Immersiver Journalismus: Technik - Wirkung - Regulierung 9783839446690

Virtual reality and augmented reality in (objective) journalism - a contradiction? How does the law react to these pheno

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Immersiver Journalismus: Technik - Wirkung - Regulierung
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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Hands–on Immersive Journalism
360°–Videos & Immersive Journalism. Examples and Best Practices at Euronews
Technik
Anforderungen, Stand und Zukunft der Aufnahme– und Präsentationstechnik für Virtual Reality
Wirkung
Psychologische Wirkkraft immersiver Medien. Beiträge aus der Klinischen Psychologie
Evidenzbasiertes Medienrecht. Zum (möglichen) Beitrag der Kommunikationswissenschaft
Suggestivkraft 4.0. Medienethik und Technik
Regulierung
Geschichte und Theorie der Medienregulierung
Immersiver Journalismus und Marktzugangsregulierung oder die Frage der Auffindbarkeit
Immersiver Journalismus und Werberecht
Immersiver Journalismus. Jugendschutzregulierung de lege lata und de lege ferenda
Autorinnen und Autoren

Citation preview

Kai von Lewinski (Hg.) Immersiver Journalismus

Edition Medienwissenschaft  | Band 60

Kai von Lewinski (Hg.)

Immersiver Journalismus Technik – Wirkung – Regulierung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2018 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4669-6 PDF-ISBN 978-3-8394-4669-0 https://doi.org/10.14361/9783839446690 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Vorwort

Kai von Lewinski | 7

HANDS-ON IMMERSIVE JOURNALISM 360°-Videos & Immersive Journalism Examples and Best Practices at Euronews

Thomas Seymat | 13

TECHNIK Anforderungen, Stand und Zukunft der Aufnahmeund Präsentationstechnik für Virtual Reality

Bastian Orthmann, Christian Weissig | 33

WIRKUNG Psychologische Wirkkraft immersiver Medien Beiträge aus der Klinischen Psychologie

Andreas Mühlberger | 43 Evidenzbasiertes Medienrecht Zum (möglichen) Beitrag der Kommunikationswissenschaft

Christoph Neuberger | 61 Suggestivkraft 4.0 Medienethik und Technik

Kerstin Liesem | 81

REGULIERUNG Geschichte und Theorie der Medienregulierung

Karl-Heinz Ladeur | 101 Immersiver Journalismus und Marktzugangsregulierung oder die Frage der Auffindbarkeit

Laura Marie Braam | 127 Immersiver Journalismus und Werberecht

Dominic Habel | 141 Immersiver Journalismus Jugendschutzregulierung de lege lata und de lege ferenda

Marc Liesching | 163 Autorinnen und Autoren | 187

Vorwort

Am 1. und 2. März 2018 fand an der Universität Passau die Tagung „Immersiver Journalismus – Technik, Wirkung, Regulierung“ statt, deren Beiträge im vorliegenden Band versammelt sind. Virtual Reality und Augmented Reality gelten als „das nächste große Ding“ der Mensch-Maschine-Interaktion. Die Entwicklung von Google Glass und der Erwerb von Oculus Rift durch Facebook markieren das Interesse der großen Technologiefirmen an dieser Technik. Während in der öffentlichen Wahrnehmung etwa von „Pokémon Go“ die spielerischen Elemente im Vordergrund stehen, gibt es zunehmend und absehbar auch journalistische Anwendungen. So war es etwa das Ziel der Produzenten des „Project Syria“, die grausame Lebenswirklichkeit der syrischen Bevölkerung im Bürgerkrieg möglichst authentisch wiederzugeben. Auch bauen Videoplattformen wie Youtube, Zeitungen wie die Süddeutsche Zeitung, Fernsehsender wie Euronews und die öffentlichrechtlichen Mediatheken systematisch Bestände von 360°-Filmen auf. Bei immersiven Medieninhalten tauchen Nutzer in eine Welt ein, in der die Grenzen von Fiktion und Wirklichkeit verschwimmen. Der Tauchgang der Rezipienten erfolgt mittels „Head-Mounted Displays“ (Virtual Reality-Brillen, Augmented Reality-Brillen) und vergleichbarer Geräte, wobei freilich das Auftauchen ohne einen Dekompressionsstopp – durch das bloße Abnehmen der Brille – erfolgen kann (D. Habel).

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| Immersiver Journalismus

Vor allem aber die verringerte und teilweise im Bewusstsein überspielte Distanz von Betrachten und Erleben wirft Probleme und Fragen auf. Diese mangelnde Distanz ist bei journalistischen Inhalten besonders kritisch. Der Stand der Technik, die Wirkung und spezifische Gefahren sowie Regulierungsmodelle sind auf der Tagung diskutiert worden. Ausgehend von den unterschiedlichen journalistischen Einsatzmöglichkeiten von Augmented Reality und Virtual Reality (Thomas Seymat) und dem „Status quo“ der Medientechnik (Bastian Orthmann/ Christian Weissig) wird die psychologische Wirkung der neuen Medientechnik auf den Menschen dargestellt (Andreas Mühlberger). Wenn journalistische Inhalte nicht nur ganz nah an den Rezipienten heranrücken, sondern es der Rezipient mittels der AR- und VR-Technik in der Hand hat, andere Einflüsse auszublenden und sich in eine visuelle Filterblase hineinzubegeben (Christoph Neuberger), wirft die bald auf Null reduzierte Distanz zwischen Inhalt und Rezipient medienethische Fragen in Bezug auf Medien und Nutzer auf (Kerstin Liesem). Auf diese neuen Problemstellungen muss dann das Medienrecht reagieren: Die Regulierungsgeschichte zeigt, dass in Bezug auf andere Medien bereits in der Vergangenheit Medienwandel immer auch Anpassungen des Regelungsrahmens zur Folge hatte (Karl-Heinz Ladeur). Welche Wege aber kann der Gesetzgeber nun einschlagen, um „immersiven Journalismus“ zu regulieren? Beispielhaft werden die Zugangsregulierung (Laura Marie Braam), das Werberecht im Zusammenhang mit immersivem Journalismus (Dominic Habel) und der Jugendschutz (Marc Liesching) beleuchtet. Über die Tagung haben u.a. Stud. jur. Katrin Biermeier und Stud. jur. Maximilian Gerhold (in AfP 05/2018, S. 119), Stud. jur. Annabel Dornauer und Stud. jur. Christina Knoepffler (in K&R 2018, S. IV) sowie Wiss. Mit. Dirk Pohl (in MMR-Aktuell, 405098), berichtet. Auf den Eindrücken aus der Tagung basiert auch ein Blogpost des Herausgebers dieses Bandes (v. Lewinski, CR-online-Blog, http://www.

Vorwort

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cr-online.de/blog/2018/04/09/immersiver-journalismus-virtual-reality-a ls-herausforderung-fuer-das-medienrecht/). Die Tagung hätte ohne den Einsatz aller Mitarbeiter meines Lehrstuhls nicht so glatt ablaufen können. Viele Fragen der Konzeption und die Hauptlast der Organisation lagen bei meinem Assistenten, Herrn Ass. jur. Dominic Habel, dem deshalb der Hauptdank für das gute Gelingen der Tagung gilt. Passau, im September 2018

Kai von Lewinski

Hands-on Immersive Journalism

360°-Videos & Immersive Journalism Examples and Best Practices at Euronews Thomas Seymat

Euronews is a multilingual, pan-European media launched in 1992, whose HQ is now located in the French city of Lyon. It employs over 300 journalists on staff, and has bureaux in Brussels, Budapest, and Athens as well as several correspondents throughout Europe. Euronews is now a leading publisher of immersive journalism in Europe with over 145 360°/VR reports published. This immersive journalism workflow is managed by French journalist Thomas Seymat, the company’s VR editor, since February 2016. He has experience shooting 360°-videos, training journalists in and outside of Euronews, and has spoken to a dozen conferences in France and Europe. This article will first describe the current reality of immersive journalism at Euronews, and the media’s place in the nascent immersive media industry. Secondly will be addressed the challenges Euronews encountered in the process of implementing this project, and what solutions were found to overcome them. Lastly, two case studies of editorial projects will be presented, and as a conclusion, advices gathered from Euronews’ experiences will be structured and presented.

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I.

| Thomas Seymat

THE CURRENT REALITY OF IMMERSIVE JOURNALISM AT EURONEWS

Conceptualized first in the autumn of 2015, Euronews immersive workflow’s core concept was to regularly publish 360°-news video on Euronews’ digital platforms – including its apps and social media channels, across its many languages. When imagining this workflow, it was clear that all the departments at Euronews needed to be involved, from the editorial staff, to the producers, the video editors, etc. This new medium was interesting on a journalistic side for several reasons, first and foremost because of the ability of 360°-video to put one’s audience inside the news, inside the event. This idea for this workflow was then pitched to the first round of a call for project organised by Google’s Digital News Initiative (DNI) Fund, set up by the tech giant to support media innovation in Europe. Euronews was one of the projects selected1, and was awarded part of the budget it requested in April 2016. Euronews’ journalists were able to start producing immersive journalism content regularly in June 2016. However, Euronews had filmed and published a first 360°-video, shot with cameras borrowed from manufacturers.

II. EURONEWS’ PLACE IN THE INDUSTRY When the Euronews immersive journalism project was conceptualized in the Fall of 2015, VR/360°-media productions could probably be counted on the fingers of two hands. In a report 2 titled Virtual Reality

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Abrufbar unter http://aib.org.uk/google-digital-news-initiative-dni-innova tion-fund-backs-euronews-immersive-journalism-project/ (date of retrieval: 11.09.2018).

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Abrufbar unter https://legacy.gitbook.com/book/towcenter/virtual-realityjournalism/details (date of retrieval: 11.09.2018).

360°-Videos & Immersive Journalism

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Journalism, authors from the Tow Center for Digital Journalism reviewed some of the existing experiences. In their conclusion, they suggested that “journalists should aim to use production equipment that simplifies the workflow,” and that the industry should explore different journalistic applications of VR, including “fast-turnaround VR.” This is the space Euronews aimed at occupying. Back then, almost all existing productions where resources-intensive, highly produced, long-form documentaries, which required cumbersome post-production process and lots of time, which did not make them very reactive to news events. On the contrary, Euronews aimed at doing immersive journalism but occupying a different space on the VR spectrum, and finding ways to reduce the costs, the turnaround time, and resources needed. Nowadays, Euronews fits in the immersive journalism industry next to news agencies Reuters and AP or media like The New York Times whose Daily 360°-editorial product3 – launched months after Euronews’ involves the daily publishing of 360°-news videos. They too rely on 360°-video, a fast turnaround, and cameras whose ease of use and flexibility makes for its moderate picture quality. On the other hand, there are still media, such as French-German media ARTE or the BBC and the Guardian in the United Kingdom which, having chosen another place on the immersive journalism spectrum, release VR experiences whose productions takes at least weeks, and are comprised of Computer Generated environments, sometimes even interactive.

III. CHALLENGES Implementing a fast turnaround, reactive immersive journalism workflow in a multilingual, multinational newsroom was rich with challenges. It is possible to classify them in the following general categories:

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Abrufbar unter http://www.niemanlab.org/2016/11/the-new-york-times-islaunching-a-daily-360-degree-video-series/ (date of retrieval: 11.09.2018).

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| Thomas Seymat

• Innovation: This includes such challenges as: How to introduce im-

mersive journalism in a newsroom? How to do it during a period of rough changes both for the media industry and for Euronews which underwent a downsizing and restructuration plan in the same time? How to convince Euronews’ top management? • Audience: Namely how to keep and build Euronews’ audience in this new medium without losing it with a failed implementation? • Shooting 360°: This includes such challenges as working with a newsroom with zero previous 360°/VR-experience, and furthermore, producing nonfiction, nonscripted news videos in an emerging format. • Monetization: Euronews is not a public broadcaster and needs to think how such innovative ventures impact the bottom line.

IV. SOLUTIONS Through experimentations and iterations, Euronews was able to find workable solutions for the aforementioned challenges. 1. Innovation The first solution to gather the momentum and support to innovate editorially at Euronews was to highlight synergies between the immersive journalism project and the strategic directions taken by Euronews as a media company. First, in 2015 a new private shareholder, Egypt billionaire tycoon Naguib Sawiris purchased a 53% stake in Euronews 4, turning the channel away from its original public broadcaster’s shareholders and making it a privately owned channel. With this new venture came renewed ambitions, especially on the editorial side, including on digital. The immersive project came at the right time, and pro-

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Abrufbar unter https://www.hollywoodreporter.com/news/egyptian-mogul -sawiris-buy-euronews-778229 (date of retrieval: 11.09.2018).

360°-Videos & Immersive Journalism

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vided an innovative project for Euronews’ top and editorial management to greenlight and foster. Another synergy followed right after. Following the arrival of this new private majority shareholder, Euronews’ on-air look was revamped, and so was its tagline, which became All Views. Indeed, the media hopes to be a platform5 free from national perspective where all views matter and which offers a diversity of viewpoints. Immersive media, especially 360°-video, literally and figuratively provides its audience with a multitude of viewpoints on an event, as the viewer is free to look where he/she wants in the spherical video. Finally, 360°-video, as a de-intermediated media, frees the audience of much of the framing – both technical (the TV frame) and conceptual (what the journalist decides to show the audience) present in the media. This framing is often criticized and Euronews thought that immersive videos would strengthen the very factual editorial line of its journalism output. Another key solution to innovate was a pedagogy, across the board. It started with two external training organised with Wan-Ifra in July 2016.6 A cross-company team of participants learned how to lead an immersive project, chose the topic that lends itself to immersive journalism, learned shooting techniques with a 360°-camera, etc. More internal trainings were organized, in teams or individually, by the VR editor, who also evangelized inside the company and made time to answer all questions colleagues had. The support of the DNI-Fund also allowed the newsroom to make time for experimentation and via trials and errors, the VR-editor narrowed down the training time for a journalist headed to a 360°-video shoot to a 45 minutes briefing, and a to-do checklist.

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Abrufbar unter: http://www.euronews.com/about (date of retrieval: 11.

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Abrufbar unter http://www.wan-ifra.org/press-releases/2016/07/05/eurone

09.2018). ws-selects-wan-ifra-for-training-in-immersive-journalism (date of retrieval: 11.09.2018).

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On the organisational level, innovating around immersive journalism in an existing newsroom required decisions. Euronews chose to fully integrate the workflow in the newsroom, and unlike some other media, to not build a specific dedicated team – a VR island in the newsroom. This meant that, apart from the VR-editor, no other employee of Euronews is working full time on the workflow. Teams – usually comprised of a journalist, a producer, and a video editor – coalesce around immersive video projects punctually. This means that the implementation has involved, in one way or another, almost all the departments in Euronews. Namely: the TV and web journalists’ teams, the IT and developers, the video editors, the producers, the special projects managers tasked with Euronews’ sponsored programs, and last but not least, the digital products, the legal and financial departments, and the CEO’s office. Euronews’ immersive journalism workflow has been fully integrated in the company, in a true transversal fashion. 2. Audience Journalism does not work in a vacuum and journalists, hoping for impactful reporting, need an audience. But immersive content is currently split among various platforms for consumption, from social media, to cheap cardboard accessories and highend Head-Mounted Displays (HMDs) worth hundreds of euros. So Euronews needed to find solution to reach, and grow, its audience with this new medium. Here again decisions were made. Unlike some other media (such as the New York Times’ NYTVR or Arte360°), Euronews did not decide to create a dedicated app to host and distribute its immersive content. The costs involved (developing, launching maintaining and adapting the app over years) of the platform, without the guarantee to gather an audience, made the return-of-investment of the app solution less than clear for the decisionmakers at Euronews. So, as a solution, it was strategically decided to instead focus on platforms where Euronews already had an audience:

360°-Videos & Immersive Journalism

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• Its websites, and mobile websites, across its languages • Its smartphone apps, across its languages

Finding a 360°-video player compatible with these distribution channels proved challenging, as the player Euronews used then was not compatible with 360°-content, and the Youtube player does not play at this time 360°-video spherically, when it is embedded in articles read on the iOs browser Safari. So it is eventually a premium video player named Omnivirt, which was selected to become the default 360°-player on Euronews’ websites, mobile websites, and apps. It does not mean that Euronews neglected social media when it comes to publishing its 360°-videos. Quite the contrary. Each immersive video produced by Euronews is also posted to: • Its Youtube channels, across its languages • Its Facebook channels, across its languages

Similarly, refusing to build and launch a 360°-video did not mean Euronews disregarded platforms dedicated to immersive content. Euronews is uploading some of its English content to Chinese platform VeeR-TV, and has published a couple of videos on the premium VRApp Littlstar. While these platforms only bring a fraction of the total immersive audience to Euronews, it is nonetheless interesting for the company to reach a new audience, which may not know Euronews as a TV channel or website. It is also an audience primarily interested in immersive content, and not necessarily in news content, so reaching them also has a beneficial effect in terms of brand awareness for Euronews. In addition, VeeR-TV is available in a country, China, where Youtube and Facebook are hard to log on to due to political reasons. It provides a whole new audience to Euronews. As for traditional digital journalism, immersive journalism is not over once the video is online. It’s possible to gather specific data points, or analytics, on the consumption of the video. Some of these

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metrics are specific to immersive content, such as heatmaps, which track where users have scrolled inside the video. However it has to be noted that, as these platforms do not offer eye tracking yet, content creators cannot claim yet they know where the audience looks. These metrics can ideally be gathered, analysed, and a feedback loop set up, which means analysed audience behaviour is used to inform the production and storytelling of future videos. It is however difficult and time-consuming, as the various 360°-compatible video platforms do not necessarily give access to the same kind of metrics, and each metric’s definition may vary from one platform to another. Media organisations also need data-skilled staff to be able to make sense of all this new information. 3. Building Fader While the bulk of Euronews’ immersive experience deals with livecapture 360°-video, it also has dived into Computer Generated VR environment with the help of a partner. Working together with Berlinbased startup Vragments7, Euronews has taken part in the development and launch of a tool to help content creators easily build interactive VRstories. The tool, named Fader8, does not require any coding knowledge, usually a prerequisite for VR environment building. As its core, this platform uses the WebVR language, making it fully compatible for both desktop and mobile-based use, which multiplies the reach of its content. In this partnership, backed by the second round of the Digital News Initiative Fund, while Vragments provided the technical legwork, Euronews and German international public broadcaster Deutsche Welle provided their respective journalistic and storytelling expertise, as well as users requests for features. In total, six Fader-built stories have been published on Euronews. In the same fashion that Euronews’ 360°-video

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Abrufbar unter https://vragments.com (date of retrieval: 11.09.2018).

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Abrufbar unter https://getfader.com (date of retrieval: 11.09.2018).

360°-Videos & Immersive Journalism

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workflow allowed the production of journalistic videos with a fast turnaround under a tight budget, Fader allows Euronews to introduce its audience to interactive CGI VR environment (albeit not “walk-around” or room-scale VR) with a relatively faster turnaround and for lower costs that VR projects created in other newsrooms. 4. Shooting 360° The market for 360°-cameras is very fragmented, with giant electronic manufacturers like Samsung or Nokia competes with agile, small upand coming startups like Insta or Vuze. New models are announced every month, and some companies appear and close before even releasing their camera to market. In this evolving industry, cost of a camera can vary to a few hundred euros to dozen of thousands of euros for the most advanced professional cameras. As a result of such a broad range of choice among cameras, and because these cameras are still also relatively new, there is not one single perfect 360°-camera for journalism. – yet. The camera one needs to choose depends on the criteria the project requires (see section VI. 3.). Euronews started by experimenting with several capture systems with both advantages and drawbacks: • The Ricoh Theta S is cheap, light and simple to use, as one press of a

button is all that is required to take a 360°-picture or record a 360°-video. A Ricoh proprietary software can stitch the footage on a desktop computer in a few seconds. However, it shoots in a resolution (1920×1080) that is too low once the video is projected spherically by the video player – the footage appears severely pixelated. So it is not suitable for professional journalistic use. • Euronews also experimented with Hong Kong-based iZugar Z4XC capture system. It consists of a rig with four GoPro cameras with modified optics. If this rig is somewhat similar to other GoPro-based rigs, these specific GoPros are kitted with extra-wide fisheye lenses for additional overlap between cameras. The quality of the footage

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coming from this rig can go beyond 4K, the standard for journalistic use. But shooting with it is cumbersome in a non-scripted environment because the cameras ought to be precisely calibrated, and cannot be centrally controlled (ie. one has to start every camera independently). While having only four cameras versus six in most traditional GoPro rigs makes post-production easier, it is still a very timeconsuming process. File management can be a headache. In addition, the stitching process requires an expensive third-party software, and a powerful desktop computer. Eventually, Euronews found a solution. It chose to equip its journalists with Samsung Gear 360°-camera in June 2016. It was partly due to a partnership signed with the South Korean company, but also because it is a camera capable of shooting 2840×1920 video, quasi 4K, with very easy controls, including an app for flagship Samsung phones, decent battery life, and a free proprietary software, that did not require human intervention or powerful computers. Moreover, Euronews, when sending journalists to shoot 360°-videos, gave them a lightweight toolkit comprised of a Gear 360°-camera, a smartphone equipped with the controller app, an ultralight tripod (actually a repurposed studio lightstand thin enough to not appear in the video), and when needed, an audio recorder. 5. Monetization As mentioned before, Euronews is since 2015 a privately-owned, profitseeking channel. The new immersive journalism project should be part of the effort of the company, and not just a flash in the pan vanity project putting a strain on the newsroom’s finances. While Google’s Digital News Initiative offered a large budget to kick-start the project, it was always understood as a “seed money” of sorts, and the financial sustainability of the immersive workflow – finding new revenue streams to finance it – was a key concern from day one.

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One way Euronews created revenue with immersive journalism was by signing a partnership with Samsung during the second semester of 2016.9 It includes on Euronews part, to exclusively use Samsung cameras to shoot 360°-video, and co-branding of these videos, and on Samsung part, to purchase ad space on Euronews, part of the profit being used to fund Euronews’ immersive workflow. In addition, 360°-video is now a new product for Euronews’ sales and marketing teams when they pitch clients and prospects for branded or sponsored contents – a practice already ongoing on air and on the website. Euronews has already sold several videos to sponsors, and some of the revenue was reinvested in the production of immersive journalism. The company is however careful that these sponsors or brands do not have any editorial impact in the news content. 6. Results In under two years, Euronews has shot and published immersive journalism from places as far as South American, the Arctic Circle, Japan, Washington DC, eastern Ukraine, or Uganda. In total, it produced over 145 VR/360°-experiences since June 2016, directly involving over 60 people, including 40 journalists, in the process. A third of these videos has been dubbed in up to 12 languages Euronews publishes on the Web. This represents over 2500 uploads across languages and platforms – all manually processed. These videos have gathered close to 14 million videos across languages and platforms. There are also indirect results in terms of brand awareness for Euronews. It attracted national and international press coverage, in media like The New York Times, the AFP, etc.

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Abrufbar unter http://aib.org.uk/euronews-launches-immersive-news-repo rts-with-samsung-gear-360/ (date of retrieval: 11.09.2018).

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V. CASE STUDIES: FRANCE & GERMANY GO TO THE POLLS To expand more on how immersive journalism is now a storytelling tool available to Euronews’ journalists to cover the news, it is worth examining the coverage of the 2017 French and German election campaigns ahead of respectively the presidential and legislative elections. 1. How: Collaboration and Innovation In total, Euronews produced 18 portraits of voters ahead of polls, nine per campaign, shot as far as possible from the campaign trail. These episodes were shot in partnerships with local media such as France՚ s10 La Montage, Ouest France or Radio Caraïbes and Germany’s 11 Berliner Zeitung, Passauer Neue Presse or Weser Kurier. These collaborations were the best way to avoid parachute journalism, the practice of sending journalists from the capital to a remote location for a couple days and having him or her report as if he/she were an expert on the region. Quite the contrary, the local journalists and media organisations Euronews worked with, with their indepth regional knowledge, brought crucial insight for the audience into the geographic and sociological diversity at the local level, in order to better reflect the French or German electorate. On the big picture, this collaboration also serves to introduce immersive journalism in regional newsrooms. The project was backed financially by the Google News Lab, so that local newsrooms had no financial contributions required. And, as immersive journalism is also a

10 Abrufbar unter http://aib.org.uk/euronews-france-2017-in-360/ (date of retrieval: 11.09.2018). 11 Abrufbar unter http://www.espacedatapresse.com/fil_datapresse/consultati on_cp.jsp?idcp=2835216 (date of retrieval: 11.09.2018).

360°-Videos & Immersive Journalism

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topic the News Lab is pushing for, the project was a win-win-win situation for all parties involved. 2. Why: Immersion and Experimentation Voter’s portraits are not a new journalistic format by any means. Yet, Euronews chose to combine it with 360°-video to push the boundaries of the format, going for intimate settings rather than spectacular scenes, and to push the boundaries of its workflow as well, with several videos published every week on average. Euronews also hoped spherical video could help the audience burst its own filter bubble.12 Showing how these voters lived, and immersing their audience in these houses and workplaces, Euronews aimed at showing – not telling – how these people lived, and how their living conditions may affect their hopes, fears, and electoral choices. Committed to showcase a diversity of profiles and territories, from the French Caribbean island of Martinique to Schleswig-Holstein, the episode gave Euronews’ audience the chance to meet (virtually) and listen to people they may not normally meet or discuss with, ever. A lot was at stake for the two elections in France and Germany, for Europe and beyond. So Euronews decided to take these local voices to a global audience. Each episode was dubbed in five languages in addition to the original French or German. The languages were English, Italian, Spanish, German and Russian for the French project; and English, French, Russian, Turkish and Arabic for the German project.

12 Abrufbar unter https://medium.com/google-news-lab/a-seat-at-the-table-go ogle-news-labeuronews-talk-to-french-voters-in-360-5aee0d91ae24 (date of retrieval: 11.09.2018).

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3. Results On a purely numerical standpoint, across all languages and platforms the episodes for the German election gathered about one million views, and those for the French election gathered 1.5 million views. It was also a first immersive journalism experience for almost all the fifteen partnering local and regional newsrooms thanks to this project and Euronews’ technical support. The final product was that each episode was published on both Euronews’ and the local media’s digital properties, and the local media would also write an article or an editorial that Euronews would publish to give its audience context on the importance of the episode’s topic on the election and on the region. Lastly, the post-elections reaction of some of the people interviewed in the episodes were gathered and published on Euronews, in a VR environment built with Fader. In this experience, the audience could also watch again the corresponding 360°-video of the episode.

VI. HOW TO GET STARTED: TIPS AND TRICKS TO SHOOT 360° JOURNALISM 1.

Get Informed

Entry costs to practice immersive journalism, while still relatively high, have dramatically decreased. This is in part due to recent evolutions such as cheaper good quality cameras and better postprocessing software. But another domain which helped reduce cost is that a lot more information on immersive journalism is available today. Back in Autumn 2015, apart from the aforementioned Tow Center for Digital Report report, there was virtually no information online on immersive journalism, no explanation, no Do’s & Don’t’s list. The existing documentation or tutorials were dedicated to shooting cinematic VR, in controlled environments where the action is scripted. Almost worthless information for journalists on the ground.

360°-Videos & Immersive Journalism

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Thankfully, reliable information sources have emerged since, and they allow experts and newcomers alike to learn and exchange on the topic of immersive journalism. The most prominent resource of this kind is without the Medium blog of the Journalism360°project: medium.com/journalism360. Journalism360° is supported by Google News Lab, the Knight Foundation and set up in partnership with the Online News Association. It was launched in early 2017 as an initiative of thought leaders, practitioners, and journalists dedicated to accelerating the use of immersive storytelling in news. Its primary goal 13 is to bring people together to share knowledge in the rapidly developing fields of 360°, VR and AR journalism. It is not the only place to learn, but Journalism360° makes it a lot easier for immersive journalists to get informed, and stay in touch with the evolution of the industry. 2. Mobile is Key One thing that has been made very clear since the first videos published by Euronews is the extent to which mobile technology and first and foremost the smartphone has become key for immersive journalism. It is worth highlighting this fact, and to illustrate it by the following examples: • The sensors, accelerometers, and processors of the flagship

smartphones of the major brands (namely Apple and Samsung) are now increasingly optimized for the consumption of immersive content, such as 360°-video, but also – more and more – of augmented reality. • Smartphones can be used with camera-specific apps to remotely control these cameras, and even act as real-time viewfinders. • The omnipresence of smartphones capable of playing immersive content make these devices a true gateway to immersive journalism.

13 Abrufbar unter http://bit.ly/Journalism360 (date of retrieval: 11.09.2018).

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3. Choosing the Right Camera As mentioned in Section IV. 4., there is not one correct camera for immersive journalism; it all depends on the criteria of the project. With its experience, Euronews has identified the following characteristics between which you ought to find a balance, and make choices: • • • • • • • •

The cost? The number of frame per seconds? The resolution of the video (should be at least 4K)? Is it easy to learn to use? Is it actually easy to use on the ground in reporting condition? The battery life? The postproduction time? Is the video format it shoots in compatible with your system?

Note that this does not involve instances where one would like to do live 360°-video for journalism, as criteria are different. 4. A Checklist Suggestion Please find below a suggested checklist for journalists before heading out to shoot, based on Euronews’ video production experience: • • • • • • • • • •

Is it a topic worth to shoot in 360°? Are your batteries full? Do you have a stable tripod? How will the weather affect your shoot? What sort of light sources will you use? Is your camera set up on the correct resolution? Is your camera set up on the correct exposure? Are your lenses clean? Do you have your special audio equipment? Is the camera’s horizon at level?

360°-Videos & Immersive Journalism

• • • •

At what height do you want to set your camera, and why? Will you move the camera, and why? Is there anything relevant in the camera’s blindspots? Are your subjects of interested in the video at the right distance?

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Technik

Anforderungen, Stand und Zukunft der Aufnahme- und Präsentationstechnik für Virtual Reality Bastian Orthmann, Christian Weissig

Im Laufe der inzwischen über 100-jährigen Filmgeschichte wurden immer wieder spektakuläre und bahnbrechende Arbeiten mit immersiven Medien vorgestellt. Inzwischen sind viele Techniken und Anwendungen aus dem Bereich der virtuellen Realität (VR) etabliert. Allerdings wird der Betrachter mitunter schnell feststellen, dass sich damit die üblichen Wahrnehmungsgewohnheiten nicht völlig erfüllen lassen. Die Folgen sind verminderte oder fehlende Immersion, Wahrnehmungskonflikte, Irritationen bis hin zu Unwohlsein. Neben möglichen gestalterischen Einflüssen liegt die Ursache dafür in der technischen Unzulänglichkeit der verwendeten Systeme der gesamten Kette aus Aufnahme-, Prozess- und Wiedergabetechnik.

I.

EINFÜHRUNG

Um zu erläutern, wie die Eindrücke virtueller Realitäten verbessert werden können, ist es nötig, die Qualitätsvoraussetzungen sowie die Aufgaben zu erörtern, die es im Bereich VR zu erlangen bzw. zu lösen gilt. Hierzu sind folgende Hauptaspekte besonders entscheidend:

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• • • • •

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Bildqualität, insbesondere die Auflösung des Bildinhalts Bandbreitenbedarf für die Übertragung und Verarbeitung der Inhalte Motion-to-Photon Latenz Stitching-Qualität für Mehrkameraaufnahmen Spatial Audio Einbindung („3-D Audio“)

II. BILDQUALITÄT Als wichtigstes Bewertungskriterium zur Einschätzung der Qualitätsansprüche an die Aufnahme-, Verarbeitungs- und Wiedergabetechnik für VR sollte das menschliche Wahrnehmungsvermögen dienen. Eine bedeutende Messlatte ist dabei das Auflösungsvermögen des menschlichen Auges, welches mit 60 Pixel pro Grad angenommen werden kann. Dadurch ergibt sich die nötige Gesamtauflösung für ein 360°×180° Panorama von ca. 22k×11k Pixel. Bei einem Gesichtsfeld von 120°×120° ergibt sich eine nötige Auflösung von 8k×8k Pixel für jedes Auge. Vergleicht man diese Werte mit den tatsächlich erreichten Auflösungen konventioneller VR-Kamera- und Brillentechnik, so kann man schnell feststellen, dass diese in beiden Fällen nicht im gewünschten Bereich liegen. Aktuelle VR-Kameras wie z.B. die Nokia OZO liefern ca. 11 Pixel pro Grad und damit gerade mal ca. 17% der Leistungsfähigkeit des menschlichen Auges. Die aktuelle Version der am Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut entwickelten 360°-Kamera OmniCam360 erlaubt dagegen Aufnahmen mit einer horizontalen Auflösung von 14k, was ca. 39 Pixel pro Grad entspricht und damit immerhin schon ca. 65% der Leistungsfähigkeit des menschlichen Auges. Auf der Displayseite ist die Situation ähnlich. Aktuell verfügbare VR-Brillen wie die Oculus Rift ermöglichen pro Auge eine horizontale Displayauflösung von ca. 1080 Pixel bei einem Gesichtsfeld von ca. 110 Grad, was in etwa 10 Pixel pro Grad entspricht und damit ca. 16% des Auflösungsvermögens des menschlichen Auges.

Stand und Zukunft der VR-Technik

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Damit wird deutlich, wie groß aktuell noch der Entwicklungsbedarf im VR-Bereich ist. Die Auflösungen der Kameras sind zwei- bis sechsmal zu niedrig, während sie bei den Brillen vier- bis achtmal unter der erwünschten Auflösung liegen. Eine entsprechende Steigerung der Auflösung führt zwangsläufig zu drastischen Herausforderungen in der gesamten Übertragungs- und Verarbeitungskette. Während für State-of-the-Art VR-Brillen mit einer Bildwiederholfrequenz von 90 Bilden pro Sekunde insgesamt 330 MPixel/s verarbeitet werden, müssen bei zukünftigen Brillen, die für jedes Auge Bilder mit einer Auflösung von 8k×8k 200 Mal pro Sekunde anzeigen insgesamt 26GP/s verarbeitet werden, was einer Bandbreite von 768 Gigabit pro Sekunde entspricht. Neben der Auflösung spielen noch weitere Kriterien eine Rolle. Genannt seien hier die Struktur der einzelnen Pixel sowie die Latenz der Verarbeitung. Während die aktuelle Displaytechnik für Betrachtungsabstände von mindestens wenigen Dezimetern konzipiert wurde, herrschen in VR-Brillensystemen gänzlich andere Betrachtungssituationen. Neben einem Augenabstand von wenigen Zentimetern wird die Displayfläche zusätzlich mit einer Optik vergrößert dargestellt. Dadurch wird die bisher nicht auffällige Struktur der einzelnen Pixel deutlich und die tatsächliche Anordnung von einer relativ kleinen aktiven Pixelfläche, umgeben von einem schwarzen Rahmen, hervorgehoben. Dieses wird wie ein störendes Gitter vor einer Szene wahrgenommen. Höhere Auflösungen in Kombination mit optimierten Displaystrukturen oder projektionsbasierte Lösungen werden hier zukünftig Abhilfe schaffen.

III. LATENZ Im Unterschied zu den Kriterien der Bildqualität, die lediglich die mögliche Immersion beeinträchtigen können, führen große Verzögerungen in der Verarbeitung zu Irritationen und Unwohlsein beim Betrachter. Die Latenz zwischen einer Kopfbewegung und der Ausgabe

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des angepassten Bildausschnittes, auch als motion-to-photon latency bezeichnet, muss für VR-Brillen kleiner als 20ms sein. Innerhalb dieser Zeitspanne müssen alle Schritte der Verarbeitungskette, Sensorik, Interfacing, Processing, Rendering, Pixel-Switching durchlaufen sein, um eine flüssige Bewegung ohne Übelkeit oder ähnlichen Nebeneffekten zu garantieren. VR-Brillensysteme, die über keine zusätzliche Sensorik verfügen und wie das Google Cardboard auf die Ausstattung eines Smartphones angewiesen sind, ist diese Unzulänglichkeit am häufigsten zu beobachten.

IV. STITCHING-QUALITÄT FÜR MEHRKAMERAAUFNAHMEN Der 360°-Öffnungswinkel bei Panoramaaufnahmen und der Bedarf an sehr hohen Auflösungen bedingt in der Regel die gleichzeitige Verwendung mehrerer Kameras zur Aufnahme von Panoramabildern. Dafür haben sich bereits im Laufe der Filmgeschichte zwei Verfahren etabliert. Der einfachere Ansatz verwendet konzentrisch angeordnete Kameras, die bedingt durch die Baugröße der Kameras einen relativ großen Abstand der optischen Zentren der einzelnen Kameras zueinander ergeben. Die Folge ist, dass gleiche Bildinhalte benachbarter Kameras aus unterschiedlichen Positionen aufgenommen werden, was zu sog. Parallaxfehlern führt. Dieser Fehler ist naturgemäß entfernungsabhängig und vergrößert sich mit abnehmender Objektentfernung. Der nachfolgende Prozess, der die einzelnen Bildsegmente nahtlos zusammenfügen soll, das sog. Stitching, muss die Einzelbilder entfernungsabhängig korrigieren, um sichtbare Bildstörungen zu vermeiden. Dieser Prozess ist ohne Qualitätsbeschränkungen nur mit größerem Aufwand und manueller Unterstützung möglich, so dass neben hohen Produktionskosten auch die fehlende Echtzeitfähigkeit erwähnt werden muss, was Live-Anwendungen in hoher Qualität ausschließt. Im absoluten Nahbereich kommt es darüber hinaus zu Regionen, in denen keine Bildinhalte vorliegen.

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Als Alternative bieten sich parallaxefreie Mehrkamerasysteme an, die Stitching-Prozesse ohne Berücksichtigung der Objektentfernungen erlauben. Ermöglicht wird dies durch spiegelbasierte Mehrkamerasysteme. Die Spiegel erlauben die Platzierung virtueller Abbilder der optischen Zentren in ein gemeinsames virtuelles optisches Zentrum. Damit vereinfacht sich der Stitching-Prozess zu einer einfachen Geometrieund Farbkorrektur, die auf aktuellen PC-Systemen auch für hohe Auflösungen (14.000 Pixel) und Bildwiederholfrequenzen (60 fps) in Echtzeit möglich sind. Am Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut entstand vor diesem Hintergrund die OmniCam360-Familie. Diese spiegelbasierten Panoramakamerasysteme sind als 2D- und 3D-Versionen verfügbar. Zum Einsatz können je nach Anwendungsfall verschiedene Kameras kommen, z.B. die IndiDICE von Indicam oder die Alexa-MINI von ARRI. Eine am Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut entwickelte RealTimeStitchingEngine (RTSE) erlaubt die Bereitstellung der hoch-aufgelösten Videopanoramen ohne Stitching-Fehler in Realtime, so dass auch Live-Streaming Anwendungen in hoher Qualität möglich sind. Mit dieser Technologie wurden bereits zahlreiche Panoramaproduktionen und Live-Streaming Anwendungen ermöglicht. Beispielhaft zu nennen sind hier Konzertproduktionen mit den Berliner Philharmonikern oder Bon Jovi, Sportproduktionen, wie die Aufnahme des Finales der Fußball-WM 2014 in Rio de Janeiro oder die Aufnahme der ESPN X-Games, aber auch Panoramaübertragungen in 10KAuflösung über Internet, Satellit und im Testbetrieb über 5G. Neben diesen medialen Anwendungen hat sich die OmniCamTechnologie auch in Industrieanwendungen bewährt, wie z.B. für die audiovisuelle Simulation von Lärmminderungsmaßnahmen im Schienenverkehr im Rahmen von Projekten mit der Deutschen Bahn.

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V. SPATIAL AUDIO Ein weiterer Bereich, der bei der Aufnahme und Wiedergabe von 360°-Medien eine hohe Relevanz erfährt und für angenehme, wirkungsvolle VR-Erlebnisse beachtet werden muss, stellt das sogenannte Spatial Audio (auch 3-D Audio) dar. Die Spatialisierung von Audio im dreidimensionalen Raum sorgt für die Kohärenz zwischen Ton und Bild, welche wenn nicht vorhanden, irritierend wirken kann. Bisher sind jedoch die meisten VR-Anwendungen mit festen Stereoton Aufnahmen unterlegt, was einen weiteren Grund für die unzureichende Qualität der meisten VR-Erfahrungen darstellt. Die Chancen, die durch das dreidimensionale Positionieren von Audioquellen entstehen, beziehen sich auch auf die narrativen Aspekte des Inhalts, da durch die Benutzung von Spatial Audio die Aufmerksamkeit des Betrachters auf spezielle Bildausschnitte gelenkt werden kann und somit der Schwierigkeit, mit dem 360° großen Sichtfeld umzugehen, entgegengewirkt werden kann. Die herkömmlichen Produktionen beruhen auf kanalbasierten Audiomischungen in Mono, Stereo, Surround etc. und müssen für jedes Wiedergabesystem neu gemischt werden. Die räumliche Auflösung der Klangereignisse ist ungenau und entspricht nicht dem erwünschten räumlichen Empfinden, welches in virtueller Realität erzielt werden soll. Das für Spatial Audio Produktionen genutzte objekt-basierte Audio erlaubt hingegen universelle Mixe, die kompatibel zu unterschiedlichen Wiedergabesystemen sind, welche den gleichen Audio Renderer verwenden. Der Workflow beim objektbasierten Arbeiten mit Audio ist prinzipiell intuitiver, da jedes Klangobjekt als eigene Klangquelle bearbeite und frei im dreidimensionalen Raum platziert werden kann. Wie die objektbasierte Audio Session wiedergegeben wird, hängt maßgeblich von dem gewählten Rendering-System ab. Das derzeit meistverbreitete Verfahren ist hierbei Ambisonics, ein Format mit verschiedenen Auflösungsabstufungen, das bereits seit langer Zeit exis-

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tiert und sich seit des VR-Booms aufgrund des offenen Quellcodes großer Beliebtheit erfreut (Youtube360°, Facebook360°, etc.).

VI. AUSBLICK Heutige Panoramavideoanwendungen erlauben dem Betrachter lediglich Drehbewegungen um das Zentrum der tatsächlichen Kameraposition. Das entspricht den drei Freiheitsgraden, die wir mit der Drehung unseres Kopfes durchführen können. Übliche Seh- und Hörgewohnheiten erlauben uns dagegen alle sechs Freiheitsgrade, was der freien Bewegung in einer audiovisuellen Szene entspricht. In computergenerierten Szenen einer VR-Umgebung ist das mit entsprechender Tracking- und Rendering-Technik bereits möglich. Allerdings lassen sich menschliche Charaktere nicht naturgetreu animieren, sie werden immer als künstlich bzw. als Avatar wahrgenommen. Als zukünftige Lösung kann die photorealistische 3D-Rekonstruktion von Personen gesehen werden. Dabei wird ein bewegtes Objekt, ein Schauspieler oder Künstler in seiner Bewegung mit einer Vielzahl von Stereokameras aus verschiedenen Richtungen aufgenommen. Die damit erzeugten volumetrischen Modelle der Personen in ihrer Dynamik, können nun in eine computergenerierte VR-Umgebung eingefügt werden. Innerhalb dieser Umgebung kann sich nun der Betrachter frei bewegen und damit auch das photorealistische 3D-Modell in seiner Bewegung von allen Seiten betrachten. Dafür wurde am Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut ein Studio für volumetrische Aufnahmen aufgebaut und die automatische Prozesskette zur Rekonstruktion der 3D-Modelle etabliert. Erste Produktionen haben die Tauglichkeit dieses Verfahrens bewiesen.

Wirkung

Psychologische Wirkkraft immersiver Medien Beiträge aus der Klinischen Psychologie Andreas Mühlberger

Im Bereich Klinische Psychologie und Psychotherapie wird Virtuelle Realität (VR) bisher insbesondere zur Therapie von Angststörungen eingesetzt. Deshalb werden nach einer allgemeinen Einführung ins Thema Befunde zur Wirkkraft von virtueller Realität auf emotionales Erleben am Beispiel der Spezifischen Phobie vertieft. Im zweiten großen Abschnitt werden der Einsatz und die Wirksamkeit von VR für die Therapie von Angststörungen und Posttraumatischen Belastungsstörungen behandelt. Abschließend werden Bezüge zum immersiven Journalismus gezogen.

I.

EINFÜHRUNG

Virtuelle Realität (VR) ist eine Form der Mensch-Computer-Interaktion, bei der sich der Nutzer in einer computersimulierten 3D-Welt umsehen, bewegen und in dieser agieren kann. Notwendige Komponenten sind Schnittstellen, über die die sensorischen Informationen übermittelt werden. Typisch sind hier visuelle und auditive Informationen, die meistens über sogenannte Head-Mounted Displays (HMDs)

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mit integriertem Kopfhörer vermittelt werden. Aber auch die anderen Sinne, die olfaktorische, vestibuläre oder somatosensorische Reize vermitteln, können in eine virtuelle Realität integriert werden. Außerdem ist es notwendig, dass die Aktionen des Nutzers erfasst werden, damit diese in der Virtuellen Realität zu entsprechenden Veränderungen führen. Im einfachsten Fall wird über die Bewegungserfassung (Tracking) des Kopfes die Ausrichtung des Sichtfeldes erfasst und die im HMD dargestellte visuelle virtuelle Realität dem Blickfeld angepasst. Wenn die Person nach rechts schaut, sieht sie den rechten Teil des Raumes, wenn sie nach links schaut, den linken Teil. Außerdem werden Interaktionsgeräte genutzt, mit denen sich der Nutzer in der VR bewegen oder mit dieser interagieren, z.B. Türen öffnen kann. Je nachdem, ob durch die im Display präsentierte Realität die reale Realität mehr oder weniger ausgeblendet wird, spricht man von Virtueller Realität oder Augmented (Angereicherter) Realität (AR). Bei der VR wird die reale Umgebung möglichst vollständig von den Sinnen abgekoppelt und nur die Information aus der VR vermittelt. Bei der AR werden zusätzlich zu der realen Umgebung virtuelle Reize vermittelt, ohne dass die reale Welt vollständig ausgeblendet wird. So kann zum Beispiel für die Therapie von Spinnenphobie eine Spinne auf der realen Hand eines Nutzers eingeblendet werden, um das Furchtnetzwerk optimal zu aktivieren. Oder es können in realen Umgebungen Blumen zur Stimmungsaufhellung oder zusätzliche Information in Form eines Textes, wie der Name einer gerade anwesenden Person, als „kognitiver Enhancer“ eingeblendet werden. Eine besondere Herausforderung ist es, die Virtuelle Realität zu einer sozialen virtuellen Realität zu entwickeln, bei der soziale Interaktionen möglich sind. Die realistische Erstellung und Bewegung von menschlichen Körpern ist immer noch ein rechen- und zeitintensiver Prozess. Unterscheiden muss man bei den anthropomorphen Gestalten Avatare und Agenten. Avatare repräsentieren einen realen Menschen in der Virtuellen Realität. Die Gestalt des Avatars kann aber von der Gestalt des realen Nutzers abweichen, so kann sich zum Beispiel ein Mann einen weiblichen Avatar zulegen oder eine ältere Person einen

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jung aussehenden Avatar. Wenn die menschlich aussehende Gestalt nicht von einem Menschen, sondern von einem Computeralgorithmus gesteuert wird, dann wird er Agent genannt. Es ist zu erwarten, dass uns in Zukunft in der virtuellen Welt immer häufiger Gestalten begegnen werden, bei denen es schwierig sein wird zu unterscheiden, ob hinter ihnen reale Personen oder Algorithmen stehen. Wichtig ist noch zu erwähnen, dass es das Ziel der Virtuellen Realität ist, die Illusion von (Tele-)Präsenz zu erzeugen. Präsenz meint hier das Erleben des Nutzers. Es wird typischerweise mit Fragebögen erfasst. Präsenz soll durch die möglichst vollständige Abdeckung der Sinne und dem realistischen Interagieren in der virtuellen Welt erreicht werden. Es werden verschiedene Aspekte unterschieden, wie die Illusion von Räumlichkeit, die Illusion von Körperlichkeit, die Illusion von Interaktion sowie von sozialer Kommunikation. Durch das Ziel, Präsenz zu erzeugen, unterscheidet sich VR von klassischen Medien. VR versucht, das mediale Bewusstsein möglichst vollständig zu reduzieren. Der technische Aspekt, der die Präsenz bewirken soll, wird Immersion genannt.1 Eine höhere Immersion ergibt sich z.B. durch die Abdeckung von zusätzlichen Sinnen mit virtuellen Informationen. 2 Unter anderem in der Klinischen Psychologie wird seit längerem diskutiert, wie das Erleben von Emotionen und das Erleben von Präsenz zusammenhängt. Die ursprüngliche Idee war, dass nur bei einem Erleben von Präsenz auch das Erleben von Emotionen durch die VR getriggert wird. Allerdings hat sich gezeigt, dass das Erleben von Präsenz und die Stärke der Emotionen nicht immer korrelieren. Deshalb wurde angenommen, dass auch das Erleben von Emotionen zu einem Präsenzerleben führen könnte. In einem Modell von Diemer, Alpers,

1

Zu den noch zu lösenden technologischen Herausforderungen, Orthmann/ Weissig, Anforderungen, Stand und Zukunft der Aufnahme- und Präsentationstechnik für Virtual Reality, S. 33 in diesem Band.

2

International Society for Presence Research, The Concept of Presence, 2000, abrufbar unter https://ispr.info/about-presence-2/ (Datum des Abrufs: 11.09.2018).

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Peperkorn, Shiban, und Mühlberger3 wird postuliert, dass die VR über Systemfaktoren und Inhalte nicht nur die nach außen gerichteten Sinne, sondern auch die somatosensorischen Sinne, die dann zu emotionalem Arousal führen, stimuliert werden. Aus diesem Zusammenspiel von äußeren Eindrücken und dem emotionalen Arousal wird dann das Präsenzerleben abgeleitet.

II. WIRKKRAFT VON VIRTUELLER REALITÄT ZUR EMOTIONSAUSLÖSUNG Untersuchungen liegen insbesondere zu Spezifischen Phobien vor. Personen mit einer Spezifischen Phobie haben Angst vor bestimmten Situationen, Tieren oder Objekten, obwohl sie wissen, dass diese eigentlich nicht gefährlich sind. Dennoch führt das Erleben dieser Situationen fast immer zu einer Angstreaktion und zu Vermeidungsverhalten. Eine Person, die eine Spezifische Phobie hat, vermeidet diese Situationen, da die Angst unangenehm und mit einer starken Motivation zu vermeiden verknüpft ist. Besonders eindrücklich sind Phobien vor Spinnen, da in unseren Breiten Spinnen absolut ungefährlich sind, aber trotzdem zu extremer Angst und Vermeidungsreaktionen führen können. Spezifische Phobien bilden also die Dichotomie sowie die relative Unabhängigkeit zwischen Emotionen und rationalem Verstand sehr gut ab. Während eine Person mit Spezifischer Phobie vom Verstand her sehr gut weiß, dass eine Situation nicht gefährlich und die Angst in einer solchen Situation unangemessen ist, tritt das Gefühl trotzdem auf und kann dazu führen, dass die Person kein rationales Verhalten mehr zeigen kann. Eine Spezifische Phobie ist deshalb ein geeignetes Mo-

3

Diemer/Alpers/Peperkorn/Shiban/Mühlberger, The Impact of Perception and Presence on Emotional Reactions, Front. Psychol. 2015, Vol. 6, Article 26, abrufbar unter doi: 10.3389/fpsyg.2015.00026/ (Datum des Abrufs: 11.09.2018).

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dell, den Einfluss von Wahrnehmungen und Wissen auf das Erleben zu untersuchen. Deshalb haben wir mehrere Untersuchungen dazu durchgeführt. Grundlage für die Studien sowie die Betrachtung der Wirkkraft immersiver Medien sind psychologische Modelle. Eines dieser Modelle, das Reflektiv-Impulsiv-Modell (RIM) von Strack und Deutsch,4 soll kurz vorgestellt werden. Es basiert auf zwei Systemen, die einander gegenübergestellt werden. Das Reflektive System ist die Grundlage rationeller Überlegungen und bewusster Entscheidungsprozesse. Das Impulsive System hingegen basiert auf assoziativen Vorgängen und Gewohnheiten. So wird eine Handlung, bei der die Erfahrung gemacht wurde, dass sie eine gewünschte Wirkung erzielt, bei der nächsten Gelegenheit mit größerer Wahrscheinlichkeit wieder ausgeführt werden. Die Wahrscheinlichkeit für diese Handlung steigt also, ohne dass hierfür rationale Entscheidungsprozesse notwendig sind. Abbildung 1 gibt einen Überblick über das RIM. Auf der linken Seite der Graphik bilden Wahrnehmungen den Ausgangspunkt. Diese müssen nicht von außen kommen, es können auch innere Vorstellungsbilder sein. Auf der rechten Seite ist als Endpunkt beobachtbares Verhalten als das potentielle Ergebnis von aktivierten Verhaltensschemata eingezeichnet. Zwischen der Wahrnehmung und dem Verhalten vermitteln die zwei Systeme, das Impulsive System und das Reflektive System.

4

Strack/Deutsch, Reflective and Impulsive Determinants of Social Behavior, Personality and Social Psychology Review 2004, S. 220-247.

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Abbildung 1: Überblick über das Reflektiv-Impulsiv-Modell

Quelle: Strack/Deutsch, Reflective and impulsive determinants of social behavior, Personality and Social Psychology Review 2004, S. 220-247.

Im Reflektiven System steht vor dem Verhaltensschema z. B. das Vorhaben (engl. Intending). Hier sind Vorsätze verortet. Es ist ein wichtiger Aspekt des Reflektiven Systems, dass Vorsätze nicht direkt in Handlungen umgesetzt werden. Das Handeln kann unabhängig von der Vorsatzbildung zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Ein weiterer wesentlicher Aspekt des Reflektiven Systems ist, dass es regelbasiert arbeitet. Reflektive Entscheidungen erfolgen aufgrund der Berechnung des Produkts aus Wert und Wahrscheinlichkeit der einzelnen Entscheidungsoptionen. Das System wägt ab, wieviel ein bestimmtes Ergebnis wert ist und wie wahrscheinlich es ist, dieses Ergebnis durch ein bestimmtes Verhalten zu erreichen. Das Impulsive System des RIM arbeitet im Gegensatz dazu mit Schemata und sich ausbreitender Aktivierung. Werden zwei Schemata gemeinsam aktiviert, verstärkt dies die assoziativen neuronalen Verbindungen. Eine solche raumzeitliche Kopplung ist die Grundlage von assoziativen Lernprozessen. Für die assoziativen Prozesse wird keine

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Aufmerksamkeit benötigt. – sie erfolgen ressourcenunabhängig. Außerdem können diese Prozesse ohne bewusste Verarbeitung erfolgen. Die Informationsverarbeitung im Reflektiven und Impulsiven System kann parallel erfolgen und beide Prozesse können das gleiche Ziel verfolgen. In diesem Fall erfolgt die Verarbeitung reibungslos. Die Ergebnisse der Verarbeitungsprozesse können aber auch inkongruent zueinander sein. Eine ganz ähnliche Theorie wurde von LeDoux zur neuronalen Verarbeitung spezifisch für Furchtreiz aufgrund von Befunden in Tiermodellen entwickelt.5 In diesem Modell wird ein emotionaler Stimulus wahrgenommen (z.B. gesehen), über die Sinnensysteme an das zentrale Nervensystem weitergeleitet und dort im sensorischen Thalamus verarbeitet. Danach wird der Reiz über zwei Wege weiterverarbeitet. Der erste Weg führt direkt zur Amygdala. Durch eine Verarbeitung in mehreren Kernen der Amygdala wird sofort eine emotionale Reaktion ausgelöst. Diese Reaktion beinhaltet eine allgemeine körperliche Aktivierung sowie hormonelle Veränderungen und eine erhöhte Reaktionsbereitschaft. Eine in der Folge ausgelöste Verhaltensreaktion wäre die Flucht. Sieht z.B. eine Person mit Spinnenphobie eine Spinne, bringt sie sich schnell in eine sichere Entfernung zu dieser. Evolutionsbiologisch ist es sinnvoll, dass die Verarbeitung über diesen Weg sehr schnell erfolgt. Wenn eine Gefahr real ist, muss schnell gehandelt werden, um der gefährlichen Situation zu entkommen. Der zweite Verarbeitungsweg ist langsamer und bezieht den Neokortex mit verschiedenen Assoziationsarealen ein. In diesen Arealen werden die Stimuli intensiver verarbeitet. Auch von hier aus kann die Amygdala aktiviert oder aber auch deaktiviert werden. Somit gibt es einen zweiten Weg, der das Verhalten nach eingehenderer Verarbeitung beeinflusst. Beim Menschen kommt bei diesem Verarbeitungsweg noch das Element des Arbeitsgedächtnisses hinzu, durch das diese Prozesse bewusstseinsfähig werden. Außerdem können die Furchtsysteme beim Menschen nicht nur durch direkte sensorische Prozesse, sondern alternativ auch

5

LeDoux, The Emotional Brain, 1996.

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durch verbale Information aktiviert werden. Ein Mensch kann einem anderen mitteilen, dass sich hinter ihm eine Spinne befindet. Hat der Empfänger der Information starke Angst vor Spinnen, wird er auch ohne direkte sensorische Wahrnehmung des Reizes Angst bekommen. Allein durch den verbalen Hinweis kann das Furchtsystem aktiviert werden. Bei der ersten der beiden Studien, die nun vorgestellt wird, wurden Personen mit Spinnenphobie im Vergleich zu gesunden Probanden untersucht.6 Um zunächst das Ausmaß der Angst und des Vermeidens zu messen, sahen die Probanden eine reale Spinne, die sich in einem Glaskasten befand. Der Proband sollte die Spinne über eine Kurbel so nah wie möglich an sich heranziehen. Durch den Abstand zwischen Spinne und Proband wurde das Ausmaß der Vermeidungstendenz dieses Probanden für diesen Reiz (Spinne) ersichtlich. Daraufhin setzte der Proband ein Head-Mounted Display (HMD) auf, über das die visuelle Information einer VR präsentiert wurde. Damit sich der Proband in der Virtuellen Realität umsehen kann, werden über ein Trackingsystem die Kopfbewegungen gemessen. Gleichzeitig wird die reale Umwelt für den Probanden ausgeblendet. Über einen Joystick kann sich der Proband in dieser VR bewegen. In der VR können gut kontrollierbar und manipulierbar emotionale Reize eingebaut werden – auch solche, die so in der Realität nicht vorhanden sind. Für die Studie waren in der VR Spinnen oder Schlangen in einer Plexiglasbox zu sehen. Alle phobischen Probanden hatten Angst vor Spinnen, aber nicht vor Schlangen. In der Virtuellen Welt wurde damit die Wahrnehmung angesprochen, also das Tier gezeigt. Außerdem gab es eine reale Spinne oder Schlange, die wir vor den Probanden im Labor in der Plexiglasbox auf einem Tisch stellten. Diese reale Situation konnten die Probanden allerdings nicht wahrnehmen (sehen), weil sie das HMD trugen. Die Information, welches Tier sich in der realen Umgebung befindet, wurde den Probanden durch einen im HMD ein-

6

Peperkorn/Alpers/Mühlberger, Triggers of Fear: Perceptual Cues Versus Conceptual Information in Spider Phobia, Journal of Clinical Psychology 2014, S. 704-714.

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geblendeten Text mit der entsprechenden Information übermittelt. Sie wussten also, dass sich eine Spinne oder eine Schlange vor ihnen befand. Mit dieser Methode konnte das Wissen von der Wahrnehmung bezüglich der angstauslösenden Situation dissoziiert werden. Es wurden drei Bedingungen hergestellt: In der Wahrnehmungsbedingung sahen die Probanden eine Spinne (den furchtauslösenden Reiz) in der Virtueller Realität aber teilten wir ihnen mit, dass sich eine Schlange vor ihnen befand, und stellten auch tatsächlich eine Box mit einer Schlange vor ihnen auf den Tisch. In der Informationsbedingung sahen die Probanden in der virtuellen Welt eine Schlange, vor der sie keine Angst hatten, sie wussten aber, dass sich eine Spinne vor ihnen befand. Zudem gab es die dritte kombinierte Bedingung, bei der beide Komponenten phobiebezogen waren. Hier sahen die Probanden eine virtuelle Spinne und sie wussten, dass sich auch eine reale Spinne vor ihnen befand. Insgesamt gab es für jeden Probanden fünf gleiche Expositionen mit jeweils fünf Minuten Dauer. Die Ergebnisse zeigen, dass die Angst in der Wahrnehmungsbedingung stärker war als die Angst in der Wissensbedingung und ähnlich hoch wie in der kombinierten Bedingung. Das heißt, dass das Wissen über das reale Tier weniger angstauslösend ist als das Sehen des Tiers mit dem Wissen, dass es nicht real vorhanden ist. Zusätzlich zu den Ergebnissen zur Auslösung der Angst bei der ersten Exposition zeigt sich auch, dass sich die Angst über die Expositionen hinweg in allen drei Bedingungen verringerte, besonders stark jedoch in der Wahrnehmungsbedingung. Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse sehr beeindruckend, wie sehr die Wahrnehmung das Emotionserleben beeinflusst. Um der Frage nachzugehen, ob ähnliche Reaktionen auch bei anderen phobischen Ängsten zu finden sind, wurde eine Untersuchung mit den gleichen Bedingungen bei Probanden mit Klaustrophobie, also Angst vor engen Räumen, durchgeführt.7 Diesmal saßen die Probanden

7

Shiban/Peperkorn/Alpers/Pauli/Mühlberger, Influence of perceptual cues and conceptual information on the activation and reduction of claustrophobic fear, Journal of behavior therapy and experimental psychiatry 2016, S. 19-26.

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sowohl in der virtuellen Welt als auch in der Realität in einer Holzkiste mit einer Tür, die abgeschlossen werden konnte (siehe Abbildung 2). Die Kiste war von innen beleuchtet, damit auch in der virtuellen Welt bei geschlossener Tür nicht nur eine schwarze Fläche präsentiert werden musste. Abbildung 2: Versuchsaufbau der Untersuchung zur Klaustrophobie Links: Variation der realen Welt, Mitte: Proband in der Box, Rechts: Variation der VR.

Quelle: Shipan et al., Influence of perceptual cues and conceptual information on the activation and reduction of claustrophobic fear, Journal of behavior therapy and experimental psychiatry 2016, S. 19-26.

Bei dieser Untersuchung bestanden sowohl die phobierelevanten perzeptuellen Reize als auch die Informationen über die reale Umgebung aus einer geschlossenen bzw. einer offenen Tür. Auch hier wurden die Probanden zufällig zu einer der drei Bedingungen zugeteilt (vgl. Untersuchung mit Spinnen). Interessanterweise fanden wir sehr ähnliche Ergebnisse. Die Wahrnehmungsbedingung löste auch hier ähnlich viel Angst aus wie die kombinierte Bedingung, während allein das Wissen, dass die Tür geschlossen ist, deutlich weniger Angst hervorrief. Das Ergebnis fällt also bei der Klaustrophobie noch deutlicher aus als bei der Spinnenphobie. Wenn man die Reduktion der Angst von der ersten zur letzten (fünften) Exposition betrachtet, ist deutlich zu erkennen,

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dass sich diese in der Wahrnehmungsbedingung stark verringerte und sich der Stärke der Angst in der Wissensbedingung annäherte. Möglicherweise hat das Reflektive System im Laufe der Zeit, also über die Expositionen hinweg, wieder mehr Einfluss gewonnen und speist in der Wahrnehmungsbedingung Informationen ein, die mit dem Angstnetzwerk inkompatibel sind und somit die Angst reduzieren. Die Ergebnisse der beiden Studien mit unterschiedlichen Spezifischen Phobien zeigen, dass die Wahrnehmung für die Emotionsauslösung entscheidend ist. Die Habituation setzte schnell ein und war bei der Reizpräsentation alleine, also der Wahrnehmungsbedingung, stärker als bei der kombinierten Exposition (in VR und „in vivo“), bei der die beiden Komponenten Wissen und Wahrnehmung gemeinsam das Furchtnetzwerk aktivierten. Virtuelle Realität ist somit eine wirkkräftige Methode zum Auslösen emotionaler Reaktionen. Es gibt aber auch vielfältige weitere Hinweise für die Wirkkraft von VR, die hier nur kurz erwähnt werden sollen. So zeigen Untersuchungen, dass Personen auch im Kontakt mit virtuellen Agenten soziale Regeln wie das Beachten des persönlichen Raumes einhalten und dass der eingehaltene Abstand zu den Agenten durch deren Blickrichtung moduliert wird.8 Andere Untersuchungen zeigen, dass durch die Interaktion mit virtuellen Agenten oder das Erleben einer virtuellen Situation aus der Perspektive eines anderen (z.B. Gewaltopfers) eine emphatische Reaktion sowie eine Veränderung von Einstellungen erreicht werden kann.9 Auch kann durch eine geeignete Stimulation somatosensorischen Feedbacks die Illusion erzeugt werden, sich außerhalb des eigenen

8

Blascovich/Loomis/Beall/Swinth/Hoyt/Bailenson, Immersive Virtual Environment Technology as a Methodological Tool for Social Psychology, Psychological Inquiry 2002, S. 103-124.

9

Seinfeld/ArroyoPalacios/Iruretagoyena/Hortensius/Zapata/ Borland/Sanchez-Vives, Offenders become the Victim in Virtual Reality, Scientific Reports 2018, Article-Number 8.

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Körpers zu befinden.10 Als letztes Beispiel sei noch der Virtuelle Trierer Soziale Stresstest erwähnt, bei dem durch ein virtuelles Bewertungsgremium eine Stressreaktion ausgelöst werden kann, die im Erleben sowie den peripherphysiologischen Komponenten der Stressreaktion bei einem realen Bewertungsgremium vergleichbar ist.11 All diese Beispiele zeigen eindeutig, dass VR ein wirkmächtiges Medium ist, das ganz besonders gut dazu geeignet ist, Trigger für emotionales Erleben beim Menschen zu setzen.

III. WIRKKRAFT ZUR VERÄNDERUNG: PSYCHOTHERAPIE Die Erkenntnis, dass VR bei Personen mit Spezifischen Phobien Angst auslösen kann, ist auch für den Einsatz von Virtueller Realität für die Psychotherapie wichtig, denn für die Therapie von Angststörungen muss eine Angstreduktion nach einer vorherigen Aktivierung erreicht werden. Die entsprechende theoretische Grundlage geht auf die sogenannten Netzwerktheorien der Emotionen zurück, wie sie z.B. von Foa und Kozak12 vorgelegt wurden. Die Theorie von Foa und Kozak postuliert, dass Furcht als neuronales Netzwerk im Gehirn abgespeichert ist. Für die Veränderung eines Furchtnetzwerkes muss dieses zunächst aktiviert werden, damit anschließend inkompatible Information eingebaut

10 Ehrsson, The Experimental Induction of Out-of-Body Experiences, Science 2007, S. 317, abrufbar unter doi: 10.1126/science.1142175 PMID: 17717177 (Datum des Abrufs: 11.09.2018). 11 Shiban/Diemer/Brandl/Zack/Mühlberger/Wüst, Trier Social Stress Test in Vivo and in Virtual Reality: Dissocation of Response Domains, International Journal of Psychophysiology 2016, S. 47-55, abrufbar unter doi: 10.1016/j.ijpsycho.2016.10.008 / (Datum des Abrufs: 11.09.2018). 12 Foa/Kozak, Emotional Processing of Fear, Psychological Bulletin 1986, S. 20-35.

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und das Netzwerk so verändert werden kann. Die Aktivierung des Netzwerks zeigt sich durch Angsterleben und physiologischer Aktivierung, der Einbau inkompatibler Informationen durch eine Verringerung der Angst (Habituation) innerhalb und zwischen einzelnen Expositionen. Daraus abgeleitet wurde das Expositionskonzept, bei dem Betroffene die angstauslösende Situation aufsuchen und die Angst möglichst umfassend erleben und aushalten sollen, ohne diese zu kontrollieren oder zu vermeiden. Wenn dies gelingt, nimmt die Angst von selbst wieder ab. Durch diese Bewältigungserfahrung wird das Furchtnetzwerk verändert und die Angststörung geheilt. Das Verfahren hat sich bei der Exposition mit realen Situationen (in vivo) für die Psychotherapie von Phobien als sehr erfolgreich erwiesen. Die Übungen in VR durchzuführen hat aber einige Vorteile, und es gibt inzwischen vielfältige Belege, dass durch die Exposition in Virtueller Realität (VRET) Angststörungen tatsächlich geheilt werden können.13 Die Evidenz ist insbesondere bei Flug- und Höhenangst besonders groß. In den neuen S3 Leitlinien zur Behandlung von Angststörungen wird die Exposition in VR schon als zweitbeste Wahl nach der Exposition in vivo empfohlen, obwohl entsprechende Therapieangebote in Deutschland bislang praktisch nicht verfügbar sind. Allerdings muss davon ausgegangen werden, dass sich das Angebot in den nächsten Jahren entwickeln wird. Eine VRET kann schon mit einer einzigen Sitzung erfolgreich sein.14 Als Beispiel für eine VRET sei die Therapie einer Person mit Höhenphobie kurz skizziert, wie sie in der Hochschulambulanz der Universität Regensburg im Rahmen einer „One-Session“ Therapie durchgeführt wird: Zunächst erfolgt eine einstündige Aufklärung und

13 Diemer, J./Pauli, P./Mühlberger, Virtual Reality in Psychotherapy, in: James D. Wright (Hrsg.), International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences, 2. Aufl. 2015, Vol. 25, S. 138-146. 14 Mühlberger/Wiedemann/Pauli, Efficacy of a One-Session Virtual Reality Exposure Treatment for Fear of Flying, Psychotherapy Research 2003, S. 323-336.

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ausführlichen Einführung in das Konzept der Exposition. Dieses Gespräch wird anhand einer vorab zugesendeten Informationsbroschüre vorbereitet. Danach wird die Exposition für insgesamt circa zwei Stunden durchgeführt. Die Virtuelle Welt wird durch einen Renderer (Steam Source Engine von Valve Corporation, Bellevue, USA) generiert und die Simulation über die Kontrollsoftware (VTplus GmbH, Würzburg, Deutschland) kontrolliert. Als VR wird u.a. ein Tetraeder benutzt, der einem realen Tetraeder in Bottrop nachempfunden ist (siehe Abbildung 3). Abbildung 3: Bild vom virtuellen Tetraeder

Quelle: Eigene Darstellung.

Die Situation wird sowohl visuell über ein HMD (HTC-Vive) mit stereoskopischer Sicht und eingebautem Kopftracking (HTC Inc., Seattle, USA), auditiv durch Windgeräusche über Lautsprecher und somatosensorisch über einen Ventilator und einer wackeligen Holzstange als Geländer realisiert.

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Bei der Durchführung einer solchen Therapie entwickelte eine Patientin während der Exposition zunächst starke Angst und verschiedene Körpersymptome, wie z.B. weiche Knie und Zittern. Diese Symptome ließen im Laufe der Sitzung deutlich nach und sie konnte am Ende die oberste Plattform auf dem VR-Tetraeder ohne Angst erleben. Nach der Sitzung war die Patientin sehr motiviert, das gelernte direkt umzusetzen. Am nächsten Tag wurde der Transfer in die Realität am realen Tetraeder in Bottrop erprobt. Sie entwickelte keine Angst, auch als sie die oberste Plattform des Tetraeders erreichte oder als sie auf dem Tetraeder hüpfte. Sie berichtete zusätzlich, auch mehrere Monate nach der Therapie, dass sie alle relevanten Höhensituationen auch im Gebirge erfolgreich bewältigen konnte. Dies zeigt auch den längerfristigen Erfolg der VRET. Als Variation kann gerade bei Phobien vor kleinen Tieren wie Spinnen auch Augmented Reality (AR) eingesetzt werden. Bei der Technik wird durch die Einblendung der Tiere in die reale Situation auch die Möglichkeit realisiert, die virtuellen Tiere auf den sichtbaren, realen Händen abzubilden und dadurch die Illusion zu erzeugen, dass die Tiere direkt über die Hände gehen. Gerade weil die Berührung mit den Tieren für viele Patienten ein wichtiger Angstauslöser ist, könnte dies den Erfolg der Therapie steigern. In einer randomisierten Studie konnte gezeigt werden, dass AR bei Spinnenphobie mittelfristig ähnliche Erfolge erzielt wie die Standardtherapie, die Exposition in vivo. 15 Die VRET wird auch bei Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTSD) mit Erfolg eingesetzt. So konnte gerade bei Kriegsveteranen gute Erfolge erzielt werden.16 Bei PTSD soll der Patient mit Aspekten

15 Bochard/Dumoulin/Robillard/Guitard/Klinger/Forget/Roucaut, Virtual Reality compared with in Vivo Exposure in the Treatment of Social Anxiety disorder, British Journal of Psychiatry 2017, S. 276-283. 16 Goncalves/Pedrozo/Coutinho/Figueira/Ventura, Efficacy of Virtual Reality Exposure Therapy in the Treatment of PTSD, Plos One 2012, abrufbar unter https://doi.org/10.1371/journal.pone.0048469 (Datum des Abrufs: 11.09.2018).

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des Traumas konfrontiert werden, um in der sicheren Umgebung der Therapie das Furchtnetzwerk nochmals zu aktivieren, neue Information einzubauen und diese neu und besser mit dem autobiographischen Gedächtnis vernetzt abzuspeichern. Die Evidenzlage scheint die Wirksamkeit zu belegen. Allerdings liegen hier im Gegensatz zur VRET bei Phobien noch deutlich weniger methodisch aussagekräftige Studien vor. Neben den logistischen Vorteilen sowie der Möglichkeit, durch individuelle Anpassungen und optimale Expositionssequenzen die Therapie zu optimieren, gibt es auch Gefahren und Einschränkungen. Eine Einschränkung ist das Auftreten von Simulatorkrankheit.17 Diese wird analog der Reisekrankheit wahrscheinlich durch Inkongruenzen zwischen den Sinnesmodalitäten ausgelöst, wenn in der visuellen VR z.B. eine Bewegung suggeriert wird, die durch das vestibuläre System (Gleichgewichtsorgan) nicht wahrgenommen wird. Die Problematik kann durch die entsprechende Gestaltung der VR sowie der Interaktionsmöglichkeiten in der VR deutlich reduziert werden, sich aber bei einzelnen empfindlichen Patienten nicht umgehen lassen, so dass diese Personen für die VRET nicht geeignet sind. Außerdem lassen sich durch VR auch Situationen simulieren, die in der Realität wirklich gefährlich sind, wie direkt an einem hochgelegenen Vorsprung ohne Geländer zu stehen. Es gibt bisher keine aussagekräftigen Studien, die belegen, dass das Erleben solcher Situationen keine gefährlichen Auswirkungen auf das Verhalten in realen Situationen haben. Bei der Realisierung solcher Situationen ist also Vorsicht geboten. Gerade wenn durch neue technische Entwicklungen immer realistischere Situationen simu-

17 Um Cyber-Sickness zu verhindern, ist ein wichtiger Aspekt, den Zeitraum zwischen einer Kopfbewegung und der Ausgabe des entsprechenden Bildausschnitts über das HMD (Latenzzeit) kleiner als 20ms zu halten, vgl. den Beitrag von Orthmann/Weissig, Anforderungen, Stand und Zukunft der Aufnahme- und Präsentationstechnik für Virtual Reality, S. 33 f. in diesem Band.

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liert werden können, sollten diese in ihrer Wirkung umfassend untersucht werden.

IV. ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK Aufbauend auf den theoretischen Überlegungen und den psychologischen Modellen, die durch das Modell von Grawe18 zur Wirkung von Psychotherapie ergänzt werden, muss davon ausgegangen werden, dass VR ein mächtiges Werkzeug darstellt, Emotionen bei Menschen auszulösen, ohne dass diese durch rationale Überlegungen kontrollierbar sind. Insbesondere beeindruckend sind die Befunde, wie die Wahrnehmung auch entgegen dem Wissen der Probanden Angst auslösen kann. Da Emotionen unser Verhalten und unsere Entscheidungen auch entgegen rationalen Überlegungen steuern, können Menschen mit VR gezielt beeinflusst werden. Zusätzlich sind die Befunde zum Einsatz von VR für die Psychotherapie von Angststörungen sehr vielversprechend, und es ist davon auszugehen, dass sich VRET in den nächsten Jahren als Behandlungsmethode durchsetzen wird. Allerdings sind durch die Zielsetzung von VR, das Medienbewusstsein zu eliminieren und eine volle Präsenz in der VR zu erreichen, gegenüber anderen Medien auch Gefahren zu erwarten, die den immersiven Journalismus betreffen. Die Frage, inwieweit das Erleben von traumatisierenden Erlebnissen in VR zu Posttraumatischen Belastungsstörungen oder anderen psychischen Problemen führen kann, was gerade in Bezug auf Kriegsberichterstattung relevant sein wird, ist bisher unbeantwortet. Die Gefahr wird wahrscheinlich besonders dann erhöht, wenn Avatare, mit denen sich die Personen identifizieren, in der VR genutzt werden. Außerdem kann die gezielte Auslösung von Emotionen in VR zur Manipulation genutzt werden. Die Glaubwürdigkeit eines berichteten Ereignisses kann z.B. durch das Benutzen von VR

18 Grawe, Psychologische Therapie, 2. Aufl. 2000.

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erhöht werden.19 Im Blick muss man dabei immer behalten, dass es das Wesen der VR ist, dass diese eben nicht einer realen Situation entsprechen muss, sondern ein Ereignis (nach Belieben) verfälscht oder frei erfunden werden kann. Auch wenn diese Probleme aktuell noch nicht gehäuft auftreten, da für den immersiven Journalismus heute oft noch die VR-Vorform des 3D-Videos genutzt wird und in der aktuellen Diskussion eher bild- oder textbasierte „Fake News“ diskutiert werden, so ist doch zu erwarten, dass Manipulationsmöglichkeiten in VR in naher Zukunft verstärkt problematisiert werden müssen. Auch die in Zukunft zu erwartende vermehrte Verwendung von Agenten und Avataren in VR-Umgebungen wird einige spannende Möglichkeiten, aber auch Gefahren mit sich bringen. So werden wir mittelfristig nicht mehr unterscheiden können, ob wir mit einem realen Menschen kommunizieren oder mit einem algorithmengesteuerten Agenten. Außerdem werden wir nicht mehr wissen, welche realen Eigenschaften eine Person hat, mit der wir in VR kommunizieren. Wir werden durch die Interaktion mit virtuellen Sozialpartnern ganz neue Erfahrungen machen können. Durch die hohe Bedeutung sozialer Erfahrungen werden uns diese Erfahrungen aber auch verstärkt prägen. Da wir uns selbst und unsere Umwelt durch unsere Erfahrungen konstruieren20, kann VR uns und unser Weltbild fundamental verändern. Welche Auswirkungen dies auf unsere Gesellschaft haben wird, bleibt spannend abzuwarten.

19 Sundar/Kang/Oprean, Being There in the Midst of the Story, Cyberpsychology Behavior and Social Networking 2017, S. 672-682. 20 Grawe, Psychologische Therapie, 2. Aufl. 2000.

Evidenzbasiertes Medienrecht Zum (möglichen) Beitrag der Kommunikationswissenschaft Christoph Neuberger

Dieser Aufsatz befasst sich mit der Frage nach dem Beitrag, den die Kommunikationswissenschaft zur Klärung medienrechtlicher Fragen leisten kann. Damit soll eine stärkere interdisziplinäre Verbindung zwischen der Kommunikations- und der Rechtswissenschaft, also zwischen einer Erfahrungs- und einer Normwissenschaft angeregt werden.1 Ein solcher Beitrag erscheint unter den Bedingungen des gegenwärtigen Medien- und Öffentlichkeitswandels besonders notwendig: Die Digitalisierung erhöht die Komplexität der medial vermittelten, öffentlichen Kommunikation.2 Öffentliche Kommunikation im Internet lässt sich schwerer beschreiben, weil sich neue Phänomene nicht mehr in gängige Kategorien einsortieren lassen, die ursprünglich für Presse und Rundfunk entwickelt worden sind. Außerdem reichen einfache, li-

1 2

Vgl. Hamann, Evidenzbasierte Jurispundenz, 2014, S. 1. Vgl. Latzer, Unordnung durch Konvergenz, Ordnung durch Mediamatikpolitik, in: Jarren/Donges (Hrsg.), Ordnung durch Medienpolitik?, 2007, S. 147-167; Neuberger, Medien & Kommunikationswissenschaft 2017, S. 550-572.

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neare Kausalannahmen, wie sie in der Analyse der traditionellen Massenmedien häufig angenommen werden, nicht mehr aus, um Wirkungszusammenhänge zu erschließen. Im Wesentlichen verursachen diesen Wandel die größere Zahl der Teilnehmer, die aktiv kommuniziert und das Medium mitgestaltet (Partizipation), sowie die Automatisierung öffentlicher Kommunikation durch Algorithmen. Insgesamt steigen damit die Anforderungen an das Wissen über den Gegenstandsbereich des Medienrechts; solches Wissen stellt die Kommunikationswissenschaft bereit.

I.

EINFÜHRUNG

Auf Aussagen der Kommunikationswissenschaft wird im öffentlichen Diskurs über das Internet, der besonders in journalistischen Medien und im Internet selbst geführt wird, relativ selten zurückgegriffen. Die Fülle an wissenschaftlichen Studien, die zu allen denkbaren Aspekten des Internets vorliegt, erhält wenig Aufmerksamkeit. Immer wieder kommt es daher zu falschen oder übertriebenen Annahmen vor allem über Risiken des Internets wie z.B. im Fall von echo chambers und filter bubbles3 oder der Vertrauenskrise des Journalismus.4 Für das Medienrecht wäre es daher nicht ausreichend, wenn es sich in erster Linie auf die gängigen Thesen in Feuilletons und populären Sachbüchern zum Internet verlassen würde. Dass der Wissenstransfer gelingt und die Fachliteratur in den rechtswissenschaftlichen Diskurs Eingang findet, lässt sich immer wieder beobachten.5 Gleichwohl mangelt es noch an programmatischen Überlegungen darüber, wie Ergebnisse systema-

3

Vgl. z.B. Zuiderveen Borgesius et al., Internet Policy Review 2016, abrufbar unter https://policyreview.info/articles/analysis/should-we-worry-about -filter-bubbles (Datum des Abrufs: 11.09.2018).

4

Vgl. z.B. Ziegele et al., Media Perspektiven 2018, S. 150-162.

5

Vgl. z.B. Ingold, Der Staat 2014, S. 193-226; Ingold, Der Staat 2017, S. 491-533.

Evidenzbasiertes Medienrecht

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tisch berücksichtigt werden könnten. In diesem Aufsatz wird zunächst der Begriff „Evidenzbasierung“ näher bestimmt, bevor die Grundlagen eines evidenzbasierten Medienrechts skizziert werden. Anschließend wird anhand einiger Beispiele gezeigt, wie ein kommunikationswissenschaftlicher Beitrag zum Medienrecht aussehen könnte.

II. EVIDENZBASIERUNG DES MEDIENRECHTS Evidenzbasierte Medizin,6 evidenzbasierte Politik,7 evidenzbasiertes Recht8 – in immer mehr Bereichen wird die Verwendung wissenschaftlichen Wissens zur Rechtfertigung von Entscheidungen mit Hilfe des Begriffs „Evidenzbasierung“ betont.9 Im Fall der Rechts sollen dabei ex ante Folgen rechtlicher Normen prognostiziert und ex post die tatsächlichen Folgen evaluiert werden.10 Beim Umgang mit Medien der öffentlichen Kommunikation lassen sich vier Sichtweisen unterscheiden:11

6

Vgl. z.B. Strech, Evidenzbasierte Ethik, Ethik in der Medizin 2008, S. 274-286.

7

Vgl. z.B. Weiland, Evidenzbasierte Politik zwischen Eindeutigkeit und Reflexivität, Technikfolgenabschätzung 2013, S. 9-15.

8

Vgl. Hamann, Evidenzbasierte Jurisprudenz, 2014.

9

Vgl. Hamann, Evidenzbasierte Jurisprudenz, 2014, S. 2-7; Zum Evidenzbegriff vgl. Sandkühler, Wissen, was wirkt, in: Bellmann/Müller (Hrsg.), Wissen, was wirkt, 2011, S. 33-55; Kelly, Evidence, in: Zalta et al. (Hrsg.), Stanford Encyclopedia of Philosophy, 2014, abrufbar unter https://plato. stanford.edu/entries/evidence/ (Datum des Abrufs: 11.09.2018).

10 Vgl. Weiland, Evidenzbasierte Politik zwischen Eindeutigkeit und Reflexivität, Technikfolgenabschätzung, 2013, S. 9-15; Hamann, Evidenzbasierte Jurisprudenz, 2014, S. 36-37. 11 Vgl. Neuberger, Was erwartet die Gesellschaft vom Internet – und was erhält sie?, 2018, abrufbar unter https://www.kas.de/wf/doc/kas_52160-5441-30.pdf?18041911 4345 (Datum des Abrufs: 11.09.2018).

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• In einer analytischen Sicht können Medien beschrieben (Faktenwis-

sen) und erklärt werden (Kausalwissen12); dafür ist in erster Linie die Kommunikationswissenschaft zuständig. • In einer evaluativen Sicht können Ansprüche an die Leistung von Medien gestellt werden (Soll-Zustand), und es kann geprüft werden, ob Medien diese Ansprüche auch erfüllen (Ist-Zustand). Je nach Prüfergebnis, führt dies zu einer positiven oder negativen Bewertung ihrer Leistung. • In einer gestalterischen und regulatorischen Sicht kann gefragt werden, welche Mittel geeignet sind, um Leistungsansprüche an Medien besser zu erfüllen. • In prognostischer Sicht geht es schließlich um die künftige Entwicklung der Medien und die Frage, ob darauf vorausschauend Einfluss genommen werden sollte. Diese Sichtweisen lassen sich auch als aufeinander folgende Schritte interpretieren: Um die Leistungen der Medien bewerten und darauf basierend geeignete Verbesserungsmaßnahmen beschließen und ergreifen zu können, sind jeweils Fakten- und Kausalwissen notwendig. Deshalb kann die Kommunikationswissenschaft auch an den anderen Schritten beteiligt sein: • Es ist nicht die Aufgabe der Wissenschaft, eigenständig Ansprüche

an die Leistungen von Medien vorzugeben (Gebot der Werturteilsfreiheit).13 Im evaluativen Schritt kann sie aber die in der Gesell-

12 Kausalwissen, das wissenschaftlich in Hypothesentests gewonnen wird, kann zur Erklärung, für Techniken und Prognosen angewendet werden (vgl. Popper, Objektive Erkenntnis, 1993, S. 362-369; Schnell/Hill/Esser, Methoden der empirischen Sozialforschung, 2008, S. 64-65). 13 Zum Werturteilsstreit und zur Wertfreiheit der Wissenschaft vgl. z.B. Dahrendorf, Pfade aus Utopia, Gesammelte Abhandlungen, 1968, S. 74-88; Albert, Traktat über kritische Vernunft, 1991, S. 66-95; Weber, Wissenschaft

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schaft auffindbaren Ansprüche an Medien zum Forschungsgegenstand machen.14 Sie kann sie erfassen, präzisieren, nach ihrer Begründung fragen, sie operationalisieren und ihre Erfüllung empirisch messen. Dies ist der Bereich der kommunikationswissenschaftlichen Qualitätsforschung.15 • Im gestalterischen und regulatorischen Schritt kann sie durch die Umformung von Kausalwissen in instrumentelles Wissen (Techniken) Akteuren in der Praxis Mittel an die Hand geben, damit diese Ansprüche durch gestalterische Maßnahmen, z.B. im Journalismus, oder durch regulatorische Maßnahmen, z.B. im Medienrecht, besser erfüllt werden. Solche Handlungsempfehlungen liefert die anwendungsbezogene Forschung in der Kommunikationswissenschaft. • Eine weitere mögliche Umformung des Kausalwissens ist die Prognose künftiger Entwicklungen. Im prognostischen Schritt sollen negative und positive Veränderungen im Medienbereich antizipiert werden, sodass sie verhindert oder gefördert werden können. Die Medienprognostik ist ein Teil der Kommunikationswissenschaft, der durch den beschleunigten Medien- und Öffentlichkeitswandel an Bedeutung gewonnen hat. Damit ist – zumindest auf einem abstrakten Niveau – verdeutlicht worden, worin der Beitrag der Kommunikationswissenschaft zur Evidenzbasierung des Medienrechts bestehen kann. Sie kann aber nicht nur Fakten- und Kausalwissen bereitstellen, sondern sie beobachtet auch das Medienrecht selbst: In dessen Zentrum stehen rechtliche Normen, die das Handeln derjenigen Akteure prägen sollen, die sich an der

als

Beruf,

1995;

Bröckling,

Gute

Hirten

führen

sanft,

2017,

S. 365-382. 14 Vgl. Dahrendorf, Pfade aus Utopia, Gesammelte Abhandlungen, 1968, S. 82, 83. 15 Vgl. z.B. Arnold, Qualitätsjournalismus, 2009; Neuberger, Definition und Messung publizistischer Qualität im Internet, 2011.

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Kommunikation beteiligen oder die dafür Bedingungen setzen.16 Die Kommunikationswissenschaft analysiert, wie rechtliche Normen im politischen Prozess entstehen. Dies geschieht in der Forschung zur Medienpolitik bzw. media governance.17 Sie befasst sich weiterhin mit der Frage, ob Normen beachtet werden oder ob gegen sie verstoßen wird. Und sie kann schließlich untersuchen, ob die Normeinhaltung die beabsichtigten Folgen hat, ob sie nämlich zur Erfüllung von Leistungsansprüchen an Medien beitragen. Auch das hier gewonnene Metawissen kann zur Verbesserung des Medienrechts herangezogen werden.18

III. NORMEN IM WIRKUNGSZUSAMMENHANG Medienrechtlichen Fragen sollte ein Modell der medial vermittelten, öffentlichen Kommunikation zugrunde liegen, mit dessen Hilfe „Einschätzungen zur Wirkungsweise des Rechts“19 ermöglicht werden. Ein solches – hier bewusst einfach gehaltenes – Modell könnte die Bedingungen der Medienproduktion, die Produktion selbst, Medienangebote, -nutzung und -effekte umfassen (vgl. Abb. 1). Normen sollen als Kon-

16 Zum Normbegriff vgl. Esser, Soziologie, Band 5, 2000, S. 51-131; Popitz, Soziale Normen, 2006, S. 71-75; Möllers, Die Möglichkeit der Normen, 2015. 17 In der Kommunikationswissenschaft setzt sich ein breiter Begriff der media governance durch, der sämtliche Formen an Regeln umfasst, die für Medien relevant sind, d.h. neben staatlichen Regeln auch Ko- und Selbstregulierung (vgl. Puppis, Communication, Culture & Critique 2010, S. 134-149; Katzenbach, Die Regeln digitaler Kommunikation, Diskurs und Technik, 2018). 18 Die Kommunikationswissenschaft liefert also Wissen über Regulierung und für die Regulierung (vgl. Just/Puppis, Journal of Communication 2018, S. 332). 19 Hoffmann-Riem, Der Staat 2008, S. 596.

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ditional- oder Zweckprogramm das Handeln von Akteuren prägen. Damit ist gemeint: Normen bestimmen entweder, was als Ursache wirken, d.h. als Mittel eingesetzt werden soll (Konditionalprogramm), oder sie legen fest, welche positiven Effekte erzielt oder welche negativen Effekte vermieden werden sollen (Zweckprogramm). Fixiert wird normativ also jeweils eine Seite des Wirkungszusammenhangs. Diese Unterscheidung von Konditional- und Zweckprogrammen stammt von Niklas Luhmann:20 „Zweckprogramme sind ihrem Inhalt nach zunächst und vor allem formulierte Probleme. Hierin liegt ihr wesentlicher Unterschied zu den Konditionalprogrammen, die – wenigstens in ihrer Idealgestalt – zugleich das Kalkül mitenthalten, welches das Problem löst, im Grunde also Mechanismen für die Lösung schon gelöster Probleme darstellen. Zweckprogramme beschränken sich demgegenüber darauf, die heuristische Funktion einer Problemstellung zu programmieren.“21

Dieses Modell lässt sich z.B. auf die rechtlichen Normen zur Regulierung des Rundfunks anwenden.22 Im Rundfunkrecht werden Bedingungen (Konditionalprogramm) für den öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk festgelegt. Im Fall des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind dies etwa die Vorschriften zur Finanzierung und zu den Organen der Rundfunkanstalten. Vorgegeben sind außerdem erwünschte Effekte (Zweckprogramm), ohne dass dazu ausdrücklich gesagt wird, wie sie erzielt werden sollen. Dies lässt der Medienproduktion kreative Freiräume und Flexibilität bei der Wahl der Mittel, um diese Zwecke zu erfüllen. Dies ist besonders in Phasen des beschleunigten Medienund Öffentlichkeitswandels angebracht. Der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks enthält eine Reihe von anzustrebenden Ef-

20 Vgl. Luhmann, Zweckbegriff und Systemrationalität, 1991, S. 236-266. 21 Luhmann, Zweckbegriff und Systemrationalität, 1991, S. 260. 22 Zum Folgenden vgl. Neuberger, Der öffentlich-rechtliche Programmauftrag im Internet, in: Kops (Hrsg.), Public Value, 2012, S. 87-93.

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fekten; dazu zählen die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft, die internationale Verständigung, europäische Integration, der gesellschaftliche Zusammenhalt in Bund und Ländern sowie die Rolle des Rundfunks als Medium und Faktor der freien öffentlichen Meinungsbildung.23 Neben solchen Makroeffekten, die sich auf die Gesellschaft und ihre Teile beziehen, finden sich im Rundfunkauftrag auch Hinweise auf anzustrebende Mikroeffekte: Die einzelnen Nutzer sollen mit Bildung, Information, Beratung, Unterhaltung und Kultur versorgt werden, und ihnen soll die freie individuelle Meinungsbildung ermöglicht werden. Daneben finden sich zahlreiche Vorschriften zur Medienproduktion (sorgfältige Prüfung auf Wahrheit und Herkunft, Datenschutz, kein Einfluss der Werbung auf das redaktionelle Angebot usw.) und zur Qualität der Medienangebote (Informations- und Meinungsvielfalt, anerkannte journalistische Grundsätze, Informationspflichten, Gegendarstellung, umfassender Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen, klare Erkennbarkeit von Werbung, Unzulässigkeit von Schleichwerbung usw.). Diese Normen lassen sich als hypothetischer Wirkungszusammenhang begreifen, der empirisch geprüft werden sollte, um die Effektivität bestehender Normen zu evaluieren oder die Eignung geplanter Normen abschätzen zu können. Während in den traditionellen Massenmedien im Wesentlichen einseitige und einstufige Kommunikation von den Medienanbietern zu einem Massenpublikum stattfindet, ist in der Netzwerköffentlichkeit des Internets von einer größeren Vielfalt an Akteurkonstellationen und daher auch von komplexeren Wirkungszusammenhängen auszugehen.24

23 Vgl. § 11 Abs. 1 des Staatsvertrags für Rundfunk und Telemedien (RStV). 24 Vgl. Neuberger, Medien & Kommunikationswissenschaft 2014, S. 567-587; Neuberger, Medien & Kommunikationswissenschaft 2017, S. 550-572.

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Abb. 1: Medienrechtliche Normen im Wirkungszusammenhang

Quelle: Eigene Darstellung.

IV. WERTERFÜLLUNG ALS MEDIENRECHTLICHER ORIENTIERUNGSPUNKT Während im letzten Abschnitt die Effektivität von Normen zur Zweckerfüllung diskutiert wurde, wendet sich der folgende Abschnitt der Frage zu, wie überhaupt Zwecke bestimmt werden können, und zwar für Ansprüche, welche die Gesellschaft an die Medien richtet (in Abgrenzung zu den individuellen Ansprüchen, die z.B. Rezipienten als Medienkonsumenten haben) und zu deren Erfüllung das Medienrecht einen Betrag leisten soll. Hier wird also gefragt, wie gesellschaftliche Ansprüchen präzisiert, begründet und operationalisiert werden können.25 Zur näheren Bestimmung gesellschaftlicher Ansprüche an Medi-

25 In diesem Abschnitt werden Überlegungen des Autors zusammengefasst, die in einer Expertise für die Konrad-Adenauer-Stiftung unter dem Titel „Was

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en haben vor allem die Debatten über den Funktionsauftrag (Public Value) des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beigetragen. Zur Begründung werden vor allem normative Demokratie- und Öffentlichkeitstheorien herangezogen.26 Diese Ansprüche lassen sich in einer Reihe von Werten kondensieren. Zum einen ist die medial hergestellte Öffentlichkeit eine Sphäre, in der Werte27 verwirklicht werden sollen. Zum anderen sollen Medien zur Erfüllung von Werten in der Gesamtgesellschaft beitragen („dienende Funktion“). Von ihnen wird also ein positiver Ausstrahlungseffekt erwartet. Die folgenden acht Werte lassen sich als Maßstäbe für medienvermittelte, öffentliche Kommunikation in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft begründen und verwenden. Einige dieser Werte sind für die Gesellschaft insgesamt von Bedeutung (Freiheit, Gleichheit, Vielfalt, Meinungsmacht, Integration, Sicherheit), andere beziehen sich speziell auf die Qualität öffentlicher Kommunikation (Informations- und Diskursqualität). Der gegenwärtige Medien- und Öffentlichkeitswandel, den vor allem die Digitalisierung vorantreibt, schafft neue Bedingungen für die Erfüllung dieser Werte.

erwartet die Gesellschaft vom Internet – und was erhält sie?“ erschienen sind (vgl. Neuberger, Was erwartet die Gesellschaft vom Internet – und was erhält sie?, 2018, abrufbar unter https://www.kas.de/wf/doc/kas_52160-544-130.pdf?180419114345 (Datum des Abrufs: 11.09.2018). Dort finden sich zahlreiche weitere Literaturhinweise. 26 Vgl. z.B. Serong, Medienqualität und Publikum, 2016. 27 Zum Wertbegriff sowie zur Entstehung und Universalität von Werten vgl. z.B. Joas, Die kulturellen Werte Europas, 2005; Joas, Die Entstehung der Werte, 2015; Sommer, Werte, 2016; zu Normen und Werten als Gegenstand der Kommunikationswissenschaft vgl. Zillich et al., Publizistik 2016, S. 393-411.

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28

• Freiheit: Hier ist zu messen, wie der in der liberalen Tradition be-

tonte Wert „Freiheit“ durch Staaten, Unternehmen und andere gesellschaftliche Kräfte eingeschränkt oder verwirklicht wird. Dabei lässt sich die individuelle Kommunikations- und Rezeptionsfreiheit von der institutionellen Medienfreiheit unterscheiden. Die Vorstellung, dass die Internetöffentlichkeit eine Sphäre unbeschränkter Freiheit ist, hat sich mittlerweile als Cyberutopie herausgestellt. Es kann auch ein Instrument der Unterdrückung sein. Bedingungen für freie Kommunikation werden im Internet nicht nur von staatlicher Seite gesetzt, sondern auch von Intermediären wie Facebook und Google. 29 • Gleichheit: Der Wert „Gleichheit“, der in der demokratischen bzw. republikanischen Tradition betont wird, fordert, dass alle Gruppen der Gesellschaft die gleiche Chance haben, sich am politischen Prozess und auch an Aktivitäten in anderen gesellschaftlichen Teilsystemen (Inklusion) zu beteiligen. Die Frage der (Un-)Gleichheit stellt sich im Internet in vielfältiger Weise (digital divide): Sie betrifft den technischen Zugang zum Medium, seine selektive Nutzung und die Wirkungen, die damit erzielt werden. Dabei ist zwischen Wirkungen auf der Rezipientenseite (Wissenszuwachs, Gewinn an sozialem Kapital usw.) und auf der Kommunikatorseite (Gewinnen von Aufmerksamkeit, Auslösen von Anschlusskommunikation usw.) zu unterscheiden. Während Differenzen beim technischen Zugang zum Internet zwischen den Bevölkerungsgruppen weitgehend verschwunden sind, fällt seine rezeptive und kommunikative Nutzung sehr un-

28 Vgl. McQuail, Media Performance 1992, S. 67-70 u. S. 99-140; McQuail, Media Accountability and Freedom of Publication, 2003, S. 70 u. S. 79-81; McQuail, Journalism and Society 2013, S. 61-64; Vowe, Publizistik 1999, S. 397-399 u. S. 404-405. 29 Vgl. McQuail, Media performance 1992, S. 67-68 u. S. 71-73; McQuail, Media Accountability and Freedom of Publication 2003, S. 71-72 u. S. 81-84; McQuail, Journalism and Society 2013, S. 64-68; Vowe, Publizistik 1999, S. 399-403 u. S. 405.

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terschiedlich aus. Ungleichheit lässt sich vor allem durch politisches Interesse und Medienkompetenz erklären. Die Differenzen bei den Wirkungen sind hingegen noch kaum erforscht. 30 • Vielfalt: Anders als im Fall der Gleichheit, welche die Beteiligungschancen von Akteuren betrachtet, wird hier das Ergebnis, nämlich die inhaltliche Vielfalt des Medienangebots in den Blick genommen. Vielfalt lässt sich in mehreren Dimensionen begründen und messen. So kann nach der Vielfalt von Themen, Meinungen, Akteuren und Räumen gefragt werden, die Eingang in die Öffentlichkeit finden. Vielfalt stellt sich auch im Internet nicht schon alleine deshalb ein, weil es kaum technische Barrieren für die Beteiligung an öffentlicher Kommunikation gibt. Es gibt eine Reihe von Faktoren, welche die Angebots- und Nutzungsvielfalt einschränken, z.B. die Ressourcenschwäche der Anbieter, die nach wie vor starke Agenda-Setting-Wirkung traditioneller Massenmedien und das begrenzte Angebotsrepertoire der Nutzer. • Meinungsmacht: Macht wird hier als das Potenzial verstanden, das Handeln anderer Akteure zu beeinflussen und dadurch eigene Absichten, auch gegen Widerstand, durchzusetzen.31 Entsprechend ist Meinungsmacht die Fähigkeit zur absichtsvollen Beeinflussung der individuellen und öffentlichen Meinungsbildung. Macht ist selbst kein Wert. Grundsätzlich wird eine Ungleichverteilung und Konzentration von Meinungsmacht im Medienrecht kritisch gesehen. Entscheidend für die Beurteilung ist, wie Macht legitimiert und wofür sie eingesetzt wird, d.h., ob mit ihrer Hilfe Werte erfüllt oder verfehlt werden, z.B. Freiheit und Vielfalt.32 Im Vergleich mit den traditionellen Massenmedien verlagert sich Meinungsmacht im Internet. Neu ist insbesondere, dass auch nicht-publizistische Akteure mit po-

30 Vgl. McQuail, Media Performance 1992, S. 141-181; McQuail, Journalism and Society 2013, S. 65-67. 31 Vgl. Han, Was ist Macht?, 2005, S. 15-16 u. S. 32-35; Nye, Macht im 21. Jahrhundert, 2011, S. 30. 32 Als „Lob der Macht“, vgl. Hank, Lob der Macht, 2017.

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litischer Relevanz und Intermediäre wie Google und Facebook über erhebliche Meinungsmacht verfügen können. Durch den Verlust ihres Monopols als Gatekeeper verlieren dagegen die traditionellen Medienanbieter an Meinungsmacht. Die Hoffnung auf eine breitere Verteilung von Meinungsmacht hat sich nur teilweise erfüllt.33 34 • Integration: Der Wert „Integration“ betrifft die Struktur der Öffentlichkeit, nämlich den Grad der Isolation von politisch Gleich-

33 Vgl. Morozov, The Net Delusion, 2011; Garton-Ash, Redefreiheit, 2016. Eine ausführliche Diskussion der Frage, wie Meinungsmacht im Internet entsteht und sich verteilt, enthält das Gutachten von Lobigs/Neuberger für die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK). Demnach muss die bisherige Messung von Meinungsmacht mit Hilfe des Zuschaueranteilsmodell (§ 26 RStV) überdacht werden: Sie beschränkt sich auf Nutzungsanteile von Anbietern und auf die pauschale Einschätzung des Wirkungspotenzials technischer Medien. Dies simplifiziert den Wirkungszusammenhang erheblich. Eigenschaften des Angebotsinhalts, der Angebotsform und des Publikums sollten ebenfalls berücksichtigt werden. Ein unterstelltes Wirkungspotenzial sollte auch empirisch nachweisbar sein (vgl. Neuberger, Kommunikationswissenschaftliche Analyse der Meinungsbildung, Meinungsmacht und Vielfalt im Internet, in: Lobigs/Neuberger (Hrsg.): Meinungsmacht im Internet und die Digitalstrategien von Medienunternehmen, 2018, S. 17-118; und zuvor schon Latzer, Unordnung durch Konvergenz, in: Jarren/Donges (Hrsg.), Ordnung durch Medienpolitik?, 2007, S. 161; Hasebrink/Schulz/Held, Macht als Wirkungspotenzial, abrufbar unter http://library.fes.de/pdf-files/stabsabteilung/ 06294.pdf (Datum des Abrufs: 11.09.2018); Lauf, in: Holtz-Bacha/ Reus/Becker (Hrsg.),Wissenschaft mit Wirkung, Beiträge zu Journalismusund Medienwirkungsforschung, 2009, S.124-125; Neuberger/Lobigs, Die Bedeutung des Internets im Rahmen der Vielfaltssicherung, 2010. Zum Wertkonflikt zwischen ökonomischem und publizistischem Wettbewerb, vgl. Just, Media Culture & Society 2009, S. 97-117. 34 McQuail, Media Performance 1992, S. 68, 73-77 u. S. 237-273; McQuail, Media Accountability and Freedom of Publication, 2003, S. 70-72 u. S.

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gesinnten oder an gleichen Themen Interessierten (Homophilie) oder aber die Vernetzung zwischen Akteuren mit unterschiedlichen Meinungen und Themeninteressen. Auch dieser Wert ist also in mehreren Dimensionen anwendbar: Integration kann Themen, Meinungen und Räume betreffen. Die Frage nach der (Des-)Integration von Öffentlichkeit im Internet muss entsprechend mehrdimensional beantwortet werden. Zur Fragmentierung können die aktive Selektion der Nutzer nach eigenen Präferenzen (selective exposure) und die passive Steuerung durch Algorithmen beitragen. Gegenwärtig werden vor allem echo chambers und filter bubbles als Symptome eines Zerfalls der Öffentlichkeit diskutiert. Allerdings fällt für beide Phänomene der empirische Nachweis schwer.35 Eine räumliche Integration (globale Öffentlichkeit) ist fraglich; eher bilden sich im Internet bestehende Länder-, Sprach- und Kulturgrenzen ab. 36 • Sicherheit: Mit dem Wert „Sicherheit“ ist der Schutz vor negativen Auswirkungen für Individuen und Gesellschaft gemeint, deren Ursachen außerhalb, aber auch in der medienvermittelten, öffentlichen Kommunikation selbst liegen können. Zudem bedarf die Kommunikation selbst des Schutzes. Mit dem Internet verbindet sich eine Reihe von Sicherheitsrisiken, z.B. Cyberwar, Cyberkriminalität, Cyberspionage, Cyberterrorismus, Cybermobbing, die Verletzung von Persönlichkeitsrechten sowie im Daten- und Verbraucherschutz. Staatliche Maßnahmen im Internet sollen die Sicherheit erhöhen, zugleich kann es dadurch aber auch zu Freiheitsbeschränkungen kommen.

81-85; McQuail, Journalism and Society 2013, S. 67-70 fasst Ordnung, Kohäsion und z.T. auch Solidarität zusammen; vgl. dazu auch Neuberger, Definition und Messung publizistischer Qualität im Internet, 2011, S. 47-48. 35 Vgl. z.B. Zuiderveen Borgesius et al., Internet Policy Review 2016, Vol. 5, Issue 1, abrufbar unter DOI: 10.14763/2016.1.401 (Datum des Abrufs: 11.09.2018). 36 Vgl. Vowe, Publizistik 1999, S. 395 u. 404. Der Wert der Sicherheit ist bei McQuail im Wert der Ordnung und Kohäsion enthalten.

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Zum Schutz der Privatsphäre können auch die Nutzer selbst beitragen, wobei die subjektive Einschätzung des Schutzbedürfnisses variiert. 37 • Informationsqualität: Über den Wert „Wahrheit“ hinaus lassen sich hier weitere journalistische Standards anführen, mit deren Hilfe die Informationsqualität definiert wird, z.B. Aktualität, Unabhängigkeit, Recherche, Kritik, Hintergrundberichterstattung sowie die Trennung von Nachricht und Meinung. Zielgröße ist die Informiertheit der mündigen Bürgerinnen und Bürger. 38 Das technische Potenzial für eine höhere Informationsqualität wird im Internet kaum ausgeschöpft. Der professionelle Journalismus ist – wesentlich bedingt durch das Internet – in eine ökonomische Krise geraten. Die Refinanzierbarkeit eines Qualitätsjournalismus ist zumindest längerfristig fraglich. Es besteht nicht die Aussicht, dass Amateure (Bürgerjournalismus) eine ähnlich hohe Informationsqualität wie professionell-journalistische Redaktionen erreichen können. Hier muss auch gefragt werden, wie die Nutzer mit Informationsangeboten umgehen: Die Websites der traditionellen Massenmedien werden zwar noch bevorzugt, und auch ihre Qualität wird am höchsten eingeschätzt. Soziale Medien, besonders Facebook und Twitter, gewinnen aber für die politische Information und Nachrichten an Bedeutung. Jenseits der Websites der bekannten journalistischen Marken fehlen den Nutzern oft Kontexthinweise, was ihnen Qualitätsurteile erschwert. Besonders die Wahrheit der verbreiteten Informationen ist in sozialen Medien fraglich geworden (fake news). • Diskursqualität: Die kommunikative Beteiligung der Bürger, die das Internet vereinfacht, verlangt nach Kriterien für den Diskurs. Hier lassen sich deliberative Kriterien wie Rationalität, Respekt und Ko-

37 Vgl. McQuail, Media Performance, 1992, S. 183-236; McQuail, Media Accountability and Freedom of Publication, 2003, S. 68-70 u. S. 75-79; McQuail, Journalism and Society, 2013, S. 57-61. 38 Vgl. Arnold, Qualitätsjournalismus, 2009, S. 229-238; Neuberger, Definition und Messung publizistischer Qualität im Internet, 2011, S. 42-44.

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härenz anführen. Zielgrößen sind die individuelle und die öffentliche Meinungsbildung. Erstere soll es Bürgern ermöglichen, sich eine eigene Meinung zu bilden; Letztere soll im besten Fall zu einem rationalen und legitimen Konsens führen, der auf der zwangslosen Überzeugungskraft des besseren Arguments beruht.39 Auch für öffentliche Diskurse bietet das Internet – rein technisch betrachtet – hervorragende Voraussetzungen. Doch auch dieses Potenzial ist noch wenig erschlossen. Schattenseiten der Partizipation und Abweichungen vom Ideal der Deliberation sind in den letzten Jahren deutlicher geworden: Die Bedingungen des Internets (Anonymität, mangelnde sozio-emotionale Hinweise u.a.) fördern die Enthemmung des Verhaltens, die Betonung von Gruppenidentitäten, den Anpassungsdruck des wahrgenommenen Meinungsklimas, Meinungsverstärkung und Polarisierung.40 Populistischen und propagandistischen Strategien politischer Akteure wird im Internet wenig entgegengesetzt, weil es keine journalistischen Gatekeeper gibt, die sämtliche Beiträge vor der Publikation prüfen. Künftig könnten social bots, die automatisch massenhaft Mitteilungen versenden, die öffentliche Kommunikation im Internet nachhaltig beeinflussen, wenn sie z.B. das Meinungsklima manipulieren. Eine empirisch gestützte Stärken-Schwächen-Bilanz der Werterfüllung kann die Rechtssetzung anleiten. Dabei ist das semantische und kausa-

39 Zur Bestimmung und Begründung von Kriterien deliberativer Qualität vgl. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, 1990; Habermas, Faktizität und Geltung, 1992; Habermas, Ach Europa, 2008, S. 138-191; Gerhards, Diskursive versus liberale Öffentlichkeit, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 1997, S. 1-34; Gerhards/Neidhardt/Rucht, Zwischen Palaver und Diskurs, 1998; Weßler, Öffentlichkeit als Prozeß, 1999; Peters, Die Leistungsfähigkeit heutiger Öffentlichkeiten in: Imhof/Jarren/ Blum (Hrsg.), Integration und Medien, 2002, S. 23-35; Neuberger, Definition und Messung publizistischer Qualität im Internet, 2011, S. 43-47. 40 Vgl. Schweiger, Der (des)informierte Bürger im Netz, 2017.

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le Verhältnis zwischen den Werten zu berücksichtigen: Sie sind nicht immer trennscharf definiert. Zudem ist ihr Beeinflussungsverhältnis zu beachten. Zum Teil fördern Werte die Verwirklichung anderer Werte, zum Teil behindern sie aber auch ihre Erfüllung. Vor allem die Freiheit steht oft in einem Spannungsverhältnis mit anderen Werten. Soweit das Erreichen des einen Ziels das Erreichen eines anderen erschwert, kommt es auf eine angemessene Balance an, wobei in der liberalen Tradition in der Güterabwägung dem Wert „Freiheit“ tendenziell der Vorrang eingeräumt wird. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie diese abstrakten Werte in konkrete medienrechtliche Normen und in Indikatoren für die empirische Messung umgesetzt werden können. Dabei sind die besonderen Bedingungen der traditionellen Massenmedien und des Internets für öffentliche Kommunikation zu berücksichtigen.

V. INNOVATIVE FORMATE ÖFFENTLICHER KOMMUNIKATION Die Digitalisierung bringt beständig innovative Formate hervor, die das Medienrecht mit der Frage konfrontieren, ob und welche Regulierungsnotwendigkeit besteht. Nach Hoffmann-Riem geht es darum, „ob Recht und welches Recht hinderlich und förderlich für Innovationen ist und ob es dazu beiträgt, Gemeinwohlziele auch in den innovationsbezogenen Prozessen zu verwirklichen, also insbesondere unerwünschte Nebenfolgen zu vermeiden und erstrebte Ziele wirkungstauglich zu erreichen“.41

41 Hoffmann-Riem, Der Staat 2008, S. 594; vgl. auch Hoffmann-Riem, Innovation, Recht und öffentliche Kommunikation, in: Eifert/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Innovation, Recht und öffentliche Kommunikation, 2011, S. 22-23.

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Die Medienregulierung steht z.B. im Fall der Intermediäre wie Facebook und Google vor der Aufgabe, einerseits nicht schon einen bloßen Anfangsverdacht zum Anlass für Eingriffe zu nehmen, andererseits aber gegen das Entstehen vorherrschender Meinungsmacht prophylaktisch vorgehen zu müssen, da sie sich nachträglich nur noch schwer beseitigen lässt.42 In zwei Bereichen werden derzeit erhebliche Wirkungen und ein entsprechend großes Machtpotenzial vermutet: Dies sind die breite Palette der Techniken der strategischen Kommunikation (fake news, social bots usw.) und die algorithmische Steuerung von Selektionsentscheidungen. Es mangelt aber sowohl an Transparenz über den Einsatz als auch an gesichertem Wissen über die Wirkungsweise dieser Techniken. Dies wirft die Frage auf, wie hoch die Anforderungen an den Evidenzgrad, d.h. die empirische Erhärtung ihrer möglichen Wirkung sein müssen. Es ist eine dringende Aufgabe der Kommunikationswissenschaft, hier mehr Klarheit über die Verbreitung dieser Techniken und ihre Wirkung zu schaffen. Auch im professionellen Journalismus tauchen innovative Formate auf43 wie die Webreportage (storytelling), der Datenjournalismus, der computational journalism, der Einsatz von augmented reality und virtual reality sowie der Mobiljournalismus. Vom Journalismus wird zudem nicht mehr nur erwartet, dass er hochwertige Inhalte produziert. Darüber hinaus soll er dem Publikum eine Orientierung über das Internet geben (Navigation), damit es nicht durch die dort herrschende Angebotsfülle quantitativ und qualitativ überfordert ist, und er soll den öffentlichen Diskurs organisieren und anleiten (Moderation).44 Hier stellt sich die Frage, ob und wie diese neuen Spielarten des Journalismus zur Werterfüllung beitragen.

42 Vgl. Lobis/Neuberger, Meinungsmacht im Internet und die Digitalstrategien von Medienunternehmen, 2018, S. 68-83 u. S. 87-88. 43 Vgl. z.B. Nuernbergk/Neuberger, Journalismus im Internet, 2. Aufl. 2018. 44 Vgl. Neuberger, Journalismus im Internet, 2. Aufl. 2018, S.10-80.

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VI. FAZIT In diesem Aufsatz wurden programmatische Überlegungen darüber angestellt, wie kommunikationswissenschaftliche Ergebnisse systematisch in das Medienrecht einfließen und damit zu dessen Evidenzbasierung beitragen können. Zunächst wurde die Verwendung wissenschaftlichen Fakten- und Kausalwissens systematisiert. Anschließend wurde anhand eines Wirkungsmodells gezeigt, wie Normen im Rundfunkrecht als Konditional- und Zweckprogramm interpretiert werden können. Ein anderer Ausgangspunkt für die Evidenzbasierung des Medienrechts sind Werte: Eine empirisch gestützte Stärken-Schwächen-Bilanz der Werterfüllung kann die Regulierung anleiten. Schließlich wurde diskutiert, wie die Regulierungsnotwendigkeit bei innovativen Formaten geprüft werden kann. Damit konnten einige Bausteine für ein evidenzbasiertes Medienrecht vorgestellt werden; das Gesamtgebäude ist aber erst noch zu errichten.

Suggestivkraft 4.0 Medienethik und Technik Kerstin Liesem

Im Jahr 2016 verbreitete sich weltweit ein Phänomen, das seinen Höhepunkt in Deutschland in den Sommermonaten erreichte. Deutschland war im Pokémon-Go-Fieber. Auf der Jagd nach virtuellen Fantasiewesen, den Pokémons, liefen Menschen durch Straßen und über Plätze. Sie bevölkerten Parks und Grünanlagen. Dabei hielten sie ihren Blick starr auf ihr Smartphone gerichtet. Mit dem Spiel Pokémon-Go erreichte erstmals ein Augmentend-Reality-Content weite Teile der Bevölkerung auf der ganzen Welt. Der Beitrag diskutiert nach einer Einführung anhand praktischer Beispiele Chancen und medienethische Herausforderungen von VR/AR-Anwendungen.

I.

EINFÜHRUNG UND BEGRIFFSDEFINITION

Bei dem Spiel Pokémon-Go ging es darum, in einer realen Umgebung, also zum Beispiel in einem Park einer bestimmten Stadt, einem bestimmten virtuellen Pokémon auf die Spur zu kommen und dieses zu fangen. Damit ist Pokémon-Go ein typisches Beispiel für ein Augmented-Reality-Spiel. Denn bei Augmented-Reality (AR) geht es darum, die Realität mit virtuellen Elementen anzureichern und sie so zu erwei-

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tern. Die Wissenschaftler Paul Milgram und Fumio Kishino erklärten bereits im Jahr 1994 in ihrem Aufsatz „A taxonomy of mixed reality visual displays“1 den Begriff Augmented Reality folgendermaßen: „Die Bezeichnung Augmented Reality (AR) lässt sich auf all die Fälle anwenden, in denen die Darstellung einer ansonsten realen Umgebung durch virtuelle Objekte (Computergrafiken) erweitert wird.“

Im selben Jahr stellte ein Wissenschaftler-Team um Milgram und Kishino das Konzept eines Reality-Virtuality-Kontinuums vor. In ihrer Arbeit „Augmented Reality: A class of displays on the reality-virtuality continuum“2 beschreiben die Forscher das von ihnen entworfene Konzept als eine Gerade mit zwei Endpunkten. Auf dem linken Endpunkt befindet sich die reale Umgebung. Den rechten Endpunkt markiert die virtuelle Umgebung. Zwischen diesen beiden Punkten befindet sich die so genannte Mixed Reality (MR). Sie umfasst die Augmented Reality mit einer größeren Nähe zur realen Umgebung sowie die Virtual Reality (VR) mit einer größeren Nähe zur virtuellen Umgebung. AR-Anwendungen sind in der Nähe von realen Umgebungen angesiedelt, basieren sie doch auf individueller, realweltlicher Präsenz, die um virtuelle Elemente erweitert wird. Mit dem Kommunikationswissenschaftler Jeffrey Wimmer ist zu konstatieren: „Indem [Augmented Reality-Anwendungen] virtuelle Objekte in Realzeit und -raum platzieren, ermöglichen sie virtuelle Erfahrungen nicht nur unter Laborbedingungen, sondern in Realzeit in vielen Alltagssituationen.“ 3

1

Milgram/Kishino, A Taxonomy of Mixed Reality Visual Visplays, in: IEICE TRANSACTIONS on Information and Systems, 1994, S. 1321-1329.

2

Milgram/Takemura/Usumi/Kishino, Augmented Reality: A Class of Displays on the Reality-Virtuality Continuum, in: Proceedings of SPIE – The International Society for Optical Engineering, 1995, S. 282-292.

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Wimmer, Communicatio Socialis 2017, S. 472, 473.

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Somit ist das Pokémon-Go-Spiel ein gutes Beispiel für die Wirkweise der AR-Technik. VR hingegen ist eine technische Weiterentwicklung in Richtung einer komplett computerbasierten Realität.

II. POTENZIALE EINER VERSCHMELZUNG VON REALEN UND VIRTUELLEN WELTEN 1. Virtuelle Realitäten in der Gesundheitsindustrie Spiele-Apps, die die Möglichkeiten der erweiterten Realität zur Unterhaltung nutzen, sind nicht erst seit dem Jahr 2016 auf dem Markt. Allerdings hat der weltweite Erfolg von Pokémon-Go das Phänomen der Verschmelzung von realen mit virtuellen Welten in den Fokus einer breiteren Öffentlichkeit gerückt und den wissenschaftlichen Diskurs angefacht. Neben der Spiele-Industrie haben auch andere Wirtschaftszweige, wie zum Beispiel die Gesundheitsindustrie, die Potenziale einer Verbindung zwischen realen und virtuellen Erlebniswelten erkannt. So legte der Psychologe Andrea Chirico mit seinem Team von der Universität Philadelphia im Jahr 2016 die Ergebnisse ihrer Metastudie4 vor. Darin wurde untersucht, wie sich die Möglichkeit, in virtuelle Welten einzutauchen, auf Krebspatienten auswirkt. Das Forscherteam kam zu dem Ergebnis, dass sich durch das Eintauchen der Patienten in virtuelle Umgebungen deren emotionales Wohlbefinden steigerte und so die krebsbedingten psychologischen Symptome gemindert werden konnten. Auch das Spin-Off der Universität Hohenheim5 ANDERS VR hat sich zum Ziel gesetzt, die Lebensqualität von kranken und dementen Menschen zu verbessern. So produziert es nach eigenen Angaben maßgeschneiderte Visualisierungen in Virtueller Realität und entwi-

4

Wimmer, Communicatio Socialis 2017, S. 472, 477.

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Barsch/Klebs, Pressemitteilung der Universität Hohenheim vom 20.02.2018.

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ckelt eine selbstlernende App, die sich individuell auf die Nutzer einstellt. Mit Hilfe dieser App können Patienten ihrem Alltag für eine gewisse Zeit entfliehen und in der Natur, auf einer Wiese, im Wald oder an einem See an Atem- oder Entspannungsübungen teilnehmen. An der Universität Regensburg erforscht der israelische Psychologe Shiban Youssef die Wirkung von Virtueller Realität auf den Menschen. Er kommt zum Ergebnis, dass Virtuelle Realität das Leben vieler Menschen bereichern und es lebenswerter gestalten könne. In einem Interview mit Deutschlandradio Kultur6 betont er: „Das ist doch ein Argument! Wenn man sagt, ich muss das Leben mit einer Krankheit leben, wo ich mich nicht bewegen kann und nicht essen kann […] versus ich kann ein simuliertes Leben bekommen, in dem ich alles habe und 1000 Mal besser … Da werde ich die Person verstehen, die sagt: Ich will das haben!“

2. Medienprojekt 1: Winterolympiade 2018 Neben der Spiele- und der Gesundheitsbranche haben auch Medienhäuser das Potenzial simulierter Wirklichkeiten für sich entdeckt. Sie experimentieren mit verschiedenen Formen des Immersiven Journalismus. Dabei handelt es sich um einen neuen Typ des Journalismus, bei dem Nutzer aus ihrer Beobachterrolle heraustreten, am Geschehen teilnehmen und dadurch neue Einsichten erhalten. Immersion bezeichnet das Gefühl, virtuell Teil eines computergenerierten Geschehens zu werden, wobei zwischen sensorischer, aufgabenbezogener sowie imaginativer Immersion differenziert wird.7 Deutsche Medienhäuser experimentieren derzeit vor allem mit 360°-Videos, die wegen des ver-

6

Schiffer, Der nutzlose Mensch der Zukunft, Interview mit Shiban Youssef vom 16.02.2017, abrufbar unter www.deutschlandfunkkultur.de/der-nutzlo se-mensch-der-zukunft-ruhiggestellt-invirtuellen.2165.de.html?dram:article _id=379129 (Datum des Abrufs: 11.09.2018).

7

Ermi/Mäyrä, Fundamental Components of the Gameplay Experience, in: de Castell/Jenson (Hrsg.), Worlds in Play, 2007, S. 37-53.

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gleichsweise geringen Aktivitätsgrads der Nutzer als Einstiegsformat in den Immersiven Journalismus gelten.8 So hat zum Beispiel das Zweite Deutsche Fernsehen zur Winter-Olympiade 2018 in Pyeongchang 360°-Videos ins Netz gestellt, mithilfe derer Nutzer beispielsweise das Skispringen von der Großschanze oder das olympische Biathlonstadion in 3-D erleben konnten.9 Einen höheren Aktivitätsgrad der Nutzer und damit einen Schritt weiter ging die US-amerikanische Zeitung „The New York Times“. Zum Start der Olympischen Winterspiele 2018 in Pyeongchang hat sie in ihrer App eine AR-Story10 veröffentlicht, die davon lebt, dass sich der Nutzer Athleten ins eigene Wohnzimmer holen kann. Originalgetreue 3D-Modelle von Olympioniken werden in den Raum projiziert. So entsteht der Eindruck, die Sportler stünden dem Nutzer direkt gegenüber. Wer sein Smartphone um die lebensgroßen Darstellungen der Athleten herumbewegt, bekommt Zusatzinformationen. Bei dieser Anwendung handelt es sich um eine Weiterentwicklung der interaktiven Grafik, in der der User das 3D-Objekt animieren kann, indem er sein Smartphone bewegt. 3. Medienprojekt 2: VR-Beitrag „Project Syria“ Als Beispiel für einen VR-Beitrag mit hohem Immersionsgrad gilt das „Project Syria“11 der US-amerikanischen Journalistin und Filmemacherin Nonny de la Peña. Die VR-Avantgardistin de la Peña hat den Bei-

8

Vgl. zur journalistischen Praxis, Seymat, 360°-Videos & Immersive Journalism, Examples and Best Practices at Euronews, S. 13.

9

Abrufbar unter https://vr.zdf.de/olympia/ (Datum des letzten Abrufs: 11.09. 2018).

10 Branch, Augmented Reality, The New York Times v. 05.02.2018, abrufbar unter https://www.nytimes.com/interactive/2018/02/05/sports/olympics/ar-au gmented-reality-olympic-athletes-ul.html (Datum des Abrufs: 11.09.2018). 11 Vgl. de la Peña, Project Syria, abrufbar unter http://www.ydocfoundation.o r/item/vr/project-syria/ (Datum des Abrufs: 11.09.2018).

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trag im Jahre 2014 für das Weltwirtschaftsforum produziert, um auf die Notlage von jungen Flüchtlingen aufmerksam zu machen. Setzt der Nutzer eine VR-Brille auf, so wird er hineingezogen in das geschäftige Treiben in Aleppo, einer Stadt im Norden von Syrien, in der der Bürgerkrieg in den Jahren 2012 bis 2016 besonders heftig tobte. Plötzlich schlägt eine Rakete ein und legt den Stadtteil in Schutt und Asche. In einer zweiten Szene findet sich der Nutzer in einem Flüchtlingscamp wieder, in das immer mehr Menschen strömen, die ihre Heimat verlassen mussten. Der User hat das Gefühl, selbst mitten im Geschehen zu sein. Für ihren Beitrag hat de la Peña Fotos, Audios und Videos aus der realen Szenerie verwendet. 4. VR-Kriegsreportage „Der Kampf um Falludscha“ Ein anderes Beispiel für einen Beitrag mit hohem Immersionsgrad ist die VR-Kriegsreportage „Der Kampf um Falludscha“12 der Zeitung „The New York Times“. Dabei begleitet der User den Kriegsreporter Ben Solomon und die irakischen Streitkräfte bei der Befreiung der irakischen Stadt Falludscha vom Islamischen Staat. Der User wird hineingezogen in den Häuserkampf. Ähnlich wie ein „embedded journalist“ ist er mitten im Geschehen, er erlebt die Szenerie so, als würde die Schlacht um Falludscha gerade im Augenblick stattfinden. Diese Beispiele zeigen, dass das Zusammenspiel zwischen der Realität und virtuellen Welten durchaus eine Faszination ausüben kann. Der Filmemacher Chris Milk konstatiert, dass das Eintauchen in virtuelle Welten den Menschen „teilnahmsvoller“ machen könne. „Wir werden teilnahmsvoller, wir werden empathischer, fühlen uns einander näher und werden so letztendlich auch menschlicher.“ 13

12 Solomon, Ben C., The Fight for Falluja, abrufbar unter www.nytimes.com/ video/multimedia/100000004825583/the-fight-for-falluja.html (Datum des Abrufs: 11.09.2018). 13 Milk, How Virtual Reality can create the ultimate Empathy Machine, Vortrag auf der TED 2015, abrufbar unter www.ted.com/talks/chris_milk_how

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III. WIRKUNG DES EINSATZES VON AR- UND VR-TECHNIKEN Wie sich der Einsatz von VR auf die menschliche Empathie auswirkt, untersuchte der US-amerikanische Wissenschaftler Jeremy Bailenson.14 Zusammen mit seinem Team vom Virtual Human Interaction Labs an der Standford University testete er, ob sich Virtual Reality auf das Verhalten und die Einstellung von Jugendlichen gegenüber farbenblinden Mitmenschen auswirkt.15 Dafür wurden zwei Vergleichsgruppen gebildet. Der ersten Gruppe wurde beschrieben, wie Farbenblinde sehen und welche Probleme mit ihrem veränderten Sehvermögen einhergehen. Jugendliche der zweiten Gruppe bekamen VR-Brillen, mit denen sie selbst erleben konnten, wie es sich anfühlt, farbenblind zu sein. Anschließend beobachtete das Forscherteam, wie sich die Jugendlichen der beiden Gruppen gegenüber Farbenblinden verhielten. Dabei zeigte sich, dass diejenigen, die selbst erlebt hatten, wie es sich anfühlt farbenblind zu sein, wesentlich hilfsbereiter gegenüber Farbenblinden waren als Jugendliche aus der ersten Gruppe. Daraus folgern die Wissenschaftler: „Allgemein stellen wir bei diesen Experimenten immer wieder fest, dass Menschen dazu neigen, mehr Mitgefühl zu entwickeln, wenn sie etwas erleben, anstatt es sich nur vorzustellen oder anzusehen.“16

Allerdings betonen die Wissenschaftler auch, dass die Ergebnisse der Studie nur vorläufiger Natur sind. Eine Aussage über langfristige Ver-

_virtual_reality_can_create_the_ultimate_empathy_machine/discussion? (Datum des Abrufs: 11.09.2018). 14 Vgl. zum Einsatz von VR in der Psychotherapie, Mühlberger, Psychologische Wirkkraft immersiver Medien, S. 43 in diesem Band. 15 Bailensonet et al., The Journal of the Learning Sciences 2008, S. 102-141. 16 Bailensonet et al., The Journal of the Learning Sciences 2008, S. 102-141.

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haltensänderungen ließe sich indes daraus nicht ablesen. Demgegenüber hat die klinische Psychologin Robin Rosenberg schon im Jahr 2013 darauf hingewiesen, dass Erlebnisse in virtuellen Umgebungen durchaus einen bleibenden Eindruck bei Nutzern hinterlassen können. 17 In einem Experiment spielten Probanden einen supermannähnlichen Avatar in der virtuellen Welt. Nach diesem Erlebnis neigten sie auch im wahren Leben eher dazu, sich sozial und mutig zu verhalten. Auch der Journalismus profitiert vom Eintauchen der Nutzer in virtuelle Umgebungen. Das zeigen empirische Studien.18 So konnte nachgewiesen werden, dass Nutzer mehr Interesse an Informationen hatten, wenn ihnen diese mittels AR nahegebracht wurden. Auch stellten die Forscher19 fest, dass Nutzer Entfernungen und räumliche Bezüge besser einschätzen konnten, wenn sie zuvor AR-Anwendungen verwendet hatten. Diese Beispiele zeigen deutlich, dass der Einsatz von AR- und VR-Techniken durchaus Vorteile mit sich bringen kann. Die Entwicklung in diesen Bereichen ist jedoch noch nicht abgeschlossen. Virtuelle Realitäten werden den menschlichen Alltag in Zukunft noch weiter durchdringen. Die Medienwissenschaftler Nick Couldry und Andreas Hepp20 gehen davon aus, dass die erweiterten und virtuellen Erlebniswelten unsere Wirklichkeiten noch stärker verändern könnten als alle bisher dagewesenen Medientechnologien. Der Soziologe und Kommunikationswissenschaftler Friedrich Krotz21 prophezeit, dass virtuelle und reale Welt immer mehr verschwimmen werden.

17 Rosenberg/Baughman/Bailenson, Virtual Superheroes, abrufbar unter DOI: 10.1371/journal.pone.0055003 (Datum des Abrufs: 11.09.2018). 18 Pavlik/Bridges, The Emergence of Augmented Reality (AR) as Storytelling Medium in Journalism, abrufbar unter doi/10.1177/1522637912470819 (Datum des Abrufs 11.09.2018). 19 Hofmann et al., Mobile Media & Communication 2014, S. 265-280. 20 Couldry/Hepp, The Mediated Construction of Reality, 2016. 21 Krotz, Mediatisierung: Fallstudien zum Wandel von Kommunikation, 2007.

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IV. MEDIENETHISCHE HERAUSFORDERUNGEN Trotz all dieser Vorzüge, die Immersion zweifelsohne hat, und ohne die Faszination, die von ihr ausgeht, leugnen zu wollen, konfrontieren diese neuen Welten mit einer Reihe medienethischer Herausforderungen. Zunächst einmal stellt sich die Frage: Wie real kann virtuelle Realität überhaupt sein? Für ihr Projekt Syria, das als typisches Beispiel für VR-Stories gilt, hat die Journalistin de la Peña zwar reale Videos, Audios und Bilder aus Syrien verwendet. Allerdings hat sie die Story im Nachhinein komponiert und dramaturgisch aufbereitet. Sie hat Szenen, die sie selbst in Syrien erlebt hat, für ihre VR-Story rekonstruiert. Mit dieser Arbeitsweise notwendigerweise einher geht eine starke Subjektivierung. Ein subjektiver Erzählstil ist im Journalismus durchaus üblich. So lebt beispielsweise die gesamte Gattung der Printreportagen von der subjektiven Sichtweise des Erzählers. Allerdings ist davon auszugehen, dass dem durchschnittlichen Leser einer Reportage bekannt ist, dass der Autor seine subjektive Sichtweise der Geschichte wiedergegeben hat. Die Rolle des Lesers indes ist klar: Er ist Beobachter und steht damit außerhalb der Szenerie. Anders sieht es bei VR-Geschichten aus, die einen hohen Immersionsgrad haben. In diesen Fällen setzt die Suggestivkraft ein. Dem Zuschauer wird Nähe und sogar Teilhabe am Geschehen suggeriert. Haben Stories einen besonders hohen Immersionsgrad, so tritt der Rezipient sogar aus seiner Beobachterrolle heraus und fühlt sich als Teil der Geschichte. Das ist durchaus beabsichtigt: Denn VR-Anwendungen haben ja gerade das Ziel, die reale Welt und deren Simulation so wenig unterscheidbar wie möglich zu machen. Sie werden zu dem Zweck produziert, die Grenze zwischen Teilhabe und Beobachtung verschwimmen zu lassen. Ethisch problematisch wird diese Verschmelzung dann, wenn User aus ihrer virtuellen Welt nicht mehr herausfinden. Das ist dann der Fall, wenn ihr „virtuelles Ich“ mit ihrem „realen Ich“ verschmilzt. Mit den Risiken einer solchen Verschmelzung zwischen realer und virtueller Welt haben sich die Mainzer Philosophen Michael Madary und

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Thomas Metzinger22 auseinandergesetzt. Sie fragen, welche Risiken drohen, wenn Menschen in der virtuellen Realität vollkommen in die Rolle ihres Avatars schlüpfen? Daneben beschäftigen sie sich mit den Folgen, die es haben könnte, wenn sich User der immersiven „Illusion von Verkörperung“ hingeben und sich in das Gefühl hineinsteigern, einen fremden Körper zu bewohnen? Auch wenn derzeit Stories mit sehr hohem Immersionsgrad im Journalismus – auch aus ökonomischen Gesichtspunkten – die Ausnahme sind23, so sind diese Fragen gerade vor dem Hintergrund einer rasanten technischen Entwicklung dennoch bereits heute zu stellen. Denn bei der Immersion handelt es sich um ein in dieser Intensität noch nie dagewesenes Phänomen, haben doch VR-Anwendungen das Potenzial, eine weitaus größere Suggestivkraft zu entfalten, als dies bei den bisher bekannten Darstellungsformen der Fall ist. Madary und Metzinger sind überzeugt, dass diese Illusion so weit gehen kann, dass User glauben, in einem fremden Körper zu stecken oder einen fremden Körper zu kontrollieren. Die beiden Philosophen konstatieren: „Im Gegensatz zu anderen Medien kann VR eine Situation erzeugen, in der das gesamte Umfeld des Users durch die Schöpfer der virtuellen Welt bestimmt wird. Dies eröffnet die Möglichkeit für neue und mächtige Formen der Manipulation des Verstandes und des Verhaltens. Besonders wenn kommerzielle, politische, religiöse oder staatliche Interessen hinter den virtuellen Welten stecken, könnte das noch von Bedeutung sein.“24

22 Madary/Metzinger, Real Virtuality, Frontiers in Robotics and AI v. 19.02.2016, abrufbar unter DOI: 10.3389/frobt.2016.00003 (Datum des Abrufs: 11.09.2018). 23 Vgl. aus Praktikersicht Seymat, 360°-Videos & Immersive Journalism – Examples and Best Practices at Euronews, S. 13 in diesem Band. 24 Madary/Metzinger, Frontiers in Robotics and AI v. 19.02.2016, abrufbar unter DOI: 10.3389/frobt.2016.00003 (Datum des Abrufs: 11.09.2018).

Suggestivkraft 4.0

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Die Gefahr, dass Menschen durch VR-Anwendungen leichter manipulierbar sind als mit den Möglichkeiten der traditionellen Medien, glaubt auch AP-Reporter Tom Kent von der Columbia University. Der Grund dafür liege vor allem im großen Identifikationspotenzial des Users mit Charakteren aus der virtuellen Welt. So betont Kent25, dass „das Potenzial für Empathie in der VR-Welt noch grösser ist, weil der Zuschauer viel enger mit einem 3D-Charakter, den er praktisch anfassen kann, verbunden ist“. Hinzu komme, dass mit suggestiver Musik leicht „manipulative“ Emotionen beim Publikum erzeugt werden könnten. Mit dieser Suggestivkraft sind AR- und VR-Formate natürlich auch interessante „Einfallstore“ für Werbung und Kampagnen. 26 Schon jetzt setzen beispielsweise internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen in ihren Kampagnen erfolgreich auf das Emotionalisierungspotenzial von VR. Einer größeren Öffentlichkeit bekannt geworden ist der Dokumentationsfilm „Clouds Over Sidra“27, ein Film, der im Auftrag der Vereinten Nationen produziert wurde. In dem Film gibt Sidra einen Einblick in ihr Leben. Sidra ist 12 Jahre alt, stammt aus Syrien und lebt mit weiteren 84.000 Landsleuten in einem jordanischen Flüchtlingscamp. Gedreht wurde der Film „Clouds Over Sidra“ mit einer 360°-Kamera und in 3-D. So hat der Zuschauer das Gefühl, mitten im Geschehen zu sein. Das zeigte Wirkung: Auf der Spendenkonferenz, auf der der Film gezeigt wurde, akquirierten die Veranstalter 3,8 Milliarden Dollar. Das waren 70 Prozent mehr als erwartet. 28

25 Zit. nach Lobe, Auf dem Weg zum Blockbuster Journalismus, Medienwoche v. 20.02.2018, abrufbar unter https://medienwoche.ch/2018/02/20/ auf-dem-weg-zum-blockbuster-journalismus/ (Datum des Abrufs: 11.09. 2018). 26 Vgl. hierzu den Beitrag von Habel, Immersiver Journalismus und Werberecht, S. 141 in diesem Band. 27 Arora/Milk, Clouds over Sidra, abrufbar unter https://www.youtube.com/ watch?v=mUosdCQsMkM (Datum des Abrufs: 11.09.2018). 28 Leretz, Spenden durch Virtual Reality, faz.net v. 01.02.2018, abrufbar unter http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/virtual-reality-zur-

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Welch starke Wirkung Virtual Reality auf den Menschen hat, betont auch die Wissenschaftlerin Betty Mohler, die den Einfluss von Virtual Reality auf menschliche Wahrnehmungen und Handlungen erforscht. Für sie ist Virtual Reality „als eine Form für Werbung, Journalismus oder Kampagnen sehr stark, weil Menschen die Welt anders erleben als beim Lesen oder Hören von Nachrichten. Man erinnert sich an Gesehenes aus einer anderen Perspektive.“29 Die meisten Menschen wüssten zwar von der Flüchtlingskrise. Sie hätten aber sehr wenig Ahnung davon, wie es sich anfühlt, ein Flüchtling zu sein. Das könne Virtual Reality ändern. Man fühle, wie es ist, in den Schuhen einer anderen Person zu stecken. Dabei ist die Emotionalisierung des Publikums gewünscht. Diese wird bewusst herbeigeführt und für eigene Zwecke genutzt. Der Philosoph Madary30 gibt zu bedenken, dass in solchen Fällen auch die Autonomie des Nutzers gefährdet sein könne. Er plädiert deshalb für Transparenz. Die Organisatoren müssten ihre Absichten offenlegen. Eine vollständige Transparenz würde es potentiellen Spendern ermöglichen, selbst zu entscheiden, ob sie die Erfahrung mit VR machen möchten, die eine höhere Wahrscheinlichkeit für eine Spende zur Folge hätte. Angesichts des großen Emotionalisierungs- und Manipulationspotenzialsvon VR ist der Immersive Journalismus natürlich ein Einfallstor

spenden-akquise-ist-das-schon-manipulation-15403150.html (Datum des Abrufs: 11.09.2018). 29 Mohler, zit. nach Leretz, Spenden durch Virtual Reality, faz.net v. 01.02. 2018, abrufbar unter http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/virtu al-reality-zur-spenden-akquise-ist-das-schon-manipulation-15403150.html (Datum des Abrufs: 11.09.2018). 30 Mohler, zit. nach Leretz, Spenden durch Virtual Reality, faz.net v. 01.02. 2018, abrufbar unter http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/virtu al-reality-zur-spenden-akquise-ist-das-schon-manipulation-15403150.html (Datum des Abrufs: 11.09.2018).

Suggestivkraft 4.0

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für äußerst wirkungsvolle Formen der Werbung.31 Bereits Augmented Reality schafft neue, für die Werbung interessante Möglichkeiten, etwa mit „begehbaren“ Anzeigen: Ein Wohnungsinserat, bei dem das Kaufoder Mietobjekt in 3-D präsentiert wird, vermittelt dem Interessenten einen besseren Eindruck als eindimensionale Bilder auf der Website. Ethisch besonders bedenklich sind insbesondere die Szenarien, bei denen der Nutzer die Werbung nicht als solche erkennt. Vor dem Hintergrund dieser fundamentalen psychologischen Auswirkungen während und nach einem VR-Erlebnis fordern die Philosophen Madary und Metzinger32 zu Recht einen Ethik-Kodex für die Nutzung der Virtuellen Realität. Darin enthalten sind sechs Empfehlungen, von denen ich drei herausgreifen möchte. So fordern die Philosophen erstens, dass Nutzer vor den VRExperimenten genau über die langfristigen Auswirkungen ihrer Erlebnisse in der Virtuellen Realität hingewiesen werden sollten. Auch darüber, dass die Folgen für ihr Verhalten nicht immer bekannt sind, sollten Probanden informiert werden. Diese Empfehlung ist unabdingbar. Denn richtig ist, dass es noch nicht genug Studien zu den Auswirkungen von Virtual Reality auf das Verhalten von Menschen gibt. Insbesondere sind noch keine Langzeitstudien verfügbar, da es sich bei der Immersion um ein relativ neues Phänomen handelt. Mit ihrer zweiten Empfehlung appellieren Madary und Metzinger an die Medien. Diese sollten die Vorteile der Virtuellen Realität nicht überbetonen. Vor allem in Fällen, in denen diskutiert wird, ob die Virtuelle Realität möglicherweise auch einen therapeutischen und medizinischen Nutzen haben könnte, ist eine ausgewogene Betrachtung wichtig. Drittens weisen die Philosophen darauf hin, dass gerade die Verbindung von Virtual Reality und Werbung medienethische Fragen aufwerfen könne.33 Sie warnen:

31 Vgl. den Beitrag von Habel, Immersiver Journalismus und Werberecht, S. 141 in diesem Band. 32 Madary/Metzinger, Frontiers in Robotics and AI v. 19.02.2016, abrufbar unter DOI: 10.3389/frobt.2016.00003 (Datum des Abrufs: 11.09.2018). 33 Zur Antwort des Medienrechts auf diese Problematik, Habel, Immersiver Journalismus und Werberecht, S. 141 in diesem Band.

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„Virtuelle Umgebungen bieten viele neue Flächen für besonders personalisierte Werbung, insbesondere in Form von Neuromarketing, also der Werbung, die direkt neurologische, unterbewusste Impulse ansprechen soll. Studien haben bereits gezeigt, welche unterschiedlichen VR-Verfahren dafür genutzt werden können, das Konsumverhalten zu beeinflussen. Das kann insbesondere dann zu Konflikten führen, wenn die VR-Technik von einem Unternehmen aufgebaut wird, dessen Geschäftsmodell größtenteils darauf basiert, individuell zugeschnittene Werbung zu verkaufen, wie dies beispielsweise bei Facebook der Fall ist.“34

Gerade im immersiven Journalismus spielt Transparenz eine große Rolle. Die Grenze zwischen redaktionellem Teil und Werbung darf nicht verschwimmen. So muss der durchschnittliche User erkennen können, wann es sich um Werbung handelt. Journalisten müssen darauf achten, dass die Grenzen auch in der virtuellen Welt beachtet werden. Gleichzeitig muss sich aber auch eine entsprechende Werbeethik etablieren. Aus medienethischer Perspektive zeigt sich noch eine weitere Gefahr, die eng mit dem Emotionalisierungspotenzial von Virtual RealityGeschichten verbunden ist. Das ist die Gefahr der Dramatisierung, die naturgemäß mit dem Einsatz von VR einhergeht. Der Grund dafür liegt darin, dass VR-Geschichten ja gerade nicht lineare Abbildungen der erlebten Realität sind. Vielmehr handelt es sich um rekonstruierte, dramaturgisch aufbereitete Geschichten. Der Produzent der Geschichte hat es in der Hand, die Szenerien zunächst so auszuwählen und dann so zusammenzustellen und möglicherweise auch mit Musik zu unterlegen, dass die gewünschte Dramatik entsteht. Vor diesem Hintergrund stellt sich die grundsätzliche Frage nach dem Wesen von VR-Geschichten, die von Medienhäusern produziert werden. Sind sie überhaupt noch dem Journalismus zuzurechnen? Oder sind sie eher eine künstlerische Weiterentwicklung von Filmen? Selbst wenn man davon ausgeht, dass es VR-Geschichten mit einem journalistischen Anspruch gibt, so muss

34 Madary/Metzinger, Frontiers in Robotics and AI v. 19.02.2016, abrufbar unter DOI: 10.3389/frobt.2016.00003 (Datum des Abrufs: 11.09.2018).

Suggestivkraft 4.0

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man sich weiter fragen: Welche Maßstäbe müssen bei VR-Produktionen angesetzt werden? Dazu können die ethischen Leitlinien des Deutschen Pressekodex zur Pressefotografie einen ersten Anhaltspunkt bieten. So sind Bildbearbeitungen35, die zu irreführenden Verzerrungen führen könnten, nach Ziffer 2, Richtlinie 2.5 des Deutschen Pressekodex ein Verstoß gegen die journalistische Sorgfaltspflicht. Der Deutsche Pressekodex verbietet die Veröffentlichung manipulierter Fotografien, die den Betrachter täuschen. Nachbearbeitete Bilder werden vor allem dann abgelehnt, wenn durch die Veränderungen die eigentliche, ursprüngliche Bildaussage verfälscht wird. Gravierende Eingriffe ins Bild – wie etwa das Hinzufügen oder Entfernen von Personen und Gegenständen – müssen dem Rezipienten kenntlich gemacht werden. Als weniger problematisch fasst der Deutsche Presserat „rein handwerkliche Veränderungen“ auf, die die Qualität der Bildoberfläche und die Sichtbarkeit des Bildobjekts verbessern sollen, aber keine bewusste Täuschung darstellen. Hier stellt sich das Problem eines „definitorischen Defizits“. Denn weder im Deutschen Pressekodex noch in den Begründungen der Spruchpraxis wird abschließend geklärt, wo die Grenze zwischen legitimer Nachbearbeitung und verbotener Manipulation liegt. In der Pressefotografie wird immer wieder auf das Ideal des authentischen Bildes rekurriert, das die Realität unverfälscht abbildet. An dieses Ideal schließen sich ethische Fragen an wie: Wann ist eine nachträgliche Bildbearbeitung als Täuschung zu werten? Wo verläuft die Grenze zwischen künstlerischer Gestaltung und betrügerischer Manipulation? Ist die Vermittlung eines falschen Eindrucks durch ein Bild erst dann als Fall von Manipulation zu werten, wenn sie absichtlich geschah oder kann die Herstellung oder Verwendung eines irreführenden Bildes auch dann kritisiert werden, wenn die Täuschung vom Urheber nicht beabsichtigt war? Der Journalismusforscher Michael Haller36

35 Ausführlich zur Bildethik, Tappe, Bildethik, in: Heesen (Hrsg.), Handbuch Medien- und Informationsethik, 2016, S. 306-312. 36 Haller, Die Wirklichkeit der Bilder, in: Haller (Hrsg.), Visueller Journalismus, 2008, S. 29-53.

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vertritt sogar die These, dass eine nachträgliche Manipulation die Authentizität sogar noch steigern könne, nämlich dann, wenn das Bild der authentischen subjektiven Wahrnehmung des Fotografen angeglichen würde. Diese Authentizitäts-Debatte muss auch und gerade dann geführt werden, wenn der Journalist den User in virtuelle Erlebnisräume mitnehmen will, gerade auch deshalb, weil das Manipulationspotenzial in virtuellen Welten potenziert ist. Dennoch steht die Diskussion um ethische Regeln in der virtuellen Welt noch am Anfang. Sie ist aber dringend geboten. Denn jedem Journalisten muss klar sein, wo seine journalistische Sorgfaltspflicht beim Einsatz von AR und VR liegt. Aus medienethischer Perspektive diskussionswürdig ist auch die Tatsache, dass es sich bei VR-Geschichten – zumindest bisher – nur um kleine journalistische Ausschnitte der Wirklichkeit handelt. Oft haben diese Ausschnitte die Intention, durch sphärische Eindrücke Mitgefühl zu erregen. Das Projekt Syria bestand lediglich aus zwei Szenen. Für den Rezipienten ist es jedoch schwierig, von diesem virtuellen Ausschnitt aus dem syrischen Bürgerkrieg auf die Gesamtsituation in Syrien zu schließen, diese einzuordnen und zu bewerten. Hinzu kommt, dass es gerade mit den ausgefeilten Möglichkeiten der VR immer schwieriger wird, so genannte „Fake News“ von echten Nachrichten zu unterscheiden. Schon heute erschwert es die tägliche Informationsflut, die dargebotenen Informationen zu filtern und deren Wahrheitsgehalt und Relevanz zu erkennen. In einer amerikanischen Studie der Stanford University37 konnten zahlreiche Schüler „echte“ Nachrichten nicht von „Fake News“ unterscheiden. Anstatt auf Quellen zu achten, vertrauten sie vor allem detailreichen Texten und Bildbelegen. Sie konnten zudem nicht begründen, warum sie kritisch oder misstrauisch mit bestimmten Inhalten umgehen sollten. Vor dem Hin-

37 Shellenbarger, Most Students Don’t Know When News Is Fake, Stanford Study Finds, The Wall Street Journal v. 21.11.2016, abrufbar unter https://www.wsj.com/articles/most-students-dont-know-when-news-is-fake -stanford-study-finds-1479752576 (Datum des Abrufs: 11.09.2018).

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tergrund dieser Studienergebnisse ist die Gefahr, Desinformationen aufzusitzen, beim Immersiven Journalismus nicht von der Hand zu weisen. Denn gerade Immersiver Journalismus hat, weil die Distanz zwischen Wirklichkeit und Wahrnehmung aufgehoben ist, noch effizientere Möglichkeiten zur Manipulation als herkömmliche Berichterstattungsformen.

Regulierung

Geschichte und Theorie der Medienregulierung Karl-Heinz Ladeur

Für die Entwicklung der zukünftigen Medienordnung fördert ein Rückblick in die Ursprünge der Meinungs- und Medienfreiheit das Verständnis für mediale Freiheit in einer Gesellschaft. Die Geschichte der freien individuellen Meinungsbildung beginnt im 18. Jahrhundert (I.) und entwickelt sich in Deutschland im Zuge der Französischen Revolution erst, nachdem im Kaiserreich um 1870 die staatliche Zensur überwunden werden konnte (II., III). Nach der Zeit des Nationalsozialismus (IV.) konnte sich unter dem Grundgesetz, begleitet durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, eine neue differenzierte Medienordnung entwickeln (V.), die aktuell nicht nur mit technischen, sondern vor allem mit gesellschaftlichen Entwicklungen konfrontiert wird, die die Entwicklung neuer Lösungsansätze erfordern (VI.).

I.

MEINUNG UND MEINUNGSFREIHEIT IM 18. JAHRHUNDERT

Eine Theorie der Meinungsfreiheit hat sich an der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert eigentlich nur in England prominent entwickelt, ja, entwickeln können. Dafür steht John Stuart Mill mit seiner Schrift „On

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Liberty“.1 Die Meinungsfreiheit ist nicht primär die Freiheit, sagen und denken zu können, was man will. Jedenfalls die – wie später H. Ridder2 geschrieben hat – öffentliche Meinungsfreiheit ist ein höchst voraussetzungsvolles Recht, d.h. allerdings nicht, dass die Voraussetzungen und Bedingungen der freien Meinungsäußerung ihr primär von außen als gesetzliche Schranken vorgegeben werden müssen. Das Öffentliche der Meinungsfreiheit impliziert von Anfang an eine kollektive Komponente der Selbstorganisation und eine individuelle Komponente der Selbstreflexion, die Fähigkeit zur Selbstzurücknahme, die Unterstellung, dass es mehrere Meinungen geben kann und dass deshalb innerhalb des darauf basierenden – wie G. C. Lichtenberg3 formuliert hat – „Meinungen-Systems“ die Auseinandersetzung nicht nur als Kampf der einen richtigen gegen die anderen falschen Meinungen geführt werden kann. Eine diesem Modell entsprechende Meinungspresse hat es, wie erwähnt, nur in England gegeben. Dem entsprach auch ein Verständnis der Freiheiten, die in England bis heute nur rudimentär rechtlich verfasst sind, das nicht nur an die Bürger adressiert ist, sondern von diesen auch deren gesellschaftliche Institutionalisierung erwartet. 4 Ein liberales Verständnis der Freiheit leugnet nicht, dass Meinungen gefährlich sein können, es unterstellt aber, dass die Menschen als Bürger mit sich in einem produktiven Sinne uneins sind und dass Raum für Selbstkontrolle und Selbstkorrektur, auch durch die vergleichende Beobachtung der anderen, die öffentliche Auseinandersetzung existiert – die aber in England primär der privaten Bildung des Subjekts dient.5

1

John Stuart Mill, On Liberty, 1859.

2

Vgl. näher Ridder, Meinungsfreiheit, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte II, 2. Aufl. 1968, S. 251, 263.

3

Lichtenberg, Aphorismen (Sudelbücher), 1992, F 1222.

4

Vgl. insbes. zu Locke und Wetters, a.a.O., S. 96.

5

Wetters, The Opinion System, Impasses of the Public Sphere from Hobbes to Habermas, 2008, S. 137; vgl. dagegen das einflussreiche Modell der Öffentlichkeit als eines Prozesses der Deliberation von Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, 1962.

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Dies bildet den Bezugsrahmen für ein paradox erscheinendes Verständnis einer Öffentlichkeit der ‚Privatleute‘. Für die „Regulierung“ 6 des „Meinungen-Systems“ durch den Staat bleibt dann nur wenig Raum, im Konfliktfall bleibt eher die gerichtliche Kontrolle am Maßstab der allgemeinen Gesetze, die etwa das Ansehen anderer Bürger schützen. Von einer staatlichen Regulierung i.e.S. kann man eigentlich erst dann sprechen, wenn erstens eine formell institutionalisierte Aufsicht über Medien errichtet wird und zweitens materiell-rechtlich Ziele mithilfe eines Gesetzes verfolgt werden, die den Medien eine „Aufgabe“, eine Funktion zuweisen, die sich nicht in der bloßen Beachtung allgemeiner Gesetze erschöpft, die nicht gegen die Medien als solche gerichtet sind (Ehrenschutz), sondern die Selbstgefährdung durch die Medien selbst verhindern sollen (Konzentration, Unausgewogenheit u.ä. wären dafür die Stichworte). Der Begriff der „Regulierung“ impliziert nach einer gängigen Publikation 1.) eine Standardsetzung durch die Regulierungsnorm, 2.) eine Verhaltenssteuerung unter Ungewissheitsbedingungen (im Gegensatz zur Kontrolle von Monopolen), 3. ein Monitoring und die Sammlung von Informationen über das Verhalten regulierter Unternehmen. Dies ist also ein dynamisches Modell. 7 Insbesondere zum besseren Verständnis der modernen Regulierungskonzeption und der Unschärfe der Abgrenzung von medienspezifischen Zielen und allgemeinen Schranken erscheint es mir erforderlich auch auf ältere Formen der formellen Zensur8 und der Unterdrückung von Meinungs- und Presseäußerungen in früheren Gesellschaftsforma-

6

Vgl. zum Begriff Koop/Lodge, What is Regulation?, 2015, S. 95.

7

Vgl. Baldwin/Cave/Lodge, Introduction, The Field and the Developing Agenda, in: dies. (Hrsg.), Oxford Handbook of Regulation, 2010, S. 3.

8

Vgl. zu deren Weiterentwicklung in einem Verständnis des formalen Schutzes der Meinungsfreiheit Ridder, AfP 1969, S. 882.

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tionen einzugehen.9 In der Beschreibung dieser Formen lassen sich wichtige Bedingungen des Wandels der Medien und ihrer Freiheiten lokalisieren, vor allem ihre Abhängigkeit von dem jeweiligen Gesellschaftsmodell.

II. MEINUNGEN IN DER FRANZÖSISCHEN REVOLUTION UND DIE ZENSUR IN DEN DEUTSCHEN BUNDESSTAATEN DES 19. JAHRHUNDERTS 1. Meinungsfreiheit für die „Freunde des Volkes“ Vor dem skizzierten Hintergrund kann ich mich im Blick auf die Stellung des „Meinungen-Systems“10 auf einige thesenhafte Anmerkungen zunächst zur französischen Revolution beschränken: Die Meinungsfreiheit gehört nach dem Verständnis der Revolutionäre zu den Bürgerrechten. Doch lässt sich an diesem Beispiel gut beschreiben, dass die kollektive Dimension der Meinungsfreiheit, die Wechselseitigkeit der Verbreitung und des Empfangs der Meinungen sehr unterschiedliche Kodierungen zulässt:11 Für die Revolutionäre war schnell evident, dass

9

Vgl. Holtz, Staatlichkeit und Obstruktion, Preußens Zensurpraxis als Kulturphänomen, Acta Borussica, N. F., 2. Reihe Preußen als Kulturstaat, Band 6, Preußens Zensurpraxis von 1819–1848, 1. Halbband, 2015, S. 1.

10 Hierzu Lichtenberg, Aphorismen (Sudelbücher), 1992, F 1222; Wetters, The Opinion System, Impasses of the Public Sphere from Hobbes to Habermas, 2008, S. 188 f. 11 Vgl. Edelstein, The Terror of Natural Right, 2010, S. 260 f.; die Revolution zerstört das alte Zensursystem, von einer Freiheit der Presse kann aber nur vorübergehend die Rede sein. Ab dem Jahr 1793 wurde die Presse unterdrückt, soweit sie nicht der Politik der jeweils die Macht ausübenden Revolutionsführer diente.

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die Monarchisten keine Meinungsfreiheit in Anspruch nehmen konnten, aber auch nicht die jeweils als abweichend wahrgenommenen Revolutionsblätter: Nach St. Just stand der König, der sich über das Gesetz gestellt hatte, außerhalb des Gesetzes und außerhalb des Volkes. Da die Freiheitsrechte sich aus der Volkssouveränität ableiteten, war er folglich rechtlos. Das galt auch für seine Anhänger und damit die monarchistischen Blätter. Die Meinungsfreiheit war eine Freiheit des Volkes und seiner Vertreter – keine Freiheit der Feinde des Volkes. Revolutionäre Journalisten verstanden sich als „avocats du peuple“.12 Nach einer Schätzung aus dem Jahre 1803 hatten politische Zeitungen in ganz Frankreich eine Auflage von ca. 37.000 Exemplaren13 – während der Revolution war die Auflage sicher höher, daneben gab es natürlich noch eine große Zahl von Flugschriften. Allerdings dürfte der Anteil der tatsächlich in die revolutionären Aktivitäten involvierten Bürger eher gering gewesen sein. Doch der Beginn des Regimes der Meinungs- und Pressefreiheit nach dem Ende des Absolutismus zeigt schlaglichtartig, dass die öffentliche Dimension des Grundrechts immer auch die Selbst- und Fremdgefährdung mit sich führt: Der Feind hat keine Freiheit, auch wenn er nur mit Worten kämpft14 – das ist auch die Auffassung der Presse selbst! Das wird in den Schriften von Georg Forster auf die im 20. Jahrhundert u.a. auch von J. Derrida15 gebrauchte Formel gebracht, dass

12 Edelstein, The Terror of Natural Right, 2010, S. 260 f. 13 Popkin, Umbruch und Kontinuität der französischen Presse im Revolutionszeitalter, in: Reinhart Koselleck/Rolf Reichardt (Hrsg.), Die Französische Revolution als Bruch des gesellschaftlichen Bewusstseins, 1988, S. 167, 174. 14 Edelstein,The Terror of Natural Right, 2010, S. 260 f. 15 Derrida, in: ders./Elizabeth Roudinesco, De quoi demain... Dialogue, 2001, S. 138; ähnlich Badiou, Gespräch mit Marcel Gauchet, Philosophie Magazine, Numéro (Hors Série) 21, „Les philosophes et le communisme“, 2014, S. 14, 18.

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die Revolution eben „etwas ganz anderes“ ist. Die öffentliche Meinung ist der Ort der Souveränität des Volkes als „die öffentliche Volksmeinung“, die Unmittelbarkeit der Vernunft, deren Regeln im Ausnahmezustand der Revolution noch unbekannt sind.16 Wer sich außerhalb des „Volkes“ stellt, steht jedenfalls auch außerhalb des Rechts. 2. Zensur und „Preßfreiheit“ im Deutschland des 19. Jahrhunderts Vor diesem Hintergrund lässt sich auch eine Perspektive auf die Pressefreiheit im süd- und südwestdeutschen Konstitutionalismus eröffnen: Die Badische Verfassung von 1818 stellte in § 17 die Gewährleistung der Preßfreiheit unter den Vorbehalt der „künftigen Bestimmungen der Bundesversammlung“17, der alsbald, 1819, durch die „Karlsbader Beschlüsse“ konkretisiert wurde. Diese stellten bekanntlich die Zensur auf eine neue Grundlage: Die Zensur war antithetisch auf die revolutionären Entwicklungen in Frankreich fixiert. Deren Zweck war denkbar weit, insbesondere auf die „Erhaltung des Friedens und der Ruhe in Deutschland“ gerichtet.18 Im Vorausblick auf die neuere Entwicklung zu einem Verständnis der Öffentlichkeit als einer eigenen Sphäre zwischen Staat und Gesellschaft mag der Hinweis genügen, dass das Parlament nicht als Träger der Volkssouveränität verstanden wurde, sondern als eine Vertretung der Gesellschaft der „Privatleute“ gegenüber dem Staat. Der Monarch blieb in Baden wie in den anderen deutschen Staaten alleiniger „Träger der Staatsgewalt“. Im Parlament konzent-

16 Forster, Parisische Umrisse, in: Popp (Hrsg.), Werke X, Revolutionsschriften 1792/3, 1990, S. 593, 595; dazu Wetters, The Opinion System, Impasses of the Public Sphere from Hobbes to Habermas, 2008, S. 31. 17 Abrufbar unter http://www.verfassungen.de/de/bw/baden/baden18.htm (Datum des Abrufs 12.09.2018). 18 Vgl. Protokolle der Deutschen Bundesversammlung, 15. Band, Frankfurt a. M. 1823, § 8, S. 163; dazu gehört z.B. die Aufstachelung zum Hass gegen diejenigen Bürger, die die „Sache der Souveraine“ verteidigen.

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rierte sich auch die Mitbestimmung der Bürger. Sowohl die Versammlungsfreiheit19 als auch eine eigenständige, Öffentlichkeit schaffende Presse wurden als mit dem konstitutionellen System unvereinbar angesehen. Dieser Gedanke der Konzentration der politischen Öffentlichkeit auf das Parlament wurde auch z. Z. der Geltung der Sozialistengesetzgebung20 im deutschen Kaiserreich von 1870 aufrechterhalten. Sozialdemokratische und sozialistische Abgeordnete konnten zwar in den Reichstag gewählt werden, aber sozialdemokratische Schriften wurden verboten. Hier hat sich die Wendung der Pressekontrolle von dem allgemeinen Ziel der „Erhaltung von Ruhe und Ordnung“ entfernt und ausdrücklich eine bestimmte politische Richtung und eine Massenbewegung sanktioniert, die bald durch die Sozialversicherung mit neuen Formen des Wohlfahrtssystems in den Staat integriert werden sollte.

III. DIE PRESSE IM DEUTSCHEN KAISERREICH NACH 1870 Durch die faktische oder rechtliche Abschaffung der Pressezensur im Übrigen entstand im deutschen Kaiserreich ein neues Regime für die Presse. Das allgemeine Polizeirecht (Generalklausel) sowie das Strafrecht wurden nun zur Grundlage der Pressekontrolle. Die durch die Impressumspflicht geschaffene Stellung des „verantwortlichen Redakteurs“ bedeutete für die betreffende Person ein erhebliches persönliches Risiko. Deshalb wurde er auch der „Sitzredakteur“ genannt, da er für strafbare Veröffentlichungen im gesamten Blatt verantwortlich gemacht werden konnte. Zusammen mit der jederzeit bestehenden Möglichkeit der Beschlagnahme von Zeitungen nach dem Polizeigesetz war

19 Zirkler, Das Associationsrecht der Staatsbürger in den deutschen constitutionellen Staaten, 1834. 20 Vgl. nur Maaß, Rainald, Die Generalklausel des Sozialistengesetzes und die Aktualität des präventiven Verfassungsschutzes, 1990.

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das Strafrecht (insbesondere die Ehrenschutzdelikte, §§ 185 ff. StGB) paradigmatisch für das polarisierende Verhältnis von liberaler Presse und Staat. Daneben gab es in Deutschland selbstverständlich auch die reaktionäre Presse, die das Vorgehen des Staates gegen liberale Publikationen ihrerseits durch eine Freund-Feind-Polarisierung unterstützte. Allerdings muss man anerkennen, dass die Stellung der Presse durch die Konzentration der Maßnahmen auf das allgemeine Polizei und Strafrecht statt auf spezielle Zensurgesetze durch eine gewisse Willkür bestimmt war, deren Kehrseite aber darin bestand, dass faktisch die Maßnahmen von Denunziationen abhängig wurden, aber die Sammlung von Information und der Erwerb einer Expertise durch die Zensurbehörden ihre Grundlage einbüßten. Retrospektiv – ausgehend vom modernen Status des Öffentlichen als einer Sphäre zwischen Staat und Gesellschaft – ist interessant zu beobachten, dass der Schutz der Presse eher faktischer Natur war, aber z.B. bei der Interpretation von Strafgesetzen die einschränkende Berücksichtigung der Pressefreiheit zugunsten der Journalisten verworfen wurde. D.h. der Journalist wurde als Privatperson angesehen, die insbesondere bei Ehrverletzungen nicht etwa zu ihrer Entlastung ein öffentliches Interesse an der Aufklärung über bestimmte Vorkommnisse in Anspruch nehmen konnte. 21 Dies lässt sich am besten an der restriktiven Interpretation des besonderen Rechtsfertigungsgrunds der „Wahrnehmung berechtigter Interessen“ bei Ehrverletzungen, § 193 StGB, beobachten: Das Reichsgericht hat jahrzehntelang die Auffassung vertreten, dass Journalisten durch ihre Praxis keine besondere Verantwortung für öffentliche Interessen wahrnehmen. Das gleiche gilt für die Interpretation der Tatbestandsmerkmale der einzelnen Straftatbestände. Dies ist der Hintergrund für die spätere Praxis des BVerfG besondere professionelle Regeln journalistischer Recherche rechtlich zu sanktionieren, also z. B. Verdachtsbe-

21 Vgl. etwa RGSt 5, S. 239; Requate, Kennzeichen der deutschen Mediengesellschaft des 19. Jahrhunderts, in: ders. (Hrsg.), Das 19. Jahrhundert als Mediengesellschaft, 2009, S. 30, 33.

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richterstattung unter bestimmten Voraussetzungen als rechtmäßig anzuerkennen.22

IV. DIE MEDIEN IN WEIMAR UND UNTER DEM NATIONALSOZIALISMUS Über die Weimarer Zeit wäre natürlich einiges anzumerken. Ich will nur erstens auf die Anerkennung der „Polizeifestigkeit“ der Pressefreiheit in der WRV23 und zweitens auf die Politisierung der Strafrechtspraxis24 und drittens die Wiederkehr der Ambivalenz von Kampfpresse und ihrer staatlicher Sanktionierung hinweisen. So hatte die „Berliner Illustrirte“ 1919 ein Foto veröffentlicht, das Friedrich Ebert und Gustav Noske in Badehosen zeigte. Dies war ein Tabubruch, der in der Zeitung wahrscheinlich nicht primär aus politischen Gründen geschah, sondern eher als Sensation. Das Foto hatte verheerende Wirkungen in der Öffentlichkeit und führte immer wieder zu groben Anspielungen, z.B. durch das Winken mit einer Badehose bei Auftritten Eberts. In einem Fall wurde ein rechtsradikaler Journalist wegen einer anzüglichen Referenz auf das berühmte „Badebild“ und wegen der Bezeichnung Eberts als „Fritze Ebert“ deshalb zu einer geringen Freiheitsstrafe verurteilt. Zugleich aber war Gegenstand dieses Verfahrens die Zulässigkeit der Bezeichnung Eberts als „Landesverräters“. Das Landgericht

22 BVerfGE 99, S. 185, 196 f.; BGHZ 143, S. 199, 203; des Rückgriffs auf § 193 StGB bedarf es nicht mehr; dies wird unmittelbar aus Art. 5 Abs. 1 GG abgeleitet; § 193 StGB enthält im Übrigen einen Vorbehalt der Notwendigkeit (BGH, MDR 1953, S. 401), der mit Art. 5 Abs. 1 GG kaum vereinbar wäre. 23 Vgl. Erbguth/Mann/Schuberth, Besonderes Verwaltungsrecht, 12. Aufl. 2015, § 12 Rn. 409. 24 Vgl. Leopold/Hugenberg, The Radical Nationalist Campaign Against the Weimar Republic, 1972.

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Magdeburg25 hat zunächst eine formale Beleidigung bejaht, dann aber in widersprüchlicher Weise den Wahrheitsbeweis der Richtigkeit dieser Behauptung als geführt anerkannt. Formal sei Ebert Landesverräter wegen der Teilnahme an politischen Streikaktionen. Auf Einzelheiten der Beweiswürdigung kann hier nicht eingegangen werden. Dies ist aber ein Fall, in dem man nach der heutigen Rechtsprechung wohl eher von einer gemischten Äußerung ausgehen würde (tatsächliche und wertende Anteile untrennbar verbunden). Auch dies wirft ein interessantes Licht auf die einschlägige Rechtsprechung des BVerfG. Auch hier zeigt sich jedenfalls eine problematische Ambivalenz der strafrechtlichen Schranken der Meinungsfreiheit: Der strafrechtliche Ehrenschutz wird hier dem Geschützten zum Verhängnis, weil die Justiz, wenn sie nicht selbst ihrer deutschnationalen Gesinnung freien Lauf gelassen hat, jedenfalls ein neues Verständnis des Verhältnisses von Meinungsfreiheit und Ehrenschutz in der demokratischen Öffentlichkeit auf eine eklatante Weise verfehlt hat. Die Justiz hat im Grunde – dies lässt sich verallgemeinern – die Entwicklung einer eigenen Logik des Öffentlichen, des „Meinungen-Systems“ verhindert. Die einseitige rechtsgerichtete Politisierung der Presse wurde durch die Pressekonzentration (einschließlich der Dominanz einer Nachrichtenagentur) verstärkt. Die deutschnationalen Zeitungen des HugenbergKonzerns, dessen Eigentümer sich selbst als Politiker verstand, haben die sich neu herausbildende Massenpresse weitgehend dominiert. 26 Das neue Kartellrecht, das selbst kartellfreundlich war, konnte dagegen nicht in Stellung gebracht werden. Als eigenständiges Verfassungsproblem wurde die Pressekonzentration überwiegend nicht angesehen, da Art. 118 der WRV nur die Meinungsfreiheit als Grundrecht garantierte und die Presse als eine Variante der Ausübung der Meinungsfreiheit

25 Vgl. das Urteil des LG Magdeburg, in: Brammer (Hrsg.), Der Prozess des Reichspräsidenten, 1925, S. 128 f. 26 Vgl. Leopold/Hugenberg, The Radical Nationalist Campaign Against the Weimar Republic, 1972.

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betrachtet wurde. Der Einfluss und die Stellung der Presse waren danach rein faktische Phänomene, nicht aber rechtlich relevant. Die Weimarer Republik bildet auch das Terrain für den Aufstieg eines neuen Mediums, des Rundfunks27, der auf eine quasinatürliche Weise in die Hand des Staates geriet: die technischen Bedingungen seiner Verbreitung ließen den Rundfunk zunächst zum Fernmeldeprojekt der Reichspost werden. Die inhaltliche Kontrolle der Programme lag aber beim Reichsinnenministerium, das durch einen Kulturbeirat unterstützt wurde. Das Ministerium hat auch durchaus häufig, und zwar primär zur Abwehr sozialistisch bestimmter Inhalte, interveniert. Die Struktur des Rundfunks hat den Übergang zum Rundfunk als Propagandainstrument erleichtert.28 Nach dem Beispiel der sowjetischen Radiopolitik ist die NS-Medienpolitik eine totalitäre Variante der Entwicklung von Presse und Rundfunk zu Massenmedien, die jede Eigenständigkeit des „Meinungen-Systems“ aufgeben und deshalb auch keine Form der Zensur mehr benötigen. Kein Journalist durfte publizieren, der nicht Mitglied der „Reichsschrifttumskammer“ war (für die Presse zuständig als Teilorganisation: die „Reichspressekammer“). Die Entwicklung zeigt zugleich – dies erlaubt auch einen Ausblick auf das Internet – dass die neuen technisch kodierten Medien keine eigenständige technisch bestimmte Logik entwickeln, sondern im Anschluss an Friedrich Kittler davon auszugehen ist, dass Medien immer ein emergentes, nicht auf eine bestimmet Trajektorie festgelegtes Produkt der Interaktion zwischen Medientechnik, Institutionen und medialen Kommunikationsformaten sind.29 Das hatte auch die Brecht’sche

27 Lerg, Die Rundfunkpolitik in der Weimarer Republik, in: Bausch (Hrsg.), Rundfunk in Deutschland, Band 1, München 1980. 28 Vgl. die Beiträge in: Marßolek/von Saldern (Hrsg.), Zuhören und Gehörtwerden I: Radio im Nationalsozialismus: Zwischen Lenkung und Ablenkung, 1998. 29 Winthrop-Young/Wutz, Translators’ Introduction, in: Kittler (Hrsg.), Gramophone, Film, Typewriter, 1999, S. XI-XXXIX (XX) im Anschluss an F.

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Radiotheorie übersehen, die die Bedeutung der technischen Adressierung von Massen überschätzt hat, auch wenn sie partiell offen für die Beobachtung neuer technische induzierter Möglichkeiten der unmittelbaren Reportage war.30

V. DIE ENTWICKLUNG DER MEDIENFREIHEIT IN DER BUNDESREPUBLIK 1. Auf dem Weg zum „Institut freie Presse“ In der Bundesrepublik hat sich in Bezug auf die Presse zunächst eine Pressepolitik durchgesetzt, die – wie die Landespressegesetze zeigen – gegen eine Regulierung der Presse in Stellung gebracht wurde. In der Rechtswissenschaft wurde auch die ausdrücklich in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG erwähnte Freiheit der Presse z.B. von Ernst Forsthoff 31 eher als ein Recht auf Pressegleichheit (Abwehrrecht) interpretiert, die sich gegen jeden Versuch in Stellung bringen lässt, z.B. besondere Interventionsschwellen für die Pressekonzentration in das Kartellrecht einzufügen, wie dies mit § 38 Abs. 3 GWB geschehen ist. Das BVerfG hat allerdings beginnend mit dem berühmten Lüth-Urteil32 von 1958, wenn auch nicht

A. Kittler; auch Vestin, Die Medien des Rechts 4: Computernetzwerke, 2015, S. 50 f. 30 Brecht zeigt letztlich aber doch eine gewisse Skepsis, da er den gesellschaftlichen Verhältnissen doch eine hemmende Wirkung zuschreibt; vgl. Brecht, Der Rundfunk als Kommunikationsapparat, in: Gesammelte Werke in 20 Bänden, Band 18, 1992, S. 124. 31 Forsthoff, Der Verfassungsschutz der Zeitungspresse,1969, S. 18f. 32 BVerfGE 7, S. 198; für eine stärkere Betonung der institutionellen, d. h. der prozesshaften Seite der Pressefreiheit schon früh dagegen Ridder, Meinungsfreiheit, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte II, 2. Aufl. 1968, S. 264.

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nur für die Presse, sondern auch für individuelle Meinungsäußerungen in seiner Rechtsprechung im Grunde ein funktionales Äquivalent zu einer durchaus pressefreundlichen Regulierung entwickelt. Das Lüth-Urteil enthält mehrere wichtige Grundsätze für die Meinungsfreiheit. Hier ist vor allem die Anerkennung einer rechtlich relevanten Öffentlichkeitsfunktion der Meinungs- und Pressefreiheit wichtig. Nicht die Presse sondern – so könnte man formulieren – die Pressefreiheit hat eine öffentliche Aufgabe, die dann auch bei der Anwendung des Zivil- und des Strafrechts zu beachten ist.33 Ich erinnere an das ältere Verständnis von § 193 StGB. Die Konflikte zwischen Meinungsfreiheit und Ehrenschutz verlagern sich immer mehr aus dem Strafrecht in das Zivilrecht. Was das BVerfG bis in die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts entwickelt hat, ist m. E. theoretisch so zu verstehen, dass das Verständnis der Pressefreiheit sehr stark unter Beobachtung der sozialen Normen insbesondere über das Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit erfolgen muss,34 die die Presse selbst durch ihre professionelle Praxis entwickelt, z.B. gilt dies für die Unterhaltungsöffentlichkeit,35 die Verdachtsberichterstattung,36 besondere Äußerungsformen wie die Satire,37 aber auch den Schutz des Pressearchivs38 (Berücksichtigung des Informantenschutzes), des Pressegrossos39 u.ä. Im Spiegel-Urteil spricht das BVerfG erstmals vom „Institut freie Presse“.40 Helmut Ridder hat diesen Gedanken zugespitzt in der For-

33 Vgl. nur BVerfGE 7, S. 198, 208; 20, S. 162, 174f. (SPIEGEL-Urteil); 60, S. 234, 239. 34 Vgl. z.B. die Caroline-Rechtsprechung BVerfGE 97, S. 125; 101, S. 362; 120, S. 180; allg. Ladeur, Das Medienrecht und die Ökonomie der Aufmerksamkeit, 2007. 35 Vgl. dazu Ladeur, NJW 2000, S. 1981. 36 BVerfGE 99, S. 185, 196 f.; BGHZ 143, S. 199, 203. 37 BVerfGE 81, S. 278; 82, S. 1; 86, S. 1. 38 BVerfGE 20, S. 162, 174f. 39 BVerfGE 77, S. 346. 40 BVerfGE 20, S. 162, 175.

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mulierung, das Grundrecht der Pressefreiheit sei ein „impersonales Recht“41, man kann auch vom Schutz eines Prozesses der Meinungsbildung sprechen – dies schließt abgeleitete personale Rechte selbstverständlich nicht aus. Die Medienfreiheiten erhalten eine funktionale Wendung – diesen Gedanken hat die ältere Rechtsprechung zu § 193 StGB, wie erwähnt, immer entschieden verworfen. 2. Die Herausbildung der Sphäre des „Öffentlichen“ Wenn man die Rechtsprechung der 70er Jahre vor allem zum Demokratiemodell des GG, im KPD-Verbots-Urteil42 und weniger unmittelbar zur Meinungs- und Pressefreiheit selbst genauer liest, so zeichnet sich allmählich ein systematisches Verständnis der Öffentlichkeit als einer eigenständigen Sphäre der Gesellschaft ab.43 D. h. es unterstellt ein institutionalisiertes System „konzentrischer Kreise“ 44, in deren Mitte das staatliche Entscheidungssystem steht, das vom System der Parteien und öffentlichkeitsorientierten Verbände umgeben ist. Den nächsten Ring bilden insbesondere die Medien, die vor allem die Funktion haben, die informationelle Vorstrukturierung von politisch-gesellschaftlichen Optionen zu leisten, die von den Parteien durch Formulierung zu entscheidungsfähigen Alternativen bearbeitet werden. Den äußeren Ring bilden die Institutionen der Privatgesellschaft wie die unpolitischen Vereine, Verbände, Unternehmen, Familie, Märkte, Nachbarschaften etc. Das Mediensystem und die plurale Öffentlichkeit bilden ein Scharnier zwischen der Privatsphäre und der entscheidungsorientierten Öffentlichkeit des Staates im engeren Sinne. Ob diese Sichtweise zutreffend ist, vor allem ob sie dem gegenwärtigen System entspricht, soll zunächst dahingestellt bleiben. Wichtig ist aber die Fest-

41 Ridder, Die soziale Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 85 f.; Augsberg, AöR 138 (2013), S. 493. 42 BVerfGE 5, S. 85. 43 Vgl. dazu m.w.N. Ladeur, Journalistik 2000, S. 442. 44 Vgl. Ladeur, Journalistik 2000, S. 442.

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stellung, dass die an das Mediensystem gestellten Anforderungen mindestens auch von den Erfordernissen des Aufbaus und der Reproduktion einer kollektiven Ordnung bestimmt werden. Auch wenn das Modell idealisierend oder fiktiv erscheint, so hat es doch eine produktive Orientierungsleistung darin,45 dass es sowohl der Rechtsprechung zur Pressefreiheit als auch zur Regulierung des Rundfunks Konturen gibt, die eine Ausdifferenzierung des Regelwerks für die Medien erlauben. 3. Insbesondere der Rundfunk Daraus lassen sich auch Form und Struktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks46 gewinnen: dieser organisiert teilweise ausdrücklich Rückkopplungseffekte zum Publikum, zu den anderen Ringen der Meinungs- und Willensbildung, also zu den Parteien insbesondere. Dieser Bereich der Medienverfassung ist stark von der Rechtsprechung des BVerfG geprägt, aber natürlich auf dieser Grundlage auch durch die Gesetzgebung, vor allem durch die Rundfunkgesetze der Länder. Das genannte Zusammenspiel von Rechtsprechung und Gesetzgeber belegt m. E., dass man auch die Rolle der Rechtsprechung wegen ihrer maßstabsbildenden Funktion als eine Variante der Regulierung bezeichnen kann – vor allem dann, wenn man, wie ich es hier getan habe, die Bildung dieser Maßstäbe als von der Kooperation mit den Medien und einer Koordination mit den professionellen Regeln der Produktion von Öffentlichkeit bestimmt sieht. Das System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist sehr voraussetzungsvoll. Und das bedeutet, dass es in mehrfacher Hinsicht selbst gefährdet ist, vor allem wegen der Komplexität der Rückkopplungen zu den gesellschaftlichen Gruppen, den Parteien insbesondere, die die Permeabilität des Rundfunks für die unterschiedlichen politischen Strömungen und kulturellen Kräfte in der Ge-

45 Vgl. BVerfGE 12, S. 205; 57, S. 295, 327; 73, S. 118, 182 f.; 83, S. 238, 322 f. 46 Vgl. BVerfGE 12, S. 205; 57, S. 295, 327; 73, S. 118, 182 f.; 83, S. 238, 322 f.

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sellschaft gewährleisten müssen. Eine zentrale Aussage in der Rundfunkrechtsprechung ist der Rekurs auf das „Zu-Worte-Kommen“ der Vielfalt der Gruppen der Gesellschaft. Ein gravierendes Problem bestand und besteht – um im Bild der konzentrischen Kreise zu bleiben – in der Verstärkung der Rückkopplung an die Parteien. Der Einfluss schlägt sich natürlich auch in der Personalpolitik nieder. Versuche, die Programmaufsicht stärker zu verrechtlichen und das Gebot der Ausgewogenheit zu einem justiziablen Rechtsgebot zu machen, sind in den 70er Jahren zu beobachten gewesen. Sie sind aber glücklicherweise gescheitert.47 4. Die Krise des Öffentlichen und des öffentlichrechtlichen Rundfunks in der jüngsten Zeit Die Aufsicht durch die Rundfunkräte leidet – außer an der Dominanz der Parteien – daran, dass die expansive Radio- und Fernsehproduktion praktisch von ehrenamtlich arbeitenden Gremien nicht mehr bewertet werden kann.48 Zur Verbesserung der internen Kontrolle bedürfte es einer stärkeren Professionalisierung, an der paradoxerweise die professionellen Kräfte innerhalb des Rundfunks, aber auch die politischen Parteien kein Interesse habe. Die Veränderung des Parteiensystems, d.h. insbesondere die Angleichung von CDU und SPD, hat auch dazu geführt, dass damit ein ambivalentes, aber produktives Gegengewicht zu der Eigendynamik der Professionalisierung der Programmproduzenten entfällt. Dies lässt sich etwa daran festmachen, dass in den vom NDR produzieren Nachrichtensendungen die CSU sehr häufig in der Berichterstattung mit einem stark polemischen Ton bedacht wird, ohne dass dies offenbar im Rundfunkrat zur Sprache gebracht wird – wahrscheinlich weil die CDU-Vertreter finden, dass der CSU ganz recht geschieht. Ein Symptom für die Abkopplung der Programmproduzenten von der Vielfalt der gesell-

47 Vgl. VG Mainz, JZ 1979, S. 303 m. zust. Anm. Christian Starck. 48 Vgl. nur Hahn, Caroline, Die Aufsicht des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, 2010, insbes. S. 149 f.

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schaftlichen Gruppen ist die Tatsache, dass in einem Gutachten zu den Aufgaben des ZDF unter den gewandelten Bedingungen der Medienberichterstattung (Expansion ins Internet) von Dörr/Holznagel/Picot49 für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine normative „Integrationsaufgabe“ postuliert wird, die alle bisherigen Kompetenzgrenzen der Öffentlichrechtlichen im Internet unterläuft. Bezeichnend ist die Tatsache, dass in diesem Gutachten nicht einmal das Stichwort des faktischen „Zu-Worte-Kommens“50 der unterschiedlichen gesellschaftlichen Denkweisen vorkommt! Sektoral ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk wegen seiner unkritischen bis manipulativen Berichterstattung über die Flüchtlingskrise angegriffen worden.51 Ich glaube, mit Recht. Diese Kritik hat praktisch keine Resonanz innerhalb der öffentlich-rechtlichen Veranstalter gehabt. Das ZDF hat sich in einer Untersuchung allgemein die „Glaubwürdigkeit“ seiner Informationen attestieren lassen,52 aber die Fragestellung jedenfalls in der öffentlichen Berichterstattung nicht etwa nach Themenfeldern differenziert – dies muss man als manipulativ bezeichnen. Die Dysfunktionalität der Binnenaufsicht über die Programme, wenn CDU und SPD die gleiche Politik verfolgen, lässt sich am Beispiel

49 Dörr/Holznagel/Picot, Legitimation und Auftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Zeiten der Cloud, 2016. 50 BVerfGE 12, S. 205, 262 f.; 31, S. 314, 325 f.; diese Seite der Reproduktion der Meinungen „wie sie sind“ ist in einer Demokratie sehr wichtig, zumal herrschende Meinungen die Tendenz haben, sich als beinahe als „das, was ist“, zu präsentieren; Wetters, The Opinion System, Impasses of the Public Sphere from Hobbes to Habermas, 2008, S. 141. 51 Immerhin hat der Rundfunkrat in der jüngsten Zeit zwei Talkshows (Maischberger, Plasberg) wegen „populistischer“ Überspitzung kritisiert, http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/wdr-rundfunkrat-kritisiert-mai schberger-und-plasberg-15308511.html (Datum des Abrufs: 12.09.2018). 52 Vgl. Pressemitteilung vom 09.06.2017, abrufbar unter https://presseportal. zdf.de/pressemitteilung/mitteilung/zdf-umfragen-grosses-vertrauen-in-dieglaubwuerdigkeit-der-oeffentlich-rechtlichen/ (Datum des Abrufs: 11.09. 2018).

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der Befassung mit den Programmbeschwerden aus Anlass der Berichterstattung über die Flüchtlingskrise belegen: Der Vorwurf der Einseitigkeit ist teilweise recht detailliert belegt worden, aber der zuständige Ausschuss etwa des Rundfunkrats des WDR hat sich nicht veranlasst gesehen, eine fachliche Expertise anzufordern, sondern hat aus eigener Kenntnis (oder Unkenntnis) entschieden und die Programmbeschwerde verworfen.53 Auch die Aufsicht der Landesmedienanstalten über die privaten Veranstalter stößt schnell an Grenzen. Nach einigen Versuchen, besonders anstößige, die Menschenwürde gefährdenden Sendungen von RTL oder SAT 1 zu sanktionieren54, ist der Widerstand gegen das Unterlaufen eines Minimalstandards der Berichterstattung praktisch aufgegeben worden.55 Auch dazu trägt nach meiner Meinung die mangelnde Unterscheidung von CDU und SPD bei: Insbesondere die CDU sieht ihre Funktion nicht mehr darin, bestimmte bürgerliche Werte zu verteidigen. Nach meiner Ansicht wäre es erforderlich, die Schwächung der materiellen Pluralisierung der Programmbildung durch eine prozedurale Evaluation ex post und zwar sowohl innerhalb des Rundfunkrats als auch durch die Institutionalisierung von Evaluationsverfahren zu kompensieren, die Schwerpunkte anhand der Programmbeschwerden bilden sollten. Jedenfalls lässt sich festhalten, dass die Äquilibristik des öffentlichrechtlichen Systems der Gewährleistung des „Zu-Worte-Kommens“ unterschiedlicher gesellschaftlicher Kräfte erheblich gestört ist. Das hängt auch mit der Fragmentierung der Öffentlichkeit zusammen, die ihre Wirkungen über das Internet hinaus ausübt.

53 Vgl. Ladeur, Das System der Meinungen, Der öffentlich-rechtliche Rundfunk als moralische Anstalt?, Medienkorrespondenz v. 21.4.2017, abrufbar unter

https://www.medienkorrespondenz.de/leitartikel/artikel/das-system-

der-meinungen.html (Datum des Abrufs: 12.09.2018). 54 Vgl. allg. zur Programmaufsicht Cornils, in: Binder/Vesting (Hrsg.), Beck’scher Kommentar zum Rundfunkrecht, 4. Aufl. 2018, § 41 Rn. 43f. 55 Vgl. noch di Fabio, Der Schutz der Menschenwürde durch allgemeine Programmgrundsätze, 2000.

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VI. (K)EIN NEUES RECHT FÜR DIE NEUEN NETZWERKE? 1. Ende des Persönlichkeitsschutzes im Netz? Die Erosion der Grenzen des Sagbaren ist in dem fragmentierten „Netzwerk der Netzwerke“ des Internet mit Händen zu greifen. Persönlichkeitsverletzungen sind im Internet endemisch geworden. Lange vor der Diskussion über Fake-News ließ sich beobachten, dass im Internet die historisch geltenden sozialen Konventionen keine Beachtung mehr finden und vor allem der private Ehrenschutz so gut wie außer Kraft gesetzt worden ist. Gerade wegen der Vielzahl der Persönlichkeitsverletzungen, die am Filter der klassischen Medien vorbeigeschleust werden, resignieren die Betroffenen offenbar vor den Mühen des gerichtlichen Schutzes. Deshalb funktioniert die Fremdkontrolle des gerichtlichen Schutzes vor rechtswidriger Internetkommunikation nur noch in engen Grenzen. Es darf nicht übersehen werden, dass auch der gerichtliche Ehrenschutz von der Existenz praktischer, über die Selbstbeobachtung der Medien generierter (und durch die Herausbildung journalistischer Grundsätze abgestützter) sozialer Normen abhängt. Diese Normen müssen auch vom allgemeinen Publikum mehr oder weniger akzeptiert und gebilligt werden. Wenn zum Beispiel die Verurteilung eines Politikers, wie etwa des Niederländers Geert Wilders wegen der als herabsetzend angesehenen öffentlichen Frage an Sympathisanten, ob sie mehr oder weniger Marokkaner in Holland wünschen, als eine Art Trophäe gefeiert wird, funktioniert der Ehrenschutz nicht mehr und wird die öffentliche Meinungsbildung gefährdet. Daran geht das NetzDG völlig vorbei.56 Das Problem des Persönlichkeitsschutzes im Internet ist nicht mit massenhaften Löschungen problematischer Äußerungen zu bewältigen.

56 Vgl. Müller-Franken, AfP 2018, S. 1; Peifer, AfP 2018, S. 14; Gersdorf, MMR 2017, S. 439.

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Es bedarf der Wiederherstellung grundlegender geteilter sozialer Standards. So wäre zu überlegen, ob nicht die weitgehende Haftungsfreistellung der Serviceprovider für die Verbreitung von Persönlichkeitsverletzungen davon abhängig gemacht werden könnte, dass sie zur Klärung von Rechtsstreitigkeiten zwischen Nutzern und Dritten jeweils einen auf Neutralität angelegten privaten „Cyber Court“ als eine Art Schiedsgericht einrichten57, das einen kostengünstigen, nach prozedural vereinfachten Regeln (nur elektronische Kommunikation, gegebenenfalls Beteiligung des Äußernden auch unter Nutzung eines „Avatars“) zu gewährleistenden privaten Rechtsschutz ermöglichen würde. Man könnte sich auch vorstellen, bestimmte Gruppen, die sich für den Schutz der Meinungsfreiheit einsetzen, auch ohne unmittelbare Betroffenheit zu solchen Verfahren zuzulassen – in den USA nennt man dies „amicus curiae“. Wenn ein solches schiedsgerichtliches Verfahren eingerichtet worden ist, würden alle „Privilegierungen“ formeller und materieller Art auch auf die neuen (sozialen) Medien erstreckt. Die staatlichen Gerichte würden dann als eine Art zweite Ebene der Streitentscheidung Grenzen der Selbstregulierung setzen, produktive Muster verstärken, die Suche nach neuen prozeduralen Formen anregen etc. 58 Wer sich diesem Modell nicht unterwerfen würde, wäre so zu behandeln, als ob er nur private Interessen wahrnähme und sich nicht auf eine öffentliche Aufgabe der Meinungsbildung unter den gewandelten Bedingungen

57 Ladeur, Neue Institutionen für den Daten- und Persönlichkeitsschutz im Internet, „Cyber-Courts“ für die Blogosphere (insbesondere „Social Media“ wie Facebook), DuD 2012, S. 771. 58 Auch für das Recht der Intermediäre wie Google, Facebook etc. bedarf es eines neuen „Netzwerkrechts“, das in erster Linie prozedural angelegt sein und mit Formen der Selbstregulierung experimentieren müsste, vgl. allg. aus zivilrechtlicher Sicht Wielsch, ZGE 2018, S. 1; aus öffentlichrechtlicher Sicht Gersdorf, BayVBl 2015, S. 625; Ladeur, Philogogie im Netz (PHIN) 2017, Beiheft 12, S. 4, abrufbar unter http://web.fuberlin.de/ phin/beiheft12/b12t02.pdf (Datum des Abrufs: 12.09.2018).

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einlassen wollte. Dann wären auch weiterreichende Löschungsmöglichkeiten ohne Anhörung des Betroffenen akzeptabel. Dann könnten und müssten wir damit leben, dass eine Art Rotlichtbezirk im Internet entsteht, für den andere Regeln gelten als für die übrige Internetkommunikation. 2. Die Hybridisierung der digitalen Formen der Kommunikation: Aufhebung aller Trennungen? Das Ziel der Erhaltung (und Herstellung) der Pluralität der Kommunikationsinhalte ist seit dem Beginn von Multimedia um das Ziel der Gewährleistung des Zugangs zu technischen Plattformen der Verbreitung von Kommunikationen ergänzt worden. Die Einebnung der Unterschiede zwischen Telemedien und Rundfunk wird in Zukunft dazu führen müssen, dass auch die Unterschiede zwischen der intensiveren Regulierung der Rundfunkdienste (Werbung) und der weichen Regulierung der Telemedien reduziert werden. 59 Die technologische Hybridisierung durch Vermischung der digitalen Zeichen muss auch in der Regulierung berücksichtigt werden.60 Wahrscheinlich kann es nur noch eine sehr eingeschränkte Regulierung ex ante geben. An deren Stelle kann eine prozeduralisierte Lösungsvariante treten, ein Monitoringverfahren, das um eine Regulierung ex post, von Fall zu Fall ergänzt wird. Auch die Unterscheidung zwischen linearen und nicht-linearen Diensten der Anbieter sollte als zu starr aufgegeben werden, stattdessen könnte aus der Nutzerperspektive darauf abgestellt werden, ob ein Dienst linear oder nicht-linear benutzt wird, d.h. die Regulierung könnte aufgrund der unterschiedlichen Nutzergewohnheiten (Springen von Inhalt zu Inhalt vs. programmartige dauerhafte Nutzung eines Diens-

59 Vgl. zur Entwicklung „hybrider“ Dienste, die Fernsehen und Telemedien auf unterschiedliche Weise verbinden, z. B. Fernsehen und personalisierte Werbung in den Formaten der Telemedien, Boos, MMR 2012, S. 364; Broemel, MMR 2013, S. 83. 60 Vgl. Bauer, Telecommunications Policy 2014, S. 662.

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tes) unterschiedlich ausfallen. Die Medientechnologien dürfen nicht auf ihre technologische Seite reduziert werden. Die Fragmentierung der Mediendienste steht in einem Entsprechungsverhältnis zur Fragmentierung der Öffentlichkeiten und der Wahrnehmung der Ablösung der einen Wirklichkeit durch eine Vielzahl von Möglichkeiten und der Foren ihrer Veröffentlichung. Daraus kann dann ein Risiko für das politische System entstehen, wenn die politische „Entscheidungsöffentlichkeit“ sich mehr und mehr auf die eine „moralische Öffentlichkeit“ stützt, die durch das linksliberale Bürgertum hervorgebracht und als allein maßgebend durchgesetzt wird. Die „Gemeinschaft“ der sog. Filterblasen, in denen nur noch eine Meinung gilt und die Selbstreflexivität des „Meinungen-Systems“ verschwindet, ist auch ein Ersatz für den Zerfall der pluralen Öffentlichkeit der Gruppen, deren Foren das „ZuWorte-Kommen“ aller relevanten Meinungen erlaubt haben. Trump adressiert per Twitter die unmittelbare Präsenz seiner Anhänger an den klassischen Foren der Medienöffentlichkeit vorbei, auf deren Vermittlungsleistung seine Art von Politik nicht angewiesen sein will. Er ist tatsächlich das unmittelbare Andere der linksliberalen Öffentlichkeit. Trotz aller Risiken der neuen Kommunikationsmedien muss aufgrund der auch hier skizzierten politischen Risiken der staatlichen Regulierung nach einer neuen Form der Prozeduralisierung der Medienkontrolle gesucht werden. Das Ziel der Medienregulierung kann nur darin bestehen, den kulturellen Möglichkeitsraum offen zu halten und die Reflexionsspielräume der Individuen jenseits eines leeren Individualismus und der Selbstverstärkung herrschender Meinungen zu erhalten und zu erweitern.61 Dazu gehört auch die Förderung von Innovationen durch institutionelle Beobachtung der Medien.

61 Wetters, The Opinion System, Impasses of the Public Sphere from Hobbes to Habermas, 2008, S. 233.

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3. Wandel der Form des Subjekts? Der „Singuläre“ und seine Freiheit Allerdings hat sich in meinem kursorischen Überblick schon mehrfach gezeigt, dass die Beobachtung der Medien auch die Aufmerksamkeit für grundlegende, soz. infrastrukturelle Veränderungen der Form der Subjektivität, des „Individuums der Gesellschaft“ (M. Schroer), verlangt. In der gegenwärtigen Kultur stellen sich Subjekte zunächst eher als „Einzelne“, als Singuläre dar, wie dies vor allem der französische Philosoph Jean-Luc Nancy62 prominent vertreten hat. In Deutschland wird dies vor allem, wenn auch mit einem eher soziologischen und weniger philosophischen Referenzrahmen von Andreas Reckwitz63 vertreten. Prägend ist vor allem die Vorstellung, dass der Einzelne, der Singuläre, anders als in früheren kulturellen Epochen nicht mehr als Partikularität, als das oder der Besondere unter eine universelle Ordnung oder eine diese Ordnung repräsentierende Institution subsumiert werden will oder kann. Bei Nancy bildet sich das Singuläre des Singulären geradezu im Widerstand gegen die Institutionen, die Regel und das Regelhafte, und bringen darin eine ganz andere namenlose Gemeinschaft in Anschlag, die aber nicht politisch bewusst hergestellt werden kann, sondern auf ein ganz Anderes verweist, das immer „im Kommen“ ist: „à venir“. Reckwitz beschreibt als Soziologe eher die kulturellen Phänomen einer ständigen Bemühung des Einzelnen, seine Singularität in Unterscheidungen des Konsums, der Lektüre, der Körperlichkeit einschließlich der „sexuellen Orientierung“ so zu stilisieren, dass sie nicht als Allgemeines erscheinen kann. Diese Fixierung auf eine „narzisstische Intensität“ (C. Leguil) ist eher ein Krisenphänomen, das als Reaktion gegen die globale Uniformisierung verstanden werden kann, aber auch als ernsthafte Herausforderung gesehen werden muss. Sie bedeutet nicht mehr und nicht weniger als eine weitere Veränderung der Herausbildung gesellschaftlicher Subjektivität. Man könnte

62 Nancy, Être singulier pluriel, 2013. 63 Reckwitz, Die Gesellschaft der Singularitäten, 2017.

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sich allerdings vorstellen, dass diese Fixierung sich mit der Herausbildung der Gesellschaft der Daten jedenfalls bei einem nennenswerten Teil der Individuen abschleifen wird. Das bedeutet auf dem Hintergrund der hier vertretenen kognitivistischen Theorie, dass die Kontingenzen der objektiven gesellschaftlichen Prozesse wie der subjektiven Beobachtung der Gesellschaft auf der Suche nach haltbaren orientierungsbildenden Mustern in der „Gesellschaft der Daten“64 ein hohes Maß an Selbstdistanzierung und Kompromissbereitschaft in Prozessen der Konstruktion von Ordnungsmustern im Experiment erfordern und dass dies auch partiell akzeptiert wird. Die Komplexität des Wandels kann möglicherweise auch von dem neuen „relationalen Subjekt“ (Charles Ess) dann ausgehalten werden, wenn seine Erfahrungen mit der Konstruktion seines Selbst unter Bedingungen von Ungewissheit reflektiert und eine eher experimentelle, verteilte Form der eigenen Subjektivität annimmt.

VII. AUSBLICK: NEUE FORMEN PROZEDURALER REGULIERUNG UND DIE FÖRDERUNG DER INNOVATIONEN Für das Internet müssten weitere netzspezifische Regulierungsvarianten entwickelt werden. So lassen sich problematische Interventionen durch die Verbreitung von Fake-News mithilfe künstlicher Intelligenz offenbar relativ sicher identifizieren und ggf. blockieren. 65 Damit wäre ein größerer Teil des Problems zu lösen. Insbesondere im Hinblick auf problematische Erscheinungen der Medienberichterstattung, wie sie

64 Vgl. die Beiträge in: Süssenguth (Hrsg.), Die Gesellschaft der Daten, 2015. 65 Facebook Information Operations abrufbar unterhttps://fbnewsroomus. files.wordpress.com/2017/04/facebook-and-information-operations-v1.pdf (Datum des Abrufs: 12.09.2018).

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Gegenstand der Tagung waren, auf der die hier entwickelten Vorstellungen präsentiert worden sind, ließe sich auch ein System der Förderung von Qualitätszeitungen durch eine staatliche Subvention vorstellen – unter der Voraussetzung, dass die Medien selbst ein System der Selbstbeobachtung nach selbstbestimmten Qualitätsstandards entwickeln.66 Auch hier stellt sich ein Problem der Überwirkung der Grenzüberschreitungen der Internetkommunikation in die herkömmlichen Massenmedien. Die Medien existieren nicht unverbunden nebeneinander! Ich muss es bei diesen apodiktischen Anmerkungen bewenden lassen. Ein Hinweis liegt mir aber noch am Herzen! Und zwar ein Hinweis auf den Wandel in der Rechtsprechung des BVerfG zur Meinungsfreiheit. Ich hatte die Rechtsprechung des BVerfG zur Meinungsfreiheit von den Anfängen des Lüth-Urteils bis zu den 80er Jahren als einen Prozess der Entfaltung der institutionellen, prozesshaften Dimension der Meinungsbildung charakterisiert. M. E. schlägt sich die Tendenz zur Auflösung des Modells der konzentrischen Kreise und der Übergang zu einer starken Fragmentierung der sozialen Normen oder gar zu ihrer Auflösung in einer Tendenz der Rechtsprechung zur „Entinstitutionalsierung“ nieder: Ich kann das nur knapp und pointiert auf den Begriff bringen: In der neueren Rechtsprechung der zuständigen 3. Kammer des 1. Senats werden die öffentlichen Bezüge der Kommunikation weitestgehend zum Verschwinden gebracht. Die Meinungsfreiheit ist die Freiheit des „nomadisierenden Individuums“, das sich durch den Respekt vor den Persönlichkeitsrechten anderer keine Schranken zu setzen braucht, solange es irgendein „Anliegen“ verfolgt67 – und wann ist das schon nicht der Fall! Das Individuum wird zu einer „Singularität“, das sich von der Beobachtung der Herausbildung neuer sozialer Normen weitgehend absolviert hat. Der Konflikt zwischen dem Ehrenschutz und der Meinungsfreiheit wird nicht mehr durch Kollisionsregeln be-

66 Ladeur, Journalistik 2000, S. 442. 67 BVerfG, AfP 2016, S. 431; vgl. Ladeur, AfP 2016, S. 402; BVerfG, NJW 2014, S. 764.

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arbeitet, sondern aufgelöst durch die Beseitigung des Ehrenschutzes. Damit wären wir dann beim Gegenteil dessen angelangt, was die Rechtsprechung des 19. Jahrhunderts für richtig gehalten hat: der Abwertung des Persönlichkeitsschutzes und der Bedeutung der etablierten kollektiven Normen.

Immersiver Journalismus und Marktzugangsregulierung oder die Frage der Auffindbarkeit Laura Marie Braam

Die Medienrealität wandelt sich dramatisch – Formen des immersiven Journalismus zeigen dies einmal mehr. Neue Technologien treten in immer kürzeren Abständen auf den Markt, Geschäftsmodelle von Medienunternehmen und die Arbeitsweise von Journalisten verändern sich und mit alldem auch das Nutzungsverhalten der Rezipienten: Alle erdenklichen Inhalte sind überall und stets für uns verfügbar – und das vor allem auf allen Endgeräten. Der Medienwandel macht die Medienaufsicht voraussetzungsvoll, aber nicht absolet. Im Kern gilt es Menschenwürde, Nutzerschutz und Meinungsvielfalt zu bewahren. Zudem ist für die Regulierung von Vielfalt eine Perspektivenerweiterung angebracht: Über die fernsehzentrierte Marktzugangsregulierung hinaus zu einer „Verbraucherauffindbarkeitsregulierung“.

I.

WANDEL – DAS EINZIGE KONTINUUM?

Nach der Öffnung des Marktes für kommerzielle elektronische Medien vor inzwischen rund 30 Jahren und des Web 2.0 für eine partizipative Kultur des Netzes erleben wir uns im stetigen Medienwandel. Oft hört

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man die Befürchtung, dass auch die Medien in der Digitalisierung aufgehen werden. Das Disruptive scheint das alles Bestimmende zu sein; Wandel das einzige Kontinuum. Oftmals wird dann auch die Behauptung geäußert, dass sich Medien insbesondere aufgrund ihres globalen Charakters nicht mehr sinnvoll regulieren ließen. In einem Atemzug wird die Frage aufgeworfen, ob es noch eines eigenen Rechtsrahmens für Medien bedarf und ob dieser gerade durch die föderal strukturierte Medienaufsicht sinnvoll durchgesetzt werden kann.

II. DIE AUFGABE DER MEDIENREGULIERUNG Diese Frage ist zulässig, da weder das Medienrecht noch die Aufsicht über die Medien ein Selbstzweck sind, der sich aus ihrer bloßen Existenz rechtfertigt. So ist es auch Aufgabe der Medienregulierung in diesem intensiven Wandel und Veränderungsprozess zu prüfen, welche grundlegende Rolle ihr obliegt. Bei besonnener Prüfung lässt sich jedoch zweifelsfrei feststellen, dass die Aufgabe der Medienaufsicht dem Schutz der Medien selbst dient und gerade diese Kernaufgabe nicht dem stetigen Wandel unterliegt. Aus Sicht der Medienregulierung gibt es vielmehr ein Kontinuum, dass es heute wie morgen zu schützen gilt: Dies ist der Erhalt der zentralen Werte für die eine Medienordnung aufgebaut wurde; denn wir glauben weiterhin, dass eine demokratische Gesellschaft ein funktionierendes und freies Mediensystem braucht. Für dieses Funktionieren lassen sich vier essentielle Aspekte herauskristallisieren: Der Schutz der Menschenwürde, der Schutz der Jugend, der Schutz der Nutzer und der Schutz der Vielfalt. Diesen Gütern Geltung zu verschaffen ist die vorderste Aufgabe der Medienaufsicht im Sinne eines effektiven Medienschutzes. Wenn diese Güter weiterhin als schutzwürdig betrachtet werden, so ist eine Regulierung, die sich an diesen Konstanten orientiert, gerade kein Selbstzweck.

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III. DIE FRAGE DER SCHUTZBEDÜRFTIGKEIT Es ist also die Frage zu stellen, ob die genannten Schutzgüter noch schutzbedürftig sind. Dazu ist zunächst eine nüchterne Betrachtung der medialen Wirklichkeit angezeigt. 1. Schutz der Nutzer Mit Blick auf den Schutz der Mediennutzer lässt sich die folgende Beobachtung machen: • Die Grenzen zwischen Inhalt und Werbung werden immer fließen-

der. Beim sogenannten „native advertising“ werden Inhalte so angeboten, dass sie nur schwer von redaktionellen Artikeln zu unterscheiden sind. • Die Zielgruppe der Werbetreibenden wird immer jünger. Gerade junge Menschen können aber gesponserte Inhalte oftmals nicht erkennen und werden durch fehlende oder unzureichende Werbekennzeichnungen in Online-Angeboten in die Irre geführt. Dies zeigt, dass der Handlungsbedarf, den werberechtlichen Trennungsgrundsatz und die Kennzeichnungspflicht für werbliche Inhalte (§ 7 Abs. 3 S. 1 Rundfunkstaatsvertrag [RStV]) durchzusetzen, auch online besteht.1 Die Frage nach der Schutzbedürftigkeit der Nutzer und Verbraucher ist also eindeutig mit Ja zu beantworten. 2. Schutz der Menschenwürde und der Jugend Für die Menschenwürde und die Jugend lässt sich diese Frage ebenfalls positiv beantworten. Ihr Schutz in den Online-Medien ist die größte

1

Vgl. hierzu den Beitrag von Habel, Immersiver Journalismus und Werberecht, S. 141 in diesem Band.

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Herausforderung und die beträchtliche Anzahl an Verstößen etwa in Form von strafbaren Äußerungen und ein oftmals nicht vorhandenes Unrechtsbewusstsein stellt die Medienaufsicht vor neue Herausforderungen. Rücksichtslosigkeit und Meinungsfreiheit werden häufig verwechselt. Die Landesanstalt für Medien NRW hat im Mai 2017 und Juni 2018 Forsa-Studien durchgeführt, bei der sich die Wahrnehmungshäufigkeit von Hassrede als unverändert hoch dargestellt hat: Rund zwei Drittel aller Befragten wurden nach der Studie aus dem Jahr 2017 schon einmal mit Hassrede in sozialen Netzwerken, Internetforen oder Blogs konfrontiert; im Jahr 2018 stieg die Zahl sogar auf 78% an. Bei der Gruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen (14-24 Jahre) sind es aktuell sogar 96%.2 Dies belegt, Hassrede ist und bleibt unverändert ein gesamtgesellschaftliches Problem, vor allem in der Gruppe der Jugendlichen und Heranwachsenden.3

2

Abrufbar unter https://www.medienanstalt-nrw.de/fileadmin/user_upload/lf m-nrw/Foerderung/Forschung/Dateien_Forschung/forsaHate_Speech_2018 _Ergebnisbericht_LFM_NRW.PDF (Datum des Abrufs: 12.09.2018), siehe auch https://www.medienanstalt-nrw.de/fileadmin/user_upload/lfm-nrw/Fo erderung/Forschung/Dateien_Forschung/forsa_Hate_Speech_2018.pdf (Dat um des Abrufs: 12.09.2018).

3

Bestätigt wird diese Beobachtung auch in der Initiative „Verfolgen statt nur Löschen – Rechtsdurchsetzung im Internet“, die Anfang 2017 von der Landesanstalt für Medien NRW ins Leben gerufen wurde, um ein koordiniertes Vorgehen von Strafverfolgungsbehörden, Medienhäusern und Medienaufsicht gegen strafrechtlich relevante Hassreden im Netz zu ermöglichen. Ihr Ziel ist es, die effektive Strafverfolgung im Netz zu gewährleisten und so der zunehmenden Verrohung der Netzkommunikation entgegenzutreten. Dabei wird auch ein generalpräventiver Ansatz verfolgt: Strafbare Äußerungen werden nicht nur gelöscht, sondern die Verfasser auch im Online-Umfeld konsequent zur Verantwortung gezogen. Projektbeteiligt sind neben der Landesanstalt für Medien die ZAC NRW, das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen, das Polizeipräsidium Köln und die Medienun-

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3. Schutz der Medienvielfalt – Marktzugang als limitierendes Element der neuen Vielfalt? Anders stellt sich die Sachlage zunächst beim Blick auf den Schutz der Medienvielfalt dar, denn erfahrungsgemäß gab es nie mehr Angebotsvielfalt als heute. Ernsthaft vielfaltsgefährdende Medienkonzentrationen haben sich bis heute nicht realisiert. Über das Netz können wir heute alle erdenklichen Informationen und (journalistischen) Angebote beziehen. Auch immersiver Journalismus ist zunächst nur eine weitere Darreichungsform, also ein weiteres Angebot für die Nutzer, um an journalistische Informationen und Einschätzungen zu gelangen. Es stellt sich daher die Frage, welche Konsequenzen diese Feststellung sodann für den Marktzugang insbesondere von immersiven Angeboten hat. Vorab ist kurz klarzustellen, dass Medienregulierung keine Wettbewerbsregulierung ist. Markt und Marktmacht haben die Medienanstalten ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der pluralistischen Medienrealität zu betrachten – nicht nach ökonomischen Marktmechanismen. Die Frage, ob beispielsweise ein Monopol im wettbewerbsrechtlichen Sinne vorliegt, ist für die Medienaufsicht nicht relevant. Die Beurteilung dessen obliegt vielmehr dem Bundeskartellamt und der Monopolkommission. Die Medienanstalten tragen vielmehr dafür Sorge, dass eine Vielfalt an Angeboten existiert und verbreitet wird (vgl. §§ 26 ff., § 52b RStV), um so die demokratische Meinungsvielfalt zu stärken. Die beschriebene Vielfalt, die wir heute im Netz vorfinden, wird jedoch nicht mehr durch die Knappheit von Transportressourcen eingeschränkt: Die Notwendigkeit von Must-Carry-Regelungen, wie wir sie noch aufgrund der limitierten Programmplätze für die Verbreitung von Inhalten mittels analoger Kabelanlagen kennen (bspw. § 18 LMG NRW), schwindet. Vielfalt wird auch nicht mehr maßgeblich durch die

ternehmen Rheinische Post, Mediengruppe RTL Deutschland sowie der WDR.

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Größe von klassischen Medienhäusern und deren Zugang zu Infrastrukturen gefährdet. Die Idee des klassischen – insbesondere fernsehzentrierten – Medienkonzentrationsrechts ist damit quasi überholt. Man muss vielmehr die Feststellung machen, dass sich das vielfaltsverknappende Element von der Erstellung der (audiovisuellen) Inhalte durch ihre Produzenten und der Verbreitung durch Infrastrukturbetreiber hin zu deren Rezeption und Auffindbarkeit durch den Mediennutzer verlagert. Die Anzahl der über das Internet verbreiteten (journalistischen) Angebote erhöht sich, wohingegen sich die aktiven Auswahlschritte der Nutzer dieser Angebote verringert. Wir erleben einen extremen Wandel bei Verbreitung von audiovisuellen Inhalten, vom analogen Kabel angefangen, über das digitale Kabel, hin zur Verbreitung über das Internet etwa in Form von IPTV und letztlich der baldigen Möglichkeit der Verbreitung über ein intelligentes 5G. Demgegenüber steht die Entwicklung einer rückgängigen Autonomie der Nutzer – von der aktiven Programmsuche mit der Fernbedienung in der Hand, über vorgegebene Programmlisten, EPGs (Electronic Program Guides) und hybriden Endgeräten, bei denen Apps nicht nur vorinstalliert sondern auch voreingestellt sind, hin zu Such- und Empfehlungsmaschinen wie die „Google-Suche“ sowie Sprachassistenten wie aktuell etwa Siri und Alexa. Such- und Empfehlungsmaschinen sowie Sprachassistenten werden zurzeit unter dem Begriff „Intermediäre bzw. Informationsintermediäre“4 zusammengefasst. Dabei handelt es sich um (telemediale) Dienste, die zwischen Inhalten aus einem im Wesentlichen zugangsoffenen Angebot, also dem offenen Internet, und Nutzern vermitteln, wobei sie dem Nutzer die Inhalte aufgrund von eigenen Auswahlentscheidungen, auch unter Verwendung automatischer Mittel oder Algorithmen, präsentieren. Auf eine Suchanfrage liefern diese Intermediäre oftmals nur (noch) ein Ergebnis. Dieses Suchergebnis mutet für den Nutzer an, rein auf Fakten zu beruhen. Eine separate Quellenanalyse wird meist nicht mehr vorgenommen.

4

Intermediäre können in Verkaufsportale (bspw. ebay und amazon) und Informationsintermediäre unterteilt werden.

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Diese Beobachtung lässt sich für den immersiven oder auch virtuellen Journalismus ebenfalls machen. Die durch ihn übermittelten Inhalte zeugen von einer hohen Suggestivkraft und lassen uns das Gezeigte als Realität wahrnehmen; auch sie machen den Eindruck, auf Fakten zu basieren. Für den Marktzugang lässt sich basierend auf diesen Beobachtungen daher die folgende Feststellung machen: Das Marktzugangsproblem des immersiven Journalismus ist gewissermaßen kein Marktzugangs sondern fast eher ein Marktausgangs- oder (anders formuliert) Verbraucherzugangsproblem. Der Markt ist für journalistische Angebote leichter erreichbar denn je, aber trotz der steigenden Anzahl an informativen Angeboten ist die Zahl autonomer Rezipientenentscheidungen rückläufig. In Konsequenz verlangt diese veränderte Medienrealität eine neue Betrachtung und Anpassung des geltenden Medienrechts. Das fernsehzentrierte Medienkonzentrationsrecht der §§ 25 ff. RStV wird den dargestellten Anforderungen nicht mehr gerecht. Dieser Feststellung liegt die Tatsache zu Grunde, dass Intermediäre konzentrationsrechtliche Relevanz erst besitzen, wenn sie selbst zu Inhalteanbietern werden. Intermediäre sind aber nicht Schöpfer eigener Inhalte, sondern vielmehr in erster Linie ihre Vermittler. Die Gefahren, die von Intermediären für die Meinungsvielfalt ausgehen, liegen in erster Linie im Bereich der Darstellung und der Zugänglichmachung der über sie vermittelten und auffindbaren Inhalte. Die Prinzipien der Zugangsregulierung bzw. der Plattformregulierung, §§ 52 ff. RStV bieten für diese Phänomene die passenderen regulatorischen Anknüpfungspunkte. Der Unterschied zur herkömmlichen Plattform im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 13 RStV ist aber die theoretische Unendlichkeit der Angebote, aus denen ein Intermediär schöpft und an den Nutzer vermittelt. Es braucht daher eine angepasste Plattformregulierung, eine eigenständige Regulierung von Intermediären.5

5

Vgl. Paal, Intermediäre Regulierung und Vielfaltssicherung, abrufbar unter http://www.lfm-nrw.de/fileadmin/user_upload/lfm-nrw/Foerderung/For

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4. Zwischenfazit Die eingangs gestellte Frage nach der Schutzbedürftigkeit lässt folglich nur ein Fazit zu: Bei allen Veränderungen im Zuge der sich rasant wandelnden Medienrealität bleiben der Schutz der Menschenwürde, der Vielfalt, der Jugend und der Verbraucher in den Medien Kernelemente einer demokratischen Medienordnung. Wir können es uns nicht leisten, diese Güter schutzlos zu stellen, so wir noch an sie glauben.

IV. EXKURS: HERAUSFORDERUNGEN FÜR DIE GRENZÜBERSCHREITENDE RECHTSDURCHSETZUNG Die grenzüberschreitende Rechtsdurchsetzung stellt die nationalen Medienordnungen ebenfalls vor neue Herausforderungen. In Europa ist nicht nur die Gesetzgebung, sondern auch ein einheitlicher Rechtsvollzug durchzusetzen. In erster Linie ist dazu das gegenseitige Verständnis für die nationalen Regulierungsansätze und -regeln zu verbessern. Dies gelingt etwa über die European Regulators Group for Audiovisual Media Services (ERGA). Sie unterstützt die Europäische Kommission als Beratungsgremium bei der einheitlichen Umsetzung und Anwendung der europäischen Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMDL-RL) und dient dem Austausch ihrer Mitglieder über Verfahren bei der Anwendung des Rechtsrahmens für audiovisuelle Mediendienste.6 Auch die Medienanstalten begreifen ihr Engagement in der ERGA als eine ihrer zentralen Aufgaben.

schung/Dateien_Forschung/Paal_Intermediaere_Regulierung-und-Vielfalts sicherung_Gutachten-2018.pdf (Datum des Abrufs: 12.09.2018). 6

Siehe auch den Beschluss C (2014) 362 final der Kommission v. 03.02.2014 zur Einsetzung der Gruppe europäischer Regierungsstellen für audiovisuelle Mediendienste, abrufbar unter http://erga online.eu/wp-con

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Außerhalb der EU zeichnet sich vielmehr das Problem der Rechtsdurchsetzung als der Rechtsanwendung ab. Dabei wird es unter den unterschiedlichen Kulturen keinen einheitlichen Standard an Grundwerten geben und dies sollte auch nicht beabsichtigt sein. Hingewiesen sei an dieser Stelle – wie so oft – auf die Beobachtung, dass die USA einer blanken Brust in der Öffentlichkeit ein höheres Risiko beimessen als etwa Schusswaffen, und die Volkrepublik China ein anderes Verständnis der Meinungsfreiheit zugrunde legt als wir nach Art. 5 GG. Doch insbesondere die USA setzen ihre nationalen Regeln auch gegenüber global agierenden Unternehmen durch, was zuletzt etwa im DieselSkandal beobachtet werden konnte. Dies lässt die kühne Schlussfolgerung zu, dass sich auch Europa bei der Rechtsdurchsetzung robuster aufstellen sollte.

V. DRINGENDER HANDLUNGSBEDARF DES GESETZGEBERS Insbesondere die festgestellte Schutzbedürftigkeit der oben genannten Güter zeigt den Handlungsbedarf des Gesetzgebers auf. Die Initiative der Länder, regulatorische Mindeststandards für Informationsintermediäre im Rundfunkstaatsvertrag festzulegen, ist daher sehr zu begrüßen.7

tent/uploads/2016/10/Decision_2014_de.pdf (Datum des Abrufs: 12.09.20 18). 7

Die Bund-Länder-Kommission hat in ihrem Abschlussbericht aus Juni 2016 bereits erste Feststellung zur Regulierungsnotwendigkeit getroffen, abrufbar unter

https://www.bundesregierung.de/Content/DE/_Anlagen/BKM/2016/

2016-06-14-medienkonvergenz-bericht-blk.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (Datum des Abrufs: 12.09.2018).

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1. Regulierungsbedarf von Informationsintermediären Zur Sicherung der Medien- und Meinungsvielfalt sind gesonderte Regelungen für Informationsintermediäre gesetzlich zu verankern.8 Zu diesen zählen insbesondere eine Transparenzpflicht und ein Verbot diskriminierenden Missbrauchs. a. Transparenzpflicht Der Nutzer weiß häufig nicht, welche Mechanismen bei der Auswahl, Zusammenfassung und Darstellung von Ergebnissen bei bspw. einer „Google-Suche“ oder der Information eines Sprachassistenten im Hintergrund angewendet werden. Er muss jedoch in die Lage versetzt werden, Informationsintermediäre hinsichtlich Selektion, Präsentation und Aggregation der angebotenen Inhalte informiert und kompetent nutzen zu können. Die Medienordnung kennt zahlreiche Informationspflichten (§§ 5 f. TMG, §§ 9b, 55 RStV, § 8 PresseG-NRW), die dem Schutz öffentlicher Ordnungsinteressen sowie der Offenheit des Meinungsbildungsprozesses dienen. Da auch Informationsintermediäre Einfluss darauf ausüben, welche Inhalte der Verbrauer rezipiert, auf denen er basierend seine Meinung bildet, sind die verwendeten Vermittlungs- und Präsentationskriterien ebenfalls zu offenbaren. Nicht verlangt werden darf und kann jedoch eine absolute Transparenz oder gar die Offenlegung der verwendeten algorithmischen Ent-

8

Siehe dazu auch die Position der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM) unter dem Titel „Notwendigkeit der Sicherung von Vielfalt im Internet – Regulierungsbedarf von Informationsintermediären“, abrufbar unter https://www.diemedienanstalten.de/fileadmin/user upload/ die_medienanstalten/Ueber_uns/Positionen/2018_04_19_Regulierungsbeda rf_von_Informationsintermediaeren.pdf (Datum des Abrufs: 12.09.2018). Eine separate und alleinige Regulierung von Suchmaschinen, wie etwa zuletzt von Kreile angedacht, wird der sich stetig weiterentwickelnden Medienrealität womöglich nicht vollumfänglich gerecht, siehe dazu Kreile, ZUM 2017, S. 268 f.

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scheidungssysteme. Die Interessen der Anbieter am Schutz ihrer Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sind mit Blick auf Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3 GG zu wahren. Eine gesetzlich festgeschriebene Transparenzpflicht sollte allein zur Veröffentlichung von für den Nutzer relevanten Mindestinformationen in Form von Kriterien für die Aggregation, Selektion, Präsentation und Personalisierung von Inhalten verpflichten. b. Verbot diskriminierenden Missbrauchs Ein Informationsintermediär darf keinen unzulässigen Einfluss darauf ausüben, auf welche meinungsrelevanten Inhalte seine Nutzer aufmerksam werden. Demzufolge muss eine unbillige Behinderung oder eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von (gleichartigen) Inhalten per Verbotsnorm ausgeschlossen werden. Zu unterbinden ist die einseitige ungerechtfertigte Bevorzugung einzelner Inhalte. Ein vergleichbares Verbot ist bereits in § 52c Abs. 1 S. 2 RStV enthalten, dessen Adressat jedoch bislang nur Anbieter von Plattformen sind. Ein entsprechender Verbotstatbestand ist auch für Intermediäre zu etablieren. Bei einem Verbot diskriminierenden Missbrauchs handelt es sich gerade nicht um ein allumfassendes Diskriminierungsverbot: Nicht verlangt werden kann von einem Intermediär, vollständige Neutralität walten zu lassen, da etwa gerade eine Personalisierung die Grundlage für die Präsentation von Auswahlentscheidungen bildet.9 Vielmehr ist mittels eines entsprechenden Verbots – von gerechtfertigten Ausnahmen abgesehen – Objektivität sicher zu stellen. Ein Verbot diskriminierenden Missbrauchs sollte zudem nicht zu einem vollständigen Verbot der Bevorzugung einzelner Such- und Empfehlungsergebnissen führen, für die der Informationsintermediär eine Vergütung oder vergleichbare Leistung erhält; entsprechende Bevorzugungen sollten je-

9

Zur Parallele im Werberecht, Habel, Immersiver Journalismus und Werberecht, S. 141 in diesem Band.

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doch entsprechend der Kennzeichnungspflicht nach § 7 Abs. 3 S. 1 RStV deklariert werden. c. Interoperabilität Weiter stellt sich die Frage der Notwendigkeit der Interoperabilität von Intermediären: Ist es notwendig, einen interoperablen Zugang zwischen Marktpartnern gesetzlich herbeizuführen, um überhaupt Marktpartner zu schaffen und nicht Marktmächtige noch mächtiger zu machen? Das Risiko der Bindung des Verbrauchers an einen Intermediär sollte reduziert werden, um so die Netzwerkeffekte der großen Intermediäre zu reduzieren, die gerade dafür sorgen, dass Verbraucher sich wenigen großen Intermediären anschließen und ihr Nutzungsverhalten nicht auf andere Intermediäre ausweiten. Die damit verbundene Förderung des Wettbewerbs kann auch einen wertvollen Beitrag zur Förderung der Medienvielfalt leisten. d. Journalistische Sorgfaltspflicht Insbesondere im immersiven Journalismus stellen sich Fragen nach der Grenzziehung zwischen dem eigentlichen Ereignis und der künstlerischen Freiheit des Produzenten oder der gebotenen Trennung von Kommentar und Berichterstattung. Diese Fragen stellen die Beachtung der journalistischen Sorgfaltspflicht auf eine besondere Probe. Bereits das Phänomen der Fake News hat uns vor Augen geführt, dass journalistische Standards abzusichern sind.10 Aktuell kann mit den bestehenden gesetzlichen Ermächtigungen aber nicht ausreichend gegen Fake News und deren Verbreitung vorgegangen werden: Im Bereich des Rundfunks können die Medienanstalten bei Verstößen gegen die journalistischen Grundsätze die erforderlichen Maßnahmen (wie Beanstan-

10 74 % der Deutschen halten Fake News für eine echte Gefahr für die Gesellschaft und 69 % wünschen sich gesetzliche Regelungen, um diese bekämpfen zu können, siehe dazu auch http://www.lfm-nrw.de/fileadmin/user_ upload/Ergebnisbericht_Fake_News.pdf (Stand: 12.09.2018).

Immersiver Journalismus und Marktzugangsregulierung

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dung und Untersagung) treffen (vgl. § 38 Abs. 2 i.V.m. § 10 RStV). Bei Printmedien (und deren Online-Angeboten) wird die Überprüfung der Einhaltung der Sorgfaltspflicht im Wege der Selbstregulierung vom Deutschen Presserat übernommen. Für die übrigen journalistischredaktionell gestalteten Online-Angebote, deren Betreiber sich nicht den Regeln der Selbstverpflichtungsorganisation unterworfen haben, sind jedoch weder der Deutsche Presserat noch die Medienanstalten zuständig – diese können dementsprechend auch nicht tätig werden. Telemedien mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten haben den anerkannten journalistischen Grundsätzen zu entsprechen; Nachrichten sind vom Anbieter vor ihrer Verbreitung mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Inhalt, Herkunft und Wahrheit zu prüfen (§ 54 Abs. 2 RStV): Die faktische Einhaltung dieser Grundsätze kann jedoch derzeit nicht überwacht werden. 11 Auch die Verbreitung von Fake News über immersive Angebote ist demnach einer Aufsicht entzogen. Nur am Rande sei angemerkt, dass auch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) nicht für die Bekämpfung von Fake News herangezogen werden kann, da es lediglich für die Betreiber sozialer Netzwerke Fristen zur Löschung strafbarer Inhalte vorschreibt, wobei allenfalls die Verleumdung und die üble Nachrede, § 1 Abs. 3 NetzDG i.V.m. §§186, 187 StGB, unter das Phänomen der Fake News fallen könnten. Um in Zukunft journalistisch-redaktionelle Telemedienangebote hinsichtlich der Einhaltung der journalistischen Sorgfaltspflicht medienrechtlich überprüfen sowie im Bedarfsfall angemessen sanktionieren zu können, ist § 59 Abs. 3 S. 1 RStV dergestalt zu novellieren, als dass von den enumerierten Normen § 54 RStV aufzunehmen ist. Dadurch könnten die Medienanstalten – als staatsferne Aufsichtsbehörde – auf die Verbreitung von Fake News reagieren.

11 Vgl. § 59 Abs. 3 S. 1 RStV.

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VI. FAZIT: PLÄDOYER FÜR EINE „DIGITALE MEDIENORDNUNG“ Der Schutz der Menschenwürde, der Vielfalt, der Jugend und der Verbraucher in den Medien muss auch weiterhin den verfassungsrechtlichen Parametern der Staatsferne und des Föderalismus genügen. Ebenso wenig wie Polizei und Justiz rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten untergeordnet werden können, kann dies die Organisationsstruktur der Medienaufsicht. Trotz und mit den grundgesetzlichen Vorgaben des Föderalismus ist eine zweckmäßige Struktur weiterzuentwickeln, die einer effizienten Rechtsdurchsetzung auch gegenüber globalen Akteuren genügt. Die Prinzipien unserer demokratischen Mediengesellschaft sind dies nicht nur wert – sie verlangen dies.

Immersiver Journalismus und Werberecht Dominic Habel

Die Vielfalt medialer Angebote auf dem Meinungsmarkt steht in Wechselwirkung zur Finanzierung von Medienunternehmen.1 Je größer der finanzielle Spielraum für die Konzeption und Fortentwicklung von journalistischen Inhalten ist, desto mehr journalistische Inhalte werden produziert.2 Dieser Zusammenhang führt zwingend zu der Frage, wie Medienunternehmen ihr Programm finanzieren. Weil sich Medienunternehmen auch durch Wirtschaftswerbung finanzieren, ist fraglich, ob und wie immersiv ausgespielte Wirtschaftswerbung verbreitet werden darf.3

1 2

Beater, AfP 2017, S. 277. Allgemein und umfassend hierzu die Beiträge in v. Lewinski (Hrsg.), Wer bezahlt, bestellt, 2017.

3

Der Begriff Wirtschaftswerbung wird im vorliegenden Kontext im Sinne des rundfunkrechtlichen Werbebegriffs interpretiert (§ 2 Abs. 2 Nr. 7 Rundfunkstaatsvertrag (RStV)), wobei Sonderformen (Product Placement und Sponsoring) außer Betracht bleiben.

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I.

EINLEITUNG

Der Beschreibung der Tagung liegt das Bild eines Tauchers – des Rezipienten – zugrunde, der mittels spezieller Brillen – den Head-MountedDisplays – Tauchgänge in verschiedenen Ozeanen – den virtuellen Welten – unternimmt. In rechtliche Kategorien übertragen soll damit veranschaulicht werden, dass das Einflusspotential von Medien auch davon abhängt, mit welcher Technik Meinungen und Informationen vermittelt werden.4 Im Ausgangspunkt muss immersive Werbung nicht für jede Medienorganisation erlaubt werden. Insoweit ist zwischen den beitragsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und den privaten Medienunternehmen zu unterscheiden (II.). Die Wirkkraft von Medien und der finanzielle Aufwand für die Produktion von Inhalten bilden seit langem 5 einen Anknüpfungspunkt für (Werbe-)Regulierung, was am Beispiel des Glücksspiel- und Tabakwerberechts veranschaulicht wird. Für Werbung in Printmedien, die Rezipienten – um im Bild des Tauchers zu bleiben – am Strand auf einer Sonnenliege lesen, gelten weniger strenge Vorgaben als für Werbung im Fernsehrundfunk, für dessen Rezeption die Rezipienten den Strand verlassen und in ein Schwimmbecken springen müssen (III.). Schließlich ist fraglich, welches Regulierungsregime auf immersiv wirkende Werbemedien anwendbar ist, wobei zwischen 360°-Videos, verstanden als Schnorcheln im Ozean, und dem „Tauchen in virtuellen Welten mit Atemgerät und spezieller Taucherbrille“ – den „echten“

4

Dabei erkennt das Bundesverfassungsgericht im Fernsehrundfunk aufgrund der Möglichkeit, entlang eines Programmangebots gleichzeitig Bild und Ton zu übertragen, das Medium der größten „Suggestivkraft“, vgl. BVerfG 97, S. 228, 256.

5

Vgl. zur Entwicklung der Rundfunkordnung, Hesse, Rundfunkrecht, 3. Aufl. 2003, 1. Kapitel und zur Geschichte und Theorie der Medienregulierung den Beitrag von Ladeur, Geschichte und Theorie der Medienregulierung, S. 101 in diesem Band.

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virtuellen Welten – zu unterscheiden ist (IV. u. V.). Jeweils ist fraglich, ob und inwieweit die klassischen Werbegrundsätze auch auf immersive Werbung anwendbar sind.

II. BESONDERHEITEN DER FINANZIERUNG VON RUNDFUNKANSTALTEN Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nehmen nicht im gleichen Maße wie private Medienunternehmen an der Finanzautonomie aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG teil. Vielmehr haben die Landesgesetzgeber durch Gesetze erst festzulegen, welche Finanzierungsformen von den Rundfunkanstalten genutzt werden dürfen.6 Dieser Umstand ist für die Finanzkraft der Rundfunkanstalten aber keinesfalls abträglich, weil aus der Perspektive des Verfassungsrechts mehr als eine bloße Wechselwirkung zwischen Finanzierung und Programmauftrag besteht. Die Finanzierung hat sich am Funktionsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auszurichten.7 Weil aber der Funktionsauftrag auch eine Entwicklungsgarantie enthält, ist grundsätzlich auch die Verwendung neuer Techniken, wie die Aufnahmetechnik für 360°-Videos, zu finanzieren.8 Damit ist aber über die Finanzierungsquelle nicht entschieden.

6

Starck/Paulus, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Band 1, 7. Aufl. 2018, Art. 5 Rn. 239; BVerfG 74, 297, 342; vgl. § 13 S. 1 Rundfunkstaatsvertrag (RStV) a.E. „[…] vorrangige Finanzierungsquelle ist der Rundfunkbeitrag“.

7

„Die Bestands- und Entwicklungsgarantie ist zugleich Finanzierungsgarantie“, vgl. BVerfG 90, S. 60, 90; Starck/Paulus, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck (Hrsg.), GG, Band 1, 7. Aufl. 2018, Art. 5 Rn. 239.

8

Vgl. § 14 Abs. 2 Nr. 2 RStV: Bei der Überprüfung und Ermittlung des Finanzbedarfs sind insbesondere zugrunde zu legen […] die Teilhabe an den neuen rundfunktechnischen Möglichkeiten und der Herstellung und Ver-

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Die vorrangige Finanzierungsquelle ist der Rundfunkbeitrag und nicht die Wirtschaftswerbung (§ 13 S. 1 Hs. 2 Rundfunkstaatsvertrag (RStV)). Die Rundfunkanstalten haben auch keinen subjektivrechtlichen Anspruch auf eine bestimmte Finanzierungsform.9 Folgerichtig verbietet der Gesetzgeber Werbung und Sponsoring in Telemedien sowie Werbung im Rundfunk an Sonn- und Feiertagen sowie werktags nach 20 Uhr.10 Mithin sind absolute Werbeverbote, die an eine bestimmte Darstellungstechnik anknüpfen, im Bereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks denkbar.

III. WIRKKRAFT DER MEDIENTECHNIK ALS REGULIERUNGSKRITERIUM IM WERBERECHT „One look is worth thousands words.“

Die Metapher „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ wurde in der Werbebranche zu einem geflügelten Sprichwort, als Fred R. Barnard in einer Fachzeitschrift aus der Werbebranche eine Anzeige veröffentlichte, mit der er für sein Unternehmen warb.11 Barnard, aber auch das Medienrecht nehmen an, dass Werbung mit Bildern Rezipienten effektiver erreicht als ein Werbetext. Im Rundfunkrecht knüpfen das Bundesverfassungsgericht und der Gesetzgeber ausdrücklich an die besondere Suggestivkraft von Bewegtbildern an.12 Orthmann/Weissig haben in ihrem Bei-

breitung von Rundfunkprogrammen sowie die Möglichkeit der Veranstaltung neuer Formen von Rundfunk (Entwicklungsbedarf). 9

Vgl. BVerfG 74, S. 297, 342.

10 § 11d Abs. 5 S. 1 RStV, § 16 Abs. 1 S. 4 RStV, § 16 Abs. 6 RStV. 11 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Ein_Bild_sagt_mehr_als_tausend_Worte, (Datum des Abrufs 11.09.2018). 12 BVerfG 97, S. 228, 256.

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trag13 herausgestellt, dass Immersion nicht nur visuell, sondern auch auditiv hergestellt wird. Auch immersive Bewegtbilder können durch 3-D-Sound ergänzt werden, wodurch der Immersionseffekt verstärkt werden würde. Dieser Regulierungslogik folgt insbesondere auch das Werberecht. Als Faustformel lässt sich daher formulieren: Je suggestivkräftiger ein Medium ist, desto strenger ist das Medium reguliert. Werbung für Tabakerzeugnisse etwa ist in analogen Fachzeitschriften und deren Onlineablegern erlaubt, wenn sie nur für Rezipienten aus der Tabakbranche zugänglich sind und die sonstigen inhaltlichen und gestalterischen Grenzen beachtet werden (§ 19 Abs. 2 Nr. 1 TabakG i.V.m. § 19 Abs. 3 TabakG). 14 Über Hörfunk, Fernsehrundfunk und in audiovisuellen Mediendiensten darf hingegen nicht für Tabakwaren geworben werden (§ 19 Abs. 1 TabakG und § 20 TabakG). Auch der Glückspielstaatsvertrag reguliert Werbung für erlaubte Glücksspiele in Hörfunk und Fernsehen streng, insofern eine Erlaubnis erforderlich ist (§ 5 Abs. 3 GlücksspielStV i.V.m. § 14 Werberichtlinie), während in Printmedien und auf Litfaßsäulen erlaubnisfrei geworben werden darf. Für den Gesetzgeber hat sich die Suggestivkraft als Differenzierungskriterium bewährt.15 Dass die Kombination von Bewegtbild und Tonsignalen eine besondere Wirkung auf Rezipienten hat, muss im Übrigen nicht absolut erwiesen sein. Eine naturwissenschaftliche Kausalität zwischen Ursache und Wirkung fordert das Verfassungsrecht nicht. Vielmehr hat der Gesetzgeber zum Schutz besonders bedeutsamer Rechtsgüter – wie der Gesundheit oder dem Recht auf eine ungestörte Persönlichkeitsent-

13 Orthmann/Weissig, Anforderungen, Stand und Zukunft der VR-Technik, S. 33 in diesem Band. 14 Zulässig ist die Zugänglichmachung an eine begrenzte Öffentlichkeit und nicht an die Allgemeinheit, verstanden als unbestimmten Personenkreis, wie es auf einer für jedermann abrufbaren Homepage der Fall sein würde, BGH LMuR 2018, S. 18, 22. 15 Auf die Kritik an diesem Kriterium kann hier nicht eingegangen werden, hierzu: Hartmann, JZ 2016, S. 18 ff.; Franzius, JZ 2016, S. 650 ff.

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wicklung von Kindern, aber auch zum Schutz der Meinungsvielfalt – eine besondere Einschätzungsprärogative.16 Immersion, verstanden als Erzeugung von virtueller Telepräsenz des Rezipienten,17 geht über die bloße Suggestivkraft von (Fernseh-)Bildern hinaus. Der Logik des geltenden Rechts folgend, müsste immersive Werbung daher (mindestens) an den Anforderungen des Fernsehens zu messen sein. Ob dies der Fall ist, wird im Folgenden untersucht.

IV. EINORDNUNG IMMERSIVER WERBUNG Immersive Medien in Form von 360°-Beiträgen unterfallen entweder dem Regulierungsregime für das klassische Fernsehen oder den audiovisuellen Mediendiensten auf Abruf (1.). Ob auch rein virtuelle Welten, in denen sich Rezipienten fortbewegen, miteinander und mit virtuellen Agenten interagieren sowie Räume innerhalb einer virtuellen Welt betreten können18, in die bislang regulierten Medienkategorien eingeordnet werden können, ist eine offene Frage (2.). 1. 360°-Videos Rundfunk und audiovisuelle Mediendienste auf Abruf werden mittels des Kriteriums der Linearität voneinander abgegrenzt. Die Abgrenzung 16 Insoweit reicht daher ein Wirkungsrisiko aus, BVerfG 83, S. 130, 141; Erdemir, Filmzensur und Filverbot, 2000, S. 116 ff. – Das Vorsorgeprinzip ist im Informationsrecht ein allgemeiner Grundsatz, Kloepfler, Informationsrecht, 2002, S. 132, 134. 17 Mühlberger, Psychologische Wirkkraft immersiver Medien – Beiträge aus der Klinischen Psychologie, S. 43 in diesem Band. 18 Im Bild der Tagung stehen virtuelle Räume innerhalb einer virtuellen Welt für Unterwasserhöhlen oder Grotten, die über den Ozean erreicht werden können.

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darf im Bereich des Werberechts keinesfalls überbewertet werden, weil für beide Angebotsformen identische Gestaltungsgrundsätze gelten. 19 Ein lineares Angebot wird zeitgleich entlang eines Sendeplans verbreitet.20 Der Sender entscheidet daher, welcher Inhalt zu einem bestimmten Zeitpunkt verbreitet wird, während bei nicht-linear veröffentlichten Angeboten der Rezipient den Abrufzeitpunkt individuell definiert. Wenn Rezipienten jederzeit darüber bestimmen können, ob, wann und wie sie immersive Inhalte konsumieren, ist von einem nichtlinearen Angebot auszugehen. Sportereignisse der Olympischen Winterspiele 2018 – etwa einzelne Eishockey-Spiele – wurden von ARD und ZDF teilweise als 360°-Livestream ausgestrahlt. Davon ausgehend, dass für das Vorliegen von Rundfunk in rechtlicher Hinsicht keine Mehrheit von Sendungen erforderlich ist21, waren diese Livestreams dem Rundfunk zuzuordnen, was für private Medienunternehmen eine Zulassungspflicht begründet hätte.22 Überwiegend aber werden 360°-Videos über zulassungsfreie Portale, wie YouTube oder Smartphone-Apps angeboten, wobei einige Verlage eigene Apps anbieten23 und/oder ihre Inhalte über die App von Technologieanbietern24 bereitstellen lassen.25 Diese Angebote sind

19 § 7 RStV (Rundfunk) und § 58 Abs. 3 RStV i.V.m. § 7 RStV (audiovisuelle Mediendienste auf Abruf). 20 Bornemann, ZUM 2013, S. 845, 848; Schulz, in: Binder/Vesting (Hrsg.), Beck’scher Kommentar zum Rundfunkrecht, 4. Aufl. 2018, § 2 Rn. 42. 21 Bornemann, ZUM 2013, S. 845, 849; Schulz, in: Binder/Vesting (Hrsg.), Beck’scher Kommentar zum Rundfunkrecht, 4. Aufl. 2018, § 2 Rn. 72. 22 § 20 RStV. 23 Vgl. das Angebot der New York Times und von Euronews 360. 24 Vgl. die Samsung VR-App, über die ebenfalls die 360°-Videos der New York Times abgerufen werden können. 25 Klärungsbedürftig ist die Frage, ob die Technologieanbieter als Plattformanbieter i.S.d. § 52 ff. RStV oder als reiner Vermarkter anzusehen sind (allgemein hierzu: Wagner, in: Binder/Vesting (Hrsg.), Beck’scher Kom-

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mangels linearer Verbreitung der Angebote keine Rundfunkangebote, sondern audiovisuelle Mediendienste auf Abruf gemäß § 58 Abs. 3 S. 1 RStV. 2. Virtual-Reality als neue Angebotsform? Zwar werden bereits 360°-Videos in die Kategorie von Virtual-Reality eingeordnet26, aber eine erweiterte virtuelle Realität, in der Nutzer mittels Head-Mounted Displays, Laufbändern, druckempfindlichen Westen die Rolle eines Avatars übernehmen, ist nach hiesiger Ansicht ein Aliud – etwas anderes. Insbesondere sind weder Form noch Inhalt der virtuellen Welt fernsehähnlich im Sinne des § 58 Abs. 3 S. 1 RStV. Das lässt sich im Wesentlichen an zwei Faktoren festmachen: Sowohl der Interaktionsgrad27 als auch die Suggestivkraft erreicht in einer solchen virtuellen Welt eine neue Stufe. Mühlberger hat in seinem Bei-

mentar zum Rundfunkrecht, 4. Aufl. 2018, § 52 Rn. 13). Angemerkt sei, dass mit der Verbindung der Samsung-Gear-360°-Brille automatisch die Samsung-VR-App aktiviert wird, sodass ab diesem Zeitpunkt nur Inhalte zugänglich sind, die über die Samsung-Gear-App verfügbar sind. In diesem Zeitpunkt ist man aber schon in die virtuelle Welt eingetaucht. Durch diese Technikgestaltung tritt Samsung in eine „Gatekeeper-Position“. § 52c RStV, der die diskriminierungsfreie technische Zugänglichkeit von Inhalten regelt, ist für „offene Netze“, wie dem Internet, nur anwendbar, wenn der Plattformanbieter eine markbeherrschende Stellung verfügt (vgl. § 52 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 RStV). Im Regefall sind § 52c RStV und die anderen wesentlichen Regeln der Plattformregulierung nicht anwendbar. 26 Vgl. etwa Burgard-Arp, Immersive Journalism, in: Deutscher Fachjournalistenverband (Hrsg.), Journalistische Genres, 2017, S. 171, 173. 27 Angebote mit ausgeprägter Interaktivität (Suchmaschinen, Online-Glücksspiele) gehören nicht zu den fernsehähnlichen Telemedien, Blázquez, IRISPlus, Band 4, 2013, S. 10; Ladeur, in: Binder/Vesting (Hrsg.), Beck’scher Kommentar zum Rundfunkrecht, 4. Aufl. 2018, § 58 Rn. 5a.

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trag28 aufgezeigt, dass nahezu alle Sinne menschlichen Empfindens in der virtuellen Realität angesprochen werden können. Im Unterschied zu den klassischen Medien sei das Ziel von virtuellen Umgebungen, eine (virtuelle) Telepräsenz zu erzeugen. Dabei zeigen Studienergebnisse, dass die subjektive Wahrnehmung stärker ausgeprägt ist als das Wissen um die objektive Realität. Die Wahrnehmung entscheidet über die Emotionsauslösung, woraus Mühlberger eine Wirkkraft von immersiven Medien zur Veränderung hergeleitet hat, die auch zur Manipulation von Menschen eingesetzt werden kann. In rechtlicher Hinsicht dürfen Medien freilich manipulieren, aber sie haben dabei bestimmte (berufs-)ethische und rechtliche Grenzen einzuhalten. Die immersive Wirkkraft der virtuellen Welt allein rechtfertigt eine besonders strenge Regulierung jedenfalls nicht zwingend. Was die (zukünftigen) virtuellen Welten charakterisiert, sind die erweiterten Möglichkeiten zur Interaktion mit Elementen in der virtuellen Welt, die von Anbietern, anderen Nutzern, aber auch vom Staat bereitgestellt werden können. Der Interaktionsgrad ist der Realität nachempfunden, die nicht durch das Medienrecht reguliert wird, wie zum Beispiel der lineare Rundfunk. Die Kardinalsfrage lautet dann: Muss die Virtual Reality genauso reguliert werden wie die Lebensrealität? Ein Plakat auf einer Litfaßsäule kann in der virtuellen Realität genauso leicht erkannt werden wie in der außermedialen Realität.29 Allerdings gehen die Gestaltungsoptionen für Werbeflächen in der virtuellen Welt darüber hinaus. Wie sind zum Beispiel Litfaßsäulen zu beurteilen, die nur den Eintrittsterminal zu einer virtuellen Werbewelt – oder Werbegrotte – bilden? Der Anbieter dieser Art von Litfaßsäulen bietet im Ergebnis einen audiovisuellen Mediendienste auf Abruf an.30 Die virtuelle Werbegrotte kann in die Kategorie der Dauerwerbesendung einge-

28 Mühlberger, Psychologische Wirkkraft immersiver Medien – Beiträge aus der Klinischen Psychologie, S. 43 in diesem Band. 29 v. Lewinski, CR-online.de-Blog v. 11.04.2018. 30 § 58 Abs. 3 S. 1 RStV.

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ordnet werden.31 Für einzelne Abrufangebote innerhalb einer virtuellen Welt sind die medienrechtlichen Regelungen anwendbar, aber die Übergänge zu medienrechtlich ungeregelten Elementen – wie der Ansprache durch einen (computergesteuerten) Social-Bot32 („Agenten“33) – sind fließend.34 Von den Anbietern einzelner Grotten, die in einem virtuellen Ozean Angebote repräsentieren, abzugrenzen, ist der Entwickler der virtuellen Welt. Im Fall der Samsung VR-App stellt der Technologieanbieter nicht mehr als ein grafisches Interface bereit, über das verschiedene Angebote ausgewählt werden können. Die denkbaren Gestaltungsoptionen gehen aber auch in dieser Hinsicht darüber hinaus: So können computergesteuerte Agenten Rezipienten durch die virtuelle Welt begleiten und sie zu verschiedenen Angeboten führen.35 Im Ausgangspunkt ist es naheliegend, die Entwickler der virtuellen Welt als Plattformanbieter einzuordnen, die fremde und/oder eigene Inhalte auf einer Plattform – dem virtuellen Ozean – bündeln.36 Dabei ist der Entwickler für eigene Werbung an die gleichen Regelungen gebunden, wie der angesprochene Anbieter einer virtuellen Litfaßsäule, die als Eintrittsterminal in eine Unterwasserhöhle verwendet wird.37 Wird hingegen die Litfaßsäule lediglich wie in der realen Welt ver-

31 § 58 Abs. 3 S. 2 RStV i.V.m. § 7 Abs. 5 RStV. 32 Die Begriffe Social-Bot und Agent werden im Folgenden synonym verwendet, zur rechtlichen Diskussion über Social-Bots, Dankert/Dreyer, K&R 2017, S. 73-78; Libertus, ZUM 2018, S. 20-26; Volkmann, MMR 2018, S. 58-63. 33 Mühlberger, Psychologische Wirkkraft immersiver Medien – Beiträge aus der klinischen Psychologie, S. 45 in diesem Band. 34 Hierzu noch unter VI. 35 Vgl. hierzu bereits den Beitrag von Mühlberger, Psychologische Wirkkraft immersiver Medien, S. 60 in diesem Band. 36 Vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 13 RStV. 37 §§ 52 Abs. 1 S. 2 RStV i.V.m. §§ 52a Abs. 2, 58 Abs. 3 i.V.m. § 7 RStV.

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wendet, ist keine gesonderte Kennzeichnung erforderlich, weil der Werbecharakter offensichtlich ist.38 Festzuhalten ist daher, dass sich in der virtuellen Welt die mediale Welt und die (virtuelle) Lebensrealität verbinden. Soweit Elemente aus der analogen Welt 1:1 in die virtuelle Realität übertragen werden, sind auch die Regeln der analogen Welt anzuwenden, während medienrechtliche Regeln nur für die medialen Elemente der virtuellen Welt gelten. Für kommerziell veranlasste Interaktionen zwischen Avataren und (computergesteuerten) Agenten gelten zwar keine besonderen medienrechtlichen Regeln, aber jedenfalls die Vorschriften des allgemeinen Wettbewerbsrechts. Die virtuellen Welten als solche sind in die Kategorie der Telemedien einzuordnen, auf die das Verschleierungsverbot (§ 5a Abs. 6 UWG) und das Verbot, Werbung als Information zu tarnen (§§ 3 Abs. 3 i.V.m. Nr. 11 Anhang zu § 3 Abs. 3 UWG und § 6 Abs. 1 Nr. 1 u. Nr. 2 TMG), angewendet werden. Weil wettbewerbsrechtsrechtlichen Regeln anders als im Bereich des Medienrechts weniger konkretisiert sind, sind diese Vorschriften flexibel anwendbar, aber im Ergebnis auch weniger streng. Hierauf wird noch zurückzukommen sein.39

V. GESTALTUNGSGRUNDSÄTZE FÜR IMMERSIVE WERBUNG IN 360°-VIDEOS Neben inhaltlichen Grenzen normiert das Werberecht spezielle Gestaltungsgrundsätze, deren Wertungen auf immersive Werbung angewendet werden können. Auf die inhaltlichen Grenzen braucht hingegen nicht näher eingegangen werden. Dass auch immersive Werbung weder strafrechtlich relevante Inhalte enthalten darf, noch gegen die Men-

38 v. Lewinski, CR-online.de-Blog v. 11.04.2018. 39 Hierzu unter VI. 4.

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schenwürde verstoßen darf, ist offensichtlich.40 Auch die speziellen berufsrechtlichen Werbebeschränkungen, namentlich für Rechtsanwälte, Apotheker und Arzneimittelhersteller, sind ohne weiteres anwendbar. Insoweit beschränkt sich die vorliegende Darstellung auf die formalen Gestaltungsgebote. Als oberstes Gestaltungsgebot sind Werbung und redaktionell entwickeltes Programm auch in 360°-Videos zwingend auseinanderzuhalten (1.). Im Fernsehen, Hörfunk sowie in audiovisuellen Mediendiensten auf Abruf ist der Einsatz von unterschwelligen Werbetechniken verboten (2.). Im Ergebnis wird auch Augmented-Advertising in 360°-Videos vom Rundfunkstaatsvertrag untersagt (3.). 1. Trennungsgrundsatz Wenn Werbung und redaktioneller Inhalt miteinander verknüpft werden, entsteht verbotene Schleichwerbung.41 Der medienrechtliche Trennungsgrundsatz von Werbung und redaktionellem Programm ist eine besondere Ausprägung des allgemeinen zivilrechtlichen42 und wettbewerbsrechtlichen Irreführungsverbots.43 Rezipienten erwarten von journalistisch-redaktionellen Beiträgen, dass der Inhalt nicht einseitig beeinflusst worden

40 Vgl. § 7 RStV (Rundfunk), § 58 Abs. 3 RStV („fernsehähnliche“ private Telemedien), § 6 JMStV i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 3, Nr. 8 JMStV (private Telemedien); § 3 UWG (Printpresse). 41 Das Verbot gilt medienübergreifend, vgl. § 7 Abs. 2 RStV (Rundfunk), § 58 Abs. 1 RStV (Telemedien), §§ 58 Abs. 2 i.V.m. § 7 Abs. 2 RStV (audiovisuelle Mediendienste auf Abruf), § 9 Muster-Pressegesetz (Printmedien). 42 Vgl. Irrtumsvorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), §§ 119 ff. BGB; Verbot der Rechtserschleichung, Verbot des widersprüchlichen Verhaltens, § 242 BGB. 43 Vgl. § 5a Abs. 6 UWG (Verschleierungsverbot), §§ 3 Abs. 3 i.V.m. Nr. 11 Anhang zu § 3 Abs. 3 UWG („Black-List-Verbot“) und § 6 Abs. 1 Nr. 1 TMG.

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wird.44 Dieses Vertrauen besteht gegenüber Werbeanzeigen, deren Gestaltung und Inhalt von reinen Wirtschaftsunternehmen verantwortet wird, gerade nicht. Daher sind Werbung und redaktionelle Beiträge aus Sicht der Rezipienten wesensverschieden.45 Insoweit dient der Trennungsgrundsatz nicht nur den Rezipienten, sondern auch dem Schutz der Programmvielfalt.46 Daher muss Werbung „angemessen durch optische, akustische Mittel oder räumliche Mittel eindeutig von anderen Sendungsteilen abgesetzt sein“.47 Welches Mittel gewählt wird, liegt im Ermessen des jeweiligen Programmveranstalters.48 Die gesetzlichen Regelungen, die (Richtlinien-)Praxis der Landesmedienanstalten und die Gerichtsentscheidungen machen deutlich, dass der medienrechtliche Trennungsgrundsatz je nach genutzter Medientechnik und bekannten Gepflogenheiten des jeweiligen Mediums unterschiedlich umgesetzt werden kann. Im reinen Hörfunk sind visuelle Hinweise grundsätzlich sinnlos.49 Insoweit ist ein akustisches Signal notwendig (Werbejingle, Ansage). 50 In der Printpresse sind Werbeinhalte regelmäßig mit dem Wort „Anzeige“ zu kennzeichnen, wobei sich lediglich das bayerische Landespressegesetz mit dem Begriff „Kenntlichmachung“ ausdrücklich offen für gleichwertige Ausdrücke

44 Vgl. BVerwG, NVwZ-RR 2016, S. 142, 143; Bornemann, ZUM 2015, S. 48, 49. 45 Vgl. Beater, Medienrecht, 2. Aufl. 2015, S. 289. 46 Ladeur, in: Binder/Vesting (Hrsg.) Beck’scher Kommentar zum Rundfunkrecht, 4. Aufl. 2018, § 7 Rn. 7; Beater, Medienrecht, 2. Aufl. 2015, S. 289. 47 § 7 Abs. 3 S. 1 RStV und § 7 Abs. 3 S. 3 RStV. 48 Vgl. BVerwG, NVwZ-RR 2016, S. 142, 144. 49 Vgl. aber zum Digitalradio, mit dem Bild und Ton empfangen werden kann, Ladeur, in: Binder/Vesting (Hrsg.), Beck’scher Kommentar zum Rundfunkrecht, 4. Aufl. 2018, § 7 Rn. 30. 50 Vgl. § 46 RStV i.V.m. Ziff. 3 Werberichtlinie (WerbeRL).

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zeigt.51 Auf Instagram, einem Telemedium, wird regelmäßig der Hashtag „#ad“ zur Kennzeichnung eines Werbeposts genutzt, was für sich ausreichend ist, wenn der Hinweis eindeutig erkennbar ist. 52 Im Fernsehrundfunk ist ein optisches oder akustisches Signal erforderlich, wobei die Richtlinien der Landesmedienanstalten für das Fernsehen – anders als für sonstige Medien – eine Mindesteinblendzeit des optischen Signals von drei Sekunden über den gesamten Bildschirm festlegen.53 Die Umsetzung des Trennungsgrundsatz muss daher medienspezifisch sein. Für immersive 360°-Videos folgt hieraus: Bevor von journalistisch-redaktionellen Inhalten in die virtuelle Werberealität von 360°-Videos eingetaucht wird, muss ein Werbetrenner auf den Werbecharakter des nachfolgenden Tauchgangs hinweisen („Werbung“, „ad“). Durch den Hinweis muss sichergestellt sein, dass der unbefangene „nicht übermäßig konzentrierte“ Durchschnittsrezipient keine Zweifel am Werbecharakter des Tauchgangs hat.54 Ob ein rein visueller Hinweis wie in sonstigen audiovisuellen Mediendiensten auf Abruf ausreichend ist, erscheint fraglich. Für eine Trennung ist schließlich eine „eindeutige Zäsur“55 notwendig. Es müsste sichergestellt sein, dass der Werbehinweis immer – also 360° – im Sichtfeld des Rezipienten erkennbar bleibt. Kaum zulässig dürfte eine Platzierung des Hinweises in einem Bereich sein, der nur zufällig vom Rezipienten wahrgenommen wird. Schließlich kann der visuelle Hinweis zur Verstärkung mit einem akustischen Hinweis kombiniert werden.56

51 Vgl. Art. 9 Bayerisches Pressegesetz und allgemein BGH, GRUR 1996, S. 791, wonach auch gleichwertige Ausdrücke genügen; „sponsored by“ genügt nicht, BGH, GRUR 2014, S. 879 – Good News II. 52 Nicht eindeutig: am Ende des Beitrags und dort an zweiter Stelle von insgesamt sechs Hashtags, OLG Celle, MMR 2017, S. 769, 770; KG Berlin, GRUR-RS 2017, 133162. 53 § 46 RStV i.V.m. Ziff. 3 Abs. 1 Nr. 5 Werberichtlinie. 54 Vgl. BVerwG, NVwZ-RR 2016, S. 142, 145. 55 BVerwG, NVwZ-RR 2016, S. 142. 144. 56 Vgl. BVerwG, NVwZ-RR 2016, S. 142, 144.

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Streiten kann man sich um die konkrete Präsentation des visuellen Hinweises. Ob der Rezipient gezwungen werden muss, kurz aus der virtuellen Realität aufzutauchen, indem ein zweidimensionales Banner eingeblendet wird, ist nicht evident. Hierfür spricht freilich die immersive Wirkung derartiger Werbeinhalte, wodurch es Rezipienten Schwierigkeiten bereiten könnte, sich der Werbung zu entziehen. Denkbar wäre freilich auch ein Werbetrenner, in Form eines kurzen 360°-Videos, wodurch auf „ein Auftauchen“ verzichten werden könnte. Das Unternehmen Alphabet experimentiert bereits mit Werbegestaltungen in 360°-Videos.57 Als Gestaltungsformat wählt Google einen Würfel, der frei vom Nutzer an- und abgewählt werden kann. Soweit ersichtlich erscheint nach der Anwahl des Würfels ein werbebezogener Hinweis („ad“), was den Gepflogenheiten auf gängigen Videoplattformen entspricht. Die Werbung selbst wird nicht in einem 360°-Video verbreitet, sondern auf einer frontal eingeblendeten Werbeleinwand, was den Immersionseffekt abschwächt. Derartige Werbewürfel sind nicht zu beanstanden, wenn journalistisch-redaktionelle Angebote nicht durch Würfel repräsentiert werden. Ist dies der Fall, wäre sicherzustellen, dass bereits vor einer Anwahl des Würfels ein Hinweis auf den Werbecharakter des Würfels erscheint. 2. Verbot unterschwelliger Werbung Das Verbot für unterschwellige Werbetechniken ist bislang irrelevant, weil die Wirkkraft ihres Einsatzes nicht bewiesen ist.58 Die sog. subliminale Werbung kennzeichnet die kurze, nur Bruchteile von Sekunden dauernde Einblendung einer Werbebotschaft, die der Zuschauer zwar visuell wahrnimmt, aber nicht bewusst verarbeitet. 59

57 https://developers.googleblog.com/2017/06/experimenting-with-vr-ad-for mats-at.html (Datum des Abrufs: 12.09.2018). 58 Beater, Medienrecht, 2. Aufl. 2015, Rn. 657; Bornemann, Ordnungswidrigkeiten in Rundfunk und Telemedien, 6. Aufl. 2018, S. 116. 59 Vgl. Harstein et al., Rundfunkstaatsvertrag, Band 1, § 7 Rn. 31.

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Aufgrund der immersiven Wirkkraft von virtuellen Welten ist nicht auszuschließen, dass das in § 7 Abs. 3 S. 2 RStV geregelte Verbot aufgrund neuer Studien schließlich doch noch angewendet wird. Keinesfalls darf aber unterstellt werden, dass immersive Werbung aufgrund ihrer gesteigerten Suggestivkraft per se unterschwellig wirkt. 3. Unzulässigkeit von Augmented-Reality-Advertising nach dem RStV Das deutsche Recht kennt seit dem Vierten Rundfunkänderungsstaatsvertrag „Virtual-Reality-Werbung“.60 So kann die in der Realität vorhandene Bandenwerbung in einem Fußballstadion ersetzt werden, indem über die im Stadion tatsächlich vorhandene Werbung ein anderer Werbeinhalt virtuell eingeblendet wird. Die digitale Nachbearbeitung ist unter der Maßgabe zulässig, dass am Anfang und am Ende der betreffenden Sendung auf den Einsatz von Virtual-Reality-Werbung hingewiesen wird und durch sie eine am Ort der Übertragung ohnehin platzierte Werbung ersetzt wird.61 Der Rezipient ist weniger schutzwürdig, weil irrelevant ist, ob die Rezipienten mit der in der Realität tatsächlich vorhandenen Werbung konfrontiert werden oder mit virtueller Werbung.62 Dass nur die in der Realität vorhandenen Werbeobjekte verwendet werden dürfen, hat zur Folge, dass AugmentedAdvertising, verstanden als Erweiterung der Werberealität, nicht zulässig ist. Reale Werbung wird nur ersetzt, was einen natürlichen werbebegrenzenden Effekt hat.63

60 Vierter Rundfunkänderungsstaatsvertrag v. 01.04.2000. 61 § 7 Abs. 6 RStV. 62 Härtl, GRUR-Prax 2015, S. 498, 499; Ladeur, in: Binder/Vesting (Hrsg.), Beck’scher Kommentar zum Rundfunkrecht, 4. Aufl. 2018, § 7 Rn. 74. 63 Man könnte nun auf die Idee kommen, nach Maßgabe der jeweiligen landesrechtlichen bauordnungsrechtlichen Vorschriften genehmigungsfreie Werbeschilder am Drehort aufzustellen, um so auch die virtuelle Realität zu erweitern, was freilich recht aufwendig erscheint.

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In 360°-Videos wird auch die Realität abgebildet. Sofern in der Realität Werbung auf Zapfsäulen oder Plakaten vorhanden ist, kann diese Werbung durch virtuelle Werbung ersetzt werden. In dieser Hinsicht ist es auch nicht relevant, ob – wie im Projekt Syria – die Gesamtrealität in eine Computerrealität umgewandelt wird, solange nur die in der Realität vorhandene Werbung in einer computeranimierten Welt ersetzt wird. Wenn aber Werbeplakate in der Realität nicht vorhanden oder beklebt sind, darf nach geltender Rechtslage auch in 360°-Videos keine Werbung implementiert werden.

VI. GESTALTUNGSGRUNDSÄTZE FÜR WERBUNG IN VIRTUELLEN WELTEN Die im Rundfunkstaatsvertrag enthaltenen Gestaltungsgrundsätze können auch für die medialen Elemente in der virtuellen Welt angewendet werden. Sofern in der virtuellen Welt Werbeelemente aus der Lebenswirklichkeit – Litfaßsäulen oder Plakatwände – verwendet werden, sind die medienrechtlichen Werberegeln aber nicht anwendbar, weil die virtuelle Welt als solche weder Rundfunk noch ein audiovisueller Mediendienst auf Abruf ist.64 Auch die Kommunikation zwischen Avataren und Agenten findet außerhalb des Anwendungsbereichs des Rundfunkstaatsvertrags statt. Insofern gilt das allgemeine Wettbewerbsrecht.65 1. Trennungsgrundsatz Auch das Wettbewerbsrecht enthält im Telemediengesetz sowie im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb einen Trennungsgrundsatz

64 Hierzu bereits unter IV. 2. 65 Insbesondere § 6 TMG und §§ 5a Abs. 6, 7 UWG.

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von Information und Werbung.66 Für die Übergänge zwischen journalistisch-redaktionell gestalteten Informationswelten und den Werbewelten ist daher ebenfalls ein klarer Hinweis erforderlich. Insoweit kann auf die Ausführungen zu 360°-Videos verwiesen werden. Ob Verbraucher durch einen Werbewürfel, eine virtuelle Litfaßsäule einen (Werbe-)Avatar oder einen (Werbe-)Agent angesprochen werden, ist irrelevant. Entscheidend ist, dass alle Medienformate den gleichen Zweck verfolgen, Rezipienten zu einer geschäftlichen Handlung zu veranlassen. Wenn Avatare oder Agenten Verbraucher am Eingang einer virtuellen Welt ansprechen, um sie zu motivieren, sich mit ihnen in eine virtuelle Werbewelt zu begeben, bietet es sich an, auf der Kleidung des Avatars/Agenten einen eindeutigen Werbehinweis zu platzieren. Denkbar wäre im Fall der computergesteuerten Agenten auch ein vorprogrammierter akustischer Werbehinweis, in dem der Werbeagent zu Beginn der Kontaktaufnahme auf den Werbecharakter seiner Führung durch die virtuellen Werberäume hinweist. 2. (Keine) Unlauterbarkeit des Einsatzes von Agenten Der Einsatz von Agenten als Werbebotschafter in virtuellen Welten ist als solcher wettbewerbsneutral.67 Im Ausgangspunkt begründet nicht jede Mitbewerberbehinderung ein unlauteres Verhalten.68 Auf den ers-

66 Das Trennungsprinzip wird trotz unterschiedlichen Wortlauts daher auch einheitlich ausgelegt, Spindler, in: Spindler/Schuster (Hrsg.), TMG, 2. Aufl. 2018, § 6 Rn. 6. 67 Vgl. aber zum (wettbewerbswidrigem) Anbieten von Bot-Software, die unter Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen in Computerspielen verwendet wird, OLG Hamburg, MMR 2015, 313, 318; Libertus, ZUM 2018, S. 20, 25. Die private Nutzung der Bots durch die Nutzer ist hingegen wettbewerbsrechtlich unbedenklich, weil keine geschäftliche Handlung vorliegt. 68 Wettbewerb ist auch der Kampf um Vorteile auf Kosten der Mitbewerber, vgl. Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 36. Aufl. 2018, § 4 Rn. 4.9 u. 4.7.

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ten Zugriff zeichnet Agenten im Vergleich zu Avataren, die von Menschen gesteuert werden, eine schnellere Reaktionszeit sowie deren unermüdliche Einsatzbereitschaft aus. Software braucht keine Pausen. Sofern aber Agenten nicht gezielt eingesetzt werden, um Werbebotschaften und -avatare von Mitbewerber zu stören, sondern unmittelbar auch eigene Geschäftszwecke verfolgt werden, liegt kein unlauterer (Verdrängungs-)Wettbewerb vor.69 Über diese Fallgruppe hinaus sind Mitbewerberinteressen nur hinreichend betroffen, wenn eine Gesamtabwägung der sich gegenüber stehenden Interessen von Mitbewerbern, Marktteilnehmern und Allgemeinheit ergibt, dass die Leistung des Mitbewerbers nicht mehr durch eigene Anstrengungen in angemessener Weise erbracht werden kann.70 Hinzukommen müsste jedenfalls ein Verbot von Agenten, das vom Entwickler der virtuellen Welt in den Nutzerbedingungen ausgesprochen werden kann.71 Mittelfristig dürfte im Übrigen relevant sein, ob Agenten angesichts ihrer begrenzten Fähigkeiten überhaupt in der Lage sind, mit menschlichen (Werbe-)Avataren zu konkurrieren. Auch die am weitesten entwickelten Social-Bots wiederholen lediglich Wortfolgen, die sie freilich vollautomatisiert aus Nutzerbeiträgen auch neu zusammenstellen.72 Gerade aufgrund ihrer eingeschränkten Fähigkeiten ist kurzfristig eher darauf zu achten, dass Agenten Verbraucher, aber auch Mitbewerber nicht unzumutbar belästigen73, indem sie Avatare gezielt ver-

69 Vgl. Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 36. Aufl. 2018, § 4 Rn. 4.9. 70 BGH, GRUR 2010, S. 346, 347 f. zu § 4 Nr. 10 UWG a. F. 71 Vgl. zum Anbieten von Bots, die in Computerspielen verwendet werden können, OLG Hamburg, MMR 2015, 313, 318; Libertus, ZUM 2018, S. 20, 25. 72 Alhajj et al., Encyclopedia of Social Network Analysis and Mining, 2016, S. 5, zu den Grenzen auch Volkmann, MMR 2018, S. 58, 59. 73 Verstoß gegen § 7 Abs. 1 UWG, vgl. Dankert/Dreyer, K&R 2017, S. 73, 77.

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folgen, obwohl Rezipienten eine Interaktion bereits abgelehnt haben. Insoweit sollte es möglich sein, sowohl (Werbe-)Avatare als auch (Werbe-)Agenten auf erstem Zugriff – also mit einem Klick – zu deaktivieren. 3. (Keine) Kennzeichnungspflicht für Agenten Zwar findet aktuell eine Diskussion über eine Kennzeichnungspflicht für Social-Bots als Computersoftware statt74, die auf Agenten übertragen werden kann, aber eine Kennzeichnung ist nach geltendem Recht nicht erforderlich.75 Auch wenn ein Agent als eigenständiger vom eigentlichen Werberaum hinreichend abgrenzbarer Telemediendienst

74 Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Transparenz und Recht im Internet – Maßnahmen gegen Hasskommentare, „Fake News“ und Missbrauch von „Social Bots“, BT-Drs. 18/11856 vom 4.4.2017, S. 6. 75 Libertus, ZUM 2018, S. 20, 22: a. A. Dankert/Dreyer, K&R 2017, S. 73, 77, wobei die Autoren einerseits und in der Sache zutreffend die Kommunikation mittels eines Social-Bots als Modalität der individuellen Meinungsäußerungsfreiheit einordnen, weil die technischen Begleitumstände einer Meinungsäußerung für den Schutz irrelevant sind (Dankert/Dreyer, K&R 2017, S. 73, 75). Andererseits müssten aber die technischen Begleitumstände im Fall der Nutzung von Social-Bots offengelegt werden, weil die Rezipienten andernfalls über die Identität des sich Äußernden getäuscht werden würden (Dankert/Dreyer, K&R 2017, S. 73, 77). Dem ist entgegenzuhalten, dass auch die anonyme und pseudonyme Äußerung von Meinungen von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützt wird, was die technischen Umstände der Äußerung als Annex mit umfasst (vgl. Braam, Die anonyme Meinungsäußerung, 2015, S. 114 ff.). Eine Transparenzpflicht ist daher nur auf Grundlage eines allgemeinen Gesetzes denkbar (Art. 5 Abs. 2 GG). Das geltende Recht knüpft aber nicht an die technischen Umstände der Kommunikation an, sondern fordert lediglich Transparenz hinsichtlich des Kommunikationszwecks. Im Fall von Werbung ist daher nur der kommerzielle Charakter des Social-Bots zu offenbaren.

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eingeordnet werden sollte76, müsste die Tatsache, dass ein Agent und nicht ein Avatar eine Werbebotschaft verbreitet, nicht offengelegt werden. Ausreichend wäre neben der Werbekennzeichnung die Vorhaltung der allgemeinen Impressumsangaben.77 Insofern wird die unmittelbare zwischenmenschliche Kommunikation und der Austausch von Informationen mit Hilfe von Agenten de lege lata gleichbehandelt. 4. Zulässigkeit von Augmented-Reality-Advertising nach dem allgemeinen Wettbewerbsrecht Das allgemeine Werberecht ist weniger streng als das medienrechtliche Werberecht. Augmented-Reality-Werbung, die nach den Regeln des Rundfunkstaatsvertrags nur in der Realität vorhandene Werbung ersetzen darf78, ist nach dem allgemeinen Wettbewerbsrecht zulässig. In einer virtuellen Welt, welche einen Ort in der Lebensrealität zum Vorbild hat, darf Augmented-Reality-Werbung geschaltet werden, wenn sie entsprechend als Werbung gekennzeichnet ist.

76 Soweit ersichtlich wird diese Frage in der Rechtswissenschaft auch (noch) nicht diskutiert. Hierfür wäre erforderlich, dass sich das Angebot „SocialBot“ für einen objektiven Dritten als eigenständiger Auftritt des Anbieters darstellt (OLG Düsseldorf, MMR 2013, S. 649, 650; Spindler, in: Spindler/Schuster (Hrsg.), TMG, 2. Aufl. 2018, § 2 Rn. 12). Im hier vorliegenden Kontext wäre ein Social-Bot, der Rezipienten in der virtuellen Welt anspricht und auf Nachfrage eigene Informationen zur Produkten und Dienstleistungen bereithält, ein eigenständiges Angebot, das neben eine Homepage, ein 360°-Abrufvideo oder ein Werbeportal tritt. Aufgrund des höheren Interaktionsgrads heben sich die Kommunikationsmöglichkeiten mit dem Social-Bot für den Durchschnittsnutzer erkennbar von Abrufvideos ab. 77 § 5 TMG. 78 Hierzu bereits unter V. 3.

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VII. FAZIT Insgesamt ist zu konstatieren, dass die bestehenden medienrechtlichen und allgemeinen werberechtlichen Vorschriften prinzipiell geeignet sind, auch immersive Werbung zu regulieren. Für die Entwickler virtueller Ozeane gelten die Regeln des allgemeinen Wettbewerbsrechts. Die medialen Elemente innerhalb einer virtuellen Welt können in die bestehenden Kategorien des Rundfunkstaatsvertrags eingeordnet werden. 360°-Abrufvideos sind audiovisuelle Mediendienste auf Abruf, lineare 360°-Rundfunkangebote fügen sich die die Kategorie des Fernsehrundfunks ein. Dies hat zur Folge, dass Augmentend-RealityWerbung in Unterwassergrotten, anders als in virtuellen Ozeanen, nicht zulässig ist. Die Gestaltungsgrundsätze für immersive Werbung gelten im allgemeinen Wettbewerbsrecht und im Medienrecht einheitlich. Der Trennungsgrundsatz von Werbung und redaktionellem Programm ist medienspezifisch umzusetzen und gilt auch für immersive Werbung. Auch wird die unmittelbare zwischenmenschliche Kommunikation zwischen Avataren und die nur mittelbar auf einen Menschen zurückgehende Kommunikation von Agenten in der virtuellen Welt gleichbehandelt. Es bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber zum Beispiel durch eine Kennzeichnungspflicht versucht, das Verhältnis von Mensch und Software neu auszurichten.

Immersiver Journalismus Jugendschutzregulierung de lege lata und de lege ferenda Marc Liesching

Das Jugendschutzrecht in seiner heutigen Ausgestaltung geht zum Teil auf Regulierungsansätze der 1920er Jahre zurück1 und hat seither zahlreiche regulative Erweiterungen erfahren, die überwiegend neuen Medieninnovationen und -erscheinungsformen jeweils Rechnung zu tragen versucht haben. Vor diesem Hintergrund ist prima vista nicht fernliegend, die Frage nach Regulierungsbedarf im Kontext der Fortentwicklung medialer Geltungen in dreidimensionale Wahrnehmungsgestaltungen gerade im Jugendschutz zu stellen. Auf der Grundlage des geltenden Jugendmedienschutzrechts (I.) und den wesentlichen Bewertungskriterien von Medien in der Praxis (II.)

1

In dem Gesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften v. 18.12.1926, RGBl. I 1926, S. 505 und dem Lichtspielgesetz vom 12.5.1920 überlagerten freilich Schutzzwecke polizeilicher Vorzensur und der Wahrung von Sitte und Anstand den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Entwicklungsbeeinträchtigungen durch Medien, vgl. hierzu ausführl. Liesching, Jugendmedienschutz in Deutschland und Europa, 2002, S. 23 f.

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sowie der Sonderregelungen für journalistische Angeboten (III.) wird versucht, über eine Annäherung an das Wesen der im Zusammenhang mit VR/AR-Medien häufig assoziierten „Immersion“ zu analysieren, ob die Jugendschutzregelungen de lege lata nicht doch hinreichend dafür sind, den neuen Erscheinungsformen der Medienrealität jugendschutzrechtlich Rechnung zu tragen (IV.).

I.

JUGENDSCHUTZRECHT IM ÜBERBLICK

Das deutsche Jugendmedienschutzrecht fußt im Wesentlichen auf drei Gesetzen, die auch für den Online-Bereich, also gleichsam für die „virtuellen Welten“ von erheblicher praktischer Bedeutung sind. Zunächst finden sich im Strafgesetzbuch zahlreiche Verbreitungsverbote in Bezug auf besonders gravierende rechtsgutsverletzende Inhalte, welche auch unter dem Gesichtspunkt des Jugendschutzes relevant sind. Zu nennen sind beispielhaft das Verbot von bestimmten Gewaltdarstellungen (§ 131 StGB) oder das Pornographiestrafrecht (§§ 184 ff. StGB). 2 Das seit April 2003 in Kraft befindliche Jugendschutzgesetz (JuSchG) ist im Wesentlichen in zwei Teile untergliedert, namentlich dem Regelungsbereich des Jugendschutzes in der Öffentlichkeit und dem des Jugendmedienschutzes für Trägermedien bzw. Bildträger. Die Trennung ist dabei indes nicht allzu strikt. Auch Bestimmungen aus dem Bereich des Jugendschutzes in der Öffentlichkeit können für den Bereich des Jugendmedienschutzes in Telemedien von Bedeutung sein, z.B. bei der Abgabe von Tabakwaren oder Alkohol über den InternetVersandhandel.3 Die Bestimmungen des JuSchG zielen im Medienbe-

2

Die Vorschriften wurden zuletzt geändert m.W.v. 27.01.2015 durch das 49. StrÄndG v. 21.01.2015, BGBl. I S. 10; ausführl. hierzu Liesching, BPJMAktuell 2/2015, S. 2, 5.

3

Aufgrund des in § 10 Abs. 3 JuSchG durch Gesetz vom 03.03.2016 (BGBl. I S. 369) ausdrücklich geregelten Versandhandelsverbots ist die vormalige unklare und umstrittene Rechtsfrage der Erfassung durch das bloße Abga-

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reich aber in erster Linie auf so genannte „Trägermedien“ sowie Bildträger ab, wobei der Bildträgerbegriff von dem übergeordneten Trägermedienbegriff mit umfasst wird.4 Schließlich bildet die dritte Säule des gesetzlichen Jugendmedienschutzes der ebenfalls am 1. April 2003 in Kraft getretene Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) der Länder. Dessen Regelungen zielen vollumfänglich auf den Bereich des Jugendschutzes bei Rundfunkangeboten und Telemedien (Internetangeboten)5 ab.6 Neben den genannten Regelwerken des StGB, des JuSchG und des JMStV gibt es freilich vereinzelt noch andere im Jugendschutzkontext zu beachtende Bestimmungen wie z.B. das Verbot der Prostitutionswerbung, das in § 120 OWiG geregelt wird.7 Egal, ob es sich um Bestimmungen des StGB, des JuSchG oder des JMStV handelt – in der Regel können die jugendschutzrechtlichen Verbote nach ihrer Reichweite in drei Kategorien unterteilt werden,

beverbot (vgl. LG Koblenz MMR 2007, S. 725 m. abl. Anm. Liesching; Ernst/Spoenle, ZLR 2007, S. 114, 122) entschieden. 4 5

Vgl. Liesching, NJW 2002, S. 3281, 3282 f. Vgl. § 2 Abs. 1 S. 3 RStV: „Telemedien sind alle elektronischen Informations- und Kommunikationsdienste, soweit sie nicht Telekommunikationsdienste nach § 3 Nr. 24 des Telekommunikationsgesetzes sind, die ganz in der Übertragung von Signalen über Telekommunikationsnetze bestehen oder telekommunikationsgestützte Dienste nach § 3 Nr. 25 des Telekommunikationsgesetzes oder Rundfunk nach Satz 1 und 2 sind“; hierzu Schulz, in: Binder/Vesting, Beck'scher Kommentar zum Rundfunkrecht, 4. Aufl. 2018, § 2 RStV Rn. 60 f.

6

Am 01.10.2016 trat mit dem 19. Rundfunkänderungsstaatsvertrag (RfÄndStV) durch Art. 5 eine teilweise Neuregelung des JMStV in Kraft (vgl. für Bayern: Bek. v. 6. 4. 2016, GVBl. S. 52; BayLT-Drs. 17/9700; siehe zu den Neuerungen zusammenfassend Hopf, K&R 2016, S. 784 f.).

7

Hierzu Kurz, in: Mitsch et al. (Hrsg.), Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Aufl. 2018, § 120 Rn. 4 f.

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was in der Rechtswissenschaft zuweilen als das „System der drei Körbe“ bezeichnet wird.8 Hiernach ist zu differenzieren nach so genannten • „absoluten Verboten“, welche Inhalte betreffen, die gegenüber nie-

mandem, also auch nicht gegenüber anderen erwachsenen Personen zugänglich gemacht werden dürfen; absolute Verbote sind etwa die Volksverhetzung nach § 130 StGB, Gewaltdarstellungen nach § 131 StGB, Kinder-, Jugend-, Gewalt und Tierpornographie nach §§ 184a bis 184c StGB oder auch die in § 4 Abs. 1 S. 1 JMStV geregelten Unzulässigkeitstatbestände für Rundfunk- und Telemedien9; • „relativen Verboten“, welche Inhalte betreffen, die nur gegenüber Kindern und Jugendlichen nicht zugänglich gemacht werden dürfen, der Vertrieb und die Verbreitung in Bezug auf ausschließlich Erwachsene aber erlaubt ist; insbesondere im Internet kann dies über sogenannte geschlossene Benutzergruppen sichergestellt werden; relative Verbote sind etwa der Pornographietatbestand des § 184 Abs. 1 StGB oder die Verbreitungs- und Vermarktungsbeschränkungen bei indizierten Medien nach §§ 15 Abs. 1, 18 Abs. 1 JuSchG;10 • „bloße Verbreitungsbeschränkungen“, welche sogenannte schlicht entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte betreffen, die in ihrem Gefährdungsgrad hinter den Angeboten relativer Verbote zurückbleiben und damit auch geringeren gesetzlichen Restriktionen unterworfen

8

Vgl. z.B. Cornelius, Münchener Anwaltshandbuch IT-Recht, 3. Aufl. 2013,

9

Siehe ausführl. Erdemir, in: Bornemann/Erdemir (Hrsg.), JMStV-Kom-

Teil 10, Rn. 333 f. mentar, 1. Aufl. 2017, § 4 Rn. 3 f.; Liesching/Schuster, JugendschutzrechtKommentar, 5. Aufl. 2011, § 4 JMStV Rn. 4 f. 10 Vgl. zur Jahresstatistik erfolgter Indizierungen in 2017: BPJM-Aktuell 1/2018, S. 4 f.; zur Entwicklung der Spruchpraxis der zuständigen Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) vgl. Hannak/Hajok/ Liesching, BPJM-Aktuell 1/2018, S. 7 f.

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sind wie etwa Sendezeitbeschränkungen für „ab 16“ oder „ab 18“Filme nach § 5 Abs. 1, 3 und 4 JMStV.11

II. BEWERTUNGSKRITERIEN ZU GEFÄHRDUNGSGRADEN 1. Berücksichtigung „gefährdungsgeneigter“ Minderjährigengruppen Die wohl herrschende Meinung in der Rechtsprechung und in der Literatur stellt bei der Bewertung des Vorliegens einer Jugendgefährdung oder einer Entwicklungsbeeinträchtigung nicht nur auf den Adressatenkreis des „durchschnittlichen Minderjährigen“,12 sondern vielmehr auf den so genannten „gefährdungsgeneigten Minderjährigen“ ab.13 Dieser Auslegung folgen z.B. auch teilweise Verwaltungsvorschriften

11 Zu den hier nicht behandelten jugendschutzrechtlichen Werbebeschränkungen des § 6 JMStV vgl. z.B. Ladeur, in: Binder/Vesting (Hrsg.), Beck’scher Kommentar zum Rundfunkrecht, 4. Aufl. 2018, § 6 JMStV Rn. 1 f. 12 A. A. Erdemir, in: Spindler/Schuster (Hrsg.), Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl. 2015, § 5 JMStV Rn. 9; Stumpf, Jugendschutz oder Geschmackszensur?, 2009, S. 161 f. 13 Vgl. z.B. BVerwGE 39, S. 137, 205; BGHSt. 8, 80, 87; OLG Köln, NVwZ 1994, S. 410, 412; OLG Düsseldorf, NJW 1966, S. 1186; VG Berlin, MMR 2009, S. 496, 500; VG München, ZUM 2010, S. 615, 626; Bosch, Die „Regulierte Selbstregulierung“ im JMStV, 2006, S. 108 m.w.N.; Hopf/Braml, ZUM 2010, S. 211, 214; Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, 2006, S. 79; unklar: Ukrow, Jugendschutzrecht, 2004, einerseits „gefährdungsgeneigt“ bei Rn. 267, andererseits ablehnend bei Rn. 366; vermittelnd: Hackenberg/Hajok/Humberg/Pathe, BPjM-aktuell 01/2010, S. 3 f.; dies., tv-diskurs 02/2010, S. 58 f.; dies., JMS-Report 06/2009, S. 2 f.

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zur Auslegung der Jugendschutzbestimmungen 14, die Prüfgrundsätze der FSK15 sowie die Jugendschutzrichtlinien der Landesmedienanstalten.16 Lediglich „Extremfälle“ sollen ausgenommen sein. Woraus sich die besondere „Gefährdungsneigung“ bei bestimmten Minderjährigengruppen konkret ergeben soll, wird weithin nicht spezifiziert. Dies mag einerseits der Vielzahl der jeweils nur im Einzelfall konkretisierbaren Umstände geschuldet sein, lässt den Rechtsanwender jedoch in einer gewissen Unklarheit über das jeweils relevante Bewertungsmaß. Teilweise wird daher in der Literatur auch mit guten Gründen betont, es handele sich bei dem Auslegungskonstrukt des „gefährdungsgeneigten“ Jugendlichen weitgehend um eine „Fiktion“. 17 Gewisse Konkretisierungen finden sich gleichwohl z.B. in Ziff. 3.1.2. der Jugendschutzrichtlinien der Landesmedienanstalten, soweit hiernach „die Beurteilung der Beeinträchtigung […] an den schwächeren und noch nicht so entwickelten Mitgliedern der Altersgruppe“ zu erfolgen habe. Die Kriterien der KJM18 über die Aufsicht im Rundfunk und in Telemedien setzen unter Punkt B.1. den Begriff des „gefähr-

14 Vgl. z.B. die Verwaltungsvorschriften zur Durchführung des Gesetzes zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit vom 12.06.1987 (Saarl. Amtsbl. S. 774) zu § 6 JÖSchG. 15 Vgl. § 18 Abs. 2 Nr. 4 FSK-Prüfgrundsätze (21. Fassung vom 01.12.2012): „Ein Film oder Trägermedium darf für eine Altersgruppe nur freigegeben werden, wenn er die Entwicklung oder Erziehung keines Jahrganges dieser Altersgruppe beeinträchtigen kann. Dabei ist nicht nur auf den durchschnittlichen, sondern auch auf den gefährdungsgeneigten Minderjährigen abzustellen. Lediglich Extremfälle sind auszunehmen“. 16 Vgl. Ziff. 3. 1.2. JuSchRiL: „Die Beurteilung der Beeinträchtigung hat an den schwächeren und noch nicht so entwickelten Mitgliedern der Altersgruppe zu erfolgen. Die mögliche Wirkung auf bereits gefährdungsgeneigte Kinder und Jugendliche ist angemessen zu berücksichtigen“. 17 Vgl. Altenhain, in: Löffler (Hrsg.), Presserecht, 5. Aufl. 2006, § 15 JuSchG Rn. 12. 18 Kommission für Jugendmedienschutz (KJM), vgl. §§ 14, 16 JMStV.

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dungsgeneigten“ Minderjährigen mit dem des „besonders anfälligen“ gleich, wobei nicht weiter konkretisiert wird, woraus sich eine besondere Anfälligkeit ergeben kann.19 Das VG München spricht in einem Urteil vom 04.06.2009 zu einer Sendung über Schönheitsoperationen von „labilen“ Kindern und Jugendlichen.20 2. Kinder- und Jugendaffinität Von Bedeutung ist des Weiteren, ob im Hinblick auf die Zuordnung eines Mediums zu Gefährdungsgraden im Allgemeinen bei der Bewertung von Bedeutung ist, wie sehr ein bestimmter Medieninhalt auf Kinder und Jugendliche ausgerichtet ist bzw. eine „Affinität“ zu Verhaltensweisen, Lebensräumen, Idealen von Minderjährigen aufweist. Zumindest erscheint bei laienhafter Betrachtung plausibel, dass z.B. Filme vor allem dann von Kindern und Jugendlichen besonders intensiv und mit großer Aufmerksamkeit wahrgenommen werden, wenn sie in einem zeitgemäßen Setting mit Elementen der aktuellen Jugendkultur verknüpft sind (z.B. Pop-Musik, Jugendsprache, „Slang“, jugendliche Darsteller[innen]).21 Beinhalten derartige Medieninhalte problematische Botschaften, adaptierbare Verhaltensweisen oder auch ängstigende Darstellungen, so liegt prima vista nahe, dass hier eher die Eignung zur Gefährdung oder Beeinträchtigung etwa im Sinne von Nachahmungsgefahren, Übernahme problematischer Wertebilder oder nachhaltige Ängstigungen zu besorgen sind. Umgekehrt könnte als „entlastend“ im Rahmen einer allgemeinen Bewertung in den Blick zu nehmen sein, wenn Medieninhalte keinen be-

19 Vgl. B. 1. der KJM-Kriterien über die Aufsicht im Rundfunk und in Telemedien, Version vom 04.06.2009, abrufbar unter https://www.kjmonline.de/ fileadmin/user_upload/KJM/Publikationen/Pruefkriterien/Kriterien_KJM.pdf (Datum des Abrufs: 12.09.2018). 20 Vgl. VG München, ZUM 2010, S. 615, 626. 21 Vgl. z.B. auch für unzulässige an Kinder gerichtete Kaufaufforderungen nach dem UWG: BGH, GRUR 2014, S. 298 und BGH, MMR 2015, S. 328.

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sonderen Bezug zu Kindern und Jugendlichen herstellen, sondern z.B. aufgrund unzeitgemäßer Darstellung (etwa Film im Setting der 1970er Jahre) oder sachlich-nüchterner Darstellung komplexer politischer Zusammenhänge (z.B. Dokumentationen) nicht primär für Kinder und Jugendliche einer bestimmten Altersgruppe interessant sind. Vor allem in der Gesetzessystematik des Jugendmedienschutzes ist das Prinzip verankert, dass aufgrund des zeitlichen Wandels einstige Jugendschutzbewertungen und Beurteilungen von Gefährdungsgraden ihre Bedeutung verlieren können. Am deutlichsten zeigt sich dies in der Regelung des § 18 Abs. 7 JuSchG. Nach dessen Satz 2 verliert eine Aufnahme eines Mediums in die Liste jugendgefährdender Medien nach Ablauf von 25 Jahren automatisch ihre Wirkung. Zudem sind Medien aus der Liste zu streichen, wenn die Voraussetzungen für eine Aufnahme nicht mehr vorliegen (§ 18 Abs. 7 S. 1 JuSchG). Die Voraussetzungen für eine Aufnahme liegen nach allgemeiner Meinung insbesondere dann nicht mehr vor, wenn aufgrund eines nachhaltigen Wertewandels oder neuer Erkenntnisse aus der Medienwirkungsforschung ausgeschlossen werden kann, dass die betreffenden Medieninhalte weiterhin geeignet sind, Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung oder Erziehung zu gefährden.22 Die Festlegung der automatischen Löschung nach 25 Jahren hält der Gesetzgeber dabei ausdrücklich „angesichts nicht unbeträchtlicher zeitgebundener Bewertungsdifferenzen“ für gerechtfertigt.23 Dass im Sinne eines zeitbedingten Wertewandels aber gerade auch die potentiell schwindende Jugendaffinität zu verstehen ist und gerade hierdurch die Indizierungsvoraussetzungen nachträglich wegfallen können, zeigt die Spruchpraxis der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM). Danach kommt eine Listenstreichung u.a. in Betracht, wenn der Inhalt des Mediums „als nicht jugendaffin angesehen werden

22 Vgl. Altenhain, in: Löffler (Hrsg.), Presserecht, 5. Aufl. 2006, § 18 JuSchG Rn. 93 f.; Monssen-Engberding/Liesching, BPjM-aktuell 4/2008, S. 3 f. 23 Vgl. BT-Drs. 14/9013, S. 26; für Computerspiele wird die Frist als zu lang kritisiert, vgl. Köhne, MMR 2003, S. XVI; ders., AfP 2002, S. 203.

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kann“, darüber hinaus auch, wenn der Inhalt des Mediums so gestaltet ist, dass sich die Hauptfigur nicht (mehr) als Identifikationsmuster anbietet, wenn Nachahmungseffekte nicht zu vermuten sind.24 3. Realitätsgrad von Medieninhalten Auch die KJM-Kriterien für die Aufsicht im Rundfunk und in den Telemedien enthalten allgemeine Bewertungskriterien im Hinblick auf die Zuordnung von Einwicklungsbeeinträchtigungsgraden, die als „angebotsspezifische“ Kriterien bezeichnet werden. Ein wichtiger Indikator im Hinblick auf die ängstigende oder desorientierende Wirkung eines Angebotes sei hiernach dessen „Realitätsgrad“. Insoweit wird in den KJM-Kriterien ausgeführt, dass „Angebote, deren Inhalte real sind oder real wirken sowie jene, in denen die Übergänge zwischen Realität und Fiktion fließend sind, […] unter Jugendschutzaspekten eine Herausforderung besonders für Kinder“ darstellen.25 In diesem Kontext seien insbesondere Angebote „problematisch, • die fiktional sind, aber Realität suggerieren (z.B. Gerichtsshows, Psy-

cho- bzw. Geständnisshows, Real-Life-Crime-Serienformate), indem sie mit dokumentarischen Techniken (z.B. Rückblenden, Interviews, Zeugenbefragung, Experteninterviews, Präsentation von Beweismitteln) arbeiten und so eine Pseudo-Sachlichkeit vermitteln und • die real sind (v.a. Boulevardberichterstattung), aber Darstellungstechniken fiktionaler Formate (z.B. Nachstellen von bestimmten Ge-

24 Vgl. BPjM-Entsch. Nr. A 104/04, BPjM-aktuell 01/2005, S. 8, 9; Bochmann, BPjM-aktuell 01/2005, S. 8; ebenso VG Köln ZUM-RD 2008, S. 385, 392; Altenhain, in: Löffler (Hrsg.), Presserecht, 5. Aufl. 2006, § 18 JuSchG Rn. 94. 25 Vgl. KJM-Kriterien über die Aufsicht im Rundfunk und in Telemedien, Version vom 04.06.2009, S. 7 abrufbar unter https://www.kjmonline.de/ fileadmin/user_upload/KJM/Publikationen/Pruefkriterien/Kriterien_KJM.p df (Datum des Abrufs: 12.09.2018).

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walthandlungen oder dramaturgische Hervorhebungen mittels Kameraeinstellung oder Musik) integrieren und somit eine hohe Emotionalisierung erzeugen“.26 4. Alltagsnähe medialer Darstellungen In gewisser Nähe zum oben genannten Kriterium der „Kinder- und Jugendaffinität“,27 indes mit diesem wohl nicht deckungsgleich ist des Weiteren das in den KJM-Kriterien genannte allgemeine Merkmal der Alltagsnähe. Insoweit sei davon auszugehen, „dass problematische Inhalte, die einen engen Bezug zur Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen (Schule, Kindergarten, Familie, Freunde, körperliches Wohlbefinden, Tiere etc.) haben, eher eine negative Wirkung (Ängstigung, Verunsicherung) entfalten als jene, die ihren Alltag wenig tangieren“. Bei Kindern und Jugendlichen, die solche Inhalte oft rezipieren (Vielseher), bestehe nach den KJM-Kriterien die Gefahr, dass „negative (z.B. angstbesetzte) Einstellungen gegenüber der Realität gefördert werden“.28

5. Interaktivität Als weiteres allgemeines Kriterium, das bei der Zuordnung eines Angebotes zu einem bestimmten Entwicklungsbeeinträchtigungsgrade von Bedeutung sein kann, benennt die KJM das Kriterium der „Inter-

26 Vgl. KJ-Kriterien über die Aufsicht im Rundfunk und in Telemedien, Version vom 04.06.2009, S. 7 abrufbar unter https://www.kjmonline.de /fileadmin/user_upload/KJM/Publikationen/Pruefkriterien/Kriterien_KJM. pdf (Datum des Abrufs: 12.09.2018). 27 Vgl. III. 2. 28 KJM-Kriterien über die Aufsicht im Rundfunk und in Telemedien, Version vom 04.06.2009, S. 7 abrufbar unter https://www.kjmonline.de/fileadmin /user_upload/KJM/Publikationen/Pruefkriterien/Kriterien_KJM.pdf um des Abrufs: 12.09.2018).

(Dat-

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aktivität“. Von einer solchen könne allgemein dann gesprochen werden, „wenn ein Medium dem Nutzer einen Rückkanal zur Verfügung stellt, damit dieser mit den Produzenten oder mit anderen Nutzern kommunizieren“ könne; im Fernsehen z.B. in Casting-Shows oder Game-Shows und in Telemedien über soziale Netzwerke, Videoportale, Chaträume und Onlinespiele, wenn insoweit Möglichkeiten zur interaktiven Teilnahme geboten würden.29 Insoweit wird nach den Kriterien vermutet, dass der interaktive Charakter eines Angebotes „negative Wirkungen auf Kinder und Jugendliche haben könne“.30

29 Vgl. KJM-Kriterien über die Aufsicht im Rundfunk und in Telemedien, i. d. F. 04.06.2009, S. 9 abrufbar unter https://www.kjmonline.de/fileadm in/user_upload/KJM/Publikationen/Pruefkriterien/Kriterien_KJM.pdf (Datum des Abrufs: 12.09.2018). 30 Vgl. KJM-Kriterien über die Aufsicht im Rundfunk und in Telemedien, Version vom 04.06.2009, S. 9 abrufbar unter hattps://www.kjm-online.de/file admin/user_upload/KJM/Publikationen/Pruefkriterien/Kriterien_KJM.pdf (Datum des Abrufs: 12.09.2018).; Insoweit wird im Weiteren wörtlich ausgeführt: „Durch so genanntes Voting und/oder durch entsprechende Kommentierungen können Personen beleidigt, beschimpft, diffamiert und erniedrigt werden. Auch innerhalb eines Onlinespiels können problematische Interaktionen stattfinden. Je höher der Interaktivitätsgrad umso größer ist die Wirkung des Angebotes. Zu einem hohen Interaktivitätsgrad können sowohl gestalterische als auch dramaturgische Faktoren beitragen. Zu den gestalterischen Faktoren können gehören: (virtuelle) Realitätsnähe, ein enger Bezug der Bilder (insbesondere in Computerspielen) zur Erlebniswelt von Kindern und Jugendlichen oder die Ich-Perspektive (subjektive Kameraperspektive) der agierenden Person (z.B. in einem 3D Shooter und Taktik-Shooter) gehören. Zu den dramaturgischen Faktoren kann vor allem eine starke emotionale Einbindung der Nutzer, etwa durch Schaffung eines starken Identifikationspotentials oder eine persönliche Anrede, gehören“.

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6. Weitere Kriterien In den Vorgaben und der Spruchpraxis der Jugendschutzinstitutionen wird häufig zwischen unterschiedlichen Risikodimensionen unterschieden, die aber nicht automatisch einem bestimmten jugendschutzrechtlichen Gefährdungsgrad zugewiesen werden können.31 Dies betrifft etwa die Frage, inwieweit ein bestimmter Medieninhalt eine bestimmte Altersgruppe ängstigen oder sonst psychisch überfordern kann. In gleicher Weise ist die Wertungsdimension der „sozial-ethischen Desorientierung“ nicht zwingend nur einem Gefährdungsgrad zugewiesen. Mit der Wertung der sozialethischen Desorientierung, welche nur früher weitgehend der Begründung einer Listenaufnahme durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) vorbehalten war,32 werden heute bald Indizierungen wegen einfacher Jugendgefährdung, bald Eignungen zur Entwicklungsbeeinträchtigung wahlweise für die Altersstufen ab 12 Jahren, ab 16 Jahren oder ab 18 Jahren begründet. Es verbietet sich also bei allgemeinen Risikodimensionen wie etwa der nachhaltigen Ängstigung, der Gewaltbefürwortung oder einer an-

31 Vgl. z.B. § 31 der Prüfordnung der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (PrO-FSF) i. d. F. v. 01.1.2018 abrufbar unter https://fsf.de/data/user/ Dokumente/Downloads/FSFPrO.pdf (Datum des Abrufs: 12.09.2018). 32 Der Begriff wurzelt in dem von den Verwaltungsgerichten früh im Zusammenhang mit indizierungstauglichen Jugendgefährdungen verwandten Terminus des „sozialethischen Begriffsverwirrung“ bei Minderjährigen (vgl. BVerwGE 23, S. 104, 115; 25, S. 318, 320; 39, S. 197, 203, 205), der in der Spruchpraxis der Bundesprüfstelle im Laufe der Zeit in den Begriff der „sozialethischen Desorientierung“ gefasst wurde (vgl. z.B. BPjSEntsch. Nr. 3512 v. 05.09.1985, S. 3; BPjS-Entsch. Nr. 4132 v. 06.06.1991, BPS-Report 4/1991, 40/41; BPjS-Entsch. v. 6.11.1997, JMSReport 1/1998, S. 60; BPjS-Entsch. Nr. 5504 (V) v. 10.02.1999, S. 2, abgedr. bei Seim/Spiegel, Der kommentierte Bildband zu „Ab 18“, 1999, S. 101 f.; BPjS-Entsch. Nr. 5676 (V) v. 12.11.1999, S. 2; BPjS-Entsch. Nr. VA 6/99 v. 02.12.1999).

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derweitigen sozialethischen Desorientierung der schematische Rückschluss auf einen ganz bestimmten Jugendschutzgrad. Dies ergibt sich vor allem daraus, dass die Bewertung über den Grad der Jugendgefährdung bzw. der Entwicklungsbeeinträchtigung von einer Vielzahl weiterer Determinanten bestimmt wird wie etwa die konkrete Drastik und Intensität einer (Gewalt-)Darstellung, die mediale Sinngebung problematischer Inhalte (Verherrlichung, Verharmlosung) oder die bei einer bestimmten Altersgruppe bereits mutmaßlich vorhandene Medienkompetenz und Distanzierungsmöglichkeit. Hieraus wird etwa nach den Kriterien der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) abgeleitet, dass die Risikodimension der „übermäßigen Ängstigung“ in der Regel bei Altersgruppen über 12 Jahren in geringerem Maße eine Rolle spielt als bei jüngeren Kindern.33 Auch hier verbieten sich aber gerade schematische Wertungen, sodass mit einer übermäßigen Ängstigung im Einzelfall eine Ungeeignetheit eines Medieninhaltes für unter 6, 12, oder auch 16-jährige Zuschauer(innen) begründbar ist. Überdies sind im medieninhaltlichen Kontext auch entlastende bzw. distanzierende Elemente wie z.B. eine klare Gut-Böse-Zeichnung, ein deutlich absehbares Happy-End zu berücksichtigen. Spannende Sequenzen können durch ruhige, entspannende oder jugendschutzirrelevante Sequenzen konterkariert werden, ebenso durch die Verwendung humoristischer Elemente als Distanzierungsmittel oder die Erzeugung von Empathie mit Gewaltopfern. Schließlich ist auch die Medien- und Genrekompetenz bestimmter Altersgruppen stets zu berücksichtigen. Insbesondere bedarf es der Prüfung, ob bestimmte Altersgruppen aufgrund ihrer bereits entwickelten Medienkompetenzen und Fähigkeiten zur Entschlüsselung einzelner Genres, zur Abstraktion und Distanzierung schon in der Lage sind. Hierbei ist mit zunehmendem Alter eine gesteigerte Kompetenz anzu-

33 Vgl. § 31 Abs. 3 S. 2 der Prüfordnung der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (PrO-FSF) i. d. F. v. 01.1.2018 abrufbar unter https://fsf.de/data/ user/Dokumente/Downloads/FSF_PrO.pdf (Datum des Abrufs: 12.09.2018).

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nehmen. Die Risikodimension der „Ängstigung“ fällt mithin eher bei jüngeren Altersgruppen ins Gewicht.34

III. ANWENDUNG AUF VR- UND AR-MEDIEN Meines Erachtens können die genannten Kriterien auch auf neue immersive Medienformen wie „Virtual Reality“ (VR) oder „Augmented Reality“ (AR) Settings unverändert herangezogen werden. Ein gesteigerter Realitätsgrad kann dabei im Einzelfall auch zu einer anderen Bewertung führen als bei klassischen zweidimensionalen Bewegtbildformaten. Allerdings verbieten sich hier schematische Schlüsse allein aufgrund der Dreidimensionalität oder einer vermuteten gesteigerten Immersion. Es bewendet – wie nach der bisherigen Rechtsanwendung im Jugendschutz – beim Erfordernis der Einzelfallbewertung insbesondere anhand der geschilderten Kriterien.

IV. SPEZIFIKA BEI JOURNALISTISCHEN ANGEBOTEN 1. Menschenwürdeverletzende Angebote (§ 4 I Nr. 8 JMStV) Im Kontext des Tagungsthemas hält auch das Jugendschutzrecht besondere Regelungen für journalistische Angebote bereit, welche in gewisser Weise als Privilegierung von Angeboten im Berichterstattungskontext gegenüber Belangen des Jugendschutzes angesehen werden können. Die betrifft zunächst das Verbot menschenwürdeverletzender Angebote in § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 8 JMStV mit folgendem Wortlaut:

34 Ausführlich zu allen Bewertungskriterien im Jugendschutz: Liesching, Schutzgrade im Jugendmedienschutz, 2011, S. 2 f.

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„§ 4 JMStV Unzulässige Angebote (1) Unbeschadet strafrechtlicher Verantwortlichkeit sind Angebote unzulässig, wenn sie […] 8. gegen die Menschenwürde verstoßen, insbesondere durch die Darstellung von Menschen, die sterben oder schweren körperlichen oder seelischen Leiden ausgesetzt sind oder waren, wobei ein tatsächliches Geschehen wiedergegeben wird, ohne dass ein berechtigtes Interesse gerade für diese Form der Darstellung oder Berichterstattung vorliegt; eine Einwilligung ist unbeachtlich“.

Eine Einschränkung des „überwiegenden Berichterstattungsinteresses“ ist wegen der Unantastbarkeit der Menschenwürde nicht derart zu verstehen, dass bei Inhalten der Berichterstattung stets der Vorrang gegenüber Belangen des Menschenwürdeschutzes einzuräumen ist. 35 Es bedarf vielmehr der Einzelfallabwägung. Ein berechtigtes Interesse gerade an einer bestimmten Form der Darstellung sei nach Stimmen in der Kommentarliteratur hiernach dann anzunehmen, „wenn Geschehnisse im Hinblick auf deren Hintergründe und menschliche Auswirkungen dem Zuschauer verdeutlicht, gegebenenfalls auch drastisch vor Augen geführt werden und hierdurch gerade einer Bagatellisierung menschlichen Leids vorgebeugt wird“.36

Werden indes Bilder, in denen ein alter, hilfloser Mann Misshandlungen und Beleidigungen durch seine Altenpflegerin ausgesetzt war, in ausgedehnter Länge im Rahmen von Nachrichten- und Magazinsendungen ausgestrahlt, sind sie auch dann unzulässig, wenn sie das Ziel

35 Vgl. Liesching/Schuster, Jugendschutzrecht-Kommentar, 5. Aufl. 2011, § 4 JMStV Rn 29; a. A: Landmann, in: Eberle/Rudolf/Wasserburg (Hrsg.), Kap. IV Rn. 47. 36 Vgl. Kaspar, in: Binder/Vesting (Hrsg.), Beck'scher Kommentar zum Rundfunkrecht, 4. Aufl. 2018, § 4 JMStV Rn. 61.

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vor Augen haben, bestehende Missstände im Altenpflegebereich aufzuzeigen und zu kritisieren.37 2. Berichterstattungsprivileg (§ 5 Abs. 6 JMStV) Auch für den Bereich der entwicklungsbeeinträchtigenden Angebote nach § 5 Abs. 1 JMStV, die vor allem im Bereich „ab 16“ und „ab 18“ Verbreitungsbeschränkungen unterliegen können, normiert § 5 Abs. 6 JMStV ein Berichterstattungsprivileg mit folgendem Wortlaut: „§ 5 JMStV Entwicklungsbeeinträchtigende Angebote (1) Sofern Anbieter Angebote, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen, verbreiten oder zugänglich machen, haben sie dafür Sorge zu tragen, dass Kinder oder Jugendliche der betroffenen Altersstufen sie üblicherweise nicht wahrnehmen. […] (6) Absatz 1 gilt nicht für Nachrichtensendungen, Sendungen zum politischen Zeitgeschehen im Rundfunk und vergleichbare Angebote bei Telemedien, es sei denn, es besteht kein berechtigtes Interesse an dieser Form der Darstellung oder Berichterstattung.“

Die Vorschrift betrifft zunächst Nachrichtensendungen und Sendungen zum politischen Zeitgeschehen im Rundfunk (z.B. Politikmagazine, Übertragungen von Parlamentsdebatten oder politische Reportagen). Der Begriff der „Sendungen zum politischen Zeitgeschehen“ ist grundsätzlich weit auszulegen.38 Er erfasst nach seinem Wortlaut und auch

37 OVG Lüneburg, MMR 2009, S. 203, 207 f. – Auch die Beanstandung einer Sendung „Die Super Nanny“, in der auf die Missstände in einer Familie durch Veranschaulichung von Misshandlungen von Kindern durch die Mutter gezeigt wurden, ist als Verletzung der Menschenwürde angesehen worden (VG Hannover, ZUM-RD 2015, S. 325). 38 Liesching, tv-diskurs 4/2008, S. 28 ff

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vor dem Hintergrund der dokumentierten rechtspolitischen Erwägungen im Gesetzgebungsprozess sowie nach verfassungsrechtlichen Grundsätzen auch Sendungen zum historischen politischen Zeitgeschehen ungeachtet dessen, ob auch fiktionale Sendeinhalte in dem Angebot enthalten sind.39 Daneben werden auch vergleichbare Angebote bei Telemedien erfasst (z.B. Internet-Nachrichten-Portale). Alle Angebotsinhalte unterliegen aber der weiteren Prüfung, ob im jeweiligen Fall ein berechtigtes Interesse gerade an der gewählten konkreten Form der Darstellung oder Berichterstattung vorliegt. Hierbei ist u.a. auch der Grad der jeweils zu besorgenden Entwicklungsbeeinträchtigung zu berücksichtigen, sodass Inhalte, die lediglich geeignet sind, einen bestimmten Altersteil (z.B. Kinder bis 12 Jahre) in ihrer Entwicklung zu beeinträchtigen, eher zu einem Vorrang der Informationsfreiheit im Rahmen der Interessenabwägung führen können als Angebote, die zusätzlich für Jugendliche unter 16 oder gar 18 Jahren ein Beeinträchtigungsrisiko i.S.d. § 5 Abs. 1 JMStV darstellen. 40 Etwaige Jugendbeeinträchtigungen sind im Hinblick auf das Informationsbedürfnis der Bevölkerung hinzunehmen.41 Reißerische, selbstzweckhafte Darstellungsformen können hingegen vom Berichterstattungsinteresse im Einzelfall nicht mehr gedeckt.42 Durch den 19. RfÄndStV wurde nach Auffassung des Landesgesetzgebers durch Abänderung des Wortlauts eine „Beweislastumkehr“ zugunsten journalistischer Nachrichtenberichterstattung vorgenommen.43 Einschlägige Angebote seien somit nunmehr stets ohne Einschränkung möglich, es sei denn, die Aufsichtsbehörde legt dar, dass

39 Liesching, ZUM 2009, S. 367 f.; a. A. Hopf, ZUM 2009, S. 191 f.; Erdemir, in: Bornemann/Erdemir (Hrsg.), JMStV-Kommentar, 1. Aufl. 2017, § 5 Rn. 76. 40 Liesching, ZUM 2009, S. 367, 372 f.; Altenhain, MMR-Aktuell 2010, 302778; a. A. Hopf, ZUM 2009, S. 191, 198. 41 Bay. LT-Drs 14/10246, S. 17. 42 Vgl. Bornemann, NJW 2003, S. 787, 790. 43 Vgl. BayLT-Drs. 17/9700, S. 25; Hopf, K&R 2016, S. 784, 785 f.

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für die nicht jugendgerechte Form der Darstellung oder Berichterstattung kein berechtigtes Interesse besteht. Freilich galt dies richtigerweise bereits nach der vormaligen Fassung, da Restriktionen der staatlichen Medienaufsicht schon aus der verfassungsrechtlichen Bindung an Art. 5 Abs. 1 S 2 GG in Verbindung mit ihrer Begründungspflicht (§ 17 Abs. 1 S. 3 und 4 JMStV) zur Darlegung der Nichtvorliegens eines Berichterstattungsinteresses verpflichteten.

V. ANWENDUNG AUF VR- UND AR-MEDIEN Meines Erachtens können die jugendschutzrechtlichen Privilegierungen journalistischer Angebote im Rahmen von § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 8 und § 5 Abs. 6 JMStV auch auf neue immersive Medienformen wie „virtual reality“ oder „augmented reality“ Settings unverändert angewandt werden. Insoweit verbieten sich – ebenso wie zuvor ausgeführt bei der jugendschutzrechtlichen Bewertung nach Gefährdungsgraden 44 – schematische Schlüsse, welche etwa bei dreidimensionalen Darstellungen von vorneherein von einem fehlenden Interesse „gerade an dieser Form der Darstellung“ ausgingen.

VI. BESONDERE JUGENDSCHUTZRELEVANZ IMMERSIVER VR-MEDIEN? 1. Was ist Immersion? Ein medientheoretischer Blick auf den Begriff der „Immersion“ oder allgemein auf das Phänomen dreidimensionaler Mediengeltungen lässt zunächst fraglich erscheinen, ob bislang hinreichende Erkenntnisse

44 Hierzu bereits unter II.

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über Wesensmerkmale und Wirkungen von VR/AR vorliegen.45 Begreift man den bei näherer Befassung sich diffus und vage aufzulösen scheinenden Terminus der „Immersion“ dann wieder ganz wörtlich als (kognitives) Eintauchen in eine medial erzeugte Geltung, so kann berechtigt nach den Unterschieden gegenüber klassischen Medien gefragt werden. Kommt einem Buch wie Thomas Manns Zauberberg dann nicht ebenfalls eine immersive Wirkung zu, wenn sich vor dem inneren Auge des Lesers Hans Castorp in der Liegekur in Davos oder im Dialog mit dem Humanisten Settembrini entspannt und hierbei die Buchmaterialität in den Hintergrund des Bewusstseins tritt oder zumindest zu treten scheint?46 Will man derartige Rezeptionsphänomene indes qualitativ von der Eindrücklichkeit der Bildmedien unterscheiden – etwa wegen des bei abstrakten Symbolen des Alphabets erforderlichen kognitiven Transformationsaktes – entkommt man der grundsätzlichen Fragestellung gleichwohl nicht. Denn auch bei zweidimensionalen Bildmedien, bei denen sich die mediale Geltung unmittelbarer erschließt, sind Phänomene, die in der Medienpsychologie als Involvement oder Präsenzerleben bezeichnet werden, bekannt, auch wenn die Authentizität eines der berühmtesten Beispiele der (vermeintlichen) Publikumsreaktion auf die cinematographische Reproduktion eines einfahrenden Zuges in La Ciotat (1896) immer wieder in Zweifel gezogen wird.47 Möglicherweise kommt aber dreidimensionalen VR-Mediengeltungen aufgrund eines ganz anderen Umstandes eine andere Qualität des In-

45 Vgl. hierzu Mühlberger, Psychologische Wirkkraft immersiver Medien, S. 43 in diesem Band und den Überblick bei Bilandzik, in: Wünsch/Schramm/ Gehrau/Bilandzic (Hrsg.), Handbuch Medienrezeption, 2014, S. 273 f. 46 Auch die in der Medienpsychologie vertretene konzeptionelle Unterscheidung in Begrifflichkeiten wie „Involvement“, „Präsenzerleben“ etc. (vgl. z.B. Trepte/Reinecke, Medienpsychologie, 2012, S. 105 f.) lässt dies letztlich offen. 47 Vgl. Loiperdinger, Lumière's Arrival of the Train – Cinema's Founding Myth, The Moving Image 4. 1, 2004, S. 89-118.

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volvements oder Präsenzerlebens zu, und zwar aufgrund der wesentlich weiterreichenden Ausblendung und Negation der als Lebenswirklichkeit empfundenen Realität. VR-Brille und Kopfhörer berauben dem Nutzer weitgehend der Möglichkeit, sich audiovisuell zu versichern, dass neben der medial erzeugten Geltung – besser „Gegenwärtigkeitswahrnehmung“ – das noch existent ist, was er als realen Ausgangspunkt jeder Medienrezeptionserfahrung nimmt und als Realität definiert. Auch die Rückversicherung über andere Sinnesempfindungen (Geruch, taktile Reize) gelingt in der Regel nicht oder nicht nachhaltig, sofern kein hinzutretender audiovisueller Ankerpunkt vorhanden ist. Daher kann es sein, dass die weitgehende sensuale Negation der realen Umgebung nicht minder zu dem, was wir „Immersion“ nennen, beiträgt, als die gegenwärtige Wahrnehmung der dreidimensionalen medialen Geltung selbst. Demgegenüber kommt es auf deren photorealistische Auflösung möglicherweise weniger an, als auf den ersten Blick naheliegt. Ein Blick auf die Mediengeschichte der letzten 15.000 Jahre verdeutlicht, dass ein Antrieb für die Innovation und Fortentwicklung vorhandener Medientechnologien und -techniken das Streben einer weiteren Angleichung medial erzeugter Geltungseindrücke an die als real empfundene Gegenwärtigkeitswahrnehmung war und weiterhin ist. Medienhistorische Wegmarken wie die Präferenz und Durchsetzung der zentralperspektivischen Malerei seit der Renaissance, die Entwicklung der Photographie – zunächst schwarzweiß dann farbig –, die Fortentwicklung zu Laufbildmedien – zunächst Stummfilm, dann Tonfilm – spinnen einen roten Faden, der zum einen darauf hindeutet, dass die Diskrepanz zwischen medialer Geltung und dem gegenwärtigen Sinneseindruck dessen, was wir als Realität begreifen, zumindest teilweise als Malus angesehen worden ist. Zum anderen legt die medienhistorische Betrachtung nahe, dass auch die Entwicklung dreidimensionaler Mediengeltungen der VR/AR nur eine Momentaufnahme auf der Medieninnovations-Zeitachse hin zu einer vollumfänglichen Kulmination medial erzeugter und als real angesehener Gegenwärtigkeitswahrnehmung sein könnte. Insbesondere die mediengeschichtliche Perspektive lässt VR/AR eher nicht als epochale Umwälzung bisheriger Mediengestaltungsfor-

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men erscheinen, sondern als nächster Schritt der kontinuierlichen Erweiterung medialer Darstellungspotentialität hin zu einer vollständigen Angleichung an als Realität identifizierte Gegenwärtigkeitswahrnehmung. Auf diese hinter VR/AR mithin seit langem stehenden Motivationen der Medieninnovation ist das Jugendschutzrecht meines Erachtens bereits und noch hinlänglich eingestellt – sowohl hinsichtlich der ohnehin abstrakten gesetzlichen Vorgaben als auch mit Blick auf die Kriterien der Auslegung von Risikodimensionen nach den maßgeblichen Kategorien der Entwicklungsgefährdung bzw. -beeinträchtigung. 2. „VR ist reisen genug“ (?) Besteht in Anlehnung an die Ansichten des Hilfsbuchhalters Soares „Existieren ist reisen genug“ (Pessoa) Anhalt zu Besorgnis, Kinder und Jugendliche könnten sich über VR-Brillen in medialen – vermeintlich realen – Geltungen verlieren und etwa in Verwirrung über die Bedeutungen des realen Lebensvollzugs geraten – mit allen Implikationen für die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen? Vergleichbare Menetekel sind in der Vergangenheit auch in Bezug auf andere Medienerscheinungsformen gemalt worden, etwa im Kontext der Computerspielsucht oder des übermäßigen Fernsehkonsums, im Grunde auch schon aufgrund der Verbreitung von „Schund- und Schmutzschriften“ in den 1920er Jahren. Auch wenn sich insoweit mögliche Gefahren vor allem bei entsprechenden psychologischen Prädispositionen oder individuellen Neigungen zu „Eskapismus“ nicht leugnen lassen, ist dies eher kein Aufgabenfeld des auf medieninhaltliche Risiken ausgerichteten gesetzlichen Jugendmedienschutzes. Darüber hinaus gehenden – vor allem sich aus langfristiger Mediennutzung ergebenden – Risiken für Kinder und Jugendlichen zu begegnen, untersteht schon aufgrund Art. 6 Abs. 2 S. GG48 dem Primat elterlicher Erziehung.

48 Vgl. BVerfG, NJW 1991, S. 1471, 1472 für die entsprechende Vorgängerregelung des GjS, wonach jugendschutzgesetzliche Verbreitungsbeschränkungen sogar bezüglich jugendgefährdender und indizierter Medien nur

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3. Erhöht Immersion Ängstigungswirkungen bei Kindern und Jugendlichen? Nach den oben dargestellten Kriterien zur Bewertung einer Eignung eines Mediums zur Jugendgefährdung bzw. -beeinträchtigung ist zwar nicht ausgeschlossen, dass gerade der Realitätsgrad einer Darstellung zur einer übermäßigen Ängstigung gerade jüngerer Altersgruppen beitragen können. Aktuelle Untersuchungen mit Probandinnen und Probanden an der Fakultät Medien der HTWK Leipzig zeigen aber, dass Angsterzeugung bzw. das Hervorrufen von Angstreaktionen in VR-Umgebungen komplex sind und von einer Vielzahl von Determinanten abhängig sein können. Einer virtuellen Umgebung in einem Haifischkäfig im Ozean für etwa 15 Minuten ausgesetzt, zeigten (erwachsene) Proband(inn)en jeweils vollkommen unterschiedliche Angstreaktionen, sowohl hinsichtlich der Intensität als auch hinsichtlich der Rezeptionszeitpunkte (Absenken des Käfigs, zunehmende Dunkelheit, erste Konfrontation mit einem heranschwimmenden Hai). Soweit Testgruppen zuvor das VR-Setting zweidimensional an einem Monitor sehen durften, ehe sie Tage später einem dreidimensionalen Erleben desselben Settings ausgesetzt wurden, waren kaum andere Ergebnisse gegenüber der Vergleichsgruppe zu verzeichnen, die sogleich und erstmalig mit der 3D-VR-Umgebung konfrontiert worden war.49 Wie immer, sind überdies freilich die rechtsmethodischen Einwände gegen Laborexperimente zu berücksichtigen, wenngleich gerade

„sicherstellen“ sollen, „dass Kindern und Jugendlichen Schriften, die sich auf ihre Entwicklung schädlich auswirken können, nur mit Zustimmung ihrer Eltern zugänglich gemacht werden“; vgl. allg. zu Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG: BVerfGE 24, S. 119, 150; BVerfGE 76, S. 1, 51; BVerfGE 99, S. 145, 156. 49 Allen Testteilnehmer(innen) wurde freilich zuvor aus wissenschaftsethischen Gründen erläutert, welche Inhalte im Rahmen der VR-Umgebung aus sie zukommen werden und dass jederzeit die Möglichkeit bestehe, den Immersionstest sofort abzubrechen.

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bei Tests mit VR-Brillen der oben geschilderten audiovisuellen Negation der Realumgebung50 eine besondere Bedeutung zukommen kann. Vorbehaltlich weiterer Studien zeichnet es sich tendenziell ab, dass die Erzeugung von Angstwirkungen durch immersive Medien in höherer Intensität möglich ist als bei zweidimensionalen Darstellungen, indes aufgrund individueller Prädispositionen erhebliche Unterschiede in den Reaktionen und bei der Pulsmessung bei den einzelnen Proband(inn)en zu verzeichnen waren.

VII. SCHLUSS Die aktuellen jugendschutzrechtlichen Regelungen insbesondere des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages und des Jugendschutzgesetzes taugen m.E. aufgrund ihrer starken Ausdifferenzierung und mit Blick auf Privilegierungen für journalistische Angebote grundsätzlich auch für eine sachgerechte Anwendung auf immersive VR/AR-Medien. Soweit Medieninnovationen in der Zukunft freilich weiter zu einer Kulmination dessen führen, was wir einerseits als Realität und andererseits als medial erzeugte Geltung ansehen, mögen sich auch neue regulative Herausforderungen insbesondere dann stellen, wenn beides nicht mehr zu unterscheiden ist. Die allgemeinen soziopsychologisch und sonstigen Auswirkungen und die sich dann stellenden gesellschaftlichen Aufgaben werden dann freilich von anderer Dimension sein, als das mikrokosmische und schon heute in der Medienrealität zunehmend unbeachtete Regulierungsfeld des Jugendschutzes.

50 Hierzu bereits unter IV. 1.

Autorinnen und Autoren

Dr. Laura Marie Braam hat an der Rheinischen Friedrich WilhelmUniversität Bonn studiert und dort auch zum Thema „Die anonyme Meinungsäußerung“ promoviert. Seit 2015 ist sie Referentin für Medienpolitik und -ökonomie an der Landesanstalt für Medien NordrheinWestfalen. Ass. jur. Dominic Habel promoviert zum Thema „Roboterjournalismus“ und war bis Ende September 2018 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Medien- und Informationsrecht der Universität Passau. Univ.-Prof. Dr. Dr. h. c. Karl-Heinz Ladeur war bis zu seiner Emeritierung Inhaber der Professur für Öffentliches Recht an der Universität Hamburg und ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zur Rechtstheorie, Rechtssoziologie und zum Medienrecht. Für seine intersdisziplinäre Forschungen zum Verhältnis von Recht und Soziologie wurde ihm von der Universität Freiburg (Schweiz) im Jahr 2011 die Ehrendoktorwürde verliehen. Prof. Dr. Marc Liesching ist Professor für Medientheorie und Medienrecht an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur in Leipzig. Er ist auch als Rechtsanwalt tätig und forscht insbesondere zum Jugendmedienschutzrecht und zuletzt zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz.

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Prof. Dr. Kerstin Liesem ist Professorin für Journalismus und Unternehmenskommunikation an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Köln. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählt das Medienrecht und die Medienethik. Nach ihrem Studium der Rechtswissenschaften und Journalistik sowie der Promotion zum Dr. jur. war sie unter anderem in der Wirtschaftsredaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung tätig. Univ.-Prof. Dr. Andreas Mühlberger ist Inhaber der Professur für Klinische Psychologie und Psychotherapie in Regensburg. Er erforscht unter anderem Angsttherapien und Wege, wie posttraumatische Belastungsstörungen bewältigt werden können. Bereits mit dem Aufkommen der VR-Technik hat er sich früh mit den Einsatzmöglichkeiten der VR-Technik zu Therapiezwecken befasst. Univ.-Prof. Dr. Christoph Neuberger ist Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der LudwigMaximilians-Universität München. Aus seinem besonderen Interesse für neue Medienformate und -techniken sowie deren Wirkung auf die Gesellschaft resultieren zahlreiche kommunikationswissenschaftliche Publikationen und Gutachten, an denen sich auch die Kommission für die Ermittlung von Machtkonzentrationen im Medienbereich (KEK) orientiert. Bastian Orthmann ist zurzeit studentischer Mitarbeiter am Fraunhofer Institut Berlin. Er studiert Audiodesign an der SRH Hochschule der poulären Künste, Berlin. Thomas Seymat ist VR-Journalist der ersten Stunde und hat die VRAbteilung bei Euronews am Standort in Lyon mit aufgebaut. Zurzeit ist er Stipendiat am Donald W. Reynolds Journalism Institute an der Universität Missouri und entwickelt eine Software, welche Nutzerreaktiven auf immersive Inhalte misst.

Autorinnen und Autoren

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Dipl.-Ing. Christian Weissig ist Head of Capture & Display Systems Group Vision & Imaging Technology am Fraunhofer Institut Berlin. Er erfindet und erforscht die VR-Technik sowie deren praktischen Anwendungsszenarien.

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