das Bestimmte ist gemäß dem zweiten ›alten Prinzip‹, auf das Jacobi-Spinoza sich beruft, d. i. »Determinatio est negatio« (Spin 95/28 Anm. 1), nur deshalb bestimmt, weil es eine Negation bzw. Einschränkung des absolut Unendlichen darstellt und sich insofern auch von Gott grundlegend unterscheidet. 34 Vgl. Spinoza: Cogitata Metaphysica a I/2, 113; Sandkaulen (2000), 155 ff. 35 Die allgemeinsten apriorischen Bestimmungen stellen dabei unter dem Attribut der Ausdehnung das Begriffspaar ›Ruhe und Bewegung‹ und unter dem des Denkens ›Verstand und Wille‹ bzw. »Begierde« dar (Spin 263/97 f.; Spinoza: Briefe, 64; Ethik I Prop. 31 Cor. 2). Insofern diese Begriffe mit den ursprünglichen göttlichen Prinzipien von ›Sein‹ und ›Werden‹ (vgl. Spin 89), von Gottes Existenz und seiner Macht je die Eigenschaft teilen, nicht aufeinanderr zurückführbar zu sein, d. h. nicht auseinanderr hervorgehen zu können (Spin 97), gelten sie Spinoza als unmittelbaree unendliche Modi. – Zu den ›notiones communes‹, d. h. den vom Verstand aufgefaßten unendlichen Modi, vgl. Ethik II Prop. 40 Sch. 1 u 2.; weiterhin Deleuze (1993), 246 ff.

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so rekonstruiert auch Jacobi – »die allgemeine ewige unveränderliche Form der einzelnen Dinge und ihres unaufhörlichen Wechsels« (Spin 279) und damit letztlich ebenso die Ursache ihrer Existenz.36 – Gottes Macht und Aseität manifestiert sich in der ›geschaffenen Natur‹ (natura naturata) dabei letztlich als ›conatus‹ der endlichen Modi, der als das Beharrungs- und Wirkungsstreben des Wesens eines endlichen Modus die »gewisse und bestimmte Weise« des göttlichen Hervorbringens darstellt und essentielles und existentielles Moment göttlichen Verursachens auf modaler Ebene in sich vereinigt.37 – Spinozas Attributenlehre bildet aber nicht nur eine wesentliche Vermittlung von Gottes Sein als causa sui und als causa rerum, sondern formuliert auch eine für Jacobi selbst vorbildhafte nicht-reduktionistische Lösung des Leib-Seele-Dualismus. Die Unterscheidung unendlich vieler Attribute als zwar real verschieden im Sinne verschiedener Ausdrücke oder Perspektivierungen der Substanz, jedoch zugleich nicht wesentlichh verschiedener unmittelbarer Hinsichten von Gottes Natur, insofern ihnen allen die Seinsmacht der göttlichen Substanz wesentlich ist, erlaubt Spinoza nämlich die These der vollständigen Parallelitätt zwischen den Ausdruckssphären von »extensio« und »cogitatio«, d. i. den zwei unss einzig aus einer unendlichen Vielzahl bekannten Attributen Gottes.38 Die als ›objektiv‹ bezeichnete »Ordnung und der Zusammenhang der Begriffe« ist nach Spinoza unmittelbar (und nicht durch kausale Interaktion) einerlei »mit der [formalen, O. K.] Ordnung und [dem] Zusammenhang der Dinge«: »Das einzelne Ding« – so resümiert Jacobi – »kann eben so wenig die Ursache seines Begriffes, als der Begriff die Ursache des einzelnen Dinges sein; oder das Denken kann eben so wenig von der Ausdehnung

36

Vgl. Ethik I Prop. 25, 28; in bezug auf das menschliche Denken auch I Prop. 18 Sch. Vgl. Ethik I Prop. 36, III Prop. 6, 7. Jacobi referiert diesen Befund, indem er die »Lebenskraft« jedes einzelnen Dinges als Ausdruck der göttlichen Kraft, d. i. des »lebendige[n] Wesen[s] Gottes selbst« darstellt, die als Glied im Zusammenhang mit allen übrigen endlichen Modi näherhin insofern von Gott verursacht ist, als dieser Zusammenhang selbst »in dem Ratschlusse Gottes« vorherbestimmt ist (Spin 263 f.). – Es scheint so, als ob Jacobi-Spinoza beide göttlichen Verursachungsweisen, die der Essenz (einschl. der essentiellen Existenz) und die der realen Existenz, über die unendlichen Modi bzw. notiones communes ›vermittelt‹ sieht, wobei offenbar der Aspekt des Seins der ewigen Wesensverursachung, der des Werdens, Wirkens und Bewegens der dauernden Existenzverursachung korrespondiert. 38 Ethik I Prop. 11, II Prop. 1–2; Spin 65/96. – Entgegen dem Wortlaut der Ethik k behauptet Jacobi jedoch, daß der Gott des Spinoza letztlich »außer den Eigenschaften der unendlichen Ausdehnung und des unendlichen Denkens, keine andre Eigenschaften« habe (Spin 100). Spinozas Annahme unendlich vieler göttlicher Attribute sei allein der apriorischen Definitions- und Demonstrationsmethode geschuldet. Die massiven sachlichen Probleme, die Jacobi angesichts dieser Spinozanischen These sieht, ergeben sich aus dem spezifischen Verhältnis von Denken und Ausdehnung, insofern bei Spinoza die Begriffe ausschließlich als Ideen der Dinge bzw. des Körpers konzipiert sind. Existierten weitere Attribute – so Jacobis Argument –, müßten die Begriffe (objektiv) diese zugleich immer schon mit umfassen, wofür es bei Spinoza de facto jedoch keinen Anhalt gäbe. 37

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herrühren, als die Ausdehnung vom Denken. Beide, Ausdehnung und Denken, sind zwei ganz verschiedene Wesen, aber nur in Einem Dinge; das ist, sie sind ein und dasselbe Ding, unum & idem, welches nur unter verschiedenen Eigenschaften angesehen wird.« (Spin 100 f.) – Da bei (Jacobi-)Spinoza zugleich unter dem Attribut des Denkens, also in der ›objektiv‹ genannten Sphäre, noch einmal formale und objektive Bestimmungen auseinanderzuhalten, d. h. die Ideen gleichsam einerseits als ontologische und andererseits als epistemische Phänomene zu betrachten sind, vertritt die Ethik, genau genommen, die These eines doppelten Parallelismus. Ein bestimmter Begriff, dem, insofern er den (formalen) Ausdruck Gottes unter dem Attribut des Denkens darstellt, auf Seiten der Ausdehnung ein bestimmtes Ding ontologisch entspricht, ist also noch einmal zu unterscheiden von seinem bewußten Innesein, seinem Sein für ein Bewußtsein als seiner genuin objektiven Seite, d. h. dem Begriff des Begriffs, den mit den formalen Ideen wiederum einzig die Parallelität der Ordnungen verbindet: »Der unmittelbare Begriff von dem unmittelbaren Begriffe des Leibes, macht das Bewußtsein der Seele aus, und dieses Bewußtsein ist mit der Seele auf dieselbige Weise vereinigt, wie die Seele mit dem Leibe vereinigt ist. Nämlich: der Seele Bewußtsein drückt eine gewisse bestimmte Form eines Begriffes aus, wie der Begriff selbst eine gewisse bestimmte Form eines einzelnen Dinges ausdrückt. Das einzelne Ding aber, sein Begriff, und der Begriff von diesem Begriffe, sind ganz und gar ein und dasselbige Ding (unum & idem), welches nur unter verschiedenen Eigenschaften und Beschaffenheiten angesehen wird.« (Spin 104) Die realen Dinge, die Dinge als Vorstellungen sowie das Bewußtsein dieser Vorstellungen als einfache Form von Selbstbewußtsein sind nach Spinoza also stets zugleich und unmittelbar, d. h. als untereinander nicht kausal verbundene, vorhanden. Spinozas Epistemologie zeigt sich, indem sie damit den bloßen Repräsentationscharakter der Vorstellungen zurückweist, als starker Realismus.39 –

39

Zur Affinität mit Jacobis Realismus vgl. Bowman (2004), bes. 166 f. – Trotz seiner adäquaten Rekonstruktion von Spinozas alle kausale Reduktion ausschließendem Parallelismustheorem neigt auch Jacobi wie viele seiner Nachfolger wenigstens gelegentlich dazu (anders und richtig gibt die Lage hingegen bspw. DH 108 f. wieder), Spinoza einen latenten Materialismus vorzuhalten: Dieser drücke sich bereits darin aus, daß Spinoza selbst die Seele allein als unmittelbaren Begriff des Körpers bzw. die »Entschlüss[e] des Willens« als bloße »Bestimmungen des Körpers« (Spin 105, vgl. auch 26) vorstellt, das denkende Wesen also »keinen andern Gegenstand des Vorstellens und Denkens« habe als das ausgedehnte Wesen (JW III, 431). In diese Richtung verweist im übrigen auch Bowmans Vermutung, daß die Individualisierung der Seele bzw. die ›Zentrierung‹ des Bewußtseinsstromes, die erst von der ›Jemeinigkeit‹ der Vorstellungen zu reden erlaubte, in der Ethikk noch über den Körper zu konstituieren versucht wird (vgl. Bowman [2004], 167). – Allerdings – so werden wir sehen – ist Jacobis Spinozakritik unabhängig von der Triftigkeit des Materialismusvorwurfes. Für sie entscheidend ist nämlich allein, daß schon durch das Parallelismustheorem der Vorrang des Geistess vor dem Körper, das wirkende Übergreifen des vernünftigen Willens auf den Naturtrieb (vgl. Spin 34), ausgeschlossen ist.

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β) Grundlinien der Kritik Jacobis Gelingt Spinoza auf diese Weise nach Jacobi in seiner Art auch eine überzeugende Herleitungg des Daseins und der Verfaßtheit der Welt der endlichen Dinge und Geister, so sind es letztlich zwei (intim miteinander verbundene) Hinsichten dieser Erklärung, g an der das unphilosophische Widersprechen (immanent) ansetzt: 1. Spinozas Lehre von der doppelten Verursachung der endlichen Modi bringe die Zeitlichkeit der Einzeldingee – ihr tatsächliches Entstehen und Vergehen, zu dem sie sich zunächst allein untereinander bestimmen – zwar als ein entscheidendes von der Philosophie zu begreifendes Phänomen ins Spiel,40 doch nur, um es zugleich wieder im Begriff einer »ewigen[n] Zeit« bzw. »unendliche[n] Endlichkeit« philosophisch zu vernichten (Spin 276). – Die endlichen Modi sind nach Jacobi bei Spinoza nicht nur ewig und somit a-zeitlich, insofern sie wesensmäßig in Gott sind und von diesem unter den Attributen und ›mittels‹ der unendlichen Modi verursacht werden, sondern letztlich auch noch, insofern sie ebenso in ihrer (vorgeblich) zeitlich-veränderlichen Existenzz vollkommen von Gott abhängen, ja in gewisser Weise mit seinem Sein identisch sind. Der durch die existentielle Verursachung der Einzeldinge in Gottes ewigem Wesen bestimmte Begriff der ›Dauer‹41 sei in der Ethikk im Grunde »bloßer Wahn« und »nach der Wahrheit, nur eine gewisse Art und Weise […], das Mannigfaltige in dem Unendlichen anzuschauen« (Spin 25 f.). – Auf den ersten Blick widerspricht diese Behauptung Jacobis zwar Spinozas Lehre, insofern der Begriff der ›Dauer‹ zunächst die Eigenschaft endlicher Modi, nicht wesensnotwendig, sondern empirisch-kontingent zu existieren, reflektieren soll. Betrachten wir die endlichen Dinge nur ihrem Wesen bzw. ihrer Definition nach und nicht innerhalb der »Ordnung der Natur«, dann erscheint ihre Dauer und Existenz m. a. W. nach Spinoza als äußerlich und nur durch Erfahrung erkennbar; im Begriff einer bestimmten Sache ist weder die Anzahl von existierenden Individuen, die unter diesen Begriff fallen, impliziert noch die Existenz eines bestimmten Individuums dieser Art.42 Doch zeigt sich diese vermeintliche Zufälligkeit in der Ethik dann eben aber in dem Maße in die allwaltende göttliche Notwendigkeit reintegriert, wie der ganze Prozeß gegenseitigen Verursachens der endlichen Modi untereinander als ›mittelbare‹ Folge aus Gott, insofern er selbst ›Inbegriff‹ der Welt ist, gedeutet wird. Der Begriff der ›Dauer‹ nimmt damit seinerseits nur die nach Jacobi für die Spinozanische Logik des ›a nihilo nihil fit‹ charakteristische Annahme eines ursprünglichen Werdens auf, das als ursprüngliches und ewiges, als ›principium

40

So ist angesichts von Hegels in dieser Hinsicht unangebrachten Polemik gegen Jacobis Spinoza-Kritik in Glauben und Wissen festzuhalten (vgl. Werke 2, 343 f.). 41 Vgl. Ethik II Def. 5. 42 Vgl. Spinoza: Briefe, 48 f. (Brief 12) u. 40 f. (Brief 10); Ethik Prop. 8 Sch. 2.

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essendi‹ des Werdens, gerade selbst nicht veränderlich oder geworden ist. Auch das Werden und Vergehen der Einzeldinge kann daher nicht anders statt haben als unter dieser unbewegten Bewegung, als »in einem ewigen, in sich selbst kreisenden, Flusse« (Spin 277 Anm.). »Hatte nun die Bewegung nie angefangen«, so Jacobi, »so konnten auch die einzelnen Dinge keinen Anfang genommen haben.« (Spin 278) Unbeschadet ihrer behaupteten unmittelbaren Sukzession untereinander würden sie daher bei Spinoza als Ausdruck des ewigen Werdens in diesem zugleich selbst anfangs- und endlos, mithin alle gemeinsam und instantan existieren. Das eigentlich Sukzessive, weil Empirische, an ihrer Sukzession – »die Begriffe von Zeit, Maß und Zahl« – erkläre Spinoza hingegen zu »einseitige[n] Vorstellungsarten«, zu bloßen Produkten der ›imaginatio‹. Werden diese nicht von der ›ratio‹ verbessert und begriffen, seien sie für ihn ohne jeden Wert und Realität. Nicht »abstrakt oder oberflächlich«, d. h. »sofern wir sie mit Hülfe der Sinne im Vorstellungsvermögen haben«, dürfen wir die reale Existenz und ›Dauer‹ nach Spinoza denken, die insofern als bloße Zeit erscheint, sondern »als Substanz« bzw. im Bezug zur Substanz müssen wir sie erkennen, »was bloß durch den Verstand geschieht«.43 Ihr vollständiges rationales Begreifen bringt eben jedoch nach Jacobi das genuin Zeitliche und Sukzessive, das empirische Nach- und Außereinander von Ursache und Wirkung, zum Verschwinden, da die ratio prinzipiell nur Notwendigkeit und Gleichzeitigkeit, das Zugleich und Ineinander von Grund und Folge kennt.44 Weil Spinoza auch noch »der Bewegung selbst und ihren Modifikationen ein natürliches [d. i. verständiges; O. K.] Dasein« verschafft (Spin 275), entziehen sich ihm ungewollt, aber unvermeidlich die »Erfahrungsbegriffe von Bewegung, Einzelnen Dingen,

43

Spinoza: Briefe, 49 (Brief 12). – Daher kommt – so Jacobi im Gespräch mit Lessing – auch nur einer der beiden »Seelen«, die Spinoza jedem endlichen Modus zuschreibe, Unsterblichkeit zu. Nicht der imaginativen, sich bloß das »gegenwärtige einzelne Ding« als empirisch veränderliches vorstellenden, sondern natürlich derjenigen, die das Einzelne als Moment des Ganzen im Blick hat, die sich also qua ratio auf »allgemeine unveränderliche Eigenschaften und Beschaffenheiten«, auf »die Natur und den Begriff des Unendlichen« in jedem Einzelnen, d. h. auf Gott, insofern er Ursache auch der Existenz der Dinge ist, – kurz: auf ›notiones communes‹ und ›unendliche Modi‹ – bezieht (Spin 28). 44 Vgl. »Wenn ich den Satz des Grundes recht gefaßt hätte, stand in meinen Büchern, so müßte ich auch die nothwendige Verknüpfung von Ursache und Würkung in der Zeit, oder die Quelle des würklichen Aufeinanderfolgens deutlich einzusehn im Stande seyn. Der Satz des Grundes […] sagt weiter nichts aus, als das totum parte prius esse necesse est des Aristoteles; und dieses totum parte prius esse necesse est, in dieser Beziehung, wieder nichts anders, als idem est idem.« (DH 93 f.) Der zeitliche Vorgang solle dabei also durch ein Verhältnis erklärt werden, »worin alle Theile zu einem Ganzen würklich schon vereinigt, und zugleich vorhanden sind. Die Succesion, das objektive Werden lassen wir aus; als wenn es sich von selbst begriffe, wie es sinnlich sich von selbst vor Augen stellt; da doch gerade dieses, nemlich das Vermittelnde der Begebenheit, der Grund des Geschehens, das Innere der Zeit, kurz das principium generationis dasjenige ist, was eigentlich erklärt werden sollte.« (DH 96)

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Generation und Sukzession«. In diesem Sinne hat – so Jacobi – auch Spinozas Alternative zur ersten Vernunftantinomie Kants das Problem des Anfangs letztlich weniger gelöst als aufgelöst, verflüchtigt: »Den Einwurf […], daß es eine Ungereimtheit sei, anzunehmen, es könne eine ewige Zeit auf den heutigen Tag kommen, entfernte er [Spinoza] mit leichter Mühe dadurch, daß er zeigte, wie die Zeit vor der Vernunft notwendig und von selbst aus dem Zeitlichen verschwinde; womit dieses dann so fort zu einem unveränderlichen Ewigen, zu der leibhaften Gottheit selbst verklärt werde.« (Spin 277 f. Anm.; vgl. auch 283 f.) – Trotz gegenteiliger Intention der Ethikk – ausgedrückt in der Unterscheidung von Ewigkeit und Dauer – fällt das Hervorbringen und Vernichten der endlichen Modi untereinander also de facto vollständig auf ein letztlich gegenseitiges begriffliches Bestimmen zurück und damit ebenso auf das unveränderliche Verursachen der ewigen Wesen der Einzeldinge in Gott. Nicht viel anders als die Idee des Dreiecks, die – u. a. mittels der Innenwinkelrelation – ebenso Grund der Realität wie der Bestimmungen der Ideen seiner Winkel ist (vgl. DH 94, weiterhin Ethik I Prop. 17 Sch., II Prop. 9 Sch.), soll aus Gott nicht nur das Wesen und seine Existenz, sondern auch die reale, jedoch nur noch vermeintlich zeitlich verfaßte Existenz eines einzelnen endlichen Modus notwendig hervorgehen.45

45

Dabei konvergiert bei Jacobi die Diagnose des Zeitverlustes in der Ethik nicht nur letztlich mit dem Vorwurf der Tilgung aller Individualitätt und Besonderheit in der Allgemeinheit der Substanz, sondern stellt sogar dessen eigentlichen Kern dar. Wenn Beilage VII der Spinozabriefee hervorhebt, daß Spinozas Metaphysik allein »von der Seite seiner Individuationen mit Erfolg angegriffen werden« könne, und ihr vorhält, von der »inneren Möglichkeit […] [Sonderung, Wechselwirkung, Gemeinschaft] einzelner Dinge in dem absoluten Continuo seiner Einzigen Substanz« »keine Rechenschaft« gegeben zu haben (Spin 254 f.), gilt der Zeitverlust als Grund dieses Defizits. Denn schon bei Spinoza selbst waren es die ›Kontingenz‹ und ›Dauer‹, in deren Sphäre die konkrete Existenz eines (empirisch) Einzelnen, also die wirkliche Individualisierung eines Wesens(begriffes), fallen sollten. Der naturalistische Gott, das blind hervorbringende immanente Prinzip eines mechanistischen Weltalls, schließt nach Jacobi zwar nicht allen internen Wechsel in sich, nicht alle Produktivität aus, negiert aber sehr wohl eine solche, die konstitutiv an Zeitlichkeit gebunden ist. Mit den Worten des späten Jacobi: Weil vor seiner absolut tätigen Ewigkeit die reale Zeit zu einem bloß Imaginativem werde, sei mit Blick auf »das Dasein einer wirklichen und wahrhaften Welt« das »Schöpferwort des naturalistischen Gottes, welches er von Ewigkeit zu Ewigkeit ausspricht: Es werde Nichts! Er ruft hervor aus dem Seyn das Nichtseyn« (JW III, 392). Neben der ›alleinseienden‹ Substanz, dem »Ur-Sein«, sei »[a]lles Unterschiedene, Bestimmte, Denkende und Absichtsvolle […] nur Wahn« (Spin 304), stelle jedes einzelne Wesen wie ihre Gesamtheit nur ein »wechselndes Nichts« dar (Spin 312/vgl. 94 f.). Denn versteht man das Immanenzkonzept so, daß Gott noch das genuin Zeitliche hervorbringt, das zugleich vor seiner Ewigkeit nicht bestehen kann, so bringt dieser selbst im wahrsten Sinne ›Nichts‹ hervor. Wendet man es um und sieht nur das Ewige im Zeitlichen, die Zeit als bloße ›Dauer‹ als von Gott verursacht, so bringt er wiederum ›Nichts‹ hervor (und erscheint hier letztlich sogar selbst als Nichts), diesmal gemessen an der Realität wirklicher Zeitlichkeit (und Indi-

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2. Nach Jacobi-Spinoza verfügt nicht nur Gott selbst weder über Verstand noch Willen, sondern überhaupt ist in der Ethikk – so die zweite entscheidende, unphilosophischen Widerspruch provozierende Konsequenz der Substanzmetaphysik – für ein Willenskonzept, das ein Handeln nach Zwecken behauptet, kein sinnvoller Platz: Insofern Gott als das »Principium der Würklichkeit in allem Würklichen« (Spin 45) Ursache alles Bestimmten und Seienden ist, kommt Sein schlechthin, streng genommen, zwar nur ihm zu. Jedoch verfügt er über Wirklichkeit in dem Sinne, wie bestimmte endliche Seiende existieren, allein in dem Maße, wie er diese als immanentes Ensoph zugleich selbst auch ist. Die »unendliche Einzige Substanz des Spinoza« hat »für sich allein, und außer den einzelnen Dingen, kein bestimmtes oder vollständiges Dasein«, keine »eigene, besondre, individuelle Würklichkeit« (Spin 28). Als das Prinzip des Denkens (und der Ausdehnung) eröffnet Spinozas Gott allererst die Sphäre des Denkenden bzw. Gedachten (und des Ausgedehnten) – und ist gerade darum selbst und für sich allein nicht denkend (oder ausgedehnt).46 Verstand und Willen im eigentlichen, d. h. gegenständlich-bestimmten und individuellen, Sinne gibt es nur auf der Ebene der Modi (vgl. Spin 25);47 Gottes absolutes

vidualität). – Je nach Betrachtungsweise stellt sich der Spinozismus somit als Akosmismuss oder als Atheismuss dar. Daher kann Jacobi zugleich die Nichtigkeit der Welt im Spinozismus folgern undd Spinozas Gott mit dem ewig gleichen »blödsinnigen Weltall« identifizieren (Spin 312), ihn als »ens reale« (Spin 96), als »Sein in allem Dasein« (Spin 45), ebenso ansehen wie als denjenigen, dem allein durch seine und in seinen Modifikationen Wirklichkeit zukommt (vgl. Spin 94 f., 98). Die beiden Aussagen: Gott gehe ganz im Weltall auf und werde daher, gemessen an traditionellen Gottesvorstellungen, geleugnet, bzw. die Welt ist ganz in Gott und werde daher als aktual existierende, als Welt von Individuen, vernichtet, sind also nach Jacobi nur zwei unterschiedliche Beschreibungen, die beide zu Recht auf das Immanenzmodell angewendet werden können. Beide wiesen sie auf ein Moment des »Außernatürlichen oder Übernatürlichen« (Spin 284) hin, das sich in der Logik vollständigerr ›natürlicher‹ Erklärung entziehe. Vor dem Verstand, der nur Bedingtes erkennen kann, seien Zeit und wirkliches Geschehen, das »Dasein einer sukzessiven Welt«, ebenso vernichtet wie Gottes schöpferisch-absichtsvolles Handeln. 46 Vgl. »Denn was ist die Grundidee des Spinozismus, wenn nicht dieses, daß Gott das ausgedehnte Wesen selbst, das denkende Wesen selbst, das lebendige und handelnde Wesen selbst ist, und man deswegen ihm unmittelbar, eben so wenig Gedanken, als körperliche Bewegungen; eben so wenig ausdrückliches Bewußtsein, als Figur und Farbe zuschreiben könne.« (Spin 247 f.; vgl. weiterhin Spin 32, 92 ff.) 47 Vgl. auch: »Der Satz, aus welchem Spinoza den Schluß zog, daß Gott, oder die natura naturans, weder Verstand noch Willen, so wenig (welches wohl zu merken ist) einen unendlichen, als einen endlichen haben könne, ist dieser. Wirkliche Gedanken, ausdrückliches Bewußtsein, Verstand, ist eine gewisse bestimmte Art und Weise, eine Modifikation (modificatione modificatum) des absoluten Denkens. Das absolute Denken selbst, unmodifiziert, (infinita cogitationis essentia) wird von der Substanz unmittelbar hervorgebracht; alle die verschiedenen Arten des Denkens aber, nur mittelbar; das heißt, sie alle können, unmittelbar, nur aus dem Endlichen fließen, und müssen zur erschaffenen, keineswegs aber zur unerschaffenen Natur gerechnet werden.« (Spin 246)

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Denken ist diesem gegenüber (für uns) inhalts- und realitätslos.48 Weder das attributive Denken, insofern es bloß eine unmittelbare »Eigenschaft«, eine »Beschaffenheit« von Gottes Sein darstellt, noch gar das aus jenem erst folgende reale modale Denken können daher als Ursache des göttlichen Wirkens, sei es als causa sui i. e. S. oder als causa rerum, fungieren (Spin 65/80); Gottes Produktivität kann sich prinzipiell nicht willentlich, d. h. aufgrundd von begrifflichen Vorstellungen (Zwecken), vollziehen,49 da nach Jacobi-Spinoza der Wille, als ein »Selbstgefühl« bzw. das »Gefühl einer Beziehung« voraussetzend (Spin 66), gar noch dem Denken und dem Begriffe nachfolgt. Gott wirktt vielmehr in jeder Hinsicht absichtslos allein kraft seiner Natur und ursprünglichen Aktuosität auf streng notwendigee Weise. – Da auch die endlichen Modi in Wesen und Existenz durch Gottes Natur und Wirken (bzw. durch ihren ›conatus‹ als dem je individuellen Ausdruck der göttlichen Macht) in toto bestimmt sind und daher zugleich innerweltlich nach einer rein naturwissenschaftlich-›mechanistischen‹ Kausalität einander in ihrem Dasein vollständig determinieren, ist auch jedes vermeintlich von Zielen und Absichten gesteuerte Handeln, das wir uns als Individuen zuschreiben, in Wahrheit eine bloße Illusion.50 Der Begriff des Willens im Sinne eines Vermögens, absichtsvoll nach Endzwecken zu handeln, ist – ganz gleich, ob auf Gottes oder aber auf unser Wirken angewandt – nach Spinoza ein leerer Begriff. – Vielmehr zeigt für ihn das Parallelismustheorem von cogitatio und extensio die einzig mögliche Bedeutung des Freiheits- und Willensbegriffes auf, indem es eine reduktive kausale Beziehung von Geist und Natur ausschließt und beide als gleichursprüngliche Ausdrücke

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Jacobi-Spinoza bestreitet also, gerade indem er das »unendliche absolute Denken« Gott zurechnet (Spin 97), keineswegs jede Form einer unmittelbaren und göttlichen Bewußtheit. Als nicht-vorstellend und nicht-reflexiv unterscheidet sie sich jedoch grundlegend vom Verstand. Daher greift Jacobi nicht nur auf den französischen Ausdruck des »sentiment de l‹etre« als Beschreibung des »reine[n] unmittelbare[n] absolute[n] Bewußtsein[s]« Gottes zurück, sondern bringt es frühzeitig schon mit Kants ›reiner transzendentaler Apperzeption‹ in Verbindung (Spin 101 f.). – Spinoza selbst weist im Scholium zu Lehrsatz 17 des ersten Buches der Ethik, der behauptet, daß Gott »nur nach den Gesetzen seiner Natur und von niemandem gezwungen« handle, in diesem Sinne nach, daß, wollte man Verstand und Willen Gottes ewigem Wesen zuschreiben, diese »unserem Verstand und Willen himmelweit verschieden sein« müßten und »sich bloß dem Namen nach gleichen« könnten. 49 Dies gilt zumindest eben für den Fall, daß der Begriff des Willens oder des Zweckes bei Gott irgendeine Ähnlichkeit mit seiner modalen Bedeutung haben soll. Mithin besteht aus modaler Perspektive kein Unterschied zwischen den Aussagen, daß Gottes Wirken a) absichtslos oder b) aus absoluterr und ewigerr Willensbestimmung geschieht. Dieser Umstand stellt zugleich ein entscheidendes Moment an Jacobis wie auch an Jean Pauls Skepsis gegen den Begriff eines reinen Willens dar, wie ihn die transzendentalphilosophische Morallehre entwickelt. 50 Wie Leibniz an der Magnetnadel habe Spinoza – so erinnert Jacobi – diesen Wahn »durch das Beispiel eines Steins erläutert, welcher dächte und wüßte, daß er sich bestrebt, so viel er kann, seine Bewegung fortzusetzen.« (Spin 31)

I. Jacobis Spinozarekonstruktion

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und Hinsichten ein und derselben Wirkkraft nimmt. Weder unendlichem Denken noch unendlicher Ausdehnung bei den Attributen, weder unendlichem Verstand und Willen noch unendlicher Ruhe und Bewegung unter den unmittelbaren unendlichen Modi, aber auch nicht der idealen (›objektiven‹ oder ›formalen‹) oder der dinglichen (›formalen‹) Sphäre, insofern es sich um endliche Modi handelt, kommt untereinander ein Vorrang zu. Kein Begriff kann der ihm entsprechenden Sache jemals vorhergehen – und umgekehrt. Der Begriff (die ›Seele‹) ist nichts anderes – so (Jacobi-)Spinoza – als das Bewußtsein einer Sache (des Körpers) (vgl. Spin 102/104 f.), die wesentlich miteinander identisch und in der (selbst ewigen) Ordnung instantan vorhanden sind. Die konstitutive ontologische (›formale‹) und epistemologische (›objektive‹) Beziehung von Begriff (Idee) und Gegenstand bzw. von Verstand (Seele) und Körper schließt einen Begriff vom Verstande als »Vermögen[,] einen Begriff vor dem Begriffe hervorzubringen« (Spin 25), bzw. einen Begriff des Willens als ein Vermögen, überhaupt »können zu können« (Spin 70), mithin das Konzept einer Ursache, die »›gewesen wäre, ehe sie war‹« (Spin 67), aus. Insofern nach (Jacobi-)Spinoza also die Annahme, daß eine mögliche Wirksamkeit der wirklichen Wirksamkeit zugrunde liege, angesichts der Ursprünglichkeit der wirkenden Macht Gottes bzw. des modalen ›conatus‹, sinnlos ist, bleibt auch jede These unverständlich, die behauptet, daß wirr nicht nur unserem Willen als dem begleitenden Bewußtsein unserer streng notwendig und mechanistisch sich realisierenden Wirksamkeit gemäßß handeln, sondern auss dem Willen und nach einer unsere (real-formale) Wirksamkeit ideell vorwegnehmenden Vorstellung von Zwekken. »[I]n allen Dingen [geht] die Handlung vor der Überlegung [vorher], die nur die Handlung im Fortgange ist.« »[W]ir wissen was wir tun, und weiter nichts.« (Spin 80) – Freiheitt besteht daher für Spinoza weder in der Willkür, d. i. in der Indifferenz gegenüber angeblichen Entscheidungsgründen, noch in einer moralischen Bindung im Sinne Leibnizens. Vielmehr liegt sie – negativ formuliert – in der Abwesenheit äußeren Zwanges bzw. – vollständig und positiv ausgedrückt – in dem allein aus dem eigenen natürlichen Selbsterhaltungsstreben folgenden Wirken. Die »Freiheit des Menschen« ist also nichts anderes als »das Wesen des Menschen selbst, das ist, der Grad seines würklichen Vermögens oder der Kraft mit welcher er das ist, was er ist« (Spin 76). Die Unterscheidung des ›Guten und Bösen‹ als Bedingung vermeintlich zweckgeleiteten Handelns stellt in Wahrheit nur die Bewußtheit eines Dienlich- oder Hinderlich-Seins für die in rein natürlich-mechanischer Weise wirkende Selbsterhaltung dar. – Insofern Spinozas Metaphysik der Immanenz zugleich eben als Paradigma aller konsequenten, rational-systemisch erklärenden Philosophie angesehen wird, gilt nach Jacobi daher, daß »[j]eder Weg der Demonstration […] in den Fatalismus aus[geht]« (Spin 122). Alles wissenschaftliche Systemdenken müsse notwendig handlungsleitende Endursachen und, ineins damit, jede Form echten Handelns leugnen, d. h. neben der wahrhaft moralischen Tatt letztlich auch den Aktt des rationalen Philosophierens selbst.

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A. Jacobis Vorlage

Die zwei von Jacobi adäquat rekonstruierten und rational notwendigen, unphilosophisch (d. i. praktisch-existentiell) jedoch inakzeptablen Konsequenzen der Spinozanischen Metaphysik: die Tilgung der Zeitt und damit der Individualität sowie der allwaltende, alles absichtsvolle Handeln ausschließende Fatalismus, zeigen sich schließlich in der Unterscheidung der Ursache-Wirkungs-Beziehung von der Grund-Folge-Relation als nur zwei Hinsichten ein und desselben Sachverhaltes. In der »lebendige[n] Erfahrung in uns selbst« von einer absichtsvoll anfangenden, d. i. ursächlichen, ›Tatkraft‹ sind wir uns nämlich unserer Handlungsfähigkeit nie unmittelbar bewußt, ohne stets zugleich und in gleicher Weise realer Zeitlichkeit und Sukzession gewiß zu sein. Die transrationalen Begriffe von Zeit und Handeln entstehen uns also nur je gemeinsam.51 Kritisiert Jacobi an Spinozas Metaphysik den Verlust der Einzelheit als Verlust der Zeit, hat er m. a. W. diese von Anfang an vor allem als personal handelnde Einzelnee bzw. als Handlungszeitt im Blick. – Zwar verhält es sich in der Tat so, daß auch die Bewegung, die bspw. eine Billardkugel einer anderen mitteilt, ein zeitliches Ereignis darstellt,52 dessen Prozeß- und Sukzessionscharakter im eigentlichen Sinne verlorengeht, sobald eine mathematisierte physikalische Beschreibung erfolgt. Das regelgeleitete Anstoßen zweier Kugeln ist noch etwas anderes als das logische Folgen einer Gleichung aus einer anderen oder eines Prädikats aus einem Begriff. Doch stellt für Jacobi die Rückführung einer Ursache-Wirkungs-Abfolge auf eine Grund-Folge-Beziehung in diesem Falle nicht per se ein problematisches Vorgehen dar. Im Bereich des Natürlichen ist, wie Beilage VIII zeigt, solch eine »Vereinigung« von Ursache und Grund keineswegs unstatthaft, ja bringt sogar ein angemessenes Verständnis hervor, »wenn nur keinen Augenblick vergessen wird, was jedem ins besondere zum Grunde liegt, und ihn zu einem möglichen Begriffe machte« (Spin 282).53 Daher irrten auch die »alten und ungebildeten neuen Völker«, wenn sie in allen Naturvorgängen sogleichh »leben-

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»Indem ich mich als Ursache erfahre oder finde, erfahre oder finde ich die Zeit; indem ich mich als selbstbewegend erfahre, erfahre ich den Raum.« (JKl VII, 62 f.) – In diesem Sinne verbindet Jacobi auch in der Schrift Von den göttlichen Dingen und ihrer Offenbarungg die Überzeugung, daß Zeit ohne reale Veränderung und Entwicklung in der Welt nichts sei, selbstverständlich sofort mit der Dimension absichtsvollen personalen (individuellen), letztlich praktisch-moralischen Handelns: »Ein zeitliches Wesen aber ist, so gewiß eine Welt, eine Natur, und das ist, was wir Willen nennen und Verstand, Vorsatz und Ausführung, Selbstbilligung und Reue, verdienter Lohn und verdiente Strafe, eine menschliche Vernunft und ein menschliches Gewissen.« (JW III, 408) 52 Vgl. JKl VII, 12. 53 Vgl. »Die Vernunft [als Organ der Unphilosophie, O. K.] behauptet das Seyn der Freiheit ohne das Seyn der Notwendigkeit und ihre unumschränkte Gewalt in dem ganzen Gebiet der vernunftlosen Natur zu läugnen.« (JW III, 413) In diesem Sinne bekennt sich Jacobi eben wenigstens in letzterer vorbehaltlos zu Spinozas bewußtem und »unverhülltem Fatalismus« als »innerhalb seiner Grenze, dem Naturbegriff, unüberwindlich« (JW II, 116).

I. Jacobis Spinozarekonstruktion

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dige Wesen« erblickten und alle real-zeitlichen Verursachungen als unmittelbare Taten deuteten (DH 103, Spin 290). – Der eigentliche ›Sündenfall‹ der rationalen Metaphysik liegt demnach darin, noch den »Grund«, besser: die »Ursache«, das »Unbedingte«, natürlich-mechanisch begreifen zu wollen. Dies geschieht nach Jacobi augenscheinlich erst dann, wenn selbst die genuine Ursächlichkeit im Sinne willentlichen freien Handelns in einer »Vermischung« mit der Grund-Folge-Logik, also der ›natürlichen‹, alles Prozessuale fest-stellenden Erklärungsart, behandelt wird. Die eigentliche Pointe noch des Entzeitlichungsvorwurfes an Spinozas Konzept totaler rationaler Welterklärung kommt demnach erst durch ein Phänomen in den Blick, das nicht nur als Vorgang in der Zeit abläuft, sondern das durch die Fähigkeit radikalen Anfangenkönnens Zeit auf bestimmte Art zugleich für uns als tätig-bewußte Wesen ursprünglich konstituiert.54 Das absichtsvolle Handeln setzt nämlich gerade dadurch einen Prozeß, eine Veränderung in der Zeit, reall in Gang, daß es ideelll den zukünftigen Zustand bereits als Antizipation der verwirklichten, in der Gegenwart aber noch offenen Ziele vorwegnimmt und auf diese Art erschafft. Als Handeln eines wirklichen Einzelnen vermag es das aber nur, wenn dieser zugleich über ein Bewußtsein seiner konkreten Identität in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verfügt, wenn er also nicht nur ›in‹ der Zeit ist, sondern – gleichsam noch als deren Basis – für sich als real Existierender auch ›durch die Zeit hindurch‹. In diesem Sinne lassen sich dann, so wird sich im zweiten Teil zeigen, auch Äußerungen Jean Pauls deuten, in denen er der ›geistigen Individualität‹ Überzeitlichkeit und ›Ewigkeit‹ zuspricht. Nur in Abhängigkeit von dem ursprünglichen, mit der personal-individuellen Identität intim verbundenen Handlungsvermögen gelangen wir nach Jacobi zu unseren ›empirischen apriorischen‹, unphilosophischen Begriffen, wie dem der Zeit, der Sukzession, der Ursache und Wirkung. Diese bilden ihrerseits aber noch die Grundlage für unser theoretisch-rationales Begreifen der Welt und der in ihr ablaufenden Vorgänge. – Es ist demnach der Verlust der Zeit als Handlungszeit, d. i. des praktischen Zeitbewußtseins, der die zwei von Jacobi diagnostizierten entscheidenden Konsequenzen der Spinozanischen Philosophie, diejenige aus der Ewigkeit der göttlichen Verursachung und diejenige aus ihrer wesentlichen strengen Notwendigkeit, zuinnerst verbindet. Jede Philosophie,

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In diesem Sinne spricht auch Birgit Sandkaulen von »zwei verschiedenen Zeitdimensionen«, die Jacobi zu unterscheiden wisse. Während zur Beschreibung von Naturvorgängen das bloßen Ablaufen in der Zeit ausreiche, sei menschliches Handeln zudem nicht nur genuin mit der Fähigkeit intentionaler Antizipation und verantwortender Erinnerung verbunden – einer auf eigene Weise zeitlich verfaßten Über- oder Außerzeitlichkeit, sondern Jacobi verstehe den Begriff der Zeit überhaupt ursprünglich gar erst als durch unsere Handlungserfahrung gegeben (Sandkaulen [2000], 200 ff., 212, 217). – Die entscheidende Hinsicht dieses praktischen Verständnisses des Zeitbewußtseins besteht für Jacobi darin, daß im wirklichen bewußten Handeln ideale und reale Zeitlichkeit unmittelbar vereinigt sind.

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die vollständig rational, d. h. gemäß dem Satz des zureichenden Grundes, noch das Unerklärliche zu erklären beabsichtigt, bestreitet, so hat sich Jacobi am Paradigma Spinoza überzeugt, in gleicher Weise notwendig das Handeln nach Endursachen wie sie die Zeitlichkeit als intime Bestimmung des absichtsvollen Handelns unvermeidlich tilgt. – Diese im Kontrast dazu philosophisch zu mobilisieren und in ihrer entscheidenden Rolle noch für das vermeintlich rein theoretische Weltverhältnis sichtbar zu machen, ohne neuerlich in den nach Jacobis Überzeugung realitätsvernichtenden Sog rationalen Erklärens zurückzufallen, ist hingegen das zentrale Anliegen der Unphilosophie.

II. Jacobis Kritik des transzendentalen Idealismus 1. Der Kantische Kritizismus als theoretischer und praktischer ›Egoismus‹ Nicht nur die Herausbildung der nachkantischen idealistischen und frühromantischen Philosophieentwürfe jedoch vollzieht sich in gleichem Maße vor der Folie von Jacobis ›Spinoza-Antispinoza‹ wie vor derjenigen der Transzendentalphilosophie Kants. Auch Jacobis eigenes Philosophieren ist neben dem konstitutiven Bezug auf Spinoza bereits selbst durch eine nachhaltige und grundlegende Auseinandersetzung mit Kant bestimmt55 – und zwar mit dessen theoretischer Philosophie genauso wie mit seiner praktischen. Diese bildet neben der Kritik an Fichte im Sendschreiben von 1799 zugleich ebenso die entscheidende Orientierung für Jean Pauls Auseinandersetzung mit der Wissenschaftslehre und der frühromantischen Ästhetik. α) Ambivalenzen I: Jacobi und die Kantische Epistemologie Wenn Jacobi Goethe in einem Brief vom 13. Dezember 1785 das entscheidende »Geheimniß« aus seinen neuerlichen Studien der Kritik der reinen Vernunftt – und damit nicht weniger als »den Schlüßel zu dem ganzen System, und seinen wahren Kern, den Kant selbst noch nicht gekostet hat« – zu offenbaren behauptet (JBW I,4 277), dann präsentiert er zumindest den Deutungshorizont der Kantischen Philosophie, an dem er zeitlebens prinzipiell festhalten wird und von der noch Jean Pauls Claviss unmittelbar profitiert. Indem dies ebenso bedeutet, bereits auf die zwei in

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Diese Einschätzung bestätigt auch Anatol Schneiders Untersuchung von Jacobis »Kladden«. Die Arbeitsbücher zeigen – so Schneider –, »daß sich Jacobi mit keinem anderen zeitgenössischen Denker in dem Maße auseinandergesetzt hat wie mit Kant« (Schneider [1986], 209).

II. Jacobis Kritik des transzendentalen Idealismus

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seinen Augen grundverschiedenen Seiten an Kants Philosophie hinzuweisen, zeigt Jacobi zugleich auch den Grund dafür an, daß der Gestus seiner Bezugnahme auf Kants Denken über die Jahre je nach Absicht und Kontext zwischen überwiegend kritisch und ausgesprochen freundlich schwankt:56 Kant gehöre – so Jacobi an Goethe – zu den »Glaubens Helden«, indem er an den philosophisch nicht beweisbaren Ideen von Gott und Unsterblichkeit festhalte, obwohl er »nicht einmahl das Daseyn einer Materiellen Welt glauben will, weil sie nur geglaubtt werden kann.« Eine Anmerkung ergänzt hierzu und nimmt Jacobis zentrale epistemologische Einschätzung der Kantischen Lehre vorweg: »Er [Kant] behauptet freylich sie [die materielle Welt] könne auch nicht einmahl geglaubtt werden, weil wir nur Erscheinungen haben von – Nichts, das err E t wa s nennt.«57 In den Gesprächen mit Lessing – wie überhaupt in den Spinozabriefen – war der Begriff des Glaubens Jacobi zum zentralen Ausdruck der eigenen unphilosophischen Position geworden. Diesen zu rechtfertigen und zu erläutern sah er als vordringliche und noch offene Aufgabe für eine erweiterte zweite Auflage seiner Schrift von 1785 an. Zugleich wollte er mit der Neuauflage eine ›bestimmteste‹ Unterscheidung der eigenen Philosophie von der Kantischen verbinden.58 – Zum einen ist es dabei eben der Kantische Vernunftglauben an Freiheit, Gott, Unsterblichkeit, d. h. Kants Ideen als theoretisch regulativ und praktisch konstitutiv,59 der Jacobi an Kant interessiert und letztlich zu einer differenzierten Beurteilung von dessen praktischer Philosophie anhält. Es ist zum anderen aus historischen und sachlichen Gründen zunächst aber die Kantische Erkenntnistheorie in ihren Voraussetzungen und Konsequenzen, die

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Insofern ist die These Verras, daß in Jacobis Auseinandersetzung mit Kants kritischer Transzendentalphilosophie nicht nur drei Hauptetappen zu unterscheiden sind, sondern sich Jacobis Urteil über Kant »von 1787 bis 1815 sehr geändert und gemildert« habe (Verra [1969], 203), zumindest überpointiert. So geht die Faszination an Kants Postulatenlehre auch beim späten Jacobi mit einer grundlegenden systematischen Kritik einher (vgl. JW III, 364 ff. u. 452 f.). 57 In ähnlicher Weise gibt die Epistel über die Kantische Philosophiee als »Schlüssel« (JGA 2,1 137) zur Kantischen Philosophie deren Überzeugung an, daß wir nur »Vorstellungen [hätten], in denen nichts, was die Dinge selbst angeht oder ihnen nur von weitem gliche, enthalten seyn kann«, daß »Raum, Zeit, Gegenstände – Himmel und Erde« als Erzeugnisse der apriorischen Bewußtseinstätigkeit des erkennenden Subjekts nur ein »tief eingesehenes Nichts dahinter« darstellten (JGA 2,1 124/137). 58 Vgl. Jacobis Brief an Lavater vom 15.9.1786 (JBW I,5 349 f.). 59 Wie genau Jacobi beides zu unterscheiden weiß, zeigt folgender Kladdeneintrag: »Gott wird also hier aus einem theoretisch oder speculativ practischen Intereße gesetzt, supponiert, angenommen. – In der practischen Philosophie wird Gott aus einem moralischen Intereße gesetzt – u muß eben so mit Indifferenzen gesetzt werden ja noch einer ganz besonderen – Er wird wirklich geglaubt (aber nur freywillig) damit an den Effect oder Befolgung des Sittengesetzes wirklich geglaubt werde, ohne welchen Effect ich an das Sittengesetz selbst nicht wirklich glauben könnte.« (JKl VIII, 32–33 [216])

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Jacobi intensiv beschäftigt und unter der Leitfrage nach der objektiven Realität der Welt zu einer ambivalenten Einschätzung nötigt. Diese entwickelt erstmals 1787 die Beylage Ueber den Transcendentalen Idealismus, die Jacobi als Anhang seinem Dialog David Hume über den Glauben, oder Idealismus und Realismus. Ein Gespräch beifügt, eben jener Schrift, die mittlerweile die Aufgabe übernommen hatte, den eigenen Glaubensbegriff zu rechtfertigen – und zwar durch den Rekurs auf Humes und Reids Epistemologie.60 Philosophiehistorisch gewann diese Beylage, indem sie die erste konsequente und textnahe Kritik der Kantischen Ding-an-sich- und Sinnlichkeitsproblematik überhaupt bildete, eine Bedeutung, die derjenigen von Jacobis Spinozabriefen in nichts nachsteht. Ihre Pointe hatte Jacobi auch bereits Goethe mitgeteilt: Kants ›Dinge an sich‹ als vermeintlicher Grund der Erscheinungen und

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Obwohl Jacobi ausdrücklich vor allem Hume als Zeugen für die genuin philosophische Bedeutung des Glaubensbegriffes anführt, scheintt in dem Maße, wie er zugleich Humes skeptische Konsequenzen ablehnt, eigentlich die Nähe zum Konzept des von Jacobi 1787 nur kurz erwähnten Thomas Reid viel einschlägiger (vgl. Baum [1969]). Tatsächlich stehen Jacobi sachlich jedoch Spinozas Begriffe der »adäquaten Idee« und der als »index sui et falsi« verstandenen Wahrheit vor Augen (vgl. Ethikk II Def. 4 u. Prop. 43 Sch.). – Auf diesen bemerkenswerten Befund hat dunkel und vage bereits Hermann Timm gedeutet (vgl. Timm [1974], 217 f.), und Birgit Sandkaulen hat ihn im Rahmen ihrer Interpretation von Beilage VIII der Spinozabriefe, aber mit Blick auf den David Humee explizit formuliert (Sandkaulen [2000], 117). Daß insbesondere Reids Erkenntnisrealismus nicht nur mit Spinozas Theorie in entscheidenden epistemologischen Überzeugungen fast bis zur gänzlichen Ununterscheidbarkeit übereinstimmt, sondern Spinozas Lehre auch den eigentlichen, wenngleich zumindest in der Erstauflage weitgehend verdeckten Bezugspunkt noch für Jacobis Argumentation im David Humee darstellt, hat gegen die bisher noch immer herrschende Meinung indes Brady Bowman überzeugend nachweisen können (vgl. Bowman [2004]). – Wegen dieser sachlich diffizilen Verhältnisse der im David Humee vorgelegten Verteidigung des Glaubensbegriffs hat Jacobi rückblickend selbst eigene anfängliche Unklarheiten eingeräumt, deren Ausdruck gerade der Dialog David Humee sei (vgl. JW II, 4 ff.; vgl. auch Timm [1974], 217; Henrich [1992], 61; di Giovanni [1998], 426). Jacobi habe – so führt Birgit Sandkaulen diesen Befund aus – bei dem Versuch, für etwas Neues, d. i. der »im Salto mortale vollzogenen Umstellung des Denkens«, einen Namen zu erfinden, sich im »Nebel herrschender Vorstellungen« (JW II, 10) verirrt und für eine gewisse Zeit fälschlicherweise auf den Glaubensbegriff der angloschottischen Philosophie zurückgegriffen. Dies sei sachlich jedoch weder so gemeint noch gar begründet gewesen (Sandkaulen [1997], 356, vgl. Sandkaulen [2000], 86 f.; zumindest in Hinsicht auf die letzte Aussage aber anders bei di Giovanni (di Giovanni [1997], 258/272)). – In ähnlicher Weise nicht adäquat und von Jacobi später ebenso zurückgenommen (vgl. JW II, 221 Anm.) ist aber auch seine gleichzeitige Anrufung von Leibniz’ Zeugenschaft, insofern hiermit weder eine epistemologische noch eine handlungstheoretische, sondern nun vielmehr eine organizistischee Perspektive ins Spiel gebracht wird. – Mißverstanden werden darf letztlich aber auch nicht die von Bowman rekonstruierte eigentlich im David Humee wirksame Bezugnahme auf die epistemologischen und ›natürlich‹-realistischen Auffassungen der Spinozanischen Lehre. Diese steht wie alle spinozistischen Anklänge im ›Antispinoza‹ unter dem Vorbehalt eines grundsätzlichen Perspektivenwechsels zu einer analogischen Metaphysik der Person.

II. Jacobis Kritik des transzendentalen Idealismus

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der sinnlichen Rezeptivität stellen in der Konsequenz des transzendentalidealistischen Ansatzes in Wahrheit ein bares ›Nichts‹ dar. Sie noch für ein ›Etwas‹ zu halten und auszugeben ist Kants philosophisch-systematischer Grundirrtum, der seine Wahrheit jedoch in einem systemisch nicht einholbaren Realitätsglauben hat. Was Jacobis Interpretation der Kritik der reinen Vernunftt von derjenigen der Kant-Anhänger und -Gegner der ersten Stunde unterscheidet, ist der Umstand, daß sie durch eine an Spinoza geschulte hermeneutische Methode und damit bereits vor dem Hintergrund des ›Spinoza-Antispinoza‹ geschieht. Dies heißt nicht, Kant per se zu ›spinozisieren‹, sehr wohl aber, ihn unter dem Maßstab innerer Stringenz und Konsequenz – und damit als System – zu erschließen und zu bewerten. Daß das Kantische Philosophiesystem dabei als immanent widersprüchlich und unverständlich erscheint, als »Amalgation von künstlicher Zweydeutigkeit«, d. h. mit dem »Grundgebrechen« seiner »Chamäleonsfarbe, daß es halb a priori, halb empirisch seyn, zwischen Idealismus und Empirismus in der Mitte schweben soll« (JW III, 76), führt gerade zu einer anderen, jedoch nicht weniger komplexen Behandlungsart durch Jacobi als derjenigen der Metaphysik Spinozas.61 Kants Position ist, paradox formuliert, von Jacobis unphilosophischem Anliegen weiter entfernt und ihm zugleich näher als die Ethik: Weiter entfernt, weil sie im ganzen betrachtet als gar nicht genügend rational-monistisch durchgearbeitet, als systematisch zu unabgeschlossen gelten muß, um überhaupt zur ›Absprungstelle‹ des ›salto mortale‹ in die Unphilosophie zu werden. Sie hat m. a. W. im Gegensatz zu den späteren Entwürfen Fichtes und Schellings in der Figur des ›Spinoza-Antispinoza‹ noch gar keinen eindeutig bestimmten Ort. Umgekehrt kann Jacobi die wirklichen oder vermeintlichen Inkonsistenzen Kants als Manifestationen unphilosophischer Intentionen und Überzeugungen darstellen. Während Spinoza notwendig und konsequenterweise Phänomene tilgt, die nach Jacobi nicht nur für unsere Lebenswirklichkeit wesentlich, sondern als ihm transzendente noch für das systemisch-rationale Philosophieren selbst fundamental sind,62 bleiben diese unphilosophischen Momente bei Kant gleichsam als Fremdkörper im Immanenzraum der systemischen Philosophie selbst bestehen. Was ihnen hiermit fehlt, ist in Jacobis Augen allein eine genuin unphilosophische Behandlungsart – allerdings mit der Folge, daß sie durch den Bann unter den Primat des Systems auch bei Kant letztlich in ihrem Wesen grundlegend verändert würden.

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Vgl. hierzu auch Jacobis Kladden-Eintrag aus dem Jahre 1789: »Wenn eine dogmatische Philosophie a priori […] so muß man in den Spinozism gerathen. Die Kantische Philosophie ist keine Philosophie, sondern nur eine transcendale [sic!] Vernunftlehre, die man so oder so decorieren kann, nach den Umständen u Erfordernißen der Zeit.« (JKl II, 45–46 [214]; 1789/1790) 62 Wenn auch nicht im Sinne eines logischen ›Grundes‹ und innerhalb einer Logik der Begründung.

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A. Jacobis Vorlage

Die Beylagee zum David Humee führt diese Konstellation vor, indem Jacobi wiederum, wie schon bei der Spinoza-Rekonstruktion, den ›Geist‹ einer Philosophie – hier: des transzendentalphilosophischen Ansatzes Kants – zu entdecken sucht und diesem dann – so der methodisch neue, im Falle Spinozas unnötige zweite Schritt – andere, ihm unverträgliche internee Voraussetzungen Kants entgegenstellt. Den Kantischen ›Geist‹ sieht Jacobi dabei besonders klar in der Kritik des vierten Paralogismus aus der Erstauflage der Kritik der reinen Vernunft ausgesprochen, da Kant hier sowohl seinen Begriff des transzendentalen Idealismus als auch dessen Verhältnis zu einem bloß ›empirischen Realismus‹, auf den die transzendentalphilosophische Untersuchung den Begriff der objektiven Erkenntnis zuvor reduziert hat, ausdrücklich expliziert: Der transzendentale Idealist könne sehr wohl – so Kant in den von Jacobi wörtlich, allerdings unter Eintragung bestimmter Hervorhebungen wiedergegebenen Textauszügen63 – die Existenz von Gegenständen einräumen. Und zwar dann, wenn er sie als bloße äußere Vorstellungen bzw. als bloße Erscheinungen, »die, von unserer Sinnlichkeit abgetrennt, nichts« sind, ansieht und damit ein rein phänomenales Außen, das in Wahrheit und für die transzendentalphilosophische Betrachtung nur ein Inneres im (allgemeinen) erkennenden Subjekt ist, vom leeren Begriff eines wirklichen Außen unterscheidet. Letzteres aber sei wie die »transzendentalen Gegenstände« bzw. ›Dinge an sich‹ unserer Anschauung – und somit aller nach Kant zulässigen und sicheren Erkenntnis – vollkommen unbekannt und genieße daher eben allein den Status eines problematischen Begriffs. Die Existenz der ›Dinge an sich‹ könne höchstens »durch den Schluß von der Würkung auf die Ursache« behauptet werden, wobei jedoch »immer zweifelhaft bleiben muß, ob die letztere in uns, oder ausser uns sey.« Sie mögen angenommen werden als Grund der Erscheinungen; Gegenstand unseres Wissens kann jedoch weder ihre Existenz noch gar ihre Beschaffenheit werden. – Kants empirischer Realist, der also allein von einem Außen der ersten Art wissen kann, ist mithin streng genommen, wenn auch situativ und individuell unbewußt, nur auf die eigenen Vorstellungen bezogen; die empirischen Dinge existieren bloß insofern, als sie als räumlich existierende vom Subjekt vorgestellt werden. Auch ihre Ordnung und Gesetzmäßigkeit kann daher nur eine rein subjektive sein; es ist allein der Verstand des erkennenden Subjekts, der Regelmäßigkeit in die (empirische) Natur bringt. »Also« – so resümiert Jacobi den freigelegten Grundgedanken Kants – »was wir Realisten würkliche Gegenstände, von unseren Vorstellungen unabhängige Dinge nennen, das sind dem transcendentalen Idealisten innerliche Wesen, die gar nichts von dem Dinge, das etwa ausser uns seyn, oder worauf die Erscheinungen sich beziehen mag, darstellt, sondern von

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Vgl. im Folgenden DH 210–216 (KrV A 370–380 sowie A 36 f.). – Verwiesen sei außerdem auf die detaillierte Analyse der Jacobischen Behandlung der Ding-an-sich-Problematik bei Kant in Sandkaulen (2007).

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allem würklich objectiven ganz leere blos subjective Bestimmungen des Gemüths« – Vorstellungen, nichts als Vorstellungen (DH 216 f.).64 Anders als Spinozas nihilistisch-fatalistische, wegen ihrer systemischen Notwendigkeit allein unphilosophischen Widerspruch provozierende Konsequenzen stellt sich dieser Befund nach Jacobi aber bereits innerhalb der Kritik der reinen Vernunft als brisant dar. Sie selbst nämlich setze ein wirkliches Außen voraus, d. h. einen Typ Realismus, der keineswegs im bloß ›empirischen Realismus‹ aufgeht, sondern auch Kant zum Mitglied derjenigen philosophischen Fraktion macht, die Jacobi hier mit »wir Realisten« angesprochen hat: Kant65 verlasse zwar ganz »den Geist seines Systems […], wenn er von den Gegenständen sagt, daß sie Eindrücke auf die Sinne machen, dadurch Empfindungen erregen, und auf diese Weise Vorstellungen zuwegebringen« (DH 220).66 Denn solches könne weder von den bloß

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Diese Diagnose vertiefend, legt Jacobi in der Epistel über die Kantische Philosophie von 1791 dar, daß die (empirischen) Gegenstände nach Kant nicht nur »ihrer Form nach allein in uns« konstituiert, d. i. in unserem begreifenden Verstande durch Begriffe zu einem »Etwas« bestimmt, würden. Sie seien vielmehr auch in dem Sinne subjektiv, daß ihre Materie »als Empfindungen« ebenso »nur allein in uns seyn könn[e]« (JGA 2,1 124, vgl. auch 126). Die »reinee Materie von allem ohne Ausnahme« sei gemäß der Transzendentalphilosophie Kants ebenso nur das »eigen[e] rein[e] Bewußtseyn (transcendentale Apperception)« wie »die unreine (sinnliche) Materie von Allem« nur das »eigen[e] unrein[e] (sinnlich[e], zufällig[e], modificirt[e], empirisch[e]) Bewußtseyn« (JGA 2,1 136). 65 Genaugenommen richtet Jacobi diesen Vorwurf zunächst erst an einen »Kantischen Philosophen«, doch wird sowohl in der Beylagee als auch in den anderen Schriften Jacobis schnell deutlich, daß diese Diagnose nicht allein irgendwelche Kantianer, sondern Kant selbst unmittelbar und intim betreffen soll. – Fichte indes übernimmt in der Zweiten Einleitungg 1797 gewissermaßen gerade Jacobis Redeweise vom ›Kantischen Philosophen‹, indem er von Kant selbst rundweg bestreitet, solch systematisch Abwegiges wie affizierendee ›Dinge an sich‹ angenommen zu haben (vgl. SW I, 481 ff.). 66 Daß Kant sich hier auf ein realistisches »Vorurtheil, welches uns[,] ehe Beobachtung u Vernunftschlüße uns eines beßren belehrten«, annehmen ließ, »[w]ir nähmen Dinge außer uns, u ein Ding in uns, u nicht bloße Veränderungen des äußeren u inneren Sinnes ohne weiteres, nicht bloße Gemüthsbewegungen wahr«, beruft, hält Jacobi später auch noch einmal ausdrücklich in den Kladden fest (JKl VI, 50 f. [220]). – Ähnlich notiert Jacobi auch in der Epistel über die Kantische Philosophie, daß Kant »häufig von diesem Dinge an sich [spreche] und […] sich auch gleich beym Eingang seiner Kritik d. r. Vnft. darauf [beziehe], als wenn es sich von selbst verstände und seine Lehre darüber erbaut wäre. Und das ist wohl zuverlässig auch sein Ernst gewesen und das Ding an sich war nicht mehr da und gar nicht mehr wieder zu haben, ohne daß er’s gewahr wurde.« (JGA 2,1 152) – In der heutigen Kant-Forschung sieht in diesem Sinne bspw. Marcus Willaschek einen externalistischen Anschauungsbegriff bei Kant wirksam. Im Gegensatz zu Jacobi glaubt Willaschek, daß die dabei notwendige »Identifikation von affizierendem Gegenstand (›Ding an sich‹) und Bezugsobjekt der Anschauung sich auch im Rahmen des transzendentalen Idealismus aufrecht erhalten läßt« (Willaschek [1997], 547 Anm.), jedoch bleiben seine diesbezüglichen Erörterungen eher Problemanzeige, als daß sie eine befriedigende Lösung darstellen würden. Der

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empirischen Gegenständen behauptet werden, die nichts als unsere eigenen Vorstellungen sind, noch vom »transcendentalen Gegenstande«, insofern dieser uns gänzlich unbekannt bzw. ein bloß problematischer Begriff des Verstandes ist.67 Auch der Begriff des Objektes – »die Vorstellung vom Gegenstande = X« –, den der Verstand als ›objektives‹ Einheitsmoment »zu den Erscheinungen«, d. h. den »Affection[en] der Sinnlichkeit«, »hinzuthut«68 und der, wie Jacobi genau erkennt, keineswegs mit

intentionale Bezug einer Anschauung auf einen einzelnen Gegenstand werde nach Kant – so weist Willaschek für die ›Transzendentale Ästhetik‹ der Kritik der reinen Vernunft nach – durch den Gegenstand selbst bestimmt, auf dessen Affektion – qua kausaler Einwirkung auf unsere Sinnlichkeit – sie zurückgehe (Willaschek [1997], 547 f.). Kants Grundthese, daß Verstand und Sinnlichkeit nur gemeinsam einen Gegenstand bestimmen könnten (vgl. A258/B314), zwingt Willaschek diese These im Blick auf die ›Transzendentale Deduktion‹ in der Weise zu spezifizieren, daß Kantische Anschauungen »für sich betrachtet keinen intentionalen, sondern nur einen rein qualitativen Gehalt« hätten. »Die externalistische Deutung des Kantischen Anschauungsbegriffs muß genaugenommen also folgendermaßen formuliert werden: Nicht der intentionale Bezug der Anschauung selbst hängt vom affizierenden Gegenstand ab, sondern der Beitragg der Anschauung zum Gegenstandsbezug einer Wahrnehmungg (letztere verstanden als das Ergebnis der begrifflichen Bestimmung einer Anschauung).« (Ebd., 559) Obwohl damit die unmittelbare kausale Beziehung von Anschauung und Gegenstand keinen Beitrag zur intentionalen Bezugnahme selbst oder zum Gehalt der begriffliche Gegenstandserkenntnis (die in der Konsequenz von Willascheks Kant-Rekonstruktion nur-subjektiv sind, d. h. Eigenschaften angeben, die den Dingen an sich nichtt zukommen) liefern kann, komme der Anschauung bei Kant – so Willaschek in Anschluß an Gerold Prauss (1974) – die entscheidende Funktion zu zu garantieren, »daß es sich in beiden ›Betrachtungsweisen‹« – externalistisch: Ding an sich, internalistisch: Objekt der Erkenntnis – »um dieselben Dinge handelt« (ebd., 561), die nur intentional, aber nicht extensional verschieden seien. – Zuletzt muß aber selbst Willaschek einräumen, das die Bedeutung der These, »daß ein uns vertrauter Gegenstand (wie z. B. eine Tomate) mit einem uns unerkennbaren Ding an sich identisch ist, und ob dieses dasselbe oder ein anderes ›etwas=X‹ ist, das auch anderen Erfahrungsgegenständen als ›wahres Korrelat‹ zugrunde liegt« (ebd., 563), eine systematisch schwierige Angelegenheit bleibe. 67 Jacobi bezieht sich hiermit offensichtlich auf Kants Begriff des »Noumenon«, d. i. desjenigen von »Gegenständen des reinen Denkens« bzw. einer nichtsinnlichen Anschauung, den wir zwar durch einen »reinen« Kategoriengebrauch als Begriff von der objektiven Ursache der Erscheinungen bilden, durch den wir zugleich aber (wegen des fehlenden sinnlichen Anschauungsbezuges) prinzipiell nichts erkennen können (vgl. KrV A 249 ff., 287 f.). 68 Diesen Vorgang beschreibt Kant in der Transzendentalen Deduktion der Erstauflage der Kritik der reinen Vernunftt unter dem Stichwort der »Synthesis der Rekognition im Begriffe«. Damit unsere »sinnlichen Vorstellungen« übereinstimmend und geordnet sind, müssen sie – so Kant – auf den »Begriff von einem Gegenstand«, gleich »X«, bezogen werden, wobei »die Einheit, welche der Gegenstand notwendig macht, nichts anderes sein könne, als die formale Einheit des Bewußtseins in der Synthesis des Mannigfaltigen der Vorstellungen«. »Die Vorstellung vom Gegenstande = X« ist mithin bloß der Begriff der »Einheit der Apperzeption«, also Produkt des Subjekts (vgl. KrV A 104 ff.). – Bei der Unterscheidung von »Phaenomena« und »Noumena« kommt Kant selbst noch einmal auf diesen Begriff eines Gegenstandes überhaupt (= X), nunmehr unter der Bezeichnung »transzendentaler Gegenstand«, zurück und unterstreicht, daß

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dem Begriff des »transcendentalen Gegenstandes« bzw. des ›Noumenons‹ (so Kants terminologisch von Jacobi abweichende Redeweise) zu verwechseln ist, komme innerhalb der Kantischen Theorie nicht als Urheber der sinnlichen Eindrücke in Frage (DH 221).69 Doch bilde die Unterscheidung von Sinnlichkeit und Verstand zugleich den entscheidenden Ausgangspunkt der Kantischen Vernunftkritik in §1 der ›Transzendentalen Elementarlehre‹ (KrV A 19), ohne den – so Jacobi – »die Kantische Philosophie zu sich selbst [nicht] den Eingang finden, und [nicht] zu irgend einem Vortrage ihres Lehrbegriffs gelangen« könnte (DH 222). Dabei werde aber die Sinnlichkeit nicht nur nominell als die »Fähigkeit, (Rezeptivität) Vorstellungen durch die Art, wie wir von den Gegenständen affiziert werden, zu bekommen« (KrV A 19), bestimmt, sondern eine solche Definition bliebe nach Jacobi vollkommen unverständlich und »ohne alle Bedeutung«, verstünde nicht auch Kant selbst darunter zugleich ein »distinctes reales Medium zwischen Realem und Realem, ein würkliches Mittel von Etwas zu Etwas« (DH 222). Durch den medialen Begriff der Sinnlichkeit bewege man sich allerdings unwiderruflich auf dem Felde eines philosophischen Realismus wie dem Jacobis, der von der wirklichen, nicht durch das Subjekt konstituierten Existenz der rezeptiv erfaßten Gegenstände überzeugt ist – ebenso wie im übrigen von der des sinnlich Wahrnehmenden, indem sich beide im Akt der Wahrnehmung gleichsam unmittelbar, instantan und realiter ›begegnen‹. In diesem Modell wird also weder von bloß subjektiven Vorstellungen, deren realer und objektiver Grund erst mit einem Schluß von der Wirkung auf die Ursache erfolgte, ausgegangen, noch von einer zur bloßen Gegenstandsvorstellung erst hinzutretenden Realitätsvorstellung bzw. einem dazukommenden Realitätsgefühl. Vielmehr wird eine »Anschauung, welche das Zeichen ihrer Objektivität mit sich führt«70 und die nur gemeinsam mit einer Art von Selbstanschauung vorkommt, angenommen. Die Realitätsgewißheit der vorgestellten Gegenstände, die Vorstellung dieser Gegenstände sowie das Bewußtsein der Vorstellung bzw. eines realen sie wirklich Vorstellenden sind in diesem Sinne nur Momente eines einzigen

dieser als ein vom Verstand gebildetes »Correlatum der Einheit der Apperzeption« nicht mit dem ›Noumenon‹ als der allerdings ebenfalls bloß gedachten Ursache der Erscheinungen übereinstimmt (vgl. KrV A 249 ff.). 69 Daß Jacobi sich über diese fundamentale Differenz ganz im Klaren ist, zeigt sich auch in der Epistel über die Kantische Philosophiee (1791), die in bezug auf das »X des transzendentalen Gegenstandes« bei Kant in gleicher Weise ausdrücklich unterscheidet zwischen (1) dem Gegenstand als der »Einheit der Handlung in der Verknüpfung des Gleichartigen in dem Mannigfaltigen einer Erscheinung«, d. i. »als das empirische oder transcendentale im Verknüpfen geschäftige Bewußtseyn« (JGA 2,1 152), und (2) dem Ding an sich als nur problematischer Begriff, als unerkennbarer gedachter Bezugspunkt aller Erscheinungen. 70 So schon Friedrich Schlegels vollkommen richtige, wenn auch polemisch gemeinte Zusammenfassung dieses Gedankens (KSA 187).

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Wahrnehmungsaktes. – Der mit dem Begriff der Rezeptivität (auch bei Kant) eröffnete Realismus ist zudem das Feld, in dem – so deutete bereits die Kritik an Spinozas Konzepten der ›causa‹ und der ›Dauer‹ an –, durch den medialen Charakter der Sinnlichkeit neben den Begriffen »von aussereinander und verknüpft seyn, von Thun und Leiden« auch zugleich diejenigen »von Causalität und Dependenz«, Sukzession und Zeit gegeben sein sollen. Indem diese dabei ebenso als »reale und objective Bestimmungen« verstanden werden, die daher für alle (auch für nichtmenschenförmige, aber mit Rezeptivität verbundene) Erfahrungen gelten müssen, hat dieser Begriff der Kausalität (außer dem sogar verschärften Allgemeinheitsanspruch) mit Kants Kausalitätskategorie gerade ebensowenig noch gemein wie derjenige der Zeit mit einer reinen Kantischen Anschauungsform.71 Damit ergibt sich in der Kritik der reinen Vernunft nach Jacobi also folgendes Bild: Insofern der von Kant eingeräumte sogenannte ›empirische Realismus‹ letztlich wieder allein auf den produktiven Leistungen der transzendentalen Subjektivität beruht (und auf diese Weise einen bloß scheinbaren Realismus darstellt), ist er mit dem vom Begriff der Sinnlichkeit vorausgesetzten Realismus keineswegs identisch.72 Diesem liegt nämlich die »Ueberzeugung von der objectiven Gültigkeit

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In diesem Sinne versucht Jacobi im David Humee explizit eine gleichermaßen gegen Kants transzendentalsubjektive Lehre von den Kategorien und reinen Anschauungsformen wie gegen Humes Skeptizismus gerichtete ›Herleitung‹ der ›objektiven Grundbegriffe‹ aller Erfahrung, zu denen neben den bereits genannten Begriffen nach Jacobi auch die der Realität, Substanz und Individualität gehören (vgl. DH 110 ff., sowie Sandkaulen [2000], 116 u. Bowman [2004], 171 ff.). Jacobi berührt damit hier bereits das Terrain, das er zwei Jahre später in der Beilage VIII zur zweiten Auflage der Spinozabriefee durch die Unterscheidung von Grund und Ursache sowie der Behauptung ihrer realen Vermischung analysieren wird. – Gegen Kants an den Naturgesetzen und insofern am ›Satz vom zureichenden Grunde‹ orientiertes Kausalitätskonzept soll ganz analog zur Spinozakritik ein Begriff von Ursache und Wirkung verteidigt werden, der die Dimension realer Zeit und wirklichen (finalursächlichen) Handelns berücksichtigt und ausdrückt – und somit eine ›verständige‹ Verkehrung der ursprünglichen Verhältnisse behebt. Auch die Kantische Philosophie scheitert – so Jacobi ausdrücklich in den Kladden – am Kausalitätsbegriff (vgl. JKl VII, 62/11 f.). Nicht jedoch, weil sie ihn systematisch überschwenglich gebrauchte, sondern im Gegenteil, weil sie ihn systemisch gerade nicht einzuholen vermag und doch implizit voraussetzt. – Zwar ist also auch bei Jacobi die Kritik an Kants ›Ding-an-sich‹-Auffassung intim mit der Kausalitätsproblematik verbunden, jedoch geradezu in der umgekehrten Weise im Vergleich zu den meisten nachfolgenden Kritikern Kants bzw. ihren philosophiehistorischen Kommentatoren: In der Beylagee des David Humee sind es eben, wie zunächst offenbar allein Fichte bemerkt, die in der Kritik der reinen Vernunftt anzutreffenden Unklarheiten und offenen Widersprüche im Begriff und in der Rolle von Sinnlichkeitt und Rezeptivität – und keineswegs, ein möglicherweise Kant zu unterstellender intern unzulässiger Kategoriengebrauch, auf die Jacobi die Aufmerksamkeit lenkt (vgl. hierzu vor allem die genaue Analyse der Beylage, die Birgit Sandkaulen vorgelegt hat (Sandkaulen [2007])). 72 Diesen Realismus aber, insofern er dem Jacobischen entspricht, mit einem »metaphysische[n]« Realismus zu identifizieren, um daher demgegenüber – wie Gottfried Gabriel – zu

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unserer Wahrnehmung von Gegenständen ausser uns als Dingen an sich« zugrunde – und »nicht als blos subjectiver Erscheinungen« wie im Falle des ›empirischen Realismus‹. Allerdings ist letzterer andererseits – so zeigen die von Jacobi angeführten Zitate aus der Kritik des vierten Paralogismus – derjenige ›Realismus‹, der unter den Bedingungen eines transzendentalen Idealismus einzig noch möglich ist. Pointiert bringt Jacobi diesen widersprüchlichen Befund in der berühmten Feststellung zum Ausdruck, daß er »verschiedene Jahre hintereinander die Critik der reinen Vernunft immer wieder von vorne anfangen mußte, weil [er] unaufhörlich daran irre wurde«, daß man ohne einen vorausgesetzten wahrhaften Realismus, also einen Realismus in Jacobis eigenem Sinne, »in das System [Kants] nicht hineinkommen, und mit jener Voraussetzung darinn nicht bleiben« könne (DH 222 f.). Den Widerspruch zwischen den realistischen Intuitionen und Prämissen und dem transzendentalidealistischen Programm der Kritik der reinen Vernunft, zwischen dem Dualismus der Zwei-Stämme-Lehre der Erkenntnis und dem Monismus des systemischen Wissen(schaft)sbegriffes, löst bereits 1787 die Beylagee in einen allerdings bei Jacobi noch polemisch gemeinten Rat auf, als dessen ernstgemeinte Verwirklichung schließlich 1794 die Wissenschaftslehre Fichtes auftritt: »Der transcendentale Idealist« solle der rationalen Konsequenz seines philosophischen Systems wegen – so Jacobi – »den Muth haben, den kräftigsten Idealismus, der je gelehrt worden ist, zu behaupten, und selbst vor dem Vorwurfe des spekulativen Egoismus sich nicht […] fürchten«. Er solle es dabei »nicht einmal wahrscheinlich finden wollen, daß Dinge, die im transcendentalen Verstande ausser uns wären, vorhanden sind«, sondern jeden Augenblick an der Behauptung »durchgängige[r] absolute[r] [transzendentaler] Unwissenheit« festhalten (DH 228 ff.). Der konsequente Kantianismus solle sich also ausdrücklich zu einem allein auf der apriorischen Vernunft aufbauenden und (wie Jacobis spätere Analysen der Fichteschen und Schellingschen Philosophie zeigen) in diesem Sinne dem Spinoza strukturell

bekräftigen, daß in Fragen der Außenwelt »der einzige Realismus, dessen es bedarf, […] Jacobi zum Trotz der empirische Realismus im Sinne Kants« sei (Gabriel [2004], 145/153), ist der Sache damit offensichtlich nicht adäquat. Die Unterscheidung eines ›metaphysischen‹ von einem ›empirischen‹ Realismus ergibt sich nämlich selbst allein auf Grundlage eines im weitesten Sinne kantianischen Konzeptes, das von einem bloß repräsentationalen (mentalistischen) Begriff der Vorstellung ausgeht. Innerhalb von Jacobis Denken ist diese Differenz jedoch vollkommen sinnlos, so daß hier nicht einmal ein ›Scheinproblem‹ entstehen kann, das als solches erst wieder mit großem Aufwand philosophisch durchschaut werden müßte. Insofern handelt es sich bei Jacobi selbst in der Tat um einen echten empirischen Realismus als dem begrifflich einzigg sinnvollen im Blick auf die ›natürlichen Dinge‹ – und gerade deshalb nicht um einen sogenannten ›empirischen Realismus‹ im Sinne der Kantischen Ausführungen in der Kritik des vierten Paralogismus. – Wie dieser empirische Realismus Jacobis sich zu einem Realismus der ›übernatürlichen Dinge‹, der schicklich ein ›metaphysischer Realismus‹ genannt werden könnte, verhält, ist dagegen eine andere Frage, auf die an gegebener Stelle zurückzukommen sein wird.

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ähnlichen deterministischen nihilistischen System des allerklärenden und die Realität dadurch in toto vernichtenden philosophisch-verständigen Denkens machen. – Denn es läge im transzendentalidealistischen ›Geist‹ der Kantischen Philosophie nicht nur, »daß sowohl die Gegenstände als ihre Verhältnisse, blos subjective Wesen, bloße Bestimmungen unseres eigenen Selbstes« – genauer, wie Jacobi ebenso bereits 1787 flüchtig festhält: des »blind vorwärts und rückwärts verknüpfende[n] Vermögen[s]« der Einbildungskraftt – »und ganz und gar nicht ausser uns vorhanden sind« (DH 223 f./225).73 Vielmehr herrsche ebenso über die Ursache oder den Träger der Einbildungskraft, mithin über ein ›Ich an sich‹, in Kants Philosophie eine genauso vollkommene Unwissenheit wie über ein ›Ding an sich‹,74 weshalb es

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In der 1801 veröffentlichten (doch schon zehn Jahre zuvor erstmals entworfenen) Schrift Ueber das Unternehmen des Kriticismus, die Vernunft zu Verstande zu bringen arbeitet Jacobi dann – natürlich mit Blick auf den inzwischen ausgebrochenen Fichte-Streit – die zentrale Rolle der Einbildungskraft bei Kant sowie die strukturelle Nähe von Kants Raum-, Zeit- und Bewußtseinskonzept zu Spinozas Substanz- und Immanenzgedanken gründlich heraus. Ziel ist dabei vor allem der Nachweis, daß Kant allein durch die Voraussetzung empirischer, sinnlich gegebener, Vielheit zu der (trügerischen) Überzeugung gelangen konnte, daß im zunächst Unendlichen, Einfachen und Unbestimmten der reinen Anschauungsformen Raum und Zeit sowie des reinen Bewußtseins durch ein »ursprüngliches Synthesiren« a priori, d. h. durch ein »Erschaffen aus Nichts« durch die Einbildungskraft qua »causa et effectus sui«, (eine gewisse Form von) Mannigfaltigkeit und Bestimmtheit hervorgebracht werde (JW III, 71/80/100/122 ff.). Die gleichzeitige Ortlosigkeit der empirischen Voraussetzung innerhalb eines konsequenten transzendentalidealistischen Systems läßt Jacobi schließlich auch die Kantische Philosophie mit dem Vorwurf des Nihilismus und Akosmismus konfrontieren. – Bereits die 1791 geschriebene, jedoch über 200 Jahre unveröffentlicht gebliebene Epistel über die Kantische Philosophie hatte indes die Aufmerksamkeit auf das synthetische Vermögen der Einbildungskraft als den Kern der transzendentalidealistischen Konstitutionslehre von Gegenstands- und Selbstbewußtsein gelenkt, insofern das entscheidende Mittelglied für die Verbindung zwischen den Grundsätzen des reinen Verstandes auf der einen Seite und dem »ganz [U]ngleichartige[n] der Empfindungen, d. i. [den] sinnlichen Vorstellungen oder Erscheinungen« Kants Lehre von den Anschauungen a priori sei (JGA 2,1 137). Weil der äußere Sinn zudem »durch den innern gehen« (JGA 2,1 138) müsse, komme dabei der Zeit als der Anschauungsform des inneren Sinnes ein Primat zu; sie bilde, so Jacobi, die »Cheville ouvriere« [Angelpunkt] des Kantischen Systems (JGA 2,1 149) und mit ihr die transzendentale Einbildungskraft als Vermögen der Schematisierung (vgl. JGA 2,1 129/139). 74 Kenntnis habe ich bei Kant – so Jacobi in seinen Kladden – nur von »Empfindungen des innern u äußeren Sinnes«, so »daß das Ich, welches ich meine Seele nannte, nur ein Abstractum ist, welches mein verknüpfender Verstand mit den Empfindungen des äußern Sinnes erzeugt, indem er das mannigfaltige derselben, an einander reiht, u sich dieser Handlung bewußt ist, u sich auf diese Weise selbst erzeugt.« (JKl VI, 51 [220 f.]) – Vgl. hierzu ebenso folgenden Eintrag Jacobis: »Das Object erscheint dir nicht, sondern du hast nur eine Erscheinung vom Object. – Auch dein Ich, was du deinen Geist, deine Seele nennst, ist blos subjectiv, eine Erscheinung, die reine Synthesis der Synthesen – gleichsam das Resultat einer componierten Bewegung, eine Diagonalis der Sinnlichkeit u ihrer Reflexionen – der äußerste Reflexionspunkt – du hast also mit

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dem Subjekt selbst (und damit endgültig auch allen seinen reinen Erzeugnissen) an Realität und Wahrheit mangele: »Ich« – so läßt Jacobi den fiktiven Gesprächspartner im David Humee die Konsequenzen des transzendentalidealistischen Ansatzes in einer Weise zusammenfassen, die noch Fichte im zweiten Buch der Bestimmung des Menschen wiederholen wird – »bin alles, und ausser mir ist im eigentlichen Verstande Nichts. Und Ich, mein Alles, bin denn am Ende doch auch nur ein leeres Blendwerk von Etwas; die Form einer Form; gerade so ein Gespenst, wie die andern Erscheinungen die ich Dinge nenne, wie die ganze Natur, ihre Ordnung und ihre Gesetze.«75 (DH 121)

dem Gegenstand, den du dein Ich nennst nicht einmal so gut, wie mit den Gegenständen außer dir« (JKl VII, 71). – Und in der Tat fällt das transzendentale Ich bei Kant selbst in keiner Weise in das Erkennbare und insofern Reale. Wie wiederum u. a. das Paralogismuskapitel der Kritik der reinen Vernunft als Kritik der rationalen Psychologie deutlich macht, handelt es sich beim Kantischen Subjekt inklusive der ursprünglichen Einheit der Apperzeption um nicht mehr als eine bloß logisch notwendige Bedingung von Erfahrungserkenntnis (vgl. KrV A 348 ff./B 406 ff.; vgl. auch B 156–158). Insofern daher beim Denken der Bestimmungen des Subjektes die Kategorien, wie Kant wiederholt betont, allein von ›transzendentalem Gebrauch‹ sind, können die Aussagen zur transzendentalen Subjektivität offenbar ebenso allein als rein problematische gelten wie der noumenale Begriff des ›Dinges an sich‹ (vgl. JW III, 87). 75 Dieses Zitat zeigt wie nicht wenige andere zugleich auch an, inwiefern die häufiger gestellte Frage, ob Jacobi in seiner Nihilismusdiagnose bei Kant (und ebenso bei Fichte) nicht wenigstens insofern einem Irrtum aufsitzt, als er diesen möglicherweise einen ›Egoismus‹ bzw. eine Verabsolutierung des endlichen, empirischen Ichss unterstellt (zuletzt diskutiert bei Metz [2004], 15 f.), zunächst zumindest nicht ganz ohne Anhalt ist. Diese Frage wird dadurch besonders interessant, daß sie sich für Jean Pauls Auseinandersetzung mit Fichte in der Clavis Fichtiana, die sich ausdrücklich auf Jacobi bezieht, noch viel offensichtlicher stellt. – Für beide gilt jedoch, so die These, daß eine bewußt inszenierte oder aber wenigstens nicht eindeutig ausgeschlossene Lesart der Transzendentalphilosophie im Sinne eines empirischen Idealismus nicht auf einem Mißverständnis Jean Pauls oder Jacobis beruht, sondern sich für diese vielmehr aus bereits auf die Transzendentalphilosophie angewandten bzw. aus zumindest der Kritik der reinen Vernunftt (Jacobi) und Fichtes System der Sittenlehree (Jacobi) selbst inhärenten unphilosophischen Überzeugungen ergibt. Für Jacobi ist dabei sicherlich die Natur der Einbildungskraft von besonderer Bedeutung. Und dies nicht nur insofern, als er sie, die noch den Grund des Verstandes darstellt, selbst für ein Vermögen der Anschauung des Einzelnen hält und daher feststellen kann, daß »Individualität […] die Wurzel der Intelligenz u aller Erkenntniß« sei (JKl VII, 65), sondern auch insofern, als er sie bei Kant selbst offenbar in einer ganz merkwürdigen Kippstellung zwischen empirischem und transzendentalem Charakter, zwischen Dasein in der Zeit und Hervorbringen der Zeit als solcher stehen sieht. In diesem Sinne lassen sich nämlich Überlegungen in Jacobis Schrift Ueber das Unternehmen des Kriticismus, die Vernunft zu Verstande zu bringen von 1801 deuten, die mit Blick auf KrV B 154 f. zu zeigen versuchen, daß erstens die reine, die (ideale) Zeit hervorbringende Tätigkeit der produktiven Einbildungskraft bereits den Begriff der ›Bewegung‹ bzw. ›Veränderung‹ voraussetzt und daß zweitens diesem Begriff auch Kant, selbst noch als transzendentalphilosophisch verbrämtem (vgl. JW III, 144–152), letztlich seinen Ursprung im Empirischen und im einzelnen (real-)zeitlichen Ich nicht verleugnen könne. Kant zeige sich in diesem

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β) Ambivalenzen II: Kants (Vernunft-)Glaube Insofern Jacobi selbst die Empfehlung des ›kräftigsten Idealismus‹ noch einmal mit der Behauptung ›durchgängiger absoluter transzendentaler Unwissenheit‹ verbindet, erinnert er zugleich aber ebenso an die grundsätzliche Gemeinsamkeit

entscheidenden Punkt also de facto wieder als Empirist und nicht als transzendentaler Idealist (vgl. JW III, 168–178; vgl. weiterhin: »Wenn wir daß sich Dinge verändern nur aus Erfahrung wißen, u wenn Veränderungen als solche wahrgenommen werden können,« d. h. im Medium der Sinnlichkeit als reale, nicht bloß vorgestellte gegeben sind, »so ist die Zeit keine bloße Form der inneren Anschauung. Der Kantianer muß in diesem Falle zugeben, daß er eine Zeit in der Zeit annehme«, eine reale Zeit als Grundlage der Zeit als Anschauungsform des Subjekts (JKl VI, 52 [223]); vgl. auch JKl VII, 62 [224]). Bereits in der Epistel über die Kantische Philosophie trägt Jacobi in diesem Sinne eine Kritik an einer vermeintlichen ›doppelten Zeit‹, einer »Zeit in der Zeit« (JGA 2,1 149) bzw. einer »reine[n] Zeit in der reinen Zeit«, vor: Einerseits behandle Kant Zeit und Bewußtsein als »Wechselbegriffe« (ebd., 150) bzw. identifiziere Zeit, Sukzessives, Zugleichsein, reines Bewußtsein und Substanz (ebd., 142). In diesem Sinne komme der (reinen) Zeit oder Sukzession nur die Bestimmung der »Beharrlichkeit« zu: Wechsel und Zugleichsein erschienen insofern nicht als Eigenschaften der Zeit selbst, sondern der Erscheinungen in der Zeit, die als das Beständige Substratum und damit Bedingung des Wechsels darstelle. Dieser reinen subjektiven Zeit gegenüber steht nach Jacobi eine Rede von der Zeit als dem ›Verhältnißß des mannigfaltigen empirischen Bewußtseyns in der Zeit‹ t (ebd., 149) bzw. von »Verhältnißen der Zeit«, mithin eine reale Zeit, »welch[e] jedermann den Wechsel der Dinge nennt« (ebd., 142). In diesem Sinne halte Kant auch, der rein (transzendental-)subjektiven, selbst nichtsukzessiven (ebd., 146) Konstitution der Zeit/Sukzession unbeschadet, an der Unterscheidung zwischen objektiver Sukzession und Sukzession in der Apprehension bzw. im Subjekt als Unterscheidung zwischen einem notwendigen und einem zufälligen Wechsel der Bestimmungen im Vorstellungsvermögen fest (ebd., 146/148). – Zwar bestimme Kant sehr wohl eindeutig das Verhältnis dieser Wechsel, indem er die objektive Sukzession aus der vorbewußten Übertragung der subjektiven Sukzession auf das Objekt erkläre (ebd., 147), und nähere sich damit »der Wahrheit fast bis zur Berührung«, sofern er »den Begriff der Erzeugung auf den Begriff ursprünglicherr Handlung zurück[führe]« (ebd., 148). Allerdings sei bei Kant mit dieser Rückführung ein fundamentales Mißverständnis verbunden: die Identifizierung der Kontinuität des Zeitablaufs mit der notwendigen Verknüpfung von Ursache und Wirkung (ebd., 144) bei gleichzeitiger Erklärung des Handlungsbegriffes aus der Theorie der Kausalität (ebd., 148; vgl. KrV B 249 f./A 204 f., auch B 572/A 544). Übertragen wir, so Jacobi, aus unserer inneren Erfahrung, d. h. aus unseren abstrakten Vorstellungen, die Bestimmungen ›Kraft‹, ›Handlung‹, ›Ursache und Wirkung‹ auf die äußere Erfahrung, so bleibe die Zeit, die reale Sukzession, notwendig außen vor. Ihre Erfassung setze eine ursprüngliche unmittelbare Handlungswahrnehmung, deren Annahme Kants »kritisches System durchaus [nicht] […] verträgt« (JGA 2,1 148). – Im selben Sinne hält Jacobi Kant schließlich entgegen, daß eine (transzendentalphilosophische) Ableitung einer bestimmten Zeit überhaupt, d. i. einer Quantifizierung der Zeit, aus der reinen (unteilbaren) Zeit unmöglich sei, ohne anzunehmen, daß der Einbildungskraft eine Zeiteinheit (aus der Wahrnehmung) gegeben sei (ebd., 151 f.), diese vermeintliche Gegebenheit in Kantischer Sicht jedoch allein auf die »›Empfindung a priori‹ zurückführe (vgl. ebd., 139).

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seines erkenntniskritischen Unternehmens mit demjenigen Kants.76 Diese sieht er zunächst zumindest so lange bestehen, wie mit der strikten Erkenntnisbegrenzung nicht nur einer schwärmenden, noch das Unmittelbare und ›Übernatürliche‹ in ihrem Erkenntnisanspruch usurpierenden rationalen Metaphysik ein Ende bereitet, sondern damit jeweils zugleich die Sphäre des ›Nichtwissens‹, d. i. das Feld für einen realistischen natürlichen, vor allem aber für einen transrationalen ›übernatürlichen‹ Glauben, eröffnet wird. Und in der Tat operieren neben Jacobi sowohl Kant als auch Fichte mit einem solchen Glauben, der zudem von allen dreien als originär praktischer Glaubee gedeutet wird. Jean Paul schließt sich dieser Auffassung ebenso an, und zwar, so werden wir sehen, in der Auslegung durch Jacobi. – Wie in der Figur ›meines Spinoza und Antispinoza‹ ist Jacobi nicht nur von der prinzipiellen Vereinbarkeit des transzendentalen Idealismuss im Modus des Wissens und des unphilosophischen Realismuss im Modus des Glaubens überzeugt, der er im Allwill durch ein ausdrückliches Friedensangebot auch Ausdruck verleiht,77 sondern sieht

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In diesem Sinne lobt der Fichte-Brieff ausdrücklich, daß erst Kant und Fichte die Philosophie von der »Anmaßung«, das Wahre als Wahres erkennen zu können, befreit hätten, indem sie »die höhere Mechanik des menschlichen Geistes entdeckt[en]«. Seitdem könne niemand mehr »mit dem Verstande, verzeihlich, schwärmen« und »hoffen, wohl endlich doch noch die wahre Cabbala zu finden, und mit Buchstaben und Ziffern, Wesen und lebendige Kräfte hervorzubringen« (JW III, 30 f.; vgl. auch DH 123, Brief Jacobis an Reinhold vom 11.2.1790 [zitiert nach Schneider [1986], 208]) sowie JW III, 340). – Allerdings unterstreicht Jacobi jederzeit auch die grundsätzlich Differenz seiner Erkenntniskritik im Vergleich zur Kantischen: Er schlage sich gerne auf Kants Seite, »so lange er Krieg führt, aber unter seinen Gesetzen« könne er »nicht leben« (ebd.). Zu verschieden sind dann doch Methode, Zwecke und Mittel, die mit dem transzendentalphilosophischen Ansatz verbunden sind (vgl. JW III, 340): Für Kant bedeutet, die Erkenntnisansprüche einer kritischen Prüfung zu unterziehen, gleichsam noch einmal schlechthin in den Rücken des wirklichen (empirisch-zeitlichen) Bewußtseins zu steigen und im reinen transzendentalphilosophischen Subjekt Konstitutionsbedingungen von Erkenntnis und Wirklichkeit überhauptt aufzuzeigen. Diesem Vorgehen, das in den Augen Jacobis bloß einen neuerlichen fatalen Setzungsakt, eine neue Manifestation rational-konstruierender, r am Modell systemischer Einheit orientierter Produktivität darstellt, gilt es, gerade ein Ansetzen bei konkreten historischen Entwürfen (wie dem Spinozas) bzw. beim lebendigen vernünftigen Dasein und damit ein › ›Auffinden‹ der Grenzen entgegenzustellen (vgl. Spin 34 f. sowie Sandkaulen [2000], 140 f.). Mit Jacobis methodischer Umkehrung der Vernunftkritik ändert sich zugleich die Auskunft dazu, ob die Vernunft bei ihren Irrtümern »einer natürlichen [Kant] oder künstlichen Verblendung [Jacobi]« erliegt (ebd., 137). 77 Zwar laufe – so wiederholen auch die Figurengespräche in der Allwill-Fassung l von 1792 die Beschreibung der nihilistischen Konsequenzen des transzendentalphilosophischen Ansatzes, die Jean Paul (wie Fichte) fast wörtlich aufnehmen – am Ende alles »darauf hinaus, daß, weil wir nur mit den Augen sähen, nur mit den Ohren hörten, wir auch nichts sähen, als unsere eigenen Augen, und nichts hörten, als unsere eigenen Ohren« (JW I, 115), und lasse die »Bündigkeit der Schlußverkettung« in der Philosophie allein »Gespenster« zurück (JW I, 116), doch, wollte sich der transzendentale Idealist auf seine Sphäre des philosophischen Wissens beschränken, d. h. sich

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dieses Bündnis auch bei Kant schon (unausgesprochenerweise) am Werk. Denn gerade mit der Behauptung eines zwar unerkennbaren, doch zugrundeliegenden ›Dinges an sich‹ zeige sich, daß auch der transzendentale Idealismus »auf einem ursprünglichen Instinkt« fuße, der ihm gebiete, »Wesen und Wahrheit, als das Erste und Festeste, unmittelbar, vorauszusetzen«, die Vorstellung eines von uns ganz verschiedenen empfundenen realen Etwas (JW I, 122). – Vor allem aber gilt Jacobi Kants Postulaten- bzw. Ideenlehre als Manifestation dieses ›vornehmen‹ unphilosophischen Instinktes. Erhaben sei Kant – so erinnert noch der späte Jacobi – in seinem Festhalten an den »übersinnliche[n] Begriffe[n]« von »Freyheit, Unsterblichkeit und Gott« (JW II, 33; JW III, 340 f.), also in der vermeintlichen Freilassung eines Raumes für einen »dem Dogmatism der Metaphysik unantastbaren [übernatürlichen] Glauben« (JW III, 352), mit dem er völlig zu Recht den »Primat [der praktischen Vernunft] über die theoretische« verbunden habe (JW III, 344). Doch wie die wahre realistische Intuition von ›Dingen an sich‹ in der Epistemologie Kants letztlich nur noch in der Form problematischer (idealer) Begriffe erscheine, würden auch die geahnten ›übernatürlichen‹ Vernunft- bzw. GlaubensWahrheiten innerhalb des verständigen transzendentalidealistischen Systems zu durch und durch nichtigen »Erdichtungen«, »Lückenbüßer[n] und »Notbehelf[en]«. Insofern ihr Organ – die Vernunft – bei Kant nur der Modus der rein (blind) ideal, aber absolut tätigen Einbildungskraft sei, haben sie mit den objektiv wahren, vertrauenswürdigen Vorstellungen, wie sie für Jacobi die unphilosophische Vernunft, ›die die Vernunft ist‹, offenbart und das reale moralische Handeln fordert, kaum noch etwas gemein. Dies beträfe nicht allein die Ideen des »Unbedingten«, von »Gott, Freyheit und Unsterblichkeit«, insofern sie von Kant im Theoretischen als nur dem Verstand subjektiv zur Erkenntnisordnung und -einheit »unvermeidliche und nothwendige« »heuristische Fictionen« angesehen werden (JW III, 100 ff.), sondern auch noch die vermeintlich »objective Regeneration derselben« als Postulate zum praktisch-moralischen Gebrauche.78 Denn aus der vom transzendental-

in der Reichweite, nicht in den Standards seiner Erklärungsansprüche bescheiden und diese nicht noch auf das wahrhaft Reale übertragen, könne sich die Unphilosophie »zu einem Frieden, selbst zu einer Art von Bündnis« mit ihm verstehen (JW I, 124). – Fichte wird sich wenige Jahre später in seiner Verhältnisbestimmung von Philosophie und Leben, vom spekulativen Standpunkt der Wissenschaftslehre und dem praktischen des ›gesunden Menschenverstandes‹ bzw. der Unphilosophie explizit auf dieses Friedensangebot Jacobis berufen (vgl. Brief Fichtes an Jacobi vom 30.8.1795 [GA III,2 391 ff.]). 78 In diesem Sinn bemerkt Jacobi im Sendschreiben an Fichte, daß für ihn kein größeres »Aergerniß« in Kants Philosophie existiere als der Vorschlag, Gott, Freiheit und Unsterblichkeit, »die Lückenbüßer der theoretischen Vernunft«, auf Grund der Lehre vom Kategorischen Imperativ »zu Bedingungen der Realität der Gesetze der praktischen zu machen« (JW III, 42; vgl. JKl VIII, 32–33 [216] u. XI, 79 [217]). – Diesen Übergang von der theoretisch regulativen zur praktisch konstitutiven Bedeutung der Ideen markiert Kant bereits in der Vorrede der Kritik

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idealistischen System vorausgesetzten Einheit der Vernunft folge, daß diese sich in ihrer theoretischen und praktischen Tätigkeit nicht widersprechen dürfe. Die Kritik der theoretischen Vernunft habe Objektivität und Realität aber an die sinnliche Anschauung, mithin an den Mechanismus im Felde der Natur bzw. im Subjekt als Intelligenz gebunden, so daß eine praktisch postulierte Objektivität der Ideen eine Unmöglichkeit darstelle. Der praktische Vernunftglaube an die tatsächliche Realität der Ideen werde zu einem »Aberglaube[n]«, der einen bloßen »Traum zur Wahrheit« zu machen versuche (JW III, 180–182). Kants praktische Lehre sei, indem sie eine »unmögliche Hypothese, ein undenkbares, chimärisches, lediglich subjectives Object« fordere, ebenso ein reiner »Nihilismus«, der alle Freiheit »zum Gespenste« werden lasse (JW III, 184 f.), wie seine Theorie i. e. S. Offenkundiger Ausdruck für das Unterlaufen des vorgeblichen Primats des Praktisch-Moralischen durch die erklärende System- und Beweislogik sind dabei – so bekräftigt auch der späte Jacobi noch einmal seine frühere Diagnose – Kants wiederholte Widerlegungsbemühung des Idealismus ebenso wie die Klage über die theoretische Unerkennbarkeit der übernatürlichen Dinge. Sie zeigten Kant als »Lehrer der Philosophie«, der bis zuletzt »wenigstens de[n] Schein einer wissenschaftlichen Erfindung jener [übernatürlichen] Wahrheiten« der Vernunft wahren wolle (JW III, 364/370).79 Vom

der praktischen Vernunft, insofern er hier nunmehr ausdrücklich die Wirklichkeit der Freiheit (wenn auch nicht als theoretisches Erkenntnisobjekt) in dem Maße behauptet, wie sie die Bedingung des »apodiktische[n] Gesetz[es] der praktischen Vernunft« darstelle (KpV 4 f.), von dessen Faktizität im Sinne eines Bewußtseinss des kategorischen Imperativs Kant ausgehen zu können meint (vgl. KpV 56). Das (bei Kant letztlich aus der unmittelbar bewußten Pflicht erschlossene) Faktum der Freiheit wird erst so zum »Schlußstein von dem ganzen Gebäude eines Systems der reinen, selbst der spekulativen Vernunft«. Der Freiheit kommt damit eine Sonderstellung unter den Ideen zu, die sich weiter daran zeigt, daß die Ideen von Gott und Unsterblichkeit in ihrer Realität vermittelt auch von der Realität der Freiheit abhängen. – Obwohl unter den publizierten Werken erst Jacobis Schriften von 1811/1815 den Primatt des Praktischen bei Kant explizit und zugleich ausführlich thematisieren, hatte Jacobi gerade mit Blick auf die Kritik der praktischen Vernunftt schon 1788 selbst diese Lage angedeutet und in einem Brief an Kleuker verwundert vermerkt, daß auch Kant sich nicht anders zu helfen wisse, als Freiheit im Praktischen »geradezu« anzunehmen und vorauszusetzen (zit. nach Homann [1973], 153). 79 Worauf es bei theoretischen und praktischen Postulaten also ankommt, ist der Umstand, daß in beiden Fällen die Objektivität der Ideen in nichts anderem als ihrer Notwendigkeit für uns besteht, daß sie also m. a. W. aus dem menschlichen Verstand bzw. einem Interesse der menschlichen Vernunft a priori als notwendig bewiesen wird (vgl. KpV 218 f.). Die Vernunft selbst sei dabei der »Beweisgrund« und damit »höher« noch als der Gott, den sie vermeintlich beweist. »Nach Kant können wir von Gott nichts erbeten, v[on] uns selbst aber alles – denn v[on] uns selbst erbeten wir sogar Gott, unsere eigene Seele, ihre Freyheit u Unsterblichkeit.« (JKl VII, 20 [217]) Kants Gott werde so zu einem bloß »psychologische[n] Phänomen« (JKl VIII, 26 [217]). – Der wahre Gott könne daher nicht bewiesen werden, sondern die Vernunft selbst folge erst aus ihm (JKl VIII, 85 [217]).

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höheren Standpunkt der Unphilosophie aus erscheinen aber alle Beweisversuche für Realismus, Gott oder Freiheit, also auch derjenige Kants aus der Beschaffenheit von Verstand und Vernunft bzw. aus den Bedingungen des Sittengesetzes der reinen praktischen Vernunft, als »Thorheit«. Wer weiterhin Beweisbarkeit fordert und nicht der »unmittelbaren Autorität der Vernunft« vertraue, werde sie schließlich konsequenterweise immer »als leere Täuschung« verwerfen müssen (JW III, 366 ff.). Die Einsicht in den Charakter von Vernunftglauben und Ideen im Sinne von subjektiven, theoretisch und praktisch notwendigen Annahmen, eröffne so letztlich nicht eigentlich das Feld des lebendigen Glaubens und damit des wirklichen sittlichen Handelns, sondern zerstöre es – wie die Einsicht in den subjektiv konstituierten Charakter der Erfahrungsgegenstände diese als wahrhaft reale vernichtet. Kant sieht sich daher vom späten Jacobi noch einmal mit dem Vorwurf konfrontiert, der ebenso bereits den Kern der unphilosophischen Kritik an Spinoza dargestellt hatte: »[D]er Kantische Kriticismus oder transcendentale Idealismus« – so Jacobi –, »anstatt die Verwechslung und Vermischung der Begriffe von Grund und Ursache als einen Irrthum aufzudecken, rechtfertigte sie vielmehr, und führte systematisch zu der im Text erörterten Behauptung: daß in Wahrheit nichts geschehe.« (JW III, 452 f.) γγ) Ambivalenzen III: Jacobi und die Kantische Ethik Steht Jacobi also Kants allgemeiner Behandlung des Praktischen und der Freiheitsproblematik überhaupt zunächst ambivalent und schließlich mit Blick auf den dominanten Geist des Systemischen ablehnend gegenüber, so gilt dies in ganz ähnlicher Weise in der Moralphilosophie i. e. S. Zwar verbindet einerseits bei allen Differenzen in der »Herleitung und Hinleitung« des moralischen »Hauptgrundsatz[es]« – so hebt insbesondere der dritte Brief der Zufällige[n] Ergießungen eines einsamen Denkerss hervor – wiederum eine »uralt[e], durchaus menschlich[e] und erhaben[e]« (JW I, 298/305) Intuition Jacobi und Kant in der gemeinsamen Frontstellung gegen ›Epikuräer‹ und ›Stoiker‹.80 Die Unphilosophie geht ebenso wie die Kantische

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Vgl. KpV 69–71. Kant begründet seine Gegnerschaft zu Epikurs Eudaimonismus, zu Moral-sense-Theorien und zur stoischen Ethik dabei in der diesen gemeinsamen Annahme eines materialen Sittlichkeitsprinzips, welches zum Verständnis wahrer allgemeinverbindlicherr Moralität jedoch prinzipiell »untauglich« sei. – Insofern Jacobis ›uneigennütziger Trieb‹ seinerseits aber gesetzmäßige Verbindlichkeit mit der Materialität des Sittengesetzes verbinden soll, verbirgt sich hinter Kants Kritik zugleich bereits auch die entscheidende Differenz zu Jacobi, die die Abhandlung Über die Freiheit des Menschen schließlich auch deutlich herausstellt. Daher unterscheidet sich auch Jacobis Kritik des Stoizismus, dem er selbst einige Zeit angehangen habe, von derjenigen Kants. Der Fehler, den Stoizismus und Epikuräismus teilen, liegt für Jacobi in der Reduk-

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Morallehre von der »Unabhängigkeit des Princips der Sittlichkeit von dem Princip der Selbstliebe«, d. i. von der sittlichen Autonomiee des Menschen (gegenüber seiner natürlichen Heteronomie), aus (JW I, 304; vgl. u. a. KpV 62 ff.). Während der »eigennützige« Trieb in der Suche nach individuellem »Vergnügen« und »eigene[r] Wohlfahrt« nur relativ gebietet, verpflichtet der »uneigennützig[e]« in beider Überzeugung unbedingtt auf rechtschaffene und tugendhafte Handlungen. Allein letzterer drücke die »Würde der menschlichen Natur« aus und stelle das »Geheiß des Göttlichen in uns« dar, das sich als ›Gewissen‹ oder ›Herz‹ kundtue (JW I, 298 f.). – Solle aber die Tugend nicht wie bei den Epikuräern auf das Glücksstreben zurückgeführt oder stoisch die ›wahre‹ Glückseligkeit mit dem tugendhaften Handeln einfach identifiziert werden, solle der Mensch aber auch nicht sein »Daseyn verwünschen« müssen, weil sich die unabweisliche sittliche Pflicht und die unvertilgbare »dringende Begierde nach Glückseligkeit« widersprechen, bedürfe es eines »gerechte[n] Gott[es]«, »dessen Allmacht mit der Würdigkeit glücklich zu seyn, auch die Glückseligkeit verbinden wird« (JW I, 303). Auch Kant habe dies in seiner Lehre vom Vernunftglauben anerkannt (vgl. KrV A 806 ff. u. KpV 219 ff.) und damit den unbedingten »Glauben an Tugend« mit dem (vernunft-)religiösen »Glauben an einen weisen, allmächtigen und gütigen Urheber der Welt, an seine moralische Regierung und die Belohnung der Tugend in einem künftigen Zustande« unmittelbar verbunden (JW I, 304). – – Doch erscheint nach Jacobi eben andererseits die Kantische Sittlichkeit in ihrer systemisch-verständigen Gestalt letztlich – und dies betonen vor allem die Freiheitsabhandlungg in den Spinozabriefen und der zweite Teil des Sendschreibens an Fichtee – als »Tugend der bloßen Vernunft«, d. i. als »reiner Egoismus, dem Gott selbst sich unterwerfen, in seine Peripherie sich begeben muß«. Kants »Vernunftreligion« zeige sich daher schlußendlich als »Abgötterey«, »die sich nothwendig zum Atheismus [zu] läutern« hat.81 Denn bei genauer Analyse der Konsequenzen seiner systemischen Behandlungsart und Herleitung erweise sich selbst Kants kategorischer Imperativ der Sache nach eigentlich als allein »aus dem Triebe der mit sich selbst Übereinstimmung«, d. i. der ›Eigenliebe‹, deduziert (JW III, 42), wie Fichte es, darauf weist Jacobi Jahre später ausdrücklich hin, in den Vorlesungen Von der Bestimmung der Gelehrten auch tatsächlich tut.82 Noch das Handeln nach »moralischen Gesetze[n], welche apodiktische Gesetze der praktischen Vernunft

tion der beiden voneinander streng zu trennenden Grundtriebe im Menschen, d. h. von eigennützigem und uneigennützigem Trieb, auf nur einen. Für den Stoiker bedeute das die gänzliche Negation der Glückseligkeitsansprüche und insofern einen heillosen ethischen Rigorismus (JW I, 300). Insofern ist bereits in Jacobis Roman Allwilll die spätere Entwicklung des Humoristen Leibgeber zum Fichtianer auch im Hinblick auf seinen essentiellen Stoizismus der Sache nach ausdrücklich vorweggenommen. 81 Brief Jacobis an Buchholz vom 19.5.1786 (JBW I,5 213). 82 Vgl. Fichte: Von den Pflichten der Gelehrten. Jenaer Vorlesungen 1794/95, 13.

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genannt werden«, vollziehe sich m. a. W. bei Kant, dessen Morallehre sich damit nicht wesentlich von der Spinozas unterscheide,83 eigentlich rein ›mechanisch‹ als streng notwendige Realisierung eines apriorisch-wesentlichen Selbsterhaltungsstrebens rational-sinnlicher Wesen bzw. dem reinen Identitätsstreben der Vernunft (vgl. Spinozas ›conatus‹). Es negiere damit alle wirkliche Freiheit, »obgleich ein Schein von Freiheit durch das entgegengesetzte Interesse des Individui und der Person« entstehe (Spin 171). Der Kantische Dualismus von allgemeinerr moralischer Pflicht bzw. (noumenaler) Freiheit und sinnlicher Neigung bzw. Naturkausalität stellt sich nach Jacobi also im Gegensatz zum wahren unphilosophischen Dualismuss von willentlich absichtsvollem, d. h. vernunftgesetzlichem,84 realem (sittlichen) Handeln

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Vor allem in der ersten Abteilung der Aphorismen Über die Freiheit des Menschen mit dem Titel »Der Mensch hat keine Freiheit« zieht Jacobi unmittelbar und eher implizit, weder die Ethikk noch die Kritik der praktischen Vernunftt direkt referierend, ja vielmehr rein empirisch und in Bezug auf einen ganz sinnlich-körperlich bestimmten Willen argumentierend, die Darstellung und Kritik der Morallehren Spinozas, Kants sowie eines empiristischen Utilitarismus, der offenbar auf Locke verweist, zusammen (zur Kritik Jacobis an Lockes Personenbegriff vgl. Sandkaulen [2004], 228 ff.; zur letztlich erst durch die Begegnung mit Kant [!] aufgehobenen Affinität von Jacobis eigenem frühen Moral- und Willenskonzept zu empiristischen bzw. sensualistischen psychologischen Theorien vgl. David [1913], 134/145 ff.). – Im selben Sinne, nunmehr aber ausdrücklich identifiziert Jacobi schließlich in der Vorrede des Allwilll von 1792 den auf Kant zielenden Begriff eines »Instinkts« der »blossen Vernunft«, der allein auf »Personalität«, nicht auf »Person« und individuelles »Daseyn« gehe, mit dem »Affect der Vernunft« Spinozas, wobei sich – so Jacobi – auf gleiche Weise aus beiden der »categorische Imperativ der Sittlichkeit […] vollkommen begreiflich« machen lasse. – Dabei geht es Jacobi – so zeigt diese Stelle ebenso – gar nicht darum, das faktische Vorhandensein eines kategorischen Imperativs generell zu bestreiten. Vielmehr soll nur neben dessen »Vermögen« zugleich ebenso sein »Unvermögen« (im Blick auf die realee Willensbestimmung), das mit der »Ausschließung der Person und des Daseyns«, d. i. wiederum der zeitlichen Individualität, einhergehe (Vorrede 1792, JW I, XIVf. Anm.), (in seinen philosophischen Konsequenzen) bedacht werden. 84 Daß es ihm mit der Kritik der Pflicht aus reiner Vernunft gerade nicht um die vollständige Aufhebung aller gesetzmäßigen Verbindlichkeit im sittlichen Handeln zugunsten der alleinigen Herrschaft der regellosen genialen moralischen Intuition, wie der eines Allwill oder Woldemar, geht, wird Jacobi nimmer müde gegen alle Zweifel zu betonen: Niemand habe die Notwendigkeit von Grundsätzen »gründlicher, mannichfaltiger, auffallender dargethan, u sie beßer eingeschärfet […], als es überall von mir geschehen ist« (Brief Jacobis an Reimarus vom 23.10.1781, JBW 1,2 358). – Allerdings dürfe auch nicht »die erste u. nothwendige Bedingung der Sittlichkeit«, d. i. das Vermögen, nach Gesetzen zu handeln, »mit der Sittlichkeit selbst, die in einem höheren Verlangen besteht«, verwechselt werden (zit. nach Hammacher [1969], 154). Das allgemeine moralische Gesetz ist nach Jacobi nicht wie bei Kant Selbstzweck, sondern unentbehrliches ›Mittel‹ des sittlichen Lebens des konkreten Individuums. Reine Empfindung – so führt Jacobi vor allem auch im Allwilll vor – sei genauso unnütz wie »lauter absichtslose Wisserey ohne Wissen« (JW I, 213); vielmehr müsse zwischen beiden eine sich als »Liebe« (JW I, 175) manifestierende Harmoniee bestehen, durch die das Gefühl ›gereinigt‹ und ›geschärft‹, das intuitive Handeln verstetigt, der Gedanke aber verlebendigt werde (vgl. JW I, 216 f.).

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und bloß mechanisch-natürlicher Wirkkausalität und Triebbefriedigung als bloßer Scheindualismuss dar (vgl. Spin 172 f.).85 Denn vernünftiger Wille und unvernünftige Begierde(n) eines Wesens seien bei Kant ebenso wie die Begierden verschiedener Wesen einer Art eigentlich nur graduell unterschiedene Ausdrücke ein und derselben »Begierde a priori« (Spin 167 f.). Dies deutet Jacobi dabei letztlich auf die Weise – und damit entgegen dem augenscheinlichen Primat der reinen sittlichen Willensbestimmung –, daß der situativ-wirklichee Wille oder Trieb eines lebendigen Wesens sich damit aus einem einfachen rein mechanischen Gegeneinander-Aufwiegen und Miteinander-Verrechnen der verschiedenen Modi derselben Begierde ergebe; und auch der realee sittliche Wille und die tatsächlichee Verbindlichkeit konkreterr moralischer Verpflichtungen seien nur das Resultat einer Kalkulation des Nutzens für die Macht des (rational-bewußten) Ichs (vgl. Spin 169). Kants Moralgesetzen kommt m. a. W. für die Freiheitsabhandlungg nur der Status von »Gesetze[n] einer technischpraktischen Vernunft«,86 d. i. von reinen Klugheitsregeln, zu, die nach Jacobi mit einem freien, absichtsvollen Handeln auss (sittlichen) Grundsätzen nur noch wenig zu tun haben. Diese auf den ersten Blick geradezu abwegige These Jacobis zu Kant gewinnt an Ernsthaftigkeit, betrachtet man ihre beiden entscheidenden Momente noch einmal genauer: Die Diagnose des bloß mechanistischen Kalkulierens bei Kant bezieht sich erstens nämlich zunächst durchaus auf die Verwirklichungsgesetze eines rein vernünftigen Willens. Sie bekommt zweitens bei Jacobi aber in dem Maße ebenso eine empirisch-sinnliche Dimension, wie auch bei Kant wesentlich die Frage wirklicher sittlich-konkreterr Handlungsbestimmung im Spiel ist und Jacobi eine solche von einer reinen, allgemein-formalen Vernunft als prinzipiell (und auch Kant-intern) nicht zu leisten ansieht:87 (1) Der Fichte-Brief stellt Kants ›kategorischen Imperativ‹

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Allerdings fällt auch in Jacobis Alternativvorschlag wieder umgekehrt eine erstaunliche Nähe zu Spinozas ethischem Konzept auf. Denn nicht nur geht es gerade auch in diesem um die Übermacht der intellektuellen Einsicht über die sinnlichen Affekte in einer gleichsam natürlichen Selbstentfaltung eines (›höheren‹) ursprünglichen Strebens, sondern das ethische Programm bei Spinoza steht ebenso wie bei Jacobi unter dem Stichwort ›reiner Selbsttätigkeit‹ und ist intim verbunden mit den Begriffen der »Freude« und der »reinen Liebe« (vgl. Spin 177–179 sowie Stolzenberg [2004], der bei der Rekonstruktion der Freiheitsabhandlungg Jacobis ebenso auf die verblüffende strukturelle Nähe der zweiten Abteilung zu Spinoza aufmerksam macht, doch zu Unrecht vermeidet, ebenso die erste Abteilung mit Spinoza in Verbindung zu bringen. Mit dem Blick für das doppelte Vorkommen Spinozas verliert jedoch die Notwendigkeit, bei der Verwendung scheinbar Spinozanischer Motive in Jacobis ›Antispinoza‹ den behaupteten radikalen Perspektivenwechsel einzurechnen, an Kontur.) 86 Stolzenberg (2004), 23. Daß Kant dies selbst natürlich ausdrücklich bestreitet, bedarf keines weiteren Nachweises (vgl. KpV 63 f.). 87 Das Schillern von Jacobis Utilitarismusvorwurf an Kants Moralphilosophie (bzw. seines diesem zugrundeliegenden Begriffs der ›Eigenliebe‹), der mal mit einem empirischen Klug-

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ausdrücklich als konsequente Folge aus dem »Höchste[n] im Begriffe«, d. i. der »Einstimmigkeit des Menschen mit sich selbst«, insofern dieser ein reines Vernunftwesen bzw. ein rein rationaless Wesen ist – kurz: aus dem Grundprinzip ›idem est idem‹ allen erklärenden Denkens, dar (JW III, 40). Denn Kants Versuch, wenn schon nicht das Daß, so doch wenigstens das (apriorisch) mögliche Wiee des Wirkens der Freiheit noch transzendentalphilosophisch einsichtig zu machen – nämlich zunächst einmal eben als praktisches Vernunftgesetzz –, gilt Jacobi ebenso wie die Rede von der »Freiheit« als »Gegenstand der Kategorie der Causalität« (vgl. KpV 6)88 als eindeutiges Indiz für das auch im Moralisch-Praktischen bei Kant noch vorherrschende Ideal der systemischen, d. i. theoretisch-verständigen, Vernunfteinheit. – Insofern daher die tätig-gründende Leistung der praktischen Vernunft sich nicht wesentlich von derjenigen der theoretischen, d. i. der reinen Spontaneität des Verstandes bzw. der apriorischen Produktivität der schaffenden Einbildungskraft, unterscheiden könne, sich diese für Jacobi aber grundsätzlich als inhalts- und bestimmungslos erwies, erscheint ihm auch der reine Vernunftwille (und seine Produkte)89 in seiner ausschließlichen Selbstbezogenheit als bloß formal, realitätslos und leer. Unter keinen Umständen sei allein oder primär aus seiner strengen Allgemeinheit ein Maßstab

heitskalkül (bzw. einer individuellen, sinnlich-körperlichen Triebbestimmung), mal mit einer formal-allgemeinen Selbstbestimmung der reinen Vernunft bzw. Rationalität verbunden wird, entspricht dabei bis in ihre Motivation und Rechtfertigung hinein den Deutungsvariationen der Egoismusdiagnose im Feld des Theoretischen. Auch hier hält Jacobi, wie im übrigen ebenso Jean Paul, bewußt (und keineswegs aufgrund eines Mißverständnisses) eine transzendental-allgemeine Interpretation des Fichteschen Ich-Begriffes genauso im Spiel wie eine empirisch-konkrete. 88 Ganz ähnlich, wenn auch mit Blick auf die Kritik der reinen Vernunftt argumentiert Birgit Sandkaulen, wenn sie auf die Unversöhnbarkeit des bei Kant als transzendentale Idee verstandenen Freiheitsbegriffes und Jacobis nur durch ihre Wirklichkeit in der individuellen Tat selbst erfahrbare, aber sonst unbeweisbare Freiheit hinweist (vgl. Sandkaulen [2000], 194). Kants Rede von einer von der ›Kausalität der Natur‹ unterschiedenen intelligiblen ›Kausalität aus Freiheit‹ entspreche demnach mitnichten Jacobis Handlungsprinzip finalursächlichen Anfangens. Während für Jacobi nämlich das Phänomen der realen Veränderung und somit das ›Geheimnis der Zeit‹ im Mittelpunkt des Interesses stehe, verfehle Kant gerade dadurch das richtige Verständnis des Handlungsbegriffes, daß er – seinem programmatischen Ansatz, die Kausalität gegen die skeptischen Einwände Humes durch eine apriorische Untersuchung zu verteidigen, geschuldet – vom Zeitbezug jeder Handlung abstrahiere und ihn trotz seines Status als Vernunftidee im Begründungsinteresse einer Vervollständigung des »Kausalgesetzes« und damit als ›Prädikabilie‹ der Kategorie der Kausalität zu einem zeitlosen Verstandesbegriff mache (vgl. ebd., 206 ff.). M. a. W.: Obwohl »weder die ›Wirklichkeit der Freiheit‹ noch auch ihre ›Möglichkeit‹« bewiesen werden könne, sei es nach Kant gewiß, »daß ihre Kausalität wie die der Natur unter einem Gesetz« stehe. Dies sei ein Konzept, das von Jacobi scharfsinnig und zu Recht als deterministisch-mechanistisch gebrandmarkt werde (ebd., 211). 89 Das sind vor allem auch die von ihm zum praktisch-moralischen Gebrauche notwendig gerechtfertigten Postulate von Gott und Unsterblichkeit der Seele.

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für gutess (situativ-reales) Handeln zu gewinnen. Kants Moralphilosophie empöre – so Jacobi –, weil sie, dies verkennend, einen »Willen der Nichts will, diese hohle Nuß der Selbstständigkeit und Freyheit im absolut Unbestimmten« zur höchsten moralischen Instanz erkläre (JW III, 37), weil sie also (wie Spinoza das »principium essendi« bzw. »compositionis« dem »principium generationis« [DH 94 ff.]) die rational-objektiven Bestimmungsgründe s e des Willens ihrer strengen Allgemeinheit und asinnlichen ›Reinheit‹ wegen den individuellen Motiven bzw. der Willenshandlungg selbst vorordne. Anstatt Werkzeugg zu sein der lebendigen moralischen Intuition eines individuellen Geistwesens, die diesem allein das im Konkreten jeweils verlangte Gute zu erkennen und zu tun erlaube, fordere bei Kant das ebenso allgemeine und ausnahmslose wie unbestimmte Gesetz der reinen praktischen Vernunft von der konkreten moralischen Person »einen starren Gehorsam« (JW III, 40). Doch in Wahrheit sei eben »das Gesetz um des Menschen willen gemacht […], nicht der Mensch um des Gesetzes willen« (JW III, 38). Desdemona, die sterbend log, um den an ihr zum Mörder gewordenen Gatten Othello zu schonen, und Pylades, der in der Gefahrensituation für Orest sich ausgab (JW III, 37), beweisen für Jacobi gerade in der Nichtverallgemeinerbarkeit ihrer Handlungsgründe im Sinne abstrakter Vorschriften ihre sittliche Größe. Diese sei vielmehr nämlich Ergebnis der ihre Tat leitenden individuell-personalen Selbstbindung als einer Verbindlichkeit sui generis im Modus der Endursächlichkeit.90 – (2) Der Formalismus und Nihilismus der Kantischen Pflichtenlehre innerhalb eines abstrakten Dualismus von Form und Gehalt, Vernunft und Natur schlägt nach Jacobi unter der Hand und mit Blick auf die wirklichee Willensbestimmung zugleich aber im wahrsten Sinne des Wortes in eine Renaturierungg des vermeintlich moralisch-›übernatürlichen‹ Handelnss um. Denn als nur allgemeine, inhaltsleere Vorschrift sei Kants Moralgesetz eigentlich ein bloßes »Verbot«,91 d. h. nur eine Einschränkungg des Glücksstrebens bzw. der sinnlichen Begierdee des Individuums. Durch die Annahme eines »blos negative[n] Sittengesetz[es] für den Menschen« und für alle vernünftigen Wesen lehre Kant also, daß »sich kein andrer Trieb, kein andres Streben denken lasse, als nach Lust, welches wir mit den Thieren gemein haben«.92 Die (Kantische) praktische Vernunft könne damit weder selbst ein ›Trieb‹

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Wobei Jacobi eben selbst, wie auch Jean Paul, sehr wohl die Notwendigkeit vermerkt, diese unmittelbare Sittlichkeit durch eine Handlungsbestimmung nach moralischen Grundsätzen und Gesetzen zu ergänzen – und damit die am doch recht exklusiv bleibenden Freundschaftsverhältnis von Tugendsamen orientierte Ursprungsgestalt des Sittlichen, die besonders im Beispiel von Pylades ihre makellose Verkörperung findet, durch bloß dieser Form ähnliche Verhältnisse zu erweitern. 91 JKl VI, 19 [226], vgl. auch KpV 128. 92 JKl VI, 38; vgl. JKl V, 20 f. [339].

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sein noch einem spezifischen moralischen Trieb zum Bestimmungsgrunde dienen; soll sie trotzdem, wie von Kant behauptet, etwas mit der Realität des menschlichen Handelns zu tun haben, dann müsse sie daher als nur (technisch-praktisches) »Vermögen mittelbarer Selbstbestimmung, mittelbarer Begierden, des Nützlichen« zur Befriedigung von sinnlichem »Trieb u[nd] Empfindung« angesehen werden.93 – Gilt also – so läßt sich Jacobis Überlegung noch einmal umreißen –, daß (1) bei Kant der »Bestimmungsgrund« des Sittengesetzes formale »Allgemeinheit« und sein »Object, das Gesetz selbst [ist], in sofern es alle [Menschen] auf gleiche Weise verbindet«, und daß (2), da Kant keinen anderen Trieb anerkenne, die »einzige Materie« in der Transzendentalphilosophie der eigennützige Trieb, d. i. Luststeigerung und Unlustabwehr, ist,94 so folgt, daß (3) das gesetzmäßig-sittliche Handeln als angewandtee »Form der Vernunft«, d. i. als realess Handeln, selbst sinnlichen Trieb und Neigung zur Materie bzw. konstitutiven Bedingungg haben müsse95. – Ausdruck

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JKl VI, 35 [226]. – Ohne Bezug auf Jacobi, aber durchaus ganz in seinem Geiste, vermerkt Giovanni Sala im Blick auf die Kritik der praktischen Vernunftt das systematischee Fehlen eines oberen Begehrungsvermögens im Sinne eines vernunftgeleiteten Erstrebens des Guten. Ohne ein solches bleibe das reine formale Sittengesetz notwendig inhalts- und wirkungslos, was Kant insofern selbst anerkenne, als er einerseits mit dem Begriff des Selbstzweckes ein ›materiales Prinzip‹ und andererseits in seinen Beispielen das sittlich Gute als Gegenstand des sittlich guten Willens en passant und via facti einführe. Allerdings ohne – so auch Sala – beiden in seiner Handlungslehre und in seinem Ethikkonzept einen theoretischen Ort einzuräumen (vgl. Sala [2004], 163 f.). – Die drei möglichen Hinsichten und Konsequenzen gerade dieses Befundes spielt Jacobi durch: in den Ergießungen steht das wenigstens faktisch (und für Jacobi offenbar implizit auch in der Autonomiethese) von Kant anerkannte Strebevermögen nach dem sittlich Guten im Mittelpunkt; der Fichte-Brieff spiegelt das systematische Fehlen eines oberen Begehrungsvermögens bei gleichzeitigem Primat des Apriorisch-Vernunftgesetzlichen noch bei der Willensbestimmung; die Aphorismen und einige Kladdeneintragungen schließlich gehen ebenso vom systematischen Fehlen eines oberen Begehrungsvermögens aus, reflektieren aber diesmal zugleich die faktisch zum Handeln auch von Kant anerkannte Notwendigkeit eines Begehrungsvermögenss überhaupt, das daher nur sinnlich sein kann. 94 JKl VI, 40–41 [227], vgl. JKl V, 20–21 [339]. 95 Vgl.: »Man kann sagen, daß nach Kant die Moral sich dieselben sinnlichen Antriebskräfte zunutze macht, die seiner Konzeption entsprechend auch beim außermoralischen Handeln wirksam sind. Unser System der Neigungen bildet letztlich also auch die motivationale Grundlage für das moralische Handeln.« (Scarano [2002], 146) – Jacobi registriert übrigens sehr wohl, daß Kant in der Figur der Maximenüberprüfungg am kategorischen Imperativ von der empirisch gesicherten Materialität der konkreten sittlichen Handlungsweise ursprünglich und fraglos auszugehen versucht. Nur würde Jacobi weiter behaupten, daß damit das Verhältnis des reinen Willens zu seiner materialen Bestimmung gerade noch nicht geklärt ist, daß m. a. W. auch die moralische Bewertung der Maximen durch die reine praktische Vernunft selbst – sollte sie angesichts der abstrakten Allgemeinheit und leeren Formalität des kategorischen Imperativs denn überhaupt statthaben und nicht ihrerseits einen materialen Maßstab voraussetzen – wenigstens konkrete Handlungsfolgen nur durch ein Gefühl hervorbringen könne, welches aber unter den Kantischen

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dieser Problematik sind für Jacobi dabei vor allem Kants Betrachtungen zur Rolle der Glückseligkeit als vermeintlich himmlischem »Lohn der Tugend« (vgl. JW III, 192)96 sowie diejenigen zur Funktion des reinen Achtungsgefühls, mit dessen Herleitung sich die Transzendentalphilosophie bis an die Grenzen des apriorisch Bestimmbaren heranwagt – oder, wie es Jacobi scheint, auch weit darüber hinaus. Denn das Gefühl der ›Achtung‹ vor dem moralischen Gesetz bilde – so referiert Jacobi aus dem ›Dritten Hauptstück‹ im ersten Teil der Kritik der praktischen Vernunftt – selbst die »einzige und zugleich unbezweifelte moralische Triebfeder«.97 Es stellt damit im Praktischen ein dem ›transzendentalen Schema‹ ähnliches (und systematisch ebenso zweifelhaftes) Zwitterwesen von Apriorität und Aposteriorität, von Vernunft und Sinn dar, mit dessen Hilfe zwar nicht die (sowohl objektiv als auch subjektiv) verbindlichee Wirksamkeit des moralischen Gesetzes überhauptt – denn diese gilt Kant wie die Freiheit als unerklärbares Faktum (vgl. KpV 56) –, sehr wohl aber die Umständee seines Wirkens auf die subjektive Willensbestimmung in ihrer apriorischen Möglichkeit erklärtt werden sollen. – Insofern mit den unbedingten Forderungen des Sittengesetzes eine Vermittlung seiner Wirksamkeit auf den Willen durch Gefühle, Triebe oder Neigungen zwar als generell unvereinbar gilt,98 der Gedanke einer Triebfederr für die Bestimmung des empirisch-subjektiven Willens jedoch auch in diesem Fall nicht gänzlich aufgegeben werden kann, soll das Achtungsgefühl als Mittelglied99 selbst sowohl rein a priori, d. h. intellektuell,

Prämissen und wegen der Unzulänglichkeit seines Begriffs eines Achtungsgefühls letztlich wiederum nur ein empirisch-sinnliches sein könne. 96 Im ganzen heißt es an dieser Stelle, die sich am ehesten vielleicht auf Kants Ausführungen im ›Zweiten Hauptstück‹ der ›Transzendentalen Methodenlehre‹ in der Kritik der reinen Vernunft berufen könnte (vgl. KrV A 806 ff.): »Das Kantische Moralsystem nimmt sich in seinem eignen Ende gefangen, die sittliche Triebfeder wirkt ursprünglich ohne alle Materie, ist gänzlich rein, bezieht sich auf keine Individualität; und dennoch ist der Lohn der Tugend eben diese sinnliche Materie, angenehme Empfindung, nur freylich nicht in unsrer sinnlichen Welt, sondern in einer zukünftigen unsinnlichen. Vorstellungen von Gott und Unsterblichkeit sind zum Gebrauche der irdischen Moralität eine verbotne Frucht; aber wer hienieden die Augen recht herzhaft schließt, wird im Himmel, nach der Aufhebung des Verbots, am meisten davon kosten. Dahin muß es kommen mit den großen Gegenständen der Sittenlehre und Religion, wenn man sie aus blosen Begriffen, aus einer verständigen Zusammensetzung für die philosophirende Vernunft, in ihrer Wahrheit begründen will.« (JW III, 192) 97 KpV 138 (Herv. v. V.); vgl. V 78. 98 Kant behauptet in diesem Sinne ausdrücklich, daß »alles Gefühl sinnlich« (KpV 134) bzw. »pathologisch« sei – und darum prinzipiell nicht moralisch (vgl. KpV 132). 99 Dabei bleibt die Funktionsbeschreibung des Achtungsgefühls bei Kant auffallend offen. Nicht nur, daß Kant als apriorisch beantwortbare Fragestellung einmal die Art, auf welche das g die das moralimoralische Gesetz Triebfeder werde, benennt, ein andermal aber die Wirkung, sche Gesetz im Gemüte hervorbringt, insofern es Triebfeder ist, sondern auch die Antwort gibt Kant in wenigstens drei zunächst keineswegs übereinstimmenden Varianten: (1) das Gefühl der

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(bewirkt und erkennbar) sein (vgl. KpV 129 f.) als auch eine subjektive Triebfeder bilden, d. h. ein (oder zumindest wiee ein) Gefühl der sinnlichen Lust und Unlust sein, da nur dieses nach Kant im Kausalnexus der Natur den inneren Sinn zu bestimmen vermag. Zwar räumt auch Kant selbst ein, daß ein solches ›Vernunftgefühl‹ für die Theorie vollkommen uneinsehbar und nur in praktischer Absicht gerechtfertigt sei (KpV 142), doch gilt Jacobi diese Auskunft (ebenso wie zuvor schon die des praktisch gerechtfertigten ›Vernunftglaubens‹) eher als Problemanzeige denn als innerhalb des Kantischen Systemss konsistente oder auch nur denkbare Lösung, da die praktische Vernunft (bzw. die theoretische Unerklärbarkeit) bei Kant selbst eben wieder nur im Blick auf das Ideal systemischer Einheit nach Art der theoretischen Vernunft behandelt und von ihr erklärt werde. Im Rahmen der Kantischen Prämissen stellt die ›Achtung‹ nach Jacobi daher vielmehr entweder wegen der Reinheit und Vernünftigkeit ihrer apriorischen Herkunft kein Gefühl bzw. kein als Gefühll von der Transzendentalphilosophie thematisiertes Gefühl, sondern eine bloße Vorstellung dar, oderr aber sie ist als real bestimmendes Gefühl notwendig mit der »Furcht«,100 diesem sinnlichen »Mistkarren Gaul vor de[m]

»Achtung fürs moralische Gesetz« selbst sei die einzige »moralische Triebfeder« (KpV 139); (2) »das moralische Gesetz in sich« sei Triebfeder (KpV 128); (3) nicht »die Achtung fürs Gesetz [sei] […] Triebfeder zur Sittlichkeit«, sondern die Sittlichkeit selbst, insofern sie »subjektiv als Triebfeder betrachtet« werde (KpV 134). Dem entspricht auch, daß Kant einerseits die Funktion des Achtungsgefühls in der Bestimmungg des objektiven Sittengesetzes »zur Maxime« des Einzelnen (KpV 135) liegen sieht, was es zum unmittelbar vom Sittengesetz selbst hervorgebrachten ›Mittel‹ seiner praktischen Wirksamkeitt machen würde. Da die unbedingte Autorität und Allgemeinverbindlichkeit des moralischen Gesetzes eine Wirksamkeit durch ein Gefühl prinzipiell ausschließt, scheint die Rolle des Achtungsgefühls jedoch andererseits bloß in der gleichsam nachträglichen Beförderungg der unerklärlichen, als faktisch geschehen bereits vorausgesetzten unmittelbaren (objektiven und subjektiven) Wirksamkeit des moralischen Gesetzes auf den empirischen Willen zu bestehen. Danach würde es der Pflicht durch eine Verminderungg des Widerstandes der Neigungen nur »leichteren Eingang« (KpV 287) und besseres »Ansehen« verschaffen (KpV 134 f.). – Dabei versucht Kant, das Achtungsgefühl schließlich zu fassen als gleichsam positiven Modus des schmerzvollen sinnlichen Gefühls der Demütigung von »Selbstliebe« und »Eigendünkel«, das durch die »negative Wirkung [des moralischen Gesetzes] aufs Gefühl«, d. i. die Niederschlagung der sinnlichen Neigungen als Handlungsantrieb durch die Universalität der sittlichen Forderung, entstehe (vgl. KpV 132). Nicht die Niederschlagung der Neigungen selbst (weil für die Willensbestimmung unter moralischen Gesichtspunkten unzulässig) – so die Perspektivenumkehr – soll sich daher in der Achtung widerspiegeln, sondern allein die Positivität des Subjekts dieser Niederschlagung, also der im moralischen Gesetz ausgedrückten reinen »Form einer intellektuellen Kausalität, d. i. der Freiheit«. In dem Maße, wie ich mich in dieser Reflexion zugleich als derjenige erfahre, der sich aus Freiheit (und reiner Vernunfteinsicht) unter das Gesetz gestelltt hat, bedeutet Achtung des Gesetzes nach Kant demnach letztlich auch Selbstachtung als allgemeinee sittliche Person. 100 JKl V, 16 [339].

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himmlischen Wagen«, identisch.101 Tertium non datur. Diesen beiden Hinsichten (auf die ›Achtung‹ im speziellen und die Handlungsbestimmung bei Kant im allgemeinen) aber ist nach Jacobi gemeinsam, daß sie wie Spinozas rationales und zugleich natürliches Wirkprinzip jeweils nur Ausdruck derselben ›mechanischen‹ ›Logik des Grundes‹ sind. Wenn Jean Paul in der Auseinandersetzung mit Fichtes Interpersonalitätstheorem dieses nicht in der Fassung des Naturrechtss attackiert, in dem tatsächlich die Furcht der Garant der gegenseitigen Anerkennung der empirischen Freiheit des Einzelnen ist (SW III, 138), sondern vielmehr im Blick auf das sittliche Individuum im System der Sittenlehree die reale unmittelbare Anerkennung des Anderen ebenso unterstellt wie aufgrund der transzendentalidealistischen Prämissen in die bloße Vorstellung davon aufgelöst sieht, verlängert er der Sache nach diese Überlegung Jacobis. Kants Gedanke der sittlichen Auto-Nomiee (gegenüber der Heteronomie im Verfolgen der eigenen bloß privatistischen Interessen) kann aber – so ist Jacobi überzeugt, und Jean Paul wird ihm darin folgen – nur durch die Annahme eines wahren oberen Begehrungsvermögens, eines uneigennützigen Strebens nach dem (übernatürlichen) Guten, das als der ›Logik der Ursache‹ (bzw. des Endzwecks) unterstehend zugleich ein Streben sui generis sei, verteidigt werden: »Ich bin wider Kant der Meynung des Apostels Paulus, daß nicht allein das Fleisch wider den Geist, sondern auch der Geist gelüstett wider das Fleisch.«102 Diese intellektuelle Lustt sei dabei sogar, anders als Kant meinte, das eigentliche Wesen und die ursprüngliche Quelle der Tugend, aus der ihrerseits erst die allgemeinen (moralischen) Gesetze (des Verstandes) hervorgingen:103 »Jedes Gesetz setzt eine Autorität zum voraus, welche

101

JKl V, 75 [210]. – Zwar führt Kant auch in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten die »reine Achtung« für das moralisch-praktische Gesetz als ein »durch einen Vernunftbegriff selbstgewirktes« und darum von »Neigung oder Furcht« grundsätzlich verschiedenes Gefühll ein (Akademie-Ausgabe IV, 402 Anm.), doch identifiziertt er es zugleich auch mit der Maxime, »einem solchen Gesetze selbst mit Abbruch aller meiner Neigungen Folge zu leisten« (ebd., 401). Eine Maxime aber ist schlechterdings kein Gefühl, sondern ein Vernunftsatz zur subjektiven Willensbestimmung, sei es der technisch-praktischen, sei es der moralisch-praktischen Vernunft. In diesem Sinne gilt die »Achtung« dann auch nicht nur als »Bewußtsein« der unmittelbaren Willensbestimmung durchs Gesetz, sondern als »Vorstellungg von einem Werte« (Herv. v. V.). – Umgekehrt – und dies mag Jacobi in seiner Einschätzung bestärkt haben – hält Kant mit Blick auf die berechtigten Glückseligkeitserwartungen zugleich in der Kritik der reinen Vernunftt von der Wirkung der moralischen Gesetze als Gebote bzw. als Triebfedern für endliche sinnliche Wesen fest, daß diese auf mit sich geführte »Verheißungen und Drohungen« (KrV A 811) angewiesen seien. 102 JKl V, 75 [210], Herv. v. V. 103 Vgl. auch: »Tugend geht allein aus Liebe hervor. Wenn ich dem Liebenswürdigsten standhaft anhange, dann bin ich tugendhaft. Sich der höchsten Liebe befleißigen, heißt sich der Tugend befleißigen.« (JKl VII, 103) – Daß Jacobi mit diesem Verständnis bewußt an die aristotelische Tugendethik anschließt, liegt vor allem im Woldemarr offen zutage. Zuletzt hat

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das Gesetz giebt, u diese Autorität wird nie durch Gesetze hervorgebracht. Gesetz setzt ein Gesetztes, u jedes Gesetzte zuletzt ein absolutes Setzen zum voraus.«104 Ein absolutes und freies Setzen qua unbedingter Autorität führt nach Jacobi aber nicht zurück auf ein reines Subjekt, sondern auf die für die systemisch-verständige Philosophie notwendig unbegreifliche konkrete, zeitlich-personale Existenz eines Menschen: »Die edelsten, größten u schönsten Handlungen des Menschen, so wie seine erhabensten Entdeckungen in Künsten und Wissenschaften, gehören ihm individuel u[nd] persönlich zu – demjenigen zu, was nicht blos ein Ausdruck der Vernunft ist.«105 – Nicht die Allgemeinheit und Ewigkeit der ›zu Verstande gebrachten‹ bzw. ›adjektiven‹ Vernunft (vgl. JW III, 59 ff. sowie JW II, 313), sondern der sich im Gefühl der »Ehre« unmittelbar artikulierende »Charakter« eines Einzelnen im Sinne einer dauerhaften, d. i. über-, aber nicht a-zeitlichen, konkreten Disposition in bezug auf das Gute (vgl. Spin 145 f./176 f.), macht für Jacobi dabei die Verläßlichkeit seines sittlichen Willens ebenso aus wie dessen (nicht als abstrakte Allgemeinheit zu mißverstehende) Universalität.106 Die Freiheit eines Menschen besteht m. a. W. nicht in der gesetzgebenden Wirksamkeit seiner reinen Rationalität, die nur einen abstrakten Teil von ihm darstellt, sondern in der Übereinstimmung des Handelns eines Menschen mit seinem ganzen, aus Geist und Natur gemischten individuellen und realen Wesen. In der Sphäre sittlich-moralischer Freiheit rechneten wir nicht auf die verständig-vernünftige Beherrschungg (ja geradezu Tilgung) der amoralischen sinnlich-natürlichen Begierden und Neigungen, sondern vertrauten »der ganzen Menschheit eines Menschen«107 nur um ihrer selbst willen (JW I, 217; Herv. v. V.).

2. Fichtes Wissenschaftslehre als ›umgekehrter Spinozismus‹ Aufgrund der Anlage seiner Kritik an Kant ist es nur folgerichtig, daß Jacobi auch das lebhafteste Interesse an der Fichteschen Philosophie nimmt. Daß seine alsbald öffentliche Stellungnahme zur Wissenschaftslehre in die Zeit des Atheismusstrei-

Stolzenberg auf diese Affinität der Jacobischen Morallehre mit einem tugendethischen Konzept ausdrücklich hingewiesen (vgl. Stolzenberg [2004]). 104 JKl VII, 86. 105 JKl VII, 55; Herv. v. V.; vgl. auch JKl VII, 23 f. 106 Vgl. JKl VI, 18–19. 107 In der – wie wir noch sehen werden – im Gegensatz zur reduktiven Vereinheitlichung t durch die Herrschaft des Verstandes Geist und Sinn des Menschen gerade als differentee (und so letztlich erst seine Individualität konstituierende) vorwiegend harmonisch koexistieren und kooperieren – obzwar auch hier in einer hierarchischen Ordnung.

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tes um Fichte fällt,108 sorgt dafür, daß auch dieser Debatte, ähnlich der zwischen Jacobi und Mendelssohn über Lessing und die Philosophie Spinozas, unter den Zeitgenossen breite Aufmerksamkeit entgegengebracht wird. Jacobis Bewertung der Fichteschen Philosophie führt dabei im Sendschreiben an Fichtee (1799) unmittelbar seine kritischen Rekonstruktionen Kants und Spinozas auf eine solche Weise eng, daß die Wissenschaftslehre zugleich als »umgekehrte[r]] Spinozismus« (JW III, 12) und als Einlösung des ›kräftigsten Egoismus‹ erscheint.109 Dabei vergißt Jacobi nicht, mit Blick auf seine Beilage zum David Hume, aber auch auf seine Spinozarekonstruktion seine spekulative Vorgängerschaft im philosophischen Feld ausdrücklich zu reklamieren.110 Notiert er bei Kants Philosophie, wie gesehen, wiederholt ebenso die systemwiderstreitenden Motive und Intentionen, weswegen seine Rekonstruktion der Kantischen Transzendentalphilosophie sich als konsequente Zuspitzungg des transzendentalidealistischen Ansatzes versteht, begreift Jacobi die Wissenschaftslehre nunmehr selbst als konsequente Durchführungg des transzenden-

108

Es ist Fichte selbst, der Jacobi veranlaßt, in den ›Atheismusstreit‹ einzugreifen und dabei seine Position gegenüber der Fichteschen Philosophie grundsätzlich zu bestimmen. Denn Fichte hatte nicht allein Jacobi seine Verteidigungsschrift Appellation an das Publicum über die durch ein Churf. Confiscationsrescript ihm beigemessenen atheistischen Aeusserungen mit dem Ersuchen um Jacobis Freundschaft zugesandt (vgl. Brief Fichtes an Jacobi vom 18.1.1799 [GA III,3 176]), sondern diesen in der Appellation auch öffentlich als Kronzeugen benannt (vgl. SW V, 232). 109 Eine Übersicht über die Entstehung und Verbreitung der Charakterisierung der Wissenschaftslehre als ›Egoismus‹ und als ›umgekehrten Spinozismus‹ gibt Lauth (1994a). – Während Jacobi mit dem Fichteschen System »noch nicht ganz auf dem Reinen« ist (FiG I, 463), ist es zunächst Baggesen, der im September 1797 in einem Brief an Jacobi auf die unendliche Ähnlichkeit von Spinoza und Fichte als je unwiderlegbare Verwirklichungen des ›Hen kai pan‹ verweist, die sich nur darin unterschieden, »daß die Spitze des einen die Basis des andern« sei (FiG I, 455 f.). Erstaunlicherweise bleibt bei Lauth, wenn er auf diese mögliche Jacobische Quelle bei Baggesen verweist, aber außen vor, daß Baggesen selbst in dieser Zeit philosophisch stark von Jacobi beeinflußt ist und es 1787 eben bereits Jacobi war, der durch die im Geiste seiner SpinozaInterpretation geschehende Zuspitzung des Kantischen Ansatzes zum ›spekulativen Egoismus‹ sowohl für die Parallelisierung der Wissenschaftslehre mit der Ethikk als auch für ihre Charakterisierung als ›Egoismus‹ den Weg bereitete. Unbeachtet bleibt bei Lauth auch, daß Jacobi und Baggesen sehr unterschiedliche Konsequenzen aus der Ähnlichkeit von Spinoza und Fichte ziehen: Während Baggesen glaubt, daß die gleichzeitigee »Bündigkeit« und Unwiderlegbarkeit beider sie bereits »zernichtet, ohne daß man etwas Anderes dabei zu thun hat, als sie einander gegenüberzustellen und zusammenzuhalten« (FiG I, 455 f.), sieht Jacobi in Fichte die konsequente Fortentwicklungg des Spinozismus selbst. 110 Auf seine Weise hatte Fichte diese durchaus bereits in der Zweiten Einleitung in die Wissenschaftslehre von 1797 anerkannt, indem er Jacobi mit Blick auf die Beilage zum David Hume den Nachweis zuschreibt, »dass Kant von einem vom Ich verschiedenen Etwas nichts wisse« (SW I, 481).

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talen Idealismus.111 Sie bilde die eigentliche »Philosophie im strengeren Verstande«, die »vollständige Wissenschaftt des Wahren« (JW III, 9 f.), die für Jacobi – darin Spinozas Ethikk gleich – ein revisionäres (und letztlich reduktionistisches) Projekt totaler Welterklärung darstellt: Der Geist spekulativer Philosophie sei – so Jacobi – das Bestreben, »die dem natürlichen Menschen gleichee Gewißheit dieser zwey Sätze: Ich bin, und es sind Dinge außer mir, ungleichh zu machen« bzw. ihre »natürlich[e]« ] Gleichheit durch eine »künstliche«, die einen der beiden Sätze »vollständig« g aus dem 112 anderen herleite, zu ersetzen (JW III, 10). Innerhalb dieses Projektes müsse der von Fichte vertretene transzendentale Idealismus als das »wahrhaft[e] VernunftSystem«, die »durchaus immanentee Philosophie« schlechthin, mithin als verwirklichte »Philosophie aus Einem Stück« (JW III, 26) angesehen werden (JW III, 19).

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Wobei die Bewertung, die Jacobi aus dieser Verhältnisbestimmung zieht, sehr unterschiedlich ausfällt: Im ursprünglichen, handschriftlichen Brief an Fichte, erklärt Jacobi diesen (obwohl nicht ohne Ironie) zum »wahren Messias der speculativen Vernunft, den echten Sohn der Verheißung einer durchauss reinen, in und durch sich selbst bestehenden Philosophie« (JW III, 9 f.), schließlich zum »König« »unter den Juden der speculativen Vernunft«, demgegenüber der »Königsberger Täufer« nur als »Vorläufer« (ebd., 13) seinen Ort habe. – Die Vorrede zur Druckfassung lobt hingegen Kant gerade wegen seiner system[at]ischen Inkonsequenz als den »Vornehmere[n]« ] gegenüber Fichte: »Da ich nehmlich das Bewusstseyn des Nichtwissenss für das Höchstee im Menschen, und den Ort dieses Bewusstseyns für den der Wissenschaft unzugänglichen Ort des Wahren halte; so muß es mir an Kantt gefallen, daß er sich lieber am System als an der Majestät dieses Orts versündigen wollte. Fichtee versündiget sich an ihr, nach meinem Urtheil, wenn er in den Bezirk der Wissenschaft diesen Ort einschließen, und von dem Standpunkte der Speculation, als dem angeblich höchsten, als dem Standpunkt der Wahrheit selbst, auf ihn will herab sehen lassen.« (Ebd, 5 f.) 112 Dies sieht Fichte im übrigen genauso: Da in der Erfahrung – so Fichte 1797 in der Ersten Einleitung in die Wissenschaftslehree – ein »unabhängig von unserer Freiheit bestimmte[s]« Ding und eine sich nach dem Ding richtende erkennende »Intelligenz« unmittelbar verbunden seien (SW I, 425), könne eine philosophische Erklärung der Erfahrung von je einem der beiden Elemente abstrahieren, um es auf das zweite zurückzuführen: Sehe sie vom ersteren ab, komme sie zu einer von ihrem Verhältnis zur Erfahrung losgelöst betrachteten »Intelligenz an sich« und sei daher »Idealismus«, abstrahiere sie jedoch von letzterer, entstehe ihr ein »Ding an sich«, d. i. das Erfahrungsobjekt, insofern es als unabhängig davon, »daß es in der Erfahrung vorkommt«, betrachtet wird, und sie sei »Dogmatismus« (SW I, 426). Wegen der vollständig inkommensurablen letzten Erklärungsgründe – Ding an sich bzw. Ich an sich –, d. h. dadurch daß beide Konzepte miteinander absolut unverträglich (SW I, 431) seien und daher keinen gemeinsamen Verständigungspunkt besäßen (SW I, 429, vgl. 508 f.), könnten sie sich weder gegenseitig »direct widerlegen«, (SW I, 428), noch sei eine Mischform als konsistentes und lückenloses System möglich (SW I, 426 u. 431). Auch für Fichte ist der Idealismus dabei dem Dogmatismus trotz ihrer demonstrativen Gleichwertigkeit überlegen, weil nur er »im Denken eines Objects« neben dem Objekt auch das »Denken desselben zugleich mit zu denken« vermag (SW I, 510), d. i. auch die (uns nur unmittelbar bekannte, darum nicht argumentativ vermittelbare) Natur unserer Vorstellungen (als reflexive) erklären kann (vgl. SW I, 435).

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Sie vereinige den »Materialismus und Idealismus zu einem untheilbaren Wesen«, indem sie die materialistisch (bzw. substantialistisch) gefaßte All-Einheit zur »Ichheit« verwandle (JW III, 10 f.).113 – Die Auffassung der Fichteschen Wissenschafts-

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Jacobi scheint hier ähnlich Fichte, der Spinoza das Übersehen der transzendentalen Ebene vorwirft (SW I, 121), insofern die Überlegenheit des Systems des Idealismus gegenüber dem des ›Materialismus‹ anzuerkennen, als es letztlich die Denkkraftt sei, die diese Systeme hervorbringe: »Der speculative, seine Metaphysik ausarbeitende Materialismus, muß zulezt sich von selbst in Idealismus verklären; denn außer dem Dualismus ist nur Egoismus, als Anfang oder als Ende – für die Denkkraft, die ausdenkt.« (JW III, 6) Auch Jean Paul, so zeigt sich in der Clavis, vertritt im Anschluß an Jacobi die These von der Überlegenheit des Idealismus (vgl. Cl 1014). – Jacobis Charakterisierung der Fichteschen Wissenschaftslehre als ›umgekehrter Spinozismus‹ ist bis heute umstritten; Fichtes Selbstverständniss trifft sie ohne Zweifel nur eingeschränkt: Denn in Fichtes Augen unterscheidet (1) die Bescheidenheit im Angesicht metaphysisch-ontologischer Probleme sein transzendentalphilosophisches Projekt wesentlich von Spinozas Ethikk (vgl. SW I, 101). – Dem korrespondiert (2), daß der gleichwohl bestehende Anspruch der Wissenschaftslehre, die Spinozanische Philosophie noch zu übergreifen, die Verlagerung der Diskussion auf das Feld der praktischen Philosophie bedeuten soll (SW I, 121). Nur der theoretische Teil der Wissenschaftslehre – so Fichte bereits 1794/95 in der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehree – soll von einer Analyse des Jacobischen Typs, d. i. dem Befund eines ›umgekehrten Spinozismus‹, erfaßt werden können (SW I, 122). Insofern erkennt zwar Jacobi Schlegels Forderung an den Philosophen nach einem »log i sc hen E nt hu si a smu s« als »Alleinge » ist der Alleinphilosophie« an (JW III, 14 f., auch 27; vgl. KSF I, 186), aber keineswegs Fichte, der diesen Anspruch vielmehr als alleinigen Antrieb der Wissenschaftslehre zurückweist (Brief Fichtes an Jacobi vom 22.4.1799 [GA III,3 334 f.]). – Schließlich stimmt (3) ebenso die Struktur der Tathandlung, insofern ihr das Vermögen der ›intellektuellen Anschauung‹ (auch im Sinne einer praktischen Gewißheit des kategorischen Imperativs) entspricht (SW I, 466), zumindest zunächst nicht ohne weiteres mit Jacobis Charakterisierung einer »unanschaubare[n], nur durch Schlüsse zu bewährende[n] absolute[n] Identität« als Prinzip des tranzendentalen Idealismus (JW III, 11) überein. – Daher kann es nicht überraschen, daß die (überwiegend von Fichte herkommende) Forschungsliteratur Jacobis These vom ›umgekehrten Spinozismus‹ der Wissenschaftslehre mehrheitlich abgelehnt hat: Vor allem Homann und Hammacher meinen, entscheidende Irrtümer in Jacobis Fichteverständnis ausmachen zu können (Homann [1973], 155; Hammacher [1969], 65 f.). Gegen die in Jacobis Bild vom ›umgekehrten Spinozismus‹ ausgedrückte These, daß es sich bei Fichte um eine immanenzlogisch verfaßte monistische »Philosophie aus Einem Stück« (JW III, 15) handele, verweist auch Lauth auf die Grenzen des Deduktionsanspruchs der Wissenschaftslehre. Sie stelle in Wahrheit ein »offenes System« im Blick auf die Rolle des bloß Empirisch-Realen und Zeitlich-Historischen dar, insofern dieses auch nach Fichte in seiner konkreten Besonderheit unableitbar bleibe und »nur mittels Induktion zu verarbeiten« sei (Lauth [1994], 46 f.; vgl. auch Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre, SW I, 63 ff. u. 58 Anm.). – Unterstützung für den Jacobischen Vergleich von Fichte mit Spinoza, wenn auch unter Ablehnung des Begriffs des ›umgekehrten Spinozismus‹, findet sich dagegen bei George di Giovanni: »Fichte’s language of the ›I‹ [...] was a language of false subjectivity. In this sense Fichte was indeed adding a subjective dimension to the world of Spinoza; he was providing the only language of the ›I‹ consistent with it. And this language was essentially a rhetoric of deception. This, stated in somewhat impressionistic fashion, was Jacobi’s thesis« (di Giovanni [1995], 65). M. a. W. gelte,

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lehre als ›umgekehrterr Spinozismus‹ ermöglicht es Jacobi aber nicht nur, Figuren seiner Spinoza- und Kant-Rekonstruktion auch im Blick auf Fichte einzusetzen und weiterzuentwickeln, sondern sie erlaubt ihm ebenso, die systematisch-strategischen Verhältnisse seines Spinoza-Antispinoza auf die Beziehung von Wissenschaftslehre und Unphilosophie zu übertragen: Für die Wissenschaftslehre gelte, daß sie und die Unphilosophie »durch den höchsten Grad der Antipathie mit einander in Berührung [stehen] und im Moment der Berührung sich gewißermaßen durchdringen« (JW III, 15). Aufgrund dieser Lage bleibt Jacobis spekulative Vorgängerschaft zur Wissenschaftslehre auch nur die eines »privilegirte[n] Ketzer[s], eines »Nathanaels […] unter den Heiden« (JW III, 14 f.). Diese umfasse allein die Übereinstimmung im »Begriff der Wißenschaft«: Er sei wie Fichte davon überzeugt, daß der Gegenstand von Wissen ein von diesem selbst Hervorgebrachtes, mithin die Wissenschaft selbst nichts anderes »als dieses in Gedanken Hervorbringen« sei (JW III, 16). (Wissenschaftliches) Begreifen funktioniere – so Jacobi unter Verweis auf Beilage VIII seiner Spinozabriefee – als »Destruction und Construction« (JW III, 16), als zunehmende Abstraktion von allem Gegebenen und Realen und deren reflexive Rekonstruktion in der Vorstellung. Insofern diese Rekonstruktion der ›Welt‹ im Modus des Wissens nichts anderes darstelle als die Handlung, durch die der »Menschliche Geist« »[i]n Allem und aus Allem« nur sich selbst hervorsuche, folgt Jacobi Fichte auch darin, als »Urbil[d]« des Wissens bzw. Gewußten, d. i. des »Object-Subject[es]« ] in der

daß 1) das absolute Ich »as unlimited act […] [is not to distinguish] from Spinoza’s substance«, daß 2) es nichts in den »categories« des nach Unendlichkeit strebenden Ich, wie bspw. »›willing in general‹«, »›tendency‹« und »›intelligence‹« gebe, »to distinguish them in any significant way from Spinoza’s ›thought‹ and Spinoza’s ›extension‹«, und daß 3), da jedes endliche Ich seine Natur als Ich nicht durch seinen Körper, sondern allein durch das in ihm vorhandene reine Ich erhält, »a purely empirical ›self‹ would be no ›self‹ at all but a play of external relations« und wäre »in no way more substantial than the play of Spinoza’s finite modes.« (Ebd., 71 f.) – Entscheidender jedoch als die definitive Klärung der Frage, ob Jacobis These vom ›umgekehrten Spinozismus‹ der Wissenschaftslehre zutrifft, ist aber die Alternative, die sich bei ihrer Beantwortung ergibt und der Jacobischen Behandlungsart Kants entspricht: Entweder zeigt sich Fichtes Philosophie im Ganzen als ein geschlossenes, in sich wohlbegründetes und geordnetes immanenzlogisches System, in dem innersystemisch auch das praktisch-wirkliche Ich auf seine bloß idealen allgemeinen Ich-Strukturen reduziert wird und aufgrund dieser Reduktion des ursprünglich zu erklärenden ›Gegenstandes‹ Jacobis Nihilismusverdacht unterliegt. Oder aber faßt man Fichtes System als sogenanntes ›offenes‹ auf um den Preis der bleibenden begrifflichen Ungeklärtheit des Verhältnisses zwischen allgemeinem und empirischem, zwischen theoretischem und praktischem Ich sowie auch zwischen Totalitätsanspruch des Systems und seiner in der Offenheit liegenden wesentlichen Unvollständigkeit wie auch um den Preis der Ungeklärtheit von Wesen und Status dieser Ungeklärtheit selbst. Es ist genau diese Alternative, die Jean Pauls in der Fortsetzung von Jacobis Fichte-Kritik erfolgende Auseinandersetzung mit Fichtes Interpersonaltiätstheorem in seiner Claviss zugrunde liegt und im Angesicht von Lesart zwei zur Konsequenterstellung der Wissenschaftslehre im ›Leibgeberismus‹ führt.

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Vorstellung, das »Ich« im Sinne einer rein selbstbezüglich unendlichen Tätigkeit des Bewußtseins – von Fichte »Thathandlung« (SW I, 91), von Jacobi »That-That« genannt – zu bestimmen (JW III, 20). Aus der Tathandlung als Urbild müssen dann alle anderen Bewußtseinstätigkeiten bzw. Vorstellungsgegenstände und aus der Wissenschaft des Ich, als der einzigen »Wißenschaft an sich«, d. i. als dem einzigen Wissen, das allein sich selbst und als solches zum Gegenstand hat, alle übrigen Wissenschaften als solche herleitbar sein.114 – Jacobische Rekonstruktion und Jacobische Kritik der Wissenschaftslehre kondensieren schließlich im ›Strickstrumpfgleichnis‹ – einem »närrische[n] Bild« (JNach I, 200) aus einem »muthwilligen Augenblick« (JW III, 24). – Denn dieses dient im Fichte-Brieff zum einen als Illustration des transzendentalen Idealismus, insofern dieser im gerade vorgestellten Sinn als »reine, allein aus sich selbst brennende, keiner Stätte, wie keines nährenden Stoffss bedürfende Flamme« (JW III, 12) zu verstehen sei. Zum anderen stellt es zugleich aber auch die bleibende Differenz zwischen Unphilosophie und Wissenschaftslehre dar. – Fichtes Ich-Thätigkeit – so Jacobi – lasse sich veranschaulichen in der Idee eines Wollfadens, der durch ein bloßes »Hin und herbewegen« seiner selbst, d. i. durch die eigene Fixierung seiner Bewegung, »ohne sich dazu eines Knotens oder dergleichen zu bedienen«, einen konkret gestalteten »Strumpf« mit »Streifen, Blumen, Mond und Sterne[n]« hervorbringe. Diesem Faden entspräche Fichtes absolutes Ich, das in seinem unendlichen Streben allein durch sich selbst gehemmt werde. Die »Strickdräte« (JNach I, 200) als scheinbare Agenten der Fadenbewegung und -hemmung, die für Fichtes ›Nicht-Ich‹ stehen, erweisen sich recht, d. h. aus der transzendentalphilosophischen Perspektive, betrachtet als eine bloße, durch den »selbstthätigen Faden« hervorgebrachte

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Jacobi übersieht also nicht, daß Fichtes Projekt der Wissenschaftslehre als eine »Wissenschaft des Wissens« das »Eine« aller Wissenschaften zum Inhalt hat (JW III, 17), d. h. eine Strukturwissenschaft alles Wissens alss Wissen (vgl. JW III, 21/27), mithin eine Wissenschaft von den kategorialen Bestimmungen der Bewußtseinshandlungen und Vorstellungsgegenstände theoretischer und praktischer Natur, darstellt. Anders als z. B. Krug (gegen Schelling) erhebt g auch er darum gegen den transzendentalen Idealismus zu keiner Zeit die kritische Forderung, konkrete Erkenntnisgegenstände (z. B. eine ›Schreibfeder‹) philosophisch herzuleiten. Vielmehr gilt für Jacobi im Gegenteil, daß sich die Absicht der Wissenschaftslehre (›Wahrheit‹) und der Unphilosophie (das ›Wahre‹) »auf keine Art im Wege« seien, weil Fichte als Wissenschaftslehrer zu Recht keine Notiz vom Wahren (Wirklichen und Äußeren) selbst nehme (JW III, 17). Jacobi bemerkt zudem gleichwohl – und dies markiert, daß Jacobis Kritik nicht unmittelbar an der Frage hängt, ob die Wissenschaftslehre als geschlossenes oder als offenes System zu verstehen ist – die Prolongierung von Kants Ding-an-sich-Problematik, der Einbruchstelle systemsprengender realistischer Intuitionen, auch in die Wissenschaftslehre: Die reine Tätigkeit des Ich im Sing die als solche, weil sie Pendel-Bewegungg ist, sich nothwendig selbst ne einer »Pendel-Bewegung, Schranken sezt im Allgemeinen« habe auch nach Fichte »bestimmtee Schranken nur […], als eine besondere, durch eine unbegreiflichee Einschränkung« (JW III, 22/26).

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Imagination und besitzen nur eingeschränkte Wirklichkeit.115 Sie existieren m. a. W. als Selbständige nur in der Sphäre des endlichen (theoretischen) Ich. Und der in sich differenzierte Strickstrumpf ist damit selbst in Gänze ein Erzeugnis des »Alleinigen nackten Fadens« (JW III, 25) – ohne Anteil aus den Drähten oder Fingern (JNach I, 200), die gestaltete Mannigfaltigkeit des Strumpfes mithin Produkt eines »leere[n] Webens seines Webens«. Es bleibt allein der Faden als das einzige »Reale […] mit seinem Handeln, aus, in und auf sich selbst« (JW III, 25). Die Vorstellung einer mannigfaltigen Welt erscheine m. a. W. zwar dem endlichen Ich als eine durch die Tätigkeit eines realen Nicht-Ich hervorgebrachte, sei aber nach Fichte vielmehr allein auf die Tätigkeit des unendlichen Ich zurückzuführen, das sie im endlichen Ich denke.116 – Jacobis Präsentation des Strickstrumpfvergleichs zeigt dabei gleich auf dreifache Weise eine Verkehrung der gemeinhin vom Stricken bekannten, eigentlichen Verhältnisse an – und mithin auch, so ist Jacobi überzeugt, eine dreifache Verkehrung des Verhältnisses der Wirklichkeit und der transzendentalidealistischen Rekonstruktion der Wirklichkeitskonstitution im Bewußtsein durch die Wissenschaftslehre: Die Stricknadeln (und auch die diese führenden Finger) erscheinen (1) selbst als bloße, d. i. realitäts- und substanzlose, ›Einbildung‹ des sich selbst bewegenden Fadens.117 – Jacobi weist (2) ausdrücklich darauf hin, daß ein solcher Strickvorgang eigentlich im Paradigma des Auftrennenss gedacht sei – und zwar als rückwärtslaufendes Auftrennen: Nur hier werde wirklich erkennbar, »wie dieses Individuum [des Strumpfes bzw. des zugleich mit anderem gegebenen bestimmten endlichen Ichs], durch ein bloßes Hin- und Herbewegen des Fadens, das ist, durch ein unaufhörliches Einschränken seiner Bewegung, und Verhindern, daß er seinem Streben ins Unendliche hinaus folgte – ohne empirischen Einschlag, oder sonst eine Beimischung oder Zuthat, zur Wirklichkeit gelangte« (JW III, 24). – Die

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Vgl. Brief Jacobis an Dohm vom 13.12.1797: »Da er nun als Ich sich unmöglich selbst setzen könnte, wenn er sich nicht von etwas unterschiede, d. i. sich ein Nicht-Ich entgegensetzte, so imaginiert der selbstthätige Faden die Strickdräte, an welchen er sich aufhält, und im Moment des Aufhaltens ein Nicht-Ich setzt; dann zurück gehend, ein Ich« (JNach I, 200). 116 Jacobi versucht diesen Vorgang noch genauer dadurch zu fassen, daß er sich auf Fichtes Lehre von der augenblickshaften Synthese von unendlichem und endlichem Ich durch die Einbildungskraft bezieht (vgl. SW I, 215 ff.). Hier behauptet Fichte, daß die absolute Tätigkeit des unendlichen Ichs (die selbstbestimmte Tätigkeit des Fadens) und die einander bestimmende und einschränkende zwischen endlichem Ich und endlichem Nicht-Ich, d. h. der »Wechsel des Ich in und mit sich selbst, da es sich endlich und unendlich zugleich setzt,« (SW I, 215) im theoretischen Teil allein kurzfristig durch das ›Schweben‹ der ›produktiven Einbildungskraft‹ vereinigt werden könne. Jacobi spielt hierauf an, wenn er den in sich mannigfaltig gestalteten Strickstumpf »als ein Product der, zwischen dem Ich des Fadens und dem Nicht-Ich der Dräthe [sic!] schwebenden productiven Einbildungskraft der Finger« (JW III, 24) bezeichnet. 117 Brief Jacobis an Dohm vom 13.12.1797 (JNach I, 200).

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tiefere Pointe Jacobis liegt jedoch (3) im Hinweis auf den Zweckk des Strickens bzw. des Strickstrumpfes: seine »Beziehung und Absicht auf ein menschliches Bein« (JW III, 28), zu dessen Schutz und Wärmung ein Strumpf hergestellt werde. Erst hier manifestiert sich die zentrale Hinsicht von Jacobis Kritik der (transzendentalidealistischen) Systemphilosophie, insofern ihm auch Fichte im philosophischen Primat der Wissenschaftslehre das Verhältnis von Wissenschaft und Lebenswelt bzw. menschlicher Existenz auf den Kopf zu stellen scheint. – Auch hier sind es in Jacobis Augen – und dieser Befund ist nicht unerwartet – also unaufgebbare und irreduzible realistische Intuitionen und Überzeugungen, die dazu führen, daß – wie bereits im Blick auf Spinozas Ethik – Jacobis wissenschaftlich-spekulative Anerkennung der Wissenschaftslehre nicht mit dem philosophischen Einverständnis einhergeht. Zwar will Jacobi wie Fichte auch die Vollendung der Wissenschaft des Wissens. Fichte erstrebe dies jedoch, »damit sich der Grund aller Wahrheit als in der Wißenschaft des Wissens liegend zeige«, er, Jacobi, aber, »damit offenbar werde, dieser Grund: das Wahre selbst, sey nothwendig außerr ihr vorhanden« (JW III, 17). Alle Wissenschaften, auch Metaphysik und Philosophie überhaupt, seien – so Jacobi – ursprünglich »als Mittel zu anderen Zwecken [d. i. nicht als Selbstzweck, O. K.] entstanden«; ihr originäres Ziel sei es gewesen, »hinterr die Gestalt der Sache, das ist, zur Sache selbst; hinterr die Wahrheit, das ist, zum Wahren zu kommen« (JW III, 30). Zwar erstrebten die Wissenschaften und die Metaphysik – und prototypisch dafür hat Jacobi nunmehr die Wissenschaftslehre im Blick – die ›Sache‹, das Reale, das ›Wahre‹ im Modus des Wissens; sie blieben aber (notwendig) darüber »unwißend, d daß, wenn das Wahre menschlich gewußtt werden könnte, es aufhören müßte das Wahre zu seyn, um ein bloßes Geschöpf menschlicher Erfindung […] zu werden«. Im Wahrheitsstreben der Metaphysik im Modus des Wissens organisiere diese daher nur ihre »Unwißenheit, ohne einer Erkenntniß des Wahren, auch nur um ein Haar breit näher zu kommen«. Die darum endlose, zugleich aber »immer mannigfaltiger[e], ergötzender[e], größer[e], berauschender[e]« Tätigkeit des Wissensgewinns verdecke ihr dabei selbst die Leerheit und Zwecklosigkeit ihres Tuns (JW III, 29). – Die Transzendentalphilosophie Kants und Fichtes habe – so erkennt Jacobi ausdrücklich an – diese prinzipielle Unwissenheit der Wissenschaft erkannt. Sie habe systematisch konsequent – und doch fälschlicherweise –, daraufhin den eigenen Standpunkt, d. i. ein neues »Intellectual-System«, das die »höheree Mechanik des menschlichen Geistes« entwickle (JW III, 31), zum höchsten erklärt und durch diesen Schritt das intendierte Wahre durch bloße Wahrheit substituiert (vgl. JW III, 6 u. 30).118 Dadurch werde aber das an Gehalten und

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Jacobi gibt Fichte daher in der Vorrede insofern eine Mitschuld an dem gegen ihn aufgekommenen Atheismusverdacht, als die Wissenschaftslehre den Eindruck erwecke, den Theismus aufweisen zu können. Nicht beachtend, daß die Transszendentalphilosophie an sich wie

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Realem interessierte Streben durch ein Spiel »mit leeren Zahlen – mit Zahl-Zahlen« ersetzt, »das ein Fragen nach Zahlen-Bedeutung, g einem Zahlen-Inhalt« t ausschließe. Die Wissenschaften, die im »Allgemeinen und immer Allgemeineren« Einsicht in die Möglichkeit der Dinge erlangen wollen, seien als ein »reines Wissen allein des reinen Wissens« (JW III, 27) nichts anderes als bloße »Spiele, welche der menschliche Geist, zeitvertreibend, sich ersinnt« – und die ihren Reiz nur aus ihrer internen Unabschließbarkeit bezögen (JW III, 29 f.). Wissenschaft, die alles Wirkliche in der Einbildungskraft auflöse, verliere alles »Notwendige« und wende sich allein dem »Überflüßigen«119 zu (FiG II, 8). Insofern dieses Ergebnis, das Fehlen jeder »Weisung auf das Wahre« (JW III, 32), der spekulativen Philosophie bzw. der ›Wissenschaft‹ zwar notwendig und wesentlich sei, es jedoch trotzdem einen Irrtum darstelle, dieses nichtwißbare Wahre deshalb ganz zu verleugnen (vgl. JW III, 31 f.), insistiert Jacobi in Opposition zum Fichteschen System des Wissenss wiederum auf die »Unphilosophie«, die »ihr Wesen […] im Nicht-Wißen« (JW III, 9) habe. Gegen Fichtes Ausgang von einem Begriff der Vernunft, die als reine sich und ihre Gegenstände absolut selbst – und damit, wie Jacobi meint, recht besehen, eigentlich Nichts – hervorbringt, versucht er, ein Verständnis von Vernunft als einem Vermögen des »Vernehmen[s]« (von etwas von ihrer eigenen Tätigkeit Verschiedenem) (JW III, 19) wieder in sein Recht einzuset-

Arithmetik oder Geometrie ein prinzipiell neutrales Verhältnis zu Religion und Gottesglauben habe, solle »durch die Transcendentalphilosophie ein neuer einzigerr Theismus eingeführt« werden. In Wahrheit verantworte sie damit jedoch einen Atheismus, »indem sie zeigte, wie auch Gottt auf der That des an sich Nicht Daseynss erhascht, dadurch allein philosophisch geltend, ja überhaupt zu einem Realen werde.« (JW III, 7) »Daß sie von Gott nichts wiße gereichte der Transscendentalphilosophie zu keinem Vorwurf, da es allgemein anerkannt ist: Gott könne nicht gewußt, sondern nur geglaubtt werden. Ein Gott, der gewußtt werden könnte, wäre gar kein Gott. Ein nur künstlicherr Glaube an Ihn ist aber auch ein unmöglicherr G l aub e ; denn er hebt, in sofern er blos künstlich seyn willl – oder bloß wißenschaftlich, oder rein vernünftig – den natürlichen Glauben, und so mit, sich selbst, als Glauben, folglich den ganzen Theismus auf.« (JW III, 7). Vgl. Fichte, Ueber den Grund unsers Glaubens an eine göttliche Weltregierung: »Der eben abgeleitete Glaube ist aber auch der Glaube ganz und vollständig: Jene lebendige und wirkende moralische Ordnung ist selbst Gott; wir bedürfen keines andern Gottes, und können keinen andern fassen. Es liegt kein Grund in der Vernunft, aus jener moralischen WeltOrdnung herauszugehen, und vermittelst eines Schlusses vom Begründeten auf den Grund noch ein besonderes Wesen, als die Ursache desselben, anzunehmen; der ursprüngliche Verstand macht sonach diesen Schluß sicher nicht, und kennt kein solches besonderes Wesen; nur eine sich selbst misverstehende Philosophie macht ihn.« (GA I,5 354; ähnlich auch noch in der letzten Stellungnahme Fichtes zum Sendschreiben Jacobis im Jahr 1806/07: GA II,11 43.) 119 Daher gehört auch Jacobis Vorrede zu einem überflüssigen Taschenbuch für das Jahr 1800 (JW VI, 95–130), eine launig-ironische Eloge auf das Überflüssige (genommen u. a. als das Unendliche und Unbestimmte), zu den Schriften, die sich kritisch mit dem Kantisch-Fichteschen transzendentalidealistischen System auseinandersetzen.

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zen. Und genauso wie kein kontinuierlicher Übergang von Spinozas Metaphysik zu Jacobis ›Antispinoza‹ möglich sein sollte, sondern ›gesprungen‹ werden mußte, ist der Wechsel zwischen Fichtes Philosophie und dem Standpunkt des lebendigen Daseins auch nicht anders als mit einem ›Salto mortale‹ zu überwinden.120 Eine konsequent ausgeführte Wissenschaftslehre soll demnach für Jacobi über sich hinaus verweisen und, wie die Ethik, eine elastische Absprungstelle bieten, um aus der Sphäre der bloßen ›Wahrheit‹ zum ›Wahren‹ selbst zu gelangen.121 Dieses läge als allein ›Geahntes‹ und ›Gefühltes‹ jedem begreifenden Erfassen, d. i. jedem Wissen, immer schon voraus. Dabei sind es, wie weiter unten noch genauer zu untersuchen sein wird, drei Momente des Realen, die nach Jacobi in der Wissenschaftslehre »durch immer allgemeinere Begriffe« ›aufgelöst‹ und ›vernichtet‹ würden (JW III, 23): Es sind zunächst (1) die Dinge der Außenwelt, die durch unsere wissende Weltaneignung »objectiv – als für sich bestehend – in Gedanken« aufgehoben werden, um sie allein »subjectiv« als »unser eigenes Geschöpf – ein bloßes Schema« – neu erstehen zu lassen (JW III, 21). Die einzelnen Objekte – so Jacobi ganz im Sinne seiner Philosophiekritik aus Beilage VIII der Spinozabriefee – würden durch immer allgemeinere Begriffe ersetzt, die Qualitäten zu einem bloßen Produkt meiner Einbildungskraft. Durch die Vernichtung ihrer Eigenheit als dieser bestimmte einzelne, konkrete Gegenstand und seiner Verwandlung in einen (bloß) gewußten bleibe von ihm, verglichen mit seiner ursprünglichen Realität, nur ein ›Nichts‹ (vgl. JW III, 20 u. 23). Die Transzendentalphilosophie erkläre »den Traum der Erfahrung [daß es eine reale Welt von Qualitäten gibt] als Traum; an eine Deutung ist nicht zu denken. Sie weckt mich, um mich selbst und alles was außer mir ist, vor meinen Augen zu vernichten.« (FiG II, 308) – Doch werde (2) das erkennende Subjektt auf diese Weise nicht nur zum Schöpfer der von ihm begriffenen Welt, neben der für den bloß Verständigen auch keine andere mehr existiere, sondern auch zum Schöpfer seiner selbst. D. h. der wissende Mensch verliere im Erklären und Konstruieren nicht nur die Welt der wirklichen Dinge, sondern auch sich selbst. Will der Wissende sich selbst begreifen – und dies ist unter dem Vorzeichen des transzendentalen Idealismus die Bedingung des Begreifens der Welt –, müsse auch er sich »dem Wesen nach vernichten […], um allein im Begriffe« entstehen zu können (JW III, 21). Auch im Blick auf das erkennende

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Dem korrespondiert bei Jacobi die Betonung des starken Hin-und-her-gerissen-Seins zwischen den Perspektiven: Entweder schäme er sich fast, sobald er in intellektueller Hinsicht den Standpunkt Fichtes eingenommen habe, anderer Meinung als Fichte zu sein, oder aber, von der Position der ›Unphilosophie‹ aus betrachtet, ärgere und erzürne er sich bald über das »künstliche Von-Sinnen-Kommen« der Wissenschaftslehre (JW III, 18 f.). 121 Vgl. »Mein Nicht-Wissen habe ich in allen meinen Schriften zur Schau getragen; ich habe mich gerühmt, unwissend zu seyn dergestalt mit Wissen, in so hohem Grade vollkommen und ausführlich, daß ich den bloßen Zweifler verachten dürfte.« (JW III, 44)

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Ich stellt sich die Wissenschaftslehre für Jacobi als »Nihilismus« (JW III, 44) dar. Der menschliche Intellekt und Geist selbst werde bei Fichte zum »Gespenst; ein Gespenst, nicht einmal von Etwas, sondern ein Gespenstt an sich ; ein reales Nichts; ein Nichts der Realität« (JGA 2,1 207). – Schließlich und vor allem verliert die Wissenschaftslehre nach Jacobi auch (3) den Menschen als ganzen, als Handelnden aus dem Blick, dessen Intellekt nur eine ›Eigenschaft‹ und ein Mittell seiner lebendigen Existenz bilde. Die Wissenschaftslehre vernichte m. a. W. den Menschen nicht nur als Subjekt (des Erkennens), sondern auch als Person und konkretes zeitlich verfaßtes und im freien Handeln reale Anfänge setzendes Individuum – und damit die Daseinsform, die nach Jacobi als die ursprüngliche und auch die Subjektivität noch fundierende angesehen werden muß.122 Die Rede von einem sich und alles andere setzenden reinen Ich bzw. Bewußtsein gilt Jacobi darum als eine wahre »Tollheit«, da das Adjektiv ›bewußt‹ immer ein reales ›Selbst‹ benötige, von dem es ausgesagt werden könne: »Reine Selbstheit ist reine Derselbigkeit ohne Der«. Genauso wie ein Strumpf nur für einen bestimmten realen Fuß bzw. in »Beziehung und Absicht auf ein menschliches Bein, wodurch allein Verstand in sein Wesen kommt«, gestrickt werde (JW III, 28), sei die »Individualität«, d. i. das (menschliche) Dasein als ein einzelnes vernünftiges, willentlich handelndess Wesen, »die Wurzel der Intelligenz und aller Erkenntniß« (FiG II, 307). – Während Jacobi in seiner direkt an Fichtes philosophischen Schriften entwikkelten Auseinandersetzung im Blick auf die ersten beiden Momente des Realitätsverlustes deutlich erkennbar den Eingang der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehree und den theoretischen Teil der Wissenschaftslehre vor Augen hat, kritisiert der Fichte-Brieff im Falle der letzten und entscheidenden Vernichtung der originär praktischen Individualität das Willens-, Moral- und Persönlichkeitskonzept der Transzendentalphilosophie allein in seiner Kantischen Form, ohne auf die Spezi-

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Vgl. Jacobis Kritik an Kant: »In der höchsten Abstraction, wenn man die vernünftige Eigenschaft rein absondert; sie nicht mehr als Eigenschaft, sondern ganz für sich allein betrachtet: geht der Instinkt einer solchen bloßen Vernunft allein auff P e r s o n a l it ä t , mit Ausschließung derr P e r s o n und dess D a s e y n s , weil Person und Daseyn Individualität verlangen, welche hier nothwendig wegfällt. Die reine Wirksamkeit des lezten Instinkts, könnte reiner Willee heißen.« (JW I, 38 f.) – Fichtes Schrift Die Bestimmung des Menschen orientiert sich im übrigen sehr intensiv, unter nahezu wörtlicher Übernahme Jacobischer Formulierungen, an Jacobis Diagnosen des transzendentalphilosophischen Verlustes der Realität der Freiheit des Ich (Buch 1 »Zweifel«) und des theoretischen Ich bzw. des Subjekts selbst (Buch 2 »Wissen«). Das dritte, »Glauben« genannte Buch soll schließlich die Jacobische Kritik des vorgeblichen Verlustes des Ich als real sittliches entkräften. Doch geschieht dies entgegen Jacobis Einwand nicht als Rettung der ›Person‹, sondern eines allgemeinen praktischen Subjektes bzw. reinen/unendlichen Willens: Vor dem Ziel des allgemeinen »Fortgangs der Vernunft und Sittlichkeit im Reiche der vernünftigen Wesen«, so heißt es am Ende des dritten Buches, sei mir meine Persönlichkeit »schon längst […] untergegangen« (SW II, 312).

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fik seiner Gestaltung in der Wissenschaftslehre einzugehen. Es ist dann gleichsam Jean Paul, der Jacobis Diagnose auch direkt an Fichtes Moralphilosophie mißt. – Wie oben dargestellt, wirft Jacobi dem transzendentalphilosophischen Begriff der praktischen Vernunft einen reinen, inhaltsleeren Formalismus vor. »[U]nbedingt allgemeine Gesetze, Regeln ohne Ausnahme«, die durch das Prinzip der (begrifflichen) »Einstimmigkeit des Menschen mit sich selbst« konstituiert würden, forderten »starre[n] Gehorsam« (JW III, 40). Ein »Willen der Nichts will, l diese hohle Nuß der Selbstständigkeit und Freyheit im absolut Unbestimmten« (JW III, 39) würden aber dem »Herzz des Menschen« (JW III, 41), der Lebendigkeit und Konkretheit des sittlichen Lebens prinzipiell nicht gerecht. »In Absicht d[es] die Vernunft übersteigenden Begriffes der Freyheit, wie er zu bestimmen sey, was er in sich faße, voraussetze und nach sich ziehe, möchten wir«, so hält Jacobi Fichte darum entgegen, »uns schwerlich ganz vergleichen können« (JW III, 48). Zudem weist Jacobi ausdrücklich auf die Epistel an Erhard O. in der zweiten Auflage des Briefromans Allwill von 1792 hin: Hier müsse das »Geheimniß der Identität und Verschiedenheit zwischen Fichte und mir, unserer philosophischen Sympathie und Antipathie« jedem offenbar werden, der »recht zu lesen und sie durchaus zu verstehen sich bemühen wollte«.123 In der Epistel an Erhard O. ist aber gerade wiederum die Kritik an einer Moralphilosophie des kategorischen Imperativs vertieft. Eine »leere Absicht« t bzw. ein Trieb, der »lauterr Form« sei, stellten bloße begriffliche Chimären dar: »Kein Trieb, wie sehr man ihn in sich allein betrachte, will nur seine eigene freye Wirksamkeit. Sein Wesen ist Verhältniß: ß er will Befriedigung. g Der Trieb der vernünftigen Natur zum an sich Wahren und Guten ist auf ein Daseyn an sich, auf ein vollkommenes Leben, ein Leben in sich selbstt gerichtet« (JW I, 239 f.). Darum gelte es gegen den »baaren Egoismus« der Vernunft die Überzeugung zu verteidigen, daß »Tugend« d »kein leerer Name« sei (JW I, 231). Denn »reinee Vernunft […], da sie in allen Menschen Eine und dieselbe ist,« könne nicht »die Grundlage eines besondern, verschiedenen Lebens ausmachen, und der wirklichen Person ihren eigenthümlichen individuellen Werth ertheilen«. »Wenn ich auf das Wort eines namentlichen Mannes fuße, so bringe ich dabey seine reine Vernunft nicht mehr, als die Bewegung seiner Lippen und den Schall aus seinem Munde in Anschlag. Ich traue dem Worte um des Mannes, und dem Manne um sein selbstt willen. Was in ihm mich gewiß macht, ist seine Sinnesart, sein Geschmack, sein Gemüth und Charakter. Ich gründe meinen Bund mit ihm auf den Bund, den er mit sich selbstt hat, wodurch er ist der er seyn wird. Ich glaube dem in seinem Herzen tief verborgenen unsichtbaren Worte, das er geben will und kann. Ich verlasse mich auf eine geheime Kraft in ihm, welche stärker ist als der Tod.« (JW I, 236 f.)

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JW III, 18; vgl. auch Brief an Reinhold vom 26.2.1799 (FiG II, 66).

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III. Die Unphilosophie als alternative handlungstheoretische Metaphysik Ohne dies stets ausdrücklich zu markieren, war von der für Jacobis Denken zentralen Figur des ›Sprunges‹ in den bisherigen Ausführungen schon häufiger die Rede – und zwar als bewußte Umkehrung von Abhängigkeitsverhältnissen, die indes nur dann unphilosophisch zu nennen ist, wenn sich mit ihr zugleich auch die ›Logik‹ der Fundierung selbst ändert. Dieser grundlegende Perspektivenwechsel – von der Wirkkausalität (›Notwendigkeit‹) zur Zweckursächlichkeit (›Freiheit‹), vom ›Erklären‹ (›Konstruieren‹) zum ›Auffinden‹ (›Vernehmen‹), vom ›Wissen‹ qua Rationalität zum ›Glauben‹ qua ›Vernunft‹, von der universellen »Wahrheit« zum individuellen »Wahren« (vgl. JW III, 30/32), schließlich von einer bloß vermittelten Einheit (Totalität) zu einer solchen, die real wie ideal ihren durch sie vereinigten ›Teilen‹ voranliegt – geht seinem Selbstverständnis nach mit der Annahme einer dualistischen Grundstruktur einher, die trotz der faktischen Einheit des menschlichen Daseins viel radikaler zu denken sein soll als die nach Jacobi letztlich systemisch-systematisch in den Monismus zurücklaufenden dualistischen Ansätze bei Kant. – Bereits in einem Brief vom 16. Juni 1783 nimmt Jacobi den Grundgedanken aller seiner im engeren Sinne philosophischen Werke vorweg, wenn er in diesem Sinne die Absicht hinter seinen Romanen Woldemarr und Allwill dahingehend charakterisiert, daß sie »Menschheit wie sie ist, begreiflich oder unbegreiflich, auf das gewissenhafteste vor Augen […] legen« wollten (JW I, 364). Gemeint ist nämlich eigentlich: den Menschen in seiner Begreifbarkeit undd Unbegreiflichkeit. – Der Unphilosophie geht es m. a. W. (1) – so sei noch einmal ausdrücklich, wenn zunächst auch nur schlaglichtartig festgehalten – nicht um die Aufstellung eines von aller Besonderheit absehenden, allgemeinen Begriffs des Menschentums, sondern unter dem Stichwort der ›Daseinsenthüllung‹ um die allein vom Eigennamen zu umfassende konkrete Individualitätt eines ›ungeteilten‹ »ganzen Menschen« (Spin 287; vgl. Spin 35).124 Denn allein »[a]ls Individua leben,

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Diese ›Enthüllung‹ stellt Jacobi im Gespräch mit Lessing daher genau in dem Maße in die größte Nähe zur ›scientia intuitiva‹ Spinozas (vgl. Spin 35), wie diese selbst in der Ethik programmatisch auf das Individuelle geht (vgl. Ethik V Prop. 24) und es dabei nicht allgemeinabstrakt (aber auch nicht bloß kontingent-subjektiv) behandeln, es weder als bloße Summe universeller bzw. communer Bestimmungen noch als ein von diesen vollständig Losgelöstes auffassen soll. – Eine Differenz zu Spinoza ergibt sich erst daraus, daß das Individuelle in der Ethik trotzdem zugleich als ein von der göttlichen Wesensnotwendigkeit und Wirkungsmacht ›sub specie aeternitatis‹ – und dies heißt in Jacobis Verständnis letztlich doch wiederum bloß als rational-›mechanisch‹ – Konstituiertes gedeutet wird, nicht aber als genuin zeitlich verfaßtes lebendiges – besser: persönlichess – Dasein. Ein solches nämlich entzieht sich für Jacobi nicht nur wesentlich der vollständigen rationalen Begreifbarkeit, sondern soll von der Unphilosophie

III. Die Unphilosophie als alternative handlungstheoretische Metaphysikk

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denken und fühlen wir; uns selbst nicht verständlich und begreiflich, weil wir dann aufhören würden Individuen zu seyn, begreifend nur in und mit dieser Individuation. In ihr liegt das tiefe Geheimniß des unauflöslichen Zusammenhangs der Einheit und der Mannichfaltigkeit, der Gestalt und der Sache.« (JW III, 175 f.) Das Individuumsein eines Menschen ist dabei für Jacobi wie für Jean Paul nicht mit dem Haben bestimmter natürlicher Eigenschaften identisch, sondern liegt diesem noch voran. – Die Unphilosophie hat es (2) darum für Jacobi unweigerlich und wesentlich mit dem seiner Überzeugung nach für die ratio unerklärlichen Gegensatz ebenso wie mit der geheimnisvollen Einheit von Unendlichkeit und Endlichkeit, von Einheit und Vielheit im menschlichen Dasein zu tun. Denn der Mensch als Konkreter und Einzelner erfahre sich unmittelbar als durch und durch gemischtes Wesen – gemischt aus eigennützigem und uneigennützigem Trieb, aus Natur und Geist bzw. aus der abgründigen Klarheit des ›Verstandes‹ und dem von der ›Liebe‹ zum ›Wahren‹ gehaltenen, aber nur dunkel ahnenden ›Herzen‹ (vgl. JW I, 367). Diese beiden bilden die »zwei durchaus verschiedene[n], durchaus unabhängige[n] Mächte« in ihm, die zwar »unvergleichbar in Gewalt, Eigenschaft und Bestreben« sind (JW VI, 87), jedoch einander ähnlich in der Totalität ihrer konkurrierenden Ansprüche, die, so zeigen dann Person und Texte Jean Pauls besonders plastisch, das Dasein des Menschen zu einem stets durch Einseitigkeit gefährdetem machen. Zugleich bedürfe es aber – so deutete sich bei Jacobi ganz analog auch in bezug auf die verläßliche moralische Willensbestimmung an – notwendig ihrer selbst ›wunderbaren‹, weil unbegreiflichen, Vereinigung, damit der »menschliche Geist Wahrheit [überhaupt] ergreifen« könne (JW I, 367). Diese Vereinigung geschieht durch ein Übergreifen des Frei-Geistigen im Menschen auf sein Sinnlich-Rationales, durch die geistige ›Anverwandlung‹ des bloß Natürlichen in ihm, die die Bedingung für die unphilosophische Sprungfigur ebenso ist wie für den humoristischen und experimentalnihilistischen Aufstieg zum Unendlichen und Frei-Geistigen bei Jean Paul. – Angesichts dieses konstitutiven Zusammenspiels von ›Verstand‹ und ›Herz‹ (bzw. ›Vernunft‹) bedient sich (3) die unphilosophische Besinnung ebenso der philosophischen Argumentation wie der literarischen Darstellung, ohne sich in einem von diesen ganz zu erschöpfen. Jacobis methodisch-darstellungstechnische Mischform reflektiert dabei auch neuerlich – wie bereits der Topos des ›Eigennamens‹ –, daß der ›Gegenstand‹ der Unphilosophie zwar das daseiende Individuum ist, jedoch nicht nur nicht verstanden als universal-allgemeine Einzelheit, sondern auch nicht als ›schlechtes‹ (kontingentes) Einzelnes bzw., wie Friedrich Schlegel argwöhnt, als die pathologische Idiosynkrasie

anders als im Ergebnis der Ethikk ausdrücklich gerade auch konsequent alss Unbegreifliches, aber dennoch Wesentliches, gesetzmäßige Verbindlichkeit bzw. Beharrlichkeit und aktual-konkrete Einzelheit genuin Verbindendes erhalten und präsentiert werden.

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der »Friedrich-Heinrich-Jacobiheit«125. Vielmehr gehe es der Unphilosophie – so behauptet Jacobi fast gleichlautend zu späteren Charakterisierungen der ›geistigen Individualität‹ bei Jean Paul – um die nur ›in Person‹ vorkommende »Gattung« (JW VI, 138), d. i. das dem individuellen menschlichen Dasein als solchem Gemeinsame bzw. im zeitlichen Wechsel seiner Bestimmungen je zugleich sich Erhaltende und Ganze. Dieses macht für Jacobi, indem es weder ein ›Was‹ (von allgemeinen Bestimmungen), also ein ›Eines‹, vom Verstand Gesetztes ist noch ein bloßes ›Daß‹ (ein gänzlich Unbestimmtes), den Menschen als ›Einen‹ aus. Was es heißt, ›Einer‹ zu sein, gerät allein in der Frage nach dem ›Wer‹ einer ›Person‹ in den Blick, weil nur diese nämlich alle Vergegenständlichung, erklärende Bestimmung und deduktive Herleitung grundsätzlich ausschließt, zugleich jedoch jemand sehr Konkretes meint.126 Die unmittelbare Selbstgewißheit als ›Einer‹ kann daher jedermann nur angesonnen werden, indem ihm – wie vor allem im Roman, in dem das mit Anderen und in einer historischen Umwelt handelnde Individuum im Mittelpunkt steht – das Dasein eines (anderen) ›Einen‹ exemplarisch und anschaulich ›vor Augen gelegt‹ wird. – Insofern jedoch ›Einer‹ zu sein vor allem auch bedeutet, als (sich in Begriffen orientierendes) Geistwesen zu existieren, schließt die exemplarische Darstellung im Roman für Jacobi eine philosophische, auf die ›Gattung‹ der Phänomene zugleich ›reflektierende‹ Erörterung in vernunftgeleiteten (›bedeutenden‹) Begriffen keineswegs aus, sondern ist sogar wesentlich mit ihr verbunden. Wie Jacobi seine Romanfassungen der 1790er Jahren in diesem Sinne gerade um philosophische Gespräche oder philosophische Betrachtungen in Briefform erweitert, so leben umgekehrt von Beginn an seine philosophischen Schriften in entscheidendem Maße auch – aber (selbst in den nicht rein rekonstruierenden oder polemischen Teilen) nicht allein – von der evokativen Ansprache und der Darstellungsqualität einer rhetorisch-literarischen Rede.127 – Entscheidend für die

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Schlegel, Friedrich: Jacobis Woldemarr (1796), KSF I, 185. Zur Unterscheidung der Frageperspektiven von ›Was‹ und ›Wer‹ vgl. auch Sandkaulen (2004a). 127 Zum originären Darstellungsbezug von Jacobis Denken vgl.: »Alle seine [d. i. Jacobi als fiktionalisierter Herausgeber von Allwills Papieren] wichtigsten Ueberzeugungen beruhten auf unmittelbarer Anschauung; seine Beweise und Widerlegungen, auf zum Theil (wie ihm däuchte) nicht genug bemerkten, zum Theil noch nicht genug verglichenen Thatsachen. Er mußte also, wenn er seine Ueberzeugungen andern mittheilen wollte, darstellend zu Werke gehen.« (JW I, XIII) – Zur ›rhetorischen‹ Dimension zählt dabei ebenso eine gewisse, Jacobis Schriften grundsätzlich charakterisierende terminologische Unschärfe und Variabilität, mit der bewußt einem Verweilen an der ›verständigen‹ Oberflächee von Wörtern und Begriffen bzw. ihrer möglichen Mißdeutung als Definitionen begegnet werden soll. Dabei beschränkt sich der exklusive Bereich der Darstellung und terminologischen Unschärfe zugleich aber auf eine »Unwissenheit ganz anderer Art« im Vergleich zum Noch-nicht-Wissen von prinzipielll begrifflich streng Definier- und Deduzierbarem, das durch weitere wissenschaftliche Forschung und rationale Einsicht 126

III. Die Unphilosophie als alternative handlungstheoretische Metaphysikk

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Unphilosophie ist (4) dabei aber, daß die aufeinander irreduziblen Momente von Darstellung und Reflexion, von Evokation und Beweisführung ebenso wie, ganz allgemein, von Herz (Vernunft) und Verstand sich nicht einfach nur gegenseitig ergänzen oder wechselweisee voraussetzen, sondern in einer klar definierten transrationalen hierarchischen Ordnung zueinander stehen. Der Mensch ist nach Jacobi nicht einfach nur Bürger zweier ganz verschiedener, eigengesetzlicher Welten: der Naturr (bzw. der Theorie) e mit ihrer durchgängigen kausal-mechanistischen, d. i. rationalisierbaren, (bzw. logischen) Notwendigkeit und einer Welt der praktischen Freiheitt und Moralität. Vielmehr wirktt seine personale Freiheit und Handlungsfähigkeit auf eine wunderbare, rational unerklärliche Weise ebenso noch in der ihr entgegengesetzten Sphäre von Natur und Theorie, ja sie muß sogar stets (real und absolut) wirken, um diese selbst allererst zu konstituieren. In gleicher Weise basiert der ›Verstand‹ wesentlich auff dem ›Herzen‹ (bzw. der ›Vernunft‹), das Erklärliche auf dem Unerklärlichen, die Argumentation auf der veranschaulichenden Darstellung, oder im Vokabular Jean Pauls: der Begriff auf der Metapher und der Humor auf dem romantisch Schönen bzw. Erhabenen.128 Das ›Begreifliche‹, das absolut und nur Begreifliche, ist m. a. W. ohne das ›Unbegreifliche‹ selbst schlechthin unbegreiflich, der intendierte Sinn argumentativ-erklärender Rede ergibt sich gerade erst aus dem im Wissenssystem Nicht-Auflösbaren. – Das vorausgehende unbegreifliche »Gefühl unseres Daseyns« (JW I, 274) ist nach Jacobi aber, so sahen wir, die (von der reflexiven zu unterscheidende) tätigee »Gewißheit […] unserer Identität und Personalität« (JW I 280). Der unmittelbar bewußte originäre Handlungscharakter, der selbst noch jeden Aktt des Theoretisierens und Reflektierens charakterisiert, bildet also die Voraussetzung für die Existenz von für unss in unserem Dasein bedeutsamen, d. h. im Sinne von ›Meinungen‹ bzw. ›Überzeugungen‹ konkret und real handlungsleitenden, theoretischen Begriffen und Urteilen. Daher

allmählich erkannt werden kann und muß (JW II, 322 f.). Die Unphilosophie stelle also »nur Thatsachen ins Licht«, um »dann, auf diese Thatsachen gestützt, [ihre] Lehre mit wissenschaftlicher Strenge« zu rechtfertigen (JW II, 106). – – Wie im Primat der unmittelbar-anschaulichen Selbstgewißtheit des Ich als originär Praktisch-Tätigem folgt im übrigen Fichte Jacobi zunächst sowohl in der ausdrücklichen Reflexion der zentralen evokativen Rolle von Darstellung und Rhetorik (und hier vor allem des mündlichen Vortrages; vgl. u. a. Brief Fichtes an Reinhold vom 2.7.1795 [GA III,2 343 f.]) sowie ihres fundierenden Verhältnisses zur wissenschaftlichen Einsicht als auch darin, wegen der Lebendigkeit und Unbeweisbarkeit ihres Inhaltes ebenso die Terminologie der Wissenschaftslehre (wenn vielleicht auch nicht prinzipiell, so aber doch wenigstens vorläufig und bis auf weiteres) als bewußt unscharf und variabel zu kennzeichnen (vgl. Fichte: Der Begriff der Wissenschaftslehree [SW I, 45]). 128 Bei Jean Paul unterscheiden sich Erhabenes und (romantisch) Schönes, so werden wir sehen, im Gegensatz zur Kantischen Ästhetik höchstens noch graduell.

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stellte sich (5) Jacobis Kritik Spinozas und Kants im Grunde als performative Widerlegungg der vermeintlich reinrationalen Systemphilosophie129 dar. Denn

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In diesem Sinne hält Jacobi im Allwilll von der philosophischen Auseinandersetzung mit den Anhängern des Kantischen Systems fest, das jedes ihrer Worte »angehalten und entwafnet« würde durch den Aufweis, »daß es den Sinn, den sie ihm hier geben wollten, ihrem eigenen System zufolge, durchaus nicht haben könne, und, wo möglich, noch leerer sey, als das klare baare Nicht-Nichts unvermittelt« (JW I, 122). – Bereits Maximilian Bergengruen hat Jacobis ›Argumentationsstrategie‹ dabei ausdrücklich als performative Methodee analysiert (vgl. Bergengruen [2001], 42). Allerdings kann sein Versuch, Jacobis Vorgehen zugleich im Sinne von Apels Aufweis eines ›apriorischen Perfekts‹, d. h. von den durch die Teilnahme am rationalen Diskurs, ja allgemein: durch alles sinnvolle, sich selbst verstehendee Handeln, anerkannten Voraussetzungen, zu deuten, nicht überzeugen. Zu fragen ist nämlich nicht nur, ob eine solche Explikation nicht zumindest in dem Maße anachronistisch und daher letztlich auch sachlich unangemessen ist, wie Jacobi – trotz seines Interesses für die Problematik von Sprache und Darstellung – eindeutig vor dem sogenannten und auch für Apels Projekt der kommunikationstheoretischen Transformation der Kantischen Transzendentalphilosophie konstitutiven ›linguistic turn‹ philosophiert. Erinnert sei dazu nur an die Grundbegriffe des Jacobischen Denkens: ›Dasein‹, ›Geist‹, ›Vernunft‹, ›Person‹, ›Name‹, wie daran, daß es nach Jacobi eine höhere »Anschauungsgabe [ist], welche den Menschen zu einem Sprache erzeugenden Wesen macht« (JW III, 550), nicht die Sprache, die den Menschen oder die Vernunft erzeugt. – Entscheidender für die Differenz von Jacobi und Apel ist aber noch, daß auch die Rolle des Handlungsmomentes (und damit ebenso die Auffassung des Handlungssubjektes) wohl eine je andere ist. Zwar sind Apel und Jacobi beide davon überzeugt, daß sich die rationale Argumentation bzw. die ›mechanische‹ ›Logik des Grundes‹ nicht selbst noch einmal theoretisch-deduktiv begründen läßt. Während Jacobi jedoch im Glauben bzw. in der (praktischen ( ) Vernunft eine Einsicht sui generis als Prinzip noch des kausaldeterministischen Mechanismus der Reflexion aufweisen möchte, findet Apel – damit aus Jacobis Sicht in der reflexiven Immanenz verbleibend – durch »transzendentale Besinnung« (Apel [1973], 419) gleichsam nur die ›transzendental‹ genannte faktische Unhintergehbarkeit von Argumentation bzw. Reflexion – ohne auch nur annähernd so emphatisch wie Jacobi deren originäre Handlungsnatur hervorzuheben. Die Reflexion (und zwar als Reflexion und nicht als Akt des Reflektierens) erscheint Apel m. a. W. in dem Maße unhintergehbar, wie er im Gegensatz zu Jacobi Sprache allein als rationales zeichenbildend-repräsentationales System auffaßt und die Existenz einer bei Jacobi als ›Handlungssprache‹ zu deutenden ursprünglichen symbol- und namenssprachlichen Dimension nicht vorsieht. Damit einher geht unmittelbar zudem, daß, ähnlich wie bereits in Kants Philosophie, auch bei Apel das Moment der realen Willens- und Handlungsausübung eigentlich nicht mehr ist als ein Epiphänomen zur reinen praktischen Vernunft bzw. zu den Rationalitätsstandards einer bloß postulierten unendlichen Kommunikationsgemeinschaft: eine vermeintliche jeweilige Handlungsentscheidungg erscheint in diesem Sinne nur als »reflexive Bestätigung und willensmäßige Bekräftigung der Regeln des Sprachspiels«. »In dieser Selbstbestätigung des transzendentalen Sprachspiels durch die theoretisch und praktisch relevante Entscheidung zugunsten einer kritischen Vernunftgemeinschaft zeigt sich,« – so Apels aus Jacobischer Perspektive aufschlußreiche Erläuterung – »daß die Vernunft in sich selbst begründett ist und nurr (allerdings) zu ihrer Realisierung in der Welt des menschlichen Engagements bedarf« (ebd., 329; Herv. v. V.). Die »willentliche Bekräftigung« der kommunikationstheoretischen Voraussetzungen ist m. a. W. »kein, die transzendentale Rechtfertigung ersetzender, irrationaler Glaubens- oder Entscheidungsakt« (ebd., 421). An dem Primat des Rationalitätsmomentes im

III. Die Unphilosophie als alternative handlungstheoretische Metaphysikk

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sowohl Kant als auch Spinoza führen nach Jacobi das Unerklärliche und Unmittelbare zwar explizit noch im Munde – Kant bspw. im Begriff des sinnlich gegebenen Gegenstandes und in dem der Idee, Spinoza u. a. in den Begriffen der ›Dauer‹ und der ›causa‹, beide aber ganz ursprünglich in der fraglosen Annahme der (philosophierend-erkenn d enden) d Tätigkeitt selbst –, vermögen diese für die rationale Erklärung benötigten praktischen Voraussetzungen aber als solche zugleich auf theoretische Weise nicht einzuholen. Vielmehr bringen sie sie, insofern sie von ihnen wiederum nach Art eines Dinglich-Gegenständlichen und Erklärbaren, d. i. als (der Theorie) Immanentes und systematisch Integrierbares, behandelt werden, am Endee sogar zum Verschwinden.130 So soll es sich auch, das ist dann eine entscheidende Pointe Jean Pauls, im Blick auf die Pluralität einzelner realer sittlicher Subjekte in Fichtes Wissenschaftslehre verhalten. α) Metaphysik I Wesentlich für Jacobis Figur des ›Spinoza-Antispinoza‹ ist demnach, daß die hierarchische Abhängigkeitsstruktur von Bedingtem und Unbedingtem, Erklärlichem und Unerklärlichem zunächstt nicht exklusiv von der Unphilosophie behauptet wird oder auch nach Jacobis Meinung von ihr nur exklusiv behauptet werden dürfte. Der von Jacobi am Spinozismus und am zum ›spekulativen Egoismus‹ zugespitzten Kritizismus entwickelte Natur- und Rationalitätsbegriff schließt vielmehr an weitverbreitete, traditionelle Vorstellungen an. Jacobis Auffassung des Verstandes als eines nur zur Abstraktion und Re-Konstruktion bzw. Re-Produktion fähigen Vermögens, das darum die Realität seiner Gegenstände, die generell bloß Bedingte und durcheinander Vermittelte sind, selbst nicht verbürgen kann, nimmt unmittelbar einen Gedanken auf, den in der neuzeitlichen Philosophie bereits der junge

Vergleich zu dem des Handelns ändert de facto auch Apels versuchte Herleitung kategorischer ethischer Normen aus der als Kommunikationsgeschehen gedeuteten argumentativen ›Logik der Begründung‹ nichts, d. h. sein Projekt des Aufweises einer »Ethik der Logik«. Denn diese soll sich wiederum ergeben aus der »Forderung wechselseitiger Anerkennung von Personen als Subjekten der logischen Argumentation« (ebd. 400; Herv. v. V.) bzw. als Anerkennung der rationalisierbaren Bedürfnisse jedes Einzelnen (vgl. ebd., 426). – In mancherlei Hinsicht wäre darum zu prüfen, ob Apels kommunikationstheoretische Wendung des Kantischen Ansatzes – und dies deutet er selbst durchaus an – nicht tatsächlich größere Gemeinsamkeiten mit den in der Auseinandersetzung mit Jacobi sich formierenden praxiologischen Transformationen der Transzendentalphilosophie aufweist, wie sie bspw. in Fichtes Moralphilosophie versucht werden. 130 Dies geschieht nach Jacobi eben auch noch beim bloßen Postulieren des Unbegreiflichen als Bedingung für die Tätigkeit des Verstandes selbst und im Versuch, das Unbegreifliche allein als Negation des Begreiflichen, als gleichsam negativ Begriffenes, aufzufassen.

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A. Jacobis Vorlage

Descartes an den Anfang seiner Überlegungen stellte.131 Die von Jacobi wiederholt und emphatisch artikulierte Einsicht also, daß (1) es eine Kette von (natürlichen) Bedingungen und (logischen) Gründen, d. h. den Mechanismus überhaupt, ohne ein erstes sie bedingendes Unbedingtes und Unmittelbares, ein selbst Nichtmechanisches und Nichtnatürliches, genausowenig geben könne wie Erscheinungen und Abbilder ohne ihre Originale und daß (2) ob dieser grundsätzlichen ontologischen und epistemischen Priorität des Unbedingten und Übernatürlichen auch wir, die wir von Endlichem wissen, vom Dasein des Unendlichen »dieselbige, ja eine noch größere Gewißheit [haben müssen], als wir von unserem eigenen bedingten Dasein haben« (Spin 287), eröffnett ganz und gar allererst den Raum der Philosophie als solcher – zumindest insofern sich diese als Metaphysikk oder ›Erste Philosophie‹ versteht.132 Nur vor dem Hintergrund dieser ursprünglichen Annahme eines Unbedingten stellt sich für Jacobi m. a. W. überhaupt die Alternative von monistischer Systemphilosophie und Unphilosophie. Aus dieser Konstellation erklären sich, so behaupteten wir, zugleich auch die Zeitgenossen und spätere Interpreten irritierenden zahlreichen terminologischen und strukturellen Übereinstimmungen von Jacobis ›Spinoza‹ und seinem ›Antispinoza‹. Denn das ›Totum parte prius esse necesse

131

In diesem Sinne behaupten die Regulaee nämlich, daß eine jede ›Deduktion‹ ganz auf ›Intuitionen‹ beruhe. Eine unmittelbare Einsicht sei – so erklärt Descartes in seiner methodologischen Frühschrift hellsichtig – nicht nur für die Gewißheit der ersten Prämissen erforderlich, sondern ebenso für jeden Übergang von einer Proposition zu der aus ihr unmittelbar folgenden; auch die Notwendigkeit des Zusammenhangs zweier Propositionen (Grund und Folge) könne nur intuitiv eingesehen werden (Descartes: Regulae, 19). – Scheinbar empiristisch gewendet und in eine Schilderung der persönlichen Methode seiner Einsicht gehüllt, teilt Jacobi diese These vollkommen: »So lange ich mich besinne,« – so heißt es im David Humee – »hat mir das angeklebt, daß ich mit keinem Begriffe mich behelfen konnte, dessen äusserer oder innerer Gegenstand mir nicht anschaulich wurde. Objective Wahrheit und Würklichkeit, war in meinem Sinne eins, so wie deutliche Vorstellung des Würklichen und Erkenntniß. Jede Demonstration, die mir nicht, Satz für Satz, auf diese Weise wahr gemacht werden konnte; jede Erklärung, die sich mit keinem Gegenstande intuitiv vergleichen ließ; die aussersinnlich, übersinnlich, oder nicht genetisch war: dafür war ich blind, ganz stockblind.« (DH 68) – Die Konsequenz dieses Gedankens, die der junge Descartes bereits andeutet und mit der Jacobi wesentlich umgeht, liegt im weiteren aber darin, in der Deduktion (im ›Verstand‹) nur einen graduell differenten Modus der Intuition (des ›Sinnes‹) zu sehen. 132 Vgl. »Daß alles Werden nothwendig voraussetze ein Seyn oder Seyendes, welches nicht geworden ist, alles Veränderliche und somit Zeitliche ein Unveränderliches Ewiges, alles Bedingte zuletzt ein nicht bedingtes Absolutes: Diese Wahrheit wird als eine unmittelbare Voraussetzung der Vernunft, oder als eine positive Offenbarung durch dieselbe, von allen Philosophen einstimmig anerkannt, und sie trennen sich nur über die Frage: Ob dieses Absolute ein Grund, oder ob es eine Ursache sey.« Die »Voraussetzung eines Absoluten oder Unbedingten« überhaupt muß mithin – wie auch der späte Jacobi betont – als eine »in jedem vernünftigen Bewusstseyn nothwendige«, aber auch »unbegreifliche Voraussetzung und Erkenntniß« gelten (JW III, 404; Herv. v. V.).

III. Die Unphilosophie als alternative handlungstheoretische Metaphysikk

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est‹, das Jacobi für seine Unphilosophie wie für Spinozas Immanenz-System gleichermaßen als ›Prinzip‹ reklamiert, drückt zunächst ebenso nur das metaphysische Primat des Unbedingten aus wie Spinozas auch für die Unphilosophie vorbildhafter Wahrheitsbegriff, wonach das Wahre das ›Licht‹ ist, das sich selbst und das Falsche bzw. auch die abgeleiteten Wahrheiten beleuchtet.133 Aus Jacobis Annahme einer aller Metaphysik gemeinsamen, ja konstitutiven Prämisse wird wenigstens zum Teil schließlich auch noch die bereits kurz angesprochene eigentümliche, die Differenz seines ›Spinoza-Antispinoza‹ weitgehend unterlaufende und verschleifende Rezeption durch die idealistische Philosophie, darunter Fichte und die Frühromantiker, verständlich. Diese können sich nämlich hinsichtlich ihrer allgemeinsten Prinzipien und Grundgedanken in dem Maße tatsächlich genauso an Jacobis ›Spinoza‹ wie an seinen ›Antispinoza‹ wenden, wie jene zunächst wiederum nur das metaphysische Projekt überhaupt widerspiegeln. Eben deshalb vermögen sie problemlos, zugleich auch an Kant anzuschließen, insofern sich, wie Jacobi selbst herausgestellt hat, die metaphysischen Grundfiguren auch bei ihm manifestieren – in der Lehre der Vernunftideen ebenso wie in den Konzepten einer reinen Zeit, eines reinen Raumes und eines reinen Bewußtseins. – Für Jacobi jedoch ist dann in der Metaphysik mit Blick auf die Art und Weise, wie das bloß als ›Tatsache‹ schlechthin gegebene, alle rationale Bestimmungg ausschließende Unbedingte (vgl. Spin 289) philosophisch gedeutet und behandelt wird, eine grundsätzliche Richtungsentscheidung gefordert, durch die die Unphilosophie die Strukturen und Begriffe der rational-systemischen Metaphysikentwürfe weniger aufhebt als vielmehr radikal umwertet. Jean Pauls analogisches Poesiekonzept wird ihm darin folgen. Dagegen versuchen Fichte und die Frühromantiker noch einmal im Ganzen eine (wenn auch Ideal bleibende) Vermittlung beider für Jacobi unvereinbaren Metaphysikmodelle. Daß ein solches Projekt letztlich wiederum in Wahrheit nur die Reduktion auf das rational-systemische Modell bedeutet, zeigt sich für Jacobi vor allem auch in Fichtes an Kant orientiertem Weg, die vermeintlichen Optionen unter dem Stichwort von ›Philosophie und Leben‹ auf verschiedenen Ebenen anzusetzen. Denn dadurch wird die Frage nach dem realen Leben nicht nur aus dem Feld der Metaphysik i. e. S. (bzw. der Transzendentalphilosophie) ausgeschlossen und dem bloß empirisch-gemeinen Menschenverstande zugerechnet. Vielmehr stellt nach Jacobi auch die zugleich beabsichtigte transzendentalphilosophisch-apriorische Herleitung des praktischen Standpunktes des Lebens überhaupt nur einen weiteren Modus des in sich widersprüchlichen Versuchs monistisch-systemischen Philosophierens134 dar, noch die

133

Vgl. Spin 33, 129; JW II, 106 ff.; Brief Jacobis an Forster vom 26.1.1783 (JW III, 445/478). 134 Dies heißt für Jacobi, wie gesehen, eben eines jeden systemisch-rationalen Philosophierens.

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A. Jacobis Vorlage

»Bedingungen des Unbedingten«, die Möglichkeit des schlechthin Wirklichen und absolut Notwendigen aufzudecken. Bei Spinoza wird auf diese Weise – so sollte Jacobis Spinozarekonstruktion zeigen – die ›causa sui‹ qua ›causa immanens‹ zur bloßen ›ratio sui‹, das Unbedingte zum Sich-selbst-Bedingenden; bei Kant wird in der Sicht Jacobis die ›Vernunft zu Verstande gebracht‹ und der Begriff der Sinnlichkeit seiner Bedeutung beraubt; bei Fichte schließlich gerät in dem Maße, wie aus einer aufzufindenden (›überempirischen‹ praktischen) Tatsache (Jacobi) eine sich selbst setzende ›Tathandlung‹ (Fichte) wird, das vermeintlich frei handelnde reale Ich vollends zur allgemeinen, nur ihrem rationalen Wesen gemäß notwendig tätigen Ichheit. Diese verliert mit dem dabei geforderten Absterben ihrer konkreten Individualität zugleich dasjenige, was sie nach Jacobi allererst zu einem wirklichen Ich macht. In allen Fällen stehe trotz ihrer grundsätzlichen Anerkennung eines ersten Unbedingten die ›Erste Philosophie‹ durch ihre vollständige ›Rationalisierung‹ in der Gefahr der Selbstaufhebung: Durch eine verständige Vergewisserung des Unbedingten, d. i. durch das faktische Unendlichsetzen der Reflexion selbst (wie in der Figur einer indefiniten idealen Annäherung), hebe sich das Unbedingte alss Unbedingtes auf, verwandelt sich nach Jacobi das Unendliche unter der Hand und undurchschauterweise zu einem bloß endlichen oder – mit Hegel gesprochen – ›schlechten‹ Unendlichen.135 – Für die Unphilosophie ist demgegenüber entscheidend, daß sie gerade, indem ihr handlungstheoretischer Ausgangspunkt, d. i. die menschliche Person als konkretes

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Hegel und Jacobi stimmen dabei nicht nur in der Einschätzung der Spinozanischen, Kantischen und Fichteschen Systeme überein, insofern sie sie zu Reflexionsphilosophien erklären, sondern sind auch gemeinsam von der Notwendigkeit einer »völlig veränderten Ansicht des L og i sc hen« (Hegel: [Über] Friedrich Heinrich Jacobis Werke. Dritter Bandd [1817, Werke 4, 25]) überzeugt. Während für Jacobi dies jedoch bedeutet, die ›Logik‹ der Ursache (Individualität) als die Logik des Grundes (Allgemeinheit) ebenso fundierend wie von dieser grundlegend verschieden einzusehen, geht es nach Hegel vielmehr darum, das Denken selbst nicht nur bloß abstrakt, sondern im Zusammenspiel seiner Momente Vermitteltheit und Unmittelbarkeit zu begreifen. Daher stellt sich für Hegel konsequenterweise Jacobis eigene schroff antinomische Doppelposition letztlich selbst noch als Reflexionsphilosophie dar (vgl. ebd., 13): Jacobi habe ohne hinreichenden Grund den Verstand dem Geist bzw. den Begriff der Anschauung bloß entgegengestellt und damit nur wieder den von ihm selbst für die Metaphysik kritisierten abstrakten Satz des ausgeschlossenen Dritten bestätigt, anstatt sich wahrhaft zur neuen (spekulativen) Logik, die die Einheit (»Coincidenz«) der Gegensätze erfaßt, zu erheben (vgl. ebd., 25–27/29). – Obwohl in Hegels Philosophie in diesem Sinne sicherlich der ausgereifteste systemische Versuch einer Vereinigung von Jacobis Spinoza und Antispinoza vorliegt, kann sein Erfolg oder Mißerfolg hier nicht weiter verfolgt und bewertet werden. Jacobi jedenfalls hegt den Verdacht, Hegel würde im Bemühen, »oh ne Spr u n g« vom Spinozismus »zu einem System der Freiheit« voranzukommen, auch keinen »höheren We[g] des G e d a n ken s« einschlagen als dieser (Brief Jacobis an Johann Neeb vom 30.5.1817 [JBr II, 467]). Allerdings kommt es aufgrund von Jacobis Alter zu keiner intensiveren Auseinandersetzung mehr mit dem Hegelschen Philosophieentwurf.

III. Die Unphilosophie als alternative handlungstheoretische Metaphysikk

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Individuum, selbst ausdrücklich als ein Endlich-Unendliches, als ein aus der Notwendigkeit der Natur und der Freiheit des Geistes ›gemischtes‹ Wesen anerkannt wird, noch auf ein wahrhaft Unendliches und Unbedingtes als dessen schaffende reale Ursache verweisen soll. Während nach Jacobi die Systemphilosophen die Endlichkeit ihres vermeintlich rein unendlichen Ausgangs- (bzw. auch Ziel-)punktes übersehen oder aber wenigstens programmatisch zunehmend aufzulösen versuchen, will die Unphilosophie m. a. W. die Endlichkeit der frei handelnden Person in einer paradoxen Weise als konstitutivess Moment gerade unermüdlich vor Augen halten, um somit erst das wahrhaft Unendliche noch in der gebrochenen Perspektive seines Vorkommens im individuellen Dasein, d. i. im Gefühl der Abhängigkeitt und Gegebenheitt meiner eigenen Freiheit als konkret handelndes Geistwesen, erahnen zu lassen: »Wir erschaffen und wir unterrichten uns nicht selbst; sind auf keine Weise a priori, und können nichts a priori wissen oder tun; nichts erfahren – ohne Erfahrung« (Spin 130) – so die wiederkehrende Grundformel Jacobis, die die Endlichkeit des Menschen als wesentliches (metaphysisches) Moment stets anmahnen und damit zugleich erst den (einzig möglichen) Blick auf das wahrhaft ›Unendliche‹ eröffnen soll. Das nur ›in Person‹ vorliegende (also mit Endlichkeit verbundene) Unendliche der Jacobischen »Handlungsmetaphysik«136, das allein ›Ich‹ genannt werden kann, verbleibt also in der realen Differenz zum absolutt und nurr Unendlichen als seiner letzter Quelle. Diese muß nach Jacobi, so wird sich unten noch genauer ergeben, als transzendenter, vorsehendd schaffender Gott aufgefaßt werden. Nicht nur gelten Jacobi Mensch und Gott als real verschieden, sondern beide bleiben auch noch unterschieden von der Welt, insofern diese Schöpfung Gottes und nicht die meines Ich ist. Denn selbst als real sittlich Handelnder bin ich sowohl von natürlichen und soziokulturellen Umständen, d. i. der historischen Lebensweise und dem ebenso zeitbedingten Ethos eines Volkes, mitbestimmt als ich die Welt zugleich auch meinerseits absichtsvoll mitbestimme. – Bei Spinoza hingegen übernimmt – nach Jacobis protoidealistischer Lesart der Ethikk sich und die Natur des Unbedingten mißverstehend – die als causa qua ratio sui gedeutete Substanz, damit eigentlich die ratio selbst, ebenso den Platzz Gottes, wie es dies bei Fichte vermeintlich das Ich der ›Tathandlung‹ tut. »Eine solche Wahl aber hat der Mensch;« – so hält der FichteBrieff daher über die metaphysische Alternative, vor der wir nach Jacobi stehen, fest – »diese Einzige: das Nichts oder einen Gott. Das Nichts erwählend macht er sich zu Gott; das heißt: er macht zu Gott ein Gespenst; denn es ist unmöglich, wenn

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Vgl. Birgit Sandkaulen, die als erste das Jacobische Projekt, das sich kritisch gegen alle »Begründungsmetaphysik« bzw. ›Metaphysik aus bloßer Logik‹ wendet, konsequent als »Handlungsmetaphysik« im Zeichen der Freiheit einer vorsätzlichen finalenkausalen Selbstbestimmung einer (individuellen) Person analysiert hat (Sandkaulen [2000], 220 f./255/261 f., vgl. auch Sandkaulen [2009], 268 ff.).

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A. Jacobis Vorlage

kein Gott ist, daß nicht der Mensch und alles was ihn umgiebt blos Gespenst sey. Ich wiederhole: Gott ist, und ist außer mir, ein lebendiges, für sich bestehendes Wesen, oder Ich bin Gott. Es giebt kein drittes.« (JW III, 49)137 Die Wahl zwischen Gott und absolutem Ich, zwischen vorsehender unendlicher Ursache und selbstgründendem rationalen Grund ist mithin zugleich die zwischen (metaphysischem) Realismus und Idealismus, zwischen »sum« (bzw. ›est‹) und »cogito« (vgl. Spin 164): »[W]ie Fichten alles Subjectivität« – so stellt Jacobi in einem Brief an Jean Paul vom 16. März 1800 heraus – »so ist mir alles Objectivität. […] Der Trieb des Menschen ist, durchzudringen zum Wahren. Ich bin Realist, wie es vor mir noch kein Mensch gewesen ist, und behaupte, es giebt kein vernünftiges Mittelsystem, zwischen totalem Idealism oder totalem Realism.«138 (JNach I, 239) – Doch gilt es, die Figur einer solchen Wahl zwischen den theoretischh gleichwertigen, weil unbeweisbaren Positionen des Realismus und Idealismus, der darstellend auf Gott verweisenden Unphilosophie und der aus der ratio (dem Ich) allerklärendkonstruierenden Systemphilosophie (vgl. auch JW III, 410) nicht mißzuverstehen. Genau besehen kann bei Jacobi nämlich – ebenso wie im übrigen bei Fichte im Blick auf die vermeintliche Alternative von transzendentalem Idealismus und Dogmatismus – von einer Entscheidung im Sinne einer Wahl zwischen zwei Optionen von gleicher Validität und gleichem Status, d. h. zwischen zwei gleicherweise möglichen Positionen, nicht die Rede sein. Denn bei Jacobi fehlt es wie bei Fichte an einer dritten, unabhängigen bzw. vermittelnden Perspektive, die ihren ›objektiven‹ Ver-

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Bzw. in der voridealistischen antispinozistischen Variante: Die metaphysische Alternative bestünde in den gleichermaßen unbegreiflichen Optionen, daß die Bewegung, d. i. die die endliche Welt konstituierende Veränderlichkeit und zeitliche Sukzessivität, durch eine einen Anfang setzende Willensbestimmung in einer »ewigen, in sich und durch sie allein bestehenden Intelligenz« hervorgebracht wurde oder von selbst in der Materie entstand (Spin 284). Insofern Spinozas auf den ersten Blick davon noch verschiedene These einer Gleichursprünglichkeit von Sein und Werden bzw. auch von Geist und Materie in dem Maße jedoch selbst eine Position des Vorrangs des Seins darstellt, wie nach Jacobi das Werden in ihr zu einem ewigen und damit selbst veränderungs- und zeitlosen wird (bzw. Geist und Materie nur kausal unverbundene Attribute der für sich selbst ageistigen Substanzz bilden) zählt noch Spinoza zum zweiten Modell. Weil die Frage nach dem Anfang der Welt, d. h. ihrer Substantialität und Veränderlichkeit, für uns selbst nicht begreifbar und sinnvoll ist (vgl. Spin 292), »so haben wir in Absicht des Übernatürlichen, von dessen Dasein wir gewiß sind, [also] nur noch zu entscheiden, ob wir annehmen wollen, es sei ein blind aktuosen Wesen, oder eine Intelligenz« (Spin 293). – Zum Topos der Wahl vgl. bei Jacobi weiterhin auch JW II, 318 ff. 138 Alternativ spricht Jacobi auch von der Wahl zwischen »Theismus« und »Naturalismus« (JW III, 410), »Theismus und Spinozismus« (Spin 241) bzw. zwischen »Platonismus« und »Spinozismus« (vgl. u. a. Brief Jacobis an Goethe vom 19.2.1808 [Briefwechsel zwischen Goethe und F. H. Jacobi, 245]; auf Platon beruft sich Jacobi jedoch bereits wesentlich früher, so u. a. in der auf den 28.1.1791 datierten Zugabee zum Allwill: l An Erhard O. [vgl. JW I, 243 ff.]). Gleicherweise zeigt Jean Paul seit den späten 1780er Jahren eine starke Affinität zu platonischen Motiven.

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gleich, d. i. ihre Vorstellung alss mögliche, überhaupt erlaubte. M. a. W.: Die rationale Systemphilosophie hebt sich bei Jacobi zum einen als Metaphysik eben gerade durch ihre Verwirklichung als Totalisierung des Wissens und Begründens selbst auf, so daß das absolut Reale, Unbedingte und Individuelle bzw. die Grenze zwischen Begreiflichem und Unbegreiflichem, Natürlichem und Übernatürlichem in Wahrheit nurr unphilosophisch aufzufinden und zu erahnen ist. Nach Jacobi kann es letzten Endess also gerade »keine natürliche Philosophie des Übernatürlichen geben« (Spin 37). – Zum anderen hat man sich mit der Anerkennung des Topos der Wahl bzw. Entscheidung selbst bereitss auf das Feld der Praxis gestellt, das, insofern die Wahl als praktische Wahl für Jacobi ein reales, konkretes absichtsvolles Handeln meinen muß (und nicht nur die allgemeine apriorische Struktur des begrifflichen Sinns jeder Wahlhandlung überhaupt), nur das Feld der Unphilosophie sein kann. Als ein Akt der absichtsvollen freien Entscheidung ist dabei schließlich auch bei Jacobi die Wahl zudem von Beginn an wesentlich sittlich konnotiert.139 β) Sinn – Verstand – Vernunft: eine Orientierung Der »totale Realismus« Jacobischer Art und Kunst bzw. das unphilosophische Bild vom menschlichen Dasein hat sich mit diesen allgemeinen Bemerkungen jedoch allererst in Umrissen gezeigt. Um einen detaillierteren Blick auf Jacobis ureigenste philosophische Konzeption zu gewinnen ist es zweckmäßig, noch einmal am Begriff des Verstandes anzusetzen. Dieser stellt – so Jacobis, wie bereits vermerkt, zunächst gar nicht sonderlich originelle, unter den Zeitgenossen aber höchst einflußreiche These – allein die Fähigkeit dar, »Verhältnisse deutlich wahrzunehmen, d. i. den Satz der Identität zu formiren und danach zu urtheilen« (DH V).140 Als bloßes Vergleichungs- und Verallgemeinerungsvermögen setze der Verstand aber einen ansichseienden Gegenstand, ein ihm real und unmittelbar anschaulich Gegebenes notwendig voraus – und zwar im Blick auf die Materie seiner Begriffe und Urteile ebenso wie auf deren Form.141 Als realee Bedingung der Abstraktion muß dieses Gegebene aber

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Vgl. »Zwischen Naturalismus und Theismus wählet das Gemüth zuletzt mit einer ähnlichen Freiheit, wie zwischen Sittlichkeit und Wohlleben. Der Glaube an Gott ist keine Wissenschaft, sondern eine Tugend.« (JW III, 449) 140 Vgl. auch: »Aller Reflexion liegt Abstraction dergestalt zum Grunde, daß Reflexion nur durch Abstraction möglich wird. Umgekehrt verhält es sich eben so: Beyde sind unzertrennlich und im Grunde Eins, eine Handlung des Auflösens alles Wesens in Wissen; progressive Vernichtung (auf dem Wege der Wissenschaft) durch immer allgemeinere Begriffe.« (JW III, 23) 141 Vgl. Brief Jacobis an Kant vom 16.11.1789: »Nach Ihrer Lehre nimmt die Natur; überhaupt das Vorgestellte, die Form unseres einmahl innerlich und unerforschlich so und nicht anders bestimmten Vorstellungsvermögens (dieses Wort in seiner weitesten Bedeutung genommen)

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A. Jacobis Vorlage

ein Besonderes, ja Einzelness sein, da nur ein eines/einzelnes Ganzess im ursprünglichen Sinne existiert; »Individualität ist die Wurzel der Intelligenz u[nd] aller Erkenntniß«.142 – Ohne dies irgend selbst erkennen oder auch nur ahnen zu können, da er als rein ideal-konstruierende Tätigkeit von einem bloß anschaubaren Realen prinzipiell nichts weiß, verwandelt der Verstand für sichh jedoch dieses von ihm notwendig vorausgesetzte Einzelne zugleich unmittelbar in einen scheinbar allein und ursprünglich von ihm selbst aus allgemeinen Bestimmungen zusammengesetzten Gegenstand. Dieser ist Teil einer Welt, in der – so Jacobi, Jean Pauls Sprachkritik an Fichtes Grundbegriffen bereits präfigurierend – selbstgemachte »Zeichen und Worte die Stelle der Substanzen und Kräfte vertreten«, schlechthin gebildete Begriffe angeschaute Individuen, spontan gesetzte quantitative Differenzen Unterschiede der Qualität. Kurzum: In dieser Welt hat das durch »progressive Verknüpfung« hervorgebrachte nur »in seiner Art«, d. h. allein negativ und als widersprüchlicher Begriff gedachte (Spin 285; vgl. auch JW III, 454),143 Unbedingte das wahrhaft positive, reale und unteilbar ganze Unbedingte ersetzt.144 Im rational-wissenden Weltbezug eignen wir uns also – so Jacobis berühmtes Wort – »das Universum zu, indem wir es zerreißen und eine unseren Fähigkeiten angemessene, der wirklichen ganz unähnliche Bilder-, Ideen- und Wort-Welt erschaffen« (Spin 274), die wir dessen ungeachtet zugleich im Wissen als vermeintlich originäre und reale ansehen müssen. Während das so allein auf ideal-verständige Weise Existierende in Wahrheit gar nicht (als Reales) ist, bleibt dasjenige, was sich durch eine solche »Art von Transsubstanziation« nicht »in mathematische und logische Wesen« (JW III, 351), in den leeren

an: wodurch denn nicht allein aller Widerstreit der Vernunft mit sich selbst gehoben, sondern auch ein durchaus zusammenhangendes System reiner Philosophie möglich wird. Ich im Gegenteil bin geneigter, die Form der menschlichen Vernunft in der allgemeinen Form der Dinge zu suchen« (JW III, 531). 142 JKl VII, 65. 143 Vgl. weiterhin: »Kein Ende, d. h. kein wahrhaftes Ganzes denken zu können, gehört zum Wesen des Menschen. Weil er kein Ende denken kann, macht er sich weiß, er könne das Unendliche denken als etwas Positives.« – Der originäre Modus eines solchen Unendlichen und Unbedingten für den Verstand ist – wie bei Fichte und Kant – der des Erstrebten und Postulierten. Ein Unendliches als bloßß Erstrebtes habe ich jedoch – so Jacobi – nicht »als Vollkommenheit im Sinn, sondern nur [als] ein zu ergänzendes Unvollkommenes« (JW VI, 227). 144 Vgl. »Ohne das Bewußtseyn dieses Begriffs [des Unbedingten] würde niemand von den Schranken des Bedingten wissen, daß sie Schranken sind; ohne das positive Vernunftgefühl eines Höheren als die Sinnenwelt wäre der Verstand nie aus dem Kreise des Bedingten getreten, und hätte auch nicht einmal den negativen Begriff des Unbedingten gewonnen. Nun ist es allerdings widersinnig, eine bloße Negation an die Spitze alles Philosophirens zu stellen; aber das Gefühl der Vernunft überwältigt diese Widersinnigkeit im Verstande, und weil die Abstraktion zum Allgemeinsten, Unbestimmtesten fortgehen kann, hält man das Absolut-Unbestimmte für das Wahrhaft-Unbedingte, für den Freyheits-Begriff selbst, und sucht – die wahre Quelle, nämlich die Vernunftwahrnehmung, verkennend, – seine Wurzel im Verstande.« (JW II, 80 f.)

III. Die Unphilosophie als alternative handlungstheoretische Metaphysikk

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›Buchstaben‹ des wissenschaftlichen Begriffes, verwandeln läßt, für uns grundsätzlich unwißbar. Das Individuelle als Individuelles und der ›Geist‹ als Geist existiert m. a. W. schlechthin nicht für uns, insofern wir uns nur als rationale Wesen betrachten. Die ideale Welt ist Nichts, die reale Welt ist aber nicht für uns: auf dem Standpunkt des Verstandes herrscht an sich – so Jacobi – der totale ›Nihilismus‹. Dies unphilosophisch zu erkennen, eine bloß real-ideale Setzung von einem wirklich Realen unterscheiden zu können, setzt ein ursprüngliches145 unmittelbares

145

Insofern der Kerngedanke der Unphilosophie im intimen Zusammenhang, ja geradezu in der Identität von Wesensverfassung und zeitlicher Existenz des Menschen als realem einzelnem Geistwesen besteht, sind im Gedanken des Ursprungs bei Jacobi geltungstheoretische und genetische Bedeutung unmittelbar vereinigt. Daher expliziert Jacobi vielerorts vermögenstheoretische Überlegungen zugleich als Historie des Selbst- und Weltverhältnisses der Menschen. Die paradoxale Verfassung des Verstandes, ein anschaulich Gegebenes zugleich vorauszusetzen und in seiner Tätigkeit für sich als solches zu negieren, erscheint auf dieser Ebene in Beilage VIII der Spinozabriefee als zunehmende wissenschaftlich-aufklärerische ›Entzauberung‹ eines mythischtotemistischen Weltbildes, die im Monismus Spinozas gipfelt (vgl. Spin 272 ff.), oder auch als ein Abkommen der nachplatonischen Philosophie vom (zuvor ganz offenbar noch beschrittenen) rechten Pfade (vgl. JW II, 364). – Daß Jacobi diese Historie dabei als »[n]atürlichee Geschichte der spekulativen Philosophie« (Spin 160, Herv. v. V.; vgl. auch JW I, 278) rekonstruiert, darf jedoch nicht derart mißverstanden werden, als ob das ursprüngliche Abfallen vom rechten Weltverhältnis selbst ›natürlich‹, d. h. rational-mechanistisch, erklärt werden könnte. Jacobi selbst hält in diesem Sinne zugleich ja ausdrücklich die Unmöglichkeit fest, noch das Prinzip des Mechanismus (den Grund des bloß abstrakten Weltverhältnisses) mechanistisch (abstrakt) herzuleiten. Denn der Verstand ist (für sich und allein betrachtet) nach Jacobis Begriff immer schon und ursprünglich (d. h. eigentlich auch bei Platon) ein Abgefallener, ein originärr aus dem ›Geist‹ ›Gesprungener‹ und kann daher nicht selber Ursache seines Abfallens sein. Er ist umgekehrt aber eigentlich auch überhaupt kein Abgefallener, insofern er nach Jacobi stets Moment des zu aller Zeit sich als handelnd bewußten Daseins eines ›ganzen Menschen‹ ist. Der vermeintliche ›Abfall‹ des Verstandes vom Geist ist m. a. W. genauso wunderbar und unerklärlich wie die unphilosophische Wiederauffindung ihres ursprünglichen Abhängigkeitsverhältnisses. Beide können nur als (geistige) Tatsache unmittelbar erfahren und konstatiert werden, sind unbegreifliche praktische Entscheidungsakte (›Sprünge‹) bzw. Momente ein und desselben dem Dasein des ganzen Menschen ebenso wesentlichen wie ihm als rationalem Wesen geheimnisvollen ›salto mortale‹. Nur weil die Einnahme eines rein/absolut rationalen Standpunktes nicht selbst als Werk des Verstandes, sondern als (praktischer) Sprung gedacht wird, gelten m. a. W. auch Jacobis Grundthesen, daß (1) die absolut rationale Position performativv selbstwidersprüchlich ist und daß daher (2) auch der Verstand selbst diesen Widerspruch seiner Position nicht theoretisch aufzulösen vermag. – Zwei ›Sprünge‹ hat in diesem Sinne bereits Hermann Timm bei Jacobi unterschieden (vgl. »Der Salto mortale in die Unphilosophie macht seinerseits nur den Sprung rückwärts, den die philosophische Wissenschaft mit ihrer anfänglichen Annihilation der Phänomenalwelt vollzieht. Ein unphilosophierbarer Willensakt liegt hier wie dort zugrunde.« (Timm [1974], 206)). – Am Anfang von Schoppes (Leibgebers) Verfall, d. i. seinem letztlich tödlichem idealistischem VonSinnen-Kommen, steht auch bei Jean Paul daher im Roman Titan, so werden wir sehen, nicht nur sein eigener Entschluß, ›wahnsinnig‹ zu werden, sondern auch derjenige, um der Gesundheit seines Freundes Albano wegen, sich ganz auf die empirische Welt einzulassen.

116

A. Jacobis Vorlage

Innesein voraus, das als prä- bzw. transreflexives Bewußtsein das Dasein des ›ganzen Menschen‹ umfaßt. Nur in diesem Bewußtseinsmodus ist uns auch der Verstand selbst in der für seine Tätigkeit konstitutiven Einheitt seiner Voraussetzungen und Produkte gegeben, zeigt er sich m. a. W. als originäres »Werkzeug« (Spin 286) einer ursprünglicheren Gewißheit und Tätigkeit. Das Organ dieses primären, nicht (rational-)differentiell urteilenden Bewußtseins nennt Jacobi zunächst allgemein ›Gefühl‹, ›Sinn‹ und ›Anschauung‹ – auch ›Instinkt‹ oder ›Ahndung‹. All dies steht – anders als Fichtes ›Tathandlung‹ bzw. ›intellektuelle Anschauung‹, aber auch im Gegensatz zum Begriff des ›Gefühls‹ im praktischen Teil der Wissenschaftslehre – bei Jacobi für ein (tatsächlich und nicht nur als Selbstaffektion scheinbar) passives menschliches Vermögen. Seine Funktion im Sinne einer positiven Voraussetzung bzw. präsentierenden Wahrnehmung eines Wirklichen erfüllt sich nur in der wunderbaren Weise eines von Außen offenbartt Bekommens (vgl. DH 51 ff.). Insofern es also gerade nicht um ein vom Erkenntnissubjekt Hervorgebrachtes geht, kann der Modus unserer Wirklichkeitsgewißheit nach Jacobi dann aber auch nicht der des Wissens sein, sondern allein ein »Glauben«. – Weil er in dem obigen Sinne konstitutive Bedingung aller Begriffe und Vorstellungen des Verstandes, d. i. aller vermittelten Einsichten, ist, geht dieser Glaube jedoch auch nicht nur dem Wissen voran. Vielmehr bildet er – weit davon entfernt, wie die ›doxa‹ ein bloß defizitäres Wissen oder eine noch nicht als Wissen realisierte Überzeugung zu sein – notwendig stets die letzte, selbst alles Wissen bewährende Instanz. Der Glaube ist daher gar ein »wahrhaft oberherrliches Wissen«, ein »unabhängiges [Wissen] über allen Beweisen« (JW II, 106; vgl. auch JW II, 4).146 – Diese Grundüberzeugung der Unphilosophie faßte im Brief an Mendelssohn bereits Jacobis ebenso berühmtes wie ›berüchtigtes‹, weil von manchem ›aufgeklärten‹ Zeitgenossen – darunter Mendelssohn selbst – zunächst grob mißverstandenes, ›Bekenntnis‹ vollständig zusammen, das darum hier ausführlich zitiert sei: »[W]ir alle werden« – so Jacobi – »im Glauben geboren und müssen im Glauben bleiben, wie wir alle in Gesellschaft geboren werden, und in Gesellschaft bleiben müssen: Totum parte prius esse necesse est. – Wie können wir nach Gewißheit streben, wenn uns Gewißheit nicht zum voraus schon bekannt ist; und wie kann sie uns bekannt sein, anders als durch etwas das wir mit Gewißheit schon kennen? Dieses führt zu dem Begriffe einer unmittelbaren Gewißheit, welche nicht allein keiner Gründe bedarf, sondern schlechterdings alle Gründe ausschließt, und einzig und allein die mit dem vorgestellten Dinge übereinstimmende Vorstellung selbst ist. Die Überzeugung aus Gründen ist eine Gewißheit aus der

146

Vgl. Jean Pauls spätes Bekenntnis gegenüber Jacobi: »Eigentlich glauben wir doch nicht an das Göttliche (Freiheit, Gott, Tugend etc. etc.) sondern wir schauen es wirklich als schon Gegeben oder Sich-Gebend; und dieses Schauen ist eben ein Wissen, nur ein höheres« (Brief Jean Pauls an Jacobi vom 25.–27.1.1816 [JPSW III/7, 55]).

III. Die Unphilosophie als alternative handlungstheoretische Metaphysikk

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zweiten Hand. Gründe sind nur Merkmale der Ähnlichkeit mit einem Dinge dessen wir gewiß sind. Die Überzeugung, welche sie hervorbringen, entspringt aus Vergleichung, und kann nie recht sicher und vollkommen sein. Wenn nun jedes für Wahr halten, welches nicht aus Vernunftgründen entspringt, Glaube ist, so muß die Überzeugung aus Vernunftgründen selbst aus dem Glauben kommen, und ihre Kraft von ihm allein empfangen.« (Spin 113) Genau besehen, arbeiten jedoch bereits in den 1780er Jahren Jacobis Texte, wenn auch teilweise nur implizit, also ohne bewußt oder jederzeit begrifflich zu differenzieren, mit zwei verschiedenen, von einander unabhängigen Modi der unmittelbaren Erkenntnis: einem »Auge nur des Leibes« und einem »Auge der Seele« (Spin 35 f.). Der späte Jacobi versucht diese Differenz durch die Unterscheidung von »Sinnes-Empfindung« und »Geistes-Gefühl«, körperlicher »natürlicher« Sinnlichkeit und »übernatürlichem« Sinn, sinnlicher und geistiger Anschauung (JW II, 59 f.) oder, in Anlehnung an Kant, von ›Sinn‹ und ›Vernunft‹ auf den Begriff zu bringen (vgl. u. a. JW II, 74). Zwar wird Jacobi selbst – durchaus zum Schaden der Klarheit und Schärfe der eigenen Konzeption – nicht immer dem Gehalt und der Bedeutung dieser Unterscheidung gerecht. Dies vor allem dann nicht, wenn er bei der Explikation seiner grundsätzlichen Einsicht in die Fundierungsstruktur von Unmittelbarem und Mittelbarem, Glauben und Wissen beide Gefühls-Modi vermischt oder sie einfach als deren zwei gleichwertige, nur durch den Gegenstandsbereich (Natur oder Geist) verschiedene Ausdrücke erscheinen läßt. Dadurch könnte nämlich – und hierauf zielt ganz wesentlich Schlegels Jacobi-Kritik – der Eindruck der Beliebigkeitt der Gegenstände gegenüber ihrem (subjektiven) Gefühltsein überhauptt entstehen.147 Doch liegt in dieser Unterscheidung von übernatürlichem und natürlichem ›Sinn‹ zugleich die wesentliche Pointe der Unphilosophie, die diese tatsächlich zu einer genuin metaphysischen Position macht und sie vom naiv empiristischen ›natürlichen‹ Standpunkt des ›gesunden‹ Menschenverstandes abhebt. Auch hier wird also wieder das eigentliche unphilosophische Anliegen nur sichtbar, hebt man, wie schon zwischen ›Sinn‹ und ›Verstand‹, das ›hierarchische‹ Verhältnis von ›Geist-Gefühl‹ und Natur-Sinn im Dasein des ›ganzen Menschen‹ hervor. Allein auf der Ebene des ›Geist-Gefühls‹ wird m. a. W. letztlich der genuine Gehalt des unphilosophischen Glaubensbegriffs faßbar, d. h. nur hier kommt er als originär handlungstheoretisch konzipierter ins Spiel. Erst dadurch vermag deutlich zu werden, inwiefern Jacobi mit dem Begriff des ›Glaubens‹ zugleich auch die von der Aufklärung ebenso weithin diskreditierten Begriffe des ›Vorurteils‹ und der ›Meinung‹ entscheidend aufwertet.148 Es ist der konkrete geistig-vernünftige Wille,

147

Zur diesbezüglichen Kritik Schlegels an Jacobi vgl. Auerochs (2006). Vgl. »Alle Vorurtheile ablegen, heißt alle Grundsätze ablegen. Wer keine Grundsätze hat, wird theoretisch und praktisch durch Einfälle regiert.« (JW VI, 134) sowie: »Die ursprüngliche 148

118

A. Jacobis Vorlage

der wirkliche Urteilsakt, der eine begründete theoretische Überzeugung oder eine sinnlich-anschauliche Gewißheit (bzw. einen natürlichen Trieb) erst zu einem wirklich fürr real und wahr (bzw. für erstrebenswert) gehaltenen, d. i. zu einem für ein Geistwesen handlungsleitenden Wissen (und Begehren) macht.149 γγ) Von der Epistemologie zur Handlungsmetaphysik Wenn vor allem im David Humee und in der Kantauseinandersetzung der Beylage Über den Transzendentalen Idealismuss Jacobis Position über weite Strecken als ein starker empiri(sti)scher Außenweltrealismus auftritt, ist der unphilosophische Gedanke demnach in dem Maße noch nicht vollständig bei sich, wie sein genuin metaphysischer und moralisch-sittlicher Charakter verdeckt bleibt. Auf dieser seiner gleichsam ›untersten‹ und uneigentlichen Explikationsebene gilt Jacobi alles rationalreflexive Bewußtsein sowohl in bezug auf das ›Was‹ als auch auf das ›Wie‹ der Vorstellungen ganz als aus der sinnlichen »Empfindung« entsprungen. Kein menschliches und kein endliches Wesen verfüge über mehr Verstand, als es (natürlichen) ›Sinn‹ habe (DH 132 f.); der Vorzug »unserer Natur, den wir Vernunft heißen«, gegenüber den Tieren liege daher selbst nur in einer »vollkommeneren Perception«, insofern eben mit dieser ein »höhere[r] Grad des Bewußtseyns« verknüpft sei (DH 182).150

Energie der Meinung ist die Energie des Lebens selbst; ihre Gewalt die Gewalt der Wahrheit, die, in die Zeiten verhüllt, unwiderstehlich die Zeiten regiert. Alle Meinungen wurden im Schooße der Wahrheit empfangen; alle Wahrheiten im Schooße der Meinung« (JW I, 274). 149 »Man kann« – so notiert Jacobi ganz in diesem Sinne in den Kladden – »einen Beweis behalten, ihn ganz gegenwärthig haben, u doch unfähig seyn, die damit verknüpfte Ueberzeugung im Gemüth wieder hervorzubringen.« (JKL VII, 13) »Wir können uns unsere Ueberzeugung oft so trefflich u nachdrücklich sagen, dass wir glauben wir hätten uns überzeugt; lässt uns aber das Gefühl im Stich, so empfinden wir es anders. – Darum kann uns oft ein Märchen, wie z. B. Agnes v Lilien, mehr Ueberzeugung, Muth u Kraft verleihen, als alle Philosophien zusammen genommen. Hier haben wir die Sache, wenigstens für den Augenblick; dort nur Symbole, höchstens Analogien« (JKl VII, 14; JW VI, 204). 150 Vgl. »Scharf und viel fassender, anhaltend strebender, tief eindringender Sinn (das Wort Sinn in dem ganzen Umfange seiner Bedeutung genommen,) das ist die edle Gabe, die uns zu vernünftigen Geschöpfen macht, und deren Maaß den Vorzug eines Geistes vor dem andern bestimmt. Die reinste und reichste Empfindung hat die reinste und reichste Vernunft zur Folge. Jeden sich selbst beobachtenden Forscher muß die eigene Erfahrung gelehrt haben, daß er bey seinem Forschen keine Kraft des Unterscheidens, des Vergleichens, des Urtheilens und Schließens, sondern einzig und allein die Kraft seines Sinnes anstrengt, um seine Vorstellungen so deutlich zu machen als sie werden können. Mit aller Gewalt hält er die Anschauung fest, sinnt und sinnt, und zieht sie sinnend immer dichter an das Auge seines Geistes. Und wie ein lichter Punkt hervorspringt, ruht die Seele einen Augenblick, um ihn leidend aufzunehmen. Leidend empfängt sie jedes Urtheil das in ihr entsteht.« (DH 184 f.)

III. Die Unphilosophie als alternative handlungstheoretische Metaphysikk

119

Dabei präsentiertt die Empfindung die Gegenstände der Außenwelt zugleich unmittelbar, nur verbürgt von dem der Reflexion gänzlich unbegreiflichen »Factum, daß die Dinge würklich vor [uns] stehen« (DH 51), als real Daseinde. Die Vorstellungen des Verstandes sind diesen ursprünglichen Wahrnehmungen gegenüber bloß ideale »Copieen« der in diesen gegebenen Gegenstände bzw. wenigstens einiger ihrer Beschaffenheiten (vgl. DH 138 ff.), nur »Schatten der Dinge, welche gegenwärtig waren« (DH 64). Jacobis Explikation des Glaubensprimates ähnelt hier also zunächst dem empiristischen Sinnkriterium: Alles Wissen des Verstandes muß sich auf sinnliche Eindrücke als ihre »Quelle« und ihren ›Geltungsgrund‹ zurückführen lassen (DH 134, 138). Dies trifft nicht nur auf die »comparativ allgemeinen Begriffe und Sätze« zu, sondern entgegen Kants Kategorienlehre nach Jacobi auch noch auf die allgemeinsten und ersten Begriffe, also auf jene, »die wir a priori nennen« (DH 181). Auch die basalsten Verhältnisse sind ursprünglich solche, die selbst in den Dingen liegen und daher uns durch Wahrnehmung gegeben werden müssen.151 Ja selbst die Grundbegriffe der Geometrie müssen aus der Anschauung gewonnen sein – und zwar aus der Anschauung eines empirisch Konkreten, wie bspw. eines bestimmten Körpers oder einer bestimmten Bewegung (vgl. DH 69, Spin 130 Anm.), und nicht aus einer reinen Kantischen Anschauung (eines allgemeinen Körperschemas). Diese ist in Jacobis Augen vielmehr ihrerseits schon als Abstraktionsprodukt anzusehen. – Insofern in diesem Sinne allee Tätigkeit des Verstandes Produkt der Naturanschauung ist (vgl. Spin 291), die Beziehung der Naturdinge untereinander Jacobi aber als streng wirkkausal-mechanistisch determiniert gilt, muß auch die Identitäts- und Begründungslogik des Verstandes ›mechanisch‹ und bloß ›natürlich‹ genannt werden. Allerdings ist mit diesen Überlegungen bezüglich der Vorstellungskonstitution zunächst nur die eine Seite – die des Gegenstandes – in den Blick genommen, die notwendig einer Ergänzung bedarf – einer Ergänzung, die im weiteren bei Jacobi auch über die bloß sinnlich-natürliche Interpretation des Gefühlsbegriffs hinausweist. Die Wahr-Nehmung eines Dinges, d. i. seine Präsentation als wirklich

151

Dies trifft damit eben auch noch für den Kausalitätsbegriff zu. Doch korrigiert Jacobi mit dieser Behauptung hier nicht allein Kants transzendentalphilosophisches Kategorienverständnis, sondern ebenso noch Humes Kritik des Kausalitätsbegriffes. Mit diesem behauptet Jacobi zwar dessen notwendige Herkunft aus der Erfahrung. Anders als Hume sieht er den Kausalitätsbegriff in der Erfahrung aber wirklich unmittelbar konstituiert – und zwar letztlich in der Erfahrung des eigenen Handelns. Hume, obwohl er das »Gefühl unserer eigenen Kraft« und die »Wahrnehmung des Erfolgs ihrer Anwendung« sogar selbst eingeräumt habe, habe sich davon täuschen lassen, daß uns eine Einsicht in das »WIE« der Wirkung dieser Kraft unmöglich ist. Seine daraus resultierenden Zweifel an der Objektivität der Kausalitätsrelation, die ihn schließlich in einen Skeptizismus führten, als dessen einzig mögliche Vermeidung sich die Unphilosophie versteht (vgl. Spin 33), seien darum »nach Art der Idealistischen« (DH 107).

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A. Jacobis Vorlage

Existierendes, setzt nämlich – trotz aller äußerlichen Bestimmung des ›Was‹ und des ›Wie‹ meiner Vorstellung – zudem einen Wahr-Nehmenden voraus, jemanden, dem es präsent ist. Dieser ist insofern nicht nur von dem Gegenstand selbst unterschieden, sondern, damit er sich von ihm unterscheiden und durch ihn bestimmt werden kann, muß er genauso real, ein Etwas, das irgendwie selbständigg und ›in sich‹ ist, sein wie dieser (DH 111). Sinnlichkeit ist – so sahen wir bereits anhand von Jacobis Problematisierung des Kantischen ›Ding an sich‹ – eben nichts anderes als das ›Medium‹ zwischen zwei ›Substanzen‹ (vgl. DH 111).152 – Doch damit nicht genug. Als verständig Vorstellungen Produzierender, aber auch bereits (da der Verstand selbst als Modus des Sinnes gilt) als Wahr-Nehmender muß er zudem selbsttätigg und ›für sich‹ sein.153 Er muß m. a. W. letztlich ein identisches ›Selbst‹ besitzen, das »ein lebendiges Principium« (DH 185), ein sich ›bewußter‹ »Geist« ist (JW III, 275). Denn auch in der Wahrnehmung – so Jacobi – nehmen wir eigentlich nur unsern eigenen Körper wahr (vgl. Spin 114). Auch Empfindungen sind zunächst bloß innerlichee Phänomene, Produkte des Geistes: »[D]ie Augen und das Sehen« können genauso wenig von den gesehenen Gegenständen kommen (JW III, 275) wie das Denken und die Intelligenz (DH 160). Empfinden ist ein In-sich-Hervorbringen nach den eigenen Gesetzen nicht nur des Empfindens, sondern eines Empfindenden, d. h. eines in den verschiedenen Empfindungen und Denkakten Sich-selbst-Gleichen und Einen: »Kein Seyn ohne Selbstseyn, kein Selbstseyn ohne Selbständigkeit, keine Selbständigkeit ohne absolute Einheit.« (JW VI, 209) »Alles Empfinden und Streben geht von Selbstseyn, in sich seyn, vom Leben aus; alles Vernehmen von Etwas, das unmittelbar und wesentlich sich selbst vernimmt« (JW III, 275). – Daher bemerkt auch der ›Ich‹ im Dialog David Humee emphatisch und irritiert angesichts der zuvor vorgetragenen rein empiristischen Lehrstücke auf diese Weise zunächst seinen Gesprächspartner, daß »man nicht allein von den Erkenntnissen, die a priori heissen, sondern überhaupt von aller Erkenntniß sagen [müsse], daß sie nicht durch die Sinne gegeben, sondern allein durch das lebendige und thätige Vermögen der Seele bewürkt werden könne« (DH 186). Auch wenn diese sich letztlich auf Leibniz154 berufenden Überlegungen zugleich

152

Diese Annahme bildet zugleich den Ausgangspunkt für Jacobis ›Deduktion‹ der ›empirisch-apriorischen‹ Begriffe, wie der der Ausdehnung, der Wirkung und Gegenwirkung, der Sukzession und der Zeit (vgl. DH 111–120; zu dieser ›Deduktion‹ und ihren Spinozanischen Quellen vgl. auch Bowman [2004]). 153 Vgl. »Wir behaupten einmüthig, ein solches Individuum müsse etwas an und für sich selbst seyn, weil es sonst nie etwas für ein andres seyn, und diese oder jene zufällige Beschaffenheit annehmen könnte; es müsse an und für sich selbst würken können, weil es sonst unmöglich wäre, daß irgend eine Würkung durch dasselbe entstünde, fortgesetzt würde, oder nur in ihm erschiene.« (DH 159) 154 Implizit ist es aber ebenso wiederum Spinoza, der Pate zu diesem Gedanken stand. Deutlich wird dies vor allem in der Vorrede des Allwilll von 1792, die das ›lebendige und thätige

III. Die Unphilosophie als alternative handlungstheoretische Metaphysikk

121

wesentliche Einsichten Kants und Fichtes auszusprechen scheinen, so ist der Realist Jacobi zumindest dem eigenen Selbstverständnis nach mit ihnen keineswegs – ebensowenig wie Jean Paul durch ähnliche Figuren – zur Fraktion der Idealisten übergelaufen.155 – Die erste Pointe der Jacobischen Position besteht vielmehr darin, die beiden scheinbar widersprüchlichen Aussagen und Seiten: die Selbstoffenbarung des Gegenstandes als Verstand und Sinn vollständig bestimmend und die eigengesetzliche Hervorbringung aller Gewißheiten durch das Ich als im ›gemischten‹ Wesen Mensch untrennbar zusammengehörig anzusehen. Das rein passiv erscheinende Aufnehmen des Wirklichen setzt – so die nicht unplausible Grundüberlegung – eine gleichzeitige Aktivität des Aufnehmens und damit auch ein ›Bewußtsein‹ um dieses aktive Vermögen voraus. Wahrnehmen und Denken sind als ›Bewußtseinsphänomene‹ überhaupt kein bloßes Erleiden, als bestimmtess Wahrnehmen und Denken aber auch keine nur durch das Ich selbst bestimmte Produktion.156 Ohne äußerliche Gegenstände als Empfindbare gibt es genausowenig eine Empfindung der Dinge und meiner selbst – wie umgekehrt ohne die aktive Einheit, die Selbstheit eines Empfindenden, die Gewißheit wirklicher äußerer Gegenstände. Oder in den berühmten Worten Jacobis, die nicht nur zu den zahlreichen Lehrstücken gehören, an die Fichte in entscheidender Weise anschließen wird, sondern auf deren Gehalt, wie Jacobi vermerkt, auch

Vermögen der Seele‹ im Sinne von Spinozas ›conatus‹-Lehre zu explizieren scheint: als Streben vernünftiger Naturen nach »Erhaltung und Erhöhung des persönlichen Daseyns (des Selbstbewußtseyns; der Einheit des reflectirten Bewußtseyns mittelst continuirlicher durchgängiger Verknüpfung: – Zusammenhang –)« (JW I, XIV Anm.). Allerdings versucht Jacobi hier zugleich, auch unmißverständliche Akzente gegen Spinoza zu setzen, indem dieses vernünftige Streben nicht »in der höchsten Abstraction« und »rein«, sondern als Identität des konkreten ›ganzen‹ Menschen, also seines ›persönlichen › Daseyns‹ als wesentlich real und absichtsvoll Handelnder, genommen werden soll. 155 Anders sieht dies im Blick auf das gesamte unphilosophische Projekt hingegen u. a. Günther Baum: Jacobis Position sei eigentlich in der Tat ein »metaphysisch begründeter absoluter Idealismus«. Hätte Jacobi »seine erkenntnistheoretischen Ansätze konsequent zu Ende« gedacht – so Baum weiter –, hätte er eine »Affektion durch transzendente Gegenstände, d. h. eine realistische Position, ablehnen« müssen (Baum [1969], 111). 156 In diesem Sinne heißt es auch im Allwilll kritisch über den Idealismus: Dieser »laufe am Ende darauf hinaus, daß, weil wir nur mit den Augen sähen, nur mit den Ohren hörten, wir auch nichts sähen, als unsere eigenen Augen, und nichts hörten, als unsere eigenen Ohren« (JW I, 115). Er behaupte Augen, »die Nichts sehen, Ohren, die Nichts hören, und eine um lauter Nichts in alle Ewigkeit geschäftige Vernunft«. Nach ihm sollten wir überall nur Empfindungen empfinden (JW I, 119). – Allerdings sympathisiert der ›Idealist‹ Fichte selbst nicht nur mit Jacobis Position, insofern sie sowohl die Notwendigkeit eines empfundenen, vom Empfinden(den) verschiedenen Gegenstandes und eines im Empfinden tätigen Empfindenden behauptet, sondern er bezieht sich sogar ausdrücklich auf die Formulierungen Jacobis, wenn er bereits in der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehree bemerkt: »Wir sollen nicht ohne Auge sehen wollen; aber sollen auch nicht behaupten, dass das Auge sehe.« (SW I, 176 Anm.)

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A. Jacobis Vorlage

Kant an prominenter Stelle157 zurückgreift: Ohne Außenwelt, keine Innenwelt, ohne Gegenstandswahrnehmung kein Selbstbewußtsein – kurz: »Ohne Du kein Ich«; und umgekehrt. – Worauf es Jacobi unphilosophisch also ankommt, ist, so wird er später ebenso im Fichte-Brieff herausstellen, die Gleichheit und Instantaneität der zwei dem »natürlichen Menschen« gegebenen Gewißheiten zu bewahren, die Systemphilosophien im Versuch, sie noch auseinander zu begründen, auf nur eine reduzierten: der Gewißheiten »ich bin, und es sind Dinge außer mir« (JW III, 10). Der wahre Realist ist nach Jacobi daher nicht derjenige, der die Rolle des Bewußtseins ganz zugunsten der Macht der Gegenstände aufgibt, auch wenn ihm deren Zusammenspiel notwendig unbegreiflich und geheimnisvoll bleiben muß. Unter ausdrücklichem und bewußtem Verzicht auf eine Erklärung erkennt er vielmehr sowohl die Tätigkeit des Hervorbringens von Empfindungen, Vorstellungen und Begriffen an (und zwar letztlich als Moment eines genuin praktisch-handelnden Selbst- und Weltverhältnisses) als auch ihre wesentliche Abhängigkeit von den Bestimmungen und Verhältnissen der Gegenstände selbst.158 Noch Jean Pauls Poesiebegriff, so werden wir sehen, nimmt diese Konstellation auf, wenn er gegen die frühromantische Ästhetik auf einer konstitutiven Rolle des Stoffes, des Gegenstandes beharrt neben der freien selbstgesetzlichen poetischen Tätigkeit des Dichters. – Weil der Mensch also zwar seine (notwendig stets konkreten, mithin sachhaltigen) Ideen, insofern sie Ideen sind, nicht aber deren Gegenstände (Gehalte) hervorbringen kann, da diese sich ihm

157

So heißt es in der Einleitung von 1815: »Dieser einige Jahre früher von dem Verfasser der Briefe über die Lehre des Spinoza zuerst deutlich ausgesprochene, und für alle endliche Wesen gültige Satz: Ohne Du kein Ich, wurde in der zweyten Auflage der Kritik d.r. Vernunft in eine förmliche Widerlegung des Idealismus verwandelt.« (JW II, 40 Anm.; vgl. KrV B 275 f. Allerdings verbleibt entgegen der metaphysisch-realistischen Intention Jacobis Kants ›Beweis‹ eines wirklichen und beharrliches Daseins der Dinge wohl in der empirisch-epistemologischen Dimension von Jacobis Ich-Du-Lehre.) 158 Für Jacobis Epistemologie bedarf es in diesem Sinne zur Erkenntnis der Gegenstände nur sinnlicher Empfänglichkeit einerseits und Bewußtsein und Aufmerksamkeit überhaupt zum anderen. Letztere sind dabei gleichsam allein dafür verantwortlich, daß Empfindungen auch ›Perceptionen‹ darstellen. Der Verstand erscheint damit dann in der Tat als nichts anderes als ein intensives Anschauen, ein aufmerksames, bewußtes Empfinden: »Sobald ein Mannichfaltiges von Vorstellungen, in Einem Bewußtseyn vereinigt, einmal gesetzt ist, so ist damit zugleich gesetzt, daß auch diese Vorstellungen, theils als einander ähnlich, theils als voneinander verschieden, das Bewußtseyn afficieren müssen. Das Bewußtseyn wäre ja sonst ein todter Spiegel und kein Bewustseyn; kein in sich concentrierendes Leben. Wir haben also ausser der ursprünglichen Handlung der Perception, keine besondere Handlungen des Unterscheidens und Vergleichens nöthig, bey denen sich auch gar nichts denken läßt. So erkläre ich mir auch das Nachsinnen, das Ueberlegen, und ihre Würkungen, aus der immer fortgesetzten Bewegung (wenn ich mich so ausdrücken darf) des activen Principii in uns gegen (nicht wider) das paßive, nach Maaßgabe der empfangenen Eindrücke und ihrer Verhältnisse.« (DH 182 f.) – In Beilage VIII der Spinozabriefee legen Jacobis Ausführungen schließlich nahe, den Verstand als Modus des »Sensus communis« zu verstehen (Spin 272).

III. Die Unphilosophie als alternative handlungstheoretische Metaphysikk

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erst im Medium der Sinnlichkeit selbst geben und mit dem ›Stoff‹ dabei sogar noch die Art ihres Vorgestelltseins beeinflussen und bestimmen (vgl. JNach I, 58), gilt er Jacobi als ein durch und durch »abhängige[s], dürftige[s] Wesen, d[as] sich durchaus nichts selbst geben« könne (JW I, 366). Und weil wir uns ohne solche sachhaltigen Ideen auch nicht unserer selbst als derjenigen, die diese Ideen haben und bilden, bewußt zu werden vermögen, tragen wir anders als Fichtes Ich selbst unser unmittelbares Selbstbewußtsein bzw. »Selbstgefühl« »nur zu Lehen« (JBr I, 329, vgl. JNach I, 58), ist es (mit)konstituiert durch ein ihm unverfügliches Außen. »Ich öffne Aug‹ oder Ohr, oder ich strecke meine Hand aus, und fühle in demselbigen Augenblick unzertrennlich: Du und Ich; Ich und Du. Würde alles, was außer mir ist, von mir getrennt, so versänk‹ ich in Fühllosigkeit, in Tod. Du, Du! Giebst das Leben. Nur noch irdisches Leben zwar […] Jedwedes Ding also Lebensquelle; Stütze der eigenen Existenz des andern; ein liebes Du.« (JBr I, 330 f.; vgl. auch JW III, 292)159 Indem sie nicht nur auf die Bestimmungg unserer Tätigkeit, sondern auch noch auf das Wesen des Tätigseins, d. i. unseres Selbst, insofern es Aktivitäts- und Handlungsprinzip ist, abzielt, erschöpft sich Jacobis These von der (leidenden) Empfängnis des Selbst eines Menschen jedoch keineswegs in seiner Abhängigkeit von einem anderen endlichen gegenständlichen (oder personalen) Dasein. Vielmehr verweist selbst die Aktivitätt des menschlichen Geistes als eine bloß eingeschränkte, endlichunendliche auf ein absolutes göttliches Du als ihre Quelle. Mithin umfaßt Jacobis Rede vom ›Ich-Du‹ neben dem Verständnis des ›Du‹ als andere menschliche

159

Vgl. ebenso: »[A]uch bey der allerersten und einfachsten Wahrnehmung, [muß] das Ich und das Du, inneres Bewußtseyn und äusserlicher Gegenstand, sogleich in der Seele da seyn […]; beydes in demselben Nu, demselben untheilbaren Augenblicke, ohne vor und nach, ohne irgend eine Operation des Verstandes, ja ohne in diesem auch nur von ferne die Erzeugung des Begriffes von Ursache und Würkung anzufangen.« (DH 65) – Insofern dieses instantane und unvermittelte Beisammen von Ich und Du nichts anderes meint als eine unmittelbare Übereinstimmung und Parallelität der Ordnungen der vom Bewußtsein selbsttätig und nach seinen eigenen Gesetzen als reale Erkenntnis hervorgebrachten Vorstellungen und der (diesen urbildhaften) Beziehungen der wirklichen Gegenstände untereinander (vgl. DH 108 f./170), schließt Jacobi auch mit diesem Gedanken zunächst wieder direkt an Spinoza an, d. h. an dessen Parallelismusthese zwischen extensiv-formalem, ideell-formalem und ideell-objektivem Moment. – Zugleich modifiziert Jacobi jedoch auch diese Figur auf entscheidende Weise, indem er die (de facto schon bei Spinoza höchst geheimnisvolle) Erklärung des Parallelismus – in der Ethikk erfolgt sie, so haben wir gesehen, durch die immanenzlogische Lehre von qualitativv unterschiedenen und doch zugleich identischen Ausdrucksverhältnissen – konsequent und generell storniert und damit nichts zurückbehält als die Möglichkeit, das Beisammen von wirklicher Gegenstandspräsentation und -gewißheit, bloßen Empfindungen bzw. Vorstellungen und dem Selbstgefühl als unbegreifliche, gleichwohl jedoch absolut evidente Tatsachee zu beschreiben. Geheimnisvoll und unerklärlich ist die Gewißheit meiner Selbst, das wirkliche Bewußtsein meines individuellen Daseins, dabei genauso wie die Wahrnehmung realer Dinge in der Außenwelt und auch der Umstand, daß beides nur miteinander als eine zugleich »zwiefache Offenbarung« auftritt (DH 64, vgl. auch JW I, 120 f.).

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A. Jacobis Vorlage

Person (sowie, rein epistemisch gefaßt, als bestimmter Gegenstand) auch noch die absolute Person Gottes. Daß dasjenige, was ein Ich zum Ich macht, sich nicht aus der Abhängigkeit von der Welt ergibt oder wie die Wahrnehmung der Weltdinge empirisch oder ›natürlich‹-verständig beschreiben läßt, aber auch nicht vom Ich des Menschen gänzlich selbst hervorgebracht wird, daß, wie es bereits im Allwilll heißt, »wir uns selbst, und was zu unserem Inneren gehört,« im (passiven) Modus des Gefühls ›vorstellen‹, aber »auf eine von aller Empfindung ganz verschiedene Weise« (JW I, 120 f.), dies führt in die Metaphysik der Person. – Wie die Möglichkeit des Mechanismus nach Jacobi nicht selbst noch einmal mechanistisch eingesehen werden kann, so kann die Möglichkeit des reflexiv-verständigen (Selbst-)Bewußtseins, die Spontaneität der Verstandestätigkeit, nicht aus diesem Bewußtsein (bzw. der Spontaneität selbst) erklärt werden. Schon gar nicht aber folgt sie aus der Welt der Dinge, die Jacobi, zumindest für sich allein, insgesamt als ein großer Mechanismus gilt. Jacobi ist es mithin, der vor Fichte (wenngleich auf letztlich andere Weise) bereits den Ausstieg aus einem bloßen Reflexionsmodell des Bewußtseins vollzieht. Nicht als wiederum reflexive Konstruktion, auch nicht als Fichtesche ›Tathandlung‹, durch die das Ich als absolutes Ich für seine Realität selbstgründend ganz einsteht, und erst recht nicht als bloße empirisch-epistemischee Tatsache kann das Ich meines Ich gelten. Vielmehr muß (um des radikalen und endgültigen Bruchs mit dem Reflexionsmodells willen) die ursprüngliche Gewißheit eines Menschen von sich selbst als ein schon immer als ›Tatsache‹ aufgefundeness ›Handlungsbewußtsein‹160 bzw. als Selbstgefühl (eines lebendigen, zeitlich konstituierten Daseins) – vom späten Jacobi auch »Geistesbewusstseyn« oder »Vernunft«161 genannt (JW III, 454) –

160

Mit den Zuschreibungen ›aktiv‹ und ›passiv‹ heißt es darum, genau aufzupassen. Einerseits gilt Jacobi die dem reflexiven Bewußtsein vorausliegende Selbstgewißheit als passiv und daher als Gefühl, insofern umgekehrt die Verstandeshandlung als Konstruktion und somit als aktiv aufgefaßt wird. Allerdings führt eigentlich und der Sache nach andererseits das im Gefühl sich erfahrende Selbst als Handelndes gerade ein aktives Leben, demgegenüber der Verstand als Modus der bloßen (empirisch-theoretischen) Anschauung als passiv zu bestimmen wäre. Aktivität kommt Sinnlichkeit und Verstand in diesem Sinne nur zu, insofern sie ihrerseits auch und ursprünglich als Mittel unseres handelnden Welt- und Selbstverhältnisses anzusehen sind. Theoretische Spontaneität beruht auf praktischer Freiheit. – Vom Selbst zu sagen, daß es sich nur passiv erfährt, hat damit wenigstens gar einen dreifachen Sinn: Es kann meinen, (1) daß unser Ich, insofern es immer auch nur als ein empirisches ist, durch die angeschautee Umwelt (und seine eigene Körperlichkeit) (mit)bestimmt ist, (2) daß wir uns daher als ›gemischte‹ Wesen de facto nie nur als Selbstgefühl, sondern stets zumindest gemeinsam mit einem bloß reflexiven Selbstbewußtsein gegeben sind sowie (3) daß wir als Handelnde und ganz selbständig Anfänge Setzende, d. h. ›Übernatürliche‹, weder (a) aktiv im Sinne von verständig-›spontan‹ noch aber (b) wie Gott absolut und unendlich handelnd sind. Letzteres nicht, weil wir als menschlich Handelnde konstitutiv eben stets auch Konkrete und mithin Leiblich-Endliche sind. 161 Oder (in Jacobis konkretisierter Terminologie der 1780er und 1790er Jahre) genauer: »substantive« Vernunft (JW II, 313) bzw. die ›Vernunft, die den Menschen hat‹ (vgl. Spin 286),

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beschrieben werden, als der ›lebendige Geist‹ einer konkreten, gemischt-verfaßten Person. Als solche wird sie aber nur gefaßt, wenn sie zugleich in der geschöpflichen Differenz zu einem von ihm reall und wesentlich verschiedenen absoluten, willentlich handelnden Schöpfergott erscheint.162 »Individualität« – so Jacobis schon einmal zitiertes Bekenntnis in einem Brief an Jean Paul vom 16. März 1800 – »ist ein Fundamentalgefühl […] Bewußt ist ein Adjectiv; es kann ohne Substantiv nicht gedacht werden, und dieser Substantivus ist das, was sich im Gefühl der Identität unanschaubar darstellt. Die Persönlichkeit des Menschen ist als ein bloßes Schweben durch Synthesis [wie im Modus der Reflexion, O. K.] ganz undenkbar; als ein Erzeugniß in der Zeit, als etwas, das durch Besinnung erst entstünde, ist sie erweislich unmöglich. Ich, Fr. Heinr. Jacobi erkenne mich als solchen ohne alles Merkmal, unmittelbar, Kraft meiner Substanz; ich brauche mich nicht erst zusammen zu setzen« (JNach I, 238 f.). Nur was selbst reale und selbstbestimmte Einheit, d. i. geheimnisvolle Verbindung von Einheit und Vielheit, über die Zeit hinweg ist, vermag »Maß« zu sein, »kann bestimmend werden für ein Unbestimmtes«, wie Verstand und Sinnlichkeit – nur ein Eines, das Einer ist. Allein als »Individua leben, denken und fühlen wir« (JW III, 176), d. h. als ein ›namentlicher Mann‹ (vgl. JW I, 237), dessen Identität aber, weil es an sein In-der-Zeit-Existieren konstitutiv gebunden ist, nur ein ›Über-die-Zeit-Sein‹, jedoch kein gänzliches Außer-der-Zeit- oder Ewig-Sein darstellt163 und deshalb als zugleich endliche noch über sein / das Ich hinausweisen muß.

im Gegensatz zur instrumentellen Rationalität, die Jacobi als »adjective« Vernunft bzw. als ›Vernunft, die der Mensch hat‹, bezeichnet. 162 Wenn auch beide, Jacobi und Fichte, also das bloß anschauende bzw. theoretische, d. h. reflexionslogische, endliche Ich zu einem unendlichen hin überschreiten, so tut dies dieser jedoch unter der Aufopferung der Individualität des Ich zugunsten seiner Theoretizität, die Jacobi selbst in Fichtes praxiologischer Wendung der Grundsatzphilosophie nicht überwunden scheint; jener durch den Versuch der konsequenten Hinwendung zur real/existentiell-praktischen Natur des Ich, das eben deshalb ein Einzelnes bleiben kann und muß. Hierfür steht in der Sicht Jacobis letztlich eben die Entscheidung, das Ich des Ich entweder wie Fichte als im absoluten Ich begründet oder als wie die Unphilosophie vom persönlichen Gott verursacht anzusehen. 163 Vgl. »So gewiß wir in der Zeit als unserm Element dergestalt leben, daß wir uns keinen Augenblick als außer ihr denken können, ohne zugleich zu denken, daß wir aufhören zu seyn; so können wir uns doch eben so wenig gänzlich als Kinder der Zeit und in ihr allein gegeben denken. Wir haben im Gegentheil von einem Außerzeitlichen das innigste Bewußtseyn; wir nennen es in uns das Selbst; außer uns Gott« (JW VI, 154). Genau betrachtet, ist der Modus unseres Nicht-in-der-Zeit-Aufgehens unsere selbstverantwortete Identität noch in Vergangenheit und Zukunft: »Ich bin der – Ich bin; der – Ich war; der – Ich werde seyn. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, in einem Gefühl des Selbst- und in sich Seyns unzertrennlich verknüpft« – dies macht das »Geistesbewusstseyn« des Menschen aus (JW III, 420). – Dies kann damit zugleich aber gerade nicht im selben Sinne von Gott, dem in seinem Hervorbringen unbegreiflichen und unvorstellbaren ewigen Schöpfer der Zeit, gelten.

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δ) Sinn – Verstand – Vernunft: asymmetrische Vermittlungen Die zunächst dual erscheinende Struktur von Sinnlichkeit und Verstand hat sich somit als in Wahrheit dreiseitige erwiesen:164 Der Mensch setzt sich nach Jacobi aus Sinnlichkeit, Verstand und Vernunft (Geistgefühl) zusammen bzw. – so die zweite Triade – aus den Gewißheiten der Außenwelt, meines Daseins und Gottes.165 Als »Bürger zweier […] Welten« (JW III, 398) bedürfe also »die menschliche Seele, um zu der Erkenntniß des Einen Wahren zu gelangen, beyder ihr verliehenen Augen« (JW II, 75) – des ›sinnlichen Auges‹ für die ›natürlichen Dinge‹ ebenso wie des ›geistigen Auges‹ für die ›übernatürlichen‹ (vgl. Spin 35 f.). Wie die natürlichen Dinge ihrer wesentlichen Unterschiedenheit zum Trotz die übernatürlichen voraussetzen, kann und soll nach unphilosophischer Überzeugung die vernunftverantwortete Personalität eines Menschen seine Natürlichkeit (die Lebendigkeit seine Gegenständlichkeit) übergreifen bzw. ›imprägnieren‹, ja hat es immer schon getan. Der Mensch, der wirklich im Vollsinn Mensch ist, »bezwingt« ursprünglich und jederzeit mit seinem »freyen Vermögen«, d. i. mit seiner ›übernatürlichen‹ Fähigkeit, »mit Absicht« zu handeln, den »Mechanismus« seiner/der Natur und macht »sich denselben dienstbar« (JW II, 315/318).166 – Umgekehrt trägt zwar auch die Vernunft

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Dies gilt für den Jacobi der 1780er und 1790er Jahre ebenso wie für seine späten Schriften. Zu einer verbindlichen Terminologie, auf die auch vorliegende Darstellung zurückgreift, hat Jacobi allerdings erst in letzteren gefunden. Daß es aufgrund begrifflicher Unsicherheiten für seine frühen Schriften – vor allem für die Erstauflage des David Humee – durchaus Unklarheiten und Irrtümer gibt, räumt Jacobi, wie gesagt, im Rückblick selbst ausdrücklich ein, ohne jedoch Veränderungen in seinen philosophischen Überzeugungen zu reklamieren (vgl. JW II, 19 f.). – Diese mißverständlichen Ansätze, die sich weitgehend aus einer Anlehnung an die empiristischsensualistische Tradition ergeben haben, wirken zum Teil aber auch noch beim späten Jacobi in manchen Aussagen, gerade zum Verhältnis von Sinn, Verstand und Vernunft, nach und verweisen damit letztlich auf eine grundsätzliche Schwierigkeit von Jacobis Überlegungen, deren Dualismus die Annahme eines ganz eigengesetzlichen bloßen Verstandes und einer bloßen natürlichen Empfindung ebenso erfordert wie diese im Blick auf die (praktische) Einheit des Daseins zugleich eigentlich nur als Momente oder Funktionen (Werkzeuge) der (konkreten praktischen) Vernunft selbst vorgestellt werden können. 165 Vgl. JKl VII, 122; JW III, 530 f. 166 Auf diese ursprüngliche ›Imprägnierung‹ der Sinnenwelt verweist noch Jacobis Behauptung, daß die »alten, und ungebildeten neuen Völke[r]« statt mechanische Ursache-Wirkungsverhältnisse zunächst »überall lebendige Wesen« erblickten, jede Ursache ihnen eine »lebendige, sich selbst offenbare, persönliche Kraft; jede Würkung That« gewesen sei (DH 103, vgl. auch Spin 290). – Daß Jacobis Vorgehen, das Verhältnis von Vernunft und Sinnlichkeit, moralischem Trieb und Leidenschaften trotz der Ansätze zu einer »Vertragstheorie der Begierden« zugleich in der Logik von Zwang und Beherrschung zu präsentieren, mit dem Charakter der ›Vernunft, welche die Vernunft ist‹, nicht vollkommen in Einklang gebracht werden kann, hat Walter Jaeschke hervorgehoben (vgl. Jaeschke [2004], 214). Zumal Jacobi verschiedenenorts selbst, so vor allem

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als menschliche Vernunft stets das Zeichen der Involviertheit des Menschen in die Sinnenwelt in sich, doch bleibt das Verhältnis von Geist- und Sinnengefühl asymmetrisch. Nur die Sinnlichkeit ist nach Jacobi Funktion der Vernunft; die Vernunft ist aber nicht Funktion, sondern noch umgreifende Bedingung der Sinnlichkeit (vgl. JW V 447 f.). – »[J]ede Empfindung« – so schreibt Jacobi in diesem Sinne bereits 1789 an Kant – beziehe sich zuletzt »auf eine reine Vernunft«, d. h. »auf etwas das sein Leben in sich selbst hat«, »alles nach Gesetzen physischer Nothwendigkeit erfolgendes auf etwas nicht erfolgtes, ursprünglich handelndes, Freyes« (JW III, 530). Ohne diesen Bezug würde die Empfindung (als Gegenstandspräsentation) nicht nur nicht ›für mich‹, d. i. ›bewußt‹ sein, sondern sie wäre auch – und hier zeigt sich wieder die eminent praktische Orientierung Jacobis – ohne »letzten Zweck« (JW II, 75). Ihre Bedeutung und ihren Wert erhält sie erst aus ihrer Funktion im ›Leben‹, als Moment eines Handlungsgeschehens,167 auch wenn dieses selbst dabei zugleich einer Bestimmung und Orientierung durch die in der Sinnlichkeit gegebenen Welt-Gegenstände, durch Vorstellungen und Begriffe bedarf. In dem Maße, wie die Verbindung von einem ›niederen‹ Endlichen und einem ›höheren‹ Unendlichen, von Sinnlichkeit und Vernunft unbegreiflich bleibt – dafür stand Jacobis Rede von der ›wunderbaren doppelten Offenbarung‹ –, ist trotz verschiedener Hinweise Jacobis auch die Rolle des Verstandes in diesem Zusammenspiel auf den ersten Blick schwer einzusehen. Klar ist zunächst allein, daß der Verstand – so stellten wir oben bereits fest – zumindest kein eigenes Vermögen

im Rechtlichen, Ökonomischen und Politischen, Zwang und Beherrschung als Modi des Verstandes zurückweist und durch ein Harmoniekonzept ersetzt. – Allerdings ist dieser Befund nur wiederum ein Ausdruck der doppelbödigen Grundspannung zwischen praktisch-existentieller Einheit des menschlichen Daseins und seiner nach Jacobi zugleich dualistischen Mischverfassung. So steht im Sittlichen gerade die ›Liebe‹ für die ›Sublimierung‹ der sinnlichen Antriebe, die als solcherart »gereinigt[e]« »Liebe des Angenehmen« nur als Modus des einen »Trieb[es] zum Guten« erscheinen (JW V 440 f.). Jedoch – so ist Jacobi andererseits ebenso überzeugt – bleibt diese Einheit und Harmonie im endlichen Wesen Mensch ein Ideal. Der in seiner Natur ebenso unerklärliche wie unaufhebbare Dualismus von übersinnlichem und sinnlichem Trieb, Funktionalisierung bzw. Imprägnierung und ursprünglichem ›Abfall‹ von Sinnlichkeit und sinnlichem Verstand, rechtfertigt in Jacobis Augen daher neben dem Harmoniegedanken noch die Vorstellung einer Unterdrückung der Leidenschaften durch die Vernunft. 167 Eben in diesem Sinne hatte Jacobi in Beilage III der Spinozabriefee und im David Hume auf die Abkünftigkeit unseres Begriffs des Grundes von dem der Ursache, dessen wir durch unser eigenes Handeln ursprünglich inne sind (JKl VII, 62), bzw. – insofern unser Handeln als reales ein genuin zeitliches ist – des »principium compositionis« als Begriff des logischen Folgens vom »principium generationis«, dem Begriff der sukzessiven Abfolge, (DH 94 ff.) verwiesen. Selbst die Sachverhalte der Logik und der Mathematik existieren m. a. W. zumindest für unss nur, indem wir sie (in einem zeitlichen Akt) t real vorstellen und anwenden (vgl. Spin 276). Ohne das »Geheimni[s] unserer Freiheit« wäre »sogar Euklids erstes Postulat [uns] nicht dienstbar« und daher ohne alle Bedeutung (JBr II, 48 f.).

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wirklicherr Erkenntnis bildet. Ob er – ungeachtet der ihm zugeschriebenen abstrahierenden und rekonstruierenden Tätigkeit einerseits und einer scheinbaren Zwischenposition zum anderen – für Jacobi letztlich überhaupt eine irgendwie spezifische eigenee Fähigkeit oder ein Sinnen- und Geistgefühl vermittelndes Drittes darstellt, ist hingegen bereits nicht so leicht zu entscheiden. Einige Äußerungen Jacobis legen diesen Gedanken nahe, nämlich diejenigen, die – recht kantisch – den Verstand als eine ›Denkkraft‹ begreifen, auf die Sinnlichkeit und Vernunft sich in gleicher Weise beziehen können sollen.168 Andere Überlegungen jedoch weisen eher auf eine Identifizierung von Sinnlichkeit und Verstand hin oder begünstigen eine Deutung, die im Verstand selbst gleichsam nur den Ausdruckk der geheimnisvollen Bezogenheit der beiden Wahrnehmungsvermögen aufeinander erkennen möchte. – Ganz unabhängig von der Auflösung dieser Schwierigkeit und Jacobis weitreichender Rationalitätskritik zum Trotz spricht die Unphilosophie dabei dem Verstand zugleich sogar auf eine Weise eine entscheidende Rolle für die Konstitution des menschlichen Bewußtseins zu, die letztlich das soeben behauptete Primat der Vernunft zu unterlaufen und die Abhängigkeitsverhältnisse nachgerade umzukehren scheint. Denn Sinnes- und Geistesgewißheit können auch nach Jacobi nurr im Verstand für uns gegeben werden: »Wir reden aus der klaren Einsicht« – so hält etwa die Einleitungg zum David Humee von 1815 ausdrücklich fest –, »daß Sinnlichkeit ohne allen Verstand, das ist, ohne alles reflexive und verknüpfende, mithin selbstthätige Bewußtseyn Unding ist. Dasselbe gilt von der Vernunft. Vernunft ohne Verstand ist […] ein Ungedanke« (JW II, 110). Nicht nur darf demnach also weder der Verstand der Sinnlichkeit oder der Vernunft vorgezogen werden noch die Sinnlichkeit oder die Vernunft dem Verstande, sondern der Verstand erscheint darüber hinaus nunmehr gar als die eigentliche »vereinigende Kraft« eines lebendigen Wesens (JW II, 25 f.). Genau besehen – und dies ist für die Interpretation und die Abwehr von Mißverständnissen von grundlegender Bedeutung –, unterscheidet Jacobi jedoch, wie zuvor zwei Sinnenvermögen, auch zwei Modi des Verstandes.169 Dies geschieht

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Vgl. »Wie die Sinne dem Verstande in der Empfindung weisen, so weiset ihm die Vernunft im Gefühle.« (JW II, 61 f.) 169 Auch Günther Baum entdeckt in einem, wie wir sehen werden, letztlich ähnlichen Sinn zwei Hinsichten des Verstandes bzw. Verwendungsweisen des Verstandesbegriffes bei Jacobi: Jacobis scharfe Kritik gelte allein dem Verstand, insofern darunter nichts anderes begriffen wird als das diskursive Denken, das bloße, nurr auf die sinnlichee Empfindung bezogene Vermögen von Reflexion und Abstraktion. Von diesem sei eine umfassendere Bedeutung des Verstandesbegriffs zu unterscheiden. Verstand meine bei Jacobi nämlich auch das »Selbstbewußtsein, d. h. ein intuitives Erfassen meiner selbst« als eines im Wechsel meiner Vorstellungen Identischen. In diesem Sinne würden Verstand und Vernunft erst zusammen das Erkenntnis- und Selbsterkenntnisprinzip der Unphilosophie bilden (Baum [1969], 114 ff.). – Inwiefern mit der Plausibilität dieser

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erneut in Abhängigkeit von den ihm jeweils gegebenen Gegenständen oder – will man die Rede vom Verstand als einem eigenständigen Dritten neben Sinn und Vernunft vermeiden – in Abhängigkeit davon, ob die Beziehung der beiden ›Wahrnehmungsvermögen‹ aufeinander gleichsam einmal aus der Perspektive der Sinnlichkeit, das andere Mal aber aus der der Vernunft betrachtet wird. Beiden Perspektiven bzw. Verstandesmodi ist gemeinsam, daß sie die ›gemischte Verfassung‹ des Daseins des ›ganzen Menschen‹ voraussetzen, d. h. beiden eignet ein endliches und ein unendliches, ein passives und ein aktives Moment, wenn auch nicht in gleicher Weise. Beide verbindet des weiteren eben auch, daß der Ansatz zunächst bei einer Anschauung, einem ›Realitäts-Bewußtsein‹ sui generis erfolgt – und nicht bei der bloßen Reflexion. Die Empfindungsgewißheit einer realen Außenwelt liegt – von dieser antiidealistischen These rückt Jacobi zu keiner Zeit ab – stets dem Vorstellungsbewußtsein ebenso vorauss wie das Selbstgefühl des Geistes dem reflexiven Selbstbewußtsein; die ›Mitlaute‹ Gott und Welt ›tönen‹ dem ›Selbstlaut‹ des Ich stets ›vor‹ (JW III, 235/277): Zwar bedarf der Mensch zu einem ›Vollbewußtsein‹ seiner selbst und der Welt konstitutiv des Verstandes, der zugleich das ›Unvergleichbare‹, d. i. auch sich selbst als lebendiger Geist, nicht direkt, sondern nur in »Gleichnissen« zu begreifen vermag, doch ist sich der Einzelne trotzdem seiner selbst (und des Du) immer schon ahnend-unmittelbar inne: »Ein Unvergleichbares, ein Eines für sich und ohne anderes ist der Mensch sich selbst durch seinen Geist, den eigenthümlichen, durch welchen er der ist, der er ist, dieser Eine und kein anderer. Als diesen Einen, der allein ist dieser Eine, und derselbe bleibt unter allen möglichen Veränderungen, findet er sich nicht erst hintennach durch Selbstvergleichung, ein Wesen

Unterscheidung zweier Verstandesmodi tatsächlich der Nerv des Jacobischen Denkens berührt ist, läßt sich anhand der Kritik Walter Jaeschkes an Jacobi überlegen. Dieser versucht nämlich aufzuzeigen, daß Jacobis Kritik am Produktionscharakter der diskursiven Vernunft bzw. des Fichteschen Ich sich notwendig auch auf die unmittelbar das Wahre vernehmende Vernunft, d. i. auf den von Jacobi auch als »Urlicht der Vernunft« bezeichneten Glauben (Spin 316), beziehen müsse, da dieses ›Urlicht‹ doch »nirgends anders leuchte als im produzierenden Ich« (und dies ist nach Jacobis letztgenannter Terminologie zunächst der Verstand). Daher zerstöre Jacobis Vernunftkritik »im genauen Maße ihres vernunftkritischen Erfolgs zugleich [auch] die Heilkraft ihres Remediums gegen die von der spekulativen Vernunft verursachten angeblichen Verwüstungen« (Jaeschke [1999], 155; zu einer in der Tendenz ähnlichen, jedoch noch schärferen Kritik vgl. auch Lauth [1989c], 298 f./310). – Dieser Konsequenz entgeht Jacobi aber wohl in einer Lesart, die im obigen Sinne zwei Perspektiven auf den Verstand und mithin die bloß sinnlichverständigee Produktivität, d. i. eine philosophisch-systemische Produktivität nach der ›Logik des Grundes‹, von der vernünftigen bzw. vernünftig-verständigen, also einer solchen nach der ›Logik der Ursache‹, als toto genere verschieden unterscheidet. Entsprechende Hinweise geben eben die zahlreichen Textstellen, in denen Jacobi ausdrücklich einen ebenso radikalen wie wunderbar zusammengehaltenen Dualismus sowie – polemisch gegen den Produktionscharakter der (sinnlichen) Verstandestätigkeit – den Leidenscharakter der ›übernatürlichen‹ Handlungen bzw. der Vernunft (und insofern auch des vernünftigen Verstandes) des Menschen behauptet.

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des Begriffes, das ist, der blosen Einbildung; denn worin geschähe die Vergleichung und Einbildung; worin würde das Selbst dem Selbste gleich? […] Er findet sich als dieses Wesen durch ein unmittelbares, von Erinnerung vergangener Zustände unabhängiges Wesenheitsgefühl, nicht durch Erkenntniß.« (JW III, 234) (1) Als ›Selbstvergleichung‹, d. i. im Reflexionsmodell, meint sich das ›Ich‹ allein aus der (für Jacobi defizitären) Perspektive der Sinnlichkeit bzw. als bloßerr Verstand zu konstituieren. Obwohl, wie gesehen, die Empfänglichkeit der Empfindung, indem sie für einen je konkreten Empfindenden ist, bereits schon auf das ›lebendige Prinzip‹ des Ich bezogen ist, kann sie selbst dessen Tätigkeit nur als (absolute) Produktivitätt des ›sinnlichen‹ oder »überlegenden« Verstandes auffassen, den wir nach Jacobi mit den Tieren teilen – und mißverstehtt es damit. Das so konstituierte Subjekt ist zwar bereits »Individuum« – wie jedes Lebewesen ein konkretes und einzelnes ist –, aber noch keine »Person«.170 Auch das in der bloßen Sinnlichkeit gegebene ›Du‹

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Vgl. JKl VII, 122; JW III, 530. – Insofern hat Jacobis Begriff des Lebens als Begriff des Lebens eines personalen Geistwesenss eigentlich auch nichts mit der Selbsterhaltung und -organisation eines lebendigen Organismuss zu tun. Dieser fällt im unphilosophischen Verständnis vielmehr noch in die Sphäre des natürlich-rationalen Mechanismus. – Allerdings verirrt sich Jacobi selbst gelegentlich, ähnlich wie es ihn bei der Explikation seines genuin metaphysischpraktischen Glaubensbegriffes ab und an ins Feld rein empiristischer Epistemologien verschlägt, bei der Erläuterung des unphilosophischen Begriffes vom ›lebendigen Prinzip‹ bzw. ›lebendigen Dasein‹ – und zwar in einer Weise, die höchst bedeutsam für das Verständnis des philosophiehistorischen Umstandes ist, daß sich u. a. bei den Frühromantikern, aber auch bei Schelling naturphilosophische und organizistische Systeme herausbilden, die sich selbst legitimerweise gleichzeitigg auf Spinoza bzw. Jacobis Spinozainterpretation, auf Kant – und zwar außer auf die Kritik der reinen Vernunftt besonders auf die Naturteleologie der Kritik der Urteilskraftt – , aber ebenso auch auf Jacobis Unphilosophie berufen zu können glauben. Denn in der Tat erfährt der Lebensbegriff bei Jacobi – vor allem wiederum im David Hume – auf den ersten Blick eine Interpretation im Sinne des Organismus-Gedankens. Das Individuum, insofern es »etwas an und für sich selbst« ist, gilt Jacobi nämlich hier mit Berufung auf Leibniz’ »substanzielle Form des organischen Wesens« (Monade) ausdrücklich als eine »organische Maschine« (DH 171). Noch Schlüsselbegriffe, wie ›Instinkt‹, ›Trieb‹ und ›Gattung‹ gehören in diese organizistische Lesart. Auf sie verweist des weiteren auch die »natürliche Geschichte der spekulativen Philosophie« (Spin 160) in Beilage VIII der Spinozabriefe. Denn sie suggeriert durch die Behauptung, daß der Verstand (und die von ihm hervorgebrachte Sprache) des Menschen ursprünglich aus einem natürlichen Bedürfnis (Spin 273), d. i. als Werkzeug der rein »physischen Erhaltung« (Spin 287), entstanden sei, die prinzipielle qualitative Gleichheit unseres »lebendigen Daseins« mit dem dumpfen »Regen eines Wurmes« (Spin 273). Folgerichtig spricht Jacobi im David Humee auch die mir begegnenden Du, die ›Anderen‹, unter denen ich einer bin, weder als bloße Gegenstände noch emphatisch als absichtsvoll handelnde Personen an, sondern ebenso als »organische Wesen« (DH 171a). – Indes bedarf es keiner großen Umstände zu erkennen, daß eine solche (leibnizianisch-spinozistischen und sensualistischen Traditionen folgende) Identifikation des ›lebendigen Daseins‹ eines leibgeistigen Individuums mit seiner organismischen Verfassung Jacobis Grundfigur der Auffindung einer ursprünglichen ›Logik der Ursache‹, d. i. der originären realen Hand-

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kann daher nicht mehr meinen als die vorhandenen Dinge in der Welt, Pflanzen und Tiere. An dieses (Selbst-)Verständnis des Verstandes, das Jacobi der rationalen Systemphilosophie zuschreibt, ist gerade nicht gedacht, wenn er seinerseits den Verstand als die ›vereinigende Kraft‹ eines lebendigen Geistwesenss bezeichnet. – (2) Als ›Person‹ erscheint das Ich vielmehr nur, wenn die gemischte Lage des Menschen aus der Perspektive der Vernunft in den Blick genommen wird. Hierbei ›operiert‹ im Gegensatz zur Perspektive der Sinnlichkeit nämlich zugleich ein ›vernünftiger‹, ein »über den thierischen erhabener, von Gott, Freyheit und Tugend, vom Wahren, Schönen und Guten wissender, ein menschlicher Verstand« (JW II, 9).171 Dieser steht bei Jacobi letztlich für die Fähigkeit des ›Auslegens‹ bzw. ›Weissagens‹ (vgl. JW III, 209/293), d. i. des eigentlich gleichnishaften bewußten Erkennens. Dabei geht es um das Auslegen des mit den Sinnen Gegebenen, also des Du der ›Natur‹, ebenso wie das seiner eigenen Begriffe, insofern diese ihre Herkunft unmittelbarr im Übernatürlichen haben – und damit schließlich des ›Geistgefühles‹ selbst. Aus der Perspektive der Sinnlichkeit (bzw. für eine empiristisch-epistemologische Betrachtung) erscheint das ›lebendige Prinzip‹, der Geist, nur als sinnlicher Verstand und als bloße, wenngleich absolut-produktive, in der ›Logik des Grundes‹ konstruierende Verstandesspontaneität. Jedoch zeigt sich umgekehrt, aus der Sphäre der Vernunft betrachtet, der Verstand selber als wesentlich von der Vernunft bzw. von der Freiheit eines sich in der Vernunft präsenten Handelnden abhängig, also als Momentt einer nach der ›Logik der (Zweck-)Ursache‹ operierenden Tätigkeit. Ein um diese Abhängigkeit wissender ›menschlicherr Verstand‹ macht die Person, die sich im Selbstgefühl ihrer bereits als konkret und frei Handelnder inne ist, als endlich-menschliche, zu der auch die natürlich-sinnliche Seite gehört, dabei erst zu einem bewußten Wesen. Denn er verstetigt und erhält die unmittelbaren übernatürlichen Gewißheiten in einem (insofern vernünftigen, nicht bloß abstrakt-universalen) Begriff (vgl. JW VI, 164).172 Zugleich damit legt ein derart ›vernünftiger Verstand‹ aber auch die

lungsnatur des Menschen, sowie Jacobis Grundbegriff der Person, unter den ausdrücklich nur ein menschliches, aber kein tierisches Individuum fällt (vgl. Spin 239), nicht angemessen ist. 171 Vgl. auch: »Bey diesem Ausspruche [d. i. dem monistischen Naturmechanismus, O. K.] würde es verbleiben, wenn der Mensch nur Sinn und überlegender Verstand wäre. Es lebt aber in ihm ein Geist unmittelbar aus Gott, der des Menschen eigenthümliches Wesen ausmacht, und durch den allein auch sein Verstand erst verständig, d. i. zu einem menschlichen Verstande wird.« (JW II, 119) 172 In diesem Sinne müssen also auch die Äußerungen Jacobis verstanden werden, daß »alles Wahre und Gute« im Menschen, daß alles menschliche Handeln »von einem Denken begleitet seyn« müsse (JW VI, 171), ja daß Erkenntnis und Philosophie »ihre Form allein von dem Verstande, als dem Vermögen überhaupt der Begriffe« beziehe. »Ohne Begriffe ist kein Wiederbewußtseyn, kein Bewußtseyn von Erkenntnissen, folglich auch keine Unterscheidung und Vergleichung, Trennung und Verknüpfung, kein Wägen, Erwägen und Würdigen derselben, mit einem Wort keine wirkliche Besitzergreifung von irgend einer Wahrheit möglich.« (JW II, 58)

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Sinnlichkeit in einer Weise aus, die in ihr wesentlich mehr als ein bloß theoretischepistemisches Vermögen der Gegenstandspräsentation sieht. Die ›Gegenstände‹ der Empfindung gehen in der Auslegung durch den ›menschlichen Verstand‹ nicht darin auf, vorhandenee Dinge zu sein. Vielmehr begegnet erst in der Perspektive der Vernunft bzw. des ›vernünftigen Verstandes‹ auch in den Sinnen ein wahrhaftes ›Du‹,173 entweder als selbst ›lebendiger Geist‹, als frei und mir gleicher (Mit-)Handelnder, oder aber wenigstes als Produkt bzw. Handlungs- und Lebensraum eines Geistes (›zuhandene‹ Welt) – sei dieser Geist göttlich oder menschlich. In diesem Sinne weist Jacobi immer wieder auf eine Offenbarung des Geistes bzw. Gottes in der Natur hin, die zwar ›unter‹ einer Offenbarung im Geiste selbst, d. i. einer Offenbarung qua Vernunft, stünde (JW III, 277), jedoch zugleich unvergleichbar sei mit einer Anschauung der Natur als bloß mechanisch-notwendig wirkender (JW III, 204 f.; I, 134 f.). Daher gilt Jacobi schließlich auch die (vom vernünftigen Verstand hervorgebrachte) Sprache des Menschen nicht als ein bloß willkürliches System von Zeichen für abstraktiv gebildete Begriffe der mechanischen Natur. Vielmehr sei das Wort wie die »sprechende Mine des Angesichtes« ursprünglich die Manifestation eines lebendigen Geistes, eines vernünftigen Inneren in jedem nur sinnlich angeschauten Äußeren (JW III, 215). Alle Sprachen der Menschen seien eigentlich nur Modi ein und derselben originären Handlungssprache, die der Mensch als vorsehend tätiges Geistwesen ausbildet (vgl. JW I, 284 f.; DH 102). –

Vgl. auch: »Weil der Mensch des Buchstabens – Bilder und Gleichnisse – wie auch der, der Endlichkeit anklebenden, Zeit nicht entbehren kann, obgleich beide aufhören sollen, so ehre ich den Buchstaben, so lange noch ein lebendiger Odem in ihm ist, um dieses Odems willen.« (JW VI, 242) 173 Bereits in den Spinozabriefen hat Jacobi im übrigen, wenn er von der ›wundersamen Offenbarung‹ eines Du durch die sinnliche Empfindung spricht, zu allererst vor Augen, daß andere (empfindende) Körper, »andre denkende Wesen« sich uns präsentieren (Spin 114). – Beide Versionen des Ich-Du, die verständig-epistemische und die vernünftig-praktische, finden sich im übrigen auch beim frühen Fichte. Während jene sich in der theoretischen (bzw. theoretischpraktischen) Ausdeutung des Dritten Grundsatzes der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehree (und dabei vor allem in der Figur des ›Anstoßes‹) niederschlägt, erscheint diese unter dem Begriff der ›Anerkennung‹. Vor allem der zweite Anschluß Fichtes an Jacobi bringt seine Position aus unphilosophischer Perspektive allerdings in ein Dilemma: entweder läßt sich nämlich die Figur des Ich-Du im Sinne einer wirklichen Intersubjektivitätsthese kaum in den transzendentalphilosophischen Ansatz integrieren oder aber sie erfährt eine grundlegende Transformation, die für Jacobi einem ›Rücksturz‹ in die erste Version (und damit letztlich in die Reflexionsimmanenz der theoretischen Philosophie) gleichkäme. – Es ist darum alles andere als ein Zufall, daß Jean Pauls Fichte-Kritik ganz wesentlich auch auf dessen Intersubjektivitätslehre zielt.

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ε) Sittliche Individualität In dem Maße, wie der unphilosophische Begriff vom ›Leben‹ bzw. vom ›Geist‹ des Menschen (1) wesentlich auf die Fähigkeit realen absichtsvollen Handelns nach der Vorstellung von Zwecken geht, deren konstitutive ›Übernatürlichkeit‹ nach Jacobi (2) zugleich identisch ist mit ihrer Gutheit174 bzw. Abhängigkeit von einem persönlichen Schöpfergott, ist die fundmentale Eigenschaft des Menschen, auf der alle seine Anlagen und ›Teile‹ bezogen sind, nicht nur die »Freiheit« und sein Grundvermögen das des von aller (natürlichen) Bestimmung unabhängig wirkenden »Willens« (Spin 172 f.), sondern das Dasein des Menschen ist wesentlich durch seine moralische Freiheit und seinen sittlichen Willen gekennzeichnet. Das Selbst- und Weltverhältnis des Menschen ist m. a. W., weil er ursprünglich ein praktisch (gut) handelndes Wesen ist, ein originärr sittliches. Die Vernunft als das unmittelbare ›Bewußtsein‹ des Menschen drückt sich mithin zuvörderst als »Gewissen« aus (Spin 174),175 also als die nichterklärende und unerklärliche Tätigkeit, unser und anderer (je bestimmtes) Wirken »unbedingt« – und damit als selbstverantwortetes (gesetzmäßiges) Handeln – zu bewerten. An jeden Einzelnen zu appellieren, sich selbstt seiner moralischen Freiheit und Tugendkraft zu besinnen, d. i. der ›Bedingungen‹ dafür inne zu werden, daß wir eben eigennützige Handlungen, Laster und Gewalttaten – vor allem die (scheinbar) ›gewissenlos‹ begangenen unter ihnen – »verabscheuen« (Spin 175; vgl. JW V, 81) und uneigennütziges Handeln bewundern (JW II, 76), ist daher schließlich das Grundanliegen der Unphilosophie und das eigentliche Zentrum ihres ›unmittelbaren Schlusses‹ gegen den Fatalismus. Dieses sucht sie allein durch exemplarische Darstellung realen sittlichen menschlichen Handelns zu erreichen und kann es nur so zu erreichen suchen (vgl. JW VI, 217 f.). – Inwieweit Jacobis Sittlichkeitsverständnis dabei durch eine grundlegende Differenz zum Kantischen Moralbegriff gekennzeichnet ist, davon war oben bereits die Rede: Die Möglichkeit oder Wirklichkeit der moralischen Willensbestimmung eines Menschen und sein Gewissensspruch sind nicht – so sei an Jacobis Grundüberzeugung erinnert – aus der Einheit der transzendentalen Vernunft geboren und

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Für Jacobi gibt es m. a. W. keine Zwecke, die alss real handlungsleitende Zweckee schlecht bzw. böse sein könnten. Daher bildet Kants Verantwortungstheorie für ihn einen besonderen Stein des Anstoßes: »Der Begriff der Freyheit« – so notiert Jacobi in den Kladden – »verliert alle Würde, alle Erhabenheit für mich, so bald er ein Vermögen auch Böses zu wählen ausdrücken soll. […] Kant möchte gern auch die Freyheit nur für das Vermögen überall das Gute zu wollen ausgeben, aber er darf es nicht, weil ihm zuviel an der Zurechnung, am eigenen Verdienst u eigener Schuld gelegen ist.« (JKl VI, 4 f. [226]) 175 Vgl. auch: »Das Gewissen ist nichts Anderes als der gewisse Geist in unserm Innern; – dieser gewisse Geist entscheidet aber in der Wissenschaft, in der Kunst, in der Staatsverwaltung, in einem Worte, überall, und nicht blos in der Moral.« (JW VI, 142)

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konstitutiv mit dem reinen ›Gefühl der Achtung‹ für das allgemeine (Vernunft-) Gesetz verbunden. Vielmehr geht die wahre, ursprüngliche Moralität auf das »Gefühl der Ehre« und der »[r]eine[n] Liebe« zurück, die beide die unmittelbaren Ausdrücke des ›Prinzips des Lebens‹ darstellen (Spin 176 f.). Denn als handlungsleitender und -bewirkenderr Wille kann der sittliche Wille nach Jacobi kein ›reiner‹, kein rational-apriorischer, d. h. kein unpersönlicher und außerzeitlicher – kurzum: kein Wirkprinzip bloß im Sinne eines logischen oder geltungstheoretischen ›Grundes‹ sein.176 Als Ursprung einer wirklichen Handlungg eines Menschen, die als solche notwendig in der Zeitt geschieht, ist er »Ursache« (Spin 283); der Wille ist nach Jacobi die aktualisierte Fähigkeit, nach der Vorstellung konkreter Zwecke, also absichtsvolll und frei, eine Wirkungskette in der Welt real anzufangen. Ihm, der in seiner Tätigkeit konstitutiv dabei auf sein In-der-Zeit-Sein ebenso verwiesen ist, wie er darin nicht aufgeht (vgl. Spin 282 ff.), eignet (eben unter den Stichwörtern ›Ehre‹ und ›Liebe‹) eine Gesetzlichkeit und Verbindlichkeit, die sich von derjenigen des ›Grundes‹ bzw. des rationalen Selbstes (von ›Achtung‹ und ›Pflicht‹) grundsätzlich unterscheidet. Letztere nämlich seien nur ›zufällig‹ bzw., in ihrem Wesen betrachtet, gar nicht in die Zeit involviert. Sie berücksichtigen also nicht ausreichend die wesentlich ›gemischte‹ Verfassung des Menschen, die sein Sein bzw. Dasein nicht zu einem ewigen und außerzeitlichen, sondern zu einem an die Zeit gebundenen Über-die-Zeit-hinweg-Seienden macht, d. h. zu einem Identischen in und durch Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.177 Insofern reales sittliches Handeln nach Jacobi also grundsätzlich in der Zeit geschieht, ist es stets eine konkrete historische Tat. Als ›moralisch‹ handelndes Individuum bin ich immer auch bezogen – so stellt sich jetzt die Dimension der ›Natur unter uns‹ dar – auf die geschichtlichen Umstände meines zeitlichen Existierens und Tätigseins. Diese umfassen die Anderen und Mithandelnden, deren einer ich bin, und die von ihnen gestaltete Welt, also vor allem die Institutionen, die Sitten und das Ethos einer Gemeinschaft. Und weil mein Handeln auf diese Art durch die »Lebensweise« und »Denkungsart [m]eines Zeitalters« (Spin 135) (mit)geprägt ist, so hängen eben auch noch meine im engeren Sinne theoretischen Erkenntnisse

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Vgl. »Es ist eben so unmöglich, daß der Mensch der reinen Vernunft lüge oder betrüge, als daß die drei Winkel eines Dreiecks nicht zwei rechten gleich sind. Aber wird das wirkliche mit Vernunft begabte Wesen sich von dem abstracto seiner Vernunft wohl so in die Enge treiben, von einem Gedankendinge durch ein Wortspiel so ganz sich gefangen nehmen lassen? – Nimmermehr! – Wenn auf Ehre Verlaß ist, und der Mensch Wort halten kann, so muß noch ein andrer Geist, als der bloße Geist des Syllogismus in ihm wohnen.« (Spin 176) 177 Vgl. »Ich bin der – Ich bin; der – Ich war; der – Ich werde seyn. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, in einem Gefühl des Selbst- und in sich Seyns unzertrennlich verknüpft« – dies macht das »Geistesbewusstseyn« des Menschen aus (JW III, 420; vgl. auch JW VI, 154).

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letztlich von den historischen Handlungsweisen und -bedingungen ab (JW I, 282 f.; Spin 134 f.). Am sittlichen Bewußtsein meiner Epoche kann ich daher umgekehrt nicht schon durch theoretische Belehrung teilhaben; als Einzelner und in die Welt ›Geworfener‹ muß ich durch »Vorbild« und »Erziehung« zur Tugend »hinauf bewegt werden« (Spin 131). »Nicht von Vernunftgesetzen oder rührenden Ermahnungen, sondern von Anweisung, Darstellung, Vorbild, Zucht, Hülfe, Rat und Tat, Dienst und Befehl« schreibt sich allee Bildung der Menschen her (Spin 141). Nur »Gehorsam« gegen den Vater oder die Gesetze einer Gemeinschaft, nur die Nachahmung des sittlichen Handelns Anderer bzw. das Hineinwachsen in eine gelingende moralische Praxis läßt mich Tugend und Wahrheitt lernen (vgl. Spin 143; JW I, 356; JW V, 419). Zum sittlichen Ideal werden Jacobi die spartanischen Jünglinge Spertias und Bulis, deren Moral und Überzeugungen nicht von den Einsichten der reinen Vernunft, sondern der Loyalität zur Lebensweise, Sitte und Ordnung ihrer Gemeinschaft bestimmt wird (Spin 132 f.). Doch redet Jacobi auch hier keineswegs einem bloßen Sitten- und Gesetzespositivismus – mögen diese sein, wie sie wollen – das Wort; die Unphilosophie will ebensowenig einen politischen Konservatismus der herrschenden Zustände vertreten wie einen grenzenlosen ethischen Relativismus (oder Utilitarismus). Moralisch und wahr ist das Ethos einer Gemeinschaft nämlich nur, wenn bzw. weil ihre Sitten und Gesetze zugleich als von Gott gegeben gerechtfertigt werden können. Auch der erste Mensch und die Ur-Gemeinschaft – so Jacobi weiter in der historischen Fiktion – vermochten sich (wie alle anderen), geht es denn um wahre Sittlichkeit, nicht selbst zu unterrichten; noch konnten sie aber Erziehung dazu durch ihresgleichen erfahren. Der erste Lehrmeister der Tugend müsse daher Gott selbst gewesen sein; alle Verfassungen seien m. a. W. ursprünglich »[t]heokratisch« (Spin 141). In diesem Sinne wird Jacobi wahre Sittlichkeit zum unmittelbaren Ausdruck und zur unmittelbaren Folge von »Religion« (Spin 138). – Daß es in der Unphilosophie jedoch nicht allein um keinen Opportunismus der herrschenden sittlichen Verhältnisse geht, sondern, anders als schon Mendelssohn meinte, auch nicht um die Berufung auf eine nur positive (äußere) Offenbarungsreligion, zeigt insbesondere aber wiederum die Blickwendung von der Passivität zur Aktivität des Menschen, vom Du (als der ›Natur unter uns‹) zum Ich. Denn keineswegs blind sollen wir den Vorschriften und Sitten folgen. Wozu trügen wir sonst mit dem ›Gewissen‹ das Göttliche als Maßstab und Prüfungsinstanz selbst in uns? »›Wir haben‹« – so zitiert Jacobi in diesem Zusammenhang und ganz im Geist der ›Aufklärung‹ Herder – »›einen Freund in uns – ein zartes Heiligtum in unserer Seele, wo die Stimme und Absicht Gottes lange Zeit sehr hell und klar wiedertönet.‹« (Spin 147) Zucht, Vorbild und Gesetze können meine moralische Verfassung und Selbsttätigkeit zwar (mit)bestimmen, als ›inwendigen Geist‹ hervorbringen können sie sie aber ebensowenig, wie in der epistemischen Sicht die Wahrnehmungsobjekte

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unsere Ideen als Ideen zu setzen vermögen.178 Wäre ich nicht schon etwas für mich selbst, würde ich mich nach Jacobi nicht selbst frei als Mensch von ›Charakter‹ bestimmen, dann blieben auch Erziehung und geschichtliche Umstände, d. i. mein In-der-Zeit-Sein, bedeutungs- und wirkungslos.179 Ich selbst – eine real-existierende namentliche Person – bin es, der vielmehr sein Sein und Handeln frei wählt und verantwortet – und damit noch die ›historische‹ und institutionalisierte Sittlichkeit in ihrer Wirklichkeit fundiert.180 – Indem der Mensch dank der ihm als ›Geist-

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Das Gute, schließlich Gott selbst, ist für den Menschen nur in Form von dessen »eigene[m] Begriff, seine[r] eigene[n] Empfindung« (JW V, 423). Der bloßen Innerlichkeit, d. i. dem Subjektivismus, vermeint Jacobi dabei eben dadurch zu entgehen, daß er den moralisch urteilenden Menschen zugleich wiederum als »gutgeschaffenen« erklärt (JW V, 421), also als unfähig, seine Urteile ganz allein aus seiner eigenen Produktivität zu verantworten. In offenkundiger Analogie zu Descartes’ kausalem Gottesbeweis, nach dem unser Begriff der Vollkommenheit auf ein reales Vollkommenes über uns als dessen causa verweist, zeugen auch für Jacobi unsere »höhere[n] Begriffe« von »höheren Wesen« und von unserem »Zusammenhange« mit diesen (JW V, 424). 179 Vgl. »So lange wir selbst handeln, handeln wir nothwendig frey; und es ist unmöglich die Selbstregierung auszuschlagen; unmöglich an die Stelle der Vernunft und des eigenen Gewissens ein andres Wahr- und Gutfinden zu setzen, dessen Ansehen höher, dessen Entscheidung zuverlässiger wäre. Wie wolltest du es anfangen, irgend einem Gesetz, irgend einer Autorität blinden gehorsam – Knechtschaft anzugeloben, ohne eine Wahl hervorgehen zu lassen, ohne dich selbst in und nach dir selbst zu entscheiden? Und laß die Wahl geschehen seyn: Wodurch magst du bey ihr zu bleiben? […] [D]aß wir prüfen, wählen, beschließen, und auf unserm Entschluß beharren können, darin allein besteht die Würde des Menschen« (JW V, 429) 180 Vorschriften und Gesetze einer Gemeinschaft, die ›bürgerliche Ordnung‹, sind als notwendige Fixierungen der wandelbaren, weil ›gemischten‹ menschlichen Natur (vgl. JW VI, 151), also letztlich gleichsam bloße Abschattungen der selbstverstetigenden Tätigkeit eines einzelnen Menschen, der sich einen Charakter gibt. – Ihre Bedeutung für die Sittlichkeit eines Menschen kommt ihnen vor allem im Sinne einer ›entgegenkommenden Lebensform‹ zu: »[D]a ich überzeugt bin« – so Jacobi in einem Brief an Wieland am 27.10.1772 –, »daß es unmöglich ist, tugendhaft zu bleiben, wenn nicht äußere Umstände mithelfen, so gehen meine Hauptbemühungen dahin, diese so einzurichten, daß das Interesse meines besseren Selbstes dabei nicht in zu starke und vielfältige Collisionen mit dem Interesse meines niedrigern Selbstes gerathe« (JBr I, 85). »Gesetze und Landessitte, Angewöhnung und Vorurtheil« sind unentbehrlich als Stützen für eine »allein auf gegenseitige Einschränkung der Begierden gegründet[e] Tugend«, d. i. die Sittlichkeit des Reflexionswesens Mensch, und damit »Vorhof der [wahren] Tugend« (JW V, 445). Die dem ›Mischwesen‹ Mensch auch nötige »vorsetzliche Tugend« setzt m. a. W., wie der vernünftige Verstand die Vernunft, noch eine ursprüngliche Tugendanlage, eine Liebe des »sittlich-Schönen« voraus (JW V, 435), die das Wesen einer unbedingten, genialischen Handlung eines ›hohen Menschen‹ ist: »Was würde aus der Menschheit, wenn nicht von Zeit zu Zeit Heldengeister aufträten, um ihr einen neuen Schwung zu geben, ihr aufzuhelfen, sie zu erfrischen? Gerade durch diese Heroen wird das Leben der Sittlichkeit immer wieder neu geboren. […] Menschen, die ein inneres Freyheitsgefühl Göttlich über ihr Zeitalter erhebt, sind das wahre eigentliche Salz der Erde […] Selbstbestimmung, Freyheit, ist die Seele der Natur, und auch – die Erste Quelle aller Gesetze, Einrichtungen, Sitten und Gebräuche.« (JW V, 425 f.) – Indivi-

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wesen‹ einwohnenden Fähigkeit, sich theoretische Vorstellungen zu Zwecken zu setzen und nach ihnen zu handeln, sich in die Zukunft entwirft und qua Vorsatz sich selbst festlegt, bringt er Gesetzlichkeit in sein Handeln, Stetigkeit und Verläßlichkeit in sein Dasein, das als bloß natürliches ganz dem Wandel der stets wechselnden aktualen Neigungen und Bedürfnisse unterworfen wäre. Denn im absichtsvollen Handeln verwirkliche ich meine Identität als personales Individuum, indem ich meine Zukunft, die ich in Form von Zwecken antizipiere, verbinde mit meiner Gegenwart, indem ich in ihr mein Handeln an diesen Zwecken orientiere, und mit meiner Vergangenheit, insofern diese meine Zwecke als je konkrete und ›historische‹ mit bestimmt und die ich als Resultat früherer Zwecksetzungen zu verantworten habe.181 Das Vermögen von Vorsehung und zielgerichtetem eigenverantwortetem Handeln befreit den Menschen also aus der bloßen Gegenwärtigkeit und konstituiert ihn gerade als einen Über-die-Zeit-sich-selbst-Gleichen, ohne ihn eben deshalb (wie der ›verständige‹ Begriff) zu einem Zeitlos-Ewigen zu machen. Jacobi weist mit diesem Begriff des sittlichen ›Subjektes‹ – besser: der (moralischen) Person – zugleich jede schwärmerische Moralauffassung zurück, die allein dem regellosen empfindsamen (moralischen) Genie vertraut. Das moralische Handeln eines Menschen soll in der Unphilosophie darum aber eben auch nicht zum bloßen Ausdruck eines unpersönlichen allgemeinen Gesetzes (Kant) oder eines blinden absoluten Strebens (Spinoza) werden, d. h. der Wille wird bei Jacobi weder der reinen Vernunft noch der Wesensnotwendigkeit der absoluten Substanz unterstellt. Er sprengt umgekehrt gerade jede Immanenzfigur eines rational-systemischen Philosophierens. – Denn nach Jacobi gibt der aktualisierte Wille, das reale Handeln eines Menschen sich erst selbst sein Gesetz und dem Menschen seine Grundsätze (JW VI, 150/92), mithin seinem Dasein Einheit und Wahrheit. – »Wer der Ehre huldigt, schwört zum Altare des Unbekannten Gottes. Er verspricht einem Wesen zu gehorchen, welches das Innere siehet: denn das ist der Dienst der Ehre, daß wir sein was wir scheinen; kein angenommenes Gesetz willkürlich oder insgeheim übertreten; kurz, unverbrüchliches Wort: WAHRHEIT!« (Spin 145 f.) – Der freie

dualität und Gemeinschaft, Gefühl und Sitte (Landesgesetz), Herz und Verstand, Vernunft und Leidenschaft garantieren nach Jacobi nur gemeinsam das sittliche Tun eines Menschen; allerdings in einer Weise, daß dem ursprünglichen und unmittelbaren reinen ›höheren Trieb‹ (der Vernunft) der Primat zukommt. »Nicht den feurigen Sinn und das glühende Herz für sich allein, sondern den starken Geist, der Herz und Sinn nach Gesetzen zu lenken wußte, haben sie über alles bewundert.« (JW V, 194) 181 Wie mein Handlungsbewußtsein nach Jacobi den ursprünglichen Modus meines Bewußtseins realer Zeitlichkeit darstellt, ist es damit eben zugleich auch der originäree Ort, in dem ich unmittelbarr die Natürlichkeit und die Geistigkeit meines Daseins als vereinigt erfahre, an deren Erklärungg nach Jacobi noch Kant aus prinzipiellen Gründen ebenso gescheitert war wie an der Realität der Zeit.

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und reale Bund eines Menschen mit sich selbst, »wodurch er ist[,] der er seyn wird« (JW I, 236), bezieht seine geheimnisvolle und unberechenbare Verbindlichkeit allein aus einem gegebenen Wort. »[A]lles unter Menschen beruht auf Wort und Treue; darauf, daß Ja, Ja, und Nein, Nein bleibe«.182 Der Bund eines Individuums mit sich selbst mache – so Jacobi – seine »Sinnesart« (»Gesinnungen«), seinen »Geschmack«, sein »Gemüth« – kurzum: seinen »Charakter«183 aus. Zugleich sei er die Grundlage aller Bünde, die Menschen als moralische Personen untereinander schließen, Prinzip aller moralischen Vorschriften; der ›Charakter‹ ist also die Quelle aller sittlichen Handlungen. – Insofern aber ein Wort, das gegeben wurde, um gehalten zu werden, nichts anderes als ein Versprechen184 ist, ist es nur folgerichtig, daß das Paradigma moralischer Verbindlichkeit bei Jacobi dasjenige von Versprechen und einem Versprechen Vertrauen ist. Die ursprüngliche sittliche Beziehung aber ist die der Freundschaft, denn der Akt des Versprechens und das Institut der Freundschaft basieren auf dem gleichen Modus von Vertrauen und An-erkennen.185

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Brief Jacobis an Pestalozzi vom 24.3.1794 (JNach I, 177 f.). »Der Mensch maßt sich das Vermögen an, beständig zu seyn aus eigener Kraft, und setzt darein seine Ehre. Ein Mann von Wort, und ein Mann von Ehre seyn, ist gleichbedeutend. Wer einen Vorsatz fassen kann und dabei bleiben, aus Entschluß handeln kann, ununterstützt von gegenwärtiger Neigung, ja der gegenwärtigen Neigung, Gemüthsbewegung, Leidenschaft sogar entgegen, von dem sagen wir, daß er Character habe« (JW VI, 143). 184 Wieder ist es vor allem Birgit Sandkaulen, die auf die fundamentale Rolle des Versprechens als originärer Ausdruck der personalen Identität des je konkret handelnden Akteurs bei Jacobi aufmerksam gemacht hat: Gerade im Versprechen als Fähigkeit des ›Mannes mit Namen‹, Wort zu geben, zu halten und einem gegebenem Wort zu Vertrauen, zeige sich besonders plastisch der Unterschied zwischen Kants ›Kausalität aus Freiheit‹ und Jacobis »Fund der causa finalis«; im Versprechen und Vertrauen manifestiere sich »in ganz ausgezeichneter Weise, worauf Jacobi mit dem genuinen Handlungsprinzip der causa finalis zielt: das Prinzip sui generis eines ›wirklichen Anfangs‹, also, der in der vorsätzlichen Verschränkung von Anfang und Ende ein ›freies ursprüngliches Beginnen‹ deshalb ist, weil der Handelnde nicht allein im Wort vorwegnimmt, was er tut, sondern sich im Handeln selber dann auch an diesem Wort orientiert, das er sich und anderen gegeben hat« (Sandkaulen [2001], 215–221). – Nicht nur durch Jacobi, sondern auch in ganz anderen Traditionslinien wird im übrigen immer wieder auf die eigentümliche Verbindlichkeit des Versprechens verwiesen, wie bspw. in neuerer Zeit bei Searle: Der Akt des Versprechens gilt Searle als paradigmatische Form einer Verpflichtung, die nicht auf Wünschen (Begierden) beruht; das Versprechen stellt vielmehr aufgrund eines Anerkennungsaktes einem bewußten »Akteur einen Handlungsgrund bereit, der von seinen unmittelbaren Wünschen unabhängig ist«. »Ich verspreche Ihnen etwas und schaffe dadurch einen Grund, in Übereinstimmung mit dem Versprechen zu handeln, das unabhängig von meinen Wünschen ist.« Auch Searle geht davon aus, daß Gründe in diesem Sinne umgekehrt sogar »Wünsche motivieren« können (Searle: Sprache und Macht, 81 f.). 185 »An Menschheit glauben, einem Freunde unbedingt vertrauen, nennen wir groß und edel; Unglaube, Zweifel, Verdacht haben etwas Kleinliches, Unedles; sie stammen aus der Furcht. Ein edler Muth also glaubt und vertraut. Er glaubt und vertraut nicht, weil er ein guter 183

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Für ein Versprechen steht ein konkreter Einzelner mit seinem ganzen Charakter, mit seinem ›Namen‹ und seiner ›Ehre‹ ein; in der Freundschaft bin ich bezogen auf die Person meines Freundes in seiner unverwechselbaren Individualität und bleibenden Andersheit, also ebenfalls auf einen konkreten ›ganzen Menschen‹. Gerade der Freund ist der Mann, den ich nur mit seinem Namen ansprechen, nicht aber unter einem Begriff subsumieren kann; denn zu ihm rede ich, »wie zu keinem andern«.186 – Die Fähigkeit zur Freundschaft – die in transzendentalidealistischen Moralkonzepten, aber auch bei Spinoza allenfalls eine Nebenrolle spielt – gilt also im ›Antisystem‹ der Unphilosophie als die Grundanlage aller Tugenden.187 In dem Maße, wie Jacobi den sittlichen Charakter eines Menschen ins Zentrum seiner Moralauffassung stellt, bekennt er sich – und zwar wieder in ausdrücklicher Differenz zur Transzendentalphilosophie – zugleich zu einem tugendethischen Konzept. – Gerecht und gut ist nach Jacobi eine Handlung, weil sie die Handlung eines Mannes von (tugendhaftem) Charakter ist (vgl. JW V 417 f.).188 Die situativ-konkreten Taten, die nach den Anforderungen von Zeit und Umständen sehr verschieden sein können, sind also dann moralisch, wenn sie Ausdruck von Grundsätzen der Rechtschaffenheit sind, an die sich der handelnde Einzelne als seine fundamentalen Gesinnungen gebunden hat. Nicht aber sind sie Anwendung allgemeiner Moralgesetze, die ihrerseits vielmehr nach Jacobi ihre eingeschränkte Berechtigung nur aus ihrer abstraktiven Abkunft aus der Regelhaftigkeit eines sittlichen Charakters beziehen. Pylades’ Lüge, als er sich zur Schonung seines Freundes für Orest selbst ausgab (vgl. JW III, 37), ist (wie für Jacobi letztlich jede Handlung) mit Hilfe eines ›Kategorischen Imperativs‹ nicht als sittliche Tat zu verstehen; als

Rechenmeister ist; sein Glaube, sein Vertrauen ist eine Kraft des Gefühls, nicht eine kalte Ausübung des Verstandes. Diese Kraft geht vielmehr gegen den Verstand an, indem sie über denselben sich erhebt.« (JW VI, 144) 186 Vgl. Brief Jacobis an Roth im Juli 1817 (JBr, 470). 187 »Und da findet nun Aristoteles die Anlage des Menschen zu allen Tugenden in seiner Anlage zur Freundschaft. Zugleich mit der Freundschaft, sagt er, erweitern sich die Begriffe dessen was recht ist« (JW V, 433). »Freunden darf die Gerechtigkeit nicht befohlen werden: aber Leute die gegen einander gerecht seyn sollen, bedürfen der Freundschaft.« (JW V, 434) Freundschaft und Tugend »gründen sich auf Eine und Dieselbe Anlage zu uneigennütziger, freyer, unmittelbarer, und darum unveränderlicher Liebe.« (JW V, 444) – Zur Frage danach, »was es […] heißt, ein Freund oder eine Freundin zu sein«, als paradigmatischer Fall des antisystemischen Einspruchs Jacobis gegen die Transzendentalphilosophie im Namen einer »neue[n] Metaphysik, die dem Erfahrungs- und Handlungsspielraum von Individuen in ihrer irreduzibel konkreten Individualitätt Rechnung tragen kann«, vgl. Sandkaulen (2002), 373 ff. 188 Vgl. auch: »Also vor zwey tausend Jahren lehrte schon Aristoteles: ›Handlungen der Gerechtigkeit und Mäßigkeit wären diejenigen, die so beschaffen wären, wie der mäßige und gerechte Mensch sie ausübte […] Die einzige Richtschnur des Wahren und Guten wäre demnach im Urtheile des gutgeschaffenen Menschen« (JW V 421). – Zum Aristotelischen Freundschaftsbegriff vgl. Sandkaulen (2001) u. (2003).

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freie Handlung des wahren Freundes, d. i. des tugendhaften Mannes, ist ihre Gutheit nach Jacobi hingegen sehr wohl zu ermessen.189 Zum tugendethischen Konzept Jacobis gehört (neben der Zentralität des Charakterbegriffs) dabei unmittelbar auch ein zweites: Ein ›Mann von Charakter‹ zu sein heißt, die wahrhaft moralische Existenz zum Ziel seines ›höheren‹, ›unbedingten Triebes‹ und zum ›Gegenstand‹ seiner ›reinen‹ geistigen ›Liebe‹ zu haben. Das Wesen des tugendhaften Handelns ist die Liebe des Guten und die Freude an seiner Verwirklichung: »Liebestrieb und Lebenstrieb sind Eins.« (JW VI, 92) ›Glückswürdigkeit‹ und Glückseligkeit, moralische Pflicht bzw. sittliches Handeln und wahre Lust sind m. a. W. eigentlich nur die zwei Perspektiven ein und desselben: Von der Tugend kann man sagen, »daß sie die höchste Wollust; von dieser höchsten Wollust, daß sie Tugend, Vollkommenheit – die Seligkeit der Götter sey.« (JW V, 442)190 Allerdings bleibt diese Identität von Tugendhaftigkeit und Glück im

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Während Pylades’ Lüge gut als sittliche Tat eigener Verbindlichkeitt verstanden werden kann, wirft Jacobis gleichzeitiger Verweis auf Desdemonas Verhalten allerdings Fragen auf und deutet eine Grundschwierigkeit des Bemühens an, (reales) moralisches Handeln insgesamt auf das Paradigma der Freundschaft und seine Stetigkeitt und Grundsatzhaftigkeitt auf die Selbstkonstituierung des Einzelnen als ›Mensch von Charakter‹ im Aktt des Versprechens, zumindest als Urbild, zu dem alle sittlichen Verhältnis als ähnlich gelten, zu verpflichten. Es ist nämlich zu überlegen, ob nicht bereits Othello durch seine Bluttat die für den Freundschaftsbund (im edelsten und ursprünglichsten Sinne) konstitutive Symmetrie zweier gleich Tugendhafter aufgehoben hat, so daß Desdemonas Lüge, um ihren Mörder vor Strafverfolgung zu schützen, vielleicht noch auf ihre ›überschwengliche Güte‹, auf caritas oder Billigkeit, vielleicht auch nur auf (sinnliche) Liebe zurückweist, die Ähnlichkeit zum Freundschaftsverhältnis aber schwer zu erkennen ist (schon Aristoteles diskutierte in diesem Sinne das Ende einer Freundschaftsbeziehung durch die Hinwendung des einen Freundes zum Bösen [vgl. Aristoteles: Nikomachische Ethik, IX/3, 214 f.]). Der Freundschaftsbund, der Akt des Versprechens erschiene damit gegen Jacobis Intention für dieses Beispiel selbst als zu exklusiv (wiederum war es im übrigen Aristoteles, der bereits die Seltenheit der Tugendfreundschaft beschrieben hat, vgl. ebd. IX/10, 230, auch VIII/7, 190), um nach seiner Art alle sittlich-verbindlichen Verhältnisse von Menschen begreifen zu können. – Allerdings versucht Jacobi selbst diese beiden in einem Doppelschritt zu stabilisieren, indem er sie eben (1) in der wirklichen und institutionalisierten Sittlichkeit einer Gemeinschaft bzw. in einem beständigen, vermeintlich materialen moralischen Trieb sowie schließlich (2) in Gott als Gesetzgeber und absichtsvoll handelndem Schöpfer fundiert. 190 Auch hier zeigt sich wieder die ebenso frappierende Nähe wie grundsätzliche Ferne von Jacobi und Spinoza. Nicht nur stehen auch bei Jacobi die Begriffe der ›Liebe‹ und ›Freude‹ im Sinne einer Sublimierung der Leidenschaften im Mittelpunkt seiner Ethik, sondern auch Jacobis Freiheitskonzept, wonach die Freiheit eines Menschen in der Verwirklichung seiner beständigen und wesentlichen Begierde des Guten besteht, erinnert im ersten Moment an das Spinozas (vgl. »[W]ir können aber nur das begehren, was unser Vergnügen da zu seyn erhöht, was unserem Wesen in irgend einer Beziehung zuträglich ist. Wer also das Gute beständig begehrt, muß selbst gut seyn, immer beßer u auch freyer werden.« [JKl IV, 75]) – Zugleich wertet Jacobi aber eben gerade auch den Begriff der Tugend und der Freiheit in radikaler Weise um, indem er diese kon-

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endlich-unendlichen ›Mischwesen‹ Mensch, insofern dessen Momente Sinnlichkeit und Geist nach Jacobi eben stets noch in einem Widerspruch verharren, nur Ideal.191 Ihre Wirklichkeit finde sie allein in Gottes Handeln selbst; nur im Vertrauen auf dessen vorhersehende Regierung und in der unbegreiflichen Liebe zu Ihm kann sie auch dem in der Welt verstrickten Menschen zum Ideal, zur Richtschnur und zur Hoffnung dienen.192 ζ) Metaphysik II Gerade Jacobis zentrale Voraussetzung der Freiheit realen absichtsvollen Handelns ist es also, die – insofern es um die Freiheit eines Menschen geht und diese als eine im Vernunftgefühl offenbartee gilt – die Rekonstruktion der Unphilosophie zu einem letzten Schritt zwingt. Erst durch ihn erfährt Jacobis Grundannahme einer Fundierung alles Bedingten und Mittelbaren in einem ersten absolut Unbedingten und Unmittelbaren ihre Vollendung.

stitutiv an das Dasein eines konkreten Menschen als reales Individuum bindet und ihre interne Ordnungsstruktur und Funktionsweise als ›Logik der (End-)Ursache‹ vorführt. Daß ›frei‹ ›absichtsvoll‹ und ›absichtsvoll‹ ›frei‹ zu handeln bedeutet – dies ist der eigentliche (durch die Begriffe ›Trieb‹ und ›Begierde‹ eher verdunkelte) Kern von Jacobis unphilosophischem Widerspruch gegen alle rationalen Systemphilosophien, der sein Konzept – so Jacobi – von allen Philosophien nach Platon grundsätzlich unterscheide (vgl. JW II, 45 ff.). – Insofern ist es nach Jacobi auch nicht die Idealitätt der Versöhnung, die seine und Fichtes (bzw. Kants) programmatisch je antispinozistischen Entwürfe etwa gar zu prinzipiell verwandten im Geiste machte. Denn nur dem unphilosophischen Begriff des Ideals korrespondiert für Jacobi die wahrhaft praktische Vorsehung. Das in unendlicher Annäherung erstrebte Ideal Kants, Fichtes und der Frühromantiker erscheint ihm dagegen letztlich wegen der Rationalität ihrer Strebensbewegung eigentlich nur als Spielart einer auf empirischer Erfahrung gründenden theoretisch-prognostischen Vorausschau. 191 »Aber zu einer solchen Tugend und Vollkommenheit kann der Mensch sich nicht erheben. Er erringt es nicht, daß ihm allein das Schickliche angenehm, das Unschickliche allein und überall zuwider, die Erfüllung jeder Pflicht eine Lust wäre.« (JW V, 442) In der »wunderlichen Klemme« zwischen »Vernunft und Freyheit, die er nicht aufgeben« kann und ihren »Formen, Auesserlichkeiten, Bestimmungen – Sitz der Vergänglichkeit […] die er nicht entbehren kann« (JW V, 429 f.), bedarf der Mensch nach Jacobi zugleich eines Gehorsams gegen Gesetze und Pflicht, der seinen Neigungen stets entgegengesetzt bleibt. 192 JKl V, 37. Vgl. »Ein solches unverbrüchliches Ja und Nein [des Wortes/Versprechens, O. K.] ist aber ohne den festesten Glauben an eine göttliche Vorsehung und Regierung nicht möglich; ich muß überzeugt seyn, daß ich nur meine Pflicht zu beobachten habe, und ein höheres Wesen alles Uebrige alsdann ohne mich zum Besten lenken werde.« (Brief Jacobis an Pestalozzi vom 24.3.1794 [JNach I, 177 f.])

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Die ebenso geheimnisvolle wie wesentliche Mischverfassung des Menschen, zugleich sinnlich-endliches Naturwesen und vernünftig-unendliches Geistwesen zu sein, Naturnotwendigkeit und Freiheit in sich zu vereinen, bedeutet nach Jacobi nämlich nicht nur, daß im menschlichen Dasein die Einheit von Moralität und Glückseligkeit, höherem und niederem Trieb stets gefährdet und unvollendet bleibt. Vielmehr zeigt sie auch die realee Freiheit und geistige Liebe des Menschen selbst als ein bloß eingeschränktes, je konkretes Unbedingtes und Unendliches. Weil der Mensch auch in seinem realen freien (sittlichen) Handeln immer auf seine sinnliche Natur und seinen Verstand bezogen ist, weil er in seinem konkreten personalen Dasein nur zu sich kommt in Relation bzw. Differenz zu einem ›Du‹,193 weil er sich schließlich zwar als fähig erfährt, Veränderungen absichtsvoll hervorzubringen, aber als unfähig, die Materie seiner Produkte oder gar sich selbst als Handelnden bzw. andere handelnde Geistwesen zu erschaffen,194 stelle der Mensch keinen »reine[n] Selbstlaut« dar (JW III, 235 f.).195 Vielmehr sei er sich ursprünglich, notwendig und unmittelbar seiner Differenz zu einem ersten absolutt Lebendigen und ausschließlichh Unbedingten, zu Einem, der der »Alleinige«, »Eine[r] ohne Anderes« ist, inne. Er sieht sich – qua Vernunft als vernehmendess Vermögen – bezogen auf ein erstes absolutt freies Geistwesen als seinen Ursprung und Schöpfer,196 von dem

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Der Mensch »fühlet, erfährt ursprünglich, und kann es auch erkennen, daß seine Selbstständigkeit wie seine Abhängigkeit eingeschränkt ist; daß er eben so nothwendig Einer nur seyn kann unter Anderen, unmöglich ein Erster und Einziger; als er, um zu seyn Einer unter Anderen, nothwendig seyn muß Einer und kein Anderer; ein selbstständiges, ein wirkliches, ein persönliches Wesen. Gott allein ist der Eine der nur Einer ist, der Alleinige; Er ist das Eine ohne Anderes« (JW III, 235 f.). 194 Vgl. »Selbstseyn ist das letzte Ziel aller Menschlichen Bestrebungen, das Ideal der Vernunft – Gott ist in sich und durch sich; alles geht von ihm aus. Sein Wirken ist Erschaffen. Der Mensch erschafft auch, aber er erschafft nur Veränderungen.« (JKl VII, 73) »[D]er von einem denkenden Wesen aus ihm selbst hervorgebrachte Gedanke kann von ihm, dem denkenden Wesen, ausgehen und sich als bildende Kraft beweisen in dem Ungebild, dem Nichtdenkenden, dem Leblosen, dem seinem Wesen nach Uneinen, und in ihm und aus ihm erzeugen wirkliche Dinge, Abbilder des in ihm wohnenden Urbildes; aber das denkende Wesen vermag nicht zu beseelen diese Abbilder, wenn es selbst ein nur erschaffenes, von einem Höheren ausgegangenes Wesen ist. Selbstseyende Wesen ins Daseyn zu rufen, vermag allein Gott, der Allerhöchste« (JW III, 458). 195 Vgl. auch: »Kein endliches Wesen hat sein Leben in ihm selbst; und so auch nicht von ihm selbst – seines Lichtes Flamme, seines Herzens Gewalt. Alle werden ins Leben erst gerufen und erweckt durch etwas außer ihnen; sie empfangen ihr Daseyn; und dieses ihr lebendiges Daseyn stehet auch nicht einen Augenblick in ihrer eigenen Hand« (JW III, 203). 196 Zwar kann es erneut so scheinen, als ob Jacobis Überlegung, daß der ›Liebes‹- oder ›Lebenstrieb‹ (der ›Gottesgeist‹) eines Menschen, der sich als eingeschränkt Unbedingtes erfährt, ein »Faden [sei], den die Seele weder aus Nichts, noch allein aus sich selbst spinnen kann« (JW VI, 92) (und erst recht nicht aus der Natur), selbst eine Manifestation des rational-systemischen

III. Die Unphilosophie als alternative handlungstheoretische Metaphysikk

143

er erst seine eigene Fähigkeit freien Handelns empfängt und dem gegenüber er sich überhaupt allein als darin zugleich eingeschränkt erfahren kann. »Vernunft haben, und von Gott wissen [sind] Eins« (JW III, 400). – Der Glaube als der Modus dieser Vernunftgewißheit ist dabei aber im Realitätsgefälle von Schöpfer und Geschöpf nur »die Abschattung des göttlichen Wissens und Wollens«, der »gebrochene Stral des transcendentalen Lichts, des allein Lebendigen«, »in dem endlichen Geiste des Menschen« (JW II, 55; JBr I, 436),197 der Gott daher sowohl gleich als auch ungleich ist (JW I, 284; II, 55). Insofern sie einander gleichh sind und der Mensch sich wesentlich als eine frei, absichtsvoll und real handelnde Person erfährt, muß eben auch das Absolute als dessen Urbild und Quelle als eine absichtsvoll tätige Intelligenz, d. h. ein persönlicher, aus absoluter und »freier Liebe« (JW VI, 78) die Welt hervorbringender Gott, angesehen werden. Wenn Absicht und Freiheit als Phänomene sui generis nicht schon – so Jacobi – am Anfang und im Ursprung gewesen wären,

Prinzips des ›a nihilo nihil fit‹ (und damit ein Verstandesschluß) sei (vgl. »Ein Aufsteigen v Nichts zu Etwas ist unmöglich. Allem Wesen u Seyn liegt also zum Grunde – der alte Gott.« [JKl VII, 122; Herv. v. V.]). In diesem Sinne behauptet etwa Günther Baum aller Zurückweisung von spekulativen Gottesbeweisen, d. i. wenigstens ihrer Transformation in einen »Analogieschluß der praktischen Vernunft«, durch Jacobi (vgl. JKl VIII, 85) zum Trotz bei diesem doch die implizite Vorausgesetztheit von ontologischem und kosmologischem Gottesbeweis (Baum [1969], 179 ff.). Grundsätzlich sehen auch Reinhard Lauth und Walter Jaeschke bei Jacobi in diesem Sinne einen diesem selbst verborgen gebliebenen Rückfall in die von ihm kritisierte theoretisch-reflexive Philosophie (Lauth [1989c], 310), durch den Jacobis ›vernehmende Vernunft‹ vom »Urlicht« (JW IV/2, XLII) zum »Irrlicht« mutiere (Jaeschke [1999], 155). – Allerdings ist auch hier wiederum unbedingt der von Jacobi reklamierte grundsätzliche Wechsel von der ›Logik des Grundes‹ zur ›Logik der Ursache‹ zu beachten, durch den er eine eigene unphilosophische Anwendung des ›totum parte prius necesse est‹ bzw. des ›Allem Werden muß ein Sein, welches nicht geworden ist, zum Grunde liegen‹ als Prinzip jeder Metaphysik überhaupt macht. – Insofern mit diesem Perspektivenwechsel jeder Erklärungsanspruch hinsichtlich des wirklichen praktischen Daseins eines Menschen storniert ist, wird schließlich die Rede von einem persönlichen Gott, weit entfernt von jeder Schlußfigur, zunächst einmal zur ultimativen Anzeige für die Unableitbarkeit, Verbindlichkeit und Wirklichkeit, die jeder real vernünftig zweckhaft Handelnde unmittelbar erfährt und damit gleichsam zur praktisch-rhetorischen Vollendung einer Metaphysik konkreter Personalität. 197 Vgl. auch: »Ganz und rein kann der Mensch die Wahrheit nicht empfangen; er sieht sie nur im Bilde, in einem Bilde, das ihm gleich ist.« (JW I, 284) Sowie: »So gewiß ich Vernunft besitze, so gewiß besitze ich mit dieser meiner menschlichen Vernunft nicht die Vollkommenheit des Lebens, nicht die Fülle des Guten und des Wahren; und so gewiß ich dieses mit ihr nicht besitze, und es weiß; so gewiß weiß ich, es ist ein höheres Wesen, und ich habe in ihm meinen Ursprung. Darum ist denn auch meine und meiner Vernunft Losung nicht: Ich; sondern, Mehr als Ich! Besser als ich! – ein ganz Anderer […] So lehret mich meine Vernunft instinktmäßig: Gott. Mit unwiderstehlicher Gewalt weiset das Höchste in mir auf ein Allerhöchstes über und außer mir; es zwingt mich das Unbegreifliche – ja das im Begriff Unmögliche zu glauben, in mir und außer mir, aus Liebe, durch Liebe.« (JW III, 35)

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A. Jacobis Vorlage

dann könnten sie nirgendwo sein, dann würde der Mensch durch die vermeintlichen Gewißheiten seines Geistes nur getäuscht werden (vgl. JW II, 123). Ein Gott, der kein Geist wäre, könnte »nicht der Anfang der Dinge [sein,] in sofern sie Wirklichkeit und wahres Wesen haben«, d. h. nämlich selbst ›Geist‹ sind. »Das Erste ist nothwendig überall wo etwas wahrhaft ist, der Geist: es ist kein wahres Seyn noch Daseyn möglich, außer im Geiste und durch einen Geist.« (JW III, 240) – Insofern Gott und Mensch, der menschliche und der absolute Geist allerdings einander auch unähnlichh sind, das Göttliche also in Gefühl und Vernunft notwendig eine menschliche Form und Gestalt erhält, in der es sich sich darstellend zugleich verbirgt (vgl. JW I, 288), ist die Rede von einem Schöpfergott, von der Erschaffung der zeitlich-veränderlichen Welt durch einen aus Vorsehung schlechthin anfangenden ewigen Willen, allein ein ›symbolischer‹, »hart anthropomorphistische[r] Ausdruck« (JBr II, 48). Gerade in der anthropomorphistisch-persönlichen Redeweise soll m. a. W. nicht nur der Spinoza entgegengesetzte Gedanke einer Unabhängigkeit und Transzendenz Gottes zum Ausdruck kommen,198 sondern potenziert sich noch einmal der unphilosophische Versuch, im praktischen Begriff des handelnden Geistes die ›Logik der Ursache‹ als eine Ordnung sui generis darzustellen. Gilt Jacobi der Anfang mit dem immanenten Gott bzw. absoluten Ich als Zeichen für die (auch noch in der Figur einer unendlichen Annäherung waltende) Herrschaft der Logik vermittelten Wissens, so wird ihm die Gewißheit eines persönlichen Schöpfergottes

198

Denn der Gott Jacobis kommt keineswegs erst in unserem Geist zu sich selbst, weshalb unsere ›höhere‹ Liebe, mit der wir Gott lieben, auch nicht identisch ist mit Gottes eigener Liebe. Gott allein und für sich betrachtet istt bei Jacobi vielmehr selbst die absolute »Liebe, weil [er] eine Welt erschaffen, sich außer sich ergossen hat: Ein Ideal – nicht des Egoismus, sondern des Entgegengesetzten: Urbild freier Liebe!« (JW VI, 78, Herv. v. V.) – Vor allem Birgit Sandkaulen hat in diesem Sinne wiederholt auf die Differenz des Bruches bei Jacobi hingewiesen: Das (menschliche) »Dasein« – so Sandkaulen – »ist nicht der modifizierte Selbstvollzug des Seins, sondern ist als enthüllter Ausdruck göttlichen Seins ihm nur analog. Die substantiv persönliche Vernunft, die ›den Menschen hat‹, deutet sich, weil sie sich im Gefühl nicht einholen kann, als ein geschaffenes Bild des persönlichen Gottes. Dieses analogische Bild-Sein des Daseins verhindert in der Schöpfungsdifferenz von Urbild und Abbild, daß die in der Grundlosigkeit der Freiheit vernommene Voraussetzung des Wahren je als das Wahre selbst präsent sein könnte. […] [E]s steht immer schon im Bruch des individuellen Ausdrucks. Präsenz der Wahrheit gibt es nur in der Wissenschaft, die Wahrheit konstruktiv vermittelnd hervorbringt – damit aber, wie Jacobi meint, ein Bild hervorbringt, das Nichts darstellt, oder nur das Konstruieren selbst. Unphilosophisch im Unmittelbaren einer Vernunft des Gefühls sich zu halten, ist etwas anderes. Es bedeutet, das Dasein aufzuklären: darüber nämlich, daß das Wahre in ihm auf anwesende Weise abwesend – oder umgekehrt auf abwesende Weise anwesend ist.« (Sandkaulen [1997], 364) – Bei Jacobi bleibe es also bei der »Differenz der Andersheit« von Vernunft und vernommenem Wahren: nur bei Fichte (intellektuelle Anschauung) und Spinoza (amor Die intellectualis) falle das Absolute mit seiner Vergewisserung zusammen, sei es – wie Jacobi ausführt – ein nur sich selbst vernehmendes Vernehmen (Sandkaulen [2000], 258).

III. Die Unphilosophie als alternative handlungstheoretische Metaphysikk

145

im Gegenteil zur ultimativen Manifestation der absichtlichen und konsequenten Stornierung aller Erklärungs- und Beweisversuche im Blick auf Unendlichkeit, Freiheit und Realität des Daseins. Gerade die ›gebrochene‹ Rede vom vorsehend handelnden Gott führt für Jacobi also auch erst endgültig aus der idealen oder faktisch-realen Wechselsetzungg von Real- und Idealgrund heraus und verbürgt mit der Transzendenz der Freiheit zugleich den Vorrangg und Vorgängigkeit des Realen, stellt das Unbedingte als Grund aller Realität letztlich nicht wie Kants Idee Gottes und Fichtes Idee des absoluten Ich im Modus eines bloßen »Wunsch[es]« oder eines »müssige[n] Postulat[s]« dar,199 sondern als »das Sicherste und Gewisseste, aus dem unser eignes Daseyn [als wirkliches] hervorgieng« (JW III, 194). – Vor Hegel ist sich m. a. W. Jacobi also bereits wohlbewußt, daß sowohl die Redeweise von der Unbegreiflichkeit der freien Handlungskausalität des Menschen als auch die darstellungslogische Einführung der unphilosophischen Perspektive der Freiheit als Widerspruch gegen eine deterministisch-fatalistische Philosophie noch den Schatten der Negativität an sich tragen und damit am Negierten partizipieren. Von dieser Beziehung befreit für Jacobi schließlich erst in dem Maße die Rede von einem selbst ›unbegreiflich‹ und ursächlich handelnden Schöpfergott, wie sie ihn als eigenes, absolut positivess Prinzip von Freiheit, Liebe und Glauben (›Nichtwissen‹) behauptet. Die Abgründigkeit menschlicher Freiheit, die Unzulässigkeit einer erklärenden Antwort auf die Frage nach dem Prinzip der Freiheit selbst,200 findet ihren Ausdruck also in der Anerkennung eines ersten, nicht nur selbst ganz und gar Unerklärlichen, sondern, wie ja Jacobi explizit hervorhebt, unphilosophisch tatsächlich bewußtt auch nur ›symbolisierend‹ d Anvisierten. Weil jede erklärende Rede im Angesicht des Unbedingten ungenügend ist, ist gerade diejenige, die philosophisch als unangemessenste gilt, die geeignetste zur Markierung des Geheimnisses der Freiheit. »[H]ier« – so Jacobi in einem Brief an Reimarus vom 29.12.1790 –, »wo jeder, auch der entfernteste Versuch, durch Analogieen einer wirklichen Einsicht näher zu kommen, dem Irrthum entgegenschreitet, ist der hart anthropomorphistische Ausdruck, als offenbar symbolisch, der Vernunft – die entgegengesetzte Wirkungsarten nie kann assimiliren wollen, – der liebste.« (JBr II, 48)201 Eine Erklärung, wie man diese vorsehende Schöpfung durch Gott, die sich von unserem zeitlich

199

In diesem Sinne hatte Fichte etwa in einem Brief an Jacobi aus dem Jahr 1795 behauptet, daß Gott nichts anderes sei als das nach außen projizierte, im endlichen Ich qua kategorischem Ich und Gewissen aufzufindende reine (absolute) Ich (vgl. Brief Fichtes an Jacobi vom 30.8.1795 [GA III,2 392]). 200 Der Kardinalfehler der Systemphilosophie als Metaphysik bestand in diesem Sinne nach Jacobi ja gerade darin, daß sie noch dem Prinzip des Mechanismus des rationalen Bedingungsgefüges einen Grund aufzufinden – besser: zu konstruieren – versuchte. 201 Zur Bedeutung des Anthropomorphismus als ›analogisierender‹ Rede ›sui generis‹ vgl. Sandkaulen [2000], 262 f.

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A. Jacobis Vorlage

gebundenen absichtsvollen Handeln als ewiges gerade fundamental unterscheiden müßte, näher zu verstehen habe, ist, dieser Konstellation gemäß, selbstverständlich erst recht vollkommen unmöglich und wird von Jacobi darum konsequenterweise auch nirgends versucht. Jacobis Annahme eines persönlichen Schöpfergottes als erste vorsehende Ursache und noch Quelle der geheimnisvollen Unbedingtheit menschlicher Handlungsfreiheit läßt sich daher also ganz wesentlich als rhetorischee Frucht der Polemik gegen alles ein-einheitsphilosophische Systemdenken auffassen. Die Behauptung einer absoluten personalen Ursache bezieht m. a. W. ihre Plausibilität vor allem und unmittelbar aus der Annahme eines bloß immanenten, blind und streng notwendig wirkenden absoluten, ›Gott‹ genannten, Prinzips und der Unannehmbarkeit dieses Gedankens selbst und insbesondere seiner Konsequenzen für unser Selbst- und Weltbild. – Daß die Lage bei Jacobi über weite Strecken wirklich so verstanden werden kann, zeigen die verschiedenen Inszenierungen der Gottesfrage sehr deutlich, die alle nur Modifikationen des ›unmittelbaren Schließens aus dem Fatalismus gegen den Fatalismus‹ sind (Schlüsse im übrigen, die sich zunächst deshalb auf der Ebene des absoluten Prinzips des Fatalismus zu bewegen scheinen, d. i. in bezug auf den Gottesbegriff stehen, weil eben Spinoza, weil die konsequente ›Systemphilosophie‹ diese Sphäre (notwendig) denkt). – Zur Natur Gottes als dem kardinalen Schlußstein des Streits heißt es etwa bei Jacobi: »Die Frage war, ob die Ursache der Welt, das ist, das höchste Wesen, bloß eine ewige unendliche Wurzel aller Dinge, eine natura naturans, eine erste Springfeder; oder ob sie eine Intelligenz sei, die durch Vernunft und Freiheit wirke; und da war meine Meinung: diese erste Ursache sei eine Intelligenz.« (Spin 238; vgl. 249/307) »Hier im Mittelpunkt des Unbegreiflichen, wo es dich ganz umgiebt, besinne dich und wähle, ob du dich mit diesem Unbegreiflichen in Freundschaft oder Feindschaft zu befassen habest. Suchest du nicht überall ein erstes; und kann ein erstes je begriffen werden? Und was wäre dir das erste, wenn es nicht Ursache wäre? – Und was wäre dir Ursache – wenn sie wäre, was nie ist?« (JW III, 242; Herv. v. V.; vgl. auch JW III, 49/233) – Die Frage, ob die Annahme eines absoluten Anfangs der Welt selbst überhaupt ein sinnvoller Gedanke ist, stellt sich in dieser Diskussionslage hingegen für Jacobi gar nicht. Gerade die polemische Verwiesenheit auf das ein-einheitsphilosophische Systemdenken bewirkt also, daß Jacobis antisystemisches Projekt sich mit dem fraglosen Gedanken eines schlechthin ersten Anfangs und absoluten Realen auf eine auf den ersten Blick merkwürdige Weise selbst an die Gestalt eines Systems anzulehnen scheint. – Jacobi ist jedoch überzeugt, trotz der weitreichenden strukturellen und begrifflichen Übereinstimmungen (vor allem mit Spinozanischen Figuren), die Idee eines (un-)philosophischen Systems in dem Maße zugleich jederzeit auf das entschiedenste zurückweisen zu können, wie die Unphilosophie die radikalste Umwertung seines Prinzip- und Relationalitätsverständnisses behauptet, d. i. wie sie von der ›Logik des Grundes‹ zu einer ›Logik der Ursache‹ überzugehen versucht. Jacobis

III. Die Unphilosophie als alternative handlungstheoretische Metaphysikk

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Rede von der Unphilosophie als einem »System der Endursachen« (Spin 248, Herv. v. V.), obwohl es als solches zugleich nur in einem weiten Sinne (nämlich: Metaphysik überhaupt zu sein und dem ›Totum parte prius esse necesse est‹ zu unterstehen) seine Bezeichnung als ›System‹ mit dem rational-monistischen System der Gründe teilt, stellt sich ihm daher in der Tat als ihre angemessene Charakterisierung dar. Sie offenbart nämlich die grundlegende Nähe und Ferne von Systemphilosophie und Unphilosophie – und benennt zudem scharf den Punkt, um den der Streit im Innersten geht – den Punkt, in dem die vermeintliche mimetische Nähe sich als qualitative Andersheit zeigen soll. Es ist nach Jacobi vielmehr diese Andersheit, durch die die Relation von Urbild und (gebrochenem) Abbild und damit alle strukturellen Ähnlichkeiten zwischen Unphilosophie und Systemphilosophie überhaupt allererst möglich werden.

B. DIE PHILOSOPHISCHE DOPPELSINNIGKEIT VON HUMOR ISTISCHEM SPIEL UND POETISCHSITTLICHEM ER NST  JEAN PAUL AUF DEN SPUR EN JACOBIS

Als Jean Paul im Oktober 1798 den Briefwechsel mit Jacobi eröffnet und sich emphatisch zu ihm als ›Lehrer‹ seines ›Innersten‹ und ›Beschützer‹ des Glaubens seines Herzens bekennt,1 beginnt für beide nicht nur eine Zeit des intensiven Kontaktes. Vielmehr wird Jean Paul in den folgenden Jahren auch seine theoretischen Hauptwerke zur Ästhetik und Pädagogik sowie vor allem mit dem Roman Titan auch einen, wenn nicht den zentralen literarischen Text seines schriftstellerischen Werkes verfassen.2 Dieser enthält zudem mit der Clavis Fichtiana seu Leibgeberiana Jean Pauls bedeutendste philosophische Schrift. Diese Hochphase literarischer, poetischer, aber auch philosophischer Produktivität ist, so zeigte bereits Jean Pauls Briefwechsel mit Jacobi an, historisch ganz wesentlich durch die Bekanntschaft mit Jacobis Schriften mitinitiiert und sachlich durch sie geprägt. Der Briefwechsel verstärkt diese Verbundenheit noch einmal. Denn sein Hauptinhalt sind nicht nur grundsätzliche philosophische Verständigungen und Bestätigungen, gerade auch über ihre gemeinsame Gegnerschaft zum transzendentalen Idealismus, sondern auch konkrete kritische Reaktionen und Reflexionen Jacobis auf Jean Pauls neuentstehende Texte. Trotz lebenslang wiederholter Bekenntnisse Jean Pauls zur Jacobischen Philosophie und einer großen Beständigkeit der reifen Position Jean Pauls ist der Zeitraum um 1800 sicherlich die Phase in seinem Leben und Werk, die durch eine besonders intensiv ausgeführte Nähe zu Jacobi als seinem philosophischen ›Mentor‹ gekennzeichnet ist. Dies gilt neben der Kritik an allen »kritische[n] und fichtische[n] Strudel« ebenso für die gemeinsame »Anbetung des Götlichen«,3 mithin für die Überzeugung, wie es noch 1816 bei Jean Paul heißt, daß uns durch eine höhere Vernunftanschauung das Göttliche, Freiheit, Tugend und Gott als Person, als sicherste Wahrheit und Realität gegeben

1

Brief Jean Pauls an Jacobi vom 13.10.1798 (JPSW III/3, 106). In diesem Sinne erklärt Jean Paul den Titan bereits im Anfangsstadium seiner Entstehung zu seinem »Haupt-Werke«, auf das er seine »halbe Seele aufspare« (Brief Jean Pauls an Emanuel vom 2.4.1796 [JPSW III/2, 171]). Ähnlich heißt es auch noch 1802 über den Titan: »Nur dies Werk und meine philosophischen und ästhetischen Briefe vergönne mir Gott gar zu schreiben; dan will ich hinfahren« (Brief Jean Pauls an Jacobi vom 13.-16.8.1802 [JPSW III/4, 168]). – Der Plan der ›ästhetischen Briefe‹ führt schließlich zur Vorschule der Ästhetik, von der Jean Paul ausdrücklich herausstellt, daß er in ihr »oft an oder in das heilige Land« komme, wo Jacobis Seele wohne (Brief Jean Pauls an Jacobi vom 30./31.1.1804 [JPSW III/4, 273]). 3 Briefe Jean Pauls an Jacobi vom 3.12.1798 (JPSW III/3, 129) u. vom 13.10.1798 (JPSW III/3, 107). 2

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B. Jean Paul auf den Spuren Jacobis

seien, von denen alle endlichen Wahrheiten und Realitäten sich diese allererst erborgen.4 – Allerdings liegt der Beginn des Einflusses Jacobis und der Übereinstimmung in ihren philosophischen Grundüberzeugungen schon gut zehn Jahre früher. Denn gute Gründe sprechen dafür, auch das zeigte sich bereits, daß der im Februar 1789 von Jean Paul an Pfarrer Vogel mitgeteilte ›Umbau‹ seines philosophischen ›Gebäudes‹ auf die Lektüre von Jacobis Schrift David Humee zurückgeht. Zu diesem Zeitpunkt war Jean Paul darüber hinaus ebenfalls bereits mit der Erstauflage der Spinozabriefee Jacobis vertraut.5 Die Bekanntschaft mit Jacobis frühen philosophischen Hauptwerken fällt damit just in den Zeitraum, in dem sich Jean Paul auch literarisch neu orientiert und vom Satiriker zum Autor vorwiegend humoristischer Romane entwickelt. Deutliche Spuren der philosophischen Affinität zu Jacobi bereits in seinen um 1790 entstandenen Texten6 zeigen an, daß neben äußeren Anlässen und den Erfordernissen des Literaturmarktes sachlich auch diese literarische Neuorientierung mit der Übernahme wesentlicher Gehalte der Philosophie Jacobis zusammenhängt. Denn gerade eine an der Individualität des Einzelnen und der Konkretheit sittlichen Handelns interessierte, ausdrücklich antisystemische,

4

Brief Jean Pauls an Jacobi vom 25.-27.1.1816, (JPSW III/7, 55 f.). Dies dokumentieren Jean Pauls Exzerpte aus den Jahren 1787/88 (vgl. Schmidt-Biggemann [1975], 269). 6 Zwar behauptet Jean Paul in seinem Eröffnungsbrief an Jacobi, daß dieser wohl aus seinen bisherigen Werken »nur wenig errathen [könne], wie viel mein Herz und mein innerer Tag den ihrigen schuldig ist« (JPSW III/3, 106). Doch handelt es sich bei dieser Aussage eher um einen Ausdruck von vorsichtiger Bescheidenheit. Denn im Gegensatz dazu hebt Jean Paul in der Widmung der Claviss ausdrücklich hervor, daß ihre einander »geschriebenen Briefe […] nur die Nachfahrer unserer gedruckten« seien. Er habe Jacobi »früher oder länger geliebt […] und weit gründlicher« (Cl 1018). – Auch finden sich vor 1798 in Jean Pauls Briefwechsel bereits unmißverständliche Bekenntnisse zu Jacobi. So erklärt er sich 1794 ganz einig mit Jacobi in der Ansicht, daß der reine Wille die Ahnung eines sittlichen Gegenstandes, d. h. eine geistige Begierde, zur Leitung brauche. »[I]nwiefern nun das [der transzendente moralische Gegenstand, O. K.] Gott und Glükseligkeit ist«, so ergänzt Jean Paul in der Überzeugung vollständiger Übereinstimmung, »das kann Jakobi ausführen« (Brief Jean Pauls an Christian Otto vom 5.-16.11.1794 [JPSW III/2, 35 f.]). – Vor allem Schmidt-Biggemann kommt das Verdienst zu, für die Schriften Jean Pauls aus dem Zeitraum um 1789/90 deutliche Analogien zu Jacobi markiert und besonders auch auf die Nähe im gemeinsamen Ausgang vom zentralen philosophischen Interesse an der Personalität des Ich/Einzelnen hingewiesen zu haben: Durch Jean Pauls Jacobi-Lektüre werde die in seinen frühen Satiren seit 1784/85 bereits virulente Frage nach der Personalität »zunehmend weniger psychologisch« behandelt und allmählich »zum Metaphysicum« (Schmidt-Biggemann [1975], 270). Bereits im zweiten Teil der Teufelspapieree übertrage Jean Paul in diesem Sinne die metaphysische Frage nach der Identität der Person auf die Teufelsfigur und diskutiere die Frage nach Identität des Ich »als Gedankenexperiment in exakter Analogie zu Jacobis Vorstellung von Kants Philosophie« (ebd., 273). 5

B. Die philosophische Doppelsinnigkeit

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transrationale Position drängt nicht nur allgemein in Literatur und alternative Darstellungsformen, sondern speziell auch in die Narration als Geschichte handelnder Menschen.7 Trotz der eigenen Charakterisierung als ›Umbau‹ bedeutet die literarische und philosophische Neuorientierung philosophisch-sachlich und bezogen auf die meisten Grundmotive von Jean Pauls Denken gleichwohl keinen alleinigen scharfen Bruch. Die Lektüre der Schriften Jacobis und der Anschluß an seine philosophischen Überzeugungen erfolgt vielmehr vor einem weitgestreuten Hintergrund der philosophischen Entwicklung Jean Pauls, in dem für Interessen, Problemlagen und Lösungsangebote der Jacobischen Philosophie bereits vorgearbeitet ist. Denn von Jugend an war nach Jean Pauls eigenem Zeugnis mehr als ein Jahrzehnt lang die Philosophie sein hauptsächliches Interesse gewesen,8 so daß er über umfangreiche Kenntnisse verfügt, so der Wolffschen Schulphilosophie, des deutschen Barockplatonismus, aber auch von Schriften Lessings, Popes, Reimarus’, Jerusalems, Swifts, Rousseaus, Voltaires etc.9 – Dabei sind vor allem drei Problem- und Motivfelder besonders hervorzuheben, die in unterschiedlicher Weise an zentralen Stellen ihre Fortführung in Jean Pauls reifem philosophischem Konzept erfahren, insofern sich dieses an Jacobi anlehnt und mit ihm übereinzustimmen beansprucht. (1) Besonders intensiv, so läßt sich zeigen, ist zunächst vor allem die Beeinflussung des jungen Jean Paul durch Motive der Leibnizischen Philosophie und der ihm bekannten leibnizianischen Schriften der Schulmetaphysik.10 Diese manifestiert sich bereits in den 1780/81 entstandenen Übungen im Denken (JPW II/1, 34– 116), in denen Jean Paul verschiedene leibnizianische Motive ausprobiert. Bedeutsam ist diese Nähe zu Leibniz einerseits, weil Jean Paul, wenn auch mit gewissen Modifikationen, zeitlebens der Philosophie Leibniz’ verbunden bleibt. Andererseits bestehen aber ebenso, so deutete sich an, einige Affinitäten zwischen Jacobi und Leibniz, gerade auch in Hinsicht auf die Individualitätsfrage und damit bezogen

7

In diesem Sinne bemerkt auch Schmidt-Biggemann, daß mit Jean Pauls Wendung zur Sicherheit des Vernunftgefühls und der nur im Gefühl sich selbst gegebenen »menschliche[n] Person als Garant der Wahrheit« sich die Form des Romans bzw. der »Biographie« aufdränge, weil »[e]inzig die Biographie […] die Entwicklung und damit die Möglichkeiten des Gefühls darstellen [konnte], das am Ende Indiz von Wahrheit war.« (Schmidt-Biggemann [2000] in: JPW II/4, 284) 8 Vgl. Briefe Jean Pauls an Jacobi vom 3.12.1798 (JPSW III/3, 131) u. vom 4.10.-11.11.1799 (JPSW III/3, 253). 9 Vgl. Schmidt-Biggemann (2000), JPW II/4, 275. 10 Dies gilt ganz unabhängig von Zweifeln daran, ob Jean Paul Leibniz’ Schriften vor 1782 im Original bekannt waren. (Vgl. »In den erhaltenen Exzerptbänden bis 1782 fehlt jeder Hinweis auf eine selbständige Lektüre der Originalschriften von Leibniz.«, Weigl [1980], 119.)

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B. Jean Paul auf den Spuren Jacobis

auf das Zentrum der unphilosophischen Position.11 Jean Paul selbst hat diese Nähe sehr wohl bemerkt und ausdrücklich markiert: Oft, so schreibt Jean Paul in einem Brief 1810, würde ihn Leibniz, den er gerade mit großem Gewinn wieder lese, an Jacobi erinnern.12 Folgerichtig werden bereits in den Übungen im Denken Problemfelder greifbar, die auch für Jean Pauls explizit mit Jacobi in Verbindung gebrachte reife philosophische Position zentral bleiben: Das ist zum einen der letztlich holistische Gedanke der Harmonie zwischen allen unseren für wahr gehaltenen Sätzen, der auf die Idee der systemischen Verfassung unseres Wissens verweist: Der Mensch gehe, so Jean Paul, immer auf ein ›Ganzes‹ aus (JPW II/1, 39 f.) bzw. auf ein ›System‹ (JPW II/1, 58). Dieses erscheint Jean Paul jedoch bereits in jungen Jahren als grundlegend ambivalent: Denn nichts könne zugleich »mer irre füren, als eben dieses [das System]«, weil wir uns dabei die Dinge letztlich nicht mehr so vorstellen, »wie sie sind, sondern wie wir sie in unser System hinein haben wollen« (JPW II/1, 58)13 bzw. wie wir sie aufgrund der eingeschränkten Natur unseres Erkennens zu uns vermeintlich noch Begreifbaren machen. Das systematische Streben nach Totalität führt also dazu, so heißt es im Text Die Wahrheit – ein Traum, daß wir an die Stelle der unsere jeweilige Erkenntniskraft übersteigenden Wirklichkeit nur eigene, »Hypothesen« oder »Demonstrationen« genannte ›Träume‹ setzen (vgl. JPW II/1, 95 ff.). – Dabei legt Jean Paul nicht nur Wert auf die Wirklichkeit und Besonderheit der einzelnen Gegenstände, die im System durch unzureichende oder gar falsche ideale Konstruktionen aufgelöst zu werden drohen, sondern markiert zudem die Individualität jedes Menschen und des ihm eigenen Systems von

11

Auf Bezüge des Individualitätskonzeptes Jean Pauls wie Jacobis auf Leibniz’ Monadenlehre weist ebenso Schmidt-Biggemann hin: Die Grundfigur in den Überzeugungen des jungen Jean Paul sei nichts anderes als die leibnizianische Vorstellung persönlicher Identität, »die Gegensätze nur dann verträgt, wenn sie unter einem höheren Begriff zusammengefaßt werden können […] Der Mensch ist als Person integriertes Ganzes aus rational-psychologischen Gegensätzen; Triebe gegen Vernunft, Moral gegen Sinnlichkeit.« Das Bewußtsein der eigenen Identität sei der Bezugspunkt aller Vorstellungen, die durch »kalkuliert[e] Assoziation miteinander verbunden seien, zugleich aber ein über die »assoziative Kausalität« hinausgehendes ästhetisches ›je ne sais quoi‹ voraussetze (Schmidt-Biggemann [1975], 106 f.). – Auch Jacobis Wiederbelebung des Personenbegriffs erfolge unter Rückgriff auf Leibniz’ Monadenbegriff, bei dem er allerdings den Leibnizischen Mechanismus vernachlässige und ihn dafür mit dem Lebensbegriff verschmelze. Die Attraktivität der Monadenlehre liege dabei im Charakter der Monade als individueller Substanz bzw. »spontanes Kraftprinzip«, wodurch ihr Aufgehen in einer Logik der bloßen Vermittlung verhindert werde (ebd., 264 f. u. 67). 12 Brief Jean Pauls an Jacobi vom 18.12.1810 (JPSW III/6, 161). 13 Daher, so bemerkt schon Schmidt-Biggemann, ist bereits für den Jean Paul der frühen Satiren eine »Exzerptenenzyklopädik«, die häufig als Tagebuchnotizen oder in aphoristisch-witziger Form auftritt, charakteristisch. Die in ihr waltende »Emanzipation des Details vom Druck geschlossener Systeme« (Schmidt-Biggemann [1975], 105) wird schließlich ein entscheidendes Moment noch des Humorbegriffs des reifen Jean Paul bilden.

B. Die philosophische Doppelsinnigkeit

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Überzeugungen. Derselbe Gedanke bzw. dieselbe Idee sowie derselbe praktische Trieb realisieren sich bei verschiedenen Subjekten auf unzählige verschiedene Weisen. Universelle Gesetze seien mithin zu allgemein, um den Einzelnen gerecht zu richten (JPW II/1, 69 ff.): »Nur der kurzsichtige Moralist bestimmt für all’’ eine ewigee Regel des Rechts, die er blos für sich allein bestimmen solte.« (JPW II/1, 113 f.) Dem korrespondiert schließlich auch die Idee von der Gleichrangigkeit aller Religionen bzw. religiösen Vorstellungen des Einzelnen, bezogen auf die eine, im leibnizianischen Kontext noch als sicher angenommene göttliche Wahrheit; jede Religion sei nach Ort und Zeit und individueller Verfassung die je beste (JPW II/1, 62 ff.). – Eine Erkenntnis der Unendlichkeitt Gottes als solche gilt dabei zugleich als für menschliche Begriffe unmöglich; daher könnten wir diesen nur ›anbeten‹ und ›lieben‹ (JPW II/1, 37 f./47). Wegen dieser grundlegenden Differenz zwischen dem unendlichen Wesen Gottes und der uns begreifbaren, je konkreten und eingeschränkten Aktualisierungen seiner Wahrheit konstatiert daher bereits der junge Jean Paul einen Irrtum Spinozas, insofern er »seinen Got mit der Welt vermischte« und dadurch die Differenz von Unendlichkeit und Endlichkeit depotenzierte (JPW II/1, 100).14 Denn nicht einmal von uns selbst als Geistwesen, also von uns insofern wir unendlich und unbedingt sind, hätten wir mehr als »nur leere Worte oder Schatten«: »Ich bin mir ein unerforschlich Ding. Ich bin mir unbekannter, als alles was mich umgiebt. Ich schaudere, wie ich so ungewonte Dinge füle, wenn ich mich einmal selbst erblikke.« (JPW II/1, 84 f.) (2) Diese Einschränkung unserer Erkenntnis von uns selbst und anderer Geister hängt dabei für Jean Paul offensichtlich mit der Bezogenheit unserer geistigen Verfassung und unserer geistigen Wirkungen auf unseren Körper zusammen (JPW II/1, 47). Die Frage nach dem Verhältnis von Geist-Körper bzw. Leib-Seele ist, so haben bereits die Untersuchungen von Schmidt-Biggemann und Gerabek herausgehoben,15 die vielleicht entscheidende Problemstellung des jungen Jean

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Dabei diskutiert der junge Jean Paul in den Rhapsodien auch das Problem des Spinozanischen und philosophischen Atheismus, dem er zumindest dafür Respekt zollt, daß er ein Erkenntnisirrtum aus geistiger Stärke des eigenen Denkens heraus sei, das die »steilsten Höhen der Wahrheit erklimmen« wolle. Er lasse sich, so ist Jean Paul zunächst noch überzeugt, philosophisch widerlegen bzw. »unmöglich machen«. Insofern sein Irrtum offenbar darin besteht, daß er als Beweggründe der Tugend allein Eigennutz und »zeitliche Vorteile« ansehe, kann seine Widerlegung aber auch hier eigentlich bereits nur im Aufzeigen höherer ›ewiger‹ Handlungszwecke bestehen, nicht in logischen Demonstrationen (Jean Paul: [Rhapsodien], ] JPW II/1, 291–293; vgl. auch Jean Paul: Vergleichung des Atheism mit dem Fatalism, JPW II/1, 1083–1085). 15 Schmidt-Biggemann (1975), Gerabek (1988). – Dabei stellt gerade Schmidt-Biggemanns Interpretation der Jugendsatiren Jean Pauls nicht nur eine sehr kenntnisreiche Rekonstruktion der Problematik des Verhältnisses von Leib und Seele, Körperlich-Natürlichem und Geistig-Vernünftigem vor einem breiten Hintergrund der europäischen Philosophiegeschichte dar. Vielmehr zeigt die von ihm mit Jean Paul gewählte Zuspitzung auf den Gegensatz von ›Maschine‹ und

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Paul. Sie zieht sich dann aber auch, dies läßt sich bspw. an der Humoristengestalt Leibgeber-Schoppe, aber auch an den ›hohen Menschen‹ studieren, durch sein ganzes späteres Werk. Dabei zeigen seine Jugendwerke an, daß Jean Paul mit verschiedenen Lösungen experimentiert oder sie kritisch durchspielt. Einerseits versucht er Leibniz’ Nachweis zu folgen, daß keine Materie existiere, sondern alles Geist sei, nur durch Stufen voneinander verschieden (JPW II/1, 46). Teilt er als Grundlage seiner Poetologie später mit Jacobi die Überzeugung vom Primat des Geistigen und Freien und von dessen anverwandelndem Übergreifen auf das Natürliche und Sinnlich-Verständige im Menschen, wirken darin ohne Zweifel noch Intuitionen des Leibnizischen Idealismus mit. Und dies ist eben auch der Fall, wenn er die Individualität als solche mit Jacobi als eine genuin geistige auffaßt, die er darum theologisch gewendet zugleich mit der Überzeugung von der Unsterblichkeit der Einzelseele über das körperliche Ende hinaus in Verbindung bringen kann.16 Andererseits erscheint Jean Paul die Einwirkung äußerer Dinge auf unsere Seele als Grund unserer Willensbestimmungen jedoch so stark gegen die Wirklichkeit unserer (vernünftig-zweckbestimmten) Freiheit zu sprechen

›Teufel‹ zugleich deutlich die beim jungen Jean Paul vorhandenen Präformationen der bei Jacobi behaupteten Alternative von Spinozismus und Unphilosophie: Einander gegenüber ständen sich bei Jean Paul, so Schmidt-Biggemann, das mechanistische ›Maschinenmodell‹ der offiziellen Wissenschaft, die die Welt als selbstgenügsamen immanenten, streng notwendigen Zusammenhang effizienter Kausalität begreife, und – unter dem Stichwort des ›Teufels‹ – der ältere vorcartesische Gedanke einer in der Welt wirksamwerdenden finalen Kausalität eines freien, intelligenten Wesens (Schmidt-Biggemann [1975], 20). Während in jenem ein Wahrheitsbegriff im Sinne der Konsistenz herrsche und jedes Glied in der Welt nur hinsichtlich seiner Funktion für das Weltganze in den Blick komme, besitze in diesem die Einzelheit unabhängig von ihrer Funktion und Gründung im Ganzen eine »substanzielle Bedeutung« (ebd.). Jean Paul selbst identifiziere sich zunächst mit dem Maschinenmodell und depotenziere Teufelsvorstellung und Aberglauben (ebd., 169). Doch bleibe die »Auflösung der Person des Teufels in psychologische ›Mechanismen‹« in den Satiren Jean Pauls für ihn selbst unbefriedigend, weil sich ein nicht vollständig in effiziente Kausalität auflösbarer »Erklärungsüberhang« und »Mythenrest« in Form des Problems des persönlichen Anfangens, d. i. der Freiheit, zeige. Allerdings führe dies bei Jean Paul in den 1780er Jahren nicht zur Restitution der alten vorkantischen metaphysischen Konzeption, sondern vielmehr einerseits zum Spielerischwerden der satirischen Teufelswiderlegungen, was bereits auf den Humor vorausweise (ebd., 250), und andererseits zu satirischen Aufhebungen der Universalität des Mechanismus, wie im Text Menschen sind Maschinen der Engell (ebd., 252), und damit zur Kritik der Anwendung der Maschinenmetapher auf den Menschen sowie auf Gesellschaft und Staat (ebd., 244). In diesem Sinne verschärften schließlich Jean Pauls Texte um 1790 die von ihm bei Jacobi gefundene Argumentation, daß eine apriorische Deduktion »die ehemaligen Fixpunkte des ›metaphysischen Ternars‹ Gott, Mensch, Welt aus ihrer substanziellen Eigenständigkeit in eine Einheit« absorbiere (ebd., 23). 16 Wobei Jean Paul allerdings wohl davon ausgeht, daß die ›überlebende‹ Einzelseele, insofern sie Einzelseele ist, auch in der ›zweiten Welt‹ mit einem (sublimierten) Leib verbunden ist (vgl. KT 609).

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(JPW II/1, 83 f.), daß er eine Zeit lang sogar einem Determinismus anhängt.17 In ähnlicher Weise erscheint es ihm auch bei der Annahme eines Parallelismus von Geist und Körper um die Willensfreiheit schlecht bestellt. Wie wir gesehen haben, bildet dieser Gedanken ebenso ein entscheidendes Argument von Jacobis Spinozakritik: Es sei nicht ausgemacht, so Jean Paul, ob der menschliche Geist nicht nur ein »automatum spirituale« bilde, ähnlich wie der Körper eine »leibliche Maschine« sei; zumindest stehe der Mensch aber (auch im Leibnizischen System) unter der »Regierung Gottes«, dem er nicht zuwiderhandeln könne (JPW II/1, 113).18 – Diese differenten Überlegungen zusammennehmend, entwirft schließlich der junge Jean Paul bereits in der ›Übung‹ mit dem Titel »Etwas über den Menschen« (1781) das Bild des Menschen als eines Wesens mit »zwei Seiten, welche immer getrent erscheinen, und die doch nur zusammengenommen seine Gestalt ausmachen«: Daher stelle seine Einheit nur eine fragile und wunderbare dar, woraus folgt, daß der einzelne Mensch sich selbst im Wissen eben nie ganz durchsichtig wird (JPW II/1, 174). Während sein Körper ihn zum Erdenwesen bestimme, sei der Mensch durch ›Gefühl‹, ›Herz‹, ›Tugend‹ und ›Geist‹ ein (wenn auch »unreifer«) »Himmelsbewoner«: »Er ist«, so präsentiert bereits der junge Jean Paul eine kontinuierliche Grundüberzeugung seiner Anthropologie, die auffallend an Jacobis These von der menschlichen Mischverfassung erinnert, »weder für diese Erde; denn er hat Augenblicke, wo er den Himmel in sich fült – er ist auch nicht für eine andre Welt, weil er oft für diese zu gering ist. Kurz, er ist ein wunderbares Mittelgeschöpf, das sich ein Rätsel bleibt, von dem er nicht mer weis, als das: daß es unauflöslich ist.« (JPW II/1, 193)19 Zugleich behauptet Jean Paul gegen die Annahme des psychophysischen Parallelismus dabei bereits in den 1780er Jahren

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Der junge Jean Paul, so Harich, habe »unter dem Einfluß von David Hartley, noch vor der Spinoza-Debatte und im Gegensatz zu dem Gros der Popularphilosophen, die Willensfreiheit verneint« (Harich [1970], 92). Ebenso zeigt Jean Pauls Tagebuch meiner Arbeiten eine zeitweilige Affinität zum Materialismus von Helvetius (JPW II/1, 195–253). 18 Vgl. »Sie halten Leibniz für einen Aequilibristen, ich für einen Deterministen – Sie seiner Wahl des Besten wegen, ich eben deswegen. Einem solchen gigantischen Kopf und polyphemischen Auge konnte unmöglich verdecket bleiben, daß das einzig wählbare [der] Dinge, das Beste, iede andre Wahl verbiete, und es ist einerlei, an welchen Ketten ich geschleppet werde, an kosmologischen oder psychologischen. Aber Leibniz wolt’ es nur andern Köpfen und Augen verdekt halten.« (Brief Jean Pauls an Wernlein vom 27.-28.4.1790 [JPSW III/1, 290]) 19 Vgl. auch: »Die Vereinigung unseres Körpers mit unserer Sele bleibt das ewige Rätsel iedes Philosophen«. Weil die Seele den meisten Stoff zu den Ideen vom Körper erhalte, trage dieser zwar maßgeblich zur Entwicklung der Seele bei, behindere zugleich aber auch deren volle Ausbildung: »Wir sehen eigentlich nicht den menschlichen Geist in seiner waren Beschaffenheit – er bildet sich nur im Kleinen in seinem Körper ab, wie die Sonne im trüben Wassertropfen. Der Tod wird uns erst das Gewand geben, das die Entfaltung keiner unsrer Reize weder verhindert noch verbirgt.« (JPW II/1, 283)

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den wirklichen Einfluß der Seele auf leibliche Vorgänge und die Vorherrschaft des Geistes gegenüber dem Körper.20 (3) Waren für Jean Paul um 1780 die Relativität und Individualität unserer Erkenntnisse eingebunden in das Vertrauen auf eine bestmögliche Schöpfungsordnung, in der noch Irrtümer zum allmählichen Wachstum von Erkenntniskraft und Erkenntnis führen (vgl. JPW II/1, 95 ff.), meldet er im Mai 1783 an Pfarrer Vogel, daß er keine Wissenschaft professionell betreiben wolle und selbst die Philosophie ihm gleichgültig geworden sei, weil er nunmehr »an allem zweifle«.21 Zu dieser Wendung Jean Pauls haben neben den Vorlesungen des gemäßigten Skeptikers und aphoristischen Leibnizianers Plattner, die Jean Paul 1782–84 in Leipzig besucht,22 die Lektüre von französischen Aufklärern wie Voltaire, Rousseau, Helvetius genauso beigetragen wie die Einflüsse von Kants Vernunft- und Metaphysikkritik.23 – Sachlich beruhte Jean Pauls Übertritt zum Skeptizismus dabei, folgt man seinem eigenen rückblickenden Zeugnis aus dem Sommer 1790, auf der Unbeweisbarkeit der Wahrheit des Evidenz- und Wahrheitsgefühls eines jeden

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Zur Verhältnisbestimmung von Seele und Leib beim jungen Jean Paul vgl. Müller (1975), 40 ff. Müller zeigt hier nicht nur die (letztlich bis ins Spätwerk nachweisbare und sich mit Jacobis Instinktbegriff [vgl. JW III, 204–206, 216, 210] verbindende) Nähe Jean Pauls zu Theorien des ›organischen‹ bzw. ›tierischen Magnetismus (Stahl, Mesmer, Gmelin, Wienholt), sondern ebenso, daß Jean Paul zumindest zunächst die Unverträglichkeit dieser Theorie mit Leibniz’ Thesen wohl verborgen geblieben ist. 21 Brief Jean Pauls an Pfarrer Vogel vom 1.5.1783 (JPSW III/1, 66 f.). – Allerdings, so zeigen wiederum die fundierten Studien Schmidt-Biggemanns, herrschte bei Jean Paul in den 1780er Jahre dabei zunächst tatsächlich nur ein sehr gemäßigter Skeptizismus vor, der erst zum Ende des Jahrzehnts kurzzeitig in radikale Skepsis umgeschlagen sei. Dies lasse sich gerade auch an der Entwicklung von Jean Pauls Satiren verfolgen: Während die ›allegorischen Satiren‹ seiner Frühzeit noch ganz im Zeichen der moralischen Besserung und einer Selbstaufhebung der Allegorie in ›reine Moralität‹ ständen, stellten die an Plattner und an der Voltaireschen ›Reduktionsstufe von Skepsis‹ orientierten Satiren der Jahre bis 1785 zwar bereits unaufhebbare Diskrepanzen zwischen der apriorischen, systematisch metaphysische Wahrheiten deduzierenden Vernunft und der empirisch-historischen Wirklichkeit fest. Zugleich bewegten sie sich jedoch noch immer innerhalb von Fortschrittsdenken und metaphysischem Optimismus. Die Skepsis richte sich nicht gegen die noch sicheren moralischen, politischen und theologischen Maßstäbe der Kritik, sondern nur gegen eine empirische Realität, die diesen Maßstäben nicht gerecht werden kann. Der metaphysische Optimismus löse sich wie auch der Ernst der Moralsatiren schließlich in den Jahren 1785–1790 in der Anlehnung an den Sterneschen Humor allmählich ins Spielerische auf (Schmidt-Biggemann [1975], 177–210 sowie ders. [2000], JPW II/4, 282 ff.). Doch erst in der Krisenzeit von 1789–91 werde die Skepsis radikal und richte sich nun gegen den Vernunftmaßstab selbst. 22 Vgl. Briefe Jean Pauls an Pfarrer Vogel im November 1781 (JPSW III/1, 32) sowie an Jacobi vom 14.5.-8.9.1803 (JPSW III/4, 235). 23 Vgl. Harich (1970), 49; Baierl (1992), 21; Schmidt-Biggemann (2000, JPW II/4).

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Menschen.24 Da dieses jedoch nach Jean Paul zugleich allem durch Gründe vermitteltem ›Wissen‹ noch zugrunde liege, soll das Wissen überhaupt nicht im unendlichen Begründungsregreß aufgehoben werden, verfiele mit dem Zweifel an der Objektivität des Gefühls alles Wissen den skeptischen Einwänden. Insofern auch die Selbstgewißheit meiner eigenen Existenz bereits für den jungen Jean Paul nur im Gefühl gegeben ist, erschien auch diese von der Skepsis akut bedroht. Denn für Jean Paul bestand das strukturelle Problem, daß das Gefühl als unmittelbare und subjektive Wahrheitsgewißheit nicht noch einmal in seiner Wahrheit durch etwas von ihm Verschiedenes zu begründen ist. Zudem beunruhigte ihn auch die Erfahrung von Gefühlsirrtümern; manche Überzeugungen, so Jean Paul, die ich früher für wahr gehalten habe, die also vom Wahrheitsgefühl begleitet wurden, erscheinen mir heute als falsch; daher könnten auch heute noch für wahr gehaltene Sätze morgen von mir als Irrtum angesehen werden.25 Nicht also das Bestreiten oder Ignorieren des Gefühls selbst war der Grund für Jean Pauls Skeptizismus.26 Vielmehr führte ihn die Deutung des Gefühls als bloß subjektiv, d. i. als den Maßstäben der Objektivität des Wissens nicht genügend, herbei.27 Und wenn Jean Paul daher bemerkt, daß er seine ›Transsubstaziation‹, seine Abkehr vom Skeptizismus

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Daneben existierten natürlich auch weitere existentiell-praktische und persönliche Gründe. In diesem Sinne macht u. a. Baierl zu Recht darauf aufmerksam, daß auch die Erfahrungen des Todes seiner beiden engsten Jugendfreunde, des Selbstmordes seines kaum 14jährigen Bruders sowie schriftstellerische Erfolglosigkeit, bittere Armut, Hunger und die erlebte Ausbeutung der Landbevölkerung ebenso dazu beigetragen hätten, daß Jean Paul sich vom metaphysischen Optimismus abwende und bis 1790 immer skeptischere und aggressivere Satiren verfasse. – Wenn er schließlich in Jacobi Mittel zur philosophischen Überwindung seines Skeptizismus finde, so ergänzt Baierl schließlich seine Überlegungen, gebe dieser Jean Paul zudem auch Kriterien an die Hand, durch die er die eigenen nihilistischen Tendenzen als Krisenerfahrung der Epoche durchschauen könne (Baierl [1992], 30 ff.). 25 Brief Jean Pauls an Wernlein vom 9.-11.8.1790 (JPSW III/1, 305). 26 Insofern bemerkt auch Schmidt-Biggemann bei Jean Paul von Jugend an einen Hang zur »Sentimentalität«, die sich bereits vor seiner Satirenzeit im Verfassen von popularphilosophischen Abhandlungen und einer empfindsamen Erzählung (Abelard/Heloise) geäußert habe (Schmidt-Biggemann [2000], JPW II/4, 282) und sich auch in der skeptischen Phase erhält, um schließlich wieder verstärkt hervorzutreten. Denn seit 1789 wende sich Jean Paul nunmehr der »Empfindsamkeit« und dem »Freundschaftskult« zu und entdecke den »Reiz der Oszillation zwischen Aufklärung und Gefühl« (ebd., 273). 27 Bereits Jean Pauls 1783 entstandenes Gespräch über den Skeptizismuss verweist im selben Sinne auf die Unzulänglichkeit des als einzigen Gewißheitsgrund noch verbliebenen Gefühls. – Auch wenn Jean Paul in diesem Text, so vermerkt schließlich Schmidt-Biggemann, durch die Evidenz des Gefühls scheinbar bereits auf Jacobis Glaubensphilosophie vorausweise, bleibe tatsächlich jedoch, gut skeptisch, die Reflexion hier noch offen und die Entscheidung zwischen »Dogmatik und Skepsis« suspendiert, statt beide in unphilosophischer Weise miteinander zu vermitteln (Schmidt-Biggemann [1975], 193).

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»blos den Schriftstellern [verdanke], die mich in eine [Gefühlsgewißheit] oft versezten« (JPSW III/ 1, 305), ist, so die bereits in der Einleitung aufgestellte These, vor allem eben an Jacobi zu denken.28 Denn dieser, so hebt der späte Jean Paul ausdrücklich auch selbst hervor, verteidigt eine Auffassung des Gefühls, wonach ihm in einer ›wunderbaren Offenbarung‹ neben der subjektiven auch eine objektive Dignität zukommt, wodurch es als eine höhere, allem beweisbaren Wissen voranliegende Wahrheitsgewißheit gerechtfertigt sei. – * Liegen Jean Pauls reifer, seit 1790 zu sich kommender philosophischer Position auf die angezeigte Weise auch eine Vielzahl philosophiehistorischer Einflüsse zugrunde, steht diese jedoch in dem Maße, wie sie sich nunmehr als eine im Geistgefühl wurzelnde Metaphysik konkreter menschlicher Existenz verstehen läßt, der Sache nach tatsächlich keiner Philosophie und keinem Denker seiner Zeit so nahe wie derjenigen Jacobis. Denn, so wird sich zeigen, die von ihm selbst behauptete Anhängerschaft der Philosophie Jacobis betrifft nicht nur einzelne wesentliche Motive,29

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Auch hier spielen daneben natürlich ebenso persönliche Erfahrungen Jean Pauls eine Rolle. Wie in den die Folgen des Atheismus durchspielenden literarischen Schreckensvisionen stilisiert Jean Paul selbst dabei vor allem eine Vision blanker Todesfurcht und der Angst des Verlustes der Seelenunsterblichkeit, die sich am 15.11.1790 ereignet haben soll, zum Wendepunkt und ›wichtigsten Abend seines Lebens‹ (vgl. Baierl [1992], 21 sowie Schmidt-Biggemann [1975], 291), insofern sie ihn schließlich seine Skepsis überwinden ließen. Fortan gelänge ihm die Wiedergewinnung einer ›neuen Welt‹, die auch die gegenwärtige Welt mit einschließe, sowie das Aufeinanderbeziehen von Krisen- und Sinnerfahrung (Baierl [1992], 21). Denn die mit dem Todeserlebnis verbundene Entwertung der augenblicklichen Existenz in ihrer radikalen Endlichkeit führe Jean Paul zur Solidarität mit seinen Mitmenschen und zum Glauben an eine neue Welt (ebd., 36 ff.). 29 So verbindet der reife Jean Paul bspw. die skeptische Figur der Isosthenie, die er Mitte der 1780er Jahren auf die Frage von Freiheit und Notwendigkeit angewandt hatte (JPW II/1, 285), mit der Forderung, ›Selberdenken‹, also ›Philosophieren‹, statt Philosophie zu lehren (JPW II/1, 299) zu der an Platon orientierten Empfehlung philosophischer Gespräche, in denen dem Leser keine Resultate mitgegeben werden, sondern durch das Verstecken der Resultate sein Streben, die Wahrheit zu suchen, und die Kraft, sie zu finden, geübt werde (Jean Paul: Kleine Bücherschau [Ein Gastmahl Reden und Gespräche über die Dichtkunst (Delbrück 1809)], JPW II/3, 741). Die Wahrheit könne man nicht finden, so eine Notiz Jean Pauls, die sich auf das humoristische Verfahren Leibgebers anwenden läßt, »wenn man nicht (und wärs im Scherze) für das Gegentheil eines geglaubten Sazes eben soviel Gründe anzusinnen sucht als für diesen« (Jean Paul: Philosophische Untersuchungen III 1801 [JPSW II/7, 97]). Insofern für den reifen Jean Paul, wie für Jacobi, unsere Wahrheitsgewißheit letztlich auf einem geistigen Gefühl bzw. einer geistigen Anschauung, nicht auf logischen Gründen beruht, kann Jean Paul die ursprünglich skeptische Figur auch ausdrücklich mit der humoristischen Reflexion in Verbindung bringen: Der Humor erfreue sich an »Widersprüchen«, »Unmöglichkeiten« und ›leersten Ausgängen‹, allerdings nicht

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sondern darüber hinaus sogar in dem Maße auch die Gesamtanlage seines Denkens und Schreibens,30 wie sich diese als ebenso doppelbödig verfaßt rekonstruieren lassen wie Jacobis ›Spinoza-Antispinoza‹.31 Da diese Verfassung sich besonders deutlich in Jean Pauls in der Zeit um und kurz nach 1800 entstandenen Hauptwerken, wie dem Titan, der Vorschule der Ästhetikk und der Levana, manifestiert, werden diese im Folgenden im Zentrum der Untersuchung stehen.32

um dieser selbst willen, sondern weil er den Verstand verlassen wolle, »um vor der Idee fromm niederzufallen« (V 131 f.). – Genauso bildet auch die Diskussion der Leib-Seele-Problematik ein Kernstück des existentiell vereinigten Dualismus des reifen Jean Paul, ist jedoch zugleich in dem Maße verwandelt, wie er sich seit den späten 1780er Jahren gegen die Leibnizischen Theoreme des Parallelismus und der prästabilierten Harmonie vehement zum Primat des zweckbestimmten freien Handelns bekennt (vgl. Jean Paul: Ueber die vorherbestimte Harmoniee (um 1789/90), JPW II/2, 649 ff. sowie Harich [1970], 93). 30 Zwar sieht Knab durchaus richtig, daß aus dem Ziel des ›philosophischen Selberdenkens, der Systemfeindschaft und der großen Belesenheit bei Jean Paul ein »eklektizistische[r] Umgang mit den philosophischen Positionen folgt, er also »aus diesem System [behalte], was ihm einleuchtend erscheint, […] aus jenem [aber verwerfe], was seiner Auffassung widerspricht« (Knab [1999], 690). Besonders deutlich sieht man dies vor allem in seinen frühen Schriften zum Beweis der Unsterblichkeit der Seele (vgl. Jean Paul: Über die Fortdauer der Seele und ihres Bewustseins, JPW II/2, 776–798). Gleichwohl bedeutet dies nicht, daß Jean Paul sich in skeptischer Weise gar nicht für ein ›System‹ entscheidet (Knab [1999], 691). Vielmehr, so werden wir sehen, lassen sich seine Überzeugungen gerade in den frühen 1800er Jahren sehr wohl in einem weiten Maße in Analogie zum, paradox gesprochen, antisystemischen ›System‹ Jacobis verstehen (der Ausdruck System ist hier im weitesten Sinne genommen als eine irgendwie zusammenhängende philosophische Position, vgl. Brief Jean Pauls an Jacobi vom 21.1.-6.3.1806, in dem Jean Paul selbst von Jacobis »reinem Real- und Idealsystem« spricht [JPSW III/5, 81]). 31 Dies zeigt bereits Schmidt-Biggemanns Einschätzung der Jean Paulschen Position um 1790 an: »Während Jean Paul das Maschinenmodell für die Welt affirmiert, um die Physikotheologie [gegen Kants kosmologische Ideen] zu retten, stellt er seinen Erklärungswert für anthropologische Probleme in Frage, um den Menschen als Person zu retten.« (Schmidt-Biggemann (1975), 244) – Daher greift Roses – im Blick auf die Flegeljahree ausgesprochenes und von einer massiven Fehleinschätzung der Stichhaltigkeit Jacobischen Philosophierens ausgehendes – Urteil, wonach für Jean Paul »weniger Jacobis theoretisches Gebäude«, d. i. sein angeblich »fast schon naive[r] Sensualismus« und seine vermeintlich »[w]enig stringent[e]«, ja »fehlgeschlagen[e]« »Idealismuskritik«, entscheidend sei, sondern eher die gemeinsame Befindlichkeit, den »konsequenten subjektiven Idealismus, vom Leben aus betrachtet,« nicht ertragen zu können, zu kurz (Rose [1990], 222 f.). Wie sich bei Jacobi die Unphilosophie i. e. S. nicht von der kritischen Rekonstruktion der rationalen Systemphilosophie trennen ließ, so wird sich im Folgenden auch bei Jean Paul die intime Verbindung seiner Jacobi nachfolgenden Fichte-Kritik mit seinen eigenen poetologischen und metaphysischen Anschauungen zeigen. 32 Zwar trifft zu, daß, wie Baierl ausführlich dargelegt hat, in Jean Pauls literarischen Werken seit 1804 der ›hohe Ton‹ der wiedergewonnenen Transzendenz , der sich gerade im Titan findet, zunehmend einer ›Ironisierung der Transzendenz und einer kritischen Reflexion und Brechung der Möglichkeiten der irdischen Erfahrung der ›zweiten Welt‹ als eine die irdische sinnhaft ordnende, unterliegt (Baierl [1992], 147 ff.). Während bis 1804 trotz Krisenerfahrung

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Aus der Grundannahme, daß sich Jean Pauls philosophische Position wie diejenige Jacobis als »Doppelphilosophie« inszeniert, die sich (ähnlich wie Jacobi auf Spinoza und später auf Kant-Fichte) vor allem auf Fichtes Philosophie ebenso fasziniert wie zugleich kritisch bezieht, um von dort aus den Blick freizubekommen auf eine nur unmittelbar geistig-anschauliche Sphäre wirklicher Freiheit und sittlicher Unbedingtheit, ergibt sich zugleich das weitere Vorgehen: Zunächst ist Jean Pauls Verhältnis zur Transzendentalphilosophie zu analysieren und die Übereinstimmung seiner Kritik mit derjenigen Jacobis zu prüfen. Zu beachten ist hierbei die oft verkannte und mißtrauisch konstatierte humoristische Darstellungsweise, die die Fichte-Auseinandersetzung Jean Pauls gerade in der Clavis Fichtianaa wie in der Schoppe-Handlung im Titan charakterisiert. Dabei wird sich die entscheidende Rolle des Humors erweisen,33 der – alles andere als bloß eine idiosynkratische Manier des Schriftstellers Jean Pauls bildend – die ernste philosophische Sachkritik unmittelbar literarisch-ästhetisch widerspiegelt und anschaulich variiert. Zugleich verweist der Humor selbst bereits auch auf deren transrationale und vorsystemischexistentielle Voraussetzungen und transzendiert auf diese Weise bloße Kritik und bloße (wenn auch kritische) rekonstruktive Aufnahme der Systemphilosophie.34 In

und gemischter Verfassung des Menschen ein sinnhafter Weltbezug möglich bleibe, fehle im Spätwerk ein übergeordneter Rahmen oder positiver Held, blieben Schilderungen der Weltverfehlung und der Weltfindung antithetisch nebeneinander bestehen (ebd., 149). Gleichwohl verläßt, wie sich ebenso am Durchspielen der Gefahr/Tendenz des Transzendenzverlustes am Beispiel Leibgeber-Schoppes im Titan zeigt, auch diese zunehmende Brüchigkeit letztlich nicht den philosophischen Rahmen. Vielmehr läßt sie sich selbst durchaus noch mit den in der doppelsinnigen Anlage liegenden Momenten und Mitteln begreifen, insofern diese auf eine unaufhebbare Gefährdung und das rationale Wissensstreben nie gänzlich befriedigende Grunddisposition der menschlichen Existenz bzw. ihrer unphilosophischen Interpretation verweist. 33 Es ist gerade diese entscheidende poetische, aber auch poetologische wie philosophische Rolle des Humors, die Jean Pauls Überlegungen schließlich auch für Hegel interessant macht. Denn auch für Hegel stellt der Humor einen entscheidenden Ausdruck, ja geradezu den Inbegriff der romantischen Kunstform und als Selbstvernichtung des Endlichen zudem den Übergang von Literatur zu Philosophie dar (Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik, 668 ff.). Vgl. zu Hegels Humorbegriff auch die Ausführungen Klaus Viewegs (Vieweg [2003], [2005a] u. [2005b]), der zugleich einen Seitenblick auf die entscheidende Rolle Jean Pauls für Hegels Überlegungen zum Humor wirft (vor allem Vieweg [2005b]). 34 Erst neuere Arbeiten stellen in diesem Sinne die enge, sachlich motivierte Verschränkung von ernster Kritik und humoristischer Form zunehmend heraus. So erkennt Heinemann zu Recht die Originalität von Jean Pauls Idealismusauseinandersetzung gerade im durchgängigen gleichzeitigen Agieren auf den beiden Ebenen von philosophisch-argumentativer Widerlegung der Grundsätze der Wissenschaftslehre und von ihrer formal-ästhetischen bzw. humoristischen Überbietung auf der Handlungsebene, wodurch Jean Pauls Roman Titan wie letztlich sein Gesamtwerk zur »Abspiegelung der fichteschen Konstruktion« werde (Heinemann [2001], 66). – Beachtet man die von Jacobi vorgegebene Doppelbödigkeit der systemkritischen unphilosophischen Position, zeigen sich allerdings alle Deutungen dieser Kontellation im Sinne einer

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einem zweiten Schritt soll daher das poetische Verfahren des Humors als ästhetische Konkretisierung der Jacobischen ›Sprungfigur‹ interpretiert und dessen Fundierung in Jean Pauls Konzept der ›romantischen Poesie‹ verfolgt werden. Diese gestattet im ›Erhabenen‹ bzw. ›Romantisch-Schönen‹, das das positive Korrelat des ›vernichtenden Humors‹ darstellt, einen Blick auf die Wirklichkeit des Geistigen und Sittlich-Freien.35 Denn in der Kunst, d. i. im Verhältnis von künstlerischer Tätigkeit und ihrem Stoff, erscheint es analog zur praktisch-handlungstheoretischen Analyse Jacobis nach Jean Paul bereits als ein die natürliche Welt Übergreifendes und in Dienst Nehmendes, ohne dabei wie von der Frühromantik im Sinne der absolut und schlechthin wirkenden Fichteschen Subjektivität verstanden werden zu müssen. Insofern sich auf diese Weise Humor und Poetologie Jean Pauls als tatsächlich begreifbar im Sinne von Momenten und Mitteln einer grundlegenden systematischen philosophisch-metaphysischen Problemkonstellation bzw. als Folgerung aus ihr zeigen, sind in einem dritten und abschließenden Schritt Jean Pauls eigene explizite Ausführungen zur Anthropologie und Metaphysik zu untersuchen und an ihnen die behauptete sachliche Übereinstimmung mit Jacobis ›Metaphysik der Person‹ auf der Ebene der Jean Paulschen Handlungstheorie und Ethik selbst noch einmal definitiv zu prüfen. Auch auf dieser die Poetologie Jean Pauls grundierenden Ebene sind in der Tat, so die These, weitreichende Übereinstimmungen mit Jacobi nachweisbar. Dies gilt sowohl hinsichtlich der grundlegenden Perspektive, insofern es auch in der ›prima philosophia‹ bei Jean Paul wie zuvor bei Jacobi um den einzelnen Menschen in seiner konkreten sittlich-praktischen Existenz geht, als auch hinsichtlich der Auffassung des Menschen als ein Wesen, bei dem

heimlichen sachlichen Nähe des Jean Paulschen Denkens zum Fichteschen, d. h. alle Deutungen des Jean Paulschen Werkes im ganzen im Sinne eines »artistisches Fichtisieren« à la Novalis (ebd., 61/66), als voreilige Folgerung. Gerade die Doppelphilosophie Jacobis zeigt, daß die rationale Bewunderung der Philosophie Fichtes und Spinozas das entschiedenste Widersprechen gegen sie nicht nur nicht ausschließt, sondern allererst motiviert. Analog dazu stellt der Humor bei Jean Paul eben nicht nur die literarisch inszenierte Überbietung Fichtes im Sinne einer Konsequenterstellung der nihilistischen Folgen der Wissenschaftslehre dar, die nach Heinemann dabei zugleich eine eindeutige kritische Stellungnahme zur Wissenschaftslehre unterläuft und so insgesamt vermeidet (ebd., 69). Wesentlich naheliegender und der Verfassung der literarischen und theoretischen Texte Jean Pauls adäquater ist das Verständnis des Humors anhand seiner genuin kritischen Funktion, d. i. als (negativ bleibender) Verweis auf eine transzendentalidealistisch nicht mehr einzuholende, ihr zugleich jedoch zugrundeliegende existentiell-praktische und ›ernste‹ Sphäre. 35 Wegen der an Jacobi orientierten doppelsinnigen Anlage ist daher Jean Pauls literarisches Verfahren nicht zureichend beschrieben, wenn man bezogen auf die reife Phase und die Gegenpole von Humor und romantisch Schönem nur von »zwei einander widersprechende[n]] Schreibweisen, nämlich d[er] satirische[n], distanzierende[n], absondernde[n] und d[er] empfindsame[n], gefühlvolle[n], nach Bindung strebende[n],«, die »sein literarisches Schaffen beherrschen«, spricht (Preaux [1986], 100, Herv. v. Vf.).

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wunderbarerweise seine Endlichkeit wie seine Unendlichkeit genauso vermischt wie zu unterscheiden sind. Es gilt aber ebenso in der Weise, daß auch bei Jean Paul die Erfahrung der individuellen Existenz zuletzt auf einen persönlichen vorsehenden Gott verweist – wie bei Jacobi nicht als theologische Glaubensannahme, sondern als Vollendung einer Philosophie menschlicher Personalität. Denn es ist die Idee des persönlichen Gottes, die auch bei Jean Paul wesentlich die Gebrochenheit der menschlichen Existenz ebenso anzeigt wie die Verbindlichkeit und Realität der Tugenden und Handlungen des Individuums.

I. Jean Paul und die Transzendentalphilosophie Wie für viele Zeitgenossen wird auch für Jean Paul die Transzendentalphilosophie zu einem der hauptsächlichen philosophischen Bezugspunkte. Zunächst, insofern sie die Schulmetaphysik wie die Aufklärungstheologie, denen der junge Jean Paul anhängt, in ihren Grundfesten erschüttert. Später, vor allem unter dem Einfluß Jacobis und aufgrund einer diesem ähnlichen ›doppelbödigen‹ bzw. »doppelsinnigen«36 Anlage seiner eigenen Überlegungen, dann auch als entscheidende negative Bezugsgröße für Jean Pauls reife philosophische Position. Seine lebenslange Angewohnheit, intensiv an den zeitgenössischen Entwicklungen auf verschiedensten Gebieten von Wissenschaft, Philosophie und Literatur Anteil zu nehmen, läßt Jean Paul bereits 1781 auch auf Kants Kritik der reinen Vernunft aufmerksam werden.37 Zwar ist zweifelhaft, ob seine Kenntnis zunächst wirklich über das von Plattner zu Kant Vermittelte hinausgeht.38 Jedoch liest er nachweislich alsbald jeweils zeitnah nach ihrem Erscheinen eine Reihe von Kantischen Werken, so die Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft,39 die Grundlegung zu einer Metaphysik der Sitten, die Kritik der praktischen Vernunftt wie auch einige kleinere Aufsätze, die außer im Briefwechsel auch im satirischen Werk erste Spuren hinterlassen.40 Er habe, so bekennt er später gegenüber Jacobi, außer in dessen Schriften in keinen Werken »leichter herumgelesen« als in einigen Kantischen.41 – Ähnlich wie Jacobi nimmt auch Jean Paul dabei eine differenzierte Stellung zu

36

So Jean Pauls Charakterisierung des Wesens des Menschen (KT 563). Vgl. Jean Pauls Brief an Pfarrer Vogel vom 17.9.1781, in dem er Kants Kritik der reinen Vernunftt als wichtige philosophische Neuerscheinung empfiehlt (JPSW III/1, 19). 38 Vgl. Decke-Cornill (1987), 68. 39 Vgl. Jean Pauls Brief an Oerthel vom 28.6.1786 (JPSW III/1, 215). 40 So bezeugt bspw. Jean Pauls Brief vom 9.2.1785 an Oerthel auch die Lektüre des 1784 in der Berlinischen Monatsschriftt erschienenen Aufsatzes Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absichtt (JPSW III/1, 147). 41 Brief Jean Pauls an Jacobi vom 3.12.1798 (JPSW III/3, 132). 37

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Kants Philosophie ein: eine kritische Distanz zur theoretischen Konstitutionstheorie der Erscheinungswelt steht einer anfänglich begeisterten Zustimmung zur Moralphilosophie, die er für prinzipiell unabhängig von Kants Erkenntniskritik ansieht, gegenüber.42 Erst allmählich – und vermutlich verstärkt unter dem Eindruck von Jacobis prinzipieller Kritik an Kant43 – begibt sich Jean Paul auch auf Distanz zu einigen entscheidenden Motiven von Kants praktischer Philosophie. Spätestens um 1800 hat sich schließlich das Urteil verfestigt, daß Kant (wie im übrigen auch Fichte) für seine »Polemik«, d. i. Vernunftkritik, »der Welt unentbehrlich sei«. Denn sie habe eine größere philosophische Strenge und die Ausrottung ›schlaffer Irrtümer‹ bewirkt. Kants (und Fichtes) »Thetik« ›verderbe‹ jedoch alles.44 – Obwohl Jean Pauls Bewertung auffallend an diejenige Jacobis im Sendschreiben an Fichtee erinnert, erreicht seine Auseinandersetzung mit Kants Philosophie nie auch nur annähernd die sachliche Intensität und Genauigkeit derjenigen Jacobis. Vielmehr schließt Jean Paul offenkundig zumeist an Bewertungen und aufgezeigte Folgen der Kantischen Philosophie an, wie er sie gerade bei diesem dargestellt finden konnte. Die Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei im Roman Siebenkäs (1795), der vermutlich bekannteste Text Jean Pauls, stellt ein gutes Beispiel für sein Vorgehen dar, wesentliche Motive des Jacobischen Egoismusbzw. Nihilismus-Vorwurfes literarisch umzusetzen. Denn neben den allgemeinen zeitdiagnostischen Ambitionen kennzeichnet die »experimentalnihilistische« Fiktion der Christus-Rede, wie Schmidt-Biggemann diesen Texttyp Jean Pauls treffend charakterisierte,45 gerade die ausdrückliche Adressierung an die Kantischen Philosophen. Zwar fehlt diese noch in ihrer ersten, als Klage Shakespeares konzipierten Fassung von 1789 und umfaßt der geistesgeschichtliche Hintergrund dieser Schreckensvision ein weites Spektrum von Aufklärungsliteratur und -theologie. Gleichwohl ist es kaum ein Zufall, daß die Atheismus- und Nihilismusdiagnose zeitlich mit Jean Pauls begeisterter (vermutlicher) Lektüreempfehlung von Jacobis David Humee zusammenfällt, dessen Beilage über den transzendentalen Idealismus ausdrücklich die egoistischen Konsequenzen des Kantischen transzendentalphilosophischen Ansatzes benannt hat. Zumal die doppelsinnige Strategie von Jean Pauls Vision, einerseits die skeptisch-nihilistischen Konsequenzen aus dem Verlust realer Transzendenz zu skizzieren und andererseits durch diese unmittelbar das lebendige Gefühl der Wirklichkeit des Idealen und Unendlichen wiederzugewinnen, nicht nur in der Tradition des Begriffs des Erhabenen bei Burke ihr Vorbild

42

Vgl. Brief Jean Pauls an Emanuel vom 17.11.1795 (JPSW III/2, 128). Vgl. Götz Müller, der diese Veränderung bereits auf den Einfluß Jacobis und Herders zurückgeführt hat (Götz Müller [1983], 274). 44 Jean Paul: Philosophische Untersuchungen 1794–1801 (JPSW II/7, 60). 45 Schmidt-Biggemann (1975). 43

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hat,46 sondern eben auch der Struktur von Jacobis ›Spinoza-Antispinoza‹ entspricht. Jacobis Spinozabriefee waren jedoch 1785 bzw. 1789 erschienen und Jean Paul bei der Abfassung der Redee natürlich bekannt.47 – Mehr als in der Version Kants ist es aber die Fichtesche Fassung der Transzendentalphilosophie, die Jean Pauls philosophische Aufmerksamkeit in den späten 1790 Jahren erlangt und großen Einfluß auf sein Werk erhält. Mit ihr setzt er sich nunmehr auch philosophisch detaillierter und selbständiger auseinander. Dieses verstärkte Interesse resultiert einerseits daraus, daß Jean Paul in dieser Zeit selbst ins philosophisch-literarische Milieu von Jena und Weimar gerät und 1798 Fichte auch persönlich kennenlernt. Zum anderen aber fällt es zusammen mit seinem intensiven brieflichen Kontakt mit Jacobi, dessen eigene Aufmerksamkeit nicht zuletzt anläßlich des Jenaer Atheismusstreites um diese Zeit verstärkt Fichtes Philosophie gilt. – Bekannt und wenigstens gelegentlich auch von der philosophischen Diskussion wahrgenommen worden ist vor allem Jean Pauls kleine fichtekritische Schrift Clavis Fichtiana seu Leibgeberiana, die ursprünglich als Anhang zum Roman Titan konzipiert ist. Mit ihm ist sie, insofern dieser seinerseits ebenso in großen Teilen selbst eine Kritik der Transzendentalphilosophie Fichtes wie des idealistischen, frühromantischen und wissenschaftlich-systemischen Zeitgeistes überhaupt darstellt,48 auch inhaltlich wie strategisch eng verbunden. Da Jean Paul in der Claviss nicht nur alle wesentlichen Motive seiner auch für die Bestimmung der eigenen Position essentiellen Auseinandersetzung mit Fichte entwickelt, sondern ausdrücklich zeitlebens an den hier präsentierten Überlegungen festhält,49 gilt ihr im Folgenden nach einem kurzen Blick auf Jean Pauls Verhältnis zu Kant und

46

Vgl. Müller (1994), 47. Zur Rezeption von Jacobis Spinozabriefen durch Jean Paul vermutlich 1787/88 vgl. Schmidt-Biggemann (2000). 48 Vgl. »Mein Titan ist und wird gegen die algemeine Zuchtlosigkeit des Säkulums gewafnet, gegen dieses irrende Umherbilden ohne ein punctum saliens – gegen jede genialische Plethora, d. i. Parzialität – gegen die ästhetische (artistische) und philosophische Trennung des Ichs von der Beschauung, als müsse nicht diese auf jenes wirken, es voraussezen, nur durch dasselbe gelten und darin früher und später wohnen als in der Abstrakzion.« (Brief Jean Pauls an Jacobi vom 3.12.1798 [JPSW III/3, 129]) – Auch Jacobis Angriff richtet sich, wie gesehen, nicht nur gegen einzelne Positionen, wie die Spinozas oder Fichtes. Seine Pointe besteht vielmehr darin, sich an einen ganzen Typ systemischer Philosophie zu adressieren, indem die Ethik und die Wissenschaftslehre als ihre paradigmatischen Verwirklichungsgestalten aufgefaßt werden. 49 Vgl. Briefe Jean Pauls an Jacobi vom 15.4.-4.5.1805 (JPSW III/5, 39 ff.), vom 28.12.1806– 30.3.1807 (JPSW III/5, 137 ff.) und vom 25.-27.1.1816 (JPSW III/7, 55 ff.). Insofern aus ihnen deutlich wird, daß Jean Paul seine in der Claviss entwickelte Kritik an Fichte auch 1816 noch als gültig anerkennt, kann die These, daß die Claviss wegen einer angeblich zunehmenden Annäherung Jean Pauls an Fichte zur Zeit der Abfassung der Levanaa nicht mehr so geschrieben worden wäre (Storz [1951], 76 f.), kaum überzeugen. 47

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die Nihilismusvision der Christus-Redee die hauptsächliche Aufmerksamkeit durch eine genaue philosophische Analyse. Die Claviss wird sich dabei als eine strategisch geschickte und philosophisch versierte Auseinandersetzung mit Fichte erweisen, die ganz im Geiste Jacobis und oftmals in direkter Übernahme seiner zentralen Motive agiert, zugleich ihnen aber eine originelle Wendung zu geben versteht.

1. Jean Paul und Kant α) Kants Ethik Bereits 1788 legt Jean Paul seinem intellektuellen Mentor der Jugendzeit, dem bereits erwähnten Pfarrer Vogel in Arzberg, dringend Lektüre und Erwerb von Kants Grundlegung zu einer Metaphysik der Sitten und der Kritik der praktischen Vernunft nahe. Aufgrund seiner Moralphilosophie sei Kant – so behauptet Jean Paul begeistert – »kein Licht der Welt, sondern ein ganzes stralendes Sonnensystem auf einmal«.50 Noch 1795 empfiehlt er einem Freund, die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten »so auswendig« zu lernen, wie er selbst es getan habe. Kant fehle »zu einem zweiten Sokrates nur der Giftbecher und zum 2ten Christus nur das Kreuz«.51 Beiden emphatischen Bemerkungen Jean Pauls liegt die Überzeugung zugrunde, daß Kants praktische Philosophie wahrer »Stoizismus« sei – auf gleicher Höhe mit den Klassikern Epiktet und Marc Aurel.52 Dies mag auf den ersten Blick irritieren, insofern Kant selbst seine Moralphilosophie ausdrücklich außer gegen Eudaimonismus und Common-sense-Theorien auch gegen die stoische Ethik konzipiert.53 Zudem hebt ebenso Jacobi gerade diese Frontstellung Kants affirmativ hervor, wenn er seinerseits im dritten Brief der Zufällige[n] Ergießungen eines einsamen Denkerss die »uralt[e], durchaus menschlich[e] und erhaben[e]« Intution, die auch in Kants Morallehre wirke, ausdrücklich lobt (JW I, 298/305). Der gemeinsame Gesichtspunkt, der

50

Brief Jean Pauls an Pfarrer Vogel vom 13.7.1788 (JPSW III/1, 244). Brief Jean Pauls an Emanuel vom 17.11.1795 (JPSW III/2, 128). 52 Zu Jean Pauls Wertschätzung des Stoizismus vgl. u. a. Kiermeier (1980), der zeigt, daß (1) Jean Pauls Interesse nicht einem philosophischen System der Stoa, sondern einer bestimmten Lebensform und »Möglichkeit, auf eine eigene Art zu leben, zu handeln, auch zu sterben«, gilt (ebd., 40) und daß (2) Jean Paul das ursprüngliche stoische Ideal bereits seit den 1780er Jahren zunehmend zugunsten des weltzugewandten platonisch-tugendhaften Weisen (›hoher Mensch‹) überwindet, sich damit in der Sache zugleich Jacobi annähert und sich in dieser Wendung schließlich tatsächlich durch die Lektüre der Jacobischen Schriften bestätigt sieht (ebd., 56 ff.). 53 Vgl. KpV 69–71. Kant begründet seine Gegnerschaft zu diesen drei Positionen dabei, so sahen wir bereits, mit der ihnen gemeinsamen Annahme eines materialen Sittlichkeitsprinzips, welches zum Verständnis wahrer allgemeinverbindlicherr Moralität jedoch prinzipiell »untauglich« sei. 51

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Jacobis und Jean Pauls Wertschätzung mit der Kantischen Abgrenzung gegen andere Ethiken verbindet – und wofür die Charakterisierung der Kritik der praktischen Vernunft als wahrer ›Stoizismus‹ zunächst auch nur steht –, ist die für Kants Autonomieethik wesentliche Zurückweisung sinnlicherr Begierden als legitimer moralischer Handlungsgründe und die Übertragung der sittlichen Bestimmung in die Verantwortung der ›Vernunft‹.54 Noch der späte Jean Paul schätzt in diesem Sinne Kant (wie im übrigen auch Schelling und Fichte) dafür, daß sich bei ihm/ihnen nichts finde, »als was rein stärkt oder erhebt oder begeistert«.55 – In den 1790er Jahren verschärft sich indes bei Jean Paul sein von Beginn an nachweisbares Erstaunen über zwei schwer vereinbare Momente oder Anlagen in Kant zur ausgemachten Kritik auch an dessen Moralphilosophie. Denn schon 1785 gilt Kant bei Jean Paul »in gewissem Betrachte [als] eine Misgeburt«, insofern »Herz« und »Kopf« bei jenem »gleich groß« seien. Während mit dem Stichwort des ›Kopfes‹ Jean Paul zweifellos auf Kants kritische Erkenntnistheorie in der ›Transzendentalen Ästhetik‹ und der ›Transzendentalen Analytik‹ der Kritik der reinen Vernunftt zielt, bezieht er das Motiv des Herzens ausdrücklich auf den Beginn der ›Transzendentalen Dialektik‹.56 Denn im Abschnitt »Von den Ideen überhaupt« erinnert und verteidigt Kant nicht nur Platons Ideenbegriff in dem Maße, wie die Ideen dort als »niemals von den Sinnen entlehnt« und sogar noch die Begriffe des Verstandes hin zu einem »Urbild der Dinge« übersteigend verstanden würden (KrV A 313/B 370); obwohl über jede Erfahrung hinaus, haben sie für Platon, so Kants weiteres Referat, »nichtsdestoweniger ihre Realität« und seien »keineswegs bloße Hirngespinste« (KrV A 314/B 371). Vielmehr hebt schließlich auch Kant ausdrücklich hervor – und dies ist für Jean Paul ebenso entscheidend wie für Jacobi –, daß bereits bei Platon die Ideen primär praktisch, auf Freiheit beruhend, d. h. Tugenden bzw. »Muster der Tugend«, seien (KrV A 315/B 373). Anders als im Reich der Natur sind für Kant praktische Ideen selbst, nicht aber die Erfahrung »Quell der Wahrheit« (KrV A 318/B 375).57 – Daß die

54

In diesem Sinne hebt auch Jean Pauls »Ernsthafter Anhang. Ueber die Tugend« in den Teufelspapieren unter Hinweis auf eine ähnliche Kritik Jacobis am materialistischen Moralbegriff Helvetius’ (JPW II/2, 244) Kant als ›belehrenden Engel‹ seiner Zeitgenossen hervor. Denn er habe gezeigt, daß die eigene Glückseligkeit nicht Zweck der Tugend sei (ebd., 242), sondern wir diese nur deshalb verfolgen, weil sie unserer Natur gemäß ist. »Die Verbesserung und Fortführung dieser stoischen Antwort trieb seit 6 Jahrtausenden kein Scharfsin so weit, als der kantische und wessen Tugend die Schriften dieses Mannes nicht stärken, der sieht nur seines Geistes- nicht seine Seelengröße, nur seinen sichtbaren Kopf, nicht sein unsichtbares großes Herz« (ebd., 248). 55 Jean Paul: Bemerkungen über den Menschen (JPW II/5, 270 f.). 56 Brief Jean Pauls an Oerthel vom 9.2.1785 (JPSW III/1, 147). 57 Noch in der Levana a (1806) verweist Jean Paul anerkennend auf die Rolle der Ideen der praktischen Vernunft, von denen Kant im Gegensatz zu den theoretischen Begriffen des Verstandes niemals die Möglichkeit angenommen habe, daß ihnen hinter dem empirisch-phänomenalen Leben keine Wahrheit mehr zukomme (L 838). – Es war auch bei Jacobi, so sahen

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Ideen dabei letztlich gleichwohl und gegen Platon von Kant nur im Sinne von Postulaten der praktischen Vernunft bewahrt werden, war für Jacobi Indiz eines allgemeinen ›Zu-Verstande-Bringens der Vernunft‹ noch im praktischen Teil der Transzendentalphilosophie gewesen. Und auch Jean Paul sieht seit den 1790er Jahren hierin zunehmend eine Auflösung der Realität von Freiheit, Gott, Unsterblichkeit in der endlichen bzw. bloß ›schlecht unendlichen‹ Reflexionsbewegung.58 In diesem Sinne interpretiert der Hauskaplan, ein kantischer Philosoph, im Kampaner Tal (1797) in Anlehnung an die Kritik der praktischen Vernunftt das Postulat der Unsterblichkeit der Seele als »ein[en] ins Unendliche gehende[n] Progressus, d. h. eine ewige Dauer«, um die Angemessenheit des Willens (endlicher Wesen) zum moralischen Gesetz denken zu können. Die Pointe der Entgegnung gegen diese Verteidigung der Kantischen Idee der Seelenunsterblichkeit liegt im Figurengespräch im Verweis auf die Inkommensurabilität des einer solchen endlosen Reihe zugrundeliegenden Unendlichkeitsbegriffs und der in jeder einzelnen sittlichen Tat als solcher sich vollständig und aktual, wenn auch bestimmt manifestierenden Unbedingtheit und Unendlichkeit (KT 592). – Die Gewißheit aller Ideen, so ist Jean Paul mit Jacobi gegen ihre Rationalisierung in der reflexiven Figur einer Approximationsbewegung überzeugt, bleibe prinzipiell rätselhaft und ist auf keine Weise durch den Verstand domestizierbar (KT 489). Ein solcher Versuch liegt für Jean Paul, auch dies ist uns schon von Jacobi bekannt, selbst dann vor, wenn sie als praktischess Postulat der universellen Vernunft aufgefaßt wird, insofern darunter letztlich ebenso ein vom Ich hervorgebrachter »theoretische[r]«, ] wenn auch unerweislicher Satz bzw. ein denknotwendiger allgemeiner Begrifff zu verstehen ist (KpV 220), das praktische Handeln also allein von seiner kognitiven Seite in den Blick kommt und nicht hinsichtlich seines Vollzuges als konkreter realer Akt.59 – Den Hintergrund und primären

wir, gerade die Rolle der praktischen Ideen, mithin der ›Vernunftglaube‹, der ihn für Kants Moralphilosophie zunächst eingenommen hatte und den er auch wieder in der zur Druckfassung seines Sendschreibens an Fichtee neu hinzugefügten Vorrede ausdrücklich als vornehmere, wenngleich auch systematisch inkonsequente Denkart Kants gegen Fichte hervorgehoben hatte. 58 Vgl. Decke-Cornill (1987), 68, Baierl (1992), 47. 59 Zwar besteht auch hier eine inhaltliche und strukturelle Affinität zwischen Jean PaulJacobi einerseits und Kant(-Fichte) andererseits darin, daß die Ideen jeweils ihre Rechtfertigung über ein praktisches Bedürfnis des vernünftigen Ich erhalten (vgl. Schmidt-Biggemann [1975], 276). Der entscheidende Unterschied zeigte sich indes bereits an Jacobi: Während das eine Bedürfnis aus der transzendentalen, immanenten Struktur der allgemeinen Vernunft abgeleitet ist, verstehen Jacobi und in seiner Nachfolge Jean Paul das Bedürfnis als ein solches, daß seinen Ort in der doppelsinnigen Verfassung eines realen, vernünftig handelnden Individuums hat, sich im wirklichen Handeln unmittelbar als zugleich unbedingt und bedingt zu erfahren. Zudem wird hier das Bedürfnis nicht als Grund für die Annahme eines theoretischen Begriffes, sondern als Folge oder Ausdruck einer in der Defizienz sich zeigenden höheren Wirklichkeit interpretiert.

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Ausdruck eines solchen auch im Praktischen noch wirksamen Primats des Verständig-Systemischen macht auch Jean Paul dabei im Begriff des ›reinen Willens‹ bei Kant aus. Zwar affirmiert er auch 1794 noch Kants »Stoizismus« dafür, daß der Wille »sein eignes Gesez«, das Wollen mithin selbst »der Gegenstand des Wollens« sei. Doch gilt Jean Paul nunmehr diese Autonomie des Willens ausdrücklich nur noch in dem Sinne als überzeugend, wie »dadurch die Gegenstände der [natürlichsinnlichen] Begierde aus dem Gesichtskreise des Willens geräumet werden«. Eine vollständige und reine Selbstbezüglichkeit des Willens könne hingegen weder seine sittliche Qualität noch seine Wirksamkeit verbürgen. Denn kein realer, bestimmter Wille könne sich, so das bereits von Jacobi vorgetragene Argument Jean Pauls, selbst eine Richtung, also eine Bestimmung geben. Das Kantische Moralprinzip – der »Wille, der nur sich will« –, sei mithin »eine Absicht ohne Absicht«.60 Diese Leere und Selbstwidersprüchlichkeit lasse sich auch nicht, so Jean Paul weiter, durch die Annahme einer Bestimmung des Willens durch andere Willensakte beheben. Diese verschiebe vielmehr allein das Problem; im Gedanken eines unendlichen Regresses werde die Bestimmung jedoch vollständig unbegreiflich. Im Gegensatz zu Kants Annahme gelte m. a. W., daß die »Richtung unserer praktischen Vernunft nach Allgemeingesezlichkeit und nach der Achtung für die Menschen als Zwecke«, d. i. die moralische Willensbestimmung nach Grundsätzen, »die Folge, aber nicht die Erklärung dieser praktischen Vernunft« sei. Die moralische Bestimmung des Willens – so Jean Paul mit Verweis auf eine Bemerkung Platons und deren Zitation in Jacobis Allwilll – bedürfe mithin sehr wohl einer Begierde, wenn auch keiner sinnlichen, die auf eine rational nicht weiter aufklärbare Weise eine ursprüngliche Ahnung ihres begehrten sittlichen Gegenstandes habe. Eine solche Ahnung eines moralischen, dem Willen selbst transzendenten Gegenstandes müsse also früher da sein als das Verhältnis des Willens zu ihm. Ohne eine solche bleibe die sittliche Bestimmung, wie im Falle einer ›bloß formalen Tugend‹ bei Kant, praktisch unwirksam.61 Grund-

60

Jean Paul: Philosophische Untersuchungen. Nov.1790–93. I (JPSW II/7, 26); vgl. Geschichte meiner Vorrede zur 2.Auflage des Quintus Fixlein (QF 15–42). – Eine gewisse Distanzierung vom ›Stoizismus‹, insofern dieser »die Tugend auf thatenleere Verfassung« einschränke, indiziert indes bereits 1790 Jean Pauls Engführung des »Stoizismus« mit »Mystizismus« und »Fohismus« (als Bezeichnung für eine chinesische Lehre, die das Verschwinden von »Wille und Gedanke und Empfindung« zum Ziel habe). Denn diese beiden dienen ihm später auch zur Kennzeichung der Wissenschaftslehre Fichtes und der Position der Frühromantiker (Brief Jean Pauls an Wernlein vom 5.7.1790 [JPSW III/1, 296 f.]). 61 Daher parodiert Jean Paul die kantischen Philosophen auch durch die Behauptung, daß sie aus Scham vor einer in der praktischen Glückseligkeitsbeförderung vermuteten Heteronomie, anderen (wie sich) nichts zu verschaffen suchten als Moralität selbst, das einzige und höchste Gut, und zwar »durch die einzig-möglichen Mittel«, eine solche Autonomie gegen positive praktische Antriebe zu bewahren, nämlich »durch Diskurse und Manuskripte«. »Und so erreichen sie leicht den höchsten Gipfel der Moralität, indem sie gute Werkee nicht sowohl tun als schreiben

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sätze seien zwar als Korrektiv moralisch bedeutsam, »um die schlimmen Neigungen aufzulösen und zu zerstören«, Kant übersehe aber, daß zum realen Einwirken der moralischen Pflicht auf uns, schon »eine Liebe dazu« vorhanden sein müsse.62 – »Kantianismus nimt wie Stoizismus Liebe«, so notiert daher Jean Paul prägnant das in seinen wie in Jacobis Augen entscheidende Defizit der Kantischen Moralphilosophie.63 Die Charakterisierung der Kantischen Ethik als ›Stoizismus‹ ist damit nunmehr in dem Maße Ausdruck einer Ambivalenz – und der ›Stoizismus‹ nicht mehr identisch mit Jean Pauls idealem Moralitätskonzept, wie beide durch ›Kälte‹ gegen die geistigen Tugenden bzw. sittlichen Triebe gekennzeichnet scheinen.64 Folgerichtig ist im Roman Titan Schoppe (Leibgeber) als Inkarnation der Transzendentalphilosophie in seiner konsequenten Fortführung, mithin als Fichtianer, zugleich als ein Stoiker gezeichnet, dessen Krise und Untergang durch die Konfrontation mit dem Phänomen der Liebe hervorgerufen wird und sich durch die Wiederbegegnung mit seinem alten Freund Siebenkäs erfüllt. – Mit der fehlenden Liebe bzw. einer Ethik

und indem sie z. B. ihre Freigebigkeit nicht in einer elenden materiellen Gabe, sondern in einer Ermunterung zur Freigebigkeit bestehen lassen: der Ermunterte ermuntert fort, und so immer jeden den andern, und kein Heller wird dabei ausgegeben.« (Jean Paul: Paligenesien [JPW I/4, 813]) 62 Jean Paul: Philosophische Untersuchungen 1794–1801 III (JPSW II/7, 39). – Jean Paul ist sich zugleich der Problematik einer solchen Annahme sehr wohl bewußt, insofern sich die Frage nach der Verläßlichkeit und Authentizität von Liebe und Tugendgefühl aufdrängt: Denn moralische Gefühle zu einzelnen Handlungen sind, so zeigt die Erfahrung, selbst wandelbar. Umgekehrt treten Gewissensbisse zugleich aber auch über Handlungen auf, deren Moralität unzweifelhaft ist bzw. die als unbeabsichtigte, zufällige Geschehnisse im strengen Sinne gar keine moralisch zu bewertenden Handlungen darstellen (vgl. ebd.). Wir werden sehen, daß daher Jean Paul wie auch bereits Jacobi, entgegen einer abstrakten dualistischen Lesart, auf das notwendige Zusammenspiel von sittlichem Gefühl und moralischen Grundsätzen, von Vernunft und Verstand verweist (u. a. Sieb 421, Cl 1013). 63 Jean Paul: Philosophische Untersuchungen 1794–1801 III (JPSW II/7, 38). Der reife Jean Paul folgt daher letztlich nach der Umwertung seiner Vorstellungen auch Jacobis Kritik der stoischen Ethik, daß diese die ›wahre‹ Glückseligkeit mit dem tugendhaften (d. h. letztlich kalten, begierdebefreiten) Handeln einfach identifiziere, statt den Blick offenzuhalten für die Differenz zwischen unserem sittlichen Handeln und einer darüber stehenden, göttlich gelenkten Glückseligkeit (JW I, 303). 64 »In unserem Zeitalter stehen Abnahme des Stoizismus und Wachstum des Egoismus hart nebeneinander; jener bedeckt seine Schätze und Keime mit Eis, dieser ist selber Eis.« (Jean Paul: Hesperuss [JPW I/1, 796]) – Noch deutlicher stellt schließlich der »Offen[e] Brief an Leibgeber anstatt der Vorrede« (1798) die ›Kälte‹ als gravierenden Mangel der Kantischen Ethik heraus: Wie die Französische Revolution das Individuum dem Staat und der Idee opfere, stelle die kantisch-moralische Revolution, indem sie »den Affekt der Menschenliebe liegen« lasse und als Quelle der Tugend ausschließe, »weil er so wenig wie Verdienste geboten werden kann«, »uns verlassene Menschen immer weiter und einsamer auseinander, jeden nur auf ein frostiges unbewohntes Eiland« (Jean Paul: Paligenesien [JPW I/4, 728 f. Anm.]).

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des reinen Willens gerät, dies ist die Pointe, die Jean Pauls Überlegungen zu Kant mit denen Jacobis wesentlich verbindet, die Transzendenz gleich doppelt aus dem Blick: nicht nur die Realität der Ideen Freiheit, Gott, Unsterblichkeit, sondern auch und vor allem ebenso das konkrete wirkliche Du, die Andersheit des konkreten Anderen (wie in der Freundschaft).65 Daher, so werden wir sehen, liegt der entscheidende Ansatzpunkt auch von Jean Pauls Kritik an Fichte in der Frage nach der Realität von konkretem Ich und konkretem Du als je sittliche. Die Frage des Atheismus kommt dabei, wie schon für Jacobi, der Sache nach nur aufgrund ihrer unmittelbaren Verbindung zum Problem realen einzelnen menschlichen Daseins in den Blick.

β) Kants theoretische Philosophie Stellt sich die Bewertung der praktischen Philosophie Kants ähnlich ambivalent wie bei Jacobi dar, insofern in Jean Pauls Augen wahre und erhabene Intuitionen in bezug auf Sittlichkeit und sittliche Ideen mit den systemisch-transzendentalphilosophischen Prämissen kollidieren und schließlich durch die Folgerungen aus letzteren aufgelöst werden, ist Jean Pauls Stellungnahme zur Thetik der theoretischen Philosophie Kants von vornherein wesentlich kritischer. Zugleich ist auch sie deutlich geprägt durch die Beilage Über den transzendentalen Idealismuss zu Jacobis David Hume ebenso wie durch den 15. Brief des Allwill. l Kann und muß der Kantianer am Ende auch im Praktischen »das Positive, das Reale, das Gegebene« entbehren (KT 588), so gelte dies erst recht für das ›unbekannte X‹ als Korrelat der Erkenntnis. Dem Theorem einer reinen Selbstbestimmung des Willens entspricht für Jean Paul mithin die epistemologische Annahme einer spontanen vorstellungskonstitutiven Selbsttätigkeit des Ich, die das Erkennen zu einem bloßen »Sehen des Sehens«66 ohne Gegenstandsbezug mache. – Bereits in einem aus dem Jahr 1788/89 stammenden Abschnitt in den Teufelspapieren, der vielleicht bedeutendsten Sammlung von Jean Pauls frühen räsonierenden Prosasatiren, formuliert Jean Paul den Gedanken, der sich nicht nur deutlich an Jacobis Empfehlung an Kant und die Kantianer, einen strengen ›Egoismus‹ zu vertreten, anlehnt, sondern auch noch ein Grundmotiv der Fichte-Kritik der Claviss bilden wird: Ein »Egoist und transzendentaler Realist« dürfe »nur ein Wesen unvernichtet stehen lassen« – sich selbst. Insofern ich, der Autor dieses gedachten Egoisten, diesen aber allererst

65

Daher heißt es auch vom Hauskaplan, dem kantischen Philosophen im Kampaner Tal, l daß er »Biographen zu verachten [scheine], weil die Fenster in philosophischen Auditorien so hoch sind […], daß sie daraus nicht auf die Gasse des wirklichen Lebens sehen können« (KT 581). 66 Ähnlich auch in Jean Paul: Philosophische Untersuchungen 1794–1801 III (JPSW II/7, 61).

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selbst denke und, von ihm schreibend, ihn ideal (für mich) erschaffe, bleibe auch er nicht bestehen, sondern ich allein. »So sitz‹ ich hier und bin von keinem Wesen gelesen; denn ich selber habe dazu wenig Zeit und kaum genug zum Schreiben.«67 – 1798 wiederholt Jean Paul denselben Gedanken in einem Brief an Herder: In der Sinnenwelt, die der Idealist nicht finde, sondern schaffe, sei »die KörperLarve jedes Ichs ja ein Theil dieser Schöpfung unter der Gehirnschaale«; der Andere sei also wie die physische Welt nur meine Vorstellung.68 Zugleich begründet und problematisiert Jean Paul diese Lesart nunmehr weiter, diesmal sogar unter ausdrücklichem Verweis auf Jacobis Beilage zum David Hume, dessen These von der bei Kant noch herrschenden »Zweideutigkeit zwischen Realismus und Idealismus« er zudem übernimmt: Die von Jacobi versammelten Zitate aus der Kritik der reinen Vernunft zeigten nämlich einerseits, so Jean Paul, daß die Natur ein bloßer Raum in uns und ein durch die kategorialen Begriffe strukturiertes »Gebäk« des Ich sei. Wozu das von Kant andererseits gleichwohl behauptete unerkennbare »x an sich« hinter den Erscheinungen systematisch dienen könne, bleibe dabei in dem Maße unverständlich, wie die »erklärte Sache«, d. i. die Gegenstandsvorstellung, bereits aus dem Ich vollständig erklärt sei.69

γ) Kant-Kritik in der Rede des toten Christus Eine unmittelbare literarische ›Anwendung‹ findet die an Kant wie an das gesamte aufgeklärte Zeitalter gerichtete Diagnose der Transzendenz- und Realitätsvernichtung durch immanente und ›egoistische‹ Konzeptionen außer in humoristischen Inszenierungen, auf die unten näher einzugehen ist, in verschiedenen von Jean Paul entworfenen Schreckensszenarien, deren berühmtestes ohne Zweifel die Rede des toten Christus vom Kreuz herab, dass kein Gott seii darstellt (Sieb 270–275). Unter

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Der vernichtende Gedanke I (1788/89), zitiert aus Harich [1970], 123. Da Jean Paul »Jacobi folgend, diese Erkenntnis bereits zu einem Zeitpunkt aussprach, als von Fichte weit und breit noch nichts zu bemerken war«, spricht Harich daher auch Jean Paul eine prophetische Diagnose zu (Harich [1970], 59 f.). 68 Brief Jean Pauls an Herder vom 23.11.1798 (JPSW III/3, 120). Vgl. dazu auch Jean Pauls Briefe und bevorstehender Lebenslauff (1798), JPW I/4, 1068 f. 69 Brief Jean Pauls an Herder vom 23.11.1798 (JPSW III/3, 121 f.). Vgl. hierzu auch eine aus dem Jahr 1798 stammende Fassung des Textes »Der vernichtende Gedanke«, in der Jean Paul ganz analog auf die Subjektivität von Raum, Zeit und Kategorien bei Kant verweist zur Begründung der These, daß die ganze Sinnenwelt und alle in ihr agierenden anderen Vernunftwesen nur von und für uns geschaffen seien, obwohl Kant zugleich eine rätselhafte und unverhoffte Beziehung »auf wahre echte Dinge an sich, auf wirkliche, ihm ganz unbekannte X’s« wie auch auf ein ›Ich an sich‹ als der »eigentliche Granitkern und das ich seines ich’s« nahelege (ebd., 129 f.).

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den zahlreichen Interpretationen dieses Textes und der Technik der Schrecksvisionen Jean Pauls im allgemeinen70 hat vor allem diejenige Schmidt-Biggemanns bereits nachdrücklich auf den entscheidenden Einfluß von Jacobis Kant-Kritik hingewiesen und die poetischen Nihilismusexperimente Jean Pauls geradezu »als Probe aufs Exempel« seiner Kantinterpretation aufgefaßt.71 Dies gilt der Sache nach zweifellos trotz des Umstandes, daß die Erstfassung der Redee von 1789 noch auf den expliziten Kant-Bezug verzichtet und die Entstehung dieses literarischen Verfahrens sowie der darin zentralen Problemstellung menschlichen Personseins bei Jean Paul bereits vor seiner Lektüre von Jacobis Spinozabriefen und seines David Humee ihren ersten Anfang nimmt. Aufgrund der wiederholten, wenn auch zumeist nicht philosophisch geleiteten Besprechung dieses Textes in der Sekundärliteratur kann hier auf eine detaillierte Wiedergabe und Analyse verzichtet werden.72 Festzuhalten indes sind drei für die sachliche und strategische Nähe der Christus-Redee zu Jacobis Doppelphilosophie entscheidende Gesichtspunkte: Dies betrifft erstens die große Verwandtschaft zwischen der Funktion von Jean Pauls literarischer Fiktion bzw. der mit ihrer Hilfe zu vollziehenden Bewegung und derjenigen von Jacobis ›salto mortale‹, insofern dieser aus der praktischen Negativität und Unzulänglichkeit einer theoretischen Position bzw. der wissenschaftlich-rationalen Welterklärung im ganzen den Blick freimacht auf eine ihm voranliegende vernünftig-überrationale Realität. Dies geschieht, so sahen wir, durch das Aufzeigen der Folgen der rationalen Systemphilosophie für das Selbstverständnis des Individuums als solchem, das darum rhetorisch-poetisch vor die Entscheidung zwischen einem intellektuell befriedigenden systemischrationalen Nihilismus und einem existentiell-praktisch geforderten metaphysisch›unphilosophischen‹ ›Glauben‹ an einen persönlichen Gott gestellt wird. Wie die Systemphilosophie nach Jacobi also nicht streng widerlegt, sondern ihr nur aufgrund einer in der ›Vernunft‹ bzw. im Geistgefühl gegebenen konkreten Daseinsgewißheit praktisch widersprochen werden kann, geht es auch in der Christus-Rede darum, eine ursprünglich im Gefühl gegebene Transzendenzgewißheit zurückzugewinnen: »Wenn einmal mein Herz so unglücklich und ausgestorben wäre«, so Jean Paul in einer Anmerkung zum Titel der Rede, »daß in ihm alle Gefühle, die das Dasein Gottes bejahen, zerstöret wären: so würd’ ich mich mit diesem meinem Aufsatz erschüttern und – er würde mich heilen und mir meine Gefühle wiedergeben.« (Sieb 270) Denn, so nimmt Jean Paul eine Bemerkung Jacobis aus den

70

Vgl. Götz Müller (1994). Schmidt-Biggemann (1975), 276. 72 Wichtige Interpretationen stammen u. a. von Kommerell (1933/²1967), 183–203; Rehm (1957); Götz Müller (1994); Decke-Cornill (1987); Ursula Gauhe (1936); Carl Pietzcker (²1985), 60–84. 71

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Spinozabriefen auf, die vor allem die Claviss zu einem eigenen sprachtheoretischen Argument gegen Fichte ausbauen wird, selbst in unseren wahren wissenschaftlichen und philosophischen Systemen sammelten »wir immer nur Wörter, Spielmarken und Medaillen ein« (ebd.). Überzeugungen, praktisch relevante wahrheitsfähige Meinungen also, bedürften jedoch der ›Umsetzung‹ der systemisch-allgemeinen Worte und Begriffe in reale Gefühle. Umgekehrt könnten daher Irrtümer der wissenschaftlichen Weltkenntnis, die ebenso auf dem Umgang mit bloßen »Wortbegriffen« beruhen, durch lebendige Gefühle behoben werden.73 Dies ist die Aufgabe der Poesie; sie vermag nach Jean Paul Schlüsse zu Gefühlen zu verdichten und so zu wahren Überzeugungen wie auch zur Abwehr lebenspraktisch ›unwahrer‹, d. h. unerträglicher Meinungen zu führen. Dabei liegt zweitens auch in Jean Pauls Christus-Redee die Pointe gerade nicht auf einer genuin fromm-religiösen bzw. theologischen Verlustanzeige.74 Als dramatische Konsequenz des fingierten, genauer geträumten75 ›Atheismus‹, d. i. des von Christus selbst verkündeten Nichtvorhandensein Gottes als dem Fehlen der Transzendenz innerhalb einer rein immanenten Naturauffassung, markiert Jean Paul nämlich in erster Linie den Verlust realen menschlichen Personseinss und der sozialen und natürlichen Welt als Lebensraum des nach Zwecken handelnden Menschen. Nicht der Atheismus i. e. S., sondern der Nihilismus, der aus dem Atheismus folge, bildet wie schon in Jacobis Spinoza-Kritik das eigentliche argumentative Zentrum Jean Pauls. Neben dem sprachtheoretischen ist damit auch bereits der zweite entscheidende Ansatz der Fichte-Kritik Jean Pauls in der Claviss in der Redee vorgebildet. Analog zum Widerspruch zwischen der Absolutheit des Ich und der Annahme einer Pluralität sittlicher Subjekte bei Fichte hat bereits die Christus-Klagee über die Nichtexistenz Gottes m. a. W. wesentlich die (abstrakte) Vereinzelung jedes Menschen zum Thema. Der Atheismus zerschlage das Universum in »zahllose quecksilberne Punkte von Ichs […] ohne Einheit und Bestand«; und als Geistwesen, das Sinn und Zwecke verlange, bleibe dem Menschen damit auch das Weltall von nun an

73

KT 618. Hingegen reagiert der These Decke-Cornills nach die Christus-Redee vor allem auf die Destruktion der Gottesbeweise durch Kant und damit der Neologie als aufgeklärt-vernünftiger Theologie (Decke-Cornill [1987], 44). Für Götz Müller, der diese These bereits zurückweist, aber an einer religiös-theologischen Perspektive festhält, ist die Christus-Redee die »Negation einer eschatologisch geprägten Religiosität«, die auch vor der skeptischen Phase nicht die Theologie des Neologen Jean Paul gewesen sei (Götz Müller [1994], 40). Unklar bleibt bei Müller hier aber, wofür in seinen Augen, vom historischen Verweis auf die Tradition pietistischer Erweckungserlebnisse einmal abgesehen, die von Jean Paul dagegen ›wiedergefundene Glaubensgewißheit‹ der Sache nach eigentlich genau steht (vgl. ebd., 48). 75 Auch Jacobi hatte sich im übrigen bereits im David Humee des weitverbreiteten Topos des Traumes bedient, um auf ähnliche Weise eine Analogie zu bilden zwischen den Verhältnissen von Wahrnehmen und Vorstellen sowie von Wachzustand und Traum (JW II, 235). 74

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stumm und fremd.76 Dem Atheismus korrespondiert auch hier zugleich also, wie in Jacobis Spinozabriefen, die Vision eines streng und rein mechanischen, im endlosen Wechsel doch stets nur identisch bleibenden Weltalls, in dem statt eines vernünftig zweckbestimmten Zusammenhangs bloße »kalte, ewige Notwendigkeit« herrscht und das menschliche Leben, die scheinbare menschliche Freiheit nur als ein »Echo«, als Epiphänomen der durch effiziente Kausalität bestimmten Natur erscheint (Sieb 274). – Die Schreckensvision Jean Pauls führt drittens über ein bloß negatives Verfahren, wie bspw. eine reflexive Approximationsbewegung bei Fichte und den Frühromantikern deutlich hinaus. Die Christus-Redee adressiert sich nicht nur an ein wirkliches Gefühl von Schrecken und Verzweiflung und weiß zudem, daß es einer möglichst intensiven und zugleich authentischen, d. h. nicht selbst lediglich artistischen und als Fiktion auftretenden Schilderung bedarf, um nicht selbst dem ›Roquairol-Syndrom‹ zu verfallen und wirkliche Gefühle in ihre poetische Reproduktion bzw. Vorwegnahme aufzulösen. Vielmehr ist die Schreckensvision bei Jean Paul darüber hinaus sogar unmittelbar mit der (romantisch-schönen) Schilderung einer in Gott und im Glauben an ihn wurzelnden Wirklichkeit, zu der das Ich im Erwachen vom nihilistischen Traum zurückkehrt, verbunden. Die Christus-Redee stellt mit anderen Worten nicht nur im Gegensatz zum ›Dornenstück‹ der Romanhandlung, d. i. dem in der Endlichkeit liegenden Eheleben und fingierten Tod des Armenadvokaten Siebenkäs, selbst ein ›Blumenstück‹ dar, insofern sie die Transzendierung der Endlichkeit als poetische Selbstaufhebung des Nihilismus zum Ziel hat, sondern verweist zugleich auf die ›Fruchtstücke‹ als ihr notwendiges Komplement. Gegenstand dieser poetischen Zeichnung einer positiven Metaphysik ist vor allem die sittlich-geistige Existenz des Menschen und die »Menschenliebe«, als deren einzigen und vollkommenen »Maler« ausdrücklich Jacobi angerufen wird (Sieb 420 f.). Darüber hinaus geben u. a. die ›Fruchtstücke‹ auch die Anschauung einer durch den in ihr waltenden Geist beseelten und sublimierten Natur, einer ›zweiten‹ moralischen Welt, die durch die sinnliche hindurchscheint und sich diese anverwandelt, jedoch ohne in ihr aufzugehen. Erst indem sich in diesem Sinne komplementär zur Nihilismusvision also auch Jean Pauls positiver, metaphysischer Alternativentwurf unmittelbar manifestiert, verwirklicht sich im Roman Siebenkäss die ›doppelsinnige‹ Struktur von Jacobis ›Spinoza-Antispinoza‹

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»Ich will mit geringern Schmerzen die Unsterblichkeit als die Gottheit leugnen: dort verlier‹ ich nichts als eine mit Nebeln bedeckte Welt, hier verlier‹ ich die gegenwärtige, nämlich die Sonne derselben; das ganze geistige Universum wird durch die Hand des Atheismus zersprengt und zerschlagen in zahllose quecksilberne Punkte von Ichs, welche blinken, rinnen, irren, zusammen- und auseinanderfließen, ohne Einheit und Bestand. Niemand ist im All so sehr allein als ein Gottesläugner – er trauert mit einem verwaisten Herzen, das den Vater verloren, neben dem unermeßlichen Leichnam der Natur, den kein Weltgeist regt und zusammenhält« (Sieb 270). Vgl. hierzu auch den Brief Jean Pauls an Jacobi vom 21.1.-6.3.1806 (JPSW III/5, 80).

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vollständig.77 In der Romanhandlung entspricht diesem Festhalten an einer positiven Metaphysik endlich-unbedingter menschlicher Personalität gegen ein bloß poetisches bzw. weltimmanentes Spiel, daß sich der Titelheld nach seinem fingierten Tod tatkräftig und vertrauensvoll der Verwirklichung der Sittlichkeit in der irdischen Welt zuwendet.78 2. Jean Pauls Fichte-Kritik – die Clavis Fichtiana seu Leibgerberiana Jean Pauls kleine, im Mai 1800 erschienene Schrift Clavis fichtiana seu Leibgeberianaa präsentiert nicht allein alle relevanten Argumente Jean Pauls gegen Fichte, sondern ist ohne Zweifel einer der merkwürdigsten Beiträge innerhalb der philosophischen Auseinandersetzung um die frühe Wissenschaftslehre, versucht sie doch, zugleich Satire wie systematische Widerlegung zu sein.79 Humoristische Spottschriften gegen die idealistische Philosophie sind im frühen 19. Jahrhundert keineswegs selten; eine Schrift, die dabei jedoch »mehr eigentlich widerlegen als lachen sol«,80 stellt gleichwohl eine Ausnahme dar. Es überrascht wenig, daß entgegen Jean Pauls Absicht daher auch in der Claviss oftmals kein systematisch ernstzunehmender Beitrag zur philosophischen Kritik an Fichtes Wissenschaftslehre gesehen wurde. Vertraut man Jean Pauls Schilderungen der intensiven sachlichen Dispute miteinander, scheint Fichte ihn zwar im persönlichen Gespräch durchaus als philosophischen Widerredner geschätzt zu haben.81 Die Claviss kommentierte er jedoch zunächst nur lakonisch mit der Bemerkung, daß »[d]ieser Schlüssel […] wohl nicht schließ[e]; denn der Verfasser desselben ist nicht hineingekommen«.82 Jean Paul zeige

77

Diese Struktur wird auch von anderen Schreckensvisionen Jean Pauls dokumentiert: So folgt in »Die Vernichtung Eine Vision« auf den ›Fiebertraum vom Tod‹, der dem Menschen durch »heftige Erschütterungen« durch die Dichtkunst seine geheimen Meinungen des ›Kopfes‹ vom ›Vernichtglauben‹ als Wahn »gewaltsam entblößen« und die »Wärme des Herzens« wieder Licht in den Meinungen anzünden soll, eine emphatische Schilderung der Alliebe Gottes für seine Schöpfung (Jean Paul: Dr. Katzenbergers Badereisee [JPW I/6, 257/264]). 78 Vgl. Baierl (1992), 51 ff. Allerdings begreift Baierl, da ihm aufgrund einer verzerrten Jacobi-Wahrnehmung die enge Beziehung Jean Pauls zum unphilosophisch-metaphysischen Projekt entgeht, die widergewonnene Weltzuwendung als strikt antimetaphysisch und allein im subjektiven Bewußtsein des rein endlichen Einzelnen verbürgt. 79 Vgl. Jean Pauls Brief an Christian Otto vom 20.12.1799 (JPSW III/3, 263). 80 Brief Jean Pauls an Böttinger vom 26.12.1799 (JPSW III/3, 265). 81 Vgl. Briefe Jean Pauls an Jacobi vom 2.-27.1.1801 (JPSW III/4, 45) und vom 9.4.1801 (JPSW III/4, 63) sowie an Böttinger vom 1.3.1801 (JPSW III/4, 16); Jean Paul hatte Fichte am 21.8.1798 kennengelernt (vgl. Jean Pauls Brief an Christian Otto vom 24.8.1798 [JPSW III/3, 84]; vgl. auch Harich [1970], 13). 82 Fichte: Ankündigung einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre in der Beilage Nro. 1 der Allgemeinen Zeitungg 1801 vom 24.1.1801 (GA I,7 159).

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sein weitgehendes Unverständnis der Wissenschaftslehre – so eine mit Fichte beginnende, aber bis in jüngere Zeit verbreitete Ansicht –, indem er diese als theoretischen Solipsismus des empirischen Ich mißdeute.83 Genauer betrachtet, täusche sich Jean Paul in wenigstens sechsfacher Hinsicht: Unkundig der Terminologie der Wissenschaftslehre verwechsle er (1) Fichtes Ich mit einem Individuum, einem Ego, »dem ein menschliches Du gegenübersteht«.84 – Er würde darum (2) zudem unterstellen, Fichte ginge statt von einem objektiven Wahrheitsgefühl bzw. vom Interesse an (allgemeingültigem) Wissen nur vom Selbstgefühl und von der Sehnsucht nach reiner Subjektivität aus. Doch, so die Interpreten, treffe Jean Paul damit nicht die tatsächlichen Verhältnisse in der Wissenschaftslehre, sondern projiziere nur die eigenen Überzeugungen in sie hinein. Wenn Jean Paul annehme, daß ein einem jeden Menschen eigenes individuelless Selbstbewußtsein das einzig Beständige in einer vergänglichen Welt und innerhalb flüchtiger menschlicher Handlungen sei und dieses allein im bloßen Gefühl gegeben werde, habe dies mit Theoremen und Fragestellungen Fichtes nichts zu tun.85 – Auch vermische Jean Paul (3) die bei Fichte getrennten Sphären von theoretischem und praktischem Standpunkt.86 – Daher übersehe er (4) vor allem den Primat des praktischen Handelns und die genuin sittliche Orientierung der Wissenschaftslehre vollständig.87 Der Claviss fehle »für die Tiefe, die Originalität und den rationellen Kern der Fichteschen Freiheitsdoktrin jeder Sinn«. Im Gegensatz zum intendierten Primat des praktischen Handelns im Fichteschen System erscheine bei Jean Paul die praktische Wissenschaftslehre als bloße ›Schminke‹ des theoretischen Subjektivismus, als nachträgliche täuschende Annäherung an den gesunden Menschenverstand. Jean Paul bleibe damit selbst noch hinter Jacobi zurück, der – obwohl er, wie gesehen, gleichfalls dem vermeintlichen Primat der praktischen Wissenschaftslehre zutiefst systematisch mißtraut – »wenigstens die Kant-Fichtesche Betonung der Aktivität des Subjekts im Denk-

83

In diesem Sinne muß man wohl eine nicht leicht zu interpretierende Notiz aus der Königsberger Wissenschaftslehre 18077 verstehen, in der es in unmittelbarem Anschluß an die Unterscheidung zwischen allgemeinem Denken des Ich (bei d. Objektdenken/-erkenntnis) und einem individuell-persönlichen Denken, das nur statthabe, wenn das Ich an sich (als empirisches) denke, heißt: »Jean Paul. Ich – was hindenken. Ia eben das persönliche; wer redt denn von ihm: Das wahre ist in dieser Rüksicht nicht frei; sondern so gewiß Wissen ist, absolut gebunden: u. jeder unsrer ists. Unsere Freiheit, u. unsere Absonderung von einander liegt in den höhern Punkten; u. da denken wir denn allerdings durch Reflexion etwas hin, das ein anderer nicht ebenso hin denkt (wie z. B. ich, u. der Voraussetzung nach; Sie mit mir, die W.L.) u. leben sogar etwas hin. – Sind Einwürfe, die lediglich von kraßem Unverstande zeugen: u. von rohem Egoismus.« (GA II,10 163 f.) 84 Brose (1975), 83. 85 Storz (1951), 58 f. u. 70 f. 86 Brose (1975), 83. 87 Storz (1951), 63.

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und Erkenntnisprozeß als rationelles Moment« anerkannt habe.88 – Wegen dieses Mißverständnisses Jean Pauls greife (5) auch die sprachtheoretische Kritik der Claviss und ihr zentraler Vorwurf, daß die vermeintlichen Begriffe von ›absolutem Ich‹, ›absoluter Freiheit‹ und ›reinem Handeln auf sich‹ »nicht mehr in unserem Denk-, sondern bloß in unserm Sprachvermögen« lägen und nur einen logischen Fehler der Wissenschaftslehre verschleierten, gänzlich daneben.89 – Durch das Übersehen des sittlich-praktischen Primats habe Jean Paul schließlich (6) auch nicht verstanden, daß bei Fichte die Absolutheit des Ich originärerweise allein eine unerreichbare Ideee sei; nur dadurch dürfe er glauben, Fichtes Ich-Begriff durch die Schilderung besonders jämmerlicher konkreter Ich-Gestalten lächerlich machen zu können.90 Die Kritiker von Jean Pauls Rekonstruktion und Beurteilung der Wissenschaftslehre scheinen bei ihrem Dilettantismusverdacht außer auf sachliche Bedenken auch auf sein eigenes Zeugnis verweisen zu können: Noch im Februar 1800 während der Überarbeitung des ersten Entwurfs der Claviss bekennt Jean Paul nämlich, daß er »eigentlich Fichte nicht« »studiert« habe.91 Bereits im Mai 1799 hatte er berichtet, von »Fichte nichts gelesen [zu haben] als den Abris seines Systems in Niethammers [!] Journal, seine Moral und das was ich aus Schelling und Schlegel errieth«.92 Der entsprechende Band von Niethammers Philosophischem Journall war ihm, so geht ebenso aus seinem Briefwechsel hervor, im Mai 1798 zugeschickt worden.93 – Allerdings sind diese Zeugnisse nicht übermäßig vertrauenswürdig. Gerichtet sind sie nämlich ausgerechnet an Jacobi, Jean Pauls Mentor und Vorbild auf philosophischem Gebiet, demgegenüber er sich ohne Frage unverhältnismäßig bescheiden gibt. Umso mehr, als die Absicht dieser Briefe Jean Pauls neuerlich im Werben um die philosophische Freundschaft und Anleitung Jacobis liegt. Diesem dient auch die Versicherung, »keinen Philosophen ausser dich [d. i. Jacobi], der du mir anfangs klar und doch jährlich klärer vorkamst«, studiert zu haben,94 die Jean Paul rhetorisch geschickt durch das Bekenntnis seiner weitgehenden Unkenntnis Fichtes

88

Harich (1970), 89–91, vgl. Brief Jean Pauls an Jacobi vom 21.2.-6.3.1800 (JPSW III/3,

299). 89

Harich (1970), 90. Storz (1951), 46. Zur Kritik von Jean Pauls Fichteverständnis vgl. weiterhin Gerabek (1988), Oesch (1987), Schweikert (1970). – In jüngerer Zeit ist es u. a. Edith Düsing, die mit Verweis auf den Status des Ich als bloße Idee und dem ihm korrespondierenden Annäherungskonzept bspw. Fichtes Interpersonalitätsbeweis in der Sittenlehre, der für Jean Paul, wie wir sehen werden, eine große Rolle spielt, gegen den Vorwurf des Monologischen in Schutz nimmt, da real die Urteilskompetenz und die sittliche Freiheit der Individuen gewahrt bleibe (Edith Düsing [1989a], 33–35). 91 Brief Jean Pauls an Jacobi vom 27.1.-4.2. (JPSW III/3, 282). 92 Brief Jean Pauls an Jacobi vom 15.5.1799 (JPSW III/3, 197). 93 Brief Gottlieb Karl v. Hardenbergs an Jean Paul vom 9.5.1798 (FiG I, 517 f.). 94 Brief Jean Pauls an Jacobi vom 27.1.-4.2.1800 (JPSW III/3, 281 ff.). 90

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einleitet. – Ganz anders stellt Jean Paul seine Kenntnis der Philosophie Fichtes hingegen seinen langjährigen persönlichen Freunden gegenüber dar: Diesen vermeldet er im Dezember 1799 mehrfach selbstbewußt, inzwischen alle Werke Fichtes auf seinem Tisch, seine Philosophie »studiert« und sein »polytheistisches System« aus dessen »eignen Wurzeln« erkannt zu haben.95 – Genauer betrachtet, ergibt sich daher für Jean Pauls Kenntnisstand der Schriften Fichtes um 1800 folgendes Bild: Zwar kannte er im Mai 1797 wohl noch keines der (zur Wissenschaftslehre gehörenden) Werke Fichtes.96 Aus den Angaben vom Mai 1799 geht hervor, daß er bis zu diesem Zeitpunkt das System der Sittenlehree (1798), die Erstee und Zweite Einleitungg sowie den Versuch einer neuen Darstellungg von 1797 gelesen hat – und nur diese. – Während der eigentlichen Abfassung der Claviss studiert Jean Paul dann allerdings die ihm bisher bekannten Schriften Fichtes nicht nur erneut, sondern er setzt sich nunmehr auch mit Fichtes Grundlage der gesamten Wissenschaftslehree (1794) sowie dem Grundriß des eigentümlichen der Wissenschaftslehree (1795)97 auseinander. Bekannt sind ihm darüber hinaus zu diesem Zeitpunkt nachweislich zudem zwei Schriften Fichtes im Atheismusstreit, nämlich Über den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierungg und die Appellation an das Publicum gegen die Anklage des Atheismus (1799).98 Einzig die Programmschrift Über den Begriff der Wissenschaftslehree (1794) sowie der größere Teil des Naturrechts (1796) scheinen ihm um 1800 von Fichtes veröffentlichten frühen Hauptwerken unbekannt geblieben zu sein.99

95

Briefe Jean Pauls an Christian Otto vom 20.12.1799 (JPSW III/3, 263), an Thieriot vom 22.12.1799 (JPSW III/3, 264) und an Friedrich von Oerthel vom 27.12.1799 (JPSW III/3, 267). 96 Vgl. Brief Jean Pauls an Oertel vom 10.5.1797 auf die Frage, ob er etwas von Fichte gelesen habe: »Von Fichte bekomm‹ ich leider nichts zu sehen.« (FiG I, 434) – Einzig Fichtes frühe, vor der Wissenschaftslehre liegende, Religionsschrift Kritik aller Offenbarungg (1792) scheint Jean Paul bereits gekannt zu haben. Ob er jedoch auch um die Autorschaft Fichtes wußte, ist nicht belegbar. Anfangs zumindest glaubte er, wie viele andere, daß es sich dabei um Kants langerwartete Religionsphilosophie handele. 97 Vgl. Jean Pauls Briefe an Jacobi vom 4.10.-11.11.1799 (JPSW III/3, 249/252) u. vom 22.26.12.1799 (JPSW III/3, 265) sowie an Thieriot vom 7.12.1799 (JPSW III/3, 259). 98 Fichte: Appellation an das Publicum über die durch ein Churf. Confiscationsrescript ihm beigemessenen atheistischen Aeusserungen (SW V, 191–238) sowie Über den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierungg (SW V, 175–189). Letztere war auch der Anlaß für die Kontaktaufnahme zu Jacobi. 99 Vgl. »Er [Jean Paul] ist keiner jener Gegner, die über Fichte spotten, ohne ihn gelesen zu haben. Als er die Clavis schreibt, besitzt er alle Werke Fichtes und kennt dessen System genau. Eine Äußerung des Freundes Appel lautet,« und diese ist interessant, weil sie letztlich wieder auf den Einfluß Jacobis verweist, »daß man Spinoza gelesen haben muß, um Jean Paul zu begreifen.« (Brose [1975], 83)

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Vermitteln Jean Pauls Äußerungen gegenüber Jacobi also einen falschen Eindruck in bezug auf seine tatsächlich weitgehende Vertrautheit mit Fichtes Philosophie, geben sie zugleich doch einen wesentlichen Hinweis auf die Art und Weise ihrer Lektüre und Rezeption. Denn im Wissen um die Übereinstimmung mit Jacobi im methodischen Ansatz, betont Jean Paul im Mai 1799, seine vermeintliche Unkenntnis gleichsam rechtfertigend, daß die Kenntnis des ganzen Fichteschen Systems zu dessen Rekonstruktion und Bewertung gar nicht nötig sei. Vielmehr komme es nur »auf das Fassen des Prinzips, seines Archäus und fluidum nerveum an, dan lässet sich sogar vom niedern Kopfe alles andere, was sein höherer nachspint, konsequent und schwizend bei- und nachschaffen.«100 Dies bedeutet für Jean Pauls Lektüre, daß er seiner Überzeugung nach in Fichtes Schriften teilweise nur zu ›blättern‹ braucht; mithin liest er tatsächlich wohl nur i n der Grundlagee und i m Grundriß, ß statt d ie Grundlagee oder den Grundrißß (vollständig) zu 101 studieren. Für Jean Pauls in der Claviss entwickelte Fichte-Kritik folgt aus der methodischen Prämisse schließlich, daß sie sich auf das Herausstellen und Kritisieren des Prinzips der Wissenschaftslehre und das selbstständige Folgern der sich daraus ergebenden Konsequenzen beschränkt. * Mit dem stärkeren Aufmerken auf die letztlich doch große Vertrautheit Jean Pauls mit Fichtes Werken und einer darum sorgfältigeren, Jean Pauls Methode ernstnehmenderen Lektüre seiner eigenen kritischen Schriften hat sich, zunächst vereinzelt, in jüngerer Zeit aber zunehmend, eine Jean Paul gegenüber gerechtere Deutung etabliert, die die gröbsten Behauptungen über seinen vermeintlichen philosophischen Dilettantismus zurückweisen. Mehr und mehr wird heutzutage anerkannt, wie raffiniert und vielschichtig Jean Paul die Claviss komponiert, so daß von einer einfachen Verwechslung von empirischem und transzendentalem Ich keine Rede sein könne102. Auch wird der sachliche Wert der sprachphilosophischen Kritik Jean

100

Brief Jean Pauls an Jacobi vom 15.5.1799 (JPSW III/3,198). Brief Jean Pauls an Jacobi vom 27.1.-4.2.1800 (JPSW III/3, 283). 102 Zuerst Kommerell (²1977, 1933), 347: »Jean Paul weiß sehr genau den Unterschied dreier Ichbegriffe: des empirischen Ich, des Ich als Kantischen Subjekts (der transzendentalen Einheit der Apperzeption), und der Aseitas, des absoluten Ich. Wenn er sie also in einem Zerrbild vermischt, so liegt darin ein Vorwurf gegen Fichte, daß diese drei Ichheiten in ihrer reinen Trennung unvorstellbar seien, daß die Art, wie Fichte sie miteinander in Bezug setzt, auf einem leeren Wortzauber beruhe«. Vgl. auch Brose (1975), 78, Hesse (2005), 107–149 u. Hesse (2010), 99 ff. Zur Verteidigung von Jean Pauls Verständnis der Wissenschaftslehre und seiner Gegenargumente (besonders der Sprachkritik): vgl. weiterhin Heinemann (2001), Gehrs (1996), Sinn (1995), Baierl (1992), Holdener (1993,) Götz Müller (1990), Wiethölter (1979), Harich (1968). 101

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Pauls an der Wissenschaftslehre vermehrt hervorgehoben. Im Zuge dessen wird nunmehr auch der These widersprochen, daß Jean Pauls Auseinandersetzung mit Fichte »unkritisch« bliebe, weil sie sich letztlich ganz und ausschließlich auf Jacobi berufe.103 Vielmehr würden gerade die sprachphilosophischen Argumente in dem Maße das Gegenteil zeigen, wie sie einen »nahezu exklusive[n] Aspekt« der Claviss bildeten.104 Zwar seien insbesondere Hamann und Herder – letzterer vor allem durch die These, »daß die Sprache weiter ins Abgezogene reicht als das Denken«105 – Anreger und Vorbilder für die sprachtheoretische Kritik der Claviss an der Transzendentalphilosophie. Jean Paul setze jedoch in erheblichem Maße neue Akzente und entscheidende Korrekturen, finde neue Gesichtspunkte und qualitative Verbesserungen: So verzichte er zum einen auf die philologischee Belehrung über eine terminologiegeschichtlich unangemessene Begriffsverwendung zugunsten einer rein sachlichen Kritik qua Bedeutungsanalyse. Zum anderen aber erlange erst Jean Pauls sprachtheoretische Kritik »einen Grad an philosophisch-abstrakter Allgemeinheit und Grundsätzlichkeit, der es gestattet, in ih[r] ein neues methodologisches Prinzip zu erblicken«.106 Ob Herders und Hamanns Kritik der Transzendentalphilosophie als Kritik ihrer Sprache mit der Charakterisierung als prätentiöse sachfremde philologische Bevormundung im Kern erfaßt ist, ist zwar mehr als zweifelhaft, soll hier jedoch nicht weiter verfolgt werden. Interessanter ist im Moment etwas anderes: Beiden Jean Pauls Überlegungen auszeichnenden und vermeintlich sogar exklusiven Hinsichten liegt, das sieht auch Harich, zugrunde, daß Jean Paul Hamanns und Herders sprachphilosophische Errungenschaften mit der streng vernunfttheoretisch verfahrenden Kritik Jacobis an Fichte verbindet und ihnen somit allererst ein philosophisch-sachliches Fundament gibt. – Ohne Zweifel, so werden wir sehen, liegt hier die Stärke Jean Paulscher Argumente, ebenso aber auch ihre Substanz. Diese ist damit, recht besehen, eher erkenntniskritisch als primär oder gar rein sprachtheoretisch. Genießt Jean Pauls sprachtheoretische Kritik der Wissenschaftslehre inzwischen, sicherlich auch angesichts des allgemeinen zeitgenössischen Interesses an Sprachphilosophie, größeres Ansehen (und wird vielleicht sogar gelegentlich in ihrer Originalität überschätzt), gilt das für seine andere grundlegende Argumentationsstrategie gegen die Wissenschaftslehre nicht annähernd. Obwohl einen Brennpunkt der Claviss bildend, stehen dem von Jean Paul erhobenem Solipsismus-Vorwurf, der im wesentlichen in Auseinandersetzung mit Fichtes Interpersonalitätstheorie entwickelt wird, selbst die wohlmeinendsten Interpreten eher skep-

103 104 105 106

Brose (1975), 78. Harich (1970), 81. Kommerell (1933/²1977), 349. Harich (1970), 83.

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tisch gegenüber. Die Einschätzung, daß seine Rekonstruktion und Widerlegung des Interpersonalitätstheorems bei Fichte in wesentlichen Teilen allenfalls dessen Fassung in den Vorlesungen von den Pflichten der Gelehrten (1794/95) treffe und zudem Jean Pauls Unkenntnis des Aufforderungsgedankens aus Naturrechtt (1797) und Sittenlehree (1798) zeige, schreibt damit unter der Hand den Vorwurf fort, Jean Paul übersehe oder unterschätze zumindest die originär praktische Ausrichtung der Wissenschaftslehre. Wir haben gesehen, daß bereits Fichte selbst einen analogen Vorwurf an Jacobi adressierte, der zwar historisch nicht unbegründet ist, sich bei genauer Prüfung allerdings sachlich als wenig erfolgversprechende Verteidigungsstrategie der Wissenschaftslehre erwies. Ganz augenscheinlich überraschend ist die bis heute anerkannte Fortschreibung dieses Vorwurfes gegen Jean Paul jedoch, behält man im Auge, daß dieser im Gegensatz zu Jacobi seinen Zugang zu Fichte eben wesentlich auch über die praktische Philosophie, vor allem die Sittenlehre, genommen hat.107 Hinzu kommt, daß er die Egoismusdiagnose zudem gerade im vollen Aufmerken auf Fichtes Interpersonalitätstheorem in der reifen Fassung, das ein zentrales Moment der praktischen Wissenschaftslehre bildet, formuliert. Jean Pauls Claviss versteht sich selbst sogar im ganzen wesentlich als der Versuch, »den fichtischen Idealismus mit dem apodiktischen Dasein fremder Mit-Ichs, das ihn gerade stützen soll, umzubrechen« (Cl 1013). Nicht entgangen ist dieser entscheidende Punkt bereits Jacobi. Dieser hat Jean Paul nicht nur mehrmals seines »Beifall[s]« zur Claviss »im vollsten Maße« versichert (JBr II, 290): Bei jedem Wiederlesen, und er habe dies viele Male getan, sei sie ihm »vortrefflicher vorgekommen«. »Die Einleitung vornehmlich ist durchaus meisterhaft. Ganz vortrefflich ist auch der Schluß des Ganzen.«108 Vor allem aber ist es auch die »Art«, wie er »im Abschnitte von der VielIcherei, der Hülfe aus der Moralphilosophie begegne[t], und dem Erfinder den alten grauen Schneeklumpen des Realismus wieder vor die Thüre bring[t]«, mithin Jean Pauls Argumentation mit und gegen Fichtes Interpersonalitätstheorem, dem Jacobi Zustimmung und Bewunderung zollt.109 – Auch Fichtes einzig halbwegs positive Bemerkung über

107

Vgl. Jean Pauls Briefe an Jacobi vom 13.10.1798, 3.-6.12.1798 und 15.5.-4.6.1799 (JPSW III/3, 106 f./128 ff./197 ff.). 108 Brief Jacobis an Jean Paul vom 3.9.1800 (JNach I, 279). 109 Brief Jacobis an Jean Paul vom 11.1.1800 (JBr II, 291). Vgl. auch Jacobis Antwort vom 16.3.1800 auf die Bitte Jean Pauls um Kritik der Fichteauseinandersetzung in der Clavis, in der Jacobi sowohl Jean Paul These, daß die Aufgabe der Philosophie bei Fichte allein die Rechtfertigung des »natürliche[n] Wahnsinn[s]«, des »Traum[s] der Erfahrung als Traum« sei, unterstreicht, als auch seine Diagnose von einer bloß formal-leeren, Welt und materiale Sittlichkeit vernichtenden Freiheit in der Wissenschaftslehre wiederholt. »Du wolltest über mehrere Punkte«, so faßt Jacobi seine vollumfängliche Zustimmung zur Claviss zusammen, »Ja oder Nein von mir hören; und meine Meynung war überall Ja.« (JNach I, 239 f.)

182

B. Jean Paul auf den Spuren Jacobis

Jean Paul und die Claviss bezieht sich im übrigen auf die These von der Einsamkeit des absoluten Ich, die der Auseinandersetzung mit dem Interpersonalitätstheorem zugrunde liegt.110 Die sprachphilosophischen Überlegungen, so fällt auf, heben hingegen weder Jacobi noch Fichte eigens und affirmativ hervor. * Die komplizierte und bewußt verwirrende Komposition der Claviss macht ihre angemessene Analyse und gerechte Beurteilung allerdings auch nicht leicht. Denn es gilt in dieser kleinen Schrift, allein drei Abschnitte und fünf Texte von zwei (oder gar drei) zum Teil fiktiven Autoren sowie zwei Redemodi, Scherz und Ernst, zu unterscheiden: Auf eine mit »Jean Paul F. Richter« unterzeichnete »Vorrede«, die eine Würdigung des nachfolgenden Textes mit einer grundsätzlichen Kritik des Prinzips der Wissenschaftslehre verbindet, folgt ein »Protektorium für den Herausgeber« eines fiktionalen Herausgebers. Dieses enthält neben dessen »Exercitationes über das Philosophieren insgemein«, die eine explizite sprachphilosophische Kritik der Wissenschaftslehre entwickeln, einen Brief der Romanfigur Leibgeber, in dem er um die Veröffentlichung einer von ihm verfaßten fichtianischen Abhandlung ersucht. Dieses Manuskript bildet den dritten Teil, die »Clavis«111 im engeren Sinne – allerdings, so zeigt eine vom fiktiven Herausgeber verantwortete Anmerkung (CL 1022 Anm.), in einer von diesem grundlegend bearbeiteten Gestalt: Leibgebers ursprüngliche Fassung, die vom Leser erst selbständig zu rekonstruieren ist, gab ohne Beweis die Resultate der Wissenschaftslehre »in der leichten wechselnden Form eines Wörterbuchs, wie die kantianischen sind« (Cl 1022). Für die ›Druckfassung‹ hat der Herausgeber, angeblich der bündigeren und faßlicheren Darstellung wegen, die alphabetische Ordnung »in eine systematische umgesetzt«, Leibgebers Überlegungen in Paragraphen eingeteilt und um Anmerkungen ergänzt. –

110

»Es sieht sich = Wahrnehmung: innerlich, im ungetheilten Lichtflus eben, alss Ich, a priori. Doppelter Ausdruk des Sehens: Intuition [der Vernunft ?eines ursprünglichen und absoluten Lebens], u. Intelligiren [kein Anschauen, sondern reines Denken]: rein u. ungetheilt Eins nicht ohne das andere. Quelle beiderr Welten [?äußerliche und innerliche? Oder empirisch-(die gundlegendere)intelligble?], die nie von einander getrennt werden können. (Ist nicht unbedeutend, bei weitem aber noch nicht das höchste) Es läßt sich daher nicht einmal die Persönlichkeit u. Individualität, in einer VftWelt erklären. Dieses Ich bleibt ewig allein. (Herr I.P. Richter in seiner clavis Fichtiana, der das ich der W.L. auch da findet, klagt besonders über die Einsamkeit desselben. Ich habe nicht recht verstehen können, inwiefern er den Grund deutlich eingesehen hat. Eingesehen nun oder nicht, so hat er durch Ahndung den Nagel weit besser getroffen, als einer der spekulativen Bestreiter [Schelling?].« (Fichte: Vorlesungsnotizen 3ter Cours der W.L. 1804 [GA II,7 351]) 111 Im Folgenden ist darauf zu achten, daß »Clavis« stets allein für den dritten Teil von Jean Pauls kleiner Schrift Claviss steht.

I. Jean Paul und die Transzendentalphilosophie

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Vergleicht man beide Fassungen, ergeben sich aus den Umstellungen und Ergänzungen, so werden wir sehen, tatsächlich jedoch erhebliche, philosophisch-systematisch bedeutsame Veränderungen bezüglich Anliegen, Strategie und Charakter der inneren »Clavis«. Die komplexe, erheblichen Rekonstruktionsaufwand fordernde Inszenierung ist m. a. W. selbst unmittelbar von sachlich-philosophischem Belang und eine Konsequenz, die Jean Paul, wieder ganz auf den Spuren Jacobis, aus dem schwierigen Verhältnis zwischen praktisch-existentieller Systemkritik und verständig-systemischen Philosophieren zieht. Darum ist es bedauerlich, daß der Umstand der Bearbeitung von Leibgebers Urfassung der »Clavis« – von drei Veröffentlichungen aus jüngerer und jüngster Zeit einmal abgesehen112 – kein intensiveres interpretatorisches Interesse gefunden hat, schon gar nicht von philosophischer Seite. Denn aus der differenzierten, primär begrifflich-argumentativen Auseinandersetzung Leibgebers mit Fichte wird erst in der ›Druckfassung‹ die Darstellung als vermeintlich pathologischer Fall eines Fichteanhängers, der über der Nachkonstruktion der Wissenschaftslehre verrückt geworden ist.113 Die Urfassung Leibgebers kritisiert hingegen die Wissenschaftslehre immanent, insofern deren eigenes Interpersonalitätstheorem gleichsam ein Übermaßß an Objektivität innerhalb eines subjektfundierten transzendentalphilosophischen Systementwurfs impliziert. Achtet man auf die grundlegende Differenz beider Fassungen, greifen schließlich auch Interpretationen zu kurz, die die in der »Clavis« erfolgende, dem Text Fichtes jedoch widersprechende Identifizierung von absolutem und empirischem Ich dadurch aufklären und rechtfertigen wollen, daß sie sie allein als Auffassung Leibgebers präsentieren.114 Dieses ist jedoch mitnichten der Fall. Zwar betont eine solche Interpretation zu Recht Absichtlichkeit und Inszenierungscharakter dieser scheinbar irrtümlichen Identifizierung. Sie übersieht jedoch, daß die Unterscheidung hierbei nicht zwischen den Auffassungen Jean Pauls selbst und seiner Romanfigur Leibgeber zu machen ist, sondern viel eher den beiden Reflexionsmodi von Ernst und Scherz entspricht, die beide gemeinsam Leibgebers Urfassung der »Clavis« charakterisieren. Der Unterscheidung von Ernst und Scherz korrespondiert in der »Clavis« aber diejenige von begrifflich-philosophischer Argumentation und, mit Jacobi gesprochen, ›unphilosophischer‹, existentiell-anschaulicher Darstellung. »Leibgebers Zusammenschütten des Spaßes und Ernstes« kommt dadurch trotz gelegentlicher Klagen Jean Pauls über seine nicht zu zähmende humoristische Manier eine wohlkalkulierte inhaltliche Funktion zu. Es bedarf des »Spaß[es]«, um »dadurch den Ernst« allererst vollständig und wesentlich zu verstehen (Cl 1017). Was

112 113 114

Timothy J. Chamberlain (1989), Sandra Hesse (2005) und (2010). So auch Hesse (2010), 102. Vgl. z. B. Harich (1970), 100–102 u. 100 Anm.

184

B. Jean Paul auf den Spuren Jacobis

dies heißen kann, wird weiter unten zu klären sein – zumal im Aspekt des Humors Jean Paul zwar wiederum, analog zu den experimentalnihilistischen Schreckensvisionen, an Jacobis Strategie unphilosophischen Widersprechens gegen rein natürliche, vollständig rationale systemische Welterklärungsmodelle anschließt, zugleich dieses Motiv aber auf durchaus originelle (Jacobi selbst gelegentlich irritierende) Weise auslegt. Aufgrund der gerade beschriebenen schwierigen Verhältnisse orientiert sich die Interpretation der Claviss im folgenden nichtt an ihrem linearen Textverlauf. Erforderlich ist vielmehr zunächst, der Textgestalt entgegen mit der Analyse der philosophischen Grundlinien von Leibgebers ursprünglicher »Clavis« und seinem Begleitschreiben an den fiktionalen Herausgeber zu beginnen, um beide im nächsten Schritt mit der ›Druckfassung‹ der »Clavis« zu konfrontieren. Schließlich werden zur Aufdeckung wesentlicher Grundlagen der Kritik Jean Pauls in einem dritten und vierten Schritt zudem auch des Herausgebers »Exercitationes« sowie die »Vorrede« in die Interpretation einbezogen werden.

a. Die »Clavis« Leibgebers – Jean Pauls Kritik der Interpersonalitätslehre Fichtes α) Anliegen, Strategie und Argumentation Leibgebers Begleitschreiben zur »Clavis« gibt bereits wesentliche Hinweise auf Hintergründe, Strategien und Anliegen seiner kleinen Schrift: Diese sei (1) »im Feuer gemacht«, in einer Phase seines Lebens, in der er am »allgemeine[n] Wettlauf nach Wahrheit und Freiheit« teilgenommen habe. Das ganze Jahrhundert sei solch ein »Wettrennen nach großen Zielen«, allerdings, so schon hier der Vorbehalt, ein »Wettrennen nach großen Zielen mit kleinen Menschen« (Cl 1020). Fichte-Kritik und Kritik des Zeitalters werden also auch von Leibgeber ausdrücklich enggeführt – und zwar in der Weise, daß die Wissenschaftslehre auch hier gleichsam zum Paradigma eines ganzen Typs aufgeklärten Weltzugriffs wird. Denn die Auseinandersetzung findet allein und zudem sehr detailliert mit der Fichteschen Philosophie statt. Bereits die erste kurze Charakterisierung seines Anliegens zeigt dies an: Leibgeber hat dabei nämlich die zwei Brennpunkte der Fichteschen Philosophie schon richtig und präzise erfaßt: ›Wahrheit und Freiheit‹, die Wissenschaftslehre als ein System des Wissens mit einem reinen Akt der Freiheit als Prinzip.115 Und wenn durch den Blick auf die ›Kleinheit der Menschen‹, auf die Endlichkeit des Einzelnen Leibgeber bereits die entscheidende Perspektive seines Protestes gegen die

115

Zugleich zeigt dies auch an, daß Jean Paul die Wissenschaftslehre nicht auf eine Theorie der Subjektivität verkürzt, vgl. Fn. 12, S. XI.

I. Jean Paul und die Transzendentalphilosophie

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Wissenschaftslehre andeutet, liegt darin zwar auch ein Vorbehalt. Die Beschreibung des ›Wettrennens nach großen Zielen‹ hat zugleich jedoch durchaus rekonstruktiven Charakter und zeigt an, daß Jean Paul die teleologische Strebenatur des Fichteschen Ichs als Idee keineswegs entgeht. – Denn insofern auch Leibgeber, zumindest temporär, an diesem ›Feuer‹ teilhat, werden der »Clavis« (2) nicht nur sachlich-ernste Absichten zugesprochen, sondern sie erscheint selbst zunächst als ein Dokument des Fichtianismus, als Zeugnis eines überzeugten oder wenigstens konsequenten Fichtianers. – Dabei bildet nach Leibgeber die Wissenschaftslehre (3) die aus systematischen Gründen notwendig radikalisierte Fassung des transzendentalidealistischen Ansatzes Kants, wobei es (4) nicht um die »Beweise«, sondern um die tatsächlichen »Resultate« der Wissenschaftslehre gehe: Da die Vernunft »wie der Träumer, wie sie auch sich plage und kneife und vom Träumen träume, nicht aus sich heraus[könne]« und zugleich nichts Fremdes in sich dulde, ihr einziger Gehalt mithin sie selbst (bzw. Wort, Geist, ideales Handeln) sei, müsse ein konsequentes Vernunftsystem, so wiederholt Leibgeber die Grundthese der Beilage zum David Hume, vermeintliche ›Dinge an sich‹ vollständig vernichten.116 Von ihnen bleibe nur »die ideale Endlichkeit der Unendlichkeit«, so Leibgeber in Anspielung auf die spontane und darum letztlich unerklärliche Selbstbeschränkung der absoluten Ichtätigkeit bei Fichte, durch die die Wissenschaftslehre Kants Annahme von ›Dingen an sich‹ auf den Rat Jacobis hin zu Recht vernichtet habe. – In einem weiche die »Clavis« (5) aber von Fichtes Wissenschaftslehre ab: sie stelle die »Resultate konsequenter und so [dar], daß sie dem sogenannten Menschenverstand eigentlicher echter Wahnsinn sind«. Jean Paul behauptet also nicht, daß Leibgeber hier Fichtes Argumente und Thesen vorträgt. Vielmehr setzt Leibgeber Jacobis Forderung gegenüber Kant, konsequent zu philosophieren und sich damit zu einem egologischen Solipsismus zu bekennen, nunmehr im Blick auf Fichte noch einmal kompromißlos um, geht also im Geiste Jacobis hier auch über diesen hinaus. Dies bedeutet aber für Leibgeber, bei der Aufhebung des ›Dinges an sich‹ nicht stehenzubleiben: Fichte solle auch noch die ideale Endlichkeit der Erscheinungen, die alltägliche Erfahrungswelt des sogenannten gesunden Menschenverstandes auflösen, damit nichts als Unendlichkeit bleibe – und somit das absolute Ich als Prinzip widerspruchsfrei bestehen könne.117 »[D]ie Vernunft brauchte nichts mehr zu erklären,

116

Zum ausdrücklichen Bezug dieses Gedankens auf Jacobis David Humee vgl. Brief Jean Pauls an Herder vom 23.11.1798 (JPSW III/3, 16). 117 Hierzu bemerkt der fiktive Herausgeber zustimmend: »Fichte sagt popular (und eben darum unverständlich): ›mit einem Hauch‹ kann unser Geist das Universum ins Nichts zurückwerfen. Im Sinne seines Systems heißet das: unser absolutes unendliches Ich kann seine Einschränkung, d. h. sein Setzen des Nicht-Ichs (des Universums) aufheben, folglich mit dem Obauch das Subjekt oder das bewußte Ich, mithin alles Sein; denn es selber istt nicht, wiewohl es stets wirdd oder handelt.« (Cl 1021 Anm.)

186

B. Jean Paul auf den Spuren Jacobis

weil sie selber nicht einmal mehr da wäre; – das erst, dünkt mich, würde der echte philosophische Fohismus sein, nach welchem sämtliche Schulen und wir alle so ringen.« (Cl 1022) – Das Aufzeigen der konsequentergestellten Resultate der Wissenschaftslehre, d. i. der notwendigen Folgen aus dem egologischen Prinzip als absolutem Ich, ist damit, wie die Nihilismusdiagnose Jacobis gegen Spinoza, entscheidendes Moment in einem »wichtigen Beweis«. – Der ›Wahnsinn‹ der »Clavis« ist mithin ein strategischer – ein doppelsinnig strategischer sogar: Leibgeber gewinnt aus der Unterscheidung von philosophischem und lebenspraktischem Standpunkt vorgeblich ein wenigstens negatives Kriterium für die Wahrheit eines philosophischen Systems. Eine Philosophie, die dem gemeinen Bewußtsein nicht widerspricht, könne – so Leibgebers These – unmöglich wahr sein. Genau dies ist der ›Schlüssel‹ (›clavis‹) zu Fichtes Wissenschaftslehre, den Leibgeber, ähnlich wie Jacobi Goethe als Schlüssel des Kantischen Systems die ›Ding-an-sich-Problematik‹ gibt, durch seine »Clavis« vorstellt (Cl 1023). – Genau genommen, ist diese These für Jean Paul aber der Schlüssel zu zwei ›Schlössern‹ bzw. Sachverhalten: der Schlüssel zu Fichtes Philosophie ebenso wie zu ihrer grundlegenden Kritik. Inszeniert die »Clavis« die Wissenschaftslehre als irr-sinnige Position, als Ver-rückung und Gegenteil lebensweltlicher Überzeugungen, dann geschieht dies zum einen mit dem (vorgeblichen) Ziel, auf diese Weise einen impliziten Beweis ihrer Richtigkeit bzw. der Möglichkeit ihrer Richtigkeit zu geben. Dieser Gedanke, der sich auf den ersten Blick wie ein grober Schabernack ausnimmt, hat trotz aller Überzeichnung zunächst einen sachlich-rationalen Kern. Denn Fichte hält in seinen fortgesetzten, nicht zuletzt von Jacobis Einwänden provozierten Versuchen, das Verhältnis von Philosophie und Leben zu bestimmen, an einer grundsätzlichen Unterscheidung, ja Entgegensetzung beider fest. Zwar soll Philosophie die Denkart im Leben erklären und beeinflussen können, die transzendentalidealistische Interpretation des Seienden durch die Philosophie gilt Fichte stets jedoch als genauso wenig in die Lebenswelt übertragbar wie umgekehrt das notwendigerweise realistische Weltverhältnis der Lebenspraxis in die philosophische Erkenntnis.118 Nur ist diese Entgegensetzung der lebensweltlichen Interpretation für Fichte selbstverständlich kein Kriterium für die Richtigkeit der Wissenschaftslehre, sondern erscheint im Gegenteil selber erst als Resultat ihrer Ableitungen als gerechtfertigt. Genau Leibgebers Verkehrung dieser Verhältnisse, die ihm angesichts der konzisen Wiedergabe von begrifflichen Entwicklungen der Wissenschaftslehre in der »Clavis« ohne Zweifel bewußt ist, weisen seine indirekte Beweisfigur und ihre vorgebliche Absicht zum anderen als Scherz aus – als ein Scherz, der wie die experimentalnihilistischen Schreckensvisionen Jacobis Überzeugung umsetzt, daß der Wissenschaftslehre nur durch das Bewußtmachen ihrer für das Selbstverständnis des Ich als konkretem Individuum

118

Vgl. Breazeale (1989).

I. Jean Paul und die Transzendentalphilosophie

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unannehmbaren Konsequenzen entgegenzutreten sei. Die Gabe des ›Schlüssels‹ ist also nur als in sich wesentlich humoristische, zwar nicht logisch widersprüchliche, aber praktisch-existentiell sich selbstauflösende Figur richtig zu verstehen. »Wenn mein Schlüssel sich nicht ab-, sondern das Uhrwerk aufdreht«, so betont Leibgeber selbst diese Ambivalenz, »will ich ihn lebenslang tragen als Kammerherrnschlüssel, Löseschlüssel, Dieterich u. dergl.« (Cl 1023) – Zum kritisch-humoristischen Verfahren Jean Pauls, das u. a. wesentlich, so werden wir sehen, auf dem Kontrast zwischen vermeintlichen und tatsächlichen Absichten beruht, gehört (6) auch die von Leibgeber gewählte Darstellungsweise. Weil er keinen direkten Beweis für die Wissenschaftslehre anstrebe, stelle die »Clavis«, so Leibgebers Erklärung, ihre Resultate allein »in der leichten wechselnden Form eines Wörterbuchs, wie die kantianischen sind« dar (Cl 1022). Leibgeber hat also vermeintlich die ursprüngliche transzendentallogische Ableitungsstruktur der Wissenschaftslehre aus einem ersten real-idealen Prinzip durch ein rein äußerliches, historisch-zufälliges Ordnungskriterium, das ein Wörterbuch wie eine moderne Enzyklopädie charakterisiert, ersetzt: die alphabetische Abfolge der Stichwörter. Was mit dieser Operation auf der Darstellungsebene bereits an sachlicher Bewertung der Wissenschaftslehre impliziert ist, führt besonders deutlich Jean Pauls einige Jahre später entstandene Erzählung Leben Fibels (1808) vor.119 Denn in der biographischen Denkschrift an den vorgeblichen Namenspatron einer ganzen Buchgattung und Schöpfer eines eigenen Buchstabierlehrbuches zeigt sich das Alphabet als ebenso grundlegendes wie formaless Ordnungssystem – auf der formalen Ebene der Biographie Fibels ebenso wie in dessen tatsächlichem Leben und Handeln: Die Zeugnisse über Fibel sind, da eine alte Lebensbeschreibung zum Vergnügen zerschnitten und aus dem Fenster fliegen gelassen wurde, nur als zufällig zusammengestellte und unvollständige Lose-Blatt-Sammlung erhalten bzw. vom angehenden Biographen ›Jean Paul Fr. Richter‹ allererst wieder zusammenzutragen. Darüber hinaus verbleibt ›Jean Pauls‹ Umsetzung dieser Zeugnisse in eine folgerichtige, auf die Erfindung des Buchstabierlehrbuches teleologisch gerichtete Lebensbeschreibung wegen der offensichtlichen Inhaltsleere und Banalität des zu schildernden Lebens und Werkes jederzeit ironisch gebrochen. Zur gelingenden Narration eines tatsächlichen Lebens fehlt es an existentiell bedeutsamen konkret-zeitlichen Handlungen und Werken. Fibel fällt gleichsam aus der erzählbaren Lebenszeit heraus; daher überrascht wenig, daß ›Jean Paul‹ in einer Nachschrift zur Lebensbeschreibung Fibels berichten kann, inzwischen zufällig Fibel selbst im Alter von über 125 Jahren lebendig angetroffen zu haben. – Viel gibt es über Fibel nämlich nicht zu berichten. Umso mehr erhellt dieses jedoch die Bedeutung der alphabetischen Ordnung von Leibgebers

119

Jean Paul: Leben Fibels, des Verfassers der bienrodischen Fibell (JPW I/6, 365–562). – Zum Leben Fibelss vgl. Timothy J. Chamberlain (1989) u. Thomas Wirtz (2001).

188

B. Jean Paul auf den Spuren Jacobis

›Wissenschaftslehre‹, auch in der »Clavis«: Fibel lernt in kurzer Zeit, so erfahren wir das Entscheidende seines Tuns und Lebens, eine Vielzahl verschiedener Alphabete fremder Sprachen, in denen er schon bald ganze Bücher liest. Daß er dabei kein Wort versteht, spielt für ihn keine Rolle, da ihm nicht der Stoff, sondern allein die Buchstaben- und Laut-Form etwas bedeutet. Die sprachlichen Zeichen bleiben für ihn, eine ausdrückliche These der Claviss zur Wissenschaftslehre gleichsam aufnehmend, ohne Beziehung auf Begriffe oder Gedanken. Erfindet Fibel selbst neue willkürliche Alphabete, überträgt er daher nur Texte mit unbedeutendem Inhalt in sie, beim Lesen und Transkribieren hat er genauso viel Freude an Adreßbüchern, selbst an bloßen Bucheinbänden. Dem korrespondiert, daß mit Ausnahme der ›Fibel‹ von den vermeintlich über 130 eigenen Werken Fibels auch nur die Buchhüllen überliefert sind. Bezeichnenderweise hatte er zu den zerstörten Büchern auch gar keinen inhaltlichen Beitrag geleistet, sondern nur die Angewohnheit, anonym erschienene Schriften jeglichen Fachgebietes und in jeglicher Sprache durch das geschickte Anbringen seines eigenen Namensstempels an der vakanten Autorenposition sich als sein Werk zu eigen zu machen. Ohne betrügerische Absicht im übrigen. Vielmehr ist ihm die Tätigkeit des Schriftstellers keine andere als die eines bloßen Kopisten oder Druckers. Demgegenüber ist er zwar sehr wohl Autor der ›Fibel‹, doch dieses deutsche Buchstabierlehrbuch bleibt dafür im ganzen ein rein formales Werk, selbst wenn in ihm, so die offensichtliche, parodistische Analogie zur Unterscheidung von reiner und angewandter Vernunft in der Transzendentalphilosophie, ein reiner Teil, der allein das bloße Alphabet vorstellt, und ein angewandter Teil, der Reime zur Memorierung der einzelnen Buchstaben gibt, zu unterscheiden sind. Denn die Reime berühren zwar geradezu enzyklopädisch die verschiedensten Gegenstandsbereiche, doch bleiben auch sie auf sachlich-inhaltlicher Ebene abstrus oder banal, ohne Bedeutung und Inhalt. Wiederum zählt allein das Alphabet selbst als reines Prinzip. Insofern es mit seinen 24 Buchstaben ein vollständiges und abgeschlossenes System darstelle, aus dem formal die verschiedensten Sprachen und willkürlich ins Unendliche immer neue gebildet werden könnten und alle Gedanken, Bücher, Enzyklopädien, wissenschaftlichen Abhandlungen etc. in ihnen, erscheint das Alphabet als die »so lange gesuchte und endlich gefundne allgemeine Sprache, aus welcher […] alle wirklichen Sprachen zu verstehen« sind. Jean Paul stellt schließlich selbst den unmittelbaren Bezug zu seiner Fichte-Kritik der Claviss her: Die Buchstabierkunst als Wissenschaft vom Alphabet sei mithin – und auch hier bewahrt er den Gedanken der sachlichen Zuspitzung und Überbietung der realen Wissenschaftslehre – »die wahre Wissenschaftslehre jeder Wissenschaftslehre« (JPW I/6, 489). Und Fibel selbst wird (ähnlich wie Leibgeber in der Rolle des konsequenten Fichteaners) als Erfinder oder Erhalter des Alphabets zum Schöpfer des Universums – eines Universums aber, dem es an wesentlichem Inhalt und Leben fehlt. *

I. Jean Paul und die Transzendentalphilosophie

189

Rekonstruiert man die alphabetische Ordnung der ursprünglichen »Clavis« Leibgebers, ergibt sich für die Paragraphen folgende originäre Reihenfolge: § 6 (Aseitas), § 5 (Causa sui, absolute Freiheit, unbedingte Realität), § 15 (Die Leiden eines Gottes im Gethsemane-Garten), § 7 (Empirisches Ich, Ich schlechtweg, intelligentes, bewußtes Ich, Subjekt), § 14 (Fetischerei), § 10 (Höchste Höhe der Reflexion), § 3 (Ich, absolutes, reines), § 9 (Idealismus), § 4 (Immanentes Noumenon), § 12 (Leibgeber), § 8 (Objekt, Nicht-Ich, Ausdehnung), § 11 (Vernunft), § 13 (Vielgötterei oder Viel-Icherei), § 1 (Was ist Wahrheit?), § 2 (Zirkel). – Bereits ein erster Blick in diese Abschnitte zeigt, daß die alphabetisch-formale Anordnung keineswegs im Gegensatz zur inhaltlich-systematischen Gedankenentwicklung steht. Vielmehr wiederholt sie in Grundzügen die Gliederung von Fichtes früher Wissenschaftslehre – und zwar in der Fassung der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre:120 Ausgehend vom absoluten Ich vollzieht der Gedankengang von Leibgebers ursprünglicher »Clavis« also über die Etappen des intelligenten, dem Nicht-Ich entgegengesetzten empirischen Ich, der (Deduktion der) Vorstellung und des praktischen Ich die wesentlichen Schritte der Grundlagee stichwortartig nach – allein regelmäßig unterbrochen durch satirische oder satirisch-kritische Einschübe. Insofern sich daher die alphabetische Gliederung, die zwar fest und eindeutig, aber willkürlich und bedeutungslos verbindet, als dem Fichteschen Text durchaus angemessenes Ordnungsprinzip erweist, ist die Transzendentalphilosophie schon durch sie allein als eine realitätslos bleibende Wirklichkeitserklärung charakterisiert – noch immer in der Jean Paul mit Jacobi verbindenden Doppelbödigkeit von konsequent zugespitzter Rekonstruktion der Wissenschaftslehre und dem ›springenden‹ Punkt des praktisch-existentiellen Widersprechens gegen sie. Aufgrund dieser bereits an der Darstellungsoberfläche sich ausdrückenden Grundthese von Rekonstruktion und Kritik zugleich, wiederholt Leibgeber, genau betrachtet, dabei die Grundlagee letztlich doch nicht einfach nur, sondern erschließt sie interpretativ von Beginn an mit Jacobischen Mitteln – und damit als streng immanenzlogisches System aus einem obersten Prinzip. Denn Ausgangspunkt der »Clavis« und Prinzip des leibgeberischen Fichteanismus ist der ganz unfichtesche Begriff der ›Aseitas‹. Durch dessen Assoziierung mit Begriffen wie ›ens reale‹ einerseits

120

Es war vor allem Sandra Hesse, die bereits darauf hingewiesen hat, daß die alphabetisch geordnete Originalfassung der »Clavis« keine willkürliche bedeutungslose Beziehung wie die Stichwortabfolge eines Wörterbuches bildet, sondern aus »funktionale[n] Glieder[n] eines progressiven und kohärenten Gedankengangs« besteht (Hesse [2005], 127; vgl. dazu jüngst ebenso Hesse [2010], 99 ff.). Allerdings reicht diese Kohärenz wesentlich weiter ins Detail als die von Hesse ausgemachten drei Stufen – Exposition des tatsächlichen systematischen Ausgangspunktes der WL (1. Artikel: Aseitas), Parodie der WL als ontologischer Solipsismus und fixe Idee (2.14. Artikel), Zusammenfassung der Einwände im Bild von Kreis und Zäpfchen (15. Artikel) – zu erkennen geben.

190

B. Jean Paul auf den Spuren Jacobis

sowie ›reines Ich‹ andererseits führt Leibgeber die traditionelle scholastische Metaphysik, Spinozas Ethikk und Fichtes Wissenschaftslehre unmittelbar zusammen – gleichsam in einer äußerst gedrängten Geschichte der Systemphilosophie, gedrängter noch als Jacobi in Beilage VIII der Spinozabriefe. – ›A se esse‹, das Durchsich-selbst-Sein, ist die klassische Bestimmung der Gottheit, die bei Spinoza, so hatte Jacobi gezeigt, als Grundbestimmung der Substanz zum Prinzip eines immanenzlogischen realistischen Systems wird. Durch ihre Identifizierung mit Begriffen der Fichteschen Philosophie, wie ›absolutes Ich‹ und ›reines Ich‹, bzw. mit einer ihrer Terminologie nachempfundenen Neubildung (›immanentes Noumenon‹) markiert Leibgeber, die programmatische Differenz des transzendentalphilosophischen Ansatzes zunächst einklammernd, deren strukturelle und funktionale Entsprechung mit traditionellen metaphysischen Grundfiguren.121 In der Tat ist Fichtes absolutes Ich in § 1 der Grundlagee ein ›esse a se‹ und ein ›ens reale‹ in der Weise, daß es Grund des eigenen Seins und Prinzip alles Seienden (als Idealseiendes) darstellt. Leibgeber vollzieht zugleich aber sehr wohl auch die Wendung von der Substanzmetaphysik zur idealistischen Philosophie mit, wie sie ähnlich Fichte und Jacobi zuvor schon als sachlich naheliegend und folgerichtig beschrieben haben (vgl. SW I, 122; JW III, 12). Weil es die Vernunft ist, die ein »unbedingtes Sein, eine sich selber setzende, d. h. unendliche Realität, deren Produkt jede endliche ist«, fordere, so nimmt Leibgeber Fichtes Argument gegen Spinozas Substanz auf, könne dieses ›ens reale‹ auch nur in der Vernunft, mithin »im reinen, unbedingt kausierenden Ich« liegen. – Der folgende Abschnitt »causa sui, absolute Freiheit« gibt nach der Prinzipienfunktion nun, zwar nur als Stichwort, doch präzise das Wesen des absoluten Prinzips bei Spinoza und Fichte an: Selbstwirksamkeit, eine reine Aktivität, die sich

121

In diesem Sinne ermahnt Jean Paul seinen Freund Christian Otto, daß »ohne Kentnis des spinoz. und kritischen Systems […] kein Wort von ihm [Fichte] zu fassen« sei (Brief Jean Pauls an Christian Otto vom 20.12.1799 [JPSW III/3, 263]; vgl. auch Brief Jean Pauls an denselben vom 20.1.-5.2.1800 [JPSW III/3, 285]). In diesem Hinweis ist ebenso wie in Jean Pauls Diktum, daß »der Idealist […] kein Spinozist [sei,] sondern ein Spinozistischer Gott« (Jean Paul: Philosophische Untersuchungen 1794–1801 III [JPSW II/7, 49]) Jacobis These von der Transzendentalphilosophie als ›umgekehrtem Spinozismus‹ unmittelbar greifbar. Insofern diese Behauptung zugleich programmatisch für die Claviss ist, geht Jean Pauls Orientierung an Jacobi bei seiner Fichte-Kritik über die methodischee Grundthese der Rekonstruktion hinaus und betrifft auch direkt die inhaltlichee Bestimmung des Prinzips der Wissenschaftslehre als ›a se esse‹. Daher kann Hesses Behauptung nicht zugestimmt werden, Jean Paul habe den ›Schlüssel‹ nicht von Jacobi, sondern allein aus den Grundsätzen der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehree (Hesse [2005], 112; vgl. auch Hesse [2010], 20). Dies bedeutet selbstverständlich nicht, daß Jean Paul sein Fichte-Studium durch eine Jacobi-Lektüre ersetzen würde, doch ist diese in der Tat wesentlich geleitet durch Jacobische Einsichten.

I. Jean Paul und die Transzendentalphilosophie

191

unmittelbar selbst ins und als ›Sein‹ (bzw. Ideal- und Frei-Sein) setzt. – Das unendliche oder reine Ich, so vermerkt schließlich der Abschnitt ›Empirisches Ich‹, der im wesentlichen die Entwicklungen des zweiten und dritten Grundsatzes der Grundlagee (§§ 2–3) aufnimmt, völlig zu Recht, ist noch kein bestimmtes Ich, kein Etwas, nichts Existierendes. Es ist, wie der spätere Eintrag ›Höchste Höhe der Reflexion‹ ergänzt, als absolutes zudem »ohne Verstand, Vernunft, Wille, Bewußtsein« (§ 10). Um etwas zu sein und sich seiner selbst bewußt zu werden, dürfe es nicht es selber bleiben, sondern müsse sich sich selbst »aus absoluter Kausalität« entgegenstellen. Erst dadurch werde es bestimmt – und mit ihm zugleich auch die Welt als eine ihm entgegenstehende und es beschränkende. Erst durch seine freie Selbstbeschränkung erscheine das Ich »als endliches, wirkliches Ich und stell[e] sich etwas vor.« Wegen dieser ursprünglichen Wechselsetzung von endlichem Ich und Welt (bzw. NichtIch), weil also Subjekt und Objekt, Vorstellen[des] und Vorgestelltes »die gleichzeitigen Zwillingee der Aseität, die Selbstt und Mitlauter t in der absoluten Luft oder Ichheit« seien, zählt Leibgebers Rekonstruktion im Abschnitt »Idealismus« die Wissenschaftslehre im Gegensatz zu »Leibnizianern« »Kantianern« und »Influxionisten« nicht zum Idealismus im engeren Sinne. Damit gibt er der Sache nach nicht nur Fichtes Diskussion der Typen von Realismus und Idealismus in § 4 der Grundlagee wieder, sondern beweist noch einmal, daß auch er tatsächlich keineswegs absolutes und empirisches Ich verwechselt.122 Der Abschnitt »Vernunft« reflektiert daraufhin die eigentliche Natur der transzendentalphilosophischen Konstitutionstheorie und ihre grundlegenden Implikationen. Die Vernunft Fichtes kennt für Leibgeber danach keine anderen Geschöpfe als ihre eigenen, die sie im Erkennen allererst (unbewußt) hervorbringt – in der bereits zitierten, von Jacobi (und Fichte) übernommenen Metapher des Gesichtssinn gesprochen: das Sehen der Vernunft sei »nicht bloß ihr Licht […] sondern auch ihr Objekt«, sie sei, paradoxerweise, ein Auge, das gemeinhin und als theoretisches auf ein reales, ihr vorausliegendes Objekt, »die Erde, die Welt, die Schöpfung«, bezogen scheine, tatsächlich aber das

122

Idealisten seien vielmehr »Leibnizianer«, »Kantianer« und »Influxionisten«: Die Leibnizianer »machen durch die Harmonia praestabilita die Monade zum Spiegel eines Universums, das aus Spiegeln besteht; die isolierte eingesperrte Monade entwickelt ganz aus sich das NichtIch, das außer ihr als solches nicht existiert, sondern wieder als ein Ich.« – »Die Kantianer tragen den Raum oder Behälter in sich und mithin, was darin liegt, sämtliche Natur; alles, was wir von dieser haben und wissen, wird in der Produktenkarte oder Bruttafel ihrer Kategorientafel ein einheimisches Gewächs unsers Ichs: wozu nun noch die ganz müßige unsichtbare Phönixasche der Dinge an sich?« – Sogar die »Influxionisten [Denker, die einen Einfluß des Leibes auf die Seele annehmen, O. K.] und Realisten« seien keine solchen. »Denn da sie und uns Erklärer alle weniger der Grund des Seinss der Welt – der gar nicht zu vermitteln ist – als der Grund ihrer Ordnungg drückt, und da sie diese als die Absicht und Ursache früher setzen müssen als das Gewirkte: so schieben sie den Idealismus nur ins Unendliche hinaus und in den Unendlichen hinein.«

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von ihm Gesehene allererst aktiv hin-sehe.123 Es war dieser Prozeß des Hin-sehens, d. h. die unbewußte Konstitution u. a. der Vorstellungsobjekte und unserer Annahme ihrer äußerlichen Realität aus der angestoßenen Selbsttätigkeit des Ich, die Fichte in der ›Deduktion der Vorstellung‹ am Ende von § 4 der Grundlagee rekonstruiert. – Nachdem der Abschnitt »Vielgötterei oder Viel-Icherei« diese transzendentalidealistische Konstitutionstheorie mit Thesen aus dem praktischen Teil der Wissenschaftslehre, die jedoch nunmehr über die §§ 5 –11 der Grundlagee weit hinausreichen, konfrontiert, endet Leibgebers »Clavis« mit einer sachlichen Analyse des methodischen Ganzen der Wissenschaftslehre. In den Abschnitten »Was ist Wahrheit« sowie »Zirkel« führt Leibgeber die Diskussion von Theorie und Praxis als Diskussion von System und Leben und benennt damit eine Problemkonstellation der Wissenschaftslehre, die Fichte in Auseinandersetzung mit Jacobi selbst intensiv beschäftigt. Auch dies geschieht durch Leibgeber in der Doppelbödigkeit der gesamten »Clavis«, also ohne eine explizite Kritik an Fichtes Auffassung zu üben. Die Frage »Was ist Wahrheit« hätte er, so Leibgeber, (als Pontius Pilatus) bei einem Passionsspiel im »Klosterhof«, keineswegs aber in der »Klosterbibliothek« in Prag an einen anderen, nämlich Jesus von Nazareth, gestellt. Um Praxis, Realität und ein wirklich intersubjektives Wahres (nicht um wissenschaftliche Wahrheit und reine Introspektion des Erkenntnissubjekts) ist es Leibgeber also beim Philosophieren gegangen, dies zeigen sowohl der Ort als auch der göttliche Adressat der Frage an. Doch sei er, Leibgeber, fortgegangen, ohne die Antwort des befragten Anderen, des als Gottessohn wahrhaft Objektiven, abzuwarten. Denn als Wissenschaftslehrer sei er (gleichsam entgegen der ursprünglichen Frageintention) eben zur Einsicht gekommen, daß er selber allererst und vollständig die Wahrheit konstituiere. Eine Ant-

123

Vgl. Brief Jean Pauls an Jacobi 3.-6.12.1798: »Ihre vortrefliche Antizipazion aus Ihrer Schrift ratifiziert zu meiner grösten Freude das was ich Göthen auf seine Frage über Fichte antwortete: ›er ist der größte Scholastiker; aber die ganze Sekte hält das Licht (oder das Auge) für das Objekt.‹« (JPSW III/3, 129); vgl. weiterhin Brief Jean Pauls an Otto vom 2.9.1798: »Apropos ich war auch bei Goethe […] Er fragte mich […] – wie mir Fichte gefallen. Auf letzteres: ›es ist der gröste neue Scholastiker – zum Poeten wird man geboren, aber zum Philosophen kann man sich machen, wenn man irgend eine Idee zur transzendenten fixen macht – Die Neuern machen das Licht zum Gegenstand, den es doch nur zeigen sol‹« (FiG 2, 1). – Noch die Vorschule der Ästhetikk vergleicht daher die ›absolute Philosophie aus oberstem Grundsatz‹ mit der sagenhaften Gründung Karthagos: Der Philosoph eigne sich das Reale wie Elissa das Land, »das er mit seiner unendlich dünn-geschnittenen Haut umschnürt, so zu, als bedeck’ er’s damit«. Weil »im Brennpunkte der Philosophen alle Strahlen des großen Hohlspiegels aller Wissenschaften sich durchschneiden«, halte m. a. W. der absolut konstruierende Philosoph in der »häßliche[n] Verwechslung der Form mit der Materie, des Denkens mit dem Sein, welche sich nie in der Wirklichkeit zu jener Identität umgestaltet, die im schwarzen Abgrunde des Absoluten so leicht zu gewinnen ist«, »den Punkt für den Spiegel und für den Gegenstand, und so den Besitzer aller wissenschaftlichen Form für den Besitzer aller wissenschaftlichen Materie« (V 418).

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wort, noch dazu eine vermeintlich göttlich-objektive abzuwarten, erübrigt sich damit natürlich. Die Wissenschaftslehre weise nach, so faßt Leibgeber die Darstellungen der »Clavis« zusammen und benennt noch einmal den »Schlüssel« zu Fichtes Philosophie wie zu ihrer Kritik, daß das Ich »die unbedingte und unendliche Realität selber« sei, ich »als [U]nendlicher alle Wahrheit« mache und daher in mir enthalte. Da zugleich diese in der Wissenschaftslehre bewiesene Fähigkeit zur absoluten Tätigkeit die Bedingung dafür sei, daß »ich die Wissenschaftslehre selber setzen und machen« könne, stelle sie (scheinbar) einen »reinvollendnete[n] Zirkel« dar, in dem sich also tatsächliches Bewußtsein und sein Bewußtseinsprinzip gegenseitig bedingen (Cl 1032). Diese Eigenschaft teile sie mit allen systemischen Philosophien, die »in ihren obersten Grundsätzen stets einen Zirkel« beschrieben (ebd.). Fichte selbst hatte im Begriff der Wissenschaftslehree in der Tat das Modell eines vollendeten Kreises als Systemvision entworfen (SW I, 54/59/61 f.) und alsbald das Verhältnis von absolutem Ich als Tathandlung bzw. »intellectuelle Anschauung« und als »Idee« in dieser Weise zu interpretieren gesucht (vgl. SW I, 515 f.). Doch bildeten alle Systeme, genau betrachtet, so ergänzt Leibgeber seine Diagnose noch immer doppelsinnig, nicht einfach einen Kreis, sondern einen »Kreis mit einem Zäpfchen«. »Dieses Zäpfchen ist am Zirkel der Wissenschaftslehre die praktische Vernunft. Jede hat ihr Zäpfchen als Handhabe.« Das Zäpfchen, so zeigt das Bild der Handhabee an, ist nicht allein ein Moment, das, wie es tatsächlich bei Fichte der Fall ist, den Kreis selbst wenigstens zentriert (vgl. SW I, 50 f./54) oder aber gar (der Systemvision, streng genommen, so meint Jean Paul, entgegen) übersteigt, sondern das allererst dasjenige darstellt, das den Kreis des Wissens zu einem Brauchbaren, man kann auch sagen, Realen macht. Fichte hat diese Auffassung in den späten 1790er Jahren in zahlreichen Äußerungen, die den Standpunkt des praktischen Lebens als den einzig wirklichen herausstellen, dem die Philosophie nur aufklärend dient, selbst vertreten, allerdings ohne den Begründungs- und Erklärungsanspruch der Wissenschaftslehre in bezug auf den vernünftigen Sinn der Realität des Lebens aufzugeben. Jean Paul wird das Ernstnehmen des Primats des praktischen Daseins hingegen (wie Jacobi) zur Quelle der Ablehnung der Wissenschaftslehre. Beide Haltungen, diejenige Fichtes und diejenige Jacobi-Jean Pauls, sind nicht im strengen Sinne logisch widersprüchlich. Deshalb läßt Jean Paul Leibgeber als Autor der ›Urfassung‹ der »Clavis« mit Bedacht in der Offenheit der Lesarten von konsequentem Fichtianer und vehementem Fichte-Kritiker. Deren Wasserscheide ist keine sachlich-argumentative, sondern diejenige von vorgeblich systemischem Ernst und praktischer Ironisierung, die Leibgebers Begleitschreiben ebenso nahelegt wie die zahlreichen satirisch-humoristischen Reflexionen, die seine oberflächlich ernsthafte stichwortartige Rekonstruktion der Grundverhältnisse der Wissenschaftslehre unterbrechen. Diese humoristischen Digressionen sind zwar teilweise selbst von ernstem philosophisch-systemischem Charakter – als explizite immanente systematische Kritik der Wissenschaftslehre. Da diese Kritik jedoch zugleich

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allein auf Wortbedeutungen, Sinnstrukturen und praktischen Überzeugungen beruht, die, so weiß Jean Paul, selber indemonstrabel sind und einen über ihre streng philosophisch-begriffliche Verwendung hinausgehenden praktisch-anschaulichen Bedeutungsüberschuß in Anspruch nehmen, für die es zwar starke Indizien der Verwendung auch durch Fichte selbst gibt, eine solche jedoch nicht logisch zwingend und nachweisbar ist, gilt sie zu gleicher Zeit an keiner Stelle als streng systematische Widerlegung der Philosophie Fichtes. * Von besonderer Bedeutung und systematischem Reichtum ist unter diesen humoristisch-kritischen Artikeln zunächst der Abschnitt »Die Leiden eines Gottes im Gethsemane-Garten«. Seine Stellung unmittelbar nach der Präsentation der ›Aseitas‹ bzw. der absoluten Ichheit als Prinzip der Wissenschaftslehre und ihrer Fortbestimmung als ›causa sui‹ bzw. ›absolute Freiheit‹ ist, obwohl sie sachlich einige Charakterisierungen späterer Abschnitte vorwegnimmt und voraussetzt, wiederum keineswegs zufällig. Vielmehr setzt sie den von Jacobi übernommenen Gedanken, daß bereits durch das Prinzip eine Philosophie in ihren Möglichkeiten und Grenzen bestimmt sei, unmittelbar um. Und zwar auf die Weise, daß sie in viererlei Hinsicht systematische Folgerungen und Problemkonstellationen aus dem Begriff des absoluten Ich zieht und zugleich humoristisch-sinnlich vor Augen führt. Die Bezeichnung dieser sachlichen Schwierigkeiten bzw. Klagegesänge des Fichteschen Ich, dem Wortsinn scheinbar ganz entgegen, als »Maestosos« ist zwar vermutlich historisch ein Vokabelfehler Jean Pauls.124 Doch ließe sich der Sache nach tatsächlich kaum eine Bezeichnung finden, die dem doppelbödigen satirischen Charakter dieses Abschnitts angemessener wäre als der Ausdruck ›Maestoso‹. Gerade das erste ›Maestoso‹ stellt in diesem Sinne als die Klagee des absoluten Ich über seine Absolutheit bzw. seine selbstwidersprüchliche Natur, absolut und ichförmig zugleich sein zu sollen, zunächst einmal genauso die seiner absoluten Natur gleichsam würdige Präsentation seiner Wesensbestimmung dar. Das absolute Ich ist nicht nur ewig, sondern auch bewußtlos und damit als Konstitutionsprinzip der endlichen Vernunft auf gewisse Weise selbst vernunftlos. Blind schaffe es die Welt und setze es das endliche, bewußte Ich; als bewußtlose Setzung geschieht sie hinter

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Dies behauptet Eduard Berend: Jean Paul verwechsle ›maestoso‹ (feierlich) und ›mesto‹ (traurig) (JPSW I/3, 1136; ebenso Storz [1951], 85) – Als Indiz für diese These läßt sich eine identische, als Fehler ganz offensichtliche Vertauschung der Termini ›maestoso‹ und ›mesto‹ in Jean Pauls Schrift Das Kampaner Tall von 1797 anführen, wenn es heißt: »Sie [ein Nachtschmetterling] ist aus Ägypten gebürtig, dem Lande der Mumien und Gräber, und trägt selber ein memento mori auf dem Rücken und ein Maestoso und Misere im Klage-Rüssel.« (KT 615)

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dessen Rücken. Obwohl zwischen ihnen sowohl durch den gemeinsamen Begriff ›Ich‹ als auch durch das von Fichte behauptete Immanenzverhältnis eine wesensmäßige Identität angezeigt werden soll, bleibt das absolute Ich dem empirischen also unbekannt und fremd, ja von ihm grundsätzlich verschieden: »Mir (empirisch genommen)«, so spitzt Leibgeber dies anschaulich zu, »grauset vor mir (absolut genommen), vor dem in mir wohnenden gräßlichen Dämogorgon.« Und in der Tat: Was macht das absolute Ich Fichtes überhaupt zu einem Ich – abgesehen von seiner transzendentalen Prinzipienfunktion für die Konstitution von Ichheit überhaupt? Schon frühzeitig haben in ähnlicher Weise die Frühromantiker Novalis und Friedrich Schlegel diese Frage aufgebracht – und zwar vor allem mit dem Verweis auf die für das Ich konstitutive Bewußtheit seiner selbst, über die nur das bestimmte endliche Ich verfügt.125 Insofern bereits die Grundlage der gesamten Wissenschaftslehree ein zunehmendes Bewußtsein dieses Problems und mithin der Strukturdifferenz von reinem und bestimmtem Ich andeutet, ist es alles andere als ein Zufall, daß Fichte schließlich selbst seit 1800/01 zumeist darauf verzichtet, sein Absolutes als Ich zu bezeichnen.126

125

Vgl. »Ich ist ein Ausdruck des Einzelnen, das Vorstellungen hat […] Ich ist blos, wie alles, in seiner Sfäre, Ich oder das Etwas Ich« (Hardenberg: Fichte-Studien, 166). Zur Identifizierung des Ich mit dem bloß theoretischen, vorstellenden und insofern endlichen Ich vgl. weiterhin u. a. ebd., 58/75. Der Ausdruck ›Ich‹ kann m. a. W. bei Novalis im Gegensatz zu Fichte nicht mehr für eine suisuffiziente Struktur stehen. Vielmehr verweist er auf eine höhere, allererst unbedingte und unendliche Voraussetzung, die zwar Hardenberg selbst zunächst gelegentlich mit Fichte noch als ›absolutes Ich‹ anspricht, deren angemessenere Bezeichnung jedoch, so zeigen die FichteStudien unmißverständlich, eine andere ist. Neben dem Begriff »Gott« (ebd., 63) experimentiert Novalis auch mit ›Freiheit‹, ›Sfäre‹, ›Gattung‹ ›Chaos‹, gebraucht am weitaus häufigsten jedoch den Ausdruck »Seyn« bzw. »Nur-Seyn« (ebd., 110/161/156 f.). – Im selben Sinne diagnostiziert Friedrich Schlegel in dem Maße einen drohenden oder versteckten empirischen Idealismus bei Fichte, wie die Wissenschaftslehre vom Ich und (vor allem seit der Wissenschaftslehre nova methodo) seiner Selbstbewußtheit ausgehe (Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe XVIII, 508). 126 Augenfälligster Ausdruck für diese Problematik ist in der Grundlagee zunächst der viel und kontrovers diskutierte Vergleich zwischen der Fassung der Ich-Tätigkeit in den §§ 1 und 5, insofern in letzterem das ›sich setzen‹ zum ›sich setzen als sich setzend‹ weiterentwickelt wird (SW I, 96–98/274; vgl. u. a. Waibel [2000], 62 ff.) – In den 1800 bzw. 1801 entstandenen Schriften Bestimmung des Menschen und Darstellung der Wissenschaftslehre aus dem Jahre 1801 ist das Ich schließlich bereits durch einen »unendlichen Willen« (SW II, 298) oder das »absolute Wissen« (SW II, 12) bzw. »Gott« (ebd., 61) weitgehend ersetzt. – Inwiefern Jean Paul diese Entwicklung genau verfolgt, zeigt sein Brief an Jacobi vom 9.4.1801: »Fichte, mit dem ich sehr gut stehe obwohl unser ganzer Dialog ein Janein ist, sagte mir, er nehme über und ausser dem absoluten Ich, worin ich bisher seinen Gott fand, in seiner neuesten Darstellung noch etwas an, Gott. ›Aber so philosophieren Sie sich zulezt aus der Philosophie heraus‹ sagte ich zu ihm. Du hast ihn wahrscheinlich dahinauff gepeinigt. Aber dan zerbricht das Gebäude und das Deduzieren und Philosophieren höret bei dem auf, was er nicht geschaffen und nur ein Dualismus anderer Art trit ein.« (JPSW III/4, 63)

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Diese Fremdheit bzw. Wesensdifferenz von absolutem und bewußtem Ich reflektiert das zweite ›Maestoso‹ auf doppelte Weise nunmehr vom Standpunkt des endlichen vernünftigen Ich kritisch weiter – und zwar in der Doppelperspektive des lebensweltlich-praktischen wie des philosophierenden Subjekts. Dabei kehrt Leibgeber zugleich die Problemkonstellation in einer Weise um, daß sich ihr Charakter fundamental verändert und sich nunmehr auch das von Jacobi stets als ein Hauptdefizit systemischen Philosophierens benannte Problem der Zeitlichkeit andeutet: Markierte Leibgeber im ersten ›Maestoso‹ als unverständlich, wie ein Sichbewußtes und Vernünftiges aus einem Unbewußten und Unvernünftigen entstehen soll – im übrigen traditionell ein zentraler Einwand idealistischer Philosophen gegen Spinozas Ableitung des (Selbst-)Bewußtseins aus der Substanz –, steht nun umgekehrt in Frage, wie aus einem als Ich wesentlich vernunft- und bewußtseinsförmigen, wenigstens protobewußten Absoluten ein Nicht-Bewußtsein, d. h. ein eingeschränktess Bewußtsein des endlichen Ich folgen kann. Leibgeber zielt dabei auf ein auffallendes Mißverhältnis zwischen dem Nicht-Ich, der Welt, als nach Fichte ichkonstituiertes Erkenntniskorrelat (und insofern ›objektive Vernunft‹ des Ich) und dem Ich als endlicher (subjektiver) Vernunft. Das absolute Ich scheine im Setzen eine aus der Natur des Ich unerklärliche Präferenz für das Erkenntnisobjekt zu haben: Dies betrifft zum einen, was Leibgeber aber nur flüchtig andeutet, das Problem, ob Fichte einen plausiblen systematischen Grund, der durch die Preisgabe des ›Ding an sich‹ in der Natur des absoluten, rein tätigen Ich selbst liegen muß, dafür angeben kann, daß das intelligente Ich als passiv, als abhängend von der bestimmenden Tätigkeit des Objektes, mithin als dessen »blasse[r] umgekehrte[r] Nebenbogen« gesetzt werde. Fichtes Verweis auf eine unbedingte, spontane (und darum unerklärliche) Tätigkeit der (reflexiven) Selbstbeschränkung des (absoluten) Ich stellt für Jean Paul innerhalb eines Systems des Wissens keine befriedigende Auskunft dar, zumal im Gang der theoretischen Wissenschaftslehre sich das Theorem des Anstoßes als systematisch notwendiges Korrelat zeigt im Sinne eines uneinholbaren vorgängigen Grundes der bestimmten Selbstbestimmung des Ich, als Bestimmung zur Bestimmbarkeit qua Selbstbestimmung. Zwar erwähnt Leibgeber die Problematik des Anstoßes hier mit keinem Wort. Insofern die spätere Interpersonalitätsproblematik jedoch den Vorwurf des egologisch nicht zu rechtfertigenden übermäßigen Interesses Fichtes an der Objektivität verschärft wiederholt und zugleich im Begriff des Anderen bzw. der ›Aufforderung‹ bei Fichte eine Fortschreibung der Anstoßthematik geschieht und diese zudem die Reduktionsstufe der von Jean Paul in der Nachfolge Jacobis viel beachteten Kantischen Voraussetzung des ›Ding an sich‹ darstellt, steht ihm diese ohne Zweifel durchaus mit vor Augen. – Eine andere Perspektive, die über die noch systemimmanente, transzendentalphilosophische Fragestellung über die gelungene Ableitung der Passivität des Ich als theoretisches und des scheinbaren Primats des Erkenntnisobjektes wesentlich hinausgeht und damit auch über die ausdrückliche Absicht Kants und Fichtes, ist für Leibgeber an dieser Stelle

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allerdings viel entscheidender: Es würde nämlich auch ein auffallendes, ebenso unerklärliches Mißverhältnis zwischen (empirischem) Erkenntnissubjekt und -objekt hinsichtlich ihrer Größe und Komplexität bestehen: Der menschliche Verstand würde die Welt, und Jean Paul-Leibgeber unterstellt und verallgemeinert hier offenbar eine vermeintlich alltägliche, lebensweltliche Defizienz-Erfahrung unseres Erkennens, mitnichten im ganzen oder auch nur zu großen Teilen begreifen. Das (intelligente endliche) Ich sei mithin viel zu schwach für das Nicht-Ich, das sich als eine scheinbar endlos mannigfaltige und komplexe Welt präsentiert. Auch dies sei, so Leibgeber, unverständlich, wenn zugleich gelte, daß es das Ich als absolutes selber sei, das Ich und Nicht-Ich, subjektive und objektive Vernunft, durch einander gesetzt habe. Wenn das Objekt nur um des intelligenten Ichs willen als seinem Korrelat konstituiert sei, hätte ich eigentlich »der größte Kopf«, ein »Universalgenie für ein solches Universum« werden, hätten subjektive und objektive Vernunft einander gleich sein müssen; tatsächlich würde ich jedoch nur weniges von der Welt erkennen und dieses oft zudem nur unvollständig. – Genauer betrachtet, geht es Leibgeber bei diesem Einwand um ein aktualess Nicht-Wissen, ein Noch-nicht-Wissen, das ein Nicht-Wissen allein schon aufgrund unserer begrenzten Lebenszeit bleibt, und somit letztlich um die Frage der realen Genesee von Erkenntnis in der Zeit (nicht der transzendentalen kategorialen ›Genese‹ als ›Geschichte des Selbstbewußtseins‹ wie in Fichtes Grundrißß bzw. der ›Deduktion der Vorstellung‹ der Grundlage, durch die allererst Zeit konstituiert wird). In Frage steht auch eine Erklärung für unterschiedliche historische Verwirklichungen der Vernünftigkeit bei verschiednen Menschen, wie einem philosophischen Genie wie Kant einerseits, einem (fiktiven) einfältigen Bibliotheksheizer aber zum anderen.127 Zwar beachtet Leibgeber bei dieser Überlegung nicht mehr, daß bei der Deduktion der Wechselbestimmung von Ich und Nicht-Ich in der Wissenschaftslehre zunächst nur strukturelle Grundbegriffe gewonnen werden, Fichtes Begriff des Nicht-Ich also mißverstanden ist, assoziiert man mit ihm ursprünglich die Vorstellung einer Pluralität von Nicht-Ichen bzw. einer bestimmten empirischen Mannigfaltigkeit der Welt. Sachlich stellt die Frage nach dem Grund einer konkreten Empfindung und einer speziellen Erkenntnis bzw. aktualen einzelnen empirischen Bestimmung eines Objektes gleichwohl einen kritischen Punkt für die Wissenschaftslehre dar. Nicht in erster Linie, weil sie sich der (vollständigen) apriorischen Ableitbarkeit entzieht; diese Offenheit ist

127

Vgl. »Denn der Einheizer – der übrigens freilich einen Gott so repräsentiert wie etwan nach dem Clemens von Alexandrien in Thespien ein Klotz und in Samos ein Brett die Himmelskönigin Juno – hat inzwischen nicht nur die Natur samt ihrer unerschöpflichen niedern und höhern Mathematik erschaffen (fährt sogar fort), sondern die herrlichen mathematischen und andern Werke über sein Machwerk und alle Sprachen in der Bibliothek, die er wöchentlich heizt, sind in Hinsicht der Lettern und Figuren (als Teile seines von ihm produzierten Nicht-Ichs) völlig seine Werke und Produkte.« (Cl 1051)

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vielmehr bereits im Begriff der Wissenschaftslehree Fichtes eigene These (vgl. SW I, 58 Anm. 63 ff.). Entscheidender ist, daß zugleich der epistemische bzw. ontologische Status empirischer Wahrnehmung und der als real wahrgenommenen Gegenstände sich bei näherer Betrachtung als systematisch problematisch zeigt. Jacobis Aufweis der Ambivalenz des Kantischen Begriffs der Sinnlichkeit zielte genau hierhin. Besonders empfindlich wird diese Frage aber, sollte sich die real-zeitliche Genese in einer Weise als bedeutsam für die transzendentale azeitliche ›Konstitution‹ des Bewußtseins, oder zumindest für deren philosophische Rekonstruktion erweisen, die ihre Charakterisierung als bloße Erscheinung, als bloß durch die unbewußte Tätigkeit des (reinen) Ich hervorgebrachte Vorstellung unbefriedigend erscheinen ließe. Die gleiche Frage lag in der Deutung und Bewertung des Modells eines Zirkels mit praktischem ›Zäpfchen‹. Die Bedeutung der (objektiv verstandenen) Zeitlichkeit für das wirklichee Erkennen als ein Erkennen stets empirisch-daseiender Vernunftwesen auch für die Einsicht in logisch-mathematisch azeitliche Strukturen als wesentliches (praktisches) Moment lag Jacobis versuchtem aposteriorischem Beweis der Realität der kategorialen Begriffe von Zeit, Raum, Veränderung im David Humee zugrunde. Jean Paul-Leibgeber nimmt diesen Gedanken im zweiten Teil des zweiten ›Maestosos‹ auf, wenn er nunmehr das Mißverhältnis der endlichen menschlichen Vernunft gegenüber ihrem (vermeintlichem) Erkenntnisgegenstand anhand der philosophierenden Tätigkeit und bezogen auf philosophische Einsichten verhandelt. Für Jean Paul-Leibgeber zeigt der philosophierende Mensch Fichte auf mindestens doppelte Weise an, daß er als aktual-zeitlich philosophierender von dieser Problematik, die keine andere ist als die Frage von Philosophie und Leben, unmittelbar betroffen ist. Zwar meint dies nicht, daß auf diese Weise das Primat azeitlicher, geltungstheoretischer Erkenntnisstrukturen gegenüber der bloß als Erscheinung angesehenen zeitlich-historischen Verfassung realer Erkenntnisakte im strengen Sinne widerlegt wird. In Frage gestellt werde es aber sehr wohl, insofern daran deutlich werde, daß das philosophische Erkennen vermeintlich azeitlicher Ichstrukturen nur in den empirischen Überzeugungen im Sinne genuin zeitlicher Akte bzw. geistiger Zustände überhaupt erst wirklich werde: Dieser Umstand wird nach Leibgeber sichtbar erstens in Fichtes Anerkennung von Philosophen vor ihm als Wegbereiter und Mitstreiter desselben transzendentalphilosophischen Projektes, das mithin sich selbst als ein historisch sich entwickelndes zeigt. Ernstgenommen steht dies und die mitgesetzte Pluralität historischer (philosophierender) Iche für Leibgeber in Konkurrenz zum in der Wissenschaftslehre herrschenden strengen Präsentismus, wonach die »vergangne Zeit« »schon an sich durch die Gegenwart gesetzt«, Vergangenes mithin nur als Bewußtes, d. i. als vom (einen und für sich einzigen) Ich je aktual Gesetztes, sei. Konsequenz Leibgebers daraus ist die humoristische Annihilation des Philosophen Fichte als realen Erfinder der Wissenschaftslehre durch Leibgeber als ihren Nacherfinder oder gar durch einen fiktiven Bibliotheksheizer als deren (nachkonstruierenden) Leser, denen Fichte als bloß

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eigene Vorstellung ›Fichte‹ erscheint.128 – Die Frage, ob das Historisch-Zeitliche von der Wissenschaftslehre angemessen behandelt werden kann,129 stellt sich nach Leibgebers zweitem ›Maestoso‹ zweitens auch hinsichtlich der Vermittlungg der

128

Diese Folgerung Leibgebers verfälscht zwar in humoristisch-kritischer Absicht Fichtes Überlegungen, indem sie die Unterscheidung von allgemeinem reinen und empirisch-konkretem Ich mutwillig ignoriert. Gleichwohl macht sie zugleich mit Erklärungen Fichtes Ernst, daß es angesichts der ewigen Wahrheit der Wissenschaftslehre auf seine Person als ihr (zufälliger) Erfinder nicht ankomme (vgl. u. a. Sonnenklarer Berichtt [1801, SW II, 387]). Daher beruft Fichte sich trotz des Bekenntnisses zur herausragenden historischen Vorgängerrolle Kants auch niemals auf dessen Autorität, um von der Wahrheit der Wissenschaftslehre zu überzeugen (SW I, 421). Dem korrespondiert der Sache nach schließlich das Jean Paul wiederholt irritierende und auch im »Protektorium« der Claviss erinnerte Eingeständnis Fichtes, als konkrete historische Person sich bei der Aufstellung der Wissenschaftslehre möglicherweise im einzelnen getäuscht zu haben, doch ohne daß dies die Wahrheit der Wissenschaftslehre an sich berühre (vgl. SW I, 468). Wenn eine solche grundsätzliche Differenz zwischen historischem und apriorischem Wissen, Genese und Geltung besteht, wie könne dann Fichte selbst, so fragt Jean Paul, sich jemals über die Wahrheit irgendeiner Behauptung seines philosophischen Systems sicher sein. Tatsächlich setze g der Gewißheit der richtigen realen Anwendung logischer auch er hinsichtlich der Überzeugung, Wahrheit eine reale Versicherungg qua, wie Jean Paul mit Jacobi formuliert, fremder oder eigener Autorität voraus, d. i. als Zustimmung Anderer oder als Bewahrheitung durch ein eigenes, reales, d. h. genuin auch empirisch-subjektives Wahrheitsgefühl (Cl 1027; Jean Paul: Philosophische Untersuchungen 1794–1801 III [JPSW II/7, 65 f.]). – Dieses Moment ist, so ist Jean Paul wie Jacobi überzeugt, neben den apriorischen Ordnungsstrukturen nicht nur ebenso konstitutiv für das Wissen in seiner (empirischen) Realität, sondern ihm kommt in dem Maße sogar das Primat zu, wie es das Wissen erst zu einem Wissen macht. Denn dazu gehöre unabdinglich das Wissen um sich als Wissen, mithin das reale Überzeugtsein von ihm (vgl. Cl 1027). Philosophische Figuren wie Fichtes ›Tathandlung‹ bzw. seine ›intellektuelle Anschauung‹ stellen aufgrund ihrer prinzipiellen Bewußtlosigkeit für eine Position, wie die Jean Pauls, bloß abstraktiv gewonnene Momente einer ursprünglichen realen Überzeugung dar, die daher nicht wieder als reales bzw. realideales Prinzip verstanden werden dürften. 129 Daß die Frage von Zeitlichkeit und realer Sukzession nicht nur für Jacobi, sondern auch für Jean Paul eine entscheidende Rolle in seiner Kritik der Transzendentalphilosophie spielt, zeigt auch ein Notat aus den Philosophischen Untersuchungen: »Idealismus: Aller Idealismus erklärt nichts, wenn er blos die Empfindung irgend eines Objekts, des Lichts, des Organismus, der Linie erklärt, aber nicht die Succession der Erscheinungen, welche von der unsers Willens und Bewußtseins begleitet, nicht vermittelt wird, erklären kann. Fichtes Wort, daß man sich des Produzierens der Succession nicht bewußt werden kann [SW I, 234], ist falsch, weil doch nachher ein Grund für die Folgee gegeben werden muß aus uns so wie nachher ein Grund für die Entstehung gegeben wird auch ohne Bewußtsein.« (Jean Paul: Philosophische Untersuchungen III 1801 [JPSW II/7, 118]) Vgl. auch »Daß Sein selbst als Zeit verfaßt ist und sich auf dem Schauplatz des Daseins entsprechend temporal auslegt, gilt der Prosa Jean Pauls als primäres diskursives Ereignis, das kategorial zu verkehren und deshalb zu verkennen er den philosophischen Konstitutionstheorien ständig vorwirft. Nicht die Unversöhnlichkeit von Geist und Endlichkeit, wie Kommerells Deutung will, sondern umgekehrt ihre vorgängige Verschränkung ist Jean Pauls perennierendes Thema« (Hörisch [1979], 90).

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Wissenschaftslehre im besonderen und des Phänomens des Unterrichtss oder des Erlernenss im allgemeinen. Dies ist im Spiel, wenn Leibgeber wiederum im Blick auf den fiktiven Bibliotheksheizer und seine Geschichte des Verstehens der Wissenschaftslehre auf das notwendige Vorhergehen der Kenntnis der Sprachzeichen, die ganz offenbar selbst eine historische ist, vor dem Verstehen der geistigen Inhalte bei allen Lernprozessen verweist (Cl 1051). Es ist aber auch bei Fichte selbst thematisch, wenn er bspw. in den Vorlesungen von den Pflichten der Gelehrten auf die große Bedeutung historischer Kenntnisse des Philosophen für seine Aufgabe als »Erzieher der Menschheit« aufmerksam macht, insofern diese Tätigkeit eine Einschätzung des entwicklungsgeschichtlichen Standorts der zu Erziehenden bedarf.130 – Das dritte ›Maestoso‹ verlängert das Problem eines Mißverhältnisses zwischen empirischem Ich und ihm entgegengesetztem Nicht-Ich bzw. der scheinbaren Präferenz des absoluten Ich für das Objekt auf das praktisch-handelnde Ich. »[W]enn die absolute Ich- oder Freiheit, wie Fichte will, die Welt nur erschaffen hat, um einen Widerstand zum handeln zu haben«, dann, so Leibgeber, scheine »manches zu hinken«. Weder sei aus diesem Gedanken die Existenz einer Vielzahl von Dingen in der Welt zu verstehen, die mein moralischen Handeln grundsätzlich oder faktisch nicht berühren, wie »Sterne, Weltteile samt ihren Inseln, die vorigen Jahrhunderte, Käfer, Moose und das ganzee Tier- und Pflanzenreich«. Fichtes These, daß das Nicht-Ich vom (absoluten) Ich als Widerstand seines Handelns gesetzt werde (das insofern ein praktisches wird), könne die große Mannigfaltigkeit und die lange historische Erstreckung der Welt, ihrer Gegenstände und Bewohner keineswegs einsichtig machen. Doch auch das dritte ›Maestoso‹ verweist nicht nur auf ein über den kategorialen Deduktionsrahmen i. e. S. hinausgehendes Erklärungsproblem für empirische Mannigfaltigkeiten, sondern ebenso auf ein prinzipielles begriffliches. Aus der Setzung als Widerstand des praktischen Ich sei vielmehr auch nicht, so vermerkt Leibgeber mit Blick auf § 16 der Fichteschen Sittenlehree (vgl. SW IV, 177 ff.)131,

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Fichte: Von den Pflichten der Gelehrten. Jenaer Vorlesungen 1794/95, 40. Fichte, so Leibgeber, leite hier »das Böse, also die Niederlage des reinen Ichs, von der Übermacht der sinnlichen Welt« her, also, so kommentiert Leibgeber nunmehr, »von dem Widerstande […], den es sich selber zu groß gesetzt«. – Vgl. hierzu auch Jean Pauls Überlegungen aus der Vorrede: Fichtes Annahme, die absolute Freiheit »schuf das Notwendige (das Nicht-Ich), bloß um einen Widerstand zu haben, ohne welchen ihr ein zweitess Setzen«, ein bestimmtes moralisch-praktisches Handeln, »unmöglich wäre«, sei kaum zu fassen, da zwischen dem »absoluten ohne Existenz« und der Existenz, dem bestimmten realen Nicht-Ich »gar kein Verhältnis denkbar« sei. Noch weniger verständlich sei die Aussage, daß die Absicht und Natur der moralisch-praktischen Tätigkeit, des zweiten Setzens also, nichts anderes sei »als ein freies Handeln, bloß um frei zu handeln«. Denn dieses gelte für das tugendhafte Handeln ebenso wie für das des Bösewichts. Daß Letzterer nach Fichte dabei nicht auf »rechte Art« handele, seinem Handeln also »etwas Unentbehrliches« fehle, bleibt für Jean Paul als Erklärung dunkel, insofern im Rahmen des Fichteschen Ansatzes zum Handeln um des freien Handelns willen gar »nichts 131

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die Existenz des Bösen, und damit vor allem »fremde[r] unmoralische[r] Wesen«, einsichtig zu machen. Im vierten Maestoso nimmt Leibgeber schließlich im wesentlichen Jacobis Vorwurf des Egoismus bzw. Nihilismus aus dem Sendschreiben An Fichtee auf – als Klage des (absoluten) Ich über seine Einzigkeit und Einsamkeit – und unternimmt schließlich einen ersten Schritt ins Zentrum der Intersubjektivitätsproblematik in der Wissenschaftslehre. In der Frage nach der Existenz fremder unmoralischer Wesen hatte sie sich indes schon angedeutet. War der Hintergrund des ersten ›Maestosos‹ die Selbstwidersprüchlichkeit des absoluten Ich im Blick auf seine mitgesetzte und zugleich unmögliche theoretische Fähigkeit (Bewußtsein), geht es nun vor allem um die praktische Verfassung. Dem absoluten Ich fehlen als absolutem, so Leibgeber, ein wirklicher, d. h. von seinem eigenen Tätigkeitsvollzug verschiedener Zweck und die Fähigkeit, zu lieben und zu verehren. Denn beides setze ein Außen, ein anderes wirkliches Wesen ›zu meinem Umgang‹, letztlich ein besseres Wesen voraus. Das absolute Ich könne aber nichts setzen als in sich endliche Bilder seiner selbst, bloße Einschränkungen seiner eigenen Tätigkeit. In ihm existiere nur, »wie Jacobi sagt, ein Tun des Tuns, eine Einsicht der Einsicht; ich setze dazu: nur ein bloßes Spiegeln des Spiegelnss – obwohl dieses unendliche Wiederholen und Abspiegeln doch anfangs etwas anderess wiederholen hätte sollen als das Wiederholen«. »Jede Gottheit [d. h. ein anderes absolutes bzw. sittliches Ich, O. K.], falls noch eine durch Postulieren zu gewinnen ist, sitzt wie ich in ihrem dicht verschlossenen Eis-Empyräum«; jede höre allein ihren eigenen »Ichs-Monochord, die einzige Saite der ewigen Sphärenmusik« (Cl 1055). Und in deutlicher Ähnlichkeit zu der in Jacobis Spinozabriefen vertretenen These, daß bei der philosophischen Leugnung eines transzendenten persönlichen Gottes, wie sie auch durch die Absolutsetzung des Ich erfolge, als einzig konsequente Weltbeschreibung nur diejenige eines in strenger Notwendigkeit unter dem Gesetz effizienter Kausalität endlos ablaufenden immanenten Naturmechanismus bleibe, endet auch das vierte ›Maestoso‹ in einer gesteigerten (satirischen) Klage des absoluten Ich über seine transzendentale Einsamkeit als Vision einer in einem streng mechanistisch ablaufenden Weltall »versteinerten Menschheit«, d. i. der Vernichtung aller freien, zweckbestimmt handelnden Individuen. *

Fremdes«, keine weitere Bestimmung der rechten Art und Weise des freien Handelns hinzukommen könne (Cl 1015 f.).

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Der entscheidende Gedanke der ›Maestosos‹ Leibgebers, so ist von dem Dargelegten festzuhalten, besteht mithin in der Einsicht, daß das ›absolute Ich‹ als Prinzip der Wissenschaftslehre streng genommen weder die Ableitung eines endlichen Ich noch die Annahme realer fremder Vernunftwesen, wirklicher einzelner Dus erlaube. Denn zum einen folgte nach Leibgeber aus der wesentlichen Fremdheitt und prinzipiellen inhaltlichen Verschiedenheitt von absolutem und realem empirischem Ich sowohl in theoretischer als auch in praktischer Hinsicht, daß das ›absolute Ich‹ eigentlich eine strenge begrifflich-systematische Ableitung des endlichen Ich als Ich nicht tragen kann – weder hinsichtlich seiner Natur als bewußtes noch hinsichtlich seines Daseins. Durch die einsame, systemisch alles erklärende Tätigkeit des Ich bestehe das Universum allein als vom (absoluten) Ich bewirkte theoretische und praktische Vorstellung fort, zu dem ebenso andere Ichs, so Jean Paul in offensichtlicher Anspielung auf Jacobis ›Strickstrumpf‹, als bloß »eingewürkte Figuren« gehörten. Daher dürfe der Wissenschaftslehrer »als streng-konsequenter Theoretiker« auch unmöglich »mehrere wirklichee Ichs annehmen«, d. h. eigenständige und in ihrer bestimmten Ichnatur vom setzenden Ich verschiedene Wesen, als Ich an sich selbst, wodurch erst eine wahre Pluralität von Ichen gegeben wäre (Cl 1038). Eine solche qualitative Interpersonalität gilt Jean Paul-Leibgeber mit den transzendentalidealistischen Mitteln Fichtes als prinzipiell unerreichbar. Gleichwohl stellt der Nachweis einer in den Prämissen der Wissenschaftslehre liegenden Unmöglichkeit einer Pluralität wirklicher Ichs nur den ersten Schritt der komplexen Sachargumentation in der »Clavis« dar. Denn Fichte hat, wie Jean Paul sehr gut weiß, selbst eine Interpersonalitätslehre als genuinen Bestandteil der (praktischen) Wissenschaftslehre entwickelt. Mit Blick auf Jean Pauls philosophische Gespräche mit Fichte vermerkt Leibgeber in diesem Sinne ausdrücklich: »Hierauf versetzet mir nun Fichte, sooft ich persönlich ihm dartue, er könne nicht sein – nach reiner Vernunft –, allzeit das, was er in seiner Sittenlehre und überall drucken lassen: er müsse nämlich durchaus fremde Ichs, obwohl nur heraldische Figuren im gemalten Nicht-Ich, doch davon ablösen und belebt und beleibt heraustreten heißen, bloß um nur jemand zu haben, mit dem ein moralischer Umgang zu pflegen wäre. Gerade wie der Kantianer Gott und Unsterblichkeit, so postuliert Fichtes Ich Ichs.« – Der zweite Schritt, mit dem Jean Paul die Ankündigung aus der ›Vorrede‹ der Clavis, den Fichteschen Idealismus »mit dem apodiktischen Dasein fremder Mit-Ichs, das ihn gerade stützen soll, umzubrechen« (Cl 1013), verwirklichen will, besteht mithin in der kritischen Analyse des Fichteschen Interpersonalitätsgedankens und seiner Konfrontation mit dem sich für Jean Paul wie für Jacobi aus den Prämissen notwendig ergebenden Solipsismus. Fichtes praktisches Postulat fremder Ichs außer mir, so also die These Jean Pauls, müsse für die Wissenschaftslehre zwar als durchaus grundlegend gelten, sei zugleich aber entweder mit dem aus dem absoluten Ich als Prinzip folgenden System unvereinbar oder leiste nicht, was es im Begriff eines wirklichen Du als eines bestimmten sittlichen Wesens zu leisten

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vorgebe. – Für diese These, die gleichsam Jacobis berühmte Verwunderung, ohne ›Ding an sich‹ in Kants Philosophie nicht hineinkommen, mit ihm aber nicht drin bleiben zu können, auf die praktische Wissenschaftslehre anwendet, bietet Leibgeber im Abschnitt »Vielgötterei oder Viel-Icherei« fünf Argumente auf: Aus der Pflicht könne (1) nur ein Wollen, nicht aber ein Glauben oder Wissen der Wirklichkeit der Bedingungen der Pflicht gefolgert werden. Wenn Fichte, so Leibgeber, in der Sittenlehree schließe: »›Ohne was es überhaupt keine Pflicht geben könnte, ist absolut wahr; und es ist Pflicht, dasselbe für wahr zu halten‹« (vgl. SW IV, 164), so stelle der erste Halbsatz nur einen »Zirkel« dar, der zweite Halbsatz führe aber, recht betrachtet, zur Aufopferung der Fichteschen Vernunft und damit in den Augen Jean Pauls der systematischen Einheit und des System- und Wissenschaftsanspruchs der Wissenschaftslehre: »Die zweite [Satzhälfte] kann – da doch niemand Gewissensbisse wegen Meinungen hat – nichts heißen als: in einem solchen Falle ist es Pflicht 1) zu untersuchen – 2) zu handeln, als sei es wahr – 3) zu wollen, es sei wahr – und 4) in der Not lieber der Vernunft als der Selbstachtung zu widersprechen, lieber ein Skeptiker als Bösewicht zu sein. Denn Wollen und Glauben sind inkommensurable Größen« (Cl 1039 Anm.).132 – Insofern in Fichtes Sittenlehree die Folgerung »aus dem Vorhandenseyn und der nothwendigen Causalität eines Sittengesetzes [auf] etwas im Erkenntnissvermögen« derart, daß ein dort theoretisch nicht zweifelsfrei Beweisbares, wenn es eine denknotwendige Voraussetzung für die Verwirklichung der sittlichen Pflicht darstellt, aus Pflicht auch vom Erkenntnisvermögen als unhinterfragbar akzeptiert werden müsse (SW IV, 165), auch noch methodische Prämisse für Fichtes Beweis der Wirklichkeit anderer sittlicher Subjekte ist, stellt dieser Einwand ein grundlegendes Argument Jean Pauls dar. Nicht, so sei noch einmal ausdrücklich betont, weil Jean Paul das von Fichte behauptete Primat praktischer Interessen und Überzeugungen über unser Fürwahrhalten von theoretischen Sätzen (vgl. auch SW IV, 169) bestreiten wollte, sondern weil er seine Verankerung und Herleitung in einem System des Wissens für unmöglich erachtet, gibt man nicht zugleich den eigentlichen Sinn von Praxis und sittlichem Dasein als Individuum auf. – Bereits 1798 hatte Jean Paul in diesem Sinne irritiert Behauptungen Fichtes aus dem der Sittenlehree nahestehenden Aufsatz Über den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierungg zur Kenntnis genommen, in denen dieser ebenso einen Übergang, ja eigentlich sogar eine Identität zwischen sittlicher

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In diesem Sinne argumentiert Jean Paul auch gegen »Kants Vernunftglauben« und das darin sich zeigende Prinzip: »›Was ich sol, mus möglich sein.‹« Denn dieses sei »ein Zirkel und eine Verwechslung der Beweisarten. Denn beides sezt ein höheres Prinzip voraus; das Gebot des Sollens sezt einen Geber voraus. Denn sonst warum sollte denn nicht der Widerspruch des Sollens und der Unmöglichkeit existieren können« (Jean Paul: Philosophische Untersuchungen III 1801 [JPSW II/7, 113]).

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Pflicht und empirisch-sinnlicher Wirklichkeit behauptet: Nach Fichte folgt aus dem Ergreifen meines sittlichen Zweckes als leitend für mein empirisch-wirkliches Handeln die notwendig vorgestellte Ausführbarkeit der Pflicht in der Sinnenwelt (SW V, 179): »›ich setze es in irgend einer zukünftigen Zeit als wirklich;‹ in der Wirklichkeit aber wird die Möglichkeit mit gesetzt.« Mithin existiere ein »höheres Gesetz«, wonach die sittliche Tat unfehlbar in der Sinnenwelt gelinge (SW, V 183). Das vom moralischen Sollen vorausgesetzte Können, so entgegnet Jean Paul dieser Behauptung Fichtes im Brief über die Philosophie, sei in Wahrheit jedoch bloß ein »moralische[s]] Können, d. h. die Freiheit […], z. B. nicht zu lügen und stürzte darüber die Welt ein«. Daraus würde aber gerade nicht die »empirische Assekuranz« folgen, daß die Welt tatsächlich nicht einstürze. Fichtes Theorem scheitert nach Jean Paul m. a. W. daran, daß er zwar die Figur einer prästabilierten Harmonie als Harmonie zwischen der weiten sinnlichen Welt und der moralischen annehme, aber zugunsten des (absoluten) Ich auf einen absoluten »Harmonisten« als ihren metaphysischen-ontologischen Garanten verzichtet, wodurch die Harmonie im Inneren des Ich, in der Idealität verbleibe.133 Das moralische Gesetz Fichtes setzt (2) nach Leibgeber ebensowenig einen Gott als seinen Gegenstand oder Gesetzgeber voraus wie irgendeine Existenz außer sich, d. h. auch gar kein anderes existierendes Ich. Zwar bleibt an dieser Stelle unklar, ob Leibgeber für die Zurückweisung des praktisch konstitutiven Postulats Gottes als eines wirklich Existierenden ein Argument anführt – sei es, daß er dieses noch als Folge der zuvor erfolgten Zurückweisung des systemisch-systematischen Übergangs vom praktischen Hoffen oder pflichtgeleiteten Wollen zu einem Entschluß des theoretisch-epistemischen Akzeptierens versteht, oder derart, daß er auch Gott als ein anderes moralisches Ich auffaßt. Die These jedoch, daß aus der Pflicht nicht die Wirklichkeit anderer Iche als moralisch handelnder abgeleitet werden könne, begründet er mit einem interessanten Gedanken, der den Dualismus von apriorischer Verpflichtung und aposteriorischer empirisch-natürlicher Bestimmung angreift: Das reine Ich (als Subjekt des Sittengesetzes) könne weder gegen ein anderes reines Ich (wegen beider fehlenden Daseins und Bewußtseins) noch als ein

133

FiG II, 5 f., vgl. auch Brief Jean Pauls an Jacobi vom 13.10.1798 (JPSW III/3, 106). – Gleichsam umgekehrt bewertet Jakub Kloc-Konkolowicz Fichtes Sittenlehre, wenn er darauf verweist, daß Fichte den Dualismus der Kantischen Autonomie-Ethik überwinde, »indem er die freie, spontan unternommene Handlung auch als Handlung gemäß dem Naturtriebe deuten« könne, weil für ihn die Vernunftt (nicht das Ich) sowohl Quelle der Pflicht als auch ihrer Verwirklichung sei (Kloc-Konkolowicz [2006], 42). Allerdings benennt Kloc-Konkolowicz auch präzise, den, wie gesehen, für Jacobi wie Jean Paul inakzeptablen, aber folgerichtigen Preis einer solchen Lesart: Die Wissenschaftslehre zeige sich damit als »Monismus der Vernunft« (ebd., 47), in dem das wahre Ziel der menschlichen Freiheit ihre Selbstauflösung in Gott bzw. im Sein sei (ebd., 54).

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reines oder als ein empirisches Ich gegen ein anderes empirisches Ich handeln, da gegen oder für ein (bloß) empirisches Ich, als bloße Modifikation oder Erscheinung gar keine Pflicht bestehe (Cl 1039 f.). Aus dem (praktischen) Postulat anderer Ichs als wirklich existierende und real von mir verschiedene (Handlungs-)Subjekte würde (3a) zudem notwendig die Anerkennung der Sinnenwelt und somit ein vom bloß ›empirischen‹ zu unterscheidender, die Fichtesche Verhältnisbestimmung von philosophischer und lebensweltlicher Reflexionssphäre transzendierender Realismus folgen, da ein Handeln gegen andere Ichs nur in der Sinnenwelt möglich sei. Würde die Realität des sittlich handelnden oder handeln sollenden Ich als eine nicht bloß vom Vorstellungsvermögen des theoretischen Ich gesetzte anerkannt, so müsse m. a. W. auch die Sinnenwelt als eine reale und nicht allein idealreale angenommen werden. Aber »dann ist uns Fichtisten allen der alte graue Schneeklumpe des Realismus, wieder vor die Tür gesetzt; und unser systematisches Elend ist nicht zu übersehen.« (Cl 1041) – Die Alternativthese (3b) dazu, die einen Parallelismuss zwischen den von den praktischen Ichen konstituierten Welten annehmen müßte, würde, so Leibgeber, zwar die Vermittlung der sittlichen Tätigkeiten der verschiedenen Ichs durch eine gemeinsame reale Sinnenwelt erübrigen, löse das innersystematische Problem letztlich aber auch nicht: Entweder sei sie nämlich (i) ohne Grund, d. i. ohne ein den Parallelismus Verbürgendes, oder (ii) ohne ausreichende Erklärungskraft. Fichtes absolutes Ich sei (ii) bloß konstitutives Moment des Selbst- und Weltbewußtseins. Seiner Allgemeinheit zum Trotz, sei es daher zu schwach, eine realee gemeinsame Sphäre aktualen Handelns einer Pluralität sittlicherr Subjekte bzw. die Übereinstimmung ihrer Handlungssphären zu gewährleisten. Die »sogenannte moralische Weltordnung Fichtes« könne wohl eine optimistische Harmonie zwischen meinem Ich und Nicht-Ich einführen, aber nie zwischen ihm und fremden Ichs und Nicht-Ichs und deren moralischen Weltordnungen« (Cl 1041 Anm.).134 – Würde die prästabilierte Harmonie den realen sittlichen Subjekten (i) hingegen »von unbekannter Hand« geschenkt, müßte sie unter den Prämissen der Wissenschaftslehre diesen für sie selbst notwendig unbekannt bleiben. Daher könne sie auch keine Beziehung oder gar Identität zwischen dem von mirr in meiner Sphäre als anderes moralisches Subjekt gesetzten fremden Ich und dem wirklichen anderen, selbst eine Welt setzenden Ich begründen. Das »fremde entsprechende absolute Ich« bzw. das fremde Ich in seiner sittlich-praktischen Dimension i. e. S. könne ›ich‹ also, insofern es selbst als sittliches

134

Vgl. auch »›Weltordnungen‹ mus er [Fichte] sagen, sagt’ ich in meinem Clavis beiläufig, wo ich bemerkte, daß eine doch nichts aussage als das optimistischee Verhältnis des absoluten Ichs zum Nicht-Ich. Das geht aber andere Ichs nichts an. Meint er indes eine alle Ichs + Nicht-Ichs ordnende Ordnung: so hat er ja unsern Gott.« (Brief Jean Pauls an Jacobi vom 21.2.-6.3.1800 [JPSW III/3, 299])

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ein bestimmtes unbedingtess sei, gerade nicht als Teil meiner Welt qua sinnlicher Natur setzen und es habe auch nichts mit dem von mir in der Vorstellung gesetzten Fremd-Ich zu tun. »Dennoch soll ich, da durch keine Konsekration ein Gott in diese Statuen [die in der Sinnenwelt gesetzten fremden ›Körperlarven‹] zu bringen ist, bloß ein Vergehen an diesen Statuen, wie eines an den römisch-kaiserlichen, für ein Majestätsverbrechen halten; ich soll wie Hexen durch das Bild das ferne Original treffen […] bloß ein übender Gliedermann meiner Moralität, ein Mit-Akteur soll der fremde Schau-Mensch vor mir sein, den ich auf der Bühne beschenke und liebe, ohne daß er etwas davon hat, nur die dramatische Kunst der Tugend soll dabei profitieren« (Cl 1042). Die in der Wissenschaftslehre zentralen Thesen, daß (1) das Nicht-Ich (und damit fremde empirische Subjekte) durch »meine absolute Freiheit oder Ichheit« bloß als »Widerstand« seiner ursprünglichen Tätigkeit geschaffen werden und daß ich (2) andere Ichs als moralische Subjekte anerkennen und behandeln soll, bleiben für Leibgeber unversöhnt. »Ja da das fremde Ich, wie ein schlechter Akteur, auf der Bühne entweder nur eine Statuee (Leib) oder einen Geistt (reine Ich) spielt, nie beide in einerr Person: so könnt‹ ich die Statue, deren Pygmalion ich bin, ebensogut zerschlagen als beseelen, sobald ich mir nur recht evident, recht anschaulich zu machen wüßte, daß ich ihr Steinmetz bin; ich kanns aber nicht, und ich will auch die Bildsäulen, die mir begegnen, nicht verstümmeln, sondern ergänzen.« (Cl 1042 f.)135 – Insofern im übrigen aufgrund der konstitutiven Wechselsetzung im Anerkennungsbegriff Fichtes natürlich auch umgekehrt gilt, daß ich für ein (vermeintlich) anderes sittliches Wesen nur zur ›heraldischen Figur‹ werde, erscheint auch auf diese Weise nicht nur die Wirklichkeit fremder Ichs, sondern auch die realee (über eine bloß phänomenale) Wirklichkeit meines eigenen Ichs als eines tatsächlich handelnden sittlichen und insofern unendlich und endlich zugleich seienden Wesens in der Transzendentalphilosophie zerstört.136 Die transzendentalphilosophische Analyse, so Leibgeber weiter in Fortführung des vorherigen Gedankens, erkläre (4) nicht nur nicht die Wirklichkeitt fremder, mein eigenes Handeln bestimmender Moralität oder Unmoralität, sondern erschwere ganz und gar deren Erkennen als solche. Es habe sich gezeigt, daß für die Annahme fremder Moralität bzw. Unmoralität als gewiß und wirklich und nicht als bloß ideal-postuliert die Wissenschaftslehre keinen Grund ausweisen könne. Daher sei die Gewißheit fremderr Moralität und Immoralität nur eine sinnliche.

135

In diesem Sinne vermerkt auch Senigaglia (zumindest im Blick auf Fichtes Naturrecht), t daß bei Fichte die Frage offenbleibe, wie der fremde Leib nicht nur als Bereich einer möglichen Behandlung des anderen als Objekt, sondern als Wahrnehmungs- und Vermittlungsbereich des anderen Subjektss gelten kann (Senigaglia [2007], 172). 136 Vgl. »Im ›toten Wachsfigurenkabinett menschlicher Gestalten‹, zu dem Intersubjektivität unterm Bann ihrer relationalen Auslegung verdinglicht, nimmt der vermeintliche ›Unitarier und Singularis‹ selbst seinen Platz als ›Charaktermaske‹ ein.« (Hörisch [1979], 86 f.)

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Zugleich müsse »die sinnliche [Gewißheit] so groß wie die moralische [sein], weil diese kategorische Befehle auf jene gründet.« (Cl 1043 Anm.) Ist die moralische Gewißheit der wirklichen Existenz anderer Subjekte notwendig über die sinnliche Existenz vermittelt, stellt sich nur folgende Alternative: Entweder muß diese bereits die Gewißheit wirklicher, nicht nur als empirisch vorgestellter Existenz hervorbringen können, oder eben aber, auch die moralische Gewißheit bliebe auf einen bloß empirischen Realismus beschränkt. Die praktische Gewißheit des Daseins fremder Ichs sei dann aber nicht sicherer als die theoretische Gewißheit lebloser Gegenstände (ebd.). – Jean Pauls Kritik sieht zwar durchaus, so zeigt sich auch hier, daß Fichtes Unterscheidung zwischen dem transzendentalen (philosophischen) Standpunkt und dem Standpunkt des Lebens (des gemeinen Menschenverstandes) aufgrund von Jacobis Einreden die Kantische Diskussion um die Vereinbarkeit von transzendentalem Idealismus und empirischem Realismus ins Sittlich-Praktische verschiebt. Zugleich jedoch weist sie darauf hin, daß Fichtes Variante durch die unzureichende, aber systemisch alternativlose Fassung des sittlichen Akteurs als eines schlechthin allgemeinen, nicht aber eines konkreten (ursprünglichh empirisch sich manifestierenden) Unbedingten letztlich doch in Problemlagen der Kantischen Unterscheidung zurückfällt. Als Indiz dafür darf gewertet werden, daß der Einsatz von Fichtes Diskussion um Idealismus und Realismus selbst in § 4 der Grundlage, d. i. in ihrem der theoretischen Vorstellung gewidmeten, epistemischen Teil liegt. Daher, so Leibgebers Resümee der Resultate seiner Überlegungen, Jacobis Empfehlung eines konsequenten ›Egoismus‹ in der Beilage David Humee geradezu imitierend, solle man als Transzendentalphilosoph (5) statt einer Vielzahl weltschöpferischer, weil sittlich-unbedingter Ichs nur »ein einziges absolutes Ich und göttliches Wesen (und damit nur eine Schöpfung)« annehmen. Dazu ein Subjekt, »das Verstand und Kraft genug hätte, diesen Posten zu versehen«. Insofern mein Ich das einzige Wesen sei, von dessen Existenz ich gewiß sei, könne dieses Subjekt aber »niemand als ich selber sein« (Cl 1044). Denn die Annahme existierender anderer moralischer Subjekte, so die interessante Bekräftigung dieser These, könne (aufgrund der, wie im vierten Argument nachgewiesen, allein sinnlich erscheinenden sittlichen Gewißheit) nicht auf den Menschen beschränkt werden. Konsequenterweise müßten auch »Tiere«, insofern sie »empfindende« Wesen sind, ebenso »objektiv« »als moralische Gegenstände« postuliert, d. i. als Zwecke an sich selbst anerkannt, werden.137 In der Folge müßte auch ihnen eine den menschlichen Subjekten

137

Auch der fiktive Herausgeber bekennt sich zur ethischen Richtigkeit dieses erstaunlich modernen, auf der Basis leibnizianischer Überlegungen aber gar nicht allzu fernen Gedankens, der ganz offensichtlich für Jean Paul selbst auch mehr ist als eine bloß unsinnige Konsequenz aus praktisch unbefriedigenden philosophischen Prämissen: »Auch die Tiere können nicht so wie leblose Wesen als bloße Mittell gebraucht werden, an denen wir etwa nur die bloße Brauch-

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analoge Konstitutionsleistung von Welt- und Selbstbewußtsein zugeschrieben werden, was aber, so Leibgeber, (für ein an der allgemeinen Vernunft orientiertes System) widersinnig wäre. Denn »[s]o würde das beste System von der Welt dumm und toll; und echte Konsequenz schaffte mehrere und plattere Götter und Laren als der Papst selber.« (Cl 1045) – Die scheinbar ernste Folgerung des transzendentalen Solipsismus ist jedoch keineswegs Leibgebers Bekenntnis zur Wissenschaftslehre. Vielmehr bricht er dieses Ergebnis sofort durch einen angesichts seines vermeintlichen ›Egoismus‹ lächerlichen Appelll an einige ›Leibgeberisten‹ und an Fichte. Diese sollten »gleichgültig gegen den kläglichen Widerspruch, den nur der gesunde Menschenverstand in solchen Sachen finden kann«, selbst einsehen, daß sie gar nicht existieren (Cl 1045). –

β) Fichtes Interpersonalitätstheorem im Licht der Leibgeberschen Argumente Zwar wurde der Solipsismusvorwurf gegen Fichtes Wissenschaftslehre in jüngerer Zeit der Sache nach u. a. von Jürgen Habermas aufgenommen.138 Im allgemeinen jedoch steht er wie auch Jean Pauls Kritik an Fichtes Intersubjektivitäts- oder Interpersonalitätskonzept philosophisch in keinem guten Ruf.139 Originalität und Sinn von Fichtes Behandlung der Interpersonalität seien, so Marco Ivaldo, vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts insgesamt kaum verstanden worden. Seitdem in der Fichte-Forschung die grundlegende Bedeutung der Interpersonalitätslehre für die Wissenschaftslehre herausgestellt worden sei und man eingesehen habe, daß es sich tatsächlich um eine Interpersonalitäts r -, nicht um eine Intersubjektivitätslehre handele, die Frage nach der Beziehung endlicher Vernunftwesen bei Fichte also nicht Subjekte als reine Intelligenzen, sondern als freie und

barkeit für vernünftige Zwecke zu schonen hätten. Wenn ich ein lebendiges Pferd aus Spaß zersteche und verstümmle: so fühl‹ ich, daß ich dem Gegenstande selber unrechtt tue […] Aus der kritischen Behauptung, die sie zu Mitteln herabsetzt, würde folgen, daß ich mit größerem Unrecht aus einem ausgestopften seltenen Elefanten in Europa als aus dem häufigern original in Asien Scheiben ausschneiden würde; und zwei kallöse Kritiker und Anthropoliten, mit denen ich focht, sagten auch keck, sie ließen es folgen.« (Cl 1044 Anm. der Herausgebers ›Jean Paul‹) 138 Habermas (1988), 198 f. Auch Habermas jedoch wird in der Fichte-Forschung mit dem ähnlich gegen Jean Paul wiederholt vorgetragenem Argument kritisiert, »die systematisch notwendige Unterscheidung zwischen den Funktionen des transzendentalen Selbstbewußtseins und den charakteristischen Merkmalen des empirischen Bewußtseins« zu ignorieren (Crone [2005], 155 Anm.). 139 Vgl. z. B. »Jean Paul denkt einfach dogmatisch mit Hilfe des Satzes vom Grunde fort und macht aus Fichte einen subjektivistisch eingefärbten Spinoza. Fichtes Intention, Bewußtsein zu ergründen, ohnee in den dogmatischen Fehler zu verfallen, hat er – wie sein Lehrmeister Jacobi – nicht verstanden.« (Oesch [1987], 38)

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leibhafte Wesen (Personen) betreffe,140 gilt der Solipsismus-Vorwurf als »stichhaltig widerlegt«, »prinzipiell unberechtigt« und sachlich wertlos.141 Fichtes Begriff der ›Selbstheit‹ biete, indem diese als originär im kommunikativen Austausch stehend verstanden werde, im Gegenteil »die Möglichkeit an, die Vernunft nicht als die absolute Subjektivität zu denken, die sich selbst denkt, sondern als das absolute Erscheinen eines Dialogs, in dem jeder Partner zu seiner Selbstheit zusammen mit dem Anderen (und den Anderen), und nur so, kommen kann.«142 Fichte sei, recht besehen, also der »Begründer von dialogischen Schlüsseleinsichten«143 und keineswegs Vertreter eines monologischen Solipsismus – so eine weitverbreitete Ansicht, die vor allem anhand von Fichtes Naturrechtt zu beweisen versucht wird. Doch nicht nur ein Großteil der Fichte-Forschung weist Vorwürfe vom Typ Jean Pauls gegenüber der Wissenschaftslehre zurück, wobei in der Regel ihre spezielle Jean Paulsche Version nicht analysiert, ja oft nicht einmal wahrgenommen wird. Selbst die wohlmeinendsten Interpreten der Claviss stehen vielmehr seiner Kritik am Interpersonalitätskonzept skeptisch gegenüber. Anerkannt wird allenfalls, daß Jean Pauls Deutung des Du als Implikat des Ich die Interpersonalitätslehre aus der Bestimmung des Gelehrten anspreche und treffe. Im Angesicht der Beweise

140

Im Folgenden wird auch hier der Ausdruck »Interpersonalität« dem der »Intersubjektivität« vorgezogen, weniger jedoch als Zeichen einer völligen Zustimmung zu dieser vermeintlich sicheren Erkenntnis der Fichte-Forschung, sondern um hervorzuheben, daß die von Jean Paul hinsichtlich der Wissenschaftslehre thematisierte Problematik sich auf das Dasein konkreter sittlicher Akteure, die als solche Personen und nicht bloß Subjekte sind, bezieht. – Interessant, aber mit dieser Wortverwendung der Sache nach nicht ganz übereinstimmend ist der Vorschlag Crones, im Blick auf das Naturrechtt Fichtes von »Interpersonalität« zu sprechen, insofern es hier primär ums faktische Handeln der Individuen im sozialen Kontakt (rechtspraktischer Charakter) gehe, in bezug auf die subjektivitätstheoretische Grundlagentheorie in der Wissenschaftslehre nova methodo dort aber von »Intersubjektivität« (Katja Crone [2005], 127). Zwar deckt sich dieser Vorschlag mit dem von Fichte im Naturrechtt entworfenen Begriff der ›Person‹ (SW III, 56–59) und nimmt zugleich auch richtig wahr, daß demgegenüber die ›höhere‹ Reflexion in der Wissenschaftslehre nova methodo (wie im übrigen in der Sittenlehree zumindest teilweise ebenso) letztlich tatsächlich das eigene und fremde Ich doch (nur) im Paradigma des Subjekts thematisiert. Gleichwohl, so werden wir sehen, vermag diese Zuordnung nicht dem Begriff der genuin sittlichen Person bei Jean Paul und Jacobi gerecht zu werden (die sich von der rechtlichen des Naturrechtss Fichtes wesentlich unterscheidet), was in dem Maße besonders empfindlich wird, wie Jean Paul darauf aufmerksam macht, daß auch Fichte, angetrieben von der Auseinandersetzung mit Jacobi, zumindest in der Sittenlehree mit dem Konzept einer Pluralität solcher sittlichen Personen mutmaßlich experimentiert, allerdings ohne sie, das ist Jean Pauls These, systemisch als solche befriedigend integrieren zu können. 141 So z. B. bereits 1989 Alain Perrinjaquet (vgl. Perrinjaquet [1989], 7 f.) sowie Marco Ivaldo (Ivaldo [1989], 172). – Zur Verteidigung Fichtes gegen den Solipsismusvorwurf vgl. u. a. auch Crone (2005), 155 f.; ebenso Lauth (1989d), 180–195. 142 Ivaldo (1989), 172. 143 Edith Düsing (2006), 74.

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in Naturrechtt und Sittenlehre, wonach »die Existenz eines Du bei der Konstitution des empirischen Ich eine genetische Bedingung bildet«, falle seine Kritik hingegen »in sich zusammen«. Jean Paul sei »offensichtlich nicht mit den Darstellungen vertraut, in denen Fichte die Konstitution des empirischen Ich als relativen, nämlich von der Begegnung mit einem personalen Gegenüber abhängenden Selbstanfang beschreibt«.144 – Diese kritische Einschätzung beruht also auf zwei Umständen: Leibgeber stellt das Du erstens als Postulat des Ich dar. Dies geschehe aber nur in den Vorlesungen von den Pflichten der Gelehrten. Zweitens fehle in seiner Argumentation jeder Reflex auf Fichtes neue Beweismethode und somit auf das Aufforderungstheorem. Dieses gilt zugleich aber als entscheidend für die gerechte Beurteilung der Frage, ob die Wissenschaftslehre tatsächlich ein rein monologisches und daher solipsistisches Projekt darstellt. – Zur Erläuterung dieser Behauptung, vor allem aber um ihrer kritischen Prüfung willen, zumal Jean Pauls Behandlung der Interpersonalitätsthematik ohne Zweifel das philosophisch originellste Motiv seiner Auseinandersetzung mit Fichte bildet, sei daher zunächst ein kurzer Blick auf die drei erwähnten Texte Fichtes geworfen, die sachlich einschlägig sind und Jean Paul bei Abfassung der Claviss tatsächlich (mindestens in Auszügen) bekannt waren und überhaupt nur bekannt sein konnten145: (1) die Vorlesungen von den Pflichten der Gelehrten (1794/95), (2) die Grundlage des Naturrechtss (1796) sowie (3) das System der Sittenlehre (1798). (1) Die Frage nach der Wirklichkeit anderer Ichs thematisiert Fichte erstmals als solche in der zweiten Vorlesung der Gelehrten-Schrift, t die der »Bestimmung des Menschen in der Gesellschaft« gewidmet ist. Zwar gehöre, so Fichte hier, zum empirischen Bewußtsein die Vorstellung von anderen vernünftigen Wesen, doch könnten uns keine theoretischen Gründe ihre wirkliche Existenz außer uns, d. i. unabhängig von unserer Vorstellung von ihnen, beweisen. Ein »Wesen an sich selbst« als vernünftige Ursache erfahrbarer Wirkungen sei nämlich selbst kein Gegenstand der Erfahrung.146 Vielmehr seien wir es, die allererst andere Wesen in unsere Erfahrung hereintrügen, indem wir uns gewisse Vorstellungen aus dem Dasein vernünftiger

144

Vgl. Hesse (2005), 107–149, vor allem 111 u. 131 f. Ebenso Hesse (2010), 18/117 f., wobei Hesse zugleich selbst einräumt, daß Jean Paul auch die Sittenlehree gelesen hat (ebd., 17/19). 145 Außen vor bleiben hier hingegen die zweifellos zentralen Überlegungen der Wissenschaftslehre nova methodo, insofern diese Jean Paul nicht bekannt sein konnten. In dem Maße jedoch, wie die Behandlung der Subjektivitätsproblematik sich auch in diesen Vorlesungen nicht grundsätzlich von derjenigen in Fichtes anderen Schriften aus dieser Zeit unterscheidet und vor allem mit derjenigen der Sittenlehree entscheidende strukturelle und inhaltliche Verwandtschaft aufweist (vgl. u. a. Düsing [1989a] u. Düsing [1989b]), ließen sich die von Jean Paul-Leibgeber vorgetragenen Einwände mutatis mutandis auch auf die Argumentation der Wissenschaftslehre nova methodo anwenden. 146 Fichte: Von den Pflichten der Gelehrten. Jenaer Vorlesungen 1794/95, 12.

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Wesen außer uns erklärten. Nicht theoretische Gründe, sondern allein praktische berechtigten uns hingegen auch zur Anerkennungg ihrer Realität: Aus dem sittlichen Trieb des Ich, d. h. dem »Trieb nach Identität, nach vollkommener Uebereinstimmung mit sich selbst«, folge nämlich, so Fichte, die praktische Forderung der äußerlichen Realisierung der notwendigen Begriffe im Ich: »Allen Begriffen, die in seinem Ich liegen, soll im Nicht-Ich ein Ausdruck, ein Gegenbild gegeben werden.«147 Da zu diesen Begriffen, so behauptet Fichte weiter, auch derjenige der Vernunft sowie des vernunftgemäßen Handelns und Denkens gehöre, wolle der Mensch »nothwendig diesen Begriff nicht nur in sich selbst realisiren, sondern auch ausser sich realisirt sehen.« Mithin gebe es das Bedürfnis, »daß vernünftige Wesen seines gleichen ausser ihm gegeben seyen«. Daher lege er »den Begriff derselben seiner Beobachtung des Nicht-Ich zum Grunde, und erwartet, etwas demselben entsprechendes zu finden.«148 Da es dem (endlichen) Ich zugleich eben aber unmöglich sei, selbst dergleichen Wesen außer sich hervorzubringen, müßten mithin fremde Vernunftwesen als eigenständige, reall für sich Bestehende notwendig gedachtt werden. Sie müssen damit nach Fichte auch, und einzig hier geht er über das Kantische Konzept praktischer Postulate hinaus,149 als empirisch erfahrbaree gesetzt werden. Mithin stellt sich das Problem der Erkennbarkeit fremder Vernunftwesen als Vernunftwesen in der Sinnenwelt, da die sinnliche Wahrnehmung immer nur Wirkungen bzw. Erscheinungen, aber nichts Geistiges wahrnehmen könne: Das Merkmal der Vernünftigkeit: die freie Wirksamkeit nach Zweck-Begriffen, Freiheit außer oder in mir sei (als der letzte, und darum vorbewußte »Erklärungsgrund alles Bewußtseyns«) nicht unmittelbar erfahrbar. Daher schließen wir nach Fichte auf fremde vernünftige Wesen als Ursachen in Fällen von erfahrenen Wirkungen, bei denen uns naturgesetzliche Ursachen unbewußt bleiben. – Wie immer es sich hier mit der Unbewußtheit von Ursachen in bezug auf die systematisch naheliegende Frage, ob diese eine prinzipielle sein müsse, und wenn ja, woran wiederum eine solche erkennbar wäre, verhalten möge. Klar ist zumindest dies: Das fremde Ich ist für Fichte in den Vorlesungen von den Pflichten der Gelehrten bloß ein aufgrund meines praktischen, im sittlichen Trieb gründenden Bedürfnisses von mir als existierend Hinzugedachtes, nur eine notwendige Projektion eines nach Vervollkommnung strebenden Selbstbewußtseins.150 Damit sind weder der monologische Ansatz und die Prämissen der Wissenschaftslehre überschritten oder gar gesprengt, noch kommt das andere Ich in der Weise in den Blick, wie neuere Dialogphilosophien (und Jacobi und Jean Paul ebenso) es einfordern, nämlich als ein wirklich existierendes, tätig-freies und fremdess Individuum.

147 148 149 150

Ebd., 14. Ebd. Vgl. Edith Düsing (2006), 83. Honneth (2001), 63 f.

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(2) Zwar verändert Fichte im Naturrechtt den Beweisansatz für die notwendige Existenz fremder Vernunftwesen tatsächlich grundlegend. Der Andere wird nun nicht mehr erst im genauen Sinne eines Kantischen Postulates aus dem Bedürfnis eines bereits vollständig ausgebildeten, einsamen Ich gesetzt, sondern als Moment der »Möglichkeit des Selbstbewusstseyns« (SW III, 24) bereits zur notwendigen transzendentalen Bedingung für die Konstitution des (bewußten) Ich selbst. Dabei transformiert Fichte die Theorie des Anstoßes zur Selbstbestimmung des Ich, dem in der Grundlagee übriggebliebenen Rest des Kantischen Dings an sich, in die Theorie der »Aufforderung«:151 Da nur ein wirkliches, d. h. bestimmtes, Ich – so die Argumentation – sich seiner selbst bewußt und mithin im Vollsinne Ich sein könne, bedürfe es einer Synthese der wesentlichen Freiheit des Handelns des Ich und der zur Bestimmung notwendigen Begrenzung des Ich und seines Handelns. Ich, der ich wesentlich freies Wesen bin, werde mir, so Fichte, nur bewußt, wenn meinem Begriff freier Wirksamkeit auch ein Gegenstand in der Erfahrung entspricht. »[D]ie Wirksamkeit des Subjects« müsse m. a. W. »selbst das wahrgenommene und begriffene Object« sein (SW III, 32). Freiheit und Bestimmtheit könnten aber vereinigt nur gedacht werden als freie Selbstbegrenzung des Ich aus Anlaß einer an ihn ergehenden »Aufforderung« zur Selbstbestimmung, d. h. einer Mitteilung des Begriffs der Selbstbestimmung als Zweck. Eine Aufforderung, »sich zu einer Wirksamkeit zu entschließen«, lasse dem Subjekt völlige Freiheit zur Selbstbestimmung; es nötigt nicht, überhaupt wirklich oder auf eine bestimmte Art zu handeln. Sie führe nur dazu, daß das Subjekt sich findet als eines, das handeln könnte, falls es dies willl (SW III, 33). Da eine Aufforderung als Aufforderung (d. h. als Mitteilung eines Begriffs oder einer Erkenntnis) zu verstehen die Unterstellung der Vernünftigkeit und Intentionalität des Auffordernden voraussetze, eine Aufforderung als Aufforderung zu meinen aber beim Auffordernden die Annahme der Vernünftigkeit und Freiheit des Aufgeforderten verlange, folge mithin die notwendige Realität einer reziproken Anerkennung von Aufforderndem und Aufgefordertem als freie, aber unterschiedene Vernunftwesen. Der Auffordernde muß, um seine Handlung als Aufforderung zur freien vernünftigen Selbstbestimmung zu meinen, genauso sein Gegenüber als

151

Inwiefern das Wechselverhältnis mehrerer Ichs/Subjekte nur eine Modifikation oder Ableitung der allgemeineren Wechselsetzung von Subjekt-Objekt (Ich-Nicht-Ich bzw. Ich-Es) ist, deutet auch eine Bemerkung in der Ersten Einleitung in die Wissenschaftslehre an, in der Fichte erklärt, daß das ›Du‹ ein synthetischer Begriff sei, in dem wir den Begriff unseres Ich auf das ›Es‹ bzw. Objekt übertragen (vgl. SW I, 501–504). Daher unterscheidet auch Zöller zwei Begriffe des Du bei Fichte: ein ›generisches‹ Du, das mit dem Nicht-Ich der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehree identisch sei, und ein spezifisches Du als Nicht-Ich besonderer Art, nämlich als Person (Zöller [2007], 132). Es ist diese Abkünftigkeit des Du i. e. S. vom Nicht-Ich, der Person vom Subjekt, die die Kritiken Jean Pauls wie auch noch Habermas’ an Fichtes Interpersonalitätslehre wesentlich motiviert.

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freies Vernunftwesen ansehen, wie ich als Aufgeforderter den Auffordernden, um die Aufforderung als kommunikativen Akt begreifen zu können. – Entgegen der Überzeugung vieler Interpreten stellt das Naturrechtt mit dieser transzendentalen Argumentation für die Frage Jean Pauls nach dem Anderen als Wirklichem und als Anderem gleichwohl genauso wenig einen entscheidenden Beitrag dar wie die Gelehrtenschrift. Denn Aufgeforderter und Auffordernder, das Ich und der Andere kommen, so macht Fichte deutlich, hier allein als selbstbewußte Sinnenwesen, die durch technisch-praktische Vernunft (Klugheit) ihre rein äußerlichee (Willkür-)Freiheit in der Sinnenwelt bestimmen, in den Blick. Recht und Moral gelten Fichte als weitgehend autonome Sphären von äußerlicher und innerlicher Freiheit, wobei die Ableitbarkeit des Rechts aus dem Sittengesetz ausdrücklich ausgeschlossen wird (SW III, 54).152 Die Aufforderung wird darum im Naturrechtt ebenso allein als Phänomen der ›äußeren Empfindung‹ (SW III, 33) verstanden wie die rechtliche Verbindlichkeit als »Denkgesetze«, als »praktische Gültigkeit des Syllogismus« (SW III, 50), mithin als Kalkulation der wünschbaren und unerwünschten Folgen. Die Rechtssphäre ist nach Fichte die Sphäre von Sanktionen, äußerer Erzwingbarkeit und »physische[r] Gewalt« (SW III, 54). Eine solche Sphäre der rein äußerlichen ›Anerkennung‹ läßt sich aber noch immer mit Mitteln der Kantischen Unterscheidung von empirisch-phänomenalem Realismus und transzendentalem Idealismus in ein monologisch-egologisches System integrieren. Dies betont auch Fichte selbst ausdrücklich, wenn er darauf verweist, daß die Ableitungen der Wirklichkeit der Andern im Naturrechtt sich allein an das empirisch-praktische, endliche Ich wenden, es also darum gehe, wie die Sache ihm, »dem zu untersuchenden Subjecte vorkommen müsse« (SW III, 33, Herv. v. Vf.). Die transzendentalphilosophische Betrachtung, die theoretische und praktische Tätigkeit zugleich überschaue, komme hingegen »nothwendig […] zu dem Resultate, daß das ganze System der Objecte für das Ich durch das Ich selbst hervorgebracht seyn müsse« (SW III, 27), daß die »Realität der Welt«, inklusive der anderen, von uns als empirischem Ich anerkannten Rechtssubjekte, nur eine Realität »für uns, d. h. für alle endliche Vernunft« sei (SW III, 40). Transzendentalphilosophisch betrachtet bleibt es also beim Anderen bloß im Sinne einer (vorbewußten) Projektion durch die reine Tätigkeit des Ich.153 Auch die vom Naturrechtt deduzierte Pluralität von Ichen als Rechtspersonen trifft damit noch nicht die Intentionen von modernen Dialogphilosophien – genausowenig wie das Verständnis sittlicher Individualität bei Jean Paul und Jacobi. (3) Die für die Frage nach der wirklichen Existenz einer Pluralität je konkreter sittlicher Vernunftwesen interessanteste Variante des Interpersonalitätsbeweises findet sich innerhalb der drei genannten Texte Fichtes ohne Zweifel in der Sittenlehre.

152 153

Zum Verhältnis von Recht und Moral vgl. auch Radrizzani (2006) sowie Ivaldo (1999). Vgl. hierzu u. a. Honneth (2001), 79 f.

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Denn nur hier werden die Ichs als moralischee Subjekte, als wirkliche, sittlich-pflichtbestimmt Wollende in der Sinnenwelt verstanden. Als solchee gehen sie aber, streng genommen, in bloßerr Phänomenalität als äußerlichee Erscheinung und in natürlicher oder epistemischer Endlichkeitt nicht auf. – Der Ort der Interpersonalitätsüberlegungen in der Sittenlehree ist dabei die Ableitung materialer sittlicher Vorschriften, deren gemeinsames Ableitungsprinzip die für die Konstitution des Sittengesetzes notwendig voraussetzende Forderung seiner Verwirklichung ist. Die empirische Wirklichkeit ist m. a. W. gerechtfertigt als Verwirklichungsraum des kategorischen Imperativs und insofern von innererr Freiheit und sittlicher Unbedingtheit. Leibgebers erstes Argument zielt genau auf diesen Rahmen des Interpersonalitätsbeweises. – Der im Naturrechtt bereits erfolgte Nachweis, daß das Bewußtsein fremder vernünftiger Wesen außer mir Bedingung des (bewußten) Ich ist, soll in der Sittenlehre, dem bei Fichte systemisch ›höheren‹ Rang der inneren, moralischen Freiheit gemäß, dabei »aus einem höheren Princip geführt werden« (SW IV, 218). Dies bedeutet nichts anderes, als daß das fremde Ich nunmehr im Sinne ›fremder Ichheit‹ t überhauptt als Bedingung des Ichs als Ichheit schlechthin gefunden werden soll. Die Ableitung führt ähnlich wie im Naturrechtt über die Begriffe der ›Beschränkung‹ der freien Tätigkeit, des »Sich-als-frei-Findens« (d. h. sich selbst als Objekt wahrzunehmen), der »Aufforderung« als Begrifff meiner Selbstbestimmung zum Schluß auf ein fremdes Vernunftwesen als Quelle der an mich ergangenen Aufforderung, des mir (scheinbar) mitgeteilten Begriffs der Selbstbestimmung (SW IV, 219 f.). Resultat dieses apriorischen transzendentalen Beweisgangs sei die für meine Selbstbewußtheit notwendige Existenz eines »sich selbst als Ich setzende[n] Wesen[s], also ein[es] Ich« außer mir, wobei Fichte selbst ausdrücklich betont, daß das als Korrelat des Du gesetzte Ich noch keineswegs mein Ich als ein bestimmtes, besonderes Vernunftwesen (und damit als Person) sei, sondern zunächst »bloßes Vernunftwesen überhaupt« (SW IV, 225). Daher überrascht Fichtes Interpretation des Beweisergebnisses bezogen auf das andere Ich, wäre hier der Sache nach doch auch zu erwarten, daß es sich um die kategoriale Bestimmung ›anderes Vernunftwesen überhaupt‹ handelt: Bewiesen sei, so behauptet Fichte hingegen, die Existenz von wenigstens einem freien Individuum außer dem Ich, ›eines‹ verstanden als numerischee Angabe der Anzahl abzählbarer Gegenstände. Über die Möglichkeit oder gar Wirklichkeit von zwei oder mehr anderen Individuen sei damit jedoch, so ergänzt Fichte, noch nichts entschieden (SW IV, 221). – Zwar kann diese These genausowenig überzeugen wie die Deutung der eigentlich bewiesenen Duheit als ein individuelles Du, insofern die Idee der Quantifizierung notwendig wenigstens die Möglichkeitt einer Vielzahl voraussetzt. Die Motivation Fichtes für eine solche Deutung läßt sich hingegen sehr wohl nachvollziehen, wird aber eher zur Problemanzeige als zu ihrer Rechtfertigung: Denn eine der Grundthesen der Sittenlehre, in der sich zweifellos auch Fichtes Konflikt mit Jacobi über das Verhältnis von theoretisch-systemischer Erklärung des Ich und seiner Selbstwahrnehmung als sittlich-praktisches spiegelt, ist der

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Gedanke, daß das sittliche Ich ein wirkliches und damit ein individuelles sein müsse – individuiert, so Fichte, durch seine je eigene, im Gewissen erfahrene konkrete moralische Pflicht. Denn der Begriff des Willens überhaupt »als eines Vermögens zu wollen«, mithin der Begriff des reinen Willens, sei bloß »ein abstracter Begriff, nichts wahrzunehmendes wirkliches, nicht etwa eine Thatsache«. Ein wirklicher Begriff bedürfe einer Bestimmtheit, so daß der Gegenstand der Sittenlehree nach Fichte demnach ein Wille, einee Wollung, mein Wille ist (SW IV, 158). Dementsprechend muß auch ein anderes Ich, ein Du, in der Sittenlehree genuin als eines, als ein wirkliches, als ein durch eine nur ihm eigene bestimmte Pflicht konstituiertes verstanden werden. Fichtes erster Beweis der Interpersonalität in der Sittenlehree wird dieser von ihr selbst aufgestellten Realitätsforderung jedoch in dem Maße noch nicht gerecht, wie er allenfalls die Wechselsetzung von Ichheit und Duheit, d. h. die aufeinander bezogenen kategorial-apriorischen Begriffe von ›Vernunftwesen überhaupt‹ und ›vom Ich verschiedenes Vernunftwesen überhaupt‹ plausibel zu machen in der Lage ist. Deutet Fichte sein Ergebnis hingegen als den Nachweis der notwendigerweise wirklichen Existenz von genau einem, und insofern konkreten, das Ich auffordernden anderen Vernunftwesen, zeigt sich darin eine Ambivalenz des von Fichte in Anspruch genommenen Realitätsbegriffes. Die These, daß der reine Wille ein bloß ›abstrakter Begriff‹ sei bezogen auf die Wirklichkeit eines konkreten Willens, indiziert, daß der transzendental im reinen Ich konstituierte Begriff des Realidealen, der noch die Ableitung des phänomenalen Realitätsbegriffes trug, dies im Blick auf die Realität des sittlichen Individuums nicht mehr vermag, auch nicht bezüglich des begrifflichen Sinns ›wirkliche Realität‹. Die Identifizierung der im ersten Teil des Interpersonalitätsbeweises erwiesenen ›Duheit‹ mit einem bestimmten, notwendigerweise real existierenden Du sowie die Behauptung, daß es zum durchaus möglichen apriorischen Nachweis wenigstens der möglichen Wirklichkeit einer Pluralität von mehr als einem anderen Ich eines eigenen zweiten Beweisgangs bedürfe, lassen das gerade Gegenteil vermuten. Genau diese Ambivalenz im Realitätsbegriff, die nicht von außen an Fichtes Texte erst herangetragen werden muß, sondern in ihnen selbst sich manifestiert, ist für Jean Paul die ›Handhabe‹ gegen die praktische Wissenschaftslehre, wie sie in analoger Weise mit Blick auf Kants Begriff der Sinnlichkeit schon Jacobis ›Handhabe‹ gegen die Transzendentalphilosophie in der ›Beilage‹ zum David Humee war. – Im zweiten Teil der Überlegungen zum anderen Ich in der Sittenlehree geht es, wie von Fichte angekündigt, um den transzendentalphilosophisch-apriorischen Beweis einer Pluralität von mindestens zwei anderen Ichen, nicht als real wirkliche, aber als mögliche wirkliche und als mögliche tatsächlich vom endlichen Ich wahrnehmbare. Verfüge ich einmal über den Begriff eines Ichs außer mir (wie im ersten Beweisteil gezeigt), so argumentiert Fichte, könne ich (außer unmittelbar aus der Aufforderung an mich) h nun auch aus der Einwirkung (anderer) auf die Natur auf das Dasein eines vernünftigen Wesens schließen. »So gewiß ich etwas für ein

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Kunstproduct erkenne, muß ich nothwendig ein wirklich vorhandenes vernünftiges Wesen als den Urheber desselben setzen.« (SW IV, 224) Etwas würden wir aber dann als Kunstprodukt ansehen, wenn wir unser Streben nicht nur in seinem »Seyn« (d. i. als äußerlich freies), sondern auch in seinem »Werden« (d. h. als Handeln überhaupt bzw. innerlich freies) beschränkt setzen, so daß wir auf (innerliche/sittliche) Freiheit außer uns schließen: »Wo meine moralische Macht Widerstand findet, kann nicht Naturr seyn.« (SW IV, 225) Hierbei handele es sich um eine besondere (empirische, zufällige) materialee Beschränktheit als konkretes (sittliches) Vernunftwesen, die nicht wie die formale a priori aus dem allgemeinen Ich abgeleitet werden kann, sondern sich mir nach Fichte, und hieran knüpfte Leibgeber in seinem dritten und vierten Argument an, »in meiner Sinnenwelt« offenbart (SW IV, 226). Genauer betrachtet, gilt diese sich sinnlich zeigende, materiale sittlichee Bestimmung jedoch um der apriorischen Ableitbarkeit ihrer Möglichkeit willen (anders als die bloße empirische Naturbestimmung) trotz ihrer »vom Gesichtspuncte der Erfahrung« aus scheinbaren Zufälligkeit als »ursprüngliche [materiale] Beschränktheit«, d. h. als »von Ewigkeit her prädestinirt« (SW IV, 225 f.). Danach müßte auch bei Fichte eine bestimmte wesentliche sittliche Individualität, die zwar azeitlich-ewig, aber wegen ihrer materialen Bestimmtheit nicht mit der Ichheitt oder der ›Individualität überhaupt‹ identisch ist, von einer rein zeitlich-zufälligen individuellen Bestimmtheit in der Welt der Erscheinungen unterschieden werden. Zugleich behauptet Fichte in Übernahme der leibnizianischen Figur einer prästabilierten Harmonie die Vereinbarkeit meiner Freiheit mit der apriorischen Prädetermination: denn diese gelte nur insofern für mein Ich, als ich auf Andere Einfluß habe, und für die anderen Vernunftwesen außer mir, insofern sie für mich sind, d. h. die ewigen Grenzpunkte meiner Individualität bilden. Für michh sei ich aber in meinem Handeln und meiner Selbstbestimmung genauso frei wie die anderen Vernunftwesen je für sich. – Es ist äußerst zweifelhaft, ob Fichte auf diese Weise mit Hilfe der prästabilierten Harmonie eine Versöhnung von Freiheit und Prädetermination und damit der Beweis der Möglichkeit der realen Wechselwirkung von einander wirklich verschiedenen sittlichen Vernunftwesen gelingt. Denn je nach dem – dies zeigen bereits die Interpretationsvarianten, die Leibgeber im dritten Argument angibt –, wie man das Verhältnis von transzendentaler apriorischer Perspektive und der Perspektive des Ich für sich selbst bestimmt, ergeben sich zwar unterschiedliche, aber gleichermaßen gravierende Folgen: Entweder erscheint das Ich als nur phänomenal und in seiner endlich-subjektiven Wahrnehmung frei, während es an sich, wie die (an Realität dem Ich gleichen) anderen Vernunftwesen auch, prädeterminiert wäre. Oder aber bleibt das Ich als absolutes (im Gegensatz zur empirischen Freiheit des zufälligen Bestimmens) in dem Sinne zwar selbst frei, daß die Prädetermination nichts anderes als seine (unerklärliche) eigene Natur und Tat ist. Doch folgt daraus, daß das andere Vernunftwesen nicht als im selben Sinne reales fremdes Ich angesehen werden kann, sondern eine ›heraldische Figur‹ bleibt und keine wirkliche Wechselbe-

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ziehung von zwei oder mehr unbedingten Vernunftwesen abgeleitet ist.154 Als freies sittliches Vernunftwesen, auf das Jean Pauls Augenmerk liegt, wird der Andere jedenfalls in keiner Lesart für das Ichh selbst sichtbar. * Die Skizzen von Jean Pauls bzw. Leibgebers Argumentation gegen Fichtes Interpersonalitätslehre wie von deren drei verschiedenen Fassungen in den Vorlesungen von den Pflichten der Gelehrten, im Naturrechtt und in der Sittenlehree haben verdeutlicht, daß Jean Pauls Überlegungen sich, anders als in der Forschung zumeist behauptet, keineswegs allein an der Gelehrtenschriftt orientieren und auch nicht nur diese argumentativ treffen.155 Vielmehr beziehen sie sich eindeutig und vor allem sachlich vollkommen zu Recht ausschließlich auf die Konstellation im System der Sittenlehre. – In der Tat propagiert zwar auf markante Weise nur Fichtes Gelehrtenschriftt ein fremdpersonales Dasein im Sinne eines praktischen Postulates bei Kant, eines bloß von uns aufgrund eines praktischen Bedürfnisses als wirklich existierend Hinzugedachtes, während Naturrechtt und Sittenlehree zu einem genetischen Beweis als Konstitutionsbedingung des selbstbewußten Ich selbst übergegangen sind, wodurch die Behauptung anderer Vernunftwesen nicht mehr mit einem Kantischen Postulat identisch ist. Daher scheint Jean Pauls bzw. Leibgebers wiederholte Redeweisen vom ›Postulieren‹ anderer Ichs bei Fichte, vor allem aber die Behauptung, daß »wie der Kantianer Gott und Unsterblichkeit […] Fichtes Ich Ichs« postuliere (Cl 1039), auf den ersten Blick tatsächlich auf diese frühe Variante Fichteschen Interpersonalitätsdenkens von 1794/95 zu verweisen. Doch nimmt, genauer betrachtet, Leibgeber auf den eigentlichen Interpersonalitätsbeweis aus der Bestimmung des Gelehrten genausowenig Bezug wie auf das Aufforderungstheorem von Naturrecht und Sittenlehre. Denn während jener eben über die Folgen und Implikationen des sittlichen Triebes argumentiert, bezieht sich Leibgeber bei seiner Diagnose vom bloßen Postulieren fremder Ichs bei Fichte sehr wohl auf die Anerkennung fremden

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Zwar nimmt Fichte die Erklärung für die Vereinbarkeit von Prädetermination und Freiheit alsbald als ›überfliegendes Räsonnement‹ zurück (GA III,4 314) – im übrigen ihrer Inkonsistenz wegen zu Recht (vgl. zum ›überfliegenden Raisonnement‹ Fichtes auch Taver [2006], 15– 22; zur prästabilierten Harmonie als der mit Freiheitslehre und antimetaphyischem Charakter der Transzendentalphilosophie unvereinbaren, für Fichtes Interpersonalitätsbeweis aber notwendigen Voraussetzung vgl. Hösle [1992], 49–52). An der Orientierung an Leibniz’ Konzept der prästabilierten Harmonie hält Fichte jedoch auch später noch fest (vgl. Taverner [2006], Lauth [1996]). 155 Gekannt allerdings hat Jean Paul auch diese Schrift Fichtes sehr wohl, wie eine Lektüreempfehlung an einen Freund zeigt (vgl. Brief Jean Pauls an Christian Otto vom 7.4.1797 [FiG 1, 419]).

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personalen Daseins als Bedingungg der Pflicht. Dieser Gedanke kommt aber wie die Rede von ›moralischem Umgang‹ und ›moralischer Weltordnung‹, die Jean PaulLeibgeber direkt aufgreift, erst im Kontext des genetischen Interpersonalitätsbeweises vor. Prüft man weiterhin Fichtes eigene Verwendung des Postulatbegriffs fällt darüber hinaus auf, daß er zur Kennzeichnung des Status des anderen Ich in der Gelehrtenschriftt selbst keinerlei Verwendung findet. Sehr wohl bedient sich Fichte hingegen des Ausdrucks ›Postulat‹ oder ›postulieren‹ in Naturrechtt und Sittenlehre, oft auch in einer Verwendungsweise, die über den genauen Kantischen Sinn hinausgeht und im Kontext genetischer Beweise von Bedingungen des Ich als eines selbstbewußten steht, z. B. in der Rede vom »Postulat eines Objectes außer uns« im (real gesetzten) Wollen (SW IV, 23), vom »Postulat einer Reflexion« (SW IV, 40), vom ›Postulat der Entgegensetzung‹ (vgl. SW III, 35/68) oder gar vom »Postulate: Ich bin Ich« (SW III, 85). Daß trotz der Orientierung an der Sittenlehree das Aufforderungstheorem selbst bei Jean Paul keine Aufmerksamkeit erfährt, überrascht auch nur auf den ersten Blick. Dies ist nicht allein Leibgebers erklärter Absicht geschuldet, nur die Resultate der Wissenschaftslehre zu geben, sondern hat auch einen systematischen Grund: Auf die konkrete Form des Beweises kommt es ganz offenkundig gar nicht an, wenn die entscheidende Frage der Interpretation eigentlich diejenige nach dem Typ des im Interpersonalitätstheorem jeweils gesetzten Realismus ist. Denn die kurze Skizze von Fichtes verschiedenen Argumentationsfassungen zeigte, daß ein ähnlicher Beweisgang qua Aufforderungstheorem in Naturrechtt und Sittenlehree auf ganz unterschiedliche ›Gegenstände‹ angewandt wird. Weil Fichte Recht und Moral als grundlegend verschiedene Sphären oder Disziplinen behandelt, sind jeweils ganz unterschiedliche Begriffe des Ich, der Freiheit und letztlich auch der Realität im Spiel. So beschränkte sich das Naturrechtt auf rational-kalkulierende Sinnenwesen, äußere Freiheit und bloß empirische Realität. – Wenn Leibgebers Argumente auf Rechtssphäre und Naturrechtt genausowenig Bezug nehmen wie auf Fichtes Gelehrtenschriftt und auch kaum den ersten Teil des Interpersonalitätsbeweises der Sittenlehree aufgreifen, zeigt dies statt Jean Pauls Unkenntnis vielmehr seinen systematisch scharfen philosophischen Blick. Denn alle diese Überlegungen sind für Jean Pauls Vorhaben, die Wissenschaftslehre durch die Konfrontation mit dem Interpersonalitätstheorem ›umzubrechen‹, nicht brauchbar: Im Falle von Gelehrtenschriftt und Naturrechtt ist die anzusetzende Realität im Sinne eines bloß empirischen Erscheinungsrealismus systemisch-systematisch problemlos mit der Selbsttätigkeit des absoluten Ich als konstitutiven realidealen Prinzip der Wissenschaftslehre und der daraus folgenden Konstitutionstheorie der Vorstellung und ihrer Objekte vereinbar. Nichts spricht grundsätzlich dagegen, das Du in Fichtes Naturrechtt bloß als Implikat des Ich zu verstehen; die Gelehrtenschriftt behauptet dies ausdrücklich. Der erste Teil der Interpersonalitätsargumentation der Sittenlehree setzt demgegenüber wohl an einem so hohen transzendentalphilosophischen Gesichtspunkt ein, daß die

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Frage der Realität von bestimmten Personen der Sache nach noch gar nicht berührt sein kann. Denn entgegen Fichtes Insinuierung, die notwendige Existenz eines anderen Ich gezeigt zu haben, gibt es gute Gründe anzunehmen, daß der Beweis eigentlich auf der Ebene der kategorialen Begriffe von Ichheitt oder Individualität überhauptt und fremder Ichheit bzw. Duheitt verbleibt, Fichte in der Tat, mit Crone gesprochen, allein Intersubjektivität, nicht Interpersonalität zu beweisen sucht.156 Anders könnte es sich allenfalls im Blick auf reale sittliche Subjekte verhalten, wie sie im zweiten Teil von Fichtes Nachweis von vom Ich verschiedenen Vernunftwesen in der Sittenlehre, d. i. im apriorischen Beweis der Möglichkeit ihrer Existenz als konkrete, thematisch sind. Neben den allgemeinen methodischen Voraussetzungen des Interpersonalitätsbeweises in der Sittenlehree im Rahmen der Deduktion objektiver Wirklichkeit aus den Realisierungsbedingungen des Pflichtgesetzes ist es gerade dieser zweite Teil des Beweises, der Jean Pauls bzw. Leibgebers besondere Aufmerksamkeit erfahren und in seiner Kritik deutlich erkennbare Spuren hinterlassen hat. Würde man nämlich, wie Jean Paul es tut und auch Fichtes Ausführungen selbst an dieser Stelle nahelegen, die Idee einer Pluralität sittlicher, d. h. in einer Hinsicht unbedingter, unendlicher und schlechthin freier, Wesen ernstnehmen, müßten Ich und Du auch alss sittliche, alss unbedingte Wesen, d. h. in dem, was sie zu einem sittlichen, unbedingten macht, für individuelll und voneinander real verschieden genommen werden, anstatt sie darin als identisch und allgemein zu betrachten. Eine Pluralität solcher Wesen ließe sich aber tatsächlich nicht mehr durch die unbewußte Setzung ein und desselben einzigen und allgemeinen reinen Ich, durch eine identische schlechthinnige Unbedingtheit erklären. – Zwar gilt auch für diesen Beweisteil unverändert Fichtes transzendentalidealistisches Diktum, daß »dasjenige, was außer uns seyn soll, […] selbst erst erklärt werden [muß], aus etwas in uns«; doch schimmert hier wenigstens kurz die angesprochene Problematik der Pluralität sittlicher Individuen als sittlicher durch, insofern Fichte manifest mit dem ›Konzept‹ einer nichtempirischen materialen Bestimmung des individuellen Ich als individuellem konfrontiert ist, das zwar im Gedanken einer genuin konkreten, im Gewissen des Einzelnen gegebenen Pflicht für die Sittenlehree im ganzen bedeutsam ist, aber angesichts der Frage nach der Wirklichkeit fremder sittlicher Ichs wirklich empfindlich wird. – Diese Auffassung der Einzelheit steht in deutlichem Kontrast zu den Aussagen Fichtes über das principium individuationis im Naturrecht: Hier ist es der »materiell[e] Körper«, der den »Umfang aller möglichen freien Handlungen der Person« ausmacht, der ihre »Fortdauer und Identität« gewährt und so das Ich zu einem individuellen werden läßt (SW III, 59/61). Zwar wird der materielle Körper nur als »Leib« zur realen Erscheinung des Ich – und mithin dadurch, daß in ihm mein freier Wille als Ursache seiner Zustände und Veränderungen wirkt,

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Vgl. Fn. 140 in diesem Teil.

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Ich als Geistiges »durch ihn thätig bin« (SW III, 75/85). Doch verfolgt Fichte im Naturrechtt mit keinem Wort den Gedanken weiter, daß konsequenterweise dann ›meinem Ich‹ im Sinne des im Leib und durch ihn wirkenden Geistwesens selbst bereits eine individuelle Verfassung zukommen muß.157 – Genau dieser Punkt wird im zweiten Teil der Interpersonalitätsüberlegungen der Sittenlehree aber ausdrücklich als die Frage einer geistigen Individualität thematisch und von Leibgeber zu Recht als Theorem markiert, das mit der Annahme eines absoluten Ich als allgemeinem Prinzip der Unbedingtheit in allen freien, sittlichen Handlungen von allen Vernunftwesen nicht vereinbar ist.158 Allerdings bringt Fichte diese Problematik, so sahen wir, unmittelbar und instantan wiederum in der merkwürdigen, gleichsam spinozistischen Figur einer in der absoluten Vernunft verbürgten Prädetermination der empirischen Bestimmungen der sittlichen Individuen und einer sub specie aeternitatis prästabilierten Harmonie zwischen den Tätigkeiten der einzelnen Wesen zum Verschwinden, wonach alle Bestimmungen aller Vernunftwesen als Determinationen ein und desselben allgemeinen ›Urtriebes‹ erscheinen (SW IV, 101). Und Jean Paul bzw. Leibgeber hat selbst darauf hingewiesen: Identifiziert man die absolute Vernunft bzw. den ›Urtrieb‹ mit dem reinen Ich, gilt neuerlich die Projektions- und mithin die Solipsismusdiagnose; hält man sie für vom Ich verschieden, ist der transzendentalidealistische egologische Ansatz gesprengt.159

157

Vgl. hierzu Edith Düsing, die ebenso zu dem Schluß kommt, daß im Naturrechtt letztlich die Leiblichkeit in ihrer körperlichen Bestimmtheit als Individuationsprinzip gelte. In der Sittenlehree hingegen verstehe sich das sittliche Ich nicht primär wegen seines Leibes als konkretes Einzelnes, sondern »durch die Vorstellung von seiner ganz persönlich geltenden bestimmten Pflicht« (Edith Düsing [1989a], 36/43). 158 In diesem Sinne weist auch Klaus Brinkmann darauf hin, daß die Ableitung aus dem absoluten Ich bei Fichte mit dem Postulieren einer realen individuellen Freiheit bzw. einer an mich ergehenden Aufforderung (wie bereits schon des ›Anstoßes‹) als transzendentalem Faktum unvereinbar sei (Brinkmann [2003], 13). 159 In ähnlichem Sinne sieht Verweyen im Versuch Fichtes, den Interpersonalitätsbeweis des Naturrechtss in der Sittenlehree auf die Wirklichkeit einer Pluralität je konkreter moralischer Vernunftwesen zu übertragen, einen prinzipiellen Fehler. »[D]ie sittliche Verpflichtungg zur unbedingten Anerkennung des anderen beweisen zu wollen« sei, so Verweyen über Fichte (wie im übrigen auch über das analoge Projekt Apels; vgl. Fn. 129, S. 106), »nicht möglich. Um mir als ein freies Wesen bewußt zu werden, muß ich zwar gleichsam das Bild meiner selbst bejahen, das mir der mich anerkennende andere vorhält. Dieser Akt der Bejahung impliziert in der Tat eine Internalisierung jenes Bildes meiner selbst und begründet das Grundgefühl von Verpflichtung gegenüber anderen. Ob das mit dieser Internalisierung für mich in Geltungg Gesetzte der Frage nach der Gültigkeitt des Geltenden standhält – die für einen unbedingten Sollensanspruch entscheidende Testfrage –, ist damit aber nicht ausgemacht. Zur Begründung einer für alle Menschen verbindlichen Sphäre des Rechtss hingegen ist Fichtes Deduktion von Intersubjektivität aus dem Prinzip der Freiheit hinreichend.« (Verweyen [2006], 115.) – Selbst Edith Düsing muß in Analogie zu der von Jean Paul aufgezeigten Ambivalenz einräumen, daß in Fichtes Sittenlehree eine

I. Jean Paul und die Transzendentalphilosophie

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Weil diese Alternative bzw. Ambivalenz für die Deutung der Fichteschen Theoreme besteht und zugleich in Jean Pauls Augen keine logisch zwingendee und notwendige Argumentation für die zweite Lesart, die eine Transzendierung des Systems markiert, möglich ist, versteht sich Leibgebers begrifflich-philosophische Kritik nicht als strenge Widerlegung der Wissenschaftslehre. Diese sei vielmehr, so ist Jean Paul mit Jacobi überzeugt, nicht zu leisten. Denn Fichte bleibe prinzipiell die Möglichkeit, sich mit der moralischen Welt und der in ihr zu setzenden Pluralität sittlicher Akteure auf die gleiche Weise wie mit der sinnlichen abzufinden, wenn auch auf Kosten des Vollsinnes von Personsein (Cl 1013). Leibgebers Beweise sollten daher nur dazu dienen, so erklärt dieser doppelsinnig, »einige Leibgeberisten zum Nachdenken und Zweifel« zu bringen »darüber, ob noch etwas anderes existieren könne als ich allein, diese hinlängliche rationale und irrationale Wurzel aller Dinge – das Weberschiff aller Schiffe und Weber – der Perpendikel des WeltenGetriebes – das Herz des Seins – der Bauherr des Weltgebäudes – das Eins und das Alles. Findet Fichte meine Gründe zureichend – welches herzlich zu wünschen –: so ist er gewiß der Mann, der am ersten bekennt, daß er nicht existiert, gleichgültig gegen den kläglichen Widerspruch, den nur der gesunde Menschenverstand in solchen Sachen finden kann; – oder der wenigstens sagt, daß ich nicht bin, welches ich dann (da mir meine Existenz gewiß genug ist) schon zu meinem Vorteil auf seine Kosten auslegen will.« (Cl 1045) –

b. Die ›Druckfassung‹ der »Clavis« und die sprachtheoretische Kritik Fichtes durch den fiktiven Herausgeber ›Jean Paul‹ Bereits an Leibgebers ›Urfassung‹ der »Clavis« deutete sich also an, daß das Mittel des Widerstandes gegen das philosophische System Fichtes und damit gegen einen ganzen Typ aufgeklärten Denkens auch nach Jean Paul in letzter Konsequenz keine strenge, argumentativ-immanente Widerlegung sein kann. Vielmehr bedarf es, analog zu Jacobis ›Spinoza-Antispinoza‹, einer Doppelsinnigkeit von rationaler Konsequenz im Aufdecken der Folgen und ihrer Konfrontation mit unserem Selbstverständnis als konkret handelnde Individuen. Diese Strategie tritt in der Umstellung der »Clavis« durch den fiktiven Herausgeber klarer hervor und der Widerstand gegen

unaufgelöste Dichotomie besteht zwischen der (eher implizit bleibenden) Ansicht von der sittlichen freien Individualität und anderslautenden Äußerungen über das notwendige Sich-selbstVergessen und Aufheben der Individualität in der allgemeinen reinen Vernunftform (Edith Düsing [1989a], 44/46); vgl. auch Zöller, der in Fichtes praktischer Philosophie um 1800 eine »Immersion der Individualität der ersten und zweiten Person in einen allumfassenden und undifferenzierten ›gemeinsamen Willen‹« und mithin eine »Rekonfiguration des präindividuellen absoluten Ich in (proto-)sozialem Gewand« diagnostiziert (Zöller [2007], 144 f.).

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B. Jean Paul auf den Spuren Jacobis

die Wissenschaftslehre liegt nunmehr wesentlich ausdrücklicher in der existentiellpraktischen Sphäre als noch in Leibgebers ›Urfassung‹. Denn diese lotete zunächst einmal die Möglichkeiten immanenter Kritik aus und führte durch die dabei erfolgende Konsequenterstellung der Wissenschaftslehre im ›Leibgeberismus‹, um mit Jacobi zu reden, in erster Linie bis zur ›unphilosophischen‹ Absprungstelle, beließ den ›Sprung‹ selbst aber gleichsam in der Doppeldeutigkeit zwischen ernstem und satirischem Ton. – Auch die ›Druckfassung‹ der »Clavis« ist gekennzeichnet durch die Doppelsinnigkeit von Ambivalenzen und Maskeraden, vermeintlichen und tatsächlichen Intentionen, jedoch nunmehr – gleichsam in Nachahmung der Konstellation zwischen Leibgeber und Fichte in der ›Urfassung‹ – vor allem zwischen fiktivem Herausgeber und dem von ihm entworfenen Bild Leibgebers: ›Druckfassung‹ und ›Originalfassung‹ unterscheiden sich dabei auf der Oberfläche zunächst außer durch einige hinzugefügte Anmerkungen des fiktiven Herausgebers ›Jean Paul‹ in der Reihenfolge der Abschnitte: Die ursprüngliche alphabetische Ordnung ist »in eine systematische umgesetzt« und nach Art streng philosophischer Traktate sind die einzelnen Artikel zugleich um die Zählung nach Paragraphen ergänzt worden. Während das Ziel dieser Umstellung durch den fiktiven Herausgeber vorgeblich darin liegt, die Argumentation nunmehr sachlich am Gang der Wissenschaftslehre zu orientieren und dadurch den Gedanken, d. h. vor allem die Rekonstruktion der Wissenschaftslehre, durch die neue Anordnung »manchem faßlich zu machen, auch bündiger« (Cl 1022 Anm.), wandelt sich der Charakter der »Clavis« in Wahrheit zu einer Erzählung der persönlichen Entwicklung Leibgebers.160 Zugleich verändert der fiktive Herausgeber in einer gleichsam umgekehrten Bewegung den Charakter Leibgebers hin zu einem vermeintlich überzeugten Fichtianer, der aufgrund seiner Philosophie dem Wahnsinn verfällt. Durchdringen sich in der ›Urfassung‹ Fichterekonstruktion und -kritik Leibgebers jederzeit unmittelbar in der Doppelbödigkeit der humoristischen Darstellung, inszeniert der Herausgeber die ›Druckfassung‹ hingegen als einheitliches Zeugnis der philosophischen Theorie Fichtes und ihrer Implikationen für das lebendige Ich, um allein beim Leser die Entscheidung, ihr zu widersprechen, zu provozieren. Die systemisch-systematische Rekonstruktion wird als Ganze mithin zur narrativen Widerlegung der Wissenschaftslehre. In diesem Sinne setzt der fiktive Herausgeber bereits deutliche Zeichen in dem der »Clavis« vorangestellten »Protektorium«: Leibgeber habe, so behauptet er, nach Weise des

160

In diesem Sinne hat bereits Chamberlain zu Recht darauf hingewiesen, daß die Neugruppierung auch dadurch ambivalent ist, daß die alphabetische Gliederung aufgrund der von ›Jean Paul‹ geteilten These von der bloßen Formalität und der Leere der Wissenschaftslehre gerade deren systematisch angemessenste Ordnung ist. Ihre Aufhebung arbeitet daher eigentlich der Folgerichtigkeit und Kohärenz der Rekonstruktion der Wissenschaftslehre entgegen. Damit wird zugleich der Anspruch auf einen gehaltvollen bedeutsamen Zusammenhang restituiert (vgl. Chamberlain [1989], 83).

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Humoristen die Wissenschaftslehre ursprünglich nur studiert, »um in seiner Art darüber zu spaßen« und sie »lächerlich zu machen«, was überall in der »Clavis« noch durchscheine. Doch sei er dann beim systematischen Studium von Fichtes Philosophie von dessen System »festgehalten und überwältigt« worden (Cl 1019), so daß die »Clavis« ihn nunmehr als Fichtianer »im vollsten freiesten Grade« ausweise. Dies ließe sich leicht durch einen Vergleich mit Zitaten aus der Wissenschaftslehre belegen – oder aber, so vermerkt der fiktive Herausgeber ausdrücklich, aus »Jacobis Darstellung des Spinozismus«, aus welcher allein »durch ein kleines Rochieren und Versetzen des ens reale derr Teil der Wissenschaftslehre zu entwickeln ist, in den die praktische Vernunft noch nicht mitspinnt und eingesponnen wird« (Cl 1029). Der Übertritt Leibgebers, dieser zentralen Figur des Siebenkäs, zur Wissenschaftslehre stelle zudem, so ›Jean Pauls‹ weiterführende These, »eine ganz natürliche Entwickelung seiner seltenen Natur« als Humorist dar. Diese Entwicklung schildert zugleich das fünfte Buch des Titan ausführlich. – Schließlich benennt der fiktive Herausgeber auch ausdrücklich das Ziel seines Gebrauchs der »Clavis«: Die konsequenter gestellte Wissenschaftslehre, d. h. Leibgebers vorgebliche »Hoffnung […], uns durch einen strengern Beweis, daß seine Lehre Wahnsinn sei, für diese zu bestehen und zu werben«, solle sich beim Leser in ihr Gegenteil verkehren: »eben dieser Beweis verjagt uns aus seinem Lehrgebäude«. Denn wenn man zwischen der »Evidenz des Sinnes« und der »[Evidenz] der Vernunft« t zu entscheiden habe, so erklärt ›Jean Paul‹ in Analogie zu der von Jacobi freigelegten Entscheidung zwischen ›Unphilosophie‹ und ›Alleinphilosophie‹, »so schwör’ ich hier das schwächere ab, das nichts zeugt« – und damit der philosophischen allgemeinen Vernunft (Cl 1023). Diese Interpretation und Indienstnahme der »Clavis« spiegelt die neugeordnete ›Druckfassung‹ in der Tat unmittelbar wider: Läßt das Originalmanuskript Leibgeber noch als jemanden erscheinen, der jederzeitt recht ausgewogen eine prägnante Analyse und Rekonstruktion, mit einer satirischen Affirmation, einer philosophisch ambitionierten Kritik der Wissenschaftslehre und schließlich mit einem Ausblick auf die systemsprengende Wirklichkeit praktisch-moralischen individuellen Daseins, wie es in den Schlußabsätzen »Was ist Wahrheit« und »Zirkel« final durchscheint, verbindet, bietet die ›Druckfassung‹ eine Verfallsgeschichte hinsichtlich systematischer Fähigkeit und Unabhängigkeit. Dazu konzentriert sie die im engeren Sinne rekonstruktiven Abschnitte zu Fichte nicht allein in einem ersten Teil und verweist die kritisch-humoristischen Paragraphen ans Ende des Textes, sondern sortiert auch diese noch einmal in analoger Weise: die stärker sachlich-kritischen zuerst und anschließend die durch ihre Neukontextualisierung aus den Sachbezügen gerissenen und darum vermeintlich vorwiegend und rein satirisch scheinenden Abschnitte, deren nunmehr letzter »Das Leiden eines Gottes im Gethsemane-Garten« schließlich gar in eine nihilistische Schreckensvision umzuschlagen scheint. Konnte dieser Artikel in der ›Urfassung‹ als unmittelbarer Kommentar zur Natur des absoluten Ich leicht in seinem philosophisch-kritischem Gehalt wahrgenommen

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B. Jean Paul auf den Spuren Jacobis

werden – und aufgrund seines Ortes inmitten sachlich-rekonstruktiver Erörterungen ebenso seine satirischen Seiten als Scherz, führt seine neue Stellung nämlich zu entscheidenden Verschiebungen: Zum einen, insofern ihm jetzt der Abschnitt »Fetischerei« vorangeht, in dem Leibgeber einen recht groben Scherz mit der Identifizierung empirischer Ichs mit Göttern treibt, und daher auch der Umstand verblaßt, daß Leibgebers Satire im folgenden Paragraphen ursprünglich sehr gut zwischen absolutem und empirischem Ich zu unterscheiden weiß. Zum anderen führt die jetzt exponierte Endstellung der eigentlich satirischen Klage Leibgebers zu einer Dramatisierung, die den satirischen Ton im erhabenen Schrecken verdrängt. »Rund um mich«, so die jetzt letzten und nunmehr beklemmend anmutenden Zeilen der Clavis, »eine weite versteinerte Menschheit – In der finstern unbewohnten Stille glüht keine Liebe, keine Bewunderung, kein Gebet, keine Hoffnung, kein Ziel. – Ich so ganz allein, nirgends ein Pulsschlag, kein Leben, nichts um mich und ohne mich nichts als nichts – Mir nur bewußt meines höhern Nicht-Bewußtseins – In mir den stumm, blind, verhüllt fortarbeitenden Dämagorgon, und ich bin er selber – So komm‹ ich aus der Ewigkeit, so geh‹ ich in die Ewigkeit – –« (Cl 1056). – Die ›Druckfassung‹ macht die »Clavis« damit zu einem anschaulich-literarischen Zurückweisen der Wissenschaftslehre, analog zum Verfahren der Rede des toten Christus: Experimentalnihilistische Schreckensvisionen, die unseren lebensweltlichpraktischen Vorstellungen und Hoffnungen entgegenlaufen, sollen uns dort gerade aufgrund ihrer lebenspraktischen Unannehmbarkeit ihrer Unwahrheit versichern. – Doch gehen die Veränderungen aus der Neukontextualisierung der Abschnitte sogar noch über diese tiefgreifenden rhetorisch-strategischen Wandlungen hinaus: Denn der Schlußabschnitt »Die Leiden eines Gottes im Gethsemane-Garten« bildet mit dem nunmehr am Anfang stehenden Abschnitt »Was ist Wahrheit« zugleich auch noch einen theologisch-religiösen Rahmen.161 Ähnlich zur Fundierung der experimentalnihilistischen Schreckensvision in einer positiven poetischen Präsentation der Transzendenz in der Endlichkeit verweist dieser Rahmen bereits innerhalb der »Clavis« auf eine vorausgesetzte positive Metaphysik – und zwar als analogische Metaphysik konkreter Personalität. Letzteres um so mehr, als mit dem Auftakt mit dem Artikel »Was ist Wahrheit« nun zugleich massiv die eigentliche, ursprüngliche Intention menschlichen philosophischen Fragens in den Vordergrund gerückt wird: Sie war als Frage, die auf dem ›Klosterhof‹, nicht in der ›Bibliothek‹ gestellt wurde, eine praktisch bestimmte, keine rein theoretisch-epistemologische. Wie von

161

So ähnlich auch Hesse (2005), 139. Ob dies nun aber tatsächlich wesentlich zu einem »Glauben an die christliche Heilsordnung« führt, um die menschliche Todesverfallenheit erträglich zu machen (ebd., 140), ist allein schon deshalb zweifelhaft, weil Jean Paul religiöser Relativist in dem Sinne ist, daß er vernunftreligiös wiederholt die Gleichberechtigung ganz unterschiedlicher positiv-religiöser Bekenntnisse anerkennt (s. u.).

I. Jean Paul und die Transzendentalphilosophie

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Jacobi angemahnt, ging es mithin um die Bedeutsamkeit wissenschaftlich wahrer Erkenntnisse für meine Lebensführung, denn es war die Frage eines konkreten, namentlich genannten Menschen. Allerdings, so fällt auf, beschreibt Leibgeber im Abschnitt »Was ist Wahrheit« zugleich eine fiktive Szene. Gefragt hat er in der Rollee des ›Pontius Pilatus‹. Und daß er die Bühne verließ, ohne eine Antwort des gefragten, ebenso nur von einem Mimen verkörperten Gottessohnes abzuwarten, war auch von der literarischen Inszenierung vorgegeben. Insofern thematisiert die »Clavis« von vornherein, und gerade auch in der vom fiktiven Herausgeber umgestellten Fassung, zugleich die eigene poetische Methode Jean Pauls. Gegen diese wurde daher bereits wiederholt der auf den ersten Blick in der Tat naheliegende Verdacht eines »narrativen Fichteanismus« erhoben, der die literarisch inszenierte Strategie existentiell-metaphysischer Transzendierung der Systemphilosophie bei Jean Paul gleichsam unter der Hand noch einmal karikieren würde.162 Der Herausgeber ›Jean Paul‹ tötee bei der Neuordnung der »Clavis« den »Stoff, um ihn als Produkt der poetischen Kraft seines eigenen Ich wiederzugebären«; bei der Pathologisierung ihres Verfassers Leibgeber gehe es ihm also eigentlich primär um das Wiedererlangen seiner Deutungshoheit über seine Romanfigur und die Restitution absoluterr Autorschaft. Dieses Vorgehen weise Jean Paul später in der Jubilate-Vorlesung der Vorschule der Ästhetik (1804) im Sinne einer Selbstkritikk selbst zurück.163 – Jedoch zeigt ein genauer Blick, daß schon ›Jean Pauls‹ Druckfassung und das »Protektorium« über einen reinen ›poetischen Fichtianismus‹ hinausgehen – und zwar wiederum in der Doppelsinnigkeit einer an Jacobis ›Spinoza-Antispinoza‹ orientierten Strategie: Denn wenn ›Jean Pauls‹ eigenes Verfahren in der Tat den von ihm Leibgeber allererst zugeschriebenen konsequenten Fichtianismus wiederholt, tut er dies seinerseits nur um eines außerhalb der Literatur liegenden praktischen Zweckes, durch den die Figur reiner Immanenz transzendiert werden soll. Nimmt der fiktive Herausgeber mit der Neuinterpretation des Charakters Leibgebers im Sinne eines Falles pathologischen Wahns auch den von diesem vorgetragenen immanenten fichtekritischen philosophischen Argumenten ihre Bedeutsamkeit, dann geschieht dies m. a. W. nicht wegen einer beabsichtigten oder gar unbeabsichtigten hintergründigen Rechtfertigung der Wissenschaftslehre, sondern aus der von Jacobi übernommenen Einsicht in ihre logisch-begriffliche Unwiderlegbarkeit, die allein ein praktisches Widersprechen erlaubt. Insofern ›Jean Pauls‹ Umdeutungen dazu führen, daß die ›Druckfassung‹ Leibgebers eigene Strategie und Intention reproduziert, verwirklicht er vielmehr bereits selbst, so werden wir noch genauer sehen, Jean Pauls Poesiebegriff, der jenseits von bloßer Naturnachahmung und

162 163

Hesse (2005), 149. Ebd., 144/149.

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B. Jean Paul auf den Spuren Jacobis

reiner autonomer Kunstproduktion zum Konzept eines freien Schaffens wiee wirkliche Natur bzw. fremder Geist kommt.164 Mit Jacobi im Rücken wird sichtbar, daß auch für Jean Paul das Setzen auf die selbständige poetische Einbildungskraft nicht automatisch in Fichtianismus und Frühromantik zurückführt. Denn schon Jacobi verband in der alle Erklärung und Vermittlung suspendierenden Figur einer ›wunderbaren doppelten Offenbarung‹ sowohl die freie Tätigkeit des Einzelnen im Handeln wie die Autorschaft des Bewußtseins für seine Vorstellungen als Vorstellungen mit der Idee einer materialen Bestimmtheit durch äußere, real verschiedene Personen und Gegenstände. Deutlich wird umgekehrt aber auch die Fragilität eines Verfahrens wie desjenigen Jean Pauls und Jacobis, insofern es das rationale Verlangen nach Erklärungseinheit, das auch solchen Verdächtigungen noch zugrunde liegt, niemals befriedigen oder widerlegen kann. Der Humorist Schoppe (Leibgeber), auf den gleich noch einmal zurückzukommen sein wird, scheitert im Titan eben nicht, weil er von vornherein frühromantischer oder fichtescher Ironiker wäre, sondern weil die Möglichkeit der Vereinseitigung und des Mißverständ-

164

Heinemann verweist im Blick auf den sich zeigenden ›poetischen Fichtianismus‹ darauf – und damit ginge die Analogie mit Leibgebers ›Urfassung‹ sogar bis auf die Ebene sachlicher Argumente gegen Fichte –, daß sich Jean Paul zu seinem literarischen Stellvertreter ›Jean Paul‹ und zu Leibgeber verhalte wie absolutes Ich zu bestimmtem Ich und ihm entgegensetztem Nicht-Ich und ›Jean Paul‹ und Leibgeber somit in einen endlosen Prozeß gegenseitiger Selbstbeschränkung setze, denn auch Leibgeber wisse und antizipiere die Umdeutung. Die Pointe dieser Operation liege aber darin, »daß die Einheit des sein eigenes Sein setzenden Ich durch die Namensidentität zwischen dem Autor und dem fingierten Herausgeber zwar suggeriert, doch als unmöglich demonstriert wird.« »Die Präsenz des Autors«, sein »Seyn«, sei zwar innerhalb der literarischen Wirklichkeiten spürbar (zuweilen sogar für die Romanfiguren), aber eben nicht mittels Reflexion innerhalb der Fiktionen demonstrierbar. Insofern das Ich, das sich in Literatur ausspricht (›Jean Paul‹) immer Fiktion bleibe, verweise Jean Paul neuerlich auf die unüberschreitbare Grenze zwischen dichterischer bzw. philosophisch-rationaler und historischer Wirklichkeit (Heinemann [2001], 68 f.). – Nicht zuzustimmen ist aber Heinemanns These, daß Jean Pauls Kritik nur der Gefahr einer »Fehlinterpretation« der Wissenschaftslehre durch »einfältige Leser« gilt, die Fichtes praktische Intentionen übersehen könnten (ebd., 70). Gerade der Hintergrund Jacobis macht deutlich, und allein Jean Pauls Briefwechsel mit ihm untermauert dies, daß der Ansatzpunkt der Kritik vielmehr in der Anlage und den Prämissen der Wissenschaftslehre selbst liegt. Fichtes praktische Philosophie, so erklärt Jean Paul ausdrücklich, »ist immer nur die Folge und Erläuterung seiner theoretischen, und nicht ihre Schöpferin, weil doch der Begrif nicht vom unbegreiflichen, von der Freiheit anfangen konnte.« (Brief Jean Pauls an Jacobi vom 21.2.-6.3.1800 [JPSW III/3, 299]). »Durch Verbeßerung«, so bekräftigt Jacobi postwendend diese Diagnose im Blick auf Fichtes Versuch, in der Bestimmung des Menschen das praktische Primat der Vernunft deutlich herauszustellen, »wird aber das Hokuspokus der Kritik seiner theoretischen Vernunft durch die practische, nur immer mehr als ein leeres Hokuspokus sichtbar. Um sich zu helfen, Kantisiert und Jacobiniert er, und macht dadurch sein Uebel nur ärger bey dem, der die Sache ein wenig beim Licht besehen kann.« (Brief Jacobis an Jean Paul vom 16.3.1800 [JNach I, 241])

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nisses tief in der nach Jean Paul doppelsinnigen Verfassung des Menschen und der Jacobisch-Jean Paulschen ›Doppelphilosophie‹ selbst liegt. * Der fiktive Herausgeber ›Jean Paul‹ bleibt jedoch nicht bei dieser rhetorischen Strategie einer durch Anmerkungen präformierten Neuordnung der »Clavis« mit der leisen Andeutung einer positiven Metaphysik als ihrem Rahmen stehen, sondern schickt in einem ersten Teil des »Protektoriums« der »Clavis« Leibgebers einen »Eisblock voraus, um den ersten Stoß seines Systems zu schwächen« (Cl 1019). Dazu versucht ›Jean Paul‹ seine Gegnerschaft zur Wissenschaftslehre mit philosophischen, wenn auch nicht streng begrifflich-systemischen Mitteln zu behaupten und so gleichsam eine sachliche Explikation der Grundlagen seiner rhetorischen Strategie zu bieten, die ausdrücklich anzeigt, daß sein poetisch-sprachliches Verfahren keines reiner absoluter Produktivität ist. Beides geschieht zunächst durch sprachtheoretische Überlegungen, die an Herder und Hamann ebenso anschließen wie an Jacobi.165 Dieser hatte bereits in Beilage VIII der Spinozabriefee der verständigen Philosophie vorgeworfen, von ihr ungeahnt nur mit bloß idealen, dem realen Einzelnen durch Abstraktion allererst abgewonnenen allgemeinen Begriffen zu hantieren und für sich einen aus universellen Bestimmungen zusammengesetzten Gegenstand zu rekonstruieren, bei dem selbstgemachte »Zeichen und Worte die Stelle der Substanzen und Kräfte vertreten« (Spin 285).166 – Läge endlich, so ›Jean Paul‹, eine philosophische Reflexion auf die auch zum Philosophieren vorauszusetzende Sprache vor und wäre daher eingesehen, »wie mißlich und leer das metaphysische Differenzieren und Integrieren bloß darum sei«, weil es in irgendeiner bestimmten Sprache geschehen muß, »so wären wir Philosophen insgesamt aufs Trockne gebracht und sähen Land«. Sprache sei »ursprünglich bloß eine Zeichenmeisterin der äußern Wahrnehmungen«. Sie drücke daher wesentlich »Quantitäten« als die »einzigen physiognomischen Fragmente der Sinnenwelt« aus (Cl 1024). Des Inneren (Geistigen) und der Qualitäten, für ›Jean Paul‹ die ursprünglichen »Kräfte«, »Monaden« bzw. »Seelen« hinter den Erscheinungen, seien wir uns zwar bewußt, doch begriffsund wortlos. Bei ihrer Versprachlichung könnten sie nur in die Sprache der äußeren Sinnlichkeit, und, so ›Jean Paul‹ ganz platonisch, nur »in die Kleider der Kleider

165

Vgl. Kommerell (1933/1977), 349; Chamberlain (1989), 83. Vgl. auch Jean Pauls Brief an Jacobi vom 4.10.-11.11.1799 (JPSW III/3, 252), in dem er sich bei seiner Sprachkritik an Fichte in diesem Sinne ausdrücklich auf Jacobis Vorwurf an die Systemphilosophie, Qualitäten in Quantitäten zu verwandeln, beruft. – Zu Jean Pauls Sprachkritik vgl. u. a. Bergengruen (2003), 137–141, Baierl (1992), 141–145, Schmitz-Emans (1986), 80–119/ 159–169/199–203. 166

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B. Jean Paul auf den Spuren Jacobis

gehüllt« werden. – Für die immer an ihren (sinnlich-quantitativen) sprachlichen Ausdruck gebundene (wissenschaftliche) Metaphysik, die »transzendente Kettenrechnung« des Philosophen,167 blieben dadurch nur »drei gewisse Wege« des (unvermeidlichen) Irrtums (ebd.): Der erste und älteste Weg bestehe in der Auflösung der Qualitäten zu Quantitäten. Wie für Jacobi, dem diese Bewegung in Beilage VIII der Spinozabriefee als Wesensmerkmal der Rationalität gilt, ist auch für ›Jean Paul‹ ihre paradigmatische Erscheinungsform neben den »Enzyklopädisten« die »atomistische Schule«. – Der zweite Weg läge gerade umgekehrt im (vermeintlichen) Übergang in der Sprache von Quantität in Qualität, vom »Körper zum Geiste« (Cl 1025). Da ein solcher aus prinzipiellen Gründen jedoch nicht zu erlangen, ja nicht einmal zu »approximieren« sei, würden auch hier letztlich wiederum Qualitäten in Quantitäten aufgelöst. Oder aber es würde durch unzulässige Wortübertragungen von Quantitäts- auf Qualitätsvorstellungen eine bloße Scheinerklärung geboten, statt das Unendliche und Absolute bzw. die Vermittlung der Mittelbarkeit von ›Schließen‹ und ›Rechnen‹ und der Absolutheit des ›Setzens‹ zu erfassen. In diesem Sinne sei auch mit dem »Fichtische[n] Wort Begrenzungg oder Einschränkungg des absoluten Ichs«, insofern dieses wie die Wörter »Einengung, Einzäunung, Eindämmen, Fesseln, Zusammenpressen, Verdichten« nur eine Quantität bezeichne, etwas Falsches gedacht, wenn es auf eine Qualität angewandt werde und, wie im dritten Grundsatz der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehree im Begriff der Teilbarkeit bereits angelegt, »das Verhältnis des Unendlichen zum Endlichen bezeichnen« solle. Aufgrund seines höheren Abstraktionsgrades, d. i. dem Umstand, daß ich »bei dem Worte selber weniger denke« als bei den anderen, lebensnäheren und lebendigeren Ausdrücken, sei allein seine sinnlich-quantitative Natur weniger leicht zu erkennen. Ebenso sei »das Fichtische Zurückgehen der Tätigkeit in sich selberr eine Quantitätsmetapher, die, auf Kräfte angewandt, rein nichts bedeuten, noch weniger erklären kann.« (Cl 1025 Anm.)168 – Ähnlich, wenngleich am kunstvollsten sei schließlich der dritte Weg der Philosophie, in ihrer Sprache zu irren. Dies geschähe nämlich auch, wenn sie versuche, »das Gold des Wirklichen dünn und breit zu schlagen, um es durchzusehen«, mithin durch Abstraktion der empirischen Wirklichkeit in den Rücken zu schauen. Weil Worte nur willkürliche Besinnungs- und Erinnerungszeichen darstellten, es also keine natürliche Beziehung zwischen einem Zeichen und

167

Vgl. »Fichte mus eine Sprache haben, da er um den Gegenstand der Reflexion zu deduzieren, ja nicht auf ihn reflektieren kann, sogar im Idealismus.« (Jean Paul: Philosophische Untersuchungen 1794–1801 III [JPSW II/7, 82 f.]) 168 Mit dieser Kritik spielt auch der Abschnitt »Leibgeber« in der »Clavis« bei der satirischen Charakterisierung des absoluten Ich: »Welch ein Wesen, das, sich ausgenommen (denn es wird nur, und ist nie), alles macht, mein absolutes, alles gebärendes, fohlendes, lammendes, heckendes, brechendes, werfendes, setzendes Ich [Anm.: Die drei letzten Partizipien sind aus der Jägerei.]!« (Cl 1037)

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seinem Objekt gebe, würde die Sprache für Philosophen wie Fichte »ein unentbehrliches Werkzeug« (Cl 1025). Während, so erklärt ›Jean Paul‹ mit Jacobi, das Wirkliche »außer der unmittelbaren Wahrnehmung desselben ebensowenig dargestellt werden [könne] als das Bewußtsein außer dem Bewußtsein, das Leben außer dem Leben, die Wahrheit außer der Wahrheit« (Cl 1026 Anm.), würden die »Welten des Wirklichen«, Innen- und Außenwelt, bereits »in der Vorstellung« g auf nur eine Welt reduziert, die aber wenigstens noch »einen treffenden Schattenriß« ß des Realen darstelle. Eine Philosophie wie die Fichtes leere dann jedoch (mit Hilfe der Sprache und durch Bildung von Begriffen von Begriffen) diese sukzessive so lange »von allen spezifischen Verschiedenheiten« aus, bis das mannigfaltige Universum »bloß durchsichtig als ein weites luftiges Nicht-Ich dasteh[e]«. Und selbst dieses werde zuletzt noch aufgelöst in eine Modifikation des Ichs selbst, das Angeschaute würde zur Anschauung und schließlich zum Anschauenden bzw. zum Ich. Bei Fichtes Rede vom unendlichen Ich, so vermerkt schon Leibgeber, werde schließlich »die Höhe so schwindelnd und dünnluftig, daß keine Begriffe mehr zu- und nachreichen«. Vielmehr müsse man »mit und an der bloßen Sprache ohne jene weiter hinauf zu kommen suchen« (Cl 1036). Nur weil wir gewohnt seien, mit »vollen Wörtern« uns zu erinnern und zu phantasieren, bleibe zunächst unbemerkt, daß wir hier beim Philosophieren bloß »mit leeren [Wörtern] denken« (Cl 1026). Abgelöst vom Bezug auf die Sinne seien Wörter nicht einmal »Schattenbilder«.169 Dem entsprach in Leibgebers ›Urfassung‹ der »Clavis« die jeder Bedeutung entleerte alphabetische Ordnung der Rekonstruktion der Wissenschaftslehre. – Fichte mache also, so ›Jean Pauls‹ grundlegende These, den Anfang der Wissenschaftslehre mit einem inhaltslosen, nichtserklärenden Wort bzw. mit einer »Metapher«, die einen sinnlichen Inhalt zu Unrechtt in die Sphäre des Übersinnlichen überträgt und, so muß man ergänzen, dabei noch als erklärender Begriff oder als einfaches unmittelbares Zeichen (nicht aber als Metapher) auftritt – einer Metapher, deren Ursprung nach Jean Paul in einem »häslichen Anthropomorphism« liegt.170 Das »Prinzip, das das Bewustsein erklären sol [aber nicht kann], nämlich das Zurükwirken auf sich«, beruhe m. a. W. auf der »Verwechslung der Wirkung auf das Vexier-Ich (den Leib) mit der aufs authentische.«171 Wenn Leibgebers Satiren mit dem Ineinanderlaufen von absolutem und endlichem Ich spielen, so liegt auch hierfür der tiefere sachliche Grund zweifellos in Jean Pauls Überzeugung vom Metapherncharakter der Rede vom absoluten Ich. –

169

Brief Jean Pauls an Jacobi vom 4.10.-11.11.1799 (JPSW III/3, 252 f.). Ebd., vgl. auch: »Fichte: Sein System ruht auf einer Metapher, die nichts erklärt« (Jean Paul: Philosophische Untersuchungen 1794–1801 III [JPSW II/7, 50]). 171 Brief Jean Pauls an Jacobi vom 3.-6.12.1798 (JPSW III/3, 129 f.). 170

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B. Jean Paul auf den Spuren Jacobis

Genauer betrachtet, so zeigen Jean Pauls Überlegungen, ist jedoch das metaphysische Unvermögen bzw. die sinnlich-quantitative Natur der Sprache nicht der eigentliche oder zumindest nicht der alleinige und primäre Grund des Scheiterns rationaler Systemphilosophien, wie der Fichtes, denn diese Verfassung berührt ebenso das Bemühen um das ursprüngliche ›Geistige‹ in Jacobis Unphilosophie und in Jean Pauls poetischen und theoretischen Texten. So überrascht nicht, daß diesem Bemühen bei Jean Paul ein positiver Begriff des Metaphorischen und des analogisch-bildhaften, poetischen Wortes korrespondiert.172 – Das noch grundlegendere Problem der Philosophie Fichtes als ihre sprachliche Verfaßtheit, die wohl eigentlich nur das Scheitern des philosophischen Erklärungsanspruches verschleiert, ist daher nach Überzeugung Leibgebers bzw. Jean Pauls der Umstand, daß wir, wenn nicht von allem rein Geistigen, so doch wenigstens vom absoluten Ich weder eine begriffliche Vorstellung bilden noch eine Anschauung haben können. Ersteres widerspräche der behaupteten absoluten Natur des Ich, letzteres übersähe seinen Ursprung, der für uns nur in der Abstraktion vom realen individuellen Ich liegen kann.173 Nicht daß wir keine angemessenen Wörter für das Absolute besitzen bzw. unsere aus der Sinnlichkeit herkommenden Wörter sich prinzipiell nicht auf Geistiges beziehen könnten, sondern daß wir unter der Terminologie der Wissenschaftslehre aufgrund der durch sie vermeintlich bezeichneten (selbstwidersprüchlichen und daher leeren) Konzepte nichts denken oder vorstellen können, muß also der Sache nach als das tiefere Problem der Transzendentalphilosophie gelten. Der Widerstreit zwischen Jean Paul und Fichte entscheidet sich daher wie derjenige von Jacobi mit Fichte letztlich nicht in der Sprachtheorie, sondern bezüglich des unterschiedlichen Gehaltes der von beiden Seiten als philosophisch grundlegend behaupteten geistigen Anschauungen:174 Handelt es sich um ein reales Persönlich-

172

Vgl. u. a. Baierl (1992), der in seiner Studie gerade Jean Pauls Metapherntheorie ins Zentrum seiner These von Jean Pauls grundlegender positiver Weltzuwendung stellt. 173 Vgl. »Denn vom Schaffen [als absolutem Setzen] haben wir als Geschaffne keine Anschauung, und als Schöpfer kein Bewußtsein. Das Ich als unendlich kennt sich nicht, als endlich ist es wieder nicht geräumig genug für eine Anschauung des Unendlichen, ohne das doch wieder keine Endlichkeit denkbar ist. Hier hilft bloße reine Sprache weiter als alles, was man dabei denken wollte.« (Cl 1036) 174 Folgerichtig weist Fichte Jean Pauls Sprachkritik in der Ankündigung einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehree von 1801 zurück: Die Wissenschaftslehre sei insofern eine gänzlich neue Wissenschaft, als sie im Gegensatz zu allen vorherigen Philosophien bis einschließlich Kant sich selbst nicht als »VernunftErkenntnis aus Begriffen« verstehe (GA I,7 156). Eine solche sei nämlich nicht nur bloß tautologisch, sondern auch unvollständig und unbegründet, da sie den Begriff selbst voraussetzen müsse, ohne angeben zu können, wie man denn »zu diesem Begriffe gekommen« sei. Also müsse etwas angenommen werden, »das da höher ist, denn aller Begriff«, das diesem allererst seinen Gehalt gebe (ebd., 157). Die Vernunft müsse sich mithin »nicht in einem abgeleiteten, und seinen Grund nicht in sich selbst habenden, wie der Begriff es ist, son-

I. Jean Paul und die Transzendentalphilosophie

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Individuelles oder aber um ein ideales Allgemeines und schlechthin Absolutes? – Daher gehen die sprachtheoretischen Überlegungen in ›Jean Pauls‹ »Protektorium« unmittelbar in die Erläuterung des angemessenen Begriffs der ›Vernunft‹ und ihres Verhältnisses zum Verstand über: Die »richtige Philosophie« – und wiederum nennt ›Jean Paul‹ hier ausdrücklich (neben der Herders) die Jacobische – bekenne im Gegensatz zur allerklärenden die Abhängigkeit der Vernunft selbst von einem ihr Fremden und Vorausliegenden. Die Vernunft »vernehme« und »finde«, erfinde aber nicht; sie reinige, jedoch schöpfe nicht (Cl 1026). Erklären und Benennen gehe »Besinnen und Wahrnehmen«, »das Ahnen, dieses genialische Wahrnehmen« voraus (Cl 1027). Die syllogistische Kette oder logische Evidenz, so wiederholt Leibgeber eine weitere Grundthese Jacobis, setze ein »Faktum« bzw. das Vertrauen auf eine »Autorität«, mithin eine sinnliche oder geistig-moralische Evidenz voraus,

dern in dem einigen unmittelbaren, in der Anschauung, g […] auffassen, und ergreifen« (ebd., 157 f.). Diese Anschauung sei aber die »Anschauung des Begreifens selbst« (ebd., 158). Richtig sei die zeitgenössische Einsicht, »daß die Sprache zur Einverständigung über philosophische Begriffe nicht mehr hinreich[e]«, falsch aber der (Hamanns Ironie übersehende) Vorschlag Jean Pauls und Herders, »der Kritik der Vernunft eine Metakritik voraus […] zuschiken«. Vielmehr müßten Begriff und Wort, dieser oft » sehr verfälscht[e] Abdruk [des Begriffes] aus der zweiten Hand«, sich geradezu umgekehrt vor den Richterstuhl der Anschauung, wohlbemerkt: der geistigen Anschauung als dem »höheren Vereinigungsmittel« philosophischer Verständigung, stellen. »Die Philosophie wäre sonach eine Erkenntniß der Vernunft selbst durch sich selbst – aus Anschauung.« g (Ebd., 159) In diesem Sinne schärft auch Fichtes Sonnenklarer Bericht (1801) ausdrücklich ein, daß es in der Philosophie darauf ankomme, daß dasjenige, worauf der Transzendentalphilosoph einen durch prinzipiell unzureichende Worte und Erzählungen leite, von jedem selbst innerlich angeschaut werde (SW II, 337). Erst durch vollkommene Kultivierung der inneren Anschauung werde es der Wissenschaftslehre schließlich gelingen, sich »ein ihr durchaus eigenthümliches Zeichensystem« für ihren Vortrag zu erschaffen, »dessen Zeichen nur ihre Anschauungen und die Verhältnisse derselben zu einander, r und schlechthin nichts ausser diesen, bedeuten« (ebd., 384). – Bereits Fichtes 1795 entstandener Aufsatz Von der Sprachfähigkeit und dem Ursprunge der Sprache hatte das von Jean Paul markierte Problem der sinnlichen Herkunft unserer Wörter reflektiert. Fichte nimmt dabei neben ursprünglichen, Sinneneindrücke nachahmenden Zeichen und willkürlichen Zeichen, die auch für die durch Abstraktion von den Sinneneindrücken entstandenen allgemeinen Begriffe dienen (SW VIII, 319), auch Zeichen für Ideen/Übersinnliches an, die »durch Übertragung von sinnlichen Bezeichnungen auf Geistiges« durch die im ›Schema‹ geistige und sinnliche Vorstellungen vereinigende Einbildungskraft entstehen: »Nemlich das Zeichen, das der sinnliche Gegenstand, von welchem das Schema hergenommen wurde, in der Sprache schon hatte, wurde [bei der Erfindung von Wörtern für Geistiges] auf den übersinnlichen Begriff selbst übergetragen. Diesem Zeichen lag nun freilich eine Täuschung zum Grunde, aber durch dieselbe Täuschung wurde es auch verstanden, weil bei dem anderen, welchem der geistige Begriff mitgetheilt wurde, an dem gleichen Schema auch der gleiche Gedanke hing.« (SW VIII, 322). Insofern gibt es bei Fichte eine problematische, aber zu rechtfertigende Verwendung sprachlicher Zeichen für übersinnliche Begriffe. Vorausgesetzt dafür ist ein weit entwickelter Verstand als Fähigkeit ›geistiger Begriffe‹, um den Täuschungen und Zweideutigkeiten des sprachlichen Zeichens nicht zu erliegen.

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B. Jean Paul auf den Spuren Jacobis

die zu ihrer Gewißheit nicht wiederum der logischen Evidenz bedürfen. Gegen den philosophischen Egoismus hieße es darum, »auf ein ewiges Ich in uns, auf ein ewiges Du über uns« zu hoffen. Es gelte an der Überzeugung festzuhalten, daß »uns die Vernunft oder das lichte Ich keine selbstschaffende ziehende Sonne [sei], sondern nur eine lichte Ritze und Fuge am irdischen Klostergewölbe, durch welche der ferne ausgebreitete Feuerhimmel in einem sanften und vollendeten Kreise bricht und brennt« (Cl 1031). Dies anschaulich aufzuzeigen, so werden wir sehen, ist das Hauptanliegen von Jean Pauls Poetik.

c. Die »Vorrede« als Kritik am Prinzip der Wissenschaftslehre Insofern auf diese Weise sich in Übernahme Jacobischer Überzeugungen also auch die sprachphilosophische Kritik Jean Pauls eigentlich am Vernunftbegriff entscheidet, ist es nur folgerichtig, daß der Hauptgesichtspunkt in der »Vorrede« der Claviss in einer grundsätzlichen begrifflich-systematischen Kritik des philosophischen Prinzips der Wissenschaftslehre besteht. Die »Vorrede« führt damit einen Gedanken aus, der bereits den ›Maestosos‹ Leibgebers und seiner Diagnose einer widersprüchlichen Natur des ›absoluten Ich‹ zugrunde lag. Die Grundidee dieser Kritik besteht darin, daß Prinzip und Prinzipiiertes bzw., wie Jean Paul mit Jacobi auch sagt, »Ursache« und »Wirkung«175 nicht gleicher Natur bzw. identisch sein können; auch im Schwerpunkt einer Welt, so Jean Paul, herrsche schließlich selbst gerade keine Schwere. Fichtes absolutem Ich und der ›absoluten Freiheit‹ der Tathandlung, ermangele daher als Prinzip des (für es) Existierenden selbst die Existenz. Ihnen fehle als Grund von Denken und Bewußtsein unweigerlich Bewußtsein und Denkvermögen, als Grund von Subjekt und Objekt das »Sub und Ob«,176 als Grund der Akzidenzen, Substanzen und Kräfte alle diese Bestimmungen, als Grund der Freiheit des sittlich-praktischen Ich schließlich gar die Freiheit. Selbst die Bestimmung als Grund, die sich bei Fichte im Begriff der ›Tathandlung‹ bzw. des ›Sichsetzens‹ ähnlich konzentriert wie in Spinozas Metaphysik in der Figur der ›causa sui‹, könne, so Jean Pauls These, damit in Wahrheit dem reinen Ich bzw. der absoluten Ichheit nicht zukommen. Denn in dieser selbstbezüglich-zirkulären Begründungsstruktur werde sie selbst wesentlich als »der Grund ihres Grundes« oder Grundseins aufgefaßt, das von ihr Prinzipiierte sei mithin also selber Grund bzw. Grundsein und müsse sich darin von seinem Prinzip essentiell unterscheiden. Daher sei das absolute Ich statt ›causa‹ oder ›ratio sui‹ vielmehr »Grundlosigkeit« schlechthin. Als »Grundlosigkeit« – Jean Paul redet

175 176

Brief Jean Pauls an Jacobi vom 21.2.-6.3.1800 (JPSW III/3, 299). Jean Paul: Philosophische Untersuchungen III 1801 (JPSW II/7, 95).

I. Jean Paul und die Transzendentalphilosophie

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auch von »Grundlosigkeit der Grundlosigkeit«, um die prinzipielle Differenz vom Grundsein zu markieren – sei das Absolute Fichtes, das absolute Ich, aber ein prinzipielll Unbestimmtes und Undenkbares, eine »letzte, aber transzendente qualitas occulta« (Cl 1014, Herv. v. Vf.), keine bloße Privation oder bestimmte Negativität, aber eben auch keine ›causa sui‹ und kein ›Sichsetzen‹.177 Ein Übergang oder eine Beziehung des absoluten Prinzips zur Bestimmtheit, Endlichkeit und Existenz sei daher »ohne die unermeßlichen dogmatischen Sprünge, Flüge und Unbegreiflichkeiten, die eben zu erklären waren, aber hier erklären wollen«, undenkbar (Cl 1014). Dem »idealische[n] Idealismus« der absoluten Ichheit bleibe die Welt des endlich Bestimmten, von konkreten Vorstellungen und vorgestellten Objekten unerklärlich; durch ihr Prinzip des absoluten Ich sei mithin die Frage der Begründung und Bestimmung nicht beantwortet, sondern nur fixiert worden (Cl 1015). Dies gelte auch für Fichtes These, daß die absolute Freiheit »das Notwendige (das Nicht-Ich), bloß um einen Widerstand zu haben, ohne welchen ihr ein zweitess Setzen«, ein bestimmtes moralisch-praktisches Handeln, »unmöglich wäre«. Auch diese Erklärung sei nicht zu fassen, da hier ebenso zwischen dem »Absoluten ohne Existenz« und der Existenz, dem bestimmten realen Nicht-Ich, »gar kein Verhältnis denkbar« sei (ebd.).178 Daher war auch Leibgeber nicht bei der Aufhebung des ›Dinges an sich‹ stehengeblieben, sondern empfahl Fichte die Auflösung noch der idealen Endlichkeit der Erscheinungen und der Vernunft selbst, damit nichts als Unendlichkeit bleibe (vgl. Cl 1022).179 – Zwar stehe die Freiheit, so schreibt Jean Paul an Jacobi in

177

Vgl. auch »Die absolute Freiheit, die kein Etwas, keine Substanz, kein Accidens, keine Kraft, keine That, und nirgends und undenkbar, (als Grund des Denkens,) ist und nichts, kein Prädikat hat und ist, diese Ichheit wird mir immer mehr ein anderes Wort für das algemeine unbekante X der Skeptiker, eine transzendente qualitas occulta; worein man alles sezt was für sich nicht stehen kann.« (Brief Jean Pauls an Jacobi vom 21.2.-6.3.1800 [JPSW III/3, 300]) 178 Umgekehrt, so argumentiert Jean Paul auch, liege im Begriff absoluter Freiheit, der in der praktischen Wissenschaftslehre zur Forderung seiner Realisierung im Wirklichen »durch Besiegungg desselben« (Cl 1015 f., Herv. v. Vf.) führe, die Aufhebung alles Endlichen, das nur durch das Fortbestehen eines ›unbesiegten‹ Widerstandes gegen die Tätigkeit des Ichs allererst konstituiert werde (Cl 1016). Entweder, so folgt aus diesem Gedanken, bleibt bei Fichte die unbedingte, reine Freiheit in der Welt unwirklich oder die Welt werde aufgehoben (und damit auch die empirische Wirklichkeit der Freiheit). – Gegen diese gleichermaßen verheerende Alternative, so sahen wir bei Jacobi, und so wird sich die Lage auch bei Jean Paul darstellen, soll die Idee einer genuin endlichen unbedingten Freiheit, mithin der Freiheit eines konkreten, realen Menschen einen wenn auch unerklärlichen, vor allem aber gerade auch entschieden nicht-mehrerklärt-werden-sollenden außersystemischen Ausweg bieten. 179 In einem ähnlichen Sinne bemerkt daher auch noch die »Jubilate-Vorlesung über die neuen Poetiker« in der Vorschule der Ästhetikk über die philosophischen Weltweisen: »Jenee wüßten sich eben ganz glücklich, wenn sie nur gar nichts wüßten (empirisch); sie wollen die geistigen Luftpumpen der Welt sein, fühlen aber, wie wenig sie es, gleich den gläsernen, über eine 300fache Verdünnung hinaus treiben können, so daß nachher bei allen Versuchen im sogenannten

234

B. Die philosophische Doppelsinnigkeit

der Überzeugung vollkommener Übereinstimmung,180 tatsächlich am Anfang und »mach[e] den Begrif[f]« und damit die Reihe von Gründen und Erklärungen, doch sei sie eben niemals selbst Begriff oder Erklärendes, mithin nie systemisch einzuholen, sondern ein realer konkreter praktischer Akt. Daher zitiert Jean Paul in der »Vorrede« der »Clavis« zur Bekräftigung ausdrücklich Jacobis Überzeugung, daß in den Spinozismus allein »von der Seite der Individuation« eingebrochen werden könne, und übernimmt zugleich dessen Übertragung dieser These auf die Wissenschaftslehre und auf »jed[e] Philosophie, insofern sie rein oder absolut wäre« (Cl 1014). – Eine solche reine Philosophie sei endlichen Geistern aber prinzipiell unmöglich. Insofern ist Jean Pauls These auch nicht, daß Fichte nur eine solche reine Philosophie des Absoluten aufgestellt habe und hat aufstellen wollen; die in der »Clavis« präsentierte ›Wissenschaftslehre‹ ist daher auch diejenige Leibgebers. Fichtes Bemühungen der Rechtfertigung eines empirischen und moralisch-praktischen Realismus, so zeigt die »Vorrede« noch einmal deutlich, nimmt Jean Paul durchaus wahr. Allerdings ist er in der Orientierung an Jacobi zugleich davon überzeugt, daß eine solche reine Philosophie aus dem absoluten Ich programmatisch notwendigerweise folge, werde nur konsequent gedacht. M. a. W. bleiben auch für Jean Paul die praktischen Absichten bzw. Intentionen in dem Maße innerhalb einer wissenschaftlich-systemischen Philosophie wirkungslos, wie sie im Gegensatz zu einer Metaphysik der Person, die unmittelbar von der Erfahrung konkreten absichtlichfreien Handelnss ausgeht, nicht als reall vollzogene thematisiert werden können.

II. Eine höllische ›Himmelfahrt‹ – Jean Pauls ›unphilosophisches‹ Konzept des Humors Als Produkt konsequenten Denkens ist eine solche reine Philosophie, zu der die Wissenschaftslehre nach Jean Paul gebildet werden kann, argumentativ-begrifflich im strengen Sinne ebenso unwiderlegbar, wie umgekehrt eine ›unreine‹ oder ›unphilosophische‹, den individuell-personalen praktischen Ausgangspunkt allen begrifflichen Erklärens einschließende Philosophie die rationale Deduktion transzendieren muß. Jean Pauls Claviss trägt daher wie bereits die ›Urfassung‹ Leibgebers zwar wesentliche sachliche Argumente gegen die Wissenschaftslehre und damit am konkreten, gleichsam mit Jacobi als paradigmatisch eingestuften Beispiel auch gegen den Zeitgeist bzw. gegen einen ganzen Typ aufgeklärten Denkens vor.

Abstrakten und Absoluten doch noch ein verfluchtes Stück Luft und Wind mitwirkt. Dieser Mangel an Nichts schlägt viele nieder; durch Nichts wäre das Sein oder Haben so leicht zu haben.« (V 405) 180 Brief Jean Pauls an Jacobi vom 21.2.-6.3.1800 (JPSW III/3, 299).

II. Jean Pauls ›unphilosophisches‹ Konzept des Humors

235

Darin erschöpft sich der Text gleichwohl nicht. Vielmehr funktioniert auch er im ganzen letztlich als ein rhetorisch-poetisches Widersprechen gegen das transzendentalphilosophische System, nicht als rationales Widerlegen. Denn in seinem dritten und letzten Teil, d. i. in der ›Druckfassung‹ der »Clavis« Leibgebers, konzentriert sich die Auseinandersetzung mit Fichte ausdrücklich und primär im Modus des Humors, der schließlich in eine experimentalnihilistische Schreckensvision überzugehen scheint. Dadurch zeigt sich nicht allein die große Nähe der Verfahren von Humor und erhabenem Schrecken bei Jean Paul, insofern sie beide die doppelsinnige Zuspitzung der atheistisch-mechanistischen, strengrationalen Philosophie betreiben. Achtet man auf den von Jean Paul selbst wiederholt behaupteten Hintergrund der Jacobischen Position, ist auch die enge Verwandtschaft beider poetischer Figuren mit Jacobis ebenso doppelbödiger ›unphilosophischer‹ Operation des ›Springens‹ offensichtlich.181 Trotz gelegentlicher eigener Klagen über seine nicht zu zähmende humoristische Manier und ähnlicher Vorbehalte Jacobis kommt daher auch dem Humor bei Jean Paul eine wohlkalkulierte philosophischee Funktion zu. In diesem Sinne gibt die »Vorrede« der Claviss für »Leibgebers Zusammenschütten des Spaßes und Ernstes« als Interpretationshilfe mit auf den Weg, daß zwar beide Bestandteile rein voneinander zu trennen seien, es dabei zugleich aber darauf ankomme, daß der Leser »Spaß verstehe und dadurchh den Ernst« (Cl 1017, Herv. v. Vf.). Und der Ernst, so deutete sich bereits an und so liegt auch in der These von der Nähe von Humor und unphilosophischem ›salto mortale‹, ist genau genommen ein zweifacher – die Kritikk der Wissenschaftslehre im Aufzeigen ihrer notwendigen Folgen sowie das Eröffnen einer ihr transzendenten Position. – Dem scheint jedoch auf den ersten Blick die zweite wesentliche Auskunft der Claviss zum Humor zu widersprechen. Denn für den fiktiven Herausgeber stellt, wie gesehen, Schoppes Übertritt zum Fichtianismus und sein damit einhergehendes pathologisches Von-Sinnen-Kommen »eine ganz natürliche Entwickelung seiner seltenen Natur« dar, insofern er Humorist sei. Die These hier ist mithin, daß Humor und Fichtianismus bei konsequenter Betrachtung einander höchst ähnlich seien. Der Humor nehme m. a. W. in der Nachahmung der Fichteschen Position diese nicht nur sie abbildend vorübergehend an, sondern (re-)produziere dabei zugleich eine in ihm selberr liegende Struktur. Aufgrund dieser Verfassung des Humors ist es für ›Jean Paul‹ daher nur folgerichtig, daß auch die frühromantischen, poetisch-nihilistischen »Fichtisten Schlegel« im Athenäum von Leibgebers Schreibart Gebrauch machen würden (Cl 1019) – gemeint ist natürlich das Verfahren der ›romantischen Ironie‹. Der Humor würde damit eher zum Ausdruck des von Jean Paul kritisierten Zeitgeistes, als daß er selbst zu dessen Überwindung

181

Zumindest allgemein auf die Verpflichtung von Jean Pauls Bestimmung des Humors gegenüber Jacobi hat bspw. auch bereits Götz Müller hingewiesen (Müller [1983], 234).

236

B. Jean Paul auf den Spuren Jacobis

im Blick auf einen zugrundeliegenden ›höheren Ernst‹ beitrüge. Der Roman Titan, der mit den Überlegungen der Claviss nicht nur aufgrund von deren Stellung als Teil seines ›komischen Anhangs‹ verbunden ist, sondern vor allem auch durch den Umstand, daß Leibgeber, der vorgebliche Autor der »Clavis«, zu seinem fiktionalen Personal gehört, scheint dies zu bestätigen. Denn auch hier erzählen das vierte und fünfte Buch die Geschichte Leibgebers in der Weise, daß seine humoristische Art zur Übernahme der Fichteschen Philosophie führt, woraus sein Wahnsinn sowie sein durch den Wahn bedingter Tod resultieren. Allerdings – und auf diese Weise verkompliziert sich die Lage nur noch weiter, weil damit recht besehen beide gerade vorgestellten Hinsichten in Frage stehen – gilt Jean Pauls Engführung der Humoristengestalt mit dem Fichtianismus in der Figur Leibgeber traditionell als problematisch. Denn zum einen kann in dem Umstand, daß mit Leibgeber einer der sympathischsten Gestalten im Roman Titan als Fichtianer erscheint, nicht nur ein großes Kompliment an Fichte gesehen werden182 – etwa im Sinne, wie Jean Paul auch später noch das Edle in Fichte, und damit dessen Festhalten am Unbedingten lobt. Vielmehr scheint die Identität von Humorist und Fichtianer im Falle Leibgebers neuerlich auf massivee fichtianische Tendenzen bei Jean Paul selbst zu verweisen. Diese würden jedoch, so die sich zunächst aufdrängende Vermutung, die sachliche Glaubwürdigkeit der Kritik an Fichtes Wissenschaftslehre und an Leibgebers Humor sabotieren, gerade weil mit Ausnahme des Titan die Gattung des humoristischen Romans das bevorzugte Medium des reifen Jean Paul darstellt. – Umgekehrt gilt aber zum anderen auch als zweifelhaft, ob die Entwicklung des Humoristen Leibgeber zum Fichtianer wirklich so naheliegend ist, wie in Claviss und Titan suggeriert. Denn erstens sei der Typus des Humoristen keineswegs von Beginn an an die Fichtesche Philosophie gebunden, wie sich an Habermann als Typvorgänger Leibgebers in den bereits 1789 veröffentlichten Teufelspapieren zeige; genausowenig sei Humor eine für Fichte selbst konstitutive Eigenschaft.183 Zweitens wird in der von Jean Paul präsentierten Deutung des Humoristen Leibgeber als Fichtianer aber zugleich auch eine literarisch und sachlich nicht ausreichend motivierte Indienstnahme, ja ›Vergewaltigung‹ der Romanfigur durch den Autor gesehen. Dieser These korrespondiert die Überzeugung, daß der Titan als ganzes durch eine inkonsequent ausgeführte Konzeption eines nicht mehr humoristischen Romans gekennzeichnet sei, insofern Jean Paul versuche, sowohl Widerpart der Weimarer Klassiker als auch ihr Konkurrent auf deren eigenem ästhetischen Feld zu sein.184 Er wolle Leibgeber

182

Vgl. Harich (1970), 113. Vgl. ebd., 119. 184 Wölfel (2000/2001), 305. – Daß in der Tat konzeptionelle Schwierigkeiten im Titan existieren, bestätigt Jean Paul selbst gegenüber Jacobi: Erst mitten in der Abfassung sei er sich »ganz über die Gränzen und Foderungen der Poesie im Klaren« gewesen. Daher liege seinem 183

II. Jean Pauls ›unphilosophisches‹ Konzept des Humors

237

mithin zugleich erhalten wie in einem neuen Kontext gebrauchen, »in welchem die poetologischen Prämissen seiner literarischen Existenz nicht mehr in Geltung« seien. Daher mache Jean Paul eine Figur, deren ursprüngliche Aufgabe darin bestehe, »mit ›medusenhaft alles Lebendige ertötender Reflexion‹ die menschliche Wirklichkeit in allegorische Dinglichkeit zu verwandeln«, »zum untauglichen Aktanten-Material bei dem bemühten Unterfangen, in seinem Roman die klassisch-symbolische Kunstform nicht nur zu erreichen, sondern auch spirituell zu überbieten«.185 Dabei kämen für den Leser ›Einkräftigkeit‹ und Tod Leibgebers vollkommen unerwartet; diese stellten eine Transzendierung des Prinzips des Humors selbst dar. Leibgeber müsse m. a. W. bloß als Argument gegen Fichtes idealistisches System sterben, woraus zugleich folge, daß der Humor als einer der beiden Brennpunkte neben Empfindsamkeit bzw. ›Frömmigkeit‹ im Titan aufgegeben werde und allein die harmonisierende Idealität, das Erhabene als angewandtes Unendliches stehenbleibe.186 Zwar ist solchen und ähnlichen Bedenken gegen ein begründetes In-BeziehungSetzen von Humor und Fichtianismus sowie – konsequent gedacht, daraus resultierend – gegen die Konsistenz eines philosophisch-metaphysisch funktionalisierten Humorbegriffs zuzugeben, daß Jean Pauls Humoristengestalten ohne Zweifel ihren Ursprung weit vor Fichtes Wissenschaftslehre haben. In der Tat schließt Jean Paul die Debatte um Fichte an bereits vorhandene Konstellationen und Motive seines Denkens an und bildet sie auf diese ab. Jedoch fällt zugleich auf, daß die neue Typzeichnung in den Teufelspapieren in etwa die Zeit fällt, in der auch der Umbau von Jean Pauls Philosophie durch die Lektüre von Jacobis David Humee und damit auch von dessen auf Fichte vorausweisender Kritik an Kant erfolgt. Und obwohl für und in Fichtes Philosophie Humor tatsächlich keine Rolle spielt, zeigt gerade die von Jean Paul selbst erinnerte ›romantische Ironie‹ in dem Maße eine sachliche Nähe der Wissenschaftslehre zu reflexiv-komischen Verfahren an, wie diese Fichtes Begriff

ersten Teil noch ein früherer Plan zugrunde, wodurch er leider »zwei sich widrige Zeiten und Manieren zusammen[menge]« (Brief Jean Pauls an Jacobi vom 13.8.1802 [JPSW III/4, 167]). Allerdings werden wir sehen, daß es sich bei Jean Pauls Klärungen in den beiden letzten Bänden des Titan gerade im Umgang mit dem Humor um Korrekturen handelt, die es durchaus erlauben, viele Motive aus dem ersten Teil in weitem Maße auf das nunmehr konsequenter durchgeführte, nicht mehr ›Fixleinisch‹-komische Konzept zu beziehen. Dabei ist die Zurücknahme des ›Fixleinischen‹ keineswegs mit der Verbannung des Humors gleichzusetzen: Zwar teilt Fixlein im Roman Leben des Quintus Fixlein (1795) nicht nur mit Fibel seine Liebe zum Alphabet und zu drucktechnischen Marginalien (Fixlein sammelt und vergleicht Druckfehler), sondern rückt damit in die Nähe der Formalismuskritik an Fichte in der Clavis. Doch unterscheidet er sich (wie auch Fibel) zugleich wesentlich von Leibgeber-Schoppe. Ihm fehlt es vollständig an dessen welttrotzender, sich bewußt in der Welt als irrsinnig inszenierender Kraft, die ihn zum Ausdruck des ›Welt-Humors‹ werden läßt (zur Charakterisierung Fixleins vgl. vor allem JPW I/4, 75 u. 81). 185 Wölfel (2000/2001), 317. 186 Ebd., 308/310 f.

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B. Jean Paul auf den Spuren Jacobis

der Einbildungskraft und ihre gerade in der theoretischen Wissenschaftslehre vorstellungskonstitutive Rolle zum philosophischen Hintergrund hat.187 – Außerdem, so werden wir sehen, bereitet Jean Paul Leibgebers Einseitigkeit erzählerisch sehr wohl vor. Dies geschieht erstmals bereits im Roman Siebenkäs, indem er Leibgebers Aktualisierung des Humors kritisch gegen die ›frommere‹ und ›mildere‹ seines alter ego Siebenkäs abhebt. Daß in der zweiten Hälfte des Titan diese nach ›Jean Pauls‹ Darstellung in Leibgeber und, insofern er als Verkörperung des Humors angesehen werden muß, im Humor selbst liegende (nihilistische) Tendenz zur tatsächlichen Vereinseitigung und damit zu einer Verfallsform des Humoristischen führt, der dann das Erhabene abstrakt und alternativ entgegengesetzt erscheint, bleibt zwar in der Tat eine spontane und insofern überraschende Entwicklung. Beachtet man jedoch die metaphysische Deutung, die Jean Pauls reifes Humorkonzept über seinen im engeren Sinne poetologischen Rahmen hinaus noch erfährt und die die Anlage von Jacobis ›Spinoza-Antispinoza‹ in der Idee einer wunderbaren, nicht auf ein Prinzip reduzierbaren Mischverfassung des Menschen übernimmt, wird zumindest verständlich, warum ein solches Umschlagen prinzipielll nicht durch die Angabe von Gründen erklärt werden kann.188 Denn jede zureichende Erklärung für Leibgebers Verfall hieße, die als sittlich-praktisch erfahrbar angenommene Inkommensurabilität von Unendlichem und Endlichem, Unbedingtem und Bedingtem zu unterlaufen und zwischen beiden einen kontinuierlichen Übergang anzunehmen. In ähnlicher Weise, weil ebenso als Alternative von Freiheit und Notwendigkeit gefaßt, ist im übrigen auch bei Fichte kein streng erklärbarer Übergang zwischen Idealismus und Dogmatismus möglich (vgl. SW I, 426 ff.). Konsequent gedacht gilt dies in beide Richtungen. Denn auch das Aufgeben der sittlich-geistigen Freiheit fällt in dem Maße nicht mit der Anerkennung der sinnlich-körperlichen Notwendigkeit zusammen, wie auch hier beide als grundsätzlich verschieden voneinander intendiert sind.189 Die Differenz soll sowohl in der Fichteschen Inszenierung einer Entscheidung

187

Vgl. bspw. Frank (1997) oder Wiethölter (1979), 44 f. »Diese hypostatische Union zweier Naturen«, so notiert Jean Paul daher auch in der Vorschule der Ästhetik, »einer göttlichen und einer menschlichen, ist so schwer, daß statt Vereinigung meistens eine Vermengung und also Vernichtung der Naturen entsteht.« (V 158) Das richtige Maß, auf das es ankommt, ist offenbar schwer zu finden, die Spaltung schwer auszuhalten. 189 Tatsächlich hat Brose das zwar erzählerisch lange vorbereitete, zugleich aber spontane wirklichee Hervorbrechen von Schoppes Wahnsinn auf Binnenverhältnisse der Fichteschen Wissenschaftslehre bezogen: Der Irrsinn entspringe so plötzlich-spontan wie das intelligente Ich bei Fichte aus dem absoluten. Zugleich erscheinen damit Schoppe und der den Wahn ankündigende ›Kahlkopf‹ nunmehr als Gegensatz von Ich und Nicht-Ich des dritten Grundsatzes der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehree (Brose [1975], 88). Insofern Fichte selbst hier zugleich Jacobis Urteil des ›umgekehrten Spinozismus‹ der Wissenschaftslehre gleichsam für die theoretische Wissenschaftslehre vorwegnimmt (vgl. SW I, 122), zielt Brose damit in eine ähnliche Richtung wie der Verweis auf die Alternative von ›Idealismus‹ und ›Dogmatismus‹. 188

II. Jean Pauls ›unphilosophisches‹ Konzept des Humors

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zwischen transzendentalem Idealismus und dogmatischem Realismus bzw. Materialismus als auch in derjenigen Jacobis zwischen ›unphilosophischer‹ Metaphysik konkreter Personalität und monistischer transzendentalidealistischer oder substanzontologischer Systemphilosophie nicht in einem oder mehreren einzelnen Momenten liegen, sondern in einer im ganzen eingenommenen und nur als ganzer veränderbaren Perspektive. Im Falle von Jacobis Fichte- und Spinoza-Auseinandersetzung bedeutete dies, innerhalb eines gemeinsamen metaphysischen Rahmens, der durch das »Totum parte prius esse necesse est« bestimmt ist, von der ›Logik‹ von ›Grund und Folge‹ zur ›Logik‹ von ›Ursache und Wirkung‹, vom Paradigma der Identität zu dem der ›Ähnlichkeit‹ als Ursprung und Urbild überzugehen. Der ›Sprung‹ von der ›Absprungstelle‹ zur ›Landestelle‹ setzte letztere bereits voraus, ohne den Aktt des Springens zu necessitieren oder aber überflüssig zu machen. Der Übergang zur expliziten (un-)philosophischen Gewißheit seines Ursacheseins existierte für jeden Einzelnen also nur, insofern er ausdrücklich und real als freie Handlung vollzogen wurde, obwohl an sich bereits in jeder als notwendig aufgefaßten Handlung und jedem logischen Schluß als Aktt eines je konkreten Menschen die Freiheit selbst vorausgesetzt und vollzogen ist. Dem entsprach umgekehrt auch bei Jacobi bereits der Gedanke, daß in der praktisch gesteuerten, auf Freiheitsbeförderung ausgehenden Aufklärung durch streng rationales Denken die Anlage ihres Umschlagens in einen neuen Dogmatismus (nunmehr als Dogmatismus des Verstandes selbst) liegt, dessen Eintreten jedoch nur historisch konstatiert werden konnte. Eine Notwendigkeit im strengen begrifflichen Sinne war von ihm hingegen nicht zu behaupten, weil bereits die Idee des tatsächlichen Eintretens den azeitlichen begrifflichen Rahmen transzendiert.190 Für die doppelbödige philosophische Anlage von Jacobis ›Spinoza-Antispinoza‹ ist m. a. W., so sahen wir, geradezu konstitutiv, daß die Philosophie Spinozas (wie später auch die Fichtes) für Jacobi eine rational vollkommen befriedigende Position darstellt, obwohl ihm als ursprüngliches philosophisches Anliegen ›Daseinsenthüllung‹ gilt und die Systemphilosophie wie die reine Tätigkeit des Verstandes, ›unphilosophisch‹ betrachtet, auf von ihnen nicht einholbaren Grundlagen beruhen. Wie daher der für sich selbstgenügende Verstand für Jacobis ›Doppelphilosophie‹ ebenso konstitutiv ist wie seine ursprüngliche Bezogenheit auf ein praktisches Vernunftgefühl, ist auch bei Jean Paul die Verfallsgefährdung s g des Humors unausweichliches Korrelat seiner Fähigkeit, die doppelsinnige Funktion zwischen ›erster‹ und ›zweiter Welt‹,

190

In diesem Sinne ist ›Jean Pauls‹ These im »Protektorium« der Clavis, daß Leibgebers Übertritt zum Fichtianismus »eine ganz natürlichee Entwickelung seiner seltenen Natur« sei, sehr präzise (Cl 1019, Herv. v. Vf.). Betrachtet man Charakter und Verfahren Leibgebers bzw. des Humors allein aus der natürlich-verständigen Perspektive ist seine Zustimmung zur Wissenschaftslehre, so war eben auch Jacobi überzeugt, alternativlos. Das Einnehmen der bloß natürlichen Perspektive hingegen ist für ein aus ›Geist‹ und ›Natur‹ genuin ›gemischtes‹ Wesen oder Verfahren jedoch selbst keineswegs wiederum ein ›natürlicher‹ Vorgang.

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B. Jean Paul auf den Spuren Jacobis

zwischen der Endlichkeit von Sinnlichkeit und Verstand und der Unendlichkeit unserer konkreten sittlichen Gewißheit zu erfüllen. Nur aufgrund dieser Eigenschaft vermag er Geist und Natur, Vernunft und Verstand auf eine Weise zu verbinden, die im Gegensatz zur Systemphilosophie, mithin im Gegensatz zur logischen Ableitung aus einem Prinzip, zur reflexiven Wechselsetzung oder zur philosophischen Dialektik, sie zugleich als wirklich Differente und Eigenständige bewahrt. Wegen dieser in der Anlage der Konzeption liegenden Unbegründbarkeit der Übergänge von Unendlichem und Endlichem zugunsten ihrer zeitlich-historischen Faktizität, kann der Verfall Leibgebers im Titan tatsächlich nur durch seine Einbeziehung in eine narrative Ordnung vorangebracht werden. Dabei wird zwar die strukturellee Verfassung der humoristischen Reflexion als Reflexionsfigurr tatsächlich transzendiert, doch ist für den Humor nach Jean Paul, so werden wir sehen, gerade seine grundsätzliche Bezogenheit auf einen ›höheren‹ (narrativ verfaßten) ›Ernst‹ konstitutiv als unverzichtbarer Maßstab seiner komisch-kritischen Weltvernichtung. Der Umstand, daß aufgrund von Jean Pauls ausdrücklicher programmatischer Orientierung an Jacobi auch seine eigene philosophische Konzeption als Konkurrenz zum transzendentalen Idealismus im Feld einer ›prima philosophia‹ zugleich als grundsätzlicher Perspektiven- und Paradigmenwechsel aufgefaßt werden muß, legt schließlich auch ein analoges Verständnis der literarischen Konkurrenz Jean Pauls zur Weimarer Klassik wie zur literarischen Frühromantik nahe. Zumindest in dem Maße, wie diese aufgrund ihrer eigenen Orientierung an Spinoza und Kant-Fichte monistische und universalistische Züge tragen,191 will sich Jean Pauls Konzept

191

Novalis teilt nicht nur Jacobis Beurteilung der Fichteschen Wissenschaftslehre als »umgekehrten Spinozismus« (JW III, 12; vgl. »Es ist einerley, ob ich das Weltall in mich, oder mich ins Weltall setze. Spinotza sezte alles heraus – Fichte alles hinein.« [Werke, Tagebücher und Briefe Friedrich von Hardenbergs, 2, 620] und »Fichtens Ich ist die Vernunft – Sein Gott und Spinotzas Gott haben große Aehnlichkeit.« [ebd., 712]). Er stellt sich sogar selbst programmatisch ausdrücklich in die Tradition Spinozas wie Fichtes, wenn auch im Gestus der Überbietung: »Spinotza stieg bis zur Natur – Fichte bis zum Ich, oder der Person. Ich bis zur These Gott« (ebd., 63). Novalis schränkt m. a. W. im Gegensatz zum frühen Fichte die Verwendung des Begriffs ›Ich‹ in zunehmendem Maße auf das endliche, auf das bewußte bzw. selbstbewußte Ich ein, um auf eine vorausliegende höhere unbedingte »Sfäre« als Grund der Philosophie zu verweisen, die mal »Gott«, mal »Gattung« oder auch »Chaos«, am häufigsten jedoch »Seyn« bzw. »NurSeyn« genannt wird (ebd., 7 ff. [Fichte-Studien], passim). Daß das von Novalis als Verbindung Spinozas, Fichtes und auch Jacobis projektierte »eigentliche philosophische System«, das »Freiheit und Unendlichkeit« bzw. »Systemlosigkeit, in ein System gebracht, sein« soll (ebd., 200), dabei letztlich tatsächlich in der alleinheitlichen Logik des Grundes verbleibt, indiziert deutlich das Festhalten am Paradigma von ›Moment‹ t und ›Ganzem‹ (vgl. »Der Grund ist die Eigenschaft der Welt und die Welt die Eigenschaft des Grundes. Gott heißt Grund und Welt zusammen.« [ebd., 145]). Das der Reflexion aufgegebene Ganze (›Gott‹) ist als das zugleich eigentlich und ursprünglich Reale dasjenige, das »in jedem Augenblicke, in jeder Erscheinung wirkt«, das als Ewiges im Endlichen »allgegenwärtig« ist. Auch für Novalis ist all unser ›Sein‹, ›Weben‹ und

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des ›höheren Ernstes‹ auch wesentlich vom Poesieideal der Weimarer Klassik und der Jenaer Frühromantik unterscheiden.192 Indizien dafür sind bereits Jean Pauls

›Denken‹ »in Gott« (ebd., 159). Dabei stellt Hardenberg dies Reale auch dort, wo er es ausdrücklich als Reales »außer der Reflexion« thematisiert, als Einheit von Momenten eines Ganzen dar. Immanenzz ist das metaphysisch-ontologische Modell, demgegenüber Transzendenz allein ein Problem des (endlichen) Bewußtseins ist: »Unsre Natur ist immanent – unsre Reflexion transscendent. Gott sind wir – als Individuum denken wir.« (ebd., 75) (Zu Novalis im Spannungsfeld von System und Jacobischer Systemkritik vgl. u. a. Koch [2004]). Nicht anders verhält es sich auch beim frühen Friedrich Schlegel: In der Orientierung an Kant und Fichte, seit 1798 zunehmend auch an Spinoza (vgl. Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe XVIII, 116/272/302/373/376/ 402/418) versucht Schlegel, die antisystemischen Einwände vom Typ Jacobis als wesentliche Momente eines offenen und selbstkritischen Systems zu domestizieren (vgl. »Es ist gleich tödlich für den Geist, ein System zu haben, und keins zu haben. Er wird sich also wohl entschließen müssen, beides zu verbinden.« [Friedrich Schlegel: Kritische Schriften und Fragmentee II, 109]). Insofern Schlegels frühes Philosophieren von Beginn an und wesentlich unter dem Ideal des »logischen Enthusiasmus« steht, d. h. unter der Forderung »nach Allheit des Wissens« (Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabee XVIII, 5 u. 515), also nach lückenlosem und notwendigem inneren Zusammenhang (vgl. ebd., 13 u. 520) sowie nach »polemischer Totalität« gegen entgegengesetzte Auffassungen (ebd., 515), beibt auch dieses der Logik der (Reflexions)Immanenz verhaftet. Dies gilt selbst für Schlegels Absage an das ›hen kai pan‹ (ebd., 348) im Namen eines Dualismus von Unendlichem-Endlichem, Vernunft-Natur bzw. Moral, Fichte-Spinoza, Philosophie-Poesie, Idealismus-Realismus (ebd., 340), insofern dieser noch seinen systematischen Ort im unendlichen Streben nach All-Wissen, d. i. im ›logischen Enthusiasmus‹, hat (vgl. ebd., 280). Schlegels Vorbehalt gegen das philosophische System betrifft m. a. W. nur dessen prinzipielle Unerreichbarkeit, Vorläufigkeit und Unvollendetheit, nicht seinen paradigmatig bei Schlegel keine Transzendierung schen Status: Daher ist selbst die »intellektuale Anschauung« der Reflexion, sondern das »klare Bewußtsein« der »ewigen Agilität« der Reflexion (ebd., 228) und damit als Selbstreflexivität der Reflexion deren Moment. Das endlose Spiel von Selbstsetzung und Selbstvernichtung des Gesetzten in der ›romantischen Ironie‹, in der alles Endliche als Endliches, d. i. im strengen Sinne Nichtseiendes, und damit zu Transzendierendes entlarvt wird, ist zwar nie das aktuelle Ganze und vollendete Absolute; doch dieses ist auch nicht außerhalb des Reflexionszusammenhangs, sondern dessen (als immanentes zugleich unerreichbares) Ziel und Aufgabe. Das Modell der Schlegelschen Philosophie ist m. a. W. noch immer das systemischimmanenzlogische des Kreises, wenn auch nunmehr eines offenen (bzw. einer Spirale). »Geist, Gott und Natur als Eins«, so Schlegel, »ist Universum« (ebd., 291). – Daß es bei Schlegel um die Umstellung der Metaphysik innerhalb ihres spinozistisch-idealistischen Paradigmas geht, zeigen auch noch die »Kölner Vorlesungen« von 1804/05: Anstatt die Welt bloß als Darstellung der Gottheit zu begreifen, wobei bereits eine »vollendete Göttlichkeit« des Urbildes, ihr absolutes Sein also, vorausgesetzt sei, müsse die Welt vielmehr, so Schlegel, als die werdende, sich erst vollendende Gottheit begriffen werden. Nicht das Konzept des Unbedingten und Unendlichen bei Spinoza und Fichte ist falsch, sondern nur sein sytematischer Ort: Es gehört für Schlegel »nach seiner vollen Wahrheit nicht an den Anfang, sondern an das Ende« (ebd. XII, 419). – Zum Einfluß Spinozas und des Spinozismus auf die Weimarer Klassik, insbesondere Goethe und Herder, vgl. u. a. Lindner (1960), Bollacher (1969), Timm (1974), 275–338, Schürmann (2002), Westerhoff (2009), Wolf (2009), Sandkaulen (2010). 192 Zwar bemerkt Wiethölter zu Recht, daß Friedrich Schlegels Konzept nicht allein »von

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Distanz zu Herders Pantheismus ebenso wie die Zentralität der Zeitproblematik gegen die Goethesche »Zeitlosigkeitsattitüde«,193 aber auch die Anlage seiner Ästhetik bzw. Poetologie in der Vorschule der Ästhetik. Denn im Gegensatz zu den transzendentalphilosophischen, im Wesentlichen die philosophische Spekulation verlängernden Ästhetiken seiner Zeit, wie der Friedrich Schlegels oder Schillers, trägt diejenige Jean Pauls zahlreiche Züge einer Poetik, der es um je bestimmte Hilfestellung und Anleitung bei der konkreten künstlerischen Produktion geht. Und dieses ist nicht trotz der ebenso bei Jean Paul erfolgenden philosophisch-poetologischen Grundlagenreflexionen, gleichsam als bloß historische Reminiszenz an klassische Poetiken, sondern vielmehr gerade wegen der philosophischen Fundierung der Fall, insofern diese ihren metaphysischen Ausgang von der Gewißheit konkreten realen praktischen Tuns nimmt.194

Fichtes Idealismus her […] [zu] erschließen« sei. Gleichwohl muß Jean Pauls an seine Fichtekritik anschließende Kritik der Frühromantik nicht überraschen (so sieht es aber Wiethölter [1979], 38). Denn beachtet man den Hintergrund der Jacobischen Philosophie für Jean Pauls Überzeugungen und wird die gegen Fichte geführte und an Jacobi orientierte Wendung Schlegels als organologische Aufnahme der Philosophie Spinozas erkannt, muß dieser Versuch für die Augen Jacobis wie Jean Pauls prinzipiell ungeeignet bleiben, die systemkritisch markierten Defizite der Wissenschaftslehre systemlogisch zu kompensieren. 193 Darauf hat Pfotenhauer verwiesen: Gegen Goethes »Zeitlosigkeitsattitüde« und die Verdrängung des gegenwärtigen Lebens durch das Überzeitliche reflektiere Jean Paul wie in der stets präsenten Frage des eigenen Todes vielmehr ständig auf die Zeit, um das »Verfließende zu retten«. »Immer wieder wird die Zeit imaginativ stillgestellt, um ihr Telos, das Ende, vergegenwärtigend festzuhalten […] Die Zeit soll besiegt, soll stillgestellt werden, indem ihre Konsequenz, der Tod, selbst noch schreibend lebendig wird« (Pfotenhauer [2001], 46/48 f.). Entscheidend dabei ist zuletzt jedoch, wie bereits angedeutet, die Einbindung der Frage nach dem Tod in die Erfahrung der Unbedingtheit und Überzeitlichkeit freien Handelns im gemischten menschlichen Dasein, in der sich Jean Pauls Nähe zu Jacobi ausdrückt. Selbst in religiös-theologisch daherkommenden Erläuterungen Jean Pauls geht es bei der Frage der Unsterblichkeit um eine individuelle Weiterexistenz, nicht um eine allgemeine ewig-azeitliche Substantialität des Ich. So gibt Jean Pauls erste größere Abhandlung über die Unsterblichkeit in den Jugendwerken vom Juli 1791 Beweise für die Fortdauer über Milliarden Jahre, nicht für die Ewigkeit der (Einzel-)Seele (Über die Fortdauer der Seele und ihres Bewustseins, JPW II/2, 776). – Allerdings ist Jean Pauls Verhältnis zu Goethe sehr vielschichtig: So lobt er ihn in der »Jubilate-Vorlesung über die neuen Poetiker« hingegen für den bei ihm wirksamen »Ernst einer höhern Schönheit und Empfindung«, in dem die Schönheit »die Schwere des Stoffs verklär[e]« (V 428). 194 Vgl. hierzu die Vorreden der Vorschule, in denen Jean Paul ausdrücklich die transzendentale Ästhetik zurückweist, weil auch sie das »Gediegenste«, das anschaulich gegebene Reale, in die »weitesten Kunstwörter« auflöse, allerdings in der Meinung noch »das anzuschauen, was sie bloß denkt« (V 22 f.). Wie das Praktische den narrativen Vollzug verlangt, so kann nach Jean Paul »[a]lles Schöne […] nur wieder durch etwas Schönes sowohl bezeichnet werden als erweckt«. Weshalb die rechte Ästhetik einen Autor voraussetze, der sowohl Künstler als auch Philosoph sei und daher eine »angewandte Ästhetik für Philosophen« und eine »angewandtere Ästhetik für Künstler« geben könne (V 25). – Letzteres blieb den Frühromantikern, darauf weist Jean Paul

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Bevor jedoch dem Konzept des ›romantisch Schönen‹ und seiner Fundierung in Jean Pauls Anthropologie und Metaphysik nachgegangen wird, soll im Folgenden zunächst die Darstellung der Romanfigur Leibgeber und ihrer Geschichte betrachtet werden, um die gerade angedeuteten Thesen zur Rolle des Humors und deren Verhältnis zur unphilosophischen Operation des unmittelbaren praktischen Schließens im ›salto mortale‹ zu prüfen und zu vertiefen. Im Anschluß an diese am Beispiel der Humoristengestalt Leibgeber gewonnene Orientierung wird Jean Pauls Humorkonzept auch noch durch die Analyse von dessen ausdrücklicher philosophisch-poetologischer Entwicklung in der Vorschule der Ästhetikk weiter profiliert werden.

1. Leibgeber-Schoppe – der Humorist und Fichteaner α) Leibgeber im Siebenkäs ›Jean Paul‹ selbst hat im »Protektorium« der Claviss auf die Vorgeschichte Leibgebers, die im Roman Siebenkäss (1795) geschildert wird, kurz verwiesen. Leibgeber und Siebenkäs, die beiden Hauptfiguren, werden von Jean Paul dort bereits ausdrücklich als Humoristengestalten vorgestellt. Ihr Hauptmerkmal ist dabei ihr »welttrotzende[r] Stoizismus« (Sieb 70), der sie, erinnert man sich an Jean Pauls ähnliche Auszeichnung der praktischen Philosophie Kants, der Sache nach bereits in eine gewisse Nähe zur Transzendentalphilosophie rückt, ohne daß diese zunächst explizit markiert würde. Siebenkäs und Leibgeber gemein ist mithin das Verschmähen der äußeren Zufälligkeiten des Lebens, wie Standesunterschiede, Konventionen oder Rituale, die sie im scheinernsten Spiel verlachen (Sieb 39/53). Sie bekämpfen das ›Kleinliche‹, doch schonen das Kleine, sie verachten den Eigennutz, hören aber auf die Stimme der ›Ehre‹ (Sieb 39). Der bevorzugte Gegenstand ihres Spaßens und Lachens sind jedoch sie selbst; humoristische Wirklichkeitsvernichtung zeigt sich an ihnen also bereits als wesentlich selbstreflexiv (Sieb 38). – Doch teilen Leibgeber und Siebenkäs nicht nur das humoristische Welt- und Selbstverhältnis, sie sind, so schildert der Roman, zudem die besten Freunde, ja Doppelgänger und Abbilder von einander, gar eine Seele in zwei Körpern (Sieb 39). Dem korrespondiert zum einen eine auffällige Ähnlichkeit der Physiognomie, zum anderen teilen sie mit ihren Namen, so sahen wir an Jacobi, scheinbar auch das eigentlich Eigentümlichste und Individuellste des Menschen miteinander. Denn in jungen Jahren tauschten sie diese halb aus Freundschaft, halb aus »tollem Übermut« (Sieb 40).

selbst ausdrücklich hin (V 23 f.), ganz fremd und zeigt auf diese Weise ein differentes Konzept zum Verhältnis von Philosophie und Poesie (und im weiteren von Philosophie und Praxis) an.

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Genau genommen, führen jedoch dem ersten Anschein entgegen weder Namenstausch noch physiognomisches und charakterliches ›Doppelgängertum‹ zur Deutung ihres Freundschaftsbundes als Identitätsverhältnis. Trotz aller scheinbaren Gleichheit macht sie vielmehr gerade die einander entgegengebrachte Freundesliebe einander ungleich und mithin zu bestimmten Einzelnen. Denn jeder von beiden sieht »im andern nur das, was er außer sich lieb[t]«, nicht aber in sich und als an sich selber ebenso vorhanden (Sieb 532). Leibgeber und Siebenkäs verhalten sich m. a. W. wie »ungleichnamige Pole« (Sieb 69). Dieses Verhältnis gilt damit auch für ihre jeweilige Verkörperung des Humors. Die für die Beziehung von Leibgeber und Siebenkäs, und wie man bei Jacobi sah, überhaupt für Freundschaft und Liebe konstitutive Differenz und Eigentümlichkeit als Individuen wird von Jean Paul auch dadurch betont, daß ihre vermeintliche Gleichheit in Physiognomie und Charakter in Wahrheit nur eine Ähnlichkeit ist. Äußerlich zeigt sich die verbleibende Differenz vor allem in einem Hinken, an dem nur Leibgeber leidet (Sieb 40/128, vgl. auch Cl 1023). Darüber hinaus ist Siebenkäs jedoch auch schlanker, größer und scheinbar jünger, so daß sie dann »einander ähnlich genug sehen«, wenn Leibgeber sich aufrichtet und Siebenkäs sich ein wenig neigt (Sieb 376). – Verschieden sind auch ihre äußeren Lebensumstände nach dem Namenstausch: Siebenkäs heiratet. Zwar verachtet auch er als Humorist wie Leibgeber Geld und Ehren und wirft sich zuweilen den »Bettelsack aus Spaß« über, um sich für den Ernstfall schon daran zu gewöhnen (Sieb 35), doch setzt er diese Unabhängigkeit von materiellen Gütern zugleich in die praktische Tätigkeit als Armenadvokat um (Sieb 33). Leibgeber hingegen bleibt allein und zieht als Portraitmaler (Sieb 68), genauer: als Karikaturist, durch die Welt, ohne festen Ort und bürgerliche Identität. Am liebsten lebt er ungenannt und anonym (Sieb 69). – Den Unterschieden zwischen Siebenkäs und Leibgeber in der Lebensführung entspricht eine bleibende Verschiedenheit im Charakter und damit auch im Gestus ihrer Weltverlachung: Während Siebenkäs lieber verzeiht, dem lächerlichen Irdischen mit Milde begegnet und »in jeder Distelblüte des Schicksals« noch »offne Honiggefäße genug« findet (Sieb 34), bevorzugt Leibgeber das Strafen und ist gekennzeichnet durch »harte Kräftigkeit, ja Zornfähigkeit«. Sein »moralischer Ingrimm«, der aus einem besonderen Feuer »für Recht und Wahrhaftigkeit sowie Uneigennützigkeit« resultiert (Sieb 384), wendet sich gegen jeden vornehmen empfindsamen oder gelehrten Schein (Sieb 40/70/389). Letztlich gilt sogar jedem Endlichen als solchem seine humoristische Negation, und seine Satiren zielen daher stets auf nicht weniger als »auf sämtliche Menschen zugleich« (Sieb 357): Der ganze Weltenlauf, dieser »Kräuterkäs der Erde«, erscheint Leibgeber »närrisch«, denn vor dem Maßstab des Unendlichen, des Wahren und des sittlichen Ideals mutet ihm jedes Endliche und jede Differenz zwischen Endlichen als belanglos an; gemessen an seinen hohen Forderungen des Unbedingten sei die sinnlich-empirische Welt »zu hohl und zu matt« (Sieb 344 ff.). – Die nur Siebenkäs eigene Milde resultiert dabei offensichtlich aus dem Umstand, daß er

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neben den satirischen auch ernsthafte Töne kennt (Sieb 375 f.): Von Natur aus ist er mit einer höheren Empfindsamkeit und einem vollen Herz ausgestattet, deren Übermacht zu begegnen er sich des Humors und der satirischen Weltverlachung bedient (Sieb 37/333/335), ohne jene damit ganz abzutöten. In der Natur, »der ewigen, warmen und umfangenden Göttin«, vermag er das Unendliche, »das freie, enthüllte, blühende All«, als Erhabenes zu erfahren (Sieb 331). Demgegenüber »zeigt Leibgeber nichts weniger als wahren Ernst« (Sieb 51) und kann nie genug spaßen (Sieb 530); jede Aufmerksamkeit für Gefühle macht ihn »schamrot und toll« (Sieb 446). – Dem verschiedenen Verhältnis zum Unendlichen, insofern es sich in der Welt, in Natur und Gefühl manifestiert, korrespondiert zuletzt eine gänzlich verschiedene Haltung beider Humoristen zum Unsterblichkeitsglauben: Siebenkäs ist von der Unvergänglichkeit der (Einzel-)Seele überzeugt und will auch Leibgeber zu diesem Glauben bekehren (Sieb 68). Denn ohne die Unsterblichkeit des Anderen – so Siebenkäs, eine häufig verwandte Argumentation Jean Pauls wiedergebend, die anzeigt, daß die Frage nach der Unsterblichkeit bei Jean Paul ihren ursprünglichen Ort in einer praktischen Theorie menschlichen Personseins hat – sei keine Liebe möglich (Sieb 387). Liebe und Freundschaft setzten etwas Ewiges, Unendliches und Unbedingtes im Anderen voraus, das diesen allererst zu der sittlichen Person macht, der wir als Freund vertrauen. Zwar scheint es auch Leibgeber gelegentlich so, »›als müsse ein Stück von der andern Welt in diese mit hereingemalt werden, damit sie ganz und gerundet werde‹«, doch gelten ihm die Menschen zuletzt in ihrer irdischen Verfassung als zu gering und nichtig, und sein eigenes Hinken zeigt diese prinzipielle Defizienz gleichsam noch einmal ausdrücklich an, als daß er sie und sich selbst als Unsterbliche ansehen könnte (Sieb 68). Daher hat Leibgeber die deutliche Tendenz, letztlich in der Immanenz der für ihn bloß endlichen und darum durch ihre humoristische Nachahmung zu vernichtenden Welt zu verbleiben; statt Geburtstagen und Sterbetagen, für Jean Paul in einem platonisierenden Gedanken Übergänge zwischen höherer und irdischer Welt, feiert Leibgeber einzig den »Namentag« (Sieb 387). Daß der von ihm gefeierte Name gar nicht der seine ist, unterstreicht dabei nur noch einmal die Nichtigkeitsthese des Irdischen, denn in einer rein mechanistisch-rationalen Welt, wie Leibgeber die Welt versteht, bleibt auch der Name letztlich ohne eigentümliche Bedeutung. Ein zweiter Namenstausch zwischen Leibgeber und Siebenkäs festigt und forciert schließlich die Unterschiede zwischen beiden noch einmal: Denn aus Sorge für die Beförderung des irdischen Wohls seiner Frau, der aufgrund der unglücklich verlaufenden Ehe am besten gedient scheint durch den Tod ihres Mannes und der daraus folgenden finanziellen Absicherung durch die Witwenkasse, faßt Siebenkäs mit Leibgeber, von diesem angestachelt, den Plan, seinen eigenen Tod zu fingieren. Da er zugleich eine neue, nunmehr wahre Liebe zu einer anderen Frau verwirklichen möchte, für die er außer seiner Freiheit ebenso einer bürgerlichen Identität bedarf, ist Teil des Plans auch der Rücktausch ihrer Namen. Dies bedeutet für Siebenkäs

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endlich, gleichsam als bereits irdische Auferstehung und Unsterblichkeit, die Erfüllung der Liebe und damit der Ewigkeit auf Erden (Sieb 576), und er erlangt mit ›Leibgeber‹ zugleich den Namen zurück, der ihm aufgrund der in seinem Humor liegenden milden Weltzuwendung angemessener ist. Dagegen verliert Leibgeber endgültig den eigenen Namen und die eigene Identität sowie zudem, um den Tausch vor Entdeckung zu schützen, mit Siebenkäs seinen einzigen Freund. Nur als dessen gespensterhafter Wiedergänger kann er noch in Erscheinung treten (Sieb 559); eine Begegnung als Freunde ist zukünftig ausgeschlossen und führt im Titan dann scheinbar tatsächlich in die Katastrophe. An die Stelle eines liebenden Verhältnisses, in dem jeder im Anderen einen von ihm selbst Verschiedenen liebte, tritt für Leibgeber die bloße Liebe der Liebe, die jeder täglich für sich allein in sich selber schauen könne (Sieb 534). Leibgebers »stärkere Farbengebung« in der Aktualisierung des Humors, der bereits auch sein ursprünglicher Name ›Siebenkäs‹ mehr entsprach (vgl. Sieb 544 f.), ist durch Siebenkäs’ fingierten Tod und den eigenen Namensverlust konsequent gesteigert. Der im Humor wohnende Hang zu einer anonymen Existenz, die ihn vor jeder ernsthafteren Teilnahme am närrischen, irdischen Leben bewahren soll, ist damit nunmehr vollends verwirklicht. Leibgeber forciert daher selbst konsequenterweise die unwiederbringliche Trennung von Siebenkäs – ausdrücklich um der Freiheit willen, ohne alle Scham und Rücksicht »›auf dem Narrenschiff der Erde die eine und die andere Rüpels-Rolle auszulesen‹« und sich, von aller irdischen Verwurzelung scheinbar losgelöst, »›als ein Naturspiel, als ein diabolus ex machina, als ein blutfremdes Mond-Lithopädium unter die Menschen und auf die Erde zu stürzen vom Mond herunter‹« (Sieb 533). – Im zweiten Namenstausch im Siebenkäss nimmt mithin sein späteres, im Titan geschildertes Schicksal bereits seinen Ausgang. Folgerichtig finden sich vor allem am Ende des Siebenkäss auch bereits Stellungnahmen, die ›Jean Pauls‹ Umgang mit Leibgeber im Titan, in dem dieser unter dem Namen ›Schoppe‹ wiederkehrt, erahnen lassen. Dazu gehört zum einen eine deutliche Distanzierung von den Einseitigkeiten – oder wie Jean Paul später im Blick auf den Titan sagt: »Einkräftigkeiten«195 – Leibgebers und seiner Verkörperung der humoristischen Lebensform, die ähnlich wie Jacobis Verdacht gegen den Titan im Ganzen auf dem Fehlen des Ernstes hinter dem Scherz beruhen: Leibgeber nehme das »Leben zu sehr für ein Karten- und Bühnenspiel, für ein Glück- und Kommerz-Spiel« (Sieb 475), so daß er zu seinem Nachteil und anders als ›Jean Paul‹ nie mit dem Witz aufhören könne (Sieb 530).196 Er übertreibe, so heißt es schon im

195

Brief Jean Pauls an Jacobi vom 14.5.-8.9.1803 (JPSW III/4, 237). Daher gilt im Selbstverständnis Jean Pauls eben nicht, wie Gehrs annimmt, eine Identifizierungg des zum Fichtianisten sich entwickelnden Humoristen Leibgeber mit der Position des humoristischen Dichters Jean Paul, selbst wenn das Schicksal Leibgebers in der Tat eine Gefährdung des Humors aufgrund seiner eigenen Doppelsinnigkeit anzeigt (Gehrs [1996], 209). 196

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Siebenkäss über Leibgeber, die humoristische Weltnegierung, die damit gleichsam in Ernst umschlage. Denn eine solche radikale Negation der Endlichkeit setze eine »beklommene Brust«, »ein zu fieberhaftes Auge [voraus], um welches die Feuerwerke des Lebens wie fliegende Spiel-Funken schweifen, die dem schwarzen Star vorflattern« (Sieb 349). – Zudem finden sich mehrere Vorausdeutungen von Leibgebers bzw. Schoppes Pathologien und Todesumständen im Titan, die ebenso das Problem der dort wie in der Claviss dann transzendental gedeuteten Einsamkeit des Ich in einer gottlosen, rein mechanischen Weltmaschine präformieren: Denn nach dem zweiten Namenstausch erscheint die Verdopplung der Wirklichkeit und (aufgrund der Selbstreflexivität des Humors) ebenso des eigenen Ich des Humoristen, die als groteske Nachahmung des zu Verlachenden die Bedingung seines Verlachens ist, bereits in ihrer gefährlichen Nähe zu Wahn und Selbstverlust. Er fürchte, so Siebenkäs in einer Szene gar der Verdreifachung Leibgebers im eigenen Spiegelbild, in Siebenkäs sowie in dessen Spiegelbild, in der ihm die Differenz zu Siebenkäs und zu ihren Spiegelbildern bereits verlorenzugehen scheint, daß Leibgebers Anlage zur »metamorphotischen Selberspiegelung« durch die »Einsamkeit des Reisens«, mithin durch den Verlust jeder Bindung an ein wirkliches anderes Du, gefährlich wachsen werde. Nicht einmal Gott sei allein, sondern sei bezogen auf das All (Sieb 531).

β) Schoppe im Titan Bereits sein neuer Name ›Schoppe‹, der vom Autor ›Jean Paul‹ außer mit dem scharfzüngigen gegenreformatorischen Polemiker Scoppius mit dem lateinischen Ausdruck ›sciopio‹, ›Vergeudung‹, als falscher, aber häufiger Assoziation in Verbindung gebracht wird (T 29),197 weist seinen Träger im Titan neuerlich als Antipoden des irdischen, von den Umständen der Existenzsicherung gezwungenen, rein endlich-sinnlichen Lebens aus. Die Liebe zur Freiheit sowie zu Wahrheit und Wahrhaftigkeit sind, Leibgebers Selbstzeugnis in der Claviss entsprechend, auch im Titan die vorstechenden Charakterzüge Leibgeber-Schoppes. Lieber wolle er »vogelfrei, als unfrei oder freigelassen sein« (T 30).198 Daher zeichnet ihn Jean Paul wiederum

197

Man denke in der Sache zugleich an Jacobis Spiel mit dem Begriff des ›Überflusses‹ (genommen u. a. als das Unendliche und Unbestimmte) und seine Anwendung auf die Diskussion mit Fichte in seiner auf Drängen Jean Pauls entstandenen Vorrede zu einem überflüssigen 0 (JW VI, 95–130). Taschenbuch für das Jahr 1800 198 Zum Unabhängigkeitsdrang Schoppes und seiner »göttliche[n] Freiheit« vgl. auch seine Selbstcharakterisierung: »›Hast bisher so lange gelebt und die reichsten Ladungen leicht ins Wasser geworfen, sogar diese und die zweite Welt, und dich von allem, und von Ruhm und von Büchern und Herzen so rein entkleidet und hast nichts behalten als dich selber, um damit frei und nackt und kalt auf der Kugel zu stehen vor der Sonne‹« (T 699).

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als Feind jedes höfischen Zeremoniells (T 27), von Etikette und Ritualen ebenso wie von Glücks- und Falschspielerei (T 186) und von Unsittlichkeit aller Art. Dank einer kleinen väterlichen Erbschaft enthält sich Schoppe auch aller subsistenzsichernden Lohnarbeit und hat diese, wie er berichtet, lieber durch unsinnige oder überflüssige Betätigungen als »Schnepfendrecksammler«, als Schreiber letzter Worte für Totgeweihte oder als »Notenpult im Musikregiment« humoristisch ad absurdum geführt (T 235 f.). Auch seine jetzige Beschäftigung als Begleiter und Erzieher Albanos, der Hauptfigur des Titan, dessen Entwicklung zu einem harmonisch alle Kräfte ausbildenden, ›vielkräftigen‹ ›hohen‹ Menschen geschildert wird, läßt ihn seine Unabhängigkeit nicht aufgeben. Denn er akzeptiert hierfür weder eine Bezahlung, noch geht er selbst eine Verpflichtung ein. Vielmehr stellt er nur zufällige unbestimmte Dienste in Aussicht.199 – Als größte Freiheitsgefährdung erscheint Schoppe jedoch sein eigener Körper. Denn durch ihn ist er unvermeidlich in die Sphäre der natürlichen Notwendigkeit eingelassen. Regelmäßige kalte Bäder, sommers wie winters, und Enthaltsamkeit in allen Dingen sollen daher seine körperliche Gesundheit fördern, um die Abhängigkeit vom Körper wenigstens möglichst gering zu halten (T 235). – Zu Schoppes Freiheits- und Wahrheitsenthusiasmus gehört schließlich auch, daß er gleichsam als radikaler Aufklärer ebenso gegen jeden Aberglauben ficht, der geheime geistige Kräfte in der Natur annimmt, statt eine rein natürlich-physikalische Erklärung aller irdischen Vorgänge zu suchen. Schoppes strenger Dualismus von Geist und Natur geht mithin auch im Titan mit der Annahme einer im theoretischen Erkennen der Welt strengen Immanenz rationaler Begründungen einher (vgl. T 396). Daher bestreitet er im Gegensatz zu anderen Figuren im Roman jede höhere, sich in und durch Natur manifestierende zweckgeleitet-vorsehende Einwirkung des ›Geisterreichs‹, weshalb ihm nie gelingt, für die vermeintliche Erhabenheit von Naturerscheinungen so feierliche Worte oder Gebärden zu finden wie Jean Pauls ›hohe Menschen‹ (T 24).200 Um seiner gänzlichen Freiheit willen, behandelt Schoppe sogar die Liebe, das für Jean Pauls ›hohe Menschen‹ wie für Siebenkäs höchste Erscheinen des Geistig-Unbedingten im Endlichen, humoristisch, zeigt »Intoleranz« gegen »die weiblichen Heiligenbilder von Hausenblase«, gegen »die sanften Irrungen des Herzens« und »die heili-

199

Auch seine vermeintlich Tätigkeit als ›Bibliothekar‹ widerspricht dem nicht, ist Schoppe genaugenommen, so klärt der Roman auf, ebenso nur ›Titularbibliothekar‹ (T 238). 200 Dieser aus dem radikalen Dualismus entspringenden humoristischen Weltimmanenz korrespondiert wiederum eine tragische. In diesem Sinne heißt es nämlich vom ›Stoiker‹, daß er dem körperlichen Weinen nicht abgeneigt gewesen sei, sondern sich im Irdischen konsequent und gleichsam absolut darauf einlassen könne, wenn nur der davon ganz getrennte Geist dahinter tränenlos blieb: »Es ist echte Trostlosigkeit, sagt‹ er [der Stoiker], Trost zu wünschen und anzunehmen; warum will man denn nicht einmal den Schmerz rein durchdauern ohne alle Arzenei?« (T 460)

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gen Übertreibungen, durch welche der Mensch ins kurze Leben eine noch kürzere Freude einwebt« (T 318). Die »Flammen der Liebe« löscht er »mit satirischer Galle« aus (T 320). Zwar ist er Albano in Freundschaft und freundschaftlicher Liebe zugetan, doch zeigt er auch davon nichts (T 233). Seine »Brusthöhle« bleibt zunächst auch ihm gegenüber verschlossen und hinter der humoristischen Laune verborgen (T 237). Schoppe fehlt es, erinnert sei an Jean Pauls Urteil über die stoische und Kantische Ethik, an praktizierter konkreter Liebe. – Struktureller Hintergrund dieser Konstellation ist ganz offensichtlich die Selbstreflexivität der satirisch-vernichtenden Nachahmung von irdischen Werten, Handlungen und Meinungen, die nach ›Jean Pauls‹ Beschreibung dazu führt, daß Schoppe gewöhnlich »mit komischem Humor« anfängt, aber »mit tragischem« schließt. Denn am Ende sieht er eben nicht nur mit »Ergrimmung und lachender Kümmernis« »den ewigen, zwingenden, kleinlichen, von Zwecken und Freuden verirrten, betäubten schweren Wahnsinn des Menschengeschlechts«, sondern zudem seinen eigenen. Weil auch er sich selbst nurmehr als Teil dieser rein irdischen Menschheit betrachtet, erscheint ihm auch die Nichtigkeit seines bestimmten satirischen Ingrimms (T 228). Die endliche Welt als ganze, auch darin gleichen sich die Charakterisierungen in Siebenkäss und Titan, verfällt mithin seiner humoristischen Vernichtung und bleibt allein als leerer, zugleich sich jedoch wahnhaft als real gebärdender Schein der humoristischen Inszenierung erhalten. Durch die Relativierung des sittlichen Ingrimms jedoch ist dieser Wahn – hier liegt die Gefährdung des Humors – für die irdische Welt selbst als bloß irdische genommen und fürr Schoppe, sobaldd er sich ganzz und ausschließlichh auf sie in ihrer vernichtenden Nachahmung einläßt, nicht mehr als Wahn und als Nachahmung erkennbar. In einer berühmten, die Nichtigkeitsdiagnose meisterhaft darstellenden Szene des Titan, die als Schlüsselszene für den Schoppeschen Typ humoristischer Kritik und der in ihr wirkenden philosophischen Intentionen gelten darf und daher hier ausführlich zitiert sei, erscheint Schoppe auf einem Maskenball mit einem großen Glaskasten auf dem Bauch. Bekleidet ist er mit einem geliehenen schwarzen Leichenmantel, den er »von der Achsel bis auf das Schienbein mit greulichen Masken besetzt« hat. Seine im Glaskasten plazierte Puppen-Redoute läßt er mit der großen tanzenden Maskenballgesellschaft im ›Hopsen‹ konkurrieren in der Absicht einer vergleichenden Anatomie eines mutmaßlichen Parallelismus beider Maskeraden: »kleine Stummen [sic!] schwenkten im Kasten ihr Glöcklein – ein ziemlich erwachsenes Kind schüttelte die Wiege eines unbelebten Püppchens, womit das Närrchen noch spielte – ein Mechanikus arbeitete an seiner Sprachmaschine, durch welche er der Welt zeigen wollte, wie weit bloßer Mechanismus dem Leben der Puppen nachkommen könne – eine lebendige weiße Maus sprang an einem Kettchen und hätte viele vom Klub umgeworfen, falls sie es zerrissen hätte – ein lebendiger eingesagter Star, eine wahre erste griechische Komödie und Läster-

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schule im kleinen, verübte an der Tanzgesellschaft den Zungentotschlag ganz frei und distiguierte nicht – eine Spiegelwand ahmte die lebendigen Szenen des Kastens täuschend nach, so daß jeder die Bilder für wahre Puppen nahm. Auf Albano traf die Schneide dieses kosmisch-tragischen Dolches senkrecht genug, da ihm ohnehin das hüpfende Wachsfigurenkabinett der großen Redoute die Einsamkeit des Menschen zu verdoppeln und zwei Ichs durch vier Gesichter zu trennen schien; aber Schoppe ging weiter.« Denn dieser nimmt schließlich auch seine eigene Maske »herab – aber eine Unterzieh-Maske saß darunter – er zog diese aus – eine Unterzieh-Maske der Unterzieh-Maske erschien – er triebs fort bis zur fünften Potenz – endlich fuhr sein eignes köckeriges Gesicht hervor, aber mit Goldschlägergold bronziert und sich gegen Bouverot fast fürchterlich-gleißend und lächelnd verziehend.« (T 244) Diese Szene führt nicht nur erstens die vollständige Auflösung der Wirklichkeit und ihre Verwandlung in reinen Schein vor Augen durch mannigfaltige Reflexions- und potenzierte Spiegelungsbewegungen 201: Die Wirklichkeit ist selbst bereits ein Maskenball und wird von Puppen, die wiederum mit Puppen spielen und an ihnen arbeiten, nachgeahmt; die ganze Puppenszene verdoppelt sich schließlich ihrerseits sogar nochmals in einer ›Spiegelwand‹, deren Spiegelbilder jedoch vom Publikum für eigentlich lebendig genommen werden. Entscheidend ist dabei ein zweites Moment, das die Interpretation der Claviss bestätigt, daß für Jean Paul wie schon für Jacobi das eigentlich entscheidende Problem die mechanistische, auf der effizienten Kausalität bzw. dem logischen Grund beruhende Weltsicht und das in ihr ausgeschlossene zweckbestimmte Handeln des Menschen darstellt: Wie die Puppen mechanisch hopsen, so hopsen auch die Menschen. Das Lebendige im Menschen – sein ›Geist‹ – ist wie die Maus im Glaskasten in einer toten Apparatur eingesargt. Denn drittens ist es wiederum die Einsamkeit des lebendigen Individuums, die Albano spürt, und der Verlust aller personalen Identität, die das Maskenspiel Schoppes vorführt, die den finalen Gesichtspunkt bilden. Welche Maske man letztlich trägt – und hier ist unbedingt an die traditionelle Verbindung von Maske und ›Person‹ im antiken Theater zu denken –, welchen Namen man führt, ist in einer solchen Welt vollkommen unerheblich. Das Gesicht kann für Schoppe

201

Zum Motiv der Spiegelung in Jean Pauls philosophischer Kritik vgl. auch: »Für die mathematischen Unendlichkeiten […] giebts keine metaphysische Auflösung. Nim einen unendlich großen Spiegel und noch einen – aber bei der unendlichen Theilbarkeit reichen 2 endliche zu – jeder repetiert die Gallerie des andern, dieser sich und das Repetierwerk, jener das Repetierwerk des Rep., dieser das R. des R. des R. – kurz eine Unendlichkeit von Unendlichkeiten. Wären diese nicht wirklich, sondern in der Vernunft, welche Systeme würden die hohlen Anagrammatiker der Natur in diese werfen! Der Teufel hohle das Volk, und ich wollte, ich könnte jenen spielen!« (Brief Jean Pauls an Jacobi vom 22.12.-26.12.1799 [JPSW III/3, 266])

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innerhalb einer rein mechanischen Ordnung nicht zum Spiegel der Seele werden, sondern bleibt bloße Maske. Verbindet Jean Paul diese Szenerie am Ende unmittelbar mit einer zeitgleich stattfindenden Beerdigung, bestätigt dieser Verweis schließlich viertens erneut, ebenso wie Schoppes Auftritt im ›Leichenmantel‹, daß auch die vielerorts in seinem Werk präsente Todesproblematik als schärfste Infragestellung von Realität und Wert der empirischen Welt ihren sachlich-philosophischen Ort in der Frage nach der Wirklichkeit individuellen personalen Daseins hat, der Tod mithin relevant ist vor allem als radikalste Negation der konkreten Individualitätt eines Menschen als genuin gemischtess Wesen – gemischt aus sittlicher Unendlichkeit und natürlicher Endlichkeit.202 * Ortlosigkeit in der Welt angesichts ihrer Nichtigkeit ist, so sahen wir, zunächst ein Hauptzug Schoppes. Folgerichtig ist er auch in der Handlung der zwei ersten Bücher des Titan kaum anwesend und wenn doch, bleibt er ein Fremdling. Sein Auftritt beschränkt sich zumeist auf die Rolle eines rein negativen Korrektivs für alle ›Einkräftigkeiten‹, denen zu erliegen Albano Gefahr läuft. Eine Geschichte ist von Schoppe, hierin ähnelt er Fibel, anfänglich nicht zu erzählen. – Daneben fehlt ihm zunächst im Gegensatz zur Zeichnung Leibgebers in der Claviss tatsächlich auch die ausdrückliche Markierung als Fichtianer.203 Zwar sind deutliche Dispositionen und Übereinstimmungen der Sache nach bereits vorhanden. Leicht sichtbar werden sie wiederum insbesondere dann, wenn man die Verhältnisse des Jacobischen ›Spinoza-Antispinoza‹, seine Kantinterpretation sowie die These von der Wissenschaftslehre als umgekehrten Spinozismus vor Augen hat. Dies betrifft das mechanistische Weltbild, das Schoppe ebenso humoristisch affirmiert wie er an ihm leidet. Denn dieses bleibt zugleich auch bei Fichte wenigstens in der theoretischen Wissenschaftslehre in Kraft und muß, wie gesehen, nach Jacobi, gleichsam als Diagnose eines Mechanismus der reinen egologischen Vernunft, sogar auf die ganze Wissenschaftslehre ausgedehnt werden. Die sachliche Nähe LeibgeberSchoppes betrifft damit in der Tat zugleich auch die poetische Technik reflexiver humoristischer Nach-Konstruktion dieser Welt einerseits und die Konstitution der erkennbaren Welt in der Vorstellung durch die produktive Einbildungskraft in der

202

Vgl. »Das Paradebeispiel für das Grauen vor der reinen Körperlichkeit als dem fremden Geist, vor der Gestalt ohne Stimme und nicht vor der Stimme, ist der Leichnam eines Menschen. Nicht die Angst vor dem Sterben, sondern die Tatsache, daß hier ein Körper ohne sein eigentliches Ich ist, ruft das Grauen hervor; nicht das Ich, der Körper, der reine ›Mich‹ sozusagen, ängstigt.« (Kiermeier [1980], 177) 203 Stattdessen sind andere traditionelle Markierungen deutlich, wie die des Melancholikers (vgl. Wölfel (2000/2001), 318 f.).

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theoretischen Wissenschaftslehre andererseits. Anknüpfungspunkte bestehen ebenso im Dualismus von Geist und Körper, der zugleich ein Dualismus von praktischer Tätigkeit und theoretisch-rationaler Erkenntnis ist, sowie schließlich in der Tendenz zu einem letztlich abstrakten Begriff der Freiheit als einer schlechthinnigen Unbedingtheit und absoluten Unabhängigkeit von allen unmittelbar bestimmten nichtvernünftigen Antrieben, nicht nur den sinnlichen, sondern auch von vermeintlich übersinnlichen. Ohne Zweifel ist es aber erst Jean Pauls intensivierter Beschäftigung mit der Wissenschaftslehre, seinem Austausch mit Jacobi und seiner Absicht, selbst in den Atheismusstreit um Fichte bzw. in dessen Auseinandersetzung mit Jacobi einzugreifen, geschuldet, daß sich die Behandlung Schoppes zum Ende des dritten Bandes ändert. Auch mag dazu schließlich noch Jacobis Kritik am Konzept der ersten beiden Bücher des Titan beigetragen haben.204 Allerdings kommen dabei weder wesentliche Motive und Eigenschaften hinzu, noch unterliegt Schoppe einer seinem Charakter fremden Instrumentalisierung durch ›Jean Paul‹. Dies war, so sahen wir, aufgrund des doppelsinnigen Spieles von vorgeblichen und tatsächlichen Intentionen und deren Beibehaltung durch ›Jean Paul‹ letztlich auch nicht in der Claviss der Fall, als dieser Leibgebers ›Urfassung‹ umstellte und die Verfassung ihres Autors strategisch geleitet umdeutete. Vielmehr gewinnen die in Schoppes humoristischer Lebensform konstitutiven Motive nunmehr auch im Roman weiter an doppelsinniger Kontur. Denn zwei ganz unterschiedliche ihm als Bedrohungen der humoristischen Freiheit erscheinende, dem Humor, recht besehen, zugleich aber selbst einwohnende Ereignisse oder Tendenzen werden nunmehr von Jean Paul im Handlungsgeschehen um Schoppe eingehend thematisiert und zugespitzt. Zusammengenommen führen sie in ihrer begrifflich unversöhnbaren Widersprüchlichkeit zunächst zur Konsequenterstellung der eigenen Position als absichtlich angenommener Wahn, mithin zum Übertritt Schoppes zum Fichtianismus. In der Folge resultiert aus ihnen dann aber auch die Pathologisierung des inszenierten Irrsinns und mit Schoppes Tod das Scheitern seines abstrakten, reinen Freiheitsbegriffes.205 Zugleich, so werden wir

204

Vgl. Jacobis Brief an Jean Paul vom 3.9.1800 (JNach I, 279 f.). Inwiefern Jean Pauls Kritik an Fichte letztlich in zentraler Weise auf dessen Freiheitsbegriff zielt, zeigt auch ein Brief Jean Pauls an Jacobi, in dem er bei Fichte eine Verwechslung des allgemeinen Begriffs mit der ihm zugrundeliegenden Wirklichkeit der Freiheit diagnostiziert: »Fichte sol uns doch«, so Jean Pauls stichwortartige Entgegnung, »erst – ohne Machtspruch beweisen, daß das Gedachte und Denkende je eins sei, und daß sich das Subjekt ganz denke und als ein Ob-Subjekt werde. Die Freiheit macht den Begriff, aber sie ist doch nicht er, die Ursache nicht die Wirkung«; indem Fichte die vermeintliche Freiheit ins unendliche Ich, nicht ins individuelle verlege, leugne er sie eigentlich (Brief Jean Pauls an Jacobi vom 21.2.-6.3.1800 [JPSW III/3, 299]). 205

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sehen, ist der Tod Schoppes jedoch nicht seinem Scheitern einfach gleichzusetzen. Denn in der aus der Claviss bekannten Doppelsinnigkeit der Jean Paulschen Motive ist mit ihm ebenso seine ›Auferstehung‹, die aufgrund seiner Natur nur die Auferstehung als Humorist sein kann, und die Wiedergewinnung der Transzendenz verbunden. – Bei den beiden Ereignissen, die diese Entwicklung herbeiführen und damit die intern spannungsreiche Verfassung des Humors – der fundamentalen philosophischen Perspektive des praktischen Daseins des Einzelnen ganz gemäß – in eine Geschichtee umsetzen, handelt es sich zum einen um die nunmehr ernsthafte und wirkliche Konfrontation Schoppes mit den Forderungen wahrer Liebe und Freundschaft. Wie gegenläufig sich der Ernst seiner neuentdeckten konkreten, d. h. innerweltlichen Liebe zu der im Humor liegenden gänzlichen Weltvernichtung verhält, zeigt dabei bereits Schoppes eher unfreiwilligee Komik, als er Albano von seinem Gefühl berichtet: »›Was ist, Schoppe?‹ fragte sein Freund. Er drehte sich um, sah ihn starr an und sagte, die Gesichtshaut auseinander ringelnd, wie einer, der sich die Zähne putzt, und die Oberlippe aufziehend, wie ein Knabe, der in ein Butterbrot beißet: ›Ich liebe‹ und lief im Feuer die Stube auf und ab, klagend dabei, daß er noch so etwas an sich erleben müsse in seinen ältesten Tagen.« (T 518) Im Gegensatz zu früheren Gelegenheiten gelingt es diesmal Schoppe tatsächlich nämlich nicht, seine Liebe humoristisch zu behandeln und damit aufzuheben bzw. wie im Falle seiner Zuneigung zu Albano weiterhin eher im Verborgenen zu halten. Denn um mit Hilfe seiner Angebeteten den Freund Albano von Krankheit und Tod zu retten, muß Schoppe seine absolute Freiheit suspendieren und sich der Nähe seiner Angebeteten und damit seinem Gefühl stellen (T 545 f.).206 – Recht besehen lag das Dilemma Schoppes bereits aber in der humoristischen Negation des ›moralischen Ingrimms‹ vor, die diesen genauso relativierte wie absolut (noch als Maßstab seiner Selbstrelativierung) voraussetzte. Zur gleichen Zeit, wie er sich verliebt, wird Schoppe zum anderen von einem Unbekannten, der wie ein Totenkopf gänzlich kahl und von eiserner Miene ist – der Verkörperung der sinnlich-mechanistischen Weltsicht –, prophezeit, binnen 15 Monaten wahnsinnig zu werden (T 520). Schoppe nimmt diese eigentlich substanzlose Ankündigung überraschenderweise für real. Seine Freiheit erscheint ihm selbst somit nunmehr besonders intensiv auch durch eine fremde äußere Macht, durch die materialistisch-körperliche Notwendigkeit bedroht.207 – Doch auch dies

206

Aufschlußreich, weil den ursprünglichen Unendlichkeitsbezug des Humors anzeigend, ist der Umstand, daß Schoppes erste ätherisch bleibende Liebe zur Mutter der jetzt Angebeteten allererst dazu führte, daß er zu einem »Paradiesvogel« wuchs und, um der Hoffnung willen, ihr leibhaftig begegnen zu dürfen, die Portraitmalerei, d. i. das Kennzeichen seiner humoristischen Weltverdopplung, lernte (T 702). 207 Inwieweit sich dabei die absichtliche Flucht in den Wahn wirklich aus der Angst vor dem Materialismus ergibt, zeigt zudem ein nicht unwesentlicher Nebenumstand: Auch Schoppes

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lag bereits in der vernichtenden Selbstreflexivität des Humors, die den Humoristen den von ihm diagnostizierten Wahn der Endlichkeit als eigenen erkennen ließ. Da beide Ereignisse also die Grundstruktur des Humors selbst sinnlich-narrativ vorführen, verweisen beide Bedrohungensszenarien nicht nur sachlich, sondern auch auf der Handlungsebene aufeinander. Durch die konkrete Aktualisierung von Liebe und Freundschaft, d. h. von Sittlichkeit, ist Schoppe in die empirische Welt involviert, die er jedoch zugleich aufgrund seines strengen, abstrakten Dualismus von unbedingter Freiheit und irdisch-mechanistischer Bestimmung nur als rein sinnlich-natürliche Sphäre auffassen kann. Nur weil er sich verliebt, macht er sich m. a. W. auch die Prophezeiung des ›Kahlkopfs‹ als ernstzunehmende zu eigen, die schließlich in der weiteren Historie zu seiner tatsächlichen Selbstentfremdung führt.208 Daher konfrontiert gerade die Szene, in der Schoppe für Liebe und Freundschaft seine Freiheit für (vorübergehend) aufgegeben erachtet und sie zugleich noch als eine ›überirdische‹, nicht aktualisierte anerkennt, ihn in aller Schärfe mit dem seinen Verfall bestimmenden Motiv der Selberbespiegelung, bei der es dem Ich nicht gelingt, seine Einheit zu behaupten: »›Müsset ihr mich stören, ihr Ichs?‹ sagt’ er, und legte sich’s nun vor, wie er stehe vor der reichsten, hellsten Minute und feinsten Goldwaage seines Daseins, wie ein Grab und ein großes Leben liege auf dieser Waage, und wie sein Ich ihm schwinden müsse wie die nachgemachten gläsernen Ichs umher.« (T 546)209 Inszenierte Schoppe zuvor die Welt in Maskenspielen oder der Puppen-Redoute im Glaskasten, so ist er jetzt zunehmend in ihren Schein selbst ganz involviert;210 er

finanzielle Unabhängigkeit ist bedroht durch das Ende des väterlichen Erbes. Daher sieht er den selbstgewählten Wahnsinn ebenso als die einzige Alternative zur Knechtschaft von Lohnarbeit oder Wohltätigkeit, jedenfalls der ›Herrschaft des Magens‹ (T 692). 208 Jean Pauls Überlegung ähnelt mithin Jacobis auf den ersten Blick irritierender Behauptung, daß aufgrund der Formalität des reinen sittlichen Willens, d. i. des abstrakten Gegensatzes von geistiger Form und sinnlichem Gehalt, Kants Ethik bezogen auf die wirkliche konkretee Willensbestimmung einen bloßen Eudaimonismus darstelle. Dies bestätigt eine Bemerkung in der Clavis, wonach der »moralische Egoismus« »mit dem transzendenten mehr verschwägert [sei], als der edle Fichte errät, da jener wie dieser nicht weiter zählt als bis eins, höchstens bis zur Dyadik, nämlich zum Sich und Nicht-Sich oder dem Teufel« (Cl 1031). – Dazu paßt schließlich auch, daß die Prophezeiung von Schoppes Wahn, genau betrachtet, selbst einen unmittelbaren Bezug zum Sittlichen hat. Ihr zugrunde liegt nämlich, so erklärt der ›Kahlkopf‹ ausdrücklich, die Unterstellung einer bisher unentdeckten »verruchte[n] Tat« Schoppes (T 774). Daher spielen schließlich auch »Gewissensbisse« Schoppes über seine vermeintliche Ermordung des ›Kahlkopfs‹ eine nicht unwesentliche Rolle für das Pathologischwerden des zunächst absichtlich angenommenen Irrsinns (T 773). 209 Vgl. auch: Schoppe steht »auf dem Markte, ganz allein, mit sich selber im Mokierspiele begriffen, um ein treues starkes Herz zu stillen, das verschmerzen will und lieben.« (T 561) 210 Es sei noch einmal wiederholt: Das Umschlagen der Verfassung Schoppes bleibt aus prinzipiellen Überlegungen heraus begrifflich grundlos. Die Erzählung spielt vielmehr konsequent

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scheint sich in Spiegel- und Wachsfigurenkabinetten vor den Abbildern seiner körperlichen Erscheinungen wirklich zu ängstigen, die, weil ihm die sinnliche Existenz nunmehr als Substantialität des Ich erscheint, als Vervielfältigungen des Ich selbst verstanden werden. Daher ekelt ihm, als sittlich Unbedingtem, vor seinem nun rein körperlich-endlichen, irdisch-vergänglichen Ich (vgl. T 546). Seinen Körper vermag Schoppe nicht als seinen ›Leib‹ zu erkennen: »Mitten in der Gesellschaft hab’ der Bibliothekar [Schoppe] seine Hände angesehen mit den Worten: ›Da sitzt ein Herr leibhaftig und ich in ihm, wer ist aber solcher?‹« (T 688 f.) In der allein sich selbst gehaltenen »Kasualpredigt«, die den Nihilismus der Christus-Redee zitiert, kennt er daher nur noch die Verheißung »einer Himmelfahrt ins zukünftige Nichts, in dem Tode nach dem Tode […], in einer ewigen Befreiung vom Ich« (T 690). Allerdings ist – analog zur Doppelsinnigkeit zwischen vorgeblicher und wirklicher Intention des Beweises des Wahnsinns der Wissenschaftslehre in der »Clavis« – zumeist nicht zweifelsfrei auszumachen,211 ob dieses Verhalten Schoppes den Ausdruck absichtlichen oder krankhaften Wahns darstellt. Denn auf die intensiver erfahrene äußere Bedrohung reagiert Schoppe zunächst noch immer ganz humoristisch mit ihrer Internalisierung, also mit der Aktualisierung seines humoristischen Verfahrens, das ihn von Anfang an charakterisiert hat: Er kündigt seine »Einspinnung und Verpuppung«, seinen endgültigen Rückzug von der Welt an (T 692) und entschließt sich, freiwillig wahnsinnig zu werden. Er will von Sinnen und von Verstande kommen und zum Scherz für eine gewisse Zeit im Irrenhaus bleiben, um so der Notwendigkeit zu entgehen. Im Namen der Freiheit wendet er sich, dies verbindet seine humoristische Reaktion unmittelbar mit Fichte, gegen die Abhängigkeit von der sinnlichen Welt, indem er sie durch ihre ideale Nachahmung, die sich als eigentliche Wirklichkeit versteht, entsubstantialisiert: »Wer irgend etwas noch fürchtet im Universum, und wär’ es die Hölle, der ist noch ein Sklave […] ich will das haben, was ich fürchtete […] Ich muß nun besonders meine Anstalten treffen, daß ich einen liebreichen favorablen Fix-Wahn finde und anerkenne, der gut mit mir umgeht. Kann ich’s dahin bringen, etwan der erste Mensch zu sein im irrigen Hause […] – oder gar das Universum – oder gar der Weltgeist selber: so ist allerdings mein Glück gemacht und dem LebensSkorpion der ganze Stachel weggeschlagen.« »[W]ie ein Philosoph« will Schoppe im Traum des (fingierten) Wahns »alles mach[en], was er denkt« (T 699 f.). – Damit wiederholt Schoppe zum einen die im vierten »Maestoso« beklagte Konsequenz

die Doppelsinnigkeit des Humors selbst durch, gleichsam einmal die gelingende (negative) Vermittlungsfunktion des Humors aus der vernünftigen Perspektive betrachtend, ein andermal die Aktualisierung seiner Gefährdung in der Betrachtung des Humors durch die ebenso in ihm liegende bloß verständige Perspektive selbst. 211 Noch nach Schoppes Tod mag Siebenkäs in diesem Sinne kaum die Nachricht von dessen zuletzt auftretendem pathologischen Wahn glauben, »weil der Tote so oft in seinen schönsten Momenten auf ähnliche Weise verkannt worden« sei (T 802).

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des Solipsismus des absolut verstandenen Ich (vgl. T 692) und den in den Leibgeberismus führenden Rat, daß ein konsequenter Fichtianismus außer dem absoluten Ich nichts bestehen lassen dürfe. Dem entspricht, daß Schoppe im fingierten Wahn, das absolute Ich zu sein, alle Spiegel in der Irrenanstalt zerschlägt, was deren Direktor ausdrücklich als folgerichtigen Akt versteht (T 776). Zugleich reproduziert Schoppe zweitens mit dem Gedanken der ›Erlösung vom Ich‹ aber auch die in der »Clavis« vorgetragene Kritik an der Selbstwidersprüchlichkeit des Begriffss des absoluten Ich, insofern sowohl die Struktur von Ichheit als in sich unterschiedenes Subjekt-Objekt bei Fichte als auch Fichtes Individuierung von Ichsein durch die körperliche Beschaffenheit der Absolutheitt des Ich widerstreitet. Für ein stabiles und bestimmtes Ich, das seine beiden Momente, Endlichkeit und Unendlichkeit, Körper und Geist, vereinigen kann, bedarf es, so hebt auch der Titan hervor, eines Dritten, das selbst nicht vom Ich konstituiert wird, d. h. letztlich Gottes, der gerade darum selbst kein Ich sein kann. »Gott gebe nur, daß Gott selber niemals zu sich sagt: Ich! Das Universum zitterte auseinander, glaub’ ich, denn Gott findet keine dritte Hand.« (T 784) Daher kann das Ich, richtig verstanden, nach Jean Paul (wie nach Jacobi) selbst nie absolut sein. Doch ist das Motiv von Schoppes Angst und Fremdheit vor dem substantiellmateriell charakterisierten Ich neuerlich wie das Schillern des wirklichen Ich zwischen reinem und empirischem Ich in der »Clavis« selbst noch einmal doppelsinnig besetzt. Schoppes Reaktion besteht nämlich nicht nur in der idealistischen Auflösung des substantiell-körperlichen Ichs in eine vom reinen Ich (unbewußt) hervorgebrachte Vorstellung. Vielmehr identifiziert Schoppe nämlich zudem das körperlich-substantielle mit dem reinen transzendentalen Ich in der Figur des »reinen, intellektuellen Mich« (T 767), dessen leibhaftiges Erscheinen er fürchtet. Wiederum schließt Jean Pauls Text mit dieser Wendung an Jacobis Diagnose an, daß Spinozismus und Transzendentalphilosophie gemeinsam ist, letztlich einee Struktur systemischer Einheit auszudrücken, die der lebendigen konkreten Existenz des sittlichen Ich widerspricht, die empirische Welt mithin zum bloßen Epiphänomen, zum Bild in einer philosophischen »camera obscura« (T 689) macht.212 So herum aufgefaßt, fürchtet Schoppe um seine wirkliche, individuelle Existenz durch die

212

Dabei stellt diese Struktur zudem für Jean Paul noch nicht einmal das wahrhaft positive Unendliche dar, sondern auch sie gebärdet sich als eigentlich endliche nur als solches. Vielmehr sei das Prinzip der idealistischen Philosophie, das absolute Ich, so argumentierte wie gesehen die Clavis, selbst nur die Abstraktion und leerbleibende Vorstellung von einem realen individuellen Ich. – Mit dem Verdacht, daß das Ich der Wissenschaftslehre letztlich ein empirisches (ja Fichtes eigenes) ist, steht Jean Paul im übrigen keineswegs alleine. Friedrich Schlegel teilt diesen Gedanken bspw. ebenso (Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe XVIII, 508). Gleiches gilt auch für Reinhold, dessen Nachweis in den Ideen zu einer Heautonomie oder natürlichen Geschichte der reinen Ichheit, genannt, reine, Vernunftt Jean Paul 1801 ausführlich exzerpiert.

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Auflösung im »reinen Mich«, dem er darum konsequenterweise seinen »Namen« durch ständigen Wechsel zu verbergen sucht (T 767). Denn wird der ›reine Mich‹ mehr als für eine bloße Abstraktion genommen, erscheint er also »leibhaftig«, verliert das bestimmte Ich seine Realität und Selbständigkeit vor ihm. Auch die Inszenierung von Schoppes Tod bleibt letztlich in der Doppelsinnigkeit der narrativen Kritik der Fichteschen Begriffe als Darstellung des Scheiterns Schoppes und ihrer ›unphilosophischen‹ Transzendierung zum ›höheren Ernst‹ der ›zweiten Welt‹, d. h. der Deutung von Schoppes Tod im Sinne seiner ›Erlösung‹ und ›Auferstehung‹. Denn Schoppe stirbt beim Zusammentreffen mit seinem alten Freund und alter ego Siebenkäs, das sich während des neuerlichen Kampfes mit seinem alten materialistischen Todfeind, dem »Kahlkopf«, ereignet. Insofern Schoppe Siebenkäs für die befürchtete leibhaftige Erscheinung des ›reinen Mich‹ hält, tötet ihn, seiner eigenen Vorausdeutung entsprechend (vgl. T 767), das bloße Zusammentreffen selbst: »Schoppe schauete sich endlich um. Der schreitende Abguß seiner Gestalt bewegte sich her – das Feuerauge in der Hand stieg in das Gesicht – die IchsLarve war grün gekleidet. – ›Böser Geist, ich bin doch in der Ohrenbeichte, du kannst nicht her, ich bin heilig‹, rief der Spanier [d. i. der »Kahlkopf«] und faßte Schoppen. Ihn faßte der Hund [Schoppes]. Schoppe starrte die grüne Gestalt an – der Degen entfiel ihm. ›Mein Schoppe,‹ (rief sie) ›ich suche dich, kennst du mich nicht?‹ ›Lange genug! Du bist der alte Ich – nur her mit deinem Gesicht an meins und mache das dumme Sein kalt‹, rief Schoppe mit letzter Mannes-Kraft. ›Ich bin Siebenkäs‹, sagte das Ebenbild zärtlich und trat ganz nahe. – ›Ich auch, Ich gleich Ich‹, sagt’ er noch leise, aber dann brach der überwältigte Mensch zusammen, und dieser reinigende Sturm wurde ein seufzendes, stilles Lüftchen. Mit weiß werdendem Gesicht, krampfhaft sich selber die starren Augen zuziehend, stürzte er um, die spielenden Finger schienen den Hund noch anzulocken, und die Lippen wollten sich zu einem Spottwort spitzen, das sie nicht sagten. – Sein Freund Siebenkäs, der nichts erraten konnte, hob weinend die kalte, festgeschlossene Hand an sein Herz, an seinen Mund und rief: ›Bruder, blick auf, dein alter Freund aus Vaduz steht ja neben dir und sieht dich in der Todesnot, er sagt dir tausend Lebewohl, Lebewohl!‹ – Da schien durch die dem Leben noch offenen Ohren ins brennende Herz noch süße Töne der alten lieben Zeit und heitere Träume der ewigen Liebe zu führen – der Mund fing ein kleines Lächeln an, von Lust und Tod zugleich gezogen – die breite Brust stieg noch einmal voll auf zu einem frohen Seufzer – es war der letzte seines Lebens, und lächelnd blieb der Verstorbne auf der Erde zurück.« Einerseits erscheint Schoppes Tod als Untergang des Individuums durch die Begegnung mit dem allgemeinen »reinen Mich« und damit als die finale Verwirklichung

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von Jean Pauls These von der Aufhebung alles Bestimmten vor der Absolutheit des ›alleinphilosophischen‹ Prinzips. Dabei ist letztlich gleich, ob der ›reine Mich‹ dabei gedeutet wird als transzendentales absolutes Ich oder aufgrund der Identifizierung mit der Körperlichkeit Schoppes als substantielles oder materielles Prinzip. Andererseits läßt sich aber umgekehrt Schoppes Tod auch so verstehen, daß gerade sein idealistisches Ich-Konzept, das vom Wunsch nach absoluter Befreiung von Körperlichkeit und Endlichkeit geleitet war und ihn selbst zum reinen Ich machte, in dem Maße als gescheitert anzusehen ist, wie er sein Ich doch wieder gestalthaft zu erfahren meint – und diese Gestalt sich nicht einfach durch das Zerschlagen von Spiegeln oder durch die Entlarvung des Bauchredners im Wachsfigurenkabinett als bloße Erscheinung bannen läßt. Denn sie wird schließlich im Sterben von Schoppe selbst – und dies ist die dritte und entscheidende Dimension dieser Szene – als Gestalt seines Freundes Siebenkäs erkannt. Die vermeintliche solipsistische Selbstverdopplung und Selbstspiegelung des Ich löst sich zuletzt also wunderbarerweise wenigstens für einen Moment noch auf in der Begegnung mit einem konkreten Du, in dem das Ich, sich im Anderen als Anderen real spiegelnd, sich allererst selbst findet.213 Ähnlich wie der Rahmen der ›Druckfassung‹ und der doppelsinnige humoristische Charakter der ›Urfassung‹ der »Clavis« gibt damit auch die Sterbeszene Schoppes neben der Konsequenterstellung und Kritik der Systemphilosophie Fichtes zudem kurz ebenso den Blick frei auf eine höhere metaphysische Realität und Jean Pauls eigene positive Position: Nicht nur stirbt auch Schoppe in der Kapelle, die in gleichzeitiger Anspielung auf seine eigenen Vernichtungsvisionen im Titan bzw. auf die Christus-Redee im Siebenkäss wie auf den religiös-praktischen Rahmen des ›Klosterhofes‹ in der »Clavis« der Ort des Scheiterns wie der Verklärung Schoppes ist. Vielmehr erkennt dieser sterbend auch – nicht mit dem Gesichtssinn, dem traditionellen Organ wissenschaftlich-sinnlicher Erkenntnis, sondern mit dem

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Insofern ist auch beim Doppelgängermotiv bei Jean Paul, wie in den unterschiedlichen Deutungen zwischen ›alleinphilosophischer‹ und ›unphilosophischer‹ Lesart entscheidender, auf den ersten Blick gleicher Figuren in Jacobis ›Spinoza‹ einerseits und in seinem ›Antispinoza‹ andererseits, eine gelingende von einer heillosen Variante zu unterscheiden: Schoppes Verdopplung, Spiegelung und Bildhaftigkeit im pathologisch werdenden Wahn bedeuten m. a. W. keineswegs die generelle Zurückweisung dieser Figuren: Diese gilt vielmehr nur für eine rein selbstreflexiv und insofern immanent bleibende Bewegung, die das Ich entweder als bloß unendliche Reflexion oder gleichsam als ›causa sui‹, als selbstbegründendes unmittelbares Subjekt-Objekt zu denken versucht. Demgegenüber gilt aber ebenso, wie Jean Paul in einem Brief vom 9.2.1795 an Emanuel bekennt, daß der Mensch sein Ich nur ›genieße‹, indem er es (in Briefen, Büchern, Reden oder Taten) verdoppelt, indem wir unsere Seele also vor fremden abbilden und »unsere innere Quellen gerade durch einen Abflus […] – vermehren« (JPSW III/2, 50). – Zum Doppelgängermotiv vgl. vor allem: Preaux (1986).

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musikalischen, überirdischen Sinn des Gehörs214 – letztlich doch »noch süße Töne der alten lieben Zeit und heitere Träume der ewigen Liebe«, so daß er mit einem »frohen Seufzer« und lächelnd stirbt (T 800).215 Doppelsinnig hatte er zuvor bereits auf Siebenkäs’ Ansprache, in der dieser sich als der konkrete alte Freund ›Siebenkäs‹ zu erkennen gibt, geantwortet, daß er ebenso Siebenkäs sei. Wie auch diese Reaktion nicht nur die wahnhafte Identifizierung anzeigt, sondern auch mit der Erinnerung seines eigenen Namens vor ihrem ersten Namenstausch und dabei mit seiner eigenen personalen Identität spielt, besteht seine Erlösung letztlich nicht, wie vom Idealisten Schoppe erwartet, in der ›Himmelfahrt ins Nichts‹ und damit in der Befreiung vom (bestimmten) Ich. Das ›Ich gleich Ich‹ des sterbenden Schoppe ist m. a. W. nur vordergründig dasjenige, das Fichte nach Jean Pauls Diagnose tatsächlich ausspricht, d. i. das Absolutsetzen des empirischen Ich, oder das er auszusprechen meint, d. i. das Setzen des absoluten Ich. Dagegen verwandelt es sich zuletzt unversehens zum Ausdruck für ein bestimmtes Ich, das in der Begegnung mit einem Du – und darin letztlich mit dem Göttlichen – das Vergängliche und Ewige in sich selbst zusammenzuhalten weiß.216

214

Vgl. hierzu den »Fünften Brief« im Abschnitt »Über das Träumen« in der Schrift Jean Pauls Briefe und bevorstehender Lebenslauff (1799), in dem Jean Paul gleichsam bereits eine Deutung von Schoppes Tod gibt: Wahnsinnige, Trunkene und Träumer, so heißt es dort nämlich, würden genau wie die Sterbenden »höhere, nur im Äther wallende Melodien«, die »rechte Sphärenmusik« hören, »die nicht durch die Ohren, sondern durchs Herz eindringen« (JPW I/4, 981). – Allerdings ist letztlich auch das Motiv des Musikalischen und des ›inneren Gehörs‹ ganz jeanpaulianisch in dem Maße selbst wieder doppelsinnig, wie Jean Paul auch die Stofflosigkeit der modernen (frühromantischen) Poesie in Analogie zur Musik setzt, insofern diese »ohne Sinn umherrinnend« scheint (V 423). 215 Bereits im Siebenkäss gibt der gleichnamige Protagonist eine Vorausdeutung von Leibgebers Ende, die ebenso die Erlösungsdimension betont: »›wenn mir nicht doch ahnete, daß ich dir bald einmal wieder begegnen werde; ich bin nicht wie du; ich hoffe zwei Wiedersehen, eines unten, eines oben. Wollte Gott, ich brächte dich auch zu einem Sterben wie du mich, und wir hätten dann unser Wiedersehen auf einem Bindlocher Berge, blieben aber länger zusammen!‹« (Sieb 534) 216 Margarete Schieder versucht sich, indem sie das Vorbild von Jacobis ›Spinoza-Antispinoza‹ übersieht, bei der Deutung von Schoppes Sterbeszene statt dessen dadurch zu helfen, daß sie die Realisierung des ›Ich gleich Ich‹ für das Göttliche bei Fichte und dieses zugleich für identisch mit dem Göttlichen Jean Pauls erklärt. Dadurch kann sie behaupten, daß das Zusammentreffen von Schoppe und Siebenkäs zunächst die Erfüllung der Fichteschen absoluten Tathandlung ist und Schoppe erst, indem er so die Dimension des Unendlichen wiedergewonnen hat, wieder begegnungs- und freundschaftsfähig wird, weil es hierzu eines Bezugs zur Göttlichkeit bedarf (Schieder [1969], 153). Schieder ignoriert dabei jedoch, daß Jean Pauls Verständnis des Göttlichen, in dem Maße, wie es sich an Jacobi anlehnt, mit dem Fichtes inkompatibel ist bzw. ihm innerhalb der Wissenschaftslehre als inkonsistent erscheint – gerade in der Formulierung »Ich bin Ich« aus § 1 der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehree (vgl. Jean Pauls Brief an Jacobi vom 9.4.1801: Fichte »sagte mir, er nehme über und außer dem absoluten Ich, worin ich bisher

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B. Jean Paul auf den Spuren Jacobis

Es ist mithin die wie bereits für die Claviss so auch bis zum Ende des Titan nachweisbare Doppelsinnigkeit der Jean Paulschen Motive – gerade im Blick auf den Humoristen –, die bewirkt, daß die Korrektur und Überbietung der Fichteschen Philosophie im Tod Schoppes trotz der Identifizierung des Fichtianers mit dem Humoristen dem ersten Augenschein entgegen nicht ebenso die Auslöschung des Humors bedeutet.217 Diese Beobachtung wird unterstützt durch die Charakterisierung des Verhältnisses von Siebenkäs und Leibgeber im Roman Siebenkäs. Denn nimmt man die Aussage Ernst, nach der beide ›eine Seele in zwei Körpern‹ bildeten, allerdings als ›ungleichnamige Pole‹, so verkörpern sie nur zusammen die Darstellung des Humors.218 Während in Siebenkäs als dem ernster-ausgeglicheneren Pol

seinen Gott fand, in seiner neuesten Darstellung noch etwas an, Gott. ›Aber so philosophieren Sie sich zuletzt aus der Philosophie heraus‹ sagt ich zu ihm. Du hast ihn wahrscheinlich dahinauf gepeinigt. Aber dan zerbricht das Gebäude und das Deduzieren und Philosophieren höret bei dem auf, was er nicht geschaffen hat und nur ein Dualismus anderer Art trit ein« [JPSW III/4, 63]). 217 So Wölfel, der am Ende des Titan allein das Erhabene von Jean Paul übriggelassen sieht (Wölfel [2000/2001], 310). – Aspekt der Doppelsinnigkeit ist dabei auch, daß, wie Jean Paul sehr genau weiß, die Fassung der Wissenschaftslehre bei Fichte von der zum ›Leibgeberismus‹ zugespitzten zu unterscheiden ist. So gewendet, besteht durchaus auch eine Analogie zwischen der Rechtfertigung Schoppes, der in der Wiederbegegnung mit Siebenkäs sterbend seine höhere, in seiner humoristischen Tätigkeit vorausgesetzte Individualität zurückgewinnt, und Jean Pauls mit Jacobi geteilter Bewunderung für den Menschen Fichte und seinen Charakter. Denn Fichte selbst, so zeigte in der Claviss vor allem die Behandlung seiner Interpersonalitätslehre, räumt Jean Paul durchaus erhabene, wenn auch systemisch ortlose Intuitionen ein, die auf eine ›zweite Welt‹ verweisen. 218 Problematisch ist jedoch Jean Pauls eigene Interpretation der Gestalt Siebenkäs in der Vorschule der Ästhetik. Denn dort identifiziert er dessen »menschenfreundliche Satire« nur noch oder wenigstens vorwiegend mit der ›Laune‹, die auf einem niedern Vergleichspunkte stehe. Leibgebers prinzipielles Weltverlachen gilt hingegen positiv als unendlicher ›Welt-Humor‹ (V 126/162). Besonders die zur hier vorgeschlagenen Interpretation gegenteilige Lesart, wie diejenige Wiethölters, die wegen Schoppes Schicksal allein in Siebenkäs die von Jean Paul gerechtfertigte Hochform des Humors erkennt, muß daher, so weist Wiethölter selbst hin, eine auffallende Verschiebung der Konzeption in der Vorschulee annehmen (Wiethölter [1979], 263/266). – Betrachtet man Schoppe und Siebenkäs hingegen, wie es bereits der Roman Siebenkäss nahelegt, als seine nur gemeinsam die Doppelnatur des Humors, wesentlich verständig zu sein, aber zugleich doch auch die Vernunft vorauszusetzen, erfüllenden ›Gegenpole‹, überrascht die Wertschätzung Leibgebers als Verkörperung des ›Welt-Humors‹ nicht mehr so sehr, zumal sie sich auf den Siebenkäss bezieht, also auf die Konstellation, bevor die Gefährdung Schoppes durch die reflexive Einkräftigkeit nach der Trennung von Siebenkäs vermehrt in den Blick gerät. Die in der Vorschulee erfolgende überwiegende Zurechnung von Siebenkäs’ Verfahren zur Laune, der eine Lesart des Siebenkäss korrespondiert, wonach Siebenkäs den Widerspruch von Geist und Körper, Ich und bestimmter Welt »durch die Vertauschung dieser Welt mit einer passenderen«, ebenso endlichen auflöse (Preaux [1986], 111), bleibt gleichwohl teilweise irritierend, zumal sie ganz offensichtlich ›schoppisierende‹, auf Unendlichkeit zielenden Momente seines Charakters

II. Jean Pauls ›unphilosophisches‹ Konzept des Humors

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des Humors der Bezug zum Unendlichen als der höheren Realität sowie die ›humoristische Milde‹ einer relativen Anerkennung jedes einzelnen Endlichen als Einzelness dominiert, ist es im Falle Schoppes umgekehrt die endlichkeitsvernichtende unendliche humoristische Reflexivität, die hervorsticht und aus der die Gefährdung des Humors selbst entspringt. Sie aktualisiert sich, gerade dies zeigt Schoppes Geschichte, letztlich beginnend mit dem Verlust seines freundschaftlich-sittlichen Verhältnisses zu Siebenkäs, mithin des Bezugs der humoristischen Reflexion zu einer vorausgesetzten ›höheren‹ idealen Realität. Wenn auch in der Tat auffällt, daß am Ende des Titan der ›hohe Ton‹ des Erhabenen vorherrscht, ist der Humor gleichwohl nicht völlig aufgegeben. Denn neben Siebenkäs, der als neuer Freund Albanos erhalten bleibt, wenn auch nur noch als recht farblose Aktualisierung des Humoristischen,219 liegt in Schoppes Wiedererlangung des Unendlichkeitsbezuges unweigerlich auch die Zurückgewinnung der humoristischen Heiterkeit. Wie nicht nur dessen gesamte Behandlung über zwei Romane zeigte, sondern auch noch einmal die Schilderung seines Bemühens indiziert, selbst sein Sterben mit einem letzten spöttischen Wort zu kommentieren, fällt die Figur Schoppe nämlich schlechthin mit seinem humoristischen Charakter zusammen; auch seine finale Rechtfertigung ist von diesem nicht zu trennen. Daher ist nur folgerichtig, daß Jean Paul, wie aus den Vorarbeiten zum Titan zu ersehen ist, sich lange Zeit über das Ende Schoppes im unklaren war und auch erwog, die Wiederbegegnung mit Siebenkäs zu seiner irdischen Heilung führen zu lassen.220 ›Jean Pauls‹ abschließende Würdigung Schoppes für seinen hohen Standpunkt und seine hohe Absicht ist darum letztlich auch noch die Würdigung des, wenngleich relativierten Humors, dessen eigene Unendlichkeitsdimension anders als in Schoppes Wahn und Verdunkelung des Herzens über dem Endlichen noch glänzt, zumindest als vernichtender Maßstab:221 »Die Erdkugel und alles Irdische, woraus die flüchtigen Welten sich formen,

herunterspielt, die deutlich allein schon in seiner Auszeichnung als Stoiker liegen (zu Siebenkäs als Humoristt vgl. auch Götz Müller [1983], 254). In ähnlicher Weise irritieren allerdings auch Bemerkungen und mahnen damit zur interpretatorischen Vorsicht, in denen Jean Paul entgegen der überwiegend vertretenen Auffassung umgekehrt auch die ›Laune‹ in Verbindung mit dem Unendlichen (und somit mit dem ›höheren‹ Vergleichspunkt) bringt (vgl. V 107). 219 Auf den Umstand, daß Siebenkäs »nur noch als schwacher Abglanz seines früheren Schoppisierens im ›Siebenkäs‹« erscheine, hat bereits Wölfel (2000/2001, 317) zu Recht hingewiesen. 220 Vgl. Koller (1986), 33. 221 An die Verwiesenheit der humoristischen Negativität auf ein höheres Positives hat im Titan im übrigen bereits Albano Schoppe erinnert. »[D]eine Stärke oder Gemütsweise,« – so heißt es nämlich in einem Brief Albanos an Schoppe – »alles Große ruhig aufzunehmen und die Welt still in einen innern Traum zu zerschmelzen, hat wohl niemand. Du schauest die Abendwolken an und hernach die Milchstraße und sagst kalt: Gewölk! […] aber wüßtest du vom Vergänglichen ohne den Nebenstand des unvergänglichen, und wo wohnt der Tod als im Leben?

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B. Jean Paul auf den Spuren Jacobis

war dir ja viel zu klein und leicht. Denn etwas Höheres als das Leben suchtest du hinter dem Leben, nicht dein Ich, keinen Sterblichen, nicht einen Unsterblichen, sondern den Ewigen, den All-Ersten, den Gott.« (T 801) – Das Ende des Romans exekutiert damit – und zwar gerade auch in der Relativierung des Humors –, Jean Pauls wiederholte Erklärung an Jacobi, daß auch er zu aller Zeit seines Lebens von einem höheren »Ernst« ausgegangen sei, einem »überirdische[n] bedekte[n] Reich, das sogar der hiesigen Nichtigkeit noch sich unterbauet«. Zwar begehre der Scherz die ganze Welt, so schreibt Jean Paul seinem philosophischen Mentor, »aber nur als Ingredienz, nicht als Ziel«. Genausowenig sei er selbst Selbstzweck; während der Humor ohne den höheren »Ernst« unmöglich wäre, sei »Ernst ohne Scherz« »denkbar und sogar ursprünglich«.222 Denn unsinnig wäre es, so stellt ausdrücklich auch die »Kantate-Vorlesung Über die poetische Poesie« in der Vorschule der Ästhetikk (1804) heraus, beim humoristischen Verlachen der Endlichkeit »die Unendlichkeit und das ganze Sein zu verspotten und folglich auch das Maß zu klein finden, womit [der Humorist] alles zu klein findet«. Im Wechsel von einem je bestimmten Ernst und einem höheren Spiel erscheine zuletzt notwendig »der höchste, der ewige Ernst«, der »Genuß einer unbegreiflichen Vereinigung mit einer unbekannten Realität«, die »Freiheit woran und wozu«, die aller formalen, negativen Freiheit allererst Richtung, Gehalt und Wirklichkeit gibt. Über das Erheben über das Endliche könne man sich nicht selbst noch einmal erheben. »Ein Gelächter von Ewigkeit her wäre […] um nichts ungereimter als ein ewiges Spielen des Spielens.« »Der Grund wie der Zweck eines Spiels

Lasse verstieben und versiegen! Es gibt doch drei Unsterblichkeiten – wiewohl du die erste, die überirdische, nicht glaubst –: die unterirdische (denn das All kann verstäuben, aber nicht sein Staub) – und die ewigwirkende darin, die, daß jede Tat viel gewisser eine ewige Mutter wird als eine ewige Tochter ist. Und dieser Bund mit dem Universum und mit der Ewigkeit macht der Ephemere Mut, in ihrer Flug-Minute das Blütenstäubchen weiterzutragen und auszusäen, das im nächsten Jahrtausend vielleicht als Palmenwald dasteht.« (T 585 f.) 222 Brief Jean Pauls an Jacobi vom 13.8.1802 (JPSW III/4, 168) sowie vom 21.1.-6.3.1806 (JPSW III/5, 81). – Diese Beschreibung der Ursprünglichkeit und Selbstgenügsamkeit des ›Ernstes‹ widerstreitet im übrigen gerade nicht der These, daß in Anlehnung an Jacobis Doppelphilosophie und in Analogie zur konsequenten verständigen Reflexion als Bereitung der Absprungstelle des ›salto mortale‹ auch bei Jean Paul der Humor (sowie als tragisches Pendant die experimentalnihilistische Schreckensvision) als integraler Bestandteil eines alternativen philosophisch-metaphysischen Standpunktes anzusehen ist. Denn genaugenommen ist, so sahen wir, auch bei Jacobi die Perspektive der ›substantiven Vernunft‹ die allein originäre, in deren Dienst ursprünglich auch die Reflexion des Verstandes steht. Jedoch liegt in der wesentlichen Differenz von Verstand und Vernunft, mithin im Ernstnehmen der Mischverfassung des Menschen, unbedingt und bedingt zugleich zu sein, die Möglichkeit des Perspektivenwechsels zwischen beiden, der, einmal realisiert (und damit allererst auch die reale menschliche Existenz in ihrer ganzen Tiefe), die Doppelsinnigkeit von Humor und Sprungfigur für die Selbstverständigung darüber, was es heißt, eine konkrete handelnde Person zu sein, unverzichtbar macht.

II. Jean Pauls ›unphilosophisches‹ Konzept des Humors

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ist keines; um Ernst, nicht um Spiel wird gespielt.« »Götter können spielen; aber Gott ist ernst.‹« (V 444)

2. Jean Pauls Konzept des Humors als das ›Romantisch-Komische‹ in der Vorschule der Ästhetik Bereits an den gegenpoligen Humoristengestalten Leibgeber und Siebenkäs ließen sich also als die beiden entscheidenden Grundcharakteristika des humoristischen Verfahrens bei Jean Paul die selbstbezügliche, alle endlichen Realitäten und Sicherheiten auflösende Reflexivität bzw. Subjektivität ebenso ausmachen wie eine diese allererst ermöglichende, wenn auch in der humoristischen Reflexion selbst wesentlich negativ bleibende Bezugnahme auf eine höhere unbedingte Realität und positive Unendlichkeit. Beide Momente werden in Jean Pauls eigener poetologisch-philosophischer Reflexion des Humors in der Vorschule der Ästhetikk auch theoretisch entwickelt und durch die Kontrastierung des Humors mit dem Lächerlich-Komischen ausdrücklich konturiert. Denn das Lächerliche stellt nach Jean Paul den »Erbfeind des Erhabenen« (V 105), d. i. des auf die Sinne und die Phantasie »angewandten Unendlichen« (V 106) dar. Das Lächerliche sei mithin das (sinnlich erscheinende) »unendlich Kleine« (V 105), d. h. das bloß Endlichee (vgl. V 116) – und genauer: das »Unverständige«, das ›unendlich Kleine‹ aus dem rein endlichen »Reich des Verstandes« (V 109). Belacht und kritisiert wird im Lächerlichen also kein sittlicher Defekt oder moralisches Laster wie in der Satire (V 115), sondern ein bestimmterr Irrtum im Erkennen oder eine konkretee Unwissenheit im Blick auf die »Objekten-Welt« (V 124) bzw. ein bestimmter Mensch, der sich durch Irrtum oder Unwissenheit als Tor zeigt. – Dabei sind es nach Jean Paul drei Verhältnisse, Verhältnisglieder oder auch Erscheinungsweisen des Verhältnisses, die das Komisch-Lächerliche konstituieren: der »objektive«, der »sinnliche« und der »subjektive« »Kontrast« (V 114): Der ›objektive Kontrast‹ (1) entsteht durch die Diskrepanz zwischen der subjektiven Lageeinschätzung bzw. Handlungsintention der als lächerlich empfundenen Person und der objektiven Situation bzw. dem tatsächlichen Handlungserfolg. Beispiele dafür sind nach Jean Paul ein Gesunder, der sich für krank hält und deshalb Vorkehrungen gegen seine Krankheit trifft; oder Sancho Pansa, der angstvoll und bewegungslos eine ganze Nacht lang über einem seichten Graben ausharrt, meinend, es handele sich um einen tiefen Abgrund. – Um komisch zu werden, d. h. die Empfindung zu erregen und so zum Lachen zu reizen, muß diese Diskrepanz zudem (2) anschaulich erfahrbar sein. Sie muß unmittelbar wahrgenommen, in der Kunst dargestellt oder von mir als Lachendem qua Phantasie vorgestellt werden. – Daher bedarf es (3) also auch eines Ichs, das sich in Beziehung zum ›objektiven‹ Kontrast setzt. Dabei zeigt das Moment des ›subjektiven Kontrastes‹ nicht nur an, daß Lächerlichkeit kein objektives Weltvor-

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kommnis ist, sondern von einer subjektiven Einschätzung abhängt. Vielmehr deutet Jean Pauls Bestimmung des ›subjektiven Kontrastes‹ auch und vor allem darauf, daß das Subjekt das Lächerliche allererst dadurch hervorbringt, t daß es selbst einen dem lächerlichen Akteur wie Sancho Pansa an Einsicht überlegenen Betrachter bildet, der diesem bei dessen Bestreben die eigene Einsicht und Ansicht ›leiht‹ (V 110). Erst dieses »Leihen« und Erdichten eines inneren Widerspruchs des Toren mit sich selbst macht aus dem Konstatieren eines Irrtums ein lächerliches Gebaren oder, wie Jean Paul sagt, eine »unendliche Ungereimtheit« (V 109). – Allerdings ist diese Charakterisierung nicht besonders genau, macht sie doch nicht zureichend kenntlich, daß der überlegene Standpunkt des Betrachters selbst noch ein rein endlicher ist, d. h. ebenso eine bestimmte, wenn auch richtige Einsicht, als bestimmte genommen. Damit verwischt die Kennzeichnung des Lächerlichen als ›unendliche Ungereimtheit‹ aber letztlich die von Jean Paul zugleich behauptete Differenz von Lächerlich-Komischem und Humor in bezug auf das Verhältnis zum Unendlichen und ebenso hinsichtlich der Intention des Be- oder Verlachten. Will man diese profilieren, kann das ›Leihen‹ im ›subjektiven Kontrast‹ als Moment des Lächerlichen nicht heißen, daß wir einen Toren wie Sancho Pansa imaginieren als jemanden, der mitt Kenntnis der richtigen Lageeinschätzung sich absichtlichh lächerlich macht. Denn in diesem Falle, das zeigten bereits Leibgeber und Siebenkäs, würde er schon zum Humoristen. Wenn wir nach Jean Paul auch dem »lächerlichen Wesen und dessen Mangel« zumindest den »Schein der Freiheit«, und damit den Schein der Einsicht unterstellen, dann offenbar nur im Sinne einer Potentialität (V 113 f.): der Tor müßte und könnte es besser wissen, weil er mit uns, dem betrachtenden Subjekt, alle Fähigkeiten prinzipiell teilt. In diesem Sinne behauptet Jean Paul nämlich zum einen, daß das Lächerliche »mit dem Verstande der lächerlichen Person« wachse (V 113), zum anderen aber, daß das Vergnügliche am Lächerlichen das »Kitzeln des Wechsels zwischen scheinbarer Unlust (an dem Minimum des fremden Verstandes) und zwischen der eignen Lust der Einsicht« (V 123) sei, mithin der Reiz, den anderen als Toren herabzusetzen (V 121). Diese Lust an der ›Vertiefung‹ des anderen könnte bei einer von mir als Beobachter angenommenen tatsächlichen Absichtlichkeit seines Tuns jedoch gerade nicht geschehen. Dies bedeutet aber auch, daß beim Lächerlichen der lächerliche Akteur und das belachende Subjekt nicht unmittelbarr zusammenfallen können, das Komische mithin nicht genuin selbstreflexiv ist.

α) Momente des Humors Während das Lächerliche also allein im Verständigen und Endlichen seinen Ort hat, ohne die Einmischung der Vernunft oder des ›Herzens‹ (vgl. V 122), stellt der Humor hingegen nach Jean Paul den »unendlichen Kontrast zwischen den Ideen (der Vernunft)«, d. i. dem Unendlichen, und der Endlichkeit dar: Erscheint immer

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etwas bestimmtes Endliches als lächerlich, kontrastiere hierbei also stets nur Endliches, die mangelnde Einsicht des Toren in eine bestimmtee Situation, mit Endlichem, d. i. der besseren Einsicht des betrachtenden Subjekts hinsichtlich dieserr Situation (vgl. V 124), werde im Humor die Endlichkeit überhauptt »als subjektiver Kontrast jetzo der Idee (Unendlichkeit) als objektivem« unterschoben und geliehen. Dadurch entstünde ein »auf das Unendliche angewandtes Endliches, also bloß Unendlichkeit des Kontrastes«, d. i. eine »negative« Unendlichkeit – wenn auch noch immer wie beim Lächerlichen (und im übrigen auch beim »Witz«) für den Verstand (V 123 f.): Bestand der ›objektive Kontrast‹ in der tatsächlichen Situation in der endlichen Welt (Sanchos Aufenthalt über einem seichten Graben), die seinem ebenso endlichen Verhalten (Sanchos Verharren wie über einem mörderischen Abgrund) nicht entspricht, so kontrastiert also beim Humor ›objektiv‹ die Unendlichkeit der Ideen der Vernunft der prinzipiellen Endlichkeit der »Objekten-Welt« und des Verstandes, der diese erkennt, vom Unendlichen aber keinen Begriff hat. Und leiht der Beobachter Sancho Pansas diesem seine eigene richtige Lageeinschätzung und fügt damit dem ›objektiven Kontrast‹ den ›subjektiven‹ zwischen Sanchos tatsächlichem Wissen und Verhalten und dem ihm vermeintlich möglichen hinzu, so wird dem Verstand beim Humor die eigentlich nur der Vernunft zugängliche Einsicht in die Unendlichkeit und die ›Ideen-Welt‹ als möglich unterschoben. Mithin wird unterstellt, daß der bloß endliche Verstand eine Erkenntnis des Unendlichen zu erlangen vermag. Genau betrachtet, kann dieses hypothetische ›Leihen‹ ohne Frage nur geschehen, wenn der unterschiebende ›Betrachter‹ selbst vernünftig ist bzw. Kenntnis des Unendlichen hat. Der Verstand jedoch gelangt auch im Modus des Humors in seinem (grundsätzlich vergeblichen) Bemühen, das Unendliche zu verwirklichen bzw. ›auszumessen‹, bloß (aber auch immerhin) »zur Erfahrung eines ins Unendlichee gehenden Kontrast[es]« bzw. der »Unendlichkeit des Kontrastes« zwischen dem in der humoristischen Reflexion (intendierten) Unendlichen und dem (ihr erreichbaren) Endlichen (V 125). Eine genauere Analyse läßt Jean Paul dabei neben der »hu mor i st i sc hen Si n nl ic h keit« der Darstellung des Endlichen (V 139), die analog zum ›sinnlichen Kontrast‹ des Lächerlichen erst das Gefühll der unendlichen Nichtigkeit des Endlichen erzeugt und das Umschlagen von einem philosophisch-theoretischen Konstatieren zu einem existentiellen Lachen herbeiführt, drei weitere Bestandteile des Humors unterscheiden: (1) Ist der Humor im Gegensatz zum ›Erhabenen‹ die ›Anwendung‹ des endlichen Verstandes auf die Unendlichkeit der Ideen und damit, insofern der Verstand wenigstens die Unendlichkeit des Kontrastes erfährt, das »umgekehrte Erhabene«, werde im humoristischen Lachen in dem Maße das Endliche als ganzes vernichtet, wie dieses prinzipiell im Kontrast zur Unendlichkeit der Idee steht (V 125). Bestandteil des Humors sei also die »hu mor i st i sc he Tot a l it ät«, die das Erdenleben überhauptt aufgrund der ihr von der Vernunft geliehenen Intention auf die Ideenwelt verlache und verachte, zugleich aber eine relative Schonung, eine »humoristische

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Milde« gegenüber jeder einzelnen Torheit übe (V 128).223 Denn anders als im Lächerlichen wird das Einzelne nicht mehr wegen seinerr konkreten Bestimmung lachend vernichtet, sondern wegen der Endlichkeit jeder Bestimmtheit überhaupt. Vor dem Unendlichen sei m. a. W. alles bloß Endliche, egal ob Großes oder Kleines, »gleich« und gleichermaßen »nichts«. Dies gilt ebenso für den Humoristen selbst, der »seine eigne Verwandtschaft mit der Menschheit sich nicht leugnen« könne (V 128). Eben darum nehme er »lieber die einzelne Torheit in Schutz, den Schergen des Prangers aber samt allen Zuschauern in Haft, weil nicht die bürgerliche Torheit, sondern die menschliche, d. h. das Allgemeine sein Inneres bewegt« (V 125). (2) Versucht der Humor die unendliche Welt der Ideen mit der verständig-endlichen auszumessen, vermischt sich sein Lachen über letztere zugleich jedoch mit einem (ernsten) Schmerz über ihre bloße Endlichkeit, gerade weil er eben selber nur in dieser existiert. Der Humorist gehe daher, dies zeigte bereits die Nähe der humoristischen Inszenierungen zu den Jean Paulschen Schreckensvisionen, »oft mit der tragischen Maske, wenigstens in der Hand« (V 129). Doch wie der Schrecken bloße Fiktion bleibt und durch seine Negativität zu einer ursprünglichen höheren Realitätsgewißheit zurückleitet, fällt auch der den Humor zuletzt begleitende Schmerz, der Heiterkeit des Stoizismus gleich, in dem Maße nicht in Verzweiflung, g wie er 224 ebenso um die Nichtigkeit dieser Verzweiflung weiß. Löst der Humor die vermeintliche Realität eines Endlich-Natürlichen auf und in der Selbstanwendung der humoristischen Reflexion auf jeden ihrer eigenen Akte schließlich die Endlichkeit im ganzen bzw. übernimmt die humoristische Reflexion in kritischer Intention absichtlichh selbst die Defizienz des Endlichen (wie Leibgeber im freiwilligen Wahnsinn), übersteigt sie dieses zugleich und läßt in der Absichtlichkeit ihres eigenen Tuns eine höhere unendliche Freiheit aufscheinen. Der heiter bleibende Schmerz und die Nichtigkeit der Verzweiflung zeigen also an, daß die »ver n ic htende oder u nend l ic he Ide e« selbst ein Moment des Humors ist. Das im humoristischen Unbefriedigtbleiben am Endlichen vorausgesetzte Transzendieren macht den Humor, in Jean Pauls berühmten Formulierungen, zu einer »Höllenfahrt«, die ihm seine eigene »Himmelfahrt« bahnt, bzw. zu einem »Vogel Merops, welcher zwar dem Himmel den Schwanz zukehrt, aber doch in dieser Richtung in den Himmel auffliegt« (V 129). Ohne ein reales qualitativ Unendliches könnte der Humor sich m. a. W. nicht zur Endlichkeit im ganzen ins Verhältnis setzen: »Wie überhaupt die

223

Vgl. auch: »Nach dem Weglegen eines humoristischen Buchs haßt man weder die Welt, noch sogar sich. Die Kinder fassen das Lächerliche auf, ohne zu hassen oder zu verachten, ja ohne weniger liebzuhaben. Der Humor läßt uns werden wie die Kinder.« (V 469) 224 Denn »Verzweiflung« wäre, so hält Jean Paul auch in den Dämmerungen für Deutschland (1809) ausdrücklich fest, der »einzige echte Atheismus« und damit auch ›Nihilismus‹ (JPW I/5, 936).

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Vernunft den Verstand (z. B. in der Idee einer unendlichen Gottheit), wie ein Gott einen Endlichen, mit Licht betäubt und niederschlägt und gewalttätig versetzt: so tut es der Humor, der ungleich der Persiflage den Verstand verlässet, um vor der Idee fromm niederzufallen« (V 131). – Doch bleibt es fürr die humoristische Reflexionsbewegung der Ernst des Schreckens, d. i. eine negative Teilhabe an der Wahrheit, die, so nahe sie ihr durch die Totalisierung ihrer vernichtenden Tätigkeit auch kommt, stets in ihrem Rücken verharrt, während sie selbst dem Endlichen zugewendet ist. Daher bedarf der Humor, darauf legte das Ende des Titan den Fokus, letztlich des ›Erhabenen‹ bzw. des ›romantisch Schönen‹ als Korrelat bzw. als das ihn transzendierende Moment, in dem das Unendliche im Endlichen unmittelbar und positivv erscheint und daher noch dem Humor die Richtung seines Aufstiegs zu geben vermag.225 – (3) Wie bereits in der selbstreflexiven Anlage des Humors sowie im zweckbestimmt freien Charakter seines Tuns liegt, ist schließlich für die humoristische Auflösung des Verständig-Endlichen, wie bei allem Romantisch-Poetischen (V 124), die Rolle der »hu mor i st i sc hen Subjek t iv it ät« entscheidend: denn aufgrund der ›verlangten Unendlichkeit‹ sei ein Setzen des ›objektiven Kontrastes‹ nach ›außen‹, d. h. in die prinzipiell endlichee Objekten-Welt nicht möglich.226 Es sei mithin das humoristische Subjekt bzw. das Ich, das den ›objektiven Kontrast‹ in sichh setze, sichh also zerteile in einen endlichen und einen unendlichen »Faktor« und aus jenem diesen kommen lassen möchte. Daher sei der primäre Gegenstand des humoristischen Lachens das Subjekt selber, das in der versuchten immanenten Bewegung vom Endlichen zum Unendlichen »seine persönlichen Verhältnisse auf sein komisches Theater« ziehe, »wiewohl nur, um sie poetisch zu vernichten« (V 133). Humor ist also in erster Linie die absichtliche Selbstauflösungg oder, da auch hier die ›humoristische Milde‹ gilt, Selbstrelativierung des Humoristen als natürlich bestimmtes endliches Ich. Dieser macht sichh entschlossen zum Sonderling und Narr in der irdisch-endlichen Welt, um so die Narrheit des Endlichen überhaupt und der bloßß endlichen Auffassung des Ich anzuzeigen. In dem Maße, wie die grotesk-bunte Darstellung des Endlichen die »sinnliche Welt zu einem zweiten Chaos ineinanderwirft«, »der Verstand aber nur in einem ordentlich eingerichteten Weltgebäude wohnen kann«, weist Jean Paul ausdrücklich auf die »scheinbare Angrenzung« des humoristischen Verfahrens »an den Wahnsinn« hin, »welcher natürlich, wie der

225

In diesem Sinne erklärt Jean Paul nachdrücklich, daß die »pathetische Anspannung« nicht nur allererst die »humoristische Abspannung« fordere, sondern daß von ihr aus »noch ein herabführender Ernst« im Humor vorhanden sein müsse. Schiller fange daher zu Unrecht mit dem Lustspiel an, »denn das Komische arbeitet so wenig dem Pathetischen vor als die Abspannung jemals der Anspannung, sondern umgekehrt« (V 130/130 Anm.). 226 Vgl. Profitlich (1971), 68 f.

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Philosoph künstlich, von Sinnen und Verstande kommt und doch wie dieser Vernunft behält« (V 139 f.). Dabei ist dieser Wahn gleichsam ein dreifacher: Zunächst handelt es sich um den philosophisch-rationalitätskritisch diagnostizierten Wahn (1) des im Humor wie in der (System-)Philosophie absolut gesetzten Verstandes, das Unendliche noch ergreifen und ausmessen zu können und sich damit selbst in seiner Endlichkeit zu übersteigen und sich dieser entgegenzusetzen. Das Durchschauen dieses schwärmerischen Anliegens des Verstandes als Wahn des in Wahrheit bloß endlichen Subjekts provoziert (2) im Humoristen ein absichtliches, seiner empirischen Unangemessenheit sich bewußtes unverständig-tolles Verhalten in der endlichen Welt selbst und als »komische Individuation« die besonders intensive darstellerische Fokussierung auf das Detail und das bloß Endlich-Konkrete als solches (V140). Auf diese Weise soll in einem die empirisch-natürlichee Wirklichkeit noch einmal verkleinernden Abbild die Nichtigkeit des Verstandes vor den unendlichen Ideen im Endlichen selbstt sinnlich vorgeführt werden. Damit wird schließlich (3) zugleich jedoch auch im endlichen Wahn an das vom Verstand nicht einzuholende Unbedingte und in diesem Sinne selbst transrational-wahnhafte höhere Vernünftige analogisch erinnert. – In ganz ähnlicher Weise stellte Leibgeber in der »Clavis« das Tun des philosophisch tätigen Verstandes als ernst-absichtliches Verrücken des ›gesunden‹ endlichen Menschenverstandes dar, diagnostizierte eine verschleierte abstraktive Absolutsetzung des endlichen Ich und opponierte dagegen u. a. durch die humoristisch-sinnlich inszenierte, im Endlich-Verständigen selbst unsinnige, aber ausdrückliche These von der Absolutheit des rein empirisch-endlichen Ichs. Dieses drastische Sinnbild für die Unangemessenheit der prinzipiell endlichen Reflexion des Verstandes gegenüber den Ideen der Vernunft verwies schließlich zudem auf eine höhere religiös konnotierte praktisch-existentielle Sphäre des Ich. Doch nicht nur in dieser Hinsicht können Jean Pauls theoretische Ausführungen zum Humor und zum humoristischen Verfahren des Schriftstellers in der Vorschule tatsächlich das Verhalten Leibgeber-Schoppes in den Romanen Siebenkäss und Titan sowie in der »Clavis« als originär humoristisches erhellen. Dies trifft vielmehr eben auch auf die Verwandtschaft des Humoristen und des Fichtianers zu und damit auf die Möglichkeit des Übertritts Schoppes zum Fichtianismus. Denn in der These vom wesentlich verständigen Charakter der humoristischen Reflexion, ihrer originären und prinzipiell endlosen Selbstreflexivität und der konstitutiven Rolle der Subjektivität liegt in der Tat eine strukturelle Nähe zum ›logischen Enthusiasmus‹, der sich, wie bereits Jacobi beharrlich darauf hingewiesen hat, im Fichteschen Programm einer ›Wissenschaftt der Wissenschaft‹ manifestiert. In Analogie zu Jacobis Anerkennung der Wahrheit der Wissenschaftslehre als philosophisch-verständigen Systems übernimmt auch Jean Pauls Humorkonzept, so zeigte sich bereits in den doppelsinnigen Figuren von Schoppes pathologisch gewordenem Wahn und ernstem Hang zur Selberbespiegelung, gleichsam die Idee eines gerechtfertigten ›logischen Enthusiasmus‹ in der Sphäre von Reflexion und natürlicher Erkenntnis.

II. Jean Pauls ›unphilosophisches‹ Konzept des Humors

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Denn trotz der konstitutiven Beziehung der humoristischen Reflexion auf ein ideales Vernünftiges gilt auch nach Jean Paul in dem Maße die internee Selbstgenügsamkeit des Verstandes, wie jenes fürr diesen selbst allein im Modus der Negation, mithin also ihm ›im Rücken‹ und transzendent bleibt. – In der doppelsinnigen Absichtlichkeit des subjektiv-poetischen Tuns des Humoristen liegt über den ›logischen Enthusiasmus‹ hinaus schließlich aber ebenso sogar noch die strukturelle Übereinstimmung mit Fichtes These, daß das theoretische Reflektieren in einer grundlegenderen freien Tätigkeit des Subjektes fundiert sei.227 – Gerade hinsichtlich dieser Überzeugung benennt jedoch Jean Paul auch im Abschnitt zum Humor in der Vorschulee allerdings zugleich deutlich den Differenzpunkt von Humor und Wissenschaftslehre: Dieser liegt wie bei Jacobi in einer verschiedenen Deutung der freien Tätigkeit bzw. zunächst in der unterschiedlichen Intention der reflexiven Bewegung. Wie Jean Pauls Rede vom ›frommen Niederfallen‹ des (verständigen) Humors vor den Ideen der Vernunft zeigt, gilt für diesen m. a. W. genau dasselbe, was Jacobi in seinem Sendschreiben 1799 bereits als Differenz zwischen seinem und Fichtes philosophisch-systemischem Systematisieren behauptet hat: Während Fichte die Vollkommenheit der Wissenschaft des Wissens wolle, »damit sich der Grund aller Wahrheit, als in der Wissenschaft des Wissens liegend zeige«, wolle er dasselbe, »damit offenbar werde, dieser Grund: das Wahre selbst, sey nothwendig außerr ihr vorhanden« (JW III, 17). – Zwar vermag Fichte in bezug auf die Wissenschaftslehre der Intention Jacobis wie Jean Pauls zunächst durchaus zuzustimmen, indem er eben auf die Idee einer praktischen Fundierung der theoretischen Wissenschaftslehre verweist. Dasselbe gilt auch für die selbst vorreflexive Struktur der ›Tathandlung‹ und der ›intellektuellen Anschauung‹, mit der Fichte sowohl vor als auch nach der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehree experimentiert228. Doch, so sahen wir bereits an Jacobis wie an Jean Pauls Kritik der Wissenschaftslehre, sprechen gute Gründe für die Annahme, daß deren systemische Verfassung bei konsequenter Durchführung gegen die von Jean Paul nicht nur anerkannte, sondern in ihre Rekonstruktion durchaus integrierte praktisch-freiheitliche Absicht Fichtes zu einer Rückwendung ins bloß Verständige und damit zur Auflösung wirklicher Realität, Freiheit und Unendlichkeit führt. Denn die Intention auf das Unendliche und konkrete praktisch-frei Handelnde hat außer in Form einer bloß subjektiv verlangten bzw. aus der apriorischen Struktur von Subjektivität oder Ichheit überhaupt geforderten Unendlichkeit und Realität innersystemisch keinen Ort. Realitätsverbürgende Bedeutung kann sie daher auch für Jean Paul allererst im Vollzug der

227

Daher hat auch Fichte eben ausdrücklich Friedrich Schlegels gegen Jacobi erhobene Forderung des ›logischen Enthusiasmus‹ als einseitig zurückgewiesen (Brief Fichtes an Jacobi vom 22.4.1799 [GA III,3 334 f.]). 228 Vgl. zu Fichtes Konzept der ›intellektuellen Anschauung‹ vor allem Stolzenberg (1986).

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B. Jean Paul auf den Spuren Jacobis

Sprungbewegung, mithin im individuellen Wirklichwerden der Absicht als Handlung und der beabsichtigten konkreten Freiheitt selbst erfahren. In dem Maße wie die humoristische Reflexion analog zu Jacobis Rekonstruktion von Spinoza und Fichte als systemische ›Alleinphilosophien‹ im Aufzeigen eines Kontrastes von Idee und reflexiver Immanenz nicht nur die immanente Reflexionsbewegung der Realitätsauflösung in subjektive Tätigkeit vollzieht, sondern zugleich innerhalb eines komplexeren, doppelsinnigen Rahmens von Vernunftgefühl und natürlichem Verstand als die Bereitung einer ›unphilosophischen‹ ›Absprungstelle‹ gelten kann, ist die ›verlangte Unendlichkeit‹, von der Jean Paul spricht (vgl. V 132), zwar für Verstand und Reflexion allein nur eine anvisierte. Insofern jedoch der Humor konstitutiv auf eine positive Unendlichkeit als seine Voraussetzung bezogen ist, stellt die von der humoristischen Reflexion verlangte Unendlichkeit zugleich mehr als eine subjektiv bloß gewünschtee oder praktisch gefordertee dar. Sie ist auch für Jean Paul letztlich, wie bei Jacobi zuvor, so werden wir noch genauer sehen, als je konkret verwirklichte Unbedingtheit real erfahren – im Erhabenen bzw. Schönen der Natur (oder seiner künstlerischen Darstellung), vor allem aber in der je konkreten wirklichen poetischen und sittlichen Handlung und ihrer poetischen Manifestation.

β) Programmatische Abgrenzungen Die beiden Hauptgesichtspunkte des Humors, die (humoristische) ›Subjektivität‹ und die (negative) Bezogenheit auf die (vernichtende) Idee bzw. Unendlichkeit, weisen ihn folgerichtig selbst zugleich bereits als eine Erscheinungsform der ›romantischen Poesie‹ aus und führen mithin unmittelbar zu den programmatischen Grundlagen von Jean Pauls Poetologie im ganzen. Dabei entwickelt die Vorschule der Ästhetikk den Poesiebegriff wiederum in ausdrücklicher Abgrenzung zu zwei einander polaren Gegnern. Diese stellen die konsequent durchgeführten Vereinseitigungen im ästhetischen Feld dar, die sich aus einem ursprünglichen strengen und abstrakten Dualismus von Form und Stoff, Geist und Körper bzw. Verstand und Sinnlichkeit ergeben: »poetische Nihilisten« (V 31) und »poetische Materialisten« (V 35). Nicht nur wiederholt Jean Paul hiermit poetologisch die von Jacobi bekannte gleichzeitige metaphysisch-ontologische Frontstellung gegen transzendentalen Idealismus und philosophischen Materialismus, insofern beide in gleicher Weise als monistische Reduktionismen gelten müssen. Vielmehr handelt es sich bei diesen Positionen eben auch um gerade diejenigen Bedrohungen, die bereits Schoppe in der Angst vor dem ›reinen Mich‹ zusammengenommen hat. Die »Poetischen Nihilisten« – und damit sind ausdrücklich die Frühromantiker, vor allem die Schlegel-Brüder gemeint – verfallen Jean Pauls Kritik daher dadurch, daß sie die Form und die dichterische Produktivität, mithin die Subjektivität zu verabsolutieren scheinen. Wenn der Dichter in frühen Zeiten »noch Gott und Welt

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glaubte und hatte, wo er malte, weill er schauete«, würde der ›poetische Idealist‹ nunmehr »mal[en], um zu schauen«.229 Indem sie auf diese Weise Gott schlechthin wiederholen wollten, zugleich aber aufgrund der bloß formal-abstrakt bleibenden reinen Subjektivität dies nicht könnten, verlören sie nicht nur jede wahre Religion, sondern mit ihr auch jede Art von Naturbezug und -nachahmung. Wie die These vom Vorrang des Erhabenen oder Schönen vor dem Humor zeigt, ist nämlich die Realität der Natur für Jean Paul allererst in dem Maße gegeben, wie sie von der Realität des Unbedingten bzw. der freien Handlung durchdrungen wird. Die poetischen Nihilisten vernichten hingegen, so Jean Paul, »ichsüchtig die Welt und das All […], um sich nur freien Spiel-Raum im Nichts auszuleeren« und in der »Öde der Phantasterei« nur noch die Gesetze ihrer eigenen Phantasie zu befolgen (V 31). Auch sie stellen damit für Jean Paul eine Spielart des bloß ›logischen Enthusiasmus‹ dar. Die unendliche Reflexionsbewegung der ›romantischen Ironie‹ bildet dafür die charakteristische Erscheinungsform.230 Zwar vermögen auch die Frühromantiker wie Fichte zuvor den Jean Paul wesentlich mit Jacobi verbindenden Intentionen auf ein nur anschaulich zu gebendes Unendliches und Unbedingtes zunächst durchaus zuzustimmen: Denn sowohl Friedrich Schlegel als auch Novalis versuchen, in direkter oder u. a. durch Schelling vermittelter Aufnahme Jacobischer Motive ihren philosophischen Ausgang von der ›intellektuellen Anschauung‹ und einem der negativen Kontrasterfahrung des Jean Paulschen Humors ähnlichen ›Gefühl des Entzuges‹ des Unendlichen zu nehmen. Doch bleibt dieses wegen einer fehlenden positiven Gegebenheit des Unendlichen in einem Gefühl, wie dies bei Jean Paul im Erhabenen bzw. romantisch Schönen hingegen der Fall ist, auf eine Weise realitätslos und leer, daß sein vermeintlicher Gefühlscharakter selbst höchst zweifelhaft erscheint.231 Das frühromantische Philosophieren und das Verfahren der

229

»Jubilate-Vorlesung über die neuen Poetiker« (V 401). Vgl. Wiethölter (1979), 44 ff. Wiethölter verweist zugleich im Kontext der Überlgungen zu Schlegels Ironie- und Jean Pauls Humorbegriff bereits auf den entscheidenden Unterschied zwischen beiden: Dieser liegt auch nach Wiethölter nirgends anders als in einer differenten Auffassung vom Verhältnis von Theorie und Praxis bei Friedrich Schlegel und Jean Paul. Während Jean Paul von einem absoluten Vorrang der (poetischen) Praxis und Erfahrung ausgehe, der die Theorie zu dienen habe, falle bei Schlegel im Projekt der Transzendentalpoesie die poetische Theorie mit der Poesie zusammen (Wiethölter [1979], 58/69/80). Daher ist das Absolute der romantischen Ironie trotz des (postulatorischen) Operierens mit einem vorausliegenden absoluten Sein letztlich nur ihre eigene endlose Reflexionsbewegung selbst, während der Humor programmatisch auf ein außer ihm liegendes Unendliches und Reales verweist. – Zur romantischen Ironie vgl. auch Strohschneider-Kohrs (²1977), 7–91; Dierkes (1990); Naschert (1996/97); Behler (1997), 92–114; Vieweg (1999), 183–206 sowie Götze (2001), 195–216. 231 Zum Problem von intellektueller Anschauung bzw. Entzugsgefühl und ihrer reflexiven Einbindung bei Novalis vgl. Oliver Koch (2004). – Für den Vergleich Jean Pauls mit der Frühromantik ist dabei tatsächlich in dem Maße Jean Pauls Humorbegriff entscheidend, wie 230

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›romantischen Ironie‹ bleiben daher im Gegensatz zum Humor in den Augen Jean Pauls bei einem sich bloß als unendlich gebärdenden Endlichen stehen. Obwohl Jean Paul die Frühromantiker bereits in der Claviss als Fichtianer benannt hat232 und sie daher der Sache nach den gleichen Fehler verkörpern, dem Schoppe im Verfall an den Fichtianismus erliegt, hält der Roman Titan über sie in einer eigenen Gestalt Gericht: in der Figur Roquairols, die wesentlich die subjektiv-genialischen Züge von Jacobis Allwill und Woldemar in den gleichnamigen Romanen trägt.233 Diesen zeichnet Jean Paul nämlich als reine ästhetische Existenz,

dieser bei ihm den Grundbegriff des ›romantisch Komischen‹ darstellt, nicht aber der der Ironie. Zwar deutet sich bei Jean Paul neben einer bloß endlich bleibenden rhetorisch-satirischen Ironie auch die Anerkennung einer ›Ironie‹ im höheren Sinne an, doch ist diese dann selbst allererst vom Begriff des Humors her zu explizieren (vgl. V 148–156/158/162). – Zum Verhältnis von Jean Paulschem und frühromantischem Humor- und Ironiekonzept vgl. auch Profitlich (1971), 66/75–77 sowie Strohschneider-Kohrs (²1977), 147–154. Strohschneider-Kohrs sieht dabei ebenso eine weitreichende Differenz von Jean Paulschem Humor und frühromantischer Ironie aufgrund des Anschauungsbezuges des Humors aufs Unbedingte, während bei Schlegel die Ironie der unvollendbare Bezug von Unendlichem und Endlichem sei und daher als unendlich fortgehende Tätigkeit erscheine. Strohschneider-Kohrs zieht indes die Differenz zwischen der vorgeblich ruhigen, mild lächelnden Weltanschauung des Humors und der Dynamik der reflexiven, unendlich prozessierenden Bewegung bald schon zu grundsätzlich. Denn in der Auffassung eines einmaligen »Aufschwungs« des Humors zu einer weltverlachenden Anschauung, die zugleich eine lächelnd milde Hervorhebung des Lebens sei (ebd., 150/152), werden die Heftigkeit von Leibgebers Weltnegation und die intrinsische Gefährdung des Humoristen durch die Absolutsetzung seiner Reflexion kaum mehr greifbar. Gegen Strohschneider-Kohrs und Profitlich ist der humoristischen Reflexion Jean Pauls sehr wohl selbst die Progressivität zuzusprechen, wie sich in der Grundbestimmung der Selbstbezüglichkeit ebenso zeigt wie in den Kaskaden von Spiegelungen und (De-)Maskierungen im Roman Siebenkäs. Allerdings ist die Progressivität der humoristischen Reflexion, und hier liegt erst die Differenz zur frühromantischen Ironie, tatsächlich eingebunden in das sie transzendierende Verhältnis zu einem höheren, unmittelbar gegebenen Unendlichen, so daß die humoristische Reflexion im Gegensatz zur romantischen Ironie nur die eine Hälfte einer komplexen philosophischen Bewegung darstellt. 232 Dies geschieht im Kontext einer umfassenderen Kritik an der transzendentalphilosophischen Schulbildung in der Philosophie selbst sowie in der Anwendung auf andere Wissenschaften, insofern die zunehmende Popularisierung und die damit einhergehende ›Mechanisierung‹ bzw. Formalisierung der Darstellung eines Systems immer geistlosere Anhänger anziehe, junge und gemeine Menschen, denen die Tiefe von Wahrnehmung und Anschauung (noch) fehle (Cl 1028). Diese Ausstrahlung des Fichteschen Idealismus hätte in der Kunstphilosophie zur »Vergötterung der Kunst und Phantasie« geführt, in der das »poetische, keinen Ernst unterlegende Spiel« den Stoff durch die Form tötet, anstatt ihn zu beleben. Unmittelbarer Adressat ›Jean Pauls‹ ist hier bereits »die jakob-böhmische Bilder-Philosophie« der Gebrüder Schlegel, die in ihren philosophischen und ästhetischen Entdeckungen im wesentlichen nur Motive Kants, Fichtes und Goethes aufnehmen würden (Cl 1030). 233 Vgl. Brief Jean Pauls an Jacobi vom 13.8.1802 (JPSW III/4, 168) sowie Brief Jacobis an Jean Paul vom 31.7.1802 (JBr I, 307 f.).

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als Schwärmer der Einbildungskraft und als Wollüstling in Gedanken und Gefühlen: Von klein auf ist Roquairol mehr in Literatur und Theater zu Hause als in der Wirklichkeit von Anschauung und interpersonal unmittelbar bezogenem Gefühl. Diese hat er vielmehr durch das ästhetische Spiel und ihre willkürliche imaginative Erzeugung ersetzt. Obwohl jung an Jahren, wirkt er daher verlebt und bleich (T 228). Seine Schilderung ist stets mit deutlichen Anzeichen des Todes verbunden; er sei, so ›Jean Paul‹, eine »Leiche«, an der einzig »noch der Flügel der Phantasie zuckt« (T 262). Denn alle Charaktere sind von Roquairol bereits durchgespielt oder könnten jederzeit von ihm angenommen werden. Weil er so in der Phantasie auch bereits »alle Zustände des Herzens« erschaffen (T 261), selbst die Liebe spielerisch vorweggenommen hat, er also willkürlich in ihnen schwelgen oder sich über sie erheben kann, bleibt ihm ihre unmittelbare Erfahrung verschlossen (T 263 f.). Für ihn existieren daher, so Roquairols Selbstbeschreibung, »keine neue Freude und keine neue Wahrheit mehr«. Ihm bliebe daher nur »eine vertrocknete Zukunft voll Hochmut, Lebensekel, Unglauben und Widerspruch« (T 262). Doch gibt es sogar nicht einmal mehr eine wirkliche Gegenwart für ihn. Denn Roquairol hat sich in einer regressiven Bewegung der Selbstreflexivität, im endlosen Zusehen des Zusehens, so weit über das reale Leben erhoben (vgl. T 486), daß er selbst gar keinen Charakter, keine eigene Bestimmtheit und keine persönliche Tugend mehr besitzt. Stattdessen ist Roquairol reduziert auf ein reines Ich, diesen »kalten, kecken Geist im Menschen, den nichts etwas angeht, nicht einmal die Tugend; denn er wählt sie erst, und er ist ihr Schöpfer, nicht ihr Geschöpf« (T 486). – Schoppes Humor und verständig-kalter Stoizismus, zumindest im Stadium ihres Verfalls, und Roquairols schwärmerische Substitution von wissenschaftlich-theoretischer Anschauung und sittlichem Gefühl durch ihre Vorwegnahme in der rein subjektiven poetischen Tätigkeit der Einbildungskraft erscheinen damit, so bemerkt Schoppe selbst, als zwar gegenpolige (T 270/431), aber gleichermaßen todesaffine, die höhere wie die irdische Realität endlich-reflexiv nachbildende und damit vernichtende Idealismen. Daher eignet beiden, so bestätigt noch einmal die »Jubilate-Vorlesung über die neuen Poetiker« in der Vorschule, derselbe verzweifelte »Trost-Defekt«, der sich aus dem Verlust von ›Himmel‹ und Erde ergebe. In einem ›Lachen des Verzweifelns‹ werde das Zwerchfell zur »letzte[n] Fluchthöhle des aus einer festen Brusthöhle vertriebnen Herzens« (T 401). Aber auch der »gedichtet[e] Mystizismus«, so Jean Paul im offenkundigen Blick auf das ebenso eng mit dem Namen Friedrich Schlegel verbundene Projekt einer ›neuen Mythologie‹,234 verharre in der gleichen Trostlosigkeit

234

Zu Schlegels ›Neuer Mythologie‹, in der seine Idee einer ›ästhetischen Naturwissenschaft‹ mündet (vgl. Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe XVIII, 157) und in der die absolute Produktivität der künstlerischen Symbolisierung mit (historischer) Traditionsbildung − nicht nur als Grundlage der ästhetischen Tätigkeit, sondern vor allem auch des gemeinsamen praktischen

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von idealistischem ›Schwindel‹ und subjektiver Leere. Denn ohne die ›Tiefen‹ einer wirklichen Welt, ohne einen realen Stoff neben der Mythologie der Vernunft seien auch ihre ›Höhen‹ verschwunden. »Nichts steht, ja nichts fliegt – denn sonst müßte man doch etwas haben, worüber man fliegt –, sondern Träume träumen von einander« (T 402; vgl. V 425 f.). – Allerdings, so manifestieren besonders ihre jeweiligen Todesumstände, behandelt ›Jean Paul‹ in Verlängerung einer verschärften Kritik an philosophischen Adepten in der Claviss Schoppe – und damit Fichte – im Titan letztlich nicht in gänzlich gleicher Weise wie Roquairol bzw. wie die frühromantischen Fichtianer: Denn insofern Jean Paul die auf praktische Realität und Freiheit zielenden Intentionen Fichtes sehr wohl anerkennt, trägt das Aufscheinen der Errettung des Fichtianers Schoppe durch die Wiedererlangung der Transzendenz auch Züge einer Rehabilitierung Fichtes vor dem eigenen systemischen Programm. Während Schoppes Tod in der Doppelsinnigkeit von Kritik und Erlösung erscheint, bleibt Roquairol hingegen in seinem als Theaterstück inszenierten realen Sterben von eigener Hand ohne einen vergleichbaren Transzendenzbezug: Die vermeintliche Theatervorstellung und das von Roquairol dabei beabsichtigte Pathos fallen buchstäblich in einem starken Gewitter ›ins Wasser‹ und der Himmel bleibt hinter Wolken verschlossen. Zudem erfährt die Todesinszenierung Roquairols im Kommentar des Kunstrats Fraischdörfer, eines blassen, als Kantianer vorgestellten Vertreters einer ebenso realitätsleeren, weil formalen Kunstauffassung wie der Roquairols, sogleich wieder eine Deutung oder ästhetische Fortführung als bloßer »Schein des Scheins«, als »spielende Realität in reellem Spiel und tausendfacher, wunderbarer Reflex« (T 756).235 – Vernichten die »poetischen Nihilisten« allen Stoff, den höheren geistigen ebenso wie den natürlichen, verfallen nach Jean Paul die »Poetischen Materialisten« in den gegenteiligen Fehler: sie kopieren treu die Natur und setzen so den bloßen toten Stoff absolut (V 34). Vereinseitigen jene das Moment der Subjektivität, so diese dasjenige der Sinnlichkeit: Da zum einen die ganze sinnliche Individualität im künstlerischen Nachbild keineswegs erschöpft werden könne (V 34), zum anderen

Handelns der Menschen − zusammenläuft, vgl. vor allem das Gespräch über die Poesiee (Friedrich Schlegel: Kritische Schriften und Fragmente 2, 186–222, insbesondere 201 ff.), weiterhin Götze (2001), 337–378. 235 In einer Vorrede zum Quintus Fixlein bringt ›Jean Paul‹ Fraischdörfer sogar direkt mit Schlegel in Verbindung, indem er ihn sich auf den »›Ausspruch Schlegels‹« berufen läßt, »›daß, so wie es ein reines Denken ohne allen Stoff gebe […], es auch vortreffliche poetische Darstellungen ohne Stoff geben könne (die sozusagen bloß sich selber täuschend darstellen).‹« Wie sich bereits im Quintus Fixlein zeigt, fehlt Fraischdörfer jeder Transzendenzbezug: er ahnt vom »Nebelstern der zweiten Welt« nichts; daher achte er, dieser »formlose Former«, »am ganzen Universum nichts, als daß es ihm sitzen kann« (Geschichte der Vorrede zur zweiten Auflagee [QF 26 ff.]).

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aber auch weder der natürliche Stoff noch die natürliche Form nach Jean Paul dem Dichter bei ihrer Nachahmung »roh brauchbar« seien, setze die Kunst entgegen der Annahme der ›poetische Materialisten‹ ein höheres geistiges Prinzip für die Nachahmung voraus (V 38), das in der künstlerischen Produktivität selbst liege. Der Dichter könne m. a. W. »[k]einen wirklichen Charakter«, wohl überhaupt keinen Gegenstand, »aus der Natur annehmen«, ohne ihn geistig zu verwandeln. Denn dieser sei zu sinnlich konkret und individuell um »irgendeine symbolische Ähnlichkeit mit andern Menschen« zu haben (V 36). – Wenn Jean Paul damit den Blick auf eine höhere, in der Kunst geforderte ›Allgemeinheit‹ lenkt, darf dies jedoch, so wird sich noch genauer zeigen, nicht mißverstanden werden. Bereits die Engführung von ›allgemein‹ und ›symbolisch‹ indiziert (V 36), daß auch von Jean Paul nicht an eine begrifflich auflösbare Universalität gedacht ist. Ganz analog wie zuvor bei Jacobis Rede von der »Gattung« des Menschen als Gegenstand der unphilosophischen Daseinsenthüllung (JW VI, 138) verhält es sich m. a. W. auch bezüglich der ›symbolischen Individualität‹ Jean Pauls. Nur für den ersten Augenschein schienen Jacobis Begriff der ›Gattung‹ wie auch weitere ähnliche Formulierungen und Aussagen236 selbst in verblüffender Nähe zu den kritisierten Konzepten totaler Reflexionsimmanenz zu stehen. Vielmehr erwies sich bald, daß hiermit im Gegenteil der Blick auf eine konkrete, über die Zeit sich aufspannende Identität einer praktisch handelnden konkreten Person mit Namen, statt auf ein azeitliches begrifflich-allgemeines Identitätsprinzip gelenkt werden sollte. In gleicher Weise handelt es sich auch bei dem menschlich ›Allgemeinen‹ Jean Pauls, so die These, letztlich um dasjenige, was den Charakter eines bestimmten realen Menschen ausmacht. Auch Jean Pauls ›geistige‹ bzw. ›symbolische Individualität‹, dies deutete sich bereits in der Diskussion um Fichtes Interpersonalitätskonzept an, zielt auf ein Individuum (sowie dessen poetische Darstellung), das gerade als solches (und nicht als schlechthin allgemeiner Wille) die eigentliche Wirklichkeit des Unbedingt-Sittlichen bildet, daher aber nicht mit einer bloß natürlich-sinnlich bestimmten Individualität im Sinne der auf diese Weise individualisierten Summe aus endlos vielen (und darum alle poetische Darstellbarkeit sprengenden) bestimmten natürlichen Eigenschaften verwechselt werden darf, die es tatsächlich zu übersteigen gilt. Bereits die Poetologie Jean Pauls repräsentiert diesen Gedanken, wenn sie im Gegensatz zu den Auffassungen der Kunst als bloß subjektiver Tätigkeit und als bloßer Naturnachahmung vielmehr von der »schöne[n] Nachahmung der Natur« als Wesen der (romantischen) Poesie ausgeht (V 32). Nicht diee Natur, sondern der

236

So Jacobis Rede, daß der Mensch »überall das Besondre nur im Allgemeinen erkennen« und nur mittels allgemeiner Begriffe »menschlich handeln« könne (JW VI, 71 f.). Ähnliches gilt auch für die Behauptung, daß des Menschen Ich sich nur »nach und nach« bilde, weil »sein ganzes Bewußtseyn […] ein Begriff [ist], den er konstruirt und fortleitet« (JW VI, 200).

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B. Jean Paul auf den Spuren Jacobis

Natur wolle die Kunst nachahmen (V 34). Denn diese Position, die die monistischen Einseitigkeiten meidet, ohne einen gänzlich beziehungslosen Dualismus von Form und Stoff zu behaupten, schließt strukturell im ästhetischen Feld an die zentrale unphilosophische Figur einer wunderbaren doppelten Offenbarung von Ich und Du bei Jacobi an. Diese drückte zunächst die Überzeugung aus, daß Wahrnehmen und Denken als ›Bewußtseinsphänomene‹ überhaupt kein bloßes Erleiden, als bestimmtess Wahrnehmen und Denken aber auch keine nur durch das Ich selbst bestimmte Produktion seien. Doch beinhaltete sie letztlich in einer originär praktischen Deutung unter den verschiedenen Hinsichten auch die Begegnung mit der Natur als Sphäre und Mittel unseres Handels, die damit selbst, statt als bloße Natur angesehen zu werden, vom Vernünftig-Praktischen in Dienst genommen und teilweise vergeistigt wurde. In ähnlicher Weise, so die These, erklärt Jean Paul von der Kunst, daß sie die »Natur reicher und vollständiger« sehe, als sie die bloße Sinnlichkeit darbietet. Die Kunst bzw. das wirkliche poetische ›Genie‹ erschaffe »uns eine neue Natur […], indem es die alte weiter enthüllet« und entdecke eine höhere Bedeutung der Natur; die ›schöne Nachahmung‹, so Jean Paul, veredelt, beseelt, personifiziert sie ebenso, wie sie die natürliche »Unterlage des dunkeln Lebens« und damit das allseitige Naturstudium voraussetze (V 32 f.). Doch bilde die Kunst die Natur eben dann nicht einfach nur ab, sondern vollziehe als die geistig-symbolische Durchdringung des Natürlichen dessen »Brotverwandlung ins Göttliche« (V 43). Auch hierbei handelt es sich, ähnlich zu Jacobi, also um eine Beziehung aus drei Momenten: (1) als ›Instinkt‹ des poetischen ›Genies‹ ein höheres Geistgefühl, das die ›übernatürlich‹-individuelle poetische und praktische Existenz in der Bezogenheit auf ein schlechthin Unbedingtes offenbart, (2) die (poetische) Subjektivität, mithin Bewußtsein und Reflexivität von Verstand und Einbildungskraft, die ihren geistig-vernünftigen Gehalt und realen Tätigkeitscharakter dem Geistgefühl verdanken, sowie (3) sinnliche Anschauung und sinnliches Gefühl, die das natürlich Reale ebenso geben wie dieses erst durch die subjektive Tätigkeit vergeistigt und durch die in ihr tätige Verbindung zum Unendlichen als Reales gerechtfertigt wird. Es ist, so Jean Paul, die Phantasie, die die Versöhnung des Sinnlich-Individuellen mit dem Geistig-›Allgemeinen‹ leisten soll (V 46), die entgegen der Auffassung der »poetischen Nihilisten« daher weder absolut noch zügellos selbstmächtig ist, sondern als dessen Verwandlung bzw. ›Totalisierung‹ an einen natürlich-endlichen Stoff gebunden bleibe wie zudem auch an ein höheres Reales, ein ›zweites Reich‹, das sich in einem Trieb bzw. »Instinkt des Unbewußten« manifestiere (V 59): »Ein unauslöschliches Gefühl stellet in uns etwas Dunkles, was nicht unser Geschöpf, sondern unser Schöpfer ist, über alle unsre Geschöpfe. […] Wären wir uns unserer ganz bewußt, so wären wir unsre Schöpfer und schrankenlos.« (V 60) – Bereits der Humor hat in dieser triadischen Weise in der humoristisch-verständigen Reflexion das bloß natürlich Einzelne wenigstens in beschränktem Umfang gerechtfertigt, indem es in der ›sinnlichen humoristischen Individuation‹, in der bewußten, anschaulichen

III. Ernste Poesie und sittliche Praxis

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Übernahme des rein Endlichen, auf eine dieser Tätigkeit zugrundeliegende, wenngleich zunächst negativ, ihr im Rücken bleibende Transzendenzgewißheitt und freie absichtliche Tätigkeit analogisch-doppelsinnig verwies, durch die auch das endliche Einzelne allererst zu einer wesentlichen Individualität wird. Tatsächlich als solche in Erscheinung tritt diese jedoch erst in der Positivität des Erhabenen und Schönen bzw. in der Blickwendung auf die humoristische bzw. poetische Tätigkeit selbst als ›höheres‹ reales praktisches Tun.

III. Ernste Poesie und sittliche Praxis – Jean Pauls Poesiekonzept und seine anthropologisch-metaphysischen Grundlagen 1. Die Grundbegriffe der Ästhetik: Das romantisch Schöne und der poetische Charakter Verkündet Jean Paul, in seinen ästhetischen Abhandlungen »oft an oder in das heilige Land« zu kommen, in dem Jacobis Seele wohne,237 hat er selbst ohne Zweifel vor allem auch die Bestimmung des ›Höchsten der Poesie‹ im Auge, das, so die »Kantate-Vorlesung«, der »Genuß einer unbegreiflichen Vereinigung mit einer unbekannten Realität« sei (V 444). Dabei reproduziert die Rede von ›Vereinigung‹ und ›Genuß‹ unmittelbar das poetische Übersteigen des Humors bzw. (als dessen tragischer Variation) des erhabenen Schreckens.238 Nicht nur negativ wie in diesen, sondern ebenso in der Positivitätt einer poetischen Sublimierung der endlichen Dinge und Wesen vermag sich die ›höhere Welt‹ der ›Ideen‹ der ›Vernunft‹ in der romantischen Kunst zu manifestieren. Ihrer sind wir nach Jean Paul (wie nach Jacobi) nicht nur ursprünglich, unmittelbar und als wirklich real inne, sondern sie bilden auch den originären poetischen Stoff. Die poetische ›Vereinigung‹, durch die die Natur im Kunstwerk als in »ewiger Menschwerdung« begriffen erscheine (V 38), erfüllt sich, wenn auch noch nicht im Humor und im Schrecken, so doch im ›romantisch Schönen‹ und der pathetisch-rührenden ›Anspannung‹. Denn diese stellen eine direktee Manifestation des Unendlichen im endlichen poetischen Stoff dar, die als genuin konkret bestimmte zugleich gebrochen und daher unbegreiflich ist. Gerade im ›Schönen‹ ist die Poesie nach Jean Paul »›die zweitee Welt in der hiesigen‹« (V 30), die Erscheinung des Geistig-Ideellen im Natürlich-Körperlichen,

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Brief Jean Pauls an Jacobi vom 30.1.1804 (JPSW III/4, 273). In diesem Sinne bekennt Jean Paul in der Vorschulee ausdrücklich, in früheren Werken »gesündigt« zu haben, indem er dort »zu oft die Gräber« und »nicht bloß den Himmel offen« gezeigt habe. Die Poesie gehe fehl, wenn sie, da die Erde schon genügend »Ungeheuer« trage, auch selbst primär »breit[e] und hoh[e] Ungestalten und riesenhaft[e] Furienmasken« forme (V 513). 238

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B. Jean Paul auf den Spuren Jacobis

dem sie einen »mimischen Sinn« verleiht (V 45).239 Die Dichtkunst sei mithin die »menschlichere Himmelfahrt, wo der Himmel selber zu uns herunterfährt, nicht wir später [im Tod, O. K.] in ihn hinauf« (V 513). Anstatt sie zu beenden oder sie angesichts der prinzipiellen Defizienz des Endlichen überhaupt humoristisch ›milde‹ zu behandeln, vergrößeree auf diese Weise die poetische ›Himmelfahrt‹ gerade auch die irdischen Freuden und verkleinere die Schmerzen, indem sie beide verkläre. »[W]ie das organische Reich das mechanische aufgreift, umgestaltet und beherrschet und knüpft, so übt die poetische Welt dieselbe Kraft an der wirklichen und das Geisterreich am Körperreich.« (V 39) – Dies vermag sie nach Jean Paul eben dadurch, daß sie keine einfache, sondern eine doppelte Nachahmung darstellt: die der äußeren Natur ebenso wie die der inneren geistigen Schöpfungskraftt (V 42). Daher sind neben der erhabenen oder schönen Schilderung240 einer zweckhaft geordneten

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Ähnlich zu Jacobi finden sich dabei auch bei Jean Paul, so sei angemerkt, scheinbar durchaus widerstreitende Zeichnungen von Widerspruch oder Harmonie zwischen Geist und Natur, d. i. der Einheit oder Dissoziiertheit von Seele und Körper. Der Körper erscheint in Jean Pauls poetischen wie theoretischen Texten sowohl als Hülle und Zeichen des Geistigen als auch als dessen Vernichtung und Gefängnis (vgl. Müller [1983], 172 ff.). Der triviale Verdacht einfacher Inkonsistenzen in und zwischen den Jean Paulschen Darstellungen läßt sich wie schon bei Jacobi vermeiden, sieht man in den unterschiedlichen Verhältnisbestimmungen hingegen gerade den originären Ausdruck eines anthropologisch-metaphysischen Konzeptes, dessen ›Logik‹ eine ›Logik‹ der Gebrochenheit und Doppelsinnigkeit ist. Zu ihr gehört, wie von Jean Paul an der Humoristengestalt vorgeführt, wesentlich die Fragilität des möglichen Umschlags von organischer Einheit in abstrakte Entzweiung. 240 Ohne den Unterschied von Erhabenem und Schönem aufzugeben, tritt er bei Jean Paul gleichwohl in seiner philosophischen Bedeutung zurück. Zugleich kommt dem Schönen in dem Maße das Primat in der romantischen Poesie zu, wie der Gedanke der Sublimierung des Endlichen ins Zentrum rückt. Dieser hält zwar in der Vorstellung einer ›Überwältigung‹ des IrdischNatürlichen durch das höhere Ideale an der wesentlichen und kategorialen Unterscheidung von Unendlichem und Endlichem, Unbedingtem und Bedingtem fest, denkt beide jedoch ebenso als im Modus der Harmonie aufeinander bezogen. Entgegen der auch im Konzept des Erhabenen gewöhnlich wirkenden philosophischen Vorstellung eines »fortgesetzten Gegensatz[es]« zwischen Unendlichem und Endlichem vermag nach Jean Paul das poetische Genie irdische und geistige Welt im »Ideal« miteinander auszusöhnen, ja zu ›vermählen‹ (V 65 f.). Selbst Sterben, Tod und Grab lasse es als Verbindung beider Welten erscheinen (vgl. V 67). – Liegt in der Betonung der Harmonie tendenziell bereits ein Zurücknehmen des Erhabenen, nähert Jean Paul zugleich den Begriff des Schönen an den des Erhabenen an, insofern er auch das (Romantisch)Schöne wesentlich auf die Unendlichkeit bezogen sieht. Während Kants Begriff des Schönen dieses als Begrenztes faßt und mit dem Verstand verbindet, das Erhabene hingegen als Unbegrenztes und auf die Ideen der Vernunft Bezogenes gilt (KU A 75), ist das Romantische Jean Pauls »das Schöne ohne Begrenzung« (V 88). Denn angesichts des behaupteten harmonischen Durchdringens des Endlichen durch das Unendliche erscheint ihm die sinnliche Darstellung des Unendlichen in der Poesie viel eher als ein ruhigess »Ahnen einer größern Zukunft, als hienieden Raum hat« (V 88 f., vgl. 91), nicht aber als eine ruhelose Bewegung des Gemüts. Die »ruhige Kontemplation« zeichnet nach Kant aber gerade das Schöne aus (KU A 80). – Mit der Korrektur

III. Ernste Poesie und sittliche Praxis

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Natur ebenso auch »Wunderbares« und »Geistererscheinungen«, genauer: Wunderglaube, »Aberglaube r « und »Geisterfurcht r t« genuin poetische Figuren (V97/44, Herv. v. Vf.), in denen sich für Jean Paul die Transzendierung des Naturmechanismus und die schöpferische Vorgängigkeit des Geistess sinnlich-poetisch ausdrücken.241

am Begriff des Schönen geht schließlich bei Jean Paul auch eine Modifikation des Begriffs des Erhabenen einher, der den Unterschied von Erhabenem und Schönem noch weiter verringert: Denn der Behauptung Kants und Schillers, daß das im Erhabenen sich manifestierende Unendliche nicht durch die Sinne und die Phantasie erfaßt werden könne, setzt Jean Paul die These entgegen, daß das Erhabene, das schlechthin Große sehr wohl sinnlich zu erfahren sei, weil die Sinne das »umspannen« würden, »worin jenes Erhabene erst wohn[e]« (V 106). – Verliert das Erhabene auf diese Weise in der Vorschule, anders als in dem Kants Charakterisierung noch weitgehend folgenden Aufsatz »Über die natürliche Magie der Einbildungskraft« (QF 201 f.), auch seine scharfe Profilierung gegen das Schöne und zugleich die Auszeichnung der Exklusivität des Unendlichkeitsbezuges, bleibt es gleichwohl für Jean Paul ein grundlegender Modus der romantischen Poesie. Dies betrifft nicht nur seine Erscheinung als erhabener Schrecken, in dem das Unendliche (wie in der humoristischen Reflexion) gerade in seiner Differenz zum bloß Endlichen erfahren wird. Vielmehr gilt es auch für die Poesie im ganzen, auch wenn es hier wie in der Bestimmung des auf das Sinnliche (positiv) »angewandten Unendlichen« (V 106) zunächst mit dem Romantisch-Schönen geradezu austauschbar wird. In der Jean Paul wie Jacobi kennzeichnenden Doppelsinnigkeit von Harmonie und Gegensatz zwischen Unendlichem und Endlichem behält das Erhabene als in der Tendenz eher Ausdruck der letzteren Perspektive, wie noch die Bestimmung des Humors als eines ›umgekehrten Erhabenen‹ anzeigt, zugleich seinen guten Sinn als Komplement des Schönen. – Auch Jean Pauls These zum Verhältnis von Romantisch-Schönem und Erhabenem in der Kleinen Nachschule zur Vorschule der Ästhetik, wonach das »Schöne ohne Begrenzung«, wie bspw. die Abendröte, »eine grenzenlose grüne Ebene« oder ein »fernes Gebirg«, die ›Fahne‹ einer fernsten Zukunft sei, das Erhabene hingegen, wie die »Wüste« oder ein nahes Gebirge, diejenige einer nächsten (V 467), erschließt sich wohl erst vor dem Gegensatz zwischen einer (im Irdischen zwar unvollendet bleibenden, aber gleichwohl im Aufgehen in der Weite anschaubaren) Harmonie und einer unmittelbaren Konfrontation zwischen Unendlichem und Endlichem. 241 Das wirkliche Wunderbare in der poetischen Darstellung sei nicht ein vermeintliches »gemeine[s] physische[s] Wunder«, sondern vielmehr, so Jean Paul in Analogie zur Behauptung der zentralen Rolle der ›humoristischen Subjektivität‹, der dargestellte Glaubee daran bzw. das Geisterfurcht und Wunderglaube tragende wesentlich geistige Ich. Denn aufgrund des mit der Idee des ›Übergreifens‹ oder ›Ausdrückens‹ verbundenen substantiellen Dualismus von geistigpraktischer Sphäre und wirkkausal-mechanistischer Natursphäre dürfe das Wunderbare in der Dichtung, um es vom bloß Natürlichen unterscheiden und als wirklich ›Wunderbares‹ erkennen zu können, weder als natürlich erklärbarer Taschenspielertrick erscheinen noch vom Dichter einfach unerklärt bleiben. Ein solches Wunderbares könne aber letztlich allein in der Seele selbst liegen: Wahrhaft wunderbar sei eigentlich, daß Wunderglaube und geistige Tätigkeit in einer durch und durch natürlich-mechanisch bestimmten weltlichen Existenz vorkommen und von uns bzw. gleichsam von den entworfenen poetischen Figuren sogar als auf eigene Weise wirksam unmittelbar erfahren und geglaubt werden (vgl. V 44 f.). – In diesem Sinne gilt Jean Paul auch das im ›Aberglauben‹ wirksame »Prinzip« als wahr, wonach der Abergläubige in der als feindlich erfahrenen »allgewaltigen blinden einsamen Maschine« der Natur die willentlich und absichts-

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B. Jean Paul auf den Spuren Jacobis

Wie Jean Pauls Poesie und Poetologie im Fall von Humor und erhabenem Schrecken gleichsam Variationen und unterschiedliche ästhetische Anwendungen bildeten, qua Rationalitäts- und Systemkritik eine ›unphilosophische‹ ›Absprungstelle‹ in eine alternative Philosophie der Individualität zu bereiten, verhält es sich, so soll sich im folgenden nunmehr ebenso in der Konkretion zeigen, strukturell auch mit Jean Pauls These von der Sublimierung der Endlichkeit durch ihre Vereinigungg mit einer höchsten geistigen Wirklichkeit bzw. mit dem Primat geistiger Wirksamkeit. Bestimmungen, wie die von ›Besonnenheit‹ und ›Instinkt‹ oder ›Witz‹ und ›bildlichem Witz‹, in denen Jean Paul seine Analyse der ›ernsten‹ Poesie des Romantisch-Schönen entwickelt und entfaltet, werden daher wenigstens insoweit zu betrachten sein, wie sie m. a. W. auf je ähnliche Weise poetologisch die Grundlagen und Grundverhältnisse einer praktisch-personalen, an Zweckursächlichkeit orientierten Handlungsmetaphysik, wie derjenigen Jacobis, widerspiegeln. Dabei buchstabieren sie alle tatsächlich in immer neuen Wendungen und ästhetischen Anreicherungen das Zentrum der ›Unphilosophie‹, mithin die Einsicht aus, daß ein höheres nichtdiskursives (letztlich existentiell-praktisches) ›Wissen‹ bzw. der konkrete Wissensvollzugg aller rationalen Erkenntnis in gleicher Weise vorausliegt wie reales willentliches Handeln allen ›bedeutsamen‹ natürlichen Veränderungen. Es ist vor dem Hintergrund dieses Grundmotivs Jacobis nur konsequent, daß Jean Pauls Analyse der ernsten romantisch-schönen Poesie im Fortgang zum ›poetischen Charakter‹ vordringt, in dem im Feld der Poetologie die basalen unphilosophischen Motive der sittlichen Individualität und des ursprünglichen Handlungscharakters der Daseinserfahrung kondensieren. Insofern der ›poetische Charakter‹ sich dabei als dichterische Aktualisierung der ›symbolischen Individualität‹ und genauer der Handlungsnatur jedes Menschen als Geistwesen erweisen wird, bildet dessen Untersuchung schließlich nicht nur das eigentliche Zentrum von Jean Pauls Poesiekonzept und Poetologie. Vielmehr eröffnet sie zugleich die Perspektive auf seine diesem zugrundeliegenden anthropologisch-ethischen Überzeugungen. Wie die Hervorbringung eines poetischen ›Charakters‹ in der Kunst einen entscheidenden Fluchtpunkt der ästhetischen Betrachtungen bildet, steht der oft auch als ›geistige Individualität‹ gefaßte ›sittlichee Charakter‹ im Zentrum der (moral-)philosophischen

voll handelnden »Riesen« suche, »welche die wunderbare Maschine eingerichtet« haben: Dabei weist Jean Paul die (Hobbessche) Deutung zurück, daß die menschliche Furcht der »Schöpfer« der Götter sei. Vielmehr verhalte es ich gerade umgekehrt: Die Furcht des Menschen sei das »Geschöpf der Götter« und als Ausdruck der eigenen Handlungsfähigkeit des Menschen »selber eine Göttin«. Wahr sei also die dem Aberglauben zugrundeliegende These, daß, wie der Leib des Menschen zugleich dessen Seele ausspreche, sich ein vernünftiger Gesetzgeber auch im Weltall und den ›körperlichen Gesetzen‹ offenbare. Das »abergläubige Irren« bestehe allein in der doppelten Hybris anzunehmen, daß wir (1) die »geistige Mimik des Universums« vollständig verstehen könnten, weil wir sie (2) für ganz von/für uns allein gedacht halten (V 97 f.).

III. Ernste Poesie und sittliche Praxis

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Überlegungen Jean Pauls. Ihre Analyse stellt daher den letzten, die entscheidenden Motive der Fichte-Kritik der Claviss noch einmal vertiefenden Schritt dar, der nachweist, daß Jacobis Metaphysik der als ›Mann mit Namen‹ verstandenen ›Person‹ auch in den ethisch-metaphysischen Überlegungen Jean Pauls ihre Entsprechung und Anwendung findet.242 Die Verständigung über den Menschen als ›Mischwesen‹ aus geistig-unendlicher und sinnlich-endlicher Natur, das, wie bei Jacobi, seine höchste und ursprüngliche Wirklichkeit in der Fähigkeit zu konkretem absichtsvollem, sittlich bestimmtem und wie in der Freundschaft genuin interpersonal-dialogisch verfaßtem praktischem Handeln erfährt, bietet dabei auch den entscheidenden Ansatz, die Rolle Gottes und zahlreicher theologisch oder religiös auftretender Motive philosophisch zu erhellen. Auch diese, so die Grundthese, lassen sich bei Jean Paul der Sache nach grundsätzlich in Analogie zu den Verhältnissen in der Jacobischen Unphilosophie auffassen, d. h. als philosophisch konsequenter Ausdruck einer an Unbedingtheit und schlechthinniger Realität interessierten und insofern metaphysischen Position, die in der Gegnerschaft vor allem zur transzendentalidealistischen Moralphilosophie die Unbedingtheit sittlicher Ansprüche um ihrer bestimmten Realität im menschlichen Leben und Handeln willen an das einzelne Ich verwiesen sieht. Dieses kann darum nicht als schlechthin selbstkonstitutiv begriffen werden, sondern ist im Gegenteil als ein Wesen zu verstehen, das sich in der je bestimmt-individuellen Erfahrung seiner gebrochenen Existenzweise von einem absoluten Wesen als seinem real verschiedenen Urbild unterscheidet. Auch bei Jean Paul wird mithin die Rede vom persönlichen Gott ebenso wie diejenige von der persönlichen Seelenunsterblichkeit wesentlich zum Symbol der unbedingten Anerkennung sittlicher Ansprüche und realer Handlungsfähigkeit, obwohl, ja gerade weil diese nur als je konkret bestimmte für uns wirklich sind.

α) Organe und Konstituentien der schönen poetischen Tätigkeit Bereits für die »Phantasie« oder »Bildungskraft«, die nach Jean Paul das ursprüngliche Organ der schönen poetischen ›Beseelung‹ des Endlichen in der Kunst ist, gilt jedoch, daß ihre Deutung in angezeigter Weise auf dem (un-)philosophischen

242

Dabei sind der poetische und der praktisch-sittliche Charakter in dem Maße aufs engste aufeinander bezogen, wie der vollendete poetische Charakter nichts anderes als die Darstellung eines sittlichen Charakters in der Kunst ist und umgekehrt diese Darstellung zur Ausbildung wirklicher Sittlichkeit beitragen soll. Vgl. hierzu Jean Pauls Lob der Dichter, insofern sie den »Himmel aufsperren« durch die Darstellung eines »sittlich-idealen Charakters«: »Der Dichter schenkt uns die zweite Welt, das Reich Gottes; denn dieses kann ja nie auf Körpern wohnen und in Begebenheiten erscheinen, sondern nur in einem hohen Herzen, das eben der Dichter vor unserem aufgetan« (V 219; vgl. weiterhin QF 200).

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B. Jean Paul auf den Spuren Jacobis

Grundmotiv einer wunderbaren und konstitutiven Vorgängigkeit einer höheren geistigen Welt beruht. – Die Phantasie stellt nach Jean Paul im Gegensatz zu der die äußeren Wahrnehmungen erinnernden (reproduzierenden) »Einbildungskraft«, über die bereits Tiere verfügen, die ordnende Grundkraft der geistigen Vermögen des Menschen, die »Welt-Seele der Seele« und den »Elementargeist der übrigen Kräfte« dar. Denn während die anderen geistigen Vermögen unterscheidend und teilend tätig seien, mache die Phantasie »alle Teile zu Ganzen«: »sie totalisieret alles, auch das unendliche All« (V 47). Diese Anlage zur ›Verganzung‹ begründet dabei nicht nur ihre zentrale Rolle für die Einheit der geistigen Kräfte des Menschen im poetischen Schaffensprozeß, sondern eröffnet ihr auch den Blick auf »das Absolute und das Unendliche der Vernunft« als ihrem ›höheren‹ Stoff: Dieses führt die Phantasie, so Jean Paul, »näher und anschaulicher vor den sterblichen Menschen«, indem sie die endlichen Gegebenheiten und natürlichen Gegenstände vereinigt, entgrenzt und so auf die Ewigkeit hinordnet. Bereits 1795 im Aufsatz Über die natürliche Magie der Einbildungskraftt hatte Jean Paul die Phantasie in diesem Sinne nicht nur als den ›sensus communis‹, das schöpferische »unisono der fünf Sinne« aufgefaßt (QF 196).243 Vielmehr hatte er ihr auch hier schon die Aufgabe und Fähigkeit zugeschrieben, die ›irdische Welt‹ und das bloße äußerliche, d. h. bürgerliche und physische Leben dichterisch als ein ›Arkadien‹ und ›Elysium‹ erscheinen zu lassen. In der Figur der ›Metapher‹ mache die Phantasie einen irdischen, endlich-begrenzten Körper zur Hülle von etwas Geistigem und Unendlichem, wodurch der Körper heller gesehen werde als in bloß körperlicher und direkter Betrachtung. Erst in dieser Verwandlung von einem sinnlich-quantitativen Gegenstand zu einem ideal-qualitativen werde er poetisch. Und umgekehrt gebe die Phantasie als ›Personifikation‹ einem Geistigen eine körperliche Manifestation (QF 200). – Entscheidend dabei ist, so stellt auch der Magie-Aufsatzz ausdrücklich heraus, daß in der ›schönen geistigen Nachahmung‹ der Poesie, in Metapher und Personifizierung, der Modus der Identität – von Jean Paul hier gefaßt als ›vollendete Ähnlichkeit‹ bzw. als »bloße kahle Vergleichung […] zwischen dem Ur- und Abbilde« – überwunden wird. Denn in der Poesie gehe es, recht betrachtet, gerade um eine ›unvollendete Ähnlichkeit‹, ein Verhältnis, in dem eine Ungleichheit von Geistigem und Körperlichem, Ewigem und Natürlich-Zeitlichem, persönlich/ lebendig Zweckhaftem und mechanisch Bestimmtem konstitutiv sei (QF 203) und

243

Wobei für Jean Paul letztlich, so hatte auch Jacobi bereits eingesehen und insofern auch der Transzendentalphilosophie partiell beigestimmt, Empfindung und Phantasie in dem Maße in ihrem Produktivitätscharakter übereinstimmen, wie auch die sinnliche Empfindung als Perzeption des Ich, mithin in ihrem subjektivem Charakter, von diesem selbst hervorgebracht werden muß. Allerdings unterscheiden sich die Erzeugnisse von Empfindung und Phantasie nicht nur hinsichtlich des »Kolorits«, sondern zugleich auch viel grundsätzlicher in der Art der internen Ordnung, d. h. der Ausrichtung auf Sukzessivität (Phantasie) oder auf Simultaneität (Empfindung) (QF 196).

III. Ernste Poesie und sittliche Praxis

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das das Erscheinen des Unendlichem im Endlichen, anstatt es auszuschließen, als Erscheinen eines je bestimmten konkreten Unendlichen allererst ermöglicht. Dem entspricht, daß, wie Jean Paul 1795 ebenso wie später in der Vorschulee behauptet, der Bezug der Phantasie auf die Ewigkeit selbst insofern eine genuin zeitliche Tätigkeit ist, als sie sich konstitutiv auf die »Schöpfung-Ewigkeiten« von »Zukunft« und »Vergangenheit« richtet: Diese seien im Gegensatz zur »Gegenwart« »unendlich« und könnten »zu einem Ganzen werden« (V 47); nicht das aktuelle Hereinbrechen, sondern das Drohen des Schicksals gebe der Phantasie Unendlichkeit. Diese Charakterisierung der Phantasie qua Zukunftsbezug wird in ihrer Differenz zu den ›nihilistischen‹ ›neuen Poetikern‹, mit denen Jean Paul zunächst die Hochschätzung der produktiven Einbildungskraft teilt, jedoch wiederum nur richtig verstanden, behält man auch für diese Überlegungen die Jean Paul mit Jacobi intim verbindende doppelsinnige Grundanlage seines Denkens im Blick. Danach lassen sich zwar Jean Pauls Behauptungen über die Bezugnahme der Phantasie auf eine noch nicht seiende Zukunft einerseits neuerlich scheinbar als eine endlose Approximationsbewegung der poetischen Tätigkeit der Phantasie verstehen. Dies gilt ebenso für die zahlreichen Äußerungen über ein den Menschen wesentlich bestimmendes, prinzipiell unbefriedigt bleibendes unendliches Sehnen nach Idealität. Eine solche endlose Approximationsbewegung würde jedoch, so zeigte die Jean Paulsche Kritik an Fichte und der Frühromantik, letztlich noch ins bloß Endliche fallen. Müßte sie als Kern der poetologischen Überlegungen Jean Pauls gelten, verfielen diese daher seiner eigenen Kritik. Ähnlich verhält es sich im übrigen mit denjenigen Darstellungen und poetisch-anschaulichen Reflexionen der Seelenunsterblichkeit bei Jean Paul, die diese vermeintlich mit der Vorstellung einer endlos ausgedehnten vorgeburtlichen Existenz und einer ebenso unaufhörlichen Fortexistenz nach dem Tode in Verbindung bringen.244 Zwar hat diese Perspektive bei Jean Paul, wie schon bei Jacobi, durchaus ihren Ort und ihr bestimmtes Recht als Perspektive, die an der bloßen Endlichkeit des Menschen ansetzt. – Gleichwohl ist eine solche Auffassung des Verhältnisses von Endlichem und Unendlichem andererseits aber ebenso vorläufig wie abstrakt. Recht betrachtet, so zeigen die weiteren begrifflichen Entwicklungen der Vorschule, wiederholt die Behauptung, daß allein die Phantasie in ihrer poetischen Tätigkeit Vergangenheit und Zukunft miteinander versöhnt (KT 568) und in ihnen das Unendliche und Ewige zur Darstellung im Endlichen bringt, m. a. W. vielmehr tatsächlich die Überzeugung, daß sich das Unendliche und Ewige selbst direkt, unmittelbar und aktual245 im Endlichen und Zeitlichen –

244

So bspw. Jean Paul: Über die Fortdauer der Seele und ihres Bewustseinss (1791), JPW II/2, 776–798. 245 In diesem Sinne hält Jean Paul bei der Charakterisierung des Erhabenen als ›angewandtes Unendliches‹ ausdrücklich fest, daß in der Anwendung des Unendlichen auf das kategorial

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genauer: im sich auf eine Zukunft hin (praktisch bzw. poetisch) bestimmenden endlichen Geist und als solcher – manifestiert. In ähnlicher Weise erschöpfte sich die humoristische Reflexion nicht in der bloßen Negation des Endlichen, sondern verwies bereits auf die von ihr vorauszusetzende, sich im Romantisch-Schönen, d.h im Endlichen selbst, manifestierende Positivität des Unendlichen und Absoluten. * Während bereits die ästhetische Anschauung des Schönen, das Verstehen einer Metapher oder die Anerkennung einer literarischen Gestalt als Darstellung eines Geistwesens eine ›empfangendee Phantasie‹ voraussetzen, um die poetische Darstellung rezeptiv für sich »allererst zu einem Ganzen [zu] bilden« (V 49), bedarf es nach Jean Paul für die schöne romantisch-poetische Produktivität des Dichters nicht nur der gleichmäßigen Ausbildung und gleichzeitigen »Blüte« allerr Seelenkräfte, sondern auch und vor allem einer ›schaffenden Phantasie‹, die die Harmonie dieser Kräfte verbürgt und bewirkt (V 55/50, vgl. auch QF 205). Die beiden entscheidenden Konstituentien der harmonisierenden Tätigkeit der schaffenden Phantasie sind dabei (1), so Jean Paul in offenkundiger terminologischer Anlehnung an Herder, die ›Besonnenheit‹ sowie (2), in nunmehr explizitem Verweis auf Jacobi (und Platon, V 60), der ›Instinkt‹ bzw. die ›Liebe des Unendlichen‹ (V 56). Neben ›Scharfsinns‹ bedürfe das wahre Genie auch ›Tiefsinns‹.246 (1) Besonnenheitt setzt nach Jean Paul das »Gleichgewicht« und den »Wechselstreit« zwischen Tun und Leiden, Subjekt und Objekt voraus, mit denen sie als ihren Momenten wesentlich verbunden ist. Dabei gelte es, zwischen einer »gemeine[n] geschäftige[n] Besonnenheit« und einer ›dichtenden und denkenden‹ ›höheren‹, gar ›göttlichen‹ Besonnenheit zu unterscheiden. Jene fordere das »Äquilibrieren« zwischen äußerer und innerer Welt und sei dabei vorzüglich nach außen auf die empirisch-natürliche Sphäre und die endlich-persönlichen Verhältnisse des Ich gerichtet; sie stelle mithin mehr Bewußtsein als Selbstbewußtsein dar und werde vom ›Verstand‹ begründet. Diese hingegen beruhe auf der ›Vernunft‹ und teile die ›innere Welt‹ in ein Ich und dessen Reich im Sinne eines Schöpfers und seiner Welt. Damit hat es die höhere Besonnenheit zunächst scheinbar ausschließlich mit einem Selbstverhältnis des Ich zu tun – und somit dem ›Selbstbewußt-

verschiedene, weil bloß endliche Sinnliche, die dieses gleichwohl zum Zeichen des Unendlichen werden lasse, das Verhältnis von Unendlichem und Sinnlichem und umgekehrt nur ein unmittelbares sein könne: »Den ungeheuren Sprung vom Sinnlichen als Zeichen zum Unendlichen als Bezeichnetes«, so Jean Paul, »vermittelt nur die Natur, aber keine Zwischen-Idee; zwischen dem mimischen Ausdruck des Hasses z. B. und zwischen diesem selber, ja zwischen Wort und Idee gibt es keine Gleichung« (V 107). 246 Vgl. u. a. Brief Jean Pauls an Jacobi vom 15.5.1799 (JPSW III/3, 197).

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sein‹ als dem, wie Jean Paul es beschreibt, »ganze[n] Sichselbersehen des zu- und des abgewandten Menschen in zwei Spiegeln zugleich« (V 57). – Aufgrund seiner sachlichen wie strukturellen Beziehung zu den Begriffen von Verstand und Subjektivität überrascht nicht, daß auch der Begriff der Besonnenheit zu den zahlreichen Grundbegriffen Jean Pauls gehört, die eine Nähe sowohl zu Fichteschen als auch zu Jacobischen Vorstellungen aufweisen. Die philosophische und historische Affinität zu Fichteschen Motiven, wie der Wechselbestimmung von Subjekt und Objekt oder dem Primat des Selbstbewußtseins, wird auch noch einmal ausdrücklich durch Jean Pauls Analyse des Verhältnisses von klassischer griechischer und moderner romantischer Poesie bekräftigt: Während nämlich jene noch »selbstverloren« auf die »unmittelbare Objektivität der sinnlichen Anschauung« hätte vertrauen und daher »unbesonnen« bleiben können (V 70), setze diese die ›höhere Besonnenheit‹ voraus, um allererst eine Objektivität – und zwar als höhere geistige – zurückzugewinnen. In einer Zeit, in der die vermeintlich natürlich gegebenen Objekte durch einen »scharfen Idealismus« im Ich ›weggeschmolzen‹ seien, bedürfe es mithin der konsequenten idealistischen Reflexion auf die inneren Strukturen des Geistes bzw. einer »zusammenfassende[n] philosophische[n] Beschreibung des wahrhaft Göttlichen, welches den Mythen aller Religionen in jeder Brust zum Grunde liegt« (V 73). – Allerdings erschöpft sich der philosophische Gehalt von Jean Pauls Überlegungen zur Funktion der ›Besonnenheit‹ zugleich wiederum nicht in idealistischen oder selbstbewußtseinstheoretischen Motiven und Reflexionen. Im Gegenteil wiederholen seine Erklärungen, so deutet bereits die Rede vom ›wahrhaft Göttlichen‹ an, in der Trias von Instinkt-Besonnenheit-Sinnlichkeit, in die die Besonnenheit konstitutiv eingelassen ist, ein weiteres Mal poetologisch die dreidimensionale Struktur von Vernunftgefühl-Verstand-Empfindung, die sich als eine Entfaltung der von Jacobi gerade gegen den transzendentalen Idealismus und als unmittelbares Resultat von dessen ausgiebiger kritischer Analyse in Stellung gebrachten Figur der wunderbaren gleichzeitigen ›Offenbarung‹ von Ich und Du zeigte. In diesem Sinne weist insbesondere auch die Unterscheidung zweier Formen der Besonnenheit eine tiefgreifende strukturelle Analogie zur doppelten Rolle des Verstandes bei Jacobi auf, die sich in Abhängigkeit davon ergab, ob er als auf das Vernunftgefühl oder als ausschließlich auf die Sinnlichkeit bezogen erfaßt wurde. – Der höhere geistige Gehalt, der nach Jean Paul den genuinen Stoff der Poesie darstellt und der den äußeren mechanischen Stoff der irdischen Welt allererst in seiner Anwendung durch die Besonnenheit bzw. durch die Tätigkeit des Ich auf diesen für die Poesie interessant macht, ist zwar ein innerlicher und insofern auf Besonnenheit und Subjektivität bezogen. Er wird aber zugleich auch für Jean Paul weder von der romantisch-poetischen Subjektivität selbst als solcher hervorgebracht, noch fällt er mit dieser zusammen. Vielmehr ist er in der Moderne erst im Durchgang durch das philosophisch-kritische ›Geschäft‹ als das diesem noch Vorausliegende allererst wiederzugewinnen.

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(2) In diesem Sinne bedarf eben auch die poetisch konstitutive ›höhere Besonnenheit‹ oder Selbst-Besinnung, d. i. die »ewige fortbrennende Lampe im Innern« des Menschen (V 57), eines Komplements, besser: eines Fundaments. Auch Jean Paul ist sich m. a. W., wie u. a. sein Briefwechsel zeigt, der Problematik des infiniten Regresses sehr wohl bewußt, die im Bild gegenüberliegender Spiegel als Modell des Selbst bzw. der poetischen Subjektivität liegt, und folgt daher in ästhetischer Anwendung dem Jacobi und Fichte programmatisch noch gemeinsamen Bemühen, eine bloße Reflexionstheorie des (poetischen) Ich zu überschreiten. Dies geschieht statt als Selbstsetzung oder als intellektuelle Anschauung des reinen Subjekt-Objekts bei Fichte nach Jean Paul aber im poetisch-anschaulichen Appellieren an den »Tiefsinn«, d. i. an einen »Instinkt des Unbewußten und die Liebe dafür« (V 59). Es ist mithin in der Poetologie der Vorschulee der Begriff des ›Tiefsinns‹ bzw. des ›Instinkts‹, in dem sich die antiidealistische Grundanlage des Jean Paulschen Denkens verdichtet – und damit auch die Einsicht, daß die Tätigkeit der genialen poetischen Besonnenheit, im Gegensatz zum Fichteschen (absoluten) Ich und zur frühromantischen Phantasie, nicht enthusiastisch absolut hervorbringend und nicht zugleich Schöpfer und Geschöpf, Form und Stoff verschmelzend ist. Nicht als ein sich selbst spiegelndes Spiegeln (V 60) stellt sich für Jean Paul das innerlich-geistige Hervorbringen des Dichters dar, sondern als ein solches, das instantan sowohl ein »Auge« als auch ein ›Spiegel der Welt‹ ist (V 57)247 und dessen Gehalt, d. i. das qua Instinkt erfahrene Unbewußte, im »Aussprechen der göttlichen [nicht der subjektiven, O. K.] Weisheit in der menschlichen Seele« liegt. Wenn Jean Paul gerade in der Explikation des ›Instinktes‹ des ›Unbewußten‹ und Unbedingten nunmehr ausdrücklich an die Überlegungen Jacobis und dessen Begriff der Vernunft anschließt (V 60), markiert er also präzise den Punkt, in dem sich seine eigene poetologisch entwickelte und angewandte Auffassung von Besonnenheit bzw. (Selbst-)Bewußtsein und Ichsein auch von der transzendentalpoetisch adaptierten grundsätzlich unterscheidet. In Korrespondenz zur Charakterisierung der Tätigkeit der Phantasie als ein Ausgreifen auf Vergangenheit und Zukunft zeigt sich auch der den poetischen Stoff gebende ›Instinkt des Unbedingten‹ näherhin schließlich wesentlich als »Trieb« und »Sinn der Zukunft« t (V 60, Herv. v. Vf.). An der zugleich gegebenen Fortbestimmung der in diesem Sinne genuin zeitlichen Verfaßtheit des Poetischen ist entscheidend, daß auch Jean Paul bereits das Verhältnis von poetischem oder poetisch dargestelltem Trieb oder Instinkt und seinem in der Zukunft liegenden poetischen

247

Von dieser ›göttlichen‹ Besonnenheit ist wie in den Verfallsformen bei Schoppe, aber vor allem bei Roquairol neuerlich eine ›sündige‹ zu unterscheiden: durch Verlust ihrer Instinktbindung erscheine diese, so Jean Paul, als »mechanisch« nachzuahmen und »mit Willkür und Heucheln göttliche Eingebung und Empfindung nachzuspielen und folglich – aufzuheben« (V 59).

III. Ernste Poesie und sittliche Praxis

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Gegenstand in einem wesentlichen Aspekt in struktureller Analogie zur Relation von (Zweck-)›Ursache‹ und ›Wirkung‹ auffaßt. Jacobi hatte diese gegen die Identitätsbeziehung von ›Grund‹ und ›Folge‹ mobilisiert, da zwischen Ursache und Wirkung trotz einer in gewissem Sinne gemeinsamen wunderbaren Gegebenheit zugleich aufgrund ihrer Substantialität als konkrete einzelne geistig-praktische ›Gegenstände‹ und ihres zeitlichen Nacheinanders eine reale Differenz besteht. In der realen Wirksamkeitt eines intendierten Zweckes, insofern er als je konkreter das richtungsbestimmende Movens der wirklichen willentlichen Handlung eines Menschen bildet, war für Jacobi m. a. W. bereits eine Realitätserfahrung enthalten, die über den Status der supponierten Realität im Sinne eines bloß idealen, vom Ich selbst allererst und vollständig selbsttätig Hervorgebrachten und somit über den Status eines bloßen Postulatss und praktisch Geforderten hinausging. In analoger Weise entbehrt für Jean Paul der Instinkt nicht nur genauso noch seinen Gegenstand wie er ihn auch fordert, bestimmt, kennt und teilweise besitztt (V 60). In dem im poetischen Zukunftstrieb liegenden ›Gefühl des Entbehrens‹ und der Intention auf ein noch nicht als gegenwärtige Tatsache Seiendes sei also bereits ein Positivum, ein realer geistiger Stoff der poetischen Darstellung gegeben,248 der sich nicht wegen seiner mangelnden Wirklichkeit (gleichsam als Epiphänomen), sondern wegen seiner Partialität und Selbständigkeit vom schlechthin Idealen und Unendlichen real unterscheidet.249 – Der Erläuterung genau dieser Konstellation, nicht aber einer alleinheitsphilosophischen Vision dient schließlich auch Jean Pauls ausdrückliche Berufung auf das ›Totum parte prius esse necesse est‹, das bereits von Jacobi zum Prinzip aller Metaphysik erklärt worden war. Ganz analog verhält es sich auch mit potentiell mißverständlichen Explikationen des ontologisch-metaphysischen Primats des schlechthin Totalen, Unbedingten und Unendlichen, die dieses scheinbar zum »Todesengel« des bloß sekundären ›Irdischen, Weltlichen, Zeitlichen‹ erklären (V 61) und zugleich den Gegensatz von Unendlichem und Endlichem im Sinne einer traditionellen rationalen Metaphysik als denjenigen von »Allgemeinem«, »Rein-Menschlichem«, ›Ewigem‹ einerseits und den von diesem ausgeschlossenen »Zufälligkeiten der Individualität« andererseits fassen (V 75). Jean Pauls Gedanke, daß im poetischen Genie und seinem Werk ein »Feste[s] und Ewige[s]« unverrückt

248

Daher läßt Jean Paul in bewußter Opposition zur Auffassung der »Neuern« auch den Begriff des Strebens und des Triebes ausdrücklich nicht selbst zum Höchsten und Unendlichen werden. »Es muß eine höhere Wonne geben als die Pein der Lust.« »So ist die höchste Seligkeit, d. h. das, wornach wir streben, nicht wieder ein Streben […], sondern das Gegenteil, ein genießendes Ruhen.« (V 78) 249 In gleicher Weise betont daher auch die »Miserikordias-Vorlesung für Stilistiker«, daß das Streben der Poesie nach selbsttätiger Produktivität nicht selbst »Zweck und Palmenpreis«, sondern »Mittel und Weg« sei und die Poesie daher außer ihrer Form und subjektiven Tätigkeit genauso auch Weltkenntnis voraussetze (V 382).

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wirkt, während »alle einzelnen Kräfte in den Ermattungen des Lebens und der Zeit wechseln und sinken können« (V 64), meint tatsächlich aber auch weder den strengen ausschließlichen Gegensatz von Ewigkeit und Zeit und die Überwindung aller Zeit im Namen der Ewigkeit noch eben, wie in der ›gewöhnlichen‹ und ›frommen‹ Vorstellung der Ewigkeit und Unsterblichkeit als einem zweiten Leben nachh dem Tod, eine zeitlich-endlose Fortsetzung der Existenz. Gemeint ist etwas anderes, wie noch einmal das Bild anzeigt, das Jean Paul zur Explikation des poetisch-genialen Ich als je realem und konkretem Unbedingtem und damit auch der in die Zeit eingreifenden Ewigkeitt wählt: Es geht tatsächlich nicht um ein Nichtzeitliches, sondern um ein im Zeitlichen vorauszusetzendes Überzeitliches. Das ›Ewige‹ und ›Feste‹ im Tun und Leben des poetischen Genies (und der von ihm poetisch geschaffenen Geister) sei nämlich wie ein und dieselbe »Melodie«, die »durch alle Absätze des Lebens-Liedes« gehe, dem sie nur immer neu und augenblicklich eine »äußere Form« erschaffe (V 64). Eine Melodie jedoch ist nicht nur selbst ein wesentlich zeitlich Verfaßtes, sondern verbindet Vergangenheit und Zukunft in einem geordneten, aber statt mechanisch-kausal oder begrifflich vielmehr (vom Komponisten/ Musiker) intentional-geistig bestimmten innerzeitlichen Zusammenhang über eine gewisse Zeitdauer hinweg. – Trotz gewisser Unklarheiten dieses Vergleichs hinsichtlich der Intentionalität oder Zweckgeleitetheit einer Melodie spielt Jean Paul hier ohne Zweifel auf die im willentlich vorsehenden Handeln erfahrene praktische Zeitlichkeit an, die Jacobi sowohl gegen Spinoza als auch gegen Fichte eingeklagt hatte. Und wie daraus schließlich für das sittliche Individuum bei Jacobi die wesentliche historische Gebundenheit an die Sittlichkeit der eigenen Zeit und des eigenen Gemeinwesens folgte, ist auch jeder Künstler, so hebt Jean Paul ausdrücklich hervor, als poetisches Genie und damit eben in der Wirklichkeitt seiner Unendlichkeit und Unbedingtheit/Freiheit selbst konstitutivv an die bestimmten Bedingungen und Sitten, die Ausdrucksformen und Gegenstände seiner Zeit gebunden. Es gäbe keinen Poeten, »der ohne Magen, ohne Vaterland und dessen Sitten und ohne Zeit gewesen wäre, desgleichen seine Verehrer, sondern er hatte seine Verwandten, Gedärme, Wochen und Winkel zu jener Individuation, welche Philosophen von ihm fodern.« (V 429 f.).

β) Witz und Metapher Ein analoges Bild zur Analyse der Phantasie und der Beziehung von Besonnenheit und Instinkt bzw. Tiefsinn hinsichtlich einer weitreichenden und grundlegenden Übereinstimmung mit Jacobischen Motiven und Strukturen ergibt sich auch für Jean Pauls in der Vorschulee präsentierte Theorie des »Witzes«. Dies kann genauso wenig überraschen wie überhaupt der Umstand, daß die Vorschule dem Witz große Aufmerksamkeit schenkt. Denn schon im Siebenkäss galt der »Witz« als eine der

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»zwei Balsampappeln des Lebens«, neben der »Menschenliebe«, die recht betrachtet strukturell ähnlich aufeinander bezogen sind wie ›höhere‹ Besonnenheit und Instinkt oder wie Phantasie und geistiger Stoff.250 Die Witztheorie der Vorschule nimmt als Binnendifferenzierung des Witzes i. w. S zudem strukturell die Trias von Sinnlichkeit-Verstand-Vernunft genauso in sich auf wie die Unterscheidung von ›bildlichem‹ und ›unbildlichem Witz‹ derjenigen von ›höherer‹ und gemeiner Besonnenheit und damit der doppelsinnigen Betrachtung des Verstandes grundlegend analog ist. Der Begriff des ›Witzes‹ bildet in Jean Pauls Poetologie insofern eine der Leitbestimmungen, als er entgegen seiner engeren traditionellen Bedeutung im Sinne eines Vermögens, »entfernte Ähnlichkeiten« bzw. Gleiches im Ungleichen zu finden, hier ausdrücklich als das Vermögen des »Vergleichens überhaupt« gefaßt wird (V 170 f.).251 Beim Witz in dieser weiten Bedeutung geht es m. a. W. um das Finden einer dritten Vorstellung beim Vergleichen zweier anderer, das, so die entscheidende Bestimmung, kein streng logisches Erschließen sei, sondern ein ›unvermitteltes‹ freies, jedoch nicht zufällig-willkürliches Erschaffen oder, wie Jean Paul auch vermerkt: der Witz sei der »Sprung« zur dritten Vorstellung als »Wunderkind« (V 171). Daher gilt der Vorschulee nicht nur konsequenterweise die originäre romantisch-poetische Tätigkeit, Unendliches auf Endliches zu beziehen, selbst als wesentlich ›witzig‹. Vielmehr trifft dieses auch für die reflexiv-philosophische Tätigkeit zu, deren vermeintlich auf streng logische oder begriffliche Deduzierbarkeit ausgerichtete Binnenlogik damit neuerlich auch bei Jean Paul als durch eine finale analogische Findungsfigur aufgebrochen erscheint. Der Witzbegriff der Vorschule umfaßt m. a. W. neben dem traditionellen Witz i. e. S. ebenso dessen gewöhnlichen Komplementär- oder Gegenbegriff des »Scharfsinns«, der verschiedenenorts von Jean Paul ausdrücklich mit Fichtes Philosophie verbunden wird. Drittens schließlich bildet auch der »Tiefsinn«, dieses ›unphilosophische‹ Vermögen der geistigen

250

Phantasie ist die ursprüngliche Kraft, aus der sich erst die einzelnen Vermögen wie Witz und Scharfsinn ableiten lassen (Baierl [1992], 71). 251 Daß sich Jean Pauls Witzbegriff im Sinne des »Denk- und Schöpfungsvermögens« des Menschen überhaupt, d. h. durch seine intime Nähe zur Phantasie bzw. produktiven Einbildungskraft, gegen denjenigen u. a. von Gottsched, Lessing und Kant wendet, stellt auch Cambi ausdrücklich heraus, insofern damit gerade die philosophische Aufwertung des Witzes gegen das »Deutungsmuster des maliziösen Salon Divertissements« und des bloßen verständigen »Gedankenspiels ohne Erkenntniswert« verbunden sei (Cambi [1994], 101). Daß die Binnenstruktur des Witzes als zum Tiefsinn hin aufgelöste »Gegensätzlichkeit von Scharfsinn und Tiefsinn« (ebd., 108) über die expliziten Bezüge auf Friedrich Schlegel hinaus strukturell grundlegende Konstellationen der Jacobischen Doppelphilosophie aufnimmt und erst auf diese Weise in seiner Verortung innerhalb eines philosophischen Sachdiskurses und in seiner wiederum im ›Tiefsinn‹ liegenden Differenz zum ebenso an die Phantasie adressierten Witz-Begriff Schlegels angemessen erfaßt werden kann, interessiert Cambi dabei jedoch nicht.

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Wahrnehmung eines höheren Realismus, ein Moment, genauer: das höchste, ja umfassende ›Moment‹ des Witzes i. w. S. – Während sich alle Arten oder Momente des Witzes hinsichtlich ihres Tätigkeitscharakters als unvermitteltes, ›wunderbares‹ Finden einer dritten, d. h. substantiell verschiedenen, eigenständigen und insofern grundlegend ›transzendenten‹, Vorstellung gleichen, geschieht ihre Unterscheidung nach Jean Paul »in Rücksicht der Objekte« bzw. der ihre Gehalte bestimmenden geistigen Vermögen: Der Witz i. e. S. finde, wie Friedrichs Schlegels »fragmentarische Genialität«, »das Verhältnis der Ähnlichkeit, d. h. teilweise Gleichheit, unter größere Ungleichheit versteckt«. Er ist mithin das unvermittelte, durch einen »Instinkt der Natur« ›erzwungene‹ Erfinden einer anschaulichen Vorstellung (in der Phantasie), in der sich zwei inkommensurable Vorstellungen, genauer: Anschauungen, wie die der in äußerer Anschauung gegebenen Körperwelt (»Sonne«/Licht) und der in innerer Anschauung gegebenen Geisterwelt (»Wahrheit«), zu gleichen scheinen. – Dagegen vergleiche der »Scharfsinn« als »Witz zweiter Potenz« die in den Anschauungen gefundenen Verhältnisse von Gleichheit bzw. Ähnlichkeit, »um die Unähnlichkeit zu finden«, die er qua Verstand »durch eine lange Reihe von Begriffen« aufzusuchen versuche (V 171 f.). – Der »Tiefsinn« schließlich, diese dritte und höchste Form bzw. die allererst vollständige Erscheinung des Witzes im weiteren Sinne der vergleichenden Tätigkeit überhaupt, steht nach Jean Paul hingegen »im Bunde mit der Vernunft« und vergleiche daher die Gegenstände, die der Witz i. e. S. anschaulich verbunden habe, ebenso wie die »Vergleichungen« und Relationen, die »der Scharfsinn verständig geschieden« habe, um »Einheit« und »Gleichheit zu setzen«. Er finde m. a. W. im vermeintlich Inkommensurablen oder bloß Ähnlichen »trotz allem Scheine gänzliche Gleichheit«. Als solche auf Einheit schlechthin ausgehende Tätigkeit stelle der »höhere göttliche Witz« bzw. Tiefsinn eigentlich den »Sinn des ganzen Menschen«, seine »ganze gegen die Unsichtbarkeit und gegen das Höchste gekehrte Seite« dar, dessen eigentlicher ›Gegenstand‹, besser: dessen Quelle, das »letzt[e] Wesen der Wesen« und »höchste Sein« sei (V 171–173). Dieser Unterscheidung von drei Momenten oder gleichsam Potenzen des Witzes i. w. S. ist für die vorliegende Untersuchung vor allem aufgrund der tatsächlich auch in ihr offen zu Tage liegenden triadisch-hierarchischen Struktur, in der der ›Tiefsinn‹ oder die das höchste Reale offenbarendee ›Vernunft‹ den verständigen Scharfsinn ebenso hält wie den anschaulichen Witz i. e. S., bedeutsam. Denn auf diese Weise erscheint sie als eine weitere poetologische Aktualisierung von zentralen Motiven Jacobis, sowohl hinsichtlich der bei einer höchsten Realitätsgewißheit ansetzenden triadischen Grundstruktur als auch der dieser zugrundeliegenden, die Logik der verständigen Immanenz sprengenden, nicht zu konstruierenden, sondern nur wunderbar-auffindbaren Relationalität bloßer Ähnlichkeit. Mit der Rede vom »Sinn des ganzen Menschen« spielt Jean Paul zudem, die einschlägigen Passagen bei Jacobi gut kennend, auf dessen Charakterisierung des unphilosophischen Projekts

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der ›Daseinsenthüllung‹ an und zeigt damit zugleich an, daß die Explikation des ›Tiefsinns‹ als der Anschauung gänzlicher Gleichheitt einmal mehr in der komplexen, leicht mißzuverstehenden Doppelsinnigkeit von ›alleinphilosophischer‹ und ›unphilosophischer‹ Bedeutung verstanden werden muß und auf die ›geistige‹ bzw. ›symbolische Individualität‹ als das basale Grundmotiv bei Jean Paul verweist. * Jean Pauls Witztheorie erschöpft sich nämlich keineswegs in der Einteilung des Witzes i. w. S. in die angegebenen drei Momente oder Typen des Vergleichens in Abhängigkeit der ›Objekte‹. Ebenso zentral, ja noch prominenter und schließlich tatsächlich in die poetologische Deutung der ›geistigen Individualität‹ als ›Charakter‹ führend ist die Unterscheidung von »bildlichem« und »unbildlichem Witz«, die sich auf den »ästhetischen Witz« (V 173) und damit tendenziell auf den Witz i. e. S. bezieht: (1) Der »unbildliche Witz« oder »Reflexion-Witz« hat, so Jean Paul, seinen Sitz im Verstand und vergleicht daher seine Gegenstände nicht hinsichtlich einer ›bildlichen Ähnlichkeit‹, sondern einer ›eigentlichen‹ Ähnlichkeit, wie bspw. der Eigenschaft, Mäuse zu fürchten, die vermeintlich Frauen und Elefanten gemeinsam ist (V 173). Der ästhetische Reiz des unbildlichen Witzes liege dabei in der Erregung des Verstandes, die sich aus dem Kontrast zwischen dem ästhetischen Schein neuer Verhältnisse (z. B. der vermeintlichen und als über die Mäusefurcht hinausgehend insinuierten großen Ähnlichkeit von Frauen und Elefanten) und den fortwirkenden Meinungen über die tatsächlichen Verhältnisse (weitgehende Unähnlichkeit von Frauen und Elefanten) ergebe.252 – Entscheidend an Jean Pauls Begriff des ›unbildlichen Witzes‹ ist dabei dreierlei: Zum einen zeigt sich hier besonders deutlich die große Nähe, die sich in der Vorschulee zunächst für eine bestimmte Redeweise vom ›Witz‹ und für den ›Scharfsinn‹ ergibt.253 Da beide durch die Fähigkeit, sowohl Ähnlichkeiten im Unähnlichen als auch Ungleiches im Gleichen zu entdekken, charakterisiert sind, bilden sie für Jean Paul eigentlich »nur einee vergleichende

252

Dabei beschränken sich die kontrastierten Verhältnisse nicht auf Ähnlichkeit-Unähnlichkeit, sondern können nach Jean Paul auch solche von scheinbaren oder tatsächlichen Gattung-Art-Verwandtschaften, Grund-Folge-Beziehungen oder Teil-Ganzes-Relationen sein (vgl. V 174). 253 Dabei scheint sie jedoch Jean Pauls Begriff des Witzes im Ganzen zu imprägnieren, so daß er selbst ihm als eigentliches Organ des Romantisch-Schönen gelegentlich die ›Phantasie‹ geradezu entgegenstellt, obwohl er ihn in der Integration des Tiefsinns ihr zugleich weitgehend angenähert hat. Wegen der Bezogenheit auf den Tiefsinn ist die witzige Tätigkeit letztlich aber, selbst als bloß entkörpernde und nur auf Verhältnisse gehende, für Jean Paul nicht nihilistisch (vgl. Baierl [1992], 75 ff.).

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Kraft«, die sich »mehr durch die Richtung und die Gegenstände als die Wirkungen« unterscheide (V 170). Der (unbildliche) Witz ist m. a. W. nichts anderes als der »sinnliche Scharfsinn« bzw. der »angeschaute Verstand«; der Scharfsinn umgekehrt stellt damit nur einen »abstrakten Witz« dar (V 175). – Daraus folgt zweitens, daß der unbildliche Witz als bloß endlich-verständiger Vergleich zunächst als auf derselben Reflexionsstufe stehend erscheint wie das Lächerlich-Komische, von dem er sich nach Jean Paul nur dadurch unterscheidet, daß er den ›angeschauten Verstand‹, dieses aber den ›angeschauten Unverstand‹ bildet. Das Lächerlich-Komische habe dem unbildlichen Witz sogar voraus, daß es zum einen, statt nur auf »einseitige Verhältnisse der Sachen« bzw. bloß »intellektuelle Glieder« gerichtet zu sein, wenigstens »die vielseitigen Verhältnisse der Personen« bzw. »handelnde [Glieder] durchlaufe und genieße« und deshalb zum anderen dem Verstand einen ›weiteren Spielraum‹ und dem ›Herzen‹ überhaupt allererst einen solchen gebe (V 123). Beiden jedoch, Lächerlichem wie unbildlichem Witz, fehlt jede Perspektive auf das Ideale und Unendliche und damit der Charakter des Romantischen ebenso wie jede unmittelbare höhere philosophische Bedeutung (vgl. V 174 f.). – Bezogen auf den an Jacobis ›Spinoza-Antispinoza‹ orientierten philosophischen Subtext der Vorschulee ist hingegen drittens auch die poetologische Behandlung des ›unbildlichen Witzes‹ sehr wohl von philosophisch-strategischer Relevanz. Denn das Verfahren des reflexiven Zirkels, das, so zeigte bereits die Fichte-Kritik der Clavis, eines der grundlegenden Merkmale der »neuern Identität-Philosophen« darstellt, zählt Jean Paul ausdrücklich zu den »Gattungen des Witzes«, nicht im ›ästhetischen‹ Sinn, aber strukturanalog zum Verfahren des ästhetischen ›unbildlichen Witzes‹ genommen (vgl. V 170). Die Explikation des ›witzigen Zirkels‹, wie bspw. im ästhetischen Wortspiel ›sich vom Erholen erholen‹, inszeniert m. a. W. Jean Paul selbst gleichsam als pointierte Charakterisierung und Kritik der für die Wissenschaftslehre, wie wir sahen, ebenso grundlegenden wie problematischen Frage nach dem internen Verhältnis der Bestimmungen des ›absoluten Ich‹ als ›Tathandlung‹ bzw. ›intellectuelle Anschauung‹ und als praktische Idee (vgl. SW I, 96/277/515 f.) bzw. dem Verhältnis von absolutem Ich und dem Nicht-Ich und markiert diese zugleich als bloß endliche philosophische Reflexion: Im witzigen Zirkel, so Jean Paul, setze sich der Gedanke sich selber entgegen und »stift[e] nachher doch mit ihrem Nicht-Ich den Frieden der Ähnlichkeit, nicht der Gleichheit«; so erzwinge ein »Scheinkrieg« einen »Scheinfrieden« (V 179).254

254

In ähnlicher Weise wird von Jean Paul auch der ästhetische ›unbildliche Witz‹, und damit die ›neue‹ deutsche Literatur und Poesie (wie die Schlegels), dafür kritisiert, daß jener als »Gleichmacher aller Dinge […], welcher Tugend und Laster auslacht und aufhebt«, den höheren Ernst ebenso vernichtet habe wie den auf diesen konstitutiv bezogenen wahren Humor (V 117; vgl. auch V 341).

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Wie die konsequente und darum kritische Reflexion der Transzendentalphilosophie im Humor und erhabenem Schrecken sie nicht einfach für die ›höhere‹ Philosophie negierte, sondern als Moment einer komplexeren antisystemischen ›Sprung‹Bewegung zeigte, führt die Kritik an der bloßen Formalität und Endlichkeit des ›unbildlichen Witzes‹ keineswegs zu dessen gänzlicher poetischer Zurückstellung. Im Gegenteil geht es Jean Paul, analog zum Umgang mit der als bloß endlos-immanent erscheinenden humoristischen Reflexion, im Abschnitt über die »Notwendigkeit einer deutschen witzigen Kultur« gerade um seine Einbindung durch die Beziehung auf ein höheres Geistig-Reales:255 Die Tätigkeit des (unbildlichen) Witzes, verschiedenstes gleichzumachen, Festes zu verflüssigen und aufzulösen, mithin mit Objekten und Ideen völlig gleich und frei umzugehen, sei die Bedingung neuen poetischen, eine inhaltlich gefüllte und qualifizierte Freiheit ausdrückenden und bedeutenden Erschaffens (V 200). Auch in der Poesie, so Jean Paul, wirkt mithin der »alt[e], aber unschädlich[e] Welt-Zirkel«, daß die Menschheit nie zur Freiheit gelangen könne »ohne geistige hohe Ausbildung und nie zu dieser ohne jene«, bzw. daß die qualitativ bestimmte ›Freiheit zu‹ die bloß formale bzw. negative ›Freiheit von‹ aktual ebenso voraussetze wie sie sie wesentlich bedinge. Insofern komme dem Witz im Sinne des reflexiv, d. h. rein formal tätigen »Geister- und Götter-Leugner[s]«, der statt auf Sachen oder Wesen nur auf Verhältnisse gehe, eine wichtige Funktion zu. Ähnlich also wiederum wie philosophisch bei Jacobi der formal bleibende Verstand zwischen den Qualitäten offenbarenden Vermögen von sinnlicher Anschauung und Vernunftgefühl stand, zeigt sich in der poetologischen Betrachtung Jean Pauls der Witz in der Mittelstellung »zwischen d[er] Poesie, welche sich und etwas darstellen will, Empfindung und Gestalt« und einer höheren »Philosophie, die ewig ein Objekt und Reales sucht und nicht bloßes Suchen« (V 201) bzw. zwischen der versinnlichenden Leistung der Poesie und ihrer eigenen höheren Geistigkeit als reale frei-hervorbringende Tätigkeit. Wenn m. a. W. überr dem vom gleichmachenden Witz hervorgebrachten »Chaos« der Ideen zudem ein »heiliger Geist« schwebt,

255

Daß sich § 54 der Vorschulee über die ›Notwendigkeit einer deutschen witzigen Kultur‹ nur auf den unbildlichen Witz beziehen kann, bestätigt auch Buschendorf, der – analog zur Feststellung des nichtromantischen Charakters des unbildlichen Witzes – außerdem zu Recht hervorhebt, daß im ›unbildlichen Witz‹ im Sinne einer willkürlichen Verstandesverbindung die für den Harmoniegedanken von Unendlichem und Endlichem wesentliche Lehre von der alles Seiende durchwaltenden Analogie außer Kraft gesetzt sei. Die gleichwohl für den die analogia entis verwirklichenden ›bildlichen Witz‹ bedeutsame Rolle des Nihilismus des ›unbildlichen Witzes‹ würdigt Buschendorfer an dieser Stelle nicht, deutet sie jedoch im Blick auf die ›Kantate-Vorlesung‹ wenigstens an. Denn, so Buschendorf, dort zeige sich der Witz im Sinne eines Organons metaphysischer Ahnung und im Sinne eines bloßen Spiels mit Ideen als zwei Seiten einer Medaille: Der »anthropologisch vorgegeben[e]« »metaphysische Ernst oder das Bedürfnis nach ihm« werde auch im witzigen poetischen Spiel »nicht vernichtet, sondern verklärt und zur ahnungsvollen Gewißheit gesteigert« (Buschendorf [2001], 228/234).

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sei dem Menschen »durch die allgemeine Gleichheit und Freiheit der Weg zur dichterischen und zur philosophischen Freiheit und Erfindung aufgetan, und seine Findkunst (Heuristik) wird […] durch ein schöneres Ziel bestimmt« (V 202). (2) Die für die romantische Poesie wie für den zugrundeliegenden doppelsinnigen philosophischen Entwurf entscheidende, weil bereits in sich nicht mehr bloße Negation bzw. formale Operation bleibende Ausprägung des (ästhetischen) Witzes, ist bei Jean Paul aber der »bildliche Witz«. Ihm kommt im wesentlichen die das Romantisch-Schöne ausmachende Tätigkeit des Metaphorisierens und Personifizierens, des Vergeistigens des Leiblich-Natürlichen und des Verkörperlichens des Geistigen zu. Ihm gelinge, die beiden »spröden«, d. i. kategorial verschiedenen und begrifflich inkommensurablen Entitäten von Leib und Geist in einem poetischen, nur anschaubaren Dritten zu verschmelzen. Im Gegensatz zum Verstandesbezug des unbildlichen Witzes ist jener daher an die Phantasie gebunden (V 182).256 Jean Paul wiederholt dabei in der Erläuterung des bildlichen Witzes nicht nur die bereits aus dem Magie-Aufsatzz bekannte These, daß der Dichter in ihm die Natur bzw. einen und schließlich jeden endlichen äußeren Gegenstand zum »Zeichen« eines Innerlichen und Geistigen mache. Dies geschieht eben »ohne Schluß« anschaulichunmittelbar bzw., die Rede in einem unbegrifflichen Sinn genommen, als »verkleinerte Wiederholung eines Beweises« (V 182 f.) und variiert damit ein weiteres Mal in der Vorschulee die Figur eines ›unmittelbaren Schlusses‹, die ebenso die praktischexistentielle Entscheidung gegen die Systemphilosophie bei Jacobi charakterisierte wie die in gleicher Weise praktisch-existentielle Anlage des Antifichtianismus in Jean Pauls Clavis. Über den Magie-Aufsatzz geht die Vorschulee jedoch zumindest in dem Maße auch hinaus, wie der Begriff des bildlichen Witzes nunmehr in der Form einer genealogischen Erzählung der Geschichte der Metapher bzw. als Reflexion einer Sprachauffassung im Modus des Bildes noch einmal detaillierter und im stärkeren Zusammenhang mit den philosophischen Hintergrundüberzeugungen reformuliert wird: Wie die in Beilage VIII der Spinozabriefee Jacobis ent-

256

Allerdings behält Jean Paul auch bei der Analyse des ›bildlichen Witzes‹, obwohl der Begriff des Witzes in der Vorschulee alles andere als einsinnig ist, letztlich doch primär die Charakterisierung als zersetzende, Unähnlichkeiten im vermeintlich Gleichen oder Einen auffindende Tätigkeit bei und stellt ihn daher in einer enger gefaßten Begriffsverwendung ebenso einer sogenannten ›bildlichen Phantasie‹ gegenüber. Dabei macht Jean Paul beide wieder zu Momenten der doppelsinnigen Grundspannung von Harmonie und real-wesentlicher Differenz: Während die ›bildliche Phantasie‹ nur die »Gestalt« zu »beleben« suche, wolle der ›bildliche Witz‹ das von ihm Verglichene vielmehr »in den geistigen Extrakt ihres Verhältnisses« auflösen. Während jenes nach Jean Paul dabei jedoch eigentlich nur als »Mittel« (für die Idee bzw. Einheit) geschieht, schenke der bildliche Witz bei seinem Tun »dem dienstbaren Gliede« hingegen »ein eigentümliches Leben« (V 187), offenbar nicht unähnlich dem Humor, dessen Zersetzung der Endlichkeit im Namen einer höheren geistigen Realität gerade mit der relativen Aufwertung eines einzelnen sinnlich-natürlichen Endlichen einherging.

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worfene »natürliche Geschichte der spekulativen Philosophie« betonen auch Jean Pauls Überlegungen zum ursprünglichen Charakter der Sprache noch einmal das ontologisch-metaphysische Primat des Unendlichen, Unbedingten und schlechthin Realen, indem sie auf die ursprünglich harmonische Vereinigung von Unendlichem und Endlichem, Geistigem und Natürlichem, Unbedingtem und Bedingtem (als historisch anfänglichen Zustand) verweisen.257 Die Sprache sei, so behauptet Jean Paul in Modifizierung der in der Claviss gegen eine arbiträre Zeichenauffassung vertretenen, scheinbar rein empiristischen These vom sinnlichen Anschauungscharakter aller bedeutungstragenden Wörter, genuin bildhaft. Wörter stellen, schaut man auf die ursprüngliche Harmonie, originärerweise nichts anderes als »abgedrungene Synonymen des Leibes und Geistes« dar, so daß noch die heutigen Begriffswörter eigentlich »erblasset[e] Metaphern« seien (V 184). In strukturell ähnlicher Weise hatte Jean Paul bereits gegen Fichtes absolutes Ich in sachlicher Bezugnahme auf Jacobi auf die ursprünglich allein in der Erfahrung eines je konkreten realen Ich liegende Bedeutung des Ausdrucks ›Ich‹ aufmerksam gemacht. Während unter dem Blickwinkel der ursprünglichen Einheit von Geist und Natur nach Jean Paul die beiden Modi der Tätigkeit des bildhaften Witzes (Metapher und Personifikation) ineinanderfallen, sind beide unter den Bedingungen der Absonderung des Geistes von der Natur, mithin der zunehmend rationalen vereinseitigenden Betrachtung ihres Verhältnisses zu unterscheiden. Daß Jean Paul für die vermeintliche historische Absonderung des Menschen als Geistwesen von der Welt in der Schilderung der Genealogie der Metapher keinen Grund angibt, ist nur folgerichtig. Denn auf diese Weise wiederholt sich einerseits gleichsam nur die prinzipielle Unerklärlichkeit, die bereits das Entarten des Humors zur nihilistisch endlosen Reflexion kennzeichnete, und drückt sich andererseits der Sache nach gerade die für die Vereinigung im Modus des bildlich Witzigen konstitutive kategoriale bzw. wesentliche Differenz von Urbild und Abbild, Gegenstand und Zeichen aus. – Die ursprünglichere, zumindest die ältere Form des bildlichen Witzes für den aus Geist und Natur gemischten, sich als Geistwesen von der Welt absondernden, deren Vereinigung mit der eigenen Geistverfassung aber in der Ahnung einer höheren Bestimmung und Zweckhaftigkeit der Natur zugleich noch bewahrenden Menschen ist nach Jean Paul die »Personifikation«. Diese sei nichts anderes als das

257

Völlig zu Recht macht daher auch Rose bei der Analyse der Flegeljahree auf die grundlegende Bedeutung der Jacobischen Philosophie für Theorie und Praxis metaphorischen Darstellens bei Jean Paul aufmerksam, insofern es beiden nicht um »überzeitlich gültige Definition[en] des Menschen«, sondern um seine je wirkliche und konkrete, zeitlich-veränderliche individuelle Existenz gehe (Rose [1990], 233 ff., auch 241 f.). Allerdings mißversteht Rose Jacobi grundlegend, wenn er bei diesem als entscheidende Differenz zum Metaphernkonzept Jean Pauls und Herders im folgenden eine realitätsvernichtende semiotische Immanenz der Worte als Zeichen, eine fatale Kette der Abbilder ohne Urbild diagnostiziert (ebd., 239).

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Auffinden des ›Allgemeinen‹ im ›Besonderen‹ bzw. die ›Beseelung‹ von »All« und »Materie« durch den poetisch tätigen Geist eines Menschen, der jenen sein Ich leiht und damit die äußeren Gegenstände in Analogie zu seinem eigenen von seinem Geist bewohnten und als ihn handelnd beherrschend erfahrenen Leib erfasse. In diesem Sinne stelle für den Wilden jedes Bild ein »wundertätiges Heiligenbild voll Gottheit«, jede Statue einen lebendigen Menschen dar (V 185). – Die komplementäre Tätigkeit des Witzes, d. h. die sinnlich-individuelle Verkörperung des Geistigen, sei demgegenüber in dem Maße das kompliziertere und darum nicht nur, wie Jean Paul behauptet, spätere, sondern der Sache nach auch gehaltvollere Unterfangen, wie »für die Phantasie Körper schwerer zu schaffen [seien] als Geister«. Denn jene zeichneten sich durch große Mannigfaltigkeit an konkreten Erscheinungen aus und erforderten daher auch in der poetischen Hervorbringung eine schärfere Individuation: »Wir kennen«, so Jean Paul, »nur ein Ich, aber Millionen Körper«. Der bildliche Witz in verkörpernder Tätigkeit ist mithin am intensivsten auf das natürlich erscheinende Einzelne gerichtet und steht damit dem Humor besonders nahe, in dem er sich freilich wegen der in der humoristischen Reflexion zunächst rein negativ bleibenden Bezugnahme auf das Ich nicht erschöpft. Wie dort hat auch hier jedoch Jean Paul mit dem Gegensatz des ›einen Ich‹ und der ›Millionen‹ sinnlich einzelner Körper letztlich keineswegs den traditionellen metaphysischen Gegensatz von Universell-Allgemeinem und Individuellem vor Augen. Die weitere Erläuterung der eigentümlichen Schwierigkeit des Verkörperns des Geistes oder Ichs, die sich für Jean Paul aus dem Problem ergibt, »in dem eigensinnigen und spielenden Wechsel der bestimmten Gestalten doch eine auszufinden, welche mit ihrer Bestimmtheit einen Geist und die seinige ausspräche« (V 185), zeigt gerade das Gegenteil an. Denn das geistige Ich wird von Jean Paul bei näherem Hinsehen auch hier gerade als ein konkret bestimmtes Einzelnes verstanden. Von einem solchen sei mir nur eines bekannt, nämlich ich selbst, insofern diese Bekanntschaft gegenüber der objektiven Wahrnehmung der natürlichen Dinge in nichts anderem als meiner innerlichen Erfahrung von mir selbst als bestimmtes, tätiges Geistwesen besteht. Die Schwierigkeit der verkörpernden bildlichen Phantasie besteht also im Erfinden oder Auffinden der für dieses ganz bestimmtee geistigindividuelle Ich geeigneten natürlich-individuellen Verkörperung in der poetischen Darstellung. Die nach Jean Paul leichter zu realisierende ›Allgemeinheit‹ des beseelenden ›bildlichen Witzes‹, der in seiner Charakterisierung in der Vorschulee gelegentlich mit der sogenannten ›bildlichen Phantasie‹ enggeführt wird, zielt dementsprechend seinerseits nicht auf ein identisches allgemeines Geistiges, als dessen eine Manifestation neben anderen ein bestimmter Naturgegenstand poetisch dargestellt und angeschaut wird. Vielmehr ist auch hier Jean Pauls Rede von der ›Analogie‹ zu unserem Ich ernst zu nehmen. Ein bestimmter Körper in der künstlerisch dargestellten Natur wird von der Poesie, ähnlich wie in der lebensweltlichen Erfahrung fremder Körper als Manifestation anderer, je bestimmter Geistwesen, als Ausdruck

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eines je bestimmten Geistes erfahrbar gemacht, ohne daß dieser individuelle Geist uns in gleicher Weise und Intensität als individueller gegeben wäre, wie es bei unserem je eigenen Ich der Fall ist. Daher stellt sich für die ›Personifizierung‹ die Frage der konkreten Angemessenheit der ›geistigen Individualität‹ einer poetischen Figur und seiner ebenso einzelnen, d. h. konkret bestimmten Verkörperung in der poetischen Verdopplung der sinnlich-körperlichen Welt nicht vergleichbar drängend wie für die von einer konkreten geistigen Individualität ausgehende witzige ›Verkörperung‹. Auch am Ende von Jean Pauls Begriff des Witzes steht mithin – und erneut lassen sich die poetologischen Überlegungen der Vorschulee also als Anwendungen Jean Pauls intim mit Jacobi verbundener philosophischer Interessenlagen und Motive verstehen – die Frage nach der Individualität des Menschen bzw. der menschlichen Figur – und zwar als gemischt-verfaßtes geistig-sinnliches, unendlich-endliches Wesen. Folgerichtig führt daher die Betrachtung des Witzes schließlich zur Erläuterung des (poetischen) Charakters, in dem diese individuelle Verfassung eines Menschen (bzw. einer fiktionalen menschlichen Figur) ebenso anschaulich wie, im Gegensatz zur Punktualität des Witzes i. e. S., in komplexer Weise zur Wirklichkeit kommt. Diese Verbindung legte sich umso mehr nahe, als in der Orientierung des bildlichen Witzes am geistoffenbarenden ›Instinkt‹ bzw. ›Tiefsinn‹ auf die den Charakter kennzeichnende Totalitätsperspektive schon lange verwiesen ist. Denn jene bereits stellten für Jean Paul eigentlich keine bestimmten Vermögen oder Kräfte, sondern den Geist eines Menschen als ganzen dar.258

γ) Poetischer Charakter Witz und Verstand sind wie die übrigen poetisch konstitutiven geistigen Kräfte hingegen, so hält die Vorschulee ausdrücklich fest, beim poetischen Genie bzw. bei poetisch-fiktionalen Figuren nur »geistige Zusätze«. Demgegenüber grundlegend ist deren »Charakter«, verstanden als die »Brechung und Farbe, welche der Strahl des Willenss annimmt«, der durch Kräfte, wie den Witz, nur intensiviert, nicht erschaffen werde (V 208). Zwar bestimmten die verschiedenen Eigenschaften oder Kräfte in ihrem Grad und Mischungsverhältnis mit den übrigen den Charakter teilweise mit. Wesentlich und zentral sei jedoch ein »geheime[r] organische[r] Seelen-Punkt […], um welchen sich alles erzeugt und der seiner gemäß anzieht und abscheidet«. Aus ihm folgt nach Jean Paul letztlich auch allererst die konkrete Bestimmtheit einer jeden Eigenschaft eines Menschen oder Lebewesens (V 208). Jeder vom Dichter

258

155 ff.

Zum Charakter als Grundkategorie der Ästhetik Jean Pauls vgl. auch Müller (1983),

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(poetisch hervorgebrachte) Charakter, sei er »so chamäleontisch und buntfarbig zusammengemalt, als man will«, müsse, so Jean Paul, »eine Grundfarbe als die Einheit zeigen, welches alles beseelend verknüpft« (V 224). Jean Paul spielt zur Erläuterung des (poetischen) Charakters dabei auf die Leibnizische Philosophie an: Zum einen, indem er ihn mit dem »vinculum substantiale, das die Monaden mit Gewalt zusammen[halte]«, identifiziert (V 224). Zum anderen aber auch noch, wenn er als Bedingung der poetologischen Zeichnung von menschlichen Charakteren sowie von deren Rezeption als solche259 angibt, daß in »jedem Menschen […] alle Formen der Menschheit, alle ihre Charaktere« wohnen würden (V 208). Der Charakter eines Menschen sei wie der vom Dichter geschaffene poetische »nur die unbegreifliche Schöpfung-Wahl einerr Welt unter der Unendlichkeit von Welten, der Übergang der unendlichen Freiheit in die endliche Erscheinung« (V 208). Der Dichter unterscheide sich von den anderen Menschen nur dadurch, dass in ihm die »ganze Menschheit«, die in jedem Einzelnen schon liegt, schließlich auch »zur Besinnung und zur Sprache« kommt (V 209). – Dabei ist an diesen Erläuterungen in philosophischer Hinsicht zunächst zweierlei entscheidend: Im Motiv der ›unbegreiflichen Schöpfung-Wahl einer Welt unter der Unendlichkeit von Welten‹ konzentriert sich erstens wiederum der Gedanke einer qualitativ bestimmten und insofern gebundenen, nicht willkürlich-absoluten Freiheit im Handeln wie im poetischen Erschaffen. In diesem Sinne fokussiert und konkretisiert Jean Paul die These von der Wahl aus unendlichen Möglichkeiten auf die grundlegende doppelte Frontstellung seiner Poetologie gegen ›poetische Nihilisten‹/Idealisten und ›poetische Materialisten‹ mithin auf die Überlegung, daß der (poetische) Charakter vom Dichter so wenig aus der äußeren Erfahrung gewonnen wie gänzlich selbsttätig und aus bloßem Willensentschluß »gemacht« bzw. als sich selbst machend dargestellt werden könne. Vielmehr werde er »geboren«, »geweckt« und wie ein »Blitz« empfangen (V 210 ff.) – oder, um mit Jacobi zu reden, in einer ›wunderbaren Offenbarung‹ gegeben. – Dabei kommt es zweitens auch hier auf die Vorstellung einer Unendlichkeit von bloßen Möglichkeiten und insofern einer schlechthinnigen universellen Allgemeinheit des Ich wiederum eigentlich nicht an. Wie gerade auch der Rückgriff auf Leibniz’ Monadenkonzept dokumentiert, bildet die Individualität des Ich im Gegenteil eine substantielle Bestimmung. Denn für Jean Pauls Erläuterungen des Gedankens von der Welten-Wahl ist es selbstverständlich, daß das dichterische Genie wie jeder Einzelne unmittelbar nur über die Erfahrung der eigenen individuellen Verfassung als Geistwesen verfügt, daß das Selbst bzw. der Charakter real und bekannt also allein als ein konkreter persön-

259

Das gleiche gilt nach Jean Paul im übrigen auch für die Fähigkeit, in der äußeren Wahrnehmung gegebene menschliche Körper überhaupt als Ausdruck fremder, willentlich bestimmter Geistwesen zu erkennen.

III. Ernste Poesie und sittliche Praxis

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licher ist. Insofern bilde bei jedem Dichter nichts anderes als das je eigene »ideale Ich« den »ideale[n] Prototyp-Charakter« aller seiner poetischen Figuren (V 213). So wenig wie der reale Einzelne bei Jacobi als Einzelner wesentlich ein natürlich bestimmter war, worin Jean Paul im Gegensatz zu Fichte, so zeigte eben die Fichte-Kritik der Clavis, ihm vollumfänglich folgte, so wenig ist auch in Jean Pauls Ästhetik der ›poetische Charakter‹ ein rein sinnlichh einzelner.260 Die poetische oder fiktionale Gestalt ist nach Jean Paul m. a. W. dann ein Charakter, wenn er als »ideales Ich« bzw. als »allegorische oder symbolische Individualität« angeschaut wird (V 221).261 In dieser vereint sich, analog zu den Überlegungen der Claviss zur realen sittlichen Person von Charakter, Allgemeinheit und Einzelheit, oder anders gefasst: Unendlichkeit und Endlichkeit, (sittliche und poetische) Unbedingtheit und natürliche Bedingtheit etc. Denn mit der Idealität (der poetischen Darstellung) nehme einerseits zwar die ›Allgemeinheit‹, d. h. das ›Zerschmelzen‹ der Individualität in die Eigentümlichkeit der ›Gattung‹ zu. Die Individualität der poetischen Gestalt kann jedoch andererseits nach Jean Paul zugleich nicht nur faktisch nicht aufgegeben werden, sondern gehöre sogar wesentlichh dem (poetischen) Charakter zu, insofern die Poesie aufgrund ihrer (sinnlich-geistigen) Anschauungsnatur selbst genuin konkret ist. Der Dichter müsse das Geistige als das ›Allgemeine‹ durch die individuelle Form aussprechen, er müsse den »Gott Mensch, ja einen Juden werden und ihn doch glänzen […] lassen« (V 217). – Zur Ausdeutung dieses Gedankens beruft sich Jean Paul abermals auf Jacobi: Denn dieser habe im Roman Woldemarr im gleichen Sinne gezeigt bzw. poetisch anschaulich gemacht, daß der hohe, die geistige Idealität des Menschen darstellende Dichter »zugleich die [je konkreten einzelnen, O. K.] Schönheiten und die Schönheit kenn[en]« müsse (V 217). Wie es für Jacobi

260

Dies trifft selbst noch auf den wahrhaft humoristischen Charakter zu, obwohl gerade der Humorist in der Endlichkeit die bloß natürliche Einzelheit provokativ ganz auf sich nimmt. Dies kann er allerdings nur, so haben wir gesehen, weil er eigentlich auch dabei bereits als höhere geistige Individualität agiert, die ihm jedoch in der Situation unbemerkt im Rücken bleibt (vgl. V 36/222). 261 Nur auf diese Weise lassen sich schließlich auch Jean Pauls in diesem Kontext gemachten Erläuterungen verstehen, daß die ernste Poesie, indem sie ins körperliche Reich »Freiheit« wie ins geistige Reich »Notwendigkeit« einführe, »die geistigen Zufälligkeiten eines Porträts, d. h. jedes Individuums, verschmähen und dieses zu einer Gattung erheben [müsse], in welcher sich die Menschheit widerspiegelt« (V 221). Wenn Jean Paul im selben Sinne weiterhin behauptet, dass im Dichter »bloß die Menschheit« die Menschheit anspreche, nicht aber »dieser Mensch jenen Menschen« (V 250 f.), meint dies zunächst nur die Zurückweisung einer abstrakten, rein sinnlich-natürlichen Einzelheit. Die ›Allgemeinheit‹ des Menschen/Ich ist mithin von der Art, so deutete sich bereits mehrfach an, daß in der je konkreten einzelnen poetischen Gestalt bzw. in jedem individuellen Geistwesen eine Vielzahl ebenso konkreter Einzelner erkannt werden können müsse, aber eben nicht, so die Grundüberzeugung Jean Pauls, im Modus des Begriffs, sondern in anschaulich-unmittelbarer analogischer Weise.

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bereits galt, die bloß natürliche Individualität zu übersteigen und in einer höheren wesentlich freien, in der realen Handlung erfahrenen geistig verfaßten Einzelheit eines konkreten Menschen mit Namen zu umfassen, geht auch die Negation bloßer sinnlich-natürlicher Einzelheit bei Jean Paul gerade mit der emphatischen Reklamation einer sich in der Poesie darstellenden höheren individuellen Verfassung des ›Allgemeinen‹ einher. Die (moderne) Poesie gebe stets »dieselbe Wahrheit, dieselbe Allgemeinheit und Menschheit unter dem Laube der Individuation« (V 222). In der Poesie, und das trifft gerade auf den poetischen Charakter zu, sei weder wie vom ›Nihilisten‹ »das Besondere in das Allgemeine durchsichtig zerl[assen]« noch wie im ›Materialismus‹ das »das Allgemeine in das Besondere versteinert und verknöchert«. Vielmehr seien hier beide so vereinigt, »daß jedes Individuum sich […] wieder findet« und zwar als je besonderes und konkretes, insofern »Individuen […] einander ausschließen« würden. Die Poesie, auch dies trifft letztlich besonders für den poetischen Charakter zu, sei daher, so Jean Paul, »dem Monde ähnlich […], welcher nachts dem einen Wanderer im Walde von Gipfel zu Gipfel nachfolgt, zu gleicher Zeit auch einem andern von Welle zu Welle« (V 46). Nicht ein einzelner Charakter erscheine in der Dichtkunst als »das Höchste und Ganze«, das Unendliche vollständig erschöpfend. Wie jeder Mensch Teil und Spiegel der Menschheit zugleich sei, gebe der poetische Charakter als das dem absoluten Urbilde ähnliche Abbild gleichwohl das Unendliche und Ganze als solches, wenn auch in seiner bestimmten Manifestation (V 226). Jean Pauls Erläuterungen dieses Gedankens deuten dabei zum einen, indem sie noch einmal ausdrücklich das Handeln und die Handlungsmodus und -ziel erläuternde Rede der fiktionalen Figur als wesentliche Bestimmung hervorheben, an, daß auch hier hinter der These bald noch mehr als Leibniz selbst tatsächlich wiederum seine Wendung durch Jacobi und damit dessen ›Begriff‹ der Person maßgeblich im Hintergrund steht. Der genuine Ausdruck eines Charakters ist eben der »personifizierte Wille« einer Figur. Zum anderen stellen sie auch noch einmal die Individualität als wesentliches Moment ausdrücklich heraus: Es komme beim (poetischen) Charakter nicht darauf an, »was err tut«, mithin auf das gleichsam Allgemeine dieser Handlung. Charakteristisch sei vielmehr, wiee er eine Handlung ausführt. Denn im ›Wie‹ zeige sich Einzelne und Konkrete einer Handlung und eines Charakters – und zwar nicht als Zufälliges, sondern als Verbindliches: Die poetische Darstellung müsse durch »irgendeine Miene, eine Bewegung, ein[en] Laut unterwegs« die »innere Notwendigkeit gerade dieser bestimmten Handlung […] entdecken« und ausdrücken. Keine »einzige Handlung [könne] auf dieselbe Weise zweien Charakteren zukommen, oder sie bedeutet nichts« (V 227).

III. Ernste Poesie und sittliche Praxis

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δ) Roman Aus der Zentralität und wesentlichen Einzigartigkeit der Handlung als Grundbestimmung des poetischen Charakters und dessen entscheidender Bedeutung in Jean Pauls Poetologie, insofern er nicht nur den originären ›Gegenstand‹ der Darstellung benennt, sondern, recht besehen, auch die genuine Ausdeutung des poetischen Genies bzw. der poetischen Tätigkeit als ursprünglich selbst praktische selbst bildet, folgt nun unmittelbar wieder ein zweifaches: Erstens rückt auf diese Weise die Darstellung von Handlungen als Pluralität miteinander verbundener spezifischer Taten bestimmter Einzelner und im Verbund mit anderen ins Zentrum der Dichtung. Es ist m. a. W. sachlich nur folgerichtig, daß Jean Paul mit der seit den frühen 1790er Jahren unter wesentlichem Einfluß Jacobis gefundenen antiskeptischen Überzeugung, eines ›höheren‹, Unendlichkeit offenbarenden ›Glaubens‹ von oftmals satirisch-witzigen literarischen Kleinformen zur Großform der Erzählung, dem Roman, findet.262 Denn dssen Wert liegt darin, daß er über die ganzee weitausgedehnte Welt als Handlungssphäree von Charakteren (oder Personen) informiert, indem er ihre Objekte und natürliche Wesen als unmittelbare Zeichen (für ein höheres, letztlich sittlich-praktisches Geistiges) lesen lehrt – und somit im Gegensatz zur gelehrten Abhandlung einerseits und andererseits zum witzigen Einfall nicht nur »ein Fazit ohne Rechnung« oder ein punktuelles Aufleuchten des Unendlichen und Unbedingten gibt (V 250). In diesem Sinne beherbergt jeder Roman einen »allgemeinen Geist«, »der das historische Ganze ohne Abbruch der freien Bewegung, wie ein Gott die freie Menschheit, heimlich zu einem Ziele verknüpfe und ziehe« (V 253). Wie bereits in der Hierarchisierung zwischen Humoristisch-Komischem und Ernst-Erhabenem bzw. Schönem gilt es schließlich nach Jean Paul im Gefälle ihres direkten oder indirekten Unendlichkeitsbezuges zwischen drei idealtypischen Romanformen zu unterscheiden, die zwar rein auftreten können, zumeist aber einander durchmischen: 1) Die höchste Form und den genuinen Ausdruck des ›unphilosophischen‹ Ernstes stellt der Roman der »italienischen Schule« dar, insofern hier das Erhabene bzw. Schöne und Geistige selbst und direkt erscheint, die poetischen Gestalten und Verhältnisse m. a. W. mit dem Ton und der Intention des Dichters

262

Zwar zentrieren sich auch Drama und Epos um den poetischen Charakter und/oder die Narration von Handlungszusammenhängen und sind insofern durchaus Ausdruck der romantischen Poesie, indem sie bestimmte wesentliche Momente hervorheben. Doch bleiben sie, als einander entgegenliegende Brennpunkte einer Ellipse (V 251), letztlich in ihrer poetologischen Bedeutung bei Jean Paul tendenziell hinter dem Roman zurück, wenngleich es viele Mischformen gibt: Während das eine nämlich vornehmlich nur einen einzigen Charakter und dessen je gegenwärtige innere Handlung zeige, tritt im anderen dieser gerade zugunsten der Darstellung des Weltlaufs und seiner (je vergangenen) äußeren Handlungen zurück (vgl. V 232–238).

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»in eins« fallen (V 253). Natur und menschliche Individuen erscheinen eben gerade hier originär als vom Unendlichen bzw. Geistigen durchwaltet und ›erhöht‹. Die bloß natürlichee Individualisierung tritt daher zurück, ohne daß, wie gerade noch einmal gesehen, dadurch die Individualität und der praktische Handlungscharakter im ganzen im hohen ›italienischen Roman‹ aufgelöst wird. Im Gegenteil, so zeigte sich, begleitet die Sublimierung der bloß natürlichen Individualität zu einer geistigen gerade die Fokussierung auf den Menschen als praktisch Handelnden. Als paradigmatisch für diese Romanform gilt Jean Paul neben Jacobis Romanen, vor allem dem Woldemar, r seine eigene Erzählung Das Kampaner Tal, l die Schilderung von Gesprächen über die Seelenunsterblichkeit, sowie auch sein Titan, zumindest die Bücher 2–4, (V 254).263 Dieser Einordnung des letzteren widerspricht für Jean Paul auch nicht das Auftreten Leibgeber-Schoppes als wesentlich humoristischer Charakter, weil dieser selbst, nicht aber der Romanautor das Humoristisch-Komische ausspreche. Gerade diese für Jean Pauls Romane noch dazu exklusive Konstellation gleichsam im Sinne einer Mischverfassung des Titan aus den beiden einzigen, wie der weitere Text der Vorschulee zeigt, genuin romantischen Romanformen, d. h. aus Ernst (Erhabenem und Schönem) und Humor, läßt diesen im Gegenteil gerade zum komplexesten poetischen Ausdruck der, wie wir an der Claviss aber auch in der Vorschulee sahen, wesentlich doppelsinnigen philosophischen Grundanlage von Jean Pauls Denken werden. Dieser Befund bekräftigt m. a. W. noch einmal eine der Grundannahmen dieser Untersuchung, wonach sich die philosophischpoetologisch adäquateste und aussagekräftigste Verkörperung der vollständigen philosophischen Konzeption Jean Pauls nirgends anders als im Titan findet.264 –

263

Wie sich der Humor als die romantische, d. i. auf Unendlichkeit bezogene, wenn auch negativ-beziehende Poesieform vom unromantischen, bloß endlichen Lächerlich-Komischen grundlegend unterschied, ist auch die hohe ernste Romanform von einer ernsten, rein endlich bleibenden Erzählform prinzipiell verschieden, der »Idylle« als der »epische[n] Darstellung des Vollglückss in der Beschränkung«, g in der die ›Allgemeinheiten‹ im Gegensatz zu Humor und romantisch-romanhaft Schönem ganz verworfen sind zugunsten bloß endlicher Individualitäten (V 258). 264 Auch die zweite Auflage der Vorschulee von 1812 hält im übrigen an der Exklusivität des Titan durch die Vereinigung von Humor und Ernst fest. – Das gilt hingegen nicht in gleicher Weise für den zeitnah zur Erstausgabe der Vorschulee erschienenen Roman Flegeljahre, den Rose hingegen als die naheliegendere Erfüllung der ästhetischen Theorie der Vorschulee erachtet (Rose [1990], 18) und dessen Beziehungen zu Jacobis Philosophie er daher untersucht. Vielmehr charakterisiert Jean Paul selbst die Flegeljahree als besonders typischen »Roman der deutschen Schule«, von dem gilt, daß er aufgrund seiner den Unendlichkeitsbezug leicht verdeckenden bürgerlichen »Mittellage« für den »romantischen heiligen Geist«, den Jean Paul u. a. im Stichwort des Tiefsinns mit Jacobi und der Unphilosophie verband, am wenigsten brauchbar sei (V 255). Dem korrespondiert, daß, wie Preux zu Recht festhält, die philosophischen Hauptthemen Jean Pauls (Kritik des Idealismus und die Geist-Körper-Spaltung) nur noch parodistisch anklingen (Preux [1986], 105). In einem ähnlichen Sinne beobachtet Baierl schließlich für das gesamte Spätwerk

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2) Das polare, aber durchaus romantische Gegenstück des hohen ›italienischen Romans‹ bildet nach Jean Paul demnach, wie der Humor das ›umgekehrte Erhabene‹ darstellt, der ›humoristische bzw. ›niederländische‹ Roman. Die zweite Auflage der Vorschulee zählt zu dieser Gattung ausdrücklich auch die Erzählung Leben Fibels, die, wie wir sahen, in entscheidenden Punkten Motive von Schoppes humoristischer Inszenierung der Fichte-Kritik in der Claviss aufnahm und dadurch noch einmal exemplarisch die philosophisch wesentliche, rationalitäts- und endlichkeitskritische Rolle der humoristischen Darstellung anzeigte. Während ›italienischer‹ und ›niederländischer‹ Roman also durch ihre Bezogenheit auf die »Höhe« bzw. die »umgekehrte Höhe« oder »Tiefe« und damit durch die Darstellung des Unendlichkeitsbezuges miteinander verbunden und insofern als ›romantisch‹ ausgezeichnet und philosophisch bedeutsam sind, läßt sich nach Jean Paul 3) in der dritten, ihrem Gegenstand, der ›bürgerlichen Alltäglichkeit‹, gemäß ›mittleren‹ Form des Romans, d. i. des Romans der ›deutschen Schule‹, der Unendlichkeitsbezug bzw. der philosophische wie romantische heilige Geist »besonders schlecht ausgießen« (V 255). Der Einordnung des Romans Siebenkäss in diese Form, korrespondierte die scheinbare Nähe der Romanfigur Siebenkäs zur ›Laune‹ bzw. zum Lächerlichen ebenso wie die Schwierigkeiten einer angemessenen und im Konzept des Jean Paulschen ›FichteAntifichte‹ philosophisch befriedigenden Interpretation des Endes des Titan, insofern mit Siebenkäs allein ein blasser Abglanz des Humoristen Schoppe sowie des, sei es negativen, sei es positiven, Unendlichkeitsbezuges und mit der vermeintlichen Affinität zur ›Laune‹ ein bloßes poetologisches Randphänomen zurückblieb. – Doch nicht nur das poetische Primat des Romans und die Einteilung der Romanformen folgt aus der Jacobis Ausgang von der sittlichen Person poetologisch adaptierenden Zentralität des poetischen Charakters als eines sich in seinen Taten ausdrückenden geistigen Individuums. Ihr korrespondiert zweitens zudem Jean Pauls These, daß die ernste romantische Dichtkunst eine »innere Notwendigkeit« aufweisen muß, die in nichts anderem als der tätigen Freiheit der fiktionalen Charaktere bestehe, für die eben gilt, daß sie als Artikulation eines je konkreten Charakters als bestimmte, gebundene, nicht formal-abstrakte Freiheit zu verstehen ist.265 Während der Dichter in seinem Werk m. a. W. in witzig-willkürlicher

Jean Pauls eine vermehrte und vorherrschende Ironisierung des Transzendenzgedankens und den Verzicht auf die Schilderung von enthusiastischen Entgrenzungserlebnissenn und großen Naturschilderungen (Baierl [1992], 147 ff.). Allerdings, so zeigen sowohl eben die Zweitauflage der Vorschule, der Briefwechsel mit Jacobi als auch die unvollendet gebliebene Schrift Selina oder Über die Unsterblichkeitt (1824/25), bleibt Jean Pauls Interesse am Problem des Idealismus und der Frage der psychophysischen Einheit ebenso wie am ursprünglichen philosophisch-metaphysischem Programm sehr wohl ernsthaft und grundsätzlich ungebrochen. 265 Vgl. »Freiheit wovon ist keine und leer ohne die Freiheit woran und wozu; sonst wäre Nichtsein die größte negative Freiheit.« (V 444)

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Manier nach Jean Paul zunächst die poetisch geschaffene, rein natürliche Welt als solche gänzlich dem »Zufall« und »Chaos« unterwerfen kann, dürfe er »Geister« bzw. Charaktere nicht auf diese Weise ändern. Diese sind aufgrund ihrer Handlungsnatur einer willkürlichen, rein-absoluten spielerischen Produktivität ebenso entzogen (V 230) wie jeder »mechanischen Notwendigkeit«. Daher lasse sich in der Darstellung auch ein bestimmter Charakter als solcher nicht poetisch »motivieren«, d. h. in der »äußern Aufeinanderfolge« des Romangeschehens als innerlich notwendig »anschauen« (V 245). Die »schwere Kette der Ursächlichkeit«, an der in der hohen romantischen Dichtung die Helden bzw. poetischen Charaktere gleichwohl hängen, kann daher keine andere sein als die Verbindlichkeit ihrer stets konkreten »Entschlüsse« (vgl. V 246). Erst in dieser Überlegung kommt schließlich der in der Poetologie Jean Pauls zentrale Gedanke einer Offenbarung des höheren geistigen Stoffes in der Poesie zu ihrer endgültigen Form. Im ›poetischen Charakter‹ erweist sich die praktische Verfassung des Geistigen als der auch in Jean Pauls Ästhetik entscheidende Fluchpunkt seiner philosophischen Überzeugungen. Diesen Befund bestätigt weiterhin, daß ebenso die Bedeutung verleihende bzw. ›vergeistigende‹ Sublimierung der empirisch-mechanischen Welt im Roman sich als handlungspraktische Zueignung zeigt: Der romantische Dichter habe »Herrschaft über die knechtische Zufallswelt« durch einen »Charakter« und seine ihn ausmachenden Handlungen (V 230).

2. Grundzüge einer Metaphysik der Person: Anthropologie, Moral, Religion α) Poesie und Philosophie Insofern in den vorherigen Kapiteln die poetologischen Überlegungen Jean Pauls im Zentrum standen, ging es, streng genommen, auch hinsichtlich solcher ursprünglich metaphysischen Grundbegriffe, wie ›Unbedingtes‹, ›Unendliches‹, ›Idee‹, ›Vernunft‹ oder ›Instinkt‹, zunächst einmal und vornehmlich um die Analyse der künstlerischen Produktivität und der Natur von poetischem Stoff bzw. poetischen Gestalten. Gleichwohl hat sich dabei, wie zuvor schon angesichts von Jean Pauls kritischer Auseinandersetzung mit Fichte, nicht nur bereits das Vorhandensein einer komplexen philosophischen Position als ihrer beider Grundlage angezeigt. Vielmehr wurden ebenso schon wesentliche Grundbegriffe und Grundverhältnisse dieser deutlich. Zudem bestätigten sowohl die zahlreichen ausdrücklichen Bezugnahmen in der Poetologie als auch deren Anlage im ganzen sowie schließlich die konkrete Gestalt der Überlegungen zu Humor, Phantasie, Witz, poetischen Charakteren oder Romanformen die Fruchtbarkeit der Annahme, daß Jean Pauls reifes Denken, und ganz besonders dasjenige aus der Zeit um 1800, im wesentlichen von der philosophischen Doppelposition Jacobis im Sinne einer rationalitätskritisch-

III. Ernste Poesie und sittliche Praxis

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analogischen Metaphysik von Individuum und Person her zu begreifen ist. Dieses soll abschließend durch eine Rekonstruktion der Grundlinien von Jean Pauls im engeren Sinne anthropologischen, ethischen und religiös-metaphysischen Überlegungen noch einmal überprüft und vertieft werden. Auch diese lassen sich, so wird sich zeigen, in großem Maße und bis in einzelne Motive und Argumente hinein als Spielart des unphilosophischen Projektes verstehen. Daß die poetologischen Ausführungen Jean Pauls indes z. T. bereits weit ins philosophisch-metaphysische Diskussionsfeld vordrangen und gelegentlich schon detailliert philosophische Basisüberzeugungen freilegten, resultierte nicht nur aus der naheliegenden, ja geradezu unumgänglichen (Selbst-)Versicherung der ästhetischen Theorie über ihre eigenen vermögenstheoretischen, ontologischen oder bedeutungstheoretischen Grundlagen. Entscheidender war demgegenüber noch, daß zum einen die poetische Tätigkeit selbst die Manifestation eines freien praktischen realen Tuns darstellt,266 das in Übereinstimmung mit Jacobi das eigentliche Zentrum der philosophischen Überzeugungen Jean Pauls bildet, zum anderen aber der Totalitätscharakter von Phantasie und Tiefsinn bzw. die Konzeption der Poesie als schöne geistige Nachahmung zum Anspruch führt, daß der poetische Gehalt nicht weniger umfassen soll als die natürliche und geistige Welt im ganzen – und zwar in ursprünglicher idealer harmonischer, ihre Differenz gleichwohl bewahrender Durchdringung. Folgerichtig erscheinen die Poesie wie die Poetologie nicht mehr als ein bestimmter methodisch-thematischer Bereich neben anderen. Die Poetologie tritt als eigenständige ›Grundlagenreflexion‹ im Modus der Anschauung der ›prima philosophia‹ zur Seite oder vertritt sie gar, wenigstens an ihrer höchsten Stelle. Daher sind strukturelle und sachliche Übereinstimmungen zwischen poetologisch-ästhetischen und philosophisch-metaphysischen Überlegungen Jean Pauls weder als bloße Motiv-Wiederholungen oder Ähnlichkeiten noch als Anwendungen letzterer wirklich adäquat beschrieben. Gerade die mit Jacobi gemeinsame doppelsinnige antisystemische, rationalitätskritische und insofern analogische Anlage des philosophischen Denkens Jean Pauls läßt m. a. W. Philosophie und Dichtkunst eine intime Beziehung miteinander eingehen, in der die poetische Darstellung und Reflexion allererst den Raum der Selbstbesinnung und des Zusichkommens der philosophisch-metaphysischen Überlegungen bildet. Bereits in den frühen 1790er Jahren gibt Jean Paul daher eine Verhältnisbestimmung von Philosophie und Poesie, die diejenige von Reflexion bzw. Verstand und

266

Vgl. u. a.: »Poesie löset an sich schon den rohen Krieg der Leidenschaften in ein freies Nachspielen derselben auf […] Da jede moralische Handlung als solche und als eine Bürgerin im Reiche der Vernunft frei, absolut und unabhängig ist, so ist jede wahre Sittlichkeit unmittelbar poetisch, und die Poesie wird wiederum jene mittelbar. Ein Heiliger ist dem Geiste eine poetische Gestalt, so wie das Erhabne in der Körperwelt.« (V 79)

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unmittelbarer praktischer Erfahrung bzw. der Darstellung des Unendlichen und Realen im Erhabenen und Schönen vorwegnimmt. Um »glücklich« zu werden, müsse man Philosophie und Dichtkunst »in gleichem Grade treiben«, insofern jene durch ihre kritische und im Sinne des ›Stoizismus‹ auflösende Kraft vor falschen Ansprüchen (der Endlichkeit) beschütze, diese uns positiv aber »alle Stralen des Glüks« genießen lasse.267 – Zumindest in der Moderne, die nach Jean Paul jeden einfachen Bezug auf reale Objekte verloren hat, reicht die Rolle der philosophischen Reflexion dabei genau genommen sogar über die bloße Abwehr falscher Ansprüche hinaus. Hier bedarf es vielmehr wesentlich der Philosophie, vor allem des transzendentalen Idealismus wie seiner unphilosophischen Kritik und Transzendierung durch die konsequente Reflexion der Subjektivität und Ichheit, um allererst den geistigen Stoff, eine nunmehr höheree Realität, bewußt aufzufinden (vgl. V 73). Weil auf diese Art beide Weltverhältnisse, philosophisches wie poetisches, unmittelbar aufeinander verweisen, muß, wie Jean Paul ausdrücklich festhält, der »vollkommene Philosoph« selbst »ein Dichter mitsein und umgekehrt«.268 Daher erscheint einerseits die Dichtung selbst als Moment und Ausdruck einer komplexen philosophisch-metaphysischen Gedankenbewegung. Zugleich spezifiziert Jean Paul deswegen andererseits die im Kampaner Tall gegebene Bestimmung, wonach die Poesie vermeintlich die sinnlich-dichterische Einkleidungg der philosophischen Beweise der Unsterblichkeit, d. i. der höheren Geistigkeit des Einzelnen, darstellt, dahingehend, daß die Dichtkunst im Sinne eines »elektrische[n] Kondensator[s] der Philosophie« deren (begriffliche) Beweise allererst »zu Blitzen verdichte, die erschüttern und heilen«, und damit als praktisch relevante ›Beweise‹ validiere. Denn eine Überzeugung bildet sich für Jean Paul nicht durch einen allmählichen und zudem bloß formal bestimmten Fortgang wie in der logischen Ableitung, sondern durch die selbst unerklärliche und logisch unableitbare praktisch-tatsächliche, d. h. in einer Handlung wirkliche, Affirmation eines Gedankens als Überzeugung (KT 563 f.). Die Philosophie bedürfe m. a. W., so eine die intime Nähe zu Jacobi wesentlich ausmachende Grundkonstante im Denken des reifen Jean Paul, einer außerhalb ihrer Erklärungskette liegenden und darum unbegreiflichen, die Ableitungen allererst und schlechthin tragenden und initiiernden (praktischen oder poetischen) Erfahrung eines wirklich Realen und Geistig-Lebendigen.269 Unabhängig von »Menschenliebe« und »Eigennutz« ergreifen Wahrheiten erst in der »Allgewalt der Beispiele«, also, wie wir bereits bei Jacobi und in Jean Pauls Fichte-Auseinandersetzung fanden, in der Autoritätt eines (fremden) konkreten realen Ich und dessen »dramatischer Einkleidungen«.270 Denn das

267 268 269 270

Jean Paul: Philosophische Untersuchungen. Nov.1790–93.II (JPSW II/7, 16). Jean Paul: Bemerkungen über den Menschen (JPW II/5, 64). Jean Paul: Philosophische Untersuchungen III 1801 (JPSW II/7, 121/131). Jean Paul: Paligenesien (JPW I/4, 782).

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»Leben«, das allem Fürwahrhalten und somit auch der Philosophie zugrunde liege, spiegele sich besser in den ihnen in ihrer Transzendierung des Begrifflichen verwandten »Gleichnissen« der dichterischen Darstellung als in allen »Worterklärungen« (V 30). In negativer Wendung lag dieser Umstand der poetischen Verdichtung von Schlüssen zu diesen allererst Bedeutsamkeit verleihenden Gefühlen auch den existentiellen Widerlegungen der experimentalnihilistischen Schreckensvisionen zugrunde. – Dies bedeutet für Jean Paul schließlich auch, daß alle systemische, auf Totalität ausgehende Philosophie in Wahrheit bereits genuin, wenn von ihr häufig jedoch noch unbemerkt dichterisch ist.271 Nur dies erlaubt es ihm, wie wiederum zuvor bereits Jacobi, wesentliche Motive systemischer Alleinheitsphilosophie, seien sie spinozanisch oder fichtesch, in ihrer dichterischen bzw. unphilosophischen existentiell-praktischen Um-, ja richtiger Urdeutung aufzunehmen. – Kommen auf diese Weise auch bei Jean Paul die existentiell-praktischen Wurzeln unserer Meinungen und Überzeugungen in den Blick, gebührt der Dichtung im Feld des Moralisch-Praktischen erst recht eine zentrale Stellung: Insofern gerade auch wissentliches tugendhaftes Handeln seine praktische Einübung voraussetzt, fällt der Poesie aufgrund der weitreichenden Analogie der Welt in der romantisch-poetischen Darstellung und der sittlich-geistbeherrschten (und insofern idealisierten) wirklichen Welt eine moralische Erziehungsfunktion zu (vgl. T 714/168).272 Denn ebenso wie durch

271

So hält Jean Paul bereits in einer Notiz um das Jahr 1786 fest, daß der systembildende »philosophische Erfinder […] so gut die Flügel der Dichtungskraft [brauche] als der poetische« (Bemerkungen über den Menschen [JPW II/5, 36 f.]). Fast gleichlautend wiederholt die Vorschule, daß alle genialen, »erfindenden«, »echt-systematischen« Philosophen »dichterisch« seien (V 56 Anm.). – In ähnlicher Weise entgegnet Jean Paul schließlich Kant, daß auch das Philosophieren Genie erfordere, weil neue Ideen und Systeme nicht durch die Syllogismen erfunden würden, durch die sie dann bewiesen werden. »Ich erschrecke und erstaune über die verhüllte Allmacht, womit der Mensch seine Ideenreihe ordnet, d. h. schafft. Mir ist kein besseres Symbol der Schöpfungg bekannt als die Regelmäßigkeit und Kausalität der Ideenschöpfung in uns, die kein Wille und kein Verstand ordnen und erzielen kann, weil eine solche Ordnung und Absicht die unerschaffene Idee ja – voraussetzte. Und in diese Schöpfung hüllt sich das erhabne Rätsel unserer moralischen Freiheit ein.« (KT 589 Anm.) – Im »Brief über die Philosophie« in Jean Pauls Briefe und bevorstehender Lebenslauf (1799) attestiert Jean Paul daher dem Idealismus ebenso wie Leibniz und Spinoza, daß ihre philosophisch-systemische Verwandlung der Wirklichkeit in eine innerlich erzeugte »leichte runde Welt« »ursprünglich Geburten einess genialischen Augenblicks, nicht hölzerne Schnitzwerke der logischen Mühle« seien (Cl I/4, 1016). – Die Levanaa setzt im selben Sinne die eigentliche positive Philosophie ausdrücklich der jenseits der endlichen Anschauung bloß mit Quantitäten rechnenden Mathematik entgegen, insofern sie »die Einsicht der Idee« und die ›Liebe der Wahrheit‹ – mit Jacobi gesprochen: die Liebe des ›Wahren‹ –, mithin die ›Erforschung‹ des »Dasein[s]« sei (L 838). 272 Vgl. auch Jean Pauls Brief an Christian Otto vom 22.5.1795 über seinen Roman Hesperus (JPSW III/2, 85 f.). – Dies trifft aber für Jean Paul nicht in gleicher Weise, so zeigten bereits die Darstellungen der Gefährdungen von Poesie und Humor in Roquairol und Leibgeber-Schoppe

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die Anschauung wirklichen fremden guten (aber auch schlechten) Handelns können wir nach Jean Paul durch die Anschauung von dessen idealisierter poetischer Nachahmung sittlich gebessert werden.273 Dies gilt für Jean Paul vermehrt noch in geistfernen und moralisch dunklen Zeiten, indem hier vor allem, ja u. U. einzig die Poesie die Ideale als eigentliche Realität in Erinnerung hält:274 »[S]o kommt der Mensch auf dem dichterischen Umwege durch die bestechenden Gemälde einer verschmähten Wirklichkeit wieder zu ihr zurück, und auf ewig und reiner, und sie geben dann der Natur, der Freiheit, dem häuslichen Glück, der Wirklichkeit einen treuern Freund zurück, als sie ihnen entführet haben«.275 Gleichwohl fallen bei Jean Paul, im Gegensatz zu den von ihm dafür kritisierten Frühromantikern, poetische und freie Tätigkeit sowie auch Poetologie und Philosophie nicht einfach zusammen, insofern bei jener vermehrt die Thematisierung der angemessenen poetischen Darstellung der sittlichen Tätigkeit bis in konkrete technische Anweisungen hinein,276 bei dieser aber die Thematisierung der sittlichen Tätigkeit selbst im Zentrum stehen. Zumal die dargestellte sittliche Handlung nicht mit einer wirklich selbst vollzogenen und als solche erfahrenen sittlich-praktischen Tat identisch, sondern nur deren fiktionales poetisches Abbild ist.277 Dem

an, auch für den Dichter selbst (und, so ließe sich ergänzen, für den Moralphilosophen) zu. Denn die Tätigkeit des Darstellens entfremde in der dafür nötigen ›Besonnenheit‹ zugleich vom Dargestellten als Wirklichem bzw. von seinen realen sittlich-praktischen Gefühlen. Der Poet sei »immer auf eine zweideutige Art getrent von oder erhaben über seine Zustände« (ebd.). 273 Vgl. u. a. V 220/79, Brief Jean Pauls an Christian Otto vom 22.5.1795 (JPSW III/2, 85 f.). 274 In diesem Sinne benennt Jean Paul eben bspw. als Anliegen der ›Blumenstücke‹ im Roman Siebenkäs, so deutete sich bereits an, »den Menschen lauter Ruhestätten«, mithin »auf der Erde zwei Himmel [zu] zeigen, den jezigen [der Tugend] und den künftigen [der Glückseligkeit]« (Brief Jean Pauls an Emanuel vom 29.11.-2.12.1796 [JPSW III/2, 277]). 275 Jean Paul: Paligenesien (JPW I/4, 728 ff.). 276 Zur sich an der Vorschulee zeigenden grundlegenden Differenz der Ästhetikauffassungen vgl auch Baierl, der ebenso Jean Pauls Ablehnung des Versuchs hervorhebt, die Poesie durch abstrakte Begrifflichkeit der philosophisch(-verständig)en Reflexion gänzlich zu unterwerfen (Baierl [1992], 69 f.). Dies darf allerdings nicht, so zeigen Jean Pauls Überlegungen zum Verhältnis von Poesie und Philosophie, im Sinne einer Neutralität der Poesie gegenüber philosophischmetaphysischen Fragen überhaupt verstanden werden. Im Gegenteil bedürfen Grundfragen der ›prima philosophia‹ als Metaphysik der Person bzw. des Einzelnen gerade wesentlich poetischdarstellender Momente. 277 Selbst wenn in der Moderne, d. i. in der Gegenwart Jean Pauls, die Poesie tatsächlich zur letzten ›Fluchthöhle‹ des in den Sitten verdrängten wie in der verständig-wissenschaftlichen Reflexion aufgehobenen Unendlichen und Realen geworden wäre, wie einige pessimistische zeitkritische Bemerkungen nahelegen (s. u.), führt dies nach den Grundüberzeugungen Jean Pauls gerade nicht zur Identifizierung von poetisch erschaffener und existentiell-praktischer Sphäre. Die für Jean Pauls Poetologie zentrale Figur der Metapher besitzt als bildhaftes Sprechen ein sinnliches Moment, das wesentlich auf eine außersprachliche Wirklichkeit verweist. – Aller-

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entspricht, daß der praktischee Charakter der poetischen Tätigkeit nicht allein durch deren poetologischee (Selbst-)Reflexion als poetische in den Blick zu kommen vermag. In ähnlicher Weise hatte Jean Paul auf den Spuren Jacobis gegen die spontan philosophisch-reflektierende Tätigkeit und deren frühromantischer Transformation in die poetische Selbstbewegung der Einbildungskraft sowie gegen das philosophisch nachkonstruierte sittliche Handeln bei Fichte auf eine diesen noch voranliegende ursprüngliche reale, genuin sittliche Handlungserfahrung des Einzelnen verwiesen. Daher ist es nicht nur möglich, sondern regelrecht geboten, im Folgenden Jean Pauls eigene grundlegende, der Poetologie i. e. S. voranliegende, ausdrücklich als anthropologische, ethische und metaphysische Überlegungen auftretende, wenn im Werk auch weitgehend verstreute Reflexionen in ihren wesentlichen Aspekten noch einmal eigenständig zu rekonstruieren und auf ihr Verhältnis zur Philosophie Jacobis zu überprüfen. Dabei wird das Augenmerk vor allem auf der Charakterisierung des Sittlichen, für das sich auch bei Jean Paul (wie zuvor für Jacobi) die Zentralität der Freundschaftsbeziehung erweisen wird, und zudem auf dessen religiös-metaphysischer Deutung liegen. Gerade Freundschaft (und Liebe) als die wesentlichen, einen Charakter kennzeichnenden Beziehungen geben dabei endgültig Jean Pauls Rede vom ›Allgemeinen‹ der ›geistigen Individualität‹ als eine solche zu erkennen, der es um die Verbindlichkeit einer konkret-individuellen tugendhaften Person, eines ›Mannes mit Namen‹, geht. – Gerade hinsichtlich der Freundschaftsthematik wird dabei zur Exemplifizierung und Verdeutlichung der sittlich-praktischen Grundannahmen Jean Pauls schließlich auch noch einmal auf den Roman Titan und die dort nachweislich entscheidende Rolle von Freundschafts- und Liebesbeziehungen für die Selbstfindung des Haupthelden und ›hohen Menschen‹ Albano kurz zurückzukommen sein. Denn vor allem dieser Text ist aufgrund der Bestimmung der Poesie als ›schöne geistige Nachahmung‹ im allgemeinen und dem Zusammenfall von Autoren- und Figurenintention im Roman der ›italienischen Schule‹ im besonderen durch eine grundlegende Ähnlichkeit zwischen der Zeichnung der Figuren als originär in einer Welt praktisch Handelnde einerseits und der Verfaßtheit realen menschlichen Daseins andererseits charakterisiert.

dings, so wird sich im Folgenden zeigen, weist auch die (ursprünglichere) Sphäre des Existentiell-Praktischen für Jean Paul eine metaphorische Verfassung auf. Die ›Metapher‹ ist m. a. W. bei Jean Paul nicht eine originär poetologische, sondern vielmehr eine ethisch-metaphysische Figur. Der Gegensatz zum ebenso philosophisch ausgreifenden universalpoetisierenden Programm der Frühromantik findet hier seinen Ausdruck im unbegreiflichen Anerkennen eines realen anderen Ich (Freundschaft) und zuletzt sein Symbol im konsequenten, rational ebenso nicht zu rechtfertigenden Festhalten an der Entscheidung für einen personalen Schöpfergott.

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β) Anthropologie Wie bereits dem Humor in seiner Bezogenheit auf einen höheren Ernst, so liegt auch dem komplexen, oft doppelsinnigen Verweisungsverhältnis von Philosophie und Dichtung bei Jean Paul letztlich die anthropologische Fundamentalthese zugrunde, daß der Mensch ein wunderbares ›Mischwesen‹ aus ›Verstand‹ und ›Herz‹ sei, das an der endlichen, natürlich-irdischen genauso wie an der geistig unendlichen Welt Anteil hat. Insofern überragt der Mensch nach Jean Paul durch seine Geistnatur zugleich immer schon die ›Erdkugel‹ als den Ort seiner lebendigen Existenz.278 Die entscheidende Ausdeutung dieses Befundes, die in gleichzeitiger Abgrenzung gegen konkurrierende Projekte seiner Zeitgenossen Jean Pauls Überzeugungen nicht nur von Grund auf mit der Anlage der Unphilosophie Jacobis verbindet, sondern ebenso noch in eine Vielzahl von übereinstimmenden philosophischen Motiven ausstrahlt, liegt aber darin, daß das menschliche Dasein als grundsätzlich in sich ››gebrochen‹ gilt. Genau betrachtet bedeutet dies letztlich die strukturelle Wiederholung der Grundfigur des ›Spinoza-Antispinoza‹ Jacobis auf dem Feld des Anthropologischen, in dem der Mensch genauso wenig wie als ›einsinniges‹ als »widersinniges«, sondern vielmehr als »doppelsinniges« Geschöpf begriffen wird, mithin als ein solches, dessen der reinen monistischen Einerleiheit programmatisch entgegengesetzte Einheit über, ja gerade durch den ›Bruch‹ besteht. Dem widerspricht auch nicht die in allen Werkphasen Jean Pauls wiederkehrende Tendenz zur Weltverneinung. Denn diese vernichtende Vereinseitigung, so zeigte sich gerade an der grundsätzlich gefährdeten Gestalt des Humoristen, bildet als integrales Moment der doppelsinnigen Anlage der Position Jean Pauls eine unerklärlicherweise jederzeit mögliche, zugleich aber letztlich zu kritisierende Entwicklung der Doppelnatur des Menschen. Daß es gegen das unaufhebbare monistische Vereinseitigungsstreben, sei es idealistisch-geistiger oder materialistisch-körperlicher Natur, an der sich in der Daseinserfahrung des Menschen bekundenden Doppelsinnigkeit auch ästhetisch und philosophisch festzuhalten gilt, zeigt bereits eine Empfehlung, die das Leben des Quintus Fixlein (1795) gibt und der, recht besehen, Jean Pauls ganzes poetisches wie theoretisches Werk zu folgen sucht: Die bewußte Wahl einer gemischten Lebensform als Maxime seiner Daseinsgestaltung, so Jean Paul, sei die ›klügste‹ und ›glücklichste‹ Existenzweise für den Menschen. Dieser solle m. a. W. möglichst den Weg des poetischen Genies oder des sittlich-praktischen Helden »in die Höhe«, zum Unendlichen, Ewigen und Idealen, auf dem die »ganze äußere Welt« zusammenschrumpft, mit dem entgegengesetzten in die »Furche« der idyllischen Beschränkung auf die sinnlichen Freuden und »mikroskopischen Belustigungen« des Endlichen als Wechsel zwischen tätiger Anspannung und regenerativer Ruhe miteinander verbinden

278

KT 563, vgl. weiterhin auch Sieb 546, QF 61 f.

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(QF 10–13)279. – Die menschliche Existenz erreicht nach Jean Paul mithin ihr Optimum in der gleichmäßigen Ausbildung aller Kräfte, der ›höheren‹ unendlichen ebenso wie der ›niederen‹ endlichen – und zwar dann, so die Logik der gebrochenen Einheit, wenn diese in Analogie zum analogisch-metaphorischen (Ähnlichkeits-)Verhältnis von Abbild und Urbild zugleich durch jene gehalten und fundiert werden.280 Daher ist es nur folgerichtig, daß der Titan als das von Jean Paul selbst so ausgezeichnete dichterische Hauptwerk gerade diese harmonische, vom Geistigen geführte allseitige Ausbildung des Menschen zum Thema hat und romantischschöne bzw. erhabene Größe mit (geistdurchwirkter) humoristischer (Schoppe), aber auch (ebenso geistdurchwirkter) scheinbar idyllischer endlicher Konkretion (Idoine) zu verbinden sucht. – Wie ein Großteil der philosophischen und der theologischen Tradition buchstabieren Jean Pauls über die Poetologie hinausgehenden und dieser der Sache nach noch vorausliegenden philosophisch reflektierenden Texte die Grundannahme von der Doppelsinnigkeit der menschlichen Existenz zunächst als Frage nach dem Verhältnis von Geist und Körper aus: Doppelsinnig ist der Mensch wesentlich deshalb, weil sein Denken ebenso wie sein Lieben, seine theoretische ebenso wie seine (sittlich-)praktische Tätigkeit konstitutiv an (s)einen Körper gebunden ist, von dem es sich als Geistwesen zugleich grundlegend und kategorial unterscheidet.281 – Die natürliche Welt, zu dem der Körper des Menschen gehört, gilt dabei eben als eine streng notwendig, wirkkausal bestimmte ›mechanische‹ Ordnung. Zwar unterscheidet sich für Jean Paul bereits das Lebendige und Organische grundlegend vom bloß Physikalisch-Mechanischen und läßt sich nicht auf dieses zurückführen. Gleichwohl erscheint auch das Reich des bloß Organischen letztlich noch als streng notwendig durch Naturgesetze bestimmt und wesentlich vom Geistigen unterschieden – so die Jean Paul wie zuvor bereits Jacobi wesentliche, aber zugleich wegen Affinitäten zur Leibnizischen Philosophie nicht immer deutliche Profilierung der eigenen Position gegen zeitgenössische am Lebensbegriff ansetzende Adaptionen der Spinozanischen und der im Sinne Spinozas gelesenen Leibnizischen Philosophie.282 So wenig der Mechanismus den eigentlichen Kern des Lebendigen darstellen kann, so wenig also ist nach Jean Paul letztlich aus dem Organischen das

279

Zur ›Idylle‹ als derartige Beschränkung der Weltwahrnehmung und -zuwendung, daß der generelle Vernichtungsgedanke und mithin die Differenz des Endlichen vom Unendlichen noch undenkbar sind, vgl. Simon (2009). 280 Vgl. Brief Jean Pauls an E. v. Berlepsch vom 10.-12.9.1797 (JPSW III/2, 370 f.). 281 Jean Paul: Philosophische Untersuchungen 1794–1801 III (JPSW II/7, 36); KT 603. 282 Vgl. Jean Paul: Philosophische Untersuchungen III 1801 (JPSW II/7, 106); vgl. zur strengen gesetzmäßigen Notwendigkeit im Natürlichen auch Philosophische Untersuchungen 4.März 1821 (JPSW II/7, 227); zum Unterschied zwischen Lebendigem und bloß Physikalisch-Mechanischem vgl. u. a. Selina 1172 ff.

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Geistige und Sittliche gebildet und zu verstehen. Unser Vorstellen, Empfinden und Wollen sei m. a. W. keineswegs nur Epiphänomen oder gar Produkt unseres Körpers oder unseres lebendigen Leibes (Selina 1172 f./1179). Denn ein solches Verständnis übersieht für Jean Paul nicht nur, daß für Empfindungen und Vorstellungen, für Bewußtsein und Wollen in dem Maße »im Gehirn« und in den Nerven kein Entsprechendes aufgefunden werden könne, wie »die sogenannten Eindrücke, Spuren, Bilder, Spannungen […] bloß als metaphorische Zustände in der Seele vorhanden, aber nicht als eigentliche in Gehirn und Nerven möglich seien« (Selina 1174). Vielmehr bliebe in diesem Falle auch, so argumentieren Jean Pauls Texte, das Entstehen von Neuem, d. i. die Spontaneität der Gedankenproduktion durch willentliche geistige Anstrengung des Nachsinnens und Nachdenkens ganz unbegreiflich, ja ausgeschlossen, da in der Mechanik der Körperwelt wie überhaupt in der Sphäre des naturgesetzlichen Zusammenhangs kein »Schaffen«, sondern nur ein necessitiertes »Nacheinanderfolgen« denkbar sei (Selina 1186). Und schließlich, so Jean Paul weiter in Aufnahme eines Hauptarguments Jacobis gegen Spinoza, müsse sowohl durch eine materialistische Erklärung als auch durch die Annahme eines strengen Parallelismus zwischen Geist und Körper alles willentlich zweckhafte, im engeren Sinne praktische »Eingreifen und Richten, Hemmen, Ordnen durch eine geistige Kraft« in die/der Körperwelt geleugnet werden (Selina 1173 f.). Dem widerspreche aber, daß uns unsere geistige Kraft und ihre Wirksamkeit unmittelbar bekannt seien, während die Materie nur mittelbar im Medium des Geistigen gegeben werde (Selina 1178). Der Charakterisierung der bloß irdisch-natürlichen Welt als streng notwendiger, alle tätige Freiheit ausschließender immanenter gesetzlicher Zusammenhang korrespondiert dabei auch bei Jean Paul das Verständnis der Naturwissenschaften, ja des systematischen Wissens bzw. des rein verständigen Erkennens überhaupt: Weil dieses eine Erklärung der Welt durch Allgemeinbegriffe zu leisten suche, bleibe es insofern prinzipiell unbefriedigend, als es statt mit Qualitäten und Substanzen nur mit Verhältnissen und Relativem befaßt sei und daher nicht mehr als ein prinzipiell unabschließbares und endloses formales »Zahlensyste[m] der Wirklichkeit« bilde.283 Da nur Quantitäten, »Gradee der Erfahrung« begreifbar seien, drängten die Naturwissenschaften, so Jean Paul, die geistige Welt immer weiter zurück, die sie eigentlich auch, ja wesentlich hätten erfassen wollen.284 Naturwissenschaften wie wissenschaftlich-systemische rationale Philosophie, sogenannte ›negative philosophische Köpfe‹, lösen m. a. W für Jean Paul alles Wirkliche und Substantielle scharfsinnig

283

Brief Jean Pauls an Jacobi vom 25.-27.1.1816 (JPSW III/7, 55 f.); Jean Paul: Philosophische Untersuchungen III 1801 (JPSW II/7, 108) u. Philosophische Untersuchungen. Nov.1790–93.I ([JPSW II/7, 15). 284 KT 609, Jean Paul: Philosophische Untersuchungen III 1801 (JPSW II/7, 152 f.).

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in ›geräumigen‹, abstrakten Begriffen und Wörtern auf. Dies tun sie zwar in der Absicht, das Reale in streng notwendigen Deduktionen vermeintlich als Begriffenes wiedererstehen zu lassen. Tatsächlich jedoch, so das neuerlich unmittelbar an Jacobi erinnernde Argument Jean Pauls, brächten sie dabei durch rational-systemische Wiederzusammensetzung der von ihnen in Begriffe aufgelösten Gegenstände diese nie wieder zum Vorschein. Das wissenschaftlich-systematische Begreifen gilt Jean Paul mithin wie in der Fichte-Kritik der Claviss entweder als ›Nihilismus‹ oder aber als Täuschung. Denn es agiere in der Regel wie der »Taschenspieler, der einen lebendigen Vogel im Mörser zu Brei analysiert und darauf doch den Vogel wieder lebendig produziert, indem er bloß einen nicht analysierten aus dem zweiten Boden des Mörsers freigibt«.285 In Wahrheit blieben aber Qualitäten bzw. »Arten » «, mithin das Unendliche, Unbedingte und Freie, trotz aller seiner begrifflich-synthetischen Anstrengungen dem gleichmacherischen Verstand vollkommen unbekannt. Weil ein verständig-begreifendes Übergehen aus der Notwendigkeit in die Freiheit, von einem Begriff zur Wirklichkeit bzw. von einem, wie es bei wirklichen Veränderungen gemäß der Relation von Ursache und Wirkung praktisch geschehe, Wirklichen zu einem anderen Wirklichen gänzlich unmöglich sei, nimmt Jean Paul ein weiteres Mal an entscheidender Stelle ausdrücklich eine ebenso zentrale wie von den Zeitgenossen häufig mißverstandene Redeweise Jacobis auf: Um von einer ›Art‹ zur nächsten, von einem Realen und Qualitativen zu einem anderen zu gelangen, das – wie alles Wirkliche selbst – nur in einer stets anschaulichen konkreten Erfahrung, nicht in einer logisch-begrifflichen Operation gegeben sein könne, bedürfe es, so Jean Paul, grundsätzlich eines »Sprunges«. Denn jede reale Veränderung sei nichts anderes als die »Wiederholung« einer »Schöpfung aus dem Nichts«,286 die, so zeigte bereits Jacobis Charakterisierung des systemischen Wissens mittels des Prinzips des »a nihilo nihil fit«, als schlechthin unbegreifliche alle Erklärung grundsätzlich transzendiert. Doch bleibt für Jean Paul an der rein wissenschaftlich systemischen Erkenntnis nicht nur unbefriedigend, daß in ihr trotz logischer Stringenz die uns zugleich ursprünglich bekannten ›höheren‹ Gegenstände, unsere geistigen Anlagen und Wünsche, aus unserer Verfassung als Naturwesen – genauer: aus dem natürlichen

285

Jean Paul: »Brief über die Philosophie«. In: Jean Pauls Briefe und bevorstehender Lebenslauff (1799, JPW I/4, 1018 f.). 286 Jean Paul: Philosophische Untersuchungen III 1801 (JPSW II/7, 113/116–118). – Solche Überlegungen des reifen Jean Paul wenden sich dabei nicht nur gegen die Transzendentalphilosophie, sondern auch gegen den Leibnizianismus seiner Jugend. Denn im selben Sinne bestreitet aufgrund der kategorialen Verschiedenheit von Unendlichem und Endlichem bspw. Das Kampaner Tall die These von der unendlichen Wesensleiter, die den Menschen mit Gott verbinde und die der Mensch in zunehmender sittlicher Perfektibilisierung vollständigg durchschreiten könne (KT 597).

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Selbsterhaltungstrieb als dessen wesentlicher Bestimmung – nicht begriffen werden können, ja von uns sogar als diesem widersprechend erfahren und daher der Sache nach von der systemischen Philosophie bestritten werden (KT 614/618). Vielmehr gilt Jean Pauls Ungenügen an dieser umso mehr, als es sich bei dem ihr Unerklärlichem und von ihr Aufgelöstem zugleich um ihre eigene Voraussetzung handelt: Der körperliche Mechanismus verweist nach Jean Paul, recht, d. i. unphilosophisch verstanden, seinen immanenten Prinzipien entgegen bereits selbst über sich auf eine finale Kausalität aus Freiheit hinaus. Denn ohne die Bekanntschaft mit einer solchen freien Kausalität sei der »Naturmechanism« als solcher, d. h. als streng notwendiger, gesetzmäßiger Zusammenhang nicht zu bemerken.287 Ohne die Voraussetzung eines Geistigen bleibe m. a. W. die ganze verständige allgemeinbegrifflich-mechanische Ordnung ohne Regelhaftigkeit. Denn diese, so ist Jean Paul überzeugt, läßt sich selbst nicht wiederum durch die allererst von ihr zu sichernden mechanischen Regeln begründen; solle sie daher nicht als auf einem »bloßen Zufall«, einer »Unregel« beruhend und damit in selbstwidersprüchlicher Weise selbst als bloß zufällig erscheinen, müsse eine höhere (geistige) Regelhaftigkeit als ihr realer Ursprung angenommen werden.288 Oder wie Jean Paul bereits hinsichtlich des Humors argumentierte: Wie die humoristische Leugnung der Realität der Welt und jeder in dieser Weise verfahrende Skeptizismus, Idealismus oder Nihilismus den Gedanken voraussetze, daß als »Quelle der Vergleichungen« hinsichtlich des Realitätsstatus wenigstens »ein Universum […] reel sein« müsse,289 sei das Endliche und Begrenzte überhaupt nicht denkbar ohne den Bezug auf ein wirkliches Unendliches. Während es als Endliches nur erfaßt werden könne, wenn es sich von diesem unterscheide, das Unendliche selbst ihm also allererst die Form gebe, d. h. »die Schranken sez[e]«,290 verlange die Anschauung des Unendlichen umgekehrt keineswegs in gleicher Weise das Endliche – weder als äußere Anschauung noch als ebenso endliche verständig-abstraktive Entgrenzung des Endlichen. Das Unendliche als solches könne vielmehr dem Menschen, soll es ihm überhaupt bekannt sein, allein unmittelbar und ursprünglich in der ›höheren‹ ›inneren‹ Anschauung offenbart werden, bleibe diese Offenbarung auch unerklärlich. – Insofern es sich bei dem nach Jean Paul epistemisch wie ontologisch voraus-

287

Jean Paul: Philosophische Untersuchungen III 1801 (JPSW II/7, 95/121). Jean Paul: Philosophische Untersuchungen 4.März 1821 (JPSW II/7, 228 f.); Brief Jean Pauls an Jacobi vom 25.-27.1.1816 (JPSW III/7, 55 f.). 289 Jean Paul: Philosophische Untersuchungen III 1801 (JPSW II/7, 114). 290 Jean Paul: Philosophische Untersuchungen 1794–1801 (JPSW II/7, 33). Dabei spielt Jean Paul in immer neuen Anwendungen dieses Argument auch für verschiedene weitere Begriffspaare, die ein Verhältnis von Unbedingtem und Bedingtem bzw. Unendlichem und Endlichem ausdrücken, durch, so für »Ideal«-»Wirklichkeit«, »Heiliges«-»Unheiliges«, »Unschuld«-»Schuld« (L 581 f.), »Uneigennütziges«-»Eigennütziges« oder »Wunderbares«-»Natürliches« (T 562 f.). 288

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liegendem Unendlichem um ein Geistiges und Freies handelt, werde es, so der letzte Schritt der Überlegung, von den »Völkern und Einzelwesen« zu Recht ursprünglich als »der« und nicht als »dass Unendliche« erfahren und angesprochen (L 582). Insofern sei jede (regelhafte) Einwirkung, jedes physische Gesetz und die durch es entstandenen Phänomene, ja alle »mathematischen Gesetze« letztlich als »Einwirkung Gottes«, als eines bewußt handelnden absoluten Geistwesens anzusehen.291 Daß sich Geistiges allgemein betrachtet in der beschriebenen Weise nicht nur vom Materiellen oder Natürlichen unterscheidet und dieses auch nicht nur im Sinne eines Parallelismus begleitet, sondern als Tätigkeit eines persönlichen schlechthin unendlichen Wesens umgreift und fundiert, bedeutet für die Verfassung des Menschen nach der Überzeugung Jean Pauls nicht nur, daß auch bei ihm ein Gehirndefekt seine Ideen und moralischen Neigungen als genuin geistige nicht zerstören kann. Vielmehr ›bändige‹ der Geist eines Menschen auch seinen Körper,292 dessen eigentlicher »Uhrmacher« er sei. Dies zeigt sich nach Jean Paul sowohl im vermeintlichen Einfluß des Willens auf Herzschlag und Körperbewegung ebenso wie in der angeblichen Fähigkeit, aus eigenem Willensentschluß ein »paralysiertes Gehirn« bzw. trotz eines solchen den Leib wieder in Gang zu setzen.293 Der Geist bzw.

291

Jean Paul: Philosophische Untersuchungen III 1801 (JPSW II/7, 137 f.) u. Philosophische Untersuchungen 4. März 1821 (JPSW II/7, 231). Vgl. auch: »Eigentlich ist doch im Weltal jede Physik Metaphysik und Teleologie, und jedes Gesez der Natur wird nicht von Endabsichten begleitet, sondern sogar gemacht, und diese thun entweder nichts oder alles, wie ja der volendetmoralische Mensch schon keine Adiaphora und in der elendesten Handlung einen moralischen Willen haben müste.« (Brief Jean Pauls an Jacobi vom 3.-6.12.1798 [JPSW III/3, 129]) 292 Allerdings überlegt Jean Paul gelegentlich auch in Fortsetzung eines parallelistischen Modells vom Verhältnis von Geistigem und Körperlichem, daß »Seelen« nur auf Seelen einwirken könnten, eine »Geister-Einwirkung« hingegen auf Körper unmöglich sei, da dies das (natürliche) »Leben zum Wahnsinn machen [würde] durch Regellosigkeit« (Jean Paul: Philosophische Untersuchungen III 1801 [JPSW II/7, 154]). Nur hinsichtlich der Erschaffung der Welt könne eine wunderbare Geisttätigkeit angenommen werden, während alle folgenden Veränderungen aus ›mechanischen Körper-Triebwerken‹ erklärbar sein müßten. Selbst die (endlichen) Seelen stünden hier »unter mechanischer Bothmäßigkeit, sonst könnten nicht die Triebe der Thiere, Grausamkeit, Kinderliebe, so wie die Kunsttriebe durch ganze Gattungen durchgehen«. – Doch gilt letztlich auch hier noch in dem Maße das Primat des tätigen Geistes, wie dieser als ordnende Kraft die Verfassung des Menschen umgreift: »Kurz alles muß sogar der, der das Wunder, den Allgeist, d. h. die höhere unbekannte Kraft annimmt, in lauter bekannten Kräften zu erklären suchen; nur aber nicht die Harmoniee und Zusammenordnung dieser Kräfte« (Jean Paul: Philosophische Untersuchungen III 1801 [JPSW II/7, 152 f.]). 293 Jean Paul: Philosophische Untersuchungen III 1801 (JPSW II/7, 97); KT 604. – Daher interessiert sich Jean Paul auch zeitlebens für naturwissenschaftliche und naturphilosophische Betrachtungen, gerade auch solche des tierischen Magnetismus, Mesmerismus u. ä., die scheinbar die reale Einwirkung des Seelischen im Natürlichen beweisen (vgl. u. a. Jean Paul: Philosophische Untersuchungen. Nov.1790–93.II [JPSW II/7, 16]).

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die ›Seele‹ sei, so der späte Jean Paul in zugespitzter Fortführung dieses Gedankens, selbst ebenso die Lebenskraft des Körpers als Leib (Selina 1187 ff.). – Der Vorrang des Geistes im Menschen manifestiert sich nach Jean Paul dabei auch im prinzipiellen Aktcharakter des verständigen Erkennens und sinnlichen Wahrnehmens, insofern das leibliche Sehen als Wahrnehmen von Bestimmtem und Bedeutsamem eine Antizipation des sinnlich zu sehenden durch die ›geistigen Augen‹, d. i. das ›Denken‹ voraussetze und damit schließlich die Bekanntschaft mit einer höheren, einzig wahren idealen und ursprünglich schöpferischen Welt als Fundament des Tätigkeitscharakters wie der Bestimmtheit jedes realen Denkaktes und jeder Handlung des Ich.294 In diesem Sinne behauptet Jean Paul geradezu die Identität des metaphysischen Wissens mit dem Wissen, »was Ich heißet«,295 die sich poetologisch bereits in der zentralen Bedeutung des poetischen Charakters niedergeschlagen hatte. Schon im Siebenkäss hatte Jean Paul daher, analog zur Forderung der höheren Besonnenheit in der Vorschule, gegen die bloß äußere, objektive Welterkenntnis, gegen das Versunkensein ins gegenständliche Bewußtsein, die Notwendigkeit einer Selbstbesinnung des Ich mobilisiert. »Ohne dieses helle Bewußtsein des Ich gibt es keine Freiheit und keine Gleichmütigkeit gegen den Andrang der Welt« (Sieb 138). Erst im Losreißen von der Gegenständlichkeit und der Blickwendung auf sich selbst werde der Mensch »eine Person«. – Allerdings setzt Jean Paul in seinem mit einem Großteil der philosophischen Konzepte der Moderne geteilten Ansatz beim Ich dem »Cogito ergo sum« Descartes’ ausdrücklich ein »sum ergo sum« entgegen, dessen Differenz zum Fichteschen »Ich bin« des ersten Grundsatzes der Wissenschaftslehre gerade im mit Jacobi geteilten ›Offenbarungscharakter‹ der Daseinsgewißheit des Ich als unendlich-endliches liegt.296 Durch diese sei der systemischphilosophische Zirkel zwischen Realität und Idealität bzw. Sein und Bewußtsein des Ich, wie überhaupt zwischen Realität und ihrem stets subjektivem Erkennen nicht durch eine kühne begriffliche ›Erklärung‹ oder den Rückschlußß auf ein allem Bedingten notwendig noch voranliegendes Unbedingtes aufgelöst, sondern durch sein ebenso kühnes Vorzeigen und den Verweis auf die unmittelbare Erfahrung der »Vereinigung« von Realität und Idealität im Dasein des Ich bzw. der »in unserem Geiste glühende[n] Sonnenwelt der Tugend, d Wahrheitt und Schönheit« t überwunden 297 (V 446, KT 603/609). Das Selbsterkennen des Ich hat m. a. W. wie die poetische

294

Jean Paul: Philosophische Untersuchungen III 1801 (JPSW II/7, 97 f.); Brief Jean Pauls an Friedrich von Oerthel vom 31.12.1795 (JPSW III/2, 137 f.). 295 Jean Paul: Philosophische Untersuchungen 1794–1801 (JPSW II/7, 40). 296 Jean Paul: Philosophische Untersuchungen III 1801 (JPSW II/7, 161); KT 611 f. 297 Wobei ›Wahrheit‹ hier im Sinne des ›Wahren‹ Jacobis zu nehmen ist. Denn Wahrheit als rechnendes Erkennen, so zeigt bereits eine Notiz aus den frühen 1790er Jahren, ist hingegen eben der Tugend und Liebe nachrangig und auf sie bezogen: Denn während Tugend und Liebe

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Produktivität »noch ein höheres Ziel, aber außerr sich, als das Erkennen des Erkennens« (V 445). Dies bedeutet nichts anderes, als daß zur ›Bewußtwerdung‹ des Ich im Selbstfühlen essentiell die Einsicht gehört, daß wir uns als Ich nie ganzz bewußt werden können, weil außer dem Bewußtsein »etwas Höheres und Götliches, das man zu achten hat, als das Ich« als sein von ihm selber nicht allererst geschaffener, aber als gegeben erfahrbarer substantieller Grund existieren muß.298 Die Clavis hatte in diesem Sinne schließlich in direktem Verweis auf Jacobi behauptet, daß im Gegensatz zur allerklärenden Philosophie, die Vernunft als selbst abhängig von einem ihr Fremden und Vorausliegenden aufgefaßt werden müsse. Unser Streben nach »Wahrheit«, so Jean Paul, der Sache, nicht aber der Terminologie nach Jacobis Unterscheidung zwischen der ›Wahrheit‹ und dem ›Wahren‹ aufnehmend, sei kein »Trieb nach Verkettung oder Einheit«, sondern »der Trieb nach Realismus«.299 Die Vernunft »vernehme« und »finde«, erfinde aber nicht; sie reinige, jedoch schöpfe nicht (Cl 1026). Allem verständigen Erklären und Benennen gehe »Besinnen und Wahrnehmen«, »das Ahnen, dieses genialische Wahrnehmen« voraus (Cl 1027); selbst die (reine) Vernunft Fichtes, insofern sie Vernunft eines (endlichen) Ich sei, werfe allererst »immer mit realistischen Eckhölzern Schatten« (Cl 1014) – sowohl im Blick auf ihre Objekte als auch hinsichtlich ihrer eigenen ›geistigen‹ Natur und Tätigkeit. Dabei zeigen schon in den frühen 1790er Jahren und weit vor der Kenntnis der Wissenschaftslehre entstandene Notizen genauer zweierlei: Zum einen geht tatsächlich auch Jean Paul, wie zuvor bereits Jacobi, trotz der scheinbaren Gleichordnung der Gefühle von Wahrheit, Schönheit und Tugend als den Gegebenheitsweisen der Bewußtsein und Ich überragenden Gewißheit eines schlechthin Realen vom Primat des (Sittlich-)Praktischen aus, wie es sich beispielhaft im Gefühl der moralischen Schätzung oder Mißbilligung von Tat, Handlungsweise oder Charakter eines Menschen manifestiert. Während der Verstand durch Gründe stets in seinem Urteil vollkommen bestimmt und daher in seinem ›Ja‹ unfrei sei, sei es der Wille, der anstatt von Gründen zur Affirmation genötigt zu sein, diese vielmehr selbst frei gebe.300 Der Wille als »das Prinzip, der Archäus, das Zentralfeuer, das durch alle Handlungen und Neigungen eines Menschen geht«, dringt ebenso wie in seine

»keinen Zweck und Nutzen als Liebe – so Tugend« hätten, müsse Wahrheit als ansonsten bloß formale Vorstellung einen anderen Zweck, einen (letztlich praktischen, auf die »Ordnung seines Herzens« bezogenen) Gehalt haben (Jean Paul: Philosophische Untersuchungen. Nov.1790–93.I [JPSW II/7, 21]). 298 Jean Paul: Philosophische Untersuchungen 1794–1801 III (JPSW II/7, 40/43/79 f.), V 444 f. 299 Jean Paul: Philosophische Untersuchungen III 1801 (JPSW II/7, 122 f.). 300 Jean Paul: Philosophische Untersuchungen. Nov.1790–93.II (JPSW II/7, 23/14).

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Handlungen und Neigungen auch in seine Ideen.301 Dabei kommt es darauf an, den Willen als wirklichen Willen, als »thuendes Wollen«, nicht nur als bloßes »Wählen« oder wie die systemische Philosophie, mithin wie Fichtes im praktischen Ich wurzelnde Wissenschaftslehre als bloß gedachtes Wollen im Blick zu haben.302 Dies bedeutet für Jean Paul wie für Jacobi letztlich, daß, wie bereits angedeutet, alles bedingte Wissen und Handeln von einem ›Glauben‹ genannten ›höheren Wissen‹ im Modus des Vertrauens auf eine Autorität, sei die eigene oder eine fremde, abhängt.303 Auf dem »Glauben an Menschen« – genauer: an je ›einen Menschen‹ – basiere nicht nur die Sittlichkeit, insofern diese als reale auf dem Vertrauen in den »edle[n] Geist« eines Menschen, z. B. als Freund, beruht, sondern auch die gesamte »gelehrt[e] Welt«. Denn wie sich für Jean Paul daran zeigt, daß »unsere Überzeugung aus philosophischen Rechnungen« zum Selbst-Vertrauen und »zur Wahrscheinlichkeit, daß wir uns nicht verrechnet haben, den Glauben an andere zu Hülfe« nehme und daher die Beistimmung möglichst vieler und vor allem »großer Menschen« verlange, baut unser Wissen als zugleich empirisch-wirkliche Manifestation seiner geistigen Natur wesentlich auf dem Vertrauen ins eigene und fremde Zeugnis als Beobachtender und Denkender auf (L 636 ff.) – und damit letztlich auf der eigenen und fremden »Wahrhaftigkeit« (L 787 f.).304

301

Jean Paul: Philosophische Untersuchungen. Nov.1790–93.II (JPSW II/7, 24 f.). Vgl. Jean Paul: Philosophische Untersuchungen III 1801 (JPSW II/7, 107/93 f.). – Insofern Jean Paul also zwischen Wählen bzw. Wünschen und wirklichem zweckgeleiteten Handeln unterscheidet und letzteres nicht nur zur Grundbestimmung seines Handlungsbegriffs, sondern das reale Handeln auch zum Fundament seiner Anthropologie und Metaphysik macht, liegt, recht verstanden, der Kern seiner ›moralischen‹ ›Beweise‹ und ›experimentalnihilistischen‹ »Verzweiflungsargumente« der Seelenunsterblichkeit und mithin auch von Jean Pauls Glaubensbegriff keineswegs in der »theoretisch unhaltbare[n] Behauptung einer Koinzidenz von Wunsch und Wirklichkeit« (Decke-Cornill [1987], 60/65). Vielmehr verweist die Realisierung eines vernünftigen Zweckes im konkreten Handeln des Menschen für Jean Paul nicht nur auf die Freiheit und Unbedingtheit, d. h. ›Ewigkeit‹, vorsehender menschlicher Handlungsvollzüge, sondern als höchstem Ausdruck der kategorialen Differenz von endlich-natürlichem Geschehen und irdischem, aber zugleich unendlichem freiem Handeln und deren Wirklichkeit auf die Realität eines schlechthin freien, unendlichen Handelns, d. h. auf die vorsehende Tätigkeit eines darum persönlichen Gottes. 303 Jean Paul: Philosophische Untersuchungen 1794–1801 III (JPSW II/7, 65 f./81 f.). 304 Gegen die These vom Primat des Sittlichen und von der Abhängigkeit noch der theoretischen Tätigkeit von diesem kann dabei letztlich nicht auf gelegentliche Äußerungen Jean Pauls verwiesen werden, wonach der »Trieb und die Verbindlichkeit zur Wahrheit« den moralischen Trieben nur ›verwandt‹ und ›ähnlich‹ seien, insofern sie ebenso aus einer unbedingten positiven und realen Seelenkraft entspringen und mithin im Innersten einen wirklichen Handlungsvollzug darstellen (Brief Jean Pauls an Christian Otto vom 9.10.1795 [JPSW III/2, 117]), aber keineswegs selbst als unmittelbar sittlich gelten dürfen. Mittelbar sind sie es gleichwohl, insofern die Erkenntnis des Wahren für Jean Paul letztlich kein reiner Selbstzweck ist, sondern ursprünglich Moment unserer moralisch-praktischen Entschlüsse. 302

III. Ernste Poesie und sittliche Praxis

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Zum anderen bedeutet gerade die Konkretheit und Realität der Vertrauenshandlung, daß nach Jean Paul die ›zweite‹ genuin geistig(-sittliche) Welt auf wunderbare Weise »schon hieniden in die physische vererzet« ist, sie »Ewigkeit«, aber keine »Unsterblichkeit« voraussetzt.305 In jeder wirklichen und konkreten freien Handlung verwirkliche der Mensch als je einzelner, gleichwohl aber unbedingter Teil das ideale Ganze bereits als solches. Die historisch-zeitliche Bestimmtheit jedes Aktes bzw. jeder Handlung widerspricht m. a. W. nicht deren Unbedingtheit und Ewigkeit, sondern ist konstitutive Bedingung für ihre Verwirklichung: »Überall wird von der Natur alles Göttlich-Menschliche in der Bedingung des Örtlichen gegeben und das Ideale dem Körperlichen, der Blumenduft einem Kelche einverleibt; an gemeine Bande und Fäden sind die köstlichsten verlierbaren Perlen gereiht, und sie werden durchbohrt, um bewahrt zu werden.« (L 694, vgl. auch T 25) – Auf den Charakter der irdischen Wirklichkeit der Ewigkeit, mithin auf ihre genuine Geschichtlichkeit weist Jean Paul ausdrücklich auch in den Dämmerungen für Deutschlandd (1809) hin: Der »erwartete Gott der Ewigkeit« sei mir bereits »in meinem jetzigen Innern, das eben in Zeitt und Geschichte wandelt« bekannt und bestimme mein jetziges Verhältnis und Mißverhältnis zur endlichirdischen Welt (JPW I/5, 923) – und zwar in dreierlei Gestalten des Historischen: als (1), so Jean Paul mit Blick auf Herder, »Gerichts- und Heilsordnung der Völker«, insofern es hinter dem scheinbar auch für Menschen, Völker und Staaten bloß mechanisch-notwendigen »Weltgang nach physischen Gesetzen« wie dem vermeintlich zufällig-willkürlichen Weltgang qua menschlicher Handlungen ein genuin Historisches, zugleich aber »Festes« und Sich-Durchhaltendes im Sinne von »Völkergeistern« gebe (ebd., 924 f.). Ebenso (2) als historische Bestimmtheit auch der hohen geistigen Individuen und ihrer Handlungen durch »Zeit, Nachbarschaft, Werkzeuge« etc. (ebd., 930) sowie schließlich (3) als Glauben des Einzelnen an die Zweckhaftigkeit des konkreten Weltlaufs und aller Erscheinungen und Wesen (ebd., 933/936). – Das für Jean Paul zentrale, ja geradezu exzessiv und oft auch mißverständlich behandelte Thema der »Unsterblichkeit«, das sich auf diese Weise zugleich jenseits des sich gelegentlich aufdrängenden Eindrucks, nur private religiöse Bedürfnisse Jean Pauls auszudrücken, als philosophisch entscheidendes Motiv zeigt, verweist mithin, so erklärt er verschiedenenorts ausdrücklich, nicht auf ein »Auswandern auf einen anderen Planeten« oder in ein anderes dem irdischen analoges Leben nach diesem. Vielmehr ist die uns einzig erfahrbare Weise der den bloß natürlichen Zeitablauf kategorial transzendierenden ›Ewigkeit‹ die Verwirklichung des Sittlichen, wie auch des Wahren und Schönen im Irdischen, ihr zeitlich-augenblickliches ›Aufblitzen‹ vor allem in der ›Liebe‹ und in »großen

305

Jean Paul: Philosophische. Nov.1790–93. I. (JPSW II/7, 14) u. »Über Charlotte Corday« in: Dr. Katzenbergers Badereisee (JPW I/6, 335).

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B. Jean Paul auf den Spuren Jacobis

Entschlüssen«, in der uns die äußere Welt in eins zusammen mit der künftigen falle – und zwar im realen praktischen Handeln als Individuum.306

γ) Ethik Soll ein unendlicher Regreß selbst bedingter und notwendiger Bedingungen, der die verständige Erklärung prinzipiell nur verschiebt, aber nicht erfüllt, vermieden werden, muß also, so sind sich Jean Paul und Jacobi einig, ein erstes selbst Ungezwungenes als Grund des Gezwungenseins bzw. Zwingens der bedingten Gründe angenommen werden. Ein solches aber stellt allein der Wille dar, denn »[i]n so fern man will, ist man nicht gezwungen« – und zwar, so Jean Pauls doppeltes Argument, weil man (1) »ja das Gegentheil wollen könnte« und (2) »niemand ja statt unserer will«.307 Insofern der Wille dabei als Voraussetzung aller naturgesetzlichen und rationalen Regelhaftigkeit zugleich selbst nicht schlechthin regellos sein kann, sondern vielmehr als solcher eine höhere Gesetzlichkeit ausmachen muß, kann er nach Jean Paul nicht anders als als originär sittlicherr Wille verstanden werden. Den Willen als gesetzförmig anzusehen heißt, ihn als sittlich zu bestimmen. Alle spontanen Hervorbringungen des Menschen, auch die theoretischen Tätigkeiten, die Ordnung und Erfindung von Ideen, führen daher letztlich, so Jean Paul, auf das »erhabne Rätsel unserer moralischen Freiheit« zurück (KT 589 Anm.). (Praktischer, wirkender) Wille und sittliches Handeln als Inbegriff der Freiheit und daher die ›Theorie‹ der Moral bilden mithin für Jean Paul, wie für viele seiner Zeitgenossen, das philosophische Zentrum seiner Überlegungen. Jean Pauls Theorie des Sittlichen profiliert sich dabei dadurch, daß sie, wie bereits angedeutet, trotz aller Wertschätzung für den Kantischen Gedanken moralischer Autonomie ihren Ausgang nicht von einem reinen, selbstbezüglichen Willen nimmt. Vielmehr hatte Jean Paul in geradezu wörtlicher Übernahme analoger Überlegungen Jacobis und unter Verweis auf dessen Roman Allwilll bereits 1794 gegen Kant geltend gemacht, daß, weil die bloße Abwesenheit einer Ursache nichts

306

KT 611, Dr. Katzenbergers Badereisee (JPW I/6, 167/172), Brief Jean Pauls an Emanuel vom 9.2.1795 (JPSW III/2, 51 f.), V 446. – In diesem Sinne weist Jean Paul auch eine Vorstellung, wie die Fichtes, von der unendlichen Perfektibilität der Menschheit »durch verschwindende Geisterreihen« hindurch als Unsterblichkeitsmodus des einzelnen moralischen Subjekts zurück (vgl. u. a. Fichte: Von den Pflichten der Gelehrten. Jenaer Vorlesungen 1794/95, 19). Vielmehr macht nach Jean Paul die Teilhabe an der Tugend bzw. seine Totalität als Geistwesen den Einzelnen eben bereits als solchen zur direkten Manifestation des Unendlichen selbst; jeder geistige ›Teil‹ müsse als geistiger und daher genuin qualitativer bereits den unendlichen, idealen, sittlichen Zweck erreichen (KT 620–622). 307 Jean Paul: Philosophische Untersuchungen III 1801 (JPSW II/7, 179 f./198).

III. Ernste Poesie und sittliche Praxis

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bewirken könne, dem Willen als realem die »Richtung« seines Wirkens zuletzt ›von außen‹ gegeben sein müsse.308 Die nach Jean Paul bloß negative Formel: ›thue, was nur ein algemeines Prinzip für alle Wesen [sein könne]‹, d. h. der kategorische Imperativ, sei als solcher nur ein »logischer Saz« der ratio, der um als praktischer Satz real sittlich zu wirken, noch ganz anderer Gründe seiner (sittlichen) Notwendigkeit bedürfe. Er setze »unsere verschiedenen moralischen Triebe für verschiedene unbekante Objekte, z. B. Liebe, Wahrheit«, ›Gerechtigkeit‹, ›Ehre‹ voraus.309 Der (sittliche freie) Wille, so Jean Paul, existiert also nur und zugleich wesentlich als ein je inhaltlich bestimmter, genuin tugendhafter und etwas von ihm Verschiedenes als seine »positive Ursache« liebender. Wille und Freiheit seien »nicht für sich«, sondern nur »wegen des Gewählten« gut, das im sittlichen Entbehren und Streben, genauer: im aktual und tatsächlich handlungsleitenden Begriff des Zweckes, bereits auf eigene Weise verwirklicht ist.310 Insofern also das ursprüngliche, transrationale Weltverhältnis ein sittlich-praktisches ist, ist die originäre Gegebenheitsweise des Geistig-Realen im Menschen nach Jean Paul daher das (Vernunft-)Gefühl, sich real zu etwas zu entschließen bzw. entschließen zu können, das als Ausdruck einer Gesetzlichkeit eigenen Typs zugleich wesentlich nichts anderes ist als das »Gewissen« im Sinne des »Gefühls des Rechts«,311 mithin das Gefühl der moralischen Bewunderung und Freude am Rechttun wie auch der Empörung über (fremde) Ungerechtigkeit (vgl. Sieb 422). Auch diese Gefühle, in denen wir unmittelbar unsere unbedingt-sittliche Natur und unseren wirkenden freien Willen als solche und als kategorial verschieden vom natürlichen Selbsterhaltungstrieb erfahren, wären nach Jean Paul also unmöglich, wären sie rein negativ-entbehrend und würden sie sich allein auf die »Negazion des Schlechten«, die bloße Unterwerfung unserer endlich-bestimmten, unter dem Naturgesetz stehenden Handlungsantriebe unter ein allgemeines bzw. formales moralisches Gesetz beziehen. Denn erst als (durch unser »Herz« bzw. einen individuellen Zweck) qualitativ bestimmt, sei die einzelne Tat die Verwirklichung unserer je konkreten Freiheit. Nur auf diese Weise, d. i. durch die eigene ursprüngliche und als inhaltlich bestimmtes Gefühl erfahrene Einschränkung unserer prinzipiellen Handlungsfähigkeit in der tatsächlichen Ausrichtung auf ein spezifisches reales Gut, sei sie dabei überhaupt Verwirklichung von Freiheit und nicht nur Ausdruck eines neuerlichen, nunmehr subtileren Zwanges (als derjenige der sinnlichen Natur) im Sinne der »Knechtschaft« unseres »Wesens« unter dem allgemeinen

308

Brief Jean Pauls an Christian Otto vom 5.-16.11.1794 (JPSW III/2, 35 f.). Brief Jean Pauls an Christian Otto vom 9.10.1795 (JPSW III/2, 117). 310 Jean Paul: Philosophische Untersuchungen III 1801 (JPSW II/7, 166 f.) u. Philosophische Untersuchungen 1794–1801 III (JPSW II/7, 72/57). 311 Jean Paul: Philosophische Untersuchungen III 1801 (JPSW II/7, 202/92/199). 309

322

B. Jean Paul auf den Spuren Jacobis

Sittengesetz.312 Nur weil Freiheit und Gewissen des Menschen m. a. W. eine positive ideelle Welt genauso wie die physische voraussetzen und im Gefühl auf beide bezogen sind, vermag der (sittliche) Mensch mit jeder bestimmten Handlung »eine neue unabhängige Zeit anzufangen« und somit wirklich in der irdischen Welt zu wirken.313 In dem Maße, wie daher auch unserem freien Handeln als realem konstitutiv unsere menschliche Mischverfassung zugrunde liegt, zugleich unendlich und endlich, mithin als Ganzes ein konkretes Unendliches zu sein, kann sich nach Jean Paul die Sittlichkeit allerdings nicht im je bestimmten Rechtsgefühl des individuellen Gewissens erschöpfen. In Übereinstimmung mit den Überlegungen Jacobis und analog zur unaufhebbaren Rolle des Verstandes in der Triade von Vernunftgefühl-Verstand-Empfindung bzw. von Instinkt-Besonnenheit-Sinnlichkeit, aus der nach Jean Paul bereits fürs Erkennen das notwendige Zusammenspiel von ›Kopf‹ und ›Herz‹, ›Allgemeinem‹ und ›Besonderem‹, ›Genie‹ und ›Kritik‹ folgte (T 1027, L 521 f.), bedarf die Sittlichkeit des Menschen neben der unmittelbaren Gewißheit des jeweils Guten ebenso der moralischen Grundsätze und allgemeingesetzlichen Regeln. Der Mensch ist, seiner doppelsinnigen Natur gemäß, nach Jean Paul also durch eine »doppelte Moralität« gekennzeichnet: Die hohe ›angeborne Moralität‹ werde ergänzt durch eine ›erworbene‹, eine von der ›Vernunft‹ bzw. dem Verstand im Bezug auf die ›angeborne‹ hervorgebrachte. Nur in der Gemeinschaft von sittlicher

312

Jean Paul: Philosophische Untersuchungen III 1801 (JPSW II/7, 140 ff.). – Jean Pauls Begriffe von »Erziehung« und »Bildung« zielen daher auf die »Lenkung« der Kräfte des Menschen bloß derart, daß die ihre eigene Entwicklung »aufhaltenden Steine aus dem Weg« geräumt werden, um den in jedem Menschen umhüllt liegenden »Idealmenschen« zu befreien (L 528/594). Allerdings versteht Jean Paul dies, ausdrücklich gegen Rousseau sich wendend, wohl in dem Maße als eine »positive Erziehung« (L 559 f.), wie (1) die fragile prinzipiell verfallsgefährdete doppelsinnige Verfassung des Menschen einen andauernden harmonischen Ausgleich aller Kräfte verlangt – und zwar aufgrund ihrer grundsätzlichen Gutheit nicht durch die Schwächung der temporär übermächtigen, sondern durch die Stärkung der übrigen – und wie (2) sich die Natur »nur in Naturen, d. h. in der Individualität der Zeiten, Länder und Seelen« und anhand konkreten ›Stoffes‹, konkreter Begegnungen mit Realitäten (L 799) entwickelt. Diese geschieht, so folgt aus dem Primat des Handelns und der nur im Gefühl gegebenen höheren angebornen Moral, weniger im Lehren und Bücherstudium als vielmehr im Tun, wie bereits im Spiel als der Nachahmung ernsten Tuns, und am Beispiel konkreten sittlichen Handelns. Entscheidend ist m. a. W. nicht eine einmal und in einem gewissen Lebensalter erlernbare Fertigkeit oder ein Wissen, sondern das Gefühl und der ›Standpunkt‹ im Leben, die sich nach Jean Paul nur allmählich verändern in Korrespondenz mit der gesamten Lebenswirklichkeit eines Menschen. Daher komme es nicht so sehr auf die begrenzte Zeit der Erziehung des Kindes durch Schulen und Erzieher an, sondern vielmehr auf die lebenslangen Existenzbedingungen und mithin auf den Staat und das Gemeinwesen im Ganzen, die die politische und wirtschaftliche Freiheit des Einzelnen gewährleisten (Briefe Jean Pauls an Wernlein vom 27.-28.4.1790 [JPSW III/1, 291] u. an Emanuel vom 18.9.1795 [JPSW III/2, 130 f.]). 313 Jean Paul: Philosophische Untersuchungen 1794–1801 III (JPSW II/7, 48).

III. Ernste Poesie und sittliche Praxis

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Empfindung und verständiger praktischer Regel verwirklicht sich sittliche Verbindlichkeit für den Menschen. Die allgemeinen moralischen Grundsätze erfüllen dabei vor allem eine wichtige kritische und insofern propädeutische Funktion, indem sie »die schlimmen Neigungen« unterdrücken, ja »auf[lösen] und […] zerstören«.314 Insofern die konkreten sittlichen Handlungen selbst stets auch natürlich-irdisch, durch endliche Gefühle und Triebe affiziert sind, geben erst Grundsätze der Sittlichkeit ›für den Alltag‹ und für den ›Alltagsmenschen‹ Stetigkeit und »Dauer«.315 – Die Verbindlichkeit selbst jedoch, so behauptet auch Jean Paul gegen Kant und so zeigt die Charakterisierung der Grundsätze und Regelns als ›erworbene Sittlichkeit‹ an, liegt keineswegs originär in diesen. Denn Grundsätze und Regeln stellen, so das bereits von Jacobi bekannte Argument, das Jean Paul aufgreift, nur begriffliche Verallgemeinerungen des prinzipiell unbegreiflich bleibenden je konkreten, inhaltlich bestimmten wirklichen tugendhaften Handelns bzw. Begehrens oder Wollens dar, von dem sie allererst ihre Wirklichkeit und Verbindlichkeit erborgen.316 Eben daher könne niemand durch die Strenge des allgemeinen, von den Umständen gänzlich absehenden Moralgesetzes zu einem sittlichen Menschen gemacht werden.317 Ein solcher ist er für Jean Paul vielmehr als jemand, dessen Dasein gerade dadurchh als ein von einem einzigen Willen gelenktes erscheint und daher Stetigkeit und Verbindlichkeit erlangt, daß er in Abhängigkeit von »verschiednen Zeitmomenten« und »verschiedne[n] Objekte[n]« je »anders wirkt«.318 Dies bedeutet für Jean Paul aber, das sittliche Ich als ein reales zwischen Vergangenheit und Zukunft aufgespanntes bzw. sich im vernünftigen Handeln selbst aufspannendes Dasein, als konkretes Über-die-Zeit-Hinweg-Sein als zugleich wesentlich zeitlich Existierendes zu verstehen.319 Ein solches Ich ist aber, so zeigte sich bereits bei Jacobi, niemand

314

Jean Paul: Philosophische Untersuchungen 1794–1801 III (JPSW II/7, 39); Jean Paul: »Über das Träumen«. In: Jean Pauls Briefe und bevorstehender Lebenslauff (1799), JPW I/4, 979 f. Vgl. auch: »Nur bösen lieblosen Geistern gebietet ein Sittengesetz, damit sie nur erst besser werden, und darauf gut. Aber das liebevolle Anschauen des Urfreundes der Seele, der jenes Gesetz erst beseelt und überschwenglich macht, verbannt nicht bloß den bösen Gedanken, der siegt, sondern auch den andern, der nur versucht. Wie doch über dem höchsten Gebirge noch hoch der Adler schwebt, so über der schwer ersteigbaren Pflicht die rechte Liebe.« (L 578 f.) 315 Brief Jean Pauls an Emanuel vom 29.11.-2.12.1796 (JPSW III/2, 277), Sieb 421. Vgl. auch: »Gefühle als leichte Truppen fliehen und kommen, dem Siege der Gegenwart folgend; Begriffe aber bleiben als Linientruppen unverrückt und stehen bei.« (L 695) 316 Brief Jean Pauls an Christian Otto vom 5.-16.11.1794 (JPSW III/2, 35 f.), vgl. Jean Paul: Bemerkungen über den Menschen (JPW II/5, 70). 317 Vgl. Brief Jean Pauls an Emanuel vom 29.11.-2.12.1796 (JPSW III/2, 277); vgl. weiterhin Jean Paul: Philosophische Untersuchungen 1794–1801 III (JPSW II/7, 7216). 318 Jean Paul: Philosophische Untersuchungen 1794–1801 III (JPSW II/7, 33). 319 In diesem Sinne gibt es in den zahlreichen Reflexionen Jean Pauls über den Tod auch Ansätze seiner Thematisierung von der Art, daß gerade Tod und Geburt als zugleich unverfügbare

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anderes als der Mann von »Ehre«, dessen von ihm sich selbst und anderen gegebenes und von ihm allein verantwortetes konkretes »Wort« ihn zu einem Verläßlichen, d. h. bewußten bestimmten Sichselbstgleichen, mithin zu einem zeitlich-überzeitlichen realen Individuum macht,320 dem Freunde und Liebende als solchem sittlich vertrauen. Wie die Poetologie schließlich in dem als ›geistige Individualität‹ verstandenen ›poetischen Charakter‹ ihre komplexe Grundbestimmung fand, steht also im Zentrum von Philosophie und Ethik bei Jean Paul der Mensch als ›moralischer Charakter‹, d. h. als sittliches Individuum: Individualität ist, gerade hierin liegt die Wurzel der Übereinstimmung Jean Pauls mit Jacobi, die schlechthinnige Grundverfassung alles Wirklichen. Nichts könnten wir erkennen oder denken, wenn nicht als ein Individuelles. »Anonymität«, mithin Allgemeinheit, sei zwar »etwas Gei-

und unvertretbar-individuelle Momente des menschlichen Daseins in der geistigen Bezugnahme auf sie ein wesentlicher Ausdruck unserer unendlich-endlichen, innerweltlich transzendenten Verfassung als Individuum sind: »Wie kurz ist das Sterben gegen das Leben! Aber eben die Kürze gibt das Gewicht. Zweimal zeichnet sich jeder Erdensohn vor allen Zuschauern aus, 1) wenn er hier ankommt, 2) wenn er fortgeht. Auch gibt’s noch keine Mode zu sterben, jeder stirbt originell.« (Leben Fibels, JPW I/6, 409) – So verstanden, bilden Tod und Geburt trotz mancher mißverständlicher Beschreibungen Jean Pauls m. a. W. nicht den Eingang in ein eigentliches geistiges Leben danach bzw. den Ausgang aus einem solchen vor der Geburt, sondern sind selbst intimer Ausdruck unseres je individuellen, praktisch-zeitlichen unbedingten Daseins und werden daher auch von Jean Paul zumeist als je eigenerr Tod (bzw. Geburt) thematisiert (vgl. hierzu auch Decke-Cornill [1987], 51/53). 320 Brief Jean Pauls an Christian Otto vom 20.1.-5.2.1800 (JPSW III/3, 287), Sieb 544, L 787 f./637 f. – Jean Paul übernimmt also nicht nur Jacobis Ausgang vom sittlichen Individuum, sondern auch dessen zentrale Charakterisierung der ›Ehre‹ sowie von Versprechen, Worthalten und Vertrauen als den wesentlichen Manifestationen praktischer ›Wahrhaftigkeit‹. Aufgrund der bloßen Äußerlichkeit des Körpers gegen den Geist eines Menschen werde, so begründet Jean Paul die entscheidende, allererst »Menschenwürde« verleihende Bedeutung von Wortgeben und -vertrauen für die sittliche Praxis von Individuen, dieser allein »durch die Sprache, diese menschgewordne Vernunft, diese hörbare Freiheit« »sichtbar«. Nur in der Sprache tue sich »die Freiheit eines Gedanken-Schöpfers durch eine freie Gedanken-Welt einem andern kund«; nur in ihr werde Sittlichkeit begründet, »indem er die Ich wie Fürsten einander ankündigt«. Eben dadurch zerstört aber für Jean Paul, der hier kaum weniger strikt als Kant argumentiert, bereits ein einziger Laut der (als solche erkannten) Lüge die geistig-sittliche Gemeinschaft zweier Menschen (L 789 f./787 f./637 f.). – Die Problematik des Versprechens bildet schließlich auch einen wesentlichen sachlichen Aspekt von Jean Pauls Auseinandersetzung mit naturalistisch-physiologisch ansetzenden Positionen in der Ethik, insofern aus diesen, so sein polemischer Kommentar, nur folgen könne, »daß überhaupt gar kein Mensch sein Wort zu halten brauche«. Denn insofern hier die Identität des Ich als eine sinnlich-körperliche konzipiert wird, der die Erkenntnis der physiologischen stofflichen Erneuerung im, wie Jean Paul meint, Drei-Jahres-Rhythmus unmittelbar widerspricht, bleibt die Identität des Versprechenden und damit die Verbindlichkeit seiner im Wort gegebenen Selbstbindung ohne sachlichen Anhalt. Dasselbe gelte auch für Humes Theorie der Person (Hesperus, JPW I/1, 613).

III. Ernste Poesie und sittliche Praxis

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stermäßiges bei Untersuchungen« und in der Wissenschaft, stelle sich aber bezogen auf wirkliche Realität und Existenz gleichwohl als unmöglich heraus (V 449). Dies betrifft nicht nur und nicht primär alles Endliche, sondern ebenso und zuerst das Unendliche und Unbedingte selbst; auch dieses, ja gerade dieses ist wesentlich ein Einzelnes, Einzigartiges und Individuelles.321 Dieselbe »moralische Genialität« könne, ja müsse daher als endlich-wirkliche, das Unendliche zugleich vollkommen und bloß partiell aktualisierende, wesentlich in je bestimmten Gestalten auftreten, »hier als Sokrates, dort als Luther, hier als Phocion, dort als Johannes Mensch werden« (L 563), verwirkliche sich aber eben auch innerhalb eines Lebens in je von der Situation mitbestimmten unterschiedlichen Konkretionen des Guten. Das sittlich-geistige Ich als wesentlich Individuelles könne m. a. W. im Gegensatz zur Auffassung Fichtes nicht als »Ob-Subjektivieren«, als »Wechsel des Zurückspiegelns des Vorspiegelns«, das »jede Zahl und Zeit ausschließ[e]«, verstanden werden. Die »praktische Vernunft« bzw. das »rein[e] Ich« höre auf, »bloß im Scheitelpunkte am Himmel als ein Polarstern zu stehen, der keinen Norden und folglich keine Weltgegend angäbe«, wenn erkannt sei, daß sich die Sittlichkeit und Unbedingtheit in Wahrheit immer schon wesentlich konkretisiert, d. h. sich »bei Einzelwesen zu Einzelwesen […] wie Tonart zu Tonart« verhalte (L 566).322 – Als sittliches darf das individuelle Ich nach Jean Paul zugleich aber auch nicht mit der konkreten bloß natürlich-körperlichen Bestimmtheit verwechselt werden. Im Gegenteil gilt es nicht nur poetologisch hinsichtlich der fiktionalen Figurenzeichnung, sondern auch für das wirkliche menschliche Dasein, zwischen einer Individualität, »die sich theilweise opfern muß«, d. i. dem »bloßen Bewustsein persönlicher Verhältnisse«, und einer solchen, »die opfert«, grundsätzlich zu unterscheiden.323 Die »bestimmte körperliche Organisazion« und das rein empirische (Selbst-)Bewußtsein als genuin körperliches Wesen ist als Ausdruck einer Konstellation allgemeiner natürlicher Bestimmungen nur »Hülle und Körper der individuellen Seele« und damit ohne substantielle Wirklichkeit und Bedeutung.324 Denn einer bloß sinnlich-natürlichen, als Summe

321

Jean Paul: Philosophische Untersuchungen III 1801 (JPSW II/7, 135). Insofern Sittlichkeit nach Jean Paul an die individuelle Person gebunden ist, sittliche Verhältnisse mithin solche zwischen Einzelnen als ›geistigen Individuen‹ sind, ist es nur folgerichtig, daß (sittliche) Erziehung eben als vorbildhafte Einwirkung von Taten und Beispielen anderer sittlicher Individuen verstanden wird (L 538/541): »Nur einzelne rühren uns im späten Leben, wie im frühesten, formend an, die Menge geht als fernes Heer vorüber. Ein Freund, ein Lehrer, eine Geliebte, ein Klub, eine Wirttafel, ein Sitzungtisch, ein Haus in unsern Zeiten sind dem Einzelwesen die einwirkende Nation und der Nationalgeist, indes die übrige Menge an ihm spurlos abgleitet.« (L 554) 323 Brief Jean Pauls an Jacobi vom 1.-7.4. 1800 (JPSW III/3, 315 f.); Jean Paul: Philosophische Untersuchungen III 1801 (JPSW II/7, 135). 324 Vgl. Jean Paul: Philosophische Untersuchungen III 1801 (JPSW II/7, 195). 322

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von Eigenschaften, d. h. als »zufällige[s] Weg- und Zuwägen einzelner Kräfte« verstandenen, rein endlichen Individualität fehlt nach Jean Paul prinzipiell der alle natürlichen Eigenschaften bzw. Kräfte »zusammenhaltende Obergeist« und mithin die eigene Einheit durch alle empirisch-situativ wechselnden Bestimmungen hindurch. Demgegenüber entscheidend und allein wirklich existierend ist dagegen die, von Jean Paul gelegentlich mißverständlicherweise ebenso »Persönlichkeit« genannte, geistig-sittliche Individualität, der »ideale Preismensch« als die konkrete individuelle Form bzw. der individuelle sittliche »End-Zweck« eines Menschen (L 560/783).325 In Analogie zum poetischen Charakter handelt es sich beim ›idealen Preismenschen‹ dabei um »ein[en] innere[n] Sinn aller Sinne«, der »alle ästhetische[n], sittliche[n] und intellektuelle[n] Kräfte zu einerr Seele bindet« (L 564 f.) – oder genauer: um eben den stetigen, inhaltlich bestimmten einzigen Willen, »ein durch das ganze Leben reichende[s] Wollen«, das alle »leidenschaftlichen, einzelnen Wollungen und Wallungen« bändige und alle »einzelnen großen und starken Taten« fundiere und verwirkliche (L 783 f.). Es ist m. a. W. die allein in Handlungen und Redehandlungen, nicht in Eigenschaften und begrifflichen Bestimmungen sichtbare sittlichgeistige Individualität, die auch noch die körperlichen Bestimmungen und natürlichen Triebe beherrscht und diese allererst, indem sie sie harmonisch miteinander und mit den höheren geistigen Kräften im Menschen verbindet, zu Momenten einer individuellen Existenz macht.326 Ohne die geistig-sittliche Individualität als das »gleichzeitig[e] In- und Umeinander-Wachsen des leiblichen und des geistigen Menschen«, als das »harmonische Maximum aller individuellen Anlagen« gäbe es, so Jean Paul, also auch überhaupt keine körperliche bzw. natürlich-›persönliche‹ Individualität (L 560 f./566).327

325

Auf die im Konzept des ›Preismenschen‹ liegende Nähe von Jean Pauls Moralkonzept zu dem Jacobis hat bereits Wirth hingewiesen. Vor allem hat er bereits erkannt, daß die Lehre vom idealen ›Preismenschen‹ in der Levana, auf ein je konkretes, in jedem Menschen anders geartetes Geistwesen zielt, auf dasjenige, »was wir als die persönliche Eigenart, als die Individualität des Menschen bezeichnen«, und dabei zugleich ein solches meint, das »sittliche Zügellosigkeit« und subjektiv- übermütige geniale Willkür ausschließt (Wirth [1938], 13 f.). 326 Vgl. Jean Paul: Philosophische Untersuchungen III 1801 (JPSW II/7, 195); Brief Jean Pauls an E. v. Berlepsch vom 10.-12.9.1797 (JPSW III/2, 370 f.). 327 Obwohl im individuellen Ich in der Auffassung Jean Pauls wie Jacobis sinnliche und geistige Individualität harmonisch und von letzterer geführt vereinigt sind, ist die Folge der von beiden zugleich behaupteten kategorialen Differenz von höherer individueller Handlungsnatur und allgemeiner natürlicher Bestimmtheit und Besonderung, daß im Extremfall auch die Opferung des irdischen Lebens für das »Tun des vermeintlich Guten« sittlich sein kann – so Jean Paul im Aufsatz »Über Charlotte Corday« in Dr. Katzenbergers Badereisee (JPW I/6), der von Jacobi aufgrund der, wie Jean Paul wissen will, »gefährlichen Andeutung einer höheren Moral« »mit unsäglicher Freude« aufgenommen wird (Brief Jacobis an Jean Paul vom 18.4.1814

III. Ernste Poesie und sittliche Praxis

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Als Exponent und interpersonal ausgerichtetes Korrelat dieses einen, ein sittliches Leben als individuelles bestimmenden konkreten Willens rückt bei Jean Paul in den 1790er Jahren, aber auch noch in der Zeit um 1800, die ›Liebe‹, genauer: die »Menschenliebe«, deren einziger Zeichner bisher Jacobi gewesen sei, in den Mittelpunkt des Interesses (Sieb 421 Anm.).328 Sie bildet die innerste Grundbestimmung der höheren sittlichen Existenz des Menschen – und zwar nicht als bloße äußerliche »praktische Menschen- und Feindes-Liebe«, sondern eben als kontinuierliche innere Haltung in allen Taten. Gerade in der Abgrenzung seines Begriffs der ›Liebe‹ bzw. ›Menschenliebe‹ sowohl gegen ein Verständnis als bloß sinnlicher Trieb »außerhalb und unterhalb des kategorischen Imperativs« als auch gegen die Auffassung als »bloße Gerechtigkeit, d. h. Vernunft-Liebe« (L 796), wiederholt sich noch einmal und auf basaler Stufe Jean Pauls mit Jacobi geteilte doppelte Frontstellung gegen ›Materialismus‹ und ›Idealismus‹: Denn in der Liebe liebe man, genauer: in der Liebe liebe ein bzw. ›mein‹ Ich bzw. liebe ich, so läßt sich dem Eudaimonismus oder ›ethischen Materialismus‹ entgegenhalten, (1) nicht materiellen Gewinn o. ä., sondern »eine liebende Gesinnung gegen sich«, mithin fremde (innere) Seelenzustände. Weil losgelöst von der bloßen Materialität, ist Liebe daher als Liebe eines genuin

[JNach II, 119]). Nicht auf das äußere Leben und seine Fortsetzung – mithin auf die natürliche Individualität – komme es an, so argumentiert hier Jean Paul, sondern auf die Ewigkeit und Unendlichkeit in der sittlichen Tat und die Unbedingtheit des sittlichen Urteils (JPW I/6, 335). In diesem Sinne haben Madame Corday wie Brutus ihre Opfer nicht als »Bürger«, als individuierte Sinnenwesen getötet, sondern als ›Tugendhafte‹, als ›Krieger‹ des ›Staates‹; als »gesundes Partei-Mitglied« haben sie »ein abtrünniges krebskrankes Glied« bekämpft (ebd., 337). – Auch hier gilt jedoch noch die gleichzeitige Frontstellung Jean Pauls gegen ethischen Materialismus und Idealismus: Dies bedeutet weder Opfer und Mord für eine irdischee staatliche Gemeinschaft, noch auch sind Corday und Brutus in ihrem Tun, hier ganz Desdemona und Pylades ähnlich, Agenten einer moralisch-sittlichen, unter verständigen Regeln zu fassenden Allgemeinheit: Die in ihnen als hohen geistigen Einzelnen wirkende Tugend lasse sich »so wenig durch das SittenLineal aus[messen] oder gerad[richten] als die raffaelischen und die lebendigen Figuren durch mathematische Figuren« (ebd., 340). Ihr sittliches Leben lasse sich daher nur »anschauen« und (in der Form der eigenen Individualität) ›wiederholen‹, nicht aber ›begreifen‹. Denn die Begriffe, so erklärt Jean Paul auch hier ausdrücklich, ließen »vollends aus ungemeinen zum Vorteil des Allgemeinen gerade das Köstlichste fallen« (ebd., 341). 328 Zwar wandelt sich auf den ersten Blick diese Konstellation 1802, wenn Jean Paul Jacobi berichtet, daß er nunmehr »weniger auf Menschenliebe […] als auf Kraft und Selbstachtung dringe, auch in mir« (Brief Jean Pauls an Jacobi vom 13.8.1802 [JPSW III/4, 168]). Von nun an gilt es nach Jean Paul, die, so die zugleich erfolgte zugespitzte Charakterisierung, auf fremde Ichs gehende ›Menschenliebe‹ bzw. »sittliche Schönheit« (Liebe, Milde, Wohltätigkeit) mit der sich »nach Innen« aufs Ich richtenden »sittlichen Stärke« (Ehre, Redlichkeit, festes Wollen, Wahrhaftigkeit, Selberachtung etc.) in einem dritten und obersten Moment, der »Religion« als »göttliche Gleichsetzung beider« und eigentlicher »Mensch im Menschen«, zu verbinden (L 769 ff./575/809). Konstant bleibt jedoch die jetzt letztlich unter dem Stichwort der ›Religion‹ behandelte Figur einer wesentlich konkreten individuellen Unbedingtheit bzw. Freiheit.

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B. Jean Paul auf den Spuren Jacobis

Geistigen, d. h. Unbedingten und Unendlichen und insofern Sittlichen, ursprünglich nichts anderes als die erwähnte ›Menschenliebe‹. – Als Beziehung zu einer anderen liebenden Gesinnung bzw. zum seelischen Zustand eines fremden Ichs erweist sie sich dabei (2) zugleich, so stellt Jean Paul im Gegensatz zu dem in der Clavis vorgeführten allgemeingesetzlichen-monologischen Ansatz des ethischen Idealismus der Transzendentalphilosophie heraus, als originär dialogisch, als auf Interpersonalität, eine Gemeinschaft von Liebenden bezogen (QF 220/222). In der Liebe geht »meinee Natur trotz ihrer Selbstständigkeit in den Zustand einer fremden ein« und fühlt anderen Ichs nach (QF 223). Liebe ist dabei nach Jean Paul sogar wesentlichh antisolipsistisch und antimonistisch: Eine »Selbstliebe« im eigentlichen Sinne könne es nämlich nicht geben, müßte dafür doch das Ich »zweimal da sein, damit das liebende Ich nicht ins geliebte zerflösse. Da Liebe nur gegen Liebe entbrennt: so müßte die Selbstliebe sich lieben, eh‹ sie sich liebte, und die Wirkung brächte die Ursache hervor, welches so viel wäre, als sähe das Auge sein Sehen.« (QF 221) – Dies ergibt sich (3) daraus, daß der Liebende wie der/das Geliebte jeweils eine reale Totalität bilden, also nicht »Eigenschaften« lieben oder geliebt werden, sondern »Substanzen«, d. i. das »unbegreiflich[e]« »lebendige Ich« bzw. »Selberbewußtsein«, das die »Bedingung aller geistigen Eigenschaften« sei (QF 221 f., L 553), oder, wie Jean Paul auch sagt, das »unerklärliche Persönliche Sein, ein ich wie unser«.329 – Weil ich nach Jean Paul eben in der Liebe nicht die Liebe gegen mich überhaupt, sondern nur eine Liebe liebe, die mit meiner eigenen Liebe gegen die mich liebende Liebe zusammentrifft, d. h. nur die bestimmte Liebe einer/s je bestimmten »Geliebten« liebe, ist für die Liebe (4) eben konstitutiv, tatsächlich eine Beziehung zwischen wirklichen (geistigen) Individuen zu sein.330 Daher liegt in Jean Pauls leicht mißverständlicher Forderung, im Bruder, »Vater, Sohne, Geliebten, Freunde noch etwas Höheres außer dem Genannten [zu] lieben […] – – den Menschen«, nur die Zurückweisung bloß endlicher und natürlicher, einseitig-partieller gleichsam funktionaler Bestimmungen und Eigenschaften als Adressat der Liebe (QF 224). Geliebt wird der ›Mensch‹ als geistiges Wesen, und zwar, wie gesehen, als je konkretes reales geistiges Individuum, d. h., dafür stand bereits die zweifache Frontstellung des Doppelgängermotivs um Schoppe, genauso wenig als abstrakt-allgemeine Menschheit oder ›Ichheit‹ wie als bloß natürlich-körperliche Einzelheit.331

329

Jean Paul: Philosophische Untersuchungen 1794–1801 (JPSW II/7, 68). Jean Paul: Philosophische Untersuchungen III 1801 (JPSW II/7, 190). 331 Scheinbar widersprechen dieser Lesart wiederum einige Bemerkungen Jean Pauls, wonach die ›Menschenliebe‹, insofern es ihr darum gehe, »alle Menschen als Busenfreunde [zu] behandeln« bzw. »die Menschen im Ganzen zu lieben«, auf ein Allgemeines und das Absehen von allem Besonderen ziele (Sieb 433 f.; Brief Jean Pauls an Jacobi vom 13.8.1802 [JPSW III/4, 168]; L 784). Daher erscheinen u. a. Decke-Cornill Liebe und Freundschaft bei Jean Paul als gänzlich abstrakt (DeckeCornill [1987], 137 f.). Doch trifft, sieht man auf Jean Pauls Explikationen im Ganzen und achtet 330

III. Ernste Poesie und sittliche Praxis

329

Insofern Jean Pauls Überlegungen zur Sittlichkeit Jacobi sowohl im Ansatz bei einem realen individuellen Ich, verstanden als ein genuin vernünftig-absichtsvoll, darum sittlich Handelnder, folgen als auch in der Bestimmung der Liebe als dessen grundlegender sittlicher Kraft und Beziehung, insofern gerade in dieser zwei eigenständige, je konkrete Individuen als wesentlich einander anerkennen, ist nur folgerichtig, daß schließlich auch für Jean Paul ebenso der Topos der Freundschaft zum Inbegriff der im Versprechen und Worthalten gelegenen konkreten sittlichen Verbindlichkeit wird. Zwar scheint dabei Jean Paul in der Freundschaftsthematik auf den ersten Blick Jacobis Überlegungen durchaus zu modifizieren. Denn während zur Schärfung des wesentlich Geistigen des Freundschaftsbundes gerade im Woldemarr Jacobis Darstellung der Freundschaft zwischen Woldemar und Henriette alle Züge von geschlechtlich-ehelicher Beziehung auszuschließen versucht, so daß Friedrich Schlegel umgekehrt vermeintliche sinnliche Momente inkriminierend vermerken möchte, stellt hingegen für Jean Paul die Ehe die »höchste Freundschaft« überhaupt dar.332 Doch deutet er dabei die Ehe, zumindest diejenige von »edlern Menschen«, ihrerseits vielmehr als gerade gekennzeichnet durch die höhere geistige Liebe, nicht durch eine sinnliche und faßt sie damit gleichsam umgekehrt nach dem Muster der Freundschaft auf. In diesem Sinne behandelt Jean Paul »Freunde, Liebende und Eheleute«, sofern sie jeweils hohe Geistmenschen sind, geradezu gleich333 und stellt von allen und in gleicher Weise als Charakteristikum ihrer Beziehung heraus, »die groben Forderungen und die kleinlichen Zufälle der körperlichen Gegenwart« zu meiden oder zu ignorieren (T 145).334

man auf die konstitutiven, von Jean Paul selbst ausgesprochen Bezüge zum Liebesbegriff Jacobis, eben keineswegs, wie von Decke-Cornill behauptet, zu, daß die Liebe bei Jean Paul allein die reine Liebe eines Liebesgefühls sei bzw. statt auf einem bestimmten schätzenswerten Charakter vielmehr auf der allgemeinen Todesverfallenheit aller Menschen beruhe und mithin von jeder Individualität und selbständigen Realität des Gegenüber unberührt bleibe bzw. diese auflöse. 332 Jean Pauls Brief an Meyer vom 7.1.1797 (JPSW III/2, 287) – Vgl. Friedrich Schlegel: Jacobis Woldemar [1796]] (Friedrich Schlegel: Kritische Schriften und Fragmente I, 177–191). 333 In anderer Hinsicht, und hier zeigt sich wie in vielen Bemerkungen der Einfluß der Freundschaftstheorie von Aristoteles, auf die sich wie gesehen auch Jacobi wesentlich bezog, unterscheidet Jean Paul allerdings auch grundsätzlich zwischen Liebe und Freundschaften, insofern diese nicht nur die höchste sittliche Beziehung geistiger Individuuen als solcher sein können: Während die Freundschaft »Stufen« habe und daher mehrere Typen von Freundschaften und Freunden nebeneinander existieren könnten, sei die Liebe immer dieselbe und daher bereits durch »ein einziges Wesen« erfüllt. – Auch an dieser Stelle gilt offensichtlich allerdings in dem Maße der sittlich-geistige Primat der Freundschaft, wie diese sich als Beziehung zeigt, die die Steigerung zum Unendlichen, mithin die Liebe zu Gott eröffnet, während die Liebe hier als »ersättlich« und insofern endlich erscheint (T 233). 334 Auf ähnliche Weise, d. h. bezogen auf die bloß sinnliche Individualität, können auch die leicht mißverständlichen Behauptungen Jean Pauls im Briefwechsel mit Amöne Herold gedeutet

330

B. Jean Paul auf den Spuren Jacobis

δ) Freundschaft Nicht allein erklärt Jean Paul Liebe und Freundschaft mehrfach zu den beiden »Brennpunkten in der Ellipse der Lebensbahn« (T 254). Entscheidendes Indiz für die tatsächliche Zentralität der Freundschaft- und Liebesthematik in seiner Konzeption der Sittlichkeit ist zudem, daß alle seine großen Romane wesentlich durch die Zeichnung von vermeintlichen und wirklichen ›Doppelgängern‹ unter den handelnden Figuren gekennzeichnet sind.335 Dies gilt für die Brüder/Zwillinge Vult und Walt ebenso wie für Gustav und Amandus, deren Verhältnis das Handlungsgeschehen in den Flegeljahren bzw. in der Unsichtbaren Loge wesentlich bestimmt.336 Das gleiche trifft auf Viktor und Flamin im Hesperuss wie auf Leibgeber(-Schoppe) und Siebenkäs im Siebenkäs zu, wobei es sich bei der ›Doppelgängerei‹ der letzteren, so zeigte sich bereits, tatsächlich um Freundschaft in ihrer höchsten Form handelte, für die das Nebeneinander, ja Durchdringen von Gleichheit und Differenz der Freunde und damit deren je spezifische Individualität als Geistwesen wesentlich war: Übereinstimmung in der humoristischen Gesinnung kennzeichneten Leibgeber und Siebenkäs ebenso wie eine große physiognomische Ähnlichkeit (Sieb 39), die beide im Namenstausch ihren höchsten symbolischen Ausdruck fanden (Sieb 40). Gleichwohl blieben im Siebenkäss die ebenso wesentlichen Differenzen zwischen Siebenkäs und Leibgeber, die sie als eigenständige, je konkrete Individuen markierten, erhalten, statt sie in der Allgemeinheit einer transzendentalen IchStruktur zur bloßen Erscheinung ein und derselben rein selbstbezüglich-formalen Ichheit werden zu lassen. In der gegenseitigen Liebe erschienen ihnen sowohl die Realität der Ideen Freiheit, Gott, Unsterblichkeit, als auch und durch diesee das konkrete wirkliche Du, die Andersheit des konkreten Anderen. Genau betrachtet war es sogar gerade die einander entgegengebrachte Freundesliebe selbst, die nach Jean Paul beide einander verschieden, zu »ungleichnamigen Polen« (Sieb 69) und mithin zu bestimmten Einzelnen machte. Denn jeder von beiden sah »im andern nur das, was er außer sich lieb[t]«, nicht aber in sich und als an sich selber ebenso vorhanden (Sieb 532). – Konsequenterweise begann umgekehrt mit der Trennung von seinem

werden, wonach, weil Freundschaft und Liebe einen »»ganz vollkomnen Gegenstand« erforderten, Freunde und Liebende einander über ihre sinnliche Natur ›täuschen‹ und »vor einander ihre Sommer- und Sonnenflecken […] künstlich und aufmerksam verdecken sollten« (Brief Jean Pauls an Amöne Herold vom 19.3.1796 [JPSW III/2, 167]). 335 Vgl. hierzu Preaux (1986), der gerade im Aspekt des Doppelgängertums den Zugang zu Jean Pauls Romanen sucht. 336 Zur Zentralität der Freundschaftsproblematik in den Flegeljahren vgl. Rose (Rose [1990], 90 ff./123 ff.). Auf die für die Moderne seit Montaigne verbreitete Verbindung der Freundschaftsproblematik mit dem Ideal der Seeleneinheit bzw. Doppelgängerschaft hat u. a. Sandkaulen hingewiesen (Sandkaulen [2003]).

III. Ernste Poesie und sittliche Praxis

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Freund Siebenkäs der solipsistische Verfall Leibgeber-Schoppes, der zugleich durch den mit diesem Ereignis einhergehenden Verlust des Eigennamens und der Wahl eines Lebens in vollkommener Anonymität bzw. Pseudonymität seine unmittelbare, sprechende Symbolisierung fand. Mit dem Verlust seines einzigen Freundes trat für Leibgeber an die Stelle eines liebenden Verhältnisses, in dem jeder im Anderen einen von ihm selbst Verschiedenen liebte, die bloße Liebe der Liebe, die jeder täglich für sich allein in sich selber schauen könne und die nur noch ein abstraktes Abbild der ursprünglichen Liebe bildet (Sieb 534). Die intensivste Auseinandersetzung mit der Freundschafts- und Liebesthematik inszeniert Jean Paul aber ohne Frage im Titan, der gleichsam als ganzes die in der Claviss mit Blick auf Fichtes Philosophie geführte Diskussion um die Verfassung des sittlichen Ich als entweder monologisches, rein selbstbezügliches oder aber als ein in konkreten Bezügen zu anderen sittlichen Wesen stehendes individuelles widerspiegelt. Dabei zeigt er die Freundschafts- und Liebesvollzüge als die wesentlichen Charakterisierungen wirklicher Individuen, die diese grundlegend von der allgemeinen Subjektivität, dem reinen Ich unterscheiden.337 Dies exemplifizierte wiederum bereits Leibgeber-Schoppe, dessen Verfall, Sterben und ›Errettung‹ als direkter Widerspruch zum diagnostizierten Solipsismus der Fichteschen Wissenschaftslehre intim mit der Problematik von Liebe und Freundschaft verbunden war. Die Liebe zu Linda wie die Verpflichtungen der Freundschaft gegen Albano führten dabei Leibgeber-Schoppe nicht nur unmittelbar in die Krise seiner zuletzt nihilistisch und insofern fichtianisch werdenden humoristischen Weltauflösung, sondern der Roman gab deutliche Hinweise, daß die am Ende einander erkennende, die Logik bloßer schlechthinniger Identität der subjektiven Selbstverdopplung überwindende

337

Folgerichtig trägt Gaspard, die einzige zentralere Figur des Romans, die in keiner Weise an Freundschafts- und Liebesbeziehungen Anteil hat, die niemals und niemanden haßt, liebt oder tadelt (T 15/30/37), deutliche Züge des absoluten Ichs. Nicht nur ist er in Analogie zum Verhältnis von schaffendem absolutem Ich und des durch dieses konstituierten empirisch-wirklichen Ichs, der (sich am Ende als falsch herausstellende!) Vater Albanos. Vielmehr schätzt er auch vor allem Freiheit und Einheit (T 541), ist ganz selbständig und »zieht als ein Strom mit eignen Wellen durchs Weltmeer« (T 15), ohne das geringste über sein Ich preiszugeben (T 550). In der totalen Erhebung über die Menschen und das Gewissen betrachtet er auch sein eigenes Ich wie jedes fremde vollkommen parteilos, weil keines für ihn mehr als eine Rolle oder bloße Erscheinung darstellt (T 29 f.). Gaspard, so ›Jean Paul‹, der ihn darum auch als »Nicht-Ich« bezeichnet (T 41), sei »kein Wesen mit schlagendem Herzen«. Er »schmolz alle ein, gleichsam zu einem korinthischen Erz, und umfaßte alle, ohne gefasset zu werden. Auf seiner kalt, aber stark aufdringenden Lebensquelle ließ er die Welt wie eine Kugel spielen und schweben.« (T 573) – Allerdings, so weist Baierl zu Recht hin, verfällt auch Gaspard den Taschenspielertricks seines Bruders, des ›Kahlkopfes‹, dieser Verkörperung rein materieller Bestimmtheit, gerade weil er in der Mißdeutung seines eigenen Seins als absolut wirkendes autarkes Ich übersieht, daß er wesentlich auch selbst Teil dieser Welt ist (Baierl [1992], 121 ff.).

332

B. Jean Paul auf den Spuren Jacobis

Wiederbegegnung Leibgeber-Schoppes mit seinem Freund Siebenkäs als die Rückgewinnung seiner Menschlichkeit als geistig-sittliches Individuum verstanden werden muß. Die vermeintliche solipsistische Selbstverdopplung und Selbstspiegelung des Schoppeschen Ich löste sich zuletzt wunderbarerweise wenigstens für einen Moment noch auf in der Begegnung mit dem konkreten Du Siebenkäs’, in dem Schoppe sich als einzelnes Ich, sich im Anderen als Anderen real spiegelnd, allererst selbst wiederfand und damit den Blick auf eine höhere metaphysische Realität, mithin auf die Wirklichkeit der Sittlichkeit wenigstens in der zeitlichen Gegenwart eines Augenblicks zurückgewann (T 800). Das ›Ich gleich Ich‹ des sterbenden Schoppe verwandelte sich durch die Begegnung mit seinem Freundes-›Du‹ vom Ausdruck des Fichteschen absoluten Ich unversehens zum Ausdruck für das, von Jean Paul wie von Jacobi als ›sum‹ bzw. ›Dasein‹ gefaßte, bestimmte Ich einer ›Person mit Namen‹. Obwohl die Freundschaftsbeziehung also auch für den Fall Leibgeber-Schoppe die entscheidende Rolle spielt, erfolgt im Titan die eigentliche, grundlegende und die gesamte Handlung des Romans strukturierende Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Freundschaft und Liebe als den originären sittlichen Grundbeziehungen im menschlichen Dasein in der Darstellung der Entwicklung Albanos. Dieser ist nicht nur die Hauptgestalt des Titan, sondern wird von Jean Paul zudem als Paradigma eines ›Mannes von Charakter‹ entworfen, d. i. eines ›hohen Menschen‹, zu dem er im Laufe des Romans wird und als dessen moralische Schlüsselkräfte ›Liebe‹ und ›Ehre‹ erscheinen. Um deren richtige Auffassung angesichts ihrer durch die doppelsinnige menschliche Natur nie aufzuhebenden Mißverständnis- und Verfallsgefährdung wird mithin im Roman als ganzem gerungen.338 Der Bildungsprozeß Albanos vom schwärmerisch-innerlichen, »vom Leben nichts wissenden Jüngling« zum ganzen, viel- und tatkräftigen Menschen mit einer allseitigen Bestimmung und weltzugewandten allseitigen Kenntnissen (vgl. T 590) ist dabei aber gerade keine bloße Abfolge reinigender »Selbstbegegnungen« mit eigenen einseitigen Persönlichkeitspotentialen im Spiegel ihrer Objektivierung339 (Preaux [1986], S. 113). In dem Maße, wie nach Jean Paul die sittliche Existenz des Menschen zur eigenen Selbstfindung als Ich, so legte bereits die Claviss dar, grundlegend auf die Offenbarung fremder Individualität im Modus der ›Liebe‹ bezogen

338

Vgl. Brief Jean Pauls an Christian Otto vom 20.1.-5.2.1800 (JPSW III/3, 287). So legt es Preaux nahe, insofern er durch die Thematisierung der Beziehungen von Liebe und Freundschaft unter der Thematik des ›Doppelgängertums‹ tendenziell zunächst zur Figur der subjektiven Selbstverdoppelung als Grundoperation Jean Pauls neigt (Preaux [1986], 113), auch wenn er letztlich ebenso der Sache nach auf Jean Pauls doppelte Frontstellung im Motiv des Doppelgängers gegen den Selbstverlust im Weltbewußtsein wie im reinen Selbstbewußtsein verweist, indem Jean Paul die ›Verdopplung‹ als wirkliche Anerkennung der schlechthin objektiven Andersartigkeit des ›alter Ego‹ denke (ebd., 117 ff.). 339

III. Ernste Poesie und sittliche Praxis

333

ist, die Erziehung zur Liebe als genuin praktisches Verhältnis aber allein in deren Vollzug liegt,340 stellt er vielmehr wesentlich auch, ja vor allem eine Geschichte der Liebes- und Freundschaftsbeziehungen Albanos als miß- und gelingende Verwirklichungen menschlicher Sittlichkeit dar, die als Beziehungen so lange als scheiternd erscheinen, wie die Liebenden oder Freunde die abstrakte, darum letztlich zu Vereinseitigungen führende Entgegensetzung von Unendlichem und Endlichem, Geist und Körper, Übersinnlichem und Sinnlichem, Vernunftgefühl und Verstand, Ideal und Wirklichkeit, Freiheit und Zwang, Ewigkeit und Zeitlichkeit, Individuellem und Allgemeinem etc. nicht überwinden. Bereits in Kinder- und Jugendjahren zeigt Albano seine hohen, genialischen Anlagen. Der Unendlichkeits- und ernste Zukunftstrieb, dieser »Durst nach allem Großen« und Hohen, »was den Geist bewohnt und hebt«, beherrscht sein Wesen. Er nimmt an Dingen und Menschen niemals »andern Anteil […] als den stärksten« und ›verläuft‹ »sich immer in allgemeine und weltbürgerliche Betrachtungen« (T 194). An alles Existierende legt er daher »Riesenellen« an (T 13/19/17/35) und empfindet »alles Unvollendete« beinahe wie »ein[e] physisch[e] Greuel« (T 182); lieber will er »den Göttertisch umstoßen als ein Gericht und Himmelsbrot weniger darauf sehen […], lieber ganz unglücklich sein als nicht ganz glücklich« (T 391). Totales und systematisches Erkenntnisstreben ist ihm daher ebenso eigen wie unbedingte Sittlichkeit, die ihn niemals lügen und selbst noch »das tierische Vertrauen« stets achten läßt (T 33/88). Zugleich führt der Unendlichkeitstrieb in ihm zu einer »trotzigen Entschlossenheit«, d. h. einem »mächtigen Willen« als herkuleischer, »glühender Tatendrang« (T 14/183/27), der sich zunächst einmal als sehnlicher Wunsch artikuliert, sein eigenes sittliches »Ideal außer sich in körperlicher Gegenwart […] mit verklärtem oder angenommenem Leibe« verwirklicht zu finden (T 17), d. i. als ›hohe‹ tugendhafte Geliebte (T 52), vor allem aber als »Freund und Waffenbruder« (T 106). Einen solchen ›Freund des Herzens‹, der die eigenen idealen Gesinnungen vollständig teilt (T 230), findet Albano dabei zuerst »in seiner [eigenen] Brust« als imaginiertes ideales Abbild Roquairols, den er bisher nur aus Erzählungen kennt (T 107). Doch scheint das völlige Vertrauen in den gleichgesinnten Waffenbruder ›Roquairol‹ sich auch in der Wirklichkeit zu bestätigen. Nach dem ersten Treffen mit ihm glaubt Albano, den Freund aus seinen Jugendträumen tatsächlich gefunden zu haben und in dieser Gesinnungseinheit »Himmel und Unsterblichkeit« zu erlangen (T 253): »sein Dasein war jetzt ein Doppelchor, er trank jedes Glück mit zwei Herzen« (T 259). Dieser Schein wird zusätzlich dadurch genährt, daß Albano und Roquairol auch die »gleiche Stimme« haben, die Stimme aber bzw. die sprachliche Äußerung nach Jean Paul die einzige unmittelbare Manifestation der Seele und damit der Gesinnungen in der irdischen Welt ist (T 193). – Auch Albanos

340

Vgl.: »Lehrt lieben, sagt‹ ich, das heißt: liebt!« (L 809).

334

B. Jean Paul auf den Spuren Jacobis

Ersehnen einer Geliebten scheint sich in Liane, der Schwester Roquairols schließlich zu erfüllen, für die Albano zunächst gerade in dem Maße schwärmt, wie er sie für die »direkt vom Himmel gekommene Tugend« nimmt (T 212) und der er, insofern er sie für viel sanfter und besser als sich selbst hält (T 117), daher begeistert folgt, damit sie ihn hebt. Wie ein Blick auf den »Komischen Anhang zum Titan«, und insbesondere in »Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch« beweist, dessen Protagonist Giannozzo im Gewitter beim Absturz seines Ballons zu Tode kommt (T 1008 ff.), zeigt die in Albanos Unendlichkeitstrieb liegende und auf Giannozzo verweisende Sehnsucht zu fliegen, nach »Höhen«, »Bergspitzen« und »Luftschiffen« (T 76 f.) wie die Begeisterung für den »Donnertod« (T 108) die in der reinen Verabsolutierung des Unbedingten eingeschriebene Gefährdung des menschlichen Daseins auch als eigene an.341 Albano neigt m. a. W., so macht der Erzähler des Titan von Anfang an deutlich, zu einer von ihm selbst durchaus auch als schmerzhaft erfahrenen wirklichkeitsaufhebenden und vereinsamenden »Schwelgerei«, so daß seine hohen Anlagen für das Wirklichwerden der Sittlichkeit bzw. des Geistes erst der Kultivierung bedürfen: Albano sei »ein dunkler Edelstein von zu vieler Farbe, der noch geschliffen werden muß« (T 20/14/22). Seine Kräfte, wie ›Kopf‹, ›Herz‹, ›Phantasie‹, ›Wille‹, sind zwar alle groß und edel, aber noch ein »Kongreß kriegsführender Mächte« und polarer Extreme (T 33/78/131/136), die erst eines Ausgleichs bedürfen. – Und wiederum läßt sich ebenso am Schicksal Giannozzos erkennen, daß es gerade der Verlust der Freundschaftsfähigkeit ist, der das schlechthinnige Erheben über die »Ameisen-Kongresse der Menschen«, über die als seicht, unvollkommen, ja als unsittlich erfahrene irdische Welt (T 905/929), selbst zu einem Unsittlichen, die Wirklichkeit des Sittlichen Negierenden und das sittliche Ich zu einem bloßen »Gespenst« macht (T 928 f./988). Zwar träumt Giannozzo noch von seinem Freund und ›Bruder‹ Graul, so im übrigen ein weiteres Pseudonym Leibgeber-Schoppes, und wünscht sich eine Wiedervereinigung mit ihm. Doch scheitert diese Begegnung sowohl in Giannozzos Traum, in dem es beiden unmöglich ist, sich von Angesicht zu Angesicht einander zuzuwenden (T 1004 f.), als auch in der Wirklichkeit. Denn Giannozzo erkennt den leibhaftigen Freund, d. h. Leibgeber-Graul als Individuum, nicht mehr, als sie einander in großer Höhe auf einem Berg begegnen, ja haßt diesen sogar als Inbegriff des närrischen endlichen Treibens (T 966). Entsprechend beraubt der ›Donnertod‹ im Gewitter Giannozzo gerade seines rechtens Arms und seines Mundes als den Organen der liebenden Begegnung und der Entäußerung des individuellen ›inneren Menschen‹ (T 1010).

341

Daß Giannozzo darstellt, was auch aus Albano hätte werden können, wenn er den intrinsischen Gefährdungen seiner Natur erlegen hätte, stellt u. a. Preux heraus (Preux [1986], 112).

III. Ernste Poesie und sittliche Praxis

335

Im selben Sinne erweisen sich schließlich auch Albanos vermeintliche Freundschaft zu Roquairol wie seine Liebe zu Liane als unzulänglich und auf einer falschen, diese in Wahrheit aufhebenden Vorstellung von der Natur dieser Beziehungen beruhend. – Zwar hat sich trotz seines ansonsten weltvernichtenden und selbstverlorenen, rein phantasiekonstituierten Objektivitätsverhältnisses Roquairol in der Freundschaft noch nicht durch ihre imaginative Vorwegnahme verbraucht (T 265), sondern bewundert aufrichtig Albanos »ungeschminkte Reinheit«, »die energische, gläubige, noch in nichts schwankende Natur und den fast zum Lächeln reizenden naiven hohen Ernst« (T 272). Daher ist er um der Wirklichkeit und Wahrheit der Freundschaft mit Albano willen vorübergehend tatsächlich bereit, seine in weiten Teilen bisher unsittlich-nihilistische Natur zu bekennen und zu bereuen, um sich in den Tugendhaften zu verwandeln, den die wahre Freundschaft nach Jean Paul voraussetzt. Doch nicht nur gelingt es Roquairol nicht, die ihm wesentlichen »Übertreibungen der Reue« zu vermeiden und deren Wahrhaftigkeit damit unzweifelhaft auszudrücken; auch Albano trägt wesentlich zum Scheitern der Wahrhaftigkeit ihrer Freundschaft bei, indem er, ohne das reale Wesen Roquairols und die Differenz ihrer Naturen zu beachten, »in den alten Bund […] mit Liebe ohne Maß« zurückkehrt. Albano hält auch nach dem Bekenntnis Roquairols mithin am Idealbild schlechthinniger Vereinigung (zweier Tugendhafter) fest (T 274). Daß Roquairol sich fälschlich als Albanos Freund ausgeben kann und dies auch neuerlich in der gerade aus seinem Freundschaftsverlangen erfolgenden Rücknahme seiner aufrichtigen Reue tut, zeigt m. a. W. nicht nur den unsittlichen bzw. fehlenden Charakter Roquairols an, sondern vor allem auch die Defizienz des Freundschaftsideals Albano im Sinne zweier geradezu identisch werdender ›Waffenbrüder‹. Daß Roquairol darum temporär den Anschein des gänzlich Gleichgesinnten erwecken und die am literarischen Vorbild des Idealisten Karl Moor aus Schillers Räubern von Albano in der Innerlichkeit des eigenen Wünschens geschaffene Projektion des idealen Freundes und Waffenbruders als eine seiner eigenen Rollen im Spiel des Lebens übernehmen kann, weil ihm ein eigenes Selbst fehlt, ist nur der komplementäre Ausdruck einer ebenso im rein und abstrakt absolutgesetzten Unendlichkeitsstreben Albanos liegenden transzendentalen Einsamkeit.342 Wie zunächst Woldemar in Jacobis gleichnamigem Roman fehlt auch dem jungen Albano noch gänzlich die Einsicht, daß die reale Differenz des Freundes und damit auch seine je bestimmte und insofern eingeschränkte Sittlichkeit konstitutive Voraussetzung des Freundschaftsbundes mit ihm ist.

342

In diesem Sinne ist es auch gerade die Stimmengleichheit zwischen Albano und Roquairol, die anstatt als Anzeige ihrer tatsächlichen Gesinnungsidentität Roquairol zur Bedingung seiner Albanos Beziehung zu ihr endgültig zerstörenden Verführung der nachtblinden Linda wird (T 732).

336

B. Jean Paul auf den Spuren Jacobis

Daß neben der sittlichen Defizienz Roquairols tatsächlich auch Albanos falsches Freundschaftsideal wesentlich zum Scheitern der Freundschaft beiträgt, bestätigt sich auch noch einmal im Blick auf die Freundschaft von Albano mit Schoppe. Denn auch diese vermag sich nicht wirklich und nachhaltig zu realisieren – wiederum aufgrund einer (letztlich zu) hohen (und zu negativ-kritischen) Sittlichkeitsvorstellung – und dies obwohl weder bei Schoppe noch bei Albano die eigene hohe Moralität und Wahrhaftigkeit in Zweifel stehen. Vielmehr ist gerade der subjektive Freiheits- und Unendlichkeitswillen, den beide ebenso teilen wie die rücksichtslose Offenheit des Wortes (T 174), die Grundlage der vermeintlichen Freundschaftsbeziehung von Albano mit Schoppe. Allerdings bleibt die Freiheit bei beiden, wie vor allem an Schoppe besonders deutlich wird, als absolute rein negativ. Eine solche Freiheit jedoch, so sahen wir bereits am Verhältnis Schoppes zu Siebenkäs, ist in seiner abstrakten Absolutheit und bloßen Negativität mit den Ansprüchen der Wirklichkeit der Freundschaft unverträglich. Erst in den diese verendlichenden und vermenschlichenden Erkrankungen Schoppes und Albanos wird ihre Freundschaft in die reale Konkretion gezwungen,343 die bei Schoppe jedoch aufgrund der sich daraus ergebenden, seinem Vorbegriff der Freiheit und seiner schlechthin freien Natur widersprechenden, selbstgewählten Freiheitseinschränkung letztlich in den pathologischen Wahn führt. Im Gegensatz dazu krankt zwar Liane nicht an einer verabsolutierten selbstischformalen Freiheit. Doch scheitert auch Albanos, wie die Freundschaft zu Roquairol, von ihm bereits in der Phantasie vorweggenommene (T 107) Liebe zu ihr an der Unangemessenheit eines zu hohen Begriffs des Sittlichen, den er selbst anlegt und den zugleich, wenn auch nunmehr gerade in seinem gegenpoligen, aber ebenso fälschlicherweise absolutgesetzten Moment Liane aktualisiert. Ausdruck des »Seelenadels« von Liane ist ihre mit Albano geteilte, sich stets frei äußernde Wahrheitsliebe und unbedingte Offenheit, die jedoch bei beiden aus divergierenden Kräften herrühren: Während Liane im Irdischen frei ist aufgrund ihrer »Menschenliebe«, so Albano »bloß aus Selbstachtung« (T 367). Insofern dies bei Albano neuerlich

343

Zwar gilt nämlich für das Verhältnis von Schoppe und Albano im Gegensatz zu dem mit Roquairol scheinbar tatsächlich, daß sie einander bedingungslos und wahrhaftig ihre Gesinnungen zeigen: »Ihre Herzen standen wie offne Spiegel gegeneinander« (T 515). Doch bleibt gerade Schoppes Charakter rein humoristisch auflösend und insofern ohne Gehalt. Als sich dies mit Beginn der Liebe zu Linda ändert und die Person Schoppe an Kontur und Bestimmtheit gewinnt, bittet dieser Albano zugleich, nicht mehr sein Tagebuch zu lesen. Erst jetzt wird ihr Verhältnis ein solches, in dem sich zwei Einzelne in der Freundschaft zugleich ihre »köstlichste Freiheit« als qualifiziert-positive erhalten (T 519). Jedoch vermag diese Beziehung aufgrund seiner letztlich doch vorherrschend negativen Unendlichkeit nicht Schoppe, sondern erst der mildere und weltzugewandtere Siebenkäs dauerhaft zu realisieren.

III. Ernste Poesie und sittliche Praxis

337

Anzeichen einer fälschlich unbedingt setzenden Subjektivität ist,344 korrespondiert bei Liane der Menschenliebe ihre völlige Selbstauflösung, die auch ihre Menschenliebe zu einer schlechthinnigen allgemeinen All-Liebe werden läßt (vgl. T 344). Denn Liane erscheint als ein ganz ätherisch-überirdischer, weltflüchtiger Charakter (T 154/178/407), dem ihre körperliche Schwäche, dauerhafte Schmerzen, temporäre Blindheit sowie eine starke Todesaffinität entsprechen (T 181/211/287). Sie lebt vollständig im Anderen, im Überirdischen ebenso wie in fremden Menschen, denen sie gänzlich uneigennützig und opferbereit (T 361)345 in reiner, unschuldiger, jede Sinnlichkeit und Geschlechtlichkeit ausschließender (T 277 f./305) Liebe zugetan ist (T 154/282/361). Doch ohne Selbst, so muß schließlich auch Albano erkennen, ist eine Liebe zu wirklichen konkreten Menschen als solchen nicht möglich.346 Seine zu Recht aufkommenden Zweifel an Lianes Liebe zu ihm (T 373) und der zunehmende Haß gegen ihren »Wahn des Todes«, der dem Leben und den »Lebenspflichten« grundsätzlich widerstreitet (T 372), sind angesichts der ursprünglichen Anziehung durch ihre himmlische Tugendhaftigkeit zugleich Revisionen des eigenen Liebesideals Albanos. In dem Maße, wie die Liebe zwischen Albano und Liane unharmonisch und beide einander fremd bleiben, »weil eine Gottheit zwischen beiden schwebt und beide anglänzt« (T 364), gilt es, als Komplement zur Menschenliebe und zur Unendlichkeitssehnsucht die in Albanos Willenskraft liegende Selbstheit zwar nicht, wie noch im Ideal vollkommener Übereinstimmung in der Waffenbruderschaft, zu verabsolutieren, aber doch auch in der Liebe zu kultivieren. Dies würde eben bedeuten, die von Albano von Liane geforderte ›Einzigen-Liebe‹ nicht als Selbstliebe einer absolut tätigen Subjektivität, sondern in ihrer Konkretion in bestimmten, d. h. beschränkt absoluten wesenhaft Einzelnen zu verstehen. Im Gegensatz zu den die endliche Wirklichkeit und Bestimmtheit schlechthin überfliegenden Freundschafts- und Liebesbeziehungen Albanos mit Roquairol, Schoppe und Liane bleiben diejenigen zu Dian, einem korsischen Jüngling sowie zu

344

»Er fühlte jetzt freilich mehr, wie hoch seine Foderungen an wirkliche Freunde stiegen, als sonst, wo er die höchsten an geträumte Wesen, die er immer gerade in die jedesmalige Form seines Herzens goß, nach Gefallen steigern konnte; und wie in ihm ein niemand schonender Geist regiere, der jedem fremden die Flügel nach seinen eignen ausdehnen wolle, weil er keine Eigenheit dulde außer der kopierten.« (T 375) 345 Vgl. »nur Opfer waren ihr Taten« (T 361). 346 Liane habe, so glaubt Albano schließlich, »heilige Reize, göttlichen Sinn, alle Tugenden […], besonders Menschenliebe, Mutterliebe, Bruderliebe, Freundesliebe – nur aber nicht die glühende Einzigen-Liebe, wenigstens nicht gegen ihn«. »Sie wird nur – er schließet immer fort – von der Gegenwart so gänzlich gefasset und gefüllt […] Darum wird ihr der Untergang des Lebens so leicht wie der eines Sternchens und alle Scheidungen dabei. – Darum stand ich so lange mit einer leidenden Brust voll Liebe neben ihr, und sie sah nicht in meine, weil sie keine in der ihrigen fand.« (T 374)

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B. Jean Paul auf den Spuren Jacobis

Linda, die nunmehr auf der Willenskraft aufbauen, letztlich umgekehrt unzureichend, weil sie, indem auf je eigene Weise die notwendige Konkretion und innerweltlich-tätige Wirklichkeit des Liebens und Befreundens unzulänglich auffassen, ihre Endlichkeitsfixierung nicht überwinden können. Die Basis der Liebe zwischen Albano und Linda liegt in diesem Sinne statt in der Religiosität und der allgemeinen Menschenliebe in ›Willen‹ und Tatkraft (T 622): Nach dem Scheitern seiner Beziehungen zu Roquairol und Liane und damit des Ideals uneingeschränkter Gesinnungseinheit muß für Albano Liebe nunmehr allererst über und in wirklichen innerweltlichen, wagemutigen Taten der Freiheit gewonnen werden (T 642/562/602). »Tun ist Leben, darin regt sich der ganze Mensch und blüht mit allen Zweigen« (T 584). Zwar zeichnet sich Linda tatsächlich durch innerweltliche Kraft und Stärke aus, doch läßt die unterschiedliche Herkunft und Natur ihrer Willenskraft und derjenigen Albanos auch deren Liebesverbindung letztlich scheitern. Während Albanos starker Wille zu Taten neuerlich seinem Unendlichkeits- und Freiheitstrieb und seiner (oft zu) starken Subjektivität entspringt, folgt Lindas Kräftigkeit einem vehementen Liebesverlangen, das letztlich nicht genügend zwischen Irdischem und Übersinnlichem unterscheidet und sie darum das Unendliche vom Endlichen aus zu verwirklichen suchen läßt. Kennzeichen der primären Weltzugewandtheit Lindas sind neben Leselust und Erkenntnisstreben, das sie sogar »Gewandtheit und listigen Weltverstand« achten läßt,347 ebenso auch und gerade ihr unbegrenzter Freiheitswille. Denn insofern Lindas freies Naturell sich vor allem in der Flucht vor der Ehe und ihren Geschlechterrollen darstellt, die Ehe zugleich jedoch im Gegensatz zu Lindas Auffassung als »Scheiterhaufen der schönsten freien Liebe« (T 673) für Jean Paul die Manifestation der Ewigkeit der Liebe im Irdischen ist, wird deutlich, inwiefern Lindas Liebe wie ihre Freiheit endlich und trotz der Unbedingtheitserwartungen an beide »unbeständig und biegsam« bleibt (T 662). Zwar bewundert Linda m. a. W. vor allem diejenige Liebe, die sich auf Ideelles richtet als »göttlichen Affekt gegen das Göttliche« (T 649), doch liebt sie durchaus auch Sinnlichkeit und Leiblichkeit (T 656), ja gibt diesen sogar in dem Maße der Sache nach den Vorrang, wie sie beide statt angemessen, d. h. differenziert aufeinander zu beziehen, vielmehr vermengt.348 Dem entspricht, daß für Linda einerseits Individualität die »Wurzel jedes Guten« (T 633), d. h. auch der Liebe ist und sie daher wie die eigene auch jede »fremde Eigentümlichkeit« achtet (T 623). Andererseits jedoch zeigt wiederum die Unstetheit ihrer eigenen Liebe und das Fehlen einer »besondere[n] Sorge und Achtung für Menschen«,349 daß die von ihr affirmierte Individualität

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Brief Jean Pauls an Jacobi vom 14.5.-8.9.1803 (JPSW III/4, 237). Inwiefern gerade ein Übermaß an »Fleisch und Blut« den Fehler Lindas ausmacht, vgl. auch Koller (1986), 26 sowie Götz Müller (1983), 155. 349 T 656, Brief Jean Pauls an Jacobi vom 14.5.-8.9.1803 (JPSW III/4, 237). 348

III. Ernste Poesie und sittliche Praxis

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noch der Einheit und Verbindlichkeit entbehrt – und zwar, wie Jean Paul keinen Zweifel läßt, aufgrund des Mangels an wirklicher Religiosität bzw. unbedingtem Unendlichkeitsstreben:350 Unsterblichkeit und Vernichtungsangst ist Linda »gram wie den Geistlichen« (T 717). Indem sich daher ihre Liebe letztlich übermäßig auf den weltlich-sinnlich Einzelnen als solchen und auf die bloße, aktuelle Gegenwärtigkeit der Liebe richtet, verschuldet sie, weil sie in der Liebe dem Geliebten mehr verzeiht, als die Orientierung an wahrer Sittlichkeit geböte, und sein in diesem Moment rein sinnliches Begehren zuläßt, nicht nur ihre Verwechslung Albanos mit Roquairol und damit letztlich ihre die Beziehung zu Albano zerstörende Verführung durch letzteren mit (T 761). Der reine, zumal vorwiegend sinnliche Selbstbezug der Liebe bei Linda läßt diese angesichts des liebenden Selbstgenusses der Endlichkeit vielmehr auch Albanos der Unvollkommenheitserfahrung des Irdischen korrespondierendem Streben nach wirklichen Taten in der Welt befremdet und verständnislos gegenüberstehen (T 662 f.), indem sie dieses allein, wiewohl im Fall Albanos gar nicht gänzlich zu Unrecht, als einen Willen, »noch mehr [zu] lieben, als er liebe« auffaßt und daher als »Erbsünde« aus »Selbstsucht« (T 655). Die rechte Unendlichkeit fehlt aber auch Albanos Freundschaftsbeziehungen zum korsischen Jüngling und zu Dian. Während jene im gemeinsamen Fechten, Schwimmen etc. ganz auf die Erprobung der eigenen Tatkraft im Irdischen ausgerichtet ist und die ›Freunde‹ einander weder nach den Gesinnungen noch nach den Namen, als den Repräsentanten der geistigen Individualität, fragen (T 591), ist Albanos Jugendfreund und (ästhetischer) Erzieher Dian zwar als ein klassischer griechischer Charakter eine harmonisch gebildete schöngeistige, vom Göttlichen heiter durchdrungene Individualität (T 131). Doch ermangelt ihm als antikem Geist der Begriff eines wahrhaft Unendlichen, weshalb er zum einen nur zu ›individuellen‹, nicht zu ›allgemeinen‹ Betrachtungen fähig ist (T 622), zum anderen aber auch sein Individuelles letztlich nur vom Endlichen her verstanden wird. Folgerichtig beschränkt sich Albanos Freundschaft zu ihm auf den gemeinsamen Genuß des klassischen Schönen, der tragische Erschütterungen und die den Blick aufs Unendliche eröffnende Konfrontation mit Todesfurcht und Sterben vermeidet (T 576/605). Erst die Freundschaft Albanos mit Siebenkäs und seine Liebe zu Idoine realisieren indes wahre Sittlichkeit (als ganze), indem sie die in seinen vorherigen Beziehungen einseitig, ja widersprechend gebliebenen Momente – wie höhere Geistigkeit und sinnliche Bestimmtheit, Idealität und innerweltliche Verwirklichung, ›allgemeine‹, allein auf eine fremde Wirklichkeit gerichtete ›Menschliebe‹ und innere,

350

Daher gilt auch für Lindas Abscheu gegen alle Konventionen, da »die Energie, der Wille, das Herz der Liebe etwas Höheres sei als Moral und Logik« (T 720): Die bloße Überantwortung in die Verläßlichkeit des sinnlich bestimmten Herzens, so zeigt ihr eigener Fall, bietet keine zureichende Basis für wahre Sittlichkeit.

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B. Jean Paul auf den Spuren Jacobis

auf weltliche Verwirklichung und damit Konkretion drängende, zudem das eigene Ich allererst als ein Substantielles und Einzelnen garantierende Tatkraft des Ich – miteinander verbinden, insofern sie von Albano als originär auf die höchste ideale, d. h. göttliche Realität bezogen und in ihr gehalten erfahren werden (T 772). Bereits in einer frühen Notiz in den Vorarbeiten hatte Jean Paul als Zielpunkt der Entwicklung des Titanss sich aufgegeben, »am Ende das Ideal des höchsten liebenden Menschen auf[zustellen], die [sic!] den Fehler nicht hat, nur in der Empfindung die Liebe zu haben, sondern die handelt«.351 In diesem Sinne, so haben wir gesehen, verbindet tendenziell Siebenkäs durch die Bekanntschaft mit dem positiven Unendlichen Schoppes unbedingt freien Willen und weltvernichtenden Unendlichkeitstrieb mit der relativen Anerkennung des Endlichen und der auf dessen größtmögliche, aber konkrete sittliche Verbesserung ausgehenden Teilnahme am irdischen Leben (T 813)352. – Die eigentliche Verkörperung gelingender Sittlichkeit im Titan ist jedoch Albanos Liebe zu Idoine353, die alle Vorzüge des Charakters in harmonischer Verbindung besitzt: Sie ähnelt Liane in Religiosität und Heiligkeit, ist zugleich dabei aber weltzugewandt in Erkennen und Handeln und trägt deutliche Kennzeichen eines realen Individuums.354 Mit

351

Zitiert nach Berend (1933), XXXIX. Die wesentlich stärkere Teilnahme Siebenkäs’ an der Wirklichkeit des Lebens, zeigt wiederum bereits die Beschreibung seiner äußeren Erscheinung an: Siebenkäs trägt deutliche Lebensspuren, indem sein Gesicht viel stärker gealtert erscheint als dasjenige Leibgeber-Schoppes (T 802). 353 Bereits Berend hatte angesichts des grammatisch falschen Relativpronomens in der oben zitierten Notiz: »Stelle am Ende das Ideal des höchsten liebenden Menschen auf, die den Fehler nicht hat, nur in der Empfindung die Liebe zu haben, sondern die handelt«, auf Idoine als der eigentlichen Erfüllung des Ideals geschlossen (Berend [1933], XXXIX). – Auch fallen in Idoine, getreu Jean Pauls Diktum, daß allein in der Ehe die höchste Freundschaft sich verwirkliche (Brief Jean Pauls an v. Meyer am 7.1.1797, JPSW II/3, 287), Freundschafts- und Liebesthematik endgültig zusammen – und zwar obwohl aufgrund von Jean Pauls sehr klar zwischen Frauen und Männern unterscheidender Geschlechtertheorie in seiner Theorie wie in seinen Romanen nicht nur Männer- und Frauenfreundschaften weitgehend unvergleichbar sind, sondern es auch für solche zwischen Frau und Mann erscheint, als könnten sie prinzipiell nicht funktionieren (so Zell [1950], 126). Doch tragen im Titan vor allem Idoine und Linda nicht nur nicht dezidiert weibliche, sondern in vielem männliche Züge; und selbst Liane ist zu ätherisch und körperverneinend, um sie als allein und spezifisch weiblich wahrzunehmen. 354 Dem korrespondiert, daß analog zum Verhältnis von Siebenkäs und Leibgeber-Schoppe auch zwischen Liane und Idoine eine physische Ähnlichkeit, aber keine Identität besteht: Idoine erscheint auf den ersten Blick als »optisches Ebenbild« Lianes (T 397/423), ist genaugenommen aber nicht nur länger, schärfer gezeichnet, »weniger rosenfarben« (T 542) und mit einer ›denkenderen‹ Stirn ausgestattet (T 791), sondern trägt ebenso »3 kleine Blatternnarben, gleichsam als Erden- und Lebens-Spuren, die sie zu einer Sterblichen«, mithin zu einer Einzelnen, machen (T 825). 352

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Linda teilt sie hingegen Willensstärke, Freiheit und (Welt-)Kenntnis/Klugheit, die jedoch aufgrund von Idoines originärem Unendlichkeitsbezug erhabener und stetiger sind.355 Durch die harmonische Verbindung dieser Eigenschaften, aber auch derjenigen von Gerechtigkeit, Liebenswürdigkeit, Mitleidsfähigkeit, Heiterkeit etc. vermag Idoine nicht nur das eigene Leben, sondern auch die Lebensumstände der Gemeinschaft zu gestalten (T 397/724/825) und, wie sich in dem von ihr gebauten und regierten Dorf (›Arkadien‹) zeigt, Ideal und Realität zu vereinen (T 423). Denn dort hat sie, deren Wollen ein Tun ist (T 716/724), die »goldene Gegenwart« des Unendlichen zur »wirklichen Wirklichkeit« gemacht. Idoine kann nach Jean Paul m. a. W. das »Große und Kleine zugleich denken« – und zwar indem sie, gemäß dem Primat des hohen Ernstes vor dem Scherz, des Unendlichen vor dem Endlichen, zuerst das Größte denkt und eine das Kleine, die Wirklichkeit der Welt wie des Ich übersteigende transzendente Realität anerkennt: »Wenn man in die Sonne hineinsieht, wird der Staub und die Mücke am sichtbarsten. Gott ist ja unser aller Sonne.« (T 716) Wie Idoine daher das Unbedingte im Irdischen verwirklicht, bedarf sie auch keiner (nachweltlichen) Unsterblichkeit, um zu lieben (T 718). Vielmehr ist ihr bereits jede Liebe in der Welt eine Unbedingte, Rechte und Ewige und insofern eine »Ehe« (T 720). Statt der schwärmerischen ersten ätherisch-übersinnlichen Liebe, gilt es nach Jean Paul in der Ehe die Liebe als gerade wesentlich in der je bestimmten Konkretion wirkliche Unendlichkeit, als Ewigkeit in der Zeit und in der praktisch-tätigen zweckgeleiteten Aufspannung zwischen Vergangenheit und Zukunft zu erfahren.356 – In der liebenden Verbindung mit Idoine gelingt es daher nunmehr endlich auch Albano, sich qua Liebe als gemischtes unendlich-endliches Wesen im Sinne der ›geistigen Individualität‹ zu verstehen und auch ein fremdes Du, zunächst in Idoine, als wirkliche Alterität und eigenständige andere geistige Individualität anzuerkennen. Daher vermag Albano im weiteren schließlich auch, seine hohen Ideale mit seinem Wunsche, in ihrem Sinne in der Welt zu wirken,357 zu verbinden (T 794/811). Albano realisiert damit zuletzt wie Idoine das Credo des frommen Spener, Lianes ehemaligem geistig-religiösem Mentor, wonach die Gewißheit des »göttlichen Wesens« und der »All-Liebe« die Voraussetzung ist, um in der für den Menschen unumgänglichen Rückwendung auf die Welt in dieser

355

Daher teilt Idoine zwar mit Linda die »hohe edle Gestalt«, ist zugleich aber sowohl majestätischer als auch zarter gebaut und erscheint im Gegensatz zu der der Sinnlichkeit zugeneigten Linda durch ihren »heiligen Gang« wie »eine Priesterin […], die in Tempeln vor Göttern zu wandeln gewohnt gewesen« (T 825). 356 Brief Jean Pauls an Jacobi vom 14.5.-8.9.1803 (JPSW III/4, 238). 357 Vgl. »im kleinen und in jedem Ländchen war etwas Großes, nicht die Volksmenge, sondern das Volksglück – höchste Gerechtigkeit war sein Entschluß und Beförderung alter Feinde […]; sein toter Vater zeigt ihm die Fürsten-Pflicht – nur Taten geben dem Leben Stärke, nur Maß ihm Reiz« (T 820).

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B. Jean Paul auf den Spuren Jacobis

überall »Gott und seinen Widerschein«, die Ewigkeit des Sittlich-Unbedingten im Endlichen zu finden; »die Liebe zu Gott ist das Göttliche, und ihn meint das Herz in jedem Herz« (T 344/827).

ε) ›Religion‹ Sittlichkeit, gerade diejenige von Freundschaft und Liebe, verweist also schließlich in einem auch bei Jean Paul unverzichtbaren letzten Schritt auf »Religion« als ihr Fundament und ihre höchste Wirklichkeit (vgl. L 575 f./809). Erst mit dieser Operation, so läßt sich wiederum in Analogie zur Interpretation der Unphilosophie Jacobis sagen, markiert Jean Paul unmißverständlich die schlechthinige Unbedingtheit, Unendlichkeit und Ewigkeit sittlichen Handelns ebenso wie dessen tatsächlich daseiende Realität. Jean Pauls Überlegungen zur Sittlichkeit bewegen sich m. a. W. aufgrund der ihnen zugrundeliegenden Überzeugung von der wesentlichen Wirklichkeit, der inhaltlichen Bestimmtheit und der unbedingten Gültigkeit moralischer Bewertungen und Verbindlichkeiten schon immer auf dem Feld des Metaphysischen oder Religiösen. Aufgrund der auch für menschliche Sittlichkeit konstitutiven Doppelsinnigkeit, insofern diese sich als unendlich und unbedingt, zugleich aber als bestimmt und mit dem Irdischen verwoben erwiesen hat, fallen dabei konsequenterweise Sittlichkeit und Religion jedoch nicht einfach zusammen. Vielmehr entwickelt Jean Paul gleich zwei unterschiedliche Bestimmungen ihres Verhältnisses und ihrer Differenz, die beide jeweils einen wesentlichen Aspekt der als Metaphysik sittlicher Individualität im Sinne Jacobis deutbaren Philosophie Jean Pauls anzeigen: Zum einen erscheint die Sittlichkeit bei Jean Paul als die einee ›allgemeine‹ Substanzz des Religiösen, die sich in vielen verschiedenen positiven, zeremoniell verfaßten empirischen Religionen individualisiert (L 576). Das Verhältnis von sittlicher Substanz und ihrer bestimmten religiösen Manifestation wird dabei von Jean Paul analog zur Einheit von geistiger und sinnlicher Individualität im Menschen gedacht: Die Wirklichkeit des »Heiligen in uns«, d. i. des Sittlichen, als solches ist unaufhebbar und wesentlich mit der »positiven Religions Form« verbunden, die ihrerseits an den Verhältnissen von Zeit, Tradition und Kultur teilhat.358 In allen Religionen äußert sich nach Jean Paul daher das Göttliche bzw. das Geistig-Sittliche als Unendliches und Unbedingtes ganz, wenn auch auf je bestimmte Weise, so daß es keinerlei prinzipiellen Vorrang einer Religion vor einer anderen gebe.359 – Diese Verhältnis-

358

Jean Paul: Philosophische Untersuchungen III 1801 (JPSW II/7, 134); Brief Jean Pauls an Emanuel vom 15.-23.4.1795 (JPSW III/2, 77 ff.). 359 L 585/571, vgl. auch Jean Paul: Philosophische Untersuchungen III 1801 (JPSW II/7, 139).

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bestimmung von Sittlichkeit und Religion unterstreicht mithin nicht nur, daß der Kern von Jean Pauls Überlegungen und auch seines Aufrufes zu religiöser Toleranz ein genuin philosophischer, genauer moralphilosophischer ist und diese der Sache nach keineswegs den Ausdruck einer von persönlicher Frömmigkeit sowie von privaten Erbauungs- und Glaubensverlangens motivierten religiösen oder theologischen Selbstverständigung darstellen. Vielmehr beweist sich zudem auch ein weiteres Mal, daß das zentrale Thema Jean Pauls die individuelle Verfassung des Realen, mithin vor allem das individuelle genuin praktische Dasein des Menschen als geistig-sittliches Wesen ist. Zum anderen gilt nach Jean Paul auch für die Sittlichkeit, was ebenso das Erhabene der Poesie charakterisiert: sie stellen ein Symbol der Religion bzw. eine »Tempelstufe zur Religion« dar, woraus folgt, daß die Religion in ihrer ontologischen Würde noch über diesen beiden sie Symbolisierenden steht und die ursprünglichere und umfassendere Realität des Unendlichen bildet (vgl. L 583). Die Religion ist nicht nur, so betont Jean Paul in diesem Sinne, der »Sinn für das Überirdische«, sondern der »Glaube an Gott«, die in jeder Seele wohnende »Ahnung dessen, ohne welchen kein Reich des Unfaßlichen und Überirdischen, kurz kein zweites All nur denkbar wäre.« (L 577 f.)360 – Es ist diese Verhältnisbestimmung, die mithin den bereits erwähnten ultimativen Ausdruck der Realität und schlechthinnigen Unbedingtheit sittlicher Verbindlichkeit darstellt. Sie zeigt m. a. W. noch einmal abschließend an, daß sittliche Ansprüche wesentlich nicht von der Art des mechanisch bestimmten Endlich-Irdischen, sei es auch eines in endloser Approximationsbewegung scheinbar endlos vergrößerten Endlichen sind, sondern als ›überirdische‹ eine Existenzweise sui generis führen. Zu dieser Verhältnisbestimmung als einer entscheidenden philosophisch-metaphysischen Figur gehört unmittelbar auch, daß Jean Paul dabei zugleich die schon für Jacobi zentrale, weil die Differenz zweier grundlegend verschiedener Typen von Philosophie bzw. Metaphysik ausdrückende Aufforderung übernimmt, sich hinsichtlich des Absoluten zwischen einem immanenten »spinozistischen Schöpfer«, von dem sich das ›dünkelhaft‹ absolut gesetzte Ich nicht wesentlich unterscheidet, als Grund und einem transzendenten persönlichen Gott und »unendlichen Vater« als Ursache alles Seienden zu entscheiden. Der Mensch suche, so Jean Paul, »nicht etwa bloß eine Ur-Welt neben der jetzigen«, sondern ein »Ur-Ich«, nicht einen schicksalhaften absoluten Zusammenhang, sondern ein vorsehendes unendliches

360

Zwar ist die Anschauung eines persönlichen Unendlichen primär und höher als die eines unpersönlichen (L 581); beide verbindet gleichwohl die Überzeugung der ontologischen Vorgängigkeit eines qualitativ ›Höheren‹. Daher sei auch Spinoza wahrhaft religiös – oder, wie wir auch sagen können: metaphysisch –, auch wenn er »nur ans Unendliche, nicht an den Unendlichen, nur an Ewigkeit ohne Ewigen« glaube« (L 586).

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B. Jean Paul auf den Spuren Jacobis

geistiges Wesen. Dabei ist es eben die alle Notwendigkeit und Natur prinzipiell überschreitende Erfahrung der endlich-unbedingten »Freiheit« und »Moralität« eines Menschen, seiner »Vorsätze«, letzten Liebe und Freude«, die den Ausschlag für die Gewißheit von letzterem gibt.361 Wie noch der späte Jean Paul 1816 an Jacobi schreibt und zugleich explizit betont, damit kein »anderes wahres Wort« auszusprechen als Jacobis eigenes: Das menschliche Personsein setze als konkretes endliches die Individualität Gottes bzw. die »göttliche Persönlichkeit« als allererst absolut real und schlechthin frei, d. i. zweckhaft vorsehend, Tätiges als Quelle und Garant der Freiheit und Unbedingtheit im je Konkreten voraus.362 Denn andernfalls müsse das menschliche Ich, das Selbstbewußtsein selbst als Gott oder »Weltseele« angesehen werden, insofern es »höher und mächtiger […] als ein ganzes blindes taubes SpinozaAll« sei.363 Entscheidend ist m. a. W., daß Jean Paul nicht nur die Jacobische Figur eines metaphysisch motivierten Rückgangs auf einen anthropomorph gedachten persönlichen Gottes übernimmt, sondern diese ebenso, in Adaptation der Struktur des ›Spinoza-Antispinoza‹, in eine sich in allen Feldern des Jean Paulschen Werkes sich manifestierende doppelsinnige philosophische Grundanlage einbindet. Angesichts dessen ergeben sich auch für die Überlegungen Jean Pauls zur Existenz und zum Wesen Gottes schließlich folgende zwei philosophisch zentrale Interpretationshinsichten: (1) So wenig bei Jacobi die unphilosophische Offenbarung des personalen göttlichen Du in der Erfahrung der Freiheit des Einzelnen als der begriffliche und begreifende Schluß gemäß des Satzes vom Grunde verstanden werden durfte, auch wenn sich hierin sehr wohl das metaphysische Grundprinzip des ›totum parte prius esse necesse est‹ ausdrückte, darf auch bei Jean Paul, so zeigt u. a. dessen Beschreibung der Gottesgewißheit als »Anthropologie des göttlichen Anthropormophismus« im Sinne einer »analogischen Schlußkette des Positiven« als Aufnahme klassischer Gottesbeweise, vor allem des kausalen und des teleologischen mißverstanden werden. Der Rückgang aus der vermischten menschlichen Verfassung und der Erfahrung seiner geistigen Existenz und Wirksamkeit im Irdischen, d. h. der konkreten bestimm-

361

Jean Paul: »Über das Träumen«. In: Jean Pauls Briefe und bevorstehender Lebenslauf (1799), JPW I/4, 982. 362 Daß Rose demgegenüber meint, bei Jean Paul im »metaphorischen Gott« eine neue, dritte Antwort auf die Jacobische Wahl zwischen ›Nichts‹, das noch beim Absolutsetzen der Subjektivität gewählt wird, und ›Gott‹ zu finden (Rose [1990], 221), beruht auf der gänzlichen Verkennung der unphilosophischen (und keineswegs theologisch-dogmatischen oder bekenntnishaft-religiösen) Rolle des persönlichen Gottes und der nur anthropomorphisierend möglichen Rede von ihm bei Jacobi. 363 Brief Jean Pauls an Jacobi vom 25.-27.1.1816 (JPSW III/7, 56); vgl. auch Brief Jean Pauls an Jacobi vom 19.-23.11.1800 (JPSW III/4, 23) sowie L 580.

III. Ernste Poesie und sittliche Praxis

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ten Freiheit, auf eine dieser daher noch vorauszusetzende schlechthin unbedingte und absolute Freiheit darf nicht mit einem Kalkül verwechselt werden.364 Bei dieser Bewegung handelt es sich (wie strenggenommen bei allen übrigen, durchaus zahlreichen und wiederholt vorgetragenen ›Argumenten‹ Jean Pauls für die Existenz Gottes), so weiß auch Jean Paul selbst ganz genau, weder um einen Rückschluß noch überhaupt um einen strengen (rationalen) Beweis. Indem die Gottesgewißheit auch für ihn eine ursprüngliche Bekanntschaft und Beziehung darstellt, die noch fester als Freundschaft und Liebe sei (L 578), tritt in ihr vielmehr erneut in den Vordergrund, daß mit der Gottesfrage auch für Jean Paul im wesentlichen die »Existenz der Existenz« bzw. das »Dasein des Daseins« philosophisch-metaphysisch auf dem Spiele steht.365 (2) Wie in der Metaphysik Jacobis gewinnt Jean Pauls Behauptung der Existenz eines persönlichen Gottes daher (wie überhaupt eben der Übergang zur Religion) philosophisch einen guten Sinn als finale Zurückweisung jeder Auffassung vom Ich als einer schlechthin selbstmächtigen, absoluten, vermeintlich weltkonstruierenden Subjektivität (vgl. L 579):366 Denn »[o]hne einen Al-Geist«, so notiert Jean Paul ausdrücklich, wäre »unser Geist größer als die ganze blinde Natur«.367 Auch und gerade die Rede vom existierenden persönlichen Gott zeigt m. a. W. als deren höchstmöglichem Ausdruck den metaphysischen Charakter der Theorie der Person und damit sowohl die Unbedingtheit und geistig-praktische Verbindlichkeit als auch die Realität der sittlich-willentlichen Handlungen eines einzelnen tugendhaften Menschen an. In diesem Sinne sind die zahlreichen Überlegungen Jean Pauls zu verstehen, in

364

Vgl. Brief Jean Pauls an Jacobi vom 25.-27.1.1816 (JPSW III/7, 56, Herv. v. Vf.). Brief Jean Pauls an Jacobi vom 21.1.-6.3.1806 (JPSW III/5, 80); Jean Paul: Philosophische Untersuchungen 4.März 1821 (JPSW II/7, 220). 366 Dabei darf diese Figur – die Rolle Gottes – jedoch nicht als bloßer (subjektiver) ›Schutz‹ vor den Gefahren absoluter Reflexivität und als Befriedigung des Gemeinschaftsbedürfnisses verstanden werden (Decke-Cornill [1987], 128), wenn dies zugleich bedeutet, daß Gott im Sinne der von Jean Paul ausdrücklich selbst zurückgewiesenen These im Verdacht steht, bloß aus der Furcht des Menschen (vor dem Nihilismus) entstanden zu sein (ebd., 127). Denn in dem Maße, wie die zugrundeliegende Erfahrung des Menschen keine rein innerliche, sondern als Erfahrung realen sittlich-tugendhaften, nicht nur eines allein rein moralisch-vernünftigen Handelns stets zugleich konstitutiv eine äußere Manifestation unmittelbar umfaßt, ist Jean Pauls Gott sowohl mißverstanden, nimmt man ihn, analog zu Kants regulativen Ideen, als ›nützliche Illusion‹, als auch, sieht man ihn wegen seiner bloß subjektiv-innerlichen Existenzweise letztlich identifiziert mit dem (menschlichen) Ich (ebd., 134), als dessen »religiös verklärte Wiederholung« (ebd., 135). – Insofern im zweckorientierten Tun die Handlungsintention als existentiell und ursprünglich real erfahren wird, unterscheidet sich Jean Pauls Philosophie m. a. W. vom Atheisten nicht einfach nur durch die »Selbstdeutung« seines rein Innerlichen (ebd.); vielmehr ist es die besondere Natur sittlicher Intentionen die, nicht streng verständig-begrifflich, aber praktisch-vernünftig einen prinzipiellen Unterschied im Welt-, Selbst- und Transzendenzverhältnis ausmacht. 367 Jean Paul: Philosophische Untersuchungen 1794–1801 (JPSW II/7, 56). 365

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denen Gott gleichsam als Garant der Vernünftigkeit, Stetigkeit und Wirksamkeiten unserer Zwecksetzungen angesprochen wird:368 »›ohne eine Gottheit‹«, so Jean Paul, »›gibt’s für den Menschen weder Zweck, noch Ziel, noch Hoffnung, nur eine zitternde Zukunft, ein ewiges Bangen vor jeder Dunkelheit und überall ein feindliches Chaos unter jedem Kunstgarten des Zufalls. Aber mit einer Gottheit ist alles wohltuend geordnet und überall und in allen Abgründen Weisheit‹« (Selina 1155). Woran es mit der Gottesvorstellung festzuhalten gilt, ist die Überzeugung von der Vernünftigkeit realen menschlichen Handelns.

368

Dies bedeutet jedoch nicht, daß Jean Paul die sich im »gefühlsmäßigen Glauben« manifestierende »Transzendenz« noch »allein in der Immanenz des Individuums« bewahrt (so Baierl [1992], 46). Zwar ist richtig, daß Jean Pauls Transzendenzfigur nicht im Sinne traditionneller Theodizee- und Substanzvorstellungen »metaphysisch-ontologisch« ist und die Leiden der Welt als Teil eines göttlichen Heilsplanes zu rechtfertigen sucht (ebd.). Wie Baierl jedoch zugleich auch selbst bemerkt, richtet sich Jean Paul ebenso ausdrücklich gegen die Reduktion der Transzendenz auf bloß regulative Ideen (Postulate) im kantischen Sinne. Daher hat das Transzendenz offenbarende Gefühl bei Jean Paul wie bei Jacobi immer schon die ›Immanenz des Individuums‹ überschritten; das Gefühl im praktischen Handeln ist für Jean Paul wesentlich und ursprünglich Transzendenzgefühl und die Transzendenz, recht verstanden, mithin sehr wohl ›metaphysischontologisch‹.

FAZIT

Ausgangspunkt der Untersuchung war eine doppelte These: Es sollte erstens dargelegt werden, daß Jean Pauls wiederholte emphatische Bekenntnisse zu Jacobi tatsächlich in seinen Werken, gerade in denjenigen um 1800, eine substantielle sachliche Entsprechung finden, so daß diese selbst auch als ein wesentlicher philosophischerr Beitrag zur zeitgenössischen Diskussion um die Grundgestalt der Philosophie behandelt werden können. Die Beachtung der Jacobischen Philosophie als konzeptioneller Hintergrund Jean Pauls sollte zugleich die Berechtigung seiner ausdrücklich reklamierten Abgrenzung gegen die Frühromantik untermauern, deren Poetologie und Poesie ebenso Anspruch auf unmittelbare philosophische Relevanz erheben. – Dabei sollte sich zweitens erweisen, daß sowohl Jacobis als auch Jean Pauls philosophische Konzeption einen originären und originellen Entwurf einer alternativen ›Metaphysik‹ im Sinne einer Metaphysik der Person darstellen. Mithin sollte gezeigt werden, daß auch die verschiedenen zentralen Motive und Überlegungen Jean Pauls, ähnlich zu denen Jacobis, im Ganzen einen guten Sinn gewinnen als raffiniert und komplex zusammenspielende Momente, Hinsichten und Anwendungen einer doppelsinnigen Gesamtkonzeption, die die Rationalität ebenso konsequent einbezieht wie im Namen des konkreten persönlichen Daseins grundsätzlich überschreitet und sie dabei zugleich fundiert. Daher galt es, sich in einem ersten Schritt der Grundanlage und der inhaltlichen Kernthesen der philosophischen Position Jacobis zu versichern. Dabei konnte nachgewiesen werden: Jacobis historisch äußerst einflußreiche Kritik an den Philosophien Spinozas, Kants und Fichtes stellt nicht nur einen ersten, konstitutiven Teil einer doppelsinnigen Philosophieformation dar, sondern ebenso eine scharfsinnige und wohlinformierte Rekonstruktion und Diagnose. Fernab zeitgenössischer Diskussionsstereotype wie dem Atheismusvorwurf und offenkundiger, als Gegensatz von ›Realismus‹ und ›Idealismus‹ inszenierter programmatischer Differenzen der Philosophieentwürfe Spinozas und Kant-Fichtes beruht Jacobis Behauptung einer grundsätzlichen Ähnlichkeit zwischen beiden auf dem strukturell-prinzipientheoretischen Vorgehen seiner Analyse. Für diese Betrachtungsart ergibt sich als gemeinsamer Charakter von Ethikk und Wissenschaftslehre das Ideal einer konsequent durchgeführten rational-systemischen Philosophie. Mit dieser Rekonstruktion ist unmittelbar eine doppelsinnige Bewertung verbunden; aus der Sicht der Rationalität vermag Jacobi die Verdienste und Erfolge eines solches Typs einer ›prima philosophia‹ ebenso zu würdigen, wie er unter der Perspektive von ›Vernunft‹ bzw. (Geist)Gefühl ihre grundsätzlichen Grenzen und Defizite benennt. Diese laufen für Jacobi in der Frage nach menschlichem Personsein zusammen, insofern hiermit die genuin zeitliche

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Fazit

Existenz eines je konkreten Einzelnen gemeint ist, dessen überzeitliche individuelle Identität in der Zeit wesentlich in der verwirklichten Fähigkeit zu vorsätzlichem finalkausalem moralisch-praktischem Handeln wurzelt. Demgegenüber insistiert Jacobis Analyse darauf, daß sowohl Spinoza als auch die konsequent durchgeführte Transzendentalphilosophie, d. i. Fichtes Wissenschaftslehre, Zeitlichkeit, wirkliches Dasein und konkretes empirisches (moralisches) Handeln eines Individuums als solche nicht systemisch integrieren könnten. Statt sie zu verstehen, werden diese Grundmomente wirklicher, je individueller menschlicher Selbsterfahrung in den Systemen Spinozas und Fichtes für Jacobi in bloße Konzepte und allgemeine Begriffe aufgelöst und auf diese Weise eliminiert. Genauer: Sie werden aufgelöst in die Begriffe und Konzepte von Ewigkeit, ewiger Dauer bzw. einer Anschauungsform eines unzeitlichen transzendentalen Ich, von bloß modalem Sein einer absoluten Substanz bzw. durch ein absolutes Ich ideal in sich gesetztem (Für-das-intelligente-Ich-)Sein, von strenger, im Wesen der Substanz gegründeter Notwendigkeit bzw. einem unpersönlichen, allgemeinen Wollen. – In dem Maße, wie nach Jacobi sich die Philosophieentwürfe Spinozas und Fichtes zugleich als in sich kohärente und stringente Verwirklichungen rational-immanenter Welterklärung darstellen, müssen die aufgewiesenen Defizite zugleich als strukturell bedingte und prinzipiell unaufhebbare gelten. Für die angemahnten Phänomene bedeutet dies, daß sie grundsätzlich rational nicht vollständig vermittelbar und aller systematischen Erklärung im Modus des zureichenden (logischen) Grundes transzendent sind. Die Bestätigung dieser Verfassung wie die (zunächst negativ verweisende) Anzeige ihrer unaufhebbaren konstitutiven Rolle für die Rationalität als Rationalität wirklicher Menschen macht Jacobis Auseinandersetzung mit Spinoza und Kant-Fichte zum integralen, aber unvollständigen Bestandteil seiner ›Doppelphilosophie‹. Um Individualität, Handlungsfreiheit und Zeitlichkeit als Grunderfahrungen menschlichen Daseins zureichend zu würdigen, bedarf es zugleich einer Neubewertung und Überschreitung aller rational-systemischen Philosophie. Der zweite Schritt Jacobischen Philosophierens besteht daher in einer als ›Sprung‹ symbolisierten grundsätzlichen Umwertung des Verhältnisses von individuellem personalem Dasein und rationaler Welt- und Selbsterklärung. Als Medium und Modus der Selbst- und Weltgewißheit der Person erscheinen ›Gefühl‹ und ›Glauben‹. Diese dürfen aufgrund ihrer genuin praktischen Natur ebensowenig mit epistemisch-sinnlicher Empfindung und ›sinnlicher Gewißheit‹ verwechselt werden wie aufgrund ihrer originären Bezogenheit auf die Welt- und Selbsterfahrung als daseiender Einzelner mit religiöser Offenbarung und frommer Überzeugung. Insofern Welt- und Selbsterfahrung dabei für Jacobi genuin die Erfahrungen eines moralisch-sittlich Handelnden bilden, also ursprünglich mit unbedingten Ansprüchen und Bewertungen verbunden sind, handelt es sich vielmehr um ein überempirisches ›Geistgefühl‹ bzw. ›Vernunft‹. ›Vernunft‹ ist also das originär sittlich-praktische Organ eines real, d. i. je konkret-bestimmt moralisch handelnden Einzelnen. Im Gegensatz zu formalistischen Ethiken wie der Kantisch-

Fazit

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Fichteschen steht ›Vernunft‹ bei Jacobi für einen tugendethischen Ansatz, der als ursprüngliche Wirklichkeit der Sittlichkeit bzw. des wesentlich sittlich bestimmten Einzelnen interpersonale Praktiken von Vertrauen geben/einfordern und Freundschaft halten ausweist, zugleich aber darum weiß, auf formal-allgemeine Grundsätze auch in der Ethik nicht verzichten zu können. – Sowohl epistemisch als auch moralisch-praktisch zeigt sich bei Jacobi mithin der Mensch, insofern er je nur als konkret Einzelner existiert, als stets gebrochen bleibende Einheit von Unendlichem und Endlichem, Unbedingtem und Rational-Bedingtem. Seine Rationalität ist einerseits originär Mittel der individuellen praktischen Selbstbestimmung. Andererseits jedoch kann sie deren Unbedingtheitsansprüche weder selbst tragen und erfüllen, noch geht sie in ihrer funktionalen Rolle auf, sondern erhebt ihrerseits unabweisbar Ansprüche auf schlechthinnige Allgemeinheit und Unbedingtheit. Nur eine doppelsinnige Philosophie, die wissenschaftlich-rationale wie anschaulich-literarische ›unphilosophische‹ Darstellungsform und Inhalte gleichermaßen anerkennt, vermag nach Jacobi, der in sich gebrochenen Natur menschlichen Daseins nichtreduktiv gerecht zu werden. Dies setzt allerdings die konsequente Unterscheidung von Doppelsinnigkeit und (idealistisch-frühromantischen) Figuren der Wechselbestimmung zwischen Rationalität und Vernunft, die selbst bereits der Logik der Rationalität unterliegen, voraus und daher die Anerkennung des Primats der transrationalen Vernunft bzw. des Primats der Philosophie der Person. Insofern jede wirkliche Handlungg eines Menschen als vernünftige, d. i. intentional-zweckhafte nach Jacobi immer schon Unbedingtheitsansprüche in sich trägt, kann die Philosophie der Person nur als ›Metaphysik‹ auftreten. Dies symbolisiert die für die Unphilosophie noch konstitutive Rolle des Unbedingten, an dem Jacobi um der für die Einzelheit der Person wesentlichen Mischverfassung und Gebrochenheit willen im Gegensatz zum rationalen philosophischen System und der Absolutheit des Subjekts zugleich nur als bewußt anthropomorphisierende Rede von einem persönlichen Gott festhält. Vor dem Hintergrund einer so verstandenen Philosophie Jacobis zeigte sich schließlich, daß Jean Pauls Denken und Werk in einer Weise begriffen werden können, die sowohl in ihrer Anlage wie in ihren wesentlichen inhaltlichen Überzeugungen tatsächlich weitreichende Übereinstimmungen mit Jacobi entdeckt. Auch Jean Pauls Denken ließ sich plausibel auffassen als eine komplexe doppelsinnige Position, die die Kritik an der Systemphilosophie intim mit einem transrationalen Widersprechen im Namen des individuellen moralischen Charakters der Person verbindet. Gewinnbringend war dieser Ansatz zunächst für Jean Pauls Auseinandersetzung mit Fichtes Philosophie, in der sich seine Kritik an der Systemphilosophie verdichtet. Vor dem Hintergrund analoger Verhältnisse bei Jacobi fiel das Stereotyp einer bloß oberflächlichen dilettantischen Kritik der Wissenschaftslehre durch Jean Paul in sich zusammen. Es wurde deutlich, daß Jean Paul im Gegenteil eine Jacobis Analyse sowohl grundlegend als auch im Einzelnen folgende wohldurchdachte,

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entscheidende Probleme Fichtes erneut aufnehmende und radikalisierende Argumentation mit eigenen originellen und innovativen Überlegungen verbindet. Dies zeigte sich nicht nur in der Umsetzung und Anwendung der Jacobischen Kritik im poetisch-poetologischen Feld, sondern vor allem in der Vertiefung, die sie den mit Jacobi gemeinsamen Argumenten hinsichtlich der praktischen Philosophie und speziell der Interpersonalitätsthese Fichtes gab. Zwar wiederum durch Aufgreifung Jacobischer Motive und Figuren, aber in eigenständiger Anwendung auf ein Feld, auf dem Jacobi weitgehend nur Argumente gegen die Kantische Moralphilosophie verlängerte, gelang Jean Paul in Analogie zur Jacobischen Behandlungsart der Kantischen Ding-an-sich-Problematik der Nachweis einer grundlegenden Ambivalenz in der praktischen Wissenschaftslehre – dergestalt, daß sich der Ausgang der Wissenschaftslehre vom absoluten Ich prinzipiell nicht verträgt mit der für die praktische Wissenschaftslehre zunehmend zentralen Annahme einer Pluralität einander anerkennender sittlicher Wesen und mithin mit der Fokussierung auf die Individualität des moralisch-praktisch handelnden Ich. Wie bei Jacobi erwies sich auch bei Jean Paul das genuin praktisch sich seiner selbst gewisse Individuum, d. i. die ›Person‹, als Zentrum der letztlichen Zurückweisung eines als rational gleichwohl für konsequent und unwiderleglich gehaltenen allerklärenden immanenzlogischsystematischen philosophischen Ansatzes. Auch bei Jean Paul bildete die ›Person‹ zugleich den Mittelpunkt der eigenen anthropologisch-ethischen Vorstellungen. Unter dem Stichwort des ›sittlichen Charakters‹ bzw. der ›sittlichen Individualität‹ setzte Jean Paul wie Jacobi zuvor formalistischen Ethikkonzeptionen eine materiale Ethik des zweckhaft-intentionalen, in der Zeit handelnden Einzelnen entgegen, dessen genuines sittliches Verhältnis, in dem er sich seiner selbst und anderer Personen inne ist, sich als dasjenige der Freundschaft erwies. Diese philosophisch-›systematische‹ Konstellation wurde dabei nicht nur durch das in Jean Pauls Romanen stets zentrale und in allseitiger Wendung durchreflektierte Doppelgängermotiv erhellt und erhellte umgekehrt auch dieses wieder. Aus der doppelten Annahme, daß die philosophischen Überzeugungen Jean Pauls wie für die meisten Grenzgänger zwischen Philosophie und Dichtung um 1800 grundlegend für dessen Poesie und Poetologie seien und im wesentlichen mit der doppelsinnigen Position Jacobis übereinstimmten, war schließlich auch ein vertieftes Verständnis der anderen zentralen poetisch-poeologischen Motive und Überzeugen Jean Pauls möglich. So ließen sich die humoristischen Inszenierungen der Fichte-Kritik in der Gestalt Leibgebers ebenso überzeugend als poetische bzw. poetologische Erscheinungsweisen einer von Jean Paul mit Jacobi geteilten ›Doppelphilosophie‹ begreifen wie die Analysen des Humors in der Vorschule. Gleiches galt für die dem Humor als Rationalitäts- und Systemkritik funktional äquivalenten nihilistischen Schreckenvisionen wie für die Konzepte des höheren poetischen Ernstes, d. i. des romantisch Schönen und des poetischen Charakters, die sich als unmittelbare Manifestationen der alternativen ›unphilosophischen‹ Philosophie der Person verstehen ließen.

Fazit

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Schließlich gewannen auch entscheidende Hinsichten von Jean Pauls poetischer wie theoretischer Bearbeitung der Frage nach der Unsterblichkeit der (Einzel-)Seele und die damit verbundenen Bekenntnisse zu einem sich in Natur und menschlichem Geist analogisch manifestierenden persönlichen Schöpfergott eine plausible philosophische Deutung. Wie für Jacobis Wahl des Glaubens an eine persönliche Weltursache galt dies für eine Lesart, die sie als ultimative Anzeige der Mischverfassung der Person, unbedingte Ansprüche im Endlichen, d. h. als je konkret Einzelner zu erheben begreift. Wie Jacobi entwickelt also auch Jean Paul nicht nur eine Philosophie der Person, sondern auch er, so wies die Untersuchung nach, ist sich durchaus (noch) bewußt, daß, wie Autoren wie Theo Kobusch in der heutigen Personendebatte anmahnen, eine solche letztlich als ›Metaphysik der Person‹ auftreten muß. Zudem zeigte sich, daß bereits Jacobi wie Jean Paul durch ihre in Ansatz, Methode und zentralen Argumenten gemeinsame Grundsatzkritik an der Systemphilosophie im Zeichen der Person eine Wendung vorweggenommen haben, die die heutigen Philosophien der Person wiederholen, indem sie ihre aktuelle Konjunktur und sachliche Relevanz unmittelbar mit dem gegenwärtig weithin anerkannten Scheitern der Subjektphilosophie verbinden. Insofern über diese grundsätzlichen Positionierungen hinaus Jacobis und Jean Pauls Philosophie der Person auch für die heutige Debatte zentrale Motive wie die originäre Fähigkeit der Person, Versprechen zu geben, zu halten und zu vertrauen (Spaemann), in den Mittelpunkt stellen und bereits intensiv reflektieren, wäre es für die zeitgenössischen Entwürfe einer Philosophie der Person sicherlich an der Zeit, sich kritisch auch der Einsichten Jacobis und Jean Pauls zu versichern.

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Schlegel, Friedrich: Kritische Schriften und Fragmente. Hrsg. von Ernst Behler und Hans Eichner. 6 Bde., Paderborn u. a. 1988.

KT

Jean Paul: Das Kampaner Tal. In: Jean Paul. Sämtliche Werke. Hrsg. v. Norbert Miller, München/Wien 1959 ff., Darmstadt 1974/2000, Abt. I, Band 4, S. 561–716.

JBr

Friedrich Heinrich Jacobi’s auserlesener Briefwechsel. Hrsg. v. Friedrich Roth, 2 Bde., Leipzig 1825.

JBW

Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel. Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Begründet. v. Michael Brüggen und Siegfried Sudhof, hrsg. v. Walter Jaeschke. Stuttgart-Bad Canstatt 1981 ff.

JGA

Friedrich Heinrich Jacobi: Werke. Gesamtausgabe. Hrsg. v. Klaus Hammacher und Walter Jaeschke. Hamburg/Stuttgart 1998 ff.

JKl

Friedrich Heinrich Jacobi: Kladden. (Zitiert wird nach den Handschriften. Angaben in Eckigen Klammern beziehen sich auf Zitate in Schneider [1986].)

374

Siglenverzeichnis

JNach Aus F. H. Jacobi’s Nachlaß. Ungedruckte Briefe von und an Jacobi und Andere. Hrsg. v. Rudolf Zoeppritz. 2 Bde., Leipzig 1869. JPSW Jean Paul. Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Hrsg. v. Eduard Berend, Weimar/Berlin 1927 ff. JPW

Jean Paul. Sämtliche Werke. Hrsg. v. Norbert Miller München/Wien 1959 ff., Darmstadt 1974/2000.

JW

Jacobi, Friedrich Heinrich: Werke. 6 Bde., Leipzig 1812–1825 (Reprint Berlin 2001).

L

Jean Paul: Levana oder Erziehunglehre. In: Jean Paul. Sämtliche Werke. Hrsg. v. Norbert Miller, München/Wien 1959 ff., Darmstadt 1974/2000, Abt. I, Band 5, S. 515–874.

QF

Jean Paul: Leben des Quintus Fixlein. In: Jean Paul. Sämtliche Werke. Hrsg. v. Norbert Miller, München/Wien 1959 ff., Darmstadt 1974/2000, Abt. I, Band 4, S. 7–260.

Selina Jean Paul: Selina. In: Jean Paul. Sämtliche Werke. Hrsg. v. Norbert Miller, München/ Wien 1959 ff., Darmstadt 1974/2000, Abt. I, Band 6, S. 1105–1236. Sieb

Jean Paul: Siebenkäs. In: Jean Paul. Sämtliche Werke. Hrsg. v. Norbert Miller, München/Wien 1959 ff., Darmstadt 1974/2000, Abt. I, Band 2, S. 7–566.

Spin

Jacobi, Friedrich Heinrich: Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn. Darmstadt 2000.

SW

Fichtes Werke. Hrsg. v. Immanuel Hermann Fichte, ND Berlin 1971.

T

Jean Paul: Titan. In: Jean Paul. Sämtliche Werke. Hrsg. v. Norbert Miller München/ Wien 1959 ff., Abt. I, Band 3.

V

Jean Paul: Vorschule der Ästhetik. In: Jean Paul. Sämtliche Werke. Hrsg. v. Norbert Miller, München/Wien 1959 ff., Darmstadt 1974/2000, Abt. I, Band 5, S. 7–514.

PERSONENVER ZEICHNIS Kursiv = nur in Fußnoten erwähnt

Apel, Karl–Otto 106 f., 220 Aristoteles 20, 57, 7 139 f., 329 Asmuth, Christoph IX, X 9 Auerochs, Bernd 117 Ausborn–Brinker, Sandraa X Baggesen, Jena 91 Baierl, Redmer 23, 26, 27, 7 28, 34, 156–159, 167 Bartuschat, Wolfgang 52 Bauer, Emmanuel J. 39 Baum, Günther XII, I 35, 66, 6 121, 128, 143 Baumanns, Peter 10, 14, 4 16 Behler, Ernst 271 Berend, Eduard 1, 194, 4 340 Bergengruen, Maximilian 106, 6 227 Beyer, Christian IX Bollacher, Martin 241 Bowman, Brady 46, 6 48, 51, 55, 66, 6 72, 120 Brasser, Martin IX Breazeale, Daniel 12, 14, 4 186 Brinkmann, Klaus 220 Brose, Karl 16–18, 27, 7 176, 6 178–180, 238 Brutus 327 Buber, Martin XII Burke, Edmund 163 Buschendorf, Bernhard 27, 7 293 Cambi, Fabrizio 289 Chamberlain, Timothy J. 29, 183, 187, 222, 227 Christ, Kurt XI Corday, Charlotte 4, 19 f., 327 Crone, Katja 208 f., 219 David, Frida 82 Decke-Cornill, Albrecht 2 f., 16 f., 162, 167, 7 172 f., 318, 324, 4 328 f., 345 Deleuze, Gilles 50, 53 Descartes, René XI, I 2, 108, 136, 6 316 Dierkes, Hans 271 Donovan, Siobhan XII Düsing, Edith 177, 7 209–211, 220 f.

Epiktet 165 Epikur 80 Fetzer, Dirk XI, I 27, 7 33 Fichte, Johann Gottlieb XI f., 4–19, 22, 24, 28, 31, 36 f., 40–47, 52, 64, 67, 69, 72, 73, 74, 4 75, 77, 78, 81, 84, 4 89–101, 105, 107, 109–112, 114, 116, 121, 123 f., 125, 129, 132, 141, 144, 4 145, 149, 159, 160 f., 163–166, 167 f., 169 f., 171, 173–243, 247, 7 251 f., 254, 4 255–260, 268–272, 274 f., 285 f., 288 f., 295, 299, 309, 316–318, 320, 325, 331 f., 347–350 Frank, Manfred XI, I 8, 10 f., 28, 41, 238 Fuchs, Erich 11 Gabriel, Gottfried 72 f. Gauhe, Ursula 172 Gehrs, Jenny 179, 246 Gerabek, Werner 153, 177 Giovanni, George di 10, 66, 6 86, 6 93 Gmelin, Johann Friedrich 156 Goebel, Ralf 26, 27 Goethe, Johann Wolfg. v. 64, 66, 186, 192, 241 f ., 242, 272 Götz, Carmen XII Götze, Martin 271, 274 Gottsched, Johann Chr. 289 Habermas, Jürgen 208, 212 Hamann, Johann Georg 180, 227, 231 Hammacher, Klaus XII, I 10 f., 14, 4 27 f., 35, 82, 93 Hardenberg, Fr. v. (Novalis) 22, 43, 49, 161, 195, 195, 240 f., 271 Harich, Wolfgang 14, 4 23, 27, 7 29, 155 f., 159, 171, 175, 177, 7 179, 180, 183, 236 Hartley, David 155 Haselberg, Peter von 13 Hegel, Georg Wilhelm Fr. 28, 35–37, 45, 48, 51, 56, 6 110, 145, 160 Heinemann, Paul 160 f., 179, 226 Helvetius, Claude Adrien 155, 156, 166

376

Personenverzeichnis

Henrich, Dieter XI f., 10, 15, 28, 41, 66 Herder, Johann Gottfried 26, 27, 29, 36, 6 46, 6 135, 163, 180, 227, 231, 241, 242, 284, 295, 319 Hesse, Sandra XI, I 24, 4 179, 183, 189 f., 210, 224 f. Hobbes, Thomas 280 Höhn, Gerhard XI, I 11, 15 Hölderlin, Friedrich 37 Hörisch, Jochen 28, 199, 206 Hösle, Vittorio 217 Holdener, Ephrem 179 Homann, Karl XII, I 10–12, 16,27, 7 79, 93 Honneth, Axel 211, 213 Hume, David 66, 72, 84, 4 119, 324 Ivaldo, Marco

Lindner, Herbert 241 Locke, John 82 Löhr, Michael IX Loock, Reinhard 10 f. Maimon, Salomon 40 Marat, Jean Paul 19 Marc Aurel 165 Mendelssohn, Moses 36, 6 45, 91, 116, 135 Mesmer, Franz Anton 156 Metz, Wilhelm 75 Mohr, Georg IX f. Montaigne, Michel de 330 Müller, Götz 26, 27, 7 29, 32, 156, 6 163 f., 7 338 172 f., 179, 235, 261, 278, 297, Müller-Lauter, Wolfgang 12

208, 209, 213

Jaeschke, Walter 126, 6 129, 143 Jerusalem, Joh. Fr. W. 151 Kahlefeld, Susanna XI f., 10–12, 15, 27, 7 41 Kant, Immanuel XII, I 4, 6, 10–15, 17, 20, 29, 31, 32, 35–37, 40–43, 49, 50 f., 53, 58, 60, 64–91, 92, 94, 95, 97, 98, 100, 102, 105, 106 f., 109 f., 114, 4 117–122, 127, 130, 133, 137, 138, 141, 145, 150, 156, 159, 160, 162–176, 178, 179, 185–187, 196–198, 199, 203, 204, 4 207, 211–213, 215, 217 f., 226, 6 230, 237, 240, 241, 243, 249, 251, 254, 4 272, 278 f. 289, 307, 7 320, 323, 324, 4 345, 346, 347 f., 350 Kather, Regine IX Kiermeier, Joseph 17, 7 165, 251 Knab, Janina 159 X X f., XII, I 351 Kobusch, Theo IX, Koller, Hans-Christoph 261, 338 Kommerell, Max 16, 6 28 f., 172, 179 f., 199, 227 Krug, Wilhelm Traugott 95 Lauth, Reinhard 9–12, 14, 4 91, 93, 129, 143, 209, 217 Leibniz, Gottfried Wilhelm 2 f., 29, 37, 42, 60, 61, 66, 120, 130, 151–156, 159, 207, 7 216, 217, 7 298, 300, 307, 7 311, 313 Lessing, Gotthold Ephraim 36–38, 46, 6 91, 151, 289

Naschert, Guido 271 Nenon, Monika XII Northoff, Georg IX Oesch, Martin 177, 7 208 Oesterreich, Peter L. 10, 12, 14 Perrinjaquet, Alain 209 Pfotenhauer, Helmut 242 Pietzcker, Carl 172 Platon 17, 7 29 f., 112, 115, 141, 158, 166–168, 284 Plattner, Ernst 29, 156, 162 Pope, Alexander 151 Prauss, Gerold 70 Preaux, Alain 161, 258, 260, 330, 332 Preisendanz, Wolfgang 17 Profitlich, Ulrich 267, 7 272 Quante, Michael

IX f.

Radrizzani, Ives 9, 11, 213 Rehm, Walter 172 Reid, Thomas 66 Reimarus, Hermann Sam. 151 Reinhold, Karl Leonhard 256 Riedel, Wolfgang 24 f. Rohs, Peter 10 Rose, Ulrich 24, 4 26, 27, 7 29, 159, 295, 302, 330, 344 Rousseau, Jean-Jacques 151, 156, 322

Personenverzeichnis Sala, Giovanni B. 86 Sandkaulen, Birgit XI f., 5, 10, 12, 15, 28, 35, 37 f., 46 f., 50 f., 53, 63, 66, 6 68, 72, 77, 7 82, 84, 4 104, 4 111, 138 f., 144 f., 241, 330 Scarano, Nico 86 Schelling, F. W. J. von XI, 27, 7 28, 35, 37, 45, 49, 67, 73, 95, 130, 166, 177, 182, 271 Schenk, Richard IX Schick, Stefan XII, I 27 Schieder, Margarete 259 Schiller, Friedrich von 242, 267, 279, 335 Schlegel, Friedrich 9, 14, 4 17, 22, 35, 45, 47– 49, 71, 93, 103, 104, 4 117, 177, 195, 235, 241, 242, 256, 6 269, 270 f., 272, 273, 274, 4 289, 290, 292, 329 Schmidt, Johann Lorenz 36 Schmidt–Biggemann, W. 22, 26, 29, 32, 150–152, 153, 154, 4 156–159, 163, 164, 4 167, 7 172 Schmitz–Emans, Monika 227 4 77 Schneider, Peter-Paul 64, Scholz, Heinrich 36 Schopenhauer, Arthur 48 Schürmann, Eva 241 Schulze, Gottlob Ernst 40 Schumacher, Nicole XII Schweikert, Uwe 16, 6 177 Searle, John R. 138 Senigaglia, Cristiana 206 Siemek, Marek J. 11 Simon, Ralf 311 Sinn, Christian 179 Spaemann, Robert IX, X X, 351 Spinoza, Baruch de 11–13, 15, 35, 36–64, 66, 6 67–69, 72 f., 74, 77, 7 80, 82, 83, 85, 89, 91 f., 93 f , 97, 99, 102, 106–111, 112, 115, 120–123,130, 137, 139, 140, 144, 146,

377

153, 155, 160, 161, 164, 4 178, 186, 190, 196, 208, 232, 239–242, 270, 288, 307, 311 f., 343, 344, 347 f. Stahl, Georg Ernst 156 Sterne, Laurence 34, 156 Stolzenberg, Jürgen 83, 90, 269 Storz, Ludwig 16 f., 164, 4 176 f., 194 Sturma, Dieter IX f. Summerer, Stefan 10, 14 Swift, Jonathan 151 Taver, Katja V. 217 Tilliette, Xavier 14 Timm, Hermann 15, 41, 241 Traub, Hartmut 8 Verra, Valerio 12, 32, 65 Verweyen, Hansjürgen 220 Vieweg, Klaus 160, 271 Voltaire 151, 156 Waibel, Violetta L. 195 Wald, Berthold IX Weigl, Engelhard 151 Westerhoff, Armin 241 Wienholt, Arnold 156 Wiethölter, Waltraud 179, 238, 241 f., 260, 271 Willaschek, Marcus 69 f. Wirth, Johannes 326 Wirtz, Thomas 17, 7 187 Wölfel, Kurt 236 f., 251, 260 f. Wolf, Norbert Christian 241 Wolff, Christian 36, 6 48, 151 Zell, Josefine 340 Zöller, Günter 10, 12, 14, 4 16, 6 212, 221