Inbetriebnahme verfahrenstechnischer Anlagen: Praxishandbuch mit Checklisten und Beispielen [5. Aufl.] 978-3-662-59497-1;978-3-662-59498-8

Das Buch ist eine praktische Handlungsanleitung für jeden, der an der Planung, Montage und Inbetriebnahme von Anlagen mi

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Inbetriebnahme verfahrenstechnischer Anlagen: Praxishandbuch mit Checklisten und Beispielen [5. Aufl.]
 978-3-662-59497-1;978-3-662-59498-8

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XV
Aufgaben, Schnittstellen und Spezifik der Inbetriebnahme (Klaus H. Weber)....Pages 1-47
Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung (Klaus H. Weber)....Pages 49-140
Planen von Sicherheit sowie Gesundheits- und Umweltschutz für die Inbetriebnahme (Klaus H. Weber)....Pages 141-263
Inbetriebnahmemanagement (Klaus H. Weber)....Pages 265-385
Vorbereitung der Inbetriebnahme (Klaus H. Weber)....Pages 387-508
Durchführung der Inbetriebnahme (Klaus H. Weber)....Pages 509-625
Know-how-Gewinn während der Inbetriebnahme (Klaus H. Weber)....Pages 627-638
Back Matter ....Pages 639-676

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VDI-Buch

Klaus H. Weber

Inbetriebnahme

verfahrenstechnischer Anlagen

Praxishandbuch mit Checklisten und Beispielen 5. Auflage

VDI-Buch

Klaus H. Weber

Inbetriebnahme verfahrenstechnischer Anlagen Praxishandbuch mit Checklisten und Beispielen 5. Auflage

Klaus H. Weber Dresden, Deutschland

ISSN 2512-5281 ISSN 2512-529X (electronic) VDI-Buch ISBN 978-3-662-59497-1 ISBN 978-3-662-59498-8 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-59498-8 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Vieweg © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 1997, 2002, 2006, 2016, 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer Vieweg ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany

Meiner lieben Frau gewidmet

Vorwort zur 5. Auflage Die 5. Auflage ist eine vollständige Überarbeitung, Aktualisierung und wesentliche Erweiterung der vorherigen Auflage, ohne die bewährte Strukturierung und den Anspruch einer praktischen Handlungsanleitung aufzugeben. Als eine wichtige Grundlage für die Inbetriebnahme wurden die Rechtsvorschriften der Europäischen Union (EU) und der Bundesrepublik Deutschland (BRD) und ihre Konsequenzen für die Praxis aktualisiert und ergänzt. Dies betraf auch die vertraglichen Regelungen sowie die notwendigen Sicherheitsprüfungen vor Inbetriebnahme. Ferner sind in der vorliegenden Auflage neu aufgenommen bzw. wesentlich ergänzt worden:  Die Aspekte der Reinheit und Reinigung der Anlage, die es während des Engineering, der Montage und Inbetriebnahme zu beachten gilt, wurden neu systematisiert und im Detail betrachtet.  Die Aussagen zu möglichen Organisationsstrukturen (Organigramme) bei Greenfieldund Brownfield-Projekten u.a. Rahmenbedingungen wurden deutlich erweitert.  Die Spezifika bei der Inbetriebnahmevorbereitung und -durchführung von Pharmaanlagen inklusive der inbetriebnahmerelevanten Maßnahmen bei der Installations-, Funktions- und Leistungsqualifizierung wurden neu aufgenommen.  Die notwendigen Maßnahmen zur Planung und Durchführung von Funktionsprüfungen und Komplexen Funktionsprüfungen im Engineering, während der Endmontage und Kalt-Inbetriebnahme wurden vertieft.  Neuartige Workflows, Checklisten und Praxisbeispiele wurden ergänzt. Ein wesentliches Anliegen der 5. Auflage war es, ▪ bisher offene Fragen, z.B. zu Reinheit/Reinigung der Anlage oder zu Verantwortung und Struktur der Inbetriebnahmeteams, zu beantworten, ▪ moderne Entwicklungen, z.B. betreffs Prozessleittechnik oder Pharmaanlagen, ausführlicher zu betrachten, ▪ durch mehr Beispiele und Bilder aus der Praxis die Ausführungen zu belegen und durch zusätzliche Workflows und Checklisten deren Umsetzung zu unterstützen, ▪ noch umfassender von den Erfahrungen anderer zu lernen. Insgesamt wurde die Anzahl an Abbildungen, Tabellen und Beispielen deutlich erhöht. Aus Gründen der Vereinfachung und Verständlichkeit wurde auf eine genderspezifische Schreibweise verzichtet. Allen Fachkollegen, die ich „vor Ort“ bzw. auf Fortbildungsseminaren kennen lernen konnte, möchte ich für die anregenden Gespräche und Hinweise danken. Zugleich bedanke ich mich bei Herrn Dipl.-Ing. Hermann Focke für die angenehme Zusammenarbeit in mehreren Projekten sowie während der gemeinsamen Referententätigkeit. Besonderer Dank gilt meiner Ehefrau, Dipl.-Ing. Brigitte Weber für die Gestaltung zahlreicher Abbildungen und für die Durchsicht des Manuskripts. Dem Springer-Verlag sei für die angenehme Zusammenarbeit gedankt. Dresden, April 2019

Klaus H. Weber

Vorwort zur 1. Auflage Die Inbetriebnahme einer Anlage beinhaltet allgemein ihre Überführung aus dem Ruhezustand in den Dauerbetriebszustand. In Abhängigkeit von ihrer zeitlichen Einordnung in den Lebenszyklus der Anlage wird zwischen der Erstinbetriebnahme nach dem Montageende bis zur Anlagenübergabe/-nahme und der Wiederinbetriebnahme während des Betriebszeitraumes unterschieden. Das vorliegende Buch betrachtet schwerpunktmäßig die Erstinbetriebnahme in Verbindung mit der vorausgegangenen Anlagenplanung und -montage. Dabei wird vereinbarungsgemäß der Begriff Inbetriebnahme auch dann benutzt, wenn streng genommen eine Erstinbetriebnahme gemeint ist. Obwohl der Inbetriebnahmezeitraum im „Leben“ einer verfahrenstechnischen Anlage nur 1 bis 3 Prozent ausmacht, so kommt ihm doch eine Schlüsselrolle zu. Mit der Inbetriebnahme beginnt die „Stunde der Wahrheit“ für alle Beteiligten. Sie müssen insgesamt und speziell während des Garantieversuches nachweisen, dass die in den Vorphasen erbrachten Leistungen solide und erfolgreich waren. Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Inbetriebnahme ist zugleich die letzte Phase der Projektabwicklung, wie auch die erste Phase des Betreibens der Anlage. Sie ist eben die Übergangsphase vom stationären Zustand nach dem Montageende in den stationären Zustand des Dauerbetriebes. Genau darin liegt ihre Spezifik und Schwierigkeit. Die Kosten für die Inbetriebnahme neu errichteter verfahrenstechnischer Anlagen betragen 5 bis 20 Prozent der Gesamtinvestitionskosten. Nicht wenige Führungskräfte und Spezialisten, die mit der Vorbereitung und Abwicklung von Anlageninvestitionen nicht unmittelbar befasst sind, überrascht dieser hohe Anteil. Aber auch dem beteiligten Projektingenieur sind die erheblichen Inbetriebnahmekosten mitunter nicht voll bewusst. Im Vergleich zur Anlagenplanung und -montage, bei denen die Fragen der Kostenminimierung, z. B. durch Anwendung komplizierter mathematischer Modelle und Rechenprogramme bzw. durch Nutzung effizienter Montagetechnologien, im Mittelpunkt stehen, werden die Probleme und Kosten bei der Anlageninbetriebnahme häufig unterschätzt. Nicht selten werden somit Finanzmittel, die während der Planung und Montage mühsam gespart wurden, durch Störungen oder Verzögerungen bei der Inbetriebnahme wieder aufgebraucht. Obwohl nahezu jede verfahrenstechnische Anlage ein Unikat darstellt und somit verfahrens- und anlagentechnische Merkmale aufweist, sind ein Großteil der Aufgaben und Erfahrungen bei der Inbetriebnahme allgemein gültig. In dieser Beziehung unterscheidet sich die Inbetriebnahme nicht grundsätzlich von der Planung oder Montage, die im Unterschied zur Inbetriebnahme aber wesentlich umfassender in der Fachliteratur abgehandelt wurden. Das vorliegende Buch will helfen, diese Lücke zu schließen. Ein Hauptanliegen dieses Buches ist es, die wiederkehrenden Tätigkeiten in Vorbereitung und Durchführung von Inbetriebnahmen methodisch und inhaltlich zu systematisieren und zu diskutieren. Dabei wird die Inbetriebnahme nicht losgelöst sondern eingebettet in den Gesamtprozess der Anlagenplanung und -realisierung verstanden. Im Einzelnen soll nachgewiesen werden, dass der Schlüssel für eine erfolgreiche Inbetrieb-

X

Vorwort

nahme bereits in ihrer Beachtung bzw. Vorbereitung während der Entwicklung, Planung und Montage liegt. Mit Hilfe zahlreicher Checklisten und Praxisbeispielen werden Erfahrungen vermittelt und praktische Hinweise gegeben. Dem Verfasser geht es dabei stets um die beispielhafte Erläuterung seiner Aussagen. Ein Anspruch auf Allgemeingültigkeit und Vollständigkeit kann und soll nicht erhoben werden. Nicht zuletzt werden mit dem vorliegenden Buch auch Anregungen zur Anwendung moderner Arbeitsmittel, beispielsweise von Experten- bzw. Beratungssystemen, in Verbindung mit Inbetriebnahmen gegeben. Dies trifft gleichfalls auf die gezielte Nutzung der Inbetriebnahme für den Know-how-Gewinn zu. Die beigeführten Begriffsdefinitionen sollen mithelfen, das noch anzutreffende uneinheitliche Begriffsverständnis auf dem behandelten Fachgebiet einzugrenzen und somit das Sprachverständnis zwischen den beteiligten Fachleuten zu verbessern. Das Manuskript dieses Buches ist aus meinen Vorträgen im Seminar „Inbetriebnahme verfahrenstechnischer Anlagen“ des VDI-Bildungswerkes sowie in meiner Vorlesung „Montage und Inbetriebnahme von Anlagen“ an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg entstanden. Für die zahlreichen Anregungen bin ich den Fachkollegen, insbesondere Herrn Dr.-Ing. B. Drechsel, aber auch den Studenten dankbar. Mein Dank gilt gleichfalls Fräulein Dipl.-Ing. K. Kohnke, Frau Dipl.-Ing. S. Hüttich, Herrn Dipl.-Ing. J. Butzkies und Herrn Dipl.-Ing. F. Schatz für die Unterstützung bei der redaktionellen Fertigstellung sowie meinem langjährigen Kollegen Herrn Dipl.-Ing. W.-D. Stockmann für die kritische Durchsicht des Manuskriptes. Beim Verlag bedanke ich mich für die angenehme Zusammenarbeit.

Bad Dürrenberg, Januar 1996

Klaus H. Weber

Inhalt Aufgaben, Schnittstellen und Spezifik der Inbetriebnahme . . . . . . . . . . . .

1

1.1 Begriffsdefinitionen zur Inbetriebnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

1.2 Abgrenzung von Inbetriebnahme und Inverkehrbringen . . . . . . . . . . . . . . . .

7

1.3 Aufgaben und Zielstellungen der Inbetriebnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10

1.4 Einordnung der Inbetriebnahme in den Lebenszyklus der Anlage . . . . . . . . .

14

1.5 Abschnitte, Meilensteine und Schnittstellen der Inbetriebnahme . . . . . . . . . .

15

1

1.5.1 1.5.2 1.5.3 1.5.4

Abschnitte und Meilensteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Charakterisierung wesentlicher Schnittstellen . . . . . . . . . Besonderheiten bei Investitionen in bestehenden Anlagen Zusätzliche inbetriebnahmespezifische Leistungen in Pharmaprojekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.4.1 Vorbemerkungen und Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.4.2 Maßnahmen der Qualifizierung und Validierung . . . . . . . . 1.5.4.3 Zusätzliche Anforderungen an die Dokumentation . . . . . .

....... ....... .......

17 22 27

. . . .

. . . .

31 31 33 40

1.6 Spezifika der Inbetriebnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung . . . . .

49

2.1 Phasenmodell der Anlagen-Projektabwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

2.2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

2.3 Beachtung der Inbetriebnahme beim Engineering . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

2

2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.3.5 2.3.6 2.3.7 2.3.8

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

Beachtung standort- und kundenspezifischer Bedingungen . . . . . . . 67 Erarbeiten einer effizienten Inbetriebnahmetechnologie . . . . . . . . . 72 Beachtung besonderer Fahrweisen vor und während der Inbetriebnahme bei der Auslegung und Konstruktion . . . . . . . . . . . 75 Berücksichtigung besonderer Inbetriebnahmeeinheiten sowie zusätzlicher Stoffe und Energien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Beachtung der Funktionsprüfungen/Systemerprobungen.. . . . . . . . . 85 Beachtung der Reinheit und Reinigung der Anlage . . . . . . . . . . . . . 88 Bedienungs- und instandhaltungsgerechte Anlagengestaltung.. . . . . 100 Gewährleisten einer inbetriebnahmefreundlichen Prozessleittechnik (PLT) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

2.4 Dokumentation und Inbetriebnahmedokumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.4.3.1 2.4.3.2 2.4.3.3

Lebenszyklus und Begriffsdefinitionen zur Dokumentation . . . . Wichtige inbetriebnahmerelevante Phasendokumentationen . . . . Inbetriebnahmedokumentation und AS BUILT-Dokumentation . Anlagendokumentation inkl. Herstellerdokumente . . . . . . . . . . Betriebsdokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . AS BUILT-Dokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

114

. . . . . .

115 118 127 128 132 138

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

138

XII

3

Inhalt

Planen von Sicherheit sowie Gesundheits- und Umweltschutz für die Inbetriebnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

141

3.1 Vorbemerkungen und Begriffsdefinitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

141

3.2 Einbindung der Inbetriebnahme in die Projekt-Sicherheitsarbeit . . . . . . . . . .

143

3.3 Inbetriebnahmerelevante Rechtsvorschriften der EU und der BRD . . . . . . . .

147

3.3.1 3.3.1.1 3.3.1.2 3.3.1.3 3.3.2 3.3.2.1 3.3.2.2 3.3.2.3 3.3.2.4

. . . . . . . . .

147 147 148 169 176 176 180 198 207

3.4 Beachtung der Inbetriebnahme bei Genehmigung und Umweltschutz . . . . . .

212

3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.4.4

Relevante Rechtsvorschriften der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht zum fachspezifischen Recht der EU . . . . . . . . . . . EU-Rechtsvorschriften für Anlagenkomponenten bzw. Stoffe EU-Rechtsvorschriften für verfahrenstechnische Anlagen . . . Relevante Gesetze und Verordnungen der BRD . . . . . . . . . . Übersicht zum Recht der BRD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Genehmigungsrecht und Umweltrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . Produktsicherheitsrecht und Anlagensicherheitsrecht . . . . . . Arbeitssicherheitsrecht und Gesundheitsschutzrecht . . . . . . . Übersicht zu Genehmigungsverfahren für verfahrenstechnische Anlagen in der BRD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umweltverträglichkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beachtung der Inbetriebnahme im Genehmigungsverfahren nach BImSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umweltschutz in Vorbereitung und Durchführung der Inbetriebnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

...... ......

214 216

......

218

......

226

3.5 Gewährleisten von Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Inbetriebnahme 228 . . . . .

230 232 232 237 240

....... .......

244 254

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

259

3.5.1 3.5.2 3.5.2.1 3.5.2.2 3.5.2.3 3.5.2.4 3.5.3

4

Grundsätze für sicherheitsgerechtes Verhalten . . . . . . . . . Maßnahmen für Sicherheit und Gesundheitsschutz . . . . . . Risikobeurteilung und Inverkehrbringen. . . . . . . . . . . . . . Betriebsanleitungen und Inbetriebnahmeanleitung . . . . . . Konformitätserklärungen vor Inverkehrbringen . . . . . . . . Gefährdungsbeurteilungen und Betriebsanweisungen inkl. Inbetriebnahmeanweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arbeitsfreigabe während der Inbetriebnahme . . . . . . . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

Inbetriebnahmemanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265

4.1 Grundlagen und Erfahrungen zum Projektmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 4.1.2

265

Schritte des Projektmanagements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erfahrungen aus Projektabwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

266 270

4.2 Inbetriebnahmekosten und Einsparpotenziale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

273

4.2.1 4.2.2

Analyse der Inbetriebnahmekosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verringerung der Inbetriebnahmekosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

273 279

4.3 Vertragsgestaltung zur Inbetriebnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

289

4.3.1 Rechtsformen von Verträgen nach Bürgerlichen Gesetzbuch . . . . . . 4.3.1.1 Werkvertrag (BGB, §§ 631 – 650) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1.2 Kaufvertrag (BGB, §§ 433 – 479) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

290 292 298

Inhalt

XIII

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

299 300 301 311 314 315 317 317 321

4.4 Inbetriebnahmeorganisation und -sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

323

4.3.1.3 4.3.2 4.3.2.1 4.3.2.2 4.3.2.3 4.3.2.4 4.3.3 4.3.3.1 4.3.3.2 4.4.1 4.4.1.1 4.4.1.2 4.4.1.3

Dienstvertrag (BGB, §§ 611 – 630) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertragsarten im Anlagenbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Generalvertrag (Turnkey contract) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ingenieurvertrag (Engineeringvertrag, Engineering contract) Montage- und/oder Inbetriebnahmevertrag . . . . . . . . . . . . . . Beratervertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gewährleistung und Garantie im Anlagenvertrag . . . . . . . . . Ausführungen zu Gewährleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausführungen zu Garantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

....... ....... .......

327 328 329

. . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . .

329 335 340 341 342 343 344 346 346 356 357

4.5 Inbetriebnahmeplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

361

4.6 Inbetriebnahmecontrolling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

371

4.4.1.4 4.4.1.5 4.4.1.6 4.4.2 4.4.2.1 4.4.2.2 4.4.3 4.4.3.1 4.4.3.2 4.4.4

4.6.1 4.6.2

Arbeitsorganisation im Inbetriebnahmeteam . . . . . . . . . . . Verantwortung und Befugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichten und Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übertragung von Pflichten und Zuständigkeiten sowie von Verantwortung und Befugnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konsequenzen bei pflichtwidrigen Verhalten . . . . . . . . . . Besprechungen während der Inbetriebnahme . . . . . . . . . . Formblätter für die Inbetriebnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . Inbetriebnahmeleiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verantwortung und Befugnisse des Inbetriebnahmeleiters . Anforderungen an den Inbetriebnahmeleiter . . . . . . . . . . . Inbetriebnahmeteam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben, Verantwortung und Organisationsstruktur . . . . Stellenbeschreibungen und Kommunikation . . . . . . . . . . . Inbetriebnahmehandbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . .

Hauptaufgaben des Inbetriebnahmecontrolling . . . . . . . . . . . . . . . . Maßnahmen bei Abweichungen (Troubleshooting) . . . . . . . . . . . .

371 375

4.7 Versicherungen zur Inbetriebnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

377

4.7.1 4.7.2

5

Technische Versicherungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Versicherungen bei der Inbetriebnahme . . . . . . . . . . . . . . .

379 382

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

383

Vorbereitung der Inbetriebnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387

5.1 Qualitätssicherung inkl. Montagekontrollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 5.1.2

387

Qualitätssicherung bei der Beschaffung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Montagekontrollen u.a. Vor-Ort-Qualitätskontrollen . . . . . . . . . . .

390 392

5.2 Ausbildung und Unterweisung des Bedienungs- und Instandhaltungspersonals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

402

5.2.1 5.2.2 5.2.3

Systematik und Schwerpunkte der Ausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . Durchführen der Ausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

405 408 414

XIV

Inhalt

5.3 Grundreinigung der Anlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.3.4

. . . .

421 422 429 434

5.4 Inbetriebnahme der Infrastruktur, Mediensysteme, Nebenanlagen . . . . . . . . .

436

5.4.1 5.4.2

Mechanische Reinigung von Anlagenkomponenten. Ausblasen der Anlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausspülen der Anlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spezielle Reinigungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

418

Inbetriebnahme der Infrastruktur inkl. logistischer Einrichtungen . . Inbetriebnahme der Mediensysteme und Nebenanlagen . . . . . . . . . .

438 440

5.5 Sicherheits-, Funktions- und Abnahmeprüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

449

5.5.1 5.5.2 5.5.2.1 5.5.2.2 5.5.2.3

Sicherheitsprüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktionsprüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktionsprüfungen der Maschinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktionsprüfungen der Elektrotechnik . . . . . . . . . . . . . . . Funktionsprüfungen des Prozessleitsystems (PLS) und der Mess-Steuer-Regeltechnik (MSR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.2.4 Funktionsprüfungen sonstiger Komponenten/Einrichtungen. 5.5.2.5 Komplexe Funktionsprüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.3 Abnahmepüfungen bzw. Leistungsfeststellung . . . . . . . . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

450 457 459 464

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

466 475 480 481

5.6 Dichtheitsprüfung der Anlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

484

5.7 Erfüllungskontrolle der Inbetriebnahmevoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . 486 5.7.1 5.7.2

Grundvoraussetzungen und Inbetriebnahmeaudit . . . . . . . . . . . . . . . 486 Installationsqualifizierung (IQ) und GMP4-Testat . . . . . . . . . . . . . . 495

5.8 Schnittstellengestaltung zwischen Baustelle und Inbetriebnahme . . . . . . . . .

497

Definition MECHANISCHE FERTIGSTELLUNG . . . . . . . . . . . . . Prozedur MECHANISCHE FERTIGSTELLUNG . . . . . . . . . . . . .

500 501

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

506

Durchführung der Inbetriebnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

509

6.1 Ablauf der Inbetriebnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

509

6.2 Kalt-Inbetriebnahme / Herstellen der Betriebsbereitschaft . . . . . . . . . . . . . .

512

5.8.1 5.8.2

6

6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.2.4 6.2.5 6.2.5.1 6.2.5.2

Erproben und Festigen der Inbetriebnahmeorganisation . . . . . . . . Erledigung restlicher Montagearbeiten und Prüfungen . . . . . . . . . Feinreinigung in Vorbereitung der Betriebsbereitschaft . . . . . . . . Fortsetzen der Komplexen Funktionsprüfungen inkl. Wasserfahrt Vorbereitung ausgewählter Komponenten . . . . . . . . . . . . . . . . . Trocknen der feuerfesten Ausmauerungen/Auskleidungen . . . . . . Einfüllen und Vorbehandeln von Katalysatoren und Adsorbentien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.6 Inertisieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.7 Anfahrcheck und Anzeige der Betriebsbereitschaft . . . . . . . . . . . 6.2.7.1 Anfahrcheck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.7.2 Funktionsqualifizierung (OQ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.7.3 Prozedur und Protokollieren der BETRIEBSBEREITSCHAFT . .

. . . . . .

. . . . . .

513 514 515 517 519 519

. . . . . .

. . . . . .

522 525 527 527 531 532

Inhalt

XV

6.3 Beginn der Heiß-Inbetriebnahme und Anfahren der Anlage . . . . . . . . . . . . .

536

6.3.1 6.3.2 6.3.2.1 6.3.2.2 6.3.2.3 6.3.2.4 6.3.2.5 6.3.2.6 6.3.2.7 6.3.2.8 6.3.3 6.3.4

. . . . . . . . . . . .

536 537 537 539 545 556 560 564 568 571 573 579

6.4 Stabilisieren und Hochfahren der Anlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

581

6.5 Einfahren der Anlage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

584

6.6 Abfahren bzw. Außerbetriebnahme der Anlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

592

6.7 Instandsetzen und Wiederanfahren der Anlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

594

6.8 Leistungsfahrt und Leistungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

595

6.8.1 6.8.2 6.8.3 6.8.4

Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anfahren wesentlicher Anlagenkomponenten . . . . . Antriebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verdränger- und Kreiselpumpen . . . . . . . . . . . . . . Kolben- und Turboverdichter . . . . . . . . . . . . . . . . Turbinen mit Generatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Industrieöfen und Dampferzeuger . . . . . . . . . . . . . Reaktoren und Adsorber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kolonnen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prozessleittechnik inklusive Elektrotechnik . . . . . . Anfahrbeispiel einer verfahrenstechnischen Anlage. Besonderheiten bei Winterbedingungen . . . . . . . . .

Abnahmeversuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorbereiten der Leistungsfahrt . . . . . . . . . . . . . . Durchführung und Auswertung der Leistungsfahrt Leistungsqualifizierung (PQ). . . . . . . . . . . . . . . .

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597 600 602 606

6.9 Abnahme der Anlage im Rechtssinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

609

6.10 Fertigstellung, Prüfung, Abnahme der AS BUILT-Dokumentation . . . . . . . . . 613 6.10.1 6.10.2 6.10.3 6.10.4

Regelungsbedarf zur AS BUILT-Dokumentation . . . . . . . . . Fertigstellung und Lieferung der AS BUILT-Dokumentation . Prüfung der AS BUILT-Dokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . Abnahme der AS BUILT-Dokumentation . . . . . . . . . . . . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

614 617 619 621

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 624 Know-how-Gewinn während der Inbetriebnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . .

627

7.1 Prozess- und Anlagenanalyse während der Inbetriebnahme . . . . . . . . . . . . .

627

7.2 Inbetriebnahmeauswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

637

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

638

Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

639

Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

653

7

1 Aufgaben, Schnittstellen und Spezifik der Inbetriebnahme 1.1 Begriffsdefinitionen zur Inbetriebnahme Der Begriff Inbetriebnahme wird sowohl in der Fachliteratur als auch in der Praxis noch unterschiedlich gebraucht. Eine allgemein anerkannte und praktikable Begriffsdefinition setzt sich nur langsam durch, obwohl in den letzten Jahren, auch unter Mithilfe des vorliegenden Buches und der Vortragstätigkeiten des Autors, erkennbare Fortschritte erreicht wurden. Neben dem Begriff Inbetriebnahme werden mitunter andere Worte, wie Inbetriebsetzung, Ingangsetzen, Anfahren, Warmstart als Synonyme bzw. verwandte Begriffe genutzt. Eine Ursache für diese vielfältige Wortwahl wird insbesondere darin gesehen, dass die Inbetriebnahmethematik vergleichsweise zu anderen Fachgebieten des Maschinenund Anlagenbaues nur wenig wissenschaftlich betrachtet wurde. Ferner sind die konkreten Aufgaben, die während der Inbetriebnahme erfolgreich zu lösen sind, wesentlich vom in Betrieb zu nehmenden Gegenstand bzw. System abhängig. Dementsprechend wurden auch die Begriffsdefinitionen mehr oder weniger spezifisch formuliert. Nachfolgend dazu einige Beispiele. a) In der Maschinenrichtlinie (MRL) [1] wird in Artikel 2 (Begriffsdefinitionen), Buchst. k) bezogen auf Maschinen definiert: „Inbetriebnahme“: die erstmalige bestimmungsgemäße Verwendung einer von dieser Richtlinie erfassten Maschine in der Gemeinschaft.

Im Anhang 1, Abs. 1.1.1 (Begriffsbestimmungen) der MRL wird noch ergänzt: „Bestimmungsgemäße Verwendung“: die Verwendung einer Maschine entsprechend den Angaben in der Betriebsanleitung.

Dieser Inbetriebnahmebegriff charakterisiert somit einen Zeitpunkt, ab dem die Maschine erstmalig bestimmungsgemäß verwendet wird. In der Präambel zur MRL wird unter Ziff. (12) näher ausgeführt: Die Inbetriebnahme einer Maschine im Sinne dieser Richtlinie kann sich nur auf den bestimmungsgemäßen oder vernünftigerweise vorhersehbaren Gebrauch der Maschine selbst beziehen. Das schließt nicht aus, dass gegebenenfalls Benutzungsbedingungen für den Bereich außerhalb der Maschine vorgeschrieben werden, soweit diese Bedingungen nicht zu Veränderungen der Maschine gegenüber den Bestimmungen der vorliegenden Richtlinie führen.

Im Unterschied zur angeführten Inbetriebnahmedefinition nach MRL wird in der DIN EN ISO 12100 - Sicherheit von Maschinen [2] die Formulierung „In Betrieb nehmen“ gebraucht und wie folgt verstanden: Das „In Betrieb nehmen“ von Maschinen und Anlagen dient der Überprüfung von Funktionen und Eigenschaften sowie der Erkennung und Beseitigung von Fehlern und entspricht somit der Endprüfungsphase einer Maschine oder Anlage und liegt daher, auch in den Betriebsräumen des Betreibers, in der Verantwortung des Herstellers. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 K. H. Weber, Inbetriebnahme verfahrenstechnischer Anlagen, VDI-Buch, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59498-8_1

1

2

1 Aufgaben, Schnittstellen und Spezifik der Inbetriebnahme

Diese Definition beschreibt somit einen Zeitraum bzw. Tätigkeiten, der bzw. die u.a. von der Art der Maschine und dem notwendigen Arbeitsumfang bestimmt werden. Die Lebensphase und die Aufgaben „In Betrieb nehmen“ sind im Sinne der DIN EN ISO 12100 als Teil des Beschaffungs- und/oder Montageprozesses zu verstehen und noch vor dem Zeitpunkt „Beginn Inbetriebnahme“ einzuordnen. Die Maschine muss zu diesem Zeitpunkt noch nicht konform zur Maschinenrichtlinie sein. Im vorliegenden Buch werden die angeführten Aufgaben „Überprüfung von Funktionen und Eigenschaften sowie der Erkennung und Beseitigung von Fehlern“ der Qualitätssicherung inkl. Montagekontrollen (s. Abschn. 5.1) sowie den Sicherheitsprüfungen (s. Abschn. 5.5.1) und Funktionsprüfungen zugeordnet (s. Abschn. 5.5.2). Entsprechend dem FDBR-Merkblatt 10 [6] (s. Buchst. e)) werden die angeführten Aufgaben als Inbetriebsetzung zusammengefasst. Die Verwendung des Begriffs „In Betrieb nehmen“ ist nicht nötig und nicht zweckmäßig. b) In der Druckgeräte-Richtlinie (Druckgeräte-RL) [3] wird der Inbetriebnahme-Begriff wie folgt definiert: „Inbetriebnahme“: die erstmalige Verwendung eines Druckgeräts oder einer Baugruppe auf dem Unionsmarkt.

Die Begriffsbestimmung zur Inbetriebnahme ist ähnlich wie in der MRL. Die Formulierung „bestimmungsgemäße Verwendung“ wurde in der neueren Druckgeräte-RL auf „Verwendung“ reduziert, da ein Druckgerät nur bestimmungsgemäß verwendet werden darf. c) In der Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) [4] wird in Verbindung mit überwachungsbedürftigen Anlagen in § 15 von „Prüfung vor Inbetriebnahme und vor Wiederinbetriebnahme nach prüfpflichtigen Änderungen“ gesprochen (s. Abschn. 3.3.2.3, Buchst. c)). Diese beinhaltet insbesondere die Prüfung, ob die Anlage einschließlich der Anlagenteile entsprechend BetrSichV errichtet wurde und in einem sicheren Zustand ist. Die Prüfung geht zeitlich der erstmaligen Inbetriebnahme bzw. der Wiederinbetriebnahme nach prüfpflichtigen Änderungen voraus. Die Inbetriebnahme nach BetrSichV wird zeitlich am Ende der Maßnahmen von Inverkehrbringen, Erproben, Prüfen usw. eingeordnet. Eine Definition des Inbetriebnahme-Begriffs enthält die BetrSichV nicht. d) Im Erneuerbare-Energie-Gesetz (EEG 2017) [5] definiert der Gesetzgeber in § 3, Ziff. 30 die Inbetriebnahme folgendermaßen: „Inbetriebnahme“: erstmalige Inbetriebsetzung der Anlage ausschließlich mit erneuerbaren Energien oder Grubengas nach Herstellung der technischen Betriebsbereitschaft der Anlage; die technische Betriebsbereitschaft setzt voraus, dass die Anlage fest an dem für den dauerhaften Betrieb vorgesehenen Ort und dauerhaft mit dem für die Erzeugung von Wechselstrom erforderlichen Zubehör installiert wurde; der Austausch des Generators oder sonstiger technischer oder baulicher Teile nach der erstmaligen Inbetriebnahme führt nicht zu einer Änderung des Zeitpunkts der Inbetriebnahme.

Gemäß der Begriffsbestimmung in diesem Gesetz beginnt die Inbetriebnahme erst nach Herstellung der technischen Betriebsbereitschaft. Sie beinhaltet somit nur die Heiß-Inbetriebnahme (s. Abschn. 1.5.1, Abb. 1.4 und Buchst. b) bzw. deren ersten Schritt, das sog. Anfahren (start-up).

1.1 Begriffsdefinitionen zur Inbetriebnahme

3

Die zeitlich davor stattfindende Kalt-Inbetriebnahme, die im Anschluss an die Mechanische Fertigstellung der Anlage stattfindet und die Herstellung der Betriebsbereitschaft der Anlage zum Ziel hat, wird nicht der Inbetriebnahme zugeordnet. Auf den speziellen Begriff Inbetriebsetzung wird nachfolgend unter Buchst. e) eingegangen. e) Für Neuanlagen aus dem Dampfkessel-/Kraftwerksbereich ist in Abb. 1.1 die Strukturierung des Zeitraums von Ende der Montage bis zum Beginn des Dauerbetriebs (Synonym: Kommerzieller Betrieb, Regelbetrieb), wie sie unter konsequenter Anwendung der Betriebssicherheitsverordnung [4] im FDBR-Merkblatt 10 [6] des Fachverbands Dampfkessel, Behälter- und Rohrleitungsbau e.V. vorgeschlagen wurde, dargestellt. 

 Abb. 1.1 Strukturierung und Begriffe für den Übergangszeitraum zwischen Montageende und Dauerbetrieb von Anlagen [6]

Zur Erläuterung der Übersichtsdarstellung in Abb. 1.1 sind nachfolgend einige Auszüge aus dem FDBR-Merkblatt angeführt und diskutiert: ▪ Der 1. Abschnitt unter Verantwortung des Anlagenherstellers umfasst die Inbetriebsetzung gemäß folgender Definition: Inbetriebsetzung ist die Überführung der Anlage durch den Anlagenhersteller aus dem Ruhezustand (nach Montageende) einschließlich der Systemerprobungen bis zum Inverkehrbringen der Anlage [6].

Der Zeitraum zwischen Montageende (End of Construction) und Mechanischer Fertigstellung (Mechanical Completion) ist im Workflow der Baustellen- und Inbetriebnahmephase (s. Abb. 1.4 in Abschn. 1.5.1) gekennzeichnet durch die Begriffe: Inbetriebnahme der Infrastruktur/Mediensysteme/Nebenanlagen sowie

4

1 Aufgaben, Schnittstellen und Spezifik der Inbetriebnahme

Sicherheits-/Funktionsprüfungen. Inhaltlich werden diese Aufgaben, die de facto die Systemerprobungen darstellen, in den Abschnitten 5.4 und 5.5 betrachtet. Diese letzte Etappe der Baustellenabwicklung, die i.d.R. in Verantwortung des Anlagenherstellers liegt, entsprechend Abb. 1.1 als Inbetriebsetzung zu bezeichnen, erscheint zweckmäßig (s. Abschn. 1.5.1, Buchst. a)). In Abb. 1.4 ist dieser Begriff in Klammern beigefügt. Bem.: In der Praxis wird der Begriff Inbetriebsetzung nicht einheitlich im Sinne der vorgenannten Definition gebraucht. Unter Inbetriebsetzung wird mitunter die Kalt-Inbetriebnahme bzw. die Inbetriebnahme als Ganzes verstanden. ▪ Das Inverkehrbringen der Anlage erfolgt gemäß FDBR-Merkblatt 10 [6] durch den Anlagenhersteller. Diese Aussage geht konform mit den Ausführungen in Abschn. 1.2. Im FDBR-Merkblatt wird der Begriff Mechanische Fertigstellung, der die wichtige Schnittstelle/Meilenstein zwischen Inbetriebsetzung und Beginn Inbetriebnahme definiert, nicht genutzt. Vermutlich weil er in der Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) nicht genannt ist. ▪ Lt. FDBR-Merkblatt (s. Abb. 1.1) kann der Kunde (Betreiber) nach dem Inverkehrbringen durch den Anlagenhersteller die Anlage im Sinne der BetrSichV verwenden und übernimmt damit die Verantwortung für die Anlage. Abweichend von dieser Aussage kann in der Praxis die Verantwortung für die Inbetriebnahme, im Sinne „erstmalige Verwendung“ gemäß Begriffsdefinition unter Buchst. c), beim Generalunternehmer (s. Abschn. 4.3.2.1, Generalvertrag) oder Generalplaner (s. Abschn. 4.3.2.2, Ingenieurvertrag) verbleiben, falls im Vertrag die Inbetriebnahme als dessen verantwortliche Vertragsleistung vereinbart wurde. Zusammenfassend zu den vorgenannten Beispielen und Begriffsbestimmungen unter a) bis e) wird eingeschätzt: In den angeführten Rechtsvorschriften und Normen wird der InbetriebnahmeBegriff unterschiedlich und z.T. inhaltlich eng begrenzt verwendet. Insgesamt erscheinen die Vorgaben bzw. Vorschläge aus Rechtsvorschriften und/oder Normen, die zur Begriffsdefinition und Strukturierung des Übergangszeitraums von Montageende bis Beginn Dauerbetrieb gemacht werden, für verfahrenstechnische Anlagenprojekte wenig geeignet. Der Autor hat aus diesem Grund im vorliegenden Buch diese Übergangsphase anders strukturiert und für die einzelnen Schritte mitunter auch andere Begriffe und zugehörige Begriffsdefinitionen genutzt. Zum großen Teil beruhen diese Vorschläge, die bereits in der 1. Auflage des vorliegenden Fachbuchs 1996 präsentiert wurden, auf praktischen Erfahrungen. Sie haben sich seitdem in der Praxis zahlreich bewährt. Eine Korrektur war in den zurückliegenden Jahren nicht notwendig. Im vorliegenden Buch wird der Begriff Inbetriebnahme stets auf verfahrenstechnische Anlagen bezogen, wobei die wichtigen Begriffe wie folgt definiert werden: Verfahren ist die Gesamtheit der physikalischen, chemischen, biologischen und

nuklearen Wirkungsabläufe (Synonym: Prozess).  Die Wirkungsabläufe werden durch Grundoperationen (Unit Operation) charakterisiert.  Die Grundoperation ist derjenige Einzelschritt bzw. -vorgang, der letztlich eine physikalische Stoffänderung bzw. eine chemische und/oder biologische und/oder nukleare

1.1 Begriffsdefinitionen zur Inbetriebnahme

5

Stoffwandlung realisiert. Die Grundoperation ist ein typischer, in vielen Verfahren wiederkehrender Basisvorgang.  Das Gesamtverfahren wird in Verfahrensstufen bzw. Prozessschritte unterteilt. Anlage ist die Gesamtheit der zur Durchführung eines Verfahrens (Prozesses)

notwendigen Ausrüstungen und Einrichtungen in ihrer funktionsbedingten Kopplung und räumlichen Anordnung. Verfahrenstechnische Anlagen sind Anlagen zur Durchführung von Stoffänderungen und Stoffumwandlungen mit Hilfe zweckgerichteter physikalischer und/ oder chemischer und/oder biologischer und/oder nuklearer Wirkungsabläufe [7].

Die Wesensmerkmale der verfahrenstechnischen Anlagen, die zugleich die Inbetriebnahme gravierend beeinflussen, sind:  die Durchführung physikalischer Stoffänderungen und chemischer oder biologischer Stoffumwandlungen in diesen Anlagen,  eine große Komplexität und Kompliziertheit der Anlagen; dies trifft sowohl die stoffliche und energetische Verflechtung und Kopplung als auch die konstruktive Gestaltung der einzelnen Komponenten,  der häufig anzutreffende unikate Charakter,  die Notwendigkeit zur Anwendung von verschiedenartigen, integrativen Fachwissen während des Lebenszyklus der Anlagen,  das Vorhandensein eines umfangreichen Rohrleitungssystems zum Transport der Stoffe innerhalb der Anlagen sowie über die Anlagengrenzen hinweg,  der große Umfang und die Ganzheitlichkeit der Informationsverarbeitung während des Anlagenbetriebes; typisch ist die Anwendung einer hierarchisch aufgebauten Leittechnik zur Gewährleistung eines effizienten Produktionsprozesses aus der Sicht des Unternehmens,  die Größenordnung derartiger Anlagen und ihrer Komponenten; zu nennen sind in diesem Zusammenhang u.a. die oftmals erheblichen territorialen Ausdehnungen sowie die Größe der Ausrüstungen,  die erheblichen Auswirkungen der verfahrenstechnischen Anlagen auf die Menschen, die Wirtschaft und die Umwelt, auch über Anlagengrenzen hinaus. Ein Anliegen dieses Buches ist, die Inbetriebnahme verfahrenstechnischer Anlagen möglichst eindeutig und in klarer Abgrenzung zu den anderen Projektphasen zu definieren. Dabei wird zugleich versucht, die Gegebenheiten der Praxis zu berücksichtigen. Ausgehend von dieser Zielstellung werden im vorliegenden Buch die folgenden Begriffsdefinitionen bezüglich der Inbetriebnahme verfahrenstechnischer Anlagen formuliert und benutzt: Inbetriebnahme (Commissioning) ist die Überführung der Anlage aus dem Ruhezustand in den Dauerbetriebszustand. Erstinbetriebnahme (First-time commissioning) ist die Überführung der Anlage aus dem Ruhezustand nach Mechanischer Fertigstellung (Mechanical Completion) in den Dauerbetriebszustand nach werkvertraglicher Abnahme bzw. nach schriftlicher Bestätigung der erbrachten Vertragsleistung. Wiederinbetriebnahme (Recommissioning) ist die Überführung der Anlage aus dem Ruhezustand nach Abstellung (Stillstand) in den Dauerbetriebszustand.

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1 Aufgaben, Schnittstellen und Spezifik der Inbetriebnahme

Die so definierte Inbetriebnahme beinhaltet somit  sowohl eine Phase (sog. Inbetriebnahmephase) bzw. einen Zeitraum innerhalb des Lebenszyklus der Anlage oder innerhalb der Anlagen-Projektabwicklung (s. Abschn. 1.4 und 1.5)  als auch die in diesem Zeitraum/Phase zu erbringenden Leistungen (sog. Inbetriebnahmeleistungen/-arbeiten). Dies bedeutet vereinfacht formuliert: Alle Leistungen, die nach Protokollierung der Mechanischen Fertigstellung (bzw. nach Freigabe zur Wiederinbetriebnahme am Ende des Stillstandes) bis zum erbrachten Leistungsnachweis bzw. bis zur Protokollierung der werkvertraglichen Abnahme der Vertragsleistung erbracht werden, gehören zur Inbetriebnahme. Verantwortlich dafür ist der Inbetriebnahmeleiter. Zugleich folgert daraus, dass alle Maßnahmen, die im Hinblick der Inbetriebnahme vor der Mechanischen Fertigstellung stattfinden, nicht zur Inbetriebnahme gehören. Sie werden per Definition der Inbetriebnahmevorbereitung zugeordnet. Gemäß den vereinbarten Definitionen betreffs Inbetriebnahme ist sowohl ihr Beginn (als Schnittstelle zwischen Montage und Inbetriebnahme) als auch ihr Ende (als Schnittstelle zwischen Inbetriebnahme und Dauerbetrieb) eindeutig geregelt. Da diese beiden Schnittstellen (s. Abschn. 1.5.2) in den meisten Projekten fachlich, organisatorisch, vertraglich, sicherheitlich, wirtschaftlich usw. sehr wichtig sind, erscheint es zweckmäßig, wenn diese beiden Schnittstellen zugleich den Anfang und das Ende der Inbetriebnahme(-phase) ausmachen. Diese klare Angrenzung und Schnittstellenregelung gegenüber anderen Projektphasen erleichtert wesentlich die vertragliche, organisatorisch-administrative und inhaltliche Ausgestaltung sowie die rechtskonforme, sichere und effiziente Durchführung der Inbetriebnahme. Zahlreiche Praxisbeispiele haben dies nachdrücklich bewiesen. Für die weiteren Ausführungen diese Buchs erscheinen noch folgende Hinweise bedeutungsvoll.  Die allgemeine Definition der Inbetriebnahme in der o.g. Form ist für die konkrete Problemlösung bei der Inbetriebnahmevorbereitung und -durchführung wenig hilfreich. Im Zusammenhang mit einer Anlageninvestition geht es vorrangig um eine effiziente Erstinbetriebnahme, während beim Anlagenbetrieb eine reibungslose Wiederinbetriebnahme wichtig ist.  Für die weiteren Ausführungen dieses Buchs wird deshalb zur Vereinfachung (wie in der Praxis üblich) vereinbart: Wenn im Text dieses Buchs der Begriff „Inbetriebnahme“ gebraucht wird, so ist vereinbarungsgemäß i.Allg. exakterweise die „Erstinbetriebnahme“ gemeint. Auf Ausnahmen wird separat hingewiesen.  Die Erstinbetriebnahme einer verfahrenstechnischen Anlage ist im Allgemeinen wesentlich komplizierter als ihre Wiederinbetriebnahme. Sie schließt die letztere weitgehend mit ein und steht im Mittelpunkt dieses Buches. Auf einige Besonderheiten der Wiederinbetriebnahme wird in Abschn. 6.7 eingegangen.

1.2 Abgrenzung von Inbetriebnahme und Inverkehrbringen

7

 Als Gegenstand bzw. Objekt der Inbetriebnahme wird die verfahrenstechnische Anlage angesehen, wobei darunter im weitesten Sinne ein verfahrenstechnisches System verstanden werden soll. Das heißt, die Inbetriebnahme der Anlage schließt das Verfahren mit ein.  Die gesamte Inbetriebnahme wird zweckmäßig in mehrere ▪ Inbetriebnahmeabschnitte, z.B. Kalt- und Heiß-Inbetriebnahme oder synonym Herstellung der Betriebsbereitschaft und Probebetrieb und Leistungsfahrt (s. Abschn. 1.5) sowie in ▪ Inbetriebnahmeschritte (z.B. Anfahren, Hochfahren, Einfahren, Abfahren, Wiederanfahren) (s. Abschn. 6.1) unterteilt.  Das Erreichen der vom Projekt (Planung) vorgesehenen Betriebszustände, z.B. nach dem Anfahren oder beim Einfahren der Anlage, ist nur ein Zwischenzustand der Inbetriebnahme.  In der Praxis werden mitunter die Begriffe Inbetriebnahme und Anfahren unzulässig vermengt bzw. teils als Synonyme benutzt. Dies ist nicht richtig! In Abgrenzung zur Inbetriebnahme wird für das Anfahren folgende Definition gebraucht: Anfahren (start-up) ist die Überführung der Anlage aus dem Ruhezustand nach KaltInbetriebnahme (nach Herstellung der Betriebsbereitschaft) in einen stationären Betriebszustand, bei dem alle Anlagenteile/Verfahrensstufen funktionsgerecht arbeiten.

Das Wort „funktionsgerecht“ bezieht sich dabei auf die notwendigen Funktionen im Dauerbetrieb. Das Anfahren bezeichnet nach diesem Verständnis die Startphase (start-up) der Heiß-Inbetriebnahme. Sie kann beginnen, sobald die Kalt-Inbetriebnahme abgeschlossen und die Betriebsbereitschaft der Anlage protokollarisch angezeigt bzw. erklärt ist (s. Abschn. 1.5 und 6.2.6). Mit dem Anfahren kommt im Normalfall erstmals Rohstoff/Einsatzprodukt in die Anlage. Nicht selten gibt es ab diesen Zeitpunkt explosionsgefährdete Bereiche sowie den signifikanten Umgang mit Gefahrstoffen. Gleichzeitig wird mit der Begriffsdefinition Anfahren verdeutlicht, dass das Ziel des Anfahrens nicht das Erreichen der Nennlastbedingungen ist. Es geht vielmehr um die Einstellung einer stabilen Teillastfahrweise der Anlage (Anfall nicht-qualitätsgerechter Produktmengen minimieren!), die eine genaue Beobachtung und Prüfung aller Ausrüstungen gestattet. Ferner sind alle Informationen in Vorbereitung der nächsten Inbetriebnahmehandlungen auszuwerten. Zu den weiteren Inbetriebnahmeschritten, die sich im Allgemeinen an das Anfahren anschließen, wird in den Abschn. 6.4 bis 6.6 Näheres ausgeführt.

1.2 Abgrenzung von Inbetriebnahme und Inverkehrbringen Die Inbetriebnahme verfahrenstechnischer Anlagen muss verantwortungsseitig und inhaltlich streng vom Inverkehrbringen der Anlage unterschieden werden, steht aber in einen zeitlichen und fachlichen Zusammenhang. Der Begriff Inverkehrbringen ist für die Projektabwicklung gravierend, da zu diesem Zeitpunkt wichtige, rechtsverbindliche Voraussetzungen erfüllt sein müssen.

8

1 Aufgaben, Schnittstellen und Spezifik der Inbetriebnahme

Ausgangspunkt der Erörterung sind, analog wie bei der Inbetriebnahme, die geltenden EU-Richtlinien für Produkte. In diesen wird das Inverkehrbringen z.B. wie folgt definiert: „Inverkehrbringen“: die entgeltliche oder unentgeltliche erstmalige Bereitstellung einer Maschine oder einer unvollständigen Maschine in die Gemeinschaft im Hinblick auf ihren Vertrieb oder ihre Benutzung (nach MRL [1]). „Inverkehrbringen“: die erstmalige Bereitstellung eines Druckgeräts oder einer Baugruppe auf dem Unionsmarkt (nach Druckgeräte-RL [3]). „Inverkehrbringen“: die erstmalige Bereitstellung eines Produkts auf dem Unionsmarkt (nach ATEX-Hersteller-RL [8]).

Die letzten beiden Begriffsdefinitionen sind, bezogen auf die betreffenden Produkte, in allen harmonisierten EU-Richtlinien gleich (s. Abschn. 3.3.1.2). Im Vergleich zu der in Abschn. 1.1 angeführten Inbetriebnahme-Definition weist das Inverkehrbringen von Produkten folgenden Unterschied auf: Das Inverkehrbringen betrifft die „erstmalige Bereitstellung“ des Produkts, während die Inbetriebnahme sich auf die „erstmalige bestimmungsgemäße Nutzung/ Verwendung“ des Produkts bezieht. Aus diesem Unterschied resultieren folgende Konsequenzen:  Die Bereitstellung des Produkts ist eine Aufgabe der Beschaffung, während die erstmalige bestimmungsgemäße Nutzung und Verwendung des Produkts eine Aufgabe der Inbetriebnahme ist.  Entsprechend dem Phasenmodell der Anlagen-Projektabwicklung (s. Abb. 2.1 in Abschn. 2.1) findet das Inverkehrbringen in der Phase 7 (Beschaffung) oder 8 (Bau/ Montage) und die Inbetriebnahme zeitlich später in der Phase 9 statt. Dies bedeutet zwingend: Das Inverkehrbringen findet zeitlich vor der Inbetriebnahme statt. Alle notwendigen Aufgaben, die bis zu dem Inverkehrbringen zu erledigen sind, müssen deshalb erst recht vor Beginn der Inbetriebnahme erfüllt sein.  Verantwortlich für das Inverkehrbringen des betreffenden Produkts, d.h. die Erfüllung der damit verbundenen Pflichten, ist i.Allg. der Hersteller des Produkts (s. auch Ausführungen zu Druckgeräten in Abschn. 3.3.1.2, Buchst. b)). Im Sonderfall kann auch der Baustellenleiter bzw. Montageleiter bzw. Inbetriebnahmeleiter der verantwortliche Inverkehrbringer sein, wenn er z.B.  von verschiedenen Herstellern nur „unvollständige Produkte/Produktteile“ eingekauft hat oder beigestellt bekommt,  die einzelnen Produkte/Produktteile in eigener Verantwortung zu einem „vollständigen Produkt“ gemäß der relevanten EU-Richtlinie konfiguriert (montiert) und  anschließend das rechtskonforme Produkt als Ganzes in Verkehr bringt.  Zu den Pflichten, die vor dem Inverkehrbringen von Produkten erledigt sein müssen, gehören insbesondere bezogen auf das Produkt:  vorherige Durchführung eines Konformitätsbewertungsverfahrens inkl. Risikobeurteilung,  Ausstellen einer EU-Konformitätserklärung,  Anbringen des CE-Kennzeichens,

1.2 Abgrenzung von Inbetriebnahme und Inverkehrbringen

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 Bereitstellung einer Betriebsanleitung,  Bereitstellung ausreichender technischer Unterlagen (Dokumentation). Nach den vorherigen Ausführungen zum Inverkehrbringen von Produkten, bleibt die Frage: Wie lassen sich diese Aussagen auf das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme verfahrenstechnischer Anlagen übertragen? Die Antwort auf diese Frage lautet. a) Grundsätzlich ist zunächst festzustellen, dass verfahrenstechnische Anlagen, egal ob Package-units oder Gesamtanlage, während der Projektrealisierung in Verkehr gebracht werden müssen. b) Das Inverkehrbringen verfahrenstechnischer Anlagen wird in Rechtsvorschriften nur insoweit betrachtet, wie es sich um eine „Gesamtheit von Maschinen“ handelt und auf dieser Basis die verfahrenstechnische Anlage der Maschinenrichtlinie [9] unterliegt (s. Abschn. 3.5.2.3, Buchst. b)). Andere Rechtsvorschriften, die das Inverkehrbringen verfahrenstechnischer Anlagen betrachten, sind nicht bekannt. Auf die Ausführungen im FDBR-Merkblatt 10 [6], das zu den Allgemein anerkannten Regeln der Technik gehört, wurde bereits in Abschn. 1.1, Buchst. e) eingegangen. Letztlich erfordert die Beantwortung der o.g. Frage somit einen Analogieschluss ausgehend von den dargelegten Aussagen zum Inverkehrbringen von Produkten. c) Analog zur Formulierung „erstmalige Bereitstellung eines Produkts“ lässt sich für Anlagen als Kriterium die „erstmalige Bereitstellung der verfahrenstechnischen Anlage“ ableiten. Die erstmalige Bereitstellung einer verfahrenstechnischen Anlage erfolgt aus Sicht des Autors mit Beginn der Inbetriebnahme. Daraus folgernd wird die Gesamtanlage oder Package-unit zum Zeitpunkt Mechanische Fertigstellung bzw. Beginn Inbetriebnahme in Verkehr gebracht. Diese Meinung wird auch dadurch gestützt, dass die Inbetriebnahme zum genehmigten Bestimmungsgemäßen Betrieb einer BImSchG-Anlage gehört (s. Abschn. 3.4.3, Buchst. a)). Der Bestimmungsgemäße Betrieb setzt das vorherige Inverkehrbringen notwendig voraus. d) Mitunter wird in Projekten erst der Zeitpunkt Ende Kalt-Inbetriebnahme bzw. Beginn Anfahren (Synonym: Beginn Heiß-Inbetriebnahme bzw. Beginn Probebetrieb) als Zeitpunkt des Inverkehrbringens gesehen. Der Autor hält diese Einschätzung für falsch, da während der Kalt-Inbe-triebnahme gegebenenfalls bereits:  mit Stickstoff, Beizprodukten, Brennstoffen für Öfen, Lösungsmitteln u.a. Gefahrstoffen umgegangen wird,  Druck- und Temperaturbeanspruchungen der Komponenten stattfinden,  Festigkeits-, Korrosions- und Schwingungsbeanspruchungen der Komponenten und Bauwerke erfolgen,  die Anlage voll unter Spannung steht,  weitere Gefährdungen durch drehende Teile, heiße Oberflächen, Leckagen usw. gegeben sind.

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1 Aufgaben, Schnittstellen und Spezifik der Inbetriebnahme

Insgesamt sind die Gefährdungen bzgl. Gesundheit-Sicherheit-Umwelt während der Kalt-Inbetriebnahme nicht unerheblich. Sie nehmen insbesondere „schleichend“ und für das Personal zum Teil „unbewusst“ zu. Entsprechend dieser Einschätzung sind die Tätigkeiten während der Kalt-Inbetriebnahme genehmigungspflichtig oder anders formuliert, als Teil des Bestimmungsgemäßen Betriebs zu verstehen. Das Inverkehrbringen der verfahrenstechnischen Anlage muss folglich vor Beginn der Kalt-Inbetriebnahme erfolgen. e) Verantwortlich für das Inverkehrbringen der verfahrenstechnischen Anlage ist der Hersteller der Anlage, z.B. der Generalunternehmer im Generalvertrag bzw. der Investor im Engineeringvertrag. In Persona ist es, je nach Benennung der Funktion, der Oberbauleiter bzw. Baustellenleiter bzw. Montageleiter. f) Mit dem Inverkehrbringen der verfahrenstechnischen Anlage, d.h. mit Unterzeichnung des Protokolls Mechanische Fertigstellung (MF), müssen als Voraussetzung des Inverkehrbringens zwingend folgende Dokumente vorliegen:  Risikobeurteilung für die verfahrenstechnische Anlage basierend auf der Gesamtdokumentation zum Zeitpunkt MF (s. Abschn. 3.5.2.1),  Betriebsanleitung für die verfahrenstechnische Anlage (sog. Inbetriebnahmeanleitung) (s. Abschn. 3.5.2.2),  vollständige und nutzbare Gesamtdokumentation (sog. Inbetriebnahmedokumentation) (s. Abschn. 2.4.3),  gegebenenfalls eine EG-Konformitätserklärung und CE-Kennzeichnung für die verfahrenstechnische Anlage. Für verfahrenstechnische Anlagen ist die Erklärung der Konformität (Ausstellung einer EG-Konformitätserklärung) nicht in allen Fällen notwendig und zweckmäßig. Zur Erläuterung und Entscheidungshilfe hat der Gesetzgeber ein Interpretationspapier zum Thema „Gesamtheit von Maschinen“ [9] geschaffen (s. Abschn. 3.5.2.3, Buchst. b)).

1.3 Aufgaben und Zielstellungen der Inbetriebnahme Vereinbarungsgemäß wird im Weiteren vereinfachend der Begriff Inbetriebnahme benutzt, obwohl streng genommen eine Erstinbetriebnahme gemeint ist. Prinzipiell ist dem erfahrenen Inbetriebnahmeingenieur zuzustimmen, der vor langer Zeit prägnant formulierte [10]: Das wirkliche Ziel eines Inbetriebnahmeteams besteht darin, das Geld sobald wie möglich wieder auf die Bank zu bekommen. Die Investitionssummen sind bei verfahrenstechnischen Anlagen relativ hoch  die Zinsen auf dem Kapitalmarkt u.U. auch  und deshalb muss die Anlage durch eine schnelle und möglichst reibungslose Inbetriebnahme in einen stabilen Dauerbetrieb überführt werden. Nur so kann sie Produkte in hoher Qualität und Menge erzeugen, deren Verkauf letztlich zu dem kalkulierten Gewinn für den Investor führt. Trotzdem reicht diese grundsätzliche Feststellung nicht aus, um die Frage nach den Aufgaben und Zielen der Inbetriebnahme konkret und erschöpfend zu beantworten. In Abb. 1.2 wurde deshalb versucht, die allgemein gültigen Einzelaufgaben und -ziele

1.3 Aufgaben und Zielstellungen der Inbetriebnahme

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zusammenzufassen. Sicherlich ist deren Wirkung von Fall zu Fall unterschiedlich und u.U. können auch einzelne entfallen bzw. weitere hinzukommen.

Abb. 1.2 Aufgaben und Zielstellungen der Inbetriebnahme verfahrenstechnischer Anlagen

Die angeführten Schwerpunkte resultieren aus langjährigen Inbetriebnahmeerfahrungen und sollen an dieser Stelle nur kurz erläutert werden. Eine vertiefte Betrachtung erfolgt in späteren Abschnitten. Die Überführung der Anlage in einen vertragsmäßigen Dauerbetrieb ist die Hauptaufgabe der Inbetriebnahme. Dabei sind möglichst kurze Inbetriebnahmezeiten verbunden mit geringen Kosten zu erreichen. Die Inbetriebnahme ist für alle Beteiligten eine außerordentlich „lehrreiche“ Phase. Trotz umfangreicher Unterweisungen, Trainings an Simulatoren, Aufenthalten in ähnlichen Anlagen u.a. Maßnahmen in Vorbereitung der Inbetriebnahme stellt die „heiße“ Inbetriebnahme die intensivste und praktisch relevanteste Phase der Ausbildung und Einarbeitung des Betriebs- und Servicepersonals dar. Die Befähigung des Betreibers, die neue Anlage fachkundig und zielorientiert nutzen zu können, ist eine Hauptaufgabe der Inbetriebnahme. Dafür ist auch deren sachkundige und effektive Instandhaltung nötig. Diese Sachverhalte sollten Auftraggeber (Käufer, Kunde) und Auftragnehmer (Verkäufer, Kontraktor) gleichermaßen in ihrem eigenen Interesse beachten und ggf. vertraglich ausgestalten. Verfahrenstechnische Anlagen beinhalten nicht selten ein erhebliches Gefährdungspotenzial für den Menschen und die Umwelt. Mit der Anlagenplanung (Engineering) und insbesondere im Genehmigungsverfahren ist nachzuweisen, dass in der vorgesehenen Anlage derartige Gefahren nicht bestehen bzw. durch geeignete technische, organisatorische u.a. Sicherheitsmaßnahmen zuverlässig vermieden bzw. beherrscht werden. Während der Inbetriebnahme muss der Nachweis der Betriebssicherheit gegenüber dem Kunden erbracht werden. Die außergewöhnlichen Bedingungen und Zustände bei der Inbetriebnahme, das notwendige Reagieren auf Störungen, die hohe Beanspru-

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1 Aufgaben, Schnittstellen und Spezifik der Inbetriebnahme

chung der Ausrüstungen und der beteiligten Personen sind ein echter Härtetest für die Betriebssicherheit. Insbesondere sollte in verfahrenstechnischen Anlagen die Inbetriebnahme gezielt zur Testung der Betriebssicherheit, z.B. der Stabilität und Sensibilität der Anlage und einzelner Elemente außerhalb des Nennzustandes genutzt werden. Ferner sind die Auswirkungen wichtiger Störgrößen auf den sicheren und vertragsgerechten Anlagenbetrieb nach Möglichkeit zu erproben. Dies schließt auch die Fragen der Qualitätssicherung ein. Nicht zuletzt müssen während der Inbetriebnahme die Sicherheitssyteme, wie die Notabschalt-, Entspannungs- und Entleerungssysteme oder die Sicherheitssteuerungen, aktiv überprüft werden. Dies betrifft auch das Testen bzw. Trainieren vorgesehener Schutz- und Bekämpfungsmaßnahmen zur Schadenbegrenzung. Der Nachweis einer ausreichenden Verfügbarkeit der Anlage und ihrer Komponenten, der in der Regel während der Leistungsfahrt zu erbringen ist, dient als indirekter Beleg für einen zu erwartenden zuverlässigen und störungsfreien Anlagenbetrieb. Dieser Nachweis ist eine von vielen Voraussetzungen, um die geplante Anlagenkapazität zu erreichen sowie später das vorgegebene Instandhaltungsbudget einzuhalten. Die Herstellung der Funktionstüchtigkeit bezieht sich auf die funktionsgerechte Arbeitsweise der Anlage und ihrer Komponenten. Sie ist häufig in Verbindung mit einer Technischen Gewährleistung bzw. Funktionalen Garantie zu sehen und zu erbringen. Störungen und Schäden während der Inbetriebnahme verfahrenstechnischer Anlagen liegen zu über 85 % in Fehlern und Mängeln aus den Vorphasen begründet. Die Ursachen sind verschieden und teils subjektiver, aber auch objektiver Art. Einige Gedanken sollen dies verdeutlichen.  Bei der Planung und dem Bau einer verfahrenstechnischen Anlage muss ein Kompromiss zwischen dem Wunsch nach einer fehlerfreien „idealen Anlage“ und den zulässigen Kosten gefunden werden. Der Qualitäts- und Zuverlässigkeitsstandard, wie er bei der Raumfahrt oder der Kernenergietechnik anzutreffen ist, würde die Investitionskosten vervielfachen und ist i.Allg. nicht realisierbar. Das heißt, der Anlagenplaner und -bauer muss wegen der Markt- und Wettbewerbssituation ein Risiko eingehen, dessen negative Auswirkungen sich häufig während der Inbetriebnahme zeigen.  Viele Trends im Anlagenbau, wie ▪ der zunehmende Wettbewerb und Kostendruck, ▪ die weltweite Arbeitsteilung und Kooperation, ▪ die Verkürzung der Planungs- und Realisierungszeiten, ▪ der vorrangige Bau von Einstranganlagen, d. h. die Verringerung von Redundanz in der Anlage, ▪ die zunehmende Komplexität und insbesondere die stofflichen und energetischen Rückkopplungen bei der Anlagengestaltung, ▪ der Einsatz sowie die Herstellung von Rohstoffen bzw. Produkten mit immer höheren Qualitätsanforderungen, ▪ der Verzicht bzw. zumindest die deutliche Reduzierung von „Puffervolumina“ zwischen einzelnen Verfahrensstufen bzw. Ausrüstungen, sodass sich Störungen unverzögert fortpflanzen können, ▪ der Trend zu stark automatisierten Anlagen (z.B. BoB – Betrieb ohne ständige Beaufsichtigung) oder zu fernbedienten Anlagen mit umfangreichen prozessgerichteten An- und Abfahrsteuerungen, sind in vielen Fällen neue Ursachen für Fehler und Mängel.

1.3 Aufgaben und Zielstellungen der Inbetriebnahme

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Natürlich versuchen die Engineering-, Hersteller- und Montagefirmen durch ein ausgereiftes Projekt- und Qualitätsmanagement, durch vertiefte theoretische Durchdringung der Verfahren und Konstruktionen oder durch eine umfassende Qualifizierung der beteiligten Kräfte usw. derartige Fehler möglichst zu vermeiden. Trotzdem zwingt der wirtschaftlich begründete Fortschritt stets zu neuen Entwicklungen und damit auch zu neuen Risiken. Dass beispielsweise renommierte Firmen, nachdem sie viele Anlagen nach dem gleichen Verfahren erfolgreich realisiert haben, plötzlich bei der Inbetriebnahme einer weiteren, ähnlichen Anlage Probleme bekommen, belegt eine solche Einschätzung. Sie verdeutlicht auch, dass im Prinzip jede verfahrenstechnische Anlage, trotz zahlreicher Referenzen, als Unikat zu betrachten ist. Nicht selten sind die projektspezifischen Standort- und Kundenbedingungen die Hauptursachen für neue Risiken und unerwartete Probleme. Der Inbetriebnehmer muss sich auf diese Situation möglichst vorbeugend und planmäßig einstellen und gegebenenfalls damit leben. Die Erfahrung zeigt, dass die meisten Störungen nicht problematisch sind und bei einem guten Inbetriebnahmemanagement auf der Baustelle bzw. im Betrieb gelöst werden können. Schwieriger ist es bei gravierenden Mängeln im Verfahren, wenn z.B.  Nebenproduktbildungen übersehen wurden,  sich unerwartete Anreicherungen in Produkten und Kreislaufströmen einstellen,  Ablagerungen an Behälterwänden, Rührkesseln, Wärmeübertragern auftreten,  geringe Verunreinigungen im Einsatzprodukt u.ä. zu kürzeren Standzeiten der Katalysatoren bzw. Adsorbentien führen, oder auch bei Mängeln in der Funktion von Hauptausrüstungen, wenn  durch falsche Werkstoffwahl erhebliche Korrosion auftritt oder  beim Probelauf von Maschinen unzulässig hohe Schwingungen beobachtet werden. In solchen Fällen sind nicht selten nichtgeplante, lange Inbetriebnahmezeiten und überhöhte Kosten die Folge. Es sind auch Anlagen bekannt, die wegen derart gravierender Mängel überhaupt nicht in Betrieb gingen. Die Aufgabe der Optimierung des Verfahrens- und Anlagenregimes ist als eine Ermittlung und Einstellung vorteilhafter Betriebsbedingungen (Verfahrensfluss, Anlagenschaltung, Verfahrens- und Ausrüstungsparameter) im Sinne der vertraglichen Zusagen und nicht als mathematisch bestimmtes Optimum zu verstehen. Diese Teilaufgabe ist insbesondere dann bedeutend, wenn der technologische und/oder technische Neuheitsgrad des Verfahrens und/oder der Anlage hoch sind. Durch systematische Auswertung der Messwerte während des Probebetriebes sind z.B. Maßnahmen zur Erzielung hoher Produktqualitäten bzw. -ausbeuten, geringer Material- und Energieverbräuche, stabiler Arbeitsweisen der Verdichter, Kolonnen u.a. abzuleiten. Eng verbunden mit der Optimierung des Betriebsregimes ist der gezielte Know-howGewinn während der Inbetriebnahmezeit. Natürlich muss die vertragsgemäße Inbetriebnahme im Mittelpunkt aller Aktivitäten des Inbetriebnahmeteams stehen. Trotzdem gestatten die meisten Inbetriebnahmen, bei Beachtung dieser Prämisse und ohne nennenswerte zusätzliche Kosten, viele Möglichkeiten für gezielte experimentelle Untersuchungen. Dies kann beispielsweise die verfahrenstechnische Funktion von Ausrüstungen im Anfangszustand oder die Messwerterfassung bei notwendigen Sonderfahrweisen betreffen. Man könnte sagen, die Inbetriebnahme ermöglicht de facto kostengünstige und mitunter einmalige „Großversuche“.

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1 Aufgaben, Schnittstellen und Spezifik der Inbetriebnahme

Wichtig ist, dass derartige wissenschaftlich-technische Untersuchungen bereits in der Planungsphase konzipiert und vorbereitet werden. Die angespannte und teils hektische Situation auf der Baustelle bzw. dem Betriebsplatz lässt später für die inhaltliche Vorbereitung und gedanklich vorausschauende Auswertung von Versuchen, Messfahrten u.ä. wenig Zeit und Raum. Abschluss und Höhepunkt der Inbetriebnahme ist, insbesondere wenn der Auftragnehmer (Verkäufer) für die Inbetriebnahme verantwortlich ist, der rechtsverbindliche Nachweis der vertraglich vereinbarten Leistungsparameter. Die Mehrzahl der Leistungsparameter wird während einer Leistungsfahrt (Garantieversuch, Abnahmeversuch) vom Verkäufer „vorgefahren“ und bildet die Grundlage für die werkvertragliche Abnahme der Anlage oder für die Protokollierung der Vertragserfüllung. Obwohl damit die definierten Aufgaben und Zielstellungen der Inbetriebnahme erbracht sind, wirken bei verfahrenstechnischen Anlagen im Allgemeinen noch bestimmte Gewährleistungen und/oder Garantien fort (s. auch Abschn. 4.3.3). Das kann z.B. die Gewährleistung der Funktionstüchtigkeit von Ausrüstungen für die Dauer von 24 Monate oder von Standzeitgarantien für Katalysatoren für 8000 Betriebsstunden nach werkvertraglicher Abnahme betreffen. Letztlich bedeutet dies, dass einige Garantieversprechen und somit vertraglich, juristische Verpflichtungen des Verkäufers auch nach der Inbetriebnahme fortbestehen. Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass während der Inbetriebnahmephase auch eine planmäßige Außerbetriebnahme der Anlage, gegebenenfalls auch in mehreren Varianten, vorgenommen und getestet werden muss. Dabei ist nachzuweisen, dass die Anlage gemäß den Vorgaben in der Inbetriebnahmeanleitung sowie den Herstellerangaben auf eine wirtschaftliche und „schonende“ Art und Weise außer Betrieb genommen werden kann.

1.4 Einordnung der Inbetriebnahme in den Lebenszyklus der Anlage Der Lebenszyklus einer Anlage umfasst den Zeitraum von der Grundlagenermittlung bis zum Detail-Engineering, über die Beschaffung und Errichtung der Anlage bis zur Stilllegung, Demontage und Entsorgung derselben (s. Abb. 1.3). Die Phase des Dauerbetriebes ist zweifellos für den Betreiber die ausschlaggebende, da in diesem Zeitraum der Gewinn erzielt wird und die investierten Mittel zurückfließen. Trotzdem baut diese jedoch auf die vorangegangenen Etappen der Planung, Beschaffung, Bau, Montage und Inbetriebnahme auf. Obwohl der Inbetriebnahmezeitraum im „Leben“ einer verfahrenstechnischen Anlage nur 1 – 3 % ausmacht, so kommt ihm doch eine Schlüsselrolle zu, denn hier müssen die Arbeitsergebnisse der Vorphasen praktisch umgesetzt werden. Im Grunde stellt die Inbetriebnahme das Bindeglied zwischen der Vorbereitung und Nutzung einer Anlage dar. Einige wichtige Wechselwirkungen der Inbetriebnahme mit den anderen Phasen des Lebenszyklus einer Anlage sollen in der Tab. 1.1 verdeutlicht werden. Die tabellarischen Angaben sollen belegen, dass eine ganzheitliche Problemstellung und Problemlösung zum Gegenstand verfahrenstechnische Anlage erforderlich ist. In der Praxis, wie in einem Großteil der Fachliteratur, ist dies leider oft nicht der Fall. Während man die Inbetriebnahme häufig unterschätzt, wird der Rückbau teilweise ganz vernachlässigt.

1.5 Abschnitte, Meilensteine und Schnittstellen der Inbetriebnahme

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 Abb. 1.3 Lebenszyklus einer verfahrenstechnischen Anlage

1.5 Abschnitte, Meilensteine und Schnittstellen der Inbetriebnahme Die nachfolgend beschriebene Strukturierung (inkl. der Begriffe und Schnittstellen) der Baustellen- und Inbetriebnahmephase hat sich für unterschiedliche verfahrenstechnische Anlagenprojekte in der  Chemie- und Kunststoffindustrie,  Pharmazie und Biotechnologie,  Öl- und Raffinerieindustrie,  Gasindustrie inkl. Biogas,  verarbeitenden Industrie inkl. maschinentechnischer Anlagen bewährt.

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1 Aufgaben, Schnittstellen und Spezifik der Inbetriebnahme

1.5 Abschnitte, Meilensteine und Schnittstellen der Inbetriebnahme

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Dies gilt unabhängig von der Art und Größe der speziellen verfahrenstechnischen Anlage sowie im Wesentlichen auch für unterschiedliche Anlagenstandorte. Gewisse Besonderheiten in der Begrifflichkeit bezüglich der Inbetriebnahmephase gibt es im Kraftwerksbereich. Auf diese wird in Abschn. 1.1.1, Buchst. b) hingewiesen. Auf die zusätzlichen inbetriebnahmerelevanten Leistungen der Qualifizierung und Validierung, die in Pharmaprojekten nach den Good Manufacturing Practice(GMP)Grundsätzen notwendig sind, wird in Abschn. 1.5.4 sowie in Verbindung mit den einzelnen Qualifizierungsphasen Installations-, Funktions- und Leistungsqualifizierung während der Montage und Inbetriebnahme eingegangen.

1.5.1 Abschnitte und Meilensteine Die wichtigsten Abschnitte und Meilensteine während der Inbetriebnahmevorbereitung und Inbetriebnahmedurchführung der Anlage sind schematisch in Abbildung 1.4 veranschaulicht. Die Darstellung unterteilt die Phasen 8 (Bau/Montage) und 9 (Inbetriebnahme) des in Abschn. 2.1 beschriebenen Phasenmodells der Anlagen-Projektabwicklung in einzelne Abschnitte. Ausgehend vom Lebenszyklusmodell der Anlage werden, fokussiert auf die inbetriebnahmespezifischen Aspekte, zunächst die Projektphasen Errichten (Bau/Montage), Inbetriebnahme und Betrieb unterschieden. a) Errichterphase (Synonym: Bau-und Montagephase bzw. Baustellenphase) Das Errichten der Anlage umfasst definitionsgemäß alle Arbeiten auf der Baustelle, die im Zeitraum von der Baustelleneröffnung bis zum Inbetriebnahmebeginn (Protokollierung Mechanische Fertigstellung) erbracht werden. Die Baustellentätigkeiten beginnen mit dem Einrichten der Baustelle. Sie finden in der Reihenfolge: Tiefbau (civil), Architektur (architecture), Hochbau (structural) und Stahlbau (steel construction) statt. Zeitliche Überlappungen zwischen den Teildisziplinen sind üblich. Sobald bauseits die Voraussetzungen gegeben sind, beginnen schrittweise und aufeinander abgestimmt die eigentlichen Montagetätigkeiten, wie z.B.  Grobmontage (Aufstellung/Montage der Hauptausrüstungen),  Rohrleitungsmontage,  Elektrotechnik-Montage (inkl. Stromversorgung der E-Verbraucher und der PLTStellen, Notstromversorgung, Beleuchtung, elektrische Begleitheizung, Blitzschutz und Erdung, Brandmeldung),  PLT-Montage (inkl. MSR, PLS, Nachrichtentechnik, Prozessanalysentechnik),  TGA-Montage (Heizung, Sanitär, Klima, Lüftung),  weitere Fachmontagen (z.B. Beschichten, Dämmen, Isolieren, Beschildern). Die spezifischen Belange der Inbetriebnahme, die gemäß den Anforderungen an eine inbetriebnahmegerechte Planung (s. Abschn. 2.3) im Engineering umgesetzt wurden, sind während der Bau-/Montagephase strikt zu beachten. Viele Tätigkeiten bis zum Zeitpunkt Mechanische Fertigstellung sind zugleich wichtiger Bestandteil einer systematischen Inbetriebnahmevorbereitung. In Kapitel 5 wird auf diese Arbeiten, die insbesondere begleitend zur Montage durchgeführt werden, ausführlich eingegangen. Begleitend zur Montage sind zeitnah und regelmäßig Qualitätskontrollen betreffs der sach- und vorgabegerechten Fertigung, Montage und Installation ausgewählter Anlagenkomponenten durchzuführen und zu dokumentieren.

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1 Aufgaben, Schnittstellen und Spezifik der Inbetriebnahme

 

 Abb. 1.4 Abschnitte und Meilensteine der Baustellen- und Inbetriebnahmephase

Die Qualitätskontrollen betreffen u.a. die  Montagekontrollen anhand der R&I-Fließschemata,  Schweißnahtprüfungen an montierten Rohrleitungssystemen,  Dichtigkeitsprüfung der Teilsysteme und der Gesamtanlage,  Drehrichtungsprüfung an Maschinen, um die richtige Verdrahtung zu prüfen,  Verdrahtungsprüfung der PLT-Stellen durch sog. Loop-Checks. Nach Montageende der betroffenen Anlagenteile sind an wichtigen Hauptausrüstungen und Anlagenkomponenten die rechtsrelevanten Sicherheitsprüfungen (s. Abschn. 5.5.1) sowie wesentliche Funktionsprüfungen (s. Abschn. 5.5.2) zu erledigen und zu dokumentieren. Dazu gehören z.B. die  wiederholte Vor-Ort-Druckprüfung der Druckgeräte,  Druckprüfung der Rohrleitungen, die der BetrSichV unterliegen,  Prüfung der Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen,

1.5 Abschnitte, Meilensteine und Schnittstellen der Inbetriebnahme

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 Erfüllungskontrolle des Explosionsschutzdokuments,  Funktionsprüfungen der Maschinen und der Prozessleittechnik. In der Praxis werden die angeführten Qualitäts-, Sicherheits- und Funktionsprüfungen mitunter der Inbetriebnahme zugeordnet. Dies ist aus Sicht des Autors nicht richtig und eine Ursache für Verzögerungen und Kostenüberschreitungen bei der Inbetriebnahme und letztlich im gesamten Projekt. Folgende Argumente seien dazu angeführt:  Die Dichtheits- und Drehrichtungsprüfung sowie die Loop-Checks sind hauptsächlich Qualitätskontrollen. Sie dienen vorrangig dem Zweck nachzuweisen, dass die montierte Anlage dicht ist und die Motoren bzw. PLT-Geräte richtig verdrahtet wurden. Für diese Leistungen werden die Montage- bzw. Installationsfirmen bezahlt.  Die angeführten Prüfungen sind teilweise rechts- und sicherheitsrelevant.  In den geltenden Rechtsvorschriften (u.a. in der BetrSichV [4]) wird häufig gefordert, diese Prüfungen „vor Inbetriebnahme“ durchzuführen.  Die Prüfungen so früh wie möglich durchzuführen, ist ein Gebot der wirtschaftlichen Vernunft. Je früher der Fehler gefunden wird, desto geringer die Fehlerbeseitigungskosten und der Schaden (s. Abb. 1.8 in Abschn. 1.6 und Abb. 4.13 in Abschn. 4.2.2). Um gegen Ende der Baustellenphase vor der Mechanischen Fertigstellung der Anlage die Reinigungsmaßnahmen (sog. Grundreinigung), Dichtigkeitsprüfungen, Sicherheitsund Funktionsprüfungen usw. durchführen zu können, müssen zuvor die Infrastruktur sowie einige Mediensysteme und Nebenanlagen in Betrieb genommen werden. Das betrifft gegebenenfalls:  Trafostationen und Schaltanlagen zur Spannungsversorgung der elektrischen Betriebsmittel,  Infrastrukturleitungen und Mediensysteme für Hilfsstoffe (Steuerluft, Stickstoff) und Energien (Kühlwasser, Dampf, Kondensat, Heißwasser, Erdgas, Heizöl, Wärmeträgeröl),  Nebenanlagen für Heizung, Klima, Lüftung,  Nebenanlagen zur Bereitstellung von Druckluft für das Ausblasen der Anlagenteile,  Nebenanlagen zur Herstellung und Bereitstellung von Reinstwasser für das Spülen der Anlagenteile (z.B. in Pharmaanlagen) bzw. zur Aufnahme und Entsorgung von Schmutzwasser. Voraussetzung für die Inbetriebnahme dieser Systeme und Nebenanlagen (Packageunits) ist deren Montageende, das zweckmäßig in Form einer Leistungsfeststellung inkl. zugehöriger Restpunktliste protokolliert wird. In der Praxis bedeutet dies, dass einzelne Teilanlagen (z.B. als Package-units eingekauft) bereits funktions- und leistungsgerecht in Betrieb sind, obwohl die Gesamtanlage noch nicht die Mechanische Fertigstellung erreicht hat. Darin steckt Klärungsbedarf betreffs rechtsrelevanter und kostenrelevanter Fragen, wie sie sich beispielsweise im Turnkey-Vertrag zwischen den Generalunternehmer und den Subunternehmern stellen können (s. Abschn. 4.3.2.1, Buchst. e) und Abschn. 5.5.3). In der Kraftwerksindustrie wird der Abschnitt zwischen dem Montageende bis zum Inverkehrbringen der Anlage zum Zeitpunkt Mechanische Fertigstellung mitunter als Inbetriebsetzung bezeichnet (s. Abschn. 1.1, Buchst. e)). Mit der Protokollierung Mechanische Fertigstellung endet zugleich die Inbetriebnahmevorbereitung und es beginnt die Inbetriebnahme der Gesamt-Anlage.

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1 Aufgaben, Schnittstellen und Spezifik der Inbetriebnahme

b) Inbetriebnahmephase Der Gesamtzeitraum der Inbetriebnahme wird in die folgenden drei Abschnitte unterteilt (s. Abb. 1.4): 1) Durchführung der Kalt-Inbetriebnahme (Kalt-IBN) bzw. Herstellung der Betriebsbereitschaft (HBB) Die Kalt-Inbetriebnahme (Synonym: Herstellung der Betriebsbereitschaft) umfasst einen Übergangs(Puffer-)-zeitraum zwischen der Protokollierung Mechanische Fertigstellung und den Beginn der Heiß-Inbetriebnahme, in dem ganzheitlich die Voraussetzungen für das Anfahren (start-up) der Anlage zu schaffen sind.

Unter günstigen Umständen, z.B. bei vergleichsweise einfachen Anlagen mit geringem Gefahrenpotential, kann mit dem Protokoll Mechanische Fertigstellung zeitgleich bzw. zeitnah die Betriebsbereitschaft für den Beginn der Heiß-Inbetriebnahme angezeigt/ erklärt werden. Der vorgenannte Übergangszeitraum entfällt. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass diese Situation bei komplexen und sicherheitsrelevanten verfahrenstechnischen Anlagen meistens nicht gegeben ist bzw. unter Umständen vor dem Anfahren der Anlage mit Produkt noch ein vertiefender Vorbereitungs- und /oder Testzeitraum zweckmäßig ist. Typisches Beispiel für einen komplexen Test (sog. Komplexe Funktionsprüfung, s. Abschn. 5.5.2.5) ist die sog. Wasserfahrt mit Wasser definierter Qualität oder anderen Flüssigkeiten. Die Betriebsbereitschaft wird in Form eines Protokolls angezeigt. Nähere Ausführungen dazu sowie über die Prozedur bis zur Protokollierung sind in Abschn. 6.2.6 enthalten. 2) Heiß-Inbetriebnahme (Heiß-IBN) bzw. Probebetrieb (PB) Die Heiß-Inbetriebnahme (Synonym: Probebetrieb) ist das erstmalige Betreiben einer Anlage mit Medium unter Betriebsbedingungen mit dem Ziel, die Fahrweise der Anlage so zu stabilisieren und zu optimieren, dass die vertraglich vereinbarten Leistungsparameter erreicht werden und die Nutzungsfähigkeit der Anlage im Dauerbetrieb gewährleistet ist.

Die Heiß-Inbetriebnahme ist in mehrere Inbetriebnahmeschritte unterteilt (s. Abschn. 6.1). Sie beginnt zeitlich mit dem Anfahren und endet mit dem Übergang zur Leistungsfahrt (Synonym: Abnahmeversuch). Die Heiß-Inbetriebnahme bestimmt entscheidend den Zeit- und Kostenaufwand für die Inbetriebnahme insgesamt. Kriterien für den eigentlichen Start der Heiß-Inbetriebnahme können sein:  der Zeitpunkt, zu dem erstmals Gefahrstoffe in die Anlage gelangen,  der Zeitpunkt, zu dem erstmalig brennbare Stoffe in die Anlage gelangen bzw. erstmals Ex-Bedingungen vorliegen,  der Zeitpunkt, zu dem erstmalig Rohstoffe (Edukte) in die Anlage gelangen,  der Zeitpunkt, zu dem die Anlage erstmals produziert, d.h. das Endprodukt (wenn auch nicht qualitätsgerecht) erzeugt wird. Dieser Fall bedeutet in vielen verfahrenstechnischen Anlagen, dass erstmals der Reaktor „aktiv“ ist. Allen vier Kriterien ist gemeinsam, dass die Zeitpunkte relativ nahe beieinander liegen und die gewählte inhaltliche Unterteilung der gesamten Aufgaben in vorbereitende und ausführende Arbeiten betreffs der Inbetriebnahme grundsätzlich zutrifft. In der Kraftwerksbranche wird der Begriff Heiß-Inbetriebnahme im gleichen Verständnis benutzt; aber als Probebetrieb eine 4-wöchige Fahr-/Betriebsperiode der Anlage unter Nennbedingungen nach dem erfolgreichen Abnahmeversuch verstanden.

1.5 Abschnitte, Meilensteine und Schnittstellen der Inbetriebnahme

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3) Leistungsfahrt (LF) Der Leistungsfahrt (Synonym: Abnahmeversuch, Garantieversuch) ist ein vertraglich vereinbarter Betriebszeitraum während der Inbetriebnahme zur Erbringung des rechtsverbindlichen Leistungsnachweises für die Gesamtanlage.

Der Begriff Abnahmeversuch ist bei Kraftwerksanlagen und artverwandten Projekten anstelle von Leistungsfahrt üblich. Ziel der Leistungsfahrt bzw. des Abnahmeversuchs sind der Leistungsnachweis bzw. die nachgewiesenen vertragsgemäßen Abnahmemessungen. Die Modalitäten zur Durchführung der Leistungsfahrt sind wegen seiner hervorragenden rechtlichen und kaufmännischen Bedeutung im Detail vertraglich zu vereinbaren sowie vor Beginn in einem „Programm des Leistungsnachweises“ konkret festzulegen. Im Unterschied zum Inbetriebnahme-Abschnitt Heiß-Inbetriebnahme ist die Leistungsfahrt (s. Abschn. 6.8) relativ kurz. Wurde während der Leistungsfahrt der rechtsverbindliche Leistungsnachweis erfolgreich erbracht, wird i.d.R. mit den Abnahmeverhandlungen bzw. Schlussverhandlungen zum Vertrag begonnen und im Erfolgsfall von beiden Vertragspartnern das Abnahmebzw. Schlussprotokoll unterzeichnet. Die Anlage geht anschließend in die letztlich angestrebte und betriebswirtschaftlich notwendige Phase des geplanten und genehmigten Dauerbetriebs (Synonym: kommerzieller Betrieb) über. Um das zuvor Gesagte nochmals konkret fachlich zu untersetzen, sind in Abb. 1.5 einige typische Inbetriebnahmehandlungen den einzelnen Projektphasen und Inbetriebnahmeabschnitten zugeordnet. Projektspezifische Änderungen bezüglich der Einzelaufgaben sind möglich.

 Abb. 1.5 Hauptaufgaben in Vorbereitung und Durchführung der Inbetriebnahme

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1 Aufgaben, Schnittstellen und Spezifik der Inbetriebnahme

1.5.2 Charakterisierung wesentlicher Schnittstellen Bei der Projektstrukturierung wird das gesamte Vorhaben in Phasen, Abschnitte, Schritte, Meilensteine, Arbeitspakete usw. zerlegt. Zwischen diesen Elementen entstehen sog. Schnittstellen. Im vorliegenden Fall sollen die Schnittstellen jeweils zwischen den einzelnen Abschnitten der Errichter- bzw. Inbetriebnahmephase betrachtet werden. Diese Schnittstellen können insbesondere technischer, sicherheitlicher, organisatorischer und örtlicher Art sein. Um ein Projekt erfolgreich abzuwickeln, müssen die einzelnen Elemente effizient zusammenwirken. Aus den Schnittstellen müssen „Nahtstellen“ werden. Dazu dient das sog. Schnittstellenmanagement. Ein Grundsatz davon besagt: Wichtige Schnittstellen sind ganzheitlich zu identifizieren sowie schriftlich zu definieren, zu planen und zu realisieren! Im Weiteren werden bezugnehmend auf die Strukturierung (Workflow) in Abb. 1.4 des vorhergehenden Abschnitts die wichtigsten Schnittstellen der Errichter- und Inbetriebnahmephase kurz charakterisiert. a) Schnittstelle der Baustelleneröffnung  Die Eröffnung der Baustelle bewirkt neuartige Tätigkeiten und Herausforderungen (Kosten, Risiken usw.) im Projekt.  Vor der Baustelleneröffnung ist die Baustelleneinrichtung zu planen und zu realisieren (s. Checkliste in Tab. 1.2). Gegebenenfalls sind weitere Maßnahmen gemäß Baustellenverordnung [11] vorzunehmen. Tabelle 1.2 Checkliste „Was ist beim Einrichten der Baustelle zu tun?“ 1

Aufgaben gemäß Baustellenverordnung [11] (falls zutreffend)  Vorankündigung der Baustelle gegenüber der zuständigen Behörde  Vorankündigung auf Baustelle sichtbar aushängen  Erarbeiten eines SiGe-Plans (Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan) für die Baustelle sowie SiGe-Plan auf der Baustelle auslegen bzw. veröffentlichen  Bestellen eines oder mehrerer SiGeKo (Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinator)

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Angaben zu Baustellenbedingungen  Anfahrbeschreibung, Hinweisschilder  Parkplätze, Besucherparkplätze  Zuwegung zur Baustelle  Einfriedung, Zugangskontrolle  Infrastruktur der Baustelle (Straßen, Wege)  Lagerhallen, Lagerflächen  Montageflächen, Abstellflächen  Energieversorgung (Baustrom, Heizung)  Wasserversorgung, Abwasserentsorgung  Reststoffentsorgung  Unterkünfte, Büroräume  Erste-Hilfe-Einrichtungen  Sozial-/Sanitäreinrichtungen  Telefon, Datenkommunikation, Postanschrift  Verpflegungsmöglichkeiten

1.5 Abschnitte, Meilensteine und Schnittstellen der Inbetriebnahme

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 Für den Bauleiter gemäß Baustellenverordnung und den Oberbauleiter sind Bestellungen (s. Abschn. 4.4.1.2, Buchst. c)) zu erarbeiten und öffentlich zu machen.  Erarbeiten sicherheitlicher und organisatorisch-administrativer Arbeitsunterlagen für die Baustelle in Form eines Baustellenhandbuch (s. Gliederung in Tab. 1.3),  Ggf. Abgrenzung der Baustelle zum laufenden Betrieb (s. Abschn. 1.5.3). Tabelle 1.3 Mustergliederung eines Baustellenhandbuchs (Praxisbeispiel) 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Gültigkeitsbereich, Zielstellung Begriffsdefinitionen Kurzbeschreibung des Projekts Rechts- und Vertragsgrundlagen Allgemeine Sicherheitsbestimmungen für Auftragnehmer inkl. Unfallmeldung Erste-Hilfe-Einrichtungen, Brandschutz Gefährdungsbeurteilungen Baustellenanweisungen inkl. Arbeitserlaubnissystem Baustellenorganisation inkl. Pflichtenübertragungen Baustellenadministration Baustellenordnung mit Beilagen Formblätter, Musterprotokolle, Checklisten

b) Schnittstelle zwischen Bau und Montage  In der Regel gibt es für den gesamten Zeitraum der Baustelle, d.h. von ihrer Eröffnung bis zum Übergang zur Inbetriebnahme, durchgängig einen Baustellenleiter oder Oberbauleiter (Construction Manager). Dem Baustellenleiter obliegt die verantwortliche Leitung aller Arbeiten auf der Baustelle. Eine spezielle Schnittstelle zwischen Bau und Montage existiert nicht.  Bei Innlandsprojekten der chemischen und pharmazeutischen Industrie gibt es häufig in der 1. Phase der Baustelle, wo die Arbeiten des Tief-, Hoch- und Stahlbaues dominant sind, einen Bauleiter im eigentlichen Sinne. Dieser übergibt später die Leitung der Baustelle, wenn die Arbeiten zur Apparate-, Maschinen-, Rohrleitungs- und PLT-Montage zunehmen, in Form eines gegenseitigen Protokolls an einen Montageleiter.  Der Montageleiter bleibt bis zur Protokollierung Mechanische Fertigstellung in der Verantwortung und übergibt seinerseits an den Inbetriebnahmeleiter. Die Bau- und Montageleiter sind in der Regel aus demselben Unternehmen sowie auf der Auftragnehmerseite tätig.  Die Schnittstelle zwischen Bau- und Montageleiter muss inhaltlich sowie organisatorisch eindeutig definiert und geregelt sein. Da der Trend im Projektmanagement zu möglichst wenigen Schnittstellen geht, wird diese gestaffelte Baustellenleitung zunehmend weniger praktiziert. c) Schnittstelle zwischen Montageende und Inbetriebnahme von Infrastruktur, Mediensystemen und Nebenanlagen  Die Inbetriebnahme von Infrastruktur, Mediensysteme und Neben- bzw. Teilanlagen (Package-unit) dient vor allem zur Bereitstellung von Medien (Hilfsstoffen und Energien), die für die Sicherheits- und Funktionsprüfungen benötigt werden.

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1 Aufgaben, Schnittstellen und Spezifik der Inbetriebnahme

 Die technische Infrastruktur von Anlagenprojekten umfasst i.d.R. Anlagen und Einrichtungen sowie Komponenten (Rohre, Kabel u.ä.) außerhalb der Anlagengrenze (sog. OSBL – Outside Battery Limits), die im weitesten Sinne zur Versorgung/Entsorgung der Neuanlage (sog. ISBL - Inside Battery Limits) dienen. Die Realisierung der Infrastruktur erfolgt häufig außerhalb des eigentlichen Anlagenprojekts und unter Verantwortung des Standortbereichs. Deren Inbetriebnahme muss entsprechend in enger Kooperation zwischen Baustellenleiter und Standort-Verantwortlichen erfolgen (s. Abschn. 5.4.1).  Typische Nebenanlagen bzw. Teilsysteme, die in den meisten verfahrenstechnischen Anlagenprojekten während der Montagephase in Betrieb genommen werden, sind z.B. elektrotechnische, informationstechnische, lufttechnische, wassertechnische und wärmetechnische Anlagen sowie zahlreiche Sicherheitseinrichtungen. In Abschn. 5.4 wird im Detail auf die Vielzahl dieser Teilanlagen und deren Inbetriebnahme eingegangen. Vorsicht ist bei der Inbetriebnahme von Teilanlagen/Systemen geboten, von denen ein gravierendes Sicherheitsrisiko ausgeht. Dazu gehören u.a. das Stickstoffsystem, das Dampf- und Kondensatsystem sowie das Wärmeträgerölsystem. In der Regel sollten diese Teilanlagen(-systeme) unter Beachtung der Baustellensituation erst nach der Mechanischen Fertigstellung während der Kalt-Inbetriebnahme in Betrieb genommen werden.  Verantwortlich für die Inbetriebnahme aller Mediensysteme, Nebenanlagen und der Infrastruktur (innerhalb der Anlagengrenze) ist der Oberbau-/Baustellenleiter. Der spätere Betreiber sollte mit ausreichend Inbetriebnahmepersonal mitwirken. Der Oberbau- bzw. Baustellenleiter muss gewährleisten, dass die Maßnahmen zur Inbetriebnahme dieser Teilanlagen/-systeme und Infrastruktur in der Montageplanung ausreichend erfasst werden.  Häufig werden die vorgenannten Teilanlagen als Package-unit eingekauft. Sobald die betroffene Teilanlage im Nennbetrieb ist, drängt der Lieferant nicht selten auf die Durchführung einer Leistungsfahrt, um den Leistungsnachweis zu erbringen und anschließend die werkvertragliche Abnahme zu vollziehen. Der Kunde (im EPCM-Vertrag) bzw. der Generalunternehmer (im LSTKVertrag) möchte andererseits die Abnahme der Package-unit zeitgleich mit der Abnahme der Gesamtanlage protokollieren. Insgesamt steckt in dieser Situation erhebliches Konfliktpotenzial und bei LSTK-Verträgen die Gefahr einer sog. Gewährleistungslücke für den Generalunternehmer (s. Abschn. 5.5.3). d) Schnittstelle zwischen Montageende und Sicherheits-/Funktionsprüfungen  Eine Schnittstelle bzw. ein Meilenstein zwischen der Montage einerseits und den Sicherheits- und Funktionsprüfungen ist selten ausgeprägt. Die meisten Prüfungen sind als Qualitätskontrolle einer sachgerechten Montage zu verstehen, d.h. sie sind inhaltlich und verantwortungsseitig eng mit den Montagearbeiten verzahnt. Der Oberbau- bzw. Baustellenleiter ist ganzheitlich für Beides verantwortlich. e) Schnittstelle zwischen Mechanischer Fertigstellung und Inbetriebnahme  Die Schnittstelle zwischen dem Ende der Baustelle und dem Beginn der Inbetriebnahme ist wichtig und stark ausgeprägt. Sie ist häufig vertragsrelevant und nicht

1.5 Abschnitte, Meilensteine und Schnittstellen der Inbetriebnahme

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selten mit einem Wechsel der Verantwortung, sowohl hinsichtlich der Unternehmen als auch der Person verbunden. Zugleich ist sie die Schnittstelle zwischen der Inbetriebnahmevorbereitung und der Inbetriebnahmedurchführung.  Die Bau-/Montagephase endet de facto mit der Unterzeichnung des Protokolls Mechanische Fertigstellung (MF) bzw. Mechanical Completion (MC). Die Bezeichnung Mechanische Fertigstellung ist international üblich, aber etwas irreführend. Sie suggeriert, dass zu diesem Zeitpunkt nur die mechanischen und noch nicht die elektrischen Anlagenkomponenten fertig montiert sind. Dies ist aber falsch, wie die Ausführungen in Abschn. 5.8.1 und die Begriffsdefinition Mechanische Fertigstellung beweisen. Um Missverständnisse zu vermeiden, muss im Projekt und im Vertrag der Begriff bzw. der Zustand Mechanische Fertigstellung (Mechanical Completion) inhaltlich exakt definiert werden.  Der Inbetriebnahmeleiter, der zu diesem Zeitpunkt die Verantwortung vom Oberbau- bzw. Montageleiter übernimmt, muss dieses Protokoll mit unterschreiben bzw. paraphieren. Er bestätigt damit, dass die Inbetriebnahmevoraussetzungen erfüllt sind.  Bei großen Anlagenprojekten kann im Sinne einer strukturierten Vorgehensweise ein Meilenstein Mechanische Fertigstellung, zum Beispiel innerhalb der in Abschn. 5.8.2 beschriebenen, schrittweisen Prozedur zur Prüfung, Feststellung und Protokollierung der Mechanischen Fertigstellung zweckmäßig sein. Die exakte Feststellung einer vollständigen und vorgabegerechten Montage ist insbesondere dann zu empfehlen, wenn anschließend schwierige und/oder kostenintensive Prüfungen bzw. Teilinbetriebnahmen vorgesehen sind und eventuelle Fertigungs- bzw. Montagefehler dabei erhebliche Risiken darstellen (s. auch Abschn. 5.7.1 – Auditieren der Inbetriebnahmevoraussetzungen).  In Anlagenverträgen, in denen der Auftraggeber (Betreiber) selbst Verfahrensträger ist und über viel betriebliches Know-how verfügt, findet zum Zeitpunkt Mechanische Fertigstellung meistens die werkvertragliche Abnahme der Vertragsleistung oder zumindest der Gefahren- und Verantwortungsübergang bezüglich der Inbetriebnahme statt (s. Abschn. 4.3.2.1). In der Chemie- und Pharmaindustrie ist diese Vertragskonstellation, insbesondere bei Investitionen an vorhandenen, traditionellen Standorten noch häufig anzutreffen. Der Trend geht aber auch bei diesen Projekten hin zu einer späteren Abnahme bzw. einen späteren Gefahren-/Verantwortungsübergang, z.B. zum Zeitpunkt Ende Kalt-Inbetriebnahme nach der Anzeige der Betriebsbereitschaft.  In den vorhergehenden Ausführungen wurde stets angenommen, dass die Hauptteile der verfahrenstechnischen Anlage (z.B. die Prozessanlage) zeitgleich zum Montageende geführt werden, d.h. gleichzeitig deren Mechanische Fertigstellung protokolliert wird. Der Autor hat dazu folgende Meinung:  In der Regel ist es für eine erfolgreiche Projektabwicklung vorteilhaft, wenn die Hauptteile der Anlage, insbesondere die sicherheits- und prozessrelevanten Teilanlagen, zeitgleich mit der Inbetriebnahme beginnen.

26

1 Aufgaben, Schnittstellen und Spezifik der Inbetriebnahme

 Ist dies nicht der Fall, findet eine sicherheits- und kostenrelevante Inbetriebnahme von wichtigen Teilanlagen parallel zur fortgesetzten Baustellentätigkeit statt. Die restlichen Montagetätigkeiten werden parallel zum laufenden Anlagenbetrieb durchgeführt. Diese Situation ist i.Allg. wirtschaftlich nicht effektiv und mit erheblichen Risiken verbunden.  Ist zu Beginn der Projektplanung bereits absehbar, dass prozessrelevante Anlagenteile/-komponenten verzögert geliefert und montiert werden, so kann man sich im Engineering und Management, zumindest partiell, darauf einstellen und die Nachteile einer „zeitversetzten Inbetriebnahme“ etwas minimieren. Letztlich bleibt die Situation aber auch dann unbefriedigend sowie risikound kostenerhöhend.  Nicht selten ergeben sich die Verzögerungen bei der Beschaffung und Errichtungen der Anlage erst während der Projektabwicklung und dann wird gefragt: Können wir nicht zeitlich mit der Anlagen-Inbetriebnahme beginnen, obwohl wesentliche prozessrelevante Teile noch nicht fertig sind? In einem solchen Fall, in dem die ursprünglich geplanten Inbetriebnahmevoraussetzungen nicht erfüllt sind, muss die weitere Vorgehensweise sorgfältig abgewogen werden. Erfahrungsgemäß ist es meistens klüger und wirtschaftlicher, noch mit der Inbetriebnahme der Gesamtanlage zu warten und mit Nachdruck die wesentlichen Restmontageleistungen zu realisieren.  Es gilt für den Inbetriebnahmeleiter, der diese unbefriedigende Situation nicht zu verantworten hat, aber für eventuelle Folgen/Konsequenzen haften soll, der Ratschlag (s. auch Tab. 4.15 in Abschn. 4.4.2.2): Lehnen Sie Forderungen, die Sie nicht erfüllen können oder wollen, definitiv ab. Die Stärke einer Persönlichkeit zeigt sich nicht in der Offensive, sondern in der Defensive!  Abschließend zur Schnittstelle zwischen Montage und Inbetriebnahme sei noch erwähnt, dass gemäß den Ausführungen in Abschn. 1.2 zum Zeitpunkt Mechanische Fertigstellung, d.h. mit Beginn der Inbetriebnahmephase, die verfahrenstechnische Anlage als Ganzes in Verkehr gebracht wird. Die damit verbundenen Konsequenzen sind in Abschn. 1.2 angeführt. f) Schnittstelle zwischen Kalt-Inbetriebnahme und Heiß-Inbetriebnahme  Die angeführte Schnittstelle zwischen den beiden Inbetriebnahmeabschnitten hat eine große sicherheitstechnische und wirtschaftliche Relevanz. Einerseits erhöht sich mit dem Übergang zur Heiß-Inbetriebnahme bzw. zum Probebetrieb, d.h. mit Beginn des Anfahrens (start-up) der Anlage, erheblich das Gefährdungspotential für Mensch, Umwelt und Vermögen. Dies ist dadurch begründet, dass u.a. erstmalig  Gefahrstoffe und wassergefährdende Stoffe bzw. Gemische in die Anlage gelangen,  sich explosionsfähige Atmosphären in den Anlagenkomponenten und/oder im Anlagenbereich bilden,

1.5 Abschnitte, Meilensteine und Schnittstellen der Inbetriebnahme

27

 kritische Prozessparameter hinsichtlich Druck, Temperatur, Korrosion usw. eingestellt werden. Zugleich werden erstmals größere Mengen an Rohstoffe und Hilfsstoffen sowie an Energien benötigt. Dies erhöht gravierend die laufenden Inbetriebnahmekosten.  Der Inbetriebnahmeabschnitt Kalt-Inbetriebnahme (Synonym: Herstellung der Betriebsbereitschaft) ist mit der Unterzeichnung des Protokolls „Anzeige der Betriebsbereitschaft“ für die Gesamtanlage beendet. Es beginnt das Anfahren als 1. Schritt der Heiß-Inbetriebnahme (s. Abschn. 6.1 und 6.3).  Mit Protokollierung der Betriebsbereitschaft kann die werkvertragliche Abnahme oder ein Gefahren-/Verantwortungsübergang verbunden sein (s. Abschn. 4.3.2.1).  Nähere Ausführungen zur praktischen Ausgestaltung dieser Schnittstelle zwischen Kalt- und Heißinbetriebnahme sind in Abschn. 6.2.7 gemacht. g) Schnittstelle zwischen Heiß-Inbetriebnahme und Leistungsfahrt  Diese Schnittstelle muss im Anlagenvertrag detailliert ausgestaltet sein, da der erbrachte Leistungsnachweis die wichtigste Bedingung für die werkvertragliche Abnahme der Gesamtanlage oder, falls die Abnahme bereits früher stattfand, für die Vertragserfüllung darstellt.  In den Abschn. 6.8 und 6.9 sind Einzelheiten dazu angeführt. h) Schnittstelle zwischen Inbetriebnahme und (Dauer-)Betrieb  Die letzte Schnittstelle im Phasenmodell der Anlagenprojektabwicklung betrifft den Übergang von der Inbetriebnahme in den Dauerbetrieb. Da sich die Anlage zu diesem Zeitpunkt bereits im Nennzustand befindet und verbleibt, ist diese Schnittstelle fachlich wenig ausgeprägt.  Je nachdem, ob zu diesem Zeitpunkt auch die werkvertragliche Abnahme, z.B. verbunden mit Gefahren- und Verantwortungsübergang, Beweislastumkehr und Gewährleistungsbeginn, vollzogen wird oder nicht, ist diese Schnittstelle vertraglich und kommerziell mehr oder weniger bedeutend. Im ersteren Fall ist ein Abnahmeprotokoll mit Restpunktliste zu erarbeiten und zu unterschreiben, im letzteren Fall wird ein Vertragserfüllungsprotokoll mit Restpunktliste erstellt. (s. Abschn. 6.9).

1.5.3 Besonderheiten bei Investitionen in bestehenden Anlagen Im Vergleich mit Anlageninvestitionen auf der grünen Wiese (greenfield) haben Erweiterungs- und/oder Modernisierungsinvestitionen in bestehenden Anlagen (brownfield) zwei wesentliche Besonderheiten hinsichtlich der Inbetriebnahme (s. auch Abb. 1.4 in Abschn. 1.5.1). Zum ersten muss die Neuinvestition allumfassend in die Altanlage eingebunden werden. Dies gilt für alle Phasen der Projektabwicklung, angefangen vom Lastenheft, über das Basic- und Detail-Engineering, die Beschaffung bis hin zu Bau und Montage. Diese Aufgaben sind zusätzlich zu den ohnehin erforderlichen Infrastrukturleistungen zu realisieren, die an der Anlagengrenze zwischen den Inside Battery Limits (ISBL) und den Outside Battery Limits (OSBL) notwendig sind. Die Anbindung der Neuanlage an die Vor-Ort-Infrastruktur wird i.d.R. außerhalb des Anlagenprojekts separat realisiert.

1 Aufgaben, Schnittstellen und Spezifik der Inbetriebnahme

28

Eine Checkliste, die eine Erfüllungskontrolle der Einbindearbeiten (tie-in) für alle Projektphasen und Fachdisziplinen unterstützt, ist in Tab. 1.4 enthalten. Der Inbetriebnehmer muss vor der Mechanischen Fertigstellung kontrollieren, inwieweit diese Einbindearbeiten erbracht sind. Einzelne Leistungen, z.B. die Ergänzung der Gefährdungsbeurteilungen und Betriebsanweisungen oder die Fortschreibung der Dokumentation sind ggf. durch ihn zu erbringen. Tabelle 1.4 Checkliste „Schnittstellenkontrolle an der Anlagengrenze auf dem Werksgelände bzw. zur vorhandenen Anlage auf dem Betriebsgelände“ 1 Grundsätzliches 1.1

Sind die Anlagengrenzen zwischen Bestand und Einbindeumfang präzise und eindeutig definiert sowie dokumentiert?

1.2

Erfüllen die bestehenden Anlagen, in die eingebunden wird, die aktuellen rechtlichen (z.B. Genehmigung, Sicherheit) und technischen (z.B. Statik, Zustand, Funktionsfähigkeit) Anforderungen?

1.3

Ergeben sich aus den Einbindeleistungen auch rechts- und/oder sicherheitsrelevante Änderungen für die bisherigen Anlagen (z.B. wegen wesentlicher Änderungen)?

1.4

Sind alle genehmigungsrelevanten Maßnahmen und Voraussetzungen, die aus den Einbindearbeiten resultieren, erkannt und veranlasst?

1.5

Sind die Planung, Vorbereitung und Durchführung der Einbindearbeiten bzgl. Verantwortung, Zuständigkeiten und Befugnisse ausreichend geregelt?

1.6

Sind die Einbindungen im Sicherheitstestat S2 und S3 berücksichtigt?

1.7

Sind die am Standort verfügbaren Kapazitäten und Betriebsparameter für Energien, Rohstoffe, Abfälle, Hilfsstoffe usw. ausreichend und abgestimmt?

1.8

Sind die Betriebsbedingungen (z.B. Druck, Temperatur, Medium, Zusammensetzung, Rückströmung) an den Schnittstellen abgestimmt?

1.9

Sind vor Ort die Voraussetzungen für die Einbindearbeiten bekannt und definiert?

1.10 Sind alle Informationen für die Berücksichtigung der Einbindearbeiten bei der Investitionskostenermittlung vorhanden und die Leistungen im Budget enthalten? 1.11 Wurden die Planung und Vorbereitung der Einbindearbeiten bei der Projektterminplanung ausreichend berücksichtigt? 1.12 Wurden die Einbindearbeiten im Beschaffungskonzept berücksichtigt? 1.13 Gibt es ein Abwicklungskonzept (z.B. Stillstandsplanung) für die Einbindearbeiten? 1.14 Wurden die Einbindearbeiten mit den betroffenen Bereichen (Betrieb, Standortdienste, Nachbarbetrieb u.a.) abgestimmt? 1.15 Wurde der Aufwand für das Einpflegen bzw. Fortschreiben der Einbindeleistungen in die Bestandsdokumentation bedacht, mit kalkuliert und veranlasst bzw. beauftragt? 2 Bau / Stahlbau 2.1

Gibt es Einbindeleistungen beim Tiefbau? (Straßen, Fundamente, Kanalisation, Erdtanks, Erder, Oberflächen usw.)

2.2

Wurden die Tiefbau-Einbindearbeiten ausreichend planerisch beachtet?

2.3

Gibt es Einbindeleistungen beim Hochbau? (Gebäude, Bühnen, Lager usw.)

2.4

Wurden die Hochbau-Einbindearbeiten ausreichend planerisch (ggf. inkl. Fortschreibung Prüfstatiken) beachtet?

1.5 Abschnitte, Meilensteine und Schnittstellen der Inbetriebnahme

29

Tab. 1.4 (Fortsetzung) 2 Bau / Stahlbau (Fortsetzung) 2.5

Gibt es Einbindeleistungen beim Stahlbau? (Tragwerke, Stahlgerüste, Bühnen, Treppen, Podeste, Übergänge usw.)

2.6

Wurden die Stahlbau-Einbindearbeiten ausreichend planerisch (ggf. inkl. Fortschreibung Prüfstatiken) beachtet?

2.7

Wurden die Einbindearbeiten für den baulichen Brandschutz ausreichend planerisch beachtet?

2.8

Wurden die Einbindearbeiten für Säurebau, Bodenbeläge, Oberflächenbefestigung u.ä. ausreichend planerisch beachtet?

2.9

Wurden die Einbindearbeiten für Dämmung und Isolierung ausreichend planerisch beachtet?

3 Apparate / Maschinen / Behälter 3.1

Gibt es Einbindeleistungen an Apparaten und Behältern? (Stutzen, apparativer Stahlbau usw.)?

3.2

Wurden die Einbindearbeiten an Apparaten und Behältern planerisch beachtet?

3.3

Gibt es Einbindeleistungen an Maschinen? (maschineninterne Rohrleitungen, Öl- bzw. Kühlkreislauf usw.)

3.4

Wurden die Einbindearbeiten an Maschinen ausreichend planerisch beachtet?

3.5

Können durch die neuen Einbindungen am Gesamtsystem Instabilitäten (z.B. Schwingungen, Strömungspulsationen, Resonanzen) entstehen?

4 Rohrleitungen

5

4.1

Wurden die Einbindepunkte für Rohrleitungen identifiziert und gekennzeichnet?

4.2

Gibt es eine Einbindepunktliste für Rohrleitungen?

4.3

Sind die Einbindepunkte in den Rohrleitungslisten erfasst und ausreichend beschrieben?

4.4

Sind die Einbindepunkte der Rohrleitungen in den R&I-Fließbildern dargestellt?

4.5

Sind die Einbindepunkte der Rohrleitungen in den Rohrleitungsisometrien und zugehörigen Rohrleitungsstücklisten erfasst und ausreichend dargestellt?

4.6

Sind die Einbindepunkte vor Ort geprüft und gekennzeichnet?

4.7

Können durch die neuen Einbindungen am Gesamtsystem Instabilitäten (z.B. Schwingungen, Strömungspulsationen, Resonanzen) entstehen?

4.8

Beeinflussen die neuen Einbindungen die Rohrleitungshalterung und ist dies ggf. in den relevanten Dokumenten ausreichend erfasst und dargestellt?

Prozessleittechnik (ohne Elektrotechnik) 5.1

Wurden die Einbindepunkte der Prozessleittechnik systematisch identifiziert?

5.2

Gibt es eine Einbindepunktliste für die Prozessleittechnik?

5.3

Sind in den Einbindepunktlisten alle PLT-Einbindepunkte erfasst und ausreichend beschrieben?

5.4

Sind die Einbindepunkte PLT in den Übersichtsschaltplänen u.a. PLT-Entwurfsdokumenten dargestellt?

5.5

Sind die neuen Einbindepunkte im vorhandenen Prozessleitsystem (grafische Darstellung, Programmierung usw.) dargestellt und/oder erfasst?

30

1 Aufgaben, Schnittstellen und Spezifik der Inbetriebnahme

Tab. 1.4 (Fortsetzung) 5

Prozessleittechnik (ohne Elektrotechnik) (Fortsetzung) 5.6

Wurden die Einbindepunkte der Prozessleittechnik systematisch identifiziert?

5.7

Können durch die Einbindungen Rückkopplungen mit dem Gesamtsystem (z.B. sicherheits-/prozessgerichtete Steuerungen, vermaschte Regelkreise, Instabilitäten) entstehen?

5.8

Wurden Konsequenzen für das Bedienkonzept (z.B. Prozessleitsystem) beachtet?

6 Elektrotechnik 6.1

Wurden die Einbindepunkte der Elektrotechnik systematisch identifiziert?

6.2

Gibt es eine Einbindepunktliste für die Elektrotechnik?

6.3

Sind in den Einbindepunktlisten alle ET-Einbindepunkte erfasst und ausreichend beschrieben?

6.4

Sind die Einbindepunkte der Elektrotechnik in den Übersichtsschaltplänen u.a. elektrotechnischen Entwurfsdokumenten dargestellt?

6.5

Können durch die neuen Einbindungen Rückkopplungen mit dem Gesamtsystem (z.B. Blindleistung, Spannungsspitzen) entstehen?

7 Technische Gebäudeausrüstung (TGA)

8

7.1

Wurden die Einbindepunkte der TGA systematisch identifiziert?

7.2

Wurden die Einbindearbeiten für TGA-Rohrleitungen, TGA-Kanäle usw. ausreichend planerisch beachtet?

7.3

Wurden die Einbindearbeiten für TGA-Elektro- und TGA-PLT-Leistungen ausreichend planerisch beachtetet?

7.4

Sind die Einbindepunkte TGA in den R&I-Fließbildern dargestellt?

7.5

Wurden eventuelle Konsequenzen für ein gegebenenfalls vorhandenes Gebäudeleitsystem und in Abstimmung mit dem Prozessleisystem beachtet?

Dokumentation 8.1 Ist die vorhandene Bestandsdokumentation ausreichend oder muss, zumindest partiell, eine Neuerfassung des aktuellen Anlagenbestands erfolgen? 8.2 Sind die in der Dokumentation vorhandenen Informationen zu den Anschlusspunkten (Schnittstellen) qualitativ und quantitativ ausreichend genau? Ist ggf. eine Neuvermessung oder örtliche Anpassung nötig? 8.3 Können die Einbindearbeiten problemlos in die vorhandene Anlagendokumentation eingepflegt werden? 8.4 Werden beim Einpflegen alle Exemplare (gegenständlich, elektronische) erfasst? 8.5 Ist ausreichend geregelt, wer für das Einpflegen der Änderungen in die Dokumentation verantwortlich und zuständig ist? 8.6 Welche betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen und welche Betriebsanweisungen müssen angepasst und welche Gefährdungsbeurteilungen und Betriebsanweisungen müssen neu erarbeitet werden? 8.7 Wurden die neuen Gefährdungen durch die Einbindungen der unterschiedlichen Anlagenkomponenten in den Risikobeurteilungen der Inside Battery Limits (ISBN) und Outside Battery Limits (OSBL) ausreichend beachtet und dokumentiert? 8.8 Wer ist für das Einpflegen der Einbindearbeiten in die Bestandsdokumentation verantwortlich und wie erfolgt gegebenenfalls die Abnahme dieser Leistungen?

1.5 Abschnitte, Meilensteine und Schnittstellen der Inbetriebnahme

31

Die zweite Besonderheit bei Investitionen im Bestand bezieht sich auf die Inbetriebnahmedurchführung der geänderten Gesamtanlage, indem die bisherige Anlage gemeinsam mit den neuen Anlagenteilen in Betrieb genommen werden muss. Erfahrungsgemäß denkt man dabei zunächst an die Herausforderungen, die sich aus dem Neuen ergeben. Zugleich geht man davon aus, dass die älteren Anlagenteile in bewährter Weise und wie bisher in Betrieb genommen werden können. Dies kann ein Trugschluss sein, denn es zeigt die Erfahrung: Die Erweiterungs- bzw. Modernisierungsmaßnahmen haben nicht selten auch Einfluss auf den Inbetriebnahmeablauf der ursprünglichen Altanlage. Das heißt, für die geänderte Gesamtanlage muss gegebenenfalls eine neue, angepasste Inbetriebnahmestrategie und -planung (inkl. Inbetriebnahmeanleitung und Inbetriebnahmeanweisungen) erarbeitet und praktiziert werden. Welche Spezifik sich für die Inbetriebnahmeorganisation und speziell das Inbetriebnahmeteam bei Brownfield-Projekten ergeben, wird in Abschn. 4.4.3 ausführlich betrachtet.

1.5.4 Zusätzliche inbetriebnahmespezifische Leistungen in Pharmaprojekten 1.5.4.1 Vorbemerkungen und spezifische Anforderungen Pharmazeutische Anlagen (kurz: Pharmaanlagen) dienen zur Herstellung von pharmazeutischen Produkten (Pharmaprodukten). Dabei wird grundsätzlich zwischen der Erzeugung der Wirkstoffe (API – Active Pharmaceutical Ingredients) und deren Weiterverarbeitung zum Arzneimittel/Medikament (sog. Formulierung) unterschieden. Pharmaanlagen gehören zu den klassischen verfahrenstechnischen Anlagen, haben jedoch typische Charakteristika und Besonderheiten, die auch die Projektabwicklung inkl. der Inbetriebnahme stark beeinflussen. In Tab. 1.5 sind einige zusammengestellt. Tabelle 1.5 Wesentliche Charakteristika und Besonderheiten von Pharmaprojekten und -anlagen 1

Die zuverlässige und nachvollziehbare Gewährleistung der definierten Pharma-Produktqualität(-en) im Dauerbetrieb der geplanten Pharmaanlage ist ein zentrales Projektziel. In etwa vergleichbar der Rechts- und Betriebssicherheit beim Anlagenbetrieb. Diesem Ziel dient u.a. ein systematisches, projektbegleitendes QualitätsmanagementProzedere, welches insbesondere durch die Begriffe Qualifizierung und Validierung gekennzeichnet ist [12][13][14] (s. Abschn. 1.5.4.2).

2

Die Abwicklung pharmazeutischer Projekte sowie der spätere Anlagenbetrieb unterliegen strengen internationalen Regularien [15] [16][17], die kurzgefasst als GMP-Anforderungen bzw. GMP-Grundsätze bezeichnet werden. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer GMP-gerechten Projektabwicklung inkl. GMP-gerechten Engineering. Bem.: GMP ist die Abkürzung für Good Manufacturing Practice und wird in Abschnitt 1.5.4.2 näher betrachtet.

3

Die Einhaltung der GMP-Anforderungen im gesamten Pharmaprojekt und bei der anschließenden Pharmaprodukt-Herstellung wird konsequent behördlich überwacht. Bekannt ist z.B. die FDA (Food and Drug Administration) in den USA, die nicht nur Hersteller bzw. Lieferanten von Pharmaprodukten in den USA prüft, sondern auch im Auftrag anderer Regierungen weltweit tätig wird. Die Befugnisse der Aufsichts- und Kontrollbehörden sind sehr hoch. Bei schweren Verstößen kann die FDA z.B. ein Warning Letter ausstellen und im nächsten Schritt die Produktion für den US-amerikanischen Markt sowie den Produktimport stoppen.

32

1 Aufgaben, Schnittstellen und Spezifik der Inbetriebnahme

Tab. 1.5 (Fortsetzung) 4

Die Entwicklung und Zulassung der Pharmaprodukte sind sehr zeit- und kostenintensiv. Sie können die Anlagen-Investitionskosten deutlich überschreiten. Zugleich sind die Risiken eines erheblichen Imageverlusts bei Misserfolg gravierend. Diese erheblichen Vorleistungen und Risiken bewirken ebenfalls ein sehr erfolgsorientiertes und aufwendiges Projektmanagement.

5

Typisch für Pharmaprojekte ist das konsequente Handeln auf Basis freigegebener Prozeduren. Für bestimmte GMP-relevante Handlungen gibt es sog. SOP (Standard Operation Procedure) die verbindlich sind. In anderen Fällen muss man z.B. zunächst für die beabsichtigte Tätigkeit eine zutreffende Projektrichtlinie erarbeiten und erst wenn diese Richtlinie vom Verantwortlichen per Original-Unterschrift freigegeben ist, kann die Handlung beginnen. Das heißt, die Handlungsweise der tätigen Personen wird reglementiert, letztlich um die Qualität zu sichern und um Fehler zu vermeiden.

6

Alle GMP-relevanten (vereinfacht: produktrelevanten) Vorgänge (Handlungen, Änderungen, Entscheidungen u.ä.) während des Projekts, und das sind viele, müssen nachvollziehbar dokumentiert sein. Dies setzt u.a. die konsequente Realisierung von Change-Control-Prozessen während der Projektabwicklung betreffs der Anlage und der Dokumentation voraus.

7

Die Reinheit und die Reinigung der Anlage inkl. all ihrer Anlagenkomponenten und Räumlichkeiten sind im Hinblick der Gewährleistung einer definierten Produktqualität von herausragender Bedeutung (s. Abschn. 2.3.6). Dies betrifft einerseits die Grundreinigung der montierten Anlage bis zur Mechanischen Fertigstellung (s. Abschn. 5.3) und andererseits die Feinreinigung der Anlage in Vorbereitung der Betriebsbereitschaft (s. Abschn. 6.2.3). Bei Mehrproduktanlagen setzt sich die Feinreinigung, z.B. beim Umstellen auf ein anderes Endprodukt, während der HeißInbetriebnahme fort. Typische Begriffe in Verbindung mit der Feinreinigung sind u.a.: Beizen/Passivieren, Sanitisierung, Chemische Reinigung sowie Clean-In-Place (CIP), Washing-In-Place (WIP), Cleaning-Off-Place (COP) und Sterilization-In-Place (SIP).

8

Pharmazeutische Prozesse und Anlagen sind i.d.R. technologisch und technisch anspruchsvoll, da  die Molekülstrukturen der Pharmaprodukte und somit auch ihre Synthese (chemisch und/oder biologisch) meistens kompliziert sind,  die Verfahren bzw. Anlagen in viele Grundoperationen/Verfahrensstufen bzw. Teilanlagen/Package-units strukturiert sind,  insbesondere bei der Formulierung der Wirk- und Hilfsstoffe zum Medikament spezielle Verfahren und Ausrüstungen eingesetzt werden,  viele Pharmaprodukte sowie deren Rohstoffe, Zusatzstoffe, Zwischen- und Abprodukte sind Feststoffe (z.B. Pulver), deren Handhabung bekanntlich nicht einfach ist,  in vielen Fällen Batch- bzw. Chargenprozesse sattfinden, d. h. es sind dynamische, instationäre Prozesse mit zeitlich veränderlichen Prozessparametern,  die eingesetzten bzw. anfallenden Stoffe oftmals giftig und korrosiv sind,  häufig Mehrproduktanlagen genutzt werden.

9

In Pharmaanlagen werden zunehmend auch biotechnologische Prozesse, d.h. Prozess unter Einbeziehung von Enzymen, Zellen und ganzen Organismen, genutzt (sog. „Rote Biotechnologie“). Die Grundlage bilden chemische Reaktionen, die von freien oder in Zellen vorliegenden Enzymen katalysiert werden. Zur Anwendung kommen insbesondere auch spezifisches Wissen der Mikrobiologie, Biochemie, Genetik, Bioverfahrenstechnik u.a. Fachdisziplinen.

1.5 Abschnitte, Meilensteine und Schnittstellen der Inbetriebnahme

33

Tab. 1.5 (Fortsetzung) 10 Pharmaanlagen sind meistens Inhouse-Anlagen mit speziellen Anforderungen an die Bauausführung, z.B. betreffs Oberflächengestaltung, Reinheit, Brand- und Explosionsschutz, Be- und Entlüftung. 11 Pharmaanlagen sind oft hochautomatisiert, insbesondere um eine hohe Reproduzierbarkeit der Produktqualität zu gewährleisten. Der Mensch als mögliche Fehlerquelle wird durch zuverlässigere Technik ersetzt. Typisch sind in diesen Fällen prozessgerichtete Steuerungen (sog. SchrittkettenSteuerungen), die z.B. über Rezeptvorgaben geführt werden und die Herstellungsprozesse sowie Reinigungsprozesse in der Anlage weitgehend automatisch steuern. Der notwendige Aufwand für die Prozessleittechnik, inkl. Software, Engineering, Qualifizierung und Dokumentation, ist entsprechend hoch. 12 Die Ausrüstungen in Pharmaanlagen sind häufig relativ klein, und um Toträume und Ablagerungen von Produktresten im Rohrleitungssystem zu vermeiden, eng nebeneinander aufgestellt. Zugleich ist aber eine umfangreiche PLT-Instrumentierung notwendig. Beides passt nicht zusammen, sodass Pharmaanlagen mitunter etwas „verbaut“ wirken und weniger instandhaltungsfreundlich sind. Der einfache Austausch eines Rührbehälters kann sich u.U. sehr schwierig und aufwendig gestalten. 13 Das Engineering muss den Grundsätzen der Good Engineering-Practice (GEP) gerecht werden [14][18]. Ferner sind bei der technischen Planung eine Reihe besonderer Anforderungen zu beachten. Analoges gilt für die Erarbeitung und den Umgang mit der Dokumentation. Auf Beides wird in den Abschn. 2.4 (Inbetriebnahmedokumente) und 6.10 (AS BUILTDokumentation) näher eingegangen. 14 Gemäß den Anforderungen an GMP-relevante Dokumente hinsichtlich Beweiskraft, Fälschungssicherheit, langfristige Archivier- und Lesbarkeit u.ä. hat in Pharmaanlagen das Original-Dokument in Papierform noch große Bedeutung. Die Nutzung elektronischer Dokumente und Dokumenten-Management-Systeme ist restriktiv und an strenge Voraussetzungen und Regeln gebunden (s. Anhang 11 – Computergestützte Systeme in [16][19]).

1.5.4.2 Maßnahmen der Qualifizierung und Validierung Die Maßnahmen der Qualifizierung und Validierung folgern aus der Good Manufacturing Practice (GMP) gemäß folgender Definition: Good Manufacturing Practice (GMP) bzw. Gute Herstellungspraxis: der Teil der Qualitätssicherung, der gewährleistet, dass Produkte gleichbleibend nach den Qualitätsstandards produziert und geprüft werden, die der vorgesehenen Verwendung entsprechen [15].

Eingeführt wurde der Begriff Good Manufacturing Practice 1962 von der Food and Drug Administration (FDA). Richtlinien für den Arzneimittelbereich, um eine GMP-gerechte Qualitätssicherung zu gewährleisten, wurden beispielsweise durch die Europäische Kommission, durch das Pharmaceutical Inspection Co-Operation Scheme (PIC/S), durch die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) sowie auf globaler Ebene durch die 'International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use (ICH) festgelegt. Planerisch vorbereitet werden alle GMP-relevanten Aktivitäten in einem Validierungsmasterplan.

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1 Aufgaben, Schnittstellen und Spezifik der Inbetriebnahme Der Validierungsmasterplan ist ein Dokument, in dem die qualitätsbezogenen Arbeitsweisen und Hilfsmittel sowie der Ablauf der Tätigkeiten in einem Neuanlagenprojekt dargelegt sind. In diesem Dokument wird u.a. definiert:  Projektorganisation  Auflistung der Qualifizierungs- und Validierungstätigkeiten  Verantwortung und Zeitplan.

Kernpunkte bei deren Umsetzung sind Maßnahmen zur Qualifizierung und Validierung mit folgenden Inhalten: Qualifizierung ist die dokumentierte Beweisführung, dass alle Ausrüstungsgegenstände (inkl. Leittechnik mit Software) und baulichen Einrichtungen einwandfrei arbeiten und tatsächlich zu den erwarteten Ergebnissen führen. Validierung ist die dokumentierte Beweisführung, dass ein Prozess in einer Anlage reproduzierbar ein spezifikations- und qualitätsgerechtes Produkt erzeugt.

Gemäß den angeführten Begriffsbestimmungen bezieht sich die Qualifizierung auf die Anlage (Technik) inkl. Prozessleittechnik, während sich die Validierung auf das Verfahren (Prozess) und die pharmazeutischen Produkte bezieht (s. Abb. 1.6).

 Abb. 1.6 Übersicht zu Qualifizierung und Validierung

Die Qualifizierung wird für alle GMP-relevanten Einzelausrüstungen inkl. Prozessleitechnik (Harde- und Software), für abgegrenzte Anlagen-Teilsysteme (Package-units) und die Gesamtanlage durchgeführt. Sie wird zeitlich gestaffelt in vier Qualifizierungsschritte unterteilt. GMP-relevant bedeutet kurzgefasst, dass diese Ausrüstungen bzw. Teilsysteme in ihren Arbeitsverhalten die Pharmaprodukt-Qualität beeinflussen. Die Validierung wird für die Herstellung aller Produkte, inkl. Prozess, Reinigungsverfahren/-prozeduren und Analysenmethoden, durchgeführt. Die zeitliche Einordnung der GMP-relevanten Qualifizierungs- und Validierungsmaßnahmen in den Projektablauf sowie in das später beschriebene Phasenmodell der Anlagen-Projektabwicklung (s. Abb. 2.1 in Abschn. 2.1) veranschaulicht Abb. 1.7. Die Darstellung in Abb. 1.7 korrespondiert mit dem Phasenmodell der AnlagenProjekt-abwicklung, welches diesem Buch zugrunde liegt (s. Abschn. 2.1). Aus der grafischen Darstellung, die in etwa auch den zeitlichen Zusammenhang der Vorgänge widerspiegelt, ist zu entnehmen, dass  begleitend zu den Engineeringphasen 1 bis 6 sowie zu den Phasen 6 (Beschaffung) und 7 (Bau/Montage) in den meisten Pharmaprojekten (basierend auf Unternehmensrichtlinien) sog. GMP-Testate stattfinden.

1.5 Abschnitte, Meilensteine und Schnittstellen der Inbetriebnahme

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 Abb. 1.7 Einordnung der Qualifizierung und Validierung in den Projektablauf (Phasenmodell)

 die Design Qualification (DQ) am Ende des Detail Engineering durchgeführt wird. Dabei sind Belange der Inbetriebnahmevorbereitung und -durchführung bei der Qualifizierung der Planungsergebnisse zu beachten.  die Installation Qualification (IQ) am Ende der Bau-/Montagephase stattfindet. Es wird geprüft, ob die technischen Einrichtungen (Ausrüstungen, Teilanlage, Teilsysteme) und Bauwerke/Räume vorgabegerecht realisiert wurden (s. Abschn. 5.7.2).  die Operational Qualification (OQ) während der Inbetriebsetzung bzw. der KaltInbetriebnahme erfolgt. Es wird der dokumentierte Nachweis erbracht, dass die Ausrüstungen, Teilsysteme und baulichen Einrichtungen im gesamten Betriebsbereich vorschriftsmäßig funktionieren (s. Abschn. 6.2.7.2).  die Performance Qualification (PQ) während der Heiß-Inbetriebnahme. Es wird gemäß GMP-Regelwerk die Leistungsfähigkeit und Funktionstüchtigkeit der komplexe Gesamtanlage nachgewiesen (s. Abschn. 8.8.4).  die Validierung (betreffs Reinigung, Prozess, Analysenmethoden) erst nach der Inbetriebnahme, während des Dauerbetriebs, vollzogen wird. Insgesamt ergeben sich damit in Pharmaprojekten bzw. in Projekten, die nach GMPGrundsätzen abgewickelt werden, erhebliche zusätzliche Anforderungen an die Inbetriebnahme und das zuständige Personal. Für die einzelnen Qualifizierungsmaßnahmen werden sog. DQ-, IQ-, OQ- bzw. PQPläne erstellt, geprüft und freigegeben. Hauptinhalt dieser Pläne sind vorgegebene Testpläne mit sog. Akzeptanzkriterien sowie Templates für Prüfprotokolle. Akzeptanzkriterium ist eine festgelegte Anforderung (Merkmal, Charakteristika, Vorgabe, Wert), die erfüllt sein muss, damit eine Qualifizierung oder Validierung erfolgreich abgeschlossen werden kann.

Die Ergebnisse werden in Qualifizierungsberichten und Validierungsberichten zusammengestellt. In ihnen sind die durchgeführten Arbeiten und die Ergebnisse der im Validierungsmasterplan und den einzelnen Qualifizierungsplänen festgelegten Prüfungen beschrieben und bewertet. Die Berichte können auch Mangelpunkte beinhalten.

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1 Aufgaben, Schnittstellen und Spezifik der Inbetriebnahme

Zum besseren Verständnis werden die angeführten GMP-spezifischen Begriffe näher erläutert. a) GMP-Testate [18] Ein GMP-Testat ist eine systematische, nachvollziehbare Überprüfungen und Testierung, inwieweit zum jeweiligen Zeitpunkt im Projekt die GMP-Anforderungen erfüllt sind. Während der Testate zu den angeführten Haltepunkten wird im Team kontrolliert, ob die bis dahin vorgesehenen GMP-relevanten Aufgaben erledigt und die Zielstellungen erreicht sind. Im Erfolgsfall wird ein zugehöriges GMP-Testat (Formular) ausgestellt und von den Teilnehmern unterschrieben. Die Ziele und Aufgaben der Testierungen sind in Tabelle 1.6 angegeben. Ein Schwerpunkt während des GMP2-Testats am Ende Basic Engineering ist eine produktbezogene Qualitätsrisikobeurteilung für das Pharma-Projekt. Die Risikobeurteilung (d. Verf.: im Sinne des Erreichen der Produktqualität) ist ein systematischer Prozess der Organisation von Informationen zur Stützung einer zu treffenden Risikoentscheidung innerhalb eines Verfahrens zum Risikomanagement. Sie besteht aus der Erkennung von Gefahren und der Analyse und Bewertung von Risiken, die damit verbunden sind, den Gefahren ausgesetzt zu sein [14][16].

Die Methodik der Testierung bzw. GMP-spezifischen Risikobeurteilung ist analog zur Vorgehensweise bei den Sicherheitstestaten (s. Abschn. 3.2) bzw. bei der sicherheitsrelevanten Risikobeurteilung (s. Abschn. 3.5.2.1) zu verstehen. Als Methode zur produktqualitätsbezogenen Risikobeurteilung wird vorrangig die FMEA-Methode genutzt [14]. Die in Abschn. 3.5.2.1, Buchst. d) angeführte HAZOPMethode ist in modifizierter Form ebenfalls geeignet. Die Ergebnisse der Risikobeurteilung auf Basis der Basic-Engineering-Dokumentation sind in der Genehmigungsplanung und Ausführungsplanung zu berücksichtigen. Zugleich sind im GMP3- und GMP4-Testat die GMP-spezifische Risikobeurteilung fortzuschreiben. Dies kann als Review/Up-date der vorliegenden Risikobeurteilung erfolgen (s. Abschn. 5.7.2). Bei gravierenden Änderungen zwischen „Basic“ und „Detail“ bzw. während der Beschaffungs- und Montagephase sollte im GMP4-Testat (vor Beginn Inverkehrbringen/Inbetriebnahme der Anlage) eine komplett neue GMP-relevante Risikobeurteilung erarbeitet werden. b) Designqualifizierung / Design Qualification (DQ) Design Qualification (DC) ist der dokumentierte Nachweis, dass die Planung der Anlage und ihrer Komponenten (inkl. Prozessleitsystem mit Software, Bauwerke, Räumlichkeiten) entsprechend den geltenden Vorgaben (z.B. Lastenheft, Projektrichtlinien, Pflichtenheft, GMP-Regelwerk) durchgeführt wurde und für den entsprechenden Verwendungszweck geeignet ist.

Die Design Qualification (DQ) findet bis zum Ende des Detail Engineering (Ende Phase 6) statt. Sie soll für die GMP-relevanten Ausrüstungen, Systeme, Bauwerke und in der Summe für die Gesamtanlage nachweisen, dass die Ausführungsplanung entsprechend den User Requirements (Benutzeranforderungen) erfolgte. Wesentliche User Requirements für die DQ sind das Lastenheft (Scope) und das Pflichtenheft. Die zur Ausrüstung gehörenden peripheren Komponenten (z.B. Rohrleitungen, Instrumente, Steuerung) sind eingeschlossen.

1.5 Abschnitte, Meilensteine und Schnittstellen der Inbetriebnahme

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Tabelle 1.6 Aufgaben und Hinweise zu den GMP-Schritten und zur GMP-Testierung Schritt/Testat GMP1

Zeck / Zeitpunkt / Bemerkungen          

GMP2

          

grundlegende GMP-Anforderungen an das Projekt definieren Produkte nach GMP-Gesichtspunkten klassifizieren GMP-relevante Verfahrensstufen, Hauptausrüstungen, Räume identifizieren Schnittstellen zwischen Verfahrensstufen/Teilanlagen/Räumlichkeiten mit bzw. ohne GMP-Relevanz identifizieren und definieren Vorgaben zu Erstreinigung während der Herstellung, Bau und Montage Vorgaben zu Grundreinigung und Feinreinigung (ggf. Reinheitsklassen) Vorgaben zur Vermeidung von Quer/Crosskontamination Hinweise zum Genehmigungsantrag und zum Umgang mit Behörden Angaben im Lastenheft (Scope, Fundamental Requirements) (Ende Phase 1) bzw. während der Vorplanung (Phase 2) erarbeitet das GMP1-Testat wird am Ende Phase 2 ausgestellt (analog zum S1-Konzepttestat, s. Abb. 3.2) Erfüllungskontrolle zu Vorgaben gemäß GMP1-Testat Änderungen identifizieren und berücksichtigen GMP-Anforderungen für Ausführungsplanung (Phase 6) festlegen detaillierte GMP-Anforderungen an einzelne Verfahrensstufen und GMPrelevante Ausrüstungen Vorgaben zu Werkstoffen, Verarbeitung, Oberflächengüte u.ä. Entwurfsplanung für Grundreinigung der Anlage Entwurfsplanung für Feinreinigung (ggf. Hygienekonzeption) Durchführen der Produkt-Qualitätsrisikobeurteilung Validierungsmasterplan erarbeiten und freigeben Planungsunterlagen für die der Designqualifizierung das GMP2-Testat wird am Ende Phase 5 (vor Investitionsentscheidung) ausgestellt (analog zum S2-Entwurfstestat, s. Abb. 3.2)

GMP3

 Erfüllungskontrolle zu Vorgaben gemäß GMP2-Testat; Änderungen identifizieren und berücksichtigen  Erfüllungskontrolle zur DQ im GMP3-Testat  Beachtung GMP-Anforderungen im Pflichtenheft für Gesamtanlage/Packageunit bzw. für Beschaffungsvorgänge  Review bzw. Up-date zur Produkt-Qualitätsrisikoanalyse  GMP-Anforderungen an alle Gewerke spezifizieren  Planungsunterlagen für die Installationsqualifizierung  das GMP3-Testat wird am Ende Phase 6 (vor Beschaffung und Baubeginn) ausgestellt (analog zum S3-Planungstestat, s. Abb. 3.2)

GMP4

 Erfüllungskontrolle zu Vorgaben gemäß GMP3-Testat; Änderungen identifizieren und berücksichtigen  Erfüllungskontrolle zur IQ  Prüfung der Schnittstellen zum Bestand (vorhandene Anlagen) und zum Standort (Fremdbetriebe, Infrastruktur, Logistik)  Erfüllungskontrolle der Inbetriebnahmevoraussetzungen  Planungsunterlagen für die Funktionsqualifizierung (OQ) und Leistungsqualifizierung (PQ)  GPM-relevante Vorgaben für Inbetriebnahme definieren  das GMP4-Testat wird am Ende Phase 8 (nach Montage/vor Inbetriebnahme) ausgestellt (analog zum S4-Betriebstestat, s. Abb. 3.2)

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1 Aufgaben, Schnittstellen und Spezifik der Inbetriebnahme

Zur Vorbereitung der DQ werden die Prüfpunkte zunächst identifiziert und definiert. Anschließend werden für die einzelnen Prüfpunkte sog. Akzeptanzkriterien erarbeitet und abgestimmt. In späteren Sitzungen bzw. Workshops wird kontrolliert, ob diese Kriterien erfüllt sind. Der DQ-Workshop findet im Team bestehend aus dem späteren Betreiber (Verantwortlicher), dem Engineeringpartner, dem Ausrüstungshersteller und weiteren GMP-Sachkundigen statt. Im Ergebnis entstehen Design Qualifizierungsberichte. Abweichungen zwischen Soll und Ist, die ggf. festgestellt werden, müssen nachvollziehbar begründet und dokumentiert werden. c) Installationsqualifizierung / Installation Qualification (IQ) Installation Qualification (IQ) ist der formale und systematische Nachweis, dass alle wesentlichen Aspekte der Anlagenmontage/-installation (Hard- und Software) und des Bauens den vereinbarten Regeln entsprechen, mit den freigegebenen Ausführungsdokumenten übereinstimmen und die Empfehlungen der Zulieferer berücksichtigen.

Das Ziel der IQ, die bis zum Zeitpunkt Mechanische Fertigstellung (Ende Phase 8) beendet sein muss, ist der Nachweis, dass die Beschaffung und Montage aller Komponenten und Systeme wie geplant erfolgt und in der Dokumentation as built beschrieben ist. Es wird der Ist-Zustand mit dem Soll-Zustand, insbesondere mit den Angaben in den Technischen Beschaffungsunterlagen (TBU) sowie mit anderen Ausführungsdokumenten, verglichen. Die prinzipielle Vorgehensweise wird in Abschn. 5.7.2 erläutert. d) Funktionsqualifizierung / Operational Qualification (OQ) Operational Qualification (OQ) ist der formale und systematische Nachweis, dass eine Hauptausrüstung, Teilanlage, Subsystem und sonstige technische bzw. bauliche Einrichtung die Funktion wahrnimmt, für die sie bzw es erstellt wurde, und zwar im Rahmen der vorgesehenen Betriebsbereiche.

Die beinhaltet vorrangig einen formalen, systematischen und dokumentierten Funktionsnachweis für die Einzelausrüstungen und GMP-relevante Teilanlagen/Subsysteme (z.B. Reinstwasser, Reinstdampf, Lösungsmittel, Lüftung) und Bauwerke/Räume. Sobald die technischen Voraussetzungen erfüllt sind, kann in Verbindung mit den Sicherheits- und Funktionsprüfungen (s. Abschn. 5.5.1 und 5.5.2) die OQ der fertigmontierten GMP-relevanten Ausrüstungen inkl. Prozessleitsystem beginnen. Gleiches gilt für die Infrastruktur, Mediensysteme und Nebenanlagen (s. Abschn. 5.4). Die OQ der prozessrelevanten Anlagenteile und der Gesamtanlage wird i.Allg. erst während der Kalt-Inbetriebnahme erfolgen (s. Abschn. 6.2.7.2). In Mehrproduktanlagen kann die OQ bestimmter Anlagenzustände, die an die Herstellung bestimmter Produkte gebunden sind, u.U. erst sukzessive während der Heiß-Inbetriebnahme vollzogen werden. Die prinzipielle Vorgehensweise wird in Abschn. 6.2.7.2 erläutert. e) Leistungsqualifizierung / Performance Qualification (PQ) Performance Qualification (PQ) ist der formale und systematische Nachweis, dass eine

Anlage oder ein komplexes System die Leistungsfähigkeit und komplexe Funktionsfähigkeit erbringt, für die sie oder es erstellt wurde. Das Ziel der PQ ist der Nachweis der Leistungsfähigkeit und der Funktionsfähigkeit der Gesamtanlage über die Einzelprüfungen der Funktionsqualifizierung hinaus. Für die Gesamtanlage wird die PQ im Normalfall in Verbindung mit dem Leis-

1.5 Abschnitte, Meilensteine und Schnittstellen der Inbetriebnahme

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tungsnachweis am Ende der Inbetriebnahmephase durchgeführt. Die PQ ausgewählter Teilanlagen/Package-units kann schon während der Inbetriebsetzung (s. Abschn. 1.5.1, Buchst. a) und Abschn. 5.5.3) stattfinden. Die prinzipielle Vorgehensweise wird in Abschn. 6.8.4 erläutert. Neben der Qualifizierung ist in der Good Manufacturing Practice die Validierung von zentraler Bedeutung. Die Validierung bezieht sich im Unterschied zur Qualifizierung nicht auf die Anlage, sondern auf das Produkt. Mitunter wird der Begriff Validierung um das Konzept der Qualifizierung erweitert [14][16]. In Pharmaprojekten sind alle qualitäts- und GMP-relevanten Herstellungsprozesse, Reinigungsverfahren und Analysenmethoden zu validieren. Auf einige wenige Aspekte wird nachfolgend eingegangen und darüber hinaus auf die Fachliteratur verwiesen [12]. f) Reinigungsvalidierung Reinigungsvalidierung ist der dokumentierte Nachweis, dass ein Reinigungsverfahren zuverlässig innerhalb festgelegter Grenzen (Grenzwerte) zum erwarteten Ergebnis (ausreichende Reinigung) führt.

Die Validierung eines Reinigungsverfahrens hat zu beweisen, dass das Reinigungsverfahren die gestellten Ansprüche erfüllt und den erforderlichen Reinigungserfolg reproduzierbar gewährleistet. Das Testprogramm, welches entsprechend des spezifischen Validierungsplans durchzuführen ist, sollte beinhalten:  einen Probenahmeplan und Probenahmevorschrift sowie  mindestens drei Validierungsläufe zur Überprüfung der Reproduzierbarkeit des zu validierenden Reinigungsverfahrens. Die gemessene Restverunreinigung muss reproduzierbar niedriger sein, als der strengste ermittelte Grenzwert. In Mehrproduktanlagen, in denen beispielsweise mehr als 20 verschiedene Wirkstoffe hergestellt werden, ist die Zahl der möglichen Reinigungsverfahren erheblich. Entsprechend ist der Aufwand für deren Validierung groß. Die Ergebnisse werden in Validierungsberichten dokumentiert. g) Prozessvalidierung Prozessvalidierung ist der dokumentierte Beweis, der einen hohen Grad der Absicherung liefert, dass ein bestimmter Prozess konsistent ein Produkt produziert, welches den vorherbestimmten Spezifikationen und Qualitätsmerkmalen entspricht.

Die Prozessvalidierung betrifft die Validierung aller qualitäts- und GMP-relevanten Herstellungsverfahren und dient der Beweisführung, dass der Herstellungsprozess mit hoher Wahrscheinlichkeit zum erwarteten Ergebnis, einem spezifikationskonformen und allen weiteren Qualitätsanforderungen entsprechenden Produkt führt. Sie beginnt bereits bei der Produkt- und Verfahrensentwicklung mit der Festlegung der Qualitätsspezifikationen (Produktspezifikationen) und setzt sich über die weiteren Schritte der Maßstabsvergrößerung bis zur betrieblichen Produktion fort. Das Testprogramm, welches entsprechend des zutreffenden Validierungsplans durchzuführen ist, sollte beinhalten:  Festlegung der kritischen Parameter und Begründung (Risikobeurteilung),  Prüfpunkte sowie Akzeptanzkriterien und Grenzwert,  Vorgehen bei Abweichungen,

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1 Aufgaben, Schnittstellen und Spezifik der Inbetriebnahme

   

Art und Umfang der durchzuführenden Tests, Zeitplan, Probenahmeplan und Probenahmevorschrift, angewandtes validiertes Prüfverfahren.

Nach [12] gilt: Als Nachweis für einen reproduzierbaren und gesicherten stabilen Prozess gilt im Allgemeinen die spezifikationskonforme Herstellung von drei aufeinanderfolgenden Produktchargen mit den erarbeiteten Prozessparametern im vorgesehenen Produktionsmaßstab.

Die Ergebnisse werden im Validierungsbericht dokumentiert.

1.5.4.3 Zusätzliche Anforderungen an die Dokumentation Eine erfolgreiche Inbetriebnahme setzt eine nutzungsgerechte Dokumentation voraus (s. Abschn. 2.4 und 5.8.2). Zugleich sind parallel zur Inbetriebnahme und entsprechend den stattfindenden technischen Änderungen die Anlagendokumentation fortzuschreiben und nach Beendigung der Inbetriebnahme in Form der AS BUILT-Dokumentation an den Betreiber zu übergeben (s. Abschn. 6.10). Die Inbetriebnahme- und Dokumentationsleistungen stehen somit im Zusammenhang. Gemäß den GMP-Spezifika ergeben sich in Pharmaprojekten erhöhte Anforderungen an die Dokumentation [14][19]. Der EU-GMP-Leitfaden [16] definiert u.a. Anforderungen zur Gestaltung und an den Inhalt der Dokumentation für ▪ die Arzneimittelherstellung in Teil I, Kapitel 4 und ▪ die Wirkstoffherstellung in Teil II, Abschnitt 6. Der Großteil dieser Anforderungen sind Bestandteile der Good Engineering Practice (GEP), die in den ISPE Baseline Pharmaceutical Engineering Guide [17] wie folgt definiert ist: GEP bzw. Good Engineering Practice ist die Anwendung etablierter Ingenieurmethoden und Ingenieurstandards, die während der Projektlaufzeit eine passende und kosteneffiziente Lösung liefern.

Konkrete Merkmale von Good Engineering Practice [14] sind zusammengefasst:  professionelles und kompetentes Projektmanagement (Prozesse, Vorschriften, Personal),  professionelles und kompetente Ingenieursplanung, Beschaffung, Konstruktion und technische Inbetriebnahme,  umfassende Berücksichtigung der gesetzlichen Anforderungen hinsichtlich Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz,  Berücksichtigung aller Anforderungen betreffs Funktion und Instandhaltung,  umfassende Berücksichtigung anerkannter industrieller Standards und Richtlinien,  angemessene Dokumentation für etablierte Unternehmensprozesse und Instandhaltungen,  dokumentiert Beweisführung der Übereinstimmung mit den maßgeblichen Regularien und Gesetzen. Die meisten angeführten Merkmale sind nicht pharmaspezifisch und auch für alle anderen Anlagenprojekte gültig. Trotzdem seien nachfolgend noch einige wenige Bemerkungen zur Dokumentation in Pharmaprojekten gemacht.

1.5 Abschnitte, Meilensteine und Schnittstellen der Inbetriebnahme

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Grundsätzlich sind ca. 80–90 % der Dokumentenarten, die für verfahrenstechnische Anlagen typisch sind, auch in Pharma-Dokumentationen anzutreffen. Darüber hinaus bewirkt die Good Manufacturing Practice aber einige Besonderheiten, die nachfolgend in Tabelle 1.7 zusammengefasst sind. Eigene Erfahrungen bei der Endprüfung der AS BUILT-Dokumentation einer größeren Pharmaanlage (Umfang des Belegexemplars: ca. 2000 Ordner Papierdokumente) haben diese Hinweise nachhaltig bestätigt. In Abschn. 2.4 dieses Buchs werden nähere Ausführungen zur Dokumentation verfahrenstechnischer Anlagen und insbesondere zu den Inbetriebnahmedokumenten gemacht. Die Fertigstellung, Prüfung und Abnahme der AS BUILT-Dokumentation wird ausführlich in Abschn. 6.10 behandelt. Tabelle 1.7 Spezifika und Hauptanforderungen an die Dokumentation von Pharmaanlagen 1 Die Dokumentation beinhaltet, ergänzend zu den sonstigen üblichen Dokumentenarten, auch eine Vielzahl von sog. Qualifizierungs- und Validierungsdokumenten. Formale Anforderungen an diese GMP-spezifische Dokumente sind u.a. durch folgende Begriffe charakterisiert: Schriftform, Richtigkeit, eindeutige Dokumentenkennzeichnung, konsequente Indexierung bei Revisionen, eindeutige Seitennummerierung, einheitliches Dokumentenformat, Vollständigkeit, Aktualität, Prüfung und Freigabe der Dokumente, Archivierung der Dokumente, Eintragung mit Datum und Unterschrift, Eintragungen dokumentenecht, Korrekturen lesbar und mit Datumsangabe, 2 Die GMP-Dokumente umfassen insbesondere die Ausführungsdokumente und Ergebnisberichte der Qualifizierung/Validierung und sollten in einem extra Kapitel: Qualifizierungs- und Validierungsdokumente abgelegt werden. 3 Die Gesamtdokumentation, insbesondere das Kapitel: Qualifizierungs- und Validierungsdokumente müssen gemäß der internationalen Inspektionspraxis bei Pharmaanlagen voll inspektionstauglich sein. Das bezieht sich auch auf das zielgerichtete und schnelle Auffinden gesuchter Dokumente, z.B. auf Veranlassung des Inspektors. 4 Die Rechtskraft der elektronischen Dokumentenform für Qualifizierungs- und Validierungsdokumente u.a. GMP-relevante Dokumente sowie die Nutzung elektronischer Dokumentationssysteme ist an strenge Bedingungen geknüpft [20], wie z.B.  das elektronische Dokumentationssystem muss zuvor qualifiziert und validiert sein,  die beteiligten Personen müssen angemessen ausgebildet sein,  nur ermächtigte Personen dürfen Daten in das System eintragen und ändern,  die Identität und Berechtigung des Bedieners muss durch das System geprüft werden,  Maßnahmen zum Schutz vor unerlaubter Dateneingabe bzw. -modifikation müssen ausreichend gegeben sein,  das System muss ein vollständiges Protokoll sämtlicher Eingaben und Änderungen (Audit Trail) ermöglichen,  jede Änderung kritischer elektronischer Daten ist zu genehmigen und zusammen mit der Änderung zu protokollieren,  das System muss die Prüfung der Dateneingabe und -verarbeitung unterstützen,  die Verfügbarkeit, Beständigkeit und Genauigkeit der gespeicherten Daten muss sichergestellt sein und regelmäßig überprüft werden. 5 In den Qualifizierungs- und Validierungsdokumenten müssen die Verweise auf zugeordnete GEP-Dokumente eindeutig und nachvollziehbar sein (z.B. Begriffe, Revisionsindex, Ablageort) 6 In der Enddokumentation müssen alle GMP-Dokumente vorliegen; möglichst als Original mit Original-Unterschrift. Ausnahmen sind mit einem Erläuterungsbericht zu belegen.

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1 Aufgaben, Schnittstellen und Spezifik der Inbetriebnahme

Tab. 1.6 (Fortsetzung) 7 Die GEP-Dokumente, auf die in den GMP-Dokumenten verwiesen (referenziert) wird, müssen vorhanden und qualitätsgerecht sein. 8 Alle anderen GEP-Dokumente müssen einen hohen Qualitätsstandard (Inhalt und Form) aufweisen. 9 Die Qualitätsanforderungen an die AS BUILT-Dokumentation (Enddokumentation) müssen im Detail definiert sein (z.B. im Lasten- und Pflichtenheft) sowie im Anlagenvertrag vereinbart sein und gewährleistet werden. 10 Die AS BUILT-Dokumentation sollte selbst in geeigneter Form qualifiziert sein, z.B. durch eine gezielte Qualitätsprüfung mittels Auditierung, Stichprobenprüfung, 100 %-Prüfung einzelner Teile u.ä. 11 Die Nutzung und Pflege der Dokumentation, z.B. während des Anlagenbetriebs oder bei Instandhaltungs- und/oder Umbaumaßnahmen muss auf Basis verbindlicher und freigegebener Anweisungen/Prozeduren (SOP) erfolgen.

1.6 Spezifika der Inbetriebnahme Die Inbetriebnahme ist die letzte Phase der Projektabwicklung. Die Anlage liegt vergegenständlicht vor, d.h. sie wurde sozusagen vom Papier in Stahl und Eisen verwirklicht. Mit der Inbetriebnahme kommt die Stunde der Wahrheit für alle Beteiligten. Sie müssen nachweisen, dass die in den Vorphasen geleistete Arbeit solide und erfolgreich war. Man kann auch sagen, das gesamte in die Anlagenplanung, die Beschaffung und die Errichtung hineingelegte Wissen wird während der Inbetriebnahme praktisch überprüft. Im Einzelnen ist vor Beginn der Inbetriebnahme folgende Situation typisch:  Die Anlage ist bis auf wenige Restpunkte fertig montiert und 90–95 % des Investitionskapitals (ohne Inbetriebnahmekosten) ist verbraucht.  Nachdem das Unternehmens- und Projektmanagement sich bei der Auftragsabwicklung vorrangig auf die qualitäts- und termingerechte Beschaffung und Montage konzentriert hat, verlagern sich nun die Aufmerksamkeit und die Anstrengungen des Managements auf die Inbetriebnahme.  Zum Teil ist das Management sogar bestrebt, bei der Montage eingetretene Verzögerungen durch eine verkürzte Inbetriebnahme auszugleichen. Dies ist umso problematischer, da die Inbetriebnahmezeiträume ohnehin relativ kurz sind.  Mit dem Montageende verändern sich beim Auftraggeber und beim Auftragnehmer nicht unwesentlich die Struktur sowie der Personenkreis im Projekt. Nicht selten wechselt auch die Verantwortung zu einer anderen Firma sowie Leiter vor Ort. Man sagt mitunter: Das Inbetriebnahmeprojekt stellt ein eigenes Projekt im Projekt dar. Insgesamt stellt der Übergang von der Montage zur Inbetriebnahme, auch bei einer ganzheitlichen Betrachtung der Projektabwicklung, eine deutliche und wesentliche Schnittstelle dar.  Die Anlage und teils auch das Verfahren sind neu. Ihre Auslegung und Gestaltung erfolgte eingeschränkt, z.B. auf Basis theoretischer bzw. versuchstechnischer Ergebnisse. Funktionsprüfungen waren gleichfalls nur partiell möglich. Die Kopplungen zwischen den Anlagenelementen sind weitgehend unerprobt.  Trotz intensiver Vorbereitung verfügt das beteiligte Personal über keine Betriebserfahrungen mit der konkreten Anlage sowie mit den zugehörigen Systemen der

1.6 Spezifika der Inbetriebnahme

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Produktionsführung und -steuerung. Dies betrifft sowohl das Leit- und Bedienungspersonal als auch das Servicepersonal.  Die mitwirkenden Personen kennen sich zum Teil erst kurze Zeit. Ausgeprägte Bindungen gibt es wenige. Ausgehend von diesen erschwerten Bedingungen sowie den Zielen und Aufgaben der Inbetriebnahme ergeben sich die folgenden wesentlichen Besonderheiten bei der Inbetriebnahme verfahrenstechnischer Anlagen:         

erhebliche Unwägbarkeit, hohes Ausfallrisiko, relative Einmaligkeit der Handlungen, hoher Organisationsaufwand, hohe Dynamik der Handlungsabläufe, Notwendigkeit von Echtzeitmaßnahmen, Fahrweise außerhalb des normalen Betriebspunktes, komplexes Fach- und Managementwissen erforderlich hohe physische und psychische Belastung des Personals.

Die erheblichen Unwägbarkeiten, die bei der Inbetriebnahme eine Rolle spielen, entstehen u.U. dadurch, dass nicht alle Teilprozesse während der Planung vollständig modelliert werden können. Einerseits wäre der Aufwand zu hoch und andererseits existieren z.B. keine mathematischen Modelle. Überdies ist jede Näherungslösung fehlerhaft, da es „nur“ ein Modell ist und sich in bestimmten Eigenschaften vom Original unterscheidet. Das bewusst eingegangene Entwicklungsrisiko sowie subjektive Fehler, die trotz eines umfassenden Qualitätssicherungssystems auftreten können, bewirken gleichfalls sogenannte Unwägbarkeiten. Ein hohes Ausfallrisiko ergibt sich aus der Verlaufskurve der Ausfallrate für Bauteile. Abbildung 1.8 zeigt die Ausfallrate von Bauteilen mit zufallsartigem Ausfallverhalten in Abhängigkeit von der Nutzungsdauer.

 Abb. 1.8 Zeitlicher Verlauf der Ausfallrate von Bauteilen

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1 Aufgaben, Schnittstellen und Spezifik der Inbetriebnahme

Man spricht von der sog. Badewannenkurve. Während die hohe Ausfallwahrscheinlichkeit zu Beginn auf die Frühausfälle zurückzuführen ist, ergibt sich der Wiederanstieg nach längerer Nutzung durch die Abnutzungsausfälle (Synonym: Verschleißausfälle). Die Inbetriebnahme erfolgt unmittelbar nach den Sicherheits-, Funktions- und Abnahmeprüfungen, d.h. bei besonders hohen Ausfallwahrscheinlichkeiten. Wenn man bedenkt, dass in verfahrenstechnischen Anlagen mehrere zehntausende Bauteile eingesetzt werden und auch deren Zusammenbau, Funktion und Bedienung diesem Ausfallverhalten statistisch unterworfen sind, wäre es sehr verwunderlich, wenn keine Frühausfälle („Kinderkrankheiten“) auftreten. Da die Anlagen großteils Einstranganlagen mit wenig Redundanz ihrer Elemente sind, führen viele Einzelfälle zu Störungen in der Gesamtanlage. Gründe für die Frühausfälle während der Inbetriebnahme können beispielsweise Material- oder Herstellungsfehler bzw. eine Fehldimensionierung von Bauteilen sein. Gelingt es vor Beginn der Inbetriebnahme, bzw. zumindest vor Beginn der HeißInbetriebnahme (des Anfahrens) die wesentlichen Frühfehler zu erkennen und zu beseitigen, so sind erhebliche Kosten- und Zeitersparnisse möglich. Die relative Einmaligkeit der Handlungen resultiert daher, dass nahezu jede verfahrenstechnische Anlage ein Unikat darstellt und die Erstinbetriebnahme eben nur einmal stattfindet. Während der Berufspraxis des Verfassers zeigte sich selbst bei Erdölverarbeitungsanlagen, die in großer Stückzahl nach einem einheitlichen Typenprojekt errichtet wurden, eine erstaunlich hohe Vielfalt der Inbetriebnahmehandlungen zwischen den einzelnen Anlagen. Die Ursachen waren überwiegend in unterschiedlichen Standortbedingungen zu sehen (Rohstoffqualität, Infrastruktur, Logistik, Klima, Erfahrungsschatz usw.). Der hohe Organisationsaufwand ist wegen der Komplexität des Problemlösungsprozesses a priori gegeben. Zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme bestehen im Allgemeinen noch keine eingespielten organisatorischen Beziehungen zwischen den Partnern (Zulieferer, Abnehmer u.a.) bzw. müssen Sonderlösungen (Absatz nichtqualitätsgerechter Produkte) gefunden werden. Teils spielen auch ungeklärte Zuständigkeiten und Rechtslagen eine negative Rolle bei der Inbetriebnahme und erhöhen zusätzlich den Organisationsaufwand. Die Inbetriebnahme ist durch eine hohe Dynamik der Handlungsabläufe gekennzeichnet, was zum einen durch den bereits erwähnten Termindruck als Bedingung für die Wettbewerbsfähigkeit, zum anderen aber auch durch die Eigendynamik der Prozesse selbst bedingt ist. So lassen sich bestimmte Zustände nur kurzfristig halten, bzw. es erfordern anfallende Zwischenprodukte eine rasche Weiterverarbeitung in den folgenden technologischen Abschnitten, wodurch diese wiederum kurzfristig in Betrieb zu nehmen sind. In Wechselwirkung mit der relativen Einmaligkeit der Handlungen entsteht so eine besondere Dynamik der Inbetriebnahme, bei der gleichzeitig und in komplexer Weise viele Einzelmaßnahmen vorzubereiten, durchzuführen, abzuschließen und auszuwerten sind. Ein besonderes Merkmal der Inbetriebnahme verfahrenstechnischer Anlagen ist die Tatsache, dass viele Entscheidungen und Handlungen in Echtzeit, d. h. innerhalb der verfügbaren Prozesszeit, vorzunehmen sind. Die Ursachen dafür sind sowohl in der Vielzahl der Unwägbarkeiten als auch in der relativen Einmaligkeit der Handlungen begründet. So kann es zu unvorhergesehenen Situationen kommen, die ein sofortiges zielgerichtetes Handeln nötig machen. Ferner erfolgt die Erstinbetriebnahme meistens von Hand, sodass der Inbetriebnehmer nicht selten prozessbedingt, in Echtzeit handeln muss.

1.6 Spezifika der Inbetriebnahme

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Von der Schnelligkeit und der Richtigkeit einer Fehler- und Störungsdiagnose sowie der daraus abgeleiteten Maßnahmen und Entscheidungen kann unter Umständen nicht nur der Erfolg der Inbetriebnahme selbst, sondern auch die Verfügbarkeit der Anlage entscheidend abhängen. Die Fähigkeit zum schnellen Erkennen, Analysieren, Bewerten, Entscheiden und Handeln kennzeichnet deshalb maßgeblich den erfahrenen und erfolgreichen Inbetriebnehmer. In diesem Punkt unterscheidet sich das Anforderungsprofil beispielsweise wesentlich gegenüber der Montage. Durch die Notwendigkeit solcher Echtzeitaktivitäten ist es bei größeren Anlagen erforderlich, einen gewissen Teil der Aufwendungen zur Inbetriebnahme so zu planen, dass er operativ zur Verfügung steht (operatives Fachpersonal, Berater, Beratungssysteme, Situationstraining). Während der Inbetriebnahme der Anlage werden einzelne Anlagenteile häufig außerhalb des normalen Betriebspunktes gefahren. Das heißt, sie werden unter Bedingungen betrieben, für die sie nicht primär ausgelegt wurden. So kann es auf Grund der Randbedingungen der Teilanlage nötig sein, diese im Teillastbereich zu fahren, oder zum Nachweis der Sicherheit bzw. zur kurzfristigen Bereitstellung benötigter Zwischenprodukte die Teilanlage möglichst im Überlastbereich zu betreiben. Dies kann zum Teil extreme Situationen hervorrufen. Stellenweise müssen auf Grund dieser Anforderungen zusätzliche technische Elemente und Sicherheitseinrichtungen zum Einsatz gebracht werden. Die Wissensanforderungen über das Teillastverhalten von Anlagenkomponenten unterscheidet zum Beispiel die Inbetriebnahme wesentlich vom späteren Dauerbetrieb, bei dem insbesondere die Einhaltung des Nennzustandes im Mittelpunkt steht. Eine erfolgreiche Inbetriebnahme setzt eine effiziente Schnittstellengestaltung zwischen der Baustellenabwicklung und dem kommerziellen Betrieb voraus. Zugleich ist in diesem Zeitraum häufig der rechtsverbindliche Leistungsnachweis zu erbringen und die werkvertragliche Abnahme der Vertragsleistung zu vollziehen. Diese und andere Anforderungen setzen ein hohes Managementwissen voraus. Darüber hinaus benötigt der Inbetriebnehmer aber ein konkretes Fachwissen, insbesondere über das Verfahren sowie über das Anfahr- und Betriebsverhalten der wichtigsten Anlagenkomponenten. Nur so kann er die Anlage sicher und ohne Schaden planmäßig in Betrieb bringen. Die Inbetriebnahme bringt eine erhöhte Belastung des Personals sowohl in physischer als auch in psychischer Hinsicht mit sich. Das Personal des Verkäufers aber auch das Personal des Käufers steht unter erheblichem Erfolgsdruck. Auf alle Beteiligten wirkt es u.U. belastend, ständig unvorhergesehene Schwierigkeiten sowie neue Arbeiten bewältigen zu müssen. Ferner ist der Arbeitstag, insbesondere wenn es „ernst“ wird, sehr lang. Der eventuelle Aufenthalt im Ausland, weit weg vom gewohnten Umfeld, bewirkt zusätzliche psychische Belastungen. Für das Anlagen- und Wartungspersonal des Betreibers ist die Inbetriebnahme zugleich eine Bewährungsphase und eine Lernphase, d.h. das Personal selbst ist auch einer dynamischen Belastung ausgesetzt. Erschwerend kommt hinzu, dass manche Arbeitsteams noch in der Konstituierungsphase sind. Zusammenfassend zu den Besonderheiten der Inbetriebnahme lässt sich sagen: Die Inbetriebnahme ist zugleich die letzte Phase der Projektabwicklung, wie auch die erste Phase des Betreibens der Anlage. Sie ist auch die Übergangsphase vom quasi-stationären Zustand nach der Mechanischen Fertigstellung in den quasistationären Zustand des Dauerbetriebes. Genau darin liegt ihre Spezifik und Schwierigkeit.

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1 Aufgaben, Schnittstellen und Spezifik der Inbetriebnahme

Literatur [1]

Richtlinie 2006/42/EG (Maschinen-RichtlinieMRL) des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.05.2006 über Maschinen und zur Änderung der Richtlinie 95/16/EG (Neufassung)

[2]

DIN EN ISO 12100: Sicherheit von Maschinen, Allgemeine Gestaltungsleitsätze, Risikobeurteilung und Risikominderung

[3]

Richtlinie 2014/68/EU (Druckgeräte-Richtlinie) des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.05.2014 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung von Druckgeräten auf dem Markt

[4]

Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Verwendung von Arbeitsmitteln (Betriebssicherheitsverordnung – BetrSichV) vom 03.02.2015

[5]

Gesetz für den Ausbau erneuerbarer Energien (Erneuerbare-Energie-Gesetz – EEG 2017) vom 21.07.2014

[6]

FDBR-Merkblatt 10 (FDBR-MB, 2016-12 (FDBR: Fachverband Dampfkessel, Behälter- und Rohrleitungsbau e.V.)

[7]

Blass E (1997) Entwicklung verfahrenstechnischer Prozesse: Methode – Zielsuche – Lösungssuche – Lösungsauswahl, Springer-Verlag, Berlin Heidelberg

[8]

Richtlinie 2014/43/EU (ATEX-Herstellerrichtlinie) des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für Geräte und Schutzsysteme zur bestimmungsgemäßen Verwendung in explosionsgefährdeten Bereichen (Neufassung)

[9]

Interpretationspapier zum Thema „Gesamtheit von Maschinen“ vom 05.05.2011 (Bek. D. BMAS v. 5.5.2011)

[10]

Matley J (1969) Keys to Sucessful Plant Startups, Chem. Engng. 8 (1969) 9, 110

[11]

Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz auf Baustellen (Baustellenverordnung – BaustellV) vom 10.06.1998

[12]

Schneppe T, Müller R H (2003) Qualitätsmanagement und Validierung in der pharmazeutischen Praxis, Edition Cantor Verlag, Aulendorf

[13]

Gengenbach R (2008) GMP-Qualifizierung und Validierung – Ein Leitfaden für die Praxis, Wiley-VCH, Weinheim

[14]

Peither T, Rempe P, Büßing W (2011) GMP-Anlagenqualifizierung in der Pharmaindustrie, Maas & Peither GMP-Verlag

[15]

EU-Richtlinie 2003/94/EG der Kommission vom 08.10.2003 zur Festlegung der Grundsätze und Leitlinien der Guten Herstellungspraxis für Humanarzneimittel und für zur Anwendung beim Menschen bestimmte Prüfpräparate

[16]

EU-GMP-Leitfaden für Human- und Tierarzneimittel Teil I: Grundlegende Anforderungen für Arzneimittel Teil II: Gute Herstellungspraxis für Wirkstoffe Teil III: GMP-relevante Dokumente Anhänge: 1 bis 19

Literatur

47

[17]

ISPE Baseline Pharmaceutical Engineering Guide Volume 5, Commissioning and Qualification, 2011

[18]

Weber K H (2016) Engineering verfahrenstechnischer Anlagen: Praxishandbuch mit Checklisten und Beispielen, Springer Viehweg, Berlin Heidelberg

[19]

Hiob M, Limberger M, Roemer M, Veit M, Wawretschek C (2017) Papierbasierte und elektronische Dokumentation in Pharmaunternehmen: Anforderungen an GMP-konforme Dokumentationssysteme, Maas & Peither GMP-Verlag

[20]

Anhang 11 zum EG-Leitfaden der Guten Herstellungspraxis, Computergestützte Systeme vom 08.08.2011

2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung Die statistische Auswertung im nationalen und internationalen Anlagenbau besagt, dass Schwierigkeiten bei der Inbetriebnahme zu über 60 % in der Entwicklungs- bzw. Planungsphase, z.B. durch technologische Mängel im Verfahren oder durch fehlerhafte Auslegung bzw. Konstruktion, verursacht werden. Der Schlüssel für eine erfolgreiche Inbetriebnahme liegt somit vorrangig in ihrer Beachtung während der Verfahrensentwicklung und der Anlagenplanung (Engineering). Um die dazu notwendigen Ausführungen systematisch den einzelnen Engineeringphasen zuordnen zu können, ist nachfolgend das komplette Phasenmodell für die Abwicklung verfahrenstechnischer Anlagenprojekte dargestellt und kurz erläutert [1].

2.1 Phasenmodell der Anlagen-Projektabwicklung In Abb. 2.1 sind die Struktur und Bestandteile des Phasenmodells für die Planung und Realisierung verfahrenstechnischer Anlagen dargestellt. Das Phasenmodell bildet die Projekt-Hauptaktivitäten im Zeitraum von Beginn der Grundlagenermittlung bis zum Ende der Inbetriebnahme ab. Projektvorbereitende Aktivitäten, wie z.B.  die Entwicklung eines neuen Verfahrens oder die wesentliche Weiterentwicklung/Modifizierung bekannter Verfahren, die ggf. umfangreiche Labor- und Technikumsversuche erfordern,  das Erarbeiten einer Durchführbarkeitsstudie (Machbarkeitsstudie, Feasibility Study) finden im Normalfall zeitlich vor dem Projektstart statt. Während der Projektabwicklung fehlt dafür die Zeit. Diese Maßnahmen dienen der Projektvorbereitung und werden nicht vom Phasenmodell des konkreten Projekts erfasst. Das abgebildete Anlagenprojekt-Phasenmodell ist im klassischen Fall grundsätzlich zweigeteilt in: a) Entwurfs- und Entscheidungszeitraum Dieser erste Projektzeitraum, der früher auch als Vorprojekt bezeichnet wurde, beinhaltet schwerpunktmäßig die Definition der Aufgabenstellung (Scope-Definition) für das Projekt sowie die Lösungssuche und prinzipielle Lösungsfindung (Auswahl und Beschreiben einer Vorzugsvariante) während der Vorplanung (Pre-Basic) sowie deren Ausgestaltung während der Entwurfsplanung (Basic Engineering). Die Planungstiefe des Basic Engineering muss die Genehmigungsplanung inkl. Erarbeiten der Antragsunterlagen sowie die Investitionskostenermittlung und die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung zur Anlageninvestition ermöglichen. Letztlich bilden die Ergebnisse des Basic Engineering die Grundlage für eine begründete Investitionsentscheidung/Budgetfreigabe. Zugleich sind ausreichende Vorgaben für den 2. Projektabschnitt zur Anlagenrealisierung inkl. Inbetriebnahme erforderlich. Da der 1. Abschnitt vor der verbindlichen Investitionsentscheidung liegt, wird er als vorläufig bzw. vorbereitend charakterisiert. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 K. H. Weber, Inbetriebnahme verfahrenstechnischer Anlagen, VDI-Buch, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59498-8_2

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50

2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

 Abb. 2.1 Phasenmodell für Planung und Realisierung verfahrenstechnischer Anlagen [1]

b) Ausführungs- und Errichtungszeitraum Sobald die notwendige behördliche Genehmigung erteilt und die Anlageninvestition freigegeben ist, kann die Anlagenrealisierung erfolgen. Diese beginnt zunächst mit der Ausführungsplanung und setzt sich über die Beschaffung, den Bau/Montage und die Inbetriebnahme der Anlage fort. Der 2. Projektabschnitt endet i.Allg. mit der werkvertraglichen Abnahme der Vertragsleistung, z.B. nach erfolgreichem Leistungsnachweis. Da dem 2. Abschnitt die Investitionsentscheidung und Budgetfreigabe vorausgegangen ist, wird er als endgültig bzw. verbindlich charakterisiert. Insgesamt besteht das beschriebene Anlagen-Phasenmodell aus 9 Phasen. Bei Pharmaanlagen kommt noch eine Phase 10 (Validierung) hinzu, die zeitlich nach der Inbetriebnahme stattfindet. (s. Abb. 1.7 in Abschn. 1.5.4.2). Die grafisch dargestellte Überschneidung einzelner Projektphasen soll die teilweise parallel stattfindende Aufgabenbearbeitung veranschaulichen. Nachfolgend sind für die einzelnen Phasen wichtige Begriffe und Wesensmerkmale sowie Hinweise zur Berücksichtigung grundlegender Inbetriebnahmeaspekte angeführt. Phase 1: Grundlagenermittlung (Establishment of fundamentals)  Vor der Phase 1 kann ggf. in einer Durchführbarkeitsstudie (Feasibility Studie) die Wirtschaftlichkeit und Machbarkeit des Projekts analysiert und bewertet werden. Damit werden, auch bei offenen, wenig determinierten Projekten, die Voraussetzungen für eine begründete Projektentscheidung sowie eine korrekte und umfassende Projektdefinition geschaffen.  Während der Phase 1 werden ganzheitlich die Anforderungen des Investors (Projektträgers, Auftraggebers, Bauherrn) sowie die Rahmenbedingen an die herzustellende Anlage erarbeitet und in Form eines Lastenhefts (Scope-Defi-

2.1 Phasenmodell der Anlagen-Projektabwicklung

51

nition bzw. Requirement Specification) dokumentiert.  Der Investor ist für diese Arbeiten verantwortlich und auch fachlich zuständig. Er muss seine Ziele und Vorgaben aktiv einbringen.  Hinsichtlich der Inbetriebnahme sind im Lastenheft insbesondere die standortseitigen Gegebenheiten/Voraussetzungen (Infrastruktur, Klima, Umweltaspekte, Ver-/Entsorgungssicherheit, Werkstätten, Labore, Rechtssituation inkl. Genehmigung u.ä.) sowie die kundenspezifischen Rahmenbedingungen (Sicherheits- und Gesundheitsaspekte, Personalsituation inkl. Service, Werkstätten, Labor u.ä.) zu definieren.  Das Lastenheft muss eindeutige Angaben zu den genehmigungsrelevanten Entwurfsdaten/Auslegungsparametern (z.B. Emissionsgrenzwerte, Art der Gefahrstoffe, Sicherheitsprämissen) und zu anderen genehmigungsrelevanten Gestaltungsmerkmalen der Anlage (z.B. zur Logistik, Arbeitsplatzschaffung und -gestaltung, Industriearchitektur inkl. Fernsicht, Bauausführung) enthalten.  Die zum Lastenheft gehörigen Dokumente werden mit dem Bearbeitungsstatus: Scope gekennzeichnet (s. Tab. 2.7 in Abschn. 2.4.2). Phase 2: Vorplanung (Pre-Basic, Preliminary Planning)  In der Phase 2 werden auf Basis des Lastenhefts (Input): ▪ Lösungsalternativen für das Verfahren, die Anlagengestaltung und -technik sowie die Projektabwicklung erarbeitet, ▪ die Lösungsalternativen beurteilt und eine Vorzugsvariante ausgewählt, ▪ der ausgewählte Lösungsvorschlag bzgl. Verfahren, Anlagenkonzept und weiterer Projektabwicklung begründet und dokumentiert. Während der Vorplanungsphase werden typischerweise fachspezifische Konzepte erarbeitet.  Nicht mit der Vorplanung gleichzusetzen ist das Basic Design, das die Verfahrens- bzw. Prozessplanung für das Projekt umfasst [2]. Die planerischen Leistungen des Basic Design werden in der Phase 2 als Verfahrensentwurfsplanung begonnen und großteils in der Phase 3 (Basic Engineering) als Verfahrensausführungsplanung fortgesetzt.  Aus Sicht der Inbetriebnahme sind während der Vorplanung besonders die Hinweise ▪ zur Beachtung standort- und kundenspezifischer Bedingungen (s. Abschn. 2.3.1), ▪ zum Erarbeiten einer effizienten Inbetriebnahmetechnologie (s. Abschn. 2.3.2), ▪ zur Berücksichtigung besonderer Inbetriebnahmeeinheiten sowie zusätzlicher Stoffe und Energien (s. Abschn. 2.3.4), ▪ zur bedienungs- und instandhaltungsgerechten Anlagengestaltung (s. Abschn. 2.3.7) und ▪ zur inbetriebnahmefreundlichen Prozessleittechnik (PLT) (s. Abschn. 2.3.8) zu berücksichtigen.  Die Phase 2 ist bei Projekten mit vielen Freiheitgraden und möglichen Lösungsvarianten besonders ausgeprägt. Umgekehrt ist sie in Projekten, bei denen das Verfahren und das Anlagenkonzept von Anfang an feststehen,

52

2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

weniger umfangreich. Zum Teil werden in diesen Fällen die Ergebnisse der Vorplanung, die z.B. bei Wiederholungs- bzw. Erweiterungsprojekten a priori feststehen, gleich im Lastenheft (Scope) mit erfasst. In solchen Projekten, bei denen das Lastenheft mitunter erst am Ende Phase 2 fertiggestellt wird, ist die Schnittstelle zur Phase 3 stark ausgeprägt.  Die Dokumente der Vorplanung werden mit dem Bearbeitungsstatus: AFB (Approved for Basic) gespeichert. Eine separate Pre-Basic-Dokumentation ist selten und der Übergang zwischen Phase 2 und 3 häufig gleitend.  In vielen Projekten erfolgt die Vorplanung unter fachlicher Leitung des Investors. Einerseits weil er sachkundig ist, z.B. wenn er zugleich Verfahrensträger ist, und andererseits möchte er sein Know-how schützen. Fachwissen, welches er nicht besitzt, kauft er für sein Projektteam ein. Phase 3: Entwurfsplanung (Basic Engineering)  Die Phase 3 ist eine Hauptphase im Engineering. Im Basic Engineering werden die Verfahrensunterlagen (Basic Design) und ein verbindlicher Entwurf für die Anlage und Technik sowie für die Abwicklung des Projekts erarbeitet.  Die Planungstiefe am Ende Phase 3 muss ausreichend sein, um: ▪ die Investitionsentscheidung fundiert vorzubereiten, ▪ die Genehmigungsplanung behördengerecht durchzuführen und ▪ gegebenenfalls die Fach- und Ausführungsplanung zu beginnen.  Während der Entwurfsplanungsphase werden typischerweise fachspezifische Entwürfe erarbeitet. Die inbetriebnahmerelevanten Anforderungen an Verfahren und Anlage, die in den Abschnitten 2.2 und 2.3 zusammengefasst sind, müssen dabei beachtet werden.  Im Ergebnis der Entwurfsplanung entsteht die Basic Engineering-Dokumentation (mitunter auch das „Extended Basic“). Die Basic-Engineering-Dokumentation wird bis zur Investitionsentscheidung entsprechend den Folgerungen aus dem Genehmigungsverfahren und/oder der Kostenermittlung/Wirtschaftlichkeitsbetrachtung ergänzt und bildet im Ergebnis das Pflichtenheft (Requirement Specification).

 

  

Die spezifischen Belange der Inbetriebnahme sind im Pflichtenheft zu beschreiben. Das Pflichtenheft hat nach Freigabe der Investition den Bearbeitungsstatus: AFD (Approved for Design) und bildet die Basis für die Ausschreibung der Anlagenrealisierung. Die Phase 3 sowie die Phasen 4 (Genehmigungsplanung) und 5 (Kostenermittlung) überlappen sich, d.h. die phasenspezifischen Arbeiten finden zum Teil parallel statt. Schnittstellen zwischen diesen Phasen sind wenig ausgeprägt. Das Basic Engineering wird häufig vom Investor eigenverantwortlich erarbeitet. Die Gründe sind die gleichen wie bei der Vorplanung. Die Mitwirkung von externen Ingenieurpartnern wird als sog. Owner-Engineering bezeichnet. Fehlen dem Investor die notwendigen Ressourcen und/oder das notwendige Know-how, so wird mitunter das Basic Engineering auch an ein Ingenieurbüro „nach außen“ vergeben. Stark ausgeprägt ist die Schnittstelle der Phase 3 zur Phase 6 (Detail Engineering), da häufig das Detail Engineering, gegebenenfalls auch gemeinsam mit

2.1 Phasenmodell der Anlagen-Projektabwicklung

53

der Anlagenrealisierung, ausgeschrieben und beauftragt wird. Man spricht in diesen Fällen vom sog. Kontraktor-Engineering.  Zur effizienten Gestaltung dieser Schnittstelle ist ein ausführliches Basic Engineering (Extended Basic) und Pflichtenheft erforderlich Phase 4: Genehmigungsplanung (Planning for permission)  Die Genehmigungsplanung in Phase 4 umfasst, begleitend zum Projektablauf, ganzheitlich die Leistungen bei der ▪ Analyse der Genehmigungsfähigkeit des beabsichtigten Vorhabens während der Projektvorbereitung und Grundlagenermittlung (Genehmigungsprognose), ▪ Auswahl und Festlegung der genehmigungsspezifischen Entwurfsdaten und sonstiger Anlagenmerkmale im Lastenheft, die als Genehmigungsvoraussetzung eingeschätzt werden und während des Engineerings, inkl. Erarbeiten des Genehmigungsantrags, zu beachten sind, ▪ regelmäßige Beurteilung des zu erwartenden Genehmigungsverfahrens und der Risiken hinsichtlich Erteilung der Genehmigung während der Phasen 1 bis 3, ▪ Erarbeiten des Genehmigungsantrags sowie Mitwirken bei der Durchführung des Genehmigungsverfahrens.  Fachliche Basis dafür sind die geltenden Rechtsvorschriften sowie die Ergebnisse des Pre-Basic und insbesondere des Basic Engineerings.  Die Inbetriebnahme ist Teil des Bestimmungsgemäßen Betriebs, d.h. alle genehmigungsbedürftigen Zustände während der Inbetriebnahme sind im Genehmigungsantrag inkl. zugehöriger Unterlagen zu beschreiben und durch die zuständige Behörde zu genehmigen (s. Abschn. 3.4.3).  Die für den Genehmigungsantrag freigegebenen Dokumente haben den Bearbeitungsstatus: AFPA (Approved for Permit Application).  Die Herausforderung im verfahrenstechnischen Anlagenbau und insbesondere am Standort Deutschland ist es, termingerecht die rechtskräftige Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb der Anlage zu erlangen.  Verantwortlich für die Einholung der Genehmigung ist der Investor oder Anlagenbetreiber. Er wird in vielen Projekten vom Anlagenplaner unterstützt (sog. Behörden-Engineering).  Die Festlegungen im Genehmigungsbescheid sind beim Detail Engineering (Phase 6) sowie während der Phasen 7 (Beschaffung), 8 (Bau/Montage) und 9 (Inbetriebnahme) exakt und nachvollziehbar einzuhalten.  Alle genehmigungsrelevanten Unterlagen werden in der eigenständigen Genehmigungsdokumentation zusammengefasst und unter Verantwortung des Investors verwaltet. Phase 5: Kostenermittlung (Cost Estimation)  Die Phase 5 umfasst die Leistungen zur ▪ Kalkulation der Investitionskosten inkl. Engineering- und Inbetriebnahmekosten, ▪ Ermittlung der Betriebskosten, ▪ Erbringung des Wirtschaftlichkeitsnachweises der Investition (sog. Investitionsrechnung).

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2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

 Die projektbegleitend ermittelten Kosten sind ein wichtiges Steuerungselement für die Projektdurchführung. Gravierende SOLL-IST-Abweichungen bei den Kosten können u.U. signifikante Änderungen im Engineering, bis hin zu Korrekturen im Lastenheft, bewirken.  Die Kostenermittlung und Wirtschaftlichkeitsberechnung bis zur Investitionsentscheidung werden i.Allg. vom Investor eigenverantwortlich, ggf. mit Unterstützung externer Spezialisten bzw. Owner-Engineers durchgeführt.  Auf Basis dieser Leistungen wird die Investitionsentscheidung vorbereitet und durchgeführt. Im Erfolgsfall wird die geplante Anlageninvestition, ggf. unter Auflagen, freigegeben. Die Schnittstelle zur Phase 6 (Detail Engineering) ist somit entscheidend über den weiteren Projektfortgang.  Die Kosten für die Inbetriebnahme sind erheblich (s. Abschn. 4.2). Sie sind auf Grundlage der Inbetriebnahmeplanung (s. Abschn. 4.6) zu kalkulieren und als Teil der gesamten Projektkosten zu berücksichtigen. Phase 6: Ausführungsplanung (Detail Engineering)  Das Detail Engineering in Phase 6 liefert ausführungsreife Unterlagen (Dokumente) für die Beschaffung und Errichtung sowie für die Inbetriebnahme, den Dauerbetrieb und die Instandhaltung der Anlage.  Die Planungsleistungen werden vom Investor meistens an einen Generalplaner (z.B. externes Planungsunternehmen) im Rahmen eines EngineeringVertrags bzw. gemeinsam mit der Anlagenrealisierung an einen Generalunternehmer (z.B. mittels Turnkey-Vertrag) vergeben. Der Investor kauft die Planungsleistungen weitestgehend ein.  Beim Einkauf von Package-units werden die Engineeringleistungen für die Package-unit in den meisten Fällen mit vergeben. Damit existieren zusätzliche Schnittstellen im Engineeringprozess einschließlich der Dokumentationsleistungen.  Da sich nicht selten beim Übergang von Phase 3 (Basic Engineering) zum Detail Engineering (Phase 6) die Verantwortlichkeiten, Befugnisse und Zuständigkeiten grundlegend ändern, ist diese Schnittstelle sehr prägnant und beinhaltet viele Fehlerquellen und Konfliktpotential.  Das Detail Engineering von prozessrelevanten Hauptausrüstungen, z.B. die Konstruktion von Apparaten, Maschinen, Behältern, wird oftmals dem Hersteller der Ausrüstung zusammen mit deren Fertigung übertragen. Viele Engineeringunternehmen haben keine „richtigen“ Konstrukteure mehr. Damit ergeben sich innerhalb der Ausführungsplanung zahlreiche, risikobehaftete Schnittstellen.  Die Ergebnisse sind unter Nutzung der Hinweise und Checklisten in Abschn. 2.3 zu prüfen, inwieweit die Aufgaben/Anforderungen während der Inbetriebnahme ausreichend planerisch beachtet wurden.  Im Ergebnis der Ausführungsplanung entsteht die Detail EngineeringDokumentation/Ausführungsdokumentation bzw. AFC-Documentation mit dem Bearbeitungsstatus: AFC (Approved for Construction). Die Detail Engineering-Dokumente sind ein wesentlicher Bestandteil der Projekt- und Anlagendokumentation. Phase 7: Beschaffung (Procurement)  Die Beschaffung umfasst die Vorbereitung und Realisierung von Bestellun-

2.1 Phasenmodell der Anlagen-Projektabwicklung

  



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gen für Lieferungen und Leistungen, die zur Anlagenrealisierung und ggf. zur Inbetriebnahme benötigt werden. Die Beschaffung ist eingebettet zwischen Detail Engineering (Phase 6) und der Baustellenabwicklung (Phase 8). Zu beiden Seiten ist die Schnittstelle ausgeprägt und im Projekt exakt auszugestalten. In den Beschaffungsvorgängen sind die notwendigen Inbetriebnahmeleistungen der Hersteller bzw. Lieferanten umfassend zu spezifizieren und zu bestellen. Das gilt insbesondere für die Beschaffung von Package-units. Häufig kauft der Investor die Lieferungen (z.B. von Ausrüstungen inkl. zugehöriger Konstruktionsleistungen) und die Leistungen (z.B. für Bau und Montage) selbst ein und stellt sie dem Baustellenleiter zur Verfügung. De facto sind dies dann Beistellleistungen des Investors im Rahmen eines Engineering-Vertrages. Auch diese Schnittstelle hat viel Konfliktpotential. Die den Lieferungen und Leistungen zugehörigen Dokumente (z.B. Herstellerdokumente und Bau-/Montagedokumente) sind in die Projekt- und Anlagendokumentation einzuordnen.

Phase 8: Bau und Montage (Construction)  Die Phase 8 beinhaltet die Baustellenabwicklung von der Baustelleneröffnung bis zur Protokollierung Mechanische Fertigstellung (MF) bzw. Mechanical Completion (MC). Sie umfasst alle Arbeiten, die zur physischen Errichtung der Anlage auf der Baustelle zu erledigen sind.  Die gesamte Baustellenabwicklung unterteilt sich meistens in die Schritte: ▪ Einrichten der Baustelle, ▪ Bau (Tief-, Hoch-, Stahlbau), ▪ Montage (Grob-, Rohrleitungs-, PLT-Montage usw.), ▪ Sicherheits-, Funktions- und Abnahmeprüfungen, ▪ Protokollierung Mechanische Fertigstellung (MF).  Eingebettet in die Baustellenabwicklung sind viele Arbeiten zur Inbetriebnahmevorbereitung (Precommissioning) zu erledigen, die in Kapitel 5 ausführlich beschrieben werden.  Während der Phase 8 sind insbesondere die Hersteller- und Lieferantendokumente sowie die Montagedokumente in die Gesamtdokumentation einzufügen. Ferner sind Änderungen während der Baustellenabwicklung (im Vergleich zum Bearbeitungsstatus: AFC) in die betroffenen Ausführungsdokumente einzupflegen.  Vom Inverkehrbringer der Anlage ist zum Zeitpunkt Mechanische Fertigstellung eine Anlagen- und Betriebsdokumentation gemäß Vertrag zu erstellen und dem Inbetriebnahmeleiter verfügbar zu machen. Als Teil der Betriebsdokumentation sind in Vorbereitung der Inbetriebnahme unter Verantwortung des Inbetriebnahmeleiters Inbetriebnahme- und Instandhaltungsanweisungen) zu erstellen, die für den bestimmungsgemäßen Betrieb der Anlage nötig sind bzw. als Nachweis dienen.  Die Dokumente dieser sog. Inbetriebnahmedokumentation müssen den Bearbeitungsstatus: AFP (Approved for Production) aufweisen.  Die Phase 8 endet mit dem Übergang zur Inbetriebnahme (exakt zur KaltInbetriebnahme), einer sehr kosten-, verantwortungs- und sicherheitsrelevanten Schnittstelle im Projekt.

56

2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

Phase 9: Inbetriebnahme (Commissioning)  Die Inbetriebnahme (Phase 9) ist i.Allg. die letzte Projektphase. Sie umfasst die Leistungen nach der Protokollierung Mechanische Fertigstellung bis zum Erreichen eines vertragsgemäßen Dauerbetriebszustandes nach Leistungsnachweis (ggf. nach Endabnahme der Vertragsleistung).  Die Inbetriebnahme ist die „Stunde der Wahrheit“ für die am Projekt beteiligten Unternehmen und Personen und mit erheblichen Unwägbarkeiten verbunden.  Die Inbetriebnahme gliedert sich in die Abschnitte: ▪ Kalt-Inbetriebnahme (Cold Commissioning) bzw. Herstellung der Betriebsbereitschaft, ▪ Heiß-Inbetriebnahme (Hot Commissioning) bzw. Probebetrieb, ▪ Leistungsfahrt mit Leistungsnachweis (Performance Test), ▪ Protokollierung des Leistungsnachweises und gegebenenfalls der Endabnahme bzw. Erfüllung der Vertragsleistung.  Änderungen während der Inbetriebnahme (im Vergleich zum Bearbeitungsstatus: AFP) sind in die betroffenen Dokumente einzupflegen. Die Anlagendokumentation am Ende der Inbetriebnahme (z.B. Zeitpunkt Abnahme der Vertragsleitung) wird als AS BUILT-Dokumentation (Synonym: Enddokumentation bzw. Final Documentation) bezeichnet. Die zugehörigen Dokumente müssen den Bearbeitungsstatus As-built haben.  Die Schnittstellen-Gestaltung und deren Risiken zwischen InbetriebnahmePhase und Dauerbetrieb hängt vorrangig davon ab, ob zu diesem Zeitpunkt die werkvertragliche Abnahme (ggf. verbunden mit Gefahren-/Verantwortungsübergang, Beweislastumkehr, Gewährleistungsbeginn) der Vertragsleistung stattfindet oder ob dies schon zu einem früheren Zeitpunkt (z.B. zum Zeitpunkt Mechanische Fertigstellung) erfolgte. Das vorbeschriebene Anlagen-Phasenmodell ist im Grundsatz ähnlich strukturiert wie das Phasenmodell für Bauprojekte gemäß HOAI [3]. Die Inhalte der Leistungsphasen beider Phasenmodelle sind jedoch sehr verschieden. Nachfolgend wird näher beschrieben, wie das Engineering die Inbetriebnahme beeinflusst bzw. umgekehrt, welche Hinweise im Engineering beachtet werden sollten, damit die spätere Inbetriebnahme erfolgreich möglich ist. Um diese komplexe Thematik etwas zu strukturieren, sind einige wesentliche Einflussfaktoren auf die Inbetriebnahme verfahrenstechnischer Anlagen in Abb. 2.2 zusammengestellt. In den weiteren Ausführungen sollen diese Aussagen weiter vertieft werden.

2.2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung Die Entwicklung kann sich sowohl auf das Verfahren (Prozess) als auch auf die Technik (Ausrüstungen u.a. Anlagenkomponenten) beziehen. In beiden Fällen müssen bei der Entwicklung die wesentlichen Anforderungen (siehe ockerfarbige Merkmale in Abb. 2.2) während der Inbetriebnahme berücksichtigt werden. Die Entwicklung des Verfahrens findet i.d.R. zunächst im Labormaßstab (Forschung) und anschließend im Technikums- und/oder im Pilotmaßstab statt. Das fachliche Ziel der Verfahrensentwicklung (process development) ist die Erar-

2.2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung

57

 Abb. 2.2 Wesentliche Einflussfaktoren auf die Inbetriebnahme verfahrenstechnischer Anlagen

beitung von Verfahrensunterlagen, die als Grundlage für die Planung (Engineering) einer großtechnischen Anlage nach diesen Verfahren geeignet sind. Die Unterlagen müssen vor allem eine Maßstabsübertragung (scale-up) für eine kunden- und standortspezifische Großanlage zuverlässig ermöglichen. Die Ergebnisse der Verfahrensentwicklung werden mitunter als Verfahrensdokumentation oder Know-how-Dokumentation zusammengefasst. Sie sind im Unterschied zum Basic Design nicht projektspezifisch und umfassen grundlegendes Wissen zur Technologie, zu den Produkten, zur Prozessmodellierung, zur Stoffdatenberechnung u.ä. Im Rahmen von Verfahrenslizenzen wird das Verfahrens-Know-how oftmals verkauft und dient dem Käufer (z.B. einem Engineering-Unternehmen) als Grundlage für die verfahrenstechnische Planung (Basic Design) einer konkreten Anlage. Damit wird die Entwicklung zugleich von der Forschung, die vorrangig die prinzipielle Lösungssuche/Problemlösung im Labormaßstab sowie unter Modellbedingungen zum Ziel hat, sowie von der Planung, die sehr stark auf die unmittelbare Ausführung/Realisierung der großtechnischen Anlage ausgerichtet ist, abgegrenzt. Natürlich steht bei der Verfahrensentwicklung die Gestaltung der Technologie einschließlich günstiger Verfahrens- und Betriebsparameter für den Dauerbetrieb (Nennlastzustand) im Mittelpunkt. Es geht vor allem um das Auffinden einer effizienten, grundsätzlichen Verfahrenslösung sowie von Know-how zur Auslegung von Großanlagen unterschiedlichster Kapazität und/oder Standortbedingungen. Die Inbetriebnahme einer konkreten Anlage nach diesem Verfahren ist noch in relativ weiter Ferne. Diese Situation führt mitunter dazu, dass während der Entwicklung überhaupt nicht an die notwendige Inbetriebnahme gedacht wird und sich u.U. später Probleme ergeben. Ein im Dauerbetrieb sehr wirtschaftliches Verfahren kann beispielsweise mit erheblichen Kosten bei der Inbetriebnahme verbunden sein. Werden andererseits die eventuellen Inbetriebnahmeschwierigkeiten rechtzeitig während der Verfahrensentwicklung erkannt, so können nicht selten noch alternative Lösungen mit einer vergleichbar guten Wirtschaftlichkeit gefunden werden.

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2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

Zur Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung enthält Tabelle 2.1 eine Checkliste mit Fragen zu Verfahrensmerkmalen, die für die Inbetriebnahme gravierend sein können. Werden eine oder mehrere der Fragen in Tab. 2.1 bejaht, so ist ein signifikanter Einfluss des Verfahrens auf die Inbetriebnahme gegeben. Dementsprechend sollte eine vertiefende Analyse und Diskussion eventueller Konsequenzen auf die Verfahrensentwicklung stattfinden. Tabelle 2.1 Checkliste zur Prüfung des Verfahrens aus Sicht der Inbetriebnahme und der Außerbetriebnahme 1

Handelt es sich um eine Mehrproduktanlage?

2

Gibt es in der Anlage neue, im großtechnischen Maßstab unerprobte sowie wichtige aber sensible Verfahrensstufen und/oder Hauptausrüstungen und/oder Package-units?

3

Neigt das Verfahren (z.B. die chemische Reaktion) zur Instabilität?

4

Gibt es im Verfahren bzw. in einzelnen Stufen eine hohe parametrische Empfindlichkeit?

5

Entsteht das gewünschte Zielprodukt über eine selektive Folge- oder Parallelreaktion?

6

Werden bei der Inbetriebnahme im Vergleich zum Dauerbetrieb zusätzliche Anlagenkomponenten/Betriebsmittel gebraucht?

7

Werden bei der Inbetriebnahme externe Energien/Hilfsstoffe benötigt, die im Dauerbetrieb durch das Verfahren selbst erzeugt werden (z.B. exotherme Reaktionen)?

8

Können sich beim Anfahren gefährliche bzw. unerwünschte Verfahrensbedingungen (höhere Verweilzeiten, veränderte Drücke, Temperaturen usw.) einstellen?

9

Müssen beim Anfahren der Ex-Bereich oder andere Gefahrenzustände durchfahren werden?

10 Bedingt das Verfahren (z.B. wegen Regeneration oder Wechsel des Katalysators) relativ oft die Außerbetrieb-/Wiederinbetriebnahme der Anlage? 11 Treten bei der Inbetriebnahme erhöhte Schadstoffemissionen auf? 12 Gestattet das Verfahren, nichtqualitätsgerechte Produkte zurückzuführen bzw. aufzuarbeiten? 13 Erfordert das Verfahren eine extreme Reinigung der Anlage (z.B. chemisch bzw. bakteriologisch rein) in Vorbereitung der Inbetriebnahme? 14 Können beim Anfahren verstärkte bzw. veränderte Korrosionsbeanspruchungen auftreten? 15 Kommen im Verfahren größere Mengen staubhaltiger bzw. staubbildender Schüttgüter zum Einsatz? 16 Kommen im Verfahren uneinheitliche Rohstoffe (inhomogenes Input) zum Einsatz? 17 Sind komplexe verfahrenstechnische Verschaltungen (z.B. Kopplung der Stoff- und Energieströme) vorgesehen? 18 Ist eine automatische Inbetriebnahme/Außerbetriebnahme vorgesehen? 19 Ist ein automatisches Umfahren von einen in einen anderen Betriebszustand (z.B. bei Mehrproduktanlagen) vorgesehen? 20 Ist aus Sicht des Verfahrens eine planmäßige, sichere und effiziente Außerbetriebnahme möglich?

Wird die Frage-Nr. 1 betreffs Mehrproduktanlage bejaht, so wird die Inbetriebnahme a priori schwieriger sowie zeit- und kostenaufwendiger, da u.a.

2.2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung

59

▪ mehrere Verfahren und unterschiedliche Anlagen-Verschaltungen genutzt werden. Damit sind größere verfahrenstechnische und technische Risiken verbunden. ▪ nicht alle denkbaren Fahrweisen und zugehörigen Bilanzfälle bei der Mengen/Energiebilanzierung und Auslegung der Ausrüstungen berücksichtigt werden können. Auch dies bewirkt zusätzlich Unwägbarkeiten. ▪ gemäß den verschiedenen Zielprodukten müssen mehrere Betriebszustände getestet, gefahren und einer Leistungsfahrt unterzogen werden. Damit verlängert sich der Inbetriebnahmezeitraum. ▪ die Reinigung der Anlage, z.B. beim Umstellen der Fahrweise von einen Produkt auf ein anderes, spielt eine wesentlich größere Rolle und ist aufwendig. Zugleich erhöht sich die Gefahr der Kreuzkontamination. ▪ die Anforderungen an die Prozessleittechnik, insbesondere die Regelungs- und Steuerungstechnik (inkl. sicherheitsgerichtete Steuerungen) ist auf Grund der Variantenvielfalt höher und schwieriger in Betrieb zu nehmen. Die Frage-Nr. 2 zielt auf das eingegangene Risiko bei der Verfahrens- und/oder Ausrüstungsentwicklung. Der erfahrene Planer und Inbetriebnehmer wird versuchen, diese Risiken u.a. dadurch zu minimieren, dass er sich durch eine weitsichtige Planung zusätzliche Freiheitsgrade und Optionen für die spätere Inbetriebnahme schafft. Dies können z.B. sein: ▪ ein mögliches Umfahren dieser neuen Stufe/Komponente beim erstmaligen Anfahren der Gesamtanlage, ▪ das schonende Abfahren/Abblocken dieser Stufe/Komponente, um sie vor Schädigungen zu schützen und für die Wiederinbetriebnahme bereit zu halten, ▪ das Vorsehen alternativer Fahrweisen, ▪ die Möglichkeit, die Prozessparameter der Verfahrensstufe (Grundoperation) bzw. die Betriebsparameter der Ausrüstung flexibel zu verändern, ▪ die Realisierung gezielter, auch mobiler, Messmöglichkeiten für wichtige Prozess/Apparateparameter, um Fehlerursachen schnell diagnostizieren zu können. Das Beispiel 2.1 soll einige derartiger Möglichkeiten verdeutlichen. Beispiel 2.1 Inbetriebnahmegerechte Verfahrensgestaltung für eine Synthesestufe zur katalytischen Reinigung von Erdgas Der Einsatz von methanreichen Erdgas als Chemierohstoff, z.B. für die Herstellung von Chlormethanen, erfordert im Allgemeinen eine vorherige Entfernung unerwünschter Bestandteile. Diese können z.B. Schwefelverbindungen, C2+-Kohlenwasserstoffe (Ethan, Propan, Butan, Ethen) sowie Kohlenmonoxid und Kohlendioxid sein. Die Erdgasreinigung (s. Abb. 2.3) kann vorteilhaft in einen Vollraumreaktor B1 durchgeführt werden, der einen Hydrier-Katalysator zur Restentschwefelung und gleichzeitig einen Spalt-/Hydrier-Katalysator zur CO-/CO2-Methanisierung sowie zur Spaltung und Aufhydrierung der C2+-Kohlenwasserstoffe enthält [4]. Die patentierte Verfahrens- und Katalysatorentwicklung war in einer sehr kurzen Zeit im Technikum erfolgt. Erfahrungen im großtechnischen Maßstab gab es nicht. Die Inbetriebnahme der neuen Großanlage mit den beiden Katalysatoren war entsprechend risikobehaftet. Alle Reaktionen im Reaktor R1 fanden bei ca. 320 °C und ca. 5 barü sowie bei geringem Wasserstoffüberschuss (bezogen auf den stöchiometrischen Verbrauch) statt. Während der gleichzeitigen Inbetriebnahme beider Katalysatoren wurde in folgenden Schritten vorgegangen:

60

2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

 Abb. 2.3 Vereinfachtes Verfahrensfließschema zur katalytischen Reinigung von Erdgas

 Der Reaktor wird zuerst mit Stickstoff inertisiert und anschließend das gesamte Katalysatorbett mit dem Stickstoffstrom und mit Hilfe des Industrieofens D1 auf ca. 250 °C aufgeheizt.  Danach wird der Stickstoff durch das Erdgas-Wasserstoff-Gemisch ausgetauscht und mit diesem Gemisch beide Katalysatoren mit einer Last von ca. 30 % der Nennlast langsam auf eine Betriebstemperatur von 320 °C erhitzt. Dabei erfolgt die Aktivierung der Katalysatoren.  Bei Erreichen der Betriebstemperatur wird die Gasmenge schrittweise auf Volllast erhöht. Während der Inbetriebnahme und des Dauerbetriebs der Synthesestufe waren zwingend folgende Voraussetzung zu erfüllen.  Der zum Inertisieren und Aufheizen verwendete Stickstoff musste frei von Sauerstoff sein.  Am Katalysator muss ständig ein Mindestüberschuss an Wasserstoff (bezogen auf den stöchiometrischen Verbrauch) gewährleistet sein (Gefahr der Verkokung).  Die absolute Differenz zwischen der Gaseintrittstemperatur in den Reaktor B1 und der Katalysatortemperatur darf einen vorgegebenen Wert nicht überschreiten (Gefahr des Temperarturschocks). Ausgehend von diesen Anfahrbedingungen und den gemachten Vorgaben des Katalysatorherstellers wurde gemäß Abb. 2.3 realisiert: a) Ein Reaktor B2 mit Hydrierkatalysator, der bei Normaltemperatur den u.U. im NetzStickstoff befindlichen Sauerstoff zu Wasser hydriert. b) Einen Bypass um den Raffinationsreaktor B1 bestehend aus zwei gasdichten Klappen mit Zwischenentspannung zur Fackel.

2.2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung

61

Im Einzelnen erfüllt dieser Bypass, der aus vorwiegend Inbetriebnahme-Gesichtspunkten geplant wurde, die folgenden Funktionen: 1. Die Anlage kann separat, ohne dass der empfindliche Spalt-/Hydrierkatalysator einem Risiko ausgesetzt wird, einer komplexen Funktionsprüfung bzw. Teilinbetriebnahme unterzogen werden. 2. Bei Störungen, z.B. am Ofen D1 oder im Erdgas/Wasserstoff-Verhältnis, kann der Reaktor sofort umfahren und mittels gasdichter Klappen abgeblockt werden. Somit werden Störungen weitgehend vom den Katalysatoren ferngehalten. 3. Die beiden Katalysatoren im Reaktor B1 können bei Betriebsunterbrechungen, z.B. wegen Störungen in den nachgeschalteten Anlagen, unter zulässigen Nennbedingungen (Temperatur, Druck, Gaszusammensetzung) belassen werden. Bei der Wiederinbetriebnahme ist durch langsames Schließen des Bypasses eine „stoßfreie“ Einbindung des Raffinationsreaktors möglich. Während der Heiß-Inbetriebnahme der großtechnischen Synthesestufe wurden die Möglichkeiten 1 bis 3 mehrfach und mit Erfolg genutzt. Vermutlich konnte somit eine Schädigung des neuartigen, sensiblen Spalt-/Hydrierkatalysators schon während der Erstinbetriebnahme vermieden werden. Werden die Fragen-Nr. 3 bzw. 4 aus Tabelle 2.1 mit „ja“ beantwortet, so wird die HeißInbetriebnahme häufig schwierig und muss intensiv planerisch bedacht werden. Ursache ist, dass während des An- und Hochfahrens der Anlage bewusst Störungen aufgegeben werden, um die Anlage aus dem Ruhezustand in den Nennzustand zu überführen. Wenn beispielsweise in Beantwortung der Frage-Nr. 8 höhere Verweilzeiten im Reaktor gefährlich bzw. unerwünscht sind, so muss u.U. die Teillastfahrweise während der Inbetriebnahme minimiert werden. Dies kann die ganze Inbetriebnahmestrategie oder die Größe der Zwischenproduktlagerung erheblich beeinflussen. Ist im anderen Fall eine häufige Regeneration des Katalysators zu erwarten bzw. nicht auszuschließen (s. Frage-Nr. 10), so muss dies technologisch, z.B. durch einen redundanten, zweiten Reaktor, berücksichtigt werden. Die gegebenenfalls notwendige Regeneration in situ wiederum kann erhebliche Auswirkungen auf die sicherheitstechnische und rohrleitungsseitige Gestaltung der Anlage haben. Mit zunehmender Errichtung von Pharmaanlagen sowie der häufigeren Nutzung biotechnologischer Verfahren (Anwendung von Kenntnissen und Prozessen der Biologie und Biochemie in technischen Verfahren) [5] [6] werden die Reinheitsanforderungen innerhalb der Anlagenkomponenten immer höher und wichtiger (s. Frage-Nr. 13). In Folge können die notwendigen Reinigungsprozeduren während der Inbetriebnahmevorbereitung und -durchführung (s. Abschn. 2.3.6, 5.3 und 6.2.3) u.U. aufwendiger sein als das Anfahren der eigentlichen Prozess- bzw. Biotechnologieanlage. In besonderen Fällen können sich, abgeleitet aus den Reinheitsforderungen, sogar wesentliche Vorgaben für die Verfahrensentwicklung ergeben. Während der Vorbereitung und Durchführung der Inbetriebnahme treten mitunter spezifische Korrosionsbedingungen auf (s. Frage-Nr. 14), die im Normalbetrieb auszuschließen sind und die man deshalb leicht vergisst. Einige Besonderheiten sind in diesem Zusammenhang beispielsweise:  Nach dem Spülen der Anlage bzw. nach den Druckprüfungen verbleiben oftmals geringe Mengen Wasser in der Anlage. Diese wässrige Phase wirkt als Elektrolyt und bewirkt in Verbindung mit gelösten Ionen nicht selten örtliche Korrosion.

62

2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

Im Bemühen, durch Trocknen mit Luft oder Stickstoff, das Wasser zu entfernen, passiert zum Teil ein Eindampfen der wässrigen Phase und somit eine Aufkonzentration eventuell vorhandener, dissoziierter Salze. Damit wird die Gefahr der örtlichen Korrosion, z.B. in Form von Lochfraßkorrosion, weiter erhöht.  Auch nach dem Inertisieren verbleibt eine endliche Menge an Sauerstoff in der Anlage. Beim späteren Anfahren können sich daraus unerwünschte Nebenprodukte bilden. Andere Fremdstoffe, die sich zu Beginn der Inbetriebnahme noch in Spuren in der Anlage befinden, können ähnliche Auswirkungen haben. Hier ist beispielsweise näher zu prüfen, ob derartige Nebenprodukte im Spurenbereich sich anfahrbedingt (Kreislauffahrweise) anreichern können oder auf sensible Materialien schädigend wirken. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch die mögliche Vergiftung von Katalysatoren oder die Auslösung einer Spannungsrisskorrosion.  Die relativ geringen Betriebstemperaturen zu Beginn des Anfahrens bewirken eine erhöhte Gefahr der Taupunktsunterschreitung in Gasen. Eventuelle Restfeuchte (Mauerwerk) wirkt in die gleiche Richtung. Die angeführten spezifischen Bedingungen, die mit chemischen oder biologischen Vorgängen in Verbindung stehen, müssen bei der Verfahrensentwicklung beachtet werden. Dies gilt auch für den Hinweis laut Frage-Nr. 15. Wenn im Verfahren größere Mengen an Schüttgütern vorgesehen sind, so ist auch Staub zu erwarten. Während der Inbetriebnahmevorbereitung muss versucht werden, diesen Staub weitgehend aus der Schüttung und der Anlage zu entfernen. Andererseits ist die Wirksamkeit der vorbereitenden Maßnahmen aber begrenzt und oftmals bildet sich während des Betriebes neuer Abrieb bzw. Staub. Es steht somit die Frage, wie wird die Staubmenge durch Produkt- und Technologieentwicklung minimiert. Ist eine merkliche Staubbildung nicht zu vermeiden, so müssen technische Maßnahmen zur örtlich gezielten Abscheidung und Ausschleusung getroffen werden. Ansonsten scheidet sich der Staub erfahrungsgemäß an den hydraulischen Engpässen der Anlage (z.B. auf den Kolonnenböden oder am Demister/Tropfenabscheider) ab. Dies ist aber sehr oft am ungünstigsten. Wenn uneinheitliche Rohstoffe (inhomogenes Input) (Frage-Nr. 16) eingesetzt wird, so ergeben sich mehrere unterschiedliche Inbetriebnahme-Fahrweisen. Das Verfahren und die Anlage müssen diese „meistern“ und u.U. die Garantieparameter bei unterschiedlichen Rohstoffen in mehreren Leistungsfahrten nachweisen. Letztlich ergibt sich dadurch ein größeres Verfahrensrisiko. Von wesentlicher Bedeutung für die Verfahrensentwicklung sowie für die gesamte Projektabwicklung ist, wenn die Inbetriebnahme/Außerbetriebnahme der komplexen verfahrenstechnischen Anlagen automatisch erfolgen soll (s. Frage-Nr. 18). Analoges gilt beispielsweise für Mehrproduktanlagen, die über ein automatisches Betriebsführungssystem gesteuert werden sollen (s. Frage-Nr. 19). Derartig anspruchsvolle Zielstellungen, die vorrangig den subjektiven Stör- und Kostenfaktor zu vermindern suchen, sind aus Erwägungen, wie  Gewährleistung einer reproduzierbaren, vorgabegerechten Produktqualität, z.B. nach den GMP-Grundsätzen in Pharmaanlagen,  Erreichen eines zuverlässigen, sicheren und schnellen Anfahrens von Anlagenkomponenten bzw. komplexen Anlagen, z.B. mittels Anfahrsteuerungen für komplizierte Maschinen, Öfen oder Spitzenlast-Kraftwerke,  Optimieren und Steuerung national bzw. weltweit vernetzter Anlagensysteme im Hinblick einer hohen Lieferbereitschaft, Verfügbarkeit und Wirtschaftlichkeit,

2.2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung

63

 Einsparung von Personalkosten, immer häufiger anzutreffen. Sie erfordern vom Entwicklungsingenieur aber noch mehr vom Planungsingenieur (s. Abschn. 2.3.8), dass die Anfahr-/Abfahr- und Umfahrstrategien frühzeitig erarbeitet und bei der Verfahrensentwicklung beachtet werden. Dies kann u.a. die Auswahl der Grundoperationen und des zugehörigen Ausrüstungstyps, die Anlagenverschaltung inkl. energetischer und stofflicher Rückführungen oder die notwendige Realisierung verfahrensspezifischer MSR-Maßnahmen (Messungen, Rückmeldungen, Zeit- /Ablaufsteuerungen) betreffen. Abschließend sei noch erinnert, dass während der Verfahrens- und Anlagenentwicklung auch an das Abfahren sowie die Außerbetriebnahme der Gesamtanlage gedacht werden muss. Dabei gelten ähnliche Hinweise wie für das Anfahren, nur dass in den Fragen der Tabelle 2.1 der Abfahrzustand zu hinterfragen ist. Um den Belangen der Inbetriebnahme während der Entwicklung mehr Nachdruck zu verleihen, hat es sich in der Praxis als zweckmäßig erwiesen, wenn während der Verfahrensentwicklung auch eine Inbetriebnahmekonzeption erarbeitet wird (s. Beispiel 2.2). Die Inbetriebnahmekonzeption ist ein Bestandteil der Verfahrensplanung (Basic Design) und skizziert kurzgefasst die technologisch-technischen Hauptschritte der Inbetriebnahme und der Außerbetriebnahme. Damit wird nachgewiesen, dass die Verfahrensparameter (Nennzustand) des Dauerbetriebes mit der vorgeschlagenen Basistechnologie erreichbar sind bzw. welche Sondermaßnahmen für die Inbetriebnahme/Außerbetriebnahme zusätzlich erforderlich sind. Beispiel 2.2 Inbetriebnahmekonzeption für ein Verfahren zur Reinigung eines serstoffreichen Raffineriegases

was-

Das betrachtete Verfahren (s. Abb. 2.4) dient zur weitgehenden Entfernung der unerwünschten Anteile an − leichten ungesättigten Kohlenwasserstoffen C1 - C4 − Schwefelwasserstoff − Kohlenmonoxid und Kohlendioxid, aus einem vorwiegend wasserstoffhaltigen Raffineriegas. D101

Raffineriegas gereinigt

W104

Abgas zur Verbrennung B103 K102

K101

P103

Auskreisung Leichtsiedende

Raffineriegas ungereinigt

B101

B102 D102 W101

P101

Einkreisung Waschflüssigkeit

W103

P102 W102

Auskreisung Waschflüssigkeit

Abb. 2.4 Verfahrensfließschema zur Reinigung eines wasserstoffreichen Raffineriegases

64

2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

Das ungereinigte Raffineriegas wird zunächst in der Absorptionskolonne K101 bei einem Druck von ca. 2,5 MPa und einer Temperatur von ca. 40 °C mit einer Dieselkraftstofffraktion gewaschen und dadurch die Anteile an leichten ungesättigten Kohlenwasserstoffen auf unter 0,2 Vol-% und an Schwefelwasserstoff auf unter 10 ppm Volumengehalt verringert. Das vorgereinigte Gas wird anschließend im Ofen D101 auf 180 bis 300 °C aufgeheizt und dem Reaktor B101 zugeführt. Im Reaktor B101 ist als Festbett ein zinkoxid/kupferoxidhaltiger Katalysator angeordnet, der zur H2S-Entfernung bis auf Restgehalte unter 1 ppm Volumengehalt dient. Die Erwärmung des Reaktors B101 einschließlich des so genannten Entschwefelungskatalysators auf die Arbeitstemperatur von über 180 °C muss mit Stickstoff erfolgen. Die Verwendung des Raffineriegases ist wegen der möglichen Zinkkarbonat-Bildung bei niedrigen Temperaturen nicht zulässig. Als letzte Stufe der Raffineriegasreinigung dient der mit Nickelkatalysator gefüllte Reaktor B102. Der als Festbett angeordnete sog. Methanisierungskatalysators beschleunigt die Umsetzung von Kohlenmonoxid und -dioxid zu Methan bis auf summarisch weniger als 10 ppm Volumengehalt. Er muss während der Inbetriebnahme zunächst vorsichtig mit Stickstoff bei 80 °C getrocknet und danach bei ca. 180 °C unter Zusatz von Wasserstoff aktiviert werden. Die beladene Waschflüssigkeit wird zur Regeneration aus dem Sumpf der Kolonne K101 in die Desorptionskolonne K102 entspannt. Die Desorption der gelösten Gase findet bei ca. 0,3 MPa und ca. 250 °C Sumpftemperatur statt. Zur Aufheizung dient neben den Wärmeübertragern W101 und W102 der Ofen D102. Die desorbierten Restgase werden aus dem Rücklaufbehälter B103 abgeführt. Um die Qualität der Waschflüssigkeit zu gewährleisten, werden ein kleiner Anteil der Leichtsiedenden sowie der Waschflüssigkeit ausgekreist und durch frisches Waschprodukt ersetzt. Die Rückführung der regenerierten Waschflüssigkeit zur Absorption erfolgt mit Hilfe der Sumpfpumpe P102 und der Einspritzpumpe P101. Die Inbetriebnahmekonzeption, wie sie für das beschriebene Verfahren als Teil des Basic Design erarbeitet wurde, ist in Abb. 2.5 dargestellt. Abschließend zum Hinweis, die Inbetriebnahmebelange ausreichend bei der Entwicklung zu beachten, sei auf das Wechselverhältnis von Verfahren und Anlage hingewiesen. Das Verfahren findet in der Anlage und die Grundoperation findet in einer Hauptausrüstung statt! Das bedeutet, die Inbetriebnahmezustände beeinflussen nicht nur die Verfahrensentwicklung, sondern gegebenenfalls auch die technische Entwicklung und Konstruktion der Hauptausrüstungen. Einige Beispiele sind:  die geplante Teillastfahrweise eines Kreiselverdichters während der Anfahrens kann wegen möglicher Gefahr des „Pumpens“ dessen gewählte Lastreserve und/oder Antriebgestaltung begrenzen (s. Abschn. 6.3.2.3),  die hohen Temperaturunterschiede zwischen Rohr- und Mantelraum beim Anfahren von Rohrbündel-Wärmeübertragern können deren konstruktive Gestaltung (Art der Längenkompensation) beeinflussen,  um Schmierstoffeintrag in den Prozess zu vermeiden, müssen bei Maschinen sog. „Trockenläufer“ genutzt werden.

2.3 Beachtung der Inbetriebnahme beim Engineering

65



Abb. 2.5 Grob-Inbetriebnahmekonzeption für das Verfahren zur Reinigung eines wasserstoffhaltigen Raffineriegases

2.3 Beachtung der Inbetriebnahme beim Engineering Das Engineering verfahrenstechnischer Anlagen umfasst gemäß der in Abschn. 2.1 (s. Abb. 2.1) dargestellten Strukturierung die Phasen 1 bis 6 und ist wie folgt definiert: Engineering umfasst das Erarbeiten von technologisch-technischen sowie organisatorischadministrativen Unterlagen (Dokumenten), die für die Beschaffung, Errichtung, den Bestimmungsgemäßen Betrieb und die Instandhaltung von Anlagen benötigt werden.

Für die Ausführungen dieses Abschnitts sind besonders die in Abb. 2.6 dargestellten Phasen 1 bis 3 und 6 relevant.  



Scope Definition (Grundlagenermittlung)

Pre-Basic (Vorplanung)

Basic Engineering (Entwurfsplanung)

Detail Engineering (Ausführungsplanung)

Phase 1

Phase 2

Phase 3

Phase 6

Abb. 2.6 Übersicht zur zeitlichen Zuordnung der Engineeringphasen 1 bis 3 und 6

66

2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

Die Inbetriebnahmeaspekte bei der Genehmigung (Phase 4) werden in Abschn. 3.4 betrachtet und zu den Inbetriebnahmekosten sind in Abschn. 4.2 Ausführungen gemacht. Die Inbetriebnahme muss in allen Engineeringphasen ihren gebührenden Platz einnehmen. Waren die zu betrachtenden Inbetriebnahmegesichtspunkte während der Entwicklung mehr grundsätzlicher, qualitativer Art, so sind sie beim Engineering in Übereinstimmung mit dem sonstigen Detailliertheitsgrad auszugestalten. Man spricht in diesem Zusammenhang von der Notwendigkeit einer inbetriebnahmegerechten Anlagenplanung. Darunter ist zu verstehen, dass bei Einhaltung des Investitionskostenbudgets die Anlage so geplant wird, dass die Aufgaben und Ziele der Inbetriebnahme umfassend erreicht werden. In Tabelle 2.2 ist zusammengestellt, welche wesentlichen Bedingungen dafür erfüllt werden müssen. Natürlich bleibt ein vertragsgemäßer Dauerbetrieb das Hauptziel der Anlagenplanung. Aber bis dies möglich ist, muss vorher auf Grundlage der Planungsdokumente eine effektive Anlageninbetriebnahme stattfinden. Tabelle 2.2 Wesentliche Forderungen an eine inbetriebnahmegerechte Planung 1 2

Beachtung standort- und kundenspezifischer Bedingungen bei der Inbetriebnahme Gewährleisten eines effizienten technologischen Ablaufes der Inbetriebnahme

3

Beachtung besonderer Fahrweisen vor und während der Inbetriebnahme bei der Auslegung und Konstruktion der Ausrüstungen sowie bei der Anlagenplanung

4

Berücksichtigung besonderer Inbetriebnahmeeinheiten bzw. -ausrüstungen

5

Berücksichtigung zusätzlicher Stoffe und Energien, die während der Inbetriebnahme benötigt werden bzw. anfallen

6

Beachtung der Funktionsprüfungen, Komplexen Funktionsprüfungen und Systemerprobungen bei der Verfahrens- und Anlagenplanung

7

Beachtung der erforderlichen Reinheit und Reinigung der Anlage inkl. all ihrer Komponenten/Bauteile

8

Bedienungs- und instandhaltungsgerechte Layout- und Anlagengestaltung

9

Gewährleistung einer inbetriebnahmefreundlichen Prozessleittechnik, Vernetzung sowie Anlagenkommunikation

10

Beachtung der Inbetriebnahmevorbereitung bei der Montageplanung

11

Gewährleistung der Sicherheit von Personal, Anlage und Umwelt während dem vergleichsweise gefahrvollen Inbetriebnahmezustand und -zeitraum

12

Erarbeitung einer anwendergerechten Inbetriebnahmedokumentation einschließlich der Voraussetzung für den Inbetriebnahmebeginn

13

Erarbeitung der Qualifikationsanforderungen und des Ausbildungsprogrammes für das Inbetriebnahmepersonal

14

Gewährleistung eines effizienten Inbetriebnahmemanagements

15

Beachtung der Inbetriebnahme bei der Genehmigungsplanung/beim Behörden-Engineering

Auf die einzelnen angeführten Forderungen an eine inbetriebnahmegerechte Anlagenplanung wird in den folgenden Abschnitten näher eingegangen. Dabei werden die verschiedenen Aspekte aus methodischen Gründen weitgehend getrennt betrachtet; wohlwissend, dass sie sich in der Praxis durchdringen bzw. beeinflussen und während der Planung ganzheitlich betrachtet werden müssen.

2.3 Beachtung der Inbetriebnahme beim Engineering

67

2.3.1 Beachtung standort- und kundenspezifischer Bedingungen Die standort- und kundenspezifischen Bedingungen sind für die Planung insgesamt, wie auch für die Inbetriebnahme von wesentlicher Bedeutung. Den weiteren Ausführungen zur Thematik seien zunächst zwei grundsätzliche Aussagen und Erfahrungen in Thesenform vorangestellt und kurz diskutiert. 1. These: Der Anlagenstandort und der Kunde/Betreiber haben im Allgemeinen auf das Projekt und im Besonderen auf die Inbetriebnahme eine viel größere Auswirkung als gemeinhin angenommen. Der Standort einer Anlage hat großen Einfluss auf die Investitions- und Betriebskosten und damit auf ihre Wirtschaftlichkeit. Dies gilt auch für die Vorbereitung und Durchführung der Inbetriebnahme. In der Praxis wird dies nicht selten unterschätzt. Man unterscheidet grundsätzlich zwischen den Makro-Standort und den Mikro-Standort. Der Makro-Standort besagt,  in welcher Wirtschaftsregion,  in welchem Land dieser Wirtschaftsregion,  in der Nähe welchen Ortes dieses Landes und  auf welchen Territorium (z.B. Werksgelände) in der Nähe dieses Ortes die Anlage errichtet und betrieben werden soll. Wenn einfach von Standort gesprochen wird, ist nicht selten der Makro-Standort gemeint. Der Mikro-Standort legt demgegenüber fest, auf welchem Grundstück des MakroStandortes die Anlage errichtet wird. Man spricht mitunter auch vom Aufstellungsort. 2. These: Der Mensch und insbesondere der Spezialist und Experte neigt dazu, die einfachen Einflussfaktoren und Ursachen zu vergessen bzw. zu unterschätzen. Wie richtig diese These ist, soll das folgende Beispiel belegen, dessen Fazit sich sinngemäß auch auf Anlagen- und Inbetriebnahmeprojekte übertragen lässt. In Abb. 2.7 ist eine Raumfahrtkapsel aus dem Gemini-Programm (1956 bis 1966), welches in das Apollo-Raumfahrtprogramm der USA eingebettet war.

Abb. 2.7 Raumfahrtkapsel aus dem Gemini-Programm der Apollo-Mond-Mission

68

2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

In der abgebildeten Kapsel waren zwei Astronauten für zwei Wochen im Weltall mit dem Auftrag:  zu erproben, wie zwei Menschen 14 Tage lang auf engsten Raum leben und arbeiten können,  die ersten Weltraumausstiege durchzuführen und Erfahrungen zu sammeln. Während des 1. Ausstiegs mussten die Astronauten aber erstaunt feststellen, dass es an der Kapsel (weder innen, noch außen) einen Haltegriff gab, an dem sie sich festhalten konnten. Das Aus- und Einsteigen war dadurch sehr erschwert [7]. Man hatte somit bei der Konstruktion der Kapsel etwas ganz Einfaches, scheinbar Selbstverständliches vergessen. Im Weiteren werden wesentliche standort- und kundenspezifische Einflussfaktoren, die nur zum Teil im Lastenheft und Pflichtenheft/Vertrag fixiert sind, angeführt und aus Sicht der Inbetriebnahme diskutiert. a) Klima bzw. Wetter Die klimatischen Verhältnisse am Standort werden u.a. charakterisiert durch:       

die Tages- und Nachtemperaturen inkl. der Tag-/Nachtschwankungen über das Jahr, die Luftfeuchtigkeit über das Jahr (trocken, tropisch, subtropisch, neblig, salzhaltig), den typischen Luftdruck sowie übliche Luftdruckschankungen, die typische Windrichtung sowie übliche Windgeschwindigkeiten, häufige Bewölkung und Sichtweite, Niederschlagsneigung und -mengen über das Jahr, Aussagen zu Extremwetterlagen und Witterungsunbilden, wie ▪ Gefahr von extremen Hitze-, Trocken- und/oder Kälteperioden ▪ Gefahr von Starkregen inkl. örtlicher Überschwemmung, Hochwasser, Schlamm, ▪ Gefahr von Gewitter inkl. Blitzschlag, ▪ Gefahr von Sturm, Orkan u.ä., ▪ Gefahr von Hagel, Schneesturm, Schneeverwehungen u.ä., ▪ Gefahr von Sandsturm, Erderosion, Verschlammung u.ä., ▪ Gefahr von Erdbeben u.ä. Ereignissen.

Insbesondere die Extremwetterlagen können gravierenden Einfluss haben, vor allem bei Freianlagen. Das Klima bzw. Wetter beeinflussen maßgeblich  die physische Beanspruchung und damit den möglichen Arbeitsumfang des Inbetriebnahmepersonals und ggf. den geplanten Verlauf der Inbetriebnahme,  die Qualität und Verfügbarkeit der Hilfsstoffe und Energien (z.B. Kühlwassermengen und Kühlwassertemperaturen, Lufttemperaturen),  die Festigkeitskennwerte der Werkstoffe und damit u.U. die zulässigen Betriebsparameter von Ausrüstungen,  den Ablauf der Inbetriebnahme (z.B. zusätzliche Maßnahmen, um bei erhöhten Kühlwassertemperaturen eine ausreichend Kühlung zu gewährleisten oder ein Einfrieren bei Winterinbetriebnahmen zu verhindern),  die Dauer der Inbetriebnahme (z.B. ist die Ausfallrate der meisten technischen Teile temperaturabhängig),  die Wärmeverluste, die nicht nur gravierend sondern auch zeitlich sehr unterschiedlich sein können und bei temperaturempfindlichen Prozessen erhebliche Schwan-

2.3 Beachtung der Inbetriebnahme beim Engineering

69

kungen bzw. Instabilitäten bewirken können (s. Beispiel 2.3),  die Stoffeigenschaften der Produkte (z.B. Fließ-/Förderfähigkeit von Flüssigkeiten),  das Gefährdungspotenzial für Mensch, Anlage und Umwelt (z.B. durch Änderung des Dampfdruckes toxischer Stoffe bzw. durch Erhöhung der Zündwilligkeit lagernder brennbarer Produkte),  den Feuchtegehalt der Umgebungsluft (z.B. bei „Behälterbeatmungen“),  den Sättigungszustand der Druckluft (z.B. während des Ausblasens bzw. beim Trocknen der Anlage nach der Wasserdruckprüfung oder nach der sog. Wasserfahrt),  die äußere Beanspruchung der Anlage und ihrer Elemente durch extreme Witterungseinflüsse (z.B. Gewitter mit sintflutartigen Regenfällen, Hagel, lange Trockenperioden, Sandsturm). Der Planer muss diese klimatischen Bedingungen, sofern er sie aus dem Lastenheft oder anderen Quellen kennt, im Engineering inkl. der Inbetriebnahmeanleitung beachten. Ihre Wirkung auf den instationären Übergangszustand der Inbetriebnahme wird jedoch häufig unterschätzt. Andererseits lassen sich nicht alle klimatischen und meteorologischen Bedingungen voraussagen, und trotzdem muss die Anlage erfolgreich in Betrieb gehen und ihren erfolgreichen Leistungsnachweis erbringen. Kurzzeitige Vor-Ort-Inspektionen, die dem Management und Planer die Wettersituation am Standort nahe bringen, können in besonders relevanten Fällen sehr nützlich sein. In der Praxis wird zur Kennzeichnung des erheblichen klimatischen Einflusses häufig von „Sommer- bzw. Winterinbetriebnahme“ gesprochen. Beispiel 2.3 Einfluss extremer Tag-Nacht-Temperaturschwankungen bei einer Gaswäsche Absorptionsanlagen können mitunter sehr empfindlich auf Temperaturschwankungen reagieren. Abbildung 2.8 zeigt das vereinfachte Verfahrensschema einer derartigen Anlage, die als Freianlage im mittleren Russland in Betrieb genommen wurde. Die Anlage dient zur Entfernung von Ammoniak aus einem mit NH 3 hochkonzentrierten Inertgas bis auf NH3-Restgehalte unter 10 Vol-%. Das ungereinigte Gas wird zunächst in den Kühlern X1-1/2 der Absorptionskolonne K1 zugeführt. In dieser erfolgt im Gegenstrom mit Wasser die vorgegebene NH 3-Entfernung aus dem Gas. Die Anlage war vorschriftsmäßig isoliert und arbeitete zusammen mit den vor- und nachgeschalteten Teilanlagen stabil. Wider Erwarten kam es jedoch während der HeißInbetriebnahme zu erheblichen Konzentrationsschwankungen, sowohl im gereinigten Gas als auch im beladenen Waschwasser, die ungünstige Wirkungen auf den Gesamtprozess hatten. Als Ursache dieser Schwankungen wurden schließlich die extremen Temperaturschwankungen von unter 0 °C bis über 30 °C zwischen Nacht und Tag diagnostiziert, die an diesem Standort nicht selten waren. Diese instationären Wärmeverluste beeinflussten ungünstig den Wärmehaushalt der gesamten Anlage und insbesondere der thermisch sensiblen Ammoniakabsorption. Beispielweise bewirkte unter den gegebenen Bedingungen eine Temperaturänderung des Waschwassers von 10 grd bereits eine Änderung des Ammoniakgehalts im Waschwasser von relativ 15 Ma-%. Der Gaszusammensetzung betreffs Ammoniak und Wasser reagierte auf Temperaturänderungen ebenfalls empfindlich.

70

2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

Abb. 2.8 Verfahrensfließschema einer Absorptionsanlage zur Ammoniak-Entfernung aus einem Inertgasstrom

Die Anlagenplaner hatten letztlich den Einfluss der wechselnden Umgebungsbedingungen (Temperatur, Lustfeuchte, Regen) unterschätzt. Zur Behebung dieses Problems wurde vor Ort die Temperaturregelung TIC 7 mit Bypass um die Kühler X1-1/2 realisiert. Sie brachte eine deutliche Verringerung der Schwankungsbreiten relevanter Prozessparameter, da die wesentlichen Schwankungen aus den vorgeschalteten Anlagen herrührten. Die tageszeitlich unterschiedlichen Wärmeverluste der Absorptionskolonne K1 wurden damit aber nicht ausgeregelt. Um auch diese Störeinwirkung auf den Gesamtprozess zu vermeiden, wurde später nochmals „nachgerüstet“ und mit Hilfe eines zusätzlichen Reglers TIC 8 eine dynamisch günstige Kaskadenregelung [1][8] realisiert. Der TIC 8 ist der übergeordnete, träge Führungsregler und der TIC 7 der untergeordnete, schnelle Folgeregler. Beide Regler werden so eingestellt, dass der schnelle Folgeregler die auf seinen Kreis wirkenden Störungen bereits so ausregelt, dass sie den Führungskreis gar nicht erst beeinflussen. Sobald der TIC 8 eine positive Regelabweichung aufweist, verändert er in verstärkter Form den Sollwert des TIC 7 in die andere Richtung. Die für die Absorption entscheidende Schwankung der Sumpftemperatur TIRC 8 konnte somit ausreichend gering gehalten werden. b) Infrastruktur (im weitesten Sinne), Logistik und Rechtssituation Die Infrastruktur, Logistik und Rechtssituation am Standort können, noch stärker als das Klima, den Ablauf der Inbetriebnahme beeinflussen. Letztlich betreffen sie die wichtige Schnittstelle zwischen Verkäufer und Käufer und stellen wesentliche Störstellen bzw. Stabilitätsfaktoren bei der Auftragsabwicklung dar. Zu derartigen Rahmenbedingungen gehören:  die wirtschaftliche Situation und finanzielle Liquidität des Kunden,  die Versorgungssicherheit mit Roh- und Hilfsstoffen sowie mit Energien,  die Markt-/Verkaufssituation für die End-/Zielprodukte,

2.3 Beachtung der Inbetriebnahme beim Engineering

          

71

die Entsorgungssicherheit der Neben-/Abprodukte inkl. Abfälle und Abfallenergien, die Verkehrs- und Transportinfrastruktur inkl. Bodenbeschaffenheit, die Logistik inkl. Einrichtungen am Makro- und Mikrostandort, die Kommunikationsmöglichkeiten am Standort und mit dem Stammhaus, die Leistungsfähigkeit der Werkstätten u.a. technischer Bereiche des Betreibers, das Vorhandensein und ggf. die Leistungsfähigkeit eines zentralen Analysenlabors, die Leistungsfähigkeit der Feuerwehr und ärztlicher Einrichtungen, die genehmigungsrechtliche Situation hinsichtlich Errichtung und Betrieb der Anlage, die umweltrechtliche Situation während der Inbetriebnahme, die überwachungs- und sicherheitstechnische Situation während der Inbetriebnahme, die arbeitssicherheitliche und arbeitsrechtliche Situation während der Inbetriebnahme.

Die Praxis hat gezeigt, dass der Anlagenplaner und Inbetriebnahmeleiter diese Rahmenbedingungen für seine Arbeit sehr sorgfältig analysieren sowie nach Möglichkeit überprüfen sollte. Auch hier gilt der Grundsatz: Die Situation rechtzeitig erkannt, ist schon die halbe Lösung! Das Gesagte trifft insbesondere auch dann zu, wenn die geplante Anlageninvestition in eine vorhandene Werks- bzw. Infrastruktur eingebunden wird. In diesen Fällen ergeben sich nicht selten zusätzliche Zwänge und Einschränkungen bezüglich der Inbetriebnahme. c) Management- und Personalsituation, Soziale Situation, Öffentlichkeit Wesentliche Einflussfaktoren auf die Inbetriebnahme, insbesondere im Ausland, sind:  die Verfügbarkeit von ausreichend und genügend geschultem Operator- und Servicepersonal,  der Erfahrungsschatz des Managements und Personals des Betreibers,  die Führungs- und Entscheidungsstrukturen des Kunden,  die Arbeitszeit und der Schichtrhythmus des Betriebs,  die gesundheitliche Betreuung inkl. Erste-Hilfe und Versorgung bei Unfällen,  die Wohnbedingungen/Büro-Arbeitsbedingungen für das Inbetriebnahmepersonal,  die Kinderbetreuung (Tagesstätten, Schulen),  die Freizeitmöglichkeiten (Sport, Kultur),  die öffentliche Meinung und Akzeptanz zur betreffenden Anlageninvestition,  die Stabilität der sozialen Verhältnisse (u.a. Entlohnung, Streikgefahr),  die Stellung der Frau in Gesellschaft, Beruf, Betrieb,  das geltende Recht bzgl. Strafbarkeit, Haftung, Arbeitssicherheit u.a. Viele dieser Faktoren sind sog. „weiche“ Standortfaktoren. Trotzdem sind sie sehr wichtig, da sie unmittelbar die Leistungsfähigkeit und Motivation der mitwirkenden Menschen beeinflussen. Nur in Teamarbeit und mit gut ausgebildeten und motivierten Personal ist eine erfolgreiche Inbetriebnahme möglich! d) Sprache, Gewohnheiten, Bräuche, Mentalitäten u.ä. Diese Faktoren sind vor allem bei Anlageninvestitionen im Ausland bedeutend. Ihre Kenntnis ermöglicht nicht nur eine intensive Kommunikation, sie schafft auch Vertrauen und trägt zur konstruktiven Zusammenarbeit zwischen den Partnern bei.

72

2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

2.3.2 Erarbeiten einer effizienten Inbetriebnahmetechnologie Unter Inbetriebnahmetechnologie (Synonym: Inbetriebnahmestrategie) werden die grundlegenden Schritte zur inhaltlichen und chronologischen Vorgehensweise während der Inbetriebnahme verstanden. Ihre Erarbeitung stellt eine Präzisierung der Inbetriebnahmekonzeption dar und ist eingebettet in die technologischen Arbeiten zur Erstellung der Verfahrensschemata (VF) sowie der Rohrleitungs- und Instrumentenfließschemata (R&I). Beim Erstellen der Inbetriebnahmetechnologie sind u.a. folgende Fragen im Sinne einer Checkliste zu prüfen und zu beantworten: 1. In welcher Folge sind die Anlagenteile (Objekte, Betriebseinheiten) und die Hauptausrüstungen sicher und kostengünstig in Betrieb zu nehmen?  Vom Projektmanagement ist ▪ im Rahmenterminplan bei Projektbeginn, ▪ in der Inbetriebnahmeanleitung, ▪ bei der Montage- und Inbetriebnahmeplanung zu entscheiden, welche Anlagenteile zeitgleich den Zustand Mechanische Fertigstellung erreichen, welche früher und welche notwendigerweise erst später in Betrieb genommen werden können (s. Abschn. 1.5.2, Buchst. e)).  Klassische verfahrenstechnische Anlagen sind in stofflicher Folge in einen Syntheseteil, Stofftrennteil und Lager-/Logistikteil strukturiert.  Grundsätzlich steht die Frage: Führt man die Inbetriebnahme von vorn (Synthese) nach hinten (Lager/Logistik) oder umgekehrt von hinten nach vorn durch? ▪ Wird die Gesamt-Inbetriebnahme mit dem Syntheseteil begonnen, so können die benötigten Zwischen-/Endprodukte und ggf. Energien schrittweise in der Synthese produziert werden. Nachteilig ist, dass bei Störungen in den hinteren Anlagenteilen u.U. die Synthesestufe abgestellt werden muss. ▪ Beginnt man die Inbetriebnahme mit dem hinteren Teil (z.B. der Absack-/Versandanlage oder der Stofftrenneinheit), so können Fehler und Mängel dieser Anlagenteile beseitigt werden, ohne dass die i.Allg. komplizierte und sensible Synthesestufe betroffen ist. Nachteilig ist, dass für die Erprobung der Logistik- bzw. Stofftrennstufe separat von außen Produkte und gegebenenfalls auch Energien antransportiert bzw. bereitgestellt werden müssen. 2. Wie kann verhindert werden, dass sich die Inbetriebnahme der neuen Anlage störend auf den Betrieb vor- bzw. nachgeschalteter Anlagen auswirkt?  Die Neuinvestition, auch die auf der grünen Wiese (greenfield), ist i.Allg. in einem Produktionsverbund integriert. Mit der neuen Anlage ändert sich damit der Gesamtverbund, ohne dass der frühere, alte Zustand wieder betrieben werden kann. Somit können sich Störungen in der Neuanlage gravierend auf den gesamten Anlagenkomplex auswirken. Es besteht folglich die Herausforderung: Wie muss die Neuanlage geplant und in den Verbund integriert werden, damit sich Störungen in der Neuanlage nicht bzw. nicht wesentlich auf die Altanlage auswirken?

2.3 Beachtung der Inbetriebnahme beim Engineering

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 Mögliche Antworten können sein: ▪ Beseitigung der Fehler und Mängel der Neuanlage durch Funktionsprüfungen (Testläufe, Versuche u.ä.) in Vorbereitung der Inbetriebnahme, ▪ Schaffung betrieblicher Zwischenspeicher, um bei Produktionsstörungen in der Neuanlage den Produktfluss zeitweilig aufrecht zu halten, ▪ technisch-technologische Realisierung eines, zumindest befristeten, Inselbetriebes der Neuanlage. 3. Wie kann das Risiko verringert werden, dass wichtige und sensible Anlagenkomponenten durch Fehler bzw. Störungen bei der Inbetriebnahme zerstört bzw. geschädigt werden?  Maßnahmen können beispielsweise Bypass-Leitungen um die Reaktoren zum Schutz des Katalysators u.ä. sensibler Stoffe oder  die funktionelle Entkopplung schwieriger Inbetriebnahmehandlungen sein. 4. Wie können Betriebszustände, die die Umwelt belasten, vermieden bzw. zumindest schnell durchfahren werden?  Der Inbetriebnahmezustand ist a priori mit erhöhten Umweltrisiken verbunden, die prozessseitig und störungsseitig verursacht sein können.  In Abschn. 3.4.4 wird darauf eingegangen. 5. Wie können instabile oder andere extreme Betriebszustände der Anlage (z.B. bei Wärmerückkopplung oder bei Kreislauffahrweise mit Gefahr der Nebenproduktanreicherung) bzw. von Ausrüstungen (z.B. extreme Prozessparameter oder Stressbeanspruchung) vermieden bzw. oder gut beherrschbar gemacht werden?  Instabile Prozesszustände werden oft durch stoffliche und/oder energetische Rückkopplungen (integrierte Anlagenverschaltungen) verursacht. Auf deren technologisch-technische Ausführung kann im Engineering sowie auf deren ggf. entkoppeltes Anfahren (start-up) sollte in der Inbetriebnahmestrategie (z.B. in der Inbetriebnahmeanleitung) Einfluss genommen werden.  Nicht wenige Maschinen arbeiten bei Nenndrehzahlen, die oberhalb der kritischen Drehzahl der Welle liegen.  Das heißt, beim Anfahren dieser Maschinen wird immer der kritische Drehzahlbereich durchfahren. Dies muss so erfolgen, dass die Maschine, z.B. durch unzulässige Schwingungsresonanzen, nicht beschädigt wird.  Extreme Prozessparameter können u.a. hohe Temperaturen, hohe Drücke, Vakuum, besondere Produktzusammensetzungen sein.  Stressbeanspruchungen an Ausrüstungen und Rohrleitungen können u.a. verursacht sein durch ▪ thermische Ausdehnung bei hohen Prozesstemperaturen, ▪ extreme Temperaturgradienten in dickwandigen Wandungen, ▪ Druckstöße beim Anfahren von Kolbenpumpen, ▪ Schwingungen des Rohrleitungssystems und ggf. auch des Stahlbaus durch Resonanzerscheinungen bei Kolbenverdichtern. 6. Wie können möglichst schnell verkaufsfähige Produkte erzeugt werden?  In den meisten verfahrenstechnischen Anlagen sind die Rohstoffkosten signifikant. In Chemieanlagen machen sie ca. 80 Prozent der Gesamtkosten aus.  Vorrangiges Ziel der Inbetriebnahme muss es sein, schnellstmöglich verkaufsfähige Zielprodukte herzustellen und gewinnbringend zu verkaufen.

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2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

 Entsprechend dieser Zielstellung muss die Inbetriebnahmestrategie erarbeitet werden. Andere Ressourcen, z.B. spezifische Energieverbräuche oder Mann-Power, sind während der Inbetriebnahme (nicht während des späteren Dauerbetriebs) zeitweilig zweitrangig (s. auch Abschn. 4.2 betreffs Inbetriebnahmekosten und Einsparpotentiale). 7. Wie sind das Verfahrensrisiko und das technische Risiko zu bewerten und durch welche Inbetriebnahmemaßnahmen können sie lokalisiert, analysiert und minimiert werden?  Das Verfahrensrisiko ist die Eintrittswahrscheinlichkeit des Nichterreichens der vertraglich zugesagten Leistungsgarantien bzw. Leistungswerte.  Die Auswirkungen dieses Risikos sind im Eintrittsfall meistens gravierend für den Projekterfolg und die Vertragserfüllung. Die Identifizierung und Beurteilung dieser verfahrenstechnischen Risiken, z.B. vor und nach Vertragsabschluss bzw. vor Inbetriebnahmebeginn (s. Abschn. 5.7), wird empfohlen.  Ein bekanntes Risiko kann durch eine systematische Inbetriebnahmevorbereitung und -durchführung wesentlich verringert werden.  Nähere Ausführungen zur Identifizierung, Beurteilung und Minimierung des Verfahrensrisikos sind in Abschn. 4.2.2 enthalten. 8. Wie kann eine kritische Überforderung des Inbetriebnahmepersonals inkl. des Bedienungs- und Instandhaltungspersonals vermieden werden?  Der Inbetriebnahmeleiter muss beim Zusammenstellen „seiner Mannschaft“ diese Frage analysieren und notwendige Folgerungen ziehen. Dies gilt besonders für Inbetriebnahmen im Ausland, z.B. wenn das ausländische Operator- und Servicepersonal noch keine bzw. wenige Betriebserfahrungen hat.  Eine Überforderungssituation ist häufig bei den PLT-Spezialisten (Lead- und Betriebsingenieur, Programmierer) gegeben. Deren Arbeiten sind fast immer zeitkritisch und häufig mit vielen operativen Änderungen kurz vor bzw. während der Inbetriebnahme verbunden. Ferner gilt einfach formuliert die Erfahrung: „Klasse“ lässt sich in dieser Situation nicht durch „Masse“ ersetzen! 9. Wie können bekannte bzw. vermutete technische Probleme und Risiken im Vorfeld der Inbetriebnahme (z.B. durch gezielte Funktionsprüfungen und Probeläufe) ausgeschlossen werden?  Auf diesen Aspekt wurde bereits in Abschn. 1.5 eingegangen. Hinsichtlich der Kosten wird auf die Zehnerregel (s. Abb. 4.13 in Abschn. 4.2.2) verwiesen. 10.Wie kann die Gesamtanlage oder beispielsweise wartungsintensive Teilanlagen planmäßig und schonend außer Betrieb genommen werden?  Viele der vorgenannten Hinweise, die für die Inbetriebnahme gemacht wurden, gelten sinngemäß auch für die Außerbetriebnahme.  Im Unterschied zur Inbetriebnahme gilt jedoch: Beim Abfahren bzw. der Außerbetriebnahme wird die Anlage in der Regel in einen gefahrlosen Zustand gefahren.  Auf Besonderheiten des Abfahren/der Außerbetriebnahme, die u.a. aus diesem grundlegenden Unterschied zur Inbetriebnahme resultieren, wird in Abschn. 6.6 eingegangen.

2.3 Beachtung der Inbetriebnahme beim Engineering

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Ein Großteil dieser Fragen betrifft das Verfahren und muss bei der Verfahrensplanung (Basic Design) und beim Basic Engineering beantwortet werden. Analog zur Entwicklungsphase hat es sich in der eigenen Praxis bewährt, in der Basic-Engineering-Dokumentation einen Punkt Inbetriebnahme aufzunehmen und in diesem kurz die wesentlichsten Inbetriebnahmehandlungen und -voraussetzungen für die betrachtete, konkrete Anlage aufzunehmen. Diese Angaben fließen später in die Inbetriebnahmeanleitung ein (s. Abschn. 3.5.2.2). Vor Unterzeichnung des Protokolls Mechanische Fertigstellung sollte im Beisein des Inbetriebnahmeleiters die Erfüllung der Inbetriebnahmevoraussetzungen nochmals auditiert werden (s. Abschn. 5.7.1). Im Verlauf der Planungsabwicklung muss der Verfahrensplaner kontrollieren, dass die nachfolgenden Fachplanungen sog. technologische Disziplin wahren, d.h. die technologische Funktion der Anlage im Dauerbetrieb, aber auch während der Inbetriebnahme, weiterhin gewährleistet ist. Der Fachplaner muss z.B. die ihm vom Leadingenieur Prozess gemachten Angaben zum Verfahren, die gleichfalls Überlegungen zur effizienten Inbetriebnahmetechnologie berücksichtigen sollten, als Input gewissenhaft beachten. Die gravierende Rückwirkung der technischen Detailausführung auf die technologische Funktion der Anlage während der Inbetriebnahme ist u.a. auch bei der Antriebsgestaltung (elektrisch, hydraulisch, Gas- oder Dampfturbinenantrieb) oder bei der Wahl der Betriebsdrehzahl eines Kreiselverdichters in Relation zur kritischen Drehzahl gegeben. Eine enge, kooperative Zusammenarbeit zwischen Verfahrensplaner und den Fachspezialisten ist an der Nahtstelle zwischen Verfahren und Ausrüstungen sehr notwendig.

2.3.3 Beachtung besonderer Fahrweisen vor und während der Inbetriebnahme bei der Auslegung und Konstruktion Bei der Auslegung werden die Stammdaten (Durchmesser, Höhe, Druck, Temperatur, Durchsatz, Volumen, Energieverbrauch) einer Anlagenkomponente (Apparat, Behälter, Maschine, Rohrleitung, PLT-Feldgerät) durch verfahrenstechnische Berechnungen ermittelt. Die Auslegung ist Teil der Verfahrensplanung (Basic Design), die als Entwurfsplanung während der Vorplanung (Pre-Basic) und als Ausführungsplanung vorwiegend im Basic Engineering stattfindet. Die Konstruktion der Hauptausrüstungen bzw. Rohrleitungen beinhaltet die detaillierte Festigkeitsberechnung, den Dichtheitsnachweis und die konstruktive Ausführung. Man unterscheidet zwischen verfahrensspezifischen Ausrüstungen, die individuell ausgelegt und konstruiert werden, und Standardausrüstungen (z.B. Pumpen, Gebläse, Wärmeübertrager), die gleichfalls ausgelegt werden müssen, aber anschließend aus Typenreihen ausgewählt werden. Im Ergebnis entstehen Fertigungs- oder Werkstattzeichnungen inkl. Stücklisten bzw. die Rohrleitungsisometrien inkl. Stücklisten. Die Konstruktion findet meistens während des Detail Engineerings statt. Sowohl für die verfahrenstechnische Auslegung als auch für die Konstruktion gilt: Die Anlage inkl. ihrer Komponenten muss letztlich so geplant, konstruiert und errichtet werden, dass sie nicht nur für den Nennzustand, sondern auch für alle anderen, realen Zwischen-/ Sonderzustände während des gesamten Anlagenlebenszyklus geeignet ist. Im Weiteren sollen drei planerische Schwerpunkte, auf die erfahrungsgemäß hinsichtlich der Inbetriebnahme zu achten ist, beschrieben werden. Typische inbetriebnahmespezifische Fahrweisen, die mit zu betrachten sind, enthält Tabelle 2.3.

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2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

a) Massen-, Stoff- und Energiebilanzierung Zu Beginn der verfahrenstechnischen Planung sind Mengen-, Stoff- und Energiebilanzen für den Nennzustand zu ermitteln. Sie bilden die wichtigste Grundlage für die Auslegung und verfahrenstechnische Spezifikation der Ausrüstungen einschließlich der Rohrleitungs- und Prozessleittechnik. Gleichzeitig werden im Basic Design bzw. teils auch im Basic Engineering ggf. auch Angaben gemacht über  zulässige Lastschwankungen (Minimal-/Maximallast) und/oder Qualitätsschwankungen der Roh- und/oder Hilfsstoffe u.ä., bei denen das Verfahren/die Anlage noch funktionsgerecht arbeiten müssen,  verfahrensbedingte Sonderfahrweisen, wie z.B. das Aktivieren und Regenerieren der Katalysatoren, das Vortrocknen von Trockenmitteln, das Einstellen verschiedener Rezepturen. Der Verfahrensplaner muss, entweder bereits mit dem Basic Design oder spätestens beim Basic Engineering, aus all diesen Varianten den Arbeitsbereich der Ausrüstungen ermitteln und in den Aufgabenstellungen an die Fachspezialisten vorgeben. Nicht selten resultieren aus den verschiedenen Varianten derart breite Arbeitsbereiche, dass geeignete Ausrüstungen nicht beschaffbar sind. Dann muss unter Beachtung von Gleichzeitigkeits- und Wahrscheinlichkeitsaspekten die Rückkopplung zum Planer beginnen und die Kompromisssuche einsetzen. b) Ermitteln der Betriebsparameter und Druckstufen Parallel zur Bilanzierung werden die Hauptausrüstungen und etwas später auch die Hauptrohrleitungen ausgelegt. Auf Basis der Stammdaten u.a. Informationen zu Stoffdaten, Gefährdungen, geplante Fahrweisen usw. sind festzulegen:  Betriebsdrücke und Betriebstemperaturen für die Ausrüstungen. Betriebsdruck bzw. Betriebstemperatur sind der prozesstechnisch günstige Druck bzw. Temperatur, bei dem die Anlage bzw. Ausrüstung betrieben wird.

 Maximal zulässige Betriebsdrücke und die maximal und minimal zulässigen Betriebstemperaturen für die Ausrüstungen (Apparate, Maschinen, Behälter, Tanke).  Um Missverständnisse zu vermeiden, wird mitunter auch vom maximal zulässigen Betriebsüberdruck gesprochen.  In der Druckgeräte-Richtlinie [9] sind definiert: Maximal zulässiger Druck (PS): den vom Hersteller angegebenen höchsten Druck, für den das Druckgerät ausgelegt ist. Zulässige minimale/maximale Temperatur (TS): die vom Hersteller angegebene minimale/Maximale Temperatur, für die das Druckgerät ausgelegt ist.

 Die Druckstufen (Nenndruck PN) für die Rohrleitungen, Rohrleitungsteile, Armaturen, Dichtungen [10]. Nenndruck (PN) ist der maximal zulässige Druck bei einer Temperatur von 20 °C.

 Die Nenndrücke PN für die Sensoren und Aktoren. Bei der Inbetriebnahme können ebenfalls anormale Festigkeitsbeanspruchungen an Ausrüstungen auftreten, die die Anforderungen des späteren Dauerbetriebes bei weitem übersteigen. Der Konstrukteur muss sie kennen und beachten. Idealerweise wäre es zweckmäßig, wenn zu dem o.g. frühen Zeitpunkt auch die den spezifischen Inbetriebnahmefahrweisen entsprechenden Belastungsbedingungen für die

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einzelnen Ausrüstungen vorlägen und in den Aufgabenstellungen berücksichtigt werden könnten. Leider sind in den meisten Fällen konkrete Aussagen dazu erst in einer späteren Planungsphase bekannt, z.B. nachdem die Inbetriebnahmeanleitung erarbeitet wurde. Für den Planungsingenieur ist eine solche Situation nicht fremd. Er muss ohnehin während der frühen Planungsphasen häufig mit Annahmen, Schätzungen und Näherungslösungen auskommen, da Basisunterlagen für genaue Berechnungen nicht vorliegen. Dies gilt auch für die Vorausschau bezüglich spezifischer Inbetriebnahmelastfälle bzw. -erfordernisse. Grundlage für die Festlegungen der angeführten Betriebsparameter und Druckstufen sind sowohl prozessbedingte Zustände/Parameter (inkl. Inbetriebnahme/ Außerbetriebnahme) als auch andere Gesichtspunkte und Kriterien (Gesundheit-Sicherheit-Umweltschutz, Investitions- und Betriebskosten, Fertigungs- und Beschaffungsmöglichkeiten, Instandhaltungsmöglichkeiten u.ä.). Letztlich gilt es unter Beachtung aller Zielstellungen und Randbedingungen eine effiziente planerische Lösung zu finden. Wie die betriebliche Beanspruchung und die vorhandene Festigkeit eines Kesselwagens in Übereinstimmung gebracht werden können, zeigt Beispiel 2.4. Beispiel 2.4 Auslegungs- und Betriebsparameter eines Kesselwagens In Abb. 2.9 ist der Ausschnitt eines Kesselwagens für Rohöl abgebildet. Eingetragen sind einige Daten aus dem Behälterschild des Herstellers.

Abb. 2.9 Ausschnitt eines Kesselwagens mit einigen Behälterdaten

Aus den ersichtlichen Behälterdaten lässt sich entnehmen:  Der maximal zulässige Druck (PS) des Kesselwagens beträgt 3,0 barü. Der Prüfdruck des Druckgeräts nach [9] ist 4,0 bar (s. auch Abschn. 3.3.1.2, Buchst. b)). Theoretisch könnte der Betriebsdruck gemäß dem Enddruck der Füllpumpe über 3 barü steigen. Er wird aber aus Zweckmäßigkeitsgründen durch technische Maßnahmen (Sicherheitsventil, Enddruckbegrenzer der Füllpumpe, offener Domdeckel oder offene Entlüfungs- bzw. Gaspendelleitung) auf maximal 3 barü begrenzt.  Der Berechnungsdruck beträgt 10 bar und resultiert aus dem möglichen Explosionsdruck, der ca. das 10fache des Ausgangsdruckes von 1 bar ist.

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2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

Da im Kesselwagen ein explosionsfähiges Gemisch existiert und eine Zündung (Blitzeinschlag, elektrostatische Aufladung) nicht sicher auszuschließen ist, wurde der Kesselwagen explosionsdruckfest dimensioniert. Das heißt, man musste notgedrungen eine teure konstruktive Lösung wählen.  Der maximal zulässige Unterdruck des Kesselwagens beträgt 0,5 bar, d.h. der Kesselwagen ist nicht vakuumfest. Um bei der Bodenentleerung oder beim Absaugen keinen Vakuumschaden zu erleiden, muss der Kesselwagen während der Entleerung sicher an der Atmosphäre oder an einem Gaspendelsystem atmen. Dies wird durch technische Maßnahmen, z.B. durch ein Zwangsbelüftungssystem (Domdeckel und Entleerungsventil gleichzeitig öffnen bzw. schließen) oder durch eine gekoppelte Sicherheitsschaltung der Entleerungs- und Belüftungsarmatur, realisiert. Zusätzlich haben Kesselwagen häufig noch eine Vakuum-Berstscheibe. Der Bau eines vakuumfesten Kesselwagens wäre zu teuer. Was passieren kann, wenn man keine technische Sicherheitsmaßnahme (sog. PLTSchutzeinrichtung) wie in Beispiel 2.4 realisiert, sondern alternativ eine organisatorische Maßnahme in Form einer Betriebsanweisung wählt, zeigt der Schaden in Abb. 2.10.

Abb. 2.10 Vakuumschaden an einem Tank-Kraftwagen (TKW) Bem.: Der Fahrer des Tank-Kraftwagens hatte entgegen den Vorgaben in der Betriebsanweisung die Entleerungspumpe eingeschaltet, ohne zuvor das Belüftungsventil zu öffnen. Eine vom Operator unabhängige technische Sicherheitseinrichtung gab es nicht.

c) Werkstoffauswahl Die Werkstoffe sind in verfahrenstechnischen Anlagen hohen Beanspruchungen ausgesetzt. Diese können für den Werkstoff während der Inbetriebnahme, im Vergleich zum Nennbetrieb, extrem hoch oder auch andersartig sein. Praktische Beispiele aus Inbetriebnahmen sind:  Korrosion an austenitischen Stählen durch ferritische Bestandteile im Spülwasser bzw. durch nicht ausreichende Entfernung von Fe-haltigen Schweißrückständen vor Beginn der Wasserspülung, die die Passivschicht (Chromoxid) zerstört hatten,

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 abtragende Korrosion an der Innenwand eines Behälters durch eine Beschichtung, die bei den Inbetriebnahme-Bedingungen (undefinierte Schlämme und kurzzeitig erhöhte Temperatur) nicht beständig war (s. Abb. 2.11, links),  wasserstoffinduzierte Rissbildung an einem hochfesten Verdichterlaufrad sowie an Ventiltellern eines Kolbenverdichters durch Anwesenheit von tropfbaren Wasser sowie Schwefelwasserstoff (s. Abb. 2.11, rechts),  Lochkorrosion bzw. Lochfraß an austenitischem Stahl durch Verwendung chloridhaltigen Trinkwassers zur Wasserdruckprüfung der Rohrleitungen, anstatt Deionat,  Überdehnung der Schrauben an heißen Apparate- oder Rohrflanschen, z.B. wegen zu großen Temperaturgradienten beim Anfahren,  Risse an Stutzen bzw. Abzweigen an Rohrleitungen oder Impulsleitungen durch Schwingungen (Kolbenpumpe),  Gewaltbruch an Gasturbinenwellen durch nicht sachgerechte Ausrichtung/Auswuchtung der Turbine im kalten Zustand,  Schäden an Kreiselpumpen durch Saugseiten-Kavitation, z.B. wegen fehlenden bzw. nichtfunktionsfähigen Trockenlaufschutz,  verringerte zulässige Betriebsdrücke von Druckbehältern bei Temperaturen unterhalb 15 °C.



Abb. 2.11 links: Schadensbild einer zerstörten Innenbeschichtung rechts: Schadensbild einer Spannungsrisskorrosion im Grenzbereich zwischen Grundwerkstoff und Schweißgut (sog. Schweißnahtrandzone)

Zur Unterstützung für den Planer und Konstrukteur enthält Tab. 2.3 typische inbetriebnahmespezifische Fahrweisen und einige qualitative Hinweise und Erfahrungen, die in Verbindung mit der Planung (Auslegung, Auswahl) und Konstruktion (Gestaltung, Bemessung) der Ausrüstungen, Rohrleitung und PLT-Feldtechnik überprüft werden sollten. Erfahrungsgemäß werden diese inbetriebnahmespezifischen Fahrweisen bei der verfahrenstechnischen Auslegung und/oder bei der Bauteilkonstruktion nicht selten vergessen bzw. unterschätzt. Die Folge sind Störungen und Verzögerungen bei der Inbetriebnahme, verbunden mit teils erheblichen Kostenerhöhungen.

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Tabelle 2.3 Inbetriebnahmespezifische Fahrweisen und Hinweise für die Fachplanung 1 Ausblasen der Ausrüstungen/Anlage mit Luft, Dampf o.ä.  Prüfung der Nutzungsmöglichkeit eines zur Anlage gehörenden Verdichters (wäre für Verdichter eine Nebenfahrweise)  Vorsehen einer einfachen Ausbaumöglichkeit für schmutzempfindliche Teile  Schmutzeintrag auf Kolonnenböden und andere hydraulische Engpässe verhindern  geeignete Ausblaseöffnungen (z.B. nach unten) für auszublasende Rohrleitungssysteme realisieren  gezielte Schmutzabscheidung und Schalldämpfung in geeigneten Filtern, in vorhandenen Behältern bzw. Zyklonen (z.B. über Dach bei Inhouse-Anlagen) vorsehen  Festlegung des maximalen Ausblasedrucks für die betroffene Ausrüstung/System  Realisierung ausreichend großer Strömungsgeschwindigkeiten bzw. Druckimpulse 2 Spülen der Ausrüstungen/Anlage  Prüfung der Beständigkeit des Werkstoffes gegenüber dem Spülmedium unter Spülbedingungen  bei Spülung mit Wasser muss meistens anschließend getrocknet werden (Toträume, „Säcke“ in Leitungen u.ä. vermeiden)  ausreichende Füll- und Entleerungsmöglichkeiten vorsehen  Lagermöglichkeiten für frisches und verschmutztes Spülmedium vorsehen  gezielte Schmutzauskreisung vorsehen (z.B. absperrbare, leicht zu reinigende Wechselfilter oder Behälter mit durchgestrecktem Abgangsstutzen zur Pumpe und separater Bodenentleerung)  Entsorgungsmöglichkeit für verschmutztes Spülmedium vorsehen  Möglichkeit zum Vorwärmen des Spülmediums (40–80 °C) vorsehen; ggf. auch Spülmöglichkeiten bei Frost gewährleisten  Bypass-Leitungen zum Umfahren schmutzempfindlicher Ausrüstungen/Bauteile vorsehen 3 Reinigen von Anlagenteilen durch Beizen und ggf. Passivieren  Erarbeitung einer zweckmäßigen Beiz- und ggf. Passivierungstechnologie  Prüfung der Beständigkeit des Werkstoffes gegenüber dem Beiz- und ggf. Passivierungsmedium in den betroffenen Systemen  Festlegung von Maßnahmen zur Neutralisierung und Konservierung bzw. zur möglichst baldigen Inbetriebnahme der betroffenen Systeme 4 Inertisieren der Anlage  Prüfung der zweckmäßigsten Inertisierungsvariante, insbesondere, wenn die Stickstoffmengen begrenzt sind  bei vorhandenem Verdichter ist häufig ein Kreislaufbetrieb über die Anlage zweckmäßig (wäre für Verdichter eine Nebenfahrweise)  Anschlussstutzen für Inertgas und Probenahme zwecks Überprüfung vorsehen 5 Funktionsprüfungen/Komplexe Funktionsprüfungen/Testfahrten mit inerten Medien  Beachtung der spezifischen Bedingungen bei den komplexen Funktionsprüfungen und insbesondere bei einer vorgesehenen Wasserfahrt (z.B. Auswahl/Auslegung von Pumpen für Betrieb mit Wasser bzw. von Verdichtern für Betrieb mit Luft)  Beachtung von zweckmäßigen Kreislauffahrweisen, um z.B. einzelne Teilanlagen als „Inseln“ in Betrieb nehmen und in Betrieb halten zu können  Berücksichtigung von Testfahrten mit inerten Medien, z.B. zur Prüfung der verfahrenstechnischen, mechanischen und prozessleittechnischen Funktion wesentlicher Komponenten bzw. Teilanlagen (i.d.R. ohne chemische Reaktionen aber ggf. mit Lösungsmitteln/ Gefahrstoffen sowie unter Ex-Bedingungen)

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Tab. 2.3 (Fortsetzung) 6 Sonderfahrweisen zur Behandlung von Katalysatoren und Adsorbentien  Die Vorbehandlung (Aktivierung, Trocknung, Desorption u.ä.) des Schüttguts erfordert oftmals vom Normalbetrieb (Nennzustand) abweichende Verfahrensbedingungen (Stoffe, Temperaturen), die für die Ausrüstungen (Öfen, Reaktoren, Wärmeübertrager, Messgeräte) die Auslegung bestimmen.  Die Behandlung (z.B. oxidative Regeneration) erfordert mitunter sicherheitstechnisch eine 100 %-ige Absperrung zur restlichen Anlage (z.B. mittels Blindscheiben).  Bei den Sonderfahrweisen können u.U. Abprodukte anfallen, die aufbereitet bzw. entsorgt werden müssen.  Bei den Sonderfahrweisen können u.U. erhöhte Emissionen anfallen, die genehmigt werden müssen bzw. die durch planerische Maßnahmen reduziert werden müssen. 7 Teillastbetrieb der Anlage beim Anfahren bzw. aus anderen Gründen  Vorsehen von Rückführleitungen (ggf. produktseitig vom Ausgang auf den Eingang), um kleinere und größere Kreisläufe fahren zu können  Prüfung der Arbeitsweise von Ausrüstungen, Regelventile, Blenden unter Teillast  Beachtung der Versetzungsgefahr (Kolonnenböden, Demister, Filter) durch erneuten Schmutzaustrag unter Betriebsbedingungen (höhere Temperatur, höhere Strömungsgeschwindigkeiten)  vorsehen zusätzlicher Mess- bzw. Probenahmemöglichkeiten, z.B. wenn in der Anlage große Zeitverzögerungen auftreten und Zwischenwerte vorteilhaft sind  Beachtung der Wärmeverluste an die Umgebung (ihr relativer Anteil steigt)  Beachtung der Temperatur-/Druckgradienten während des Anfahrens bei der Bauteilbemessung  Berücksichtigung der überhöhten Anfahrströme bei Drehstrom-Asynchronmotor  Vermeiden von Taupunktunterschreitung bei Teillastbetrieb 8 Fahrweisen während der Außerbetriebnahme bzw. des Umfahrens in einen anderen Betriebszustand  Berücksichtigung der Szenarien und der sich daraus ergebenden Prozessbedingungen, die sich sowohl bei der planmäßigen als auch bei der sicherheitsbedingten (Abfahren über Sicherheitsschaltung) Außerbetriebnahme ergeben  ausreichende Puffer-/Lagerkapazitäten (Behälter, Tanks, Kolonnensumpf) für AnlagenHold-up bzw. nichtqualitätsgerechte Produkte vorsehen  Ermittlung und Beachtung der Übergangszustände in Mehrproduktanlagen, wenn auf ein anderes Produkt umgestellt wird (ggf. auch notwendige Reinigungsprozeduren beachten)

Typisch sind die in der Tab. 2.3 unter Punkt 6 angeführten Sonder- bzw. Nebenfahrweisen, die Auswirkungen auf die Gesamtanlage haben, bei Prozessen mit Schüttgütern. Diese speziellen Hilfsmittel werden in vielen Anwendungsfällen zunächst in situ vorbehandelt, um sie in einen definierten Ausgangszustand zu versetzen. Zu diesem Zweck erfolgt häufig eine reduzierende Vorbehandlung metalloxidischer Katalysatoren mit Wasserstoff bzw. eine Vortrocknung mit Stickstoff oder Luft. Damit ergeben sich bezüglich Medium, Druck, Temperatur, Dichte, Druckverlust u.v.a. teils völlig andere Anforderungscharakteristika als im Dauerbetrieb. Die Anlage und insbesondere die Apparate und Maschinen inklusive der Antriebsaggregate, aber auch die Prozessleit- und Analysentechnik, müssen für derartige Fahrweisen geplant und dimensioniert sein. Das folgende Beispiel 2.5 aus der Energie- und Kraftwerkstechnik soll die Beachtung spezifischer Anfahrzustände durch den Konstrukteur veranschaulichen.

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2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

Beispiel 2.5 Spannungsüberhöhungen in einem Turbinenläufer beim Anfahren (s. Abb. 2.12) Beim Anfahren (sog. Kaltstart) eines Dampfkraftwerkes mit Blockschaltung eines Kessels und einer Turbine wird i.d.R. zunächst der Kessel in Betrieb genommen. Die Rohrleitung zur Turbine bleibt abgesperrt. Sobald die erzeugte Dampfmenge und die Dampfparameter die vorgegebenen Werte erreichen, wird die Leitung zur Turbine „gestellt“ und der Läufer „angestoßen“. Die einerseits sehr schnell stattfindende Erwärmung der Turbine und insbesondere der Läuferoberfläche (Temperatur T1) und die andererseits verzögerte Erwärmung der Läuferachse (Temperatur T2) bewirken zusätzliche Wärmespannungen im Werkstoff. Man erkennt, dass die Vergleichsspannung v an der Läuferoberfläche in Abhängigkeit vom Temperaturgradienten ein Maximum durchläuft. Die für die Bemessung des Läufers und der Nabe des Laufrads maßgebliche Maximalbeanspruchung liegt somit deutlich über der Normalbeanspruchung im stationären Betriebszustand.

 Abb. 2.12 Läufertemperaturen und relative Spannungen einer Dampfturbine während des Anfahrens

Ähnliche Aussagen gelten für die Trommeln und die Heißdampfrohrleitungen in Kraftwerken. Der Konstrukteur muss diesen Anfahrlastfall bei der Bemessung und Konstruktion (z.B. durch dünnwandige oder rotationssymmetrische Bauteile) unbedingt berücksichtigen. Wenn nicht, kann die Bauteilüberbeanspruchung beim Anfahren schon zu Beginn der Nutzungsdauer zur Bauteilschädigung (z.B. durch örtliche Rissbildung mit anschließender Rissausbreitung) bzw. zur vorschnellen Bauteilermüdung führen [11]. Der Inbetriebnehmer wiederum muss beim Anfahren die in der Inbetriebnahmedokumentation sowie im Betriebshandbuch vorgegebenen maximalen Temperaturgradienten an den kritischen Bauteilen unbedingt einhalten. Er kann ferner durch eine schonende Anfahrtechnologie, indem beispielsweise die Turbine nach dem Gleitdruck-Gleittemperatur-Verfahren angefahren wird, grundlegend die Bauteilbeanspruchung verringern.

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2.3.4 Berücksichtigung spezieller Inbetriebnahmeeinrichtungen sowie zusätzlicher Stoffe und Energien Im Allgemeinen sind die dynamischen Übergangsprozesse komplizierter und anspruchsvoller als Prozesse bei stationären Bedingungen. Man denke daran, wie viel schwieriger es ist, ein Raumschiff auf seine Umlaufbahn zu bringen, als es auf dieser zu halten. Auch bei verfahrenstechnischen Anlagen stellt die Inbetriebnahme meistens höhere Anforderungen als der Dauerbetrieb. Der Anlagenbauer muss diese erhöhten Anforderungen, wobei in diesem Abschnitt nur die technisch-technologischen betrachtet werden, voraus denken und durch planerische Maßnahmen erfüllen. Im Einzelnen können dies zum Beispiel sein: a) Für die Inbetriebnahme sind im Vergleich zum Dauerbetrieb zusätzliche Einrichtungen (Anfahrausrüstungen Teilanlagen, Systeme) nötig oder zweckmäßig.  Bei Verfahren mit exothermen, chemischen Reaktionen bei höheren Temperaturen wird im Normalfall mittels Wärmeübertrager das Reaktionsgemisch durch das Reaktionsprodukt aufgeheizt. Schon bei Temperaturerhöhungen im Reaktor von 10 bis 20 grd K, kann mittels Wärmeübertrager allein die Aufheizung auf Reaktoreintrittstemperatur erfolgen. Ein zusätzlicher Aufheizer ist nicht nötig. Bei der Inbetriebnahme fehlt jedoch zunächst die Reaktionswärme. Das Gemisch und der Reaktor müssen durch externe Energiezufuhr auf Zündtemperatur erhitzt werden. Eine Aufheizung mittels Dampf ist häufig nicht wirtschaftlich, da viele Zündtemperaturen oberhalb der Sattdampftemperatur des 16 bar-Dampfes liegen. Das heißt, zur Inbetriebnahme ist in solchen Fällen ein zusätzlicher Anfahrofen bzw. elektrischer Spitzenvorheizer nötig.  Bei Inbetriebnahmen, bei denen Stickstoff für die Inertisierung nicht in ausreichender Menge/Qualität anliegt, werden z.T. separate Kleinstanlagen zur Stickstoffgewinnung aus Luft (ggf. als mobile Anlage) vorgesehen.  In Dampfkesselanlagen mit nachgeschalteter Gasturbine werden Anfahrmotoren für die Turbine benötigt, um beim Kesselstart die Brenner mit Luft zu versorgen. Erst wenn der Kessel genügend Abgas zum Antrieb der Turbine bereitstellt, kann diese ohne Anfahrmotor die Förderung der Verbrennungsluft übernehmen.  In den meisten verfahrenstechnischen Anlagen ist eine Vielzahl von sog. Anfahrrohrleitungen vorgesehen, die in Verfahrensschemata bzw. R&I-Fließschemata als strichpunktierte Linien dargestellt werden. Derartige Anfahrleitungen können u.a. dienen ▪ als Füllleitungen für Ausrüstungen, um beispielsweise Schmutzeintrag über den normalen Leitungsweg zu vermeiden, ▪ als Spül- und Entleerungsleitungen, ▪ zur Umfahrung sensibler Anlagenteile, ▪ als Kreislaufleitungen zur Rückführung von nichtqualitätsgerechten Produkten, ▪ als Einspeiseleitungen für Spezialprodukte und Starthilfsmittel; zum Beispiel für extern zugeführten Klärschlamm, um einen neuen Biotankreaktor oder Biofilter zu impfen und den mikrobiellen Wachstumsprozess zu beginnen. b) Für die Inbetriebnahme sind zusätzliche Stoffe und Energien in Menge und Qualität erforderlich oder günstig.  Die Inbetriebnahme einer Benzin-Reformierungsanlage benötigt wasserstoffreiches Gas, obwohl später im Nennzustand Wasserstoff gebildet und aus der Anlage als

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2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

Überschussgas abgeführt wird. An Standorten, wo eine Wasserstofferzeugung noch nicht existiert, muss dieser Anfahrwasserstoff beispielsweise in Gasflaschencontainern antransportiert werden. In vielen Anlagen wird die Prozesswärme zur Eigendampferzeugung genutzt. Da während der Inbetriebnahme die Prozesswärme noch nicht voll anliegt, aber schon Dampf benötigt wird, ist eine zusätzliche Dampfbereitstellung nötig. In Ethylenanlagen erfolgt die Gasaufbereitung durch Tieftemperaturdestillation unter Nutzung von Ethylen-/Propylen-Kältekreisläufen. Da die Kältemittel aber von der Anlage erst erzeugt werden müssen, ist anfangs die Fremderzeugung von Kälte bzw. die Zufuhr von Kältemitteln erforderlich. Kraftwerksrohrleitungen bzw. die Ölleitungen größerer Hydrauliksysteme (für Antriebe, Abdichtungen) werden häufig vor der Inbetriebnahme metallisch blank gebeizt. Dazu werden als Beizmittel spezielle Chemikalien (verdünnte Phosphorsäure, Salpetersäure, Zitronensäure u.a.) benötigt. Zur Feinreinigung (Sanitisierung, Entkeimung, Derouging, Desinfektion) pharmazeutischen, insbesondere biotechnologischen Anlagen, werden spezielle Medien und Stoffe genutzt.

c) In Vorbereitung und Durchführung der Inbetriebnahme fallen nichtqualitätsgerechte Produkte, Abprodukte u.a. Nebenprodukte an.  Die anfängliche Erzeugung von Produkten bzw. Energien mit Minderqualität ist bei nahezu allen Inbetriebnahmen a priori der Fall. Die Ursachen liegen insbesondere in den vom Normalfall abweichenden Betriebsbedingungen und im Schmutzanfall, aber auch in eventuellen Fehlern und Störungen begründet. Andererseits erfordert beispielsweise das Einfahren einer Endproduktreinheit von größer als 99,9 Ma-Prozent in Großanlagen einen längeren Zeitraum.  Die Minimierung der nichtqualitätsgerechten Produktemengen ist ein wesentlicher Kostenfaktor und eine Hauptaufgabe bei der Planung sowie bei der Vorbereitung und Durchführung der Inbetriebnahme. Diesem Ziel dient auch die häufig anzutreffende Fahrweise im Teillastbereich, zumindest beim Anfahren (Beginn der Heiß-Inbetriebnahme).  Die Lösungsversuche, z.B. bei der Erarbeitung der Inbetriebnahmeanleitung, sollten in der Reihenfolge: vermeiden  verwerten/recyceln  entsorgen erfolgen.  Bei der Dimensionierung von Tanklagern ist neben den logistischen und absatzwirtschaftlichen Gesichtspunkten auch den Fragen der Zwischenlagerung derartiger, unerwünschter Produkte und ihrer späteren innerbetrieblichen Aufarbeitung eine besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Das, was der Inbetriebnahme nutzt, ist meistens auch bei späteren Betriebsstörungen vorteilhaft.  In Zusammenhang mit dem Beizen, dem Passivieren oder der Gewährleistung einer chemisch und/oder bakteriologisch sauberen Anlage fallen verdünnte Abfallsäuren u.a. Nebenprodukte an, die zu entsorgen sind. Insgesamt sind die geschilderten Inbetriebnahmesituationen bei verfahrenstechnischen Anlagen relativ häufig anzutreffen. Sie bewirken i.Allg. erhebliche technologische und investive Maßnahmen. Umso dringender ist, dass derartige inbetriebnahmespezifische Besonderheiten bereits während der Planung umfassend vorgedacht und beachtet werden. Der Entwicklungstrend zu immer „ausgereizteren“ Verfahren sowie zu immer stärker vermaschten, vernetzten Anlagen wird diese Forderung zusätzlich begründen.

2.3 Beachtung der Inbetriebnahme beim Engineering

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2.3.5 Beachtung der Funktionsprüfungen/Systemerprobungen Die maximal mögliche Durchführung von Funktionsprüfungen (Synonyme: Funktionstest, Funktionsprobe) der Anlagenkomponenten, Teilanlagen und ggf. auch komplexer Anlagensysteme ist (im Unterschied zu den Sicherheitsprüfungen) nicht zwingend notwendig, wohl aber ein Gebot der wirtschaftlichen Vernunft (s. Zehnerregel in Abb. 4.11, Abschn. 4.2.2). Dies kann, je nach Anlagenart, Montagefortschritt und Baustellen- bzw. Inbetriebnahmesituation erfolgen:  vor der Mechanischen Fertigstellung gegen Ende der Bau-/Montagephase,  während der Kalt-Inbetriebnahme,  am Anfang der Heiß-Inbetriebnahme. Strategisches Ziel der Projektleitung sollte sein, alle Funktionspüfungen (selbstverständlich bei vertretbarem Risiko) sobald als möglich zu planen und durchzuführen. Die Funktionsprüfungen vieler Anlagenkomponenten, deren Komplexität begrenzt ist und über deren Betriebsverhalten schon Erfahrungen vorliegen, kann während der Inbetriebnahmevorbereitung gegen Ende deren Montage geplant werden. Grundlage sind insbesondere die zugehörigen Betriebsanleitungen der Hersteller bzw. Lieferanten. Handelt es sich aber um die Funktionsprüfung größerer Anlagensysteme, wie z.B.  Verdichteraggregate und/oder Verdichterkreisläufe,  komplexe Pumpenkreisläufe,  vermaschte Kolonnenschaltungen mit stofflichen und/oder energetischen Rückkopplungen,  Synthesestufen, u.U. mit Anfahrofen, Reaktor und Wärmerückgewinnung,  Rührbehälter mit zugehöriger Peripherie,  Extruder mit Feststoffein- und -austrag, inkl. zugehöriger Behälter/Silos,  das Prozessleitsystem mit seinen verschiedenen Leitebenen,  das System der unterbrechungsfreien Spannungsversorgung (USV),  vollständige Teilanlage bzw. Package-units,  im Sonderfall auch die Gesamtanlage, z.B. während einer Wasserfahrt, so müssen deren Komplexe Funktionsprüfungen (Synonym: Systemerprobungen) frühzeitig geplant werden. Dies sollte spätestens in den Betriebsanleitungen der Aggregate, Package-units bzw. der Gesamtanlage (sog. Inbetriebnahmeanleitung) erfolgen (s. Tab. 3.26, Abschn. 3.5.2.2, Buchst. b) und c)). Im Praxisbeispiel einer Inbetriebnahmeanleitung gemäß Tabelle 3.26 wurden für die Komplexe Funktionsprüfungen größerer Anlagensysteme sowie für die Wasserfahrt spezielle R&I-Fließschema erarbeitet, die den Beschreibungen in Kapitel 5 (Sicherheitsund Funktionsprüfungen inkl. Wasserfahrt) der Inbetriebnahmeanleitung zugrunde liegen (s. auch Tab. 2.4 und Abb. 2.13). Wenn für die Komplexen Funktionsprüfungen jedoch, im Vergleich zum Anfahr- und Dauerbetrieb, zusätzliche Anlagenkomponenten benötigt werden, wie z.B. ▪ Hauptausrüstungen (Vorlagebehälter, Pumpen, Gebläse, Abscheider), ▪ Rohrleitungen mit Stutzen und Armaturen (Bypass, Kreis-/Rückführleitungen, Ein/Austrittsstutzen, Absperrarmaturen, Steckscheiben inkl. Vorrichtungen), ▪ PLT-Einrichtungen (Sensoren, Aktoren, Regler, Analyseneinrichtungen inkl. Probenahme),

86

2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

kann der Zeitpunkt „Erarbeiten Inbetriebnahmeanleitung vor Inverkehrbringen" aber schon zu spät sein. Tabelle 2.4 Auszug aus einem Funktionsprüfungen-Programm für Kreiselpumpen (ohne Frequenzumrichter) (Praxisbeispiel) 1

Voraussetzungen zum Beginn der komplexen Funktionsprüfungen:  Montage beendet  Rohrleitungen des zu fahrenden Kreislaufes sind gespült  Voraussetzungen bzgl. Arbeits- und Brandschutz sind erfüllt  benötigte Medien und Energien liegen an  interne Funktionsprüfungen von EMR-Technik sind abgeschlossen  Maschinen sind entkonserviert und abgeschmiert  Gleitringdichtung gem. Herstellervorschrift gefüllt

2

Anfahren der Pumpe:  mit Flüssigkeit füllen und entlüften  Armatur in Saugleitung öffnen  Pumpe gegen geschlossenen Armatur in Druckleitung anfahren (Bem: Ausnahmen, die bei geöffnetem Druckschieber anzufahren sind, werden angegeben)

3

Funktionsprüfungen der Pumpe:  Drehrichtung kontrollieren  Laufanzeige in Messwarte  NOT-HALT und NOT-AUS von Messwarte aus testen  Förderdruckkontrolle vor Ort  Leistungskontrolle (gegebenenfalls über Amperemeter)  Druck bei geschlossenem Schieber messen und in Förderhöhe umrechnen (nur bei Kreiselpumpen, die mit geschlossener druckseitiger Armatur angefahren werden dürfen)  Laufgeräusche an Motor und Pumpe  Erwärmung der Lager an Motor und Pumpe  Dichtheit der Pumpe  Verriegelungen und Alarme

4

Durchstellen des Kreislaufes entsprechend dem Schema für die Funktionsprüfungen der Kreiselpumpen (s. Abb. 2.13):  Armaturen öffnen  Messleitungen geschlossen  hydraulischen Kurzschluss an Differenzdrucktransmitter öffnen  Regelventile abblocken und Umgänge öffnen  langsames Öffnen des Druckschiebers bis ca. 90 % der Nennstromaufnahme am Motor erreicht sind

5

Funktionsprüfungen der Pumpen bei Kreislauffahrweise (zusätzlich zu Punkt 3):  Überwachung des Saug-/Enddruckes (Versetzungsgefahr der Filter) über mindestens 3 h  evtl. kurz abstellen und ggf. Anfahrfilter reinigen

6

PLT-Technik im Kreislauf in Betrieb nehmen:  Steuerluft für Stellantriebe einstellen  Messleitungen zu Transmittern öffnen  Transmitter einbinden  Regelung von Hand in Betrieb nehmen

2.3 Beachtung der Inbetriebnahme beim Engineering

87

2837-04/50GL

LICA FICA

3891

3847

P310/1

2838-04/150GL

PI 3558

PI

PI

3548

3549

P310/2

TI 3037

2837-03/GL

W309/2

LICA

B309

3891

2192-04/50GL

Wasserschlauch

Abb. 2.13 Fließschema für die Funktionsprüfungen der Kreiselpumpen P310/1 und P310/2 (zu Praxisbeispiel in Tab. 2.4)

In diesen Fällen sind für die Komplexen Funktionsprüfungen u.U. zusätzliche Komponenten/Bauteile zu beschaffen und zu montieren. Aus diesem Grund müssen die Fahrweisen während der Komplexen Funktionsprüfungen schon bei  der Verfahrensplanung (Erarbeitung der R&I-Fließschemata, Menge-/Stoff-/Energiebilanzierung, Auswahl, Auslegung und Aufstellung der Hauptausrüstungen, Auslegung der Rohrleitungen usw.) im Basic Engineering sowie  den Fachplanungen (3D-Anlagenplanung, Ausrüstungsdatenblätter, Ausrüstungslisten, Rohrleitungslisten, Rohrleitungsisometrien, Geräteliste, PLT-Stellendatenblätter, Stromlaufplänen usw.) im Detail Engineering planerisch berücksichtigt werden. In jedem Fall müssen die Prozess- und Anlagenzustände während der Komplexen Funktionsprüfungen in die Projekt-Sicherheitsarbeit (Risikobeurteilung, Gefährdungsbeurteilungen, Betriebs-/Inbetriebnahmeanweisungen) eingebunden werden (s. Abschn. 3.2 und 3.5). In Pharmaprojekten gilt dies auch für die GMP-relevante Produkt-Risikobeurteilung.

88

2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

2.3.6 Beachtung der Reinheit und Reinigung der Anlage Das Vermeiden von Verunreinigungen während der Fertigung und Montage sowie die Reinigung der Anlage bis zur Anzeige der Betriebsbereitschaft werden nicht selten unterschätzt. Die Folge sind eingebrachte und nichtentfernte Verschmutzungen im Innern der Anlagenkomponenten. die während der Inbetriebnahme zu Störungen, Verzögerungen und Mehrkosten führen. Es gilt im verfahrenstechnischen Anlagenbau die Erfahrung: Wer die Reinigung der Anlage während der Projektabwicklung gewissenhaft plant und durchführt, dem dankt es die Anlage während der Inbetriebnahme! Im Weiteren wird der Begriff Reinigung stets als innere Reinigung, d.h. das Entfernen unerwünschter Stoffe aus dem Innern der Anlagenkomponenten verstanden. a) Vorgaben zur Reinheit der Anlagenkomponenten inkl. Rohrleitungen Die Reinheit (i.d.R. die Reinheit der inneren Oberfläche) der Anlagenkomponenten inkl. Rohrleitungen muss ein prüfbares Qualitätsmerkmal sein und in den verschiedenen Phasen der Projektabwicklung (s. Abb. 2.1 in Abschn. 2.1) spezifiziert werden. Dies betrifft insbesondere Vorgaben zur Reinheit  in den Lastenheften (Scope Definition) für die Gesamtanlage oder für Package-units am Ende der Phase 1,  in den Pflichtenheften für die Gesamtanlage, für Package-units oder für andere Beschaffungsvorgänge am Ende der Phase 5,  im Anlagenvertrag für die Gesamtanlage oder für Package-units am Ende der Phase 5 (mit Detail Engineering) oder der Phase 6 (ohne Detail Engineering),  in den Bestellungen für Hersteller und Lieferanten (Hauptausrüstungen, Armaturen) bzw. für Bau- und Montagefirmen, i.Allg. am Ende der Phase 6. In Pharmaprojekten sind diese Vorgaben zur Reinheit GMP-relevanter Ausrüstungen und Rohrleitungen sog. Akzeptanzkriterien, deren Erfüllung bei ▪ der Designqualifizierung (DQ) am Ende der Phase 6 (Detail Engineering) sowie ▪ nach der Anlagenrealisierung bei der Installationsqualifizierung (IQ) am Ende der Phase 8 (Bau-/Montage) bzw. vor Protokollierung Mechanische Fertigstellung nachvollziehbar geprüft wird. Ist eine GMP-spezifische Feinreinigung notwendig, so findet die dokumentierte Reinheitsüberprüfung erst während der Funktionsqualifizierung (OQ) im Zeitraum Ende-Kaltinbetriebnahme statt. Fachlicher Ausgangspunkt für die Spezifikation der inneren Oberflächenreinheit in verfahrenstechnischen Anlagen sind die Normen und Richtlinien zur Oberflächenvorbereitung von Stahlbauteilen zwecks nachfolgender Beschichtung [12][13][14]. In diesen Veröffentlichungen wird einerseits von ▪ Verunreinigungen der Stahl-Oberfläche bzw. vom Ausgangszustand der vorzubereitenden Oberfläche und andererseits von ▪ Verfahren zu deren Entfernung bzw. vom geforderten Oberflächenvorbereitungsgrad geschrieben. Bezüglich der anfänglichen Verunreinigungen werden nach DIN ISO 8501-1 [14] die in Tab. 2.5 angeführten Rostgrade definiert und anhand fotografischer Bild-Beispiele (Vergleichsnormale) optisch belegt.

2.3 Beachtung der Inbetriebnahme beim Engineering

89

Tabelle 2.5 Definition von Rostgraden nach DIN EN ISO 8501-1 [14] Rostgrad

Zustand der ursprüngliche Oberfläche

A (Bild 1)

Stahloberfläche mit festhaftendem Zunder bedeckt; in der Hauptsache frei von Rost

B (Bild 2)

Stahloberfläche mit beginnender Zunderabblätterung und beginnenden Rostangriff

C (Bild 3)

Stahloberfläche, von der der Zunder weggerostet ist oder sich abschaben lässt, die aber nur wenige, für das Auge sichtbare Rostnarben aufweist

D

Stahloberfläche, von der der Zunder weggerostet ist und die zahlreiche, für das Auge sichtbare Rostnarben aufweist

Die Begriffe in Tab. 2.5 sind wie folgt definiert: Rost: Sichtbare Korrosionsprodukte, die bei Eisenwerkstoffen hauptsächlich aus hydratisierten Eisenoxiden bestehen. Walzhaut/Zunder: Dicke Oxidschicht, die auf den Stahl während der Bearbeitung in der Wärme oder der Wärmebehandlung entsteht. Flugrost: Schwache Rostbildung auf einer frisch vorbereiteten Stahloberfläche.

Die gereinigten Oberflächen werden entsprechend den verwendeten Reinigungsverfahren in sog. Oberflächenvorbereitungsgrade (früher: Reinheitsgrade) entsprechend Tab. 2.6 unterteilt. Die Bild-Angaben sind die Bezüge zu den repräsentative fotografischen Beispielen (Vergleichsnormale) in der DIN EN ISO 8501-1 [14]. Tabelle 2.6 Vorbereitungsgrade für die primäre (ganzflächige) Oberflächenvorbereitung [12] Vorbereitungsgrad

Wesentliche Merkmale der vorbereiteten Oberflächen

Sa 1 (Bild 4)

Lose(r) Walzhaut/Zunder, loser Rost, lose Beschichtungen und lose artfremde Verunreinigungen sind entfernt.

Sa 2 (Bild 5)

Nahezu alle(r) Walzhaut/Zunder, nahezu aller Rost, nahezu alle Beschichtungen und nahezu alle artfremden Verunreinigungen sind entfernt. Alle verbleibenden Rückstände müssen fest halten.

Sa 2 ½ (Bild 6)

Walzhaut/Zunder, Rost, Beschichtungen und artfremde Verunreinigungen sind entfernt. Verbleibende Spuren sind allenfalls noch als leichte fleckige oder streifige Schattierungen zu erkennen.

Sa 3

Walzhaut/Zunder, Rost, Beschichtungen und artfremde Verunreinigungen sind entfernt. Die Oberfläche muss ein einheitliches metallisches Aussehen besitzen.

St 2

Lose(r) Walzhaut/Zunder, loser Rost, lose Beschichtungen und lose artfremde Verunreinigungen sind entfernt.

St 3

Lose(r) Walzhaut/Zunder, loser Rost, lose Beschichtungen und lose artfremde Verunreinigungen sind entfernt. Die Oberfläche muss jedoch viel gründlicher bearbeitet sein als für St 2, sodass sie einen vom Metall herrührenden Glanz aufweist.

90

2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

Tab. 2.6 (Fortsetzung) Vorbereitungsgrad

Wesentliche Merkmale der vorbereiteten Oberflächen

Fl

Walzhaut/Zunder, Rost, Beschichtungen und artfremde Verunreinigungen sind entfernt. Verbleibende Rückstände dürfen sich nur als Verfärbung der Oberfläche (Schattierungen verschiedener Farben) abzeichnen.

Be

Walzhaut/Zunder, Rost, Beschichtungen und artfremde Verunreinigungen sind vollständig entfernt. Beschichtungen müssen vor dem Beizen mit Säure mit geeigneten Mitteln entfernt werden.

Erklärung der verwendeten Abkürzungen: Sa = Strahlen (ISO 8501-1) St = Oberflächenvorbereitung von Hand und maschinelle Oberflächenvorbereitung Fl = Flammenstrahlen Be = Beizen mit Säure

Sofern im verfahrenstechnischen Anlagenbau zwecks Korrosionsschutz der C-StahlWandung von Tanks, Silos, Behältern u.a. eine Innenbeschichtung vorgesehen ist, lassen sich die Aussagen aus Tab. 2.6 vollständig übertragen. In den meisten Praxissituationen ist die geforderte Reinheit der Anlagekomponenten inkl. Rohrleitungen aber nicht Voraussetzung für eine nachfolgende Beschichtung, sondern für eine anschließende, störungsfreie und kostengünstige Inbetriebnahme. Die Angaben gemäß Tab. 2.6 müssen deshalb sinngemäß auf diese andersartigen Anforderungen übertragen werden. Tabelle 2.7 enthält in diesem Sinne eine grobe Einteilung der Reinheitsgrade von Rohrleitungen [15] sowie Vorschläge für mögliche Reinigungsverfahren. Tabelle 2.7 Vorschlag zur Einteilung der Reinheitsgrade von Rohrleitungen bzw. Spools nach [15] Reinheitsgrad

Bezeichnung des Reinheitsgrads

Reinigungsverfahren

1

frei von grobem Schmutz

vor der Montage Abklopfen (in Schräglage), Ausblasen mit Luft, Aussaugen, Ausfegen

2

frei von lose anhaftenden Schmutz (schmutzfrei)

vor der Montage Reinigen wie bei Reinheitsgrad 1; nach der Montage Ausblasen des Rohrleitungssystems mit Luft; im Sonderfall mit Stickstoff

3

frei von lose anhaftenden Schmutz (schmutzfrei)

vor der Montage Reinigen wie Reinheitsgrad 1; nach der Montage Spülen mit Wasser o.a. Flüssigkeiten

4

Schmutzfrei und frei von losem Zunder

vor der Montage Reinigen gemäß Reinheitsgrad 1; nach der Montage Ausblasen mit Dampf

5

Metallisch rein

Strahlen oder Beizen

6

frei von Fett und organischen Stoffen

nach Vereinbarung

7

keimfrei

nach Vereinbarung

Etwas andere Vorschläge für Reinheitskriterien 1 bis 4, die anhand von Resten an Korrosionsprodukten und anderen Verschmutzungen definiert werden, sind in Tab. 2.8 enthalten. Sie sind insbesondere für Rohrleitungen der Kraftwerksindustrie zutreffend.

2.3 Beachtung der Inbetriebnahme beim Engineering

91

1)

Tabelle 2.8 Mögliche Korrosionsprodukte, Verschmutzungen und Reinheitskriterien nach [16] Korrosionsprodukte

Verschmutzungen

Rost und Zunder

Oxid- und Salzschichten

Verunreinigungen, Inkrustierungen

nichthaftende Partikel

un-/niedriglegierte Stähle

nichtrostende Stähle, NE-Metalle und Auskleidungen

alle metallischen und nichtmetallischen Werkstoffe und Auskleidungen

11)

festhaftende Schichten zulässig (Sa 1)

filmartige Schichten zulässig

Vereinzelt bis 4 mm Größe zulässig

21)

festhaftende dünne Schichten zulässig (Sa 2)

in Spuren zulässig, nicht als geschlossener Film

Staub und Schwebeteile zulässig

31)

festhaftende Spuren nur als Schattierung erkennbar (Sa 2 1/2)

nur als Schattierung erkennbar

nicht nachweisbar

41)

nicht zulässig (Sa3)

nicht nachweisbar

Anbei einige Erläuterungen aus [16] zu in Tab. 2.8 benutzten Begriffen. Verunreinigungen: dünne an der Oberfläche haftende Flecken, Filme, Schichten von Fetten, Ölen, Anstrichstoffen, Schutzlacken, Wachsen, bitumösen Stoffen u.ä. Bei betriebenen Rohrleitungen sind auch Fluidreste zu verstehen. Inkrustierungen: Fluidrückstände in Form von Belegen, Krusten u.ä. Fremdkörper: Werkzeuge (z.B. Bohrer), Putzlappen, Schweißzusatzwerkstoffe, Schutzhandschuhe usw. Nicht haftende Partikel: Staub, Schweißperlen und-spritzer, Hol- und Metallspäne, Textilfasern, Sand sowie weitere Bestandteile des Erdreichs.

Ergänzend zu den Reinheitskriterien in Tab. 2.8 sind in [16] noch zusätzliche, anwendungsspezifische Reinheitsforderungen an Rohrleitungen angeführt (s. Tab. 2.9). Tabelle 2.9 Zusatz-Reinheitsforderungen für Rohrleitungen nach [16] Zusatzforderungen

Lfd. Buchst.

Bezeichnung

A

reinstgereinigt

Anwendungsbereiche und -beispiele Spezielle Reinheitsforderungen des Auftraggebers. Grundlage ist meist die Partikelreinheit der Reinstmedien, die gemäß VDI 2083 Blatt 7 in die Reinheitsklassen F1 bis F6 (Flüssigkeiten) und G0 bis G5 (Gase) klassifiziert ist. An F1 bzw. G0 werden die höchsten Reinheitsforderungen gestellt.

B

passiviert

C

öl- und fettfrei

Passivieren bzw. Neutralisieren nach dem Beizen Sauerstoffleitungen nach DGUV-Regel 100-500 Kapitel 2.32

D

desinfiziert

Spülen von Trinkwasserleitungen mit Desinfektionsmitteln nach DIN EN 806-4

E

sterilisiert

Rohrleitungen der Steriltechnik (Lebensmittel- und Pharmaindustrie), z.B. auch CIP

F

produktgereinigt

z.B. gebrauchte Rohrleitungen für aushärtbare, explosible, aggressive Fluide

92

2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

Tab. 2.9 (Fortsetzung) G

dekontaminiert

Beseitigung radioaktiver Partikel in gebrauchten Rohrleitungen kerntechnischer Anlagen

H

getrocknet

Zum Vermeiden von Flugrost nach dem Nassstrahlen oder der Nassreinigung

J

konserviert

Zum Vermeiden von Korrosionen durch Luftfeuchtigkeit bei Stillstand

Abschließend zur Spezifikation der Oberflächenreinheit sei noch auf die DIN 11866 [17] bzw. DIN 11865 [18] für Rohre bzw. Formstücke aus nichtrostendem Stahl für aseptische Anwendungen in der chemischen und pharmazeutischen Industrie hingewiesen. In der DIN 11866 werden beispielsweise für Rohre, die keimfrei sein müssen, detaillierte Vorgaben zur inneren und äußeren Oberflächenbeschaffenheit (Hygieneklasse, Oberflächenrauheit) gemacht (s. Tab. 2.10). Tabelle 2.10 Innere und äußere Oberflächenbeschaffenheit für keimfreie (aseptische) Rohre [17] Hygieneklasse

Oberflächenrauheit Ra Innenoberfläche

mechanisch elektro- ohne Nahtbearbeitet poliert c bereich H1

HE1

≤ 1,60 m

e e

Nahtbereich ≤ 3,20 m

a, b

Außenoberfläche Rohre

H2

HE2

≤ 0,80 m

H3

HE3

≤ 0,80 m

H4

HE4

≤ 0,40 m

Gebeizt oder ≤ 1,60 m blank geglüht ohne besondere Rauheitsvorgaben oder ≤ 0,80 m geschliffen d ≤ 1,60 m ≤ 0,40 m

H5

HE5

≤ 0,25 m

≤ 0,25 m

Formteile

Drehteile

Gebeizt, gebürstet oder gestrahlt ohne besondere Rauheitsvorgaben oder geschliffen d ≤ 1,60 m Gebeizt, gebürstet oder gestrahlt ohne besondere Rauheitsvorgaben oder geschliffen d ≤ 1,00 m

≤ 1,60 m ≤ 1,60 m

≤ 1,00 m ≤ 1,00 m ≤ 1,00 m

a

Oberflächenbeschaffenheit Ra nach DIN EN ISO 4287. Die Messung ist nach DIN EN ISI 4288 durchzuführen b Klammern, Schrauben, Muttern und Scheiben sind eingeschlossen. c

d

e

Innenoberflächen elektropoliert nach standardisiertem Verfahren, z.B. nach DIN EN ISO 15730. Bei Außenschliff wird an die Kennzeichnung für die Hygieneklasse zusätzlich ein „o“ angehängt (z.B. H3o) Die Messung der Oberflächenrauheit ist axial durchzuführen. Im Umformbereich von Formteilen können sich die Rauheitswerte um den Faktor 2 erhöhen.

Ferner sind in DIN 11866 auch Akzeptanzkriterien für die Innenoberfläche von aseptischen (keimfreien) Rohrleitungen angegeben, die im Rahmen der Installationsqualifizierung (s. Abschn. 5.7.2.) bzw. der Funktionsqualifizierung (s. Abschn. 6.2.7.2) genutzt

2.3 Beachtung der Inbetriebnahme beim Engineering

93

werden können. Betreffs einiger Begriffe, wie Beizen oder Elektropolieren, sei auf die Ausführungen in Abschn. 5.3 dieses Buchs verwiesen. Zusammenfassend zu den gemachten Ausführungen über Reinheitsanforderungen wird eingeschätzt: Im verfahrenstechnischen Anlagenbau gibt es für das Qualitätsmerkmal Oberflächenreinheit an der Innenoberfläche der Ausrüstungen und Rohrleitungen keine allgemein gültigen Vorgaben. Die in den Tabellen 2.7 bis 2.10 gemachten Angaben beziehen sich stets auf konkrete Einsatzfälle (z.B. Oberflächenvorbereitung für Beschichtung, Rohrleitungen für Kraftwerks- bzw. Pharmaanlagen). Dies ist auf Grund der Mannigfaltigkeit der Produktionsanlagen auch nicht verwunderlich. Letztlich muss in jedem Projekt spezifisch beurteilt werden, welche Oberflächenreinheit in welcher Projektphase erforderlich ist und diese als prüfbarer Qualitätskennwert/Akzeptanzkriterium spezifiziert und gegenüber dem Auftragnehmer im Vertrag/Bestellung verbindlich vorgegeben werden. b) Reinigungsverfahren für (Stahl-)Oberflächen Für Stahl-Oberflächen, die anschließend beschichtet werden sollen, enthält die DIN EN ISO 12944-4 [12] eine Zusammenstellung möglicher Reinigungsverfahren (s. Auszug in Tab. 2.11). Sofern es sich um zugängliche Oberflächen handelt, ist eine Nutzung für den verfahrenstechnischen Anlagenbau möglich. Tabelle 2.11 Verfahren zum Entfernen von artfremden Schichten und Verunreinigungen [12] Zu entfernende Stoffe Fett und Öl

Verfahren Reinigen mit Wasser

1)

Bemerkungen

Sauberes Wasser mit Zusatz von Reinigungsmitteln, Druck (< 70 MPa) kann angewendet werden. Nachreinigung mit sauberem Wasser.

Dampfstrahlen Sauberes Wasser. Falls Reinigungsmittel verwendet werden, Nachreinigen mit sauberem Wasser.

Wasserlösliche Verunreinigungen, z.B. Salze

Reinigen mit Emulsionen

Nachreinigen mit sauberem Wasser.

Reinigen mit Alkalien

Überzüge aus Aluminium, Zink und verschiedenen anderen Metallen können durch stark alkalische Lösungen angegriffen werden. Nachreinigung mit sauberem Wasser.

Reinigen mit organischen Lösemitteln

Viele organische Lösemittel sind gesundheitsschädlich. Wenn mit Lappen gereinigt wird, Lappen oft erneuern, da sonst Ölund Fettverunreinigungen nicht entfernt, sondern nach Verdunsten des Lösemittels verschmiert zurückbleiben.

Reinigen mit Wasser

Sauberes Wasser, Druck (< 70 MPa) kann angewendet werden.

Dampfstrahlen Nachreinigen mit sauberem Wasser. Reinigen mit Alkalien

Überzüge aus Aluminium, Zink und verschiedenen anderen Metallen können durch stark alkalische Lösungen angegriffen werden. Nachreinigung mit sauberem Wasser.

94

2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

Tab. 2.11 (Fortsetzung) Zu entfernende Stoffe Walzhaut/Zunder

1)

Bemerkungen

Verfahren Beizen mit Säure

Das Verfahren ist im Allgemeinen nicht auf der Baustelle anwendbar. Nachreinigen mit sauberem Wasser.

Trockenstrahlen

Shot- oder Grit-Strahlmittel. Rückstände in Form von Staub und losen Ablagerungen sind durch Ausblasen mit trockener, ölfreier Druckluft oder Absaugen mit Staubsauger entfernen.

Nassstrahlen

Nachreinigen mit sauberem Wasser.

Flammstrahlen Mechanisches Reinigen zum Entfernen von Verbrennungsprodukten ist notwendig. Rückstände in Form von Staub und losen Ablagerungen sind zu entfernen. Rost

1)

Gleiche Verfahren wie für Walzhaut/Zunder sowie: Reinigen mit maschinell angetriebenen Werkzeugen

Maschinelles Bürsten in Bereichen mit losem Rost kann angewendet werden, Schleifen für festhaftenden Rost. Rückstände in Form von Staub und losen Ablagerungen sind zu entfernen.

Druckwasserstrahlen

Zum Entfernen von losen Rost. Die Rauheit des Stahls wird nicht beeinflusst.

Spot-Strahlen

Zum örtlichen Entfernen von losen Rost.

In [12] sind weitere Erläuterungen zu den angeführten Reinigungsverfahren angegeben.

Für Rohrleitungen, mit dem Schwerpunkt Kraftwerksrohrleitungen, sind in Tab. 2.12 häufig verwendete Reinigungsverfahren angegeben. Die Darlegungen belegen, dass die angewandten Reinigungsverfahren von inneren Stahl-Oberflächen (Hauptausrüstungen, Rohrleitungen, Armaturen, Sensoren, Aktoren u.a.), je nach anfänglicher Verunreinigung und geforderter Reinheit zu Beginn HeißInbetriebnahme, sehr unterschiedlich sein können. Wie die Verfahren in vielen, unterschiedlichen verfahrenstechnischen Anlagen in der Praxis umgesetzt werden, wird in den Abschnitten 5.3 und 6.2.3 erläutert. Tabelle 2.12 Häufig verwendete Reinigungsverfahren nach [16] Reinigungsverfahren

vorzugsweise Verwendung

entfernte Korrosionsmögliche produkte und Ver1) Reinheit schmutzungen

Strahlen

Spools aus un- und niedriglegierten Stählen

alle

4

Manuelle und mechanische Reinigung vor Ort

Bauteile nicht begehbarer Rohrleitungen < DN 600

Lockerer Rost und Zunder, nichthaftende Partikel

1

Begehbare Rohrleitungen ≥ DN 600

alle, je nach angewendetem Verfahren

Rohrleitungen für Regel-, Schmier-, Hydrauliköl

alle

Beizen demontierter Spools und Remontage

4

2.3 Beachtung der Inbetriebnahme beim Engineering

95

Tab. 2.12 (Fortsetzung) Reinigungsverfahren

entfernte Korrosionsmögliche produkte und Ver1) Reinheit schmutzungen

Beizen mit Säuren im System

HD-Rohrleitungen in Kraftwerken und der Petrolchemie

Alle

4

Ausblasen mit Dampf

Dampfleitungen, heißgehende Produktleitungen

Rost, Zunder, Verschmutzungen

3

Neutralisieren nach dem Beizen

Säurereste

B

Säubern und Sanitisierung von Rohrleitungen

Fluidreste, Bakterien, Kleinstlebewesen

E+F

Ausblasen mit Druckluft

Luftleitungen, Gasleitungen

nichthaftende Partikel

1

Spülen mit Wasser

Flüssigkeitsleitungen

nichthaftende Partikel

1

Spülen mit speziellen Reinigungsmitteln

Passivieren nach dem Beizen

Säurereste

B

Dekonterminieren radioaktiv verseuchter Rohrleitungen

nichthaftende Partikel und Fluidreste

Entfetten von Sauerstoffleitungen

Fette, öle

C

Desinfizieren von Trinkwasserleitungen

Bakterien, Kleinstlebewesen

D

Säubern und Sterilisieren von Sterilrohrleitungen

Fluidreste, Bakterien, Kleinstlebewesen

E+F

Mineralölleitungen, Produktleitungen in Chemieanlagen

Fluidreste, Inkrustierungen

Molchen 1)

vorzugsweise Verwendung

F+G

2

Angaben entsprechen den definierten Reinheitskriterien in Tab. 2.8

c) Reinigungsschritte und notwendige Aufgaben im Engineering Im verfahrenstechnischen Anlagenbau muss, egal um welchen Industriezweig es sich handelt, ein Grundanliegen sein: Die Fertigung und Montage der Anlagenkomponenten hat derart zu erfolgen, dass möglichst keine Verunreinigungen in die Komponenten/Bauteile gelangen. Die Beseitigung der Verunreinigungen ist i.d.R. aufwendiger als deren Vermeidung. Trotz gründlicher Vorkehrungen, die z.B. in einer unternehmensspezifischen Richtlinie bzw. Arbeitsanweisung verbindlich dokumentiert sind, lassen sich unter den realen Bedingungen der Praxis gewisse Verunreinigungen nicht ganz vermeiden, sodass Reinigungsmaßnahmen erforderlich werden. Grundsätzlich lassen sich die folgenden 3 Hauptschritte zur Anlagenreinigung (im Innern) begrifflich und inhaltlich definieren: 1. Schritt: Erstreinigung der Anlagenkomponenten/Bauteile bzw. des Bauwerks/Raumes nach deren Fertigung bzw. Herstellung Die Erstreinigung der Hauptausrüstungen findet beim Hersteller unter seiner Verantwortung und vor der „Freigabe zur Auslieferung“ statt. Der Hersteller reinigt entsprechend den Vorgaben des Bestellers/Auftraggebers, die in Technischen Beschaffungsunterlagen (TBU) bzw. Ausrüstungsspezifikationen fixiert sind.

96

2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

Die Erstreinigung von Rohrleitungen beinhaltet alle Maßnahmen, die zu einer sauberen Vorfertigung der Spools (vorgefertigte Rohrleitungseinheit, die als Ganzes vor Ort transportiert und als Teil eines Rohrleitungssystems montiert wird) dienen. Tabelle 2.13 enthält eine Checkliste möglicher Präventivmaßnahmen [16][19][20]. Verantwortlich für deren Umsetzung ist der beauftragte Rohrbauer. Tabelle 2.13 Maßnahmen zur sauberen Vorfertigung und Montage von Rohrleitungen 1

Bestellung sowie Lieferung der Rohre, Formstücke und Armaturen mit der notwendigen Reinheit (Reinheitsgrad bzw. Reinheitskategorie).

2

Abstimmung der Liefertermine hinsichtlich kurzer Lagerfristen.

3

Prüfung der Verpackung inkl. Verschluss sowie der Reinheit bei Wareneingang; Lagerung gemäß Vorschrift (eingeschweißt, verpackt, Kappen, Deckel, Stopfen) (s. Abb. 2.14).

4

Sachgerechter Transport vom Lager zum Vorfertigungs- bzw. Vormontageort; möglichst kurz vor Fertigungsbeginn

5

Entfernen der Verschlüsse erst kurz vor Fertigungsbeginn

6

Gewährleisten eines strengen Sauberkeitsregimes am Ort der Vorfertigung, wie ▪ konsequente örtliche Trennung von Arbeiten mit C-Stahl (schwarz) und Edelstahl (weiß), ▪ unbedingte Vermeidung von Schmutzeinwirkung durch Baumaßnahmen (kalk-/zementhaltiger Baustaub, Bohrspäne, Schleif-/Flexstaub, Strahlkies), ▪ Eintrag von Luftverunreinigungen (Staub, Laub, Insekten) vermeiden; Fertigung in Werkstatt, Halle, Zelt, Abschirmen mit Planen).

7

Verbot des Ablegens von Materialien und Gegenständen aller Art (Elektroden, Werkzeuge, Schrauben, Muttern, Unterlegscheiben, Dichtungsmaterialien, Getränkebehältnisse, Speisen, Handschuhe, Handy, Besteck) in offene Rohrleitungsenden.

8

Gefertigte Spools auf Verunreinigungen (Schweißperlen, Elektrodenreste, Schmutz, Pasten) und Flüssigkeitsansammlungen (Schwitzwasser, Öl) prüfen; ggf. durch Absaugen, Ausblasen, Beizen mit Nachwaschen und Trocknen) säubern; Öffnungen der Spools verschließen.

9

Maximale maschinelle Vorfertigung (z.B. Orbitalschweißen von Edelstählen) unter sauberen, definierten Bedingungen gemäß Ziff. 6.; Passnähte minimieren.

10 Schweißarbeiten konsequent gemäß Schweißrichtlinie u.a. verbindlicher Vorgaben durchführen; Schweißnaht prüfen, ggf. säubern, nacharbeiten und freigeben. 11 Feld-Montage senkrechter Rohrleitungsabschnitte von oben nach unten ausführen. 12 Vor-Ort-Montagearbeiten (im Feld) und insbesondere Schneid-, Schleif, und Schweißarbeiten minimieren, u.a. durch ▪ Qualitätskontrolle und Freigabe der gefertigten Spools für die Feld-Montage, inkl. Dokumentation der Kontrolle und Freigabe (Template, Isometrie), ▪ Vorsehen von Anschlussflanschen am montierten Rohrleitungssystem, um im Feld nachträglich Armaturen, PLT-Feldgeräte, Sonderbauteile u.ä. einbauen bzw. andere Rohrleitungen/Spools ohne Schweißen anschließen zu können, ▪ möglichst keine bzw. zumindest wenige Änderungen am montierten Rohrleitungssystem.

Von den Hinweisen in Tab. 2.13 sind erfahrungsgemäß die Punkte 6 und 12 von besonderer Bedeutung, im Sinne von:  Wenn Ordnung und Disziplin auf der Baustelle nicht ausreichend gegeben sind, kann auch nicht sauber und schmutzfrei gefertigt und montiert werden.  Wenn nachträglich am montierten Rohrleitungssystem wieder geändert wird, sind Verunreinigungen im System durch Späne, Schleifstaub u.ä. nicht ganz zu vermeiden.

2.3 Beachtung der Inbetriebnahme beim Engineering

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Abb. 2.14 Rohre und Fitting aus Edelstahl (Hygieneklasse H2) für eine Pharmaanlage links: Rohre (elektropoliert) mit Verschlusskappen; in Folie verpackt rechts: T-Stück und Bogen mit Verschlusskappen; in Folie eingeschweißt

Zwecks Umsetzung der angeführten präventiven Maßnahmen zur Erstreinigung sollte der Auftragnehmer (Rohrbauer) eine projektspezifische Arbeitsanweisung „Vorfertigung und Montage von Spools im Projekt XYZ“ erarbeiten, vom Auftraggeber schriftlich bestätigen lassen und konsequent anwenden und durchsetzen. Im Konfliktfall, wenn z.B. durch das Verhalten Dritter die geforderte Reinheit verhindert wird, sind eine Mängelanzeige gegenüber den Verantwortlichen und u.U. die Einstellung der Fertigungs-/Montagearbeiten angeraten. 2. Schritt: Grundreinigung der Bauwerke/Räume sowie der Hauptausrüstungen/Nebenanlagen/Teilsysteme/Anlage nach deren Bau bzw. deren Vor-Ort-Montage im Zeitraum bis zur Mechanischen Fertigstellung Die Grundreinigung beinhaltet alle Reinigungsmaßnahmen der errichteten Bauwerke/Räume bzw. der montierten Hauptausrüstungen (Apparate, Maschinen, Behältern, Tanks) sowie der montierten Rohrleitungssysteme bis zur Mechanischen Fertigstellung (MC). Die Grundreinigung findet während der Bau-/Montagephase unter Leitung des Oberbauleiters/Construction Managers statt. Sie gehört zur Inbetriebnahmevorbereitung. Übliche Reinigungsmaßnahmen, mit denen Reinheitsgrade 2 bis 4 (gemäß Tab. 2.7) erreicht werden, sind (s. auch Tab. 2.11 und 2.12):  Auswischen (trocken oder feucht) der Hauptausrüstungen,  Ausblasen der montierten Rohrleitungssysteme mit Luft oder mit Dampf (z.B. Dampf-/Kraftwerksanlagen); in Ausnahmefällen auch mit Stickstoff,  Ausspülen der Anlage mit Wasser geeigneter Qualität. Die Einschränkungen der Baustelle, vor allem Gefährdungen beim Reinigen, begrenzen die Reinigungsmaßnahmen. Intensivere Maßnahmen, wie z.B. Beizen, Passivieren, Lösungsmittel, chemische Reinigung, werden deshalb meistens erst während der Kalt-Inbetriebnahme im Rahmen der Feinreinigung durchgeführt. Mitunter schränken auch Vorgaben zum Prozess oder der Werkstoff die Reinigungsmöglichkeiten ein. In manchen Verfahren (z.B. in Raffinerieanlagen) ist Wasser nicht erwünscht. Bei Edelstählen können Fe-haltige Partikel oder Ca-haltige Verunreinigungen in Verbindung mit Wasser die Passivschicht zerstören und Korrosion auslösen. Die Maßnahmen der Grundreinigung können erheblichen Einfluss auf das Engineering haben. Sofern sie die Verfahrensplanung beeinflussen, sind sie im „Basic“ zu berücksichtigen; betreffs anderer Fachplanungen spätestens im „Detail“ (s. Tab. 2.14).

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2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

Tabelle 2.14 Beachtung von Maßnahmen der Grundreinigung im Engineering 1 Übergreifende Hinweise  Vorgabe der Reinheitsgrade/-kategorien in Lastenheft, Pflichtenheft, Technischen Beschaffungsunterlagen/Spezifikationen, Verträgen, Bestellungen, IQ-Qualifizierungsplan  spezielle Anforderungen an Reinheit (z.B. für aseptische Pharmaanlagen)  Definition und Eignungsüberprüfung der Medien (Luft, Dampf, Wasser) für das Reinigen  Vorgaben und/oder Einschränkungen bzgl. Reinigungsverfahren  Einbeziehen der Reinigungsprozeduren in die Risikobeurteilungen (s. Abschn. 3.5.2.1)  Vorgaben zur Dokumentation der Reinigungsprozedur und des Reinheitsgrads 2 Auswischen der Hauptausrüstungen (s. auch Abschn. 5.3.1)  Begehbarkeit der Ausrüstung konstruktiv ermöglichen  Öffnen und Verschließen der montierten Ausrüstung minimieren  Absperr- bzw. Absteckmöglichkeit wichtiger Ausrüstungen prüfen und ggf. vorsehen  Notwendigkeit und Möglichkeit der Inertisierung (z.B. abgeblockt unter Stickstoff ) 3 Ausblasen/Ausbersten der montierten Rohrleitungssysteme mit Luft (s. Abschn. 5.3.2)  Ausblasezustände bei Verfahrensplanung berücksichtigen (s. Abschn. 2.3.3)  auszublasende Anlagensysteme grob definieren; Abblock-/Absteckmöglichkeiten planen; u.U. erster Entwurf für Ausblaseprogramm erarbeiten (s. auch Abschn. 5.3.2)  Bereitstellung der Ausblaseluft planen (Netz, Gebläse, Puffer)  zusätzlich benötigte Rohrleitungen, Armaturen, PLT-Feldgeräte usw. identifizieren  Ausblasen der Infrastrukturleitungen (auch OSBL) beachten  Abluftleitung für Ausblaseluft (z.B. Überdach) planen  ggf. Staubabscheider/Schalldämpfer in Abluftleitung planen/konstruieren (s. Abb. 2.15)  klären, wie Reinheit gemessen und dokumentiert wird und Maßnahmen vorsehen 4 Ausblasen der Rohrleitungssysteme mit Dampf (s. auch Abschn. 5.3.2)  analog bzw. sinngemäß wie Anstrich 1 bis 8 unter Punkt 2.  Auslegung/Planen aller Komponenten des Ausblasesystems für Ausblasezustände [16][21] 5 Ausspülen der Anlage mit Wasser (s. auch Abschn. 5.3.3)  auszuspülende Anlagensysteme und Spülkreisläufe definieren; Wechselwirkung mit Komplexen Funktionsprüfungen beachten (s. Abschn. 2.3.5)  zweckmäßige Verfahren der Spülung auswählen; u.U. nach Anlagensystem unterschiedlich  Ausspülen der Infrastrukturleitungen (auch OSBL) beachten  Qualität, Menge des verfügbaren Spülwassers überprüfen; ggf. Sofortmaßnahmen einleiten  Spülzustände bei Verfahrens-/Anlagenplanung berücksichtigen (s. Abschn. 2.3.3), wie z.B. ▪ Gewährleisten einer hohen Durchflussmenge; Druckverluste beachten und minimieren ▪ Eintritt-/Austrittsstutzen sowie Entleerungsstutzen für Spülwasser ▪ provisorische Rohrleitungen und/oder Schlauchverbindungen vorsehen ▪ Auswahl, Beschaffung und Einbau von Sieben (s. Abb. 2.15) ▪ Abblocken/Abstecken der nicht zu spülenden Systeme  Entwurf für Spülprogramm inkl. Vorbereitungsmaßnahmen erarbeiten (s. Abschn. 5.3.3)  ggf. Schmutzabscheider und/oder Sammelbehälter in Spülsystem planen und konstruieren  Entleerung und ggf. Trocknung der gespülten Anlagensysteme planen  klären, wie Reinheit gemessen und dokumentiert wird und Maßnahmen vorsehen 6 Sondermaßnahmen (s. auch Abschn. 5.3.4 und 6.2.3)  Beurteilen welche Sondermaßnahmen zur Anlagenreinigung während der Grundreinigung, d.h. vor Inbetriebnahme möglich und zweckmäßig sind, wie z.B. ▪ Spülen mit Lösungsmitteln, Dieselkraftstoff u.a. (falls Wasser nicht erwünscht) ▪ Beizen und Passivieren; Molchen bestimmter Leitungen  ggf. Planung der zweckmäßigen Sondermaßnahmen

2.3 Beachtung der Inbetriebnahme beim Engineering

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Abb. 2.15 links: Schalldämpfer und Staubabscheider beim Ausblasen (mit eingebauten Lochböden und mit Wasser gefüllt) rechts: Hutsieb mit 0,5 mm Schlitzen und Joint-Ring-Dichtung (PN 250)

In Pharmaprojekten müssen die Reinigungsprozeduren für die Grundreinigung im IQQualifizierungsplan berücksichtigt werden. Wie die Grundreinigung nach der Montage, aber vor der Inbetriebnahme, im Einzelnen durchzuführen ist, wird in Abschnitt 5.3 beschrieben. 3. Schritt: Feinreinigung der Teilanlage/Anlage inkl. der Bauwerke/Räume während der Inbetriebnahme Die Feinreinigung findet während der Kalt-Inbetriebnahme unter Verantwortung des Inbetriebnahmeleiters statt. Typische Begriffe und Maßnahmen während der Feinreinigung (s. Abschn. 6.2.3) sind insbesondere:  Beizen, Passivieren, Neutralisieren,  Derouging,  Sanitisieren, Desinfizieren, Sterilisieren,  CIP, SIP. Im Ergebnis werden Reinheitsgrade 5 bis 7 gemäß Tab. 2.7 erreicht. Ursache dafür, dass die Feinreinigung erst während der Inbetriebnahmephase durchgeführt wird, sind einerseits die damit verbundenen Gefährdungen und andererseits das dafür notwendige Fachwissen über die Anlage und die Reinigungsverfahren. Die beendete und nachvollziehbar dokumentierte Feinreinigung ist Voraussetzung für die Anzeige der Betriebsbereitschaft bzw. den Beginn der Heiß-Inbetriebnahme. In Pharmaprojekten ist während der Funktionsqualifizierung (OQ) zu prüfen und zu bestätigen, dass die feingereinigte Anlage inkl. die GMP-relevanten Komponenten entsprechend den Vorgaben/Akzeptanzkriterien sauber ist. Während der späteren Reinigungsvalidierung ist der dokumentierte Nachweis zu erbringen, dass die bei der Feinreinigung angewandten Reinigungsverfahren zum erwarteten Ergebnis (ausreichende Reinheit) geführt haben (s. Abschn. 1.5.4.2, Buchst. f)).

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2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

Die Engineering-Maßnahmen in Vorbereitung der Feinreinigung sind grundsätzlich ähnlich wie bei der Grundreinigung (s. Punkten 4. bis 6. in Tab. 2.14) zu sehen. Im Detail sind die Reinigungsverfahren und ihre planerische Umsetzung stark vom Zielprodukt sowie den Verfahrens- und Anlagenspezifika abhängig. Soweit in diesem Buch möglich, wird in Abschn. 6.2.3 darauf eingegangen.

2.3.7 Bedienungs- und instandhaltungsgerechte Anlagengestaltung Für eine effiziente Inbetriebnahme ist eine bedienungs- und instandhaltungsgerechte Anlagengestaltung besonders wichtig, da in diesem Zeitraum  Bedienhandlungen verstärkt und insbesondere vor Ort durchzuführen sind,  regelmäßige Anlagenrundgänge, gezielte Inspektionen und Wartungsmaßnahmen in der Anlage erforderlich sind,  gehäuft mit technischen Störungen (z.B. Leckagen, Gerüchen, Schwingungen, erhöhter Schall, unnormale Geräusche), die ggf. nur der Operator diagnostizieren kann, und nachfolgenden Instandsetzungsarbeiten zu rechnen ist,  die Gefahr von Unfällen, Bränden, Explosionen u.ä. besonders akut ist,  zwecks einer schnellen Brandbekämpfung, einer reibungslosen Versorgung von möglichen Verletzten u.a. Sofortmaßnahmen eine gute Zugänglichkeit zur Anlage und innerhalb der Anlage zu gewährleisten ist. In den weiteren Ausführungen dieses Buchs wird angenommen, dass im Engineering eine 3D-CAD-Anlagenplanung in folgenden Stufen stattfindet: 1. Stufe: Grob-Layoutplanung und Lageplanung während der Vorplanung  Die Anlagen-Layoutplanung umfasst alle Engineeringarbeiten, die mit der räumlichen Anordnung der Teilanlagen, Bauwerke, Einrichtungen und Flächen sowie ihrer Hauptverbindungen (Rohrbrücken, Kabeltrassen, Flucht- und Verkehrswege) verbunden sind. Sie wird in enger Abstimmung mit dem Baukonzept durchgeführt.  Die Layoutplanung beinhaltet im Einzelnen, z.B. durch Eintragen ins 3D-Modell: ▪ Entscheidung über die grundsätzliche Gestaltung der Anlage als Freianlage oder Inhouseanlage; gegebenenfalls Mischvariante definieren, ▪ Entscheidung über die Ausführung der Bauwerke in Hoch- und Flachbauweise, ▪ Platzieren der Hochbau- und Stahlbauwerke und eintragen der überschlägliche ermittelten Flächen für Hauptanlage und Nebenanlagen, ▪ Anordnen der Hauptausrüstungen im 3D-Modell, ggf. als Platzhalter (Dummy), ▪ Eintragen der Verkehrs- und Fluchtwege, ▪ Eintragen der Hauptrohrbrücken und -kabeltrassen, ▪ ggf. Hauptrohrleitungen, Hauptarmaturen, Lüftungskanäle u.a. platz- und kostenrelevante Anlagenkomponenten ins 3D-Modell einplanen.  In Abstimmung mit der Layoutplanung erfolgt die Erarbeitung des Lageplans. Im Lageplan wird in einer maßstäbliche 2D-Darstellung gezeigt, wie Werke, Anlagenkomplexe, Anlagen oder Teilanlagen und Verkehrswege lagemäßig zusammengehören. 2. Stufe: 3D-Anlagenentwurfsplanung und Aufstellungsentwurf während des Basic Engineering  Die 3D-Anlagenentwurfsplanung setzt die Layoutplanung entsprechend der Übersicht in Abb. 2.16 fort. Je nachdem, wie ausgeprägt die Vorplanungsphase ist, kann der Übergang zwischen Layoutplanung und 3D-Entwurfsplanung gleitend sein.

2.3 Beachtung der Inbetriebnahme beim Engineering

101

 Grundsätzlich beinhaltet die 3D-Entwurfsplanung i.Allg. folgende Aufgaben: ▪ Strukturieren der Grundfläche entsprechend Lageplan sowie der verschiedenen Ebenen/Bühnen, ▪ Positionieren der Gebäude und Nebengebäude (Werkstatt, Garage, Sozialgebäude), ▪ Positionieren der Stahlbauten (z.B. Rohrbrücken, Stützkonstruktionen für Hauptund Auflageträgern), ▪ Darstellung der Geschosse und Apparatebühnen, ▪ Positionieren der Hauptausrüstungen inkl. Öfen, Kamine, Fackel u.ä., ▪ Positionieren der Rohr- und Kabeltrassen inkl. Stützkonstruktionen, ▪ Planen der Lager-, Abstell- und Reparaturflächen, ▪ Planen der Straßen, Schienen, Wege, Flucht- und Rettungswege, Sammelplätze, Zufahrtswege für Feuerwehr, Parkplätze usw., ▪ Planen der umweltschutz- und sicherheitsrelevanten Einrichtungen, wie Gruben, Tank- und Behältertassen, Wasserentnahmestellen/Hydranten, Löschwasserrückhaltebecken, Ver-/Entladestationen, Frei-/Augenduschen, ▪ Grobplanung der Hauptrohrleitungen, inkl. Stahlträger für Halterungen ▪ Grobplanung ggf. vorhandener Be-/Entlüftungskanäle inkl. Halterung.

Abb. 2.16 Einflussfaktoren und Ergebnisse der 3D-Anlagenentwurfsplanung [1]

 Die angeführten Aufgaben und die Angaben in Abb. 2.16, sowohl das Input als auch das Output, belegen den Zusammenhang zwischen 3D-Anlagenplanung und Inbetriebnahme.

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2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

Zum Beispiel gehören viele der erarbeiteten Dokumente zu den Genehmigungsunterlagen, in denen der Inbetriebnahmezustand als Teil des Bestimmungsgemäßen Betriebs mit betrachtet werden muss.  Aus den 3D-Anlagenentwurf werden u.a. die Aufstellungspläne im Entwurf extrahiert. 3. Stufe: 3D-Anlagenmodell und Detail-Aufstellungsplanung während des Detail Engineering  Während des Detail Engineering wird der 3D-Anlagenentwurf zum 3D-Anlagenmodell detailliert ausgestaltet. Dazu gehören u.a. folgende Arbeiten: ▪ Detailplanung der Rohrleitungen, Rohrleitungsteile, Armaturen, Feldgeräte u.a. Vor-Ort-Komponenten, ▪ Überprüfen und bestätigen der Aufstellungsorte von Apparaten, Behälter, Tanks und Maschinen sowie deren Abstände untereinander, ▪ Detaillierte Dimensionierung der Verkehrswege innerhalb und außerhalb der Gebäude, der Rohr-/Kabeltrassen sowie der Montage-/Instandhaltungswege, ▪ Überprüfen und bestätigen der Feldabmessungen, der Bühnenhöhen, der Gebäudeabmessungen usw., ▪ Darstellen aller Anlagenkomponenten, die sich unter Flur befinden.  Aus dem 3D-Anlagenmodell werden abschließend maßstäbliche 2D-Pläne generiert, wie z.B. Aufstellungspläne, Gefahrenzonenpläne bzw. Ex-Zonenpläne, Oberflächenbefestigungspläne, Unterflursummenpläne. Da die 3D-Anlagenplanung in den meisten Projekten zeitnah zur Fließschemaarbeit startet, müssen auch von Anfang an die inbetriebnahmerelevanten Aspekte berücksichtigt werden. Der erfahrene Anlagenplaner wird aus den vorgenannten Aufgaben während der Vorplanung, Entwurfsplanung und Ausführungsplanung selbst die Wechselwirkungen zur Inbetriebnahme erkennen und im Engineering umsetzten. Für Fachkollegen, die über wenige Inbetriebnahmeerfahrungen verfügen, sind u.U. die spezifischer Hinweise und Forderungen an die Anlagengestaltung/ 3D-Anlagenmodellierung in Tab. 2.15 hilfreich. Zu welchem Zeitpunkt welcher Hinweis relevant ist, muss der Planer entscheiden. Wichtig ist, dass die Inbetriebnahme eine angemessene Beachtung findet. Oftmals ist es schon sehr hilfreich, wenn zeitweilig in das Bearbeiterteam bzw. zu den entsprechenden Fachbesprechungen ein erfahrener Inbetriebnahmeingenieur hinzugezogen wird. Tabelle 2.15 Empfehlungen zur inbetriebnahmegerechten Anlagengestaltung 1

Entsprechend dem Grobablaufplan der Inbetriebnahme ist zu prüfen, welche Teilanlagen vor der Mechanischen Fertigstellung der Gesamtanlage in Betrieb genommen werden müssen (z.B. für das Reinigen oder die Funktionsprüfungen) bzw. sollten (z.B. aus Zeit- und Kostengründen). Das Anlagen-Layout sollte die damit verbundene Gefahrensituation berücksichtigen.

2

Bei der gemeinschaftlichen Erörterung des Anlagen-Layout sollte unbedingt ein erfahrener Inbetriebnahmeingenieur beteiligt sein.

3

Der Aufstellungsplan und falls vorhanden das 3D-CAD-Modell bzw. 3D-Plastikmodell sollten von einem erfahrenen Inbetriebnahmeingenieur auf inbetriebnahmefreundliche Anlagengestaltung/-planung geprüft werden.

4

Bei Vorhandensein eines 3D-CAD-Anlagenmodelles sind sog. weiche Kollisionsprüfungen (Kollision zwischen Anlagenkomponenten und vorgegebenen Bedienungs- bzw. Instandsetzungsfreiräumen) durchzuführen.

2.3 Beachtung der Inbetriebnahme beim Engineering

103

Tab. 2.15 (Fortsetzung) 5

Sensoren und Aktoren müssen für Inspektion, Wartung, Kalibrierung u.ä. zugänglich sein.

6

Prüfpflichtige Komponenten (NOT-STOP-Schalter, NOT-AUS-Schalter, Brandschutzklappen u.ä.) müssen gut zugänglich sein.

7

Die Prozessanalysatoren und Probenahmestellen müssen gut zugänglich sein. Das Analysenlabor sollte möglichst in der Nähe sein.

8

Anlagenteile, die verstärkt Inbetriebnahmehandlungen vor Ort notwendig machen (z.B. Maschinenhaus, Syntheseteil) sollten nicht zu weit vom Leitstand entfernt sein.

9

Aus Sicht durchzuführender Instandhaltungsarbeiten, die insbesondere während der Inbetriebnahme zu erwarten sind, ist zu prüfen, wo Treppen an Stelle von Leitern vorteilhaft sind.

10 Apparatebühnen sind so zu gestalten, dass Flanschverbindungen sowie Mess- und Analyseeinrichtungen am Apparat und den angrenzenden Rohrleitungen gut erreichbar sind. 11 Um das häufige Ab-/Aufsteigen zu verringern, sind an ausgewählten Stellen Übergänge zwischen Bühnen, Podesten, Rohrbrücken, Laufstegen u.ä. vorzugesehen. 12 Inbetriebnahmebedingte Handarmaturen müssen ohne Zusatzmaßnahmen (z.B. Rüstungen, Steiger) bedienbar sein. 13 Inbetriebnahmebedingte Steckscheiben müssen ohne großen Aufwand gesteckt und gezogen werden können. Es ist fallbezogen zu prüfen, ob eine Block-and-Bleed-Armatur oder eine Doppelabsperrung mit Zwischenentleerung vorteilhafter ist. 14 Die Zweckmäßigkeit der Realisierung von Bypass-Leitungen für Hauptausrüstungen (Reaktoren, Kolonnen, Wärmeübertrager) ist aus der Sicht der Inbetriebnahme (Schutz der Ausrüstungen bei Störungen, Reparatur der Ausrüstung während des Betriebes u.a.) im Kreis von Fachspezialisten zu beraten und zu beschließen. 15 Zum intensiven Spülen (z.B. in Verbindung mit Probeläufen von Pumpen) oder zum separaten Betrieb von Teilanlagen sind notwendige Kreislaufleitungen vorzusehen. 16 Spülstutzen (Ein-/Austritt) sowie Drainage- und Entlüftungsstutzen sind in ausreichender Anzahl und Größe sowie an der richtigen Stelle anzuordnen. 17 Es ist zu verhindern, dass sich Anfahrleitungen, Rohrleitungen für Nebenfahrweisen bzw. zum Inertisieren u.ä. mit nichtbestimmungsgemäßem Produkten/Hilfsstoffen füllen können.

Der Autor empfiehlt, die Hinweise in Tab. 2.15 unbedingt  während des Basic Engineering (u.a. beim Erarbeiten der Bedienungs- und Instandhaltungskonzeption),  während der Montagekontrollen (s. Abschn. 5.1.2) und  bei der Auditierung der Inbetriebnahmevoraussetzungen vor der Mechanischen Fertigstellung abzuchecken. Wenn sich Mängel, wie in Abb. 2.17 dargestellt, erst während der HeißInbetriebnahme zeigen, ist es meistens für eine schnelle Korrektur zu spät. Beispiele wie im linken Bild kommen immer wieder vor. Meistens argumentiert der verantwortliche Rohrplaner dann, dass es sich um eine Sonderarmatur handelt, die nur während der Inbetriebnahme per Hand betätigt werden muss. Trotzdem bleibt die Frage: Wie hat sich der Planer die Bedienung vorgestellt? Im rechten Bild handelt es sich um den Verdichter einer Kälteanlage, die als Packageunit geliefert wurde. Die Regelarmatur war handbetätigt mittels einer Kette zu verstellen.

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2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

Um dabei genügend Kraft anwenden zu können, muss der Operator u.U. über die Saugleitung in die sehr laute Maschine steigen. Da der Mangel frühzeitig während der Montage erkannt wurde, konnte noch rechtzeitig vor Inbetriebnahme eine andere, ferngesteuerte Armatur eingebaut werden.

Abb. 2.17 links:

Nicht-bediengerechte und nicht-sicherheitsgerechte Anordnung zweier handbetätigter Klappen in einer Rohrleitung rechts: Nicht-bediengerechte und nicht-sicherheitsgerechte Ausführung der Ventilbetätigung an einem Verdichter

Werden Teilanlagen als Package-Units eingekauft, so muss man wissen, dass viele Package-unit-Hersteller früher Maschinenbauer oder Apparatebauer waren. Sie haben sich unternehmerisch entschlossen bzw. wurden vom Markt gezwungen, zukünftig auch komplette Anlagen, inkl. Rohrleitungen, EMSR-Feldtechnik, Steuerungen, Stahlbau usw. zu planen, zu fertigen und zu montieren. Dafür sind aber einige Unternehmen nicht bzw. noch nicht aufgestellt. Man erkennt in diesen Fällen an der Packe-unit-Anlage noch die „Handschrift“ des Konstrukteurs. Für den Konstrukteur steht die Ausrüstung im Focus. Er denkt primär an die Festigkeit und die Fertigung. Der Planer hat im Unterschied dazu, vorrangig den Prozess und die Anlage im Blick. Er denkt verstärkt an die Funktion und die Nutzung inkl. Service. Zusammenfassend lässt sich daraus folgern: Bei Package-units muss der Realisierung einer inbetriebnahmegerechten Konstruktion und Planung, z.B.  in der Anfragespezifikation,  bei den Qualitätskontrollen zum Engineering,  bei der Fertigung und der Montage,  bei den Montagekontrollen durch den Betreiber  beim Erarbeiten der Inbetriebnahmeanleitung sowie der Inbetriebnahmeanweisungen, besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden.

2.3 Beachtung der Inbetriebnahme beim Engineering

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Beispiel 2.6 Inbetriebnahmestörung durch fehlende Einheit von bedienungs- und inbetriebnahmegerechter Planung(s. Abb. 2.18) Beim PAREX-Verfahren zur adsorptiven n-Alkangewinnung im Siedebereich C10 bis C20 aus einer Dieselkraftstofffraktion fällt während der Adsorption am Austritt des Adsorber ein Gasgemisch (ca. 380 °C) bestehend aus Denormalisat (entparaffinierter Dieselkraftstoff, Stockpunkt: -48 bis -55 °C), Wasserstoff (Adsorptionsbegleitgas) und Ammoniak (Desorptionsmittel an). Im anschließenden Gaskreislauf wird zunächst in der Kühlkolonne K2 das Denormalisat kondensiert und abgeschieden und danach das Wasserstoff-Ammoniak-Gasgemisch (ca. 90000 m3i.N/h der sog. Pufferkolonne K8 (ø=3600 mm; H=3780 mm) zugeführt.

 Abb. 2.18 Vereinfachtes Verfahrensschema der Pufferkolonne mit Kreislaufverdichter

Die Kolonne K8 besteht aus 31 Spezialböden, auf denen sich insgesamt ca. 250 m 3 Ammoniakwasser befindet. Sie dient zur Glättung der prozessbedingten Konzentrations- und Dichteschwankungen im Gasstrom vor dem Kreiselverdichter V1. Während der Ammoniakgehalt im Gasstrom (ca. 55000 m3 i.N./h) zu Beginn der Adsorption ca. 90 Vol-% beträgt, verringert er sich am Ende der Adsorptionsphase auf ca. 10 Vol-%. Beim Wasserstoffgehalt ist es umgekehrt. Entsprechend stark verändern sich die Gasdichte und der Massestrom. Der Verdichter V1 (2,8 MW; ohne Frequenzumrichter) kann derartige Leistungsschwankungen nicht verkraften. Die Pufferkolonne K8 löst das Problem, indem sie den Ammoniakgehalt im Gasstrom vergleichmäßigt. Zu Beginn der Adsorption wird Ammoniak im Wasser absorbiert und gegen Ende aus dem Ammoniak-Wasser desorbiert. Da geringe Mengen Kohlenwasserstoff-Dämpfe mit den Gas in die K8 gelangen und im Wasser abgeschieden werden, muss eine gewisse Menge Öl-Wasser-Gemisch von der Sumpfoberfläche abgeskinnt werden. Das ausgekreiste Gemisch wird in einer Teilanlage zur NH3-Wasseraufbereitung vom Öl und Ammoniak befreit und Großteils wieder am Kopf der K8 zurückgeführt. Beim Anfahren des Kreiselverdichters V1 sowie des gesamten Gaskreislaufs wurde die Pufferkolonne K8 zunächst im Umgang (Bypass; strich-punktiert) gefahren. Dies war notwendig, um a) den Verdichter (ohne Frequenzumrichter) bei einen möglichst geringen Anlagenwiderstand anzufahren (s. auch 6.3.2.3).

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2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

b) die Gasmenge und den Druckverlust (∆p= ca. 2,5 bar) über die Kolonne K8 langsam hochfahren zu können. Dadurch sollten beim Anfahren „Druckstöße“ in der Kolonne sowie die Gefahr des Mitreißens von Flüssigkeit ausgeschlossen werden. Aus Gründen der besseren Bedienbarkeit der Bypass-Armatur (Handschieber)wurde in der realisierten Anlage die Bypass-Leitung, wie in Abb. 2.18 skizziert, bis auf das Nullniveau nach unten gezogen. Beim Anfahren des Verdichters wurde die Bypass-Schieber geöffnet, d.h. die Kolonne K8 zunächst nicht in den Gaskreislauf eingebunden. Dies war prozesstechnisch möglich, da zu diesem Zeitpunkt auch die Adsorber noch umfahren wurden und somit keine zyklischen Konzentrationsschwankungen auftraten. Sobald der Gaskreislauf stabil in Betrieb war, wurde der Bypass-Schieber langsam geschlossen und damit die Kolonne K8 vorsichtig in den Gaskreislauf „eingehangen“. Soweit zur erstmaligen Anfahren, welches planmäßige funktionierte. Das Problem stellte sich aber im Verlauf der weiteren Heiß-Inbetriebnahme ein. Nach einer längeren Anlageabstellung, die auch die Teilanlage zur NH3-Wasser-Aufbereitung betraf, kam es beim Anfahren des Gaskreislaufs mit Verdichter V1 zur Sicherheitsabschaltung des V1 wegen Hochstand LIAE1-HH 1 im Flüssigkeitsabscheider B1. Die Analyse dieser Abschaltung ergab folgendes:  Bei Abstellungen des Verdichters V1 und der Teilanlage „NH3-Wasser-Aufbereitung“ liefen die unteren Böden der Pufferkolonne K8 teilweise leer. Dadurch stieg der Sumpfstand bis über den Gaseintrittsstutzen, sodass die Bypass-Leitung unterhalb des Stutzens mit Ammoniak-Wasser volllief.  Beim Anfahren des Kreiselverdichters V1 über die Bypass-Leitung erfolgte ein Herausdrücken des „Flüssigkeitspfropfens“ aus der Rohrsenke (DN 300, mehrere Meter lang) in den nachgeschalteten Abscheider B1. Dadurch wurde der zulässige Hochstand LIAE1-HH überschritten und der Verdichter sicherheitsgerichtet abgeschaltet. Zur Behebung dieses Mangels wurde die Bypass-Armatur oberhalb des Gaseintrittsstutzens so eingebunden, dass sie von einer Bühne aus bedienbar war. Zur technischen Umsetzung musste die Anlage mehrere Tage außer Betrieb genommen werden. Die Erfahrung aus dem Beispiel 2.6 hat letztlich den Checkpunkt 17 in Tabelle 2.15 bewirkt.

2.3.6 Gewährleisten einer inbetriebnahmefreundlichen Prozessleittechnik (PLT) Die Prozessleittechnik (PLT) wird als übergreifende Fachdisziplin verstanden. Sie vereint alle Fachdisziplinen/Gewerke, die elektrischen Strom (ggf. unterschiedlicher Spannungsebenen) nutzen. Dieses Begriffsverständnis setzt sich zunehmend in der Fachliteratur und Praxis durch, muss aber im Projekt vereinbart werden. Entsprechend dieser Festlegung umfasst die Prozessleittechnik ganzheitlich die nachfolgend angeführten Komponenten und Einrichtungen. Mess-/Steuer-/Regeltechnik und Prozessleitsystem (MSR/PLS)  PLT-Feldtechnik für Prozess  Brand- und Rauchmelder sowie Gaswarneinrichtungen vor Ort  Komponenten für die Signalübertragung zwischen Feld und Warte und umgekehrt  Prozessnahe Komponenten (Central Prozessing Unit/CPU)

2.3 Beachtung der Inbetriebnahme beim Engineering

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 Prozessleitsystem (PLS), inkl. Prozessleit-, Betriebsleit- und Unternehmensleitebene; als die eigentliche leittechnische Systemkomponente (s. Abb. 5.21 in Abschn. 5.5.2.3)  Stromversorgung der PLT-Geräte und PLT-Einrichtungen, inkl. USV (Unterbrechungsfreie Spannungsversorgung)  Instrumentenluft(Steuerluft)-Versorgung der PLT-Geräte  PLT-Ortswelt (Wartenräume, Schalträume, Vor-Ort-Stationen u.ä.)  PLT-Infrastruktur (Kabeltrassen, Kabelschächte, Kabelrohre u.ä.) Elektrotechnik (ET)  Stromeinspeisung, Umspannstationen, Hochspannungsschaltanlagen  Trafostationen, Mittelspannungsschaltanlagen  Stromversorgung der elektrischen Verbraucher  Notstromversorgung  Kabeldimensionierung und -verlegung  Beleuchtung  elektrische Begleitheizung  Blitzschutz und Erdung  elektrischer Explosionsschutz  kathodischer Korrosionsschutz Nachrichtentechnik (NAT), Prozessanalysentechnik (PAT), Laboranalysentechnik (LAT)  innerbetriebliche Kommunikation (Telefon, Sprechfunk, Internet, Bereitschaftsdienst)  außerbetriebliche Kommunikation (Nachbarbetriebe, Feuerwehr, Kommune)  Auswahl der Analysenmethoden und -geräte für Prozess- und Laboranalytik  Planen der Installation der Prozessanalysentechnik  komplexe Planung des Betriebslabors inkl. der Laboreinrichtungen und -geräte Eine mögliche Grobstrukturierung der PLT-Dokumentenarten, wobei nur einige Dokumentenarten beispielhaft dargestellt sind, zeigt Abb. 2.19.

 Abb. 2.19 Grobstrukturierung der Dokumentenartenarten der PLT-Technik

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2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

Die Prozessleittechnik ist eine sehr wichtige Fachdisziplin, sowohl für die gesamte Projektabwicklung als auch für die Inbetriebnahme. Sie macht nicht nur ca. 30 Prozent der Investitionskosten aus, ihre Realisierung ist auch fast immer zeitkritisch für den Endtermin und die Vertragserfüllung. Inhaltlich stellt die Prozessleittechnik die Kommunikation innerhalb der Anlage und nach außen sicher und versorgt alle elektrischen Verbraucher mit der notwendigen Antriebsenergie. Darüber hinaus ist sie sehr sicherheits- und prozessrelevant. Im Weiteren wird aus Sicht der Prozessleittechnik auf einige Spezifika sowie auf einige Trends und ihre Auswirkungen auf die Inbetriebnahme eingegangen. a) Besonderheiten der Inbetriebnahme betreffs der Prozessleittechnik  Die Prozessleittechnik ist eine Fachdisziplin, die sich schnell entwickelt und verändert. Die stellt hohe Anforderungen an die Fortbildung des Inbetriebnahmepersonals um „up to date“ zu bleiben (s. auch Buchst. b)).  Zahlreiche Informationen fallen während der Inbetriebnahme erstmalig an und müssen schnell vom Personal wahrgenommen und verarbeitet werden.  Bedienhandlungen sind wesentlich mehr als im Normalbetrieb, von Hand und/oder vor Ort auszuführen. In diesem Zusammenhang benötigt der Operator häufig auch aktuelle Prozessinformation vor Ort.  Die Werte vieler Mess-, Regel-, Stellgrößen liegen im unteren Teil bzw. außerhalb der Anzeige- und Arbeitsbereiche von Mess- und Regelorganen.  Die Regelstrecke ist vergleichsweise kompliziert und ihr Übertragungsverhalten, z.B. ▪ Zeitverzögerungen, Totzeiten, ▪ Druckverlust der Strecke im Verhältnis zum Druckverlust am Regelorgan, ▪ Einfluss von Störungen und Rückkopplungen auf das Stabilitätsverhalten des Regelkreises im Allgemeinen nur näherungsweise bekannt. Die Unwägbarkeiten bezüglich des Prozess- und Anlageverhalten sind entsprechend hoch.  Die Regelkreise sind während der Inbetriebnahme erheblichen Störungen ausgesetzt. Die Inbetriebnahme ist ein dynamischer Übergangsvorgang, der durch schritt-weises Verstellen der Sollwerte (z.B. über Rampenfunktionen bei Steuerungen oder bei Regler auf Automatik) bzw. der Stellwerte (bei Regler auf Hand) in den Sollbereich gefahren wird. In vielen Projekten wird die Anlage erstmalig „von Hand“ angefahren. Das heißt, der Mensch realisiert während der Inbetriebnahme bewusst Regelabweichungen durch Sollwertverstellungen.  Die elektrischen Motoren unterliegen während der verschiedenen Fahrweisen großen Lastschwankungen.  Die Anfahrströme liegen bei Drehstrom-Asynchronmotoren, die in über 90 % der Fälle zum Einsatz kommen, wesentlich über den Nennstrom (bis zum 6 – 10fachen für Motor mit Pumpe und Medium). Dies kann beim Anfahren zu einer unzulässigen Wärmebildung in der Motorwicklung führen, insbesondere bei Einsatz im explosionsgefährdeten Bereich. Bem.: Planerische Möglichkeiten dem entgegen zu wirken, sind: 1.) Nutzung eines Frequenzumrichters (FU) ▪ Der Frequenzumrichter verändert die Frequenz und Amplitude der Wechselspannung. Durch Parametrierung kann er an unterschiedliche Drehzahlen, Drehmomente, Anfahrströme usw. angepasst werden. ▪ Durch das sanfte Anfahren bei geringer Drehzahl verringert sich die ther-

2.3 Beachtung der Inbetriebnahme beim Engineering

109

mische und mechanische Beanspruchung des Motors. Im Vergleich zur konventionellen Drosselregelung verdoppelt sich der Wirkungsgrad in etwa und die Laufgeräusche vermindern sich deutlich. ▪ Ein wiederholtes Anfahren ist möglich, ohne dass die Gefahr unzulässig hoher Wicklungstemperaturen und einer temperaturbedingten Motorabschaltung (über Temperaturbegrenzer nach ATEX) besteht. ▪ Ein Frequenzumrichter wird vorrangig dann eingesetzt, wenn über die Motordrehzahl der Durchsatz geregelt werden soll oder wenn eine prozessrelevante Anfahrsteuerung gefordert wird. ▪ Bei Frequenzumrichtern mit hoher Leistung (über 1 MW) kommt es u.U. zur merklichen Wärmebildung in den sog. Sperrkreisen des FU. 2.) Nutzung eines Sanftstarters bzw. Sanftanlaufgeräts ▪ Diese Geräte begrenzen den Einschaltstrom beim Anfahren, z.B. durch Bereitstellen einer geringeren Spannung. ▪ Die Sanft Starter wirken, im Unterschied zum Frequenzumrichter, nicht durch die Absenkung der Drehzahl. Sie sind aus diesem Grund nicht zur Mengenregelung im Prozess geeignet.  Die Qualitätskontrollen und Funktionsprüfungen zur Prozessleittechnik sind sehr zeitund kostenintensiv. Sie finden überwiegend gegen Ende der Errichterphase statt, wenn für alle Fachkräfte ein erheblicher Leistungs- und Zeitdruck existiert.  Die Funktionsprüfungen des Prozessleitsystems (PLS), die während des FAT (Factory Acceptance Test) und SAT (Site Acceptance Test) ausgeführt werden, sind i.Allg. nur eine Stichproben-Prüfung (s. Abschn. 5.5.2.3). Eine 100 %-Funktionsprüfung ist in vielen Projekten, z.B. bei komplexen Leitsystemen mit mehreren Leitebenen, vielen PLT-Stellen und umfangreichen Anfahrsteuerungen zeitlich und finanziell nicht realisierbar. Entsprechend groß ist das Restrisiko, dass Fehler im PLS erst während der Heiß-Inbetriebnahme erkannt werden.  Bezogen auf die Prozessleittechnik inkl. PLS gilt vorrangig die Herausforderung: Das Engineering und die Realisierung der prozessleittechnischen Aufgaben müssen während der Projektabwicklung (Vertrag, Gewährleistung, Schnittstellen, Verantwortung, zeitnahe Qualitätskontrollen, Dokumentation usw.) so organisiert und ausgeführt werden, dass möglichst keine Fehler passieren.  Einzelne praxisnahe Funktionsprüfungen zur Prozessleittechnik, die u.a. Originalprodukte und die wirklichen Betriebsbedingungen erfordern, sind oftmals erst während der „heißen“ Inbetriebnahme möglich. Als Beispiel seien die Funktionsprüfungen der NOT-HALT-Schalter und NOT-AUS-Schalter/Steuerung genannt.  Die Prozessanalysentechnik (PAT) liefert mitunter zu Beginn keine belastbaren Messwerte und muss mit der Laboranalysentechnik (LAT) abgeglichen werden. Der Fachplaner und der Inbetriebnehmer müssen diese Besonderheiten beachten. Zur Unterstützung sind in Tab. 2.16 einige Hinweise zur inbetriebnahmespezifischen Anpassung der Feldtechnik angeführt. Weitere Empfehlungen sind unter Buchst. c) gemacht. b) PLT-Trends und neue Herausforderungen  Aus Kostengründen werden immer weniger Prozessparameter, die für den FeldOperator während der Inbetriebnahme wichtig sind, vor Ort angezeigt (s. Abb. 2.20). Der Inbetriebnehmer muss sich auf die zeitaufwendigere und fehleranfälligere Kommunikation (Worki-torki, Telefon) mit der Warte einstellen.

110

2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

Tabelle 2.16 Möglichkeiten zur inbetriebnahmegerechten Planung/Anpassung der Feldtechnik 1

Vor-Ort-Anzeige (u.U. redundant zur Warte) von Messwerten (z.B. mittels Manometer, Glasthermometer, Amperemeter), die mit Bedienhandlung vor Ort in Verbindung stehen.

2

Wechsel der Ventil-Sitz-Paarung von Regelventilen, um deren Arbeitsbereich den Inbetriebnahmebedingungen anzupassen. In Extremfällen ist während der Inbetriebnahme auch der Einbau eines sog. Anfahrregelventils möglich.

3

Nutzung der Umgänge und/oder der Blockarmaturen am Regelventil bzw. Einbau von Drosselscheiben, um das Regelventil in seinen stabilen Arbeitsbereich zu bringen.

4

Nutzung mobiler oder temporärer Messtechnik vor Ort.

5

Häufigere Durchführung von Laboranalysen, wenn beispielsweise die tatsächlichen Konzentrationen nicht im Messbereich des Prozessanalysators liegen.

 Abb. 2.20 links: Analoge Füllstandsanzeige mit Schwimmerkörper und Reed-Ketten (zunehmend aus Kostengründen nicht mehr ausgeführt) rechts: Vor-Ort-Schalteinheit einer Pumpe ohne eingebautes Amperemeter

 Vollzogene bzw. neuere Entwicklungen, wie z.B. ▪ die Signalübertragung vom Feld in die Warte und umgekehrt erfolgt zunehmend als digitales Signal (statt eines analogen, 4-20 mA-Einheitssignals) und mittels Feldbus (als 2-Leiter-Kabel in Kupfer) und/oder als Lichtwellenleiter (LWL) (s. Tab. 2.17). Bem.: Da die digitalen Signale seriell übertragen werden, wird innerhalb der Zykluszeit der Datenabfrage jede Größe nur einmal übertragen. Bei einer Zykluszeit von beispielsweise 500 ms kann diese Abfragehäufigkeit für die sicherheitsgerichtete Überwachung/Steuerung oder Regelung einer sehr dynamischen Prozessgröße zu gering sein. In diesen Fällen muss die Anzahl der übertragenen Signale reduziert werden; im Extremfall nur 1 Signal pro PNK und Feldbus.

2.3 Beachtung der Inbetriebnahme beim Engineering

111

Tabelle 2.17 Vor- und Nachteile von Kupfer-Feldbus- und Lichtwellenleiter-Feldbuskabel Kupfer-Feldbuskabel  geringere Kosten für Anschaffung/Montage  gute Möglichkeit zur Übertragung der Hilfsenergie an die Feldgeräte  weniger eingeschränkter Biegeradius  pro Querschnitt geringere Signaldichte möglich  größere Dämpfung (schlechter geeignet für lange Strecken)  empfindlich gegen elektro-magnetische Felder  schlechter hinsichtlich der Zündschutzart „Ei-gensicher“  geringere Reparaturkosten bei mechanischer Beschädigung/Zerstörung

LWL-Feldbuskabel  höhere Kosten für Anschaffung/Montage  eingeschränkte Möglichkeit zur Übertragung von Hilfsenergie an die Feldgeräte  eingeschränkter Biegeradius  pro Querschnitt bis 3-fach größere Signaldichte möglich  geringere Dämpfung bei Übertragung (gut geeignet für lange Strecken)  unempfindlich gegen elektro-magnetische Felder  besser hinsichtlich der Zündschutzart „Eigensicher“  höhere Reparaturkosten bei mechanischer Beschädigung/Zerstörung

▪ der Einsatz von „intelligenten“ Feldgeräten, ▪ die drahtlose Datenübertragung mittels WLAN (Wireless Local Area Network), ▪ Failsafe-Steuerungen, ▪ Nutzung validierter Softwaremodule für sicherheitsgerichtete Steuerungen, ▪ zunehmender Einsatz von Frequenzumrichtern/Sanftstarter, müssen beobachtet, analysiert und u.U. genutzt werden. Sie zwingen den Planer und Inbetriebnehmer, den Stand der Technik zu verfolgen und sich fortzubilden.  In verfahrenstechnischen Anlagen werden zunehmend prozessgerichtete Anfahrsteuerungen für Teilanlagen aber auch für Gesamtanlagen realisiert, die mittels sog. Schrittketten-Steuerungen bestehend aus bis zu mehreren Tausend Einzelschritten die Anlage „per Knopfdruck“ und weitgehend automatisiert anfahren. Diese komplexen Steuerungen stellen große Herausforderungen für Beteiligte, wie Projektmanager, PLT-/Prozessplaner, PLS-Programmierer und Inbetriebnehmer, dar. Einige dieser neuen Anforderungen und Hinweise für deren Bewältigung sind: 1) Da die Anfahr-/Abfahr-/Umfahrprozeduren im Basic Engineering bzw. im Detail Engineering in einer prozess- und/oder zeitgeführten Schrittketten-Steuerung abgebildet werden muss, verlagern sich de facto ein Teil der Inbetriebnahmetätigkeiten in den Planungszeitraum. 2) Die Planung der prozessgerichteten Steuerung ist im Team (Tandem) von Prozessund PLT-Planer detailliert zu erarbeiten. 3) Die Planungsergebnisse der Steuerungen sind u.a. in Funktionsplänen, UrsacheWirkungs-Listen und Grundfunktionsbeschreibungen zu dokumentieren. Die Darlegung muss auch für Dritte, z.B. Programmierer, eindeutig sein. Die grafische Darstellung einer Anfahrsteuerung als Funktionsplan, die den Normen in [8][22][23] über Programmier-/Spezifikationssprachen für Steuerungen folgt, zeigt Abb. 2.21. Im konkreten Fall kann es für das Verständnis der Funktionsdarstellung gemäß Abb. 2.21 vorteilhaft sein, wenn in die grafische Darstellung noch ergänzende textliche Erläuterungen und Ergänzungen, ähnlich wie in einer Betriebsanweisung, eingefügt werden.

112

2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

 Abb. 2.21 Anfahrsteuerung (Auszug) einer Package-unit (Wasser-Entgasungsanlage)

4) Sehr vorteilhaft ist die Nutzung von Funktions- und Programmierbausteinen (sog. Steuerungs-Typicals), die definierte, bewährte und weitgehend standardisierte Steuerungsaufgaben (z.B. Anfahren eines Rührwerks) grafisch darstellen und ggf. auch textlich beschreiben. Dadurch werden u.a. ▪ der Planungs- und Programmieraufwand reduziert, ▪ die Schnittstellen und Fehlermöglichkeiten verringert, ▪ der Aufwand für die Funktionsprüfung FAT/SAT (s. Abschn. 5.5.2.3) verkleinert. 5) Die Schnittstelle zwischen PLT-Planer und PLT-Programmierer ist im Hinblick einer Fehlervermeidung einerseits sehr wichtig, aber andererseits auch sehr sensibel. Ihre eindeutige, unmissverständliche und kontrollierbare Ausgestaltung muss im Mittelpunkt von Qualitätssicherungsmaßnahmen des Projektmanagements stehen. Beispielsweise sind zur inhaltlichen Darstellung der PLT-Planungsergebnisse solche Dokumentenarten zu nutzen, die in ihrer Aussage, auch im Fall der Übersetzung in andere Sprachen, eindeutig sind. 6) Die Vorgaben an den Programmierer müssen derart strukturiert und fachlich konkret sein, dass sie zugleich als Sollvorgaben für spätere Qualitäts- und Funktionsprüfungen dienen können.

2.3 Beachtung der Inbetriebnahme beim Engineering

113

7) Die möglichen Qualitätssicherungsmaßnahmen bezüglich der Anfahrsteuerung müssen gut durchdacht und geplant werden. Insgesamt erfordert diese anspruchsvolle Zielstellung eine enge Teamarbeit unter Mitwirkung eines erfahrenen Inbetriebnehmers. Es gilt die leidvolle Erfahrung: Programmierfehler in komplexen prozessgerichteten Steuerungen lassen sich vor der Inbetriebnahme, trotz FAT (Factory Acceptance Test) und SAT (Site Acceptance Test (s. Abschn. 5.5.2.3), nur sehr schwer finden und nur begrenzt eliminieren. Sie erkennt und beseitigt häufig erst der Inbetriebnehmer in mühevoller Arbeit und mit hohem Zeit- und Kostenaufwand während der Kalt- und Heiß-Inbetriebnahme. c) Weitere Erfahrungen und Empfehlungen für eine inbetriebnahmegerechte Prozessleittechnik  Während des Basic Engineerings sollten der Verfahrens- und PLT-Planer zusammen die Aufgaben der PLT-Entwurfsplanung gemäß dem Workflow in Abb. 2.22 checken und die Frage beantworten: Welchen Einfluss haben die spezifischen Fahrweisen und Betriebszustände während der Inbetriebnahme, insbesondere der Heiß-Inbetriebnahme, auf die PLTPlanungsleistungen inkl. Erarbeitung der angeführten Dokumentenarten?  Die Übersicht und Schnelligkeit bei der Informationsdarstellung bzw. -verarbeitung erfordern eine „selektive Information“. Das heißt, die Programmierung von Bildern, Gruppen- und Übersichtsdarstellungen am Bedienrechner des Prozessleitsystems, die für die Inbetriebnahmeerfordernisse „maßgeschneidert“ sind, kann bei komplexen Anlagen günstig sein. Interessant ist z.B. die Darstellung von Kennlinienfeldern.  Aus Kostengründen werden selten benötigte Armaturen (und die „Inbetriebnahmearmaturen“ sind meistens solche) als manuell bedienbar (sog. Handarmaturen) ausgeführt. Dabei sind z.T. erhebliche Kräfte zu überwinden, die man beachten muss. Zum Beispiel ist das Schließen/Öffnen größerer gasdichter Klappen ohne Hebelverlängerung kaum zumutbar. In anderen Fällen, wo Armaturen in Leitungen größeren Nenndurchmessers mit Handgetriebe vorgesehen sind, muss beachtet werden, dass der Schließ-/Öffnungsvorgang seine Zeit dauert.  Die Bedienhandlungen vor Ort müssen mit denen in der Warte koordiniert werden. Dies kann zweckmäßig über mobile Funkanlagen bzw. einen stationären Sprechfunk, der u.a. aus Sicherheitsgründen vorgesehen wird, erfolgen. Der Geräuschpegel der Anlage ist dabei zu beachten.  Egal ob die Anlage im konkreten Fall „von Hand“ oder „per Knopfdruck“ automatisch angefahren wird, der Mensch steht während der Inbetriebnahme im Mittelpunkt des Geschehens. Die Prozessleittechnik muss ihn dabei wirkungsvoll unterstützen.  Zur Störungsdiagnose sind ausreichend Mess- und Probenahmestutzen inkl. Anschlussmöglichkeit sowie mobile Messmöglichkeiten (z.B. Ultraschall-Durchflussmessgerät, Anlegethermometer, Manometer, Endoskop, Thermokamera) einzuplanen.  Eine Hauptaufgabe der Anlagen-Messwarte ist die Bereitstellung eines geschützten Prozessführungszentrums, welches alle äußeren Störungseinflüsse vom Wartenpersonal fernhält. Die Bedingungen während der In- und Außerbetriebnahme sollten dabei unbedingt Beachtung finden. Große Warten, die während der Inbetriebnahme zum Teil „Marktplätzen“ ähneln, sind dafür schlechte Beispiele.

114

2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung



 Abb. 2.22 Ablauf und Ergebnisse der PLT-Entwurfsplanung [1]

In Verbindung mit der zunehmenden Entwicklung der Messwarten verfahrenstechnischer Anlagen zu „Computerstationen“ sei jedoch auch vor der folgenden Unterschätzung gewarnt. In dem Maße, wie Anzeige-, Steuerungs- und Regelfunktionen u.v.a. in der Prozessleittechnik per Computer realisiert werden, ist die Anpassung dieser o.g. Funktionen an die Bedingungen der Inbetriebnahme einfacher möglich. Der Inbetriebnahmeingenieur kann mit Hilfe der Software des Prozessleitsystems vergleichsweise schnell Änderungen vornehmen. Andererseits darf diese höhere Flexibilität der Prozessleittechnik nicht dazu führen, dass man die Spezifika und Anforderungen der Inbetriebnahme bei der PLT-Fachplanung unterschätzt. Dies bewirkt dann nicht selten eine große operative Hektik und Überlastung der Spezialisten während der Inbetriebnahme. Fehler und Störungen sowie Zeitverzögerungen und Mehrkosten sind die Folge.

2.4 Dokumentation und Inbetriebnahmedokumente Die Kosten für die gesamten Dokumentationsleistungen in einem Neubau-Projekt, vom Lastenheft bis zum Dauerbetrieb, betragen ca. 5 bis 9 Prozent der Investitionssumme (Anlagenneuwert) [22]. Bei Um- und Ausbauinvestitionen in Altanlagen können sie anteilig auf über 10 Prozent ansteigen.

2.4 Dokumentation und Inbetriebnahmedokumente

115

Die Dokumentationsleistungen beeinflussen nicht nur wesentlich die Wirtschaftlichkeit des Gesamtprojekts, sondern sind selbst ein nicht geringer Kostenfaktor. In der Praxis wird nicht selten die Bedeutung der Dokumentation aber auch das Wissen, das zur erfolgreichen Bewältigung der Dokumentationsthematik erforderlich ist, unterschätzt. Das Inbetriebnahmeteam übernimmt die Dokumentation vom Baustellenleiter zum Zeitpunkt Mechanische Fertigstellung und nutzt sie für eine rechtskonforme und sachkundige Inbetriebnahme. Zugleich sind vom Team die aktuellen technischen Änderungen in die Dokumentation einzupflegen und neue Inbetriebnahmedokumente zu erarbeiten und einzuordnen (s. Abschn. 6.10.2).

2.4.1 Lebenszyklus und Begriffsdefinitionen zur Dokumentation Die Gesamtdokumentation einer verfahrenstechnischen Anlage dient grundsätzlich als Träger und Vermittler von Informationen im Umgang mit der Anlage. Sie durchläuft analog zur Anlage ebenfalls einen Lebenszyklus, der in Abb. 2.23 veranschaulicht ist.

Abb. 2.23 Lebenszyklus der Dokumentation einer verfahrenstechnischen Anlage

Die Dokumentation muss den Änderungen im Leben einer verfahrenstechnischen Anlage ständig angepasst werden. Gemäß dem Anlagen-Lebenszyklus ist sie anfangs eine Engineering-Dokumentation und wandelt sich danach während der Beschaffung und Baustellenabwicklung zu einer Errichter-Dokumentation. Mit Beginn der Inbetriebnahme und im Dauerbetrieb dient sie als BetreiberDokumentation, um letztlich am Ende der Anlagen-Lebensdauer als RückbauDokumentation genutzt und archiviert zu werden.

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2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

Diese Begriffe drücken aus, in welcher Phase ihres Lebens sich die Gesamtdokumentation befindet und wer für sie aktuell verantwortlich und zuständig ist. Man erkennt in Abb. 2.23 zugleich auch die wesentlichen Tätigkeiten und Schnittstellen, die im ganzheitlichen Dokumentationsprozess typisch sind. Aus Sicht der Inbetriebnahme sind besonders relevant:  das Vorhandensein einer ausreichend vollständigen und aktuellen Gesamtdokumentation (sog. Inbetriebnahmedokumentation) zum Zeitpunkt Mechanische Fertigstellung (s. Abschn. 2.4.3 und 5.8.1, Buchst. d)),  die Ergänzung und Pflege der Dokumentation während der Inbetriebnahme,  die Fertigstellung, Lieferung und Abnahme der „Gesamtdokumentation der Anlage“ mit dem Status „as-built“ (sog. AS BUILT-Dokumentation) (s. Abschn. 6.10). Eine Zusammenstellung wichtiger Begriffsdefinitionen zur Dokumentationsthematik, die z.T. den Glossar ergänzen, enthält Tab. 2.18. Tabelle 2.18 Zusammenstellung von Begriffen und Definitionen zur Dokumentation verfahrenstechnischer Anlagen Begriff

Definition

Daten

Strukturierte Informationen, die verarbeitet werden oder das Ergebnis einer Verarbeitung sind

Datei

Logisch zusammengehörige, in sich abgeschlossene und gemeinsam gespeicherte Menge von Daten

Dokumentation

Gesamtheit aller Dokumente für ein Projekt bzw. Objekt

Dokument

Festgelegte und strukturierte Menge von Informationen, die als Einheit verwaltet und zwischen Anwendern und Systemen ausgetauscht werden kann

Bearbeitungsstatus

Information über den aktuellen Stand der Bearbeitung eines Dokuments sowie über deren Freigabe zur Nutzung

Master(-dokument)

Aktuelle, gültige und verbindliche Arbeitsversion eines Dokuments

Dokumentenart

Dokumente gleicher inhaltlicher und/oder gleicher formaler Struktur (Synonym: Dokumentenklasse, Dokumententyp)

Dokumentationskonzept

Festlegungen zum zweckmäßigen Umgang mit Dokumenten und Dokumentationen im Projekt

Dokumentenkennzeichen (DKZ)

Identifikator für ein bestimmtes Dokument in Beziehung zu einem Objekt (Komponente), dem das Dokument zugeordnet ist

Dokumentenversion

Identifizierter Zustand eines Dokuments in seinem Lebenszyklus, der gespeichert ist, sodass er als Dokumentenstand wiedergewonnen und/oder verteilt werden kann (Synonym: Bearbeitungsstatus eines Dokuments)

Freigabe (eines Dokuments)

Formelle Aktion einer autorisierten Person/Organisation, mit der ein Dokument für einen deklarierten Zweck im Prozessablauf für gültig erklärt wird

Projektdokumentation

Gesamtheit aller Dokumente, die während der Abwicklung eines Projekts erarbeitet, verwaltet und abgelegt bzw. gespeichert werden (Synonym: Abwicklungsdokumentation)

2.4 Dokumentation und Inbetriebnahmedokumente

117

Tab. 2.18 (Fortsetzung) Projekthandbuch

Zusammenstellung der administrativen, kommerziellen und technischen Abwicklungsgrundlagen und -regelungen des Projekts

Lastenheft

Zusammenstellung der Anforderungen an die herzustellende Anlage aus Sicht des Auftraggebers (Synonym: Aufgabenstellung bzw. Spezifikation für Anlage, Scope Definition, Requirement Specification)

Pflichtenheft

Vorgaben für die Ausführungsplanung, Herstellung und Inbetriebnahme der Anlage (Synonym: requirement specification for plant)

Phasendokumentation

Teildokumentation im Projekt, die zielorientiert bestimmte Dokumente am Ende einer Projektphase zusammenfasst

Engineeringdokumentation

Gesamtheit der Dokumente, die während der Anlagenplanung (von Grundlagenermittlung bis Detail Engineering) erarbeitet, verwaltet und abgelegt bzw. gespeichert werden

Genehmigungsdokumentation

Gesamtheit der Dokumente, die für Beantragung, Erteilung und Erhaltung einer behördlichen Genehmigung zur Errichtung und dem Betrieb einer Anlage nötig sind sowie erarbeitet und abgelegt bzw. gespeichert werden

BeschaffungsDokumentation

Gesamtheit der Dokumente, die für die Beschaffung der Lieferungen und Leistungen zur Anlagenrealisierung und ggf. zur Inbetriebnahme erarbeitet und abgelegt (gespeichert, archiviert) werden, (Synonym: Einkaufsdokumentation)

Produktdokumentation

Gesamtheit technischer Dokumente, die ein Produkt beschreiben und für die Herstellung, Installation, Wartung, den Gebrauch oder die Beschaffung dieses Produkts benötigt werden (Synonym: Hersteller- bzw. Lieferantendokumentation

Herstellerdokument

Produktbeschreibendes und/oder produktbegleitendes Dokument des (Produkt-)Herstellers bzw. Lieferanten

Anlagendokumentation

Gesamtheit aller Dokumente, die zur technologischen, technischen, baulichen und sicherheitlichen Beschreibung der Anlage dienen

Betriebsdokumentation

Gesamtheit aller Dokumente, die (zusätzlich zur Anlagendokumentation) für die Inbetriebnahme, den Betrieb, die Überwachung und die Instandhaltung der Anlage nötig sind bzw. als Nachweis dienen

Inbetriebnahmedokumentation

Gesamtheit der Anlagen- und Betriebsdokumentation mit dem Bearbeitungsstatus AFP – Approved for Production), die für die Inbetriebnahme benötigt werden

AS BUILTDokumentation

Gesamtdokumentation der Anlage, die den Sachstand über die Anlage zum Zeitpunkt ihrer Abnahme richtig (as built) und vollständig gemäß vertraglicher Vereinbarung beschreibt (Synonym: Enddokumentation, Final Documentation)

Wie die Angaben in Tab. 2.18 verdeutlichen, ist die begriffliche Vielfalt sehr groß. Erschwerend kommt hinzu, dass viele Begriffe im Schrifttum und in der Praxis nicht einheitlich verstanden und gebraucht werden. Diese Situation ist unbefriedigend und auch ineffizient. Mit dem vorliegenden Buch inkl. Glossar möchte der Autor zur Vereinheitlichung beitragen.

118

2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

2.4.2 Wichtige inbetriebnahmerelevante Phasendokumentationen Während der Projektabwicklung wächst die Gesamtdokumentation in Form einer ganzheitlichen Projektdokumentation stetig, indem die Ergebnisse der einzelnen Phasen einfließen (s. Abschn. 2.1). Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Phasendokumentation, in der zielorientiert bestimmte Dokumente (elektronisch und/oder gegenständlich) am Ende einer Projektphase zusammengestellt werden. Beispiele dafür sind bezugnehmend auf das Anlagenprojekt-Phasenmodell in Abb. 2.1, Abschn. 2.1):         

Lastenheft bzw. Scope Definition (Ende Phase 1, ggf. auch während Phase 2), Pre-Bacic-Dokumentation (Ende Phase 2), Basic Engineering-Dokumentation (Ende Phase 3), Genehmigungsdokumentation (Ende Phase 4), Pflichtenheft (Ende Phase 5 nach Freigabe der Investition), Detail Engineering-Dokumentation (Ende Phase 6), Beschaffungsdokumentation und Hersteller-/Lieferantendokumentationen (Phase 7), Inbetriebnahmedokumentation (Ende Phase 8), AS BUILT-Dokumentation (Ende Phase 9).

Zu welcher Phasendokumentation ein Dokument aktuell gehört, wird durch Angabe des Bearbeitungsstatus (Synonym: Revisionskennung bzw. -status) inkl. FREIGABE-Vermerk gekennzeichnet. Der Bearbeitungsstatus informiert über den aktuellen Stand der Bearbeitung eines Dokuments sowie über dessen Freigabe zur Nutzung. Dies kann zweckmäßig durch ein sog. Statuskennzeichen in Form von Kennbuchstaben bzw. Abkürzung erfolgen. In Tab. 2.19 sind die wichtigen Haltepunkte bzw. Schnittstellen des Phasenmodells angegeben und zugleich ein Vorschlag für die Kennzeichnung des Bearbeitungsstatus (Statuskennzeichen) der einzelnen Phasendokumentationen unterbreitet. Das Statuskennzeichen AFP–Approved for Production kennzeichnet beispielsweise die Inbetriebnahmedokumentation zum Zeitpunkt Mechanische Fertigstellung. Da der Buchstabe „C“ bereits als Abkürzung von Construction vergeben war, wurde „P“ von Production gewählt. Häufig wird das Statuskennzeichen als Namenserweiterung (Suffix) dem DokumentDateinamen mit Unterstrich angefügt, sodass eine Suche und Selektierung derartiger Dokumente, z.B. für die AS BUILT-Dokumentation, schnell möglich ist. Der Bearbeitungsstatus wird in Englisch mitunter auch mit „Issued for ….“ an Stelle von „Approved for ….“ bezeichnet. Im Statuskennzeichen (Tab. 2.19, linke Spalte) wird dann entsprechend der Buchstabe „I“ statt „A“ verwendet. Jedes Dokument, welches mit einem Bearbeitungsstatus (außer „Draft“) versehen ist, muss durch einen entsprechenden Vermerk auf dem Dokument (Schriftfeld/Schriftkopf/Deckblatt) „geprüft“ und „freigegeben“ sein. Der PRÜFER-Vermerk belegt, dass der zuständige Spezialist (z.B. Fachplaner oder Konstrukteur) es als fachgerecht bewertet. Der FREIGABE-Vermerk bedeutet, dass der sog. Dokument-Verantwortliche, z.B. der zuständige Leadingenieur, das vorliegende Dokument zur Nutzung freigegeben hat. Ein Dokument, welches keinen FREIGABE-Vermerk hat, ist eine unverbindliche Arbeitsversion des Dokuments und zur Nutzung nicht erlaubt. Es sollte mit dem Bearbeitungsstatus „Draft“ versehen sein.

2.4 Dokumentation und Inbetriebnahmedokumente

119

Tabelle 2.19 Kennzeichnung des Bearbeitungsstatus von Dokumenten gemäß Phasenmodell Statuskennzeichen

Bearbeitungsstatus des Dokuments

Erläuterung

Draft

Entwurf / For Comment

Arbeitsversion; keine Freigabe

Scope

Freigabe als Bestandteil des Lastenhefts

Ende Phase 1/ggf. in Phase 2

AFB

Freigabe für Basic Engineering / Approved for Basic

Ende Phase 2

HAZOP

Freigabe für HAZOP-Studie / Approved for HAZOP

innerhalb Phase 3

AFPA

Freigabe für Genehmigungsantrag / Approved for Permit Application

Ende Phase 4

AFD

Freigabe für Detail Engineering / Approved for Design

Ende Phase 3 oder 5; Bestandteil des Pflichtenhefts

AFC

Freigabe für Beschaffung und Bau/Montage / Approved for Construction

Ende Phase 6

AFP

Freigabe für Inbetriebnahme / Approved for Production

Ende Phase 8

as-built

Freigabe für AS BUILT-Dokumentation / Approved for as-built

Ende Phase 9; Bestandteil der AS BUILT-Dokumentation / Final Documentation

Im Weiteren wird für die Phasendokumentationen des Engineering jeweils eine typische Gliederung angeführt und kommentiert. Damit sollen die inbetriebnahmerelevanten Leistungen und Dokumente verdeutlicht werden. Die Inbetriebnahmedokumentation und die AS BUILT-Dokumentation werden speziell in den Abschn. 2.4.3 behandelt. a) Lastenheft bzw. Scope Definition  Die Aufgabenstellung des Investors (Projektträgers, Auftraggebers) für das Projekt wird während der Grundlagenermittlung in Form des Lastenhefts erarbeitet. Im Lastenheft formuliert der Investor seine Wunschvorstellungen.  Für ein determiniertes, stark spezifiziertes Projekt, zeigt Tab. 2.20 die Gliederung eines Lastenhefts. Es ist leicht nachvollziehbar, dass die meisten Angaben in Tab. 2.20 von wesentlicher Bedeutung für die Inbetriebnahme sind. Tabelle 2.20 Gliederung eines Lastenhefts (Praxisbeispiel) 1 Allgemeine Projektinformation 1.1 Kurzbeschreibung Istzustand 1.2 Standort der Anlage 1.3 Detaillierte Standortbedingungen/-verhältnisse (inkl. Klima/Wetter) 1.4 Projektgegenstand 1.5 Zielprodukte, Kapazität, Technische Verfügbarkeit 1.6 Wirtschaftlichkeit (Investitionskosten, Betriebskosten) 1.7 Termine (Endtermin, Meilensteine) 1.8 Verantwortlichkeiten, Befugnisse und Zuständigkeiten 1.9 Zusammenhang mit anderen Projekten bzw. bestehenden Verträgen 1.10 Management Statements zu Projektanforderungen

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2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

Tab. 2.20 (Fortsetzung) 2 Entwurfsdaten (Design Basis) 2.1 Produktspezifikationen 2.2 Maximale Produktionskapazität (stündlich, jährlich) 2.3 Betriebszeiten (wöchentlich, monatlich, jährlich) 2.4 Spezifikation verfügbarer Medien und Energien (Stoff, Durchsatz, Qualität) 2.5 Vorgaben zu Neben- und Abprodukten 2.6 Vorgaben zu auslegungsrelevanten Umweltbedingungen 2.7 Auslegungswerte Emissionen 2.8 Vorgaben zum Anlagenbetrieb inkl. Inbetriebnahme/Außerbetriebnahme 2.9 Vorgaben zur Anlageninstandhaltung und Shutdown 3 Vorgaben zu Verfahren und Anlage 3.1 Vorgaben zu Anlagendesign und Aufstellung 3.2 Vorgaben zum Verfahren (u.a. genehmigungsrelevante) 3.3 Vorgaben zu Grundoperationen inkl. Verfahrensparameter 3.4 Vorgaben zu Haupt- bzw. Spezialausrüstungen inkl. Auslegungsdaten 3.5 Vorgaben zu Reinheit und Reinigung der Anlagenkomponenten 3.6 Vorgaben zur NOT-HALT- und NOT-AUS-Strategie 3.7 Vorgaben zu Schnittstellen an Anlagengrenzen 3.8 Angaben zum verfügbaren Betriebs- und Servicepersonal 3.9 Vorgaben zu Gewährleistung und Garantien 4 Sonstige Rahmenbedingungen für Projektabwicklung 4.1 Zu beachtende Rechtsvorschriften (international und national) 4.2 Genehmigungsrechtliche u.a. behördliche Vorgaben 4.3 Anforderungen an Umweltschutz 4.4 Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen 4.5 Vorgaben zur Sicherheitstechnik 4.6 Vorgaben zur Alarm- und Gefahrenabwehr am Standort 4.7 Vorgaben zu Qualitätsstandards und Qualitätssicherung 4.8 Zu beachtende Unternehmensrichtlinien und -standards 4.9 Vorgaben zu Stand der Technik 4.10 Vorgaben zu Patente und Lizenzen 5 Projektanforderungen nach Fachdisziplinen 5.1 Tiefbau, Architektur, Hochbau, Stahlbau 5.2 Apparate, Maschinen, Behälter 5.3 Rohrleitungen inkl. Halterungen und Trassenverlauf 5.4 Prozessleittechnik (ohne Elektrotechnik/ET) 5.5 Elektrotechnik 5.6 Nachrichtentechnik 5.7 Labor- und Prozessanalysentechnik 5.8 Lager- und Transporteinrichtungen 5.9 Technische Gebäudeausrüstung sowie Labor- und Büroausstattung 5.10 Vorgaben zur Dokumentation 6 Administrative Anforderungen 6.1 Bestehende Verträge, Vereinbarungen, Bestellungen 6.2 Vorgaben zum Projektmanagement 6.3 Vorgaben zum Projektablauf 6.4 Vorgaben zum Procurement 6.5 Vorgaben zur Baustellenabwicklung und Inbetriebnahme 6.6 Vorgaben zum Projektcontrolling

2.4 Dokumentation und Inbetriebnahmedokumente

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b) Pre-Basic-Dokumentation  Während der Vorplanung sind auf Basis des Lastenhefts (Input) prinzipielle Lösungsvorschläge für das Verfahren, die Anlagengestaltung inkl. wichtiger Anlagenkomponenten sowie für die Projektabwicklung zu erarbeiten.  Die Ergebnisse und Dokumente der Vorplanung werden gegebenenfalls in einer PreBasic-Dokumentation zusammengestellt (s. Tab. 2.21). Die Vorgaben des Lastenhefts aus Tab. 2.20 sind in Tab. 2.21 nicht nochmals aufgeführt.  Die Pre-Basic-Dokumentation ist in vielen Projekten nicht ausgeprägt und existiert häufig nicht als eigenständige Phasendokumentation. Die Planungsergebnisse dieser Phase werden in vielen Fällen gleitend ins Basic Engineering übernommen. Tabelle 2.21 Ergebnisse und Dokumente der Vorplanung (ohne Angaben aus Lastenheft) 1 Projektplanung/-organisation 1.1 Grob-Terminplan und Grob-Ressourcenplan 1.2 Projektorganigramm und Stellenbeschreibungen 1.3 Entscheidungsmatrix, Unterschriftsregelung 1.4 Projekthandbuch und/oder Projektrichtlinien 2 Dokumentationskonzept 3 Projektplanung/-organisation 3.1 Grundfließschemata inkl. Beschreibung 3.2 Verfahrensfließschemata mit Apparate- und Stoffstromleiste sowie Beschreibung 3.3 Stoff- und Energiestromliste inkl. der stofflichen Emissionen 3.4 Liste der Hauptausrüstungen 3.5 Datenblätter für Hauptausrüstungen 3.6 Reinigungskonzeption 3.7 Inbetriebnahmekonzeption 3.8 ggf. Berichte über Versuche im Labor und/oder Technikum 3.9 Angaben/Hinweise zu Gewährleistung und Garantien 4 Lage- Layout- und Aufstellungsplanung 4.1 Lageplan für Werksgelände und/oder Baugrundstück 4.2 3D-Anlagenlayout 4.3 Grob-Aufstellungsplan, Ansichten, Schnitte 5 Ergebnisse technischer Fachplanungen 5.1 Baukonzept (Bauleitplanung) 5.2 PLT-Konzept inkl. Energie-Versorgungskonzept 5.4. TGA-Konzept 5.5 Konzept für innerbetriebliche Logistik; Vorgaben für außerbetriebliche Logistik 5.6 Vorgaben/Hinweise zur Standort-/Infrastrukturplanung (außerbetrieblich) 6 Sicherheitstechnisches Grundkonzept 6.1 Sicherheitsdatenblätter für Gefahrstoffe und Gemische 6.2 Zusammenstellung ergänzender, sicherheitsrelevanter Stoffdaten 6.3 Dokumente für WGK-Einstufung wassergefährdender Stoffe und Gemische 6.4 Dokumente für zu beseitigende Abfälle (ggf. Entsorgungskonzept) 6.5 Ergebnisse über die Beurteilung kritischer Prozessparameter 6.6 Dokumente und Beurteilung der Emissionen und der Immissionen, 6.7 Abschlussbericht über die Risikobeurteilung inkl. Aktionspunkte 6.8 Protokoll/Formblatt zum Konzepttestat

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2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

Tab. 2.21 (Fortsetzung) 7 Beschaffungskonzept 8 Sonstiges 8.1 Eingeholte Angebote zu Leistungen und Lieferungen 8.2 Grobabschätzung der Investitionskosten und Betriebskosten 8.3 Überschlägliche Wirtschaftlichkeitsberechnungen 8.4 Sonstige Vorgaben/Hinweise zur Entwurfsplanung

c) Basic Engineering-Dokumentation und Pflichtenheft  Die im Basic Engineering erarbeiteten Dokumente werden benötigt, um ▪ die Investitionsentscheidung fundiert vorzubereiten, ▪ den Genehmigungsantrag zu erarbeiten und das Genehmigungsverfahren durchzuführen, ▪ die Ausführungsplanung (Detail Engineering) zu ermöglichen, ▪ die Bestellung terminkritischer Lieferungen und Leistungen vor der Investitionsentscheidung vorzunehmen.  Das Inhaltsverzeichnis einer ausführlichen Basic Engineering-Dokumentation (Extended Basic) ist in Tab. 2.22 angegeben. Tabelle 2.22 Inhaltsverzeichnis einer Basic Engineering-Dokumentation (Praxisbeispiel) 1 Verfahrensgrundlagen 1.1 Entwurfsdaten (Kapazität, Ausbeute, Produktionskapazität, Betriebszeiten u.ä.) 1.2 Rohstoffspezifikation 1.3 Produktspezifikationen 1.4 Spezifikation der Medien und Energien 1.5 Auslegungswerte Emissionen 1.6 Angaben zu Anlagengrenzen 1.9 Begründung und Dokumentation der Verfahrenswahl 1.8 Angaben zu Verfahrensgarantien 2 Rahmenbedingungen für Projektabwicklung 2.1 Zu beachtende Rechtsvorschriften (international und national) 2.2 Genehmigungsrechtliche u.a. behördliche Vorgaben 2.3 Anforderungen an Umweltschutz 2.4 Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen 2.5 Vorgaben zur Sicherheitstechnik 2.6 Vorgaben zur Alarm- und Gefahrenabwehr am Standort 2.7 Vorgaben zu Qualitätsstandards und Qualitätssicherung 2.8 Zu beachtende Unternehmensrichtlinien und -standards 2.9 Vorgaben zu Normen u.a. Regeln zum Stand der Technik 2.10 Angaben zum Standort inkl. Werksinfrastruktur 2.11 Vorgaben zum Anlagenbetrieb inkl. Inbetriebnahme/Außerbetriebnahme 2.12 Vorgaben zur Anlageninstandsetzung und Shutdown 2.13 Administrative Anforderungen (Projektmanagement, Controlling u.ä.) 2.14 Zusammenhang mit anderen Projekten 2.15 Sonstige Vorgaben zu Gewährleistung und Garantien 3 Vorgaben zur Design Basis 3.1 Klimadaten 3.2 Geländedaten (Bodenuntersuchung, Topographische Daten

2.4 Dokumentation und Inbetriebnahmedokumente

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Tab. 2.22 (Fortsetzung) 3 Vorgaben zur Design Basis (Fortsetzung) 3.3 Werksplan, Vermessungsdaten 3.4 Vorgaben zur Anlagengestaltung (Lage- und Aufstellungsplanung) 3.5 Vorgaben zu NOT-HALT, NOT-AUS, Notentspannung 3.6 Vorgaben zum Brand- und Explosionsschutz 3.7 Vorgaben zum Lärmschutz (alle Fachdisziplinen) 3.8 Vorgaben zum Wärme- und Kälteschutz (alle Fachdisziplinen) 3.9 Vorgaben zur Anlagenverfügbarkeit 4 Verfahrensplanung (Basic Design) 4.1 Grundfließschemata 4.2 Verfahrensfließschemata inkl. Stoffstromleiste 4.3 R&I-Fließschemata inkl. Apparateleiste 4.4 Verfahrens- und Anlagenbeschreibung inkl. Funktionsbeschreibung 4.5 Stoff- und Massenbilanzen inkl. Schemata, Bilanzstellenliste 4.6 Stoffstromlisten 4.7 Liste Gefahrstoffe und Sicherheitsdatenblätter für Gefahrstoffe 4.8 Liste der wassergefährdenden Stoffe 4.9 Verbrauchszahlen für Roh- und Hilfsstoffe, Katalysator u.ä. 4.10 Energiebilanzen inkl. Schemata 4.11 Verbrauchszahlen (min, norm, max) für Energien (Wärme, elektrische Energie), 4.12 Abfallprodukte und Abfallenergien, Liste der Abfälle nach KrWG 4.13 Auslegungsdrücke und -temperaturen, Druckstufen (Dokumentation zu Festlegungen 4.14 Dokumentation der Werkstoffauswahl für Hauptausrüstungen 4.15 Datenblätter der Hauptausrüstungen inkl. Reinheit der Oberfläche 4.16 Entwurfszeichnungen für Hautausrüstungen; Vorgaben für technologischen Stahlbau 4.17 Listen Hauptausrüstungen inkl. Druckbehälter, WHG-Behälter usw. 4.18 Berichte über Auswahl und Auslegung der Sicherheitsarmaturen 4.19 Datenblätter für Sicherheitsventile (beginnen) 4.20 Verfahrensschemata mit Mengen- und Wärmebilanz für Genehmigungsantrag 5 3D-Anlagen- und Aufstellungsentwurfsplanung 5.1 Lageplan (z.B. Maßstab 1:2000) 5.2 Anlagen-Layout (z.B. Maßstab 1:500) mit Teilanlagen, Gebäude, Bauwerke, Straßen, Trassen, Wege, Lager- und Freiflächen u.ä. 5.3 3D-Anlagenentwurf (zgl. Hauptausrüstungen, Hauptrohrleitungen, Kabeltrassen, Lüftungskanäle) 5.4 Aufstellungspläne (z.B. Maßstab 1:100) 5.5 Aufstellungspläne für Genehmigungsantrag 6 Rohrleitungsentwurfsplanung 6.1 Dokumentation hydraulische Auslegung Rohrleitungen 6.2 Rohrleitungsliste (beginnen) 6.3 Rohrklassen auswählen bzw. erarbeiten 6.4 Dichtungsklassen auswählen bzw. erarbeiten 6.5 Armaturenklassen auswählen bzw. erarbeiten 6.6 Angaben zu Reinheit und Reinigung der Rohrleitungen/Rohrleitungssysteme 6.7 Einbindepunktliste (Tie-In-List) 6.8 Konzept Stressberechnungen 7 Bau-/Stahlbauentwurfsplanung 7.1 Auslegungsdaten für Wind, Niederschläge u.ä. 7.2 Topographische Karte

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2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

Tab. 2.22 (Fortsetzung) 7 Bau-/Stahlbauentwurfsplanung (Fortsetzung) 7.3 Geotechnisches und hydrologisches Gutachten 7.4 Festlegung der Lasten 7.5 Vorläufige Berechnung Stahlbau und Fundamente 7.6 Zeichnungen Bau-/Stahlbau gemäß Tab. 4.23 in Abschn. 4.2.5 7.7 Baukonzept/Baubeschreibung 7.8 Brandschutzkonzept (baulicher Brandschutz) 7.9 Entwurf Raumprogramm und ggf. ausgewählte Raumbücher 7.10 Unterflureinrichtungen 7.11 Fachspezifische Berechnungen (Auffangvolumina, Treppenräume, Aufzugsschächte, Energieschächte u.ä.) 7.12 Abschätzung Dämmschichtdicken 7.13 Konzeption für Korrosionsschutz Bau-/Stahlbau 7.14 Hauptmaßnahmen zur Geländeerschließung 7.15 Bauliche Maßnahmen gemäß Wasserhaushaltsgesetz 7.16 Bauvorlage für Genehmigungsantrag 8 Entwurfsplanung Mess-, Steuer-, Regelungstechnik (MSR) und Prozessleitsystem (PLS) 8.1 Darstellen PLT-Kreise in R&I-Fließschemata 8.2 MSR-Stellendatenblätter (beginnen) 8.3 Klassifizieren PLT-Sicherungseinrichtungen und Kennzeichnen im R&Is 8.4 NOT-AUS- und NOT-HALT-Schaltungen identifizieren und spezifizieren 8.5 Messstellenliste (beginnen) und Alarm- und Grenzwertlisten (beginnen) 8.6 Grob-MSR-Stellenpläne 8.7 Regelschema inkl. Beschreibung 8.8 MSR-Geräteliste (beginnen) 8.9 Ursache-Wirkung-Listen (beginnen) 8.10 Ablauf-Funktionspläne und Grundfunktionsbeschreibung 8.11 Spezifikation Prozessleitsystem (Struktur, Komponenten, Signalübertragung) 8.12 Spezifikation Messwarte und Schalträume 8.13 Entwurf Kabeltrassen, -schächte, -schiene, -rohre 8.14 Konzept Steuerluft-Versorgung 9 Entwurfsplanung Elektrotechnik 9.1 ET-Geräteliste bzw. ET-Verbraucherliste 9.2 Motorendatenblätter (beginnen) 9.3 ggf. Motorenliste inkl. Frequenzumrichter/Sanftanlaufgeräte extra 9.4 Übersichtsschaltpläne Spannungsversorgung 9.5 Konzept Staffelversorgung der Verbraucher (Entwurf Schutzstaffelplan) 9.6 Konzept Notstromversorgung 9.7 Beleuchtungskonzept 9.8 Konzept Erdung, Blitzschutz 9.9 Konzept Elektrische Begleitheizung 9.10 Spezifikation elektrotechnischer Räume (Schalträume, Umspann-/Trafostation) 10 Entwurfsplanung Sonstiger Fachdisziplinen (NAT, TGA, PAT, LAT) 10.1 Fließschemata für TGA 10.2 Auswahl und Auslegung TGA-Hauptausrüstungen (Datenblätter, Listen) 10.3 Auslegung Be-/Entlüftung 10.4 Einplanen Zu-/Abluftkanäle in 3D-Anlagenentwurf 10.5 PLT-Entwurfsplanung für TGA (ggf. auch Gebäudeleitsystem) 10.6 Konzeption der innerbetrieblichen Kommunikation (Telefon, Sprechfunk, Internet, Bereitschaftsdienst u.a.)

2.4 Dokumentation und Inbetriebnahmedokumente

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Tab. 2.22 (Fortsetzung) 10 Entwurfsplanung Sonstiger Fachdisziplinen (NAT, TGA, PAT, LAT) (Fortsetzung) 10.7 Konzeption der außerbetrieblichen Kommunikation (Nachbarbetriebe, Werksleitstellen) 10.8 Feuerwehr, Kommunikation u.a.) 10.9 Zusammenstellung Probenahmestellen, Analysenmethoden und -geräte Spezifikation Laborraum und -einrichtungen 11 Gesundheit  Sicherheit  Umweltschutz (GSU) (s. auch Verfahrensplanung) 11.1 Ergebnisbericht Risikobeurteilung inkl. Aktionspunktliste 11.2 Beurteilung der Brand- und Explosionsgefährdungen sowie Explosionsschutzdokument inkl. Gefahrenzonenpläne 11.3 ggf. Entwurf Alarm- und Gefahrenabwehrplan (AGAP) 11.4 Liste Gefahrstoffe mit Mengenangaben, Sicherheitsdatenblätter 11.5 Liste der wassergefährdenden Stoffe mit Mengenangaben 11.6 Notentspannungskonzept (s. auch MSR-Entwurfsplanung) 11.7 Brandschutzkonzept, inkl. Melder, Feuerwehrplan 11.8 Spezifikation Gaswarneinrichtungen 11.9 Entsorgungskonzept 11.10 Schallschutzprognose und -konzept 11.11 ggf. Umweltverträglichkeitsprüfung 11.12 Sicherheitsbetrachtungen in Vorbereitung des Genehmigungsantrags; gegebenenfalls Sicherheitsbericht nach Störfallverordnung; Ausbreitungsrechnung 11.13 Dokumente für Genehmigungsantrag 12 Bedienungskonzeption 13 Instandhaltungskonzeption 14 Sonstige Vorgaben und Hinweise für Ausführungsplanung 15 Beschaffungskonzeption (inkl. Bau, Montage, Inbetriebnahme) 16 Vorbereiten der Bestellungen terminkritischer Lieferungen/Leistungen 17 Angaben zum Projektmanagement (Organisation, Controlling)

 Im Pflichtenheft (Synonym: Requirement Specification) werden Vorgaben für die Ausführungsplanung und/oder die Herstellung und Inbetriebnahme der Anlage gemacht. Es ist nicht mit der Basic Engineering-Dokumentation identisch.  Das Pflichtenheft ist mehr als die Basic Engineering-Dokumentation gemäß folgendem Verständnis: ▪ Die Basic Engineering-Dokumentation beinhaltet in erster Linie die bis zu diesem Zeitpunkt erarbeiteten Engineeringergebnisse. Damit ist sie die fachliche Basis und das wichtigste Input für das Pflichtenheft. ▪ Das Pflichtenheft nimmt die organisatorisch-administrativen Vorgaben und Rahmenbedingung aus dem Lastenheft mit auf. ▪ Das Pflichtenheft beschreibt den Bearbeitungsstatus zum Zeitpunkt der Investitionsentscheidung (Budget-Freigabe), d.h. am Ende der Phase 5 und nicht am Ende der Phase 3 (s. Abb. 2.1 in Abschn. 2.1). Änderungen am Engineering, die sich während des Genehmigungsverfahrens oder bei der Investitionsentscheidung ergeben haben, werden im Pflichtenheft berücksichtigt. ▪ Der auf den Dokumenten angegebene Bearbeitungsstatus AFD (Approved for Design) beschreibt den Status des Pflichtenhefts (Input für Ausführungsplanung).

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2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

 Letztlich hat das Pflichtenheft eine andere Funktion zu erfüllen. Es soll nicht Engineeringergebnisse dokumentieren, sondern ist die ganzheitliche Basis für die Ausschreibung sowie die Vertragsgestaltung und Auftragsvergabe zur Herstellung der Anlage.  Im Allgemeinen wird im verfahrenstechnischen Anlagenbau im Sinne eines Pflichtenhefts nach der Phase 6 eine ▪ Aufgabenstellung für die Engineeringleistungen der Anlage XYZ (EPCM-Vertrag) oder ▪ Aufgabenstellung für Ausführungsplanung und Herstellung der Anlage XYZ (LSTK-Vertrag) derart erstellt, dass sie später als Technische Spezifikation zum Anlagenvertrag genutzt werden kann. Die Bezeichnung Pflichtenheft für diese Gesamt-Aufgabenstellung ist im verfahrenstechnischen Anlagenbau eher selten. d) Genehmigungsdokumentation  Die Genehmigungsdokumentation umfasst alle Dokumente, die für Beantragung, Erteilung und Erhaltung einer behördlichen Genehmigung zum Bau und Betrieb einer Anlage nötig sind und erarbeitet werden.  Verantwortlich für die Einholung der Genehmigung ist der Investor bzw. Bauherr. Er wird im Normalfall von Anlagenplaner unterstützt.  Auch wenn in der Genehmigungsdokumentation zahlreiche Engineeringdokumente enthalten sind, so sollte sie doch als eigenständige Hauptdokumentation unter Verantwortung des Investors verwaltet werden. Die Genehmigung und die zugehörigen Dokumente haben letztlich eine eigene rechtliche, verantwortungsseitige und inhaltliche Spezifik.  Die Genehmigungsdokumentation verfahrenstechnischer Anlagen kann in Papierform mehrere Ordner umfassen, ist im Vergleich zur Anlagendokumentation (s. Abschn. 2.4.3.1) jedoch relativ gering.  Die möglichen Hauptgliederungspunkte einer Genehmigungsdokumentation enthält Tabelle 2.23. Tabelle 2.23 Hauptgliederungspunkte einer Genehmigungsdokumentation (Praxisbeispiel) 1 2 3 4 5 6 7

Grundlagen Genehmigungsantrag und zugehörige Antragsunterlagen Unterlagen zum Genehmigungsverfahren Genehmigungsbescheid und zugehörige Unterlagen Unterlagen zu Mitteilungen, Anzeigen, Fortschreibungen, Änderungen u.ä. Nachweise über Einhaltung der Betriebspflichten (aus Rechtsvorschriften, Genehmigungsbescheid usw.) Sonstiges

 Insbesondere beim Erarbeiten der Antragsunterlagen, im Genehmigungsverfahren und bei der Berücksichtigung des Genehmigungsbescheids während der weiteren Projektabwicklung sind die Inbetriebnahmebelange zu berücksichtigen. Im Einzelnen wird darauf in Abschn. 3.4.3 und Abschn. 5.7 eingegangen.

2.4 Dokumentation und Inbetriebnahmedokumente

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e) Detail Engineering-Dokumentation (Ausführungsdokumentation)  Die Ausführungsdokumente am Ende der Phase 6 bilden die technische Grundlage für die Beschaffung und Errichtung der Anlage. Alle Ausführungsdokumente sind mit dem Bearbeitungsstatus AFC (Approved for Construction) zu kennzeichnen und zur weiteren Nutzung im Projekt freizugeben. Sie gelten damit zugleich als „eingefroren“, d.h. nachfolgende Änderungen im Projekt, müssen entsprechend der Change-Control-Richtlinie des Projekts vollzogen werden.  Die Ausführungsdokumente bilden in jeden Fall einen wesentlichen Bestandteil der Anlagendokumentation (neben den Hersteller- und Lieferantendokumenten) und später der AS BUILT-Dokumentation.  Sie werden in vielen Projekten nicht als eigenständige Detail Engineering-Dokumentation verwaltet, sondern entsprechend der abgestimmten Abwicklungsstruktur für die Dokumentation des Projekts in elektronischer Form gespeichert und ggf. ergänzend in Papierform abgelegt. Zu Beginn der Inbetriebnahme bilden sie den Grundstock für die Inbetriebnahmedokumentation und gegen Ende der Inbetriebnahme für die AS BUILTDokumentation (s. Abschn. 2.4.3).  Sollte eine eigenständige Detail Engineering-Dokumentation gewünscht sein, könnte die Strukturierung/Gliederung analog zur Anlagendokumentation in Tab. 2.24, Abschn. 2.4.3.1 sein.  Eine Sonderrolle spielen die Ausführungsdokumente ▪ von Hauptausrüstungen, die vom Hersteller erarbeitet werden (z.B. Konstruktionszeichnungen inkl. Stückliste usw.) sowie ▪ von Package-units (PU), die als Teil der Hersteller- bzw. Package-unit-Dokumentation geliefert werden (s. Abschn. 2.4.3.1.

2.4.3 Inbetriebnahmedokumentation und AS BUILT-Dokumentation Die Inbetriebnahmedokumentation umfasst die Gesamtheit der Anlagen- und Betriebsdokumentation mit dem Bearbeitungsstatus: AFP – Approved for Production, die für die Inbetriebnahme benötigt werden. Sie muss die Anlage und deren Betriebsweise zum Zeitpunkt Mechanische Fertigstellung ausreichend vollständig und aktuell abbilden. Exakterweise gehören auch noch der Genehmigungsbescheid sowie weitere inbetriebnahmerelevante Genehmigungsdokumente zur Inbetriebnahmedokumentation dazu. Die Inbetriebnahmedokumentation wird während der Inbetriebnahme fortgeschrieben und geht zum Ende der Inbetriebnahme in die AS BUILT-Dokumentation über. Die Anlagendokumentation und die Betriebsdokumentation werden mit dem folgenden Begriffsverständnis nebeneinander betrachtet: Anlagendokumentation ist die Gesamtheit aller Dokumente, die zur technologischen, technischen, baulichen und sicherheitlichen Beschreibung der Anlage dienen. Betriebsdokumentation ist die Gesamtheit aller Dokumente, die (zusätzlich zur Anlagendokumentation) für die Inbetriebnahme, den Betrieb, die Überwachung und die Instandhaltung der Anlage nötig sind sowie als Nachweis dienen.

Während sich die Anlagendokumentation auf die Beschreibung der Anlage bezieht, umfasst die Betriebsdokumentation jene Dokumente, die für den Betrieb/Nutzung der Anlage nötig sind bzw. dabei entstehen.

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2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

Für die Anlagendokumentation ist bis zum Zeitpunkt Mechanische Fertigstellung der Baustellenleiter verantwortlich, während die Betriebsdokumentation der Inbetriebnahmeleiter verantwortlich erarbeitet, nutzt und pflegt. Die Betriebsdokumentation bündelt und systematisiert eine Vielzahl unterschiedlicher Handbücher (s. Tab. 2.27 in Abschn. 2.4.3.2). Eine derartige Unterteilung in zwei Hauptdokumentationen ist für den klassischen verfahrenstechnischen Anlagenbau in der Chemie und Pharmazie typisch. Sie wird auch in den weiteren Ausführungen dieses Buches zugrunde gelegt.

2.4.3.1 Anlagendokumentation inkl. Herstellerdokumente Die Anlagendokumentation beinhaltet, wie zuvor definiert, alle Dokumente, die die Anlage ausreichend exakt beschreiben. Sie macht den Hauptumfang der Projektdokumentation aus und umfasst inhaltlich alle Dokumente, die  die Grundlagen und Ziele des Verfahrens und der Anlage,  die Spezifikation der Produkte und Medien,  die Wirkungsweise des Verfahrens und der Anlage,  den Aufbau und die Gestaltung der Anlage sowie der Anlagenkomponenten,  die Sicherheit der Anlage,  die Prozessdaten, Leistungsgarantien, Produktkennwerte u.ä. Daten enthalten, beschreiben und erläutern. Die Anlagendokumentation wird im Wesentlichen aus drei Quellen gespeist. 1. Teil: Detail-Engineering-Dokumente des Generalplaners  In klassischen verfahrenstechnischen Projekten gibt es einen Generalplaner, der egal ob EPCM-Vertrag oder LSTK-Vertrag, den Hauptteil der Planungsleistungen selbst erbringt. Entsprechend erarbeitet er auch die zugehörigen Ausführungsdokumente mit dem Bearbeitungsstaus: AFC – Approved for Construction und gibt diese für die Beschaffung und Bau/Montage frei.  Die zukünftigen Änderungen bis zur Mechanischen Fertigstellung müssen in Abstimmung zwischen Generalplaner und Baustellenleiter eingepflegt werden. 2. Teil: Hersteller- und/oder Lieferantendokumente  Die Hersteller- bzw. Lieferantendokumente sind die produktbeschreibenden und/ oder produktbegleitenden Dokumente des Herstellers bzw. Lieferanten. Sie beziehen sich überwiegend auf Produkte.  Jede Hersteller- bzw. Lieferantenrechnung ist zu prüfen (sachlich, monetär), ob die zugehörigen und bestellten Dokumentationsleistungen erbracht sind. Bei wesentlichen Mängeln ist die Rechnung zurückzuweisen. Nichtwesentliche Mängel sind als Restpunkte (Erfüllungsanspruch) der in Rechnung gestellten Leistungen zu erfassen und zu vereinbaren.  Der Besteller muss entscheiden, ob die Hersteller-/Lieferantendokumentation „frei Baustelle“ oder „frei Stammhaus“ geliefert werden soll. In der Regel sollte die Lieferung der Dokumentation an das Stammhaus erfolgen, da noch Kontroll-, Kennzeichnungs- und Einordnungsaufgaben sowie weitere Verwaltungsmaßnahmen zu erledigen sind. Falls die Dokumentationsprüfung durch den Besteller bereits vor Auslieferung erfolgte, kann sie im Sonderfall auch direkt zur Baustelle geliefert werden.

2.4 Dokumentation und Inbetriebnahmedokumente

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 Die bestellgerechten Hersteller-/Lieferantendokumente müssen dem Baustellenteam für die Bau- und Montageausführung zur Verfügung gestellt werden. Dabei sind die entsprechenden Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten der Fachbauleiter (FBL) (z.B. für Maschinen/Apparate, E-Technik, PLT-Technik und Technische Gebäudeausrüstung) zu klären.  Die FBL sollten während der Baustellenabwicklung jeweils „ihre“ Hersteller/Lieferantendokumente verantwortlich pflegen und verwalten. Dies schließt auch deren Revision bei Änderungen ein. 3. Teil: Package-unit-Dokumentationen  Im Normalfall werden bestimmte Nebenanlagen, die häufiger eingesetzt werden, als Package-unit eingekauft. Typische Beispiele sind: ▪ Anlagen zur Wasseraufbereitung in Kraftwerken oder Pharmabetrieben, ▪ Anlagen zur Dampferzeugung, ▪ Anlagen zur Kältebereitstellung, ▪ Abluftreinigungsanlagen, ▪ Luftzerlegungsanlagen, ▪ Anlagen zur Steuerlufterzeugung und -verteilung, ▪ Verdichteranlagen in vielen Industriezweigen. Zusammen mit der Package-unit ist eine adäquate Dokumentation zu liefern.  Die Strukturierung und Begriffswahl aller Package-unit-Dokumentationen sollte möglichst einheitlich und analog zur Strukturierung der gesamten Anlagendokumentation sein.  Die Package-unit-Dokumentationen werden „wie geliefert“ abgelegt und bleiben bis Ende Gewährleistungszeitraum zusammen. Wenn überhaupt, sollten erst danach die Dokumente (gegenständlich, elektronisch) neu strukturiert werden.  Insgesamt gilt die Erfahrung: Package-unit-Dokumentationen lassen sich i.d.R. gut bewältigen, solange nur Nebenanlagen (Utilities) betroffen sind. Problematisch sind jedoch Projekte, in denen der Großteil der Gesamtanlage, inkl. der prozesstechnischen Teile, über Package-units eingekauft wird.  Wenn beispielsweise eine Großanlage komplett in ca. 50 Package-units unterteilt wird und diese Package-units von verschiedenen Auftragnehmern/Kontraktoren geplant, geliefert und montiert werden, so sind Probleme vorprogrammiert. In diesem Extremfall müssen nicht nur mehr als 50 Schnittstellen während der Baustellenabwicklung koordiniert werden, es müssen auch mindestens so viele Schnittstellen im Engineering (inkl. Garantien und Gewährleistung) und bei der Erarbeitung der Anlagendokumentation (inkl. Inhalt, Form, Qualitätskontrollen, ChangeOrder usw.) gemanagt werden. Dies ist kaum zu bewältigen. Die für die Inbetriebnahme benötigten Anlagendokumente sollten in der Dokumentationsstruktur des Betreibers abgelegt/gespeichert sein. Das Inbetriebnahmeteam nutzt sie dann erstmalig in dieser Struktur. Die Anlagendokumentation (in elektronischer und/oder gegenständlicher Form) wird, wie im verfahrenstechnischen Großanlagenbau üblich, in gewerke- bzw. fachspezifische Teildokumentationen entsprechend Tab. 2.24 unterteilt. Erfahrungsgemäß sind bei der Errichtung von verfahrenstechnischen Anlagen fast immer die angeführten Gewerke und gleichartige Dokumentenarten zu erarbeiten bzw. zu verwalten.

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2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

Tabelle 2.24 Mögliche Gliederung der Anlagendokumentation nach Fachdisziplinen 1

Verfahrenstechnik (Synonym: Prozesstechnik)

2

Maschinen/Apparate/Behälter

3

3D-Anlagenplanung/Aufstellungsplanung

4

Bau/Stahlbau

5

Rohrleitungen

6

Prozessleittechnik (inkl. Elektrotechnik)

7

Technische Gebäudeausrüstung

8

Logistik/Infrastruktur

9

Package-units (Synonym: Teilanlagen)

10 Inbetriebnahmeanleitung 11 Allgemeines/Sonstiges

Die angeführte Struktur entspricht bei größeren Projekten weitgehend der Arbeitsteilung während der Engineeringphasen (Fachplanungs- bzw. Leadingenieure) bzw. auf der Baustelle (Fachbau- bzw. Fachmontageleiter). Das heißt, die Fachverantwortung schließt die Erarbeitung bzw. Fortschreibung einer zugehörigen Teildokumentation ein. Schnittstellen und Fehlerquellen werden minimiert. Die Hersteller- bzw. Lieferantendokumentationen werden „wie-geliefert“ bzw. bei Änderungen „wie-gebaut“ als Ganzes im zugehörigen Fachkapitel abgelegt, beispielsweise eine Apparatedokumentation in Kapitel 2 (Ordner auf Fileserver) und eine PLTGerätedokumentation in Kapitel 6. Package-Unit-Dokumentationen werden als Ganzes und zusammen in Kapitel 9 abgelegt. In der Anlagendokumentation verfahrenstechnischer Anlagen sind ca. 300 bis 500 verschiedene Dokumentenarten enthalten. In Tab. 2.25 sind beispielhaft wichtige Dokumentenarten des Kapitels 1 (Verfahrenstechnik) in Tab. 2.24 angegeben. Im Einzelnen wird auf die Literatur [1][24][25][26] verwiesen. Tabelle 2.25 Wichtige Dokumentenarten der VERFAHRENSTECHNIK                

Verfahrensgrundlagen und Erläuterungen Entwurfs- und Auslegungsdaten (Design Basis) Stoffspezifikationen (Roh- und Hilfsstoffe, Endprodukte, Neben-/Abfallprodukte) Energiespezifikationen (Wärme, Kälte, Spannung, Abfallenergie) Grund- und Verfahrensschemata (-fließbilder) Rohrleitungs- und Instrumentenschemata (-fließbilder) (R&I bzw. P&ID) Verfahrens- und Anlagenbeschreibungen Massen-/Stoffbilanzen, Mengenflussbilder (-diagramme) Stoffstromlisten Sicherheitsdatenblätter für gefährliche Stoffe und Gemische Stoffdatenblätter für sonstige Stoffe Energiebilanzen, Energieflussbilder (-diagramme) Übersichten über Verbrauchs- und Leistungsdaten Ausrüstungslisten Ausrüstungsdatenblätter einschließlich Entwurfsskizzen Berichte über Auslegung der Sicherheitsarmaturen

2.4 Dokumentation und Inbetriebnahmedokumente

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Tab. 2.25 (Fortsetzung)              

Datenblätter für Sicherheitsarmaturen Lagepläne 3D-CAD-Anlagenmodell Aufstellungspläne Brandschutzkonzept (z.T. in Baudokumentation) Explosionsschutzdokumente inkl. Gefahrenzonenpläne Ergebnisbericht über Risikobeurteilungen (PAAG-/HAZOP-Analysen) Protokolle der Sicherheitstestate Ausbreitungsrechnungen für Stoffe und Schall Schallschutzkonzept Lärmkataster, Lärmschutzprogramm ggf. Sicherheitsbericht nach Störfall-Verordnung Analysenpläne bzw. Analysenprogramm Mess-, Probenahme- und Analysenvorschriften

Ausgewählte Dokumentenarten der Inbetriebnahme, die Kap. 10 (Inbetriebnahme) der Anlagendokumentation (s. Tab. 2.24) zugeordnet werden können, enthält Tab. 2.26. Tabelle 2.26 Mögliche fachbezogene Dokumentenarten der INBETRIEBNAHME (ohne rechtsrelevante Prüfdokumente)                            

Inbetriebnahmeablaufplan Inbetriebnahmeorganigramme Plan der Montagekontrollen und Inspektionen Inbetriebnahmeanleitung für Gesamtanlage Inbetriebnahmeanleitungen der Package-units Inbetriebnahmeanleitungen ausgewählter Anlagenkomponenten Ausbildungs-/Schulungsprogramm und Schulungsnachweise Einweisungs- und Unterweisungsnachweise Ausblaseprogramm für Anlage inkl. Rohrleitungen und Reinheitsnachweise Spülprogramm zum Reinigen der Anlage und Reinheitsnachweise Programm der Probeläufe, Funktionsproben und Abnahmeversuche von Nebenanlagen Inertisierungsvorschrift Checkliste für Inbetriebnahmeaudit Protokolle zur MECHANISCHE FERTIGSTELLUNG Restpunktlisten inkl. Erfüllungskontrolle Protokolle zum Dichtigkeitstest der Gesamtanlage Protokolle über Funktionsprüfungen einschl. Wasserfahrt Protokolle zur ANZEIGE der BETRIEBBEREITSCHAFT inkl. Restpunktliste Probebetriebsprogramm einschließlich Termin- und Ressourcenplan Unterlagen zum Anfahrcheck der Anlage Bilanzierungsrechnungen und Berechnungen spezifischer Verbräuche Ergebnisberichte zu Tests und Versuchen Untersuchungsberichte zu Schäden und Störungen Protokoll inkl. Detailplan zu Durchführung der Leistungsfahrt Protokoll über die DURCHFÜHRUNG des LEISTUNGSNACHWEISES PLS-Einstellwerte (Alarme, Grenzwerte, Reglerparameter) Protokoll über die ABNAHME der ANLAGE inkl. Restpunktliste Protokoll über die ABNAHME der AS BUILT-Dokumentation inkl. Restpunktliste

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2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

Ein Teil der angeführten Inbetriebnahmedokumente wird während der Inbetriebnahmevorbereitung und ein Teil während der Inbetriebnahme erarbeitet. Darüber hinaus werden weitere Inbetriebnahmedokumente der Betriebsdokumentation zugeordnet (s. Abschn. 2.4.3.2). Von besonderer Bedeutung ist vor dem Inverkehrbringen der Anlage die Inbetriebnahmeanleitung, die de facto die Betriebsanleitung der Gesamtanlage darstellt. Zu ihr sind in Abschn. 3.5.2.2 detaillierte Ausführungen gemacht.

2.4.3.2 Betriebsdokumentation Die Betriebsdokumentation ist im klassischen Fall die zweite Säule der Gesamtdokumentation. Sie umfasst alle Dokumente, die (über die Anlagendokumentation hinaus) für  den bestimmungsgemäßen Betrieb sowie  den gestörten, nichtbestimmungsgemäßen Betrieb und  die Instandhaltung der Anlage erforderlich sind bzw. zugehörige Daten speichern. Einen möglichen Strukturierungsvorschlag sowie ausgewählte Dokumentenarten der Betriebsdokumentation enthält Tab. 2.27. Tabelle 2.27 Gliederung und Dokumentenarten der Betriebsdokumentation (Praxisbeispiel) 1 Übersichtsdokumente des Betriebs  Alarm- und Gefahrenabwehrplan  Brandschutzpläne, Feuerwehrpläne, Fluchtwegepläne  Notfall und Evakuierungspläne  Bereitschaftsplan, Namens-, Telefon-, Adressverzeichnis  Gefahrenzonenpläne  Lärmkataster und Lärmschutzprogramm  Unterlagen für Einweisung von Betriebsfremden  Einweisungs- und Unterweisungsnachweise  R&I-Fließschemata  Alarm- und Verriegelungslisten  Lagepläne, Aufstellungspläne, Unterflursummenpläne  Bedienungshandbuch für das Prozessleitsystem  Übersichtspläne zur Stromversorgung  Übersichtspläne zum Prozessleitsystem 2 Betriebshandbuch (Inbetriebnahmehandbuch)  Allgemeine Sicherheitsvorschriften (Hinweise auf DGUV-Vorschriften und andere einschlägige Bestimmungen; Rauchverbot, persönliche Sicherheitsausrüstungen, Unterweisungen usw.)  Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung für die betrieblichen Tätigkeiten in Vorbereitung und Durchführung der Inbetriebnahme  Anweisungen für Inbetriebnahmevorbereitung (Reinigen, Funktionsprüfungen)  Anweisungen für die Erst- und Wiederinbetriebnahme, darunter ▪ Anweisungen für Aktivieren, Vorbehandeln u.Ä. ▪ Anweisungen für Anfahren und Hochfahren ▪ Anweisungen für Einfahren und Optimieren (bei Nennlast) ▪ Anweisungen für Abfahren ▪ Anweisungen für Notabschaltung ▪ Anweisungen für Außerbetriebnahme einschließlich Konservieren

2.4 Dokumentation und Inbetriebnahmedokumente

133

Tab. 2.27 (Fortsetzung) 2 Betriebshandbuch (Inbetriebnahmehandbuch) (Fortsetzung) ▪ Anweisungen für Probenahmen und Analysen ▪ Anweisungen für Sonderfälle (Störungen einschließlich Störfälle, Winterbetrieb)  Anweisungen für Dauer-/Normalbetrieb (soweit zuvor nicht enthalten)  Anweisungen für Leistungsänderungen und Produktänderungen 3 Instandhaltungshandbuch  Sicherheitstechnische Hinweise zu Inspektions-, Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten  Inspektionspläne, Pläne für zustandsorientierte Instandhaltung  Wartungs- und Schmierpläne  Abnahme- und Genehmigungsdokumente für genehmigungs- und überwachungspflichtige Komponenten  Anweisungen zur wiederkehrenden Prüfung  Anweisungen zum Auswechseln von Verschleißteilen nebst zugehörigen Zeichnungen  Pläne für vorbeugende Instandhaltung 4 Rückstellmuster von Rohstoffen, Zwischen- und Endprodukten, Betriebsmitteln (z.B. repräsentativer Rohstoff, Katalysatoren) 5 Betriebstagebuch  Unterlagen zum Nachweis des bestimmungsgemäßen Betriebes ▪ Protokolle bzw. Registrierunterlagen von signifikanten Prozessgrößen ▪ Analysenprotokolle und Registrierstreifen von Prozessanalysengeräten ▪ Emissionserklärungen nach 11. BImSchV ▪ Betriebstagebuch (z.B. zum Nachweis der Einleitwerte n. WHG) ▪ Alarm- und Störprotokolle ▪ Nachweise im Sinne des UmweltHG bzw. des ProdHaftG  Unterlagen zur Erfassung, Registrierung, Auswertung u.a. nichtbestimmungsgemäßer Betriebszustände  Unterlagen zur nachweislichen Einhaltung gesetzlicher, behördlicher u.a. verbindlicher Auflagen 6 Prüfhandbuch  die Zusammenstellung aller sicherheitsrelevanten Prüfungen vor Inbetriebnahme  die Zusammenstellung aller wiederkehrenden Sicherheitsprüfungen  die Spezifikationen der erforderlichen Arbeiten  die Angaben der Zeitintervalle und Zeitpunkte der durchzuführenden Arbeiten  die rechtlichen Grundlagen zur Durchführung der Prüfungen  die Anforderungen an die Qualifikation der Durchführenden  die Beschreibung von Form und Umfang der Dokumentation 7 Sicherheitsmanagementhandbuch  geltende DGUV-Vorschriften u.a. Rechtsvorschriften bzw. Sicherheitsregeln zum Arbeitsschutz  betriebliche Dokumente zur Arbeitssicherheit bezüglich ▪ Maschinen, Geräte u.a. technische Einrichtungen ▪ Gefahrstoffe und Schutzmaßnahmen ▪ Arbeitsstätten und Arbeitsschutzmittel ▪ Arbeitsschutzorganisation im Betrieb ▪ Arbeitszeit u.a. Regelungen ▪ Schutz bestimmter Personengruppen  Arbeitsschutzbelehrungen, Anweisungen, Unterweisungen usw.

134

2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

Tab. 2.27 (Fortsetzung) 8 Qualitätsmanagementhandbuch  Betriebs-/anlagenbezogene Regelungen zum Qualitätsmanagement und Responsible CareManagement 9 Umweltschutzmanagementhandbuch  betriebs-/anlagenbezogene Regelungen zum Umweltschutzmanagement

Während die Anlagendokumentation einen vorwiegend passiven Charakter hat, indem die Funktion und der Aufbau der Anlage beschrieben und erläutert werden, bezieht sich die Betriebsdokumentation verstärkt auf das aktive Handeln, auf das Produzieren mit der Anlage. Verantwortlich für die Betriebsdokumentation vor und während der Inbetriebnahme ist der Inbetriebnahmeleiter. Die Betriebsdokumentation wird in mehrere Handbücher untergliedert. Inwieweit eine Erarbeitung aller Handbücher für die Inbetriebnahme bereits erfolgt, sollte nach Abstimmung zwischen Inbetriebnahmeleiter und Betriebsleiter entschieden werden. Der Autor ist in dieser Frage der Meinung: Die Inbetriebnahme ist die erste Betriebsperiode. Während der Inbetriebnahme sollten deshalb möglichst die Organisations- und Dokumentationsstrukturen des späteren Betriebs genutzt werden. Im Weiteren werden einige Handbücher aus Tab. 2.27 näher betrachtet. a) Betriebshandbuch (Inbetriebnahmehandbuch) Das Betriebshandbuch enthält eine Zusammenstellung allgemeiner betrieblicher Sicherheitsvorschriften und organisatorisch-administrativer Regelungen sowie aller Betriebsanweisungen an das Betriebspersonal. Bei Neuinvestitionen auf der „Grünen Wiese“ wird zunächst ein Inbetriebnahmehandbuch (s. Abschn. 4.4.4) erarbeitet und genutzt, das später als Betriebshandbuch fortgeschrieben wird. Bei Investitionen in einer bestehenden Anlage kann u.U. das vorliegende Betriebshandbuch für die Inbetriebnahme der Gesamtanlage fortgeschrieben werden, sodass ein extra Inbetriebnahmehandbuch entfällt. Die allgemeinen Sicherheitsvorschriften beziehen sich z.B. auf  die notwendige Arbeitsfreigabe bestimmter Tätigkeiten,  die Melde- und Einweisungspflicht,  das Tragen persönlicher Schutzausrüstung oder  auf das Verhalten bei Alarm bzw. Unfall. Sie sind mitunter auch im Sicherheitsmanagementhandbuch abgelegt. Inhaltliche Schwerpunkte im Betriebshandbuch sind die Gefährdungsbeurteilungen und die Betriebsanweisungen. Verantwortlich für deren Vorliegen und Einhaltung ist der zuständige Arbeitgeber bzw. der zuständige weisungsbefugte Leiter (z.B. Baustellenleiter, Inbetriebnahmeleiter, Betriebsleiter). Wie bei der Inbetriebnahme konkret mit Gefährdungsbeurteilungen und Betriebsanweisungen zu verfahren ist, wird in Abschn. 3.5.2.4 dargelegt. b) Instandhaltungshandbuch Das Instandhaltungshandbuch beinhaltet alle relevanten technisch-organisatorischen Informationen, Regeln, Anweisungen usw. für die Anlageninstandhaltung.

2.4 Dokumentation und Inbetriebnahmedokumente

135

Die Instandhaltung von technischen Systemen soll den funktionsfähigen Zustand erhalten oder bei Ausfall wieder herstellen. Sie umfasst folgende Hauptmaßnahmen [27]: Inspektion:

Maßnahmen zur Feststellung und Beurteilung des Istzustandes einer Betrachtungseinheit einschließlich der Bestimmung der Ursachen der Abnutzung und dem Ableiten der notwendigen Konsequenzen für eine künftige Nutzung

Wartung:

Maßnahmen zur Verzögerung des Abbaus des vorhandenen Abnutzungsvorrates der Betrachtungseinheit

Instandsetzung:

Maßnahmen zur Rückführung einer Betrachtungseinheit in den funktionsfähigen Zustand, mit Ausnahme von Verbesserung

Verbesserung:

Kombination aller technischen und administrativen Maßnahmen sowie Maßnahmen des Managements zur Steigerung der Funktionssicherheit einer Betrachtungseinheit, ohne die von ihr geforderte Funktion zu ändern

Die Trennung in ein Betriebs- und Instandhaltungshandbuch ist sinnvoll, da diese nicht nur verschiedene Tätigkeiten widerspiegeln, sondern auch unterschiedlichen Unternehmen und Personengruppen als Arbeitsgrundlage dienen. Grundsätzlich gilt für Instandhaltungsanweisungen sinngemäß das gleiche wie für Betriebsanweisungen in Abschn. 3.5.2.4 ausgeführt. Das Inhaltsverzeichnis eines Instandhaltungshandbuchs zeigt Tabelle 2.28. Tabelle 2.28 Gliederung eines Instandhaltungshandbuchs (Praxisbeispiel) 1

Zielstellung und Benutzerhinweise

2

Grundsätze zur Sicherheit sowie zum Gesundheits- und Umweltschutz

3

Organisationsstruktur 3.1 Betriebsstrukturen 3.2 Einbindung von Fremdfirmenmitarbeitern 3.3 Besonderheiten im Stillstand 3.4 Auslösung von Aufträgen

4

Instandhaltungsstrategien 4.1 Inspektion und Wartung 4.2 Störungsbedingte Instandhaltung 4.3 Zustandorientierte Instandhaltung 4.4 Instandhaltung bei Stillständen 4.5 Richtlinie für Vergabe von Instandhaltungsarbeiten

5

Ersatz- und Verschleißteillisten

6

Ablauforganisation zur Instandhaltung 6.1 Inspektion und Wartung 6.1.1 Wartungs- und Inspektionsplan 6.1.2 Freigaben für Wartung/Inspektion 6.1.3 Anweisungen für Wartungs-/Inspektionsmaßnahmen 6.1.4 Abrechnung von Leistungen 6.1.5 Auswertung und Dokumentation 6.2 Störungsbedingte Instandsetzung 6.2.1 Identifizierung der Instandsetzungsmaßnahmen 6.2.2 Freigaben für Instandsetzung 6.2.2 Anweisungen für Instandsetzungsarbeiten 6.2.3 Abrechnung von Leistungen 6.2.4 Auswertung und Dokumentation

136

2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

Tab. 2.28 (Fortsetzung) 6 Ablauforganisation zur Instandhaltung (Fortsetzung) 6.3 Zustandorientierte Instandsetzung 6.3.1 Freigaben für Instandsetzung 6.3.2 Anweisungen für Instandsetzungsarbeiten 6.3.3 Abrechnung von Leistungen 6.3.4 Auswertung und Dokumentation 6.4 Instandsetzung bei Stillständen 6.4.1 Anweisungen für Instandsetzungsarbeiten 6.4.2 Abrechnung von Leistungen 6.4.3 Auswertung und Dokumentation

c) Betriebstagebuch Der Begriff Betriebstagebuch ist in der Abfall- und Abwasserwirtschaft gebräuchlich. Das Betriebstagebuch hat alle für den Betrieb der Abfallentsorgungs- bzw. Abwasseranlage wesentlichen Daten zu enthalten. Es ist nachvollziehbar zu dokumentieren, dass jederzeit die erteilte Genehmigung und die Anforderungen aus den geltenden Rechtsvorschriften eingehalten wurden. In Tabelle 2.29 ist ein praktisches Beispiel dargestellt. Tabelle 2.29 Hauptpunkte des Betriebstagebuchs einer Recyclinganlage für Kunststoff (Praxisbeispiel) 1

Zielstellung und Grundsätze

2

Kurzbeschreibung der Anlage

3

Betriebs- und Stillstandszeiten der Anlage

4

Vorkommnisse und Betriebsstörungen (inkl. Abhilfemaßnahmen)

5

Nachweise für angenommene Kunststoffabfälle (Annahmebelege, Lieferscheine, Begleitzettel)

6

Fahrprotokolle der Prozessstufen

7

Probenahme- und Analysenprotokolle (von Eigenkontrollen)

8

Nachweise zur Reststoffverwertung (inkl. Entsorgungsnachweise)

9

Anhang  Formblätter zur Erfassung des Lagerbestands  Vorgaben zu Funktionsprüfungen  Richtlinie zur Instandhaltung (Wartung, Inspektion, Instandsetzung)

Folgernd aus diesem Anwendungsbeispiel wird empfohlen, Betriebstagebücher auch in anderen verfahrenstechnischen Anlagen zu nutzen. Primäres Ziel des Betriebstagebuchs sollte sein, die Einhaltung des bestimmungsgemäßen Betriebs inkl. relevanter Rechtsvorschriften nachvollziehbar und gerichtsfest zu dokumentieren. Neben den Schwerpunkten in Tabelle 2.29, soweit zutreffend, kann das Betriebstagebuch für folgende weiteren Ziele genutzt werden:  Nachweis des Betreibers, dass während des Anlagenbetriebs zu jedem Zeitpunkt die behördlichen Festlegungen, insbesondere die Nebenbestimmungen des Genehmigungsbescheids, eingehalten wurden.

2.4 Dokumentation und Inbetriebnahmedokumente

137

Damit wären die Voraussetzungen für die Beweislastumkehr bei Umwelthaftungsansprüchen gegeben (s. Abschn. 3.3.2.2, Buchst. e)). Konkret bedeutet dies, ▪ zunächst alle behördlichen Festlegungen (einzuhaltende Grenzwerte, notwendige Kontrollen und Prüfungen usw.) zu identifizieren, ▪ die erforderlichen Messungen und sonstigen Prüfungen durchzuführen und ▪ die Ergebnisse/Nachweise nachvollziehbar zu dokumentieren. Das Betriebstagebuch kann dafür den geeigneten Ordnungsrahmen bilden.  Erfassen von Alarmen bzw. Grenzwertüberschreitungen, sodass die Ursachen analysiert und Änderungsmaßnahmen abgeleitet werden können.  Erfassen von ausgewählten Betriebsparametern, die eine fundierte Prozess- und Anlagenanalyse im Hinblick einer höheren Wirtschaftlichkeit ermöglichen.  Erfassen von Fahrprotokollen/-berichten (Batch-, Versuchs-, Reinigungsprotokolle), um die vorgabe- und qualitätsgerechte Produktherstellung zu belegen (z.B. in Pharmaanlagen). d) Prüfhandbuch Die Sicherheitspflichten für die Errichter und Betreiber verfahrenstechnischer Anlagen sind sehr umfangreich. Die zugehörigen Dokumente beeinflussen das Leben einer Dokumentation entscheidend. Dabei ist zwischen Dokumentenarten für Arbeitssicherheit und für Anlagensicherheit zu unterscheiden (s. Abschn. 3.1). Die arbeitssicherheitlichen Dokumentenarten, wie z.B. die Betriebs- und Instandhaltungsanweisungen, sind überschaubar und ihr Handling ist i.d.R. in allen Lebensphasen der Anlage ausreichend geregelt. Schwieriger ist die pflichtgemäße Beschaffung bzw. Erarbeitung der Dokumentenarten zum Nachweis der Anlagensicherheit. Ihre Anzahl ist sehr groß und resultiert aus zahlreichen Rechtsvorschriften. Ferner sind sie von vielen verschiedenen Unternehmen und Personen zu erarbeiten bzw. zu liefern. Für die Inbetriebnahme- und Betriebsleiter verfahrenstechnischer Anlagen ist es in der Praxis oft sehr schwierig zu beurteilen, ob zum gegebenen Zeitpunkt (z.B. Beginn der Erstinbetriebnahme) alle notwendigen sicherheits- und rechtsrelevanten Dokumente vorliegen. Nicht wenige Führungskräfte befürchten, wegen nicht durchgeführter Prüfungen bzw. wegen fehlender Prüfungsnachweise eine Sorgfaltspflichtverletzung zu begehen. Zur Lösung dieses Problems kann aus Sicht des Verfassers ein anlagenspezifisches Prüfhandbuch gemäß folgender Definition wesentlich beitragen. Das Prüfhandbuch ist eine Zusammenstellung von Prüfpflichten sowie von ergänzenden Hinweisen zur Vorbereitung, Durchführung, Dokumentation und Erfüllungskontrolle der notwendigen Prüfungen im Leben einer Anlage.

Statt vom Prüfhandbuch wird mitunter auch von einem „Anlagenspezifischen Prüfprogramm“ oder von einer „Checkliste Sicherheitsprüfungen“ gesprochen. Das Prüfhandbuch sollte gegen Ende des Detail Engineering begonnen und während der Bau-/Montagephase sukzessive fertiggestellt werden. Es dient als Planungs- und Kontrolldokument für die rechts- und vertragsrelevanten Sicherheitsprüfungen und behördlichen Aufsichtsmaßnahmen während der Anlagenerrichtung. Das Inbetriebnahmeteam nutzt das Prüfhandbuch erstmalig für die Verwaltung der notwendigen „Prüfungen vor Inbetriebnahme“, gegebenenfalls unter Nutzung der betrieblichen Office-Tools.

138

2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

Der Anlagenbetreiber kann das Prüfhandbuch später weiterhin als Grundlage für die wiederkehrenden Prüfungen nutzen. Funktionsprüfungen und Instandhaltungsmaßnahmen gehören nicht in das Prüfhandbuch. Die konkrete Anwendung in Vorbereitung der Inbetriebnahme wird in Abschn. 5.5.1 betrachtet.

2.4.3.3 AS BUILT-Dokumentation Die AS BUILT-Dokumentation (Synonym: Enddokumentation, Final Documentation) entspricht der Gesamtdokumentation der Anlage, die den Sachstand über die Anlage zum Zeitpunkt ihrer Abnahme richtig (as built) und vollständig gemäß vertraglicher Vereinbarung beschreibt. Hauptbestandteile der AS BUILT-Dokumentation sind vor allem die zum Abnahmezeitpunkt revidierten Anlagen- und Prüfdokumentationen. Die AS BUILT-Dokumentation umfasst alle Exemplare, egal ob sie in Papierform oder elektronischer Form vorliegen. Letztlich resultiert sie aus der Inbetriebnahmedokumentation, ergänzt um die Änderungen/Ergänzungen während der Inbetriebnahme. Die Erstellung und Lieferung der AS BUILT-Dokumentation ist nach der Errichtung und Inbetriebnahme der Anlage die zweitwichtigste Vertragsleistung des Auftragnehmers. Der Inbetriebnahmeleiter ist i.Allg. nicht nur dafür verantwortlich, er muss auch die notwendige Sachkunde auf diesem Fachgebiet besitzen. Auf einzelne Aspekte der vertraglichen Gestaltung inkl. der Spezifikation wird in Abschn. 6.10.1 eingegangen. Über die Fertigstellung, Lieferung, Prüfung und Abnahme der AS BUILT-Dokumentation sind in den Abschn. 6.10.2 bis 6.10.4 detailliert Ausführungen enthalten.

Literatur [1]

Weber K H (2016) Engineering verfahrenstechnischer Anlagen: Praxishandbuch mit Checklisten und Beispielen, Springer Viehweg, Berlin Heidelberg

[2]

Bernecker G (2001) Planung und Bau verfahrenstechnischer Anlagen: Projektmanagement und Fachplanungsfunktionen, Springer-Verlag, Berlin Heidelberg

[3]

Verordnung über die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen (Honorarordnung für Architekten und Ingenieure – HOAI) vom 10.07.2013

[4]

DE 42 18 726 C2: Verfahren zur Reinigung von Methan aus Erdgas

[5]

Chmiel Horst (Hrsg.) (2011) Bioprozesstechnik, Springer Spektrum, Heidelberg

[6]

Najafpour Ghasem (2006) Biochemical Engineering and Biotechnology, Elsevier Science, Amsterdam Kidlington

[7]

Audioguide (2014) Kennedy Space Center, Cap Canaveral, Florida, USA

[8]

Strohrmann G (2002) Automatisierung verfahrenstechnischer Prozess: eine Einführung für Techniker und Ingenieure, Oldenburg-Industrieverlag, München Wien

Literatur

139

[9]

Richtlinie 2014/68/EU (Druckgeräte-Richtlinie) des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.05.2014 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung von Druckgeräten auf dem Markt

[10]

DIN EN 1333: Definition und Auswahl des Nenndrucks (PN)

[11]

Kurpjuhn H-A, Reiche A Zulässige Druck- und Temperaturänderungsgeschwindigkeiten für Dampferzeuger- und Rohrleitungsbauteile und deren grafische Darstellung im Echtzeitbetrieb. VGB Kraftwerkstechnik 71 (1991) 6, S. 544/546

[12]

DIN EN ISO 12944-4: Korrosionsschutz von Stahlbauten durch Beschichtungssysteme Teil 4: Arten von Oberflächen und Oberflächenvorbereitung

[13]

Stahlbau Arbeitshilfe, 1.2 Korrosionsschutz Oberflächenvorbereitung, Bauen mit Stahl, Düsseldorf

[14]

DIN EN ISO 8501-1: Vorbereitung von Stahloberflächen vor dem Auftragen von Beschichtungsstoffen – Visuelle Beurteilung der Oberflächenreinheit Teil 1: Rostgrade und Oberflächenvorbereitungsgrade von unbeschichteten Stahloberflächen und Stahloberflächen nach ganzflächigem Entfernen vorhandener Beschichtungen

[15]

Günther T (2015) Baustellenmanagement im Anlagenbau: Von der Planung bis zur Fertigstellung, Springer Vieweg, Berlin Heidelberg

[16]

Wosseg G (Hrsg.) (2016) Handbuch Rohrleitungsbau, Band I: Planung-Herstellung-Errichtung, Vulkan Verlag

[17]

DIN 11866 (2016-11): Komponenten aus nichtrostendem Stahl für aseptische Anwendungen in der chemischen und pharmazeutischen Industrie – Rohre

[18]

DIN 11865 (2012-02): Formstücke aus nichtrostendem Stahl für Aseptik, Chemie und Pharmazie – T-Stücke, Bogen, Reduzierstücke zum Anschweißen

[19]

DIN EN 13480-4: Metallische industrielle Rohrleitungen Teil 4: Fertigung und Verlegung

[20]

DIN-Taschenbuch 384: Verlegerichtlinie für Rohrleitungen im chemischen und pharmazeutischen Anlagenbau

[21]

VGB-S 513 (2015): Innere Reinigung von Wasserrohr-Dampferzeugeranlagen und Rohrleitungen

[22]

DIN EN 61131-3: Speicherprogrammierbare Steuerungen Teil 3: Programmiersprachen

[23]

DIN EN 60848: GRAFCET – Spezifikationssprache für Funktionspläne der Ablaufsteuerung

[24]

Weber K H (2008) Dokumentation verfahrenstechnischer Anlagen: Praxishandbuch mit Checklisten und Beispielen, Springer-Verlag, Berlin Heidelberg

[25]

DIN EN 61355 (IEC 61355): Klassifikation und Kennzeichnung von Dokumenten für Anlagen, Systeme und Einrichtungen

140

2 Beachtung der Inbetriebnahme bei der Entwicklung und Planung

[26]

DIN 28000: Chemischer Apparatebau, Dokumentenarten im Lebensweg von Prozessanlagen Teil 1: Erfassung der grundlegenden und ergänzenden Dokumentarten Teil 2: Definition der Dokumentarten

[27]

DIN EN 13306: Begriffe der Instandhaltung

3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheits- und Umweltschutz für die Inbetriebnahme 3.1 Vorbemerkungen und Begriffsdefinitionen Vom ersten bis zum letzten Tag im „Leben“ einer verfahrenstechnischen Anlage sind Gesundheit – Sicherheit – Umweltschutz (GSU) bzw. Healthcare – Safety – Enviroment (HSE) wesentlich und notwendig. Die in Abb. 3.1 dargestellte Ordnungsstruktur systematisiert die Problemstellung und die Wechselbeziehung der Elemente und macht zugleich die Kompliziertheit und Komplexität der gesamten GSU-Problematik verfahrenstechnischer Anlagen deutlich. Sie soll zugleich die ganzheitliche Vorgehensweise bei der Problemanalyse und Problemlösung in der Verfahren- und Anlagentechnik begründen.

 Abb. 3.1 Ordnungsstruktur zur GSU-Thematik während des Anlagen-Lebenszyklus

Diese Feststellung bezieht sich auch auf die Beachtung der Inbetriebnahme bei der Planung, Realisierung und Gewährleistung von GSU, wobei einleitend gilt: Die Inbetriebnahme stellt eine Betriebsphase mit erhöhtem sicherheitstechnischem Risiko dar. Fehler und Mängel aus den Vorphasen sowie Unwägbarkeiten, die insbesondere bei neuen Verfahren, Anlagen und Komponenten auftreten können, sind dafür die wesentlichen Ursachen. Alle Beteiligte müssen dieser Herausforderung gerecht werden, indem sie bei allen Aufgaben die Sicherheitsrisiken/Gefahrenquellen bzw. umfassender die GSU-Risiken bewusst beurteilen und möglichst deren Ursachen beseitigen. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 K. H. Weber, Inbetriebnahme verfahrenstechnischer Anlagen, VDI-Buch, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59498-8_3

141

142

3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

Ergänzend zu diesen Vorbemerkungen und einleitend zur Thematik „Planen von Gesundheit-Sicherheit-Umweltschutz sind im Weiteren noch einige Ausführungen gemacht.  Von zentraler Bedeutung ist der Begriff Sicherheit, der wie folgt verstanden wird: Sicherheit ist die Fähigkeit eines Systems, innerhalb der vorgegebenen Grenzen und während einer gegebenen Zeitspanne keine Gefährdungen für Personen, Umwelt und Sachen zu verursachen bzw. eintreten zu lassen.

 Im vorliegenden Buch ist das betrachtete System das Anlagenprojekt als Ganzes. Die Grenzen des Systems sind durch die Projektdefinition und die Zeitspanne durch die Projektdauer vorgegeben. Der Projektleiter ist innerhalb seines Verantwortungsbereiches und bis zum Projektende für die Sicherheit verantwortlich. Er kann Sicherheitsverantwortung an andere Personen übertragen (s. Abschn. 4.4.1.3).  Schutzziele entsprechend der Sicherheitsdefinition sind Personen, Umwelt und Sachen. Durch die sicherheitsgerichteten Maßnahmen sollen Gefährdungen für diese Schutzziele sowie mögliche Personenschäden, Umweltschäden und Sach-/Vermögensschäden, aber auch immaterielle Schäden (Image-, Ansehens-, Vertrauensverlust), vermieden werden.  Die Sicherheit ist in allen Phasen des Projektes zu realisieren. Während der Inbetriebnahme ist gegenüber dem Investor/Auftraggeber speziell die Betriebssicherheit (sprich: der sichere und genehmigungsgerechte Betrieb) der Neuanlage nachzuweisen.  Die Sicherheit wird in Anlagenprojekten nochmals in Anlagensicherheit und Arbeitssicherheit unterteilt.  Die Anlagensicherheit betrachtet Gefährdungen und Risiken für Personen, Umwelt und Sachen, die sich durch die Anlagentechnik inkl. Prozessleitsystem während des Anlagenbetriebs ergeben können. Schutzziele sind der Mensch, Umwelt und Sachen/Vermögen. Potentielle Quelle der Gefährdung ist die Anlage bzw. besondere Anlagenzustände. Die systematische Analyse und Bewertung dieser Gefährdungen und Risiken wird als Risikobeurteilung bezeichnet. Verantwortlich für die Durchführung einer rechtsfonformen Risikobeurteilung des Produkts und/oder der Anlage ist derjenige, der das betreffende Produkt bzw. die definierte Anlage in Verkehr bringt. Auf Details wird im Abschn. 3.5.2.1 eingegangen.  Die Arbeitssicherheit ist die Sicherheit der Beschäftigten bei der Arbeit. Sie betrachtet Gefährdungen und Risiken für Personen, die in Ausübung menschlicher Arbeit möglich sind. Das Schutzziel sind Beschäftigte bei der Arbeit. Potentielle Quelle der Gefährdung kann alles Mögliche (Mensch, Anlage, Stoffe, Umwelt, Umgebung u.ä.) sein. Die systematische Analyse und Bewertung dieser Gefährdungen und Risiken wird als Gefährdungsbeurteilung bezeichnet. Verantwortlich für das Vorliegen rechtskonformer Gefährdungsbeurteilungen vor Arbeitsantritt ist der Auftraggeber der betroffenen Beschäftigten (Arbeitnehmern). Für das Inbetriebnahme-Personal ist es der Inbetriebnahmeleiter. Auf Details wird im Abschn. 3.5.2.4 eingegangen. Die Gefährdungen, die vom Fehlverhalten eines Operators bzw. einer Serviceperson während der Inbetriebnahme ausgehen und zu gefährlichen Betriebszuständen führen können, werden bei der Risikobeurteilung erfasst.

3.2 Einbinden der Inbetriebnahme in die Projekt-Sicherheitsarbeit

143

 In der Praxis werden mitunter die Risikobeurteilung und die Gefährdungsbeurteilung sowohl begrifflich als auch inhaltlich nicht richtig unterschieden. Dies kann zu Missverständnissen und Effektivitätsverlusten führen. Die Ursachen sind vermutlich darin zu suchen, dass in beiden Fällen die potentiellen Gefährdungen und die angewandten Vorgehensweisen ähnlich sind.  Eine hohe Sicherheit bewirkt zugleich auch einen entsprechenden Schutz der Gesundheit und der Umwelt. Störungen oder Schäden wegen unzureichender Sicherheitsvorkehrungen wirken meistens auf alle drei Schutzziele. Darüber hinaus gibt es Gesundheits- bzw. Umweltgefährdungen, die nicht sicherheitsbedingt sind. Einige Beispiele dafür sind:  Nicht witterungsgerechte Kleidung, ungesunde Ernährung, mangelnde Hygiene, zu lange Arbeitszeiten, psychischer Arbeitsstress u.ä. sind zweifellos Gesundheitsgefährdungen und -risiken, aber kaum sicherheitsbedingt.  Hohe Schallemissionen, die von der Anlage ausgehen, sind in vielen Fällen gesundheitsschädigend, aber i.Allg. nicht sicherheitsrelevant.  Ein Verfahren, das mehr Ressourcen (Material, Energie) verbraucht als ein anderes, kann sicher sein, aber es ist auf jeden Fall weniger umweltschonend. In der Praxis wird deshalb insgesamt von GSU (Gesundheitsschutz – Sicherheit – Umweltschutz) bzw. HSE (Healthcare – Safety – Environment) gesprochen und deren erfolgreiche Realisierung angestrebt.

3.2 Einbinden der Inbetriebnahme in die ProjektSicherheitsarbeit Unter Sicherheitsarbeit wird die Gesamtheit der Maßnahmen und Tätigkeiten verstanden, die für das Erreichen bzw. Gewährleisten der Sicherheit (auch der GSU-Arbeit im weiteren Sinne) unternommen werden. In Anlagenprojekten wird die Sicherheitsarbeit zweckmäßig an Hand des Phasenmodells (s. Abschn. 2.1) strukturiert. Die Zuordnung der einzelnen sicherheitsbezogenen Tätigkeiten zum Phasenmodell zeigt die Abb. 3.2. Die Darstellung ist ein Arbeitsablauf für die Sicherheitsarbeit, und darüber hinaus für die gesamte GSU-Arbeit, im Projekt. Die systematische und strukturierte Sicherheitsarbeit unterteilt sich in vier Schritte S1 bis S4 mit zugehörigen Haltepunkten (Sicherheitstestat) am Ende jedes Schritts. Die Schritte 1 bis 3 liegen in den Engineeringphasen. Der 4. Schritt erfolgt während der Beschaffungs- und Errichterphase und endet an der Schnittstelle zwischen Montage/ Inbetriebnahme, kurz vor Mechanischer Fertigstellung. An den Haltepunkten wird im Team geprüft, ob die bis dahin geplanten sicherheitsrelevanten bzw. GSU/HSE-relevanten Ergebnisse vorliegen. Das Ergebnis wird protokolliert und mittels Musterformular testiert. Im Weiteren sind zunächst die ersten drei Schritte der Sicherheitsarbeit, die während der Anlagenplanung stattfinden, kurz charakterisiert: Schritt S1: Sicherheitstechnische Grundlagenermittlung  Beginn Phase 1 bis Ende Phase 2  Erarbeiten des Sicherheitstechnischen Grundkonzepts, z.B. ▪ Sammeln und Ermitteln von GSU-relevanten Stoff- und Kenndaten

144

3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

▪ Festlegen von Verfahrensparametern und Grundanforderungen an Sicherheitseinrichtungen ▪ Erarbeiten von Lösungsvarianten zur Gewährleistung der Sicherheitsbzw. GSU-Ziele  Konzepttestat Bem.: Die besonderen Zustände/Bedingungen und Gefährdungen während der Inbetriebnahme sind im Sicherheitstechnischen Grundkonzept zu berücksichtigen.

Phasen im Projekt

Schritte der Sicherheitsarbeit

Projektstart

GSU-Grundsätze

Grundlagenermittlung/ Lastenheft

S1 Sicherheitstechnische Grundlagenermittlung

Vorplanung

Sicherheitstechnisches Grundkonzept

Lösungsvorschlag

Konzepttestat

Entwurfsplanung

S2 Sicherheitstechnische Entwurfsplanung

Genehmigungsplanung

Sicherheitstechnisches Grundkonzept

Genehmigungsantrag Kostenermittlung Genehmigungsbescheid Investitionsentscheidung

Entwurfstestat S3 Sicherheitstechnische Detailplanung Ausführungsplanung gemäß Sicherheitskonzept

Ausführungsplanung

Planungstestat Beschaffung

S4 Realisieren des Sicherheitskonzeptes

Bau

Betriebsfreigabe betreffs GSU

Montage

Betriebstestat

Inbetriebnahme

Fortschreibung der Sicherheitsdokumentation

Projektabschluss

Erfüllungskontrolle aller Sicherheitsmaßnahmen

Abb. 3.2 Strukturierung der Sicherheitsarbeit in Anlagenprojekten gemäß Phasenmodell

3.2 Einbinden der Inbetriebnahme in die Projekt-Sicherheitsarbeit

145

Schritt S2: Sicherheitstechnische Entwurfsplanung  Beginn Phase 3 bis Ende Phase 4  Erarbeiten eines ganzheitlichen Sicherheitskonzepts bzw. GSU-Konzepts für die Anlage, z.B. ▪ Risikobeurteilung des Anlagenentwurfs (Status: AFD/Ende Basic Engineering) ▪ Erarbeiten des Explosionsschutzdokuments ▪ Sicherheitsrelevante Unterlagen für Genehmigungsantrag, ggf. Sicherheitsbericht nach Störfall-Verordnung (12. BImSchV) erarbeiten  Entwurfstestat Bem.: Die inbetriebnahmespezifischen Zustände/Bedingungen und Gefährdungen sind für die Risikobeurteilung, das Explosionsschutzdokument und den Genehmigungsantrag relevant und zu beachten. Schritt S3: Sicherheitstechnische Detailplanung  Zeitpunkt Investitionsentscheidung bis Ende Phase 6  Detaillierte planerische Umsetzung des Sicherheits-/GSU-Konzepts, z.B. ▪ Ausführungsplanung der Sicherheitstechnik (GSU) ▪ Erfüllungskontrolle zur Basic-Risikobeurteilung inkl. Aktionspunkten und Review/Update gemäß Status: AFC / Ende Detail Engineering ▪ Dokumentieren der sicherheitstechnischen Planungsergebnisse als Erfüllungs- und Kontrollbasis für die Realisierung ▪ Planung der Qualitätskontrollen zur Sicherheitstechnik während der Realisierung ▪ Planung der notwendigen Sicherheitsprüfungen vor Inbetriebnahme  Planungstestat Bem.: Die besonderen Zustände/Bedingungen und Gefährdungen während der Inbetriebnahme sind umfassend in die Sicherheitstechnische Detailplanung einzubeziehen. Die detaillierten Arbeiten, die während der Schritte S1 bis S3 im Engineering durchzuführen sind, werden in [1] erläutert. Im vorliegenden Buch stehen die Realisierung des Sicherheitskonzepts sowie deren nachvollziehbare und gerichtsfeste Erfüllungskontrolle im Mittelpunkt. Diese Sicherheitsarbeit wird in Schritt S4 geleistet und umfasst die GSU-relevanten Aufgaben während Beschaffung, Bau und Montage (inkl. Inbetriebnahme vorbereitender Aktivitäten). Sie endet mit dem Betriebstestat und der Betriebsfreigabe (exakt: Inbetriebnahmefreigabe) aus Sicht von Gesundheit-Sicherheit-Umwelt. Die Erteilung/Zertifizierung eines Betriebstestats bedeutet im Prinzip, dass  das geplante Sicherheitskonzept realisiert wurde,  die GSU-Belange während der Beschaffung und Errichtung der Anlage einschließlich der zugehörigen Dokumentationsleistungen erfolgreich bewältigt wurden,  die GSU-relevanten Voraussetzungen für den Übergang von der Baustellenabwicklung hin zum Inbetriebnahmebeginn geschaffen sind. Die Konsequenz der Erfüllungskontrolle und Testierung ist, dass aus Sicht von Sicherheit sowie Gesundheits- und Umweltschutz die Betriebsfreigabe erteilt werden kann. Die Einzelaufgaben des Schritts S4 sind aus Abb. 3.3, Punkte 1)  14) zu entnehmen.

146

3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

Phasen im Projekt

Schritte und Aufgaben der Sicherheitsarbeit

Projektstart

GSU-Grundsätze

Grundlagenermittlung Vorplanung

S1 Sicherheitstechnische Grundlagenermittlung → Sicherheitstechnisches Grundkonzept

Entwurfsplanung und Genehmigungsplanung

S2 Sicherheitstechnische Entwurfsplanung → Ganzheitliches Sicherheitskonzept

Ausführungsplanung

S2 Sicherheitstechnische Detailplanung → Ausführungsplanung gemäß Sicherheitskonzept S4 Realisieren des Sicherheitskonzepts 1) Beachtung von GSU in allen Beschaffungsvorgängen 2) Beachtung von GSU bei Bau/Montage 3) Erarbeiten/Aktualisieren betrieblicher Dokumente zu Brand-/Explosionsschutz, Alarmierung, Gefahrenabwehr, Erste-Hilfe, Verhalten bei Unfällen u.ä. 4) Erarbeiten des Inbetriebnahmehandbuchs 5) Erarbeiten der Inbetriebnahmeanleitung für die Gesamtanlage

Beschaffung

Bau

6) Erarbeiten der Inbetriebnahmeanweisungen 7) Unterweisung betroffener Personen zu GSU, inkl. Anweisungen, Arbeitsfreigabesystem u.ä. 8) Durchführung und Nachweis über rechtsrelevante Sicherheitsprüfungen 9) Durchführung und Nachweis sonstiger vertragsrelevanter Sicherheitsprüfungen

Montage

10) Review der Detail-Risikobeurteilung, inkl. Aktionspunkterfüllung 11) Prüfung der genehmigungskonformen Anlagenrealisierung 12) Fortschreiben der bisherigen GSU-relevanten Engineeringdokumente gemäß Status: AFP – Approved for Production 13) Bestellen eines Inbetriebnahme-Sicherheitskoordinators und Bekanntmachung 14) Bestätigung Betriebstestat, Betriebsfreigabe betreffs GSU

Realisierung gemäß Sicherheitskonzept

Betriebstestat (Ende Phase 8) Abb. 3.3 Realisieren des Sicherheitskonzepts und Betriebsfreigabe betreffs GSU

Wichtige Fragestellungen, die beantwortet werden müssen, sind u.a.:  Welche Sicherheitsleistungen inkl. Dokumentation müssen die Hersteller der Hauptausrüstungen (Maschinen, Apparate, Behälter, Geräte) sowie der Package-units erbringen?

3.3 Inbetriebnahmerelevante Rechtsvorschriften der EU und der BRD

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 Welche Sicherheitsleistungen inkl. Dokumentation müssen die Montagefirmen der einzelnen Gewerke erbringen?  Welche betrieblichen GSU-Dokumente müssen vor Inbetriebnahme erarbeitet werden und wer ist dafür verantwortlich?  Ist für die Gesamtanlage eine Betriebsanleitung zu erarbeiten und wenn ja, wer muss es verantwortlich tun und was muss sie beinhalten?  Wer erarbeitet verantwortlich die Gefährdungsbeurteilungen und die Betriebsanweisungen inkl. Inbetriebnahmeanweisungen für die Inbetriebnahme?  Sollte ein Inbetriebnahmehandbuch erarbeitet werden und wenn ja, wer muss es verantwortlich tun und was muss es beinhalten?  Wer muss verantwortlich welche Sicherheitsprüfungen vor Inbetriebnahme durchführen und wie werden diese effizient geplant und dokumentiert?  Wird für den Inbetriebnahmezeitraum ein Sicherheitskoordinator benötigt?  Ist für die Gesamtanlage eine aktuelle, neue Risikobeurteilung gemäß dem Dokumentenstatus: AFP (Approved für Production) nötig und wie ist sie ggf. durchzuführen?  Muss für die Gesamtanlage die EU-Konformität erklärt werden? Diese und zugehörige Fragestellungen werden in den jeweiligen Abschnitten dieses Buchs beantwortet (s. Sachwortverzeichnis).

3.3 Inbetriebnahmerelevante Rechtsvorschriften der EU und der BRD Im vorliegenden Buch wird nur das europäische und deutsche Recht betrachtet. Für das tägliche Leben, wie auch für die Anlagen-Projektabwicklung werden europäische Rechtsvorschriften und Normen immer bedeutsamer. Das Europarecht soll einheitliche europäische Regelungen/Standards schaffen sowie einer effizienten Arbeitsteilung und eines reibungsarmen Warenaustauschs im europäischen Wirtschaftsraum dienen. Viele dieser europäischen Rechtsvorschriften sind vom Tag ihres in Kraft treten für alle Mitgliedsstaaten verbindlich und somit unmittelbare Arbeitsgrundlage. Unabhängig davon werden sie innerhalb vorgegebener Fristen in nationales Recht überführt. In der praktischen Arbeit wird mitunter die europäische Richtlinie oder die daraus abgeleitete deutsche Verordnung genutzt. Wenn im Weiteren von relevanten Rechtsvorschriften der EU und BRD geschrieben wird, so bezieht sich diese Aussage auf Anforderungen, die für die Vorbereitung und Durchführung der Inbetriebnahme wichtig sind.

3.3.1 Relevante Rechtsvorschriften der EU 3.3.1.1 Übersicht zum fachspezifischen Recht der EU Das Europarecht ist überstaatliches Recht auf europäischer Ebene. Es hat Vorrang vor den Rechtsvorschriften einzelner Mitgliedsstaaten. Um die wirtschaftlichen, umweltrechtlichen, sozialen, sicherheitlichen u.a. Rahmenbedingungen innerhalb der Europäischen Union (EU) zu vereinheitlichen, werden für das Fachgebiet Produkt- und Anlagenwirtschaft insbesondere EU-Richtlinien, seltener auch EU-Verordnungen, erlassen.

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz EU-Richtlinien formulieren Ziele und ggf. Maßnahmen sowie Fristen für deren Umsetzung. Die Mitgliedsstaaten entscheiden selbständig über die Mittel, mit denen diese Ziele erreicht werden sollen. Richtlinien müssen innerhalb der angeführten Fristen in nationales Recht überführt werden. EU-Verordnungen sind unmittelbar gültig und in allen EU-Mitgliedsstaaten rechtlich verbindlich, ohne dass es einer Umsetzung in nationales Recht bedarf.

Weitere mögliche Rechtsakte, auf die nur hingewiesen wird, sind Entscheidungen und Beschlüsse sowie Empfehlungen und Stellungnahmen der zuständigen EU-Institutionen. Für die Inbetriebnahme sind vor allem die EU-Richtlinien bedeutsam. Man kann sich vereinfachend als Hilfe merken: Rechtsvorschriften, die das Wort „Richtlinie“ enthalten, sind i.d.R. auf der EUEbene erlassen worden und für die Staaten der europäischen Union verbindlich. Grundsätzlich ist festzustellen, dass sich die meisten EU-Richtlinien vorrangig auf das Inverkehrbringen von Produkten beziehen. Den Warenaustausch innerhalb der EU zu vereinfachen, war und ist deren primäres Ziel. Verfahrenstechnische Anlagen waren davon zunächst weniger betroffen. Aber die Situation ändert sich. Einige der produktbezogenen EU-Richtlinien sind inzwischen auch für Anlagen relevant, sofern es sich z.B. um eine verkettete Maschine [2] oder ein verkettetes Druckgerät [3] handelt. Ferner gibt es zunehmend EU-Richtlinien, die a priori für verfahrenstechnische Anlagen erarbeitet und erlassen wurden (s. Abschn. 3.3.1.3). Im Weiteren wird deshalb zwischen EU-Rechtsvorschriften, die primär für Produkt und andere, die für Anlagen erlassen wurden, unterschieden.

3.3.1.2 EU-Rechtsvorschriften für Anlagenkomponenten bzw. Stoffe a) Maschinen-Richtlinie (MRL) [2]  In Artikel 1 (Anwendungsbereich) steht: (1) Diese Richtlinie gilt für die folgenden Erzeugnisse: a) Maschinen; b) auswechselbare Ausrüstungen; c) Sicherheitsbauteile; d) Lastaufnahmemittel; e) Ketten, Seile und Gurte; f) abnehmbare Gelenkwellen; g) unvollständige Maschinen.

Wegen des großen Umfangs werden nachfolgend nur wenige Aussagen zu den Buchst. a) (Maschinen) und g) (unvollständige Maschinen) angeführt.  Die MRL regelt das Inverkehrbringen von Maschinen innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) sowie der Schweiz und der Türkei und soll insbesondere einheitliche und ausreichende Vorkehrungen zur Unfallverhütungen im Umgang mit der Maschine gewährleisten. Vier wichtige Begriffe sind in der MRL, Artikel 2 (Begriffsbestimmungen) wie folgt definiert: „Maschine“ eine mit einem anderen Antriebsystem als der unmittelbar eingesetzten menschlichen oder tierischen Kraft ausgestattete oder dafür vorgesehene Gesamtheit miteinander verbundener Teile oder Vorrichtungen, von denen mindestens eines beweglich ist und die für eine bestimmte Anwendung zusammengefügt sind. (Wesensmerkmale kursiv!)

3.3 Inbetriebnahmerelevante Rechtsvorschriften der EU und der BRD

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„Unvollständige Maschine“ ist eine Gesamtheit, die fast eine Maschine bildet, für sich genommen aber keine bestimmte Funktion erfüllt. Ein Antriebssystem stellt eine unvollständige Maschine dar. Eine unvollständige Maschine ist nur dazu bestimmt, in andere Maschinen oder in andere unvollständige Maschinen oder Ausrüstungen eingebaut oder mit ihnen zusammengefügt zu werden, um zusammen mit ihnen eine Maschine im Sinne dieser Richtlinie zu bilden. „Inverkehrbringen“ die entgeltliche oder unentgeltliche erstmalige Bereitstellung einer Maschine oder einer unvollständigen Maschine in der Gemeinschaft (d. Verf.: EU) im Hinblick auf ihren Vertrieb oder ihre Benutzung. „Inbetriebnahme“ die erstmalige bestimmungsgemäße Verwendung einer von dieser Richtlinie erfassten Maschinen in der Gemeinschaft. Bem.: In Anhang I, Ziff. 1.1.1 wird unter „bestimmungsgemäßer Verwendung“ die Verwendung einer Maschine entsprechend den Angaben in der Betriebsanleitung verstanden.

 Außer des angeführten Maschinenbegriffs sind in der MRL noch weitere spezielle Ausrüstungen bzw. Vorrichtungen genannt, die auch als „Maschine im Sinne der MRL“ zu verstehen sind und den Regelungen der MRL unterliegen. Dazu gehört auch der Begriff „Gesamtheit von Maschinen“, der für die Frage bedeutend ist, ob verfahrenstechnische Anlagen von der MRL betroffen sind und eine Konformitätserklärung benötigen (s. Abschn. 3.5.2.3, Buchst. b)).  In Artikel 5 (Inverkehrbringen und Inbetriebnahme) der MRL steht als Voraussetzung für das Inverkehrbringen/der Inbetriebnahme einer Maschine u.a.: (1) Der Hersteller oder sein Bevollmächtigter muss vor dem Inverkehrbringen und/oder der Inbetriebnahme einer Maschine a) sicherstellen, dass die Maschine die in Anhang 1 aufgeführten, für sie geltenden grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen erfüllt; b) sicherstellen, dass die in Anhang VII Teil A genannten technischen Unterlagen verfügbar sind; c) insbesondere die erforderlichen Informationen, wie die Betriebsanleitung, zur Verfügung stellen; d) die zutreffenden Konformitätsbewertungsverfahren gemäß Artikel 12 durchführen; e) die EG-Konformitätserklärung gemäß Anhang II Teil 1 Abschnitt A ausstellen und sicherstellen, dass sie der Maschine beiliegen; f) die CE-Kennzeichnung gemäß Artikel 16 anbringen. (2) Vor dem Inverkehrbringen einer unvollständigen Maschine stellen der Hersteller oder sein Bevollmächtigter sicher, dass das in Artikel 13 genannte Verfahren (d. Verf.: Verfahren für unvollständige Maschinen) abgeschlossen worden ist.

 Die in Abs. (1), Buchst. a) gemachte Auflage ist im Anhang I (Grundlegende Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen für Konstruktion und Bau von Maschinen) sehr umfangreich und detailliert untersetzt. Sie stellen für das Engineering, die Beschaffung und Inbetriebnahme der Maschine eine wichtige Handlungsanleitung dar.  Wie in Abs. (1), Buchst. d) zitiert, fordert die MRL vom Hersteller oder seinem Bevollmächtigten, dass vor Inverkehrbringen und/oder der Inbetriebnahme der Maschine ein Konformitätsbewertungsverfahren durchzuführen ist. In diesem Verfahren sind u.a. eine Risikobeurteilung durchzuführen und nachzuweisen, dass die Maschine den Bestimmungen der MRL entspricht.

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

Im Einzelnen sind dabei zu beachten:  Im Ergebnis des Konformitätsbewertungsverfahrens ist für die Maschine u.a. eine EG-Konformitätserklärung auszustellen (s. Tab. 3.1) und an der Maschine ein CE-Kennzeichen anzubringen. Tabelle 3.1 Inhalt der Konformitätserklärung nach MRL, Anhang II Die EG-Konformitätserklärung muss folgende Angaben enthalten: 1. Firmenbezeichnung und vollständige Anschrift des Herstellers und gegebenenfalls seines Bevollmächtigten; 2. Name und Anschrift der Person, die bevollmächtigt ist, die technischen Unterlagen zusammenzustellen; diese Person muss in der Gemeinschaft ansässig sein; 3. Beschreibung und Identifizierung der Maschine einschließlich allgemeiner Bezeichnung, Funktion, Modell, Typ, Seriennummer und Handelsbezeichnung; 4. einen Satz, in dem ausdrücklich erklärt wird, dass die Maschine allen einschlägigen Bestimmungen dieser Richtlinie entspricht, und gegebenenfalls einen ähnlichen Satz, in dem die Übereinstimmung mit anderen Richtlinien und/oder einschlägigen Bestimmungen, in denen die Maschine entspricht, erklärt wird. Anzugeben sind die Referenzen laut Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union; 5. gegebenenfalls Name, Anschrift und Kennnummer der benannten Stelle, die das in Anhang IX genannte EG-Baumusterprüfverfahren durchgeführt hat, sowie die Nummer der EGBaumusterprüfbescheinigung; 6. gegebenenfalls Name, Anschrift und Kennnummer der benannten Stelle, die das in Anhang X genannte umfassende Qualitätssicherungssystem genehmigt hat; 7. gegebenenfalls die Fundstellen der angewandten harmonisierten Normen nach Artikel 7 Absatz 2; 8. gegebenenfalls die Fundstellen der angewandten sonstigen technischen Normen und Spezifikationen; 9. Ort und Datum der Erklärung; 10. Angaben zur Person, die zur Ausstellung dieser Erklärung im Namen des Herstellers oder seines Bevollmächtigten bevollmächtigt ist, sowie Unterschrift dieser Person.

 Im Normalfall muss der Maschinenhersteller bzw. -lieferant, sofern er eine vollständige Maschine gemäß MRL in Verkehr bringt, das Konformitätsverfahren durchführen, die EG-Konformitätserklärungen erarbeiten und als Teil der technischen Dokumentation an den Besteller übergeben.  Betrifft die Bestellung nur eine unvollständige Maschine, so muss der Hersteller auch eine Risikobeurteilung durchführen aber kein Konformitätsbewertungsverfahren. Die Einhaltung der Anforderungen an unvollständige Maschinen, die in der MRL angeführt sind, muss er in Form einer Einbauerklärung bestätigen.  Der Besteller oder der Baustellen- bzw. Inbetriebnahmeleiter, der später auf der Baustelle bzw. während der Inbetriebnahme aus der unvollständigen Maschine zusammen mit anderen Komponenten eine (vollständige) Maschine gemäß der Definition in der MRL montiert, muss vor Inverkehrbringen dieser konfigurierten vollständigen Maschine ein Konformitätsbewertungsverfahren durchführen, die EG-Konformitätserklärung ausstellen und das CE-Kennzeichen anbringen. Das heißt, der Besteller oder der Baustellen- bzw. Inbetriebnahmeleiter bringt in einem solchen Fall die Maschine gemäß MRL in Verkehr. Darauf ist er aber häufig personell und organisatorisch nicht eingestellt.

3.3 Inbetriebnahmerelevante Rechtsvorschriften der EU und der BRD

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 Um diese Schnittstelle zwischen Hersteller und Montage zu vereinfachen, sollten die Beschaffungsvorgänge derart gestaltet werden, dass möglichst immer eine vollständige Maschine „aus einer Hand“ eingekauft wird. Damit erhält der Besteller zusammen mit der Maschine vom Hersteller/Lieferant eine zum Produkt (Maschine) zugehörige EU-Konformitätserklärung.  Damit dieser Fakt „Lieferung einer Konformitätserklärung durch Hersteller bzw. Lieferanten“ zwischen den beteiligten Partnern eindeutig ist, sollte in der kaufmännischen Bestellung für die Maschine auch die Mitlieferung einer Konformitätserklärung vereinbart werden (s. auch Abschn. 5.1.1). Der Inbetriebnahmeleiter darf in keinen Fall, eine Maschine ohne zugehörige gültige Konformitätserklärung und ohne CE-Kennzeichnung in Betrieb nehmen. Dies ist eine gravierende Ordnungswidrigkeit (s. Abschn. 4.4.1.4).  Problematisch ist mitunter, dass die im Konformitätsbewertungsverfahren erarbeitete Risikobeurteilung nicht Teil der Hersteller- bzw. Lieferantendokumentation ist. Sie steht somit den Besteller bzw. gegebenenfalls dem Baustellen- bzw. Inbetriebnahmeleiter für dessen Folgebetrachtungen nicht zur Verfügung, kann aber auf Verlangen beim Hersteller bzw. Lieferant eingesehen werden.  Wie in Abs. (1), Buchst. b) zitiert, fordert die MRL vom Hersteller oder seinem Bevollmächtigten, dass vor Inverkehrbringen und/oder vor Inbetriebnahme der Maschine die in Anhang VII Teil A genannten Unterlagen verfügbar sind. Im Einzelnen wird u.a. gefordert: 1. Die technischen Unterlagen (d. Verf.: für Maschinen) umfassen a) eine technische Dokumentation mit folgenden Aufgaben bzw. Unterlagen:  eine allgemeine Beschreibung der Maschine,  eine Übersichtszeichnung der Maschine und die Schaltpläne der Steuerkreise sowie Beschreibungen und Erläuterungen, die zum Verständnis der Funktionsweise der Maschine erforderlich sind,  vollständige Detailzeichnungen, eventuell mit Berechnungen, Versuchsergebnissen, Bescheinigungen usw., die für die Überprüfung der Übereinstimmung der Maschine mit den grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen erforderlich sind,  die Unterlagen über die Risikobeurteilung, aus denen hervorgeht, welches Verfahren angewandt wurde; die schließt ein: i) eine Liste der grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen, die für die Maschinen gelten, ii) eine Beschreibung der zur Abwendung ermittelten Gefährdungen oder Risikominderung ergriffenen Schutzmaßnahmen und gegebenenfalls eine Angabe der von der Maschine ausgehenden Restrisiken,  die angewandten Normen und sonstigen technischen Spezifikationen unter Angabe der von diesen Normen erfassten grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen,  alle technischen Berichte mit den Ergebnissen der Prüfungen, die vom Hersteller selbst oder von einer Stelle nach Wahl des Herstellers oder seines Bevollmächtigten durchgeführt wurden,  ein Exemplar der Betriebsanleitung der Maschine,  gegebenenfalls die Einbauerklärung für unvollständige Maschinen und die Montageanleitung für solche unvollständigen Maschinen,

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz  gegebenenfalls eine Kopie der EG-Konformitätserklärung für in die Maschine eingebaute andere Maschinen oder Produkte,  eine Kopie der EG-Konformitätserklärung.

 Wie in Abs. (1), Buchst. c) zitiert, fordert die MRL vom Hersteller oder seinem Bevollmächtigten, die erforderlichen Informationen, wie z.B. eine Betriebsanleitung, zur Verfügung zu stellen. Die umfangreichen Vorgaben für die Betriebsanleitung gemäß MRL, Anhang I, Ziff. 1.7.4.2 enthält Tabelle 3.2. Tabelle 3.2 Inhalt der Betriebsanleitung nach MRL, Anhang 1, Ziff. 1.7.4.2 Jede Betriebsanleitung muss erforderlichenfalls folgende Mindestangaben enthalten: a) Firmenname und vollständige Anschrift des Herstellers und seines Bevollmächtigten; b) Bezeichnung der Maschinen entsprechend der Angabe auf der Maschine selbst, ausgenommen die Seriennummer, c) die EG-Konformitätserklärung oder ein Dokument, das die EG-Konformitätserklärung inhaltlich wiedergibt und Einzelangaben der Maschine enthält, das aber nicht zwangsläufig auch die Seriennummer und die Unterschrift enthalten muss; d) eine allgemeine Beschreibung der Maschine; e) die für die Verwendung, Wartung und Instandsetzung der Maschine und zur Überprüfung ihres ordnungsgemäßen Funktionierens erforderlichen Zeichnungen, Schaltpläne, Beschreibungen und Erläuterungen; f) eine Beschreibung des Arbeitsplatzes bzw. der Arbeitsplätze, die voraussichtlich vom Bedienungspersonal eingenommen werden; g) eine Beschreibung der bestimmungsgemäßen Verwendung der Maschine; h) Warnhinweise in Bezug auf Fehlanwendungen der Maschine, zu denen es erfahrungsgemäß kommen kann; i) Anleitungen zur Montage, zum Aufbau und zum Anschluss der Maschine, einschließlich der Zeichnungen, Schaltpläne und der Befestigungen, sowie Angabe des Maschinengestells oder der Anlage, auf das bzw. in die die Maschine montiert werden soll; j) Installations- und Montagevorschriften zur Verminderung von Lärm und Vibration; k) Hinweise zur Inbetriebnahme und zum Betrieb der Maschine sowie erforderlichenfalls Hinweise zur Ausbildung bzw. Einarbeitung des Bedienungspersonals; l) Angaben zu Restrisiken, die trotz der Maßnahmen zur Integration der Sicherheit bei der Konstruktion, trotz der Sicherheitsvorkehrungen und trotz der ergänzenden Schutzmaßnahmen noch verbleiben; m) Anleitung für die vom Benutzer zu treffenden Schutzmaßnahmen, gegebenenfalls einschließlich der bereitzustellenden persönlichen Schutzausrüstung; n) die wesentlichen Merkmale der Werkzeuge, die an die Maschine angebracht werden können; o) Bedingungen, unter denen die Maschine die Anforderungen an die Standsicherheit beim Betrieb, beim Transport, bei der Montage, bei der Demontage, wenn sie außer Betrieb ist, bei Prüfungen sowie bei vorhersehbaren Störungen erfüllt; p) Sicherheitshinweise zum Transport, zur Handhabung und zur Lagerung, mit Angabe des Gewichts der Maschine und ihrer verschiedenen Bauteile, falls sie regelmäßig getrennt transportiert werden müssen;

3.3 Inbetriebnahmerelevante Rechtsvorschriften der EU und der BRD

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Tab. 3.2 (Fortsetzung) q) bei Unfällen oder Störungen erforderliches Vorgehen; falls es zu einer Blockierung kommen kann, ist in der Betriebsanleitung anzugeben, wie zum gefahrlosen Lösen der Blockierung vorzugehen ist; r) Beschreibung der vom Benutzer durchzuführenden Einrichtungs- und Wartungsarbeiten sowie der zu treffenden vorbeugenden Wartungsmaßnahmen; s) Anweisungen zum sicheren Einrichten und Warten einschließlich der dabei zu treffenden Schutzmaßnahmen; t) Spezifikation der zu verwendenden Ersatzteile, wenn diese sich auf die Sicherheit und Gesundheit des Bedienungspersonals auswirken; u) folgende Angaben zur Luftschallemission der Maschine: ▪ … (diverse Angaben zu Emissionsschalldruckpegel)

 Abschließend sei noch vermerkt, dass die EG-Konformitätserklärung inkl. Risikobeurteilung sowie die technische Dokumentation zur vollständigen oder unvollständigen Maschine durch das gemäß MRL verantwortliche Unternehmen 10 Jahre (nach dem letzten Tag der Herstellung der Maschine) aufzubewahren sind.  Die MRL wurde mit der 9. ProdSV (Maschinenverordnung) [4] in deutsches Recht überführt.  Die Frage: Unterliegt die verfahrenstechnische Anlage auch der Maschinenrichtlinie? wird in Abschn. 3.5.2.3, Buchst. b) beantwortet. b) Druckgeräte-Richtlinie (Druckgeräte-RL bzw. DGRL) [3]  Die Druckgeräte-RL betrifft gemäß Artikel 1 (Geltungsbereich), Abs. (1) die Auslegung, Fertigung und Konformitätsbewertung von Druckgeräten und Baugruppen mit einem maximal zulässigen Druck (Abk.: PS) von über 0,5 bar (d. Verf.: > 0,5 barü).  Die beiden laut Geltungsbereich betroffenen Anlagenkomponenten werden in Artikel 2 (Begriffsbestimmungen wie folgt definiert: 1. „Druckgerät“ Behälter, Rohrleitungen, Ausrüstungsteile mit Sicherheitsfunktion und druckhaltende Ausrüstungsteile, gegebenenfalls einschließlich an drucktragenden Teilen angebrachte Elemente, wie z.B. Flansche, Stutzen, Kupplungen, Tragelemente, Hebeösen. 6. „Baugruppen“ mehrere Druckgeräte, die von einem Hersteller zu einer zusammenhängenden funktionalen Einheit verbunden werden.

Darüber hinaus werden in Artikel 2 u.a. weitere wichtige Begriffe bestimmt: 2. „Behälter“ ein geschlossenes Bauteil, das zur Aufnahme von unter Druck stehenden Fluiden ausgelegt und gebaut ist, einschließlich der direkt angebrachten Teile bis hin zur Vorrichtung für den Anschluss an andere Geräte; ein Behälter kann mehrere Druckgeräte aufweisen. 3. „Rohrleitungen“ zur Durchleitung von Fluiden bestimmte Leitungsbauteile, die für den Einbau in ein Drucksystem miteinander verbunden sind; zu Rohrleitungen zählen insbesondere Rohre oder Rohrsysteme, Rohrformteile, Ausrüstungsteile, Ausdehnungsstücke, Schlauchleitungen oder gegebenenfalls andere drucktragende Teile; Wärmetauscher aus Rohren zum Kühlen oder Erhitzen von Luft sind Rohrleitungen gleichgestellt. 4. „Ausrüstungsteile mit Sicherheitsfunktion“ Einrichtungen, die zum Schutz des Druckgeräts bei einem Überschreiten der zulässigen Grenzen bestimmt ist, einschließlich

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz  Einrichtungen zur unmittelbaren Druckbegrenzung wie Sicherheitsventile, Berstscheibenabsicherungen, Knickstäbe, gesteuerte Sicherheitseinrichtungen (CSPRS) und  Begrenzungseinrichtungen, die entweder Korrekturvorrichtungen auslösen oder ein Abschalten oder Abschalten und Sperren bewirken wie Druck-, Temperatur- oder Fluidniveauausschalter sowie mess- und regeltechnische Schutzeinrichtungen (SRMCR) 7. „Druck“ der auf den Atmosphärendruck bezogene Druck, d.h. ein Überdruck; demnach wird ein Druck im Vakuumbereich durch einen Negativwert ausgedrückt. 12. „Fluide“ Gase, Flüssigkeiten und Dämpfe als reine Phase sowie deren Gemische; Fluide können eine Suspension von Feststoffen enthalten. 15. „Bereitstellung auf dem Markt“ jede entgeltliche oder unentgeltliche Abgabe eines Druckgeräts oder einer Baugruppe zum Vertrieb, zum Verbrauch oder zur Verwendung auf dem Unionsmarkt im Rahmen einer Geschäftstätigkeit. 16. „Inverkehrbringen“ die erstmalige Bereitstellung eines Druckgeräts oder einer Baugruppe auf dem Unionsmarkt. 17. „Inbetriebnahme“ die erstmalige Verwendung eines Druckgeräts oder einer Baugruppe durch seinen oder ihren Nutzer. 18. „Hersteller“ jede natürliche oder juristische Person, die ein Druckgerät oder eine Baugruppe herstellt bzw. entwickeln oder herstellen lässt und dieses Druckgerät oder diese Baugruppe unter ihrem eigenen Namen oder ihrer eigenen Handelsmarke vermarktet oder für eigene Zwecke verwendet. 19. „Bevollmächtigter“ jede in der Union ansässige natürliche oder juristische Person, die von einem Hersteller schriftlich beauftragt wurde, in seinem Namen bestimmte Aufgaben wahrzunehmen. 20. „Einführer“ jede in der Union ansässige natürliche oder juristische Person, die ein Druckgerät oder eine Baugruppe aus einem Drittstaat auf dem Unionsmarkt bringt. 21. „Händler“ jede natürliche oder juristische Person in der Lieferkette, die ein Druckgerät oder eine Baugruppe auf dem Markt bereitstellt, mit Ausnahme des Herstellers oder des Einführers. 22. „Wirtschaftsakteure“ Hersteller, Bevollmächtigte, Einführer und Händler. 27. „Konformitätsbewertung“ das Verfahren zur Bewertung, ob die wesentlichen Sicherheitsanforderungen dieser Richtlinie an ein Druckgerät oder eine Baugruppe erfüllt worden sind.

 Die Druckgeräte-RL regelt u.a. in Artikel 4 die Technischen Anforderungen an Druckgeräte. Im Anhang I der Druckgeräte-RL sind dazu Wesentliche Sicherheitsanforderungen und notwendige Maßnahmen angeführt, die u.a. betreffen:  den Entwurf des Druckgerätes (Anhang I, Ziff. 2.), inkl. ▪ Auslegung auf die erforderliche Belastbarkeit ▪ Vorkehrungen für die Sicherheit in Handhabung und Betrieb ▪ Vorkehrungen für die Inspektion ▪ Entleerungs- und Entlüftungsmöglichkeiten ▪ Korrosion und andere chemische Einflüsse ▪ Verschleiß ▪ Baugruppen ▪ Füllen und Entleeren

3.3 Inbetriebnahmerelevante Rechtsvorschriften der EU und der BRD

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▪ Schutz vor Überschreiten der zulässigen Grenzen des Druckgerätes ▪ Ausrüstungsteile mit Sicherheitsfunktion ▪ externer Brand  die Fertigung des Druckgerätes (Anhang I, Ziff. 3.), inkl. ▪ Fertigungsverfahren ▪ Abnahme (Schluss- und Druckprüfung, Prüfung der Sicherheitseinrichtungen) ▪ Kennzeichnung und Etikettierung ▪ Betriebsanleitung  Werkstoffe (Anhang I, Ziff. 4)  spezifische, zusätzliche Anforderungen für bestimmte Druckgeräte (u.a. auch für Rohrleitungen) (Anhang I, Ziff. 5 bis 7). Beispielsweise wird für die Betriebsanleitung unter Ziff. 3.4 vorgegeben: a) Bei ihrer Bereitstellung auf dem Markt ist den Druckgeräten, sofern erforderlich, eine Betriebsanleitung für den Benutzer beizufügen, die alle der Sicherheit dienlichen Informationen zu folgenden Aspekten enthält:  Montage einschließlich Verbindung verschiedener Druckgeräte,  Inbetriebnahme,  Benutzung,  Wartung einschließlich Inspektion durch die Benutzer. b) Die Betriebsanleitung hat die gemäß Nummer 3.3 (d. Verf.: Kennzeichnung und Etikettierung) auf den Druckgerät anzubringenden Angaben mit Ausnahme der Serienkennzeichnung zu enthalten; der Betriebsanleitung sind gegebenenfalls die technischen Dokumente sowie Zeichnungen und Diagramme beigefügt, die für das richtige Verständnis dieser Anleitung erforderlich sind. c) Gegebenenfalls ist in die Betriebsanleitung auch auf die Risiken einer unsachgemäßen Verwendung gemäß Nummer 1.3 und auf die besonderen Merkmale des Entwurfs gemäß Nummer 2.2.3 hinzuweisen.

 In Anhang I (Grundlegende Sicherheitsanforderungen), Ziff. 3.2 (Abnahme) wird die Abnahme des Druckgeräts vor Inverkehrbringen wie folgt geregelt: 3.2.

Abnahme Druckgeräte müssen der nachfolgend beschriebenen Abnahme unterzogen werden.

3.2.1 Schlussprüfung Druckgeräte sind einer Schlussprüfung zu unterziehen, bei der durch Sichtprüfung und Kontrolle der zugehörigen Unterlagen zu überprüfen ist, ob die Anforderungen dieser Richtlinie erfüllt sind. Hierbei können Prüfungen, die während der Fertigung durchgeführt worden sind, berücksichtigt werden. Soweit von der Sicherheit her erforderlich, ist die Schlussprüfung innen und außen an allen Teilen des Gerätes, gegebenenfalls während des Fertigungsprozesses (z.B. falls Kontrolle bei der Schlussprüfung nicht mehr möglich) durchzuführen. 3.2.2 Druckprüfung Die Abnahme der Druckgeräte hat eine Druckfestigkeitsprüfung einzuschließen, die normalerweise in Form eines hydrostatischen Druckversuchs durchgeführt wird, wobei der Druck mindestens dem in Abschnitt 7.4 festgelegten Wert – falls anwendbar – zu entsprechen hat. Für serienmäßig hergestellte Geräte der Kategorie I kann diese Prüfung auf statistischer Grundlage durchgeführt werden.

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz Ist der hydrostatische Druckversuch nachteilig oder nicht durchführbar, so können andere Prüfungen, die sich als wirksam erwiesen haben, durchgeführt werden. Für andere Prüfungen als den hydrostatischen Druckversuch müssen zuvor zusätzliche Maßnahmen, wie zerstörungsfreie Prüfungen oder andere gleichwertige Verfahren, angewandt werden. 3.2.3 Prüfung der Sicherheitseinrichtungen Bei Baugruppen hat die Abnahme auch eine Prüfung der Ausrüstungsteile mit Sicherheitsfunktion zu umfassen, bei der überprüft wird, dass die Anforderungen gemäß Nummer 2.10 (d. Verf.: Schutz vor Überschreiten der zulässigen Grenzen des Druckgeräts) vollständig erfüllt sind. Betreffs des Hydrostatischen Druckversuchs wird in Abschn. 7.4 formuliert: 7.4 Hydrostatischer Prüfdruck Bei Druckbehältern darf der hydrostatische Prüfdruck gemäß Abschnitt 3.2.2 den höheren der folgenden Werte nicht unterschreiten:  den 1,25fachen Wert der Höchstbelastung des Druckgeräts im Betrieb unter Berücksichtigung des höchstzulässigen Drucks und der höchstzulässigen Temperatur;  dem 1,43fachen Wert des höchstzulässigen Drucks.

 Druckgeräte müssen vom Hersteller einem Konformitätsbewertungsverfahren unterzogen werden (Artikel 6). In Abs. (2) des Artikels 6 wird dazu festgelegt: (29 Bei den Druckgeräten oder Baugruppen nach Artikel 4 Absätze 1 und 2 erstellen die Hersteller die erforderlichen technischen Unterlagen gemäß Anhang III und führen das einschlägige Konformitätsbewertungsverfahren gemäß Artikel 14 durch oder lassen es durchführen. Wurde mit dem Verfahren gemäß Unterabschnitt 1 dieses Abschnitts nachgewiesen, dass die Druckgeräte oder Baugruppen nach Artikel 4 Absätze 1 und 2 den geltenden Anforderungen entsprechen, stellen die Hersteller eine EU-Konformitäts-erklärung aus und bringen die CE-Kennzeichnung an.

Bringt ein Einführer ein Druckgerät in Verkehr (s. Artikel 8, Abs. (2)) bzw. ein Händler ein Druckgerät auf den Markt (s. Artikel 9, Abs. (2)) muss er prüfen, dass das betreffende Konformitätsbewertungsverfahren vom Hersteller durchgeführt wurde und mit einer CE-Kennzeichnung versehen ist.  Die Durchführung des Konformitätsbewertungsverfahrens wird nach folgender Vorgehensweise bestimmt:  Festlegen der Art des Druckgeräts (Behälter, Rohrleitung, spezielle Druckgeräte gem. Artikel 4, Abs. (1), Buchst. b).  Einstufung des Druckgeräts in die Gruppen 1 und 2 entsprechend dem im Druckgerät vorhandenen Fluid gemäß Artikel 13 (Einstufung von Druckgeräten). Für die Einstufung der Fluids ist die GHS/CLP-Verordnung [5] die Grundlage.  Ermitteln der Kategorie des Druckgeräts mit Hilfe des zutreffenden Konformitätsbewertungsdiagramms in Anhang II (s. Beispiel in Abb. 3.4). Insgesamt gibt es 9 Diagramme, je 4 Diagramme für Behälter bzw. Rohrleitungen und 1 Diagramm für spezielle Druckgeräte.  Die in Artikel 4, Absatz (1) genannten Druckgeräte werden gemäß Anhang II nach zunehmendem Gefahrenpotential in Abhängigkeit von: ▪ der Art des Druckgeräts, ▪ der Gruppe, in die das Fluid eingestuft wurde,

3.3 Inbetriebnahmerelevante Rechtsvorschriften der EU und der BRD

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▪ dem maximal zulässigen Druck PS, ▪ dem maßgeblichen Volumen V (für Behälter) bzw. der Nennweite DN (für Rohrleitungen), ▪ dem Produkt aus Druck und Volumen PS*V (für Behälter) bzw. aus Druck und Nennweite P*DN (für Rohrleitungen) in die Kategorien I bis IV eingestuft (Artikel 4 und 13).

Abb. 3.4 Konformitätsbewertungsdiagramm 1 für Behälter gemäß Artikel 1 Buchst. a, Ziff. i, 1. Gedankenstrich (d. Verf.: Die römischen Ziffern entsprechen der eingestuften Kategorie) Bem.: Das Diagramm gilt für Behälter und für Gase, verflüssigte Gase, unter Druck gelöste Gase, Dämpfe und diejenigen Flüssigkeiten, deren Dampfdruck bei der zulässigen maximalen Temperatur um mehr als 0,5 bar über dem normalen Atmosphärendruck (1013 mbar) liegt, innerhalb nachstehenden Grenzen: ▪ bei Fluiden der Gruppe 1, wenn das Volumen größer als 1 Liter und das Produkt PS*V größer als 25 bar*L ist oder wenn der Druck PS größer als 200 bar ist.

 Wahl des Konformitätsbewertungsverfahren in Form von sog. Modulen gem. Artikel 14. In Abhängigkeit von der Kategorie I bis IV sind den Druckgeräten die Module A bis H zugeordnet (Artikel 14, Abs. (2)).  Für diese Module sind im Anhang III die zutreffenden Konformitätsbewertungsverfahren angeführt. Die Verfahren schließen auch Vorgaben ein für: ▪ die Bereitstellung technischer Unterlagen durch den Hersteller, ▪ eine ggf. notwendige Entwurfsprüfung durch eine notifizierte Prüfstelle, ▪ die fertigungsbegleitende Überwachung durch eine notifizierte Prüfstelle,

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

▪ die Schluss- und Druckprüfung durch den Hersteller bzw. die notifizierte Stelle, ▪ die Ausstellung einer schriftlichen Konformitätserklärung (s. Tab. 3.3), ▪ das Anbringen des CE-Kennzeichens. Tabelle 3.3 Inhalt der EU-Konformitätserklärung nach Druckgeräte-RL, Anhang IV 1. Druckgerät oder Baugruppe (Produkt-, Typen-, Chargen- oder Seriennummer: 2. Name und Anschrift des Herstellers und gegebenenfalls seines bevollmächtigten: 3. Die alleinige Verantwortung für die Ausstellung dieser Konformitätserklärung trägt der Hersteller: 4. Gegenstand der Erklärung (Bezeichnung des Druckgeräts oder der Baugruppe zwecks Rückverfolgbarkeit; sie kann, falls zur Identifizierung des Druckgeräts oder der Baugruppe notwendig, ein Bild enthalten):  Beschreibung des Druckgeräts oder der Baugruppe;  angewandte Konformitätsverfahren;  bei Baugruppen Beschreibung des Druckgeräts aus denen die Baugruppe besteht, sowie die angewandten Konformitätsbewertungsverfahren. 5. Der oben beschriebene Gegenstand der Erklärung erfüllt die einschlägigen Harmonisierungsvorschriften der Europäischen Union: 6. Angabe der einschlägigen harmonisierten Normen, die zugrunde gelegt wurden, oder Angabe der sonstigen technischen Spezifikation, für die die Konformität erklärte wird: 7. Gegebenenfalls Name, Anschrift und Nummer der notifizierten Stelle, die die Konformitätsbewertung vorgenommen hat, Nummer der ausgestellten Bescheinigung und Verweis auf die EU-Baumusterprüfbescheinigung (Baumuster), die EU-Baummusterprüfbescheinigung (Entwurfsmuster), die EU-Baumusterprüfbescheinigung oder die Konformitätsbescheinigung. 8. Zusatzangaben: Unterzeichner für und im Namen von: (Ort und Datum der Ausstellung) (Name, Funktion) (Unterschrift) (Gegebenenfalls: Angaben zum Unterzeichner, der bevollmächtigt ist, die Erklärung für den Hersteller oder seinen Bevollmächtigten rechtsverbindlich zu unterzeichnen)

 Der Hersteller bzw. sein in der Gemeinschaft ansässiger Bevollmächtigter hat eine Kopie der Konformitätserklärung sowie andere Unterlagen, die sein richtlinienkonformes Vorgehen belegen, 10 Jahre (nach Herstellung des letzten Druckgerätes) aufzubewahren.  Die Druckgeräte-RL wurde mit der 14. ProdSV (Druckgeräteverordnung) [6] in deutsches Recht überführt. Nähere Ausführungen zur Umsetzung in deutsches Recht sind in der Betriebssicherheitsverordnung [7] enthalten (s. Abschn. 3.3.2.3, Buchst. c)). c) ATEX-Herstellerrichtlinie [8]  Die ATEX-Herstellerrichtlinie findet gemäß Artikel 1(Anwendungsbereich), Abs. (1) Anwendung auf: a) Geräte und Schutzsysteme zur bestimmungsgemäßen Verwendung in explosionsgefährdeten Bereichen; b) Sicherheits-, Kontroll- und Regelvorrichtungen für den Einsatz außerhalb von explosionsgefährdeten Bereichen, die jedoch im Hinblick auf Explosionsgefahren für den sicheren Betrieb von Geräten und Schutzsysteme erforderlich sind oder dazu beitragen;

3.3 Inbetriebnahmerelevante Rechtsvorschriften der EU und der BRD

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c) Komponenten, die zum Einbau in die in Buchstabe a genannten Geräte und Schutzsysteme vorgesehen sind.

Sie trifft kurzgefasst Festlegungen für das Inverkehrbringen bzw. die bestimmungsgemäße Verwendung der angeführten Produkte, die in Artikel 2 (Begriffsbestimmungen) wie folgt definiert sind: 1. „Geräte“: Maschinen, Betriebsmittel, stationäre oder ortsbewegliche Vorrichtungen, Steuerungs- und Ausrüstungsteile sowie Warn- und Vorbeugungssysteme, die einzeln oder kombiniert zur Erzeugung, Übertragung, Speicherung, Messung, Regelung und Umwandlung von Energien und/oder zur Verarbeitung von Werkstoffen bestimmt sind und die eigene potentielle Zündquellen aufweisen und dadurch eine Explosion verursachen können. 2. „Schutzsysteme“: alle Vorrichtungen mit Ausnahme der Komponenten von Geräten, die anlaufende Explosionen umgehend stoppen und/oder den von einer Explosion betroffenen Bereich begrenzen sollen und als autonome Systeme gesondert in den Verkehr gebracht werden.

3. „Komponenten“: solche Bauteile, die für den sicheren Betrieb von Geräten und Schutzsystemen erforderlich sind, ohne jedoch selbst eine autonome Funktion zu erfüllen.

Der Geräte-Begriff wurde in der ATEX-Herstellerrichtlinie bewusst umfangreich definiert, sodass  die elektrischen Betriebsmittel mit ihren möglichen, elektrisch verursachten Zündquellen, wie z.B. Wärme- und/oder Funkenbildung durch lose bzw. korrodierte Kabelklemmen, Wicklungskurzschluss, Kabelbruch, überhöhte Stromstärke bzw. vergrößerter ohmscher Widerstand, und  die Maschinen u.a. Vorrichtungen mit ihren möglichen, mechanisch verursachten Zündquellen, wie z.B. Wärmebildung durch Reibung an Stopfbuchsen, Gleitringund Labyrinthdichtungen, Kupplungen, Wellenlagern erfasst werden. Der Gerätebegriff nach Hersteller-ATEX schließt Maschinen ein.  Weitere wichtige Begriffsdefinitionen aus Artikel 2 sind: 4. „explosionsfähige Atmosphäre“: ein Gemisch aus Luft und brennbaren Gasen, Dämpfen, Nebeln oder Stäuben unter atmosphärischen Bedingungen, in dem sich der Verbrennungsvorgang nach erfolgter Entzündung auf das gesamte unverbrannte Gemisch überträgt. 5. „explosionsgefährdeter Bereich“: ein Bereich, in dem die Atmosphäre aufgrund der örtlichen und betrieblichen Verhältnisse explosionsfähig werden kann.

Darüber hinaus definiert die ATEX-Herstellerrichtlinie zahlreiche Begriffe, wie z.B. Inverkehrbringen, Bereitstellung auf dem Markt, Hersteller, Bevollmächtigter, Einführer, Händler, Wirtschaftsakteure, nahezu identisch zur Druckgeräte-Richtlinie [3] (Buchst. b) diese Abschnitts). Beide Normen sind somit harmonisiert.  Die ATEX-Herstellerrichtlinie [8] stuft die Geräte laut Artikel 2 (Begriffsdefinition) in folgende zwei Gerätegruppen ein. 6. „Gerätegruppe I“: Geräte, die zur Verwendung in Untertagebetrieben von Bergwerken sowie deren Übertageanlagen, die durch Grubengas und/oder brennbare Stäube gefährdet werden können, bestimmt sind; dies umfasst die in Anhang I genannten Gerätekategorien M1 und M2;

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz 7. „Gerätegruppe II“: Geräte, die zur Verwendung in den übrigen Bereichen, die durch eine explosionsfähige Atmosphäre gefährdet werden können, bestimmt sind; dies umfasst die in Anhang I genannten Gerätekategorien 1, 2 und 3.

Für die meisten verfahrenstechnischen Anlagen ist somit die Gerätegruppe II zutreffend, sodass die weiteren Aussagen sich auf die Gerätegruppe II beschränken.  Die Begriff Gerätekategorie ist in Artikel 2, Ziff. 8. wie folgt definiert: 8. „Gerätekategorie“: die Einteilung von Geräten innerhalb jeder Gerätegruppe nach Anhang I, aus der sich das erforderliche Maß an Sicherheit, dass gewährleistet werden muss, ergibt.

Die Einstufung der Gerätegruppen in die Gerätekategorien steht im Anhang I. Nachfolgend auszugsweise die Angaben für die Gerätegruppe II (Ziff. 2.): a) Die Gerätekategorie 1 umfasst Geräte, die konstruktiv so gestaltet sind, dass sie in Übereinstimmung mit den vom Hersteller angegebenen Kenngrößen betrieben werden können und ein sehr hohes Maß an Sicherheit gewährleisten. Geräte dieser Kategorie sind zur Verwendung in Bereichen bestimmt, in denen eine explosionsfähige Atmosphäre, die aus einem Gemisch von Luft und Gasen, Dämpfen oder Nebeln oder aus Staub/Luft-Gemischen besteht, ständig oder langfristig oder häufig vorhanden ist. Geräte dieser Kategorie müssen selbst bei selten auftretenden Gerätestörungen das erforderliche Maß an Sicherheit gewährleisten und weisen daher Explosionsschutzmaßnahmen auf, sodass  beim Versagen einer apparativen Schutzmaßnahme mindestens eine zweite unabhängige apparative Schutzmaßnahme die erforderliche Sicherheit gewährleistet oder  beim Auftreten von zwei unabhängigen Fehlern die erforderliche Sicherheit gewährleistet wird. Die Geräte dieser Kategorie müssen die weitgehenden Anforderungen des Anhangs II Nummer 2.1 erfüllen. b) Die Gerätekategorie 2 umfasst Geräte, die konstruktiv so gestaltet sind, dass sie in Übereinstimmung mit den vom Hersteller angegebenen Kenngrößen betrieben werden können und ein hohes Maß an Sicherheit gewährleisten. Geräte dieser Kategorie sind zur Verwendung in Bereichen bestimmt, in denen damit zu rechnen ist, dass eine explosionsfähige Atmosphäre aus Gasen, Dämpfen, Nebeln oder Staub/Luft-Gemischen gelegentlich auftritt. Die apparativen Explosionsschutzmaßnahmen dieser Kategorie gewährleisten selbst bei häufigen Gerätestörungen oder Fehlerzuständen, die üblicherweise zu erwarten sind, das erforderliche Maß an Sicherheit. Die Geräte dieser Kategorie müssen die weitgehenden Anforderungen des Anhangs II Nummer 2.2 erfüllen. c) Die Gerätekategorie 3 umfasst Geräte, die konstruktiv so gestaltet sind, dass sie in Übereinstimmung mit den vom Hersteller angegebenen Kenngrößen betrieben werden können und ein Normalmaß an Sicherheit gewährleisten. Geräte dieser Kategorie sind zur Verwendung in Bereichen bestimmt, in denen nicht damit zu rechnen ist, dass eine explosionsfähige Atmosphäre durch Gase, Dämpfe, Nebel oder aufgewirbelten Staub auftritt, aber wenn sie dennoch auftritt, dann aller Wahrscheinlichkeit nur selten und während eines kurzen Zeitraums. Geräte dieser Kategorie gewährleisten bei normalem Betrieb das erforderliche Maß an Sicherheit. Die Geräte dieser Kategorie müssen die weitgehenden Anforderungen des Anhangs II Nummer 2.3 erfüllen.

3.3 Inbetriebnahmerelevante Rechtsvorschriften der EU und der BRD

161

 Für die Geräte werden im Anhang II der ATEX-Herstellerrichtlinie getrennt nach Kategorie 1 bis 3 zahlreiche gestalterische Anforderungen formuliert. Entsprechend den Sicherheitsanforderungen, denen die Geräte der drei Kategorien gerecht werden, sind sie für den Einsatz in unterschiedlichen Explosionsbereichen geeignet. In Tabelle 3.4 ist dazu eine Übersicht angegeben, die den Angaben in der ATEXBetriebsrichtlinie [9], Anhang II, Buchst. B. entsprechen. Tabelle 3.4 Angaben zu Geräten der Gerätegruppe II und der Gerätekategorien 1 bis 3 nach ATEX-Betriebsrichtlinie, Anhang II, Buchst. B [9] Gerätekategorie

Vorhandensein einer explosionsfähigen Atmosphäre

Sicherheitsanforderungen

Einsatz in Ex-Zone

1

Explosionsfähige Atmosphäre stän- sehr hohes Maß an Zone 0, 1, 2 (Gase) Zone 20, 21, 22 (Stäube) dig oder langfristig oder häufig vor- Sicherheit handen

2

Explosionsfähige Atmosphäre tritt hohes Maß an gelegentlich auf Sicherheit

Zone 1, 2 (Gase) Zone 21, 22 (Stäube)

3

Explosionsfähige Atmosphäre in der Normalmaß an Regel nicht vorhanden; wenn sie Sicherheit dennoch auftritt, dann nur selten und während eines kurzen Zeitraums

Zone 2 (Gase) Zone 22 (Stäube)

 Im Anhang II der ATEX-Herstellerrichtlinie sind die „Wesentlichen Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen für die Konzeption und den Bau von Geräten und Schutzsystemen zur bestimmungsgemäßen Verwendung in explosionsgefährdeten Bereichen“ angeführt. Diese betreffen u.a.:  Gemeinsame Anforderungen für Geräte und Schutzsysteme, inkl. ▪ Prinzipien der integrierten Explosionssicherheit, ▪ Kennzeichnung, ▪ Betriebsanleitung,  Auswahl von Werkstoffen,  Konstruktion und Bau, inkl. ▪ geschlossene Bauweise und Verhinderung von Undichtigkeiten, ▪ Staubablagerungen, ▪ gefahrloses Öffnen, ▪ Schutz vor sonstigen Risiken, ▪ Überlastung von Geräten, ▪ druckfeste Kapselungseinrichtungen.  Potentielle Zündquellen, inkl. ▪ Gefahren durch unterschiedliche Zündquellenszenarien, ▪ Gefahren durch statische Elektrizität, ▪ Gefahren durch elektrische Streu- und Leckströme, ▪ Gefahren durch unzulässige Erwärmung, ▪ Gefahren bei Druckausgleichsvorgängen.  Gefahren durch äußere Störungseinflüsse,  Integration von sicherheitsrelevanten Systemanforderungen,  Gefahren durch Energieausfall,  Gefahren durch Anschlüsse

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

 weitergehende Anforderungen an Geräte der verschiedenen Gerätekategorien (Ziff. 2.),  weitergehende Anforderungen an Schutzsysteme (Ziff. 3.). Die inhaltliche Definition für die Betriebsanleitung, die in Abs. 1.0.6., Buchst. b) der ATEX-Herstellerrichtlinie [8] gefordert wird, lautet: Die Betriebsanleitung beinhaltet die für die Inbetriebnahme, Instandhaltung, Inspektion, Überprüfung der Funktionsfähigkeit und gegebenenfalls Reparatur des Geräts oder Schutzsystems notwendigen Pläne und Schemata sowie alle zweckdienlichen Angaben insbesondere im Hinblick der Sicherheit.

Die angeführte Begriffsdefinition, die in den zuvor beschriebenen Maschinen- und Druckgeräte-Richtlinien nicht explizit angeführt ist, wurde auch für die weiteren Ausführungen dieses Buchs genutzt. Weitere Vorgaben zur Betriebsanleitung, die in Abs. 1.0.6., Buchst. a) angeführt sind, enthält Tabelle 3.5. Tabelle 3.5 Mindestangaben einer Betriebsanleitung nach Anhang I, Abs. 1.0.6, Buchst. a) der ATEX-Herstellerrichtlinie [8] Zu jedem Gerät oder Schutzsystem muss eine Betriebsanleitung vorhanden sein, die folgende Mindestangeben enthält:  gleiche Angaben wie bei der Kennzeichnung für Geräte und Schutzsysteme mit Ausnahme der Chargen- oder Seriennummer und gegebenenfalls instandhaltungsrelevante Hinweise (z.B. Anschriften von Service-Werkstätten usw.) ; ▪ Name und Anschrift des Herstellers, ▪ CE-Kennzeichnung, ▪ Bezeichnung der Serie und des Typs; Baujahr, ▪ das spezielle Explosionsschutzkennzeichen gefolgt von dem Kennzeichen, das auf die Gerätegruppe und -kategorie verweist, ▪ für die Gerätegruppe II der Buchstabe „G“ (für Bereiche, in denen explosionsfähige Gas-, Dampf-, Nebel-, Luft-Gemische vorhanden sind) und/oder der Buchstabe „D“ (für Bereiche, in denen Staub explosionsfähige Atmosphären bilden kann).  Angaben zur oder zum sicheren ▪ Inbetriebnahme, Verwendung, ▪ Montage und Demontage, ▪ Instandhaltung (Wartung und Störungsbeseitigung), ▪ Installation, Rüsten;  erforderlichenfalls die Markierung von gefährdeten Bereichen vor Druckentlastungseinrichtungen;  erforderlichenfalls Angaben zur Einarbeitung;  Angaben, die zweifelsfrei die Entscheidung ermöglichen, ob die Verwendung eines Geräts (entsprechend seiner ausgewiesenen Kategorie) oder eines Schutzsystems in den vorgegebenen Bereich unter den zu erwartenden Bedingungen gefahrlos möglich ist;  elektrische Kenngrößen und Drücke, höchste Oberflächentemperaturen sowie andere Grenzwerte;  erforderlichenfalls besondere Bedingungen für die Verwendung, einschließlich der Hinweise auf sachwidrige Verwendung, die erfahrungsgemäß vorkommen kann;  erforderlichenfalls die wesentlichen Merkmale der Werkzeuge, die an dem Gerät oder Schutzsystem angebracht werden können.

3.3 Inbetriebnahmerelevante Rechtsvorschriften der EU und der BRD

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 In Artikel 13 wird festgelegt, welches Konformitätsbewertungsverfahren für Geräte, Schutzsysteme und Komponenten der Gerätegruppen I und II sowie der Gerätekategorien 1 bis 3 während der Produktherstellung durchzuführen sind. Dazu werden die einzelnen Verfahren in 9 verschiedene Module unterteilt, die wie folgt definiert sind:  EG-Baumusterprüfung, inkl. Ausstellen der EG-Baumusterprüfbescheinigung,  Qualitätssicherung Produktion, inkl. Ausstellen der Konformitätsbescheinigung und CE-Kennzeichnung,  Prüfung der Produkte, inkl. Ausstellen der Konformitätsbescheinigung und CEKennzeichnung,  Konformität mit der Bauart, inkl. Ausstellen der Konformitätsbescheinigung und CE-Kennzeichnung,  Qualitätssicherung Produkt, inkl. Ausstellen der Konformitätsbescheinigung und CE-Kennzeichnung,  Interne Fertigungskontrolle, inkl. Ausstellen der Konformitätsbescheinigung und CE-Kennzeichnung,  Einzelfertigung, inkl. Ausstellen der Konformitätsbescheinigung und CE-Kennzeichnung. Der Hersteller des Produkts muss das Konformitätsbewertungsverfahren durchführen, die Konformitätsbescheinigung ausstellen und die CE-Kennzeichnung des Produkts vornehmen. Bringt ein Einführer ein Produkt in Verkehr (s. Artikel 8) bzw. ein Händler ein Produkt auf den Markt (s. Artikel 9) muss er prüfen, dass das betreffende Konformitätsbewertungsverfahren vom Hersteller durchgeführt wurde und das Produkt mit einer CE-Kennzeichnung versehen ist.  Der Inhalt der EG-Konformitätserklärung gemäß Anhang X ist in Tabelle 3.6 angegeben. Tabelle 3.6 Inhalt der Konformitätserklärung nach Anhang X der ATEX-Herstellerrichtlinie [8] 1. Produktmodell/Produkt (Produkt-, Typen-, Chargen- oder Seriennummer); 2. Name und Anschrift des Herstellers und gegebenenfalls seines Bevollmächtigten; 3. Die alleinige Verantwortung für die Ausstellung dieser Konformitätserklärung trägt der Hersteller; 4. Gegenstand der Erklärung (Bezeichnung des Produkts zwecks Rückverfolgbarkeit; nötigenfalls kann zur Identifizierung des Produkts ein Bild hinzugefügt werden); 5. Der oben beschriebene Gegenstand der Erklärung erfüllt die einschlägigen Harmonisierungsvorschriften der Union; 6. Angabe der einschlägigen harmonisierten Normen oder der anderen technischen Spezifikationen, die der Konformitätserklärung zugrunde gelegt wurden; 7. Gegebenenfalls: Die notifizierte Stelle … (Name, Kennnummer … hat … (Beschreibung ihrer Maßnahme) … folgende Bescheinigung ausgestellt; 8. Zusatzangaben Unterzeichnet für und im Namen von: (Ort und Datum der Ausstellung): (Name, Funktion) (Unterschrift):

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

 Der Hersteller bzw. sein in der Gemeinschaft ansässiger Bevollmächtigter hat eine Kopie der Konformitätserklärung sowie andere Unterlagen, die sein richtlinienkonformes Vorgehen belegen, 10 Jahre (nach Herstellung des letzten Geräts oder Schutzsystems) aufzubewahren.  Die ATEX-Herstellerrichtlinie wurde mit der 11. ProdSV (Explosionsschutzverordnung) [10] in deutsches Recht überführt.  Vor der Protokollierung Mechanische Fertigstellung ist im Rahmen der Prüfung vor Inbetriebnahme von Anlagen im explosionsgefährdeten Bereichen gemäß § 15 Betriebssicherheitsverordnung (s. Abschn. 3.3.2.3, Buchst. c) und Abschn. 5.5.1) auch die Einhaltung der ATEX-Herstellerrichtlinie zu prüfen und zu bescheinigen. Dies betrifft insbesondere die Kontrolle, dass  die Geräte, die im explosionsgefährdeten Bereichen zum Einsatz kommen, planungs- bzw. spezifikationsgerecht (lt. Geräteliste inkl. Maschinen) bestellt, geliefert und montiert wurden,  für all diese Geräte die notwendigen Konformitätsbescheinigungen, Betriebsanleitungen, technische Unterlagen vorliegen und die CE-Kennzeichnung angebracht ist. d) Niederspannungsrichtlinie (Niederspannungs-RL) [11]  Die Niederspannungsrichtlinie regelt das Inverkehrbringen von elektrischen Betriebsmitteln zur Verwendung bei einer Nennspannung  zwischen 50 und 1000 V für Wechselstrom und  zwischen 75 und 1500 V für Gleichstrom mit Ausnahme der Betriebsmittel und Bereiche, die in Anhang II der Richtlinie aufgeführt sind. Die bedeutendsten Ausnahmen für den Anlagenbau sind die elektrischen Betriebsmittel zur Verwendung in explosibler Atmosphäre. Für diese gilt die ATEX-Herstellerrichtlinie [8].  Die Begriffsdefinitionen in Artikel 2 (Begriffsbestimmungen) sind weitgehend harmonisiert zu den zuvor zitierten Definitionen in der Druckgeräte-RL [3] und der ATEX-Herstellerrichtlinie [8].  Die Niederspannungs-RL gibt u.a. vor:  die „Wichtigsten Angaben über die Sicherheitsziele für elektrische Betriebsmittel zur Verwendung innerhalb bestimmter Spannungsgrenzen“ in Anhang I,  das Konformitätsbewertungsverfahren durch den Hersteller gemäß Anhang III, die Ausstellung einer Konformitätserklärung und die CE-Kennzeichnung,  die notwendigen Angaben in der EG-Konformitätserklärung (Anhang IV),  die Anforderungen an die technischen Unterlagen (inkl. geeignete Risikoanalyse und -bewertung), die der Hersteller oder sein in der Gemeinschaft ansässiger Bevollmächtigter zur Einsichtnahme durch die nationalen Behörden vorhalten muss (s. Tab. 3.7),  die Aufbewahrungsfristen für die technischen Unterlagen und die Konformitätserklärung von 10 Jahren nach Herstellung des letzten Produkts.  Mit der 1. ProdSV (Verordnung über die Breitstellung elektrischer Betriebsmittel zur Verwendung innerhalb bestimmter Spannungsgrenzen auf dem Markt) [12] wurde die Niederspannungs-RL in deutsches Recht überführt.

3.3 Inbetriebnahmerelevante Rechtsvorschriften der EU und der BRD

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Tabelle 3.7 Inhalt der technischen Unterlagen gemäß Anhang III, Ziff. 2. der Niederspannungsrichtlinie [11]  Der Hersteller erstellt die technischen Unterlagen.  Anhand dieser Unterlagen muss es möglich sein, die Übereinstimmung eines elektrischen Betriebsmittels mit den betreffenden Anforderungen zu bewerten; sie müssen eine geeignete Risikoanalyse und -bewertung enthalten.  In den technischen Unterlagen sind die anwendbaren Anforderungen aufzuführen und der Entwurf, die Herstellung und der Betrieb des elektrischen Betriebsmittels zu erfassen, soweit sie für die Bewertung von Belang sind.  Die technischen Unterlagen enthalten gegebenenfalls zumindest folgende Elemente: a) eine allgemeine Beschreibung des elektrischen Betriebsmittels; b) Entwürfe, Fertigungszeichnungen und -pläne von Bauteilen, Baugruppen, Schaltkreisen usw.; c) die Beschreibungen und Erläuterungen, die zum Verständnis der genannten Zeichnungen und Pläne sowie der Funktionsweise der elektrischen Betriebsmittel erforderlich sind; d) eine Aufstellung, welche harmonisierten Normen, deren Fundstellen im Amtsblatt der EU veröffentlicht wurden oder welche in Artikel 13 und 14 genannten internationalen oder nationalen Normen vollständig oder in Teilen angewandt worden sind, und, wenn diese harmonisierten Normen bzw. internationalen oder nationalen nicht angewandt wurden, eine Beschreibung, mit welchen Lösungen den Sicherheitszielen dieser Richtlinie entsprochen wurde. e) die Ergebnisse der Konstruktionsberechnungen, Prüfungen usw., f) die Prüfberichte.

e) Elektromagnetische Verträglichkeit-Richtlinie (EMV-RL) [13]  Die EMV-RL regelt die elektromagnetische Verträglichkeit von Betriebsmitteln gemäß der Begriffsbestimmung in Artikel 3. In Artikel 3 werden im Sinne der EMV-RL die folgenden Begriffe wie folgt verstanden: 1. „Betriebsmittel“: ein Gerät oder eine ortsfeste Anlage. 2. „Gerät“: einen fertigen Apparat oder eine als Funktionseinheit auf den Markt bereitgestellte Kombination solcher Apparate, der bzw. die für Endnutzer bestimmt ist und elektromagnetische Störungen verursachen kann oder dessen bzw. deren Betrieb durch elektromagnetische Störungen beeinträchtigt werden kann. 3. „ortsfeste Anlage“: eine besondere Kombination von Geräten unterschiedlicher Art und gegebenenfalls weiteren Einrichtungen, die miteinander verbunden oder installiert werden und dazu bestimmt sind, auf Dauer an einem vorbestimmten Ort betrieben zu werden. 4. „elektromagnetische Verträglichkeit“: die Fähigkeit eines Betriebsmittels, in seiner elektromagnetischen Umgebung zufriedenstellend zu arbeiten, ohne dabei selbst elektromagnetische Störungen zu verursachen, die für andere Betriebsmittel in derselben Umgebung unannehmbar wären. 5. „elektromagnetische Störung“: jede elektromagnetische Erscheinung, die die Funktion eines Betriebsmittels beeinträchtigen könnte; eine elektromagnetische Störung kann ein elektromagnetisches Rauschen, ein unerwünschtes Signal oder eine Veränderung des Ausbreitungsmediums selbst sein.

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

Der Begriff „Betriebsmittel“ ist weit gefasst und schließt u.a. auch elektrische/elektronische Teilsysteme bzw. Teilanlagen verfahrenstechnischer Anlagen ein. Typisches Beispiel ist das Prozessleitsystem (PLS).  Die Begriffsdefinitionen in Artikel 3 (Begriffsbestimmungen) sowie die Ausführungen zur Konformität sind weitgehend harmonisiert zu den zuvor zitierten Definitionen in der Druckgeräte-RL [3] bzw. der ATEX-Herstellerrichtlinie [8].  Die EMV-RL gibt u.a. vor:  wesentliche Anforderungen an die Betriebsmittel (Anhang I),  das Konformitätsverfahren (interne Fertigungskontrolle) durch den Hersteller oder seinen Bevollmächtigten in der Gemeinschaft (Anhang II und III), inkl. EGKonformitätserklärung und CE-Kennzeichnung,  Angaben, die die EG-Konformitätserklärung beinhalten muss (Anhang IV),  Anforderungen an die technischen Unterlagen, die der Hersteller oder sein Bevollmächtigter in der Gemeinschaft für die zuständigen Behörden zur Einsicht bereithalten muss (Anhang II, Ziff. 3 und Anhang III, Ziff. 3),  Aufbewahrungsfristen für die technischen Unterlagen und die EG-Konformitätserklärung von 10 Jahren nach Fertigung des letzten Geräts.  Die EMV-RL wurde mit Hilfe des Gesetzes über die elektromagnetische Verträglichkeit von Betriebsmittels (EMVG ) [14] in deutsches Recht umgesetzt. f) REACH-Verordnung [15]  Die REACH-Verordnung ist eine sehr umfangreiche Chemikalienverordnung der EU. Die Abkürzung REACH leitet sich ab aus: Registration (Registrierung) – Evaluation (Bewertung) – Authorisation (Zulassung) – Restriction (Beschränkung) – Chemicals (Chemikalien)  Ziel und Geltungsbereich dieser Verordnung sind in Artikel 1 wie folgt angegeben: (1) Zweck dieser Verordnung ist es, ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und die Umwelt sicherzustellen, einschließlich der Förderung alternativer Beurteilungsmethoden für von Stoffen ausgehende Gefahren, sowie den freien Verkehr von Stoffen im Binnenmarkt zu gewährleisten und gleichzeitig Wettbewerbsfähigkeit und Innovation zu verbessern. (2) Diese Verordnung enthält Bestimmungen über Stoffe und Gemische des Artikels 3. Diese Bestimmungen gelten für die Herstellung, das Inverkehrbringen und die Verwendung derartiger Stoffe als solcher, in Gemischen oder in Erzeugnissen sowie für das Inverkehrbringen von Gemischen. (3) Diese Verordnung beruht auf dem Grundsatz, dass Hersteller, Importeure und nachgeschaltete Anwender sicherstellen müssen, dass sie Stoffe herstellen, in Verkehr bringen und verwenden, die die menschliche Gesundheit oder die Umwelt nicht nachteilig beeinflussen. Ihren Bestimmungen liegt das Vorsorgeprinzip zu Grunde.

 Die Definition der beiden Hauptbegriffe Stoff und Gemisch in Artikel 3 (Begriffsbestimmungen) lautet: Stoff: chemisches Element und seine Verbindungen in natürlicher Form oder gewonnen durch ein Herstellungsverfahren, einschließlich der zur Wahrung seiner Stabilität notwendigen Zusatzstoffe und der durch das angewandte Verfahren bedingten Verunreinigungen, aber mit Ausnahme von Lösungsmitteln, die von dem Stoff ohne Beeinträchtigung seiner Stabilität und ohne Änderung seiner Zusammensetzung abgetrennt werden können.“

3.3 Inbetriebnahmerelevante Rechtsvorschriften der EU und der BRD

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Gemisch: Gemenge, Gemisch oder Lösungen, die aus zwei oder mehr Stoffen bestehen.

 Die REACH-Verordnung regelt u.a. bezüglich der Stoffe und Gemische:       

Registrierung von Stoffen (Titel II), gemeinsame Nutzung von Daten und Vermeidung unnötiger Versuche (Titel III), Informationen in der Lieferkette (Titel IV), Nachgeschaltete Anwender (Titel V), Bewertung (Titel VI), Zulassung (Titel VII), Beschränkungen für die Herstellung, das Inverkehrbringen und die Verwendung bestimmter gefährlicher Stoffe, Gemische und Erzeugnisse (Titel VIII).

 Unter den Titel IV (Informationen in der Lieferkette) sind insbesondere die Anforderungen an Sicherheitsdatenblätter formuliert, die im Anhang II nochmals präzisiert werden. Das Sicherheitsdatenblatt muss nach Artikel 31, Anhang II, Teil B der REACHVerordnung die in Tab. 3.8 angegebenen Angaben enthalten. Tabelle 3.8 Inhalt eines Sicherheitsdatenblatts nach REACH-Verordnung [15] ABSCHNITT 1: Bezeichnung des Stoffs bzw. des Gemischs und des Unternehmens 1.1 Produktidentifikator 1.2 Relevante identifizierte Verwendungen des Stoffs oder Gemischs und Verwendungen, von denen abgeraten wird 1.3 Einzelheiten zum Lieferanten, der das Sicherheitsdatenblatt bereitstellt 1.4 Notrufnummer ABSCHNITT 2: Mögliche Gefahren 2.1 Einstufung des Stoffs oder Gemischs 2.2 Kennzeichnungselemente 2.3 Sonstige Gefahren ABSCHNITT 3: Zusammensetzung/Angaben zu Bestandteilen 3.1 Stoffe 3.2 Gemische ABSCHNITT 4: Erste-Hilfe-Maßnahmen 4.1 Beschreibung der Erste-Hilfe-Maßnahmen 4.2 Wichtige akute und verzögert auftretende Symptome und Wirkungen 4.3 Hinweise auf ärztliche Soforthilfe oder Spezialbehandlung ABSCHNITT 5: Maßnahmen zur Brandbekämpfung 5.1 Löschmittel 5.2 Besondere vom Stoff oder Gemisch ausgehende Gefahren 5.3 Hinweise zur Brandbekämpfung ABSCHNITT 6: Maßnahmen bei unbeabsichtigter Freisetzung 6.1 Personenbezogene Vorsichtsmaßnahmen, Schutzausrüstungen und in Notfällen anzuwendende Verfahren 6.2 Umweltschutzmaßnahmen 6.3 Methoden und Material für Rückhaltung und Reinigung 6.4 Verweis auf andere Abschnitte

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

Tab. 3.8 (Fortsetzung) ABSCHNITT 7: Handhabung und Lagerung 7.1 Schutzmaßnahmen zur sicheren Handhabung 7.2 Bedingungen zur sicheren Lagerung unter Berücksichtigung von Unverträglichkeiten 7.3 Spezifische Endanwendungen ABSCHNITT 8: Begrenzung und Überwachung der Exposition/Persönliche Schutzausrüstung 8.1 Zu überwachende Parameter 8.2 Begrenzung und Überwachung der Exposition ABSCHNITT 9: Physikalische und chemische Eigenschaften 9.1 Angaben zu den grundlegenden physikalischen und chemischen Eigenschaften 9.2 Sonstige Angaben ABSCHNITT 10: Stabilität und Reaktivität 10.1 Reaktivität 10.2 Chemische Stabilität 10.3 Möglichkeit gefährlicher Reaktionen 10.4 Zu vermeidende Bedingungen 10.5 Unverträgliche Materialien 10.6 Gefährliche Zersetzungsprodukte ABSCHNITT 11: Toxikologische Angaben 11.1 Angaben zu toxikologischen Wirkungen ABSCHNITT 12: Umweltbezogene Angaben 12.1 Toxizität 12.2 Persistenz und Abbaubarkeit 12.3 Bioakkumulationspotential 12.4 Mobilität im Boden 12.5 Ergebnisse der PTB- und vPvB-Beurteilung 12.6 Andere schädliche Wirkungen ABSCHNITT 13: Hinweise zur Entsorgung 13.1 Verfahren der Abfallbehandlung ABSCHNITT 14: Angaben zum Transport 14.1 UN-Nummer 14.2 Ordnungsgemäße UN-Versandbezeichnung 14.3 Transportgefahrenklasse 14.4 Verpackungsgruppe 14.5 Umweltgefahren 14.6 Besondere Vorsichtsmaßnahmen für den Verwender 14.7 Massengutbeförderung gemäß Anhang II des MARPOL-Übereinkommens 73/78 und IBC-Code ABSCHNITT 15: Rechtsvorschriften 15.1 Vorschriften zu Sicherheit, Gesundheits- und Umweltschutz/-spezifische Rechtsvorschriften für den Stoff oder das Gemisch 15.2 Stoffsicherheitsbeurteilung ABSCHNITT 16: Sonstige Angaben

 Verantwortlich für die Bereitstellung des Sicherheitsdatenblatts ist der Inverkehrbringer des Stoffs bzw. Gemischs. Das ist häufig der Hersteller/Lieferant, kann aber bei

3.3 Inbetriebnahmerelevante Rechtsvorschriften der EU und der BRD

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neuartigen Stoffen oder Gemischen (z.B. Zwischen-, Neben-, Abprodukte) im Rahmen von Anlageninvestitionen auch der Inbetriebnahmeleiter sein.  In der BRD wurden die Bestimmungen der REACH-Verordnung vorwiegend im Chemikaliengesetz (ChemG) [16] und daraus abgeleitet in der Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) [17] umgesetzt (s. Abschn. 3.3.2.2, Buchst. d)). Sobald Personen während der Inbetriebnahme mit Gefahrstoffen arbeiten, muss zuvor über diese Tätigkeiten eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt und auf dieser Basis eine Betriebsanweisung für den Umgang mit diesem speziellen Gefahrstoff erarbeitet werden. Die betroffenen Personen sind darüber zu unterweisen (s. Abschn. 3.5.2.4 und Abschn. 5.2.3). g) GHS/CLP-Verordnung [5]  Ziele der CLP-Verordnung (Regulation on Classification, Labelling und Packaging of Substances und Mixtures) sind  ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und für die Umwelt sicherzustellen sowie  den freien Warenverkehr innerhalb der EU von chemischen Stoffen, Gemischen und bestimmten spezifischen Erzeugnissen zu gewährleisten. Die CLP-Verordnung basiert auf den Globally Harmonised System (GHS) of Classification and Labelling der Vereinten Nationen.  Die CLP-Verordnung ist in enger Verbindung mit der REACH-Verordnung [15] zu sehen.  Konkret wird die CLP-Verordnung im Anlagenbau genutzt, wenn die betroffenen Stoffe und Gemische in anderen Produkten eingesetzt werden bzw. vorhanden sind. Dies ist z.B. bei der Anwendung der Druckgeräte-RL [3] der Fall, wenn die Druckgeräte entsprechend dem im Druckgerät befindlichen Fluid in die Gruppe 1 oder 2 eingestuft werden (s. Buchst. b) dieses Abschnitts).

3.3.1.3 EU-Rechtsvorschriften für verfahrenstechnische Anlagen Für verfahrenstechnische Anlagen gibt es bisher nur wenige Rechtsvorschriften auf der Ebene der Europäischen Union (EU). Nachfolgend ist eine auf dem Gebiet des Umweltschutzes und eine auf dem Gebiet des Explosionsschutzes aufgeführt. a) EU-Industrieemissionsrichtlinie [18] und deren Umsetzung in deutsches Recht Die EU-Industrieemissionsrichtlinie (IE-RL) bzw. Industrial Emissions Directive (IED) über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung verfolgt das Ziel, die Umweltverschmutzung durch Industrieanlagen in der EU (sog. IEDAnlagen) mittels einer integrierten Genehmigung zu vermeiden oder zumindest zu verringern. Zugleich sollen die Umweltstandards in der EU vereinheitlicht werden. Die IE-RL hat insbesondere die folgenden Neuerungen für Betreiber von IEDAnlagen bewirkt [19]:  Der Kreis der Anlagen, die dem europäischen Anlagenzulassungsrecht unterliegen, wurde erweitert.  Die Anforderungen zur Genehmigung von IED-Anlagen wurden verschärft.  Für IED-Anlagen wurde ein System von Umweltinspektionen eingeführt.

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

 Auf europäischer Ebene werden die sog. Beste Verfügbare Techniken (BVT) in BVTMerkblättern für Industriesektoren verbindlich festgelegt. Die daraus resultierenden BVT-Schlussfolgerungen sind für die Betreiber dieser IED-Anlagen verpflichtend.  Die Regelungen zum Boden- und Grundwasserschutz wurden verschärft.  Betreiber von IED-Anlagen haben neue Berichtspflichten gegenüber den Behörden.  Die Öffentlichkeit hat einen breiteren Zugang zu den anlagenbezogenen Informationen erhalten. Mit der IE-RL wird de facto versucht, für die verschiedenen Teilgebiete (Sektoren) der Umwelttechnik einen „aktuellen Stand der Umwelttechnik“ zu ermitteln, zu formulieren und innerhalb der EU bei neuen Anlageninvestitionen und/oder beim Betrieb bestehender Anlagen anzuwenden. Im Wesentlichen unterliegen alle relevanten großtechnischen verfahrenstechnischen Anlagen, die in den Mitgliedsländern der EU geplant bzw. betrieben werden, der IE-RL. Zentrales Element der IE-RL ist die Ermittlung und Anwendung der sogenannten Beste verfügbaren Techniken (BVT). In Artikel 3 (Begriffsbestimmungen), Abs. 10. der IE-RL ist dieser Begriff wie folgt definiert: Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck: (Abs. 10.) „beste verfügbare Techniken“ den effizientesten und fortschrittlichsten Entwicklungsstand der Tätigkeiten und entsprechenden Betriebsmethoden, der bestimmte Techniken als praktisch geeignet erscheinen lässt, als Grundlage für die Emissionsgrenzwerte und sonstige Genehmigungsauflagen zu dienen, um Emissionen in und Auswirkungen auf die Umwelt zu vermeiden oder, wenn dies nicht möglich ist, zu vermindern; a) „Techniken“: sowohl die angewandte Technologie als auch die Art und Weise, wie die Anlage geplant, gebaut, gewartet, betrieben und stillgelegt wird; b) „verfügbare Techniken“: die Techniken, die in einem Maßstab entwickelt sind, der unter Berücksichtigung des Kosten/Nutzen-Verhältnisses die Anwendung unter in dem betreffenden industriellen Sektor wirtschaftlich und technisch vertretbaren Verhältnissen ermöglicht, gleich, ob diese Techniken innerhalb des betreffenden Mitgliedsstaates verwendet oder hergestellt werden, sofern sie zu vertretbaren Bedingungen für den Betreiber zugänglich sind; c) „beste“: die Techniken, die am wirksamsten zur Erreichung eines allgemein hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt sind;

Die „beste verfügbare Techniken“ werden zunächst in BVT-Merkblättern dokumentiert. Die IE-RL formuliert dazu in Artikel 3 (Begriffsbestimmungen): 11. „BVT-Merkblatt“ ein aus dem gemäß Artikel 13 organisierten Informationsaustausch hervorgehendes Dokument, das für bestimmte Tätigkeiten erstellt wird und insbesondere die angewandten Techniken, die derzeitigen Emissions- und Verbrauchswerte, die für die Festlegung der besten verfügbaren Techniken sowie der BVT-Schlussfolgerungen berücksichtigten Techniken sowie alle Zukunftstechniken beschreibt, wobei die Kriterien in Anhang III besonders Rechnung zu tragen ist.

Die EU-Kommission hat Leitlinien zur Ausarbeitung der BVT-Merkblätter verabschiedet [20], in denen festgelegt wird:  Verfahren für die Ausarbeitung und Überprüfung eines BVT-Merkblatts,  Inhalt und Geltungsbereich eines BVT-Merkblatts (s. Tab. 3.9),  BVT-Schlussfolgerungen,

3.3 Inbetriebnahmerelevante Rechtsvorschriften der EU und der BRD

    

171

Organisation des Informationsaustauschs, Erhebung und Übermittlung von Daten, Qualitätssicherung bei der Ausarbeitung und Überprüfung von BVT-Merkblättern, Bewertungssystem für die Datenqualität, typischer Arbeitsablauf für die Ausarbeitung/Überprüfung von BVT-Merkblättern.

Tabelle 3.9 Gliederung eines BVT-Merkblatts [20][21] 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Vorwort Geltungsbereich Kapitel: Allgemeine Informationen über den betreffenden Sektor Kapitel: Angewandte Prozesse und Techniken Kapitel: Aktuelle Emissions- und Verbrauchswerte Kapitel: Bei der Festlegung der BVT zu berücksichtigende Techniken Kapitel: Schlussfolgerungen zu den besten verfügbaren Techniken (BVT) Kapitel: Zukunftstechniken Abschließende Bemerkungen und Empfehlungen für zukünftige Arbeiten Referenzen Glossar der Begriffe und Abkürzungen Anhänge (je nach Bedeutung für den Sektor und Verfügbarkeit der Informationen)

Die BVT-Schlussfolgerungen sind gemäß IE-RL, Artikel 3 wie folgt definiert: 12. „BVT-Schlussfolgerungen“ ein Dokument, das die Teile eines BVT-Merkblattes mit den Schlussfolgerungen zu den besten verfügbaren Techniken, ihrer Beschreibung, Informationen zur Bewertung ihrer Anwendbarkeit, den mit den besten verfügbaren Techniken assoziierten Emissionswerten, den zugehörigen Überwachungsmaßnahmen, den dazugehörigen Verbrauchswerten sowie gegebenenfalls einschlägigen Standortsanierungsmaßnahmen enthält.

Die BVT-Schlussfolgerungen sind somit die Aktionspunkte, die sich aus dem Sachverhalt im BVT-Merkblatt ableiten. Sie enthalten u.a. verbindliche Anforderungen für die Genehmigung und den Betrieb von Anlagen des jeweiligen Sektors. Die gültigen aktuellen BVT-Merkblätter und Durchführungsbeschlüsse können auf der Homepage des Umweltbundesamtes eingesehen und heruntergeladen werden. Die BVT-Merkblätter und die BVT-Schlussfolgerungen unterliegen folgenden Aktualisierungs- und Umsetzungsfristen [19]:  Aktualisierung der BVT-Merkblätter durch die EU-Kommission aller 8 Jahre,  Umsetzung der BVT-Schlussfolgerungen durch die Anlagenbetreiber innerhalb von 4 Jahren nach Veröffentlichung der BVT-Merkblätter und der zusammenfassenden BVT-Schlussfolgerungen,  Überprüfung der Genehmigungsauflagen der Anlagen durch die Behörde innerhalb von 4 Jahren nach Veröffentlichung der BVT-Merkblätter und Schlussfolgerungen. Die IE-RL wurde mit dem „Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über Industrieemissionen (IndEmRLUmsG) [22] in folgender Weise in deutsches Recht überführt: ▪ Artikel 1: Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, ▪ Artikel 2: Änderung des Wasserhaushaltgesetzes, ▪ Artikel 3: Änderung der Kreislaufwirtschaftsgesetzes,

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

▪ Artikel 4: Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes, ▪ Artikel 5: Änderung des Gesetzes zum Schutz der nichtionisierten Strahlung bei der Anwendung am Menschen, ▪ Artikel 6: Änderung des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung, ▪ Artikel 7: Änderung des Umweltschadensgesetzes, ▪ Artikel 8: Änderung des Strafgesetzbuchs. Die konkreten Anforderungen aus den BVT-Schlussfolgerungen werden in Zusammenarbeit zwischen den betroffenen Ministerium sowie den zuständigen Ämtern und Behörden [19][23] u.a. umgesetzt in  Allgemeinen Verwaltungsvorschriften,  der Aktualisierung der TA-Luft [24],  der Überarbeitung der Bundesimmissionsschutzverordnungen (BImSchV). b) ATEX-Betriebsrichtlinie [25]  Die ATEX-Betriebsrichtlinie legt Mindestanforderungen in Bezug auf Sicherheit und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer fest, die durch explosionsfähige Atmosphären gemäß der Definition in Artikel 2 gefährdet werden können. Dazu steht in Artikel 2: Im Sinne dieser Richtlinie gilt als explosionsfähige Atmosphäre ein Gemisch aus Luft und brennbaren Gasen, Dämpfen, Nebeln oder Stäuben unter atmosphärischen Bedingungen, in dem sich der Verbrennungsvorgang nach erfolgter Entzündung auf das gesamte unverbrannte Gemisch überträgt.

 Die ATEX-Betriebsrichtlinie betrifft im Unterschied zu den vorgenannten EU-Richtlinien nicht das Inverkehrbringen definierter Produkte, sondern Schutzziele und Schutzvorkehrungen beim Betreiben von Anlagen mit explosionsfähiger Atmosphäre. Sie ist für viele verfahrenstechnische Anlagen eine wichtige Planungsgrundlage.  In Abschnitt II (Pflichten des Arbeitgebers) der ATEX-Betriebsrichtlinie wird u.a. geregelt: 1) Verhinderung von und Schutz gegen Explosionen (Artikel 3) Mit dem Ziel des Verhinderns von Explosionen … und des Schutzes gegen Explosionen trifft der Arbeitgeber die der Art des Betriebes entsprechenden technischen und/oder organisatorischen Maßnahmen nach folgender Rangfolge von Grundsätzen:  Verhinderung der Bildung explosionsfähiger Atmosphären, oder, falls dies auf Grund der Art der Tätigkeit nicht möglich ist,  Vermeidung der Zündung explosionsfähiger Atmosphären und  Abschwächung der schädlichen Auswirkungen einer Explosion, um die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten. Wo erforderlich, werden diese Maßnahmen mit Maßnahmen gegen die Ausbreitung von Explosionen kombiniert und/oder durch sie ergänzt; sie werden regelmäßig überprüft, auf jeden Fall aber dann, wenn sich wesentliche Änderungen ergeben.

2) Beurteilung der Explosionsrisiken (Artikel 4) (1) Im Rahmen seiner Pflichten gemäß (….) beurteilt der Arbeitgeber die spezifischen Risiken, die von explosionsfähigen Atmosphären ausgehen, wobei mindestens folgendes berücksichtigt wird: ▪ Wahrscheinlichkeit und Dauer des Auftretens von explosionsfähigen Atmosphären; ▪ Wahrscheinlichkeit des Vorhandenseins und der Aktivierung und des Wirksamwerdens von Zündquellen, einschließlich elektrostatischer Entladungen;

3.3 Inbetriebnahmerelevante Rechtsvorschriften der EU und der BRD

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▪ die Anlagen, verwendete Stoffe, Verfahren und ihre möglichen Wechselwirkungen; ▪ das Ausmaß der zu erwartenden Auswirkungen. Die Explosionsrisiken sind in ihrer Gesamtheit zu beurteilen. (2) Bereiche, die über Öffnungen mit Bereichen verbunden sind oder verbunden werden können, in denen explosionsfähige Atmosphären auftreten können, werden bei der Beurteilung der Explosionsrisiken ebenfalls berücksichtigt.

3) Allgemeine Verpflichtungen (Artikel 5) 4) Koordinierungspflicht (Artikel 6) Unbeschadet der Einzelverantwortung jedes Arbeitgebers gemäß der Richtlinie 89/391/EWG koordiniert der Arbeitgeber, der nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Praktiken die Verantwortung für die Arbeitsstätte hat, die Durchführung aller die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer betreffenden Maßnahmen und macht in seinem Explosionsschutzdokument nach Artikel 8 genauere Angaben über das Ziel, die Maßnahmen und die Modalitäten der Durchführung dieser Koordinierung.

5) Bereiche mit explosionsfähigen Atmosphären (Artikel 7) Abs. (1): Der Arbeitgeber teilt Bereiche, in denen explosionsfähige Atmosphären vorhanden sein können, entsprechend Anhang I in Zonen ein. Abs. (2): Der Arbeitgeber stellt sicher, dass die Mindestvorschriften des Anhangs II in Bereichen, die unter Absatz (1) fallen, angewendet werden. Abs. (3): Wo erforderlich, werden Bereiche, in denen explosionsfähige Atmosphäre in einer die Sicherheit und die Gesundheit der Atmosphäre gefährdenden Menge auftreten können, an ihren Zugängen gemäß Anhang III gekennzeichnet.

In Anhang I ist dazu in Abschnitt 2 (Einteilung von explosionsgefährdeten Bereichen) festgelegt: Explosionsgefährdete Bereiche werden nach Häufigkeit und Dauer des Auftretens von explosionsfähiger Atmosphäre in Zonen unterteilt. Zone 0:

Bereich, in dem explosionsfähige Atmosphäre als Gemisch aus Luft und brennbaren Gasen, Dämpfen oder Nebeln ständig, über lange Zeiträume oder häufig vorhanden ist.

Zone 1:

Bereich, in dem sich bei Normalbetrieb gelegentlich eine explosionsfähige Atmosphäre als Gemisch aus Luft und brennbaren Gasen, Dämpfen und Nebeln bilden kann.

Zone 2:

Bereich, in dem bei Normalbetrieb eine explosionsfähige Atmosphäre als Gemisch aus Luft und brennbaren Gasen, Dämpfen oder Nebeln normalerweise nicht oder aber nur kurzzeitig auftritt.

Zone 20: Bereich, in dem explosionsfähige Atmosphäre in Form einer Wolke aus in der Luft enthaltenem brennbaren Staub ständig, über lange Zeiträume oder häufig vorhanden ist. Zone 21: Bereich, in dem sich bei Normalbetrieb gelegentlich eine explosionsfähige Atmosphäre in Form einer Wolke aus in der Luft enthaltenem brennbaren Staub bilden kann. Zone 22: Bereich, in dem bei Normalbetrieb eine explosionsfähige Atmosphäre in Form einer Wolke aus in der Luft enthaltenem brennbaren Staub normalerweise nicht oder aber nur kurzzeitig auftritt.

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz Anmerkungen (d. Verf.: zur Einteilung von explosionsgefährdeten Bereichen): 1. Schichten, Ablagerungen und Anhäufungen von brennbarem Staub sind wie jede andere Ursache, die zur Bildung einer explosionsfähigen Atmosphäre führen kann, zu berücksichtigen. 2. Als Normalbetrieb gilt der Zustand, in dem Anlagen innerhalb ihrer Auslegungsparameter benutzt werden.

Die in Anhang II angeführten Mindestvorschriften betreffen u.a.:  Die notwendige Unterweisung der Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber hinsichtlich des Explosionsschutzes.  Schriftliche Anweisungen und Arbeitsfreigaben gemäß folgender Formulierung: Soweit im Explosionsschutzdokument vorgesehen, ▪ sind Arbeiten in explosionsgefährdeten Bereichen gemäß den schriftlichen Anweisungen des Arbeitsgebers auszuführen; ▪ ist ein Arbeitsfreigabesystem für die Durchführung von gefährlichen Tätigkeiten und von Tätigkeiten, die durch Wechselwirkung mit anderen Arbeiten gefährlich werden können, anzuwenden. Die Arbeitsfreigabe ist vor Beginn der Arbeiten von einer hierfür verantwortlichen Person zu erteilen.

 Vorgaben zu Explosionsschutzmaßnahmen, wie angeführt: 2.1 Entwichene und/oder absichtlich oder unabsichtlich freigesetzte brennbare Gase, Dämpfe, Nebel oder Stäube, die zu einer Explosionsgefahr führen können, sind auf sichere Weise abzuführen oder zu einem sicheren Platz abzuleiten oder, wenn dies nicht möglich ist, sicher einzuschließen oder auf andere Weise unschädlich zu machen. 2.2 Enthält die explosionsfähige Atmosphäre mehrere Arten von brennbaren Gasen, Dämpfen, Nebeln oder Stäuben, so müssen die Schutzmaßnahmen auf das größtmögliche Risikopotential ausgelegt sein. 2.3 Bei der Vermeidung von Zündgefahren gemäß Artikel 3 sind auch die elektrostatischen Entladungen zu berücksichtigen, die von Arbeitsnehmern oder der Arbeitsumwelt als Ladungsträger ausgehen. Den Arbeitnehmern muss geeignete Arbeitskleidung zur Verfügung gestellt werden; diese muss aus Materialien bestehen, die nicht zu elektrostatischer Entladung führen, durch die die explosionsfähige Atmosphäre entzündet werden kann. 2.4 Anlagen, Geräte, Schutzsysteme und dazugehörige Verbindungsvorrichtungen dürfen nur in Betrieb genommen werden, wenn aus dem Explosionsschutzdokument hervorgeht, dass sie in explosionsfähiger Atmosphäre sicher verwendet werden können… 2.5 Es sind alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass der Arbeitsplatz, die Arbeitsmittel und die dazugehörigen Verbindungsleitungen, die den Arbeitnehmern zur Verfügung gestellt werden, so konstruiert, errichtet, zusammengebaut und installiert wurden und so gewartet und betrieben werden, dass das Explosionsrisiko so gering wie möglich gehalten wird und, falls es doch zu einer Explosion kommen sollte, das Risiko einer Explosionsübertragung innerhalb des Bereichs des betreffenden Arbeitsplatzes und/oder des Arbeitsmittels kontrolliert oder so gering wie möglich gehalten wird. Bei solchen Arbeitsplätzen sind geeignete Maßnahmen zu treffen, um die Gefährdung der Arbeitnehmer durch die physikalischen Auswirkungen der Explosion so gering wie möglich zu halten.

3.3 Inbetriebnahmerelevante Rechtsvorschriften der EU und der BRD

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2.6 Erforderlichenfalls sind die Arbeitnehmer vor Erreichen der Explosionsbedingungen optisch und/oder akustisch zu warnen und zurückzuziehen. 2.7 Soweit im Explosionsschutzdokument vorgesehen, sind Fluchtmittel bereitzustellen und zu warten, um zu gewährleisten, dass die Arbeitnehmer gefährdete Bereiche bei Gefahr schnell und sicher verlassen können. 2.8 Vor der erstmaligen Nutzung von Arbeitsstätten mit Bereichen, in denen explosionsfähige Atmosphären auftreten können, muss die Explosionssicherheit der Gesamtanlage überprüft werden. Sämtliche zur Gewährleistung des Explosionsschutzes erforderlichen Bedingungen sind aufrechtzuerhalten. Eine solche Prüfung ist von Personen durchzuführen, die durch ihre Erfahrung und/oder berufliche Ausbildung auf dem Gebiet des Explosionsschutzes hierzu befähigt sind. 2.9 Wenn sich aus der Risikobewertung die Notwendigkeit dazu ergibt, ▪ und ein Energieausfall zu einer Gefahrenausweitung führen kann, muss es bei Energieausfall möglich sein, die Geräte und Schutzsysteme unabhängig vom übrigen Betriebssystem in einem sicheren Betriebszustand zu halten, ▪ müssen im Automatikbetrieb laufende Geräte und Schutzsysteme, die vom bestimmungsgemäßen Betrieb abweichen, unter sicheren Bedingungen von Hand abgeschaltet werden können. Derartige Eingriffe dürfen nur durch fachkundige Arbeitnehmer durchgeführt werden. ▪ müssen gespeichert Energien beim Betätigen der Notabschalteinrichtungen so schnell wie möglich abgebaut oder isoliert werden, damit sie ihre gefahrbringende Wirkung verlieren.

Im Unterabschnitt B (Kriterien für die Auswahl von Geräten und Schutzsystemen) wird formuliert: Sofern das Explosionsschutzdokument unter Zugrundelegung einer Risikoabschätzung nichts anderes vorsieht, sind in allen Bereichen, in denen explosionsfähige Atmosphären vorhanden sein können, Geräte und Schutzsysteme entsprechend den Kategorien gemäß der Richtlinie 94/9/EG (d. Verf.: ATEX-Herstellerrichtlinie gemäß Abschn. 3.3.1.2, Buchst. c) und [9]) auszuwählen. Insbesondere sind in diesen Zonen folgende Kategorien von Geräten zu verwenden, sofern sie für Gase, Dämpfe, Nebel und/oder Stäube geeignet sind: ▪ in Zone 0 oder Zone 20: ▪ in Zone 1 oder Zone 21: ▪ in Zone 2 oder Zone 22:

Geräte der Kategorie 1, Geräte der Kategorie 1 oder der Kategorie 2, Geräte der Kategorie 1, der Kategorie 2 oder der Kategorie 3.

Bem.: Die angeführte Zuordnung der Gerätekategorien zu den Explosionszonen steht in Übereinstimmung mit den Angaben in Tab. 3.4 in Abschn. 3.3.1.2, Buchst. c). 6) Vorgaben zum Explosionsschutzdokument (Artikel 8), wie folgt: Im Rahmen seiner Pflichten nach Artikel 4 (d. Verf.: Beurteilung der Explosionsrisiken) stellt der Arbeitgeber sicher, dass ein Dokument (nachstehend „Explosionsschutzdokument“ genannt) erstellt und auf den letzten Stand gehalten wird. Aus dem Explosionsschutzdokument geht insbesondere hervor:  dass die Explosionsrisiken ermittelt und einer Bewertung unterzogen worden sind;  dass angemessene Maßnahmen getroffen werden, um die Ziele dieser Richtlinie zu erreichen;  welche Bereiche entsprechend Anhang I in Zonen eingeteilt wurden;

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz  für welche Bereiche die Mindestanforderungen gemäß Anhang II gelten;  dass die Arbeitsstätte und die Arbeitsmittel einschließlich der Warneinrichtungen sicher gestaltet sind, und sicher betrieben und gewartet werden;  dass gemäß der Richtlinie 89/655/EWG des Rates Vorkehrungen für die sichere Benutzung der Arbeitsmittel getroffen worden sind. Das Explosionsschutzdokument wird vor Aufnahme der Arbeit erstellt; es wird überarbeitet, wenn wesentliche Änderungen, Erweiterungen oder Umgestaltungen der Arbeitsstätte, der Arbeitsmittel oder des Arbeitsablaufs vorgenommen werden.

7) Besondere Vorschriften für Arbeitsmittel und Arbeitsstätten (Artikel 9).  Die ATEX-Betriebsrichtlinie ist ab 01.06.2015 in der geänderten Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) [17] in deutsches Recht überführt worden.  Wesentliche inbetriebnahmevorbereitende Arbeiten, die sich aus der ATEX-Betriebsrichtlinie und der GefStoffV (bzgl. Arbeiten in explosionsgefährdeten Bereichen) ableiten, sind:  Einbeziehen der Gefährdungen, die von explosionsfähigen Atmosphären (sog. ExGefahren) ausgehen, in die Risikobeurteilungen für ▪ Produkte im Rahmen des Konformitätsbewertungsverfahrens vor Inverkehrbringen, ▪ verfahrenstechnische Anlagen vor Inbetriebnahmebeginn.  Einbeziehen der Explosionsgefahren in die Gefährdungsbeurteilungen und Schutzmaßnahmen gemäß § 3, BetrSichV (s. Abschn. 3.3.2.3, Buchst. b)) und nach § 6, GefStoffV (s. Abschn. 3.3.2.2, Buchst. d)).  Prüfung vor Inbetriebnahme der Anlagen in explosionsgefährdeten Bereichen gemäß § 15, BetrSichV (s. Abschn. 3.3.2.3, Buchst. b)). Die (Sicherheits-)Prüfung (s. auch Abschn. 5.5.1) schließt die Erfüllungskontrolle zum vorgenannten Explosionsschutzdokument ein.

3.3.2 Relevante Rechtsvorschriften der BRD 3.3.2.1 Übersicht zum Recht der BRD Das Recht in der Bundesrepublik Deutschland wird zunächst grundsätzlich zwischen dem Privatrecht und dem Öffentlichen Recht unterschieden (s. Abb. 3.5). Das Privatrecht bestimmt die Rechtsbeziehungen zwischen zwei gleichgestellten Personen (Parteien) und ist in den meisten Ländern in einem Zivilgesetzbuch geregelt. In der BRD befinden sich die zivilrechtlichen Regelungen vorwiegend im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) [26]. Für die Thematik dieses Buchs ist das Privatrecht vorrangig im Vertragsrecht (s. Abschn. 4.3) sowie bei Schadenersatzansprüchen anzuwenden. Im Öffentlichen Recht ist der Staat der anderen juristischen Person übergeordnet. Die staatlichen Organe (z.B. Behörden, Polizei, Staatsanwaltschaften, Gerichte usw.) nehmen hoheitliche Aufgaben wahr und sind der Gesellschaft gegenüber verpflichtet, dem Öffentlichen Recht Geltung zu verschaffen. Für die Inbetriebnahme sind im Öffentlichen Recht insbesondere das Verwaltungsrecht, das Ordnungswidrigkeiten- und das Strafrecht sowie das Recht betreffs Gesundheit-Sicherheit-Umwelt wichtig. Beispielsweise ist die mit dem Genehmigungsbescheid erteilte Genehmigung (i.Allg. für Errichtung und Betrieb einer Neuanlage) ein Verwaltungsentscheid, der mitunter gerichtlich angefochten wird.

3.3 Inbetriebnahmerelevante Rechtsvorschriften der EU und der BRD

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 Abb. 3.5 Vereinfachte Übersicht zum Recht in der Bundesrepublik Deutschland

Das Ordnungswidrigkeitengesetz [27] ist u.a. dann relevant, wenn gegen eine Rechtsvorschrift verstoßen wird (z.B. das Inverkehrbringen einer Maschine oder eines Druckgeräts ohne Konformitätserklärung bzw. ohne Betriebsanleitung) und dieser Verstoß mit einer Ordnungsstrafe belegt ist. Eine Ordnungsstrafe ist auch dann möglich, wenn kein Schaden entstanden ist, aber eine Ordnungswidrigkeit begangen wurde. Einen strafrechtlich, relevanten Risiko setzt sich derjenige aus, der fahrlässig oder grob-fahrlässig oder vorsätzlich handelt (sog. subjektiver Tatbestand) und dadurch einen Schaden (sog. objektiver Tatbestand) verursacht, der im Strafgesetzbuch (StGB) [28] unter Strafe steht (s. auch Abschn. 4.4.1.4, Buchst. b)). Eine Untersetzung der allgemeinen Ausführungen zum Recht der BRD erfolgt beispielhaft in Abb. 3.6, auf der die nationalen rechtlichen Regelungen für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz dargestellt sind. Die rechtlichen Regelungen für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz können in drei Säulen gegliedert werden. a) Staatliches Recht Für die Inbetriebnahme verfahrenstechnischer Anlagen ist das staatliche Recht in Form von Gesetzen und Verordnungen wichtig. Dabei ist zwischen Bundes- und Landesrecht sowie kommunalen Recht zu unterscheiden. Die Verordnungen enthalten de facto die Ausführungsbestimmungen zu den Gesetzen. Sie werden von der Bundesregierung bzw. den Landesregierungen erlassen und sind rechtsverbindlich, d.h. bis auf die angeführten Ausnahmen für die betroffenen Personen und/oder Unternehmen verpflichtend. Je nach Regelungsbedarf und -umfang können für ein Gesetz viele Verordnungen erlassen werden. Beispiel sind die zahlreichen Verordnungen zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchV) [29] (s. Abschn. 3.3.2.2, Buchst. a) und Abschn. 3.4.3).

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

 Abb. 3.6 Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz nach dem Recht der BRD

Ferner existieren als Empfehlung und Hilfe für den Anwender, zugehörig zu bestimmten Gesetzen und Verordnungen, sogenannte Technische Regeln gemäß folgender Begriffsdefinition: Technische Regeln sind sachkundige Vorschläge, Hinweise und Empfehlungen, wie bei Anwendung des zugehörigen Gesetzes bzw. der zugehörigen Verordnung rechtskonform, fachlich richtig und effizient zu verfahren ist.

Technische Regeln werden von Expertenteams (Fachverbänden, Ausschüssen, Berufsverbänden, Kommissionen u.ä.) erarbeitet und veröffentlicht. Sie sind keine Rechtsnormen und somit nicht verbindlich. Einige wichtige Technische Regelwerke für die Inbetriebnahme sind:     

Technische Regeln für Anlagensicherheit (TRAS), Technische Regeln für Betriebssicherheit (TRBS) (s. Abschn. 3.3.2.3, Buchst. c)), Technische Regeln für Gefahrstoffe (TRGS), Technische Regeln für wassergefährdende Stoffe (TRwS), Technische Regeln für biologische Arbeitsstoffe (TRBA).

Einige traditionelle und bekannte Technische Regelwerke, die überwachungsbedürftige Anlagen gemäß Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) [30] bzw. Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) [12] betreffen, wie zum Beispiel: ▪ Technische Regelwerk für Aufzüge (TRA), ▪ Technische Regeln für brennbare Flüssigkeiten (TRbF), ▪ Technische Regeln zur Druckbehälterverordnung (für Druckbehälter/TRB und für Rohrleitungen/TRR), ▪ Technische Regeln für Dampfkessel (TRD), sind nicht mehr bzw. nur noch befristet gültig.

3.3 Inbetriebnahmerelevante Rechtsvorschriften der EU und der BRD

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Da die zugehörigen Einzelverordnungen außer Kraft sind, werden die bisherigen Regeln in die Technischen Regeln für Betriebssicherheit (TRBS) (s. Abschn. 3.3.2.3, Buchst. c)) bzw. in die europäischen Regelwerke/Normen integriert. Der Anwender muss sich deshalb zum aktuellen Sachstand über die Technischen Regeln für überwachungsbedürftige Anlagen regelmäßig informieren und sachkundig machen. Grundsätzlich ist zu beachten, dass die neuen Technischen Regeln zunehmend nur noch Schutzziele und immer weniger technische Maßnahmen und Details enthalten. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einem „Gefährdungsbezogenen Regelwerk“. Nicht zuletzt sei noch auf die in Abb. 3.6 angegebenen Allgemein anerkannten Regeln der Technik hingewiesen, die nicht gesetzes- bzw. verordnungsspezifisch sind, sondern allgemeinere Aussagen enthalten und einen größeren Geltungsbereich umfassen. Sie sind folgendermaßen definiert: Die Allgemein anerkannten Regeln der Technik sind auf wissenschaftlichen Grundlagen und fachlichen Erkenntnissen beruhende Regeln, die in der praktischen Anwendung erprobt sind und von der Mehrheit der Fachleute des jeweiligen Fachgebiets anerkannt sind und regelmäßig angewandt werden [31]. Dies ist bei technischen Festlegungen zu vermuten, die nach einem Verfahren zustande kamen, an dem die betroffenen Fachkreise mitgewirkt haben.

Zu den Allgemein anerkannten Regeln der Technik gehören Normen (ISO, EN, DIN) und technische Richtlinien von Fachverbänden, wie z.B.: ▪ VDI – Verein Deutscher Ingenieure, ▪ VDE – Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik, ▪ VGR – Fachverband für die Strom- und Wärmeerzeugung, ▪ VDMA – Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau, ▪ VDS – Verband Deutscher Sachversicherer Die Allgemein anerkannten Regeln haben ebenfalls keine Rechtskraft. Das heißt, es kann in begründeten Fällen (z.B. bei gleichwertigen Alternativen) davon abgewichen werden. Der Gesetzgeber bzw. andere Rechtsorgane, ggf. auch die Vertragsparteien, können dies ändern, indem sie in Rechtsvorschriften (Gesetze, Verordnungen, Erlasse usw.) oder im Vertrag die Anwendung der betroffenen Regel als verbindlich vorgeben. Dies gilt auch für die zuvor betrachteten Technischen Regeln. Große Bedeutung haben die Technischen Regeln sowie die Allgemein anerkannten Regeln der Technik bei der Beurteilung strafrechtlicher und zivilrechtlicher Sachverhalte. Wurden diese Regeln eingehalten, so wurde gemäß Stand der Technik und nicht fahrlässig gehandelt. Umgekehrt muss ein abweichendes Verhalten sehr gut begründet (möglichst im Team) und nachvollziehbar dokumentiert werden. b) Autonomes Recht Im Sozialgesetzbuch (SGB), VII (Gesetzliche Unfallverhütung) [32] wurde der Unfallversicherungsträger ermächtigt, selbst Unfallverhütungsvorschriften zu erlassen. Dies ist letztlich durch die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), die als Dachverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften und der Unfallkassen fungiert, in Form von DGUV-Vorschriften erfolgt (s. Abschn. 3.3.2.4, Buchst. a)). Sie stellen für die Versicherten autonomes Recht dar. Die DGUV-Vorschriften werden durch DGUV-Regeln für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit sowie DGUV-Informationen und DGUV-Grundsätze ergänzt. Die nachfolgenden Definitionen, die noch die früheren berufsgenossenschaftliche Formulierungen wiedergeben, sind deshalb nur sinngemäß zu verstehen.

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz DGUV-Vorschriften: Berufsgenossenschaftliche Vorschriften für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit sind Unfallverhütungsvorschriften im Sinne des § 15 SGB VIII. DGUV-Regeln: Berufsgenossenschaftliche Regeln für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit sind Zusammenstellungen bzw. Konkretisierungen von Inhalten z.B. aus  staatlichen Arbeitsschutzvorschriften (Gesetze, Verordnungen),  BG-Vorschriften (Unfallverhütungsvorschriften),  Technischen Spezifikationen,  Erfahrungen berufsgenossenschaftlicher Präventionsarbeit. DGUV-Grundsätze: Maßstäbe in bestimmten Verfahrensfragen, z.B. hinsichtlich der Durchführung von Prüfungen. DGUV-Informationen: Hinweise und Empfehlungen, die die praktische Anwendung von Regelungen zu einem Sachgebiet oder Sachverhalt erleichtern sollen.

Alle zusammen gehören zum Stand der Sicherheitstechnik. Betreffs der Verbindlichkeit gilt das Gleiche wie für die zuvor beschriebenen Technischen Regeln bzw. Allgemein anerkannten Regeln der Technik. c) Privates Recht Das Privatrecht ist in den meisten Ländern in einem Zivilgesetzbuch geregelt. In der BRD finden sich die zivilrechtlichen Regelungen vorwiegend im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) [26]. Auf ausgewählte privat- bzw. zivilrechtliche Haftungsaspekte wird in Abschn. 4.4.1.4 (u.a. Schadenersatz bei fahrlässigen und grob-fahrlässigen Handeln) und auf Managementaspekte (z.B. mögliche Übertragung von Pflichten/Verantwortung/Befugnissen) in Abschn. 4.4.1.1 bis 4.4.1.3 eingegangen. Nach den einführenden Bemerkungen zum Recht der BRD werden nachfolgend die für die Inbetriebnahme wichtigen Rechtsvorschriften plus wichtige zugehörige Regeln in folgende 3 Komplexe unterteilt und überblicksweise betrachtet:  Genehmigungs- und Umweltrecht,  Recht zur Produkt- und Anlagensicherheit,  Recht zu Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz.

3.3.2.2 Genehmigungsrecht und Umweltrecht Das Genehmigungs- und Umweltrecht ist noch weitgehend nationales Recht. Die Ausführungen zur EU-Industrieemissionsrichtlinie [18] in Abschn. 3.3.1.3, Buchst. a) zeigen aber auf diesem Gebiet eine Tendenz hin zu EU-Rechtsvorschriften. Beide Rechtsgebiete sind eng verwandt und in der BRD sehr detailliert ausgestaltet. Im Weiteren werden die wichtigen Vorschriften nur kurz angeführt und ansonsten auf ihre Anwendung in Abschn. 3.4 bzw. auf die Fachliteratur verwiesen. Einen Überblick zur Rechtsstruktur sowie eine Auswahl von wesentlichen genehmigungs-, umwelt- und sicherheitsrelevanten Rechts- und Verwaltungsvorschriften zeigt Abbildung 3.7. Neben den Gesetzen und Verordnungen sind ebenfalls die in Abb. 3.7 angeführten Verwaltungsvorschriften, wie z.B. die TA-Luft [24] und TA-Lärm [33], zu beachten. Sie sind Handlungs- und Entscheidungsgrundlage für die zuständigen Behörden und konkretisieren beispielsweise die gesetzlichen Vorgaben zur Vermeidung von Luftverunreinigungen sowie von Geräuschen.

3.3 Inbetriebnahmerelevante Rechtsvorschriften der EU und der BRD

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Verfassung  Grundrechte  Rechtsstaatsprinzip  Gesetzgebungskompetenz

Gesetz                 

Strafgesetzbuch (StGB) Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) Sozialgesetzbuch (SGB) Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über Industrieemissionen (IndEmRLUmsG) Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz (UVPG) Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) Wasserhaushaltsgesetz (WHG) Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) Baugesetzbuch (BauGB) Bundesberggesetz (BBergG) Chemikaliengesetz (ChemG) Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG) Umwelthaftungsgesetz (UmweltHG) Umweltschadensgesetz (USchadG) Arbeitszeitgesetz (ArbZG)

Verordnung          

Verordnungen zum BImSchG Verordnungen zum WHG (z.B. AwSV) Verordnungen zum KrWG Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) Verordnungen zum ProdSG Verordnungen zum Bau-/Planungsrecht Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) Baustellenverordnung (BaustellV)

Verwaltungsvorschrift  Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA Luft)  Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm)  Allgemeine Verwaltungsvorschriften zur Störfall-Verordnung (StörfallV)  Verwaltungsvorschriften der Bundesländer

Verwaltungsakt      

Genehmigung nach BImSchG Nachträgliche Anordnung nach BImSchG Ermittlungsanordnung nach BImSchG Stillegungsverfügung nach BImSchG Widerrufsverfügung nach BImSchG Erlaubnisvorbehalt für überwachungsbedürftige Anlagen nach ProdSG/BetrSichV

Abb. 3.7 Struktur wichtiger, genehmigungsrelevanter Rechts- und Verwaltungsvorschriften/-akte in der BRD

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

a) Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) [29]  Das BImSchG ist die Grundlage für das Verfahren zur Genehmigung der meistens verfahrenstechnischen Anlagen. Zum BImSchG existieren zurzeit ca. 45 Verordnungen (BImSchV), von denen einige wichtige in Tabelle 3.10 angeführt sind. Tabelle 3.10 Ausgewählte Verordnungen zum Bundes-Immissionsschutzgesetz 4. BImSchV

Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen [34]

9. BImSchV

Verordnung über das Genehmigungsverfahren [35]

12. BImSchV

Störfall-Verordnung (StörfallV) [36]

13. BImSchV

Verordnung über Großfeuerungs- und Gasturbinenanlagen [37]

17. BImSchV

Verordnung über die Verbrennung und die Mitverbrennung von Abfällen [38]

30. BImSchV

Verordnung über Anlagen zur biologischen Behandlung von Abfällen [39]

32. BImSchV

Geräte- und Maschinenlärmverordnung [40]

39. BImSchV

Verordnung über Luftqualitätsstandards und Emissionshöchstgrenzen [41]

Die Nutzung des BImSchG und der zugehörigen Verordnungen im Genehmigungsverfahren wird in Abschn. 3.4.3 ausgeführt. b) Wasserhaushaltsgesetz (WHG) [42] und Verordnungen über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdender Stoffe (AwVS) [43]  Für den Gewässerschutz enthält das Wasserhaushaltsgesetz (WHG) u.a. Regelungen zum ordnungsgemäßen Umgang mit wassergefährdenden Stoffen, insbesondere beim Betrieb von Anlagen zum Umgang mit solchen Flüssigkeiten und Gasen einschließlich zugehöriger Rohrleitungen. In § 62 (Anforderungen an den Umgang mit wassergefährdenden Stoffen), Abs. (1) des WHG steht: (1) Anlagen zum Lagern, Abfüllen, Herstellen und Behandeln wassergefährdender Stoffe sowie Anlagen zum Verwenden wassergefährdender Stoffe im Bereich der gewerblichen Wirtschaft und im Bereich öffentlicher Einrichtungen müssen so beschaffen sein und so errichtet, unterhalten, betrieben und stillgelegt werden, dass eine nachhaltige Veränderung der Eigenschaften von Gewässern nicht zu besorgen ist. Das Gleiche gilt für Rohrleitungen, die 1. den Bereich eines Werksgeländes nicht überschreiten, 2. Zubehör einer Anlage zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen oder 3. Anlagen verbinden, die in engem räumlichen und betrieblichen Zusammenhang miteinander stehen.

 Das Wasserrecht ist Bundesländerrecht, sodass es neben dem WHG des Bundes auch 16 verschiedene Wasserhaushaltgesetze der Bundesländer gibt. Mit Inkrafttreten der bundesweit einheitlichen Verordnung über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen (AwSV) [43] ab 01.08.2017 wurden in der BRD die Anforderungen an Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen vereinheitlicht. Als Konsequenz aus der bundesweiten Vereinheitlichung müssen die Bundesländer ihre LWG (Landes-Wasserhaushaltsgesetze) anpassen und ihre bisherigen länderspezifischen VAwS (Verordnungen über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen) sowie VAwS-VwV (Verwaltungsvorschriften betreffs VAwS) aufheben.

3.3 Inbetriebnahmerelevante Rechtsvorschriften der EU und der BRD

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Ferner sind bundesweit die TRwS (Technische Regeln für wassergefährdende Stoffe) an die neue AwSV anzugleichen.  Das WHG definiert in § 62, Abs. (3) die wassergefährdenden Stoffe folgendermaßen: Wassergefährdende Stoffe im Sinne dieses Abschnitts sind feste, flüssige und gasförmige Stoffe, die geeignet sind, dauernd oder in einem nicht nur unerheblichen Ausmaß nachteilige Veränderungen der Wasserbeschaffenheit herbeizuführen.

In der AwSV wird in § 2 (Begriffsbestimmungen) gegenüber dem WHG noch ergänzt:

…, und die nach Maßgabe von Kapitel 2 (d. Verf.: der AwSV) als wassergefährdend eingestuft sind oder als wassergefährdend gelten.

 In der AwSV, Kapitel 2 (Einstufung von Stoffen und Gemischen wird in § 3 (Grunds-

ätze) festgelegt: (1) Nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Kapitels werden Stoffe und Gemische, mit denen in Anlagen umgegangen wird, entsprechend ihrer Gefährlichkeit als nicht wassergefährdend oder in eine der folgenden Wassergefährdungsklassen eingestuft:

Wassergefährdungsklasse 1 (WGK 1): schwach wassergefährdend Wassergefährdungsklasse 2 (WKG 2): deutlich wassergefährdend Wassergefährdungsklasse 3 (WKG 3): stark wassergefährdend  Betreffs der Einstufung von Stoffen ist in § 4 vorgegeben: (1) Beabsichtigt ein Betreiber, in einer Anlage mit einem Stoff umzugehen, hat er diesen nach Maßgabe der Kriterien von Anlage 1 als nicht wassergefährdend oder in eine Wassergefährdungsklasse nach § 3 Absatz 1 einzustufen (d. Verf.: sog. Selbsteinstufung). (3) Der Betreiber hat die Selbsteinstufung eines Stoffes nach Maßgabe von Anlage 2 Nummer 1 zu dokumentieren und diese Dokumentation dem Umweltbundesamt vorzulegen.

Das Umweltbundesamt kontrolliert die Dokumentation zur Selbstauskunft von Stoffen auf ihre Vollständigkeit und Plausibilität und entscheidet über die Einstufung. In §§ 6 bis 11 sind analoge Regelungen zur Einstufung, Kontrolle und Entscheidung zur Einstufung von Gemischen angegeben.  Der Anlagenbegriff wird in § 2 (Begriffsbestimmungen), Abs. (9) der AwSV [43] wie folgt definiert: (9) „Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen“ (Anlagen) sind 1. selbständige und ortsfeste oder ortsfest benutzte Einheiten, in denen wassergefährdende Stoffe gelagert, abgefüllt,, umgeschlagen, hergestellt, behandelt oder im Bereich der gewerblichen Wirtschaft oder im Bereich öffentlicher Einrichtungen verwendet werden, sowie 2. Rohrleitungsanlagen nach § 62 Absatz 1 Satz 2 des Wasserhaushaltsgesetzes. Als ortsfest benutzt gelten Einheiten, wenn sie länger als ein halbes Jahr an einem Ort zu einem bestimmten betrieblichen Zweck betrieben werden; Anlagen können aus mehreren Anlagenteilen bestehen.

Ausnahmen und Einschränkungen sind für bestimmte Anlagen angeführt. Eine Systematisierung möglicher Anlagenarten im Umgang mit wassergefährdenden Stoffen und Gemischen enthält Tabelle 3.11.  Die AwSV [43] formuliert in Kapitel 3 detaillierte „Technische und organisatorische Anforderungen an Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen“, die auch für die Vorbereitung und Durchführung der Inbetriebnahme wichtig sind.

184

3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

Tabelle 3.11 Verschiedene Anlagenarten im Umgang mit wassergefährdenden Stoffen und Gemischen [44] Lagern

 Vorhalten zur ▪ weiteren Nutzung (vorrangig HBV (Herstellen, Behandeln, Verwenden) ▪ Abgabe (extern), inkl. Entsorgung  regelmäßiges Abstellen von Behältern oder Verpackungen

Abfüllen

 Befüllen  Entleeren von ortsfesten/-beweglichen Behälter  Umfüllen

Umladen

 Umladen von wassergefährdenden Stoffen/Gemischen in Behältern oder Verpackungen von einem Transportmittel auf ein anderes Transportmittel  Laden und Löschen von Schiffen

Herstellen

 Erzeugen  Gewinnen

Behandeln

 Einwirken auf wassergefährdende Stoffe/Gemische, um deren Eigenschaften zu verändern

Verwenden

 Anwenden  Gebrauchen  Verbrauchen

Innerbetriebliches Befördern in Rohrleitungen

Anlagen, die ▪ den Bereich eines Werksgeländes nicht überschreiten, oder ▪ Zubehör einer Anlage zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen, oder ▪ Anlagen verbinden, die in engem räumlichen und betrieblichen Zusammenhang miteinander stehen

Dies betrifft beispielsweise in:  Abschnitt 2: Allgemeine Anforderungen an Anlagen § 17: Grundsatzanforderungen § 18: Anforderungen an die Rückhaltung wassergefährdender Stoffe § 19: Anforderungen an die Entwässerung § 20: Rückhaltung bei Brandereignissen § 21: Besondere Anforderungen an die Rückhaltung bei Rohrleitungen § 22: Anforderungen bei der Nutzung von Abwasseranlagen als Auffangvorrichtungen § 23: Anforderungen an das Befüllen und Entleeren § 24: Pflichten bei Betriebsstörungen, Instandsetzung  Abschnitt 3: Besondere Anforderungen an die Rückhaltung bei bestimmten Anlagen  Abschnitt 4: Anforderungen an Anlagen in Abhängigkeit von ihren Gefährdungsstufen § 39: Gefährdungsstufen von Anlagen § 40: Anzeigepflicht § 41: Ausnahmen vom Erfordernis der Eignungsfeststellung § 42: Antragsunterlagen für die Eignungsfeststellung § 43: Anlagendokumentation § 44: Betriebsanweisung Merkblatt § 45: Fachbetrieb; Ausnahmen § 46: Überwachungs- und Prüfpflichten des Betreibers § 47: Prüfung durch Sachverständige § 48: Beseitigung von Mängeln

3.3 Inbetriebnahmerelevante Rechtsvorschriften der EU und der BRD

185

 Die Betreiber von Anlagen (d. Verf.: der Inbetriebnahmeleiter ist i.d.R. der erstmalige Betreiber einer genehmigten Anlage) haben die Anlage gemäß Tabelle 3.12 in eine Gefährdungsstufe einzuordnen. Bei flüssigen Stoffen ist das für die jeweilige Anlage maßgebende Volumen zugrunde zu legen, bei gasförmigen und festen Stoffen die für die jeweilige Anlage maßgebende Masse. Tabelle 3.12 Gefährdungsstufen von Anlagen mit wassergefährdenden Stoffen gemäß § 39 AwSV Ermittlung der Gefährdungsstufen

Wassergefährdungsklasse (WGK)

Volumen im m3 oder Masse in t

1

2

3

≤ 0,22 m3 oder 0,2 t

Stufe A

Stufe A

Stufe A

> 0,22 m3 oder 0,2 t ≤ 1 t

Stufe A

Stufe A

Stufe B

> 1 ≤ 10

Stufe A

Stufe B

Stufe C

> 10 ≤ 100

Stufe A

Stufe C

Stufe D

> 100 ≤ 1000

Stufe B

Stufe D

Stufe D

> 1000

Stufe C

Stufe D

Stufe D

 In § 46 (Überwachung- und Prüfpflichten des Betreibers) der AwSV wird gefordert: (1) Der Betreiber hat die Dichtheit der Anlage und die Funktionsfähigkeit der Sicherheitseinrichtungen regelmäßig zu kontrollieren… (2) Betreiber haben Anlagen außerhalb von Schutzgebieten und außerhalb von festgesetzten oder vorläufig gesicherten Überschwemmungsgebieten nach Maßgabe der in Anlage 5 (d. Verf.: s. Tab. 3.13) geregelten Prüfzeitpunkte und -intervalle auf ihren ordnungsgemäßen Zustand prüfen zu lassen. Tabelle 3.13 Prüfzeitpunkte und -intervalle für Anlagen außerhalb von Schutzgebieten und festgesetzten oder vorläufig gesicherten Überschwemmungsgebieten nach § 46, Abs. 2 der AWSV [44] Anlagen

1) 2)

Spalte 1

Prüfzeitpunkte und -intervalle Spalte 2

Spalte 3

Spalte 4

vor Inbetriebnah3) me oder nach einer wesentlichen Änderung

wiederkehrende 4) Prüfung

bei Stilllegung einer Anlage

unterirdische Anlagen mit flüssigen oder gasförmigen wassergefährdenden Stoffen

A, B, C und D

A, B, C und D alle 5 Jahre

A, B, C und D

oberirdische Anlagen mit flüssigen oder gasförmigen wassergefährdenden Stoffen, einschließlich Heizölverbraucheranlagen

B, C und D

C und D alle 5 Jahre

C und D

Anlagen mit festen wassergefährdenden Stoffen

über 1000 t

unterirdische Anlagen und Anlagen im Freien über 1000 t alle 5 Jahre

unterirdische Anlagen und Anlagen im Freien über 1000 t

186

3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

Tab. 3.13 (Fortsetzung) Anlagen

1) 2)

Spalte 1

Prüfzeitpunkte und -intervalle Spalte 2

Spalte 3

Spalte 4

vor Inbetriebnah3) me oder nach einer wesentlichen Änderung

wiederkehrende 4) Prüfung

bei Stilllegung einer Anlage

Anlagen zum Umschlagen wassergefährdender Stoffe im intermodalen Verkehr

über 100 t umgeschlagener Stoffe pro Arbeitstag

Anlagen über 100 t umgeschlagener Stoffe pro Arbeitstag alle 5 Jahre

Anlagen über 100 t umgeschlagener Stoffe pro Arbeitstag

Anlagen mit aufschwimmenden flüssigen Stoffen

über 100 m³

über 1000 m³ alle 5 Jahre

über 1000 m³

Biogasanlagen, in denen ausschließlich Gärsubstrate nach § 2 Abs. 8 eingesetzt werden

über 100 m³

über 1000 m³ alle 5 Jahre

über 1000 m³

Abfüll-/Umschlaganlagen sowie Anlagen zum Laden und Löschen von Schiffen

B, C und D

B alle 10 Jahre; C und D alle 5 Jahre

B, C und D

1)

Die in Tab. 3.13 verwendeten Buchstaben A, B, C und D beziehen sich auf die Gefährdungsstufen nach Absatz § 39, Abs. 1 der zu prüfenden Anlagen (s. Tab. 3.12).

2)

Die in Tab. 3.13 enthaltenen Angaben zum Volumen und zur Masse beziehen sich auf das maßgebende Volumen oder die maßgebende Masse wassergefährdender Stoffe (§ 39), mit denen in der Anlage umgegangen wird (s. Tab. 3.12).

3)

Zur Inbetriebnahmeprüfung sowie zur Prüfung nach einer wesentlichen Änderung von Abfülloder Umschlaganlagen gehört eine Nachprüfung der Abfüll- und Umschlagflächen nach einjähriger Betriebszeit. Die Nachprüfung verschiebt das Abschlussdatum der Prüfung vor Inbetriebnahme nicht. 4) Die Fristen für die wiederkehrenden Prüfungen beginnen mit dem Abschluss der Prüfung vor Inbetriebnahme oder nach einer wesentlichen Änderung nach Spalte 2. Bem.: Die Prüfungen gemäß Tab. 3.13 sind in vielen verfahrenstechnischen Anlagen ein wesentlicher Bestandteil der Sicherheitsprüfungen vor Inbetriebnahme (s. Abschn. 5.5.1).

 Betreffs der notwendigen Betriebsanweisung und Unterweisung des Betriebspersonals gibt die AwSV vor: (1) Der Betreiber hat eine Betriebsanweisung vorzuhalten, die einen Überwachungs-, Instandhaltungs- und Notfallplan enthält und Sofortmaßnahmen zur Abwehr nachteiliger Veränderungen der Eigenschaften von Gewässern festlegt. Der Plan ist mit den Stellen abzustimmen, die im Rahmen des Notfallplans und der Sofortmaßnahmen beteiligt sind. Der Betreiber hat die Einhaltung der Betriebsanweisung und deren Aktualisierung sicherzustellen. (2) Das Betriebspersonal der Anlage ist vor Aufnahme der Tätigkeit und dann regelmäßig in angemessenen Zeitabständen, mindestens jedoch einmal jährlich, zu unterweisen, wie es sich laut Betriebsanweisung zu verhalten hat. Die Durchführung der Unterweisung ist vom Betreiber zu dokumentieren. (3) Die Betriebsanweisung muss dem Betriebspersonal der Anlage jederzeit zugänglich sein.

3.3 Inbetriebnahmerelevante Rechtsvorschriften der EU und der BRD

187

 Wesentliche Vorgaben macht die AwSV zur Anlagendokumentation in § 43 entsprechend nachfolgender Formulierung in Absatz 1: (1) Der Betreiber hat eine Anlagendokumentation zu führen, in der die wesentlichen Informationen über die Anlage enthalten sind. Hierzu zählen insbesondere Angaben zum Aufbau und zur Abgrenzung der Anlage, zu den eingesetzten Stoffen, zur Bauart und zu den Werkstoffen der einzelnen Anlagenteile, zu Sicherheitseinrichtungen und Schutzvorkehrungen, zur Löschwasserrückhaltung und zur Standsicherheit.

Das Muster-Inhaltsverzeichnis einer L-Anlage zeigt Tabelle 3.14. Tabelle 3.14 Inhaltsverzeichnis einer Anlagendokumentation zur Lagerung wassergefährdender Stoffe gemäß §43 Abs. 1 AwSV und Nr. 6.2 Abs. 2 TRwS 779 [44] 1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5

Anlage Bezeichnung Kurzbeschreibung, Aufbau Wasserrechtliche Abgrenzung Maßgebende/s Volumen/Masse Gefährdungsstufe (ABCD)

2 2.1 2.2 2.3 2.4

Behördliche Vorgänge Anlagengenehmigungen Erlaubnisse Eignungsfeststellungen Anzeigen

3 3.1 3.2

Lage Ort und Anlage Besondere Merkmale der hydrologischen Beschaffenheit des Aufstellungsortes, z.B. Lage zu Schutzgebieten, Schutzzonen, Überschwemmungsgebieten, Grundwasserabstand, Lage zu oberirdischen Gewässern, Abstand

4 4.1 4.2

Eingesetzte Stoffe Stoffdaten (fest, flüssig, gasförmig: Umschließungen) WGK

5 5.1 5.2 5.3 5.4

Bauart und Werkstoffe der primären und sekundären Anlagenteile Oberirdisch/unterirdisch Einwandig/doppelwandig/Innenhülle Zugehörige Verwendbarkeitsnachweise Prüfbarkeit der Anlagenteile

6 6.1 6.2

Sicherheitseinrichtungen und Schutzvorkehrungen Leckkontrolle (Leckanzeigegerät bei doppelwandigem Behälter) Leckageerkennungsgerät (Leckagesonde o.ä. in Auffangraum)

7 7.1 7.2

Sicherheitskonzept Bewertung der von der Anlage ausgehenden Gefahren für das Gewässer a) Analyse und Beurteilung der Anlagenkonzeption: b) Ermittlung und Festlegung des erforderlichen Rückhaltevermögens; c) Vorkehrungen zur Branderkennung, -bekämpfung und Löschmittelrückhaltung

8

Statische Berechnungen

9 9.1 9.2

Prüfungen Fristen Berichte

188

3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

c) Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) [45]  Das Kreislaufwirtschaftsgesetz soll die Kreislaufwirtschaft zur Schonung der natürlichen Ressourcen fördern und den Schutz von Mensch und Umwelt bei der Erzeugung und Bewirtschaftung von Abfällen sicherstellen. Das KrWG gilt für: 1. die Vermeidung von Abfällen, 2. die Verwertung von Abfällen, 3. die Beseitigung von Abfällen, 4. die sonstigen Maßnahmen der Abfallbewirtschaftung.  Nach § 3 (Begriffsbestimmungen), Abs. (1) des KrWG gilt die Begriffsdefinition: (1) Abfälle im Sinne diese Gesetzes sind alle Stoffe oder Gegenstände, derer sich ihr Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muss. Abfälle zur Verwertung sind Abfälle, die verwertet werden. Abfälle, die nicht verwertet werden, sind Abfälle zur Beseitigung.

 Im Abschnitt 1 werden Grundsätze der Abfallbeseitigung und Abfallbewirtschaftung dargelegt und in § 6 (Abfallhierarchie), Abs. (1) vorgegeben: (1) Maßnahmen der Vermeidung und der Abfallbewirtschaftung stehen in folgender Rangfolge: 1. Vermeidung, 2. Vorbereitung zur Wiederverwertung, 3. Recycling, 4. sonstige Verwertung, insbesondere energetische Verwertung und Verfüllung, 5. Beseitigung.

Diese Rangfolge ist zugleich Grundlage für die Betrachtung und Auswahl möglicher Verfahrensvarianten zur Abfallbeseitigung, die u.a. im Entsorgungskonzept zusammengestellt werden.  Im Abfallrecht (§ 35 KrWG) werden in Verbindung mit der Genehmigung von Deponien die Begriffe Planfeststellungsverfahren und Planfeststellung gebraucht (s. auch Abschn. 3.4.1, Buchst. c)).  Zum KrWG gehören eine Vielzahl von Verordnungen, wie z.B.:  Altölverordnung (AltölV),  Bioabfallverordnung (BioAbfV),  Deponieverordnung (DepV),  Gewerbeabfallverordnung (GewAbfV),  Klärschlammverordnung (AbfKlärV),  Transportgenehmigungsverordnung (TgV),  Nachweisverordnung (NachwV). Die letztgenannte Nachweisverordnung [46] beinhaltet in § 3 (Entsorgungsnachweis) die Vorgaben zur Nachweisführung über die Entsorgung von Abfällen. Dies beinhaltet auch ein zwingend vorgeschriebenes elektronisches Abfallnachweisverfahren (eANV) für nachweispflichtige Abfälle.  Für die Inbetriebnahme der logistischen Neben-/Teilanlagen kann ggf. das Abfallverbringungsgesetz – AbfallVerbrG) [47] wichtig sein. Dieses Gesetz regelt u.a.  die Verbringung von Abfällen in das, aus dem oder durch das Bundesgebiet,  die mit der Verbringung verbundene Verwertung oder Beseitigung.

3.3 Inbetriebnahmerelevante Rechtsvorschriften der EU und der BRD

189

 Zusätzlich zum Bundes-Abfallrecht gibt es auch ein Abfallrecht der Bundesländer, ggf. in Form von ergänzenden Gesetzen, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften auf Länder- und/oder kommunaler Ebene. d) Chemikaliengesetz (ChemG) [16] und Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) [17]  Zweck des Chemikaliengesetzes ist es gemäß § 1, den Menschen und die Umwelt vor schädlichen Einwirkungen gefährlicher Stoffe und Gemische zu schützen, insbesondere die Einwirkungen erkennbar zu machen, sie abzuwenden und ihrem Entstehen vorzubeugen. Das ChemG setzt die REACH-Verordnung [15] und die GHS/CLP-Verordnung [5] in deutsches Recht um. Entsprechend sind die Begriffe Stoff und Gemisch fast identisch wie in der REACH-Verordnung (s. Abschn. 3.3.1.2 Buchst. f)) definiert. Weitere Einschränkungen für das Inverkehrbringen bestimmter gefährlicher Stoffe und Gemische sowie bestimmter Erzeugnisse, die diese freisetzen können oder enthalten, sind in der Chemikalien-Verbotsverordnung – ChemVerbotsV) [48] gemacht. Das ChemG und die ChemVerbotsV verweisen häufig auf die GHS/CLP-Verordnung [5]. Sie stellen einen rechtlichen Rahmen im Umgang mit gefährlichen Stoffen und gefährlichen Gemischen dar.  Für die Erarbeitung konkreter Risikominderungsmaßnahmen im Umgang mit gefährlichen Stoffen und Gemischen, inklusive der Einbeziehung des Explosions- und Brandschutzes, liefert die Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) [17] eine praktische Handlungsanleitung. Nachfolgend werden einige Schwerpunkte daraus aufgeführt.  In § 2 (Begriffsbestimmungen) werden u.a. folgende Begriffe definiert, die z.T. die Begriffsbestimmungen der ATEX-Herstellerrichtlinie [8] ergänzen und präzisieren. (1) Gefahrstoffe im Sinne dieser Verordnung sind 1. gefährliche Stoffe und Zubereitungen nach § 3, 2. Stoffe, Gemische und Erzeugnisse, die explosionsfähig sind, 3. Stoffe, Gemische und Erzeugnisse, aus denen bei der Herstellung oder Verwendung Stoffe nach Nummer 1 oder 2 entstehen oder freigesetzt werden, 4. Stoffe und Gemische, die die Kriterien nach den Nummern 1 bis 3 nicht erfüllen, aber auf Grund ihrer physikalisch-chemischen, chemischen oder toxischen Eigenschaften und der Art und Weise, wie sie am Arbeitsplatz vorhanden sind oder verwendet werden, die Gesundheit und die Sicherheit der Beschäftigten gefährden können, 5. alle Stoffe, denen ein Arbeitsplatzgrenzwert zugewiesen worden ist. (10) Ein explosionsfähiges Gemisch ist ein Gemisch aus brennbaren Gasen, Dämpfen, Nebeln oder aufgewirbelten Stäuben und Luft oder einem anderen Oxidationsmittel, dass nach Wirksamwerden einer Zündquelle in einer sich selbsttätig fortpflanzenden Flammenausbreitung reagiert, sodass im Allgemeinen ein sprunghafter Temperaturund Druckanstieg hervorgerufen wird. (11) Chemisch instabile Gase, die auch ohne ein Oxidationsmittel nach Wirksamwerden einer Zündquelle in einer sich selbsttätig fortpflanzenden Flammenausbreitung reagieren können, sodass ein sprunghafter Temperatur- und Druckanstieg hervorgerufen werden kann, stehen explosionsfähigen Gemischen nach Absatz 10 gleich. (12) Ein gefährliches explosionsfähiges Gemisch ist ein explosionsfähiges Gemisch, das in solcher Menge auftritt, dass besondere Schutzmaßnahmen für die Aufrechterhaltung der Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten oder anderer Personen erforderlich werden.

190

3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz (13) Gefährliche explosionsfähige Atmosphäre ist ein gefährliches explosionsfähiges Gemisch mit Luft als Oxidationsmittel unter atmosphärischen Bedingungen (Umgebungstemperatur von –20 °C bis +60 °C und Druck von 0,8 bar bis 1,1 bar). (14) Explosionsgefährdeter Bereich ist der Gefahrenbereich, in dem gefährliche explosionsfähige Atmosphäre auftreten kann.

 In § 3 (Gefahrenklassen) werden die Art der Gefährdung, unterteilt in Physikalische Gefahren, Gesundheitsgefahren, Umweltgefahren, Weitere Gefahren, in Gefahrenklassen gemäß Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 [5] eingeteilt und nummeriert.  Zusätzlich werden in der GefStoffV u.a. Vorgaben gemacht über:  Die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen sowie von Erzeugnissen mit Explosivstoff (§ 4).  Die Erarbeitung des Sicherheitsdatenblatts beim Inverkehrbringen von Gefahrstoffen (§ 5) unter Verweis auf die REACH-Verordnung [15] (s. Abschn. 3.3.1.2, Buchst. f)),  Die Pflicht des Arbeitgebers gemäß § 6 (Informationsermittlung und Gefährdungsbeurteilung) im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung festzustellen, inwieweit seine Beschäftigten durch Gefahrstoffe gefährdet sind. Dazu steht in den Absätzen 1 und 5: (1) Im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung als Bestandteil der Beurteilung der Arbeitsbedingungen nach § 5 des Arbeitsschutzgesetzes hat der Arbeitgeber festzustellen, ob die Beschäftigten Tätigkeiten mit Gefahrstoffen ausüben oder ob bei Tätigkeiten Gefahrstoffe entstehen oder freigesetzt werden können. Ist dies der Fall, so hat er alle hiervon ausgehenden Gefährdungen der Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten unter folgenden Gesichtspunkten zu beurteilen: 1. gefährliche Eigenschaften der Stoffe oder Gemische, einschließlich ihrer physikalisch-chemischen Wirkungen, 2. Informationen des Lieferanten zum Gesundheitsschutz und zur Sicherheit insbesondere im Sicherheitsdatenblatt, 3. Art und Ausmaß der Exposition unter Berücksichtigung aller Expositionswege; dabei sind die Ergebnisse der Messungen und Ermittlungen nach § 7 Absatz 8 zu berücksichtigen, 4. Möglichkeiten einer Substitution, 5. Arbeitsbedingungen und Verfahren, einschließlich der Arbeitsmittel und der Gefahrstoffmenge, 6. Arbeitsplatzgrenzwerte und biologische Grenzwerte, 7. Wirksamkeit der ergriffenen oder zu ergreifenden Schutzmaßnahmen, 8. Erkenntnisse aus arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen nach Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge. (5) Bei der Gefährdungsbeurteilung sind ferner Tätigkeiten zu berücksichtigen, bei denen auch nach Ausschöpfung sämtlicher technischer Schutzmaßnahmen die Möglichkeit einer Gefährdung besteht. Dies gilt insbesondere für Instandhaltungsarbeiten, einschließlich Wartungsarbeiten. Darüber hinaus sind auch andere Tätigkeiten wie Bedien- und Überwachungsarbeiten zu berücksichtigen, wenn diese zu einer Gefährdung von Beschäftigten durch Gefahrstoffe führen können.

Hinsichtlich der Explosions- und Brandgefährdungen wird in Absatz 4 ergänzt:

3.3 Inbetriebnahmerelevante Rechtsvorschriften der EU und der BRD

191

(4) Der Arbeitgeber hat festzustellen, ob die verwendeten Stoffe, Gemische und Erzeugnisse bei Tätigkeiten, auch unter Berücksichtigung verwendeter Arbeitsmittel, Verfahren und der Arbeitsumgebung sowie ihrer Wechselwirkungen, zu Brand- und Explosionsgefährdungen führen können. (Bem. d. Verf.: die GefStoffV bezieht im Unterschied zur ATEX-Betriebsrichtlinie [25] die Brandgefährdungen umfassend mit ein) Dabei hat er zu beurteilen: 1. ob gefährliche Mengen oder Konzentrationen von Gefahrstoffen, die zu Brand- und Explosionsgefährdungen führen können, auftreten, dabei sind sowohl Stoffe und Gemische mit physikalischen Gefährdungen nach der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 (d. Verf.: GHS/VLP-Verordnung) wie auch andere Gefahrstoffe, die zu Brand- und Explosionsgefährdungen führen können, sowie Stoffe, die in gefährlicher Weise miteinander reagieren können, zu berücksichtigen, 2. ob Zündquellen oder Bedingungen, die Brände oder Explosionen auslösen können, vorhanden sind und 3. ob schädliche Auswirkungen von Bränden oder Explosionen auf die Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten möglich sind. Insbesondere hat er zu ermitteln, ob die Stoffe, Gemische und Erzeugnisse auf Grund ihrer Eigenschaften und der Art und Weise, wie sie am Arbeitsplatz vorhanden sind oder verwendet werden, explosionsfähige Gemische bilden können. Im Fall von nicht atmosphärischen Bedingungen sind auch die möglichen Veränderungen der für den Explosionsschutz relevanten sicherheitstechnischen Kenngrößen zu ermitteln und zu berücksichtigen.

 Bezüglich des Zeitpunkts, zu dem die Gefährdungsbeurteilung durchzuführen ist, und hinsichtlich deren Dokumentation wird in Absatz 8 bestimmt: (8) Der Arbeitgeber hat die Gefährdungsbeurteilung unabhängig von der Zahl der Beschäftigten erstmals vor Aufnahme der Tätigkeit zu dokumentieren. Dabei ist Folgendes anzugeben: 1. die Gefährdungen bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen, 2. das Ergebnis der Prüfung auf Möglichkeiten einer Substitution nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 4, 3. eine Begründung für einen Verzicht auf eine technisch mögliche Substitution, sofern die Schutzmaßnahmen nach § 9 oder § 10 zu ergreifen sind, 4. die durchzuführenden Schutzmaßnahmen einschließlich derer, a) die wegen der Überschreitung eines Arbeitsplatzgrenzwerts zusätzlich ergriffen wurden sowie der geplanten Schutzmaßnahmen, die zukünftig ergriffen werden sollen, um die Arbeitsplatzgrenzwerte einzuhalten, oder b) die unter Berücksichtigung eines Beurteilungsmaßstabs für krebserzeugende Gefahrstoffe, der nach § 29 Absatz 4 bekannt gegeben worden ist, zusätzlich getroffen worden sind oder zukünftig getroffen werden sollen (Maßstabsplan), 5. eine Begründung, wenn von den nach § 20 Absatz 4 bekannt gegebenen Regeln und Erkenntnissen abgewichen wird und 6. die Ermittlungsergebnisse, die belegen, dass der Arbeitsplatzgrenzwert eingehalten wird oder, bei Stoffen ohne Arbeitsplatzgrenzwert, die ergriffenen technischen Schutzmaßnahmen wirksam sind. Im Rahmen der Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung können auch vorhandene Gefährdungsbeurteilungen oder andere gleichwertige Berichte verwendet werden, die auf Grund von Verpflichtungen nach anderen Rechtsvorschriften erstellt worden sind.

 Betreffs der Einbeziehung von Gefährdungen durch gefährliche explosionsfähige Gemische in die Gefährdungsbeurteilungen, inklusive Vorgaben zum Explosionsschutzdokument, wird in Absatz 9 festgelegt:

192

3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz (9) Bei der Dokumentation nach Absatz 8 hat der Arbeitgeber in Abhängigkeit der Festlegungen nach Absatz 4 die Gefährdungen durch gefährliche explosionsfähige Gemische besonders auszuweisen (Explosionsschutzdokument). Daraus muss insbesondere hervorgehen: 1. dass die Explosionsgefährdungen ermittelt und einer Bewertung unterzogen worden sind, 2. dass angemessene Vorkehrungen getroffen werden, um die Ziele des Explosionsschutzes zu erreichen (Darlegen des Explosionsschutzkonzepts), 3. ob und welche Bereiche entsprechend Anhang I Nummer 1.7 (d. Verf.: der GefStoffV) in Zoneneingeteilt wurden, 4. für welche Bereiche Explosionsschutzmaßnahmen nach § 11 (d. Verf.: Besondere Schutzmaßnahmen gegen physikalisch-chemische Einwirkungen, insbesondere gegen Brand- und Explosionsgefährdungen) und Anhang I Nummer 1 getroffen wurden, 5. wie die Vorgaben nach § 15 (d. Verf.: Zusammenarbeit verschiedener Firmen) umgesetzt werden und 6. welche Überprüfungen nach § 7 (d. Verf.: Grundpflichten) Absatz 7 und welche Prüfungen zum Explosionsschutz nach Anhang 2 Abschnitt 3 der Betriebssicherheitsverordnung durchzuführen sind.

 In § 7 (Grundpflichten) wird der Arbeitgebers verpflichtet, eine Tätigkeit mit Gefahrstoffen erst aufnehmen zu lassen, nachdem eine Gefährdungsbeurteilung nach § 6 durchgeführt und die erforderlichen Schutzmaßnahmen nach Abschnitt 4 ergriffen worden sind.  In § 14 (Unterrichtung und Unterweisung der Beschäftigten) wird vorgegeben: (1) Der Arbeitgeber hat sicherzustellen, dass den Beschäftigten eine schriftliche Betriebsanweisung, die der Gefährdungsbeurteilung nach § 6 Rechnung trägt, in einer für die Beschäftigten verständlichen Form und Sprache zugänglich gemacht wird. Die Betriebsanweisung muss mindestens Folgendes enthalten: 1. Informationen über die am Arbeitsplatz vorhandenen oder entstehenden Gefahrstoffe, wie beispielsweise die Bezeichnung der Gefahrstoffe, ihre Kennzeichnung sowie mögliche Gefährdungen der Gesundheit und der Sicherheit, 2. Informationen über angemessene Vorsichtsmaßregeln und Maßnahmen, die die Beschäftigten zu ihrem eigenen Schutz und zum Schutz der anderen Beschäftigten am Arbeitsplatz durchzuführen haben; dazu gehören a) Hygienevorschriften, b) Informationen über Maßnahmen, die zur Verhütung einer Exposition zu ergreifen sind, c) Informationen zum Tragen und Verwenden von persönlicher Schutzausrüstung und Schutzkleidung, 3. Informationen über Maßnahmen, die bei Betriebsstörungen, Unfällen und Notfällen und zur Verhütung dieser von den Beschäftigten, insbesondere von Rettungsmannschaften, durchzuführen sind. Die Betriebsanweisung muss bei jeder maßgeblichen Veränderung der Arbeitsbedingungen aktualisiert werden. … (2) Der Arbeitgeber hat sicherzustellen, dass die Beschäftigten anhand der Betriebsanweisung nach Absatz 1 über alle auftretenden Gefährdungen und entsprechenden Schutzmaßnahmen mündlich unterwiesen werden. … Die Unterweisung muss vor Aufnahme der Beschäftigung und danach mindestens jährlich arbeitsplatzbezogen durchgeführt werden. Sie muss in für die Beschäftigten verständlicher Form und Sprache erfolgen.

3.3 Inbetriebnahmerelevante Rechtsvorschriften der EU und der BRD

193

Inhalt und Zeitpunkt der Unterweisung sind schriftlich festzuhalten und von den Unterwiesenen durch Unterschrift zu bestätigen.

 Bei Zusammenarbeit mehrerer Firmen ist in § 15 (Zusammenarbeit verschiedener Firmen) Folgendes geregelt: (1) Sollten in einem Betrieb Fremdfirmen Tätigkeiten mit Gefahrstoffen ausüben, hat der Arbeitgeber als Auftraggeber sicherzustellen, dass nur solche Fremdfirmen herangezogen werden, die über die Fachkenntnisse und Erfahrungen verfügen, die für diese Tätigkeiten erforderlich sind. Der Arbeitgeber hat die Fremdfirmen über die Gefahrenquellen und spezifischen Verhaltensregeln zu informieren. (2) Kann bei Tätigkeiten von Beschäftigten eines Arbeitsgebers eine Gefährdung von Beschäftigten anderer Arbeitsgeber durch Gefahrstoffe nicht ausgeschlossen werden, so haben alle betroffenen Arbeitsgeber bei der Durchführung ihrer Gefährdungsbeurteilungen nach § 6 zusammenzuwirken und die Schutzmaßnahmen abzustimmen. Dies ist zu dokumentieren. Die Arbeitsgeber haben dabei sicherzustellen, dass Gefährdungen der Beschäftigten aller beteiligten Unternehmen durch Gefahrstoffe wirksam begegnet wird. (3) Jeder Arbeitgeber ist dafür verantwortlich, dass seine Beschäftigten die gemeinsam festgelegten Schutzmaßnahmen anwenden.

 In Anhang I Nummer 1 (Brand- und Explosionsgefährdungen) der GefStoffV werden weitere konkrete Vorgaben zu Planung und Betrieb von derartigen Anlagen mit Gefahrstoffen und explosionsgefährdeten Bereichen angeführt. Diese betreffen u.a.:  Grundlegende Anforderungen zum Schutz vor Brand- und Explosionsgefährdungen (Abs. 1.2),  Schutzmaßnahmen in Arbeitsbereichen mit Brand- und Explosionsgefährdungen (Abs. 1.3),  Organisatorische Maßnahmen (Abs. 1.4),  Schutzmaßnahmen für die Lagerung (Abs. 1.5),  Mindestvorschriften für den Explosionsschutz bei Tätigkeiten in Bereichen mit gefährlichen explosionsfähigen Gemischen (Abs. 1.6); u.a. Kennzeichnung der Arbeitsbereiche, in denen explosionsfähige Atmosphäre auftreten kann, an ihren Zugängen mit dem Ex-Warnzeichen (s. Abb. 3.8),



Abb. 3.8 Warnzeichen zur Kennzeichnung von Bereichen, in denen explosionsfähige Atmosphäre auftreten kann, nach Anhang II der ATEX-Betriebsrichtlinie [25]

 Zoneneinteilung explosionsgefährdeter Bereiche (Abs. 1.7) (entsprechend den Angaben in Abschn. 3.3.1.3, Buchst. b) zur ATEX-Betriebsrichtlinie [25]),  Mindestvorschriften für Einrichtungen in explosionsgefährdeten Bereichen und für Einrichtungen in nichtexplosionsgefährdeten Bereichen, die für den Explosionsschutz in explosionsgefährdeten Bereichen bedeutend sind (Abs. 1.8).

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

 Zusammenfassend werden in der GefStoffV hinsichtlich der Inbetriebnahme insbesondere Vorgaben gemacht über:  die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Gefahrstoffen (§ 4),  die Erarbeitung und Nutzung des Sicherheitsdatenblatts (§ 5),  die Pflicht des Auftraggebers festzustellen, inwieweit seine Beschäftigten durch Gefahrstoffe gefährdet sind (§ 6),  die Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen im Umgang mit Gefahrstoffen (§§ 6 und 7), auch bei Zusammenarbeit verschiedener Firmen,  die besondere Berücksichtigung der Gefährdungen durch gefährliche explosionsfähige Atmosphäre (Darlegung eines Explosionsschutzkonzepts gemäß § 6 Abs. (9)).) Aus dem Explosionsschutzdokument mit Explosionsschutzkonzept (s. auch Abschn. 3.3.1.3, Buchst. b) über die ATEX-Betriebsrichtlinie [25]) muss insbesondere hervorgehen: ▪ dass die Brand- und Explosionsgefährdungen ermittelt und einer Bewertung unterzogen worden sind, ▪ dass angemessene Vorkehrungen getroffen werden, um die Ziele des Brand- und Explosionsschutzes zu erreichen (Darlegen eines Explosionsschutzkonzeptes), ▪ ob und welche Bereiche entsprechend Anhang I Nummer 1.7 in Zonen eingeteilt wurden, ▪ für welche Bereiche Explosionsschutzmaßnahmen nach § 11 und Anhang I Nummer 1 getroffen wurden.  das Erarbeiten von Betriebsanweisungen im Umgang mit Gefahrstoffen und die Unterrichtung und Unterweisung der Beschäftigten darüber (§ 14),  das Anbringen von Ex-Warnzeichen an den Zugängen von Arbeitsbereichen, in denen explosionsfähige Atmosphäre auftreten kann.  Die praktische Umsetzung der Ausführungen zur GefStoffV bei der Inbetriebnahmevorbereitung wird insbesondere in den Abschnitten 3.5.2.4 (Gefährdungsbeurteilungen und Betriebsanweisungen) und 5.2.3 (Unterweisungen) beschrieben. e) Umwelthaftungsgesetz (UmweltHG) [49], Umweltschadensgesetz (USchadG) [50]  Das Umwelthaftungsgesetz, aus dem in Tabelle 3.15 einige Auszüge angeführt sind, regelt die Haftbarkeit für Umweltschäden. Die Anlagen, welche dem UmweltHG unterliegen, sind im Anhang 1 des Gesetzes aufgeführt. Insgesamt sind ca. 100 verschiedene Anlagenarten angegeben, d.h. für den Großteil der verfahrenstechnischen und nach der 4. BImSchV [34] genehmigungsbedürftigen Anlagen gilt das UmweltHG. Die Begriffsdefinitionen in § 3 des UmweltHG machen zugleich deutlich, dass die möglichen Umwelteinwirkungen und der Anlagenbegriff weit gefasst sind.  Im UmweltHG wird im § 6 eine so genannte Ursachenvermutung festgelegt. Dabei wird im Schadensfall angenommen, dass eine Anlage mit potentiellen Umweltrisiken a priori die Schäden verursacht hat. Dies entspricht einer verschuldungsunabhängigen Gefährdungshaftung. Das heißt beispielsweise, ein Betrieb haftet verschuldungsunabhängig auch dann, wenn er seine Anlage  genehmigungskonform,  unter Einhaltung der zulässigen Grenzwerte,

3.3 Inbetriebnahmerelevante Rechtsvorschriften der EU und der BRD

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 unter Berücksichtigung aller Auflagen ohne Störungen betrieben hat, dies aber nicht dokumentarisch nachweisen kann. Diese Gefährdungshaftung ist als „Gegenleistung“ des Betreibers einer Anlage mit einem bestimmten Gefährdungspotenzial gegenüber der Gesellschaft, die dem Betreiber den Betrieb der Anlage erlaubt, zu verstehen. Tabelle 3.15 Auszug aus dem Umwelthaftungsgesetz (UmweltHG) [49] §1

Anlagenhaftung bei Umwelteinwirkungen Wird durch eine Umwelteinwirkung, die von einer im Anhang 1 genannten Anlage ausgeht, jemand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Inhaber der Anlage verpflichtet, dem Geschädigten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.

§ 3 Begriffsbestimmungen (1) Ein Schaden entsteht durch eine Umwelteinwirkung, wenn er durch Stoffe, Erschütterungen, Geräusche, Druck, Strahlen, Gase, Dämpfe, Wärme oder sonstige Erscheinungen verursacht wird, die sich in Boden, Luft oder Wasser ausgebreitet haben. (2) Anlagen sind ortsfeste Einrichtungen wie Betriebsstätten und Lager. (3) Zu den Anlagen gehören auch  Maschinen, Geräte, Fahrzeuge und sonstige ortsveränderliche technische Einrichtungen und  Nebeneinrichtungen, die mit der Anlage oder einem Anlagenteil in einem räumlichen oder betriebstechnischen Zusammenhang stehen und für das Entstehen von Umwelteinwirkungen von Bedeutung sein können. §5

Beschränkung der Haftung bei Sachschäden Ist die Anlage bestimmungsgemäß betrieben worden (§ 6 Abs. 2 Satz 2), so ist die Ersatzpflicht für Sachschäden ausgeschlossen, wenn die Sache nur unwesentlich oder in einem Maße beeinträchtigt wird, das nach den örtlichen Verhältnissen zumutbar ist.

§6

Ursachenvermutung (1) Ist eine Anlage nach den Gegebenheiten des Einzelfalles geeignet, den entstandenen Schaden zu verursachen, so wird vermutet, dass der Schaden durch diese Anlage verursacht ist. Die Eignung im Einzelfall beurteilt sich nach dem Betriebsablauf, den verwendeten Einrichtungen, der Art und Konzentration der eingesetzten und freigesetzten Stoffe, den meteorologischen Gegebenheiten, nach Zeit und Ort des Schadenseintritts und nach dem Schadensbild sowie allen sonstigen Gegebenheiten, die im Einzelfall für oder gegen die Schadensverursachung sprechen. (2) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn die Anlage bestimmungsgemäß betrieben wurde. Ein bestimmungsgemäßer Betrieb liegt vor, wenn die besonderen Betriebspflichten eingehalten worden sind und auch keine Störung des Betriebs vorliegt. (3) Besondere Betriebspflichten sind solche, die sich aus verwaltungsrechtlichen Zulassungen, Auflagen und vollziehbaren Anordnungen und Rechtsvorschriften ergeben, soweit sie die Verhinderung von solchen Umwelteinwirkungen bezwecken, die für die Verursachung des Schadens in Betracht kommen. (4) Sind in der Zulassung, in Auflagen, in vollziehbaren Anordnungen oder in Rechtsvorschriften zur Überwachung einer besonderen Betriebspflicht Kontrollen vorgeschrieben, so wird die Einhaltung dieser Betriebspflicht vermutet, wenn

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

Tab. 3.15 (Fortsetzung) §6

Ursachenvermutung (Fortsetzung) 1. die Kontrollen in dem Zeitraum durchgeführt wurden, in dem die in Frage stehende Umwelteinwirkung von der Anlage ausgegangen sein kann, und diese Kontrollen keinen Anhalt für die Verletzung der Betriebspflicht ergeben haben, oder 2. im Zeitpunkt der Geltendmachung des Schadenersatzanspruchs die in Frage stehenden Umwelteinwirkung länger als zehn Jahre zurückliegt.

 Die Beweislast liegt im Schadensfall gemäß § 6, Abs. 1 zunächst entsprechend der Ursachenvermutung beim Anlagenbetreiber und nicht beim Geschädigten.  Der Anlagenbetreiber kann die Ursachenvermutung außer Kraft setzen und somit die Beweislast an den Geschädigten übertragen, wenn er die Vorgaben gemäß § 6, Abs. (2), (3) und (4) einhält und dies nachvollziehbar dokumentieren kann. Dies bedeutet aber insbesondere, dass  die Einhaltung verwaltungsrechtlicher Zulassungen, von Auflagen, vollziehbaren Anordnungen und Rechtsvorschriften während des genehmigten bestimmungsgemäßen Betriebs erfolgt ist und gerichtsfest nachgewiesen werden kann sowie  alle in der Zulassung, in Auflagen, in vollziehbaren Anordnungen oder in Rechtsvorschriften vorgeschriebenen Kontrollen (z.B. Emissionsmessungen) durchgeführt wurden, keine Pflichtverletzungen ergaben und dies gerichtsfest dokumentiert ist. Die möglichen und sehr wesentlichen Haftungserleichterungen für den Betreiber bewirken somit erhebliche Dokumentationspflichten während des Anlagenbetriebs aber ggf. auch für das Engineering, soweit im Genehmigungsbescheid behördliche Vorgaben für die Ausführungsplanung enthalten sind.  Liegt die in Frage stehende Umwelteinwirkung gegenüber dem Zeitpunkt des Schadenersatzanspruchs länger als 10 Jahre zurück, so hat gemäß § 6, Abs. (4) Satz 2 der Geschädigte den ursächlichen Beweis zu erbringen.  Die Haftungshöchstgrenze nach § 15 UmweltHG liegt bei 85 Millionen Euro, soweit die Schäden aus einer einheitlichen Umwelteinwirkung entstanden sind. Für spezielle Anlagen besteht die Pflicht, eine Deckungsvorsorge für eventuelle Schäden, z.B. durch eine Haftpflichtversicherung zu schaffen. Insgesamt sind bei verfahrenstechnischen Anlagen die Umwelthaftungsrisiken entsprechend UmweltHG und der sich daraus ableitenden Nachweispflichten erheblich. In der Praxis wird dies aber, anders als bei den Produkthaftungsrisiken, mitunter unterschätzt. Gemäß § 1 beschränkt das UmweltHG die Haftung auf sog. Drittschäden (Personen, Sache). Eine reine Haftung für Umweltschäden ist im UmweltHG nicht vorgesehen. Diese Lücke schließt das Umweltschadensgesetz (USchadG) vom 10.05.2017, indem auch Umweltschäden im Sinne von § 2 (Begriffsbestimmungen) einer Schädigung von Arten und natürliche Lebensräumen, der Gewässer und des Bodens erfasst werden. Grundsätzlich ist festzustellen:  Das USchadG verschärft die Haftung für natürliche und juristische Personen.  Für berufliche Tätigkeiten, die in der Anlage 1 zu § 3 Abs. 1 des USchadG aufgeführt sind, gilt eine verschuldungsabhängige Haftung des Verantwortlichen für Umweltschäden. Dies betrifft u.a. den Betrieb/das Betreiben von Anlagen, für den eine

3.3 Inbetriebnahmerelevante Rechtsvorschriften der EU und der BRD

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Genehmigung gemäß Richtlinie 2010/75/EU, Anlage I (d. Verf.: Industrieemissionsrichtlinie – IE-RL [18]), erforderlich ist.  Für den Verantwortlichen formuliert das USchadG sog. Informationspflichten (§ 4), Gefahrenabwehrpflichten (§ 5) und Sanierungspflichten (§ 6).  In § 9 (Kosten für Vermeidungs- und Sanierungsmaßnahmen) steht: (1) Der Verantwortliche trägt vorbehaltlich von Ansprüchen gegen die Behörden oder Dritte die Kosten der Vermeidungs-, Schadenbegrenzungs- und Sanierungsmaßnahmen.

In Tabelle 3.16 sind einige Hinweise für die Projektabwicklung, die sich aus unser aller Verantwortung gegenüber der Natur sowie aus den rechtlichen Vorgaben im Umwelthaftungsgesetz und Umweltschadensgesetz ableiten, nochmals zusammengefasst. Tabelle 3.16 Hinweise für Vorbereitung und Durchführung der Inbetriebnahme unter Beachtung des UmweltHG [49] und USchadG [50] 1

Im Projekt muss eindeutig geklärt und dokumentiert sein, ob die geplante Anlage dem Umwelthaftungsgesetz unterliegt oder nicht. In der Regel wird die verfahrenstechnische Anlage dem UmweltHG unterliegen.

2

Auswertung und Selektierung des Genehmigungsbescheids sowie weiterer relevanter verwaltungsrechtlicher Dokumente und Rechtsvorschriften im Projektteam bezüglich Besondere Betriebspflichten nach UmweltHG, § 3, Abs. (3), die während der Errichtung und des Betriebs der Anlage, insbesondere der Inbetriebnahme, eingehalten werden müssen.

3

Formulierung der gemäß Punkt 2. identifizierten Besonderen Betriebspflichten (z.B. in den Nebenbestimmungen) sowie der zugehörigen Projektziele/-aufgaben inkl. Verantwortung, Befugnisse und Zuständigkeiten für die Inbetriebnahmephase.

4

Erarbeiten eines Maßnahmen- und Qualitätssicherungsplans für die  technische und organisatorische Realisierung,  die Erfüllungskontrolle und  die gerichtsfeste Dokumentation und Ablage der Erfüllungsnachweise zu den Besonderen Betriebspflichten nach UmweltHG.

5

Die angeführten Pläne gemäß Punkt 4. sollten in die Abschnitte  Endmontage inkl. Inbetriebnahmevorbereitung,  die Kalt-Inbetriebnahme und  Heiß-Inbetriebnahme inkl. Übergang zum Dauerbetrieb unterteilt werden.

6

Die Erfüllungskontrolle zu den umweltrelevanten Pflichten aus verwaltungsrechtlichen Zulassungen, Auflagen und vollziehbaren Anordnungen und Rechtsvorschriften, die bei der Inbetriebnahme zu beachten sind, sollte vom Inbetriebnahmeleiter persönlich wahrgenommen werden.

7

Die Erfüllungskontrolle zu den umweltrelevanten Pflichten aus verwaltungsrechtlichen Zulassungen, Auflagen und vollziehbaren Anordnungen und Rechtsvorschriften, die bei der Inbetriebnahme zu beachten sind, sollte vom Inbetriebnahmeleiter persönlich wahrgenommen werden.

8

Klären, inwieweit die eigene berufliche Tätigkeit dem USchadG, Anlage 1 unterliegt.

9

Analyse der Risiken betreffs möglicher Umweltschäden nach USchadG. Gegebenenfalls Ableiten und Umsetzen von Maßnahmen zur Risikominimierung.

10 Berücksichtigung der Verpflichtungen nach USchadG in der Projektorganisation und -arbeit, insbesondere während der Inbetriebnahme.

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

Der Inbetriebnahmeleiter muss letztlich nicht nur seiner Umweltverantwortung gerecht werden, er muss auch sicherstellen, dass er die Erfüllung aller umweltrelevanten Pflichten, insbesondere aus dem Genehmigungsbescheid, gerichtsfest nachweisen kann. Es erscheint ratsam, in das zuvor beschriebene Controlling zu den behördlichen umweltrelevanten Vorgaben auch die anderen behördlich angeordneten Pflichten (bezüglich Sicherheit, Anzeige, Prüfung, Fortschreibung, Dokumentation usw.) mit aufzunehmen.

3.3.2.3 Produktsicherheitsrecht und Anlagensicherheitsrecht Das deutsche Recht zur Produkt- und Anlagensicherheit setzt vorrangig die EU-Richtlinien, die in Abschn. 3.3.1.2 beschrieben sind, in nationales Recht um. a) Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) [51]  Das ProdSG dient der Umsetzung von ca. 20 EU-Richtlinien. Im § 1 (Anwendungsbereich) ist formuliert: (1) Dieses Gesetz gilt, wenn im Rahmen einer Geschäftstätigkeit Produkte auf den Markt bereitgestellt, ausgestellt oder erstmals verwendet werden. (2) Dieses Gesetz gilt auch für die Errichtung und den Betrieb überwachungsbedürftiger Anlagen, die gewerblichen oder wirtschaftlichen Zwecken dienen oder durch die Beschäftigte gefährdet werden können, mit Ausnahme der überwachungsbedürftigen Anlagen… (d. Verf.: für Anlagenprojekte wenig relevant).

 Gegenstand des ProdSG sind Produkte und überwachungsbedürftige Anlagen, die in § 2 (Begriffsbestimmungen) Nummer 22. und 30. wie folgt definiert sind: 22. Im Sinne dieses Gesetzes sind Produkte Waren, Stoffe oder Zubereitungen, die durch einen Fertigungsprozess hergestellt worden sind. 30. Im Sinne dieses Gesetzes sind überwachungsbedürftige Anlagen: a) Dampfkesselanlagen mit Ausnahme von Dampfkesselanlagen auf Seeschiffen, b) Druckbehälteranlagen außer Dampfkesseln, c) Anlagen zur Abfüllung von verdichteten, verflüssigten oder unter Druck gelösten Gasen, d) Leitungen unter inneren Überdruck für brennbare, ätzende oder giftige Gase, Dämpfe oder Flüssigkeiten, e) Aufzugsanlagen, f) Anlagen in explosionsgefährdeten Bereichen, g) Getränkeschankanlagen und Anlagen zur Herstellung kohlensaurer Gase, h) Acetylenanlagen und Calciumcarbidlager, i) Anlagen zur Lagerung, Abfüllung und Beförderung von brennbaren Flüssigkeiten. Zu den überwachungsbedürftigen Anlagen gehören auch Mess-, Steuer- und Regeleinrichtungen, die dem sicheren Betrieb überwachungsbedürftiger Anlagen dienen; zu den in den Buchstaben b, c und d bezeichneten überwachungsbedürftigen Anlagen gehören nicht die Energieanlagen im Sinne des Energiewirtschaftsgesetzes. Überwachungsbedürftige Anlagen stehen den Produkten im Sinne von Nummer 22 gleich, soweit sie nicht schon von Nummer 22 erfasst sind.

Das ProdSG erfasst somit nahezu alle Hersteller- bzw. Lieferantenerzeugnisse sowie viele Teil-/Nebenanlagen, Package-units und Anlagenkomponenten, die per Gesetz ein Produkt bzw. eine überwachungsbedürftige Anlage darstellen und häufig Gegenstand der Inbetriebnahme sind.

3.3 Inbetriebnahmerelevante Rechtsvorschriften der EU und der BRD

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 Das Produktsicherheitsgesetz macht in den Abschnitten 2 und 5 u.a. Vorgaben betreffs:  Allgemeine Anforderungen an die Bereitstellung von Produkten auf dem Markt (§ 3).  Beachtung harmonisierter Normen (§ 4) sowie von Normen und anderen technischen Spezifikationen (§ 5) bei der Beurteilung, ob ein Produkt den Anforderungen entspricht (§ 4).  CE-Kennzeichnung des Produkts (§ 7), bevor es in den Verkehr gebracht wird. Bem.: Inverkehrbringen ist im Sinne des ProdSG die erstmalige Bereitstellung eines Produkts auf dem Markt; die Einfuhr in den Europäischen Wirtschaftsraum steht dem Inverkehrbringen eines neuen Produkts gleich (§ 2, Nummer 15.).

 Zuerkennung und Anbringen des GS-Zeichens (Geprüft Sicherheit) (§ 20).  In Abschnitt 9 (Überwachungsbedürftige Anlagen) wird u.a. geregelt:  die Ermächtigung der Bundesregierung (nach Zustimmung des Bundesrats) zum Erlass von Rechtsvorschriften ( 34), die z.B. bestimmen: 1. dass die Errichtung, ihre Inbetriebnahme, die Vornahme von Änderungen an bestehenden Anlagen (…) angezeigt und der Anzeige bestimmte Unterlagen beigefügt werden müssen, 2. dass die Errichtung, ihr Betrieb sowie die Vornahme von Änderungen an bestehenden Anlagen (…) der Erlaubnis einer (…) zuständigen Behörde bedürfen, 3. dass solche Anlagen oder Teile von solchen Anlagen nach einer Bauartprüfung allgemein zugelassen und mit der allgemeinen Zulassung Auflagen zum Betrieb und zur Wartung verbunden werden können, 4. dass solche Anlagen, insbesondere die Errichtung, die Herstellung, die Bauart, die Werkstoffe, die Ausrüstung und die Unterhaltung sowie ihr Betrieb, bestimmten, dem Stand der Technik entsprechenden Anforderungen genügen müssen, 5. dass solche Anlagen einer Prüfung vor Inbetriebnahme, regelmäßig wiederkehrenden Prüfungen und Prüfungen auf Grund behördlicher Anordnungen unterliegen.  die Prüfungen der überwachungsbedürftigen Anlagen werden von zugelassenen Überwachungsstellen vorgenommen. Die wichtigste deutsche Rechtsverordnung, die nach Abschnitt 9 erlassen wurde und die insbesondere die (Sicherheits-)Prüfungen von überwachungsbedürftigen Anlagen vor Inbetriebnahme regelt, ist die Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) [7] (s. Buchst. c) dieses Abschnitts).  Zwecks Umsetzung von EU-Richtlinien in deutsches Recht wurden für bestimmte Produktarten/-gruppen einzelne Verordnungen zum ProdSG (sog. ProdSV) erlassen. Die wichtigsten sind:  Maschinenverordnung (9. ProdSV) [4] → aus Maschinenrichtlinie [2],  Druckgeräteverordnung (14. ProdSV) [6] → aus Druckgeräte-RL [3],  Explosionsschutzverordnung (11. ProdSV) [10] → aus ATEX-Herstellerrichtlinie [7]. In diesen Verordnungen wird u.a. auf Regelungen in der zugehörigen EU-Richtlinie verwiesen, insbesondere auf die notwendigen EG-Konformitätserklärung, Betriebsan-

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leitung, Technische Unterlagen (Dokumentation) und CE-Kennzeichnung vor Inverkehrbringen des Produkts (s. nähere Angaben in Abschn. 3.3.1.2 und 3.5.2). b) Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG) [52]  Das Produkthaftungsgesetz formuliert im § 2: Produkt im Sinne dieses Gesetzes ist jede bewegliche Sache, auch wenn sie einen Teil einer anderen beweglichen Sache oder einer unbeweglichen Sache bildet, sowie Elektrizität.

Ein Produkt nach ProdHaftG ist somit eine bewegliche Sache. Damit ist diese Produktdefinition relativ eindeutig und zugleich etwas abweichend zu der des Produktsicherheitsgesetzes (s. Buchstabe a) dieses Abschnitts). Gemäß dieser Definition in § 2 sind in verfahrenstechnischen Anlagen die meisten gelieferten Komponenten als Produkte im Sinne des ProdHaftG zu verstehen und zu handhaben.  Im Weiteren soll im Zusammenhang mit Leistungen des Herstellers analysiert werden: Welche Anforderungen ergeben sich aus dem ProdHaftG für die Haftung des Herstellers für sein Produkt und welche Dokumentationspflichten resultieren daraus? Um diese Frage zu beantworten, gilt es den Gesetzestext in Tabelle 3.17 zu lesen, zu verstehen sowie anschließend die nachfolgenden Schlussfolgerungen zu ziehen: Tabelle 3.17 Auszug aus dem Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG) [52] § 1 Haftung (1) Wird durch den Fehler eines Produkts jemand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Hersteller des Produkts verpflichtet, dem Geschädigten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Im Fall der Sachbeschädigung gilt dies nur, wenn eine andere Sache als das fehlerhafte Produkt beschädigt wird und diese andere Sache ihrer Art nach gewöhnlich für den privaten Ge- oder Verbrauch bestimmt und hierzu von dem Geschädigten hauptsächlich verwendet worden ist. (2) Die Ersatzpflicht des Herstellers ist ausgeschlossen, wenn 1. er das Produkt nicht in den Verkehr gebracht hat, 2. nach den Umständen davon auszugehen ist, dass das Produkt den Fehler, der den Schaden verursacht hat, noch nicht hatte, als der Hersteller es in den Verkehr brachte, 3. er das Produkt weder für den Verkauf oder eine andere Form des Vertriebs mit wirtschaftlichem Zweck hergestellt, noch im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit hergestellt oder vertrieben hat, 4. der Fehler darauf beruht, dass das Produkt in dem Zeitpunkt, in dem der Hersteller es in den Verkehr brachte, dazu zwingenden Rechtsvorschriften entsprochen hat, oder 5. der Fehler nach dem Stand der Wissenschaft und Technik in dem Zeitpunkt, in dem der Hersteller das Produkt in den Verkehr brachte, nicht erkannt werden konnte. (4) Für den Fehler, den Schaden und den ursächlichen Zusammenhang zwischen Fehler und Schaden trägt der Geschädigte die Beweislast. Ist streitig, ob die Ersatzpflicht gemäß Absatz 2 oder 3 ausgeschlossen ist, so trägt der Hersteller die Beweislast.

3.3 Inbetriebnahmerelevante Rechtsvorschriften der EU und der BRD

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Tab. 3.17 (Fortsetzung) § 3 Fehler (1) Ein Produkt hat einen Fehler, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere a) seiner Darbietung, b) des Gebrauchs, mit dem billigerweise gerechnet werden kann, c) des Zeitpunkts, in dem es in Verkehr gebracht wurde, berechtigterweise erwartet werden kann.

 Der Hersteller sollte Produktfehler möglichst vermeiden, sodass diese Haftungsvoraussetzung a priori nicht gegeben wird. Dies erfordert gemäß § 3, dass das Produkt unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere ▪ seiner Darbietung und ▪ seines Gebrauchs, mit dem billigerweise gerechnet werden kann, ausreichend sicher ist. Zur Darbietung dient hauptsächlich die Produkt- bzw. Herstellerdokumentation. Der Fehlerbegriff gemäß § 3 beinhaltet jedoch auch einen Fehlgebrauch des Produkts, mit dem der Hersteller rechnen muss [53]. Eine fehlerfreie Darbietung (Dokumentation) muss benutzerspezifische Hinweise auf die bestimmungsgemäße Verwendung des Produkts sowie auf Restgefahren und Vorkehrungen enthalten.  Bei der Produktentwicklung und -darbietung sind die geltenden Rechtsvorschriften und i.d.R. auch die allgemein anerkannten Regeln der Technik einzuhalten. Genügt ein Produkt (inkl. zugehörige Dokumentation) nicht den rechtlichen u.a. Normen, so muss gefolgert werden, dass es nicht die notwendige Sicherheit bietet und gemäß § 3, ProdHaftG einen Fehler hat.  Voraussetzung für eine Schadenersatzpflicht des Herstellers nach § 1, ProdHaftG ist zunächst, dass durch den Fehler eines Produkts ein Mensch getötet, an Körper oder Gesundheit verletzt oder eine andere Sache beschädigt wurde. Gemäß § 1, Abs. (4), 1. Satz hat der Geschädigte den Schaden, den Fehler und den ursächlichen Zusammenhang zwischen Fehler und Schaden zu beweisen (Beweislast). Soweit ist die angeführte Regelung zunächst analog zum BGB zu sehen, aber dies ist nur die „halbe Wahrheit“. Den Unterschied im Sinne einer verschuldensunabhängigen Haftung macht der 2. Satz, Abs. (4) aus, in dem der Gesetzgeber eine Beweislastumkehr festlegt, sobald die Ersatzpflicht des Herstellers gemäß § 1, Abs. (2) oder (3) streitig ist. Für den Hersteller ergeben sich somit im Haftungsfall folgende beiden Varianten: a) Kann er belegen, dass einer der Punkte von Abs. (2) zutrifft, z.B. durch ▪ Nachweis, dass der schadenverursachende Produktfehler zum Zeitpunkt seines Inverkehrbringens nicht vorlag oder ▪ Nachweis, dass der Produktfehler gemäß damaligen Stand der Wissenschaft und Technik nicht erkannt werden konnte, so bleibt die Beweislast beim Geschädigten. b) Gelingt dies dem Hersteller nicht, und in der Praxis ist diese Situation nicht selten, muss der Hersteller den kausalen Beweis erbringen. Dazu hat er zu beweisen, dass „nach den Umständen davon auszugehen ist“, dass das Produkt zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens den Fehler noch nicht aufwies.

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c) Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) [7]  Die Betriebssicherheitsverordnung ist eine komplexe Verordnung, die auch für verfahrenstechnische Anlagen wichtige Regelungen beinhaltet. Unter § 1 (Anwendungsbereich und Zielstellung) wird konkret formuliert: (1) Diese Verordnung gilt für die Verwendung von Arbeitsmitteln. Ziel dieser Verordnung ist es, die Sicherheit und den Schutz der Gesundheit von Beschäftigten bei der Verwendung von Arbeitsmitteln zu gewährleisten. Dies soll insbesondere erreicht werden durch 1. die Auswahl geeigneter Arbeitsmittel und deren sichere Verwendung, 2. die für den vorgesehenen Verwendungszweck geeignete Gestaltung von Arbeits- und Fertigungsverfahren sowie 3. die Qualifikation und Unterweisung der Beschäftigten. Diese Verordnung regelt hinsichtlich der in Anhang 2 genannten überwachungsbedürftigen Anlagen zugleich Maßnahmen zum Schutz von Personen im Gefahrenbereich, soweit diese aufgrund der Verwendung dieser Anlagen durch Arbeitgeber im Sinne des § 2 Absatz 3 gefährdet werden können.

 Die wichtigen Begriffe sind in § 2 (Begriffsbestimmungen) der BetrSichV folgendermaßen definiert: (1) Arbeitsmittel sind Werkzeuge, Geräte. Maschinen oder Anlagen, die für die Arbeit verwendet werden, sowie überwachungsbedürftige Anlagen. (2) Die Verwendung von Arbeitsmitteln umfasst jegliche Tätigkeiten mit diesen. Hierzu gehören insbesondere das Montieren und Installieren, Bedienen, An- oder Abschalten oder Einstellen, Gebrauchen, Betreiben, Instandhalten, Reinigen, Prüfen, Umbauen, Erproben, Demontieren, Transportieren und Überwachen. (7) Instandhaltung ist die Gesamtheit aller Maßnahmen zur Erhaltung des sicheren Zustands oder der Rückführung in diesen. Instandhaltung umfasst insbesondere Inspektion, Wartung und Instandsetzung. (8) Prüfung ist die Ermittlung des Istzustandes, der Vergleich des Istzustandes mit dem Sollzustand sowie die Bewertung der Abweichung des Istzustandes vom Sollzustand. (9) Prüfpflichtige Änderung ist jede Maßnahme, durch welche die Sicherheit eines Arbeitsmittels beeinflusst wird. Auch Instandsetzungsarbeiten können solche Maßnahmen sein. (13) Überwachungsbedürftige Anlagen sind Anlagen nach § 2 Nummer 30 des Produktsicherheitsgesetzes, soweit sie nach dieser Verordnung in Anhang 2 genannt oder nach § 18 Absatz 1 erlaubnispflichtig sind. Zu den überwachungsbedürftigen Anlagen gehören auch Mess-, Steuer- und Regeleinrichtungen, die dem sicheren Betrieb dieser überwachungsbedürftigen Anlagen dienen.

Entsprechen den Begriffsbestimmungen ist besonders festzustellen, dass  die überwachungsbedürftige Anlagen als Arbeitsmittel im Sinne der BetrSichV verstanden werden,  die Mess-, Steuer- und Regeleinrichtungen sind ein Bestandteil der überwachungsbedürftigen Anlage.  Für die Bereitstellung und Benutzung der Arbeitsmittel legt die BetrSichV u.a. die Erarbeitung von Gefährdungsbeurteilungen durch den Arbeitgeber für die Arbeitstätigkeiten seiner Beschäftigten fest. Dazu werden in § 3 (Gefährdungsbeurteilung) folgende Angaben gemacht:

3.3 Inbetriebnahmerelevante Rechtsvorschriften der EU und der BRD

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Abs. (1) Der Arbeitgeber hat vor der Verwendung von Arbeitsmitteln die auftretenden Gefährdungen zu beurteilen (Gefährdungsbeurteilung) und daraus notwendige und geeignete Schutzmaßnehmen abzuleiten. Das Vorhandensein einer CE-Kennzeichnung am Arbeitsmittel entbindet nicht von der Pflicht zur Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung.

In den Absätzen (2) bis (9) sind u.a. Angaben darüber gemacht: ▪ Welche Gefährdungen in die Gefährdungsbeurteilung einzubeziehen sind? ▪ Wann die Gefährdungsbeurteilung durchzuführen, zu überprüfen und gegebenenfalls zu aktualisieren ist? ▪ Wie die Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung zu dokumentieren sind? Über die Gefährdungsbeurteilungen wurden bereits in Abschn. 3.3.2.2, Buchst d) (Chemikaliengesetz und Gefahrstoffverordnung) dieses Buchs detaillierte Ausführungen gemacht. Die grundlegenden Ziele und Vorgaben sowie die anzuwendende Methodik sind bei den Gefährdungsbeurteilungen nach BetrSichV ähnlich. Hinsichtlich der praktischen Umsetzung wird auf Abschn. 3.5.2.4 (Gefährdungsbeurteilungen und Betriebsanweisungen) verwiesen.  In der o.g. Begriffsdefinition zu überwachungsbedürftigen Anlagen wird auf das Produktsicherheitsgesetz [51] (s. Buchst. a) dieses Abschnitts) und deren Erwähnung in Anhang 2 der BetrSichV verwiesen. Gemäß Anhang 2 (Prüfvorschriften für überwachungsbedürftige Anlagen) sind davon im Wesentlichen folgende Anlagen erfasst:  Aufzugsanlagen gemäß Abschnitt 2 in Anhang 2,  Anlagen in explosionsgefährdeten Bereichen gemäß Abschnitt 3 in Anhang 2,  Druckanlagen gemäß Abschnitt 4 in Anhang 2.  Die Prüfung der überwachungsbedürftigen Anlage hat vor der erstmaligen Inbetriebnahme, nach prüfpflichtigen Änderungen und wiederkehrend zu erfolgen. Sie ist zusätzlich zu  den Prüfungen des Herstellers von Geräten und Schutzsystemen zur Verwendung in explosionsgefährdeten Bereichen nach ATEX-Herstellerrichtlinie [8] (s. Abschn. 3.3.1.2, Buchst. c)),  den Schluss- und Druckprüfungen des Herstellers gemäß Druckgeräte-Richtlinie [3] (s. Abschn. 3.3.1.2, Buchst. b)) bzw. zu verstehen, die der Produkt-Hersteller im Rahmen des Konformitätsbewertungsverfahrens durchführt.  In Abschnitt 3 (Explosionsgefährdungen) des Anhangs 2 der BetrSichV wird u.a. für die Prüfung der Anlagen in explosionsgefährdeten Bereichen unter Ziff. 4., Abs. 4.1 bzw. Ziff. 5., Abs. 5.1 festgelegt: 4.1 Anlagen in explosionsgefährdeten Bereichen sind vor der erstmaligen Inbetriebnahme und nach prüfpflichtigen Änderungen auf Explosionssicherheit zu prüfen. Hierbei sind das im Explosionsschutzdokument nach § 6 Absatz 9 Nummer 2 der Gefahrstoffverordnung dargelegte Explosionsschutzkonzept und die Zoneneinteilung zu berücksichtigen. Bei der Prüfung ist festzustellen, ob a) die für die Prüfung benötigten Unterlagen vollständig vorhanden sind, b) die Anlage entsprechend dieser Verordnung errichtet und in einem sicheren Zustand ist und c) die festgelegten technischen und organisatorischen Maßnahmen wirksam sind.

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz 5.1 Anlagen in explosionsgefährdeten Bereichen sind mindestens alle sechs Jahre auf Explosionssicherheit zu prüfen. Hierbei sind das Explosionsschutzdokument und die Zoneneinteilung zu berücksichtigen. Bei der Prüfung ist festzustellen, ob… (usw. usf.)

Die Prüfungen vor Inbetriebnahme beinhalten u.a. eine Erfüllungskontrolle des Explosionsschutzdokument nach ATEX-Betriebsrichtlinie [9] (s. Abschn. 3.3.1.2, Buchst. b)) bzw. Gefahrstoffverordnung [17] (s. Abschn. 3.3.2.2, Buchst. d)).  Wesentlicher Inhalt der BetrSichV sind die Angaben in Anhang 2, Abschnitt 4 über die überwachungspflichtigen Druckanlagen. 2.1 Druckanlagen im Sinne der Nummer 1 sind: a) Dampfkesselanlagen, die beheizte überhitzungsgefährdete Druckgeräte zur Erzeugung von Dampf oder Heißwasser mit einer Temperatur von mehr als 110 °C beinhalten, b) Druckbehälteranlagen außer Dampfkessel, c) Anlagen zur Abfüllung von verdichteten, verflüssigten oder unter Druckgelösten Gasen einschließlich der Lager- und Vorratsbehälter (Füllanlagen), die dazu bestimmt sind, dass in ihnen folgende Behälter, Geräte und Fahrzeuge befüllt werden: aa) Druckbehälter zum Lagern von Gasen mit Gasen aus ortsbeweglichen Druckgeräten, bb) ortsbewegliche Druckgeräte mit Gasen, cc) Land-, Wasser- oder Luftfahrzeuge mit Gasen zur Verwendung als Treib- oder Brennstoff, d) Rohrleitungsanlagen unter inneren Überdruck für Gase, Dämpfe oder Flüssigkeiten, die nach der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 (d. Verf.: GHS/ CLP-Verordnung [5]) in deren Anhang I wie folgt eingestuft sind: aa) als entzündliche Gase in Nummer 2.2, bb) als entzündliche Flüssigkeiten in Nummer 2.6, sofern sie einen Flammpunkt von höchstens 55 °C haben, cc) als pyrophore Flüssigkeiten in Nummer 2.9, dd) als akut toxisch in Nummer 3.1.2 Kategorie 1 oder 2 oder ee) als ätzende in Nummer 3.2.2.6. ………….. Zu einer Druckanlage gehören auch der Aufstellungsbereich und dessen Umgebung, soweit diese für die sichere Verwendung von Bedeutung sind, bei Dampfkesselanlagen insbesondere der Aufstellungsraum.

In Abschnitt 4 (Druckanlagen) steht einleitend unter Abs. 1: 1. Anwendungsbereich und Ziel Dieser Abschnitt gilt für die Prüfung der in den Nummern 2.1 und 2.2 aufgeführten Druckanlagen (Anlagen und Anlagenteile) vor der erstmaligen Inbetriebnahme und nach prüfpflichtigen Änderungen sowie für wiederkehrende Prüfungen.

 Bezüglich der Prüfungen vor Inbetriebnahme wird u.a. in Anhang 2, Abschn. 4, Abs. 4 vorgegeben: 4. Prüfung von Druckanlagen vor Inbetriebnahme und nach prüfpflichtigen Änderungen 4.2 Bei der Prüfung vor Inbetriebnahme ist zu prüfen, ob

3.3 Inbetriebnahmerelevante Rechtsvorschriften der EU und der BRD

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a) die für die Prüfung benötigten technischen Unterlagen, wie beispielsweise die EG-Konformitätserklärung, vorhanden sind und ihr Inhalt plausibel ist und b) die Anlage einschließlich der Anlagenteile entsprechend dieser Verordnung errichtet wurde und in einem sicheren Zustand ist. Die Prüfung nach einer prüfpflichtigen Änderung darf sich darauf beschränken zu prüfen, ob die Anlage entsprechend dieser Verordnung geändert wurde und sicher funktioniert.

 Welche befähigte Person im Einzelfall die Erstprüfung durchführen muss, hängt (analog zur Einstufung der Druckgeräte in Kategorien und Module nach Druckgeräte-Richtlinie [3] (s. Abschn. 3.3.1.2, Buchst. b)) von ▪ der Art des Druckgeräts, ▪ der Gruppe, in die das Fluid eingestuft wurde, ▪ dem maximal zulässigen Druck PS, ▪ dem maßgeblichen Volumen V (für Behälter) bzw. der Nennweite DN (für Rohrleitungen), ▪ dem Produkt aus Druck und Volumen PS*V (für Behälter) bzw. aus Druck und Nennweite P*DN (für Rohrleitungen) ab und wird durch eine entsprechende Einstufung in eine sog. Prüfgruppe klassifiziert. Die Darstellung erfolgt tabellarisch gemäß dem Beispiel in Tabelle 3.18. Tabelle 3.18 Zuordnung und Prüfung von Druckbehältern nach Nummer 2.2 Satz 1 Buchstabe a und e für Gase, Dämpfe und überhitzte Flüssigkeiten der Fluidgruppe 1

Legende 1: ZÜS: zugelassenen Überwachungsstelle; bP: zur Prüfung befähigte Person Legende 2: Buchstabe a: Geräte, die Druckbehälter sind; Buchstabe e: ortsbewegliche Druckgeräte

206

3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

 Für die Wiederkehrenden Prüfungen wird in Anhang 2, Abschn. 4, Abs. 5 festgelegt: 5. Wiederkehrende Prüfungen von Anlagen und Anlagenteilen 5.2 Bei der wiederkehrenden Prüfung ist festzustellen, ob a) die für die Prüfung benötigten technischen Unterlagen vorhanden sind und ihr Inhalt plausibel ist, b) sich die Anlage in einem dieser Verordnung entsprechenden Zustand befindet und sicher verwendet werden kann und c) die festgestellten technischen u. organisatorischen Maßnahmen wirksam sind.

Die Fristen für die wiederkehrenden Prüfungen sind einzelnen Tabellen, die ähnlich der Tabelle 3.18 aufgebaut sind, zu entnehmen. Die Höchstfristen für Druckgeräte mit hohem Gefahrenpotential enthält Tabelle 3.19. Tabelle 3.19 Höchstfristen für die wiederkehrende Prüfungen von Anlagenteilen durch eine zugelassene Überwachungsstelle (ZÜS)

 Abschließend zur Betriebssicherheitsverordnung sind einige Bemerkungen zu den wichtigen Technischen Regeln für Betriebssicherheit (TRBS) angefügt. In Abschn. 3.3.2.1 war bereits auf die Problematik des Übergangs bisheriger Regeln (u.a. TRD, TRB, TRR, TRbF) auf neue Technische Regeln TRBS hingewiesen worden. In Tabelle 3.20 ist aus der TRBS 1001 [54] die Gliederung der Technischen Regeln für Betriebssicherheit enthalten. Während zu Teil 1 (Allgemeines und Grundlagen) und Teil 2 (Gefährdungsbezogene Regeln) viele Regeln vorliegen, sind zu Teil 3, insbesondere zu den überwachungsbedürftigen Anlagen, noch viele TRBS in Arbeit. Tabelle 3.20 Thematische Gliederung der Technischen Regeln für Betriebssicherheit [54] 1

Allgemeines und Grundlagen

1.1 1.1.1 1.1.4 1.1.5 1.2 1.3

Methodisches Vorgehen Gefährdungsbeurteilung Prüfpflichtige Änderungen Ergonomische Zusammenhänge Prüfungen, prüfpflichtige Änderungen Erfassung und Behandlung von Unfällen und Schadensfällen

TRBS 1001…1009 TRBS 1111 TRBS 1121…1129 TRBS 1151…1159 TRBS 1201…1209 TRBS 1301…1309

3.3 Inbetriebnahmerelevante Rechtsvorschriften der EU und der BRD

207

Tab. 3.20 (Fortsetzung) 2

Gefährdungsbezogene Regeln

2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.1.5 2.1.6

Allgemeine Gefährdungen Mechanische Gefährdungen Gefährdungen von Personen durch Absturz Elektrische Gefährdungen Gefährdungen durch Dampf und Druck Vormals Explosionsgefährdungen (s. jetzt TRGS) Thermische Gefährdungen Sonstige Gefährdungen Gefährdungen durch Wechselwirkungen Tätigkeitsbezogene und sonstige Gefährdungen Tätigkeitbezogene Gefährdungen Sonstige Gefährdungen

2.1.8 2.2 2.3 2.3.1 2.3.2 3.

Spezifische Regeln für Arbeitsmittel, überwachungsbedürftige Anlagen oder Tätigkeiten

3.1 3.2 3.3 3.4

Betrieb von Aufzugsanlagen Ortsbewegliche Druckgasbehälter Ortsfeste Druckanlagen für Gase Tankstellen

TRBS 2111…2119 TRBS 2121…2129 TRBS 2131…2139 TRBS 2141…2149 TRBS 2151…2159 TRBS 2161…2169 TRBS 2181…2189 TRBS 2201…2209 TRBS 2311…2319 TRBS 2321…2329

TRBS 3121 TRBS 3145/TRGS 745 TRBS 3146/TRGS 746 TRBS 3151/TRGS 751

3.3.2.4 Arbeitssicherheitsrecht und Gesundheitsschutzrecht Die Arbeitssicherheit, wie sie in Abschn. 3.1 definiert ist, hat das Ziel, die Arbeit sicher zu machen. Schutzziele sind vorrangig die Beschäftigen, aber auch die Umwelt und das Vermögen. Der Fahrer eines Gefahrguttransportes, der abgelenkt oder übermüdet ist und infolge dessen einen schweren Fahrunfall verursacht, schadet nicht nur seiner Gesundheit, sondern bewirkt zugleich auch einen erheblichen Sach- und Umweltschaden. Die Begriffe Arbeits- und Gesundheitsschutz versteht der Autor als Teil der Arbeitssicherheit. Beide dienen im engeren Sinne dem Schutz der Beschäftigten, weniger den anderen Schutzzielen. Der Arbeitsschutz soll Verletzungen (z.B. durch Unfall) und der Gesundheitsschutz soll längerfristige Auswirkungen auf die Gesundheit (z.B. Berufskrankheiten) verhindern. Grundsätzlich sind bei den Rechtsvorschriften betreffs Gesundheit-SicherheitUmwelt, wie auch in der Praxis, die in Abb. 3.9 angeführten Trends anzutreffen.

Abb. 3.9 Typische Schwerpunktsetzung beim Gewährleisten von GSU (HSE)

208

3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

Für das Inbetriebnahmemanagement ist es notwendig, die GSU-Anforderungen bezüglich der Inbetriebnahme frühzeitig zu definieren, exakt zu planen und zu verwirklichen. a) DGUV-Vorschriften (ehemals: Unfallverhütungsvorschriften/UVV)  Die Berufsgenossenschaften und die Unfallkassen sind gemäß Sozialgesetzbuch, § 15 (Unfallverhütungsvorschriften) [32] durch autonomes Recht berechtigt, Unfallverhütungsvorschriften zu erlassen. Sie haben sich zur Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) zusammengeschlossen und ein Regelwerk der DGUV-Vorschriften, DGUV-Regeln, DGUV-Informationen und DGUV-Grundsätzen erlassen.  Für die Planung und den Betrieb verfahrenstechnischer Anlagen sind die folgenden DGUV-Vorschriften besonders relevant: DGUV Vorschrift 1 DGUV Vorschrift 2 DGUV Vorschrift 3 DGUV Vorschrift 6 DGUV Vorschrift 9 DGUV Vorschrift 15 DGUV Vorschrift 21 DGUV Vorschrift 30 DGUV Vorschrift 38 DGUV Vorschrift 43 DGUV Vorschrift 52 DGUV Vorschrift 54 DGUV Vorschrift 68

Grundsätze der Prävention Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit Elektrische Anlagen und Betriebsmittel Arbeitsmedizinische Vorsorge Sicherheits- und Gesundheitsschutzkennzeichnung am Arbeitsplatz Elektromagnetische Felder Abwassertechnische Anlagen Wärmekraftwerke und Heizwerke Bauarbeiten Müllbeseitigung Krane Winden, Hub- und Zuggeräte Flurförderzeuge

 Von grundlegender Bedeutung für die Arbeitssicherheit während der Baustellenabwicklung und Inbetriebnahme, ist die DGUV Vorschrift 1 [55] (s. Tab. 3.21). Sie muss Handlungsanleitung für alle mitwirkende Unternehmen und Personen sein. Tabelle 3.21 Gliederung der DGUV Vorschrift 1 (Grundsätze der Prävention) (Auszug) 1. Kapitel: Allgemeine Vorschriften §1 Geltungsbereich von Unfallverhütungsvorschriften 2. Kapitel: Pflichten des Unternehmers §2 Grundpflichten des Unternehmers §3 Beurteilung der Arbeitsbedingungen, Dokumentation, Auskunftspflichten §4 Unterweisung der Versicherten §5 Vergabe von Aufträgen §6 Zusammenarbeit mehrerer Unternehmer §7 Befähigung für Tätigkeiten §8 Gefährliche Arbeiten §9 Zutritts- und Aufenthaltsverbote § 10 Besichtigung des Unternehmens, Erlass einer Anordnung, Auskunftspflicht § 11 Maßnahmen bei Mängeln § 12 Zurverfügungstellung von Vorschriften und Regeln § 13 Pflichtenübertragung § 14 Ausnahmen

3.3 Inbetriebnahmerelevante Rechtsvorschriften der EU und der BRD

209

Tab. 3.21 (Fortsetzung) 3. Kapitel „Pflichten des Versicherten““ § 15 Allgemeine Unterstützungspflichten und Verhalten § 16 Besondere Unterstützungspflichten § 17 Benutzung von Einrichtungen, Arbeitsmitteln und Arbeitsstoffen § 18 Zutritts- und Aufenthaltsverbote 4. Kapitel „Organisation des betrieblichen Arbeitsschutzes“ 1. Abschnitt: Sicherheitstechnische und betriebsärztliche Betreuung, Sicherheitsbeauftragte § 19 Bestellung von Fachkräften für Arbeitssicherheit und Betriebsärzten § 20 Sicherheitsbeauftragte 2. Abschnitt: Maßnahmen bei besonderen Gefahren § 21 Allgemeine Pflichten des Unternehmers § 22 Notfallmaßnahmen § 23 Maßnahmen gegen Einflüsse des Wettergeschehens 3. Abschnitt: Erste Hilfe § 24 Allgemeine Pflichten des Unternehmers § 25 Erforderliche Einrichtungen und Sachmittel § 26 Zahl und Ausbildung der Ersthelfer § 27 Zahl und Ausbildung der Betriebssanitäter § 28 Unterstützungspflichten der Versicherten 4. Abschnitt: Persönliche Schutzausrüstung § 29 Bereitstellung § 30 Benutzung § 31 Besondere Unterweisungen

b) Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) [56]  Das Arbeitsschutzgesetz dient dazu, Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit durch Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu sichern und zu verbessern. Es gilt in allen Tätigkeitsbereichen. Die Maßnahmen des Arbeitsschutzes werden in § 2 (Begriffsbestimmungen) wie folgt definiert: § 2 (1) Maßnahmen des Arbeitsschutzes im Sinne dieses Gesetzes sind Maßnahmen zur Verhütung von Unfällen bei der Arbeit und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren einschließlich Maßnahmen der menschengerechten Gestaltung der Arbeit.

 In § 5 (Beurteilung der Arbeitsbedingungen) und § 6 (Dokumentation) wird die Erarbeitung von Gefährdungsbeurteilungen gefordert. § 5 (1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. § 6 (1) Der Arbeitgeber muss über die je nach Art der Tätigkeit und der Zahl der Beschäftigten Unterlagen verfügen, aus denen das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung, die von ihm festgelegten Maßnahmen des Arbeitsschutzes und das Ergebnis ihrer Überprüfung ersichtlich sind.

Diese Festlegungen wurden u.a. in der Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) (s. Abschn. 3.3.2.3 Buchstabe c)) für die Benutzung von Arbeitsmitteln, inkl. überwa-

210

3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

chungspflichtige Anlagen, und in der Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) (s. Abschn. 3.3.2.2 Buchstabe d)) für den Umgang mit Gefahrstoffen weiter untersetzt.  Im ArbSchG sind darüber hinaus zum Arbeitsschutz auch Aussagen gemacht zu:  Übertragung von Aufgaben (§ 7),  Zusammenarbeit mehrerer Arbeitgeber (§ 8),  Besondere Gefahren (§ 9),  Erste Hilfe und sonstige Notfallmaßnahmen (§ 10),  Arbeitsmedizinische Vorsorge (§ 11),  Unterweisung (§ 12),  Verantwortliche Personen (§ 13),  Pflichten der Beschäftigten § 15),  Besondere Unterstützungspflichten (§ 16),  Rechte der Beschäftigten (§ 17).  Verordnungen, die aus den ArbSchG abgeleitet wurden, sind u.a.  Teile der Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) [7]  Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) [57],  Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung (LärmVibrations-ArbSchV) [58],  PSA-Benutzungsverordnung (PSA-BV) [59]. Die ArbStättV macht u.a. in Abhängigkeit von der Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer und der Beschäftigungsdauer Vorgaben über:  Umkleide-, Wasch- und Aufwärmmöglichkeiten,  Möglichkeiten zum Wärmen von Speisen sowie zur Einnahme von Mahlzeiten,  abschließbaren Schränken mit Lüftungsöffnungen,  Waschgelegenheiten, u.U. zu Waschräumen, Dusche u.a.,  Einrichtungen zum Trocknen der Arbeitskleidung,  Toilettenräumen mit Toilette. Die LärmVibrationsArbSchV, die durch Technische Regeln weiter präzisiert ist, formuliert Richtwerte für den Lärm (sog. Auslösewerte in Bezug auf die TagesLärmexpositionspegel und den Spitzenschalldruckpegel) und für die Vibration (sog. Expositionsgrenzwert und Auslösewert) von Hand-Arm-Vibrationen bzw. Ganzkörper-Vibrationen. c) Arbeitszeitgesetz (ArbZG) [60]  Das Arbeitszeitgesetz ist ein wichtiges Gesetz für die Anlagen-Projektabwicklung insgesamt und insbesondere für den arbeitsintensiven und stark unwägbaren Zeitraum der Inbetriebnahme. Es kann gegebenenfalls auch für deutsche Arbeitnehmer wichtig sein, die im Auftrag des eigenen Unternehmens im Ausland tätig sind. Das ArbZG dient primär zur Erhaltung der Gesundheit der Beschäftigten, inkl. der Führungskräfte, aber nicht zuletzt auch der Qualitätssicherung.  Im Arbeitszeitgesetz steht in § 1 (Zweck des Gesetzes): Zweck des Gesetzes ist es, 1. die Sicherung und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeitsgestaltung zu gewährleisten und die Rahmenbedingungen für flexible Arbeitszeiten zu verbessern sowie

3.3 Inbetriebnahmerelevante Rechtsvorschriften der EU und der BRD

211

2. den Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung der Arbeitsnehmer zu schützen.

Zur Arbeitszeit wird in § 3 (Arbeitszeit der Arbeitnehmer), § 2 (Begriffsbestimmungen) und § 5 (Ruhezeit) formuliert: § 3: Die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer darf acht Stunden nicht überschreiten. Sie kann auf bis zu zehn Stunden nur verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden. § 2 (1) Arbeitszeit im Sinne dieses Gesetzes ist die Zeit von Beginn bis Ende der Arbeitszeit ohne Ruhepausen; Arbeitszeiten bei mehreren Arbeitgebern sind zusammenzurechnen. § 5 (1) Die Arbeitnehmer müssen nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden haben.

Die tägliche Arbeitszeit beträgt somit maximal 10 Stunden und die wöchentliche Arbeitszeit von Montag bis Samstag maximal 48 Stunden. Im Ausnahmefall sind wöchentlich 60 Stunden zulässig, wobei gemäß § 3 der maximale Durchschnittswert von 8 Stunden in 6 Monaten bzw. 24 Wochen zu beachten ist. Ausnahmen davon sind möglich, aber streng reglementiert. Grundsätzlich gilt die Empfehlung, auch für die Führungskräfte während der Inbetriebnahme: Erteilen Sie keine Weisungen/Aufträge bzw. unterschreiben Sie keine Belege, Emails u.ä., die gegen das Arbeitszeitgesetz verstoßen bzw. in denen Sie Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz dokumentieren.  Abschließend zur Thematik sollen noch einige Fragen erörtert werden, die bei der Projektabwicklung immer wieder eine Rolle spielen. Die nachfolgenden Ausführungen fassen im Wesentlichen die zahlreichen Diskussionsergebnisse im Kreise der Fachkollegen zusammen. Welche Personen zählen zu den leitenden Angestellten, da nach § 18 (Nichtanwendung des Gesetzes) auf diese das ArbZG nicht anwendbar ist? Bem.: In § 5 Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes [61] ist der Begriff des Leitenden Angestellten wie folgt definiert: (3) Leitender Angestellter ist, wer nach Arbeitsvertrag und Stellung im Unternehmen oder im Betrieb 1. zur selbständigen Einstellung und Entlassung von in Betrieb oder in der Betriebsabteilung beschäftigten Arbeitnehmern oder 2. Generalvollmacht oder Prokura hat und die Prokura auch im Verhältnis zum Arbeitgeber nicht unbedeutend ist oder 3. regelmäßig sonstige Aufgaben wahrnimmt, die für den Bestand und die Entwicklung des Unternehmens oder eines Betriebs von Bedeutung sind und deren Erfüllung besondere Erfahrungen und Kenntnisse voraussetzt, wenn er dabei entweder die Entscheidungen im Wesentlichen frei von Weisungen trifft oder sie maßgeblich beeinflusst; dies kann auch bei Vorgaben insbesondere auf Grund von Rechtsvorschriften, Plänen oder Richtlinien sowie bei Zusammenarbeit mit anderen leitenden Angestellten gegeben sein.

Insgesamt ist der Personenkreis somit deutlich kleiner, als allgemein angenommen.

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

Ist die Wegezeit des Arbeitnehmers von seiner Wohnung zur Arbeitsstätte auch Arbeitszeit im Sinne des ArbZG? Bem.: Die häufig geäußerte Meinung besagt, dass die Wegezeit keine Arbeitszeit ist. Unabhängig davon, sind die Tätigkeiten während der Wegezeit versichert, z.B. bei einen sog. Wegeunfall (s. § 8 Abs. 2 SGB, VII [32]). Der Autor kennt aber mehrere Unternehmen, die die Fahrt von der Wohnung zur Baustelle oder umgekehrt als Arbeitszeit werten. Die Anreisebzw. Heimreisezeit ist Bestandteil der maximal 10 Stunden Arbeitszeit. In anderen Fällen wird eine Rückreise, z.B. von der entfernten Baustelle zur Wohnung, nach getaner 8-stündiger Arbeit untersagt bzw. an vorherige Ruhezeiten geknüpft. Ist die Reisezeit des Arbeitnehmers auf Dienstreisen auch Arbeitszeit im Sinne des ArbZG? Bem.: Die häufig geäußerte Meinung besagt, dass Dienstreisen als Arbeitszeit gemäß ArbZG gelten, wenn sie in der vereinbarten Arbeitszeit stattfinden oder der Beschäftigte selbst mit dem PKW fährt. Sie gelten auch als Dienstzeit, wenn dies mit dem Arbeitgeber vor Reiseantritt vereinbart wurde. Andere individuelle Regelungen sind möglich. Welches Arbeitssicherheits- und Arbeitszeitrecht gilt bei Auslandseinsätzen für Beschäftigte, die in einem in der BRD ansässigen Unternehmen angestellt sind? Bem.: Für die Beantwortung ist für das europäische Wirtschaftsgebiet, die sog. Rom-I-Verordnung [62] geeignet. Die Rom-I-Verordnung regelt das Internationale Privatrecht der EU betreffs der Schuldverhältnisse. Diese Verordnung (Artikel 3: Freie Rechtswahl) lässt für den Arbeitsvertrag des Beschäftigten eine Rechtswahl zu. Das heißt, Arbeitgeber und Arbeitnehmer können sich im Arbeitsvertrag auf das deutsche, aber auch auf das ausländische Recht einigen. Ist im Arbeitsvertrag keine Rechtswahl erfolgt, so sei auf die folgende Formulierung in Artikel 8 (Individualverträge), Abs. (2) der Rom-I-Verordnung verwiesen: (2) Soweit das auf den Arbeitsvertrag anzuwendende Recht nicht durch Rechtswahl bestimmt ist, unterliegt der Arbeitsvertrag dem Recht des Staates, in dem oder anderenfalls von dem aus der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrags gewöhnlich seine Arbeit verrichtet. Der Staat, in dem die Arbeit gewöhnlich verrichtet wird, wechselt nicht, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit vorübergehend in einem anderen Staat verrichtet.

Es ist ratsam, dass all diese und ähnliche Fragestellungen rechtzeitig (z.B. vor Antritt der Reise oder des Auslandseinsatzes) zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer besprochen und die abgestimmten Ergebnisse verbindlich vereinbart werden.

3.4 Beachtung der Inbetriebnahme bei Genehmigung und Umweltschutz Die nachfolgenden Ausführungen dieses Abschnitts gelten für Anlageninvestitionen am Standort Deutschland.

3.4 Beachtung der Inbetriebnahme bei Genehmigung und Umweltschutz

213

Die Genehmigung stellt die Errichtung und den Betrieb von Anlagen auf eine gesicherte Rechtsgrundlage. Im zugehörigen Genehmigungsverfahren werden die berechtigten Interessen der Allgemeinheit und die Belange des Investors/Bauherrn geprüft, gegeneinander abgewogen und soweit wie möglich ausgeglichen. Im Einzelnen gibt es folgende Möglichkeiten der behördlichen Zustimmung bzw. Freigabe für die Errichtung und den Betrieb von Anlagen [63]: Genehmigung: Die genehmigende Behörde prüft auf Antrag, in einem definierten Genehmigungsverfahren, ob bei dem beantragten Vorhaben alle Vorschriften eingehalten und die Interessen der Allgemeinheit gewahrt werden.

Dieses Begriffsverständnis ist typisch für das Genehmigungsverfahren nach BundesImmissionsschutzgesetz (BImSchG) [29] sowie für Baugenehmigungen nach Baurecht. Anzeige: Der Verantwortliche muss vor Aufnahme einer bestimmten Tätigkeit dies der zuständigen Behörde mitteilen. Die Behörde muss die Informationen bewerten und über das weitere Vorgehen entscheiden. Wenn sich die Behörde innerhalb einer bestimmten Frist nicht äußert, ist die Tätigkeit erlaubt.

Anzeigen sind u.a. in Verbindung mit der Errichtung und dem Betrieb von überwachungsbedürftigen Anlagen nach dem Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) [51] bzw. der Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) [7] üblich. Weitere Begriffe behördlicher Zustimmungen sind: ▪ bestimmte Anlagen nach Wasserhaushaltsgesetz (WHG) [42] ▪ für bestimmte überwachungsbedürftige Anlagen nach den Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) [51] Bewilligung: ▪ für bestimmte Anlagen nach Wasserhaushaltsgesetz (WHG) [42] Erlaubnis:

Die Erlaubnis und Bewilligung sind schriftliche Zustimmungen der Behörde zu einem angezeigten bzw. beantragten Vorhaben. Erlaubnis und Bewilligung haben unterschiedliche Rechtskraft. Beispielsweise steht in § 10, WHG [42]: (1) Die Erlaubnis gewährt die Befugnis, die Bewilligung das Recht, ein Gewässer zu einem bestimmten Zweck in einer nach Art und Maß bestimmten Weise zu benutzen.

In Genehmigungsverfahren, die auf dem Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) [45] basieren (z.B. Errichtung und Betrieb von Deponien), werden die Begriffe Planfeststellungsbeschluss und im Sonderfall Plangenehmigung verwendet. Grundsätzlich gilt bezüglich der Genehmigungsthematik:  Die Genehmigung unterliegt der nationalen Gesetzgebung.  Verfahrenstechnische Anlagen sind in den meisten Fällen genehmigungsbedürftig.  Verantwortlich für die Einholung einer Genehmigung ist der Auftraggeber/Investor/ Bauherr. Das Beibringen der rechtlich erforderlichen Genehmigung ist somit eine verantwortliche Mitwirkungsleistung des Auftraggebers im Projekt.  Der gegebenenfalls vom Auftraggeber beauftrage Baustellen- oder Inbetriebnahmeleiter muss sich von der Existenz einer ausreichenden behördlichen Genehmigung für seine Leistungen überzeugen. Tut er das nicht, handelt er, ebenso wie der Investor, fahrlässig und macht sich u. U. strafbar. Im Strafgesetzbuch (StGB), § 327 (Unerlaubtes Betreiben von Anlagen) [28] steht: Abs. (2) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 1. eine genehmigungsbedürftige Anlage oder eine sonstige Anlage im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, deren Betrieb zum Schutz vor Gefahren untersagt worden ist,

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz 2. eine genehmigungsbedürftige oder anzeigepflichtige Rohrleitungsanlage zum Befördern wassergefährdender Stoffe im Sinne des Wasserhaushaltsgesetzes oder 3. eine Abfallentsorgungsanlage im Sinne des Kreislaufwirtschaftsgesetzes ohne die nach dem jeweiligen Gesetz erforderlichen Genehmigungen oder Planfeststellung oder entgegen einer auf dem jeweiligen Gesetz beruhenden vollziehbaren Untersagung betreibt.

 Verantwortlich für die Einhaltung der Festlegungen im Genehmigungsbescheid ist gegenüber der Behörde auch der Investor/Bauherr. Er kann während der Inbetriebnahme die entsprechenden Pflichten und z.T. auch die Verantwortung (s. Abschn. 4.4.1.3) zur Einhaltung des Genehmigungsbescheids an einen Dritten (z.B. Generalplaner bzw. Generalunternehmer) übertragen. Trotzdem bleibt der Investor bzw. Bauherr gegenüber der Behörde der Ansprechpartner und auch der primär Verantwortliche.  Bezüglich der Fragestellung, ob und wie die Inbetriebnahme im Genehmigungsverfahren zu berücksichtigen ist, gilt die grundsätzliche Feststellung: Die Inbetriebnahme ist Teil des zu genehmigenden Bestimmungsgemäßen Betriebs und somit im Genehmigungsverfahren zu betrachten. Folglich müssen die besonderen Bedingungen während der Inbetriebnahme, soweit sie genehmigungsrelevant sind, in den Antragsunterlagen beschrieben und letztlich auch genehmigt werden. Analoges gilt für die Beachtung der Inbetriebnahme beim Umweltschutz.

3.4.1 Übersicht zu Genehmigungsverfahren für verfahrenstechnische Anlagen in der BRD a) Genehmigungen nach Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) [29]  In § 1 (Zweck des Gesetzes) des BImSchG steht: (1) Zweck dieses Gesetzes ist es Menschen, Tiere und Pflanzen, den Boden, das Wasser, die Atmosphäre sowie Kultur- und sonstige Sachgüter vor schädlichen Umwelteinwirkungen zu schützen und dem Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen vorzubeugen. (2) Soweit es sich um genehmigungsbedürftige Anlagen handelt, dient dieses Gesetz auch ▪ der integrierten Vermeidung und Verminderung schädlicher Umwelteinwirkungen durch Emissionen in Luft, Wasser und Boden unter Einbeziehung der Abfallwirtschaft, um ein hohes Schutzniveau für die Umwelt insgesamt zu erreichen, sowie ▪ dem Schutz und der Vorsorge gegen Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen, die auf andere Weise herbeigeführt werden.

 Das BImSchG gilt für genehmigungsbedürftige Anlagen, von denen Emissionen ausgehen. Es gilt nach § 35 (Planfeststellung und Genehmigung) des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (KrWG) [45] auch für Anlagen, in denen Abfälle entsorgt werden.  Da von verfahrenstechnischen Anlagen fast immer Emissionen ausgehen, sind sie überwiegend auf der Grundlage des BImSchG und der zugehörigen Verordnungen zu genehmigen.  Genehmigungen nach BImSchG schließen andere Genehmigungen ein, mit Ausnahme von Planfeststellungen, Zulassungen bergrechtlicher Betriebspläne u.a. Sonderfällen. Das BImSchG-Verfahren hat eine Konzentrationswirkung.  Das Genehmigungsrecht nach BImSchG ist deutsches Bundesrecht.

3.4 Beachtung der Inbetriebnahme bei Genehmigung und Umweltschutz

215

 Wegen der hervorragenden Bedeutung der Genehmigung nach dem BImSchG für verfahrenstechnische Anlagen wird in Abschn. 3.4.3 das Genehmigungsverfahren nach BImSchG näher betrachtet. b) Wasserrechtliche Genehmigungsverfahren nach Wasserhaushaltsgesetz (WHG) [42]  Für den Gewässerschutz enthält das Wasserhaushaltsgesetz (WHG) als Rahmengesetz u.a. Regelungen zum ordnungsgemäßen Umgang mit wassergefährdenden Stoffen, insbesondere beim Betrieb von Anlagen zum Umgang mit solchen Flüssigkeiten und Gasen in Rohrleitungen und beim Einleiten von Stoffen in Gewässer bzw. die öffentliche Kanalisation.  Das Wasserrecht ist Landesrecht, aber es gilt eine bundesweit einheitliche Verordnung über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen (AwSV) [43] (s. Abschn. 3.3.2.2, Buchst. b)).  Gemäß dem Wasserrecht ist nach § 8 (Erlaubnis, Bewilligung) des WHG für die Benutzung von Gewässern eine Erlaubnis oder Bewilligung erforderlich.  Wer ein Gewässer ohne behördliche Erlaubnis oder Bewilligung benutzt oder gegen Benutzungsbedingungen oder Auflagen verstößt, handelt ordnungswidrig.  In der Industrie sind insbesondere wasserrechtliche Erlaubnisse für die Entnahme von Wasser aus oberirdischen Gewässern bzw. aus dem Grundwasser sowie deren Rückführung von Bedeutung. Im Rahmen der Erlaubnis wird geprüft, ob die Benutzung der Gewässer gemeinverträglich ist.  Im Rahmen der Bewilligung wird das Recht gewährt, ein Gewässer in einer bestimmten Art und Weise zu benutzen. Eine Bewilligung kann nicht widerrufen werden. Eine Bewilligung kommt in erster Linie für die öffentliche Wasserversorgung und die Wasserkraftnutzung in Frage. Im Gegensatz zu einem Erlaubnisverfahren kann die Bewilligung nur in einem förmlichen Verfahren erteilt werden, d. h. Betroffene und beteiligte Behörden haben Gelegenheit, ihre Einwendungen geltend zu machen. Damit ist ein wasserrechtliches Genehmigungsverfahren verbunden.  Nach § 17 (Zulassung vorzeitigen Beginns) kann die zuständige Behörde auf Antrag in einem Erlaubnis- oder Bewilligungsverfahren eine vorzeitige Gewässerbenutzung unter Auflage und auf Risiko des Antragstellers zustimmen.  Unterliegt das zu genehmigende Projekt dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) [64], so kann eine Erlaubnis, Bewilligung oder Genehmigung nur erteilt werden, wenn zuvor eine Umweltverträglichkeitsprüfung erfolgte. c) Erlaubnisse für überwachungsbedürftige Anlagen nach Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) [51]  Nach § 34 des ProdSG gelten für Errichtung und Betrieb definierter überwachungsbedürftige Anlagen (s. Abschn. 3.3.2.3, Buchst. a)) besondere Regelungen. Es wird unterschieden nach dem Anzeigeverfahren bzw. Erlaubnisverfahren. Welchen Verfahren die einzelnen Anlagen unterliegen, ist im Wesentlichen abhängig von der Anlagengröße oder Anlagenart.  Die Anzeigepflicht hat den Zweck, die zuständige Behörde darüber zu unterrichten, dass eine überwachungsbedürftige Anlage errichtet und betrieben werden soll.  Mit der Anzeige erhält die Behörde die Möglichkeit, bestimmte Anlagen gezielt zu überwachen, falls dies auf Grund von Erfahrungen aus Unfällen und Schäden oder anderen Gründen erforderlich ist.

216

3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

 Die Erlaubnispflicht ist schärfer als die Anzeigepflicht. Der Erlaubnispflicht unterliegen solche überwachungsbedürftigen Anlagen, deren Gefährdungsgrad für die Beschäftigten und die Allgemeinheit besonders hoch ist. Eine Auflistung dieser Anlagen ist in Abschn. 3.3.2.3, Buchst. a) erfolgt. Derartige Anlagen dürfen nur in Betrieb genommen werden, wenn von der zuständigen Behörde die Erlaubnis erteilt worden ist. d) Genehmigungsverfahren nach Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) [45]  Nach § 35 (Planfeststellung und Genehmigung), Abs. (2) des KrWG gilt: (2) Die Errichtung und der Betrieb von Deponien sowie die wesentliche Änderung einer solchen Anlage oder ihres Betriebs bedürfen der Planfeststellung durch die zuständige Behörde. In dem Planfeststellungsverfahren ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung nach den Vorschriften des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen.

 Gemäß § 35, Abs. (1) sind Anlagen, in denen eine Entsorgung von Abfällen durchgeführt wird, nach dem BImSchG genehmigungspflichtig.  Die Entsorgung von nachweispflichtigen Abfällen [41], die gesundheits-, luft- oder wassergefährdend, explosibel oder brennbar sind, unterliegen einer besonderen Überwachung und bedürfen eines elektronischen Abfallnachweisverfahrens.  Das Abfallrecht unterliegt Bund und Ländern.  Im Planfeststellungsverfahren werden alle eine Anlage betreffenden Genehmigungen, Erlaubnisse, Bewilligungen und Zustimmungen der verschiedenen Behörden (z.B. aus wasserrechtlicher oder immissionsschutzrechtlicher Sicht) in einem Genehmigungsverfahren gebündelt und konzentriert.  Somit hat das Planfeststellungsverfahren eine ähnliche Konzentrationswirkung wie das Genehmigungsverfahren nach dem BImSchG. Sein Ablauf ist gleichfalls ähnlich.  Ergebnis des Planfeststellungsverfahrens ist der Planfeststellungsbeschluss oder in besonderen Fällen die Plangenehmigung. e) Genehmigungsverfahren nach dem Baurecht (BauGB) [65]  Gebäude und ortsfeste Einrichtungen unterliegen dem Bauordnungsrecht.  Die baurechtliche Genehmigung verfahrenstechnischer Anlagen ist i.Allg. integraler Bestandteil des Genehmigungsverfahrens nach BImSchG bzw. des Planfeststellungsverfahrens nach Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) f) Ausgewählte sonstige Genehmigungen  Zulassungen für Untertageanlagen inkl. zugehöriger obertägiger Einrichtungen nach § 54 (Zulassungsverfahren) des Bundesberggesetzes (BBergG) [66].  Die Zulassung wird von der zuständigen Behörde (Bergamt) auf Grundlage von eingereichten Betriebsplänen gemäß § 52 (Betriebspläne für die Errichtung und Führung des Betriebes) erteilt.  Genehmigungen von Anlagen zur Herstellung von Pharmaka (sofern nicht gentechnisch erzeugt) nach dem Arzneimittelgesetz

3.4.2 Umweltverträglichkeitsprüfung Unterliegt die Anlage dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) [64], so ist eingebettet in das Genehmigungsverfahren eine Umweltverträglichkeitsprüfung notwendig.

3.4 Beachtung der Inbetriebnahme bei Genehmigung und Umweltschutz

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Im § 2 Abs. (1) des UVPG) steht geschrieben: (1) Die Umweltverträglichkeitsprüfung ist ein unselbstständiger Teil verwaltungsbehördlicher Verfahren, die der Entscheidung über die Zulässigkeit von Vorhaben dienen. Die Umweltverträglichkeitsprüfung umfasst die Ermittlung, Beschreibung und Bewertung der unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen des Vorhabens auf 1. Menschen, einschließlich der menschlichen Gesundheit, Tiere und Pflanzen und die biologische Vielfalt. 2. Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaft, 3. Kultur- und sonstige Sachgüter sowie 4. die Wechselwirkung zwischen den vorgenannten Schutzgütern. Sie wird unter Beteiligung der Öffentlichkeit durchgeführt. Wird über die Zulässigkeit eines Vorhabens im Rahmen mehrerer Verfahren entschieden, werden die in diesen Verfahren durchgeführten Teilprüfungen zu einer Gesamtbewertung aller Umweltauswirkungen zusammengefasst.

Die Vorhaben (Anlagen), für die eine UVP nötig ist, sind als Liste „UVP-pflichtige Vorhaben“ in der Anlage 1 zum UVPG aufgeführt. Die Spalte 1 der Liste enthält alle Vorhaben, für die eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist. In der Spalte 2 der Liste sind Vorhaben (Anlagen) aufgeführt für die  eine allgemeine Vorprüfung des Einzelfalls nach § 3c, Satz1 oder  eine standortbezogene Vorprüfung des Einzelfalls nach § 3c, Satz 2 vorzunehmen ist. Bei diesen Vorhaben (Anlagen) prüft die Behörde an Hand der „Kriterien für die Vorprüfung des Einzelfalls im Rahmen einer Umweltverträglichkeitsprüfung“ inwieweit eine Umweltverträglichkeitsprüfung notwendig ist. Die Vorprüfung des Einzelfalls sollte möglichst frühzeitig während des Projektverlaufs erfolgen. Der Ablauf des Verwaltungsverfahrens zur Umweltverträglichkeitsprüfung erfolgt im Allgemeinen in folgenden Schritten: 1) Unterrichtung der zuständigen Behörde über das geplante Vorhaben. 2) Feststellung der UVP-Pflicht nach § 3a, UVPG (falls nicht eindeutig durch Antragsteller zu entscheiden). 3) Einreichen der Unterlagen für die Durchführung der UVP. 4) Einholen der Stellungnahmen der beteiligten Behörden, gegebenenfalls auch grenzüberschreitend nach § 8, UVPG durch die zuständige Behörde. 5) Öffentliche Bekanntmachung des Vorhabens in der Tagespresse und öffentliche Auslegung der Unterlagen für 1 Monat zur Einsichtnahme (§ 9, UVPG) 6) Bekanntgabe des öffentlichen Erörterungstermins und ggf. Durchführung der Erörterung des Vorhabens auf Basis der fristgemäß eingegangenen Stellungsnahmen, Einwendungen u.ä. Dritter. 7) Bewertung des Vorhabens unter Beachtung der vorliegenden Stellungnahmen, Gutachten, Einwände, Hinweise u.a. Informationen durch die zuständige Behörde. 8) Zusammenfassende Darstellung und Bewertung der Umweltauswirkungen durch die zuständige Behörde nach §§ 11 und 12 des UVPG. 9) Gegebenenfalls Erteilen eines Vorbescheids und einer ersten Teilgenehmigung oder Teilzulassung nach § 13, UVPG. Die Unterlagen gemäß Punkt 7) und 8) sind Bestandteil des förmlichen Genehmigungsverfahrens nach BImSchG.

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

Die UVP sollte möglichst früher als das eigentliche Genehmigungsverfahren beginnen, um dessen Dauer zu verkürzen. In Abhängigkeit vom Verlauf des UVP-Verfahrens wird sich der Investor zum gegebenen Zeitpunkt entscheiden, den Genehmigungsantrag einzureichen, auch wenn die UVP noch nicht abgeschlossen ist. In Folge wird die UVP dann, eingebettet in das BImSchG-Verfahren, zeitlich parallel fortgesetzt. Ist im Vorfeld des Genehmigungsverfahrens nach BImSchG die UVP-Pflicht nicht festgestellt und vom Investor keine UVP beantragt worden, so erfolgt dies im Genehmigungsverfahren auf Veranlassung der Genehmigungsbehörde.

3.4.3 Beachtung der Inbetriebnahme im Genehmigungsverfahren nach BImSchG Für die allermeisten verfahrenstechnischen Anlagen ist das Bundes-Immissionsschutzgesetz die Genehmigungsgrundlage, da die Anlagen i.Allg. stoffliche und andere Emissionen aufweisen. Einleitend werden einige wichtige Begriffe nach § 3 (Begriffsdefinitionen) des BImSchG definiert. Schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne dieses Gesetzes sind Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Immissionen im Sinne diese Gesetzes sind auf Menschen, Tiere und Pflanzen, den Boden, das Wasser, die Atmosphäre sowie Kultur- und sonstige Sachgüter einwirkende Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen, Licht, Wärme, Strahlen und ähnliche Umwelteinwirkungen. Emissionen im Sinne dieses Gesetzes sind die von einer Anlage ausgehenden Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen, Licht, Wärme, Strahlen und ähnliche Erscheinungen. Luftverunreinigungen im Sinne dieses Gesetzes sind Veränderungen der natürlichen Zusammensetzung der Luft, insbesondere durch Rauch, Ruß, Staub, Gase, Aerosole, Dämpfe oder Geruchsstoffe.

Ferner ist in § 4 (Genehmigung), Abs. (1) festgelegt: (1) Die Errichtung und der Betrieb von Anlagen, die auf Grund ihrer Beschaffenheit oder ihres Betriebs in besonderem Maße geeignet sind, schädliche Umwelteinwirkungen hervorzurufen oder in anderer Weise die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft zu gefährden, erheblich zu benachteiligen oder erheblich zu belästigen, sowie von ortsfesten Abfallentsorgungsanlagen zur Lagerung oder Behandlung von Abfällen bedürfen der Genehmigung. …

Die Kriterien für die Einordnung, ob eine Anlage nach BImSchG genehmigungsbedürftig ist, sind in den Paragraphen 4 bis 25 des BImSchG angeführt. Der Gesetzgeber unterscheidet zwischen genehmigungsbedürftigen Anlagen (§§ 4 bis 21 des BImSchG) und nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen (§§ 22 bis 25a) entsprechend ihrer Emissionen und Immissionen. Die genehmigungsbedürftigen Anlagen sind im Einzelnen in der 4. Verordnung zum Bundes-Immissionsgesetz (4. BImSchV) [34] aufgelistet. Das BImSchG-Verfahren ist ein „bündelndes Genehmigungsverfahren“, d.h. der Antragsteller beantragt die Genehmigung bei nur einer Genehmigungsbehörde, z.B. beim zuständigen Regierungspräsidium. Diese Behörde koordiniert das gesamte Verfahren und ist während dessen alleiniger Partner des Antragstellers.

3.4 Beachtung der Inbetriebnahme bei Genehmigung und Umweltschutz

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a) Genehmigungsantrag inkl. Antragsunterlagen In § 2 (Antragsunterlagen) der 9. BImSchV [35] wird die Genehmigungsbehörde zur umfassenden Beratung des Investors verpflichtet im Hinblick auf  die Antragsunterlagen,  den Ablauf des Genehmigungsverfahrens,  sonstige relevante Fragen. Der Antragsteller sollte diese rechtlich zugesicherte Unterstützung durch die Genehmigungsbehörde wahrnehmen und entsprechend den protokollierten Abstimmungsergebnissen vorgehen. Insbesondere sollte er hinterfragen, ob es neuere BVT-Merkblätter und BVTSchlussfolgerungen [20][21] gibt, die als Stand der Technik behördlich anerkannt sind und z.B. die Grenzwerte der TA-Luft verschärfen (s. Abschn. 3.3.1.3, Buchst. a)). In der 9. BImSchV sind weitere Vorgaben für den Genehmigungsantrag und die zugehörigen Unterlagen enthalten. Diese betreffen:       

Antragsinhalt (§ 3), Antragsunterlagen (§ 4), Angaben zur Anlage und zum Anlagenbetrieb (§ 4a), Angaben zu den Schutzmaßnahmen (§ 4b), Plan zur Behandlung der Abfälle (§ 4c), Angaben zur Energieeffizienz (§ 4d), Zusätzliche Angaben zur Prüfung der Umweltverträglichkeit (§4e)

Im Antrag ist die Einhaltung aller genehmigungsrelevanten Rechtsvorschriften sowie der zugehörigen Regelwerke und Verwaltungsvorschriften nachzuweisen. Für Anlagen, die auf Grund der benutzten gefährlichen Stoffe und Stoffmengen der Störfall-Verordnung (12. BImSchV) [36] unterliegen, sind dem Genehmigungsantrag umfangreiche, zusätzliche Angaben (Sicherheitsbericht) beizufügen. Der Inhalt des Sicherheitsberichts ist in § 9 (Sicherheitsbericht) der 12. BImSchV dargelegt. Im Antrag beschreibt der Antragsteller u.a. den Bestimmungsgemäßen Betrieb der Anlage, für den die Genehmigung erteilt werden soll. In der 1. Störfall-Verwaltungsvorschrift (StörfallVwV) [67] sowie nochmals präzisierend in [68] ist dieser Begriff wie folgt definiert: Bestimmungsgemäßer Betrieb ist der zulässige Betrieb, für den die Anlagen, Infrastruktur und Tätigkeiten in einem Betriebsbereich nach ihrem technischen Zweck bestimmt, ausgelegt und geeignet sind. (…). Betriebszustände, die der erteilten Genehmigung, vollziehbaren nachträglichen Anordnungen oder Rechtsvorschriften nicht entsprechen, gehören nicht zum bestimmungsgemäßen Betrieb. Der bestimmungsgemäße Betrieb umfasst ▪ den Normalbetrieb einschließlich betriebsnotwendiger Eingriffe wie z.B. der Probenahme, und einschließlich der Lagerung mit Füll-, Umfüll- und Abfüllvorgängen, ▪ die Inbetriebnahme und den An- und Abfahrbetrieb, ▪ den Probebetrieb, ▪ Instandhaltungsvorgänge (Wartung, Inspektion, Instandsetzung, Verbesserung) und Reinigungsarbeiten sowie ▪ den Zustand bei vorübergehender Außerbetriebnahme [68].

Obwohl diese Definition für Anlagen, die der Störfallverordnung unterliegen, erfolgt ist, wird sie auch auf andere genehmigungsbedürftige Anlagen angewandt.

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

Die Inbetriebnahme und Außerbetriebnahme gehören somit zum Bestimmungsgemäßen Betrieb einer Anlage, sodass Festlegungen bezüglich der Grenzwerte von Emissionen der Anlage auch im Rahmen der Inbetriebnahme nicht überschritten werden dürfen; es sei denn, die Überschreitungen sind ausdrücklich genehmigt. Ausnahmen gibt es dort, wo während der Inbetriebnahme die zulässigen Emissionsgrenzwerte, trotz Anwendung des Standes der Technik in der folgenden Definition gemäß BImSchG § 3 Abs. (6) [29], überschritten werden: (6) Stand der Technik im Sinne diese Gesetzes ist der Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen, der die praktische Eignung einer Maßnahme zur Begrenzung von Emissionen in Luft, Wasser und Boden, zur Gewährleistung der Anlagensicherheit, zur Gewährleistung einer umweltverträglichen Abfallentsorgung oder sonst zur Vermeidung oder Verminderung von Auswirkungen auf die Umwelt insgesamt gesichert erscheinen lässt. Bei der Bestimmung des Standes der Technik sind insbesondere die in der Anlage aufgeführten Kriterien zu berücksichtigen.

Die Kriterien in der Anlage, auf die sich in Abs. (6) bezogen wird, sind in Tabelle 3.22 angeben. Der Punkt 12. in Tab. 3.22 bezieht sich u.a. auf die Veröffentlichung von BVTMerkblättern gemäß Industrieemissionsrichtlinie [18] (s. Abschn. 3.3.1.3, Buchst. a)). Die zitierte Begriffsbestimmung zum Stand der Technik ist sehr umfassend und in der Praxis schwer handhabbar. Dies erschwert die Anwendung im Genehmigungsverfahren. Ein Beispiel für mögliche Ausnahmen bezüglich der Inbetriebnahme zeigt das folgende Zitat aus der TA Luft, Punkt 5.1.2 [24]: Für Anfahr- oder Abstellvorgänge, bei denen ein Überschreiten des 2fachen der festgelegten Emissionsbegrenzung nicht verhindert werden kann, sind Sonderregelungen zu treffen. Hierzu gehören insbesondere Vorgänge, bei denen  eine Abgasreinigungseinrichtung aus Sicherheitsgründen (Verpuffungs-, Verstopfungsoder Korrosionsgefahr) umfahren werden muss,  eine Abgasreinigungseinrichtung wegen zu geringen Abgasdurchsatzes noch nicht voll wirksam ist oder  eine Abgaserfassung und -reinigung während der Beschickung oder Entleerung von Behältern bei diskontinuierlichen Produktionsprozessen nicht oder nur unzureichend möglich ist. Tabelle 3.22 Kriterien zur Bestimmung des Standes der Technik nach § 3 Abs. 6, BImSchG Bei der Bestimmung des Standes der Technik sind unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit zwischen Aufwand und Nutzen möglicher Maßnahmen sowie des Grundsatzes der Vorsorge und der Vorbeugung, jeweils bezogen auf Anlagen einer bestimmten Art, insbesondere folgende Kriterien zu berücksichtigen: 1. Einsatz abfallarmer Technologie, 2. Einsatz weniger gefährlicher Stoffe, 3. Förderung der Rückgewinnung und Widerverwertung der bei den einzelnen Verfahren erzeugten und verwerteten Stoffe und gegebenenfalls der Abfälle, 4. vergleichbare Verfahren, Vorrichtungen und Betriebsmethoden, die mit Erfolg in Betrieb erprobt wurden, 5. Fortschritte in der Technologie und in den wissenschaftlichen Erkenntnissen, 6. Art, Auswirkungen und Menge der jeweiligen Emissionen, 7. Zeitpunkte der Inbetriebnahme der neuen oder der bestehenden Anlagen, 8. für die Einführung einer besseren verfügbaren Technik erforderliche Zeit,

3.4 Beachtung der Inbetriebnahme bei Genehmigung und Umweltschutz

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Tab. 3.22 (Fortsetzung) 9. Verbrauch an Rohstoffen und Art der bei den einzelnen Verfahren verwendeten Rohstoffe (einschließlich Wasser) sowie Energieeffizienz, 10. Notwendigkeit, die Gesamtwirkung der Emissionen und die Gefahren für den Menschen und die Umwelt so weit wie möglich zu vermeiden oder zu verringern, 11. Notwendigkeit, Unfällen vorzubeugen und deren Folgen für den Menschen und die Umwelt zu verringern, 12. Informationen, die von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften gemäß… oder von internationalen Organisationen veröffentlicht werden.

Die letzten Ausführungen sollen verdeutlichen, dass der Gesetzgeber im Genehmigungsverfahren zwar die spezifischen Bedingungen während der Inbetriebnahme anerkennt, aber die Grenzen eng hält. Inbetriebnahmespezifische Umweltbelastungen treten nicht selten beim Anfahren bzw. Abfahren der Öfen auf. In den Abbildung 3.10 und 3.11 sind die zeitlichen Verläufe der Schadstoffemissionen, wie sie an Ölbrennern gemessen wurden, beim Anfahren (Brennerzündung) und Abfahren (Brennschluss) dargestellt. Auch wenn die Entwicklung inzwischen fortgeschritten ist, so gelten die Aussagen im Prinzip auch noch heute.

Abb. 3.10 Schadstoffemissionsverlauf bei Ölbrennern während des Anfahrens 69

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

Abb. 3.11 Schadstoffemissionsverlauf bei Ölbrennern während des Abfahrens 69

Die fachlichen Ursachen für die insbesondere erhöhten Emissionen an Kohlenwasserstoffen und Kohlenmonoxid sind gegebenenfalls: beim Anfahren:  schlechtere Verdüsung, da sich ein Druck vor der Düse erst aufbauen muss,  endliche Flammenfortpflanzungsgeschwindigkeit des Zündkerns im Gemisch,  anfänglich verbrennen nur die kleinen Tropfen,  uneinheitliche Verbrennung durch kalte Wandungen,  nicht optimale Mischungsverhältnisse mit Luft beim Start, beim Abfahren:  Nachströmen von Öl,  Absinken des Düsendruckes,  „Einfrieren“ der Flamme. Der Ofenbauer, der Planer und der Inbetriebnehmer sind alle gefordert, die Emissionsüberschreitungen zu minimieren. Die Behörde hat nach Eingang des Antrags und der Unterlagen unverzüglich, in der Regel innerhalb eines Monats, zu prüfen, ob der Antrag den § 3 und die Unterlagen den §§ 4 bis 4e der 9. BImSchV entsprechen.

3.4 Beachtung der Inbetriebnahme bei Genehmigung und Umweltschutz

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b) Ablauf des Genehmigungsverfahrens Der Ablauf des Genehmigungsverfahrens nach BImSchG ist in Abb. 3.12 gezeigt. Inwieweit ein förmliches oder vereinfachtes Genehmigungsverfahren durchzuführen ist, entscheidet die Zuordnung der Anlage im Anhang zur 4. BImSchV. Das förmliche Genehmigungsverfahren ist nach § 10, BImSchG für Anlagen anzuwenden, die in Spalte 1 des Anhangs zur 4. BImSchV genannt sind. Im förmlichen Verfahren ist neben den Behörden auch die Öffentlichkeit beteiligt.

 Abb. 3.12 Ablauf des Genehmigungsverfahrens nach BImSchG und 9. BImSchV

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

Bezüglich der Gesamtdauer des Genehmigungsverfahrens steht in § 10, Abs. 6a des BImSchG: (6a) Über den Genehmigungsantrag ist nach Eingang des Antrags und der nach Absatz 1 Satz 2 einzureichenden Unterlagen innerhalb einer Frist von sieben Monaten, in vereinfachten Verfahren innerhalb einer Frist von drei Monaten, zu entscheiden. Die zuständige Behörde kann die Frist um jeweils drei Monate verlängern, wenn dies wegen der Schwierigkeiten der Prüfung oder aus Gründen, die dem Antragsteller zuzurechnen sind, erforderlich ist.

Das vereinfachte Verfahren kann nach § 19, BImSchG für Anlagen angewandt werden, die in der Spalte 2 des Anhangs zur 4. BImSchV angeführt sind. Es beinhaltet keine Öffentlichkeitsbeteiligung und keine UVP-relevanten Maßnahmen. Die anderen Pflichten und Maßnahmen bleiben weitgehend unberührt (s. Abb. 3.12, rechter Zweig). In einem vereinfachten Genehmigungsverfahren sind privatrechtliche Abwehransprüche gemäß § 14, BImSchG nicht mehr ausgeschlossen. Das heißt, betroffene Nachbarn oder andere Dritte, die im nicht-öffentlichen Verfahren nicht beteiligt waren, können gegen die Genehmigung (z.B. gegen deren Errichtung und Betrieb) privatrechtlich klagen. Da die Einwände von Dritten im bisherigen Verfahren nicht betrachtet und berücksichtigt wurden, ist ein signifikantes Risiko für den Projektträger in der Weise gegeben, dass die Einwände ggf. als berechtigt eingeschätzt werden und in Folge der Genehmigungsbescheid geändert wird. Möchte der Antragsteller mit der Genehmigung einen privatrechtlichen Bestandsschutz für die Errichtung und den Betrieb seiner Anlage, so kann er nach § 19, Abs. (3) des BImSchG auch ein förmliches Verfahren beantragen; auch wenn dies nach der 4. BImSchV nicht nötig wäre. c) Genehmigungsbescheid In § 21 (Inhalt des Genehmigungsbescheids) der 9. BImSchV ist u.a. festgelegt: (1) Der Genehmigungsbescheid muss enthalten 1. die Angabe des Namens und des Wohnsitzes oder des Sitzes des Antragstellers, 2. die Angaben, dass eine Genehmigung, eine Teilgenehmigung oder eine Änderungsgenehmigung erteilt wird, und die Angabe der Rechtsgrundlage, 3. die genaue Bezeichnung des Gegenstandes der Genehmigung einschließlich des Standortes der Anlage, 3a. die Festlegung der erforderlichen Emissionsbegrenzungen, 4. die Nebenbestimmungen zur Genehmigung, 5. die Begründung, aus der die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben, und die Behandlung der Einwendungen hervorgehen sollen; bei UVP-pflichtigen Anlagen ist die zusammenfassende Darstellung nach § 20 Abs. 1a (d. Verf.: der 9. BImSchV) sowie die Bewertung nach § 20 Abs. 1b in die Begründung aufzunehmen. 6. Angaben über das Verfahren zur Beteiligung der Öffentlichkeit, 7. eine Rechtsbehelfsbelehrung.

Das Inhaltsverzeichnis des Genehmigungsbescheids einer GuD-Kraftwerksanlage enthält Tabelle 3.23. Nach Zustellung des Genehmigungsbescheids an den Antragsteller und die Einwender kann von denen der Genehmigungsbescheid angefochten werden. Gegen den Genehmigungsbescheid eines förmlichen Verfahrens kann, neben dem Antragsteller, nur derjenige widersprechen,

3.4 Beachtung der Inbetriebnahme bei Genehmigung und Umweltschutz

225

 der seine persönlichen Rechte verletzt sieht,  der im förmlichen Verfahren fristgerecht Einspruch erhoben hatte und  der die Einspruchsfrist von 1 Monat einhält. Tabelle 3.23 Inhaltsverzeichnis eines Genehmigungsbescheids (Praxisbeispiel) I. II. III. IV.

Allgemeine Angaben (Antragsteller, Vorhaben, Rechtsgrundlagen u.ä.)

V.

Hinweise Begründung 1. Umweltverträglichkeitsprüfung 2. Angabe der Umwelteinwirkungen 3. Beurteilung der Umwelteinwirkungen 4. Gesamtbeurteilung des Vorhabens

VI.

Ergebnis der Entscheidung Antragsunterlagen Nebenbestimmungen gemäß § 12 des BImSchG 1. Allgemeines 2. Bauordnungsrechtliche Erfordernisse 3. Immissionsschutz - Teil Reinhaltung der Luft 4. Immissionsschutz - Teil Lärmschutz 5. Brandschutz 6. Arbeitsschutz und Sicherheit 7. Brandschutz 8. Reststoffe/Abfall 9. Gewässerschutz 10. Bauordnungsrechtliche Erfordernisse

VII. Kostenentscheidung VIII. Rechtsbehelfsbelehrung

d) Nutzung und Änderung der Genehmigung Mit der erteilten Genehmigung ist die rechtliche Basis für die Errichtung (beginnend mit der Baustelleneröffnung) und den Betrieb (beginnend mit der Inbetriebnahme) der Anlage gegeben. Mit der erteilten Genehmigung ist die rechtliche Basis für die Errichtung (beginnend mit der Baustelleneinrichtung) und den Betrieb (beginnend mit der Inbetriebnahme) der Anlage gegeben. Die Pflichten, die aus dem Genehmigungsbescheid für die Inbetriebnahme resultieren, sind zu selektieren und umzusetzen. In der Folge muss unter Verantwortung des Inbetriebnahmeleiters gerichtsfest dokumentiert werden, dass zu jeden Zeitpunkt die Auflagen/Nebenbestimmungen des Genehmigungsbescheids eingehalten wurden (s. auch Ausführungen zum Umwelthaftungsgesetz in Abschn. 3.3.2.2, Buchst. e)). Darüber hinaus sind Änderungen in Vorbereitung und Durchführung der Inbetriebnahme auf ihre Genehmigungsrelevanz zu prüfen und adäquat zu reagieren. Von Bedeutung ist dabei der § 16 (Wesentliche Änderungen genehmigungsbedürftiger Anlagen) des BImSchG, der u.a. beinhaltet: (1) Die Änderung der Lage, der Beschaffenheit oder des Betriebs einer genehmigungsbedürftigen Anlage bedarf der Genehmigung, wenn ▪ durch die Änderung nachteilige Auswirkungen hervorgerufen werden können und ▪ diese für die Prüfung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 (d. Verf.: Prüfung der Genehmigungsvoraussetzungen) erheblich sein können (wesentliche Änderung).

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz Eine Genehmigung ist stets erforderlich, wenn die Änderung oder Erweiterung des Betriebs einer genehmigungsbedürftigen Anlage für sich genommen die Leistungsgrenzen oder Anlagengrößen des Anhangs zur Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen erreichen. Eine Genehmigung ist nicht erforderlich, wenn durch die Änderung hervorgerufene nachteilige Auswirkungen offensichtlich gering sind und die Erfüllung der sich aus § 6 Abs. 1 Nr. 1 ergebenden Anforderungen sichergestellt ist. (5) Einer Genehmigung bedarf es nicht, wenn eine genehmigte Anlage oder Teile einer genehmigten Anlage im Rahmen der erteilten Genehmigung ersetzt oder ausgetauscht werden sollen.

Der zitierte Wortlaut bewirkt einen Ermessensspielraum in der Einschätzung des Investors bzw. Anlagenbetreibers, ob eine Projekt- bzw. Betriebsänderung wesentlich oder nichtwesentlich im genehmigungsrechtlichen Sinne ist. Änderungen an der erteilten Genehmigung, insbesondere während des späteren Anlagenbetriebs, können sich nicht nur bei wesentlichen Änderungen (§ 16, BImSchG) und daraus resultierenden Änderungsgenehmigungen, sondern auch durch nachträgliche behördliche Anordnungen gemäß § 17, BImSchG ergeben.

3.4.4 Umweltschutz in Vorbereitung und Durchführung der Inbetriebnahme Der Schutz der Umwelt ist ein wesentliches Ziel der Projektabwicklung. Umweltschutz lässt sich nur effektiv verwirklichen, wenn er über den gesamten Zeitraum ‒ von der Anlagenplanung über Errichtung, Inbetriebnahme und Dauerbetrieb bis hin zum Rückbau der Anlage ‒ konsequent berücksichtigt wird. Im Hinblick auf den Umweltschutz ordnet sich die Inbetriebnahme voll in die Betriebsphase ein und wird auch rechtlich als solche behandelt. Gleichzeitig besteht während der Inbetriebnahme die Gefahr erhöhter Emissionen. So kommen während der Inbetriebnahme mehrere Faktoren gleichzeitig zum Tragen, die mitunter eine erhöhte Belastung der Umwelt bewirken. Im Weiteren seien einige Umweltrisiken kurz diskutiert. Dabei sei vorangestellt, dass natürlich die Inbetriebnahmezeiträume mit erhöhten Umweltrisiken und -belastungen vergleichsweise kurz und somit die absoluten Schadstoffmengen, bezogen auf die Gesamtmenge während des „Lebens“ einer Anlage, relativ gering sind. a) Umweltbelastungen auf Grund von Entwicklungsrisiken Bei neuartigen Verfahren sowie Anlagen und Anlagenkomponenten können Umweltbeeinträchtigungen durch unvorhergesehene Störungen im Prozessablauf oder durch nicht erreichte Projektziele entstehen. Risiken bei der Maßstabsübertragung sind häufig auch Umweltrisiken. Man denke nur an den Anfall zusätzlicher Abprodukte wegen unzureichenden Umsatzes oder wegen häufiger Entspannungs- und Entleerungsvorgänge. Das Nichterreichen angestrebter Leistungsparameter zeigt sich erst während der Inbetriebnahme und muss schnell behoben werden. Mitunter werden dann Sonderfahrweisen bzw. vorübergehende Provisorien realisiert, die zum Teil, wenn auch kurzfristig, zu erhöhten Umweltbelastungen führen. Der klassische Fall ist beispielsweise, wenn eine Abgas- oder Abwasserreinigungsanlage die geplanten Abgas-/Abwasser-Reinheiten nicht erreicht. Entwicklungsrisiken sind i.d.R. auch Umweltrisiken. Dies gilt umfassend für Umweltschutzanlagen.

3.4 Beachtung der Inbetriebnahme bei Genehmigung und Umweltschutz

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Das Umweltrisiko ist ein Teil des Entwicklungsrisikos und muss bei dessen Bewertung und Minimierung bewusst mit berücksichtigt werden, zum Beispiel durch zusätzliche Emissionsüberwachung, umweltrelevante Sicherheitsschaltungen oder erhöhte Lagerbzw. Zurückhaltevolumina. Bei der Analyse und Behebung der entwicklungsbedingten Mängel auf der Baustelle muss der Umweltschutz gewahrt bleiben. b) Umweltbelastungen durch erhöhte Störanfälligkeit Die Inbetriebnahme liegt am Beginn der Nutzungsdauer einer Anlage und somit in der Phase der Frühausfälle. Auslegungsfehler, Materialfehler, Montagefehler und dergleichen können zu Ausfällen und damit zu erheblichen Umweltbeeinträchtigungen führen, wie z.B.:  Anfall von zu entsorgenden Abprodukten oder teilweise mit Umweltschadstoffen belasteten Anlagenteilen,  Undichtigkeiten und Leckagen an Ausrüstungen und Dichtelementen,  Notentspannungen von Schadstoffen in die Atmosphäre,  Brände u.ä. schwere Störungen. Die Gegenmaßnahmen beruhen vorrangig auf Prävention durch Fehlerminimierung und Qualitätssicherung bei der Auftragsabwicklung. Dies ist eine ständige aber im konkreten Fall immer wieder neue Herausforderung für alle Beteiligten. Natürlich bringt die stürmische technische Entwicklung zahlreiche praktikable Lösungen hervor, die Umweltbelastungen gravierend verringern oder ganz ausschließen. Derartige Beispiele sind:  leckagefreie Pumpen und Verdichter,  innere und äußere Abdichtungen an Armaturen,  doppelwandige Lagertanks mit Leckageüberwachung,  Zuverlässigkeitssteigerung elektrischer und elektronischer Bauelemente, insbesondere unter robusteren Einsatzbedingungen,  verbesserte Möglichkeiten der Lecksuche bzw. Leckageüberwachung. Andererseits bewirkt die ständige wirtschaftliche und technische Herausforderung auch wieder neue Risiken bzw. Unwägbarkeiten. Der Inbetriebnehmer verfahrenstechnischer Anlagen wird deshalb auch in nächster Zeit mit Frühausfällen und Störungen rechnen und sich darauf einstellen müssen. Es geht letztlich stets um die Minimierung ihrer Häufigkeit und ihrer Auswirkungen. Zum Letzteren gehören u.a. eine schnelle Störungsdiagnose und Schwachstellenanalyse sowie eine umgehende und fachkundige Instandsetzung. Der Inbetriebnehmer muss sich persönlich sowie technisch und organisatorisch gezielt darauf vorbereiten. Besondere Umweltauswirkungen haben Störungen, wie Brände, Explosionen, unerwünschte Reaktionszustände, bei denen große Energiemengen freigesetzt werden. Hier sind die primären Umweltauswirkungen (vorhandene Schadstoffe gelangen ins Freie) sowie die Folgewirkungen (zusätzlich werden neue Schadstoffe gebildet und emittiert) erheblich. Beispiele für letztere Fälle sind die mögliche Dioxinbildung bei Kabelbränden bzw. der erhebliche Löschwasser- und Schaumanfall bei der Brandbekämpfung. c) Anfahrverhalten von Verfahrensstufen bzw. Ausrüstungen Im vorhergehenden Abschnitt wurde am Beispiel eines Verbrennungsprozesses (Heizölbrenner) bereits auf erhöhte Emissionen beim An- und Abfahren hingewiesen.

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

Viele typische Umweltschutzeinrichtungen, wie Kläranlagen, Filter, Verbrennungseinrichtungen und dergleichen benötigen oft einen längeren Anfahr- bzw. Einfahrzeitraum, bevor sie voll wirksam sind. Teilweise werden sie sogar zeitweilig umfahren oder besitzen noch nicht ihre volle Funktionstüchtigkeit und Leistungsfähigkeit, sodass mit erhöhten Emissionen zu rechnen ist. Beispielsweise können bei biologischen Verfahren (Belebtschlammverfahren, Biofilter) mitunter mehrere Tage vergehen, bis die Nennleistung erreicht wird. Deshalb muss zunächst mit einer geringen Schadstofflast begonnen werden. In Abhängigkeit vom gemessenen Abbaugrad kann diese dann langsam bis zur Nennlast gesteigert werden. Erfolgt eine solch angepasste Laststeuerung während der Inbetriebnahme nicht, so können Schadstoffe in das gereinigte Abwasser bzw. in die Abluft durchbrechen und die Umwelt belasten. Bei biologischen Abwasseranlagen besteht ferner die Gefahr, dass die Schadstoffe aus dem Wasser ausgasen bzw. mit der eingeblasenen Luft ausgestrippt werden. Andererseits darf die Schadstofflast bei der Inbetriebnahme auch nicht zu gering sein, weil dann die Bakterien im Wachstum behindert werden oder sogar absterben können. Das Beispiel verdeutlicht den schmalen technisch-technologischen Pfad, auf dem sich mitunter der Inbetriebnehmer bewegen muss. Ähnliche Gefahren für erhöhte Umweltbelastungen können sich bei der Inbetriebnahme beispielsweise auch dann ergeben, wenn  nicht qualitätsgerechte Zwischenprodukte entsorgt werden müssen,  das Fehlen der Emissionen von noch nicht in Betrieb befindlichen Prozessstufen dazu führt, dass Reinigungs-, Filter- oder Entsorgungsanlagen im ineffizienten Teillastbereich arbeiten müssen. Letztlich sollten alle inbetriebnahmespezifischen Umweltprobleme, in enger Verbindung mit den Sicherheitsbetrachtungen, bereits während der Planung bedacht und gelöst werden. Durch detaillierte Vorgaben in den Inbetriebnahmedokumenten sowie durch ein umweltbewusstes Handeln vor und während der Inbetriebnahme sind sie als Teil eines ganzheitlichen Umweltmanagements konkret umzusetzen. Für den Umweltschutz bei der Inbetriebnahme gilt wie beim Genehmigungsverfahren: Die Inbetriebnahme gehört zum Bestimmungsgemäßen Betrieb einer Anlage. Somit gelten die Umweltschutzanforderungen, die für den Betrieb der Anlage festgelegt sind, grundsätzlich auch während der Inbetriebnahme. Ausnahmen können in wenigen, begründeten Sonderfällen genehmigt werden. Ein wesentlicher Bewertungsmaßstab ist der Stand der Technik und insbesondere die Beste verfügbare Technik (BVT) in Form von BVT-Merkblättern und BVTSchlussfolgerungen.

3.5 Gewährleisten von Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Inbetriebnahme Sicherheit und Gesundheitsschutz während der Inbetriebnahme sind aus mehreren Gründen wichtig.  Zunächst ist es ein humanitäres Anliegen, den bestmöglichen Schutz aller Beschäftigten vor Unfällen und Krankheiten und deren Folgen zu realisieren. Niemand hat das Recht, im Rahmen seiner Tätigkeit, die Gesundheit anderer Personen zu riskieren!

3.5 Gewährleisten von Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Inbetriebnahme

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 Ein Unternehmen arbeitet nur dann wirtschaftlich, wenn es langfristig weitgehend unfallfrei bleibt. Untersuchungen der Berufsgenossenschaften ergaben, dass in Deutschland pro Jahr ca. 25 bis 40 Milliarden EURO an volkswirtschaftlichen Verlusten durch Unfälle entstehen. Kosten durch Unfälle sind u.a.:  Lohn-/Gehaltskosten,  Kosten bzw. entgangener Gewinn durch Produktionsverzögerung/-ausfall, Marktbzw. Auftragsverlust, Terminverzögerung, Qualitätsminderung usw.,  erhöhter Kapitaldienst,  zusätzliche technische und organisatorische Maßnahmen,  Ausbildungs-/Umschulungskosten,  Verletztengelder, Rentenzahlungen,  Verwaltungskosten, Beiträge u.ä.. Die Folgekosten eines Unfalls sind meistens vielfältiger und höher als vermutet. Darüber hinaus gilt: Nur ein Unfall während der Inbetriebnahme kann den Projekterfolg (Termine, Kosten, Qualität) wesentlich gefährden.  Bei Unfällen und Krankheiten wird meistens gefragt, wer trägt dafür die Verantwortung und wurde pflichtgemäß gehandelt. Daraus können sich u.U. disziplinarische, haftungsrechtliche und strafrechtliche Konsequenzen ergeben. (s. Abschn. 4.4.1.4 ).  Nicht selten bewirken die Ereignisse, die zu einem Unfall führen und die Unfallfolgen, gleichzeitig auch erhöhte Umweltgefährdungen bzw. Umweltschädigungen. Unfälle vermeiden ist praktizierter Umweltschutz. Für viele Unternehmen ist die Einhaltung von Sicherheit-Gesundheit-Umweltschutz, unabhängig von Standort und Geschäftsbereich, ein Wesensmerkmal und gehört zum Corporate Identity. Nach Informationen der DGUV (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung) gab es im Jahr 2017 in der BRD insgesamt 799.883 Meldepflichtige Arbeitsunfälle mit mehr als 3 Tagen Arbeitsausfall; davon endeten 414 Arbeitsunfälle tödlich. Bezogen auf die einzelnen Berufsgenossenschaften meldete die DGUV für das Jahr 2017 folgende Zahlen zu Meldepflichtigen Arbeitsunfälle je 1 Mio. geleisteter Arbeitsstunden: Unfallversicherungen der gewerbliche Wirtschaft insgesamt: 14,24 Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie: 11,60 Berufsgenossenschaft Holz und Metall: 22,17 11,63 Berufsgenossenschaft Energie, Textil, Elektro, Medienerzeugnisse: Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft: 34,39 Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik: 14,79 Unfallversicherung der öffentlichen Hand: 8,97 Der Unfalltrend ist positiv, aber die Unterschiede zwischen den Wirtschaftszweigen sind erheblich und jeder Unfall ist einer zu viel. Zum anderen gilt im Wesentlichen die sog. Eisbergtheorie gemäß Abb. 3.13. Der Autor konnte u.a. an zwei Großprojekten inkl. der Inbetriebnahme mitwirken, bei denen kein meldepflichtiger Arbeitsunfall in mehr als 1 Mio. Arbeitsstunden auftrat.

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Trotzdem gab es in jedem dieser Projekte mindestens einen nicht-meldepflichtigen Unfall bzw. ein Schadensereignis, bei denen es schwere Verletzungen, gegebenenfalls mit Todesfolge, hätte geben können. Dass es nicht dazu kam, war teils glücklichen Umständen bzw. Zufällen zu verdanken.

Abb. 3.13 Verhältnis „Meldepflichtige zu nicht-meldepflichtige Unfälle [70]

Statistische Unfallzahlen während des Inbetriebnahmezeitraums sind nicht bekannt. Grundsätzlich lässt sich aber aus der Erfahrung feststellen:  Die Inbetriebnahme ist mit erhöhten Gefährdungen und Risiken bezüglich Sicherheit und Gesundheitsschutz verbunden.  Im Vergleich zur Baustelle oder zum späteren Dauerbetrieb sind aber Unfälle in diesen Zeitraum nicht häufiger, eher geringer. Der Grund wird im erhöhten Sicherheitsbewusstsein der Beschäftigten gesehen. Die Gefahren während der Inbetriebnahme sind den einzelnen bewusst und werden im Handeln beachtet.  Kritisch ist häufig das erste Betriebsjahr (nach Inbetriebnahme), in welchen sich bei den Beschäftigten schon eine gewisse Routine und Betriebsblindheit einstellt (s. auch Beispiel 5.2 in Abschn. 5.2.3).

3.5.1 Grundsätze für sicherheitsgerechtes Verhalten Einige Leitlinien und Thesen für eine erfolgreiche Sicherheitsarbeit im Projekt einschließlich der Inbetriebnahme sind auf dem Merkblatt in Abb. 3.14 angeführt. Sie spiegelt die Erfahrungen des Autors sowie anderer Fachkollegen wider. Zu einigen Thesen sind ergänzend noch wenige Bemerkungen angeführt.  Die 1. These verdeutlicht das Vertrauen der Mitarbeiter und die Verantwortung der „Chefs“. Sie weist zugleich auf den notwendigen Selbstschutz der Führungskräfte hin, die auch gegenüber Familie und Umfeld Verantwortung tragen.  In der 2. These soll ausgedrückt werden, dass der Sicherheitsgedanke im Bewusstsein und möglichst auch im Unterbewusstsein der Menschen verankert werden muss.  Die 4. These zielt auf die notwendige Vorbildwirkung des Managements ab. Zugleich gilt es die notendigen Informationen, z.B. die Inhalte der Betriebsanweisungen, mit den eigenen Erfahrungen der Mitarbeiter zu vergleichen.

3.5 Gewährleisten von Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Inbetriebnahme

231

Der Weg zu Sicherheit! 1.

Jede Führungskraft hat die Verantwortung, dass alle ihr anvertrauten Personen und sie selbst auch, abends so gesund nach Hause kommen, wie alle morgens zur Arbeit erschienen sind! 2. Sicherheit beginnt im Kopf!! 3.

Sicherheit ist planbar und organisierbar! 4.

Sicherheit muss gelebt werden! 5.

Im Zweifel – Sicherheit zuerst! 6.

Jeder Unfall ist vermeidbar und ein Managementfehler! 7.

Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser! 8.

Der Teufel steckt im Detail! 9.

Wehret den Anfängen! 10.

Ohne Sicherheit – kein Erfolg! Abb. 3.14 Merkblatt mit Leitlinien erfolgreicher Sicherheitsarbeit

 Die übliche Formulierung “Safety first! wird in der 5. These etwas relativiert. Vor der Entscheidung über zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen sollen zunächst das Risiko beurteilt werden. Bleiben Zweifel, ob das Restrisiko vertretbar ist, werden zusätzliche Aktionspunkte festgelegt.  Die 6. These ist Teil der „Sicherheitsphilosophie von DuPont“. Sie muss in der Praxis, gegen widerstrebende Einflussfaktoren, immer wieder umgesetzt werden.  In der 7. These ist ein Hauptsatz der Qualitätssicherung formuliert. Dieser gilt auch für Sicherheitskontrollen.  Die 8. These bringt zum Ausdruck, dass die Inbetriebnahmetätigkeit inkl. zugehöriger Sicherheitsarbeit viel Detailwissen voraussetzt. Der Inbetriebnahmeleiter sollte zugleich Manger und Spezialist sein.  „Wehret den Anfängen!“ (These 9) kann für den Inbetriebnahmeleiter bedeuten, möglichst frühzeitig ein negatives Beispiel zum Anlass zu nehmen, um „ein Exempel zu statuieren“. Er muss von Beginn an Maßstäbe setzten und sich Respekt verschaffen.

232

3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

 Die 10. These ist im eigenen Unternehmen bzw. Projekt überzeugend darzulegen. Sie muss Motivation für das Handeln aller Beschäftigten werden. Eines der ersten Beispiele, in denen ein berühmter Bauleiter erkannte: Ohne Sicherheit – kein Projekterfolg! zeigt Abb. 3.15. Daten: Bauzeit: 5.1.1933-27.05.1936 Lichte Durchfahrtshöhe: 67 m Höhe Pylone: 227 m Stützweite: 1966 m Kabellänge: 2332 m Kabeldurchmesser: 96 cm Legende: Der Brückenbauleiter, Joeseph Baermann Strauss hatte bald erkannt, dass ohne neue Sicherheitsbestimmungen niemals die vorgegebene 4-jährige Bauzeit erreicht und das Budget eingehalten wird. Er hatte u.a. die Helmpflicht und Auffangnetze unter jedem neuen Brückenabschnitt per Weisung eingeführt. Damit war er einer der Pioniere für Arbeitssicherheit. Das Sicherheitsnetz rettete 19 Arbeitern das Leben. Trotzdem kamen während der Bauzeit noch 11 Arbeiter ums Leben, insbesondere da ein großes Montageteil zusammen mit Bauarbeitern abstürzte und das Netz durchschlug. Abb. 3.15 Golden Gate Bridge in der Bucht von San Francisco

3.5.2 Maßnahmen für Sicherheit und Gesundheit Nachfolgend werden wesentliche Aufgaben für Sicherheit und Gesundheit, die in Vorbereitung der Inbetriebnahme (Pre-Commissioning) zu realisieren sind, betrachtet. Darüber hinaus wird in Abschn. 4.4 auf weitere Managementaspekte und in Abschn. 5.2 auf GSU-relevante Ausbildungsmaßnahmen eingegangen.

3.5.2.1 Risikobeurteilung und Inverkehrbringen Der Begriff Risikobeurteilung (Risk Assessment) geht auf die EU-Richtlinien (s. Abschn. 3.3.1.2) zurück, die das Inverkehrbringen spezieller Produkte in der EU regeln. Beispiele derartiger Produkte und zugehörige EU-Richtlinien sind:  Maschinen nach MRL [2],  Druckgeräte (inkl. Rohrleitungen und Ausrüstungen mit Sicherheitsfunktion u.a.) nach Druckgeräte-RL[3],

3.5 Gewährleisten von Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Inbetriebnahme

233

 elektrische Betriebsmittel (u.a. Motoren) mit einer Nennspannung von 50 bis 1000 V für Wechselstrom bzw. von bis 1500 V für Gleichstrom in nicht-explosionsgefährdeten Bereichen nach Niederspannungs-RL [11],  Betriebsmittel im Sinne der EMV-RL [13] In diesen Richtlinien wird im Rahmen des Konformitätsbewertungsverfahrens gefordert, eine Risikobeurteilung bezogen auf dem Umgang mit dem betreffenden Produkt durchzuführen. Einige der dabei verwendeten Begriffe sind nachfolgend definiert. Risikobeurteilung ist eine Risikoanalyse mit anschließender Risikobewertung Risikoanalyse ist das Identifizieren von Gefährdungen und deren Ursachen sowie die Bestimmung der potentiellen Konsequenzen und deren Eintrittswahrscheinlichkeiten Risikobewertung ist das Einschätzen des potentiellen Schweregrads einer Gefährdung sowie der Eintrittswahrscheinlichkeit und Vergleich mit einem Bewertungsmaßstab (Sollzustand) Gefährdung ist die Möglichkeit eines Schadens oder einer gesundheitlichen Beeinträchtigung unabhängig von deren Ausmaß oder Eintrittswahrscheinlichkeit Risiko ist das Produkt aus Eintrittswahrscheinlichkeit und Auswirkung eines Ereignisses

Die Risikobeurteilung dient letztlich zur Verbesserung der Anlagensicherheit (s. Definition in Abschn. 3.1). Der frühere Begriff Gefahrenanalyse wird nicht mehr genutzt. Der Begriff Gefährdungsbeurteilung ist in diesem Zusammenhang falsch. Er hat eine andere Bedeutung und betrifft die Ermittlung und Bewertung relevanter Gefährdungen der Beschäftigten vor dem erstmaligen Arbeitsantritt. Sie dient letztlich zum Nachweis der Arbeitssicherheit und soll gegebenenfalls notwendige Arbeitsschutzmaßnahmen identifizieren und festlegen (s. Abschn. 3.5.2.4). Die Risikobeurteilung ist mehr als die Risikoanalyse, indem sie deren Ergebnisse (Gefährdungen, Ursachen, potentielle Konsequenzen und Wahrscheinlichkeiten) mit einem Sollzustand (Zielvorgabe, Akzeptanzkriterium, Bewertungsmaßstab) vergleicht, bewertet und somit nachprüfbar quantifiziert. Bei der Risikobeurteilung werden Gefährdungen und Risiken für Personen, Umwelt und Vermögen betrachtet, die von der Anlage ausgehen. Das heißt:  Quelle der Gefährdung ist die Anlage,  Schutzziele sind Mensch, Umwelt, Vermögen, Image u.a. Grundsätzlich gilt, auch wenn für die Gesamtanlage keine EU-Konformität erklärt wird, die folgende Aussage: In verfahrenstechnischen Anlagenbauprojekten ist immer eine Risikobeurteilung für die Gesamtanlage vor deren Inverkehrbringen erforderlich! Dies resultiert zum Teil aus der Maschinenrichtlinie (MRL) [2], die für Anlagen im Sinne einer „Gesamtheit von Maschinen“ ein Konformitätsbewertungsverfahren mit Risikobeurteilung fordert. Aber auch für verfahrenstechnische Anlagen, die entsprechend dem Interpretationspapier zum Thema „Gesamtheit von Maschinen“ [71] nicht der MRL unterliegen und für die kein Konformitätsbewertungsverfahren notwendig ist (s. Abschn. 3.5.2.3), gebietet die Sorgfaltspflicht bzw. haftungsrechtliche Gründe (wegen eines möglichen Fahrlässigkeitsvorwurf) eine Risikobeurteilung vor Inverkehrbringen der Anlage durchzuführen. Aus diesem Grundsatz resultieren einige Fragen und Folgerungen:

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

a) Wann wird eine verfahrenstechnische Anlage in Verkehr gebracht?  Die Frage wurde bereits in Abschnitt 1.2 beantwortet. Nachfolgend sind die Ergebnisse nochmals kurz zusammengefasst. 1.) Entsprechend der Begriffsdefinition Inverkehrbringen in der MRL (s. Abschn. 3.3.1.2, Buchst. a) bzw. Glossar) wird eine Maschine „bei ihrer erstmaliger Bereitstellung (…) in der Gemeinschaft im Hinblick auf (…) ihre Benutzung“ in Verkehr gebracht. Gemäß der Druckgeräte-RL [3] und der anderen harmonisierten EU-Richtlinien ist das Inverkehrbringen eines Produkts dessen „erstmalige Bereitstellung auf dem Unionsmarkt“. Die Frage lautet nun, im Analogieschluss bezogen auf verfahrenstechnische Anlagen: Wann beginnt in verfahrenstechnischen Anlagenprojekten die Benutzung bzw. die Bereitstellung der Anlage? Aus Sicht des Autors und vieler Fachkollegen kann die Antwort nur sein: Die erstmalige Bereitstellung bzw. Benutzung einer verfahrenstechnischen Anlage erfolgt (spätestens) mit Beginn der Inbetriebnahme. Das heißt; Die Anlage wird zum Zeitpunkt „Protokollierung Mechanischen Fertigstellung“ bzw. „Beginn Inbetriebnahme“ in Verkehr gebracht. Die vorgenannte Aussage gilt nicht nur für die Gesamtanlage, sondern grundsätzlich auch für Neben-/Teilanlagen (Package-units) (s. Abschn. 5.4), die während der Bau-/Montagephase der Gesamtanlage in Betrieb genommen werden. 2.) Eine 2. Argumentation bezüglich des Zeitpunkts „Inverkehrbringen“, die zur gleichen Aussage führt, ergibt sich aus dem Genehmigungsverfahren nach BImSchG (s. Abschn. 3.4.3). Der Gesetzgeber sieht die Inbetriebnahme als Bestandteil des genehmigten Bestimmungsgemäßen Betriebs der BImSchG-Anlage (s. Definition in Abschn. 3.4.3). Wenn die Anlage aber mit Beginn der Inbetriebnahme schon bestimmungsgemäß entsprechend Genehmigungsbescheid genutzt wird, dann muss sie zwingend vorher in Verkehr gebracht worden sein. 3.) Mitunter wird in Projekten (aus Termingründen) erst der Zeitpunkt Ende KaltInbetriebnahme bzw. Beginn Heiß-Inbetriebnahme (Anfahren) als Zeitpunkt des Inverkehrbringens gesehen. Der Autor hält diese Einschätzung für falsch. Die Gefährdungen bzgl. Gesundheit-Sicherheit-Umwelt sind während der Kalt-Inbetriebnahme nicht unerheblich (s. Abschn. 1.2). Sie nehmen „schleichend“ und für das Personal „unbewusst“ zu. Viele dieser Gefährdungen waren Gegenstand des Genehmigungsverfahrens, sodass auch die Kalt-Inbetriebnahme zum Bestimmungsgemäßen Betrieb gehört. b) Zu welchem Zeitpunkt muss die rechtsrelevante Risikobeurteilung durchgeführt werden?  Grundlage für die rechtsrelevante Risikobeurteilung muss der Anlagenzustand zum Zeitpunkt ihres Inverkehrbringens sein, d.h. der Anlagenzustand zum Zeitpunkt Mechanische Fertigstellung.

3.5 Gewährleisten von Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Inbetriebnahme

235

 Es muss letztlich im Projekt immer eine Risikobeurteilung geben, der Unterlagen mit dem Bearbeitungsstatus: AFP – Approved for Production (s. Tab. 2.19 in Abschn. 2.4.2) zugrunde lagen. Arbeitsbasis ist dafür die Inbetriebnahmedokumentation entsprechend Abschn. 2.4.3. c) Wie ist im Projekt konkret bzgl. der Risikobeurteilung zu verfahren?  In der Phase 2 (Vorplanung) sollte auf Basis der Verfahrensfließschemata und anderer bekannter Gefährdungen eine erste Grob-Risikobeurteilung erfolgen. Zur Anwendung kann zweckmäßig die WHAT-IF-Methode oder Brainstorming-Methode kommen.  Am Ende der Phase 3 (Entwurfsplanung) muss eine ausführliche Risikobeurteilung anhand der verfügbaren R&I-Fließschemata u.a. Planungsdokumente mit dem Bearbeitungsstatus: AFD (Approved for Design) erfolgen. Die Risikobeurteilung am Ende „Basic“ ist für die Genehmigungsplanung nötig, auch wenn sie dem Genehmigungsantrag nicht beigefügt wird. Sie wird gegebenenfalls auch zur rechtzeitigen Identifizierung von Aktionspunkten benötigt, die im Projekt zwingend umgesetzt werden müssen und u.U. den Projektfortgang wesentlich beeinflussen können.  Während der Risikobeurteilung im Basic Engineering sind die PLT-Sicherungseinrichtungen zu klassifizieren [72]. Gegebenenfalls sind auch die identifizierten PLT-Schutzeinrichtungen nach SIL (Safety Integrity Level) einzustufen [72][73]. PLT-Betriebseinrichtungen sind PLT-Einrichtungen, die den bestimmungsgemäßen Betrieb einer Anlage in ihrem Gutbereich dienen. Mit ihnen werden die Automatisierungsfunktionen Messen, Steuern, Regeln, Melden, Registrieren u.a. realisiert. PLT-Überwachungseinrichtungen sind PLT-Einrichtungen, die an der Grenze zwischen Gutbereich und zulässigen Fehlbereich ansprechen und das Bedienpersonal durch eine Meldung (Alarm) informieren und ggf. zu einem Eingreifen veranlassen. PLT-Schutzeinrichtungen sind PLT-Einrichtungen, die das Erreichen eines unzulässigen Fehlbereiches durch einen selbsttätigen Eingriff (Verriegelung) in den Prozess verhindern. PLT-Schadensbegrenzungseinrichtungen sind PLT-Einrichtungen, die im Fall des Eintritts eines unerwünschten Ereignisses die möglichen Auswirkungen dieses Ereignisses begrenzen.

 Vor Inbetriebnahme sind die PLT-Schutzeinrichtungen technisch und die PLTSchadenbegrenzungseinrichtungen technisch und gegebenenfalls organisatorisch zu prüfen (s. Abschn. 5.5.1).  Am Ende der Phase 6 (Ausführungsplanung) ist zu klären, wie relevant die Änderungen und/oder Präzisierungen gegenüber dem Basic-Status: AFD sind. Je nachdem ist zu entscheiden, ob die Basic-Risikobeurteilung fortgeschrieben wird oder eine neue Risikobeurteilung zweckmäßiger ist. Spätestens zu diesem Zeitpunkt sind die PLT-Schutzeinrichtungen nach SIL zu klassifizieren.  Am Ende der Phase 8 (Bau/Montage) sind die Änderungen gegenüber dem geplanten Ausführungsstatus: AFC (Approved for Construction) zu prüfen und im Ergebnis über die Methode der Fortschreibung (Review oder HAZOP) zu entscheiden. Bei gravierenden Änderungen während der Beschaffung und Errichtungen sollte kein Review, sondern eine neue, aktuelle Risikobeurteilung durchgeführt werden.  In jedem Fall muss die letzte Risikobeurteilung vor Beginn Inbetriebnahme stattfinden und die zugehörigen Dokumente auf dem Status: AFP basieren.

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

d) Wie wird die Risikobeurteilung für die Gesamtanlage durchgeführt?  Für die Risikobeurteilung in der Produkt- und Anlagenwirtschaft werden sowohl vorwärts gerichtete, induktive Methoden wie z.B. ▪ HAZOP-Methode (Hazard and Operation Study) bzw. PAAG (Prognose, Auffinden, Abschätzen, Gegenmaßnahmen) [1], ▪ FMEA-Methode (Failure Mode and Effect Analysis) [74], ▪ Ereignisablaufanalyse (ETA – Event Tree Analysis) [75], als auch rückwärts gerichtete, deduktive Methoden, wie z.B. ▪ Fehlerbaumanalyse (FTA – Fault Tree Analysis) [76] genutzt. Für Maschinen sind u.a. in [77] [78] nähere Angaben gemacht.  Für die verfahrenstechnische Anlagen wird meistens die HAZOP-Methode angewandt. Die HAZOP-Methode [1] ist eine formalisierte Methode, die die Anlage ▪ in Teilanlagen (sog. Node) strukturiert, ▪ Gefährdungen auf Basis von definierten Leitworten (Szenarien) generiert, ▪ für jede Teilanlage die leitwort-basierten Gefährdungen deren Auswirkungen, Wahrscheinlichkeiten und Restrisiken bezüglich definierter Schutzziele MIT und OHNE vorhandene Sicherheitsmaßnahmen analysiert und bewertet (quantifiziert), ▪ bei Bedarf zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen erarbeitet, um das Restrisiko für das Erreichen der Schutzziele auszuschließen bzw. auf ein vertretbar geringes Maß zu verkleinern.  Die standardisierten Leitworte, die im Vergleich zum Nennzustand zu verstehen sind, enthält Tabelle 3.24. Tabelle 3.24 Typische Leitworte der HAZOP-Methode 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Fluss (Mehr Fluss / Weniger Fluss / Rückfluss) Druck (Höherer Druck / Niedrigerer Druck / Vakuum) Temperatur (Höhere Temperatur / Niedrigere Temperatur) Stand (Hochstand / Tiefstand) Zusammensetzung (Veränderte Zusammensetzung / Anderes Produkt) Sonstiges (Korrosion, Leckage, Brand, Explosion, Bedienfehler, Gewicht, Schwingung u.ä.)

Die Inbetriebnahmezustände sind bei der Beurteilung der Gefährdungen, die sich aus den Leitworten ableiten, zu berücksichtigen. Im Leitwort „Sonstiges“ sind Szenarien und Gefährdungen zu betrachten, die sich nicht aus den Standard-Leitworten ableiten, aber für das betrachtete Node relevant sind. Übergreifende Gefährdungen (s. Tab. 3.25), die die gesamte Anlage betreffen, können auch zusammenfassend in einer ergänzenden WHAT-IF-Studie beurteilt werden. Tabelle 3.25 Mögliche übergreifende Gefährdungen für Gesamtanlage 1. 2. 3. 4. 5.

Anlagenintegrität Extreme Witterungseinflüsse Infrastruktur der Umgebung Security Human Factors

6. Arbeitssicherheit/Gesundheitsgefährdungen 7. Emissionen 8. Feuer / Explosion 9. Gefährdung durch Medien 10. Organisationsverschulden

3.5 Gewährleisten von Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Inbetriebnahme

237

 Die übergreifenden Gefährdungen sollten in jedem Fall während der „Auditierung der Inbetriebnahmevoraussetzungen“ (s. Abschn. 5.7) nochmals bezüglich ihrer Relevanz und Berücksichtigung kontrolliert werden. e) Wie werden die Ergebnisse der Risikobeurteilung dokumentiert und genutzt?  Die Ergebnisse sind in einem „Abschlussbericht zur Risikobeurteilung XYZ“ (RASR – Risk Assessment Summary Report) zusammenzufassen.  Die zusätzlich notwendigen Sicherheitsmaßnahmen sind als Aktionspunkte zu formulieren und bis zum Beginn der Inbetriebnahme abzuarbeiten. Falls dies nicht möglich und sicherheitstechnisch nicht notwendig ist, sind die offenen Aktionspunkte in den Rest- bzw. Mängelpunkten im Protokoll Mechanischen Fertigstellung zu erfassen (s. Abschn. 5.8.2).

3.5.2.2 Betriebsanleitungen und Inbetriebnahmeanleitung a) Betriebsanleitungen für Anlagenkomponenten  In den EU-Richtlinien für Anlagenkomponenten wird vom Hersteller bzw. seinem Bevollmächtigten gefordert, welche technischen Unterlagen vor Inverkehrbringen des Produkts verfügbar sein müssen (s. Abschn. 3.3.1.2).  Als Teil dieser Unterlagen wird auch eine produktspezifische Betriebsanleitung aufgeführt, die in der ATEX-Herstellerrichtlinie [8] wie folgt definiert ist: Die Betriebsanleitung beinhaltet die für die Inbetriebnahme, Instandhaltung, Inspektion, Überprüfung der Funktionsfähigkeit und gegebenenfalls Reparatur des Geräts oder Schutzsystems notwendigen Pläne und Schemata sowie alle zweckdienlichen Angaben insbesondere im Hinblick der Sicherheit.

 Die Betriebsanleitung ist für die Inbetriebnahme wichtig, da sie Hinweise des Herstellers an den Nutzer im Umgang mit dem Produkt enthält, sodass diesem und dem Produkt kein Schaden entsteht und die Nutzung erfolgreich ist. Das gilt auch für Vorgaben zur In- und Außerbetriebnahme. Die Einhaltung der Angaben in der Betriebsanleitung ist zugleich Voraussetzung für die Gewährleistung des Herstellers bzw. Lieferanten.  Die einzelnen Betriebsanleitungen werden darüber hinaus auch in die übergreifenden, ganzheitlichen Maßnahmen zur Inbetriebnahme der Gesamtanlage eingearbeitet bzw. wird auf sie Bezug genommen.  Beachtet der Nutzer die Vorgaben aus der Betriebsanleitung nicht, setzt er sich rechtlich gesehen den Vorwurf der Fahrlässigkeit aus. Ferner droht sein Gewährleistungsanspruch verloren zu gehen.  Mindestangaben, die gemäß der geltenden EU-Richtlinie eine Betriebsanleitung enthalten muss, sind u.a. in Abschn. 3.3.1.2 für ▪ für Maschinen [2] (Tab. 3.2) und für Druckgeräte [3] (Anhang I, Ziff. 3.4) sowie ▪ für Geräte und Schutzsysteme in explosionsgefährdeten Bereichen [8] (Tab. 3.5) nachzulesen.  Die Betriebsanleitung ist streng von der Betriebsanweisung (s. Abschn. 3.5.2.4) zu unterscheiden. b) Betriebsanleitung für Gesamtanlage (Synonym: Inbetriebnahmeanleitung)  Mitunter wird in der Praxis die Notwendigkeit einer eigenständigen Betriebsanleitung für die Gesamtanlage angezweifelt und der Aufwand gescheut. Es wird auf die Be-

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

rücksichtigung der Inbetriebnahmebelange innerhalb der Herstellerdokumentationen und des Betriebshandbuchs verwiesen.  Dieser vorgenannten Ansicht wird aus folgenden Gründen heftig widersprochen: ▪ Wenn der Gesetzgeber für das Inverkehrbringen von Maschinen, Druckgeräten, elektrischen Betriebsmitteln u.a. Produkten eine zugehörige Betriebsanleitung fordert, so gelten diese Erwägungen und Gründe erst recht für das Inverkehrbringen einer komplexen und risikobehafteten verfahrenstechnischen Anlage. Das heißt, eine Betriebsanleitung für die Gesamtanlage ist, auch aus haftungsrechtlichen Gründen, dringend angeraten. ▪ Im vorliegenden Buch wird die Betriebsanleitung für die Gesamtanlage als Inbetriebnahmeanleitung bezeichnet und wie folgt definiert: Die Inbetriebnahmeanleitung beinhaltet die Zusammenstellung der sicherheitlichen, verfahrenstechnischen, technischen und organisatorisch-administrativen Leitlinien für eine vertragsgemäße Inbetriebnahme.

▪ Die Gefährdungen, die von der komplizierten Anlage ausgehen, sind größer als bei einen Produkt. Es bedarf aus diesem Grund ausführlicher Vorgaben des Herstellers/Inverkehrbringers der Anlage (z.B. des Generalunternehmers gemäß Abschn. 4.3.2.1) an den Nutzer (dem Inbetriebnehmer), damit er erfolgreich arbeiten kann. Diese Vorgaben muss er bis zum Inverkehrbringen (Zeitpunkt Mechanische Fertigstellung gemäß Abschn. 3.5.2.1, Buchst. a)) der Gesamtanlage erarbeiten und zusammen mit der Anlage an den Inbetriebnahmeleiter übergeben. Kauft der Auftraggeber/Investor die Lieferungen und Leistungen für die Anlage selbst ein, so ist er der Inverkehrbringer der Gesamtanlage und für die Erarbeitung der Inbetriebnahmeleitung verantwortlich. Er kann diese Aufgabe und Verantwortung gegebenenfalls in Rahmen eines Engineeringvertrags an einen Dritten (z.B. Generalplaner gemäß Ingenieurvertrag in Abschn. 4.3.2.2) übertragen. ▪ Der Hersteller/Inverkehrbringer der Anlage sollte in seinem Interesse die Gesamtbetriebsanleitung nutzen, um seine Garantie-/Gewährleistungsvoraussetzungen inkl. zugehöriger Aufzeichnungsvorgaben zu formulieren. ▪ Die Inbetriebnahmeanleitung bzw. Gesamtbetriebsanleitung ist in erster Linie als Arbeitsunterlage des Leitpersonals gedacht. Sie beinhaltet grundsätzliche Informationen in Form von Leitlinien. ▪ Der Verweis auf die ohnehin vorgesehenen Betriebsanweisungen ist fachlich nicht begründet. Die Betriebsanweisungen sind sehr konkrete, schriftliche Anordnungen. Sie untersetzen die Leitlinien aus der Inbetriebnahmeanleitung, können diese aber nicht ersetzen. Eine vorliegende Inbetriebnahmeanleitung erleichtert aber wesentlich die Ausarbeitung der Betriebsanweisungen und des Betriebshandbuches. ▪ Nicht zuletzt erfolgt beim Erarbeiten der Inbetriebnahmeanleitung eine Qualitätsprüfung der Planungsdokumente. Es wird an Hand der vorliegenden Anlagendokumente nochmals kontrolliert, ob die geplante Anlage effizient in Betrieb genommen sowie bestimmungsgemäß genutzt werden kann. Zusammenfassend ist festzustellen: In der Berufspraxis des Verfassers hat es sich stets als sehr vorteilhaft erwiesen, wenn für die Inbetriebnahme verfahrenstechnischer Anlagen eine eigenständige Inbetriebnahmeanleitung (Gesamtbetriebsanleitung) vorlag.

3.5 Gewährleisten von Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Inbetriebnahme

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Umgekehrt waren in solchen Fällen, wo es Schwierigkeiten und Mehrkosten bei der Inbetriebnahme gab, fast immer die Unterlagen (Vorgaben, Hinweise) für die Inbetriebnahme der Gesamtanlage mangelhaft bzw. nicht vorhanden. c) Erarbeiten der Inbetriebnahmeanleitung  Die Inbetriebnahmeanleitung bzw. Gesamtbetriebsanleitung sollte parallel zur Errichtung der Anlage erarbeitet werden, nachdem die Betriebsanleitungen der Hersteller bzw. Lieferanten vorliegen. Verantwortlich ist der Hersteller bzw. Inverkehrbringer der Gesamtanlage.  Entsprechend dem primären Zweck der Inbetriebnahmedokumentation, vorrangig dem erfahrenen ingenieurtechnischen Personal zu dienen, ist sie nur auf das Wesentliche beschränkt. Detailhandlungen im Sinne eines „exakten Kochrezeptes“ werden nicht fixiert. Tabelle 3.26 enthält eine bewährte Gliederung. Tabelle 3.26 Hauptpunkte einer Inbetriebnahmeanleitung (Praxisbeispiel) 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

12

13 14 15 16

Grundlagen und Erläuterungen Sicherheitshinweise Entwurfsdaten (Design Basis) Spezifikation des Bestimmungsgemäßen Betriebs Vorgaben zur Reinigung der Anlage Sicherheits- und Funktionsprüfungen inkl. Wasserfahrt Mechanische Fertigstellung und Inbetriebnahmevoraussetzungen Übernahme von Energien und Hilfsstoffen Herstellen der Betriebsbereitschaft (Kalt-Inbetriebnahme) Hauptschritte der Heiß-Inbetriebnahme Anfahren der Teilanlagen und Gesamtanlage mit jeweils  Voraussetzungen für die Inbetriebnahme der Teilanlage bzw. Gesamtanlage  Beschreibung des Anfahrens (Anfahrschritte) Abfahren und Außerbetriebnahme der Anlage bzw. von Anlagenteilen  planmäßiges Abfahren bzw. Außerbetriebnahme  störungsbedingtes und havariemäßiges Abfahren bzw. Außerbetriebnahme Leistungsfahrt inkl. Leistungsnachweis und Abnahme Hinweise zur Fehlersuche (Störungsdiagnose) Instandhaltung (Wartung, Inspektion, Instandsetzung) Verschleiß- und Ersatzteile (für Inbetriebnahme- und Gewährleistungszeitraum)

Beilagen 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Inertisierungsprogramm Programm der Sicherheits- und Funktionsprüfungen (Komplexe Funktionsprüfungen) Analysenprogramm Anfahrvorschrift Mehrkammerofen Vorschrift zum Aktivieren des Katalysators Inbetriebnahme der Energie- und Hilfsstoffsysteme inkl. zugehörige Infrastruktur Ablaufplan für Heiß-Inbetriebnahme Programm der Leistungsfahrt inkl. Leistungsnachweis Ausbildungsprogramm für das Leit-, Anlagen- und Servicepersonal des Käufers

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

 Weitere Erfahrungen, die bezüglich einzelner Hauptpunkte der Inbetriebnahmeanleitung in Tabelle 3.26 näher beachtet werden, sind: ▪ Der Punkt 4 (Spezifikation des Bestimmungsgemäßen Betriebs) beinhaltet die Angaben wesentlicher Prozessparameter, gegebenenfalls auch von zulässigen Grenzwerten, des genehmigten Bestimmungsgemäßen Betriebs. Es soll insbesondere der Anlagen-Sollzustand im Nennzustand/Normalbetrieb nach dem Einfahren definiert werden (s. Abschn. 6.5). Dies kann z.B. eine Zusammenstellung aller Betriebsparameter mit dem zulässigen Minimal- und Maximalwerten im Normalbetrieb sein. Somit wird die Frage beantwortet: „Wann befindet sich die Anlage im Nennzustand bzw. Normalbetrieb?“ Wird dieser Nennzustand nicht erreicht, sollen Hinweise zur Fehlersuche unter Punkt 14 helfen. ▪ Unter Punkt 7 ist konkret der Anlagen-Sollzustand zu Beginn der Inbetriebnahme nach der Mechanischen Fertigstellung zu fixieren. In der Praxis wird der Inbetriebnahmeleiter nicht selten gedrängt, trotz erheblicher Montagerestpunkte u.a. Restleistungen, mit der Inbetriebnahme zu beginnen. Die klare Formulierung der Startvoraussetzungen in der Inbetriebnahmeanleitung ist für ihn, wie für das gesamte Management, eine fundierte Basis für eine sachliche, fachbezogene Diskussion und Entscheidung über den Beginn der Inbetriebnahme (s. auch Tabellen 5.23 und 5.24 in Abschn. 5.7). Analoges gilt für den Übergang von der Kalt- zur Heiß-Inbetriebnahme gemäß Punkt 9. ▪ Die Angaben unter Punkt 15 beinhalten insbesondere einen Wartungs- und Inspektionsplan für die Gesamtanlage. Dieser muss auf Basis der Angaben in den zahlreichen Produkt-Betriebsanleitungen zusammengestellt werden. ▪ Unter Punkt 16 ist eine Ersatz- und Verschleißteilliste für die Gesamtanlage zu erarbeiten.  Wichtige Bestandteile der Inbetriebnahmeanleitung sind die Beilagen bzw. Anhänge. Sie beinhalten Dokumente, die für eine systematische sowie fachlich fundierte Vorbereitung und Durchführung der Inbetriebnahme wichtig sind. Dabei geht es nicht um viel Papier oder um eine Perfektionierung der Inbetriebnahmeplanung, sondern darum, dass die einzelnen Vorgänge/Handlungen prinzipiell durchdacht und kurz dokumentiert werden. Ein wichtiges Dokument, welches in vielen Projekten vernachlässigt wird, ist das Ausbildungsprogramm für das Kundenpersonal (s. Abschn. 5.2).  Die Inbetriebnahmeanleitung dient oftmals auch als Grundlage für die Erarbeitung der Betriebs- und Inbetriebnahmeanweisungen, worauf in Abschnitt 3.5.2.4 eingegangen wird.  Beim Anlagenexport in Länder mit wenig geschultem Personal werden vom Verkäufer mitunter noch zusätzlich Anlagenlehrbücher erarbeitet, die auf leicht verständliche Weise dem Personal das Verfahren und die Anlage nahe bringen.

3.5.2.3 Konformitätserklärungen vor Inverkehrbringen a) Konformitätserklärungen für Produkte (Anlagenkomponenten)  In den EU-Richtlinien für Anlagenkomponenten wird vom Hersteller bzw. seinem Bevollmächtigten gefordert, vor dem Inverkehrbringen ein Konformitätsbewertungs-

3.5 Gewährleisten von Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Inbetriebnahme

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verfahren durchzuführen. Im Ergebnis dieses Verfahrens ist für das Produkt eine EUKonformitätserklärung auszustellen und am Produkt ein CE-Kennzeichen anzubringen.  Mit der Konformität wird bestätigt, dass beim Inverkehrbringen des Produkts die Anforderungen der relevanten EU-Richtlinie eingehalten w3rden. Der Inhalt einer Konformitätserklärung ist in Abschn. 3.3.1.2 ▪ für Maschinen [2] in Tab. 3.1, ▪ für Druckgeräte [3] in Tab. 3.3 und ▪ für Geräte und Schutzsysteme in explosionsgefährdeten Bereichen [8] in Tab. 3.6 angegeben. b) Konformitätserklärungen für verfahrenstechnische Anlagen Da zum Zeitpunkt Mechanische Fertigstellung, d.h. mit Beginn der Inbetriebnahmephase, die verfahrenstechnische Anlage in Verkehr gebracht wird (s. Abschn. 3.5.2.1, Buchst. a)), ist zu diesem Zeitpunkt die Frage zu beantworten: Muss für die verfahrenstechnische Gesamtanlage die EG-Konformität erklärt werden? Die Fragestellung ergibt sich grundsätzlich aus der Maschinenrichtlinie (MRL) [2] nach folgenden, aus dem Interpretationspapier zum Thema „Gesamtheit von Maschinen“ [71] zitierten Sachverhalt: Gemäß Artikel 2, Buchstabe a, 4. Gedankenstrich der MRL bzw. § 2, Nummer 2, Buchstabe d der Maschinenverordnung ist eine „Maschine“ auch:  eine Gesamtheit von Maschinen […] oder von unvollständigen Maschinen […], die, damit sie zusammenwirken, so angeordnet sind und betätigt werden, dass sie als Gesamtheit funktionieren.

Da in nahezu jeder verfahrenstechnischen Anlage mehrere Maschinen zum Einsatz kommen, stellt sich rechtlich die Frage, ob die verfahrenstechnische Anlage auch immer eine „Gesamtheit von Maschinen“ darstellt und auf Grund dessen für die verfahrenstechnische Gesamtanlage immer eine EG-Konformitätserklärung auszustellen ist. Die Antwort gibt das zuvor erwähnte Interpretationspapier. Dieses Dokument gibt Hilfestellung bei der Interpretation der Begriffsdefinition „Gesamtheit von Maschinen“ gemäß der MRL. Das Interpretationspapier enthält das in Abb. 3.16 dargestellte Ablaufschema zur Entscheidungsfindung. Zur näheren Vorgehensweise steht in Abschnitt 2 des Interpretationspapiers: 2 Anwendung der MRL auf eine Gesamtheit von Maschinen Gemäß der Begriffsbestimmung in Abschnitt 1 (d. Verf.: Gesamtheit von Maschinen) ist damit von Bedeutung, dass 1. ein produktionstechnischer Zusammenhang dadurch gegeben ist, dass  die einzelnen Maschinen bzw. unvollständigen Maschinen als Gesamtheit in einer Weise angeordnet sind, dass sie als geschlossene Einheit anzusehen sind (hier wird insbesondere auf die zusammenhängende Aufstellung abgehoben) und  die einzelnen Maschinen bzw. unvollständigen Maschinen als Gesamtheit zusammenwirken, (das bedeutet z.B., dass das Zusammenwirken auf ein gemeinsames Ziel hin ausgerichtet sein muss, beispielsweise auf die Herstellung eines bestimmten Produkts) und

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz  die einzelnen Maschinen bzw. unvollständigen Maschinen als Gesamtheit betätigt werden, d.h. über eine gemeinsame oder übergeordnete, funktionale Steuerung oder gemeinsame Befehlseinrichtungen verfügen und 2. die einzelnen Maschinen bzw. unvollständigen Maschinen sicherheitstechnisch als Gesamtheit funktionieren und damit auch in dieser Hinsicht eine Einheit bilden (sicherheitstechnischer Zusammenhang). Das ist der Fall, wenn Maschinen und/oder unvollständige Maschinen so miteinander verbunden sind, dass ein Ereignis, das bei einem Bestandteil der Anlage auftritt, zu einer Gefährdung bei einem anderen Bestandteil führt und für diese „Gesamtheit“ sicherheitstechnische Maßnahmen ergriffen werden müssen, um im Gefährdungsfall alle diese Bestandteile in einem gefahrlosen Zustand zu bringen. Werden Einzelmaschinen ausschließlich durch ein gemeinsames NOT-HALTBefehlsgerät verbunden, entsteht nicht allein durch diese Verbindung bereits eine Gesamtheit von Maschinen.

Abb. 3.16 Entscheidungshilfe – Gesamtheit von Maschinen nach Maschinenrichtlinie (MRL) gemäß dem Interpretationspapier in [71]

Im konkreten Fall ist somit in zwei Schritten unter Nutzung von Abb. 3.16 wie folgt zu prüfen:

3.5 Gewährleisten von Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Inbetriebnahme

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1. Schritt: Gibt es zwischen den einzelnen Maschinen bzw. unvollständigen Maschinen einen produktionstechnischen Zusammenhang?  In vielen Fällen wird es gemäß den Kriterien im zitierten Abschnitt 2. des Positionspapiers einen produktionstechnischen Zusammenhang geben (Antwort: ja), da die Maschinen ▪ als Gesamtheit angeordnet sind, ▪ als Gesamtheit zusammenwirken und ▪ als Gesamtheit betätigt werden. 2. Schritt: Gibt es zwischen den einzelnen Maschinen bzw. unvollständigen Maschinen einen sicherheitstechnischen Zusammenhang?  In vielen Fällen wird es gemäß den Kriterien im zitierten Abschnitt 2. des Positionspapiers keinen sicherheitstechnischen Zusammenhang geben (Antwort: nein), da ▪ bei einer sicherheitsgerichteten Abschaltung einer gefährdeten Maschine häufig nicht zeitgleich die andere bzw. die anderen Maschinen abgeschaltet werden. Die sicherheitsgerichtete Steuerung (Verriegelung) der gefährdeten Maschine wirkt nicht direkt auf die andere Maschine/-nen, sondern diese Maschine/-nen haben eine eigene sicherheitsgerichtete Steuerung, die sie im Gefahrenfall selbst schützen und auch abschaltet(-n). ▪ Der u.U. gegebene sicherheitstechnische Zusammenhang zwischen den Maschinen über einen gemeinsamen NOT-HALT-Schalter ist nicht relevant, da dieser Zusammenhang im Positionspapier (letzter Satz in Abschnitt 2.) ausdrücklich ausgeklammert wurde. Zur Bestätigung dieser Aussage steht im angeführten Positionspapier [71]: In der praktischen Anwendung des Begriffs der Gesamtheit von Maschinen stellt sich bei kompletten industriellen Großanlagen (z.B. Hüttenwerken, Kraftwerken oder Anlagen der chemischen Industrie) häufig die Frage, inwieweit solche Anlagen als Gesamtheit von Maschinen den Anforderungen der MRL unterliegen. Bei Anwendung der beschriebenen Entscheidungshilfe auf industrielle Großanlagen kann zwar häufig der produktionstechnische Zusammenhang bejaht werden, i.d.R. aber nicht der sicherheitstechnische Zusammenhang. In diesem Fall unterliegen solche Anlagen als Gesamtheit nicht den Anforderungen der MRL. Es ist jedoch ggf. möglich, solche Großanlagen aus Sicht der MRL in mehrere einzelne Anlagenteile i.S. einer Gesamtheit von Maschinen zu unterteilen.

Gemäß dieser Interpretation, die der Autor auch in vielen Fachgesprächen mit Kollegen bestätigt gefunden hat, stellen viele komplexe verfahrenstechnische Anlagen somit keine „Gesamtheit von Maschinen“ im Sinne der Maschinenrichtlinie [2] dar und benötigen als Gesamtanlage keine Konformitätserklärung. Die Entscheidung, ob für die verfahrenstechnische Gesamtanlage eine Konformitätserklärung notwendig ist oder nicht, sollte im Team (zusammen mit dem Betreiber) geprüft und entschieden werden. Die Ergebnisse sind nachvollziehbar zu protokollieren. Somit können spätere Fahrlässigkeitsvorwürfe minimiert werden. Für Package-unit-Anlagen mit mehreren Einzelmaschinen ergibt die Anwendung des Ablaufschemas in Abb. 3.16 in den meisten Fällen, dass es sich um eine Gesamtheit von Maschinen im Sinne der Maschinen-RL handelt. Für sie sind deshalb i.d.R. ein Kon-

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

formitätsbewertungsverfahren durchzuführen, eine Konformitätserklärung auszustellen und an der Package-unit-Anlage an geeigneter Stelle ein CE-Kennzeichen anzubringen. Sollte im Anlagenvertrag eine Konformitätserklärung für die komplexe verfahrenstechnische Anlage vereinbart sein, obwohl dies gemäß dem Interpretationspapier nicht erforderlich wäre, so ist dies grundsätzlich auch möglich. Sofern die  laut Konformitätsverfahren notwendige Risikobeurteilung durchgeführt und deren Ergebnisse in der Anlage umgesetzt sind und  bei der Anlagenrealisierung alle relevanten Rechtsvorschriften eingehalten wurden, kann ohne Einschränkungen für die Gesamtanlage die EU-Konformitätserklärung ausgestellt und das CE-Kennzeichen angebracht werden. Der Anlagenbetreiber muss allerdings später, bei wesentlichen gesundheits- und/oder sicherheitsrelevanten Änderungen immer wieder für die Gesamtanlage die Konformitätserklärung verwalten und fortschreiben. Das ist aufwendig und kostenintensiv. Abschließend soll noch diskutiert werden, inwieweit aus der Druckgeräte-RL [3] eine Konformitätserklärung für die Gesamtanlage im Sinne „Gesamtheit von Druckgeräten“ resultiert, sofern in der Anlage mehrere Druckgeräte eingesetzt werden. Dazu steht in der Präambel der Druckgeräte-RL unter Punkt (7). (7) Diese Richtlinie sollte auch für Baugruppen gelten, die aus mehreren Druckgeräten bestehen und eine zusammenhängende funktionelle Einheit bilden. Diese Baugruppen können von einfachen Baugruppen wie einem Schnellkochtopf bis zu komplexen Baugruppen wie einem Wasserrohrkessel reichen. Ist eine solche Baugruppe vom Hersteller dafür bestimmt, als Baugruppe – und nicht in Form nicht zusammengebauter Bauteile – in Verkehr gebracht und in Betrieb genommen zu werden, sollte sie dieser Richtlinie entsprechen. Diese Richtlinie sollte dagegen nicht für den Zusammenbau von Druckgeräten gelten, der – beispielsweise in Industrieanlagen – auf dem Gelände und unter Verantwortung eines Anwenders erfolgt, der nicht der Hersteller ist.

Aus Sicht des Autors bedeutet der letzte Satz, dass eine verfahrenstechnische Anlage mit mehreren Druckgeräten nicht als Baugruppe bestehend aus mehreren Druckgeräten zu verstehen ist und somit aus der Druckgeräte-RL nicht die Notwendigkeit einer Konformitätserklärung für die verfahrenstechnische Anlage als Ganzes abzuleiten ist.

3.5.2.4 Gefährdungsbeurteilungen und Betriebsanweisungen inkl. Inbetriebnahmeanweisungen a) Gefährdungsbeurteilungen Die Gefährdungsbeurteilung ist der Prozess, bei dem der Arbeitgeber die Arbeitsbedingungen beurteilt, indem er  die Gefährdungen, die für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbunden sind, ermittelt,  die Beurteilung vornimmt, ▪ ob die vorhanden und bereits praktizierten Maßnahmen des Arbeitsschutzes ausreichen oder ▪ Handlungsbedarf besteht und zusätzliche Maßnahmen des Arbeitsschutzes festgelegt werden müssen,

3.5 Gewährleisten von Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Inbetriebnahme

245

 sowie die ermittelten Gefährdungen und die festgelegten Maßnahmen (Vorkehrungen) des Arbeitsschutzes dokumentiert. Im Begriffsglossar zu den Regelwerken der BetrSichV, BioStoffV und GefStoffV [79] ist definiert: Gefährdungsbeurteilung ist die systematische Ermittlung und Bewertung relevanter Gefährdungen der Beschäftigten mit dem Ziel, erforderliche Maßnahmen für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit festzulegen.

Die Gefährdungsbeurteilung zielt auf die Verbesserung der Arbeitssicherheit (s. Abschn. 3.1). Schutzziele sind, wie bei der Risikobeurteilung, auch der Mensch, Umwelt, Vermögen, Ansehen usw., aber Quelle der Gefährdungen ist die Tätigkeit des Menschen. Die Gefährdungsbeurteilungen sind entsprechend Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) § 5 und § 6 [45] vom Arbeitgeber für die Arbeitstätigkeiten seiner Beschäftigten zu erarbeiten und zu dokumentieren (s. Abschn. 3.3.2.4, Buchst. b)). Die grundsätzlichen Vorgaben des Arbeitsschutzgesetzes hinsichtlich notwendiger Gefährdungsbeurteilungen wurden insbesondere untersetzt für  den Umgang mit Gefahrstoffen laut GefStoffV [17] (s. Abschn. 3.3.2.2, Buchst. d)),  die Benutzung und Bereitstellung der Arbeitsmittel nach BetrSichV [7] (s. Abschn. 3.3.2.3, Buchst. c)). Im Projekt sind Gefährdungsbeurteilungen für die Arbeiten auf der Baustelle und während der Inbetriebnahme jeweils vor erstmaliger Aufnahme der Tätigkeit zu erarbeiten. Die Gefährdungen, die vom Fehlverhalten eines Operators bzw. einer Serviceperson während der Inbetriebnahme ausgehen und zu gefährlichen Betriebszuständen der Anlage (Gefährdung der Anlagensicherheit) führen können, werden bei der Risikobeurteilung erfasst. Zum Beispiel über das Leitwort Bedienfehler oder Human Factors. Der weitgehend standardisierte Ablauf einer Gefährdungsbeurteilung, auch für die Inbetriebnahmearbeiten, beinhaltet die Schritte gemäß Tabelle 3.27. Tabelle 3.27 Hauptschritte zur Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung 1. Erfassung der Betriebs-/Projektstruktur und Arbeitsorganisation 2. Definition der Betrachtungseinheit (z.B. arbeits-, verantwortungs- oder personenbezogener Bereich) 3. Identifizieren und Definieren möglicher Gefährdungen (u.a. Nutzung von Checklisten, Brainstorming) 4. Ermitteln möglicher Auswirkungen der Gefährdungen bezogen auf definierte Schutzziele 5. Bewertung der Risiken unter Beachtung von Auswirkungen und Eintrittswahrscheinlichkeit (möglichst quantifiziert mittels Risikomatrix) 6. Prüfen, ob die Schutzziele erreicht und die Restrisiken vertretbar sind 7. gegebenenfalls Erarbeiten zusätzlicher Schutzvorkehrungen und Kontrolle, ob damit die Schutzziele erreicht bzw. Risiken ausreichend verringert werden 8. Festlegen von Aktionspunkten (Maßnahmen) mit Terminen, Verantwortlichkeiten und Erfüllungskontrollen 9. Dokumentation der Ergebnisse und Zugänglichmachung für die Beschäftigten

Detaillierte Vorgaben sind u.a. im Technischen Regelwerk [80][81] zur BetrSichV und zur GefStoffV enthalten.

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

Die Vorgehensweise bei der Gefährdungsbeurteilung ist analog zur HAZOP-Methode bei der Risikobeurteilung (s. Abschn. 3.5.2.1). Die Schwierigkeit besteht in der Praxis darin, alle möglichen Gefährdungen zu identifizieren, sachkundig das realistische Risiko zu ermitteln und gegebenenfalls geeignete Schutzmaßnahmen zu finden. Falls es als Vorzugsvariante nicht möglich ist, durch technische Schutzmaßnahmen das Restrisiko auszuschließen bzw. zumindest ausreichend zu minimieren, müssen organisatorische (Ersatz-)Maßnahmen ergriffen werden. Dazu gehören insbesondere die Betriebsanweisungen. b) Betriebsanweisungen Durch Betriebsanweisungen wird das Verhalten der Beschäftigten im Hinblick von Sicherheit und Gesundheitsschutz reglementieren. Die Begriffsdefinition lautet nach [82]: Eine Betriebsanweisung umfasst arbeitsplatz-, tätigkeits- und stoffbezogene verbindliche schriftliche Anordnungen und Verhaltensregeln des Arbeitgebers an Beschäftigte. Sie dienen dem Schutz vor Unfallgefahren, Gesundheits-, Brand- und Explosionsgefährdungen sowie dem Schutz der Umwelt bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen

Die Betriebsanweisung ist de facto ein Befehl des Arbeitgebers an weisungsgebundene Arbeitgeber. Sie unterscheidet sich grundlegend von der Betriebsanleitung, die Hinweise und Empfehlungen des Produkt- bzw. Anlagenherstellers im Umgang mit dem Produkt bzw. der Anlage enthält (s. Abschn. 3.5.2.2). Der Gesetzgeber verweist in zahlreichen Rechtsvorschriften, wie z.B. in  der Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) [17],  der Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) [7],  der Verordnung über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen (AwVS) [43],  dem Bundesberggesetz [66] und abgeleiteten Verordnungen, auf notwendige Betriebsanweisungen. Grundsätzlich lässt sich feststellen: Sobald der Gesetzgeber für bestimmte Anlagen bzw. Anlagenkomponenten eine „Prüfung vor Inbetriebnahme“ fordert, verlangt er für den Umgang mit diesen Anlagen/Komponenten i.d.R. auch eine Betriebsanweisung. Die Angaben in Tab. 5.15 in Abschn. 5.5.1 bestätigen dies. Verantwortlich für deren Vorliegen und Einhaltung ist der zuständige Arbeitgeber bzw. der zuständige weisungsbefugte Leiter (z.B. Baustellenleiter, Inbetriebnahmeleiter, Betriebsleiter). Darüber hinaus obliegt es dem jeweiligen Verantwortlichen zu entscheiden, für welche sonstigen Tätigkeiten seiner Mitarbeiter verbindliche Verhaltensvorschriften bzw. Handlungsanleitungen erforderlich sind. Welche Betriebsanweisungen vom Management im konkreten Fall für erforderlich erachtetet werden, hängt u.a. ab, von  der Neuheit und Kompliziertheit des Verfahrens und der Anlage,  der Qualifikation, Erfahrung, Mentalität des Anlagenpersonals,  der Rechtssituation am Standort,  der Unternehmensphilosophie. In der Praxis ist dies, selbst bei vergleichbaren Anlagen, sehr unterschiedlich.

3.5 Gewährleisten von Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Inbetriebnahme

247

Wer aus Angst vor möglichen Versäumnisvorwürfen versucht ist, viele Vorgänge/Handlungen durch Betriebsanweisungen zu reglementieren, begeht u.U. einen gravierenden organisatorischen Fehler. Dieser besteht darin, dass gegebenenfalls die große Anzahl an Betriebsanweisungen nicht mehr vermittelbar und somit nicht praktikabel ist. Speziell zur Gewährleistung der Anlagensicherheit sollten technische Maßnahmen als Sicherheitsvorkehrungen, wenn irgend möglich, der organisatorischen Maßnahme in Form einer Betriebsanweisung vorgezogen werden. Beim Erarbeiten und im Umgang mit Betriebsanweisungen sind die Hinweise in Tabelle 3.28 zu beachteten. Tabelle 3.28 Hinweise zum Erarbeiten und zum Umgang mit Betriebsanweisungen         

schriftliche Form klare und logische Gliederung sowie verständliche Form tätigkeitsbezogene Darstellung der Sachverhalte exakte und eindeutige Aussagen in Sprache und Wortschatz des Betroffenen formuliert Übereinstimmung mit Fachkenntnissen des Betroffenen Unterrichtung und Unterweisung des Betroffenen über die Betriebsanweisung schriftliche Bestätigung der Unterrichtung und Unterweisung durch den Betroffenen Zugänglichmachen der Betriebsanweisung (aushängen, auslegen, aushändigen)

Im Weiteren werden die Betriebsanweisungen in folgende 3 Kategorien unterteilt: 1. Kategorie: Betriebsanweisungen, die in Rechtsvorschriften gefordert werden. In Abb. 3.17 ist als Beispiel eine Betriebsanweisung im Umgang mit Aceton dargestellt, die entsprechend § 14, Abs. 1 der Gefahrstoffverordnung [17] erarbeitet wurde. Betriebsanweisungen in dieser Form und ähnlich sind gebräuchlich für den Umgang mit Gefahrstoffen, wie auch für die Nutzung technischer Arbeitsmittel. Sie sind teils als Muster-Betriebsanweisungen über die Berufsgenossenschaften zu beziehen. Beispiele sind Betriebsanweisungen für:  Umgang mit Gefahrstoffen,  Nutzung von Anlagen mit wassergefährdenden Stoffen (s. Muster-Inhaltsverzeichnis einer Betriebsanweisung in Tabelle 3.29),  Betrieb, Wartung und Prüfung von Dampfkesselanlagen,  Arbeiten in explosionsgefährdeten Bereichen,  Bedienung, Wartung, Prüfung von Kranen und anderen kraftbetätigten Hebezeugen,  Führen von Flurförderzeugen (Gabelstapler). 2. Kategorie: Betriebsanweisungen, die gemäß der gegebenen Gefährdungssituation und den eigenen Sicherheitserwägungen, vom Management für notwendig erachtet werden. Für den Betrieb verfahrenstechnischer Anlagen reichen die gesetzlich vorgeschriebenen „Pflichtbetriebsanweisungen“ der 1. Kategorie nicht, um den Schutz von Gesundheit – Sicherheit – Umwelt zu gewährleisten. Das häufig vorhandene, hohe Gefährdungs- und Risikopotential bei Inbetriebnahme/Betrieb verfahrenstechnischer Anlagen, erfordert weitere GSU-relevante Verhaltensvorgaben/-einschränkungen an das Personal.

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

 Betriebsbereich BETRIEBSANWEISUNG  ««««««« gemäß § 14 GefStoffV (Firmenname mit LOGO)  Arbeitsbereich: Dok.-Nr.: ««««  GEFAHRSTOFFBEZEICHNUNG   Aceton    GEFAHREN FÜR MENSCH UND UMWELT Leichtentzündlich; Dämpfe sind schwerer als Luft, mit Luft Bildung explosionsfähiger Gemische möglich. Das Einatmen von Dämpfen bei hoher Dosierung bewirkt eine Reizung auf die betroffenen Schleimhäute; bei hohen Dosierungen narkotische Zustände, evtl. Koma; Hautentfettend  SCHUTZMASSNAHMEN UND VERHALTENSREGELN  x Behälter dicht geschlossen an kühlem und gut belüfteten Ort lagern  x bei der Arbeit Absaugung einschalten oder gut lüften   x Maßnahmen gegen elektrostatische Aufladung treffen  x von Zündquellen entfernt verwenden, nicht Rauchen, kein Feuer  x nicht mehr als den Tagesbedarf am Arbeitsplatz lagern, Sicherheits gefäße verwenden  x Körperschutz: Schutzbrille, Kittel, Schutzhandschuhe, leitfähige Schuhe  x bei Auftreten von Aerosolen / Dämpfen Atemschutz, Filter A (braun)   x bei der Arbeit nicht essen und trinken sowie keine Lebens- und  Genussmittel lagern   VERHALTEN IM GEFAHRFALL Löschmittel: CO2 - Pulverlöscher oder Wasser im Sprühstrahl, auf Selbstschutz achten;  nach Auslaufen / Verschütten mit unbrennbarem flüssigkeitsbindendem Material (Sand,  Erde, Universalbinder) aufnehmen und in verschließbaren, gekennzeichneten Behältern  entsorgen; kontaminierte Flächen mit viel Wasser abwaschen; Raum gut durchlüften  ERSTE HILFE  Nach Hautkontakt: benetzte Kleidung entfernen, mit reichlich Wasser abwaschen  Nach Augenkontakt: 10 Min. mit Wasser ausspülen, Augenarzt aufsuchen  Nach Verschlucken: Arzt hinzuziehen, kein Erbrechen auslösen, keine Hausmittel!  Nach Einatmen: Frischluft, Arzt hinzuziehen, auf Bewußtsein und Atmung achten, ggf. stabile Seitenlage   Notruf: 112 Ersthelfer:____________  SACHGERECHTE ENTSORGUNG In gekennzeichneten, verschlossenen und chemikalienbeständigen Behältnissen zur Fachentsorgung übergeben (Abfallbeauftragter Tel. «««..).    _________________  Inbetriebnahmeleiter  Datum: 

__________________ ________________ Sicherheitskoordinator Sicherheitsingenieur Datum: Datum:

Abb. 3.17 Betriebsanweisung gemäß Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) [17] für den Umgang mit dem Gefahrstoff Aceton

3.5 Gewährleisten von Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Inbetriebnahme

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Tabelle 3.29 Muster-Inhaltsverzeichnis einer Betriebsanweisung für eine Anlage zum Lagern wassergefährdender Stoffe gemäß § 44 Abs. 1 AwVS [44] und Nr. 6.2 Abs. 4 TRwS 779 1 1.1

1.2 1.3 1.4 2 2.1

Allgemeine Pflichten Zuständigkeiten  Organisation und Personal  Regelung von Aufgaben und Verantwortungsbereichen Sicherstellung der notwendigen Sachverständigenprüfungen Instandhaltung Fachbetriebspflicht Vor Ort durchzuführende Maßnahmen Betriebliche Pflichten  Befüllen der Anlagen  Sicherung der am Be-/Entladen beteiligten Transportmittel (LKW) gegen Wegrollen, Verschieben oder Abfahren (Unterkeile unterlegen)  Beseitigung von Niederschlagswasser aus Anlagen  Einteilung von wassergefährdenden Stoffen in Abwasseranlagen

 Kontrollen im bestimmungsgemäßen Betrieb; Funktionsfähigkeit der Sicherheitseinrichtungen; Festlegung welche, wie oft, wer  Maßnahmen im gestörten Betrieb  Außer-/Wiederinbetriebnahme  Beseitigung von Störungen  Handhabung von Leckagen  Handhabung von verunreinigtem Löschwasser oder sonstigen Löschmitteln 2.3 Alarm- und Maßnahme-/Notfallplan, der wirksame Maßnahmen und Vorkehrungen zur Vermeidung von Gewässerschäden beschreibt und mit den in die Maßnahmen einbezogenen Stellen abgestimmt ist 2.3.1 Sofortmaßnahmen (z.B. Bindemittel, Barrieren) 2.3.2 Meldung nach Alarmplan, insbesondere Pflicht zur Anzeige des Austretens eines wassergefährdenden Stoffs in einer nicht nur unerheblichen Menge (betriebsindividuell zu quantifizieren: > …l bzw. kg) bei der zuständigen Behörde oder einer Polizeidienststelle 2.2

Beispiele derartiger Betriebsanweisungen, die sehr standort- und/oder kunden-/betriebsspezifisch sein können, sind:  Tragen von persönlicher Schutzausrüstung,  Befahren von Gruben, Behältern und Rohrleitungen,  Arbeiten in engen oder schwer zugänglichen Räumen oder Ausrüstungen,  Erteilung von Arbeitsfreigaben während der Inbetriebnahme,  Einweisung und Unterweisung von Personen,  Arbeiten mit möglicher gegenseitiger Gefährdung,  Verhalten bei Unfällen. Abb. 3.18 zeigt eine Betriebsanweisung für eine TKW-Entladung, die insgesamt 6 Seiten umfasste und für die beauftragte Fremdfirma als Vorgabe und Hilfe diente. Allgemeine Tendenzen im betrieblichen Umfeld vieler, weltweiter Anlagenstandorten, wie z.B.  „Einkaufen“ von wenig qualifizierten und unerfahrenen Anlagenpersonal,  Verständigungsschwierigkeiten durch unterschiedliche Sprachen,

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

Abb. 3.18 Inhaltsverzeichnis einer Betriebsanweisung für das Entladen eines Tank-Kraftwagens (TKW)

 zunehmende Ausgliederung von Produktions- und Dienstleistungen an Externe,  erhöhte Unwettergefahren (Gewitter, Starkregen, Überschwemmung, Sturm, Glatteis),  verstärkte kriminelle Aktivitäten (Einbruch, Diebstahl, Hacker-Angriffe, Terrorismus) machen immer mehr Betriebsanweisungen nötig, um das Personal zu unterstützen bzw. sein Verhalten zu steuern. 3. Kategorie: Betriebsanweisungen, die ausschließlich für die Inbetriebnahme/Außerbetriebnahme und insbesondere für das Anfahren/Abfahren der Anlage inkl. Package-units und Komponenten benötigt werden. Diese Art von Betriebsanweisungen wird mitunter auch als Inbetriebnahmeanweisung (Synonym: Anfahranweisung) bezeichnet. Sie dienen nicht nur zum Gewährleisten von Sicherheit sowie Gesundheits- und Umweltschutz, sondern gleichzeitig zum sachgerechten Anfahren der Anlage und ihrer Komponenten.

3.5 Gewährleisten von Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Inbetriebnahme

251

Ein Hauptziel der Inbetriebnahmeanweisungen (Synonym: Anfahranweisungen) ist das planmäßige Erreichen des Anlagen-Nennzustandes sowie der vertraglich vereinbarten Leistungsparameter bzw. Leistungsgarantien. Von besonderer Bedeutung sind derartige Anweisungen während der Erstinbetriebnahme einer verfahrenstechnischen Anlage, die i.d.R. mit vielen Unwägbarkeiten verbunden ist. In den Anweisungen müssen auch Vorgaben/Hinweise zum Abfahren und zur Außerbetriebnahme sowie zum Verhalten bei technologischen und/oder technischen Störungen gemacht werden. Die Angaben in Tabelle 3.30 belegen diese Spezifik und Vielfalt am Beispiel einer komplizierten, neuartigen Kunststoffanlage. Tabelle 3.30 Arten von Inbetriebnahmeanweisungen einer Kunststoffanlage (Praxisbeispiel) 1 Anweisungen für die Inbetriebnahmevorbereitung, z.B. für  das Reinigen der Anlage,  die Durchführung bestimmter Sicherheitsprüfungen,  die Durchführung von Funktionsprüfungen,  die Durchführung bestimmter Dichtheitsprüfungen. 2 Anweisungen für die Erst- und Wiederinbetriebnahme, z.B. für  das Einfüllen und Aktivieren von Katalysatoren,  das Anfahren und Hochfahren von Teilanlagen bzw. der Gesamtanlage,  das Einfahren der Anlage in den Nennzustand,  das Verhalten bei Störungen. 3 Anweisungen für den Dauerbetrieb, z.B. für  den Übergang in einen anderen Betriebszustand,  den Übergang zu einer anderen Produktfahrweise,  das Verhalten bei extremen Winterbedingungen,  das Verhalten bei definierten abweichenden Betriebsbedingungen,  die Entnahme und Analyse von Proben,  die Durchführung von Versandarbeiten. 4 Anweisungen für das Abfahren bzw. die Außerbetriebnahme, z.B. für  das Abfahren in einem Stand-by-Zustand,  die Außerbetriebnahme für einen Stillstand,  die Notabschaltung,  das Reparaturfreimachen von Teilanlagen bzw. der Gesamtanlage,  die Vorbereitung der Anlage zur Wiederinbetriebnahme.

Bewährt hat sich in der Praxis der modulare Aufbau der Anfahranweisungen in zwei Schritten. Im 1. Schritt wird die Gesamtanlage in sog. Ausrüstungstypicals unterteilt. Dies sind gleichartige Hauptausrüstungen (mitunter auch Package-units), die einheitlich gehandhabt werden können. Für die Inbetriebnahme dieser Typicals werden Standardanweisungen (Typical-Anweisungen) erarbeitet. In der Anweisung sind unbedingt die Anfahrvoraussetzungenen zu definieren und vor „Erklären der Betriebsbereitschaft“ ein Anfahrcheck nachzuweisen. Zugleich sind Hinweise zum Verhalten bei Störungen zu geben, z.B. bei Alarmen und Eingriffen. Tabelle 3.31 enthält die Gliederung einer Anfahranweisung für eine magnetgekuppelte Kreiselpumpe.

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

Die Typical-Anweisung basieren auf der Betriebsanleitung der jeweiligen Hauptausrüstung oder Package-unit. Sie können u.U. im Stammhaus des Inbetriebnahmeleiters (z.B. bei einem LSTK-Vertrag) entworfen werden und müssen dann vor Ort vom Inbetriebnahmeteam ergänzt und freigegeben werden. Tabelle 3.31 Gliederung einer Anweisung für das Ausrüstungstypical „Magnetgekuppelte Chemienormpumpe“ (Praxisbeispiel) 1

Geltungsbereich  sachlich, personell, zeitlich  Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten

2

Allgemeine Angaben zur Charakterisierung des Ausrüstungstypicals  Hersteller, Kennzeichnung  Verwendungszweck, Einordnung in Anlage  allgemeine Hinweise zur Nutzung

3 Herstellung der Betriebsbereitschaft des Ausrüstungstypicals 3.1 Angaben zur Gewährleistung der Sicherheit  Hinweise auf Gefahren  spezifische Verhaltensregeln und Sicherheitsanforderungen  notwendige Unterweisungen 3.2 Durchführung von Sicherheits- und „Kalt-Funktionsprüfungen“  Vorgaben zu Prüfungen inkl. Dokumentation  Checkliste für Beginn der Prüfungen  Vorgaben zur Durchführung inkl. Nachweispflicht 3.3 Erklärung der Betriebsbereitschaft (Freigabeprozedur) 4 4.1 4.2 4.3 4.4

Durchführung der Inbetriebnahme und Betrieb des Ausrüstungstypicals Vorgaben zum erstmaligen Anfahren Vorgaben zur Durchführung von „Heiß-Funktionsprüfungen“ Vorgaben/Hinweise zum Betrieb Vorgaben zur Außerbetriebnahme

5

Verhalten bei Störungen  z.B. Auszüge aus Betriebsanleitungen

6

Bemerkungen  z.B. Hinweise zur Wartung, Kontaktadressen

7

Unterschriften

In einem 2. Schritt werden übergreifende Systemanweisungen für das Anfahren und Abfahren der Gesamtanlage erarbeitet, wobei auf die vorgenannten AusrüstungstypicalAnweisungen verwiesen wird. Wichtige Grundlage dieser Systemanweisungen ist die Inbetriebnahmeanleitung (Synonym: Gesamtbetriebsanleitung). Tabelle 3.32 zeigt beispielhaft die Gliederung der Anfahranweisung für ein größeres Warmwassersystem. Anweisungen für prozessrelevante Teilanlagen (Synthese, Stofftrennung) können u.U. noch wesentlich umfangreicher sein. Bei Package-units ist bezüglich der notwendigen Anfahranweisungen von Fall zu Fall zu entscheiden. Bei größeren Package-units (PU) ist analog wie bei einer Systemanweisung zu verfahren. Die Typicals-Anweisungen der PU-Hauptausrüstungen werden in diesem Fall meistens in die „Anfahranweisung der Package-unit XYZ“ integriert.

3.5 Gewährleisten von Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Inbetriebnahme

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Tabelle 3.32 Gliederung einer Betriebsanweisung für das Anfahren eines prozessrelevanten Warmwassersystems einer Pharmaanlage (Praxisbeispiel) 1 2 3 4 5 5.1 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4 5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.3.4 5.3.5 5.4 5.5 5.5.1 5.5.2 6 6.1 6.2 7 8 9 10

Zweck Geltungsbereich Begriffe Zuständigkeiten Ablauf/Vorgehensweise Allgemeine Sicherheitsmaßnahmen Voraussetzungen Betriebsmittelsysteme Energiesysteme EMR- und MSR-Technik Sicherheitseinrichtungen Vorbereitende Maßnahmen Voraussetzungen Rohrleitungen Apparate Vorgaben für einzelne Armaturen Produkt oder Produktersatz Freigabe zur Inbetriebnahme Inbetriebnahme Befüllen des gesamten Systems Kaltfahren des gesamten Systems Dokumentation Aufzeichnungen Mitgeltende Unterlagen Sicherheit/Hinweise Änderungsdienst Verteiler Anhänge

Bei kleineren Package-units, deren An- und Abfahren in der zugehörigen Betriebsanleitung ausführlich beschrieben ist, reicht mitunter eine kurze Anweisung aus, die aber an mehreren Stellen auf die Betriebsanleitung verweist. Die Betriebsanleitung bzw. Auszüge davon können u.U. der Anfahranweisung als Anhang beigefügt werden.. Die hierarchische und modulare Strukturierung der Anweisungen für die Inbetriebnahme/Außerbetriebnahme und den Dauerbetrieb verringert nicht nur den Arbeits- und Textumfang, sie vermeidet zugleich auch Redundanzen zwischen verschiedenen Dokumenten und ist änderungsfreundlich. Neben den angeführten Betriebsanweisungen gibt es in verfahrenstechnischen Anlagen weitere Anweisungen, die speziellen Zielen dienen. Beispiele sind:  Verfahrensanweisungen (Prozedur im Qualitätsmanagement-System),  Instandhaltungsanweisungen,  Prüfanweisungen u.a. Abschließend zur Thematik seien noch die folgenden Hinweise angefügt:  Beim Erarbeiten der Betriebsanweisungen aller 3 Kategorien sollte der spätere Betreiber umfassend eingebunden werden, auch wenn er nicht laut Anlagenvertrag die Inbetriebnahme-Verantwortung hat. Dies schult ungemein.

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

 Erfolgt der Gefahren- und Verantwortungsübergang bereits zum Zeitpunkt Mechanische Fertigstellung, so muss der Betreiber die Anweisungen verantwortlich erarbeiten. Er kann u.U. Unterstützung einkaufen.  Die Anweisungen und Hinweise sollen knapp und leicht verständlich formuliert sein und nur das enthalten, was für den Geltungsbereich der Anweisung und für die Zielgruppe zutreffend ist. Dabei sind Verweise, z.B. auf nicht vorliegende Rechtsvorschriften, Normen, Unternehmensrichtlinien und Betriebsanleitungen, zu minimieren. Die Gestaltungshinweise in Tabelle 3.28 sind unbedingt zu beachten.  Die Betriebsanweisungen inkl. Inbetriebnahmeanweisungen sollten visuell (Textformate, Grafiken, Piktogramme, Farbgebung, Workflow) so gestaltet werden, dass sie die Aufmerksamkeit des Nutzers hervorrufen und erhalten. Dazu sollte der verantwortliche Inbetriebnahmeleiter gegebenenfalls Rat bei erfahrenen Technischen Redakteuren suchen. Die Erfahrung dieser Spezialisten, die diese beim Erarbeiten von Betriebsanleitungen erworben haben, kann sehr nützlich sein.  Werden Betriebsanweisungen auch elektronisch kommuniziert (s. Abschn. 5.2.3, Buchst. c)), so sollten die neuen Möglichkeiten elektronischer Medien (z.B. Links zu Fotos, Videos, interaktives Lernen) genutzt werden.  Die Betriebsanweisungen inkl. Inbetriebnahmeanweisungen bilden den Hauptteil des Inbetriebnahmehandbuchs, dass später ins Betriebshandbuch übergeht (s. Abschn. 2.4.3.2, Buchst. a)). Sie sind bis zum Ende der Inbetriebnahme unter Verantwortung des Inbetriebnahmeleiters fortzuschreiben und gegebenenfalls der AS BUILTDokumentation beizufügen. Verantwortlich dafür ist derjenige Vertragspartner bzw. diejenige Person, der die Inbetriebnahme verantwortet bzw. als Inbetriebnahmeleiter fungiert.  Übergreifende Anweisungen, die das prinzipielle Verhalten auf dem Werksgelände betreffen und grundsätzlich geregelt sind, werden häufig ebenfalls im Inbetriebnahmehandbuch abgelegt/gespeichert. Beispiele sind:  Allgemeine Anweisungen und Informationen für Besucher und Mitarbeiter von Fremdfirmen auf dem Werksgelände,  Einweisung bzw. Erstunterweisung von Personal auf dem Werksgelände,  Zugangs- und Zufahrtsregelungen, Anwesenheitskontrolle,  Verhalten bei Alarmen und Bränden,  Verhalten bei Unfällen, Erste-Hilfe.  Über die Betriebsanweisungen inkl. Inbetriebnahmeanweisungen müssen die Beschäftigten umfassend und nachweispflichtig vor Beginn der Inbetriebnahme und wiederkehrend unterwiesen werden. Dazu steht Näheres in Abschn. 5.2 in Verbindung mit der Ausbildung des Personals.  Was über Betriebsanweisungen ausgeführt wurde, gilt sinngemäß auch für Instandhaltungsanweisungen (s. Instandhaltungshandbuch, Abschn. 2.4.3.2, Buchst. b)).

3.5.3 Arbeitsfreigabe während der Inbetriebnahme Die Betriebsanweisung zur Genehmigung von Arbeiten während der Inbetriebnahme ist die wichtigste Anweisung für die Inbetriebnahme. Mitunter wird im gleichen Sinne auch von Arbeitsfreigabe oder Arbeitserlaubnis gesprochen. Die dafür geltende Anweisung und ergänzenden Regelungen werden zusammen als Arbeitsfreigabesystem bezeichnet.

3.5 Gewährleisten von Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Inbetriebnahme

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Die Erstinbetriebnahme ist a priori für alle Beteiligten eine Phase neuer Anforderungen und erhöhter Gefährdungen. Die Anlage ist neu und ihre erstmalige betriebliche Nutzung mit vielen Unwägbarkeiten (Contingencies) verbunden. Das Betriebspersonal inkl. Führungskräfte kennt sich mitunter nur kurz und hat wenige Erfahrungen mit der Anlage. Zugleich ist während der Inbetriebnahme eine größere Anzahl an Fremdpersonal in der Anlage. Zum einen müssen sie die Restpunkte der Bau/Montage erledigen und zum anderen sollen sie Serviceleistungen bei Störungen, Umbau-/Reparaturmaßnahmen u.ä. erbringen. Die angeführten Rahmenbedingungen bei der Erstinbetriebnahme bewirken erhöhte Risiken bezüglich Gesundheit-Sicherheit-Umwelt, aber auch hinsichtlich der Einhaltung der Projektziele/Vertragseinhaltung insgesamt. Dies gilt insbesondere bei technischen Arbeiten an der Anlage. Auf diese Herausforderungen muss sich das Inbetriebnahmemanagement einstellen, indem nur zuvor genehmigte Arbeiten (bis auf definierte Ausnahmen) ausgeführt werden dürfen. Dazu dient das Arbeitsfreigabesystem. Verstöße sind streng zu ahnden gemäß dem Grundsatz: Wehret den Anfängen! Entsprechend der besonderen Gefahrensituation sollte in verfahrenstechnischen Anlagenprojekten immer der Grundsatz gelten: Das Arbeitsfreigabesystem während der Inbetriebnahme sollte identisch sein mit dem Arbeitsfreigabesystem des späteren Dauerbetriebs. Bei erhöhten Gefährdungen gegenüber dem Dauerbetrieb sind restriktivere Regelungen notwendig. Das heißt, mit dem Übergang von der Baustellenabwicklung zur Inbetriebnahme (Protokollierung der Mechanischen Fertigstellung) tritt das Arbeitsfreigabesystem der Baustelle außer Kraft und es gilt ab sofort das Arbeitsfreigabesystem des Betriebs bzw. darüber hinaus gehende Einschränkungen. Restriktivere Regelungen können beispielsweise bedeuten, dass die Arbeitsfreigabe nur auf die Dauer einer Schicht begrenzt wird. Reicht dieser Zeitraum für die Tätigkeit nicht aus, muss die nachfolgende Schicht die Arbeitsfreigabe neu einholen. Diese Einschränkung verringert das Risiko durch unzureichende Kommunikation bei Schichtwechsel. Der Autor empfiehlt dringend, die zuvor angeführte Regelung (kursiv) ohne Kompromisse, auch während der Kalt-Inbetriebnahme, durchzusetzen. Als Begründung für die restriktive Anwendung des Arbeitsfreigabesystems während der Kalt-Inbetriebnahme gilt grundsätzlich das gleiche, wie in Abschn. 1.2 zum Inverkehrbringen ausgeführt. Die Gefährdungen bezüglich Gesundheit-Sicherheit-Umwelt, aber auch hinsichtlich technischer Schäden, sind während der Kalt-Inbetriebnahme nicht unerheblich. Sie nehmen insbesondere während des Inbetriebnahmefortschritts stetig zu, ohne dass die GSUrelevanten Veränderungen immer bewusst wahrgenommen werden und ohne dass von Personal darauf adäquat regiert wird. In der konkreten Arbeit bedeutet dies:  Jeder Beschäftige (auch die Mitarbeiter von Fremdfirmen) weiß frühzeitig im Projekt, dass mit Beginn der Inbetriebnahme im Wesentlichen alle Arbeiten (s. Tab. 3.33) an der Anlage genehmigungs- bzw. freigabepflichtig sind.  Im Vergleich zur Baustelle ist der zeitliche und personelle Aufwand für die Arbeitsgenehmigung erheblich größer.  Den Antrag auf Arbeitsfreigabe unterschreibt als Letzter der Inbetriebnahmeleiter oder bei Abwesenheit sein Vertreter. Der Baustellenleiter ist dazu nicht mehr befugt.

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3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

 Für den Inbetriebnahmeleiter erfordern die Arbeitsfreigaben viel Zeit. Zugleich nimmt er aber seine Verantwortung wahr und wird „automatisch“ und im Detail über wichtige Arbeiten in „seiner“ Anlage informiert.  Mit Beginn der Inbetriebnahme herrscht in der Anlage das Inbetriebnahmeregime, d.h. vorrangiges Ziel ist die planmäßige Inbetriebnahme. Alle anderen Arbeiten, inkl. der Restpunktleistungen von Bau und Montage, müssen sich unterordnen. Die ausführenden Firmen und Personen können nicht damit rechnen, dass sie umgehend die Arbeitsfreigabe erhalten. Dieser Fakt beschleunigt nicht selten die Montagetätigkeiten vor der Mechanischen Fertigstellung. Eine mögliche Form der praktischen Umsetzung des Arbeitsfreigabesystems während der Inbetriebnahme zeigt Tabelle 3.33. Sie enthält den Auszug einer Betriebsanweisung aus dem Inbetriebnahmehandbuch (s. Abschn. 4.4.4). Tabelle 3.33 Arbeitsfreigabesystem während der Inbetriebnahme einer Großanlage (Auszug aus dem Inbetriebnahmehandbuch) (Praxisbeispiel) 1 Vorschriften und Unternehmensrichtlinien a) Gemäß den geltenden Vorschriften (…) und Unternehmensrichtlinien (…) hat der Unternehmer entsprechend dem Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung dafür zu sorgen, dass (1.) gefährliche Arbeiten oder (2.) normalerweise gefahrlose Arbeiten, die sich mit anderen Arbeitsvorgängen erst durchgeführt werden, wenn eine verantwortliche Person ihren Beginn freigegeben hat. b) Die Vorgehensweise sowie die vor, während und nach Abschluss der Arbeiten einzuhaltenden Sicherheitsvorkehrungen müssen in der Arbeitsfreigabe oder auf andere Weise schriftlich geregelt und den jeweiligen Beschäftigten bekannt sein. c) Die konkrete Umsetzung dieser Festlegungen erfolgt während der Inbetriebnahme der Anlage (….) unter Anwendung des Arbeitsfreigabesystems und insbesondere durch strikte Einhaltung der Betriebsanweisungen (…). 2 Genehmigungsregelungen a) Für die ausreichende und umfassende Erstellung von Genehmigungen für Arbeiten während der Inbetriebnahme ist der Inbetriebnahmeleiter verantwortlich. b) Dabei gilt ab dem Zeitpunkt der Unterzeichnung des "Protokolls über die Mechanische Fertigstellung" die folgende Regelung:

"Für alle Arbeiten am System der Anlage (…) (mit Ausnahme der vom Inbetriebnahmeleiter oder den Inbetriebnahme-Fachingenieuren angeordneten Inbetriebnahmehandlungen und der Arbeiten im Büro- und Werkstattgebäude) ist eine schriftliche Genehmigung durch den Inbetriebnahmeleiter notwendig." 3 Genehmigungsvorgang a) Für die Beantragung der Genehmigung, die schriftliche Bestätigung seitens des Inbetriebnahmeleiters sowie die Rück(Erfüllungs-)meldung der genehmigungsgerechten Arbeitsausführung wird das als Kopie beiliegende Formular GENEHMIGUNG verwendet. b) Im Einzelnen wird wie folgt verfahren: 1. Das Genehmigungsformular wird entsprechend den beabsichtigten Arbeiten von der Aufsichtsperson des betreffenden Unternehmens ausgefüllt. 2. Im Zusammenhang mit dem Ausfüllen beurteilt die Aufsichtsperson die mit der beantragten Arbeit verbundenen Gefährdungen und die vorhandenen Sicherheitsvorkehrungen.

ersc e

3.5 Gewährleisten von Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Inbetriebnahme

257

Tab. 3.33 (Fortsetzung) 3 Genehmigungsvorgang (Fortsetzung) 3. Für definierte Arbeiten, die mit erhöhten Gefährdungen verbunden sind, ist zuvor eine Job-Sicherheits-Analyse (JSA) zu erarbeiten und zu dokumentieren. 4. Erst wenn die Beurteilung seitens der Aufsichtsperson gemäß Punkt 2. erfolgt ist, wird von ihr das Genehmigungsformular unterschrieben und an den zuständigen InbetriebnahmeFachingenieur übergeben. 5. Der zuständige Inbetriebnahme-Fachingenieur prüft umfassend, insbesondere unter Berücksichtigung der sicherheitstechnischen und technischen Gesichtspunkte, den Genehmigungsantrag. Er nimmt gegebenenfalls Rücksprache mit dem Antragsteller und zieht u.U. den Sicherheitsingenieur zu Rate. Bei Einverständnis bestätigt der Inbetriebnahme-Fachingenieur mit Datum und Unterschrift (im Formularfeld: Fachbauleiter) den Genehmigungsantrag und leitet diesen an den Inbetriebnahmeleiter weiter. 6. Der Inbetriebnahmeleiter prüft nach eigenem Ermessen nochmals den Antrag. Bei Einverständnis genehmigt er letztlich die beantragten Arbeiten mit Datum und Unterschrift. 7. Verteilung der 3 Blatt des Genehmigungsformulars an:  die Aufsichtsperson des Antragstellers: Blatt 1 (weiß) und Blatt 2 (grün),  den Inbetriebnahmeleiter: Blatt 3 (blau). 8. Die Aufsichtsperson des Antragstellers veranlasst, dass das grüne Blatt während der Arbeitsausführung sichtbar an der Arbeitsstelle angebracht wird. 9. Nach Beendigung der genehmigten Arbeiten bestätigt die Aufsichtsperson des arbeitsausführenden Unternehmens den Abschluss der Arbeiten sowie den ordnungsgemäßen Zustand des Arbeitsplatzes mit Unterschrift auf dem weißen Blatt (im unteren Formularfeld: Aufsichtsperson). 10. Das weiße Blatt geht anschließend an den Inbetriebnahmeleiter zurück.

Ergänzend zu den Festlegungen in Tabelle 3.33 existierte im angeführten Praxisbeispiel noch eine Betriebsanweisung, die die Regelungen näher ausgestaltete. Alternativ zur Nutzung eines Formblatts in Papierformat werden zunehmend zertifizierte elektronische Softwareprodukte genutzt, um die Arbeitsgenehmigung zu beantragen, zu prüfen, zu erteilen und abzumelden. Inwieweit ein solches elektronisches System rechtssicher und gerichtsfest ist, muss im Einzelfall verifiziert werden. Ein Ausdruck der erteilten Arbeitsfreigabe, sodass sie an der Arbeitsstelle sichtbar angebracht werden kann, ist aus Sicht des Autors weiterhin notwendig. Das in Tab. 3.33 beschriebene Genehmigungsverfahren ist sehr restriktiv, indem nur der Inbetriebnahmeleiter persönlich oder bei Abwesenheit sein Vertreter bzw. ein ausdrücklich Beauftragter den Antrag genehmigen darf. Wie die Freigabeberechtigung, z.B. in Anlagen mit weniger Gefährdungspotential, auf mehrere befugte Personen verteilt werden kann, zeigt Abb. 3.19. Dieser Aushang mit Passbild und Originalunterschrift der angeführten Personen ermöglicht in bestimmten Situationen, z.B. während der Kalt-Inbetriebnahme oder im späteren Dauerbetrieb, eine schnellere Antragsbearbeitung und Arbeitsfreigabe. Abschließend zur Thematik Arbeitsfreigabe sei noch der folgende schwere Arbeitsunfall sinngemäß angeführt.

258

3 Planen von Sicherheit sowie Gesundheit- und Umweltschutz

In einer Großanlage bestand die Aufgabe, am Flansch einer Gas-Hochdruckleitung mit H2S-haltigen Erdgas die Dichtung zu wechseln. Die Arbeitsgenehmigung lag vor und die Rüstung war vorschriftsmäßig gestellt und freigegeben. Während der Demontage der Flanschverbindung mussten die Monteure jedoch feststellen, dass die Leitung noch unter Druck stand. Das ausströmende H2S-haltige Gas sowie der daraufhin von den Monteuren vollzogene Absprung vom Gerüst verursachten erhebliche gesundheitliche Schäden. Die Konsequenz aus diesem Ereignis war u.a. die folgende Änderung der relevanten Unternehmensrichtlinien und Betriebsanweisung: Die Arbeitsfreigabe für bestimmte, schriftlich definierte Reparaturarbeiten (d. Verf.: Reparaturfreimachen von Anlagensystemen/-komponenten inkl. Herstellen der Energiefreiheit) an einer zuvor betriebenen Anlage, setzt eine Vor-Ort-Kontrolle des verantwortlichen Freigabeberechtigten voraus. Dabei muss er sich vom gefahrlosen Zustand der Anlagen hinsichtlich der zu genehmigenden Arbeiten überzeugen. Erst wenn er dies bestätigt findet, darf er die beantragten Arbeiten durch Unterschrift freigeben.

Abb. 3.19 Aushang über Freigabeberechtigte für Arbeiten während der Kalt-Inbetriebnahme einer Verdichteranlage (Praxisbeispiel)

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TRGS 400: Gefährdungsbeurteilung für Tätigkeiten mit Gefahrstoffen

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TRGS 555: Betriebsanweisung und Information der Beschäftigten

4 Inbetriebnahmemanagement 4.1 Grundlagen und Erfahrungen zum Projektmanagement Die Erfahrung lehrt, dass umfangreiche und schwierige Vorhaben nur dann erfolgreich durchgeführt werden können, wenn ausreichende organisatorische und administrative Maßnahmen ergriffen werden. Die Gesamtheit dieser Führungsaufgaben, -organisation, -methoden und -mittel für die Abwicklung eines Projekts wird als Projektmanagement bezeichnet. Darüber hinaus gibt es noch eine zweite Bedeutung für diesen Begriff, indem Projektmanagement die Projektleitung (Führungskräfte des Projektes) bezeichnet. Im vorliegenden Buch wird Projektmanagement stets im ersten Sinne benutzt; ansonsten werden die Begriffe Projekt- bzw. Inbetriebnahmeleitung gebraucht. Die wesentlichen Projektziele und ihre Abhängigkeiten im Projekt veranschaulicht das sog. Projektrad in Abb. 4.1.

Abb. 4.1 Strukturierung der Hauptziele im Projekt

Die erfolgreiche Realisierung dieser Soll-Vorgaben ist im verfahrenstechnischen Anlagenbau meistens mit erheblichen Unsicherheiten verbunden. Typische Ursachen für die angeführten Risiken (exakter: SOLL-Gefährdungen), auch für die Inbetriebnahme, sind: Terminrisiko:       

Terminverzögerungen bei Mechanischen Fertigstellung (MF) erhebliche Restpunkte im Protokoll MF Unwägbarkeiten in Verfahren und Technik unerfahrenes Operator- und/oder Servicepersonal zu optimistische Inbetriebnahmeplanung Inbetriebnahmedokumentation mangelhaft AS BUILT-Dokumentation nicht vertragsgerecht

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 K. H. Weber, Inbetriebnahme verfahrenstechnischer Anlagen, VDI-Buch, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59498-8_4

265

266

4 Inbetriebnahmemanagement

Kostenrisiko:

       

erhöhter Änderungsumfang erstmalige Realisierung einer Anfahrsteuerung zusätzliche Kosten für Beschleunigungsmaßnahmen vermehrte Produktion nicht-qualitätsgerechter Zielprodukte erhöhte Energie- und Hilfsstoffverbräuche Mehrkosten durch Terminverzögerungen Mehrkosten durch Mängel an Anlage und Dokumentation Verzögerungen bei Leistungsnachweis und werkvertraglicher Abnahme

Prozessrisiko:  Verfahren und/oder Technik neu Technikrisiko:  Nutzung neuartiger Software im Engineering Qualitätsrisiko:  Ersteinsatz neu- bzw. weiterentwickelter Hauptausrüstungen  Einsatz von Rohstoffen und/oder Medien unterschiedlicher Qualität  risikobehaftete Schnittstellengestaltung, z.B. durch weltweite Arbeitsteilung im Engineering und Einkauf  enormer Termin- und Kostendruck  fehlendes Fachwissen und Erfahrungen bei Partnern  keine effiziente Qualitätssicherung im Projekt Sorgfaltspflichtrisiko:

 Verantwortungen und Befugnisse nicht klar geregelt,  unzureichende Beachtung von Vorschriften und/oder vertraglichen Vereinbarungen  fehlende Gefährdungsbeurteilungen und Betriebsanweisungen  fehlende Konformitätserklärungen, Betriebsanleitungen u.a. rechtsrelevanter Dokumente  Inbetriebnahmedokumentation mangelhaft  keine Risikobeurteilung für Gesamtanlage mit Bearbeitungsstatus: AFP – Approved for Production)  notwendige „Prüfungen vor Inbetriebnahme“ nicht erfolgreich durchgeführt und dokumentiert  nicht-genehmigungskonforme Inbetriebnahme  technisches und/oder menschliches Versagen  enormer Termin- und Kostendruck  unzureichende Kommunikation (Sprache)

In vielen Fällen beeinflussen sich die einzelnen Risiken wechselseitig, sodass sie möglichst ganzheitlich analysiert, bewertet und minimiert werden müssen. 4.1.1 Schritte des Projektmanagements Die Hauptschritte des Projektmanagements werden im Folgenden kurz dargestellt. Im Detail wird auf die zahlreiche Fachliteratur verweisen. 1. Schritt: Aufbau der Projektorganisation Im Anlagenbau und insbesondere während der Inbetriebnahme hat sich die MatrixProjektstruktur, sowohl für den Auftraggeber als auch für den Auftragnehmer (Generalplaner bzw. Generalunternehmer), bewährt. Sie ist gekennzeichnet durch eine Teilung der Weisungsbefugnisse zwischen Projektleiter und Fachabteilungsleiter.

4.1 Grundlagen und Erfahrungen zum Projektmanagement

267

Die Strukturierung des Auftraggeber-Projektteams, wie es bei der Inbetriebnahme einer Großanlage am Standort Deutschland existierte, zeigt Abb. 4.2. Weitere Beispiele sind in Abschn. 4.4.3 angeführt.

 Abb. 4.2 Matrixstruktur der Projektorganisation des Auftraggebers während der Inbetriebnahme (Praxisbeispiel)

Der Projektleiter ist gegenüber der Unternehmensleitung verantwortlich, dass die Projektziele erreicht werden. Ihm werden für die Projektabwicklung befristet Mitarbeiter aus anderen Unternehmensbereichen und von Fremdfirmen bzw. externen Dienstleistern fachlich zugeordnet. Wichtig ist dabei, dass die Aufgaben jedes Mitarbeiters zwischen Projekt- und Fachabteilung klar abgestimmt und als Arbeitsauftrag mit Funktionsbeschreibungen schriftlich formuliert und ausgehändigt werden. Der Projektleiter ist gegenüber dem Mitarbeiter entsprechend dem abgesteckten Rahmen während der Projektbearbeitung fachlich weisungsbefugt. Der Fachbereichsleiter in der Linienorganisation bleibt der disziplinarische Vorgesetzte des Projektmitarbeiters und insbesondere für arbeitsrechtliche Fragen weiterhin zuständig. Gleichzeitig obliegt ihm die Bereitstellung von fachlichem Spezialwissen für die Projektmitarbeiter. Zusammenfassend gilt somit: Der Mitarbeiter wird in Abstimmung zwischen beiden Seiten zeitweise in ein Projektteam ausgeliehen. Dort muss er unter dem Projektleiter die ihm übertragenen Aufgaben möglichst gut erfüllen. Er untersteht im Rahmen dieser neuen Aufgabe dem neuen Chef. Sein Arbeitsvertrag mit seinem bisherigen Chef bleibt weiterhin bestehen. Er kann sich in kritischen Fragen auch an diesen wenden und sich Rat holen. Nach Beendigung seiner Arbeit im Projekt kehrt er in sein „Heimatteam“ zurück.

268

4 Inbetriebnahmemanagement

Trotz dieser scheinbar problematischen Doppelunterstellung hat sich die Matrixorganisation aus folgenden Gründen als leistungsfähig erwiesen:  Die Projekt- und Fachabteilungsleiter dienen dem gleichen Unternehmen. Sie sind beide zur Kooperation angehalten. Der Projektleiter könnte den Fachabteilungsleiter als Spezialist im Hintergrund bald wieder benötigen und der Fachabteilungsleiter könnte gegebenenfalls das nächste Projekt leiten. Mögliche Differenzen treten relativ schnell zu Tage und müssen umgehend von der Unternehmensleitung geklärt werden.  Die Sachzwänge, die vom Projekt ausgehen, sind für alle Seiten sichtbar und überzeugend. Der Meinungsstreit wird fachbezogen geführt. Formelle Standpunkte lassen sich selten durchsetzen.  Es wird einerseits projektspezifisch, eine temporäre Struktur geschaffen, andererseits bleibt die stabilisierende, vertikale Linienstruktur im Unternehmen erhalten. Damit gelingt der „Spagat“ zwischen Flexibilität und Kontinuität.  Der Mitarbeiter akzeptiert meistens beide Chefs. Den einen, weil er sein Disziplinarvorgesetzter ist und er früher oder später zu ihm zurück kommt, den anderen, weil er zusammen mit diesem vor Ort ist, dort die Notwendigkeiten selbst sieht und mit ihm gemeinsam Erfolg haben möchte. Für das Inbetriebnahmemanagement, mit besonderer Atmosphäre und Brisanz, trifft letzteres verstärkt zu. Weitere Grundformen der Projektorganisation sind neben der beschriebenen Matrixorganisation die Linienorganisation und die Autonome Projektorganisation. Der Autor konnte mit der letzten Form persönlich bei größeren und langfristigeren Projekten (Dauer: > 5 Jahre) Erfahrungen sammeln. Sie war einerseits in der Hauptphase sehr effektiv, andererseits gab es gegen Ende des Projektes, vor allem beim Auflösen des Teams, jedes Mal erhebliche Probleme. Zum Aufbau der Projektorganisation einschließlich Inbetriebnahmeorganisation gehören ferner:  ein Projektorganigramm, die zugehörigen Stellenbeschreibungen und die Besetzung der einzelnen Stellen einschließlich der Erarbeitung und Übergabe eines schriftlichen Arbeitsauftrages (sog. Zielvorgaben/-vereinbarungen) (s. Abschn. 4.4.3). Nach Projektende sollte jeder Stelleninhaber ein Projektabschlusszeugnis erhalten.  die Einrichtung des Projektbüros sowie das Erarbeiten des Projekthandbuchs gemäß folgendem Begriffsverständnis: Projekthandbuch ist die Zusammenstellung der administrativen, kommerziellen und technischen Abwicklungsgrundlagen und -regelungen des Projekts.

 die Festlegung von Regelungen zur Projektdokumentation beim Erarbeiten des Dokumentationskonzepts [1].  das Gewährleisten des Informationsflusses und der Kommunikation im Projektteam. 2. Schritt: Projektplanung Die Projektplanung soll den Projektablauf bezüglich Aufgaben, Terminen, Kosten und Ressourcen festlegen. Dazu sind die notwendigen Planungsdokumente in Form von Projektstrukturplänen, Arbeitspaket-Erfassungsblättern, Mengengerüsten, Terminplänen, Einkaufskontrolllisten, Fortschrittskurven u.a. zu erarbeiten. Mit der Projektplanung wird das Projekt ausgehend vom Endziel in Teilziele zerlegt und

4.1 Grundlagen und Erfahrungen zum Projektmanagement

269

für diese Soll-Bedingungen ermittelt. Auf weitere Einzelheiten bezüglich der Inbetriebnahmeplanung wird in Abschn. 4.5 eingegangen. 3. Schritt: Projektverfolgung Im Verlauf der Projektabwicklung muss ständig der Ist-Zustand beobachtet, registriert, kontrolliert und überwacht werden. Dieser ist ständig mit den sachlichen, zeitlichen und finanziellen Zielvorgaben aus der Projektplanung zu vergleichen. Die detaillierte Projektverfolgung geschieht primär an der Basis. Bei festgestellten Abweichungen zwischen Ist und Soll muss reagiert werden. Dies kann eine sofortige konkrete Maßnahme vor Ort sein, es kann aber auch eine Berichterstattung an den Vorgesetzten sein. Wichtige Aufgaben bei der Projektverfolgung sind:  die Gewährleistung aussagekräftiger Informationen von unten nach oben,  die Bewahrung einer eigenen Urteilsfähigkeit des Managements, auch zu speziellen Detail- und Fachinformationen,  die selektive, schwerpunktorientierte Berichterstattung (z.B. bei Störungen),  die Verdichtung und Veranschaulichung der Informationen,  die Erkennung und Verfolgung kritischer Vorgänge sowie kritischer Schnittstellen und Meilensteine (Milestones). Je besser der Ist-Zustand des Projektes bekannt ist, desto besser kann auf Zielabweichungen reagiert werden. 4. Schritt: Projektsteuerung Die Einheit von Projektverfolgung und Projektsteuerung bilden das Controlling des Projekts (s. auch Abschn. 4.6). Die Projektsteuerung stellt die eigentliche aktive Komponente im kybernetischen Regelkreis des Projektmanagements dar. Ausgehend von einer Analyse der eingetretenen Störung (Soll-Ist-Abweichung) werden extensive und/oder intensive Gegenmaßnahmen ergriffen. Modernes Projektmanagement zeichnet sich dadurch aus, dass die Projektsteuerung als Hauptaufgabe verstanden wird. Man spricht vom zielorientierten Projektmanagement in Abgrenzung zum planungsorientierten. Für das Inbetriebnahmemanagement, welches ein Teil des Projektmanagements darstellt, ist die Zielorientierung besonders wichtig, da oftmals  die Inbetriebnahmephase wesentliche Zielstellungen (z.B. Leistungsnachweis, Übergabe der vertragsgemäßen AS BUILT-Dokumentation) und die Erfüllungsbestätigung des Anlagenvertrages beinhaltet,  die Inbetriebnahme den rechtsverbindlichen Soll-Ist-Zielnachweis des Projektes einschließt,  während der Inbetriebnahme mit zahlreichen Projektstörungen (Unwägbarkeiten, Frühausfällen) gerechnet werden muss,  sich Verzögerungen im Terminablauf während der Inbetriebnahme nur sehr schwer korrigieren lassen und sich sehr oft direkt auf den Endtermin auswirken. Die Fähigkeit, während der Inbetriebnahme relevante Projektabweichungen zeitnah und sachkundig zu erkennen sowie entschlossen und wirksam darauf zu reagieren, zeichnet einen erfolgreichen Inbetriebnahmeleiter aus. Im Sonderfall sollte er von seinem Weisungsrecht Gebrauch machen.

270

4 Inbetriebnahmemanagement

4.1.2 Erfahrungen aus Projektabwicklungen Für das Projektmanagement verfahrenstechnischer Anlagen gilt die alte Weisheit: Es gibt viele Wege klug zu handeln:  durch Nachdenken ist der edelste,  durch Nachahmen der einfachste,  durch Erfahrung der bitterste. Konfuzius

In der Absicht, dem Leser die bitteren Erfahrungen zu ersparen, seien im Weiteren die wichtigsten Erfahrungen und Hinweise des Autors betreffs einer effizienten Projektabwicklung, die zugleich auch für das Baustellen- und Inbetriebnahmemanagement zutreffen, kurz angeführt und kommentiert (s. Tab. 4.1). Sie resultieren sowohl aus dem eigenen Berufsleben als auch aus vielen persönlichen Gesprächen mit erfahrenen Fachkollegen. In der Praxis gilt es für Auftraggeber und Auftragnehmer diesem wünschenswerten Sollzustand möglichst nahe zu kommen. Tabelle 4.1 Haupterfahrungen aus Projektabwicklungen 1

Einen umfassenden, konkreten und ausgewogenen Anlagenvertrag abschließen. These: Der Anlagenvertrag ist für das Projekt die „Geburtsurkunde“. Fehler wirken im gesamten Leben nach. Offene Fragen müssen später, unter häufig schwierigeren Bedingungen, ausgestaltet werden. Wer zu Beginn Klarheit schafft, dem wird es später gedankt! Ein guter Vertrag zeichnet sich dadurch aus, dass beide Partner zufrieden sind.

2

Projektrisiken bezüglich Kosten, Terminen und Qualität (Technik) ganzheitlich analysieren, bewerten und minimieren. These: Da sich die Risikoarten und die möglichen Minimierungsmaßnahmen gegenseitig beeinflussen, müssen sie ganzheitlich betrachtet, bewertet und entschieden werden. Der Projektmanager (Techniker wie Kaufmann) muss dazu ausreichende Bereitschaft und Sachkenntnis aufbringen bzw. sich schnell aneignen.

3

Verantwortung für Kosten, Termine, Qualität und Sorgfaltspflichten bei einer Person belassen. These: Die Gründe sind analog Ziff. 2. in der gegenseitigen Wechselwirkung zu sehen. Außerdem lässt sich die Verantwortung für das Gesamtprojekt nicht teilen.

4

Change-Control-System (technisch, kommerziell, administrativ) effektiv organisieren. These: Der Umgang mit Änderungen gegenüber dem Vereinbarten, die beide Partner betreffen, muss im Vertrag geregelt sein. In Projektrichtlinien wird dies ergänzt. Dabei geht es um Änderungen technischer, kommerzieller, personeller u.a. Art. Neben den monetären Aspekten muss insbesondere die Beantragung, Freigabe und inhaltliche Kommunikation der technischen Änderungen gemäß der konkreten Projektsituation bedacht werden.

5

Projektplanung ganzheitlich, detailliert und realistisch erstellen. These: Die Projektplanung muss alle wesentlichen Vorgänge (z.B. die wichtigen Aktivitäten und Meilensteine zur Dokumentationserstellung) erfassen. Zugleich ist sie sachkundig und realistisch/ehrlich durchzuführen. Unvorhergesehenes bzw. sonstige Randbedingungen oder Zwänge sind anschließend bewusst zu bewerten und in Form von Konsequenzen bzw. Maßnahmen zu berücksichtigen.

4.1 Grundlagen und Erfahrungen zum Projektmanagement

271

Tab. 4.1 (Fortsetzung) 6

Schnittstellen bezüglich Verantwortung, Organisation, Leistung, Örtlichkeit usw. identifizieren und gezielt gestalten. These: Schnittstellen sind oft die Störstellen im Projekt. Ihre Anzahl ist steigend. Die Frage „Welche Schnittstellen gibt es und wie sind sie zu regeln?“ muss deshalb möglichst frühzeitig gestellt und beantwortet werden. Die Regelungen zu wesentlichen Schnittstellen müssen bezüglich Inhalt, Verantwortung, Örtlichkeit usw. schriftlich dokumentiert und den Betroffenen bekannt sein.

7

Software- und Datenkonsistenz weitgehend gewährleisten. These: Die beim Engineering anzuwendende Software und Datenformate (zumindest für die wichtigen Dokumentenarten) sind vom Auftraggeber in der Anfrage vorzugeben und im Anlagenvertrag bzw. bei Bestellungen zu vereinbaren. Nur so ist die spätere Pflege der Dokumentation effektiv möglich. Die Datenkonsistenz betrifft auch die Nutzung einer einheitlichen Datenbank im Engineering, z.B. zur Generierung identischer Daten auf den R&I-Fließschemata, Datenblättern, Ausrüstungslisten.

8

Qualitätssicherungspläne für Gesamtprojekt und Beschaffungsvorgänge erstellen. These: Die Qualitätssicherung ist eine der schwierigsten Aufgaben im Projekt. Sie muss intensiv geplant und kontrolliert werden. Jeder Auftragnehmer/Kontraktor sollte ca. 2-4 Wochen nach Bestellungseingang für seinen Leistungsumfang einen Qualitätssicherungsplan erstellen und dem Auftraggeber vorlegen. Dieser dient den Partnern als Basis für die Abstimmung von Qualitätssicherungsmaßnahmen, wie Haltepunkten, Kontrollen, Freigaben usw.

9

Projektkritische Einzelvorgänge bzw. wichtige Personen identifizieren und deren Erfüllung bzw. Verfügbarkeit sichern. These: Projekte sind in immer kürzeren Fristen abzuwickeln. Die Folge sind u.a. mehr zeitkritische Planungs-, Genehmigungs- und Beschaffungsvorgänge. Diese Vorgänge sind möglichst früh zu identifizieren, um ggf. Sonderregelungen bzw. Vorabbestellungen veranlassen zu können. Nicht selten ist die Mitwirkung bestimmter Personen/Spezialisten erforderlich, für die es keinen adäquaten Ersatz gibt.

10 Projektstart und Projektanfangsphase effektiv organisieren und nutzen. These: Während in der Endphase der Projekte nahezu immer Zeit- und Leistungsdruck herrscht, werden die Ressourcen zu Beginn oftmals nicht optimal genutzt. Das heißt, die Reserven liegen sehr oft in der Startphase. Bis zum Ende des Kick-off-Meetings muss erreicht sein, dass alle Beteiligten von Anfang an zielorientiert und intensiv arbeiten. 11 Projektvorgänge transparent machen und Projektsteuerung effektiv organisieren. These: Projektvorgänge transparent machen bedeutet, sie für das Management nachvollziehbar und kontrollierbar zu machen. Nur so kann das Risiko abgeschätzt und die Projektsteuerung erfolgreich realisiert werden. 12 Regelmäßige Detail- und Vorort-Inspektionen durch den Projektleiter sowie den Bau- bzw. Inbetriebnahmeleiter. These: Wer sich immer nur auf die Informationen Anderer verlässt und sich kein eigenes Bild macht, läuft Gefahr, früher oder später Fehlentscheidungen zu treffen. In kritischen Situationen werden Informationen nicht selten unvollständig, verspätet oder subjektiv gefärbt weitergegeben. Ferner sehen bekanntlich zwei Augen mehr, als tausend Worte sagen können.

272

4 Inbetriebnahmemanagement

Tab. 4.1 (Fortsetzung) 13 Einheit von Anlage und Dokumentation in allen Projektphasen gewährleisten. These: Die Dokumentation ist Teil der Lieferungen und Leistungen. Ohne Übergabe der zugehörigen Dokumentation wird nicht vergütet. Analog zur Anlage muss die Dokumentation im Lasten- und Pflichtenheft sowie im Anlagenvertrag und den Bestellungen spezifiziert und die zugehörigen Leistungen inhaltlich und werkvertraglich vereinbart werden. Die Erstellung der Dokumentation im Ingenieurbüro und bei den Herstellern muss kontrolliert werden. Die Projektmanager, insbesondere die Projekt-Leadingenieure müssen die Gesamtverantwortung für die Anlage und Dokumentation wahrnehmen.

Ergänzend zu diesen persönlichen Erfahrungen des Autors werden in der Tabelle 4.2 weitere Hinweise für ein erfolgreiches Projektmanagement gegeben. Tabelle 4.2 Die 6 Gebote des Projektmanagements [2] 1 Streng hierarchische Gliederung des Projektes  Projekt in maximal 5 Ebenen strukturieren  Erarbeitung der Projektstruktur erfolgt in der Top-down-Technik  Erfassung der Soll- und Istdaten erfolgt in Bottom-up-Technik 2 Minimaler Aufwand für Projektleiter und -mitarbeiter  Berichte und Dokumente müssen leitergerecht sein  Projektleiter muss Managementsoftware nutzen  Bedienung der Managementsoftware und die damit verbundenen Vorbereitungsarbeiten sollten 20 % der Arbeitszeit des Projektleiters nicht übersteigen  Zeitaufwand für einen Fortschrittsbericht sollte bei ca. 5 Minuten pro Vorgang liegen 3 Einfache Handhabung der Projektwerkzeuge (Soft- und Hardware)  Nichtspezialisten und Leiter müssen sie richtig und schnell nutzen können  weitere Gründe für einfache Bedienung sind: schnell benötiget Unterlagen, Vermeidung hoher Schulungskosten, Senkung der Fehlerquote 4 Streben nach Aktualität  aktuelle und belastbare Informationen sind für die Projektsteuerung nötig  Informationsverarbeitung muss wesentlich schneller sein als ihre Alterung  Fehler sind nur bei aktuellen Informationen schnell zu beheben  Informationen (Kosten, Termine) sollten arbeitspaketbezogen erfasst werden 5 Frühzeitige Erkennung von Schwachstellen durch Trendanalysen  Trendanalysen (termin-/aufwandorientiert) lassen zukünftige Probleme früher erkennen  Istwerte fundiert analysieren und prognostizierende Trendaussagen ableiten  negativen Trendanalysen muss mit Sofortmaßnahmen begegnet werden 6 Systematische Erfassung aller Störungen  Störungen im Projekt sind Abweichungen vom Ziel (Termine, Kosten, Technik)  Systematische Aufzeichnungen erlauben eine Beseitigung der Ursachen und sind hilfreich gegenüber dem Kunden  Änderungen/Nachforderungen des Kunden sind als Störungsursachen zu erfassen  Störungsstatistik dient nicht nur der Steuerung im laufenden Projekt, sondern auch den zukünftigen Projekten (aus Fehlern lernen)  Störungserfassung sollte im Rahmen der Fortschrittsberichte erfolgen  Wer Störungen nicht meldet, trägt für die Folgen die Verantwortung

4.2 Inbetriebnahmekosten und Einsparpotenziale

273

4.2 Inbetriebnahmekosten und Einsparpotenziale 4.2.1 Analyse der Inbetriebnahmekosten Die Gesamtkosten für die Inbetriebnahme liegen im Bereich von ca. 8 bis 15 % der Investitionskosten. Für die Inbetriebnahme größerer Kraftwerke auf Kohlebasis sind beispielsweise allein Personalkosten von ca. 7 % der Investitionskosten bekannt. Nicht selten werden Finanzmittel, die während der Planung und/oder Montage mühsam gespart wurden, durch Verzögerungen bei der Inbetriebnahme wieder aufgebraucht. Bevor die Inbetriebnahmekosten näher analysiert werden, sollen kurz einige der wenigen veröffentlichten Daten von Schwachstellenanalysen verfahrenstechnischer Anlagen angegeben werden. Abbildung 4.3 zeigt die Ergebnisse einer Schwachstellenanalyse von Anlagen der chemischen Industrie, wobei die prozessleittechnisch bedingten Fehler nicht erfasst wurden.

Sonstiges 5,1 % Instandhaltungstechnisch 11,2 %

Sonstiges 3,6 % Nicht instandhaltungsgerecht 8,2 % Konstruktiv beeinflußbare Fertigungsfehler 6,5 % Koppelungsfehler 7,8 % Entwurfsfehler 10,2 % Werkstoffwahlfehler 14,3 %

Produktspezifisch 9,7 %

Funktionsfehler 8,9 % Gestaltungsfehler 12,7 %

Konstruktiv 22,4 %

Planungsfehler 27,8 %

Sonstiges 6,7 % Isolierungsfehler 4,2 % Beschichtungsfehler 7,1 % Falscher Werkstoff 7,18 % Werkstoff mit fehlerhafter Wärmebehandlung 17,2 %

Werkstoffmäßig 18,8 %

Schweißfehler 28,3 % Rein Chem. Therm. Mechanisch 6,9 %

Verfahrenstechnisch 32,8 %

Therm. Chem. Mech. Störungsdynamisch 7,1 % Chemisch Mechanisch 14,2 %

Unzweckmäßiger Werkstoff 28,7 %

Chemisch Thermisch 19,5 %

Thermisch Chemisch Mechanisch 52,3 %

Abb. 4.3 Prozentuale Verteilung der Schwachstellenursachen von Chemieanlagen [3]

274

4 Inbetriebnahmemanagement

Die Gesamtanalyse belegt, dass über zwei Drittel der Ursachen in den Vorphasen der Produktion begründet sind. Aus diesen statistischen Daten und den eigenen Erfahrungen wird gefolgert, dass die Schwachstellenbekämpfung vorrangig auf die Planung und Konstruktion sowie auf die Abnahme und Inbetriebnahme gerichtet sein muss. Die Ausführungen in Kapitel 2 dieses Buchs folgen diesem Grundsatz. Betrachtet man die Gesamt-Inbetriebnahmekosten bezogen auf das Investment näher, so ist zunächst grundsätzlich zu fragen: Wodurch entstehen vorrangig Kosten bei der Inbetriebnahme und wodurch ergibt sich die große Bandbreite von ca. 8 bis 15 % bezogen auf die Investitionskosten? Die Kostenanalysen einer Vielzahl von Anlageninbetriebnahmen führen zu folgenden Erkenntnissen: a) Inbetriebnahmekosten sind vorrangig Material-, Energie- und Personalkosten.  Die Anlage arbeitet längere Zeit nicht bei Nennlastbedingungen (häufig Teillast- oder Kreislaufbetrieb), d.h. nicht unter wirtschaftlichen Betriebszuständen.  Die erzeugten Produkte haben häufig Minderqualität und gestatten nur geringe Verkaufserlöse bzw. müssen teilweise recycelt oder im Sonderfall entsorgt werden. Die kostenintensiven Roh- und Hilfsstoffe bilden bei der Inbetriebnahme stoffwirtschaftlicher Anlagen einen erheblichen Kostenfaktor.  Während der Inbetriebnahme sind zahlreiche, gut bezahlte Leit- und Fachkräfte nahezu aller Vertragspartner auf der Betriebsstelle.  Eine typische Betriebskostenstruktur für eine Konti-Anlage der Mineralöl- bzw. Grundstoffindustrie ist beispielsweise: ca. 70-80 % Materialkosten für Roh- und Hilfsstoffe, ca. 8-15 % Energiekosten und ca. 10-15 % Kosten für Personal, Instandhaltung, Abschreibungen u.ä. b) Inbetriebnahmekosten sind stark vom Neuheitsgrad des Verfahrens und der Anlage/ Komponenten abhängig.  Nach [4] gliedert sich der Prozentsatz der Gesamt-Inbetriebnahmekosten bezogen auf die Investitionskosten wie folgt auf: 5 – 10 % für bewährte Verfahren 10 – 15 % für relativ neue Verfahren 15 – 20 % für völlig neue Verfahren. Das heißt, der Innovationsgrad des in der Anlage realisierten Verfahrens beeinflusst entscheidend die Kosten. Dieser Sachverhalt ist objektiv gegeben und leicht nachzuvollziehen. Natürlich wird man eine Anlage nach neuem Verfahren vorsichtiger und bedachter, d.h. in kleineren Schritten, mit mehr Haltepunkten und Kontrollen sowie auch mit mehr Personal, in Betrieb nehmen. Damit sind höhere Kosten a priori gegeben. Zugleich bewirken derartige Erstanlagen auch größere Risiken, die Kosten steigernde Störungen, Änderungsarbeiten usw. verursachen können (s. Buchst. c)).  Auch wenn bewährte Verfahren genutzt werden, so können größere Risiken und damit höhere Kosten auch dann entstehen, wenn gravierende Neuentwicklungen bei Ausrüstungen [5], bei der Anlagengestaltung oder im Bedienungs- bzw. Leittechnikkonzept vorgenommen werden.

4.2 Inbetriebnahmekosten und Einsparpotenziale

275

Beispiele solcher Neuentwicklungen sind: ▪ Einsatz einer großen, an Stelle mehrerer kleinerer Ausrüstungen, ▪ Einsatz von neuentwickelten Turbo-Verdichtern für bisher traditionelle Einsatzgebiete von Kolbenverdichtern, ▪ Einsatz neuer Ofenkonstruktionen, ▪ Realisierung eines neuartigen projekt- und standortspezifisches Anlagen-Layout oder veränderter örtliche Kopplungen von Anlagenteilen, ▪ Realisierung einer vollautomatisierten Anfahr- und Betriebssteuerung, ▪ Realisierung von fernbedienbaren Anlagen.  Insgesamt erscheinen die der Fachliteratur entnommenen Prozentsätze tendenziell richtig, wenn auch etwas hoch. Der Autor hat für die Inbetriebnahme einer Erstanlage zur Herstellung eines neuartigen Kunststoffs, nach einem neuen Verfahren ca. 15 Prozent der Investitionskosten (Summe aus direkten und indirekten Anlagenkosten) als Gesamt-Inbetriebnahmekosten ermittelt.  Die Diskussion mit Fachkollegen zur Thematik lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die Gesamtkosten der Inbetriebnahme (von Mechanischer Fertigstellung bis Ende Leistungsnachweis) betragen für Anlagen der Stoffwirtschaft und einen normalen Inbetriebnahmeverlauf ca. 10 Prozent der Investitionssumme.  In vielen Projekten werden die Gesamt-Inbetriebnahmekosten nicht explizit sichtbar, da die Material- und Energiekosten nicht über das Projekt sondern als Beistellleistungen des Betreibers separat verrechnet werden. Das Unternehmensmanagement ist aber zunehmend bestrebt, auch diese Kosten über das Projekt zu bezahlen; gegebenenfalls sogar im Pauschalpreis eines LSTK-Vertrags. c) Hauptursache für überhöhte Inbetriebnahmekosten sind Verzögerungen, Störungen und Schäden.  Die These wird insbesondere durch Veröffentlichungen der Technischen Versicherer [6] [7] bestätigt, ist aber leicht nachvollziehbar.  Die Verteilung der Schäden auf die Anlagenkomponenten, wie sie beispielsweise von den Versicherungen angegeben wurde, ist aus Abb. 4.4 ersichtlich. Man erkennt, dass alle Komponenten einen signifikanten Anteil haben.  Die Analyse von über 800 Schäden mit einer Schadenssumme von insgesamt mehr als 35 Mio. EURO ist in Abb. 4.5 dargestellt. Man erkennt, dass die Anzahl der Schäden während des Probebetriebs (Synonym: Heiß-Inbetriebnahme) deutlich größer ist als während der Montagephase.  Wesentlich signifikanter als der unmittelbare Sachschaden an den Anlagenkomponenten ist der resultierende Folgeschaden durch Umsatzverlust bzw. durch entgangenen Gewinn (s. Tab. 4.3). Das Verhältnis von Umsatzverlust zu unmittelbaren Sachschaden an der Anlagenkomponente ist ca. 100 zu 1. Die angeführten Zahlen bestätigen die im Anlagenbau oft gemachte Erfahrung: Kleine Ursache – große Wirkung!  Die Angaben in Tab. 4.3 beweisen zugleich, dass im Anlagenbau in der Regel beim Auftraggeber die größeren Markt- und Finanzrisiken verbleiben, da der Auftragnehmer kaum für sog. Folgeschäden (Umsatz-, Gewinn-, Marktverluste) haftbar gemacht werden kann (s. auch Abschn. 4.3.2).

276

4 Inbetriebnahmemanagement 29

                        

19

Anzahl Kosten

20 18 15

14

15 15 12

13

13 10

9

8

5

Öfen Reaktoren

Tanks Behälter

Säulenwärmetauscher

Rohrleitungen

Maschinen

Bauten

Sonstiges

Abb. 4.4 Schadensverteilung auf Anlagenkomponenten (Angaben in Prozentanteil) [8]

 Abb. 4.5 Schadensverteilung auf Montage- und Inbetriebnahmephase (Angaben in Prozentanteil) [8]

 Beispielsweise ist in vielen LSTK-Verträgen die Haftung des Generalunternehmers erheblich begrenzt, z.B. auf 15 bis 20 Prozent der Vertragssumme.  Die angeführten Risiken durch Folgeschäden sind ein wirtschaftliches Argument für intensive Qualitätskontrollen durch den Auftraggeber. Dies gilt für alle Phasen der Projektabwicklung.  Dieser Umstand legitimiert auch den Auftraggeber zu umfangreichen, vertraglich vereinbarten Prüf- und Kontrollrechten beim Generalauftragnehmer und seinen Subunternehmern.

4.2 Inbetriebnahmekosten und Einsparpotenziale

277

Tabelle 4.3 Verhältnis von Umsatzverlust zu Sachschaden während der Inbetriebnahme und

des Betriebs von Chemieanlagen [9] 1

2

3

Einfluss des Ausfalls von Ausrüstungen Ofen Verdichter Pumpen Reaktoren Kneter Wärmeaustauscher Extruder Rohrleitungen Transformatoren Kolonnen Armaturen MSR-Einrichtungen Turbinen

20 : 1 30 : 1 60 : 1 50 : 1 100 : 1 40 : 1 70 : 1 18 : 1 40 : 1 30 : 1 100 : 1 100 : 1 100 : 1

Einfluss der Schadensart Ermüdungsbruch Mechanischer Abrieb Korrosion Kurzschluss/Erdschluss Thermische Überbeanspruchung Mängel im Verfahren Verstopfung Mechanische Überbeanspruchung Dichtungsschäden

18 : 1 47 : 1 40 : 1 50 : 1 16 : 1 30 : 1 40 : 1 30 : 1 120 : 1

Einfluss der Schadensursache Verstoß gegen Vorschriften Unkenntnis Bedienungsfehler Konstruktionsfehler Werkstofffehler Instandhaltungsfehler Fertigungsfehler Energieausfall Planungsfehler Fahrlässige Handlungen Fehler bei Funktionsprüfungen

10 : 1 10 : 1 6:1 20 : 1 40 : 1 14 : 1 30 : 1 40 : 1 200 : 1 10 : 1 15 : 1

 Auf dem Gebiet der Maschinen- und Apparatetechnik zielt die Schadensverhütung insbesondere auf eine vorbeugende und abgestimmte Einflussnahme in Konstruktion, Fertigung und Betrieb der Ausrüstungen. Dabei müssen die verschiedenen Maßnahmen komplex und in ihrer Wechselwirkung und gegenseitigen Beeinflussung betrachtet werden.  Bei der Schadensanalyse und -bekämpfung in verfahrenstechnischen Anlagen spielen, im Unterschied zu fertigungs- und maschinentechnischen Anlagen, die verfahrens- und betriebsbedingten Beanspruchungen und Risiken sowie eventuelle Fehler während der Planung, Montage und Inbetriebnahme eine viel größere Rolle. Der unmittelbare Maschinenschaden ist häufig nur ein Bruchteil des Gesamtschadens.

278

4 Inbetriebnahmemanagement

Die statistischen Angaben in [3][9], wonach Verzögerungen bei Inbetriebnahmen in der chemischen Industrie zu: 26 – 29 % durch Auslegungs- und Konstruktionsmängel 56 – 61 % durch Versagen von Ausrüstungsteilen 13 – 15 % durch Fehler des Bedienungspersonals verursacht sind, bestätigen im Grundsatz diese Aussagen. Die Hinweise und Erfahrungen in Kapitel 2 sollen helfen, derartige Fehler und Mängel rechtzeitig während des Engineerings zu vermeiden. Wie „tückisch“ die Unwägbarkeiten (contingency) in verfahrenstechnischen Anlagen mitunter sein können, zeigt das folgende Praxisbeispiel. Beispiel 4.1 Inbetriebnahme einer Anlage zur Agglomeration von Kunststoff-Abfällen Im Rahmen einer Recyclinganlage zur Verarbeitung von Kunststoff-Abfällen aus dem DSD (Dualen System Deutschland) wurde eine Teilanlage zur Agglomeration von thermoplastischen Kunststoff-Abfällen geplant und realisiert. Ziel war einerseits die Verdichtung des Inputs, insbesondere der Folienstücke (sog. Folienflaks), und andererseits die Erzeugung einer definierten und für die Weiterverarbeitung (z.B. Extrusion) günstigen Teilchengröße des erzeugten Kunststoff-Agglomerats (s. Abb. 4.7, rechts). Das Verfahrensprinzip und die Hauptausrüstungen der Teilanlage (Package-unit) sind auf dem Übersichtsschema in Abbildung 4.6 dargestellt.

 Abb. 4.6 Package-unit zur Agglomeration und Zerkleinerung von recycelten Kunststoffabfall

Der thermoplastische Kunststoffabfall aus dem DSD (Folie, Fasern, Schaumstoff) wird nach erfolgter Vorbehandlung (Sortieren, Reinigen/Waschen, Zerkleinern u.a.)) in einem Silo gepuffert und anschließend einem Scheiben-Kompaktor (s. Abb. 4.7, links) zugeführt. Im Kompaktor werden die Kunststoff-Teilchen erwärmt, getrocknet und verdichtet, sodass ein Schüttgewicht des Agglomerats von über 350 kg/m3 erreicht wird (Ausgangs-

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Abb. 4.7 Scheiben-Kompaktor (links); Bigbag (mittig); Kunststoff-Agglomerat (rechts)

4.2.2 Verringerung der Inbetriebnahmekosten Die dargelegte Analyse zu den Inbetriebnahmekosten liefert zugleich die Ansatzpunkte für Kosteneinsparungen. Die wichtigsten Maßnahmen zur Einsparung von Investitionskosten sind in einer Checkliste in Tabelle 4.4 zusammengestellt. Auf die meisten dieser 25 Aktionen wird in separaten Abschnitten dieses Buches ausführlich eingegangen.

280

4 Inbetriebnahmemanagement

Tabelle 4.4 Aktionspunktliste zur Einsparung von Inbetriebnahmekosten 1

Konsequentes Umsetzen des Leitsatzes: Ohne Sicherheit – kein Erfolg!

2

Vor und nach Vertragsabschluss die Gefährdungen (Risiken) der Vertragserfüllung ganzheitlich identifizieren und analysieren.

3

Ständiges Bemühen um Minimierung des bewusst eingegangenen Vertragsrisikos im Verlauf der Auftragsabwicklung.

4

Gewährleistung eines umfassenden Qualitätsmanagements in allen Phasen der Auftragsabwicklung.

5

Rechtzeitige und ausreichende Beachtung der Inbetriebnahme während der Entwicklung und Planung.

6

Schnittstellen der Inbetriebnahmevorbereitung und -durchführung identifizieren und effizient regeln.

7

Verantwortung, Befugnisse und Zuständigkeiten der Inbetriebnahmevorbereitung und Inbetriebnahmedurchführung eindeutig regeln und praktizieren.

8

Erarbeiten und Nutzen einer Inbetriebnahmeanleitung für die Gesamtanlage sowie detaillierter Betriebsanweisungen zur In- und Außerbetriebnahme.

9

Erarbeiten und Nutzen eines Inbetriebnahmehandbuchs.

10

Durchsetzung einer systematischen Inbetriebnahmevorbereitung während der Montage bzw. Anfahrvorbereitung während der Herstellung der Betriebsbereitschaft.

11

Maximale Nutzung der Sicherheits- und Funktionsprüfungen zum frühen Erkennen und Beheben von Fehlern und Mängeln.

12

Realisieren einer sachkundigen und realistischen Inbetriebnahmeplanung.

13

Bereitstellen einer vollständigen und aktuellen Inbetriebnahmedokumentation zum Zeitpunkt Protokollierung Mechanische Fertigstellung.

14

Einsatz eines erfahrenen und belastbaren Fachmannes als Inbetriebnahmeleiter und dessen rechtzeitige Mitwirkung vor Inbetriebnahmebeginn.

15

Hohe Sachkenntnis, Flexibilität, Belastbarkeit u.a. des Inbetriebnahmeteams.

16

Beim Anfahren gemäß der These handeln: Jeder Anfahrschritt muss erfolgreich sein!

17

Als Inbetriebnahmeleiter und -team stets überlegt handeln und „cool“ bleiben; nicht euphorisch werden, auch nicht bei Erfolgen.

18

Umfassende Ausbildung und Unterweisung sowie Einbeziehung des Betriebspersonals während der Inbetriebnahmevorbereitung.

19

Realisierung kostensparender Fahrweisen während der Inbetriebnahme.

20

Anfahrstrategie derart wählen, dass sicher und schnell qualitäts- und marktgerechte Endprodukte erzeugt werden.

21

Gewährleisten einer schnellen und sachkundigen Störungsdiagnose/Fehlersuche/Schadensanalyse während der Inbetriebnahme, insbesondere Heiß-Inbetriebnahme.

22

Gewährleisten einer leistungsfähigen Störungs-/Ursachen-/Schadensbeseitigung mit Hilfe von Prozessänderungen, Nachbesserungen, Instandsetzungen usw.

23

Realisieren eines ganzheitlichen und effizienten Inbetriebnahmecontrolling, inklusive Change-Order-Management und Troubleshooting.

24

Gezielter Know-how-Gewinn während der Inbetriebnahme sowie Erfahrungsrückfluss aus der Inbetriebnahme.

25

Nutzung der Erfahrungen anderer.

4.2 Inbetriebnahmekosten und Einsparpotenziale

281

Im Weiteren werden von den Maßnahmen/Aktionen in Tab. 4.4 einige Hauptmaßnahmen, die an anderer Stelle nicht näher betrachtet werden und die nicht selbsterklärend sind, kurz erläutert. Aktion-Nr. 2: Vor und nach Vertragsabschluss die Gefährdungen (Risiken) der Angebots- und Vertragserfüllung ganzheitlich identifizieren und analysieren. In diesem Zusammenhang geht es um Gefährdungen bezüglich des Erreichens der Hauptziele des Angebots bzw. des Vertrags entsprechend Abschn. 4.1 und Abb. 4.1. Die Analyse und Bewertung der Gefährdungen und ihrer Auswirkungen ist für den Auftragnehmer (Generalplaner, Generalunternehmer, Package-unit-Lieferant) in der Angebotsphase und für beide Vertragspartner nach Vertragsabschluss relevant. Die Vorgehensweise sollte strukturiert nach Aussagen/Vereinbarungen/Merkmalen zu Kosten, Termine, Verfahren/Technik, Sorgfaltspflichten erfolgen. Als Methode wird häufig die WHAT-IF-Methode genutzt, indem im eigenen Team intern und vertraulich gefragt und beantwortet wird: 1. Welche Gefährdungen für die Zielerreichung sind im betrachteten Angebot bzw. Anlagenvertrag möglich? 2. Welche Auswirkungen (qualitativ und ggf. quantitativ) können eintreten? 3. Welche Vorkehrungen/Verhinderungsmaßnahmen können ergriffen werden? 4. Reichen die möglichen Maßnahmen aus, um die Auswirkungen (Risiko) auf ein vertretbares Maß zu verringern? 5. Wenn d) mit NEIN beantwortet wird, sind zusätzliche Maßnahmen/Aktionspunkte zu erarbeiten, zu dokumentieren und zu verwirklichen (s. u.a. Aktion 3.). Aktion-Nr. 3: Gezielte Risikominimierung während der Auftragsabwicklung. Die weltweite Wettbewerbssituation zwingt den Anlagenlieferanten und auch den Verfahrensgeber bei den Leistungsgarantien bis an die Grenzen des Vertretbaren zu gehen. Im Bemühen, mit dem neuen Produkt zuerst und mit hohem Gewinn auf den Markt zu kommen, werden zeit- und kostenaufwändige Versuche im Pilot- und halbtechnischen Maßstab möglichst umgangen. Andere Trends, wie  die zunehmende Komplexität von Anlagen,  die erhöhten Anforderungen an die Reinheit der Produkte und Rohstoffe, die die Verfahren und Anlagen z.T. komplizierter und sensibler machen,  der Druck auf die weitere Verkürzung der Projektlaufzeiten,  die Internationalisierung des Anlagenbaues erzeugen aus der Marktsituation heraus, immer wieder neue Risiken für die beteiligten Unternehmen. Dabei ist den Partnern zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung ihr eingegangenes wirtschaftliches Risiko bewusst. Nicht selten wird von beiden Partnern eine „Risikobeurteilung zur Vertragsabwicklung/-erfüllung“ gemäß Aktion-Nr. 2 durchgeführt. Leider wird aber mitunter danach nicht ausreichend an der Minimierung der identifizierten wirtschaftlichen Risiken gearbeitet. Nachfolgend soll als Beispiel das verfahrenstechnische Risiko (sog. Verfahrensrisiko) gemäß folgender Begriffsdefinition näher betrachtet werden. Verfahrensrisiko ist Eintrittswahrscheinlichkeit des Nichterreichens der vertraglich zugesagten Leistungsgarantien bzw. Leistungswerte.

Für verfahrenstechnische Anlagenprojekte ist dieses Risiko, in Abschn. 4.1 als Verfahren- bzw. Technikrisiko bezeichnet, besonders gravierend.

282

4 Inbetriebnahmemanagement

Fehler im Verfahren, die erst während der Inbetriebnahme erkannt werden, sind meistens nicht durch einfache operative Vor-Ort-Maßnahmen zu beseitigen. Sie erfordern meistens Umplanungen im Engineering und infolge neue Beschaffungs- und Montageleistungen. In der Regel geht es um Zeitverzögerungen von mehreren Monaten. Zugleich verhindern derartige Verfahrensmängel den erfolgreichen Abschluss des Leistungsnachweises und in Folge die Vertragserfüllung und den Projektabschluss. Das in Abb. 4.8 dargestellte Verfahrensrisiko-Flussdiagramm soll veranschaulichen, dass in allen Phasen der Auftragsabwicklung das anfängliche Verfahrensrisiko VR, welches vom Auftragnehmer aber auch vom Auftraggeber bei der Unterzeichnung des „Anlagen-Liefervertrages“ eingegangen wurde, gezielt minimiert werden muss.

 Abb. 4.8 Verfahrensrisiko-Flussdiagramm während der Auftragsabwicklung

In der Praxis wird der mögliche Spielraum für die Verringerung des Verfahrensrisikos nach Abschluss des Vertrages oft unterschätzt. Als Beleg sind für mehrere Phasen der Auftragsabwicklung einige Abbaumöglichkeiten des Verfahrensrisikos (bzw. des Entwicklungsrisikos bei Ausrüstungen oder des Gestaltungsrisikos bei Anlagen) aufgeführt.  Risikoverringerung während des Engineerings (∆VR (Planung) in Abb. 4.8)  Die Ausarbeitung der Inbetriebnahmedokumentation muss sowohl mit der Zielstellung eines reibungslosen und schnellen Anfahrens als auch im Hinblick eines erfolgreichen Leistungsnachweises sowie sonstiger vertraglicher Verpflichtungen geschehen. Dabei können u.a.: ▪ Vorgaben zur Datenerfassung und -auswertung, ▪ das Ausschließen leistungsmindernder instationärer bzw. stationärer Betriebszustände und Parameter, ▪ die Angabe alternativer Fahrweisen gezielt zur Risikominimierung genutzt werden.  Das Vorsehen zusätzlicher Mess- und Probenahmestutzen bzw. die Bereitstellung mobiler Messmöglichkeiten vor Ort (s. Abb. 4.9), um bei Nichterreichen einzelner Garantiewerte zusätzliche Optionen zur Prozessuntersuchung zu haben, wirkt gleichfalls risikominimierend.  Risikoverringerung während der Montage und Inbetriebnahmevorbereitung (∆VR (Montage) in Abb. 4.8)  Der verhältnismäßig große Zeitraum zwischen Vertragsabschluss und Montage sowie eventuelle begleitende Untersuchungen zur Risikominimierung können dazu

4.2 Inbetriebnahmekosten und Einsparpotenziale

283

Abb. 4.9 links: Anlege-Thermometer für Störungsdiagnose mittig: Aufnahme der Kabelanschlüsse in einem Klemmenkasten mittels Wärmebildkamera (Übergangswiderstände erkennbar) rechts: Tropfenschlag an einer Dampfturbinen-Schaufel (mit Endoskop festgestellt)

führen, dass beim Anlagenplaner/-bauer neue Erkenntnisse vorliegen, deren Anwendung das Risiko und damit u.U. die Inbetriebnahmekosten reduzieren. Es ist zu entscheiden, was und wie die Erkenntnisse umgesetzt werden sollen. Kleinere Maßnahmen lassen sich häufig auf der Baustelle operativ klären, größere bedürfen der offiziellen Abstimmung. Im Einzelnen hängt dies von der konkreten Situation bei der Vertragsrealisierung ab, wobei die Änderungskosten während der Montagephase 20 bis 60 Prozent niedriger sind als eventuelle spätere Änderungskosten während der Inbetriebnahme.  Während der Inbetriebnahmevorbereitung können u.a. die Qualifizierung des Personals sowie die Durchführung von Funktionsprüfungen als wesentliche Möglichkeiten des Risikoabbaus genutzt werden.  Das Beispiel 4.2 verdeutlicht, welche Maßnahmen bei einem vertrauensvollen Verhältnis zwischen den Vertragspartnern möglich sind. Beispiel 4.2 Vermeiden der Versetzung von Kolonnenböden In Abb. 4.10 ist auszugsweise das Verfahrensfließschema einer Anlage zur Gewinnung von n-Alkanen der Kettenlänge C10 bis C20 aus einer Dieselkraftstofffraktion nach dem PAREX®-Verfahren [8] dargestellt. Das Verfahren beruht auf der selektiven Adsorption der n-Alkane an Molekularsieben (Zeolith) in Form von Schüttgut mit ca. 2 mm Partikeldurchmesser und definierten Mikroporen-Durchmesser. Die Adsorption der n-Alkane findet in der Gasphase bei ca. 400 °C und ca. 1,0 MPa und im Beisein eines wasserstoffhaltigen Begleitgas statt. Die Desorption der n-Alkane (Desorbat) erfolgt durch Ammoniak (Desorptionsmittel) bei ähnlichen Temperatur- und Druckbedingungen. Die Abb. 4.10 zeigt die Verfahrensstufe, in der aus dem Desorbat-DesorptionsmittelGemisch von ca. 400 °C durch Abkühlung die n-Alkane auskondensiert und abgeschieden werden. Dies geschieht in einer sog. Kühlkolonne K 106 (Durchmesser: 2800 mm; Höhe: ca. 40 m). Zu diesem Zweck wird das Gemisch oberhalb des Sumpfbodens in die Kühlkolonne K 106 eingeleitet und in dieser im Gegenstrom mit dem gekühlten Sumpfprodukt teilkondensiert. Das n-Alkangemisch verlässt die Kolonne über den Sumpf und der gasförmige Ammoniak die K 106 über Kopf.

284

4 Inbetriebnahmemanagement

Abb. 4.10 Kühlkolonne zur n-Alkan-Ammoniak-Trennung im PAREX®-Verfahren

Die Kühlung wird durch den Rohrbündel-Wärmeübertrager W 111 und den Luftkühler LK 106 im externen Kühlkreislauf realisiert. Durch Nutzung einer Kühlkolonne wird im Vergleich zur klassischen Kühler-Abscheider-Schaltung ein deutlich geringerer Druckverlust im Gaskreislauf erreicht. Die Kühlkolonne K 106 war mit sog. Schlitzböden ausgeführt, um eine intensive Wärmeübertragung zu gewährleisten. Während der Inbetriebnahme vorheriger Anlagen gleicher Bauart (sog. Typenanlagen) gab es wiederholt nach ca. 1 Woche Betriebsdauer hydraulische Versetzungen der oberen Kolonnenböden. Ursache war Abrieb des Molekularsiebs, der gemeinsam mit dem Desorptionsgemisch aus den Adsorbern ausgetragen wurde und über den externen Kühlkreislauf auf die oberen Kolonnenböden transportiert wurde. Dies passierte, trotz größter Sorgfalt beim Einfüllen des Molekularsiebs (ca. 300 m3) in die drei Adsorber. Die gesamte Anlage musste abgefahren, inertisiert und geöffnet werden. Anschließend mussten die oberen Böden manuell von den schlammartigen Ablagerungen gereinigt werden, bevor die Anlage verschlossen und wieder in Betrieb genommen werden konnte. Die Betriebsunterbrechung betrug insgesamt ca. 5 Tage. Die Idee des Inbetriebnahmeteams unter Leitung des Auftragnehmers während der Inbetriebnahmevorbereitung einer neuen Typen-Anlage war folgende (siehe gestrichelte Rohrleitungen-Linien im Sumpfbereich der Kolonne K 106):

4.2 Inbetriebnahmekosten und Einsparpotenziale

285

1) Der Ansaugstutzen der Sumpfleitung zur Kreislaufpumpe P 106/1 wurde 1,2 m durchgesteckt. Dadurch sollte verhindert werden, dass Abrieb (Staub) in den Kühlkreislauf und auf die oberen Kolonnenböden gelangt. 2) Von der Kolonnenboden-Entleerungsleitung wurde eine zusätzliche neue BypassLeitung in die normale Sumpfleitung geführt. Während des späteren Betriebs wurde die Handarmatur in der Boden-Entleerungsleitung gering geöffnet (angelüftet), sodass ständig am Sumpfboden eine kleine Flüssigkeitsmenge, auf direktem Weg zusammen mit dem Abrieb ausgekreist wurde. Die Sorge einiger Mitarbeiter, dass sich dadurch die nachfolgende Stabilisierungskolonne (Ventilböden) versetzt, bewahrheitete sich nicht. Die Vorschläge wurden mit dem Projektleiter des Auftraggebers abgestimmt und vor Ort kurzfristig auf Kosten des Auftraggebers realisiert. Während der anschließenden Erstinbetriebnahme erwiesen sich die Maßnahmen als erfolgreich. Es wurden an der Kühlkolonne keine hydraulischen Engpässe festgestellt. Die Anlage musste nicht zu Reinigungszwecken abgestellt werden. Für beide Vertragspartner ergaben sich dadurch gravierende Vorteile. Aktion-Nr. 6: Schnittstellen der Inbetriebnahmevorbereitung und -durchführung identifizieren und effizient regeln. Erfahrungsgemäß sind ca. 50 Prozent aller Störungen im Projekt auf Schnittstellenprobleme zurückzuführen. Dies gilt im Grundsatz auch für die Inbetriebnahmephase. Die wesentlichen Schnittstellen der Baustellen- und Inbetriebnahmephase wurden bereits in Abschn. 1.5.2 beschrieben. Das Beispiel aus der Baubranche in Abb. 4.11 zeigt: Keiner ist vor Missverständnissen oder Fehlern gefeit! Die scheinbar einfachen Dinge werden besonders gern übersehen bzw. unterschätzt, da sie als selbstverständlich vorausgesetzt bzw. angesehen werden. Bezug nehmend auf Abb. 4.11 sei nachfolgend aus einer deutschen Tageszeitung unter der Überschrift: Baupanne an der neuen Rheinbrücke in Laufenburg zitiert: „Beim Bau der neuen Rheinbrücke (d. Verf.: 2003 bis 2004) zwischen dem deutschen und dem Schweizer Teil der Stadt Laufenburg ist eine peinliche Panne passiert. Zwischen beiden Seiten tut sich ein Höhenunterschied von 54 cm auf. Der Grund ist die unterschiedliche Höhenberechnung auf beiden Seiten der Grenze. Während die Schweiz das Niveau des Mittelmeers zu Grunde legt, orientiert sich Deutschland an der Nordsee.“

Bem.: Das Niveau des Mittelmeers ist 27 cm niedriger als das Niveau der Nordsee. Dieser Umstand war den Planern bekannt. Aber statt auf der Schweizer Seite das Widerlager um 27 cm anzuheben, senkten die Planer das Widerlager um 27 cm ab. Durch diesen Vorzeichenfehler ergab sich eine fehlerhafte Differenz von 54 cm. Der Fehler wurde durch Korrekturmaßnahmen am deutschen Brückenlager und durch Höhenangleichungen des Brückenüberbaus (Straßenanschluss) beseitigt. In Abb. 4.12 sind ergänzend dazu zwei Schnittstellenprobleme aus dem „Leben“ angeführt. Die Vielfalt möglicher Schnittstellen im Projekt und bei der Inbetriebnahme, die gegebenenfalls technisch, sicherheitlich, organisatorisch und örtlich zu definieren und zu gestalten sind, zeigt die Zusammenstellung in Tabelle 4.5.

286

4 Inbetriebnahmemanagement

 Abb. 4.11 Schnittstellenproblem beim Bau der Rheinbrücke in der Stadt Laufenburg

 Abb. 4.12 Schnittstellenprobleme durch Kommunikationsprobleme sowie durch Nutzung unterschiedlicher Ausführungszeichnungen (kein identischer Revisionsstand) seitens des Bau- und TGA-Gewerks

4.2 Inbetriebnahmekosten und Einsparpotenziale

287

Tabelle 4.5 Beispiele für Schnittstellen im Projekt inklusive Inbetriebnahme Im Projekt einschließlich der Inbetriebnahmephase sind u.a. zu identifizieren und zu gestalten die Schnittstelle zwischen:  Auftraggeber und Auftragnehmer,  Projektteam und Linienorganisation,  Projektteam (AG) und Betriebsteam (AG),  Projektteam/-leiter und Einkauf,  Aufgaben, Verantwortung und Befugnisse der Fachplaner/-disziplinen,  den einzelnen Beschaffungsvorgängen,  den Generalauftragnehmer/-planer und seinen Subunternehmern,  Package-unit-Lieferanten und Unterlieferanten,  Engineering und Bau bzw. Montage,  Inside Battery Limits (ISBL) und Outside Battery Limits (OSBL),  bestehender Anlage und neuer Anlage,  Montage und Inbetriebnahme,  Inbetriebnahme und Dauerbetrieb,  Anlage und Dokumentation

 Risikoverringerung während der Inbetriebnahme (∆VR (Kalt-IBN) und ∆VR (HeißIBN) in Abb. 4.8)  Die Kalt-Inbetriebnahme ermöglicht durch eine ganzheitliche Dichtheitsprüfung, durch spezielle Reinigungsmaßnahmen, durch die vertiefende Ausbildung des Personals u.a. Maßnahmen eine wesentliche Risikoverringerung. Bei Komplexen Funktionsprüfungen können Fehler und Mängel aus den vorhergehenden Projektphasen gefunden und kostengünstig behoben werden.  Die Heiß-Inbetriebnahme der Anlage liefert viele wissenschaftlich-technische Erkenntnisse zum Verfahren sowie zum Betrieb der Ausrüstungen und der Anlage. Das Inbetriebnahmepersonal, gegebenenfalls unterstützt durch weitere Fachspezialisten, muss diese gezielt auswerten und zur Problemlösung, z.B. bei Abweichungen zwischen den Ist- und den Garantieparametern, nutzen. Das Risiko bzgl. eines erfolgreichen Leistungsnachweises während der Leistungsfahrt kann somit verringert werden. Aktion-Nr. 4. u. 11: Frühzeitiges Vermeiden bzw. Erkennen und Beheben von Fehlern und Mängeln. Mehrere Aktionspunkte in Tab. 4.4 versuchen durch präventive Maßnahmen die Inbetriebnahmekosten zu senken. Wie wichtig dies ist, beweist die sog. Zehnerregel in Abb. 4.13. Zehnerregel: Ein während der Projektabwicklung nicht entdeckter, relevanter Fehler führt später zu Fehlerbeseitigungskosten, die sich von Phase zu Phase in etwa verzehnfachen. Das heißt vereinfacht: „Je später, desto teurer!“ In Pharmaanlagen oder in Anlagen mit ähnlich kostenintensiven Produkten ist dies noch extremer. In diesen Projekten ist der fehlerbedingte Mehrkostenfaktor zwischen Montage und Betrieb bereits ca. 100.

288

4 Inbetriebnahmemanagement

Kosten pro Fehler

)HKOHUYHUKWXQJ

Entwicklung und Planung

)HKOHUHQWGHFNXQJ

Beschaffung und Bau/Montage

100

10 1

Inbetriebnahme und Dauerbetrieb 

Abb. 4.13 Abhängigkeit der Fehlerbeseitigungskosten vom Zeitpunkt der Fehlerverursachung und Fehlerbeseitigung

Das heißt, vor Beginn der Inbetriebnahme, und insbesondere des Anfahrens, müssen unbedingt die Fehler und Mängel aus den Vorphasen gefunden und behoben werden. Die Qualitäts- und Funktionsprüfungen erlangen eine hervorragende Bedeutung. Die in Pharmaanlagen angewandte Good Manufacturing Practice (GMP) verfolgt zur Gewährleistung einer spezifikations- und qualitätsgerechten Produktqualität eine analoge präventive Zielrichtung. Der Sachverhalt gemäß Abb. 4.13 ist zugleich ein gewichtiges Argument für das Projektmanagement, um Maßnahmen zur primären Fehlervermeidung sowie zur gründlichen Qualitätskontrolle zu veranlassen. Er unterstützt gegebenenfalls auch die Bewilligung dazu notwendiger Ressourcen. Leider werden in der Praxis des Anlagenbaues oftmals Fehler erst zu spät entdeckt und die Mehrkosten nicht kritisch hinterfragt, sondern als „schicksalhaft“ gegeben dargestellt. Aktion-Nr. 19: Realisieren kostensparender Fahrweisen während der Inbetriebnahme. Eine Lösung bezüglich kostensparender Fahrweisen muss vorrangig bei der Ausarbeitung der Inbetriebnahmestrategie (s. Abschn. 2.3.2 und 6.3.1) gefunden werden. In Auswertung zahlreicher Inbetriebnahmen verfahrenstechnischer Anlagen werden dazu folgende Kernempfehlungen gegeben:  Primat sollte eine stabile und zuverlässige Inbetriebnahme haben. Im Bewusstsein vorhandener technisch-technologischer Risiken, Ungewissheiten u.ä. gilt es klug abzuwägen und ohne Hast und Hektik folgerichtig einen Schritt nach dem anderen zu tun. Es ist Sachlichkeit und Pragmatismus nötig. These: Lieber einmal langsam, als mehrmals schnell angefahren! – In vielen Anlagen fallen die Rohstoffkosten stark ins Gewicht. Ferner korrelieren die Energiekosten mit dem Durchsatz. Mit notwendigen Zwischenabstellungen muss man rechnen. These: Anlage zunächst im stabilen Teillastbereich betreiben und „Kinderkrankheiten“ beseitigen!

4.3 Vertragsgestaltung zur Inbetriebnahme

289

 In produzierenden Anlagen beeinflusst der Verkaufserlös entscheidend die Wirtschaftlichkeit. Ferner werden zunehmend höhere Produktqualitäten gefordert, die zwangsläufig mit höheren Kosten zum „Sauberfahren“ bzw. Einfahren der Anlage verbunden sind. These: Die beste Inbetriebnahmestrategie ist i.d.R. diejenige, die am schnellsten zu qualitätsgerechten Endprodukten führt! Im letzten Fall gilt auch der Grundsatz: „Im Zweifel etwas langsamer und zuverlässiger die Qualität „einfahren“ als einen Qualitätseinbruch riskieren“ Insgesamt wird das Kosteneinsparungspotenzial bei Anlageninbetriebnahmen als erheblich eingeschätzt. Dies gilt auch in Vergleich zu anderen Projektphasen, wenn man bedenkt, wie hart mitunter in der Beschaffungsphase die Preise verhandelt werden bzw. wie lange teilweise über kleinere Änderungsanträge (Change-Order) während der Montagephase gestritten wird. Der Schlüssel für eine erfolgreiche und kostengünstige Inbetriebnahme liegt dabei in der Planung und Inbetriebnahmevorbereitung. Eigene Erfahrungen mit der zeitlich gestaffelten Inbetriebnahme von 9 gleichartigen Anlagen (sog. Typenanlagen) besagen, dass die Inbetriebnahmedauer und annähernd proportional die Inbetriebnahmekosten bei den letzten Anlagen im Vergleich zur ersten Anlage nur 1/3 bis 1/5 betrugen.

4.3 Vertragsgestaltung zur Inbetriebnahme Die Inbetriebnahme ist in vielen Projekten die letzte und entscheidende Phase der Vertragserfüllung. Während der Inbetriebnahme ist gegenüber dem Kunden nachzuweisen, dass die Anlage die im Vertrag vereinbarten Leistungen und sonstigen zugesicherten Eigenschaften (vereinbarte Beschaffenheit) erreicht. Dazu ist i.d.R. ein rechtsverbindlicher Leistungsnachweis des Verkäufers gegenüber dem Käufer zu erbringen. Gemäß Definition endet die Inbetriebnahme mit der Bestätigung der erbrachten Vertragsleistung. Dieser Projektmeilenstein hat in den meisten Anlagenverträgen den Charakter einer werkvertraglichen Endabnahme, was wiederum mit entscheidenden Konsequenzen, wie Gefahrenübergang, Beweislastumkehr, Gewährleistungsbeginn oder Zahlungsanspruch verbunden sein kann. Die vorgenannten Ausführungen belegen, dass die Inbetriebnahmephase nicht nur eine fachliche Herausforderung darstellt, sondern auch fundierte vertragliche und rechtliche Kenntnisse erfordert. Das Management beider Partner hat sich gründlich darauf einzustellen. Der Anlagenvertrag muss vom Führungspersonal in wesentlichen Teilen verinnerlicht werden. Es gilt eine solide Vertragskenntnis zu erlangen, die auch in der täglichen Arbeit vor Ort abgerufen werden kann. Als Einstieg ist bei Großprojekten ein sog. Vertragsseminar geeignet, welches in Verbindung mit dem internen Kick-off-Meeting stattfinden kann und dem Einzelnen seine vertraglich vorgegebenen Aufgaben, Randbedingungen und Risiken vermittelt. Der Anlagenvertrag oder signifikante Auszüge daraus müssen für die Projekt- bzw. Leadingenieure jederzeit als Arbeitsunterlage einsehbar sein. Unternehmen, die den Anlagenvertrag wie ein vertrauliches Dokument handhaben, schaden oft dem unternehmerischen Denken und selbstbewussten Handeln ihrer Mitarbeiter.

290

4 Inbetriebnahmemanagement

Professionelle Juristen sind als Fachberater nützlich und werden von beiden Partnern, z.B. beim Ausloten der eigenen Positionen, herangezogen. Andererseits ist das Herbeiführen einer richterlichen Entscheidung zur Klärung von Streitfragen während der Projektrealisierung sehr selten. In der Regel fehlt dazu die Zeit. Nach Aufnahme des Dauerbetriebs ist dies, z.B. wegen strittiger Restzahlungen oder zu Gewährleistungsfragen, eher wahrscheinlich. Letztlich können die Fachjuristen aber nicht eine fehlende vertragsjuristische Kompetenz des Projekt- und/oder Inbetriebnahmeleiters ersetzten. In der Berufspraxis des Autors hat sich oft gezeigt, dass die Ingenieure und Naturwissenschaftler nicht selten die Bedeutung von rechtlich-vertraglichen Aspekten unterschätzen. Dies ist im gegenwärtigen verfahrenstechnischen Anlagenbau mit all seinen Risiken nachteilig und fahrlässig; auch hinsichtlich der persönlichen Absicherung sowie der Vermeidung von Haftungsansprüchen gegen die eigene Person. Ausgehend von der vorgenommen Situationsbeschreibung sollen im Weiteren die grundlegenden Rechtsaspekte und Vertragsformen in Verbindung mit Anlagenverträgen behandelt werden. Dabei ist es zunächst nicht wichtig, ob es sich um einen TurnkeyVertrag, Engineeringvertrag, Montagevertrag oder Liefervertrag handelt. Auf diese letztgenannten Vertragsarten, die begrifflich durch den Leistungsumfang bzw. Vertragsgegenstand definiert sind, wird im Abschn. 4.3.2 eingegangen. Juristisch relevant ist vielmehr, welche Rechtsform gemäß dem Schuldverhältnis der Vertrag hat und welche Rechtsvorschriften gelten. Aus diesem Grund wird im nächsten Abschnitt die Rechtssituation der Bundesrepublik Deutschland kurz dargestellt. 4.3.1 Rechtsformen von Verträgen nach Bürgerlichen Gesetzbuch Eine rechtliche Systematisierung von Verträgen bzw. Bestellungen ist nach dem BGB (Bürgerlichem Gesetzbuch) [10][11] in Abhängigkeit vom Schuldverhältnis zwischen Gläubiger (Investor, Auftraggeber, Bauträger) und Schuldner (Kontraktor, Auftragnehmer) möglich. Für die Anlagen-Projektabwicklung sind die Schuldverhältnisse nach Werkvertrag, Kaufvertrag oder Dienstvertrag bedeutungsvoll. Die angeführten Vertragsbezeichnungen drücken die Rechtsform eines Vertrages aus; in diesem Buch als Vertragsform definiert. Hinsichtlich der Gültigkeit der BGB-Aussagen über die Schuldverhältnisse gemäß den o.g. Vertragsformen sind folgende Vorbemerkungen wichtig: a) Das im BGB formulierte Recht der Schuldverhältnisse ist dispositiv, d.h. die Vertragsparteien können etwas anderes vereinbaren als im Gesetz steht (sog. Gestaltungsfreiheit). Oder anders gesagt, wenn nichts Anderes vereinbart ist, gelten die Rechtsnormen des BGB bzw. wenn andere Regelungen als im BGB gewollt sind, muss dies ausdrücklich im Anlagenvertrag vereinbart werden. Bsp.: Wird in einem Werkvertrag über ein Bauwerk keine Aussage zur Gewährleistungsfrist/-dauer gemacht, so verjähren nach BGB, § 634a, Abs. 2 die Mängelansprüche nach 5 Jahren. Dies entspricht umgekehrt formuliert einer Gewährleistungsdauer von 5 Jahren für das Bauwerk. Basiert der Vertrag über das Bauwerk auf der VOB (Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen) [12] und wurde im Vertrag nichts über die Verjährungsfrist der Mängelansprüche vereinbart, so beträgt sie gemäß § 13 Nr. 4 (1) VOB/B für Bauwerke 4 Jahre.

4.3 Vertragsgestaltung zur Inbetriebnahme

291

Bsp.: Im Anlagenbau werden wesentliche Leistungsparameter, wie Anlagenkapazität, Ausbeute, Produktqualität, Spezifische Verbräuche an Medien usw. in den meisten Fällen nur während der Dauer des Leistungsnachweises vertraglich garantiert (s. Abschn. 6.8). Dies bedeutet i.Allg. einen Garantiezeitraum von nur 72 Stunden. Wäre dieser Sachverhalt im Vertrag nicht vereinbart, so gilt gemäß BGB, § 634a, Abs. 1 eine Verjährungsfrist der Mängelansprüche von 2 Jahren. b) Sofern durch das Recht aber die Interessen einer Vertragspartei oder Dritter geschützt werden sollen, ist die Rechtsnorm zwingend formuliert, d.h. sie ist für die Vertragsparteien im Sinne eines Gesetzes bindend. Bsp.: Im BGB, § 276 (Verantwortlichkeit des Schuldners) ist geregelt: (1) Der Schuldner hat Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten, wenn eine strengere oder mildere Haftung weder bestimmt noch aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses, insbesondere aus der Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos zu entnehmen ist. Die Vorschriften der §§ 827 (d. Verf.: Ausschluss und Minderung der Verantwortung) und 828 (d. Verf.: gilt für Minderjährige) finden entsprechend Anwendung. (3) Die Haftung wegen Vorsatzes kann dem Schuldner nicht im Voraus erlassen werden.

Bsp.: In ähnlicher Weise wie im vorherigen Beispiel wird im BGB, § 639 (Haftungsausschluss im Werkvertrag) zwingend vorgegeben: Auf eine Vereinbarung, durch welche die Rechte des Bestellers wegen eines Mangels ausgeschlossen oder beschränkt werden, kann sich der Unternehmer nicht berufen, wenn er den Mangel arglistig verschwiegen oder eine Garantie für die Beschaffenheit des Werkes übernommen hat.

c) Unabhängig von den Feststellungen gemäß a) und b) macht der Gesetzgeber im BGB nur relativ wenige Vorgaben zu vertraglichen Normen. Im Unterschied zum Ordnungs- und Genehmigungsrecht, überlässt er vieles den Vertragsparteien. In Verträgen auf Grundlage der VOB (Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen), die insbesondere bei Bauprojekten genutzt werden, sind demgegenüber sehr detaillierte Vergabe- und Vertragsbedingungen angeführt (s. Abschn. 4.3.2). Zusammenfassend lässt sich aus den Ausführungen unter a) bis c) folgern: Im Vertrag sind die wichtigen rechtsrelevanten Aspekte, die insbesondere Aussagen und Regelungen:  zu Verantwortlichkeiten und Befugnissen,  über die zugesicherten Eigenschaften (vereinbarte Beschaffenheit),  zu Gewährleistungen bzw. Garantien,  zu Haftung und Schadenersatz,  zu Abnahme, Vergütung, Zahlungszielen usw. betreffen, zwischen den beiden Partnern projektbezogen und ausführlich zu vereinbaren. Die detaillierten vertraglichen Vereinbarungen sind insbesondere bei Anlagenverträgen nach BGB nötig, da der Gesetzgeber bewusst den Vertragsparteien einen großen Gestaltungsspielraum lässt. Auch wenn viele Regelungen zu Schuldverhältnissen im BGB für die Vertragsparteien nicht zwingend sind, so stellen sie doch bewährte Rechtsnormen und Orientierungen für die konkrete Vertragsgestaltung dar.

292

4 Inbetriebnahmemanagement

Die drei wichtigsten rechtlichen Vertragsformen für Anlagenprojekte inkl. der Inbetriebnahmeleistungen werden nachfolgend kurz erläutert. 4.3.1.1 Werkvertrag (BGB, §§ 631 – 650) Zum Werkvertrag ist im BGB, § 631 (Vertragstypische Pflichten beim Werkvertrag) formuliert: (1) Durch den Werkvertrag wird der Unternehmer (d. Verf.: Auftragnehmer) zur Herstellung des versprochenen Werkes, der Besteller (d. Verf.: Auftraggeber) zur Entrichtung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. (2) Gegenstand des Werkvertrages kann sowohl die Herstellung oder Veränderung einer Sache als auch ein anderer durch Arbeit oder Dienstleistung herbeizuführender Erfolg sein.

Im Anlagenbau sind häufig die Engineeringleistungen inkl. Dokumentationsleistungen und/oder die Herstellung der Anlage inkl. der Inbetriebnahmeleistungen der Gegenstand des Werkvertrags. Im Werkvertrag schuldet der Auftragnehmer dem Auftraggeber gemäß § 631, BGB einen vereinbarten Erfolg, nicht nur sein Mitwirken bzw. sein Bemühen. Der Auftragnehmer haftet somit im Werkvertrag für den Erfolg. Wie der Erfolg (das Ergebnis) im Werkvertrag sein muss, sagt die nachfolgend angeführte Formulierung nach BGB, § 633 (Sach- und Rechtsmangel): (1) Der Unternehmer hat dem Besteller das Werk frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen. (2) Das Werk ist frei von Sachmängeln, wenn es die vereinbarte Beschaffenheit hat. Soweit die Beschaffenheit nicht vereinbart ist, ist das Werk frei von Sachmängeln, 1. wenn es sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte, sonst 2. für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Werken der gleichen Art üblich ist und die der Besteller nach der Art des Werkes erwarten kann. Einem Sachmangel steht es gleich, wenn der Unternehmer ein anderes als das bestellte Werk oder das Werk in zu geringer Menge herstellt. (3) Das Werk ist frei von Rechtsmängeln, wenn Dritte in Bezug auf das Werk keine oder nur die im Vertrag übernommenen Rechte gegen den Besteller geltend machen können.

Die Erfolgs-/Mangelhaftung des Auftragnehmers gilt prinzipiell auch dann, wenn er selbst bei der Herstellung des versprochenen Werks kein Verschulden begangen hat. Das heißt, der Auftragnehmer kann bei Misserfolg u.U. für die Fehler anderer haften. Dies können z.B. Fehler oder Versäumnisse des Auftraggebers selbst oder anderer Auftragnehmer (Planer, Lieferant, Montagefirma u.a.) sein. Um dies zu vermeiden, gilt entsprechend [13] und analog zur VOB/B, § 4 Abs. (3): Der Auftragnehmer ist bei jedem Werkvertrag im Rahmen seines Leistungsumfangs (auch bei Änderung/Nachträgen) dazu verpflichtet, auf Bedenken gegen  die vorgesehene Art der Ausführung (z.B. Planungsunterlagen),  die Güte der vom Auftraggeber gelieferten Stoffe//Materialien/Medien und Bauteile/Komponenten,  die Leistungen anderer Auftragnehmer (Erfüllungsgehilfen des Auftraggebers) hinzuweisen.

4.3 Vertragsgestaltung zur Inbetriebnahme

293

In der Berufspraxis des Autors wurden mögliche Bedenken (Fragen, Unklarheiten u.ä.) des Auftragnehmers (als Generalplaner oder Generalunternehmer) gegenüber den Vorgaben (Lastenheft, Pflichtenheft) des Auftraggebers jeweils im Prozess der Angebotserarbeitung und/oder der Vertragsverhandlung zerstreut (beantwortet, geklärt). Sollten sich trotzdem nach Vertragsabschluss bzw. bei nachträglichen Änderungen/ Ergänzungen noch Bedenken ergeben, so gilt der Hinweis: Hat der Auftragnehmer Bedenken gegen die vorgesehene Art der Ausführung, muss er diese dem Auftraggeber unverzüglich schriftlich anzeigen. Form und Inhalt der sog. Bedenkenanmeldung können, auch bei einem Werkvertag nach BGB, analog wie bei VOB-Verträgen erfolgen [12]. Das Muster einer Bedenkenanmeldung gemäß § 4 Abs. 3, VOB/B bzw. §§ 631, 633 BGB zeigt Abb. 4.14. Die Frage: „Welche Fehler/Mängel muss der Auftragnehmer erkennen und anzeigen und welche nicht? ist gemäß der erfolgten Rechtsprechung nicht eindeutig zu beantworten. Dies hängt u.a. von ▪ der Art des Fehlers bzw. Mangels, ▪ der Kompliziertheit und Komplexität des Sachverhalts, ▪ der Sachkunde des Auftragnehmers und der anderen Beteiligten, ▪ den Aufwand für die Fehlererkennung (Verhältnismäßigkeit), ▪ der Auswirkung des Fehlers bzw. Mangels ab. Sicherlich sind Baumängel tendenziell eher zu erkennen als verfahrenstechnische oder prozessleittechnische Mängel. Im verfahrenstechnischen Anlagenbau ist wegen der Kompliziertheit/Komplexität des Sachverhalts für Planungsfehler deshalb oftmals der Planer verantwortlich und haftbar. Wichtige Bestandteile der im BGB, § 633 Abs. (2) angeführten vereinbarten Beschaffenheit sind die vom Auftragnehmer im Werkvertrag zugesicherten Gewährleistungen und Garantien (s. Abschn. 4.3.3). Ihre Nichterfüllung stellt einen wesentlichen Sachmangel dar. Bei Nichterfüllung des Werkvertrages seitens des Auftragnehmers resultieren Forderungen des Auftraggebers. Mögliche Maßnahmen bei Nichterfüllung sowie die üblichen Verjährungsfristen dieser Versprechen sind im Abschn. 4.3.3 angeführt. Von besonderem Interesse bei Leistungsstörungen sind oft die Regelungen zum Schadenersatz, inkl. Schadenersatz für entgangenen Gewinn (BGB, § 252) oder für andere Folgeschäden. Die Grundaussage zum Schadenersatz steht im BGB, § 280 (Schadenersatz wegen Pflichtverletzung) und betrifft alle Schuldverhältnisse. Danach hat der Schuldner, der eine Leistungspflicht verletzt, dem Gläubiger den hierdurch entstehenden Schaden zu ersetzen. Es sei denn, dass er die Pflichtverletzung nicht (im Sinne von § 276) zu vertreten hat (Beweis beim Schuldner). Unter welchen Voraussetzungen die Schadenersatzforderung durchsetzbar ist, wird im BGB, § 281 (Schadenersatz statt der Leistung) formuliert. Einen Schadenersatz statt der Leistung kann der Gläubiger nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 281 (erfolglose Fristsetzung), des § 282 (Unzumutbarkeit der Leistung für den Gläubiger) oder des § 283 (vom Schuldner zu vertretende Unmöglichkeit der Leistung) verlangen. In besonderen Fällen und unter bestimmten Voraussetzungen kann es auch einen Schadenersatz neben der Leistung geben. Die Erfahrungen im Anlagenbau zeigen, dass ein Schadenersatz statt der Leistungen sehr selten ist. Im Allgemeinen bessert bei einer Leistungsstörung im Werkvertrag der

 ,QEHWULHEQDKPHPDQDJHPHQW LOGO und Anschrift (Auftragnehmer)

Datum

Anschrift (Auftraggeber)

Betreff: Anmeldung von Bedenken gemäß § 4 Abs. 3 VOB/B (§§ 631, 633 BGB) Projekt: Sehr geehrte Damen und Herren, gemäß § 4 Abs. 3 VOB/B (alternativ: §§ 631, 633 BGB) hat der Auftraggeber gegenüber dem Auftraggeber eine Mitteilungspflicht, sofern er gegen die vorgesehene Art der Ausführung, gegen die Güte der vom Auftraggeber gelieferten Materialien und Vorarbeiten oder gegen die Leistungen anderer Unternehmer Bedenken hat. Entsprechend dieser dem Auftragnehmer auferlegten Mitteilungspflicht melden wir hiermit Bedenken an, gegen: ( ( ( (

) ) ) )

die vorgesehene Art der Ausführung die gegebenen Arbeitsbedingungen die Güte der gelieferten Materialien / Vorarbeiten die Leistungen anderer Unternehmer

Begründung der Bedenken:

Um eine Verzögerung in der Durchführung der Leistungserbringung zu vermeiden, bitten wir um unverzügliche Prüfung und Stellungnahme. ( ) Bis zu einer diesbezüglichen Anweisung wird die Ausführung der vereinbarten Leistungen nicht begonnen bzw. unterbrochen. ( ) Sollte uns Ihre Stellungnahme bis zum «««««««« QLFKW ]XJHKHQ JHKHQ ZLU davon aus, dass Sie unsere Bedenken nicht teilen und wünschen, dass wir die Arbeiten entsprechend dem Auftrag bzw. Vertrag ausführen. In diesem Fall weisen wir schon jetzt darauf hin, dass wir diesen Teil unserer Arbeiten wie auch für dadurch verursachte Folgeschäden keine Gewährleistung und Garantien übernehmen. Mit freundlichen Grüßen «««««««««« Ort, Datum

...««««««««««« Unterschrift Auftragnehmer

Kopie an:

Abb. 4.14 Muster einer Bedenkenanmeldung nach VOB/B, § 4 Abs. 3 [14] bzw. nach BGB §§ 631, 633 [10] Bem.: Textliche Anpassung an die konkreten Vereinbarungen im Auftrag/Vertrag ist notwendig.

4.3 Vertragsgestaltung zur Inbetriebnahme

295

Schuldner (Auftragnehmer) die Leistung gemäß BGB, § 635 (Nacherfüllung) nach. Ist die Nacherfüllung (Nachbesserung) innerhalb einer angemessenen Frist nicht erfolgreich, kann der Besteller den Mangel selbst beseitigen und Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangen (§ 637 Selbstvornahme), wenn nicht der Unternehmer die Nacherfüllung zu Recht verweigert. Ein besonderes Merkmal des Werkvertrages ist die Durchführung einer Abnahmehandlung. Dabei wird die Vertragserfüllung geprüft und durch die Abnahme der Vertragsleistung bestätigt. Im BGB, § 640 (Abnahme) wird dazu formuliert: (1) Der Besteller ist verpflichtet, das vertragsmäßig hergestellte Werk abzunehmen, sofern nicht nach der Beschaffenheit des Werkes die Abnahme ausgeschlossen ist. Wegen unwesentlicher Mängel kann die Abnahme nicht verweigert werden. (2) Als abgenommen gilt ein Werk, wenn der Unternehmer (d. Verf.: Auftragnehmer) dem Besteller (d. Verf.: Auftraggeber) nach Fertigstellung des Werks eine angemessene Frist zur Abnahme gesetzt hat und der Besteller die Abnahme nicht innerhalb dieser Frist unter Angabe mindestens eines Mangels verweigert hat. …… (3) Nimmt der Besteller ein mangelhaftes Werk gemäß Absatz 1 Satz 1 ab, obschon er den Mangel kennt, so stehen ihm die in § 634 Nr. 1 bis 3 bezeichneten Rechte (d. Verf.: Nacherfüllung, Selbstvornahme, Minderung, Vertragsrücktritt) nur zu, wenn er sich seine Rechte wegen des Mangels bei der Abnahme vorbehält.

Die Regelungen nach § 640 Abs. (2) ermöglichen eine „fiktive Abnahme“, wenn zwar objektive Mängel vorliegen, der Auftraggeber aber innerhalb der vom Auftragnehmer gesetzten Frist die Abnahmeverweigerung nicht mit entsprechenden Mängeln begründet. Über die Fälligkeit der Vergütung wird im BGB, § 641 festgelegt: (1) Die Vergütung ist bei der Abnahme des Werkes zu entrichten. Ist das Werk in Teilen abzunehmen und die Vergütung für die einzelnen Teile bestimmt, so ist die Vergütung für jeden Teil bei dessen Abnahme zu entrichten. (3) Kann der Besteller die Beseitigung eines Mangels verlangen, so kann er nach der Fälligkeit der Zahlung eines angemessenen Teils der Vergütung verweigern; angemessen ist in der Regel das Doppelte der für die Beseitigung des Mangels erforderlichen Kosten. (4) Eine in Geld festgesetzte Vergütung hat der Besteller von der Abnahme des Werkes an zu verzinsen, sofern nicht die Vergütung gestundet ist.

Weitere allgemeine Vorschriften zum Werkvertrag im BGB, die die Abnahme, Vergütung, Mitwirkungsleistungen des Bestellers und Kündigung betreffen, sind kurz gefasst:  Werkunternehmer können vom Auftraggeber eine Abschlagszahlung in Höhe des Wertes der von ihm erbrachten und nach dem Vertrags geschuldeten Leistungen verlangen (§ 632a, Abs. (1).  Die Vergütung eines Subunternehmers ist spätestens dann fällig, sobald sein Auftraggeber vom Bauherrn seine Vergütung oder Teile davon erhalten hat (§ 641, Abs. (2).  Bei mangelnder Ausführung kann der Besteller in der Regel den 2fachen Betrag der für die Beseitigung von Mängeln erforderlichen Kosten einbehalten (§ 641, Abs. 3).  Eine in Geld festgesetzte Vergütung hat der Besteller von der Abnahme des Werkes an zu verzinsen, sofern nicht die Vergütung gestundet ist (§ 641, Abs. 4).  Der Unternehmer ist im Falle des § 642 (d. Verf.: unterlassene Mitwirkung des Bestellers) berechtigt, dem Besteller zur Nachholung der Handlung (z.B. Beibringen einer rechtskräftigen Genehmigung) eine angemessene Frist mit der Erklärung zu

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4 Inbetriebnahmemanagement

bestimmen, dass er den Vertrag kündige, wenn die Handlung nicht bis zum Ablauf der Frist vorgenommen werde (§ 643 Kündigung bei unterlassener Mitwirkung).  Der Unternehmer trägt die Gefahr bis zur Abnahme des Werks. Kommt der Besteller in Verzug der Annahme, so geht die Gefahr auf ihn über. Für den zufälligen Untergang und eine zufällige Verschlechterung des von dem Besteller gelieferten Stoffes ist der Unternehmer nicht verantwortlich (§ 644 Gefahrtragung).  Der Besteller kann bis zur Vollendung des Werkes jederzeit den Vertrag kündigen. Kündigt der Besteller, so ist der Unternehmer berechtigt, die vereinbarte Vergütung zu verlangen; er muss sich jedoch jederzeit anrechnen lassen, was er infolge der Aufhebung des Vertrages an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Es wird vermutet, dass danach dem Unternehmer 5 von Hundert der auf den noch nicht erbrachten Teil der Werkleistung entfallenden Vergütung zustehen (§ 648 Kündigungsrecht des Bestellers).  Beide Vertragsparteien können den Vertrag aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur Fertigstellung des Werks nicht zugemutet werden kann (§ 648a Kündigung aus wichtigem Grund).  Auf einen Vertrag, der die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher Sachen zum Gegenstand hat, finden die Vorschriften über den Kauf Anwendung (§ 650 Anwendung des Kaufrechts). Im internationalen Recht sowie im nationalen Recht anderer Staaten sind der Begriff der Abnahme und die damit verbundenen Inhalte, Rechtsfolgen u.a. teilweise unterschiedlich geregelt. Insbesondere bei internationalen Anlagenverträgen ist es wichtig, dass die Details zur Abnahme ausführlich vertraglich vereinbart werden. Konkret heißt das, die Voraussetzungen, der Inhalt, der Ablauf und die Rechtsfolgen der werkvertraglichen Abnahme nach § 640 BGB müssen aus dem Text des Vertrags erkennbar sein. Ergänzend zur Abnahmethematik sei noch auf die erheblichen Rechtsfolgen verwiesen, die mit der werkvertraglichen Abnahme verbunden sind bzw. sein können. Zunächst resultiert aus der Abnahme per Gesetz, dass der Käufer die Leistung des Verkäufers als im Wesentlichen vertragsgemäß anerkennt. Ferner kann die Abnahme nach § 640 BGB, entweder abgeleitet aus dem anzuwendenden Recht bzw. laut vertraglicher Vereinbarung folgende Rechtsfolgen bewirken:  Mit der Abnahme eines Vertragsgegenstandes gelten die vom Verkäufer zugesicherten Eigenschaften (lt. BGB: vereinbarte Beschaffenheit), als erbracht.  Spätestens mit der Abnahme beginnt die Gewährleistungsfrist. Nach der Abnahme stehen dem Käufer bezüglich der Qualität der Leistung des Verkäufers nur noch Gewährleistungen und Garantie zu. Aus dem bisherigen Erfüllungsanspruch wird somit ein Mängelbeseitigungsanspruch (sofern eine Mängelhaftung des Verkäufers nach der Abnahme fortbesteht).  Mit der Abnahme ist meistens der Gefahrenübergang bzw. Verantwortungsübergang für die Anlage vom Verkäufer an den Käufer verbunden (s. auch BGB, § 644  Gefahrtragung); sofern dieser nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt vereinbart und

4.3 Vertragsgestaltung zur Inbetriebnahme

297

erfolgt ist (z.B. nach Erbringen des Leistungsnachweises).  Mit erfolgter Abnahme ändert sich die Beweislast (Beweislastumkehr). Während vor der Abnahme der Auftragnehmer die Vertragsgemäßheit der Leistung beweisen muss, sind Mängel nach der Abnahme durch den Auftraggeber zu beweisen. Bei einem Mangel im Gewährleistungszeitraum muss beispielsweise der Auftraggeber nachweisen, dass die Mangelursache vom Auftragnehmer zu vertreten ist. Dies kann erfolgen, indem er belegt, dass die Schadensursache bzw. der Mangel bereits zum Zeitpunkt des Gewährleistungsbeginns vorlag. In der Praxis ist dieser Nachweis mitunter schwierig.  Der Abnahmetermin ist meistens für die vertragsgemäße Terminerfüllung wichtig.  Der Zeitpunkt der Abnahme kann als spätester Zeitpunkt für den Beginn von Garantie- und/oder Gewährleistungsfristen gelten.  Das Abnahmeprotokoll stellt häufig eine Zahlung auslösendes Dokument dar. Die Abnahme gibt somit dem Verkäufer das Recht zur Rechnungslegung (z.B. für einen vereinbarten Zahlungsmeilenstein oder für Kreditzinsen).  Mit der Abnahme und der anschließenden Zahlung der vereinbarten Vergütung kann ein Eigentumsübergang des Vertragsgegenstandes verbunden sein. Inbetriebnahmeleistungen werden i.d.R. als Teil einer Gesamtleistung in Werkverträgen vereinbart. Sie können aber im speziellen Fall auch im Rahmen eines Dienstvertrags eingekauft werden (s. Abschn. 4.3.1.3). Abschließend sei noch angefügt, dass im BGB, §§ 650a bis 650h noch spezielle Vorgaben zum Bauvertrag, als eine spezielle Form eines Werkvertrags, gemacht werden. Nach § 650a (Bauvertrag gilt: Der Bauvertrag ist ein Vertrag über die Herstellung, die Wiederherstellung, die Beseitigung oder der Umbau eines Bauwerks, einer Außenanlage oder eines Teils davon. Für den Bauvertrag gelten ergänzend die folgenden Vorschriften dieses Kapitels.

Im Einzelnen sind im BGB zum Bauvertrag Festlegungen getroffen betreffs: ▪ Änderung des Vertrags; Anordnungsrecht des Bestellers (§ 650b), ▪ Vergütungsanpassung bei Anordnungen nach § 650b, Absatz 2 (§ 659b), ▪ Einstweilige Verfügung (§ 650d), ▪ Sicherungshypothek des Bauunternehmers (§ 650e), ▪ Bauhandwerkersicherung (§ 659f), ▪ Zustandsfeststellung bei Verweigerung der Abnahme; Schlussrechnung (§ 650g), ▪ Schriftform der Kündigung (§ 650h). Zusammenfassend zur Thematik Bauvertrag lässt sich feststellen:  Die Vorgaben zum Bauvertrag gelten ergänzend zu den zuvor angeführten Allgemeinen Vorschriften zum Werkvertrag.  Im verfahrenstechnischen Anlagenbau sind die Baumaßnahmen im Normalfall in das Gesamt-Anlagenprojekt und entsprechend in den Anlagenvertrag eingebunden. In diesen Fällen bedarf es keines speziellen Bauvertrags.  Im Einzelfall muss u.U. entschieden werden, ob es sich um eine Anlageninvestition inkl. Baumaßnahmen oder um eine Bauinvestition inkl. technischer Ausrüstungen handelt.

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4 Inbetriebnahmemanagement

 Kauft der Investor/Auftraggeber/Besteller die Gesamtanlage partiell in Form einzelner Pakete (Teilanlagen, Package-units, Bauwerke usw.) ein, so kann im Sonderfall für die Herstellung der Bauwerke (im Rahmen der gesamten Anlageninvestition) ein Bauvertrag abgeschlossen werden. In diesem Fall sind die o.g. acht Paragraphen 650a bis 650h zusätzlich zum allgemeinen Werkvertragsrecht zu beachten; gegebenenfalls auch die Regelung nach VOB.  Für Bauvorgaben der öffentlichen Hand in der BRD ist die VOB (Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen) [12] bindend. Sie besteht aus 3 Regelwerken: ▪ VOB/A: Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Bauleistungen ▪ VOB/B: Allgemeine Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen ▪ VOB/C: Allgemeine technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen Die VOB ist sehr detailliert ausgestaltet und bildet einen engen Rahmen für die Abwicklung von Bauvorhaben. Für die rechtliche Ausgestaltung des Bauvertrags ist insbesondere die VOB/B und für die fachliche die VOB/C wichtig. 4.3.1.2 Kaufvertrag (BGB, §§ 433 – 479) Die vertragstypischen Pflichten beim Kaufvertrag sind nach BGB, § 433 folgende: (1) Durch den Kaufvertrag wird der Verkäufer einer Sache verpflichtet. dem Käufer die Sache zu übergeben und das Eigentum an der Sache zu verschaffen. Der Verkäufer hat dem Käufer die Sache frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen. (2) Der Käufer ist verpflichtet, dem Verkäufer den vereinbarten Kaufpreis zu zahlen und die gekaufte Sache abzunehmen.

Die Abgrenzung zwischen Kaufvertrag und Werkvertrag ist nach BGB, § 650 (Anwendung des Kaufrechtes) wie folgt geregelt: Auf einen Vertrag, der die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher Sachen zum Gegenstand hat, finden die Vorschriften über den Kauf Anwendung.

Die im Kaufvertrag vereinbarte Dokumentation ist ein Bestandteil der Sache. Im Anlagenprojekt muss somit geklärt werden, welche Beschaffungsvorgänge für Anlagenkomponenten (Hauptausrüstungen, PLT-Ausrüstungen, Armaturen, Rohrleitungen u.a.) dem Kaufvertragsrecht unterliegen und welche dem Werkvertragsrecht. Mitunter erfolgt jedoch im Anlagenbau, trotz dieser Abgrenzung nach § 650, BGB, auch die Beschaffung beweglicher Anlagenkomponenten über einem Werkvertrag, da im Vertrag neben der Produktlieferung zugleich noch Konstruktions-, Montage-, Inbetriebnahme- oder andere Serviceleistungen des Kontraktors vereinbart sind. Analog zum Werkvertrag schuldet im Kaufvertrag der Verkäufer dem Käufer einen vereinbarten Erfolg (vereinbarte Beschaffenheit) an der Sache. Die rechtlichen Regelungen bei einem Kaufvertrag, wie beispielsweise betreffs  Sachmangel (BGB, § 434), Rechtsmangel (§ 435),  Rechte des Käufers bei Mängeln (§ 437),  Verjährung der Mängelansprüche (§ 438),  Nacherfüllung (§ 439), Minderung (§ 441),  Besondere Bestimmungen für Rücktritt und Schadenersatz (§ 440),  Haftungsausschluss (§ 444), sind ähnlich denen des Werkvertrages.

4.3 Vertragsgestaltung zur Inbetriebnahme

299

Besonderheiten gelten für die Haftung (sog. Gefährdungshaftung) und den Schadensersatz bei Produkten gemäß Produkthaftungsgesetz [15] (s. Abschn. 3.3.2.3, Buchst. b)). Auf die Gewährleistung und Garantie des Verkäufers im Kaufvertrag wird in Abschn. 4.3.3.1, Buchst. b) und in Abschn. 4.3.3.2 eingegangen. Ist die gemäß Kaufvertrag erworbene Sache mangelhaft, so muss der Käufer zunächst Nacherfüllung verlangen. Diese kann nach seiner Wahl entweder durch Mangelbeseitigung (Reparatur) oder Lieferung einer mangelfreien Sache (§§ 437, 439) erfolgen. Ist die Nacherfüllung nicht durchführbar, kann er vom Vertrag zurücktreten oder den Kaufpreis anteilig mindern (§§ 437, 441). Eine Abnahmeprozedur zur Prüfung und Bestätigung der Vertragserfüllung ist im Kaufvertrag nicht üblich. Man spricht stattdessen von der „Übergabe und Entgegennahme der verkauften bzw. gekauften Sache“. Sobald die Sache vom Käufer entgegengenommen und entsprechend vergütet wurde, hat der Käufer die Erfüllung der Vertragsleistung bestätigt und trägt zukünftig die Beweislast. Die Spezifik des Verbrauchgüterkaufs (BGB, §§ 474 – 479), die u.a. die Beweislastumkehr in den ersten 6 Monaten (§ 477) betreffen, ist für den Anlagenbau nicht relevant, da die beteiligten Unternehmen keine Verbraucher im Sinne des BGB, § 13 sind. Für Inbetriebnahmeleistungen sind Kaufverträge dann interessant, wenn der Hersteller bzw. Lieferant einer gelieferten beweglichen Sache im Kaufvertrag auch Inbetriebnahmeleistungen zu erbringen hat und für das Ergebnis gewährleistet. Nicht selten bewirken diese Inbetriebnahmeleistungen, dass aus dem Kaufvertrag ein Werkvertrag wird und am Ende der erfolgreichen Inbetriebnahme der Sache (Anlagenkomponente) eine werkvertragliche Abnahme gemäß § 640, BGB stattfindet. Eine besondere Situation liegt vor, wenn der Hersteller/Lieferant einer beweglichen Sache im Kaufvertrag auch Engineeringleistungen erbringt, für diese gewährleistet, aber nicht bei deren Montage und Inbetriebnahme mitwirkt. Typisches Beispiel ist die Ausführung der Apparatekonstruktion durch den Hersteller im Rahmen von Lieferverträgen. In diesen Fällen gilt häufig das Kaufvertragsrecht. Im zugehörigen Kaufvertrag sind die Engineeringleistungen sowie die dadurch begründete vereinbarte Beschaffenheit (Festigkeit, Funktion, Zuverlässigkeit, Herstellerdokumentation u.a. Merkmale) der Sache/des Kaufgegenstands präzise zu definieren und zu vereinbaren. Zugleich ist festzulegen, wie die vereinbarte Beschaffenheit geprüft wird und wie bei Sach- bzw. Rechtsmängeln zu verfahren ist. 4.3.1.3 Dienstvertrag (BGB, §§ 611 – 630) Gegenüber dem Werk- bzw. Kaufvertrag weist der Dienstvertrag gravierende Unterschiede auf. Er ist nach BGB, § 611 (Vertragstypische Pflichten beim Dienstvertrag) wie folgt definiert: (1) Durch den Dienstvertrag wird derjenige, welcher Dienste zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste, der andere Teil zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. (2) Gegenstand des Dienstvertrages können Dienste jeder Art sein.

Schwierig ist teils die Abgrenzung zwischen Dienstvertrag und Werkvertrag. Grundsätzlich wird beim Dienstvertrag nur ein Bemühen, beim Werkvertrag ein Erfolg geschuldet.

300

4 Inbetriebnahmemanagement

Wenn beispielwiese der Mitarbeiter einer Fremdfirma als Inbetriebnahmeingenieur im Team des Generalunternehmers tätig wird, so erfolgt dies meistens im Rahmen eines Dienstvertrags. Er muss sich nach „besten Wissen und Gewissen“ bemühen und einen Fahrlässigkeitsvorwurf vermeiden (s. Abschn. 4.4.1.4), wird aber i.d.R. nicht für ein bestimmtes Ergebnis (Erfolg) seiner Arbeit gewährleisten. Das Leasing von Spezialisten und deren Einbindung ins eigene Team ist deshalb bezüglich der Erfolgshaftung (Gewährleistung) aber auch aus arbeits- und versicherungsrechtlichen Gründen problematisch. Dies gilt insbesondere, wenn die delegierte Person  ausschließlich für den neuen Arbeitgeber tätig ist,  der Arbeitsort beim neuen Arbeitgeber liegt und  der neue Arbeitgeber gegenüber der delegierten Peron weisungsbefugt ist. Aus dem Gesagten kann umgekehrt gefolgert werden, wenn der Auftraggeber vom Auftragnehmer für die Vertragsleistung eine Gewährleistung möchte, muss er die Leistung über einen Werkvertrag einkaufen. Der Dienstvertrag (sprachlich: Arbeitsvertrag) ist der klassische Vertrag zwischen einem Arbeitgeber und einem nichtselbstständigen Arbeitnehmer. Er kann aber auch vom Arbeitgeber mit einem Selbstständigen (z.B. freiberuflichen Ingenieur) abgeschlossen werden. Bei einem Dienstvertrag und bei Haftung des Arbeitnehmers trägt der Arbeitgeber die Beweislast entsprechend der nachfolgenden Formulierung im BGB, 619a (Beweislast bei Haftung des Arbeitnehmers): Abweichend von § 280 Abs. 1 (d. Verf.: Beweislast beim Schuldner) hat der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber Ersatz für den aus der Verletzung einer Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis entstehenden Schaden nur zu leisten, wenn er die Pflichtverletzung zu vertreten hat.

Begeht ein über einen Dienstvertrag beschäftigter Fremdfirmenmitarbeiter bzw. Freiberufler einen Schaden, z.B. indem er eine Pumpe falsch anfährt, so gelten grundsätzlich die Ausführungen gemäß Abschn. 4.4.1.4. Kann ihm der Geschädigte im Schadensfall keine Pflichtverletzung, wohl aber einen gravierenden fachlichen Fehler oder ein anderes Versäumnis nachweisen, so ist u.U. der Fahrlässigkeitsvorwurf zivilrechtlich bzw. strafrechtlich relevant. 4.3.2 Vertragsarten im Anlagenbau Unabhängig von der Rechtsform eines Vertrages, werden im Anlagenbau auch verschiedene Vertragsarten definiert. Deren Bezeichnung spiegelt den Vertragsgegenstand bzw. die Vertragsleistung wider; mitunter auch die Vergütungsform. Ausgehend vom Phasenmodell der Anlagen-Projektabwicklung werden nachfolgend zwei „klassische“ Vertragsarten für die Anlagenrealisierung (nach Investitionsentscheidung und Budgetfreigabe) vorgestellt. Die Vertragsarten beschreiben grundlegende Vertragsbeziehungen zwischen den Partnern und schließen auch die Inbetriebnahmeleistungen ein. Auf andere Vertragsarten (z.B. Liefer- und Montageverträge) bzw. Mischformen von Verträgen wird nicht eingegangen und auf die Fachliteratur verwiesen [16][17]. Die Übersicht in Abb. 4.15 zeigt für typische Anlagenprojekte aus der Chemie und Kunststoffindustrie, der Pharmazie inkl. Gesundheitsprodukte sowie der Öl- und Gasindustrie die vertraglich zu regelnden Leistungen und einige Vertragsarten. Sie soll für die folgenden Ausführungen zu beiden Vertragsarten als Grundlage dienen. Die angeführten Abkürzungen werden nachfolgend im Text erläutert.

4.3 Vertragsgestaltung zur Inbetriebnahme

301

Abb. 4.15 Übersicht zu Vertragsleistungen und Vertragsarten bei der Anlagen-Projektabwicklung

4.3.2.1 Generalvertrag (Turnkey contract) a) Leistungsumfang und Vergütung  Die Rechtsform eines Generalvertrags im Anlagenbau ist der Werkvertrag. Er wird insbesondere für die Anlagenausführung (Phasen 6 bis 9) angewandt. Im Generalvertrag verpflichtet sich der (General-)Auftragnehmer (Synonym: Generalunternehmer (GU) oder General-Contractor) gegenüber dem Auftraggeber (Investor, Bauherr) eine funktionstüchtige (schlüsselfertige) Anlage gegen Zahlung eines Pauschal- bzw. Festpreises zu liefern und zu errichten [17]. Es existiert somit eine einheitliche und umfassende Leistungsverpflichtung des Auftragnehmers, die beinhaltet (s. Abb. 4.15):    

die Ausführungsplanung (Detail Engineering) (optional), die Fertigung und Lieferung der Komponenten zur Baustelle (Procurement), den Bau und die Montage inkl. Baustellenleitung (Construction), Inbetriebnahmedurchführung und/oder -leitung (Commissioning) (optional).

Diese Vertragsart minimiert die Schnittstellen zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer. Sie setzt eine detaillierte Leistungsbeschreibung und Vorgabe der Rahmenbe-dingungen im Pflichtenheft bzw. den Ausschreibungsunterlagen voraus.  Die häufigste Modifikation eines Generalvertrags im Anlagenbau ist der LSTKVertrag. Dabei steht LSTK für Lump-Sum-Turn-Key und bedeutet Schlüsselfertige Anlage zum Pauschalpreis.

302

4 Inbetriebnahmemanagement

Die Vergütung erfolgt im LSTK-Vertrag zum Pauschalpreis gemäß folgender Definition: Pauschalpreis (Lump Sum) ist eine vereinbarte Vergütung für eine definierte Leistung (auch für Herstellung einer Anlage), die ohne Nachweis des erfolgten Aufwands (Stunden) und ohne Mengenermittlung, (Aufmaße, Mengengerüste) zu zahlen ist.

Die Ausführungsplanung kann zum Vertragsumfang gehören, muss aber nicht. Im verfahrenstechnischer Anlagenbau gehört die Ausführungsplanung (Detail Engineering) oftmals mit zum Leistungsumfang des LSTK-Vertrags. Andererseits wird die Ausschreibung und Vergabe öffentlicher Vorhaben häufig auf Basis einer zuvor stattgefundenen Ausführungsplanung durchgeführt. Inwieweit die verantwortliche Inbetriebnahmevorbereitung und -durchführung vollständig oder teilweise zum Leistungsumfang des Generalunternehmers im LSTKVertrag gehört, hängt im Wesentlichen davon ab, ob der Investor selbst Verfahrensund Know-how-Träger ist oder nicht. Neben der Errichtung einer schlüsselfertigen Anlage werden die Generalverträge, insbesondere bei Auslandsprojekten, zunehmend um Leistungen erweitert. Diese betreffen z.B.:  die technisch-technologische Assistenz während des Dauerbetriebes,  die Übergabe einer technisch und kommerziell bei voller Leistung betriebenen Produktionsanlage,  Gestellung des Managements und/oder wahrnehmen der Betriebsführerschaft für einen vereinbarten Zeitraum,  Übernahme und Gewährleistung für Kundendienst und Ersatzteilversorgung,  Dokumentation und Auswertung zum Dauerbetrieb der Anlage,  Bezahlung der Anlage durch Übernahme des Verkaufs der Erzeugnisse, ggf. mit Aufbau der hierzu benötigten Vertriebsorganisation. Die Erweiterungen bewirken größere Risiken und stellen höhere Anforderungen an das Projektmanagement. Der Nachweis der vertraglich fixierten stellt die Hauptpflicht des Auftragnehmers im Generalvertrag dar Garantieversprechen (s. Abschn. 4.3.3 und 6.8). Die Leistungen und Ergebnisse der Inbetriebnahme beeinflussen deshalb sehr wesentlich den Inhalt und die Erfüllung des Generalvertrages. Eine Checkliste wichtiger inbetriebnahmerelevanter Fragen, die im Generalvertrag zu beantworten sind, ist in Tabelle 4.6 angeführt. Ein „Checken“ dieser Fragestellungen erscheint auch bei anderen Vertragsarten ratsam. Tabelle 4.6 Checkliste zur Beachtung der Inbetriebnahme im Generalvertrag (Turnkey contract) 1 Grundsätzliches 1.1

Ist der Gegenstand der Inbetriebnahme eindeutig formuliert?

1.2

Sind die Ziele der Inbetriebnahme (Termine, Leistungen, Qualität, Funktionstüchtigkeit) umfassend und eindeutig formuliert?

1.3

Sind die Aufgaben/Leistungen von Auftraggeber und Auftragnehmer klar abgegrenzt sowie exakt und vollständig vereinbart?

1.4

Sind die Leistungsgrenzen und Leistungsausschlüsse vertraglich geregelt?

1.5

Sind Verantwortung und Befugnisse der Vertragspartner in Vorbereitung und Durchführung der Inbetriebnahme klar vereinbart?

4.3 Vertragsgestaltung zur Inbetriebnahme

303

Tab. 4.6 (Fortsetzung) 1.6

Sind die Konsequenzen bzw. Maßnahmen bei Nichterfüllung vereinbarter Leistungen/ Termine klar geregelt?

1.7

Wurde die Regelung von Streitigkeiten (geltendes Recht, Schiedsgericht, Gerichtsstand) vertraglich vereinbart?

1.8

Gibt es Aussagen bei Nichterfüllung wegen höherer Gewalt?

1.9

Sind der Eigentums- und Gefahrenübergang eindeutig geregelt?

1.10 Sind die Preise und Zahlungsbedingungen (z.B. Verrechnung als Investition bzw. als Betriebsausgabe) für die Leistungen zur Inbetriebnahme vereinbart? 2 Inbetriebnahmevorbereitung 2.1

Ist die Erstellung der Inbetriebnahmeunterlagen (Inbetriebnahmedokumentation, Betriebshandbuch) ausreichend vereinbart?

2.2

Wird die Erarbeitung spezieller Programme für die Funktionsprüfungen, die Druckprüfungen u.a. Sicherheitsprüfungen sowie für die Inbetriebnahme (Herstellung der Betriebsbereitschaft, Probebetrieb und Leistungsfahrt) für erforderlich betrachtet und wurden diese ggf. vereinbart?

2.3

Sind Sicherheits-/Funktionsprüfungen ausgewählter Ausrüstungen (z.B. Pumpen, Verdichter) nach ihrer Montage (aber noch vor Montageende der Gesamtanlage) vorgesehen und inhaltlich bzw. verantwortungsseitig klar geregelt?

2.4

Ist eine ausreichende Inbetriebnahmeausbildung des Betreiberpersonals vereinbart?

2.5

Sind die Mitwirkungspflichten des Auftraggebers (z.B. Beistellung von Bedienungs-, Reparatur-, Laborpersonal oder Bereitschaft von Feuerwehr) inhaltlich, rechtlich und finanziell ausreichend vereinbart?

2.6

Sind die haftungsrechtlichen Fragen, z.B. wenn aus Fehlern des mitwirkenden Betreiberpersonals zusätzliche Kosten resultieren, klar geregelt?

2.7

Sind Aufgaben, Verantwortung und Befugnisse zum Gesundheits-, Arbeits- und Brandschutz exakt formuliert?

2.8

Existieren zur Inbetriebnahme klare organisatorisch-administrative Regelungen (z.B. Inbetriebnahmeordnung) und sind diese den betroffenen Personen bekannt?

2.9

Ist die Bereitstellung und Bezahlung der Stoffe und Energien (z.B. für Funktions- und Druckprüfungen oder zum Reinigen) sowie die Entsorgung der Produkte und Abprodukte umfassend vereinbart?

3 Herstellung der Betriebsbereitschaft (Kalt-Inbetriebnahme) und Heiß-Inbetriebnahme (Probebetrieb) 3.1

Sind klare Aussagen (inhaltlich, terminlich, rechtlich u.a.) zum Übergang vom Montageende zum Beginn der Inbetriebnahme getroffen?

3.2

Ist geregelt, dass Verzögerungen beim Übergang vom Montageende zur Inbetriebnahme, die der Auftraggeber zu vertreten hat, nicht zu Lasten des Auftragnehmers gehen?

3.3

Ist die Finanzierung beider Phasen (z.B. Personal-, Material-, Energie-, Reparatur- und Entsorgungskosten) exakt vereinbart?

3.4

Ist eine Vereinbarung zur Dauer beider Phasen (minimal und/oder maximal) sinnvoll und ggf. erfolgt?

3.5

Sind zusätzliche Untersuchungen (Messfahrten) zum gezielten Know-how-Gewinn vorgesehen und ggf. ausreichend (inhaltlich, rechtlich, finanziell, organisatorisch) vereinbart?

304

4 Inbetriebnahmemanagement

Tab. 4.6 (Fortsetzung) 3.6

Analog zu 2.5 bis 2.9

3.7

Ist der Übergang (Schnittstelle) zwischen den Phasen: Kalt-Inbetriebnahme und Probebetrieb ausreichend sicherheitlich, organisatorisch, administrativ usw. geregelt und den betroffenen Personen bekannt?

4 Leistungsfahrt mit Leistungsnachweis 4.1

Sind die Befugnisse und Voraussetzungen betreffs der Anmeldung und des Beginns der Leistungsfahrt eindeutig vertraglich geregelt?

4.2

Ist die Vereinbarung eines gesonderten Leistungsnachweisprogrammes sinnvoll?

4.3

Sind die vom Auftraggeber zu erbringenden Voraussetzungen/Mitwirkungen exakt formuliert?

4.4

Sind die vom Auftragnehmer laut Vertrag nachzuweisenden Garantieparameter/-werte einschließlich der Bestimmungsmethoden exakt u. vollständig aufgeführt?

4.5

Ist exakt nachvollziehbar vereinbart, wie während der Leistungsfahrt die Werte der Garantiegrößen ermittelt werden (z.B. Art und Weise der Messwerterfassung, -mittlung und -paraphierung)?

4.6

Sind die Modalitäten zur Wiederholung der Leistungsfahrt (sowohl bei Verschulden des Auftragnehmers als auch bei Verschulden des Auftraggebers) exakt und umfassend geregelt?

4.7

Sind vertragliche Regelungen getroffen, wenn der letzte zulässige Leistungsnachweis nicht erfolgreich ist und der Auftragnehmer die Verantwortung trägt?

4.8

Ist gewährleistet, dass dem Auftragnehmer kein Nachteil entsteht, wenn der Auftraggeber für den nicht erfolgreichen bzw. nicht möglichen Leistungsnachweis verantwortlich ist?

4.9

Sind die Voraussetzungen und Pflichten zur Abnahme der Anlage im Rechtssinn einschließlich möglicher Sonderregelungen wie  Vorläufige und Endgültige Abnahme,  Teilabnahme bzw. Abnahme von Teilleistungen,  Abnahme durch konkludentes Handeln,  Abnahme bei Vereinbarung von Preisminderung u.ä.,  Verhältnis von Abnahme und Restmängeln,  Unberechtigte Abnahmeverweigerung und Abnahmefiktion,  Verhältnis von Abnahme und Mitwirkungspflicht des Auftraggebers,  Vorfristige Abnahme im gegenseitigen Einvernehmen,  Vorliegen eines nutzbaren Exemplars der AS BUILT-Dokumentation,  gleichzeitige oder zeitlich gestaffelte Abnahme der Anlage und der AS BUILT-Dokumentation umfassend und exakt vereinbart?

4.10 Analog zu 2.5 bis 2.9 4.11 Sind die Rechte und Pflichten beider Vertragspartner im Gewährleistungszeitraum nach Übergabe/Übernahme der Anlage ausreichend geregelt?

b) Abnahmezeitpunkt inkl. Gefahren- und Verantwortungsübergang Der Leistungsumfang eines Generalvertrags, der bis zum Zeitpunkt der werkvertraglichen Abnahme (Meilenstein) zu erbringen ist, kann sehr unterschiedlich sein. Die Unterschiede betreffen insbesondere die Inbetriebnahmeleistungen.

4.3 Vertragsgestaltung zur Inbetriebnahme

305

Im Einzelnen sind in der Praxis vorrangig folgende Hauptvarianten anzutreffen: Var. 1: Generalvertrag bis „Leistungsnachweis und Endabnahme“  In diesem „klassischen“ Generalvertrag führt der Generalunternehmer (GU) die bestimmungsgemäße Inbetriebnahme verantwortlich durch und weist während der Leistungsfahrt gegenüber dem Auftraggeber/Investor die vertraglich zugesagten Leistungskennwerte u.a. zugesicherte Eigenschaften nach. Erst dann sind die Voraussetzungen zur werkvertraglichen Abnahme und Vertragserfüllung/-beendigung gegeben.  Der Auftraggeber übernimmt Mitwirkungsleistungen (Instandhaltung, Labor, Vermarktung von Zielprodukten, Entsorgung von Abprodukten) und z.T. auch Beistellleistungen (Personal, Rohstoffe, Medien).  Eine derart umfassende Vertragsleistung ist dann üblich, wenn der Investor über wenig verfahrenstechnisches, technisches und betriebliches Know-how verfügt. Dies trifft zunehmend im Anlagenexport zu.  Der Investor möchte sich die Anlage vom Verkäufer vorfahren lassen. Erst wenn er sich von deren Leistungsfähigkeit überzeugt hat, unterzeichnet er das Abnahmeprotokoll und vollzieht damit u.a. den Gefahren- und Verantwortungsübergang, den Gewährleistungsbeginn und die Beweislastumkehr. Var. 2: Generalvertrag bis „Protokollierung der Mechanischen Fertigstellung“  Für die Inbetriebnahme ist der Auftraggeber, der oftmals zugleich Verfahrensgeber und Know-how-Träger ist, verantwortlich. Der Auftragnehmer unterstützt die Inbetriebnahme, insbesondere bezüglich der praktischen Umsetzung seiner nicht-verfahrensspezifischen Planungsergebnisse.  Wenn Know-how-Gesichtspunkte nicht widersprechen, findet gegen Ende der Inbetriebnahmephase ein Leistungsnachweis im Beisein des Auftragnehmers statt, in dem dieser die nicht-verfahrensspezifischen Leistungsmerkmale (z.B. betreffs Konstruktion, technische Verfügbarkeit, Funktionalität, Schallleistungspegel) sowie die Leistungsparameter von Nebenanlagen, die er selbst zu vertreten hat, nachweisen muss.  Der Generalunternehmer muss bei dieser Variante die Inbetriebnahme nicht verantworten, auch wenn er weiterhin unterstützend mitwirkt.  Diese Variante ist in der Chemie und Pharmazie noch häufig anzutreffen, da in diesen Branchen der Auftraggeber oftmals Verfahrens- und Know-how-Träger ist. Der Trend geht aber, insbesondere wegen geringerer Personalressourcen in den Betrieben, auch in diesen Branchen zur Var. 3. Var. 3: Generalvertrag bis „Anzeige der Betriebsbereitschaft inkl. Wasserfahrt“ bzw. bis „Ende Kalt-Inbetriebnahme“  Während der Herstellung der Betriebsbereitschaft (Kalt-Inbetriebnahme) werden unter Verantwortung des Auftragnehmers verfahrenstechnische, mechanischen, PLTseitige Funktionsprüfungen, Tests, Versuche u.ä. durchgeführt. Dazu gehört gegebenenfalls auch eine komplexe Wasserfahrt. Zum Einsatz kommen dabei Wasser und inerte Gase (Luft, Stickstoff); aber keine Gefahrstoffe und keine anderen gefahrbringenden Stoffe.  Nach Abarbeitung des abgestimmten Testprogramms und Anzeige der Betriebsbereitschaft erfolgt die Endabnahme oder zumindest eine vorläufige Abnahme (mit zumin-

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4 Inbetriebnahmemanagement

dest Verantwortungs- und Gefahrenübergang sowie Beweislastumkehr) der Vertragsleistung.  Für die weitere Inbetriebnahme (Heiß-Inbetriebnahme und Leistungsfahrt) ist der Auftraggeber verantwortlich. Der Auftragnehmer begleitet ihn bei Bedarf.  Im Weiteren gelten die Bemerkungen unter Var. 2. Var. 4: Generalvertrag mit „Simulierter Inbetriebnahme mit eingeschränktem Leistungsnachweis unter Nutzung von inerten Stoffen“  Die Heiß-Inbetriebnahmephase wird geteilt in einen 1. Teil: Probebetrieb und Leistungsnachweis mit inerten Stoffen (ohne Chemie und ohne Endprodukterzeugung) und einen 2. Teil: Fortsetzung des Probebetriebs mit Originalprodukten unter Nennbedingungen (mit Chemie und Endprodukterzeugung).  Im 1. Teil werden unter Verantwortung des Auftragnehmers verfahrenstechnische, mechanischen, PLT-seitige Funktionsprüfungen, Tests, Versuche u.ä. durchgeführt. Im Unterschied zu Var. 3 können in dieser Phase auch Gefahrstoffe sowie andere gefahrbringende Stoffe (z.B. organische Lösungsmittel, Säuren, Laugen, toxische Pulver) eingesetzt werden. Einschränkend finden keine Reaktionen statt und die Chemierohstoffe werden nicht genutzt. Trotz der weiterhin gegebenen Einschränkung bezüglich der Chemie, kommt man den Bedingungen des späteren Nennbetriebes, z.B. im Vergleich zur Var. 3, deutlich näher. Zugleich sind wesentlich umfangreichere sowie repräsentativere Tests und Versuche möglich.  Das Sicherheitsregime der Anlage und des Betriebes kann realitätsnah erprobt werden. Für diese erste Heiß-Inbetriebnahmephase gelten bereits die Mehrzahl der Rechtsverordnungen, Anweisungen, Nebenbestimmungen usw., die auch für den späteren Nennbetrieb zu beachten sind.  Analog wie bei Var. 2 erfolgt am Ende des 1. Teils die Endabnahme oder zumindest eine vorläufige Abnahme der Vertragsleistung.  Für die weitere Inbetriebnahme mit Chemie/Originalprodukten sowie bei Nennbedingungen ist der Auftraggeber verantwortlich. Der Auftragnehmer begleitet ihn bei Bedarf, wobei seine Mitwirkungsleistungen aus Know-how- und Geheimhaltungsgründen meistens gering bleiben. In den weiteren Ausführungen dieses Buchs kann nur auf den „klassischen“, umfassenden Generalvertrag gemäß Var. 1 vertiefend eingegangen werden. c) Gliederung des Generalvertrags Den grundsätzlichen Aufbau eines Generalvertrags enthält Tab. 4.7. Tabelle 4.7 Aufbau eines LSTK-Anlagenvertrags (Praxisbeispiel) 1 Formale Vertragsbestimmungen  Vertragsabschluss, Vertragsparteien, Inkrafttreten des Vertrages, Bestandteile des Vertrages, Vertragssprache, Vertragsänderungen 2 Begriffsdefinitionen  Vertrag, Vertragsleistung, Partner, Anlage, Mechanische Fertigstellung, Inbetriebnahme, Leistungsnachweis, Abnahme, AS BUILT-Dokumentation

4.3 Vertragsgestaltung zur Inbetriebnahme

307

Tab. 4.7 (Fortsetzung) 3 Leistungen der Vertragspartner (Dokumentation jeweils eingeschlossen!)  Lieferungs- und Leistungsgegenstand (z.B. Planung, Beschaffung, Montage, Inbetriebnahme, inkl. Dokumentation und Qualitätssicherung)  Lieferungs- und Leistungsausschlüsse,  Anlagen- und Leistungsgrenzen,  Mitwirkungspflichten, Beistellleistungen des Auftraggebers u.a. 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Subunternehmer des Auftragnehmers Informations- und Prüfungsrechte sowie -pflichten Weisungsrecht des Auftraggebers Projektorganisation Vergütung und Zahlungsbedingungen Änderungen und zusätzliche Leistungen Vorschriften und Normen Gewährleistung, Haftung, Vertragsstrafen, Pönale Abnahme der Vertragsleistung Beschränkung der Vertragshaftung Gesetzliche Haftpflicht, Versicherungen Eigentum der Dokumente Schutzrechte Geheimhaltung, Veröffentlichungen Kündigung, Unterbrechung, Rechtsnachfolge Höhere Gewalt Sonstige Bestimmungen

Anhang

Anhang 1 Anhang 2 Anhang 3 Anhang 4 Anhang 5 Anhang 6 Anhang 7 Anhang 8 Anhang 9 Anhang 10 Anhang 11 Anhang 12 Anhang 13

Grundlagen und Vorleistungen Planungsleistungen Vorschriften und Normen Beschaffungsleistungen Baustellenabwicklung Inbetriebnahmeleistungen Dokumentation Projektabwicklung/-controlling Projektterminplan Formblätter GSU-Management (Gesundheit-Sicherheit-Umweltschutz) Zahlungsplan Optionen

d) Hinweise zu Leistungsfahrt und Leistungsnachweis Die Leistungsfahrt einschließlich Leistungsnachweis sowie die nachfolgende werkvertragliche Abnahme der Anlage sind während der Inbetriebnahme von zentraler Bedeutung. Zu dieser Thematik deshalb noch einige vertiefende Ausführungen, die im Grundsatz auch für den Ingenieurvertrag (s. Abschn. 4.3.2.2) gelten. Da die wesentlichsten Qualitätsmerkmale (juristisch: Beschaffenheitsmerkmale) der zu errichtenden verfahrenstechnischen Anlage durch den Auftragnehmer in Form der

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4 Inbetriebnahmemanagement

Leistungsgarantien zugesichert werden, stellen die Leistungsnachweise die wichtigsten Abnahmeprüfungen (im Rechtssinn) dar. Folglich ist beiden Vertragspartnern sehr an ihrer sorgfältigen, die eigenen Interessen wahrende vertragliche Ausgestaltung gelegen. Der Auftraggeber trachtet insbesondere danach, die Durchführung von umfassenden und anspruchsvollen Leistungsnachweisen zu sichern, und zwar insbesondere durch eine Verlängerung ihrer Dauer sowie die Vereinbarung konkreter Vorbedingungen für deren Beginn. So versucht er häufig, den Beginn der Leistungsfahrt von seiner Zustimmung abhängig zu machen. Auf diese Weise könnte er dann z.B. die Beseitigung von Restmängeln zur Vorbedingung machen. Der Auftragnehmer möchte andererseits vertraglich sicherstellen, dass der Beginn der Leistungsfahrt seiner alleinigen Entscheidung obliegt. Damit kann er den für ihn günstigsten Zeitpunkt wählen und Verzögerungen vermeiden. Tabelle 4.8 enthält ein Beispiel für eine mögliche Regelung im Vertrag. In diesem Fall ist der Auftragnehmer allein befugt, den Beginn der Leistungsfahrt zu wählen und anzumelden. Tabelle 4.8 Mögliche Vertragsformulierungen zum Beginn der Leistungsfahrt im Generalvertrag (Praxisbeispiel) 1 Das Programm für die Durchführung der Leistungsfahrt mit Leistungsnachweis wird vom Verkäufer vor Beginn der Inbetriebnahme vorgelegt. Die Abstimmung des Programms wird zwischen Verkäufer und Käufer innerhalb von 4 Wochen nach Beginn der Inbetriebnahme durchgeführt. 2 Der Verkäufer benachrichtigt den Käufer schriftlich über den Beginn des Nachweises der garantierten Kennziffern nach § ... dieses Vertrages. Die Durchführung des Nachweises der garantierten Kennziffern wird spätestens 3 Tage nach Eingang der obigen Benachrichtigung des Verkäufers begonnen. Das Datum des Beginns der Durchführung des Nachweises der garantierten Kennziffern wird durch ein Protokoll zwischen Käufer und Verkäufer festgelegt.

Ein für beide Partner akzeptabler Kompromiss wäre auch, wenn der Beginn der Leistungsfahrt an konkrete, vereinbarte Voraussetzungen gebunden wird. Dies können eindeutige Prüfungen, Kriterien, Parameter u.a. sein, die am besten im Vertrag bzw. im Sonderfall während der Inbetriebnahme abgestimmt werden. Sind die Voraussetzungen gegeben, kann der Verkäufer den Leistungsnachweis anmelden. Neben den Vereinbarungen zum Beginn der Leistungsfahrt haben insbesondere die Möglichkeiten und Konsequenzen bei einem nicht erfolgreichen Leistungsnachweis erhebliche rechtliche sowie vertragliche Bedeutung. Grundsätzlich sollten die vertraglichen Regelungen so wirken, dass das Hauptziel des Vertrages letztlich erreicht wird, d.h. zunächst eine Nachbesserung statt einer Minderung oder eine Vertragsstrafe statt einem Rücktritt vom Vertrag vorgesehen werden. In Abschn. 6.8.2 wird dazu Näheres ausgeführt. e) Hinweise zur werkvertraglichen Abnahme Eng in Verbindung mit dem Leistungsnachweis steht die Abnahme der Vertragsleistung. Die vollzogene Abnahmehandlung bestätigt einerseits die vereinbarte Leistungserfüllung und verlagert zugleich einen Großteil der Pflichten und Verantwortung vom Auftragnehmer zum Auftraggeber. Sie ist für beide Partner von hervorragender Bedeutung, beinhaltet aber auch reichlich Konfliktpotential. Für die im Anlagenbau häufig anzutreffende Rechtsform eines Werkvertrags sind

4.3 Vertragsgestaltung zur Inbetriebnahme

309

dazu im BGB, § 640 (Abnahme) konkrete Aussagen gemacht, die im Abschn. 4.3.1.1 diskutiert wurden. Darüber hinaus noch einige Hinweise zur werkvertraglichen Abnahme.  Die Abnahme ist im Rechtssinn gemäß § 640 eine rechtsverbindliche Handlung. Entsprechend dieser rechtlichen Relevanz sollte der Begriff Abnahme nur gebraucht werden, wenn er genau diese Bedeutung hat. Das Wort Abnahme im Sinne von  Freigabe zur Auslieferung (statt: Fertigungsabnahme beim Hersteller),  Montagekontrolle (statt: Abnahme der qualitätsgerechten Montage) oder  Sicherheitsprüfungen nach BetrSichV (statt: Abnahmeprüfung gemäß Betriebssicherheitsverordnung) sollte vermieden werden. Da dies in der Praxis mitunter nicht der Fall ist, sollte in Protokollen, Besprechungsnotizen u.a. schriftlichen Nachweisen stets exakt formuliert werden, inwieweit die Handlungen  eine Abnahme im Rechtssinn gemäß § 640 BGB oder  keine Abnahme im Rechtssinn gemäß § 640 BGB darstellen.  Im Anlagenvertrag sind die Regelungen derart auszugestalten, dass nach Erbringen des vertraglich vereinbarten Leistungsnachweises der Käufer die Anlage abnehmen muss bzw. zumindest zwingend mit den Abnahme-Verhandlungen zu beginnen ist. Wenn der Leistungsnachweis in allen Punkten erfolgreich erbracht wurde, sollten keine wesentlichen Restpunkte mehr existieren. Gleichzeitig muss der Käufer diese Leistung, z.B. als vereinbarte Rate (Zahlungsmeilenstein), dem Verkäufer vergüten.  Einschränkungen sind gegeben, wenn die Abnahme nicht als einheitlicher Abnahmeakt, sondern zeitlich gestaffelt erfolgt. Grundsätzlich können sind zwei unterschiedliche Fälle zu unterschieden. 1. Fall: Teile der Gesamtanlage werden zeitlich gestaffelt abgenommen. Diese Situation ist im verfahrenstechnischen Anlagenbau normal und betrifft vorrangig die separate und häufig zeitlich gestaffelte Abnahme unterschiedlicher Beschaffungsleistungen/-pakete, z.B. Nebenanlagen, Package-units, Bau-/Montageleistungen. Sofern die Gesamtanlage nicht über einen Generalvertrag eingekauft wurde, ist dies grundsätzlich unproblematisch (Gefahr einer Gewährleistungslücke, s. Abschn. 5.5.3). Das Projektmanagement muss aber die Schnittstellenproblematik beherrschen und den Vertrags- und Rechtszustand der einzelnen Beschaffungsvorgänge, z.B. in Form einer „Übersicht der ausgestellten Protokolle über die Fertigstellung und Abnahme nach § 640 BGB für die Gesamtanlage XYZ“, exakt dokumentieren und in der Projektabwicklung beachten. 2. Fall: Einheitliche Beschaffungsvorgänge/-pakete werden zeitlich gestaffelt abgenommen. Es wird dann von einer vorläufigen und endgültigen Abnahme gesprochen. Die vorläufige Abnahme entspricht dabei i.Allg. der Abnahme nach erfolgreichem Leistungsnachweis und die endgültige Abnahme erfolgt in der Regel mit Ablauf der

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4 Inbetriebnahmemanagement

Technischen Gewährleistung (z.B. nach 24 Monaten). Zum Teil wird die endgültige Abnahme auch an das Ende einer Einlaufkurve u.ä. gelegt. In jeden Fall müssen die rechtsverbindlichen Konsequenzen, die mit der vorläufigen und endgültigen Abnahme verbunden sind, zum jeweiligen Zeitpunkt exakt protokolliert werden. Insgesamt führt die stufenweise Abnahme einheitlicher Beschaffungsvorgänge zu einer Verkomplizierung und Erschwerung der Erfüllungsphase des Generalvertrages und sollte vermieden werden. Im Weiteren wird deshalb stets von einer endgültigen Abnahme (ohne vorläufige Abnahme) nach erfolgreichem Leistungsnachweis ausgegangen.  Grundsätzlich ist wichtig, dass die Vertragsbedingungen für die endgültige Abnahme eindeutig formuliert sind. Tabelle 4.9 enthält ein Beispiel. Tabelle 4.9 Mögliche Vertragsformulierungen zur Abnahme (Übergabe/Übernahme) im Generalvertrag (Praxisbeispiel) 1 Die Anlage wird vom Verkäufer übergeben und vom Käufer übernommen, wenn die während des Nachweises der Garantiekennziffern erzielten Werte den in § .... dieses Vertrages genannten entsprechen oder sich innerhalb der gemäß § .... des vorliegenden Vertrages genannten Toleranzen befinden. Hierüber ist innerhalb von 3 Tagen nach Beendigung des Leistungsnachweises ein AbnahmeProtokoll gemäß § 640 BGB anzufertigen. 2 Die Abnahme hat auch zu erfolgen, wenn die vereinbarten Werte der Garantiekennziffern erreicht werden, aber begründete Beanstandungen des Käufers bestehen. In diesem Fall sind im Abnahme-Protokoll gemäß § 640 BGB die Beanstandungen des Käufers zu nennen und Maßnahmen zu deren Behebung zu vereinbaren.

 Wie bereits in Abschn. 4.3.1.1 angeführt, ist nach deutschem Recht der Käufer verpflichtet, die Anlage abzunehmen, wenn sie  vertragsgemäß errichtet und ein vereinbarter Leistungsnachweis mit Erfolg durchgeführt wurde sowie  keine wesentlichen Mängel bestehen. Im internationalen Recht sind der Begriff der Abnahme und die damit verbundenen Inhalte, Rechtsfolgen u.a. teilweise unterschiedlich geregelt. Deshalb ist es, insbesondere bei internationalen Anlagenverträgen, sehr ratsam, wenn die Details zur Abnahme ausführlich vertraglich vereinbart werden. Konkret heißt das, die Voraussetzungen, der Inhalt, der Ablauf und die Rechtsfolgen der Abnahme müssen aus dem Text des General- bzw. Ingenieurvertrages erkennbar sein. Die wenigen gesetzlichen Abnahmeregelungen werden dadurch näher ausgestaltet und zugleich eine einheitliche Rechtsbasis zwischen den Vertragspartnern zu diesen Fragen hergestellt. Im Detail werden dazu weitere Ausführungen in Abschn. 5.5.3 für Komponenten und Package-units (u.a. zur sog. Gewährleistungslücke) sowie in Abschn. 6.9 für die Gesamtanlage (u.a. zur sog. Abnahmeverweigerung) gemacht. f) Hinweise zur personellen Absicherung und Vergütung Bei größeren Engineering-/Anlagenbaufirmen nehmen meistens deren Engineeringabteilungen die Führungs- sowie die Fachaufgaben bei der Inbetriebnahme wahr. Zum

4.3 Vertragsgestaltung zur Inbetriebnahme

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Teil gibt es auch spezielle Inbetriebnahmeabteilungen oder gemeinsame Montage- und Inbetriebnahmeabteilungen. Firmen des Anlagenbaues, die nicht ausreichend Spezialisten haben bzw. sich häufende Arbeitsanforderungen schlecht ausgleichen können, binden für die Inbetriebnahme oftmals Ingenieurbüros oder freiberufliche Inbetriebnahme-Ingenieure. Die Inbetriebnahmeleistungen des Auftragnehmers sind meistens im Leistungsumfang eines Generalvertrags sowie im vertraglich vereinbarten Pauschal- bzw. Festpreis eingeschlossen. Ähnlich ist es in den Verträgen mit Unterlieferanten (Subunternehmen) von Package-units und Hauptausrüstungen geregelt. Häufig besteht dabei die Gefahr, dass gegen Ende des Projektes das Geld knapp wird und an den Inbetriebnahmeleistungen über Gebühr gespart wird. Der Auftraggeber sollte deshalb im Angebot den Personalaufwand für die Inbetriebnahme, der dem Angebot zugrunde liegt, abfordern und im Vertrag bzw. der Bestellung darauf Bezug nehmen. In risikoreichen Fällen werden mitunter die Inbetriebnahmeleistungen aus dem Festpreis ausgeklammert und stattdessen nach Aufwand (Reimbursable contract) gemäß einem vereinbarten Stundenverrechnungspreis (ggf. budgetiert) vergütet. 4.3.2.2 Ingenieurvertrag (Engineeringvertrag, Engineering contract) a) Leistungsumfang und Vergütung (s. Übersicht in Abb. 4.15)  Die Rechtsform des Ingenieurvertrags ist in den meisten Anlagenprojekten auch der Werkvertrag. In der Rechtsform inkl. werkvertraglicher Konsequenzen sind Generalund Ingenieurvertrag dann gleich. Der Engineeringvertrag kann ausschließlich Ingenieurleistungen umfassen, wie es z.B. bei Verträgen über die Mitwirkung am Lastenheft bzw. beim BehördenEngineering oder über die Erarbeitung des Pre- und Basic-Engineering nicht selten der Fall ist. Er kann aber im klassischen Fall bei der Anlagenausführung (auf Basis des Pflichtenhefts) auch komplexer sein und die Leistungen für:  die Planung (Engineering),  das Procurement-Unterstützung,  die Bau-/Montageleitung und Bau-/Montageüberwachung,  die Inbetriebnahmeleitung und -durchführung (ggf. nur Unterstützung). beinhalten. Gemäß dem vertraglichen Leistungsumfang von Engineering, Procurement-Unterstützung, Construction Management spricht man in diesem Fall von einem EPCM-Vertrag. Erbringt nur ein Auftragnehmer diesen komplexen Leistungsumfang, so wird er als Generalplaner (GP) oder General-Engineer bezeichnet.  Typische Engineeringverträge sind solche, die auf Grundlage der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) [18][19] im Bauwesen abgeschlossen werden, wobei auf folgende Besonderheiten der HOAI-Verträge verwiesen wird:  Ingenieurverträge nach HOAI trennen konsequent zwischen Planungs- und Realisierungsleistungen. Dies wiederum hängt eng mit der Auftragsvergabe durch die öffentliche Hand auf dem Weg der Ausschreibung zusammen.  Ingenieurleistungen für das Procurement (Technischen Einkauf) sind in der HOAI nicht enthalten. Sie können aber nochmals 10 bis 20 Prozent des Gesamthonorars ausmachen.

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4 Inbetriebnahmemanagement

 Die Inbetriebnahmeleistungen werden überwiegend als Teilleistung bei der Realisierung verstanden und mit an die Baufirma vergeben. Das Planungsbüro kontrolliert diese Leistungen bei der Bauüberwachung und nimmt die Leistung fachlich ab.  Die Preisbildung für Ingenieurleistungen nach HOAI erfolgt überwiegend als Prozentsatz von den Anrechenbaren Kosten, wobei der Schwierigkeitsgrad anhand von 3 verschiedenen Honorarzonen berücksichtigt wird. Die Anrechenbaren Kosten sind nach § 4 der HOAI der Teil der Kosten, der für die Herstellung, den Umbau, die Modernisierung, Instandhaltung und Instandsetzung von Objekten sowie für die damit zusammenhängenden Aufwendungen benötigt wird. Sie beinhalten neben den Direkten Anlagenkosten noch einen Teil der Indirekten Anlagenkosten.  Gravierenden Einfluss auf die Engineeringverträge haben die Know-how- und Eigentumsverhältnisse zum Verfahren, d.h. ob die Engineeringfirma, der Auftraggeber selbst oder ein dritter Partner der Verfahrensgeber ist. Davon hängt vorrangig ab, wer die Inbetriebnahme verantwortet und wer die risikobehafteten Leistungsgarantien am Ende der Inbetriebnahme vertreten muss. Ist der Auftraggeber zugleich Verfahrensgeber, wie in der chemischen und pharmazeutischen Industrie oft anzutreffen, so führt i.d.R. auch der Auftraggeber verantwortlich die Inbetriebnahme bzw. zumindest die Heiß-Inbetriebnahme durch. Der Auftragnehmer (Engineeringfirma, Ingenieurbüro) unterstützt ihn auf Anforderung. In diesen Fällen ist die Protokollierung Mechanische Fertigstellung bzw. Herstellung der Betriebsbereitschaft (s. Abschn. 1.5.2) eine wichtige rechtsverbindliche Schnittstelle im Projekt, die vertraglich exakt ausgestaltet und praktisch realisiert werden muss.  Die Vergütung des Ingenieurunternehmens erfolgt, insbesondere für die Ausführungsplanung, häufig zum Festpreis (fix price). Ist der Leistungsumfang bei Vertragsabschluss nicht ausreichend spezifizierbar, wird häufig nach Aufwand (Kostenerstattungspreis) vergütet. Dies gilt auch für die schwerer zu kalkulierenden Leistungen während der Inbetriebnahme. Die Mitwirkung während Bau/ Montage und Inbetriebnhame kann u.U. auch nach Aufwand mit GMP (Grantierter Maximal-Preis) vergütet werden. Diese beiden Vergütungsformen werden den größeren Unwägbarkeiten in den Phasen 8 und 9 besser gerecht.  Hinsichtlich weiterer Regelungen in Engineeringverträgen, wie  Abnahmezeitpunkt inkl. Gefahren- und Verantwortungsübergang,  Gliederung eines Engineeringvertrags,  Leistungsfahrt und Leistungsnachweis,  Hinweise zur werkvertraglichen Abnahme gelten weitgehend die Ausführungen zum Generalvertrag in Abschn. 4.3.2.1, Buchst. b) bis f). b) Spezifika des Ingenieurvertrags Die Beschaffung der Lieferungen und Leistungen für die Anlagenerrichtung übernimmt außerhalb des Engineeringvertrags verantwortlich der Investor selbst. Dies erfolgt in Form separater Liefer- bzw. Bau-/Montageverträge. Der Investor beschafft somit eigenverantwortlich die gesamte Anlage. Das Ingenieurunternehmen haftet nur für die Planungsleistungen und wird, da es nicht

4.3 Vertragsgestaltung zur Inbetriebnahme

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für die Investitionskosten verantwortlich ist, im Zweifel stets höherwertige und kostenintensivere planerische Lösungen vorschlagen. Der Investor muss im Engineeringvertrag (z.B. durch eine Zielpreisvereinbarung mit Bonus-/Malus-Regelung) versuchen, dass Ingenieurunternehmen am Erreichen geringer Investitionskosten zu motivieren. Das Ingenieurunternehmen trägt keine Haftung bei Lieferverzug und bei Nichterfüllung der Technischen Gewährleistung (während des 24-monatigen Gewährleistungszeitraums). Die eventuell im Engineeringvertrag eingekaufte Mitwirkung des Ingenieurpartner während der Phasen 7 (Beschaffung) und 8 (Bau/Montage) ändern nicht die angeführte Rechtssituation, solange der Auftragnehmer dabei keine Pflichtverletzungen begeht bzw. grob fahrlässig einen Schaden verursacht (s. Abschn. 4.4.1.4). c) EPCM-Vertrag Die Abkürzung EPCM steht für: Engineering, Procurement und Construction Management. Die Inbetriebnahmeleitung und/oder -unterstützung kommt mitunter noch hinzu, ohne dass es im Namen erscheint. In Tabelle 4.10 sind mögliche Leistungen des Auftragnehmers im EPCM-Vertrag zusammengestellt. Tabelle 4.10 Mögliche Leistungen des Auftragnehmers im EPCM-Vertrag in den Phasen 6 bis 9 (Praxisbeispiel) 1 Ausführungsplanung (Detail Engineering) (Phase 6) Wahrnehmung aller bzw. einzelner Fachplanungsfunktionen bei der Ausführungsplanung (Detail Engineering) ▪ Engineeringunternehmen führen das Detail-Engineering nur zum Teil selbst aus, häufig binden sie aus Kostengründen Subunternehmen in aller Welt. ▪ Mitunter werden Fachplanungsleistungen auch in Verbindung mit der Lieferung und Montage der entsprechenden Ausrüstungen bzw. Teilanlagen (sog. Package-units vergeben. ▪ Die o. g. Leistung beinhaltet auch die Erarbeitung der Inbetriebnahmedokumentation. 2 Beschaffung (Procurement) (Phase 7) 2.1 Ausarbeitung der Ausschreibungsunterlagen/Anfragespezifikationen zur Realisierung der Gesamtanlage bzw. einzelner Package-units/Arbeitspakete/Lose 2.2 Mitwirkung bei der Lieferantenauswahl und Anfrage 2.3 Mitwirkung bei Angebotseinholung und -vergleich 2.4 Mitwirkung bei Vergabeverhandlungen und Erarbeiten des Vergabevorschlags 2.5 Mitwirkung beim Controlling zum Auftrag (Kosten, Termine, Qualität) sowohl für Komponentenlieferungen als auch für Bau-/Montageleistungen 2.6 Mitwirkung bei Freigabe zur Auslieferung und bei Eingangskontrolle der Lieferung (z.B. auf der Baustelle) 2.7 Mitwirkung bei Rechnungsprüfung auf sachliche Richtigkeit 3 Bau- und Montage (Construction) (Phase 8) 3.1 Bau- und Montageleitung im Auftrag des Bauherrn bzw. Investors 3.2 Durchführung von Bau-/Montagekontrollen und Inspektionen 3.3 Mitwirkung beim Controlling (Kosten, Termine, Qualität) während der Anlagenerrichtung 3.4 Mitwirkung bei Rechnungsprüfung auf sachliche Richtigkeit 3.5 Ausbildung des Leit-, Bedienungs- und Fachpersonals des Betreibers

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4 Inbetriebnahmemanagement

Tab. 4.10 (Fortsetzung) 3 Bau- und Montage (Construction) (Phase 8) (Fortsetzung) 3.6 Bildung und Leitung des Inbetriebnahmeteams gegen Ende der Montagephase 3.7 Mitarbeit an Sicherheits- und Funktionsprüfungen u.a. Inbetriebnahme vorbereitenden Arbeiten 3.8 Mitarbeit beim Erstellen der Restpunktliste am Montageende sowie des Protokolls Mechanische Fertigstellung 4 Inbetriebnahme (Commissioning) (Phase 9) (als verantwortlicher Verfahrensgeber oder Lizenzgeber) 4.1 Stellen des Inbetriebnahmeleiters sowie notwendiger Inbetriebnahmeingenieure 4.2

Planung, Leitung und verantwortliche Durchführung der Inbetriebnahme einschließlich Controlling (Inbetriebnahmemanagement)

4.3

Verantwortliche Durchführung und Protokollierung des Leistungsnachweises

4.4

Revision der Anlagendokumentation gem. Bearbeitungsstatus: As-built.

4.5

Verantwortliche Mitarbeit bei den Übergabe/Übernahmeverhandlungen sowie bei der Ausarbeitung und Unterzeichnung des Abnahmeprotokolls

Die Haftungsregelungen bezüglich des Nachweises der Leistungsgarantien/-werte sind beim Engineeringvertrag analog zum Generalvertrag. Haftungsausschlüsse bestehen mitunter bei Nichterreichen der Technischen Gewährleistung sowie bei Lieferverzug. Zu diesen Risiken muss sich der Anlageninvestor gegebenenfalls im Liefer/Montagevertrag absichern. Die Durchsetzung von Garantie- und Gewährleistungsansprüchen gegenüber Drittunternehmen, die vom Auftraggeber betreffs Lieferungen und Leistungen direkt (außerhalb des Engineeringvertrags) beauftragt wurden, obliegt dem Auftraggeber selbst. Dies gilt auch für die Liefer- und Herstellerdokumentationen. Mitunter wird dies von ihm nicht ausreichend beachtet und der Aufwand zur Wahrnehmung und Durchsetzung von eigenen Gewährleistungsansprüchen unterschätzt. Im Unterschied zum Generalvertrag sei für den EPCM-Vertrag festgestellt: Da neben dem Ingenieurvertrag noch weitere Verträge (z.B. Liefer- und Montageverträge) während der gesamten Anlagenrealisierung bestehen, ist im EPCMVertrag eine besonders exakte juristische und inhaltliche Formulierung und Abgrenzung der einzelnen Leistungen, Gewährleistungen und Garantien notwendig. 4.3.2.3 Montage- und/oder Inbetriebnahmevertrag  Beim klassischen Montagevertrag überträgt der Auftraggeber einem Montageunternehmen den Auftrag, definierte Anlagenkomponenten (Stahlbauteil, Hauptausrüstungen, Rohrleitungen, Armaturen, Feldgeräte, elektrischen Betriebsmittel usw.) aufzustellen bzw. anzufertigen und vor Ort (im Feld) als Teilsystem bzw. als Anlage zusammenzufügen. Häufig werden die Rohmaterialien bzw. Einzelteile der zu montierenden Anlagenkomponenten vom Auftragnehmer beigestellt.  Der Montagevertrag hat i.Allg. die Rechtsform eines Werkvertrags nach BGB, wobei u.U. einzelne Regelungen eines Bauvertrags gemäß BGB, §§ 650a–h übernommen werden können.

4.3 Vertragsgestaltung zur Inbetriebnahme

315

Der Autor konnte in einem Fall spezielle Erfahrungen mit einem sog. VOB-Werkvertrag für Rohrbauarbeiten in einem Pharmaprojekt sammeln. Einerseits waren durch die vertragliche Vereinbarung von VOB-Regelungen einige Aspekte (z.B. Abrechnungs- und Zahlungsmodalitäten) klar geregelt, andererseits war durch den Bezug auf die VOB der Handlungsrahmen mehr reglementiert und verkompliziert; analog wie bei einem Bauprojekt.  Der klassische Montagevertrag endet im Wesentlichen mit Unterzeichnung des Protokolls Mechanische Fertigstellung (Abnahme der vertragsgemäßen Montageleistung). Bei der anschließenden Inbetriebnahme erfolgt gegebenenfalls eine Mitwirkung des Montageunternehmens für Serviceleistungen (z.B. für Instandhaltung und/oder Umbaumaßnahmen). Trotz dieser relativ klaren vertraglichen Schnittstelle zwischen Montage und Inbetriebnahme, obliegen dem Montageunternehmen häufig eine Vielzahl wichtiger Handlungen im Sinne der Inbetriebnahmevorbereitung, wie z.B.:    

Unterstützung und Mitwirkung bei Montagekontrollen (s. Abschn. 5.1.2), Durchführung bzw. Mitwirkung bei Grundreinigung der Anlage (s. Abschn. 5.3), Durchführung bzw. Mitwirkung bei Sicherheitsprüfungen (s. Abschn. 5.5.1), Durchführung der Verdrahtungsprüfungen der EMR-Technik inklusive der Sicherheitseinrichtungen und des Prozessleitsystems (s. Abschn. 5.5.2.2 und 5.5.2.3),  Mitwirkung bei Funktionsprüfungen der Ausrüstungen inkl. Prozessleitsystem (s. Abschn. 5.5.2),  Dichtheitsprüfungen der montierten Anlage (s. Abschn. 5.6). Die Aufgaben (verantwortlich oder mitwirkend) des Montageunternehmens bei der Erledigung der vorgenannten inbetriebnahmevorbereitenden Maßnahmen sind im Montagevertrag zu vereinbaren.

 Anders liegen die Verhältnisse beim kombinierten Montage- und Inbetriebnahmevertrag. Bei dieser Vertragsart ist neben der Montage auch die komplette Anlageninbetriebnahme bis hin zur Übergabe/Übernahme als vertragsgemäße Leistung vereinbart. Die kombinierte Vertragsart wird beispielsweise dann angewandt, wenn die Anlagen vorrangig aus Einzelausrüstungen bestehen, die nur wenig über Energie- und Stoffströme (z.B. mittels Rohrleitungen) miteinander gekoppelt sind. Solche Anlagen sind in der verfahrenstechnischen Industrie selten.  Mitunter kann es zweckmäßig sein, die Inbetriebnahmeleistungen aus anderen Verträgen (z.B. Engineeringverträgen) auszuklammern und getrennt in einem Inbetriebnahmevertrag (im Sinne eines Werkvertrages) zu vereinbaren. Für eine solche Eigenständigkeit können z.B. spezifische Zahlungs- und Verrechnungsmodalitäten während der Inbetriebnahme sprechen. Auch bei der Inbetriebnahme von Typenanlagen kann eine Vergabe der Inbetriebnahmeleistung an Fremdfirmen im Rahmen eines Inbetriebnahmevertrages zweckmäßig sein. 4.3.2.4 Beratervertrag (Consulting contract) Der Beratervertrag wird zwischen einem Auftraggeber und einem Berater geschlossen und hat die entgeltliche Erbringung von kaufmännisch-betrieblichen Beratungsleistungen (Management Consulting) oder von ingenieurwissenschaftlich-technischen Beratungsleistungen (Consulting Engineering) zum Gegenstand. Beim Consulting Engineering wird allgemein zwischen Projektengineering einerseits sowie Beratungs- und Gutachtenengineering andererseits unterschieden.

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4 Inbetriebnahmemanagement

Das Projektengineering beinhaltet die beratende Mitarbeit bei der Planung und Errichtung größerer Anlagen, Bauwerke usw. Es kann sowohl eine ganzheitliche Mitarbeit während der Abwicklungsphase (z.B. im Auftrag des Investors) als auch eine spezielle, zeitweilige Mitwirkung des Beraters betreffen. Die beratende Tätigkeit in Vorbereitung und Durchführung von Inbetriebnahmen lässt sich dem Projektengineering zuordnen. Die Beratungsempfänger können z.B. das Generalunternehmen, die Engineering- und Montageunternehmen sowie der Investor der verfahrenstechnischen Anlage sein. Einige konkrete Aufgaben bei der Inbetriebnahmeberatung soll das Beispiel in Tabelle 4.11 verdeutlichen. Tabelle 4.11 Auszug aus einem Inbetriebnahme-Beratervertrag zwischen einem Generalunternehmen und einem unabhängigen Ingenieurbüro §3

Leistungen

(1) Das Ingenieurbüro erbringt im Rahmen des Vertrages (als Nachauftragnehmer des Generalunternehmens) die folgenden Leistungen: a) Erarbeitung anlagenspezifischer Anforderungskataloge für die Planung und Montage der betreffenden Anlagen zur Sicherung einer inbetriebnahmegerechten Planung und Montage dieser Anlagen. b) Erarbeitung von Dokumentationen zur Inbetriebnahme und Außerbetriebnahme der betreffenden Anlagen. (Inhalt und Umfang der Dokumentationen werden objektspezifisch im Rahmen von Projektmemoranden vereinbart.) c) (Mitwirkung bei der Erarbeitung und Begutachtung von sonstigen Planungsunterlagen sowie bei Inspektionen, Fertigungs- und Montagekontrollen. d) Durchführung von Ausbildung in Vorbereitung der Inbetriebnahme. (Inhalt, Umfang und Teilnehmerkreis sind objektspezifisch in Projektmemoranden zu vereinbaren.) e) Mitwirkung bei der Durchführung von Druckprüfungen, Probeläufen und Funktionsprüfungen sowie bei der abschließenden Protokollierung. f) Checken der Anlage bezüglich notwendiger Voraussetzungen zum Beginn der Inbetriebnahme. g) Vorbereitung, technisch-technologische Leitung und Durchführung der Inbetriebnahme einschließlich Leistungsnachweis bis zur Übergabe/Übernahme der Anlage. h) Erarbeitung von Resümee-Berichten zu den Anlageninbetriebnahmen zur Sicherung des Know-how-Rückflusses. (2) Das Generalunternehmen übernimmt als juristische Person gegenüber dem Anlagenkäufer die Gesamtleitung der Projektabwicklung einschließlich der Vorbereitung und Durchführung der Inbetriebnahme. Es bindet zur Erfüllung der fachlichen Aufgaben entsprechend § 3, Absatz 1 das Ingenieurbüro.

In die Kategorie des Projektengineering lassen sich auch die Montage- und Inbetriebnahme-Überwachungsverträge einordnen. Sie finden Anwendung, wenn der Lieferant der Ausrüstungen nicht selbst die Montage und Inbetriebnahme durchführt. Man spricht zum Teil auch von Chefmontageverträgen (Construction supervision) bzw. von Chefinbetriebnahmeverträgen (Commissioning supervision). Der Anlagenexport, insbesondere in Entwicklungsländer, erfolgt nicht selten in Verbindung mit Montageüberwachungsverträgen. Dadurch nutzen diese Länder einerseits das Know-how der Lieferfirmen und verringern andererseits die Kosten, indem sie ein

4.3 Vertragsgestaltung zur Inbetriebnahme

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heimische Unternehmen mit dem Bau und der Montage beauftragen. Das Beratungs- und Gutachtenengineering soll Entscheidungsgrundlagen vorbereiten und Empfehlungen für die Entscheidungsfindung geben. Typische Beispiele sind die Erarbeitung von Durchführbarkeitsstudien (Feasibility studies) sowie Gutachten zu Vertragsentwürfen oder zur Ursachenklärung bei größeren technischen und/oder kommerziellen Schäden. Betreffs der Inbetriebnahme verfahrenstechnischer Anlagen sind spezifische Beratungsleistungen, wie z.B. ganzheitliche Auditierung der Inbetriebnahmeunterlagen oder beratende Mitwirkung im Inbetriebnahmeteam, üblich und nützlich. Im Unterschied zum Projektengineering sind die Beratungsleistungen bei dieser Form auf Teilprobleme beschränkt. Der Berater bleibt in der zweiten Reihe. Beraterverträge werden von den Vertragspartnern individuell ausgehandelt. Schwerpunkte bei den Vertragsverhandlungen sind der Vertragsgegenstand, die Vergütung und Haftung sowie die Mitwirkungspflichten des Auftraggebers. Die Vergütung erfolgt, je nachdem wie eindeutig die Leistung definiert werden kann, als Zeithonorar (z.B. Währungseinheit pro Mannstunde bzw. Manntag) oder zum Festpreis. Zum Teil werden zusätzlich Erfolgshonorare vereinbart, die vom Ergebnis der Beratungsleistung (z.B. Einhaltung des Kostenlimits für die Inbetriebnahme) abhängen. Die Haftungsregelungen sind in Beraterverträgen unterschiedlich. Grundsätzlich wird der Berater bestrebt sein, lediglich die Erbringung einer Beratungsdienstleistung zum Vertragsinhalt zu machen (sog. dienstvertragliche Rechtsnatur), um jede Erfolgshaftung auszuschließen. Der Auftraggeber möchte demgegenüber eine Art Erfolgsgarantie (sog. werkvertragliche Rechtsnatur). 4.3.3 Gewährleistung und Garantie im Anlagenvertrag Die Begriffe Gewährleistung und Garantie werden in der Praxis mitunter gleichgesetzt, aber Gewährleistung ist keine Garantie! Zur näheren Erläuterung dieser Behauptung werden im Weiteren einige Ausführungen gemacht, die aus einer Internetrecherche [20], aus zahlreichen Gesprächen mit Fachkollegen und nicht zuletzt aus den praktischen Erfahrungen des Autors resultieren. Einleitend seien aber noch einige Vorbemerkungen gestattet:  Die meisten der Aussagen gelten grundsätzlich für alle Leistungen aus Werk- bzw. Kaufverträgen während der Projektabwicklung; unabhängig davon, ob es Engineering-, Realisierungs- oder Inbetriebnahmeleistungen sind. Trotzdem stehen entsprechend der Thematik dieses Buchs die Leistungen während der Inbetriebnahme im Mittelpunkt.  Welche konkreten Gewährleistungen bzw. Garantien für welche Teilleistung gemäß dem Phasenmodell (s. Abschn. 2.1) zutreffend ist, kann allgemein nicht gesagt werden. Dies ist projektspezifisch und auch Verhandlungssache. Grundsätzlich sind zum Projektende, insbesondere in Verbindung mit der werkvertraglichen Abnahme der Anlage und der AS BUILT-Dokumentation, die meisten Gewährleistungen und Garantien relevant. 4.3.3.1 Ausführungen zu Gewährleistung Die Gewährleistung ist sowohl für Werkverträge (u.a. EPCM-Vertrag oder LSTKVertrag über eine verfahrenstechnische Anlage inkl. Inbetriebnahmeleistungen) als auch

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4 Inbetriebnahmemanagement

für Kaufverträge (u.a. Liefervertrag über eine Anlagenkomponente) zutreffend und wichtig. Ihre Definition lautet [20]: Die Gewährleistung bzw. Mängelhaftung bezeichnet die gesetzlichen Mängelansprüche des Bestellers (im Werkvertrag) bzw. des Käufers (im Kaufvertrag).

Die Rechte des Bestellers bzw. Käufers bei Mängeln sind im Werkvertrag nach BGB, § 634 bzw. im Kaufvertrag nach § 437 folgende: 1. Nacherfüllung verlangen, 2. den Mangel selbst beseitigen und Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangen (nur im Werkvertrag), 3. von dem Vertrag zurücktreten oder nach § 636 die Vergütung mindern, 4. Schadenersatz oder Ersatz vergeblicher Aufwendungen verlangen.

Geht man vom Normalfall einer Nacherfüllung (Nachbesserung) aus, so gilt vereinfacht: Die Gewährleistung bzw. Mängelhaftung (im Werk- und Kaufvertrag) definiert eine zeitlich befristete Nachbesserungspflicht für Mängel am hergestellten Werk bzw. am Kaufgegenstand, die zum Zeitpunkt der Abnahme bzw. des Kaufs bereits bestanden.

a) Gewährleistung im Werkvertrag Für werkvertragliche Leistungen im Allgemeinen sowie für Inbetriebnahmeleistungen im Besonderen, die ebenfalls überwiegend in Werkverträgen erbracht werden oder ein Bestandteil des herzustellenden, gegenständlichen Werks (sprich: Anlage und zugehörige Dokumentation) sind, sind betreffs Gewährleistung folgende Aspekte zu beachten: 1) Gewährleistungsmängel und -ansprüche sind erst nach erfolgter werkvertraglicher Abnahme relevant. Ist die Abnahme noch nicht erfolgt, so handelt es sich um einen normalen Leistungsmangel gemäß Vertrag. 2) Wesentliche Mängel vor der Abnahme sind nachzubessern, ansonsten erfolgt keine Vergütung für diese Leistung (sog. Erfüllungsanspruch). Nicht-wesentliche Mängel werden in einer Restpunkt- bzw. Mängelliste erfasst und dem Abnahmeprotokoll beigefügt. Sie sind Teil der vertraglich geschuldeten Leistung (Erfüllungsanspruch) und kein Gewährleistungsanspruch. Der Besteller/Auftraggeber kann das Doppelte der für die Beseitigung des Mangels erforderlichen Kosten verweigern (einbehalten) (BGB, § 641, Abs. (3). 3) Zum Zeitpunkt der Abnahme hat der Auftragnehmer zu gewährleisten, dass das Werk (sprich: die erbrachte Leistung) frei von Sach- und Rechtsmängeln ist (s. § 633 BGB in Abschn. 4.3.1.1). 4) Ein Sachmangel des Werks (der Leistung) liegt vor [21], wenn  es nicht die zwischen Besteller (Auftraggeber) und Unternehmer (Auftragnehmer) vereinbarte Beschaffenheit hat,  es sich nicht für die im Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet,  es sich nicht für die gewöhnliche Verwendung eignet und nicht eine Beschaffenheit aufweist, die bei Werken der gleichen Art üblich ist und die der Besteller nach der Art des Werkes erwarten kann, oder  ein anderes als das bestellte Werk oder das Werk in zu geringer Menge hergestellt worden ist. Ein Rechtsmangel liegt immer dann vor, wenn ein Dritter aufgrund eines privaten oder öffentlichen Rechts das Eigentum, den Besitz oder den Gebrauch der Sache oder

4.3 Vertragsgestaltung zur Inbetriebnahme

319

des Rechts beeinträchtigen kann [22]. 5) Die Gewährleistung ist zeitlich befristet. Dazu sollten im Vertrag entsprechende Regelungen getroffen werden. Im deutschen Recht gibt es im BGB [10] in Verbindung mit Werkverträgen (§ 634a) und Kaufverträgen (§ 438) indirekt auch Angaben zur Gewährleistungsfrist. Der Gesetzgeber spricht dabei nicht von Gewährleistungsfrist, sondern in der umgekehrten Sprachlogik von einer Verjährung der Mängelansprüche. Für den Werkvertrag steht im § 634a (Verjährung der Mängelansprüche): (1) Die in § 634 Nr. 1, 2 und 4 bezeichneten Ansprüche (d. Verf.: Nacherfüllung, Selbstvornahme, Schadenersatz) verjähren 1. vorbehaltlich der Nummer 2 in zwei Jahren bei einem Werk, dessen Erfolg in der Herstellung, Wartung oder Veränderung einer Sache oder in der Erbringung von Planungs- oder Überwachungsleistungen hierfür besteht, 2. in fünf Jahren bei einem Bauwerk und einem Werk, dessen Erfolg in der Erbringung von Planungs- und Überwachungsleistungen hierfür besteht und 3. im Übrigen in der regelmäßigen Verjährungsfrist (d. Verf.: 3 Jahre nach § 195). (2) Die Verjährung beginnt in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 und 2 mit der Abnahme.

Im Umkehrschluss heißt dies, dass der Auftragnehmer (laut BGB der Unternehmer) im Werkvertrag gemäß BGB für die Mangelfreiheit der vereinbarten  Bauplanungsleistungen bis zu 5 Jahre und der  anderen Planungsleitungen bis zu 2 Jahre und der zugehörigen Dokumentation nach deren Abnahme gewährleistet. 6) Vertragliche Regelungen, die von diesen Angaben in § 634a abweichen, sind möglich, da die Angaben zum Werkvertragsrecht im BGB dispositiv sind (s. Abschn. 4.3.1). Beispielsweise werden nach VOB [12] für Bauleistungen nur 4 Jahre Gewährleistungsfrist vereinbart. 7) Entsprechend der folgenden Formulierung in § 363 BGB (Beweislast bei Annahme als Erfüllung): Hat der Gläubiger eine ihm als Erfüllung angebotene Leistung als Erfüllung angenommen, so trifft ihn die Beweislast, wenn er die Leistung deshalb nicht als Erfüllung gelten lassen will, weil sie eine andere als die geschuldete Leistung oder weil sie unvollständig sei.

muss der Auftraggeber nachweisen, dass der reklamierte Gewährleistungsmangel bereits zum Abnahmezeitpunkt vorlag. Er trägt die Beweislast (Synonym: Beweispflicht). Dies gilt auch im Kaufvertrag. Ausnahmen bezüglich einer sog. Beweislastumkehr sind u.a. gemäß Umwelthaftungsgesetz (s. Abschn. 3.3.2.2, Buchst. e) und Produkthaftungsgesetz (s. Abschn. 3.3.2.3, Buchst. b) zu beachten. 8) Von zentraler Bedeutung für den Gewährleistungsumfang, wie er allgemein in Punkt 4) beschrieben wurde, sind die Vereinbarungen zur sog. vereinbarten Beschaffenheit im Werkvertrag. Mögliche Beschaffenheitsmerkmale von Vertragsleistungen, die zum Gewährleistungsumfang gehören, sind u.a.:  die Beachtung von relevanten Rechtsvorschriften,  die Beachtung von Festlegungen im Genehmigungsbescheid, z.B. bezüglich zulässiger Schadstoff- und Schallemissionen,

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4 Inbetriebnahmemanagement

     

die Beachtung vereinbarter Unternehmens- und Projektrichtlinien, die Beachtung vereinbarter Technischer Spezifikationen, Normen u.ä., Nachweis/Gewährleisten der Anlagensicherheit, Nachweis/Gewährleisten der Funktionstüchtigkeit, die Nutzbarkeit der Dokumentation (z.B. Lesbarkeit, Bearbeitbarkeit), weitere Qualitätsmerkmale zur Dokumentation.

Die Beschaffenheitsmerkmale Anlagensicherheit und Funktionstüchtigkeit werden zusammen als Technische Gewährleistung definiert und stehen häufig im Fokus der Gewährleistungsdurchsetzung während der 24 Monate Gewährleistungsfrist (s. auch Abschn. 6.8). Wesentliche Leistungsmerkmale des Verfahrens (u.a. Kapazität, Qualitäten, Verbräuche) und der Anlage (Verfügbarkeit) werden i.Allg. nicht unter den Begriff Gewährleistung sondern als Garantien vereinbart. 9) Bestimmte Gewährleistungsansprüche können an die Einhaltung definierter Gewährleistungsvoraussetzungen geknüpft sein. Letztere sind im Vertrag, im Angebot oder in Betriebsanleitungen des Anlagenbauers bzw. Herstellers zu definieren. b) Gewährleistung im Kaufvertrag Nachfolgend einige Ergänzungen zur Gewährleistung bei Kaufverträgen, die nach § 651 BGB für bewegliche Sachen gelten (s. Abschn. 4.3.1.2). 1) Im Kaufvertrag wird der Verkäufer verpflichtet, dem Käufer die Sache frei von Sachund Rechtsmängeln zu verschaffen (§ 433 BGB). Der Begriff Sachmangel wird in § 434 BGB folgendermaßen definiert: (1) Die Sache ist frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrenübergang (d. Verf.: z.B. Frei Baustelle (Free Construction Site) oder Ab Werk (Ex Works) oder Frei an Bord (Free on Board) die vereinbarte Beschaffenheit hat. Soweit die Beschaffenheit nicht vereinbart ist, ist die Sache frei von Sachmängeln, 1. wenn sie sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet, sonst 2. wenn sie sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann. Zu der Beschaffenheit nach Satz 2 Nr. 2 gehören auch Eigenschaften, die der Käufer nach den öffentlichen Äußerungen des Verkäufers, des Herstellers (§ 4 Abs. 1 und 2 des Produkthaftungsgesetzes) oder seines Gehilfen insbesondere in der Werbung oder bei der Kennzeichnung über bestimmte Eigenschaften der Sache erwarten kann … (2) Ein Sachmangel ist auch dann gegeben, wenn die vereinbarte Montage durch den Verkäufer oder dessen Erfüllungsgehilfen unsachgemäß durchgeführt worden ist. Ein Sachmangel liegt bei einer zur Montage bestimmten Sache ferner vor, wenn die Montageanleitung mangelhaft ist, es sei denn, die Sache ist fehlerfrei montiert worden. (3) Einen Sachmangel steht es gleich, wenn der Verkäufer eine andere Sache oder eine zu geringe Menge liefert.

In den Anfragen und Angeboten sowie später in der Hersteller- bzw. Lieferantendokumentation werden die bestellten und gelieferten Anlagenkomponenten i.Allg. ausführlich spezifiziert, z.B. in Form von Ausrüstungsdatenblättern. Diese Spezifikationen gehören aus Sicht des Autors auch zur vereinbarten Beschaffenheit des Kaufgegenstands.

4.3 Vertragsgestaltung zur Inbetriebnahme

321

Das heißt, der Hersteller bzw. Lieferant einer Pumpe muss beispielsweise für das Erreichen der im Datenblatt angegebenen Fördermenge und -höhe bei Einhaltung der Gewährleistungsvoraussetzungen für eine Dauer von zwei Jahren gewährleisten (s. nachstehender § 438, Abs. (1) Punkt 3.) 2) Zur Gewährleistungsfrist bei Kauf steht in BGB § 438 (Verjährung der Mängelansprüche): (1) Die in § 437 Nr. 1 und 3 bezeichneten Ansprüche (d. Verf.: Nacherfüllung, Zurücktreten vom Kauf, Kaufpreisminderung, Schadenersatz) verjähren 1. in 30 Jahren, wenn der Mangel a) in einem dinglichen Recht eines Dritten (d. Verf.: vorrangig: Eigentumsrecht), auf Grund dessen Herausgabe der Kaufsache verlangt werden kann, oder b) in einem sonstigen Recht, das im Grundbuch eingetragen ist, 2. in fünf Jahren a) bei einem Bauwerk und b) bei einer Sache, die entsprechend ihrer üblichen Verwendungsweise für ein Bauwerk verwendet worden ist und dessen Mangelhaftigkeit verursacht hat, und 3. im Übrigen in zwei Jahren. (2) Die Verjährung beginnt bei Grundstücken mit der Übergabe, im Übrigen mit der Ablieferung der Sache.

Die Regelungen zur Verjährung von Mängelansprüchen bzw. de facto die Gewährleistungsfristen sind im Werk- und Kaufvertrag somit ähnlich und schließen jeweils die Dokumentation ein. 3) Zu den Rechten des Käufers bei Mängeln wurden bereits in Abschn. 4.3.1.2 Ausführungen gemacht. 4.3.3.2 Ausführungen zu Garantie Betreffs Kaufvertrag steht im BGB, § 443 (Garantie): (1) Geht der Verkäufer, der Hersteller oder ein sonstiger Dritter in einer Erklärung oder einschlägigen Werbung, die vor oder bei Abschluss des Kaufvertrags verfügbar war, zusätzlich zu der gesetzlichen Mängelhaftung insbesondere die Verpflichtung ein, den Kaufpreis zu erstatten, die Sache auszutauschen, nachzubessern oder in ihrem Zusammenhang Dienstleistungen zu erbringen, falls die Sache nicht diejenige Beschaffenheit aufweist oder andere als die Mängelfreiheit betreffende Anforderungen nicht erfüllt, die in der Erklärung oder einschlägigen Werbung beschrieben sind (Garantie), stehen dem Käufer im Garantiefall unbeschadet der gesetzlichen Ansprüche die Rechte aus der Garantie gegenüber demjenigen zu, der die Garantie gegeben hat (Garantiegeber). (2) Soweit der Garantiegeber eine Garantie dafür übernommen hat, dass die Sache für eine bestimmte Dauer eine bestimmte Beschaffenheit behält (Haltbarkeitsdauer), wird vermutet, dass ein während ihrer Geltungsdauer auftretender Sachmangel die Rechte aus der Garantie begründet.

In den BGB-Paragraphen zum Werkvertrag wird der Begriff Garantie, im Unterschied zum Kaufvertragsrecht, nicht benutzt; obwohl vom Auftragnehmer im Anlagenvertrag signifikante Garantien gegeben werden In der Praxis versuchen einige Unternehmen diesen Begriff zu vermeiden, da ihnen die Abgrenzung zur Gewährleistung schwierig erscheint. Dies kann Unklarheit bewirken, sodass nachfolgend einige Ausführungen angebracht erscheinen. Zunächst zur Begriffsdefinition aus der Fachliteratur:

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4 Inbetriebnahmemanagement Die Garantie ist eine freiwillig, zusätzlich zu den gesetzlichen Mängelrechten,

übernommene und vereinbarte Verpflichtung eines Garanten (Vertragspartners). Das Wort „freiwillig“ gilt insofern, dass es keine gesetzlichen Regelungen und Zwänge für ein Garantieversprechen/Garantiezusage gibt. Der Auftragnehmer unterliegt aber marktwirtschaftlichen Wettbewerbsregeln und geht deshalb diese Verpflichtung ein. In Anlagenprojekten ist der Garant (Garantiegeber) i.Allg. der Auftragnehmer, z.B. der Generalplaner oder der Generalunternehmer. Im Weiteren zur Vertiefung der Thematik noch einige Bemerkungen. 1) Die Garantiezusage kann eine gesetzliche Gewährleistung nicht ersetzen und auch nicht in Umfang und Zeitdauer verringern. Sie ist neben bzw. zusätzlich zur gesetzlichen Gewährleistung zu verstehen. 2) Das Garantieversprechen ist eine bestimmte Zusage, die nicht an den Zustand des Werks inkl. Inbetriebnahmeleistung zum Zeitpunkt der Abnahme gebunden ist. 3) Die Garantie sichert dem Auftraggeber eine unbedingte Schadenersatzleistung gemäß der Garantievereinbarung zu. Im Gewährleistungsfall, z.B. bei einem Pumpenschaden, wird meistens nachgebessert (repariert). Bei einer Verfügbarkeitsgarantie kann auch vereinbart werden, dass die Pumpe im Störungsfall gegen eine bessere getauscht wird. 4) Garantien sind besondere Versprechen des Auftragnehmers gegenüber den Auftraggeber, um ihn von seiner Leistungskraft zu überzeugen. Sie sind wichtige Punkte bei den Vergabe- bzw. Vertragsverhandlungen. Je nachdem, ob der Garantiefall vor oder nach der werkvertraglichen Abnahme der Vertragsleistung eintritt, hat der Auftragnehmer oder der Auftraggeber die Beweislast (Beweispflicht) zu tragen. 5) Mögliche Garantien in Werkverträgen zu verfahrenstechnischen Anlagen, die aber nicht als Standardgarantien jedes Werkvertrags verstanden werden sollen, sind u.a.:  die Leistungs- bzw. Verfahrensgarantien, wie beispielsweise unter definierten Bedingungen das Erreichen:  einer vereinbarten Menge des Zielprodukts (Kapazität, Leistung, Produktionsmenge usw.)  einer vereinbarten Menge des Zielprodukts bezogen auf den Rohstoffeinsatz (Ausbeute),  der vereinbarten Qualität des Endprodukt,  der vereinbarten Menge und Qualität von Neben- und Abprodukten,  der vereinbarten spezifischen Energie- und Hilfsstoffverbräuche. Die Verfahrensgarantien werden in verfahrenstechnischen Anlagen während des Leistungsnachweises i.d.R. über eine Dauer von 72 Stunden nachgewiesen.  die Standzeit- bzw. Lebensdauergarantien, wie beispielsweise unter definierten Bedingungen das Erreichen:  einer vereinbarten Katalysatoraktivität (Umsatz) über xxx Betriebsstunden,  einer vereinbarten Adsorbenskapazität (Menge) über xxx Betriebsstunden,  einer vereinbarten Nutzungsdauer (sog. Reisezeit) für wichtige Hauptausrüstungen (z.B. mit Ausmauerung bei hohen Temperaturen oder abtragender Korrosion an Innenwand),

4.4 Inbetriebnahmeorganisation und -sicherheit

323

 einer vereinbarten Wärme- bzw. Kälteleistung über xxx Betriebsstunden für eine Package-unit (z.B. bei Schmutzablagerungen an Oberflächen/Fouling). Die Standzeit- bzw. Lebensdauergarantien gelten nicht selten für die Dauer von 8000 Betriebsstunden. Das Risiko eines Garantiefalls ist bei ihnen oftmals besonders hoch, auch weil der Garantiegeber während des Garantiezeitraums im Normalfall nicht mehr vor Ort ist.  die Produktionsgarantien, wie beispielsweise unter definierten Bedingungen das Erreichen:  einer vereinbarten kumulierten Gesamtmenge an Zielprodukt über xxx Betriebsstunden,  eines vereinbarten Produktsortiments in bestimmter Menge über xxx Betriebsstunden (Mehrproduktanlagen).  die Technischen Garantien, wie beispielsweise unter definierten Bedingungen das Erreichen:  einer vereinbarten Betriebsstundenzahl im ersten Jahr nach Abnahme,  einer vereinbarten Technischen Verfügbarkeit über einen definierten Zeitraum (z.B. bei Anlagen die nur zeitweise betrieben werden und häufig an- und abgefahren werden). Dieser Art von Garantien werden mitunter auch die sog. Funktionalen Garantien zugeordnet, die über 24 Monate wirken und aussagen, dass die Gesamtanlage in diesem Zeitraum „funktionieren“ muss. Der Autor versteht diese Verpflichtung, wobei der Begriff „funktionieren“ nicht eindeutig und der Begriff „Garantie“ nicht passend ist, als Technische Gewährleistung für die Gesamtanlage im Sinne von Abschn. 4.3.3.1, Buchst. a). 6) Die Einhaltung der Grenzwerte für Schadstoff- und Schallemissionen, für Schwingungen/Vibrationen u.ä. sieht der Autor als Gewährleistung, da sie aus Rechtsvorschriften bzw. aus dem Genehmigungsbescheid resultieren und keine freiwilligen Verpflichtungen des Auftragnehmers sind. 7) Die Verpflichtungen des Verkäufers sind immer an die Einhaltung definierter Garantievoraussetzungen gebunden. Ist der Garantiefall zeitlich nach der werkvertraglichen Abnahme, so muss der Auftraggeber (Betreiber) nachweisen, dass er zu jeder Zeit die Garantievoraussetzungen eingehalten hat. Dies fällt mitunter schwer bzw. gelingt nicht. 8) Die gemachten Aussagen gelten prinzipiell auch für Garantien in Kaufverträgen. Insgesamt sind die Garantien sehr wichtige, kosten- und wettbewerbsrelevante Verpflichtungen in Verträgen. Auch deshalb, weil im Garantiefall meistens die Kosten für beide Partner hoch sind. Für den Auftragnehmer u.a. die Mangelbeseitigungskosten und für den Auftraggeber die Folgekosten wegen entgangenem Gewinn.

4.4 Inbetriebnahmeorganisation und -sicherheit In diesem Abschnitt soll die Frage beantwortet werden: Was muss wie und wann für die Inbetriebnahmeorganisation getan werden, damit sie effektiv und sicher funktioniert?

324

4 Inbetriebnahmemanagement

Die praktischen Erfahrungen aus mehreren großen Anlagenbauprojekten haben gezeigt, dass die mitwirkenden Personen meistens ein fundiertes Fachwissen und Erfahrungen aufwiesen. Nicht wenige Ingenieure waren aber zu sehr Fachspezialisten und zu wenig Manager bzw. Unternehmer. Nicht selten waren die organisatorisch-administrativen Aspekte im Projekt und insbesondere während der schwierigen Inbetriebnahmephase nicht ausreichend klar und praktikabel geregelt. Zum Teil wurden sie als unnützer Formalismus eingeschätzt und nicht bewusst gestaltet. Letztlich waren damit immer unnötige Effektivitätsverluste verbunden. Welche gravierenden Auswirkungen organisatorische Mängel bzw. Managementmängel haben können, zeigt das folgende Beispiel 4.3 aus der Öl- und Gasindustrie. Die Auswertung der Havarie, die u.a. ein gravierendes Organisationsverschulden feststellte, führte zu einer Zäsur im Sicherheitsbewusstsein und in der Sicherheitsorganisation der westlichen Öl- und Gasförderindustrie. Sie wirkte in analoger Weise auch auf andere, insbesondere artverwandte Industriezweige. Beispiel 4.3 Erfahrungen aus einer Havarie auf der Plattform Piper Alpha Piper Alpha war eine große Bohrinsel in der Nordsee. die zunächst als Ölplattform gebaut und später (ab 1980) als Gasplattform umgerüstet und betrieben wurde.

Abb. 4.16 Bild-Darstellung einer Meeres-Plattform für die Öl- und/oder Gasförderung

Neben der Verarbeitung des aus der eigenen Bohrung geförderten Gases wirkte Piper Alpha zugleich als Sammelplattform für zwei weitere Gasbohrungen. Das geförderte Gas dieser Gas-Plattformen wurde über große Gasleitungen zur Piper Alpha transportiert und von dort gemeinsam mit dem eignen Gas der Piper Alpha an Land.

4.4 Inbetriebnahmeorganisation und -sicherheit

325

Auf der Plattform Piper Alpha wurde das geförderte Gemisch aus Gas, Öl und Wasser in seine Hauptbestandteile getrennt. Dabei fiel u.a. ein sogenanntes flüssiges Gaskondensat an. Das Gaskondensat wurde mittels zweier Kondensatpumpen P1 und P2 an Land gepumpt. Am 6. Juli 1988 brach auf der Bohrinsel Piper Alpha eine erste Explosion und Feuer aus, dem später weitere heftige Explosionen und Brände folgten. Bereits am Ende des Unfalltages rutschte ein Großteil der Aufbauten von der Plattform ins Meer. Das Feuer konnte erst nach ca. 3 Wochen gelöscht werden. Von den 226 Menschen, die sich zu Beginn des Feuers auf der Piper Alpha befanden, kamen 165 Personen ums Leben; zusätzlich 2 Rettungskräfte. Der Großteil der Opfer ist an Rauchgasvergiftung gestorben, nur wenige an Verbrennungen. Überlebt haben diejenigen Menschen, die entgegen der geltenden Vorschriften aus ca. 30 m Höhe ins Meer gesprungen sind. Nachfolgend werden die Einzelheiten der Havarie sowie deren Folgen und ursächliche Sicherheitsmängel chronologisch kurz dargestellt.  Auf der Plattform hatten Techniker den Auftrag, mehr als 100 Sicherheitsventile planmäßig auszutauschen. Dazu gehörte auch der Austausch eines Sicherheitsventils an der Gaskondensatpumpe P1. Die notwendige schriftliche Arbeitsgenehmigung lag vor.  Die Service-Techniker demontierten das genannte Sicherheitsventil, schafften zeitlich bis zum Schichtende aber nicht mehr die Montage des neuen. Sie verschlossen deshalb die offenen Anschlussflansche mit Blinddeckeln provisorisch, indem sie auf die Flanschschrauben zwei Muttern von Hand leicht aufdrehten. 1. Bem.: Die beiden Blindflansche wurde nicht mit Werkzeug fest angezogen. 2. Bem.: Eine Sicherheitseinrichtung (z.B. handbetätigten Reparaturschalter mit Schlüsseltaster vor Ort), die eine sichere „Energiefreiheit“ des Pumpenantriebs realisiert, gab es nicht bzw. sie wurde von den Technikern nicht genutzt.

 Weiterer zeitlicher Ablauf: 18.00 Uhr:

 Den unfertigen Montagezustand des Sicherheitsventils und die Nicht-Betriebsbereitschaft der Pumpe P2 vermerkten die Monteure auf der Arbeitsbescheinigung bzw. als Ergänzung und legten diese Unterlage (um 18.00 Uhr bei Schichtwechsel) ins Postfach des diensthabenden Schichtführers in der Messwarte.  Eine ergänzende mündliche Unterrichtung des Schichtführers über den Montagestand fand nicht statt. Zugleich wurde vom diensthabenden Schichtführer auch nicht der Vermerk auf der Arbeitsgenehmigung gelesen. 3. Bem.: Der dienstführende Schichtführer war somit irrtümlich der Meinung, die Gaskondensatpumpe P1 sei betriebsbereit. 21.45 Uhr:

 Die in Betrieb befindliche Kondensatpumpe P2 geht in Störung. 21.52 Uhr:

 Die Gaskondensatförderung wurde auf die Pumpe P1 umgestellt. 21. 57 Uhr:

 Aus dem lose befestigten Blindflansch tritt Gaskondensat aus und führt zur Explosion mit anschließendem Brand. Das Feuer breitet sich über die Plattform aus.  Das Löschsystem (die Löschwasserpumpen) schaltete bei Feueralarm nicht automatisch ein, da es wegen Taucharbeiten in der Nähe der Ansaugöffnungen auf

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4 Inbetriebnahmemanagement

Handbetrieb umgestellt wurde. Bis die Operator in der Warte dies erkannten und vor Ort einschalteten, verging wertvolle Zeit. 4. Bem.: Obwohl die Taucharbeiten beendet waren, wurde das Löschsystem nicht wieder auf „Automatik“ gestellt.

 Der Operator in der Warte drückte die NOT-AUS-Taste und schloss damit die Untertage-Absperrarmatur der Bohrung von Piper Alpha.  Die Bohrungen der beiden anderen Plattformen wurden jedoch nicht abgesperrt, sodass von ihnen weiterhin Gas zur brennenden Plattform Piper Alpha gefördert wurde. 5. Bem.: Die Manager der beiden Plattformen waren nicht befugt, die jeweiligen Förderbohrungen ihrer Plattform abzusperren. Sie mussten sich dafür eine extra Genehmigung einholen, die aber dauerte. 22.04 Uhr:

 Die Mannschaft gab wegen dem Feuer den Wartenraum auf. Eine Anlagenkommunikation und koordinierte Arbeiten zur Unglücksbekämpfung waren nicht mehr möglich.  Die Rettungsbootstationen konnten wegen des Feuers nicht aufgesucht werden. Als alternativer Sammelpunkt wurde ein feuergeschützter Versorgungsblock aufgesucht. 21. 20 Uhr:

 Gummimatten, die von den Tauchern noch auf den Metallgitter-Rosten lagen, verhinderten den Abfluss des Kondensats durch die Gitterroste und fingen Feuer. Damit stieg die Rauchentwicklung zusätzlich.  Das Feuer und die Rauchentwicklung vom brennenden Öl auf den Gummimatten und von den brennenden Gummimatten selbst, verhinderten u.a., dass die Mannschaft die Rettungsboote zu Wasser lassen konnte. 6. Bem.: Die Gummimatten verhinderten den Ölabfluss ins Meer und hätten nach Abschluss der Taucharbeiten weggeräumt werden müssen.

 Die ankommende und noch unter Druck stehende Gasleitung einer der Fremdplattformen explodierte wegen der Hitzeeinwirkung und nährte das Feuer erheblich. Auf dieser Plattform wurde die Bohrung abgesperrt und die Förderung zur Piper Alpha eingestellt.  Der Sammelpunkt im Versorgungsblock füllte sich zunehmend mit Rauch. 7. Bem.: Einige Männer handelten auf „eigene Faust“ und nach dem Motto „Rette sich wer kann“. Sie verließen den Versorgungstrakt und sprangen aus bis zu 50 m Höhe ins Meer. Die Warnung, dass dies der sichere Tod ist, missachteten sie. Am Ende waren diese Personen die Überlebenden des Unglücks. 22. 50 Uhr:

 Die ankommende Gasleitung der 2. Fremdplattform explodierte und verstärkte nochmals das Feuer.  Die Bohrung der 2. Fremdplattform wurde abgesperrt.  Die Hitzewirkung war so groß, dass alle umliegenden Rettungsschiffe abziehen mussten. 23. 50 Uhr:

 Der Versorgungsblock inkl. Wohnbereich rutschte ins Meer. Kurze Zeit später auch der größte Teil der Plattform.

4.4 Inbetriebnahmeorganisation und -sicherheit

327

 Neben den geschilderten Unfallhergang seien noch folgende sicherheitsrelevante Fakten ergänzt:  Eine in der Nähe ankernde, fahrbare Rettungsinsel kam wegen technischer Probleme (Feuerwehrschläuche und Gangway fuhren zu langsam aus!) nicht rechtzeitig zum Einsatz. Der verspätete Einsatz, nachdem die ankommenden Gasleitungen explodiert waren, blieb wirkungslos.  Atemschutzgeräte konnten nicht bzw. nicht in ausreichender Anzahl gefunden werden.  Ein Evakuierungsversuch mittels Helikopter wurde erst nach der Explosion der 1. Fremdgasleitung gestartet. Da spürten die Piloten bereits aus 1500 m Entfernung die Hitze der Flammen, sodass eine Rettung aus der Luft unmöglich war. Neben technischen Mängeln deckte die Untersuchungskommission zur Havarie auf der Piper Alpha eine Vielzahl von Mängeln im Management sowie in der Organisation und den Abläufen auf. Ein wesentliches Fazit der Kommission war: So wie zu dieser Zeit auf den meisten Öl- und Gasplattformen die Zustände ganzheitlich (organisatorisch, technisch, sicherheitlich, personell) waren, musste früher oder später eine Havarie passieren!

Die Kommission unterbreitete im Untersuchungsbericht über 100 konkrete Vorschläge, insbesondere auch zum Management und zur Organisation, um die Sicherheit auf Bohrinseln grundlegend zu verbessern. Ihre Umsetzung bewirkte einen qualitativ neuen und wesentlich höheren Sicherheitsstandard für die Gestaltung, den Betrieb, den Service, die Überwachung usw. von Öl- und Gasplattformen sowie von Öl- und Gasbetrieben auf dem Festland. 4.4.1 Arbeitsorganisation im Inbetriebnahmeteam Vereinfacht formuliert gilt das folgende Zitat: Zweck und Ziel der Organisation ist es, die Stärken der Menschen produktiv zu machen und ihre Schwächen unwesentlich. Peter F. Drucker

Die Arbeitsorganisation ist ein Regelwerk für das Zusammenwirken von Personen, die gemeinsam einer Hauptaufgabe für ein gemeinsames Ziel arbeiten. Im konkreten Fall ist das Ziel die planmäßige Bewirtschaftung der Anlage und die Hauptaufgabe ihre Inbetriebnahme in den Bestimmungsgemäßen Betrieb und vertragsmäßigen Zust. Während der Inbetriebnahmephase regelt die Arbeitsorganisation u.a. im gesamten Inbetriebnahmeteam:  die grundsätzliche Aufgabenteilung zwischen den beteiligten Vertragspartnern (s. Abschn. 4.3 und 4.4.1.5),  die Strukturierung der Inbetriebnahmeteams des Auftraggebers und Generalunternehmers bzw. -planers (s. Abschn. 4.4.3),  die Funktion des Inbetriebnahmeleiters und die Führung des Teams (s. Abschn. 4.4.2),  die Übertragung von Aufgaben, Verantwortung und Befugnissen,  die Information, Kommunikation und Zusammenarbeit im Team. In diesem Abschnitt sollen die beiden letztgenannten Aspekte betrachtet werden, während die anderen Teilgebiete in separaten Abschnitten vertieft werden.

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4 Inbetriebnahmemanagement

4.4.1.1 Verantwortung und Befugnisse Nachfolgend die beiden Begriffsdefinitionen: Verantwortung (accountability) ist ein Auftrag, im definierten Aufgabenbereich für ein bestimmtes Ergebnis (Sachverhalt, Erfolg) einzustehen. Befugnis (authority) ist das Recht, im definierten Aufgabenbereich und Kompetenzbereich selbständig Entscheidungen über  die Definition von Zielstellungen und/oder  die Planung, Terminierung und Durchführung von Arbeiten inkl. vorgegebener Rahmenbedingungen und/oder  den Einsatz (inkl. Bezahlung) von Personal-, Betriebs- und Finanzmittel und/oder  die Freigabe und Verteilung von Informationen zu treffen.

Die Verantwortung drückt im Prinzip aus, welche Ziele der Verantwortliche erreichen muss und dass er bei Nichterreichen dieser Ziele die damit verbundenen Konsequenzen trägt. Mögliche Arten von Verantwortung sind z.B.: ▪ Projektverantwortung inkl. Budget- und Terminverantwortung, ▪ Fachverantwortung, ▪ Personalverantwortung, ▪ Sicherheitsverantwortung, ▪ ordnungsrechtliche Verantwortung, ▪ zivilrechtliche bzw. haftungsrechtliche Verantwortung, ▪ strafrechtliche Verantwortung. Die Befugnis bzw. Kompetenz kennzeichnet, was der Verantwortliche darf und was nicht. Mögliche Arten von Befugnissen sind z.B.:  fachliche und/oder disziplinarische Weisungsbefugnis gegenüber benannten Personen,  Unterschriftsbefugnis für definierte Unterschriftsleistungen (z.B. Prüfung und Freigabe von Dokumenten zur weiteren Nutzung),  Bestellbefugnis für den Einkauf definierter Lieferungen und/oder Leistungen,  Handlungsvollmacht für definierte Handlungen bzw. Aufgaben,  Entscheidungsbefugnis im Rahmen eines definierten Aufgaben- und Verantwortungsumfangs,  Vertretungsbefugnis für benannte Personen. Klare Regelungen bezüglich dieser beiden Begriffe (einschließlich der im nächsten Unterabschnitt betrachteten Begriffe: Pflicht und Zuständigkeit) und daraus folgenden Konsequenzen bewirken u.a., dass  die beteiligten Personen und insbesondere die Führungskräfte ihre Verantwortung genau kennen, als solche empfinden und ihr aus diesen Gründen erfolgreicher gerecht werden. Die Erfahrung im täglichen Leben zeigt: Wer seine Verantwortung genau kennt sowie bewusst fühlt und versteht, wird sie auch ein Stück gewissenhafter, selbstbewusster und erfolgreicher wahrnehmen. Zugleich wissen auch die Anderen, wer für den definierten Erfolg verantwortlich ist und wer nicht.  die mitwirkenden Personen wissen, was sie im Rahmen ihrer Befugnisse und Zuständigkeiten tun und entscheiden können und was ihnen nicht erlaubt ist. Dabei gilt es

4.4 Inbetriebnahmeorganisation und -sicherheit

329

nicht nur Kompetenzüberschreitungen zu vermeiden, sondern auch ein selbständiges Handeln und Entscheiden zu unterstützen.  die verantwortliche Person sich bewusst die Frage stellt, welche Möglichkeiten habe ich, einen Teil meiner Verantwortung an andere Personen bzw. Unternehmen zu übertragen (s. Abschn. 4.4.1.3). Ferner ist zu klären, in welchen Fällen dies zweckmäßig bzw. angeraten ist und wie es konkret und rechtskonform geschehen kann. Wer für die Wahrnehmung einer konkreten Verantwortung vergütet wird, sollte diese Verantwortung auch persönlich spüren und bei Fehlern und Mängeln persönlich haften.  die logische Konsequenz bei der Übertragung von Verantwortung ist, dass auch damit verbundene bzw. benötigte Befugnisse mit übertragen werden. Mancher Manager tut sich schwer, diesen Zusammenhang zu verstehen und umzusetzen. Es gilt die Empfehlung: Wer Verantwortung übernehmen soll, aber nicht gleichzeitig die dafür erforderlichen Befugnisse übertragen bekommt, sollte diese verantwortliche Aufgabe ablehnen. Das eigenverantwortliche Handeln gemäß dem vorgenannten Grundsatz setzt natürlich voraus, dass ich einerseits meine Verantwortung genau kenne und verstehe sowie andererseits genau beurteilen kann, welche Befugnisse ich für meinen Erfolg brauche. 4.4.1.2 Pflichten und Zuständigkeiten Der Begriff Pflicht wird teils mit Verantwortung gleichgesetzt, hat aber eine völlig andere Bedeutung. Pflicht (duty) ist die Notwendigkeit zu einem Tun oder Unterlassen, die sich aus Vertrag, Gesetzen, Verhaltensnormen, Anweisungen u.ä. ergibt.

Pflicht ist somit kurzgefasst eine dringend notwendige Aufgabe. Der letzte wichtige Begriff, der diskutiert werden soll, ist der Begriff Zuständigkeit. Dieser Begriff ist in der Praxis weniger gebräuchlich und wird häufig nicht klar zum Begriff Verantwortung abgegrenzt. Zuständigkeit (responsibility) ist ein Auftrag, definierte Aufgaben zu bearbeiten und bestimmte Aktivitäten einzuleiten.

Die Zuständigkeit regelt, einfach gesprochen, wer konkret welche Aufgaben bearbeitet. Die Zuständigkeit ordnet die einzelnen Aufgaben den mitwirkenden Unternehmen bzw. Personen zu. Das heißt, es geht nicht darum, wer letztlich verantwortlich ist, sondern wer die konkrete Arbeit leistet. Die beiden definierten Begriffe Pflicht und Zuständigkeit unterscheiden sich in der Dringlichkeit bzw. Verbindlichkeit der zu erledigenden Aufgaben. 4.4.1.3 Übertragung von Pflichten und Zuständigkeiten sowie von Verantwortung und Befugnissen Im Weiteren soll die Frage beantwortet werden: Können Pflichten und Zuständigkeiten sowie Verantwortung und Befugnisse im Allgemeinen und im Besonderen bei der Inbetriebnahme ganz oder teilweise auf Andere übertragen werden und wie ist dies gegebenenfalls zu tun?

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4 Inbetriebnahmemanagement

a) Übertragung von Pflichten und Zuständigkeiten bzw. Aufgaben Eine dringend notwendige Aufgabe, wie eine Pflicht kurz definiert wird, ist weitgehend übertragbar. Gleiches gilt für die Übertragung von Zuständigkeiten, die eine Person bzw. ein Unternehmen zu erledigen haben. Man spricht in diesem Zusammenhang von Pflichtenübertragung. Mitunter wird auch von Delegierung gesprochen. An welche Voraussetzung diese Übertragung gebunden ist, wird unter Buchst. c) dieses Abschnitts erläutert. In vielen Fällen werden zusammen mit den Pflichten bzw. Zuständigkeiten auch Verantwortung und Befugnisse übertragen, soweit dies gemäß den nachfolgenden Ausführungen unter Buchst. b) dieses Abschnitts möglich ist. Grundsätzlich ist jede Führungskraft angehalten, Pflichten und Aufgaben (gegebenenfalls mit Verantwortung und Befugnissen), die sie selbst nicht ausreichend wahrnehmen kann, an befähigte Personen zu übertragen. Wer keine Pflichten, Aufgaben und Verantwortung, obwohl dies möglich wäre, überträgt und zugleich wegen Arbeitsüberlastung oder anderer Fehler seine Projektziele nicht erreicht, handelt u.U. fahrlässig. Derjenige, der fachliche Pflichten bzw. Aufgaben an andere Personen überträgt, bleibt trotzdem in der Verantwortung. Erledigt die übernehmende Person die übertragenen fachlichen Pflichten/Aufgaben nicht sachgerecht, so haftet der Delegierende für den nicht erreichten Arbeitserfolg. Für manchen Manager und Spezialisten, die sehr erfolgreich sind und persönlich ganz wenig Fehler machen, ist dies ein Problem. Sie neigen deshalb auch dazu, sich zu viele Aufgaben selbst zuzumuten und zu wenig zu delegieren. b) Übertragung von Verantwortung und Befugnissen Anders als bei Pflichten und Aufgaben ist die Übertragung von Verantwortung eingeschränkt und aus Sicht des Autors wie folgt zu sehen:  Fachverantwortung ist nicht übertragbar. Auch wenn die verantwortliche juristische bzw. natürliche Person an andere natürliche bzw. juristische Personen Aufgaben überträgt, so bleibt sie letztlich doch in der Zielverantwortung. Sie muss weiterhin für das Ergebnis einstehen und bei Misserfolg die Konsequenzen tragen. Bei der Rechtfertigung kann sie u.U. darauf verweisen, dass sie die gegebenen Möglichkeiten der Einbeziehung anderer Fachleute genutzt hat und somit eventuell die Konsequenzen mildern.  Verantwortung gemäß Strafgesetzbuch (StGB) ist übertragbar. Im StGB [23] formuliert der Gesetzgeber unter § 14 (Handeln für einen anderen): (2) Ist jemand von dem Inhaber eines Betriebes oder einem dazu Befugten 1. beauftragt, den Betrieb ganz oder zum Teil zu leiten, oder 2. ausdrücklich beauftragt, in eigener Verantwortung Aufgaben wahrzunehmen, die dem Inhaber des Betriebes obliegen, und handelt er auf Grund dieses Auftrages, so ist ein Gesetz nach dem besondere Merkmale die Strafbarkeit begründen, auch auf den Beauftragten anzuwenden, wenn diese Merkmale nicht bei ihm, aber bei dem Inhaber des Betriebs vorliegen. Dem Betrieb im Sinne des Satzes 1 steht das Unternehmen gleich.

Daraus abgeleitet, ist eine Übertragung sog. strafrechtlicher Verantwortung gemäß StGB möglich.

4.4 Inbetriebnahmeorganisation und -sicherheit

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 Verantwortung gemäß Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) [24] und DGUV Vorschrift 1 (Grundsätze der Prävention)[25] ist übertragbar. Im Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) [24] wird in § 13 (Verantwortliche Personen) in Abs. (2) formuliert: Der Arbeitgeber kann zuverlässige und fachkundige Personen schriftlich damit beauftragen, ihn obliegende Aufgaben nach diesem Gesetz (d. Verf.: ArbSchG) in eigener Verantwortung wahrzunehmen.

In der DGUV Vorschrift 1 [25] steht unter § 13 (Pflichtenübertragung): Der Unternehmer kann zuverlässige und fachkundige Personen schriftlich damit beauftragen, ihm nach Unfallverhütungsvorschriften obliegende Aufgaben in eigener Verantwortung wahrzunehmen. Die Beauftragung muss den Verantwortungsbereich und Befugnisse festlegen und ist vom Beauftragten zu unterschreiben. Eine Ausfertigung ist ihm auszuhändigen.

Das heißt, die Verantwortung, insbesondere die wichtige Sicherheitsverantwortung, gemäß ArbSchG und DGUV Vorschrift 1 sind übertragbar. Die Möglichkeiten der Verantwortungsübertragung sowie der damit verbundenen Aufgaben- und Pflichtenübertragung werden in der Praxis zunehmend genutzt; auch für Inbetriebnahmeleistungen. Selbstverständlich müssen mit der Verantwortung in adäquater Weise auch Befugnisse mit übertragen werden. Beides gehört zusammen. Dabei sieht der Autor grundsätzliche keine Einschränkungen beim Übertragen von adäquaten Befugnissen. c) Praktische Möglichkeiten und Formen der Übertragung Die Verantwortungs-/Befugnis-/Pflichten-/Aufgabenübertragung erfolgt zweckmäßig in Form einer sog. Bestellung. Dieser Begriff ist in diesem Zusammenhang nicht kaufmännisch sondern wie folgt rechtlich-organisatorisch zu verstehen: Bestellung ist die schriftliche Beauftragung und Namhaftmachung einer verantwortlichen Person für eine definierte Aufgabe, inkl. der damit verbundenen Verantwortung, Befugnisse u.a. Bedingungen.

Im Projekt allgemein sowie speziell für die Inbetriebnahme kann eine Übertragung von Verantwortung, Befugnissen, Pflichten und Zuständigkeiten auf unterschiedliche Weise erfolgen. Möglichkeiten sind u.a.:  Vereinbarungen in der kaufmännischen Bestellung bzw. im werkvertraglichen Engineering- bzw. Generalvertrag.  Festlegungen im Arbeitsvertrag der betroffenen Person, z.B. indem der Mitarbeiter als Inbetriebnahmeingenieur Prozess mit genau definierten Aufgaben, Verantwortung und Befugnissen eingestellt wird.  Festlegungen in Project Management Guidelines, Engineering-Management-Handbüchern u.a. verbindlichen Unternehmensdokumenten.  Festlegungen in Entscheidungsmatrizen; im Englischen mitunter auch RACI (Responsible – Accountable – Consulted – Informed) bezeichnet.  Organigramm (s. Abschn. 4.4.3.1) und zugehörige Stellenbeschreibungen (s. Abschn. 4.4.3.2) für die Funktion, die von der betreffenden Person gemäß Organigramm ausgeführt wird.

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4 Inbetriebnahmemanagement

 Ausführliche, spezifische Stellen-/Funktionsbeschreibungen für besondere Leitungsfunktionen. Wenn z.B. ein Inbetriebnahmeleiter extern gebunden wird, so reicht das Formblatt in Abschn. 4.4.3.2 nicht aus. Hier müssen mehr Details geregelt und dokumentiert werden, gegebenenfalls auch in einer vertraglichen Vereinbarung (Dienstvertrag).  Festlegungen in Verbindung mit der Benennung eines Aufsichtführenden nach § 5, DGUV Vorschrift 1 [25]. Die zuletzt angeführte Möglichkeit nach DGUV Vorschrift 1 betrifft während der Inbetriebnahme die sensible Schnittstelle zu den Subunternehmern/Nachauftragnehmern, z.B.  zu den Montage- und Handwerkerfirmen, die die Restpunkte des Protokolls Mechanische Fertigstellung erledigen,  zum Inbetriebnahmepersonal der Package-unit-Lieferanten oder der Hersteller von Hauptausrüstungen, die vor Ort bei der Inbetriebnahme ihrer Teilanlagen bzw. Produkte mitwirken,  zu den externen Serviceunternehmen, die planmäßig Arbeiten (Logistik, Wartung, Inspektion, Schall- und Schwingungsmessungen, Analytik usw.) übernehmen bzw. operativ (Störungsdiagnose, Instandsetzung, Umbaumaßnahmen usw.) während der Inbetriebnahme tätig werden. Sie bezieht sich rechtlich auf § 5 Abs. (3) (Vergabe von Aufträgen) der DGUV Vorschrift 1 mit folgendem Wortlaut: (3) Bei der Erteilung von Aufträgen an ein Fremdunternehmen hat der den Auftrag erteilende Unternehmer den Fremdunternehmer bei der Gefährdungsbeurteilung bezüglich der betriebsspezifischen Gefahren zu unterstützen. Der Unternehmer hat ferner sicherzustellen, dass Tätigkeiten mit besonderen Gefahren durch Aufsichtsführende überwacht werden, die die Durchführung der festgelegten Schutzmaßnahmen sicherstellen. Der Unternehmer hat ferner mit dem Fremdunternehmen Einvernehmen herzustellen, wer den Aufsichtsführenden zu stellen hat.

Durch diese Vorgaben soll der Arbeitsschutz auch für die Fälle sichergestellt werden, in denen ein Fremdunternehmer im Betrieb des Auftraggebers tätig wird. In der Regel stellt die beauftragte Fremdfirma den Aufsichtsführenden, indem sie eine geeignete Person ihrer Firma für die firmenspezifischen Arbeiten auf der Baustelle bzw. auf dem Betriebsplatz als Aufsichtsperson im Sinne der DGUV Vorschrift 1 nach § 5 und gemäß § 13 (Pflichtenübertragung) bestellt. Das in Abb. 4.17 dargestellte Formblatt bietet dafür eine bewährte Grundlage. Dabei wird in Anlehnung an § 5, DGUV Vorschrift 1 in der Überschrift von Pflichtenübertragung gesprochen, obwohl es sich de facto um eine Pflichten-, Verantwortungs- und Befugnisübertragung handelt. Der zuvor definierte und im Text in Abb. 4.17 verwendete Begriff Bestellung kommt ursprünglich aus dem Bergrecht [26] und bedeutet, dass verantwortliche Personen des Unternehmers (Auftragnehmers) sowie von Subunternehmern in Bergbetrieben nur tätig werden dürfen, wenn sie gemäß vorgegebener Prozedur schriftlich bestellt und gegenüber dem Bergamt namhaft gemacht wurden. In anderen Industriezweigen wird zunehmend, im Zusammenhang mit der Benennung von Aufsichtspersonen gemäß DGUV Vorschrift 1, § 5 [25] sowie von Verantwortlichen Personen gemäß ArbSchG, § 13 [24], gleichfalls von Bestellung gesprochen und das Musterformular entsprechend Abb. 4.17 genutzt.

4.4 Inbetriebnahmeorganisation und -sicherheit

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F i r m e n b e ze i c h n u n g :

Be s te l l un g a l s Au f s i c ht s p e r s o n un d P f l i c h t e n üb e r tr a g un g (D G U V - V or s c hr i f t 1 , § 5 , Ab s . (3 ) u nd § 1 3 ) Hiermit werden Sie, …………….................als Aufsichtsperson gemäß § 5, Abs. (3), DGUV-Vorschrift 1 der o.g. Firma für die verantwortliche Durchführung der beauftragten Arbeiten während der Inbetriebnahme der Anlage ………………………………………… bestellt. Mit der Bestellung werden zugleich gemäß § 13, DGUV-Vorschrift 1 die folgenden Pflichten, Verantwortung und Befugnisse übertragen: a) Wahrnehmung der Verantwortung für alle Leistungen der o.g. Firma gegenüber den zuständigen Inbetriebnahmeleiter und b) Wahrnehmung der Sicherheits- und Fachverantwortung für alle Mitarbeiter der o.g. Firma während des Aufenthalts und der Arbeiten am Inbetriebnahmeort, während des unten angeführten Zeitraums. Dazu gehört insbesondere hinsichtlich des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung die Einhaltung:  von Sicherheit und Ordnung,  von Gesetzen und Verordnungen,  der DGUV-Vorschriften, DGUV-Regeln u.a. Vorgaben zur Arbeitssicherheit,  der Auftraggeber-Richtlinien und Vorschriften sowie entsprechender Vorgaben der eigenen o.g. Firma,  der Aufgaben der zugeordneten Firmenmitarbeiter,  der geordneten Zusammenarbeit im Verantwortungsbereich zu gewährleisten. Schwierigkeiten in der Wahrnehmung dieser Verantwortung und Pflichten, sofern sie nicht von Ihnen selbst behoben werden können, haben sie unverzüglich dem zuständigen Inbetriebnahmeleiter bzw. bei dessen Abwesenheit seinen Vertreter zu melden. Zur Wahrnehmung der Sicherheits- und Fachverantwortung wird Ihnen gegenüber den zugeordneten Mitarbeitern der o.g. Firma eine Weisungsbefugnis erteilt. Bei Abwesenheit haben Sie einen Vertreter zu benennen und den Inbetriebnahmeleiter bzw. bei dessen Abwesenheit seinen Vertreter darüber zu informieren. Die Bestellung und Pflichtenübertragung erfolgen für den Zeitraum vom .…….bis ……… ………………….., den …………

…..……………………………….. Unterschrift des Bestellenden

Erklärung der verantwortlichen (bestellten) Person Hiermit erkläre ich, dass ich mir der Verantwortung, die sich aus den angeführten Aufgaben, Pflichten und Befugnissen ergeben, bewusst bin. In die örtlichen und sachlichen Grenzen meiner Tätigkeit bin ich eingewiesen. Mit der o.g. Bestellung und Pflichtenübertragung bin ich einverstanden. ………………….., den ……………

....……………………………….. Unterschrift des Bestellten

Abb. 4.17 Bestellung und Pflichtenübertragung an Aufsichtsführende bzw. Aufsichtspersonen von Subunternehmen (Fremdfirmen)

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4 Inbetriebnahmemanagement

Im Unterschied zum Bergrecht erfolgt die Bestellung aber nicht durch den Auftraggeber, sondern durch das Unternehmen, in dem die Aufsichtsperson beschäftigt ist. Die gemäß dem Formblatt in Abb. 4.17 vollzogene Bestellung hat sich in der Praxis als sehr effektiv erwiesen. Die Bestellprozedur sollte möglichst im Auftrag/Vertrag vereinbart sein. Die wesentlichen Festlegungen bzgl. Verantwortung und Befugnissen sowie Pflichten und Aufgaben sind in den entsprechenden Abschnitten des Inbetriebnahmehandbuchs (s. Abschn. 4.4.4) bzw. alternativ in einer Inbetriebnahmerichtlinie zusammenzufassen. d) Restverantwortung des Bestellenden bzw. des Delegierenden Abschließend soll noch die Frage beantwortet werden, welche Verantwortung und Pflichten, auch nach vollzogener, rechtskonformer Übertragung bzw. Delegierung, noch beim Übertragenden bzw. Delegierenden verbleiben. Die Antwort lautet: Damit die Übertragung bzw. Delegierung von Verantwortung, Pflichten, Zuständigkeiten, Befugnissen u.ä. rechtswirksam ist, obliegen dem Unternehmer bzw. seinem Beauftragten (z.B. Projektleiter) auf Grund der allgemeinen Gesetzeslage die folgenden Sorgfaltspflichten gegenüber den bestellten Personen bzw. beauftragten Unternehmen:  Auswahlverantwortung  Wählen Sie für die anstehenden Aufgaben die richtigen Mitarbeiter ihres Unternehmens aus.  Wählen Sie für die anstehenden Aufgaben die richtigen Unternehmen aus.  Dokumentieren Sie die Entscheidungen und Handlungen nachvollziehbar.  Ordnungsverantwortung  Klären Sie im eigenen Unternehmen bzw. im Arbeitsteam die Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten und Befugnisse der Mitarbeiter.  Führen Sie möglichst eine schriftliche Pflichtenübertragung durch.  Führen Sie die Ersteinweisung der Mitarbeiter durch.  Dokumentieren Sie die Entscheidungen und Handlungen nachvollziehbar.  Aufsichtsverantwortung  Führen Sie stichprobenartige Kontrollen bzgl. der Aufgaben- und Pflichtenerfüllung, der gegebenen Sicherheit und Ordnung, des Gesundheits- und Umweltschutzes sowie der Einhaltung von Rechtsvorschriften durch.  Prüfen Sie zu Beginn der Arbeitsaufnahme und wiederkehrend das Vorliegen aktueller Gefährdungsbeurteilungen, Betriebsanweisungen u.a. notwendiger Vorgaben.  Führen Sie bei gegebenem Anlass wiederkehrende Unterweisungen durch.  Dokumentieren Sie die Entscheidungen und Handlungen nachvollziehbar. Beim Delegierenden verbleibt somit, auch nach vollzogener schriftlicher Pflichten-/Verantwortungsübertragung, die Auswahl-, Ordnungs- und Aufsichtsverantwortung. Trotz dieser verbleibenden Verantwortung sollte der Inbetriebnahmeleiter von einer schriftlichen Pflichten-/Verantwortungsübertragung auf eigene Führungskräfte (z.B. zugeordnete Inbetriebnahmeingenieure) bzw. auf Aufsichtspersonen von Fremdunternehmen gezielt Gebrauch machen. Sie macht die Organisation transparenter und trägt wirksam dazu bei, dass jeder seine Pflicht tut bzw. bei Pflichtverletzungen der persönlich Verantwortliche ermittelt und u.U. haftbar gemacht werden kann.

4.4 Inbetriebnahmeorganisation und -sicherheit

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4.4.1.4 Konsequenzen bei pflichtwidrigen Verhalten a) Schaden durch fahrlässiges bzw. vorsätzliches Verhalten Ist ein Schaden (Personen-, Sach-, Vermögens- oder Imageschaden) eingetreten, so gilt es zunächst die Ursachen zu ermitteln und zu beseitigen. Danach wird aber gefragt: Wer ist für den Schaden verantwortlich, liegen Versäumnisse vor und welche Konsequenzen ergeben sich für die beteiligten Personen und Unternehmen? Juristisch gesprochen setzt eine sogenannte Tatbestandsprüfung ein, die nochmals zwischen einem objektiven und subjektiven Tatbestand unterscheidet. 1) Der objektive Tatbestand beinhaltet die Frage: Was ist passiert? Dies kann beispielsweise (verursacht durch Fehler während der Inbetriebnahme) sein:  eine Augenverletzung eines Operators durch Austritt eines ätzenden Gefahrstoffs,  ein Verdichterschaden wegen unzulässiger Schwingungen oder wegen falscher Werkstoffwahl,  die unzulässige Emissionen an Schadstoffen durch unerwartete Nebenproduktbildung,  die Verunreinigung eines Gewässers durch eine Fehlbedienung. Zugleich wird geprüft, ob es Vorschriften gibt, die einen solchen Tatbestand (Schaden) ahnden. 2) Der subjektive Tatbestand fragt: Was haben der Ausführende und der Verantwortliche falsch gemacht? Dies kann beispielsweise während der Inbetriebnahme sein:  Rechtsvorschriften (z.B. betreffs Gesundheit – Sicherheit – Umweltschutz) wurden nicht oder nicht ausreichend beachtet (z.B. Sicherheitsprüfung vor Inbetriebnahme nicht durchgeführt),  Technische Regeln und/oder allgemein anerkannte Regeln der Technik wurden nicht beachtet sowie keine gleichwertigen Alternativen genutzt,  Vorgaben im Genehmigungsbescheid wurden nicht eingehalten,  Inbetriebnahmeanweisungen wurden nicht ausreichend erarbeitet,  Ersteinweisung und/oder Unterweisung der Beschäftigten wurde nicht oder nicht ausreichend durchgeführt bzw. nicht nachvollziehbar dokumentiert,  Unfall wegen Organisationsverschulden, z.B. unzureichender Klärung von Verantwortung, Befugnissen und Zuständigkeiten,  Fehlentscheidung der verantwortlichen Person auf Grund einer fehlerhaften Störungsdiagnose (z.B. durch Nichteinbeziehung von Spezialisten),  keine ausreichende Delegierung von Aufgaben und Pflichten, sodass Terminverzögerungen und/oder Mehrkosten resultierten. In diesem Zusammenhang wird geprüft, inwieweit die beteiligten und insbesondere die verantwortlichen Personen fahrlässig, grobfahrlässig oder gar vorsätzlich gehandelt haben und ob dieses Verhalten in einem kausalen Zusammenhang mit den objektiven Tatbestand (Schaden) steht. Im Ernstfall ist die Frage zu beantworten: Hatten im Schadensfall die verantwortliche und ggf. auch die ausführende Person fahrlässig, grobfahrlässig oder gar vorsätzlich gehandelt?

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4 Inbetriebnahmemanagement

Vereinfachend gelten dabei die folgenden Begriffsverständnisse: Vorsätzlich handelt, wer den Schaden voraussehen konnte und dessen Eintritt billigend in Kauf genommen hat. Fahrlässig handelt [23],  wer entweder die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den Umständen und seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet und fähig ist, und deshalb die Tatbestandsverwirklichung (d. Verf.: Schadenssituation) nicht erkennt (unbewusste Fahrlässigkeit) oder  wer die Tatbestandsverwirklichung für möglich hält, jedoch pflichtwidrig und vorwerfbar im Vertrauen darauf handelt, dass sie nicht eintreten werde (bewusste Fahrlässigkeit). Grob Fahrlässig handelt [11], wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maße verletzt; wer das unbeachtet lässt, was im gegebenen Falle Jedem gleich einleuchten musste.

Für die Praxis ist der Fahrlässigkeitsvorwurf besonders wichtig, wobei vereinfachend gilt: Ich handele fahrlässig, wenn ich in einer bestimmten Situation nicht entsprechend sorgfältig handele, obwohl ich es auf Grund meiner Fähigkeiten und Kenntnisse hätte tun können! b) Mögliche Konsequenzen bei Pflichtverletzungen Als Hilfe für Führungskräfte, die in Anlagenprojekten oder an anderer Stelle im Leben der Anlage verantwortlich mitwirken, sowie für andere abhängig beschäftigte Personen (Arbeitnehmer), die eine gefahrgeneigte Arbeit ausführen, sind im Weiteren mögliche Konsequenzen bei Pflichtverletzungen bzw. bei pflichtwidrigem Verhalten aufgeführt. Dies sind: 1. Disziplinarische bzw. arbeitsrechtliche Konsequenzen Jeder Beschäftigte muss bei fehlerhafter Arbeit mit Kritik und ggf. finanziellen Konsequenzen rechnen. Sind die zu verantwortenden Fehler gravierend (z.B. erheblicher Sachschaden, Verstoß gegen Sicherheitsvorschriften, Nichtbeachtung von Rechtsvorschriften) oder sind von den Auswirkungen Dritte betroffen, so können sich auch disziplinarische bzw. arbeitsrechtliche Konsequenzen ergeben. Ob der Betreffende dabei fahrlässig gehandelt hat, spielt unter Beachtung aller Umstände eine wichtige Rolle. 2. Privat- bzw. zivilrechtliche Konsequenzen Das deutsche Zivilgesetz ist das BGB [10]. Im § 823 (Schadenersatzpflicht) wird zu zivilrechtlichen Schadenersatzansprüchen, die u.U. eine geschädigte natürliche Person oder ein Unternehmer geltend macht, folgendes formuliert: (1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens verpflichtet. (2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes der Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.

4.4 Inbetriebnahmeorganisation und -sicherheit

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Zivilrechtlich wird in der Rechtspraxis bezüglich Fahrlässigkeit nochmals unterschieden zwischen: grober Fahrlässigkeit, normaler Fahrlässigkeit und leichter Fahrlässigkeit. Dabei ist die Abgrenzung zwischen normaler und grober Fahrlässigkeit wichtig, da bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit der Schuldige i.d.R. voll haftet. Zugleich treten bei grober Fahrlässigkeit viele Versicherer für den Schaden nicht ein. Bei zivilrechtlichen Verfahren, die mitunter auch als Nebenklagen in Strafprozesse eingebunden sind, ist somit besonders der Vorwurf eines grob fahrlässigen Handelns entscheidend. 3. Ordnungsrechtliche Konsequenzen Bei Verstößen gegen gesetzliche und/oder behördliche Auflagen können die befugten Stellen (z.B. Aufsichtsbehörden, Ordnungsämter, Feuerwehr, Polizei) gegenüber der verantwortlichen natürlichen bzw. juristischen Person eine Ordnungsstrafe (Bußgeld) verhängen. Grundlage sind das Ordnungswidrigkeiten-Gesetz (OWiG) [27] sowie die Ausführungen in den jeweiligen Rechtsvorschriften selbst. Die Gesetze und Verordnungen haben meistens einen Paragraphen „Bußgeldvorschriften“, in dem die Geldbuße bei ordnungswidrigen Verhalten konkret angeführt ist. Beispielsweise resultiert aus der Maschinenverordnung [28] gemäß § 8 (Ordnungswidrigkeiten) unter anderen (auszugsweise): Ordnungswidrig im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 7 Buchstabe a des Produktsicherheitsgesetzes handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig 1. entgegen § 3 Abs. 2 Nr. 2 nicht sicherstellt, dass die technischen Unterlagen verfügbar sind, 2. entgegen § 3 Abs. 2 Nr. 3 die Betriebsanleitung nicht oder nicht rechtzeitig zur Verfügung stellt, 3. entgegen § 3 Abs. 2 Nr. 4 in Verbindung mit § 4 eines der dort vorgeschriebenen Konformitätsbewertungsverfahren nicht oder nicht rechtzeitig durchführt, 4. entgegen § 3 Abs. 2 Nr. 5 eine EG-Konformitätserklärung nicht oder nicht rechtzeitig ausstellt oder nicht sicherstellt, dass sie der Maschine beiliegt, 5. entgegen § 3 Abs. 2 Nr. 6 in Verbindung mit § 5 Absatz 1 bis 3 oder Absatz 4 eine CEKennzeichnung nicht, nicht in vorgeschriebener Weise oder nicht rechtzeitig anbringt, 7. entgegen § 6 Absatz 1 Nr. 1 nicht sicherstellt, dass die technischen Unterlagen erstellt werden, 8. entgegen § 6 Absatz e eine Montageanleitung oder eine Einbauerklärung nicht beifügt.

Die im Beispiel angeführte Ordnungswidrigkeit können gemäß Produktsicherheitsgesetz [29] mit Geldbußen zwischen 10 bis 100 TEURO geahndet werden. 4. Strafrechtliche Konsequenzen Grundlage für die Beurteilung von Straftaten ist das Strafgesetzbuch [23]. Von Rechts wegen ermittelt normalerweise der Staatsanwalt. Bezüglich der strafrechtlichen Verantwortung natürlicher Personen steht im Strafgesetzbuch (StGB, § 15 (Vorsätzliches und fahrlässiges Handeln): Strafbar ist nur vorsätzliches Handeln, wenn nicht das Gesetz fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Strafe bedroht.

Als Strafe kommen Geldstrafe oder Freiheitsentzug in Betracht. Die Angaben in Tabelle 4.12 zeigen, dass gemäß StGB in vielen Situationen ein fahrlässiges Handeln strafbar ist.

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4 Inbetriebnahmemanagement

Tabelle 4.12 Auszüge aus dem Strafgesetzbuch der BRD [23] § 222 Fahrlässige Tötung Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. § 229 Fahrlässige Körperverletzung Wer durch Fahrlässigkeit die Körperverletzung einer anderen Person verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. § 306f Herbeiführen einer Brandgefahr (2) Ebenso wird bestraft, wer eine in Absatz 1 Nr. 1 bis 4 (d. Verf.: Nr. 1 : feuergefährdete Betriebe oder Anlagen) bezeichnete Sache in Brandgefahr bringt und dadurch Leib oder Leben anderer Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet. (3) Wer in den Fällen des Absatzes 1 (d. Verf.. u.a. fremde feuergefährdete Betriebe oder Anlagen) fahrlässig handelt oder in den Fällen des Absatzes 2 die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. § 319 Baugefährdung (1) Wer bei der Planung, Leitung oder Ausführung eines Baues oder des Abbruchs eines Bauwerkes gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik verstößt und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer in Ausübung eines Berufs oder Gewerbes bei der Planung, Leitung oder Ausführung eines Vorhabens, technische Einrichtungen in ein Bauwerk einzubauen oder eingebaute Einrichtungen dieser Art zu ändern, gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik verstößt und dadurch Leib und Leben eines anderen Menschen gefährdet. § 323e Unterlassene Hilfeleistung Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. § 324 Gewässerverunreinigung (1) Wer unbefugt ein Gewässer verunreinigt oder sonst dessen Eigenschaften nachteilig verändert, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. (3) Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe. § 324a Bodenverunreinigung (3) Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. § 325a Verursachen von Lärm, Erschütterungen und nichtionisierenden Strahlen (3) Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe. § 326 Unerlaubter Umgang mit gefährlichen Abfällen (5) Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe in den Fällen des Absatzes 3 Freiheitsstrafe bis zu einem Jahre oder Geldstrafe. § 327 Unerlaubtes Betreiben von Anlagen (3) Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe in den Fällen des Absatzes 2 Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe. § 329 Gefährdung schutzbedürftiger Gebiete (5) Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe in den Fällen der Absätze 1 und 2 Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe.

4.4 Inbetriebnahmeorganisation und -sicherheit

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Fazit: Bei einem signifikanten objektiven Tatbestand ist bereits der Vorwurf eines fahrlässigen Handelns strafrechtlich relevant. Die strafrechtliche „Schwelle“ ist in diesen Fällen niedriger als die zivilrechtliche. Entscheidend dafür, ob ein fahrlässiges Handeln vorliegt, sind die Sorgfaltsmaßstäbe für die jeweilige Situation. Darüber hinaus ist zu beachten:  Im Rahmen der erforderlichen Sorgfalt wird grundsätzlich auf die Einsichtsfähigkeit eines durchschnittlichen, objektiven Dritten in gleicher Situation und dessen gesunden Menschenverstand Bezug genommen.  Wer über ein qualifiziertes Wissen verfügt, muss aufgrund dieses Mehrwissens auch ein Mehr an Sorgfalt aufbringen.  Eine Strafbarkeit liegt nicht nur bei pflichtwidrigem aktiven Tun vor, sondern auch bei pflichtwidrigem Unterlassen einer gebotenen Handlung: Verantwortlich ist man nicht nur für das, was man tut, sondern auch für das, was man nicht tut. Laotse

Die gemachten Ausführungen zur Strafbarkeit verdeutlichen, dass die Schwelle für ein strafrechtlich relevantes Vergehen „praxisnah“ ist. Das gilt auch für Versäumnisse während der Inbetriebnahme und den daraus möglichen Folgen. Der Verfasser musste in seiner praktischen Tätigkeit in einigen Anlagenprojekten leidvoll erfahren, dass Fehler bzw. Ungenauigkeiten im Engineeringprozess, wie ▪ fehlerhafte Auslegung von Kolonnen und Wärmeübertragern mit komplexen Gemischen (nicht-ideale Phasengleichgewichte) und schwierigen Prozessparametern, ▪ Nichtbeachtung von Nebenfahrweisen bei Auslegung von Mehrkammeröfen, ▪ falsche Werkstoffauswahl bei stark korrosiven Medien- und Prozessbedingungen, teilweise erheblichen Schäden während der Inbetriebnahme verursachten. In einigen Fällen wurden auch Fragen nach der Verantwortung und eines fahrlässigen Handelns gestellt, geprüft und bestraft. Mögliche Managementfehler während der Inbetriebnahme, die einen Fahrlässigkeitsvorwurf bewirken können, sind zum Beispiel: ▪ von Beginn an unrealistische, zu optimistische Inbetriebnahmeplanung, ▪ Zustimmung zum Beginn der Kalt-Inbetriebnahme oder der Heiß-Inbetriebnahme, obwohl die Voraussetzung ganzheitlich nicht erfüllt sind, ▪ Nichteinhaltung von Vorgaben aus Rechtsvorschriften und/oder aus dem Genehmigungsbescheid, ▪ Nichtbeachtung von vertraglichen Vereinbarungen inkl. von geltenden Regeln der Technik, ▪ Verstöße gegen geltende Sicherheitsbestimmungen einschließlich den Arbeitserlaubnissystem, ▪ Schäden durch Nichteinhaltung von Inbetriebnahmeanweisungen, ▪ Vernachlässigen der Aufsichtspflicht gegenüber den Mitarbeitern und Subunternehmern, ▪ unzureichende Dokumentation des Inbetriebnahmeablaufs inkl. der Ergebnisse, ▪ Treffen falscher Entscheidung, ohne zuvor die Meinung des Teams bzw. von verfügbaren Spezialisten zu erfragen. In schwierigen Situationen sind einsame Entscheidungen, meistens riskante Entscheidungen.

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4 Inbetriebnahmemanagement

Insgesamt ist das Risiko eines Fahrlässigkeitsvorwurfs bei der Inbetriebnahme verfahrenstechnischer Anlagen nicht zu unterschätzen. Im Wissen um diese Gefahr und da die „Schwelle“ in vermeintlich guter Absicht schnell überschritten wird, gilt der folgenden Rat: Machen Sie Ihre Arbeit so, dass Ihnen niemals im Problemfall die folgenden Vorwürfe gemacht werden können: Das hätten Sie wissen müssen! oder

Das hätten Sie verhindern können! 4.4.1.5 Besprechungen während der Inbetriebnahme Besprechungen dienen der Information und Kommunikation im Inbetriebnahmeteam. Sie sind ein wichtiges Element einer effektiven Ablauforganisation sowie des Controllings während der Inbetriebnahme. Die Erfahrung aus mehreren Großprojekten besagt aber auch: Nicht selten verursachen schlecht vorbereitete und nicht zielorientiert bzw. unkonzentriert durchgeführte Besprechungen auf der Baustelle und während der Inbetriebnahme zusätzliche Zeit und Kosten. Allein verantwortlich für diese Ineffizienz ist das Management, konkret der Baustellenleiter bzw. der Inbetriebnahmeleiter. Die Besprechungen während der Inbetriebnahme lassen sich wie folgt unterteilen: a) Beratungen im Lenkungskreis (Steering committee)  benannter und geladener Personenkreis der Führungskräfte des Auftraggebers (AG) und der wichtigsten Auftragnehmer (AN) (z.B. Generalunternehmer (GU), Generalplaner (GP), Package-unit-Lieferant)  Entscheidungen auf Unternehmensebene zu Vertrag, Nachträgen, Budget, Eckterminen, Marktsituation, GSU-Management u.ä.  Treffen nach Vereinbarung  Protokollierung der Ergebnisse b) Inbetriebnahmeroutine-Besprechung (wöchentlich)  benannter und geladener Personenkreis der Führungskräfte der Inbetriebnahmeteams AG und AN  Leitung der Besprechung durch Projektleiter AG bzw. AN (GU, GP) oder durch Inbetriebnahmeleiter  Entscheidungen auf Projektebene zur Inbetriebnahmedurchführung  Treffen oftmals wöchentlich bzw. nach Vereinbarung  Dokumentieren der Ergebnisse sowie deren Erfüllungskontrolle in einer OnlineAktionspunktliste c) Früh- und Spätbesprechungen (täglich)  Inbetriebnahme-Leitpersonal des AG (Projektteam, Betreiber) und des Generalunternehmers bzw. Generalplaners  Inbetriebnahme-Aufsichtspersonen der Subunternehmer  Besprechungen werden vom Inbetriebnahmeleiter geleitet  Frühbesprechung dient (vor Arbeitsbeginn) zur Abstimmung und Festlegung der Haupt-Arbeitsaufgaben des Tages, inkl. Abstimmung deren Arbeitsfreigabe

4.4 Inbetriebnahmeorganisation und -sicherheit

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 Spätbesprechung dient (nach Arbeitsende) zur Information über die erzielten Arbeitsergebnisse des Tages, bezogen auf die Vorgaben aus der Frühbesprechung, inkl. Abmeldung der freigabepflichtigen Arbeiten  Fachdiskussionen sind konsequent aus diesen operativen Arbeitsbesprechungen herauszuhalten  Dauer der Besprechungen sollte per Festlegung auf max. 30 min begrenzt sein und muss vom Inbetriebnahmeleiter eingehalten werden; im Sonderfall sind Ausnahmen nach vorheriger Ansage möglich  Festlegungen/Ergebnisse werden vom Inbetriebnahmeleiter bzw. Schriftführer im Tagebuch (in Papierform oder elektronisch) dokumentiert Aus Gesprächen mit Fachkollegen ist bekannt, dass mancher Gesprächsführer einen Gummihammer benutzt, um sich Gehör zu verschaffen. Im anderen Fall musste der Handy-Besitzer 2 bzw. 5 EURO Strafe zahlen, wenn während der Früh- bzw. Spätbesprechung sein Handy klingelt. d) Fachbeprechungen  geladener Personenkreis je nach Problemstellung  Leitung der Besprechung nach Vereinbarung  Treffen nach Bedarf und Vereinbarung  Beratung und Entscheidungen auf Projekt- und/oder Fachebene zur Projektabwicklung bzw. zur Inbetriebnahmedurchführung  Protokollieren der Ergebnisse in Papierform oder elektronisch Wie die angeführten Besprechungsformen schrittweise eingeführt werden sollten, wird in Abschn. 4.4.3.2 diskutiert. Insgesamt gibt es häufig bei der Vorbereitung und Durchführung von Besprechungen noch erhebliches Verbesserungs- und Einsparpotential. Das gilt insbesondere für Auslandprojekte und auch für die Regelung des Email-Verkehrs. 4.4.1.6 Formblätter für die Inbetriebnahme Die vorgeschriebene Nutzung freigegebener Formblätter (Templates) im Projekt kann Zeit und Ärger ersparen. Formblätter beinhalten Erfahrungen, die als Standard wiederkehrend genutzt werden. Sie haben nichts mit Formalismus zu tun. Wie lange wird mitunter über die Formulierung im Protokoll Mechanische Fertigstellung oder im werkvertraglichen Abnahmeprotokoll gerungen, weil jeder Partner einen kleinen Vorteil erlangen will. Nicht selten wird dabei gegenseitiges Vertrauen, was viel wichtiger ist, zerstört. In anderen Situationen wiederum tut sich manch „jüngerer“ Fachkollege oder „alter“ Praktiker schwer, wenn er ein Besprechungsprotokoll oder ein anderes Schriftstück erarbeiten muss. In Tabelle 4.13 ist eine Auswahl einiger Formblätter enthalten. Sie sind dem Inbetriebnahmehandbuch einer Großanlage entnommen, die auf der „grünen Wiese“ am Standort Deutschland und im Rahmen eines EPCM-Vertrags errichtet und in Betrieb genommen wurde. Einige dieser Formblätter wurden im gleichen Projekt zuvor für die Baustellenabwicklung genutzt. Die Formblätter wurden unter Verantwortung des Projektleiters AG erarbeitet und dem Generalplaner elektronisch zur Verfügung gestellt.

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4 Inbetriebnahmemanagement

Als Bestandteil des Inbetriebnahmehandbuchs (s. Abschn. 4.4.4) waren sie für alle beteiligten Unternehmen und Personen während der Inbetriebnahme vor Ort verbindlich. Tabelle 4.13 Formblätter für die Inbetriebnahme einer Großanlage (Praxisbeispiel)              

Protokoll über die MECHANISCHE FERTIGSTELLUNG Protokoll über die ANZEIGE der BETRIEBSBEREITSCHAFT Protokoll über die DURCHFÜHRUNG des LEISTUNGSNACHWEISES Protokoll über die ABNAHME der ANLAGE im Rechtssinn Protokoll über die ABNAHME der AS BUILT-DOKUMENTATION im Rechtssinn Anwesenheitsliste (regelmäßig anwesende Personen) Anwesenheitsliste (Besucher) Teilnehmerliste (Einweisung, Unterweisung, Schulung usw.) Inbetriebnahme-Fachbesprechung (Deckblatt) Inbetriebnahmefortschrittsbericht (Deckblatt) Baustellenauftrag (auch für Inbetriebnahme genutzt) Dienstreise-Antrag Dienstreise-Meldung/Bericht Gerüstanforderung und Aufmaßblatt

Die fünf ersten Templates der in Tab. 4.13 angeführten vertrags- und rechtsrelevanten Protokolle sind in den entsprechenden Abschnitten angegeben und erläutert. 4.4.2 Inbetriebnahmeleiter Die Person des Inbetriebnahmeleiters ist von zentraler Bedeutung für die effiziente Inbetriebnahme. Bei Neuanlagen ist der Inbetriebnahmeleiter de facto der erste Betriebsleiter Ob der Auftragnehmer oder der Auftraggeber den Inbetriebnahmeleiter stellt, hängt davon ab, welcher Partner gemäß Anlagenvertrag für die Inbetriebnahme verantwortlich ist. In Abschnitt 4.3.2.1, Buchst. b) (Abnahmezeitpunkt inkl. Gefahren- und Verantwortungsübergang) sind dazu für den Generalvertrag (z.B. LSTK-Vertrag) vier Varianten beschrieben. Entsprechend Abschn. 4.3.2.2, Buchst. a) sind diese Varianten auch für den Engineeringvertrag (z.B. EPCM-Vertrag) gültig.  Im klassischen Fall, in dem der Auftraggeber die verantwortliche Inbetriebnahme im Rahmen eines LSTK- bzw. EPCM-Vertrags mit einkauft, wird der Inbetriebnahmeleiter von der Inbetriebnahme- oder Engineeringabteilung des Generalunternehmers (GU) bzw. des Generalplaners (GP) gestellt. Mitunter „kaufen“ die Unternehmen auch selbständige Ingenieure als Inbetriebnahmeleiter ein. In vielen GU- bzw. GP-Unternehmen hat es sich als zweckmäßige erwiesen, wenn die Inbetriebnehmer strukturell den Engineeringbereich, nicht dem Montagebereich, zugeordnet werden und ein gemeinsames Budget haben. Damit ist der Erfahrungsrückfluss aus der Inbetriebnahme zum Engineering besser gewährleistet. Außerdem wirken Engineeringfehler, die Mehrkosten bei der Inbetriebnahme verursachen, auf das gemeinsame Budget zurück.  In der chemischen und pharmazeutischen Industrie leitet oftmals der Auftraggeber, der häufig auch Know-how- und Verfahrensträger ist, verantwortlich die Inbetriebnahme; beginnend mit der Unterzeichnung des Protokolls Mechanische Fertigstel-

4.4 Inbetriebnahmeorganisation und -sicherheit

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lung. In der Regel findet dann auch zu diesem Zeitpunkt der Gefahren- und Verantwortungsübergang zum Auftraggeber (Anlagenbetreiber) statt (s. Abschn. 4.3.2.1). Als Inbetriebnahmeleiter fungiert der spätere Betriebsleiter oder ein Betriebsingenieur der neuen oder erweiterten Anlage.  Eine Zwischenvariante, die aber zunehmend praktiziert wird, besteht darin. dass der Auftraggeber im Vertrag nur die Kalt-Inbetriebnahme einkauft. Mit Unterzeichnung des Protokolls Anzeige der Betriebsbereitschaft geht die Verantwortung und die Gefahrtragung auf den Auftraggeber über. Dies bedeutet, dass während der Kalt-Inbetriebnahme der Generalunternehmer bzw. Generalplaner den Inbetriebnahmeleiter stellt und danach, mit Beginn der HeißInbetriebnahme, der Auftraggeber (z.B. in Person des Betriebsleiters). Wenn man so will, gibt es bei dieser Variante einen „Kalt-Inbetriebnahmeleiter“ und einen „Heiß-Inbetriebnahmeleiter“. Welches die Gründe/Kriterien für die Praktizierung der einen oder anderen der aufgezeigten Varianten sind, wird in Abschnitt 4.4.3 dargelegt. 4.4.2.1 Verantwortung und Befugnisse des Inbetriebnahmeleiters Der Inbetriebnahmeleiter untersteht in vielen Fällen dem Projektleiter. Bei kleinen Projekten leitet der Projektleiter persönlich vor Ort die Inbetriebnahme. Der Inbetriebnahmeleiter hat gegenüber dem Projektleiter bzw. der Unternehmensleitung die Zielverantwortung für die vertragsgemäße Inbetriebnahme. Er ist ferner der erste Ansprechpartner vor Ort sowie „Chef“ für seine Mitarbeiter. Generell gelten bzgl. der Verantwortung und Befugnisse des Inbetriebnahmeleiters die beiden grundsätzlichen Feststellungen: a) Dem Inbetriebnahmeleiter obliegt die verantwortliche Leitung aller Aufgaben während der Inbetriebnahme. Er ist verantwortlich für alle Leistungen, die während der Inbetriebnahme auf dem Betriebsplatz erbracht werden. Dazu gehören insbesondere auch die Verantwortung für die Sicherheit sowie den Gesundheits- und Umweltschutz aller anwesenden Personen. b) Der Inbetriebnahmeleiter muss in allen Angelegenheiten und gegenüber allen Personen auf dem Betriebsplatz weisungsbefugt sein. Beide Aussagen bedingen sich in der Einheit von Verantwortung und Befugnissen. Die Weisungsbefugnis muss auch gegenüber Kontraktoren gelten, soweit ihre Mitwirkungsleistungen während der Inbetriebnahme vor Ort betroffen sind. Auf mögliche Konsequenzen, die der Inbetriebnahmeleiter bei Nichtwahrnehmung seiner Verantwortung tragen muss, wurde in Abschn. 4.4.1.4 hingewiesen. In Abschn. 4.4.1.3 wurde wiederum erörtert, wie er sein Risiko durch Verantwortungs- und Pflichtenübertragung verringern kann. In Verbindung mit seiner Sicherheitsverantwortung muss der Inbetriebnahmeleiter über die Benennung eines Koordinators entscheiden. Grundlage ist nicht die Baustellenverordnung (BaustellV) [30], die für „erdverbundene Bauvorhaben einen Sicherheitskoordinator (SiGeKo) fordert, sondern die DGUVVorschrift 1 [25]. In dieser steht in § 6 (Zusammenarbeit mehrerer Unternehmer), Abs. (1): (1) Werden Beschäftigte mehrerer Unternehmer oder selbstständige Einzelunternehmer an einem Arbeitsplatz tätig, haben die Unternehmer hinsichtlich der Sicherheit und des

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4 Inbetriebnahmemanagement Gesundheitsschutzes der Beschäftigten, insbesondere hinsichtlich der Maßnahmen nach § 2 Abs. 1, entsprechend § 8 Abs. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) zusammenzuarbeiten. Insbesondere haben sie, soweit es zur Vermeidung einer möglichen gegenseitigen Gefährdung erforderlich ist, eine Person zu bestimmen, die die Arbeiten aufeinander abstimmt; zur Abwehr besonderer Gefahren ist sie mit entsprechender Weisungsbefugnis auszustatten.

Da bei einer Inbetriebnahme nahezu immer Beschäftigte mehrerer Unternehmen tätig werden, ist ein Inbetriebnahme-Sicherheitskoordinator (IBN-SiKo) nötig. Der Inbetriebnahmeleiter muss entscheiden, ob er diese Funktion selbst wahrnimmt oder ob er eine andere Person als Koordinator einsetzt. In jedem Fall ist der Koordinator schriftlich zu bestellen. 4.4.2.2 Anforderungen an den Inbetriebnahmeleiter Die nachfolgend dargelegten Anforderungen an den Inbetriebnahmeleiter gelten, mit Ausnahme zusätzlicher Unternehmensspezifika, weitgehend unabhängig davon, welcher Vertragspartner ihn stellt. Die Tätigkeit am Anlagenstandort, nicht selten weit weg vom Stammhaus, verlangt vom Inbetriebnahmeleiter eigenverantwortliches Entscheiden, rechtzeitiges und entschlossenes Handeln sowie Autorität und Durchsetzungsvermögen. Darüber hinaus sind auch Kompromissfähigkeit, Kontaktfreudigkeit, Teamgeist und Fingerspitzengefühl bei der Mitarbeiterführung gefragt. Insgesamt ist das Anforderungsprofil an den Inbetriebnahmeleiter (s. Tab. 4.14) sehr anspruchsvoll. Tabelle 4.14 Anforderungsprofil an den Inbetriebnahmeleiter 1 Fachliche Fähigkeiten und Fertigkeiten  Technisch-technologischer Fachmann mit Erfahrungen im Anlagenbau/-betrieb sowie bei der Inbetriebnahme  Kenntnisse über grundlegende und projektspezifische Rechtsvorschriften sowie geltende Regeln zum Stand der Technik, inkl. Gesundheit-Sicherheit-Umweltschutz (GSU/HSE),  Kenntnisse zum Genehmigungsbescheid und die Folgerungen für die Inbetriebnahme  detaillierte Kenntnisse zur Anlagensicherheit, inkl. über die Ergebnisse der Risikobeurteilung (HAZOP-Studie)  fundiertes Wissen zum Aufbau und den örtlichen Gegebenheiten in der Anlage  grundlegendes Wissen zum Verfahren sowie zur Konstruktion und Funktionsweise der Hauptausrüstungen einschließlich ihrer Instandhaltung  Basiswissen über die Prozessleittechnik (PLS, EMSR, NAT, PAT) der Anlage  Erfahrungen und Sachwissen zum Projektmanagement (Planung, kaufmännische Abwicklung, Controlling) sowie zur Vertragsgestaltung und -realisierung  Kenntnisse im Umgang mit der Office-Software des Projekts, inkl. für Inbetriebnahme  Fähigkeiten zur Organisation und Steuerung von Arbeitsabläufen  Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Kunden sowie in der Mitarbeiterführung (Verhandlungs- und Führungsgeschick)  Grundkenntnisse über Land, Sprache, Gebräuche u.a. standortspezifische Bedingungen 2 Persönliche und soziale Eigenschaften und Merkmale  hohes Verantwortungsbewusstsein hinsichtlich GSU (HSE)  Fähigkeiten des analytischen Denkens und Blick für das Wesentliche  fleißig und initiativ sowie umsichtig und zuverlässig, aber nicht ängstlich und penibel  klar und eindeutig in der Aussage sowie in den Vorgaben

4.4 Inbetriebnahmeorganisation und -sicherheit

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Tab. 4.14 (Fortsetzung) 2 Persönliche und soziale Eigenschaften und Merkmale (Fortsetzung)  ehrlich und offen, unkompliziert und kritisch, aber nicht verletzend und nachtragend  kommunikativ aber auch verschwiegen  kreativ aber auch aufgeschlossen für neue Ideen anderer  hohe physische und psychische Belastbarkeit sowie selbst stabilisierend und nicht hektisch bei Überlastung  stabiler Charakter auch bei längerer Abwesenheit von Familie und Heimat  Durchsetzungs- und Entscheidungsvermögen, aber auch Integrations- und Kompromissfähigkeit  Akzeptanz der notwendigen außerfachlichen (kommerziellen, administrativen, organisatorischen, rechtlichen) Aufgaben sowie Kostenbewusstsein  auf dem Betriebsplatz weitestgehend anwesend und erreichbar

Ergänzend werden in Tabelle 4.15 einige Verhaltenstips für den Inbetriebnahmeleiter vorgeschlagen. Sie beziehen sich sowohl auf den Umgang mit dem Kunden als auch mit den eigenen Mitarbeitern. Tabelle 4.15 Verhaltenstips an den Inbetriebnahmeleiter 1 Machen Sie keine Zusagen, die sie nicht halten können. These: Ein unzufriedener Kunde schadet mehr als 10 zufriedene nützen! 2 Lehnen Sie Forderungen, die Sie nicht erfüllen können oder wollen, definitiv ab. These: Die Stärke einer Persönlichkeit zeigt sich nicht in der Offensive, sondern in der Defensive! 3 Seien Sie ehrlich und gebrauchen Sie Notlügen wirklich nur in der Not. These: Man weiß nicht alles, man sagt nicht alles, aber man lügt nie! 4 Begründen Sie Ihre Entscheidungen möglichst nachvollziehbar für die Betroffenen. These: Eine akzeptierte Entscheidung wirkt zugleich motivierend und stabilisierend! 5 Erkennen und lösen Sie Probleme möglichst frühzeitig und vollständig. These: Ungelöste oder verdrängte Probleme kommen verstärkt immer wieder hervor – meistens zum ungünstigen Zeitpunkt und aus einer unerwarteten Richtung! 6 Konzentrieren Sie sich auf das Wesentliche, ohne das Unwesentliche zu sehr zu vernachlässigen. These: Wer alles für gleich wichtig hält, schafft wenig! These: Man sollte im Grundsätzlichen prinzipiell, aber im Einzelnen tolerant sein! 7 Denken Sie bei heutigen Entscheidungen auch an Morgen und wahren Sie stets die Verhältnismäßigkeit der Mittel. These: Heute haben Sie die guten Karten – morgen vielleicht der andere! 8 Sind Sie hart in der Sache aber respektierend im Verhalten sowie freundlich im Ton. These: Sie wollen noch viel mehr Geschäfte miteinander machen! 9 Versetzen Sie sich bei Verhandlungen in die Lage Ihres Partners. These: Verhandeln heißt, tragfähige Kompromisse vorzuschlagen! 10 Bringen Sie Vorleistungen auf dem Gebiet der „Atmosphäre“. These: Wir sind alle nur Menschen!

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4 Inbetriebnahmemanagement

Den Idealtyp des Inbetriebnahmeleiters gibt es nicht. Man kann sich diese Fähigkeiten und Eigenschaften auch nicht durch eine Fach- oder Hochschulausbildung aneignen. Sie ist lediglich eine gute Voraussetzung dafür. In der Praxis ist es im verfahrenstechnischen Anlagenbau in der Regel von Vorteil, wenn der Inbetriebnahmeleiter stärker technologisch als apparativ geprägt ist, da die technologischen Fragen und Probleme oftmals die übergreifenden und wesentlichen sind. Sie beeinflussen vorrangig auch den Nachweis der Garantien. Empfehlenswert ist, dass Fachkräfte, die geeignete persönliche Eigenschaften erkennen lassen, schrittweise über eine:  Tätigkeit in einer Ingenieurabteilung bzw. im Betrieb sowie durch  Mitwirkung in einem Projekt- und Inbetriebnahmeteam an die Aufgaben des Inbetriebnahmeleiters (auch Baustellenleiters) herangeführt werden. Die Anforderungssituation auf der Baustelle und insbesondere während der Inbetriebnahme kann man nur sehr begrenzt „zu Hause“ im Stammhaus simulieren und trainieren. Der zukünftige Inbetriebnahmeleiter muss sich im Einsatz vor Ort herausbilden und beweisen. 4.4.3 Inbetriebnahmeteam In verfahrenstechnischen Anlagenprojekten ist das Gesamt-Inbetriebnahmeteam zweigeteilt. Es umfasst  ein AN-Inbetriebnahmeteam (Auftragnehmer, Contractor), egal ob der Auftragnehmer als Generalunternehmer (GU) oder Generalplaner (GP) fungiert und  ein AG-Inbetriebnahmeteam (Auftraggeber, Owner) bestehend aus Betriebs- und Servicepersonal sowie Vertretern des AG-Projektteams. Beide Teams müssen erfolgreich zusammenarbeiten, sind aber in wesentlichen Merkmalen verschieden und deshalb im Weiteren getrennt zu betrachten. Bezüglich der Gesamt-Manpower, die für eine effiziente Inbetriebnahme notwendig ist, gilt aus zahlreichen Erfahrungen: Die Gesamt-Personalstärke (Inbetriebnahmepersonal) bei der Inbetriebnahme verfahrenstechnischer Anlagen sollte wegen der besonderen Herausforderungen mindestens 30 Prozent größer sein, als die Personalstärke während des späteren Dauerbetriebs. Im Normalfall werden die ca. 30 Prozent zusätzliche Manpower durch die Inbetriebnehmer des Auftragnehmers und der Subunternehmer (Hersteller, Lieferanten) abgedeckt. 4.4.3.1 Aufgaben, Verantwortung und Organisationsstruktur a) Wesentliche Einflusskriterien Von entscheidendem Einfluss auf die Aufgaben, Verantwortung und Organisationsstruktur der Vertragspartner sind die beiden folgenden Kriterien: 1. Kriterium: Welcher Vertragspartner ist Verfahrensgeber des Hauptprozesses?  Der Verfahrensgeber verfügt über das Verfahrens-Know-how und häufig auch über die Schutzrechte (Patente) zum Hauptverfahren. Er behandelt dieses Know-how vertraulich und schützt es vor Dritten.  Unter Leitung des Verfahrensgebers wird i.d.R. das Basic Engineering erarbeitet. Er führt verantwortlich die Verfahrensplanung durch und erstellt u.a. die Verfah-

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rens- und R&I-Fließschemata, die Mengen-/Energiebilanzen sowie die Ausrüstungsdatenblätter.  Der Verfahrensgeber als Verfahrensplaner übernimmt im Normalfall die wichtigen Verfahrensgarantien, deren Einhaltung während der Leistungsfahrt rechtsverbindlich nachgewiesen werden muss.  Letztlich prädestinieren somit die vorgenannten Fakten den Verfahrensgeber fachlich und vertragsrechtlich, die Inbetriebnahme verantwortlich zu leiten. 2. Kriterium: Handelt es sich um ein Greenfield-Projekt oder ein Brownfield-Projekt? In einem Greenfield-Projekt wird die Anlage auf einem unerschlossenen Grundstück außerhalb eines Werksgeländes (grüne Wiese) neu errichtet.

 Aus der Begriffsdefinition lässt sich ableiten:  Im Projekt müssen die Infrastruktur sowie Nebenanlagen (z.B. zur Erzeugung und Bereitstellung von Medien oder zur Entsorgung von Abprodukten) mit errichtet werden. Dies vergrößert die Inbetriebnahmeleistungen erheblich.  Es gibt am Standort zuvor keinen erfahrenen Anlagenbetreiber. Das Betreiberteam muss neu aufgebaut und das Personal umfassend ausgebildet werden.  Auf Grund der angeführten Spezifika wird der Auftraggeber/Investor bemüht sein, die verantwortlichen Inbetriebnahmeleistungen im Anlagenvertrag mit einzukaufen, seine Mitwirkungspflichten möglichst gering zu halten und die Inbetriebnahme maximal zur Ausbildung (Learning by Doing) seines Betreiberpersonals zu nutzen. In einem Brownfield-Projekt liegt der Aufstellungsort der Anlage auf einem erschlossenen Werksgelände (Industriepark, Gewerbegebiet) bzw. Betriebsgelände. Im Detail wird nochmals zwischen Umbau (Erweiterung oder Modernisierung einer bestehenden Anlage) und Neubau (z.B. neue oder duplizierte Anlage) unterschieden.

 Ausgehend von dieser Begriffsdefinition folgt:  Ein Großteil der Infrastruktur und Nebenanlagen (utilities) existiert am Standort und kann genutzt werden. Dies verringert den Aufwand für die Inbetriebnahme. In Abgrenzung zum Bestand (Infrastruktur, bestehende Anlage) werden die Anlagengrenze und die Schnittstellen definiert. Während der Inbetriebnahmevorbereitung werden diese Schnittstellen eingebunden (s. Abschn. 5.4).  Am Standort existiert meistens schon das Betreiberpersonal für die investierte Anlage. Bei einem Umbau ist dies oftmals das bisherige Anlagenpersonal.  Bei einem Erweiterungs-Neubau am Standort (z.B. Duplizierung) übernimmt i.d.R. der vorhandene Altanlagen-Betreiber auch die Neuanlage; ggf. mit zusätzlichem Personal.  Aus den angeführten Aspekten ergibt sich, dass bei klassischen Brownfield-Projekten der Auftraggeber/Betreiber die Inbetriebnahme selbst verantwortlich durchführt. Der Auftragnehmer wird ihn dabei entsprechend Bedarf und nach Vereinbarung helfen.  Einen Sonderfall stellt der Bau einer Erstanlage auf einem erschlossenen Werksgelände dar (spezielles Brownfield-Projekt). Ist der Auftragnehmer der Verfahrensgeber, sind die Verhältnisse bezüglich der Inbetriebnahmeleitung analog zu einer Investition auf der grünen Wiese. Ist der Auftraggeber der Verfahrensgeber, so wird z.B. die Kalt-Inbetriebnahme vom Auftragnehmer geleitet und danach die Heiß-Inbetriebnahme, nachdem das Betreiberpersonal ausreichend vorhanden und ausgebildet ist, vom Auftraggeber.

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4 Inbetriebnahmemanagement

b) Darstellung der Organisationsstruktur Die Aufbauorganisation des Projekts inkl. zugehöriger Stellen und Kommunikationsbeziehungen wird im Organigramm grafisch dargestellt. Abb. 4.18 zeigt beispielhaft das Organigramm für ein Auftraggeber-Projektteam zu Beginn der Ausführungsplanung (Phase 6) einer größeren Chemieanlage.

 Abb. 4.18 Organigramm des Auftraggebers (Investors) nach Vertragsabschluss über die Ausführungsplanung und Realisierung einer Chemieanlage (Praxisbeispiel)

Im Organigramm sind nur die Leitfunktionen bzw. Führungskräfte des Projektteams dargestellt. Die Rechtecke symbolisieren die notwendigen Funktionen, die in diesen Fall jeweils mit einer Fachkraft zu besetzen sind. Bei kleineren Projekten kann eine Person auch mehrere Funktionen ausfüllen. Die vollen Linien kennzeichnen Weisungsbefugnis und die gestrichelten Linien sog. Beratungskompetenz. Im Fall einer gestrichelten Linie muss zum Beispiel der ClaimManager in Abb. 4.18 den betroffenen Leadingenieur fachlich überzeugen, dass die Änderung aus guten Gründen nicht ausgeführt werden sollten. Gelingt ihm das nicht, kann er versuchen, über den Projektleiter eine entsprechend Weisung zu erwirken. Für jede Stelle im Organigramm ist vom verantwortlichen Leiter eine Stellenbeschreibung zu erarbeiten (s. Abschn. 4.4.3.2). c) Typische Organisationsstrukturen während der Anlageninbetriebnahme Auf Grund der Mannigfaltigkeit der Anlagenprojekte sowie der zugehörigen Verträge ist es nicht möglich, eine allgemeingültige Standard-Organisationsstruktur für die Inbetriebnahme zu definieren. Im konkreten Fall muss stets geprüft werden, welche Organisationsstruktur für die Inbetriebnahme und die Teams der Vertragspartner die geeignete ist.

4.4 Inbetriebnahmeorganisation und -sicherheit

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Die folgenden Ausführungen können deshalb nur einige typische Organisationstrukturen aus der Praxis beschreiben. 1. Fall: ● Neubau einer verfahrenstechnischen Anlage auf der „grünen Wiese“ (Greenfield-Projekt) ● Auftragnehmer ist Verfahrensgeber und leitet Inbetriebnahme verantwortlich bis Abschluss Leistungsnachweis und werkvertragliche Abnahme ● Betreiberpersonal des Auftraggebers ist neu und unerfahren. Es soll erst während der Inbetriebnahme (on-the-job) umfassend ausgebildet werden. ● Das Projektteam des Auftraggebers nimmt die AG-Belange während der Inbetriebnahme wahr.  In diesem Fall bleibt der AG-Projektleiter i.d.R. bis zum Ende der Inbetriebnahme in der Projektverantwortung. Das Betreiberteam wirkt unterstützend mit. Das Betreiber- und Serviceteam soll während der Inbetriebnahme so viel wie möglich lernen, um die Anlage später (nach der werkvertraglichen Abnahme) in eigener Verantwortung erfolgreich betreiben und instandhalten zu können. Daraus folgernd gibt es nach dem Leistungsnachweis zeitgleich  eine werkvertragliche Abnahme der Vertragsleistung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer (z.B. in Person der beiden Projektleiter) und  eine unternehmensinterne Übergabe/Übernahme der Anlage vom AG-Projektleiter an den AG-Betriebsleiter. Eine solche Variante wird häufig dann gewählt, wenn das Betreiberteam neu zusammengestellt wurde und wenig Management- und Betriebserfahrungen besitzt. Das AG-Projektteam ist i.Allg. strukturell und personell geprägt durch die vorhergehenden Projektphasen, insbesondere die Baustellenabwicklung. Je nachdem, wie stark es in die Inbetriebnahme eingebunden ist, muss es sich mehr oder weniger neu aufstellen. Wie dies während der Inbetriebnahme realisiert werden kann, wird in Abb. 4.19 sowie im nachfolgenden Beispiel 4.4 gezeigt.

 Abb. 4.19 Struktur des AG-Projektteams während der Inbetriebnahme gemäß Beispiel 4.4

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4 Inbetriebnahmemanagement

Bei der Abnahme-Protokollierung sind entsprechend dieser Konstellation drei Personen (AN-Projektleiter, AG-Projektleiter, Betriebsleiter) zugegen. Von diesen Personen werden gleichzeitig ein Abnahmeprotokoll (AG-Projektleiter und AN-Projektleiter) und ein Übergabe/Übernahme-Protokoll (AG-Projektleiter und AG-Betriebsleiter) unterschrieben. Damit vermeidet der AG-Projektleiter, auch nur kurzzeitig, in die Betriebsverantwortung zu kommen. Zugleich macht das Beispiel 4.4 die besonderen Anforderungen an den Auftragnehmer deutlich, der in diesem Fall der erste Betreiber der neuerrichteten Anlage war. Beispiel 4.4 Strukturierung des Inbetriebnahmeteams einer Großanlage auf der „grünen Wiese“ am Standort Deutschland Die Investition einschließlich der Inbetriebnahme wurde über einen Engineeringvertrag abgewickelt. Der Generalplaner (Ingenieurbüro) war zugleich Verfahrensgeber und für die Inbetriebnahme bis zur Endabnahme gemäß BGB, § 640 (Abnahme) verantwortlich. Er hatte die Pflicht, die Anlage ohne personelle Mitwirkungspflichten des Auftraggebers (vertreten durch ein kleines Projektteam aus der Investitionsabteilung und das spätere Betriebspersonal) in Betrieb zu nehmen und den Leistungsnachweis zu erbringen. Im speziellen Fall musste der Auftragnehmer deshalb zusätzliches Inbetriebnahmepersonal „einkaufen“. Durch diese strenge Verantwortungsabgrenzung waren die Schnittstellenprobleme zwischen dem Auftraggeber (AG) und dem Auftragnehmer (AN) minimiert. Der Verantwortungs- und Gefahrenübergang an den Auftraggeber erfolgte erst nach Beendigung der Inbetriebnahme und der Anlagenübergabe/-übernahme nach werkvertraglicher Abnahme. Um diesen Übergang und die Betriebsführung zu Beginn des Dauerbetriebes möglichst reibungslos zu gestalten, wirkte der Auftragnehmer anschließend noch einige Zeit begleitend mit. Das Inbetriebnahme-Organisationsschema des Auftragnehmers, der in diesem Fall de facto der erste Anlagenbetreiber war, ist in Abb. 4.20 dargestellt. Ergänzend zur dargestellten Organisationsstruktur ist noch anzufügen:  Durch den Inbetriebnahmeleiter erfolgte die verantwortliche Leitung aller Aufgaben während der Inbetriebnahme. Er war auch der Sicherheitskoordinator für die Inbetriebnahme gemäß DGUV-Vorschrift 1, § 6 [25].  Der Inbetriebnahmeleiter war weisungsbefugt gegenüber allen Personen, die während der Inbetriebnahme auf dem Betriebsplatz tätig waren.  Der AG-Projektleiter hatte nur Weisungsbefugnis über den AN-Projektleiter (Ausnahme: Gefahr im Verzug).  Als Inbetriebnahmeleiter kam der ehemalige Fachbauleiter (Leadingenieur) für PLT zum Einsatz. Dies hat bei dieser Anlage gut funktioniert.  Die Restpunktabwicklung nach MECHANISCHER FERTIGSTELLUNG war voll in das Inbetriebnahmeregime eingeordnet; ähnlich der Montage- bzw. Instandsetzungsarbeiten während des laufenden Betriebs.  Für die Planung, Koordinierung und Abrechnung der Restpunktabwicklung war im Team dafür ein ehemaliger Fachbauleiter zuständig und gegenüber dem Inbetriebnahmeleiter verantwortlich.  Die Inbetriebnahmeverantwortlichen für die Teilanlagen (Package-units) waren auf Grund der Anlagengröße und -komplexität den Inbetriebnahmeingenieuren der Fachgewerke zugeordnet.

4.4 Inbetriebnahmeorganisation und -sicherheit

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 Abb. 4.20 Inbetriebnahme-Organisationsschema des Generalplaners im Rahmen eines EPCMVertrages inkl. verantwortliche Inbetriebnahmeleitung und -durchführung

 Das Operator- und Servicepersonal des Auftragnehmers war direkt dem Inbetriebnahmeleiter unterstellt. Eine Zwischenebene, z.B. ein Tagschichtmeister, gab es nicht.  Alle Mitglieder des Inbetriebnahmeteams sowie die Aufsichtspersonen anderer vor Ort tätiger Unternehmen waren als verantwortliche Personen bestellt worden. Mit der Bestellung war eine Pflichten- und Verantwortungsübertragung erfolgt.  Das Betriebspersonal des Auftraggebers war während der Inbetriebnahme anwesend; aber ohne Verantwortung und nicht in die Organisation eingebunden. Unabhängig davon wurden von ihm zunehmend Arbeiten durchgeführt.  Das Inbetriebnahmeteam (-leitung) nahm u.a. folgende Aufgaben wahr: ▪ Planung, Koordinierung, Kontrolle und Steuerung der Arbeiten während der Inbetriebnahme, insbesondere die Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Partnern, ▪ Freigabe der Anlage für die Inbetriebnahme, ▪ Durchsetzung von Maßnahmen zur Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung während der Inbetriebnahme einschließlich der strikten Anwendung des Arbeitserlaubnissystems, ▪ Durchführung regelmäßiger Besprechungen zum Arbeitsstand, zur Abstimmung von Korrekturmaßnahmen und zur Festlegung der nächsten Inbetriebnahmeschritte, ▪ Durchführung der Sicherheitsgespräche in Verbindung mit den vorgesehenen Inbetriebnahmehandlungen bzw. Bau- und Montageleistungen, ▪ Koordinierung der Anlage mit den vor- bzw. nachgeschalteten Anlagen sowie mit Partnern außerhalb der Anlagengrenze, ▪ Abstimmung und Organisation der Maßnahmen zur Einweisung, Ausbildung und Einarbeitung des Betreiberpersonals,

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4 Inbetriebnahmemanagement

▪ Absicherung des technischen, analytischen u.a. Service sowie Veranlassung von ggf. erforderlichen technischen Änderungen, ▪ Herstellung, Prüfung und Anzeige der Betriebsbereitschaft der Anlage, ▪ Abstimmung, Leitung und zusammenfassende Auswertung der Testläufe und Leistungsnachweise, ▪ Vorbereitung der Abnahme der Anlage im Rechtssinn, ▪ Mitwirkung bei den gegenüber der Behörde zu erledigenden Aufgaben, ▪ Beibringen einer Bescheinigung des den Probebetrieb begleitenden Sachverständigen über die ordnungsgemäße Beseitigung evtl. auftretender Mängel sowie über die Funktionstüchtigkeit und Sicherheit der Anlage, ▪ Durchführung eines gemeinsamen Inbetriebnahme-Auswertekolloquiums mit Teilnehmern des Auftragnehmers und Auftraggeber, ▪ Zusammenstellung von Erfahrungen und Schlussfolgerungen aus der vorangegangenen Inbetriebnahme für zukünftige Projekte. 2. Fall: ● Neubau einer verfahrenstechnischen Anlage auf der „grünen Wiese“ (greenfield) bzw. auf einem erschlossenen Werksgelände ● Auftragnehmer ist Verfahrensgeber und leitet Inbetriebnahme verantwortlich bis Abschluss Leistungsnachweis und werkvertragliche Abnahme ● Erfahrenes und ausgebildetes Betreiberpersonal des Auftraggebers steht für die Inbetriebnahme zur Verfügung und wirkt an Inbetriebnahme aktiv mit.  Den folgenden Ausführungen liegt zugrunde, dass der Auftragnehmer (AN) als Verfahrensgeber die vertraglich vereinbarte Inbetriebnahme verantwortlich durchführt. Erst nach Leistungsnachweis und werkvertraglicher Abnahme erfolgen der Gefahren- und Verantwortungsübergang sowie die Beweislastumkehr. Gemäß dieser Konstellation hat der Auftragnehmer den Inbetriebnahmeleiter zu stellen. Der Auftraggeber erbringt bis dahin „nur“ Mitwirkungsleistungen, z.B. durch Bereitstellung von Personal, von Roh-, Hilfsstoffen und Energien oder durch Verkauf der Endprodukte und Entsorgung der Abprodukte. Zu den ersten Aufgaben des Inbetriebnahmeleiters gehört der Aufbau der Inbetriebnahmeorganisation. Dieser umfasst vorrangig:  die detaillierte Erarbeitung und Abstimmung des Umfangs und der Struktur des Inbetriebnahmeteams (Organigramm) und die Anfertigung der Stellenbeschreibungen,  die Einrichtung eines Büros für den Inbetriebnahmeleiter sowie von Arbeitsplätzen für das Team,  die bedarfsgerechte Besetzung der Stellen im Team und die Herstellung der anforderungsgerechten Arbeitsfähigkeit des Gesamt-Inbetriebnahmeteams,  die Wahrnehmung der Kooperationspflichten gegenüber den Vertragspartnern, insbesondere zur ehemaligen Baustellenleitung und zum Betreiber,  die schrittweise Erarbeitung organisatorisch-administrativer und sicherheitlicher Arbeitsunterlagen. Wie dies im Einzelnen erfolgen muss, ist von Fall zu Fall verschieden. Wesentliche Einflussbedingungen sind:  die Risiken bei der Inbetriebnahme,  die vereinbarte Verantwortungs- und Aufgabenteilung zwischen den Partnern,  die Art und Größe der Anlage,  die Vorkenntnisse und Erfahrungen der beteiligten Partner und Personen sowie  der globale Standort (In-/Ausland; geltende Gesetze).

4.4 Inbetriebnahmeorganisation und -sicherheit

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Das AN-Inbetriebnahmeteam geht zum Teil aus dem AN-Projektteam hervor, welches in vielen Projekten zuvor als Baustellenteam die Anlagenerrichtung geleitet hat. Die Grundstruktur bleibt im Wesentlichen erhalten, aber einzelne Funktionen und die Funktionsbezeichnungen ändern sich. Die personelle Besetzung der meisten Funktionen erfolgt neu durch Inbetriebnahme-Ingenieure anstelle der Fachbauleiter.  Eine für zahlreiche Anlagengeschäfte in Industrieländern typische Organisationsstruktur des Inbetriebnahmeteams bei Schichtbetrieb ist in Abb. 4.21 dargestellt. Es existiert in diesem Fall ein erfahrener und leistungsstarker Anlagenbetreiber, z.B. in einem seit vielen Jahren erfolgreich tätigen Unternehmen.

 Abb. 4.21 Inbetriebnahme-Organisationsschema zum 2. Fall (Auftragnehmer leitet Inbetriebnahme; Betreiber nimmt betriebliche Aufgaben wahr)

 Die Inbetriebnahme wird von der Planungs- oder Inbetriebnahmeabteilung des Auftragnehmers (Generalunternehmer oder Generalplaner) geleitet. Die Fachspezialisten des Auftragnehmers und von anderen Unternehmen (Ausrüstungshersteller) wirken beratend mit.  Auf Seiten des Auftraggebers gibt es meistens ein AG-Projektteam und ein Betreiberteam. Entsprechend den Bedingungen des 2. Falls und bei der Organisationsstruktur gemäß Abb. 4.21 kann z.B. der AG-Projetleiter nach Protokollierung Mechanische Fertigstellung die Projektverantwortung an den Betriebsleiter übergeben. Dieser tritt gegebenenfalls als AG-Beauftragter bis Ende Inbetriebnahme in den Anlagenvertrag mit dem Auftragnehmer ein. Das bisherige AG-Projektteam wirkt u.U. während der Inbetriebnahme, auf Anforderung des Betriebsleiters, unterstützend mit. Eine solche Variante wird meistens dann angewandt, wenn am Standort gut geschultes und erfahrenes Management-, Operator- und Servicepersonal verfügbar ist und das Betreiberteam mit gleichartigen bzw. ähnlichen Anlagen bereits Erfahrungen hat (Brownfield-Projekt). Dies ist an traditionellen Industriestandorten nicht selten gegeben.

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4 Inbetriebnahmemanagement

3. Fall: ● Umbau einer verfahrenstechnischen Anlage (z.B. Brownfield-Projekt bei laufenden Betrieb) ● Auftraggeber ist Verfahrensgeber ● Betreiberpersonal der bisherigen Anlage ist erfahren und war in die Umbaumaßnahmen einbezogen ● Betriebsleiter hat die Anlage zum Zeitpunkt Mechanische Fertigstellung von AG-Projektleiter übernommen und leitet die Inbetriebnahme der umgebauten Gesamtanlage ● AN-Inbetriebnahmeteam unterstützt den Betreiber ● AG-Projektteam unterstützt den Betreiber bei Bedarf  Das mögliche Organigramm des 3. Falls zeigt Abb. 4.22. Der Betriebsleiter ist zugleich der Inbetriebnahmeleiter für die umgebaute Gesamtanlage. Er koordiniert einerseits den Produktionsbetrieb und andererseits die Inbetriebnahmehandlungen. In manchen Fällen überträgt der Betriebsleiter die fachlichen Aufgaben zur Inbetriebnahme an einen Betriebsingenieur. Er selbst bleibt aber in der Gesamtverantwortung als Betriebs- und Inbetriebnahmeleiter.

 Abb. 4.22 Inbetriebnahme-Organisationsschema zum 3. Fall (Betriebsleiter leitet Inbetriebnahme; Unterstützung durch Auftragnehmer)

 Die Teamstruktur des Auftragnehmers, der bei der Inbetriebnahme nur unterstützend und nicht verantwortlich tätig ist, kann sehr unterschiedlich sein. Im Extremfall nimmt er mit „voller Mannschaft“ teil. Dazu können z.B. der ANInbetriebnahmekoordinator (als Leiter des AN-Teams), die IBN-Fachingenieure sowie weitere AN-Spezialisten (z.B. für Werkstoffe) und SUB-Spezialisten gehören. Der AN-IBN-Koordinator ist dem AG-Inbetriebnahmeleiter fachlich unterstellt. Er ist gegenüber den AN-Fachingenieuren weisungsbefugt. Gegenüber den AG-Inbetriebnahmepersonal haben er und seine Mitarbeiter nur Beratungskompetenz.

4.4 Inbetriebnahmeorganisation und -sicherheit

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Im anderen Praxisfall werden nur wenige Fachingenieure des Auftragnehmers (z.B. für Prozess und PLT) gebraucht. Diese werden dann oftmals den jeweiligen Betriebsingenieur zugeordnet und in das Team des Anlagenbetreibers integriert. 4. Fall: ● Neubau einer verfahrenstechnischen Anlage ● Auftraggeber ist Verfahrensgeber ● Betreiberpersonal des Auftraggebers ist erfahren. Es soll aber noch während der Kalt-Inbetriebnahme (on-the-job) anlagenbezogen umfassend ausgebildet werden. ● Auftraggeber will den Auftragnehmer noch bis Ende Kalt-Inbetriebnahme in der Inbetriebnahme-Verantwortung belassen und erst dann den Gefahren- und Verantwortungsübergang vollziehen ● Auftraggeber (Betreiber) möchte aus Vertraulichkeits- und Know-how-Gründen die Heiß-Inbetriebnahme selbst durchführen  In diesem Fall ist die Organisationsstruktur zunächst während der Kalt-Inbetriebnahme identisch mit der des 2. Falls (s. Abb. 4.21). Mit der Anzeige der Betriebsbereitschaft und dem Übergang zur HeißInbetriebnahme wechselt die Verantwortung und Leitung der Inbetriebnahme auf den Betriebsleiter entsprechend dem 3. Fall und Abb. 4.22 über.  Die Mitwirkungsleistungen des Auftragnehmer hängen insbesondere davon ab, ▪ wann die Abnahme seiner Vertragsleistungen vereinbart ist (zu Beginn oder Ende der Heiß-Inbetriebnahme), ▪ welche personelle und fachliche Unterstützung der Betreiber benötigt, ▪ wie die Schutzrechts- und Know-how-Situation ist. d) Sonstiges  Mitunter wird die Frage gestellt, wie die Größe der Anlage die Teamstruktur beeinflusst. Die Antwort ist einfach. Der strukturelle Aufbau des Inbetriebnahmeteams hängt wenig von der Anlagengröße ab. Auch bei kleineren verfahrenstechnischen Anlagen müssen im Wesentlichen die gleichen fachlichen Aufgaben erledigt werden. Der Unterschied liegt lediglich im geringeren Umfang (Quantität). Dies kann in kleinen Anlagen dazu führen, dass ▪ sich die Einsatzdauer im Team verkürzt bzw. die Mitwirkung einzelner Mitarbeiter zeitweise unterbrochen wird, ▪ mehrere Fachfunktionen von einer Person wahrgenommen werden, ▪ vom Teammitglied gleichzeitig noch eine Aufgabe außerhalb des Teams bearbeitet wird (sog. Timesharing-Organisation).  Zweckmäßig ist, wenn der Inbetriebnahmeleiter schon während des Engineerings benannt wird und beteiligt ist. Dann vertritt er später „seine Anlage“ und es gibt weniger Akzeptanzprobleme. Andererseits kann bei ihm eine gewisse „Betriebsblindheit“ auftreten. Dadurch können Fehler, die ein „neuer Chef“ beim Abchecken der Unterlagen, des Modells und der Anlage u.U. gleich sieht, unerkannt bleiben. Im Allgemeinen beginnt der Inbetriebnahmeleiter bei größeren verfahrenstechnischen Anlagen ca. 2 bis 3 Monate vor Montageende seine Arbeit auf der Baustelle, zeitweilige Inspektion vorher nicht mit betrachtet. Extremfälle zwischen 5 Monaten und 3 Wochen sind gleichfalls bekannt.

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4 Inbetriebnahmemanagement

Die weiteren Mitglieder des Inbetriebnahmeteams folgen zeitlich versetzt nach, wobei insbesondere Inbetriebnahmespezialisten von Fachgewerken (z.B. Prozessleittechnik) bzw. von Herstellerfirmen (z.B. Verdichter) bereits vorher, im Zusammenhang mit der Montageausführung/-überwachung auf der Baustelle sein können. Im konkreten Fall ist der Einsatzzeitpunkt auch vom Wissen bzw. den Erfahrungen der Betroffenen abhängig. Nicht selten ist es eine Kostenfrage. 4.4.3.2 Stellenbeschreibungen und Kommunikation Stellenbeschreibungen schaffen für alle Beteiligte die notwendige Klarheit bezüglich Verantwortung, Befugnisse und Zuständigkeiten. Das mögliche Formblatt einer Stellenbeschreibung zeigt Abb. 4.23.

 Abb. 4.23 Formblatt für die Stellenbeschreibung

4.4 Inbetriebnahmeorganisation und -sicherheit

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Die Stellenbeschreibungen sind vom Inbetriebnahmeleiter zu erarbeiten und zwingen ihn die Festlegungen gründlich zu durchdenken. Zugleich kann jedes Teammitglied die Festlegungen „schwarz auf weiß“ nachlesen. Nicht zuletzt, ist in Form der Stellenbeschreibungen de facto auch eine Bestellung als Aufsichtsperson sowie eine Pflichten- und partielle Verantwortungsübertragung erfolgt. Die Arbeit des Inbetriebnahmeteams startet mit der Konstituierung (Kick-offMeeting) der Inbetriebnahmeleitung (Synonym: Inbetriebnahmestab). Dies sollte gegen Ende der Montagephase, spätestens mit Inbetriebnahme der Mediensysteme und Nebenanlagen beginnen (s. Abschn. 1.5.2, Buchst. c) und Abschn. 5.4). Spätestens mit Beginn der ersten größeren Probeläufe bzw. Funktionsprüfungen startet die Inbetriebnahmeleitung mit den regelmäßigen Inbetriebnahmeroutinen (s. Abschn. 4.4.1.5). Folgende Hinweise sind dabei zu bedenken:  Jedes Team braucht eine „Trainingszeit“, um seinen Rhythmus und seine volle Leistung zu erreichen. Ein Zeitraum von mindestens 4 Wochen erscheint nötig.  Besser ist es, sich früh zu konstituieren und entsprechend den anstehenden Aufgaben die Besprechungshäufigkeit anzupassen, d.h. gegebenenfalls seltener aber regelmäßig zusammen zu kommen. Regelmäßige Besprechungen (gegebenenfalls seltener) sind grundsätzlich effektiv, da sich jeder darauf einstellen kann aber zu häufige Besprechungen, ohne dass der Einzelne die Notwendigkeit erkennt, sind schlecht, da sie nicht nur Zeit und Geld kosten, sondern die Disziplin untergraben. Beim Aufbau und der Arbeit des Inbetriebnahmeteams sind ferner die folgenden zwei Spezifika von Projektteams zu berücksichtigen:  Die Mitglieder müssen sich weitgehend „blind“ vertrauen. Es ist meistens keine Zeit „Vertrauen durch Erfahrungen miteinander“ zu sammeln.  Im Team gilt nicht selten die „Unersetzbarkeit“ jedes Einzelnen. Einige allgemeine Hinweise zur Teamarbeit enthält Tabelle 4.16. Tabelle 4.16 Erfordernisse effizienter Teamarbeit 1 2 3 4 5 6 7 8

Die Leute müssen sich gegenseitig vertrauen. Man muss seine Gedanken frei ausdrücken können/dürfen. Die Verpflichtung gegenüber der Aufgabe muss hoch sein. Die Ziele müssen jedem klar sein. Die Leute müssen sich gegenseitig zuhören (können). Konflikte müssen bis zu Ende ausgetragen werden. Entscheidungen möglichst in gegenseitigem Einvernehmen treffen. Die Leute müssen ehrlich zueinander sein.

4.4.4 Inbetriebnahmehandbuch Der Übergang von der Montage zur Inbetriebnahme stellt eine sicherheitsrelevante und ausgeprägte Schnittstelle während der Projektabwicklung dar. Sie ist insbesondere durch folgende Merkmale charakterisiert:

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4 Inbetriebnahmemanagement

 Die Zielstellung und die Inhalte der Arbeiten ändern sich grundlegend. Standen bisher der Bau und die Montage der Anlage im Mittelpunkt, so ist es danach der vertragsgemäße Anlagenbetrieb.  Die Anlage muss planmäßig Gewinn erwirtschaften. Dazu sind die Kosten zu minimieren und anderseits die Zielprodukte wirtschaftlich zu vermarkten.  Mit Inbetriebnahmebeginn erhöht sich das Gefahrenpotenzial für Mensch, Umwelt und Anlage erheblich. Zugleich ist die sichere und unfallfreie Inbetriebnahme eine der wichtigsten Managementvorgaben.  Die zu beachtenden Vorgaben und Pflichten, die sich z.B. aus Rechtsvorschriften, dem Genehmigungsbescheid, Unternehmensrichtlinien usw. ergeben, sind andere und meistens umfangreicher und komplizierter.  Die Inbetriebnahme ist die erste Phase des Bestimmungsgemäßen Betriebs der Anlage d.h. der Inbetriebnahmeleiter ist der erste Betriebsleiter. Aus der beschriebenen Situation resultieren insbesondere für die Führungskräfte ein enormer Erfolgsdruck und ein erhebliches Haftungsrisiko. Um diesen Anforderungen und Sorgfaltspflichtigen effektiv gerecht zu werden, sollten die wichtigsten organisatorisch-administrativen und sicherheitlichen Regelungen für die Inbetriebnahme formuliert und in geeigneter Weise zusammengefasst und dokumentiert werden. Zwei Varianten sind dabei üblich. Var. 1: Ganzheitliche Zusammenstellung der wichtigsten relevanten Regelungen in einem Inbetriebnahmehandbuch, das bei Bedarf während der Inbetriebnahme in Teilen bzw. als Ganzes aktualisiert wird. Var. 2: Situationsbezogene Erarbeitung von Projektrichtlinien, z.B. für  die Sicherheitsprüfungen vor Inbetriebnahme,  die Durchführung der Kalt-Inbetriebnahme,  die Heiß-Inbetriebnahme bzw. den Probebetrieb,  die Leistungsfahrt mit Leistungsnachweis. Der Autor konnte mit beiden Vorgehensweisen eigene Erfahrungen sammeln und hält die Variante 1 für günstiger. Sie zwingt von Anfang an zu einem ganzheitlichen und vorausschauenden Denken und Handeln, während in Projektrichtlinien die späteren Sachverhalte und Entscheidungen zunächst ausgeklammert bzw. verdrängt werden. Im Inbetriebnahmehandbuch, das strukturell zur Betriebsdokumentation gehört (s. Abschn. 2.4.3.2) und aus dem durch Fortschreibung das Betriebshandbuch für den Dauerbetrieb entsteht, sind zusammenzustellen:     

die Struktur und Zusammensetzung des Gesamt-Inbetriebnahmeteams, die Zusammensetzung, Aufgaben und Routinen der Inbetriebnahmeleitung, die Aufgaben, Verantwortung und Befugnisse des Inbetriebnahmeleiters, die Zusammenarbeit der mitwirkenden Unternehmen und Personen, die vollzogenen Bestellungen von Aufsichtspersonen und die erfolgten Pflichten- und Verantwortungsübertragungen,  die organisatorischen und administrativen Festlegungen/Anweisungen zur Gewährleistung von Arbeitssicherheit, Gesundheits- und Umweltschutz,  die Bestellung des Sicherheitskoordinators für die Inbetriebnahme,  die Zusammenarbeit mit Partnern außerhalb der Anlage einschließlich der gegebenenfalls erforderlichen Schnittstellengestaltung mit diesen Partnern.

4.4 Inbetriebnahmeorganisation und -sicherheit

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Das Inbetriebnahmehandbuch sollte einem allgemeinen Teil, der während der Inbetriebnahmephase weitgehend unverändert bleibt, und einem dynamischen, projektspezifischen Teil unterscheiden. Dies kann durch einen Hauptteil mit flexiblen Anhängen erfolgen. Der Änderungsaufwand kann somit verringert werden. Das Inbetriebnahmehandbuch ersetzt das Baustellenhandbuch und ist für alle Personen, die sich während der Inbetriebnahme auf dem Betriebsplatz aufhalten, verbindlich. Es wird verantwortlich vom Inbetriebnahmeleiter erarbeitet und von den Projektleitern des Auftraggebers und Auftragnehmers in Kraft gesetzt. Beispiel 4.5 Inbetriebnahmehandbuch eines Erdgas-Speicherbetriebs In Vorbereitung der Inbetriebnahme eines Erdgasspeichers auf der „grünen Wiese“, der hohen Sicherheitsanforderungen genügen musste, wurden ganzheitlich die sicherheitlichen und organisatorisch-administrativen Regelungen in Form eines Inbetriebnahmehandbuchs zusammengestellt (s. Tabelle 4.17) Tabelle 4.17 Inhaltsverzeichnis eines Inbetriebnahmehandbuchs (Praxisbeispiel) 1 2 3 4 5 6 7 Beilagen Beilage 1 Beilage 2 Beilage 3 Beilage 4 Beilage 5 Beilage 6 Beilage 7 Beilage 8 Beilage 9 Beilage 10 Beilage 11 Beilage 12 Beilage 13 Beilage 14 Beilage 15

Gültigkeitsbereich, Zielstellung, Rechtsgrundlagen Kurzbeschreibung des Projektes, Abgrenzung von Baustelle und Betrieb Bergrechtliches Bestellwesen (Pflichtenübertragung) Alarmierung, Brand- und Explosionsschutz Erste-Hilfe-Einrichtungen, Ersthelfer-Register, Brandschutz Inbetriebnahmeordnung Inbetriebnahmeadministration Einweisung und Unterweisung Betriebsanweisungen Arbeitserlaubnissystem Gefährdungsbeurteilungen Inbetriebnahmeorganisation, Organigramme Schnittstellenregelungen zwischen Baustelle und Betrieb Zugangs- und Zufahrtsregelungen Alarm- und Brandschutzplan Formblätter zur Inbetriebnahme Abfallentsorgung Bestellung des Koordinators Allgemeine Sicherheitsbestimmungen für Auftragnehmer Unfallberichtswesen, Unfallmeldung Gesamtaufstellungsplan, Gefahrenzonenplan Unterschriftenregelungen

Neben den Beilagen ist insbesondere die Inbetriebnahmeordnung in Kapitel 5 des Handbuchs von Bedeutung (s. Tabelle 4.18). Über die Inhalte des Inbetriebnahmehandbuchs wurden alle Personen unterwiesen, die bei der Inbetriebnahme mitwirkten.

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4 Inbetriebnahmemanagement

Durch die Unterweisung sollten einerseits die Inhalte vermittelt und zum anderen allen Beteiligten bewusst gemacht werden, welche grundlegenden Änderungen und neuen Herausforderungen sich beim Übergang von der Montage zur Inbetriebnahme ergeben. Das Inbetriebnahmehandbuch wurde in gegenständlicher und elektronischer Form erarbeitet und jeder Führungskraft zur Verfügung gestellt. Die Aufsichtspersonen der Kontraktoren (Subunternehmen) erhielten einen Auszug mit den Teilen, die für sie relevant waren. Tabelle 4.18 Inhaltsverzeichnis von Kapitel 5 (Inbetriebnahmeordnung) des Inbetriebnahmehandbuchs (Praxisbeispiel) 5

Inbetriebnahmeordnung

5.1 Grundsätzliches  Projektverantwortung  Grundgedanke der Inbetriebnahmeordnung 5.2 Inbetriebnahmemanagement  Allgemeines  Inbetriebnahmeteam  Verantwortliche Leitung und Leiter  Inbetriebnahmestab 5.3 Inbetriebnahmeaufsichtspersonen  Aufsichtspersonen des Auftraggebers ▪ AG-Projektleiter ▪ AG-Teilprojektleiter ▪ AG-Bauleiter  Aufsichtspersonen des Auftragnehmers ▪ AN-Projektleiter ▪ AN-Inbetriebnahmeleiter ▪ AN-Inbetriebnahme-Fachingenieure ▪ AN-Oberbauleiter  Sonstige Aufsichtspersonen ▪ Sicherheitsingenieur ▪ Sicherheitskoordinator 5.4

Arbeitssicherheit, Gesundheits- und Umweltschutz, Bestellwesen, Gefährdungsbeurteilungen, Betriebsanweisungen, Anwesenheitskontrolle  Bestellung als verantwortliche Person  Einweisung und Unterweisung  Gefährdungsbeurteilungen  Betriebs-und Dienstanweisungen  Arbeitserlaubnissystem  Zugangs-/Zufahrtsregelungen  Anwesenheitskontrolle  Arbeiten außerhalb der Dienstzeit  Abfallentsorgung  Verantwortung von Drittunternehmen  Kontrollen und Dokumentation  Meldeverfahren bei Unfällen  Alarmierung  Öffentliche/behördliche Kontakte  Sonstiges

4.5 Inbetriebnahmeplanung

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4.5 Inbetriebnahmeplanung Die Inbetriebnahmeplanung beinhaltet die Ermittlung des Soll-Verlaufes (Aufgaben, Termine, Ressourcen, Kosten) für die Inbetriebnahme. Ausgehend vom Rahmenterminplan des Projekts ist gegen Ende der Montagephase die verbindliche Inbetriebnahmeplanung durchzuführen. Sie erfolgt unter Leitung und maßgeblicher persönlicher Mitwirkung des Inbetriebnahmeleiters. Grundlage für diese Planung sind u.a. der Anlagenvertrag, die übergeordneten Projekttermin- und Ressourcenpläne, die Inbetriebnahmeanleitung (s. Abschn. 3.5.2.2) und nicht zuletzt der aktuelle Bau- und Montagefortschritt. Der Inbetriebnahmeleiter muss sich unbedingt persönlich ein umfassendes Bild zur Gesamtsituation machen und versuchen, die Einzelvorgänge für sich „transparent“ und nachvollziehbar zu planen. In dieser Phase ist für ihn Detailwissen über möglichst alle Gewerke unverzichtbar. Der Teufel steckt bekanntlich im Detail. In Vorbereitung der verbindlichen Inbetriebnahmeplanung sollte unter Leitung des Inbetriebnahmeleiters und im kleinen Kreis ausgewählter Führungskräfte und Spezialisten ein firmeninterner Inbetriebnahmecheck durchgeführt werden. Ziel des Checkens (Überprüfens) ist eine ehrliche Zustandsbeurteilung als Basis für die Inbetriebnahmeplanung. Dazu gehören insbesondere,  eine realistische Einschätzung der Vor-Ort-Situation und des Montagefortgangs bis zur Mechanischen Fertigstellung sowie  die Analyse und Bewertung des Inbetriebnahme-Risikos. Tabelle 4.19 enthält mögliche Checkpunkte, die sich teilweise mit den Schwerpunkten (s. Abschn. 5.7) während des Inbetriebnahmeaudits vor Protokollierung der Mechanischen Fertigstellung ergänzen. Tabelle 4.19 Schwerpunkte des Inbetriebnahmechecks einer Kunststoffanlage als Grundlage für die Inbetriebnahmeplanung (Praxisbeispiel) 1

Management- und Sorgfaltspflichten 1.1 Management und Organisation  Sind Verantwortung, Befugnisse und Zuständigkeiten während der Inbetriebnahme geregelt?  Liegen die Stellenbeschreibungen für die Teammitglieder vor?  Liegt eine nutzbare Inbetriebnahmeanleitung vor und wurde diese im Team kommuniziert?  Sind ausreichende Personalressourcen verfügbar und ausgebildet?  Stehen Roh- und Hilfsstoffe, Energien zur Verfügung?  Ist Verkauf /Abführung der Ziel- bzw. Abprodukte und der Abfallenergien gesichert?  Liegen das Inbetriebnahmehandbuch u.a. Richtlinien vor und sind sie kommuniziert?  Ist die Arbeitsfähigkeit des Inbetriebnahmeteams (z.B. Büro, Arbeitsmittel, Kommunikation, Besprechungen, Arbeitsunterlagen) gegeben?  Wurden die Einflussfaktoren auf die Inbetriebnahme abgecheckt?  Sind die zu erwartenden Restpunkte zum Termin Mechanische Fertigstellung für den Inbetriebnahmebeginn akzeptabel?  Sind die Ziele der Inbetriebnahme inkl. Gewährleistungen bzw. Garantien bekannt?  Sind die Durchführung der Leistungsfahrt und der Leistungsnachweis geregelt?  Ist die Abnahme bzw. Übergabe/Übernahme der Anlage und Dokumentation nach Leistungsnachweis geregelt?

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4 Inbetriebnahmemanagement

Tab. 4.19 (Fortsetzung) 1.2 Gesundheit-Sicherheit-Umwelt (GSU / HSE)  Liegt eine aktuelle Risikobeurteilung vor (As-built-HAZOP)?  Ist der aktuelle Anlagenzustand genehmigungskonform?  Welche Risiken gibt es bei der Einhaltung der Schadstoff- und Schallemissionen?  Welche Sicherheitsprüfungen vor Inbetriebnahme sind abgeschlossen und welche stehen noch aus?  Welche Sicherheitsprüfungen müssen nach Mechanischer Fertigstellung erfolgen?  Liegt ein Brandschutz- und Feuerwehrplan vor?  Liegt ein Alarm- und Gefahrenabwehrplan vor?  Liegen Gefährdungsbeurteilungen vor?  Liegen die Inbetriebnahmeanweiungen vor und wurde darüber unterwiesen?  Welche sonstigen Rechtsvorschriften u.a. Vorgaben sind inbetriebnahme-relevant und sind diese eingehalten? 2

Verfahren und Technik 2.1 Verfahren  Wurden in der Mengen- und Energiebilanzierung und bei der Auslegung der Hauptausrüstungen die Inbetriebnahmezustände betrachtet?  Welche kritischen Verfahrensparameter gibt es und welche Risiken resultieren daraus?  Wo sind kritische Korrosionsbedingungen und welche Restrisiken bestehen?  Wurden die Katalysatoren u.ä. Spezialprodukte herstellergerecht eingefüllt? 2.2 Technik  Gibt es Risiken wegen Verwendung neuartiger Ausrüstungen?  Gibt es Risiken durch Stressbeanspruchungen (Temperatur, Schwingung)?  Wurde die Konstruktion der Hauptausrüstungen inkl. Festigkeitsberechnung ausreichend kontrolliert?  Wurden ausreichend Montagekontrollen durchgeführt?  Wurden die Mängelpunkte der Fertigungs-/Montagekontrolle abgearbeitet?  Welche Funktionsprüfungen vor Inbetriebnahme sind abgeschlossen und welche stehen noch aus?  Welche Funktionsprüfungen müssen nach Mechanischer Fertigstellung erfolgen?

3

Sonstige Risiken 3.1 Termine  Welche Risiken gibt es bis Mechanischer Fertigstellung?  Welche Risiken gibt es bei der Restpunktabwicklung nach Mechanischer Fertigstellung?  Gibt es Risiken durch Witterung u.a. Elementarereignisse?  Gibt es Risiken durch Streik, Krankheit u.ä.?  Gibt es grundsätzliche Risiken bei Auftragserfüllung (z.B. Insolvenz)? 3.2 Kosten  Welche Risiken gibt es bei Terminverschiebungen?  Welche Marktrisiken gibt es bei Nichterreichen der Ziele?  Wie ist das Change-Order-Potential einzuschätzen?  Gibt es mögliche Beschleunigungsmaßnahmen und was kosten diese? 3.3 Dokumentation  Liegt eine nutzbare Inbetriebnahmedokumentation vor?  Ist die Dokumentation ausreichend vollständig und aktuell?  Ist die Pflege/Fortschreibung der Dokumentation während der Inbetriebnahme geregelt?  Sind die Tools zur Pflege der Dokumentation nutzbar?

4.5 Inbetriebnahmeplanung

363

Im Ergebnis der kritischen Überprüfung der eigenen Aufgaben müssen dem Inbetriebnahmeleiter sowie dem Team die eigentlichen „Knackpunkte“, d.h. die kostenintensiven, zeitkritischen und gefährdeten Vorgänge bewusst werden. Ferner müssen die Unwägbarkeiten und Risiken sowie mögliche Gegenmaßnahmen herausgearbeitet werden. Ein Alptraum jedes Inbetriebnahmeleiters ist, wenn er von einem Problem überrascht wird und keinen Lösungsvorschlag als „Joker“ parat hat. Bei der Inbetriebnahmeplanung sind vorrangig zwei grundsätzliche Herausforderungen zu bewältigen. Diese sind: a) Herausforderung an das Management  Der Termin zu dem die Anlage erstmals marktgerecht produzieren soll, steht häufig seit langem fest.  Der im Projekt geplante Inbetriebnahmezeitraum ist nicht selten kurz kalkuliert, da der Montageendtermin aus Beschaffungs- und Montagegründen spät ist.  Dem Projekt-Rahmenterminplan wurde meistens ein zu optimistischer Inbetriebnahmeverlauf zugrunde gelegt. Die erhöhten Unwägbarkeiten in dieser Projektphase wurden nicht ausreichend berücksichtigt.  Bei der Montage sind u.U. Verzögerungen eingetreten, sodass die Inbetriebnahme verspätet beginnen kann. Der Endtermin bleibt aber bestehen. Der Inbetriebnahmeleiter muss diese Konfliktsituation mit Sachversstand und „Stehvermögen“ bewältigen. Dabei gelten im verfahrenstechnischen Anlagenbau die folgenden beiden Erfahrungen: 1. Projektverzögerungen lassen sich in den allermeisten Fällen nicht während der Inbetriebnahme kompensieren, eher umgekehrt (s. auch Abschn. 4.6). 2. Ein unrealistischer Plan wirkt demotivierend auf die Beteiligten, da von Anfang an der Misserfolg feststeht. Kann sich der Inbetriebnahmeleiter mit seiner Meinung, trotz gewichtiger Argumente, nicht durchsetzen, muss er für sich entscheiden, ob er unter den gegebenen Bedingungen die Verantwortung für die anstehende Anlageninbetriebnahme übernehmen kann. b) Herausforderung an die Fachkompetenz des Teams  Die Inbetriebnahmeplanung erfordert viel Sachverstand und Erfahrungen, auch im Detail. Es müssen u.a. folgende Fragen beantwortet werden: ▪ Welche Handlungen zur Vorbereitung und Durchführung der Inbetriebnahme sind nötig, und wer sollte und kann sie erledigen? ▪ Wie und in welcher Folge sind diese Handlungen durchzuführen? ▪ Wie ist die Dauer der einzelnen Maßnahmen? ▪ Welche Ressourcen und Finanzmittel werden wann benötigt? ▪ Welche Risiken und Unvorhersehbarkeiten (contingencies) gibt es und wie kann ihnen gegebenenfalls begegnet werden?  Es ist ratsam, die kollektive Weisheit von erfahrenen Inbetriebnehmern, Betriebsingenieuren u.a. Fachleuten einzubringen und komplizierte Probleme in Inbetriebnahmeklausuren zu besprechen. Nicht selten gehen dabei die einzelnen Meinungen weit auseinander, sodass Verhandlungsgeschick und Autorität des Inbetriebnahmeleiters gefragt sind.

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4 Inbetriebnahmemanagement

 Ferner dient eine derartige kollektive Meinungsbildung auch zum Kennenlernen im Inbetriebnahmeteam. Zugleich identifizieren sich die beteiligten Personen viel mehr mit den Ergebnissen.  Generell sollte die Planung zunächst realistisch und wahrheitsgetreu erfolgen. Unwägbarkeiten oder eventuelle „firmentaktische Gesichtspunkte“ sind im Nachhinein zu berücksichtigen.  Schwierigkeiten bereitet es mitunter, den richtigen Detaillierungsgrad bei der Inbetriebnahmeplanung zu finden. Eine zu große Unterteilung der Einzelvorgänge (sog. Arbeitspakete) lohnt wegen der vielen Unwägbarkeiten nicht.  Orientierungswerte sind ca. 20 bis 50 Vorgänge für die Inbetriebnahme vorbereitenden Arbeiten während der Montage und ca. 30 bis 60 Vorgänge für die gesamte Inbetriebnahmephase. Im Einzelnen findet die Inbetriebnahmeplanung in folgenden Schritten statt: 1. Schritt: Planung der Planung Speziell für größere Projekte mit einer umfangreichen Planungsphase ist der geordnete, systematische Ablauf der Planung unerlässlich. Dabei sind u.a. folgende Fragen zu beantworten:  Wer soll planen und wer entscheidet über das Planungsergebnis?  Welches Planungswerkzeug wird genutzt?  Wie werden die Planungsergebnisse im Team genutzt?  Wie wird später die Inbetriebnahmeplanung fortgeschrieben?  Wie viel kostet die Planung und wie werden die Mittel bereitgestellt? Die Planung der Planung sollte vom Inbetriebnahmeleiter vorgenommen. Als Planungswerkzeuge werden z.B. MS Projekt oder Primavera genutzt. 2. Schritt: Strukturanalyse und -planung In diesen Schritt wird die Frage beantwortet: Was ist zu bearbeiten und wie sind die Einzelaufgaben zweckmäßig zu unterteilen? In der Regel erfolgt zunächst eine Grobstrukturierung „termingetrieben“. Ausgehend von einem Endtermin (z.B. Beginn Dauerbetrieb). Anschließend werden wichtige Zwischentermine (Meilensteine) rückwärts bis zum Starttermin (z.B. Protokollierung Mechanische Fertigstellung) abgesteckt. Dies können folgende Termine sein: Beginn Dauerbetrieb → Beginn Leistungsfahrt → Beginn Wiederinbetriebnahme nach Zwischenabstellung → Erreichen des Anlagen-Nennzustands → Erreichen der Endproduktqualitäten → Erreichen des Nenndurchsatzes → Beginn HeißInbetriebnahme bzw. Anfahren → Anzeige der Betriebsbereitschaft → Ende Wasserfahrt → Ende Aktivierung Katalysator → Ende Ausheizen Ofenausmauerung → Beginn Kalt-Inbetriebnahme → Protokollierung Mechanische Fertigstellung Die Hauptvorgänge und die zugehörigen Meilensteine bilden die Ebene 1 in der Planungshierarchie (s. Abb. 4.24). Sie sind die Grundlage für den Master-Terminplan. Bei der vertieften Strukturplanung werden anschließend die jeweiligen Hauptvorgänge der übergeordneten Ebene in eine Anzahl kleinere, weniger umfassende Teilaufgaben untergliedert. Dieses wird so weit fortgeführt, bis fein genug aufgeteilte Einzelaufgaben (Arbeitspakete) definiert wurden.

4.5 Inbetriebnahmeplanung

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Im Ergebnis der Strukturierung entsteht der Projektstrukturplan (PSP). Im Normalfall besteht der PSP aus drei Ebenen, wie in Abb. 4.24 speziell für die Inbetriebnahme dargestellt.

 Abb. 4.24 Hierarchie der Inbetriebnahmeplanung

Signifikante sicherheitliche und organisatorisch-administrative Tätigkeiten sind als eigene Arbeitspakete zu definieren, wie z.B.  Erarbeitung der Inbetriebnahmeanweisungen,  Einweisen des Personals,  Abstimmung/Durchführung der vorgezogenen Teilanlagen-Inbetriebnahme,  Abstimmung/Unterzeichnung der Protokolle über die Mechanische Fertigstellung inkl. Restpunktlisten,  Vorprüfung und Übergabe eines Arbeitsexemplars der Anlagendokumentation vor Inbetriebnahme,  Abstimmung/Unterzeichnung der Protokolle über die Anzeige der Betriebsbereitschaft, inkl. Restpunktlisten,  Erarbeitung/Abstimmung der Programme für Probebetrieb bzw. Leistungsfahrt,  Abstimmung/Unterzeichnung des Endabnahmeprotokolls, inkl. Restpunktliste,  Übergabe, Prüfung, Abnahme der AS BUILT-Dokumentation, inkl. Restpunktliste. In der Praxis werden Vorgänge zur Protokollierung mitunter fehlerhaft nur als Meilensteine ohne Zeitdauer formuliert. Mit Hilfe des PSP können Einzeltätigkeiten ermittelt und ihnen Eigenschaften (Termine, Ressourcen, Verantwortlichkeiten, Befugnisse usw.) sowie Kosten zugeordnet werden. Aus dem PSP sind wichtige Meilensteine, Haltepunkte und Zahlungsziele während der Projektabwicklung ersichtlich. Zur Spezifizierung wichtiger Arbeitspakete, die später auch dem Controlling dienen, können Formblätter (Templates) genutzt werden.

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4 Inbetriebnahmemanagement

Die Strukturanalyse gibt nicht zuletzt wichtige Hinweise zur Inbetriebnahmestrategie, wobei eine maximale Inbetriebnahmevorbereitung während der Montage unbedingt anzustreben ist. Eine effiziente Strukturanalyse ist der qualitative Teil der Inbetriebnahmeplanung und kann erhebliche Kosten sparen. 3. Schritt: Ablaufanalyse und -planung In diesen Schritt wird die Frage beantwortet: Was ist durch wen und in welcher Reihenfolge zu bearbeiten? Bei der Ablaufplanung werden die logischen Zusammenhänge der Arbeitspakete betrachtet und Abhängigkeiten schaubildlich dargestellt. Häufig wird die Ablaufplanung zusammen mit der Strukturplanung durchgeführt. Grundlage für die Ermittlung der Ablaufstruktur bildet der PSP. Arbeitspakete werden in Tätigkeitsfolgen und -abhängigkeiten aufgegliedert. Die zu beachtenden Abhängigkeiten der Aktivitäten können von unterschiedlichster Art sein. Dazu zählen rein technische Abhängigkeiten (notwendiger Montageablauf, Sicherheitsaspekte), terminliche Abhängigkeiten (Kundenwünsche, Subunternehmen) und Abhängigkeiten, die von den verfügbaren Ressourcen beeinflusst werden. Zur Veranschaulichung und rechentechnischen Verwaltung von Projekten werden die Balkenplantechnik (GANTT-Balkendiagramme) und die Netzplantechnik genutzt. 4. Schritt: Zeit- und Terminplanung Ziel ist das Terminieren des Inbetriebnahmeablaufs. Es ist festzulegen: Was ist durch wen, wann und in welcher Zeitdauer zu erledigen? Dazu muss die Dauer der einzelnen Vorgänge realistisch ermittelt werden. Größere Unwägbarkeiten sollten erst später planerisch berücksichtigt werden. Mit Hilfe der Ablaufstruktur und den Vorgangsdauern erfolgt mit Hilfe von Projektmanagementsoftware die Zeit- und Terminplanung. Ein Resultat ist die Ermittlung des kritischen Weges sowie die Angabe der Pufferzeiten für nichtkritische Vorgänge. Nach Kenntnis des kritischen Weges können Varianten zur Zeitverkürzung bzw. die Auswirkung bekannter Unwägbarkeiten berechnet werden. Dabei müssen nicht nur die kritischen Wege, sondern auch die Wege mit den geringsten Pufferzeiten (sog. subkritische Wege) analysiert werden. Optimal ist der Terminablauf, wenn die Pufferzeiten von kritischem und subkritischem Weg möglichst wenig voneinander abweichen. 5. Schritt: Ressourcen- bzw. Kapazitätsplanung, inkl. Personalplanung In diesen Schritt ist die Frage zu beantworten: Wer bearbeitet mit welcher Kapazität eine Aufgabe? Zu diesem Zweck werden die für die Inbetriebnahmevorbereitung/-durchführung benötigten Ressourcen bezüglich Qualität und Quantität analysiert und festgelegt. Dazu gehören vorrangig: Personal (Leistungsstunden, Manntage), Materialien (Mengengerüste), Medien, Ersatz- und Verschleißteile sowie sonstige Arbeitsmitteln. Wichtige Schritte der Ressourcenplanung sind:  Welche Aufgabenpakete/Vorgänge verlangen welche Ressourcenarten?  Wie hoch ist der einzelne Ressourcenbedarf pro Zeiteinheit?  Wie hoch ist der Ressourcenbedarf für den Vorgang und letztlich für die Inbetriebnahme insgesamt?  Vergleich der vorhandenen Kapazität mit der benötigten und gegebenenfalls Veranlassung von Steuerungsmaßnahmen.

4.5 Inbetriebnahmeplanung

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Die Ressourcenplanung ist frühzeitig nötig für die rechtzeitige Absicherung bzw. Veranlassung von:  Inbetriebnahme vorbereitenden Arbeiten während der Montagephase (Montagekontrollen, Inspektionen, Schulungen, Sicherheits- und Funktionsprüfungen, Abnahmeprüfungen, Reinigungshandlungen usw.),  Beschaffungsaktivitäten für Betriebs- und Fremdpersonal,  Maßnahmen zur Bereitstellung von Roh-/Hilfsstoffen sowie von Energien,  Kunden- und Marktarbeit sowie zugehöriger logistischer Maßnahmen für den Verkauf der Zielprodukte,  Maßnahmen zur planmäßigen Abführung der Endprodukte und Neben- und Abprodukte sowie der Abfallenergien. Eine wesentliche Ressource, die in Form eines Personaleinsatzplans geplant werden muss, stellt das Personal dar. Wie bereits einleitend in Abschn. 4.4.3 (Inbetriebnahmeteam) festgestellt, sollte während der Inbetriebnahme und im Vergleich zum Dauerbetrieb mit einem Mehrbedarf an Ingenieur- und Bedienungspersonal von ca. 30 Prozent gerechnet und geplant werden. Analoges gilt für das Servicepersonal. Dies liegt in der Spezifik der Inbetriebnahme begründet. Die fachliche Mitwirkung von Auftragnehmerpersonal kann sicherlich einen Großteil des Mehrbedarfs abdecken. In einigen Großprojekten, an denen der Autor mitwirkte, wurde auch vom Auftraggeber (zusätzlich zum AN-Inbetriebnahmeteam sowie den AG-Projekt- und Betriebspersonal) noch Inbetriebnahmeunterstützung eingekauft. Geschieht dies nicht, sind erhöhte Sicherheitsrisiken, aber auch Terminverzögerungen und Mehrkosten die Folge. Letzteres folgert aus der Kostenstruktur der Inbetriebnahme (s. Abschn. 4.2) und der Tatsache, dass die Inbetriebnahmekosten weitgehend zeitproportional sind. Das heißt, das Primat bei der Ressourcenplanung sollte eine möglichst kurze Inbetriebnahmedauer haben. Ein AG-Projektleiter, der dem nicht Rechnung trägt und u.U. versucht mit der späteren „Betriebsmannschaft“ auszukommen, macht einen Managementfehler. Er spart an der falschen Stelle. Analoges trifft für das Instandhaltungspersonal zu. Entsprechend der erhöhten BauteilAusfallrate und anderer Besonderheiten (s. Abschn. 1.6) muss während der Inbetriebnahme verstärkt mit Störungen gerechnet werden. Das Gewährleisten einer schnellen und sachkundigen Störungsbeseitigung hat somit hohe Priorität. Abstriche an dieser Aufgabe kosten viel Geld. Für den Inbetriebnahmeleiter bedeutet dies u.a.: – Die Verfügbarkeit (rund um die Uhr) von genügend Instandhaltungspersonal (ca. 20 bis 50 % Mehrbedarf) zu sichern. Erfahrungsgemäß treten viele Störungen am Wochenende und nachts auf.  Zu entscheiden, welche Wartungsaufgaben noch von den Montagefirmen und welche vom Betreiber wahrgenommen werden.  Zusammen mit den Inbetriebnahmeingenieuren festzulegen, welcher Wartungsingenieur/-techniker wofür und wann zur Verfügung stehen muss. Bei der Fehlerfindung spielt neben Wissen und Erfahrung auch die Intuition eine große Rolle. Dem Verfasser sind Fälle bekannt, wo ganze Gruppen von Fachleuten über Stunden vergeblich versuchten, einen Fehler zu finden, während der schließlich nachts herbeigeholte Experte „kam, sah und siegte“.

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4 Inbetriebnahmemanagement

 Die notwendigen Ersatz- und Verschleißteile zu planen und vor Ort vorrätig zu haben.  Zusätzliche mobile Mess- und Analysentechnik zur Störungsdiagnose während der Inbetriebnahme einzuplanen. Was zur Instandsetzung bemerkt wurde, trifft grundsätzlich auch auf die analytischen Arbeiten zu. Die Inbetriebnahme erfordert einen deutlichen Mehrbedarf an Produkt- und Gasanalysen und dies mitunter zu jeder Tages- und Nachtzeit. Sie sind nicht selten Entscheidungsgrundlage für die folgenden Inbetriebnahmehandlungen und wirken stark Kosten beeinflussend. Insgesamt muss die Personalplanung zur Inbetriebnahmedurchführung alle notwendigen Arbeitskräfte einschließen. 6. Schritt: Kostenplanung Die Kostenplanung stellt die Frage nach dem Budget für die einzelnen Vorgänge. Charakteristische Schritte der Kostenplanung sind:  Ermitteln der Preise für die Arbeitspakete, z.B. als Festpreis aus Angeboten oder aus Verrechnungssätzen und den zugehörigen Mengen-/Leistungsgerüsten,  monetäre Berücksichtigung der Unvorhersehbarkeiten (contingency),  Berechnen des Gesamtbudgets,  Erarbeiten eines Vorschlages zur zeitlichen Mittelbereitstellung/-ausgabe,  Erstellen des Inbetriebnahme-Kostenplanes. 7. Schritt: Aktualisieren der Inbetriebnahmeplanung Das Aktualisieren der Inbetriebnahmeplanung muss mit „Augenmaß“ erfolgen, sodass einerseits die wesentlichen Änderungen berücksichtigt aber andererseits die aktualisierten Planungsergebnisse auch effektiv kommuniziert werden können. Bei größeren Anlagen sind Zeiträume von 2 bis 4 Wochen üblich und ausreichend. Eine Perfektionierung und Verselbständigung der Terminplanung muss verhindert werden. Wichtig ist, dass die entscheidenden Vorgänge und Meilensteine im Fokus bleiben und ihre planmäßige Realisierung gesichert wird. Der Inbetriebnahmeleiter und sein Team müssen die für den Endtermin zwingend einzuhaltenden Meilensteine und die dafür notwendigen Randbedingungen kennen und tagtäglich für deren Einhaltung kämpfen. Aus den detaillierten Planungsergebnissen können je nach Bedarf die verschiedenen Terminpläne u.a. Dokumente generiert werden. Die drei Hierarchieebenen der Inbetriebnahmeplanung in Abb. 4.24 lassen sich wie folgt charakterisieren: Ebene 1: Master-Terminplan (Balkendiagramm)  Dokument für Berichterstattung im Lenkungskreis  Darstellung der IBN-Teilphasen, der IBN-Schritte und wesentlicher Vorgänge  Darstellung wichtiger Meilensteine  Eckdaten für Ebene 2  Umfang: 1 Seite, max. 20 Vorgänge für IBN-Vorbereitung und IBN-Durchführung)

4.5 Inbetriebnahmeplanung

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Ebene 2: Rahmen-Terminplan (Balkendiagramm, Netzplan, Meilensteinplan)  Darstellung der Hauptvorgänge und Meilensteine (Milestones) bzw. Schnittstellen  Arbeitsunterlage für Projekt- und Inbetriebnahmemanagement  Basis für Controlling wichtiger Beschaffungsvorgänge (z.B. Package-units und Prozessausrüstungen)  Basis für grafische Darstellung des „Kritischen Wegs“  Basis für Beschaffung und Bereitstellung wichtiger Ressourcen (Personal. Rohstoffe, Verkaufsprodukte u.ä.)  Basis für Inbetriebnahmecontrolling  Umfang: 1 bis 2 Seiten, max. 50 Aktivitäten und max. 15 Meilensteine (IBN-Durchführung) Ebene 3: Detail-Terminplan (Balkendiagramme, Vorgangslisten, Arbeitspakete bzw. Arbeitsspezifikationen, Fortschrittskurven)  Darstellung einzelner Vorgänge inkl. Termine, Ressourcen, Kosten  Spezifikation der Leistungen in Arbeitspaketen  Basis für Controlling aller Beschaffungsvorgänge  Basis für Fortschrittskontrolle und Controlling  Basis für Final-Check vor ▪ Protokollierung Mechanische Fertigstellung, ▪ Anzeige der Betriebsbereitschaft, ▪ Beginn Leistungsfahrt, ▪ Endabnahme der Anlage.  Basis für Fertigstellung und Endabnahme der AS BUILT-Dokumen-tation  Umfang: ca. 20 bis 50 Vorgänge (IBN-Vorbereitung) und ca. 30 bis 60 Vorgänge (IBN-Durchführung) Für die in Abschn. 2.2, Beispiel 2.2 beschriebene Anlage zur Reinigung eines wasserstoffreichen Raffineriegases sind in Beispiel 4.6 auszugsweise einige Planungsergebnisse zur Inbetriebnahmevorbereitung dargestellt. Die im Beispiel angeführten Ergebnisse sind als Teil des Montageterminplans zu verstehen und unter Leitung des Baustellenleiters (in Person des Oberbauleiter oder Montageleiters) zu erarbeiten. Der zukünftige Inbetriebnahmeleiter arbeitet selbstverständlich mit. Beispiel 4.6 Struktur-, Ablauf- und Terminplanung zur Inbetriebnahmevorbereitung einschließlich Endmontage einer Anlage zur Reinigung von wasserstoffhaltigem Raffineriegas Den Startzustand für die Planung, wie er sich aus der Situationsanalyse vor Ort darstellte, enthält Tabelle 4.20. Ausgehend von dieser Baustellensituation wurden in einer mehrstündigen Inbetriebnahmeklausur unter Leitung des Inbetriebnahmeleiters und im Beisein des Montageleiters, des zukünftigen Betriebsleiters u.a. Fachingenieuren der Projektstrukturplan und die Vorgangsliste erarbeitet (s. Tab. 4.21). Die rechnerische Verarbeitung erfolgte mit der Software MS PROJECT. Wie die vereinfachte Netzplandarstellung in Abb. 4.25 veranschaulicht, finden die Inbetriebnahme vorbereitenden Aktivitäten während der Endmontage vielfach parallel statt.

370

4 Inbetriebnahmemanagement

Tabelle 4.20 Vorbemerkungen und Ausgangszustand zu Beispiel 4.6 1 Der Montagezustand ist folgendermaßen charakterisiert:  Tiefbau (Fundamente, Straßen, Kanäle, Verlegen der Erdbehälter für Slop–Systeme und Blow-Down-Systeme, Kabelgräben) und Hochbau (Messwarte, Maschinenhalle, sonstige Gebäude, Betonbühnen, Betonlager für Behälter) sind abgeschlossen.  Maschinen und Apparate einschließlich des zugehörigen Stahlbaues (Stahlgerüste, Bühnen, Podeste, Treppen, Steigleitern) sind montiert.  Wasserdruckproben der Apparate sind angeschlossen. Wegen noch erforderlicher Montagekontrollen wurden die Ausrüstungen z.T. wieder geöffnet.  Rohrbrücken (Stützen, Trassen, Laufstege) sind montiert und Rohrleitungen verlegt sowie an Ausrüstungen angeschlossen.  EMR-Montage ist im Außenbereich (Feldtechnik) abgeschlossen aber im Innenbereich (Messwarte, Elektrostation) nur zu ca. 2/3 fertig.  Montage des Mehrkammerofens (D101, D102) ist in der Endphase. 2 Der Inbetriebnahmeleiter und ein Teil der Inbetriebnahmeingenieure sind auf der Baustelle. Betreiberpersonal steht ausreichend zur Verfügung. Der Inbetriebnahmestab wurde konstituiert und beginnt zu arbeiten. 3 Hilfsstoffe und Energien zur Inbetriebnahmevorbereitung stehen zur Verfügung. Die Entsorgung der Anlage von Spülprodukten (z.B. Abwässer oder verschmutzte Kohlenwasserstofffraktion) ist gewährleistet.

Der Netzplan ist verzweigt und nicht so linear wie bei der späteren „heißen“ Inbetriebnahme. Es gibt außerhalb des kritischen Weges noch Pufferzeiten und Freiheitsgrade für die Koordinierung dieser Arbeiten mit der Montage. Tabelle 4.21 Vorgangsliste zu Beispiel 4.6 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Start Mechanische Reinigung K101, K102, B101, B102, Freigabe zur Montagekontrolle Montagekontrolle K101, K102, B101, B102 (Protokollierung) Ausbau der Regelventile und Motorschieber, Einbau von Rohrleitungspassstücken Durchführung des Gasspülprogramms in der Anlage Endmontage Öfen O101, O102, Montagekontrolle (Protokollierung) Aufheizen/Trocknen der Ausmauerung O101, O102 entsprechend Betriebsanleitung Einbau der Regelventile und Motorschieber und Funktionsprüfung EMSR Durchführung der restlichen Isolierarbeiten

10 11 12 13 14 15 16 17 18

Montagekontrollen Pumpen, Wärmeübertrager, Kühler Durchführung des Spülprogramms K101 und K102 Einfüllen Adsorbens und Katalysator in B101 und B102 (Protokollierung) Komplexe Funktionsprüfung des Waschmittelkreislaufes Schulung des Anlagenpersonals Beendigung der EMR-Montage und Montagekontrolle (Protokollierung) Funktionsprüfungen der EMSR- und PLS-Einrichtungen Vorbereitung der Laboranalytik Protokollierung MECHANISCHE FERTIGSTELLUNG

4.6 Inbetriebnahmecontrolling

371

Abb. 4.25 Übersichtsnetzplan zu Beispiel 4.6

4.6 Inbetriebnahmecontrolling Unter Inbetriebnahmecontrolling wird die Gesamtheit der Führungsaufgaben zur Überwachung und zielorientierten Steuerung der Inbetriebnahme verstanden. Es beinhaltet den 3. und 4. Schritt des Projektmanagements (s. Abschn. 4.1.1). Gemäß diesem Begriffsverständnis zielt das Controlling auf die Einhaltung aller relevanten Ziele und Merkmale ab; nicht nur auf Kosten und Termine. 4.6.1 Hauptaufgaben des Inbetriebnahmecontrolling Grundlage für das Controlling sind die Soll-Werte betreffs Terminen, Kapazitäten und Kosten, die aus der Inbetriebnahmeplanung resultieren. Bei Abweichungen sind vorausschauend die Konsequenzen bzw. Risiken zu ermitteln sowie Maßnahmen zum Gegensteuern abzuleiten und zu realisieren. Schwierigkeiten bereitet bei vielen Inbetriebnahmen die Berechnung von Fortschrittskurven zur Darstellung des Soll-Ist-Zustandes, wie es vom Lenkungskreis (Steering Committee) gewünscht wird. Im Unterschied zur Bau- und Montagephase fehlen während der Inbetriebnahme geeignete Mengengerüste. Der Inbetriebnehmer muss seinen Fortschritt vorrangig am Terminplan messen. Üblich sind auch Soll-Ist-Vergleiche bezüglich der verausgabten Finanzmittel (Kostenplan) oder des kumulativen Personalaufwandes in Manntagen (Personaleinsatzplan). Wie mit einem „kleinen Trick“ eine Fortschrittskurve möglich wird, zeigt das Beispiel 4.7.

372

4 Inbetriebnahmemanagement

Beispiel 4.7 Nutzung von Fortschrittskuren für Soll-Ist-Vergleich während der Inbetriebnahme In Abbildung 4.26 ist der kumulative Fortschritt während der Inbetriebnahme einer Pharmaanlage dargestellt, die über einen LSTK-Vertrag realisiert wurde.

Abb. 4.26 Fortschrittskurven für Soll- und Ist-Zustand der Inbetriebnahme

In diesem Projekt hatten der Auftraggeber und der Generalunternehmer während einer sog. „Simulierten Inbetriebnahme mit inerten Stoffen“ (s. Abschn. 4.3.2.1, Buchst. b), Var. 4) zahlreiche Leistungstests an einzelnen Ausrüstungen, Teilanlagen sowie der Gesamtanlage (ähnlich einer Wasserfahrt) vereinbart. Grundlage war ein zuvor erarbeitetes und abgestimmtes Test- bzw. Versuchsprogramm. Um die Abarbeitung und Erfüllung des Testprogramms besser kontrollieren zu können, wurde im Team von Spezialisten beider Partner nach besten Wissen und Gewissen kalkuliert, welche Zeitdauer für jeden einzelnen Test/Versuch bei normalen Verlauf benötigt wird. Dies waren die Soll-Zeiten für jeden Versuch, die man den Ist-Zeiten gegenüberstellen konnte. Der kumulierte Soll-Ist-Vergleich entspricht den Fortschrittskuren in Abb. 4.26. Letztlich wurde somit über die „Zeitdauer pro Versuch bzw. Test“ ein Mengengerüst geschaffen. Das Controlling ist eine wichtige Aufgabe des Inbetriebnahmeleiters. Bei größeren Anlagen gehört extra ein Controller zum Inbetriebnahmestab. Die verwendete Software sollte auch die Aufgaben der Überwachung und Steuerung wirksam unterstützen. Einige dieser erweiterten Anforderungen sind:  Möglichkeiten zum Ressourcenabgleich sowie zur Kostenminimierung,  Integration des Berichtswesens sowie von Störungsmeldungen,  Möglichkeit einer vorausschauenden Kostenrechnung (Prognose). In der Praxis kommt für das Projektcontrolling einschließlich Inbetriebnahme häufig die betriebswirtschaftliche Standardsoftware des Unternehmens zum Einsatz. Im speziellen

4.6 Inbetriebnahmecontrolling

373

Fall kann auch ein einfaches Software-Werkzeug, welches ohne große Spezialkenntnisse vom Inbetriebnahmeleiter leicht und flexibel „vor Ort“ zu nutzen ist, günstiger sein. Im Einzelnen sind beim Inbetriebnahmecontrolling die folgenden Aufgaben zu bewältigen: a) Aktuelle Information des Inbetriebnahmeleiters und seines Stabes über alle wichtigen Sachverhalte, wie Termine, Kosten, Technik, Prozess, GSU u.a.  Dies erfolgt durch Besprechungen, persönliche Gespräche, Arbeitsfreigaben usw. sowie durch persönliche Anlagen-Rundgänge und Inaugenscheinnahme vor Ort. Die moderne Leittechnik unterstützt dies wesentlich.  Die Terminkontrolle muss neben den Meilensteinen und kritischen Vorgängen auch die Pufferzeiten der nichtkritischen Vorgänge umfassen, sodass eventuelle neue Engpässe frühzeitig erkannt werden können. b) Analytische Bewertung der Informationen sowie Ableitung und Entscheidung zu korrektiven Maßnahmen  Zu diesen Zwecken werden u.a. die regelmäßigen Früh-/Spätbesprechungen, die Inbetriebnahmeroutinen und operative Fachbesprechungen genutzt(s. Abschn. 4.4.1.5).  Eine große Schwierigkeit für den Inbetriebnahmeleiter ist es, die vielen Informationen zu selektieren und kritisch zu bewerten. Dazu benötigt er u.a. ausreichend Fach- und Anlagenkenntnisse, auch in verfahrenstechnischen und technischen Details. Nur so kann er die konkreten Sachinformationen (z.B. bei Prozessstörungen, Schäden an Ausrüstungen) nachvollziehen und eigene Entscheidungen ableiten. c) Gewährleisten eines effektiven Claim-Managements (s. Tab. 4.22)  Nachträge in einem Gesamtumfang von ca. 3 bis 8 Prozent der ursprünglichen Investitionssumme sind bei verfahrenstechnischen Anlagen während der gesamten Projektlaufzeit normal. Dazu gehören auch notwendige technische Änderungsmaßnahmen während der Inbetriebnahme.  Das Controlling muss gemäß den vertraglichen Vereinbarungen oder auf Basis einer Change-Control-Projektrichtlinie diese Claims zweckmäßig verwalten und abrechnen. Tabelle 4.22 Hinweise für ein effektives Change-Order-Management 1 Change-Order-Risiko vor Vertragsabschluss bzw. vor Auftragsvergabe identifizieren, analysieren und näherungsweise realistisch bewerten. 2 Bei Anlagenbauprojekten ist realistisch mit begründeten Change-Order-Vorgängen zu rechnen. 3 Change-Order-Prozedur im Vertrag exakt vereinbaren, sowohl für das Beantragen als auch für das Abstimmen zum Änderungsantrag. 4 Der Auftragnehmer sollte im Anlagenvertrag motiviert werden (z.B. über Bonuszahlung) die Change-Order-Vorgänge zu minimieren. 5 Arbeiten ohne schriftlichen Auftrag sollte es während der Anlagenrealisierung möglichst nicht geben. Die sollte mit dem Auftragnehmer so abgestimmt sein. 6 Preise für mögliche Zusatzleistungen sind möglichst unter Wettbewerbsbedingungen zu vereinbaren. 7 Change-Order-Anträge sind zeitnahe zur Verursachung und Erkennung zu stellen, zu entscheiden und gegebenenfalls zu regulieren.

374

4 Inbetriebnahmemanagement

d) Organisation und Kontrolle des Auftrags- und Finanzwesens sowie der Einhaltung des Kostenbudgets  Während der Inbetriebnahme sind noch Restmontageleistungen zu erbringen, die sauber von den Inbetriebnahmeleistungen zu trennen sind.  Andererseits müssen während der Inbetriebnahme kurzfristig Aufträge für Änderungsarbeiten, Nachbesserungen u.Ä. ausgelöst werden. Dies kann auch zusätzliche operative Mitwirkungsleistungen des Betreibers betreffen.  Dabei muss schnell gehandelt werden, sodass häufig die normale Bestellprozedur nicht eingehalten werden kann.  Wichtig ist, dass derartige operative Bestellungen im Nachhinein aufgearbeitet und kontrolliert werden.  Die Kosten der Inbetriebnahme können über das Projekt bezahlt werden, oder über den laufenden Betrieb bzw. den Standortbereich verrechnet werden.  Häufig werden auch Mischformen der Finanzierung vertraglich vereinbart, indem einerseits die Inbetriebnahmeleistungen im General- bzw. Engineeringvertrag gebunden sind und andererseits der Betreiber die Kosten für Energien und Materialien trägt.  Bei der Ermittlung und Bewertung der Inbetriebnahmekosten müssen zusätzlich zum aktuellen Kontostand die laufenden Aufträge sowie ausstehende Rechnungen mit berücksichtigt werden. Zu diesem Zweck ist es vorteilhaft, die aktuellen Kosten auf den Endzeitpunkt der Inbetriebnahme zu prognostizieren und zu vergleichen.  Das Controlling der Lieferungen und Leistungen für die Inbetriebnahme muss auch die werk- bzw. kaufvertraglichen Sachstände zum Vertragsgegenstand (inkl. Dokumentation) einbeziehen, wie z.B. ▪ Lieferant bzw. Leistungserbringer, ▪ Lieferdatum und Lieferschein, ▪ Leistungszeitraum und Leistungsnachweise, ▪ Daten zu vorliegenden Rechnung, ▪ Gewährleistungsbeginn, -dauer, -ende, ▪ Daten zur Mechanische Fertigstellung, ▪ Daten zu Leistungsfahrt und Leistungsnachweis, ▪ Daten zur werkvertraglichen Abnahme, inkl. zum Verantwortung- und Gefahrenübergang sowie zur Beweislastumkehr. e) Berichterstattung des Inbetriebnahmeleiters zur Inbetriebnahme  Die schriftliche Berichterstattung ist von den geltenden Unternehmensrichtlinien und der Projektsituation abhängig. Sie soll einerseits die Unternehmensebene informieren und andererseits notwendige Entscheidungen, zu denen der Inbetriebnahmeleiter nicht befugt ist, herbeiführen.  Im Allgemeinen sind vom Inbetriebnahmeleiter regelmäßige Fortschrittsberichte über die Ergebnisse und Soll-Ist-Abweichungen bei der Inbetriebnahme für das übergeordnete Management zu erarbeiten (s. Tab. 4.23). Bei größeren Anlagen und normalen Inbetriebnahmeverlauf beispielsweise monatlich. Neben dem angeführten Inbetriebnahmecontrolling des Verkäufers und im Projektteam des Käufers beginnt zugleich der Betreiber mit dem betrieblichen Controlling. Dabei sind vorrangig Probleme der Personal-, Produkt- und Energiebereitstellung, der Vermarktung verkaufsfähiger Endprodukte, der Entsorgung von Abprodukten sowie der Kredit- und Finanzwirtschaft zu lösen.

4.6 Inbetriebnahmecontrolling

375

Tabelle 4.23 Inhaltsverzeichnis eines Inbetriebnahme-Fortschrittsberichts (Praxisbeispiel) 1 Zusammenfassung 2 Stand der Inbetriebnahme 3 Vorschau zur weiteren Inbetriebnahme 4 Ergebnisse zu Sicherheit sowie Gesundheits- und Umweltschutz 5 Finanzkontrolle 6 Terminkontrolle Beilagen Beilage 1: Beilage 2: Beilage 3: Beilage 4: Beilage 5: Beilage 6:

Wesentliche Ergebnisse der Heiß-Inbetriebnahme inkl. Optimierung Einkaufskontrollliste Zusammenstellung der Inbetriebnahmeaufträge Kosten-Diagramm und Kosten-Tabelle Sammel-Anzeigen Inbetriebnahme-Terminplan

4.6.2 Maßnahmen bei Abweichungen (Troubleshooting) Eine häufig gemachte Erfahrung besagt: Der Inbetriebnehmer muss mit Überraschungen (Abweichungen, Störungen, Fehlern, Mängeln u.ä.) rechnen. Dies liegt in der Spezifik der Inbetriebnahme begründet und ist nicht primär ein persönliches Verschulden. (s. Abschn. 1.6). Natürlich dürfen die Mängel nicht gravierend sein und nicht gehäuft oder gar wiederholt auftreten. Ein Inbetriebnahmeleiter und -ingenieur muss sich umfassend auf diese Herausforderungen einstellen. Er sollte gut vorbereitet und selbstbewusst seine Aufgabe angehen. Wichtig ist das Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit und die seines Teams. Sollten sich doch Abweichungen vom geplanten Inbetriebnahmeablauf einstellen, so kann er u.U. die in Tab. 4.24 angeführten Steuerungsmaßnahmen nutzen. Tabelle 4.24 Mögliche Maßnahmen zur Projektsteuerung [2] 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Es wird die Anzahl der am gestörten Vorgang arbeitenden Mitarbeiter erhöht. Die am gestörten Vorgang tätigen Mitarbeiter machen Überstunden. Beschleunigung der Arbeiten durch parallele Fremdvergabe Änderung der Arbeitsweise und -methodik Änderung des Lösungskonzeptes bzw. der Vorgehensweise Änderung des Lastenheftes, also der Anforderungen durch den Kunden Erhöhung der Qualifikation, Fertigkeiten usw. durch Schulung Erhöhung der Motivation Einsatz neuer Technik Suche nach neuen Subunternehmern für Lieferungen und Leistungen Auswechseln von Personal Beseitigung der Störungsursachen

376

4 Inbetriebnahmemanagement

Im Weiteren werden einige dieser Maßnahmen aus Sicht der Inbetriebnahme diskutiert.  Die Bereitstellung zusätzlicher Arbeitskräfte (Manpower) bzw. das Auswechseln von Personal ist gegebenenfalls eine notwendige und zweckmäßige Maßnahme. Dies gilt insbesondere für Arbeiten während der Inbetriebnahmevorbereitung (Spülhandlungen, Loop-Checks, Sicherheits- und Funktionsprüfungen, Dichtheitsprüfungen, Anfahren von Nebenanlagen u.ä.) und während der Kalt-Inbetriebnahme (Beizen, Austrocknen von Ausmauerungen, Funktionstests, Wasserfahrt u.ä.). Die angeführten Arbeiten sind mit gutem fachlichem Basiswissen und relativ kurzer Einarbeitungszeit machbar. Während der Heiß-Inbetriebnahme ist ein Gegensteuern durch mehr Personal schwieriger. Benötigt werden in diesen Situationen oftmals Fachleute und Spezialisten mit verfahrens- und anlagenspezifischen Wissen, die meist nur schwer bzw. nicht kurzfristig verfügbar sind.  Eine Beschleunigung der Arbeiten durch Überstunden ist beim Troubleshooting während der Inbetriebnahme nur sehr begrenzt möglich, da die Meisten ohnehin schon am „Anschlag“ arbeiten.  Inwieweit veränderte Arbeitsweisen eine Besserung bringen, sollte in jedem Fall analysiert und gegebenenfalls praktiziert werden. Manche Führungskräfte neigen beispielsweise dazu,  zu viel selbst zu machen und zu wenig zu delegieren,  nicht oder nicht eindeutig zu entscheiden,  ihre Entscheidungen zu wenig zu erklären,  das Dienstliche und Persönliche nicht konsequent voneinander zu trennen,  nachtragend zu sein,  zu gutmütig und verständnisvoll zu sein. Grundsätzlich lässt sich in vielen Fällen die Situation folgendermaßen einschätzen: Während der Inbetriebnahme herrscht vor Ort in der Regel ein rauer aber herzlicher Ton. Was wahr ist, muss wahr bleiben. Was als unzureichend erkannt wurde, muss möglichst sofort verändert werden. Auf Befindlichkeiten Einzelner kann dabei wenig Rücksicht genommen werden. Vom Weisungsrecht sollte der Leiter aber nur in Ausnahmesituationen Gebrauch gemacht werden.  Die Maßnahme-Nr. 5 in Tab. 4.24 bezüglich eines veränderten Lösungskonzepts oder einer anderen Vorgehensweise wird oft geprüft. Beispielsweise wird bei Terminverzug gefragt: Können wir nicht einzelne Schritte (Vorgänge, Maßnahmen) weglassen oder zumindest verkürzen? und Gibt es nicht alternative Möglichkeiten, das Ziel schneller zu erreichen? Sicherlich kann man z.B. vor oder während der Inbetriebnahme prüfen und im Team erörtern, ob  Reinigungsmaßnahmen durch Ausblasen, Spülen und ggf. Beizen entfallen oder verkürzt werden können?  Parallel zur Endmontage bereits mit Erdgas oder Öl die Ofenausmauerungen getrocknet werden können?  Während der Endmontage bereits das Wärmeträgersystem getrocknet und gereinigt werden kann?

4.7 Versicherungen zur Inbetriebnahme

377

 Die Inbetriebnahme prozessrelevanter Anlagenteile beginnen kann, obwohl in anderen Bereichen noch gravierende Montagetätigkeiten stattfinden?  Qualitäts-/Funktionsprüfungen der PLT-Technik vor Mechanischer Fertigstellung bzw. gar vor Heiß-Inbetriebnahme entfallen oder verkürzt werden können?  Komplexe Funktionsprüfungen inklusive Wasserfahrt vor der Heiß-Inbetriebnahme entfallen oder verkürzt werden können,  Die Anlage schneller in den betrieblichen Nennzustand (Durchsatz, Druck, Temperatur) hochgefahren werden kann. Die angeführten und geplanten Vorgänge/Maßnahmen, die den vorgenannten Fragestellungen zum Troubleshooting zugrunde liegen, resultieren aus den Wissen und Erfahrungen in vergleichbaren Situationen. Wer aus Zeit- oder Kostengründen diese Fragestellungen bejaht, erhöht das wirtschaftliche aber auch das GSU-Risiko bei der Inbetriebnahme verfahrenstechnischer Anlagen erheblich. Es ist letztlich eine Risikoabwägung und -entscheidung, die sehr sachkundig und verantwortungsvoll getroffen werden muss. „Schnellschüsse“ sind zu vermeiden  Mit dem Einsatz neuer Technik hängt u.a. die ausreichende Bevorratung von Ersatzund Verschließteilen zusammen. Auch die Verfügbarkeit moderner Analysen- und Diagnosetechnik, um Abweichungen/Störungen schnell diagnostizieren zu können, ist unter dieser Steuerungsmaßnahme zu verstehen.  Die Beseitigung der Störungsursachen ist meistens die erste Maßnahme, die versucht wird. Ist sie nicht erfolgreich bzw. zu aufwendig, werden andere Beschleunigungsmaßnahmen realisiert. Bei Störungsursachen, die auf schwierige technisch-technologische Problemstellungen zurückgehen, ist die operative Einbeziehung von Führungskräften und/oder Spezialisten aus dem Stammhaus oder von Dienstleistern dringend angeraten. Wer zu lange auf „eigene Faust“ ohne Erfolg versucht, die Probleme zu lösen, riskiert den Vorwurf, falsch und fahrlässig gehandelt zu haben. Derartige Fälle sind z.B. die Ursachenforschung bei  erheblichen verfahrenstechnischen Problemen (u.a. Nichterreichen der Anlagenkapazität, der Produktqualität oder anderer Leistungsgarantien) oder  bei größeren technischen Störungen bzw. Schäden. Unter Umständen kann es notwendig sein, zur Problemlösung nochmals einen Schritt zurück ins Engineering zu tun oder eine andersartige Ausrüstung zu beschaffen und zu montieren. Immer sind lange Verzögerungen zu erwarten. Auch die Durchführung von Prozess- und Anlagenanalysen zum gezielten Knowhow-Gewinn (s. Kapitel 7) ist u.U. in diesem Zusammenhang als geeignete Steuerungsmaßnahme zu sehen.

4.7 Versicherungen zur Inbetriebnahme Die folgenden Ausführungen sollen einen groben Überblick sowie eine Orientierungshilfe bei der Versicherung von Montage- und Inbetriebnahmeleistungen darstellen. Im konkreten Projekt sind mit dem Versicherer die konkreten Vertragsbedingungen, die von Fall zu Fall unterschiedlich sind, zu verhandeln. Dies gilt insbesondere, wenn mehrere Versicherungen (Pakete) abgeschlossen werden.

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4 Inbetriebnahmemanagement

Die finanziellen Risiken, die ein Unternehmer beim Betrieb von technischen Anlagen trägt, sind erheblich. Eng in Verbindung mit dem Risiko im Anlagenbau einschließlich der Inbetriebnahme stehen die versicherungsrechtlichen Aspekte und dabei wiederum die haftungsrechtliche Verantwortung bzw. die Haftpflichtversicherung. Grundsätzlich ist Haftpflicht die Verpflichtung zum Schadenersatz wegen einer unerlaubten Handlung. Der Versicherer einer Haftpflicht tritt in der Regel solange für den Schaden ein, solange er nicht grob fahrlässig oder vorsätzlich verschuldet wurde. In letzter Zeit gibt es in Sonderfällen auch bei grob fahrlässigen Verhalten einen Versicherungsschutz. Auf dem Gebiet der Ingenieurtechnik können sich Haftpflichtschäden und Schadenersatzansprüche beispielsweise dann ergeben, wenn:  die geplante Anlage Mängel aufweist, z.B. die mechanischen und/oder Leistungsgarantien nicht gebracht werden oder erhöhte Emissionen auftreten,  Normen und Vorschriften nicht beachtet wurden,  im Engineering fehlerhaft gearbeitet wurde,  Fehler im Fertigungs- und oder Montageprozess passiert sind,  Gefährdungen übersehen wurden, die zu Schäden geführt haben,  keine Bedenkenanzeige nach VOB/B bzw. nach BGB ausgestellt wurde,  versäumt wurde, Fachspezialisten hinzuzuziehen,  keine rechtzeitigen Informationen an die betreffenden Behörden, Personen, Unternehmen u.a. ergangen sind,  der Zeitplan nicht eingehalten wurde. Der einzelne Versicherer bietet zur Vorsorge bei Haftpflichtschäden eine Vielzahl von Versicherungsarten an [31]. Abbildung 4.27 enthält eine Übersicht zu den verschiedenen Versicherungen aus Sicht des Verkäufers und Käufers. Soweit diese für die Inbetriebnahme wichtig sind, werden sie im Weiteren kurz behandelt.

Abb. 4.27 Wesentliche Versicherungsmöglichkeiten für verfahrenstechnische Anlagen

4.7 Versicherungen zur Inbetriebnahme

379

4.7.1 Technische Versicherungen (s. Abb. 4.28) Technische Versicherungen

MaschinenVersicherung

Sachschaden

Betriebsunterbrechungsschaden

MontageVersicherung

Sachschaden

GarantieVersicherung

BauleistungsVersicherung

Betriebsunterbrechungsschaden

Abb. 4.28 Übersicht zu wichtigen Technischen Versicherungen

a) Maschinen-Versicherung  Sie schützt vor plötzlichen und unvorhergesehen eingetretenen Schäden an Maschinen, die durch falsche Betriebsweise, innere Fehler, Sturm und Frost verursacht sind.  Die Maschinen-Versicherung beinhaltet einen Versicherungsschutz für: ▪ alle stationären Maschinen, ▪ maschinelle und elektrische Einrichtungen. Dies können Werkzeugmaschinen, Arbeitsmaschinen, Schaltanlagen, Energieerzeugungsanlagen, Energieverteilungsanlagen und dergleichen mehr sein.  Ausdrücklich ausgeschlossen werden Fahrzeuge, während fahrbare Maschinen in der Regel speziell ausgehandelt werden.  Versichert sind Gefahren durch unvorhergesehene und plötzlich eintretende Schäden; z.B. solche, die mit dem Betrieb zusammenhängen. Ursachen dafür können sein: ▪ Konstruktionsfehler, ▪ Materialfehler, ▪ Ausführungsfehler, ▪ Fehler in MSR-Technik und Sicherheitseinrichtungen, ▪ Wassermangel bei Dampfeinrichtungen, ▪ äußere Einwirkungen wie Bedienfehler, Ungeschick, Fahrlässigkeit ▪ Kurzschluss, Überstrom, Überspannung, ▪ Wettereinwirkungen wie Sturm, Frost oder Eisgang  Ausgeschlossen aus der Versicherung werden i.Allg. Schäden durch Ereignisse wie Krieg, Bürgerkrieg, innere Unruhen, höhere Gewalt oder Kernenergie.  Schäden, die eine unmittelbare Folge von dauernden Betriebseinflüssen sind, bzw. vorsätzlich oder grob fahrlässig verursachte Schäden, werden ebenso aus dieser Versicherung ausgeschlossen wie Diebstahl oder Garantieschäden.  Ersetzt werden sämtliche Kosten bis zum Zeitwert der versicherten Sachen, die zur Wiederherstellung des früheren betriebsfähigen Zustandes notwendig sind. b) Montage-Versicherung  Diese Versicherung beinhaltet unvorhergesehene und plötzliche Sachschäden an Maschinen und Stahlrohrkonstruktionen, die während der Montage und der folgenden Erprobung/Inbetriebnahme auftreten.

380

4 Inbetriebnahmemanagement

 Als Montageobjekt (neu oder gebraucht) können z.B. ▪ Konstruktionen aller Art, ▪ Maschinen und Einrichtungen und ▪ zugehörige Reserveteile und Montageausrüstungen versichert werden.  Prinzipiell versichert sind alle Sachen, die einzeln oder als Sammelbezeichnung in dem Versicherungsschein aufgeführt bzw. zur Versicherung angemeldet sind.  Nur wenn dies besonders vereinbart wird, sind folgende Sachen versichert: ▪ Fahrzeuge aller Art, ▪ schwimmende Sachen und ▪ Eigentum des Montagepersonals.  Von vornherein nicht versichert sind alle Betriebs- und Hilfsstoffe, Akten und Zeichnungen.  Die Versicherung leistet Entschädigung für Schäden an Lieferungen/Leistungen, die ein Versicherter erstmalig durchführt, soweit diese Schäden durch Auswirkungen von außen entstanden sind. Alle weiteren Leistungen müssen gesondert vereinbart werden.  Für Schäden an der Montageausrüstung wird Entschädigung geleistet, wenn sie durch Unfall entstanden sind. Betriebsschäden zählen dabei nicht als Unfallschäden.  Kein Schadensersatz wird prinzipiell geleistet (soweit nichts anderes vertraglich vereinbart wurde): ▪ bei Schäden durch hoheitliche Eingriffe (Beschlagnahmung u.ä.), ▪ bei Verlusten, die erst bei Bestandsaufnahme festgestellt werden, ▪ bei Schäden, die als Folge normaler Witterungseinflüsse auftreten, ▪ bei Schäden, die eine unmittelbare Folge der dauernden Einflüsse der Funktionsprüfungen/Probebetrieb/Inbetriebnahme sind.  Die Versicherungssumme wird i.Allg. in Höhe des vollen Kontraktpreises, mindestens in Höhe der Selbstkosten vereinbart. Fracht-, Zoll-, Montage- und weitere Kosten können (soweit sie nicht enthalten sind) gesondert hinzugenommen werden.  Die Versicherungssumme der Montageausrüstungen wird auf Grund des Neuwertes aller im Verlauf der Montage eingesetzten versicherten Sachen festgelegt. Diese Summe sollte die Fracht- und Montagekosten einschließen.  Die Versicherungsprämie wird aus der Versicherungssumme und der Versicherungsdauer berechnet. Sie wird i.Allg. im Voraus erhoben.  Sollten sich während des Vertragszeitraumes die der Prämienberechnung zu Grunde liegenden Daten ändern, so bieten verschiedene Versicherungen eine Korrektur der Versicherungsprämie, verbunden mit einer genaueren Spezifizierung des Versicherungsgegenstandes, an. Dies muss jedoch bereits im Versicherungsvertrag vereinbart sein.  Prinzipiell werden keine Vermögensschäden ersetzt, auch wenn sie infolge eines Schadens an einer versicherten Sache entstehen. Ausgenommen sind hiervon in der Regel Aufräumungs- und Bergungskosten infolge eines versicherten Sachschadens.  Für Totalschäden wird vom Versicherer in der Regel der Zeitwert (unter Anrechnung evtl. anfallender Altmaterialwerte) ersetzt, während bei Teilschäden die Wiederherstellungskosten ersetzt werden.  Überstunden, Zielprämien und ähnliche Mehrkosten werden in der Regel nicht oder nur bei ausdrücklicher vertraglicher Festlegung ersetzt.  Der Beginn der Versicherung wird im Vertrag festgelegt (meist mit dem Zeitpunkt der Anlieferung der ersten versicherten Gegenstände auf der Baustelle).

4.7 Versicherungen zur Inbetriebnahme

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Teilweise sieht der Vertrag vor, dass zu versichernde Sachen angemeldet werden müssen, wobei die Versicherung erst mit der Anmeldung beginnt.  Die Versicherung endet nach einem vertraglich vereinbarten Zeitraum, der bei Bedarf u.U. verlängert werden kann. Die Montageversicherung endet spätestens, sobald das Montageobjekt abgenommen ist.  Sind Teile als selbstständige Montageobjekte versichert, so gilt für sie das Gleiche. c) Elektronik-Versicherung  Die Elektronik-Versicherung ist speziell für DV-Anlagen, elektronische Mess- und Steuereinrichtungen und hochwertige Kommunikationsmittel gedacht.  Elektrotechnische Einrichtungen wie Transformatoren, Erdkabel u.ä. sind meist in der Maschinenversicherung erfasst und brauchen nicht gesondert versichert zu werden.  Von dieser Versicherung werden sämtliche technische Einrichtungen, die der Erzeugung, Umwandlung, Speicherung bzw. Transport von Informationen dienen, erfasst.  Es werden mit dieser Versicherung Zerstörungen oder Beschädigungen an elektronischen Geräten durch unvorhergesehene Ereignisse oder Diebstahl abgedeckt. Speziell ist sie gedacht für Schäden infolge von: ▪ fahrlässiger oder unsachgemäßer Handhabung, ▪ Überspannung oder Induktion, ▪ Brand oder Brandbekämpfung, ▪ Blitzschlag, ▪ Explosion / Implosion, ▪ Wasser, Feuchtigkeit oder Überschwemmung, ▪ Diebstahl, Sabotage und dergleichen, ▪ höhere Gewalt. d) Maschinen-Garantie-Versicherung  Die sog. Garantie-Versicherungen ersetzen Ansprüche des Käufers, die dieser auf Grund vertraglich vereinbarter Garantien geltend machen kann. Leistungsmängel (Nichteinhaltung von Leistungsgarantien), die für spezielle verfahrenstechnische Anlagen typisch sind, fallen nicht darunter.  Die Versicherung beginnt nach Abnahme des Montagegegenstandes durch den Käufer.  Gegenstand dieser Versicherung sind: ▪ neue Maschinen, ▪ maschinelle Einrichtungen und Apparate, ▪ Eisenkonstruktionen mit und ohne mechanischen oder maschinellen Einrichtungen.  Nicht von dieser Versicherung erfasst werden in der Regel Schäden durch: ▪ andauernde Betriebseinflüsse, ▪ ungenügende Wartungsarbeiten, ▪ unsachgemäße Behandlung während des Betriebes, ▪ Vertragsstrafen und dergleichen. e) Maschinen-Betriebsunterbrechungs-Versicherung  Durch sie wird der Ertragsausfall, der infolge einer Betriebsunterbrechung durch einen Maschinenschaden entsteht, gedeckt.  Der Ertragsausfall (Vermögensschaden) kann ein entgangener Gewinn sowie laufende Kosten für Miete, Löhne, Gehälter u.a. sein.  Der Maschinenschaden mit nachfolgender Betriebsunterbrechung kann durch Fahrläs-

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4 Inbetriebnahmemanagement

sigkeit, Bedienungsfehler, Material- und Konstruktionsfehler, Kurzschluss, Sturm, Frost sowie äußere Einwirkungen verursacht sein.  Der Versicherungsschutz wird oftmals nur gemeinsam mit einer Maschinenversicherung übernommen. 4.7.2 Weitere Versicherungen bei der Inbetriebnahme a) Umwelthaftpflichtversicherung  Mit Inkrafttreten des Umwelthaftungsgesetzes (UmweltHG) [32] ergab sich für eine Vielzahl umweltgefährdender Anlagen eine gravierende Verschärfung des Umwelthaftungsrechtes. Nähere Ausführungen zum UmweltHG sind in Abschn. 3.3.2.2, Buchst. e) nachzulesen.  Umweltschäden bei den Funktionsprüfungen oder beim Spülen der Anlage werden genauso erfasst, wie solche während der Inbetriebnahme.  Die Haftungshöchstgrenzen betragen lt. Gesetz (§ 15) bei Personen- und Sachschäden jeweils ca. 80 Mio. Euro für Schäden aus einer einheitlichen Umwelteinwirkung.  Die Umwelthaftpflichtversicherung wird durch das Umwelthaftungsgesetz u.a. vorgeschrieben für: (1) Anlagen, für die gemäß den §§ 1, 7 der Störfall-Verordnung ein Sicherheitsbericht anzufertigen ist.

 Prinzipiell werden die Rahmenbedingungen einer Umwelthaftpflichtversicherung für jede zu versichernde Anlage spezifisch zwischen Versicherer und dem Anlagenbetreiber ausgehandelt und im Versicherungsvertrag festgehalten. b) Planungs-Haftpflichtversicherung  Sie ist im für unterschiedliche Auftragnehmer (Dienstleister), wie z.B. Architekten, Ingenieurbüros, Package-unit-Lieferanten, Generalunternehmer, Generalplaner, Consultingunternehmen, auch bezüglich der Inbetriebnahme, interessant. Häufig fordert der Auftraggeber vom Auftragnehmer eine entsprechende Planungs-Haftpflichtversicherung als Voraussetzung für die Auftragserteilung. Voraussetzung für eine solche Versicherung ist in vielen Fällen eine Trennung bzw. Abgrenzung zu den Bereichen Herstellung, Lieferung und Montage.  Durch eine solche Versicherung kann das Berufsrisiko betreffs der Planung, Bauleitung, Überwachung, Beratung und Begutachtung abgesichert werden.  Planungshaftpflichtversicherungen zur Absicherung gegen verfahrenstechnische Risiken sind häufig problematisch, da die Risikobewertung (Schadenshöhe und Eintrittswahrscheinlichkeit) schwierig ist und die Prämien entsprechend hoch sind. Meistens wird die Planungs-Haftpflichtversicherung deshalb auf der Unternehmensebene im Paket mit anderen Versicherungen abgeschlossen. c) Unfall- und/oder Lebensversicherung  Zusätzlich zur gesetzlichen Unfallversicherung (Pflichtversicherung) kann der Arbeitgeber für seine Arbeitnehmer eine weitere private Unfallversicherung abschließen.  Versicherbar sind u.a. Tod und Invalidität auf Grund eines Unfalles. Ein Unfall liegt in der Regel vor, „wenn der Versicherte durch ein plötzlich von außen auf seinen Körper einwirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet.“  Die Lebensversicherung tritt darüber hinaus auch bei Tod aus anderen Gründen in Kraft.

Literatur

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 Derartige zusätzliche Unfall- und Lebensversicherungen sind auf Grund der höheren Gefahren auf Baustellen, insbesondere im Ausland, sowie bei der Inbetriebnahme angeraten. d) Betriebshaftpflichtversicherung  Sie dient zum Schutz des Versicherungsnehmers vor Haftpflichtansprüchen Dritter aus Schäden, die den Dritten durch eine betriebliche Tätigkeit (z.B. in Betriebsstätten, bei Montage oder Inbetriebnahme, bei Instandhaltung, Beratung) zugefügt wurden.  Es werden Haftpflichtansprüche aus Personenschäden (Tod, Verletzung u.a. Gesundheitsschäden) und Sachschäden (Vernichtung oder Beschädigung von Sachen) abgedeckt.  Vermögensschäden, z.B. durch Betriebsunterbrechung, werden i.Allg. nicht versichert. e) Produkthaftpflichtversicherung  Das Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG) [33] beinhaltet, ähnlich wie das UmweltHG, eine verschuldensunabhängige Haftung und bewirkt die Tendenz zu mehr Ansprüchen. Dies betrifft die Hersteller, Zulieferer und Importeure sowie die Verbraucher und Nutzer von Produkten (im Sinne dieses Gesetzes) gleichermaßen. Nähere Ausführungen zum ProdHaftG sind in Abschn. 3.3.2.3, Buchst. b) nachzulesen.  Verfahrenstechnische Anlagen als Ganzes sind i.d.R. keine Produkte entsprechend ProdHaftG, wohl aber die Zulieferungen von Komponenten, Bauteilen, Stoffen, Software u.v.a. für diese Anlage. Damit besitzt es im Anlagenbau und auch bei Schäden während der Inbetriebnahme eine große Bedeutung.  Restrisiken an der Produkthaftung können weitgehend durch eine Produkthaftpflichtversicherung abgedeckt werden. Sie betrifft Personen und Sachschäden (ähnlich der Betriebshaftpflichtversicherung) und zusätzlich Vermögensschäden, die das Produkt einem Dritten zugefügt hat. Bei allen Versicherungen ist zu bedenken, dass eine Versicherung nicht nur Sicherheit bringt, sondern auch Geld kostet. Es gilt den wirtschaftlichen Kompromiss zwischen maximaler und keiner Absicherung zu finden. Die Versicherungen sind ein übliches Marktinstrument zur Risikominimierung im Anlagenbau, besonders während der Montage und Inbetriebnahme von verfahrenstechnischen Anlagen. Die nationalen und internationalen Trends der Gesetzgebung sowie in der Wirtschaftsentwicklung werden deren Bedeutung erhöhen.

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme Die Inbetriebnahmevorbereitung (Precommissioning) schließt alle Maßnahmen während der Anlagenherstellung ein, die hinsichtlich der späteren Inbetriebnahme bis zur Mechanischen Fertigstellung erbracht werden. Dazu gehören die inbetriebnahmespezifischen Arbeiten während der Beschaffung (Procurement) und insbesondere die vorbereitenden Arbeiten während der Errichtung (Construction) der Anlage auf der Baustelle. Die in den folgenden Abschnitten angeführten Tätigkeiten können, wie im Beispiel 4.6, Abschn. 4.5 gezeigt, in vielen Fällen zeitlich parallel durchgeführt werden. Ferner sind einige dieser Arbeiten nicht zeitkritisch bzw. mit Pufferzeiten verbunden. Das heißt, es gibt i.d.R. ausreichend Zeit, diese Inbetriebnahme vorbereitenden Arbeiten auszuführen. Es muss nur richtig geplant und getan werden.

5.1 Qualitätssicherung inkl. Montagekontrollen In der Praxis des Anlagenbaus ist die Qualitätssicherung eine der schwierigsten Aufgaben. Die Gründe sind sehr verschiedenartig und stellen für alle Beteiligten eine echte Herausforderung dar (s. Abb. 5.1).

 Abb. 5.1 Fehlermöglichkeiten im Anlagenbau und Anlagenbetrieb

Es ist zu erwarten, dass die globalen und branchenspezifischen Bedingungen und Trends die Qualitäts- und Fehlerrisiken im Anlagenbau und Anlagenbetrieb weltweit weiter erhöhen werden. Der Inbetriebnehmer muss dieser Entwicklung, mit all seinen Möglichkeiten im Stammhaus, bei den Herstellern und auf der Baustelle entgegenwirken. Der erstmalige komplexe Anlagenbetrieb während der Inbetriebnahme legt einerseits nicht erkannte Qualitätsmängel schonungslos offen, andererseits ist in dieser Phase die Mängelbeseitigung schwierig und aufwendig. Am Ende des Projekts treffen Qualitätsprobleme mitunter den Inbetriebnehmer nach dem Motto: „Den Letzten beißen die Hunde!“. Dies gilt insbesondere bei Inbetriebnahmen im Ausland, wo sich der Inbetriebnehmer mitunter sehr allein gelassen fühlt. Letztlich sind die Qualitätskontrollen in Vorbereitung der Inbetriebnahme ein wichtiger Bestandteil des Qualitätsmanagements im Anlagenbau. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 K. H. Weber, Inbetriebnahme verfahrenstechnischer Anlagen, VDI-Buch, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59498-8_5

387

388

5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

Nach den Erfahrungen des Verfassers werden diese Möglichkeiten in der Praxis oftmals nicht ausreichend genutzt, sodass nachfolgend einige Erfahrungen und Hinweise aufgezeigt werden.  Der Qualitätsbegriff wird häufig zu eng gefasst und zu sehr auf die Fertigung der Anlagenkomponenten bezogen. In der DIN EN ISO 9000 [1] wird Qualität „als Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale Anforderungen erfüllt“, definiert. Dies ist sehr abstrakt und wird in diesem Buch durch folgende pragmatische Definition ersetzt: Qualität bedeutet die Übereinstimmung der Realität mit allen vereinbarten und festgelegten Anforderungen.

Entsprechend dieser Definition können Qualitätsanforderungen u.a. bestehen betreffs:  Sicherheit, Gesundheits- und Umweltschutz  Verfahren,  Technik,  Wirtschaftlichkeit,  Termineinhaltung,  Bedienung und Instandhaltung,  Anlagendesign inkl. Fernsicht. Der in diesem Buch gebrauchte Qualitätsbegriff ist bewusst sehr breit gefasst und schließt bezogen auf Anlagen zahlreiche Merkmale ein. Tabelle 5.1 enthält eine Auswahl. In jedem Fall sollte für das eigene Anlagenprojekt zu Beginn der Qualitätsbegriff definiert werden. Tabelle 5.1 Mögliche allgemeine Qualitätsmerkmale           

innovativ modern wettbewerbsfähig gemäß Stand der Technik leistungsfähig flexibel ergänzungsfreundlich betriebssicher arbeitssicher gesundheitsgerecht unfallfrei

          

umweltfreundlich genehmigungskonform zuverlässig verfügbar korrosionsbeständig gut designed farbenfroh marktgerecht kundengerecht vertragsgerecht bestellgerecht

          

funktionsgerecht festigkeitsgerecht fertigungsgerecht montagegerecht inbetriebnahmegerecht bedienungsgerecht wartungsgerecht prüfgerecht instandsetzungsgerecht störungsfrei änderungsfreundlich

 Die notwendigen Maßnahmen zur Qualitätssicherung sind ganzheitlich im Unternehmens-Management-System (s. Abb. 5.2) sowie in allen Phasen der Anlagen-Projektabwicklung umzusetzen.  Nach Möglichkeit sollten zur Qualitätssicherung während der Projektabwicklung sog. Autorenkontrollen genutzt werden. Darunter wird verstanden, dass der Autor eines Engineeringdokuments, zumindest stichprobenartig, in die Ausführungskontrolle seiner Vorgaben einbezogen wird.

5.1 Qualitätssicherung inkl. Montagekontrollen

389

 Abb. 5.2 Hierarchische Gliederung eines Unternehmens-Management-Systems

Beispiele möglicher Autorenkontrollen sind:  Autorenkontrolle zum Basic Engineering durch den Ersteller des Lastenhefts und/oder den Verfahrensgeber,  Autorenkontrolle zum Detail-Engineering inkl. dem Engineering des Package-unitLieferanten durch den Ersteller der Basic-Engineering-Dokumente,  Autorenkontrolle zu den Anfrageunterlagen (Anfragespezifikationen, Technische Beschaffungsunterlagen) durch den Ersteller der Basic-Engineering-Dokumente,  Einbeziehen der Ausführungsplaner (ggf. auch Entwurfsplaner) in die Fertigungskontrollen beim Hersteller,  Einbeziehen der Ausführungsplaner (ggf. auch Entwurfsplaner) in die Bau- und Montagekontrollen, inklusive des Inbetriebnahmechecks der Anlage vor Protokollierung Mechanische Fertigstellung,  Einbeziehen der Ausführungsplaner in den Anfahrcheck gegen Ende der KaltInbetriebnahme und vor Anzeige der Betriebsbereitschaft. In der Regel sind ca. 90 Prozent der Engineeringtätigkeiten normale Facharbeit des Ingenieurs. Die restlichen 10 Prozent der Planungsleistungen sind aber das Besondere, das Herausfordernde für ihn. Nicht selten ist das Besondere verbunden mit dem Firmen-Know-how und/oder mit persönlicher Erfahrung. Ihre exakte Umsetzung ist in vielen Fällen entscheidend für den Projekterfolg.

390

5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

Kann der Autor eines Dokuments nicht durchgängig an der Projektabwicklung mitwirken, so ist es zumindest angeraten, wenn er punktuell in die Ausführungskontrolle seiner Vorgaben einbezogen wird. Er wird dann vorrangig, auch wenn er nur wenig Zeit hat, insbesondere die Umsetzung dieser besonderen und wichtigen Vorgaben kontrollieren. 5.1.1 Qualitätssicherung bei der Beschaffung Die Beschaffung (Procurement) umfasst den Gesamtprozess der Vorbereitung und Realisierung von Bestellungen für Lieferungen und Leistungen, die zur Anlagenrealisierung und gegebenenfalls zur Inbetriebnahme benötigt werden. Sie bildet die Phase 7 des Anlagen-Phasenmodells (s. Abschn. 2.1) und steht im Fokus der Qualitätssicherung. Verantwortlich ist der Projektleiter. Er wird insbesondere vom Einkauf, den Leadingenieuren, den Baustellenleiter sowie den Inbetriebnahmeleiter unterstützt. Der Projekt-Einkäufer muss im Organigramm dem Projektleiter fachlich unterstellt sein, d.h. das letzte Wort bei der Einkaufsentscheidung muss der Projektleiter haben. Einige Empfehlungen zur Qualitätssicherung, die primär für den verantwortlichen Projektleiter gedacht sind, enthält Tabelle 5.2. Tabelle 5.2 Checkliste zur Qualitätssicherung in Anlagenprojekten 1

Definieren Sie für Ihr Projekt den Begriff QUALITÄT.

2

Legen Sie die grundsätzlichen Qualitätsanforderungen für Ihr Projekt fest. Die Anforderungen sind in Management-Statements und im Lastenheft zu dokumentieren.

3

Die Gesamtverantwortung und Entscheidungsbefugnis für die Beschaffung muss beim Projektleiter liegen. Im Einzelnen ist für die technischen Vorgaben der Projektleiter und für den konkreten Beschaffungsvorgang der Einkauf zuständig.

4

Bei Leistungsstörungen ist der Einkauf zeitnah zu informieren und einzubeziehen.

5

Spezifizieren Sie die Beschaffungsleistungen detailliert und eindeutig. Machen Sie die Qualität durch eindeutige Vorgaben im Vertrag und Projekt „messbar“.

6

Schaffen Sie die finanziellen, organisatorischen und personellen Voraussetzungen für die notwendige Qualitätssicherung.

7

Schaffen Sie die notwendigen Zeiträume, damit Termindruck nicht zu Qualitätsmängeln führt.

8

Vereinbaren Sie mit Ihren Auftragnehmern Sanktionsmechanismen im Falle des Nichterreichens von Qualitätsvorgaben.

9

Beabsichtige Subunternehmen Ihrer Auftragnehmer sind Ihnen in jedem Einzelfall schriftlich zu benennen und von Ihnen formal freizugeben. Vereinbaren Sie diese Prozedur im Vertrag bzw. der Bestellung.

10

Führen Sie formale Beurteilungen aller wichtigen Auftragnehmer durch. Informieren Sie bereits vor Auftragsvergabe die potentiellen Auftragnehmer von dieser Absicht und später über das Ergebnis. Ziehen Sie die notwendigen Konsequenzen aus der Beurteilung.

11

Vereinbaren Sie im Vertrag bzw. der Bestellung für sich ausreichende Prüfungsrechte bei Ihren Auftragnehmern inkl. Subunternehmern.

12

Geben Sie möglichst allen Auftragnehmern eines Projekts für wiederkehrende Gewerke, wie z.B. Anstrich, Isolierung, Bauarbeiten, Reinigungsarbeiten, EMSR-Tech-nik, Gerüstbau, den jeweils geeigneten Subunternehmer vor.

5.1 Qualitätssicherung inkl. Montagekontrollen

391

Tab. 5.2 (Fortsetzung) 13

Klassifizieren Sie die einzelnen Beschaffungsvorgänge in verschiedene Prüfkategorien in Abhängigkeit von der Produktsensibilität. Legen Sie für die einzelnen Prüfkategorien definierte Prozeduren der Qualitätssicherung fest (s. Vorschlag in Tab. 5.3).

14

Fordern Sie von jedem Auftragnehmer, dass er Ihnen im Zeitraum von 2 bis 4 Wochen nach Auftragseingang für seine Leistungen (inkl. Engineeringleistungen sowie Leistungen seiner Subunternehmer) einen Qualitätssicherungsplan vorlegt. Gemäß diesem Plan können sie als Auftraggeber festlegen, wie sie sich in die Qualitätskontrolle beim Auftragnehmer einbringen wollen.

15

Erstellen Sie rechtzeitig einen Kontroll- und Freigabeplan aus dem alle Prüfkategorien und die davon abhängigen "pre-start-up"-Gespräche, Zwischenkontrollen und Freigaben hervorgehen.

16

Verlagern Sie so weit wie möglich Ihre Qualitätskontrollen in die Herstellerwerke (sog. FAT – Factory Acceptance Test). Dies erleichtert die Mangelbehebung.

17

Geben Sie wichtige Komponenten erst nach Prüfung im Herstellerwerk, d.h. nach erfolgreichem FAT, frei zum Versand auf die Baustelle. Mangelhafte Produkte dürfen möglichst nicht auf die Baustelle kommen. Die Lieferkontrolle auf der Baustelle sollte sich nur auf die Vollständigkeit und Unversehrtheit beziehen.

18

Organisieren Sie im Projekt eine eigene und ausreichende Qualitätssicherung.

19

Beachten Sie insbesondere die fachliche Einheit von Fertigung (z.B. Schweißausführung) und Funktion (z.B. Einbauten, Maßhaltigkeit). Erarbeiten Sie für die inhaltliche Durchführung der QS-Kontrollen Checklisten u.ä. Unterlagen.

20

Kontrollieren Sie, sowohl bei Anlagenverträgen inkl. Package-units oder Komponentenbestellungen als auch bei Dienstleistungen, die Engineeringergebnisse und geben Sie wichtige Dokumente frei. Nutzen Sie Dokumenten-Anforderungslisten als Planungsgrundlage für diese QS-Maßnahmen.

21

Protokollieren Sie "ungeschminkt" die Ergebnisse jedes QS-Gesprächs, jeder Zwischenkontrolle und jeder Endkontrolle und informieren Sie darüber offiziell den Auftragnehmer.

22

Organisieren Sie eine effiziente und lückenlose Mängelerfassung und Mängelbeseitigung. Nutzen Sie die Möglichkeiten von elektronischen Formblättern und von Datenbanken bei der Mangelverwaltung (s. Abb. 5.4 in Abschn. 5.1.2).

23

Minimieren Sie den Montageaufwand auf der Baustelle, indem Sie die Fertigungstiefe in den Herstellerwerken erhöhen und streben Sie Modulbauweisen an.

24

Prüfen Sie gelieferte Produkte zeitnah zur Lieferung und weisen Sie mangelhafte Produkte konsequent zurück, sodass keine Lieferung erfolgt und keine Zahlung notwendig ist.

25

Vereinbaren bzw. bestellen Sie ausreichende Mitwirkungsleistungen der Lieferanten, insbesondere von Package-units und prozessrelevanten Hauptausrüstungen, in den Verträgen bzw. kaufmännischen Bestellungen; möglichst im Rahmen eines Werkvertrags.

26

Bestellen Sie (als Option) bei jeden Lieferanten zusammen mit der Package-unit bzw. der Anlagenkomponente die Ersatz- und Verschleißteile, die der Lieferant für den Gewährleitungszeitraum für erforderlich erachtet.

27

Beziehen Sie die Dokumentationsleistungen konsequent in die Qualitätskontrollen ein. Die Dokumentation ist Teil des Produkts und der Leistung.

Einen Vorschlag für die unter Punkt 13 angeführte Klassifizierung der Beschaffungsvorgänge enthält Tabelle 5.3.

392

5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

Tabelle 5.3 Klassifizierung und Prüfkategorien für Beschaffungsvorgänge (Praxisbeispiel) Prüfkategorie 1 (Einfache, standardisierte Serien- oder Normprodukte) in unkritischen Einsatzbereichen)

Endkontrolle nach Lieferung auf der Baustelle

Prüfkategorie 2 (Einfache, standardisierte Serien- oder Normprodukte in sensiblen Einsatzbereichen)

Zwischenkontrolle, Endkontrolle und Versandfreigabe möglichst beim Hersteller

Prüfkategorie 3 (Sonderkonstruktionen, Sonderwerkstoffe in sensiblen Einsatzbereichen)

Eventuell Pre-start-up-Gespräche, Dokumentenfreigaben, Zwischenkontrollen, Endkontrolle und Versandfreigabe beim Hersteller

Prüfkategorie 4 (Package-units, verfahrenstechnisch und/oder apparatetechnisch und/oder sicherheitstechnisch relevante Sonderkonstruktionen)

Pre-start-up-Gespräche, Qualitätskontrollen der Engineeringleistungen, Dokumentenfreigaben, produktionsbegleitende Zwischen-/Endkontrollen, Testläufe, Sachverständigenprüfungen beim Hersteller, Freigabe zur Auslieferung

Nähere Ausführungen zur ganzheitlichen Mangelverwaltung im Projekt sind in Verbindung mit den Montagekontrollen in Abschn. 5.1.2 gemacht. Insgesamt lassen sich folgende Hauptmaßnahmen zur Qualitätssicherung im Anlagenbau zusammenfassen:  Aufbau einer eigenen Qualitätssicherungsorganisation, Festlegung eines Prüfplanes, Anwendung formaler Audits.  Geeignete Lieferantenauswahl treffen, Lieferantenbeurteilungen einführen und nutzen. Klein- und mittelständige Unternehmen aus dem Umfeld der Baustelle berücksichtigen, auch sog. „Generalunternehmer“ sorgfältig beurteilen  Detaillierte, eindeutige und „messbare“ Produkt- und/oder Leistungsspezifikation mit dem Auftragnehmer vereinbaren.  Eigene Bau-, Montage- und Produktionsüberwachung möglichst aller Produkte vor, während und zur Auslieferung/Fertigstellung durchführen.  Bau- und Montageleistungen möglichst nicht vor Ort auf der Baustelle, sondern beim Lieferanten durchführen lassen.  Grundsätzliches Verbot oder formalisierte Freigabe von (Auftrags-)Untervergaben sowie Vermeiden von „Montagestreuungen“.  Mängelbehaftete Produkte konsequent zurückweisen.  Nutzung professioneller, elektronischer Methoden und Tools zur ganzheitlichen Mangelverwaltung im Projekt.  Regressansprüche bei Qualitätsverstößen gegenüber dem Verursacher durchsetzen, ggf. Sanktionsmechanismen vor Auftragsvergabe vereinbaren 5.1.2 Montagekontrollen u.a. Vor-Ort-Qualitätskontrollen Während der Montage beginnt die konkrete Inbetriebnahmevorbereitung auf der Baustelle. Der Inbetriebnehmer muss die mannigfaltigen Aufgaben und Chancen erkennen und bewusst wahrnehmen. Leider ist die Schnittstelle zwischen Montage und Inbetriebnahme in vielen Anlagenverträgen nicht ausreichend geregelt, sodass es in der Praxis nicht selten zu Meinungs-

5.1 Qualitätssicherung inkl. Montagekontrollen

393

verschiedenheiten darüber kommt, welche Teilleistungen noch zur Montage oder schon zur Inbetriebnahme gehören. Prinzipiell ist dies auch verständlich, da der Baustellen- bzw. Montageleiter möglichst schnell und kostengünstig zum Protokoll Mechanische Fertigstellung gelangen möchte, während der Inbetriebnahmeleiter eine möglichst restpunktfreie, weitgehend getestete und für die Inbetriebnahme gut vorbereitete Anlage übernehmen möchte. Nur wenn im Anlagenvertrag der Leistungsumfang bis zur Mechanischen Fertigstellung detailliert spezifiziert ist, kann dieses Konfliktpotential minimiert werden. Diese Aussage gilt für General- und Engineeringverträge gleichermaßen und auch unabhängig davon, ob die Inbetriebnahme im verantwortlichen Leistungsumfang des Auftragnehmers enthalten ist oder nicht. Der Zustand Mechanische Fertigstellung ist in allen Fällen eine wesentliche Schnittstelle (s. Abschn. 5.8) und in jeder Anlagenvertrag exakt zu definieren. Unabhängig von der konkreten Schnittstellengestaltung zwischen Montage und Inbetriebnahme werden im vorliegenden Buch die Tätigkeiten zur Inbetriebnahmevorbereitung überwiegend der Montagephase zugeordnet. Die Tatsache, dass in der Praxis während der Kalt-Inbetriebnahme (s. Abschn. 6.2), bis zur Anzeige der Betriebsbereitschaft weitere Vorbereitungsmaßnahmen für die HeißInbetriebnahme stattfinden, ändert nichts am Grundsatz: Das Erkennen und Beseitigen von Fehlern und Mängeln der Planung, Beschaffung und Errichtung vor Inbetriebnahmebeginn spart in der Regel erhebliche Kosten und Zeit bei der Vertragsrealisierung. Folgende Hinweise sind bei der Umsetzung dieser Zielstellung zu beachten:  Viele Inbetriebnahme vorbereitende Maßnahmen (Montagekontrollen, Reinigen, Sicherheits-, Funktions-, und Dichtheitsprüfungen) sind als Nachweis einer sicherheits- und qualitätsgerechten Fertigung, Lieferung und Montage zu sehen und entsprechend vertraglich zu vereinbaren (s. Tab. 5.4). Tabelle 5.4 Sicherheits- und Qualitätsprüfungen der Montage (Abgrenzung zur Inbetriebnahme) 1 Prüfung des „spannungsgerechten“ Rohrleitungsanschlusses an Maschinen und Apparaten 2 Druckprobe der Apparate und Behälter mit Wasser oder Luft (vorrangig beim Hersteller); gegebenenfalls Wiederholung bei technischen Änderungen 3 Druckprobe der Rohrleitungen mit Wasser/Luft und Ausspülen sowie Entleeren  nach Vormontage vor Einbau  nach Einbau als gesamter Presskreis 4 Innere und äußere Reinigung der Anlage 5 Prüfung des Kupplungssitzes und der Drehrichtung der Maschinen 6 Verdrahtungsprüfung/Loop-Check der PLT-Stellen 7 Dichtheitsprüfung der Teilsysteme und der Gesamtanlage

 Davon unberührt ist die Frage, ob das eine oder andere während der KaltInbetriebnahme sicherheitshalber bzw. wegen zwischenzeitlich erfolgter Restmontagearbeiten nochmals überprüft wird.  Alle Arbeiten während der Montagephase müssen streng gemäß den organisatorischadministrativen Regelungen/Strukturen des Montageregimes durchgeführt werden. Verantwortlich für diese Arbeiten ist der Montage- bzw. Oberbauleiter.

394

5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

 Die angeführten Arbeiten müssen in der Montageplanung und im Controlling erfasst werden.  Das Inbetriebnahmepersonal sollte bei den Inbetriebnahme vorbereitenden Arbeiten, ohne die vertraglichen Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten zu ändern, konstruktiv mitwirken. Dies ist letztlich auch in seinem Interesse. Sofern ein 3D-Anlagenmodell existiert, können in Vorbereitung der Vor-Ort-Kontrollen die inbetriebnahmespezifischen Schwerpunkte am 3D-Anlagenmodell überprüft werden (s. Tab. 5.5). Tabelle 5.5 Inbetriebnahmespezifische Schwerpunkte für die Autorenkontrolle zum Anlagenmodell 1

Kontrolle der Leitungswege zum Befüllen von Kolonnen und Behältern auf Vorhandensein, sichere Absperrbarkeit usw.

2

Kontrolle der Aktivierungs- und Regenerationswege (u.a. Anschlüsse an Spülgas- und Fackelsystemen)

3

Überprüfung der Anordnung paralleler Ausrüstungen bezüglich gleichmäßiger Stoffstromaufteilung

4

Abarbeiten der Inbetriebnahmeschritte am Anlagenmodell (dabei Überprüfung von Entlüftung, Entleerung, Bildung von Gaspolstern; Prüfung vorhandener Übergänge zwischen Bühnen, Podesten und Laufstegen)

5

Überprüfung der Realisierbarkeit des Steckscheibenplanes im Zusammenhang mit Inbetriebnahme und Sonderfahrweisen

6

Kontrolle der Armaturen, insbesondere der Handarmaturen hinsichtlich Vorhandensein, Bedienbarkeit u.Ä.

7

Kontrolle der MSR-Feldtechnik auf Vollständigkeit, inbetriebnahmegerechte Anordnung (z.B. Armatur-Manometer) sowie vorschriftsgemäßen Einbau (z.B. Ein- und Auslaufstrecken von Messblenden und Turboquanten)

8

Kontrolle der Probenahmestellen auf Vollständigkeit, richtige Anordnung, gefahrlose Bedienung u.ä.

9

Überprüfung der Fluchtmöglichkeiten bei Havarien (z.B. Abstieg über Notleitern von Kolonnen und Behälterpodesten, Flucht- und Rettungswege, Sammelplätze)

10 Kontrolle der Inspektions-, Wartungs- und Instandsetzungsmöglichkeiten der wichtigsten Anlagenkomponenten (Maschinen, Apparate, Behälter, Regelarmaturen usw.) 11 Überprüfung der Lager-, Abstell- und Reparaturflächen sowie der logistischen Einrichtungen (z.B. Ver-/Entladestationen) 12 Kontrolle der Straßen, Schienen, Wege, Zufahrtswege für Feuerwehr, Parkplätze u.ä. 13 Kontrolle der umweltschutz- und sicherheitsrelevanten Einrichtungen, wie Gruben, Tankund Behältertassen, Wasserentnahmestellen/Hydranten, Löschwasserrückhaltebecken, Frei/Augenduschen,

Im Weiteren sollen von den Maßnahmen der ganzheitlichen Qualitätssicherung die Montagekontrollen ausführlicher betrachtet werden. Diese Arbeiten, die unabhängig von den firmeninternen Qualitätskontrollen der Montageunternehmen stattfinden, sind ein Hauptelement der systematischen Inbetriebnahmevorbereitung. Der Inbetriebnehmer sitzt dabei oftmals zwischen zwei Stühlen. Einerseits möchte er viel überprüfen, andererseits fehlen ihm dazu die Zeit, das Personal und das Geld.

5.1 Qualitätssicherung inkl. Montagekontrollen

395

Unter Montagekontrolle wird die Überprüfung (Überwachung) der Montage bezüglich deren vorgabe- und qualitätsgerechter sowie rechtskonformer Ausführung verstanden. Bei den Montagekontrollen auf der Baustelle werden vorwiegend augenscheinliche und messtechnische Überprüfungsmethoden angewandt. Typisch sind, ergänzend zu den Hinweisen in den Tabelle 5.5, 5.6 und 5.7, folgende Maßnahmen:  Kontrollen auf richtige Anordnung bzw. vorschriftsmäßigen Einbau von speziellen Bauteilen, wie z.B. ▪ Drossel- und Absperrarmaturen, ▪ Sicherheitsventile, 3-Wegeventile, Steckscheiben, ▪ MSR-Feldtechnik, ▪ Entleerungs-/Entlüftungsventile, ▪ Spülanschlüsse und Armaturen, ▪ Bypass-Armaturen, ▪ Probenahmearmaturen, und von Einbauten innerhalb von Apparaten, Behältern, Tanks, wie z.B. ▪ Kolonnenböden und Zubehör, ▪ Demister, ▪ Filter, ▪ Wehre, ▪ Füllrohre, Standrohre, Abtauchungen, ▪ Roste, ▪ Schwimmersonden, ▪ Thermoschutzrohre, per Inaugenscheinnahme und Nachmessungen.  Überwachung der Maschinenmontage visuell und messtechnisch,  Anlagenbegehungen zum Prüfen auf Vollständigkeit und As-built-Gerechtheit. Grundlage für die Kontrollen sind die entsprechenden Unterlagen der Anlagendokumentation einschließlich das 3D-Anlagenmodell sowie die Qualitätssicherungspläne der bauüberwachenden bzw. inbetriebnehmenden Fachabteilungen. Ferner sollte der Ausführende unbedingt seinen Sachverstand und seine Berufserfahrungen einbringen, d.h. nicht nur formal SOLL (Planungsdokument) und IST (Montagezustand) vergleichen. Neben Ausführungsmängeln erkennt ein erfahrener Inbetriebnehmer oftmals noch weitere, meistens kleinere inbetriebnahmespezifische Verbesserungsmöglichkeiten, die der Planer übersehen hat bzw. bei der gedanklichen Vorausschau nicht erkennen konnte. Derartige Hinweise oder Forderungen des Inbetriebnehmers sollten außerhalb der normalen Kontrollroutine im Projektteam besprochen und gegebenenfalls über den Änderungsdienst realisiert werden. Montagekontrollen dienen vorrangig der Qualitätssicherung und -erhöhung bei der Auftragsabwicklung. Häufig wird nur von Qualitätssicherung, die eine Vermeidung von Fehlern zum Ziel hat, gesprochen. Dies ist unbestritten der Schwerpunkt, scheint aber zu eng betrachtet. Beispielsweise können wertvolle Hinweise während bzw. im Ergebnis von Montagekontrollen, die  aus einer guten Lösung eine bessere machen (z.B. durch Beachtung von Wissen eines bisher nicht verfügbaren Experten),  zum Risikoabbau führen (z.B. durch Berücksichtigung neuester wissenschaftlichtechnischer Erkenntnisse),

396

5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

 Versäumnisse bei der inbetriebnahmegerechten Planung beheben, durchaus eine Qualitätssteigerung bewirken. Die Aufwendungen für derartige Maßnahmen müssen nicht immer hoch sein und außerdem kosten notwendige technische Änderungen, die bereits während der Montage und nicht erst bei der Inbetriebnahme erkannt und realisiert werden, wesentlich weniger. Erfahrungsgemäß werden nicht selten bei der Vor-Ort-Kontrolle auf der Baustelle Abstriche gemacht, die sich dann während der Inbetriebnahme „rächen“ und erhebliche Mehrkosten bewirken. Ferner existieren in der Praxis nicht selten noch erhebliche Reserven bei der inhaltlichen Vorbereitung und Durchführung der Montagekontrollen. Zu diesem Zweck im Folgenden einige Erfahrungen:  Der Kontrolleur muss klare Vorgaben zum Gegenstand und Zeitpunkt (bezogen auf den Abwicklungsverlauf) der Kontrolle machen. Dies sollte möglichst in Form von Meilensteinen bei der Projektplanung und/oder durch Qualitätssicherungspläne zur Beschaffung und Montage erfolgen.  Die Montagekontrollen sollten auf Basis vorbereiteter, inhaltlich gestraffter und selektierter Unterlagen erfolgen. Darin sind Angaben zur Vorgehensweise und zu den fachlichen Überprüfungsschwerpunkten zu machen. Ausführungsdokumente und vorherige Kontrollprotokolle können beigelegt werden. Einige orientierende Hinweise für zwei Fachgewerke einer verfahrenstechnischen Anlage enthält Tabelle 5.6. Bei der Erarbeitung der Kontrollunterlagen sollte das „kollektive Wissen“ erfahrener Fachleute einfließen. Die Nutzung moderner wissensbasierter Beratungssoftware zeigt dafür neue, effiziente Möglichkeiten auf. Der Auszug einer derart erstellten Checkliste ist in Tabelle 5.7 dargestellt. Tabelle 5.6 Schwerpunkte für Montagekontrollen von ROHRLEITUNGEN und APPARATEN durch Inbetriebnahmeingenieure (Praxisbeispiel) 1 Rohrleitungen  Technologisch richtige Verlegung mit allen Armaturen und MSR-Ausrüstungen  Einsatz von Rohrleitungsteilen gemäß Rohrklasse,  Einsatz von Armaturen gemäß Armaturenklasse,  Einsatz von Flanschdichtungen gemäß Dichtungsklasse,  richtige Verlegung von Gefälle-Rohrleitungen  totraumarme Ausführung der Rohrleitungen (Spools)  planungs- und sachgerechte Ausführung der Rohrleitungshalterungen  planungs- und sachgerechte Ausführung der Körperschallentkopplung  Kennzeichnung der Rohrleitungen,  Einbaurichtung und Kennzeichnung der Armaturen  Einbau von Steckscheiben  Bedienbarkeit von Handrädern  Vorhandensein von Druckmessstutzen, Schutzhülsen von Temperaturmessungen, Probenahme- und Analysenstutzen  richtige Anordnung von Probenahmestellen (Doppelabsperrung, Bedienbarkeit)  Ein- und Auslaufstrecken von Messblenden und Turboquanten (Länge, nahtloses Stahlrohr)  Passstücke für Regelventile und Durchflussmessungen

5.1 Qualitätssicherung inkl. Montagekontrollen

397

Tab. 5.6 (Fortsetzung) 2 Apparate (auszugsweise) a) Allgemeines: Innere Sauberkeit, Transmitter, Schaugläser, Anschlussstutzen b) Abscheidebehälter: Befestigung der Demister, freier Querschnitt der Demister, Dichtheit der Wehre, Wehrhöhe, waagerechte Anordnung der Wehre c) Kolonnen: Einbauzustand der Böden, Einlaufstutzen, Auslaufstutzen, Befestigung der Halterungen für die Füllkörperschüttung d) Adsorber: Befestigung des Kegelrostes am Austritt, Montage der Zwischenböden Tabelle 5.7 Checkliste für Kontrolle einer Kolonne vor Verschließen auf der Baustelle 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Befestigung der Böden und Strombrecher sowie deren waagerechter Einbau Schlitzbreite der Böden und Strombrecher Blasrichtung der Böden und Strombrecher Bodenzahl und -abstand Wehrhöhe sowie Parallelität der Wehre und Böden Einbau und Befestigung der Flüssigkeitsverteiler Möglichkeit der vollständigen Entleerbarkeit einschließlich Konstruktion der Restentleerungsstutzen Durchgesteckter Stutzen der Abgangsleitung im Sumpf Rost- und Schmutzfreiheit Funktionsfähigkeit der Halterungen für die Isolierung Isolierdicke Einbauten (Im Weiteren sind die einzelnen Maße der Einbauten genau aufgeführt.)

Die organisatorisch-administrative Abwicklung der Montagekontrollen ist im Projekthandbuch bzw. in einer Projektrichtlinie zu regeln. Dies betrifft Festlegungen über:  die Verantwortlichkeiten und Befugnisse bzgl. der Montagekontrollen beim Auftraggeber und Auftragnehmer,  die Prozedur über die Erfassung, Meldung, Nachbesserung, Abmeldung und Nachprüfung der festgestellten Mängel,  eine zweckmäßige rechnerseitige Verwaltung der Mängelpunkte,  die Vorgehensweise bei der Klärung strittiger Punkte (berechtigt oder nicht berechtigt, Mangel oder Änderungsnachtrag). Wie dies in der praktischen Arbeit zweckmäßig möglich ist, sollen die folgenden, erfolgreich praktizierten Vorschläge verdeutlichen. a) Auftraggeber und Auftragnehmer sollten gemeinsam eine Verfahrensanweisung/ Prozedur bezüglich der Arbeiten zur Montagekontrolle inkl. Mängelverwaltung vereinbaren, freigeben und nutzen. Beide Partner müssen ein Interesse an gründlichen Montagekontrollen haben. Der Auftraggeber will später mit „seiner“ Anlage erfolgreich produzieren. Der Auftragnehmer

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

möchte Mängel zeitig erkennen bzw. angezeigt bekommen, sodass er deren Beseitigung zeitnah zur Montage, verursachergerecht und für ihn kostengünstig organisieren kann. Generell sollte der Auftragnehmer eine intensive Qualitätskontrolle seitens des Auftraggebers begrüßen. Wenn sie abgestimmt sowie sachorientiert erfolgt und die Ergebnisumsetzung effektiv organisiert ist, kann sie ihm wesentlich helfen. Bekanntlich „verfolgen“ ihn die Qualitätsmängel auch noch in der Gewährleistungsphase. b) Es gelten die Grundsätze: „Kontrolle erfordert Zeit!“ und „Jeder Kontrolleur ist willkommen!“ Im Vorbeigehen sind die anspruchsvollen Sachverhalte nicht zu erfassen, zu analysieren und zu bewerten. Oftmals muss man sich zunächst in die Vor-Ort-Situation hineindenken, mitunter auch nochmals nachschlagen bzw. rückfragen. Andererseits macht es Spaß und lässt sich gut in die Baustellenarbeit einordnen. In die Kontrollen sollten möglichst viele und unterschiedlich Beteiligte einbezogen werden. Jeder hat andere Erfahrungen und sieht die Vor-Ort-Situation aus einem anderen Blickwinkel. Gute Erfahrungen wurden auch mit unabhängigen, freiberuflichen QS-Inspektoren gemacht. In die Montagekontrollen sind der Inbetriebnahmeleiter und sein Team umfangreich einzubeziehen. Sie stehen persönlich in der Zielverantwortung und sehen deshalb meistens genauer und kompromissloser hin. Gleichzeitig sind diese Arbeiten eine sehr gute „Schule“, was auch für das Betriebs- und Servicepersonal gilt. Beispiel 5.1 zeigt welch gravierende Mängel bei den Montagekontrollen festgestellt werden können. Beispiel 5.1 Festgestellte Mängel bei Montagekontrollen Bei intensiven Montagekontrollen einer zukünftigen Chemieanlage wurden u.a. die in Abb. 5.3 dargestellten Sachverhalte festgestellt.

 Abb. 5.3 links: Flansch aus falschem Werkstoff rechts: Foto mittels Endoskop in der Saugleitung einer Lösungsmittelpumpe aus austenitischen Stahl (1.4541) (Korrosionsschäden erkennbar)

Das linke Foto zeigt einen Flansch, an dem ein grüner Permanentmagnet durch Magnetkraft sehr kräftig festhält. Dies war verwunderlich, da der eingestempelte Werkstoff 1.4571 (V4 A) nicht bzw. nur sehr schwach magnetisch ist.

5.1 Qualitätssicherung inkl. Montagekontrollen

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Die nähere Überprüfung ergab, dass der Flansch aus einem anderen Werkstoff war. Die Stempelung sowie die zugehörige Werkstoff-Prüfbescheinigung [2] waren falsch. Der Flansch aus dem falschen Werkstoff hätte während der Inbetriebnahme zu einem Werkstoffversagen führen können. Das rechte Bild zeigt die innere Oberfläche in der Saugleitung einer Lösungsmittelpumpe, welches mit einem Endoskop gemacht wurde. Der Werkstoff ist 1.4541 (V 2A). Man erkennt die Roststellen, die sich durch den Eintrag von Eisen-Ionen im Beisein einer wässrigen Phase gebildet haben. Die Passivschicht ist zerstört und eine elektrochemische Kontaktkorrosion hat stattgefunden. Der austenitische Stahl ist nicht mehr gegen Lösungsmittel korrosionsbeständig. Es wäre während der Inbetriebnahme zu erheblichen Korrosionsschäden gekommen. In Vorbereitung der Inbetriebnahme wurden die betroffenen Lösungsmittelleitungen nochmals gebeizt und anschließend neu passiviert. Während der Kreis der Kontrolleure auf beiden Seiten nicht eingeschränkt werden sollte, dürfen die rechtskräftigen Mangelmeldungen und Mängelabmeldungen nur über die fachlich zuständigen Fachingenieure ausgetauscht werden; bei kleineren Projekten über die Bau-, Montage- bzw. Projektleiter. c) Auftraggeber und Auftragnehmer sollten für die Mängelverwaltung gemeinsam eine Datenbank-Software verwenden. Zuständig für die Erstellung und Pflege der Datenbank (gemäß vorheriger Abstimmung) sollte der Auftraggeber sein. Er hat ein besonderes Interesse an den Montagekontrollen, da er nur so seinen Erfüllungsanspruch gemäß Werkvertrag wahrnehmen kann. Der Auftragnehmer kann die Datenbank nutzen aber nicht ändern. Mit Hilfe der gemeinsamen Datenbank können sehr schnell Restpunktlisten, Fortschrittskurven zur Mängelbeseitigung u.a. Managementinformationen erarbeitet werden. d) Für jeden Mangel sollte eine extra Meldung erstellt werden (s. Formular in Abb. 5.4). Das elektronische Meldungsformular in Abb. 5.3 ermöglicht eine eindeutige Erfassung und Verwaltung jedes einzelnen Mangels. Zugleich kann es auch zur Abmeldung und Erfüllungskontrolle des Mangels genutzt werden. Was erst einmal im System ist, geht bekanntlich nicht verloren! In die Meldung können Digitalfotos bzw. eingescannte Informationen zum Mangel, eingefügt werden. Ferner können sowohl Mängel an der Anlage (auch bei Herstellerkontrollen) als auch Mängel an der Dokumentation erfasst werden. Jeder Mangel/Restpunkt wird in eine der drei Kategorien A: Mangel behindert Mechanische Fertigstellung, B: Mangel behindert Anzeige der Betriebsbereitschaft, C: Mangel behindert werkvertragliche Abnahme nach § 640 BGB eingestuft. Damit wird die Dringlichkeit seiner Beseitigung ausgedrückt (s. auch Abschn. 5.8.2). Sicherheitsrelevante Mängel bzw. GMP-relevante Mängel (in Pharmaprojekten) werden in extra Feldern vermerkt und sind i.Allg. „Knock-Out-Kriterien“ für das Erreichen der Mechanischen Fertigstellung (s. Abb. 5.4). In das Kennzeichen der Mangelmeldung kann z.B. das Namenskürzel der Person integriert werde, die den Mangel gefunden hat.

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme



 Abb. 5.4 Formular für Mangelmeldung

5.1 Qualitätssicherung inkl. Montagekontrollen

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Mit dem Status der Mangelmeldung kann u.a. gekennzeichnet werden, ob der Mangel „gemeldet“ – „abgemeldet“ – „nachgeprüft“ – „behoben“ ist. Auf Seiten des Auftraggebers wird die Mangelmeldung vom Ersteller (z.B. Anlagenfahrer) und vom Freigebenden (z.B. zuständige Lead-Ingenieur) unterschrieben. Nach den Datenfeldinhalten im Formblatt, die in einem Software-Tool abgelegt sind, kann leicht recherchiert und die Mängel sortiert werden. Fehleranalysen sind möglich. Sammellisten bzw. Punchpunktlisten (Punch-Lists), wie sie noch häufig als alternative Methodik bezogen auf ein R&I-Fließschema erstellt werden, haben viele dieser Vorzüge nicht und sind wesentlich schwieriger zu verwalten und zu überprüfen. e) Die Qualitätskontrolle der Anlagendokumentation sollte in die Montagekontrolle einbezogen und nach gleicher Prozedur durchgeführt werden. Die Kontrolle der Anlage und der Dokumentation ist als Einheit zu sehen. Der Kontrolleur hat den Auftrag, zusammen mit der Anlage auch die zugehörige Dokumentation bzgl. vereinbarter Qualitätsmerkmale zu prüfen. Er kann dafür prinzipiell das gleiche Formular wie in Abb. 5.4, aber im Sonderfall auch ein spezielles Meldeformular für Dokumentationsmängel nutzen. f) Die Qualitätskontrolle wichtiger Hauptausrüstungen sollte separat und ausführlich protokolliert werden. In besonderen Fällen, z.B. bei der Montagekontrolle wichtiger und komplizierter Anlagenkomponenten im Beisein des Herstellers, sollten die Vorgehensweise und die Ergebnisse (nicht nur die Mängel) ausführlich protokolliert werden. Dies kann bei der Analyse späterer Störungen oder bei der Klärung von Gewährleistungsansprüchen nützlich sein. Tabelle 5.8 enthält ein Protokollbeispiel für die Inspektion (sog. SAT – Site Acceptance Test) einer Kolonne. Tabelle 5.8 Auszug aus einem Kontrollprotokoll zu einer Kolonne (Praxisbeispiel) Protokoll - Nr.: zur Kontrolle der Kolonne: ............. 1 Allgemeine Angaben: 1.1 Die Kontrolle erfolgte entsprechend QS-Plan-Nr. ....... Checklisten-Nr. ........ sowie nach Montage-Fertigmeldung durch Firma .............................. 1.2 Kontrollgrundlagen: Konstruktionszeichnung ........... Stücklisten …… 1.3 Kontrolleur/-zeitraum: …… 2 Kontrollergebnisse:  die Böden und der Kolonnensumpf waren mechanisch gesäubert  die Böden sind mit stärkeren Klammern (Blechstärke 4 mm) befestigt  die vorgegebene Höhe der Ablaufwerte an den Böden von 40 mm waren an allen Böden eingestellt  die Füllkörper des Demisters waren eingefüllt und die Füllkörperabdeckung ordnungsgemäß montiert  der Einlaufverteiler auf Boden Nr. .. ist vorschriftsgemäß montiert  die Mannlöcher waren vorschriftsmäßig mit Dichtungen versehen 3 Restpunkte/Festlegungen: Keine.  Die Kolonne kann zur Dichtheitsprobe verschlossen werden. 4 Unterschriften

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

Die Montagekontrollen, die auch die Nachkontrollen mit einschließen müssen, sind mit einem geringen zeitlichen Schlupf zur Realisierung durchzuführen. Dadurch wird u.a. erreicht, dass  Mängel, Änderungen usw. vom gleichen Montagepersonal ohne zusätzliche Vorbereitungsarbeiten (Einweisen, Gerüstbau) erfolgen können,  sich keine Fehler durch Arbeitsfortführung auf falscher Basis fortsetzen,  Folgemaßnahmen, z.B. Isolierarbeiten oder das Verfüllen erdverlegter Leitungen, zügig fortgeführt werden können. Die Montagekontrollen sollten nach Möglichkeit (soweit die Termin- und Kapazitätsplanung dies zulässt) zeitlich abgestimmt mit den Sicherheits-, Funktions- und Abnahmeprüfungen (s. Abschn. 5.5) stattfinden und für deren Vorbereitung genutzt werden.

5.2 Ausbildung und Unterweisung des Bedienungs- und Instandhaltungspersonals Die Erfahrungen zeigen, dass in den Anfrage- und Bestellvorgängen bei Neubauprojekten die erforderlichen Ausbildungsmaßnahmen oft keine ausreichende Beachtung finden. Nachbestellungen von Ausbildungsmaßnahmen führen dann in der Regel zu erhöhten Projektkosten [3]. Die Ziele und Maßnahmen der Ausbildung aller Personen, die an der Inbetriebnahme mitwirken, müssen im Anlagenvertrag präzise spezifiziert und vereinbart sein. Sie werden später in einem Ausbildungsprogramm als Bestandteil der Inbetriebnahmeanleitung untersetzt. Erfahrungsgemäß ist dies in vielen Projekten nicht ausreichend der Fall. Beispielsweise ist die allgemeine vertragliche Formulierung: „Der Auftraggeber stellt für die Inbetriebnahme ausreichendes und qualifiziertes Personal zur Verfügung.“, die der Autor in zwei großen Projekten vorgefunden hat, viel zu wenig. Gefordert ist bei der Abstimmung notwendiger Ausbildungsleistungen vor allem der zukünftige Betreiber. Er kommt früher oder später in die volle Verantwortung und kennt seine „Mannschaft“ am besten. Entsprechend sollten von ihm die Vorgaben zum Ausbildungsbedarf seines Personals erarbeitet werden. Zugleich kann der Betreiber die Ausbildung gezielt nutzen, um Know-how über das Verfahren und die Anlage zu erlangen. Bei nachträglichen Vereinbarungen über Ausbildungsleistungen sollte der Auftraggeber/Betreiber diese Aspekte beachten und durchsetzen, gegebenenfalls auch als Nachtrag (Claim) zum Vertrag. In Anlagenverträgen zum Pauschalpreis (egal ob General- oder Engineeringvertrag) wird mitunter bei den Ausbildungsmaßnahmen gespart. Gegebenenfalls sollte für die Ausbildungsleistungen ein extra Zahlungsmeilenstein vereinbart werden. Es sind auch Großprojekte, insbesondere im Ausland bekannt, in den parallel zum Anlagenvertrag ein separater Ausbildungsvertrag abgeschlossen wurde. Dadurch werden die Aufgaben und Tätigkeiten für die Ausbildung extra spezifiziert, vereinbart und vergütet. Die Erfahrungen sind positiv. Im Normalfall arbeitet der spätere Anlagenbetreiber bei der Vorbereitung und Durchführung der Inbetriebnahme intensiv mit. Situationen, in denen der Betreiber bis zur Endabnahme keinerlei personelle Mitwirkungspflichten hat (s. Beispiel 4.4 in Abschn. 4.4.3.1), sind ebenfalls bekannt, aber selten.

5.2 Ausbildung und Unterweisung des Bedienungs- und Instandhaltungspersonals

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Hinsichtlich der mitwirkenden Anzahl an Bedienungs- und Instandhaltungspersonal seitens des Auftraggebers gilt:  ab Beginn Inbetriebnahme von Nebenanlagen und Infrastruktur (s. Abschn. 5.4), ist Betriebspersonal in ausreichender Anzahl gemäß den anstehenden Aufgaben bereit zu stellen; möglichst vollständig wegen Training „on-the-job“,  ab Beginn Inbetriebnahme (nach Protokollierung Mechanische Fertigstellung) ist Betriebspersonal in voller Anzahl gemäß Vertrag bereit zu stellen. Hinsichtlich der verantwortlichen Leitung und des Gefahrenübergangs während der Inbetriebnahme sind im Wesentlichen 4 Varianten möglich, die in Abschn. 4.3.2.1, Buchst. b) im Detail beschrieben sind. Die beiden häufigsten Fälle sind: a) Der Generalunternehmer (GU) bzw. Generalplaner (GP) ist von Beginn bis zum Ende der Inbetriebnahme verantwortlich und stellt den Inbetriebnahmeleiter. Der Anlagenbetreiber und das Projektteam des Auftraggebers wirken gemäß Vertrag unterstützend mit. b) Der Anlagenbetreiber geht mit Beginn der Inbetriebnahme in die Verantwortung und stellt den Inbetriebnahmeleiter (z.B. in Person des Betriebsleiters bzw. Betriebsingenieurs). Der Auftragnehmer (GU bzw. GP) wirkt gemäß Vertrag mit. Die jeweilige Organisationsstruktur des gesamten Inbetriebnahmeteams ist für die beiden „klassischen“ und zwei weitere Fälle in Abschn. 4.4.3.1, Buchst. c) dargestellt. Die wichtigsten personellen Mitwirkungsleistungen/-pflichten des Betreibers und im weitesten Sinne des Auftraggebers während der Inbetriebnahmevorbereitung/-durchführung sollten, soweit sie vorhersehbar sind, vertraglich geregelt werden. Dies betrifft u.a.:  die geplante Anzahl an Personen sowie ihre Funktion und Qualifikation, die für Montagekontrollen, Reinigungsmaßnahmen, Sicherheits- und Funktionsprüfungen usw. (bis Mechanische Fertigstellung (MF)) verfügbar sind,  die geplante Anzahl an Personen sowie ihre Funktion und Qualifikation, die für Bedienung und Service während der Inbetriebnahme (nach MF) verfügbar sind,  die Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Befugnisse des Betreiber-/Servicepersonals,  Regelungen zur Einsatzplanung/Abforderung des Betreiber-/Servicepersonals,  Festlegungen zur Übernahme der Personalkosten,  personelle Mitwirkung bei der Bereitstellung von Rohstoffen, Hilfsstoffen und Energien sowie bei der Abführung der Ziel- und Nebenprodukte,  personelle Mitwirkung bei der Inbetriebnahme der Infrastruktur außerhalb und innerhalb der Anlagengrenze. Trotz der vorgenannten Hinweise und erfolgter vertraglicher Vereinbarungen bleiben während der Inbetriebnahme bezüglich der Personal-Einsatzplanung noch zahlreiche Unwägbarkeiten und ein großer operativer Abstimmungsbedarf. Die folgenden beiden Einsatzfälle sollen dies verdeutlichen. 1. Fall: Das Betreiberpersonal der neuen Anlage wurde für diese Anlage neu verpflichtet. Die Führungskräfte und Operator haben z.T. zuvor in anderen Funktionen und/oder Berufen gearbeitet. Eine derartige Situation ist oftmals im Ausland und bei Neuinvestitionen auf der „grünen Wiese“ (greenfield) anzutreffen.

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

Nachteilig ist, dass diese Personen nicht selten wenig Erfahrungen und mitunter auch nur geringes Fachwissen mitbringen. Die Vorkenntnisse der Einzelnen sind mitunter sehr unterschiedlich. Durch eine frühzeitige und umfangreiche Ausbildung müssen diese Defizite beseitigt sowie unter den Teammitgliedern das fachliche Niveau angeglichen werden. Vorteilhaft ist demgegenüber, dass das Personal ausschließlich für diese Aufgaben bereit steht und gut verfügbar ist. 2. Fall: Die neue Anlage wird vom vorhandenen Betriebspersonal übernommen; gegebenenfalls wird das bisherige Personal punktuell aufgestockt. Die Führungskräfte und Operator waren zuvor in vergleichbaren Funktionen und/oder Berufen tätig. Eine solche Konstellation ist bei Ersatzinvestitionen und bei Erweiterungs- bzw. Modernisierungsinvestitionen anzutreffen (brownfield). Das Betreiberpersonal bringt aus den früheren Tätigkeiten viel Wissen und Erfahrungen mit. Die Ausbildung kann auf dieser Basis aufbauen. Nachteilig ist, dass das Personal häufig noch in der bisherigen Produktion gebunden ist. Es muss „unter Schmerzen“ für die Ausbildung freigestellt werden. Sobald es aber am bisherigen Arbeitsplatz dringend benötigt wird, ist es wieder weg. In extremen Situationen muss die Schulung und Unterweisung auch in der Schicht durchgeführt werden. Der Autor konnte mit beiden Fällen Erfahrungen sammeln, wobei der erste Fall fachlich anspruchsvoller, aber wesentlich besser planbar war. Mitunter wird gefragt, ob die personellen Mitwirkungsleistungen des Betreibers dem Werkvertrags- oder dem Dienstvertragsrecht unterliegen. Aus Sicht des Verfassers sind die Mitwirkungsleistungen des Betreiber- und Servicepersonals werkvertraglicher Rechtsnatur. Einerseits sind sie im Anlagenvertrag geregelt und zum anderen bleiben die Personen während der Inbetriebnahme dem Betriebsleiter bzw. dem Leiter Technik unterstellt. Der verantwortliche Inbetriebnahmeleiter (des GU bzw. GP) agiert über den Betriebsleiter (s. Organigramme in Abschn. 4.4.3.1). Damit haftet z.B. der Betreiber für die vertragsgemäße (sichere, umfängliche, sachgerechte) Mitwirkung seines Personals gegenüber dem GU bzw. GP. In manchen Projekten wird die Personalmitwirkung auch als unentgeltliches Entleihen von Bedienungs- und Servicepersonal im Sinne des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) [4] diskutiert. Der Verfasser sieht dies kritisch. Unter anderem deshalb, da der Betreiber meistens keine Erlaubnis als Verleiher nach AÜG, § 1 hat. Auch wenn die vorgenannten Sachverhalte scheinbar kompliziert sind, stellen sie in der Praxis i.Allg. keine großen Probleme dar. Dies liegt daran, dass die effiziente personelle Mitwirkung des Betreibers im Interesse beider Partner liegt. Der Auftraggeber weiß, der er früher oder später die Anlage allein betreiben muss und der Auftragnehmer braucht das Personal genauso, um erfolgreich die Inbetriebnahme zu bewältigen sowie den Anlagenvertrag zu erfüllen. Letztlich muss der Auftragnehmer daran interessiert sein, dass nach erfolgter Anlagenübergabe, wenn er nicht mehr vor Ort ist, der Betreiber die Anlage erfolgreich nutzt. Nur so wird die Anlage für ihn zu einer wirksamen Reverenz. Wegen ihrer Spezifik werden im vorliegenden Buch die Einweisung und Unterweisung des Inbetriebnahmepersonals separat zur Ausbildung in Abschn. 5.2.3 betrachtet, obwohl sie strenggenommen mit dazu gehören.

5.2 Ausbildung und Unterweisung des Bedienungs- und Instandhaltungspersonals

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5.2.1 Systematik und Schwerpunkte der Ausbildung Trotz zunehmender Vervollkommnung der Technik bleibt der Mensch der entscheidende Faktor beim Betrieb verfahrenstechnischer Anlagen. Dies gilt insbesondere für die Inbetriebnahme mit ihren vielen Spezifika und Unwägbarkeiten. Hinsichtlich einer erfolgreichen Inbetriebnahme lässt sich feststellen: Die wichtigste Voraussetzung für einen schadensfreien Ablauf (der Inbetriebnahme) ist jedoch gut ausgebildetes und erfahrenes Personal, nicht zuletzt auch deshalb, weil frühzeitiges Erkennen möglicher kritischer Situationen und deren Vermeidung der beste Weg zur Schadensverhütung ist.

Betont wird dabei insbesondere die Fähigkeit des geschulten Inbetriebnehmers zum komplexen Verstehen sowie zum vorausschauenden Denken und Handeln. Gleichzeitig ist bekannt, dass der Mensch ein schwaches Glied in einer Sicherheitskette darstellt. Dies gilt auch für den Betrieb inkl. der Inbetriebnahme verfahrenstechnischer Anlagen. Die katastrophalen Unfälle von Bhopal (Indien) und Tschernobyl (Ukraine), aber auch Vorkommnisse am Standort BRD, haben die Schwachstelle Mensch nachdrücklich aufgezeigt. Auch wenn die Anlagen immer sicherer geplant und gebaut werden, so bleibt es letztlich doch dem Menschen überlassen, diese moderne Technik sachkundig zu bedienen und instand zu halten. Die Anforderungen werden sich verschieben, da die Technik verstärkt Prozessführungsaufgaben dem Menschen abnimmt, aber nicht geringer werden. Moderne, hochentwickelte Anlagen erfordern auch hochqualifiziertes und zunehmend spezialisiertes Personal. Solches Personal anlagenspezifisch auszubilden, ist Aufgabe einer systematischen Inbetriebnahmevorbereitung. Die einzelnen Ausbildungsmaßnahmen sind vom Auftragnehmer zu planen und in einem Ausbildungsprogramm, z.B. als Bestandteil der Inbetriebnahmeanleitung zusammenzufassen (s. Abschn. 3.5.2.2). Der Begriff Ausbildung soll die umfassende, anforderungsgerechte Vorbereitung der betreffenden Personen charakterisieren. Zur Ausbildung werden verschiedene Möglichkeiten der Wissensvermittlung und -aneignung genutzt, wie  Vorträge, Seminare einschließlich theoretischer Übungen, Selbststudium ohne bzw. mit Konsultationen, Unterweisungen und  praktische Übungen am Simulator und Mitwirkung bei Arbeiten in der Anlage. Der erste Komplex an Ausbildungsmaßnahmen soll als Schulung und der zweite als Training bezeichnet werden. Die Schulung dient vorrangig der Vermittlung theoretischer Grundlagen und Zusammenhänge, während durch das Training ein anforderungsgerechtes Handeln gesichert wird. Eine gute Inbetriebnahmeausbildung muss beide Komplexe berücksichtigen, wobei die konkreten Inhalte doch sehr von den Arbeitsaufgaben, Vorkenntnissen und Erfahrungen der jeweiligen Personen abhängen. Bei der Planung und praktischen Durchführung ist es häufig zweckmäßig, den betroffenen Personenkreis in die folgenden 4 Gruppen zu unterteilen. 1. Gruppe: 2. Gruppe: 3. Gruppe: 4. Gruppe:

Inbetriebnahmepersonal und technisches Fachpersonal des Auftragnehmers Führungs- und Leitpersonal des Auftraggebers inkl. Betreibers Bedienungspersonal des Betreibers Instandhaltungs-, Labor- u.a. Servicepersonal für den Betreiber

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

Bei Investitionen im Bestand (bei laufenden Betrieb) ist es mitunter schwierig, das Operatorpersonal der 3. Gruppe gemeinsam freizustellen und auszubilden. Zum Teil werden die in der Wechselschicht tätigen Operator während des Schichtbetriebs, parallel zu ihrer betrieblichen Tätigkeit, ausgebildet. Die Ausbildung muss alle Personen, die an der Inbetriebnahme beteiligt sind, einschließen. Dies gilt auch für die Führungskräfte des Betriebs. Tendenzen zur Selbstüberschätzung bzw. persönliche Eitelkeit sind fehl am Platze. Eine erfolgreich absolvierte Ausbildung, u.U. auch mit einem Zertifikat belegt, gibt Sicherheit im Auftreten und Handeln während der Inbetriebnahme. Der Inbetriebnahmeleiter darf hinsichtlich einer umfassenden Ausbildung, unabhängig von der betreffenden Person, keine Kompromisse zulassen. Bei wichtigen Personen im Team sollten auch die persönlichen Eigenschaften beobachtet werden. Wer z.B. „alles besser weiß, immer Recht haben will, alles selber machen will“, muss bezüglich seiner Eignung hinterfragt werden. Derartige Eigenschaften sind nur selten in der Ausbildungsphase zu ändern. Eine Zusammenstellung der Ausbildungsschwerpunkte, die für die Personengruppen unterschiedlich zu gewichten sind, enthält Tabelle 5.9. Ergänzende Hinweise zu Einweisung/Unterweisung sind in Abschn. 5.2.3 gemacht. Tabelle 5.9 Ausbildungsschwerpunkte für das Inbetriebnahmepersonal einer verfahrenstechnischen Anlage (Praxisbeispiel) 1 Zielstellung und Grundsätzliches  Ziel der Ausbildung  Überblick über die „Mannschaft“ (Struktur, Aufgaben, Verantwortung)  grundlegende Bedingungen und Voraussetzungen (Vertrag, Verfahren, Anlage)  Einordnung am Standort  Schnittstellen nach außen (an der Anlagengrenze)  Ergebnis-/Erfolgskontrolle 2 Überblick über die Grundlagen des Verfahrens  Entwurfsdaten (Design Basis)  Produktspezifikationen  Chemie des Verfahrens/angewandte Technologie  katalytische Prozessstufen und eingesetzte Katalysatoren  wichtige Grundoperationen  stoffliche und energetische Verschaltungen/Kopplungen  wesentliche und verfahrensspezifische Ausrüstungen  Automatisierungskonzept, wesentliche und verfahrensspezifische PLT-Aufgaben, Grundfunktionen des Leitsystems  Wechselwirkung mit anderen Anlagen 3 Fließschemata  Modell  Anlage  Warte  Übersicht an den Verfahrensfließschemata und Aufstellungsplan  detailliertes Schulung/Studium der R&I-Fließschemata inkl. zugehöriger Verfahrens- bzw. Anlagenbeschreibungen  Kontrolle der Rohrleitungsführung, Ausrüstungen, Armaturen, MSR-Feldtechnik am 3DAnlagenmodell und anschließend vor Ort  Übersicht am Prozessleitsystem (Technologische Bilder) in der Warte

5.2 Ausbildung und Unterweisung des Bedienungs- und Instandhaltungspersonals

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Tab. 5.9 (Fortsetzung) 4 Ausrüstungen, einschließlich Prozessleittechnik  technische Ausstattung der Anlage (Funktion, Konstruktion, Bedienung)  Prozessleittechnik und deren Einsatz  Betriebstechnik  Sicherheitstechnik  Prozessleitsystem  Prozess- und Laboranalysentechnik 5 Sicherheit, Gesundheits- und Umweltschutz (GSU)  Unternehmengrundsätze betreffs GSU  Gefährdungen für Mensch, Umwelt, Anlage  Ergebnisse der Risikobeurteilung (z.B. HAZOP-Studie)  Gefährdungsbeurteilungen  sicherheitstechnische Anforderungen an das Personal  umwelttechnische und genehmigungsrechtliche Anforderungen an das Personal  Betriebsanweisungen inkl. Inbetriebnahmeanweisungen 6 Arbeits- , Brand- und Explosionsschutz  Explosionsschutzdokument, Gefahren(Ex-)zonenpläne  Brandschutzplan, Feuerwehrplan  Alarm- und Gefahrenabwehrplan  Gefährdungen (verbleibende, sonstige) und Schutzmöglichkeiten  Arbeitsschutzmittel und Verhaltensmaßnahmen bei Unfällen, Erste-Hilfe  Maßnahmen der Brandbekämpfung  Verhalten bei Havarien und Katastrophen  Einweisungen/Unterweisungen/Belehrungen 7 Bedienoperationen  Schulmäßige Behandlung am Modell, an technologischen Bildern usw.  Schulungen und Training zur Nutzung der Leittechnik (in Warte)  Bedienhandlungen an Ausrüstungen, Geräten, Feldtechnik, Armaturen u.a. (im Außenbereich)  Praxis der Inbetriebnahme und Außerbetriebnahme  Praxis der Probeentnahme  Rundgänge im „Feld“ bzgl. Prozess- und Anlagenkontrolle  Nachvollziehen der Bedienoperationen entsprechend der Betriebsanweisungen  ggf. Training am Simulator 8 Pflege- und Instandhaltungsarbeiten  Kontrollrundgänge des Feldoperator und des Servicepersonals  Arbeiten des Bedienungspersonals, inkl. Wartung und Inspektion  Vertiefte Schulung und Training der EMR-, Maschinen- und Anlageninstandhaltungstechniker (Konstruktion der Komponenten und Bauteile, Maßnahmen der Inspektion und Wartung, Störungsdiagnostik, Durchführung der Instandsetzung, Gefahren und Verhaltensregeln u.v.a.)

Die Ausbildung erfolgt möglichst hierarchisch. Das heißt, sie beginnt mit dem Fachpersonal des für die Inbetriebnahme verantwortlichen Unternehmens. Ein Großteil wird u.U. aus Erfahrungen bzw. aus der Planungs- und Montagephase schon Vorkenntnisse besitzen und diese einbringen. Die Ausbildung des Inbetriebnahme-Leitpersonals kann z.T. schon in den Stammhäusern der jeweiligen Firmen erfolgen.

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

Im zweiten Schritt wird das Leitpersonal (Betriebsleiter, Ingenieure, Chemiker, Meister) des Betreibers ausgebildet. Mitunter wird dies auch teilweise in Referenzanlagen des Auftragnehmers durchgeführt. Wenn an der Inbetriebnahme beteiligt, werden die AG-Projektingenieure in die Ausbildung dieser 2. Gruppe einbezogen. Im dritten Schritt wird anschließend das Bedienungspersonal (Feld-/Wartenoperator der Tag-/Wechselschicht) ausgebildet. Die zuvor ausgebildeten Führungskräfte des Betreibers werden mit einbezogen. Sie kennen ihre Leute am besten und müssen später ohnehin allein mit ihnen auskommen. Parallel zum Betreiberpersonal wird das Servicepersonal für die Anlageninstandhaltung und die Prozess- und Laboranalysentechnik ausgebildet. Einige Maßnahmen können vom Operator- und Servicepersonal zusammen durchgeführt werden. 5.2.2 Durchführen der Ausbildung Die Ausbildung und Unterweisung sowie die Fortbildung und wiederkehrende Unterweisung muss situationsbezogen während der Montage, der Kalt-Inbetriebnahme und der Heiß-Inbetriebnahme erfolgen. Die meisten Inhalte sollten vor Beginn der Inbetriebnahme, d.h. während der Endmontage, vermittelt werden. Welche Methodik während der Ausbildung anzuwenden ist, beantwortet der folgende Spruch: Erzähle es mir, und ich vergesse. Zeige es mir, und ich erinnere mich. Lass es mich tun, und ich verstehe es. Konfuzius

Bei der konkreten Umsetzung sind folgende Hinweise zu beachten und die angeführten Ausbildungsformen möglich: a) Realisieren eines geeigneten Umfelds und Schaffen einer angenehmen und zielorientierten Atmosphäre  Die Schulungen zu den Grundlagen sollten in einer angenehmen Umgebung stattfinden. Je spezifischer und praktischer die Inhalte und Handlungen werden, desto ratsamer ist ein Schulungsort in Anlagennähe.  Die Atmosphäre muss offen, ehrlich und konstruktiv sein. Fragen und Widerspruch sind erwünscht (s. auch Tab. 5.11 in Abschn. 5.2.3). b) Auswahl eines geeigneten Ausbilders  Der Ausbilder sollte ein umfangreiches Wissen (fachlich, rhetorisch) sowie fundierte Erfahrungen (praktische, didaktische) besitzen. Er muss für diese Aufgabe freigestellt sein.  Ein Fachbauleiter als Ausbilder, der hauptamtlich die Baustelle betreuen muss, ist meistens keine gute Lösung. c) Vermitteln der Anforderungen an das Personal, der definierten Ausbildungsziele und -maßnahmen sowie Übergabe der Schulungsunterlagen  Jeder Person muss klar sein, welche Aufgaben sie während der Inbetriebnahme erfüllen soll und welche Anforderungen an sie daraus resultieren.  Ausgehend von den Anforderungen sind die Ziele der Ausbildung zu definieren und die geplanten Ausbildungsmaßnahmen (Schulung, Training) zu nennen.

5.2 Ausbildung und Unterweisung des Bedienungs- und Instandhaltungspersonals

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 Die Schulungsunterlagen sind zu übergeben sowie deren Inhalt und Nutzung sind zu erläutern.  Den Teilnehmern ist mitzuteilen, wie die Erfolgskontrolle am Ende der Ausbildung vorgesehen ist. d) Theoretische Schulungen durch Vorträge, Seminare, Videos u.a. Kommunikationsund Präsentationsmöglichkeiten  Diese Form ist notwendig, aber „nur“ Theorie. Sie sollte durch andere aktive und interaktive Methoden, wie z.B. Selbststudium von Unterlagen (Inbetriebnahmedokumentation) oder Fallbeispiele (Workshop) ergänzt werden.  Schwerpunkt der Schulungen sollten die wesentlichen technologischen Grundlagen und Kopplungen im Verfahren sein. Auf sensible Teilprozesse und empfindliche Anlagenkomponenten muss vertieft eingegangen werden. Beispielsweise war es bei katalytischen Verfahren stets zweckmäßig, gezielt auf die Beeinflussung der Aktivität und Lebensdauer des Katalysators einzugehen. Die vereinfachende, bildhafte Darstellung als sog. „Herz der Anlage“ hat dabei die Aufmerksamkeit und Gewissenhaftigkeit des Anlagenpersonals erhöht. Ähnliches gilt für andere Spezialprodukte und -ausrüstungen.  Die neuralgischen Punkte des Verfahrens und der Anlage müssen allen bekannt sein, auch wenn nicht jeder die Einzelheiten versteht.  Nachdem das Grundwissen zum Normalbetrieb (Nennzustand) vermittelt wurde, sollten die Hauptschritte zur Vorbereitung und Durchführung der Inbetriebnahme gelehrt werden. Die Leitlinien der Inbetriebnahmeanleitung sind dafür gut geeignet.  Die wichtigsten denkbaren Abweichungen vom technologischen Normalregime sind mit ihren komplexen Auswirkungen darzustellen. Dabei ist möglichst eine Brücke zur Erfahrungswelt der Auszubildenden zu schlagen. Wissen wird bekanntlich erst dann zur Überzeugung und somit zu einer eigenen Motivation, wenn der Einzelne es nachempfinden kann und akzeptiert.  Zu den vorgenannten Abweichungen sind die entsprechenden Gegenmaßnahmen einschließlich der Bedienhandlungen zu erläutern.  Anschauungsmaterialien, wie sie z.B. für die Fallbeispiele ▪ Durchgehen einer chemischen Umsetzung im Reaktionsgefäß, ▪ Entweichen brennbarer Gase, ▪ Erstarren von Wachs in einer Rohrleitung, ▪ Staubexplosion, ▪ Unterrostung von isolierten Leitungen für gefährliche Flüssigkeiten bei der Berufsgenossenschaft vorliegen, können sehr hilfreich sein. Ähnliches gilt für veröffentlichte Schadensanalysen. e) Schulung und Training am Simulator  In der Verkehrstechnik werden Flug-, Schiffs- und Fahrzeugsimulationen seit längerem erfolgreich bei der Ausbildung genutzt. Im Anlagenbau wird, insbesondere in Kraftwerken, in Chemie- und Pharmaanlagen sowie in Raffinerieanlagen, die Simulatorausbildung für Schichtleiter und Operator genutzt.  Die Simulatoren basieren auf einem mathematischen Prozessmodell und beschreiben dessen dynamisches und stationäres Verhalten mehr oder weniger gut. Der Grad der Modell-Adäquatheit bestimmt zugleich die Wirklichkeitsnähe des Simulators und damit der ganzen Ausbildungsmaßnahme.

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

Man unterscheidet zwischen Schulungssimulatoren und Trainingssimulatoren.  Der Schulungssimulator (s. Abb. 5.5) soll den Auszubildenden grundlegende Kenntnisse zur Prozess- und Betriebsführung typischer verfahrenstechnischer Anlagen vermitteln.

Abb. 5.5 Veranschaulichung von Wirklichkeit (oben) und Training (unten) am Simulator

 Der Simulator basiert auf Standardmodellen für die üblichen Grundoperationen, d.h. bildet keinen konkreten Prozess/Anlage ab. Trotzdem ist er für die Grundausbildung von Bedienpersonal und Verfahrenstechnikern nützlich und wird in Ausbildungseinrichtungen auch im Zusammenhang mit Bedienübungen am Prozessleitsystem verstärkt genutzt.  Der Trainingssimulator (s. Abb. 5.6) soll den Prozess in der konkreten Anlage wirklichkeitsnah nachbilden. Am Trainingssimulator wird die Bedienung und Führung des Prozesses, wie sie sich später bei der Inbetriebnahme darstellt, durch den Operator geübt. Während des Dauerbetriebs ist er Teil der Workstation.

 Abb. 5.6 Einbindung des Trainingssimulators in des Prozessleitsystem (PLS bzw. PCS)

5.2 Ausbildung und Unterweisung des Bedienungs- und Instandhaltungspersonals

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 Trainingssimulatoren erfordern hohe Aufwendungen für die Entwicklung. Sie werden vorrangig bei komplizierten Anlagen genutzt.  Dort, wo zur Inbetriebnahmevorbereitung wirklichkeitsnahe Trainingssimulatoren genutzt werden, ergeben sich folgende Vorzüge: ▪ die Inbetriebnahmekosten (Zeitverkürzung, Material-/Energieeinsparung) sinken, ▪ die Markteinführung mit verkaufsfähigen Endprodukten wird beschleunigt, ▪ die Bediensicherheit im bestimmungsgemäßen und gestörten Betrieb nimmt zu.  Neben seiner Wirklichkeitsnähe (Bedienoberfläche, Echtzeitverhalten) hat der Trainingssimulator eine Reihe von Möglichkeiten/Funktionen, die während des späteren Anlagenbetriebs nicht gegeben sind. Die in Tabelle 5.10 angeführten Sonderfunktionen machen den ganzen Einsatzspielraum deutlich. Im Einzelfall ist zu prüfen, auf welche Funktionen verzichtet werden kann. Tabelle 5.10 Ausgewählte Sonderfunktionen von Prozessführungssimulatoren Start/Stopp:

Simulator wird angehalten und der aktuelle Zustand eingefroren; Fortsetzung erfolgt von diesem Zustand aus

Zeitraffer:

Simulator arbeitet deutlich schneller als der wirkliche Prozess (Echtzeit) und ermöglicht Vorausschau und Zeiteinsparung

Zeitlupe:

Vorgänge werden gegenüber Echtzeit verlangsamt (Analyse schneller Vorgänge/Störungen möglich)

Repetierendes Simulator führt zyklisch Simulationsrechnungen über ein in der Regel festes Zeitintervall durch (u.a. zur Vorausberechnung bei Operatorberatung) Rechnen: Reststart:

Simulator wiederholt die Simulation eines Vorganges

TeilmodellSimulation:

Simulator behandelt Teilprozesse separat; an Schnittstellen können Szenarien als Randbedingungen vorgegeben werden

Schnappschuss:

Simulator speichert momentanen Zustand temporär ab, ohne die laufende Simulation anzuhalten

Archivierung: Simulator speichert auf Massenspeicher ab. Neben den Werten der Prozessgrößen sind alle Parameter für die vollständige Reproduktion des Anlagenzustandes abzuspeichern. Step-back:

Simulator ruft Zustand aus Vergangenheit auf (u.a. um Bedienfehler rückgängig zu machen)

Replay:

Simulator wiederholt einen auf einem Massespeicher abgelegten zeitlich begrenzten Vorgang (ohne Eingriffsmöglichkeit)

StartwertGenerierung:

Simulator bietet mehrere Möglichkeiten zur Vorgabe (Eingabe, Berechnen, Einsetzen) von Startwerten

Störszenarien: Den Simulator können vom Ausbilder die verschiedensten Störszenarien vorgegeben werden. Diese können Verriegelungen, Ausfälle von Ausrüstungen und Bauteilen, Änderungen bei Einsatzstoffen und Betriebsmitteln u.v.a. betreffen. Die Störung kann als diskreter Wert bzw. als Zeitfunktion aufgegeben werden. Sie kann manuell, automatisch oder zufallsgeneriert ausgelöst werden. Optimierung:

Simulator ermittelt in Ergänzung zu den Verläufen der zukünftigen Prozessgrößen gleichzeitig die im Sinne eines Gütekriteriums optimalen Steuergrößen (Schaltzeitpunkte, konstante oder rampenförmige Sollwerte).

412

5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

 Trotz der erheblichen Kosten wird sich der Trend zur dynamischen Prozesssimulation, insbesondere für große und komplizierte Anlagen, fortsetzen. Gründe dafür sind: ▪ Die Prozesssimulation dient zugleich der Verfahrensentwicklung (dynamische Anlagenauslegung, sichere Maßstabsübertragung) und der wirtschaftlichen Prozessführung im Dauerbetrieb. ▪ Der Simulator kann für die Funktionsprüfung des Prozessleitsystems beim Lieferant bzw. Programmierer (sog. FAT – Factory Acceptance Test) sowie für die Loopchecks genutzt werden (s. Abschn. 5.5.2.3). ▪ Die Prozessmodelle werden zunehmend in Verbindung mit Betriebsführungssystemen bzw. kaufmännischen Systemen (sog. Enterprise Ressource Planning(ERP)Software) genutzt. ▪ Die Systemprogramme zur Modellierung verfahrenstechnischer Anlagen werden immer leistungsfähiger. Gleichzeitig wird die Hardware (einschließlich der Leittechnik) ebenfalls leistungsfähiger und preiswerter. ▪ Der verstärkte Einsatz von komplexen Anfahr- und Prozesssteuerungen, beispielsweise in Mehrproduktanlagen mit Batchprozessen, setzt während der Planung eine umfassende Analyse und Beschreibung der Prozessfunktionen sowie eine gewisse Prozesssimulation voraus. f) Praktische Ausbildung in ähnlichen Anlagen  Diese Maßnahme ist wertvoll, da ▪ die fertige Anlage kennen gelernt wird, ▪ die Anlage während des Betriebes beobachtet wird, ▪ Erfahrungen anderer Betreiber und von Servicepersonal vermittelt werden.  Zu beachten ist, dass die Referenzanlagen meistens im Dauerbetrieb angetroffen werden, sie fahren sozusagen „Strich“. Die praktische Wissensvermittlung für die Inbetriebnahme ist dadurch erheblich eingeschränkt.  Eigene Erfahrungen, bei denen Wartungs-, Labor- und Bedienungskräfte der zukünftigen Betreiber über mehrere Monate in anderen Anlagen dieses Typs gearbeitet und sich qualifiziert haben, waren gut, aber sicher auch teuer. g) Praktische Ausbildung in Verbindung mit der Montagekontrolle und Inbetriebnahmevorbereitung während der Montage  In Vorbereitung der praktischen Arbeiten sind ausführliche, aktenkundige Belehrungen und Unterweisungen zur Baustellenordnung u.a. sicherheitlichen Vorschriften nötig (s. Abschn. 5.2.3).  Die Einbeziehung des Inbetriebnahmepersonals in die Tätigkeiten, wie z.B. ▪ Montagekontrollen, Identifizieren von Restpunkten, ▪ Mitwirken an Reinigungsmaßnahmen, Dichtheitsprüfungen, ▪ Mitwirken an Sicherheits- und Funktionsprüfungen, Testläufen u.ä., ▪ Unterstützung bei der Sicherheitskennzeichnung und der Beschilderung der Anlage, sind konsequent zu nutzen.  Bei diesen Inbetriebnahme vorbereitenden Arbeiten sollten möglichst alle einbezogen werden, auch das Leitpersonal des Betriebs.  In diesem Zusammenhang kann es sich als ungünstig erweisen, wenn die neue Mannschaft aus anderen Anlagen des Betreibers kommt und erst spät freigestellt bzw. bei dortigen operativen Problemen „kurzzeitig zurück“ muss.

5.2 Ausbildung und Unterweisung des Bedienungs- und Instandhaltungspersonals

413

h) Erfolgskontrolle durchgeführter Ausbildungsmaßnahmen  Es wird dringend empfohlen. eine Erfolgskontrolle durchzuführen. Sie sollte in unmittelbaren Anschluss an die Schulung eines Themenkomplexes bzw. an ein spezielles Training (Übung, praktische Tätigkeit) erfolgen. Der Fragebogen in Abb. 5.7 kann als Orientierung dienen.

Abb. 5.7 Fragebogen für Erfolgskontrollen durchgeführter Ausbildungsmaßnahmen [3]

 Für die Erfüllungskontrolle am Ende der Ausbildung reicht dieser Fragebogen in Abb. 5.7 nicht. Zu diesem Zeitpunkt wird eine mündliche oder schriftliche Prüfung empfohlen.  Über die erfolgreich bestandene Abschlussprüfung sollte die/der Auszubildende ein Zertifikat erhalten.

414

5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

Damit wird ihr/ihm bestätigt, dass sie/er an der Ausbildung erfolgreich teilgenommen hat und unterstützt ein sachkundiges und selbstbewusstes Handeln während der Inbetriebnahme. Alle vorgenannten Ausbildungsmöglichkeiten haben ihre Berechtigung und sind entsprechend der konkreten Situation effizient zu nutzen. Die Wissensvermittlung sollte immer als Einheit von Theorie und Praxis erfolgen, d.h. die theoretischen Ausführungen sind zunächst an Hand des Modells und danach in der Anlage vor Ort bzw. in der Warte augenscheinlich zu überprüfen und im eigenen Tun anzuwenden. 5.2.3 Unterweisungen Die Unterweisung beinhaltet arbeitsplatz- und tätigkeitsbezogene mündliche Informationen von Beschäftigten über Gefährdungen, deren Unterrichtungen über Schutzmaßnahmen sowie Belehrungen über das richtige Verhalten. Sofern sich die Gefährdungen auf die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beziehen, wird von Sicherheitsunterweisung gesprochen. Den Zusammenhang verdeutlicht Abb. 5.8.

 Abb. 5.8 Übersicht zur Sicherheitsunterweisung

a) Rechtliche Vorschriften betreffs Unterweisung Die Durchführung von Unterweisungen der Beschäftigten wird in mehreren Rechtsvorschriften [5][6] gefordert. Beispielsweise steht im Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) [5] in § 12 (Unterweisung): (1) Der Arbeitsgeber hat die Beschäftigten über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit während ihrer Arbeitszeit ausreichend und angemessen zu unterweisen. Die Unterweisung umfasst Anweisungen und Erläuterungen, die eigens auf den Arbeitsplatz oder den Aufgabenbereich der Beschäftigten ausgerichtet sind. Die Unterweisung muss bei der Einstellung, bei Veränderungen im Aufgabenbereich, der Einführung neuer Arbeitsmittel oder einer neuen Technologie vor Aufnahme der Tätigkeit der Beschäftigten erfolgen. Die Unterweisung muss an die Gefährdungsentwicklung angepasst sein und erforderlichenfalls regelmäßig wiederholt werden.

Grundlage für die Unterweisungen sind insbesondere die zugeordneten Gefährdungsbeurteilungen sowie die Betriebsanweisungen inkl. der Inbetriebnahmeanweisungen.

5.2 Ausbildung und Unterweisung des Bedienungs- und Instandhaltungspersonals

415

b) Grundlagen und Unterlagen für die Unterweisungen Wesentliche Grundlagen für die Unterweisungen während der Inbetriebnahmevorbereitung (Baustelle) und der Inbetriebnahme (Betrieb) sind:  die relevanten Gesetze und Vorschriften, wie sie z.B. Vor-Ort in der Messwarte bzw. Betriebsbüro ausliegen oder beim Sicherheitskoordinator einzusehen sind,  die für den Arbeitsbereich und die entsprechenden Tätigkeiten geltenden Inhalte der Unfallverhütungsvorschriften (DGUV-Vorschriften) und DGUV-Regeln,  die Gefährdungsbeurteilungen und Betriebsanweisungen für die Tätigkeiten auf der Baustelle bzw. während der Inbetriebnahme,  die Inbetriebnahmeanweisungen, insbesondere für das An- und Abfahren der Anlage inkl. Package-units und Hauptkomponenten,  Unternehmensrichtlinien, betriebliche Regelungen, Verfahrensanweisungen, Formblätter u.a. Unterlagen der Baustelle bzw. des Betriebs zum Arbeits- und Gesundheitsschutz,  die Inhalte des Inbetriebnahmehandbuchs, inkl. aller Beilagen sowie der daraus abgeleiteten Kurzfassung für Fremdfirmen. c) Hinweise zum methodisch-didaktischen Vorgehen  Die Unterweisungen erfolgen in der Landessprache des Betreibers bzw. in Sonderfällen in englischer Sprache.  Der Unterweisende hat sich zu Beginn zu vergewissern, dass die zu unterweisenden Personen ausreichend sprachkundig sind, um die Inhalte der Unterweisung zu verstehen.  Das prinzipielle Vorgehen ist Tab. 5.11 zu entnehmen. Tabelle 5.11 Methodisch-didaktisches Vorgehen beim Unterweisen 1 Begrüßung (angenehme Atmosphäre schaffen) 2 Thema nennen und begründen (Bezug zur Arbeitstätigkeit und Verantwortlichkeit herstellen) 3 Gezielt und verständlich informieren (einfache, bildhafte Sprache, Praxisbeispiele) 4 Mitarbeiter aktivieren und Darlegungen mit dessen Erfahrung „spiegeln“ (diskutieren, Fragen stellen, erörtern, beantworten) 5 Mitarbeiter verpflichten und Verantwortungsgefühl stärken (ein bestimmtes, sicherheitsgerechtes Verhalten vereinbaren) 6 Unterweisender muss beim Unterwiesenen das Verständnis feststellen (Erfolgskontrolle durchführen) 7 Teilnahme nachvollziehbar schriftlich bestätigen lassen und Nachweis archivieren, (ggf. Teilnahmebescheinigung u.a. Dokumente übergeben und Plakette für Schutzhelm aushändigen; Unterweisungsnachweise ablegen und über einen definierten Zeitraum aufbewahren)

 Immer häufiger findet die Unterweisung, insbesondere bei wiederkehrenden Unterweisungen, interaktiv zwischen der zu unterweisenden Person und dem Computer mit spezieller betrieblicher Software statt. Der Rechner bzw. die Software ersetzt die Person des Unterweisenden. Am Ende der Sitzung muss der Unterwiesene zwecks Erfüllungskontrolle definierte Kontroll-

416

5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

fragen beantworten. Nur wenn er dies richtig tut, gilt die Unterweisung als erfolgreich durchgeführt.  Der Autor hält diese allein-softwarebasierte Methodik für die Unterweisungen vor bzw. während der Inbetriebnahme verfahrenstechnischer Anlagen für fachlich unzureichend und auch nicht ausreichend gerichtsfest. Sie wird der besonderen Gefährdungssituation bei der Inbetriebnahme, verbunden mit erheblichen Unwägbarkeiten und Risiken, nicht gerecht. d) Unterweisung vor Beginn der erstmaligen Beschäftigung (Einweisung bzw. Erstunterweisung) Die Einweisung bzw. Erstunterweisung aller Beschäftigten auf der Arbeitsstelle ist zu unterteilen in eine allgemeine Erstunterweisung (Teil A) und eine arbeitsplatzbezogene Erstunterweisung (Teil B), die folgendermaßen charakterisiert sind: Teil A: Allgemeine Gefahren, Sicherheitsorganisation, Vorkehrungen, Verhaltensanforderungen usw., die sich durch den Aufenthalt auf dem Werksgelände, der Baustelle bzw. Betriebsgelände ergeben. Teil B: Arbeitsplatzbezogene und spezielle Gefahren, Vorkehrungen, Verhaltensanforderungen usw., die sich aus den beabsichtigten Arbeiten auf der Baustelle bzw. während der Inbetriebnahme ergeben. Aus didaktischen Gründen sollten die Unterweisungen zu Teil A und B zeitlich gestaffelt und von verschiedenen Personen durchgeführt werden. Im Einzelnen ist gemäß den projektspezifischen Bedingungen am Standort und Aufstellungsort zu verfahren. Generell gilt der Grundsatz: Ohne Erstunterweisung keine Arbeitsaufnahme auf der Baustelle bzw. auf dem Betriebsplatz. e) Unterweisung während der Beschäftigung (wiederkehrende Unterweisung)  Der Arbeitsgeber hat alle Beschäftigten über Sicherheit und Gesundheitsschutz während ihrer Arbeitszeit ausreichend, angemessen und verständlich mit dem Ziel zu unterweisen, dass sie alle in ihren Arbeitsbereichen in Betracht kommenden Gefahren erkennen und den Gefahren in angemessener Weise begegnen können.  Die Unterweisung muss Anweisungen und Erläuterungen sowie andere relevante Unterlagen (s. Buchst. b)) umfassen, die eigens auf den Arbeitsplatz oder den Aufgabenbereich der Beschäftigten ausgerichtet sind.  Die Schnittstellen zu angrenzenden Fremdbereichen sind zu beachten. Auf Gefahren und abgeleitete Vorkehrungsmaßnahmen, die sich daraus ergeben, ist besonders hinzuweisen.  Wichtige Zeitpunkte/Meilensteine, an denen nochmals eine grundlegende Unterweisung aller betroffenen Beschäftigten gemäß der aktuellen und neuen Gefährdungssituation erfolgen muss, sind  der Beginn der Inbetriebnahme bzw. der Kalt-Inbetriebnahme sowie  der Beginn der Heiß-Inbetriebnahme bzw. des Probebetriebs. Ohne jeweilige situationsspezifische wiederkehrende Unterweisung keine Arbeitsaufnahme während der Kalt-Inbetriebnahmen und keine Arbeitsaufnahme während der Heiß-Inbetriebnahme.  Eine mögliche Regelung bezüglich der Zuständigkeiten für die Durchführung der Unterweisungen während der Inbetriebnahme ist in Tab. 5.12. Dabei wird entsprechend den

5.2 Ausbildung und Unterweisung des Bedienungs- und Instandhaltungspersonals

417

unterschiedlichen Gefährdungen zwischen der Kalt- und Heiß-Inbetriebnahme unterschieden. Tabelle 5.12 Regelung für Unterweisungen während der Inbetriebnahme (Praxisbeispiel) In Abhängigkeit vom Gefährdungspotential sind die Unterrichtung und Unterweisung während der Inbetriebnahme zeitlich gestaffelt wie folgt geregelt: a) Regelung für den Zeitraum bis zur protokollarischen „Anzeige der Betriebs-bereitschaft“ (bis Ende Kalt-Inbetriebnahme) 1. Die Einweisungsgespräche aller Personen auf dem Betriebsplatz sowie die Unterweisung des Auftraggeber-Personals werden vom Sicherheitsverantwortlichen des Auftraggebers veranlasst und durchgeführt. 2. Die Unterweisung des Auftragnehmer-Personals und des Aufsichtspersonals aller Drittunternehmen werden vom Inbetriebnahmeleiter veranlasst und durchgeführt. 3. Die Unterweisung des Personals von Drittunternehmen wird von den zuständigen Aufsichtspersonen der Drittunternehmen veranlasst und durchgeführt. b) Regelung für den Zeitraum nach der protokollarischen „Anzeige der Betriebs-bereitschaft“ (ab Beginn Heiß-Inbetriebnahme) 1. Die Unterrichtung während der Einweisungsgespräche aller Personen auf dem Betriebsplatz wird vom Sicherheitsverantwortlichen des Auftraggebers veranlasst und durchgeführt.

2. Die Unterweisung aller Personen erfolgt ab diesem Zeitpunkt durch den Inbetriebnahmeleiter.  Eine generelle Übertragung dieser Regelungen aus Tab. 5.12 ist nicht möglich. In jeden Fall muss entsprechend der projektspezifischen Gefährdungssituation u.a. Rahmenbedingungen speziell geprüft und hinsichtlich notwendiger Unterweisungen entschieden werden.  Welche Herausforderungen beim Unterweisen sowie bei der praktischen Anwendung und Erfüllungskontrolle des erworbenen Wissens zu bewältigen sind, verdeutlicht das folgende Beispiel 5.2. Beispiel 5.2 Tödlicher Unfall beim Befahren eines Behälters In einem Großbetrieb war einem erfahrenen Operator versehentlich ein Gegenstand in einen emaillierten Behälter gefallen. Um diesen zurück zu holen (vermutlich ohne Auf-sehen zu erregen), stieg er gegen alle Vorschriften und ohne Schutzvorkehrungen allein in den Behälter. Da dieser Behälter noch unter Stickstoff stand, verunglückte der Operator durch Ersticken tödlich. Die Person, die mehrere Berufsjahre im Betrieb tätig war, wurde vor und während ihrer Arbeit vorschriftsmäßig unterwiesen. Trotz der Unterweisung verstieß die verunglückte Person in eklatanter Weise gegen folgende Sicherheitsbestimmungen, die als Voraussetzung für das Befahren des Behälters vorgeschrieben waren:  Einholen einer Arbeitserlaubnis für das Befahren eines Behälters,  Nachweis einer ausreichend hohen Sauerstoffkonzentration im Behälter (sog. Freimessen),  Anwesenheit einer zweiten Person (sog. Sicherungsposten),  Anlegen eines Sicherungs- bzw. Rettungsgeschirrs beim Befahren.

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

Bei der Unfalluntersuchung wurde festgestellt, dass die im Behälter erstickte Person sich eine Gasmaske aufgesetzt hatte. Das heißt, sie war in dem Irrtum, sich mit einer Gasmaske gegen eine Stickstoff-Atmosphäre schützen zu können. Dieser Unfall zeigt die Unvollkommenheit menschlichen Handelns und fordert u.a. eine Antwort auf folgende Fragen: ▪ Warum hat ein geschulter Operator, trotz erfolgter Unterweisung und langjähriger Berufserfahrung, derart massiv gegen zahlreiche Sicherheitsbestimmungen verstoßen? ▪ Wie konnte ein erfahrener Operator annehmen, dass eine Gasmaske gegen eine Stickstoff-Atmosphäre schützt? ▪ Hätte der Unterweisende während der Unterweisung des Operators einen solchen Irrtum (Denkfehler) vermuten und verhindern können? Ferner verdeutlicht der Unfall, welchen Herausforderungen der Inbetriebnahme- bzw. Betriebsleiter gegenüber steht, um möglichst alle Gefährdungen während des Anlagenbetriebs zu erkennen und Restrisiken auszuschließen.

5.3 Grundreinigung der Anlage Nachdem im Abschnitt 2.3.6 detaillierte Ausführungen über  Vorgaben zur Reinheit im Lastenheft, Pflichtenheft, Anlagenvertrag und Bestellung,  Charakterisierung möglicher Verunreinigungen und der Reinheitsgrade,  Reinigungsverfahren für (Stahl-)Oberflächen,  Unterteilung des ganzheitlichen Reinigungsprozesses in 3 Reinigungsschritte,  Beachtung der Reinigungsschritte im Engineering gemacht wurden, geht es in diesem Abschnitt um die planmäßige und teils operative Durchführung der Grundreinigung (2. Reinigungsschritt) gegen Ende der Montagephase. Die (Grund-)Reinigung der Anlage umfasst sowohl das  Beräumen und Säubern aller Anlagenbereiche,  Reinigen der äußeren Oberflächen von Ausrüstungen, Rohrleitungen, Hoch- und Stahlbauten usw.  Entfernen unerwünschter Stoffe aus dem Innern der Anlagenkomponenten. Während für die erste und zweite Aufgabe überwiegend das Bau- und Montagepersonal zuständig ist, wird die dritte Aufgabe zweckmäßigerweise unter maßgeblicher Mitwirkung des Inbetriebnahmeteams einschließlich des Betreiberpersonals durchgeführt. Die Beräumung und Säuberung der Anlage (Frei- und Inhousebereiche) stellt, schon aus Arbeitsschutzgründen, eine Selbstverständlichkeit dar; obwohl manche Handwerker schneller abgezogen sind als man denkt. Probleme können sich dann ergeben, wenn beispielsweise  die Montage einzelner Teilanlagen zeitlich versetzt erfolgt, sodass die eine Teilanlage zur Reinigungsprozedur (im Innern) freigegeben ist, während in andern Bereichen noch montiert wird.  parallel zur Reinigungsprozedur noch Restmontagearbeiten an der gleichen Teilanlage (z.B. Isolierarbeiten) erfolgen. Das Reinigen der äußeren Oberflächen von Ausrüstungen wird problematisch, wenn  die zweckmäßige Abfolge der Bau-/Montagearbeiten nicht eingehalten wird (z.B. Mauerdurchbrüche oder Bohren an Stahlträgern im Umfeld von Edelstahl-Rohrleitungsmontagen).

5.3 Grundreinigung der Anlage

419

▪ eine strikte örtliche Trennung von Arbeiten mit C-Stahl (schwarz) und Edelstahl (weiß) bzw. verzinkten Stahl nicht gewährleistet ist (s. Abb. 5.9).

 Abb. 5.9 links: Zerstörte Verzinkung am Stahlträger durch Flex-Staub (von örtlicher Anpassung der Gitterroste) und Feuchtigkeit rechts: Korrodierter Edelstahl-Türrahmen durch Fe-haltigen Staub (Strahlen von Stahlträgern im Umfeld) und Feuchtigkeit

Hinsichtlich der Innen-Reinigung ist entsprechend der konkreten Situation über den möglichen Beginn der Reinigungsprozedur zu entscheiden. Bevor auf die Einzelschritte dazu eingegangen wird, sollen zuvor einige Aspekte im Verhältnis zwischen Engineering, Montage und Inbetriebnahmevorbereitung betrachtet werden. Zunächst gilt die bittere Erkenntnis: Grundsätzlich lassen sich im verfahrenstechnischen Anlagenbau, trotz gewissenhafter Erstreinigung (s. Abschn. 2.3.6, Buchst. c) diverse Verunreinigungen im Anlagensystem nicht gänzlich vermeiden. Selbst bei einem sehr strengen Sauberkeitsregime auf der Baustelle findet man in Rohrleitungen aus C-Stahl z.B. Rost und Zunder. Bei Edelstahl-Rohrleitungen kommt es während der Feldmontage vorgefertigter Spools zum Eintrag von Spänen, Schleifstaub u.ä. Weitere Verschmutzungsursachen kommen in der täglichen Praxis hinzu. Das heißt, eine Grundreinigung der montierten Anlage ist immer angeraten und im Projektablauf einzuplanen. Dies gilt insbesondere für die Planung der Reinigungsverfahren und deren technische Umsetzung im Engineering (s. Tab. 2.14 in Abschn. 2.3.6). Wer die Reinigungsmaßnahmen für die Grundreinigung nicht frühzeitig während des Engineering berücksichtigt, kann später in der Montagphase nur operativ und eingeschränkt reinigen. Dies gilt auch für die Feinreinigung (s. Abschn. 6.2.3). Die Grundreinigung der monierten Hauptausrüstungen und Rohrleitungssysteme findet bis zur Protokollierung Mechanische Fertigstellung statt. Verantwortlich ist der Baustellenleiter. Er kann diese Aufgabe an die zuständigen Fachbauleiter übertragen. Falls die technischen Voraussetzungen (Equipment, Medien, Entsorgung) und organisatorischen Bedingungen (Befugnisse, Personal) es ermöglichen und der Vertrag es vorsieht, kann im Sonderfall auch das Montageunternehmen die Grundreinigung der Rohrleitungssysteme verantwortlich durchführen.

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

In vielen Anlagenverträgen muss der Auftragnehmer nach erfolgter Montage die vertragsgerechte Ausführung nicht nur schriftlich bestätigen, sondern er muss dies auf zahlreichen Gebieten (inkl. Grundreinigung) auch nachvollziehbar dokumentieren, z.B. ▪ Revision der Ausführungsdokumente, ▪ Prüfbescheinigungen zu Werkstoffen, ▪ Nachweise von Schweißnahtprüfungen, ▪ Nachweise von Druckprüfungen der Druckgeräte-Rohrleitungen, ▪ Nachweise über die durchgeführte Grundreinigung, ▪ Nachweise zu Loop-checks und Drehrichtungsprüfungen, ▪ Protokolle über Dichtheits- und Funktionsprüfungen. Diese Nachweise sind eine wesentliche Voraussetzung für die rechtsverbindliche Abnahme der ausgeführten Montagearbeiten durch den Auftraggeber und die Zahlung der vereinbarten Vergütung an den Auftragnehmer (Anlagenbauer). Der Inbetriebnehmer muss sich im Vertrag zu diesen notwendigen Leistungsnachweisen der Montage sachkundig machen, um sie vorteilhaft bei der Inbetriebnahmevorbereitung zu integrieren und zu nutzen. Die zuvor angeführten Leistungen des Anlagenbauers sind i.Allg. jedoch nicht ausreichend, um sofort mit der Inbetriebnahme zu beginnen. Zwecks einer möglichst störungsfreien Inbetriebnahme sind wesentlich umfangreichere und komplexere Reinigungsarbeiten, Funktionsprüfungen usw. nötig. Diese Leistungen werden meistens unter fachlicher Anleitung und maßgeblicher Mitwirkung des Inbetriebnahmeteams, gemeinsam mit dem Montagepersonal durchgeführt. Die Gründe für diese Arbeitsübernahme sind:  Sie dient gleichzeitig zum Training des Inbetriebnahmepersonals.  Der Inbetriebnahmeleiter wird nach Mechanischer Fertigstellung die Anlage vom Baustellenleiter übernehmen. Er hat somit ein großes Interesse an einer fundierten Testung (soweit in dieser Phase möglich) der Ausrüstungen und Anlage. Damit ist ein Grundsatz des Qualitätsmanagements, indem der Nachfolger die Arbeit des Vorgängers kontrolliert, gewahrt.  Der Inbetriebnahmeleiter ist der Erfahrenere auf dem Gebiet der Inbetriebnahmevorbereitung und voll motiviert, denn er wird am Erfolg der Inbetriebnahme gemessen. Zwischen Baustellen- und Inbetriebnahmeleiter ist eine enge Abstimmung und Zusammenarbeit notwendig, um die geschilderte Übergangssituation erfolgreich zu meistern. Der erste steht in der Pflicht, die Montage vertragsgemäß zu beenden, der zweite möchte so viel wie möglich für die Inbetriebnahmevorbereitung tun. Dabei trägt in dieser Phase der Baustellenleiter bzw. Oberbauleiter die Verantwortung und hat den „Hut“ auf. Nach diesen mehr grundsätzlichen Überlegungen zum Verhältnis von Engineering, Montage und Inbetriebnahmevorbereitung, sollen im Weiteren konkrete Reinigungsmaßnahmen für das Innere einer verfahrenstechnischen Anlage betrachtet werden (s. auch Tab. 2.12 bis 2.14 in Abschn. 2.3.6). Bewährte Möglichkeiten für die Grundreinigung sind: a) b) c) d)

Mechanische Reinigung, Ausblasen mit Luft (im Sonderfall mit Stickstoff) und/oder mit Dampf, Ausspülen mit Wasser oder anderen Flüssigkeiten, Spezielle Reinigungsmaßnahmen.

5.3 Grundreinigung der Anlage

421

Ob und in welchem Umfang die einzelnen Maßnahmen angewandt werden, hängt von den konkreten Bedingungen ab. Im Normallfall sollten, solange nicht gewichtige technisch-technologische Gründe dagegen stehen, die angeführten ersten drei Maßnahmen a) bis c) immer durchgeführt werden, auch wenn sie im Einzelfall nur prophylaktisch erscheinen mögen. Sie lassen sich häufig mit ohnehin notwendigen Sicherheits- und Dichtheitsprüfungen verbinden. Zeitbestimmend sind die Reinigungsprozeduren meistens nicht, da sie vor allem die Rohrleitungen und Apparate betreffen und parallel zur EMSR-Endmontage möglich sind. 5.3.1 Mechanische Reinigung von Anlagenkomponenten Die mechanische Reinigung der inneren Oberfläche von Behältern, größeren Rohren u.a. zugänglichen Anlagenteilen nach der Vor- bzw. Endmontage ist selbstverständlich. Sie dient insbesondere der Entfernung loser Verunreinigungen (Späne, Rost, Staub, Strahlkies, Fasern u.ä.) sowie von oberflächlich anhaftenden Fetten oder Ölen (Passivierungspaste, Konservierungsmittel). Die mechanische Reinigung der Hauptausrüstungen erfolgt manuell durch Fegen, Aussaugen und Auswischen (trocken und/oder feucht). Kritisch sind eisenhaltige Verunreinigungen an der Oberfläche austenitischer Stähle, die als sog. Rostpunkte oder rötlich schimmernde Stellen an der Oberfläche sichtbar sind. Derartige Verschmutzungen können z.B. durch eisenhaltigen Schleifstaub oder durch eisenhaltige Säge- bzw. Bohrspäne in die Hauptausrüstung (Behälter, Tanks, Maschinen) gelangt sein. In anderen Fällen wurde u.U. mit Wasser, das geringe Mengen an Fe-Ionen enthielt, gespült oder die Wasserdruckprüfung der Rohrleitungen ausgeführt. In einem Praxisfall wurden bei den Druckprüfungen teilweise mit Steckscheiben aus C-Stahl gearbeitet. Die Fe-Ionen bewirken, dass die Passivschicht aus Chromoxid örtlich zerstört wird und der austenitische Werkstoff an dieser Stelle korrodiert. Bei lokalen Ablagerungen ist ein Ausschleifen oder Beizen der korrodierten Stellen möglich, während bei flächigen Ablagerungen/Angriff vorrangig gebeizt wird. Verunreinigungen aus Ca-haltigen Kalk- und Zementstaub, die z.B. durch Baumaßnahmen während der Rohrleitungsmontage ins System gelangt sind, können analog wie Fe-Ionen die Passivschicht zerstören. Nach der mechanischen Reinigung sollte in den Hauptausrüstungen ein Reinheitsgrad 3 nach Tab. 2.7, Abschn. 2.3.6 erreicht sein. Dies entspricht dem Reinheitskriterium 4 in Tab. 2.8, Abschn. 2.3.6. Mitunter wird auch von einer „optisch sauberen Oberfläche“ gesprochen. Aufmerksamkeit ist bei Inspektionen auch der Sauberkeit von Kolonnenböden sowie anderen konstruktiv bedingten „Schmutzfängern“ zu widmen. Sie werden oftmals bewusst hydraulisch eng ausgelegt, um einen hohen Wirkungsgrad zu erreichen. Geringe Feststoffablagerungen können beim späteren Betrieb zu Strömungsengpässen führen und unter Umständen die Abstellung der Gesamtanlage notwendig machen. Bekanntlich reicht nur ein verschmutzter Kolonnenboden aus, um die Kolonne zum Fluten zu bringen. Der Inbetriebnahmeleiter sollte sich über die „hydraulischen Nadelöhre“ der Anlage mit der verfahrenstechnischen Abteilung beraten und diese gezielt auf funktionsgerechten Einbau und Sauberkeit prüfen. Die mechanische Vorreinigung kann insgesamt nur örtlich und punktuell erfolgen. Zur intensiveren Reinigung der kompletten Anlage sind weitere Maßnahmen nötig.

422

5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

5.3.2 Ausblasen der Anlage Das Ausblasen kann mit Luft, Dampf und in begründeten Fällen mit Stickstoff erfolgen und sollte insbesondere Staub, Flugrost, lose Schweißrückstände, Zunder u.ä. aus der Anlage entfernen. Der Autor hat mit dem Ausblasen (speziell: Ausbersten) von Rohrleitungssystemen mittels Luft oder Stickstoff in Anlagen der chemischen und petrochemischen Industrie, der Kunststoffindustrie sowie der Öl- und Gasindustrie sehr gute Erfahrungen gemacht. Wichtig war dabei, dass grundlegende Fragestellungen, wie      

Welches Ausblasemedium wird verwendet? Wie ist die prinzipielle Vorgehensweise/Prozedur beim Ausblasen? Welche Mengen sind erforderlich und wie werden diese bereitgestellt? Welche anlagenseitigen Arbeiten sind in Vorbereitung des Ausblasen erforderlich? Wie und wohin wird das Ausblasemedium abgeleitet? Ist eine Staubabscheidung und/oder eine Schalldämpfung notwendig und wie werden sie erforderlichenfalls realisiert?  Wie wird das montagebegleitende Ausblasen in die Montageplanung und den Montageablauf verantwortungsseitig, sicherheitlich und fachlich integriert? frühzeitig bedacht, engineert und in den Projektablauf einbezogen wurden. Für ein intensives Ausblasen sprach nicht selten auch der Umstand, dass Wasser (auch Deionat) im Prozess und in der Anlage nicht erwünscht war. In jedem Fall waren die Reinigungsmaßnahmen inkl. Ausblasen der Rohrleitungssysteme in der Inbetriebnahmeanleitung beschrieben, sodass technische Maßnahmen inkl. Provisorien rechtzeitig vorbereitet werden konnten. In der Dampf- und Kraftwerksindustrie ist das Ausblasen der Rohrleitungssysteme mit Dampf traditionell eine bewährte und wichtige Reinigungsmaßnahme [7][8]. Demgegenüber wird in Pharmaanlagen intensiv das Spülen mit gereinigtem Wasser (Aqua purificata) genutzt und häufig auf das Ausblasen verzichtet; obwohl die kleinen Rohrleitungs-Nennweiten ein effektives Ausblasen begünstigen und das Spülen von Edelstahl-Rohrleitungen auch risikobehaftet ist (s. Abschn. 5.3.3). Als Gründe, warum man in diesen Projekten die montierten Rohrleitungssysteme nicht oder seltener ausbläst, werden u.a. angeführt: ▪ Während der Inbetriebnahme und dem Dauerbetrieb wird häufig auch mit Wasser in der Anlage gearbeitet. ▪ Da überwiegend Anlagenkomponenten aus Edelstahl eingesetzt werden, ist deren Verschmutzungsgefahr geringer. ▪ Der Aufwand für die technischen Maßnahmen in Vorbereitung des Ausblasens (s. Tab. 5.13) ist zu hoch. ▪ Die Abführung des Ausblasemediums (z.B. Leitungen im Betriebsgebäude sowie Über-Dach-Sammelleitung mit Zyklon und Schalldämpfer) ist zu aufwendig. ▪ Häufig werden die „Pharma-Rohrleitungen“ nochmals gebeizt, sodass geringe Mengen eisenhaltiger Verunreinigungen auf diese Weise aus dem System entfernt werden. Zusammenfassend verdeutlichen die Ausführungen, dass C-Stahl-Rohrleitungen i.d.R. ausgeblasen werden, während Edelstahl-Rohrleitungen eher nicht ausgeblasen werden. Im konkreten Fall ist im Projekt möglichst frühzeitig zu entscheiden, ob und welche Rohrleitungssysteme ausgeblasen werden und welche nicht. Die Angaben in den Tabellen Tab. 2.11 und 2.12 des Abschnitts 2.3.6 können dabei hilfreich sein.

5.3 Grundreinigung der Anlage

423

Für das Ausblasen muss die Anlage bzw. Teile von ihr, nachdem die Freigabe für das Ausblaseprogramm vorliegt, zunächst vorbereitet werden (s. Tab. 5.13). Die angeführten Maßnahmen, z.B. unter Nutzung von Checklisten sowie spezifischen Steckscheibenplänen, sollen sicherstellen, dass sensible Anlagenteile nicht verschmutzen und nicht in ihrer Funktion beeinträchtigt werden. Tabelle 5.13 Vorschlag für technische Maßnahmen in Vorbereitung des Ausblasens 1

Ausbau der Regelventile und Einbau von Passstücken (z.T. werden nur Blockarmaturen geschlossen und über Umgang gefahren) (s. Abb. 5.10, links)

2

Ausbau von Messblenden, Turbinenzählern, Viertelkreisdüsen u.a. Strömungsmessern sowie Einbau von Passstücken

3

Ausbau von Berstscheiben im Niederdruckbereich u.a. empfindlicher Niederdruck-Bauteile

4

Ausbau sonstiger schmutzempfindlicher verfahrensspezifischer Teile (z.B. Filterkerzen für Produkt, Demister)

5

Abblinden der nicht benötigten Rohrleitungen an der Anlagengrenze

6

Absperren der Messleitungen zu den Transmittern, Prozessanalysatoren u.a. empfindlichen Geräten

7

Abblinden von Sicherheitsventilen

8

Abblinden bzw. Absperren und Umfahren empfindlicher Maschinen (z.B. Zahnradpumpen, Verdichter)

9

Abblinden bzw. Absperren und Umfahren empfindlicher Apparate (z.B. Kolonnen mit Schlitzböden, Mantelräume von Wärmeübertragern)

10 Abdecken empfindlicher Oberflächen (z.B. Innenböden von Emailbehältern) 11 Bereitstellen von Ausrüstungen zur Schalldämmung und/oder Staubabscheidung (bei Bedarf) (s. Abb. 2.15, links in Abschn. 2.3.6 sowie Abb. 5.11, rechts)

 Abb. 5.10 links: Austausch Regelventil gegen Passstück (Vorbereiten des Ausblasens) rechts: Schalldämpfer für das Ausblasen mit Dampf in einem Kraftwerk

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

In der Praxis wird mitunter (insbesondere bei Terminproblemen) gefragt, ob das Ausblasen und insbesondere all die technischen Vorbereitungsmaßnahmen notwendig sind. Die Zweifel verstärken sich, wenn bei den ersten Ausblaseschritten kein merklicher Staubanfall (Staubwolke) sichtbar wird. Sicherlich können die Erfahrungen des Einzelnen mit dem Ausblasen verschieden sein. In den meisten Fällen rentieren sich aber Einsparungen bei diesen Arbeiten nicht. Das Ausblasen ist eine wichtige vorbeugende Maßnahme zur Störungsverringerung bei der Inbetriebnahme. Vielleicht hat schon die nicht sichtbare Entfernung einer einzigen Schweißperle oder weniger Metallspäne die ganze Mühe gelohnt. Die beim Ausblasen auftretenden Staubemissionen sind meistens relativ gering. Ist mit größeren Staubmengen (z.B. nach dem Einfüllen von abriebhaltigen Schüttgütern) zu rechnen, so sind temporäre Schmutzfänger oder andere Staubabscheider einzubauen. Oftmals kritischer sind die erheblichen, wenn auch kurzzeitigen, Schallemissionen. In diesen Fällen kann die Staubabscheidung zweckmäßig mit der Schalldämpfung kombiniert werden. Bei Freianlagen kann häufig direkt aus der Anlage heraus ins Freie abgeblasen werden. Bei Inhouse-Anlagen wird zweckmäßig in eine Abblase-Sammelleitung, deren Austritt in geeigneter Weise über Dach geführt wird, abgeblasen. Das rechte Foto in Abb. 5.11 zeigt einen Apparat, der speziell zum Ausblasen großer Rohrleitungen einer Freianlage in einem Naturschutzgebiet genutzt wurde und zur Lärmminderung und Staubabscheidung diente. Er war mit mehreren Einbauten versehen, die als Strömungsdrossel und Abscheider dienten, sowie zusätzlich mit Wasser gefüllt. Das Ausblasen der Rohrleitungssysteme sollte möglichst montagebegleitend erfolgen, d.h. sobald mehrere Spools vor Ort montiert sind, sollte zeitnah (unter Beachtung der Baustellensituation) ausgeblasen werden. Dadurch wird vermieden, dass die Rohrleitungssysteme zu komplex werden, da sich Verzweigungen, Toträume u.ä. beim Ausblasen nur schwer bzw. nur mit hohem Aufwand reinigen lassen. Zum Ausblasen wird überwiegend saubere Luft (Druckluft oder Steuerluft) verwendet, wobei ein möglicher unerwünschtem Öl- bzw. Feuchtigkeitseintrag bei Druckluft (z.B. Direktschmierung des Verdichters) zu beachten ist. In Sonderfällen, wenn inerte Bedingungen gewünscht sind, kann unter Sicherheitsvorkehrungen mit Stickstoff ausgeblasen werden (Achtung: Erstickungsgefahr!). Um ausreichende Strömungskräfte zu erreichen, sind beim Ausblasen von Rohrleitungen Strömungsgeschwindigkeiten von über 50 m/s anzustreben; möglichst verbunden mit einem plötzlichen Druckabfall in der Rohrleitung. Bei Rohrleitungen mit geringem Durchmesser (Steuerluft-, Steueröl-, Impuls-, Probenahme- oder Begleitheizungsleitungen) sind die verfügbaren Luftmengen aus dem „Netz“ ausreichend. Bei Leitungen mit größeren Durchmessern ist das vorhandene Druck- bzw. Steuerluftnetz oftmals überfordert. Man hilft sich dann (am Beispiel einer Freianlage), indem  eine geeignete Ausrüstung über längere Zeit aufgepuffert und dann die Luft über das zu reinigende Rohrleitungssystem ins Freie ausgeblasen wird oder  ein u.U. in der Anlage vorhandenes Gebläse/Verdichter genutzt wird. Diese Möglichkeit setzt nicht nur die Maschine, sondern auch ihre Eignung für diesen Lastfall (Nebenfahrweise) voraus.

5.3 Grundreinigung der Anlage

425

Die Vorgehensweise bei der ersten Variante (Aufpuffern und Abblasen) ist folgende: 1) An Hand des R&I-Fließschemata werden geeignete Luftpuffer (Kolonnen, Behälter, Reaktoren) und mit ihnen in Verbindung stehende Rohrleitungssysteme ausgewählt. Eine größere verfahrenstechnische Anlage wird auf diese Weise montagebegleitend in 10 bis 20 auszublasende Teilsysteme zerlegt. Der zulässige Betriebsüberdruck der betroffenen Anlagenkomponenten ist selbstverständlich zu beachten. 2) Danach ist im Detail festzulegen, an welcher Stelle und wie das Teilsystem zu öffnen ist. Meistens werden Armaturen oder Passstücke ausgebaut bzw. Entleerungsarmaturen geöffnet. Ein Ausströmen der Luft kann über vorhandene Entspannungsleitungen oder über geöffnete Flanschverbindungen erfolgen. Im letzten Fall sollte zwischen die beiden Flansche eine Blindscheibe mit Distanzstück (Schweißdraht, Blechstreifen, Mutter) montiert werden, so dass von Seiten des Druckpuffers ein freier Austritt in die Atmosphäre vorhanden ist und kein Schmutz ins anschließende Rohrstück gelangt. Parallele Stränge von Ofenrohrsystemen, Luftkühlern u.Ä. sind nacheinander auszublasen. Um den Ausblaseeffekt zu kontrollieren, wird schräg vor die Ausblaseöffnung eine polierte Prallplatte/Metallblech (z.B. Alu-Spiegel) befestigt. Falls noch Schmutzpartikel ausgeblasen wurden, sieht man dies durch Einschläge am Metallblech. Das nachzuweisende Reinheitskriterium lautet beispielsweise bei normalen Leitungen: „Mit Luft ausgeblasen; Alu-Spiegel hat keine signifikanten Einschläge“. Dies entspricht dem Reinheitsgrad 2 gemäß Tabelle 2.7 in Abschn. 2.3.6). Gute Reinigungseffekte werden durch sog. Ausbersten erreicht. Dabei wird das zu reinigende Rohrleitungssystem mit einer Berstscheibe (2 bis 3 barü) nach außen verschlossen und anschließend aufgedrückt bis die Berstscheibe durchschlägt (s. Abb. 5.11, links).

 Abb. 5.11 links: Berstscheibe (neu und gebraucht) zum Ausblasen rechts: Beobachtung beim Ausblasen großer Rohrleitungen aus C-Stahl

Der starke Druckgradient beim Ansprechen der Berstscheibe entfernt auch „hartnäckige“ Verunreinigungen. Inwieweit PLT-Feldgeräte diesen Druckabfall vertragen, muss geprüft werden. Gegebenenfalls sind sie zuvor auszubauen.

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

Abb. 5.12 zeigt die Skizze aus einem Ausblaseprogramm für die in Abschn. 2.2, Beispiel 2.2 dargestellte Anlage. Derartige Skizzen werden vom Montage- und Inbetriebnahmeteam auf der Baustelle operativ erarbeitet. Im vorliegenden Fall wurde wegen schlechter Druckluftqualität mit Stickstoff ausgeblasen. Die Kolonne K101 und die Reaktoren B101 und B102 dienten als Puffer. Die Austrittsöffnungen ins Freie sind durch Pfeile markiert und die Blindscheiben nicht dargestellt. Dort, wo in der Leitung eine PLT-Positionsnummer steht, ist zuvor das Regelventil ausgebaut worden.

 Abb. 5.12 Skizze aus dem Ausblaseprogramm einer Anlage zur Reinigung eines wasserstoffreichen Raffineriegases

3) Abschließend erfolgt ein wechselseitiges Aufpuffern und Entspannen über einzelne bzw. mehrere Öffnungen (z.B. Berstscheiben) ins Freie. Der Reinigungseffekt wird mittels eines an der Ausblaseöffnung befestigten Metallspiegels kontrolliert. Ob wirklich von Flansch zu Flansch vorgegangen wird oder größere Rohrleitungslängen/-systeme zusammen ausgeblasen werden können, hängt insbesondere vom Verschmutzungsgrad ab. Andere Faktoren, wie Zeitdauer, Hilfsstoffverbrauch, Rohrleitungsgeometrie, sind ebenfalls zu beachten. Grundsätzlich gilt: Medien- und Infrastrukturleitungen sind aus der Anlage heraus zu reinigen! Bei Anwendung der beschriebenen Ausblastechnologie ist zu beachten, dass im Pufferapparat vorhandene Einbauten durch das plötzliche Entspannen nicht zerstört werden. Insbesondere bei Kolonnen können die Druckverluste über den Böden weit höher als die Nennwerte im Normalbetrieb sein. Dies kann überhöhte Kräfte auf die Böden und ihre Befestigung bewirken, die zu Verformungen bzw. Zerstörungen führen. In Abbildung 5.13 ist schematisch der Strömungsweg bei plötzlicher Entspannung über die Sumpfleitung dargestellt. Während die Siebböden gasdurchlässig sind, behindern Ventilböden stark die Abströmung.

5.3 Grundreinigung der Anlage

427



 Abb. 5.13 Gasströmung in Sieb- bzw. Ventilbodenkolonnen bei Sumpfentspannung

Die Ventile wirken ähnlich wie Rückschlagklappen. Das heißt, die Abströmung muss vorwiegend über die Schächte und den Ablauftrog erfolgen. Dies kann auch bei vergleichsweise langsamer Entspannung schon kritisch sein. Bei Ventilkolonnen ist somit eine Entspannung über Kopf besser. Unter Umständen sollte auf das Ausblasen der Sumpf- bzw. Umlaufverdampferrohre verzichtet werden. Vorsicht ist auch geboten, wenn sich in den Pufferapparaten schon bzw. noch Schüttgüter (z.B. Trockenmittel, Aktivkohle, Füllkörper) befinden. In diesen Fällen darf nicht nach oben entspannt werden, da die Gefahr besteht, dass die Schüttung expandiert bzw. die oberen Partikel sogar wirbeln. Dies kann zu erhöhtem Abrieb führen. Das Ausblasen mit Hilfe eines Verdichters ist ggf. in Anlagen mit Gaskreisläufen nutzbar. Meistens können damit allein aber nicht alle Leitungen ausgeblasen werden, sodass die Variante mittels Aufpufferung ergänzend nötig ist. Ist ausreichend reine Luft nicht verfügbar oder gibt es Bedenken wegen dem Luftsauerstoff, sollte die Verwendung von Stickstoff zum Ausblasen geprüft werden. Dabei sind insbesondere Sicherheitserwägungen nötig. Ein Verschieben des StickstoffAusblasens in die Kalt-Inbetriebnahme ist für einzelne Rohrleitungen eine Option. Bei verzweigten Rohrleitungssystemen ist dies problematisch. An Stelle von Luft wird zum Ausblasen des Rohrleitungssystems mitunter Dampf eingesetzt, z.B. bei der Reinigung von Wasser-, Dampf- und Kondensatsystemen. Der Reinigungseffekt ist wesentlich intensiver. Erfahrungsgemäß lösen sich hartnäckige Rückstände (z.B. Zunder) erst ab, wenn das Grundmaterial unter Temperatureinwirkung gedehnt und kontrahiert wird, und wenn gleichzeitig noch heißes Produkt strömt. Hervorragende Bedeutung hat das Ausblasen mit Dampf für die Reinigung von Dampf-Rohrleitungen in Dampf- und Kraftwerksanlagen. Einerseits sind die Reinheitsanforderungen hoch und andererseits steht genügend Fremd- oder Eigendampf zur Verfügung. Auf Grund der starken Strömungsimpulse, der hohen Temperaturen und mehrerer Reinigungsintervalle mit Zwischenabkühlung (Temperaturwechsel) können hohe Reinheitsgrade erreicht werden. Sofern Fremddampf, z.B. aus dem Werksnetz, verfügbar ist und das Sicherheitsregime auf der Baustelle es gestattet, kann bereits gegen Ende der Montage mit Dampf ausgeblasen werden. Muss der Dampf in der eigenen Anlage erzeugt werden, findet das Dampf-Ausblasen erst während der Inbetriebnahme statt.

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

Wichtige Schritte, die ausführlich in [7][8] beschrieben sind, beinhalten: 1. Wahl des Reinigungsverfahrens ▪ Es wird durch Ausblasen mit Fremddampf oder Eigendampf gereinigt. ▪ Die Reinigungswirkung beruht auf Strömungsimpuls des strömenden Dampfes und der Verdampfung von Fetten, Ölen u.a. organischen Stoffen. ▪ Der notwendige Strömungsimpuls in der auszublasenden Rohrleitung (gemessen in DampfMassenstrom [kg/s] x Dampf-Strömungsgeschwindigkeit [m/s]) sollte das 1,2fache bis 1.7fache (sog. K-Faktor) des Strömungsimpulses während des Betriebs (Nennzustand) sein. ▪ Das Ausblasen erfolgt in 3 bis 10 Intervallen von 10 – 20 min Dauer (je nach Verschmutzungsgrad und Einschläge in Prallplatte).

2. Planen des Ausblasesystems ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪

Erstellen des Ausblaseschemas (s. Abb. 5.14) Berechnung des erforderlichen Dampf-Massestroms in den auszublasenden Rohrleitungen Planen und Auslegen der Zuführleitung, inkl. der Drosselarmatur (Ventil) am Dampfeintritt, Auslegung und Festigkeitsberechnung inkl. Halterung der Ausblasmündung Festigkeitsberechnung der Zuführungsleitung und der Ausblaseleitung Kontrolle auf unzulässige Schallgeschwindigkeit im gesamten Ausblasesystem Überprüfung der Schallemission am Dampfaustritt ins Freie Auswahl und Halterung der Prallplatte/Metallspiegel

Abb. 5.14 Ausblaseschema mit Ausblaseprovisorien [7]

3. Realisieren des Ausblasesystems und Vorbereitung des Ausblasens ▪ ▪ ▪ ▪ ▪

Beschaffen und Montieren der Ausblaseprovisorien Kontrolle/Abnahme und Freigabe der Ausblaseprovisorien Erarbeiten des Ausblaseprogramms Erarbeiten von Gefährdungsbeurteilungen und u.U. Betriebsanweisungen für das Ausblasen Unterweisung der beteiligten Personen

5.3 Grundreinigung der Anlage

429

4. Durchführen des Ausblasens (Hauptleitungen und abzweigende Rohrstränge) gemäß Verfahrensbeschreibung unter Punkt 1. ▪ Realisieren von Absperrmaßnahmen in den Ausblasebereichen ▪ Einholen der Arbeitserlaubnis für die vorgesehenen Ausblasearbeiten ▪ Aufwärmen des auszublasenden Systems mit dem zulässigen Temperaturgradienten auf eine Temperatur, die ca. 100 Grd K unter der maximalen Dampftemperatur liegt ▪ intervallartiges Durchführen des Ausblasens gemäß Ausblaseprogramm ▪ Kontrolle der Einschläge an der Prallplatte (s. Zitat aus VGB-Standard [8]) ▪ Protokollierung des Ausblasevorgangs und der Ergebnisse

Für Dampf-Rohrleitungen in Dampf- und Kraftwerksanlagen ist das Ausblasen, inkl. die Ausführung und Brinell-Härte der Prallplatte, im VGB-Standard [8] im Detail vorgegeben. In Abschnitt 7.13.1 (Absolute Anzahl der Größe der Einschläge pro Flächeneinheit) steht dazu: Zur Beurteilung der Einschläge ist die gesamte angeströmte Prallplattenfläche zu bewerten und danach eine Referenzfläche, das heißt, eine zusammenhängende quadratische Fläche 40 x 40 mm, zur Bewertung des Ausblasevorgangs im Bereich der stärksten/häufigsten Einschläge zu wählen. Auf der Referenzfläche dürfen Einschläge die folgende Ausdehnung und Häufigkeit nicht überschreiten:  kein Einschlag > mm  weniger als 4 Einschläge > 0,5 mm  weniger als 10 Einschläge > 0,2 mm Diese Bewertung gilt nur für unlegierten Stahl, z.B. S235JR (St 37). Für andere Materialien sind gesonderte Vereinbarungen zu treffen.

Betreffs der Protokollierung steht im gleichen Abschnitt: Der positive Abschluss der Ausblasearbeiten ist durch ein Protokoll zu bestätigen und durch den Betreiber und die Hersteller der Dampferzeugeranlage, der Rohrleitungen und der Dampfturbine zu unterschreiben. Durch die Unterschrift erkennen die Parteien den ordnungsgemäßen Abschluss der Ausblasearbeiten und das positive Ausblaseergebnis an.

In anderen Industriezweigen ist das Ausblasen mit Dampf häufig weniger günstig, da:  Kondensat im System verbleibt, welches u.U. prozessbedingt vor der Inbetriebnahme wieder entfernt werden muss.  Das Rohrleitungssystem für die erhöhten Temperaturen ausgelegt sein muss. Abschließend noch eine Bemerkung zu einer speziellen Vorgehensweise beim Ausblasen einzelner Ausrüstungen. Zum Teil werden Behälter bei geöffnetem Mannloch mittels eines Druckluftschlauches (u.U. sogar durch Einstieg unter Staubmaske) ausgeblasen oder abgesaugt. Der Effekt ist jedoch fraglich. Zweckmäßiger erscheinen bei größeren Ausrüstungen eine sorgfältige mechanische Reinigung und ein gründliches Ausspülen. 5.3.3 Ausspülen der Anlage Das zuvor beschriebene Ausblasen der Anlage ist zweckmäßig, aber für eine sorgfältige Inbetriebnahmevorbereitung i.d.R. nicht ausreichend. Deshalb werden in einer zweiten Reinigungsprozedur die Anlagen bzw. Anlagenteile mit geeigneten Flüssigkeiten während eines Spülprogramms speziell gespült und intensiv gereinigt.

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

Die Reinigung durch Ausspülen erfolgt vorwiegend mit Wasser (Wasserspülprogramm), in einigen Fällen auch mit anderen geeigneten Flüssigkeiten. Vor Beginn der Spülmaßnahmen ist zu entscheiden, ob die vor dem Ausblasen realisierten Schutzmaßnahmen gemäß Tab. 5.13 (z.B. Ausbau schmutzempfindlicher Teile) wieder vollständig oder zumindest teilweise rückgängig gemacht werden können. Eine generelle Empfehlung kann dazu nicht gegeben werden. Hier bedarf es gemäß der konkreten Situation betreffs  Art und Anzahl der Bauteile, die sensibel sind und geschädigt werden können,  Schmutzanfall und Gründlichkeit bei den vorherigen Reinigungsmaßnahmen,  Grad der noch vermuteten Verschmutzung,  sonstiger Vorteile, die sich durch den Wiedereinbau ergeben einer Risikoabwägung. In den Anlagen, in denen der Autor vor Ort tätig war, wurden zumindest die PLTFeldgeräte (Sensoren und Aktoren) wieder eingebaut und deren Funktionstüchtigkeit hergestellt. Dies diente dem Ziel, die Spülmaßnahmen mit den Funktionsprüfungen zu verbinden. Nach Entscheidung und Realisierung der technischen Vorbereitungsmaßnahmen sollte die Spülprozedur wie folgt ablaufen: a) Erarbeitung der Spültechnologie Diese beinhaltet insbesondere:  Was soll gespült werden?  Welche Spülwege sollen realisiert werden?  Womit und unter welchen Bedingungen (Medium, Temperatur, Druck) soll gespült werden? Die Beantwortung der ersten Frage ist sehr stark von den spezifischen Bedingungen abhängig und gemeinsam mit dem vorhergehenden Ausblasen sowie den Funktionsprüfungen zu sehen. In den meisten Fällen werden die Apparate in Verbindung mit kleineren und größeren Pumpenkreisläufen gespült. Das Spülmedium Wasser löst relativ gut, ist nicht brennbar und nicht toxisch. Ferner ist es billig, gut zu entsorgen und liegt fast immer an. Nachteilig bei der Verwendung von Wasser ist, dass  Wasser z.T. mit Feststoffen (Sand) und Salzen (Chloride, Härtebildner) verunreinigt ist,  Wasser an Normalstahl Rost erzeugt und ein sehr guter Elektrolyt ist (elektrochemische Korrosion),  Wasser im Beisein von Fe-Ionen und/oder Ca-Ionen an nichtrostenden Stählen die Passivschicht (Schutzschicht) zerstört,  Wasser schon bei 0°C gefriert,  Wasser in verschiedenen Verfahren stört. Daraus ergeben sich Einschränkungen und notwendige Sonderlösungen. Eine solche Sonderlösung betrifft beispielsweise Raffinerieanlagen. In diesen wurde mit gutem Erfolg leichtes Heizöl als Spülmedium eingesetzt. In einigen Eigenschaften ist es vorteilhafter als Wasser, nur seine Brennbarkeit bringt (obwohl sein Zündverhalten relativ träge ist) gravierende Gefährdungen und Einschränkungen. Dies gilt insbesondere, wenn parallel zum Spülen noch Montagearbeiten stattfinden. Eine Raffinerie muss derartige Gefahrensituationen aber häufiger bewältigen.

5.3 Grundreinigung der Anlage

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b) Erarbeitung des detaillierten Spülprogrammes Dazu gehören:  Skizzen des zu spülenden Apparates, einschließlich Rohrleitungssystem,  Vorgabe der Bedingungen sowie der Vorgehensweise bei der Spülung,  Maßnahmen zur Entsorgung der verschmutzten Spülflüssigkeit,  Maßnahmen zur Nachbehandlung der gespülten Anlagenteile. c) Einbau von Spül- bzw. Anfahrsieben In verfahrenstechnischen Anlagen dienen verschiedenartigste Siebe zum Schutz schmutzempfindlicher Maschinen, Apparate, Messgeräte, hochwertiger Stellglieder u.a. Komponenten sowie zur selektiven Schmutzablagerung und -entfernung. Derartige Siebe können in spezielle Filterapparate, die sowohl beim Reinigen als auch im Dauerbetrieb der Anlage zum Einsatz kommen, eingebaut werden. Beispiele dafür sind Filter mit Schutzsieben vor Verdichtern und Dampfturbinen bzw. Einsteckfilter in Wärmeträgerölsystemen aus C-Stahl. Eine einfache Ausführung sind Rohrleitungsschutzsiebe in Verbindung mit Rohrleitungselementen (s. Abb. 5.15).

Abb. 5.15 Ausführungsformen typischer Anfahrsiebe (Strömung von rechts) 1: Kegelsieb 2: Hutsieb mit Passstück 3: Doppelkegelsieb mit Passstück

Beispielsweise Sonderrohrformstücke mit eingestecktem zylindrischen oder T-förmigen Siebeinsatz bzw. Hut- und Scheibensiebe mit Klemmring, der das Sieb zwischen zwei Flanschen hält (s. auch Abb. 2.15, rechts in Abschn. 2.3.6). Angeboten werden auch Siebe mit integriertem Permanentmagnet, sodass auch feinste ferritische Partikel zurückgehalten werden. Das Praxisbeispiel auf Abb. 5.16, rechts zeigt anschaulich, mit welchen Verunreinigungen u.a. zu rechnen ist. Ohne Reinigung wären Anlagenstörungen/Betriebsunterbrechungen wegen Verstopfung vorprogrammiert. Die Siebe werden an Stelle einer Steckscheibe zwischen die Vorschweißflansche (Variante 1) oder als komplettes Rohrleitungspassstück (Variante 2) montiert. Sie zeigen mit der Spitze entgegen der Strömungsrichtung und schützen insbesondere Pumpen, Gebläse, Verdichter, Regelventile vor Schmutz. Neben der Festigkeitsbemessung gegenüber dem maximalen Differenzdruck sollten sie einen geringen Druckverlust sowie eine möglichst große Schmutzaufnahmekapazität aufweisen.

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

 Abb. 5.16 links: Sieb mit vorgelagertem integrierten Permanentmagnet rechts: Durch Strahlkies (ca. 1 cm3) beschädigter Kolben einer Gasabsperrarmatur

Das in Abb. 5.15 dargestellte mehrfach kegelige Sieb (Variante 3) hat eine wirksame Filterfläche vom 3- bis 5fachen des Rohrleitungsquerschnittes, eine relativ geringe Einbaulänge sowie eine konzentrierte Schmutzabscheidung in der vorderen Spitze. Die Gefahr der Versetzung bzw. eines unzulässig hohen Druckverlustes ist verringert. Nach dem Spülen kann der Filter durch eine Ringscheibe ersetzt werden. Der Einbau von Filtersätzen kann auch in den Einlauf- und Rücklaufleitungen von Kolonnen (zum Schutz der Flüssigkeitsverteiler), in speziellen mantelseitigen Zuführungsleitungen zu Wärmeübertragern usw. nützlich sein. Welche Siebe/Filter, an welche Stellen und in welcher Art und Weise zweckmäßig zu montieren sind, sollte der Planer während des Detail-Engineering bedenken und vorgeben. Dabei sind insbesondere auch Wartungsgesichtspunkte (gute Zugänglichkeit, einfache Absperrbarkeit und Demontage) sowie eine leichte Austauschbarkeit bzw. Reinigungsmöglichkeit, zu beachten. d) Überprüfung der Spülstutzen auf Vorhandensein und funktionsgerechte Ausführung Die nachfolgend angeführten Maßnahmen betreffen sowohl die Ein- und Austrittsstutzen als auch die Stutzen/Ventile zur Restentleerung von Apparaten und Rohrleitungen. Rohrleitungen sollen an ihren Tiefpunkten Restentleerungsstutzen haben, da sich sonst sog. Wassersäcke bilden, die nur schwer auszutrocknen sind. Ferner ist es vorteilhaft, wenn die zu entwässernden Leitungen mit Gefälle verlegt werden. Umgekehrt müssen die Rohrleitungen möglichst an den Hochpunkten Entlüftungsstutzen/-ventile haben, sodass die Luft beim Befüllen gut entweichen kann. Wenn nicht, ist u.U. die Funktion der Pumpen und der Messtechnik gestört. Zu diesem Zeitpunkt wird sichtbar, ob in diesem Detail eine inbetriebnahmegerechte Planung erfolgt ist. e) Schrittweise Durchführung der Spülhandlungen sowie Kontrolle und Protokollierung der erreichten Reinheit Die praktische Vorgehensweise könnte folgendermaßen sein:  teilweises Füllen von Behälter/Kolonne mit Spülmedium, Verweilen und Ablassen,  Füllen des Behälters/Kolonnensumpfes mit Spülmedium; Einstellen des Spülkreislaufes; Inbetriebnahme der Pumpe und Spülen des Kreislaufs: Apparat  Rohrleitung  Pumpe  Rohrsystem  Apparat

5.3 Grundreinigung der Anlage

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 Auskreisen des verschmutzten Spülmediums,  Ausbau und Reinigung der Anfahrfilter; Feststellen der Verschmutzung der Siebe,  eventuelle Wiederholung der Spülhandlungen bis das nachzuweisende Reinheitskriterium erreicht ist. Das nachzuweisende Reinheitskriterium lautet beispielsweise im Normalfall: „Mit Wasser gespült; Siebe enthalten keine signifikanten Schmutzpartikel“. Dies entspricht dem Reinheitsgrad 3 gemäß Tabelle 2.7 in Abschn. 2.3.6). Das Spülen der Anlage sollte möglichst in Verbindung mit Funktionsprüfungen erfolgen (s. Abschn. 5.5.2). Sind Schäden an Anlagenkomponenten wegen der noch vermuteten Verschmutzung zu befürchten, so erfolgt zunächst ein erstmaliges Spülen unter Beachtung der vorbeugenden technischen Schutzmaßnahmen gemäß Tab. 5.13; eventuell gemeinsam mit der Druckprüfung der Rohrleitungssysteme (Presskreise). Anschließend wird das Spülmedium abgelassen, die Maßnahmen laut Tab. 5.13 rückgängig gemacht, neues Spülmedium eingespeist und gemeinsam mit den Funktionsprüfungen bzw. Probeläufen die Feinspülung der Anlage durchgeführt. Wie schmutzempfindlich bestimmte Anlagenkomponenten sind, zeigt das Beispiel in Abb. 5.16, rechts. Der dargestellte Kolben einer Sicherheits-Absperrarmatur in einer Gasleitung weist Riefen auf, die durch ca. 1 cm3 Strahlkies zwischen dem Schutzsieb und dem Kolben verursacht wurden. Der Kolben musste ausgewechselt werden, da keine Gasdichtheit mehr gegeben war. Die Gasleitung in der die Absperrarmatur eingebaut war, wurde vor Inbetriebnahme mehrfach „ausgeberstet“ (Armatur zuvor ausgebaut!). Danach wurden die Armatur und örtlich davor das Sieb eingebaut und die Leitung in Strömungsrichtung: Sieb → Armatur gespült. Während der Heiß-Inbetriebnahme zeigte sich der zuvor beschriebene Schaden. Das Sieb war nahezu sauber, aber hinter dem Sieb befand sich eine geringere Menge an Strahlkies. Vermutlich hatten sich die Kiespartikel vor dem Einbau des Siebs schon an dieser Stelle befunden. Nach örtlicher Entfernung der kleinen Menge an Verunreinigung und Austausch der Kolben kam es zu keiner Störung mehr. Abschließend noch ein Spezifika, das insbesondere auf Pharmaanlagen mit einem hohen Anteil an nicht-rostenden Stählen zutrifft. Problematisch kann das Reinigen von Rohrleitungen und Hauptausrüstungen aus nicht-rostenden, insbesondere austenitischen Stählen sein, wenn zuvor nicht ausgeblasen wurde. Befinden sich eisenhaltige Verunreinigungen (z.B. Späne, Schleif-/Flexstaub) im Rohrleitungssystem, so wird im Beisein einer wässrigen Phase die Passivschicht zerstört. Die wässrige Phase kann schon während der Montage in die Anlage gelangen, z.B. durch „Schwitzwasser“ aus der Atmosphäre. Sie kommt in jedem Fall bei Wasserdruckprüfungen oder beim Spülen mit gereinigtem Wasser (Aqua purificate) ins System. In unmittelbarer Nähe der Fe-Partikel greifen die sich bildenden Fe-Ionen die Chromoxid-Schutzschicht an. Man erkennt es optisch an rotbraunen Rostpunkten. Es kann auch sein, dass das gereinigte, vollentsalzte Wasser das Eisen auflöst und im Rohrleitungssystem verteilt. Dann gibt es keine punktuelle sondern u.U. eine flächige Korrosion. Im Normalfall wird bei einem solchen Befund (Rostpunkte und/oder rotbrauner Schimmer an Oberfläche) gebeizt (s. Abschn. 5.3.4 und 6.2.3). Ist die Innenfläche der Rohrleitungen oder des Edelstahl-Behälters aber elektropoliert [9], was in Pharmaanla-

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

gen aus Reinheits-/Reinigungsgesichtspunkten nicht selten der Fall ist, so geht das nicht. Die elektropolierte Oberfläche würde durch das Beizen zerstört. Eine analoge Situation kann sich bei Verunreinigungen durch Kalk- und/oder Zementpartikel/-staub ergeben. In diesem Fall können die Ca-Ionen in wässriger Phase unter bestimmten Bedingungen die Passivschicht zerstören. 5.3.4 Spezielle Reinigungsmaßnahmen Im Weiteren werden einige Sondermaßnahmen zur Reinigung von Oberflächen, insbesondere von Rohrleitungen kurz angeführt, die situationsbedingt genutzt werden. Dabei ist projektspezifisch zu entscheiden, ob die jeweilige Maßnahme während der Grundreinigung (vor Mechanischer Fertigstellung (MF)) oder während der Feinreinigung (nach MF) durchgeführt wird. a) Beizen und Passivieren Unter Beizen wird die Entfernung anorganischer Verunreinigungen von der metallischen Oberfläche mittels einer chemisch wirkenden Flüssigkeit verstanden. Mögliche Verunreinigungen bzw. Veränderungen an der metallischen Oberfläche, die durch Beizen entfernt werden, sind in Tabelle 5.14 aufgeführt. Tabelle 5.14 Verunreinigungen bzw. Veränderungen an Metalloberflächen [10]     

Zunderschichten durch Wärmebehandlung (z.B. Walzen) Metalloxide durch Schweißen, Schleifen, Flexen u.ä. (als Anlauf- /Anlassfarben sichtbar) Rückstände vom Schweißen (z.B. Spritzer) Metalloxide von Spänen, Schweißrauch, Schleifstaub usw. Rost von außen (z.B. Arbeiten an nichtrostenden Stahl im Umfeld oder Nutzung von Anlagenkomponenten aus nichtrostenden Stahl (z.B. Siebe, Steckscheiben) )  Abrieb beim Arbeiten mit Stahlwerkzeugen  Chromcarbid durch Wärmeeinfluss beim Drehen oder Bohren ohne Kühlschmiermittel)  Umformmartensit durch Gefügeveränderungen beim Kaltverformen

Das Beizen wird sowohl zur Reinigung unlegierter Stähle als auch für nichtrostende Edelstähle genutzt. Als Beizmedium kommen vorrangig verdünnte Säuren, wie z.B. Zitronensäure, Phosphorsäure, Flusssäure oder Schwefelsäure, zum Einsatz. Die Säuren reagieren mit den Metalloxiden zu Wasser und dem entsprechenden Metallsalz bzw. mit dem Metall zu Wasserstoff und Metallsalz. Die Intensität wird über die Säurekonzentration sowie die Dauer und Temperatur gesteuert und der Abtrag an Hand des Gewichtsverlustes [g/m2] einer Vergleichsprobe überwacht. Im Einzelnen sind die Bedingungen in der Beizvorschrift vorgegeben. Gründe für das chemische Reinigen (inkl. Beizen) von Anlagenkomponenten sind u.a.:  Das Entfernen komplexer, festhaftender Zunder- und Oxidschichten, die durch Korrosion von Metallen bei höheren Bearbeitungstemperaturen (Glühen, Walzen, Schmieden) sowie beim Schweißen ohne bzw. nicht ausreichende Schutzgasatmosphäre entstehen und beim späteren Betrieb schwere Schäden bewirken können. Oberflächlicher Rost wird selbstverständlich mit entfernt. Typische Einsatzfälle sind die Ölkreisläufe von Verdichtern und Turbinen, wo kleinste Schmutz- bzw. Feststoffpartikel die Lager, Getriebe, Steuerorgane zerstören.

5.3 Grundreinigung der Anlage

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Apparate, Rohrleitungen und Armaturen in den Wasser-Dampf-Systemen von Kraftwerken werden oftmals auch chemisch gesäubert (s. auch Tabelle 6.11 in Abschn. 6.3.2.5, Buchst. b)). Aus der eigenen Praxis ist ein Fall bekannt, wo mit Rost überzogene Kolonnenboden-Segmente (Schlitzboden) durch ca. 30-minütiges Tauchen in ein Beizbad sehr gründlich, kurz vor der Inbetriebnahme, gereinigt wurden.  Die Beseitigung von Oxidschichten, wenn diese unerwünschte Reaktionen auslösen bzw. begünstigen. Beispielsweise mussten Teile einer Anlage zur Butadiengewinnung aus einer C4-Fraktion gebeizt werden, da in diesem Fall das Eisenoxid eine unerwünschte Polymerisationsreaktion katalysierte.  Die Notwendigkeit einer chemisch und/oder bakteriologisch reinen Anlage, wie sie vorrangig in der pharmazeutischen und kosmetischen Industrie gefordert wird. Dabei dient die chemische Reinigung nicht nur zur Entfernung anorganischer Verunreinigungen sondern auch von Produktresten (z.B. beim Umstellen der Anlage auf ein anderes Produkt). Die Reinigungsprozedur enthält üblicherweise die Schritte: Vorspülen mit Wasser  basische Reinigung  Zwischenspülen mit Wasser  saure Reinigung  Nachspülen mit Wasser. Der Reinigungsaufwand ist erheblich. In Pharmaanlagen muss während der Reinigungsvalidierung durch wiederholtes Reinigen nachgewiesen werden, dass die Anlage in ausreichender Güte sowie reproduzierbar und nachvollziehbar zu reinigen ist (s. Abschn. 1.5.4.2, Buchst. f)). Das Beizen erfolgt in der Regel durch Fluten oder Spülen der betroffenen Anlagenkomponenten mit dem Reinigungsmedium. Dies kann im ausgebauten bzw. montierten Zustand geschehen. Im letzteren Fall sind während des Engineering die dafür notwendigen Stapelbehälter, Pumpen und Rohrleitungen, u.U. als mobile Ausrüstungen vorzusehen. Bei Maschinenrohrleitungen wird meistens im Tauchbad gebeizt. Dies kann bei vielen Rohrleitungen bereits nach der Vorfertigung stattfinden. Die sog. Passrohrleitungen sind nach der Montage nochmals auszubauen. Nach dem Beizen von unlegierten Stählen muss die Metalloberfläche umgehend intensiv gespült, getrocknet und konserviert (z.B. in Stickstoff-Atmosphäre) werden. Bei Ölkreisläufen wird das gebeizte und montierte System umgehend mit Öl gefüllt. Bei nichtrostenden Stählen ist die Situation anders. In diesen Fällen wird nach dem Beizen wieder gezielt eine Chromoxid-Schicht durch Oxidation mit Luftsauerstoff oder intensiver, durch Oxidation mit Salpetersäure (z.B. im Gemisch mit dem Beizmittel Flusssäure) erzeugt. Dieser Vorgang wird als Passivieren bezeichnet. b) Molchen Eine spezielle mechanische Reinigungsmöglichkeit von Rohrleitungen (z.B. Öl- und Gaspipelines) ist durch Anwendung der Molchtechnik gegeben. Dabei werden zylinderartige Formkörper (Molche), die z.T. noch Reinigungsbürsten und Inspektionsvorrichtungen für Navigation, Wanddickenmessung, Fotos usw. enthalten (s. Abb. 5.17, links), zusammen mit dem Spülmedium oder dem Produkt mit Geschwindigkeiten von ca. 0,2 bis 2 m/s durch die Rohrleitung gedrückt. Der Molch wird in einer sog. Molchschleuse in die Leitung eingesetzt und von hinten mit Druck beaufschlagt. Am Ende der Reinigungs- bzw. Inspektionsstrecke wird der Molch, zusammen mit den Verunreinigungen, wieder aus der Rohrleitung ausgeschleust.

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

 Abb. 5.17 links: Molch mit Reinigungs- und Diagnoseteil zum Reinigen und Untersuchen einer Erdgaspipeline rechts: Kugeln zur Reinigung von Rohren in Rohrbündelwärmeübertragern [11]

c) Verwendung von Reinigungskugeln [11] Zum Reinigen verschmutzte Kühlwasserrohre (z.B. durch Verwendung von Flusswasser in Kraftwerken) und anderer Rohre von Rohrbündelwärmeübertragern werden Gummibzw. Kunststoffkugeln genutzt (s. Abb. 5.17, rechts). Diese werden dem Kühlwasserstrom am Eintritt zugegeben, mit dem Kühlwasser durch die zu reinigenden Rohre gedrückt und am Austritt über Siebe wieder abgetrennt. Sie wirken ähnlich wie Molche. d) Wasserspülung mit zusätzlicher pulsierender Luftströmung [12] Bei diesen Verfahren wird in einem definierten Spülabschnitt, zusätzlich zu einer laminaren Wasserströmung, impulsweise ein Luftstrom eingeführt. In der Rohrleitung bilden sich pulsierende Luft- und Wasserblöcke, die mit Geschwindigkeiten von 10 bis 20 m/s den Spülanschnitt durchströmen und auf Grund der hohen Turbulenzen die Rohrleitungen reinigen. Die Spülluft wird z.B. über eine mobile Verdichtereinheit vor Ort bereitgestellt. Das Verfahren ist innovativ und wird u.a. zur erstmaligen und wiederkehrenden Reinigung von Wärmeübertragern, Kühlkreisläufen, Abwasserrohrleitungen und sonstigen Industrierohrleitungen genutzt. Die Schwingungsanregung der Rohrleitung bzw. Rohrleitungssysteme durch die LuftImpulse ist zu beachten.

5.4 Inbetriebnahme der Infrastruktur, Mediensysteme, Nebenanlagen Die meisten der nachfolgend betrachteten Anlagenteile müssen nach ihren Montageende während der Baustellenphase in Betrieb genommen werden, damit die Gesamtanlage zur Mechanischen Fertigstellung geführt werden kann. Sie werden für die notwendigen Qualitäts-, Sicherheits- und Funktionsprüfungen benötigt. In Einzelfällen werden Teilanlagen (z.B. Öfen, Wärmeträgeröl-Systeme) auch zu diesem frühen Zeitpunkt in Betrieb genommen, um bei der späteren Inbetriebnahme der Gesamtanlage Zeit und Kosten zu sparen. (s. Zehnerregel in Abb. 4.13, Abschn. 4.2.2).

5.4 Inbetriebnahme der Infrastruktur, Mediensysteme, Nebenanlagen

437

Grundsätzlich ist hinsichtlich der fachlichen Einordnung der Arbeiten, inkl. der sicherheitstechnischen Aspekte, zu bedenken: Für die betroffenen Anlagenteile-/-systeme, Nebenanlagen, Package-units u.ä. ist es zu diesem Zeitpunkt die eigentliche Heiß-Inbetriebnahme im Projekt. Das heißt beispielsweise: a) für den Leadingenieur Prozessleittechnik (PLT) (ohne Elektrotechnik) betrifft es u.a. die Heiß-Inbetriebnahme großer Teile der  Mess-, Steuer-, Regelungstechnik (MSR), insbesondere der Feldtechnik und der Signalübertragung zwischen Feld und Warte,  des Prozessleitsystems (PLS). b) für den Leadingenieur Elektrotechnik (ET) betrifft es u.a. die Heiß-Inbetriebnahme der elektrotechnischen Anlagenteile/Teilanlagen zur  Stromeinspeisung, Umspannstationen, Hochspannungsschaltanlagen,  Trafostationen, Mittelspannungsschaltanlagen,  Stromversorgung der elektrischen Verbraucher inkl. Prozessleittechnik und Nachrichtentechnik,  Notstromversorgung,  Kabelverlegung,  Beleuchtung,  elektrische Begleitheizung,  Blitzschutz und Erdung,  elektrischer Explosionsschutz. c) für den Leadingenieur Technische Gebäudeausrüstungen (TGA) ist es die Heiß-Inbetriebnahme eines Großteils der „klassischen“ TGA-Anlagen zur  energetischen Versorgung (z.B. Beheizung und Beleuchtung),  stofflichen Versorgung (z.B. Trinkwasser, Löschwasser, Luft),  Entsorgung der Abfallprodukte (z.B. Schmutzwasser, Oberflächenwasser, Müll),  Teilaufgaben der Sicherheitstechnik (z.B. Einbruch-/Diebstahlsicherung, Einrichtungen für Erste-Hilfe),  Aufzugstechnik (z.B. Personen- und Lastenaufzug) sowie der „speziellen“ TGA-Anlagen, wie  Feuerlöschanlagen inkl. Löschwasserrückhaltung und -entsorgung,  Absaugungsanlagen zur Entfernung gesundheitsschädlicher Stoffe (Gase, Dämpfe, Stäube),  Entrauchungsanlagen für Gebäude bzw. Räume,  Belüftungsanlagen, die innerhalb eines Gebäudes (Verdichterhalle, Produktionstrakt) einen ausreichenden Luftwechsel sichern,  Spezial-Einrichtungen zur Ausstattung von Laborräumen, Reinräumen u.ä. d) für den Leadingenieur Bau betrifft es z.B. die Heiß-Inbetriebnahme einiger baulicher Einrichtungen, wie  brandschutztechnische Anlagen gemäß Brandschutzkonzept,  haustechnische Anlagen,  Kräne u.a. Hebezeuge,  Rolltore.

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

e) für den OSBL-Verantwortlichen (Outside Battery Limits) am Werksstandort ist es die Heiß-Inbetriebnahme der Infrastrukturleitungen und -einrichtungen, um die Schnittstellen an der Anlagengrenze zu bedienen (s. Abb. 5.18). 5.4.1 Inbetriebnahme der Infrastruktur inkl. logistischer Einrichtungen Die technische Infrastruktur in Anlagenprojekten kennzeichnet Anlagen und Einrichtungen zur Grundversorgung von Werksstandorten (außerbetrieblich) und Betrieben (innerbetrieblich). Sie schließt logistische Teilanlagen und Einrichtungen ein. Zur Grundversorgung dienen u.a.  Einrichtungen zur stofflichen und energetischen Ver- und Entsorgung,  Kommunikationseinrichtungen,  Verkehrsinfrastruktur. Die innerbetriebliche Infrastrukturplanung wiederum hat zwei Hauptaufgaben. Das sind einerseits die ganzheitliche Erschließung des Mikro-Standorts (Baugrundstück) und andererseits die effiziente Gestaltung aller Schnittstellen an der Anlagengrenze. Beides erfolgt vorteilhaft in Zusammenarbeit mit dem Bereich Standortentwicklung/Infrastruktur und dem Projekt; konkret dem Baustellen- und/oder Inbetriebnahmeleiter. Man spricht betreffs der Schnittstellen an der Anlagengrenze von OSBL (Outside Battery Limits) und ISBL (Inside Battery Limits). In Abb. 5.18 sind die wichtigsten Übergänge (Schnittstellen, Einbindepunkte tie-in) an der Anlagengrenze dargestellt. Eine zugehörige Checkliste ist bereits zuvor in Abschn. 1.5.3, Tab. 1.4 angegeben.

 Abb. 5.18 Abgrenzung zwischen ISBL und OSBL

Während der Planung, Montage und Inbetriebnahme ist den Outside Battery Limits erfahrungsgemäß aus folgenden Gründen großes Augenmerk zu widmen:  Es handelt sich um zahlreiche Schnittstellen an der Anlagengrenze, die ganzheitlich und effektiv zu gestalten sind.

5.4 Inbetriebnahme der Infrastruktur, Mediensysteme, Nebenanlagen

439

Ganzheitlich bedeutet in diesen Fall: Jede Schnittstelle ist technisch/organisatorisch/örtlich zu definieren! Dies kann beispielsweise in Form von eigenständigen Schnittstellenspezifikationen (s. Abb. 5.19) oder in sog. Einbindepunktlisten (Tie-in-List) erfolgen. Üblich sind solche Listen insbesondere für Rohrleitungen und Kabel.

Abb. 5.19 Schnittstellendokument zur Einbindung eines Düsenstocks in eine Erdgasleitung

 Für die OSBL-Maßnahmen sind i.Allg. Partner außerhalb des Projektteams verantwortlich und zuständig.  Die OSBL-Maßnahmen, insbesondere die Einbinde- und Inbetriebnahmearbeiten, greifen oft in das Sicherheits- und Produktionsregime anderer Bereiche bzw. Betriebe ein und müssen z.T. langfristig geplant werden (z.B. in Verbindung mit Stillständen von Outside-Anlagen).  Die OSBL-Maßnahmen bewirken stoffliche und energetische Kopplungen/Rückkopplungen mit anderen Bereichen, die koordiniert werden müssen.

440

5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

 Es gibt erhebliche Gefahren, dass über die OSBL-Systeme verschiedenartige Verunreinigen in die neue Anlage eingetragen werden.  In Verbindung mit OSBL-Maßnahmen müssen zahlreiche Anlagenkomponenten (z.B. Messgeräte, Armaturen, Flammenrückschlagsicherungen, Passstücke) rechtzeitig beschafft und die zugehörigen Montage-/Inbetriebnahmeleistungen (z.B. Spülen, Inertisieren, Einbindung ins PLS) beauftragt werden. Die Inbetriebnahmevorbereitung der Outside Battery Limits während der Montagephase erfordert zunächst:  die Einbindung, Reinigung und Inbetriebnahme der OSBL-Versorgungsleitungen und Versorgungssysteme für die Energien (Wärmeträger) und Hilfsstoffe,  die Einbindung und Funktionsprüfung der OSBL-Spannungsversorgung,  die Einbindung, Reinigung und Inbetriebnahme der OSBL-Entsorgungsleitungen und -systeme für Energien und Abprodukte. Weitere OSBL-Maßnahmen, die insbesondere die Edukte und Produkte betreffen, werden z.T. erst nach der Mechanischen Fertigstellung während der Kalt-Inbetriebnahme realisiert. Die Reinigungsprozedur (Ausblasen, Spülen, Beizen) der Infrastrukturleitungen sollte generell aus der neuen Anlage heraus erfolgen, sodass von außen keine Verunreinigungen in die neuen Anlagenteile gelangen können. Infrastrukturleitungen aus nichtrostenden Stählen sollten im Zweifelsfall, nachdem sie ausgeblasen und u.U. mit Wasser gespült wurden, gebeizt werden. Auch bei sorgfältigem Vorgehen ist nicht auszuschließen, dass eisenhaltige Partikel/Fremdkörper ins System gelangen und in Verbindung mit geringen Wasserresten (ggf. auch Schwitzwasser) die passivierende Chromoxidschicht zerstören. Während der Projektabwicklung kann es sich als zweckmäßig erweisen, wenn  ein Leadingenieur/Fachbauleiter (FBL) (z.B. FBL-Rohrleitungen) für alle mechanischen Einbindearbeiten (Rohrleitungen, Bau, Maschinen/Apparate, Technische Gebäudeausrüstung) und  ein anderer Leadingenieur (z.B. FBL-Prozessleittechnik) für alle elektrischen und elektronischen Einbindearbeiten gegenüber dem Oberbauleiter/Baustellenleiter verantwortlich gemacht wird. 5.4.2 Inbetriebnahme der Mediensysteme und Nebenanlagen Sobald die erforderlichen Outside Battery Limits bis zur Anlagengrenze freigegeben sind, kann die Inbetriebnahme der anlagenspezifischen Mediensysteme für Energien und Hilfsstoffe beginnen. Häufig sind diese Systeme auch eigenständige Nebenanlagen bzw. Package-units (Utilities). Die Inbetriebnahme dieser Anlagenteile ist in vielen Fällen Voraussetzung für die Durchführung der Reinigungsarbeiten sowie der Sicherheits- und Funktionsprüfungen. Sie erfolgt deshalb inhaltlich und zeitlich eng gekoppelt mit diesen Arbeiten und unter Beachtung der notwendigen Restmontageleistungen. Da die Betriebsmittel, wie Dampf und Kondensat, Druck- und Steuerluft sowie Stickstoff, nicht brennbar und nicht toxisch sind, ist eine gleitende Inbetriebnahme dieser Systeme parallel zur fortgesetzten Anlagenmontage eingeschränkt möglich. In jeden Fall müssen aber die Gefährdungen, z.B. durch

5.4 Inbetriebnahme der Infrastruktur, Mediensysteme, Nebenanlagen

441

 Beaufschlagen der Ausrüstungen und Systeme mit Druck,  Gefahren durch Medien (Stickstoff, Dampf, Kondensat)  Leckagen,  heiße Oberflächen,  Verbindung von Montage- und Inbetriebnahmehandlungen beachtet und durch geeignete sicherheitstechnische, organisatorische und arbeitsschutzseitige Vorkehrungen verantwortbar gering sein. Stickstoff sollte möglichst erst nach der Mechanischen Fertigstellung in die Anlage gelangen. Die Rohrleitungssysteme für Medien (Hilfsstoffe und Energien) werden in der Regel ausgeblasen, anschließend mit dem vorgesehenen Medium (mitunter auch zuvor mit Wasser) gespült und sogleich in Betrieb genommen. Die Vorschriften dazu, sind häufig als Beilage zur Inbetriebnahmeanleitung vorgegeben. Im Weiteren dazu einige Inbetriebnahmeschwerpunkte für die Mediensysteme, wobei angenommen wird, dass die Medien bereits an der Anlagengrenze anliegen. Die entsprechenden Zuführungsleitungen wurden zuvor vom Einbindepunkt aus (z.B. der Steckscheibe am Anlageneingang) in Richtung der Erzeuger- bzw. Entsorgerstation ausgeblasen bzw. gespült. a) Druck- und Steuerluftsystem Vor Inbetriebnahme ist die Luftqualität an der Anlagengrenze, insbesondere auf tropfbares Wasser und auf Ölanteile, zu überprüfen. Ist die geforderte Qualität gegeben, so kann entsprechend den folgenden Schritten eine Übernahme in die Anlage erfolgen:  Evtl. vorhandene Filter/Trockner sind auf Bypass zu stellen.  Das Rohrleitungssystem ist schrittweise, vom Eingangsschieber beginnend, ins Freie auszublasen.  Entspannungsstellen können Öffnungen an den Luftverteilern sowie Entspannungsventile an den Pufferbehältern sein.  Nach dem Sauberblasen sind die Filter und/oder Trockner in Betrieb zu nehmen und die Entspannungsventile zu schließen.  Das System ist auf Dichtheit zu prüfen und die Drücke an der Anlagengrenze sowie vor Ort sind im Vergleich zu den Vorgaben in Vertrag/Spezifikation zu kontrollieren.  Qualität (Öl- und Feuchtegehalt) der Steuer- bzw. Druckluft kontrollieren.  Sofern die Steuer- bzw. Druckluft durch eigene Package-units erzeugt wird, sind die Garantie-/Gewährleistungsparameter zu überprüfen (Qualität, Durchsatz, Schall, Schwingungen usw.). b) Stickstoffsystem  Das Rohrleitungssystem ist vom Eingangsschieber beginnend bis zu den StickstoffVerteilern bzw. bis zu den Einbindepunkten in das Prozesssystem ins Freie sauber zu blasen (Gefahr der möglichen örtlichen Aufkonzentrierung der Umgebungsluft mit Stickstoff beachten!).  Eventuelle Pufferbehälter können über die Entleerungsstutzen ausgeblasen werden (Gefahr durch Stickstoff beachten!).  Die Stickstoffqualität (insbesondere Sauerstoffgehalt) ist am Anlageneingang sowie an den Entspannungsstellen auf Übereinstimmung mit den Vertragswerten zu prüfen.

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

 Bei gegebener Stickstoffqualität sind die Entspannungsventile zu schließen und die Drücke zu kontrollieren. c) Kühlwassersystem  Die Wasserqualität am Anlageneingang prüfen. Schwerpunkte sind der Salzgehalt (Härtebildner, Chloridionen), Schmutzanteile (sandige, erdige, faulige Bestandteile) und die Temperatur. Vor der Probenahme längere Zeit die Zuführungsleitungen über die Kanalisation spülen.  Nach Möglichkeit die Kühler komplett absperren und zunächst die Sammel-/Ringleitungen vom Eingang bis zum Ausgang der Anlage spülen.  Schrittweise die Kühler in folgender Weise einbinden: ▪ Entlüftungs- und Entleerungsventile an dem Kühler schließen, ▪ Bypass-Schieber an dem Kühler öffnen, ▪ Wassereingangs- und Wasserausgangsschieber an dem Kühler öffnen und den Bypass-Schieber schließen, ▪ Kühler langsam wasserseitig durch Öffnen der Entlüftungsarmaturen füllen, ▪ Dichtheit und Parameter prüfen.  Ähnlich den Kühlwasserleitungen sind die Trinkwasser, Löschwasser- u.a. wasserführenden Rohrleitungen in Betrieb zu nehmen. Die selbständigen Be- und Entlüftungen sind auf ordnungsgemäßen Zustand und Funktion zu prüfen.  Die Inbetriebnahme von Hydranten ist der zuständigen Feuerwehr zu melden. Im Anschluss an diese Spülhandlungen, die oftmals bereits partielle Funktionsprüfungen darstellen, ist zu entscheiden, ob man gleich mit den Funktionsprüfungen fortsetzt oder zunächst unterbricht, das Spülmedium und gegebenenfalls die Ausrüstung öffnet, inspiziert und bei Bedarf reinigt. Diese Entscheidung ist notwendig, da für die folgenden Funktionsprüfungen wieder die Messblenden, Regelventile u.a. schmutzempfindliche Teile eingebaut werden. d) Dampf- und Kondensatsystem Im Weiteren sollen Dampf- und Kondensatsysteme betrachtet werden, wie sie in verfahrenstechnischen Anlagen als Hilfssysteme zur Wärmeversorgung des Prozesses üblich sind. Auf komplexe Systeme, wie sie bei der Dampferzeugung in Kraftwerken bzw. bei der Abhitzedampferzeugung in stark exothermen Verfahren üblich sind, wird in Abschn. 6.3.2.5 eingegangen. Die Inbetriebnahme der Dampf- und Kondensatsysteme ist nicht nur aufwendiger und komplizierter als die der vorgenannten Mediensysteme, sie beinhaltet auch wesentlich mehr Fehlermöglichkeiten. Zunächst werden die Dampfleitungen wie folgt in Betrieb genommen:  Kondensatableiter wegen Verschmutzungsgefahr demontieren sowie Messblenden durch Austauschringe ersetzen,  Drainagearmaturen vollständig öffnen,  Dampfleitungen durch wenig Öffnen des Eingangsschiebers langsam Vorwärmen und zugleich mit dem Ausblasen beginnen.  Wie im Beispiel 5.3 verdeutlicht wird, ist ein langsames Anwärmen nötig, um Schäden und Undichtheiten an den Flanschverbindungen zu vermeiden. ▪ Richtwert für die Aufheizgeschwindigkeit kalter Rohrleitungen: max. 5 °C/min ▪ Rohrleitung muss über die Länge gleichmäßig erwärmt sein

5.4 Inbetriebnahme der Infrastruktur, Mediensysteme, Nebenanlagen

    

443

▪ Dampfsystem schrittweise von Haupt- zu Nebenleitungen vorwärmen sobald trockener Dampf aus der Anfahrdrainage austritt, wird das Ausblasen kurz unterbrochen und die Messblenden eingebaut, Schließen der Anfahrdrainage und Einbinden der Kondensatableiter, Funktion der Kondensatableiter gemäß Herstellerdokumentation prüfen, Eingangsschieber voll öffnen und das System unter Druck setzen, Dichtheit prüfen; u.U. Flanschverbindungen nachziehen.

Beispiel 5.3 Kräfte- und Dehnungsverhältnisse an Flanschverbindungen beim An- und Abfahren Am Beispiel einer Flanschverbindung in einer Dampfleitung sollen die verschiedenen Zustände bzgl. der Krafteinwirkung, der Verformung sowie der Dichtheit betrachtet werden. Zur Veranschaulichung dienen die Verspannungsschaubilder in Abb. 5.20. Das Verspannungsschaubild stellt das Kräftespiel von spannenden Teilen (Schrauben) und gespannten Teilen (Flansch, Dichtung) dar. Auf der Ordinate sind die Kräfte (von links steigend die Schraubenkraft und von rechts steigend die Dichtungskraft) und auf der Abszisse die elastische Formänderung in Richtung der Rohrachse aufgetragen. Äußere Zug- und Druckkräfte sollen auf die Rohrleitung und die Flanschverbindung nicht einwirken. Gleichfalls werden die temperaturbedingten Änderungen der Elastizitätsmodule der einzelnen Werkstoffe nicht berücksichtigt. Folgende Zustände und Folgerungen lassen sich beim An- und Abfahren qualitativ aus Abb. 5.20 ableiten: Zustand 0: Endmontage (Punkte bzw. Kräfte: FS0 = Flansche + Schrauben im Zustand 0 FD0 = Dichtung im Zustand 0) Die Flanschverbindung ist drucklos. Alle Bauteile haben Umgebungstemperatur. Die aufgebrachte Schraubenkraft FS0 ist gleich der notwendigen Dichtungskraft FD0. Zustand 1: Innendruck aufgegeben/Temperatur nahezu unverändert (Punkte bzw. Kräfte: FS1, FD1) Durch den Innendruck entsteht eine Innendruckkraft F P , die beide Flansche etwas auseinander drückt und eine verringerte Dichtungskraft FD1 verursacht. Gleichzeitig wird eine erhöhte Schraubenkraft FS1 bewirkt. Die Steigung der Kennlinie FS1 ändert sich im Verhältnis der äußeren Momente beider Zustände. Zustand 2: Schnelle Temperaturerhöhung von Flansch und Rohr, aber zeitlich verzögerte Temperaturerhöhung der Schrauben und Dichtung (Punkte bzw. Kräfte: FS2 , FD2 ) Die Temperaturunterschiede zwischen Flansch und Schrauben bewirken einen Dehnungsunterschied LA . Die Schraubenkraft steigt kurzzeitig auf FS2 und die Dichtungskraft auf FD2. Es besteht die Gefahr der Überdehnung der Schrauben sowie des Kriechens der Dichtung. Letzteres wird mit dem Aufheizen der Dichtung noch verstärkt. Zustand 3: Temperaturerhöhung von Schrauben und Dichtung sowie Kriechen der Dichtung (Punkte bzw. Kräfte: FS3 , FD3 )

Abb. 5.20 Verspannungsschaubilder einer Flanschverbindung beim An- und Abfahren Symbole: F Kraft D Verformung Dichtung Indizes: 0 Einbauzustand FI Verformung Flansch L Dehnungsunterschied A Anfahren S Verformung Schraube FDB Mindestdichtungskraft B Betrieb

E Entspannen S Schraube D Dichtung

444 5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

5.4 Inbetriebnahme der Infrastruktur, Mediensysteme, Nebenanlagen

445

Durch die erhöhte Schraubentemperatur verringert sich der Dehnungsunterschied zwischen Flansch und Schraube. Da wegen der Wärmeverluste an die Umgebung kein völliger Temperaturangleich stattfindet, bleibt eine Dehnungsdifferenz L B erhalten. Durch das gleichzeitige Kriechen der Dichtung um D B (entsprechend der verringerten Standkraft bei höherer Temperatur) fallen die Schraubenkräfte auf F S3 und die Dichtungskraft auf FD3. Der Zustand 3 entspricht dem normalen Betriebszustand der Flanschverbindung. Zustand 4: Entspannen der Rohrleitung bei Betriebstemperatur (Punkte bzw. Kräfte: FS4 , FD4 ) Da der Innendruck wegfällt, wird die Flanschverbindung stärker zusammengedrückt. Die Schraubenkraft verringert sich zwar auf FS4, aber die Dichtungskraft steigt auf FD4. Wegen der weiterhin hohen Temperatur der Dichtung besteht erneut die Gefahr des Kriechens. Zustand 5: Kriechen der Dichtung bei Betriebstemperatur (Punkte bzw. Kräfte: FS5 , FD5 ) Die Dichtung wird nach dem Entspannen wegen der höheren Dichtungskraft F D4 um D A zusammengedrückt. In der Folge reduziert sich die Schraubenkraft auf F S5 und die Dichtungskraft auf FD5. Zustand 6: Abkühlen der gesamten Flanschverbindung (Punkte bzw. Kräfte: FS6 , FD6 ) Der Schnittpunkt wandert auf die Schrauben-Verspannungskennlinie des Einbauzustandes zurück. Die Kräfte verringern sich geringfügig auf F S6 bzw. FD6. Zustand 7: Erneute Druckaufgabe beim Wiederanfahren (Punkte bzw. Kräfte: FS7 , FD7 ) Die Innendruckkraft FP steigert die Schraubenkraft auf FS7. Dies ist unkritisch. Gleichzeitig verringert sich aber die Dichtungskraft auf F D7 und kommt in die Nähe der mindestens notwendigen Betriebsdichtungskraft F DB. Damit besteht die Gefahr, dass die Flanschverbindung undicht wird. Ein Nachziehen der Schrauben wird u.U. erforderlich. Zusammenfassend lässt sich aus den vorgenommenen qualitativen Überlegungen im Beispiel 5.3 schlussfolgern:  Während der Inbetriebnahme ist das Aufheizen von Flanschverbindungen langsam vorzunehmen, um ein Überdehnen der Schrauben sowie eine starke plastische Verformung der Dichtung auszuschließen. Dies gilt sowohl für Flanschverbindungen in Rohrleitungen als auch an Apparaten.  Die Aufheizgeschwindigkeiten größerer Flansche von Apparaten und Rohrleitungen sollten 5 °C/min nicht überschreiten.  Bei der Außerbetriebnahme sollten die Flanschverbindungen zunächst abgekühlt werden, bevor der Innendruck verringert wird. Dadurch vermindert sich die Gefahr des Undichtwerdens der Flanschverbindung bei der späteren Wiederinbetriebnahme.  Trotz der vorgenannten Hinweise muss während der Inbetriebnahme und vor allem bei mehrmaligen An- und Abfahren mit Undichtheiten und einem notwendigen Nachziehen von Flanschverbindungen gerechnet werden.

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

Der Inbetriebnehmer muss sich wartungsseitig (Personal, Rüstung, Anstrich, Dämmung, Isolierung) darauf einstellen. Kritische Flanschverbindungen sind deshalb gegebenenfalls erst zu einem späteren Zeitpunkt der Inbetriebnahme zu isolieren. Insgesamt sind aber in den letzten Jahren undichte Flanschverbindungen während der Inbetriebnahme deutlich seltener geworden. Als Ursache werden insbesondere verbesserte Flachdichtungen (z.B. mit Kammprofil) angesehen.  Besondere Bedeutung hat die angeführte Wechselbeanspruchung der Flanschverbindung während der Inbetriebnahme von Kraftwerksanlagen. In diesen Anlagen werden spezielle Anwärm- und Warmhalteschaltungen realisiert, um ein schonendes und zügiges Anwärmen der Heiß-Dampfrohrleitungen zu ermöglichen. Ferner werden Rohrleitungsabschnitte, die während des Normalbetriebes nicht durchströmt werden, durch gezielte Maßnahmen warmgehalten. Während der Inbetriebnahme des Kondensatsystems sind die aus Beispiel 5.3 abgeleiteten Verhaltensregeln ebenfalls zu beachten. Die wichtigsten Maßnahmen zum Anfahren von Kondensatsystemen sind:  Spülen mit Luft und anschließend mit Wasser, bis das Drainagewasser klar ist,  Kondensatableiter einbauen,  System mit Wasser gefüllt lassen und entsprechend dem Kondensatanfall über Kondensatableiter in Betrieb nehmen,  Dichtheit prüfen; u.U. Flanschverbindungen nachziehen,  Kondensatableiter regelmäßig inspizieren und ggf. reinigen und warten. e) Heißwassersystem Folgende Schritte werden empfohlen:  alle Entwässerungen schließen und alle Entlüftungen öffnen,  einen Schieber der Leitung um 1 bis 2 Gänge öffnen,  Funktionstüchtigkeit der Kompensationselemente überprüfen,  Entlüftungsventile bei Wasseraustritt schließen,  volles Öffnen des Schiebers der Leitung,  langsames Öffnen des zweiten Schiebers der Leitung,  Zuschalten der Kondensatableiter, Einspeiser und Abnehmer. Im Bereich der Wasseraustrittsstellen sind Absperrungen vorzunehmen und gegebenenfalls Aufsichtsposten zu stellen. f) Wärmeträgersystem [13] Insbesondere in der pharmazeutischen und chemischen Industrie werden Wärmeträgersysteme eingesetzt, meistens als Package-units realisiert. Sie können sowohl zur Beheizung bis zu 360°C als auch zur Kühlung bis zu –25°C von Ausrüstungen dienen. Die Inbetriebnahme des Wärmeträgersytems bewirkt zahlreiche Gefährdungen, wie z.B. ▪ Brand- und Explosionsgefahr, ▪ Leckage heißer Öle, ▪ heiße Oberflächen, ▪ Umgang mit Gefahrstoffen. Ferner ist zuvor die sicherheitsrelevante Inbetriebnahme eines Ofens notwendig. Insgesamt erhöht sich dadurch die Gefahrensituation auf der Baustelle wesentlich, so dass u.U. eine Inbetriebnahme während der Kalt-Inbetriebnahme (nach Mechanischer

5.4 Inbetriebnahme der Infrastruktur, Mediensysteme, Nebenanlagen

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Fertigstellung) angeraten ist. Die Inbetriebnahmeanforderungen betreffs Wärmeträgeranlagen ergeben sich aus:  dem Einsatz von warmfesten, unlegierten bzw. niedriglegierten Stählen, die häufig auf ihrer inneren Oberfläche mit Rostpartikeln verunreinigt sind und sorgfältig gereinigt werden müssen,  der Notwendigkeit des vorsichtigen Ausdampfens/Strippens des im Kreislaufsystem befindlichen bzw. im Wärmeträger gelösten Wassers,  der erheblichen Festigkeitsbeanspruchung der „heißgehenden“ Anlagenkomponenten einschließlich notwendiger Maßnahmen zum „Abfangen“ der Wärmedehnungen, sowohl im Dauerbetrieb als auch beim An- und Abfahren,  der häufig komplizierten hydraulischen Verhältnisse im Wärmeträgerkreislauf wegen Parallelschaltung der Verbraucher,  den Gefahren von Undichten (Flanschverbindungen) und Verbrennungen (heiße Oberflächen),  der möglichen Entstehung von explosiblen Gemischen bei Leckagen von überhitzten Wärmeträgern. Entsprechend dieser Spezifika sind in Vorbereitung und Durchführung der Inbetriebnahme nachfolgende Maßnahmen typisch:  Reinigen des Wärmeträgersystems durch Ausblasen,  Füllen des gesamten Systems mit Wärmeträger,  Reinigen des Wärmeträgersystems von Feststoff mittels geeigneter Filtersysteme durch interne (Package-unit) und später externe (mit Verbrauchern) Kreislauffahrweise,  schrittweise Inbetriebnahme der Wärmequelle (z.B. Ofen) im Wärmeträgersystem und Aufheizen auf ca. 100°C,  Ausdampfen bzw. Ausstrippen (mit Stickstoff) des Wassers aus dem gesamten System bzw. Wärmeträger während der Kreislauffahrweise über einen Hochbehälter,  langsames Einfahren des Systems inkl. Verbraucher auf Betriebsbedingungen. Bei allen Handlungen sind ausreichende Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, insbesondere sind die noch stattfindenden Montagearbeiten in der Gesamtanlage zu beachten. Ferner muss vor Inbetriebnahme geprüft werden, ob die betroffenen Verbraucher, die auf einer Seite vom Wärmeträgermedium durchströmt werden, für die ggf. anzutreffenden Sonderfahrweisen (z.B. noch kein prozessbedingter Energieverbrauch, größere Temperaturgradienten, größere Temperatur- und Längenunterschiede zwischen Rohrund Mantelraum) dimensioniert und sicherheitstechnisch zugelassen und geprüft sind. g) Abwassersystem und sonstige Entsorgungseinrichtungen In Verbindung mit Reinigungshandlungen fallen die ersten zu entsorgenden Abprodukte an. Zum überwiegenden Teil handelt es sich um gering verschmutztes Wasser, welches nach Entfernen von Feststoffen einer Abwasserreinigungsanlage bzw. dem Vorfluter zugeleitet werden kann. Empfohlen wird, zuvor die Durchlassfähigkeit des Kanalisationssystems zu prüfen. Die großen Spülmengen können zu Spülwasserrückstau und Fluten führen. Die mit Metallionen angereicherten Beizlösungen werden meistens als Abwasserkonzentrat extern entsorgt. Die notwendigen Stapelvolumina und Entsorgungsmaßnahmen sind rechtzeitig zu planen und zu realisieren.

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

h) Sonstige Nebenanlagen und Einrichtungen In verfahrenstechnischen Anlagenprojekten sind darüber hinaus die folgende Nebenanlagen bzw. Einrichtungen besonders prozess- und sicherheitsrelevant:  Elektrotechnische Anlagen zur Stromversorgung aller elektrischen Verbraucher inkl. Notstromversorgung und Sicherungseinrichtungen,  Brandschutz- und Gasschutzanlagen, inkl. Einrichtungen des baulichen Brandschutzes (Brandschutzklappen, Brandschutz-/Rauchschutztüren und -tore, Entrauchungsgebläsen, Brandwände/-schotte u.a.)  Be- und Entüftungsanlagen, Absauganlagen, Entrauchungsanlagen  Alarmierungs- und Meldesysteme,  Einrichtungen zur Ersten-Hilfe,  Einrichtungen zur Einbruch- und Diebstahlsicherung (security),  Aufzugsanlagen für Lasten und Personen,  Anlagen zur Herstellung von vollentsalztem Wasser (sog. VE-Wasser),  Rückkühlwasser-Anlagen,  örtliche Abwasser- bzw. Abluftreinigungsanlagen,  diverse mobile Anlagen (u.a. Container-Anlagen) zur temporären Bereitstellung von Hilfsstoffen und Energien,  Be- und Entladestationen u.a. logistische Einrichtungen,  Läger für Edukte und Produkte bzw. für Gebinde, Ersatzteile usw.,  Einrichtungen von Werkstätten bzw. Labors. Weitere mögliche Nebenanlagen, auf deren detaillierte Inbetriebnahme nicht näher eingegangen wird, wurden am Anfang dieses Abschnitts 5.4 aufgeführt. Dass auch bei der Inbetriebnahme von Nebenanlagen der „Teufel im Detail steckt“, beweist das Beispiel 5.4. Beispiel 5.4 Totalschaden eines Kondensatbehälters bei dessen Wiederinbetriebnahme [14] Das linke Foto in Abb. 5.21 zeigt einen zusammengefalteten Kondensatbehälter mit Totalschaden. Der Schadenshergang war folgender: Der Behälter hatte ein Fassungsvermögen von 850 m3, eine Höhe von 17 m, einen Durchmesser von 8 m und war für Drücke von 0.95 bis 1,35 bar ausgelegt. Die Wanddicke des zylindrischen Teils betrug 8 bis 10 mm. Der Behälter wurde für Wartungsarbeiten bis auf 180 mm Restfüllhöhe entleert. Nach Abschluss der Arbeiten wurde der Behälter bedampft (inertisiert) und danach wurde über den zu etwa 25 % geöffneten fernbedienten Kondensatschieber DN 500 Kondensat mit 1,4 bar und 25 °C eingespeist. Nach einigen Sekunden kam der Behälter zu Schaden. Ein Augenzeuge hörte einen Pfeifton, vermutlich vom Unterdruckventil, und sah, wie sich der Behälter langsam zusammenfaltete. Der Schaden entstand durch Mischkondensation an der stark bewegten Kondensatoberfläche, weil der Füllstutzen 950 mm über dem Behälterboden lag. Die vorhandenen Vakuum-Sicherheitseinrichtungen (Unterdruck-Sicherheitsventil, Belüftungsautomatik) waren nur für langsam ablaufende Kondensatvorgänge an der ruhigen Wasseroberfläche ausgelegt; aber nicht für eine so heftige Mischkondensation (Kavitation).

5.5 Sicherheits-, Funktions- und Abnahmeprüfungen

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 Abb. 5.21 links: Kondensatbehälter mit Totalschaden rechts: Prinzipdarstellung des neuen, geänderten Kondensatbehälters

Den neuen, geänderten Kondensatbehälter zeigt das rechte Schema in Abb. 5.21. Er enthält folgende Verbesserungen: 1) Der Behälter wurde für eine Vakuumfestigkeit von 0,3 bar ausgelegt. 2) In 2 m Höhe über den Boden wurde ein zusätzlicher Kontroll- und Entlüftungsanschluss DN 150 vorgesehen (s. Positionsnummer 1). 3) Die Absicherung gegen Vakuum erfolgte durch einen Siphon von 2,5 m Höhe (s. Positionsnr. 2). Das Unterdruck-Sicherheitsventil entfiel. 4) Die Fülleitungen wurden tiefer in Richtung Boden geführt, sodass der Austritt immer abgetaucht ist (s. Positionsnr. 3). 5) In der überabeiteten Betriebsanweisung wurde vorgeschrieben, dass der offene Behälter vor dem Bedampfen und Entlüften bis auf 2 m Flüssigkeitsstand gefüllt werden muss. Damit sind alle Kondensatanschlüsse mindestens 1 m überflutet. Eine spontane Mischkondensation kann nicht mehr auftreten.

5.5 Sicherheits-, Funktions- und Abnahmeprüfungen Für den Inbetriebnehmer sind die Sicherheits-, Funktions- und Abnahmeprüfungen nach der Montage, die mitunter Leistungsnachweise der Liefer- und Montagefirmen darstellen, aus verschiedenen Gründen bedeutungsvoll. Einerseits übernimmt er anschließend die Anlagenkomponenten zur Inbetriebnahme und hat somit ein ureigenes Interesse an einer vorschriftsmäßigen und gründlichen Prüfung und nachvielziehbaren, gerichtsfesten Dokumentation, andererseits sind die

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

angeführten Prüfungen zugleich wichtige Eckpfeiler der systematischen Inbetriebnahmevorbereitung. Mit den genannten Prüfungen, die sich insbesondere auf den:  Nachweis der rechts- und genehmigungskonformen Planung und Realisierung der Anlage und ihrer Komponenten,  Nachweis der sicheren und beanspruchungsgerechten Konstruktion, Fertigung und Montage überwachungspflichtiger Komponenten,  Nachweis der Funktionstüchtigkeit technischer Systeme und Komponenten,  Nachweis der Leistungsfähigkeit einzelner Anlagenkomponenten bzw. spezieller Package-units beziehen, soll die Rechtskonformität, die Planungs- und Bestellkonformität sowie die Funktionstüchtigkeit und partielle Betriebsbereitschaft der Anlage kontrolliert und hergestellt werden. 5.5.1 Sicherheitsprüfungen Die Sicherheitsprüfung (safety check) ist eine Prüfung zum Nachweis einer definierten Komponenten- und/oder Anlagensicherheit bezogen auf eine oder mehrere mögliche Gefährdungen. Der rechtssicher dokumentierte Nachweis der erfolgreich durchgeführten notwendigen Sicherheitsprüfungen ist eine wesentliche Voraussetzung für den Beginn der Inbetriebnahme. Die erforderlichen Sicherheitsprüfungen ergeben sich aus:  relevanten Rechtsvorschriften (EU-Richtlinien, Gesetze, Verordnungen, Durchführungsbestimmungen),  Bestimmungen des Genehmigungsbescheides inkl. zutreffender Verwaltungsvorschriften,  berufsgenossenschaftlichen Unfallverhütungsvorschriften (BG-Vorschriften),  Regeln zum Stand der Technik und insbesondere der Sicherheitstechnik, wie ISO-, EU-, und DIN-Normen, VDI- bzw. VDE-Richtlinien, BG-Regeln usw.,  geltenden unternehmensspezifischen bzw. betrieblichen Vorschriften,  vereinbarten projektspezifischen Vorschriften bzw. Regelungen. Die Sicherheitsprüfungen vor Inbetriebnahme sind ein wesentlicher Bestandteil der ganzheitlichen Sicherheitsarbeit im Projekt und insbesondere für Erledigung des Schritts S4 (s. Abb. 3.2 und Abb. 3.3 in Abschn. 3.2). Sie bilden die Grundlage für das Betriebstestat und die Betriebsfreigabe bzw. exakter die Inbetriebnahmefreigabe der Anlage betreffs Gesundheit-Sicherheit-Umwelt. Zugleich dienen sie als Basis für die wiederkehrenden Sicherheitsprüfungen während des Anlagenbetriebs. Ein zweites Teilgebiet der Sicherheitsprüfungen betrifft Prüfungen/Kontrollen, die aus dem Genehmigungsbescheid resultieren. Sie sind hoheitliche Aufsichtsmaßnahmen der Genehmigungsbehörde und anderer behördlicher Stellen. Wer als Verantwortlicher auf diesen beiden Sachgebieten seine Pflichten nicht erfüllt, handelt in vielen Fällen fahrlässig bzw. sogar grobfahrlässig und kann im Schadensfall strafrechtlich und zivilrechtlich haftbar gemacht werden (s. Abschn. 4.4.1.4).

5.5 Sicherheits-, Funktions- und Abnahmeprüfungen

451

Der Umfang der Sicherheitsprüfungen ist erheblich und tendenziell steigend. Er ändert sich häufig, insbesondere durch die zunehmende Gesetzgebung der Europäischen Union. Tabelle 5.15 enthält eine Zusammenstellung wesentlicher Sicherheitsprüfungen nach deutschen und europäischen Recht, die vor Beginn der Inbetriebnahme (im Sinne: Beginn des Bestimmungsgemäßen Betriebes) erfolgreich durchgeführt und gerichtsfest dokumentiert sein müssen. Der Gesetzgeber fordert bezüglich notwendiger Prüfung deren Nachweis „vor Inbetriebnahme“, In der Praxis wird dann nicht selten diskutiert: Welchen Zeitpunkt meint der Gesetzgeber, wenn er von „vor Inbetriebnahme“ spricht? Entsprechend der in diesem Buch genutzten Inbetriebnahme-Definition ist die Antwort eindeutig. Es ist der Zeitpunkt Beginn Inbetriebnahme, im direkten Anschluss an die Protokollierung Mechanische Fertigstellung. In manchen Projekten, insbesondere bei Verzögerungen u.a. Schwierigkeiten wird der spätere Zeitpunkt Ende Kalt-Inbetriebnahme bzw. Beginn Heiß-Inbetriebnahme als rechtsrelevant (im Sinne des Gesetzgebers) verstanden. Der Autor sieht dies sehr problematisch, da viele Tätigkeiten während der KaltInbetriebnahme zum genehmigungsrelevanten Bestimmungsgemäßen Betrieb gehören (s. Definition und Diskussion in Abschn. 3.4.3, Buchst. a)) und die Gefährdungen während der Kalt-Inbetriebnahme schon gravierend sind sowie häufig stetig, zum Teil unbewusst, zunehmen. Es gilt in diesem Zusammenhang die gleiche Argumentation, wie sie bezüglich des „Inverkehrbringens der Anlage“ in Abschn. 3.5.2.1, Buchst. a) geführt wurde. Grundsätzlich sollte das Projektziel sein, alle während der Fertigung, des Baus und der Montage notwendigen Sicherheitsprüfungen bis zum Ende der Baustelle (Protokollierung der Mechanischen Fertigstellung) erfolgreich durchzuführen und rechtssicher zu dokumentieren. Ausnahmen, die aus zwingenden Gründen erst danach geprüft werden können, sind vom Projekt- und Inbetriebnahmeleiter zu genehmigen und in einer separaten Restpunktliste „Restpunkte Sicherheitsprüfungen“ zu erfassen und zu verwalten (s. auch Abschn. 5.8) In der folgenden Tabelle 5.15 nicht erfasst sind zusätzliche Begehungen, Prüfungs- und Kontrollmaßnahmen, Zertifikate, Zulassungen usw., die  von Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden, wie z.B. ▪ Bauordnungsamt, ▪ Gewerbeaufsicht, ▪ Umweltamt, ▪ Feuerwehr sowie von beauftragten Dritten durchgeführt werden.  aus Bauvorschriften resultieren, wie z.B. ▪ Prüfprotokoll/-bescheinigung über die konstruktive und statische Ausbildung des Übergangs vom Bauwerk zum Boden (sog. Gründung), ▪ Nachweis zur Baugrundabdichtung, ▪ Standsicherheitsnachweis inkl. Windlasten und ggf. Erdbebengefährdung, ▪ Zulassungen des Deutschen Instituts für Bautechnik (DIBt) für Bauprodukt und Bauarten.  sich aus Unternehmensrichtlinien, vertraglichen Vereinbarung u.ä. ergeben.

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

5.5 Sicherheits-, Funktions- und Abnahmeprüfungen

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

5.5 Sicherheits-, Funktions- und Abnahmeprüfungen

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

5.5 Sicherheits-, Funktions- und Abnahmeprüfungen

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In Tabelle 5.15 ebenfalls nicht aufgeführt sind Prüfdokumente, die aus Richtlinien, Normen u.ä. Unterlagen zum Stand der Technik folgern, wie ▪ Prüfberichte für Brandmeldeanlage, Feuerlöschanlage ▪ Prüfbescheinigungen hinsichtlich Erdung, Blitzschutz, Überspannungsschutz, ▪ Prüfprotokolle über Kabelprüfung, Isolations- und Übergangswiderstand, ▪ Berechnung der Druckentlastung (Entrauchung) und der Schutzstaffelung von Schaltanlagen, ▪ Prüfprotokolle für Isolieröle von Trafos. Die Sicherheitsventile werden mit Einstellbescheinigung geliefert. In manchen Projekten wird der Einstelldruck nochmals in der Werksstatt des Auftraggebers kontrolliert. Im eingebauten Zustand werden die Ansprechdrücke der Sicherheitsventile vor Inbetriebnahme im Normalfall, sofern es der Sachverständige bei der Prüfung des Druckgeräts nicht fordert bzw. selbst tut, nicht nochmals überprüft. In der Praxis sind die Durchführung und Dokumentation der umfangreichen Sicherheitsprüfungen oftmals zeitkritisch für den Inbetriebnahmebeginn. Für die Inbetriebnahme- und Betriebsleiter verfahrenstechnischer Anlagen ist es oft schwierig zu beurteilen, ob zum Beginn der Inbetriebnahme alle notwendigen sicherheits- und rechtsrelevanten Dokumente vorliegen. Nicht wenige Führungskräfte befürchten, wegen nicht durchgeführter Prüfungen bzw. wegen fehlender Prüfungsnachweise eine Sorgfaltspflichtverletzung zu begehen. Auf Grund beider Aspekte wird empfohlen, alle Maßnahmen der ganzheitlichen Anlagenüberwachung unter Nutzung eines Prüfhandbuches (s. Abschn. 2.4.3.2, Buchst. d) zu planen, zu verwalten und zu kontrollieren. Das Prüfhandbuch sollte während des Detail Engineering begonnen und während der Beschaffung und Errichtung ergänzt werden. Es dient als Planungs- und Kontrolldokument für die rechts- und vertragsrelevanten Sicherheitsprüfungen sowie für die behördlichen Aufsichts- und Kontrollmaßnahmen während der Anlagenerrichtung. Eventuelle sicherheitsrelevante Restpunkte zum Zeitpunkt Mechanische Fertigstellung können in ihm auch erfasst und verwaltet werden. Der Anlagenbetreiber kann das Prüfhandbuch später als Grundlage für die wiederkehrenden Sicherheitsprüfungen nutzen. Die rechnerseitige Verwaltung der Prüfpflichten erfolgt häufig, analog zu den Instandhaltungsmaßnahmen, mit der betrieblichen Software (z.B. SAP-Software). Zugleich können mit dieser Software die Prüfaufträge bearbeitet sowie die anfallenden Prüfdokumente inkl. der Prüfergebnisse gespeichert und verwaltet werden. Neben dem ganzheitlichen „Prüfhandbuch der Gesamtanlage“ sind für verschiedene Anlagenkomponenten spezielle Prüfbücher (z.B. Behälterbuch, Apparatebuch, Rohrleitungsbuch, Kranbuch bekannt (s. Tab. 5.15.). Diese bündeln die Prüfdaten und Prüfungsdokumente der jeweiligen Ausrüstung und entsprechen de facto einer Lebenslaufakte der betreffenden Anlagenkomponente. 5.5.2 Funktionsprüfungen Die Funktionsprüfung (operational check, Funktionstest) ist die Erprobung und Prüfung der Anlagenkomponente, der Teilanlage oder der Anlage nach der Montage hinsichtlich ihrer einwandfreien technischen Funktion. Mitunter bezeichnet man die Funktionsprüfungen von Maschinen als Probeläufe bzw. Testläufe und die von Teilanlagen/ Package-units als Komplexe Funktionsprüfungen.

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

Die Funktionsprüfungen beziehen sich auf den Nachweis der technischen Funktion des gelieferten und/oder montierten Gegenstandes. Sie gehören in der Regel zum Leistungsumfang des Kontraktors im Liefer- bzw. Montagevertrag. Die Betonung des Begriffs Funktion unterscheidet sie von den Abnahmeprüfungen (s. Abschn. 5.5.3), bei denen die Leistungsnachweise das Hauptziel sind. Die frühzeitige und erfolgreiche Durchführung der Funktionsprüfungen ist keine zwingende Voraussetzung für den Beginn der Inbetriebnahme. Sie ist aber aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten sehr ratsam. Wer auf Funktionsprüfungen während der Endmontage bzw. der Kalt-Inbetriebnahme verzichtet bzw. nur eingeschränkt durchführt, zahlt oftmals während der Heiß-Inbetriebnahme ein Mehrfaches für die Fehlerbeseitigung. Er begeht einen Managementfehler. Durch die Funktionsprüfungen sollen vor der Inbetriebnahme Mängel und BauteilFrühausfälle erkannt und behoben werden. Dies ist eine entscheidende Maßnahme zur Verringerung der Inbetriebnahmekosten (s. auch Abschn. 4.2.2 und Abschn. 4.6.2). Der Inbetriebnehmer sollte stets auf umfassende Funktionsprüfungen drängen, auch wenn diese nicht bzw. nicht so umfangreich im Liefer- und Montagevertrag vereinbart wurden und deshalb weitgehend vom Inbetriebnahmeteam selbst durchzuführen sind. Managemententscheidungen betreffs Funktionsprüfungen sind nach folgender Prämisse zu treffen: Bis zur Anzeige der Betriebsbereitschaft (vor Beginn der Heiß-Inbetriebnahme, sind grundsätzlich alle Komponenten einer Funktionsprüfung zu unterziehen. Ausnahmen sind nur in begründeten Einzelfällen zulässig und vom Inbetriebnahmeleiter zu genehmigen. Die Funktionsprüfungen sollten, soweit wie möglich und sinnvoll, mit Luft, Wasser oder anderen geeigneten und vertretbaren Ersatzstoffen/-medien vorgenommen werden und insbesondere umfassen:  Prüfung der Funktionstüchtigkeit der Maschinen, Aggregate und Package-units. Dies betrifft die maschinentechnischen, elektrotechnischen, mess- und regelungstechnischen, steuerungs- und sicherheitstechnischen sowie mitunter auch bautechnischen Teile. Schwerpunkte sind insbesondere die Antriebsmotoren, die Lager und deren Schmierung sowie die Getriebe und Kupplungen.  Prüfung der Funktionstüchtigkeit der Prozessleittechnik (inkl. der übergeordneten Leitebenen) sowie aller Sicherheitsschaltungen.  Prüfung der Funktionstüchtigkeit weiterer Sicherheitseinrichtungen zur Vermeidung, Alarmierung, Beseitigung, Begrenzung von Gefahren.  Prüfung der Zuverlässigkeit von bewegten Maschinenteilen, Antriebsaggregaten, Regel- und Steuerorganen, Schaltern, Signalketten u.a. störungsrelevanten Komponenten. Dazu gehören auch die akustische und schwingungsseitige Überwachung des gesamten Maschinenaggregats.  Prüfung der Dichtheit der Anlage bzw. von Anlagenkomponenten.  Prüfung der Schallemissionen inkl. Körperschall, die von der Anlagenkomponente bzw. Teilanlage ausgehen.  Prüfung der Vibration (Schwingung) an Anlagenkomponenten (Maschinen, Rohrleitungen) und ihre Ausbreitung über das Erdreich bzw. Bauwerke.

5.5 Sicherheits-, Funktions- und Abnahmeprüfungen

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 Prüfung des technischen und technologischen Zusammenwirkens einzelner Anlagenkomponenten.  Prüfung des Zusammenwirkens zwischen Neuanlage, bestehenden Anlagen und Infrastruktureinrichtungen (Outside Battery Limits) im Werksverbund. Verantwortlich für die Durchführung der Funktionsprüfungen sind meistens die Lieferund Montageunternehmen. Das Inbetriebnahmepersonal sowie ausgewählte Kräfte des späteren Bedienungs- und Instandhaltungspersonals wirken aktiv mit. Die Bereitstellung der erforderlichen Medien sowie die Entsorgung anfallender Abprodukte obliegt meistens dem Auftraggeber/Betreiber. Zur systematischen Durchführung der Funktionsprüfungen sind geeignete Vorschriften bzw. Programme zu erarbeiten und nutzen. Dies können sein:  Betriebsanleitungen der Ausrüstungshersteller,  Verfahrens- und/oder Betriebsanweisungen der Montageunternehmen,  Unterlagen der Projekt-/Montageleitung bzw. von beauftragten QS-Inspektoren,  Funktionsprüfungen-Programme in der Inbetriebnahmeanleitung (s. Tab. 3.26 in Abschn. 3.5.22 sowie Praxisbeispiel in Tab. 2.4, Abschn. 2.3.5). Die eigenständigen und umfangreichen Funktionsprüfungen-Programme, die durch den Anlagenplaner erstellt werden sollten, sind vor allem bei großen und technologisch komplizierten Anlagen zweckmäßig. Die ordnungsgemäße Durchführung jeder Funktionsprüfung ist zu protokollieren und von den Beauftragten des Auftragnehmers und des Auftraggebers durch Unterschrift zu bestätigen. Restmängel und Folgerungen sind zu erfassen. 5.5.2.1 Funktionsprüfungen der Maschinen Ziel der Funktionsprüfungen der Maschinen (Pumpen, Verdichter, Gebläse, Turbinen, Rührmaschinen, Zentrifugen, Filtertrockner, Mühlen usw.) ist es, den Nachweis ihrer mechanischen Funktionstüchtigkeit in Verbindung mit der PLT-Technik zu erbringen. Sie werden auf der Grundlage der Herstellerdokumentation inkl. Betriebsanleitung und bei komplizierten Maschinen auch unter Leitung eines Spezialisten des Herstellers durchgeführt. Voraussetzung für die Funktionsprüfung der o.g. Maschinen ist eine erfolgreich durchgeführte Drehrichtungsprüfung des Antriebsmotors, möglichst im Verbund des gesamtem Aggregates (s. Abschn. 5.5.2.2). Die Funktionsprüfungen der Maschinen werden zweckmäßig mit nichtbrennbaren Medien (Wasser, Luft) sowie u.U. in Verbindung mit dem Spülprogramm realisiert. In Tabelle 5.16 sind für Pumpen und Verdichter die wichtigsten Arbeitsgänge zusammengestellt. Bei den Probeläufen der Pumpen mit stabiler Kennlinie (s. Abschn. 6.3.2.2, Buchst. b)) werden die Pumpen i.d.R. mit Wasser gefüllt und bei geschlossener Armatur in der Druckleitung in Betrieb genommen. Bei normalen Betriebsverhalten wird auf der Druckseite die Armatur geöffnet und möglichst eine Kreislauffahrweise realisiert. Bei Verschmutzungsgefahr werden die Durchflussmessgeräte zunächst ausgebaut und die Regelventile umfahren bzw. durch Passstücke ersetzt. Die Messleitungen sind bis auf eine Standanzeige des Pumpen-Vorlagebehälters abzusperren. Ist der Kreislauf gereinigt, so wird die PLT-Technik komplettiert und die Funktionsprüfung inklusive PLT-Technik (Feld- und zugehörige Wartentechnik) fortgesetzt. Dies betrifft auch die Überprüfung der Alarmwerte und der Grenzwerte von Verriegelungen.

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

Tabelle 5.16 Hauptschritte bei Funktionsprüfungen von Pumpen und Verdichtern 1

Maschinen und Hilfssysteme auf Sauberkeit prüfen, Verunreinigungen entfernen

2

Anfahrsiebe mit geringer Maschenweite einbauen bzw. Schmutzfänger zusätzlich damit absichern

3

Dichtheit der Hilfssysteme prüfen, Schmiermittel in die Maschinen einfüllen

4

Stromversorgung durchschalten lassen, indem die Sicherung für das betroffene Aggregat eingeschaltet wird

5

Parametrierung des Frequenzumrichters (FU) bzw. des Sanftanlaufgeräts überprüfen

6

Hilfssysteme der Maschinen in Betrieb nehmen und betreffs einwandfreier Funktion beobachten und prüfen

7

Freien Lauf von Maschinenwellen, Lager- und Kupplungsspiele, „spannungsfreien“ Rohrleitungsanschluss überprüfen.

8

Einschalten und Anfahren der Maschinen; Drehzahlanstieg, Anfahrstrom beim Hochfahren kontrollieren (u.U. inkl. Frequenzumrichter bzw. Sanftanlaufgerät).

9

Probelauf der Maschinen für maximal 1 h; Beobachtung derselben auf ungewöhnliche Erwärmung der Lager oder Wellendichtungen, Laufruhe, Druckverlust am Anfahrsieb

10

Anfahrsiebe ausbauen und reinigen

11

Durchführung längerer Probeläufe in derselben Weise, z.B. für Verdichter mit stufenweiser Erhöhung der Laufzeit auf 8 h und später auf bis zu 24 h

12

Absperrorgane auf Funktion prüfen, um Klemmen oder Blockieren durch Fremdkörper oder Ablagerungen zu erkennen; soweit erforderlich, Ausbauen und Reinigen derselben

13

Kreisläufe fahren mit ungefährlichen Medien

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Funktionsprüfungen aller Mess-, Regel-, Steuer- und Sicherheitseinrichtungen

15

Justieren der Alarm- und Schaltfunktionen auf die einzustellenden Messwerte

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Medien in Kreisläufen aufwärmen und abkühlen lassen, um Abspringen von Schweißschlacken, Rostansätzen, Walzhäuten soweit wie möglich zu bewirken;

17

Justieren der Mess-, Regel-, Steuer-, Alarmfunktionen bei höheren Temperaturen

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Entleeren der Anlage von den Spülmitteln

Das Beispiel 5.5 zeigt, wie die Vorbereitung und Durchführung der Funktionsprüfungen an Kreiselpumpen verallgemeinert und systematisiert werden kann. Die Vorgehensweise ist prinzipiell auch auf andere Ausrüstungen übertragbar. Beispiel 5.5 Grundprogramm zur systematischen Inbetriebnahmevorbereitung von Kreiselpumpen Die Praxis belegt, dass gleichartige Ausrüstungen auch gleichartige Handlungen bei den Funktionsprüfungen erfordern. Der übergeordnete Einfluss des Verfahrens und der Gesamtanlage ist relativ gering. Damit ist die Möglichkeit zur Verallgemeinerung in Form von Anfahranweisungen für Ausrüstungstypicals entsprechend Abschn. 3.5.2.4, Buchst. b) gegeben. Tabelle 5.17 und Abbildung 5.22 zeigen beispielhaft die Anwendung der Netzplantechnik für die Endmontage und Inbetriebnahmevorbereitung von Kreiselpumpen. Die Vorgangsliste und der Netzplan könnten Teil der rechnergestützten Planung der Inbetriebnahmevorbereitung sein sowie zugleich zum Qualitätssicherungssystem des Pumpenherstellers bzw. Pumpenmonteurs gehören.

5.5 Sicherheits-, Funktions- und Abnahmeprüfungen Tabelle 5.17 Vorgangsliste zur Endmontage und Funktionsprüfung von Kreiselpumpen 1 2 3 4 5 6 7 8

9 10

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Start Kontrolle der Werkstoffwahl; ggf. der Prüfbescheinigungen Kontrolle der Kugellager Kontrolle der Welle Kontrolle des Laufrades Kontrolle der Stoffbuchspackung oder der Gleitringdichtung Ausrichten der Pumpe Kontrolle der Saug- und Druckleitung a) Prüfung des Durchmessers der Saugleitung b) Kontrolle der richtigen Verlegung der Saugleitung c) Dichtheitsprüfung der Rohrleitungen d) Kontrolle der Spannungsfreiheit der Rohrleitungsanschlüsse e) Kontrolle der Rückschlagklappen auf der Druckseite Kontrolle der Siebe und/oder sonstiger Filter Kontrolle der Dichtungen a) Prüfung der Eignung der Dichtungen an den Flanschen für das Fördermedium b) Ordnungsgemäße Verschraubung der Flanschpaarungen Kontrolle der PLT-Ausrüstungen a) Prüfung der Vollständigkeit aller Feldgeräte b) Prüfung der richtigen Anordnung aller Feldgeräte c) Prüfung der Funktionstüchtigkeit aller Geräte/Instrumente d) Überprüfung der Steuerung der Pumpen Armaturenkontrolle a) Prüfung der planungsgerechten Anordnung aller Armaturen b) Kontrolle der Sicherheitsventile auf der Druck- und Saugseite c) Kontrolle der Funktionstüchtigkeit der Armaturen d) Kontrolle der Startstellung aller Handarmaturen und Regelorgane e) Kontrolle der Kennzeichnung der Armaturen Schmierung der Pumpe a) Prüfung der Qualität des Schmieröls b) Prüfung des Ölstandes und der Druckmesseinrichtung c) Beachtung der Schmieranweisung d) Schmierung der Gelenke und Lager e) ggf. Kontrolle der Öltemperaturmesseinrichtung Reinigung und Spülung der Leitung und der Pumpe Reinigung und Spülung der Pumpe Trocknen Kontrolle des Antriebs der Pumpe a) Ausrichten des Motors b) Prüfung des Anschlusses der Motorklemmen c) Kontrolle der Schutzschaltung der elektrischen Anlagen d) Kontrolle der Versorgungssicherheit des Antriebs e) Funktionsprüfung des Getriebes (wenn vorhanden) f) Drehrichtungsprobe des Motors im entkuppelten Zustand Kontrolle des Kühl- bzw. Heizkreislaufes a) Kontrolle der Eigenschaften des Kreislaufmediums b) Kontrolle des Durchflusses c) Kontrolle der Dichtheit des Systems

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462

5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

Tab. 5.17 (Fortsetzung) 19 20 21 22 23

Kontrolle der Bypassleitung inkl. Armaturen Kontrolle der Reservepumpe Kontrolle der Beschilderung Kontrolle der Auffangräume Ende

Abb. 5.22 Netzplan zur Endmontage und Funktionsprüfung von Kreiselpumpen (entsprechend Tab. 5.17)

Methodisch ähnlich zu Beispiel 5.5, aber technisch komplizierter, sind die Funktionsprüfungen (Probeläufe) der Verdichter und speziell der Kreiselverdichter. Für die Verdichter ist die Fahrweise mit Luft (anstelle des Prozessgases), bei der meistens die Drücke (Saugdruck und Druckverhältnis) sowie die Gasdichte gravierend vom Auslegungszustand abweichen, häufig eine Nebenfahrweise. Wegen einer Überlastungsgefahr für den Motor wird oftmals bei niedrigeren Drehzahlen (Nutzung eines Frequenzumrichters) oder geringerer Spannung (mittels Sanftstarter) im Vergleich zum Nennzustand gearbeitet. Nähere Hinweise zum Anfahren eines großen Kreiselverdichters sind Abschn. 6.3.2.3 zu entnehmen. Die maschinentechnischen Funktionsprüfungen an Turbinen erfordern das vorherige Anfahren der Brenner und des Kessels zur Bereitstellung des Antriebsmediums. Dies wiederum setzt einen weitgehenden Montageabschluss der gesamten energietechnischen Anlage voraus, sodass oft die sog. „heißen Funktionsproben“ in die Inbetriebnahmephase verlagert werden. Während der Montagephase werden lediglich Einzelfunktionsprüfungen, z.B. zur Ausrichtung und Einstellung der mechanischen, elektrischen, und leittechnischen Komponenten vorgenommen. In Einzelfällen, in denen z.B. ein Turbinen-Anfahrmotor oder Fremddampfanschluss vorhanden ist, sind auch eingeschränkte „warme Funktionsprüfungen“ während der Montagephase bzw. Kalt-Inbetriebnahme möglich.

5.5 Sicherheits-, Funktions- und Abnahmeprüfungen

463

Bei den Funktionsprüfungen von Rührwerken, Zentrifugen, Extrudern, Knetern u.a. Trenn- bzw. Verarbeitungsmaschinen ist es vorteilhaft, dass sie meist ohne Medium angefahren und technisch erprobt werden können. In jedem Fall sind die Bedingungen der Funktionsprüfungen derart mit dem Hersteller abzustimmen, dass keine Schäden an der Maschine verursacht werden und die vom Hersteller zugesicherte Gewährleistung/Garantie für die spätere bestimmungsgemäße Nutzung umfassend erhalten bleibt. Wie wichtig Funktionsprüfungen an Maschinen sind, um frühzeitig Unwägbarkeiten zu erkennen und auszuschließen, zeigt das folgende Beispiel 5.6. Beispiel 5.6 Funktionsprüfung eines Scheiben-Kompaktors zur Agglomeration von Kunststoff-Verpackungsfolien In einer neu zu errichtenden Kunststoff-Recyclinganlage wurde zur Agglomeration der Folienstücke (sog. Folienflaks) ein Scheiben-Kompaktor vorgesehen (s. auch Abb. 4.7 in Beispiels 4.1, Abschn. 4.2.1). Ziel war die Erzeugung eines Kunststoffagglomerats mit deutlich größerem Schüttgewicht und besseren Verarbeitungseigenschaften gegenüber dem Ausgangsprodukt. Der Kompaktor bestand aus einer rotierenden und einer feststehenden Scheibe, auf denen auswechselbare Knetleisten befestigt waren. Die Folienstücke werden mittels einer Zuführschnecke zwischen beide Scheiben gepresst und durch die Fiktion (Reibung) plastifiziert und zu Strängen verdichtet. Der Kompaktor war entsprechend den Hinweisen des Herstellers, direkt (ohne eigenes Maschinenfundament) auf der Bodenplatte der Produktionshalle aufgestellt. Nach der Montage des Kompaktors erfolgte schrittweise die Funktionsprüfung ohne und mit Einsatzprodukt. Sie diente insbesondere dem Zweck:  die Drehrichtung zu kotrollieren,  die optimalen Maschinenparameter (Scheibenabstand, Scheibendrehzahl, Scheibentemperatur, Kühlwassermenge am Ausgang, Güte der Agglomeration u.a.) in Abhängigkeit von der Menge und Art des inhomogenen Einsatzmaterials zu ermitteln und einzustellen. Dabei wurden im Bereich des Agglomerators abnormale Schwingungen (Vibration, Erschütterung) festgestellt, die sich über die Bodenplatte auf die baulichen Anlagenteile und Nachbarbetriebe ausbreiteten. Ursache der Schwingungen waren Unwuchten an der drehenden Scheibe in Form anhaftenden Kunststoffs und ungleichmäßige Materialverteilung. Wegen dem uneinheitlichen Einsatzprodukt konnten diese undefinierbaren Anpackungen, trotz Parameteroptimierung, nicht sicher ausgeschlossen werden. Kurzfristig veranlasste Messungen der Schwinggeschwindigkeit an verschiedenen Orten [15] und die Berechnung der relevanten Erschütterungsgrößen [16] zeigten, dass die Schwingungsstärke im Hinblick auf Personen und Bauwerke grenzwertig waren. Auf Grund dieses Befundes wurde noch vor Beginn der Inbetriebnahme ein Schwingungsrahmen zwischen Kompaktor und Bodenplatte gebaut. Dieser besteht im Prinzip aus einen Grundrahmen und einen Maschinenrahmen, die beide über Federelemente schwingungsseitig entkoppelt sind. Wegen der veränderten Höhenverhältnisse mussten die verlegten Rohrleitungen und Kabel nachträglich neu angepasst werden. Da die Schwingungen (Erschütterungen) bereits während der Funktionstests festgestellt wurden, konnten die notwendigen technischen Folgemaßnahmen noch rechtzeitig vor der Gesamtanlage realisiert werden.

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

5.5.2.2 Funktionsprüfungen der Elektrotechnik Die Aufgabengebiete der Elektrotechnik sind im Anlagenbau umfangreicher und differenzierter als gemeinhin angenommen. Im Einzelnen ist der Verantwortliche für Elektrotechnik zuständig für  Stromeinspeisung, Umspannstationen, Hochspannungsschaltanlagen,  Trafostationen, Mittelspannungsschaltanlagen,  Stromversorgung der Antriebe u.a. elektrische Verbraucher,  Funktion der elektrischen Antriebe inkl. Frequenzumrichter bzw. Sanftanlaufgeräte,  Stromversorgung der PLT, inkl. Steuerung und Signalisierung,  Netzersatzanlagen zur Notstromversorgung, Akkumulatoren, Batterien,  Kabelverlegung,  Beleuchtung, elektrische Begleitheizung,  Blitzschutz und Erdung, elektrischer Explosionsschutz,  Brand- und Rauchmeldung, inkl. Alarmierung, Kommunikation und örtliche Information der Feuerwehr u.a. Einsatzkräfte (s. auch Abschn. 5.5.2.4),  kathodischer Korrosionsschutz. Neben den wichtigen Transformator- und Schaltanlagen inkl. der zugehörigen Verkabelung, die zur Stromversorgung aller elektrischen Verbraucher benötigt werden, gehören zur Elektrotechnik auch mehrere kleinere Spezialgewerke. Letztere werden nicht selten in Vorbereitung der Inbetriebnahme unterschätzt bzw. vernachlässigt. Der Inbetriebnehmer muss dem entgegen wirken, indem er diese Spezialgewerke ganzheitlich in die Funktionsprüfungen einbezieht. In Abschn. 5.4 wurde bereits ausgeführt, dass für den Elektriker gegen Ende der Montage die Heiß-Inbetriebnahme eines Großteils der elektrotechnischen Betriebsmittel (Anlagenteile/Einrichtungen/Geräte) erfolgt. Dies betrifft alle elektrotechnischen Komponenten, die für den Fortgang bis zur Mechanischen Fertigstellung inkl. Qualitäts-, Sicherheits- und Funktionsprüfungen und während der Kalt-Inbetriebnahme gebraucht werden. Dies sind nahezu alle. Aus diesem Sachverhalt folgert: Die Funktionsprüfungen der meisten elektrotechnischen Betriebsmittel/Einrichtungen werden in Verbindung mit deren Heiß-Inbetriebnahme während der Endmontage (im Rahmen der Inbetriebsetzung) durchgeführt. Entsprechend diesen erhöhten Gefährdungen ist das Arbeitserlaubnissystem der Baustelle, insbesondere betreffs „Freischalten und Arbeiten an elektrischer Anlagen“ anzupassen. Oftmals finden die Funktionsprüfungen zur Elektrotechnik auch parallel bzw. gemeinsam mit den Funktionsprüfungen zur MSR-/PLS-Technik statt. Prüfungsgrundlage sind die verschiedenen elektrotechnischen Ausführungsdokumente und die betrieblichen Prüfanweisungen, wobei folgende Schwerpunkte (außer den in Abschn. 5.5.1 betrachteten Sicherheitsprüfungen) bestehen:  Prüfung aller Elemente der Hochspannungs- und Starkstromtechnik (Netzeinspeisung, Transformatoren, Schalt- und Verteileranlagen, Kabelverlegung, Sicherheitseinrichtungen), inkl. der zugehörigen MSR-/PLS-Technik.  Prüfung aller Elemente zur Versorgung der elektrischen Betriebsmittel und Verbraucher mit 380/220 Volt (Schalt- und Verteileranlagen, Kabelverlegung, Sicherheitseinrichtungen), inkl. der zugehörigen MSR-/PLS-Technik.

5.5 Sicherheits-, Funktions- und Abnahmeprüfungen

465

 Überprüfung der unterbrechungsfreien Spannungsversorgung (USV) inkl. der Notstromversorgung, z.B. indem am Eingangstrafo die 11 kV-Einspeisung in die Anlage unterbrochen wird (s. Beispiel 5.7),  Prüfung der automatischen Netzumschaltung bei großen Motoren, die zur Erhöhung der Versorgungssicherheit teilweise an zwei Netzen angeschlossen sind.  Loop-checks der Signalübertragung zu und von den elektrischen Verbrauchern (in Zusammenarbeit mit Loop-checks der PLT-Stellen).  Anlaufkontrolle und Drehrichtungsprüfung aller Motoren im Verbund mit dem Funktionsaggregat.  Ist diese komplexe Prüfung, z.B. ohne Medium oder mit Wasser, nicht möglichst, so sollte die Drehrichtung des abgekuppelten Antriebsmotors oder zumindest des Drehstrom-Drehfeldes getestet werden. Im Zweifel muss die Drehrichtungsprüfung später mit Originalprodukt vor dem Anfahren nochmals wiederholt werden.  Die möglichen technischen und monetären Folgen einer falschen Drehrichtung können sehr gravierend sein, sodass generell gelten muss: Ohne erfolgreiche und protokollierte Drehrichtungsprüfung darf es keine „heiße“ Inbetriebnahme der Maschine geben.    

Prüfung und Optimieren der Parametrierung der Frequenzumformer. Kontrolle der Stromaufnahme des Motors beim Anfahren. Prüfung der Laufanzeige sowie sonstiger elektrischer Messgrößen. Überprüfung der Motorschutzschalter (stichprobenartig) sowie weiterer, die Motoren betreffende Sicherheitseinrichtungen.  Überprüfung der Beleuchtung, inkl. Ausleuchtung der Anlage nachts.  Prüfung der elektrischen Einrichtungen und Betriebsmittel für den Brand- und Explosionsschutz (z.B. Brandmeldeanlage, Feuermelder, Brandmeldertableau). Der Prüfumfang ist in vielen Anlagen und besonders in Kraftwerken mit dem Hochspannungsteil für Generatoren, Umspannstationen, Schaltanlagen usw. erheblich. Die Ausführung obliegt Fachkräften unter Beachtung der VDE-Bestimmungen u.a. administrativen Maßnahmen (z.B. Arbeitserlaubnissystem). Beispiel 5.7 Funktionsprüfung eines Diesel-Notstromaggregats In einer großen verfahrenstechnischen Anlage war zur Notstromversorgung ein Dieselmotor-Generator-Aggregat vorgesehen. Die Notwendigkeit der Funktionsprüfung, zusätzlich zu den pflichtgemäßen Sicherheitsprüfungen, wurde zunächst aus Zeitgründen kontrovers diskutiert. Die ET-Spezialisten des Auftragnehmers betonten den hohen Qualitätsstandard bei der Beschaffung und Installation der einzelnen Bauteile. Letztlich wurde aber eine Funktionsprüfung des Diesel-Notstromaggregats auf Grundlage eines abgestimmten Testprogramms durchgeführt. Die Ergebnisse bestätigten nachdrücklich die Notwendigkeit des Tests und offenbarten folgende Mängel: a) Die Vorprüfung der „Liste der Notstrom-Verbraucher“ ergab eine Gesamtleistung aller Notstrom-Verbraucher von 430 kW, aber der vorhandene „Not-Diesel“ hatte nur eine Leistung von 380 kW. Bedarfsänderungen seit der Bestellung waren nicht berücksichtigt wurden. Es musste ein größeres Notstromaggregat neu bestellt werden.

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

b) Das Mikrophon am Feuerwehrtableau funktionierte nicht. Im Einsatzfall wäre u.a. keine Kommunikation zwischen der Feuerwehr (vor Ort am Tableau) und der Messwarte möglich gewesen. c) Die Feuerlöschpumpen liefen nicht an. Die Feuerlöschanlage war somit nicht einsatzfähig. d) Die Tür vom Lastenaufzug öffnete nicht. Im Brandfall hätte eine im Aufzug befindliche Person diesen nicht verlassen können (sog. Feuerfalle). e) Die geplante Prioritätenschaltung der 4 Entrauchungsgebläse funktionierte nicht. Gegebenenfalls wäre dadurch der Notdiesel beim gleichzeitigen Anfahren der 3 Gebläse in Störung gegangen. 5.5.2.3 Funktionsprüfungen des Prozessleitsystems (PLS) und der Mess-Steuer-Regeltechnik (MSR) Die Leit- und MSR-Technik beeinflussen in erheblichem Maße die Projektabwicklung sowie die Inbetriebnahme einer verfahrenstechnischen Anlage. Sie bietet gleichermaßen Chancen wie Herausforderungen. Die wesentlichen Gründe sind:  Die anteiligen Kosten für die Prozessleittechnik (PLT) insgesamt (inkl. ET) machen ca. 30 % der Gesamtinvestition aus.  Die PLT bildet das „Gehirn“ und das „Nervensystem“ der Anlage. Sie beeinflusst entscheidend deren Sicherheit und Effizienz.  Die PLT-Montage sowie die Sicherheits- und Funktionsprüfungen liegen fast immer auf dem „kritischen Weg“, d.h. sie sind zeitbestimmend für den Inbetriebnahmebeginn und häufig auch für das Inbetriebnahmeende.  Fehler in der PLT-Hard- und PLT-Software, die erst während der Heiß-Inbetriebnahme sichtbar werden, können zu gravierenden Verzögerungen und Mehrkosten führen.  Die PLT entwickelt sich, im Vergleich zu anderen Fachdisziplinen, relativ dynamisch. Beispiele sind u.a.: ▪ die Nutzung einer digitalen, seriellen Datenübertragung mittels Feldbuskabel (Kupfer-Feldbuskabel und/oder LWL (Lichtwellenleiter-Feldbus-kabel), ▪ die Anwendung von WLAN (Wireless Local Area Network) für die Datenübertragung vom Feld in die Warte und umgekehrt, ▪ die zunehmende Einbindung einer Betriebsleitebene und auch einer Unternehmensleitebene ins Prozessleitsystem, um beispielsweise Synergien im Betrieb bzw. im Unternehmen weltweit zu nutzen (s. Tab. 5.18), ▪ der Einsatz von Multisensoren bzw. von intelligenten Feldgeräten (z.B. Integration der Prozessnahen Komponente (PNK) in den Sensor oder Aktor), ▪ die Entwicklung von Fehlerfreien Steuerungen (fail-safe) sowie von SoftwareModulen für sicherheitsgerichtete Steuerungen, ▪ die zunehmende Nutzung prozessgerichteter Steuerungen für eine automatisierten Anlagenbetrieb (An- und Abfahren, Umfahren, Fernbedienung usw.). Die angeführten Gründe und Trends machen es notwendig, dass jeder Inbetriebnehmer ausreichende Grundkenntnisse über die Prozessleittechnik hat. „Ausreichende Grundkenntnisse“ bedeutet für den Inbetriebnehmer: a) entsprechend seiner Verantwortung und Zuständigkeit zu handeln und b) ausreichend Wissen und Erfahrungen über die Prozessleittechnik (PLT) zu besitzen,

5.5 Sicherheits-, Funktions- und Abnahmeprüfungen

467

Damit ist der Inbetriebnehmer in der Lage:  die Aussagen des Leadingenieur PLT für sich nachvollziehbar zu verstehen,  die Schnittstelle zwischen der eigenen Arbeit und der PLT effizient zu gestalten. Tabelle 5.18 Leitebenen-Modell der Produktion

 Die weiteren Ausführungen sollen dieses Anliegen unterstützen. Abb. 5.23 zeigt beispielhaft eine Leittechnik-Struktur mit Betriebs-, Prozess- und Feldleitebenen. Eine mögliche, übergeordnete Unternehmensleitebene (s. Tab. 5.18) ist nicht dargestellt. Die abgebildeten Ebenen sind wie folgt charakterisiert: a) Betriebsleitebene (ggf. mit Unternehmensleitebene vernetzt) Mögliche Komponenten der Betriebsleitebene sind Betriebs- und Laborleitsysteme sowie Rechner/-netze zur Führung des Betriebes (s. Tab. 5.18). Die Komponenten werden über einen „offenen“ Systembus, der die Schnittstelle des Prozessleitsystems nach außen darstellt, angekoppelt. Üblich ist die Anbindung eines wirtschaftlichen Betriebsführungssystems, welches Sollvorgaben für die marktgerechte Produktion und einen effizienten Anlagenbetrieb macht. Die Betriebsleitebene kann genutzt werden, um mehrere Anlagen eines Betriebs gemeinsam zu führen. Beispielsweise verschiedene Anlagen zur Kunststoffherstellung an einem Standort, die über ein gemeinsames Prozessleitsystem in einer gemeinsamen Messwarte geführt werden. Sie kann ferner über eine definierte Schnittstelle um eine Unternehmensleitebene erweitert werden. Diese Ebene kann z.B. dazu dienen:  mehrere Erdgasspeicher eines Unternehmens, die eine größere Region mit Erdgas versorgen, von einer Dispatcherzentrale aus gemeinsam zu bedienen und zu leiten (dispatchen),

468

5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

 die weltweit betriebenen Raffinerien eines Unternehmens ganzheitlich zu führen, z.B. hinsichtlich Gewinnmaximierung.

 Abb. 5.23 Ebenenstruktur eines Prozessleitsystems

b) Prozessleitebene Zur Prozessleitebene in der Warte gehören die Anzeige- und Bedienkomponenten (ABK) bestehend aus den Bedienrechnern mit Betriebssystem, Monitor und Drucker. Weitere Bedienplätze können über X-Terminals realisiert werden. Die ABK bilden die Schnittstelle zwischen dem Prozessleitsystem und den Anlagenfahrern (Operator), indem sie die Prozessbilder und die Prozessinformationen anzeigen und die Prozessführung ermöglichen. Typische Funktionen und Merkmale von ABK sind 17:         

Standard-Bedienbilder (Übersichts-, Gruppen- und Einzelbild, Ablaufsteuerungsbild), freie Grafiken (z.B. für Prozessbilder, spezielle Bedienbilder), ggf. fensterorientierte Bedienoberfläche, Rezepterstellung, -verwaltung und -beobachtung, Alarmbehandlung (Unterteilung nach Anlagenteilen, interaktive Auswertung), Datenverwaltung, -archivierung und -dearchivierung, Systemdiagnose (für Anlagenfahrer und für die PLT-Instandhaltung), Bedienmittel: Tastatur, Maus, Touchscreen, Großbildsysteme, Systemdokumentation, Bedienbuch und Hilfetexte,

5.5 Sicherheits-, Funktions- und Abnahmeprüfungen

469

 interaktive Unterstützung des Anlagenfahrers durch Einbeziehen von Betriebsanweisungen und Online-Hilfen,  Einblenden von Videobildern,  geeignete Abgleichmechanismen zur Gewährung der Redundanz,  ggf. Laden und Abarbeiten von Fremdprogrammen. Durch die Verwendung kommerzieller Rechner und Betriebssysteme können die üblichen Hard- und Softwareschnittstellen genutzt und Daten bzw. Dateien einfacher importiert/exportiert werden. Die auf Abb. 5.23 dargestellte Engineering Workstation (EWS) mit den zugehörigen Software-Werkzeugen ermöglicht die Programmierung des Prozessleitsystems; auch bei laufenden Betrieb. Ferner ergeben sich u.a. folgende Möglichkeiten [17]: ▪ Das Engineering ist auch ohne die übliche PLS-Hardware möglich. ▪ Das „Simultaneous-Engineering“ ist durch mehrere Bearbeiter gleichzeitig möglich. ▪ Das Engineering-Werkzeug ist in das PLS integriert, sodass Änderungen ausschließlich mit diesem Werkzeug vorgenommen werden und nicht über andere Schnittstellen. Dadurch sind Konsistenz und Aktualität der Dokumentation gewährleistet. ▪ Moderne Engineering-Werkzeuge können aktuelle Prozessdaten in die Konfigurierbilder einblenden, entweder als Zahl oder sogar als Trendbild. Dadurch können die Signale im Konfigurierbild verfolgt, Korrekturen und Änderungen ohne weitere Fensterwechsel durchgeführt und der Erfolg unmittelbar kontrolliert werden, ▪ Schnittstellen zu CAD-Systemen für die Projektabwicklung und Feldplanung. Mittels eines, häufig redundanten PLS-Systembus wird die Kommunikation zwischen ABK und den Prozessnahen Komponenten (PNK) sowie jeweils intern zwischen den ABK bzw. PNK intern realisiert. c) Feldleitebene Die Feldleitebene umfasst die Prozessnahen Komponenten (PNK), die Feldgeräte und notwendige Verbindungs-/Koppelkomponenten. Die PNK verarbeiten einerseits die Feldsignale von Sensoren und liefern andererseits die Feldsignale für die Aktoren. Sie enthalten u.a.:    

Karten für die Stromversorgung, Prozessorkarten für die Realisierung von Regelungs- /Steuerungsfunktionen, Schnittstellenkarten zum Systembus, Schnittstellenkarten zum Anschluss von peripheren Geräten und/oder Steuerungen (z.B. Speicherprogrammierbare Steuerung (SPS) einer Package-unit),  Ein-/Ausgangskarten für die Signalwandlung (analoge, binäre, pulsierende Signale),  Ein-/Ausgangskarten für eigensichere Signale im Ex-Bereich. Typische Funktionen und Merkmale von PNK sind 11:  Datenerfassung und -verarbeitung (Mittelwertbildung, Fehlerkorrektur u.ä.)  Regeln und Steuern (sicherheits- und prozessrelevant) mit Zykluszeiten von 10 ms bis 1000 ms; im Bereich der Stahlverarbeitung bis zu 1 ms,  Ausführen von Rezepten,  Ausgangssignale gehen bei Systemausfall auf vordefinierte Werte (Sicherheitsstellung),

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

 spezielle Regelalgorithmen, wie Fuzzy Control oder modellgestützte Messwerterfassung,  Zwischenpuffern der Prozesssignale, falls die Kommunikation zur ABK gestört ist,  Erkennung von Grenzwertverletzungen und Alarmierung. Die PNK-Funktionen müssen auch bei Ausfall der ABK und/oder des Systembus, zumindest zeitweise, erhalten bleiben. Die PNK werden in der Regel im MSR-Schaltraum in Nähe der Messwarte aufgestellt. Neuere PNK ermöglichen die Ein-/Ausgangskarten (sog. remote I/0) separat von den restlichen PNK, zum Beispiel in Vor-Ort-Schalträumen oder Vor-Ort-Schaltschränken (im Nicht-Ex-Bereich), aufzustellen. Insgesamt ist der elektrische Explosionsschutz der PNK noch nicht befriedigend gelöst und führt nicht selten zu Einschränkungen bezüglich der örtlichen Systemarchitektur und Aufstellung. Die Feldgeräte sind die Sensoren (Messfühler, Kontakte) und Messwertumformer sowie die Aktoren (Stellarmaturen mit Antrieb, Motoren, Schalter) vor Ort. In „intelligenten“ Feldgeräten werden Mikroprozessoren integriert, die einzelne PNK-Funktionen dezentral ausführen sowie umfangreiche Informationen über sich und den Prozess an die anderen „Systempartner“ liefern können. Die Kommunikation zwischen PNK und EMR-Feldtechnik erfolgt zunehmend über ein oder wenige Feldbuskabel (z.B. Profibus, Lichtwellenleiter). Mitunter erfolgt auch noch konventionell eine separate Verkabelung zwischen den Unterverteilern im Feld und den Rangierverteilern im MSR-Wartengebäude. Die beiden Fotos in Abb. 5.24 belegen, wie klein und damit auch relativ preisgünstig die Bauelemente zur Signalwandlung geworden sind.

Abb. 5.24 links: Wandlung/Umsetzung analoger 4-20 mA-Signale (2-Leiter-Kupfer) von den Sensoren in ein digitales Signal (Kupfer-Feldbus) rechts: Wandlung/Umsetzung digitaler Signale von Lichtwellenleiter-Feldbus-kabel (dünn-mittig) auf Kupfer-Feldbuskabel (dick nach links/rechts)

5.5 Sicherheits-, Funktions- und Abnahmeprüfungen

471

Einschränkend für die Feldbus-Installation sind z.T. noch nicht Feldbusstandards sowie Probleme bei der Gewährleistung des elektrischen Explosionsschutzes. Teil der Feldleitebene sind (bei Verwendung) auch die Speicherprogrammierbaren Steuerungen (SPS), die z.B. die komplexen Automatisierungsaufgaben von Teilanlagen oder die sicherheitsgerichteten Steuerungen realisieren. Die SPS können je nach Hersteller an die PNK oder direkt an den Systembus angekoppelt werden. Nach diesen Ausführungen zu Struktur, Funktion und Komponenten von LeittechnikSystemen soll die Funktionsprüfung der Prozess- und Feldleitebene behandelt werden. Die Qualitäts- und Funktionsprüfung des Prozessleitsystems inkl. Feld erfolgt zweckmäßig in folgenden zwei Schritten: 1. Schritt: Qualitäts- und Funktionstest des Prozessleitsystems (Hard- und Software) beim Hersteller bzw. Lieferant (sog. FAT  Factory Acceptance Test). Zu diesem Zweck wird die Hard- und Software des Prozessleitsystems beim Hersteller aufgebaut und sorgfältig vom Besteller vor Auslieferung getestet. Der FAT entspricht der „Prüfung beim Hersteller zwecks Freigabe zur Auslieferung“, wie er auch bei Hauptausrüstungen erfolgt (häufig auch als FAT bezeichnet). Der Test wird ohne verfahrenstechnische Anlage durchgeführt, d.h. die Signalausgänge werden häufig direkt auf die zugehörigen Eingänge (Rücksignale) geklemmt. Mitunter wird auch ein Übertragungsglied, welches Verzögerungen, Totzeiten oder andere Übertragungsfunktionen simuliert, dazwischen geklemmt. Die Dynamik des Prozesses wird somit im Test nicht bzw. nur stark eingeschränkt erfasst. Existiert ein Prozessmodell, so kann dieses mit dem PLS genutzt werden. Die Funktionsprüfung gemäß Punkt 3 in Tab. 5.19 bleibt im Normalfall auf eine Stichprobe beschränkt. Eine 100-Prozentprüfung, wie bei kerntechnischen Anlagen, findet normalerweise nicht statt. Der Umfang der Stichprobe und damit der Zeit- und Kostenaufwand bestimmt somit maßgeblich die Aussagekraft des FAT. Die Checkliste zur Durchführung eines „normalen“ FAT ist in Tab. 5.19 angegeben. Tabelle 5.19 Auszug aus einem Testprogramm für den FAT (Factory Acceptance Test) eines Prozessleitsystems (Praxisbeispiel) 1 Prüfung der PLS-Hardware  Vollständigkeitsprüfung, Schrankaufbau  Einhaltung der Spezifikation für alle Komponenten  Batterietests, Systemdiagnosetests, Plattentests, Plattentest  Schnittstellen zum Prozess (Umfang, Betriebsbereitschaft)  Belüftung, Temperaturüberwachung,  Beschilderung, Beschriftung  Standard-Dokumentation für System und Komponenten  projektspezifische Dokumentation und Dokumentation für Instandhaltung 2 Prüfung der PLS-Systemsoftware  Systemlogbuch  Installationssoftware inkl. Upgrades  Booten der Komponenten,  Simulation Spannungsausfall,  Shutdown-Software testen  Redundanztest,  Dokumentation für Software

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

Tab. 5.19 (Fortsetzung) 3

Prüfung der PLS-Funktionen zum Prozess/Anlage  Verarbeitung Eingangssignale (z.B. für relevante Messgrößen)  Erzeugen Ausgangssignale (z.B. für relevante Stellgeräte)  Signalprüfung Alarmierungen und Verriegelungen  Simulation Regelungen für relevante Regelgrößen  Simulation sicherheitsgerichteter Steuerungen  Simulation prozessrelevanter Steuerungen inkl. Schrittketten

4

Dokumentation der Ergebnisse des FAT  Erfassen der Fehler/Mangel in Mangelmeldungen (s. Formular in Abb. 5.4, Abschn. 5.1.2)  gegebenenfalls Freigabe zur Auslieferung

2. Schritt: Qualitäts-/Funktionstest und Inbetriebnahme des Prozessleitsystems (Hard/Software) zusammen mit der Anlage (sog. SAT  Site Acceptance Test). Zu diesem Zweck wird die Hard- und Software des Prozessleitsystems in der Anlage installiert und gemeinsam mit den stationären Einrichtungen (z.B. Schalträume, Schaltschränke) sowie der Feldtechnik geprüft (s. Tab. 5.20). Die benötigten elektrischen und pneumatischen Hilfsenergien müssen anliegen. Nach Abschluss des SAT ist die Prozessleittechnik zu großen Teilen in Betrieb. Auch beim SAT wird i.Allg. nur eine Stichprobe gemäß einem zuvor abgestimmten „Prüfprogramm für SAT“ geprüft, d.h. das Ergebnis ist mehr oder weniger eingeschränkt. Tabelle 5.20 Auszug aus einem Testprogramm für den SAT (Site Acceptance Test) eines Prozessleitsystems (Praxisbeispiel) 1 Installationsprüfung in der Anlage 1.1 Prüfung der Schalträume  Ex-Schutz (Dichtheit, Sauberkeit, Gaswarneinrichtung)  Brandschutz (Brand-/Rauchmelder, Feuerlöscher)  Fluchtwege (Bauausführung, Kennzeichnung)  Warnung (Lautsprecher, Sirene, Hupton, Telefon)  Zugangsschutz (Schlüssel, Transponder)  Heizung, Kühlung, Lüftung  Beleuchtung, Notbeleuchtung  zugehörige Dokumentation (vollständig, rechtskonform, as-built, nutzbar) 1.2 Elektroenergie-Versorgung  Gleichspannung, Wechselspannung  Notversorgung  Test USV (Unterbrechungsfreie Spannungsversorgung)  zugehörige Dokumentation (vollständig, rechtskonform, as-built, nutzbar 1.3 Schrankausführung  Ausführung gemäß Ausführungsplanung und Spezifikation  Stromeinspeisung  Erdungssystem, Erdungswiderstand, Überspannungsschutz  Baugruppen gesteckt  Test EMV (Elektromagnetische Verträglichkeit)  zugehörige Dokumentation (vollständig, rechtskonform, as-built, nutzbar)

5.5 Sicherheits-, Funktions- und Abnahmeprüfungen

473

Tab. 5.20 (Fortsetzung) 2 Prüfung der Hardware und Software des PLS (Liefer-/Installationskontrolle) 2.1 Prüfung auf Vollständigkeit und Unversehrtheit gemäß FAT 2.2 Prüfung der Vor-Ort-Installation des PLS  Installation gemäß Spezifikation und Bestellung  Beschriftung der Komponenten  Spannungsversorgung, Sicherungen, Erdung, Blitzschutz  Schrankbelüftung, Temperaturbegrenzung  Baugruppen gesteckt und verkabelt, periphere Geräte angeschlossen  Systemdiagnose  Redundanz  Spannungsausfall, USV, Wiederanlauf 3 Prüfung der PLS-Funktionen gemeinsam mit Anlage (Feldtechnik)  Prüfung der Anzeigefunktionen am Monitor  Kontrolle der Justierung und Kalibrierung der Feldgeräte  Loop-check aller PLT-Stellen (MSR, ET, NAT, PAT) von Feld zur Warte und umgekehrt  Prüfung Alarmierungen und Verriegelungen  Prüfung der Endlagenschalter  Funktionsprüfungen der Regelungen (soweit möglich)  Sicherheitsprüfung der PLT-Schutzeinrichtungen (soweit möglich)  Funktionsprüfung der prozessgerichteten Steuerungen inkl. Schrittketten (soweit möglich) 4 Dokumentation der Ergebnisse des SAT  Erfassen der einzelnen Fehler/Mangel in Mangelmeldungen (s. Formular in Abb. 5.4, Abschn. 5.1.2)  gegebenenfalls Freigabe zur Inbetriebnahme

In Pharmaanlagen gehören der FAT und der SAT zur Installationsqualifizierung (IQ) (s. auch Abschn. 5.7.2). Ergebnisse aus dem SAT werden, zusammen mit zusätzlichen Funktionsprüfungen während der Kalt-Inbetriebnahme, auch bei der Funktionsqualifizierung (OQ) genutzt (s. auch Abschn. 6.2.7.2). Ergänzend zu den Aussagen in Tab. 5.20, insbesondere unter Punkt 3. (Funktionsprüfung) seien noch folgende Hinweise angefügt:  Die Loop-checks beinhalten für alle PLT-Stellen die Prüfung der offenen Signalkette (offline) der jeweiligen PLT-Stelle bezüglich der planungs- und funktionsgerechten Montage/Installation.  Grundlage für die Loop-checks sind die PLT-Datenblätter und die PLTStellenpläne (Synonym: Stromlaufpläne, Schaltpläne) der einzelnen PLT-Stellen.  Erfolgt die Signalübertragung teilweise über ein Feldbus-Kabel, so reichen die Stromlaufpläne nicht. Üblich sind bei Feldbus-Signalübertragung die Stromlaufpläne vom Feldgerät bis zum Remote I/O-Geräte (Umsetzer). Zusätzlich wird die Bus-Signal-übertragung auf Bus-Signallogikpläne bzw. Bus-Signalaustauschlisten dargestellt. Für die Loop-Checks vor Inbetriebnahme werden sowohl die Stromlaufpläne als auch die Bus-Signallogikpläne/Bus-Signalaustauschlisten benötigt.  Es wird zuerst die Signalübertragung vom Prozess zur Warte geprüft. Anhand der Planungsunterlagen werden systematisch die Signalwege, angefangen vom Mess-

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  



5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

glied über die Messumformer usw. bis zur Funktionseinheit in der Prozessstation sowie der entsprechenden Anzeige auf dem Monitor gestellt. Nach Möglichkeit werden dazu die zu erfassenden Betriebszustände (z.B. Stände, Drücke, Temperaturen) eingestellt oder, wenn dies nicht möglich ist, simuliert. Dies betrifft auch die Testung der Alarme und Verriegelungen, z.B. indem die Alarmwerte bzw. Grenzwerte/Schaltwerte an die Istwerte herangefahren werden. Anschließend wird umgekehrt der Signalweg von der Warte zu den Feldgeräten (Stellventilen, Motorschiebern, Motoren u.a. elektrischen Betriebsmitteln/Verbrauchern) geprüft. Zu diesem Zweck werden die verschiedensten aktiven Bedienhandlungen (z.B. Verändern der Stellgrößen) am Prozessleitsystem vorgenommen und beobachtet, ob die ausgeführte Handlung auch tatsächlich vor Ort stattfindet. Gegenstand der Loop-checks sollten nicht nur qualitative Merkmale (z.B. richtige Zuordnung von Sensor bzw. Aktor, richtige Laufrichtung bzw. Endlage des Aktors, Plausibilität des am Monitor angezeigten Messwertes) sondern auch eine Kontrolle von quantitativen Merkmalen der PLT-Stelle sein (z.B. Richtigkeit des angezeigten Messwertes, Prüfung der Alarmwerte, Schließ- bzw. Öffnungszeiten von fernbedienten Armaturen). Dazu muss das entsprechende PLT-Gerät zuvor justiert, kalibriert bzw. anderweitig grundeingestellt werden. Ferner sind ggf. unabhängige Vergleichsmessungen zur Eichung bzw. Genauigkeitskontrolle nötig. Die Prüfergebnisse sind in Loop-check-Protokollen pro PLT-Stelle zu protokollieren. Mängel sind möglichst zeitnah zur Prüfung zu beseitigen. Die MSR-Loop-checks sind zusammen (interdisziplinäres Team) bzw. in Abstimmung mit den Loop-checks der Elektrotechnik durchzuführen. Festgestellte Mängel sind möglichst zeitnah zur Prüfung sowie unter Verantwortung des Prüfteams zu beheben. Dabei sollten zusätzliche Fachkräfte, außerhalb des Prüfteams, mitwirken. Im Normalfall kann ein Team pro Tag ca. 15-20 PLT-Stellen prüfen, sofern die Fehlerbeseitigung nicht selbst vom Prüfungs-Team organisiert wird.

Sofern bei den Loop-checks nicht erfolgt, sind ▪ die Alarm- und Verriegelungsparameter für die relevanten PLT-Stellen einzustellen bzw. zu überprüfen, ▪ die Reglerparameter voreinzustellen bzw. zu kontrollieren, ▪ die Sensoren zu kalibrieren bzw. zu justieren und die Aktoren zu parametrieren (z.B. Stellungsregler, Frequenzumrichter).  Im Anschluss an die Loop-checks sowie den FAT und SAT finden soweit wie möglich und zweckmäßig, die Funktionsprüfungen von Regelkreisen, von Zeit-/Folgesteuerungen, von Sicherheitsschaltungen (Verriegelungsschaltungen) u.a. Automatisierungsfunktionen statt.  Die PLT-Schutzeinrichtungen (sog. Z-Stellen) sind auf der Grundlage von Prüfanweisungen und im Beisein von Sachverständigen/Sachkundigen nachvollziehbar zu prüfen. Dies gilt sinngemäß auch für andere wichtige PLT-Einrichtungen zur Prozessführung und -überwachung.  In Pharmaanlagen gilt das Vorgenannte analog für die GMP-relevanten PLTStellen (sog. G-Stellen).

5.5 Sicherheits-, Funktions- und Abnahmeprüfungen

475

 Zur Überprüfung der Prozessnahen Komponenten (PNK) in Verbindung mit dem Bedienrechner besteht u.a. die Möglichkeit, die Ein- und Ausgänge kurzzuschließen bzw. die Regelstrecke andersartig zu simulieren.  In jedem Fall sollte jedoch kritisch hinterfragt werden, inwieweit die Simulation zweckmäßig ist. Wenn sie mit erheblichen Abstrichen bzgl. Praxisnähe und mit Risiken (z.B. Fehler beim Rückbau der Simulationsmaßnahmen) verbunden ist, sollte die komplexe Funktionsprüfung besser auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden.  Die Prüfungen sind möglichst unter prozessnahen Bedingungen zusammen mit den Funktionsprüfungen der Maschinen durchzuführen.  Werden Frequenzumrichter als Stelleinrichtungen in Regelkreisen bzw. Steuerketten genutzt, so sind diese in die Funktionsprüfung einzubeziehen. Dies betrifft u.a. die Überprüfung der Parametrierung, des Regelbereichs, der Kennlinie, der Regelgenauigkeit, der Blindleistung.  Nicht zuletzt ist die Prüfung der Informationsdarstellung auf dem Monitor wichtig. Die Prozessbilder sowie die Übersichts-, Gruppen- und Einzeldarstellungen sind auf ihre planungsgerechte Ausführung und ihre Eignung für die Inbetriebnahme zu überprüfen. Änderungen sind in dieser Phase noch mit einem geringen Aufwand möglich. Der Umfang der PLT-Funktionsprüfungen ist bei verfahrenstechnischen Anlagen immens und für die Qualitäts- und Terminsicherung wesentlich. Für diese Arbeiten ist ein effektives Prüfmanagement mit Prüfplan, vorgegebenen Prüfprotokollen sowie regelmäßigen Erfüllungskontrollen zu gewährleisten. Dem Projekt- und insbesondere dem Inbetriebnahmeleiter muss es gelingen, die PLTFunktionsprüfungen planbar und kontrollierbar zu machen. Das heißt, er muss sich intensiv und ausreichend detailliert mit diesen Arbeiten vertraut machen, sodass sie für ihn transparent und nachvollziehbar sind. Parallele Prüftätigkeiten, z.B. im Zweier-Team und unter Einbeziehung des späteren Operator- und Instandhaltungspersonals, sind in der Regel notwendig. Gegenüber der Projektleitung ist die Gewährung der vorgesehenen Prüfdauer durchzusetzen. Dem Inbetriebnahmeteam gibt eine gründlich geprüfte Leittechnik enormen Rückhalt und ermöglicht ihm, sich später auf den Prozess (Regelstrecke) zu konzentrieren. 5.5.2.4 Funktionsprüfungen sonstiger Komponenten und Einrichtungen a) Anlagenkomponenten und bauliche Einrichtungen mit Sicherheitsfunktion Für derartige Komponenten und Einrichtungen stellt die Sicherheitsprüfung zugleich die Funktionsprüfung dar. Beispiele sind Prüfungen von:  Löscheinrichtungen mit Wasser, Schaum, Löschgasen usw. (s. Beispiel 5.8),  Rauch- und Wärmeabzugsanlagen (s. Abb. 5.25, links),  Fluchtwegen und zugehörigen Einrichtungen (s. Abb. 5.25, rechts),  Zufahrtswegen und Stellplätzen für Feuerwehr und Rettungsfahrzeuge,  Einrichtungen zur Alarmierung und Aufforderung zum Verlassen der Anlage,  Zweckmäßigkeit von Sammelplätzen im Alarmfall,  Einrichtungen zur Einbruch- und/oder Diebstahlsicherung,  Einrichtungen zur Anwesenheitskontrolle,  Kommunikationseinrichtungen mit Nachbarbetrieben, zentralen Einrichtungen am Standort, kommunale Stellen usw.

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

 Abb. 5.25 links: Komponente einer Rauch- und Wärmeabzugsanlage rechts: Fluchttür mit Signalgeber

Beispiel 5.8 Erfahrungen aus Funktionsprüfungen von zwei speziellen Anlagenkomponenten Auf dem Betriebsplatz einer Großanlage waren ca. 8 Stück von sog. Wasser-Monitoren zur Brandbekämpfung angeordnet (s. Abb. 5.26, links). Die Funktionsprüfungen und praktischen Übungen an diesen manuell bedienbaren Feuerlöscheinrichtungen sollten u.a. nachweisen, dass  an jedem Monitor ein ausreichender Vordruck (wie geplant) anliegt,  jeder Monitor eine ausreichende Löschwassermenge (wie geplant) bereit stellt,  die Druckverhältnisse und die verfügbaren Wassermengen an den einzelnen Monitoren auch bei gleichzeitiger Nutzung mehrerer Monitore weitgehend konstant bleiben,  die brandgefährdeten Anlagenteile während der Brandbekämpfung gut einsehbar sind und mit dem Wasserstrahl gut erreichbar sind,  die Monitore durch eine Person gut bedienbar sind. Während der Funktionsprüfung wurde festgestellt, dass ein mit Flüssiggas gefüllter Behälter, der eine signifikante Brandquelle darstellte, von keinem Monitor ausreichend einsehbar war. Damit hätte die Löschung weitgehend „blind“ erfolgen müssen. Die Anordnung der Monitore wurde daraufhin nochmals geändert. Das rechte Bild in Abbildung 5.26 zeigt einen Düsenstock, an dem an der Spitze eine Einstoffdüse mit ca. 1 mm Bohrungsdurchmesser befestigt ist. Der Düsenstock diente zur Injektion von Glykol (Kältemittel) in mehrere Wärmeübertrager einer Kälteanlage zur Trocknung von Erdgas. Durch die Injektion des Kältemittels sollte die Bildung von Gashydrat (feste, eisähnliche Partikel) innerhalb der Wärmeübertrager vermieden werden.

5.5 Sicherheits-, Funktions- und Abnahmeprüfungen

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 Abb. 5.26 links: Wasser-Monitor zur Brandbekämpfung rechts: Düsenstock mit Düse zur Injektion von Glykol

Die insgesamt ca. 10 Düsenstöcke wurden sehr gründlich gereinigt und anschließend die Düsen montiert. Obwohl für alle Düsen ein Hersteller-Zertifikat vorlag, wurden die montierten Düsen nochmals grundsätzlich auf Durchlässigkeit geprüft. Zu diesem Zweck wurde an den Düsenstock eine Stickstoffflasche angeflanscht und der Stickstoff über die Düse ins Freie geblasen. Durch manuelle Wahrnehmung (Strömungsgeräusche, Freistahl) wurde kontrolliert, ob  alle Düsen durchlässig sind,  die Durchlassfähigkeit der einzelnen Düsen in etwa gleich ist. Im Ergebnis der qualitativen Prüfung wurde festgestellt dass eine Düse keinen Durchgang und eine zweite Düse einen zu geringen Durchgang hatte. Beide Düsen wurden durch neue ersetzt. Was Ursache der Verstopfung war, konnte nicht geklärt werden. Wäre der Mangel nicht gefunden worden, wäre es mit hoher Wahrscheinlichkeit während der Heiß-Inbetriebnahme zur Gashydrat-Bildung und zum Zusetzen (Verstopfen) der Wärmeübertrager und anderer Teile der Kälteanlage gekommen. b) Funktionsprüfungen von Apparaten, Behältern, Tanks Die Funktionsprüfung dieser Ausrüstungen, sofern sie nicht in die Komplexen Funktionsprüfungen von Teilanlagen (Package-units) gemäß Abschn. 5.5.2.5 eingebunden ist, bezieht sich vorrangig auf die Überprüfung der verfahrenstechnischen Funktionen. Im Sonderfall, wenn die Gefährdungssituation während der Endmontage dies ermöglicht, ist die Funktionsprüfung mit einem Leistungstest der Ausrüstung verbunden. Beispiele derartiger Funktionsprüfungen sind:  Ermittlung der übertragenen Wärmeübertragungsleistung von Verdampfern, Kondensatoren, mantelbeheizten/-gekühlten Rührbehältern, Reaktoren usw.,  Untersuchung der Funktion (Mischen, Lösen) von Rührern,  Ermitteln der hydraulischen Durchlassfähigkeit von Rohrleitungssystemen, Kolonnenböden und -packungen, Abscheidern inkl. Demistoren,  Untersuchung der Funktion (Abscheidegrad) von Abscheidern inkl. Trennbehälter, Tanks,

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

 Untersuchungen zum Feststoff-Handling (Einfüllen, Fördern, Anbacken, Verklumpen usw.). Einschränkungen sind häufig dann gegeben, wenn die Funktionsprüfungen aus Sicherheitsgesichtspunkten nur mit inerten Medien und nicht mit dem Originalprodukt durchgeführt werden können. c) Funktionsprüfungen von Sonderteilen Das Beispiel 5.8 und Abb. 5.26, rechts beschreiben an Hand einer Düse eine derartige Funktionsprüfung. Sie kann auch andere Sonderbauteile betreffen, wie z.B.:  Lochblenden, Drosselscheiben,  Siebe,  spezielle Armaturen, Abdichtungen,  Bauteile zum Vermeiden von Resonanzschwingungen,  spezielle Rohrleitungshalterungen zur Körperschall-Entkopplung. d) Funktionsprüfungen der Prozess- und Laboranalysentechnik (PAT und LAT) Da die Produktqualitäten meistens wesentliche Garantiegrößen sind, hat eine zuverlässige Analytik eine große Bedeutung. In verfahrenstechnischen Anlagen kommen zur analytischen Überwachung zunehmend Prozessanalysengeräte zum Einsatz. Da diese auf das Prozessmedium und die Prozessbedingungen geeicht wurden, sind repräsentative Funktionsprüfungen vor der Anlageninbetriebnahme häufig nicht möglich. Man weicht dann z.T. auf eine alternative Prüfung im Labor aus bzw. führt zur Testung des Prozessanalysators zusätzliche Vergleichsanalysen im Labor ein. Häufig erweist sich die Probenahme und nicht der Analysator als Schwachpunkt, beispielsweise  bei einer möglichen Probenahme aus einem Totraum (s. Beispiel 5.9),  bei Gefahr von partieller Kondensation oder Verdampfung innerhalb der Probe,  bei längeren Probenahmeleitungen. In die Überprüfung der Reproduzierbarkeit der analytischen Messung sollte deshalb die Probenahme mit eingeschlossen werden. Zweckmäßig ist es auch, wenn der Verfahrenstechniker im Inbetriebnahmeteam in Vorbereitung der Inbetriebnahme nochmals eine Überprüfung der Probenahmestellen auf Funktionsgerechtheit, einschließlich der weiteren Handhabung der Probe, vornimmt. Dabei sollten folgende Sachverhalte kontrolliert werden:  Gewährleisten einer repräsentativen Probenahme aus der Ausrüstung (s. Beispiel 5.9),  keine Veränderung der entnommenen Probe bis zum Eintritt in den Analysator,  Schutz des Prozessanalysators vor mechanischer Beschädigung, vor Witterungseinflüssen u.a. äußeren Einflüssen,  Zugänglichkeit und ausreichende Beleuchtung der Probenahmestelle für die Handprobenahme zur Laboranalyse ( ggf. auch für Vergleichsmessungen),  Zugänglichkeit und ausreichende Beleuchtung des Prozessanalysators für die Wartung, Reparatur oder Austausch des Prozessanalysators. In die Funktionsprüfungen der Laboranalysentechnik sind, neben den analytischen Untersuchungen, einzubeziehen:

5.5 Sicherheits-, Funktions- und Abnahmeprüfungen

   

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Be- und Entlüftungseinrichtungen, Absaugeinrichtungen, Gaswarneinrichtungen, Rauch- und Brandmelder, Augendusche u.a. Sicherheits- und Gesundheitsschutzmaßnahmen.

Beispiel 5.9 Erfahrungen bei der Ausführung von Prozessanalysatoren Das linke Bild in Abb. 5.27 zeigt die beheizte Probenahmestelle aus der Flüssigphase eines Abscheiders zur Gas-Flüssigkeit-Trennung. Während der Endkontrolle vor Inbetriebnahme wurde festgestellt, dass das Probenahmerohr direkt auf den Apparatestutzen angeflanscht war. Somit wurde immer eine Probe aus der im Stutzen befindlichen Flüssigkeit entnommen. Da zwischen dieser sog. Stutzen-Flüssigkeit und der Behälterflüssigkeit keine intensive Vermischung stattfand, wurde letztlich keine repräsentative Probe (gemäß den aktuellen Prozessbedingungen) entnommen. Als Lösung wurde zwischen die beiden Flansche noch ein Zwischenflansch mit angeschweißtem Kapillarrohr (8 mm Innendurchmesser) montiert. Die Länge des Kapillarrohrs wurde so gewählt, dass es 120 mm ins Innere des Behälters und damit in die Flüssigkeit hineinragte. Das rechte Bild in Abb. 5.27 zeigt einen Prozessanalysator zur Taupunktmessung im Gasstrom. An diesem Analysator wurde vor Ort (im Ex-Bereich) keine Beleuchtung vorgesehen. Die Konsequenz war, dass die Operator im Dunkeln stets eine Ex-Lampe mitbringen mussten. Dies erschwerte die Wartungsarbeiten. Aus diesem Grund wurde nachträglich eine örtliche Beleuchtung realisiert. Außerdem wurde festgelegt, dass zukünftig die bedienungs- und instandhaltungsgerechte Ausleuchtung der Anlage bei Nacht in die Spezifikation für Engineeringleistungen und in die Montagekontrollen aufgenommen wird.

 Abb. 5.27 links: Probenahmestelle an einem Abscheider (in der Flüssigphase) rechts: Analysator zur Taupunktmessung im Gasstrom (im Ex-Bereich)

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

5.5.2.5 Komplexe Funktionsprüfungen Komplexe Funktionsprüfungen beinhalten die ganzheitliche Erprobung und Prüfung von Teilanlagen, technischen Systemen oder der Gesamtanlage nach der Montage hinsichtlich ihrer technischen Funktion. Grundsätzlich lassen sich diese Teilanlagen (Package-units, Subsysteme) in zwei Kategorien unterscheiden. 1. Kategorie: Teilanlagen/-systeme, die für den Fortgang der Projektabwicklung zu diesem Zeitpunkt benötigt werden. Dazu gehören insbesondere die zu Beginn von Abschn. 5.4 aufgeführten Teilanlagen und Systeme. Die Funktionsprüfung dieser Teilanlagen/Systeme erfolgt im Zusammenhang mit ihrer eigentlichen Inbetriebnahme und wurde in Abschn. 5.4.2 sowie in Abschn. 5.5.2.2 und 5.5.2.3 erläutert. 2. Kategorie: Teilanlagen/-systeme, die aus Zeit- und Kostengründen zweckmäßig zu diesem Zeitpunkt funktionsgeprüft werden sollten und die aktuelle Baustellensituation die Komplexen Funktionsprüfungen ermöglicht. Dies betrifft verstärkt prozessrelevante Teilanlagen, wie z.B.:  Package-units (Wasseraufbereitungsanlagen,Wärmeträgeranlagen, Kälteanlagen, Abgas- bzw. Abwasserreinigungsanlagen, Pumpensysteme, Verdichteranlagen, Granulatförderanlagen, Konfektionier- und Verpackungsanlagen u.a.),  Kolonnenschaltungen mit Wärmeübertragern, Kühlern und Pumpen,  Transport- und Lagersysteme,  komplette Rührkesselsysteme,  Gaskreislaufsysteme mit Verdichter und integrierten Abscheidern, Kolonnen, Wärmeübertragern u.a. Ausrüstungen,  komplexe Prozesssteuerungssysteme einschließlich des Betriebs integrierter Maschinen und Apparate. Die Komplexen Funktionsprüfungen dieser Teilanlagen erfolgt nach Möglichkeit im „Inselbetrieb“ mit Wasser und Luft oder anderen inerten, wenig gefährlichen Stoffen und Medien. In besonderen Fällen kann während der Komplexen Funktionsprüfungen auch die ganze Anlage, z.B. durch Rückführungsleitungen erprobt werden. In Ausnahmefällen können auch bereits Rohstoffe (z.B. Rohwasser in Trinkwasseranlagen) oder Zielprodukte (z.B. Kunststoffgranulat in Kunststoffanlagen) zum Einsatz kommen. In den meisten Projekten setzen aber die Sicherheitsbedenken auf der Baustelle sowie der aktuelle Montagefortschritt enge Grenzen bezüglich des Produkteinsatzes und der Prozessbedingungen. Auch wenn die Funktionsprüfungen ohne Betriebsmedium und bei abweichenden Betriebsbedingungen (z.B. geringeren Temperaturen) stattfinden, sind die Aussagen doch außerordentlich wertvoll. Gerade die Schnittstellen, Wechselwirkungen und Rückkopplungen sind in verfahrenstechnischen Anlagen problematisch. Sie sind experimentell kaum und rechnerisch nur schwer zugänglich. Es gilt die „alte Weisheit“: Allgemein ist es besser, einen Teil des Geldes, das während der Inbetriebnahme zur Störungsbeseitigung und durch Wartezeiten ausgegeben wird und vorher nicht kalkuliert wurde, zuvor für Prüfungen und Schnittstellentests auszugeben. Die Fahrweisen für die Komplexen Funktionsprüfungen sind ein wichtiger Bestandteil eines inbetriebnahmegerechten Engineering. Sie müssen vom Planer und Inbetriebneh-

5.5 Sicherheits-, Funktions- und Abnahmeprüfungen

481

mer rechtzeitig vorgedacht und in die Dokumente eingearbeitet werden. Derartige komplexe Systemprüfungen gehören i.d.R. nicht zum Leistungsumfang der Montagefirmen. Im Einzelfall können auch zusätzliche, technische Vor-Ort-Maßnahmen (extra Rohrleitungen, Pumpen, Messtechnik), die Systemtests vor der Inbetriebnahme ermöglichen, wirtschaftlich sein. Der zukünftige Betreiber sollte derartige technische Maßnahmen zur verbesserten Erprobung und Flexibilisierung des Anlagenbetriebes unterstützen (auch finanziell), da sie ihm bei späteren Störungen bzw. Wiederinbetriebnahmen nutzen. Die Komplexen Funktionsprüfungen werden zweckmäßig in der Inbetriebnahmeanleitung, eventuell als extra Anhang textlich und zeichnerisch (z.B. angepasste bzw. farblich markierte Fließschemata) beschrieben. Die Prüfschwerpunkte sind analog wie bei den maschinentechnischen Funktionsprüfungen. Verstärkt kommen systemtechnische Gesichtspunkte hinzu, wie  Rückwirkung von Stoff- und Energieströmen,  vermaschte Regelungen und Steuerungen,  Schwingungen und/oder Druckstöße in technischen Systemen,  Zuverlässigkeit und Redundanz technischer Systeme,  Dichtheitsprüfung größerer Systeme. Der klassische Fall einer Komplexen Funktionsprüfung ist die sog. Wasserfahrt, die i.d.R. aber nicht am Ende der Montagephase, sondern nach der Mechanischen Fertigstellung während der Kalt-Inbetriebnahme stattfindet (s. Abschn. 6.2.4). 5.5.3 Abnahmeprüfungen bzw. Leistungsfeststellung Die Abnahmeprüfung (acceptance test) ist die rechtsverbindliche Prüfung einer erbrachten werkvertraglichen Leistung (z.B. Realisierung und Inbetriebnahme einer Package-unit) auf deren sach- und vertragsgemäße Ausführung. Dabei wird nicht nur die Funktionstüchtigkeit der Anlage, sondern auch deren Leistungsfähigkeit nachgewiesen. Die Abnahmeprüfung, die während der Endmontage und vor Beginn „Inbetriebnahme Gesamtanlage“ stattfindet, bezieht sich i.Allg. auf  eine Teilanlage (Package-unit) im Sinne von Abschn. 5.4.2, die fertig montiert ist, seit einiger Zeit im Nennzustand betrieben wird und für Qualitätskontrollen sowie Sicherheits-/Funktionsprüfungen in Vorbereitung der Inbetriebnahme genutzt wird,  die vertragsgemäße Lieferung, Montage und Inbetriebnahme (inkl. Probelauf, Leistungstest) einer Hauptausrüstung (z.B. Pumpe, Verdichter, Behälter, Tank),  eine erbrachte und in sich abgegrenzte Montage-/Bauleistung (z.B. Rohrleitungsmontage für eine Teilanlage/Rohrleitungssystem oder die Fertigstellung eines definierten Bauwerks/Bauvorhabens). Grundlagen der jeweiligen Abnahmeprüfung sind die Durchführung:  der Leistungsfahrt bzw. Leistungstests bei Package-units/Nebenanlagen,  von Probeläufen bzw. Messfahrten bei Maschinen bzw. Apparaten,  der Erfüllungskontrolle zum Vertrag bei Bau-/Montageleistungen. Ist zu diesem Zeitpunkt (s. Beispiel 5.10) eine Abnahme im werkvertraglichen Sinne und den damit verbundenen Rechtsfolgen nicht gewollt, so sollte statt Abnahmeprüfung der Begriff Leistungsfeststellung bzw. bei Bauverträgen der Begriff Zustandsfeststellung verwendet werden.

482

5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

Letzterer resultiert aus § 650g BGB [18] sowie aus § 4 Abs. 10 der VOB/B [19] und ist bei einem Bauvertrag nach BGB oder VOB dann zwingend durchzuführen, wenn der Besteller die Abnahme unter Angabe von Mängeln verweigert. Hinsichtlich des Verlangens der betroffenen Auftragnehmer, nach Realisierung ihrer Vertragsleistung zeitnah die rechtsrelevante Abnahme zu vollziehen, gilt: Die Durchführung von Abnahmeprüfungen einzelner Anlagenkomponenten und/ oder Package-units mit dem Ziel, die vereinbarte Leistungsfähigkeit dieser Anlagenteile nachzuweisen (obwohl die Abnahme für die Gesamtanlage erst später erfolgt) ist in vielen Fällen bzgl. Gewährleistungsbeginn, Gefahren- und Verantwortungsübergang und Beweislastumkehr problematisch. Für den Generalunternehmer ist im Generalvertrag (LSTK-Vertrag) (s. Abschn. 4.3.2.1) eine frühzeitige Abnahme von Teilanlagen/Komponenten unter Umständen riskant. Einerseits kann damit ein Gefahrenübergang an ihn verbunden sein, den er noch nicht an den Auftraggeber weitergeben kann. Zum anderen besteht das Risiko einer sog. Gewährleistungslücke zwischen ihm und dem Subunternehmer, für die er gegenüber dem Auftraggeber einstehen muss. Beispiel 5.10 verdeutlicht diese Aussage. Beispiel 5.10 Zeitversetzte Abnahmen von Package-unit und Gesamtanlage Im Rahmen eines Generalvertrages wurde zwischen dem Auftraggeber und dem (General-)Auftragnehmer die Errichtung einer schlüsselfertigen Großanlage vereinbart. Der Auftragnehmer wiederum vergab u.a. die Errichtung einer Nebenanlage zur Erzeugung von Reinstwasser als Package-unit an einen Nachauftragnehmer. Im Werkvertrag über die Package-unit wurde vom Nachauftragnehmer die Funktion dieser Teilanlage über 24 Monate gewährleistet. Dies war analog zur Gesamtanlage geregelt. Da bereits während der Montagephase, z.B. für Spülmaßnahmen sowie für Druckund Funktionsprüfungen, ein spezifikationsgerechtes Reinstwasser benötigt wurde, musste die Reinstwasseranlage bereits ca. 6 Monate vor Betriebsbereitschaft der Gesamtanlage in den Dauerbetrieb gehen. Auf Grund der beschriebenen vertragsgemäßen Nennlastfahrwiese beantragte der Package-unit-Hersteller bei seinen Auftraggeber/Besteller die rechtsverbindliche Abnahme der Reinstwasseranlage. Der Generalunternehmer gab dem statt und unterschrieb das Abnahmeprotokoll mit allen werkvertraglichen Konsequenzen für die Package-unit (Gefahrenübergang, Gewährleistungsbeginn, Beweislastumkehr). Da die Gesamtanlage erst deutlich später abgenommen wurde, ergab sich für den Generalauftragnehmer folgende problematische Situation. Einerseits trug er für die Package-unit bis zur Abnahme der Gesamtanlage die Gefahr und die Servicekosten und zum anderen ergab sich für ihn eine sog. Gewährleistungslücke. Letzteres bedeutete, dass nach 24 Monaten die Gewährleistung des Packageunit-Lieferanten ausgelaufen war, er aber gegenüber den Endkunden für die Gesamtanlage und somit auch für die Package-unit noch ca. 6 Monate zu gewährleisten hatte. In der Folge entstanden dem Generalauftragnehmer dadurch höhere Inbetriebnahmekosten, die er nicht an den Endkunden weitergeben konnte. Ähnlich ist die Situation (s. 1. Fall in Abschn. 4.4.3.1), wenn seitens des Auftraggebers ein Projektträger (AG-Projektteam) tätig ist, der verantwortlich die Anlage in einzelnen Paketen einkauft, als Ganzes konfiguriert, errichtet und die Gesamtanlage in Betrieb

5.5 Sicherheits-, Funktions- und Abnahmeprüfungen

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nimmt. Erst wenn der Leistungsnachweis für die Gesamtanlage erbracht wurde, findet die unternehmensinterne Übergabe/Übernahme der Gesamtanlage vom AG-Projektleiter an den AG-Betriebsleiter statt. In etwas abgeschwächter Form besteht ein derartiges Risiko auch für einen Generalplaner, sofern er die gesamten Engineeringleistungen gegenüber dem Investor verantwortet, aber Engineering-Teilleistungen vom Package-unit- bzw. Komponenten-Lieferanten erbracht wurden. Auch wenn es schwierig erscheint, muss der Generalauftragnehmer bzw. Generalplaner die vorgezogene Abnahme von Teilanlagen vermeiden. Das heißt, die Teilanlagen sollten zeitgleich mit der Gesamtanlage abgenommen werden. Dazu sind in den Einzelverträgen entsprechende Vereinbarungen, die u.U. mit Mehrkosten verbunden sind, aufzunehmen. Ist dies vertraglich nicht erfolgt, sind zum gegebenen Zeitpunkt die zusätzlichen Betreuungsleistungen bzw. die längeren Gewährleistungsfristen nachzukaufen. Es spricht im Normalfall nichts dagegen, die Leistungserbringung dem Auftragnehmer in Form eines „Protokolls zur Leistungsfeststellung XYZ“ (z.B. Protokoll Mechanische Fertigstellung für die Package-unit) zu bestätigen, sodass dieser gemäß vertraglich vereinbartem Zahlungsmeilenstein die zugehörige Rechnung legen kann. In jedem Fall benötigen der Projekt- und Inbetriebnahmeleiter eine genaue Übersicht bezüglich der Leistungsfeststellungen und der werkvertraglichen Situation (Konsequenzen) aller Beschaffungsvorgänge. Dies kann u.a. in Form einer Einkaufskontrollliste oder einer Übersicht der ausgestellten Protokolle über die Fertigstellung und Abnahme“ erfolgen (s. Tab. 5.21). Tabelle 5.21 Mögliche Daten einer „Übersicht der ausgestellten Protokolle über die Fertigstellung und Abnahme nach § 640 BGB für ein Projekt (Praxisbeispiel) Lfd.Nr.

Bestell-Nr.

Protokoll Mechanische Fertigstellung

Bezeichnung

Hersteller / Lieferant

Protokoll Abnahme nach § 640 BGB

Monate

Gewährleistung Beginn Ende

Bemerkungen

Typische prozessrelevante Package-units, für die einerseits komplexe Funktionsprüfungen unter den gegebenen Bedingungen zweckmäßig sind und andererseits die Gefahr einer Gewährleistungslücke besteht, sind u.a.:  Wasseraufbereitungsanlagen für Kesselspeisewasser, Deionat, Reinstwasser,  Rückkühlwasser-Anlagen,  örtliche Abwasser- bzw. Abluftreinigungsanlagen,  Be- und Entlüftungsanlagen, Absauganlagen,  Ofenanlagen,  Dampferzeugungsanlagen, Wärmeträgeranlagen, Kälteanlagen,  Pumpen-, Verdichter- und Gebläseanlagen,  Förderanlagen für Feststoffe und Gebinde,  Konfektionier-, Befüll- und Verpackungsanlagen für unterschiedliche Gebinde,  Be- und Entladestationen für Kesselwagen, Tank-Kessel-Wagen (TKW), Silofahrzeuge, Schiffe usw.,

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

 Lager und zugehörige Einrichtungen für Edukte/Produkte, Gebinde, Verschließ- und Ersatzteile usw.  Anlagen der Technischen Gebäudeausrüstung,  Prozessleitsysteme und/oder Speicherprogrammierbare Steuerungen  Anlagen zur Steuerluft-Erzeugung und Verteilung,  Entwässerungssysteme für Regen- bzw. Oberflächenwasser.

5.6 Dichtheitsprüfung der Anlage Häufig werden nach den Druckprüfungen der Rohrleitungssysteme (sog. Presskreise), dem Spülen sowie den Funktionsprüfungen nochmals einzelne Anlagenkomponenten geöffnet und  abgelagerter Schmutz (z.B. in Behältern, auf Böden) mechanisch entfernt,  kontrolliert, dass sich an austenitischen Cr/Ni-Stählen kein Rost festgesetzt hat, der unter wässrigen Bedingungen zur Zerstörung der Passivierung führt,  kontrolliert, dass die Anlage, falls die Vorschrift es fordert, trocken ist,  temporäre Filter entfernt,  schmutzempfindliche Einbauten (Demister, Schlitzböden, Füllkörper usw.) ausgebaut,  restliche Feldgeräte und Rohrleitungsteile eingebaut,  letzte Inspektionen (z.B. Befestigung beim Reinigen stark beanspruchter Bauteile) durchgeführt worden. Gleichfalls kann es notwendig sein, nach den Druck- und Funktionsprüfungen einzelne Dichtungen und/oder Packungen zu wechseln oder einzelne Flansche nachzuziehen. Nach Abschluss all dieser Maßnahmen sind deshalb ein Verschließen sowie eine ganzheitliche Dichtheitsprüfung der gesamten Anlage notwendig. Der Dichtheitsnachweis ist ein Qualitätsnachweis der Montage und unter Verantwortung des Baustellen- bzw. Montageleiters durchzuführen. Die Inbetriebnehmer wirken unterstützend und kontrollierend mit. a) Dichtheitsprüfung von Druckanlagen Die Gesamt-Dichtheitsprüfung wird bei Druckanlagen i.d.R. mit Luft oder Stickstoff bei einem Überdruck von 0,3 bis 1,0 bar durchgeführt. Im Einzelfall, z.B. bei Gashochdruckleitungen, werden auch höhere Drücke bis zum zulässigen Betriebsüberdruck des betreffenden Systems gewählt. Nachdem der Ausgangsdruck eingestellt ist, wird anschließend der Druckabfall beobachtet sowie die Anlage abgegangen. Häufig kann die Leckage akustisch wahrgenommen werden. Wenn nicht, muss bei Überdruck durch Einpinseln oder Aufsprühen von Schaumbildnern die Leckage geortet werden. Leitungen mit gefährlichen und/oder korrosiven Medien bzw. unter hoher Druckund/oder Temperaturbeanspruchung sollten an kritischen Stellen generell abgeseift werden. Eine besondere Vorgehensweise erfordern:  Rohrleitungen mit wassergefährdenden Stoffen nach AwVS [20] (ggf. Gefährdungsabschätzung nach § 21 Abs. (1), AwVS) sowie  Flanschverbindungen/Absperrorgane, die keiner Rohr-, Armaturen- und Dichtungsklasse zuzuordnen sind und der TA-Luft [21] unterliegen (Dichtheitsnachweis).

5.6 Dichtheitsprüfung der Anlage

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In den meisten Fällen sind die diagnostizierten Leckageursachen undichte Flansche und/oder Stopfbuchsen, die nachgezogen werden müssen. Schwierigkeiten bereiten mitunter die Dichtheit größerer Apparateflansche während der Heiß-Inbetriebnahme, insbesondere nach vorheriger Temperatur-/Druck-Wechselbeanspruchung (s. auch Beispiel 5.3 in Abschn. 5.4.2). Da man in der Regel während der Messung des Haltedruckes nicht mit einem absolut konstanten Druckverlauf rechnen kann, muss die Frage beantwortet werden: Wann gilt die Anlage als dicht? Zunächst wird vorausgesetzt, dass die Temperatureinflüsse erfasst und korrigiert werden. Damit reduziert sich das Problem auf die Abschätzung und den Nachweis einer allgemein vertretbaren Leckagemenge für die Gesamtanlage. Praktisch wäre es kaum bezahlbar, wenn jede verfahrenstechnische Anlage absolut dicht sein muss. Maßstab für den Einzelfall sind die Aussagen im Genehmigungsbescheid sowie der Stand der Technik inkl. die Merkblätter und Schlussfolgerungen aus den „beste verfügbare Techniken (BVT)“ gemäß [14] (s. Abschn. 3.3.1.3, Buchst. a)). Aus der Erfahrung mit Mitteldruck-Raffinerieanlagen sind für den Druckabfall Grenzwerte von max. 0,1 bar/h bei einer Haltedauer von mindestens 6 h bekannt. b) Dichtheitsprüfung von Vakuumanlagen In Vakuumanlagen ist die Dichtheitsprüfung unbedingt unter Vakuum, z.B. bei dem späteren Betriebsdruck, durchzuführen. Das Vakuum wird beispielsweise mittels Vakuumpumpen bzw. Wasser-/Dampfstrahlern aufgebracht und anschließend der Druckverlauf beobachtet. Zur Leckageortung sind sog. Helium-Leckagetests üblich. Dabei wird an der vermuteten Leckagestelle von außen Heliumgas aufgegeben und im Inneren der Anlagenkomponente die Gasphase nach Spuren von Helium analysiert. Für Vakuumanlagen besitzen die Hersteller der Vakuumerzeugungskomponenten in der Regel zulässige Leckraten gemäß Stand der Vakuumtechnik. Bei größeren Anlagen kann es aus Gründen, wie  schnelleres „Einkreisen und Lokalisieren“ der Leckage,  stark abweichende Betriebsparameter bzw.  komplizierte und verschiedenartige Ausrüstungen zweckmäßig sein, die Dichtheitsprüfungen zunächst getrennt nach Anlagenteilen vorzunehmen. Zur schnellen und sicheren Lokalisierung der Schadstelle sind weitere Leckageortungsverfahren bekannt. Dazu gehören:  Ortung mit akustischen Geräten, die die Lautstärke des Leckgeräuschs nutzen,  Ortung mit Helium u.a. Testgasen, die durch das Leck hindurchströmendes Testgas mittels Detektor nachweisen,  Ortung mittels Korrelationsmessverfahren, das die akustischen Signale der Leckgeräusche durch Zeitverschiebung auswertet,  punktuell erfassende bzw. linienförmig und flächig abdeckende Sensorsysteme, die auf Leitfähigkeitsänderungen durch austretende Flüssigkeiten ansprechen. Die angeführten Ortungsverfahren können auch zur Leckageüberwachung während des Betriebes genutzt werden.

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

5.7 Erfüllungskontrolle der Inbetriebnahmevoraussetzungen Die nachfolgend beschriebene Überprüfung bzw. Auditierung soll die Frage beantworten, inwieweit ganzheitlich die Voraussetzungen erfüllt sind, das Protokoll Mechanische Fertigstellung zu unterschreiben und mit der Inbetriebnahme zu beginnen. Sie ist eine wesentliche Maßnahme zur effizienten Schnittstellengestaltung zwischen der Bau-/Montagephase und der Inbetriebnahmephase während der Projektabwicklung. Diese Zielstellung ist eine andere als die des Inbetriebnahmechecks in Vorbereitung der Inbetriebnahmeplanung (s. Abschn. 4.5, Tab. 4.19). Bei diesem Check ging es darum, die verschiedenartigen Risiken/Unwägbarkeiten während der zu planenden Inbetriebnahmedurchführung „ehrlich und schonungslos“ zu analysieren und zu bewerten, um sie in der Planung adäquat berücksichtigen zu können. 5.7.1 Grundvoraussetzungen und Inbetriebnahmeaudit Eine Erfüllungskontrolle der Voraussetzungen für den Beginn der Inbetriebnahmen sowie eine Überprüfung der geplanten Maßnahmen zur Inbetriebnahmedurchführung sollte in allen Projekten gegen Ende der Montagephase stattfinden. In einigen Fällen wird der Inbetriebnahmeleiter gedrängt, mit der Inbetriebnahme zu beginnen, obwohl einige wesentliche Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Er muss für sich prüfen und entscheiden, ob er unter diesen Bedingungen die Verantwortung als Inbetriebnahmeleiter wahrnehmen kann (s. auch Anforderungsprofil und Verhaltenstips an den Inbetriebnahmeleiter in Abschn. 4.4.2.2). Neben den Verantwortungsaspekt ist aber ein „erzwungener“ Inbetriebnahmestart, trotz wesentlicher, bekannter Restpunkte, i.Allg. unwirtschaftlich und ein Managementfehler. Er ist meistens dem Ansehen und Image des/der Vertragspartner geschuldet und nicht sachlich begründet. Im Nachhinein dauert es bis zum Ende der Inbetriebnahme nicht selten länger und es wird häufig teurer. Vorteilhaft für die Überprüfung ist, wenn im Projekt bereits zuvor die wichtigsten Inbetriebnahmevoraussetzungen definiert sind. Dies kann beispielsweise erfolgen  im Anlagenvertrag (s. Abschn. 4.3.2.1) und/oder  in der Inbetriebnahmeanleitung (s. Abschn. 3.5.2.2). Insbesondere in der Inbetriebnahmeanleitung muss derjenige Vertragspartner, der die Gesamtanlage verantwortlich in Verkehr bringt, die wichtigsten Voraussetzungen für deren Inverkehrbringen vorgeben. Dazu gehören in der Regel als 17-Punkte-Programm für den Inbetriebnahmebeginn die in Tabelle 5.22 angeführten Grundvoraussetzungen. Tabelle 5.22 Grundvoraussetzung für den Beginn der Inbetriebnahme 1

Die Anlage ist vollständig montiert, gereinigt und dicht.

2

Die notwendigen Sicherheitsprüfungen wurden erfolgreich durchgeführt und nachvollziehbar dokumentiert.

3

Die im Genehmigungsbescheid gemachten Auflagen/Nebenbestimmungen der Behörde für den Beginn des Bestimmungsgemäßen Betriebs sind erfüllt.

4 5

Das Betriebstestat S4 ist durchgeführt, testiert und die Betriebsfreigabe betreffs GSU erteilt.

6

Der Inbetriebnahmeleiter ist voll einsatzfähig und nimmt seine Verantwortung wahr.

Die Inbetriebnahmeorganisation ist geregelt, dokumentiert, kommuniziert und arbeitsfähig.

5.7 Erfüllungskontrolle der Inbetriebnahmevoraussetzungen

487

Tab. 5.22 (Fortsetzung) 7

Die Voraussetzungen für das Inverkehrbringen der Anlage sind erfüllt, wie das Vorliegen  einer Inbetriebnahmeanleitung bzw. Betriebsanleitung für die Gesamtanlage,  einer aktuellen Risikobeurteilung für die Anlage (Stand: Mechanische Fertigstellung),  einer Konformitätserklärung für die Anlage (falls notwendig).

8

Die benötigte Inbetriebnahmedokumentation inkl. Betriebsanweisungen liegt vor und kann vom Inbetriebnahmeteam genutzt werden.

9

Die Inbetriebnahmeplanung ist erledigt, abgestimmt und als Arbeitsgrundlage freigegeben.

10

Das Inbetriebnahmepersonal (inkl. Betriebs- und Servicepersonal) wurde ausgebildet, unterwiesen und ist ohne Einschränkungen vor Ort verfügbar.

11

Das zur Unterstützung bestellte Kontraktoren-Personal steht auf Abruf bereit.

12

Die benötigten Rohstoffe und Medien (Hilfsstoffe, Energien) stehen zur Verfügung.

13

Der Absatz bzw. die Abführung/Entsorgung anfallender Produkte bzw. Neben-/Abfallprodukte und Medien ist gesichert.

14

Die geplanten Werkstatt- und Laborkapazitäten vor Ort sind nutzbar.

15

Die Ersatz- und Verschleißteile für den Inbetriebnahme- und Gewährleistungszeitraum liegen vor Ort auf Lager.

16

Das GMP4-Testat wurde durchgeführt und es gibt keine Aktionspunkte (Pharmaprojekte).

17

Die Installationsqualifierung (IQ) wurde erfolgreich durchgeführt (Pharmaprojekte).

Bei großen und komplizierten Anlagen hat sich die Durchführung eines ganzheitlichen Audits (s. Tab. 5.23), u.U. in Verbindung mit einem GMP4-Testat (s. 1.5.4.2) und einem S4-Betriebstestat (s. Abschn. 3.2) und im Beisein der Führungskräfte der Inbetriebnahmeteams des Auftraggebers und Auftragnehmers als zweckmäßig erwiesen. Die Kontrolle bzw. Auditierung sollte nicht zu spät (z.B. 4 bis 6 Wochen vor der Mechanischen Fertigstellung) erfolgen, damit Erkenntnisse/Aktionen noch rechtzeitig in die Projektarbeit einfließen können. Die Nutzung eines externen, sachverständigen Auditors ist zu empfehlen, da dieser einerseits unbefangen (nicht projektbeteiligt) ist und zum anderen Schuldzuweisungen vermieden werden. Ferner können ein Blick „von außen“ sowie die Erfahrungen anderer nützlich sein. Sollvorgaben für die Auditierung sind insbesondere:  die geltenden Rechtsvorschriften,  der Genehmigungsbescheid,  vertraglichen Regelungen zwischen den verschiedenen Vertragspartnern,  die als verbindlich vereinbarten Regeln zum Stand der Technik,  relevante Unternehmensrichtlinien, Guidelines u.ä. Unterlagen,  Projektrichtlinien und sonstige relevante Festlegungen auf der Projektebene,  die Vorgaben in der Inbetriebnahmeanleitung und im Inbetriebnahmehandbuch. Eine vorabgestimmte Checkliste von Auditfragen, wie sie in Tabelle 5.23 (ohne verfahrensspezifische Schwerpunkte) angeführt ist und vom Autor für Inbetriebnahmeaudits unterschiedlicher Anlagen genutzt wurde, kann als „Fahrplan“ dienen. Die Ergebnisse der Kontrolle/Auditierung werden als Aktionspunkte und/oder Hinweise bzw. Empfehlungen formuliert und fließen umgehend und verbindlich in die weitere Projektarbeit ein.

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

5.7 Erfüllungskontrolle der Inbetriebnahmevoraussetzungen

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

5.7 Erfüllungskontrolle der Inbetriebnahmevoraussetzungen

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

5.7 Erfüllungskontrolle der Inbetriebnahmevoraussetzungen

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

5.7 Erfüllungskontrolle der Inbetriebnahmevoraussetzungen

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5.7.2 Installationsqualifizierung (IQ) und GMP4-Testat Die Installationsqualifizierung bzw. Installation Qualification (IQ) ist die zweite Qualifizierungsphase bei der Abwicklung von Pharmaprojekten nach dem GMP-Regelwerk (s. Abschn. 1.5.4.2). Sie ist für alle pharmazeutisch relevanten technischen Ausrüstungen, Einrichtungen und Systeme, die zur Pharmaanlage gehören, durchzuführen. Im Normalfall muss die IQ bis zur Protokollierung Mechanische Fertigstellung der betrachteten Einheit (Komponente, Anlage) abgeschlossen sein, d.h. der freigegebene IQ-Bericht ist in Pharmaprojekten eine wesentliche Inbetriebnahmevoraussetzung. Das Ablaufschema für die Planung und Durchführung der IQ zeigt Abb. 5.28, links. Daneben sind der Bezug zum Phasenmodell (s. Abb. 1.4, Abschn.1.5.1 und Abb. 1.7, Abschn. 1.5.4.2) sowie wichtige Einzelmaßnahmen bei der IQ-Durchführung dargestellt.

 Abb. 5.28 Ablaufschema und Elemente der Installationsqualifizierung [23]

Die IQ der GMP-relevanten Ausrüstungen, Einrichtungen und Anlagen beinhaltet folgende zwei Schwerpunkte, die jedoch zusammen geplant und organisiert werden: 1.) Die IQ-Planung und -Durchführung für Anlagenkomponenten, Einrichtungen, Einheiten (z.B. Hauptausrüstungen, leittechnische Komponenten inkl. Prozessleitsystem, Rohrleitungs-Spool), die für das Projekt bestellt und gefertigt werden, bezieht sich zunächst vorrangig auf dem SOLL-IST-Abgleich beim Hersteller bzw. Lieferant. Dies erfolgt während eines Factory Acceptance Test (FAT), mit dem die Freigabe zur Auslieferung erteilt wird. Bei der Rohrleitungsvorfertigung auf dem Vormontageplatz entspricht der FAT der Freigabe des Spools für die Feldmontage.

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5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

Grundlagen für den FAT im Rahmen der IQ sind  Ausführungsdokumente aus dem Engineering, wie z.B. Stoffdatenblätter, Ausrüstungsdatenblätter und -listen, Konstruktionszeichnungen bzw. Rohrleitungsisometrien mit Stücklisten, sowie  Herstellerdokumente für das pharmarelevante Produkt, wie z.B. Betriebsanleitungen, technische Unterlagen inkl. Werkstoff-Prüfzeugnisse, Konformitätserklärungen, Prüfberichte von Schweißnahtprüfungen, Druckprüfungen, Dichtheitsprüfungen, fertigungsbegleitende Qualitätsdokumente. 2.) Die IQ-Planung und -Durchführung von Anlagen inkl. deren Teilanlagen/Leitsystem und Komponenten sowie der baulichen Einrichtungen inkl. Räume, die vor Ort (im Feld) montiert und gebaut wurden. Dies erfolgt in einem Site Acceptance Test (SAT), der bei der IQ vorrangig die Prüfung der Installation (Montage) betrifft. Das Ergebnis ist ein genehmigter IQ-Bericht für die GMP-relevante Anlage bzw. technische Einrichtung. Grundlagen für den SAT im Rahmen der IQ sind  die gleichen Dokumente, die für den FAT genutzt wurden,  anlagen- und montagerelevante Dokumente, wie z.B. R&I-Fließschemata, Verfahrens-/Anlagenbeschreibungen, 3D-Anlagenmodell, Aufstellungspläne, Rohrleitungsisometrien, Stromlaufpläne, Funktionspläne u.v.a.,  GMP-relevante Bescheinigungen über durchgeführte Konformitätsbewertungsverfahren, Sicherheitsprüfungen, Eichungen, Werkstoffprüfungen u.ä. Die mögliche Gliederung eines Installationsqualifizierungsplans zeigt Tabelle 5.24. Tabelle 5.24 Inhalt eines IQ-Plans (Praxisbeispiel)          

Stammdaten zum Projekt und Teilprojekt Verantwortlichkeiten und Zielstellung kurze Prozess- und Anlagenbeschreibung mitgeltende Dokumente, ggf. Beschreibung wichtiger Schnittstellen, Risikobeurteilung (bezogen auf Produktsicherheit) Festlegung der Prüfkriterien inkl. Akzeptanzkriterien Übersicht der durchzuführenden Prüfungen Durchführung der Qualifizierung (Prüfungsbeschreibung) Prüfbericht, Prüfprotokoll Mangelpunkte

Die angeführte Risikobeurteilung ist, ebenso wie die Installation Qualification, ein wichtiger Bestandteil des GMP4-Testats (s. Abschn. 1.5.4.2, Buchst. a)) sowie eines möglichen Inbetriebnahmeaudits in Vorbereitung der Mechanischen Fertigstellung. Alle drei Maßnahmen gehören zu den Grundvoraussetzungen für den Beginn der Inbetriebnahme gemäß Tab. 5.22 in Abschn. 5.7.1. Hauptaufgabe beim Erarbeiten des Installationsqualifizierungs-Plans ist das Identifizieren und Definieren der GMP-relevanten Einflussparameter und zugehöriger Akzeptanzkriterien. Für ein kleines, zusätzlich realisiertes AP-Rohrleitungssystem zur Versorgung eines neuen, zusätzlichen Apparats mit gereinigtem Wasser (Aqua purificata) verdeutlichen die Angaben in Tabelle 5.24 die prinzipielle Vorgehensweise.

6FKQLWWVWHOOHQJHVWDOWXQJ]ZLVFKHQ%DXVWHOOHXQG,QEHWULHEQDKPH Tabelle 5.24 Akzeptanzkriterien aus einem IQ-Plan für ein Rohrleitungssystem (Loop) zur AP-Wasserversorgung eines neuen Apparats in einer Pharmaanlage (Praxisbeispiel)  $XIEDXXQG0RQWDJHGHU$QODJH  $OOH.RPSRQHQWHQLP5 ,)OLH‰VFKHPDYRUKDQGHQ  $OOH.RPSRQHQWHQVSH]LILNDWLRQVJHUHFKWPRQWLHUW  (LQEDXRUWDOOHU.RPSRQHQWHQVWLPPWDXV)OXVVVLFKWPLW5 ,)OLH‰VFKHPDEHUHLQ  0RQWDJHDOOHU.RPSRQHQWHQJHPl‰9RUJDEHQGHV+HUVWHOOHUV/LHIHUDQWHUIROJW  0RQWLHUWH.RPSRQHQWHQIUHLYRQYLVXHOOHUNHQQEDUHQ%HVFKlGLJXQJHQ  =XJDQJIU%HGLHQXQJ:DUWXQJ,QVSHNWLRQXQGJJI,QVWDQGVHW]XQJJHJHEHQ  $8)=8)XQNWLRQDQ$UPDWXUHQLQ2UGQXQJ  %HVFKLOGHUXQJDQ.RPSRQHQWHQQDFK9RUJDEHDQJHEUDFKWXQGJXWHLQVHKEDU  5RKUOHLWXQJVV\VWHP $3/RRS   4XDOLILNDWLRQVQDFKZHLVYRQ)DFKILUPDYRUKDQGHQ  6FKZHL‰QDFKZHLVHYRQ6FKZHL‰HUQYRUKDQGHQ  9HUOHJXQJGHU5RKUOHLWXQJHQJHPl‰7UDVVHQSODQHUIROJW  5RKUOHLWXQJVLVRPHWULHQJHPl‰%HDUEHLWXQJVVWDWXVÄDVEXLOW³YRUKDQGHQ  5RKUOHLWXQJHQWVSUHFKHQG,VRPHWULHDXVJHIKUW  (QWOHHUEDUNHLWGHU5RKUOHLWXQJHQJHJHEHQ  6FKZHL‰DUEHLWHQJHPl‰6FKZHL‰ULFKWOLQLHDXVJHIKUW  6FKZHL‰QlKWHJHPl‰6FKZHL‰ULFKWOLQLH ]%'LFKWKHLW(QGRVNRSLH'UXFN JHSUIW  6FKZHL‰GRNXPHQWDWLRQOLHJWJHPl‰6FKZHL‰ULFKWOLQLHYRU  %HVFKLOGHUXQJGHU5RKUOHLWXQJHQQDFK9RUJDEHDQJHEUDFKWXQGJXWHLQVHKEDU  5HLQKHLWXQG5HLQLJXQJ 6SOHQPLW$3   )UHLJDEHGHUYRUJHIHUWLJWHQ6SRROV]XU)HOGPRQWDJHDXI,VRPHWULHYHUPHUNW  5HLQKHLWGHU5RKUOHLWXQJVV\VWHPHQDFK5HLQLJXQJVSH]LIL]LHUW  5HLQLJXQJVSUR]HGXUHUDUEHLWHWXQGIUHLJHJHEHQ  4XHUNRQWDPLQDWLRQYHUVFKPXW]XQJEHLP6SOHQDXVVFKOLH‰HQ  hEHUJDEHGHVPRQWLHUWHQ5RKUOHLWXQJVV\VWHPVDQ9HUDQWZRUWOLFKHQIU5HLQLJXQJHUIROJW  6SOVLHEH6SOILOWHUHLQJHEDXWJHQXW]WXQGZLHGHUDXVJHEDXW  )UHLJDEHGHVPRQWLHUWHQ5RKUOHLWXQJVV\VWHPV]XP6SOHQHUWHLOW  9RUJDEHQ 7HPSHUDWXU'XUFKVDW]6SOGDXHUXVZ EHLP6SOHQHLQJHKDOWHQ"  (UIRUGHUOLFKH5HLQKHLWQDFKGHP6SOHQQDFKJHZLHVHQ  $XVIKUXQJVSURWRNROO]XU5HLQLJXQJOLHJWEHVWlWLJWYRU   'LFKWKHLWVSUIXQJ PLW'UXFNOXIW   5RKUOHLWXQJVV\VWHPYRUVFKULIWVJHPl‰DQ$QODJHQJUHQ]HDEJHVSHUUWDEJHVWHFNW  .HLQH/HFNDJHQRSWLVFKXQGRGHUDNXVWLVFKHUNHQQEDU  'UXFNDEIDOONOHLQHU]XOlVVLJHU:HUW«  5RKUOHLWXQJVV\VWHPYRUVFKULIWPl‰LJHGUXFNHQWODVWHW  $XVIKUXQJVSURWRNROO]XU'LFKWKHLWVSUIXQJOLHJWEHVWlWLJWYRU

5.8 Schnittstellengestaltung zwischen Baustelle und Inbetriebnahme 'LHQDFKIROJHQGHQ$XVIKUXQJHQJHOWHQSULPlUIU3URMHNWHLQGHQHQGLH*HVDPWDQODJH ]XPLQGHVW GLH SUR]HVVUHOHYDQWHQ 7HLOH  ]HLWJOHLFK GHQ =XVWDQG0HLOHQVWHLQ 0HFKDQL VFKH)HUWLJVWHOOXQJHUUHLFKWXQG]XVDPPHQLQ9HUNHKUJHEUDFKWZLUG 6LHJHOWHQDEHULP:HVHQWOLFKHQDXFKIUGLHDQDORJH6FKQLWWVWHOOHQJHVWDOWXQJ

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PLJXQJVDQJHOHJHQKHLWHQJHJHQEHUGHU%HK|UGHYHUDQWZRUWOLFKLVW )HUQHU LVW GHU ,QEHWULHEQDKPHOHLWHU ]XJOHLFK GHU HUVWH %HWULHEVOHLWHU GHU QHXHQ $QODJH :LUG HU YRP $XIWUDJQHKPHU JHVWHOOW PXVV HLQH 3IOLFKWHQ XQG 9HUDQWZRUWXQJV EHUWUDJXQJYRP$XIWUDJJHEHUDQLKQ]%GXUFKHQWVSUHFKHQGH9HUWUDJVUHJHOXQJHQ YROO]RJHQZHUGHQ x ,P YRUJHQDQQWHQ 6LQQH PVVHQ EHLP $XIWUDJJHEHU ]ZLVFKHQ GHP 3URMHNWOHLWHU XQG GHP VSlWHUHQ %HWULHEVOHLWHU GLH $XIJDEHQ 9HUDQWZRUWOLFKNHLWHQ XQG %HIXJQLVVH ZlKUHQGGHU,QEHWULHEQDKPHH[DNWJHUHJHOWVHLQ VDXFK$EVFKQ  %HL 1HXLQYHVWLWLRQHQ*UHHQILHOG3URMHNWHQ LQVEHVRQGHUH ZHQQ GHU $XIWUDJJHEHU QLFKW]XJOHLFK9HUIDKUHQVJHEHULVW YHUEOHLEWPHLVWHQVGHU3URMHNWOHLWHU $* ELV]XU (QGDEQDKPHGHU$QODJHLQGHU9HUDQWZRUWXQJGHV$XIWUDJJHEHUV %HL (UZHLWHUXQJV0RGHUQLVLHUXQJVLQYHVWLWLRQHQ%URZQILHOG HLQHU YRUKDQGHQHQ $QODJH EHUQLPPW KlXILJ GHU %HWULHEVOHLWHU PLW %HJLQQ GHU ,QEHWULHEQDKPH GLH 9HUDQWZRUWXQJGHV$XIWUDJJHEHUV x 0LW%HJLQQGHU,QEHWULHEQDKPHHUK|KWVLFK GDV*HIDKUHQSRWHQWLDODXIGHU%DXVWHOOH E]ZGHP%HWULHEVSODW]'HPPXVVHLQYHUlQGHUWHV6LFKHUKHLWVXQG$UEHLWVHUODXEQLV V\VWHP 5HFKQXQJ WUDJHQ 'LH QRWZHQGLJHQ 5HJHOXQJHQ $QZHLVXQJHQ Xl PVVHQ VFKULIWOLFKYRUOLHJHQXQGGHQEHWURIIHQHQ3HUVRQHQYHUPLWWHOWZHUGHQ :HVHQWOLFKH bQGHUXQJHQ EHWUHIIV 9HUDQWZRUWXQJ =XVWlQGLJNHLWHQ 6LFKHUKHLWV UHJLPHXVZPVVHQYRU2UW ]%LP%DX%HWULHEVEUR DXVJHKDQJHQZHUGHQ x 9RPHUVWHQ7DJGHU,QEHWULHEQDKPHDQVROOWHGDV6LFKHUKHLWVUHJLPHLQVEHVRQGHUHGDV $UEHLWVIUHLJDEHV\VWHP GHV VSlWHUHQ %HWULHEV JHOWHQ XQG NRQVHTXHQW SUDNWL]LHUW ZHU GHQ'LH1RWZHQGLJNHLWUHVWULNWLYHUHU5HJHOXQJHQVROOWHQJHSUIWXQGJHJHEHQHQIDOOV DQJHZDQGWZHUGHQ VDXFK$EVFKQ  'DVEHGHXWHWLP1RUPDOIDOOGDVVIUDOOH5HVWPRQWDJHDUEHLWHQYRQGHUYHUDQWZRUW OLFKHQ$XIVLFKWVSHUVRQHLQH$UEHLWVHUODXEQLVEHDQWUDJWXQGVFKULIWOLFKYRP,QEHWULHE QDKPHOHLWHUHUWHLOWZHUGHQPXVV%HLDOWHUQDWLYHQ(QWVFKHLGXQJVVLWXDWLRQHQKDWGDEHL RIWPDOVGLH,QEHWULHEQDKPHGDV3ULPDW ,P:LVVHQXPGLHVH6LWXDWLRQVLQG0RQWDJHILUPHQQLFKWVHOWHQEHPKWLKUH5HVW OHLVWXQJHQZlKUHQGGHU,QEHWULHEQDKPH]XPLQLPLHUHQ x 5HVWSXQNWH DXV GHP Ä3URWRNROO EHU GLH 0(&+$1,6&+(1 )(57,*67(//81*³ GUIHQIUGLH,QEHWULHEQDKPHXQGYRUUDQJLJIUGLH*HZlKUOHLVWXQJGHU$UEHLWVXQG $QODJHQVLFKHUKHLW QLFKW UHOHYDQW VHLQ 1LFKW YHUPHLGEDUH VLFKHUKHLWVUHOHYDQWH 5HVW SXQNWHVLQG]%DOVH[WUD5HVWSXQNWOLVWH]XHUIDVVHQ $XIMHGHQ)DOOPXVVNODUVHLQGDVVGLH5HVWSXQNWDEZLFNOXQJQXUXQWHU9HUDQWZRU WXQJ GHV ,QEHWULHEQDKPHOHLWHUV XQG XQWHU %HDFKWXQJ GHV ,QEHWULHEQDKPHUHJLPHV 2UJDQLVDWLRQ$GPLQLVWUDWLRQ6LFKHUKHLW2UGQXQJ HUIROJHQNDQQ x %HL GHU 6FKQLWWVWHOOHQJHVWDOWXQJ ]ZLVFKHQ 0RQWDJH XQG ,QEHWULHEQDKPH PXVV GLH (LQKHLW YRQ $QODJH XQG 'RNXPHQWDWLRQ JHZDKUW VHLQ V DXFK $EVFKQ   'LH 3UlPLVVH EHLP (LQNDXI YRQ $QODJHQNRPSRQHQWHQ GDVV HLQH 3URGXNWOLHIHUXQJ RKQH ]XJHK|ULJH'RNXPHQWDWLRQQLFKWYROOVWlQGLJLVWXQGQLFKWYHUJWHWZHUGHQNDQQJLOW HUVWUHFKWIUGLHYHUIDKUHQVWHFKQLVFKH$QODJH 'HU%DXVWHOOHQOHLWHU LVWYHUDQWZRUWOLFKGDVV]XP=HLWSXQNW 0HFKDQLVFKHQ)HUWLJ VWHOOXQJ ]XPLQGHVW  HLQ  $UEHLWVH[HPSODU GHU $QODJHQGRNXPHQWDWLRQ ZHLWJHKHQG YROOVWlQGLJXQGÄZLHPRQWLHUW³VRZLHQXW]EDU YRU2UWYRUOLHJWXQGDQGHQ,QEHWULHE QDKPHOHLWHUEHUJHEHQZLUG 'HU$XIWUDJJHEHUPXVVGXUFKVHW]HQGDVVGLH%HUHLWVWHOOXQJGHU3UIGRNXPHQWH

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506

5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

f) Erstellen des „Protokolls über die Mechanische Fertigstellung“ Nach Beendigung der Montage, nach Abschluss der Arbeiten gemäß a) bis e) und nach Beendigung aller wesentlichen Restarbeiten gilt die Anlage oder Teile derselben als mechanisch fertiggestellt. Dieser Sachverhalt ist in einem „Protokoll über die MECHANISCHE FERTIGSTELLUNG“ zu bestätigen und zu dokumentieren (s. Muster in Abb. 5.29). Das vorgeschlagene Musterprotokoll/Template sollte generell für alle Montageendprotokolle im Projekt verwendet werden; auch für Package-units, für Bau- und Montageleistungen usw. Dadurch kann in der Summe viel Zeit und Geld beim Abstimmen der protokollarischen Formulierungen gespart werden. Erfahrungsgemäß existieren zum Zeitpunkt der Mechanischen Fertigstellung noch eine Reihe nichtwesentlicher Restpunkte der Kategorien B und C, die gelistet dem Protokoll beizufügen sind und in der anschließenden Inbetriebnahmephase erledigt werden müssen. Der Inbetriebnahmeleiter nimmt an der Prozedur zur Mechanischen Fertigstellung aktiv teil und sollte ebenfalls das Protokoll unterzeichnen. Mit seiner Unterschrift übernimmt er die Verantwortung vom Montage- bzw. Oberbauleiter und bestätigt zugleich, dass die Anlage inbetriebnahmebereit ist und auch die sonstigen Voraussetzungen für den Inbetriebnahmestart erfüllt sind. In der Regel muss der Inbetriebnehmer mit gewissen Montagerestpunkten leben (meistens zeigen sich bei den ersten Inbetriebnahmehandlungen noch weitere), aber sie müssen untergeordnete Bedeutung und geringen Umfang haben. Im Zweifelsfall muss eine Beseitigung der Restleistungen bis zum Inbetriebnahmebeginn gefordert werden. Die Gründe für eine schnelle Mechanischen Fertigstellung, trotz festgestellter relevanter Restpunkte, sind meist damit verbundene Zahlungen bzw. formelle und taktische Gesichtspunkte. Aus Sicht der Kosten wäre es i.d.R. ratsam, zunächst die Restpunkte und somit gewisse technische Risiken zu beseitigen, und erst dann mit der Inbetriebnahme zu beginnen. Nachdem das Protokoll über die Mechanische Fertigstellung rechtskräftig unterzeichnet ist, sollte ohne Zeitverzug (z.B. innerhalb von spätestens 3 Tagen nach Unterzeichnung) mit der Inbetriebnahme begonnen werden. Im Allgemeinen ist das im Anlagenvertrag geregelt.

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Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), Beck-Texte im dtv (2018) Verlag Beck, München

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Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB), Gesamtausgabe 2016, Beuth Verlag, Berlin VOB/A: Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Bauleistungen VOB/B: Allgemeine Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen VOB/C. Allgemeine technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen

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508

5 Vorbereitung der Inbetriebnahme

[24]

Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge BundesImmissionsschutzgesetz – BImSchG) vom 27.05.2013

[25]

Weber K H (2008) Dokumentation verfahrenstechnischer Anlagen. Praxishandbuch mit Checklisten und Beispielen, Springer-Verlag, Berlin Heidelberg

6 Durchführung der Inbetriebnahme Vereinbarungsgemäß wird unter (Erst)Inbetriebnahme die Überführung der Anlage aus dem Ruhezustand nach der Mechanischer Fertigstellung in den Dauerbetriebszustand nach dem vereinbarten Leistungsnachweis bzw. nach der werkvertraglichen Abnahme der Anlage verstanden. Somit gehören alle nachfolgend beschriebenen Aufgaben, die sich auf die drei Inbetriebnahmeabschnitte:  Kalt-Inbetriebnahme bzw. Herstellen der Betriebsbereitschaft,  Heiß-Inbetriebnahme bzw. Probebetrieb,  Leistungsfahrt bzw. Abnahmeversuch verteilen, per Definition zur Inbetriebnahme (s. auch Kapitel 1).

6.1 Ablauf der Inbetriebnahme Die Inbetriebnahmeabläufe verfahrenstechnischer Anlagen können außerordentlich verschieden ein. Die Abb. 6.1 zeigt ein positives und ein negatives Beispiel aus der Praxis.

Abb. 6.1 Beispiele für extreme Inbetriebnahmeabläufe © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 K. H. Weber, Inbetriebnahme verfahrenstechnischer Anlagen, VDI-Buch, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59498-8_6

 509

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6 Durchführung der Inbetriebnahme

Grundsätzlich stellt jede verfahrenstechnische Anlage und jede Inbetriebnahme ein Unikat bzw. eine einmalige Handlung dar. Daraus wird mitunter gefolgert, dass die Durchführung der Inbetriebnahme nicht verallgemeinert und nicht wissenschaftlichmethodisch vermittelt werden kann. Die Durchführung und Auswertung zahlreicher Inbetriebnahmen sowie die langjährige Referententätigkeit des Verfassers hat diese Meinung nicht bestätigt. Ähnlich wie bei der Planung oder Montage unterschiedlicher verfahrenstechnischer Anlagen gibt es auch bei deren Inbetriebnahme eine Vielzahl von Gemeinsamkeiten, die als praktische Regeln und Erfahrungen vermittelt werden können. Sie sind insbesondere begründet in  der gleichartigen Strukturierung der gesamten Inbetriebnahmephase in die o.g. drei Abschnitte,  den Übereinstimmungen bei der Definition und Gestaltung wichtiger Schnittstellen,  der Durchführung bestimmter, typischer Arbeiten bis zur Herstellung der Betriebsbereitschaft,  der Verwendung gleichartiger Anlagenkomponenten und daraus folgende analoge Anfahr- und Bedienhandlungen,  den gleichartigen Rechtsfolgen u.a. Konsequenzen aus den rechtsverbindlichen Handlungen während der Inbetriebnahme,  den ähnlichen inhaltlichen Ablauf bei normalen Inbetriebnahmen. Im Weiteren soll vertiefend auf einzelne typische Inbetriebnahmeschritte eingegangen werden. Zu diesem Zweck wurde ein Inbetriebnahmeablauf gemäß Abb. 6.2 angenommen, wie er für die Mehrzahl kontinuierlicher verfahrenstechnischer Anlagen typisch erscheint und i.Allg. planmäßig angestrebt wird.

 Abb. 6.2 Typischer Inbetriebnahmeablauf einer verfahrenstechnischen Konti-Anlage

Die einzelnen Schritte, auf die in den weiteren Ausführungen dieses Buchs vertiefend eingegangen wird, sind kurz folgendermaßen charakterisiert:

6.1 Ablauf der Inbetriebnahme

511

Anfahren  das eigentliche Start-up der Anlage,  1. Schritt der Heiß-Inbetriebnahme bzw. des Probebetriebs,  erstmalige Übernahme von Roh-/Hilfsstoffen und Energien sowie Fahren der Anlage bis in einen stabilen Teillastbereich,  Beginn der Heiß-Inbetriebnahme, verbunden mit erhöhten Gefährdungen. Stabilisieren  Funktionsprüfungen unter Betriebsbedingungen,  kleinere technisch-technologische Mängel beheben,  stabilen und funktionsgerechten Anlagenbetrieb herstellen. Hochfahren  Durchsatz auf Nennlast steigern,  mögliche Kapazitätsengpässe im Fokus haben,  weitgehend die Parameter des Normalzustands einstellen,  Anlagenzustand stabilisieren. Einfahren  Anlage voll in den geplanten Nennzustand (Last, Betriebsparameter, mechanische Funktion) fahren,  Produktqualität einstellen,  Prozessleitsystem voll in Betrieb nehmen und auf Zweckmäßigkeit prüfen,  schrittweise Übernahme der Regelungen und Steuerungen auf Automatik,  Bilanzierung und Ermittlung der spezifischen Verbräuche,  Messfahrten und Know-how-Gewinn,  Überprüfung der Einhaltung von Garantiewerten,  Testung von Kapazitätsreserven,  Ermittlung von Mängeln sowie erste Maßnahmen zu deren Beseitigung,  Einarbeiten des Käuferpersonals. Abfahren  Anlage abstellen und in einen planmäßigen, gefahrlosen Zustand „fahren“,  Anlage für vorgesehene technische Maßnahmen „reparaturfrei machen“. Technische Vorbereitung des Leistungsnachweises  festgestellte Mängel beheben (Leckagen, Schwingungen, Austausch von Feldgeräten, Änderungen an Probenahmevorrichtungen u.ä.),  anlagenseitige Einschränkungen beseitigen (z.B. hydraulische Engpässe, Sitz-KegelGarnituren von Regelventilen, Hardwarekonfiguration zum Prozessleitsystem),  Einarbeiten des Servicepersonals. Wiederanfahren  Anlage zügig in den stabilen Nennlastbereich gemäß vertraglicher Vereinbarung fahren. Optimieren  Wirksamkeit der während der Zwischenabstellung durchgeführten Maßnahmen prüfen,  Anlage voll in den vertraglich vereinbarten Zustand fahren,

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6 Durchführung der Inbetriebnahme

 interne, probeweise Testfahrt (sog. Generalprobe),  organisatorische Vorbereitung und Anmeldung der Leistungsfahrt,  der Optimierungsschritt beendet die Heiß-Inbetriebnahme. Leistungsfahrt mit Leistungsnachweis  Durchführung der Leistungsfahrt (bzw. Abnahmeversuch, Garantieversuch) mit Leistungsnachweis,  wesentliche Bedingung für werkvertragliche Abnahme der Vertragsleistung und die Anlagenübergabe/-übernahme,  ist zugleich Ende der Inbetriebnahme und Beginn des Dauerbetriebs. Dauerbetrieb  Normalbetrieb (kommerzieller Anlagenbetrieb) in Verantwortung des Käufers  seitens des Verkäufers sind durchzuführen: ▪ Restpunkte aus dem Übergabe-Übernahme-Protokoll abarbeiten, ▪ AS BUILT-Dokumentation vertragsgerecht fertigstellen und übergeben, ▪ werkvertragliche Abnahme der AS BUILT-Dokumentation nach Prüfung durch Auftraggeber, ▪ Auswertung der Inbetriebnahme und Ergebnisse zum gezielten Know-how-Gewinn, ▪ Ableiten von Folgerungen (Aktionspunkte, Empfehlungen, Hinweise) für Folgeprojekte (Lessons learned). Die angeführten Inbetriebnahmeschritte gelten im Prinzip sowohl für kontinuierliche als auch für Batch-Prozesse. Im ersten Fall korreliert die Anlagenkapazität direkt mit dem Durchsatz, während bei diskontinuierlichen Prozessen die Kapazität von mehreren Faktoren (z.B. Füllgrad, Zykluszeit) abhängt. Batch-Anlagen haben gegenüber Konti-Anlagen den Vorteil, dass man am Ende des Zyklus wieder den Ausgangszustand erreicht und die Anlage vergleichsweise einfach anhalten kann. Dadurch sind die Voraussetzungen für operative Eingriffe günstiger. Dies erleichtert die Inbetriebnahme. Zugleich sind in Batch-Anlagen die Prozessparameter, zumindest teilweise, zeitlichen Änderungen unterworfen. Dies kann u.U. die Inbetriebnahme erschweren. Insgesamt hält der Autor die Inbetriebnahme von Konti-Anlagen grundsätzlich für schwieriger, sodass für die weiteren Ausführungen in diesem Buch der Inbetriebnahmeablauf einer Konti-Anlage und ihrer Komponenten gemäß Abb. 6.2 zugrunde gelegt wird. Bei Bedarf wird auf die Spezifika von Batch-Anlagen hingewiesen.

6.2 Kalt-Inbetriebnahme / Herstellen der Betriebsbereitschaft Nachdem das Protokoll Mechanische Fertigstellung unterschrieben ist, kann in den meisten verfahrenstechnischen Anlagenprojekten nicht sofort mit der Heiß-Inbetriebnahme (mit Anfahren/start-up) begonnen werden. Es bedarf noch eines Zwischenzeitraums bis zur Herstellung der Betriebsbereitschaft. Dieser Abschnitt während der Inbetriebnahmephase wird als Kalt-Inbetriebnahme bezeichnet (s. Definition in Abschn. 1.5.1, Buchst. b)). Insbesondere sind noch zahlreiche Arbeiten notwendig, die wegen  Sicherheitsbedenken im Umgang mit Gefahrstoffen,  erhöhter Aufwendungen für Koordinierung und Sicherheitsvorkehrungen,  möglicher Montagebehinderungen,

6.2 Kalt-Inbetriebnahme / Herstellen der Betriebsbereitschaft

513

 dem vorherrschenden Montageregime,  möglicher Schnittstellenprobleme zwischen Montage- und Inbetriebnahmepersonal bewusst nicht während der Montagephase vorgesehen waren. Dazu gehören u.a.  die Durchführung von restlichen Sicherheits- und Funktionsprüfungen unter prozessnahen Bedingungen z.B.  mit brennbaren bzw. schwer entflammbaren Medien u.a. Gefahrstoffen,  unter explosionsfähigen Bedingungen (Explosionsgefährdungen),  bei höheren Drucken- und Temperaturen,  bei erhöhten Oberflächentemperaturen.  die Durchführung komplexer Funktionsprüfungen, z.B.  die Schrittketten umfangreicher prozessrelevanter Steuerungen,  von Kreislauffahrweisen der Teilanlagen bzw. der Gesamtanlage mit inerten Flüssigkeiten (sog. Wasserfahrt),  die Testung der Betriebs- und Unternehmensebene des Prozessleitsystems,  die Druck- und/oder Vakuumdichtheitsprüfung von Teilanalgen mittels Stickstoff und/oder Helium,  die Vorbereitung (Reinigung, Trocknung) von Wärmeträger-Anlagen (bis 380 °C),  die Feinreinigung der Anlage mit Heißdampf, Reinstdampf, Reinstwasser und ggf. mit Säuren, Laugen, Chlor, Ozon u.a. Chemikalien,  die Trocknung von feuerfesten Ausmauerungen mittels Rauchgas, dass in Öl- bzw. Gasbrennern (Öfen) erzeugt wird,  das Einfüllen und Vorbehandeln (Aktivieren, Trocknen, Sättigen, Quellen usw.) von Katalysatoren und Adsorbentien. In Verbindung mit bzw. parallel zu diesen Arbeiten müssen während des Inbetriebnahmeabschnitts Kalt-Inbetriebnahme zugleich:  die relevanten Restpunkte (inkl. Dokumentation) des Protokolls Mechanische Fertigstellung abgearbeitet werden,  die organisatorisch-administrativen Inbetriebnahme-Regelungen erprobt werden,  die Ausbildung des Personals fortgesetzt werden,  die volle Arbeitsfähigkeit des Inbetriebnahmeteams hergestellt werden. Die Kalt-Inbetriebnahme muss von Anfang an mit dem Ziel einer effektiven Gesamtprojektabwicklung sowie als Teil der Inbetriebnahmephase geplant werden. Sie sollte im Vergleich zur Heiß-Inbetriebnahme relativ kurz sein und darf nicht als verlängerte Montagephase missbraucht werden. 6.2.1 Erproben und Festigen der Inbetriebnahmeorganisation Die Inbetriebnahmeorganisation (s. Abschn. 4.4) und die sicherheitlichen sowie organisatorisch-administrativen Regelungen für die Inbetriebnahme, wie sie z.B. im Inbetriebnahmehandbuch (s. Abschn. 4.4.4) zusammengefasst sind, müssen in der Praxis getestet und u.U. modifiziert werden. Dies betrifft u.a.:  Die Schaffung effektiver Arbeitsbedingung einschließlich einer kreativen und leistungsfördernden Arbeitsatmosphäre im gesamten Inbetriebnahmeteam.

514

6 Durchführung der Inbetriebnahme

 Das Praktizieren und Erproben der Zugangs-/Zufahrtsregelungen und der Anwesenheitskontrolle auf dem Betriebsplatz.  Die konsequente und dokumentierte Einweisung und Unterweisung der Beschäftigten, insbesondere der Mitarbeiter von Fremdfirmen (s. Abschn. 5.2.3).  Die Wahrnehmung der Aufsichtsverantwortung seitens der Führungskräfte gegenüber den Mitarbeitern, vor allem gegenüber den bestellten Personen (s. Abschn. 4.4.1.3, Buchst. d)).  Die kompromisslose Anwendung des Arbeitsfreigabesystems der Inbetriebnahme (s. Abschn. 3.5.3); gegebenenfalls in Abstimmung mit dem produzierenden Altbetrieb und seinem Betriebsleiter.  Die effiziente Durchführung von Besprechungen, insbesondere der täglichen Frühund Spätbesprechungen (s. Abschn. 4.4.1.5).  Die Eröffnung, erstmalige Nutzung und Aktualisierung des Betriebstagebuchs sowie der anderen Teile der Betriebsdokumentation (s. Abschn. 2.4.3.2.  Der Beginn des Inbetriebnahmecontrolling (s. Abschn. 4.6.1), wie z.B. ▪ Fortsetzen von Maßnahmen zur Qualitätssicherung, ▪ Praktizieren der Termin- und Kostenkontrolle sowie notwendiger Steuerungsmaßnahmen, ▪ Gewährleisten eines funktionierenden Claim-Management, ▪ Berichterstattung zur Inbetriebnahme.  Das Identifizieren aller Auflagen aus dem Genehmigungsbescheid und die Realisierung von Maßnahmen, mit denen deren Einhaltung während der Inbetriebnahme gerichtsfest dokumentiert wird (s. Abschn. 3.3.2.2, Buchst. e)).  Das Nutzen und Fortschreiben der Inbetriebnahmeplanung (s. Abschn. 4.5).  Das Vervollständigen, Nutzen und Fortschreiben der Inbetriebnahmedokumentation, z.B. Einpflegen der technischen Änderungen in die Anlagendokumentation.  Spätestens zum Anfahren müssen die Gefährdungsbeurteilungen und Betriebsanweisungen inklusive Anfahranweisungen für die Heiß-Inbetriebnahme ▪ entsprechend den geltenden Rechtsvorschriften, ▪ zur Wahrnehmung der Sorgfaltspflicht gegenüber den unterstellten Mitarbeitern, ▪ gemäß den Anforderungen an ein sicheres und sachkundiges Anfahren der Anlage und ihrer Ausrüstungen vorliegen und die betroffenen Personen darüber unterwiesen sein (s. Abschn. 3.5.2.4 und Abschn. 5.2.3). Nicht zuletzt ist während der Kalt-Inbetriebnahme die Ausbildung des Personals, auch des Wartungs- und Instandsetzungspersonals, „on-the-job“ zu vertiefen. Insbesondere sind Ausbildungsmaßnahmen fortzuführen (u.a. am Prozessleitsystem), die während der Montageendphase nicht oder nur eingeschränkt möglich waren; weil z.B. das Inbetriebnahmepersonal aus laufenden Anlagen früher nicht voll verfügbar war. 6.2.2 Erledigung restlicher Montagearbeiten und Sicherheitsprüfungen  Der Vertragstermin für die Mechanische Fertigstellung ist häufig ein Projekt- und Zahlungsmeilenstein. Entsprechend groß ist der zeitliche Druck auf eine Protokollierung und Termineinhaltung, auch wenn die inhaltlichen Voraussetzungen (s. Abschn. 5.7) nicht erfüllt sind.

6.2 Kalt-Inbetriebnahme / Herstellen der Betriebsbereitschaft

515

Die Folge sind nicht selten Kompromisse, die mit der Verschiebung von Montageund Prüfungsleistungen in den Anfangszeitraum der Inbetriebnahme verbunden sind.  In diesem Zeitraum sind die Bau-/Montagemängel zu beseitigen, die in der Restpunktliste zum Protokoll Mechanische Fertigstellung in der Kategorie B (Anzeige der BETRIEBSBEREITSCHAFT behindert) eingestuft sind (s. Abschn. 5.8.2).  Die Restpunkterledigung erfolgt unter Beachtung der Inbetriebnahmesituation vor Ort sowie unter Leitung des Inbetriebnahmeleiters. Für die fachliche und organisatorische Koordinierung dieser restlichen Bau-/ Montagetätigkeiten sollte im Inbetriebnahmeteam eine extra Fachkraft zuständig sein (s. auch Abschn. 4.4.3). Dies kann zweckmäßig ein früherer Fachbauleiter sein.  Sicherheitsprüfungen, die vor der Mechanischen Fertigstellung nicht möglich oder u.U. nicht zweckmäßig waren (z.B. nur mit Simulation u.a. erheblichen Einschränkungen), sind unter Original-Bedingungen zu erledigen. Grenzwerte werden möglichst angefahren bzw. im Sonderfall die Alarm/Abschaltwerte soweit verstellt, dass die Alarmierung/Abschaltung anspricht. Bis auf ganz wenige, vom Inbetriebnahmeleiter genehmigte Ausnahmen müssen alle Sicherheitsprüfungen bis zur Anzeige der Betriebsbereitschaft erfolgreich geprüft und die Ergebnisse nachvollziehbar dokumentiert sein. Einschränkungen sind in vielen Fällen bei der Prüfung der NOT-HALT- Schalter bzw. der NOT-AUS-Schalter gegeben.  Die Drehrichtungsprüfungen sind für alle Maschinen mit Hilfe von Original- bzw. Ersatzmedium durchzuführen und die Ergebnisse zu dokumentieren.  Restpunkte der Sicherheitskennzeichnung der Anlage sind zu erledigen und die Beschilderung der Anlage ist anzubringen; falls nicht schon vor Mechanischer Fertigstellung durchgeführt. Die Mitwirkung der Feld- und Wartungsoperator an der Beschilderung ist eine gute Ausbildungsmaßnahme. Es vertieft die Ortskenntnisse in der Anlage und das Verständnis zum Prozessablauf und den notwendigen Bedienhandlungen.  Eine nochmalige ganzheitliche Dichtheitsprüfung der Anlage ist notwendig, da die Anlage nach der letzten Dichtheitsprüfung (vor der Mechanischen Fertigstellung) noch komplettiert sowie mehrfach geöffnet und wieder verschlossen wurde. Dabei ist entsprechend den Ausführungen in Abschn. 5.6 zu verfahren. Der Inbetriebnahmeleiter braucht zu Beginn der Heiß-Inbetriebnahme (des Anfahrens) die Gewissheit, dass die gesamte verfahrenstechnische Anlage dicht ist. 6.2.3 Feinreinigung in Vorbereitung der Betriebsbereitschaft Die Feinreinigung ist der 3. Schritt in der ganzheitlichen Anlagenreinigung. Sie beinhaltet alle Reinigungsmaßnahmen, die bis zur Herstellung der Betriebsbereitschaft notwendig sind und während der Bau-/Montagephase nicht möglich (z.B. fehlende technische Voraussetzungen) bzw. zu risikobehaftet waren (Sicherheitsbedenken u.ä.). Zugleich kann es auch sein, dass durch zwischenzeitliche Montageleistungen (Restmontage von Apparaten, Rohrleitungen, PLT-Feldgeräten u.a.) die Gefahr eines erneuten Schmutzeintrags gegeben ist. Der Inbetriebnahmeleiter muss entsprechend der konkreten Situation entscheiden, welche nochmaligen bzw. zusätzlichen Reinigungsmaßnahmen erforderlich sind und diese veranlassen.

516

6 Durchführung der Inbetriebnahme

Typische Maßnahmen zur Feinreinigung bis zum geforderten Reinheitsgrad (s. Abschn. 2.3.6), die in manchen Fällen (zumindest in einigen Anlagenteilen) auch bereits während der Grundreinigungen erfolgt ist, können sein:  Die gründliche innere Reinigung des Dampferzeugers sowie der Rohrleitungen des gesamten Wasser-Dampf-Systems in Dampferzeuger- und Kraftwerksanlagen [1]. Dazu gehören u.a. die Dampfleitungen, die Brauchwasser- und Deionatleitungen, die Speisewassersaug- und Druckleitungen sowie die Leitungen des Ölsystems. Dies kann u.a. durch Spülen mit Reinstwasser, durch Auskochen, durch Ausblasen mit Dampf und durch Beizen mit anschließenden Passivieren erfolgen (s. auch Abschn. 5.3). Ein Beispiel möglicher Reinigungsschritte enthält Tabelle 6.1. Tabelle 6.1 Vorgehensweise bei der inneren Reinigung von Dampferzeugeranlagen [2] Nr.

Maßnahme

Anwendung

Hinweise

1. Spülen mit sauberem Wasser

Erstreinigung bei allen Dampferzeugern; Entfernung grober Verunreinigungen

 Kontrolle der Sammler hinsichtlich Ablagerungen  Überprüfung ausgetragener Verunreinigungen  Schutz empfindlicher Armaturen und Messgeräte

2. alkalisches Auskochen, z.B. mit Tri-Natriumphosphat

nur für Trommelkessel; Entfernung von Fett, Öl, Schmutz

 Auskochen bei ca. 25 % Betriebsdruck  2- bis 3malige Wiederholung  Kontrolle wie bei 1.

für alle Dampferzeuger; 3. Säurebeizung Erreichung metallisch  im Standverfahren blanker Oberflächen  im Umwälzverfahren  mit anorganischen oder organischen Säuren und Inhibitorzusatz

   

4. Spülen mit Speisewasser Beizflüssigkeit verdränund Neutralisieren gen; sofort füllen und spülen

 Spülen bis zur Neutralität  Entgasung und Alkalisierung des Speisewassers auf pH = 9 bis 10 mit Hydrazin

5. Schutzschichtbildung

Umwälzung mit 250 °C Wasser

 Schutzschichtbildung nach etwa 3 Tagen

6. Ausblasen

kombinieren mit 5. Schritt

 Kontrolle des austretenden Dampfes auf Verunreinigungen

Kontrolle Beizflüssigkeit ausreichende Spülwassermengen Neutralisation der Beizflüssigkeit Arbeitsschutzbestimmungen einhalten

 Das ausgiebige Beizen und Passivieren der inneren Oberfläche von Hauptausrüstungen und Rohrleitungen aus nichtrostendem Stahl [3] in Chemie- und Pharmaanlagen (s. Abschn. 5.3.4, Buchst. a)).  Die Sanitisierung (Verringerung der Keimzahl im Medium von 1 bis 3 Zehnerpotenzen) von Anlagensystemen in der Pharma- und Nehrungsmittelindustrie durch  thermische Methoden (Heißwasser, Heißdampf, Heißluft, heiße Chemikalie),  chemische Methoden (Peressigsäuren, Wasserstoffperoxid, Ozon),  physikalische Methoden (UV-Licht).

6.2 Kalt-Inbetriebnahme / Herstellen der Betriebsbereitschaft

517

 Während der Kalt-Inbetriebnahme von biotechnologischen Anlagen (Pharma-, Nahrungsmittel-, Trinkwasseranlagen) sind häufig spezielle Reinigungsmaßnahmen (Desinfektion, Sanitisierung, Entkeimung usw.) notwendig, um eine chemisch saubere und/oder bakteriell keimfreie Anlage zu erreichen. Dazu werden häufig hochaktive Chemikalien (Chlor, Ozon) sowie spezielle Verfahren und Ausrüstungen genutzt. 6.2.4 Fortsetzen der Komplexer Funktionsprüfungen inkl. Wasserfahrt Die folgenden Ausführungen sind in Ergänzung zu Abschn. 5.5.2.5 zu verstehen. Je nach Umfang und Kompliziertheit der verfahrenstechnischen Anlage ist es mehr oder weniger schwierig, riskant und unwirtschaftlich, während der Endmontage sowie unter Baustellenbedingen die prozessrelevanten Komplexen Funktionsprüfungen (entsprechend der 2. Kategorie in Abschn. 5.5.2.5) durchzuführen. In vielen Fällen wäre es unter Baustellenbedingungen mit erheblichen inhaltlichen Einschränkungen (z.B. Simulation von Signalen, Sonderfahrweisen) und aufwendigen, operativen Sicherheitsvorkehrungen verbunden. Man wird aus diesen Gründen häufig entscheiden, wesentliche Komplexe Funktionsprüfungen der 2. Kategorie erst später, während der Kalt-Inbetriebnahme auszuführen. Typische Beispiele, für die dies zutrifft, sind: a) Fahrweisen von Teilanlagen und gegebenenfalls der Gesamtanlage mit Wasser, Luft, Stickstoff (sog. Wasserfahrt).  Ziel der Wasserfahrt kann sowohl der Erfolgsnachweis der mechanischen Funktionen als auch der verfahrenstechnischen Funktionen (z.B. Verdampfungs- und Kondensationsleistung, hydraulische Durchlassfähigkeit, Fördermengen und Förderhöhen, Wirkungsgrade, Abscheidegrade) sein.  Als Wasser kommen je nach Reinheitsanforderungen und/oder Werkstoff unterschiedliche Wasserqualitäten (Trinkwasser, Wasser enthärtet/vollentsalzt/entkeimt) zum Einsatz. Bei austenitischen nichtrostenden Stählen (z.B. 1.4541/V2A oder 1.4571/V4A), die eine Passivschicht (Chromoxid) aufweisen, muss das Wasser frei von ChloridIonen und Eisen-Ionen sein. Beide Ionen bewirken, dass die Passivschicht zerstört wird und der austenitische Stahl korrodiert. Im Fall von Cl-Ionen kann eine örtliche Lochkorrosion (sog. Lochfraß) entstehen (s. Abb. 6.3, links). Die Anwesenheit von Fe-Ionen, die u.U. während der Wasserfahrt durch Rost, Zunder, Flexpartikel, Bohrspäne usw. in die wässrige Phase gelangen können, bewirkt eine elektrochemische Kontaktkorrosion (sog. Bimetall-Korrosion) an den Störstellen der Passivschicht (s. Abb. 5.3, rechts in Abschn. 5.1.2).  Eine Wasserfahrt ist u.a. in Chemie-, Pharma- und Nahrungsmittelanlagen, in Wasser- und Abwasseranlagen sowie in Kraftwerksanlagen verbreitet. Sie ist im Sinne einer vorgelagerten und kostengünstigen Erprobung der Neuanlage immer dann zu prüfen, wenn im späteren Prozess auch mit Wasser (z.B. als Reaktant, Zielprodukt, Lösungsmittel, Abprodukt, Reinigungsmittel) hantiert wird bzw. eventuelle Restwassermengen nicht störend wirken.  Ferner werden Wasserfahrten häufig in Projekten der Chemie- und Pharmaindustrie durchgeführt, in denen der Auftraggeber auch der Verfahrensgeber ist und der Gefahren-/Verantwortungsübergang am Ende der Kalt-Inbetriebnahme stattfindet (s. Abschn. 4.3.2.1, Buchst. b)).

518

6 Durchführung der Inbetriebnahme

 Abb. 6.3 links: Lochkorrosion (Lochfraß) am Werkstoff 1.4541 (V2A) durch chloridhaltiges Wasser (Loch: ca. 0,2 mm Durchmesser/ca. 10 mm Lochtiefe) rechts: Schaden am Glockenboden einer Kolonne (ca. 150-400 °C) zur Vakuumdestillation von Erdölprodukten durch Eintrag von Wasser (sog. Wasserschlag)

Die Wasserfahrt entspricht unter diesen Bedingungen de facto einer simulierten Leistungsfahrt, verbunden mit einem eingeschränkten Leistungsnachweis des Auftragnehmers. Danach erfolgt i.d.R. die werkvertragliche Abnahme der Anlage. Die anschließende Heiß-Inbetriebnahme mit Originalprodukten führt anschließend der Auftraggeber (und zugleich Verfahrensgeber), auch aus Know-how- und Geheimhaltungsgründen, eigenverantwortlich durch. Der Auftragnehmer unterstützt ihn nur noch punktuell.  Für die Vorbereitung, Durchführung und Auswertung der Wasserfahrt ist in diesen Fällen die Vorgehensweise, wie sie in Abschn. 6.3 bis 6.8 für den klassischen Fall eines Generalvertrages bis zum Ende der Heiß-Inbetriebnahme (bis „Leistungsnachweis unter Produktionsbedingungen“) beschrieben ist, sinngemäß anzuwenden.  Luft bzw. Stickstoff kommen als Testgase im Prozess und in Verdichteranlagen (z.B. Testen eines Gaskreislaufs) zum Einsatz bzw. werden als Gas in sog. Pendelgassystemen für die „Beatmungen“ von Behältern und Tanks genutzt. b) Fahrweisen von Teilanlagen und gegebenenfalls der Gesamtanlage mit inerten bzw. schwer entflammbaren Medien (kein Wasser) (sog. Testproduktfahrt)  Als Medien kommen u.a. Erdölprodukte, Wärmeträgeröle und bestimmte Chemikalien/Lösungsmittel zum Einsatz. Erdölprodukte (Heizöl, Dieselkraftstoff) werden z.B. in Raffinerieanlagen, in bestimmten chemisch-katalytischen Prozessen bzw. speziellen Kunststoffanlagen genutzt. In derartigen Anlagen ist Wasser nicht erwünscht (s. Schaden in Abb. 6.3, rechts).  Da mit Gefahrstoffen gearbeitet wird und gegebenenfalls auch Brand- und Explosionsgefährdungen bestehen, sind die Sicherheitsanforderungen und Sicherheitsvorkehrungen wesentlich höher als bei der Wasserfahrt.  Im Übrigen gelten die vorherigen Aussagen zur Wasserfahrt.

6.2 Kalt-Inbetriebnahme / Herstellen der Betriebsbereitschaft

519

c) Testfahrten von prozessrelevanten Package-units mit Testprodukt bzw. Originalprodukt (s. auch Abschn. 5.5.3).  Dazu gehören u.a. ▪ Ofenanlagen inkl. Prozesssysteme, ▪ Wärmeträgeranlagen inkl. Prozesssysteme, ▪ Kühl- bzw. Kälteanlagen inkl. Prozesssysteme, ▪ Förderanlagen, Wägeeinrichtungen, Abfüll- und Absackanlagen, ▪ Be- und Entladestationen, ▪ Läger für Schüttgüter, Stückgüter und/oder Gebinde, d) Erprobung der Ebenenstruktur des Prozessleitsystems sowie der komplexen, prozessgerichteten Steuerungen.  Die einzelnen Ebenen des Prozessleitsystems (s. Tab. 5.18 und Abb. 5.23 in Abschn. 5.5.2.3) werden schrittweise von „unten nach oben“ aktiviert und geprüft.  Im Rahmen der PLT-Funktionsprüfungen nach Montage erfolgt dies vorrangig für die Feld- und Prozessleitebene und während der Kalt-Inbetriebnahme vertiefend für die Betriebs- und Unternehmensleitebene.  Die komplexe Funktionsprüfung der prozessgerichteten Steuerungen setzt die vorherigen Prüfungen der Hard- und Software des Prozessleitsystems mit Feldtechnik fort, die ▪ während des FAT (Factory Acceptance Test) beim Hersteller/Lieferant und ▪ während des SAT (Site Acceptance Test) vor Ort in der Anlage erfolgte. Diese waren mit zahlreichen Einschränkungen verbunden (s. Abschn. 5.5.2.3)  Die Schrittketten von prozessgerichteten Steuerungen (z.B. Anfahr-, Abfahr-, Umfahr- und Rezeptsteuerungen) werden während der Kalt-Inbetriebnahme möglichst unter Life-Bedingungen geprüft, d.h. ▪ bei Original-Prozessparametern (Druck, Temperatur, Füllstand, Durchsatz usw.) und ▪ unter Einbeziehen aller Elemente/Bauteile (Sensor, Wandler, Signalübertragung, PLS-Komponenten, Aktoren, Endlagenschalter usw.). 6.2.5 Vorbereitung ausgewählter Komponenten Die nachfolgend beschriebenen Maßnahmen gehören zur Inbetriebnahmevorbereitung, werden aber häufig aus Sicherheits- und Qualitätsaspekten erst zeitlich nach der Mechanischen Fertigstellung durchgeführt. 6.2.5.1 Trocknen der feuerfesten Ausmauerungen/Auskleidungen Feuerfeste Materialien [4] werden zur Ausmauerung bzw. Auskleidung von Anlagenkomponenten eingesetzt, in denen Verbrennungsvorgänge, Aufheizvorgänge, Schmelzvorgänge oder chemische Reaktionen bei hohen Temperaturen ablaufen. Sie sollen die dahinter liegenden und tragenden metallischen Bauteile vor thermischer und/oder chemischer Schädigung schützen. Einsatzgebiete für Feuerfestmaterialien sind vorwiegend Aufheizer und Reaktionsöfen in der Petrolchemie, Anlagen zur Kalk- und Zementherstellung, Schacht- und Dreh-

520

6 Durchführung der Inbetriebnahme

rohröfen, Anlagen der Kohleveredelung, Dampferzeuger sowie Abfallverbrennungsanlagen. Die Anwendungsbreite ist größer als man oftmals vermutet. Feuerfestmaterialien sind vorwiegend keramische, nichtmetallische Werkstoffe mit einer Feuerfestigkeit von über 1500 °C. Besondere Bedeutung besitzt das Zweistoffsystem Siliziumdioxid/Aluminiumoxid, dessen Einsatzbereiche in der Abb. 6.4 angeführt sind. Die Materialien kommen in Form von Silikat- oder Schamottesteinen sowie als Stampfmasse zum Einsatz.

 Abb. 6.4 Feuerfeste Produkte und Einsatzbereiche des Zweistoffsystems SiO2/Al2O3

Um Schäden an den feuerfesten Ausmauerungen zu vermeiden, sind die folgenden Hinweise zur Handhabung sowie zur Inbetriebnahmevorbereitung wichtig: a) Die vorgeschriebenen Lagerungs- und Verarbeitungsbedingungen des Herstellers sind konsequent einzuhalten. Verschiedene Feuerfestmaterialien (z.B. Dolomit- und Magnesiasteine) neigen zur Aufnahme von Feuchtigkeit (sog. Hydratation) und zerbröckeln dadurch. Sie sind deshalb unbedingt vor Nässe und hoher Luftfeuchte zu schützen (in Folie verschweißt und verpackt). Ferner sollte sich das Aufheizen des Mauerwerkes möglichst zügig an dessen handwerkliche Fertigstellung anschließen. Grundsätzlich sind aber die meisten Feuerfestmaterialien hygroskopisch, d.h. sie sind bestrebt, Feuchtigkeit aus der Umgebungsatmosphäre aufzunehmen. Aus diesem Grund müssen diese Ausmauerungen vor der bestimmungsgemäßen Nutzung getrocknet werden. Dies erfolgt durch Aufheizen unter definierten Bedingungen. b) Das Trocknen der Ausmauerung/Auskleidung ist unter definierten Bedingungen entsprechend den Vorgaben des Lieferant und/oder des Ofenbauers durchzuführen. Das Aufheizen zum Trocknen der Feuerfestmaterialien ist exakt nach einer vorgegebenen Temperatur-Zeit-Kurve mit Haltepunkten durchzuführen (s. Abb. 6.5). Dabei ist die Temperatur an allen Stellen der Ausmauerung/Auskleidung einzuhalten.

6.2 Kalt-Inbetriebnahme / Herstellen der Betriebsbereitschaft

521

 Abb. 6.5 Aufheizkurve beim Trockenheizen eines Industrieofens (Praxisbeispiel)

Dies bedeutet, dass die Oberflächentemperatur während des Aufheizens  an ausreichend vielen Stellen kontrolliert (gemessen) werden muss sowie  gezielt und gleichmäßig an der gesamten Oberfläche einstellbar sein muss. Die zweite Bedingung kann u.U. bewirken, dass in der ausgemauerten/ausgekleideten Ausrüstung spezielle und zusätzliche „Anfahrbrenner“ zum Aufheizen/Trocknen der Feuerfestmaterialien notwendig sind. Beim erstmaligen Aufheizen der frisch verarbeiteten Materialien finden temperaturabhängig folgende Vorgänge statt: 150 – 250 °C: Abgabe von adsorbiertem Wasser 400 – 650 °C: Zerfall in Al2O3·2 SiO2 und H2O 900 – 1050 °C: Kristallisation von Al2O3 Zunächst erfolgt eine Trocknung, d.h. die oberflächliche und später die innere Feuchtigkeit müssen verdampfen. Dabei ist das Wasser überwiegend adsorptiv gebunden, teils wird es bei höheren Temperaturen durch Kristallumwandlung auch neu gebildet. Erfolgt die Temperatursteigerung zu schnell, so reicht die Zeit im zweiten Trocknungsabschnitt nicht aus, damit die innere Feuchtigkeit rechtzeitig an die Oberfläche gelangt. Entsprechend der Temperatur bildet sich dann im Innern der Steine ein hoher Wasserdampfdruck, der zu Absprengungen und/oder Rissen führen kann (s. Abb. 6.6). Derartige Schäden sind bei Ausmauerungen bekanntlich sehr schwer zu reparieren. Bei höheren Temperaturen treten ferner Sintervorgänge an der Oberfläche auf, die eine unporöse Deckschicht erzeugen. Noch eingeschlossenes Wasser kann dann nicht mehr nach außen diffundieren und sprengt diese Oberflächenschichten ab. Auch aus dieser Sicht muss das Aufheizen vorsichtig vorgenommen werden. Schließlich bewirken Temperaturgradienten stets auch Wärmespannungen in der Ausmauerung, die durch eine optimale Abstimmung von Aufheiz- und Durchwärmzeit minimiert werden müssen.

522

6 Durchführung der Inbetriebnahme

 Abb. 6.6 links: Schäden (Absprengungen) an der Ausmauerung eines Industrieofens durch zu schnelles Aufheizen beim Trocknungsvorgang rechts: Zerstörungen an der Ausmauerung eines Koksofens durch Rissbildung infolge überlagerter statischer, dynamischer, thermischer Beanspruchung

Das Ausheizen der Ausmauerung ist in vielen Projekten zeitkritisch für das Anfahren der Gesamtanlage, da:  Voraussetzungen für dessen Beginn die fertige Montage der betroffenen Ausrüstung einschließlich der Nebenanlagen, aber weitgehend auch die der ganzen Anlage ist. Mit der Feuerung kommen erstmals brennbare Stoffe in die Anlage und das Gefahrenpotential steigt.  Bei Öfen in der Regel zunächst vorsichtig mit den Pilotbrennern, zum Teil zusätzlich mit sog. Anfahrbrennern, geheizt wird.  Die Zeitdauer mit 1 bis 3 Wochen erheblich ist (Bei nachgeschalteten Schornsteinen noch länger!).  Die Industrieöfen anschließend u.U. noch zum Vorbehandeln von Katalysatoren und/ oder Adsorbentien benötigt werden. Eventuell vorhandene Ofenrohrsysteme sind bei höheren Ausheiztemperaturen zu kühlen. Dies wiederum bedingt, dass zu diesem Zeitpunkt ein entsprechendes Kühlsystem betriebsbereit sein muss. 6.2.5.2 Einfüllen und Vorbehandeln von Katalysatoren und Adsorbentien In verfahrenstechnischen Anlagen sind Katalysatoren und/oder Adsorbentien nicht selten das „Herz“ des Verfahrens und der Anlage, da sie die Gesamteffizienz entscheidend beeinflussen. Ihr Einbau erfolgt zum Schutz vor Unwägbarkeiten (z.B. Frost, Verschmutzung, Abrieb) in den meisten Projekten erst während der Kalt-Inbetriebnahme, obwohl sie Bestandteile der Erstausrüstung sind und über die Investition bezahlt werden. Kommt man bei der Vorbehandlung mit Luft oder Stickstoff aus (z.B. bei Trockenmitteln), so ist eine zeitliche Vorverlagerung in die Montagephase eher möglich, als z.B. bei notwendigen Aktivierungen mit wasserstoffhaltigem Gas. Letzteres ist bei Katalysatoren mit metallischen Aktivkomponenten häufig der Fall. Viele Katalysatoren/Adsorbentien sind Schüttgüter aus Strängen, Pillen, Kugeln usw. mit Abmessungen von wenigen Millimetern.

6.2 Kalt-Inbetriebnahme / Herstellen der Betriebsbereitschaft

523

Um Absplitterungen an den Formlingen, zu vermeiden, ist beim Einfüllen deren Herunterfallen aus großer Höhe zu vermeiden. Ferner ist der Schüttungsaufbau von unten nach oben sehr sorgfältig entsprechend den Vorschriften des Herstellers bzw. des Planers auszuführen. Nachfolgend wird die mögliche Vorgehensweise für einen Vollraumreaktor beschrieben. 1) Abdeckung des Austrittsstutzens mittels eines mit Löchern/Schlitzen versehenen Klöpperbodens bzw. eines Kegel-/Hutsiebes (s. Abb. 6.7, links). ▪ Der freie Querschnitt des Siebs bzw. Klöpperbodens sollte mindestens so groß sein, wie der freie Querschnitt des Stutzens. ▪ Die Bohrungen/Schlitzbreite des Siebs/Klöpperbodens (z.B. 5 bis 10 mm) können deutlich größer sein als die Schüttgut-Partikel. ▪ Das Sieb bzw. der Klöpperboden müssen festigkeitsmäßig gemäß dem maximalen Druckverlust (maximal zulässiger Betriebsüberdruck des Apparats) ausgelegt sein.

Abb. 6.7 links: Reaktor-Austrittsstutzen; in Abgang vor Flansch ist Kegelsieb (Spitze entgegen der Strömungsrichtung) eingebaut rechts: Reaktor-Stutzen mit eingebauter Diffusor-Vorrichtung

2) Aufbringen von Inertmaterial verschiedener Körnung (von grob nach fein) auf die Abdeckung, z.B. ▪ Zuerst ca. 150–250 mm hohe Schicht aus Keramikkugeln bzw. -zylindern mit Abmessung von 20–25 mm Durchmesser/Länge. ▪ Darauf zweite Schicht (ca. 150–250 mm) mit Keramikkugeln bzw. -zylindern mit Abmessung von 8–10 mm Durchmesser/Länge. ▪ In der Regel ist der Kornzwischenraum dann so eng, dass ein Durchrieseln des aktiven Schüttguts durch „Brückenbildung“ verhindert wird. 3) Aufbringen der Katalysator- bzw. Adsorbensschüttung entsprechend der vorgegebenen Schütthöhe. 4) Obere Abdeckung der Schüttung mit Schmutzfänger bzw. Strömungsverteiler. ▪ Über der Schüttung ist in Abhängigkeit von den Strömungsverhältnissen in diesem

524

6 Durchführung der Inbetriebnahme

Bereich (z.B. Freistrahl mit/ohne Diffusor) ein ausreichend großer Freiraum zu belassen. ▪ Um Verwirbelungen des Schüttguts durch den Freistrahl der Edukte zu vermeiden, kann ein Diffusor vorgesehen werden. Abb. 6.7, rechts zeigt eine spezielle Diffusor-Vorrichtung, die in den ReaktorStutzen von oben eingesteckt wurde. Dadurch wird die Strömung effektiv verzögert und die kinetische Energie wirtschaftlich in „Druckenergie“ umgewandelt. Beim Einfüllen sind regelmäßig Proben des Schüttgutes nach den Vorschriften zur repräsentativen Schüttgut-Probenahme zu entnehmen. Der Einfüllvorgang, bei dem ein Vertreter des Herstellers anwesend sein sollte, ist exakt zu protokollieren (s. Tab. 6.2). Tabelle 6.2 Befüllprotokoll (Praxisbeispiel) Befüllprotokoll für die Reaktoren B102/1+2 Anlage:

Anlage zur Reinigung eines wasserstoffreichen Raffineriegases in......

Datum:

…………, 16.30 - 18.30 Uhr

Befüllgut:

Feinentschwefelungskatalysator

1

Vorbereitende Arbeiten Vor der Befüllung wurden die beiden Reaktoren B102/1+2 mit Druckluft durchgeblasen. Die innere Oberfläche war metallisch sauber und trocken. An den Ein- und Ausgängen wurden Blindscheiben gesteckt, der obere Deckel gelöst und geschwenkt. Danach wurden bis 10 cm unterhalb des Temperaturstutzens s4, entsprechend einer Füllhöhe von ca. 500 mm, Porzellankugeln von ca. 10 mm  eingefüllt. Die Kugeln waren trocken und sauber.

2

Befüllung der Behälter Für die Befüllung der beiden Reaktoren standen 5 Fässer Katalysator zur Verfügung. Diese wurden zu gleichen Teilen in die Reaktoren entleert. Die Fässer waren unbeschädigt und verschlossen. Der innen befindliche Plastesack war unbeschädigt und verschnürt. a) Zeitraum: Die Befüllung wurde im Zeitraum von einer Stunde erledigt. Danach wurde der obere Deckel wieder verschraubt und am p4-Spülstutzen ebenfalls eine Blindscheibe gesteckt. b) Meteorologische Bedingungen: Sommerliches, trockenes, windstilles Wetter bei Temperatur von ca. 25 °C. c) Befüllung: Der Katalysator wurde direkt auf die Porzellankugeln geschüttet. Das letzte Fass wurde so auf die Reaktoren verteilt, dass von der Unterkante des Produkteintrittsstutzens p 1 bis zur Kontaktoberfläche jeweils 420 mm vermessen wurden. Das entspricht gemäß Zeichnung Nr. 788.182-000000.0 (1) einer Füllhöhe von 1880 mm. Das Katalysatorfüllvolumen je Behälter ist somit V = 0,53 m³. d) Art der Abdeckung: Der Katalysator wurde mit einem Streckmetallboden (D = 598 mm) mit einer maximalen Öffnungsweite von ca. 5 mm abgedeckt. Auf dem Streckmetallboden wurde zur Beschwerung eine 10 cm hohe Schicht aus Porzellanfüllkörpern ( 30 mm x 30 mm) aufgebracht.

3

Probenahme Während des Befüllens der Behälter wurden aus jedem Fass ca. 100 g Kontakt als Rückstellprobe entnommen und gekennzeichnet. ..................................... Befüllverantwortlicher (Katalysatorhersteller)

..………........................ Inbetriebnahmeleiter (Auftragnehmer)

..……........................ Betriebsleiter (Auftraggeber)

6.2 Kalt-Inbetriebnahme / Herstellen der Betriebsbereitschaft

525

Nach dem Einfüllen wird der Reaktor/Adsorber im Normalfall verschlossen und mit Stickstoff aufgepuffert. In vielen Fällen ist das Schüttgut vor der Inbetriebnahme einer spezifischen Vorbehandlung (Aktivierung) zu unterziehen. Typisch sind Trocknungen und die Reduktion mittels Wasserstoff. Bekannt sind u.a. auch Aufschwefelungen und Aufchlorierungen. Insgesamt wird geraten, streng nach Vorschrift des Herstellers/Lieferant (auch wenn nicht jeder Schritt immer zwingend erscheint) zu verfahren und sich vom anwesenden Hersteller bzw. Verantwortlichen die vorgabegerechte Vorgehensweise schriftlich bestätigen zu lassen (Gewährleistungsvoraussetzung). Die Vorbehandlung vieler Katalysatoren beeinflusst häufig nicht nur deren RaumZeit-Ausbeute und/oder Selektivität, sondern auch ihre Standzeit bzw. Lebensdauer, die meistens eine wichtige Langzeitgarantie des Herstellers darstellt. Die dafür notwendigen Maßnahmen sind in vielen Fällen zeitkritisch für den Beginn der Heiß-Inbetriebnahme. 6.2.6 Inertisieren Ist die Anlage dicht (s. Abschn. 5.6 und 6.2.2), so ist in verfahrenstechnischen Anlagen oft ein Inertisieren nötig. Dies kann im Verfahren, z.B. wenn Sauerstoff unerwünschte Nebenreaktionen auslöst, begründet sein. Im Anschluss an die Feinreinigung wird mitunter auch inertisiert, um eine Sauerstoffkorrosion zu unterbinden. Meistens ist das Inertisieren jedoch sicherheitsbedingt, da ein direkter Austausch der Luft durch das Prozessmedium wegen „Durchfahren“ des Ex-Bereiches nicht zulässig ist. Abbildung 6.8 veranschaulicht dies am Explosions-Dreiecksdiagramm für ein Methan-Sauerstoff-Stickstoff-Gemisch.

Abb. 6.8 Explosions-Dreiecksdiagramm von Methan-Sauerstoff-Stickstoff-Gemisch bei 20 °C

526

6 Durchführung der Inbetriebnahme

Nach der Montage bzw. nach der Dichtheitsprüfung liegt zunächst der Prozesszustand L (Luft) vor. Wird die Luft direkt durch Methan verdrängt, so bewegt sich der Prozesszustand entlang der Linie LM vom Punkt L aus in Richtung Punkt M. Am Punkt D wird im Gemisch die UEG (Untere Explosionsgrenze) in Mol-% Methan erreicht. Bei weiterer Methan-Zuführung bleibt ein explosibles Gemisch bis zum Punkt C, der OEG (Obere Explosionsgrenze), erhalten. Ein weiterer Anstieg des Methangehalts bewirkt keine neue Ex-Gefahr, das Gemisch ist oberhalb der OEG zu „fett“. Zur Vervollständigung sei noch angeführt, dass die Punkte A bzw. B in Abb. 6.8 die UEG bzw. OEG für Methan in reinem Sauerstoff darstellen. Man erkennt die gravierende Aufweitung des Ex-Bereichs bei reinem Sauerstoff. Beim Inertisieren wird solange ein Inertgas (Stickstoff, Dampf) dem System zugeführt, bis im Anlageninnern der Sauerstoffgehalt deutlich unterhalb der maximal zulässigen Sauerstoffgrenzkonzentration XO2, max (SGK) [5] gemäß Punkt E abgesenkt ist. Tabelle 6.3 enthält Messwerte für die SGK von brennbaren Gasen im Gemisch mit Luft und Stickstoff bei Normalbedingungen [6][7]. Unter Prozessbedingungen ist zu beachten [8]: Der Explosionsbereich weitet sich mit steigendem Druck, steigender Temperatur und bei Einsatz von Oxidationsmitteln, die ein höheres Oxidationspotential als Luft haben, auf. Damit sind die in Tabelle 6.3 angeführten Grenzwerte bei erhöhter Temperatur und erhöhtem Druck nicht auf der sicheren Seite und müssen rechnerisch nach unten korrigiert werden. Tabelle 6.3 Maximale Sauerstoffkonzentrationen XO2, Min in Mol-% (bei Normalbedingungen und Inertisierung mit Stickstoff) [6][7] Stoff Methan Ethan Propan n-Butan n-Hexan

Maximale Sauerstoffkonzentration in Mol-% 9,9 8,8 9,8 9,6 9,3

Stoff Ethen Propen Ethin Wasserstoff Kohlenmonoxid

Maximale Sauerstoffkonzentration in Mol-% 7,6 9,3 6,3 4,3 6,2

In der Praxis muss in einer Anlage (zusätzlich zur Temperatur- und Druckabhängigkeit) mit Toträumen, Kurzschlussströmungen u.a. Inhomogenitäten gerechnet werden, sodass sicherheitshalber das Inertisieren bis weit unter die angeführten Sauerstoffgrenzgehalte (beispielsweise < 0,5 Vol-%) erfolgen sollte. Zum Inertisieren bei der Inbetriebnahme wird meistens Stickstoff und im Kraftwerksbereich Dampf verwendet. Bei Zwischenabstellungen wird zur schnelleren Reparaturfreimachung nicht selten mit Dampf inertisiert (sog. „Dämpfen“). Grundlage für das Inertisieren großer verfahrenstechnischer Anlagen in Vorbereitung der Heiß-Inbetriebnahme sollte ein Inertisierungsprogramm (s. Tab. 6.4) sein, das als Teil der Inbetriebnahmeanleitung erarbeitet und vorgegeben wird. Die Vorschrift zum Inertisieren sollte als Betriebsanweisung erarbeitet werden. Die beteiligten Personen sind darüber nachweispflichtig zu unterweisen. Beim Inertisieren ist möglichst eine diskontinuierliche Austauschtechnologie, z.B. alternierendes Evakuieren und Auffüllen bzw. wechselseitiges Aufdrücken und Entspan-

6.2 Kalt-Inbetriebnahme / Herstellen der Betriebsbereitschaft

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nen, anzuwenden. Im Vergleich zum kontinuierlichen Ein- und Ausspeisen wird somit die verbrauchte Stickstoffmenge auf ca. ein Drittel reduziert. Tabelle 6.4 Schwerpunkte aus dem Inertisierungsprogramm einer Anlage zur Reinigung eines wasserstoffhaltigen Raffineriegases (gemäß Beispiel 2.2 in Abschn. 2.2) 1 Voraussetzungen für das Inertisieren  Dichtheitsprüfung/-nachweis  Charakterisierung des Ausgangszustandes (z.B. entspannte Anlage bei Normaldruck)  Sichere Abtrennung anderer Anlagen bzw. Anlagenteile (Blindscheiben, Doppelabsperrungen, Ausbau von Passstücken) 2 Vorbereitung der Inertisierung  Stellen der Leitungswege für das zu inertisierende System entsprechend Auszug aus dem R&I-Fließschemata  Kontrolle der Startstellung für die Armaturen  Prüfung der Ausgangs-/Eingangsstutzen  Festlegung der Probenahmestellen (weit weg von der Einspeisung) 3 Durchführung der Inertisierung  mögliche Basistechnologien sind: ▪ alternierendes Evakuieren und Auffüllen ▪ einfaches kontinuierliches Spülen ▪ alternierendes Aufdrücken und Entspannen  Durchführung von Gasanalysen zur Überwachung des Sauerstoffgehaltes bei der Inertisierung (im Beispiel werden Gehalte an Sauerstoff von unter 0,5 Vol-% gefordert)  Drücke kontrollieren (evtl. Versetzungen)  Rückströmungen ins Inertgas-Netz verhindern  Abströmen von Inertgas ins Fackelsystem unterbinden  inertisierte Anlage absperren und unter leichtem Stickstoffüberdruck halten

6.2.7 Anfahrcheck und Anzeige der Betriebsbereitschaft Der Übergang von der Kalt-Inbetriebnahme zur Heiß-Inbetriebnahme ist eine kritische Schnittstelle (Meilenstein) während der Inbetriebnahmephase (s. auch Abschn. 1.5.1, Buchst. f)). Die Sicherheitsrisiken aber auch die Kosten-, Termin- und Qualitätsrisiken nehmen mit Beginn des Anfahrens (start-up) nochmals erheblich zu Mitunter erfolgt zu diesem Zeitpunkt auch die werkvertragliche Abnahme der Vertragsleistung, verbunden mit gravierenden Rechtsfolgen. Für alle Beteiligten beginnt mit der heißen Phase der Inbetriebnahme zugleich die „Stunde der Wahrheit“. 6.2.7.1 Anfahrcheck Bevor die Anlage „per Knopfdruck“ angefahren wird, sollten zuvor nochmals minuziös die Voraussetzungen in einem sog. Anfahrcheck überprüft und von jeder Person, die während der Heiß-Inbetriebnahme ein „Stück“ Verantwortung trägt, schriftlich bestätigt werden. Die Prüfschwerpunkte sind in Tabelle 6.5 enthalten und die strukturierte, protokollarische Vorgehensweise bis zur Anzeige der Betriebsbereitschaft durch den Inbetriebnahmeleiter an den Projektleiter des Auftraggebers/Investors/Bauherrn ist in Abschnitt 6.2.7.3 beschrieben.

528

6 Durchführung der Inbetriebnahme

Tabelle 6.5 Prüfschwerpunkte für Anfahrcheck vor Beginn der Heiß-Inbetriebnahme [9] 1 Instandhaltung  Organisation aufgebaut und Handwerker eingeteilt  Werkstatt gebaut und eingerichtet  Ersatzteile, Verschließteile und spezifische Verbrauchsmaterialien für Inbetriebnahmeund Gewährleistungszeitraum vor Ort vorrätig  Spezialwerkzeuge und zugehörige Behandlungsvorschriften vorhanden  Inspektions- und Wartungsvorschriften für Ausrüstungen vorhanden  richtige Dichtungen und Schmierstoffe verfügbar  Vorschriften der Ausrüstungshersteller katalogisiert  Wartungs- und Inspektionsplan für Gesamtanlage vorhanden 2 Montagekontrollen, Inspektionen  Behältereinbauten kontrolliert, Behälterdichtungen eingebaut  Rohrleitungen übereinstimmend mit R&I-Fließschemata  Kennzeichnung der Rohrleitungen u.a. Komponenten beendet  Startstellung der Armaturen überprüft  Ausrüstungsaufstellung in Hinblick auf Zugänglichkeit/Bedienung kontrolliert  Sauberkeit kritischer Rohrleitungen kontrolliert  Isolierung, Begleitheizung, Berührungsschutz usw. kontrolliert  temporäre Entwässerungsanschlüsse und Steckscheiben eingebaut  Vorrichtungen zur Probeentnahme kontrolliert 3 Druckprüfungen, Dichtheitsprüfungen, Reinigen und Trocknen  Druckprüfungen der Druckgeräte (Ausrüstungen und Rohrleitungen) erfolgt  Druck-Dichtheitsprüfungen der Teilsysteme und Gesamtanlage erfolgt  Vakuum-Dichtheitstest abgeschlossen  Spülen und Reinigen von Ausrüstungen und Rohrleitungen abgeschlossen  Wasser abgelassen, um Einfriergefahr vorzubeugen  Rohrleitungen ausgeblasen  Messblenden eingebaut sowie von Öffnungsquerschnitt u. Einbauort überprüft  Prozessausrüstung ausgetrocknet  Inertisieren abgeschlossen  freie Dehnung von Rohrleitungskompensatoren  temporäre Arretierungen an Rohrleitungshalterungen gelöst 4 Mediensysteme und Nebenanlagen  Elektrizität ▪ Abschaltwerte für Unterverteilungen geprüft ▪ Proben vom Transformatoröl entnommen und überprüft ▪ Parametrierung und Testung Frequenzumrichter und/oder Sanftanlaufgeräte ▪ Notstromaggregat funktionsgeprüft ▪ USV (Unterbrechungsfreie Spannungsversorgung) für Prozessleittechnik geprüft (Batterien, Akkus) ▪ Beleuchtung kontrolliert ▪ elektrische Begleitheizung kontrolliert  Wasserbehandlung ▪ Filtermassen in Filterbetten eingefüllt ▪ Ionenaustauscherharze eingefüllt ▪ Regeneriersystem überprüft  Kühlwasser ▪ Vorlauf-, Anschluss- und Rücklaufleitung gespült ▪ Entwässert, um Einfriergefahr zu vermeiden ▪ Lüfterflügel des Kühlturms justiert

6.2 Kalt-Inbetriebnahme / Herstellen der Betriebsbereitschaft

529

Tab. 6.5 (Fortsetzung) 4 Mediensysteme und Nebenanlagen (Fortsetzung)  Löschwasser ▪ Rohrleitungen gespült ▪ Löschwassersystem gefüllt ▪ Funktion geprüft und betriebsbereit ▪ Ableitung gewährleistet bzw. Rückhaltevolumina ausreichend  Druckluft und Steuerluft ▪ Druckluftleitung durch Ausblasen gereinigt ▪ Ausrüstungen entwässert ▪ Adsorptionsmittel in Trocknungsanlage eingefüllt und Druckluftleitung ausgetrocknet  unterirdische Entleerungsanschlüsse ▪ Sauberkeit und Dichtkeit des unterirdischen Systems überprüft ▪ Dichtungen für die Anschlüsse eingebaut  Dampf ▪ Aufheizvorschriften für Apparate und Rohrleitungen liegen vor ▪ Hauptleitungen ausgeblasen ▪ Anschlussleitungen ausgeblasen  Kondensat ▪ Anordnung der Entleerungen überprüft ▪ Funktion der Kondensatableiter überprüft  Stickstoff ▪ Warnschilder festgelegt und angebracht ▪ Rohrleitungen mit Luft ausgeblasen ▪ Systeme von anderen abgetrennt/abgesteckt und mit Stickstoff gespült (falls erforderlich)  Heizöl ▪ Warnschilder festgelegt und angebracht ▪ Rohrleitungen mit Luft ausgeblasen  Heizgas ▪ Warnschilder festgelegt und angebracht ▪ Rohrleitungen mit Luft ausgeblasen ▪ Systeme von anderen isoliert und mit Inertgas gespült (falls erforderlich) 5 Ausrüstungen  Prozessöfen ▪ Messinstrumente und Regeleinrichtungen überprüft ▪ Feuerfeste Auskleidung an Ausrüstungen ausgetrocknet ▪ Entleerungsleitung an Ausrüstungen angebracht  Elektrische Antriebsmotoren (s. auch Punkt 4. bzgl. FU) ▪ Drehrichtungsprüfung erfolgt ▪ Austrocknen beendet ▪ Leerlauf-Probeläufe erfolgreich durchgeführt  Dampf-Turbinen-Antriebe ▪ Hilfssysteme für Schmierung und Kühlung überprüft ▪ Instrumentierung und Drehzahlregelung überprüft ▪ Leerlauf-Probeläufe durchgeführt ▪ Probeläufe mit geringer Last beendet  Verbrennungsmotoren-Antriebe ▪ Hilfssysteme für Schmierung und Kühlung überprüft ▪ Instrumentierung überprüft ▪ Leerlauf-Probeläufe durchgeführt ▪ Probeläufe mit geringer Last beendet

530

6 Durchführung der Inbetriebnahme

Tab. 6.5 (Fortsetzung) 5 Ausrüstungen (Fortsetzung)  Zentrifugalverdichter ▪ Schmier- und Dichtölsysteme gereinigt ▪ Instrumentierung und Drehzahlregelung überprüft ▪ Einlaufbetrieb der Schmieröl- und Dichtölsysteme erfolgt ▪ Betrieb mit Luft durchgeführt  Vakuumerzeugungs-Ausrüstungen ▪ Ausrichtung, Einlauf-Probeläufe erfolgt  Pumpen ▪ Ausrichtung, Einlauf-Probeläufe erfolgt ▪ Ausrichtungen an warmen Maschinen durchgeführt ▪ Schwingungsmessung mit zufriedenstellendem Ergebnis durchgeführt  Instrumentierung ▪ Ausblasen mit sauberer Druckluft durchgeführt ▪ Austrocknen durchgeführt ▪ Loop-checks abgeschlossen ▪ Kontinuität der Nullpunkte überprüft und justiert ▪ Eichung gemäß Erfordernissen durchgeführt  Beizen, Passivieren u.ä. Sondermaßnahmen abgeschlossen 6 Prozessanalysentechnik und Betriebslabor  Prozessanalysentechnik (PAT) ▪ Probenahme von Entnahmestelle bis Analysator kontrolliert ▪ Analysenplan liegt vor ▪ Analysator getestet, Signalübertragung in Warte getestet  Laboranalysentechnik (LAT), Betriebslabor ▪ Labor eingerichtet und Laborpersonal eingeteilt ▪ Probenahme-/Analysenplan bekanntgegeben ▪ Auswertung der Proben im Labor festgelegt 7 Vorbereitung für den Betrieb (Auszug) (s. auch Tab. 5.22 und 5.23, Abschn. 5.7.1)  Hilfswerkzeuge, Schläuche und Leitern zur Hand  Container, Säcke, Trommeln und Eisenbahnwagen verfügbar  Versorgungshilfsmittel für Werkstatt, Aufträge, Materialanforderungen verfügbar  Auswertung der Prozessdaten, Alarmprotokolle u.ä. organisiert  Erfassung der Emissionswerte festgelegt 8 Sicherheit und Gesundheitsschutz (Auszug) (s. auch Tab. 5.22 und 5.23, Abschn. 5.7.1)  Arbeitsschutzmittel (Kleidung, Brillen, Helme, Handschuhe, Schürzen, Decken, Gasmasken und Vollatemgeräte) verfügbar  Sicherheitsvorschriften für Stromausfall, Befahren von Behältern, Heißarbeitsgenehmigungen und Aushubarbeiten geschrieben  Erste Hilfe und ärztliche Versorgung sichergestellt  Installation und Einstellung der Sicherheitsventile geprüft  Ex-Bereiche gekennzeichnet 9 Brandschutz (Auszug) (s. auch Tab. 5.22 und 5.23, Abschn. 5.7.1)  Brandschutzanzüge, Äxte, Leitern, Handfeuerlöscher, Feuerwehrschläuche usw.  Kupplungsstücke und Rohre für Löscheinrichtungen einsatzbereit  Feuerlöschprozeduren geplant  Springleranlage einsatzbereit  Löschschaum-Chemikalien einsatzbereit  Löschmaßnahmen mit Feuerwehr abgestimmt und organisiert

6.2 Kalt-Inbetriebnahme / Herstellen der Betriebsbereitschaft

531

6.2.7.2 Funktionsqualifizierung (OQ) Die Funktionsqualifizierung bzw. Operational Qualification (OQ) ist die dritte Qualifizierungsphase bei der Abwicklung von Pharmaprojekten nach dem GMP-Regelwerk (s. Abschn. 1.5.4.2). Sie beinhaltet den formalen, systematischen und dokumentierten Nachweis, dass die technischen und baulichen Einrichtungen und Systeme in der installierten bzw. modifizierten Ausführung über den gesamten vorgesehenen Betriebsbereich vorschriftsmäßig funktionieren. Im Mittelpunkt der OQ steht ein Funktionsnachweis für die Einzelausrüstungen und Teilsysteme/Package-units/Bauwerke. Die Funktion der Gesamtanlage wird bei der Leistungsqualifizierung (PQ) geprüft (s. Abschn. 6.8.4). Die OQ findet im Zeitraum zwischen dem Montageende (s. Abb. 1.4, Abschn. 1.5.1) der betrachteten Einheit und dem Ende Kalt-Inbetriebnahme der Gesamtanlage statt. Je nach Montagefortschritt der zu qualifizierenden technischen Einheit kann die OQ auch schon gegen Ende der Baustelle (während der Inbetriebsetzung) beginnen und sich mit der vorgelagerten Installationsqualifizierung überschneiden. Desto komplexer das zu qualifizierende System, umso mehr verschiebt sich i.d.R. die OQ montage- und sicherheitsbedingt in die Kalt-Inbetriebnahme. Das Ablaufschema für die Planung/Durchführung der OQ zeigt Abb. 6.9 links. Daneben sind der Bezug zum Phasenmodell (s. Abb. 1.4, Abschn.1.5.1 und Abb. 1.7, Abschn. 1.5.4.2) sowie wesentliche Einzelmaßnahmen bei der OQ-Durchführung dargestellt.

Abb. 6.9 Ablaufschema und Elemente der Funktionsqualifizierung [10]

Da die OQ oftmals Messwerte nutzt, sind die Erstkalibrierung der qualitätsrelevanten Messstellen sowie der Einsatz kalibrierter Prüfmittel eine wichtige OQ-Voraussetzung.

532

6 Durchführung der Inbetriebnahme

Die Gliederung des OQ-Planes ist ähnlich wie die des IQ-Plans in Tab. 5.24, Abschn. 5.7., nur dass sich die Erfüllungskontrolle auf GMP-relevante Funktionen bezieht. Den Funktionen werden im Rahmen der OQ-Planung sog. Akzeptanzkriterien (quantitative und qualitative Anforderungsmerkmale an die einzelnen Funktionen) zugeordnet und in tabellarischer Form in Testplanen erfasst. Bei der OQ-Durchführung sind die Funktionen zu prüfen und die Prüfergebnisse in OQ-Prüfprotokollen zu dokumentieren. Zugleich ist das Prüfergebnis mit dem zugeordneten Akzeptanzkriterium zu vergleichen und das Ergebnis im Testplan zu vermerken. Da die OQ sehr stark auf Messwerten beruht, ist der Abschluss der Erstkalibrierung der qualitätsrelevanten Messstellen sowie die Nutzung kalibrierter Prüfmittel eine wichtige OQ-Voraussetzung. Der Großteil der Funktionen muss bis Ende Kalt-Inbetriebnahme geprüft sein. Sind für die Funktionsprüfungen die originalen betrieblichen Bedingungen (Rohstoffe, Medien, Parameter, Nennzustand usw.) notwendig, so müssen die restlichen Funktionsprüfungen zu Beginn Heiß-Inbetriebnahme durchgeführt werden. Dies betrifft z.B. häufig die Prüfung der NOT-HALT- und der NOT-AUS-Funktion. 6.2.7.3 Prozedur und Protokollieren der BETRIEBSBEREITSCHAFT Im Einzelnen ist bei der Gestaltung dieser Schnittstelle gegen Ende der Kalt-Inbetriebnahme nach folgender Prozedur zu verfahren: 1) Analog zum praktizierten Arbeitsfreigabesystem (s. Abschn. 3.5.3) wird auch für die geplanten Arbeiten mit Beginn der Heiß-Inbetriebnahme bzw. des Anfahrens eine Arbeitsfreigabe/-erlaubnis erteilt. Die Arbeitsfreigabe für das Anfahren (start-up) ist in Form eines Protokolls „ANZEIGE der BETRIEBSBEREITSCHAFT“(s. Abb. 6.10) zu erteilen.  Der Begriff „Betriebsbereitschaft“ wurde gewählt, da diese Prozedur und das Protokoll-Muster (Template) die Freigabe für das „Fahren“ in den Nennbetriebszustand erteilt und auch für die Wiederinbetriebnahme nach Anlagenstillständen (shut-down) angewandt werden sollte. Auch in diesen Fällen erklärt der Stillstandverantwortliche die Bereitschaft der abgestellten Anlage zur Wiederinbetriebnahme.  Prinzipiell sind auch andere Formulierungen, wie „Erklären der Betriebsbereitschaft“ oder „Freigabe zum Anfahren“ denkbar.  Die Erteilung einer normalen Arbeitsfreigabe, wie in Abschn. 3.5.3 beschrieben, wird nicht empfohlen. Diese übliche Vorgehensweise würde der besonderen Situation nicht gerecht werden. 2) Jede Führungskraft aus dem Inbetriebnahmeteam erklärt für seinen Verantwortungsbereich schriftlich die Betriebsbereitschaft.  Dies gilt u.a. auch für den „Verantwortlichen für Restpunktabwicklung“ oder die „Aufsichtspersonen von Fremdfirmen“.  Die betroffenen Personen wissen frühzeitig (z.B. zum Zeitpunkt Mechanische Fertigstellung), dass eine solche Erklärung von ihnen gefordert wird, sodass sie sich in ihrer Arbeit darauf einstellen können.  Die Projektleiter-Auftragnehmer (AN) und Projektleiter-Auftraggeber (AG) sowie der Betriebsleiter sollten sich abstimmen, welche Personen im Einzelnen die Betriebsbereitschaft erklären müssen.

6.2 Kalt-Inbetriebnahme / Herstellen der Betriebsbereitschaft

533

3) Bevor die jeweilige Person die Betriebsbereitschaft erklärt, führt sie für ihren Verantwortungs- und Zuständigkeitsbereich einen Anfahrcheck durch, das heißt: Jede verantwortliche und bestellte bzw. benannte Person prüft und erklärt für den eigenen Verantwortungsbereich die Betriebsbereitschaft. Im Zweifel muss sie sich mit Anderen beraten.  Grundlage für den persönlichen Anfahrcheck können die Prüfschwerpunkte aus Tabelle 6.5 in Abschn. 6.2.7.1 sein. Die Auditfragen in Abschn. 5.7.1, Tab. 5.23 sind als Ergänzung zu nutzen. Gleiches gilt für die Testprogramme zum FAT bzw. SAT des Prozessleitsystems in Abschn. 5.5.2.3, Tab. 5.19 bzw. Tab. 5.20.  Ein ganzheitliches Audit, wie in Abschn. 5.7.1 beschrieben, wird nicht nochmals empfohlen. 4) Entsprechend der Struktur des Inbetriebnahmeteams (Organigramm) erfolgt das Checken und Protokollieren der Betriebsbereitschaft von „unten nach oben“.  Es beginnen die Teammitglieder der unteren Führungsebene einschließlich der Aufsichtspersonen von Kontraktoren für ihren Verantwortungsbereich die Betriebsbereitschaft zu bestätigen.  Diese Freigabeprozedur wird im Inbetriebnahmeteam nach oben bis zum Inbetriebnahmeleiter fortgesetzt. Der Inbetriebnahmeleiter erklärt abschließend die Betriebsbereitschaft für die Gesamtanlage. 5) Ergebnis des erfolgreichen Anfahrchecks für den betreffenden Verantwortungsbereich ist jeweils die zugeordnete persönliche Erklärung/Anzeige der Betriebsbereitschaft per Protokoll (s. Muster in Abb. 6.10).  Im Protokoll gemäß Abb. 6.10 muss die betroffene Führungskraft jeweils unter der Rubrik „Kurzbeschreibung der anzufahrenden Anlage bzw. des Verantwortungsbereichs“ exakt die eigene Funktion/Aufgaben definieren.  Die „Protokoll über die Anzeige der Betriebsbereitschaft“ für die Gesamtanlage unterschreiben im klassischen Fall eines LSTK-Vertrags (Lump-Sum-Turn-KeyContract) mit werkvertraglicher Abnahme nach Leistungsnachweis ▪ für den Auftragnehmer der Inbetriebnahmeleiter und der AN-Projektleiter sowie ▪ für den Auftraggeber der Betriebsleiter und der AG-Projektleiter. Die beschriebene Prozedur bewirkt, dass die personenbezogene Verantwortung/Zuständigkeit nachvollziehbar dokumentiert und zugleich fachlich gewissenhafter wahrgenommen wird. Sie bewirkt nochmals einen echten Sicherheits- und Qualitätscheck vor dem eigentlichen Anfahren der Anlage. Für die Projekt- und Inbetriebnahmeleiter belegt die beschriebene Vorgehensweise in gerichtsfester Form, dass sie unter Einbeziehung aller Führungskräfte und nach besten Wissen und Gewissen entschieden haben. Der Vorwurf eines fahrlässigen Handelns ist somit nahezu ausgeschlossen. Abschließend zum Inbetriebnahmeabschnitt „Kalt-Inbetriebnahme“ und zum Anfahrcheck seien noch folgende Hinweise ergänzt:  Die Voraussetzungen zum Anfahren der Anlage sollten, analog wie für den Zustand Mechanische Fertigstellung, in der Inbetriebnahmeanleitung (s. Abschn. 3.5.2.2) nachvollziehbar dokumentiert sein. Somit können Diskussionen, ob das Anfahren beginnen kann oder nicht, wesentlich versachlicht werden.

534

6 Durchführung der Inbetriebnahme

Abb. 6.10 Protokoll über die ANZEIGE der BETRIEBSBEREITSCHFT (Muster)

6.2 Kalt-Inbetriebnahme / Herstellen der Betriebsbereitschaft

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In Tabelle 6.6 ist nochmals, ergänzend zum Anfahrcheck in Tabelle 6.5, ein Praxisbeispiel angegeben. Tabelle 6.6 Voraussetzungen zum Anfahren einer verfahrenstechnischen Anlage (Auszug aus der Inbetriebnahmeanleitung) (Praxisbeispiel) 1

Grundsätzliche Voraussetzungen  Die Montage ist beendet und das Montageendprotokoll liegt unterschrieben vor.  Die Anlage ist beräumt und gesäubert.  Bereitschaft des Käufers zur kontinuierlichen Abnahme der in der Anlage erzeugten End-, Neben- und Abprodukte und zur Entsorgung von nicht qualitätsgerechten Produkten, die während der Heiß-Inbetriebnahme anfallen.  Verfügbarkeit des geschulten Anlagenpersonals des Käufers und der Spezialisten des Verkäufers.  Anfahrstab ist gebildet und arbeitet.  Protokoll zwischen Käufer und Verkäufer über die Bereitschaft der Anlage zur Durchführung der Inbetriebnahme liegt vor.

2

Spezielle Voraussetzungen  Die Anlage ist gespült, weitgehend getrocknet und druckdicht.  Alle Maschinen (Pumpen, Verdichter, Rührwerke usw.) sind durch einen Probelauf getestet worden und betriebstüchtig.  Die Protokolle über die Funktionsprüfungen liegen vor.  Die Betriebsmittelsysteme sind in Betrieb.  Entlüftungs- und Entleerungsstutzen sind geschlossen.  Die Startstellungen der Armaturen wurden entsprechend Checkliste „Armaturenstellung“ geprüft.  Die EMR-Einrichtungen sind geprüft und betriebsfähig. Die Armaturen an den Entnahmestellen für Stand- und Druckmessleitungen sind geöffnet.  Blindscheiben und Blindlinsen sind gemäß Plan gesteckt.  Die Anlagenkomponenten sind vorschriftsmäßig gekennzeichnet.  Die Ausmauerung der Ofenanlage ist getrocknet, die Öfen sind mit je einer Pilotflamme in Betrieb, die Ofenanlage ist betriebsbereit.  Sicherheits- und Feuerlöscheinrichtungen sind geprüft und betriebsbereit; die Betriebsfeuerwehr ist in Bereitschaft.  Das Fackelsystem am Standort ist zur Aufnahme gasförmiger Abprodukte aus der Anlage bereit.

 Wesentliche Bestandteile eines Anfahrchecks sollten eine Kontrolle der Startstellung der Armaturen und der eingebauten Steckscheiben für die Gesamtanlage sein. Der Kontrolleur geht mit der Liste „Startstellung ARMATUREN“ bzw. der Steckscheibenliste vor Ort, kontrolliert die Armaturenstellung bzw. den Einbau der Steckscheibe (Ort, Blind- oder Durchgangsscheibe) und quittiert mit seiner Unterschrift die richtige Ausgangsstellung der Armatur bzw. den sachgerechten Einbau der Steckscheibe. Zugleich macht er sich Gedanken, warum diese Maßnahme zweckmäßig ist. Für die Kontrolle der Sicherheitskennzeichnung und der Beschilderung der Anlage gilt sinngemäß das gleiche. Insgesamt sind die vorgenannten Kontrollen betreffs Armaturenstellung, Steckscheiben und Beschilderung sehr gute Ausbildungsmaßnahmen für das Operator- und Servicepersonal des Betriebes.

536

6 Durchführung der Inbetriebnahme

Findet zum Zeitpunkt „Ende Kalt-Inbetriebnahme“ der Gefahren- und Verantwortungsübergang und gegebenenfalls auch die werkvertragliche Abnahme der Anlage statt, so sollte die protokollarische ANZEIGE der BETRIEBSBEREITSCHAFT beibehalten werden. Die Abnahme bzw. andere rechts- und/oder vertragsrelevante Vereinbarungen sollten separat protokolliert werden.

6.3 Beginn der Heiß-Inbetriebnahme und Anfahren der Anlage 6.3.1 Allgemeine Grundsätze Die Anfahrstrategie für die Gesamtanlage ist stark vom Verfahren sowie von den verfahrensspezifischen Ausrüstungen abhängig. Sie muss gemäß den Grundsätzen einer effizienten Inbetriebnahmetechnologie, wie sie in Abschn. 2.3.2 angeführt sind, weitgehend spezifisch gestaltet werden. Einige allgemeine Grundsätze, die dabei hilfreich sein können, sind im Folgenden thesenhaft angeführt.  Nach Möglichkeit sollten zunächst einzelne „Inseln“ (Komponenten, Teilanlagen, anlageninterne Kreisläufe) getrennt angefahren werden. Dabei sind die Erfahrungen aus den komplexen Funktionsprüfungen zu nutzten.  Sobald die einzelnen „Inseln“ stabil in Betrieb sind, können diese schrittweise miteinander gekoppelt werden. Dabei wird mit der Vorwärtsverkettung begonnen. Die zu System-Instabilitäten neigenden Rückkopplungen (energetisch und stofflich) sind erst später in Betrieb zu nehmen.  Die Anlage ist zweckmäßig bis auf 60 – 70 % der Nennlast anzufahren. Bei dieser Teillast arbeiten einerseits die Ausrüstungen inklusive PLT-Technik weitgehend stabil, und zum anderen sind die Mengen- und Energiekosten verringert, insbesondere solange noch keine verkaufsfähigen Endprodukte erzeugt werden. Ferner ist die Anlage bei eventuellen Störungen schneller abzufahren.  Kritische Anfahrschritte sind möglichst zeitlich und inhaltlich zu entkoppeln. Dazu können u.a. vorhandene Umfahrungs-/Bypass-Leitungen genutzt werden.  In „klassischen“ kontinuierlichen Chemieanlagen mit Synthese-, Stofftrenn- und Logistikteil sollten zunächst die letzteren Anlagensysteme angefahren werden, u.U. mit Hilfe von antransportiertem End-/Zwischenprodukt. Dadurch wird die frühzeitige Bereitstellung qualitätsgerechter Endprodukte unterstützt, da später eine Konzentration auf das Anfahren der komplizierten Synthesestufe möglich ist.  Bei diskontinuierlichen Prozessen bzw. Anlagen zur Schüttgutherstellung erfolgt die Inbetriebnahme zweckmäßig „von vorn nach hinten“. Der Grund liegt in der zeitlichen Entkopplung von Produktherstellung und Produktaufbereitung/-versand sowie der meistens vorhandenen Puffermöglichkeiten für Zwischenprodukte.  Bei Adsorptionsprozessen (z.T. auch bei katalytischen Gas-/Flüssig-/Dreiphasenprozessen) ist zunächst die Anlage im Bypass zur Adsorptionsstufe in Betrieb zu nehmen, und die Adsorber/Reaktoren sind erst später einzubinden.

6.3 Beginn der Heiß-Inbetriebnahme und Anfahren der Anlage

537

6.3.2 Anfahren wesentlicher Anlagenkomponenten Das Anfahren der einzelnen Anlagenkomponenten, die bereits unter eingeschränkten Bedingungen während der Funktionsprüfungen erprobt wurden, kann nur eingebettet in den Anfahrvorgang für die Gesamtanlage erfolgen. Der detaillierte Ablauf des Anfahrens der einzelnen Komponente ist darüber hinaus sehr wesentlich von der Art der Ausrüstung abhängig. Trotzdem soll im Weiteren versucht werden, grundlegende und wichtige Kenntnisse und Erfahrungen für das Anfahren wesentlicher, prozessrelevanter Hauptausrüstungen zu verallgemeinern und zu vermitteln. Dies ist insbesondere für mehrere Ausrüstungsarten, die in verfahrenstechnischen Anlagen häufig genutzt werden, möglich. Im Einzelnen lässt sich die folgende grundlegende Vorgehensweise für ein sachkundiges Anfahren typischer, verfahrenstechnischer Ausrüstungsarten ableiten: 1) Der Inbetriebnahmeingenieur bzw. Operator muss zunächst das Betriebsverhalten der anzufahrenden Ausrüstung studieren. Der Inbetriebnehmer muss verstehen, wie die Ausrüstung im Detail qualitativ und quantitativ funktioniert. Dazu dient vorrangig das jeweilige Arbeits- bzw. Kennliniendiagramm der Ausrüstung, welches „hoffentlich“ in der Betriebsanleitung zu finden ist. 2) Der „Anfahrer“ zeichnet anschließend in das Arbeitsdiagramm a) den Startpunkt (Ausgangszustand vor dem Anfahren) und b) den Betriebspunkt (Nennzustand nach dem Anfahren) ein. Danach ist die Frage zu beantworten: Was ist zu tun, um die Ausrüstung vom Startpunkt in den Betriebspunkt zu fahren und welche Randbedingungen/Einschränkungen sind zu beachten? Nachfolgend wird diese Methodik beispielhaft für einige prozesstypische Ausrüstungsarten angewandt und erläutert. Die verbindliche Vorgehensweise/Prozedur beim Anfahren definierter Ausrüstungen sollte als Anfahranweisung oder sog. Ausrüstungstypical schriftlich formuliert werden (s. Abschn. 3.5.2.4, Buchst. b)). 6.3.2.1 Antriebe In verfahrenstechnischen Anlagen werden zum Antrieb der Maschinen überwiegend Elektromotoren eingesetzt. Verbrennungsmotoren kommen als Notstromaggregate sowie nicht selten in mobilen Anlagen zur Anwendung, um von der elektrischen Versorgung unabhängig zu sein. Große Turboverdichter und Kreiselpumpen werden mitunter mittels Dampfturbinen angetrieben. Dies kann insbesondere bei Drehzahlen über 3000 min-1 und direkter Kupplung ohne Getriebe bzw. gemeinsamer Anordnung von Antriebs- und Förderlaufrad auf einer Welle vorteilhaft sein. Unter den elektrischen Antrieben dominieren mit ca. 95 % Anteil die Drehstrommotoren und insbesondere der Drehstrom-Asynchronmotor mit Kurzschlussläufer. Dieser Motor ist einfach aufgebaut und relativ preiswert. Beim Anfahren (Hochlaufen, Anlassen) des Motors verlaufen Drehmoment und Stromaufnahme entsprechend den Kennlinien in Abb. 6.11.

538

I/I N %

400

6 Durchführung der Inbetriebnahme

M/M N %

I

200

MA

Anlaufdrehmoment

MK

Kippmoment

IN

Nennstrom

MS

Satteldrehmoment

MN

Nennmoment

nK

Kippdrehzahl

M 200

MN

100

MA 0

MS

MK

0 50

IN

nK

100

n

%

Abb. 6.11 Drehzahl-Drehmoment-Kennlinie eines Drehstrom-Asynchronmotors

Wegen seiner steilen Kennlinie im Bereich der Nenndrehzahl und des Betriebspunkts MN passt er sich sehr gut an die Verbraucherleistung an, ohne dass sich die Drehzahl und somit die Fördermenge wesentlich ändern. Bei gleichzeitigem Anfahren des Drehstrom-Asynchronmotors und der Pumpe treten Anfahrströme bis zum 6fachen Nennstrom und Anlaufmomente bis zum 2,5fachen Nennmoment auf. Da beim Einschalten zugleich auch das Fördermedium beschleunigt werden müssen, ist die tatsächliche Stromaufnahme im Verbund noch größer. Um derartige große Lastspitzen zu vermeiden, sind folgende Maßnahmen üblich:  Drehzahlregelung des Motors mittels Frequenzumrichter (FU)  Der Frequenzumrichter verändert die Frequenz und Amplitude der Wechselspannung. Durch Parametrierung kann er an unterschiedliche Anforderungen betreffs Drehzahl, Drehmoment, Anfahrstrom usw. angepasst werden.  Durch das sanfte Anfahren bei geringer Drehzahl verringert sich die thermische und mechanische Beanspruchung des Motors. Im Vergleich zur konventionellen Drosselregelung verdoppelt sich der Wirkungsgrad in etwa und die Laufgeräusche vermindern sich deutlich.  Ein wiederholtes Anfahren ist möglich, ohne dass die Gefahr unzulässig hoher Wicklungstemperaturen und einer temperaturbedingten Motorabschaltung (über ATEX-Temperaturbegrenzer bei Einsatz im Ex-Bereich) besteht.  Ein Frequenzumrichter wird vorrangig dann eingesetzt, wenn über die Motordrehzahl der Durchsatz geregelt werden soll.  Anfahren des Motors bei geringerer Spannung  Nutzung eines Sanftanlaufgeräts oder Sanftstarters. Diese Geräte begrenzen den Einschaltstrom beim Anfahren, z.B. durch Bereitstellen einer geringeren Spannung. Die Sanftstarter wirken, im Unterschied zum Frequenzumrichter, nicht durch die Absenkung der Drehzahl. Sie sind aus diesem Grund nicht zur Mengenregelung im Prozess geeignet.  Nutzung einer Stern-Dreieck-Schaltung oder eines Anfahrtransformators.

6.3 Beginn der Heiß-Inbetriebnahme und Anfahren der Anlage

539

Die Ständerwicklung wird zunächst in Sternschaltung mit der Netzspannung gespeist. Dadurch reduziert sich der Anlaufstrom, aber auch das Anlaufmoment auf ca. ein Drittel. Nach Erreichen des Kippmomentes erfolgt die Umschaltung der Wicklung auf Dreieckschaltung für den Dauerbetrieb.  Das stark verringerte Anfahrmoment muss in Verbindung mit dem Förderaggregat (z.B. Kreisel- oder Kolbenpumpe) sowie dem Anlagenwiderstand beim Anfahren (z.B. Normal- bzw. Bypassfahrweise) beachtet werden. Ein spezieller Anfahrtransformator kann ebenfalls eine geringere Spannung (z.B. 70 % von Nennspannung) beim Anfahren realisieren.  Auswahl eines Motors mit speziellem Läufer Beispielweise besitzt der Rundstabläufer ein wesentlich geringeres Anfahrmoment als der Doppelstabläufer, dessen Kennlinie in Abb. 6.11 dargestellt ist.  Verringern des Anlagenwiderstandes beim Anfahren der Gesamtmaschine Üblich sind eine Absenkung des Gegendruckes sowie die Minimierung der Strömungswiderstände anlagenseitig. Während diese Maßnahme bei Verdrängungspumpen voll zutrifft, ist sie bei Kreiselpumpen in Abhängigkeit von der spezifischen Drehzahl differenziert zu betrachten. Die optimale Lösung liegt in der richtigen Abstimmung zwischen Motor, Förderaggregat und Anlage. Somit sind der Planer und der Inbetriebnehmer gefordert. Ein aus der Sicht des Anfahrens und der betriebsbedingten Drehzahlregelung interessanter Antrieb ist der Hydraulikmotor (sog. Hydromotor). Die Antriebsleistung und Drehzahl steigen linear mit dem Förderstrom des Hydrauliköles. Damit kann die Drehzahl stufenlos erhöht und die Maschine problemlos angefahren werden. Überhöhte Anfahrmomente sind bei diesem Antrieb vermeidbar. Ein Sicherheitsventil in der Zuführungsleitung zum Hydromotor wirkt als Überlastsicherung für den Motor. 6.3.2.2 Verdränger- und Kreiselpumpen Die Pumpen bilden in den allermeisten Fällen das Gegendrehmoment für die im vorherigen Abschnitt beschriebenen Antriebe. Abb. 6.12 zeigt typische Drehmomentverläufe von Verdränger- und Kreiselpumpen. a) Verdrängerpumpen (s. Kurve 1 in Abb. 6.12)  Bei Verdrängerpumpen ist das Anfahrmoment nahezu drehzahlunabhängig. Lediglich beim Start tritt bedingt durch den Übergang von der Haft- zur Gleitreibung und die Fließeigenschaften des Öles ein geringfügiger Abfall ein. Bei den Kreiselpumpen ist dieser Hafteffekt zu Beginn ähnlich.  Der Antrieb muss mit dem Einschalten sofort das Anfahrmoment, welches sich proportional zum Gegendruck verhält, aufbringen.  Die Kupplungsleistung steigt bei konstantem Gegendruck linear mit der Drehzahl an. Das heißt, die Anfahrleistung (bei gegebener Spannung der Anfahrstrom) kann bei Verdrängerpumpen durch einen verringerten Gegendruck und/oder durch eine langsame Drehzahlerhöhung gezielt begrenzt werden.  Verdrängerpumpen sind vor dem Anfahren zu füllen und zu entlüften. Ausnahmen sind bei bestimmten selbstansaugenden Pumpentypen möglich.  Verdrängerpumpen sind bei geöffnetem Saug- und Druckschieber(-ventil) anzufahren.

540

6 Durchführung der Inbetriebnahme

 Abb. 6.12 Anfahrdrehmoment der Verdrängerpumpe (Kurve 1) und der Kreispumpe (Kurve 2) in Abhängigkeit von der Drehzahl

b) Kreiselpumpen (s. Kurve 2 in Abb. 6.12)  Das notwendige Anfahrmoment steigt unter sonst gleichen Bedingungen quadratisch und die Anfahrleistung in der 3. Potenz mit der Drehzahl. Die Differenz zwischen dem verfügbaren Moment des Antriebsmotors M M und dem benötigten Anfahrmoment MP der Pumpe einschließlich Medium wirkt beim Anfahren als Beschleunigungsmoment MB (s. Abb. 6.13) und bestimmt gemäß der nachfolgendem Berechnung entscheidend die Anfahrzeit des gesamten Pumpenaggregats.

Abb. 6.13 Näherungsweise Berechnung der Anfahrzeit einer Kreiselpumpe (Beschleunigungsmoment MB = MM ─ MP)

 Die Anfahrzeit lässt sich näherungsweise nach folgender Beziehung berechnen:

tA 

  I n i  30 M Bi

6.3 Beginn der Heiß-Inbetriebnahme und Anfahren der Anlage

mit: tA I ni MBi

541

Anfahrzeit der Pumpe mit Antrieb in s Massenträgheitsmoment aller rotierenden Teile inklusive Flüssigkeit in kg m2 Drehzahl des Inkrementes i in min-1 mittleres Beschleunigungsmoment des Inkrementes i

Die Anfahrzeit des Gesamtaggregats ist somit umgekehrt proportional der Fläche unterhalb der beiden Kurven: MM = f (n) und MP = f (n) in Abb. 6.13. Eine Verringerung des Anfahrmomentes MP, indem beispielsweise bei Kreiselpumpen gegen die geschlossenen Armatur in der Druckleitung angefahren wird, verkürzt die Anfahrzeit. Den möglichen Anfahrschaden eines Motors, wenn die Anfahrzeit zu lang und entsprechend die Wärmebildung zu groß ist, zeigt das folgende Beispiel 6.1. Beispiel 6.1 Anfahrschaden am Läufer eines Drehstrom-Asynchronmotors Im Gaskreislauf einer Großanlage war als Verdichterantrieb ein Drehstrom-Asynchronmotor im Einsatz. Das Anfahren erfolgte ohne Frequenzumrichter und ohne Sanftstarter. Alternativ dazu wurde ein Anfahrtransformator genutzt, der während des Motorstarts die Spannung auf 70% der Nennspannung absenkte. Ausgehend von der Motorkennlinie und der erwarteten Anlagenkennlinie (sog. Gegenmomentenkennlinie) wurde eine Anfahrzeit von 24,5 s errechnet (s. Abb. 6.14, links).

Abb. 6.14 Kennliniendiagramme eines Drehstrom-Asynchronmotors

Beim erstmaligen Anfahren des gesamten Verdichteraggregats in der Anlage stellte sich jedoch heraus, dass die benötigte Beschleunigungsenergie größer war als angenommen. Entsprechend war das verfügbare Beschleunigungsmoment geringer als für die Auslegung angenommen und die Anfahrzeit verlängerte sich auf 36 s, wie in Abb. 6.14, rechts dargestellt. Auf Grund des überhöhten Anfahrstroms und der längeren Anfahrzeit kam es, trotz der Spannungsabsenkung mittels Anfahrtransformator, zu einer verstärkten und unerwarteten Wärmebildung im Läufer des Motors und zum Totalschaden des Läufers (s. Abb. 6.15).

542

6 Durchführung der Inbetriebnahme

 Abb. 6.15 Zerstörter Läufer eines Drehstrom-Asynchronmotors durch unzulässige Wärmeentwicklung im Läufer beim Anfahren

Beim Anfahren von Kreiselpumpen mit einer normalen stabilen Pumpenkennlinie entsprechend Abb. 6.16 kann der Betriebspunkt B grundsätzlich auf den folgenden zwei Wegen erreicht werden: 

 Abb. 6.16 Anfahrvarianten von Kreiselpumpen im Kennlinien-Diagramm

Variante 1: Anfahren von Kreiselpumpen bei hohem Anlagenwiderstand Der klassische Fall ist das Anfahren bei geschlossenem Druckschieber (Strecke AC auf Kurve 1), um eine minimale Anfahrleistung/-strom zu realisieren. Es baut sich eine maximale Förderhöhe im Punkt C auf.

6.3 Beginn der Heiß-Inbetriebnahme und Anfahren der Anlage

543

Diese Fahrweise ist bei Pumpen mit niedriger spezifischer Drehzahl (s. Tab. 6.7) zweckmäßig, da in diesem Fall das Anfahrmoment und die Leistung kleiner sind als im Betriebspunkt B. Tabelle 6.7 Anwendungsgebiete und spezifische Drehzahlen nq von Laufradformen Laufradform

Anwendungsgebiet

Spezifische Drehzahl

a) Radialrad Langsamläufer

niedrige Drehzahl oder kleiner Förderstrom oder große Förderhöhe

nq = 11.....38

b) Francis - Rad Mittelläufer

mittlere Drehzahl oder mittlerer Förderstrom oder mittlere Förderhöhe

nq = 38.....82

c) Diagonalrad Schnelläufer

hohe Drehzahl oder großer Förderstrom oder kleine Förderhöhe

nq = 82.....164

d) Propellerrad Schnellstläufer

höchste Drehzahl oder größter Förderstrom oder kleinste Förderhöhe

nq = 100.....500

Die wichtigsten Anfahrhandlungen enthält Tabelle 6.8 (s. auch Abschn. 5.5.2.1 und Tab. 2.4 in Abschn. 2.3.5). Tabelle 6.8 Anfahren einer Kreiselpumpe (Praxisbeispiel) 1

Pumpe füllen, dazu:  Armatur in Druckleitung schließen,  Armatur in Saugleitung leicht öffnen,  Entlüftungsventil an höchster Stelle solange öffnen bis Medium austritt,  Armatur in Saugleitung voll öffnen.

2

Motor einschalten und Pumpe gegen geschlossenen Armatur auf der Druckseite anfahren; Stromaufnahme beobachten (entspricht Verlauf AC in Abb. 6.16).

3

Armatur auf Druckseite langsam öffnen und Pumpe über zuvor gestellten Leitungsweg fördern lassen (entspricht Verlauf CB in Abb. 6.16).

Der Anfahrverlauf ADB auf Kurve 1a ist dem klassischen Fall ähnlich. In diesem Fall wird gegen eine geschlossene Rückschlagklappe angefahren, die im Punkt D öffnet und den Strömungsweg entsprechend der Anlagenkennlinie 1a freigibt. Das Anfahren gegen geschlossene druckseitige Armatur bzw. Rückschlagklappe gilt für Kreiselpumpen ohne „Pumpgrenze“. Weist die Pumpenkennlinie einen Sattel (ähnlich dem Kreiselverdichter in Abb. 6.19) auf, so muss entsprechend der Variante 2 angefahren werden. Wenn nicht, bewegt sich der Arbeitspunkt nach Öffnen des Druckschiebers unter starken oszillatorischen Mengen- und Druckschwankungen in Richtung Betriebspunkt (s. Abb. 6.17). Die Frequenz und Amplitude der Schwingung hängt vom Energiespeichervermögen der Anlage ab. Auf zwei Gefahrenmomente ist beim Anfahren von Kreiselpumpen und speziell beim Anfahren gegen geschlossenen Schieber zu achten. Dies ist zum ersten die Vermeidung von Trockenlauf, um Schäden an Gleitlagern sowie den Dichtflächen der Gleitringdichtungen zu vermeiden. Dem sorgsamen Entlüften und dem Ausschluss von Lufteinzug kommt während der Inbetriebnahme dabei besondere Bedeutung zu.

544

6 Durchführung der Inbetriebnahme

 

 Abb. 6.17 Anfahren einer Kreiselpumpe mit instabilem Kennlinienbereich gegen geschlossenen Druckschieber links: Kennlinien-Diagramm rechts: schwingender Verlauf der Fördermenge nach Öffnen des Druckschiebers

Die zweite Gefahrenquelle besteht in der unzulässigen Erwärmung und Verdampfung des Fördermediums. Diese Gefahr besteht u.a.  bei Pumpen mit großer Leistung (z.B. Kesselspeisewasserpumpen mit 6 kW Antriebsleistungen in Kraftwerken), die nicht gegen eine geschlossene Armatur angefahren werden dürfen und zur Absicherung eine sog. Mindestmengenregelung haben,  bei einem längeren Fahren von üblichen Pumpen gegen geschlossene Armatur in der Druckleitung,  beim Abreißen der Flüssigkeit in der Saugleitung,  beim Fördern siedender Medien. Der Inbetriebnehmer muss gegebenenfalls eine Mindestfördermenge o.a. Schutz- und Überwachungsmaßnahmen realisieren. Beide Gefahrenmomente sind vor allem beim Anfahren gekapselter Pumpen (Spaltrohrmotor-/Magnetgekuppelte Pumpen) zu beachten. Variante 2: Anfahren von Kreiselpumpen bei geringem Anlagenwiderstand Den Extremfall stellt das Fördern in eine leere Rohrleitung bei geöffneter Druckarmatur dar. Dies ist beispielsweise zu Beginn von Füllvorgängen der Fall. Der Arbeitspunkt der Pumpe bewegt sich im Kennlinien-Diagramm zunächst auf der Abszisse bei einer Förderhöhe nahe null (s. Kurve 2 im Abb. 6.16). Vom Punkt E an baut sich schrittweise ein Anlagenwiderstand auf. Der Arbeitspunkt wandert entlang der Pumpenkennlinie in den Betriebspunkt B. Die Kurve 2a stellt eine Untervariante mit kurzem und voll geöffnetem Strömungsweg, z.B. durch Bypass-Leitung, dar. Die 2. Anfahrvariante ist bei Pumpen mit hoher spezifischer Drehzahl üblich (s. Tab. 6.7), da bei diesen Pumpen die Motorleistung bei Nullförderung häufig weit über der Nennleistung liegt. Der geringe Förderdruck und die hohe Fördermenge erhöhen jedoch zugleich die Kavitationsgefahr.

6.3 Beginn der Heiß-Inbetriebnahme und Anfahren der Anlage

545

6.3.2.3 Kolben- und Turboverdichter Gegenüber den Pumpen verkompliziert sich das Anfahr- und Betriebsverhalten der Verdichter dadurch, dass das Fördermedium stark kompressibel ist und während der Verdichtung eine erhebliche Wärmeentwicklung stattfindet. Die Kupplungsleistung ist in der Regel größer als bei Pumpen. Grundsätzlich gelten aber viele Aussagen zu den Pumpen auch für die Verdichter, insbesondere da als Antriebe häufig auch DrehstromAsynchronmotoren eingesetzt werden. a) Kolbenverdichter Bei Kolbenverdichtern ist ähnlich der Kurve 1 in Abb. 6.12 das Drehmoment nahezu drehzahlunabhängig. Die Kupplungsleistung steigt näherungsweise linear mit der Drehzahl. Ein drehzahlgeregelter Antrieb ermöglicht somit ein sanftes und netzschonendes Anfahren. Ist diese Möglichkeit nicht gegeben, so sollte eine Anfahrentlastung durch gezielte Verringerung des anfänglichen Gegendruckes angestrebt werden. Abbildung 6.18 zeigt die prinzipiellen Kennlinien-Verläufe eines einstufigen Hubkolbenverdichters.

 , des Drehmomentes M, der Kupplungsleistung P Abb. 6.18 Abhängigkeiten des Massestroms m und des Druckverhältnisses  vom Enddruck eines einstufigen Hubkolbenverdichters (alle Größen normiert)

Die dargestellten Abhängigkeiten vom Enddruck schwächen sich bei mehrstufigen Verdichtern etwas ab, bleiben aber qualitativ erhalten. Die Kupplungsleistung ist annähernd linear vom Ansaugdruck abhängig. Entsprechend dem Betriebsverhalten des Kolbenverdichters werden folgende Hinweise für das Anfahren gegeben:  An gekühlten Verdichtern ist als erstes die Kühlung (Wasser oder Luft) in Betrieb zu nehmen.

546





 



6 Durchführung der Inbetriebnahme

Bei Kühlmitteltemperaturen unter 10 °C besteht die Gefahr, dass bei geschmierten Verdichtern der Ölfilm an der Zylinderoberfläche abreißt und Trockenlauf eintritt. Der Verdichter ist möglichst ohne bzw. bei wenig Gegendruck im Druckkessel oder im Rohrleitungssystem anzufahren. In dem Maße, wie das System vom Verdichter gefüllt wird, steigen der Enddruck sowie das Drehmoment und die Kupplungsleistung stetig an. Müssen mittlere bzw. große Kolbenverdichter gegen Druck angefahren werden, so kann steuerungstechnisch eine zeitweilige Druckentlastung durch Anheben (Öffnen) der Saugventile erfolgen. Dadurch wird das Anfahrmoment reduziert. Hat der Verdichter seine Nenndrehzahl erreicht, wird das Anheben der Saugventile aufgehoben und die Förderung gegen den Enddruck eingeleitet. Existiert zwischen Verdichter und Antrieb (z.B. bei Dieselmotoren) eine flexible Kupplung, so wird zunächst der Motor allein „hochgefahren“ und anschließend vorsichtig der Verdichter angekuppelt. Bei Kolbenverdichtern besteht die Gefahr einer pulsierenden Schwingung durch Resonanzerscheinungen, insbesondere auf der Druckseite. Dies kann die Rohrleitungen und den Stahlbau zusammen mit den Apparaten betreffen. Während des erstmaligen Anfahrens der Maschine muss dies analysiert werden. Kritisch ist die Situation besonders dann, wenn die Resonanz-Schwingungen nicht nur beim Anfahren, sondern auch im Nennzustand auftreten. Zur Beurteilung/Diagnose der funktionsgerechten Arbeitsweise des angefahrenen Verdichters ist die Aufnahme und Auswertung von Indikatordiagrammen (sog. p-vDiagrammen) zweckmäßig.

b) Turboverdichter In Abbildung 6.19 ist das Kennlinien-Diagramm eines Turboverdichters dargestellt. Typisch für diesen Verdichtertyp ist ein ausgeprägter Sattelpunkt (sog. Pumpgrenze) bei ca. 50-75 % des Nennförderstromes.

Abb. 6.19 Kennlinien-Diagramm eines Turboverdichters mit unterschiedlichen Anfahrkurven

6.3 Beginn der Heiß-Inbetriebnahme und Anfahren der Anlage

547

Die Pumpgrenze wandert in Abhängigkeit von der Drehzahl auf der sog. Pumpgrenzlinie. Links von der Pumpgrenzlinie befindet sich der instabile Arbeitsbereich. Es sind stark veränderte Laufgeräusche bemerkbar. Im Verdichter treten starke Druck- und Mengenschwankungen auf, die sich in Form von Stößen auf den Verdichter sowie auf die Rohrleitungen und Behälter nach außen bemerkbar machen. Besonders gefährdet sind dabei der Läufer und die Lager. Der Verdichter „pumpt“, indem das Gasvolumen im Anlagensystem druckseitig pulsiert. Bei großen Gasvolumina ist die Schwingung langsam aber heftig; bei kleinen Gasvolumina ist die Pulsation schneller aber weniger energiereich. Kleinere Radialgebläse, die im instabilen Bereich arbeiten, senden einen Pfeifton aus. Ein Fahren im Pumpgebiet ist bei Verdichtern unbedingt zu vermeiden. Aus Sicherheitsgründen wird in der Regel eine sog. Pumpgrenz-Regelung realisiert (s. Beispiel 6.2). In Tabelle 6.9 sind wesentliche Einflussgrößen auf die Verdichtercharakteristik und die Gefahr des Pumpens zusammengestellt. Tabelle 6.9 Einflussfaktoren auf das Betriebsverhalten von Turboverdichtern 1 Ansaugdruck Mit zunehmendem Ansaugdruck erhöht sich bei gleichbleibender Ansaugtemperatur und Drehzahl der Verdichterdruck. Sinkt der Ansaugdruck, so kann der Druck des Arbeitspunktes A nur bei kleineren Förderströmen gefahren werden, solange bis die Höhe des Pumpgebietes erreicht wird. Sinkender Ansaugdruck vergrößert die Gefahr des Pumpens. 2 Ansaugtemperatur Mit zunehmender Ansaugtemperatur nimmt das Druckverhältnis bei gleichbleibender Drehzahl ab. Wird dasselbe Druckverhältnis gefordert, so besteht die Gefahr, dass mit zunehmender Ansaugtemperatur der Verdichter ins Pumpen gerät.

3 Gaszusammensetzung Verändert sich die Gaszusammensetzung in der Weise, dass das Molekulargewicht größer bzw. die Gaskonstante kleiner wird, so steigen bei konstanter Drehzahl und Ansaugtemperatur und Ansaugdruck das Druckverhältnis und gleichzeitig die Leistungsaufnahme. Sinkt das Molekulargewicht ab, (z.B. höherer Anteil leichterer Gaskomponenten), so verringert sich das Druckverhältnis. Es besteht die Gefahr, dass der Verdichter ins Pumpgebiet gefahren wird, wenn weiterhin der gleiche Enddruck gefordert wird.

548

6 Durchführung der Inbetriebnahme

Die Anfahrschritte der Verdichteranlage müssen gewährleisten, dass der Verdichter stets im stabilen Arbeitsbereich verbleibt. Das heißt, die Anlagenkennlinie muss während des Anfahrens relativ flach verlaufen (s. Abb. 6.19, Kurve 1). Um die Anlagenkennlinie beim Anfahren im stabilen Bereich zu halten, sind kurze Gaskreisläufe bzw. Abströmwege mit geringem Druckverlust zu realisieren. Ist der Verdichter auf Nenndrehzahl, so können anschließend die normalen, prozessbedingten Leitungswege mit höherem Druckverlust gestellt werden. Der Verdichter wandert vom Arbeitspunkt C in den angestrebten Betriebspunkt B. Im Beispiel 6.2 wird diese Zustandsänderung technologisch beschrieben. Ist der hydraulische Anlagenwiderstand erhöht, z.B. wegen eines engen Rohrleitungsquerschnittes oder einer eingedrosselten Armatur, so kann der Verdichter beim Hochfahren ins Pumpgebiet gelangen (s. Anfahrkurve 2 in Abb. 6.19). Beispiel 6.2 Technologische Inbetriebnahme eines Turboverdichters (Praxisbeispiel ohne Frequenzumrichter) a) Technologische Anlagenbeschreibung (s. Abb. 6.20) Die dargestellte Turboverdichteranlage ist Bestandteil des Gaskreislaufes einer großen verfahrenstechnischen Anlage. Das Fördermedium ist Ammoniak. Der Förderstrom beträgt ca. 100000 m3 i. N./h und das Druckverhältnis ca. 2,5. Das Laufrad besteht aus 4 Stufen und hat eine Nenndrehzahl von ca. 10000 min -1. Angetrieben wird der Verdichter von einem polumschaltbaren DrehstromAsynchronmotor (6 kV; 5 MW). Das aus dem Prozess kommende Kreislaufgas wird in den Wasserkühlern W2/1,2 gekühlt und anschließend dem saugseitigen Abscheider B1 zugeführt. Hier wird mitgeführte bzw. auskondensierte Flüssigkeit abgeschieden. Feinste Resttröpfchen werden zum Schutz des Verdichters im Wärmeübertrager W1 durch geringfügige Temperaturerhöhung verdampft. Im Anschluss durchströmt das Gas einen Filter F1 und gelangt in den Turboverdichter. Nach dem Verdichter wird das komprimierte Gas über eine Rückschlagklappe, einen Motorschieber und Absperrschieber wieder in den Prozess eingespeist. b) Anfahrhandlungen Voraussetzungen für die folgenden Maßnahmen ist der stabile, projektgerechte Betrieb des Ölsystems (s. auch Beispiel 6.3). Im Einzelnen finden die folgenden Anfahrhandlungen, bezugnehmend auf das Fließschema in Abb. 6.20, statt: (1)

(2) (3) (4) (5)

Verdichterkreislauf bis zum vorgegebenen Ausgleichsdruck auffüllen. Dies erfolgt über die Speiseleitung vom Prozess her. Es herrscht Druckausgleich im gesamten Kreislaufsystem, d. h. auch zwischen Druck- und Saugseite des Verdichters. Abstreifen des Saugfilters F1 vor Einschalten des Verdichters. Die beiden Abstreifventile schließen und das Zwischenentspannungs-Ventil öffnen. Absperrschieber vom und zum Prozess schließen. Die Absperrarmaturen auf der Saug- und Druckseite des Verdichters öffnen. Das Pumpgrenz-Regelventil FICA 1 auf Hand stellen und öffnen. (Die Pumpgrenz-Regelung gewährleistet einen Mindestförderstrom und verhindert bei Teillastfahrweise ein „Pumpen“ des Verdichters. Sobald der Mindestwert (z.B. 70 % des Nennförderstromes) unterschritten wird, öffnet das Regelventil und speist über den großen Bypass zurück auf die Saugseite.)

Abb. 6.20 Verfahrensfließschema zur technologischen Einbindung des Turboverdichters zu Beispiel 6.2

6.3 Beginn der Heiß-Inbetriebnahme und Anfahren der Anlage 549

550

6 Durchführung der Inbetriebnahme

b) Anfahrhandlungen (Fortsetzung) (6) Den Schieber in Rückführungsleitung (sog. kleiner Bypass) mit Kennzeichnung RL 01 öffnen. Damit ist der Weg gestellt, um den Verdichter im kleinen Kreislauf anzufahren.  Auf Grund des kleinen Gaskreislaufes werden die zu beschleunigende Gasmenge sowie der Druckverlust im Gaskreislauf und somit der Anfahrstrom minimiert.  Der kleine Kreislauf bewirkt eine flache Anfahrkurve im stabilen Arbeitsbereich (s. Abb. 6.19 Kurve 1).  Im kleinen Gaskreislauf ist kein Kühler angebracht, so dass sich das Gas auf Grund der Temperaturerhöhung bei der Verdichtung sehr schnell erwärmt. Diese Fahrweise kann deshalb nur wenige Sekunden praktiziert werden, ohne Gefahr zu laufen, dass der Motor wegen Überschreitung der Saugseitentemperatur abschaltet. Zweckmäßig ist eine in Form von Schrittketten programmierte Anfahrsteuerung. (7) Motor-Luftkühlung in Betrieb nehmen und Nennwerte am Motor einstellen. (8) Anfahrbereitschaft melden und Schaltgenehmigung einholen. (Bei ca. 5 MW Nennleistung benötigt der Verdichter beim Start ca. 15 bis 20 MW. Eine solche Leistung belastet jedes Werksnetz erheblich. Es muss deshalb über die Zentrale geprüft werden, ob eine solche erhöhte Anfahrleistung momentan verfügbar ist. Eventuell muss eine zeitliche Abstimmung mit anderen Großverbrauchern erfolgen.) (9) Motor einschalten. (10) Verdichter im kleinen Kreislauf hochfahren und sorgfältig den zeitlichen Verlauf des Anlaufstromes beobachten.  Nach ca. 10 bis 15 s fällt der Anlaufstrom deutlich ab, d.h. der Verdichter ist in seinem Betriebsdrehzahl-Bereich angekommen.  Der erfahrene Fachmann kann das Hochfahren des Verdichters auch sehr gut hören (sog. Hochtouren!).  Erfahrungsgemäß ist nach dieser Anfahrzeit die Gastemperatur saugseitig noch nicht zu hoch. (11) Den Schieber im kleinen Kreislauf (Ltg.: RL 01) schließen Das Gas muss somit über die sog. Pumpgrenz-Regelung (Ltg.: RL 02) auf die Saugseite zurückströmen. (12) Pumpgrenz-Regelung von Hand so fahren, dass sich auf der Saugseite des Verdichters (PIR 1) ein Druck von 0,3 MPa einstellt. (13) Die Kühlwassermenge des Gaskühlers W2/1,2 und die Dampfmenge des Aufheizers W1 so einstellen, dass sich geplante Gastemperaturen ergeben. (14) Läuft der Verdichter normal und liegen die Betriebsparameter im vorgegebenen Bereich, so ist die Pumpgrenz-Regelung auf Automatik zu stellen. (15) Nach Erreichen eines ersten quasi-stationären Zustandes sind die Funktionstüchtigkeit des Ölsystems sowie seine Parameter zu prüfen. Im Schmierölsystem stellen sich andere Lager- und Getriebeöltemperaturen ein. Damit verändern sich die Viskosität und der Strömungswiderstand. Im Sperrölkreislauf liegt ein erhöhter Gasdruck an den Gleitring-Dichtungen an. Es gelangt Gas in gelöster bzw. ungelöster Form ins Sperröl, welches im Schwimmer-Abscheider und im Ausdampfbehälter entfernt werden muss. (16) Feineinstellung aller Betriebsparameter am Verdichter.

6.3 Beginn der Heiß-Inbetriebnahme und Anfahren der Anlage

551

Der Verdichter kann über die Rückführungsleitung zur Pumpgrenz-Regelung stabil betrieben werden. Sobald prozessseitig die Voraussetzungen geschaffen sind, erfolgt eine Einbindung des Verdichters in die Gesamtanlage durch langsames Öffnen der beiden Absperrschieber.

Druckverhältnis P

D

/PS

Wegen der häufigen Teillastfahrweise während der Inbetriebnahme sind die Regelmöglichkeiten des Turboverdichters von besonderem Interesse. Abbildung 6.21 zeigt den prinzipiellen Verlauf der Pumpgrenzlinien bei verschiedenen Regelmöglichkeiten.

Abb. 6.21 Pumpgrenzlinien bei verschiedenen Regelungen von Turboverdichtern 1: Regeldiffusoren 2: Vordrallregelung 3: Saugdrosselregelung 4: Drehzahlregelung

Bezüglich der Teillastfahrweise ist die häufig favorisierte Drehzahlregelung beispielsweise deutlich ungünstiger als die einfache Saugdrosselregelung. Eine Drosselung auf der Druckseite sollte bei Verdichtern im Unterschied zu Kreiselpumpen (Hier ist in der Regel aus Kavitationsgründen die Saugdrosselregelung auszuschließen!) vermieden werden. Beim Anfahren großer Kreiselverdichter müssen an verschiedenen Stellen die Schwingungen überwacht werden (s. Abb. 6.22), um bei Grenzwertüberschreitung den Verdichtermotor abschalten. Schwingungen können u.a. ausgelöst werden:  beim Durchfahren der kritischen Drehzahl(-en) der Welle,  durch Fehler beim Ausrichten der Maschine,  durch Unwuchten an den drehenden Teilen,  durch Fertigungsmängel (Risse an Oberfläche, Lunker im Schmiedestück) an der Welle. Der Wellenschaden am Generator in Abb. 6.26, Abschn. 6.3.2.4 zeigt bildhaft welche Kräfte an derartigen Maschinenteilen wirken. Die gemachten Aussagen zum Betriebs-/Regelverhalten von Turboverdichtern gelten im Wesentlichen, wenn auch häufig mit weniger Brisanz, für Gebläse und Ventilatoren.

552

6 Durchführung der Inbetriebnahme

Abb. 6.22 Schwingungs-Überwachungssystem für das Wellenlager eines Kreiselverdichters

Erheblichen Aufwand erfordern bei Verdichtern und insbesondere bei Turboverdichtern die Schmierung der Lager, die Ölversorgung der Getriebe, der Betrieb (Kühlung, Ex-Schutz, Verriegelung) der Motoren sowie die zahlreichen Sicherheitsschaltungen. Die dafür notwendigen Teilsysteme sind teilweise aufwendiger und schwieriger in Betrieb zu nehmen als der eigentliche Prozessverdichter. Am Beispiel 6.3 wird dies sichtbar. Beispiel 6.3 Anfahren der Schmier- und Sperrölversorgungsanlage eines Turboverdichters (Praxisbeispiel) a) Anlagenbeschreibung (s. Abb. 6.23) Die kombinierte Schmier- und Sperrölversorgungsanlage dient zur Schmierung und Kühlung des Getriebes, der Verdichter-, Getriebe- und Motorlager sowie zur Schmierung, Abdichtung und Kühlung der Gleitringdichtungen, die ein Austreten des Fördermediums aus dem Verdichter verhindern. Das Ölsystem besteht aus sechs Baugruppen:  dem Ölsammelbehälter B1,  dem Ölfördersystem,  den Ölkühlern X1/1,2,  dem Schmierölhochbehälter B2,  dem Sperrölhochbehälter B3,  dem Entgasungsbehälter B4. Das Ölfördersystem besteht aus:  2 Niederdruckölpumpen P1/1,2,  2 Hochdruckpumpen P2/1,2,  2mal 2 umschaltbaren Filtern. Das Öl wird durch die Niederdruckölpumpe P1 aus dem Ölsammelbehälter B1 angesaugt und auf den Enddruck gefördert. Den Ölpumpen sind absperrbare Rückschlagventile nachgeschaltet.

Abb. 6.23 Schmier- und Sperrölversorgungssystem des Turboverdichters (Praxisbeispiel)

6.3 Beginn der Heiß-Inbetriebnahme und Anfahren der Anlage 553

554

6 Durchführung der Inbetriebnahme

Nach den Niederdruckölpumpen (Zahnradpumpen) erfolgt in den Ölkühlern X1/1,2 die Abkühlung des Öles. Die Filterung des Öles von Feststoffen, die sowohl zu Zerstörungen der Lager als auch der Gleitringdichtungen führen können, erfolgt durch die Filter F1/1-4. Nach den Ölfiltern erfolgt die Verzweigung des Ölsystems in Schmieröl- und Sperrölteil. Der überwiegende Teil des Öles wird zum Schmieren des Getriebes und der Wellenlager eingesetzt. Die überschüssige Ölmenge durchströmt den Schmierölhochbehälter B2 und fließt über das Regelventil, welches den Vordruck in der Schmierölsammelleitung vor Abzweigung der einzelnen Schmierleitungen regelt, in den Ölsammelbehälter B1 zurück. Über ein zur Regelgruppe parallel angeordnetes Ventil mit Drosselkegel kann bei Ausfall der Druckregelung die überschüssige Ölmenge in die Rückflussleitung strömen. Dieses Ventil dient gleichzeitig zur Entleerung des Schmierölhochbehälters. Die Ölmengen zu den einzelnen Schmierstellen werden über feste Drosseln eingestellt. Das von den Schmierstellen abfließende Öl gelangt über die Schmierölrückflussleitung zurück in den Ölsammelbehälter B1. Bei Ausfall der Niederdruckspannung für die Pumpen garantiert die Zulaufhöhe des Öles aus dem Schmierölhochbehälter die ausreichende Ölversorgung der Schmierstellen beim Notauslauf des Kreiselverdichters. Beim Absinken des Ölzulaufdruckes unter dem statischen Druck des Behälters fließt das Öl in die Ölverteilungsleitung zurück und gelangt zu den Schmierstellen. Dabei schlägt die sich im Überlauf des Schmierölhochbehälters parallel zum Regelventil befindliche Klappe zurück und gibt den vollen Rohrquerschnitt frei. Damit kann das Öl aus dem Behälter frei abfließen. Im Weiteren einige Erläuterungen zum Sperrölkreislauf. Im Anschluss an die Ölfilter gelangt ein Teil des Öles auf die Saugseite der Hochdruckölpumpen P2/1,2, die das Öl zu den Gleitringdichtungen drücken. Auch diesen Pumpen sind absperrbare Rückschlagventile nachgeschaltet. Die überschüssige Sperrölmenge fließt über ein durch den Ölstand im Sperrölbehälter B3 gesteuertes Regelventil zurück in den Ölbehälter. Den zur Abdichtung in den Gleitringdichtungen notwendigen Ölüberdruck gewährleistet in allen Fällen, d.h. insbesondere auch bei Ausfall der Hochdruckpumpen P2/1,2, der den Pumpen parallel geschaltete und mit dem Gasdruck der äußeren Stopfbuchskammern beaufschlagte Sperrölhochbehälter B3. Das an den gasseitigen Gleitringen austretende Sperröl fließt durch den SchwimmerAbscheider A1 und wird anschließend in den Ausdampfbehälter B4 entspannt. Der Abscheider dient dem Entfernen von Gasen, die durch die Labyrinth-Dichtungen auf der Saug- und Druckseite der Verdichterwelle bis zur Gleitringdichtung gelangen und dort mit dem Sperröl in Kontakt kommen. Im Sperröl nach den Gleitringdichtungen ist somit immer eine geringe Gasmenge gelöst bzw. auch ungelöst als Leckage der Gleitringdichtung enthalten. Aus dem Schwimmer-Abscheider A1 fließt das Sperröl drucklos in den beheizten Entgasungsbehälter B4, in dem das Öl in einer Kammer über eingebaute Kaskaden rieselt und dabei entgast. Nach dem Entgasungsbehälter B4 fließt das entgaste Sperröl in die gemeinsame Ölrückflussleitung zum Ölsammelbehälter B1. Das an den atmosphärischen (vom Verdichter gesehen außenliegenden) Gleitringen austretende Sperröl fließt über die Lagerschmierung in die Schmierölleitung und von dort zurück zum Ölsammelbehälter.

6.3 Beginn der Heiß-Inbetriebnahme und Anfahren der Anlage

555

Der Ölsammelbehälter B1 ist in verschiedene Kammern unterteilt. Das eintretende Öl fließt zuerst über Magnetfilterplatten. Nach den Magnetfilterplatten durchströmt das Öl noch weitere Kammern (Abscheidung nichtmagnetischer Feststoffe!) sowie einen Siebfilter, bevor es in die Ansaugkammer für die Niederdruckölpumpen P1/1,2 gelangt. b) Anfahrhandlungen Voraussetzungen für die folgenden Maßnahmen/Handlungen ist das „abchecken“ der Anfahrbedingungen, wie  Stand im Sperrölhochbehälter größer 250 mm,  Druck Fremdluft (Motor-Luftkühlung) größer 30 mm WS,  Druck Schmieröl größer 0,3 MPa,  Luft strömt,  Wasser strömt,  Öltemperatur im Ölsammelbehälter größer 25 °C,  Lüfter in Betrieb. (1) (2) (3) (4) (5) (6)

(7) (8) (9) (10)

(11) (12) (13) (14) (15) (16)

(17)

Öffnen aller Absperrventile bzw. absperrbaren Rückschlagventile auf der Saugbzw. Druckseite der Ölpumpen P1/1,2 und P2/1,2. Öffnen aller ölseitigen Absperrventile am Ölsammelbehälter B1 sowie am Entgasungsbehälter B4. Zuschalten eines Ölkühlers X1. Das Wechselventil (3-Wegeventil) der Ölfilter muss in einer Endlage sein. Öffnen der absperrbaren Rückschlagventile nach den Ölfiltern F1/1-4. Schließen der Bypassventile  für das Rückschlagventil in der Sperrölzufluss-Leitung,  für das Sperröl-Regelventil,  für das Schmierölregelventil. Öffnen der Absperrventile in den Schmierölleitungen zum und vom Schmierölhochbehälter. Öffnen der Absperrventile (sog. Blockventile) vor und nach den Regelventilen. Öffnen aller Absperrventile am Schwimmer-Abscheider. Beide Ölkühler wasserseitig fluten und entlüften. Zu diesem Zweck werden die Entlüftungsventile an den Kühlerköpfen geöffnet, der Schieber in der Sammelleitung für den Kühlwasser-Rücklauf geschlossen und durch Öffnen der KühlwasserEintrittsventile nacheinander beide Kühler geflutet. Kontrolle, ob Kreislaufgas (Bezeichnung für das Fördermedium des Verdichters!) vor dem Saugschieber des Verdichters ansteht. Entriegeln einer der Niederdruckpumpen P1/1,2 und einschalten dieser Pumpe. Einfahren der Schmieröldruck-Regelung auf einen vorgegebenen Schmieröldruck. Entriegeln beider Sperrölpumpen P2/1,2, so dass beide Pumpen automatisch einschalten und anlaufen können. Stabilisieren der Schmieröldruck-Regelung. Einstellen des vorgegebenen Differenzdruckes an den Gleitringdichtungen. Mit Funktionieren der Wellendichtung kann der Verdichter auch mit einem Gasdruck beaufschlagt werden. Nach dem Erreichen des Normalstandes im Sperrölhochbehälter ist zu kontrollieren, ob dieser Stand konstant bleibt. Bei Überschreiten des Normalstandes ist das Bypassventil zum Sperrölregelventil soweit zu öffnen, bis der Stand normal bleibt.

556

6 Durchführung der Inbetriebnahme

(18) Entgasen der Schwimmer-Abscheider. Kontrolle auf ordnungsgemäßen Durchfluss an Hand der Durchfluss-Schaugläser. Falls die Schwimmer-Abscheider nicht zuverlässig konstant arbeiten, zeigt sich dies an Standschwankungen im Sperrölhochbehälter B3. (19) Inbetriebnahme der Beheizung des Entgasungsbehälters B4 und Einstellung einer vorgegebenen Öltemperatur. (20) Stabilisierung des gesamten Ölsystems entsprechend den vorgegebenen Betriebsparametern. Gegebenenfalls den 2. Ölkühler zuschalten. (21) Ziehen der Magnetfilterplatten, die im Ölsammelbehälter B1 eingebaut sind und nachprüfen, dass keine Metallteile abgeschieden wurden. Nach Abschluss dieser Maßnahmen ist das Ölsystem des Kreiselverdichters in Betrieb, und es kann die prozessseitige Inbetriebnahme des Verdichters erfolgen, wie bereits im vorhergehenden Beispiel 6.2 beschrieben. 6.3.2.4 Turbinen mit Generatoren Turbinen dienen in der Regel zum Antrieb von Turbogeneratoren [11]. Sie selbst können mit Heißdampf bzw. Gas angetrieben werden [12]. Das Anfahren der Turbine erfolgt in Wechselwirkung mit den anderen Komponenten der Kraftwerksanlage. Es ist durch die Kopplung von thermischen, maschinentechnischen und elektrischen Prozessen kompliziert sowie durch die verschiedenen Bauarten mannigfaltig. An dieser Stelle seien nur einige grundsätzliche Ausführungen gemacht.  Zur Stromerzeugung in Kraftwerken werden vorrangig Gas- oder Dampfturbinen genutzt.  Die Radial-Gasturbinenanlage [13][14] besteht im Wesentlichen aus einem Turboverdichter (für Brenngas und Verbrennungsluft), der Brennkammer, der Gasturbine mit Generator und der Rauchgasverwertung. Mit der Verbrennung des vorverdichteten Rohgases ist eine wesentliche Volumenvergößerung der Brenngase (bei ca. 1500 °C) verbunden und der Antrieb einer Gasturbine mit Generator möglich. Das Gas kann auch in separaten Öfen mit Brenner oder mittels Dieselmotoren erzeugt werden. Man spricht dann im Verbund mit der Wärmenutzung von einem Block-Heiz-Kraftwerk (BHKW). Das nach der Turbine anfallende heiße Abgas wird in der Regel noch verwendet, um in einem Abhitzekessel Frischdampf (von ca. 530600 °C) zu erzeugen. Der Dampf treibt wiederum eine Dampfturbine an und wird danach noch als Wärmeträger zum Heizen eingesetzt. Gas- und Dampfturbine bilden zusammen ein GuD-Kraftwerk (Gas und Dampf) und die gemeinsame Gewinnung von Strom und Wärme bilden eine Kraft-WärmeKopplung (KWK)  Im klassischen Dampf-Kraftwerk wird der Frischdampf auf direktem Weg in einem gas-, öl- bzw. kohlebefeuerten Dampfkessel erzeugt.  Der elektrische Wirkungsgrad steigt (entsprechend der Carnot-Beziehung) mit der Gas- bzw. Dampftemperatur am Eintritt in die Turbine. In Dampfkraftwerken werden Frischdampftemperaturen von über 600 °C realisiert, die erhebliche Anforderungen an die Werkstoffe und deren Verarbeitung stellen.  Gasturbinenanlagen sind komplex, da verschiedenartige Prozessstufen in einem Aggregat (Maschine) vereinigt sind. Trotzdem haben Gasturbinenanlagen relativ kur-

6.3 Beginn der Heiß-Inbetriebnahme und Anfahren der Anlage

557

ze Anfahrzeiten (z.B. 5 bis 10 min) und sind schnell betriebsbreit. Sie sind als Spitzenlast-Kraftwerke gut geeignet. Das Anfahren, inkl. der Synchronisation und Zuschaltung zum Stromnetz, erfolgt automatisiert über eine Anfahrsteuerung.  Bei Dampfturbinen ist die Anfahrsituation eine andere. Die extremen Prozessparameter, wie z.B.  Frischdampftemperaturen von 530 bis über 600 °C und  Frischdampfdrücke von beispielsweise 70 bar in einem städtischen GuD-Kraftwerk bzw. 274 bar in einem überregionalen Kohle-Kraftwerk,  Einsatz von Spezialwerkstoffen inkl. Schweißgut, erfordern spezielle Vorkehrungen beim Anfahren der Turbine. Ein zu schnelles Anfahren der Turbine bewirkt u.a. ein ungleichmäßiges Aufheizen von Welle und Gehäuse, aber auch innerhalb der Bauteile. Beides kann zum Verklemmen der Welle und/oder zu unzulässigen Spannungen innerhalb der dickwandigen Bauteile führen (s. auch Abschn. 6.3.2.5).  Die Dampfturbine wird beim Anfahren i.d.R. zunächst über eine Anfahrrohrleitung mit einem Dampf-Teilstrom oder einem extra Anfahrmotor langsam in Drehung versetzt (angestoßen) und auf ca. 300 °C vorgewärmt. Die Dampftemperatur muss beim „Anstoßen“ deutlich über der Sattdampftemperatur liegen, damit in der kalten Turbine kein Nassdampf entsteht.  Das Anfahren einer Dampfturbine aus dem kalten Zustand kann, je nach Größe, mehrere Tage dauern. Bei kleineren Turbinen geht es deutlich schneller (s. Abb. 6.24).

 Abb. 6.24 Anfahrdiagramme einer Dampfturbine (Elektrische Leistung: 30 MW, Dampftemperatur: 530 °C, Dampfdruck: 70 bar) links: Anfahrdiagramm bei Kaltstart (Startemperatur am Referenz-Flansch: < 40 °C) rechts: Anfahrdiagramm bei Heißstart (Startemperatur am Referenz-Flansch: > 420 °C)

558

6 Durchführung der Inbetriebnahme

Wegen der technischen Beanspruchung und Dauer des Anfahrens wird versucht, bei Stillständen und Abstellungen die Turbine u.a. dickwandige Bauteile warm zu halten. Ferner wird beim Wiederanfahren, in Abhängigkeit von der Starttemperatur zwischen einem Kaltstart, Warmstart und Heißstart unterschieden und entsprechend unterschiedlich verfahren (s. Abb. 6.24). Man erkennt im Vergleich beider Anfahrdiagramme das wesentlich vorsichtige Hochfahren der Dampfmenge und somit auch der elektrischen Leistung bei einem Kalt-Start. Der Warmstart (Starttemperatur am Flansch: > 250 °C) der Dampfturbine lag mit einer Anfahrzeit von 33 min zwischen den beiden in Abb. 6.24 dargestellten Kennlinien. Ergänzend zu den bisherigen Ausführungen ist in Abb. 6.25 das Anfahrdiagramm beim Heißstart einer großen 500 MW-Dampfturbine dargestellt. 540

TE 18 Dampfdruck p MPa E

500 Temperatur °C 460

14

T

MD

Dampfmenge bzw. Leistung (auf Nennzustand bezogen)

420 380

p

E

1,0

10

n 6

0,6

3000 Drehzahl n 1/min 2000

2

. . m/m

N

0,2

1000

P / PN 0

20

40

60

80

Anfahrzeit t min Abb. 6.25 Anfahrdiagramm beim Warmstart einer 500 MW-Kondensationsturbine Indizes: E: Dampf am Turbineneintritt (vor Hochdruckteil) MD: Dampf vor dem Mitteldruckteil (nach Zwischenentspannung)

N:

Nennzustand

6.3 Beginn der Heiß-Inbetriebnahme und Anfahren der Anlage

559

 Wichtige Einflussfaktoren auf die Anfahrzeit sind:  die Starttemperatur (Grad der Vorwärmung),  die Größe der Turbine, ihre Läuferlänge bzw. Lagerentfernung,  die Größe und Anzahl der Gehäuse/Stufen sowie  der Frischdampfdruck und die Frischdampftemperatur.  Anfahrtechnologie und Aufheizgeschwindigkeit sind so zu wählen, dass die Wärmespannungen in Heißdampfleitung, Gehäuse, Läufer u.a. dickwandigen Bauteilen bedingt durch Druckbeanspruchung und Temperaturgradienten zulässig bleiben. Der Zeitunterschied zwischen Kalt- und Warmstart ist entsprechend groß. Welche Schäden u.U. beim Anfahren einer Turbine mit Generator passieren können, zeigt Abb. 6.26.

Abb. 6.26 Schaden am Induktor eines 600 MW-Turbogenerators beim Wiederanfahren nach einer Großrevision Ursache: Rissbildung an der Oberfläche, die auf Grund der Beanspruchung beim Wiederanfahren zum Gewaltbruch führte.

 Turbinen, die direkt Drehstromgeneratoren antreiben, müssen bei konstant 3000 min-1 arbeiten. Dies bedarf einer exakten Drehzahlregelung bei verschiedener Lastentnahme.  Die Drehstromgeneratoren induzieren in der Regel eine Spannung von 6 kV bzw. 11 kV, die meistens in einer Umspannstation noch höher transformiert (30-110 kV) wird. Die dafür notwendigen elektrischen Anlagenkomponenten (Hochspannung) unterscheiden die Kraftwerksanlagen und ihre Inbetriebnahme wesentlich von anderen verfahrenstechnischen Anlagen.  Der Abnahmeversuch inkl. zugehöriger Abnahmemessung an Gas- bzw. Dampfturbinen erfolgt i.d.R. bei drei Laststufen, z.B. bei 50 %, 75 % und 100 % Nennlast. Ausführliche Hinweise mit Beispielen für „Wärmetechnische Abnahmeversuche an Dampfturbinen“ sind in [15] enthalten (s. auch Abschn. 6.8.1). Eine Zusammenstellung weiterer DIN-Normen und VDI-Richtlinien über Abnahmeversuche anderer typischer Hauptausrüstungen enthält Tabelle 6.16 in Abschn. 6.8.1.

560

6 Durchführung der Inbetriebnahme

6.3.2.5 Industrieöfen und Dampferzeuger Die Industrieöfen [16][17] dienen dazu, die Materialien der unterschiedlichsten Formen auf eine vorgegebene Temperatur zu erwärmen und gegebenenfalls eine bestimmte Zeit bei dieser Temperatur zu halten. Gründe für die Wärmebehandlung können beispielsweise sein:  Erreichen einer bestimmten Temperatur der Materialien, um sie anschließend außerhalb des Ofens weiterzuverarbeiten (Schmiede- und Härteöfen, Produktaufheizer vor Reaktoren und Kolonnen),  Realisierung einer gewünschten Temperatur-Zeit-Kurve des Produkts im Ofen (Backen, Brennen, Emaillieren, Glühen, Schmelzen, Sintern, Trocknen, Verdampfen),  Durchführung einer chemischen Reaktion des Reaktionsgemisches im Ofen (Kalkbrennen, Verhütten, Müllverbrennung, Vergasung). Die für den Prozess benötigte Wärme wird im Industrieofen (Erdgas oder Öl) selbst erzeugt. Sie kann durch Rauchgase direkt (Drehrohrofen) bzw. indirekt mittels Wärmeübertragungsflächen (Röhrenofen) an das aufzuwärmende Produkt übertragen werden. Die Dampferzeuger sind spezielle Industrieöfen in Kraft- bzw. Heizwerkanlagen. Wegen ihrer besonderen Bedeutung und Größe werden sie im Weiteren neben den Industrieöfen aus der Sicht des Anfahrens getrennt behandelt. a) Industrieöfen  Im Mittelpunkt des Anfahrens steht zunächst das Zünden der Pilotbrenner und danach der Hauptbrenner. Sobald die Pilotflamme brennt, ist die größte Gefahr vorbei! Zuvor muss der Ofen sehr sorgfältig mit Luft gespült werden, sodass mit Sicherheit kein explosionsfähiges Gemisch im Ofen vorliegt. Insbesondere besteht die Gefahr, dass sich bei Ofen-Stillständen durch kleine Leckage (z.B. in der Absperrarmatur der Ölleitung zum Brenner) im Lauf der Zeit im Ofen ein Ex-Gemisch bildet. Fehler in dieser Phase können die Ursache für Verpuffungen bzw. Explosionen im Ofen mit erheblichen Folgeschäden sein (s. Abb. 6.27).  Vor der Erstinbetriebnahme sowie nach längeren Abstellungen von Öfen und Schornsteinen mit Ausmauerungen sind zunächst sehr vorsichtig die Feuerfestmaterialien zu trocknen (s. Abschn. 6.2.5.1).  Beim Anfahren der Öfen ist zu jedem Zeitpunkt ein annäherndes Gleichgewicht zwischen Wärmezufuhr und -abfuhr zu gewährleisten. Das heißt, mit Steigerung der Brennerleistung muss der Ofen zugleich verbraucherseitig gekühlt werden. Dies kann beispielsweise die produktseitige Durchströmung der Ofenrohre oder die Aufgabe von feuchtem Gut bei Trocknern notwendig machen. Wenn nicht, können in kürzester Zeit, falls keine funktionsfähige Sicherheitsschaltung (z.B. Wassermangel-Sicherung) vorhanden ist, die Ofenrohre und andere Einbauten überhitzt, ausgeglüht und beschädigt werden.  In Verbindung mit dem Anfahren und dem Betrieb von Öfen und Kesseln erlangen zunehmend die Rauchgasreinigungsanlagen Bedeutung. Damit kommen verstärkt chemische Verfahren und Produkte zum Einsatz, die den zeitlichen, technologischen und sicherheitstechnischen Verlauf der Inbetriebnahme wesentlich beeinflussen.

6.3 Beginn der Heiß-Inbetriebnahme und Anfahren der Anlage

561



 Abb. 6.27 links:

Totalschaden an einem ausgemauerten, ölbeheizten Industrieofen durch Explosion beim Zünden nach Zwischenabstellung Ursache: Während der Abstellung bildete sich im Ofen ein explosionsfähiges Gemisch wegen einer geringen Leckage an der Öl-Leitung. Anschließend wurde der Ofen vor dem Zünden nur unzureichend mit Luft gespült. rechts: Rohrreißer an einem Dampferzeuger durch verringerte Festigkeit (infolge dessen Gefügeänderung bzw. „Werkstoffermüdung“) des Rohrmaterials wegen hoher Temperaturbeanspruchung über einen längeren Zeitraum

 Tabelle 6.10 enthält Auszüge aus einer Inbetriebnahmeanleitung für einen Kammerofen mit Strahlungszonen und vertikal angeordneten Rohrsträngen. Das eigentliche Anfahren des Ofens war über eine automatische Anfahrsteuerung realisiert.  Grundlegende Sicherheitsvorschriften für öl- bzw. gasbeheizte Heizungsanlagen sind in [18] bzw. [19] angegeben. Tabelle 6.10 Hauptpunkte der Inbetriebnahmeanleitung eines gas- oder ölbefeuerten Mehrkammerofens (Praxisbeispiel über Steuerung realisiert) 1 Technische Voraussetzungen zum Anfahren des Ofens  das gesamte Gelände der Ofenanlage ist sauber und beräumt  sämtliche Leitungen sind gespült und sauber  die Heizgasleitungen sind inertisiert  sämtliche Beirohr-Beheizungen der Heizöl- und Heizgasleitungen sind in Betrieb  am Ofen liegen keine Störmeldungen an  der Anfahrcheck wurde erfolgreich durchgeführt 2 Vorbereitungen zum Anfahren  Vor dem Zünden sind die zugehörigen Ofenkammern mit mindestens 5fachem Luftwechsel zu belüften.

562

6 Durchführung der Inbetriebnahme

Tab. 6.10 (Fortsetzung) 2

Vorbereitungen zum Anfahren (Fortsetzung)  Für den Luftwechsel sind: ▪ die Rauchgasklappe zum Abhitzekessel zu schließen, ▪ die Rauchgasklappe zum Schornstein zu öffnen, ▪ an allen Brennern sind die Sekundärluftklappen zu öffnen. (Der Spülvorgang ist nötig, wenn nach dem Verlöschen aller Flammen einschließlich Pilotbrenner der Ofen neu gezündet werden soll!)  Vor Spülbeginn müssen alle Brennstoffzuführungen zu allen Feuerräumen geschlossen sein (kontrollieren!).  Die notwendige Spülzeit wird in Abhängigkeit vom Unterdruck im Ofen festgelegt und beträgt bei einem Unterdruck von 20 mm WS: 3 Min. 15 - 20 mm WS: 5 Min. 10 - 15 mm WS: 10 Min. 5 - 10 mm WS: 20 Min. 5 mm WS: 30 Min. Bei einem Unterdruck < 5 mm WS ist zur Kontrolle des durchgeführten Spülprozesses die Luft in den Brennkammern zu analysieren (Gehalt an Brennbaren  0,3 Vol.-%).

3

Zünden der Pilotbrenner  Checken des Ofens betreffs ▪ durchgeführte vorschriftsmäßige Spülung der Ofenkammern, ▪ Anliegen der erforderlichen Betriebsmittel, ▪ Unterdruck von mindestens 5 mmWS, ▪ Durchstellen aller Leitungswege für das Anfahren, ▪ Betriebsbereitschaft der Flammenwächter und aller Sicherheitseinrichtungen.  automatisches Zünden der Pilotflamme  Einstellen einer stabilen Flamme des Pilotbrenners

4

Zünden der Hauptbrenner für Erdgas  Checken des Ofens betreffs ▪ alle Pilotbrenner sind stabil in Betrieb, ▪ alle Flammenwächter und MSR-Einrichtungen sind funktionstüchtig, ▪ der Gasvorwärmer und Begleitheizungen sind in Betrieb, ▪ alle Ventile vor den Brennern sind geschlossen.  Verdrängen des Inertgases mittels Erdgas in die Freientspannungen  Schließen der Freientspannungsventile (Erdgas liegt bis zu den Magnetventilen vor den Brennern an)  Regelventil vor Brennern auf ca. 30 % eindrosseln  Magnetventile öffnen und Brenner zünden  Einstellen stabiler und planungsgerechter Bedingungen am gesamten Ofen (Zünden der Pilot- und Hauptbrenner erfolgt über Anfahrsteuerung automatisch)

5

Hochfahren des Ofens  insbesondere unter Beachtung ▪ einer ausreichenden Kühlung des Ofenrohrsystems ▪ der produkt- und rauchgasseitigen Temperaturen

b) Dampferzeuger Dampferzeuger werden zum Antrieb von Kraft- und Arbeitsmaschinen, zur Wärmeversorgung sowie in der Stoffwirtschaft benötigt. Beim Anfahren ist schwerpunktmäßig zu beachten:

6.3 Beginn der Heiß-Inbetriebnahme und Anfahren der Anlage

563

 In Abhängigkeit vom Startzustand bei Erst- bzw. Wiederinbetriebnahmen wird analog zu den Turbinen unterschieden zwischen: a) Kaltstart:

Starttemperatur der Anlagenkomponenten liegt unterhalb von 20 % der Nenntemperatur. Bei Erstinbetriebnahmen entspricht sie der Umgebungstemperatur. Anfahrschritte: – Füllen des Kessels mit Wasser – Brennkammer belüften und Brenner zünden – Wasser bis Siedetemperatur erwärmen – Erhöhung der Brennerleistung und Dampfbildung – Einstellen der Nenn- bzw. Anstoßparameter – Dampfabgabe an Turbine bzw. Sammelschiene

b) Warmstart: Starttemperatur beträgt 20–80 % der Nenntemperatur. Anfahrschritte: analog zum Kaltstart (Feuerungsleistung sowie Temperatur und Druck können schneller gesteigert werden. Der Überhitzer wird früher eingebunden.) c) Heißstart: Starttemperatur liegt über 80 % der Nenntemperatur. Anfahrschritte: analog zum Warmstart, aber noch zügiger (Wegen des kurzen Stillstandes war die Temperatur- und Druckabsenkung nur gering.)  Die Anfahrdynamik von Dampferzeugern ist stark durch ihre große Masse (Wärmespeicher) und die Dickwandigkeit (z.B. 30 bis 40 mm Wanddicke) der Kraftwerkskomponenten (Kessel, Sammler, Siede-/Flammenrohre, Heißdampfleitungen, Armaturen usw.) im Hochtemperatur- und Hochdruckbereich geprägt. Dies trifft auf Dampferzeuger mit Naturumlauf noch stärker zu als auf Durchlaufkessel.  Neben der Beanspruchung durch vorwiegend ruhende Innen- bzw. Außendruckbeanspruchung unterliegen die heißgehenden und dickwandigen Bauteile noch einer überlagerten Beanspruchung durch schwellenden Innendruck bzw. durch kombinierte Innendruck- und Temperaturänderungen.  Dies bedeutet u.a., dass durch Temperaturgradienten im dickwandigen Bauteil eine zusätzliche innere Spannung erzeugt wird, die der normalen, statischen Spannung (Druckbeanspruchung) überlagert ist. Beide Spannungen beeinflussen die Lebensdauer und müssen bei der Festigkeitsberechnung [20] berücksichtigt werden.  Eine zu schnelle Aufheizgeschwindigkeit kann somit bereits während des Anfahrens zu einer erheblichen Bauteilermüdung/-schädigung führen. Ein Rohrschaden (sog Rohrreißer), wie zuvor in Abb. 6.27, rechtes Bild dargestellt, ist möglich bzw. wird früher eintreten.  Wird beim Anfahren in der Summe von statischer und thermischer Beanspruchung die Streckgrenze des Werkstoffs überschritten, so kommt es zur plastischen Verformung (außerhalb des Hookeschen Bereichs) und u.U. zur Bildung eines Risses und/oder Lunkers in der Wandung.  Die Einhaltung der zulässigen Temperaturgradienten im Werkstoff, die mittels Lebensdauerüberwachungssystemen online ermittelt, vorgegeben und kontrolliert werden, limitiert die zulässige Aufheiz- bzw. Anfahrgeschwindigkeit. Durch Modellierung des Anfahrvorganges kann dieser gegebenenfalls weitgehend automatisch gesteuert werden.

564

6 Durchführung der Inbetriebnahme

 Dampferzeuger können im Blockbetrieb mit nachgeschalteter Turbine sowie im Sammelschienenbetrieb mit Einspeisung ins Dampfnetz betrieben werden. Im ersten Fall wird der Dampferzeuger zunächst angefahren und danach zusammen mit der Dampfturbine hochgefahren (s. Abschn. 6.3.2.4). Im zweiten Fall wird der Dampferzeuger allein auf Nennzustand in Betrieb genommen und anschließend ins Dampfnetz eingebunden.  Der Anfahrvorgang wird ähnlich wie bei Turbinen in einem sog. Anfahrdiagramm (s. Abb. 6.28) veranschaulicht. Als Anfahrzeit wird in der Regel der Zeitraum vom Vorliegen der Zündbereitschaft bis zum Beginn der Dampfabgabe definiert.

Abb. 6.28 Anfahrdiagramm eines kohlebeheizten Dampferzeugers bei der Erstinbetriebnahme (Kaltstart)  Detaillierte Hinweise zur Durchführung und Auswertung von Abnahmeversuchen an Dampferzeugern sind in [21] angegeben. Die Versuchsdauer beträgt 1 bis 6 h für jede zu prüfende Laststufe. 6.3.2.6 Reaktoren und Adsorber Die Anfahrhandlungen dieser Komponenten sind sehr vom Verfahren sowie der Bauart der Ausrüstung abhängig. Die folgenden Hinweise können deshalb nur eine Orientierung darstellen. a) Reaktoren  Die meisten chemischen Reaktionen beginnen erst bei einer erhöhten Temperatur zu zünden (sog. Zündtemperatur). Das heißt, das Reaktionsgemisch und gegebenenfalls der Katalysator sind auf diese Temperatur aufzuheizen (z.B. mittels eines Anfahraufheizer bei exothermen Reaktionen oder durch Mantelheizung bei Batch-Prozessen). Das Beispiel 6.4 verdeutlicht die grundsätzlichen Zusammenhänge.

6.3 Beginn der Heiß-Inbetriebnahme und Anfahren der Anlage

565

Beispiel 6.4 Qualitative Betrachtung zum Einfluss der chemischen Reaktion auf die Inbetriebnahme von Reaktoren Bei Verfahren mit exothermen Reaktionen wird häufig die freiwerdende Reaktionswärme zur Vorwärmung der Reaktionspartner sowie zur Deckung der Wärmeverluste an die Umgebung genutzt. Dies geschieht z.B. in einem weitgehend adiabatischen Festbettreaktor und einem nachgeschalteten Wärmeübertrager, in dem ein Großteil der Reaktionswärme vom Reaktionsgemisch an das Einsatzprodukt übertragen wird. Auf diese Weise können im Dauerbetrieb auch hohe Reaktionstemperaturen mit einem relativ geringen technologischen und technischen Aufwand aufrechterhalten werden. Problematisch ist jedoch die Inbetriebnahme bei solchen Verfahren. Abb. 6.29 zeigt die typischen Verläufe der Wärmemengen Q R bzw. QÜ , die bei der chemischen Reaktion freigesetzt bzw. an das Reaktionsgemisch übertragen werden, in Abhängigkeit von der Reaktionstemperatur. . Q Ü (T)

. . Q Ü, Q R kJ / s

L

B

. Q R (T)

W

A

S TA

T°A

T°S = T°B

TS TL

TB Temperatur °C

Abb. 6.29 Temperaturabhängigkeit der freiwerdenden und abgeführten Wärmemengen in einem Reaktor mit exothermer Reaktion

Die Kurve Q R (T) besitzt die typische S-Form entsprechend der Arrhenius-Beziehung, während die Funktion QÜ (T) näherungsweise linear verläuft. Die Linearität kann dabei aus verschiedenen Modellbeziehungen resultieren, wie  = m  c  (T-T0) im adiabaten, kontinuier− der konvektiven Wärmeabführung Q p Ü lichen Rührkessel,  = k  A  (T–T0) im gekühlten isother− der Wärmeübertragung zum Kühlmittel Q Ü men, diskontinuierlichen Rührkessel, − die Wärmeübertragung von der Kornoberfläche an den Kern der Strömung QÜ =   O  (T–T0) im adiabaten Strömungsrohr mit Katalysatorschüttung. Letztlich ist die Wärmeabführung immer proportional der Differenz zwischen der Reaktionstemperatur T und einer Bezugstemperatur T0. Aus der Sicht der Inbetriebnahme von Reaktoren können die Kurven in Abb. 6.29 wie folgt diskutiert werden:

566

6 Durchführung der Inbetriebnahme

Im stationären Betriebszustand, und das Anfahren vollzieht sich meistens stufenweise über derartige quasistationäre Zwischenzustände, sind die freigesetzten und abgeführten Wärmemengen gleich groß. Der gesamte Reaktor (z.B. Rührkessel) bzw. die Reaktoreintrittszone (z.B. Strömungsrohr) arbeiten anfangs am Betriebspunkt A. Die Wärmetönung und der Umsatz sind gering. Im Fall eines Festbettreaktors mit Wärmerückübertragung reicht die Temperaturerhöhung T = TA – TA0 nicht aus, um das Einsatzprodukt auf die Eintrittstemperatur TA0 vorzuwärmen. Notwendig ist zunächst Fremdenergie, die z.B. in einem Anfahrofen dem Einsatzprodukt zugeführt werden muss. In dem Maße, wie mit Hilfe des Anfahrofens die Eintrittstemperatur T 0 steigt (konstante Zusammensetzung des Eintrittsgemischs vorausgesetzt), verschiebt sich die Gerade QÜ(T) nach rechts. Die stationäre Reaktionstemperatur T folgt dem stetig entlang der Kurve Q R (T), wobei die Temperaturdifferenz T = T –T0 nur geringfügig steigt. Der Anfahrofen bleibt in dieser Phase in Betrieb. Sprungförmig ändert sich die Situation im Punkt S. Jede weitere Erhöhung der Eintrittstemperatur über TS0 hinaus führt dazu, dass erstmals die freigesetzte Wärmemenge Q R schneller steigt als die abgeführte Wärmemenge QÜ . Das heißt, ein Teil der Wärmemenge verbleibt im betrachteten Reaktionssystem (Rührkessel, Reaktorzone, Katalysatorkorn) und heizt dieses auf. Der Zustand S geht relativ schnell in den stabilen Zustand B über. Man bezeichnet dies als Starten bzw. abgeleitet von den Verbrennungsprozessen als Zünden oder Anspringen der Reaktion. TS wird analog als Starttemperatur und TS0 als Starteintrittstemperatur definiert. Verbunden mit dem Reaktionsstart verbessert sich der Umsatz gravierend, und die freigesetzte Wärmemenge Q R sowie die treibende Kraft für die Wärmerückübertragung T = T – T0 vervielfachen sich. Damit wird der Anfahrofen überflüssig und kann außer Betrieb genommen werden. Aus Abb. 6.29 ist auch ersichtlich, dass die einmal gezündete Reaktion nicht so schnell wieder erlischt. Verringert sich während des Betriebes zum Beispiel die Eintrittstemperatur von TB0 nach TA0, so wandert der Betriebspunkt B in Richtung des Punktes L. Die Reaktion findet auch dann weiterhin auf einem hohen Niveau statt. Erst wenn eine weitere Absenkung unter die sogenannte Löschtemperatur T L geschieht, „springt“ der stationäre Betriebszustand von L nach A zurück. Die Reaktion erlischt. Diese Art von Hysterese ist vorteilhaft für eine stabile Reaktions- und Betriebsführung, da die Temperaturstörungen von außen besser „abgefedert“ werden. Andererseits weisen Reaktionen mit einer hohen Temperatursensibilität nur eine gering ausgeprägte S-förmige Kurve auf, d.h. der Anfangs- und Endteil werden steiler und der Mittelteil flacher. Dadurch nähern sich die Zünd- und Löschtemperaturen an (im Extremfall können diese Vorgänge auch verschwinden). Zugleich ist eine höhere parametrische Empfindlichkeit in der Nähe des angestrebten Betriebspunktes gegeben. Ohne im Einzelnen darauf eingehen zu können, sei gesagt, dass die Darstellung in Abb. 6.29 den Schlüssel für die qualitative Deutung vieler wichtiger Vorgänge in Verbindung mit der Inbetriebnahme, aber auch des Betriebes verfahrenstechnischer Anlagen darstellt. Dies betrifft zum Beispiel die Fragen:  Wodurch kann die Starttemperatur verringert werden, so dass der notwendige Anfahraufheizer klein wird und auf einem niedrigen Temperaturniveau, möglichst kostengünstig mit Dampf, betrieben werden kann?

6.3 Beginn der Heiß-Inbetriebnahme und Anfahren der Anlage

567

 Wie kann verhindert werden, dass Strömungsreaktoren im hinteren Teil zünden und somit die große Gefahr des „Austragens“ der Reaktion in die nachgeschalteten Anlagenteile gegeben ist?  Wie kann das Erlöschen der Reaktion verhindert bzw. wie können erloschene Reaktionen zweckmäßig wieder gezündet werden (z.B. bei der oxidativen Regeneration von Katalysatoren oder Adsorbentien)? Zur Beantwortung dieser Fragen sind die Chemiker und Verfahrenstechniker schon in der Phase der Verfahrensentwicklung aufgefordert. Grundlage dafür sind Experimente sowie daraus abgeleitete reaktionskinetische Modelle.  Die Anfangszusammensetzung ist so zu wählen (z.B. hohe Verdünnung), dass der Zustand des Zündens gut beherrschbar ist und möglichst bald qualitätsgerechtes Produkt gebildet wird.  Vorteilhaft ist es, wenn die Reaktionsstufe zunächst ohne Reaktion angefahren wird und anschließend der Reaktionsbeginn gezielt eingeleitet werden kann (z.B. durch Einspritzung des Reaktionsgemisches bzw. eines notwendigen Reaktionspartners, durch Zudosierung von Initiator oder durch Schließen des Reaktor-Bypasses).  Die beim Anfahren übliche Teillastmenge bewirkt bei kontinuierlichen Prozessen eine längere Verweilzeit im Reaktor. Dies kann u.U. unerwünschte Folge- bzw. Nebenreaktionen begünstigen.  Zahlreiche Besonderheiten beinhaltet das Anfahren von Bioreaktoren [22].  Die im Nennzustand benötigten Mikroorganismen müssen zunächst in situ produziert bzw. nach vorherigem Impfen mit Fremdorganismen an den Rohstoff und die Prozessbedingungen adaptiert werden. Dazu kann eine Zeitdauer von mehreren Tagen bis Monaten nötig sein. Der Inbetriebnahmezeitraum einschließlich der Leistungsfahrt und werkvertraglichen Abnahme der Anlage verlängert sich entsprechend. Im Vertrag ist zu regeln, welcher Partner in diesen „Wartezeitraum“ die Gefahr/Verantwortung trägt und wie mit dem Gewährleistungsbeginn der Ausrüstungen und mit der Beweislastumkehr zu verfahren ist (s. auch Abschn. 4.3.1.1 und Abschn. 6.9).  Bei der Inbetriebnahme von biologischen Abwasserreinigungsanlagen werden die Belebungsbecken (Bioreaktor) beim Anfahren mit fremdem Klärschlamm geimpft. Dieser wird über Rohrleitungen oder TKW (Tank-Kraft-Wagen) antransportiert. Menge und Art des Impfschlamms können die Anfahrzeit wesentlich beeinflussen. Entsprechend ist seine Beistellung rechtzeitig zu bedenken und zu planen. Zugleich ist bei derartigen Anlagen in Freibauweise die Außentemperatur zu beachten. Nach der Regel von van`t-Hoff verändert sich die Reaktionsgeschwindigkeit bei einer Temperaturänderung von 10 K um den Faktor 2 bis 3.  Während des Anfahrprozesses biologischer Abwassereinigungsanlagen muss die Raumbelastung (Schadlast) der Abbauleistung ständig angepasst werden. Eine zu geringe Belastung kann zum Absterben von Biomasse und eine zu hohe Belastung kann zum Durchbruch von Schadstoffen führen. Durch die stattfindende Belüftung können nicht abgebaute, flüchtige Kohlenwasserstoffe aus dem Wasser gestrippt werden und als unzulässige Emissionen in die Atmosphäre gelangen.

568

6 Durchführung der Inbetriebnahme

 Eine Teillastfahrweise ist wegen der Gefahr der Schlammfaulung und des Flockenzerfalls eingeschränkt. b) Adsorber  Zyklische Adsorptions-Desorptionsanlagen werden zunächst im Bypass zu den Adsorbern angefahren. Somit kann der Anlagenbetrieb unter kontinuierlichen Bedingungen ohne den sensiblen Adsorptionsprozess stabilisiert und erprobt werden.  Das Adsorbens ist vor dem Anfahren in einen definierten Ausgangszustand zu versetzen. Häufig ist dies mit Ausheizen (z.B. Trocknen) und einer Vorbehandlung mit Desorptionsmittel verbunden. Bei Anlagen mit Ionenaustauschern werden diese anfangs in die vorgegebene Ausgangsform überführt.  Die Start-Schaltzeiten der Adsorbersteuerung sind so zu wählen, dass möglichst sofort qualitätsgerechtes Endprodukt (Desorbat) anfällt. Der Durchsatz, die Ausbeute sowie die spezifischen Verbräuche sollten zunächst sekundär sein.  Adsorber werden meistens zum Zeitpunkt „Ende Desorption/Beginn Adsorption“ in den Prozess eingebunden.  Die beim Einbinden der Adsorber plötzlich auftretenden Schwankungen der Prozessparameter (Druck, Temperatur, Stoffströme und -zusammensetzungen) können insbesondere bei Gasphasenprozessen erheblich sein. Die nachfolgende Stabilisierungs- und Einfahrphase muss deshalb der sicheren und optimalen Beherrschung und Einstellung des instationären Parameterverlaufes dienen.  Erfahrungsgemäß sind mindestens 3-5 Zyklen nötig, bevor sich ein quasi-kontinuierlicher Betriebszustand eingestellt hat. 6.3.2.7 Kolonnen  Kolonnen sind möglichst im Inselbetrieb, z.B. im totalen Rücklauf anzufahren. Dadurch werden schnell stationäre Bedingungen in der Kolonne sowie hohe Reinheiten des Kopf- und Sumpfproduktes erreicht. Die Gefahr der Spalt- und Nebenproduktbildung ist zu beachten. Typische Anfahrhandlungen einer Kolonne mit einfacher Kopf-Sumpf-Trennung sind im Beispiel 6.5 angegeben. Beispiel 6.5 Anfahren einer Rektifikationsanlage a) Technologische Anlagenbeschreibung (s. Abb. 6.30) Die Kolonne K1 dient zur Auftrennung des Einsatzproduktes in die Komponenten A (Destillat) und B (Sumpfprodukt). Die Produkte sind brennbar und bilden mit Luft explosible Gemische. Die Kondensation der Brüden erfolgt im Wasserkühler W2. Das kondensierte Kopfprodukt wird im Rücklaufbehälter B1 abgeschieden und mit der Pumpe P1 als Rücklauf (FIC 4) zurückgeführt bzw. als Destillat (FIS 2) aus der Anlage abgeführt. Am Behälter B1 ist eine Gasauskreisung nötig, die zugleich zur Druckregelung (PICA 1) genutzt wird. Die Kolonne wird über einen Naturumlauf-Verdampfer mit Dampf beheizt. Das Sumpfprodukt wird standgeregelt (LICA 1) mit der Pumpe P2 und über den Luftkühler W3 aus der Anlage gefördert.

6.3 Beginn der Heiß-Inbetriebnahme und Anfahren der Anlage

569

 Abb. 6.30 Verfahrensfließschema einer Rektifizieranlage (zu Beispiel 6.5)

b) Anfahrhandlungen Voraussetzung für die folgenden Maßnahmen ist eine abgenommene, dichte und inertisierte Anlage. (1)

Über die Anfahrfüllleitung (strichpunktierte Leitung) die Kolonne K1 mit Einsatzprodukt bis zu 60-70 % der Sumpfstandanzeige (LICA 1) füllen. (Motorschieber M in Einsatzproduktleitung schließen; Doppelabsperrung mit Zwischenentspannung auf Durchgang stellen; nach dem Füllen schließen). (2) Kopfkühler W2 und Umlaufverdampfer W1 in Betrieb nehmen. Sumpfprodukt auf Siedetemperatur (TI 3) aufheizen und langsam mit Verdampfung beginnen. (3) Kopftemperatur (TI 2) und Produktanfall im Rücklaufbehälter B1 (LICA 2) beobachten und bei 30-40 % Füllstand die Rücklaufpumpe P1 anfahren. (4) Druckregelung (PICA 1) am Kolonnenkopf von Hand in Betrieb nehmen. (5) In Abhängigkeit vom Abfall des Sumpfstandes (LICA 1) Einsatzprodukt über Füllleitung nachspeisen. (6) Kolonne bei totalem Rücklauf betreiben und stabile Betriebsbedingungen einstellen und beobachten. (7) Luftkühler W3 anfahren. (8) Einsatzproduktzuführung über Einlauf (FIC 1) beginnen. (9) Entsprechend den Ständen im Rücklaufbehälter (LICA 2) und im Sumpf (LICA 1) die beiden Zielprodukte aus der Anlage fördern. Zu diesem Zweck zuvor die Pumpe P2 anfahren. (10) Betriebsparameter in den geplanten thermischen und hydraulischen Nennbereich fahren.

570

6 Durchführung der Inbetriebnahme

(11) Regler schrittweise auf „Automatik“ nehmen und Reglerparameter einstellen. (12) Produktqualitäten kontrollieren und „einfahren“.  Wegen der Verschmutzungsgefahr sollten Kolonnen über separate Füllleitungen, die am Sumpfboden einbinden, gefüllt werden. Über diese Leitung kann zugleich Spülprodukt zum Reinigen der Kolonne zugeführt werden.  Der Sumpfstand sollte beim Füllen stets im Anzeigebereich sein (bei größerem Holdup öfter nachfüllen), da sonst die Gefahr besteht, dass Rückführstutzen vom Umlaufverdampfer oder der Sumpfboden geflutet werden und durch Dampfschläge mechanische Zerstörungen auftreten.  In Vorbereitung und Durchführung des Anfahrens muss die Kolonne stets im hydraulisch stabilen Arbeitsbereich betrieben werden. Abb. 6.31 zeigt schematisch das Arbeitsdiagramm eines Kolonnenbodens.

Abb. 6.31 Arbeitsdiagramm eines Kolonnenbodens (Praxisbeispiel) Legende: Kurve 1: Durchregnungsgrenze gegen Minimallast Kurve 2: Mitreißgrenze gegen Maximallast Kurve 3: Überflutungsgrenze gegen Maximallast Kurve 4: Minimal zulässige Flüssigkeitsbelastung gegen Minimallast Kurve 5: Maximal zulässige Flüssigkeitsbelastung gegen Maximallast

 Bei verringertem Kolonnendruck ergeben sich, trotz gleichem Norm-Dampfdurchsatz, größere effektive Gasvolumenströme, so dass eher die Mitreiß- bzw. Überflutungsgrenze erreicht werden kann. Umgekehrt kann u.U. durch Druckerhöhung ein Mitreißen bzw. Fluten beseitigt werden. Im Zweifel sollte zur Regulierung in der Brüdenleitung eine Drosselarmatur vorgesehen werden.  Bei der Rektifikation von Erdöl und analogen Produkten, die deutlich höher als Wasser sieden, besteht die Gefahr von „Wasserschlägen“, z.B. wenn beim Anfahren plötzlich Wasser aus vorhandenen „Rohrleitungssäcken“, Toträumen von Ventilen usw. in die heiße Kolonne gelangt.

6.3 Beginn der Heiß-Inbetriebnahme und Anfahren der Anlage

571

6.3.2.8 Prozessleittechnik inklusive Elektrotechnik Wegen des zunehmenden Automatisierungsgrades verfahrenstechnischer Anlagen wird das Anfahren der Prozessleittechnik (PLT) für einen planmäßigen Inbetriebnahmeablauf immer wichtiger. Dabei zeigt sich zu diesem Zeitpunkt, wie solide und umfassend  die Anfahrprozeduren und -tätigkeiten während der PLT-Planung beachtet wurden (s. Abschn. 2.3.8) und  die Funktionsprüfungen u.a. Tests der Prozessleittechnik gegen Ende der Montage (s. Abschn. 5.5.2.3) bzw. während der Kalt-Inbetriebnahme und gegebenenfalls Wasserfahrt (s. Abschn. 6.2.4) durchgeführt und festgestellte Mängel behoben wurden. Vorausgegangene, vermeintliche Zeit- und Kostenersparnisse, die mit Abstrichen bei der Erfüllung beider Aufgaben verbunden waren, rächen sich meistens beim Anfahren. Umgekehrt, wer in den Vorphasen gute Arbeit geleistet hat, dem dankt es jetzt die Anlage. Das Anfahren der Prozessleittechnik inkl. Elektro-, Nachrichten- und Prozessanalysentechnik muss alle Hard- und Softwarebestandteile, wie sie in Abschn. 5.5.2.2 und 5.5.2.3 strukturiert und beschrieben sind, umfassen sowie detailliert geplant und effizient organisiert werden. Einige konkrete Hinweise sind im Weiteren angeführt.  Existiert eine unternehmensweite Leitebenenstruktur, so sollten die einzelnen Ebenen schrittweise von unten nach oben angefahren werden. Das heißt, es wird möglichst mit der Feldleitebene und der Prozessleitebene begonnen. Die übergeordneten Betriebsleit- und Unternehmensleitebenen werden erst später, nachdem die unteren Leitebenen eingefahren sind, zugeschaltet. Am Beispiel einer diskontinuierlichen Mehrproduktanlage bedeutet dies, dass man die Prozessleittechnik in der Reihenfolge: Einzelgeräte → Regelkreisebene → Grundfunktionsebene → Grundoperationsebene → Rezeptebene → Kampagnenebene in Betrieb nimmt.  Der Inbetriebnehmer muss wissen, welche PLT-Sicherheits- und PLT-Funktionsprüfungen vor dem Anfahren auf Grund fehlender Original-Prozessbedingungen noch nicht bzw. nur eingeschränkt (z.B. simuliert) möglich waren. Diese Prüfungsrestpunkte sind möglichst wie folgt abzuarbeiten: rechtsrelevante Prüfungen → sonstige sicherheitsrelevante Prüfungen → sonstige Funktionsprüfungen. Bei der Inbetriebnahmeplanung muss dieser Sachstand realistisch, einschließlich vorhandener Unwägbarkeiten (contingency), beachtet werden. Risiken, die auf Grund der nicht erfolgten Prüfungen bestehen, müssen durch Sondermaßnahmen auf ein vertretbares Maß verringert werden.  Das Anfahren der Prozessleit- und Elektrotechnik sollte möglichst gemeinsam mit zugehörigen Prozessausrüstungen bzw. Teilanlagen (Package-units) stattfinden. Es ist unbedingt eine effektive interdisziplinäre Teamarbeit zu organisieren.  Die Anfahrspezialisten der Prozessleittechnik, auch von speicherprogrammierbaren Steuerungen einzelner Package-units, stellen nicht selten personelle Engpässe dar. Ihr Einsatz ist entsprechend genau und zuverlässig zu planen und abzusichern.  Konkrete Anfahrtätigkeiten von Komponenten der Feldleit- und Prozessleitebene sind in der Regel:

572

6 Durchführung der Inbetriebnahme

a) Feldgeräte  Öffnen der Messleitungen zu den örtlichen Anzeigegeräten sowie den Messumformern und Analysengeräten  Inbetriebnahme dieser Geräte nach Vorschriften der Hersteller  ggf. Alarm- und Grenzwerte kontrollieren  ggf. neu eichen, justieren, kalibrieren  Steuerluftversorgung von Regelarmaturen und Auf/Zu-Armaturen in Betrieb nehmen  Parameter-Grundeinstellung der Stellungsregler durchführen b) Prozessnahe Komponenten in Verbindung mit Bedienrechner  Regelungen zunächst „auf Hand“ in Betrieb nehmen  Steuerungen in Betrieb nehmen; Funktionstüchtigkeit der Rückmeldungen, z.B. über Endlagenschalter, prüfen  Überwachungsfunktionen in Betrieb nehmen Dabei ist das Überbrücken von Sicherheitsschaltungen (sog. Verriegelungen bzw. Abschaltungen) beim Anfahren z.T. nötig, sollte aber streng limitiert werden.  Anfahrsteuerungen (Schrittketten), möglichst ohne Simulation, schrittweise durchführen und in Betrieb nehmen  prozessspezifische Programmierungen schrittweise in Betrieb nehmen c) Bedienungsrechner / Wartentechnik  Überprüfung der prozessgetreuen Informationswidergabe  Überprüfung der Informationsdarstellung auf dem Monitor bzgl. Funktion und Zweckmäßigkeit; Vornehmen von Änderungen  schrittweise Protokollierung und Informationsverarbeitung  In der Phase des ersten Anfahrens der Anlage erfolgt häufig eine überwiegende „Handfahrweise“ der Regler. Ist die Regelfunktion in eine Anfahrschrittkette eingebunden, so muss der Regler gegebenenfalls auf Automatik angefahren werden. Entsprechend muss die Grundeinstellung der Reglerparameter möglichst treffend sein.  Eine besondere Bedeutung kommt vorhandenen Anfahrsteuerungen zu. In Anlagen, die häufig an- und abgefahren sowie in neue Betriebszustände umgefahren werden müssen (z.B. Blockheizkraftwerke für Spitzenlastbetrieb, Mehrproduktanlagen mit Batchprozessen), ist eine automatisierte Inbetriebnahme und ein automatischer Dauertrieb (z.B. eingebunden in PPS (Produktionsplanungs- und Steuerungssysteme) üblich. In Pharmaanlagen dient die komplexe Produktionsautomatisierung zugleich zur Gewährleistung einer reproduzierbaren Produktqualität. Betreffs der Erstinbetriebnahme sind zwei Varianten, z.T. auch gemischt, möglich:  Die Anfahr- bzw. Prozesssteuerung wird zunächst offline vom Mensch in Betrieb genommen. Der Mensch ist in der Regel am ehesten in der Lage, Unwägbarkeiten und Unvorhersehbares frühzeitig zu erkennen und sachgerecht zu reagieren. Natürlich können Teilfunktionen der Anfahrsteuerungen (z.B. Alarmierungen und Sicherheitsschaltungen) ihn dabei unterstützen. Der Normalfall wird in solchen Fällen sein, dass das Erstanfahren von Hand erfolgt und im Verlauf der späteren Heiß-Inbetriebnahme dann die automatische Anfahrsteuerung getestet und aktiviert wird.

6.3 Beginn der Heiß-Inbetriebnahme und Anfahren der Anlage

573

 Die Anfahr- bzw. Prozesssteuerung wird sofort online in Betrieb genommen; eventuell mit temporärer Programmierung von Haltepunkten. Wenn zuvor alle PLT-Sicherungseinrichtungen geprüft und scharf sind, so ist dies prinzipiell vertretbar, muss aber jeweils im Einzelfall (vorausgegangene Qualitätssicherungsmaßnahmen, Fehlerrisiko, Kostenrisiko, Umfang und Komplexität der Schrittkette usw.) entschieden werden. Insgesamt werden in verfahrenstechnischen Anlagen, sowohl traditionell bei BatchProzessen als auch verstärkt in Konti-Anlagen, immer mehr prozessgerichtete Schrittketten-Steuerungen realisiert. Für die betroffenen Planer und Systemlieferanten sowie Programmierer und Inbetriebnehmer ergeben sich daraus zunehmende Herausforderungen; sowohl im Engineering als auch während der Inbetriebnahme.  Hinweise zur Abnahme von Prozessleitsystemen sind in [23] enthalten. Die Aufgaben beim Einfahren der Regelkreise werden in Abschn. 6.5 dargestellt.  Das Anfahren elektrischer Komponenten umfasst u.a.:  Zu- und Abschalten der elektrischen Verbraucher,  Kontrolle des Anfahrstromes und ggf. der Wicklungstemperatur des Motors,  Kontrolle der Leistungsaufnahme und des Wirkungsgrades der elektrischen Verbraucher im Betriebszustand (z.B. gemäß Kennlinie),  Kontrolle der Motoren betreffs Unnormalitäten (Schwingungen, Geräusche),  Kontrolle des Betriebsverhaltens der Transformatoren unter Last,  Parametrierung von Frequenzumrichtern und Sanftstartern. 6.3.3 Anfahrbeispiel einer verfahrenstechnischen Anlage Die detaillierten Anfahrschritte einer konkreten verfahrenstechnischen Anlage sind in starkem Maße objektspezifisch. Sie sind ausgehend von den allgemeinen Grundsätzen (s. Abschn. 6.3.1), den Betriebsanleitungen der Einzelkomponenten sowie den sonstigen vertraglichen, personellen, betriebswirtschaftlichen u.a. Projektbedingungen zu gestalten. Im Einzelnen sind sie als Leitlinien (analog Beispiel 6.6) in der Inbetriebnahmeanleitung und u.U. als Anfahranweisungen im Betriebshandbuch aufzuschreiben. Das folgende Beispiel soll im Einzelfall die Vorgehensweise beim Anfahren einer verfahrenstechnischen Anlage kurz demonstrieren. Beispiel 6.6 Anfahren einer Anlage zur Reinigung eines wasserstoffhaltigen Raffineriegases Im Weiteren werden die wesentlichen Anfahrhandlungen einer Beispielanlage zur Reinigung eines wasserstoffhaltigen Raffineriegases (s. Beispiel 2.1, Abschn. 2.2 und Beispiel 4.6, Abschn. 4.5) auf Grundlage des vereinfachten R&I-Fließschema in Abb. 6.32 angeführt. 1 1.1

1.2

Füllen der Kolonne K101 mit Kohlenwasserstofffraktion Schließen von:  Blockarmaturen des Regelventils LICA 1302 in der Sumpfleitung K101.  Motorschieber M in der Leitung Sumpf K101 zum Einlauf K102. Öffnen von:  Armatur in Füllleitung von Saugseite P101/1,2 zur Sumpfleitung K101 (Zwischenentspannungsventil geschlossen!).  Umgang zum Regelventil LICA 1302 in der Sumpfleitung K101.

Abb. 6.32 Vereinfachtes R&I-Fließschema einer Anlage zur Reinigung von wasserstoffhaltigen Raffineriegas

574 6 Durchführung der Inbetriebnahme

6.3 Beginn der Heiß-Inbetriebnahme und Anfahren der Anlage

575

1.3

Durch Öffnen der 2. Armatur in der Füllleitung langsam Kohlenwasserstofffraktion in K101 bis zu 60 % Sumpfstand (Anzeige: LICA 1302) füllen. Danach Umgang des Regelventils LICA 1302 und Doppelarmatur in Füllleitung schließen sowie Zwischenentspannungsventil öffnen.

2 2.1

Füllen der Kolonne K102 mit Kohlenwasserstofffraktion Schließen von:  Umgang und Blockarmatur des Regelventils LICA 1302 in der Sumpfleitung K101. Öffnen von:  Motorschieber M in der Leitung Sumpf K101 zum Einlauf K102.  Armatur in Füllleitung von Saugseite P102/1,2 zur Sumpfleitung K101 (Zwischenentspannungsventil schließen!) Durch Öffnen der 2. Armatur in Füllleitung langsam Kohlenwasserstofffraktion bis zu einem Stand von 75 % (Anzeige: LICA 1303) in K102 füllen. Füllen der K102 beenden und Doppelarmatur in Füllleitung schließen sowie Zwischenentspannungsventil öffnen. Kontrollieren, dass Absprrventile dicht sind und kein Gas austritt.

2.2

2.3 2.4

3 3.1 3.2 3.3

4 4.1 4.2

4.3 4.4

Füllen des Sumpfkreislaufes der Kolonne K102 Pumpe P102/1 oder 2 in Betrieb nehmen (Kreiselpumpe mit geschlossenem Ventil in Druckleitung anfahren!). Absperrarmaturen im Kreislauf: K102  P10271,2  D101  K102 öffnen. Durch langsames Öffnen des Absperrventils in Druckleitung P102/1 oder 2 das Sumpfprodukt der K102 im Kreislauf fahren und somit den Sumpfkreislauf mit Kohlenwasserstofffraktion füllen. Nachfüllen der Kolonne K102 mit Kohlenwasserstofffraktion In Füllleitung von Saugseite P102/1,2 zur Sumpfleitung K101 das Zwischenentspannungsventil öffnen sowie eine Absperrarmatur öffnen. Durch Öffnen der 2. Absperrarmatur in Füllleitung langsam Kohlenwasserstofffraktion in die K102 bis zu einem Stand von 75 % (Anzeige: LICA 1303) nachfahren. Nachfüllen der K102 beenden und Doppelarmatur in Füllleitung schließen sowie Zwischenentspannungsventil öffnen. Motorschieber M in der Leitung Sumpf K101 zum Einlauf K102 schließen.

5

Anfahren des Ofens D101 (entsprechend Betriebsanleitung SUMPFAUFHEIZER D101)

6 6.1

Aufheizen des Inhaltes der Kolonne K102 Ofen D101 langsam entsprechend einer Aufheizgeschwindigkeit der Sumpftemperatur TI 1012 von maximal 20 °C/h hochfahren. Nach Erreichen der projektgerechten Sumpftemperatur TI 1012 den Ofen D101 zurückfahren und Sumpftemperatur konstant halten.

6.2 7

Inertisieren des Katalysators in Reaktoren B101/1,2 (Trotz erfolgter Inertisierung des Katalysators nach dem Einfüllen des Katalysators wird dieser Vorgang bei Normaltemperatur sicherheitshalber nochmals wiederholt (Gefahr eines evtl. erfolgten Drucklufteintrittes während der Inbetriebnahmevorbereitung!).

576

6 Durchführung der Inbetriebnahme

7.1 7.2

Absperrventile am Ein- und Austritt der Reaktoren B101/1 und 2 schließen. Stickstoff-Weg stellen: Anlagengrenze  K101  Bypass D102  Bypass B101/1,2  W101  Motorschieber M  ins Freie Probenahme Stickstoff am Anlageneingang und Einhaltung des Sauerstoffgehaltes von < 0,5 Vol.-% prüfen. Durch Öffnen des Absperrventils am Austritt und anschließend des Absperrventils am Eintritt langsam den Reaktor B101/1 in den Stickstoffstrom einbinden. Absperrventil in Bypass-Leitung zu den Reaktoren B101/1,2 schließen und Stickstoff-Durchsatz (Anzeige: FIS 1203) von ca. 800 m³ i.N./h einstellen. Durch Öffnen des Absperrventils am Austritt und anschließend des Absperrventils am Eintritt langsam den Reaktor B102/2 in den Stickstoffstrom einbinden. Reaktor B101/1 am Ein- und Austritt absperren. Reaktor B102/2 2 h lang inertisieren.

7.3 7.4 7.5 7.6 7.7 7.8 8

Anfahren des Ofens D102 (entsprechend Betriebsanleitung GASAUFHEIZER D102)

9 9.1

Trocknen des Katalysators im Reaktor B101/2 Mittels 80 °C heißem Stickstoff (Anzeige: TRCA 1003), einer Gasmenge von ca. 800 m³ i.N./h (FIA 1202) und einer Aufheizgeschwindigkeit von maximal 20 °C/h die Katalysatorschüttung im Reaktor B101/2 auf annähernd konstant 80 °C aufheizen (Anzeige: TR 1017). Katalysatorschüttung im Reaktor B101/2 15 h lang bei 80 °C trocknen.

9.2

10 Trocknen des Katalysators im Reaktor B101/1 10.1 Durch Öffnen des Absperrventils am Austritt und anschließend des Absperrventils am Eintritt langsam den Reaktor B101/1 in den 80 °C heißen Stickstoffstrom einbinden 10.2 Reaktor B101/2 am Ein- und Austritt absperren. 10.3 Katalysatorschüttung im Reaktor B101/1 mit einer Stickstoff-Gasmenge von ca. 800 m³ i.N./h und maximal 20 °C/h Aufheizgeschwindigkeit auf annähernd konstant 80 °C aufheizen (Anzeige: TR 1016). 10.4 Katalysatorschüttung im Reaktor B101/1 15 h lang bei 80 °C trocknen. 10.5 Motorschieber M (Entspannung ins Freie) schließen. 11 Füllen des Gasweges mit Wasserstoff 11.1 Öffnen des Absperrventils im Bypass zu den Reaktoren B101/1,2 und Absperren des Reaktors B101/1 am Ein- und Austritt. 11.2 Schließen der Armatur in Stickstoff-Einspeiseleitung. 11.3 Langsames Öffnen der Armatur in der Wasserstoff-Frischgas-Einspeise-leitung. Den Wasserstoff-Frischgas-Weg: Anlagengrenze  K101  D102  Bypass B101/1,2  W101  Druckventil PICA 1105 auf einen Druck von 2,8 MPa (Anzeige: PICA 1105) auffüllen. 11.4 Wasserstoff-Frischgasdurchsatz von 800 m³ i.N./h (Anzeige: FIS 1203) und mittels PICA 1105 den Gasdruck in Anlage auf 2,8 MPa konstant regeln. 12 Anfahren des Waschmittelkreislaufes 12.1 Luftkühler W103 in Betrieb nehmen. 12.2 Leitungsweg vom Sumpf K101 zum Einlauf K102 durchstellen (Motorschieber M u.a. Absperrarmaturen öffnen!).

6.3 Beginn der Heiß-Inbetriebnahme und Anfahren der Anlage

577

12.3 Durch Öffnen des Bypassventils zum Regelventil LICA 1302 (Sumpf K101) eine Teilmenge Kohlenwasserstofffraktion aus K101 in K102 fahren (Sumpfstände K101 und K102 beachten!). 12.4 Leitungsweg von Druckseite P102/1 oder 2 über W102/1-3 und W103 durchstellen, so dass auf der Saugseite der P101/1,2 Kohlenwasserstofffraktion anliegt (Anzeige: PIR 1106). Leitungsweg bleibt eingedrosselt. 12.5 Die Produkttemperatur am Austritt Luftkühler W103 muss unter 60 °C liegen (Anzeige: TI 1015). 12.6 Pumpe P101/1 oder 2 mit geschlossener Armatur in Druckleitung in Betrieb nehmen. 12.7 Motorschieber M in Leitung von Pumpe P101/1,2 zum Einlauf K101 öffnen. 12.8 Mittels Öffnen des Mengenregelventils FICAE 1201 den Waschmittelkreislauf in Betrieb nehmen. 12.9 Sumpfstandregelung K101 (Anzeige LICA 1302) in Betrieb nehmen. Bypass zum Regelventil schließen. 12.10 Einstellen der projektgerechten Waschmittelmenge (Anzeige: FICAE 1201) mittels der Einspritzmengenregelung (noch gedrosselte Handarmaturen im Waschmittelkreislauf sind gegebenenfalls zu öffnen!). 12.11 Einstellen der projektgerechten Temperatur im Waschmittelkreislauf, insbesondere der Gastemperatur am Kopf der Kolonne K101 (Anzeige: TI 1002) und der Sumpftemperatur der Kolonne K102 (Anzeige: TI 1012) mittels des Ofens D101 und des Luftkühlers X101. Temperatur auf Saugseite der Pumpe P101/1,2 von kleiner 60 °C einhalten! 13 13.1

13.2

13.3 13.4

13.5

Aktivieren des Katalysators im Reaktor B101/1 Gasprobenahme am Kopf der Kolonne K101 entnehmen und auf Einhaltung des maximal zulässigen H2S-Gehaltes überprüfen. (Katalysator in den Reaktoren B101/1,2 ist schwefelempfindlich.) Falls zulässiger H2S-Grenzwert unterschritten, dann durch Öffnen des Absperrventils am Austritt und anschließend am Eintritt den Reaktor B101/ 1, 2 in den Wasserstoff-Gasstrom einhängen. Absperrarmatur im Bypass zu den Reaktoren B101/1,2 schließen. Durch Hochfahren des Ofens D102 und gleichzeitig Bypass-Temperaturregelung auf eine Gasaustrittstemperatur von maximal 200 °C (Anzeige: TRCA 1003) die Katalysatorschüttung im Reaktor B101/1 mit Wasserstoff-Frischgasdurchsatz von 800 m³ i.N./h (Anzeige: FIS 1203) und maximal 20 °C/h Aufheizgeschwindigkeit auf annähernd konstant 170 °C (Anzeige: TR 1016) aufheizen. Katalysatorschüttung im Reaktor B101/2 20 h lang bei 170 °C aktivieren (Temperaturerhöhung in Schüttung beachten!).

14 Aktivieren des Katalysators im Reaktor B101/2 14.1 Durch Öffnen des Absperrventils am Eintritt und anschließend des Absperrventils am Austritt langsam den Reaktor B101/2 in den 200 °C heißen WasserstoffGasstrom einhängen. (Zwecks Einhaltung einer maximal zulässigen Aufheizgeschwindigkeit von 20 °C/h eventuell den Ofen D102 und die Gastemperatur TRCA 1003 herunterfahren!) 14.2 Absperrarmatur am Ein- und Austritt des Reaktors B101/1 unter Beachtung der Katalysatortemperatur im Behälter B101/2 (Anzeige: TR 1017) langsam schließen.

578

6 Durchführung der Inbetriebnahme

14.3 Mit einer maximalen Wasserstoff-Gastemperatur am Eintritt des Reaktors B101/2 (Anzeige: TRCA 1003) von 200 °C Katalysatorschüttung im Reaktor B101/2 mit Wasserstoff-Frischgasdurchsatz von 800 m³ i.N./h (Anzeige: FIS 1203) und maximal 20 °C/h Aufheizgeschwindigkeit auf annähernd konstant 170 °C (Anzeige: TR 1017) aufheizen. 14.4 Katalysatorschüttung im Reaktor B101/2 20 h lang bei 170 °C aktivieren (Temperaturerhöhung in Schüttung beachten!). 15 Einstellung der Betriebsparameter des Dauerbetriebes 15.1 Einstellen des Sollwertes für den Druckregler PICA 1105 entsprechend einem Druck am Kopf der Kolonne K101 (Anzeige: PI 1102) von 2,8 MPa. 15.2 Einstellen eines Wasserstoff-Frischgasdurchsatzes von 600 m³ i.N./h (Anzeige: FIS 1203) mittels des Drosselventils in der Wasserstoff-Frischgas-leitung. 15.3 Einstellen einer Katalysatortemperatur von 180 °C im Reaktor B101/2 (B101/1 ist als Wechselreaktor nicht in Betrieb!) mittels der regelbaren Gaseintrittstemperatur (Anzeige: TRCA 1003). 16 Qualitätskontrolle des Wasserstoff-Gases (gereinigt) 16.1 Entnahme einer Gasprobe vom Wasserstoff-Gas (gereinigt) und Bestimmung der Kennwerte. 16.2 Prüfung der ermittelten Kennwerte auf Einhaltung der vertraglich zu garantierenden Kennwerte. Eine Netzplandarstellung der 16 Anfahrschritte aus Beispiel 6.6 ist in Abbildung 6.33 zu sehen.

 Abb. 6.33 Netzplandarstellung der Anfahrvorschrift für die Anlage zur Reinigung eines wasserstoffhaltigen Raffineriegases gemäß Beispiel 6.6

Der Netzplan und die zeitliche Abfolge der Anfahrschritte sind sehr linear. Von den insgesamt 16 Vorgängen liegen 9 Vorgänge auf dem kritischen Weg. Das heißt, ihre Pufferzeit ist Null und Verzögerungen wirken, ohne dass Beschleunigungsmaßnahmen

6.3 Beginn der Heiß-Inbetriebnahme und Anfahren der Anlage

579

ergriffen werden, direkt auf den Endtermin und die Inbetriebnahmekosten (s. Ausführungen in Abschn. 4.6.2 zum Troubleshooting). Eine derartige Situation ist typisch während der Inbetriebnahmedurchführung und insbesondere während der Heiß-Inbetriebnahme verfahrenstechnischer Anlagen. Ferner ergibt sich aus dem Netzplan in Abb. 6.33 eine Gesamt-Anfahrzeit (Summe der Vorgänge auf dem kritischen Weg) für die relativ kleine Anlage von insgesamt 132 h bzw. 5,5 Tagen. Die Trocknung der beiden Öfen war bereits vor dem Anfahrstart erfolgt. Vor allem wird deutlich, dass die Vorbehandlung des Entschwefelungs- und Methanisierungskatalysators zeitaufwendig ist. 6.3.4 Besonderheiten bei Winterbedingungen Bei Anlagen in Freibauweise müssen zahlreiche Ausrüstungen unter Umgebungsbedingungen angefahren werden. Je nach der geographischen Lage und Jahreszeit kann dies Frost bis zu 40 °C bedeuten. Die Auswirkungen der Winterbedingungen sind erheblich und umfassen schwerpunktmäßig folgende Maßnahmen:  Das Dampf- und Kondensatsystem muss vor seiner Inbetriebnahme mit Luft oder Stickstoff auf Temperaturen größer 0 °C vorgewärmt werden. Die Verbindungsleitungen zwischen beiden Systemen und Bypassarmaturen sind beim Vorwärmen zu öffnen. Eventuell kann die Heißluft mittels eines Prozessverdichters erzeugt werden. Analoges gilt für die Beheizungen von Apparaten und Rohrleitungen, die nach ihrer Vorwärmung zügig in Betrieb zu nehmen sind.  Intensive Überwachung der Heizsysteme einschließlich Zu- und Abführung sowie Gewährleistung ihrer Funktion. Dazu gehören beispielsweise:  Sofortiges Entleeren und Ausblasen von Systemen der Beheizung, die außer Betrieb gegangen sind.  Die Entleerungsleitungen an den Endpunkten von Wasser-, Heizwasser- und Kondensatleitungen sind bei Außentemperaturen von gleich oder kleiner als 0 °C soweit zu öffnen, dass in den betreffenden Rohrleitungsabschnitten eine Strömung erzeugt wird.  Die Kondensatableitung aus den Dampfsystemen an Endpunkten oder vor Anstiegen ist notfalls durch Öffnen der Bypassarmaturen der Kondensatableiter zu gewährleisten.  Bei Außerbetriebnahme oder Produktionsunterbrechung sind die von Kühlwasser durchströmten Kühler wasserseitig auf Strömung zu halten. Das gleiche gilt für das gesamte Dampf- und Kondensatsystem (einschließlich für die mit Dampf beaufschlagten Apparate und Begleitheizungssysteme).  Die Arbeitsluft- und Stickstoffsysteme sowie gegebenenfalls auch das Instrumentenluftsystem sind mehrmals pro Schicht über die vorhandenen Entwässerungseinrichtungen zu entleeren.  Bei Ausfall der Zufuhr von Rückkühl- oder Frischwasser sind die damit durchströmten Kühler sofort zu entleeren, mit Arbeitsluft auszublasen und die Entleerungsstutzen bis zur Wiederinbetriebnahme offenzuhalten.  Bei Ausfall von Dampf ist das gesamte Dampf- und Kondensatsystem (einschließ-

580

6 Durchführung der Inbetriebnahme

lich Begleitheizungen und mit Dampf beaufschlagte Apparate) sofort zu entleeren, mit Arbeitsluft auszublasen und die Entleerungsstutzen bis zur Wiederinbetriebnahme offen zu halten.  Reserve-Kreiselpumpen, die nicht entleert werden können, sind mindestens einmal pro Schicht für 20 min zu fahren (über Umgang bzw. gegen geschlossenen Druckschieber).  Ein eventuell vorhandener Glysantinkreislauf für die Stopfbuchsen-Kühlungen der Pumpen ist bei Betriebsunterbrechungen oder bei Außerbetriebnahme der Anlage weiter zu betreiben.  Die Temperaturabhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit gemäß der Regel von van`t Hoff (ca. die 2 bis 3fache aller 10 K) ist im Sonderfall (z.B. biologische Kläranlage) zu beachten.  Die veränderten Wärmeverluste an die Umgebung sind, insbesondere bei großer parametrischer Empfindlichkeit bezüglich der Temperatur, zu berücksichtigen.  Die Temperaturabhängigkeit der Stoffeigenschaften (Taupunkt- und Kondensationstemperatur, Stockpunkt, Gefrierpunkt, Fließfähigkeit) ist insbesondere bei Inbetriebnahme der Prozessanlage zu beachten. Zum Beispiel können Prozessgase (z.B. Propan, Ammoniak) gegebenenfalls in der kalten Anlage bei den Funktionsprüfungen bzw. beim Anfahren kondensieren oder Flüssigkeiten gefrieren und gravierende Störungen verursachen.  Die Einhaltung der Herstellerbedingungen für Lagerung und Handling der Katalysatoren, Adsorbentien u.a. spezieller Stoffe bzw. Betriebsmittel erfordert zusätzliche Vorkehrungen und Maßnahmen. Die meisten Schüttgüter neigen zur Aufnahme von Feuchtigkeit und dürfen deswegen nicht unterhalb 0 °C abgekühlt werden.  Die Temperaturabhängigkeit der Werkstoff-Festigkeitskennwerte muss beachtet werden. Dies betrifft vorrangig die Kerbschlagzähigkeit bei metallischen Werkstoffen aus C-Stahl oder niedriglegierten Stählen, die sich bei Temperaturen unter 15 °C teilweise erheblich verringert. Die Folge davon kann sein, dass der Apparatehersteller den zulässigen Betriebsüberdruck und somit auch den zulässigen Anfahrdruck bei tiefen Temperaturen absenkt. Abbildung 6.34 veranschaulicht beispielhaft die Absenkung des zulässigen Anfahrdruckes auf p2 bei Lufttemperaturen kleiner als T 1. Andere Stufungen bzw. Druck-Temperatur-Funktionen sind möglich. Die Größen T1, p2 sowie T2, p1 sind für die relevanten Apparate und Werkstoffe durch den Hersteller vorzugeben. Erfahrungsgemäß sind bei zähen Werkstoffen (z.B. hochlegierte austenitische Stähle) tiefere Grenztemperaturen T2 (bei dem vorgegebenen Nenndruck) zulässig als bei weniger zähen Werkstoffen (z.B. niedriglegierte CrMo-Stähle). Für den Inbetriebnehmer kann die Absenkung des zulässigen Anfahrdruckes sehr problematisch sein, insbesondere wenn derartige Anfahrbedingungen (sog. WinterInbetriebnahme) im Engineering (s. Abschn. 2.3.1) nicht berücksichtigt wurden. Er muss mit Hilfe operativer Maßnahmen die Anlage zunächst bei geringem Druck anfahren und kann erst später, sobald sich die Ausrüstung erwärmt hat, den normalen Betriebsdruck einstellen.

6.4 Stabilisieren und Hochfahren der Anlage Apparatedruck p bar

zulässiger Betriebsdruck

B

p

1

p

581

zulässiger Anfahrdruck

2

T1

T2

Temperatur T °C

Abb. 6.34 Verringerter zulässiger Anfahrdruck von Apparaten bei einer Winterinbetriebnahme (Praxisbeispiel) T1: Lufttemperatur, bei der der Apparat (Grundwerkstoff und Schweißverbindung) nur beim verminderten Betriebsdruck p2 einsetzbar ist. T2: Minimale Lufttemperatur, bei der das Anfahren unter dem Druck p 1 zulässig ist.

 Bei Stilllegung des Apparates im Winter muss bei einer Abkühlung des Apparates unter T1 ebenfalls die Druckabsenkung auf p2 erfolgen und diese Maßnahme im Engineering beachtet werden.  Temperatur- und Druckänderungen an Ausrüstungen dürfen nicht schlagartig erfolgen. Vom Hersteller sind zulässige stündliche Temperatur- und Druckänderungen bei Winterbetrieb vorzugeben.

6.4 Stabilisieren und Hochfahren der Anlage Nach dem Anfahren zeigen sich meistens eine Reihe von technisch-technologischen Schwachstellen, die möglichst bei laufendem Anlagenbetrieb zu beheben sind. Eine Abstellung sollte nur dann erfolgen, wenn sie nach kollektiver Beratung, einschließlich der Führungs- und Sicherheitskräfte des Betreibers, unvermeidbar ist. Jede Abstellung belastet nicht nur das Zeit- und Kostenbudget, sondern verkürzt (mehr oder weniger) die Lebensdauer der Ausrüstungen. Ferner muss der nicht unproblematische Anfahrvorgang wiederholt werden. Batch-Prozesse sind in dieser Beziehung einfacher, da nach jedem Zyklus/Charge vergleichsweise günstige Möglichkeiten zur Schwachstellen-/Störungsbeseitigung gegeben sind. Beim Stabilisieren des Anlagenbetriebes, das meistens bei 60 – 70 % der Nennlast erfolgt, ist schwerpunktmäßig ein wirtschaftliches und schonendes Betriebsverhalten der Ausrüstungen im Teillastbereich zu erreichen. In jedem Fall muss zuvor geprüft werden, ob die angestrebte Teillastfahrweise technisch zulässig (z.B. mögliche Instabilitäten) und wirtschaftlich ist. Das Beispiel 6.7 zeigt eine gravierende Auswirkung bei Teillastfahrweise.

582

6 Durchführung der Inbetriebnahme

Beispiel 6.7 Schäden in Rauchgasreinigungsanlagen durch Taupunktunterschreitung im Teillastbereich Rauchgasreinigungsanlagen dienen u.a. zur Entfernung von Staub, Schwefeldioxid und Stickoxiden aus dem Rauchgas. Da im Rauchgas  auch gasförmiges Wasser vorhanden ist und  sich das Rauchgas in der Anlage abkühlt, besteht prinzipiell die Gefahr einer Taupunktunterschreitung, bevor die Schadstoffe aus dem Rauchgas abgeschieden sind. Dies kann zu a) Säurekorrosion an metallischen Bauteilen (s. Abb. 6.35) und b) Verschlammung/Verklebung der Staubascheidung (z.B. im Elektrofilter) führen.

Abb. 6.35 Säure-Korrosion in einer Rauchgas-Reinigungsanlage wegen Unterschreitung des Taupunkts im Teillastbetrieb

Dem Anlagenplaner ist diese Gefahr bekannt und er berücksichtigt sie in jedem Fall beim Engineering der Anlage für den Nennzustand.  Was der Planer aber gegebenenfalls nicht berücksichtigt hat, ist die Tatsache, dass sich bei Teillastfahrweise der Rauchgasreinigungsanlage die Gefahr einer Taupunktunterschreitung im Rauchgas erhöht. Der Grund ist folgender: Bei Teillastfahrweise verringert sich die heiße Rauchgasmenge und damit der absolute Energieeintrag in die Anlage. Gleichzeitig bleiben aber die Wärmeverluste an die Umgebung, die in der vorhandenen Anlage stark vom T zwischen Rauchgas- und Umgebungstemperatur abhängig sind, nahezu unverändert. In Folge dessen kühlt sich die geringere Rauchgasmenge weiter ab und erreicht u.U. den Taupunkt. Das kondensierte Wasser bildet zusammen mit dem im Rauchgas enthaltenen Schwefeldioxid eine korrosive Schwefelige Säure (H2SO3) bzw. mit den Rußund/oder Aschepartikeln einen anhaftenden Schlamm. Die gravierende Auswirkung der Säurekorrosion zeigt Abbildung 6.35.  Spezifische Maßnahmen, um einen Teillastfahrweise der Gesamtanlage einzustellen und aufrecht zu erhalten, sind:  die Einstellung der Pumpgrenz-Regelung bei Turboverdichtern,  die Saugdrossel-Regelung bei Gebläsen und Turboverdichtern,  die teilweise Brennerabschaltung an Öfen und Kesseln,

6.4 Stabilisieren und Hochfahren der Anlage

583

 die Einstellung eines hydraulisch stabilen Arbeitspunktes bei Kolonnen,  die Beobachtung und Steuerung einer eventuell überhöhten Anfangsaktivität bei reaktiven Prozessen,  das Vermeiden von unerwünschter Nebenproduktbildung, die insbesondere bei stark verweilzeitabhängigen Prozessen gegeben ist. Die Bypass-Leitungen um Prozessstufen bzw. Ausrüstungen sind alle zu schließen.  In chemischen Prozessen ist eine Teilastfahrweise beispielsweise eingeschränkt, wenn das Zielprodukt über eine selektive Folgereaktion erzeugt wird. In diesem Fall wäre im Teillastbereich die Verweilzeit im Reaktor zu lang und die Menge (Ausbeute) des gewünschten Zielprodukts zu gering.  Durch Kontrollgänge vor Ort sind folgende Anlagenzustände zu kontrollieren und gegebenenfalls Verbesserungsmaßnahmen einzuleiten:  Die einzelnen Verfahrensparameter sollen im Anzeigebereich der Feldtechnik sowie möglichst im Zielbereich liegen. Unerwünschte Prozessschwankungen sind zu unterbinden. Die automatische Prozessführung ist noch eingeschränkt.  An Kreisel- und Axialpumpen können im Teilastbereich die Kavitation oder andersartige Verwirbelungen bzw. Ablösungen vom Laufrad begünstigt sein. Sie sind deshalb bei Teillastfahrweise gezielt zu kontrollieren.  Technisch ist die Anlage durch Inspektionen vor Ort ständig auf Leckagen zu kontrollieren. Undichten sind durch das zuständige Montage- bzw. Instandhaltungspersonal umgehend zu beseitigen. Kritische Flansche sind unter Umständen, sobald sie Betriebstemperatur haben, nachzuziehen.  An Maschinen ist akustisch sowie durch Schwingungsmessungen die Laufruhe zu überwachen. Analoges gilt auch für Rohrleitungen. Eine Übersicht wichtiger Richtlinien und Normen zur Schwingungsproblematik an Maschinen enthält Tabelle 6.11. Ausführlichere Angaben sind in [24] enthalten. Tabelle 6.11 Ausgewählte Richtlinien und Normen zu Schwingungen an Maschinen VDI 2059

Blatt 1: Wellenschwingungen von Turbosätzen Blatt 2: Wellenschwingungen von Dampfturbosätzen für Kraftwerke Blatt 3: Wellenschwingungen von Industrieturbosätzen Blatt 4: Wellenschwingungen von Gasturbosätzen

DIN ISO 7919

Mechanische Schwingungen von Maschinen mit Ausnahme von Kolbenmaschinen – Messung und Bewertung von Wellenschwingungen

DIN ISO 10816 Mechanische Schwingungen – Bewertung der Schwingungen von Maschinen durch Messung an nichtrotierenden Teilen DIN ISO 45670 Wellenschwingungs-Messeinrichtung  Anforderungen an eine Messeinrichtung zur Überwachung der relativen Wellenschwingung DIN ISO 3945

Mechanische Schwingungen großer rotierender Maschinen mit Drehzahlen zwischen 10 s-1 und 200 s-1  Messung und Beurteilung der Schwingungsstärke am Aufstellungsort

 Die Halterungen (Los-/Festlager, Konstant-/Federhänger) der Rohrleitungen sind auf Verschiebungen u.ä. zu kontrollieren.  Die Schallemissionen in der Anlage sowie an der Anlagengrenze sind zu kontrollieren, u.U. auch zu messen, und mit den Emissionsgrenzwerten abzugleichen.

584

6 Durchführung der Inbetriebnahme

Sofern die Anlage stabil arbeitet und auch die sonstigen Voraussetzungen, wie Produktabsatz, Logistik, Lagerkapazität usw., gegeben sind, kann der Anlagendurchsatz weiter gesteigert werden. Das Hochfahren der Anlage auf Nennlast geschieht in der Regel stufenweise. Zum Beispiel in 10 %-Schritten mit Haltepunkten, um einen quasistationären Anlagenzustand abwarten und prüfen zu können. Auch hier gilt sinngemäß der Grundsatz: „In der Ruhe liegt die Kraft!“. Die zum Teil erhebliche Zeitverzögerung im Übertragungsverhalten großtechnischer Anlagen sowie die zu Instabilitäten neigenden Stoff- und Energierückkopplungen, sind zu beachten. Neben den zuvor beschriebenen Kontrollmaßnahmen nach dem Anfahren stehen beim „Hochfahren“ die möglichen Kapazitätsengpässe in der Anlage im Fokus. Die vermuteten hydraulischen Engpässe (bottlenecks) sowie die kritischen Prozessparameter, die im Nennfall nicht weit weg von ihren zulässigen Grenzwerten liegen, sind beim Einstellen des Nenndurchsatzes sorgfältig zu beobachten. Das Inbetriebnahmepersonal muss bei Soll-Ist-Abweichungen zielgerichtet reagieren. Der erfahrene Inbetriebnahmeleiter/-ingenieur hat sich bereits vor dem Hochfahren über die möglichen Engpässe der Anlage „schlau gemacht“. Das Hochfahren erfolgt noch überwiegend „von Hand“. In Anlagen, die z.B. mittels Schrittketten-Steuerungen automatisch angefahren und/oder betrieben werden, erfolgt meistens auch das Hochfahren automatisch mit Hilfe der Steuerung, gegebenenfalls mit wenigen Eingriffsmöglichkeiten durch den Bediener. Bei Batch-Prozessen kann das Hochfahren auf Nennlast beispielsweise verbunden sein mit der  Verkürzung der Stillstandszeit zwischen den Chargen und somit einer Erhöhung der Chargenanzahl pro Zeitraum,  Verringerung der Zyklus- bzw. Chargenzeit, z.B. durch veränderte Prozessparameter (Rezeptur),  Erhöhung des Füllungsgrades von Rührkesseln u.a. kapazitätsbestimmender Anlagenkomponenten,  Steigerung der Endproduktausbeute, z.B. durch eine selektivere Reaktionsführung oder Produkttrennung.

6.5 Einfahren der Anlage Dem Einfahren der verfahrenstechnischen Gesamtanlage eine besondere Bedeutung zu, indem erstmals der bestimmungsgemäße Nennzustand der Anlage eingestellt und erprobt wird. Gleichzeitig werden andere Aufgaben und Zielstellungen der Inbetriebnahme realisiert (s. Abschn. 1.3). Daraus resultieren folgende Arbeitsschwerpunkte: a) Anlage voll in den geplanten Nennzustand fahren  Dies betrifft insbesondere die mechanische Funktion, die Anlagenkapazität sowie alle Betriebsparameter einschließlich der Produktqualitäten.  Die Vorgabe der Nennbereiche aller Parameter (z.B. in Form zulässiger Minimal- und Maximalwerte) kann beispielsweise in der Inbetriebnahmeanleitung (Spezifikation des Bestimmungsgemäßen Betriebs) erfolgen (s. Abschn. 3.5.2.2).

6.5 Einfahren der Anlage

585

 Zeitbestimmend für das Erreichen des Nennzustandes ist meistens die Einstellung der vorgegebenen Mengen und Qualitäten bezüglich der End-, Neben- und Abprodukte. ▪ Dieser Vorgang dauert bei großen Konti-Anlagen nicht selten mehrere Tage bis Wochen, da selbst bei konstanten Eingangs- und Prozessparametern der Einstellvorgang langsam verläuft. ▪ Bei Produkten, deren Eigenschaften sich durch geringe Schmutzmengen signifikant verschlechtern, muss die Anlage erst mit dem Produkt „saubergefahren“ werden. ▪ In anderen Fällen findet ein sog. Einfahrvorgang (z.B. der Katalysatoraktivität) statt, der stabile Produktqualitäten erschwert. ▪ Schließlich sind zunehmend biotechnologische Verfahren bekannt, bei denen die Einstellung stationärer Bedingungen mitunter länger dauern kann. Ungeduld ist deshalb fehl am Platze. Ein Qualitätseinbruch ist schnell herbeigeführt, während das Wiedererreichen der Produktqualität mehrere Tage dauern kann.  Typisch für Pharmaanlagen sind die sog. Reinigungsvalidierung (s. Abschn. 1.5.4), mit der mitunter während des Einfahrens begonnen wird. Dabei wird durch wiederholte Durchführung definierter Reinigungsprozeduren der formale und systematische Nachweis erbracht, dass in der Anlage reproduzierbar die erforderliche Reinheit erreicht wird.  Voraussetzung für die beschriebenen Arbeiten zur Produktqualitätssicherung ist eine funktionsfähige Prozess- und Laboranalysentechnik. Qualitätsrelevante Messstellen müssen sehr sorgfältig auf Genauigkeit und Reproduzierbarkeit überprüft und gegebenenfalls (z.B. Pharmaanlagen) vorschriftsgemäß validiert werden. b) Einstellen und Nachweis der zulässigen Emissionsgrenzwerte  Die Einhaltung der zulässigen Grenzwerte für Luftverunreinigungen, Schall u.a. Emissionen (s. Abschn. 3.4.3), wie sie im Genehmigungsbescheid in den zugehörigen Nebenbestimmungen angeführt sind, ist eine wesentliche Voraussetzung für den Anlagenbetrieb.  Die Messung und Registrierung der genehmigungsrelevanten Emissionsparameter muss von Anfang an gerichtsfest erfolgen, um die Einhaltung der zulässigen Grenzwerte zu jedem Zeitpunkt des bestimmungsgemäßen Anlagenbetriebs nachweisen zu können (s. auch Abschn. 3.3.2.2, Buchst. e)).  Neben den Luftverunreinigungen sind insbesondere die Grenzwerte für Schallemissionen zu beachten und einzuhalten. Zu diesem Zweck sind die Schallemissionen an den definierten Messpunkten, z.B. an der Anlagengrenze, zu messen. Auch eine Messung der Schallimmission, z.B. Messpunkt in einem nächstgelegen Wohngebiet, kann notwendig sein. Bei Überschreiten der zulässigen Schallgrenzwerte wird empfohlen: ▪ Zunächst sollte die Ursache (z.B. Drosselvorgang im Regelventil oder Resonanzschwingung am Ansaugkanal des Steuerluft-Verdichters) gesucht und beseitigt werden. Die Einbeziehung von Spezialisten ist sehr ratsam. Mitunter kann durch Einbau einer Drosselscheibe oder durch zusätzliche bzw. veränderte Rohrleitungshalterung eine einfache Lösung gefunden werden. ▪ Dem Phänomen des Körperschalls und der Körperschall-Entkopplung sollte in Freianlagen, aber auch Inhouseanlagen, größere Aufmerksamkeit gewidmet werden (s. Beispiel 6.8).

586

6 Durchführung der Inbetriebnahme

Beispiel 6.8 Unzulässige Schallemissionen durch Körperschall Während des Einfahrens der obertägigen Anlagen eines Erdgasspeichers wurde durch Messung festgestellt, dass die Schallemissionswerte an der Anlagengrenze den im Genehmigungsbescheid vorgegebenen Grenzwert von < 45 dB(A) übersteigen. Die Schallanalyse eines spezialisierten Ingenieurbüros ergab, dass die Schallemissionen primär durch Strömungsgeräusche (Strömungsturbulenzen) des komprimierten Erdgases in Rohrleitungen verursacht wurden. Die akustischen Schwingungen im Gas wurden über die Rohrhalterung (-lager) auf den Stahlbau übertragen und bewirkten einen Körperschall (s. Abb. 6.36, links). Die große Oberfläche der Stahlbauteile verstärkte die Schallemission; wie ein Geigenkasten. Die Problemlösung war einfach möglich, indem die messtechnisch identifizierten Los- und Festlager durch Einbau einer elastischen Platte (Elastomer) körperschallentkoppelt wurden (s. Abb. 6.36, rechts).

 Abb. 6.36 links: Rohrleitungshalterung rechts: Körperschall-Entkopplung am Loslager (oben) und Festlager (unten)

c) Analyse und Optimierung der Regelungen und Frequenzumrichter sowie Übernahme der Regelungen auf Online-Betrieb  Während des anfänglichen Anlagenbetriebs zeigt sich oft, dass einige Prozessparameter unzulässig schwanken und/oder zu große Regelabweichungen aufweisen. Zu diesem Zweck sind die einzelnen Regelkreise ganzheitlich zu analysieren und bezüglich der Reglerparameter und der Stellglieder (Aktoren) sowie mitunter auch der Messglieder (Sensoren) und der Regelungsstruktur weitgehend zu optimieren.  Leider sind in vielen Anlagenverträgen keine zulässigen Regelabweichungen (Analoges gilt für Soll-Ist-Abweichungen bei Steuerungen) vereinbart, sodass strittig ist, ob die vorgenannten Optimierungen noch eine vertragliche Bringeschuld des Auftragnehmers oder eine über den Vertrag hinausgehende betriebliche Optimierung ist. Als Kompromiss werden diese Arbeiten meistens in Teamarbeit von Auftragnehmer und Auftraggeber durchgeführt, wobei jeder Partner seine Kosten selber trägt.

6.5 Einfahren der Anlage

587

 Während der Analyse der Regelabweichungen wird in vielen Fällen deutlich, dass die voreingestellten Reglerparameter nicht vorteilhaft sind und dementsprechend optimiert werden müssen. Man spricht in diesem Zusammenhang von „Optimierung der Reglereinstellungen“ bzw. von „Regler-Tuning“.  Die Regleroptimierung erfolgt durch PLT-Ingenieure mit langjähriger Berufserfahrung und in enger Zusammenarbeit mit dem Verfahrenstechniker. Einige Faustregeln zum Verhalten und Einsatz der verschiedenen ReglerGrundtypen enthält Tabelle 6.12. Beim Regler-Tuning werden diese Grundsätze sowie die Berufserfahrung genutzt, um in vielen Fällen empirisch und schrittweise sich den günstigen Parameterwerten zu nähern. Tabelle 6.12 Hinweise zum Einsatz von Regler-Grundtypen P–Regler:

Vorteil:   Nachteil:  Einsatz: 

PI–Regler:

Vorteil:  keine bleibende Regelabweichung Nachteil:  neigt mehr zum Schwingen Einsatz:  bei schnellen Regelstrecken (z.B. Druck-, Differenzdruck-, Durchsatzregelungen)

PID-Regler:

Vorteil:  keine bleibende Regelabweichung; greift mit Vorhaltezeit ein Nachteil:  neigt mehr zum Schwingen Einsatz:  bei trägen oder totzeitbehafteten Regelstrecken

neigt wenig zum Schwingen; Regelung stabil wirkt sehr direkt bzw. proportional hat bleibende Regelabweichung bei Regelungen, wo Regelabweichung zulässig ist (z.B. Standregelungen von Kolonnen)

 Besteht technisch und sicherheitlich die Möglichkeit, am Eingang der Regelstrecke eine sog. Sprungfunktion aufzugeben und am Ausgang die Sprungantwort zu messen, so kann der Regelungstechniker aus deren Analyse die vorteilhaften Reglerparameter ermitteln. In jedem Fall muss vor Versuchsbeginn sorgfältig abgewogen werden, ob die betrachtete Regelstrecke (z.B. mantelbeheizter Rührkessel, dampfbeheizter Umlaufverdampfer, Industrieofen) die beabsichtigten, plötzlichen Parameteränderungen verträgt.  Unterstützung kann bei der Reglereinstellung eventuell eine Methode nach ZieglerNichols geben, bei der im Regler nur der P-Anteil belassen und dieser langsam bis in die Nähe der Stabilitätsgrenze erhöht wird. Aus dem P-Anteil und der Schwingungsdauer an der Stabilitätsgrenze lassen sich erfahrungsgemäß die anderen Reglerparameter ableiten (s. Tab. 6.14 und [25][26]). Tabelle 6.13 Erfahrungswerte zur Reglereinstellung nach Ziegler-Nichols P–Regler

PD–Regler

PI–Regler

KP  0,5 · KS

KP  0,55 · KS Tv  0,15 · TS

KP  0,45 · KS Tn  0,85 · TS

KP Tn Tv

P-Anteil des Reglers Nachstellzeit Vorhaltezeit

KS TS

PID-Regler KP  0,6 · KS Tn  0,5 · TS, Tv  0,125 · TS

P-Bereich an der Stabilitätsgrenze Schwingungsdauer an der Stabilitätsgrenze

588

6 Durchführung der Inbetriebnahme

In vielen verfahrenstechnischen Anlagen ist jedoch die Annäherung an die Stabilitätsgrenze problematisch und nicht erwünscht, sodass diese Methodik nicht möglich ist.  Zur Ermittlung der Reglerparameter sind seit Jahren sog. Regler-Adaptionssysteme nutzbar. Diese Systeme werden online an den Prozess angekoppelt und analysieren stochastisch die Regelstrecke. Im Ergebnis schlagen sie günstige Reglerparameter vor.  Neben den Reglerparameter sind in der Praxis mitunter die Regelventile nicht optimal ausgelegt. Nicht selten sind die berechneten kVS-Werte einiger Stellventile zu groß, da zum Zeitpunkt ihrer Bestellung der zur Auslegung benötigte Druckverlust über die Regelstrecke nur überschläglich bekannt war. Im Wissen, dass später ein Regelventil mit wenig Aufwand „verkleinert“, nicht aber vergrößert werden kann, wurden die kVS-Werte sicherheitshalbere etwas größer gewählt. In der Praxis arbeiten diese Stellventile dann häufig in einem nahezu geschlossenen Zustand und nicht im günstigen Kennlinienbereich bei ca. 10 bis 30 % Öffnungsgrad. Zur Lösung des Problems ist gemäß dem optimalen kVS-Wert eine neue SitzKegel-Garnitur zu bestellen und während der nächsten Abstellung gegen die alte auszuwechseln (s. Abb. 6.37, links). Mitunter kann es auch zweckmäßig sein, eine Sitz-Kegel-Garnitur mit einer linearen Kennlinie gegen ein Garnitur mit gleichprozentiger Kennlinie auszutauschen oder XPJHNHKUW V$EEUHFKWXQG7DE  umgekehrt (s. Abb. 6.37, recht und Tab. 6.14).

 Abb. 6.37 links: Querschnitte eines Regelventils mit austauschbarem Ventilsitz im Gehäuse und austauschbaren Ventilkegel auf der Spindel rechts: Lineare Kennlinie (oben) und gleichprozentige Kennlinie (unten)

(LQIDKUHQGHU$QODJH 7DEHOOH(LQVDW]IlOOHIU5HJHOYHQWLOHPLWOLQHDUHURGHUJOHLFKSUR]HQWLJHU.HQQOLQLH )DOO  6WHKW EHU GHP 5HJHOYHQWLO HLQ VLJQLILNDQWHU 'UXFNYHUOXVW ]XU 9HUIJXQJ ]%  EDU 'UXFNDEIDOOEHLEDU9RUGUXFN VRLVWGLHOLQHDUH.HQQOLQLHYRUWHLOKDIW )DOO  6WHKW IU GDV 5HJHOYHQWLO ZHQLJ 'UXFNYHUOXVW ]XU 9HUIJXQJ VR PXVV GDV 5HJHOYHQWLO P|JOLFKVWZHLWJH|IIQHWDUEHLWHQ,QGLHVHQ)DOOLVWHLQJOHLFKSUR]HQWLJHV9HQWLOEHVVHUGD HVEHLJUR‰HQgIIQXQJVJUDGHPSILQGOLFKHUGHQ'XUFKVDW]YHUlQGHUW )DOO6LQGNOHLQH'XUFKIOXVVYROXPLQD]XUHJHOQVRLVWGDVJOHLFKSUR]HQWLJH5HJHOYHQWLOEHVVHU GDIUGLH5HJHOXQJHLQJU|‰HUHU+XEEHUHLFK]XU9HUIJXQJVWHKW )DOO:LUNWGLH6W|UJU|‰HOLQHDUDXIGLH5HJHOJU|‰HVRLVWHLQOLQHDUHV5HJHOYHQWLOYRUWHLOKDIW )DOO ,VWGLHbQGHUXQJGHU5HJHOJU|‰HGHUSUR]HQWXDOHQbQGHUXQJGHU6W|UJU|‰HSURSRUWLRQDO VRLVWHLQJOHLFKSUR]HQWLJHV5HJHOYHQWLOJQVWLJHU

 6RIHUQYRUKDQGHQVLQGGLH6WHOOXQJVUHJOHUDQGHQ6WHOORUJDQHQRSWLPDOHLQ]XVWHOOHQ  'LH(LQVWHOOXQJ 3DUDPHWULHUXQJ-XVWLHUXQJ.DOLEULHUXQJ GHU6HQVRUHQ 0HVVIKOHU  LVW]XEHUSUIHQXQGEHL%HGDUI]XZLHGHUKROHQ  'LHYHUPDVFKWHQ5HJHONUHLVHZLH.DVNDGHQUHJHOXQJHQ5HJHOXQJHQPLW6W|UJU|‰HQ DXIVFKDOWXQJHQ 5HJHOXQJHQ PLW SUR]HVVEDVLHUWHU 6ROOZHUWEHUHFKQXQJ XQG 6ROO ZHUWHLQVWHOOXQJXVZVLQGVFKULWWZHLVHLQ%HWULHE]XQHKPHQ =LHOJU|‰HQ EHLGHU,QEHWULHEQDKPHGHUYHUPDVFKWHQ 5HJHONUHLVH VLQG JHULQJH 5H JHODEZHLFKXQJHQVRZLHHLQHKRKH'\QDPLNXQG6WDELOLWlWLP5HJHOYHUKDOWHQ In schwierigen Fällen ist der vermaschte Regelkreis u.U. anfangs zu entkoppeln/ trennen und erst bei stabiler Funktion der Einzelregelungen die komplexe Vernetzung zu realisieren. Mitunter muss auch die ursprüngliche Struktur der Mehrfachregelung in Frage gestellt und ggf. geändert werden.  Nicht zuletzt ist die Parametrierung der Frequenzumrichter bzw. Sanftstarter zu überprüfen und bei Bedarf zu optimieren. d) Analyse und Optimierung der Steuerungen sowie Übernahme der Steuerungen auf Online-Betrieb  6LFKHUKHLWVJHULFKWHWH 6WHXHUXQJHQ VLQG XQWHU GHQ ÄKHL‰HQ³ %HWULHEVEHGLQJXQJHQ ]X EHUSUIHQ XQG DQ]XSDVVHQ ]% 6FKOLH‰]HLWHQ VLFKHUKHLWVJHULFKWHWHU $UPDWXUHQ 127+$/76FKDOWXQJHQXQG127$866FKDOWXQJHQ   %HL 3UR]HVVVWHXHUXQJHQ VLQG DXVJHKHQG YRQ GHQ JHZlKOWHQ 6WDUWSDUDPHWHUQ GLH JQVWLJVWHQ6FKDOW]HLWHQ =HLWVWHXHUXQJ E]Z6FKDOWSDUDPHWHU )ROJHVWHXHUXQJHQ ]X EHVWLPPHQ *HJHEHQHQIDOOV VLQGDXFK JU|‰HUHbQGHUXQJHQLQGHU 3URJUDPPVWUXNWXU E]Z 3URJUDPPDEIROJH XQG LQ 3URJUDPPEDXVWHLQHQ ]XU 5HDOLVLHUXQJ YRQ =HLWYHU ]|JHUXQJHQ5DPSHQIXQNWLRQHQ5HFKHQRSHUDWLRQHQXVZQ|WLJ (LQH PLQX]L|V YRUJHWHVWHWH +DUG XQG 6RIWZDUH V )$7 XQG 6$7 LQ $EVFKQ  VSDUWEHLGLHVHP,QEHWULHEQDKPHVFKULWWYLHO=HLWXQG.RVWHQ  Bezüglich der Einstellung von Sensoren und Aktoren gelten die unter c) gemachten Ausführungen analog.  e) Ermitteln und Bilanzieren der Massen- und Energieströme sowie Berechnung der spezifischen Verbräuche u.ä.   Ausgehend von den gemessenen Volumen- bzw. Masseströmen ist die Gesamtmassenbilanz zu überprüfen.  Gleiches ist nach Möglichkeit für die Bilanzierung der Energieströme zu tun.

590

6 Durchführung der Inbetriebnahme

 Sofern die Bilanzen stimmen, sind anschließend die Produktausbeute und die spezifischen Energie- und Hilfsstoffverbräuche zu ermitteln. Die Ergebnisse sind mit den Vertrags- und Garantiewerten zu vergleichen. f) Überprüfung der Einhaltung von Garantiewerten  Sobald die Anlage stabil im Nennbereich arbeitet, kann probeweise eine inoffizielle Messfahrt zur Bestimmung der Werte aller zu garantierenden Größen erfolgen.  Da sich in der Regel nicht alle Werte gleich wunschgemäß einstellen, beginnt eine Phase der Verfahrens- und Anlagenoptimierung. Dabei ist insbesondere der Verfahrensgeber bzw. sein Beauftragter gefordert. Letztlich geht es um das Auffinden günstiger Temperaturen, Drücke u.a. variierbarer Einflussgrößen im Hinblick der zu garantierenden Größen.  Wie bereits vor Jahren die Einstellung der Garantiewerte durch Nutzung eines Expertensystems unterstützt wurde, zeigen die Angaben in Tabelle 6.15. Tabelle 6.15 Kurzcharakteristik des Expertensystems COGAR zur technologisch-technischen Diagnose in PAREX-Anlagen Ziele:

− Unterstützung des Verfahrensgebers bei der Einstellung wesentlicher Garantiepara-

Nutzen:

 Umfassende Anwendung des Firmen-Know-how bei der Anlageninbetriebnahme und dem Nachweis der Leistungsgarantien, insbesondere auf Auslandsbaustellen  schnellere Diagnose und Behebung technologischer und technischer Störungen  Anwendung als Schulungsinstrument bei der Qualifizierung neuer Mitarbeiter

meter während des Probebetriebes von PAREX -Anlagen − Unterstützung des Verfahrensgebers und Projektanten bei der technischen Diagnose undichter Absperrarmaturen am Adsorberblock

Umfang:  das Wissen ist in ca. 350 Wenn-Dann-Regeln abgebildet  die Wissensbasis ist in 11 Wissensmodule strukturiert

Das Expertensystem COGAR (Consultant GARantiewerte) unterstützte die Realisierung der gewünschten Garantiewerte in PAREX-Anlagen zur adsorptiven n-Alkangewinnung aus Dieselkraftstofffraktionen [27]. Es diagnostizierte Abweichungen zwischen den Istwerten (Messwerten während des Probebetriebs) und den Sollwerten (Vertragswerten) und schlug Empfehlungen zu ihrer Beseitigung vor. COGAR wurde für 9 wesentliche Garantiegrößen dieser komplizierten Anlagen erarbeitet.  Neben eventuellen Schwachstellen und Engpässen sollten in der Einfahrphase auch diejenigen Reserven der Anlage ermittelt werden, deren Kenntnis für den späteren Leistungsnachweis wichtig sein könnte. Für den Leistungsnachweis werden i.Allg. die Mittelwerte über den Garantiezeitraum zugrunde gelegt, sodass zeitweilige Unterschreitungen durch Überschreitungen (z.B. in der Kapazität) ausgeglichen werden können. g) Testen des Prozessleitsystems inkl. Prozess- und Laboranalysentechnik sowie Schnittstellengestaltung der Leitebenen  Bei der Nutzung der Übersichts-, Gruppen- und Einzeldarstellungen sowie der technologischen Bilder werden sich häufig noch vorteilhaftere Konfigurationsvorschläge bzw. Änderungswünsche des Betreibers ergeben, die möglichst schnell einzuarbeiten bzw. für die Abstellung vorzubereiten sind.

6.5 Einfahren der Anlage

591

 Die Analysengenauigkeit der Prozessanalysatoren ist durch ausgewählte Vergleichsanalysen im Labor zu ermitteln und zu bestätigen.  Die Betriebs- und Unternehmensleitebene des Prozessleitsystems sind einzubinden, zu erproben und für die Nutzung im Dauerbetrieb vorzubereiten.  Komplexere Programmmodule, z.B. zur Berechnung von Wirkungsgraden oder betriebswirtschaftlichen Führungsgrößen (Umsatz, Gewinn), sind in Betrieb zu nehmen.  In Batch-Prozessen werden vorhandene Produktions-Steuer-Programme (PSP), unter anderen für Rezeptfahrweisen, erprobt. h) Testung der technischen Funktion der Gesamtanlage  In Fortsetzung der Funktionsprüfungen gilt es die komplexe Funktionstüchtigkeit der gesamten Anlage im Nennzustand nachzuweisen. In Pharmaprojekten ist dies Teil der Leistungsqualifizierung PQ (s. Abschn. 6.8.4).  Frühausfälle sowie technisch-technologische Mängel bzw. Verbesserungsmöglichkeiten sind mit Hilfe moderner Prüf- und Diagnosemethoden gezielt aufzufinden und Reparaturmaßnahmen durchzuführen bzw. für die Abstellung vorzubereiten.  An ausgewählten Maschinen bzw. an Fixpunkten in der Anlage (z.B. bei Einsatz von Kolbenpumpen und/oder -verdichtern) sind Schwingungsmessungen durchzuführen. Bei Bedarf sind unter Hinzuziehen von Spezialisten geeignete Gegenmaßnahmen zu treffen, z.B. eine Veränderung der Maschinendrehzahl. i) Befähigung des Bedienungs- und Instandhaltungspersonals für den Anlagendauerbetrieb  Schwerpunkte sind das ▪ detaillierte Kennenlernen des Verfahrens und der Anlage, ▪ die Bewahrung des Nennzustandes bei Störungen, ▪ die Handhabung der Prozessleittechnik einschließlich Analysentechnik sowie ▪ die Schaffung effizienter Arbeits- und Betriebsabläufe.  Das Einfahren ist die Generalprobe des Betreibers für den Dauerbetrieb.  Der Verkäufer muss erkennen, dass für ihn ein qualifiziertes Personal sowie die Mitwirkung des Kunden, sowohl bis zur Endabnahme als auch danach, nützlich sind. Er sollte sich deshalb um deren Ausbildung und Befähigung bemühen (s. Abschn. 5.2). Ein gut ausgebildetes und erfahrenes Betriebs- und Servicepersonal trägt, insbesondere nach Beendigung der Inbetriebnahme, maßgeblich dazu bei, dass für den Auftragnehmer die Neuanlage eine Referenz wird. j) Durchführung von Messfahrten zum gezielten Know-how-Gewinn (s. Kap. 7) Abschließend zum Einfahren der Anlage sei noch angefügt: 1) Der Verkäufer muss speziell die Einfahrphase nutzen, um dem Käufer die Leistungsfähigkeit der Anlage umfassend zu demonstrieren und somit den späteren Leistungsnachweis inhaltlich und psychologisch vorzubereiten. 2) Eine überzeugende Einfahrphase schafft beim Käufer Vertrauen und ist für die weitere Vertragsabwicklung nützlich und wichtig. 3) In der Kraftwerksindustrie werden nach dem Einfahren der Abnahmeversuch durch-geführt und danach die Anlage nochmals über 4 bis 6 Wochen im Nennzustand (sog. Probebetrieb) gefahren. Der erfolgreiche Probebetrieb ist Voraussetzung für die werkvertragliche Abnahme der Anlage (s. Abschn. 6.9).

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6 Durchführung der Inbetriebnahme

6.6 Abfahren bzw. Außerbetriebnahme der Anlage Unter Abfahren wird die Überführung der Anlage aus dem Dauerbetriebszustand/ Nennzustand in einen zeitweiligen, nichtproduzierenden Zwischenzustand (sog. Aussetzbetrieb) verstanden. Das heißt, das Abfahren bedingt einerseits eine Unterbrechung der Produktion, ist andererseits aber nur temporär. Das Abfahren kann planmäßig stattfinden, beispielsweise um begrenzte Instandsetzungs- bzw. Ertüchtigungsmaßnahmen durchzuführen. Ein Abfahren der Anlage kann bei Störungen oder Havarien auch ausgelöst werden:  durch einen NOT-HALT-Befehl (Synonym: NOT-STOP) (Anlage fährt in einen gefahrlosen Zustand) oder  durch einen NOT-AUS-Befehl (Anlage wird in einen gefahrlosen Zustand gesteuert und spannungsfrei geschaltet). Der jeweilige Befehl kann automatisch oder per Hand ausgelöst werden. Typische Abfahrvorgänge finden bei Spitzenlast-Kraftwerken statt. Bei Stillstandszeiten von nur wenigen Stunden bleiben Kessel und Turbine warm und können somit schnell wieder in Betrieb genommen werden (s. Abschn. 6.3.2.4 und 6.3.2.5). Die betriebsbedingten An- und Abfahrvorgänge des Kraftwerks werden über prozessgerichtete Steuerungen realisiert. Im Unterschied zum Abfahren ist die Außerbetriebnahme als die Überführung der Anlage aus dem Dauerbetriebszustand/Nennzustand in einen längerfristigen Stillstand/ Endzustand definiert. Die Anlage wird in der Regel kalt gefahren, drucklos gemacht, inertisiert und entleert. Dies kann beispielsweise zur Vorbereitung einer Großreparatur (Shut down) oder des Rückbaues notwendig sein. Die Wiederinbetriebnahme erfolgt aus diesem Stillstand heraus und ist der Erstinbetriebnahme mit Dichtheitsprüfung, Inertisierung usw. ähnlich. Zeitlich betrachtet, beginnt die Außerbetriebnahme mit dem Abfahren. Die sicherheitsgerichteten Abfahrsteuerungen (z.B. Anlagen-NOT-AUS) müssen einer Sicherheitsprüfung und die prozess- bzw. zeitgeführte Steuerungen sollten einer Funktionsprüfung unterzogen werden. Sofern dies zuvor nicht möglich war, sind diese Prüfungen nach dem Einfahren durchzuführen. In jedem Fall sollte die Anlage während des Inbetriebnahmezeitraums mindestens einmal planmäßig abgefahren und/oder außer Betrieb genommen werden, um diesen Zustand des Bestimmungsgemäßen Betriebs zu erproben. Letztlich muss jede Anlage auch diesen Übergangszustand erfolgreich und ohne Schäden absolvieren. Während der Erstinbetriebnahme sind häufig im Anschluss an das Einfahren der Anlage ein Abfahren und mitunter auch eine Außerbetriebnahme erforderlich. Im Allgemeinen zeigen sich bei Erstinbetriebnahmen von verfahrenstechnischen Anlagen, insbesondere nach neuen Verfahren und/oder mit neuen Ausrüstungen, Mängel aber auch Verbesserungsmöglichkeiten, die nur bei „stehender“ Anlage erledigt werden können. Dabei ist im Normalfall nicht an grundlegende Probleme und Maßnahmen, sondern an die „1000 kleinen Dinge“ zu denken. Solche können sein:  das Auswechseln defekter Dichtungen, Messfühler u.a. Bauteile,  das Auswechseln der Sitz-Kegel-Garnituren von Regelventilen zur Anpassung des Regelorgans an die Regelstrecke (s. Abschn. 6.5, Buchst. c)),

6.6 Abfahren bzw. Außerbetriebnahme der Anlage

593

 das Abdrehen bzw. Auswechseln von Pumpenlaufrädern zur Leistungsanpassung (Vorsicht! Gefahr des Pumpens sowie der Kavitation nimmt zu.),  Veränderungen an den Probenahmestutzen durchzuführen bzw. neue Stutzen anzubringen,  die Programmierung und/oder Konfiguration des Prozessleitsystems zu modifizieren. Nicht selten werden Einzelausrüstungen nochmals kurz geöffnet und hinsichtlich der Verschmutzung bzw. mechanischer Schäden an bekannt kritischen Stellen inspiziert. Erfahrungsgemäß löst das Fahren mit Produkt und Gas bei höheren Temperaturen und größeren Strömungsgeschwindigkeiten nochmals Schmutz ab bzw. kann der Abrieb von Schüttgütern ausgetragen werden. Dabei ist es günstig, wenn durch eine inbetriebnahmegerechte Planung der Schmutz gezielt in eine „Ecke“ gefahren wurde. Der Inbetriebnahmeleiter wird aus Zeit- und Kostengründen bemüht sein, nur die unbedingt notwendigen Anlagenteile abzufahren bzw. außer Betrieb zu nehmen. Andere Komponenten werden im Inselbetrieb weitergefahren bzw. bleiben abgeblockt/abgeblindet in einem gefahrlosen Wartezustand. Letztlich soll die Anlage anschließend möglichst schnell und kostengünstig wieder angefahren werden. Primat muss in allen Fällen jedoch eine sichere Reparaturfreimachung der abgefahrenen Teilanlage sowie die Erprobung einer gefahrlosen und schonenden Abfahrprozedur haben. Die konkreten Maßnahmen sind weitgehend anlagenspezifisch bzw. situationsbedingt und nicht zu verallgemeinern. Beispielsweise kann es im Einzelfall wirtschaftlicher sein, eine Kolonne abzufahren, statt sie über mehrere Stunden bzw. Tage mit totalem Rücklauf weiter zu betreiben. Andererseits wird man in der Regel versuchen, einen Festbettreaktor auch über mehrere Tage bis Wochen warm zu halten (z.B. abgeblockt unter Stickstoff und mantelbeheizt), um somit eine erneute Katalysatoraktivierung zu vermeiden. Bei biologischen Prozessen ist ein partieller Weiterbetrieb noch wichtiger. Die Leitlinien bzw. Anweisungen zum Abfahren/Außerbetriebnahme der Anlage sind in der Inbetriebnahmeanleitung und im Betriebshandbuch zu dokumentieren. Abschließend zur Abfahr- bzw. Außerbetriebnahme-Thematik sei noch auf folgende Gesichtspunkte, auch im Vergleich zum Anfahren, hingewiesen:  Abfahren bzw. Außerbetriebnahme gehören zum Bestimmungsgemäßen Betrieb einer Anlage. Entsprechende Vorschriften und Vorgaben (Genehmigung, Gesundheit-SicherheitUmweltschutz) treffen auf diese Schritte ebenfalls zu.  Abfahren bzw. Außerbetriebnahme sind instationäre Übergangsprozesse mit den damit verbundenen Spezifika und Schwierigkeiten. Trotzdem weisen sie gegenüber dem Anfahren wesentliche Unterschiede auf, die überwiegend vereinfachend auf die Problemlösung und die Handlungsabläufe wirken. Diese Besonderheiten des Abfahrens gegenüber dem Anfahren sind zum Beispiel:  Das Abfahren steht, auch wenn es erstmalig erfolgt, nicht am Beginn des Anlagenbetriebes. Die meisten „Kinderkrankheiten“ der Anlage sind inzwischen erkannt und behoben. Im Inbetriebnahmeteam liegen inzwischen zahlreiche Erfahrungen vor, die genutzt werden können. Die Unwägbarkeiten sind deshalb beim Abfahren deutlich geringer als beim Anfahren.

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6 Durchführung der Inbetriebnahme

 Abfahren bzw. Außerbetriebnahme sind mit Betriebsunterbrechungen verbunden und münden in einen gefahrlosen Zustand.  Maschinen können beim Abfahren/Außerbetriebnahme auslaufen bzw. werden gebremst. Eine Überlastungsgefahr des Antriebes, die bei Maschinen oftmals anfahrbestimmend wirkt, ist nicht gegeben.  An- und Abfahrprozesse sind häufig reversibel, sodass technologie- bzw. ausrüstungsspezifische Maßnahmen in beiden Fällen gültig sind. Beispielsweise gilt das Kennlinien-Diagramm eines Turboverdichters in Abschn. 6.3.2.3, Abb. 6.19 auch für das Abfahren. Analog zum Anfahren ist der Verdichter bei einem geringen Anlagenwiderstand bzw. mit geöffneter Pumpgrenzregelung (entsprechend der flachen Kennlinie 1 in Abb. 6.19) abzufahren, um bei Teillast nicht in den instabilen Arbeitsbereich zu gelangen.  Hauptziel des Abfahrens/Außerbetriebnahme ist die Herstellung eines gefahrlosen Zustandes für Mensch, Umwelt und Anlage. Insbesondere muss die Anlage sicherheitstechnisch sowie technisch-technologisch für den Beginn der Instandsetzungsbzw. Umbauarbeiten umfassend vorbereitet werden. Bezüglich dieser veränderten, meistens weniger kritischen Gefahrensituation unterscheidet sich das Abfahren grundlegend von dem Anfahren.  An- und Abfahrvorgänge, insbesondere Druck-/Temperaturwechsel, wirken ermüdend auf die Werkstoffe der Bauteile und verkürzen deren Lebensdauer. Dies gilt insbesondere für dickwandige Ausrüstungen (s. Abschn. 6.3.2.5, Buchst. b)). Auf speziellere Handlungen zum Abfahren/Außerbetriebnahme von verfahrenstechnischen Anlagen einschließlich ihrer Komponenten wird im vorliegenden Buch nicht eingegangen.

6.7 Instandsetzen und Wiederanfahren der Anlage Nach dem Abfahren bzw. der Außerbetriebnahme der Anlage müssen sachgerecht und schnell die notwendigen Leistungen erbracht werden. Dies sind in der Regel geplante bzw. vorbeugende Instandsetzungsarbeiten zur Erhöhung der Verfügbarkeit. Darüber hinaus werden technische Maßnahmen zur Erhöhung der Funktionstüchtigkeit und Stabilität der Anlage ergriffen. Letzteres ist z.B. der Austausch von Sitz-KegelGarnituren an Regelventilen. Müssen verfahrenstechnische Mängel, wie hydraulische Engpässe oder Auslegungsfehler an Ausrüstungen, behoben werden, so erfordert dies häufig einen längeren Stillstand und ist in der Regel mit den operativen Steuerungsmöglichkeiten des Projekts allein nicht zu bewältigen. In diesen Fällen erweist sich eine durchgeführte systematische Prozessanalyse und Anlagenanalyse (s. Kapitel 7) während der Einfahrphase als außerordentlich wichtig, um rechtzeitig und fachlich fundiert Vorbereitungsarbeiten für technologische und/oder technische Änderungen veranlassen zu können. Für das Instandhaltungspersonal des Käufers, welches in Zusammenarbeit mit dem Fach- bzw. Montagepersonal des Verkäufers die Arbeiten ausführt, ist die zügige und sachgerechte Instandsetzung eine echte Bewährungsprobe. Der Inbetriebnahmeleiter ist für alle Arbeiten während des Abstellungszeitraums verantwortlich, auch wenn sie noch aus der Montage herrühren. Er muss sie zusammen mit seinem Team koordinieren und kontrollieren.

6.8 Leistungsfahrt und Leistungsnachweis

595

Dem Inbetriebnahmeleiter obliegt in jedem Fall die Erteilung der Arbeitsfreigaben, z.B. für Schweißarbeit oder zum „Befahren“ von Apparaten und Behältern (s. Abschn. 3.5.3). Ferner bleibt er für die Unterweisung der Fachkräfte verantwortlich; überträgt diese Aufgabe aber mitunter seinem Inbetriebnahme-Sicherheitskoordinator. Das Wiederanfahren der Anlage erfolgt nach Möglichkeit in „einem Ritt“ auf Nennlast. Besonderes Augenmerk gilt den Auswirkungen der durchgeführten Maßnahmen. Unterschiede können sich beim Wiederanfahren im Vergleich zum Erststart u.a. dadurch ergeben, dass  die durchgeführten technischen Maßnahmen neuartige bzw. modifizierte Anfahrhandlungen erfordern,  nach dem Abfahren und Instandsetzen andere Anlagenzustände (z.B. spezieller Kreislauf- bzw. Inselbetrieb oder andere Armaturenstellungen) als beim Erststart vorliegen,  Tanklager für Zwischen- bzw. Endprodukte noch gefüllt sind und sich somit zusätzliche logistische und/oder technologische Zwänge ergeben. Trotz dieser Besonderheiten verläuft das Wiederanfahren meistens reibungsloser als der Erststart. Die Anfangsschwierigkeiten sind behoben und für alle Beteiligten ist es in vielem eine Wiederholung. Aber auch hier gilt das Sprichwort: Hochmut kommt vor dem Fall!

6.8 Leistungsfahrt und Leistungsnachweis Die Leistungsfahrt ist im klassischen Fall der letzte Abschnitt während der Inbetriebnahme verfahrenstechnischer Anlagen. Ihr Ziel ist der rechtsverbindliche Leistungsnachweis des Auftragnehmers gegenüber dem Auftraggeber. Der Leistungsnachweis wiederum stellt de jure eine Abnahmeprüfung der gesamten Anlage im werkvertraglichem Sinne dar und ist der rechtsverbindliche Nachweis der Leistungs- bzw. Verfahrensgarantien des Auftragnehmers gegenüber dem Auftraggeber. In Kraftwerksanlagen und bei Package-units wird anstelle „Leistungsfahrt“ häufig der Begriff Abnahmeversuch benutzt (s. Abschn. 6.8.1). Bei einem Werkvertrag sind die Leistungs-/Verfahrensgarantien ein wesentlicher Bestandteil der vereinbarten Beschaffenheit des Werkes. Der Gesetzgeber gestattet den Vertragspartnern grundsätzlich, die Garantien eigenständig zu verhandeln und zu vereinbaren; gegebenenfalls auch abweichend zum Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) [29] (s. Abschn. 4.3.1.1). Entsprechend dieser Möglichkeit können die vertraglichen Regelungen zum rechtsverbindlichen Leistungsnachweis sehr unterschiedlich sein. Die nachfolgenden Ausführungen sind deshalb nur beispielhaft gemäß den Erfahrungen des Autors zu verstehen. In verfahrenstechnischen Anlagen betreffen die Leistungs- bzw. Verfahrensgarantien vorrangig die folgenden Größen/Parameter (s. auch Abschn.4.3.3.2): a) absolute Menge der(s) erzeugten Endprodukte(s) (Kapazität), b) spezifische Menge der(s) erzeugten Endprodukte(s) bei vorgegebener Rohstoffmenge (Ausbeute), c) Qualität der(s) Endprodukte(s), d) Menge und Qualität von Neben- und Abprodukten, e) spezifische Energie- und Hilfsstoffverbräuche.

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6 Durchführung der Inbetriebnahme

Neben den angeführten Leistungsgarantien sind in der Regel während der Leistungsfahrt noch weitere Qualitäts- bzw. Beschaffenheitsmerkmale der Anlage nachzuweisen bzw. zu gewährleisten (s. Abschn. 4.3.3), wie z.B.: f) die Standzeit- bzw. Lebensdauergarantien für spezielle Anlagenkomponenten (Katalysatoren, Adsorbentien, Ofenausmauerungen), g) die Einhaltung der zulässigen Emissionsgrenzwerte an definierten Messorten, insbesondere für Luftverunreinigungen und für Schall (s. Abschn. 3.4.3), h) das Erreichen einer vereinbarten Technischen Verfügbarkeit der Anlage, i) die Technische Gewährleistung (Synonym: Funktionale Gewährleistung). Die Sondergarantien unter Punkt f) sind wichtige und risikobehaftete Garantien in vielen verfahrenstechnischen Anlagenverträgen. Sie sind zugleich bei den Vertragsverhandlungen preisrelevant. Die beiden letztgenannten Begriffe unter h) und i) werden in diesem Buch wie folgt definiert: Die Technische Verfügbarkeit der Anlage bzw. Anlagenkomponente ist das Verhältnis zwischen der um technisch bedingte Störungen reduzierten Laufzeit zur Gesamtlaufzeit der Anlage bzw. Anlagenkomponente im Betrachtungszeitraum (in Prozent). Die Technische Gewährleistung (Synonym: Funktionale Gewährleistung) ist ein Versprechen des Auftragnehmers/Verkäufers, über einen definierten Zeitraum für eine sicher funktionierende Anlage/Anlagenkomponente zu gewährleisten. Die Anlage/Anlagenkomponente ist in diesem Zeitraum für einen störungsarmen Dauerbetrieb entsprechend dem Genehmigungsbescheid, dem Stand der Technik und der üblichen betrieblichen Praxis geeignet, sofern vom Anlagenbetreiber die Gewährleistungsvoraussetzungen eingehalten werden.

Die Leistungsgarantien entsprechend Punkte a) bis e) werden in verfahrenstechnischen Anlagen i.Allg. während des Leistungsnachweises über eine Dauer von 72 Stunden nachgewiesen (s. Abschn. 6.8.3). Zum Nachweis der Technischen Verfügbarkeit gemäß Punkt h) wird in verfahrenstechnischen Anlagen häufig ein störungsfreier Dauerbetrieb der Gesamtanlage während der Leistungsfahrt gefordert. Das heißt, über die Dauer der Leistungsfahrt bzw. des Leistungsnachweises muss die Anlage zu 100 Prozent technisch verfügbar sein. Darüber hinaus sind auch Vereinbarungen bekannt, die unter definierten Bedingungen fordern,  das Erreichen einer vereinbarten Betriebsstundenzahl im ersten Jahr nach Abnahme oder  das Erreichen einer vereinbarten Technischen Verfügbarkeit über einen definierten Zeitraum (z.B. bei Anlagen die nur zeitweise betrieben werden und häufig an- und abgefahren werden). In Batch-Anlagen bzw. in Konti-Anlagen, die nur werktags betrieben werden, wird die Technische Verfügbarkeit häufig als Prozentwert vereinbart und ist beispielsweise über einen definierten Zeitraum (Charge, Tag, Woche) nachzuweisen. Die Technische Gewährleistung und der zugehörige Begriff „funktionierende Anlage“ sind nicht eindeutig und müssen im Vertrag möglichst exakt definiert werden. Von dieser Gewährleistung sind Verschleißteile ausgeschlossen.

6.8 Leistungsfahrt und Leistungsnachweis

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Die Technische Gewährleistung gilt, im Unterschied zu anderen Garantieversprechen, auch noch über den Zeitraum der Leistungsfahrt hinaus (z.B. 24 Monate nach Beginn der bestimmungsgemäßen Nutzung bzw. nach werkvertraglicher Abnahme der Anlage). Der Autor versteht die Einhaltung der zulässigen Emissionsgrenzwerte aus dem Genehmigungsbescheid als Teil der Technischen Gewährleistung. Das heißt, sie müssen in der Anlage während des vereinbarten Gewährleistungszeitraums (über den Zeitraum der Leistungsfahrt hinaus) unterschritten werden. Werden sie nicht eingehalten, hat der Auftraggeber die Beweislast/Beweispflicht (s. Abschn. 4.3.1.1) und der Auftragnehmer gegebenenfalls die Nachbesserungspflicht (s. Abschn. 4.3.3.1). Die Abgrenzung zwischen den Leistungsgarantien und der Technischen Gewährleistung ist in der Praxis mitunter schwierig. Beide Begriffe müssen deshalb im Anlagenvertrag exakt definiert werden. Der erfolgreiche Leistungsnachweis ist eine wesentliche Voraussetzung für die Endabnahme der Anlage durch den Auftraggeber und die Vertragserfüllung seitens des Auftragnehmers. Die Modalitäten über Leistungsfahrt und Leistungsnachweis sind im Einzelnen vertraglich zu vereinbaren. Bevor darauf näher eingegangen wird, sei zuvor noch auf eine spezielle Form einer Leistungsfahrt, den Abnahmeversuch eingegangen. 6.8.1 Abnahmeversuch Der Abnahmeversuch ist der Begriff für die Leistungsfahrt von speziellen Hauptausrüstungen und Package-units bzw. Nebenanlagen. Er hat die erfolgreiche Abnahmeprüfung (im Sinne eines Leistungsnachweises) zum Ziel und wird vorrangig in der Kraftwerksindustrie u.a. artverwandten Branchen begrifflich gebraucht. Abnahmeversuch und Abnahmeprüfung erfolgen in diesen Fällen nach dem Einfahren bzw. Wiederanfahren der Anlage. Danach schließt sich bei derartigen Projekten ein vier wöchiger Probebetrieb im Nennzustand der Ausrüstung/Anlage an. Ein erfolgreicher Abnahmeversuch und Probebetrieb ist bei derartigen Projekten zwingende Voraussetzung für die werkvertragliche Abnahme (s. Abschn. 6.9). Für größere und komplizierte Hauptausrüstungen bzw. Packe-units existieren Normen bzw. VDI/VDE-Richtlinien über die Abnahmeversuche (s. Tab. 6.16). Diese enthalten Hinweise und Algorithmen zur Vorbereitung sowie messtechnischen Durchführung und Auswertung der spezifischen Abnahmeversuche. Schwerpunkte sind:  Voraussetzungen und Gegenstand der Gewährleistungen (Garantien),  Versuchsvoraussetzungen und Versuchsbedingungen,  Messgeräte und Messverfahren,  Bilanzierung, Wirkungsgrade,  Mittelwertbildung, Fehlerbetrachtung, Messspiele,  Umrechnung auf Garantiebedingungen. Besonderer Handlungsbedarf ist dann gegeben, wenn die Versuchsbedingungen (einschließlich Versuchsparameter) während des Abnahmeversuches nicht mit den vertraglich fixierten Versuchsbedingungen (sog. Garantievoraussetzungen) identisch sind. Damit sind auch die gemessenen Leistungsparameter der Garantiegrößen (Werte der Abnahmemessungen) nicht direkt vergleichbar mit den Garantiewerten im Vertrag.

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6 Durchführung der Inbetriebnahme

Tabelle 6.16 Hinweise zu Abnahmeversuchen in Normen bzw. VDI/VDE-Richtlinien DIN 1941 DIN 1942 DIN 1943

Abnahmeversuche an Verbrennungsmotoren Abnahmeversuche an Dampferzeugern (VDI-Dampferzeugerregeln) Wärmetechnische Abnahmeversuche an Dampfturbinen (VDI-Dampfturbinenregeln) DIN 1944 Abnahmeversuche an Kreiselpumpen (VDI-Kreiselpumpenregeln) Abnahme- und Leistungsversuche an Verdichtern (VDI-Verdichterregeln) DIN 1945 Lüftungstechnische Anlagen (VDI-Lüftungsregeln) DIN 1946 Wärmetechnische Abnahmemessung an Nasskühltürmen (VDI-KühlturmDIN 1947 regeln) Abnahmeversuche an Wasserturbinen (VDI-Wasserturbinenregeln) DIN 1948 Durchflussmessung mit genormten Düsen, Blenden und Venturidüsen DIN 1952 (VDI-Durchflussmessregeln) Temperaturmessungen bei Abnahmeversuchen und in der Betriebsüberwachung DIN 1953 (VDI-Temperaturmessregeln) Leistungsprüfung von Verdichter-Kältemaschinen DIN 8976 Leistungsprüfung von Kältemittel-Verdichtern DIN 8977 Abnahmeversuche an Kreiselpumpen DIN ISO 9906 Abnahme- und Leistungsversuche an Ventilatoren (VDI-Ventilatorenregeln) VDI 2044 Abnahme- und Leistungsversuche an Verdichtern; VDI 2045 Blatt 1: Versuchsdurchführung und Garantievergleich Blatt 2: Grundlagen und Beispiele Wärmetechnische Abnahme- und Leistungsversuche an Trockenkühlern VDI 2049 Leistungsnachweis für Wärmetauscher mit zwei Massenströmen VDI 2076 VDI/VDE 3507 Abnahme von Regelanlagen für Dampferzeuger VDI/VDE 3523 Abnahmerichtlinien für Regel- und Steuereinrichtungen von Dampfturbinen Wärmetechnische Abnahmeversuche an regenerativen Luft- und AbgasvorwärVDI 3921 mern

Im Rahmen der Auswertung des Abnahmeversuches muss eine Umrechnung der im Versuch ermittelten Leistungsparameter auf die Garantiebedingungen (Garantievoraussetzungen) erfolgen. Dies ist, wie Beispiel 6.9 belegt, aufwendig und wird in den angeführten Normen und VDI-Regeln ausführlich dargestellt. Beispiel 6.9 Abnahmeversuch eines Turboverdichters  Erläuterung der prinzipiellen Methodik In einer Großanlage zur adsorptiven n-Alkangewinnung diente ein ungekühlter, 4-stufiger Turboverdichter zur Förderung des vorwiegend wasserstoffhaltigen Kreislaufgases. Die technologische Beschreibung ist dem Beispiel 6.2, Abschn. 6.3.2.3 zu entnehmen. Der Verdichter war radialer Bauart und wurde durch einen polumschaltbaren Drehstrom-Asynchronmotor mit maximal 5 MW Leistung angetrieben. Im Lieferumfang zwischen Generalunternehmer und Verdichterhersteller wurde vereinbart, dass im Anschluss an die Montage ein Abnahmeversuch mit Stickstoff über 24 h durchgeführt wird. Folgende Daten waren im Vertrag fixiert:

6.8 Leistungsfahrt und Leistungsnachweis

a) Garantiegrößen Ansaugvolumenstrom: Enddruck:

 V 1,G p2,G

= =

29430 m³ i. N./h 8,7 bar

Kupplungsleistung:

PKU

=

1350 kW

p1,G

=

4,0 bar

Ansaugtemperatur: Drehzahl:

T1,G nG

= =

42 °C 6716 min1

Medium:

Stickstoff

b) Garantievoraussetzungen Ansaugdruck:

599

Die während des Abnahmeversuches gemessenen Durchschnittswerte betrugen: c) Versuchsbedingungen/-ergebnisse Ansaugdruck: p1,V T1,V Ansaugtemperatur: Drehzahl: Medium: Ansaugvolumenstrom: Enddruck:

= =

5,0 bar 45 °C 6716 min1

nV = Stickstoff  V =

34500 m³ i. N./h 10,5 bar

1,V

p 2, V

=

Man erkennt, dass insbesondere der Ansaugdruck deutlich über den vertraglich fixierten Einstellwert lag und somit ein größerer Volumenstrom und Enddruck gemessen wurde. Im Rahmen der rechnerischen Auswertung des Abnahmeversuches mussten die tatsächlichen Versuchswerte lt. c) auf die fiktiven Garantievoraussetzungen lt. b) umgerechnet werden. Für diese aufwendige Umrechnung, deren Vorgehensweise in [28] nachzulesen ist, wurden benötigt:  die technischen und konstruktiven Daten des Verdichters,  Stoffdaten für das Medium und  Modellgleichungen zur Beschreibung der Zustandsänderung im Verdichter. Bei der iterativen Rechnung wurde der Wirkungsgrad näherungsweise als konstant betrachtet. Die Kupplungsleistung wurde nach Umrechnung der Versuchsergebnisse auf die Garantievoraussetzungen ebenfalls rechnerisch über die innere Leistung plus den Leistungsverlusten am Verdichteraggregat ermittelt. Im Ergebnis wurden folgende fiktive Garantiewerte, die sich bei Einstellung der Garantievoraussetzungen während des Abnahmeversuches ergeben hätten, ermittelt: d) Rechnerische Garantiebedingungen/-werte  V Ansaugvolumenstrom: Ansaugdruck: Ansaugtemperatur:

p1,UM T1,UM

= = =

Enddruck: Kupplungsleistung:

p 2,UM PKu,UM

= =

1, UM

29430 m³ i. N./h 4,0 bar 42 °C 8,76 bar 1309 kW

600

6 Durchführung der Inbetriebnahme

Die auf Grundlage von [28] berechnete Ergebnisunsicherheit der Kupplungsleistung betrug  32,1 kW. Somit konnten beim Abnahmeversuch die garantierten Werte nachgewiesen werden. 6.8.2 Vorbereitung der Leistungsfahrt bzw. des Abnahmeversuchs Im Weiteren wird nur der Begriff Leistungsfahrt verwendet und zugleich angenommen, dass die Ausführungen im Wesentlichen auch für die Vorbereitung des Abnahmeversuchs gelten. Natürlich dient im weitesten Sinne die gesamte Heiß-Inbetriebnahme zur Vorbereitung der Leistungsfahrt. Dies wurde bereits ausführlich abgehandelt. In der Regel findet die Leistungsfahrt mit dem Leistungsnachweis zeitnah zu den vorangegangenen Inbetriebnahmeschritten statt. Es kann aber auch Verträge geben, in denen die Leistungsfahrt erst nach einem längeren Betriebszeitraum der Anlage möglich und entsprechend vereinbart ist. Gründe dafür können sein:  Die erstmalige Produktion eines Produktes, welches es bisher auf dem Markt nicht gab. Die verfügbaren Produktmengen aus Technikums- bzw. Pilotanlagen waren nur gering und für eine umfassende Kundenbemusterung nicht ausreichend. Es gibt somit anfangs noch keinen Endproduktbedarf entsprechend der garantierten Anlagenkapazität. Die Leistungsfahrt macht unter diesen Bedingungen erst Sinn, wenn auf dem Markt die zu garantierende Produktionsmenge verkauft werden kann.  Die Errichtung von Mehrproduktanlagen mit einer großen Produktpalette. In diesem Fall ist es möglich, dass aus verschiedenen Gründen einzelne Produkte erst relativ spät produziert werden. Entsprechend verschieben sich die Leistungsfahrten für diese Produkte.  Die Inbetriebnahme von Anlagen mit großen technisch-technologischen Risiken aber auch großen Marktchancen, die beide Partner bei Vertragsabschluss kannten. Denkbar ist, dass unter diesen Bedingungen der Auftragnehmer anfangs weniger garantiert (z.B. betreffs Kapazität, spezifische Energie- und Materialverbräuche, Verfügbarkeit) und erst nach einer längeren Einfahrphase und Anlagenoptimierung der 100 %-Leistungsnachweis erbracht wird.  Die teils längeren Anfahrzeiten biologischer Prozesse. Erst wenn die bakteriellen Strukturen ausreichend adaptiert und gebildet sind, ist die Nennlast für den Leistungsnachweis möglich. Die Spezifika einer zeitversetzten Leistungsfahrt, die u.a. das Abnahmeprozedere, die Zahlungsbedingungen, den Gefahrenübergang, die Garantien und Gewährleistungen beeinflussen können, müssen exakt vertraglich ausgestaltet werden (s. Abschn. 6.9). Gegenüber dem Normalfall, wie er im Weiteren betrachtet wird, verkomplizieren sich in diesen Fällen die Rahmenbedingungen wesentlich. Sind die vertraglichen und organisatorischen Voraussetzungen für die Leistungsfahrt erfüllt und arbeitet die Anlage unter Nennbedingungen stabil, sollten bei laufender Anlage die folgenden allerletzten Vorbereitungsmaßnahmen für die Leistungsfahrt erfolgen:  Letztmalige Überprüfung aller Signalketten zur Messung, Übertragung und Dokumentation aller Werte der Garantiegrößen und zugehöriger Parameter. Zu den letzteren gehören vorrangig alle Parameter, die für die Messwertkorrektur und -umrechnung benötigt werden.

6.8 Leistungsfahrt und Leistungsnachweis

601

 End- bzw. Feineinstellung aller Werte der Garantiegrößen. Dies betrifft sowohl die unmittelbar einstellbaren (z.B. Kapazität und Produktqualitäten) als auch die rechnerisch aus mehreren Messungen zu ermittelnden Garantiewerte (z.B. Rohstoffausbeute und spezifische Verbräuche). Meistens ist eine Konzentration auf wenige Kennziffern möglich, deren Garantienachweis besonders schwierig und sensibel ist.  Abstimmung und Unterzeichnung eines „Protokolls zur Durchführung der Leistungsfahrt einer Anlage…“ zwischen Käufer und Verkäufer, welches detaillierte Festlegungen zur Vorgehensweise sowie zu den Aufgaben und Befugnissen der beteiligten Vertragspartner und Personen enthält. In der Berufspraxis des Verfassers war in den meisten Projekten ein „Programm zur Durchführung der Leistungsfahrt und Leistungsnachweis“ (s. Tab. 6.17) schon im Vertrag bzw. in der Inbetriebnahmeanleitung vorgegeben. Tabelle 6.17 Schwerpunkte aus einem „Programm für den Leistungsnachweis“ (Praxisbeispiel) 1 Allgemeines  vertragliche Grundlagen  sonstige relevante Vereinbarungen zwischen Käufer und Verkäufer 2 Messwerterfassung  Angabe der zu erfassenden Messwerte  Angaben zur Messwertdokumentation (Tabellen, Protokolle) einschließlich von Formblättern  Rhythmus der Messwerterfassung unterteilt nach ▪ Bilanzierungsmessstellen ▪ Analysenwerte ▪ Garantieparameter des Verkäufers ▪ vom Käufer zu gewährleistende Parameter 3 Messstellen und Vertragswerte für Bilanzen und Garantieparameter  Garantiewerte des Verkäufers  vom Käufer zu gewährleistende Parameter 4 Ermittlung der Kennwerte  Angaben zur Mittelung der Messwerte, sowohl täglich wie insgesamt  Namen, Aufgaben und Befugnisse der beteiligten Führungs- und Fachkräfte des Käufers und Verkäufers Anhang: Entwurf „Protokoll über die Abnahme der Anlage im Rechtssinn“

 Endprüfung, dass alle Bedingungen, die vertraglich als Voraussetzungen für den Beginn der Leistungsfahrt vereinbart wurden, erfüllt sind. In Abschn. 4.3.2.1, Buchst. d) wurde bereits ausgeführt, dass jede Seite bei den Vertragsverhandlungen bemüht sein wird, Entscheidungseinfluss auf den Beginn der Leistungsfahrt zu erlangen. Im Weiteren wird von den Vertragsformulierungen entsprechend dem Praxisbeispiel in Tab. 4.8, Abschn. 4.3.2.1 ausgegangen. In diesem Beispiel hatte der Verkäufer das alleinige Recht, die Leistungsfahrt anzumelden. Die Abstimmung eines „Programms über die Durchführung von Leistungsfahrt und Leistungsnachweis“ ist unabhängig davon separat vertraglich zu vereinbaren.  Wenn die Anlage bei Nennlast stabil arbeitet, die dem Käufer gegenüber zugesicherten Garantiewerte eingehalten werden und auch sonstige vertraglich bzw. außer-

602

6 Durchführung der Inbetriebnahme

vertraglich fixierten Bedingungen und Voraussetzungen gegeben sind, wird der Inbetriebnahmeleiter gegenüber dem Käufer die Leistungsfahrt mit dem Ziel des Leistungsnachweises anmelden. 6.8.3 Durchführung und Auswertung der Leistungsfahrt Die vertraglichen Konditionen zur Leistungsfahrt können im Einzelfall sehr unterschiedlich sein. Bekannt sind u.a. Zeiträume von 24 h, insbesondere bei Abnahmeversuchen an maschinen- bzw. energietechnischen Anlagen, sowie bis zu 144 h (6 d) bei größeren Chemieanlagen. In der Praxis des Autors war in der Chemie-, Raffinerie-, Öl- und Gasindustrie die Dauer der Leistungsfahrt meistens 94 h (4 d), wobei in der Regel durch den Auftragnehmer 72 zusammenhängende Stunden (3 d) kontinuierlichen Betreibens der Anlage für den Leistungsnachweis ausgewählt werden konnten. Mitunter wurden auch Leistungsfahrt und Leistungsnachweis auf einheitlich 72 Stunden festgelegt. Das bedeutet im Grundsatz: Die Generalunternehmer bzw. Generalplaner verfahrenstechnischer Anlagen garantieren die wesentlichen Leistungsparameter (entsprechend den Punkten a) bis e) einleitend zu Abschn. 6.8) i.d.R. nur für 72 Stunden. Längerfristige Standzeit-/Lebensdauergarantien und Technische Gewährleistungen sind davon ausgenommen. Als Nachweis der Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit der Anlage wird in vielen Fällen ein 72-stündiger Anlagenbetrieb ohne Unterbrechungen gefordert. Aber auch hier sind andere Regelungen, die eine kurzzeitige Unterbrechung (Stillstandszeit) von zum Beispiel nicht mehr als 2 Stunden zulassen, bekannt. Für welche Bedingungen die Leistungsnachweise zu erbringen sind, ist in der Praxis sehr unterschiedlich. Prinzipiell möchte der Käufer nachgewiesen haben, dass er mit der neuen Anlage seine Investitionsziele erreicht. Im Weiteren sind einige typische Situationen kurz angeführt:  In verfahrenstechnischen Anlagen, die im Wesentlichen für ein Produkt (Monoanlage) und für einen Nennzustand geplant wurden, wird i.d.R. nur ein Leistungsnachweis bei 100 % Nennlast durchgeführt. Dies ist häufig in größeren Konti-Anlagen der Grundstoff- und Mineralölindustrie der Fall.  In Mehrproduktanlagen finden meistens mehrere Leistungsnachweise für die Hauptprodukte sowie für typische Produktionsregime und Anlagenbelegungen statt. In einigen Fällen gilt es eine repräsentative Auswahl zu treffen, da für alle Varianten ein separater Leistungsnachweis zeitlich nicht machbar ist.  In Kraftwerksanlagen werden häufig mehrere Abnahmeversuche bei verschiedenen Laststufen (z.B. 50 %, 75 %, 100 % Nennlast) über jeweils 24 Stunden durchgeführt. Die Leistungsfahrt ist eine Zeit höchster, nervlicher Anspannungen für alle Beteiligten. Die Anlage muss jetzt zeigen, was sie kann und der Inbetriebnehmer auf seine Leistung und auf das Glück des Tüchtigen vertrauen. Im Mittelpunkt der Arbeiten während der Leistungsfahrt stehen vorrangig:  die Gewährleistung eines stabilen Anlagenbetriebes im Nennbereich,  die exakte Erfassung der primären Messwerte sowie die Ermittlung der korrigierten, wahren Werte,

6.8 Leistungsfahrt und Leistungsnachweis

603

 die Berechnung der Werte von nicht-primär messbaren Garantiegrößen,  die regelmäßige (z.B. stündliche) Protokollierung der Werte der zu garantierenden Größen/Kennziffern,  die Paraphierung der Werte-Protokolle durch befugte Personen der Vertragsparteien,  die Verdichtung der Einzelwerte (stündlich) der zu garantierenden Größen auf Durchschnittswerte für 24 h und deren Paraphierung,  die Verdichtung der täglichen Durchschnittswerte der zu garantierenden Größen auf den Mittelwert für den 72-stündigen Garantiezeitraum und deren Paraphierung durch befugte Personen der Vertragsparteien,  ein Vergleich der gemittelten Werte über den Garantiezeitraum mit den garantierten Werten. Abweichungen innerhalb der Fehler der vertraglich vereinbarten Mess- und Analysenmethoden wirken nicht leistungsschädigend. Ein Großteil der angeführten Aufgaben wird vom Prozessleitsystem einschließlich der Prozessanalysentechnik unterstützt, wobei unabhängige Überprüfungen zusätzliche Gewissheit geben. Die paraphierten Stunden-, Tages- und Gesamtprotokolle zu den Werten der Garantiegrößen sind vertragsrelevante Belege und werden i.d.R. dem „Protokoll über die DURCHFÜHRUNG des LEISTUNGSNACHWEISES“ bzw. dem „Protokoll über die ABNAHME der ANLAGE im Rechtssinn“ als Anhang beigefügt. Falls der Leistungsnachweis im ersten Versuch nicht erfolgreich war, so lassen die Verträge i.Allg. eine Wiederholung zu. Ist auch dieser zweite Leistungsversuch nicht erfolgreich, so setzen in den meisten Fällen die Forderungen des Käufers bei Nichterfüllung des Vertrages ein. Dies können u.a. im Werkvertrag gemäß BGB, § 634 [29] sein (s. auch Abschn. 4.3.3.1):  Mängelbeseitigung/Nacherfüllung durch Auftragnehmer (Nachbesserung),  Mängelbeseitigung durch Auftraggeber bzw. von ihm beauftragte Dritte auf Kosten des Auftragnehmers und Ersatz der erforderlichen Aufwendungen (Selbstvornahme),  Minderung der Vergütung,  Rücktritt von dem Vertrag (Rückabwicklung),  Schadenersatz wegen Nichterfüllung des Vertrages (Vertragsstrafe) oder Ersatz vergeblicher Aufwendungen,  Schadenersatz/Sanktion wegen Terminverzug (Pönale),  Freistellen des Auftraggebers von Rechten Dritter. Dazu sollten im Vertrag entsprechende Regelungen getroffen sein. Das folgende Beispiel 6.10 zeigt mögliche Vertragsformulierungen für eine „klassische“ verfahrenstechnische Anlage. Dass es im speziellen Fall auch zu einer Rückabwicklung des gesamten Vertrags kommen kann, verdeutlicht das Beispiel 6.11. Beispiel 6.10 Mögliche Vereinbarungspunkte bei nicht erfolgreichem Leistungsnachweis (Praxisbeispiel) (1) Falls während des Leistungsnachweises aus Gründen, die der Verkäufer zu vertreten hat, die Garantiekennziffern nicht erreicht werden, so wird dem Verkäufer das Recht gewährt, den Leistungsnachweis innerhalb des Inbetriebnahmezeitraumes zu wiederholen. Erforderliche Nachbesserungsarbeiten gehen zu Lasten des Verkäufers.

604

6 Durchführung der Inbetriebnahme Bem.: Nicht selten sind auch mehrere Wiederholungen zulässig, solange sie im vereinbarten Inbetriebnahmezeitraum stattfinden.

(2) Falls während des Leistungsnachweises auf Verschulden des Käufers die Garantiekennziffern nicht erreicht werden, verpflichtet sich der Verkäufer, den Leistungsnachweis innerhalb des Inbetriebnahmezeitraumes zu wiederholen. Bem.: Unter Umständen analog (1) auch mehrmals.

(3) Werden bei den wiederholten Leistungsnachweisen aus Gründen, die der Verkäufer zu vertreten hat, die Garantiekennziffern nicht erreicht, dann gewährt der Verkäufer dem Käufer unter Ausschluss weitergehender Rechte und Ansprüche folgende Preisminderung (Preisbasis:...): Bem.: In Sonderfällen sind auch Nachbesserungen und ein erneuter Leistungsfahrt nach Ablauf des Inbetriebnahmezeitraumes vertraglich vereinbart. Angaben zur Preisminderung in Abhängigkeit von den Abweichungen der erreichten und garantierten Werte für die einzelnen Garantiegrößen sind enthalten. Umgekehrt zu (3) wird teilweise auch vereinbart, dass bei Überbietung der Garantiekennziffern der Käufer dem Verkäufer eine einmalige Prämie (Aufpreis) zahlt.

(4) Mit der Einigung über eine Preisminderung gelten die Verpflichtungen des Verkäufers bezüglich des Erreichens der Garantiekennziffern als erfüllt sowie die Anlage als vom Verkäufer übergeben und vom Käufer übernommen. (5) Die Gesamtsumme der Preisminderung für das Nichterreichen der Garantiekennziffern darf .... % nicht überschreiten. Bem.: Teils wird noch vermerkt, dass diese Summe unabhängig von den Sanktionen bei Lieferverzug der Ausrüstungen zu zahlen ist.

(6) Der Käufer kann das Rücktrittsrecht ausüben, wenn das Schiedsgericht anerkennt, dass der Verkäufer die Mängel durch Nachbesserung oder Ersatzlieferung nicht beseitigen kann und der Käufer die Anlage mit der vom Verkäufer vorgeschlagenen Preisminderung nicht bestimmungsgemäß nutzen kann. (7) Sollte der Leistungsnachweis auf Verschulden des Käufers, trotz Wiederholung, nicht erbracht werden, so gelten die Verpflichtungen des Verkäufers bezüglich des Erreichens der Garantiekennziffern als erfüllt. Bem.: Es besteht für den Verkäufer keine Verpflichtung für einen Leistungsnachweis mehr. In Sonderfällen ist auch eine nochmalige Leistungsfahrt nach Ablauf des Inbetriebnahmezeitraumes vereinbart, wobei die zusätzlichen Kosten des Verkäufers vom Käufer zu tragen sind.

(8) Sollte der Leistungsnachweis auf Verschulden des Käufers nicht bis spätestens 24 Monate nach Lieferabschluss durchgeführt sein, so besteht für den Verkäufer keine Verpflichtung mehr, einen Leistungsnachweis durchzuführen. In diesem Falle gelten die Garantien als erfüllt und die Anlage gilt als vom Käufer abgenommen. Bem.: Durch diesen Vertragspunkt wird vermieden, dass vom Käufer bewirkte gravierende Verzögerungen (z.B. wegen fehlender Genehmigungen oder nicht rechtzeitiger Begleitinvestitionen außerhalb des Generalvertrages) zu Lasten des Verkäufers gehen. Analog zu Punkt (8) sind auch vertragliche Vereinbarungen möglich, dass bei Verzögerung des Inbetriebnahmebeginns (z.B. mehr als 3 Monate nach Unterzeichnung des Montageendprotokolls) die vertraglichen Verpflichtungen des Verkäufers hinsichtlich Heiß-Inbetriebnahme und Leistungsnachweis erfüllt sind.

6.8 Leistungsfahrt und Leistungsnachweis

605

Beispiel 6.11 Rückabwicklung einer Anlageninvestition zum Kunststoffrecycling (Praxisbeispiel) Zwecks Verarbeitung von Materialien aus der Kunststoffartensortierung wurde eine komplette Anlage (Extrusionseinheit), bestehend aus Materialaufgabe, Zudosierung, Vorentgasung, Extrusion, Schmelzefiltration, Entgasung, Granulierung und Homogenisierung, geplant. Die Inputmaterialien (Einsatzstoffe) für die Anlage wurden zuvor in bewährten und zertifizierten Ausrüstungen gewaschen und vorbehandelt. Der Wasch- und Trenneffekt dieser Aufbereitungsstufen war sehr hoch, was durch Untersuchungen eines anerkannten Labors bestätigt wurde (s. Abb. 6.38, Foto links oben). Mit den derart vorbehandelten, repräsentativen Einsatzstoffen wurden beim Auftragnehmer sowie bei anderen Kunden unter repräsentativen Bedingungen mehrere Großversuche erfolgreich durchgeführt. Geringfügige Störstoffe und Fremdkunststoffe im Input waren gemäß der Produktspezifikation bekannt und seitens des Auftragnehmers zu berücksichtigen. Auf Basis eines detaillierten Pflichtenhefts und Angebots des Auftragnehmers kam es schließlich zum Vertragsabschluss über die Lieferung und Errichtung der beschriebenen Extrusionseinheit. Im Einzelnen wurden im Vertrag folgende Kenngrößen und zugehörige Parameter vereinbart:  Materialpalette mit spezifizierten Eigenschaften,  garantierte Mindestwerte für die Durchsatzleistung in kg/h,  Qualitätsparameter des Granulats,  Abfallmenge und Polymerverlust am Schmelzefilter,  garantierte Standzeiten (kumulativer Durchsatz) des Schmelzefilters in t (Input),  Einhaltung der Emissionsgrenzwerte,  Erreichen vorgegebener Verfügbarkeit der Anlage. Der Abnahmeversuch wurde vom Betriebspersonal des Auftraggebers unter Leitung eines Spezialisten des Auftragnehmers durchgeführt. Falls die Garantiewerte für die Anlage im ersten Abnahmeversuch nicht erreicht wurden, hatte der Auftragnehmer gemäß Vertrag das Recht zur Durchführung eines zweiten Abnahmeversuchs. Nachdem die Anlage fertiggestellt war, wurde vereinbarungsgemäß der rechtsrelevante Abnahmeversuch durchgeführt. Dieser war nicht erfolgreich. Trotz Einhaltung aller Anforderungen an die Einsatzmaterialien (u.a. Verunreinigungen) war die Standzeit (gefahrene kumulierte Tonnage) des Filterelements am Schmelzefilter (s. Abb. 6.38, links unten) nur ca. 20 % des garantierten Wertes. Die Ursache war ein hoher Verschleiß an der Oberfläche des Filterelements und die Verstopfung der Filterporen durch Verunreinigungen sowie durch Abrieb von der Oberfläche des Filterelements (s. Abb. 6.38, rechts). Die Kosten für den Verbrauch an Filterelemeten und deren häufigen Wechsel waren nicht akzeptabel. Zugleich betrug die erreichte Durchsatzleistung bei Einhaltung der geforderten Endproduktqualität nur ca. 60 % des garantierten Mindestwerts. Trotz aufwändiger Entwicklungs-, Reparatur- und Optimierungsarbeiten seitens des Auftragnehmers, die an mehreren Stellen der Anlage über einen Zeitraum von über 3 Monaten, durchgeführt wurden, waren die nachfolgenden Abnahmeversuche nicht erfolgreich. Die angeführten, gravierenden Mängel konnten nicht behoben werden.

606

6 Durchführung der Inbetriebnahme

Abb. 6.38 Einsatzstoffe und Anlagenkomponenten einer Kunststoff-Recyclinganlage links: Kunststoffgranulat (sog. Folienflaks) (oben), Schmelzefilter-Einheit rechts: neues Filterelement (oben), verschlissenes Filterelement (mittig), verstopfte Filterporen) unten)

Für den Auftraggeber war die Anlage letztlich nicht wirtschaftlich nutzbar, sodass er von seinem Rücktrittsrecht vom Vertrag Gebrauch machte und auf dieser Grundlage die Rückabwicklung der Gesamtinvestition zu Lasten des Auftragnehmers realisiert wurde. Die wesentlichen Fakten zum durchgeführten Leistungsnachweis werden ergebnisorientiert im „Protokoll über die DURCHFÜHRUNG des LEISTUNGSNACHWEISES“ niedergelegt (s. Abb. 6.39). In der Regel wird diesem Protokoll noch ein „Bericht über die Durchführung der Leistungsfahrt mit Leistungsnachweis“ mit den Detailinformationen beigefügt. Das angeführte Protokoll wird von den Verantwortlichen der Vertragsseiten unterschrieben und ist eine wichtige Grundlage für die Verhandlungen zur Abnahme der Anlage durch den Käufer. 6.8.4 Leistungsqualifizierung (PQ) In Pharmaprojekten wird in diesem Zeitabschnitt gegen Ende der Inbetriebnahme die Leistungsqualifizierung bzw. Performance Qualification (PQ) als vierte Qualifizierungsphase durchgeführt. Im Unterschied zu den vorhergehenden Qualifizierungsphasen bezieht sich die PQ nicht auf Einzelausrüstungen sondern auf deren Zusammenwirken in der Gesamtanlage.

6.8 Leistungsfahrt und Leistungsnachweis

607

608

6 Durchführung der Inbetriebnahme

Abb. 6.39 Protokoll über die DURCHFÜHRUNG des LEISUNGSNACHWEISES (Muster)

6.9 Abnahme der Anlage im Rechtssinn

609

Schwerpunkte der PQ sind der formale, systematische und dokumentierte Nachweis der Leistungsfähigkeit und der Funktionsfähigkeit der komplexen Anlage. Es geht um das Zusammen-wirken von Einzelteilen (Hauptausrüstungen, Package-units), von genutzten Materialien/Medien und von erzeugten Produkten. Für die Produktqualität wichtige Teilanlagen/Package-units, z.B. Wasser-, Dampf- und Lüftungssysteme, sind intensiv (u.U. über einen längeren Zeitraum) zu überprüfen. Das Ablaufschema für die Planung/Durchführung der PQ zeigt Abb. 6.40 links. Daneben sind der Bezug zum Phasenmodell sowie wesentliche Einzelmaßnahmen bei der PQ-Durchführung angegeben.

 Abb. 6.40 Ablaufschema und Elemente der Leistungsqualifizierung (PQ) [10]

Die PQ nutzt die Ergebnisse der Leistungsfahrt und der Abnahmeversuche und vergleicht sie mit den Sollvorgaben (Akzeptanzkriterien) aus der PQ-Planung. Zugleich sind weiterführende Überprüfungen, die vorrangig Gefährdungen und Restrisiken hinsichtlich Einhaltung PRODUKTQUALITÄT betreffen, notwendig.

6.9 Abnahme der Anlage im Rechtssinn Da die meisten Anlagenverträge die Rechtsform eines Werkvertrages haben (s. Abschn. 4.3.1.1), findet in verfahrenstechnischen Anlagenprojekten eine werkvertragliche Abnahme der Anlage und der Dokumentation statt. Wie in Abschn. 4.3.2.1, Buchst. b) unter Variante 1 bis 4 ausgeführt, kann der Abnahmezeitpunkt sehr unterschiedlich sein. Die klassischen Fälle sind: a) Im umfassenden Anlagenvertrag entsprechend Variante 1, der häufig bei Projekten auf der „grünen Wiese (greenfield)“ angewandt wird, bleibt der Auftragnehmer bis

610

6 Durchführung der Inbetriebnahme

zum Ende der Inbetriebnahme in der Verantwortung. Erst nach erfolgreichem Leistungsnachweis erfolgt die Abnahme der Anlage und der Dokumentation, verbunden mit den verschiedenen Rechtsfolgen. b) Im Unterschied dazu findet im Anlagenvertrag gemäß Variante 2 die werkvertragliche Abnahme bereits mit Unterschrift unter das „Protokoll über die Mechanische Fertigstellung“ statt. Diese Situation ist häufig dann gegeben, wenn der Auftraggeber zugleich Verfahrens- und Know-how-Träger ist. Die frühe Vertragsschnittstelle zum Zeitpunkt Mechanische Fertigstellung ist bei Investitionen an einem vorhandenen Standort und in einer bestehenden Anlage typisch. Der spätere Betreiber ist sachkundig und übernimmt mit Beginn der Inbetriebnahme die Anlage, verbunden mit den vereinbarten Rechtsfolgen. c) Der Trend geht, auch unter den Bedingungen gemäß Buchst. b), zur Variante 3 in Abschn. 4.3.2.1, Buchst. b). Der Auftragnehmer führt noch verantwortlich die KaltInbetriebnahme durch und erst nach der „Protokollierung der Betriebsbereitschaft“ erfolgt die werkvertragliche Abnahme der Anlage. Auch in den zuvor angeführten Fällen b) und c) findet, allerdings meistens unter Leitung des Anlagenbetreibers, gegen Ende der Inbetriebnahme eine Leistungsfahrt mit Leistungsnachweis statt. Der Auftragnehmer muss nachweisen, dass er die Anlage richtig (vertragsgemäß) engineert (Generalplaner) bzw. hergestellt (Generalunternehmer) hat. Erst danach wird ihm die Erfüllung seiner Leistung bescheinigt und der zugehörige Zahlungsmeilenstein vergütet. Den weiteren Ausführungen liegt ein umfassender Vertrag gemäß Punkt a) mit einer werkvertraglicher Abnahme der Vertragsleistung nach Leistungsnachweis zugrunde. Nachfolgend werden bezüglich der Abnahmeprozedur noch einige ergänzende Hinwiese gegeben:  Die Abnahme der Anlage und der AS BUILT-Dokumentation sollten im Vertrag inhaltlich, lieferseitig, zeitlich und vergütungsseitig entkoppelt werden. Das heißt, es sollte einen Termin- und Zahlungsmeilenstein (Abnahme der Anlage) und zusätzlich einen entsprechenden Meilenstein (Abnahme der AS BUILT-Dokumentation) geben. An die Abnahme der AS BUILT-Dokumentation sollten 5 bis 10 Prozent der Gesamtvergütung gebunden sein. Die vertragliche Kopplung von zeitgleicher Abnahme der Anlage und der AS BUILT-Dokumentation ist ein Fehler, der entweder die Abnahme der Anlage verzögert bzw. zu einer Abnahme der AS BUILT-Dokumentation ohne vorangegangene gründliche Prüfung führt. Dem Auftraggeber bleiben bzgl. der Dokumentation dann häufig nur noch die Gewährleistungsansprüche und nicht mehr die Erfüllungsansprüche.  In der Mehrzahl der Anlagenverträge, insbesondere wenn sie auf deutschem Recht basieren, ist der Käufer nach „Protokollierung der Durchführung des Leistungsnachweises“ verpflichtet, die Anlage abzunehmen. Dabei wird vorausgesetzt, dass sie vertragsgemäß errichtet wurde und mit keinen wesentlichen Mängeln behaftet ist, die ihre weitere bestimmungsgemäße Nutzung verhindern. Die Abnahmeverhandlungen folgen in der Regel unmittelbar auf den erfolgreich durchgeführten und gemäß Abb. 6.39 protokollierten Leistungsnachweis. Sie enden mit der Unterzeichnung des Abnahmeprotokolls bzw. exakter, eines „Protokolls über die ABNAHME der ANLAGE im Rechtssinn“ (s. Abb. 6.41).

6.9 Abnahme der Anlage im Rechtssinn

Abb. 6.41 Protokoll über die ABNAHME der ANLAGE im Rechtssinn (Muster)

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612

6 Durchführung der Inbetriebnahme

 Die abnahmerelevanten Dokumente können, ergänzend zum Abnahmeprotokoll, in einem „Abschlussbericht zur Abnahme der Anlage …“ zusammengestellt werden (s. Tab. 6.18). Tabelle 6.18 Inhaltsverzeichnis eines Abschlussberichtes über die Anlagenabnahme (Praxisbeispiel) Abschlussbericht zur Abnahme der Anlage ………………. 0 1 2 3 4 5 6 7

Deckblatt mit Vertragsnummer, -gegenstand, -partner, -wert u.ä. Vertragliche und protokollarische Grundlagen der Übergabe/Übernahme Terminlicher Ablauf der Inbetriebnahme Einschätzung der Funktions- und Leistungsfähigkeit der Anlage Realisierte Änderungen während der Inbetriebnahme Vereinbarungen zwischen Käufer und Verkäufer während der Inbetriebnahme Protokoll/Erklärung zur Abnahme (Übernahme) der Anlage durch den Käufer sowie zu den Rechtsfolgen, ggf. inkl. zur Zahlung der entsprechenden Vergütung Anzahl und Verteiler der Protokollausfertigungen

Beilage 1: Tabelle mit Werten zum Leistungsnachweis bzw. Abschlussprotokoll zur Leitungsfahrt Beilage 2: Verzeichnis von Restleistungen und sonstiger noch zu klärender Probleme Unterschriften:

................................... Käufer

…..................................... Verkäufer

 Streitpunkte bei den Abnahmeverhandlungen zur Anlage sind, neben den Abstimmungen zu den Restpunkten sowie zu offenen Change-Orders, nicht selten auch Mängel an der vorliegenden Dokumentation (s. Abschn. 2.4.3). Das Vorliegen, zumindest eines vor Ort nutzbaren, aktuellen Arbeitsexemplars der AS BUILT-Dokumentation (Anlagen- und Betriebsdokumentation) ist eine notwendige Voraussetzung für die Abnahme der Anlage. Die Abnahme und der Betrieb der Anlage ohne nutzbare Gesamtdokumentation, die den aktuellen Anlagenzustand weitgehend vollständig und as-built beschreibt (ggf. auch handrevidiert) sind vom Auftraggeber/Betreiber grob fahrlässig.  Neben der Qualität der Dokumentation, die zum Zeitpunkt der Anlagenabnahmen für das Betriebs- und Servicepersonal verfügbar ist, sind häufig noch folgende Aspekte abnahmerelevant und zu klären: ▪ Welcher Anteil von der Gesamtvergütung wird für die Fertigstellung der vertragsgemäßen AS BUILT-Dokumentation einbehalten? ▪ Bis wann wird die vertragsgemäßen AS BUILT-Dokumentation vom Auftragnehmer erarbeitet, geliefert, geprüft und gegebenenfalls werkvertraglich abgenommen? ▪ In welchen Datei-Formaten werden die Dokumente, insbesondere die veränderlichen, dynamischen Dokumente an den Auftraggeber/Betreiber übergeben? ▪ Wie sind die Eigentums- und Nutzungsrechte an den vertragsgemäß zu übergebenden Dokumenten? ▪ Welche Dokumentationspflichten bezüglich Betriebsdaten, Alarm-/Störungsprotokolle usw. muss der Betreiber im Gewährleistungszeitraum erfüllen?

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ƒ *LEW HV HLQ IRUWEHVWHKHQGHV 5HFKW ]XU 2QOLQH'DWHQDEIUDJH XQGRGHU ]X $QODJHQ LQVSHNWLRQHQGXUFKGHQ$XIWUDJQHKPHUQDFKHUIROJWHU$EQDKPH" 'LH P|JOLFKHQ 6WUHLWSXQNWH EHL GHQ $EQDKPHYHUKDQGOXQJHQ ]X GHQ YRUJHQDQQWHQ OHW]WHQEHLGHQ)UDJHVWHOOXQJHQEH]JOLFKGHU'RNXPHQWDWLRQVSIOLFKWHQGHV%HWUHLEHUV XQG GHQ ,QVSHNWLRQVUHFKWHQ GHV $XIWUDJQHKPHUV KlQJHQ HQJ PLW GHP )RUWEHVWHKHQ YRQ/DQJ]HLWJDUDQWLHQ XQG7HFKQLVFKHQ*HZlKUOHLVWXQJHQ GHV$XIWUDJQHKPHUV QDFK GHU$EQDKPH]XVDPPHQ  'LH&$'&($UHYLGLHUWH$6%8,/7'RNXPHQWDWLRQZLUGLPYHUIDKUHQVWHFKQLVFKHQ $QODJHQEDX KlXILJ LQ GHU YHUHLQEDUWHQ ([HPSODUDQ]DKO LQNO HOHNWURQLVFKH )RUP  HUVWFD:RFKHQQDFK(QGDEQDKPHGHU$QODJHEHUJHEHQXQGHQWVSUHFKHQGVSlWHU DEJHQRPPHQ,P$EVFKQZLUGDXVIKUOLFKGDUDXIHLQJHJDQJHQ ,Q 9HUELQGXQJ PLW GHU $EQDKPH GHU $QODJH VHL DEVFKOLH‰HQG QRFK DXI GLH IROJHQGHQ ]ZHL%HVRQGHUKHLWHQKLQJHZLHVHQ x ,Q HLQLJHQ $QODJHQSURMHNWHQ LQVEHVRQGHUH LQ GHU .UDIWZHUNVLQGXVWULH XQG DUWYHU ZDQGWHQ %UDQFKHQ ILQGHW QDFK GHQ HUIROJUHLFK GXUFKJHIKUWHQ $EQDKPHYHUVXFKHQ QRFKHLQVSH]LHOOHU3UREHEHWULHEGHU$QODJHLP1HQQ]XVWDQGVWDWW In Kraftwerksprojekten ist der Probebetrieb ein 4-wöchiger Nennbetrieb der Anlage nach den Abnahmeversuchen und vor Abnahme der Anlage. x ,P6RQGHUIDOONDQQHVOlQJHUH=HLW ]%0RQDWH GDXHUQELVHLQH/HLVWXQJVIDKUWGHU $QODJHP|JOLFKLVW'LH*UQGHN|QQHQXDVHLQ  GDV9HUIDKUHQXQGGLH$QODJHEHQ|WLJHQHLQHODQJH(LQIDKU]HLW  GLH QHXDUWLJHQ (QGSURGXNWH VLQG LQ GHU JUR‰HQ 0HQJH QLFKW VRIRUW DP 0DUNW DEVHW]EDU  GHU /HLVWXQJVQDFKZHLV XPIDVVW GDV JHVDPWH 6RUWLPHQW E]Z GLH JDQ]H 3URGXNW SDOHWWH 0HKUSURGXNWDQODJHQ  ,QGLHVHQ)lOOHQPXVVGHU5HFKWVVWDWXVGHU$QODJHLQNOGLH9HUDQWZRUWXQJ%HIXJQLV VH XQG =XVWlQGLJNHLWHQ EHLGHU 9HUWUDJVSDUWQHU ZlKUHQG GHV ODQJHQ Ä(LQIDKU]HLW UDXPV³ HLQGHXWLJ YHUHLQEDUW ZHUGHQ 0DQ EHZHJW VLFK LQ HLQHU NRQIOLNWWUlFKWLJHQ Ä*UDX]RQH³ $XVGHU3UD[LVVLQGLQGLHVHP=XVDPPHQKDQJXDIROJHQGH%HJULIIHXQG5HJHOXQ JHQEHNDQQW  (LQHÄYRUOlXILJH$EQDKPH³GHU$QODJH]HLWQDKQDFKGHQ$QIDKUHQXQG6WDELOLVLH UHQVRZLHHLQHÄHQGJOWLJH$EQDKPHE]Z(QGDEQDKPH³QDFKYHUHLQEDUWHQ/HLV WXQJVQDFKZHLV HQ   (LQHÄ,QREKXWQDKPHGHU$QODJH³RGHUÄ%HWULHEVIKUHUVFKDIW³GXUFKGHQ%HWUHLEHU ZlKUHQGGHVODQJHQ(LQIDKU]HLWUDXPVELV/HLVWXQJVQDFKZHLV ,QMHGHPGLHVHU)lOOHVLQGGLHUHVXOWLHUHQGHQ5HFKWVIROJHQLP'HWDLO]XYHUHLQEDUHQ

6.10 Fertigstellung, Prüfung und Abnahme der AS BUILTDokumentation 'LH$6%8,/7'RNXPHQWDWLRQ (QGGRNXPHQWDWLRQ)LQDO'RFXPHQWDWLRQ XPIDVVWGLH *HVDPWGRNXPHQWDWLRQ GHU $QODJH GLH GHQ 6DFKVWDQG EHU GLH $QODJH ]XP =HLWSXQNW LKUHU $EQDKPH ULFKWLJ DV EXLOW  XQG YROOVWlQGLJ JHPl‰ YHUWUDJOLFKHU 9HUHLQEDUXQJ EHVFKUHLEW

 'XUFKIKUXQJGHU,QEHWULHEQDKPH

+DXSWEHVWDQGWHLOGHU$6%8,/7'RNXPHQWDWLRQ VLQG GLH]XP $EQDKPH]HLWSXQNWUHYL GLHUWHQ$QODJHQXQG%HWULHEVGRNXPHQWDWLRQ6LHXPIDVVWDOOH([HPSODUHHJDOREVLHLQ 3DSLHUIRUPRGHUHOHNWURQLVFKHU)RUPYRUOLHJHQ 'LH(UVWHOOXQJXQG/LHIHUXQJGHU$6%8,/7'RNXPHQWDWLRQLVWQDFKGHU(UULFK WXQJ XQG ,QEHWULHEQDKPH GHU $QODJH GLH ]ZHLWZLFKWLJVWH 9HUWUDJVOHLVWXQJ GHV $XIWUDJQHKPHUV Die AS BUILT-Dokumentation ist notwendig, damit  der Kunde die Anlage sicher, bestimmungsgemäß und gewinnbringend betreiben kann,  der Kunde die Anlage effektiv instandhalten, erweitern, umbauen und modernisieren kann,  Haftungs- und Gewährleistungsansprüche sowie Störungs- bzw. Schadensfälle geklärt werden können,  der Kunde dem Inhalt des Genehmigungsbescheides gerecht werden kann sowie ein Nachweis des genehmigungskonformen und bestimmungsgemäßen Betriebes möglich ist,  der Kunde ganzheitlich seine Sorgfaltspflichten erfüllen kann. 6.10.1 Regelungsbedarf zur AS BUILT-Dokumentation 'LH ODQJMlKULJHQ (UIDKUXQJHQ GHV $XWRUV EHOHJHQ GDVV LQ YLHOHQ $QODJHQSURMHNWHQ GLH %HODQJHGHU'RNXPHQWDWLRQXQ]XUHLFKHQGJHPDQDJWZHUGHQ 1LFKW VHOWHQ ZLUG EHL GHQ 'RNXPHQWDWLRQVOHLVWXQJHQ JHVSDUW XQG GDUDXV IROJHQGH 'RNXPHQWDWLRQVPlQJHOLQIDKUOlVVLJHU:HLVHWROHULHUW ,QDQGHUHQ)lOOHQZHUGHQJUDYLHUHQGH0lQJHOQDFKGHPVLHGHP3URMHNWPDQDJHPHQW GHXWOLFK VLFKWEDU ZHUGHQ LP 1DFKJDQJ ]XU $QODJH XQG PLW ]7 KRKHQ 3HUVRQDO XQG .RVWHQDXIZDQGQDFKJHEHVVHUW ,QVJHVDPWEHVWHKWEHLGHQ'RNXPHQWDWLRQVOHLVWXQJHQHLQHUKHEOLFKHV9HUEHVVHUXQJV XQG(LQVSDUSRWHQWLDOZREHLIROJHQGH(UIDKUXQJHQEHVWHKHQ>@ x Die Dokumentationsthematik muss als integraler Bestandteil der Projektabwicklung in Einheit von Anlage und Dokumentation verstanden werden. Auf Ausnahmen, die z.B. getrennte Zahlungsmeilensteine bzw. Abnahmeprozeduren betreffen, ist speziell hinzuweisen. Entsprechend der genannten Komplexität betreffen die Fragen zur Herstellung der Dokumentation (analog zur Herstellung der Anlage) den Vertrag als Ganzes. Die Regelung der Dokumentationsaspekte in einem speziellen Vertragsanhang DOKUMENTATION reicht leider nicht aus. x Die wesentlichen werkvertraglichen Regelungen bezüglich der Dokumentationsleistungen, wie z.B. Beachtung der Dokumentation bei den vertraglichen Vereinbarungen über Vertragsleistung, Abnahme, Gewährleistung, Beweislast, Mangelanzeige, Nachbesserung, Zahlungsbedingungen und Termine, müssen umfassend und konkret im Vertrag ausgestaltet werden. x Die parallel zur Herstellung der Anlage notwendigen Arbeiten zur Herstellung der Dokumentation sollten von jedem Leadingenieur des Auftragnehmers (AN) und Auftraggebers (AG) als eigene Arbeitsaufgaben verstanden und wahrgenommen werden. Gegebenenfalls sind, z.B. durch Einbeziehung externer Mitarbeiter, ausreichende Ressourcen zu schaffen, damit jeder Leadingenieur die Dokumentationsleistungen

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seiner Fachdisziplin erbringen kann. Die Schaffung eines Leadingenieurs DOKUMENTATION (Document Controller), der zentral im Projektteam des AN bzw. AG die Dokumentationsleistungen koordiniert und teils selbst erbringt, ist bei großen Projekten eine mögliche Alternative. x Das Produkt AS BUILT-Dokumentation, dass der Auftragnehmer neben der Anlage an den Auftraggeber zu liefern hat, muss durch den Auftragnehmer bereits im Lastenheft umfassend spezifiziert werden. In einer Spezifikation oder Norm Ä$6%8,/7-'RNXPHQWDWLRQ³(s. auch Beispiel in Tabelle 6.19) sind insbesondere Vorgaben zu machen zu:  %H]HLFKQXQJHQXQG%HJULIIVGHILQLWLRQZHVHQWOLFKHU'RNXPHQWHQDUWHQ  6WUXNWXUXQG,QKDOWGHU$6%8,/7'RNXPHQWDWLRQ  4XDOLWlWVDQIRUGHUXQJHQDQGLH$6%8,/7'RNXPHQWDWLRQLQNODQHLQ]HOQH7HLOH .DSLWHO$EVFKQLWWHXQG'RNXPHQWHQDUWHQ  /LVWHGHU'RNXPHQWHQDUWHQGLHDOVEHDUEHLWEDUH'DWHLHQ]XOLHIHUQVLQGLQNOXVLYH $QJDEHQEH]JOLFK(UVWHOOXQJVVRIWZDUH'DWHLIRUPDWXVZ  )RUPXQG([HPSODUDQ]DKOGHU3DSLHUYHUVLRQXQGHOHNWURQLVFKHQ9HUVLRQ 6SlWHU LVW GLHVH 6SH]LILNDWLRQ JHJHEHQHQIDOOV XQWHU %HDFKWXQJ YRQ DEJHVWLPPWHQ E]ZYHUKDQGHOWHQbQGHUXQJHQDOV9HUWUDJVEHVWDQGWHLO]XYHUHLQEDUHQ 7DEHOOH,QKDOWVYHU]HLFKQLVHLQHUÄ6SH]LILNDWLRQIUGLH$6%8,/7'RNXPHQWDWLRQ³ 3UD[LV EHLVSLHO   =LHOXQG=ZHFN  $QZHQGXQJVEHUHLFK    

%HJULIIVGHILQLWLRQHQPLW(UOlXWHUXQJHQ %HJULIIVGHILQLWLRQHQ 'HILQLWLRQHQEHUJHRUGQHWHU%HJULIIH 'HILQLWLRQHQZHVHQWOLFKHU'RNXPHQWHQDUWHQ

   

6WUXNWXUGHU$6%8,/7'RNXPHQWDWLRQ *HVDPWGRNXPHQWDWLRQ $QODJHQGRNXPHQWDWLRQ %HWULHEVGRNXPHQWDWLRQ

4XDOLWlWVDQIRUGHUXQJHQDQGLH$6%8,/7'RNXPHQWDWLRQ  9RUEHPHUNXQJHQ  *UXQGVlW]OLFKH)RUGHUXQJHQ  *DQ]KHLWOLFKNHLW9ROOVWlQGLJNHLW  :LGHUVSUXFKVIUHLKHLW(LQGHXWLJNHLW  $VEXLOW*HUHFKWKHLW  1XW]HUJHUHFKWKHLW(UJlQ]XQJVIUHXQGOLFKNHLW  2UGQXQJVNULWHULHQ  *OLHGHUXQJ6\VWHPDWLN 6FKULIWIHOGHU  'RNXPHQWHQNHQQ]HLFKHQ  3DSLHUGRNXPHQWDWLRQ  $EODJHIRUP  ,QKDOWVYHU]HLFKQLV  2UGQHUNHQQ]HLFKQXQJ  (OHNWURQLVFKH'RNXPHQWDWLRQ

 'XUFKIKUXQJGHU,QEHWULHEQDKPH 7DE )RUWVHW]XQJ   2UGQXQJVNULWHULHQ )RUWVHW]XQJ   *UXQGVlW]OLFKHV  6RIWZDUH'DWHQWUlJHU  'DWHLQDPHQ 6\VWHPDWLN,QKDOWVYHU]HLFKQLV.HQQ]HLFKQXQJ    

hEHUJDEHSURWRNROO]XU$6%8,/7'RNXPHQWDWLRQ .RSIGHV3URWRNROOV $QJDEHQ(UNOlUXQJ]XUEHUJHEHQHQ'RNXPHQWDWLRQ 8QWHUVFKULIWHQ)LUPHQVWHPSHO

         

6SH]LILNDWLRQHQZHVHQWOLFKHU'RNXPHQWDWLRQVWHLOHE]Z'RNXPHQWHQDUWHQ 3UIKDQGEXFKGHU$QODJH 3UIEFKHUIU$QODJHQNRPSRQHQWHQ 3UIEXFKIU'UXFNJHUlWH 3UIEXFKIU:+*%HKlOWHU 5RKUOHLWXQJVEXFK .UDQEXFK 3UIEXFKIUNUDIWEHWlWLJWH)HQVWHU7UHQXQG7RUH :DUWXQJVXQG,QVSHNWLRQVSODQGHU$QODJH %HWULHEVDQZHLVXQJHQ

 0LWJHOWHQGH'RNXPHQWH %HLODJHQ %HLODJH %HLODJH %HLODJH %HLODJH %HLODJH %HLODJH %HLODJH %HLODJH %HLODJH

*ORVVDU &KHFNOLVWH]XU4XDOLWlWVSUIXQJGHU$6%8,/7'RNXPHQWDWLRQ &RGLHUXQJGHU.HQQ]HLFKQXQJVEO|FNH 6FKULIWIHOGHUIU'RNXPHQWH %HLVSLHO,QKDOWVYHU]HLFKQLV'DWHQWUlJHU %HLVSLHOhEHUJDEHSURWRNROO]XU$6%8,/7'RNXPHQWDWLRQ %HLVSLHO,QKDOWVYHU]HLFKQLVGHV3UIEXFKHVHLQHV'UXFNJHUlWV %HLVSLHO,QKDOWVYHU]HLFKQLVGHV3UIEXFKHVHLQHV:+*%HKlOWHUV³ %HLVSLHO%HWULHEVDQZHLVXQJ

x Die Verantwortlichkeiten, die wichtigsten Aufgaben, Schritte und Termine sowie insbesondere die geplanten Qualitätssicherungsmaßnahmen (inkl. die Prozedur der Mangelanzeige und Mangelbeseitigung) während der Herstellung der AS BUILTDokumentation sind im Projekt, möglichst für beide Partner gemeinsam und verbindlich, zu regeln. Zweckmäßig ist es, alle diese Festlegungen in einer Projektrichtlinie Dokumentation zusammenzufassen. x Der Auftraggeber/Betreiber muss sich Klarheit darüber verschaffen, wie er später die AS BUILT-Dokumentation pflegen will. Ausgehend davon sind zielorientierte Vorgaben zur Spezifizierung der AS BUILTDokumentation sowie zur Organisation des gesamten Dokumentationsprozesses zu erarbeiten und bereits im Lastenheft und im Anlagenvertrag zu formulieren. Im Einzelnen sind u.a. die folgenden Fragen zu entscheiden:  In welcher Ausführungsform (gegenständlich und/oder elektronisch) sind die einzelnen Dokumente im Projekt und während des Dauerbetriebs zu erstellen, zu nutzen und zu pflegen?

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Welche Software und welche Dateiformate werden dabei genutzt? Welche Ausführungsform hat im Zweifel das Primat? Wie erfolgt das Dokumentenmanagement? Welche Teile der AS BUILT-Dokumentation müssen während des Dauerbetriebes unbedingt aktuell gehalten werden?  Wie wird mit den anderen Dokumentenarten verfahren? ,QGHU3UD[LVZHUGHQGLH$6%8,/7'RNXPHQWDWLRQHQLP1RUPDOIDOOQRFKNRPSOHWW LQ3DSLHUIRUPXQGJOHLFK]HLWLJLQJUR‰HQ7HLOHQDXFKLQHOHNWURQLVFKHU)RUPJHOLHIHUW 'LH ÄG\QDPLVFKHQ 'RNXPHQWH³ VROOWHQ XQEHGLQJW DOV EHDUEHLWEDUH 'DWHLHQ DQ GHQ $XIWUDJJHEHUQDWUOLFKEHLHQWVSUHFKHQGHU9HUJWXQJEHUJHEHQZHUGHQ $XFK ZHQQ GLH 3URMHNWH LP NRPSOH[HQ $QODJHQEDX ]XQHKPHQG SDSLHUDUP DEJH ZLFNHOWZHUGHQ VR ZLUGGRFK PLWWHOIULVWLJGLH$6%8,/7'RNXPHQWDWLRQLQ3DSLHU IRUPQRFKXQYHU]LFKWEDUEOHLEHQ 'LH8UVDFKHQVLQGKDXSWVlFKOLFKLQGHU5HFKWVUHOHYDQ]GHU$6%8,/7'RNXPHQ WDWLRQXQGGHPHUKHEOLFKHQ$XIZDQGLP8PJDQJPLWGHUHOHNWURQLVFKHQ6LJQDWXU]X VHKHQ =XVDPPHQIDVVHQG JLOW KLQVLFKWOLFK GHV DQJHIKUWHQ 5HJXOLHUXQJVEHGDUIV EH]JOLFK GHU 'RNXPHQWDWLRQ 'LH $6 %8,/7'RNXPHQWDWLRQ NRVWHW FD  ELV  3UR]HQW GHU *HVDPWLQYHVWLWLRQ XQGKDWHLQHOlQJHUH1XW]XQJVGDXHUDOVGLH$QODJH (QWVSUHFKHQGPXVVGHU3UR]HVVLKUHU(UVWHOOXQJXQG3IOHJHSURIHVVLRQHOOJHPD QDJWZHUGHQ>@ 6.10.2 Fertigstellung und Lieferung der AS BUILT-Dokumentation ,P:HLWHUHQZLUGYRUDXVJHVHW]WGDVVGLH*HVDPWGRNXPHQWDWLRQLQGLH4XDOLWlWVNRQWURO OHQLQNO0RQWDJHNRQWUROOHQJHPl‰$EVFKQHLQEH]RJHQZDUXQG]XP=HLWSXQNWGHU 0HFKDQLVFKHQ )HUWLJVWHOOXQJ HLQH YRU 2UW QXW]EDUH XQG DXI GLH 4XDOLWlWVPHUNPDOH UHFKWVJHQHKPLJXQJVNRQIRUP YROOVWlQGLJ XQG ÄZLH PRQWLHUW³ JHSUIWH *HVDPWGRNX PHQWDWLRQYRUODJ VDXFK$EVFKQ%XFKVWH  x 'HU ,QEHWULHEQDKPHOHLWHU LVW JHJHQEHU GHP 3URMHNWOHLWHU IU GLH 3IOHJH XQG )RUW VFKUHLEXQJGHUJHVDPWHQ'RNXPHQWDWLRQZlKUHQGGHU,QEHWULHEQDKPHYHUDQWZRUWOLFK (UPXVVDEVLFKHUQGDVV]XP(QGHGHU,QEHWULHEQDKPH IDOOV]XGLHVHP=HLWSXQNW GLH ZHUNYHUWUDJOLFKH $EQDKPH GHU $QODJH  HUIROJW ]XPLQGHVW HLQ YHUWUDJVJHUHFKWHV $UEHLWVH[HPSODU GHU $6 %8,/7'RNXPHQWDWLRQ YRU 2UW YHUIJEDU LVW ZHOFKHV HU GHP$XIWUDJJHEHU ]%%HWULHEVOHLWHU EHUJLEW x =X GLHVHP =ZHFN PVVHQ GLH ,QEHWULHEQDKPHLQJHQLHXUH ZlKUHQG GHU ,QEHWULHEQDK PH MHZHLOV IU LKUHQ 9HUDQWZRUWXQJVEHUHLFK GLH WHFKQLVFKHQ bQGHUXQJHQ HUIDVVHQ XQGLQGLH]XJHK|ULJHQ0DVWHU JHJHQVWlQGOLFKRGHUHOHNWURQLVFK HLQWUDJHQ 'LHIROJHQGHQ]ZHL9DULDQWHQZHUGHQGDEHLYRUUDQJLJSUDNWL]LHUW D -HGHbQGHUXQJZLUGHQWVSUHFKHQGHLQHU3URMHNWULFKWOLQLH]XP&KDQJH&RQWURO EHDQWUDJWJHQHKPLJWXQGDXVIKUXQJVJHUHFKWGRNXPHQWLHUW 'LH HLQ]HOQHQ ELV ]XU (QGDEQDKPH GHU $QODJH DQJHIDOOHQHQ &KDQJH&RQWURO9RU JlQJH VLQG YRP $XIWUDJQHKPHU LQGLH $6%8,/7'RNXPHQWDWLRQ ELV ]XU /LHIHUXQJ HLQ]XSIOHJHQ'LHVH3UR]HGXULVWDXIZHQGLJDEHU VLH PLQLPLHUW )HKOHUXQGLVW QDFK YROO]LHKEDU)U3KDUPDDQODJHQLVWVLHQDFKGHQ*03*UXQGVlW]HQ]ZLQJHQG

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'HU $XWRU NDQQ DXV VHLQHU %HUXIVSUD[LV KHUDXV LQ GHU HU PHKUIDFK XPIDQJUHLFKH $6 %8,/7'RNXPHQWDWLRQHQ DXGLWLHUW XQG YHUDQWZRUWOLFK JHSUIW KDW GLHVH %HGHQ NHQQLFKWWHLOHQ 9RUDXVVHW]XQJZDUDOOHUGLQJVGDVVIUGLH'RNXPHQWDWLRQVOHLVWXQJHLQHlTXLYDOHQ WH 9HUJWXQJ PLQGHVWHQV   GHU *HVDPWYHUJWXQJ DOV =DKOXQJVPHLOHQVWHLQ XQG 6LJQLILNDQ]EHWUHIIV9HUWUDJVVWUDIH DXIZHUNYHUWUDJOLFKHU%DVLVYHUHLQEDUWZDU x Gemäß den praktischen Erfahrungen wird im Normalfall folgender Lieferumfang der AS BUILT-Dokumentation empfohlen:  Belegexemplar (in Papierform oder in nichtveränderbarer elektronischer Form als ÄMXULVWLVFKH8UNXQGH³  1. Arbeitsexemplar (Papierkopie des Belegexemplars; dient neben dem elektronischen Exemplar als Arbeitsgrundlage)  Elektronisches Exemplar (dynamische Dokumente als bearbeitbare Dateien; andere Dokumente in konvertierter bzw. eingescannter Form; Inhalt und Ausführung der elektronischen Form des Dokuments muss mit der entsprechenden Papierform identisch sein )  $UEHLWVH[HPSODU 3DSLHUNRSLHQYRQ$EVFKQLWWHQGHU$6%8,/7'RNXPHQWDWLRQ 5 ,)OLH‰VFKHPDWD 6FKDOWSOlQH %HWULHEVDQOHLWXQJHQ 3UIEFKHU XVZ  GLH GH ]HQWUDOLQGHU$QODJH 6FKDOWZDUWH6FKDOWUDXP/DERU LQGHU:HUNVWDWW 0DVFKL QHQDNWHQ  RGHU LQ =HQWUDOEHUHLFKHQ 6LFKHUKHLW *HQHKPLJXQJ  DXIEHZDKUW XQG JHQXW]WZHUGHQ %HL ZHLWHUHQ '2.8([HPSODUHQ EHVWHKW GLH *HIDKU GDVV ]XNQIWLJ QLFKW DOOH ([HPSODUHXQGGLH]XJHK|ULJHQ(LQ]HOGRNXPHQWHJHSIOHJWZHUGHQXQGZlKUHQG GHV 'DXHUEHWULHEV PLW 'RNXPHQWHQ YHUVFKLHGHQHU 5HYLVLRQVVWlQGH JHDUEHLWHW ZLUG 'LH)ROJHQGHVVHQVLQGQLFKWDEVHKEDUXQGIDKUOlVVLJYHUXUVDFKW x ,P9HUWUDJLVW]XYHUHLQEDUHQZHOFKHV([HPSODUGDV3ULPDWKDW 6.10.3 Prüfung der AS BUILT-Dokumentation Ist die AS BUILT-Dokumentation an den Auftraggeber übergeben, muss dieser diese Vertragsleistung überprüfen, um ggf. bis zur Abnahme und Vergütung seinen Erfüllungsanspruch (z.B. auf Nacherfüllung) wahrnehmen zu können. Grundsätzlich erfordert eine fundierte und nachvollziehbare Prüfung zwei Voraussetzungen. Einerseits müssen die Qualitätsanforderungen an die AS BUILT-Dokumentation exakt definiert sein gemäß dem allgemeingültigen Grundsatz: (LQHIIHNWLYHV4XDOLWlWVPDQDJHPHQWEH]JOLFK.RQWUROOH(UIOOXQJXQG*HZlKU OHLVWXQJVHW]WYRUDXVGDVVGLH4XDOLWlWDQKDQGYRQ0HUNPDOHQ.ULWHULHQEHU SUIEDULVW und zum anderen muss die Vorgehensweise/Prozedur für die Prüfung feststehen. Letzteres kann z.B. als Projektrichtlinie bzw. als Verfahrensanweisung im QualitätsManagement-System schriftlich formuliert werden. Das Inhaltsverzeichnis einer ProjektrichtlLQLH Ä3UIXQJ GHU $6 %8,/7-DokumentaWLRQ³GLHIUHLQHJUR‰H3KDUPDDQODJHHUVWHOOWZXUGH, enthält die folgende Tabelle 6.20.

 'XUFKIKUXQJGHU,QEHWULHEQDKPH 7DEHOOH,QKDOWVYHU]HLFKQLVGHU3URMHNWULFKWOLQLHÄ3UIXQJGHU$6%8,/7'RNXPHQWDWLRQ QXU3DSLHUIRUPXQGRKQH4XDOLIL]LHUXQJVGRNXPHQWH IUHLQH3KDUPDDQODJH     

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$XVZHUWXQJGHU4XDOLWlWVSUIXQJXQG9HUDQWZRUWOLFKNHLWHQ 6WXIHQSODQ]XU'XUFKIKUXQJXQG$XVZHUWXQJGHU3UIXQJHQ

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,P 3UD[LVEHLVSLHO Ä$6 %8,/7-'RNXPHQWDWLRQ HLQHU 3KDUPDDQODJH³ konzentrierte sich die Prüfung zunächst auf das Belegexemplar in Papierform und verlief in folgenden vier Hauptschritten: 6FKULWW 9RUSUIXQJGHV%HOHJH[HPSODUV  (UIOOXQJVNRQWUROOH JUXQGOHJHQGHU 4XDOLWlWVDQIRUGHUXQJHQ EHWUHIIV ,QKDOW 1XW]XQJ XQG 9HUZDOWXQJ GHU $6 %8,/7'RNXPHQWDWLRQ GXUFK $XGLWLH UXQJ 6FKULWW +DXSWSUIXQJGHV%HOHJH[HPSODUV  (UIOOXQJVNRQWUROOH DOOHU 4XDOLWlWVDQIRUGHUXQJHQ GXUFK 'HWDLOSUIXQJ DXI 2UGQHUE]Z'RNXPHQWHQHEHQH  'D]XZXUGHLP7HDPIHVWJHOHJW ƒ ZHOFKH 'RNXPHQWHHLQHU3UIXQJ XQG ZHOFKHHLQHU 6WLFKSUREHQ SUIXQJXQWHU]RJHQZHUGHQ ƒ ZLH JUR‰ GHU 6WLFKSUREHQXPIDQJ HQWVSUHFKHQG GHU *HVDPW]DKO ]X SU IHQGHU (LQ]HOGRNXPHQWH XQG GHU JHZQVFKWHQ 7UHIIHUJHQDXLJNHLW VHLQ PXVV ]%PLWWHOVVWDWLVWLVFKHU0HWKRGHQ  ƒ ZLHGLHUHSUlVHQWDWLYH6WLFKSUREHIUGLH3UIXQJ]XHQWQHKPHQLVW ƒ ZLH]XYHUIDKUHQLVWZHQQGLH6WLFKSUREHQLFKWGLH]XJHVLFKHUWHQ(LJHQ VFKDIWHQ 4XDOLWlWVDQIRUGHUXQJHQ HUIOOW  )HVWJHVWHOOWH 0lQJHO ZXUGHQ PLW +LOIH HLQHV HOHNWURQLVFKHQ )RUPXODUV 0$1*(/0(/'81*DQDORJ$EELQ$EVFKQHUIDVVWDQGHQ

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624

6 Durchführung der Inbetriebnahme

Dabei bezieht sich die Gewährleistung auf den Zustand des Belegexemplars der AS BUILT-Dokumentation zum Abnahmezeitpunkt.  Entsprechend BGB, § 634a beträgt die Gewährleistungsdauer  5 Jahre für die Bau-Dokumentation und  2 Jahre für alle anderen Dokumentationsteile.

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7 Know-how-Gewinn während der Inbetriebnahme Im Mittelpunkt jeder Inbetriebnahme steht vorrangig das Erreichen des vertragsgemäßen Nennzustandes der Anlage. Nachdem zuvor erhebliche finanzielle u.a. Ressourcen verbraucht wurden, soll die Anlage nun möglichst schnell und dauerhaft den geplanten Gewinn erwirtschaften. Weitere Aufgaben und Zielstellungen, die in Abschn. 1.3 angeführt und erläutert wurden, ordnen sich dieser Hauptzielstellung unter, sind aber trotzdem wichtig. Dazu gehört auch der gezielte Know-how-Gewinn, d.h. das Erzielen neuer Erkenntnisse über Verfahren und Anlage inkl. ihrer Komponenten. Selbstverständlich bringt die Inbetriebnahme quasi im „Selbstlauf“ neues Know-how hervor. Es stellt im gewissen Sinne ein natürliches Nebenprodukt der Inbetriebnahme dar. Das ist einerseits dem Prozesscharakter der Anlagenrealisierung geschuldet, wo praktisch jede neue Phase im Realisierungsablauf mit neuen Erkenntnissen verbunden ist. Zum anderen ist es mit der besonderen Stellung der Inbetriebnahme innerhalb des Gesamtprozesses der Anlagenrealisierung wie folgt zu erklären:  Das Verfahren und die Anlage liegen erstmals vergegenständlicht vor.  Die Inbetriebnahme stellt die letzte Phase der Anlagenrealisierung dar. Fehler und Mängel aus den vorherigen Projektphasen werden offensichtlich.  Die Inbetriebnahme bietet erstmalig die Möglichkeit das im Engineering und bei der Anlagenrealisierung genutzte Wissen in der Praxis zu überprüfen. Die logische Folge daraus sind zwangsläufig neue Erkenntnisse. Ziel und Aufgaben einer systematischen Inbetriebnahmevorbereitung, -durchführung und -auswertung muss es sein, dieses a priori anfallende Wissen bewusst zu erfassen und aufzuarbeiten sowie zur technisch-technologischen Verbesserung von Ausrüstungen und Verfahren gezielt anzuwenden. Zusätzlich zu diesem „natürlichen“ Know-how-Zuwachs bietet die Inbetriebnahmephase aber zum Teil einmalige Möglichkeiten, neue Erkenntnisse zu gewinnen. Unter Nutzung wissenschaftlicher Prozess- und Anlagenanalysen während der Inbetriebnahme sollte in jedem Projekt und speziell während der Inbetriebnahme ein weiterer, zielund problemorientierter Know-how-Gewinn angestrebt werden, der zugleich die Grundlage für einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess darstellt. Die Herausforderung für das Management ist dabei, das eine (die vertragsgemäße Inbetriebnahme) zu tun, ohne das andere (die zusätzliche Prozess- und Anlagenanalyse) zu lassen. Der folgende Abschnitt soll die beträchtlichen Potentiale aufzeigen und Empfehlungen zur Durchführung geben.

7.1 Prozess- und Anlagenanalyse während der Inbetriebnahme Unter Prozessanalyse bzw. Anlagenanalyse wird eine systematische technologische, technische, gestalterische und organisatorisch-betriebswirtschaftliche Untersuchung eines bestehenden oder konzipierten Prozesses bzw. einer bestehenden oder geplanten Anlage hinsichtlich seiner/ihrer Verbesserungsfähigkeit verstanden [1]. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 K. H. Weber, Inbetriebnahme verfahrenstechnischer Anlagen, VDI-Buch, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59498-8_7

627

628

7 Know-how-Gewinn während der Inbetriebnahme

In der Fachliteratur wird die Durchführung von Prozessanalysen und Anlagenanalysen während des Dauerbetriebs (zwecks Anlagenertüchtigung) ausführlich behandelt. Demgegenüber findet man zu Analysen während der Inbetriebnahme kaum Aussagen. Bei vielen Inbetriebnahmeleitern und -ingenieuren dominieren häufig Gesichtspunkte eines schnellen und sicheren An- und Hochfahrens der Anlage. Gezielte wissenschaftlich-technische Untersuchungen während der Inbetriebnahme werden teils mit Argumenten wie,  die Arbeiten zur Prozess-/Anlagenanalyse lenken von den eigentlichen, vertragsgemäßen Aufgaben und Zielstellungen der Inbetriebnahme ab,  die größere Ausfallhäufigkeit während der Inbetriebnahme erschwert bzw. verhindert gezielte Untersuchungen,  das Betreiberpersonal (einschließlich des Laborpersonals) hat zu geringe Erfahrungen bzw. zu wenig Zeit,  einzelne Ausrüstungen (z.B. Messgeräte) arbeiten teils noch nicht bzw. nicht zuverlässig,  Untersuchungsprogramme könnten beim Käufer Zweifel an der Leistungsfähigkeit des Verfahrens/der Anlage hervorrufen, skeptisch betrachtet. Obwohl dies teilweise der Wahrheit entspricht, wäre es falsch, deshalb die Durchführung wissenschaftlich-technischer Untersuchungen während der Inbetriebnahme generell zu negieren. Zwei Hauptgründe sprechen u.a. für deren Beachtung und Durchführung:  Die Ergebnisse aus wissenschaftlich-technischen Untersuchungen dienen dem Risikoabbau während der Inbetriebnahme, insbesondere bezüglich der Einhaltung der Garantieparameter. Ihre unmittelbare praktische Nutzung während der Inbetriebnahme macht letztlich den Leistungsnachweis sicherer.  Der gezielte Know-how-Gewinn während der Inbetriebnahme kann die Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit zukünftiger Angebote und Anlagenprojekte wesentlich erhöhen. Nicht selten resultieren aus den Untersuchungen eigene Patentanmeldungen. Einige Vorzüge und spezielle Möglichkeiten von Prozessanalysen während der Inbetriebnahme sind in Abbildung 7.1 dargestellt. Im Weiteren wird auf einige der in Abb. 7.1 angeführten Möglichkeiten des gezielten Know-how-Gewinns näher eingegangen. a) Analyse des Prozesses und der Anlage im Anfangszustand ist möglich Verfahrenstechnische Anlagen inklusive ihrer Anlagenkomponenten unterliegen einer Alterung. Neben dem moralischen Verschleiß von Verfahren und Ausrüstungen resultiert dies u.a. auch aus  den prozesstechnisch bedingten Verschmutzungen,  einem Aktivitäts- bzw. Kapazitätsabfall von Katalysatoren bzw. Adsorbentien,  dem technischen Verschleiß an Ausrüstungen. Während des Anfahrens und Einfahrens der Anlage gibt es die einmalige Gelegenheit, den Anfangszustand der Anlage und der Anlagenkomponenten zu bestimmen. Aus den anschließend gemessenen Veränderungen und den zugehörigen Prozessparameter lassen sich u.U. Ursachen für die Schädigung bzw. Alterung ermitteln sowie Gegenmaßnahmen ableiten. Beispiel 7.1 demonstriert diese Möglichkeit an einem Adsorptionsprozess.

7.1 Prozess- und Anlagenanalyse während der Inbetriebnahme

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Gezielter Know-how-Gewinn während der Inbetriebnahme

organisatorische und wirtschaftliche Vorteile

Zeitgewinn

Einsparung von Forschungskapazitäten

problemlosere Rahmenbedingungen

inhaltliche Vorteile

Untersuchungen im Anfangszustand der Anlage

Untersuchungen außerhalb des normalen Parameterbereiches

Untersuchung einzelner Prozessstufen

leichtere Zugriffsmöglichkeiten auf Arbeitskräfte, Laborkapazitäten usw.

Untersuchung instationärer Übergangszustände

direkte Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse in der Anlage möglich

Untersuchungen zur Prozessoptimierung

Abb. 7.1 Know-how-Gewinn während der Inbetriebnahme – Möglichkeiten und Vorteile

Beispiel 7.1 Untersuchung der Adsorptionskapazität von Molekularsieb (Zeolith) während der Startphase Im PAREX®-Verfahren [2] werden n-Alkane der Kettenlänge C10 bis C20 aus einer Dieselkraftstofffraktion gewonnen. Zugleich wird durch die Entfernung der n-Alkane ein hochwertiger „Winter-Dieselkraftstoff“ erzeugt, indem der Stockpunkt des „Diesel“ auf ca. 50 °C abgesenkt wird. Das Verfahren basiert auf einer selektiven Adsorption der n-Alkane an Molekularsieben (Zeolith) mit einem Mikroporen-Durchmesser von 5 Å = 5·10−7 mm. Das Molekularsieb liegt als Schüttgut mit ca. 2mm Partikeldurchmesser vor und ist in 3 Adsorbern mit einem Schüttungsvolumen von je 100 m3 eingefüllt. Die Adsorption der n-Alkane (Adsorbat) findet in der Gasphase, gemeinsam mit einem wasserstoffhaltigen Begleitgas, bei ca. 400 °C und ca. 1,0 MPa statt. Die Desorption der n-Alkane (Desorbat) erfolgt mittels Ammoniak (Desorptionsmittel) bei etwa gleichen Temperatur- und Druckbedingungen.

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7 Know-how-Gewinn während der Inbetriebnahme

Bevor die Adsorption gestartet werden kann, muss die gesamte Molekularsieb-Schüttung schrittweise im Ammoniakstrom bis auf 420 °C aufgeheizt und aktiviert werden. Ziel der Aktivierung war die vollständige Entfernung von Wasser und gegebenenfalls von anderen adsorbierten Verunreinigungen. Für das Molekularsieb hatte der Auftragnehmer eine Standzeitgarantie (Molekularsieblebensdauer) von 7800 Betriebsstunden übernommen. Diese besagte, dass unter den vertraglich vereinbarten Bedingungen auch nach 7800 Betriebsstunden noch eine bestimmte Adsorptionskapazität der Molekularsiebschüttung garantiert wurde. Wird diese Grenzkapazität nicht erreicht, musste der Auftragnehmer auf eigene Rechnung neues Molekularsieb nachliefern. Entsprechend diesem gravierenden Garantieversprechen wurde die Adsorptionskapazität während der Inbetriebnahme vorheriger Anlagen (sog. Typenanlagen) sehr sorgfältig kontrolliert. Dazu wurde während des Einfüllvorgangs eine repräsentative Probe vom Molekularsieb-Schüttgut entnommen und die Adsorptionskapazität des frischen Molekularsiebs (Basiswert) gemessen. Nach dem Einfüllen wurde das Molekularsieb anschließend über einen Zeitraum von ca. 100 h im Ammoniakstrom bei ca. 420°C aktiviert und danach in den normalen Adsorptions-Desorptions-Prozess eingebunden. Nachdem ca. 100 Betriebsstunden unter Prozessbedingungen vergangen waren, erfolgte eine erneute Messung der Adsorptionskapazität der gesamten Molekularsiebschüttung durch Aufnahme und Auswertung einer sog. Durchbruchskurve. Dabei wurde festgestellt, dass während der kurzen Betriebsdauer von nur ca. 100 Stunden das Molekularsieb bereits ca. 15 Prozent der Anfangskapazität verloren hatte. Damit war bereits ein erheblicher Teil der Kapazitätsreserve, die für die Einhaltung der Standzeitgarantie (Molekularsieblebensdauer) von 7800 Betriebsstunden benötigt wurde, aufgebraucht. Die Ursache für diesen beträchtlichen Kapazitätsverlust während der Startphase war unklar. In Vorbereitung der Inbetriebnahme einer neuen Anlage wurde deshalb vom Inbetriebnahmeteam unter Leitung des Auftragnehmers die Idee geboren, dieses Phänomen näher zu untersuchen und dafür folgende Maßnahmen geplant und technisch umgesetzt: 1) Realisieren einer Probenahmemöglichkeit von Molekularsieb aus dem Adsorber zum Ende der Desorptionsphase entsprechend der Vorrichtung in Abb. 7.2. Beschreibung der Vorrichtung:  Die Probenahme erfolgt durch ein Rohr DN 50 (Pos. 1), das ausreichend tief in die Schüttung gesteckt ist. Der Nenndurchmesser DN 50 ist notwendig, damit das Schüttgut unter den Innendruck von ca. 10 bar gefördert wird. Er wurde in Vorversuchen im Technikum ermittelt. Bei kleineren DN erfolgt Brückenbildung im Schüttgut und keine Fluid-Strömung.  Als Absperrarmaturen (2), (3) und (4) werden Schieber DN 50 verwendet, um ▪ einen geraden Durchgang für die Gas-Feststoffströmung zu ermöglichen und ▪ ein vollständiges Freispülen der Armaturen (3) und (4), die gasdicht sein müssen, zu gewährleisten.  Alle mit Feststoff beaufschlagten Rohrleitungen sind in DN 50 auszuführen.  Die Abscheidung der Molekularsieb-Probe erfolgt im Abscheider (5). Vorgehensweise bei Probenahme:  Die Schieber (2) und (3) werden solange geöffnet bis der Abscheider (5) und die vorherige Rohrleitung mit Molekularsieb gefüllt sind.  Danach wird der Schieber (2) soweit wie möglich geschlossen, sodass er gegenüber dem Feststoff dicht ist.

7.1 Prozess- und Anlagenanalyse während der Inbetriebnahme

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 Abb. 7.2 Vorrichtung zur Probenahme von Molekularsieb aus dem Adsorber unter Prozessbedingungen Vorgehensweise bei Probenahme (Fortsetzung)  Durch Öffnen des Stickstoff- oder Frischgas-Ventils wird das Rohrstück zwischen Scheiber (2) bis (4) sowie die Schieber (3) und (4) von Molekularsieb in den Abscheider (6) freigespült. Das Ventil (8) wird während des Freispülens geschlossen.  Nach dem Freispülen können die Scheiber (3) und (4) gasdicht geschlossen werden. Der Schieber (2) wirkt als Absperrarmatur für das Molekularsieb.  Zur Verhinderung von Molekularsiebaustrag in die Fackelleitung sind Siebe (7) in beiden Abscheidern vorgesehen.  Das Ventil (10) dient als Zwischenentspannung und zur Überprüfung der Gasdichtheit, nachdem zuvor das Ventil (11) geschlossen wurde.  Die Entnahme der abgekühlten Molekularsiebprobe erfolgt über die Stutzen (9), die mindestens in DN 25 auszuführen sind.

2) Abstimmung der geplanten Untersuchungen und Probenahme-Vorrichtung mit dem Betriebsleiter. 3) Realisierung der Probenahmevorrichtung gegen Ende der Montage im Auftrag des Auftraggebers. 4) Entnahme von Molekularsieb-Proben in kurzen Zeitabständen während der Aktivierung und der Anfangsphase des Adsorptions-Dessorptionsprozesses. 5) Auswertung der Proben im Stammhaus des Auftragsnehmers und Ableitung von Schlussfolgerungen. Die Analyse der Molekularsiebproben ergab, dass der in vorhergehenden Anlagen beobachtete Anfangsverlust an Adsorptionskapazität bereits während der Aktivierung des Molekularsiebs eingetreten war. In Verbindung mit weiteren Labor- und Technikumsversuchen konnten letztlich die Ursachen des anfänglichen Kapazitätsverlustes gefunden werden. Ausgehend von dieser Erkenntnis, konnte die Aktivierungsprozedur verändert und der anfängliche Kapazitätsabfall verringert werden. Das veränderte Aktivierungsverfahren wurde patentrechtlich geschützt sowie von beiden Vertragspartnern zukünftig genutzt.

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7 Know-how-Gewinn während der Inbetriebnahme

b) Analyse des Prozesses und der Anlage außerhalb des Nennzustandes ist möglich Dazu gehören u.a.  Untersuchungen bei extremen Teillastfahrweisen von Einzelausrüstungen, Teilanlagen (Package-units) bzw. der Gesamtanlage, wie z.B. Einfluss auf ▪ Produktqualitäten, ▪ Umsatz und Ausbeute, ▪ Wirkungsgrad, ▪ Beanspruchung der Ausrüstung, ▪ mögliche Kavitation usw.  Analyse der parametrischen Empfindlichkeiten des Verfahrens (Verfahrensstufen), gegebenenfalls auch von möglichen Instabilitäten, wie z.B. Einfluss von ▪ Veränderungen in der Rohstoffzusammensetzung, ▪ Parameterveränderung der Energien und Hilfsstoffe, ▪ Anlagenverschaltungen, ▪ stofflichen und/oder energetischen Rückkopplungen, ▪ Veränderungen von Prozessparametern, ▪ Störgrößen usw.  Ermittlung der Durchsatzengpässen (bottlenecks) sowie der Kapazitätsgrenze/-reserve von einzelner Ausrüstungen, Package-units und der Anlage. c) Untersuchung instationärer Übergangszustände ist möglich Dies gilt beispielsweise für die Untersuchung  von Batch-Prozessen,  von Übergangszuständen in Mehrproduktanlagen, z.B. bei Produktumstellung,  des Übertragungsverhaltens von Regelstrecken beim Regler-Tuning. Mit Bedacht kann u.U. eine Sprungfunktion auf eine Ausrüstungen/Anlage aufgegeben werden. d) Analysen einzelner Stufen des Prozesses und der Anlage sind gezielt möglich Während des Probebetriebes ist u.U. eine Konzentration der analytischen und messtechnischen Kapazität auf einzelne Stufen oder Ausrüstungen machbar. Gezielte Untersuchungen bei Kreislauffahrweise („Inselbetrieb“) sind gegebenenfalls möglich. Sobald die Anlage in den Nennzustand „eingefahren“ ist, kann eine systematische Prozess-/Anlagenoptimierung bezüglich Kapazität, Qualität, Energie- und Hilfsstoffverbräuche, Verfügbarkeit usw. beginnen. Die großtechnische Anlage erweist sich nach dem Einfahren meistens als sehr stabile und praktikable „Versuchsanlage“. Das Beispiel 7.2 soll diese Aussage praktisch veranschaulichen. Beispiel 7.2 Prozessanalyse zur Produktionssteigerung in einer HochdruckPolyethylenanlage nach dem Rohrreaktorverfahren Die Hochdruckpolymerisation des Ethylens verläuft radikalisch und wird durch Sauerstoff oder Peroxide initiiert. Die Verfahren zur Herstellung von Polyethylen niederer Dichte (LDPE– LowDensityPolyethylene) arbeiten bei Polymerisationstemperaturen zwischen 150 und 320 °C sowie bei Drücken von 1500 bis 3000 bar.

7.1 Prozess- und Anlagenanalyse während der Inbetriebnahme

633

Die Polymerisation findet im Rührreaktor(-kessel) bzw. Rohrreaktor (s. Abb. 7.3) statt. Im Rührkessel können nur Ethylen-Umsätze bis ca. 18 % erreicht werden, während im Einzonen-Rohrreaktor Umsätze bis zu ca. 25 % und im Mehrzonen-Rohrreaktor mit Zwischeneinspeisung von Initiator und Ethylen Umsätze bis zu ca. 35 % möglich sind. Nachfolgend wird der Know-how-Gewinn während der Erstinbetriebnahme einer Hochdruckpolyethylen-Anlage nach dem Rohrreaktorverfahren beschrieben.

 1 Vordruckmischstrecke; 2 Zwischendruckmischstrecke; 3 Kühler; 4 Nachabscheider; 5 Reinigungsstufe; 6 Vorheizer; 7 Strömungsreaktor; 8 Produktkühler; 9 Zwischendruckabscheider von PE; 10 Niederdruckabscheider von PE; 12 Gasbehälter; K1 Frischgaskompressor; K2 Zwischendruckkompressor; K3 Reaktionsdruckkompressor Abb. 7.3 Prinzipschema des Hochdruckpolyethylen-Rohrreaktorverfahrens [3] Kurzbeschreibung des Rohrreaktorverfahrens zur Herstellung von Polyethylen nach Abb. 7.3  Das Frischethylen wird zusammen mit dem im Niederdruckabscheider ausgegasten Ethylen und Sauerstoff (Initiator) in der Mischstrecke 1 vermischt und anschließend im Frischgaskompressor K1 auf den Zwischendruck von 150–300 bar komprimiert.  Das Gas nach dem Kompressor K1 wird anschließend mit nicht-umgesetzte Ethylen aus dem Zwischendruckabscheider 9 vermischt und über den Nachabscheider 4 sowie die Reinigungsstufe 5 der Saugseite des Enddruckkompressors K2 zugeführt, der es auf den Reaktionsdruck von ca. 2500 bar verdichtet.  Je nach Rezeptur kann dem Ethylen-Einsatzgemisch noch Initiator (Peroxid) vor und nach dem Vorheizer 6 oder nach der ersten Reaktionszone zugeführt werden.  Im Vorheizer 6 wird das Reaktionsgemisch mittels Heißwasser aufgeheizt, bis bei ca. 180 °C die Polymerisation am Eintritt in den Rohrreaktor 7 startet.  Der Reaktor besteht aus einem ummantelten Hochdruckrohr (s. Abb. 7.4), ist ca. 1000 m lang, hat einen zulässigen Betriebsüberdruck von ca. 2500 bar, eine zulässige Betriebstemperatur von ca. 300 °C.

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7 Know-how-Gewinn während der Inbetriebnahme

 Da die Polymerisationsreaktion stark exotherm ist, wird der Reaktor von außen über einen Kühlmantel mit Heißwasser gekühlt.  Die Polymerisationstemperatur ist auf maximal 320 °C begrenzt, um eine thermische Zersetzung des Ethylens und Polyethylens zu vermeiden. Die Intensität der Kühlung begrenzt somit die erzeugte Polyethylenmenge.  Obwohl durchgeführte Phasenmessungen zeigten, dass unter den Reaktionsbedingungen eine homogene Phase existieren müsste, bildet sich an der Innenwandung des Reaktors ein dünner Polymerfilm aus. Ursache sind Vernetzungsreaktionen auf Grund der spezifischen Bedingungen (z.B. Temperatur, Verweilzeit) an der Innenwand.  Nach dem Reaktor 7 wird das Reaktionsprodukt im Druckhalteventil auf den Zwischendruck von ca. 250 bar entspannt, im Produktkühler 8 abgekühlt und im Zwischendruckabscheider 9 schließlich das Polyethylen vom nicht-umgesetzten Ethylen getrennt.

 Abb. 7.4 Rohrreaktoren der Hochdruck-Polyethylenanlagen Leuna; Dow Olefinverbund GmbH (links: Reaktor Train 4; rechts: Reaktor Train 5) [4]

Aus der angeführten Kurzbeschreibung wird die technologische und technische Herausforderung deutlich, die während der Verfahrens- und Anlagenplanung sowie bei der Konstruktion und Fertigung wesentlicher Hauptausrüstungen (Reaktor, Kompressoren, Abscheider) zu lösen waren. Zugleich zeigen sie aber auch die Chancen einer systematischen Prozess- und Anlagenanalyse während der Erstinbetriebnahme auf [5]. Im Einzelnen waren während der Untersuchungen an der vorhandenen Großanlage u.a. folgende Fragestellungen mit Verbesserungspotential zu beantworten:  Wie kann eine hohe Polymerisationsgeschwindigkeit erreicht werden und gleichzeitig  eine thermischen Zersetzung des Ethylens/Polyethylens verhindert werden,  keine unzulässige Werkstoffbeanspruchung auftritt,  die gewünschte Produktqualität zuverlässig erreicht wird.  Wie stark beeinflusst der Polymerbelag an der Reaktor-Innenwand die Abführung der Reaktionswärme über den Rohrmantel und wie sehr limitiert die abgeführte Wärmemenge die mögliche Polyethylenproduktion? Bem.: Die Darstellung in Abb. 7.5 zeigt den gravierenden Einfluss des Polymerbelags auf den gesamten Wärmedurchgang.

7.1 Prozess- und Anlagenanalyse während der Inbetriebnahme

635

 Abb. 7.5 Einfluss des Polymer-Wandbelags an der Innenwandung eines HochdruckpolyethlenRohrreaktors auf den Wärmedurchgang vom Reaktorinneren zum Kühlmedium

 Wie kann im vorhandenen Reaktor der Polymerbelag minimiert werden? Bem.: Messungen ergaben, dass die Dicke des Polymerbelags u.a. wesentlich von der Strömungsgeschwindigkeit (Turbulenz) abhängt. Eine Erhöhung der Strömungsgeschwindigkeit bewirkte andererseits nicht den erwartet (im Quadrat) höheren Druckverlust über den Reaktor.  Wie gut beschreibt das vorhandene mathematische Reaktormodell die Polymerisationskinetik sowie die Temperatur- und Strömungsverhältnisse im Reaktor ab?  Wie können durch die Zwischeneinspeisung von Ethylen und/oder Initiator die erzeugte Polyethylenmenge und -qualität beeinflusst werden?  Wie kann die Produktqualität (Dichte, Reinheit, Homogenität usw.) durch die Prozessbedingungen in den Abscheidern und während der Extrusion verändert bzw. verbessert werden?  Welchen Einfluss haben die verschiedenen Initiatoren (Sauerstoff, Peroxide) und Kettenregler auf die Reaktionsführung und die Produktqualität?  Wie kann die Festigkeits- und Werkstoffbeanspruchung der Hauptausrüstungen Reaktor, Zwischendruckabscheider, Reaktionsdruckkompressor) verringert und deren Standzeit verlängert und/oder Störanfälligkeit minimiert werden? Bem.: Im Ergebnis wurden u.a. Maßnahmen gegen Rissbildung und Schwingungsresonanzen abgeleitet und realisiert. Für die geplante Prozess- und Anlagenanalyse in der Hochdruck-Polyethylenanlage wurde ein spezielles Untersuchungsprogramm erarbeitet und nach Abstimmung mit den beteiligten Partnern in die Inbetriebnahmeplanung aufgenommen. Verantwortlich für die Vor-Ort-Untersuchungen war der Inbetriebnahmeleiter, der die Ausführung und insbesondere die Auswertung an Fachspezialisten delegiert hatte. Die Spezialisten hatten den Auftrag, zum Ende der Inbetriebnahme erste Maßnahmen zur Produktionssteigerung und Kosteneinsparung in einem Zwischenbericht vorzulegen.

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7 Know-how-Gewinn während der Inbetriebnahme

Letztlich konnten aus der Prozess- und Anlagenanalyse wesentliche Erkenntnisse gewonnen werden, die maßgeblich zu einer um 35 Prozent höheren Anlagenkapazität am Ende des ersten Betriebsjahres beitrugen. Neben den angeführten Vorteilen, die sich aus den spezifischen Inbetriebnahmebedingungen für den Know-how-Gewinn ergeben, bewirkt die Vor-Ort-Situation aber auch einige Einschränkungen und Herausforderungen. Dazu gehören beispielsweise:  die straffe zeitliche Limitierung der Prozessanalyse eingebettet in die Inbetriebnahme,  die Zurückstellung prozessanalytischer Untersuchungen gegenüber operativ notwendiger Inbetriebnahmetätigkeiten,  die häufig fehlende Möglichkeit der Wiederholungsmessung (Unikat-Charakter der Messungen),  eine höhere Anzahl variabler Parameter im Vergleich zum Dauerbetrieb,  eine hohe Flexibilität wegen der insgesamt dynamischen Situation,  die Notwendigkeit einer Sofortauswertung des Datenmaterials, um Erkenntnisse zeitnah zur Risikominimierung oder für neue Versuche/Messungen nutzen zu können. Weitere Hinweise betreffs wissenschaftlich-technischer Untersuchungen während der Heiß-Inbetriebnahme, die vorrangig die sicherheitlichen und organisatorisch-administrativen Aspekte betreffen, sind:  Die Heiß-Inbetriebnahme verfahrenstechnischer Anlagen ist i.Allg. ein komplizierter Vorgang, der erhöhte Gefährdungen in sich birgt. Deshalb muss klar sein, dass die Anlagensicherheit und die vertragsgerechte Inbetriebnahme oberstes Primat haben und alle wissenschaftlich-technischen Untersuchungen sich dem unterordnen; aber, beides schließt sich nicht aus.  Die Prozess- und Anlagenanalysen sollten primär auf die erfolgreiche Durchführung des Leistungsnachweises ausgerichtet sein und sekundär zum weiteren Know-howZuwachs im Unternehmen dienen.  Für die zusätzlichen prozessanalytischen Untersuchungen während der Inbetriebnahme sind spezielle Versuchs- bzw. Messprogramme zu erarbeiten und in die ganzheitliche Projektplanung und -abwicklung entsprechend Beispiel 7.2 zu integriert. Dies betrifft sowohl die Termine und Kosten als auch die sicherheitlichen und technisch-organisatorischen Maßnahmen.  Verantwortlich für die Art und den Umfang der Prozess- und Anlagenanalysen muss der Inbetriebnahmeleiter sein. Er ist gegenüber allen Mitarbeitern, die an den Prozessanalysen mitwirken, weisungsbefugt. Das gilt auch dann, wenn die Arbeiten nicht unmittelbar vom eigentlichen Inbetriebnahmeteam durchgeführt werden.  Für die prozessanalytischen Untersuchungen sollte u.U. temporär unter Führung eines Leadingenieurs Prozessanalyse ein kleines Team von Spezialisten gebildet werden, das in die Inbetriebnahmeorganisation integriert wird. Der Leadingenieur Prozessanalyse ist direkt dem Inbetriebnahmeleiter unterstellt.  Alle prozessanalytischen Arbeiten unterliegen den sicherheitlichen und organisatorischen Regelungen während der Inbetriebnahme, wie z.B.

7.2 Inbetriebnahmeauswertung

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 Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen und gegebenenfalls von Betriebsanweisungen für spezielle Tätigkeiten mit Gefährdungspotential,  Durchführung von Unterweisungen beteiligter Personen,  Einholung einer Arbeitserlaubnis für die vorgesehenen Arbeiten,  Einbeziehen der prozessanalytischen Arbeiten in die Tätigkeit des InbetriebnahmeSicherheitskoordinators,  Einbeziehen der prozessanalytischen Arbeiten in die Besprechungen und in die Berichterstattung zur Inbetriebnahme.

7.2 Inbetriebnahmeauswertung Im Interesse der Qualitätssicherung und -steigerung sowie einer höheren Effizienz der zukünftigen Arbeit gilt es für alle Beteiligten, die Ergebnisse und Erkenntnisse aus der Inbetriebnahme firmenintern auszuwerten und nutzbar zu machen. Die Betrachtungen zur Inbetriebnahme sollten dabei eingebettet sein in die Analysen und Folgerungen zum gesamten Projektablauf. Ungeachtet dieser notwendigen Komplexität bei der Auswertung hat es sich in der Praxis als zweckmäßig erwiesen, wenn der Generalunternehmer, die Subunternehmern und der Auftraggeber die Inbetriebnahme separat auswerten. Nachfolgend werden zwei Auswertemöglichkeiten angeführt. a) Auswertekolloquium Diese Form der Auswertung ist zeitgemäß und setzt sich entsprechend dem zunehmenden Zeitdruck in den Unternehmen durch. Empfohlen werden interne Projekt- und/oder Baustellen- und/oder InbetriebnahmeKolloquien. Die Kolloquien finden mit einem geladenen Personenkreis satt und werden vorteilhaft von einem externen bzw. zumindest nicht am Projekt beteiligten Moderator geleitet. Es muss eine offene und ehrliche Atmosphäre herrschen. Schuldzuweisungen sind deshalb unbedingt zu vermeiden. Ein angenehmes Umfeld mit Übernachtung ist zweckdienlich. Jeder Mitwirkende am Kolloquium wird in Vorbereitung aufgefordert, seine wichtigsten 2 – 3 Erfahrungen, die er aus seiner Mitwirkung zieht, vorzutragen und zu begründen. Die Ausführungen werden kurz diskutiert, ohne zu sehr ins Detail zu gehen. Der Moderator fasst in Abstimmung mit dem Projekt- bzw. Inbetriebnahmeleiter die Ergebnisse (z.B. als Aktionspunktliste) zusammen und macht sie in geeigneter Weise den betroffenen und befugten Personen zugänglich. Auf diese Art und Weise gelingt es zumindest die wichtigsten Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Inbetriebnahme in den kontinuierlichen Verbesserungsprozess des eigenen Unternehmens einfließen zu lassen. b) Auswertebericht Die Ergebnisse und Erfahrungen können in Inbetriebnahmeabschlussberichten (Synonym: Resümeebericht) dokumentiert werden. Derartige Berichte basieren im Allgemeinen nicht auf vertraglichen Regelungen. Sie beinhalten wesentliches Firmen-Know-how und sind nicht öffentlich. Die Auswertung der Inbetriebnahme ist auch eine notwendige Maßnahme im Qualitätsmanagement-System der Lieferanten und Dienstleister.

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7 Know-how-Gewinn während der Inbetriebnahme

Wie ein Abschlussbericht gegliedert sein könnte, ist in Tabelle 7.1. dargestellt. Der Bericht sollte vorrangig ziel- und ergebnisorientiert abgefasst werden. Umfangreiche Darstellungen und Erläuterungen zum Ablauf der Inbetriebnahme, die derartige Abschlussberichte „aufblähen“, sind zu vermeiden. Die Erarbeitung des Inbetriebnahmeabschlussberichts ist nach Möglichkeit unter Verantwortung und tatkräftiger Mitarbeit des Inbetriebnahmeleiters sowie ihm zugeordneter Inbetriebnahmeingenieure durchzuführen. Dies ist zum Teil problematisch, da auf den Inbetriebnahmeleiter und die anderen Fachleute häufig schon neue Aufgaben warten. Trotzdem muss die fundierte Auswertung, gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Spezialisten für die Auswertung der gezielten Messfahrten, abgesichert werden. Zweckmäßig sollte dies parallel bzw. konform mit Restarbeiten für die AS-BUILTDokumentation erfolgen. Tabelle 7.1 Inhaltsverzeichnis eines Inbetriebnahmeabschlussberichts (Praxisbeispiel) 1 2 3 4 5 6

Zustand zu Beginn der Inbetriebnahme (Kurzcharakteristik) Zeitlicher Ablauf der Inbetriebnahme (z.B. als Balkendiagramm/Netzplan) Ergebnisse der Heiß-Inbetriebnahme sowie der Leistungsfahrt inkl. Leistungsnachweises (streng ergebnisorientiert und vertragsbezogen) Schwierigkeiten bei der Inbetriebnahme und Maßnahmen zur Problemlösung Untersuchungen und Ergebnisse zur Erweiterung des technologisch-technischen Know-how Hinweise, Empfehlungen, Vorschläge u.a. zur Qualitätsverbesserung (bezogen auf alle Phasen der Auftragsvorbereitung und -abwicklung sowie gegebenenfalls zeitlich und inhaltlich gewichtet)

Anlagen: Protokoll über die MECHANISCHE FERTIGSTELLUNG Protokoll über die ANZEIGE der BETRIEBSBEREITSCHAFT Protokoll über die DURCHFÜHRUNG des LEISTUNGSNACHWEISES Protokoll über die ABNAHME der ANLAGE im Rechtssinn Protokoll über die ABNAHME der AS BUILT-Dokumentation im Rechtssinn

Literatur [1]

Budde K (1982) Komplexe Prozessanalyse, Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig

[2]

Lexikon der Chemie (1998) Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg

[3]

Lehrbuch der Technischen Chemie (1984), Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig

[4]

Kolokowsky S, Schnurpfeil D (2012) Die Entwicklung der Hochdruckpolyethylenanlage Leuna nach 1990, Merseburger Beiträge 1/2012

[5]

Nitzsche R (2012) Die historische Entwicklung der Hochdruckhomo- und -copolymerisation des Ethylens in Leuna, Merseburger Beiträge 1/2012

Glossar Bemerkungen: a) Begriffe aus den Glossar sind im Text fett gedruckt b) Synonyme sind im Glossar in (…) gesetzt und kursiv gedruckt Abfahren:

Überführung der Anlage aus einen Betriebszustand (Teil- bzw. Nennlast) in einen zeitweiligen, nichtproduzierenden Zwischenzustand (shut down)

Abnahme:

rechtsverbindliche Bestätigung einer erbrachten Leistung auf deren Vertragsgemäßheit (acceptance)

Abnahmeversuch: vertraglich vereinbarter Betriebszeitraum zur Erbringung des rechtsverbindlichen Leistungsnachweises für eine Anlagenkomponente oder Teilanlage (Package-unit) sowie im Speziellen für Kraftwerksanlagen Abnahmeprüfung: rechtsverbindliche Prüfung einer erbrachten Leistung auf deren vertragsgemäße Ausführung (acceptance test) Akzeptanzkriterium:

festgelegte Anforderung (Zielwert, Merkmal), die erfüllt sein muss, damit eine Qualifizierung oder Validierung erfolgreich abgeschlossen werden kann

Anfahren:

Überführung der Anlage aus dem Ruhezustand nach der KaltInbetriebnahme in einen stationären Betriebszustand, bei dem alle Anlagenteile/Verfahrensstufen funktionsgerecht arbeiten (start up)

Anlage:

Gesamtheit der zur Durchführung eines Verfahrens (Prozesses) notwendigen Ausrüstungen und Einrichtungen in ihrer funktionsbedingten Kopplung und räumlichen Anordnung (plant)

Anlagenanalyse:

systematische technische, gestalterische, organisatorische und betriebswirtschaftliche Untersuchung einer bestehenden oder geplanten Anlage hinsichtlich ihrer Verbesserungsfähigkeit

Anlagenvertrag:

verbindliche Vereinbarung zwischen Partnern über die Planung und/oder Herstellung einer verfahrenstechnischen Anlage (Gesamtanlage oder Package-unit)

Anlagendokumentation:

Gesamtheit aller Dokumente, die zur technologischen, technischen, baulichen und sicherheitlichen Beschreibung der Anlage dienen (Technische Dokumentation der Anlage)

Anlagenplanung:

s. Engineering

Anlagenrealisierung:

Gesamtheit der Arbeiten, die nach der Investitionsentscheidung bis Ende Inbetriebnahme durchzuführen sind

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 K. H. Weber, Inbetriebnahme verfahrenstechnischer Anlagen, VDI-Buch, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59498-8

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Glossar

Anzeige der Betriebsbereitschaft:

Protokoll über die Bereitschaft der Anlage zum Anfahren, d.h. dem 1. Schritt der Heiß-Inbetriebnahme zu beginnen (ready for start up)

Arbeitsexemplar: (Dokumentation)

Kopie des Belegexemplars (gegenständlich und/oder elektronisch), die als Arbeitsgrundlage für Betrieb und Technik dient und gemäß dem aktuellen Anlagen- und Betriebszustand gepflegt wird.

Aufsichtsperson:

aufsichtsführende sowie zuverlässige und fachkundige Person im Sinne der DGUV Vorschrift 1, § 5, Abs. (3) (Vergabe von Aufträgen) sowie § 13 (Pflichtenübertragung)

Ausblasen:

Reinigungsmöglichkeit von Anlagenkomponenten mit Hilfe hochturbulenter Gas- bzw. Dampfströmungen

Ausblaseprogramm:

Zusammenstellung technologisch-technischer Maßnahmen zum Ausblasen der Anlage mit Gasen (Luft, Stickstoff) und/oder Dampf

Ausbildung:

umfassende, anforderungsgerechte Vorbereitung der betreffenden Personen auf die zukünftigen Aufgaben

Außerbetriebnahme:

Überführung der Anlage aus einen Betriebszustand (Teil- bzw. Nennlast) in einen längerfristigen Stillstand bzw. Endzustand (shut down)

Ausrüstungstypical:

gleichartige Hauptausrüstungen oder Package-units, die betreffs Sicherheits-/Funktionsprüfungen, In- und Außerbetriebnahme, Normalbetrieb, Verhalten bei Störungen, Instandhaltung einheitlich gehandhabt werden können

Ausspülen:

Reinigungsmöglichkeit mit Hilfe von Flüssigkeit

Autorenkontrolle:

Einbeziehen des Autors eines Engineeringdokuments in die Ausführungskontrolle gemäß seiner Vorgaben

AS BUILTDokumentation:

Gesamtdokumentation der Anlage, die den Sachstand über die Anlage zum Zeitpunkt ihrer Abnahme richtig (as built) und vollständig gemäß vertraglicher Vereinbarung beschreibt (Enddokumentation, Final Documentation)

Basic Design:

Erarbeitung projektspezifischer, insbesondere kapazitäts- und standortbezogener Verfahrensunterlagen (Verfahrensplanung)

Basic Engineering:

Erarbeitung eines verbindlichen Gesamtentwurfes (Verfahren und Technik) für die Anlage sowie für die Abwicklung des Projekts (Entwurfsplanung)

Bearbeitungsstatus: Information über den aktuellen Stand der Bearbeitung eines Do(Dokument) kuments sowie über deren Freigabe zur Nutzung (processing status)

Glossar

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Befugnis:

Recht, im definierten Aufgabenbereich und Kompetenzumfang selbständig Entscheidungen über den Einsatz von Personal-, Betriebs- und Finanzmitteln sowie ggf. die Freigabe von Informationen zu treffen (Kompetenz, competence, authority)

Beizen:

Entfernen anorganischer Verunreinigungen von der metallischen Oberfläche mittels einer chemisch wirkenden Flüssigkeit

Belegexemplar:

Exemplar der AS BUILT-Dokumentation, in der (bis auf wenige Ausnahmen) alle freigegebenen Dokumente mit dem Bearbeitungsstatus „as-built“ abgelegt/gespeichert sind. Sie wird in dieser Form unverändert archiviert und dokumentiert den Sachstand zum Zeitpunkt der werkvertraglichen Abnahme (Archivexemplar).

Beschaffung: (Beschaffen)

Gesamtprozess der Vorbereitung und Realisierung von Bestellungen für Lieferungen und Leistungen, die zur Anlagenrealisierung und ggf. zur Inbetriebnahme benötigt werden (Einkauf, procure, procurement)

Bestellung: (einer Aufsichtsperson)

schriftliche Beauftragung und Namhaftmachung einer verantwortlichen Person für eine definierte Aufgabe, inkl. der damit verbundenen Verantwortung, Befugnisse, Zuständigkeiten u.a. Bedingungen

Bestellung: (kaufmännisch)

Beauftragung einer Leistung und/oder Lieferung unter Bezugnahme auf ein Angebot

Bestimmungsgemäßer Betrieb: (nach BImSchG)

zulässiger Betrieb, für den die Anlagen, Infrastruktur und Tätigkeiten in einem Betriebsbereich nach ihrem technischen Zweck bestimmt, ausgelegt und geeignet sind. (…). Betriebszustände, die der erteilten Genehmigung, vollziehbaren nachträglichen Anordnungen oder Rechtsvorschriften nicht entsprechen, gehören nicht zum bestimmungsgemäßen Betrieb. Der bestimmungsgemäße Betrieb umfasst  den Normalbetrieb einschließlich betriebsnotwendiger Eingriffe wie z.B. der Probenahme, und einschließlich der Lagerung mit Füll-, Umfüll- und Abfüllvorgängen,  die Inbetriebnahme und den An- und Abfahrbetrieb,  den Probebetrieb,  Instandhaltungsvorgänge (Wartung, Inspektion, Instandsetzung, Verbesserung) und Reinigungsarbeiten sowie  den Zustand bei vorübergehender Außerbetriebnahme.

Betriebsanleitung:

beinhaltet die für die Inbetriebnahme, Wartung, Inspektion, Überprüfung der Funktionsfähigkeit und gegebenenfalls Reparatur des Geräts oder Schutzsystems notwendigen Pläne und Schemata sowie alle zweckdienlichen Angaben insbesondere im Hinblick der Sicherheit (instruction manual)

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Glossar

Betriebsanweisung:

arbeitsplatz- und tätigkeitsbezogene, verbindliche schriftliche Anordnungen und Verhaltensregeln des Arbeitgebers an weisungsgebundene Arbeitnehmer zum Schutz vor Unfall- und Gesundheitsgefahren sowie zum Schutz der Umwelt (operating instruction, operating order)

Betriebsbereitschaft:

Anlagen- und Betriebszustand, der die Freigabe zum Anfahren der Anlagen nach der Kalt-Inbetriebnahme bzw. nach einen Stillstand ermöglicht (ready for start-up)

Betriebsdokumentation:

Gesamtheit aller Dokumente, die (zusätzlich zur Anlagendokumentation) für die Inbetriebnahme, den Betrieb, die Überwachung und die Instandhaltung der Anlage nötig sind sowie als Nachweis dienen (operating documentation)

Betriebshandbuch:

Zusammenstellung allgemeiner betrieblicher Sicherheitsvorschriften sowie aller sicherheits- und betriebsrelevanten Anweisungen an das Betriebspersonal (operations manual)

Beweislast: (im Anlagen- und Maschinenbau)

Pflicht eines Vertragspartners, von ihm aufgestellte Behauptungen bzw. gestellte Ansprüche zu beweisen (Beweispflicht)

Design Qualification (DQ):

dokumentierter Nachweis, dass die Planung der Anlage sowie ihrer technischen und baulichen Komponenten entsprechend den geltenden Vorgaben durchgeführt wurde und für den entsprechenden Verwendungszweck geeignet ist (Designqualifizierung)

Detail Engineering:

Erledigung aller ingenieurtechnischen Fachplanungsfunktionen (Ausführungsplanung)

Dichtheitsprüfung:

Nachweis, dass die Anlage bzw. Anlagenkomponente innerhalb der zulässigen Grenzen (Leckrate) dicht ist

Dokument:

schriftliche bzw. elektronische Unterlage, Beleg bzw. Datei mit Aufzeichnungen über ein Projekt bzw. Objekt

Dokumentenart:

Dokumente gleicher inhaltlicher und/oder gleicher formaler Struktur (Dokumentenklasse, Dokumententyp)

EG-Konformitätserklärung:

schriftliche Erklärung eines Herstellers bzw. seines Bevollmächtigten, das ein von ihm in Verkehr gebrachtes Produkt (Maschine, Druckgerät u.a.) allen relevanten europäischen Richtlinien und Normen entspricht (EC Declaration of conformity)

Einfahren:

Anlage umfassend in den geplanten Nennzustand (Last, Betriebsparameter, mechanische Funktion, Stabilität u.a.) fahren

Einweisung:

erstmalige Unterweisung einer Person auf dem Werksgelände und/oder auf der Baustelle bzw. im Betrieb (Erstunterweisung)

Glossar

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Emissionen:

von einer Anlage ausgehende Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen, Licht, Wärme, Strahlen u.a. Erscheinungen (im Sinne des BImSchG)

Engineering:

Erarbeiten von technologisch-technischen sowie organisatorischadministrativen Unterlagen (Dokumenten), die für die Beschaffung, Errichtung, den Bestimmungsgemäßen Betrieb und die Instandhaltung von Anlagen benötigt werden (Anlagenplanung, Technische Planung der Anlage)

Engineeringdokumentation:

Gesamtheit der Dokumente, die während der Anlagenplanung (von Grundlagenermittlung bis Detail Engineering) erarbeitet, verwaltet und abgelegt bzw. gespeichert werden (engineering documentation)

Engineeringvertrag:

Vertrag über das Erbringen von Ingenieurleistungen und ggf. weiterer Leistungen bei der Projektabwicklung (außer kaufmännischer Beschaffung) (Ingenieurvertrag, engineering contract)

Entwicklung: (verfahrenstechnisch):

Erarbeiten von Verfahrensunterlagen, die als Grundlage für die Planung (Engineering) einer großtechnischen Anlage nach diesen Verfahren geeignet sind (development)

EPCM-Vertrag:

Vertrag über Leistungen für Anlagenplanung, Technischen Einkauf, Bau-Montageleitung und -überwachung (Engineering-Procurement-Construction Management)

Errichtung: (Errichten)

Gesamtheit der Arbeiten auf der Baustelle im Zeitraum von Baustelleneröffnung bis Protokollierung der Mechanischen Fertigstellung (erection)

Ersatzteil:

technisches Bauteil, welches bei einem erfahrungsgemäß möglichen Schaden schnell verfügbar sein muss und gegen das defekte Teil ausgetauscht wird

Erstinbetriebnahme:

Überführung der Anlage aus dem Ruhezustand nach Mechanischer Fertigstellung (Mechanical Completion) in den Dauerbetriebszustand nach werkvertraglicher Abnahme bzw. nach schriftlicher Bestätigung der erbrachten Vertragsleistung (First-time commissioning, initial commissioning)

Erstreinigung:

Reinigen der Anlagenkomponente/Bauteile bzw. des Bauwerks/ Raumes nach deren Fertigung bzw. Herstellung (first cleaning)

Factory Acceptance Test (FAT):

Test und Abnahme des bestellten Werkes/Leistung (z.B. Hauptausrüstung oder PLS-Hard- und Software) beim Hersteller bzw. Lieferant nach einem definierten Prüfplan

Feinreinigung:

Reinigen der Anlagenkomponente, Teilanlage, Anlage inkl. Bauwerke/Räume nach Mechanischer Fertigstellung und vor dem Anfahren (Beginn Heiß-Inbetriebnahme) (finish cleaning)

644

Glossar

Fertigung:

Herstellung und Werkmontage von Anlagenkomponenten bzw. -teilen (fabrication)

Freigabe: formelle Aktion einer autorisierten Person/Organisation, mit der (eines Dokuments) ein Dokument für einen deklarierten Zweck im Prozessablauf für gültig erklärt wird Funktionale Gewährleistung:

s. Technische Gewährleistung

Funktionsprüfung:

Erprobung und Prüfung der Anlagenkomponente oder Teilanlage (Package-unit) nach der Montage hinsichtlich ihrer einwandfreien technischen Funktion (operational check, Funktionstest, Funktionsprobe)

Funktionsqualifizierung (OQ):

formaler und systematischer Nachweis, dass eine Hauptausrüstung, Teilanlage, System, Subsysteme und sonstige technische bzw. bauliche Einrichtung die Funktion wahrnimmt, für die sie oder es erstellt wurde, und zwar im Rahmen der vorgesehenen Betriebsbereiche (Operational Qualification)

Garantie:

freiwillig übernommene und vereinbarte Verpflichtung eines Garanten (Vertragspartners) (guarantee)

Gefährdung:

Möglichkeit eines Schadens oder einer gesundheitlichen Beeinträchtigung unabhängig von deren Ausmaß oder Eintrittswahrscheinlichkeit (hazard)

Gefährdungsbeurteilung:

systematische Ermittlung und Bewertung relevanter Gefährdungen der Beschäftigten mit dem Ziel, erforderliche Arbeitsschutzmaßnahmen festzulegen (hazard assessment)

Gefahrenübergang:

Zeitpunkt, ab dem die Gefahr des zufälligen Untergangs/Vernichtung oder der Verschlechterung/Beschädigung des Werks (im Werkvertrag) oder der Sache (im Kaufvertrag) auf den Besteller bzw. Käufer übergeht (Gefahrtragung, risk assumption, transfer of risk)

Genehmigungsdokumentation:

Gesamtheit der Dokumente, die für Beantragung, Erteilung und Erhaltung einer behördlichen Genehmigung zum Bau und Betrieb einer Anlage erarbeitet werden (approval documantation)

Generalübernehmervertrag:

Vertrag über die Ausführungsplanung, Lieferung und Errichtung einer funktionstüchtigen (schlüsselfertigen) Anlage gegen Zahlung eines Pauschal- bzw. Festpreises (turnkey contract)

Generalvertrag:

Vertrag über die Lieferung und Errichtung einer funktionstüchtigen (schlüsselfertigen) Anlage gegen Zahlung eines Pauschalbzw. Festpreises (turnkey contract)

Gesamtdokumentation:

Gesamtheit aller Dokumente, die im Leben der Anlage erstellt, verwaltet und archiviert werden (complete documentation)

Glossar

645

Gewährleistung: (im Werk- bzw. Kaufvertrag)

definiert eine zeitlich befristete Nachbesserungspflicht für Mängel am Werk bzw. am Kaufgegenstand, die zum Zeitpunkt der Abnahme bzw. des Kaufs bereits bestanden.

Good Manufacturing Practice (GMP):

Teil der Qualitätssicherung der gewährleistet, dass Produkte gleich bleibend nach den Qualitätsstandards produziert und geprüft werden, die der vorgesehenen Verwendung und den Zulassungsunterlagen entsprechen (Gute Herstellungspraxis)

Grundreinigung:

Reinigen der Bauwerke/Räume sowie der Anlagenkomponenten, Teilanlagen oder Anlage nach deren Bau bzw. Vor-Ort-Montage im Zeitraum bis zur Mechanischen Fertigstellung (basic cleaning)

gültiges Dokument:

Dokument, welches erstellt, geprüft und freigegeben ist (valid document)

Haftung:

als Person bzw. Unternehmen für etwas, z.B. für entstandenen Schaden, einstehen (liability)

Hauptausrüstung:

Maschine oder Apparat oder Behälter oder Tank

Heiß-Inbetriebnahme:

erstmaliges Betreiben einer Anlage mit Medium unter Betriebsbedingungen mit dem Ziel, die Fahrweise der Anlage so zu stabilisieren und zu optimieren, dass die vertraglich vereinbarten Leistungsparameter erreicht werden und die Nutzungsfähigkeit der Anlage im Dauerbetrieb gewährleistet ist (hot commissioning, production test)

Hersteller: (nach DGRL)

jede natürliche oder juristische Person, die ein Druckgerät oder eine Baugruppe herstellt bzw. entwickeln oder herstellen lässt und dieses Druckgerät oder diese Baugruppe unter ihrem eigenen Namen oder ihrer eigenen Handelsmarke vermarktet oder für eigene Zwecke verwendet

Herstellerdokument:

produktbeschreibendes und/oder produktbegleitendes Dokument des (Produkt-)Herstellers

Herstellung der Betriebsbereitschaft:

s. Kalt-Inbetriebnahme (colt commissioning)

Hochfahren:

Anlage auf Nennlast sowie weitgehend in die geplanten Parameterbereiche des Normalbetriebes fahren

Immissionen:

auf Menschen sowie Tiere, Pflanzen oder andere Sachen einwirkende Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen, Licht, Wärme, Strahlen und ähnliche Umwelteinwirkungen (im Sinne des BImSchG)

Inbetriebnahme:

Überführung der Anlage aus dem Ruhezustand in den Dauerbetriebszustand (commissioning) (s. auch Erstinbetriebnahme bzw. Wiederinbetriebnahme)

646

Glossar

Inbetriebnahmeanweisung:

Betriebsanweisung, die für die Inbetriebnahme/Außerbetriebnahme und insbesondere für das Anfahren/Abfahren der Anlage inkl. Package-units und Komponenten benötigt wird (Anfahranweisung)

Inbetriebnahmecontrolling:

Gesamtheit der Führungsaufgaben zur Überwachung und zielorientierten Steuerung der Inbetriebnahme

Inbetriebnahmedokumentation:

Versionen der Anlagen- und Betriebsdokumentation, die für die Inbetriebnahme nötig sind (Status: AFP – Approved for Production) (commissioning documentation)

Inbetriebnahmehandbuch:

Zusammenstellung organisatorisch-administrativer und sicherheitlicher Arbeitsunterlagen für die Inbetriebnahme

Inbetriebnahmeanleitung:

Zusammenstellung der sicherheitlichen, verfahrenstechnischen, technischen und organisatorisch-administrativen Leitlinien für eine vertragsgemäße Inbetriebnahme (Betriebsanleitung der Gesamtanlage)

Inbetriebnahmekonzeption:

Teil der Verfahrensplanung (Basic Design), der kurzgefasst die technologisch-technischen Hauptschritte der Inbetriebnahme und Außerbetriebnahme enthält

Inbetriebnahmemanagement:

Gesamtheit der Führungsaufgaben, -organisation, -techniken und -mittel für die Durchführung der Inbetriebnahme Bem.: Führungskräfte der Inbetriebnahme werden i.Allg. als Inbetriebnahmeleitung bezeichnet

Inbetriebnahmeplanung:

Ermittlung des Soll-Verlaufes (Aufgaben, Termine, Ressourcen, Kosten) für die Inbetriebnahme

Inbetriebsetzung:

Inbetriebsetzung ist die Überführung der Anlage durch den Anlagenhersteller aus dem Ruhezustand (nach Montageende) einschließlich der Systemerprobungen bis zum Inverkehrbringen der Anlage Bem.: Inbetriebsetzung umfasst insbesondere die Sicherheits- und Funktionsprüfungen inkl. Systemerprobung der fertig montierten Anlage bzw. Teilanlage und findet vor Beginn KaIt-Inbetriebnahme statt

Inbetriebnahmetechnologie:

grundlegende inhaltliche und chronologische Vorgehensweise bei der Inbetriebnahme (Inbetriebnahmestrategie)

Inbetriebnahmevorbereitung:

Gesamtheit von Maßnahmen, die im Hinblick der Inbetriebnahme bis zur Protokollierung der Mechanischen Fertigstellung erledigt werden (precommissioning)

Inertisierungsprogramm:

Zusammenstellung von Maßnahmen zur Inertisierung der Anlage

Ingenieurvertrag:

s. Engineeringvertrag

Glossar

Inspektion:

647

Überprüfung und Überwachung von Leistungen zur Fertigung, Lieferung und Montage von Ausrüstungen

Installation Quali- Formaler und systematischer Nachweis, dass alle wesentlichen fication (IQ): Aspekte der Anlagenmontage/-installation (Hard- und Software) und des Bauens den vereinbarten Regeln entsprechen, mit den freigegebenen Ausführungsdokumenten übereinstimmen und die Empfehlungen der Zulieferer berücksichtigen (Installationsqualifizierung) Instandhaltung (IH):

Maßnahmen zur Bewahrung und Wiederherstellung des Sollzustandes sowie zur Feststellung und Beurteilung des Istzustandes von technischen Mittel eines Systems

Instandhaltungshandbuch:

Zusammenfassung aller relevanten technisch-organisatorischen Informationen, Regeln. Anweisungen usw. für die Anlageninstandhaltung

Instandsetzung:

Maßnahmen zur Wiederherstellung des Sollzustandes von technischen Mitteln eines Systems

Inverkehrbringen (Maschine oder Druckgerät):

Entgeltliche oder unentgeltliche erstmalige Bereitstellung einer Maschine oder einer unvollständigen Maschine in der Gemeinschaft (d. Verf.: EU) im Hinblick auf ihren Vertrieb oder ihre Benutzung (nach MRL) oder die erstmalige Bereitstellung eines Druckgeräts oder einer Baugruppe auf dem Unionsmarkt

Kalt-Inbetriebnahme:

Übergangszeitraum zwischen der Protokollierung Mechanische Fertigstellung und dem Beginn der Heiß-Inbetriebnahme, in dem ganzheitlich die Voraussetzungen für das Anfahren (start-up) der Anlage zu schaffen sind (Herstellung der Betriebsbereitschaft, cold commissioning)

Komplexe Funktionsprüfung:

ganzheitliche Erprobung und Prüfung von Teilanlagen, technischen Systemen oder der Gesamtanlage nach der Montage hinsichtlich ihrer technischen Funktion

Lastenheft:

Zusammenstellung der Anforderungen an die herzustellende Anlage aus Sicht des Auftraggebers (Aufgabenstellung bzw. Spezifikation für Anlage, Scope-Definition)

Lebenszyklus (der Anlage):

Zeitraum von der Auftragserteilung zur Planung und Errichtung einer Anlage bis zum Ende ihrer Demontage und Entsorgung (life cycle for plant)

Leistungsfahrt:

vertraglich vereinbarter Betriebszeitraum während der Inbetriebnahme zur Erbringung des rechtsverbindlichen Leistungsnachweises für die Gesamtanlage oder Package-unit (Abnahmeversuch, Garantieversuch)

648

Glossar

Leistungsqualifizierung (PQ):

formaler und systematischer Nachweis, dass eine Anlage oder ein komplexes System die Leistungsfähigkeit und komplexe Funktionsfähigkeit erbringt, für die sie oder es erstellt wurde (Performance Qualification)

Leistungsfeststellung:

von Vertragspartnern bestätigter fachlicher Beleg/Nachweis für eine erbrachte definierte Leistung (auch im Sinne einer Zustandsfeststellung des Werks nach § 650g BGB)

Leistungsgarantien:

wesentliche, vertraglich zugesicherte Beschaffenheitsmerkmale der Anlage (i.Allg. betreffs Kapazität, Ausbeute, Produktqualitäten, Energie-/Hilfsstoffverbräuche)

Leistungsnachweis:

rechtsverbindlicher Nachweis der vom Verkäufer zugesicherten Beschaffenheitsmerkmale der Anlage (insbesondere der Leistungsgarantien) gegenüber dem Käufer (performance test)

LSTK-Vertrag:

Vertrag über das Erbringen einer komplexen Leistung, z.B. die Herstellung einer schlüsselfertigen Anlage (Lump-Sum-TurnKey-Contract)

Master (-dokument):

Aktuelle, gültige und verbindliche Arbeitsversion (gegenständlich oder elektronisch) eines Dokuments

Mechanische Fertigstellung (MF):

Zeitpunkt, zu dem die Montage der Anlage einschließlich aller wesentlichen Dämmungs-, Isolierungs- und Anstricharbeiten beendet und die Prüfungen auf mechanische Vollständigkeit und Funktionsfähigkeit, welche auch die Mess-, Regel-, Steuerungsund Überwachungsanlagen und die Elektroeinrichtungen umfassen, sowie die Prüfungen gemäß relevanter Rechtsvorschriften, behördlicher Vorgaben und dem vertragsrelevanten Stand der Technik erfolgreich durchgeführt und nachvollziehbar dokumentiert wurden (Mechanical Completion/MC)

Montage und Bau:

Gesamtheit aller Arbeiten, die zur physischen Errichtung der Anlage auf der Baustelle zu erledigen sind (construction)

Montageende:

Beendigung der eigentlichen Montage aller Gewerke, mit Ausnahme abgestimmter Restpunkte Bem.: Ist Voraussetzung für Beginn Inbetriebsetzung und nicht mit der Mechanischen Fertigstellung gleichzusetzen (end of construction)

Montagekontrolle:

Überprüfung und Überwachung der Montage bzgl. deren vorgabeund qualitätsgerechter sowie rechtskonformer Ausführung

Organigramm (Projekt-)

grafische Darstellung der Aufbauorganisation eines Projektes inkl. zugehöriger Einheiten (Stellen) und Kommunikationsbeziehungen (Organisationsschema, organisation chart)

Glossar

649

Package-unit:

Teilanlage, die als Ganzes von einem Kontraktor bzw. Subunternehmer hergestellt und i.Allg. von diesem in Betrieb genommen wird

Passivieren:

gezieltes Aufbringen einer Schutzschicht (z.B. Oxidschicht) auf die Oberfläche eines metallischen Werkstoffs (z.B. nichtrostender Stahl)

Pflicht:

Notwendigkeit zu einem Tun oder Unterlassen, die sich aus Vertrag, Gesetzen, Verhaltensnormen, Anweisungen usw. ergibt (duty)

Pflichtenheft (für Anlage):

Vorgaben für die Ausführungsplanung, Herstellung und Inbetriebnahme der Anlage (requirement specification for plant ) Bem.: Mitunter auch ohne Ausführungsplanung

Pflichtenübertragung:

Übertragung von Pflichten, aber auch von Verantwortung und Befugnissen, von einem Unternehmer oder einem durch ihn Beauftragten auf eine andere verantwortliche Person gemäß den rechtlichen Möglichkeiten

Phasendokumentation:

Teildokumentation im Projekt, die zielorientiert bestimmte Dokumente am Ende einer Projektphase zusammenfasst (stage documentation)

Probebetrieb:

Synonym für Heiß-Inbetriebnahme oder ein 4-wöchiger Nennbetrieb der Anlage nach den Abnahmeversuchen und vor der Abnahme der Anlage (in Kraftwerksprojekten und artverwandten Branchen).

Probelauf:

Funktionsprüfung einer Maschine (test run, Testlauf)

Projektdokumentation:

Gesamtheit aller Dokumente, die während der Abwicklung eines Projekts erarbeitet, verwaltet und abgelegt bzw. gespeichert werden (project documentation)

Projekthandbuch:

Zusammenstellung der administrativen, kommerziellen und technischen Abwicklungsgrundlagen und -regelungen des Projekts (project manual)

Prozess:

Synonym für Verfahren

Prozessanalyse:

systematische technologisch-technische Untersuchung eines bestehenden oder konzipierten Prozesses (Verfahrens) hinsichtlich seiner Verbesserungsfähigkeit

Prüfdokumentation:

Zusammenstellung von Dokumenten über durchgeführte rechtsund sicherheitsrelevante Prüfungen

Prüfhandbuch:

Zusammenstellung von Prüfpflichten sowie von ergänzenden Hinweisen zur Vorbereitung, Durchführung und Dokumentation der notwendigen Prüfungen im Leben einer Anlage

650

Glossar

Qualifizierung:

dokumentierte Beweisführung, dass alle Ausrüstungsgegenstände (inkl. Leittechnik mit Software) und baulichen Einrichtungen einwandfrei arbeiten und tatsächlich zu den erwarteten Ergebnissen führen (qualification)

Qualität:

Übereinstimmung der Realität mit allen vereinbarten und festgelegten Anforderungen

Realisieren: (Realisierung)

Gesamtheit der Arbeiten von der Auftragserteilung bis zur Endabnahme der Vertragsleistung (Herstellen, realize, realization)

Reinigung:

Maßnahmen zur Erreichen der vorgegebenen Reinheit /Reinheitsgrad; i.Allg. im Innern der Anlage (cleaning)

Risiko:

Produkt aus Eintrittswahrscheinlichkeit und Auswirkung eines Ereignisses

Risikoanalyse:

Identifizieren von Gefährdungen und deren Ursachen sowie die Bestimmung der potentiellen Konsequenzen und deren Eintrittswahrscheinlichkeiten Bem.: Bezieht sich vorrangig auf GSU (Gesundheit-SicherheitUmweltschutz) oder auf Produktqualität (zusätzlich für Pharmaprojekte)

Risikobeurteilung:

Risikoanalyse mit anschließender Risikobewertung

Risikobewertung:

Einschätzen des potentiellen Schweregrads einer Gefährdung sowie der Eintrittswahrscheinlichkeit und Vergleich mit einem Bewertungsmaßstab (Sollzustand)

Sanitisierung:

Verringerung der Keimzahl im Medium von Anlagensystemen von 1 bis 3 Zehnerpotenzen, z.B. mittels Reinstdampf

Schaden:

Nachteil, den jemand durch ein bestimmtes Ereignis erleidet (allgemein) oder Veränderung an einem Bauteil, durch die seine vorgesehene Funktion beeinträchtigt oder unmöglich gemacht wird oder eine Beeinträchtigung erwarten lässt (technisch)

Schulung:

Vermittlung der theoretischen Grundlagen und Zusammenhänge an die betreffenden Personen

Sicherheit:

Fähigkeit eines Systems, innerhalb der vorgegebenen Grenzen und während einer gegebenen Zeitspanne keine Gefährdungen für Personen, Sachen und Umwelt zu verursachen bzw. eintreten zu lassen

Sicherheitsarbeit:

Gesamtheit der Maßnahmen und Tätigkeiten, die für das Erreichen bzw. Gewährleisten der Sicherheit (ggf. auch für GSU (Gesundheit–Sicherheit–Umwelt) / HSE (Healthcare–Safety–Environment) unternommen werden

Glossar

651

Sicherheitsprüfung:

Prüfung zum Nachweis einer definierten Komponenten- und/oder Anlagensicherheit bezogen auf eine oder mehrere mögliche Gefährdungen (safety check)

Sicherheitstestat:

Haltepunkt am Ende einer Projektphase, an dem ganzheitlich die Erfüllung der Sicherheitsarbeit (GSU-Arbeit) kontrolliert und bestätigt wird

Site Acceptance Test (SAT):

Test und Abnahme des bestellten Werks/Leistung (z.B. Hauptausrüstung, Prozessleitsystem inkl. Software, Package-unit) nach Lieferung, Aufstellung und Montage beim Anwender (vor Ort)

Sondergarantien:

Garantien bzw. Gewährleistungen zu speziellen Komponenten (z.B. Standzeit von Katalysatoren, Lebensdauer von Ausrüstungen), die außerhalb der Leistungsgarantien und normalen Technischen Gewährleistung vereinbart sind

Spülprogramm:

Zusammenstellung technologisch-technischer Maßnahmen zum Reinigen der Anlage mit Wasser bzw. anderen Flüssigkeiten

Stellenbeschreibung:

Dokument, welches die Aufgabe der Stelle, die Befugnisse und Verantwortung des Stelleninhabers sowie die organisatorische Einordnung der Stelle festlegt

Stilllegung:

endgültiges, dauerhaftes Abstellen, Entleeren und Reinigen der Anlage in Vorbereitung einer möglichen Demontage

Technische Gewährleistung:

Versprechen des Auftragnehmers/Verkäufers, über einen definierten Zeitraum für eine funktionierende Anlage/Anlagenkomponente zu gewährleisten. Die Anlage/Anlagenkomponente ist in diesem Zeitraum für einen störungsarmen Dauerbetrieb entsprechend dem Genehmigungsbescheid, dem Stand der Technik und der betrieblichen Praxis geeignet, sofern vom Anlagenbetreiber die Gewährleistungsvoraussetzungen eingehalten werden. (Funktionale Gewährleistung, technical warranty)

Technische Spezifikation:

lieferantenunabhängige technische Unterlagen für Anfrage und Bestellung (Technische Beschaffungsunterlagen /TBU) (technical specification)

Technische Verfügbarkeit:

Verhältnis zwischen der um technisch bedingte Störungen reduzierten Laufzeit zur Gesamtlaufzeit der Anlage bzw. Anlagenkomponente im Betrachtungszeitraum (in Prozent)

Training:

Übung und Aneignung eines anforderungsgerechten Handelns seitens der betreffenden Personen

Unterweisung:

arbeitsplatz- und tätigkeitsbezogene mündliche Informationen von Beschäftigten über Gefährdungen, deren Unterrichtungen über Schutzmaßnahmen sowie Belehrungen über das richtige Verhalten

652

Glossar

Validierung:

Dokumentierte Beweisführung, dass ein Prozess in einer Anlage reproduzierbar ein spezifikations- und qualitätsgerechtes Produkt erzeugt (validation)

Verantwortung:

Auftrag, im definierten Aufgabenbereich für ein bestimmtes Ergebnis einzustehen (accountability)

Verbraucher:

jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu einem Zwecke abschließt, der weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen, beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann (BGB, § 13)

Verfahren:

Gesamtheit der physikalischen, chemischen, biologischen und nuklearen Wirkungsabläufe (Prozess, process)

Verfahrensgeber:

natürliche oder juristische Person, die das Know-how und i.Allg. auch die Eigentums- bzw. Nutzungsrechte zum Verfahren besitzt

Verfahrenstechnische Anlage:

Anlage zur Durchführung von Stoffänderungen und Stoffwandlungen mit Hilfe zweckgerichteter physikalischer und/oder chemischer und/oder biologischer und/oder nuklearer Wirkungsabläufe

Verfahrensrisiko:

Eintrittswahrscheinlichkeit des Nichterreichens der vertraglich zugesagten Leistungsgarantien bzw. Leistungswerte

Verschleißteil:

technisches Bauteil, welches mit hoher Wahrscheinlichkeit nach einer bestimmten Betriebsdauer vorbeugend bzw. bei Störung gegen das defekte Teil ausgetauscht wird

Verschulden:

bezeichnet das objektiv pflichtwidrige und subjektiv vorwerfbare Verhalten einer schuldfähigen Person

Vertrag:

Rechtsgeschäft, das durch zwei sich deckende Willenserklärungen zustande kommt

Vertragsart:

Bezeichnung eines Anlagenvertrages, die den Vertragsumfang/ Vertragsgegenstand oder die Vergütungsform widerspiegelt

Vertragsform:

Bezeichnung eines Anlagenvertrages, die die Rechtsform des Vertrags ausdrückt

Wartung:

Maßnahmen zur Bewahrung des Soll-Zustands von technischen Mitteln eines Systems

Wasserfahrt:

Komplexe Funktionsprüfung, möglichst der Gesamtanlage, mit Wasser oder anderen Flüssigkeiten

Wiederinbetriebnahme:

Überführung der Anlage aus dem Ruhezustand nach Abstellung (Stillstand) in den Dauerbetriebszustand (Recommissioning)

Zuständigkeit:

Auftrag, definierte Aufgabenbereiche zu bearbeiten und bestimmte Aktivitäten einzuleiten (responsibility)

Sachwortverzeichnis Abfahren/Umfahren 58, 63, 74, 81, 510, 592 – Abfahrsteuerung 466, 592 – Definition 592 – Spezifika 74, 81, 593, 594 Abfall/Abprodukt 136, 188, 216 – Definition 188 – Grundsätze 188 – Entsorgungsnachweis 136, 188, 216 – inbetriebnahmespezifischer -- 84 Ablagestruktur (s. Abwicklungstruktur) Abnahme 18, 27, 295, 308, 309, 609 – Abschlussbericht 612 – AS BUILT-Dokumentation 610, 612, 613 (s. extra Sachwort) – Beweislastumkehr 297 – Gesamtanlage 18, 609 – Gewährleistungslücke 24, 482 – im Generalvertrag 304, 308, 309, 310 – im Ingenieurvertrag 312 – im Werkvertrag 295, 296, 308 – Kontrollliste 483 – Leistungsfahrt/-nachweis (s. extra Sachworte) – nach Kalt-IBN 25, 395 – nach MF/MC 25, 305, 609 – Neben-/Teilanlage/Package-unit 24 – -protokoll 611 – -prozedur 610 – -prüfung (s. extra Sachwort) – Rechtsfolgen 296, 297 – Sonderfälle 613 – Teil- 24, 309 – -verweigerung 295 – Vertragsformulierungen 308, 310 – -zeitpunkt 25, 26, 304 Abnahmeprüfung 481, 595, 597 – Definition 481 Abnahmeversuch 20, 21, 597, 598, 600 – Abnahmemessung 597 – Beispiel Turboverdichter 598 – Definition 597, 639 – Normenen/Richtlinien 598 Abwassersystem 447

Abwicklungsstruktur 127 Adsorber 522, 568 – Adsorbens/Adsorbentien 81, 523, 568 – Anfahren 568 Akzeptanzkriterium 35, 38, 88, 92, 99, 497, 532, 609 – Beispiel IQ 497 – Definition 35 Anfahranweisung (s. Inbetriebnahmeanweisung) Anfahrcheck 527, 535 – Anfahrvoraussetzungen 528 – Anlagenkennzeichnung 528, 530 – Checkliste 528, 530, 535 – Sicherheitskennzeichnung 535 – Startstellung Armaturen 535 – Steckscheibenplan 535 Anfahren der Anlage 7, 20, 81, 251, 253, 436, 532, 536, 573 – Anfahrbeispiel 573, 578 – Anfahrcheck (s. extra Sachwort) – Anweisungen 250, 252, 537 – Arbeitsfreigabe 532 – Definition 7 – Grundsätze/Anfahrstategie 536, 537 – Inbetriebnahmeschritte 510, 511 – Infrastruktur (s. extra Sachwort) – Mediensysteme (s. extra Sachwort) – Nebenanlagen (s. extra Sachwort) – Startkriterien 20 – Voraussetzungen 533, 535 Anfahren der Komponenten 250, 252, 437, 537, 539, 545, 556, 560, 564, 568, 571 (s. auch extra Sachworte) – Adsorber 568 – Anfahrschaden 542, 544 – Antriebe 537 – Anweisungen 250, 251, 537 – baulicher Einrichtungen 437 – Dampferzeuger 562 – Elektrotechnik 437, 573 – Grundsätze/Anfahrstategie 536, 537 – Industrieofen 560 – Kolbenverdichter 545

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 K. H. Weber, Inbetriebnahme verfahrenstechnischer Anlagen, VDI-Buch, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59498-8

653

654

– – – – –

Sachwortverzeichnis

Kolonne 568 Kreiselpumpe 543 Prozessleittechnik 571 Reaktor 564 Technische Gebäudeausrüstung (TGA) 437 – Turbine mit Generator 556 – Turboverdichter 546 – Verdrängerpumpe 539 Anfahrrohrleitung 83, 103, 557 Anfahrausrüstung 83, 85, 557, 566 Anfahrsteuerung 109, 111, 112, 113, 572 Anfahrstrategie 72, 536 Anlage (gesamt) 5, 64 – Anfahrbeispiel 573 – -beschilderung 412, 456, 515, 535 – Definition 5 – -grenze (s. extra Sachwort) – Inverkehrbringen 7, 9, 137, 232, 234, 240 – Konformitätserklärung 241, 242, 243 – Lebenszyklus 15 – -phasenmodell 15, 35, 50 – überwachungsbedürftige -- 198, 215 – Vakuum- 485 – verfahrenstechnische -- 5, 15 Anlagen n. AwVS (WHG) 182, 183, 185, 187 – Anlagenarten 184 – Anlagendokumentation 187 – Anforderungen 184 – Betriebsanweisung 186, 249 – Definition 182 – Dichtheit 185 – Gefährdungsabschätzung 484 – Gefährdungsstufe 185 – Prüfung/Überwachung 185 – Rohrleitungen 183 – Unterweisung (s. extra Sachwort) – Wassergefährdende Stoffe (s. exter Sachwort) Anlagen n. ProdSG und BetrSichV (s. überwachungsbedürftige Anlagen) Anlagenanalyse 594, 627 – Beispiele 629, 631 – Definition 627 – Möglichkeiten/Vorteile 494, 629

Anlagenbetrieb 80, 581, 584, 585, 600, 602 – Teillast 7, 45, 81, 536, 559, 581, 602 – Nennlast 511, 559, 584, 595, 602 Anlagendokumentation 127, 128, 130, 187 – Anlagen n. AwVS (WHG) 187 – Definition 127 – Detail-Engineering-Dokumente 128 – Dokumentenarten 129, 130, 131 – Gliederung 130 – Hersteller-/Lieferantendokumente 128 – in Pharmaprojekten 40 – Package-unit-Dokumentation 129 – Pflege 128 – Qualitätskontrolle 401 – Quellen 128 – vor Inbetriebnahme 127, 499, 504 Anlagengestaltung/-modellierung 100, 104 – Beispiel 105 – Checkliste 102 – Grob-Layoutplanung 100 – inbetriebnahmegerechte -- 100 – 3D-Anlagenentwurf 100, 101 – 3D-Anlagenmodell 102 Anlagengrenze 27, 28 Anlagenplanung (s. Engineering) Anlagensicherheit 137, 142, 233 – Definition 142 – PLT-Schutzeinrichtungen (s. extra Sachwort) – Prüfhandbuch 133, 137 – Risikobeurteilung (s. extra Sachwort) Anlagenvertrag (s. Vertragsform und Vertragsart) Antrieb 108, 537 – Anfahrstrom 538, 539 – Anfahrschaden 541 – Drehstrom-Asynchronmotor 108, 538 – Hydraulikmotor 539 Anweisung (s. Betriebsanweisung) Anzeige der Betriebsbereitschaft 18, 20, 25, 27, 305, 343, 355, 393, 399, 458, 502, 515, 527, 532

Sachwortverzeichnis 655

– Protokoll 342, 533, 534 – Prozedur 532 Anzeige-/Bedienkomponenten (ABK) (s. Prozessleitsystem (PLS)) Arbeitsfreigabe/-genehmigung 174, 254, 499, 532 – Aushang Freigabeberechtigte 258 – für Anfahren 532 – Grundsatz 255 – Praxisbeispiel 256 – Unfallbeispiel 257 Arbeitsmittel (nach BetrSichV) 202 Arbeitsschutz 207, 209, 244 – Arbeitsstättenverordnung 210 – nach Arbeitschutzgesetz 209, 210 – Unfallschutz (s. extra Sachwort) Arbeitssicherheit 142, 207, 212, 245 – DGUV Vorschrift 1 208, 209 – DGUV Vorschriften 208 – Definition 142 – Gefährdungsbeurteilung (s. extra Sachwort) – im Auslandseinsatz 211 – Leitlinien 231 Arbeitszeit 211 – im Auslandseinsatz 212 – nach Arbeitszeitgesetz 211 – Reisezeit 212 – Wegezeit 212 AS BUILT-Dokumentation 56, 127, 138, 610, 612, 613, 617, 619 – Abnahme 610, 612, 621 – Abnahmeprotokoll 622, 623 – Definition 138, 614 – Exemplare 619 – Fertigstellung/Lieferung 617, 618 – Gewährleistung 319, 321, 623, 624 – Kosten/Einbehalt 114, 610, 617, 619 – Mangelmeldung 400, 401 – Notwendigkeit 614 – Pflege 616, 618 – Prüfung 618, 619, 620, 621 – Rechtsfolgen der Abnahme 614, 621 – Regelungsbedarf 614 – Spezifikation 615 Audit/Check 361, 486, 527

– vor Mechanischer Fertigstellung 486, 488 – vor Anfahren 527 – vor IBN-Planung 361 Aufsichtsperson/-führender 332, 333 239, 402, 405, 406, 408, 514, 591 – Checkliste 406 – Definitionen 405 – Durchführung/Organisation 408 – Erfolgskontrolle 413 – -programm 239, 405 – Schulung 405, 409 – Simulator 409, 411 – Systematik 405, 408 – Training 405, 410, 412 – Unterweisung (s. extra Sachwort) – -vertrag 402 – während IBN 514, 591 Ausblasen 80, 95, 98, 422, 426, 428 – Checkliste 422 – mit Dampf 427, 428, 429 – mit Luft 424, 425, 426 – -programm/-prozedur 423 – Reinheitskontrolle 425, 429 – Vorgehensweise 425 Ausfallrate/-risiko 43 Ausführungsplanung 50, 54, 127 – Abwicklungsstruktur 127 – Detail Engineering-Dokumentation 54, 127 – Sicherheitstechnische -- 144, 145 – Bearbeitungsstatus 119 Auslegung 75, 76 – Beispiel 77 – Betriebsparameter/Druckstufen 76 – Massen-/Energieströme 76 – Werkstoffauswahl 78 Ausmauerungen (s. Feuerfestmaterialien) Ausspülen 80, 90, 95, 429 – -programm/-prozedur 429 – Spülsiebe 431, 432 – Reinheitskontrolle 433 – Vorbereitung 430, 431 – Vorgehensweise 430 Ausrüstung (s. Hauptausrüstung) Ausrüstungstypical 251, 252, 537 – -anweisung 251, 537 – Beispiel 252 – Definition 640

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Sachwortverzeichnis

Außerbetriebnahme/Abfahren 58, 63, 74, 81, 592 – Checkliste 58 – Definitionen 592 – Spezifika 74, 81, 592, 594 Autorenkontrolle 388, 389, 394

Basic Design 4, 51, 57 Basic Engineering (s. Entwurfsplanung) Bau und Montage 53 Bauleiter 23 Baustellenabwicklung 55 Baustelleneinrichtung 22 Baustellenleiter 23, 24 Baustellenphase 15, 18, 21 – Baustelleneröffnung 18, 22 – Baustellenhandbuch 23 – Schnittstellen 18, 23 – Strukturierung 18, 21 Bearbeitungsstatus 116, 118 – Definition 116 – -- gemäß Phasenmodell 119 – Statuskennzeichen 118, 119 Befugnis 328, 330 – Arten von -- 328 – Definition 328 – Übertragung 330, 331 Beizen 94, 95, 42, 434, 435, 516 – Definition 434 – Passivieren (s. extra Sachwort) – Übersicht 94, 95 Beratervertrag 315 Beschaffung/Einkauf 54, 390 – Checkliste QS 390 – Prüfkategorien 392 Beschilderung 412, 456, 515, 535 Besprechungen 340 Bestellung (verantwortungsseitig) 331, 358 – Aufsichtsperson 332, 333 – Definition 331 – Möglichkeiten 331 – Muster/Template 333 Beste verfügbare Techniken (BVT) 170, 228 – BVT-Merkblätter 170, 171 – BVT-Schlussfolgerungen 171 – Definitionen 170

– Umsetzung in BRD-Recht 171, 172 Bestimmungsgemäßer Betrieb 53, 219, 234, 358 – bzgl. Inbetriebnahme 219, 234, 358, 593 – bzgl. Umweltschutz 228 – Definition 219 Betrieb/Dauerbetrieb 18, 21, 27 Betriebsanleitung 152, 155, 162, 237 – Definition 237 – für Anlagenkomponente 237 – für Druckgerät 155 – für Geräte n. ATEX 162 – für Gesamtanlage (s. Inbetriebnahmeanleitung) – für Maschine 152 Betriebsanweisung 134, 240, 246, 247, 250, 414 – Ausführungshinweise 247 – Beispiele 248, 249, 250, 252 – Definition 246 – für Arbeitsfreigabe 249, 256 – Einweisung 249 – für AwVs-Anlagen (WHG) 186, 249 – für Gefahrstoffe 192, 248 – für Inbetriebnahme (s. auch Inbetriebnahmeanweisung) 250 – Kategorien 247 – Unterweisung (s. Extra-Sachwort) Betriebsbereitschaft 18, 20, 27, 515, 527, 528, 532, 534 – Anzeige der -- (s. extra Sachwort) – Checkliste 528 (s. auch Anfahrcheck) – Herstellung der BB (s. Kalt-IBN) Betriebsdokumentation 127, 132 – Betriebshandbuch (s. extra Sachwort) – Betriebstagebuch (s. extra Sachwort) – Definition 127 – Dokumentenarten 132 – Gliederung 132 – Inbetriebnahmehandbuch (s. extra Sachwort) – Instandhaltungshandbuch (s. extra Sachwort) – Prüfhandbuch (s. extra Sachwort)

Sachwortverzeichnis 657

Betriebshandbuch 132, 134, 573, 593 Betriebsmittel (elektrisch) 159, 165 – bis 1000 V Wechselstrom 164 – Einstufung im Ex-Bereich 160 – elektromagnetische Verträglichkeit 165 – nach EMV-RL 165 – technische Unterlagen 162, 163 Betriebsleitebene 467, 468 Betriebstagebuch 133, 136 Bevollmächtigter 154 Beweislast/-pflicht 27, 196, 201, 297, 319, 322 – im Dienstvertrag 300 – im Kaufvertrag 299, 319 – im Werkvertrag 297, 319 – nach Produkthaftungsgesetz 201 – nach Umwelthaftungsgesetz 194, 196 Bilanzierung (s. Einfahren) Biotechnologie/-reaktor (s. auch Reaktion) Brandschutz 189, 191, 194 BRD-Recht 176, 178, 180, 198, 207 – Arbeitsschutzgesetz 209 – Arbeitsstättenverordnung 210 – Arbeitszeitgesetz 210 (s. auch Arbeitszeit) – Anlagen n. AwVS (WHG) (s. extra Sachwort) – BetrSichV 202 (s. auch Arbeitsmittel bzw. überwachungsbedürftige Anlage) – BImSchG 182 (s. auch Emissionen/ Immissionen) – Chemikaliengesetz 189 (s. auch Stoff/Gemisch) 189 – DGUV-Vorschriften 186 – Gefahrstoffverordnung 189, 194 – Kreislaufwirtschaftsgesetz/Verordnungen 188 (s. auch Abfall) – Produkthaftungsgesetz 200 (s. auch Produkt) – Produktsicherheitsgesetz 198 (s. auch Produkt bzw. überwachungsbedürftige Anlagen) – Struktur der Vorschriften 178, 181 – TA-Lärm 180 – TA-Luft 180

– Übersicht zum Recht 177, 178 – Umwelthaftungsgesetz 194 (s. auch extra Sachwort) – Umweltschadensgesetz 194, 196 – Verwaltungsvorschriften 180, 181 – Wasserhaushaltsgesetz 182 (s. auch Wassergefährdende Stoffe) Brownfield-Projekt 27, 31, 347 – Besonderheiten bzgl. IBN 27, 31 – Definition 347 – Schnittstellenkontrolle 28

CE-Kennzeichen (s. Konformität) Change-Order 280, 362, 373 Claim-Management 373 Commissioning (s. Inbetriebnahme)

Dampferzeuger 562 – Anfahrdiagramm 564 – Anfahrdynamik 563 – Feinreinigung 516 – Heißstart 563 – Kaltstart 563 – Warmstart 563 Dampfsystem 443 Dämmungsarbeiten 446, 500 Design Qualification (DQ) (s. Qualifizierung) Detail Engineering (s. Ausführungsplanung) Dichtheit 393, 484, 515 – nachweis 454, 484 – prüfung 484, 515 – von Druckanlagen 484 – von Vakuumanlagen 485 Dienstvertrag 299 – Beweislast 300 – Definition 299 – Haftung 299, 300 Dokument 116, 119 – Bearbeitungsstatus (s. extra Sachwort) – Definition 116 – Freigabe 118, 119 – Master 116, 617 – Prüfung 118 – Schnittstellen-- 439

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– Statuskennzeichen 118, 119 Dokumentenart 116, 130, 131 – -- Inbetriebnahme 131 – -- Verfahrenstechnik 130 Dokumentation 40, 41, 114, 118, 119, 121, 122, 126, 127, 128, 132, 504, 613 – Abnahme 621 (s. auch AS BUILTDokumentation) – Anlagen- (s. extra Sachwort) – AS BUILT- (s. extra Sachwort) – Bearbeitungsstatus (s. extra Sachwort) – Begriffe/Definitionen 116, 117 – bei Anlagenabnahme 610, 612, 613, 618 – Betriebs- (s. extra Sachwort) – Dokumentenart (s. extra Sachwort) – Genehmigungs- (s. extra Sachwort) – Gewährleistung 319, 321, 623, 624 – Hersteller- 128 – im Werkvertrag 292, 319 – Inbetriebnahme- (s. extra Sachwort) – in Pharmaprojekten 40, 41 – Kosten 114 – Lebenszyklus 115 – Mangel/-meldung 399, 400, 401 – Phasen- (s. extra Sachwort) – Neben-/Teilanlagen/Package-unit129, 130 – Projekt- (s. extra Sachwort) – Prüfung 620 – Qualitätskontrolle 399, 400 – vor Protokollierung MF 504 Dokumentenart 116, 129, 130 – Definition 116 – der Inbetriebnahme 131 – der Prozessleittechnik 107, – der Verfahrenstechnik 130 Drehrichtungsprüfung (s. Funktionsprüfung) Drehstrom-Asynchronmotor 108, 537 – Anfahrfrequenz 538 – Anfahrspannung 538 – Anfahrstrom 108, 538 – Drehzahlregelung 538 – Kennlinie 538 Druckluftsystem 441 Druckgerät 153, 205 – Anforderungen 154, 155

– bei Frost 580, 581 – Betriebsanleitung 155 – Betriebssicherheitsverordnung 205 – Definitionen 153, 154 – Druckgeräte-RL 153 – Druckgeräteverordnung 158 – Einstufung/Module 156, 157, 205 – Inbetriebnahme 154 – Inverkehrbringen 8, 154 – Konformität 156, 158 – Prüfungen 155, 156 – Rohrleitungen 153, – technische Unterlagen 156 Durchführbarkeitsstudie 49, 50

EG-Konformitätserklärung (s. Konformität) Eigentumsübergang 297 Einbauerklärung (s. Konformität) Einfahren 584 – Bilanzieren 589 – Emissionswerte 585 – Funktionsnachweis 591 – Garantiewerte 590, 595, 596 – Hauptaufgaben 584, 591 – Reglereinstellung 586, 587 – Steuerungen 589 Einführer 154, 156, 163 Einweisung (s. Unterweisung) Elektropolieren 93, 433, 434 Elektrotechnik 107, 464 – Aufgaben 107, 464 – elektrische Geräte/Betriebsmittel 159 – Funktionsprüfung -- 464, 465, 472 – Inbetriebnahme -- 437, 448, 573 Emission 169, 214, 218, 220, 335, 585 – Definition 218 – -grenzwerte 51, 170, 220, 335, 585 – nach IE-RL 169 – Schall- 143, 319, 323, 585, 586 Enddokumentation (s. AS BUILTDokumentation) Engineering 40, 49, 65, 66 – Definition 65 – Forderungen bzgl. IBN 66 – Good Engineering Practice (GEP) 40

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– inbetriebnahmegerechtes -- 65, 66 – -phasen 50, 65 – Sicherheitsarbeit (s. extra Sachwort) Engineering Workstation (EWS) (s. Prozessleitsystem (PLS)) Engineeringvertrag (s. Ingenieurvertrag) Entwicklung 49, 56, 58, 64 – Ausrüstungs- 56, 64 – Checkliste 58 – inbetriebnahmegerechte --56 – Verfahrens- 49, 50, 56 (s. auch extra Sachwort) Entwurfsplanung 50, 52, 113, 122 – Basic Engineering-Dokumentation 52, 122 – Pflichtenheft 52 – Prozessleittechnik- 114 – Sicherheitstechnische -- 144, 145 – Bearbeitungsstatus 119 EPCM-Vertrag 301, 313, 314 Errichten 17, 50 Ersatzteil 366, 368, 643 Erstinbetriebnahme 5, 6 Erstreinigung 95, 97 – Arbeitsanweisung 97 – Checkliste 96 – Definition 95, 643 EU-Richtlinien/EU-Verordnungen (s. Europarecht) Europarecht 147, 169 – ATEX-Betriebsrichtlinie 172 – ATEX-Herstellerrichtlinie 148 (s. auch Geräte) – Druckgeräte-Richtlinie 2, 153 (s. auch Druckgerät) – EMV-Richtlinie 165 – EU-Richtlinien 148 – EU-Verodnungen 148 – GHS/CLP-Verordnung 169 – Industrieemissionsrichtlinie 169 (s. auch Beste verfügbare Techniken) – Maschinen-Richtlinie 1, 148 (s. auch Maschinen) – Niederspannungs-RL 164 – REACH-Verordnung 166, 189 (s. auch Stoff/Gemisch) – Recht bei Auslandseinsatz 212 – Übersicht 147 Expertensystem 590

Explosionsschutz 158, 172, 192, 203, 204, 525 – Anweisungen 174 – Arbeitsfreigabe 174, 254 – Brandschutz 189, 191, 194 – -Diagramm 525, 526 – Einstufung elektrischer Geräte 159, 160, 470 – Einstufung nicht-elektrischer Geräte (inkl. Maschinen) 159, 160 – explosionsfähige Atmosphäre 172, 190 – Explosionsgrenzen 526 – Explosionsgefährdung/-risiken 172, 192, 203 – Explosionsschutzdokument 173, 175, 192, 194, 203, 204 – Explosionsschutzkonzept 192, 194, 204 – Ex-Zonen/-einteilung 173, 192 – -maßnahmen 172, 174, 192 – Risiken 172 – Sauerstoff-Grenzkonzentration (SGK) 525, 526 – Unterweisung (s. extra Sachwort) – Zuordnung Gerätekategorie 161, 175

Factory Acceptance Test (FAT) 109, 471, 495 – der Hauptausrüstungen 391, 495 – des Prozessleitsystems 109, 471 – in Pharmaprojekten 495 Fahrlässigkeit 336 – Definition 336 – grobe -- 336 Feinreinigung 84, 88, 99, 435, 515 – Beispiel Dampferzeuger 516 – in Pharmaanlagen 32, 91, 92, 95, 435, 516 – Sanitisierung 95, 516 Feldleitebene 468, 469 Feuerfestmaterialien 519, 521 – Einsatzbereiche 519 – Schäden 522 – Trocknung 520, 521 Flanschverbindung 443, 445, 484 – An-/Abfahren 443, 445

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– Dichtheitsnachweis 75, 454, 484 – Dichtheitsprüfung 484, 485 Formblätter 341, 342, 359 (s. auch Protokolle) Frequenzumrichter 108, 538, 573, 586, 589 (s. auch Sanftstarter) Frost (s. Klima) Funktionsprüfungen 18, 24, 80, 85, 437, 457, 458, 464, 466, 475, 477, 478, 503 – Anlagenkomponenten 475, 477 – bauliche Einrichtungen 437, 475 – Beachten im Engineering 85 – Beispiele 460, 463, 465, 476, 479 – Definition 457 – Drehrichtungsprüfungen 393, 420, 459, 513 – Elektrotechnik 464, 465 – Factory Acceptance Test (FAT) (s. extra Sachwort) – Komplexe -- (s. extra Sachwort) – Laboranalysentechnik (LAT) (s. extra Sachwort) – Loop-check 19, 393, 420, 465, 473, 474 – Maschinen 459 – MSR-Technik 464, 473, 474 – Probelauf 457, 459, 460, 481 – -programm/-schritte 86, 87, 460, 461 – Prozessanalysentechnik (PAT) (s. extra Sachwort) – Prozessleitsystem 471, 472, 475 – Pumpen 86, 87 – Site Acceptance Test (SAT) (s. extra Sachwort) – Sonderteile 478 – Technische Gebäudeausrüstung (TGA) 437 – Turbinen 462 – Übersicht 458, 459 – Verdichter 460, 462 – Verfahrenstechnik 80, 87 – vor Protokollierung MF 503 – während Kalt-IBN 513, 519, 532, 535, 571, 592 Funktionsqualifizierung (OQ) (s. Qualifizierung)

Garantien 293, 321, 590, 595, 596 – Definition 322 – Einstellung Grantiewerte 590 – in Anlagenverträgen 293, 317, 321 – Leistungs-/Verfahrens- (s. extra Sachwort) – Produktions- 323 – Standzeit-/Lebensdauer- 323, 596 – Technische -- 323 – Verfügbarkeit (s. extra Sachwort) Garantie-/Leistungswerte 590 Garantieversuch (s. Leistungsfahrt) Gefährdung 207, 233 (s. auch Risiko) – Definition 233, 244 – für Betriebssicherheit 207 Gefährdungsbeurteilung 134, 142, 189, 202, 206, 209, 233, 244, 245 – Definition 244, 245 – nach Arbeitsschutzgesetz 209 – nach Betriebssicherheitsverordnung 202, 203 – nach Gefahrstoffverordnung 190 – Methodik/Hauptschritte 245 – vor Inbetriebnahme 233 Gefahrenübergang 25, 27, 296, 304 – im Generalvertrag 304, 305 – im Kaufvertrag 320 – im Werkvertrag 296 Gefahrstoff 189 – Betriebsanweisung 192, 248 – Definition 189 – Einstufung 190 – Ex-/Brandgefährdung 190, 191, 192 – Gefahrenklassen 190 – Gefährdungsbeurteilung 190 – Sicherheitsdatenblatt 167, 190 – Unterweisung (s. extra Sachwort) Genehmigung 53, 212, 216, 218 – Definitionen 212, 213 – -planung (s. extra Sachwort) – Umweltverträglichkeitsprüfung 216 – Verantwortung für -- 213 Genehmigungsbescheid 188, 214, 224 – Einhaltung/Kontrolle 197, 214 – nachträgliche Anordnungen 226 – Nutzung des -- 225 – Planfeststellungsbeschluss 188, 216 – Praxisbeispiel 225 – wesentliche Änderungen 225, 226

Sachwortverzeichnis 661

Genehmigungsdokumentation 53, 117, 126 Genehmigungsplanung 53 Genehmigungsverfahren 214 – Beachtung der IBN 214 – nach Baurecht 216 – nach BImSchG (s. extra Sachwort) – nach KrWG 216 – nach WHG 215 – überwachungsbedürftige Anlagen 215 – Sonstige -- 216 – Vorschriften 181 Genehmigungsverfahren n. BImSchG 214, 218 – Ablauf 223 – Bestimmungsgemäßer Betrieb 219, 358 – Definitionen 218 – Antrag/-unterlagen 219 – Förmliches -- 223 – Genehmigungsbescheid (s. extra Sachwort) – Genehmigungsfristen 224 – Sicherheitsbericht 219 – Stand der Technik 220 – Strörfall-Verordnung 219 – Vereinfachtes -- 223 – Wesentliche Änderungen 225, 226 – Zweck 214 Generalvertrag 301, 306 – Abnahme (s. extra Sachwort) – Abnahmezeitpunkt 304 – Checkliste bzgl. IBN 302 – Definition 301, 644 – Gefahren-/Verantwortungsübergang 304, 305 – Gewährleistungslücke 24, 482 – Gliederung 306 – Leistungsfahrt/-nachweis 304, 307, 308 (s. extra Sachworte) – Leistungsumfang 301 – LSTK-Vertrag (s extra Sachwort) – Nichterfüllung (s. Werkvertrag) – Vergütung 301, 302 Generator (s. Turbine) Gesetz (s. BRD-Recht)

Geräte/Schutzsysteme (in explosionsgefährdeten Bereichen) 158, 159, 172, 175 – Anforderungen 161 – ATEX-Hersteller-RL 158 – Betriebsanleitung 162 – Definitionen 158, 159 – Einstufung/Kategorie 159, 160, 161 – elektrische Betriebsmittel 159 – Explosionsschutzverordnung 164 – Kennzeichen 163 – Konformität 163 – Maschinen/Vorrichtungen 159 – Prüfungen/Kontrolle 164 Gesundheitsschutz (s. Sicherheit) Gewährleistung 293, 317, 319, 321, 323, 596 – -beginn 296 – Definitionen 318, 596 – -frist 319, 597 – für Dokumentation 319, 321 – im Dienstvertrag 300 – im Kaufvertrag 298, 318, 321 – im Werkvertrag 293, 297, 318, 319 – -lücke 24, 482 – Nach-/Nichterfüllung 318 – Technische -- 323, 596, 597 Good Manufacturing Practice (GMP) (s. Pharmaprojekte) Greenfield-Projekt 27, 347, 349 – Definition 347 Grundlagenermittlung 50, 119 – Lastenheft 50, 119 – User Requirements 36 Grundoperation 4, 64 Grundreinigung 97, 98, 418 – Ausblasen (s. extra Sachwort) – Auspülen (s. extra Sachwort) – Definition 97, 645 – in Pharmaanlagen 32, – mechanische Reinigung 421 GSU (Gesundheit-SicherheitUmweltschutz) 141, 178, 212, 226, 228 – Betriebstestat/-freigabe 144, 146, 450 – Schwerpunktsetzung 207 – Strukturierung 141, 144

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Sachwortverzeichnis

Haftung 336, 645 (s. auch Gewährleistung) – Gefährdungshaftung 195 – nach BGB 336 – nach ProdHaftG 201 – nach UmweltHG 194 Händler 154, 156, 163 Hauptausrüstung 64 – Abnahme 481, 482 – Auslegung 75 – Definition 645 – Factory Acceptance Test (FAT) (s. extra Sachwort) – Konstruktion 75, 82 HAZOP-Methode (s. Risikobeurteilung) Heiß-Inbetriebnahme (Heiß-IBN) 18, 20, 510, 536 – Abfahren/Außerbetriebnahme 510, 592 (s. auch extra Sachwort) – Abnahme (s. extra Sachwort) – Anfahren 511, 536 – Anfahrcheck (s. extra Sachwort) – Anzeige der Betriebsbereitschaft (s. extra Sachwort) – AS BUILT-Dokumentation (s. extra Sachwort) – Definition 20 – Einfahren 511, 584 – Hochfahren 511, 584 – Instandsetzen 594 – Know-how-Gewinn (s extra Sachwort) – Leistungsfahrt 595 – Leistungsnachweis 595 – Spezifik Kraftwerksprojekte 20, 21 – Stabilisieren 581 – Startkriterein 20, 528, 535 – Wiederanfahren 510, 594, 595 – Wiederinbetriebnahme 5, 532 Heißwassersystem 446 Hersteller 154 – Definition 154 – -dokumente 128 Herstellung der Betriebsbereitschaft (s. Kalt-IBN) Hochfahren 584 HSE (Healthcare-Safety-Environment) (s. GSU)

Immission 182, 214, 218 – Definition 218 Inbetriebnahme 1, 5, 11, 18, 20, 42, 56, 65, 131, 228, 254, 265, 289, 323, 436, 510 – Ablauf/Reihenfolge 18, 72, 510 – Abnahmeversuch (s. extra Sachwort) – -abschnitte (s. extra Sachwort) – -anleitung (s. extra Sachwort) – -anweisung (s. extra Sachwort) – Aufgaben/Herausforderungen 10, 11, 21, 42, 72 – Batch-Prozess 512, 581, 584 – bauliche Einrichtungen 437, 438, 481, 488 – -controlling (s. extra Sachwort) – Definitionen 1, 2, 5 – Dokumentenarten 131 – Druckgeräte-RL 154 – beim Engineering (s. extra Sachwort) – bei Entwicklung (s. extra Sachwort) – bei Genehmigung 214 – besondere Fahrweisen 75 – -dokumente 114 – -einrichtungen (s. extra Sachwort) – Einflussfaktoren 57, 66 – Elektrotechnik (s. extra Sachwort) – Erst- 5, 6 – Heiß-IBN (s. extra Sachwort) – in bestehenden Anlagen 27 – Infrastruktur (s. extra Sachwort) – Leistungsfahrt (s. extra Sachwort) – -leistungen/-aufgaben 6, 10, 11 – Kalt-IBN (s. extra Sachwort) – Know-how-Gewinn (s.extra Sachwort) – Mediensysteme (s. extra Sachwort) – -meilensteine 15, 17, 18 – nach Druckgeräte-RL 154 – nach Maschinen-RL 149 – Nebenanlagen (s. extra Sachwort) – -ordnung 359, 360 – -organisation (s. extra Sachwort) – -phase (s. extra Sachwort) – -planung (s. extra Sachwort) – Prozessleitsystem (PLS) (s. extra Sachwort)

Sachwortverzeichnis 663

– Prozessleittechnik (s. extra Sachwort) – -schritte (s. extra Sachwort) – standort-/kundenspezifische Bedingungen 67 – -schnittstellen 18, 24 – -schritte (s. extra Sachwort) – Spezifika 42 – -team (s. extra Sachwort) – Technische Gebäudeausrüstung (TGA) 437 – -technologie (s. extra Sachwort) – Umweltschutz bei -- 228 (s. auch extra Sachwort) – Vergütung 311, 312, 317 – -vertragsgestaltung 289, 314 – von Maschinen 1, 149, 459, 537 – -vorbereitung (s. extra Sachwort) – Wieder- 5 – Winter- 579 – Zielstellungen 10, 11, 72 – zeitversetzt 25, 26 Inbetriebnahmeabschnitte 7, 15, 18 Inbetriebnahmeanleitung 85, 237, 239, 481, 486, 535, 573, 593 – Definition 238 – Gliederung 239 Inbetriebnahme-/Anfahranweisung 240, 250, 251, 573 – Arten von -- 251 – Definition 646 – für Ausrüstungstypicals 252 – fürSysteme 253 Inbetriebnahmeaudit 486, 488 Inbetriebnahmeauswertung 637 – Abschlussbericht 637 – Auswertekolloquium 637 Inbetriebnahmecontrolling 371 – Berichterstattung 374, 375 – Change-Order 373 – Definition 371 – Erfüllung Genehmigungsbescheid 196 – Fortschrittskurve 372 – Hauptaufgaben 371, 373 – Troubleshooting 375 Inbetriebnahmedokumentation 55, 116, 127, 501, 504

– Bearbeitungsstatus 55, 119, 127, 501 – Definition 127 – Kontrolle vor MF 504 – Pflege der -- 127 Inbetriebnahmeeinrichtungen (spezielle) 83 inbetriebnahmegerechte Entwicklung 56, 58 – Beispiele 59 – Checkliste 58 – Inbetriebnahmekonzeption (s. extra Sachwort) inbetriebnahmegerechte Planung 57, 66, 67, 72, 75, 83, 88, 100, 106, 114, 127 – Abfahren (s. extra Sachwort) – Anlagengestaltung 100, 104 (s. auch extra Sachwort) – Anlagenkomponenten 76 – Auslegung 75, 80 – Außerbetriebnahme (s. extra Sachwort) – Betriebsparameter 76 – Bilanzierung 76, 589 – Checklisten 66, 80, 96, 98, 102, 110 – effiziente Technologie 72 – Einflussfaktoren/Fahrweisen 57, 80 – Funktionsprüfungen 85 – Hauptforderungen 66 – Infrastruktur/Logistik 70, 71 – Klima/Wetter 68 – Komplexe Funktionsprüfung 85, 517 – Konstruktion 75, 82 – Personal-/Managementsituation 71 – Prozessleittechnik 106, 110, 113 – Rechtssituation 70, 71 – Reinheit (s. extra Sachwort) – Reinigung (s. extra Sachwort) – Standort/Kunde 67, 68, 70, 71 – Stoffe/Energien 76, 83, 84 – Werkstoffauswahl 78 Inbetriebnahmehandbuch 134, 254, 265, 357, 358 – Definition 134 – Inhalt 358, 359 – Unterweisung (s. extra Sachwort) Inbetriebnahmekonzeption 63, 65 – Beispiel 63, 65

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Sachwortverzeichnis

– Definition 63 Inbetriebnahmekosten 43, 273, 279, 280, 288, 368 – Ausfallrate 43 – Checkliste Kosteneinsparung 280 – Kostenanalyse 273, 274 – Schwachstellen-/Schadensanalyse 273, 275, 276, 278 – Umsatzverlust 277 – Zehnerregel 287, 288 Inbetriebnahmeleiter 25, 342, 351, 353, 354, 358 – Anforderungen 344 – Befugnisse 25, 343 – Pflichtenübertragung 330, 331 – Verantwortung 343, 346 – Verhaltenstips 345 Inbetriebnahmeordnung 359, 360 Inbetriebnahmeorganisation 323, 327, 346, 348, 513 – Arbeitsorganisation 327 – Befugnis (s. extra Sachwort) – Besprechungen 340 – Einflussfaktoren 346, 347 – Erproben/Festigen 513 – Formblätter 341, 342 – Handbuch 357 – IBN-Leiter (s. extra Sachwort) – IBN-Team (s. extra Sachwort) – Koordinator 343, 344, 349, 351, 353, 354 – Ordnung 360 – Organigramme 348, 349, 351, 353, 354 – Pflicht (s. extra Sachwort) – pflichtwidriges Verhalten 335 – Verantwortung (s. extra Sachwort) – Zuständigkeit (s. extra Sachwort) Inbetriebnahmepersonal (s. Personal) Inbetriebnahmephase 18, 20 – Abschnitte 15, 18, 20 – Schnittstellen 18, 26 – Schritte 510, 511, 512 – Strukturierung 18, 21 Inbetriebnahmeplanung 361, 363, 365, 368 – Ablauf- 366 – -Aktualisieren 368 – Balkendiagrame 368, 369

– Check vor Planung 361 – Definition 361 – Ersatz-/Verschleißteile 366, 368 – Herausforderungen 363, 365 – Kosten- 368 – Netzplan 371, 578 – Personalplanung 367, 403 – Planungsebenen 368, 369 – Praxisbeispiel 369 – Ressourcen- 366 – Struktur- 364 – Zeit-/Termin- 366 Inbetriebnahmeschritte 7, 510 Inbetriebnahmesicherheit (s. Sicherheit) Inbetriebnahmeteam 346 – Einflusskriterien 346 – Kommunikation 340, 348, 356 – Konstituierung 357 – Organigramm AN-Team 351 – Organigramm AG-Team 348, 349 – Organigramm Gesamtteam 353, 354 – Organisationsstruktur 346 – Stellenbeschreibung 356 – Teamarbeit 357 – Typische Strukturen 349, 352, 354, 355 Inbetriebnahmetechnologie/-strategie 72, 536 – Checkliste 72 – Definition 72 – Verfahrensrisiko (s. extra Sachwort) Inbetriebnahmevoraussetzungen 486, 488 – Auditieren 488 – Checklisten 486, 488 – Grundvoraussetzungen 486 Inbetriebnahmevorbereitung 6, 17, 21, 55, 387, 402, 418, 436, 450, 457, 481, 484, 486, 488, 497 – Abnahmeprüfungen 481 – Ausbildung (s. extra Sachwort) – Dichtheitsprüfung 484, 485 – Erfüllungskontrolle 486, 488 – Funktionsprüfungen (s. extra Sachwort) – Hauptaufgaben 21, 387 – Infrastruktur (s. extra Sachwort) – Installationsqualifizierung (IQ) (s. Qualifizierung)

Sachwortverzeichnis 665

– Mediensysteme (s. extra Sachwort) – Montagekontrollen (s. extra Sachwort) – Nebenanlagen (s. extra Sachwort) – Schnittstellen (s extra Sachwort) – Sicherheitsprüfungn (s. extra Sachwort) Inbetriebsetzung (IBS) 3, 18, 19 Industrieofen 560 – Anfahrbeispiel 561 – Schaden 561 – Trocknen der Ausmauerung 519, 520, 521 Inertisieren 80, 525 – Notwendigkeit 525 – -programm 527 – Sauerstoff-Grenzkonzentration (SGK) 525, 526 Infrastruktur 24, 28, 70, 436, 438, 440 – Abgrenzung ISBL/OSBL 27, 438 – Anfahren 436, 438, 440 – Anlagengrenze 27, 28 – Engineering 28, 70, 73 – Inbetriebnahme 436, 437, 440 – IBN-Vorbereitung 440 – -leitungen 426, 440 – Schnittstellendokument 439 – Schnittstellenkontrolle 28 Ingenieurvertrag 311, 313 – Abnahme 312 (s. extra Sachwort) – Abnahmezeitpunkt 312 – Checkliste 313 – EPCM-Vertrag (s. extra Sachwort) – Leistungsumfang 311, 313 – nach HOAI 311, 312 – Nichterfüllung (s. Werkvertrag) – Spezifik 312 – Vergütung 312 – Zielpreisvereinbarung 313 Installationsqualifizierung (IQ) (s. Qualifizierung) Instandhaltung 135, 202, 367, 406, 591, 594 – Anlagengestaltung 100 – -anweisung 135, 136 – Ersatz-/Verschleißteile 366, 368 – Inspektion 135 – Instandsetzung 135, 594

– personal 367, 406, 407, 514, 591, 594 – -planung 367, 368 – Wartung 135 Instandhaltungshandbuch 133, 135 – Definition 134 – Gliederung 135 Inside Battery Limits (ISBL) 24, 27, 438 Inverkehrbringen 4, 8, 9, 10, 149, 154, 199, 234 – nach Druckgeräte-RL 8, 154, 234 – nach Maschinen-RL 8, 148, 149, 234 – nach ProdSG 199 – von Anlagen 9, 10, 234 – von Kraftwerksanlagen 3 – Voraussetzungen 10 Investitionskosten 53 Isolierarbeiten 446, 500

Kalt-Inbetriebnahme (Kalt-IBN) 18, 20, 512, 515, 517, 519, 525, 527, 531, 532 – Anfahrcheck (s. extra Sachwort) – Anzeige der Betriebbereitschaft (s. extra Sachwort) – Ausmauerung trocknen 519, 521, 522 – Beschilderung 515 – Hauptaufgaben 21, 513 – Definition 20 – Dichtheitsprüfung 515 – Erprobung Organisation 513 – Feinreinigung 515 – Funktionsqualifizierung (OQ) (s. Qualifizierung) – Hauptaufgaben 21 – Inertisieren 525 – Komplexe Funktionsprüfung (s. extra Sachwort) – Protokoll 534 – Restpunktabwicklung 514, 515 – Schüttgut vorbereiten 522 – Testprodukt-/Testfahrt 518, 519 – Wasserfahrt 20, 85, 513, 517 Kapazitätsengpass 584 Katalysatoren 81, 522 – Aktivieren/Trocknen 81 – Befüllprotokoll 524

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Sachwortverzeichnis

– Einfüllen/Abdecken 523 – Garantien 322, 323 Kaufvertrag 298, 320, 321 – Beweislast/-pflicht 299, 319 – Definition 298 – Dokumentation 298 – Entgegennahme 299 – Garantie 321 – Gefahrenübergang 320 – geschuldeter Erfolg 298 – Gewährleistung 321 – Nicht-/Nacherfüllung 299 – Vergütung 298 – Verjährung 321 Kavitation (s. Korrosion) Kennzeichnung (s. Beschilderung) Klima/Wetter 68 – Beispiel 69 Know-how-Gewinn 11, 13, 591, 627, 637 – Anlagenanalyse (s. extra Sachwort) – Beispiele 629, 632 – Inbetriebnahmeauswertung 637 – Messfahrten 591, 638 – Möglichkeiten/Vorteile 628, 629 – Prozessanalyse (s. extra Sachwort) Kolbenverdichter (s. Verdichter) Kolonne 568 – Anfahrbeispiel 568 – Arbeitsdiagramm 570 Komplexe Funktionsprüfung 20, 80, 85, 87, 239, 457, 480, 517, 591 – Definition 480 – Gesamtanlage 591 – im Engineering 80, 85, 239 – Kategorien 480 – Prozessleitsystem (PLS) 519 – Testprodukt-/Testfahrt 518, 519 – vor IBN 457, 480 – während Kalt-IBN 517 – Wasserfahrt 29, 85, 480, 481, 517 Kondensatsystem 442 Konformität 149, 156, 163, 240, 241 – -bewertungsverfahren 149, 156, 163 – CE-Kennzeichnung 150, 158, 163 – Einbauerklärung 150 – -erklärung 150, 158, 240 – für Anlage 241, 242, 24 – für Produkte 150, 158, 240

– für Neben-/Teilanlage/Package-unit 243 Konstruktion 75, 82 Korrosion 58, 61, 78, 79, 97, 398, 518 – abtragende -- 79 – elektrochemische Kontakt- 398 – Kavitation 79 – Lochfraß- 62, 79, 518 – -produkte 89, 91, 94 – -schutz 90 – Spannungsriss- 79 Kosten (s. auch Inbetriebnahmekosten) 53, 67, 273, 279, 374 – Betriebs- 53, 119, 122, 274 – -ermittlung 53, 374 – für IBN 273, 374 – Investitions- 119, 122, 313 – -planung 368 – -verringerung 279, 280, 288 Kreiselpumpe (s. Pumpe) Kreiselverdichter (s. Verdichter) Kühlwassersystem 442

Laboranalysentechnik (LAT) 107, 109, 478, 590 – Funktionsprüfung 478, 590 – Kontrolle vor Anfahren 530 – Probenahme 478, 479, 593 Lärm (s. Schall) Lastenheft 50, 69, 119 – Checkliste /Gliederung 119, – Definition 117 Laufradformen 543 Lebenszyklus 14, 115 – der Anlage 14 – der Dokumentation 115 Leckage 443, 454, 484, 485, 515 – an Flanschverbindung 442, 443, 445 – bei Inbetriebnahme 21, 515, 442, 445, – nach TA-Luft 454, 484 – -ortung 484, 485 – von Druckanlagen 484, 513 – von Vakuumanlagen 485, 513 Leittechnik (s. Prozessleitsystem)

Sachwortverzeichnis 667

Leistungsfahrt 18, 21, 56, 62, 307, 595, 600, 602 – Abnahmeversuch 20, 21, 597 – Auswertung 602, 603 – Dauer 602 – Definition 21, 595 – Durchführung 602 – Programm 601 – im Vertrag 307, 308 – Vorbereitung 600 Leistungsfeststellung 481, 498 Leistungs-/Verfahrensgarantien 322, 595, 596, 597 Leistungsnachweis 18, 21, 307, 449, 481, 483, 595, 602 – bei Nichterfüllung 603, 605 – Beispiele 605 – Dauer 602 – Definition 595 – im Vertrag 307 – Programm 601 – Protokoll 607, 608 – von Liefer-/Montagefirma 449 – von Nebenanlagen 481 Leistungsqualifizierung (PQ) (s. Qualifizierung) Logistik 70, 72, 130, 394, 438, 448 Loop-check (s. Funktionsprüfung) LSTK-Vertrag 301, 306, 482

Maschine 148, 459 – Betriebsanleitung 152 – Definitionen 148, 149 – Dokumentenanforderungen – Einbauerklärung 150 – Funktionsprüfung 459 – Gesamtheit von -- 149 – im Ex-Bereich 159, 160, 161 – Inbetriebnahme 149 – Inverkehrbringen 8, 149 – Konformität 149, 150 – Konstruktion 82 – Maschinen-RL 148 – Maschinenverordnung 153 – Risikobeurteilung 149 – technische Unterlagen 151 – Unvollständige Maschine 149, 150 Master 116, 617

Mechanische Fertigstellung (MF) 5, 18, 25, 500, 501, 504, 505, 506 – Definition 500 – Dokumentation 504 – Protokollierung 506 – Formular (Tamplate) 505 – Prozedur 501 – Rest-/Mängelpunkte 500, 502 Mediensysteme 23, 440, 481 – Abnahme 24, 309, 482 – Abnahmeprüfung 481 – Anfahren 436, 441, 447 – Druckluft 441 – Flanschverbindungen 443, 444, 445 – Inbetriebnahme der -- 441 – Leistungsnachweis 481 – Leistungsfeststellung 481 – Reinigung 441 – Steuerluft 441 – Stickstoff 441 – Wärmeträgersystem 446 Meilensteine 15, 17, 18, 265, 364, 365, 368, 369 – -plan 365, 368, 369 Mess-/Steuer-/Regeltechnik (MSR) 106, 466, 472, 474 – Feldtechnik 468, 470, 474 – Funktionsprüfung/Loop-check -19, 393, 420, 465, 473, 474 – Inbetriebnahme -- 438, 472, 473, 474 – Signalübertragung 110, 111, 466, 470 Molchen (s. Reinigung) Montage 17, 55, 392, 420 – Abgrenzung zu IBN 393 – -ende (s. extra Sachwort) – -fertigmeldung 502 – -kontrolle (s. extra Sachwort) – Leistungsnachweise 420 – -schritte 55 – -vertrag 314 Montageende 3, 18, 19, 23, 436, 502 – Definition 648 – -prüfung 502, 503 – Schnittstelle 18, 23 Montagekontrolle 392, 395, 397, 400, 402 – Checklisten 396, 397

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– – – – – –

Sachwortverzeichnis

Definition 395 Beispiel 398 Mangelkategorien 399, 502 Mangelmeldung 399, 502, 504 Mangelverwaltung 397, 399 Prozedur 397, 399, 402

Nachrichtentechnik 107, 448 Nebenanlagen 19, 23, 436, 437, 448, 481 – Abnahme/Leistungsfesstellung 24, 309, 481 – Abnahmeprüfung 481 – Anfahren 436, 437, 448 – Dokumentation 129, 130 – Gewährleistungs/-lücke 24 – Komplexe Funktionsprüfung 457 – Konformitätserklärung 243 – Inbetriebnahme 19, 24, 26, 251, 436, 437, 448 – Testprodukt/Testfahrten 518, 519 – Typische Nebenanlagen 437, 448 NOT-AUS 109, 515, 589, 592 NOT-HALT 109, 515, 589, 592

Oberbauleiter (s. Baustellenleiter) Ordnungswidrigkeit 337 Outside Battery Limits (OSBL) 24, 27, 98, 437, 438, 439, 440

Package-unit (s. Nebenanlagen) Passivieren 80, 95, 435, 516 Personal 74, 342, 346, 402, 404, 514, 591 – Arbeitnehmerüberlassung 404 – Ausbildung 402, 405, 591 – Betriebs-/Betreiber- 346, 403, 404 – -gestellung 403, 404 – im Vertrag 402, 404 – Inbetriebnahme- 342, 346, 404, 591 – Service-/Instandhaltungs- 367, 403, 404, 406, 514, 591, 594 – -planung 367, 403 – -überforderung 74 – Unterweisung (s. extra Sachwort) Pflicht 329, 330, 332, 335 – Definition 329 – -übertragung 330, 332

– -verletzung 335, 336, 338 Pflichtenheft 52, 125 – Bearbeitungsstatus 125 – Definition 117 Pharmaprojekte 31, 33, 35, 40, 88 – Akzeptamzkriterium (s. extra Sachwort) – Besonderheiten 31, 41 – Dokumentation 40, 41 – Einordnen ins Phasenmodell 35 – GMP-Testate 34, 36, 37 – Good Manifacturing Practice (GMP) 33 – Qualifizierung (s. auch extra Sachwort) 33, 34 – Reinheit 88, 92, 99 – Reinigung 39, 88, 99 – Risikobeurteilung (GMP-relevant) (s. extra Sachwort) – Validierung 33, 34 Phasendokumentation 117, 118, 119, 121, 122, 126, 127 – Basic Engineering-Dokumentation 122 – Bearbeitungsstatus (s. extra Sachwort) – Detail Engineering-Dokumentation 127 – Genehmigungsdokumentation 126, 219 – Inbetriebnahmedokumentation (s. extra Sachwort) – Lastenheft 50, 119 – Pflichtenheft 125 – Pre-Basic-Dokumentation 121 Phasenmodell 15, 35, 49, 50, 56 – für Anlagenprojekte 50 – für Bauprojekte 56 – Pharmaprojekte 35 Planfeststellung/-beschluss 188, 216 PLT-Schutzeinrichtung 235, 474 – Definition 235 – Klassifizieren n. SIL 235 – Prüfung 235, 455, 474 Pönale 307, 603 Pre-Basic (s. Vorplanung) Probebetrieb (s. auch Heiß-IBN) 18, 613 – Definition 20

Sachwortverzeichnis 669

– Sonderfall Kraftwerksindustrie 20, 613 Probelauf 457, 481 Produkt 198, 200 – -dokumentation 117, 128, 200 – nach Produkthaftungsgesetz 200 – nach Produktsicherheitsgesetz 198 Projekt 49, 266, 270, 288 – Brownfield -- (s. extra Sachwort) – -dokumentation 116, 118, 268 – Greenfield -- (s. extra Sachwort) – -handbuch/-richtlinien 117, 268, 397 – -kosten 265, 266, 288 – -leiter 267 – -organisation 267, 348, 349 – Pharma- (s. extra Sachwort) – Phasenmodell (s. extra Sachwort) – -planung 268, 361 – -risiken 74, 265, 266 – -steuerung 269, 375, 376 – -verfolgung 269 – -vorbereitung 49 – -ziele 265 Projektmanagement/-abwicklung 265, 389 – Erfahrungen 270 – Checklisten 272 – Hauptschritte 266 – Matrixstruktur 267 – Pharmaprojekte 31 – Phasenmodell 49, 50 – Risikominimierung 265, 266 – Schnittstellengestaltung (s. extra Sachwort) – Sicherheitsarbeit (s. extra Sachwort) – Teamarbeit 357 Protokollformulare (vertragsrelevant) 505, 534, 607, 611, 622 – Abnahme Anlage 611 – Abnahme AS BUILT-Dokumentation 622 – Anzeige Betriebbereitschaft 534 – Leistungsnachweis 607 – Mechanische Fertigstellung 505 Prozessanalyse 494, 627 – Beispiele 629, 632 – Definition 627

– Möglichkeiten/Vorteile 494, 629 Prozessanalysentechnik (PAT) 107, 109, 478, 479, 590 – Funktionsprüfung 478, 590 – Kontrolle vor Anfahren 530 – Probenahme 478, 479, 593 Prozessleittechnik (PLT) 106, 109, 111, 438, 464, 466, 475, 571 – Anfahren 571 – Anfahrsteuerung 111, 112, 572, 589 – Bestandteile 106, 107 – Dokumentenarten der -- 107 – Drehrichtungsprüfung (s. Funktionsprüfung) – Elektrotechnik (s. extra Sachwort) – Feldbus 110, 111, 468 – Feldtechnik 468, 470, 474 – Funktionsprüfung (s. extra Sachwort) – Inbetriebnahme -- 438, 472, 474, 571 – inbetriebnahmefreundlich -- 106, 110 – Inbetriebnahmespezifika 108 – Loop-check (s. Funktionsprüfung) – Mess-/Steuer-/Rgeltechnik (MSR) (s. extra Sachwort) – PLT-Betriebseinrichtung 235 – PLT-Schadensbegrenzungseinrichtung 235 – PLT-Schutzeinrichtung (s. extra Sachwort) – PLT-Überwachungseinrichtung 235 – Prozessleitsystem (PLS) (s. extra Sachwort) – Signalübertragung 110, 111 – Trends/Herausforderungen 109, 110, 111, 466 Prozessleitsystem (PLS) 109, 110, 113, 467, 468, 471, 472 – Anzeige- und Bedienkomponente (ABK) 468 – Aufbau/Struktur 467, 468 – Betriebleitsebene 467 – Einfahren 586, 589, 590 – Engineering Workstation (EWS) 468 – Factory Acceptance Test (FAT) (s. extra Sachwort)

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Sachwortverzeichnis

– Feldleitebene 468, 469 – Funktionsprüfung (s. extra Sachwort) – Inbetriebnahme 438, 472 – Komplexe Funktionsprüfung -- 519 – Programmierung 111, 112 – Prozessleitebene 468 – Prozessnahe Koponente (PNK) 468, 469 – Signalübertragung 110, 111, 466, 470 – Site Acceptance Test (SAT) (s. extra Sachwort) – Speicherprogrammierbare Steuerung (SPS) 469, 471 – Unternehmensleitebene 467 – Zykluszeit 110, 469 Prozessvalidierung (s. Validierung) Prüfbuch 452, 457 Prüfhandbuch/-dokumentation 133, 137, 457 Prüfung (s. Sicherheitsprüfung bzw. Sicherheitsarbeit) Pumpen 86, 460, 539, 593 – Anfahren 539, 543, 544 – Beispiele 86, – Funktionsprüfung 86, 460, 539 – Kennlinien 540, 540, 542 – Laufradform 543 – Pumpgrenze 543

Qualifizierung (gemäß GMP) 33, 34, 35, 495, 497, 531 – Akzeptanzkriterien (s. extra Sachwort) – Definition 34 – Design Qualifizierung (DQ) 35, 36 – GMP-Testate 34, 35, 37, 487 – Funktionsqualifizierung (OQ) 35, 38, 473, 531, 532 – Installationsqualifizierung (IQ) 35, 38, 487, 495, 496, 497 – Leistungsqualifizierung (PQ) 35, 38, 606 Qualität 387 – Definition 388 – -merkmale 388

Qualitätssicherung/-kontrolle 18, 111, 387, 390, 392, 394, 399, 401 – Anfahrsteuerung 109, 111, 113, – Anlagenmodell 394 – Autorenkontrolle, 388, 389, 394 – bei Beschaffung 390 – bei Montage 18, 387, 392 – Checklisten 390, 392 – Hauptausrüstungen 391, 401 – Mangelmeldung/-verwaltung 397, 400, 502, 504 – Montagekontrolle (s. extra Sachwort) – Prüfkategorien 392 – vor Anfahren 528, 535, – vor IBN-Planung 361 – vor Mechanischer Fertigstellung (MF) 486, 488, 502, 503, 504

Reaktor/Reaktion 523, 564 – Anfahren 565 – Befüllprotokoll 524 – Bioreaktion, 567 517 – Katalysator 522, 566 – Temperaturabhängigkeit 565 Rechtsvorschriften (s. Europarecht und BRD-Recht) Rechtsformen von Verträgen (s. Vertragsform) Regeln der Technik und Sicherheit/ Gesundheit 170, 178 – Allgemein anerkannte Regeln der Technik 179 – Berufsgenossenschaftliche Regeln 180 – Beste verfügbare Techniken (BVT) 170 – Normen 179 – Technische Regeln 178 Regelung (technisch) 108, 109, 110, 473, 482, 586, 589 – Drehzahl- 109 – Funktionsprüfungen -- 473, 474 – Inbetriebnahmespezifika 108 – Optimierung 586 – Pumpgrenz- 547

Sachwortverzeichnis 671

Regelventil 81, 86, 110, 423, 431, 459, 588, 589 – Kennlinie 588, 589 – Sitz/Kegel 588, 589, 592, 594 Reglereinstellung (-Tuning) 587 Reinheit 88, 89, 92 – -grade 90 – im Lasten-/Pflichtenheft 88 – in Pharmanlagen 88, 92, 99 – -kriterien/-forderungen 91 – Oberflächenvorbereitungsgrade 89 – Rohrleitungen 91 – Rostgrade 89 – -vorgaben/-forderungen 88, 91 Reinigung 80, 88, 90, 93, 95, 418, 422, 429, 434, 515 – Ausbersten 98, 425 – Ausblasen (s. extra Sachwort) – Ausspülen (s. extra Sachwort) – Auswischen 98, 421 – Beizen (s. extra Sachwort) – Checklisten 96, 98, 423 – Erstreinigung (s. extra Sachwort) – Feinreinigung (s. extra Sachwort) – Grundreinigung (s. extra Sachwort) – im Engineering 88, 98 – Infrastrukturleitungen 426, 440 – in Pharmaprojekten (s. Pharmaprojekte) – mechanische -- 421 – Molchen 435 – nach Fertigung 95, 96 – nach (Feld-)Montage 97, 98 – Passivieren (s. extra Sachwort) – pulsierende Wasser-/Luftströmung 436 – Reinigungskugeln 436 – Reinigungsschritte (s. extra Sachwort) – Sanitisierung 95, 516 – Siebe 431, 432 – Reinigungsverfahren (s. extra Sachwort) – -validierung (s. extra Sachwort) – Verunreinigungen 89, 91, 93, 419, 433 – während Kalt-IBN 515 Reinigungsschritte 95, 418, 515 – Erstreinigung (s. extra Sachwort)

– Feinrinigung (s. extra Sachwort) – Grundreinigung (s. extra Sachwort) Reinigungsvalidierung 39, 99, 435 Reinigungsverfahren (Überblick) 90, 93, 94 Reisezeit (s. Arbeitszeit) Risiko (s auch Gefährdung) 72, 74, 172, 175, 189, 245, 265 – -analyse 233 – Definition 233 – -beurteilung (s. extra Sachwort) – -bewertung 233 – bzgl. Einhaltung GSU (s. Risikobeurteilung (GSU/HSE)) – bzgl. Inbetriebnahme 281, 361 – bzgl. Produktqualität 73 – bzgl. Umweltschutz 73 – bzgl. Vertragserfüllung 281, 361 – Explosions- 172, 175, 192, 525, 526 – -minimierung 72, 281, 282, 285 – mit Gefahrstoff 189, 190 – Projekt- 265, 266, 281 – Verfahrens- 73, 74, 281 Risikobeurteilung (GMP-relevant) 36, 37, 496 Risikobeurteilung (GSU/HSE-relevant) 142, 232, 233, 235, 236 – Definitionen 233 – für Anlage 10, 176, 177, 235 – für Maschine 149 – für Produkte 8 – für Vertragserfüllung 281 – im Projekt 235 – Methodik 236 – mittels HAZOP-Methode 236 – mittels WHAT-IF-Methode 236, 237 – Safety Integrity Level (SIL) 235 – vor Inbetriebnahme 233, 234 – Zeitpunkt (rechtsrelevant) 234 Rohrleitungen 153, 204 – nach Druckgeräte-RL 153 – nach BetrSichV 204 – Reinigung (s. Reinigung/-schritte)

Sanftstarter 108, 538, 573, 589 (s. auch Frequenzumrichter)

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Sachwortverzeichnis

Schaden 78, 79, 293, 335, 378 – bei pflichtwidrigen Verhalten 335 – -ersatz 293, 298 – Haftpflicht 378 – Korrosions- (s. Korrosion) – Tatbestandsprüfung 335 – Vakuum- 78 Schall/Lärm 143, 210, 319, 323, 583, 585 – an Maschinen 153 – Arbeitsschutz 210 – -emission 143, 319, 323, 583, 585, 586 – -dämmung 98, 99, 422, 423 – Körper- 585, 586 – Schallschutzkonzept 125, 131 Schnittstellen 15, 18, 22, 28, 112, 285, 438, 468, 497 – an Anlagengrenze 28, 438, 440 – auf Baustelle 18, 23, 24 – -dokument 439 – Checklisten 28, 286 – im Engineering 75, 112, 113 – im Prozessleitsystem 468 – Mechanische Ferigstellung (s. extra Sachwort) – zwischen Baustelle und IBN 18, 24, 285, 497 – zwischen Heiß-IBN und LF 18, 27 – zwischen IBN und Betrieb 18, 27, 56 – zwischen Kalt- und Heiß-IBN 18, 20, 21, 26 – zwischen Montage und IBS 18, 23, 24, 436 Schnittstellengestaltung 22, 28, 112, 285, 439, 440, 497 – an Anlagengrenze 27, 28, 438 – auf Baustelle 23, 24 – Checklisten 28, 286, 438 – -dokument 439 – im Projekt 22, 50, 287 – Mechanische Fertigstellung (s. extra Sachwort) – während IBN 18, 26, 27, 56 – zwischen Baustelle und IBN 440, 497, 498 Schulung (s. Ausbildung) Schwingungen 210, 552, 583 – an Maschinen 13, 73

– an Rohrleitungen 73, 79 – Richtlinien/Normen 210, 583 – -überwachung 552 – Vibration 210 Sicherheit 141, 142, 207, 228, 323, 525 – Anlagen- (s. extra Sachwort) – Arbeits- (s. extra Sachwort) – Betriebs- 11 – Brandschutz 189, 191, 194 – Definition 142 – DGUV Vorschriften 208 – Explosionsgrenzen 526 – Explosionsschutz 172, 191, 525 – Geräte 160, 161 – Gesundheitsschutz 207, 228 (s. auch Unfallschutz) – Grundsätze/Leitlinien 230, 231 – -koordinator 343, 344 – -managementhandbuch 133 – Ordnungsstruktur 141, 144 – Produkt- 198 – -prüfungen (s. extra Sachwort) – Sicherheitsventile 457 – Testierung 143, 146 Sicherheitsarbeit (bzgl. Inbetriebnahme) 143, 146, 232, 515 – Arbeitsfreigabe (s. extra Sachwort) – Beschilderung 412, 456, 515, 535 – Betriebsanweisung (s. extra Sachwort) – Betriebstestat/-freigabe 144, 146, 450, 486 – Brandschutzkonzept (s. Brandschutz bzw. Explosionsschutz) – Dichtheitsnachweis (n. TA-Luft) 454 – Definition 142 – Einstufung n. ATEX-HerstellerRichtlinie 160, 161 – Explosionsschutzdokument 173, 175, 176, 192, 194 – Explosionsschutzkonzept 192, 194 – Ex-Zoneneinteilung 173, 192 – Gefährdungsabschätzung (nach AwVS) 484 – Gefährdungsbeurteilung (s. extra Sachwort) – Grundsätze/Leitlinien 230, 231

Sachwortverzeichnis 673

– Elektrische Geräte im Ex-Bereich 160, 161 – Inertisieren 525 – Klassifizierung PLT-Stellen 235 – Maschinen im Ex-Bereich 160, 161 – Risikobeurteilung (s. extra Sachwort) – Safety Integrity Level (SIL) 235 – Schritte 143 – Sicherheitsbericht 125, 145, 219 – Sicherheitsdatenblatt 167, 190 – Sicherheitskoordinator (s. extra Sachwort) – Sicherheitstestate 143, 144, 146 – Sicherheitspüfungen (s. extra Sachwort) – Strukturierung gem. Phasenmodell 144 – Unfallschutz (s. extra Sachwort) Sicherheitskoordinator 343, 344, – IBN- 344, 349, 351, 353, 354, 360, 595 – in Organigrammen 349, 351, 353, 354 – SiGeKo n. BaustellV 343 Sicherheitsprüfungen (s. auch Sicherheitsarbeit) 18, 24, 137, 155, 164, 176, 199, 450, 452, 456, 515 – Anlagen im Ex-Bereich 164, 203, 204, 452 – Definition 450 – Dichtheits- 454, 484, 485 – der Montage 393 – Grundlagen 450, 451 – PLT-Schutzeinrichtung (s. extra Sachwort) – Prüfbuch 452, 457 – Prüfhandbuch 133, 137, 457 – Prüfung Druckgerät 155, 157 – Prüfung Explosionsschutzdokument 176, 203, 204, 452 – Prüfung nach ProdSG 199 – Prüfung überwachungsbedürftige Anlage 199, 202, 203, 452, 456 – Prüfung/Überwachung n. AwVS (WHG) 185, 186, 452 – Prüfung Druckrohrleitungen 205, 206, 455 – Restpunktliste 451, 457

– Sicherheitskennzeichnung 456, 535 – Sicherheitsventile 457 – vor Heiß-IBN 515 – vor IBN (Checkliste) 452 – vor Protokollierung MF 503 Siebe (s. Ausspülen) Site Acceptance Test (SAT) 109, 391, 397, 401, 472, 496 – Checklisten 396, 397, 401 – der Hauptausrüstungen 397, 401, 496 – des Prozessleitsystems 109, 472, 496 – in Pharmaprojekten 496 Sorgfaltspflichten 137, 233, 266, 270, 281, 334, 358, 361, 457, 514, 614 Speicherprogrammierbare Steuerung (SPS) (s. Prozessleitsystem) Spülen (s. Ausspülen) Stabilisieren Anlagenbetrieb 581 – Schaden 582 – Schwingungen 583 – Teillastfahrweise 581, 583 Stand der Technik 170, 179, 199, 220, 228, 450, 457, 487, 500 Standort 13, 51, 67, 68, 71, 246, 347, 416, 438, 475, 579 – Brownfield (s. extra Sachwort) – Greenfield (s. extra Sachwort) – Makro -- 67 – Mikro -- 67 – Winter-IBN 579 Steckscheiben/-plan 394, 396, 423, 528, 535 Stellenbeschreibung 356 Steuerluftsystem 441 Steuerung (technisch) 111, 113, 572 – Anfahrsteuerung 109, 111, 112, 572 – Einfahren 589, 590 – Funktionsplan 111, 112 – Programmieren 111, 112 – prozessgerichtet 109, 111, 113, 466, 473, 572, 589 – sicherheitsgerichtet -- 110, 111, 235, 243, 455, 473, 589 – speicherprogrammierbare -- 469, 471 Stickstoffsystem 441 Stoff/Gemisch 166, 168, 189

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Sachwortverzeichnis

– Definitionen 166, 167, 189 – Einstufung 166, 169 – Gefahrstoff (s. extra Sachwort9 – Sicherheitsdatenblatt 167, 168, 190 Strafrecht 176, 177, 330, 337, 338 – Strafgesetzbuch 330, 338 – strafrechtliche Verantwortung/ Konsequenzen 328, 339, 337, 339

Tatbestand/Sachverhalt 335 – objektiver -- 335 – subjektiver -- 335 Technische Regeln (s. Regeln der Technik) Teillastbetrieb/-bereich 7, 45, 81 Technische Gebäudeausrüstung (TGA) 120, 130, 437, 484 Testlauf/-fahrt 457 Training (s. Ausbildung) Turbine mit Generator 556 – Abnahmeversuch 559 – Anfahrdiagramme 557, 558 – Heißstart 557 – Kaltstart 557 – Schaden 559 – Warmstart 558 Turboverdichter (s. Verdichter)

überwachungsbedürftige Anlagen 198, 202 – Anlagenarten/Definition 198, 202 – Anlagen in Ex-Bereichen 203 – Anzeige/Erlaubnis 199, 215 – Druckanlagen n. BetrSichV 202, 204, 205 – nach Produktsicherheitsgesetz 198 – Prüfungen vor IBN 199, 202, 204, 452 – Rohrleitungsanlagen n. BetrSichV 204 – Technische Regeln für Betriebssicherheit (TRBS) 206, 207 – Wiederkehrende Prüfungen 206 Umwelthaftungsgesetz 194, 196, 197 – Auszug aus -- 195 – Hinweise für IBN 197 – Beweislast/-pflicht 196

Umweltschutz 212, 226, 229 – bei Inbetriebnahme 212, 221, 226, 228 – durch Unfallvermeidung 229 – -managementhandbuch 134 Umweltverträglichkeitsprüfung 216 – Ablauf UVP 217 – Definition 217 – Einbindung in BImSchG-Verfahren 218 – UVP-Pflicht 217 Unfallschutz 209, 229, 230 – Kosten durch Unfälle 229 – meldepflichtige Unfälle 229 – nicht-meldepflichtige Unfälle 230 Unternehmens-Management-System 389 Unterweisungen 254, 414, 416 – Definition 414 – Einweisung 416, 417 – Grundlagen 415 – Methodik 415 – nach ArbSchG 210, 414 – nach BetrSichV 202 – nach DGUV Vorschrift 1 208 – Regelung für IBN 417 – vor Beginn IBN 416 – vor Heiß-IBN 416 – wiederkehrende -- 416 – zu Anlagen n. AwVS 186 – zu Betriebsanweisungen 146, 247, 254 – zu Brand-/Explosionsschutz 174, 192 – zu Gefahrstoffe 192, 194 – zu IBN-Anweisungen 254, 414

Validierung (nach GMP) 34, 35, 39, 435, 585 – Definition 34 – -masterplan 34 – Prozess- 35, 39 – Reinigungs- 35, 39, 435, 585 Verantwortung 328, 330, 332, 334, 336 – Arten von -- 328, 330, 331 – Aufsichts- 334 – Auswahl- 334 – Bestellung 331, 332 – Definition 328

Sachwortverzeichnis 675

– fachliche -- 328 – für Genehmigung 213, 214 – Ordnungs- 334, 337 – Sicherheits- 328 – strafrechtliche -- 328, 337, 338 – -übergang 330, 331 – zivilrechtliche -- 328, 336 Verantwortungsübergang (s. Gefahrenübergang) Verdichter 460, 545, 546 – Anfahrbeispiele 548, 552 – Anfahren 546 – Betriebsverhalten 547 – Funktionsprüfung -- 460 – Kennlinien 545, 546, 547 – Ölversorgung 552, 553 – Pumpgrenze 546 – -regelung 551 – Schwingung 546, 552, 583 Verdrängerpumpe (s. Pumpe) Verfahren 4, 56, 57, 64 – Basic Design (s. extra Sachwort) – Checkliste 58 – Definition 4 – -dokumentation 57 – -entwicklung 56, 64 – -garantie (s. Leistungsgarantie) – -risiko (s. extra Sachwort) – -planung 63, 75, 87, 97, 98, 123 Verfahrensentwicklung 49, 50 Verfahrensgeber/-träger 25, 346 – Auftraggeber ist -- 354, 355 – Auftragnehmer ist -- 349, 352 Verfahrensrisiko 74, 281, 282 – Definition 74, 281 – minimieren des -- 74, 281 Verfügbarkeit 320, 323, 596, 602 – Batch-Anlagen 596 – Definition 596 – Nachweis 602 Verjährung 319, 321 Verordnung (s. Europarecht bzw. BRDRecht) Verschleißteil 366, 368, 652 Versicherung 377, 378 – Betriebshaftpflicht- 383 – Definition Haftpflicht 378 – Elektronik- 381 – Maschinen- 379

– Maschinen-Betriebsunterbrechungs- 381 – Maschinen-Garantie- 381 – Montage- 379 – Planungs-Haftpflicht- 382 – Produkthaftpflicht- 383 – Technische -- 379 – Übersicht 378 – Unfall-/Lebens- 382 – Umwelthaftpflicht- 382 Vertragsarten 290, 300 – Ausbildungsvertrag 402 – Beratervertrag 315, 316 – Definition 652 – EPCM-Vertrag (s. extra Sachwort) – Generalvertrag (s. extra Sach-wort) – Inbetriebnahmevertrag 315 – Ingenieurvertrag (s. extra Sachwort) – Leistunsgfahrt/-nachweis 304 – LSTK-Vertrag (s. extra Sachwort) – Montagevertrag 314, 315 – Übersicht 301 Vertragsform (Rechtsform) 290, 652 – Definition 652 – Dienstvertrag 299 (s. auch extra Sachwort) – Grundsätzliches 290, 291 – Kaufvertrag (s. extra Sachwort) – Werkvertrag (s. extra Sach-wort) Vibration (s. Schwingung) VOB 290, 298 Vorplanung 50, 51, 121 – Pre-Basic-Dokumentation 52, 121 – Bearbeitungsstatus 119 Vorsatz 291, 336, 337

Wärmeträgersystem 446 Wasserfahrt 20, 85, 513, 517, 518 Wassergefährdende Stoffe 182 – Anlagen n. AwVS (s. extra Sachwort) – AwVS 182 – Betriebsanweisung 186, 249 – Definition 183 – Einstufung 183 – Gefährdungsstufe 185 – Rohrleitungen in -- 183

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Sachwortverzeichnis

– Wasseregefährdungsklasse 183 Wegezeit (s. Arbeitszeit) Werkstoff (s. auch Korrosion) 78 – -auswahl 78 – -fehler/-versagen 277 – -kennwerte 68, 580 – -korrosion (s. Korrosion) – -prüfbescheingung 399, 420 – -spannung 79 Werkvertrag n. BGB 292, 295, 308, 318 – Abnahme 295, 296, 308 (s. auch extra Sachwort) – Bauvertrag n. BGB 297, 298 – Bedenkenanzeige 292, 293, 294 – Beweislast/-pflicht (s. extra Sachwort) – Definition 292 – Garantie (s. extra Sachwort) – Gefahrenübergang (s. extra Sachwort) – geschuldeter Erfolg 292 – Gewährleistung (s. extra Sachwort) – -- nach VOB 290, 298 – Nicht-/Nacherfüllung 293, 295, 318, 603 – Schadenersatz 293, 378 – Vergütung 295 – Verjährung 319 – Vertragsgegenstand 292 Wetter (s. Klima) Wiederanfahren 510, 594, 595 Wiederinbetriebnahme 5 Winterinbetriebnahme 532, 579

Zeit-/Terminplanung 366, 368 Zivilrecht 336, 337, 339 Zuständigkeit 329 – Definition 329 – -übertragung 330 Zustandsfeststellung 297, 481 Zuverlässigkeit (technisch) 299, 458, 481, 602