Immanuel Kants Leben [4 ed.] 9783787330362, 9783787306718

Karl Vorländers kleine Kantbiographie, 1911 in erster, 1921 in zweiter Auflage erschienen, ist bis heute – neben Vorländ

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German Pages 241 [287] Year 1986

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Immanuel Kants Leben [4 ed.]
 9783787330362, 9783787306718

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KARL VORLÀNDER

Immanuel Kants Leben

Neu herausgegeben von RUDOLF MALTER

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 126 1911 Erste Auflage 1921 Zweite, verbesserte Auflage 1974 Dritte, unveränderte Auflage. Mit neuer Einleitung, Auswahlbibliographie und Quellentexten herausgegeben von Rudolf Malter 1986 Vierte, verbesserte Auflage

Im Digitaldruck »on demand« hergestelltes, inhaltlich mit der 4. verb. Aufl. von 1986 identisches Exemplar. Wir bitten um Verständnis für unvermeidliche Abweichungen in der Ausstattung, die der Einzelfertigung geschuldet sind. Weitere Informationen unter: www.meiner.de/bod.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliogra­phi­­ sche Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-0671-8 ISBN eBook: 978-3-7873-3036-2 © Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 1986. Alle Rechte vor­ behalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§  53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Gesamtherstellung: BoD, Norderstedt. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruck­papier, hergestellt aus 100 % chlor­f rei gebleich­tem Zellstoff. Printed in Germany.  www.meiner.de

Dem Andenken Hennann Cohens gewidmet (t 4. Okt. 1918)

Inhalt IX XII

Vorwort zur ersten Auflage . . . . Abkiirzungen . . . . . . . . . . Kant in der biographischen Forschung Einleitung von Rudolf Malter . . . Anmerkungen zur Einleitung . . . Auswahlbibliographie zur Biographie Kants (mit Nachtrag)

XIII XXVI XXXI

Er s t e s K a p i t e l. Elternhaus.

Erste Jugend.

1-14

Gymnasialzeit.

1724-1740. Abstammung S. l. Eltern S. 2. - Erste Kind heit Auf d em Fridericiannm S. 6-1 4 .

S. 4.

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Z w e i t e s K a p it e l. Universitlitszeit und Hauslehrerj ahre.

16-38

1740-1754 . A. K a nt a l s Stndent.

1740-1 746 . . . . . . . . 15-31 Immatriknlation S. 15. - In welcher Fakultat ? S. 16 . Art seines Stndiums S. 19. - Seine Lehrer S. 20. Ein1lnll M. Knu tzens S. 21. - l ullere Lebensweise S. 24. V or dem Universitatsgericht - Stndienfrennde S. 27. S. 28. Abgang von d er Universitat S. 29. - Erste Schrift S. 30. B. H a n s l e h r e r j a h re. 1747-1754 . . . . . . . 31-38 31 Judtschen S. . In Arnsdorf S. 32. - Bei K y e ser lings? S. 34. - Cha rakter dies er Zeit S. 36. - Bewerbung um eine Gymnasiallehrerstelle? S. 37. -

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.

.

.

-

D ritt e s

K a p i t e l.

Fiiufzehn Jahre Privatdozent und Magister.

1755-1770. l. Anf satze von 1754 S. 39.- Promotion S. 40. - Habi­

litation und erste Vorlesung S. 40. 2. V o r l e s n n g e n. Gegen stande derselben S. 4 1 . Tagesstnnden S. 42. - Benntzung der Kompendien S. 43. Vortrag swei se S. 45.

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-

39-86

VI

Inhalt 3. S c h r i f t e n von 1755 bis 1758 S. 47. - Von 1769 bis 1 76 8 S. 50. 4. l n ll e r e Lebensbedingungen S. 55. 5. G e s e l l i g er V e r k e h r s. 59. - Kleidung S. 60. Freunde: Wobser S. 60. Green S. 60f. Kanfieute S. 61. O ffiziere S. 62 f. Damen S. 63 f. - Znhl!rer S. 65. Innenleben S. 66. 6. G e i s t i g e E i n f lfi s s e d e r 60e r J a h r e: Ronsseau S. 68. Hamann S. 69. - Herder S. 71. - Lambert S. 73. - Moses Mendelssohn S. 74. 7. Erfolglose Bewe r b u n g e n S. 75. - Unterbibliothe­ kar an der Schlollbibliothek S. 79. - Rn f nach Er­ langen S. 83, nach Jena S. 85.- O r d e n t l i c he r P r o ­

f e s s o r in Kl!nigsberg S. 85 f.

V i e r t e s Ka p i t e l. Bis zum Erschelnen der Krltik der reinen Vernuntt. 87-118

1770-1781. l. Antritt

des Professoramtes (Ina.ugural-Dissertation ì S. 87. - Verhltltnis zn Minister von Zedlitz S. 88. Markns Herz· S. 92. A vancement S. 93. 2. V o r l e s n ng e n: lhr Gegenstand S. 94. - Znhl!rer S. 96. Charakter der populii.ren Vorlesungen S. 97. 3. Sc h r i f t e n: Arbeit an. der Vernnnftkritik S. 99. ­ R ez ension Moscati& S. 99. Von den Menschenrassen S. 100. - Lateinische Rede von 1777 S. 101. An f­ sii.tze fiber das Dessaner Philanthropin nnd Unter­ stfitzung desselbeil S. 102. 4. G e s e l l i g e r V e r k e h r: lm Hanse Keyserling S. 108. - An der Mittagstafel des Gasthanses S. 110. Kanzler von Schr1!tter S. 110. 5. Br i e f l i c h e r Verkehr nnd pers1!nliche Bezi ehnngen: Wie1and, Nicolai, G. Jacobi S. 111. - Hamann S. 112. - Lavater S. 113. - Lambert S. 114. - Mendels­ sohn S. 115. Markus Herz und Biester S. 116. Erscheinen der Kritik der reinen Vernunft S. 1 18. -

-

-

-



-

F ii n f t es K ap i t e l. Kant auf der Hohe seiner geistigen Tiltigkeit.

1781-1790. l. Ubersicht iiber die S c h r i f t e n dieser Periode S. 1 19 . 2. V o r l e s u n g e n S. 121. - VerhiUtnis zn den Zuhl!rern S. 125. - Als Dekan nnd R e k t o r S. 129. - Son­ stige Ehrungen S. 133. 3. P r i v a t l e b e n: P e r s1!n l i c h e r Um g a n g: Green nnd Motherby S. 134. Kraus S. 135. Johann Schultz nnd sonstige Kollegen S. 13S. Hippel S. 137. - W o h -

119-160

Inhalt

VII

n u n g S.139. - J u n g g e s e l l e n t u m S. 141. - Tages­ lauf S. 144. , vgl . B ibl. Nr. 3 , S . 2 3 3 ) . E i n solches Heft wurde neuerd ings von G . Mecklenburg m itgeteilt , zuerst i n ,Der Autographensammler " N . F . , 2 . Jg. Nr . 3 , Sept. 1 95 2 , J . A . S targardt/M arburg, da nn in de n Kant-Studien 1 970 (vgl. Bibl . Nr . 7 1 ) . Eine Ausnahme machte Kant im Falle seiner Mafl>regelung durch die PreuBische Zensurbehorde. Um miBverstand liche Deutungen seines Verhaltens zu korrigieren , publizierte er nach dem Tode Friedrich Wilhelms I l . in der Vorrede zum ,Streit der Fakultii­ ten" seinen Rechtfertigungsbrief an den Konig (Ak . Nr. 6 4 2 , S c h . S . 6 82ff. ) . Ansonsten gab er ofter unm iBverstandlich z u verstehe n , daB er keine VerOffentlichung eigener Bnefe wiin sche Ak . Nr . 26 7 , Sch. S. 2 9 2 / 29 3 ; Ak . Nr . 3 6 2 , ( vg l . Sch. S . 3 9 5 / 3 96 ; A k - Nr . 1 6 7 , Sch. S . l 9 7 ) . DaB gleichwohl Briefe Kants zu seinen Lebzeiten an die Offentlichkeit kame n , geschah d em nach gege n seinen ausdriicklichen Willen (vgl. hierzu die Einleitung zu Schondorffers Briefau sgabe S. XX/XXI u nd Ak. XIII , S. X). So vor allem gegen den Rezensenten der ,Kritik d er reinen Vernu nft " in den Gottinger Gelehrte n Anzeige n , gegen Eber­ hard, Fichte, Schlettwein u . a . . Dies g ilt vor allem beziiglich der Triibung des Verhiiltn isse s Kants zu se inem Schiiler Beck . Vgl .. h ierzu neben dem Briefwechsel den aufschluBreichen Brief Becks an Porschke vom 30. 3 . 1 800 (vgl.

Anmerkungen zur E inleitung

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14

XXVII

H . Vaihinger : Briefe aus dem Kantkreise , in : AM 17 ( 1 880) 209 ). DaB Kant im Prinz ip verstihnlich reagierte, beweist se in Brief an Tieftrunk vom 1 2 . Juli 1 79 7 (Ak . Nr . 7 6 2 , Sch . S . 743f.). Vgl . u . a. die Au se inandersetzung Kants m it Fichte , dokumen­ tiert in Bd . XII und Xlii der Ak . Lange Jahre vor Fichtes Ich-Philo sophie bereits hat Theodor Gottlieb von Hippel in u nm ittelbarer Nahe Kants iiber das ,lch " reflektiert - anders freilich als spater F ichte , aber immerhin n icht ganz ohne sachlichen Bezug zur Fichte>chen Spekulat ion (vgl. Th. G. v. Hippel : Lebe nslaufe nach aufste igender Linie , l. Teil. Leipz ig 1 8 5 9 , S . 240ff . ) . Vgl. d ie Selbstbiographien von Scheffner , Baczko , Hippel (s. Bibl. Abt. l, 2). Diesen Gedanken vo n der Hinfalligkeit des individuellen Lebens im Gesamtentwicklu ngsgang der Gattung hat Kant am deutlich­ sten in seiner ,Idee zu einer �eschichte in weltbiirgerlicher Absicht " ausgesprochen (vgl . vor allem den 3 . Satz, Ak . VII I , s . 1 9/20 ) . Es wird in b iographischen Abrissen zu Kant haufig nicht darauf hingewiesen, dal.\ Kant auch schon vor Erscheinen der ,Kritik der reinen Vernunft " zu den bekannteren deutschen Phi1o sophen zahlte. Dies bezeugt u. a . d ie Tatsache, dal.\ schon 1 769 der Hallen ser Geschichtsprofessor Hausen in einem Brief Kant die Absicht m itteilte, ihn in eine Gelehrtenbiographie aufzunehmen : , Ich b in entschlof.\en: Biographien beriihmter Philosophen und Geschichtschreiber des 1 8 . Jahrhunderts in und auf.\er Deutsch­ land zu schreiben . lch habe auch bereits das Leben eines P1oucquet , u nd anderer erhalten . Die Absicht ist den Geist der Philo sophie und Geschichte in unsern Ze iten zu zeigen . Ew : Wohlgebohrn haben dem Publicum so schone und zugleich so griindliche Schrifften geschenckt, dal.\ der erste Theil d ieses Buches durch dero Leben ein eignes Verdienst erhalten wird . le h bitte dahero mir zu iibersenden l ) Dero vollstand iges Leben und Anzeige der Schrifften 2) die Bemerku ng nach welchem Piane Sie d ie Philosophie stud iret , un d in ihrcn Schrifften bearbeitet , weil ich gerne den Geist der Kantischen Philosophie zeigen mochte. Da das Buch Ostern herauskommen soll , so verspreche ich mir eine baldige Erflillung meiner Bitt e . " (Ak . N r. 4 2 , Bd . X, S. 7 9 ) . Von einer Reaktion Kants ist nichts bekannt . Zu Hausens Biographieprojekt schreibt der Herausgeber der Anmerkungen der Ak.-Ausgabe zu oben genanntem Brief: ,Der Pian wurde in dieser Form nicht ausgeftihrt " {Ak. XII I , 3 8 ) . - Zu Kants friihem Ruhm vgl . auch den Brief Krickendes an Scheffner vom 9 . 1 1 . 1 764 (Scheffner-Briefe Bd . l (s. Bibl . Nr . 3 4 ) S. 447 ) . Jachmann ( S . Bibl. Nr. 3 ) S . 1 20.

XXVIII 15 16 17

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A nm erkungen zur E in le i tung

A k . Nr . 5 34 , Sch . S . 5 9 4 . Ak. . Nr. 540, Sch. S . 5 9 9 . Ak. Nr. 4 1 4 , Sch. S . 44 9f. Zu Den i na vgl. Schiindiirffer : Kant s Bricfwech sel Band I I , 1 7 8 9- 1 7 94 , i n : AM 3 8 ( 1 90 1 ) 96- 1 3 4 , bes. S. 9 8ff. und den Br ief Lagardcs an Scheffner vom l 2 . 8 . 1 7 9 0 , i n : Schcffncr-Briefe Band 2 ( B i b l . N r . 3 4 ) , S . 2 2 ; w c i terh i n auch Boro w sk i ( s . Bibl . Nr. 3 ) S . 1 2 . - Ober Dcn i nas spii tere Verbesscrungen se ines Kant-Art ikels vgl . Scheffner-Br iefe , Bd . 5 ( B i b i . Nr . 34 ), S . 1 1 5 . Vgl . K . VorHinder : K-B, 6 - 1 O . V g l . Vorliinders Zusammenstellung von Titel n (aus der anony ­ men Leipz iger Biograph ic , d ie s i c h sel b st w ieder auf d ie Biograph ic von Mortzfeld bez ieh t ) in K - B , 40/4 1 . P . Czygan : Wasian sk i s Handexcmplar (vg l . B i b l . Nr . 3 8 ) , S. 1 1 7 . Czyga n , S . l l 7 . V g l . Vorlii nder , K - B , 1 0- 1 2 . Hassc (vgl . Bibl . N r . 4 ) , S . 3 1 . Wasian sk i , S . 2 1 5 . - Czy gan und Buchenau-Lehmann nehmen Mortzfcld als d c n b e i Wasian sk i ungenannten Autor an . Vortan­ der mach t auf d ie Mogl ichkeit aufm crksam , daf!. e s sich bei d er Wasian ski-Stelle auch um d ie Altenburgcr-Sk izze gehandel t ha­ ben kiinnte , vgl . K - B , S . 1 2 . V g l . Vorlanders Urte i l i n K - B ( passim ) und in Vorl . I l . , S . 3 7 6 . Br ief vom l . 6 . 1 80 4 an Liidecke : ,Kraus ware d er einzigc , der iiber i h n schre i ben k ii n te, alle i n es miichte leich ter sey n m i t c i n e m Messer e i n Gran i tstiick abzusch neiden w ie von i h m etwas z u m Druck zu erhal tcn . . . " ( S cheffner-Bricfe , Ban d . 2 , s. 448). Ebd. . V g l . d ie Titclzusammenste l lung b e i Vorliind er , K - B , 4 1 f. und d ie Kant-Bibl iograph ic von Ad ickes (German Kan t ian B i b l iograp h y , Neud r . d er Ausg . 1 896 , Wiirzburg o . J . ) . V g l . Ad icke s : German Kan t ian B i b l iography ( 1 896 ) , Nachdr . Wiirzburg o. J . , B d . l l l , Rubrik 1 8 04, S. 5 5 8ff. Vorl . I I , S. 3 7 6 . - V g l . Vorliinder , K - B , 1 2-30 ; dori auch H i n we i se auf d ie Urt c i l e Cham berla i n s , Schmids und Schuber t s iiber d ic dre i Biograph ie n . Vg l . Vorlii nder, K - B , 30-3 3 . ,Der Fre imiit h igc od er Ern st und Scherz " , Fre i tag , den 1 3 . July 1 804 . Nro . 1 3 9 , z i t . nac h Buchenau-Lehman n : Der alte Kan t , S . 70 ; vgl . auc h das cbenfalls be i Buche nau- Lehmann ( S . 6 6 -69 ) abgedruckte Urt e i l der ,Zcitung fiir d ie elegant e We lt " , Sonn­ abend 2 1 . J uly 1 80 4 , N r . 8 7 und Scheffners Bemerkung in se inem Br ief an Liidecke ( s . Anm. 2 6 ) : , . . . Eberhar d s ii.ste t i k hab i eh m i t grossem Vergniigcn durc hgelesen , d a s w ird n i c h t i h r fall sey n w e n n I h n e n d ie k l e i n e Schr ifft iibcr den alten Kant vom

Anmerkungen zur Einleitung

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XXI X

HE Co ns: R u ParadiesAuffinder Hasse vor d ie Augen kommen w ird - so vie! Trivialitaten Minutien und Unanstand igkeit sind nicht leicht auf 4 Bcgen zusammengedruckt - alle s schreibt iiber den langentkanteten Kan t , und keiner bringt etwas zu Markt iiber sein Leben Weben u seyn - vermuthlich weil leztres iiber ihrc Krafte gehiirt , und sie liebcr eigne Ohnmacht an fremder Kraftlosigkeit sich versuchcn lassc n . " (S. 45 1 /4 5 2 ) . Vgl. d ie diesem Nachdruck angehangten Be ilagen . Vorl. I I , S. 3 76 . Vgl . Vorlander , K-B, 3 3-36 ; zu Metzger vgl. Heinrich Kolbow : Jo hann Daniel Metzger . Arzt und Lehrer an der Albert us-Universitat zur Zeit Kants, in : JK 1 0 ( 1 960) 9 1 -9 6 . Vgl. Scheffner an Liidecke 8 . 8 . 1 804 : ,Haben Sie schon den t ! Band vo n Kants Leben gelesen? er gefallt m ir sehr. Einiges ist u nrichtig - ich setz es dem Magdeburgischen Mellin auf d ie Rechnung , denn er ist m it Kants Schriften durch und durch bekannt, und saugt man ihnen kein unniitzes Gift wie der gute Nicolai der das Schubben an der neuen Philosophie iiberhaupt nicht lassen kann, u seine eigne Haut dadurch kraftig macht" (Scheffner-Briefe , Bd . 2 , S . 4 5 3 ) . Vgl . Vorlander, K-B, 3 9-45 , zur Autorfrage S . 44/4 5 . Kritische zeitgeniissische Urteile finden sich im Anhang zu Borowskis Biographie ( S . l l 1 - 1 1 5 ) und bei Rink : Ansichten (s . Bibliogr. Nr . 7 ) , S . 1 22-1 5 0 . Vgl . Bibl. Nr . 9 ; Vorlander, K-B , 46-4 8 . Zur naheren Charakteristik der beiden b iographischen Werke vgl . Vorlander , K - B (zu Rin k : 36-3 9 ; zu Reusch : 45 /46 ) . Vgl . E . Fromm : Bitte um Materialien zu einer Kant-Biographie , in : KS 2 ( 1 8 9 8 ) 3 8 7 / 3 8 8 . Zwischen Schubert ( 1 84 2 ) u n d Vorlander ( 1 9 1 1 ) erschien in englischer Sprache eine umfangliche Biographie (Stuckenberg , vgl. B ibl. Nr. 9 3 ) . Eine Sonderstellung nimmt d i e Kantbiographie v o n Rudolf Kayser ein (vgl. B ibl. Nachtrag N r. 1 1 1 ) . DaB Vorlanders kleine Biographie weit iiber die Gre nzen des deutschen Sprachraums bekannt wurde, beweist u. a . der Bericht von S. L. Cheng : Was kennen d ie Ch inesen von Kant? , in : JK 5 (1 954 ) , 1 5 5-1 5 9 . Vgl . Marx ismus u n d Ethik. Texte z u m neukantianischen Sozialis­ mus. Einleitu ng von Hans Jiirg Sandkiihler . Hg . v. Rafael de la Vega und Han s Jiirg Sandkiihler . Frankfurt 1 9 70 , S. 2 6 2ff. (vgl. auch d ie Einle itung von Hans Jiirg Sandkiihler : Kant , neukantia­ nischer Sozialismus, Revisio nismus, S. 7ff.) . Vorlander , Kants Leben, 1 9 2 1 , Quellen, S . 2 1 3 . Vgl. Vorl . , Kants Leben , 1 9 2 1 , Quellen, S. 2 1 3 . Zu Vorlanders groBer Biographie vgl . seine Selbstanzeige : Eine neue Kantbiographie, in : Reichls Philosophischer Almanach auf

xxx

46

A run erkungen zur Einleitung

das Jahr 1 9 24 . Immanuel Kant zum Gediichtnis 2 2 . April l 9 2 4 , Darmstadt 1 9 24 , S . 236-2 3 8 . Vgl . die Arbeiten von Bauch (Nr . 4 2 ) , HeUer (N r. 64 ) , Hilde­ brandt (Nr . 6 5 ) , Lehmann (Nr . 6 8 ) , Menzer (Nr . 7 2 ) , Ritzel (Nr . 7 9 ) , Schmid (Nr . 8 1 ) und d ie psychologisch-krit ischen Bemerkungen J. Koppers im 2. Teil der Einleitu ng zur Neuaus­ gabe von Schondorffers Briefwechsel (vgl. Anm . l ) .

Auswahlbibliographie zur Biographie Kants Die folgende Bibliographie bringt zuniichst ( 1 , 1 ) d ie w ichtigsten derjenigen biographischen Schriften, die, der Feder von Zeitgenossen Kants entstammend, au sdriicklich und au sschliell>lich Kants Le ben und Persi:inlichkeit zu ihrem Thema haben und daher im engeren Sin ne als kantbiographische Quellen - ,primiire Quellen" - anzusehen sind . Unter I ,2 sind , als ergiinzende Be itriige zu den eigentlichen Biogra­ phien, eine Reihe von Titeln aufgefiihrt , die zumeist in gri:ill>erem , Kant nicht betreffenden Zusammenhang auch iiber Kant berichten , bzw . - wenn sie sich nur m it Kant befassen, - bloll> punktuell erhellend sind fiir seine Biographie . Diese ,sekundiiren" Quellen sind gleichwohl hiiufig nicht weniger informativ ftir unser Wissen um Kants Leben als die ,primiire n " . Dall> sie iiberaus zahlreich sind , versteht sich vo n selbst , wer\n man das groll>e Aufsehen, das die Kantische Philo sophie in den beiden letzten Jahnehnten des 1 8 . Jahrhunderts erregte , in Rechnung stellt . E ine gri:ill>ere Sammlung d ieser ,sekundiiren" Quellen steht no eh au s. Die Beilagen zu d iesem Nachdruck der Vorliinderschen Kantbiographie sollen daher vor allem einen ersten Eindruck von diesen zeitgeni:issischen Quellen verschaffe n . Der Teil I I , ,Sekundiirliteratur", inform iert ' in Auswahl - iiber Spezialliteratur zu den Quelle n u nd iiber neuere, d . h. n icht mehr von Zeitgenossen Kants verfall>te Gesamt- und Teilbiographien sowie iiber Beitriige, d ie sich auf b iographische Einzelprobleme beziehen. L

Quellen

l . Primiire Quellen

Ober d ie autobiographischen Quellen ftir eine Lebensbeschreibung Kants vgl . Teil I der Einleitung .

2 3

Kants Leben, eine Skizze . In einem Briefe eines Freu ndes an seinen Freund . Altenburg 1 799 (Neuausgabe Leipzig und Alten­ burg 1 80 9 ) . [ Dr . med . J o h . Christian Mortzfeld ) : Fragmente a u s Kants Leben. Ein b iographischer Versuch . Kiinigsberg 1 80 2 . Immanuel Kant. Erster Te il : Darstellu ng d e s Lebens und Charakters Immanuel Kants von Ludwig Ernst Borowski. Von Kant selbst genau revid iert und berichtig t . - Zweiter Teil :

XXXII

Auswahlbibliographie z u r B iographie Kants

Immanuel Kant geschildert in Briefe n an einen Freu nd vo n Reinhold Bernhard Jachman n . - Dritter Te il : lmmanuel Kant in seinen letzten Lebensjahre n . Ein Beitrag zur Kenntnis se ines Charakters u nd hiiuslichen Lebens au s dem tiiglichen Umgang mit ihm von E. A. Ch. Wasianski. Konigsberg 1 8 04. Neuau sgaben : Immanuel Kant . Ein Lebensbild nach Darstellungen der Zeitge­ no ssen Jachman n , Borowski, Wasiansk i . Hg . v. Alfons'Hoffman n . H a Ile 1 90 2 ,2 1 90 7 . Immanuel Kant . S e in L eb e n in Darstellung von Zeitgeno ssen l Die Biographien vo n L. E . Borowski, R . B . Jachmann u n d A . Chr . Wasiansk i . Hg . v . Felix Grofl> . Berli n 1 9 1 2 ( Reprograf. Nachdruck dieser Ausgabe Darm stadt , Wissenschaft l . Buchgesellschaft , 1 96 8 ) . Hasse , J o h . Go ttfr . : Merkwiirdige Aeu sseru ngen Kant ' s von einem seiner Tischgenosse n . Konigsberg 1 80 4 . - Die 2. Aufl . unter dem Titel : Joh. Gottfr . Hasse : Lezte AeuBerungen Kant 's vo n einem seiner Tischgenosse n . Zweyter Abdru ck . Konigsberg 1 80 4 . - Neuau sgabe der 2 . Aufl . : Der alte Kan t . Hasse 's Schrift : Letzte A.u1l>eru ngen Kants und personliche Notizen aus dem opus po stumum . Herausgegeben von Artur Buchenau und Gerhard Lehmann . Berlin-Leipz ig 1 925 . flohann ,Dan iel Metzger ) : Aeusseru ngen iiber Kant , seinen Charakter und seine Meinunge n ; von einem billigen Verehrer seiner Verdienst e . o. 0 . , o. J . [ Konigsberg 1 804 ) . Immanuel Kants Biographie. Erster Band . Zweiter Band . Leipz ig 1 804 . Rink, Friedrich :rheodor : Ansichten au s Immanuel Kant 's Le ben . Konigsberg .1 80 5 . Nachdr . : Aetas Kantiana N r. 2 1 4 . Reusch , Chr . F . : Kant und seine Tischgeno ssen . Aus dem Nachla1l> ..des jiingsten derselbcn . 'Konigsberg o. J. (=Sonder­ abdruck der in den NPrPB 1 84 8 , Bd . 6 , S. 2 8 8ff. . erschiencnen ,Historischen Erinneru nge n " ) . Nachdr .: Aetas Kantiana Nr. 2 1 1 , Briissel 1 9 7 3 . Reicke, Rudolph (ed . ) : Kantiana. Beitriige zu Immanuel Kants Leben und Schriften. Konigsberg 1 860. Die Todtenfeyer Kant 's, herau sgegeben v . E. G . A . Bocke l . Konigsberg 1 804 . Kelch , Wilhelm Gottlieb : Ueber den Schiidel Kants. Ein Beytrag zu Galls Hirn- und Schiidellehre . Konigsberg 1 804 (Neudr . : Konigsberg 1 9 24 ) . ·

4

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2 . Seku ndiire Quellen

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Johann Friedrich Abeggs Reise zu deutschen Dichtern und Gelehrten im Jahre 1 79 8 . Nach Tagebuchbliittern m itgeteilt vo n H . De iter , in : Euphorion 1 6 ( 1 90 9 ) 7 3 2-74 5 . - Vgl. auch de n Abdruck in Vorl. I I , 3 0 7 -3 1 1 .

XXXIII

l. Quellen 13 14

15 16 l7

18 19

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von Baczko , Ludwig : Geschichte meines Lebens. 3 Bde . Konigs­ berg 1 824 . Johann Bernoulli 's Reisen durch Brandenburg , Pommern, PreuBen, Curland , RuBland und Pohlen, in den Jahren 1 7 7 7 und 1 7 7 8 . 3. Bd . : Reise von Danzig nach Konigsberg , und von da nach Petersburg. Leipzig 1 7 7 9 . ( Vaihinger , Hans, ed . J : Der Graf von Bray iiber Kant, in : K S 6 ( 1 90 1 ) 1 2 3 . Denina : L a Prusse Iittéraire sous Frédéric I l . . . Berli n 1 790 . Johann Gottlieb Fie h te 's Le ben und literarischer Briefwechse l . V o n seinem Sohne lmmanuel Hermann Fichte. Zweite , sehr vermehrte und verbesserte Auflage . l . Bd . : Das Leben. 2. Bd . : Actenstiicke und literarischer Briefwechsel . Leipzig 1 86 2 . Hamann , Johann Georg : Briefwechsel. Hg. v . Walther Ziesemer und Arthur Henkel . Wiesbaden 1 95 5 - 1 965 ( Bde . 1 -5 ). Herder, Johann Gottfried : Samtliche Werke. Hg. v . Bernhard Supha n . Bd . 1 7 : Briefe zu Beforderung der Humanitat . Sechste Sammlung. Riga 1 795 , Brief Nr . 7 9 . Hildesheim 1 96 7 (Reprogr . Nachdr. der Au sg. v. 1 88 1 ) . - Bd . 1 8 : Anhang zu den Briefen zu Beforderung der Hurnanitat . Briefe Nr . 20-2 2 ; Hildesheim 1 96 7 (Reprograf. Nachdr . d . Ausg. v. 1 88 3 ) . - Bd . 2 2 : Kalligone. Vom Angenehmen und Schonen . Leipzig 1 80 0 , Vorrede ; H ildesheim 1 96 7 (Reprograf. Nachdr . d. Ausg. v. 1 880 ) . Herders Briefe. Ausgewahlt , e ingeleitet und erlautert von Wilh . Dobbek. Weimar 1 95 9 . Johann Gottfried vo n Herder 's Lebensbild . Sein chronologisch­ -geordneter Briefwechse l , verbunden m it den hierhergehorigen Mittheilungen aus seinem u ngedruckten Nachlasse , und rnit den nothigen Belegen aus seiner und seiner Zeitgenossen Schriften. Hg . v. seinern Sohne Dr . Emil Gottfr ied von Herder . Ersten Bandes erste Abtheilung . Erlangen 1 84 6 . Johann Gottfried von Herder 's samrntliche Werke . Zur Philoso ­ phie u n d Geschichte. Stuttgart 1 83 0 . T ei l 20-2 3 : Erinneru ngen aus dem Le ben Joh . Gottfr ied s vo n Herder . Gesarnmelt und beschrieben von Maria Caroline Herder , geb . Flachsland . Hg . durch Johann Georg Miiller . Th . G. v. H ippel 's sarnrntliche Werke . 1 2 . Bd . : Hippel 's Leben 1 8 3 5 . - 1 3 . Bd . : Hippel's Briefe . Berlin 1 8 3 8 (Briefe an Scheffner . Aus seinem NachlaB hg . v. Th. G. v . H . ) . - 1 4 . Bd . : Hippel 's Briefe . Berlin 1 8 3 9 (Hippel 's Briefe von 1 7 7 5 - 1 7 8 5 ) . Mémoires d u Général Dirk van Hogendorp , publiés par son petit-fils M . le com te D. C. A. van Hogendorp . La Haye 1 8 8 7 . Briefe eines reisenden Russen, vo n Karam sin . Aus dem Russisch­ en vo n Johann Richter , Leipz ig 1 79 9 , Bd . l , 5 7 -6 3 ; (vgl. auch : Ein Besuch Kararnsin 's bei Kant. Mitgeteilt von Anton Palm e , in : KS 5 ( 1 90 l ) 1 20-1 2 2 ) . ·

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Auswahlbibliographie zur B iographie Kants

Das Leben des Professor Christian Jacob Kraus, aus den Mittheilungen seiner Freunde und seinen Briefe n . Dargestellt von Johannes Voigt . Konigsberg 1 8 1 9 . Beitrage zum Leben Christian Jacob Kraus. Hg . v. D . Go ttlieb Krause , in : AM 1 8 ( 1 8 8 1 ) 5 3-96 ; 1 9 3 -2 2 4 . Ein Besuch Lupin 's bei Kant. Mitgetheilt von R . B . , in: AM 3 8 ( 1 90 1 } 604-6 1 5 . Versuch einer Lebensbeschreibu ng J . H. L. Meierotto 's . Hg . v. Friedrich Leopold Brunn. Berlin 1 80 2 . [ Purgstall a n Kalman n , 3 0 . 4 . 1 7 95 ) Ei n Brief ii ber Kant. Mitgetheilt vo n Karl Hugelmann, in : AM 16 ( 1 8 7 9 ) 607-6 1 2 . C . E . C . Freyin von der Recke : Ober C . F . Neanders Le ben und Schrifften. Eine Skizze, Berlin 1 80 4 . Reichardt, Johann Friedrich : Kant u n d Hamann, in : Urania . Taschenbuch ftir Dame n 1 8 1 2 . Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner e s selbst beschrie­ ben. Leipzig , gedr . 1 8 1 6 , au sgegeben 1 8 2 3 . Briefe a n und von Johann George Scheffner . Hg. v. Arthur Warda. l . Bd . A-K , Miinchen/Leipzig 1 9 1 8 ; 2. Bd . : L-M , ebd . 1 9 26 ; 3 . Bd . : N-P ebd. 1 9 2 7 / 2 8 ; 4 . Bd . , hg . v. Arthur Warda und Cari Diesch : R-Z . ebd . 1 9 3 1 ; 5 . Bd . : Konigsberg 1 9 3 7 , hg . v. Arthur Warda und Cari Diesch. l . Teil : Wiird igung , Anmerkun­ gen und Nachtrag. 2 . Teil : Nachtrage zu den Anmerku ngen, Chronologisches Verzeichnis der Briefe , Namen sreg ister . Schiit z , Christian Gottfried : Darstellung seines Lebens, Charak­ ters und Verdienstes nebst einer Auswahl au s seinem littera­ rischen Briefwechse1 m it den beriihmtesten Gelehrten und Dichtern seiner Zeit . Hg . v . seinem Sohne Friedrich Karl Julius Schiit z . l . Bd . Halle 1 8 3 4 , 2. Bd . Halle 1 83 5 . Briefe au s dem Kantkreise . Mitgetheilt von Dr . Hans Vaihinger , in : AM 1 7 ( 1 8 8 0 ) 2 86-299 . Lchmann, Gerhard : Diaconus Wasianski. UnverOffentlichte Briefe . I n : Kritik und Metaphysik, Studien. H. Heim soeth zum 80 . Geburtstag . Hg . v . Friedrich Kaulbach und Joachim Ritter . Berlin 1 96 6 , 76-9 8 . Czygan, Pau l : Wa sianskis Handexem plar seiner Schrift : Imma­ nuel Kant in seinen letzten Lebensjahren, in : S itzung sberichte der Altertumsgesel lschaft Pru ssia , 1 7 . Heft , Konigsbcrg 1 89 2 .

Il.

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Sekundarlitera tu r

Arnoldt, Emi! : Kants Jugend u nd die fiinf ersten Jahrc seiner Privatdozentur im UmriB darge stellt , in : Gesammelte Schriften. Hg . v. Otto Schondorffer. Bd . 3, 2 . Abt ., Berlin 1 90 8 .

11. Sekundarliteratur

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Arnold t , Emil : Kiitische Exkurse im Gebiete der Kantforschung . Kiinigsberg 1 89 8 . Arnoldt , Emil : Beitrage zu dem Materia! der Geschichte von Kants Leben und Schriftstellertiitigkeit in Bezug auf seine ,Religionslehre " und seinen Konflikt m it der preussischen Regieru ng, in : Gesammelte Schriften , Bd . 6, Berlin 1 90 9 . Bauch , Bruno : Die Persii nlichkeit Kants, in : KS 9 ( 1 904) 1 96-2 1 0 . Biehahn, Erich: Zwei unbekannte Kantbildnisse der Deutschen Staatsb ibliothek, in : KS 5 3 , 1 9 6 1 / 6 2 , 1 2 7 / 1 2 8 . Kant im Urte il der Dichter seiner Zeit . Zusammengestellt vo n Gerhard Birnbaum. Deutsche Akadem ische Rundschau (Giittin· gen) Jg . 6, Nr . 7, 1 2 . Semester-Folge, 1 9 2 5 , S. 8-1 0 . Bobrik, Benno : lmmanuel Kant 's Ansichten iiber das weib liche Geschlecht, in : AM 14 ( 1 8 7 7 ) 5 9 3-·6 1 2 . Cassirer, Ernst : Kants Leben u nd Lehre . Berlin 1 9 2 1 . Kant-Bildnisse . Mit Unterstiitzung der Stadt Kiinigsberg hg . v. der Kiinigsberger Ortsgruppe der Kant-Gesellschaft . Bearb . v. Karl Heinz Clasen . Kiinigsberg 1 9 24 . Diederichs, Vietar : Kants Briefwechsel m i t seinem Bruder , in : Baltische Monatsschrift 40 ( 1 8 9 3 ) 5 3 5-5 6 2 . Dilthey, Wilhelm : Der Streit Kants m it der Censur iiber das Recht freier Religionsforschung , in : Archiv flir Geschichte der Philo sophie 3 ( 1 890) 4 1 8-450 . Ehmer , W . : Kants Abstammung, in : KS 3 0 ( 1 9 2 5 ) 464-46 7 . Falckenberg, Richard : Kant 's Berufung nach Erlangen, in : K S 7 ( 1 90 2 ) 364/ 3 6 5 . Fischer, Kuno : Geschichte der neucren Philo sophie. Jub ilaum s­ au sgabe. 4 . Auflage . Bd . 4, Heidelberg 1 89 8 , S. 3 8ff. Forstreu ter, Kurt : Ein Bildnis Kants in Holland, in: Preull>enland l ( 1 96 3 ) 2 9 3 2 Fritzsch, Th. : Kant i m Urteil seiner Zeitgenossen, in: Piidagogi­ sche S tudien. Neue Folge (Meill> e n) 45 ( 1 9 24 ) 34-36. Fritzsch, Th. : Kant und d ie Philanthropisten, ebd. 1 29-1 4 7 . Fromm, Emil : Immanuel Kant und die preussische Censur. Nebst kleineren Beitragen zur Lebensgeschichte Kants. Nach den Akten im Kiinigl. Geheimen Staatsarchiv zu Berlin. Hamburg und Leip­ zig 1 894 (enthalt noch : Kants Bewerbung um das Unterbibliothe­ kariat an der Kiinigsberger Schloll>bibliothek, S. 5 5 -60. Aus den Vorlesungsverzeichnissen der Universitat Kiinigsberg, S . 60-6 2, und : Kants Gehaltsverhaltnisse, S. 6 2-64 ) . Fromm , Emil : Zur V o rge s c h i c h t e d e r K ii n ig l i c h c n Kabinctsordrc an Kant vom l . O k tob e r 1 7 94 , in: K S 3 ( 1 899 ) 1 4 2 - 1 4 7 . G au se , Fritz : Die G c sc h ich t e der Sta d i Kii n ig sb crg i n Prc u1.\e n . 2 . Band : Von der Kii n igskrii n u ng b i s zum Ausbruch d e s Erstcn Welt kriege s . K ii ln-Graz 1 96 8 . .

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Auswahlbibliographie zur Biographie Kants

Gau se, Fritz : Kants Freu nde in der Konigsberger Kaufmann­ schaft , in : J K 9 ( 1 9 5 9 ) 49-6 7 . Gau se , Fritz : Kant und d ie Frauen, in : Ostdeutsche Monatshefte (Stollhamrn/ Oldenburg) 28 ( 1 96 2 ) Heft l , S. 3 7-4 2 . Kant-Anekdoten . Gesarnrnelt von Kurt Joachirn Grau . Berlin 1 9 24 . Grigoleit, Edward : Zur Abstammungsfrage Immanuel Kants, in : Genealogie und Heraldik . Zeitschrift fiir Familiengesch ich tsfor­ schung und Wappenwesen 1 950 , 2 1 3 -2 1 5 . Haagen , Bernhard : Auf d e n Spurcn Kants i n Judtschen, i n : A M 48 ( 1 9 1 1 ) 3 8 2 ff. , 5 2 8 ff. Heller, J o scf: Kants Personlichkeit und Lebe n . Versuch einer Charakteristik . Berlin 1 9 24 . Hildebrandt, Kurt : Ober Kants Chara kter , in : KS 49 ( 1 9 5 7/ 5 8 ) 1 82-1 9 7 . Jiinernann, Franz : Kantiana . Vier Aufslitze zur Kantforschung und Kantkritik nebst einern Anhange . Leipzig 1 90 9 . Krawczynski : Kant u n d der Russe Kararn sin , in : Kolnische Volkszeitung 1 9 24 , Nr . 3 1 3 , 2 7 . Aprii . Lehrnann, Gerhard : Kants Leben skrise , in : Neue Deutsche Hefte , Oktober 1 95 4 , 5 0 1 -5 0 8 ; abgedr . in : G . Lehrnann : Beitrlige zur Geschichte u nd Interpretation der Philosophie Kants. Berlin 1 96 9 , 4 1 1 -42 1 . Linden, H.: Kant kein Deutscher? I n : KS 20 ( 1 9 1 5 ) 44 7/44 8 . Lornber, Wilhelrn : Irnrnanuel Kants letzte Lebensjahre und Tod . Konigsberg 1 9 2 3 . Mecklenburg , G. : Kants letzte Aufzeichnungen, in : K S 6 1 ( 1 970) 9 3-96. Menzer, Pau!: Kants Personlichkeit, in : KS 29 ( 1 924) 1 -20. Meyer, William : Kants Urgroi)rnutter Anna M ielcke, in : Altpreu­ Bische Geschlechterkunde 1 9 2 7 , 1 2 1- 1 2 2 . Michelis : Kant - Hau slehrer i n Judtschen? In : K S 3 8 ( 1 9 3 3 ) 49 2/49 3 . Minden, D . : Der Hurnor Kant 's irn Verkehr und i n seinen Schriften, in : AM 8 ( 1 87 1 ) 345-3 6 1 . Mortensen, Hans - Mortensen, Gertrud : Kants viiterliche Ahnen und ihre Umwelt , in : J K 3 ( 1 95 3 ) 25-5 7 . von Pantzer , Gerhard : Baltische Nachkornrnen au s der Farnilie Irnrnanuel Kants, in : Ostdeutsche Farnilienkunde (Neustadt/ Aisch) Bd . 4, Jg . 14 ( 1 966 ) S. 1 84/ 1 85 . Reicke, Rudolf: Fichte 's erster Aufenthalt in Konigsberg , in : Deutsches Museurn ( Leipzig) Bd . l , 7 2 1 -7 3 6 ; 7 6 7 -7 85 . Ritzel , Wolfgang : Wie ist eine Kant-Biographie iiberhaupt rn6g­ lich? I n : KS 62 ( 1 9 7 1 ) 9 8-1 1 2 . Ro sikat , A . : Kants Beziehungen zur Kaufmannschaft , in : KS 1 6 ( 1 9 1 1 ) 5 1 9/ 5 2 0 .

Il. Sekundarliteratur

XXXVII

Schmid , Friedrich A!fred : Kant im Spiegel seiner Briefe , i n : KS 9 ( 1 904) 307-3 20 . 8 2 Schiindiirffer, Otto : Der elegante Magister , i n : Reichls Philo so ­ phischer Almanach auf das Jahr 1 92 4 . Immanuel Kant zum Gedachtnis. Hg . v. Pau! Feldkeller , Darm stadt 1 9 2 4 , 6 5 -86 . 8 3 Schiindiirffer, Otto : Kants L eb e n u nd Lehre . Leipzig 1 9 24 . 84 Schoeps, Hans-Joachim : Be inahe . Kants Berufu ng nach Erlangen, in: K S 49 ( 1 95 7 /58) 279-2 8 1 . 85 Immanuel Kant 's Biographie. Zum gro ssen Theil nach handschriftlichen Nachrichten dargestellt vo n Friedrich Wilh . Schubert . Leipzig 1 84 2 , in : lmmanuel Kant 's Sammtliche Werke . Hg . v. Karl Rosenkranz und Friedr . Wilh . Schuber t . Elften Theils zweite Abtheilung. Leipzig 1 84 2 . 8 6 Schiitz , Friedrich : Immanuel Kant , Studio su s Philosophiae, in Judtschen. Eine neue Spur , in : KS 37 ( 1 9 3 2 ) 2 2 7 -2 2 9 . 8 7 Schultz , Uwe : Immanuel Kant in Selbstzeugnissen und Bilddoku­ menten. Reinbek b. Hamburg 1 96 5 . 88 Sembritzki, Johanne s : Neue Nachrichten iiber Kan t 's Grossvater, in : AM 37 ( 1 900) 1 39- 1 4 1 . Sintenis, Franz : Maria vo n Herbert und Kant . Eine Studie , in : 89 AM 1 6 ( 1 8 7 9 ) 2 70-285 . 90 Spiegel , Ludw ig : Kants Mafl>regelu ng , in : Archiv ftir Rechts- und Sozialphilosophie 1 7 ( 1 923/24) 3 3 7-342 . Stavenhagen, Kurt : Kant u n d Kiinigsberg . Giittingen 1 94 9 . 91 9 2 Stein, Dieter : Kaliningrad ist nicht Kiinigsberg., .in : :Stern . Magazin (Hamburg) Heft 2 9 , 20 . Jg . Juli 1 96 9 , S . 26-34 ; 1 3 8-1 3 9 . 9 3 Stuckenberg, J . H . W . : The Life o f lmmanuel Kant . London 1 882. 9 4 Suphan, Bernhard : Herder a l s Schiiler Kants, in : Zeit schrift flir .Deutsche Philologie, 4 ( 1 8 7 2 ) 225-2 3 7 . 9 5 Vorlander, Karl: lmmanuel Kants Leben. Leipzig 1 9 1 1 , 2 1 9 2 1 (PhB 1 26 ) . 96 Vorlander, Kar l : Die altesten Kant-Biographien. Eine kritische Studie, Berlin 1 9 1 8. 9 7 Vorlander, Kar l : Immanuel Kant. Der Mann u n d d a s Werk , 2 Bde . , Leipzig 1 924 . W arda, Arthur : Erganzungen z u E . Fromms zweitem u nd drittem 98 Beitrage zur Lebensgeschichte Kants , in : AM 38 ( 1 90 1 ) 7 5 -9 5 ; 3 9 8-4 3 2 . 9 9 Warda , Arthur : Immanuel Kants .Biicher . Berlin 1 9 2 2 . 1.30 lmmanuel Kants letzte Ehru ng . Aktenmaf!.ige .Darstellung von Arthur Warda . Kiinigsberg 1 924 . 81

XXXVIII

Auswahlbibliographie zur Biographie Kants Nachtrag

1 0 1 Abegg, Johann Friedrich : Reisetagebuch von 1 7 98. Erstausgabe. Hrsg. von Walter und J olanda Abegg in Zusammenarbeit mit Zwi Batscha. Frankfurt 1 97 6 (vgl. hierzu die Rez . von R . Malter, in: KS 3 , 1 9 7 9 , 3 39-340). 1 02 Anderson, Eduard : Das Kantzimmer. Verzei�hnis der Kant-An­ denken im Stadtgeschichtlichen Museum der S tadt Konigsberg. Hrsg. vom Stadtgeschichtlichen Museum der S tadt Konigsberg 1936. 1 0 3 Benninghoven, Friedrich (Hrsg. ) : lmmanuel Kant. Leben - Um­ welt - Werk. Ausstellung des Geheimen Staatsarchivs PreuBischer Kulturbesitz (u.a. ) zur 250. Wiederkehr von K ants Geburtstag am 2 2 . April 1 97 4 . Berlin 1 9 7 4 . 1 04 Breysig, K . : Der Aufbau der Personlichkeit v o n Kant. Aufgezeigt an seinem Werke. Ein Versuch zur Seelenkunde des Gelehrten. S tuttgart - Berlin 1 9 3 1 . 1 05 Gause, Fritz : Kant und Konigsberg. Ein Buch der Erinnerung an Kants 250. Geburtstag am 22. Aprii 1 974. Leer/Ostfr. 1 97 4 . 1 06 Gulyga, Arsenij : Kant. Moskau 1 97 7 ( ' 1 9 8 1 ) (d t. Fassung Frank­ furt 1 9 8 1 ) . 1 0 7 Heller, J osef: Kants Personlichkeit und Leben. Versuch einer Charakteristik. Berlin 1 924. 1 08 H inske, Norbert : Artikel ,Kant", in: N eu e Deutsche B iographie Bd. 1 1 ( 1 9 7 7 ) 1 1 0- 1 2 5 . 1 09 Immanuel Kant z u ehren. Hrsg. v. Joachim Kopper u n d Rudolf Malter. Frankfurt 1 9 7 4 . 1 1 0 J aspers, Karl: Kant. Leben, Werk, Wirkung. Miinchen 1 97 5 . 1 1 1 Kayser, Rudolf: Kant. Wien 1 9 3 5 . 1 1 2 Kuhrke, Walter : Kant u n d seine Umgebung. Konigsberg 1 924. 1 1 3 Malter, Rudolf: Ein Philosoph wird geehrt. Philosophiegeschichtlich-kulturhistorische Bemerkungen zu Kantehrungen und Kant­ jubiHien, in : Zeitschrift fiir Religions- und Geistesgeschichte 27 ( 1 9 7 5) 289-304. 1 1 4 Malter, Rudolf: Philosophieren im l chverzicht, in: Universitas 3 1 ( 1 97 6 ) 7 5 7-760. 1 1 5 Malter, Rudolf: Kant im Key serlingschen Haus, in: KS 7 2 ( 1 9 8 1 ) 88-9 5 . 1 1 6 Malter, Rudolf - S taffa, Ernst ( i n Verbindung m it Peter Worster) : Kant in Konigsberg seit 1 945 . Eine Dokumentation. Wiesbaden 1983. 1 1 7 Miihlpfordt, Herbert Meinhard : Konigsberger Leben im Rokoko. Bedeutende Zeitgenossen Kants. Siegen 1 9 8 1 . 1 1 8 Richter, Giinter (Hrsg. ) : 4 . l nternationaler Kant-Kongre� Mainz. I mmanuel Kant. Katalog der Ausstellung, hrsg. v. d . Kan t-Gesell-

Nachtrag

1 19 1 20 121 1 22

XXXIX

schaft e.V. in Verbindung mit dem Kulturdezernat der S tadt Mainz und der Universitatsbibliothek Mainz. Mainz 1 97 4 . Ritzel, Wolfgang : ,Kants Le ben" . Bemerkungen zum Neudruck der ,kleinen" Kant-B iographie Karl Vorlanders, in : KS 66 ( 1 9 7 5 ) 1 2 1 · 1 27. Ritzel, Wolfgang : Immanuel Kant. Zur Person. B onn 1 9 7 5 . Rosenkranz , Karl: Kéinigsberger Skizzen. Danzig 1 84 2 . Vorliinder, Karl: Immanuel Kant. Der Mann und d a s Werk. Zwei· te, erweiterte Auflage. Mit einem Beitrag ,Kants Opus postu· mum" von Wolfgang Ritzel. Unter Mitarbeit von Konrad Kopper hrsg. von Rudolf Malter. Hamburg 1 97 7 ( 1 1 9 24 in zwei Banden).

Immanuel Kants Leben

E r st e s K a p i t e l . Elternhaus.

Erste Jugend.

Gymnasialzeit.

1 724-1740. 1.

Abstammung.

Eltern. Erste Kindheit.

Immanuel Kant wurde in der fiinften Morgenstunde des 22. Aprii 1 724 in einem einfacben Biirgerbause der beute no eh bestehenden , vorderen Vorstadt" zu Konigs­ berg in PreuBen geboren. Die Gasse, in der es lag, bieB damals die Sattlergasse. Auch sein Vater, Jobann Georg Kant, betrieb daselbst das ebrsame Handwerk eines Sattler-, genauer Riemermeisters. Die Vorfabren vaterlicberseits stammten der Familieniiberlieferung nach aus Scbottland, wo in der Tat schon im 17. Jahrhundert der aucb gegen­ wartig noch dort vorkommende Familienname Cant nicht selten war. Kant selbst hat dariiber als 73 jahriger dem schwedischen Biscbof Lindblom, der den Stammbaum des Philosophen in Schweden sucbte, geschrieben, daB sein GroBvater , einer von den vielen" gewesen sei, , die am Ende d es vorigen und im Anfange dieses Jabrhunderts aus Schottland, icb weiB nicht aus welcber Ursache, in groBen Haufen emigrierten, und davon ein guter Teil sich unterwegens auch in Schweden, der Rest aber in PreuBen, vornehmlich iiber Memel verbreitet bat" ; und weiter, daB derselbe in Tilsit gestorben sei. Seitdem ist indessen aktenmaBig nachgewiesen, daB bereits der UrgroBvater unseres Philosophen ,Richart Kandt" im Jahre 1667 als bejahrter Mann ,Kriiger" , d. h. Wirt in Werden bei Heyde­ krug war. Dessen Sobn Hans Kant dagegen batte das Riemerhandwerk erlernt, sicb als Handwerksgeselle in , frembden Landen" umgeseben und sich dann - etwa um 1670 - als Riemermeister in der Stadt Memel nieder­ gelassen, nachdem er sein Meisterstiick in dem benach-

2

1 . K apitel .

Elternhaus.

Erste Jugend.

Gymnasialzeit.

barten 'l'ilsit gemacht batte 1) . Er heiratete bald darauf, anscheinend eine einheimische Biirgerstochter, die ihm am 3. Januar 1683 als zweiten von drei Sohnen den Vater unseres Immanuel, Jobann Georg, gebar. Wlibrend der Gro/3vater in Memel b lieb , wo er 1698 eine zweit e Eh e schlo/3, wanderte J ohann Georg - vielleicbt eben­ deshalb - nach Konigsberg aus und v erbeirat ete sich dort, beinahe 33 jiihrig, am 13. November 1 7 1 5 mit der Tochter eines aus N iirnberg stammenden Handwerks­ genossen Casp ar Reuter (1670 - 17 29), der 18 jahrigen Anna Regin a Reuter (geb. 16. Mlirz 1697). Fiir den pietistischen Geist, der von Anfang an in d em neuen Hausstand herrschte, sind die Worte bezeich­ nend, welche die Neuvermiihlte in ein von ihr auch weiter g efiihr t es " H ausbuch " - wir diirfen wohl an ein Gebet­ buch d enk en - eintrug : "Anno 1 7 15 d. 13. No v ember habe ich Anna R egin a Reuterin mit m einem lieben Mann Johann G e o rge Kant 2) unsern bochzeitlichen Ehrentag gehalten und sind von Herrn M(a gist er) Lilienthal copu­ Jirt worden in der Kn e iph O fs ch en Thurn (= 'Dom) Kirche. Der 'Flerr unser Gott erhalte uns in bestandiger Liebe und Einigk eit nach seinem Wohlgefallen, er gebe uns von dem Thau des Himmels und der Fe ttigkeit der Erde so lange bis er nns zusammenbringen wird zu der Hochzeit des Lammes um Jesu Christi seines Sohnes willen. Amen." Aus dieser Ehe gingen in zwanzig Jahren nicht wentger 1) Daher wohl der Irrtum des Enkels, da.B sein Grollvater Tilsiter Biirger gewesen sei. Immerhin wli.re es m!Sglich, da.B der Gro.Bvater in ganz jugendlichen Jahren mit seiuem Vater ans Schott­ land eingewandert wli.re, da er, nach dem betreffenden Aktenstiick zu . schlie.Ben, der reformierten l kalvinischen) Gemeinde in :Memel angehorte, deren :Mitglieder sich schon 16-lO hauptsli.chlich aus Hollli.ndern und Schotten znsammensetzten. Durch seine Heirat (s. oben) kam er dann mit s.einer Familie in die Kirchenbiicher der l utherischen Gemeinde. 2) Aus dieser Niederschrift wie anch aus den schon vorher benutzten Urkunden ergibt sich, da.B der Name der Familie von Anfang an mit K un d nicht mit C geschrieben wurde : so dali die von Schubert und den ihm folgenden ii·brigen Biographen tlber­ nommene Angabe des ·auch sonst Iii cht besonders zuverlassigen Hasse, .Kants :Eltern, ja er selbst habe seinen Namen anfangs noch Cant gesèhrieben und ihn nur deshalb in Kant verli.ndert, weil manche Lente ihn wie Zant aussprachen, keinen tatsli.chlichen Unter­ grnn!l zu haben scheint.

l. Abstammung.

Eltern.

Erste

KindMit.

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als neun Kinder hervor. Unserem Immanuel waren schon

drei Gescbwister vorausgegangen, docb war das erste Kind der za rten Frau (eine Tochter) totgeboren, und ein kleiner Bruder, nocb ebe er das erste Lebensjahr vollendet, ge­ storben. So bebielt er nur eine um fiinf Jahre iiltere Schwester (Regina), wlihrend von dem ihm noch folgenden fiinf Gescbwistern zwei Schwestern und ein Bruder (Johann Heinrich, geb. 1 735) die Eltern iiberlebten. Bereits am Tage nach seiner Geburt, einem Sonntag, wnrde der neue Stammhalter der Familie, und zwar auf den Namen E m a n u e l getauft, der fiir den 22. Aprii, seinen Geburtstag, in den lilteren preu.Bischen Kalendern steht, und der ja auch zu der frommen Sinnesart der Eltern, insbesondere der Mutter, pa.Bte. Zu dem Tauf­ tage ihres .Altesten hat die letztere, als hlitte sie seinen Rubm voransgeahnt, eine ausfiihrlichere Eintragung als bei den iibrigen Kindern in das ,Hausbuch" gemacht. Sie beginnt mit den Worten : ,Anno 1 724 d. 22ten April Sonnabends des Morgens um 5 Ubr ist mein Sohn Emanuel an diese Welt geboren und hat d. 23t•n die heilige Taufe empfangen." Dann werden die sechs Tanfpaten aufgezlihlt : vier mii.nnliehe (ein Giirtler, ein , Geriehtsverwandter", ein Kleinkaufmann aus Konigsberg, ein Kupferschmied aus Memel) und zwei weibliche (eine Jungfer Dorren und eine Frau Wolfin). Und sie schlie.Bt mit dem frommen Wunsche : ,Gott erhalte ihn in seinem Gnaden Bunde bis an sein seliges Ende um J: C: Will en. Amen." Der Philosoph, der sich in religioser Hinsicht so ganz anders entwickeln solite, hat gleichwohl bis in sein bochstes Alter stets mit ebensoviel Hochachtung wie warmer Dank­ barkeit von dem Tone, der in seinem Elternhause herrschte, und von der Erziehung, welche die einfachen Handwerks­ leute ihren Kindern mitgaben, gesprochen. , Nie, auch nicbt ein einziges Mal " liu.Berte er wiederbolt zu Borowski, ,hab' icb von meinen Eltern irgend etwas Unanstlindiges auboren diirfen, nie etwas Unwiirdiges gesehen." Und noeb als 73 jli.hriger schrieb er in dem Entwurf zu dem bereits erwli.bnten Briefe an Bischof Lindblom die Worte nieder, daB ,meine beiden Eltern (aus dem Handwerks­ stande) in Rechtschaffenheit, sittlicher Anstlindigkeit und Ordnung musterhaft, ohne ein Vermogen (aber docb aueh

4

l. Ka.pitel.

Eltemha.us.

Erste Jugend.

Gymnasia.lzeit.

keine Schulden) zu hinterlassen, mir eine Erziehung ge­ geben haben, die von der moralischen Seite betrachtet gar nicht besser seyn konnte, und fiir welche ich bei j edes­ maliger Erinnerung an dieselbe mich mit dem dankbarsten Gefiihle geriihrt finde" . Uber den im elterlichen Hause herrschenden Pietisnms speziell au/3erte er sich gegen seinen Kollegen Rink noch in seinem Alter einst in folgender Weise : ,M an sage dem Pietismus nach, was man will. Genug ! Die Leute, denen er ein Ernst war, zeichneten si eh auf eine ehrwiirdige Weise aus. Si e besaBen das Hochste, was der Mensch besitzen kann, j ene Rube, j ene Heiterkeit, j enen inneren Frieden, der durch keine Leiden­ schaft beunruhigt wurde. Keine Not, keine Verfolgung setzte sie in MiBmut, keine Streitigkeit war vermogend, sie zum Zorn und zur Feindschaft zu reizen. . . . Noch entsinne ich es mich, wie einst zwischen dem Riemer- und Sattlergewerke Streitigkeiten iiber ihre gegenseitigen Ge­ re chtsame ausbrachen, unter denen auch mein Vater er­ heblich litt. Aber dessenungeachtet wurde selbst bei der hauslichen Unterhaltung dieser Zwist mit solcher Schonung und Liebe in b etreff der Gegner von meinen Eltern be­ handelt und mit einem solchen festen Vertrauen auf die Vorsehung, da/3 der Gedanke daran, obwohl ich damals ein Knabe war, mi eh denno eh nie verlassen wird." Wahrend der Vater ein Mann von offenem geradem Verstande war, der Arbeit und Ehrlichkeit als die erste Tugend ansah un d darum auch von seinen Kindern for­ derte, batte auf sein Gemiit mehr EinfiuB die fromme M u t te r, die nach Kants eigenem Urteil (gegen Wasianski) , eine Frau von groBem natiirlichen Verstande, einem edlen Herzen und einer echten, durchaus nicht schwarmeriscben Religiositat" war. Sie ging mit ihrem ,Manelcben" oft ins Freie, macbte ihn auf die Gegenstande und Erscbei­ nungen der Natur aufmerksam, lehrte ihn manche niitz­ licben Krauter kennen, erzahlte ihm sogar vom Bau des Himmels soviel, als sie selbst wu/3te, und bewunderte seinen Schai"fsinn und seine Fassungskraft, die sie spater freilich zuweilen etwas ins Gedrange gebracht baben mogen. In Erinnerung an diese Spaziergange gestand der Greis einst Jachmann : , Ich werde meine Mutter nie vergessen ; denn sie pfianzte und nahrte den ersten Keim des Guten in

-L Abstammaac.

&iena.

Er.ate Kindheit.

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mir, sie o.ffn ete mein Herz den Eindriieken-der Natur ; -sie weckte und erweiterte meine Begriffe, und ihre Lehren haben einen immerwahrenden, heilsamen Einfl.u6 auf mein Leben gehabt. " Ja, so oft er von ihr sprach, war er g�­ riihrt und glanzte sein Auge. Er meinte iibrigens auch seine Gesichtsziige nnd die Korperkonstitution, bis auf die eingebogene Brust, von der Mutter geerbt zu haben. Noch in seinem Alter sprach er m it W ehmut davon, daB er sie viel zu friih fiir ihn - der dreizehnjahrige Knabe die 40 j ahrige - verloren habe. Nach dem Familienbuch -starb sie am 18. Dezember 1737 an einem ,hitzigen und giftigen FluBfieber" ; nach der Erzahlung des Sohnes (an W asianski) batte 'Sie sich am Bette einer an typhOsem Fieber erkrankten Freundin die namliche Krankheit geholt und ware nach wenigen Tagen daran gestorben. Da6 sie fiir ihre Zeit verhaltnismaBig gebildet war, geht u. a. schon aus der Tatsache hervor, da.f3 ihre Ein­ tragungen in das Familienbuch fast keine orthographischen Fehler aufweisen, wahrend vornehmere Frauen, die uns in Kants Leben begegnen werden, wie die Kommerzienratin Jacobi oder gar die Frau von Klingsporn geb. von Knob­ loch und Fraulein Maria von Herbert, in diesem Punkte das Menschenmoglichste oder vielmehr -unmoglichste leisten. Die fromme Mutter besuchte mit ihren Kindern gern die Betstunden des Dr. theol. Franz Albert Schultz, nach­ dem dieser 1731 als Konsistorialrat und Pfarrer an die Altstadtische Kirche in Konigsberg gekommen war. So wurde dieser bedeutende Mann, von dem wir bald noch mehr horen werden, auf den begabten, wenn auch etwas schiichternen Knaben aufmerksam. Er redete den Eltern, die er ofters besuchte, zu, ihren Immanuel, der bis dahin den Elementarunterricht der nahen vorstadtischen Ho­ spitalschule genossen batte, zum Universitatsstudium vor­ bereiten zu lassen ; womit er gewiB einem Herzenswunsch der liebenden Mutter entgegen kam. So trat der acht­ j ahrige Knabe bald nach Ostern 1732 - nicht, wie bei Schubert steht, erst Michaelis 1733 - in das drei Jahr­ zehnte zuvor zum Gymnasium erhobene, beute noch unter dem Namen ,Friedrichskollegium" bestehende GoUegium Fridericianum seiner Vaterstadt ein.

6 2.

l. KapiteL

Elter11haus. , �!.te Jl!g�nd .

Auf dem Fridetieianum



Gymnasialzeit.

(Herbst 1732 bis Herbst 1740).

Die Anstalt, der die nun folgenden acht Jahre seines Lebens in erster Linie gehoren sollten, hatte eine nicht unbedeutende Rolle in der geistigen Entwicklung Konigs­ bergs gespielt. Gegen Ende d es 1 7 . Jahrhunderts hat te der damals no eh frische un d jugendkraftige P i e t i s m u s seinen Einzug in die Stadt am Pregel gehalten. Die im Zusammenhang damit 1 698 von dem Holzkammerer Gehr gegriindete Privatschule hatte dann bereits nach drei Jahren von dem neugekronten Konig Friedrich I. das Privilegium als , Kgl. Schule auf dem Sackheim" bekommen, bald darauf (November 1 702) in dem von Spener selbst ge­ sandten Dr. theol. Lysius einen ausgezeichneten Direktor und 1 703 den Namen CoUegium Friderieianum erhalten. Nachdem Lysius beinahe 30 Jahre an Universitat und Schule aufs nachhaltigste gewirkt, trat, n ach kurzem Zwischen­ raum 1 733 ein nicht minder bedeuten der Mann an seine Stelle, der vorhin genannte F r a n z A l b e r t S c h u l t z , der nach B. Erdmann , fiir die nachsten zwanzig Jahre der Trager der geistigen Entwicklung Konigsbergs" gewesen ist. Ebenfalls aus Halle gekommen , war er Pietist und Wolfianer zugleich, wie denn auch seine pro venia legendi eingereichte Dissertation von der , "Obereinstimmung der Vernunft mit dem Glauben" handelte, und Wolf selbst von ihm gesagt haben soll : ,Hat mi eh je j emand ver­ standen, so ist's Schultz in Konigsberg." Durch die Gunst Konig Friedrich Wilhelms I. schon in seinen friiheren Stellungen getragen, stieg der 41 jàhrige rasch zu einer ganzen Reihe von A.mtern, u. a. zum Theo­ logieprofessor, Direktor des Fridericianums und etwas spater (1737) zum Generalinspektor des gesamten Kirchen-, Schul- und Armenwesens im , Konigreiche PreuBen " , d. i. OstpreuBen, auf. Auf allen diesen Gebieten, als Univer­ sitatslehrer wie als Seelsorger, als Schulma:nn wie als Ver­ waltungsbeamter, hat er in seiner Art V orziigliches ge­ leistet. Er ist der geistige Urheber fast aller in den 30 er Jahren in Kirchen- und Schulsachen ergangenen Reform­ erlasse gewesen, und innerhalb der kurzen Zeit von acht Jahren sin d unter seiner Verwaltung in der Provinz Preu.Ben iiber 1500 Landschulen entstanden !

2. Auf dem Friderici&num.

7

Dieser in mancher Beziehung ausgezeichnete Mann also war es, der den kleinen Sattlerssohn dem Gymnasium z ufiihrte, und der wahrend der ganzen folgenden Zeit Kants Eltern, die zwar nicht gerade Mangel litten, aber bei ihrer gro.6en Kinderschar doch sehr eingeschrankt leben mul3ten, ofters in zarter Weise - indem er ihnen unentgeltlich Brennholz anfahren lie.6 - unterstiitzt 1 ) , auch die ein­ fache Handwerkerfamilie von Zeit zu Zeit zu besuchen nicht verschmaht hat. Kein Wunder daher, wenn der Philosoph dem Wohltater seiner Jugend stets ein dank­ bares Andenken b ewahrt un d noch gegeniiber dem Ver­ trauten seiner letzten Lebensj ahre (Wasianski) sein Be­ dauern dariiber ausgesprochen hat, dal3 er nicht dazu gekommen sei, ihm, wie er beabsichtigt, ein literarisches Ehrendenkmal zu setzen. Wir werden ihm auch w ahrend Kants Universitatszeit n o ch einmal begegnen. Freilich, diese Wohltat batte auch ihre Schattenseiten. Es war doch ein extrem-pietistischer Geist, in dem die Anstalt, die der Knabe nun acht Jugendjahre hindurch besuchte, geleitet ward 2). Und so ist es sehr erklarlich, da.6 Immanuel - und je alter er wurde, um so mehr , an dem Schema von Frommigkeit oder eigentlich From­ melei" (wie Borowski, selbst ein Theologe, sagt), , zu dem sich manche seiner Mitscb.iiler und bisweilen nur aus sehr niedrigen Absichten bequemten, durchaus keinen Geschmack finden konnte" .

1) Au8erdem h&t (nach Boro wski, S. 194) auch der Professor der Medizin Dr. B o h l i u s (geb. 1703, seit 1741 Prof. in Kllnigs­ berg) "in seiner Kindheit und Jugend ihm und seinen Eltern wohl­ getan" . Dami t stimmt, dali Kant diesem als seinem ,,insonders hochzuehrenden Gllnner" seine erste Schrift widmete, als .Beweis­ tum der Dankbarkeit" fiir das ,besondere Merkmal" von Giitigkeit, das Boblins ihm erzeigt habe, nnd die ,Verbindlichkeit", ,womit er ihm verpflichtet sei'' ( Vorwort vom 22. April 1747). 11 Sie hiell denn anch im Volksmunde die .Pietisten·Schule" : eine Benennung, die indes ihren Leitern nicht gepallt zn haben scheint. Zu den wenigen Erinnerungen, die Kant aus seiner Schnl­ zeit erzahlte, geMrt die von Hasse (a. a. O. S. 34) wiedergegebene : Einst sei ein Strallenjnnge bis zn dem Inspektor Schiffert (s. S. 8) gedrungen und ·habe gefragt : .Ist hier die Pietistenschule ? " Wor&uf jener ihm eine tiich t ig e Tracht Priigel habe geben lassen mit den Worten : .Nun weillt dn, wo die Pietistenschule ist."

8

l. Ka.pitel.

Elternhaus.

Ente Jugend.

Gymnasialzeit.

Es sind uns gerade aus dieser Zeit (17 42) ausfiihrliche Nachrichten iiber die Einrichtungen und den Geist der Anstalt von deren Inspektor Schiffert (der auch zu Kants Lehrern gehOrte) erhalten. Und wir konnen es uns nicht versagen, wenigstens das Wichtigste d avon hier ein­ zuschalten, damit sich der Leser einen anschaulichen Begriff von der geistigen Umgebung machen kann, in der Kant acht seiner schonsten Jugendjahre verlebt hat. Der Zweck des Gymnasiums bestand nach Scbiffert darin, ,daB einesteils die Untergebenen aus ihrem geistlichen Verderben errettet und das rechtschaffene Christentum ihren Herzen von Jugend auf eingepflanzet, andernteiles aber auch ihr zeitliches Wohlsein befordert werden moge " . Darum lautete di e grundlegende Bestimmung der Schulgesetze : , W er di e Zeit seiner J ugend w o hl anwenden un d den Grund seines Gliickes auf Erden in der Schule legen will, mu.B zuvorderst bei allen seinen Handlungen das Andenken an Gott, der iiberall gegenwartig ist und vor dem allein ein rechtschaffene Herz gilt, zu erwecken und zu unter­ halten sueben. " N ach d ieser Grundanschauung, fiir die nicht di e geistige Ausbildung, sondern di e christliche Lebens­ fiibrung die Hauptsache war, waren alle einzelnen Ein­ richtungen zugeschnitten. Auch wenn Immanuel nicht im Schulgebaude selbst gewohnt und hier j eden Tag mit einer zwischen 5 und 6 Uhr friih gehaltenen halbstiindigen Morgenandacht begonnen und um 9 Uhr abends ebenso mit eiilem Abendgebet beschlossen hat, so war er doch auf Schritt und Tritt von Religion und immer wieder Religion umgeben. J ede Stunde begann und schloB mit einem , er­ wecklichen und kurtzen Gebet, auf da.B die Schiiler den Unterricht selbst nicht anders als vor dem Angesicht des allgegenwartigen Gottes annehmen mogen " . An jedem Vormittag wurde ferner in allen fiinf Klassen von 7-8 , Theologie" gelehrt, d. h. der Katechismus ( , die Ordnung des Heils " ) nebst einer Menge von Spriichen und biblischen Geschichten eingepragt ; in den oberen Klassen kam hinzu eine , griindlichere und systematische Erkenntnis der gottlichen Wahrheiten und der biblischen Biicher Alten und Neuen Testaments " . Aber auch die .iibrigen Facher wurden, wo es nur irgend anging, in die nachste Beziehung mit der Religion gebracht. So wurde das Griechische

2. Anf dem

-Frid.ericia.nnm.

9

- am Neuen Testament gelehrt : in der Tertia einige Kapitel aus dem Evangelium Johannis, in Sekunda Mat­ thii.us und Markus nebst einigen paulinischen Briefen, in der Prima das iibrige Neue Testament gelesen ; von son­ stiger griechischer Lektiire hOren wir nichts ! Kein Wunder, wenn in Kants Scbriften die griechischen Klassik er so stark hinter den lateinischen zurficktreten. Ja selbst di e Ge­ schichte, die fibrigens zusammen mit Geogr apbie und Mathematik Lysius fiberbaupt erst unter die Lebrfacher einer Konigsberger boheren Lehranstalt aufgeno mmen hatte, wurde an das Alte und Neue Testament an gescblossen und solite zudem , womoglich " in lateinischer Spracbe wieder­ gegeben werden ! Zn diesem regelma.Bigen Unterricht kam von religiosen Einwirknngen allwochentlich noch binzu : erstens eine Er­ banungsstunde Montag abends von 6-7, zweitens eine Betstunde ffir Lebrer und erwacbsene Schfiler Freitag friih von 5-6 (!), drittens an einem fiir j ede W oche be­ sonders festzusetzenden Tage besondere Katecbisationen dnrch den Direktor, und endlich zum Schlu.B des wocbent­ lichen Unterrichtsbetriebes am Samstag vormittag eine Ermahnung des Inspektors an samtliche Schulangehorige, ,da erstlich ein Lied gesungen und nach vorbergegangenem Gebet, sowohl was die Studien als gute Ordnung anlanget als was sonst notig ist und die W oche tiber bemerkt worden, erinnert, die fibrige Zeit aber dieser Stunde zur Erweckung gegen den Sonntag angewandt wird ; worauf man mit Gebet und Singen einiger V erse aus einem Lied schlie.Bt" . Der Sonntag di ente selbstverstandlich erst recht dem Seelenheil. Horen wir : ,Des Sonntags wird von 8-9 in der Kirche offentlich (mit der .Tugend) katechisiert. Hierauf hOrt sie die Predigt an, welche sofort durch Fragen mit ihr wiederholt wird ; und ebenalso wird es auch mit der Nachmittagspredigt gehalten. Endlich wird der BescbluJ.ì des Sonntags mit einer Wiederholung der gehorten Predigten gemacht, wobei man gleichfalls auf den Seelenzustand der Jugend sieht, die gehOrte Wahrheiten auf sie deutet un d ihr liebreich andringt." Und zu dem regularen Religions­ Wochenbetrieb kamen endlich noch die au6ergewohnlichen religiosen "Ubungen, wie die schon vier W ochen vorher be­ ginnenden , Vorbereitungen" auf den Genu.B des Abend-

10

l . Kapitel.

Eltemhaus.

Erste Jngend.

Gymnasialzeit.

mahls mit ihren fiir bestimmte Tage festgesetzten Ermah­ nungs-, Selbstpriifungs- und , Erweckungs " -Stunden. Kurz, das ganze Anstaltsleben war, nach dem Vor­ bilde der Franckeschen Anstalten in Halle, mit deren Lehr­ biichern auch die Ki:inigsberger zum gro8en Teil iiberein­ stimmten, vom Geiste des Pietismus ganz und gar durch­ sauert. Wahrlich, man kann begreifen, da8 bei solcher Oberfiitterung mit dem, was die zartesten und tiefsten Saiten der Kindesseele beriihrt, bei vielen ihrer Zi:iglinge gerade das Gegenteil des beabsichtigten Zweckes erreicht wurde, da8 insbesondere unser Kant vielleicht mit infolge­ dessen sich spater von der Gefiihlsseite der Religion ganz abgekehrt, auch gegen Gemeindegesang und Gebet zeit­ lebens eine auffallende Abneigung behalten hat. Er, der in seinen Vorlesungen iiber Padagogik darauf hielt, man miisse die Kinder in Freiheit erziehen, und sie mii8ten fri:ihlichen Herzens sein und ,heiter in ihren Blicken wie die Sonne", kann wohl einmal, wie berichtet wird, gegen seinen Freund Hippel geauBert haben : ,ihn iiberfiele Schrecken und Bangigkeit, wenn er an jene Jugendskla­ verei zuriickdl!.chte " . Da.B mit dem fri:immelnden Geiste der Anstalt ein h mec anisches Auswendiglernen der meisten Aufgaben ver­ bunden war, und da.B iiber allem , das bleierne Schicksal der Ziichtigung schwebte" , - diese Angaben von Kants friihestem Biographen (1802), dem Ki:inigsberger Arzte Mortzfeld, erscheinen uns nach alledem sehr wahrschein­ lich. Rink, der das Fridericianum gegen solchen , Ver­ ruf" in Schutz zu nehmen sich bemiiht, gesteht immerhin als , �elbstverstli.ndlich " zu, da.B Kant an der damaligen Schulmethode in spateren Jahren manches auszusetzen fand und erkennt die Mi:iglichkeit an, da.B gerade dm·ch die stete Gewohnheit der Erbauungs- und G ebetsstunden in dem Herzen des Knaben das Interesse fiir Religiositat erkaltete und verkiimmerte. Besonders schlecht scheint es in der frommen Anstalt mit dem vorgeschriebenen Unter­ richt in Mathematik und Logik - von Naturwissenschaft war iiberhaupt nicht die Rede - bestellt gewesen zu sein. Uber ihn sprach der Philosoph in spateren Jahren nur unter Lachen. ,Diese Herren" , li.ul3erte er gegen seinen begabten friiheren Mitschiiler Cunde (vgl. S. 12), ,konnten

2. Anf dem Fridericiannm.

11

wohl keinen Funken, der i n uns zum Studium der Philo­ sophie oder Mathese lag, zur Fiamme bringen. " - , Aus­ blasen konnten sie ihn w o hl" , me in te der and ere ernst. Der einzige Lehrer, der au.Ber Schultz anregend wirkte, war der Lateinlehrer in Prima, ein gewisser Heydenreich, dem der Philosoph noch spater gern und oft nachriihmte, daB er durch seine Art der Erlauterung der Klassiker nicht .blo.6 die Kentnisse der Schiiler erweitert, sondern auch fiir die Richtigkeit und Bestimmtheit ihrer Begriffe gesorgt habe. So wurde der Schiiler Kant nicht blo.B ein verhii.lt­ nisma.Big guter lateinischer Stilist, sondern es wurde in ihm auch der Grund gelegt zu jener ausgebreiteten Kenntnis der riimischen Dichter und Philosophen, die in seinen Schriften zum Ausdruck kommt. Noch in seinem hohen Alter - Borowski erzahlt es vom Jahr 1 792 ! - konnte er aus den riimischen Klassikern lange Stellen, die ihm be­ sonders gefallen batten, obne Ansto.B bersagen. Unterstiitzt wurde dabei schon der Gymnasiast Kant durcb sein ausgezeichnetes Gedachtnis. Aber wir diirfen bei dem auf ihn vererbten Geist des elterlichen Hauses an­ nehmen, daB er auch fleiBig gewesen ist. GewiB war er darin ein Kind wie andere auch, da.B er gern mit seinen Altersgenossen gespielt bat. Er spricht einmal in der An­ thropologie (S. 104 f.) von der Zeit, , wie ich als Knabe, wenn i eh mi eh durch Spiele ermiidet zum Schlafe hinlegte" , ein ander Mal in einem Brief an Reusch, daB e r Ofters am ,Schusterbrunnen " , einem in seiner Knabenzeit leeren Wasserbecken, gespielt habe (Briefw. I, S. 386) 1). Er hat sich auch einmal nach seiner eigenen Angabe in seinen ersten Schuljahren - also vielleicht schon auf der Ele­ mentarschule - eine Strafe zugezogen, weil er auf dem Weg nach der Schule mit seinen Kameraden eifrig ge­ spielt, seine Biicher deshalb irgendwo niedergelegt und dann in sein er Zerstreutheit ohne sie in die Klasse gekommen sei. Aber, wenn er Borowski gestand, in ,manchen Dingen " in seiner Schulzeit vergeBlich gewesen zu sein, so seien es doch solche gewesen, , die den Schulflei.B nicht affizierten" . 1

) Weshalb man freilich noch nicht mit dem anonymen Ver­

fasser von "I. Kants Biographie" (Leipzig 1804) ans dem kleinen Kant einen wilden, lustigen Gassenjnngen" zn machen brancht (ebd. S. 28). •

12

l . KapiteL Elternhaus. Erste Jugend. Gymnasialzeit.

Darauf la.Bt auch das noch erbaltene , Scbul-Avancement" des Fridericianums scbli e.Ben : schon nach einem halben Jahre batte sich der kleine Kant auf den zweiten Platz emporgeschwungen, zu Michaelis 1733 war der Neunein­ halbj ahrige Primus in Quinta, desgleichen ein Jahr spater in Quarta, Ostern 1736 in Tertia, Herbst 1737 in Unter­ sekunda, ein Jahr spater in Obersekunda, und al s Zweit­ oberster verlie.B er Herbst 17 40 di e Anstalt. Auch seiu Betragen mu.B gut gewesen sein ; denn er erziihlt selbst spater, da.B trotz der schlechten Schuldisziplin er und einige andere selbst einem gebrechlichen un d mi.Bgestalteten Lehrer (Heydenreich ?) stets gro.Be Aufmerksamkeit, Folgsamkeit und Achtung bewiesen hatten, weil sie in seinen Stunden viel hatten lernen konnen. Zu diesen , einigen anderen" werden wohl vor allen seine Freunde David Ruhnken und Johannes Cunde (Kunde) gehort haben, mit denen ihn auf den oberen Klassen die ge­ meinsame Begeisterung fiir die antiken Klassiker verband. Sie bildeten ein formliches Kleeblatt, das sich ofters znr Privatlektiire solcher lateinischer Schriftsteller zusammen­ fand, die nicht auf der Schul e gelesen wurden ; gute Aus­ gaben schaffte Ruhnken, der W ohlhabendste der drei, an, z. B. einmal eine besonders kostbare Livius-Ausgabe (von Drakenborg). Sie entwarfen schon Piane spiiterer litera­ rischer Arbeiten, bei denen sie sich als Cundeus, Cantius und Ruhnkenius bezeichnen wollten. Von den dreien ist Cunde, der sich infolge seiner Armut friihzeitig dnrch iiber­ ma.Bige Arbeit aufrieb, schon 1759 als Inhaber einer Rektor­ stelle in dem ostpreu.Bischen Landstiidtchen Rastenburg gestorben, wiihrend Ruhnken, der ein Jahr alter als Kant war, aber ein Semester spiiter als dieser das Fridericianum verlie.B, schon 2 Jahre darauf nach Holland ging und dann m ehrere Jahrzehnte lang als einer der ersten Philo­ logen seiner Zeit an der Leidener Hochschule glanzte. Er allein hat dann wirklich den Gelehrtennamen Ruhnkenius dauernd angenommen und ist so j ener Jugendliebhaberei treu geblieben, wiihrend sein gro.Berer Freund auf andere Bahnen getrieben ward. Aber Ruhnken batte auch in der Ferne die alten Zeiten nicht vergessen. Noch nach drei.Big Jahren, am 10. Marz 1771, richtete er, durch den Besuch eines gemeinsamen Freundes (Wielkes) angeregt, einen

2. Auf

dem Frid ericiannm.

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ausfiihrlichen, sehr freundscbaftlichen Brief - natiirlich in klassischem Latein - an den alten Schulkameraden, der beute in der Akademieausgabe von Kants Briefwechsel vollstandig vorliegt, und . suchte ihn, wie aus einem acht Tage spater verfaiUen Schreiben des genannten Wielkes hervorgeht, zu einer Reise nach Hollan d zu bewegen : , Ruhnkenius un d i eh," schreibt Wielkes, , wir haben eine V erschworung gegen Si e gema eht. Wir wollen uns alle Miihe geben, Sie zu einer Heriiberkunft zu notigen . . . . Unser Haus ware ihre Wohnung, sowie unsere Kiiche als­ denn unter Ihren Befehlen stiinde. Herr Ruhnkenius wiirde si eh mit uns allen um die W ette beeifern, Ihren Aufent­ halt Ihnen angenehm zu machen. " Von Leiden aus konne Kant auch, seinen , ehemaligen Vorsatz" verwirklichend, in 18 Stunden England erreichen, auBerdem Swedenborg kennen lernen : ,ein Mensch, der Geister sieh t und mit allen unsichtbaren Wesen in geheimer Correspondence steht " . Allein e s war zu spat. Kant war damals schon i n die ge­ waltige Vorarbeit zu seiner Kritik der Vernunft vertieft, und das Interesse fiir Swedenborg, das ihn 1766 zu seinen , Traumen eines Geistersehers" veranlaJ3t batte, war nicht mehr stark genug, den 4 7 j ahrigen aus der gewohnten Konigsberger Umgebung in die weite Welt hinauszulocken. Doch kehren wir von dieser kleinen chronologischen Abschweifung zu dem Abschlu6 von Kants Gymnasialzeit zuriick. Da.B neben Elternhaus und Schule auch andere Einfl.iisse auf V erstand, Gemiit und Phantasie des geweckten Knaben und heranreifenden Jiinglings gewirkt haben, ist selbstverstandlich. So fiihrte ihn sein taglicher Schulweg, ja jeder Gang in die Hauptteile der Stadt iiber die ganz in der N ah e seines Elternhauses gelegene , griine Briicke " , den Mittelpunkt des FluBhandels. Hier sah e r auf der einen Seite die zahlreichen leicht gezimmerten polnischen FluBfahrzeuge, welche die Roherzeugnisse des damals noch groBen Polenreiches aus zum Teil weit entlegenen Gegen­ den pregelabwarts hergefiihrt hatten, um sie gegen Kolo­ nialwaren, W ein oder Fertigfabrikate umzutauschen, von Schiffern geleitet, die, in ihre Schafpelze gehiillt, beinahe no eh wie N aturmenschen lebten. A uf der anderen Seite lagen die aus der Ostsee und dem Frischen Haff gekommenen, in die Pregelmiindung eingefahrenen groBen englischen und

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l . Kapitel.

·Eiternhaus.

·Erste Jugend.

Gymnasialzeit.

hollandiscben Seeschiffe, die eben j ene Kolonialwar�n mit­ gebracht hatten und nun ihrerseits Littauens, Polens und PreuBens Erzeugnisse nach Skandinavien, England, Schott­ land, ja wohl auch Frankreich ausftihrten. Und dazu der durch alle diese wechselseitigen Beziehungen bedingte, zum Teil in den Handen p�lnischer Juden liegende starke Kauf­ und Handelsverkehr ! Uberhaupt war Konigsberg mit seinen etwa 6000 Hausern und 50 000 Einwobnern eine ansehn­ liche Stadt, die zweite des gesamten Konigreichs, das eben in ihr ein Menschenalter vorher diese neue Wiirde er­ klommen batte ; die Bewohner ein im allgemeinen krli.f­ tiger, selbstbewuBter Biirgerstand, dessen Glieder - auch die armeren - in die Hohe strebten und ihren Sohnen auf einer der fiinf bestehenden Gelehrtenschulen der Stadt und der 1544 von Herzog Albrecht begriindeten Hoch­ schule (der Albertina) gern eine hOhere Bildung zu geben trachteten, als sie selbst genossen hatten. Aber bei alledem ist unseres Philosophen erster Bil­ dungsgang im wesentlichen doch eben durch die geistige Luft des Fridericianums bestimmt worden. Wir glauben unsere Skizze desselben nicht besser abschlie.Ben zu konnen als mit den Worten, mit denen Ruhnken den Jugendfreund zu Anfang seines Briefes an die gemeinsam verlebte Schul­ zeit erinnert : , Gerade dreiBig Jahre sin d es her, da.B wir unter j ener zwar pedantisch-finsteren (tetrica), aber doch niitzlichen und nicht verwerflichen Zucht der Fanatiker (fanaticorum) seufzten. Man hegte damals von Deinen Geistesanlagenallgemein di e riihmliche Meinung, Du konntest, wenn Du in Deinem Eifer nicht nachlieBest, die hOchsten Ho ben der Wissenschaft erreichen. " Unter solchen Erwartungen seiner Freunde 'bezog der 1 61/2 j ahrige Immanuel Kant im Herbst 1 740 die Univer­ sitat seiner Vaterstadt.

Z w e i t e s K a p i t e l. Universitatszeit und Hauslehrerjahre.

1740-1754. A. Kant als Student (1740-1746). 1. Art seiner Btudien.

Einflu(J Knutzens.

Am 24. September 1740 wurde ,E m a n u e l K a n d t" von dem derzeitigen Rektor der Albertina, Professor der Orientalischen Sprachen und Senior des akademischen Senats J. B. Hahn in die Liste der akademischen Biirger eingetragen. Einer . Verordnung Konig Friedrich Wil­ helms I. vom 25. Oktober 1735 zufolge, mu.Bten er und seine Kommilitonen sich unmittelbar vor der Immatriku­ lation noch einer besonderen Priifung ihrer Kenntnisse unterwerfen, nach der sie erst vom Dekan der philoso­ phischen Fakultat, Professor Langhansen, das testimonium initiationis erhielten. Es ist nicht uninteressant zu sehen, welche Anforderungen dieses an Stelle der heutigen Abi­ turientenpriifung stehende Examen an die ,Immatrikulandi' des Konigreichs Preu.Ben stellte. Es hie.B dariiber im Kap. I, Nr. 5 der Verordnung : ,Insbesondere mu.B nie­ mand ex prima Classe ad Academica dimittiret werden, der nicht einen etwas schweren Auctorem als Curtium und Orationes Ciceronis Selectas ziemlich gelaufig expli­ ciren und eine kleine Oration absque ( ohne) vitiis grammaticis machen, auch was Lateinisch geredet wird, notdiirfftig verstehen konne, dabey aus der Logic das vor­ nehmste aus der Doctrina Syllogistica und das allernoth­ wendigste aus der Geographie, Historie und Epistolographie inne habe, imgleichen der nicht wenigstens 2 Evangelisten im Griechischen, als Matthaum und J ohannem, und di e 30 ersten Capitul des l . Buchs Mosis im Hebraischen =

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2. Kapitel.

Universitil.tszeit 11nd Hauslehrerjahr.e.

fertig .ElX]loniren nnd beydes ziemlich analysiren kiinn e." Also in erster Linie Latein, Griechisch nur am Neuen Testament, Hebraisch, etwas Syllogistik, das Allernotwen­ digste aus Geographie und Geschichte, und n i c h t s von Mathematik und Naturwissenschaft oder von neueren Sprachen ! Befreit aber von dieser Priifung war nicht, wer vorziigliche Kenntnisse, sondern wer - reiche Elt�rn bes aB ! Das , genaue Examen" solite angestellt werden, , es sey denn, daB wohl bemittelte Leute, welche aus eigenen Mitteln ihre Kinder studiren lassen wollen und keine Bene­ ficien weder des Convictorii und Alumnats noch freie Stipendia verlangen, selber auf die Akademie schicken. . . . . " Da nun Immanuel Kant den Vorzug nicht batte, von wohl­ bemittelten Eltern abzustammen, so muBte er sich auf diese Weise , initiiren" lassen. DaB er das Examen vor­ trefflich bestanden hat, dariiber ist wohl bei d e r Vorbil­ dung, die )hm das Fridericianum mitgegeben batte, kein Zweifel. Ubrigens ist er n i c h t, wie einige andere seiner Mitinitianden, gratis initiiert worden. W elcher Fakultii.t schloB sich der junge Student nun an ? Diese scheinbar so einfache Frage ist nicht ganz ein­ fach zu beantworten, weil Rektor Hahn, abweichend von anderen Vertretern des Rektoramts (z. B. Kant selbst 1786 und 1788) den Vermerk des j eweiligen Studiums hinter den Namen der Immatrikulanden unterlassen hat. Auf Grund einer Mitteilung der von Kant selbst 1792 im Entwurf durchgesehenen Borowskischen Biographie, Kant habe , sich zur Theologie bekannt", hat Schubert Kants ZugehOrigkeit zur t h e o l o g i s c h e n Fakultii.t als sicher an­ genommen und diese Annahme durch den etwas senti­ mentalen Gedanken zu verstii.rken gesucht, der treue Sohn habe damit , das Andenken seiner geliebten Mutter ehren • wollen ; und seinem Beispiele sind, wie auch sonst meist, die bekanntesten spii.teren Darstellnngen einfach gefolgt. Nach Emil Arnoldts griindlicher Untersuchung aller in Betracht kommenden Zeugnisse indes liegt die Sache doch mindestens zweifelhaft. Gegen Kants theologisches Stu­ dium spricht nicht bloB die Tatsache, daB er selbst gerade die betreffende Notiz Borowskis d u r c h g e s t r i c h e n hat (nicht , eingeschrieben " , wie Schubert behauptet), sondern vor allem auch der Umstand, daB der Studiosus Kant, wie

A.

Kant

als Studeat.

l. Art seined�tudien.

Ein1lu.ll .Knutzens.

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Arnoldt aus dem Inskriptionsbuch der Konigsberger theo­ logiscben Fakultii.t festgestellt hat, weder 17 40 noch in einem der folgenden Jahre als Theologe eingetragen worden ist ; ebensowenig wie in .das Album der medizinischen Fakultii.t ldas der juristischen aus den 40er Jahren ist nicht auffìndbar gewesen, kommt aber am allerwenigsten in Betracht). Anch daB Kant - wahrscheinlich im Wintersemester 1742/43, vielleicht auch auBerdem noch im Sommer 1 743 - bei seinem alten Direktor und Gonner F. A. Schultz ein theologisch-dogmatisches Kolleg iiber , diejenigen Haupt­ pnnkte der christlichen Theologie, die allein der O ffen­ barnng verdankt werden, " gehOrt hat, spricht eher g e g e n als fiir jene Annahme seines theologischen Studiums, wenn man die begleitenden Umstii.nde erwii.gt. Die Hauptquelle fiir diese Tatsache bildet nitmlich der schriftliche Bericht, den Kants gleichaliriger Jugendfreund und Kommilitone, der spatere Kriegs- nnd Domanenrat Heilsberg, dem Pro­ fessor Wald auf dessen Ansuchen als Materia! fiir seine am 23. Aprii 1804 dem groBen Toten zu haltende Ge­ dil.cbtnisrede erstattet hat. Wir haben im iibrigen so wenige znverllissige Berichte aus Kants Studienzeit, und die Er­ zil.blung des alten Jugendkameraden ist von solcher Leben­ digkeit und Friscbe, daJ3 wir dieselbe hier ausfiihrlich wiedergeben. Heilsberg also antwortete unter dem 1 7. Aprii d. J. auf die Frage Walds : ,D aB Kant Theologie studiert, ist doch gewi.B ?", sehr entschieden : ,K a n t i s t n ie v o r­ g e s e t z t e r S t u d i o s u s t h e o l o g i a e g e w e s en" ; und fahrt dann fort : , DaB man ihn dafiir hielt, kam daher. Kant fiihrte dem Wlomer" - einem unten noch nii.her zu er­ wii.hnenden Duzfreunde Kants - , und mir unter anderen Lebren znm gemeinen Leben un d Umgange, zu Gemiithe : man miisse suchen, von allen Wissenschaften Kentnisse zn nebmen, keine auBzuschlieBen, auch von der Theologie, w e n n m a n d a b e y a n c h n i c h t s e i n B r o d t s u c h t e. Wir : Wlomer, Kant un d i eh entschlossen [uns1 daher, im nechsten halben Jahr die ffentlichen Lese Stunden des noch im besten Andenken stehenden Consistorial Rat Dr. Schultz, und Recht [soviel wie :_ ordentlicher1 Pfarrer der Altstadt zu besuchen. Es geschab ; wir versii.umten keine Stunde, schlieben fleiBig nach, wiederholten die

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Universitii.tszeit uu tl J;Iauslehrerjahre._.

Vortrage zu Hause und bestanden beim Examen, welches der wiirdige Mann oft anstellte, unter der Menge von Zuhorern so gut, daB er beim SchluB der letzten Lese Stunde uns dreien befahl noch zuriickzubleiben. " Und n un kennt sie der Theologieprofessor als T h e o l o g i e ­ Studenten s o wenig, daB er sie nach ihren ,Namen, Sprachen, Kentnissen, Collegien, Lehrern und Absichten beim Studieren" fragt ; und Kant erklart : , ein M e d i c u s werden zu wollen" . Spat er fragt er sie alle drei : , W arum horen Si e denn Theologica ?" Kant antwortete : ,Aus W i B b e g i e r d e !" Worauf dann Schultz : ,Wenn dem also ist, so habe i eh nichts dagegen einzuwenden ; aber sollten Sie bis zu Ihrer Beforderung auf andere Gedanken ge­ raten und den geistlichen Stand wahlen, so melden Sie sich mit Zutrauen bei mir, Sie sollen die Wahl der Stellen auf dem Lande un d in den Stadten haben ; i eh kann Ihnen das versprechen un d werde, wenn ich le be, mein W ort halten. Hier haben Si e meine Han d un d gehen in Frieden ! " Dieser Bericht entstammt zwar der Feder eines nahezu Achtzigjahrigen, der sich selbst zu Anfang seines Antwort­ schreibens mit seinem durch Alter geschwachten Gedachtnis entschuldigt, tragt aber in seiner kostlichen Einfachheit und Frische so sehr das Geprage der Anschaulichkeit und Lebenswahrheit, daB er uns in unserer Ansicht, Kant sei nie Theologe gewesen, nur bestarkt 1). Wir verbinden hiermit des sachlichen Zusammen­ hanges wegen gleich die chronologisch e rst ans Ende von Kants Studienzeit gehorende Frage : ob Kant jemals die Kanzel betreten hat ? Borowski namlich erzahlt, in V er­ bindung mit seiner Notiz von dem angeblichen Theologie­ Studium unseres Philosophen : ,Er versuchte [!) auch einige Male in Landkirchen zu p r e d i g en." Indes ist diese ganze Notiz j a, wie wir schon wissen, von Kant selbst durch­ gestrichen worden, sei es, daB er sie eben fiir unrichtig 1) Dagegen kann auch die sehr allgemeine Wendung des iiber­ hanpt in bezug anf Kants Jngendzeit recht ungenanen Rink von Kants .Bestimmnng zur Theologie " nicht ins Gewicht fallen ; denn sie ist ganz nnbestimmt gehalten und konnte z. B. anch anf die Absicht seiner Eltern mit ihm wii.hrend seiner Schnljahre bezogen werden.

. A. :Ka.n.t :its · Stndent.

l. Art seiner Studien. 'Einfiu6 Knntzens.

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erklli.ren, sei es, daB er keinen Wert auf diese , Versuche" gelegt wissen wollte. Und ebensowenig beweisend ist naturlich die trberlieferung, daB er als Kandidat einmal, wie er Hasse zwei J ahre v or seinem Tode erzli.hlte, ii ber Matthli.us 5, 25 eine Predigt , ausgearbeitet, aber nicht gehalten" habe. Warum solite Kant sich, zumal in jungen Jahren, nachdem er bei Schultz Theologie studiert batte, nicht auch einmal auf diesem Felde versucht haben ? Ha t er doch noch viele Jahre spater, wie Jachmann erzahlt, aus Freundschaft fiir einen von ihm besonders hoch­ geschli.tzten Kandidaten [Jachmann oder Borowski ?], den er zu einer erledigten Feldpredigerstelle dem R egimentschef personlich empfohlen batte , sich die Muhe gegeben, eine ganze Predigtdisposition in Gedanken zu entwerfen nnd mit ihm zu besprechen. Jedenfalls ist ein positiver Be­ weis fiir sein Predigen nicht zu erbringen. Wichtiger als die ganze Frage, ob Kant formell der theologischen Fakultat angehort, und ob er einige Male Predigten ausgearbeitet oder auch in Dorfkirchen gehalten habe, ist di e andere : w el che .S t u d i e n r i c h t u n g seiner Universitatszeit das geistige Geprage aufgedruckt hat. Da finden wir nun zunli.chst sehr bezeichnend die .AuBerung seines Schiilers J achmann : , Was Kant fiir einen Studien­ plan befolgte, ist seinen Freunden unbekannt geblieben. Selbst sein einziger mir bekannter akademischer Freund und Duzbruder, der schon langst verstorbene Doktor Trummer in Konigsberg, konnte mir dariiber keine Aus­ kunft geben." Kant batte sich also, trotz seiner Jugend, schon friih einen e i g e n e n Studienplan gemacht : er stand schon als Student auf einer hOheren W arte als der Durch­ schnittsstudiosus, der ein Brotstudium betreibt. Er ahnte wohl schon damals den hoheren Beruf der verachteten , unteren" , se. philosophischen Fakultat, den er spli.ter so schOn in der Schrift seines Alters, dem Streit der Facul­ tiiten dargelegt hat. Und wenn Jachmann weiter sagt : , Soviel ist gewiB, daB Kant auf der Universitli.t vorziiglich Humaniora studierte und sich keiner positiven Wissen­ schaft widmete", so wissen wir ja bereits aus den Erinne­ rungen seines alten Studienkameraden Heilsberg, was damit gemeint ist : er wollte eben um seines hoheren Zweckes willen , von allen Wissenschaften Kenntnisse nehmen" ,

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2. Kapitel.

Universitatszeit nnd Hanslehrerjahre.

selbst - die dogmatiscbe Tbeologie nicbt ausgescblossen, obscbon er auf dem Fridericianum wabrhaftig davon (im doppelten Sinne d es W ortes) genug bekommen batte. Sein Hauptinteresse aber galt, ganz natiirlicb, denjenigen Wissen­ scbaften, von denen ibm die Schule so gut wie nichts mit­ gegeben batte : Mathematik, Naturwissenscbaft un d Philo­ sopbie. Denn, wenn Jachmann an der oben erwabnten Stelle fortfahrt : ,besonders bat er sich mit der Matbe­ matik, Philosophie und den lateinischen Klassikern be­ scbaftigt"; so mochten wir annehmen, daB die letztere, auf dem Gymnasium so eifrig von ihm gepfl.egte Beschaftigung auf der Universitat fiir ihn schon sehr bald in den Hinter­ grund getreten ist. Borowski erzahlt, daB Kant schon ,bald nach seinem Eintritt in die Universitat" eine seinen Freunden ganz , unerwartete" Richtung eingeschlagen habe. Bis dahin hatten seine Altersgenossen allgemein ge­ glaubt, er wiirde einmal ein bedeutender P h i l o l o g e werden. Kypke, ein friiberer Mitscbiiler Kants, der aucb zuweilen - ,jedocb selten, weil er sonst in Denkart und Sitten nicbt ganz zu jenen paSte" ...,... an jenem Primanerkranzcben des Kleeblatts Rubnken, Kant und Cunde teilgenommen batte und spater Kollege Kants als Professor der latei­ niscben und orientalischen Spracben geworden ist, bat Borowski ofters erzahlt, ,man batte in der Scbule nicbt die mindeste Abnung gebabt, aucb nicht b aben konnen, daB Kant sicb je auf das pbilosopbiscbe Facb werfen wiirde". Desgleicben erklarte Rubnken spater in Holland Rink, daB e r als Mitschiiler Kants eine besondere Vor­ liebe fiir die Pbilosopbie, jener umgekebrt eine solche fiir di e Pbilo l o g i e besessen babe. Wir freilicb baben keine Ursacbe, mit dem beriibmten Leidener Philologen es zu beklagen, daB Kant , aus den bliibenden Gefilden der bumanistiscben Studien sicb in die diirren Steppen der Pbilosopbie geworfen und in Ansehung jener den Apostaten gemacbt babe". Mit zu diesem , Abfall" beigetragen baben mag der Umstand, daB fiir das philologiscbe Facb damals keine anregenden Lebrer an der Konigsberger Universitat vor­ banden waren, die stud. Kant nicbt so leicbt wie der auswartige Rubnken verlassen konnte. Aber nicbt viel besser stand es aucb mit den iibrigen fiir ihn in Betracbt

A . Kant als Stndent.

l . Art seiner S tn d i en . Einflnll Knutzens.

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kommenden Flichern 1). Die Mathematik wurde von dem notorisch unbedeutenden Ammon vertreten, die Physik von dem Konsistorialrat (!) Teske, einem wackeren, aber ebenso­ wenig bedeutenden Manne, der iibrigens bescheiden genug war, spater bei Kants Magisterpromotion (1755) einzuge­ stehen, da6 er selbst aus dessen Promotionsschrift vieles gelernt habe. Und nun gar die ordentlichen Lehrer der Philosophie ! Da war der alte, trockene Aristoteliker Gre­ gorovius (T 1749), da war auf der anderen Seite der von dem Halleschen Plidagogium berufene Pedant Christiani, und zwischen beiden der - iibrigens der theologischen Fakultat angehorige - zwischen Pietismus und Eklekti­ zismus hin und her ptmdelnde Kypke senior, den schon seine Kolleganzeige (von 1731) geniigend charakterisiert, er werde, , falls sich ZuhOrer einfanden," j e n a c h d e r e n B e l i e b e n entweder nach der , altberiihmten" peripate­ tischen Methode oder auch nach den neuen Systemen von Budde oder Walch lesen. Etwas mehr boten vielleicht dem jungen Philosophiebeflissenen einige jiingere Krafte wie der au6erordentliche Professor der Mathematik Mar­ quardt, der iibrigens daneben auch Philosoph und Theo­ loge, un d zwar W olfianer war, o der der Physiker Rappolt, der auch iiber englische Sprache und Philosophie las, und von dem vielleicht Kants ofter in seinen Schriften hervor­ tretende Vorliebe fiir Pope stammt. A ber keiner von allen damaligen Lehrern der Albertina bedeutete fiir ihn auch nur entfernt so viel wie der junge Extraordinarius der Logik und Metaphysik M a r t i n K n u t z e n. W er war dieser fiir die geistige Entwi cklung d es jungen Kant so be deutsam gewordene Mann ? E in J ahrzehnt vor Kant, ebenfalls in Konigsberg ge­ boren, batte er schon mit noch nicht 15 .Jahren die heimische Universitat bezogen und bereits mit 21 Jahren die auBerordentliche Professur fiir Logik und Metaphysik an derselben erlangt. Durch allzu angestrengte Arbeit - er hielt zeitweise 6 Stnnden tagli eh Vorlesungen ! v or der Zeit aufgerieben, starb er erst 37 J ahre alt in -

1) Ù ber den darnaligen wissenschaftlichen Stand der Konigs­ berger Universitat nnterrichtet vorirefflich die Erstlingsschrift von Benna Erdmann, .Martin Knutzen und seine Zeit (1 878), der wir fiir die folgenden Seiten rn an ch es verdanken.

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2.

Kapitel.

Universitiitszeit und

Hanslehrerjahre.

seiner Heimatstadt. Seine zahlreichen Vorlesungen und Schriften dehnten sich iiber drei verschiedene Gebiete aus : das philosophische, das religiose un d das mathematisch­ naturwissenschaftliche. Sie bewegten sich, wie ihre Titel zeigen, samtlich in dem Gedankenkreis der Leibniz-Wolf­ schen Philosophie. Indessen geschah dies doch mit einer gewissen Selbstandigkeit und anerkennenswerten Tiefe. Der Materialismus z. B. wird zwar bekampft, aber doch nicht, wie von anderen Bestreitern, einfach als ,unsinnig" oder , frivol" dargestellt, sondern mit ernsten spirituali­ stischen Griinden angefochten In Knutzens Logik finden sich zudem ganz empiristische, an Locke erinnernde Satze wie die, daB ,nichts im Verstande oder iiberhaupt der gesamten menschlichen Erkenntnis ist, was nicht vorher in gewisser Hinsicht im Sinne war", j a, daB die innere und auBere ,Erfahrung" die Quelle unserer ganzen Er­ kenntnis ist ! Sein logisches Lehrbuch zeigt auBerdem in der Scharfe der Dispositionen und der geschickten Grup­ pierung des Stoffes, die sich mit der ihm auch sonst eigenen Klarheit der Darstellung verband, entschiedenes padagogisches Talent. Und wenn er auch, wie seine theo­ logischen Schriften beweisen, ein starkes theologisches, j a pietistisches Interesse besaB, s o war doch nach dem Urteil seines besten Kenners (B. Erdmann) seine Natur , durchaus theoretisch " angelegt, un d ein spezifisch philosophisches , Klarheitsbediirfnis" trieb ihn, , di e Ergebnisse bei der Welt­ anschauungen, soweit es ihr entgegengesetzter Charakter eben gestatten wollte, zur V ereinigung zu bringen" . O b der junge Studiosus Kant gerade durch d i e Ver­ bindung von Pietismus un d W olfscher Philosophie, di e Knutzen mit F. A. Schultz gemeinsam war, somit durch den nachwirkenden p ersonlichen EinfluB des letzteren zu Knutzen gefiihrt wurde, wie Erdmann meint, scheint uns fraglich. Nach unserem Gefiihl war es vielmehr gerade die natiirlicl! e Opposition eines selbstandigen Geistes gegen den langjahrigen Druck der Schule und damit vereint der Drang nach neuen Kenntnissen und Wissenschaftsgebieten, vor allem die Verbindung der Philosophie mit mathema­ tisch-natnrwissenschaftlichen Problemen, die ihn bei seinem nenen Lehrer anzog. Diese Verbindung aber trat, viel­ leicht mehr noch als in Knutzens Schriften, in dessen .

A. Kant als Stndent.

l . Art seiner Stndien.

Einflufl Knutzens.

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zahlreichen und anregenden V o r l e s u n g e n ii ber alle Teile der Philosophie, Physik un d Mathematik zutage. W enn Borowskis (von dem Philosophen selbst revidierte) Mit­ teilung, da6 Kant Knutzens Unterricht , unausgesetzt bei­ gewohnt" habe, richtig ist und der junge Student sich gleich im ersten Semester mit vollen Segeln in diesen Unterricht hineingestiirzt hat, so ergibt sich etwa folgendes Bild von den Vorlesungen, die Kant bei seinem Lieblings­ professor gehOrt haben wird : Im l. Semester wochentlich vier Stunden Mathematik und ebensooft allgemeine Philo­ sophie, au6erdem je eine Stunde Logik (in kurzer Uber­ sicht) un d Disputieriibungen ; im zweiten : eine ausfiihrliche Vorlesung iiber Logik und einen zweiten mathematischen Kurs, in dem Knutzens , erlesenere Geister" (selectiora ingenia) zu der hoheren Mathematik hinzuleiten versprach ; im folgenden Winter (1741/42), wo der Professor die gleichen Kollegien wie Winters zuvor las, die damals etwa noch nicht gehorten, im iibrigen Disputieriibungen ; im vierten praktische Philosophie, vielleicht auch hO h ere Astro­ nomie. Au6erdem in spateren Semestern moglicherweise noch rationale Psychologie, Naturphilosophie, Naturrecht, Rhetorik und Mnemonik, Lehre von den Irrtiimern, Al­ gebra, Analysis des Unendlichen : alles Kollegia, die der fl.ei.6ige Extraordinarius nach Ausweis der noch erhaltenen Vorlesungsverzeichnisse wahrend Kants Studienzeit ge­ lesen hat. Noch wichtiger aber als das Horen der Vorlesungen war wohl der personliche Verkehr, in den der eifrige und begabte Zuhorer mit seinem Lehrer trat : ein Verkehr, der schon durch den schulmaBigen Zuschnitt des dama­ ligen Universitatsbetriebs sehr erleichtert und gefordert wurde. Denn es hie6 in der S�udienordnung der Konigs­ b erger Hochschule von 1735 : , Uberhaupt werden alle pro­ fessores sehr wohl. tun, wenn sie, nachdem sie mit einer Materie zu Ende sind, daraus examina anstellen, teils zu erfahren, wie ihre auditores dieses und j enes begriffen haben, teils ihren FleiB und Attention zu ermuntern, und die Fahigen und FleiBigen also kennen zu lernen, oder auch besondere collegia examinatoria zu halten. " Sol che ,Priifungs" -Collegia hielt neben seinen Disputieriibungen auch Knutzen ab. AuBerdem aber kam es zwischen ihm

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2. Kapitel. 1Jniversitatszeit und Hauslehrerjahre.

und seinem jugendlichen ZuhOrer auch zu einem intimeren privaten Verkehr : ,Knutzen, ein weiser Priifer der Kopfe, fan d in ihm vortre:ffliche Anlagen, ermunterte ihn in Privat­ unterredungen, - lieh ihm in der Folge N e w t o n s Werke und, da Kant Geschmack daran fand, alles, was er ans seiner herrlichen, reichlich versehenen Bibliothek irgend verlangte" (Borowski). Gerade indem er ihn auf Newton hinwies, hat er Wirkungen von unabsehbarer Folge in dem Kopfe seines Schiilers hervorgerufen, Wirkungen, die den Jiinger bald iiber den :M:eister hinausfiihren sollten. Aber Knutzen wollte auch keine unselbstandigen Nachahmer heranziehen, sondern er galt Kant gerade deshalb , v or allen Lehrern am meisten" , weil er , ihm und mehreren die Bahn vorzeichnete, auf der sie nicht Nachbeter, sondern dereinst Selbstdenker werden konnten ". Kant aber war durch ihn aus der Philologie heraus auf eine ganz neue Bahn getrieben und, um wiederum mit Borowski zu reden, ,zu dem Studium initiiert" worden, ,in dem er sehr bald selbst seine Lehrer iibertraf" . Seine nachsten elf Schriften (bis 1 758) sind samtlich n a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h e n In­ halts mit der einzigen Ausnahme der Habilitationsschrift von 1 755, deren philosophischer Inhalt sich aber auch in den Geleisen der Leibniz-W olfschen Probleme bewegt. Und ,Knutzen erlebte es noch, daB der junge Baum, den er gepfl.anzt und zartlich gewartet batte, Friichte, die in Er­ staunen setzen muBten, trug : denn vier J ahre nach dem Eintritt auf die Universitat fing unser Vollendeter schon an, das W erk von der Schatzung der lebendigen Krafte zu bearbeiten . . . Von nun an lag Philosophie, Mathe­ matik, auch besonders Astronomie . . . ihm immer und lebenslang aro Herzen" (Borowski). 2 .Au(Jere Lebensweise. .

Mit vorstehendem, nicht allzu reichlichem Materia! w are das erscbopft, was uns von Kants Universitatsstudien iiber­ liefert ist. Noch mehr schweigen sich die Biographen iiber seine sonstigen Lebensumstande wahrend der Universitats­ zeit aus. Von Wasianski erfahren wir nur, daB Dr. Scbultz jene Unterstiitzung durch Brennholz nicht bloB den Eltern,

A. Kant als Stndent.

2.

An.6ere Lebensweise.

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sondern auch , ihm, da er auf der Akademie war, zufl.ie.6en lie.6 " , und Borowski b eri c ht et, da.B er Schultz' Vorlesungen iiber Dogmatik un d an Q. ere philosophische Collegia , um des Gelderwerbs willen mit anderen Studierenden, die etwa nicht so gut vorbereitet als er auf die Universitat ge­

kommen waren, wiederholte" ; au.Berdem nennt er nur noch Wlomer, Heilsberg und Trummer (s. u.) als Kommilitonen, m it den en Kant niiher , umging un d si eh Stunden der Erholung erlaubte " . Um so willkommener mu.B es jed e m Kantfreunde s ein, da.B auch von der a u .6 e r e n Le b e n s w e i s e des Studiosen Kant sein alter Studiengenosse Heilsberg in jenem von uns schon erwahnten Berichte ein anschauliches Bild gegeben hat. Wir g eben es um so lieber wieder, als die neueren D arst ellun gen, au.6er Arnoldt in seiner Teilbiographie, soviel wir sehen, bisher nirgends Gebrauch davon gemacht haben.

Zunachst sehen wir daraus, da13 Kant als Student nicht mehr bei seiner Familie wohnte, was ja auch schon nach der Fassung der eben erwahnten Notitz iiber das Anfahren von Brennholz nahe lag. Er wohnte vielmehr mit seinem besten Freunde Wl o mer, der allerdings erst ein J ahr nach ihm die Universitat bezog, ,viele Zeiten auf einer Stube". ,Er unterrichtete mehrere Studenten fiir eine billige Be­ lohnnng, die ein jeder aus freiem Willen gab. " Ein be­ sonders w ohlhabender Student, der Sohn des ,Kaplans" Laudien aus Tilsit nnd Heilsbergs Vetter, trug nicht blo.B , b e i Zusammenkiinften zum Unterricht von den Erfri­ schungen, so stets in Kaffee und weiJ3 Brot bestanden, die Kosten" , son d ern unterstiitzte ihn an eh sonst in N otfallen. Als d ann Wlomer n a ch Berlin ging, gab ein anderer juri­ stischer Freund, der spatere Kriegsrat Kallenberg in Ragnit, Kant , eine freie Wohnung und ansehnliche Unterstiitzung". Ebenso batte· er von seinem Konabiturienten, dem Medi­ ziner Trummer, den er auch unterrichtete (also wohl in Naturwissenschaft un d vielleicht Philosophie) , viel e Bei­ hiilfe" : ,noch mehr" von seinem Oheim, dem ,Fabri­ kanten" , eigentlich Schuhmachermeister Richter, der Kants Bruder noch stiirker unterstiitzt und nach einer Quelle die Kosten fiir Immanuels Magisterpromotion ganz, nach einer anderen die des Druckes seiner ersten Schrift zum Teil bestritten hat. In der Tat konnte Kant von seinem

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2. Kapitel.

Universitiitszeit u n d Hauslehrerjahrc.

Vater, der seine Gattin am 23. Dezember 1 737, wie wir aus den Kirchenbiichern wissen, ,stili" , d. h. ohne Begleitung von Geistlichen und singenden Schulkindern, hatte begraben lassen und als , arm" auch keine Leichengebiihren hatte zu zahlen brauchen, keine Unterstiitzung erwarten. Dieser scheintnoch dazuin den letzten Jahren sehr kranklich gewesen zu sein ; denn in dem Familienbuch bemerkt Immanuel bei Gelegenheit seines Todes (Marz 1 746) als AnlaB des­ selben : , er starb an einer ganzlichen Entkraftung, die auf den Schlag, der ihn anderthalb Jahr vorher befiel, er­ folgte" , und gebraucht dabei di e W endung, Gott habe den Verstorbenen ,in diesem Leben nicht viel Freude genieBen lassen " . Auch der Vater ward , arm " und , stili" beerdigt. Trotzdem scheint Kant - wie auch aus sonstigen gelegent­ lichen Bemerkungen hervorgeht, daB er dàs Mitleid anderer zu erregen verschmahte - seinen Stolz darein gesetzt zu haben, nicht um offentliche Unterstiitzung dm·ch Stipendien einzukommen, wie es spater (1755) seinBruder tat : wie schwer es ihm auch fallen mochte, di e J ahressumme von 40 Reichs­ talern aufzubringen, von der nach der Verordnung von 1 735 ,ein Studiosus vorj etzo notdiirftigin Konigsberg" solite ,sub­ sistieren" konnen. Er hat wohl schon damals seinen Lieb­ lingsspruch aus Vergil wahr ·g emacht : , Gib dem Ungliick nicht nach, sondern trete ihm umso mutiger entgegen" ·( Tu ne cede malis, sed contm audentior ito). Unter den guten Freunden und Kameraden dagegen gab es keinen Stolz. Kant teilt ihnen von seinen geistigen Schatzen mit, sie ihm von ihrer irdischen Habe, wenn es durchaus notwendig war. , Kant behalf sich sehr sparsam, ganzer Mangel traf ihn nie, obgleich bisweilen, wenn er notwendig auszugehen hatte, seine Kleidungsstiicke bei denen Handwerkern sicb zur Reparatur befanden ; alsdann blieb einer der Schiiler den Tag iiber in seinem Quartier, und Kant ging mit einem gelehnten Rock, Beinkleidern oder Stiefeln aus. Hatte ein Kleidungsstiick ganz ausgedient, so muBte die Gesellschaft zusammenlegen, ohne daB ein solches berechnet o der jemals wiedergegeben wurde." Obwohl Kant sich so knapp durchschlagen muBte, batte er sich doch schon eine Anzahl philosophischer Biicher angeschafft, denn er lieh solche, , die die neuere Philosophie betrafen" , Freund Heilsberg ; mit dem er auch

A ., Kan t . 11.ls Stndent.

2.

.A.uJiere

Lebensweise.

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alle Collegi a, di e dieser , bei denen Professoren Ammon, Knutzen und Teske horte, wenigstens die schwerste Stellen wiederholte" , und zwar geschah in diesem Falle , alles aus Freundschaft" . So fioB sein Leben sicher nicht triibsinnig dahin. wenn uns auch das ,burschikos" Arnoldts nicht der richtige Ausdruck dafiir diinkt. Denn, wie Heilsberg weiter erzahlt, , Kant liebte keine Belustigungen, noch weniger (soU wohl bedeuten : Nacht-)Schwarmereien, gewohnte auch seine Zuhorer unmerklich zu gleicher Gesinnung. Das Billardspiel war sei ne einzige Erholung ; Wlomer und i eh waren da bei stets seine Begleiter. " Un d nun kommt etwas nicht gerade Vornehmes, aber humoristisch Anmutendes : , Wir hatten di e Geschicklichkeit in diesem Spie! beinahe aufs hOchste gebracht, gingen selten ohne Gewinn nach Hause ; i eh habe den franzosischen Spracbmeister ganz von dieser Einnahme bezahlt. Weil aber in der Folge niemand mehr mit uns spielen wollte, so gaben wir diesen Erwerbs­ artikel ganz auf und wahlten das L'Ombre-Spie!, welches Kant gut spielte." Mit den alten Freunden WlOmer, Trummer und Heils­ berg, besonders dem ersteren, blieb er bis zum Tode in gutem Verhaltnis. Noch sind zwei Briefe Wlomers an ihn aus den Jahren ihres Alters erhalten, in deren beiden das briiderliche ,Du" und die Anrede ,Liebster Bruder " gebraucht wird. In dem ersten (vom 30. Januar 1 790) schreibt Wlomer : ,Ihr Lente geht sehr scharf und tief. D a.B Du doch Leben und Krafte b ehalten mogest, D ei n en Pian ganz zu vollenden, und alsdenn diese gro.Be Sache mit Deinen Gegnern, versteht sich mit denen, die es ver­ dienen, zu berichtigen." Un d der zweite (vom 1 7. Aprii 1791) schlie.Bt mit den Worten : " Lebe lange, sehr lange wohl, munter und kraftvoll an Leibe und Geist, und hOre nicht auf, gewogen zu sein Deinem treuergebensten Freunde n . Diener Wlomer. " Am 22. Juli 1797 endlich meldet der Sohn ihm den Tags zuvor erfolgten Tod seines Vaters, den Kant ,von den Universitatsjabren her mit briiderlicher Freundschaft beehrt " habe. Und O. Schondorffer hat auf eine charakteristiscbe kleine Geschichte aufmerksam ge­ macbt, die Zelter in einem Briefe vom 6. Dezember 1 8 25 Goethe erzahlt : , Unser verstorbene, vom alten Fritz sehr hochgehaltene Geh. Finanzrat Wlomer ward einst nach

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2. Kapitel.

Unive:rsitatszeit und

Ha.uslehrerjahTe.

Koni gsberg zur Revision der do rtig en B an k g esandt. Dort. findet .er nach vi er zi g Jahren .einen eh emali gen Stuben­ burschen, den alten Kant w ie der, und man freut sich heut und frtiherer Jahre. , Aber , " spricht Kant , ,hast Du Ge ­ schaftsm ensch wohl auch einmal Lust, meine Schriften zu lesen ? " - , 0 ja ! und ich wtirde es no ch Ofter tun, nur fehlen mir di e Finger. " - , Wie versteh' i eh das ? " , Ja, li eb er Freund, Eure Schreibart ist so reich an Klammern und Vorbedingtheiten, w elch e ich im Au ge be­ halten muB ; da setze i eh denn einen Finger aufs W ort, dann den zweiten, d ritten , vierten , und ehe ich das Blatt umschlage, sind meine Fin ger alle." Gl eich w ob l hat er sich nicht nur die spateren Schriften des alten Jugend­ freundes angeschafft, s on d ern bittet ihn in seinem Briefe v om 30. Januar 1 790 um e in Verzeicbnis aller seiner frtib e r en Abh a n dlun gen , um si e , anschaffen zu konnen un d zu - lesen " . Un d K ant selbst liiBt ihm in demselben .Jah re ein D edikationsexemplar seiner Kriti k der Urteils­ kraft z ug ehen . Ftir den alten Freund H eilsberg erbittet er sich im November 1 785 bei dem Berliner Freund Dr. Markus Herz arztlichen Rat gegen ein Fl e chtenleid en , was denselben be­ fallen, und beeilt sich, ihm am 2. Dezember d. J. ftir die rasche Erfiill ung der Bitte zu danken (vgl . auch den Brief an M. Herz vom 7. Aprii 1 786). - Auch mit Trummer, d er ein angesehener Arzt in Konigsbe rg wurde, duzte er sich bis ans Ende. Er war auch der einzige Arzt, dessen Hilfe er einm al in Ansp ruch genommen hat und von dem er sich Pillen gegen , Obstruktionen " verschreiben lieB, die er dann bis in sein hochstes Alter jahrelang tiiglich b rau chte ; der ein z ige ferner, bei dessen letzter Krankheit er eine Ausnahme von s einer so n stig e n Regel machte, indem er ihn zweimal besuchte. Nicht immer freilich waren es angenehme Pflichten , die Studiosus Kant ftir Freunde oder Bekannte zu erfiillen batte ; denn in Geldsachen hOrt bekanntlich, nach dem Ausspruch H ansem anns, die Gemtitlichkeit auf. Um eine solche aber handelte es si ch, wenn auch fiir Kant nicht als Nachstbeteiligten, bei einer Universitiitsgerichtsverhand­ lung, die E. Arnoldt aus den Senatsprotokollen als einziges Aktensti.ick, in dem Kants Namen vorkommt, ausgegraben

A. Kant als Student.

2. Au.Uere Lebensweise.

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hat. Zum 19. Oktober 1741 wird ein Studiosus Schimmel­ pfennig (vielleicht identisch mit dem gleichnamigen Kon­ abiturienten Kants) vor den Senat zitiert, um einem stud. Hofmann, der ihn verklagt, die entliehene Summe von 8 Gulden 221/2 Groschen zuriickzuerstatten. Und hier tritt nnn - in seinem dritten Semester - Kant in Aktion ! , Stud. Kant comparet n omine stud. Hofmann Klagers und bittet um das Gel d" ; ,Studiosus Schimmelpfennig deponit, da.B er j etzo erst gesehen und gefunden, dal3 Studiosus Hofmann, sein Klager, ihm einen Rock un d Weste abge­ lehnt, sobald er diesen zuriickbekame, sollte das Geld so­ gleich fallen." Studiosus Kant erhiilt sodann den Auftrag, diese Aussage Hrn. stud. Hofmann zu hinterbringen, und beide Gegner werden fiir den folgenden Morgen 9 Uhr wieder vorgeladen. Schimmelpfennig scheint doch ein gutes Gewissen gehabt oder die grol3ere Keckheit besessen zu haben, denn er ist am nachsten Tage zur Stelle, Hofmann und Kant nicht. Schlie.Blich wurde - am l. November - , nachdem dem Angeklagten die Exekution angedroht war, die Sache durch einen Vergleich beendet, indem sich der Klager mit 5 Gulden zufrieden gab. Wann verliel3 Kant die Universitat ? Rinks Angabe zufolge batte er es bereits ,nach etwa d r e i j ahrigen Stu­ dien", also schon 1743 getan. Aber dann wi.irden nicht weniger als zwolf Jahre auf die Zeit bis zum Antritt der Privatdozentur (1755) fallen, ein Zeitraum, der kaum durch andere Annahmen auszufiillen ware. Viel mehr fiir sich h at die Angabe Borowskis in dem von dem Philosophen selbst revidierten Teil seiner Biographie, der von dem , ersten Quinquennium seines akademischen Lebens" spricht, das er mit der Ausarbeitung seiner ersten Schrift, des , 17 46 schon herausgegebenen Werkes von der Schatzung der lebendigen Krafte" abgeschlossen habe. So befindet sich denn auch in den Akten der Philosophischen Fakul­ tat vom Sommersemester 17 46 unter den dem Dekan zur Zensur eingereichten Arbeiten die Eintragung : 6. I m m a n u e l K a n d t S t u d. : Gedanken von der wahren Schatzung der lebendigen Krafte. Kant wird also hier ausdriicklich noch als S t u d i o s u s be­ zeichnet, womit natiirlich nicht gesagt ist, dal3 er in seinen

30

2. Kapitel.

Universitiitszeit nnd Hanslehrerjahre.

letzten Semestern noch Vorlesungen gehort zu haben braucht. Noch beweisender fast fiir seinen Hingeren Aufenthalt in Konigsberg scheint der Umstand, da.B jener stud. juris Kallenberg, der ihm, Heilsbergs Mitteilung gema.B, nach Wlomers Abgang (nach Berlin) ,freie Wohnung gab " (s. S. 25), erst am 2. Mai 1746 an der Konigsberger Uni­ versitat immatrikuliert worden ist. Auch ist es nicht gerade wahrscheinlich, da.B Kant wahrend der anderthalbjahrigen Hinfalligkeit seines V aters, dessen Tod am 24. Marz 17 46 nachmittags um halb vier in seinem Beisein erfolgte, ihn und die zahlreiche Familie dauernd verlassen hat. Endlich ist (was freilich nicht unbedingt beweisend ist) die Vor­ rede zu seiner ersten Schrift datiert : K o n i g s b e r g, den 22. April 1747. Jedenfalls weilte er also an diesem seinen 23. Geburtstage in der Vaterstadt. Mit der genannten Erstlingsschrift, di e nicht weniger als 15 Bogen stark war und nur zum Teil auf seine eigenen Kosten, zum andern auf die des Oheims Richter (s. S. 25), gedruckt wurde, librigens erst 1 7 49 erschien, schlo.B Kant sein Universitatsstudium ab und trat er seine selbstandige wissenschaftliche Laufbahn an. Er schrieb sie nicht in der lateinischen Gelehrten-, sondern in deutscher Sprache und, was wichtiger ist, mit einem seine kiinftige Gro.Be ahnen lassenden stolzen Kraft- und Selbstgefiihl. Klihn erklarte der 23 jahrige Jiingling, selbst , das Ansehen derer New­ tons und Leibnize vor nichts zu achten, wenn es sich der Entdeckung der W a h r h e i t entgegensetzen solite" ( Vo1·­ rede, Abschn. I), wandte sich gegen den Herdentrieb der Menge und den Tro.B der Nachbeter und fa.Bte schlie.Blich das Programm seiner ganzen wissenschaftlichen Lebens­ arbeit in di e stolzen Satze zusammen : ,Ich habe mir di e Bahn schon vorgezeicbnet, die ich halten will. I c h w e r d e m e i n e n L a u f a n t r e t e n, u n d n i c h t s s o I l m i c h h i n d e r n , i h n f o r t z u s e t z e n " ( Vorrede, VII). Freilich, diese selbstbewu.Bten W orte sollten sich jahre­ lang noch nicht in die Tat umsetzen. Starker als alle idealen Piane und Vorsatze erwies sich doch die Macht der wirtschaftlichen Verhaltnisse. Gerade weil Kant von niemanden okonomisch abhiingig ,seinen Lauf antreten" wollte, mu.Bte er, der Not gehorchend, nicht dem eignen Trieb, zuniichst un d auf J ahre hinaus einen Beruf ergreifen,

B.

Hauslehrerjahre.

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der ihm a n sich sehr wenig sympathisch war, der ihn von den Statten der Wissenschaft entfernte, ihn aber mate­ riell mit der Zeit auf eigene Fiil3e zu stellen versprach : den Beruf des Hauslehrers oder, wie man damals meistens sagt, des ,Hofmeisters" . B. Hauslehrerjahre (um 1 747 - 1 754). Dal3 ein Kandidat nach Beendigung seiner Univer­ sitatsstudien langere Zeit den Hauslehrerberuf ausiibte, ist eine fiir die damalige Zeit beinahe typische Erscheinung. Fast alle weniger bemittelten Kandidaten, sei es der Philo­ logie oder Theologie oder an eh der Jurisprudenz, gingen eine Zeit lang, die sich zuweilen auf viele Jahre ausdehnte, dazu iiber. Und dal3 diese Sitte noch Jahrzehnte ange­ dauert hat, beweisen so beriihmte Beispiele wie Fichte und Schelling, Hegel und Herbart. In Ostpreul3en war sie zudem nicht bloJl in der materiellen Lage der Kandidaten, sondern auch in den wirtschaftlichen un d V erkehrsverhalt­ nissen des Landes begriindet. Die zahlreichen adligen Gutsbesitzer, aber auch andere angesehene Personlichkeiten auf dem Lande waren bei der Riickstandigkeit der Ver­ kehrsmittel auf solche Hauslehrer, ,Informatoren" oder Hofmeister geradezu angewiesen ; ein nicht geringer Teil des spateren Briefwechsels von Kant besteht aus Bitten um Besorgung von Hofmeistern und seinen Antworten bzw. Empfehlungen. Die Hauslehrerzeit ist jedoch derjenige Abschnitt in Kants Leben, iiber den wir am diirftigsten orientiert sind. Wir wollen den Leser mit der Aufzahlung der einander zum Teil stark widersprechenden Nachrichten nmsoweniger langweilen, als der Philosoph selber spater auf die chrono­ logischen Einzelheiten dieser Zeit nicht den mindesten Wert gelegt hat . Er selbst hat zu Borowskis Bemerkung : ,Kant wurde durch die Lage seiner Umstande genotigt, Hauslehrer . . . . zu werden", nur den ganz unbestimmt gehaltenen Zusatz gemacht : , einige Jahre hindurch" . Nach dem beute vorliegenden Material steht folgendes mit einiger Sicherheit fest : Er war zuerst Hofmeister bei dem reformierten Pre­ diger Andersch in dem wohlhabenden Dorfe J u d t s c h e n

32

2. Kapitel.

Universit!Ltszeit und Hauslehrerjahre.

zwischen Insterburg und Gumbinnen, wo er dessen drei jiingere Sohne unterrichtete. Hochst wahrscheinlich hat sich Kant noch im Hochsommer 1 749 in dieser Stellung befunden, denn von ,Judtschen d. 23. Aug. 1749" ist der e r s t e B r i e f datiert, der iiberhaupt von unserem Philosophen erhalten ist. Er ist an einen Unbekannten, wahrscheinlich den bekannten Albrecht von Haller, gerichtet und bittet den­ selben, sein Erstlingswerk, die

Gedanken

von

der wahren

Schatzung etc. zu rezensieren. DaB der Druck dieses "Werk­

chens" sich von 1746 bis 1 749 hingezogen, daran seien , sowohl oftere Verhinderungen als auch meine Abwesenheit (se. von Konigsberg) schuld gewesen". Er habe auch noch , eine Fortsetzung dieser Gedanken in Bereitschaft, die nebst einer ferneren Bestatigung derselben andere, eben dahin abzielende Betrachtungen in si eh begreifen wird " , d ie e r ih m nach Erscheinen ebenfalls zugehen lassen werde 1). Von der geplanten ,Fortsetzung" seiner Erstlingsschrift ist Kant spater abgekommen. Vermutlich um 1 750 trat er dann eine zweite Hof­ meisterstelle in der entlegensten Ecke der Provinz, in dem Hause des Majors und Rittergutsbesitzers Bernhard Fried­ rich von H ii l s e n auf Gr.-Arnsdorf bei Saalfeld zwischen Elbing und Osterode an, wo er wohl dessen zwei altesten Sohne, den bei Antritt seiner Stellung 10 jahrigen Ernst Ludwig un d den 6 jahrigen Georg Friedrich, unterrichtet hat. Dort muB er langere Zeit geblieben sein, denn es entspann sich daraus ein naheres Verbaltnis zu der Fa­ milie, das auch nach seiner Entfernung aus dem freiherr­ lichen Hause noch jahrelang fortdauerte. Der Vater wie die Zoglinge richteten Briefe an ihn, die sich noch in seinem N achlaB vorfanden. Si e enthielten (nach Rink) ,den gefiihltesten Ausdruck des Dankes, der Hochachtung und Liebe", die sich u. a. auch darin zu erkennen gab, , da.B sie ihn zum Teilnehmer j edes interessanten Familien­ ereignisses machten". Von Kant selbst erhalten ist ein Brief vom 10. August 1 754, als er bereits wieder in Konigsberg war, an einen , Monsieur" von Hiilsen, wir verdort

sich iiber da s Dorf, den Pfarrer un d Kants Aufenthalt feststellen lieti, hat B. H a a g e n in einer sorgfiiltigen Arbeit

1) Was

Auf den Spuren Kan ts in Judtschen (Altpreuflische Monatsschrift Bd. 49. S. 382 - 4 1 1 und 528- 556) zusammen gestellt.

B.

Ha.uslehrerjahre.

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mnten deshalb nicht an den Vater, sondern an den alteren (damals 14 jahrigen) Zogling, dem er ein historisches und ein lateinisches Schulbuch iibersendet, nebst ein paar Bil­ dern : , l v or HE. Fritzchen nnd l v or den li eben HE. Behrend" (vermutlich seinen Nachfolger in der Hofmeister­ stelle). , HE. Fritzchen" moge sich , durch nnverdrossenen FleH� bestreben, bald auf die Akademie gehen zu konen." , Herr Fritzchen" , der jiingere der beiden Zoglinge, der damals freilich erst 10 Jahre zahlte, hat insofern seines vormaligen Hofmeisters Zutrauen Ehre gemacht, als er der einzige nnter seinen Geschwistern war, der wirklich bis zur Universitat gelangt ist. Er wurde im Herbst 1761 zu Konigsberg immatrikuliert und kam dort zu seinem friiheren Lehrer, Magister Kant, in Pension. Anfangs batte sich der damalige Nachfolger Kants in seiner Arnsdorfer Hauslehrerschaft, ein gewisser Busolt, wie aus seinem ausfiihrlichen lateinischen Briefe vom 23. April l761 an den ,hochgeehrten Gonner" Kant her­ vorgeht, nm die Begleitung des jungen Hiilsen auf die Universitat bemiiht, um die 200 Reichstaler (imperiales) Honorar, die j eder junge Edelmann fiir solche Hofmeister­ schaft abgesehen von den Kosten fiir Tanzen, Reiten, Fechten und franzosische Konversation bezahlen muBte, fiir sich selbst zu erringen. Er berichtet auch, der junge Mann brenne vor Begier nach dem Offiziersdegen und schiitze die Begierde nach den Wissenschaften nur vor, um desto eher von den vaterlichen Penaten Ioszukommen. Gegen Ende d es folgenden Jahres trat Hiilsen denn auch wirklich, dem traditionellen Berufe des preuBischen Adels folgend, als Offizier in ein schlesisches Regiment ein. Er , beurlaubte si eh noch von Arnsdorf aus von seinem treuen Lehrer un d Vorsorger durch ein dankbares Schreiben" (Rink). Vielleicht kann man doch eine Nachwirkung Kan­ tischen Einfl.usses darin erblicken, wenn spater unter der Regierung Friedrich Wilhelms III. sein einstiger Zogling Georg Friedrich von Hiilsen (Hiillesem) seinen Guts­ untertanen die Freiheit schenkte, wofiir er von dem Konig in den Grafenstand , erhoben " wnrde. In spateren Jahren hat Kant dann selbst seinem einstigen Zogling Haus­ lehrer aus Konigsberg besorgt. In einem zufallig erhal­ tenen Brìefe vom l. Mai 1 784 an Georg Friedrich von

34

2. K a pit el .

Universitatszeit nnd Hanslehrerjahre.

Hiilsen schHtgt er ihm zwei Rechtskandidaten zur engeren Wahl vor, die beide, auBer den notigen Schulkenntnissen, auch noch Klavier und Violine, der eine sogar au.Berdem noch , die Flote und das Bassette!" , zu spielen verstanden (Briefw. I, S. 366). Eine dritte Stelle soll Kant nach verschiedenen seiner Biographen im Hause des Grafen Joh. Gebh. K e y s e r1 i n g zu Rautenburg (Kreis Tilsit - Niederung) bekleidet haben. Allein dies konnte, wenn es iiberhaupt der Fall war, nur kurze Zeit gedauert haben. Denn von den beiden in Betracht kommenden Sohnen war der eine Sep­ tember 17 45, der an d ere gar erst Februar 17 4 7 geboren, so daB als friihester Termin, zumal wenn man mit uns einen mehrjahrigen Aufenthalt im Hiilsenschen Hause an­ nimmt, doch wohl nur das Jahr 1 753 in Betracht kommen konnte. 17 54 aber war Kant aller W ahrscheinlichkeit nach wieder in Konigsberg ; denn von dort ist nicht nur der oben erwahnte, nach dem Hi.ilsenschen Gute gerichtete Brief datiert, sondern er hat in diesem Jahre auch mehrere kleinere Aufsatze in den , Wochentlichen Konigsbergischen Frag- un d Anzeigungsnachrichten" veroffentlicht, hat den Druck der schon im Marz 1755 erschienenen AUgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels eingeleitet und vermutlich auch iiberwacht, und doch wohl auch in der Universitatsstadt selber die schon am 17. Aprii 1755 von ihm eingereichte Promotionsschrift vorbereitet. End­ lich ist sein Aufenthalt in Konigsberg um 1754 auch des­ halb wahrscheinlich, weil er sich um diese Zeit, wie erst neuerdings bekannt geworden istt), mit Vorarbeiten fiir die von der Berliner Akademie der Wissenschaften im Sommer 1753 fiir das Jahr 1755 gestellten Preisfrage i.iber den Optimismus von Pope und Leibnitz beschaftigt hat. Auch ist auffallig, dal3 Kants spaterer vertrauter Freund und Kollege Kraus, der 1777-78 beinahe zwei J ahre hindurch Hauslehrer im Keyserlingschen Hause z:u Konigsberg war und nach damaliger Sitte seinen Zogling taglich in Kants Kolleg begleitete, dort niemals von dessen, freilich 1) Reicke, Lose Blatter aus Kants Na chlafi (1 889) , S. 294 ff. Danach stand der jnnge Kant damals dem Optimismns noch nicht so nahe, wie - voriibergehend - 1 759 (s. u nt e n) .

B. Hauslehrerj ahre .

ein Vierteljabrhundert friiher datierenden, Hofmeisterschaft gebOrt bat. Er mii6te es aber um so eher gehOrt. haben, da die Mutter jener beiden Sohue, Grafin Charlotte Amalie, die sich mit 15 Jahren j enem Grafen Johann Gebhard vermahlt und spater in zweiter Ehe einen anderen Grafen (Heinrich Christian) Keyserling beiratete, der 1772 nach Konigsberg zog, eine philosophisch sehr gebildete Dame war, in deren Hause Kant spater - auch zur Zeit von Kraus' Hofmeisterschaft - jahrzehntelang verkehrte (s. unten Kap. IV), und die er in seiner Anthropologie eine , Zierde ihres Geschlechtes " nennt 1). Anderseits bemerkt freilich Heilsberg ausdriicklich : Kant ha be "bey denen Grafen von Keiserling, wovçn einer noch in Kurland lebt, dem di e Grafschaft Rautenburg gehort, conditioniert, wie lange . . . , wei6 i eh nicht. Di e Mutter dieser Grafen war seine gro6e Gonnerin . . . " Un d Borowski : er habe , einige Zeit hindurch auch einen Grafen von Kaiserlingk gefiihrt " ; welches ,Fiihren " doch nicht blotl darauf bezogen werden kann, daf3 derselbe von 1759 an sein Zuhorer war. Endlich spricht fiir einen nicht ganz voriibergehenden Aufenthalt im Keyserlingschen Hause schon um 1753 -54 der Umstand, daB wir ein - im 2. Band der Kantstudien zuerst veroffentlichtes - von der genannten philosophischen Grafin gemaltes Bildnis Kants besitzen, das ihn so jugendlich, wie er auf keinem anderen erscheint, jedenfalls kaum iiber 30 J ahre alt darstellt. Schl i e Bli ch k o n n t e di e ganze Sache ab er an eh, wie zuerst Fromm vermutet hat, mit einem anderen Faktum zusammen­ hangen, das Kraus dem Gedachtnisredner von 1 804 (Wal d) mitgeteilt hat. Derselbe Kraus namlich, der von einer , Condition" Kants im Keyserlingschen Hause nichts wuBte, schrieb W al d : Kant habe i hm erzahlt, er habe in einem graflichen Hause unweit Konigsberg die Erziehung, die er zum Teil mit von Konigsberg aus (als Magister, wenn ich •

1) Auch bei spii.teren Nachfors chungen seitens eines jiingeren, fiir Kantische Philosophie n n d Mora! b egeisterten Grafen Heinrich Wilhelm Keyserling ( 1 775-1850) in Rantenburg hat sich keine Spur von einem einstigen Aufenthalte des Philosophen daselbst gefunden. Desgleichen wullte der Hansgenosse seiner letzten J ah re (Wasianski) von dieser tlritten Hanslehrerstelle (in seiner Antwort an Wald) nichts.

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2. Kapitel.

Universitittszeit

und

Hauslehrerjahre.

nicht irre) besorgen" helfen, und zwar sei er . regelma.6ig alle Woche ein- oder ein paarmal nach dem Graflich TruchseBschen Gute Capustigall abgeholt word en, um da, ich wei.B nicht mehr worin, den Grafen, der noch lebt, zu unterrichten " . Da nun die Grafin K eyserling eine ge­ borene TruchseB-Waldburg war, ware es immerhin moglich, da.B Kant kurz vor oder bald nach Anfang seiner Ma.gister­ zeit (1755) in diesem zwei Meilen von Konigsberg ent­ fernten Schlosse auch einen ·von deren Sohnen unterriehtet batte. Trotz aller eingehenden Erwagungen, die Fromm wie Arnoldt dariiber angestellt haben, wird sich indes, solange weitere und bestimmtere Nachrichten fehlen, nichts Festes iiber diese eventuelle dritte Hauslehrerstelle Kants aus­ machen Iassen. Und wir wollen keine weitere Konjektural­ politik treiben, die am Ende noch, wie Arnoldt humori­ stisch bemerkt, dazu fiihren konnte, da.6 man zwischen der jungen, erst 1729 geborenen Grafin, die schon friihe philo­ sophisches Interesse zeigte (bereits mit 25 Jahren batte sie ein philosophisches Werk Gottscheds ins Franzosische iibersetzt), und dem von ihr portratierten Hauslehrer oder Magister Kant ein zartes Verbaltnis konstruierte, dessen beide dann zwei Jahrzehnte spater, als der beriihmte Pro­ fessor dauernd im Hause ihres zweiten Gemahls verkehrte. nicht mehr gern gedacht hatten. Uns interessiert auch hier wiederum, mehr als die au.Beren Daten, zu horen, was Kant von diesem, wie wir eher annehmen, etwa sechs- bis siebenjahrigen Ab­ schnitt seines Lebens fiir seinen inneren Menschen da­ vongetragen hat. Und da stimmt sicher die Schilderung, die er selbst in der Lebensskizze Borowskis gelesen un d unbeanstandet gelassen hat : ,Der stili e landliche Auf­ enthalt diente ihm zur Forderung seines Flei.Bes. Da wurden schon in seinem Kopfe die Grundlinien zu so manchen Untersuchungen gezogen, manches auch beinahe vollstandig ausge{l;rbeitet, womit er . . . . in den Jahren 1 754 u. f. zur Uberraschung vieler, die das von ihm, wenigstens nicht in d e m Ma.Be erwartet hatten, auf ein­ mal und schnell aufeinander hervortrat. Da sarnmelte er sich in seinen Miszellaneen aus allen Fachern der Gelehr­ samkeit das, was ihm fiirs menschliche Wissen irgend er­ heblich zu sein schien -- und denkt beute noch mit vieler ·

B. Hanslehrerjahre.

_

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Zufriedenheit an diese Jahre seines Hindlichen Aufenthalts un d Flei.l3es znriick." Auch gewohnte sich der im ein­ fachen Handwerkerhause aufgewachsene junge Mann in den aristokratischen Familieri, die er wahrend seines Haus­ lehrerlebens kennen lernte, an feinere auBere Lebensformen, , obgleich er sonst" - wie Heilsberg hinzuzufiigen nicht unterla.l3t - ,in allen Stiicken die Rechtschaffenheit und Biederkeit im Umgange jenem Geprange vorzog und das Komplimentieren haJ3te". Wie er denn auch (nach Kraus) auf der Riickfahrt von jenem Privatunterricht auf Schlo.l3 Capustigall, in vergleichendem Riickblick , Ofters mit inniger Riihrung an die ungleich herrlichere Erziehung gedachte, die er selbst in seiner Eltern Hause genossen, wo er, wie er dankbar riihmte, nie etwas Unrechtes oder eine Unsitt­ lichkeit gehort oder gesehen". Ob er die Mi.Blichkeit der Hauslehrererziehung, daJ3 das Kind sich nach den Vor­ schriften des Hofmeisters richten und doch auch wieder den , Grillen" der Eltern folgen soll, anch am eigenen Leibe erfahren hat, mag dahingestellt bleiben. Er war da­ fiir, daJ3 die Eltern in diesem Falle ,ihre ganze Autoritat an den Hofmeister abtreten '' ( Ober Piidagogik S. 30). Auch fiir die leibliche Erziehung der ibm noch nicht anvertrauten kleineren Kinder kann seiner Ansicht nach der Hofmeister der Ratgeber der Eltern sein, da ,man ohnedem oft nur der einzige Gelehrte im Hause ist" (ebd. S. 37). Dagegen hat er sich als ein besonders tiichtiger p r a k ti s c h er Pad­ ago ge, wie das gewohnlich bei so gelehrten und zur reinen Abstraktion veranlagten Leuten wie er zu geschehen pfiegt, nicht erwiesen. ,Er pfiegte iiber sein Hofmeisterleben zu scherzen und zu versichern, da.l3 in der Welt vielleicht nie ein schlechterer Hofmeister gewesen ware als er. Er hielt es fiir eine gro6e Kunst, sich zweckmaJ3ig mit Kindern zu beschll.ftigen und sich zu ihren Begriffen herabzustimmen, aber er erklarte auch, daJ3 es ihm nie moglich gewesen ware, sich diese Kunst zu eigen zu machen" (Jachmann). Unter diesen Umstanden braucht es der Gymnasial­ lehrerstand nicht allzusehr zu bedauern, daJ3 der beriihm­ teste deutsche Philosoph nicht - wie er anscheinend um 1 755 oder 1757 einmal versucht hat - in seine Reihen eingetreten ist. Anscheinend. Denn auch hier wider­ sprechen sich die Nachrichten. Borowski zufolge batte er

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2. Kapitel.

Univer@itatszeit

uml Hauslehrerjahre.

sich, e h e er si eh endgiiltig , dem Dienste der Universitat bestimmte" , um die ,unterste Schulkollegenstelle" an dem heute noch bestehenden Kneiphiifischen Dorngymnasiurn, der altesten Schule Konigsbergs (gegr. 1304) gemeldet, ware aber einern anderen, ,gewiB nicht geschickteren" Be­ werber nachgesetzt worden. Wald nennt auch den Namen dieses bei ihrn schon zurn ,notorischen Ignoranten" gewor­ denen Rivalen : Kahnert. Andere, wie Kraus und Heilsberg, haben die Sache bezweifelt. Nun hat allerdings A. Warda in seiner genauen Untersuchung der Angelegenheit urkund­ Iich nachgewiesen, daB in der Tat ein Wilhelm Benjarnin Kahnert im Oktober 1757 als Lehrer an j ener Anstalt angestellt worden ist, aber doch eben von Kants Bewerbung nichts in den Akten gefunden. Falls eine solche dennoch stattgefunden haben solite, wollen wir uns ti:ber ihren MiBerfolg freuen. . Denn, wenn selbst Kants Professor­ gehalt anfangs nicht groBer gewesen ist als das eines Lehrers am KneiphOfschen Gyrnnasium, wenn er auch in seinen Privatdozentenjahren oft genug ebensoviel Stunden (24) wochentlich Kolleg gelesen hat, als er an j ener Schule Unterrichtsstunden erteilt haben wiirde : es war do eh etwas anderes, als wenn, wie es bei Kahnert der Fall, von 22 Lehrstunden lO aufs - Schonschreiben fielen. Die Zeit war noch nicht gekornmen, wo - wie Kant einem jungen Freunde, dern er selber zur Annahrne eines Schulamts riet, zum Troste schrieb - , das Bediirfnis des PublikuUJs, die Schulen dern Fortriicken in der Kultur des Geschrnack­ vollen angemessener zu rnachen, immer starker gefiihlt wurde" (Kant an Nicolovius, 16. August 1793). Kurz, es war - auch abgesehen von seinem Mangel an praktischern Lehrtalent und den Schwierigkeiten der Disziplin gegen­ iiber einer ganzen Schulklasse - in jeder Hinsicht fiir unseren Philosophen besser, daB er in diejenige Laufbahn trat oder bei ihr verharrte, die fiir seine ganze Geistes­ anlage die gegebene war : die des a k a d e m i s c h en L e h r e r s.

D r i t t e s K a p i t e l. Fiinfzehn Jah re Privatdozent und Magister.

1 755-1770.

1. Promotion und Habilitation. Schon durch mehrere wissenschaftliche Schriften hatte der junge Gelehrte die Aufmerksamkeit der gelehrten Welt auf si eh gezogen. W ar der Ruf von seiner Erstlingsschrift in so weite Kreise gedrungen, daB ihr Titel ihm das be­ kannte sp ottisch e Epigra mm von Lessing zuzog1), so hatten zwei weitere, in den Konigsberger Nachrichten im Juni bzw. August-September 1 754 veroffentlichte Aufsatze seinen Namen mindestens in den literarisch gebi l d eten Kreisen der Heimat noch bekannter gemacht. Von dem ersten, der, durch e in e Pr eisaufgab e der Berliner Akademie angeregt, die Frage untersuchte : , Ob die Erde in ihrer Umdr ehung einige Verand erung erlitten habe", urteilt ein heutiger F achmann, daB sein Ergebnis, der klare Beweis einer all­ mii.hlichen Verlangsamuhg der Achsendrehung der Erde, erst nach einem vollen Jahrhundert aufs neue habe ent­ deckt werden miissen. Die zweite, groBere Abhandlung betraf " die Frage, ob die Erde veralte, physikalisch er­ wogen" . Beide waren Vorstudien zu der b eriihmten, Ostern 1755, zunachst an ony m , erschienenen Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels, die , den Ur­ sprung des Weltgebaudes, die B ild ung der Himmelskorper 1)

Kant unternimmt ein schwer Geschafte, Der Welt zum Unterricht. Er schatzet die lebend'gen Krafte, Nur seine schatzt er nicht. Spater, als der Dichter den Philosophen besser hatte schatzen lernen, unterdriickte er das Epigramm.

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3. Ka.pitel. Ftinfzehn Ja.hre Priva.tdozent und Ma.gister.

un d die Ursacben ibrer Bewegung aus den allgemeinen mecba­

niscben Bewegungsgesetzen der Materie nacb der Tbeorie Newtons" herleitete, iiber deren merkwiirdiges au.Beres Schicksal di e Einleitung zu Bd. 48 der Philos. Bibl. bericbtet. So standen Kants Promotion zum Magister - dem beutigen Dr. pbilosopbiae entsprecbend - wie seiner Ha­ bilitation als Privatdozent natiirlicb nicht die geringsten Scbwierigkeiten entgegen. Er promovierte mit einer, aucb bente nocb von kundiger Seite geschatzten, lateiniscben Abbandlung Ober das Feuer, die er am 17. Aprii 1755 bei der pbilosopbiscben Fakultat einreicbte. Das Rigoro­ sum fand am 13. Mai, der feierlicbe offentlicbe Promotions­ akt am 12. Juni desselben Jabres statt. Zu ihm hatten sicb besonders viele angesebene und gelebrte Manner der Stadt eingefunden, , und bei der lateinischen Rede, die Kant nach der Promotion hielt" - es war darin , vom leichteren und vom griindlicheren Vortrage" der Philo­ sopbie die Rede -, , legte das ganze Auditorium durch ausgezeichnete Stille und Aufmerksamkeit die Achtung an den Tag, mi t der es den angebenden Magister aufnahm" . Der Magisterpromotion folgte a m 27. September des ni!.mlichen Jahres morgens von 8 bis 12 Uhr die offentliche V erteidigung seiner pro venia docendi eingereichten latei­ nischen Dissertation, wir wiirden beute sagen H a b i l i t a­ t i o n s schrift : Eine neue Beleuchtung der ersten Prinzipien der metaphysisrhen Erkenntnis. ,Respondent" war ein Tbeologiekandidat, Opponenten ein Stud. theol. und zwei Rechtskandidaten (vgl. Phil. Bibl. 46 a, S. XIII ff. und S. 1-51) ; es war die erste rein p h i l o s o p h i s c b e Scbrift Kants. Bald darauf wird er seine e r s t e V o r l e s u n g gebalten baben, iiber die uns ein anscbaulicber Bericht Borowskis erhalten ist. ,Er wobnte damals in des Prof. Kypke Hause auf der Neustadt und batte hier einen ge­ raumigen Horsaal, der samt dem Vorbause und der Treppe mit einer beinahe unglaublicben Menge von Studierenden angefiillt war. Dieses schien Kant au.Berst verlegen zu macben. Er, ungewohnt der Sache, verlor beinahe alle Fassung, sprach leiser noch als gewohnlich, korrigierte sich selbst oft." Bei der Bewunderung, die sie fiir seine um­ fangreiche Gelehrsamkeit hatten, sahen die Zuhorer j edocb darin nur Bescheide�beit, nicbt Furchtsamkeit, und ,in der

2. Vorlesnngen.

41

nachstfolgenden Stunde war e s schon ganz anders. Sein Vortrag war, wie er's in der Folge blieb, nicht allein griind­ lich, sondern auch freimiitig un d angenehm" . Damit kommen wir zu seinen 2. Vorlesungen

iiberhaupt. Zunachst : W el che Disziplinen bildeten den G e g e n s t a n d von Magister Kants V orlesungen 1) ? In seinem ersten Dozentensemester las er gleich drei Kollegia : Logik, Metaphysik un d Mathematik ; wahrschein­ lich auch Pbysik. Unter seinen eingescbriebenen Zuhorern befanden sich 2 Juristen und 2 1 Tbeologen, unter den letzteren sein Bruder Jobann Heinrich und sein spaterer Biograpb Borowski. Dieselben Facher hat der fleiBige und - einnahmebediirftige Magister dann auch, fast fiir j edes folgende Semester angekiindigt, wenn auch vielleicht nicbt immer gehalten. Hinzu kam im nachsten Sommer noch P h y s i s c h e G e o g r a p h i e. Kant gehorte zu den ersten Professoren, die Geographie als selbstandigen Lehrgegen­ stand behandelt haben. Diese in der Regel jedes zweite Semester wiederkehrende Vorlesung blieb bis in sein Alter eins seiner Lieblingskollegien ; denn er war der Meinung, da.B nichts so geeignet sei; ,den gesunden Verstand auf­ zuhellen" , als gerade die Erdkunde. Er lud diesmal durch eine besondere Programmabhandlung : Neue Anmerkungen

zur Erliiuterung der Theorie der Winde, datiert 25. Aprii 1 756, zum Besuch seiner Vorlesungen ein.

vom

Im

folgenden Winter tritt zum ersten Male Ethik (spater auch Moralphilosophie oder Praktische Philosophie genannt) bin­ zu, die er von da an in der Regel jeden Winter las. Fiir den Sommer 1 758 zeigte er auBerdem seine Absicht an, , in einer Mittwocb- und Sonnabendstunde die in den vorigen Tagen abgehandelten Satze polemisch betrachten 1)

Der verdienstvoll e Kantforsch er E m i l A r n o l d t hat es sich nicht verdrie.!len lassen, ein genanes Verzei chnis siimtlicher von Kant angekiindigten Vorlesnngen wahrend der ganzen, 42 jahrigen Dauer seiner Lehrtatigkeit anfznstellen, welches dann von O. SchOn dlirffer, dem Heransgeber von Arnoldts Gesammelten Werken nnd Nachla.!l, an verschiedenen Stellen noch erganzt worden ist. Ans diesem mit wertvollen begleitenden Znsatzen versehenen Verzeichnis (Ges. Schr. Bd. V, 2) schlipft unsere obige Darstellung.

42

3.

Kapitel.

Flinfzehn J ahre Privatdozent

und ltlagister.

zu wollen", ,welches meiner Meinung nach eines der vor­ ziiglichsten Mittel ist, zu griindlichen Einsichten zu ge­ langen" . Ein sol eh es ,Disputatorium' hat er auch fiir Sommer 1761 angekiindigt, regelmaBiger aber erst von den 70 er Jahren an abgehalten. 1 759j60 wurden zum ersten­ mal ,reine Mathematik' und ,mechanische Wissenschaften' in gesonderten Stunden behandelt. Indes hat er iiber Mechanik iiberha.upt nur zweimal gelesen und von Herbst 1763 ab auch seine bis dahin jedes Semester angekiindigten mathematischen V orlesungen endgiiltig aufgegeben. Anstatt dessen tritt als neues Fach Sommer 1767 zue;rst das Natur­ recht auf. Im folgenden Winter kam als weitere Neue­ rung eine ,Enzyklopadie der ganzen Philosophie nebst einer kurzgefaBten Geschichte derselben' fiir solche, die sie , aus­ fiihrlicher zu v,erfolgen nicht Zeit haben", hinzu ; sie muB Anklang gefunden haben, denn er las sie in den nachsten Jahren bis l 772 hau:fig, wahrend si e von da an wieder hinter anderen Gegenstanden in den Hintergrund tritt. Von 1 760/6 1 an sind in der Regel auch die T a g e s­ s t u n d e n erwahnt, an denen Kant sei ne V orlesungen hielt ; sie nahmen meist den ganzen Vormittag von 8 bis 12 Uhr ein. In einem Semester (Sommer 1761) hat er an FleiB geradezu Unglaubliches geleistet oder mindestens leisten wollen. Er kiindigte fiir dieses Semester nicht weniger als s e c h s Kollegia an : 8-9 Logik, 9-10 Mechanik, 10-1 1 theoretische Physik, l l-12 Metaphysik ; nach­ mittags 2-3 physische Geographie (6 stiindig), 3-4 Arith­ metik, Geometrie un d Trigonometrie ; dazu ein ,Disputa­ torium" Mittwoch un d Sonnabend von 8 bis 9. AuBerdem aber erbot er sich auch noch, ,die iibrigen Mittwoch- und Sonnabendstunden Wiederholungen und Losungen von Zweifeln" gratis zu widmen. Auch im Winter 1776/77 hat er, nach seiner eigenen Angabe in den Senatsakten, 26 bis 28 W ochenstunden nicht bloB angekiindigt, sondern auch wirklich gelesen. Im allgemeinen betrug der Durch­ schnitt in seinen Magisterjahren nicht unter 16 Stunden. Und dabei war er, wie iibereinstimmend berichtet wird, ein Muster von Piinktlichkeit und Pfiichttreue. Niemals setzte er, etwa seiner schriftstellerischen Arbeiten oder gar um des Vergniigens willen, eine Vorlesung aus, auBerhalb der festgesetzten akademischen Ferien. Desgleichen wurde er

2.

Vorlesnngen.

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in der Regel mit seinem Pensum auch fertig. Er konnte in der Ankiindigung seiner Vorlesungen Winter 1 759/60 schreiben : ,Man wei/3 schon, daf3 ich jede dieser (se. filnf) Wissenschafteu in einem h alben J ahre zu End e bringe und, wenn dieses zu kurz ist , den Rest in einigen Stunden d es folgenden nachhole." So war es denn wobl verdient, wenn ihm bei seiner Ernennung zum Professar (1770) an erster Stelle bescheinigt wurde, da/3 er sich , durch seine bisherigen fl.eil.ìigen Vorlesungen um besagte Universitat verdient gemachet" . E s war f iir die Pro fessoren Vo rschrift, da/3 sie ihren Vorlesungen bestimmte K o m p e n d i e n zugrunde legen mul.ìten. Selbst ein so liberaler Minister wie Zedlitz hat noch 1778 diese Regel den Professoren der Konigsberger Philosophenfakultat mit der Begriindung eingescharft : ,Das scblechteste Kompendium ist gewi/3 besser als keines, und die Professores mogen, wenn sie soviel Weisheit besitzen , ihren Autorem verbessern, soviel sie konnen, ·aber das Lesen iiber Dictata mu/3 schlechterdings abgeschafe t wer­ den." Von dieser Verf ii gung war einzig und allein , der Professar Kant und sein Kollegium iiber die physische Geo­ graphie" ausgenommen, , woriiber bekanntlich noch kein gantz schickliches Lehrbuch vorhanden ist" . Immerhin batte Kant - wie denn auch in einem Ministerialreskript vom 25. Mai 1767 besonders beifallig anerkannt wurde eine gute Auswahl unter den Lehrbiichern getroffen : er las z. B. Logik nach der Vernnnftlehre M eiers (eines der selbstandigeren Wolfianer), Naturrecht nach Achenwalls Jus naturale, Enzyklopiidie nach seines spateren Gegners Feder Grundri(I, � etaphysik und Ethik meist nach dem durch die erste , Asthetik" beriihmt gewordenen Baum garten. Im iibrigen hat uns Kant selbst iiber Zweck und Gang seiner philosophischen Vorlesungen ausfiihrlich orientiert in der gedruckten Nachricht von der Einrich­ f

-

­

tung seiner Vorlesungen in dem Winterhalbjahr bis 1766.

von

1765

Er wollte, so fiihrte er hier aus, an seinen ZuhOrern zunachst nur den Verstand, dann allmahlich ihre Vernunft ausbilden und erst in letz ter Linie Gelehrte aus ihnen machen. Sie sollten bei ihm keine ihnen nur auBerlich anklebenden G e d a n ke n, sondern d e n k e n, keine fertige

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3. Kapitel. Fi1nfzehn Jahre Privatdozent und Magister.

P h i l o s o p h i e, sondern p h i l o s o p h i e r e n lernen. Seine Methode sollte daher ,zetetisch d. i. forschend", nicht ,dogmatisch d. i. entschieden " sein. Den Verfasser des zugrunde gelegten Kompendiums sah er darum auch ,nur als eine Veranlassung" an, ,selbst iiber ihn, ja wider ihn zu urteilen" , und war si eh dabei seiner von dem ,ge­ meinen" Verfahren , sehr abweichenden" Art durchaus be­ wu/3t. So erlaubte er sich denn auch mit dem ,Lesebuch " Baumgartens, das er ,,vomehmlich um des Reichtums und der Prazision seiner Lehrart willen" gewahlt habe, eine ,kleine Biegung " , indem er, abweichend von ihm, von der empirischen Psychologie ausging, dann die korperliche und leblose Natur, darauf die , allgemeineren Eigenschaften aller Dinge" und erst zuletzt , die Ursache aller Dinge, d. i. die Wissenschaft von Gott und der Welt" behandelte. Dies Fortschreiten vom Leichteren zum Schwereren babe nebenbei auch den Vorteil, daB der Horer nicht durch die Schwierigkeiten der Ontologie gleich zu Anfang abge­ schreckt werde und selbst diejenigen etwas mit nach Hause triigen, deren Eifer vorzeitig erlOsche. Denn in Konigs­ berg war es damals schon so wie heute, und so wuJ3te auch Kant, , wie eifrig der Anfang der Kollegien von der munteren und unbestandigen Jugend gemacht wird, und wie darauf die Horsale etwas geraumiger werden" . Er verbreitet sich dann weiter iiber den Gang, den seine Vor­ lesungen iiber L o gik, Ethik und physische Geographie nehmen wiirden, von denen er die letztere inzwischen durch Hinzufiigung eines anthropologischen ùnd politischen Teils erganzt hatte. So befolgte er denn - wie dies sein Zuborer Bo­ rowski sch on fiir die friihesten Vorlesungen bezeugt , das Compendium, welcbes er etwa zum Grunde legte, nie strenge . . . Oft bracbte er ein besonderes handschrift­ liches Heft auBer dem Compendium mit, in diesem batte er si eh Marginalien beigezeichnet ". D aB er dies V erfahren auch weiterhin einschlug, bezeugt der Befund seiner Hand­ biicher nach seinem Tode. So bat z. B. Erdmann an der Hand von Kants eigenem Handexemplar der Baumgarten­ schen Metaphysik festgestellt, daB er dieselbe ,nichts weniger als sklavisch benutzte'' und ,schon in der vorkritischen Zeit sich in stetig fortschreitendem MaBe von dem Inhalt

2. Vorlesungen.

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desselben frei machte" . Das Buch war, wie seine meisten Handexemplare und auch einzelne seiner eigenen W erke, mit Papier durchschossen, und nicht bloJ3 diese und die vor dem Titelblatt befindlichen Blatter, soudern auch die Rander der Druckseiten, ja sogar der freie Raum zwischen den einzelnen Zeilen , vielfacb, oft vo llstandig mit ungemein kleiner, an Abkiirzungen rei cber, aber meist nicht undeut­ licber Scbrift bescbrieben" . Und E. Adickes, der Heraus­ geber seines Nachlasses in der Akademieausgabe, fiigt dem neuerdings hinzu : , . . . selbst di e kleinsten freien Platzchen hat Kant (namentlich in den 80 er Jahren) nicht ver­ scbmaht, um, wenn alles andere voli war, auf ihnen noch einige Reftexionen notdiirftig unterzubringen, die dann frei­ lich in zwei, drei, vier Stiicke getrennt . . . werden muJ3ten. So bieten manche Seiten ein sehr buntes Bild, und Kants Gedachtnis und scharfes Auge sind zu bewundern, wenn er sicb in den Vorlesungen der 80 er und 90 er Jahre in dem beangstigenden Wirrwarr solcher Blatter noch zurecht­ finden konnte" . 1) Von Kants Vorlesungen erzablt sein Schiiler Borowski weiter : ,. Oft fiihrte ihn die Fiille seiner Kenntnisse auf Ab­ schweifungen, die aber doch immer sebr interessant waren, von der H auptsacbe. W enn er bemerkte, d aB er zu weit àusgewichen war, brach er geschwind mit einem ,Und so weiter' oder ,Und so fortan' ab und kehrte zur Hauptsache zuriick." Mit Griindlichkeit wuJ3te er Anmut der Darstellung zu verbinden ; dagegen suchte er nie durch Pikanterien oder Sticheleien auf Kollegen wohl­ feilen Beifall zu erwerben. ,Dem Nachschreiben war er n icht hold. Es storte ihn, wenn er bemerkte, dal3 das Wichtigere oft iibergangen und das Unwichtigere aufs Papier gebracht ward, sowie auch manche andere Kleinig­ k eit , z. B. eine auffallende Kleidung " - eirie Anekdote er­ zahlt von einem feblenden Knopfe am Rock eines in der vordersten Reibe sitzenden ZuhOrers - ,ibn storte." Immer wieder warnte er vor blol3er Nacbbeterei, immer wieder 1) Vgl. E1·dmanns Einleitung zu seiner Ansgabe der Reflexio­ nen Kan ts zur kritischen Philosophie I, l 1�82) , E. Adickes, Kants WW. IAk. - Ausg.) Bd. XIV, S . XXI f. Uber Kants Vor­ lesungen iiberhaupt : E Arnoldt, Kritische Exkurse im Gebiete der Kant(orschung, S. 269 - 430. E. Adickes, Ur dersuchungen zu Kants physischer Geograpkie (19 1 1) S. 34 f. u. a.

(L/z.

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3. Kapitel.

Fiinfzehn Jahre Privatdozent nnd .Magist er.

scharfte er ein : S el b s t denken, selbst forschen, auf eigenen Fiii3en stehen ! Zweifel, die ihm vorgelegt wurden, oder Bitten um nahere AufkHirung nahm er, wenigstens in seinen jiingeren Jahren sehr freundlich entgegen un d setzte den Betreffenden, z. B. auf Spaziergangen, die Sache aus­ einander. Oft ging die Vorlesung in den Ton ,freien Dis­ kurses, mit Witz und Laune gewiirzt" iiber, vermischt mit Hinweisen auf eben von ihm gelesene Schriften oder kleinen, zur Sache gehùrigen Anekdoten, ohne indes j emals in das Pikante fallen zu wollen. Trotzdem war, wie Borowski bemerkt, ,rege Aufmerksamkeit bei seinen Vortragen notig. Die . . . Gabe, die vorkommenden Begriffe und Sachen ganz ins klare fiir j e d e n zu setzen, si e etw a durch Wiederholung in anderen Ausdriicken auch d..em versaum­ teren und zerstreuteren Zuhùrer doch fa13lich zu machen, . . . war Kant freilich nicht eigen. Es muilte auf alles, wie billig, genau gemerkt werden. '' So traute denn u. a. auch Hamann, als Kant im J ahre 1759 ,mi t einer Kinder­ physik schwanger ging", d. h. eine Naturlehre fiir Kinder abfassen wollte, dem gelehrten Magister nicht zu, dai3 er dies fertigbringen wiirde, da doch , Ihre erwachsenen Zu­ horer Miihe haben, es in der Geduld und Geschwindigkeit des Denkens mit Ihnen auszuhalten " (Briefw. I, S. 19). Die meisten Studiosen begannen deshalb auch, weil Kants iibrige Vorlesungen fiir zn schwer galten, mit seiner physischen Geographie oder Moralphilosophie (Mortzfeld S. 58 f.). Aber, wer ihm mit geeigneten Gaben und mit ganzer Seele folgte, der trug auch reichen Lohn davon. Wir glauben, diesen Abschnitt nicht besser abschlieilen zu konnen, als mit den schonen Worten, di e H er d e r, mehr als drei Jahrzehnte nachdem er Kants Vorlesungen gehort, und obwohl er mit diesem inzwischen schon in literari sche Differenzen gekommen war, in seinen Briefen zur Be(dr­ derun g der HumaniUit ( 1795, Brief 29, S. 1 68) dem einstigen Lehrer widmete : ,Ich habe das Gliick genossen, einen Philosophen zu kennen, der mein Lehrer war. Er, in seinen bliihendsten Jahren, batte die frohliche Munterkeit eines Jiinglings, die, wie ich glaube, ihn auch in sein greisestes Alter begleitet. Seine offene, zum Denken gebaute Stirn w ar ein Sitz un -

3.

Schriften.

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zerstOrbarer Heiterkeit un d Freude ; di e gedankenreichste Rede fl.ol3 von seinen Lippen ; Scherz und Witz und Laune standen ihm zu Gebot, un d sein lehrender V ortrag war der unterhaltendste Umgang. Mit eben dem Geist, mit dem er Leibniz, W olf, Baumgarten, Crusius, Hurne priifte un d die Naturgesetze Keplers, Newtons, der Physiker verfolgte, nahm er auch die damals erscheinenden Schriften Rous­ seaus, seinen Emil und seine Heloise, sowie j ede ihm be­ kannt gewordene Naturentdeckung auf, wiirdigte sie und kam immer zuriick auf unbefangene Kenntnis der N a t u r und auf m o r a l i s c h e n W e r t des Menschen. Menschen-, Volker-, Naturgeschichte, Naturlehre, Mathematik und Er­ fahrung waren die Quellen, aus denen er seinen Vortrag und Umgang belebte ; nichts Wissenswiirdiges war ihm gleichgiiltig ; keine Kabale, keine Sekte, kein Vorteil, kein Namensehrgeiz hatte je fiir ihn den mindesten Reiz gegen die Erweiterung und Aufhellung der Wahrheit. Er mun­ terte auf und zwang angenehm zum S e l b s t d e n k e n ; Des­ potismus war seinem Gemiit fremde. Dieser Mann, den ich mit grol3ester Dankbarkeit und Hochachtung nenn e, ist I m m a n u e l K a n t ; sein Bild steht angenehm vor mir." Neben den Vorlesungen her gehen gerade wahrend dieses Zeitraumes eine gro.Be Anzahl von, freilich meist kleineren, 3. Schrìften

und Abhandlungen. Sehen wir auch, dem Zwecke dieser Biographie gema/3, sowohl von einer innneren Entwicklungs­ geschichte des Kantischen Denkens, die in eine Geschichte der Philosophie gehort, wie von der auBeren Entstehungs­ geschichte der einzelnen Schriften, die in unseren Einlei­ tungen zu deren Ausgaben in der Philos. Bibl. zu finden ist, ab : so miissen wir doch insoweit einen kurzen Blick auf sie werfen, als wir aus ihnen Kants mannig­ faltige Interessen kennen lernen ; w o bei wir gerade di e kleinen, in der Philos. Bibl. noch nicht behandelten Auf­ satze bevorzugen. Am l. November 1755 hatte das furchtbare Erdbeben von Lissabon, um mit Goethes ,Wahrheit und Dichtung" zn reden - , ungeheuren Schrecken ii ber di e in Frieden und Ruhe schon eing·ewolmte Welt verbreitet" . Da nun

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3.

Kapitel.

Fiinfzehn Jahre Privatdozent und Magister.

gerade Kant im Jahre vorher am SchluB seiner Abhand­ lung : Ob die Erde veralte ? (S. 39), fast als ob er es vor­ ausgeahnt batte, von der von den ,Feuerschatzen" des Erdinnern bestandig drohenden Gefahr gesprochen batte, so wiinschte das Konigsberger Publikum von ihm Belehrung iiber das Wesen und die Griinde des gewaltigen Natur­ ereignisses und der ihm folgenden weiteren ErdstoBe. Dar­ aufhin handelte er denn zunachst in zwei J anuarnummern (1756) der Konigsbergischen usw. Nachrichten Von den Ur­ sachen der Erderschiitterungen bei Gelegenheit des Ungliicks, welches die westlichen Lèinder von Europa ,qegen das Ende des vorigen Jahres betroffen hat, und gab kurz darauf ­ Anfang Marz - eine als Sonderschrift (40 Seiten Quart) erschienene ausfiihrliche Geschichte und Naturbesch1·eibung der merkwurdigsten Vorfèille des Erdbebens, 'Welches am Ende des 1755 sten Jahres einen gro(Jen Teil der Erde e1'­ schilttert hat, die - weil sie die allgemeine Spannung er­ regte - ,bogenweise von drei zu drei Tagen verteilt ward". Si e fan d solchen Beifall, daB ihr Verfasser si eh veranlaB sah, in zwei weiteren Nummern der ,Nachricbten" - vom 10. und 17. Aprii - Fortgesetzte Betrachtungen der seit einiger Zeit wahrgenommenen Erderschiitterungen zu veroffentlichen. Seine in diesen Aufsatzen entwickelte Ansicht, da/3 die gro/3e Verbreitung des Lissaboner Erd­ bebens durcb Fortpfl.anzung der Erderscbiitterungen im Meere verursacht war, wird jetzt allgemein als richtig an­ erkannt. Was die bei solchen Naturkatastrophen ja aucb beute noch immer wieder hervortretende religiOs-moraliscbe Beurteilung anlangt, so trat der Philosoph dem ,straf­ lichen Vorwitz " derer entgegen, die solche Schicksale als ,verhangte Strafgerichte" ansahen und sich anmaBten, , die Absichten der gottlichen Ratschliisse einzusehen und nach ihren Einsichten auszulegen" ; sie sollten uns vielmehr zur Betatigung der Menschenliebe anregen, die GroBen der Erde abhalten, die Drangsale des menschlicben Geschlecbtes durch noch weiteres selbstgeschaffenes Elend wie den Krieg zu vermehren, im iibrigen freilich uns daran er­ innern, daB , der Mensch nicht geboren ist, um auf dieser Schaubiihne der Eitelkeit ewige Hiitten zu erbauen". Fast gleicbzeitig mit diesen Betrachtungen verfaBte Magister Kant eine dritte lateiniscbe Abhandlung zum

3. Schriften.

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Zweck seiner Bewerbung (s. unten) um die seit Knutzens Tode verwaiste auBerordentliche Professur ftir Logik und Metaphysik. Es war namlich durch eine Verordnung Friedrichs II. die Zulassung eines Privatdozenten zu einer solchen an die Bedingung einer dreimaligen offentlichen Disputation uber eine von dem betreffenden Bewerber ab­ zufassende lateinische Schrift geknupft. Die von Kant am 23. Marz 1756 der Fakultat eingereichte Schrift behandelte den ,Gebrauch der mit Mathematik verbundenen Meta­ physik in der Naturphilosophie', und zwar als deren ersten Teil die Physische Monadologie. Die Disputation erfolgte Samstag, den 1 0. April ; einer der Opponenten war sein damals erst 16 jahriger Schliler L. E. Borowski. Di e fur die Zeit ,bald nach zuruckgelegtem Osterfeste" in Aus­ sicht genommene dritte Dissertation unterblieb, weil Kants Bewerbung keinen Erfolg batte. Endlich veroffentlichte Kant in demselben Monat Aprii noch eine Programmschrift zur Ankiindigung seiner Vor­ lesungen unter dem Titel : Neue Anmerkungen zur Er­ liiutemng der 1heorie der Winde. Auch mit ihr eilte Kant seiner Zeit weit voraus. Das bekannte nach seinem Namen benannte ,Drehungsgesetz" , das der beruhmte Astrophy­ siker Dove 1835 neu entdeckt zu haben glaubte, wonach die regelmii.Bigen Windstromungen mit der Achsendrehung der Erde zusammenhangen, hat fast mit denselben Worten Magister Kant schon achtzig Jahre vorher in seiner da­ mals wohl kaum iiber die Grenzen der Universitat Konigs­ b erg hinaus bekanntgewordenen Programmabhandlung er­ lautert. - Auch seine drei folgenden kleinen Schriften bestehen aus solchen Programmabhandlungen. So die zum Sommer 1757 aus dem Entwurf und Ankiindigung eines CoUegii der physischen Geographie, welcher eine ausfuhrliche Inhaltsubersicht oder� wie Kant sagt, einen , kurzen Ab­ riB " dieser seiner vielbesuchten Spezialvorlesung gibt. Aus der Einleitung ergibt sich, wie ausgedehnt Kants Vorberei­ tung zu diesem Kolleg vermittelst der Lekture aller ihm er­ reichbaren Reisebeschreibungen, Naturhistorien, Akademie­ abhandlungen u. a. m. gewesen ist. Als Anhang hinzugefiigt war eine , kurze Betrachtung" uber eine mit der vorigen Abhandlung in sachlichem Zusammenhang stehende Frage, namlich die : , oh die Westwinde in unseren Gegenden

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B. Kapitel.

Fiinfzehn Jahre Privatdozent nnd Magister.

darum feucht seien, weil si e iiber e in gro.Bes Meer streichen ? " (Kant glaubte diese ,gemeine Meinung" stark anzweifeln zu miissen.) Fiir den folgenden Sommer (1 758) wiihlte er ein mehr naturphilosophisches Thema : Neu e r Lehrbegriff

d e r Bewe_qung und Ruhe und der damit ve1·knup{ten Fol_qe­ rungen in den ersten Grunden dAr Naturwissenschaft (acht

Quartseiten) : , ein Bogen" , der nach Borowski , gleich beim ersten Erscheinen viele Aufmerksamkeit erregte" und nach dem Urteil seines neuesten Herausgebers Kurd La.Bwitz ein , interessantes Zeichen" dafii.r ist, wie friihzeitig einige Grundgedanken von Kants naturphilosophischer Hauptschrift (den Metaphysischen An fangsgrund en der Naturwissen8chaft, 1 786) ausgebildet wurden. Wie in seiner Erstlingsscbrift, so tritt auch in dieser letzten naturwissenschaftlichen Schrift Kants aus der vorkritischen Zeit eine entschiedene Frei­ heit von aUer au.Beren Autoritat stark hervor. Witzig meint er in der Einleitung , er wiirde si eh kaum gegeniiber dem , entscheid enden Gutachten" des , ehrwiirdigen gro.Ben Haufens" die Freiheit genommen haben, , die durch nichts weiter als durch - die gesunde Vernunft gerechtfertigt ist". Da er aber eine Menge gleichgesinnter ,unter­ nehmender Kiipfe" um sich bemerke, die gleichfalls ,mit dem Gesetze d es Ansehens nich ts wollen zu schaffen haben " , s o wage e r e s daraufhin, seine , Einfalle" z u au.Bern : , ob ich gleich wei.B, da.B diejenige Herren, welche gewohnt sind, alle Gedanken als Spreu wegzuwerfen, die nicht auf die Zwangmiihle des W olffischen o der eines anderen beriihmten Lehrgebaudes aufgeschiittet worden, bei dem ersten Anblick die Miihe der Priifung fiir unniitig und die ganze Betrach­ tung fiir unrichtig erklaren werden" . Hatten Kants Schriften sich bisher, mit alleiniger Aus­ nahme d er metaphysischen Dissertation von 1 755, mit n a t u r w i s s e n s e h a f t l i c h e n Problemen beschaftigt, so tritt zu Anfang der 60 er J ahre eine W endung zu teils l o g i­ s c h e n, t eils a n t h r o p o l o g i s c h - m o r a l i s c h e n Gegen­ standen ein. Dem letzteren Gebiete gehiirt der der An­ kiindigung seiner Vorlesungen fiir Winter 1 759j60 beige­ gebene Versuch einiger Betrachtungen iiber den Optimismus an. Der Streit iiber den Optimismus und Leibniz' ,beste der Welten" stand, zumal seit die Berliner Akademie seine Priifung zum Gegenstande einer Preisaufgabe fiir das Jahr

3. Schriften.

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1755 gemacht hatte, auf der Tagesordnung. Manner wie Mendelssohn, Lessing und Wieland hatten dariiber ge­ schrieben, und noch im selben Jahre 1759 war Voltaires, mit Absicht einem Deutschen (!), ,Dr. Ralph", in den Mund gelegter, satirischer Roman Candide ou l'optimisme er­ schienen. Kant kam durch sein nur einen Bogen zahlendes Schriftchen in einen kleinen literarischen Streit mit einem Magister Weymann, der sich am 6. Oktober 1 759 mit einer Dissertation De mundo n o n optimo in Konigsberg habilitiert hatte und nun die am folgenden Tage heraus­ kommende Kantische Schrift, die sich gegen seines Herrn und Meisters Crusius Angriffe auf den Optimismus wandte, auf sich selbst bezog, zumal da Kant, wie er an Lindner schrieb, , wegen seiner (Weymanns) bekannten Unbe­ scheidenheit" es abgelehnt hatte, seinen Opponenten zu spielen. Obwohl nun Kant an ihn gar nicht gedacht hatte, veroffentlichte der gereizte Kollege bereits am folgenden Sonntag einen Bogen , voller Unbescheidenheiten, V er­ drehungen u. dgl." g·egen den vermeinten Widersacher. Kant hatte keine Neigung, ,sich mit einem Cyklopen auf Faustschlage einzulassen", auch konnte er sich auf ,das Ur­ teil des Publici" verlassen und zog es deshalb vor, . auf die anstandigste Art, d. i. durch Schweigen" zu antworten und den Gegner der baldigen verdienten Vergessenheit zu iiberlassen. Inhaltlich war Kants iibrigens ,mit einiger Eilfertigkeit entworfenes" Schriftchen eine Verteidigung d es Satzes : , da.B das Ganze das Beste sei, un d alles um des Ganzen willen gut sei " , mithin eben des Optimismus. Sie war wirklich eine seiner schwachsten Schriften, so da.B der geistreiche Hamann Kants Einfalle nicht ganz ohne Grund als ,blinde Junge" bezeichnete, die eine , eilfertige Hiindin geworfen" (an Lindner, 12. Okt. 1759). Von Kants personlicher Religiositat sowie von seiner Fahigkeit, unter Umstanden auch in schwungvo iler, fast poetischer Sprache reden zu konnen, zeugt sein vom 6. Juni 1760 datiertes 'l'rostschreiben an eine trauernde Mutter : Gedanken bei dem frUhzeitigen Ableben des Herrn Johann Friedrich von Funk. Der im jugendlichen Alter von 21 Jahren an der Schwindsucht Verstorbene war ein kurischer Student, der erst ein Jahr zuvor in Begleitung seines Hofmeisters nach Konigsberg gekommen und auch

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3.

Kapitel.

Ftlnfzehn Jabre Privatdozent nnd l'r!agister.

Kants Schiiler gewesen war. Das , Sendschreiben" wurde auf V eranlassung d es Hofmeisters abgefaJ3t, , welcher glaubte, da.B Kant zur Beruhigung der Mutter viel wirken wiirde" (so Borowski, der selbst den hoffnungvollen jungen Kom­ militonen ,genau gekannt'' hat). Wer es liest, wird nicht mehr der Ansicht sein, daJ3 der Philosoph ohne jedwedes weichere Gefiihl gewesen sei. Vielleicht ist auch die kleine Abhandlung iiber Die falsçhe Spitzfindigkeit der vier syllo_qistischen Figuren (35 S.), die unser Denker zu Anfang des Winters 1 762 erscheinen lie.B, eine Begleitschrift zu der Ankiindigung seiner Vor­ lesungen iiber Logik fiir dies Wintersemester gewesen, auf die er sich an einer Stelle bezieht. Er konne in ihnen ,nicht alles seiner Einsicht gema.6 einrichten" , sondern miisse , manches dem herrschenden Geschmack zu Gefallen tun " . Aber er wolle wenigstens in dieser Abhandlung begriinden, weshalb er die syllogistischen Spitzfindigkeiten nur kurz behandeln werde, um die gewonnene Zeit zur , wirklichen Erweiterung niitzlicher Einsichten" - un d , di e wissenswiirdigen Dinge haufen sich zu unseren Zeiten" ­ zu verwenden. So richtet sich der ganze Aufsatz mit be­ merkenswerter Scharfe gegen den ganzen , unniitzen Plun­ der" der iiblichen Schul l o g i k ; freilich diirfe er nicht hoffen, diesen tonernen , Kolossen" durch seine , Arbeit von einigen Stunden" umzustiirzen. - Einen ahnlichen Oppo­ sitionsstandpnnkt nimmt gegeniiber der alten Schul m e t a­ p h y s i k ein der Sommer 1763 verfaJ3te, aber erst zur Oster­ messe 1764 angezeigte Versuch, den Begriff der negativen Gro(Jen in die Weltweisheit einzufiihren (72 S.), dessen Ten­ denz und Gedankengang wir in der Einleitung zu unsrer Ausgabe (Bd. 46 a S. XVIII ff.) naher charakterisiert haben. - Der Zeit nach zwischen beide Abhandlungen fallt die als Frucht eines ,langen Nachdenkens" bezeichnete groBere Schrift : Der einzig rnogliche Beweisgrund zu einer Demon­ stration des Daseins Gottes (205 S.). Sie scheint Kants Namen zum erstenmal in weiteren Gelehrtenkreisen be­ kanntgemacht zu haben. In den Literaturbriefen wurde er von M endelssohn als , Selbstdenker" gepriesen und auf­ gefordert, selber ein dauerhaftes philosophisches System zu errichten, Ploucquet in Tiibingen schrieb besondere Obser­ ·rationes dazu, die Theologen Tollner und Clemm beriick-

3. Schriften.

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sichtigten Kants Bezweiflung der herki:immlichen Gottes­ beweise (von denen er nur den sogenannten ontologischen, in vertiefterer Form, bestehen lieJ3), und in Wien kam sie auf die Liste der verbotenen Biicher. Freilich, Kant batte die Kiihnheit besessen, mit dem Satze zu schlieJ3en : n Es ist durchaus notig, daJ3 man sich vom Dasein Gottes iiber­ zenge ; es ist aber nicht ebenso notig, da13 man es d e ­ m o n s t r i e r e. " Seine Stellung g e g e n di e Metaphysik tritt hier noch starker hervor ; sie wird i m Vorwort mit einem ,fìnsteren Ozean ohne Ufer und Leuchttiirme" verglichen. Er will mit seiner Scbrift zunachst nur ,die ersten Ziige eines Hauptrisses" liefern, den geiibtere Bande verbessern mogen, damit darauf ein , Gebaude von nicht geringer Vor­ trefflichkeit" errichtet werden konne. Das folgende Jahr (1764) brachte wieder zwei groJ3ere Schriften des unermiidlich tatigen Magisters, daneben, in einer Reihe von Zeitungsartikeln, einen Versuch ilber die Krankheiten des Kopfes. Der letztere batte eine sehr merkwiirdige Veranlassung. Um jene Zeit hielt sich nam­ lich eine Art Naturmensch und religioser Schwarmer zu­ gleich, der P ole Jan Pawlikowicz Zdomozyn;kich Komarnicki in den Waldern des Amtes Kalthof unweit Konigsberg auf. BloJ3 in Tierfelle gekleidet, fiihrte er einen bei ihm aufgewachsenen munteren achtjahrigen Knaben und eine Herde vou Kiihen, Schafen und besonders (46) Ziegen mit sich, weshalb er vom Volke der ,Ziegenprophet" genannt wurde. Kant, der sich die wunderliche Erscheinung eben­ falls ansah und seine biblischen Orakel anhorte, empfand weit weniger Interesse an dem ,begeisterten Faunus " selbst als an seinem ohne jede Kultur in den Waldern aufge­ wachsenen frischen Buben, der ihm als Naturkind im Sinne Rousseaus der Beobachtung wert erschien. ,Von mehreren aufgefordert," veroffentlichte er in Nr. 3 der , Konigsberg­ schen Gelehrte un d Politische Zeitungen", im Anschlu13 an Hamanns (ihres Herausgebers) Darstellung der Sache, ein ,Rasonnement" in diesem Sinne. In den folgenden fiinf Nummern (vom 13.-27. Februar 1 764) lie13 er dann den obengenannten Aufsatz folgen, der freilich mit dem ,Ziegenpropheten" und seinem Buben in keiner unmittel­ baren Beziehung mehr steht, sondern - in populiirer, unter­ haltender Form - eine geistvolle psychologische Plauderei

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3. Kapitel.

F iinfzeh n Jahre Privatdozent nnd Magister.

iiber die ,Gebreehen des menschlichen Kopfes" von der ,Dummkopfigkeit" bis zur Narrheit und von der BIOd­ sinnigkeit bis zur Tollheit enthalt. Auch in ihm spricht sich die Sympathie fiir Rousseau aus, auf die wir noch zuriickkommen werden. Den gleichen Stilcharakter tragen die kurz vorher er­ schienenen Beobachtungen Uber das Gefiihl des Schonen und Erhabenen (1 10 Seiten). Keine der grolleren Schriften ist in so kurzen, leicht- und allgemeinverstandlichen Satzen voll Geist, Heiterkeit, Laune und praktischer Menschen­ kenntnis geschrieben. Sie ist eigentlich nicht, wie man nach dem Titel vermuten konnte, asthetischen, sondern eher moralpsychologischen oder anthropologischen In­ halts, indem sie, nach einer kurzen Einleitung iiber das Erhabene und Schone in Natur und Kunst, diese beiden Eigenschaften am Menschen iiberhaupt, an den beiden Geschlechtern und an den verschiedenen National­ charakteren verfolgt. Man lernt aus ihr den M e n s c h e n Kant kennen. Und ihre gefallige aullere Form bei dem geistvollen Inhalt lallt es wohl begreifen, dall ein Re­ zensent den Verfasser mit dem beriihmten franzosischen Sittenschilderer Labruyère verglich, ein anderer meinte, sie gehOre nicht bloll in die Studierzimmer der Gelehrten, sondern auch auf - di e Toilettentische der D amen ! Sie erlebte denn auch in verhii.ltnismallig kurzer Zeit (bis 1771) zwei neue Auflagen. Die · dritte, im Jahre 1764 veroffentlichte, wenngleich schon friiher verfallte Schrift, war die namentlich methodisch und erkenntnistheoretisch bedeutsame Un tersuchung ube1· die Deutlichkeit der natUrlichen Theologi e und der Mora l

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die durch eine Preisfrage der Berliner Akademie der Wissenschaften veranlallt war und der preisgekronten Arbeit von Moses Mendelssohn, wie die Akademie aus­ driicklich erklart, an W ert "so nahe wie mogli eh kam und das grollte Lob verdiente"1). Da wir uns iiber ihre Entstehungsgeschichte und ihren Inhalt in der Einleitung zu unserer Ausgabe (Philos. Bibl. 46 a S. XXI-XXVII) 1) Nach Kraus (in Reickes Kantiana S. 21 Anm.) batte Sulzer sogar an Kant geschrieben, er wiirde es wohl nicht iibelneb men, da8 ma.n Mendelssohn . zu dessen Aufmnnternng " den Preis gegeben, obwohl Kant ihn eher verdient hil.tte.

4. luBere Lebensbedingungen.

55

ausfiihrlicb ausgelassen baben, wollen wir uns hier nicbt wiederbolen. - Das gleiche gilt von der bereits oben beriihrten Nachricht vo n der Einrichtung seiner Vor­ ·

lesungen

in

dem Winterhalbenjahre

von 1765-1766,

sowie von den geistreicben, ,zwischen Scberz und Ernst die Mitte baltenden" Traumen eines Geistersehers, er­ liiu tert durch Triiume de r Metaphysik (1 766, 128 S.), deren bervorragende Wicbtigkeit fiir die pbilosophiscbe Entwicklungsgeschicht e Kants hier nicbt geschil d ert werden kann (vgl. ebd. Bd. 46b S. III-XIII) ; endli ch von dem in den K onigsberger ,Frag- und Anzeigungsnachrichten" 1768, Nr. 6 -8 vero ffen t licbten, zur Philosop hie der Matbema tik gehO ri gen Aufsatze Von dem ersten Grunde des Unterschiedes der Gegenden im Raume, der bereits einen Vorlaufer der Inaugurai-Dissertation von 1770 dar­ stellt (vgl. ebd. S. XIII f.). 4. lu{Jere Lebensbedingungen. Kehren wir von diesem tJberblick ii ber Kants Vor­ lesungen und Schriften zu seinem a u B e r e n und i n n e r e n L e b en wahrend der langen, fiinfzebnj ahrigen Magisterzeit zuriick. Zunii.cbst : Welches waren die a u B e r e n L e b e n s­ b e d i n g u n g e n fiir ibn wahrend dieser Zeit ? Da er als Privatdozent keine f este Besoldung bezog, so waren sie anf keinen Fall glanzende . Gleichwohl hat gegen die mit­ leiderregende Schilderung eines gewissen Denina Kant selbst in einem Brief an ihren gemein s amen V erl eger La Garde in Berlin mit folgen d en Worten protestiert : , . . . Da icb von dem ersten Anfange meiner academischen Laufbahn an (im J ahre 1 755) ununterbrochen ein zahl­ reiches Auditorium gehabt und nie Privat information ge­ geben babe (man miiBte denn das c o llegiu m privatissimum in seinem eigenen Auditorio, welches gemeiniglich sehr gut bezahlt w erden muB, darunter verste h en), so habe ich immer mein reichlicbes Auskommen gehabt : so, d aB es nicht allein zureichte, fiir meine 2 Stuben den Zins und m einen sehr guten Tisch zu bezahl en, ohne notig zu ha b en, bey irgend jemanden , selbst nicht bey meinem Freunde, dem jetzt verstorbenen Englander, ohne zu j eder Mahlzeit

56

3. Kapitel.

Fiinfzehn Jahre Privatdozent nnd Magister.

invitiert zu seyn, gleichsam als zu einem Freytische zu gehen, sondern immer noch dazu einen eigenen Bedienten halten konnte und j ene Jahre gerade die angenehmsten meines Lebens gewesen sind ; welches auch dadurch bewiesen werden kan, da.B ich binnen dieser Zeit 4 Vocationen auf auswartige Universitaeten ausgeschlagen habe. " Enthiilt dieser 35 J ahre spiiter geschriebene Brief auch einzelne Ungenauigkeiten, wir4 man ihm doch im ganzen und gro.Ben den Glauben nicht versagen diirfen. Auch stimmt damit, was Borowski, der ihm gerade in seiner ersten Magisterzeit sehr nahe stand, erziihlt : ,Er war schon damals der au.Berst driickenden Armut . . . nicht aus­ gesetzt, wohnte.. ganz anstiindig und lebte zwar nicht das Leben des, der Uberflu.B, - aber doch eines Mannes, der fiir seinen Bedarf vollig genug hat, der keines als seiner selbst bedurfte." Er batte si eh, vermutlich schon wiihrend der Hauslehrerjahre, eine Art eisernen Bestand von 20 Friedrichsdor (= etwa 400 Mark) gespart, den er ,nie angriff, um bei einer etwaigen Krankheit vor giinzlichem Mangel gesichert zu sein". Und wenn er vor 1766 auch keinerlei feste Besoldung bekam, so waren doch seine Kol­ legien stark besucht und wurden, wie Borowski schon fiir 17 57 und 1 758 ,sicher zu wissen" behauptet, auch gut bezahlt. Zudem , fiihrte", d. h, beaufsichtigte er doch auch zuweilen, wie fiir den Fall Hiilsen (s. oben) bezeugt ist, vornehmere Studenten, die auf Wunsch ihrer Eltern in demselben Hause mit ihm wohnten : , eine Beschiiftigung, die, wie er sich auch spater dariiber auBerte, nicht seinen Wiinschen gema.B, aber fiir seine eigene Erhaltung not­ wendig war". Jedenfalls war er auf Lektionen in einem ihm nicht naher liegenden Fache nicht angewiesen. Als ihn 1 759 eine Anzahl Studenten um ein asthetisches Kolleg und Ubungen in , Wohlredenheit und im deutschen Stil" baten, lehnte er es ab und iibertrug es dem jungen Borowski, der dann in den beiden Wintern 1 759/60 und 1760/61 einem Kreise von 15 bis 18 jm�gen Leuten ,unter der Direktion" Kants einen derartigen Unterricht gab. Dagegen ist anderseits mit Bestimmtheit iiberliefert, da.B er ,fiir Standespersonen, z. B. fiir den Herzog von Holstein-Beck u. a. m. ,Privatissima" las (Jachmann S. 26). Auch, da.G

4.

Aullere Lebensbedingnngen.

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er wahrend der mehrere J ahre dauernden Okkupation Ost­ preu6ens durch die Russen zur Zeit des Siebenjahrigen Krieges , vi el e russische Offiziere in der Mathematik . . . privatim unterrichtete" (Reicke S. 40) ; ebenso wie es auch der ihm befreundete Generai von Meyer ,gern sah, wenn die Offiziere seines Regiments sich durch Kants Privat­ unterricht, namentlich in der Mathematik, auszubilden suchten" (Rink S. 32) ; auch soli er damals ,jungen Offi­ zieren in Privatissimis Vortrage iiber Fortifikation" gehalten haben (Arnoldt S. 264). Kant erzahlte selbst oft von einem ihm besonders ans Herz gewachsenen Schiiler, einem pol­ nischen Edelmann von Orsetti, , der als ein junger Herr im Sommer auf seinen Giitern wirtschaftete, im Winter aber sich in Konigsberg aufhielt und sich von Kant, als damaligem Magister privatim, besonders in den mathe­ matischen Wissenschaften, unterrichten lie.6" . ,Reichlich" scheint uns trotzdem sein Auskommen nicht immer gewesen zu sein. Aber er war ja von Jugend an Entbehrungen in au.6eren Geniissen gewohnt. Schulden wollte er um keinen Preis machen ; Ii eber ging er in einem alten, abgetragenen Rock. , In seinen Magisterjahren ist sei n einziger Rock schon so abgetragen gewesen, da.6 einige wohlhabende Freunde, unter anderen der Geheime Rat J. fJ acobi ?], es fiir notig geachtet haben, ihm auf eine sehr diskrete Art Geld zu einer neuen Kleidung anzutragen. Kant freute sich aber noch im Alter, da.6 er Starke genug gehabt habe, dieses Anerbieten auszuschlagen und das Ansto.6ige einer schlechten, aber doch reinen Kleidung der driickenden Last der Schuld und Abhangigkeit vor­ zuziehen. Er hielt sich deshalb auch fiir ganz vorziiglich gliicklich, da.6 er nie in seinem Leben irgendeinem Menschen einen Heller schuldig gewesen ist. Mit ruhigem und freudigem Herzen konnte ich immer : Herein ! rufen, wenn jemand an meine Tiir klopfte, pflegte der vortreff­ liche Mann oft zu erzahlen, denn ich war gewi.6, daB kein Glaubiger drau.6en stand" (Jachmann S. 66 f.). Niéht eigent­ lich , den Druck seiner hauslichen Lage", sondern nur eine notwendige Sparsamkeit beweist es doch auch, da.6 Kant einst einem armen Studenten den gro.6ten Teil des Honorares schenkte und nur , etwas" davon behielt, um seine halbjahrige Miete , vollig zu tilgen" .

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3. Kapitel.

Flinfzehn Jahre Privatdozent und Magister.

Aller W ahrscheinlichkeit nach sind die Einnahmen Kants wahrend dieser . 15 Jahre ziemlich schwankend ge­ wesen. Er selbst spricht in zwei Eingaben vom Oktober 1765, die wir noch kennen lernen werden, von seiner ,sehr miBlichen Subsistenz auf der hiesigen Akademie" bzw. seiner , sehr unsicheren akademischen subsistence". Viel­ leicht fallt in Zeiten solcher Ebbe - in denen er daher auch eine besonders groBe Menge von Vorlesungen an­ kiindigte (S. 42) - die von Jachmann berichtete Tat­ sache, daB er sich, um jene Notsumme nicht an­ zugreifen, wahrend seiner Magisterzeit genotigt gesehen habe, ,seine damals ansehnliche und auserlesene Bibliothek nach und nach zu verauBern, weil er einige Jahre hin­ durch seine dringendsten Bediirfnisse von seinem Ver­ dienste nicht bestreiten konnte" . N eu e Biicher freilich brauchte er si eh kaum anzuschaffen. Wenigstens sei t er mit dem Buchhandler Kanter 1762 als Verleger seiner Schriften und auch als Mitarbeiter der von jenem 1764 gegriindeten Konigsberger gelehrte und politische Zei­ tungen in Verbindung getreten war, stand ihm der Zutritt in dessen Laden jederzeit frei. Professoren und andere Schriftsteller trafen sich haufig dort, wo an jedem Posttag gegen 1 1 Uhr die Neuerscheinungen des Biichermarkts aus­ gelegt wurden und - ebenso wie die politischen Zeitungen - sogar zweimal wochentlich den Studenten zur unentgelt­ lichen Lektiire zur Verfiigung standen. Man unterhielt sich, diskutierte, schrieb Briefe in Kanters Kontor, als ware man zu Hause. Und dem beriihmten Kant, auf dessen Mitarbeiterschaft an seiném Verlage er stolz war, gab Kanter natiirlich gern alle gewiinschten Biicher mit nach Hause, zumal seit jener von 1766 an langer in seinem Hause wohnte. Der Philosoph hatte dort, im alten Lobe­ nichtschen Rathause, die linke Mansardenwohnung des zweiten Stockwerkes inne und hielt daselbst auch seine Vorlesungen ab. trbrigens hatte Kant mittlerweile schon einen so angesehenen Namen erworben, daB er im Sommer 1768 einem einheimischen Maler (namens J. G. Becker) sitzen muBte, damit auch sein Portrat neben denen von Moses Mendelssohn, Ramler, Hippel, Scheffner, Lindner und anderen preuBischen Beriihmtheiten in der Schreib­ stube des neuen Kanterschen Ladens seinen Plat:�< finden

5 . Geselliger

Verkehr.

59

sollte (so Hamann an Herder, 28. August 1 768). Oder vielmebr, wie wir jetzt wissen, kam das Originai in Kants W obnung, wahrend der Kanterscbe Laden si eh mit einer Kopie begniigen mu6te, die beute noch im Besitz der Bucbbandlung von Griif� & Unzer (Kiinigsberg) sich befì.ndet. Es ist das iilteste Olbildnis des Philosophen und stellt ein Brustbild des Vierundvierzigjahrigen in natiir­ licber GriiJ3e dar1). In seiner ersten Magisterzeit batte er auf der so­ genannten Neustadt (8. 40) einige Zimmer innegehabt, dann in der , Magistergasse" - offenbar einer von seinen Standesgenossen bevorzugten StraBe - gewohnt, wo ihn j edocb das Geriiuscb, das von den Schiffen, namentlich den polnischen Fahrzeugen, auf dem nahen Pregelflusse herkam, storte. Aus seiner Wobnung bei Kanter vertrieb ibn scblie61ich aucb eine Stiirung durch einen nachbar­ licben - Habn, dessen Kraben ibn zu oft in seinem an­ gestrengtesten Nachdenken unterbracb. ,Fiir jeden Preis wollte er dieses laute Tier ibm abkaufen und sich dadurcb Rube schaffen, aber es gelang ibm bei dem Eigensinn des Nacbbars nicht, dem es gar nicht begreiflich war, wie ein Hahn einen W eisen stiiren kiinnte. " Letzterer gab deshalb dem Tiere nacb und siedelte nach dem Ochsen­ markt iiber. - Da6 Kant in der Tat schon als Magister einen eigenen Bedienten batte, geht aus seinem Briefe an Borowski vom 6. Miirz 1761 bervor. Ob es schon der alte Lam pe gewesen ist, der (nach Wasianski) gl e i ch nach seinem Abschied aus dem preuJ3ischen Heere in die Dienste des Philosophen trat und ,gegen 40 Jahre" bis zum Januar 1 802 darin verblieb, kiinnen wir nicht mit Sicher­ heit behaupten. 5. GeseUiger Verkehr. Kants Lebensweise war damals nocb nicbt so streng, sozusagen nacb der Ubr geregelt wie in spaterer Zeit. Nacb Beendigung seiner V ormittagsvorlesungen ging er gern in ein Kaffeehaus, trank eine Tasse Tee, unterhielt sicb iiber Tagesereignisse oder spielte eine Partie Billard. Dann speiste er an offener Tafel im Gastbaus, teils - im 1) Uber die Scbicksale dieses erst 1 897 wie d er aufgefundenen Kantbildes s. Kantstudien lli, 255 u. Altpreu{i. Monat8schr. XVIII, 51 1.

3. Kapitel. Fiinfzehn Jahre Privatdozent nnd Magister.

60

Gegensatz zu dem Sonderling Schopenhauer - um der Geselligkeit .. willen, teils um seine M:enschenkenntnis zu erweitern. Ubrigens wetteiferten allmahlich die reich�ten und vornehmsten Hauser der Stadt immer mehr, den geist­ reichen Unterhalter an ihren Tisch zu ziehen. Die Abende brachte er ebenfalls oft im Gasthaus oder in Privatgesell­ schaften bei unterhaltendem Gesprach oder beim L'Hombre­ spi.el zu, auf das er sich, wie wir schon aus seiner Studentenzeit wissen, vortrefflich verstand, und das er fiir eine niitzliche Ubung nicht bloB des Verstandes, sondern auch in der Selbstbeherrschung erklarte. Auch liebte er damals noch den Besuch des Theaters, so daB er zuweilen erst gegen Mitternacht nach Hause kam, wahrend er trotzdem seinen Grundsatz regelmaBigen Friih­ aufstehens streng befolgte. Da er in der besten Gesellschaft zu verkehren ge­ wohnt war, sah er auch auf eine gewisse Eleganz in der K l e i d u n g. Er hielt selbst darauf und pragte es auch seinen 'Zuhorern ein, man miisse, schon um nicht auf­ zufallen, ,nie ganz aus der Mode sein" und sich in der Wahl der Farben nach dem Vorbilde der Mutter Natur ric}lten ; so passe z. B., wie bei den Aurikeln braun un d gelb, zu einem braunen Oberrock eine gel be W este. E in e anstandige und gewahlte Kleidung behielt er auch spater stets bei. . Er trug einen kleinen dreieckigen Hut, eine kleine blondhaarige, weiBgepuderte Periicke mit einem Haarbeutel ; eine schwarze Halsbinde un d ein Oberhemd mit einer Halskrause und mit Manschetten, ein mit Seide gefiittertes Kleid von feinem, gewohnlich schwarz, braun un d gelb meliertem Tu che, wovon auch· di e W este und die Beinkleider verfertigt waren, grauseidene Striimpfe, Schuhe mit silbernen Schnallen und einen Degen, als dieser in Gesellschaft noch :Mode war, nachmals einen gewohn­ lichen Rohrstock." Nach der herrschenden :Mode waren Rock, Weste und Beinkleider auch mit einer Goldschnur eingefaBt und die Knopfe mit Gold oder mit Seide be­ sponnen. Sparsam war er dabei gleichwohl, denn , eine ahn­ liche Kleidung trug er taglich, selbst in seinem Horsaale, weil die abgetragene bessere Kleidung zuletzt im Horsaale benutzt wurde" . Gegen Wind und Unwetter trug er einen blauen Regenrock wie ein gewohnlicher Biirgersmann. ·

5. Geselliger Verkehr.

61

Weit entfernt von Gelehrtenpedanterie und Stuben­ hockerei, liebte es unser Philosoph, mit gebildeten Mannern der verschiedensten Stande zu verkehren. Seine besten Freunde, wenn man von solchen sprechen darf - denn er pflegte zu sagen : ,Liebe Freunde, es gibt keinen (se. idealen) Freund !" , oder seinen liebsten Umgang wahlte er sogar mit Vorliebe gerade unter den Nicht-Fachgenossen ; denn er haJ3te das Cliquenwesen, das sich so leicht in Uni­ versitatskreisen wie iiberhaupt unter Leuten von genau derselben Lebensstellung ausbildet. Zu seinen liebsten Be­ kannten gehorte der Oberforster W o b s e r, ein Mann von groJ3er N atiirlichkeit, gesundem V erstand un d edlem Herzen, den er oft wahrend der Ferien in seinem eine Meile von Konigsberg gelegenen Forsthause Moditten und zwar, was bei Kant viel heiBen wollte, auch wohl langer als eine ganze Woche - besuchte. Hier, in der Stille des Waldes verfaBte er 1763 seine Schrift iiber das SchOne und Erhabene. Auch der Beginn der Bekanntschaft mi t dem englischen Kaufmann Joseph G r e e n (1727-86) mn6 schon in diese Zeit fallen. Nach Jachmanns Erzahlung ware si e zwar erst zur Zeit d es Englisch-nordamerikanischen Krieges (1776-83) entstanden ; bei Gelegenheit eines Wort­ wechsels iiber diesen hatten sie sich aus Gegnern in Freunde verwandelt. Der heftige Green, der sich durch Kants eifriges Eintreten fiir die Rechte der Amerikaner beleidigt gefiihlt habe, hiitte den Philosophen sogar zum Zweikampf herausgefordert, sich aber dann durch die ruhige und doch iiberzeugende Beredsamkeit Kants be­ sanftigen, ja schlieJ3lich gewinnen lassen. Allein die chronologischen Daten stimmen nicht. Als der nord­ amerikanische Unabhangigkeitskrieg ausbrach, war Green langst mit Kant befreundet. Hamann erzahlt schon Pfingst­ montag 1 768, da6 er vor einigen Tagen bei seinem Freunde Green Kant getroffen habe, und widmet auch bereits 1 770 eine seiner Schriften Herr Green ausdriicklich als , dem Freunde unseres Kant". Von anderer Seite1) ist denn auch neuerdings behauptet worden, der englische Held -

1) Mitteilnng der Nachkommen Robert Motherbys an Professor Angnst R o s i k a t, den Verfasser eines interessanten Anfsatzes : Kant und der Kaufmann in der Sonntags-Beilage der Konigsberg. Hartungschen Zeitung vom 3 1 . Jnli und o . Angust 1 91 1 .

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3. Kapitel.

FUnfzebn Jahre Privatdozent und Magister.

jener Szene sei nicht Green, sondern sein Sozius Robert Motherby gewesen. Aber auch dieser war, wie wir bei Gelegenheit von Kants literarischer Tii.tigkeit fiir das Phi­ lanthropin noch sehen werden, 'bereits Mii.rz 1776 mit Kant nii.her befreundet : immerhin wii.re dieser Fall eher moglich. Motherbys N achkommen schieben i h r e m Ahnen auch folgende humoristische Geschichte zu, die Jachmann von Green erzii.hlt : , Kant batte eines Abends dem Green versprochen, ihn am folgenden Morgen um acht Uhr auf einer Spazierfahrt zu begleiten. Green, der bei solcher Gelegenheit um drei Viertel schon mi t der Uhr in der Hand in der Stube herumging, mit der fiinfzigsten Minute seinen Hut aufsetzt e, in der fiinfundfiinfzigsten seinen Stock nahm und mit dem ersten Glockenscblage den Wagen offnete, fuhr fort und sah unterwegs den Kant, der sich etwa zwei Minuten verspii.tet batte, ihm entgegenkommen, hielt aber nicht an, weil das gegen seine Abrede un d gegen seine Regel war." Di e Sonderlingsnatur des Junggesellen Green - auch von seiner vollig un­ musikalischen Eigenart berichtet Kant ein l!'! erkwiirdiges Beispiel (Briefw. II, 233) - und die altere Uberlieferung sprechen mehr fiir diesen. Der Philosoph fand jedenfalls trotzdem bei ihm so viel G eist und Gemiit, daB er jahrelang taglieh einìge N achmittagsstunden bei i hm zubrachte. J a, no eh mehr : wie J achmann aus Kants eigenem Mun de gehort haben will, batte dieser in seiner Kritik der reinen Vernunft ,keinen einzigen Satz niedergeschrieben, den er nicht zuvor seinem Green vorgetragen und von dessen unbefangenem und an kein System gebundenem Verstande batte beurteilen lassen". In diese Zeit fallt auch schon der Verkehr mit anderen, auffallenderweise meist aus dem Auslande stammenden K a u f l eu t e n : auBer Motherby mit dem Schotten George Hay, den Inhabern der Firma Toussaint & Lavai und deren Frauen (Motherbys Gemahlin war eine geborene Toussaint), mit den deutschen Kaufleuten Hiig e, den er Ofters auf seinem Gnte Prilacken besuchte, dem Geheimen Kommerzienrat J.K.Jacobi, demBankdirektor Ruffmann und dem Miinzmeister Goeschen, der 1769 di e von ihrem Manne geschiedene schOne Frau Jacobi (S. 64) heiratete. Auch hO h ere O f f i z i e r e d er Konigsberger Garnison suchten den Umgang des durch seine Vor1esungen iiber

6.

Geselliger Verkehr.

63

physische Geographie (S. 41) auch weiteren Kreisen be­ kanntgewordenen und dabei auch in den auBeren Um­ gangsformen gewandten W eltweisen. So der Chef d es dor­ tigen Dragonerregiments, Generai (von) M e y e r. Hamann schrieb am l. Febr. 1 764 an Lindner : ,Mag. Kant balt j etzt ein Kollegium iiber Mathematik und physische Geo­ graphie fiir den Generai Meyer und seine Offiziere, das ihm" [wem ? ki:innte m an mit Recht fragen ! K. V.] , vi el Ehre und Nntzen bringt ; er speist fast taglich dort und wird mit einer Kutsche zu seinen Vorlesuugen abgeholt." Meyer war ein groBer Verehrer Kants und hi:irte gern auf seinen Rat und seine Empfehlung, so da.B mancher dem Philosophen eine Fi:irderung seines Gliicks zu danken batte. - Ebenso zugetan war ihm der Generai Daniel Friedrich v o n L o s s o w, von dem noch verschiedene von seinem Gute bei Goldap datierte Briefe an den Philosophen aus den Jahren 1770, 74 und 77 erhalten sind, aus denen freundscbaftliche Gesinnung und hohe Verehrung spricht. Ihn besuchte Kant auch einmal wahrend der Herbstferien 1 765 auf jenem hiibsch gelegenen Gute unweit der rus­ sischen Grenze : die weiteste Reise, die unser Philosoph je gemacht hat, und von der er sich auch bald wieder zuriicksehnte 1). - Auch mit jiingeren Offizieren hat er natiirlich in jiingeren Jahren verkehrt. Noch nach 27 Jahren gedachte ein Freiherr von Dillon, der inzwischen k. k. Kiirassier-Oberstleutnant an der ungarisch-tiirkischen G re nz e geworden war, in einem Briefe von dort der , vielen ihm unvergeJUichen, sehr angenehmen Stunden", di e er 1762 in Kants Gesellschaft zugebracht habe, wo ,bei den Herren G. und C. tausend geistreiche Schertze hervor­ gekommen, ohne gelehrte unterhaltungen zu beriihren, HO fiir einen jungen Mann, wie ich damahls war, hi:ichst dien­ lich gewesen" (D. an Kant, 2. Juni 1 789, Briefw. II S. 55). Anch von dem Umgang mit D a m e n hielt sich Ma­ gister Kant, wenn er auch Junggeselle blieb, keineswegs ') Wenn Panlsen in seiner Kant-Monographie (S. 45) meint, Kant habe nie ein Gebirge nnd vielleicht nicht einmal das Meer gesehen, so ist dem zn entgegnen, daJl er bei Goldap wenigstens ansehnliche Hiigel erblicken konnte. Und das Meer hat er nicht bloJl mehrmals mit seinem Frennde Green zusammen aufgesucht, sondern er hat sogar, wie er selbst (Anthropologie S. 7 0) erziihlt, anf einer Schiffahrt von Pillau nach Konigsberg die Seekrankheit bekommen.

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3. Kapitel.

Ftinfzehn Jahre Privatdozent und Magister.

zuriick. Mit den galantesten Wendungen beginnt er z. B. sein ausfiihrliches Schreiben an Fraulein Charlotte von Knobloch iiber Swedenborg (s. Phil. Bibl. 46 b S. 7 1 bis 76), indem e r von der ,Ehre und dem Vergniigen spricht, dem Befehl einer Dame, die die Zierde ihres Ge­ schlechts ist, durch die Abstattung des erforderten Berichts nachzukommen " , der freilich von anderer Art sei, ,als die­ j enigen gewohnlich sein m iissen, denen es erlaubt sein soll, mit allen Grazien umgeben in das Zimmer der Schonen einzudringen". Noch nach neun Jahren erinnerte sich die mittlerweile mit einem Herrn von Klingsporn ver­ heiratete und Mutter von vier Kindern gewordene Dame gern des Philosophen, der die , giitige Absicht hatte, ein junges Frauenzimmer durch angenehmen Unterhalt zu bilden". - Noch charakteristischer ist ein gliicklicher­ weise erhaltenes amiisantes Briefchen der in der Konigs­ berger Gesellschaft eine groSe Rolle spielenden jungen Frau seines Freundes Jacobi (1739-95) das so priichtig ist, dal3 wir es ganz hierher setzen : , Wehrter Freiind Wunderen Sie sich nicht dal3 ich mich unterfange an Ihnen als einen groSen Philo­ sophen zu schreiben ? I eh glaubte sie gestern in meinen garten zu finden, da aber meine Freiindin mit mir alle alleen durchgeschlichen, und wir unseren Freiind unter diesem Zirckel des Himmels nicht fanden, so beschiifftigte ich mich mit Verfertigung eines Degen Bandes, dieses ist ihnen gewidmet. Ich Mache anspriiche auf Ihre gesallschaft Morgen N achmittag, Ja Ja i eh werde kommen, hore ich sie sagen, nun Gutt, wir erwarten sie, dan wird auch meine Uhr aufgezogen werden 1), verzeihen Sie mir diese erinnerung Meine Freiindin und Ich iiber­ schicken Ihnen einnen Kul3 per. Simpatie die Lu:fft wird doch woll im Kneiphoff dieselbe seyn, damit unser KuB nicht die Simpatetische Krafft verlieret, Leben Sie V ergniigt und Wohl auB dem garten, d. 12 Juny 1 762. Jacobin

') Kant pflegte von den Damen zu beh aupte n : . sie brauchen ihre Bticher ebenso wie ihre Uhr, namlich sie zu tragen, damit ge­ sehen werde, daJl sie eine haben ; ob sie zwar gemeini glich still­ steht oder nicht nach der Sonne gestellt ist• (Anthropologie S. 234).

l:i. Geselliger Verkehr.

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Aus allem Gesagten geht hervor, da.6 K ant kein Stubengelehrter war, sondern sich gern und mit Geschick in den Formen der groJ3en W elt bewegte, wennglei ch er nie zum leeren Formenmenschen herabsank. , Nie war Kant weitlaufig in Komplimenten, in leerem W ort­ geprii.nge" , freilich noch weniger , verschwenderisch in vertraulichen HerzensergieJ3ungen". DaJ3 man ihn auch unter den S t u d en t e n als Kenner feinerer Sitte schatzte, lii.6t sich aus der Tatsache schli e6 en , da6 er bei der Leichen ­ feier des Professor Funk 1 764 ,, das Geprange veranstalten" solite (Hamann an Lindner, Ostermontag 1764). Dabei braucht man noch nicht gerade mit dem phantasiereichen Hamann anzunehmen, daJ3 er damals , durch einen Strudel gesellschaftlicher Zerstreuungen fortgerissen" worden sei : hat er doch eben um jene Zeit, wie wir gesehen haben, neben seinen zahlreichen Vorlesungen noch eine Reihe gehaltvoller Schriften veroffentlicht. Selbstverstandlich hielt er es nicht fiir unter seiner Wiirde, auch mit Stu­ denten zu verkehren, zumal mit solchen, die begabt, flei.J3ig und philosophisch interessiert waren, wie Borowski oder der junge Herder, oder die ��m durch ihre Eltern oder sonstwen empfohlen waren. Ofters forderte er nach der letzten Vorlesungsstunde einen oder zwei seiner ZuhOrer zu einem Spaziergang mit ihm auf. Wie sorgfaltig er auf ihr Wohlergehen bedacht war, geht aus seinem Brief an Mendelssobn vom 7. Februar 1766 hervor. Ein ihm von Mendelssohn empfohlener judischer Student Leon batte sich durch seine Vernachlassigung religiOser Gebrauche bei der Konigsberger jiidischen Gemeinde Schwierigkeiten zugezogen, so da6 er sogar eine voriibergehende Reise nach Polen zu den Seinigen fiir geraten hielt. Da er nun seiner materiellen Verhaltnisse wegen auf die Gemeinde an­ gewiesen war, so bittet Kant den Berliner W eltweisen , ihm , kiinftig die gehOrige Vorschrift zu geben", wie er selbst ihm schon im voraus , einige Erinnerung, die die Klugheit gebeut, habe merken lassen" . Da.J3 unser Philosoph iiberhaupt weder in der W elt der Zerstreuungen noch auch in der kleinen akademischen W elt, die ihn umgab, aufging, ergibt si eh aus einem noch aus seinen ersten Magisterjahren stammenden merk­ wiirdigen Briefe, iiber dessen gliicklichen Fund (1906)

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3. Kap i tel.

Fiinfzehn Jahre Privatdozent nnd Magi ster.

man sich besonders freuen darf, da er uns, w i e k a um e i n a n d e r e r, einen Blick i n das I n n e n leben des sonst seine personlichen Gefiihle in echt norddeutscher Art gern in sich verschlieBenden Mannes tun la.Bt. Er gehtirt mit seinem Datum vom 28. Oktober 1 759 zu den friihesten er­ haltenen Briefen Kants und ist an den auch sonst aus seinem Briefwechsel bekannten Magister Lindner, spateren Kollegen Kants, damals Gymnasiallehrer in Riga, ge­ richtet. Er begliickwiinscht diesen dazu, daB er dort anerkannt und geschatzt werde, und da.B er sich iiber , die elende Buhlereyen um den Beyfall und die abgeschmakte Einschmeichelungs Kiinste" hinwegsetzen konne, die in Konigsberg ,gro.Bthuerische kleine Meister, die hochstens nur schaden konnen, denen auferlegen, welche gern ihre Belohnung v e r d i e n e n und nicht e r s c h l e i c h e n mochten" . Offenbar sind damit einfiuBreiche Mitglieder der Uni­ versitat gemeint, Kleinmeister, die Kant als geistig unter ihm stehend empfindet, wahrend er doch fiir sein Vorwarts­ kommen auf ihre Gunst angewiesen ist. Auch Rink (8. 43) erwiihnt, da.B , in iilt.eren Zeiten" einzelne neidische Kol­ legen, die sich durch ihn verdunkelt sahen, weniger fried­ liebend gegen ihn gewesen, als er gegen sie. Auch di e Vor­ lesungen, die sich in ihrem Stoffe oft genug wiederholten, und die er vor vielfach noch recht unreifen ZuhOrern man konnte damals schon mit 1 6, ja mit 15 Jahren die Universitiit beziehen - hielt, befriedigten seine innerste Seele nicht. , Ich meines Theils sitze tiiglich vor dem Ambos meines Lehrpults und fiihre den schweeren Hammer si eh selbst iihnlicher Vorlesungen in einerley tacte fort. " Do eh er ist durch seine wirtschaftliche Lage an eine moglichst ausgedehnte Erwerbstatigkeit dieser Art gebunden und kann seinen innersten Neigungen nicht nach­ gehen. ,Bisweilen reitzt mich irgendwo eine Neigung edlerer Art, mich iiber diese enge Sphiire etwas aus­ zudehnen, allein der Mangel, mit Ungestiihmer Stimme so gleich gegenwiirtig mich anzufallen und immer wahr­ haftig in seinen Drohungen, treibt mich ohne Verzug zur schweren Arbeit zuriick." Aber er fiigt si eh schlie.Blich, wenn auch resigniert, in seine Lage. Fiir ,den Ort, wo ich mich befinde" mu.B er immerhin noch zufrieden sein mit den ,kleinen Aussichten des Uberllusses" , die er , si eh �

6. Geistige ·Ehifltisse ìler 60 er Jahre.

erlauben" darf ; und so befriedigt er sich in Ermangelung eines Besseren ,mit dem Beyfalle, womit man mich be­ giinstigt, und mit den Vorteilen, die ich daraus ziEihe", und - nun folgt ein W ort, das man dem kiihlen, verstandes­ klaren Kant kaum zutraut - ,tr a u m e mein Leben durch". So pessimistisch auBert sich unser Magister zur selben Zeit, wo er - seine Verteidigung des Optimismus (S. 5 1) schrieb. Gerade das damit verbundene Auftreten eines ,kleinen Meisters" wie des Magister Weymann mag ihn in jene Stimmung versetzt haben, die an die Klage Fausts gemahnt : ,Das ist Deine Welt !, das heiBt eine Welt ! " , wie si e in dem Briefe an den Freund in di e iro­ nischen W@rte ausklingt : , Das sind ·unsere groBe Dinge, wovon wir kleine Geister uns wundern, daB drauBen nicht mehr davon gesprochen wird". Es sind Stimmungen, wie sie schlieBlich keinem Genie erspart bleiben, das sich durch die Armseligkeiten und Kleinlichkeiten des Lebens durch­ ringen muB, und dem dann seine Umgebung, in diesem Falle die kleine akademische Welt der Stadt Konigsberg, wie e!n Theater erscheint, das so gut wie das wirkliche seine ,Harlequins" hat. 6. Geistige Einflusse der 60 eT Jah1·e. Rousseau. Beziehungen zu Hamann und Herder,

Lambert und Mendelssohn.

Mit unseren letzten Ausfiihrungen sind wir schon in die Betrachtung dessen eingetreten, was das Interessanteste an einer Biographie ist : der Entwicklung des inneren .Menschen. Aber gerade dariiber sind uns, ì.Jei der zuriick­ haltenden Nat ur unseres Philosophen, nur diirftige Nach­ richten erhalten, zumal wenn wir von der nicht an diesen Ort gehorigen, vielbehandelten und noch immer viel­ umstrittenen p h i l o s o p h i s c h e n Entwicklung absehen. Wir miissen uns darauf beschranken, einiges Allgemeinste iiber di e Entwicklung seiner W eltanschauung un d di e Einwirkungen einzelner bedeutender Personlichkeiten auf dieselbe hervorzuheben. Auf eine gewisse Modifizierung seiner Interessen, die Wendung von der auBeren zur inneren Natur, von der Naturwissenschaft zur Psychologie und Kritik der mensch­ lichen Erkenntnis, sind wir schon oben bei der Musterung

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3. Kapitel.

F\1nfzehn Jahre Privatdozent und 1tlagister.

seiner Schriften aufmerksam geworden. Damit hangt die um di e W ende der 60' er Jahre si eh vollziehende gro.Bere Schlitzung der zeitgenossischen englischen und franzo­ sischen Denker zusammen. Wahrend die Einwirkung Humes mebr die uns bier nicbt angebende wissenschaft­ licbe Seite seines Denkens betrifft, baben wir an dieser Stelle vor allen Dingen R o u s s e a u zu nennen. Rousseaus W erke kannte er samtlich, sein Bild allein - von Freund Ruffmann geschenkt - schmlickte die sonst kahlen Wande seines Studierzimmers, und als der Emile 1 762 erscbien, gescbah das Ungewohnte, da.B seine Lektlire unseren Philosopben mebrere Tage hintereinander von seinem regelma.Bigen Spaziergang zurlickbielt. Scbon der Stil des Franzosen zog ibn an. , Ich mu.B den Rousseau so lange lesen, bis micb die ScbOnheit der Ausdriicke gar nicbt mebr stOrt, und dann kann icb allererst ibn mit Vernunft iibersehen" , so scbrieb er in sein Handexemplar der Beobachtungen usw. von 1764 und bewunderte die ,ungemeine Scbarfsinnigkeit des Geistes", den ,edlen Scbwung des Genius" und die , geflihlvolle Seele" des­ selben : Eigenschaften, wie sie in so bobem Ma.Be vereint vielleicht niemals ein Scbriftsteller irgendeiner Zeit oder irgendeines Volkes besessen babe. Aber noch tiefer wirkte auf ibn der I n h a l t des neuen Evangeliums, der eine Revolution in seinem Innern bervorrief. Vorber batte er den ,ganzen Stolz der Gelehrten" in si eh gefliblt. ,Icb bin selbst aus Neigung ein Forscher. Icb fiible den ganzen Durst nach Erkenntnis und die begierige Unruhe, darin weiter zu kommen, oder aucb die Zufriedenheit bei j edem Fortscbritte. Es war eine Zeit, da icb glaubte, dies alles konnte die Ehre der Menschheit macben, und i cb verachtete den P o bel, der nicbts weil3. " Allein , R o u s s e a u b at m i cb z u r e c b t g e b r a c h t. Dieser ver­ blendende Vorzug verscbwindet, ich lerne die Menscben ebren und wlirde mich viel unnlitzer finden als die ge­ meinen Arbeiter, wenn ich nicht glaubte, dal3 diese Be­ tracbt�g allen iibrigen einen Wert erteilen konne, die Recbte der Menschheit wiederberzustellen." Er verglich den franzosischen Denker mit Newton. Wie dieser zuerst in die aul3ere Natur , Ordnung und Regelmiil3igkeit, ver­ bunden mit gro.6er Einfachheit" gebracbt babe, so ent-

6. Geistige Ein.ft iisse der 60 er Jahre.

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deckte Rousseau , zu allererst unter der Mannigfaltigkeit der menscblicben angenommenen Gestalten, die tief ver­ borgene Natur des Menscben und das versteckte Gesetz, nach welchem die Vorsehung durch seine Beobachtungen gerechtfertigt wird". Freilich, es wehrte sich zugleich seine kiihlere Eigenart gegen den Gefiihlsiiberscbwang, mit dem Rousseau schon durch , die SchOnheit der Aus­ driicke", d. h. seine hinrei.Bende Sprache ihn zu um­ stricken dro hte ; un d es befremdeten ihn do eh die an­ scbeinend mit Absicht dem , allgemein Gangbaren" ent­ gegengestellten , seltsamen und widersinnigen" Meinungen des Genfer Autodidakten. Schon seine Methode war eine andere : ,Rousseau verfahrt synthetisch und fangt vom natiirlichen Menschen an, ich verfahre analytisch und fange vom gesitteten an." Auch wollte er, wenn er di e , Gliickseligkeit des Wilden" erwog, deshalb nicht in die W al der zuriickkehren, sondern nur sehen, , was m an ver­ loren babe, indem man andererse!�s gewinnt" : damit man inmitten der heutigen ,geselligen Uppigkeit" ein gesitteter Mensch der Natur bleibe. Auch die Hofmeister-Erziehung des einzelnen Kindes durch einen Einzelnen, wie im Em2"le, hielt er fiir unnatiirlicb ; freilich, damit wahre Schnlen moglich werden, miisse man zuvor Emile erziehen. ,Rousseau batte zeigen sollen, wie daraus Schulen ent­ springen konnten. " Wir werden sehen, wie er si eh in den 70 er Jahren fiir praktische Reformbestrebungen dieser Art begeisterte. Auch ihm naherstehende Zuhorer, wie Herder, wuBte er fiir Hume und Rousseau zu interessieren. In die Jahre seiner Magisterzeit fallt ferner der per­ sonliche Verkehr mit H a m a n n und H e r d e r. Hamann, mehr als sechs Jahre jiinger wie Kant, war 1759, nach mehrjahrigen im Interesse des befreundeten Rigaer Kaufmannshauses Behrens unternommenen Aus­ landsreisen, nach seiner Vaterstadt Konigsberg zuriick­ gekehrt. Hier trat er bald in naheren Verkehr mit dem , kleinen Magister", den er , sehr liebte und hochschatzte", machte Ausfliige mit ihm und Behrens, z. B. in den Krug der nahegelegenen Windmiihle, wo man zusammen , ein bli.urisch Abendbrot hielt" (Hamann an Lindner, 12. Juli 1759), und schiittete ihm Herz und Gedanken in langen, phantasiereichen Briefen aus. Doch konnte zwischen den

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3. Kapitel.

Fiinfzehn Jahre Privatdozent und Magister.

beiden in ihrem Wesen so grundverschiedenen Miinnern kein dauernder Verkehr, geschweige denn eine engere Freundschaft aufkommen. Das sieht man schon aus dem Ton der vier ausfiihrlichen Briefe Hamanns an Kant, die aus diesem Jahre erhalten sind. Kant ist ihm der Sokrates, dessen Alkibiades, ein andermal der ,gelehrte Eroberer" Bacchus, d essen Silen er sein will ! A ber bald darauf klagt er, Kant sei gar nichts dar!'!-n gelegen, ihn zu verstehen o der nicht zu verstehen. Uberzeugen k o n n e Kant ihn nicht, glauben w o 1 1 e j ener auch nicht, zumal da er eine j eden Augenblick eingreifende Vorseb ung leugne und auch den ,Herrn Christum" nicht kenne un d sieh darauf be­ schranke, seine (Hamanns) ihm narrisch und verwunder­ lich scheinende Einfalle si eh o der anderen zu e r k l a r e n. Und als er nicht lange nachher ohne Grund in dem Philosophen den Anstifter einer gegnerischen Rezension einer seiner Schriften vermutete, brach er den Verkehr mit dem , kleinen Magister" ganz ab. In Kants und seiner Anhanger Augen sei er ja doch nur ein Mystiker à la Jakob Bohme ; worin er freilich nicht unrecht haben mochte, da sich in der 'l'at der Pbilosoph fiir des merkwiirdigen Mannes von diesem selbst sehr bewunderte Geisteskinder nicht erwarrnen konnte. Erst Anfang 1763 erfolgte wied er eine gewisse Annaherung seitens Harnanns. Dieser ernpfahl dern bekannten Nicolai Kant als einen ,Mann, der die W ahrheit ebensosehr liebt als den Ton der guten Gesell­ schaft " . Zwar mit Kants Einzig moglichem Beweisgrund war er wenig zufrieden - diese Schrift verdiene , eine exemplarische Rute" ! -, aber die Buobachtungen gefielen ihm so gut, daB er eine ausfiihrliche und annerkennende Besprechung derselben fiir die Konigsberger Zeitung schrieb, die er damals herausgab, und fiir die der Philosoph seinerseits ungefahr zur namlichen Zeit die Kmnkheiten des Kopfes verfaBte (s. oben). In den beiden folgenden J ahreu wurde der Verkehr durch Hamanns Aufenthalt in Kurland wiederum nnterbrochen. Aber als letzterer im Februar 1767 wieder zuriickgekehrt war, verschaffte Kants Fiirsprache ihrn eine ihn ernahrende Anstellung bei der Akzise-Direktion seiner Vaterstadt. Naher schien eine Zeitlang das Verhaltnis zwischen dem jugendlichen H e r d e r un d seinem verehrten Lehrer

6. Geistige Einfliisse der 60 er J ahre.

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Kant werden z u konnen. Der 18 jahrige Mohrunger Kantorssohn war 1 762 nach Konigsberg gekommen, und der Philosoph lieJ3 den begabten, aber armen Jiingling wie er in solchen Fli.llen gern tat - unentgeltlich an allen seinen Vorlesungen der nachsten vier Semester teilnehmen. ,Mit gespannter Aufmerksamkeit " , berichtete nach Herders Tode ein befreundeter Mithorer dessen Gemahlin, ,faJ3te er j ede Idee, jedes Wort des groJ3en Philosophen auf und ordnete zu Hause Gedanken und Ausdruck . . . Einst in einer heiteren Friihstunde, wo Kant mit vorziiglicher Geisteserhebung und, wenn die Materie die Hand bot, wohl gar mit poetischer Begeisterung zu sprechen und aus seinen Lieblingsdichtern Pope und Haller Stellen an­ zufiihren pflegte, war es, wo der geistvolle Mann sich iiber Zeit und Ewigkeit mit seinen kiihnen Hypothesen ergoB. Herder wurde sichtbarlich und so machtig davon betroffen, daJ3, als er nach Hause kam, er die Ideen seines Lehrers in Verse kleidete, die Hallern Ehre gemacht hatten. Kant, dem er sie am folgenden Morgen vor Eroffnung der Stunde iiberreichte, war ebenso betroffen von der meisterhaften poetischen Darstellung seiner Gedanken und las sie mit lobpreisendem Feuer im Auditorium vor. " Herders eigene begeisterte Schilderung seines ersten philosophischen Lehrers haben wir schon kennen gelernt. Auch nach seiner Entfernung von der Universitat blieb das Ver­ haltnis zunachst ein gutes. Kant sandte z. B. 1765 seine Triiume eines Geistersehers dem friiheren Schiiler bogen­ weise nach Riga zu ; dieser besprach sie mit groJ3et .An­ erkennung in den Konigsberger Nachrichten (1 766, 18. Stiick), forderte auch seine Jugendfreunde von Riga aus auf, Kants V orlesungen zu besuchen. Gleichwohl ist in den beiden im Jahre 1 767 zwischen ihnen gewechselten Briefen, die wir jetzt kennen (Kants Brie{w. I, S. 72 ff.), bei aller freundschaftlichen Warme des Ausdrucks doch ftir ein feineres Auge die allmahlich zwischen beiden sich offnende Kluft der Anschauungen nicht zu verkennen. Herder batte inzwischen seine be­ riihmten Fragmente uber die deutsche Literatur in die Welt und natiirlich auch Kant zugesandt. Dieser begliick­ wiinscht ihn am 9. Mai 1767 zu seinem literarischen Er­ folg und meint, auch er sei als Lehrer ein wenig eitel -

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3. Kapitel. Fiinfzehn Jahre Privatdozent und lllagister.

dariiber, aber im Grunde sei doch Herders Schrift ,blo8 auf Ihrem eigenen Boden gewachsen und derjenigen An­ weisung, die Sie bei mir zu nehmen beliebten, nichts schuldig" . Schon Herders kleines Gedicht, das er noch aufh ebe, lasse auf ihn als einen dereinstigen Pope hoffen, einen Dichter, der die Grazie mit der W eisheit verbinde. Bei der friihen Entwicklung von Herders Talenten sehe er mit Vergniigen , auf den Zeitpunkt hinaus, wo der fruchtbare Geist, nicht mehr so sehr getrieben d"urch die warme Begeisterung d es jugendlichen G e f ii h l s, diejenige R u h e erwirbt, welche sanft, aber empfindungsvoll ist". Eine solche Gemiitsverfassung entspreche dem ,beschau­ lichen Leben des Philosophen" , wenn es auch das Gegen­ teil von dem sei, , wovon Mystiker traumen" ; si e sei es, die ihrem Besitzer wie der Welt am meisten nutze. Mon­ taigne und Hume seien Beispiele dafiir. In diesen Satzen liegt bei allem Lobe im Grunde der ganze Gegensatz zwischen den beiden wesensungleichen Naturen ausgesprochen. Die milde Warnung des Lehrers au den Schiiler war vergeblich. Herders Antwort vom November d. J. zeigt ihn zwar sehr erfreut iiber den freundschaftlichen Ton des hochverehrten Lehrers und bescheiden in bezug auf die Erstlingsschrift wie auf das ,rauhe, dunkle" Jugendgedicht, das jener doch , in seiner Nacht umkommen lassen" moge, aber doch schon eine recht gro.Be Selbstandigkeit gegeniiber dem , geschatzten Freund" (!) und ,liebenswiirdigen (!) Philosophen". Er lehnt es ab, Hume und Montaigne nacbzueifern, hoher steht ihm Shaftesbury. Auch hege er Zweifel gegeniiber manchen von Kants philosophischen Hypothesen und Be­ weisen. Aber ,das l asse si eh nicht alles schriftlich sagen" . E s ist aber offenbar nichts mehr schriftlich und, da beide bald raumlich weit auseinander kamen und blieben, auch nichts mehr miindlich dariiber gesagt worden. So vertiefte sich allmahlich der Gegensatz zwischen ihnen, der dann, wie wir sehen werden, in der Mi tte der 80 er J ahre zum offenen Ausdruck kam. In demselben Brief vom 9. Mai 1767 macht Kant dem jiingeren Freunde offenherzige Mitteilungen von der G a r u n g seiner Gedanken seit den Jahren ihres Zu­ sammenseins : , Was mich betrifft, da ich an nichts hange

6. Geistige Einfliisse der 60 er Jahre.

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nnd mit einer tiefen Gleichgiiltigkeit gegen meine oder anderer Meinnngen das ganze G ebande ofters nmkehre nnd ans allerlei Gesichtspunkten betrachte, um zuletzt etwa denj enigen zn treffen, woraus ich hoffen kann, es nach der Wahrheit zu zeichnen, so habe ich, seitdem wir getrennt seyn, in vielen Stiicken anderen Einsichten Platz gegeben. " J etzt sei sein Augenmerk , vornehmlich darauf gerichtet, die eigentliche Bestimmung und die Schranken der menschlichen Fahigkeiten und N eigungen zu er­ kennen" . Noch im laufenden Jahre hoffe er seine Grund­ satze und Methode in bezug auf die Ethik ausfiihren zu konnen. In Zusammenhang mit diesem wiederholten Suchen nach neuen Grundlagen seines philosophischen Denkens steht es, da13 Kant si eh um di e Mitte der 60 er Jahre den­ jenigen zeitgenossischen Denkern nahert, die ebenfalls neue, eigene W ege in der Philosophie einzuschlagen suchten. So vor allem dem erst neuerdings mehr bekannt gewordenen Joh. Heinr. L a m b e r t , Professor und Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Berlin (1728-1777), der gerade kurz vorher (1 764) sein philosophisches Haupt­ werk, das Neue Organon, hatte erscheinen lassen, iibrigens seinerseits zuerst den W eg zu Kant suchte. Wie man in j ener Zeit sehr oft, um das teure Porto zu sparen, die Briefe einem Bekannten zur direkten Beforderung mitgab, so benutzte auch Lambert im N ovember 1765 di e Abreise ein es befreundeten Gelehrten nach Konigsberg, .�m sich ohne umstandliche Redensarten, , was durch die Ahnlich­ keit unserer Gedankensart vollkommen entschuldigt wird" , an Kant z u wenden. ,Hier herum ", schrieb er von Berlin, philosophiere man nur sehr oberflachlich in asthetisierender W eise iiber di e sogenannten schonen Wissenschaften. Strenge Methode aber sei in der Philosophie vor allem notig, und da sie beide bisher ja von selbst ,fast auf einerlei Untersuchungen" verfallen seien, ohne voneinander zu wissen, so schlage er fiir die Zukunft vorherige Ver­ standigung durch einen wissenschaftlichen Briefwechsel vor. Kant fiihlt si eh, in seiner Antwort vom 31. Dezember des Jahres, durch diese Annaherung des , ersten Genies in Deutschland" hochgeehrt, spricht von den mancherlei , Umkippungen", die sein philosophischer Standpunkt

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3. Kapitel.

Fiiufzehn Jahre PrivatdozeJit nnd Magister.

durc'h getnacbt, glaribt aber j etzt, bald der ricbtigen Metbode auf der Spur zu sein. Aucb er sei des , ewigen Getandels der Witzlinge" und der , ermiidenden Scbwatzbaftigkeit der itzigen Scribenten" miide, die , weiter keinen Ge­ scbmack baben , als den, vom Gescbmack zu reden" . Lamberts ausfiibrlicbe Erwiderung vom 3. Februar 1766 ist rein pbilosophiscb gehalten. Dann aber trat anscbeinend eine lange Pause in dem geplanten Briefwecbsel ein. Von Kant ist erst wieder ein Brief vom 2. September 1770 erbalten. Er entscbuldigt darin sein langes Scbweigen mit der unvorhergesehenen Entwicklung seiner Gedanken. Erst seit einem Jahre sei er zu einem einigermaBen festen Standpunkt gekommen. Nacb Ablauf des nachsten Winters boffe er ibm seine Gedanken zur Priifung vorlegen zu konnen. Fast um dieselbe Zeit wie Lambert kniipfte aucb ein anderer Berliner Denker mit dem nunmebr bekannter gewordenen Konigsberger Privatdozenten eine pbilo­ sopbiscbe Korrespondenz an. Es war der scbon beriihmte M o s e s M e n d e l s s o b n , der ibn nicbt lange vorber, wie Kant selber nocb spater seinem Freunde Kraus dankbar bekannte, durch die Besprecbung seiner Scbriften iiber das Dasein Gottes und die syllogistiscben Figuren in den Literaturbriefen (Nicolais) , in das Publikum eingefiibrt" batte. Mendelssohns erster Brief ist nicbt erbalten, dagegen die Antwort Kants vom 7. Februar 1 766, mit der er, wenn auch nicht in so schmeicbelhaften Worten wie gegeniiber Lambert, Mendelssohns Vorscblag eines standigen Brief­ wecbsels annimmt ; iibrigens fast mit derselben W endung beginnend, di e Lambert ibm gegeniiber gebraucht batte : ,Es gibt keine Umschweife von der Art, wie sie die Mode verlangt, ?iwiscben zwei Personen, deren Denkungsart durch die Ahnlicbkeit der Verstandesbeschaftigungen und die Gleichheit der Grundsatze einstimmig ist." Er sendet ihm zugleicb seine Triiume eines Geistersehers. Mendels­ sohns Antwort ist wiederum verloren ; erbalten dagegen der ausfiihrlicbe Brief Kants an ihn vom 8. Aprii d. J., der sicb auf die namlicbe Scbrift bezieht. Da ich denselben jedocb in der Einleitung zu meiner Ausgabe der Triiume (Phil. Bibl. 46 b S. V-VIII) eingebend bebandelt ba be, so mocbte ich bier nur auf zweierlei binweisen. Einmal

7. Erfolglose Bewerbungen .

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auf die darin ausgesprochene Stellungnahme zur Meta­ physik, die er keineswegs an sich bekampfen, sondern der er nur ,das dogmatische abziehen" und ihre " vor­ gegebenen" Einsichten skeptisch behandeln will, um zu positiven und gegriindeten , Einsichten" zu gelangen. Und zweitens auf die in ihm entbaltene beriihmte Selbst­ scb.ilderung : , Was es aucb fiir Febler geben mag, . . . so ist docb die wetterwendiscbe und auf den Scbein angelegte Gemiitsart dasjenige, worin icb sicberlicb niemals geraten werde, nacbdem ich scbon den groBesten Teil meiner Lebenszeit hindurcb gelernt babe, das meiste von dem­ j enigen zu entbebren und zu verachten, was den Charakter zu korrumpieren pfl.egt . . . " DaB Kant in der Tat gelernt batte zu entbehren, wissen wir j etzt aus seiner Knaben-, Studenten-, Haus­ lebrer- und seiner iiberlangen Magisterzeit Sehen wir zum ScbluB, wie er aus seiner mi6licben auBeren Lage berauszukommen versucbt hat, bis es ihm endlich nach fiinfzehn langen Wartejahren gelang.

7.

Erfol_qlose Bewerbungen. Unterbibliothekar. Endlich Professar.

Kraus schrieb 1804 von Kant : , Soviel ich weiB, ha t Kant nie in seinem Leben um etwas fii r sich gebeten oder nacbgesucbt. " Daran ist so viel richtig, da6 es ibm von

j eher

verhaBt

gewesen

und

geblieb en

ist,

eine

Ver­

giinstigung fiir sich zu erbetteln oder durch Konnexionen, Biicklinge, Schmeicheleien u. dergl. zu erschleichen. Da­ gegen war.� es toricht gewesen, wenn er sich nicht um diej enigen Amter beworben batte, denen vollauf gewacbsen zu sein er sich bewu.l3t sein konnte. Das hat er denn auch mehrmals - und zwar mit den zu seiner Zeit iiblicben und auch in unserem ,fortgeschrittenen " 20. Jabrbundert noch immer nicht ganz ausgestorbenen konventionellen Formeln - getan. Zum erstenmal in einem no eh erhaltenen Schreiben vom 8. Aprii 1 756 um die seit Knutzens Tod (1751) erledigte au.13erordentliche Professur fiir Logik und Meta­ physik. Er weist in der formell an Konig Friedrich IL, tatsacblicb an die Kgl. Regierung in Konigsberg ge­ ricbteten Eingabe darauf hin : , Da meine groBeste Be-

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3. Kapitel.

Fiinfzeb n Jabre Privr.tdozent n n d �[agister.

strebung jederzeit dahin gegangen, mich zu dem Dienste Ew. Konigl . Maj estat auf Hochst Dero Academien nach Moglichkeit gesehickt zu machen, und in dieser Absicht die philosophische Wissenschaften zu dem vornehmsten Felde meiner B estrebungen gewahlet, so habe, wie alle iibrige Teile derselben, au eh die Logic und Metaphysik mit aUer Aufmerksamkeit zu excoliren niemals einige Zeit oder Gelegenheit verabsaumet. " Er weiB nicht, ob , die geringe Pr oben " seiner angewandten Bemiihungen Ew. Kgl . Maj estat bekannt geworden, und , erstirbt" zum SchluB als dero , alleruntertanigster Knecht" Immanuel Kant. Es war indes eine schlechte Zeit fiir die Erfiillung seiner H o ffnu ng. Die Kgl. Regierul)g, bei dem bevor­ stehenden Entscheidungskampfe mit Osterreich auf Er­ sparnisse bedacht, war entschlossen, die eingehenden Extra­ ordinariate iiberhaupt nicht zu besetzen. So blieb dies sein erstes Gesuch ohne Erfolg. Nicht bes s er erging es dem zweiten, Ende des Jahres 1 758 fast gleich z eiti g an Rektor und Senat ( 1 1 . Dezember), di e philosophische Fakultat (12. Dezember) und di e ,Aller­ durchlauchtigste Gro 1l m a cht igste Kayserin, Selbstherr­ scherin aUer Reu.Ben, Allergnadigste Kayserin und groBe Frau" Elisabeth von Rul3land gerichteten Bewerbungs­ schreiben. Diesmal handelte es sich um die kurz zuvor durch den Tod des b isherig en Inhabers , Doktors und Pro­ fessors der Theol ogie und Philosophie Kypke, erledigte o r d e n t l i c h e Professur fiir Logik un d Metaphysik. Kants alter Direktor und Gonner F. A. Schultz, damals Rector Magnificus , batte seinem friiheren Schiiler zugeredet, sich um die Stelle zu melden. Er lieB ihn zu sich rufen und versprach ihm seine Unterstiitzung. Beim Eintritt ins Zimmer batte er ihn jedoch erst , sehr feierlich" gefragt : , Fiirchten Sie auch Go t t von Herzen ? " , was Borowski (und ihm zufo lge auch Kant selbst spater) merkwiirdiger­ weise dahin ausl egt , daJ.l die Frage nur ein feierliches Bekenntnis der - Verschwiegenheit habe sein sollen. Kant meldete sich dann noch in letzter Stunde. Offiziell an die - recht wenig sachverstandige - Selbstherrscherin aUer ReuBen, tatsachlich an den russischen Gouverneur Nikolaus von Korff muBte die Eingabe gerichtet werden, weil seit einem Jahre ganz Ostpreu6en von den Russen

7. Erfolglose

Bewerbungen .

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besetzt un d eine st andige, bis zu ihrem Abzug 1762 fort­ dauernde russische Verwaltung dort eingerich t et war, wes­ halb von Anfang 1 758 an , alle an die Landes-Collegia gerichtete Memorialia, Suppliquen und Vorstellungen an Ihre Kayserl. Majesté von allen Reussen gerichtet und dergestalt eingegeben werden solLten" (Warda, Altpreu.B. Mon. XXXVI, 498 Anm.). Magister Kant batte diesmal auf ,2 offentliche dissertationes, 4 Abhandlungen in dem (se. Konigsbergischen) InteUigentz - Werke, 3 program­ mata und 3 andere Traktate" und au.Berdem darauf hin­ weisen konnen, daB er ,jedes semestre die beyde benannte Wissenschaften in privat-praelectionen und oft zugleich in privatissimis erklaret". Er kam denn auch mit dem Extraordinarius der Philosophie F. J oh. Buck in engere Wahl, indem die anderen, die sich gemeldet hatten (davon drei ebenfalls schon Professoren, einer ein Dr. phil. et m ed.), in dem Bericht des Senats an die Kaiserin iiberhaupt nicht genannt wurden, Kant und Buck dagegen als solche bezeichnet wurden, die beide die zu dem Amte erforderliche ,Geschicklichkeit" besa.Ben. Man iiberlie.B es ,Ew. Kayserl. Majestat" , , ob die nunmehro vakant gewordene Professio der Logic und Metaphysic sogleich wieder besetzet, als auch durch wen auf solchen Fall dieselbe unter den beyden angefiihrten Competenten verwaltet werden soll". SchlieBlich siegte das Anciennitatsprinzip : der am 11. November 1722 geborene Buck, , der 15 Jahr bei der Academie ohne salario der studierenden Jugend mit seinem ftei.Bigen Unterricht gedient ", erhielt noch v or Ablauf des Jahres die Stelle 1). Bessere Aussichten schienen sich dem nunmehr schon 40 jahrigen Magister im J ahre 1 764 zu eroffnen. Schon seit Juli 1762 war durch Professor Bocks Tod die Pro­ fessur fiir D i c h t k u n s t erledigt, jedoch wahrend der Kriegszeit und im ersten Jahre danach noch nicht wieder besetzt worden. Diesmal lenkte das Justizministerium in Berlin, dem damals auch die , Unterrichtsangelegenheiten" noch unterstanden, selbst seine Blicke auf Kant, auf den es vermutlich durch dessen Preisarbeit von 1763 (s. S. 64) aufmerksam geworden war. Am 5. August 1 764 erging ') So n a ch der neuen aktenmiU3igen Darstellung von Altpreufì. Monatsschrift, B d . 48, S. 378-380.

A. Warda,

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3.

Kapitel.

Ftlnfzehn

Jabre

Privatdozent nnd Ma.gister.

ein Reskript an die (Ost-)PreuBische Regierung, das mit den Worten beginnt : , Uns ist ein gewisser dortiger Magister, namens Immanuel Kant, durch einige seiner Schriften bekannt geworden, aus welchen eine sehr griind­ Iiche Gelehrsamkeit hervorleuchtet." Dann wird gefragt : ,Ob aber derselbe zugleich die notigen Gaben eines offent­ Iichen Lehrers zum Vortrag, und in der deutschen und lateinischen Poesie sich hervorgetan, auch Neigung habe, diese Stellung einzunehmen ?" Erst, wenn Kant , weder die erforderlichen Fahigkeiten zu dieser Stelle besitzen noch sol che anzunehmen geneigt sein solite", sollten si e andere , hinliinglich qualifizierte Subjekte" in pflicht­ maBigen V orschlag bringen. Aber Kant fii hl te si eh fiir diese Professur, mit der u. a. auch die Zensur aller aka­ demischen Gelegenheitsgedichte und die Verpflichtung ver­ bunden war, bei allen akademischen Feiern als offizieller Dichter der Universitat aufzutreten, nicht berufen, sondern lehnte sie ab und empfahl sich nur fiir eine passendere Gelegenheit. Er hiitte sonst in der Tat, wie sein Freund und Mitbewerber J. G. Lindner in Riga, der die Professur dann erhielt, es tun muBte, bereits im Dezember ein Iateinisches Carmen zu dem Weihnachtsfest und zwei deutsche Carmina fiir das Kronungsfest und Konigs-Ge­ burtstag Iiefern miissen. Gut, daB unser Philosoph Un­ abhiingigkeitsgefiihl genug besa6, um die fiir einen amt­ losen Magister verlockende Stelle gleichwohl auszuschlagen. Das Ministerium nahm ihm iibrigens diese Ablehnung nicht iibel, sondern achtete seine Beweggriinde, indem es am 24. Oktober 1764 den Spezialbescheid nach Konigs­ berg richtete : ,Dessenohnerachtet sind wir nicht weniger gniidigst entschlossen, den M. Immanuel Kant zum Nutzen und Aufnehmen der dortigen Akademie bei einer ander­ weitigen Gelegenheit zu placieren ; und befehlen Euch demnach hiermit in Gnaden, auf was Art solches am filg­ Iichsten geschehen konne, befohlenermaBen Uns annoch allergehorsamst anzuzeigen" und am 28. Oktober hinzu­ fiigte : daB ,der sehr geschickte und mit allgemeinem Beifall auf der hiesigen Academie docierende Mag. Kant bei erster Gelegenheit befordert werden solite". Diese Gelegenheit bot sich etwa ein Jahr spiiter ; freilich nicht eine ordentliche Professur, sondern das

7.

Unter-Bibliothekariat.

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simple Un t e r - B i b l i o t h e k a r i a t an der Kgl. Schlo.B­ bibliotbek. Das Amt des Oberbibliothekars mit 100 Thlr. Jahresgehalt batte Professor F. S. Bock inne, das Sub­ Bibliotbekariat der alte Hofrat und Hofgerichtsadvokat Gorraisky, der sich nach fast 35 jahriger Wirksamkeit am l. Oktober 1765 ,bey meinem zunehmenden Alter und mit allerhand Zufallen behafteten Leibesbeschaffenheit" einen gewissen Magister Nikuta, den er bereits ,angelernt' habe, als Adjunkten und demnachstigen Nachfolger erbat. Aber vierzehn Tage nachher meldete sich auch Magister C. D. Reusch, und am 25. Oktober endlich ging auch ein wiederum formell an den Konig, tatsachlich an die Re­ gierung gerichtetes , alleruntertanigstes Ansuchen" des Magister Kant ein, ihm , durch Conferierung dieser Stelle sowohl eine erwiinschte Gelegenheit zum Dienste des ge­ meinen W esens, als auch eine gnadige Beyhiilfe meiner sehr mi.Blichen Subsistence auf der hiesigen Academie angedeyen zu lassen" . Als Beilage war ein e A bschrift des eben erwahnten ,huldreichen Reskripts" vom Oktober 1764 hinzugefiigt. Es war gerade kein besonders beneidens­ werter Posten, um den si eh der nunmehr schon 41 jahrige Magister Kant bewarb, denn er war nur mit einem Fixum von 62 Talern jahrlich dotiert ; die ,Deputatstiicke" an ,Getreide, Bier, Fleisch, Butter, Kase, Brennholtz und dergleichen, auch jahrlich ein Priesterkleid (!! " , die neben einer freien Wohnung und einem ,privilegierten Buch­ handel" vormals dem Ober- und ,nach Verhaltnis" auch dem Subbibliothekar zugestanden hatten, waren schon seit einem h alben Jahrhundert in Wegfall gekommen. Dabei batte der anscheinend recht bequeme Oberbibliothekar Bock die eigentlicbe Arbeit seinem Unterbibliotbekar auf­ zuhalsen verstanden. Freilich war die Bibliotbek nur zwei­ mal in der Wocbe, Mittwoch und Sonnabend nachmittags von 1-4 Uhr, fiir das allgemeine Publikum geoffnet, aber unter dem alten und abstandigen Gorraisky war allerlei Unordnung eingerissen, , insonderheit" hatten sich, wie Bock bericbtete, ,junge robe Leute die Zeit ber erkiibnet" , ,denen von E w . Majestat Allerhocbst eigenhandig fest­ gestellten Gesetzen zuwider, Biicber nacb eigenem Ge­ fallen herauszuziehen und das Bibliotbec-Zimmer als eine offentlicbe Promenade zu gebrauchen" . Dazu waren die

80

3. K apitel .

Ftinfzehn Jahre Privatdozent und

Magister.

Zimmer trotz ihres Steinbodens im Winter ungeheizt, und die Fenster schlossen schlecht, so da.B der Bibliothekar nach der beweglichen Schilderung Bocks mit , erstarrten Handen" bei ,gefrorener Tinte" sitzen mu.Bte und j eder, der nicht , von sehr robuster Constitution ist", unfehlbar , Krampfe, Flu.B:fieber und Zahnschmerzen" sich zuziehen mu.Bte ; und in den kurzen Wintertagen, bei dem meisten­ teils nebligen Wetter sei es so dunkel, da.B auch ,das Lesen und Schreiben nicht wohl statt:finden kann " , und auch niemand die Bibliothek besuche. Ein Biblio­ theksdiener wurde von dem sparsamen Konig nicht be­ willigt. Es mu.B demnach doch um Kants pekuniare Lage um das J ahr 1765 nicht besonders bestellt gewesen sein, wenn er sich um diese Stelle bewarb und sein offizielles Gesuch iiberdies durch ein noch erhaltenes Privatschreiben vom 20. Oktober 1765 an den Oberkurator der Universitat, Minister von Fiirst, unterstiitzte. In diesem Schreiben, das sich von dem seines Rivalen Reusch durch seinen be­ scheidenen und doch von jeder Unterwiir:figkeit freien Ton vorteilhaft unterscheidet, betonte er : er habe geglaubt, ,mit der Litteratur so viel bekannt zu sein, da.B er dieses Amt dem Erfordern gema.B geziemend verwalten konne" . Erwiinscht w�rde ihm die Gelegenheit sein, ,so viele Hiilfs­ mittel der Wissenschaften bey der Han d zu haben " , des­ gleichen , das kleine Gehalt, welches dem Vernehmen nach [!] von 60 Rthlr. sein soll und meiner sehr unsicheren academischen subsistence zu einiger Beyhiilfe dienen wiirde". Im Gegensatz zu seinen mit allerlei Empfehlungen versehenen Mitbewerbern habe er ,nichts vor sich als einige nicht ganz mislungene Bestrebungen in dem Stande, worin ich mich be:finde" . Daraufhin befahl ein schon am 2. November ,auf Seiner Konigl. Majestat Allergnadigsten Special Befehl" ausgefertigtes Reskript der PreuBischen Regierung, ihr ,pflichtma.Biges Gutachten" auch auf den dem Ober Curatorio ,durch seine Metaphysische und andere Schriften bekannt gewordenen geschickten Magister Kant" auszudehnen, und am 15. Dezember erging eine Verfiigung des Ministers von Miinchhausen, , auf den M. Cant der ihm bereits gegebenen Versicherung zufolge vorziiglich zu reflektieren" . Da aber der alte Gorraisky seine Stelle erst

7. Unterbibliothekar.

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endgiiltig niederlegen sollte, zog sich das Hinundher­ schreiben zwischen Konigsberg und Berlin noch bis Mitte Februar hin. Endlich, unter dem 14. Februar, wurde die Bestallnng Kants durch eigenhandige Namensunterschrift des Konigs vollzogen und die , Subbibliothekarien-Stelle bey Unserer dortigen SchloB Bibliothec . . . dem ge­ schickten und durch seine gelehrten Schriften sich beriihmt gemachtem Magister Kant allergnadigst anvertraut" . Die Besoldnng solite Gorraisky noch bis znm Trinitatissonntag znstehen und erst dann Kant , in denen gewohnlichen Qnartalen" ausgezJ.hlt werden, also j edesmal 15 1/ 2 Taler ! Tant de bruit pour une omelette ! Ja, nachdem endlich eine Woche spater die Be­ stallung in Konigsberg eingetroffen, zwischen dem 13. und 17. Marz der neue , Sub-Bibliothekar" in der ,Ge­ heimten Ratsstube" der Regierung in ,Eydes-Pflicht ge­ nommen" und am 9. April von dem Oberbibliothekar , auf der Bibliothek introduciret und zu treufleiBiger Ver­ waltung sothaner Function angewiesen" war, gab es noch allerhand Schwierigkeiten, indem sich der alte Gorraisky trotz aller Mahnnngen nicht dazu bringen lieB, die Biblio­ thek seinem Nachfolger ordnungsmaBig zu iibergeben. So muBte der beqneme Vorgesetzte Kants (Bock), wie er am 9. Oktober klagt, ,mit meiner, des ersten Bibliothecarii, groBen Beschwerde und vieler Stohrung", in Gemeinschaft mit Kant die Revision des Biicherbestandes selbst vor­ nehmen, wobei wohl der letztere die Hauptarbeit getan haben wird. Denn es ist in einem spateren V erantwortungs­ schreiben Gon-aiskys vom 12. November davon die Rede, daB Kant , auf geschehene Anweisung des itzigen Ober­ Bibliothecarii" die Vergleichung der Kataloge mit den Biichern iibernommen habe und damit schon ziemlich weit gekommen sei. Kant wird in seiner gewissenhaften Pflicht­ treue auch fernerhin dem tragen Vorgesetzten manche Unbequemlichkeit abgenommen haben ; denn es ist sehr bezeichnend, da.6 wahrend der sechs Jahre seines Unter­ bibliothekariats (1766-72) keine Ri\ge seitens der Re­ gierung vonnoten war, wahrend sogleich im folgenden Winter wied er vom Dezember bis Mitte Marz des folgenden Jahres die Bibliothek nicht geoffnet wurde. Unterdessen batte der mittlerweile zum Professor er-

82

3. Kapitel.

Fiinfzehn Jahre Privatdozent u n d Magister.

nannte Kant, nach fast genau sechsjahriger Tatigkeit, durch ein Schreiben vom 14. Aprii 1772 um Entlassung von seinem Posten gebeten. Die alteren Biographen, so­ weit sie genauer von der Sache erzahlen, geben als Grund an : w eil er es besonders lastig gefunden, daB ,mehr neu­ als wiBbegierige Personen die Bibliotheken zu besuchen pflegen" , wahrend Bock in seiner uns dem Inhalt nach schon bekannten Verantwortungs- und Klageepistel vom 19. Marz 1773 den Anschein zu erwecken sucht, da6 Kant sich durch Gesundheitsriicksichten ,genotigt" gesehen habe, den ungesunden Posten zu verlassen. Das letztere ist sehr unwahrscheinlich, das erstere mag mitgewirkt haben. In seinem Entlassungsgesuch jedenfalls hat er als Grund nur angegeben, daB es ,nicht allein bis daher un­ gewohnlich ist, daB die Stelle eines Subbibliothecarii von einem Professor Ordinario bekleidet werde, sondern sich auch solche mit den Obliegenheiten dieses letzteren Postens und der Einteilung meiner Zeit nicht wohl vereinigen laBt ". Durch konigliches Reskript vom 15. Mai 1773 wurde denn auch unter dieser Motivierung Kants Enthebung von seinem Posten bewilligt und derselbe dem literarisch ge­ bildeten jungen Juristen Jester iibertragen, der am l. Juli d. J. sein Amt an trat, es jedoch auch bald wieder niederlegte. Offenbar hatte unser Philosoph die seiner Geistes­ groBe wenig wiirdige Stelle in erster Linie nur des kleinen, aber sicheren Gehaltes wegen angenommen. W ohi aus demselben Grunde iibernahm er um dieselbe Zeit auch die Aufsicht iiber ein wertvolles, namentlich an schonen Bernsteinstiicken rei eh es N a tu r a l i e n k a b i n e t t . das der reiche Kommerzienrat Saturgus i n seinem Garten angelegt batte, und das zu den Sehenswiirdigkeiten der Stadt gehorte. Da vor ihm der uns bekannte Oberbiblio­ thekar F. S. Bock die Aufsi cht gefiihrt batte, ist er vielleicht durch die nahere Verbindung mit diesem dazu gekommen ; dann ist aber auch zu vermuten, daB er mehr Arbeit und Unbequernlichkeit als pekunHiren Gewinn davon gehabt hat. Jedenfalls hat er auch diesen Posten, bei dem er allerdings Mineralogie studieren konnte, aber auch jedem durchreisenden Fremden auf alle mogliehen toriehten Fragen Auskunft zu geben gezwungen war, nur voriiber­ gehend bekleidet.

7. Endlich

Professor.

Endlich sollte indes die iiberlange Wartezeit des Privatdozenten Kant auf ein ordentlicbes Lebramt ein Ende nebmen. Da.B sein Name mittlerweile weit iiber die Grenzen seiner Vaterstadt binausgedrungen war, ergibt sich aus mancben Tatsacben. So wollte ibn am 18. November 1 769 ein gewìsser K. R. Hansen in Halle wegen seiner , so scbonen und zugleich so griindlicben Scbriften" in eine Sammlung von ,,Biographien beriibmter Pbilosophen un d Gescbichtsschreiber d es 18. J ahrbunderts in und au.Ber Deutschland" aufnehmen und bat ibn des­ halb um genaue Angaben iiber Leben, Lehre und Sehriften. Und Lambert batte ihn schon 1 765 n ach Berlin ziehen wollen. Er batte diesen Wunsch in seinem Briefe an Kant vom 13. November 1 7 65 allerdings nm· angedeutet, weil er noch nicht wu.Bte, ob , die hiesige Verfassung der Sachen" denselben werde verwirklichen lassen. Jetzt boten sich im Winter 1 7 69/70 dem nahezu 46 jahrigen Magister, der eine heimische Professur zweimal vergeblich erstrebt, ein drittes Mal, als seinen Anlagen nicht entsprechend, tapfer ausgescblagen batte, binnen weniger Monate drei verscbiedene Aussichten, darunter zwei ehrenvolle Be­ rufungen nach auswarts. Der erste Ruf kam von der damals markgraflicb- ans­ bacbiscben Universit at E r l a n g e n. Di e treibende Kraft war anscb einend deren Kurator und ,Mazen " , der Mi­ nister von Seckendorf, den die Lektiire von Kants ,un­ vergleichlichen B e ob ach t un g en iiber das G efiihl des Sebonen und Erbabenen " fiir den Konigsber ger Magister eingenommen batte. Der ihm angetragene Lehrstubl war der erste in Erlangen ausschlie.Blich fiir theoretiscbe P h i l o ­ s o p b i e erricbtete, wahrend diese Wissenschaft bis dahin im Nebenamte von Mitgliedern der drei , oberen " Fakul­ taten gelehrt worden war ! Kant batte am 25. Oktober 1769 dem die Korrespondenz mit ibm fiibrenden Professor der Matbematik und Physik S. G. Suckow seine Einwilligung ausgesprocben, da er ,die Gelegenheit zu einem kleinen, aber sicberen Gliick nicht iibereilt ausschlagen " wollte. Di e Bedingungen waren : ein Gehalt von 500 Gulden rheinisch an Geld und fiinf Klafter Brennholz jahrlich, dazu bei der gro.Ben Entfernung zwischen Konigsberg und Erlangen noch 1 00 Taler Rei se- un d Transportkosten. D aB

84

3. Kapitel.

Flinfzehn Jabre Privatdozent nnd

Magister.

man ihn gern dortbin haben wollte, geht daraus hervor, da/3 auf seinen erst am 10. November in Erlangen ein­ getroffenen Brief schon am 2 3 . N ovember di e Ernennungs­ urkunde fiir den , Hocb-Edelgebobrnen Herrn, Herrn Immanuel Kant, der Weltweisheit beriihmten Doktori" vom Markgrafen Alexander unterzeichnet wurde. Ein Scbreiben der Universitat vom 1 1 . Dezember sprach die Hoffnung aus, da/3 er bereits bald nacb Neujabr 1770 oder wenigstens gegen Licbtme/3 (2. Februar) in Erlangen ein­ treffen werde. Und unter ,allen bier Studierenden" herrscbte bereits . , die lebhafteste Freude" iiber Kants Kommen und gliibten , die. . bei.6este Wiinscbe fiir Dero­ selben baldige gliicklicbe Uberkunft" . Der Hofmeister Ziegler, der das am 3. Januar 1770 schreibt, bietet ihm im Namen seiner Zoglinge, der Barone von Rosen und von Lowenwolde, vier leerstehende Zimmer in ihrem Hause als Quartier an. Aber alle seine Empfehlungen der ,reitzenden" Lage, der gesunden Luft, der Billigkeit und der ,unter Ihro Hochfiirstl. Durchlaucht des regierenden HE. Marggrafen" allmahlich aufbliihenden Universitat Er­ langen kamen zu spat. Kant batte bereits am 15. Dezember 1769 unter dem Ausdruck des Bedauerns und mit der , instandigsten Entscbuldigung" erklltrt, da/3 er sich die ,zugedachte Ehre und Versorgung hiedurch gehorsamst verbitten" miisse. Die Griinde fiir diesen ,Anschein einer wandelbaren Gesinnung" fiihrt Kant in dem genannten B riefe selbst an. Man hatte ihm , erneute und viel vermogende" Versiche­ rungen in seiner Vaterstadt gemacht, die diesmal, da eine Vakanz, wie wir gleich sehen werden, aller Wahrschein­ lichkeit nach nahe bevorstand, wirklich der Erfiillung nabe scbienen. Da regten sich die , Anhanglichkeit an eine Vaterstadt", , ein ziemlicb a)lsgebreiteter Kreis von Bekannten und Freunden" und nicbt am wenigsten die Riicksicht auf ,meine schwacbliche Leibesbescbaffenbeit" macbtig in seinem Gemiite ; er meinte schlie.6lich seine korperlicbe und seeliscbe Rube nur da zu finden, wo er sie, , obzwar in beschwerlicben Umstanden, bis daber jederzeit" gefunden batte : in der alten Heimat. Und so bat er, einem , Gemiit, was zu Veranderungen unent­ schlossen ist, di e anderen nur gering scheinen" , zu ver-

7.

Endlich Professor .

85

zeihen, wenn er dieser Gefiihle, trotz der vielleicbt fiir ibn nachteiligen Folgen, nicbt Herr werden konne. Kaum einen Monat spater, am 12. Januar 1770, sucbte ibn der Tbeologieprofessor E. J. Danovius, ein Lands­ mann, der ihn scbon zum Lehrer gehabt hatte, nacb J e n a z u zieben, w o ,seine vortrefflichen Scbriften allgemein bekannt" waren und . die ,Serenissimi Nutritores" der Akademie eine neue Professur der Pbilosopbie zu erricbten beabsicbtigten. Er werde dort allerdings nur 200 Taler Fixum beziehen, branche aber dafiir aucb nur zwei W ochenstunden offentlich zu lesen und konne si cb durch Privatkollegia nocb weitere 150 Taler verdienen, und weiteres durch , Verleger die Menge, welche gute Schriften anzunehmen, si eh um die W ette bemiihen und sie gerne bezahlen" ; wahrend man zugleich in J ena sehr wohlfeil lebe. Welche Aussicht, wenn Kant dortbin gegangen ware und spater mit Goethe und Schiller zusammen gelebt batte ! Aber er wurde bald fiir immer an seine Vaterstadt gefesselt. Die K o n i g s b e r g e r Vakanz, die Kant in jenem Scbreiben nach Erlangen im Auge gehabt batte, trat am 15. Marz 1770 durch den Tod des scbon lange dahin­ siecbenden ordentlichen Professors der Theologie und Matbematik Langbansen wirklich ein. Nun strebte Kant, der nur eine seiner , Geschicklichkeit und Neigung ange­ messene" Stelle einnebmen wollte, zwar nicht nach diesem mathematischen Lehrstuhl, schlug aber seinem Gonner, dem Minister von Fiirst, einen Stellentausch vor : di e mit ,guten Emolumenten", namentlich durch das Inspektorat iiber das collegium Albertinum, versehene erledigte Stelle moge man entweder dem Schwiegersohn des Verstorbenen, dem Professor der Moral Christiani, iibertragen, wodurch dann des letzteren ,Profession" fiir ihn (Kant) frei wiirde ; oder dem Professor der Logik und Metaphysik Buck (S. 77), der ja schon verscbiedene Jahre Extraordinarius der Matbematik gewesen sei und ,nur bei Gelegenheit des russischen Gouvernements" die logisch-metaphysische Professur, ,zu welcher ich sonst von der academie alle Empfehlung batte", bekommen habe. Es stand fiir Kant diesmal eine Lebensfrage zur Ent­ scheidung. Und so begreift man, daB er, ganz gegen seine sonstige Gewohnheit, bereits am Tage nacb Langhansens

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3. Kapitel.

Fiinfzehn Jahre Privatdozent nnd Magister.

Tode den Brief an Fiirst und drei Tage spater das offizielle Gesuch an den Konig richtete ; begreift m an auch den ernst-elegischen Ton, der aus verschiedenen Stellen beider Schreiben widerklingt, wie : ,Ich trete in diesem Friih­ jahre in das 47 ste Jahr meines Alters, dessen Zunahme die Besorgnisse eines kiinftigen Mangels immer be­ unrnhigender macht" ; oder : ,Meine Jahre und die Selten­ heit der Vorfii1le, die eine Versorgung auf der Academie moglich machen, wenn man die Gewissenhaftigkeit hinzu­ setzt, sich nur zu denen Stellen zu melden, die man mit Ehren bekleiden kan, wiirden, im Falle daB mein unter­ tanigstes Gesuch den Zweck verfehlete, in mir alle fernere Hoffnung zu kiinftigem Unterhalte in meinem Vaterlande vertilgen un d aufheben miissen." Diesmal sollten denn auch seine Hoffnungen nicht enttauscht werden. Der Mi­ nister entschied sich fiir den zweiten der ihm von Kant unterbreiteten Vorschlage, und schon am 31. Marz 1 7 70 wurde durch Kgl. Kabinettsorder Magister Immanuel Kant ,wegen desselben Uns . . . angeriihmten Fleifies und Ge­ schicklichkeit auch besonders in den Philosophischen Wissenschaften erlangten griindlichen Erudition" zum , Professar Ordinarius der Logic und Metaphysic bey der Universitat zu Konigsberg in Preufien" ernannt : in der Voraussetzung, daB , Uns und Unserem Konigl. Hause der­ selbe treu, hold und gewartig seyn" und , die studierende Jugend publice und privatim docendo et disputando ohn­ ermiidet unterrichten, und davon tiichtige und geschickte Subjecta zu machen sich bemiihen, wie nicht weniger derselben mit gutem Exempel vorausgehen" werde. Am 2. Mai desselben J ahres fan d di e feierliche Einfiihrung in einer Senatssitzung statt.

V i e r t e s K a p i t e l. Bis zum Erscheinen der Kritik der reinen Vernunft.

1770-1781. Yerhiiltnis

zu

1. Kant im Professoramte. Minister von Zedlitz und Markus Herz.

So war denn unser Philosoph endlich, im nahezu vollendeten 46. Lebensjahre, in die seinen Anlagen und Wiinschen schon so lange entsprechende Stellung des ordentlichen Professors der Logik und Metaphysik an der Universitat Konigsberg eingeriickt. Formell trat er, der damaligen Vorschrift gemaB, das neue Amt erst mit der Verteidigung einer neuen lateinischen Abhandlung im groBen Horsaale der Universitat am 2 1 . August � 770 an Es war die beriihmte Inaugural-Dissertation Uber die

Form und die Prinzip ien der Sinnen- und T'erstandes­ welt, iiber deren auBere Geschichte, Bedeutung und In­ halt wir in der Einleitung zu ihrer Neuausgabe (Philos. Bibl. 46 b S. XIY-XXIY) b erichtet haben. Opponenten

waren ein studiosus artium [liberalium ? K. V.], ein 'rheo­ logie- und ein Rechtskandidat. Mit dem wichtigeren Amte des " Respondenten" hatte er seinen bisherigen ZuhOrer, den 23 jahrigen Studiosus der Medizin und Philosophie Markus Herz aus Berlin betraut : zum VerdruJ3 einiger orthodoxer Kollegen, von denen einer seinem Zorne durch die Befriedigung dariiber Ausdruck gab, da6 , der Jude wenigstens an dem Professorenschmaus keinefl Teil nehmen konne" (N Berliner Monatsschr. 1805, S. 153). Zu diesem seinem Ehrentage begrlillten den neuen Professor 17 besonders begeisterte ZuhOrer, samtlich Kur­ und Livlander, mit einem Huldigungsgedicht, das einer von ihnen, der als , Stiirmer und Dranger" bekannte, nicbt lange nachher auch in Goethes Leben eine Rolle

88 4. Kapitel. Bis

zum Erscheinen der Kritik der reinen Vernnnft.

spielen.�e Reinhold Lenz, verfaBt batte. Die von jugend­ licher Uberschwenglichkeit erfiillten zwolf Strophen priesen den Mann, ,in welchem Tugend bei der Weisheit wohnet" , den Lehrer der Menschheit, der selbst iibet, was e r lehrt, der sich nie durch au.Beren Schimmer blenden lieB, sondern hochfahrender Torheit die Maske abri.B, der seinen Schiilern stets Einfalt im Denken, Natiirlichkeit im Leben empfahl, der ihren Wissensdurst stillend, doch nimmer loschend, ihnen auch den Tod nicht schreckhaft machte. Den Schlu.B bildete das Gelobnis, in seinem Sinne leben und auch die Nachkommen erziehen zu wollen, und der Ausdruck des Stolzes, daB Frankreich nicht mehr am deutschen Genius zweifeln werde, solange Kant lebe. Nachdem Kant einmal die ihm zukommende Stelle an der heimischen Universitat erlangt, blieb er dieser bis zu seinem Ende treu und lehnte mehrfache Berufungen nach auswarts ab. W enig V erlockendes mochte fiir ihn der 1 7 75 an ihn ergehende Ruf an das , akademische Gymnasium" in Mitau haben, obwohl es durch die Unter­ stiitzung des dort residierenden Herzogs von Kurland gerade j etzt emporbliihte (Hartmann an Kant, 4. September 1 77 4) ; iibrigens wurde um die namliche Zeit sein jiingerer Bruder Johann Heinrich an der ,Mietauschen gro.Sen Schule", also do eh wohl der gleichen Lehranstalt, als Kon­ rektor angestellt. Anders stand es mit der Berufung nach H a 1 1 e , w o der als V erfasser vielgebrauchter Lehrbiicher bekannte selbstiindigere Wolfianer (Anhiinger Baumgartens) G. F. Meier 1 7 7 7 gestorben war. Zu dessen Nachfolger suchte ihn vor allem sein Gonner und Verehrer, der Unter­ richtsminister v o n Z e d l i t z zu gewinnen. Z e d l i t z , der seit 1 7 7 1 , damals 40 jahrig, die p reu.Bischen Kirchen- und Unterrichtsangelegenheiten l eitete, batte sich von Anfang an, infolge einer Art geistiger Wahlverwandtschaft, fiir den freidenkenden Philosophen interessiert. Eine Ministerialverfiigung vom 25. Dezember 1 7 75, welche die Riickstiindigkeit der Konigsberger Pro­ fessoren in manchen Beziehungen, z. B. im Gebrauch ver­ alteter Kompendien, riigte, batte davon ausdriicklich die Professoren Kant und Reusch ausgenommen. Auch fiir eine zeitgemiiBere Philosophie war das auf koniglichen Spezial­ befehl erlassene Reskript energisch eingetreten ; , da unsere

l . Ka.nt und Zedlitz .

89

landesvaterliche Absicht dahin gehet, da6 auf unseren Universitaten die Kopfe der Studierenden nicht mit nahrungslosen Subtilitaten verdiistert, sondern aufgeheitert und durch die Philosophie besonders zur Annahme und Anwendung wahrhaft niitzlicher Begriffe fahig gemacht werden sollen". Daher solle die Crusianische Philosophie, , iiber deren Unwert di e erleuchtetsten Gelehrten langst eins sind" , dort fernerhin nicht mehr gelehrt werden ; ihre Anhanger, die Magister W eymann un d Wlochatius, konnten sich andere Gegenstande ihrer Vorlesungen aus­ snchen. Dieses etwas nach aufgeklartem Despotismus schmeckende Verbot suchte der Erla6 durch den Satz zu rechtfertigen : , So wenig Wir gewohnt sind, iiber individuelle Meinungen herrschen zu wollen, so halten Wir doch fiir notig, der Ausbreitung gewisser allgemein nntzenlos befundener Meinungen vorzubeugen." 1) - Aber der Minister gab seiner V erehrung fiir den Philosophen anch positiveren und personlicheren Ausdruck. Am 21 . Februar 1 778 schrieb er ihm : ,Ich hore j etzt ein Collegium iiber die physische Geographie bei Ihnen, mein lieber Herr P. Kant, und das wenigste, was ich tun kann, ist wohl, daB ich Ihnen meinen Dank dafiir ab­ statte." Er lese namlich - etliche 80 M eilen von ihm entfernt - die Nachschrift eines von Kants Zuhorern ; da dieselbe aber vielfach unvollstandig und undeutlich sei, so bitte er ihn, ihm zu einem sorgfaltiger nachge­ schrieb enen Manuskrip t e behilflich zu sein, , ge gen die heiligste Versicherung, das Msc. nie aus meinen Handen zu geben". Jedenfalls schatze er Kant und seine Kennt­ nisse ,ganz unaussprechlich hoch". Acht Tage spliter wiederholt er seine Bitte und fragt zugleich an, ob er ihn dem Konige a1s Professor der Philo­ sophie in H a 1 1 e mi t 600 Taler Gehalt vorsch1agen diirfe. ,Mir erzeigen Sie sicher einen Gefallen, wenn Sie diesen Antrag annehmen." , Sie kennen den Konigsbg. Univ.­ Fond und wissen a1so, daB i eh Ihnen dort zu keiner V er1) Der von Schnbert (S. 59 - 61) unvollstandig n nd nngena.n veroffentlichte Text des sehr scharf gehalten en a.nsfiihrlichen Erla.sses ist jetzt von SchO nd orffer erganzt nnd berichtigt (Arnold, Ges. Schr. V 2, S. 249 Anm.). Wlochatins brach denn anch d aranfhin mitten im Semester seine Vorlesnng iiber Metaphysik ab !

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4.

Rapite!. Bis zum E rs c h e in e n der Kritik der reinen Vernunft

. .

besserung" - Kant bezog damals nur 236 Taler Fixum , Hoffnung machen kann, und in Halle kann ich das immer, wenn Sie auch nur 600 rth. zu Anfang haben." Kant muLì trotz des liebenswiirdigen Angebots schon bald ruhig, aber entschieden abgelehnt haben. Denn genau einen Monat spater, am 28. Marz 1 7 78, folgt ein neuer, dringenderer Brief des Ministers. Er bot ihm jetzt 800 Taler Gehalt, wies darauf hin, daB er die Universitat Halle auch sonst in jeder W eise zu h eben suche, da.6 si e das Zentrum d es gelehrten Deutschlands sei, auch ein besseres Klima biete, und vor allem, daLì er dort weit mehr, 1000-1200 Stu­ denten finden werde. Kant habe die Pflicht, , in einem weiteren Zirkel gemeinniitzige Kenntnisse u. Licht aus­ zubreiten" . , Ich wollte wiinschen, daB Lente von Ihren Kenntnissen u. Gaben in Ihrem Fach nicht so selten waren, ich wollte Sie nicht so qualen. Ich wollte aber, daB Sie auch die Pflicht nicht verkennten. so viel Nutzen zu stiften, als Sie bei den Ihnen angeb otenen Gelegen­ heiten stiften konnen. " Etwas unphilosophisch meint er endlich zum Schlusse : er wisse nicht, , ob vielleicht Neben­ umstande, von denen sich auch der Philosoph nicht trennen kann, Ihnen den Titel eines Hofrats angenehm machen wiirden" ; in diesem Falle werde er es b ei dem Konig beantragen 1). Wir besitzen leider Kants Antwort auch auf dieses Schreiben nicht ; w o hl aber einen Anfang Aprii ge­ schriebenen ausfiihrlichen Brief an Markus Herz, der tiefer in seine Seele blicken und die ,uniiberwindlichen" Ur­ sachen erkennen laBt, die ihn zu der wiederholten Ab1) Welchen EinfluJl Mendelssohn wie Kant b ei dem liberalen l'l1inister b esaBen, geht aus der Tats a c h e hervor, daJl der . Jnde " Mendelssohn, g elegent lic h einer Geschaftsreise ins Ostpre u Bisch e im Juli 1 777, im A u f t r a g e d e s M i n i s t e r s sich mit der Bitte an Kant wandte, ihm einen Na chfo l ger fii r l\1eier vorzuschlagen. Kant dachte damals v o riibergehen 1 an seinen begabten Schiiler Chr. J. Kraus, der sich jedoch selbst noch fiir zu unreif hielt. Kant war iib rig e n s doch so weltklug, daB er Krau s r iet, et wa s Philosophisc h es auszu­ arbeiten un d Zedlitzen zu de d i z ieren " Mendelssohn werde ihn dann ,mi t sei n e m Ansehn nnterstiitzen " un d event. ,zu einer anderen Stelle helfen " . Als d an n J uni 1 780 der alte Christiani in Konigsberg st a rb, schrieb Kant se lb s t an den Minister im Interesse von Kraus, der sich diesmal bewarb und auch ernannt wnrde. .

.

l . Kant

und Zedlitz.

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leh nung bewogen. Herz hatte ihm offenbar einen sehr herz­ · Iichen Gliickwunschbrief zu der Berufung n a eh Hall e ge­ scbfieben. Darauf erwidert Kant an der entscheidenden Stelle : , . . . In diesem Betracht vermiscbt sich meine an g e nehme Empfindung doch mit etwas Schwermiitigem, wenn ich mir einen Schauplatz eri:iffnet sehe, wo diese Absicht (se. ,gute und auf Grundsatze errichtete Ge­ sinnung zu verbreiten') in weit gri:iBerem Umfange zu be­ fi:irdern ist, und mich gleichwohl durch den kleinen Anteil an Lebenskraft, der mir zugemessen worden, davon aus­ geschlossen finde. Gewinn und Aufsehen auf einer groBen Biihne haben, wie Sie wiss en, wenig Antrieb vor mich. Eine friedliche und gerade meiner Bediirfnis angemessene Situation, abwechselnd mit Arbeit, Spekulation und Dm­ gang besetzt, wo mein sehr afficirt es, aber sonst sorgen­ freies Gemiit und mein noch mehr launischer, doch niemals kranker Ki:irper ohne Anstrengung in Beschaftigung er­ halten werden , ist alles, was ich gewiinscht und erhalten habe. A l l e V e r a n d e r u n g m a e h t m i e h b a n g e, ob sie gleich den gri:iBten Anschein zur Verbesserung meines Zustandes gibt, und ich glaube, auf diesen Instinkt meiner Natur Acht haben zu miissen, wenn ich anders den Faden, den mir die Parzen sehr diinn und z art spinnen, noch etwas in die Lange ziehen will. Den gri:i.Besten Dank also. meinen Gi:innern und Freunden, die so giitig gegen mich gesinnet sin d, si eh meiner Wohlfahrt anzunehmen, aber zugleich eine ergebenste Bitte, diese Gesinnung dahin zu

verwenden, mir in meiner gegenwartigen Lage alle Be ­ unruhigung (wovon ich zwar noch immer frei gew;!lsen bin) abzuwehren un d dagegen in Schutz zu nehmen. " Ahn­ lich schreibt er noch einige Monate spater an Mendelssohn : , Mein Gesundheitszustand, den ich nur durch eine gewisse Gleichfi:irmigkeit der Lebensart und der Gemiitsbeschaf­ tigung erhalten kann , hat es mir unmi:iglich gemacht, der guten Meinung des verebrun gsw iirdigen Ministers von mir ( w oran Si e , wie ich glaube, einen vorziiglichen A n ­ teil haben ) mich folgsam zu bezeigen . . . " An die Stelle ward dann am 13. Juni Kants spaterer Gegner Eberhard, damals Prediger in C harlottenburg, berufen. Wie schade, da.B Kant jenen Instinkt seiner Natur nicht hat iiberwinden konnen ! werden wir h eute sagen.

92

4. Kapitel. BiiJ zum Erscheinen der Kritik der reinen Vernunft.

Denn in der Tat, welche unabsehbaren Aussichten fiir die Entwicklung unserer geistigen Kultur batte jene Uber­ siedelung des Philosophen nach der bedeutendsten und besuchtesten der preuBischen Universitaten, nach dem Herzen Deutschlands, in die Nahe unserer klassischen Dichter eroffnet ! Haben do eh di e Parzen seinen Lebens­ faden noch iiber ein Vierteljahrhundert in die Lange ge­ zogen, hat er gerade doch in dieser Zeit erst seine eigent­ lich durchschlagenden philosophischen Grundwerk�. ver­ offentlicht ! Solite er si eh nicht in allzu groBer Angst­ lichkeit und Vorsicht gescheut haben vor dem Quieta non movere ? N un, das sind beute mii.Gige Betracbtungen. Was wir auch wiinschen mocbten, wir miissen uns gegen­ iiber einem so entschiedenen Instinkt eines so klarsehenden Kopfes, wie Kant es war, bescheiden, zumal da er, wie wir gesehen, gegen die Vorteile des veranderten Wirkungs­ kreises keineswegs blind war und nur mit webmiitigem Bedauern ihm entsagt bat. So hat jedenfalls auch sein Verehrer Zedlitz gedacht. Denn in seinem nachsten, nur wenige Monate spater ge­ schriebenen Briefe (vom l. August d. J.) ist bereits nicht mehr die Rede von jenem Vorscblag, dagegen die Herz­ lichkeit und Verebrung zu dem ,lieben Herrn Professor Kant" die alte, unverminderte. Er entschuldigt gern die Verzogerung der zugesagten Kollegnachschrift, er will statt dessen im Winter trotz seiner beschrankten Zeit b ei Kants Scbiiler Markus Herz, zumal da Mendelssohn fiir dessen Talent gutgesagt habe, ein Kolleg iiber rationale Anthropologie bOren ; un d er bittet den Philosophen um Rat, wie er die Studenten , von den Brot-Collegiis zuriick­ halten und ihnen begreiflich machen" konne, ,daB das bischen Richterei, ja selbst Theologie u. Arznei-Gelahrt­ heit unendlich leichter und in der Anwendung sicherer wird, wenn der Lehrling mehr philosophische Kenntnis hat, daB man doch nur wenige Stunden des Tages Richter, Advocat, Prediger, Arzt u. in so vielen Mensch ist, wo man noch an d ere Wissenschaften notig hat " . Also das namliche Thema und die gleiche Anschauung, wie Schiller sie zehn Jahre spater in seiner J enaer Antrittsvorlesung iiber : Was ist und zu welchem Zweck studiert man Uni­ versalgeschichte ? vertrat. Welches vortreffliche Kleeblatt :

l. Kant, Zedlitz nnd Herz.

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der klassische Dichter; der kritische Philosoph und ein s o l c h e r Unterrichtsminister ! - Un d nur auf das ,Be­ greiflich machen" kommt es bezeichnenderweise dem letzteren an ; denn , gedruckte Anweisungen, leges, Regle­ ments" die wir auch heute noch im UberfluB haben " das ist alles noch schlimmer als das Brot-Collegium selbst " ! Herzens Kolleg, das iiber dreiBig ,Lente vom Stande un d Gelehrte von Profession : Professores der Medizin, Prediger, Geheimrate, Bergrate usw." horten, besuchte der weitherzige Minister als einer der eifrigsten. Auf der Stube des einfachen jiidischen Arztes war er ,immer der erste, und der letzte, der hinweggehet, und hat bisher, sowie keiner von den iibrigen, noch nie eine Stunde versaumet" (Herz an Kant, 24. November 1 778). Auch anderen Schiilern Kants suchte Zedlitz sich gefallig zu erweisen. So nahm er den damals in Berlin befi.ndlichen Chr. Jak. Kraus in den Gelehrtenkreis auf, mit dem er j eden Mittwoch zu speisen pflegte, unterhielt sich verschiedene Male sehr liebenswiirdig allein mit ihm, stellte ihm ein akademisches Amt in Aussicht und machte ihn, besonders durch seinen Privatsekretar Dr. Biester, den bekannten spateren Heraus­ geber der Berlinischen Monatsschrift, mit noch weiteren Gelehrten bekannt (Kraus an Kant, 2. Marz 1779). Auch als Herz, durch seinen ersten Erfolg ermutigt, Aprii 1779 einen neuen Kursus iiber Psychologie begann, versaumte ,unser Minister (ich bin stolz, daB ich Ihn auch m e i n e n nennen kann) " - so schreibt Biester 1 1 . Aprii an Kant - ,keine Stunde. Zuweilen bittet Er auch Krausen auf eine philosophische Unterredung zu sich. In dem Ab­ glanz dieser beiden (se. Herz und Kraus) erkennen wir Ihr Licht" . So war es denn weder leere Hoflichkelt noch gar Schmeichelei, wenn Kant zwei J ahre spater seine Kritik der reinen Vernunft dem Minister von Zedlitz widmete als einem Manne, der mit den Wissenschaften ,nicht bloB durch den erhabenen Posten eines Beschiitzers, sondern durch das viel vertrautere Verhaltnis eines Lieb­ habers und erleuchteten Kenners" innigst verbunden sei. Doch kehren wir von Berlin nach Konigsberg zuriick. Einmal Professor geworden, riickte Kant ordnungsmaBig in die iiblichen akademisch en Nebenamter und -wiirden -

94

4. Kapite!. B i s

znm

Erscheinen d e r Kritik rler reinen Vernunft.

ein. S o b ekl eidete er Sommer 1776 zum erstenm a l das Amt des D ekans der philosophischen Faknltat, d as er danach noch fiinfm al selbst verwaltet hat. Im Sommer 1 780 trat er an Stelle seines verstorbenen A mtsgenossen Christiani - also erst mit 56 Jahren -- als stii.ndiges Mitglied in den akademischen Sen at ein, womit , Emolu ­ m ente " in der Hohe von - 27 Taler 75 Grosch en 1 0 Pfg. verbunden w aren. Bis dahin b atte er (wie A. W arda gan z g e n au nach ùen einzeln�n Rubriken b erechnet h at, Alt­ p r euB. Mon . XXXVIII, 4 1 2) bloB 236 Taler 76 Groschen an Gehalt und , Emolumenten " b ezogen, wozu nun di e genan nten Sen atorengebiihren k a m en, die , dem j e d e Ver­ b esserung so sehr verdienenden Prof. Log. et. Met. Kant" durch Hofreskri pt vom 1 1 . August 1 780 verlieben wurden . Allerdings sind die Kolleggelder n o eh hin zuzurech n en . Damit kommen wir zu seinen

2. Yorlesungen wi.ibrend dieser Zeit, iiber d i e wiederum A m o l dt ausfiihr­ lichsten, aktenm i.iBi gen B ericht erst attet h a t. Eine von Berli n aus am 26. Mai 1770 ergan gene , A nweisung, w i e die Philosopbie, Philologie und diejenigen Wissensch aften, worin die Philosopbische Fakulti.it d en Unterricht gib t , u n d in welcher Ordnung un d Verbindnng sie a u f d e r Universit i.it zu b etreiben " , die j edem neuan k om m e n d en Studi eren den im Abdruck zngestellt werden solite, batte g erade unmittelbar vorh er den Sinn fiir Philosophie zn h eb en gesucht, und zwar i n echt pbilosophischem G eiste : , D ie w ahre Philosophi e ist eine Ferti gkeit, s elbst obne Vorurteile und obne A nhiinglichkeit a n eine Sekte zu denken und die Naturen d er Dinge zu untersuchen " . Zu­ gle i c h war die Notwendigkeit d er Ausbildung in den einz elnen phil osophiseben Disziplinen fiir die Faebstudien aller F a kultaten naeh gewiesen worden. Im al l gem einen behi elt Kant die K ollegien bei, die er schon i n seinen letzten Magi sterj ahren gelesen b atte. 1 7 70!71 las er au s­ n ahmsweise ein vierstiindiges Kolleg ii ber M in e r a l o g i e : offenbar veranlaBt durch ein Ministeri alreskript vom 2 1 . Januar 1 770, wonacb dieser Zweig der Naturwissen­ schaft , hi storisch und praktiseh " z u 1 ehren se i , u m , d en

2. VorlesnngeJI.

95

Bergbau zu extendieren" ; worauf di e Universitat mi t Recht erwiderte, da.6 es in OstpreuBen an Bergwerken fehle und daher keine Gelegenheit zu deren Studium sei. Vielleicht hat sich unser Philosoph damals zu dieser mit d em Vorzeigen von Fossilien verbundenen Vorlesung er­ boten, weil er um j ene Zeit ja das Saturgussche Mineralien­ kabinett verwaltete (S. 82). Im ganzen aber schrankte er doch die Zahl seiner Vorlesungen gegeniiber der Magisterzeit etwas ein. Vielleicht mit bewogen durch den Rat und die Bitte seines medizinischen jungen Freundes M. Herz in Berlin : , Ist es denn gar nicht moglich, daB Si e sich die Last ihrer Collegien verringern konnen ? wenn Sie nun die Halfte nachmittag leseten oder iiber­ haupt nicht mit so vieler Anstrengung vortrugen ? Denn diese allein und nicht das Sitzen scheint mir die Ursache Ihrer Schwache zn sein. Es gibt ja Lehrer in Konigsberg, di e vom Morgen bis Ab end sitzen u. ihr [si c !] Mun d be­ wegen, ohne da.6 sie jemals iiber ihre Leibesbeschaffenheit zn klagen haben." Immerhin las er i m Durchschnitt no eh immer etwa 14 Stunden wochentlich, also mehr als jeder heutige deutsche Philosophieprofessor. Und zwar benutzte er dazu, nicht blo.6 im Sommer, son dern auch im Winter, j etzt in erster Linie die friihesten Morgenstunden, von 7 bis 9. Mitunter kam freilich auch, z. B. S.-S. 1 7 73, eines, oder das andere Kolleg nicht zustande. Auch hielt er von dieser Zeit ab fast regelma.6ig publice ein Examina­ torium oder Repetitorium, meist Mittwoch und Samstag morgens von 7 bis 8, ab. S.-S. 1774 trug er zum erstenmal Natiirliehe Theo­ logie, 1 7 76/77 zum erstenmal publice P a d a g o g i k , und zwar charakteristiseherweise, seinen spater zu beriihrenden Reformbestrebungen entsprechend, iiber Basedows Me­ thoden buch vor. Da dies vom Senat , zur Verbesserung des hiesigen Schulwesens" vorgeschlagene und 1774 von der Regierung angeordnete Kolleg von den ,Professores Philosophia" abwechselnd gelesen werden sollte, kam Kant erst Sommer 1 7 80 wieder an die Reihe. Diesmal benutzte er als Kompendium - vielleicht bezieht sich darauf der Zusatz p1·aecepto regio Bocks Lehrbuch der Er­ Gebrauch fur christliche Eltern und Jugendlehrer. An eh in einer anderen Angelegen-

ziehungskunst

kiimftige

-

zum

96

4. Kapitel. Bis znm Erscheinen der Kritik der reinen Vernunft .

heit vertrat der Senat die Sache des Fortschritts, diesmal. sogar in Opposition gegen den Konig bezw. die Regierung. Gegeniiber dem von letzterer wiederholt dringend ge­ auBerten Verlangen d es Gebrauchs der l a t e i n i s c h e n S p r a c h e mindesten� in einem Teile der V orlesungen un d Repetitorien fiir alle Studierende hatten Rektor und Senat den Mut, in einem auch von Kant unterzeichneten aus­ fiihrlichen Schreiben vom l . Oktober 1 7 8 1 auf das Frucht­ lose solcher Bemiihungen hinzuweisen, wie sie schon ein Jahr vorher der Wiedereinfiihrung der veralteten latei­ nischen Disputationen, welche Dreistigkeit und Zungen­ fertigkeit iiber solide Kenntnis den Vorzug verleihen wiirde, in einem von der Regierung als ,sehr didaktisch " empfundenen Ton entgegengetreten waren 1). Sein Kolleg iiber M e t a p h y s i k arbeitete Kant in diesem Dezennium, entsprechend der in ihm sich voll­ ziehenden philosophischen Entwicklung, stark um, so daB es, wie er am 28. August 1 7 7 8 an Herz (der eine Abschrift derselben gewiinscht hatte) schreibt, , auch einem scharf­ sinnigen Kopfe schwer werden mochte, aus dem Nach­ geschriebenen di e Idee praecise herauszubekommen", zu­ mal da sie ,von meinen vormaligen und den geme in an­ genommenen Begriffen sehr abweicht". Und iiber seine Z u h o r e r auBerte er aus AnlaB derselben Sache, was auch heute noch gilt : ,Diej enige von meinen Zuhorern, die am meisten Fahigkeiten besitzen, alles wohl zu fassen, sind gerade die, so am wenigsten ausfiihrlich und diktaten­ ma.Sig nachschreiben, sondern sich nur Hauptpunkte notieren, welchen si e he:rnach nachdenken" ; wahrend di e anderen, ,die im Nachschreiben weitlaufig sind", selten das Wichtige vom Unwichtigen richtig zu unterscheiden vermogen und , eine Menge unverstandenes Zeug unter das haufen, was sie etwa richtig auffassen mochten" (Kant an Herz, 20. Oktober 1778). Vom Sommer 1 775 an finden sich in den Universitatsakten auch Angaben iiber di e Z a h l der eingeschriebenen Zuhorer. Daraus ergibt sich, daB in dem Jahrfiinft 1775 -80 Kants Zuhorerzahl im allgemeinen in fortwahrendem Steigen begriffen war. 1) B e id e interessante Schreiben s. in E. Arnoldts gegeben von O. SchOndortfer, V 2 S. 259-262.

WW., heraus­

2. Vorlesungen.

97

So zahlten seine Vorlesungen tiber Logik 1775 : 45, _ 1 7 76 : 60, 1777 un d 78 : 50, 1 779 : 70, 1 780 sogar : 100 Zuhorer, die hochste Ziffer, di e Kant - tibrigens in den 80 er Jahren auch noch zweimal - erreicht hat. Den etwas schwierigeren ti ber Metaphysik wohnten Winter 1 775/76 : 30, 77/78 und 78,'79 : 60, 79/80 und 80/81 : 70 Zuhorer bei. Auffallend erscheint, daB die populareren Kollegien tiber Physische Geographie (1775 : 42, 76 : 24, 77 : 49, 80 : 54, 81 : 56) un d namentlich Anthropologie (1775j76 : 28, in den folgenden Wintersemestern nacheinander 33, 41, 29, 55, 38) weniger ZuhOrer hatten ; doch kommt dies wohl daher, daB jene ersteren eben als Pflichtkollegia galten, wahrend die letzteren nicht offiziell vorgeschrieben waren. Vermutlich wurden auch die reiferen 1\'Ianner aus anderen Stii.nden, die sich in den beiden letzteren als Horer zahl­ reich einfanden, in den bloB den Studierenden geltenden Universitatsakten nicht mitgezahlt. Nattirlich besuchten auch du"chreisende Fremde Kants mittlerweile schon bertihmt gewordene Vorlesungen. So hospitierte u. a. Mendelssohn, gelegentlich sein es Konigsberger Aufenthaltes, am 18. August 1777 in zwei Stunden d es Philosophen ; was dieser zwei Tage darauf dem gemeinsamen Freunde Herz mit den W orten mit­ teilte : ,Er tat mir vorgestern di e Ehre, zween meinet Vorlesungen beizuwohnen, à la fortune du pot, wie man sagen konnte, indem der Tisch auf einen so ansehnlichen

Gas t nicht eingerichtet war. "

D a gerade

di e

Ferien

un ­

mittelbar vorhergegangen seien, habe er den groBten Teil der betr. Stunden auf eine summarische Dbersicht des vorhergehenden Stoffes verwenden miissen. Zum SchluB noch ein Wort ti ber seine p o p u l a r e n Vorlesungen. Aus dem Ende unseres Zeitabschnitts be­ richtet der aus Holland stammende, damals als 20 j ahriger preuBischer Leutnant in Konigsberg stehende Dirk van Hogendorp tiber den Eindruck, den besonders Kants Vorlesungen tiber Anthropologie auf ihn machten, in seinen - erst 1887 erschienenen, franzosisch ge­ schriebenen - Memoiren : ,I eh will .nicht von dem philo­ sophischen System dieses ausgezeichneten groBen Mannes sprechen. W enig Lente haben es ganz klar begriffen . . Was i eh aber aus eigener Erfahrting versichern kann, .

98

4. Kapitel.

Bis zum Erscheinen der Kritik der reinen Vernnnft.

ist, daB er selbst Bruchstiicke davon in seinen Vorlesungen mit groBer Klarheit entwickelte, und daB sein leicht zu verstehender Ausdruck kaum der ErkHirungen bedurfte, die man zuweilen von ihm verlangte und die er stets mit aller erdenklichen Gefii1ligkeit gab." Un d ��rner : , Ich offenbarte ihm meinen Wunsch, ihn in der Offent­ lichkeit zu horen ; un d auf seinen Rat besuchte i eh seine Vorlesungen iiber Anthropologie. Dort habe ich die Grundsatze geschopft, . die spater mich in meinen Be­ ziehungen zu den Menschen zu leiten dienten ; und i eh habe ihre Richtigkeit durch die gliicklichen Anwendungen bewahrt gefunden, die ich manchmal davon gemacht h ab e. " 1) - Das war ganz im Sinne d es Philosophen selber gesprochen ; denn mit diesem Kolleg wollte er, wie er Ende 1778 Herz brieflich 2) entwickelte, nicht etwa die , ersten Griinde" der menschlichen Natur oder die ,in meinen Augen a u f e w i g ( ! ) v e r g e b l i c h e Untersuchung iiber di e Art, wie di e Organe d es K o r p e r s mit den G e ­ d a n k e n in Verbindung stehen" , enthiillen, sondern di e , Quellen der Sitten, der Geschicklichkeit, des Umganges, der Methode, Menschen zu bilden und zu regierèn, mithin alles P r a k t i s c h e n eroffnen" . Auf diese W eise sollten seine ZuhOrer von Anfang bis zu Ende keine trockene, sondern eine unterhaltende Beschaftigung und AnlaB haben, seine Bemerkungen mit ihrer eigenen Erfahrung zu vergleichen. Die Anthropologie und Physische Geo­ graphie sollten , W e l t k e n n t n i s im Auge haben" . I m Gegensatz z u dieser reichen Vorlesungstatigkeit, zu der von Zeit zu Zeit noch seine Amtsgeschafte als Dekan oder, wie wir noch sehen werden, als offizieller Opponent bei Inaugural-Disputationen kamen, steht die auffallende Unfruchtbarkeit an 3. Schriften

wahrend dieser Peri ode. In den ganzen elf J ahren zwischen dem Erscheinen seiner Inaugural-Dissertation von 1 7 70 un d der Kritik der réinen V ernunft sind von ihm nur ein ') AltprenJl. Monatsschr. Bd . 41 S. 96 f.

2) Briefw . I S. 1 38 f.

3. Schriften.

99

paar kurze Aufsatze, die wir gleich kennen lernen wollen, gedruckt worden. Alle iibrige MuJ3e des in dieser Zeit iibrigens, wie er in seinen Briefen Ofters Freunden klagt, hli.ufig von UnpaJ3lichkeit heimgesuchten Philosophen war eben dem Ausreifen seines kritischen Hauptwerkes gewidmet : " dem Produkt des Nachdenkens von wenigstens 12 Jahren" , das dann in 4-5 Sommermonaten des Jahres 1780 niedergeschrieben wurde, dabei freilich aus dem in Aussicht genommenen "Bandchen" oder "Werkchen" zu einem machtigen Bande von 856 Druckseiten ange­ schwollen war. Die Entstehungsgeschichte seines Fun­ damentalwerkes kann hier nicht erzahlt werden, nicht einmal die auJ3ere, geschweige denn die innere, die ein Buch fiir sich erfordern wiirde. Die wichtigsten Daten der ersteren gibt Benno Erdmann in der Einleitung zu Bd. IV der Akademie-Ausgabe S. 569 - 587 ; eine kurze Skizze habe ich selbst in der Einleitung zu meiner Aus­ gabe (0. Hendel, Halle, 1899) S. VI-X entworfen. Am ausfiihrlichsten ist sie von E . Arnoldt in seinen Kritischen Exkursen zw· Kantforschung S. 99-1 89 dargestellt worden. Ehe seine systematischen Gedanken vollig ausgereift waren, wollte Kant sein schon so lange beabsichtigtes und von der Gelehrtenrepublik mit Spannung erwartetes W erk nicht veroffentlichen ; und vor dieser Veroffentlichung batte er, bei der Strenge der Anforderungen, die er an sich selbst stellte, begreiflicherweise keine Neigung, etwas

P h i l o s o p h i s c h e s , das seine Gedanken noch in der Garung gezeigt hli.tte, in die Welt hinauszugeben. Daher kommt es, daJ3 die nun zu erwahnenden kleinen Auf­ satze vom eigentlich philosophischen Gebiet abseits liegen. Die beiden ersten sind naturwissenschaftlichen, zwei spatere padagogischen Inhalts. Am 23. August 1 7 7 1 erschien in den Konigsb. gel. und polit. Ze itungen die (anonyme) Rezension einer Schrift d es italienischen Anatomen M o s c a t i : Von dern korperlichen wesentlichen Unterschiede zwischen der Structur der Tiere und Menschen (iibers. von Joh. Beck­

Gottingen), die nach Kraus' Zeugnis von Kant her­ riihrt. Der Italiener batte in seinem zu Pavia gehaltenen Vortrag zu zeigen gesucht, da6 der aufrechte Gang dem

rnann,

·

100

4. K apitel. Bis zum Erscheinen der Kritik der reinen Vernunft.

1\'Ienschen unnatiirlich sei und. ihm viele Nachteile gegen­ iiber d.en Tieren, ja sogar Krankheiten zuziehe. Kant verhielt si ch in se in er Besprechung zwar in der Hauptsache re­ ferierend, hatte aher offenb ar an Moscatis parad.oxer Id.ee seine Freude ; denn , D enken und. womiiglich immer was N eu es, d. i e gewii hnlichen Begr'iffe iiberflii gelnd.es Denken war fiir seinen regen G eist Bediirfnis " (Kraus). Die Para ­ d.oxie , unseres it a lienischen Doktors " , d.ie iibrigens d.urch seine scharfsinnigen Zergliederungen fast zur Gewil.ìheit werde, gibt ihm Anlal.ì zu der, darwinistische mit teleo­ logischen Gedankrn verbindenden, SchluBfolgerung : Zu­ nachst h abe die Natur dafiir gesorgt, dal.ì der Mensch als Tier si eh in seiner A r t erhalten werde, wozu di e vier­ fii.Bige Stellung am geeignetsten gewesen sei ; sobald si eh aber die Vernunft aus dem in ihn gelegten Keime ent­ wickelte, die ihn fiir di e G e s e l l s c h a f t bestimmte, n ab m er die , hierzu geschickteste" Stellung, namlicb die zwei­ fii.Bige ein ; wobei er dann, wie der Pbilosopb ironisch schlie.Bt, , auch mit den Ungemachlichkeiten vorlieb nehmen mu.B, die ihm daraus entspringen, da.B er sein Haupt iiber seine alten Kameraden so stolz erhoben hat " . Ostern 1 7 7 5 veriiffentlichte Kant zum letztenmal eine Begleitschrift zur Ankiindigung seiner Vorlesungen, und zwar wied.erutn derer iiber die Physische G eographie. Das nur 12 Quartseiten umfassen d e Schriftchen erschien spater in erweiterter Umarbeitung in Engels 1) Philosoph fiù· die Welt (Leipzig 1 777), S. 1 25-164. Es handelte Von den verschiedenen Racen der Menschen und wollte mehr eine , niitzliche Unterhaltung" als eine , tiefe Nach­ forschung" darstellen. Die fiir den j etzigen Standpunkt der Wissenschaft lan gst veralteten Einzelheiten iibergehen wir. Von philosophischem Interesse ist die Bemerkung, d.a.B alle anscheinend neuen Arten von lebenden Wesen ') Joh. J a k . E n g e l , Professor am Joachimstalscb en Gy m na s iu m in Berlin, gehOrte mit Biester n. a. zu dem Kant gesinnun�sverwandten Kreise der Berli n er Aufklarer ; un d es is t bezeichnend, daJl K a nt zu Anfang seines B riefe s an Engel, mit deutlicber Angpielung auf die ihm widerwartigen Kraftgenies der 70 er Jahre, den He r a u s geb e r d es Philosophen fur die Welt zu den • wenigen zahlt " , di e • bei dem iiber· handnehmenden Verfall des gu t e n Geschmacks (!) durch echte Muster der Sprachreinigkeit, der NaiveUit und der Laune die Ehre Deuts c h ­

lands noch

zu

erhalten suchen" (Kant an Engel,

4.

Jnli 1 779).

3. Schriften.

101

,nichts anderes als Abartungen und Racen von derselben G attung sind, deren Keime und natiirliche Anlagen sich nur gelegentlich in langen Zeitlauften auf verschiedene Weise entfaltet haben". Allerdings konnen , der Zufall oder allgemeine mechanische Gesetze" keine Zweckmaf3ig­ keit und ebensowenig einen organischen Korper iiberhaupt hervorbringen, sondern jene mu/3 als ein ,besonderer Keim oder natiirliche Anlage" in dem betr. organischen Geschopf ,vorgebildet" gewesen sein ; ,denn auf3ere Dinge konnen wohl Gelegenheits- , aber nicht hervor­ bringende Ursachen von demjenigen sein, was notwendig anerbt und nachartet" . Kant vermif3t neben der den gegen­ wartigen Zustand der auf3eren Natur schildernden Natur­ b e s c h r e i b u n g die uns noch fast ganzlich fehlende Naturg e s c h i c h t e1), welche deren Entwicklung begriindet und ,eine abgesondert e Wissenschaft ist, die wohl nach und nach von :Meinungen zu Einsichten fortriicken konnte " (A.k.-Ausg. Bd. II S. 443, vgl. S. 434 Anm .). Neben diesem n a t u r philosophischen tritt auch ein g e s c h i c h t s philo­ sophischer Gesichtspunkt hervor : da.B namlich ,in der Vermengung des Bosen mit dem Guten die grof3en Trieb­ federn liegen, welche die schlafenden Krafte der :Mensch­ heit in Spiel setzen und sie notigen, alle ihre Talente zu entwickeln und sich der Vollkommenheit ihrer Be­ stimmung zu nahern ". Es sind Gedanken, di e spater in der Kritik der teleologischen Urteilskraft bzw. den ge­ schichtsphilosophischen Aufsatzen um die :Mitte der 80 er Jahre ihre weitere Ausbildung empfangen sollten, Von nicht zu unterschatzender Bedeutung fiir die Kenntnis der Entwicklung seiner a s t h e t i s c h e n An­ schauungen anderseits ist eine erst v or kurzem �) ver1 ) Der Verleger Breitkopf wiinschte daher von K ant eine solch e oder wenigstens einen Teil derselben in Verlag zn nehmen ; der Philosoph erklii.rte s i ch jedoch als angenblicklich . mit dringender Arbeit von ganz anderer A rt beschii.ftigt " . AnBerdem s ei die Nator­ geschichte nicht sein . Stndinm • , sondern nnr sei n ,, Spie!" . Doch konne er spater eventuell zn einem . a l l g e m e i n e n " Teil der von jenem beabsichtigten Natnrgeschichte beitragen (Breitkopf an Kant 21. Nii.rz 1 7 78, Kants Antwort l. Aprii d. J.). 2) Nach dem lateinischen Manuskript Kants von A. Warda in Altpreufi. Monatsschr. 47, 662- 670 ; ins Dentsche iibersetzt, mit einigen A nmerknngen von B. A. Schmidt in Kantstudien XVI S. 5-2 1 .

102

4 . Kapitel. Bis znm Erscheinen d e r Kritik d e r rein en Vernunft.

offentlichte l a t e i n i s c h e Rede, die er am 28. Februar 1 7 7 7 gelegentlich der offentlichen Disputation des kurz vorher zum Nachfolger des v erstorbenen Lindner in der Professur der Dichtkunst ernannten bisherigen Konigs­ berger Gymnasiallehrers Kreutzfeld als offizieller , Op­ ponent" aus dem Kreise der neuen Fakultatskollegen zu halten batte. Kreutzf��d muJ3te seine � pbilologisch­ poetische" Abhandlung Uber die aUgemein eren Grundsiitze der dichterischen Fiktionen verteidigen, Kant sie kriti­ sieren. Des letzteren Rede, die der Natur der Sache nach freilich mehr geistreich hingeworfene als systematisch ausgefiihrte Gedanken enthalt, ist auch fiir die Kenntnis des Menschen. Kant und sein Verhaltnis zur Poesie nicht ohne Interesse. Von philosophisch bedeutsamen Gedanken h e ben wir hervor : den Begriff d es spielenden Scheins (Illusion) als Grundelement der Dichtung, die Gedanken von dem Zauber der Sinne, der Hoheit der Dichtkunst, dem Unterschied zwischen Dichter und Philosophen, natiirlicher und poetischer Liebe, der reinlichen Schei­ dung zwischen Poesie und Logik und der Aufgabe der letzteren. Die beiden letzten literarischen AuBerungen Kants aus den 70 er J ahren hangen mi t seinem lebbaften Interesse fiir die padagogischen Reformbestrebungen seiner Zeit zusammen. Im Jahre 1774 batte Basedow, von Rousseau und Comenius begeistert, in D e s s a u, mit Unterstiitzung des dortigen Fiirsten, eine auf den neuen Grundsatzen be­ ruhende Erziehungsanstalt, das P h i l a n t h r o p in, be­ griindet, das auch unseres Philosophen lebhafte Teilnahme erregte. In einem Briefe vom 28. Marz 1776 fragt er bei Wolke, dem eigentlichen Leiter d es Instituts, an, ob der noch nicht sechsjahrige Sohn seines mit den neuen Grundsatzen vollig iibereinstimmenden Freundes Motherby aufgenommen werden konne. W as er ii ber d essen bis­ herige Erziehung berichtet, ist deshalb fiir uns von Interesse, weil es offenbar ganz Kants Sinn oder gar Rat entsprochen hat. " Die Erziehung desselben ist bisher nur negativ gewesen, die beste, welche man ihm, wie ich glaube, vor sein Alter nur hat geben konnen. Man hat die N atur un d den gesunden Verstand seinen Jahren ge­ mli.J3 sich ohne Zwang entwickeln lassen und nur alles

3. Schriften.

103

abgehalten, was ihnen und der Gemiìtsart eine falsche Richtung geben konnte. Er ist frei erzogen, doch ohne beschwerlich zu fallen. Er hat niemals die Harte erfahren und ist immer lenksam in Ansehung gelinder Vor­ stellungen erhalten worden. " Um die Liìge zu verhiìten, , sind ihm einige kindische Fehler auch lieber verziehen worden, als da8 er in Versuchung gebracht wiìrde, die Regel der Wahrhaftigkeit zu iìbertreten " usw. ,In An­ sehung der Religion ist der Geist des Philanthropins ganz eigentlich mit der Denkungsart des Vaters ein­ stimmig, so sehr, daB er wiinscht : daf3 selbst di e natiir­ liche Erkenntnis von Gott, so viel er mit dem Anwachs seines Alters und Verstandes davon nach und nach er­ langen mag, eben nicht geradezu auf Andachtshandlungen gerichtet werden moge, als nur, nachdem er hat einsehen lernen : d aB si e insgesamt nur den W ert der Mittel haben, zur Belebung einer tatigen Gottesfurcht und Gewissen­ haftigkeit in Befolgung seiner Pflichten als gottlicher Gebote." [Also schon ganz die Auffassung von Kants Reliqion innerhalb etc. K. V.] Dem kleinen George sei es denn auch ,bis itzt noch unbekannt geblieben, was Andachtshandlung sei " . Diesem Brief nun war ein ,Blatt" beigefiìgt, als , ein klarer Beweis von der Achtung, darin Dero Institut in hiesigen Gegenden zu kommen anhebt". Es war die Nummer der Konigsb. GPl. u. Polit. Zeitzmgen vom gleichen Tage (28. Marz 1776), in der eine anonyme, aber, wie wir jetzt wissen, von Kant herriihrende begeisterte Emp­ fehlung der philanthropinistischen Bestrebungen in Form einer Anzeige des Ersten Stucks von Basedows Philanthro­ pinischem Archiv stand. ,Das, woran gute und schlechte Kopfe Jahrhunderte hindurch gebriitet haben " , so hieB es hier, ,namlich die echte, der Natur sowohl als allen biirgerlichen Zwecken angemessene Erziehungsanstalt" , stehe jetzt i n der Wirklichkeit da, womit , eine ganz neue Ordnung der Dinge anhebt". Deshalb sei es Pflicht jedes Menschenfreundes, diesen noch zarten Keim zu pflegen und zu beschiìtzen, dem Institut, das fiìr den 1 3. Mai zu einer offentlichen Besichtigung seines ganzen Betriebes einlade, Zoglinge und vor allem Lehramtskandidaten zuzufiihren, um in kurzem allerwarts gute Schulen zu haben. Bis

104

4. Kapitel. Bis zum Erscheinen der Kritik der reinen Vernunft .

dahin aber sei allen Privat- wie offentlichen Lehrern ein eingehendes Studium der Basedowschen Schriften und Schulbiicher zu empfehlen zu eigener Belehrung wie zur Unterweisung der ihnen anvertrauten Jugend. Bereits am 1 9. Juni meldet Kant dann Basedow die bevorstehende Abreise des kleinen Motherby unter Be­ gleitung seines Vaters, , der einen jeden 'l'ag, welchen sein Sohn au.6er dem Philanthropin zubringt, vor einen Verlust halt". Am 7. Juli erstattet ihm ein gewisser August Rode, friiher in Konigsberg Mitglied von Kants Tischgesellschaft, den zugesagten und von Kant mit Spannung erwarteten ausfiihrlichen Bericht iiber die Lage des Philanthropins. Alles gehe gut : das offentliche Examen, zu dem lei der di e aus Vv eimar erwarteten Herren Wylandt [sic !) und G o e t h e infolge der Krankheit des dortigen Herzogs, , d essen Protegés jetzt bei de siud " , nicht hatten kommen konnen, sei vorziiglich ausgefallen, zahlreiche Zoglinge ( , Philanthropisten") in Sicht, des­ gleichen neue Lehrer. \Vas allein fehle, sei nur - weiteres Geld ; Kant moge doch den Kommerzienrat Fahrenheid, der fiinf Zoglinge schicken wolle, zur Hergabe von einigen tausend Talern zu b ewegen suchen. Letzteres scheint denn auch unser Philosoph b esorgt zu haben ; wenigstens erbot sich der reiche Konigsberger Kaufmann, ,Candidaten des Padagogii auf seine Kosten in Dessau zu unterhalten". Trotzdem hatte auch Campe, der nach Basedows Riick­ tritt die Leitung des Instituts iibernommen hatte, mit finanziellen Sch wierigkeiten zu kampfen. Das b ewog Kant, in einem z w e i t e n, mit K. unterzeichneten Artikel der­ seiben Zeitung vom 27. Marz 1 7 7 7 nochmals mit groBer \Varme fi\r das ,Dessauische Educationsinstitut", ,welches der Menschheit und also der Teilnehmung j edes Welt­ biirgers gewidmet ist", einzutreten. Es sei vergeblich, das Heil von einer a l l m a h l i c h e n Schulverbesserung zu erwarten. , Sie miissen u m ge s c h a f f e n werden, wenn etwas Gutes aus ihnen entstehen soll : weil sie in ihrer urspriinglichen Einrichtung fehlerhaft sind, und selbst die Lehrer derselben eine neue Bildung annehmen miissen. Nicht eine langsame R e f o r m, sondern eine schnelle R e ­ v o l u t i o n kann dieses bewirken." Dazu sei aber zunachst notig, da.6 di e e i n e Sehule, w el che die n eu e Erziehungs-

3. Schriften .

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methode verkorpere, nicht nur von allen Kennern be­ obachtet, sondern auch von allen Menschenfreunden unter­ stiitzt werde. Die ihm im Anfange etwa noch anhaftenden Fehler, die von den Vertretern des , sich auf seinem Miste verteidigenden alten Herkommens" hamisch und schmah­ siichtig vergro6ert wiirden, werde das Philantbropin bald abwerfen. Da aber , die Regierungen jetziger Zeit zu Schulverbesserungen kein Gel d zu haben scheinen" , so sei man auf die groBmiitigen Beitrage bemittelter Privat­ personen angewiesen, die zunacbst die (von Basedow und Campe herausgegebenen) Piùlagogischen Unterhandlungen mit eiuem etwas erhobten Beitrag unterstiitzen mochten. Abonriieren konne man, auBer in der Kanterschen Buch­ handlung, auch ,bei Herrn Prof. Kant in den Vormittags­ stunden von 10-1 Uhr " . Kant.s Aufsatz wurde dann auch, unter seinem vollen N amen, in einer spateren Nummer der Basedow-Campeschen Zeitschrift abgedruckt. Leider batte der Artikel nicht den erhofften Erfolg. D ie Zeitschrift bekam nur 10 Konigsberger und 15 lit­ tauische Abonnenten. Das Institut batte den groBten Teil der Landgeistlichkeit zum Gegner, so daB eine Empfehlung von seiten ibres Konigsberger Vorgesetzten , der an sich der Sache freundlich geg èniiberstand, nur ein , allgemeines Geschrei" unter , diesem Orden" verursacht und der guten' Sache mehr geschadet als geniitzt baben wlirde. Auch zogen einzelne wankelmiitige Eltern ihre Sohne wieder aus dem Institut zurlick (Kant an Campe, 26. August 1 7 7 7). Inzwischen war Kant auch in anderer W eise fiir di e An­ stalt tatig gewesen. Er warb sogar einen ibm bekannten, leider nur recht kranklichen frliheren Schtiler, F. W. Regge aus Tilse (Tilsit), nicht bloB als Abonnentensammler, sondern auch als Lehrer flir das Philantbropin, der freilich schon i m folgenden Jabre starb. Von sèiten d es Instituts war man Kant denn auch sehr dankbar, wie u. a. zwei Briefe Ebrmanns, eines der Lehrer, zeigen. Als sich dann auch Campe, der Last der Arbeit und Sorgen er­ liegend, Herbst 1777 von der Leitung des Pbilanthropins zurlickgezogen batte, scblug Kant ihm vor, bis seine Krafte vollig wiederhergestellt seien und .zugleicb flir das Institut bessere Zeiten gekommen waren, den seit langerer Zeit erledigten Posten eines Oberbofpredigers

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4. Kapitel. Bis znm Erscheinen der Kritik der reinen Vernnnft.

un d Generalsuperintendenten von Ost- un d W estpreu.6en anzunehmen. Eine Bewerbung sei gar nicht notwendig, einer von Campes Freunden in Berlin branche dem Minister nur einen Wink zu geben - so gro.6 war also damals der Einfl.uB des entschiedenen Liberalismus im preuBischen Unterrichtsministerium ! -, dann werde man ihm die Stelle von selbst antragen. Das Pùblikum werde den beriihmten und geliebten Lehrer mit , allgemeinem Wohlgefallen " empfangen, und er konne sich dem Philan­ thropin fiir bessere Zeiten aufsparen (Kant an Campe, 3 1 . Oktober 1777). Campe war durch Kants , liebevolles Anerbieten " sehr geriihrt (er hat es einundeinhalb Jahr­ zehnte spater wett gemacht, wie wir sehen werden), glaubte aber infolge seiner durch Dessau bewirkten ,groBen Entkrliftung an Seel' und Leib " ein neues, groBes Amt nicht annehmen zu sollen, sondern zog sich ins Privat­ leben, zur Erziehung einiger Kinder in Hamburg, zuriick (vgl. Briefw. I, 209-1 1). Trotz Campes Riicktritt hielt Kant an der einmal mit solcher Entschiedenheit ergriffenen Sache auch ferner fest. Am 4. August 1 7 7 8 versichert er Wolke, dem ,letzten Anker, auf dem alle Hoffnung der Teilnehmer an einer Sache, deren Idee allein das Herz aufschwellen macht, itzt beruht" , in einem ausfiihrlichen Briefe der dankenden Bewunderung der ,splitesten Nachkommenschaft" . Zu­ gleich aber zeigte er in diesem Falle praktische Menschen­ kenntnis, ja sogar eine gewisse auf der Benutzung mensch­ li cher Schwlichen beruhende Schlauheit. Die Kantersche Zeitung, die fiir die literarische Verbreitung der neuen Ideen in Konigsberg allein in Betracht komme, werde jetzt von dem reformierten Hofprediger Dr. Crichton re­ digiert, der sich friiher nicht sonderlich giinstig iiber das Philanthropin geauBert habe. Das beste Mittel nun, diesen einfl.uBreichen und , sonst" gelehrten Mann zu gewinnen, sei, - ihn selbst , zum Haupte Ihrer hiesigen Angelegenheiten" zu :o.achen ; denn , die, so ihren Beifall verweigern, so lange sie nur die zweite Stimme haben, werden gemeiniglich ihre Sprache lindern, wenn sie das erste und groBe Wort fiihren konnen ". Mit Vergniigen liest man unter sotanen Umstlinden den schlauen Brief des , sonst" redlichen Kant vom 29. Juli 1778 an ·

3. Schriften .

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, Se. Hochehrwiirden " , deren EinfluB doch , weit groBer" sein wiirde, wenn sie sich , dieser Sache vorziig·Iich an­ zuneh men beliebten und Ihren Nam en und Feder zum Besten derselben verwenden wollten" . Se. Hochehrwiirden konne das um so eher, als das Institut jetzt unter dem unermiideten Wolke , eine neue Gestalt gewonnen " habe : ,nach dem Abgange einiger sonst wohlgesinneter, ii brigens aber etwas schwarmenden Kopfe sind alle Stellen mit aus­ gesuchten Schulmannern besetzt und die neue, jetzt mehr gelauterte Idee mit dem, was die alte Erziehungsart Niitz­ liches hatte, in Verbindung gebracht" . So wuBte unser Menschenkennei' den etwas eitlen Herrn Hofprediger zu bestimmen, selbst die offentliche Ankiindigung, Abonnenten­ sammlung usw. zu iibern ehmen , obwohl Crichton und er, wie er am 4. August vertraulich an Freund W olke schreibt, eigentlich , in den P r inzipien der Beurteilung eines solchen Instituts himmelweit auseinander" waren : , er sieht die S c h u l wissenschaft als das einzig Notwendige an, un d ich die Bildung des M e n s c h e n sein em Tal ente sowohl als Charakter nach " . Der schm eichelhafte Brief trng denn auch seine Friichte. Der Herr Hofprediger iiber­ nahm , gern" den i hm so nahe gelegten Auftrag un d setzte sogar seine ,Feder " dafiir in Bewegung. Denn hOchst­ wahrscheinlich von i h m riihrt der dritte das Philanthropin empfehlende Aufsatz der Konigsb. Gel. Ztg. (vom 24. Aug. 1 778) h er , den Reicke anfangs fiir kantisch gehalten und deshalb in seinen Kantiana (S. 76- 8 1) ver offentli cht hatte, der aber fiir Kants Art viel zu wortreich ist, auch €iUen zu dessen Wesen gar nicht passenden theatralischen SchluB enthiilt, in dem das Philanthropin selbst redend eingefiihrt wird. Noch ein kurzes herzliches Schreiben Wolkes vom 28. Oktober d. J., und der erhaltene Briefwechsel Kants iiber das Philanthropin ist zu Ende. Doch ist noch in den 80 er J ahren in mehreren Briefen a n i hn (v o n Berens und Liibeck) v om P h ilanth r opin die Rede. Und Kauts Interesse b l i e b. Das sehen wir u. a. daraus, daB er in seinem K o ll eg iiber Praktische Philosophie aus den 80 er Jahren - die betreffende Nachschrift fallt nach der Ver­ mutung Arnoldts in das Semester 1 787/88 -, nachdem er ausgefiihrt, der Staat wiirde nur dann wahrhafte Starke

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4 . Kapitel. Bis znm Erscheinen der Kritik der reinen Vernnnft .

nach aul3en un d innen b esitzen, wenn di e E r z i e h u n g in allen Gliedern des Staates die 'r alente entwickele und den Charakter moralisiere, mit den 'Vorten schloB : ,Di e B a s e d o w schen Anstalten machen dazu eine kleine frohe Hoffnung" (Arnoldt, Kritische Exkurse, S. 229, vgl. 289). 4. Geselliger Verkehr.

So hat Kant auch in dieser Z eit (1770- 8 1 ), trotz der ilm innerlich immer starker in A nspruch nehmenden Gedankenarbeit an den Problemen seiner Veruunftkritik, Herz und Sinn auch fiir andere Dinge offen gehabt.. Auch den geselligen Verkehr mit den Kreisen und Pei·­ sonen, die ihm schon aus seinen Magisterjahren wert waren, hat er selbstverstiindlich nicht aufgegeben, ja wohl kaum eingeschrankt. Im Gegenteil, andere kamen hinzu. Gerade das Haus, in dem er am langsten und liebsten verkehrt hat, offnete ihm damals seine Pforten. Die Familie K e y s e r l i n g , von deren Beziehung zu Kant wir schon im 2. Kapitel geredet haben, hielt sich seit 1 7 72 den groBten Teil d es J ahres hindurch in Konigsberg auf. Der 45 jahrige Graf Heinrich Chri s t ian h atte in diesem Jahre - nach der ersten Teilung Polens - den russischen Staatsdienst quittiert und lebte nun mit seiner uns bereits bekannten geistvollen, ja philosophisch gebildeten Ge­ mahlin Karoline Amalie (1 729-91) einer edlen Gesellig­ keit. In ihrem geschmackvoll eingerichteten Palais traf sich alles, was Konigsberg und Umgegend an Geburts­ und Geistesaristokratie aufzuweisen hatte : u. a. Hippel; Hamann, Scheffner und natiirlich vor allem unser Kant. , 'l'agli eh " , so erzahlte eine Kusine d es Grafen, di e als Schriftstellerin bekannte Elise von der Recke, bei der Nachricht vùn Kants Tode (1 804) , ,sprach i ch diesen liebenswiirdigen Gesellschafter in dem Hause meines Vetters, des Reichsgrafen von Kaiserlingk . . . Kant war der 30 jahrige Freund dieses Hauses, in welchem di e liebenswiirdigste Geselligkeit herrschte und Manner von ausgezeichnetem Geiste einheimisch waren, sobald ihr moralischer Charakter ebensosehr als ihr Kopf geschii.tzt wurde. Kant liebte den Umgang der verstorbenen Reichs­ grafin, die eine sehr geistreiche Frau war. Oft sah ich

4. Geselliger Verkehr.

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ihn da so liebenswiirdig unterhaltend, da.B man nimmer den tief abstrakten Denker in ihm geahnet hatte, der eine solche Revolution in der Philosophie hervorbrachte. Im gesellscbaftlichen Gesprach wu.Bte er bisweilen sogar ab­ strakte Ideen in (lin liebliches Gewand zu kleiden, und klar setzte er jede Meinung auseinander, die er behauptete. Anmutsvoller Witz stand ihm zu Gebote, und - bisweilen war sein Gesprach mit leicbter Satire gewiirzt, die er immer mit der trockensten Mjene anspruchslos hervor­ brachte. " Den gleichen Eindruck batte Johann Bernoulli, der im Juli 1778 auf der Durchreise nach Petersburg Konigsberg befiihrte und Kant beim Diner im Keyser­ lingschen Hause kennen lernte. ,Dieser beriihmte Philo­ soph ist im Umgang ein so lebhafter und artiger Mann und von so feiner Lebensart, da.B man den tiefforschenden Greis ( ! ) nicht so lei eht bei ihm vermuten wiirde ; vi el Witz aber verraten sogleich seine Augen und seine Ge­ sichtsziige, und die J: hnlichkeit derselben mit d'Alembert war mir sehr auffallend. " Nach Kraus , sai3 Kant an Keyserlings Tisch allemal auf der Ehrenstelle, unmittel­ bar der Grafin zur Seite ; es mii.Bte denn ein ganz Fremder dagewesen sein, dem man konvenienzmai3ig diese Stelle einraumen muBte" 1). Desgleichen bezeugen die drei er­ haltenen Briefe d es Grafen an Kant aus den J ahren 1 7 79, 1 782 und 1 784 sowie Kants Schreiben an ihn vom 8. Mai 1782 den bei aller auBeren Hoflichkeit doch freundschaft­ lichen Charakter ihres Verhaltnisses. Wie frei der ost­ preu.B ische Edelmann von Standesvorurteilen war, zeigt seine drastische Schilderung der ungebildeten kurischen Junker oder ein Satz wie der : , Die Groi3en werden meisten­ teils durch die Erhebung ihrer Scheinverdienste von denen Schmeichlern in wirklichen Ubeln eingeschlafert" (vgl. Briefw. I, 276-85). Der freundschaftliche Umgang mit dem Grafen dauerte bis zu dessen Tode (1787) fort. ') Uber die Grafin schreibt Kraus (aJ s Hauslehrer bei K eyser­ ling) s einem Freunde von Auerswald : "Uber dem Essen schweigt die ganze Gesellschaft, und sie spricht mit mir allein unaufho'rlich, und raten Sie wovon ? Vom Euler- und Newtonschen Lichtsystem, von der Erde, vom Ab erglauben und Unglaub en, was von b eiden schadlicher sei, un d von neuen Entdeckungen un d h erau sgekommenen BUchern . . . Si e hiUt si eh alle franzosischen Jonrnale nn d tut nichts als lesen. "

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4.

Kapitel. Bis zum Erscheiuen der Kritik der reinen Vernunft.

Von der noch naheren Freundschaft mit Green haben wir schon gesprochen. Kant hielt auch weiter, bis er sich im Jahre 1787 einen eig enen Haushalt griindete, " fiir ge­ wohnlich seine Mittagstafel in einem Hotel, wo mehrere Manner von Stande, besonders angesehene Militarpersonen aBen, die sich auch groJ3tenteils seinetwegen dort ein­ fanden " . Natiirlich auch minder vornehme. Er unter­ hielt sich zwanglos, auch Provinzialismen nicht scheuend, mit allen Teilnehmern, wes Standes sie sein mochten. Er haJ3te alle Wichtigtuerei, wollte bei Tische auch nicht in philosophicis ,, ausgeholt" werden, sondern , dem Korper seine Ehre g·eben" . Deshalb verwarf er auch di e Hast un d Eile da bei ; obwohl nicht gerade Feinschmecker, hielt er doch etwas auf gutes Essen und wohlschmeckenden W ein, verstand auch so vi el von der Zubereitung der Speisen, daJ3 Hippel ofters scherzte, Kant werde noch einmal eine , Kritik der Kochkunst" schreiben (Borowski). Haufig wurde er aber auch zu sogenannten ,Mittags­ gesellschaften" (also ,Diners " , wie der h e u t i g e Deutsche sagt !) eingeladen : so von den Gouverneuren der Provinz PreuJ3en, Graf Henckel von Donnersmarck und Genera! von Briinneck, dem Kanzler und spateren Provinzial­ minister von Schroetter, dem Herzog von Holstein-Beck, Geh. Rat (von) Hippel, Kriegsrat Scheffner, Bankdirektor Ruffmann u. a. ; bei dem Kaufmann Motherby nahm er jeden Sonntag sein Mittagsmahl ein. Unter den genannten Adligen stand er am nachsten w o hl Friedr. Leop. v o n S c h r o e t t e r (geb. 1 7 43), den er sogar - eine Ausnahme von seinen spateren Lebens­ gewohnheiten - auf seinem Gute W ohnsdorf bei Friedland ,sehr oft auf mehrere Tage besuchte" . Er befand si eh deshalb da besonders wohl, weil er dort ganz leben konnte wie zu Hause (Jachmann). Wohnsdorf war das , Rittergut" , von dem er noch in seinen letzten Lebens­ jahren gern Wasianski , mit fast poetischer Malerei" , die er sonst in der Regel vermi ed, erzahlte : wie er an einem schonen Sommermorgen in der Gartenlaube an dem hohen Ufer der Alle bei einer Tasse Kaffee und einer Pfeife in angenehmer Unterhaltung in der Gesellschaft des Haus­ herrn und seines Freundes Generai von Lossow ver­ weilte. Bekanntlich ist Schroetter spater einer der ein-

5.

Der briefliche Verkehr nnd die pers1inlichen Beziehnngen .

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flu6reichsten und tatigsten Reformer in der gro6en Zeit des inneren Aufbaus Preu6ens (1 807 ff.) gewesen. Die Steinschen Reformgesetze sind fast ganz im ost­ preu6ischen Provinzialministerium ausgearbeitet worden. Von Schroetter stammt u. a. die ScbluBredaktion der preuBischen Stadteordnung von 1808, sowie der nicbt zur Durcbfiibrung gelangte (Steinscbe) Entwurf der Kreis­ und Landgemeinde-Ordnung. Mit seinen studentiscb en Zuborern batte der Philo­ soph, mindestens gegen Ende dieses Zeitabschnitts, wo ihn sein gro6es W erk immer mebr beschaftigte, weniger V er­ kebr als friiber, ja , fast gar keine Privatbekanntscbaft" (an Herz, 20. Okt. 1 778), wenigstens mit denen seiner ,offentlicben" Kollegien (an denselben, 15. Dez. 1778), Ausnahmen, wie den schon ofters erwabnten besonders begabten Kraus, natiirlicb ausgeschlossen. Dagegen wucbs um diese Zeit, bei seinem zunebmenden Gelebrtenrufe von Jahr zu Jabr 5.

der briefliche Verkehr und die personlichen Beziehungen,

in die er, trotz der nicht blo6 von seinen Korrespondenten , sondern aucb von ihm selbst ofters beklagten Schreibtrag­ heit, doch mit einer wacbsenden Reibe von G e l e b r t e n und sonstigen S c h r i f t s t e l l e r n geriet. Von seinen Kollegen scheint er um diese Zeit noch keinem besonders nahe gestanden zu baben. Am ebesten vielleicbt dem Physik-Professor C. D. Reusch, der wie wir uns erinnern - mit ibm zusammen eine be­ sondere Anerkennung vom Ministerium empfangen batte. Mit ihm korrespondiert Kant mehrfach iiber pbysikaliscbe Fragen, wie die Anlage eines Blitzableiters oder das Fahrenheidscbe Tbermometer. Von Hamann soll gleich nocb die Rede sein. Der Briefverkebr ging natiirlicb vorzugsweise nacb auBen. Kant ward jetzt immer haufiger von Zeitscbriften und Verlegern als Autor gesucbt. Breitkopf, Engel und die Manner des Philantbropins haben wir scbon erwabnt. Aber aucb W i e l a n d ba t ibn nicbt bloB um - Abon­ nentensammlung fiir seinen Teutschen Merkur (25. Dez. 1 7 72) und dankte ihm dann aufs lebbafteste fiir sein

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4 . Kapitel.

Bis znm Erschein en der Kritik der reinen Vernnuft.

Interesse, sondern ersuchte ihn auch aufs dringendste um eigene Beitrage. W enn er auch ,jede Produktion d es Genius an sich fiir ebenso unbezahlbar halte als ein Ge­ malde von Rafael" , so wolle er ihn doch , besser als irgendein Sosius (= Buchhandler) in der Welt honorieren" ( l . Febr. 1 7 73) ; Kant ist gleichwohl erst fiinfzehn Jahre spater Wielands Wunsche naehgekommen. - Der bekannte Hauptwortfiihrer der Aufklarung Fr. N i c o l a i , sp ater sein Gegner, setzte das (iibrigens nach Kants Urteil schlecht getroffene) Portrat des Philosophen vor den 20. Band seiner Allgemeinen Deutsch en Bibliothek : eine Ehre, die den bescheidenen Mann " ein wenig be­ unruhigte" , weil er , allen Schein erschlichener Lobspriiche und Zudringlichkeit, um Aufsehen zu machen, sehr meide" (Kant an Herz, Briefw. I, 139). - Boie und Dohm in Got­ tingen wiinschten seine Mitarbeiterschaft fiir ihr Deutsches Museum (12. Sept. 1775). - Der als gefiihlsvoller Lyriker bekannte Johann Georg J a c o b i bittet ihn, in Erinnerung daran, , daB die griechischen Weisen dann und wann die Damen ihrer Zeit besuchten" , um eine Ankiindigung seines . Frauenzimmer-Journals" Iris. In der Tat scheint , das Madchen Iris", das versprach, , nicht immer unter Blumen zu spielen, sondern jene tiefere W eisheit zu den Begriffen ihrer Gefahrtinnen herabzubringen" (Jacobi an Kant, 27. Februar 17 74) und u. a. auch einen Goethe zur Mit­ arbeit vermochte, bei dem Philosophen auch Gliick ge­ habt zu haben. Jedenfalls hat Kant, der iiberhaupt ein starker Leser war und es durch Kanters Buchladen (S. 58) so bequem hatte, sicherlich auch schOne Literatur gelesen. DaB er z. B. hoc!J.stwahrscheinlich auch Goethes Werther gekannt hat, ergibt si eh aus einem Briefe Hamanns an ihn vom 18. Februar 1 7 75, in dem davon die Rede ist, daB Nicolais Gegenschrift gegen , Goethes lieben Werther" noch bei Kant lagere. Mit H a m a n n selbst dauerte der Verkehr in der bis­ herigen, sporadischen W eise fort, wie wir aus d essen Briefwechsel mit seinen Freunden entnehmen konnen. Am 6. Aprii 177 4 schreibt Kant an Hamann : , . . . (ieh) bitte mir Ihre Meinung in einigen Zeilen aus ; aber wo­ moglich in der Sprache der Menschen. Denn ich armer Erdensohn bin zu der Gottersprache der a n s c h a u e n d e n

5. Der briefliche Verkehr und die personlichen Beziehung-en.

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V e r n u n f t gar nicbt organisiert. Was man mir aus den gemeinen Begriffen nach logischer Regel vorbuchstabieren kann, das erreicbe i eh noch wobl." Am 17. Aprii 1779 teilt Hamann Herder mit, er habe Kant besucht, der dem­ nàchst sein 56. oder 57. Lebensjahr antrete und ihn ,voller Lebens- und Todesgedanken gefunden" . Am 6. Mai d. J. erwàbnt er demselben Freunde gegeniiber ein auffallendes Urteil des Pbilosopben iiber Lessings Natban. Wàhrend er (Hamann) sich an den erbaltenen 10 ersten Bogen , ge­ weidet" habe, beurteile Kant si e , blo.B als den 2. Teil der Juden" und konne ,keinen Helden aus diesem Volke leiden. So gottlich streng ist unsere Philosophie in ibren Vorurteilen, bei aller ihrer Toleranz und Unparteilich­ keit" . Hamann war es auch, der dem Verleger Hartknoch den Verlag der Kritik der reinen Vernunft vermittelte, wàhrend Kant ibm den Gefallen erwies, das Manuskript seiner (Hamanns) Ùbersetzung von Humes Dialogen iiber natiirlicbe Religion durchzusehen. Auch ein von dem Philosophen so grundverschiedener Mann wie L a v a t e r kniipfte in diesen Jahren einen Brief­ wechsel mit ihm an. Er nennt ihn gleich in seinem ersten Briefe (vom 8. Februar 1774) ,meinen Lieblings­ scbriftsteller", den er ,Jahre lang schon innigst lJ_och­ schàtze". Wie so vi el e an dere, wundert auch er sieh iiber Kants literarische Schweigsamkeit : , Sind Sie dann der W el t gestorben ? warum schreiben so vi el, di e nicht schreiben konnen - und Sie nicht, die's so vortrefflich konnen ? warum schweigen S i e - bei dieser, dieser n e u e n Zeit, - geben keinen Ton von sich ? . . . Sagen Sie mir, da.B Sie reden wollen." Er bittet ihn um , einige L i c h t g e d a n k e n in mein Menschengedicht - was Si e wollen, ohne Ordnung und Zusammenhang - nur Zeilen -- damit i eh bald was empfange" . Der Philosoph mu.B dann in der Tat schon bald den aufgeregten Briefschreiber durch einige freundliche Zeilen und eine kurze Mitteilung iiber sein geplantes Werk beruhigt haben. Denn am 8 . .April schreibt Lavater schon wieder : , Auf Ihre Critik der reinen Vernunft bin ich u. viele meines Vaterlands sebr begierig", un d versteigt si eh dann zu der uns Heutige sehr iiberraschenden Liebeserklàrung : , Ohne Schmeicheley - Seit vielen Jahren sin d Sie mein liebster Scbriftsteller,

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4 . Rap i te!. Bis zum Erschei nen der Kritik der reinen Vernunft.

mit dem ich am meisten sympathisiere besonders in der Metaphysick und iiberhaupt in der Manier und Methode zu denken !" Wie sehr mag spater der fromme Schweizer durch Kants Werk enttauscht worden sein, er, der einen ganz anderen, von ihrri in demselben Briefe ausfiihrlich entwickelten Inhalt erwartete ! Etwas erniichtert wurde er wohl schon durch das von Kant erbetene Urteil iiber seine Abhandlung Vom Glauben und Gebete, das der Philosoph ihm - freilich erst nach einem Jah re - in zwei langeren Briefen zugehen lieB, die im wesentlichen schon den Standpunkt der Religion innerhalb der Grenzen der blofJen Vernunft vertreten. Wenigstens blickt dies in dem letzten Briefe Lavaters vom 6. Marz 1776 durch, mit dem dann der Briefwechsel zwischen den beiden geistigen Antipoden eingeschlafen zu sein scheint. Naher als so schwarmerisch veranlagten Naturen wie Hamann und Lavater fiihlte sich der verstandesklare Philosoph von vornherein verwandt den ihm auch im Alter naher stehenden Vertretern der Wissenschaft bezw. der Auf­ klarung wie L a m b e r t (geb. l 728) un d M e n d e l s s o h n (geb. 1 729), mit denen die schon in den 60 er Jahren an­ gekniipften Beziehungen ( s. Kap. III) fortgesetzt wurden. Namentlich der Briefwechsel mi t e r s t e r e m ist von philosophischer Bedeutung und wurde in dieser auch schon von den Zeitgenossen erkannt, indem Bernoulli nach Lam­ berts friihem 'l'ode (1777) ihn herauszugeben beabsichtigte und sich dafiir Kants Unterstiitzung erbat. Uns inter­ essieren auch hier, unserem biographischen Zwecke ge­ maB, nur die allgemeineren und personlichen Beziehungen. In seinem leider nur e i n z i g e n , acht Druckseiten fiillenden Briefe vom 13. Oktober 1 770 spricht Lambert seine Be­ friedigung dariiber aus, daB man doch wieder von der schOnen Literatur zu den ,griindlicheren " Wissenschaften zuriickzukehren beginne. Er plant eine Vereinigung einer kleinen Zahl , ausgesuchter" , aber auch in Physik und Mathematik bewanderter Philosophen, , weil meines Er­ achtens ein purus putus metaphysicus so beschaffen ist., als wenn es ihm an einem Sinn, wie den Blinden am Sehen, fehlt " . Diese sollten dann di e von ihnen . zu schreibenden Abhandlungen oder philosophischen Briefe unter sich zirkulieren und, bei Stimmenmehrheit gegebenen-

5. Der briefliche Verkehr uml die personlichen Beziehungen .

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falls drucken lassen, ahnlich wie es friiher bei den Leipziger Acta Eruditorum oder den sogenannten ,Bremer Bei­ tragen " gewesen. Eine Erwiderung Kants ist. lei der nicht erhalten, auch wo hl nicht gegeben worden ; dagegen laBt er Lambert und Mendelssohn durch Herz, in einem langen Briefe vom 7. Juni 1 7 7 1 , um Entschuldigung bitten : er habe ilmen gerade darum auf ihre Einwiirfe noch nicht geantwortet, weil er sie erst griindlich durchdenken wolle. Dazu komme als ein zweiter Hinderungsgrund seine an­ gegriffene Gesuudheit, die ihn zwinge, , alle An­ strengungen eine Zeitlang auszusetzen uud nur immer die Augenblicke der guten Laune zu nutzen, die iibrige Zeit aber der Gemachlichkeit und kleinen Ergotzlichkeiten zu widmen" . - Lamberts vorzeitigen Tod bedauerte er sehr, da er gerade von dessen ,hell em uncl erfindungs­ reichem " , unmetaphysischem un d deshalb vorurteilsfreierem Geiste eine tiefere Wiirdigung, Kritik und Erganzung seiner eigenen Vernunftkritik erwartet hatte (Kant an Bernoulli, 1 6 . Nov. 1 781). M e n d e l s s o b n redet ibm schon 1 770 zu, , zum Besten der Metaphysik " doch ja nicht mehr so lange mit der Herausgabe sei n es W erkes zu warten, da er do eh - un d nun kommt das gleiche, uns unerwartete Lob wle bei Lavater - ,vorziiglich das Talent besitze, fiir viele Leser zu schreiben" . Die freimiitigen Einwendungen gegen seine Dissertat.ion werde ihm Kant als , selbstdenkender Kopf" nicht iibelnehmen. ,Wer selbst erfahren hat, wie schwer es ist, die \Vahrheit zu finden . . . , der ist alle­ zeit geneigter, gegen diej enigen toleranter zu sein, die anders denken als er" (Mendelssohn an Kant, 25. D ez. 1 7 70). Als Mendelssohn am 20. August 1 7 7 7 Konigsberg wieder verlassen batte, schrieb Kant am selben Tage an Herz : , Einen solchen Mann, von so sanfter Gemiits­ art, guter Laune und hellem Kopfe in Konigsberg zum bestandigen und inniglichen Umgange zu haben, wiirde diej enige N ahrung der Se el e sein, d e r e n i c h h i e r s o g a n z l i c h e n t b e h r e n m u B , und die ich besonders mit der Zunahme der Jahre vornehmlich vermisse." Denn an die des Korpers denke er ,nur zuletzt und ohne Sorge und Bekiimm ernis" , und mit seinem , Anteil an den Gliicksgiitern" sei er , vollig zufrieden" . Lei der h ab e er

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Kapitel. Bis zum Erscheinen der Kritik 1ler reinen Vernunft .

Mendelssohn aus Sorge, ihn in seinen dortigen Geschaften zu hindern, nicht genug genossen. .. Auch der bekannte moralisierende Asthetiker S u l z e r (17 10-79) ist nach der Lektiire der ihm von Kant iiber­ sandten Inaugural-Dissertation iib erzeugt, daB dieser , der Philosophie einen neuen Schwung geben" wird, und begliickwiinscht ihn zu der , ruhmvollen Laufbahn, die Sie sich eroffnet haben " (Sulzer an Kant, 7. Dez. 1770). Yon den nahen Beziehungen zu Minister von Zedlitz haben wir bereits gehort. Neu hinzu kamen in unserem Zeitraum diej enigen zu dem n un schon oft erwahnten M a r k u s H e r z. Dieser war 17 49 geboren un d als Handlungslehrling nach Konigs­ berg gekommen, war hier aus innerem Drange zum Studium der Medizin und Philosophie iibergegangen und wurde bald ein Lieblingsschiiler Kants, der ihn, wie wir sahen, mit dem Ehrenamte eines ,Respondenten " bei seiner Disputation ( 1 770) betraute. Bald nachher lieB er sich in seiner Vaterstadt Berlin als Arzt nieder. Wie er dort seit 1 7 78 Kants Lehre mit Erfolg verbreitete, haben wir ebenfalls bereits vernommen. Um auch einmal eine g·egnerische Stimme zu zitieren, driickt es der antisemitisch und antiaufklarerisch gesinnte Hamann so aus : ,Die philo­ sophische Schulfiichserei geht zu Berlin so weit als mog­ lich. Dr. Herz, Kants beschnittener ZuhOrer, hat eine philosophische Bude aufgeschlagen, die taglich zunehmen soll, und worunter der Macen der Witwen und Waisen (Acad. und Schulen) unseres Landes auch gehort" (Hamann an Herder, 2 1 . Febr. 1779.) Herz vermittelte dem Philo­ sophen auch die briefliche Bekanntschaft mit dem lite­ rarischen Vorkampfer der Aufklarung in Berlin, Dr. Johann Erich B i e s t e r (1 749-18 1 6), dem einfluBreichen Sekretar des Ministers von Zedlitz, seit 1783 mit Gedike, spater allein Herausgeber der Berlinischen Monatssch1·i(t, seit 1 784 Vorstehcr der Kgl. Bibliothek, der zu Kant ,mit der innigsten Verehrung des Herzens" emporsah (Herz an Kant, 4. Febr. 1 7 79, Biester an Kant, 1 1 . Aprii 1 7 79). Durch ihn b atte der Philosoph auch in personlichen Fragen, wie Ernennung von Professoren u. a., starken EinfluB, der bis nach der Mitte der 80 er Jahre dauerte (vgl. z. B. Briefw. I S. 39!).

5.

Der b r i efliche Verkehr nnd die perslinlichen Beziehun geu.

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H e r z wird von l\Iendelssohn charakterisiert als ein Mann von "hellem V erstand, weichem Herz, gemaBigt.er Einbildungskraft und einer gewissen Subtiligkeit des Geistes, die der Nation natlirlich zu sein scheint " (1\fendels­ sohn an Kant, 25. Dez. 1 770). Er, der Kant alles dankte, der, wie er bekennt, durch ihn aus einem ,Nichts " binnen vier Jahren erst zu einem Menschen geworden war auch in den ersten Briefen an Kant zeigen sich noch Reste seines frliheren Mangels an geordnetem Unterricht in gelegentlichen Versto Ben gegen Rechtschreibung und Grammatik - blieb auch als Gemahl der bewunderten Hen­ riette, voll Verehrung flir den bewunderten Meister, dessen Bild liber seinem Studiertisch hing. Und Kant erwiderte dies Vertrauen. Die zwischen beiden gewechselten Briefe aus den 70 er Jahren - sie sind zahlreicher und wichtiger als alle anderen aus dieser Zeit - handeln nicht bloB von Auftragen und GrliBen an Berliner Gelehrte, nicht bloJ3 von arztlichen RatschHtgen des Jlingers an den Meister, sondern auch von den wichtigsten philosophischen Problemen. In seinem Brief vom 21. Februar 1 7 7 2 z. B. gibt Kant eine ganze Entwicklungsgeschichte seiner philo­ sophischen Gedanken seit Herzens Weggang von Konigs­ berg ; jeder, der die Entstehungsgeschichte der Kritik der reinen Vernunft schreiben will, muB diesen Briefw echsel berlicksichtigen. Ihm vertraut der Philosoph seinen , hals­ starrigen" Vorsatz an, ,sich durch keinen Autorkitzel verleiten zu lassen " , auf einem leichteren un d belieb teren Gebiet Ruhm zu suchen, eh e er mi t seinem W erk im reinen sei : mit dem er hoffe, . der Philosophie auf eine dauerhafte Art eine andere und vor Religion und Sitte weit vorteilhaftere W endung zu geben", zugl eich aber auch eine Gestalt, die den ,sprOden Mathematiker" be­ friedige" (Ende 1 773). Wahrend er von allen Seiten Vor­ wlirfe liber seine schriftstellerische Untatigkeit erhalte, schreibt er ein andermal (24. Nov. 1 776), sei er in Wirk­ lichkeit ,niemals systematischer und anhaltender" be­ schaftigt gewesen als seit Herzens Fortgang. Trotz alledem blieb uriser Philosoph bescheiden. Als Herz ihn einmal in einer Schrift .lobend mit Lessing verglichen hatte, meinte er eines solchen Lobspruches ,noch" nicht wlirdig zu sein und schon ,den Spotter zur Seite, zu sehen, mir solche

1 18

4. Kapitel. Bis zum Erscheinen der Krit ik der reinen Vernunft.

Anspriiche beizumessen und daraus Gelegenheit zum bos­ haften Tadel zu ziehen". Wie wenig man freilich selbst in gelehrten Kreisen Kants wahre Gro.Ge ahnte, geht aus einer Erzahlung von Kants Anhanger Kraus iiber Got­ tingen hervor. Als dieser sich dort einst in der Gesellschaft mehrerer Professoren, darunter auch des Philosophen Feder, befand und das Gesprach auf die Philosophie der Gegenwart kam, erwahnte Kraus, das Kant ,in seinem Pulte ein W erk liegen habe, welches den Philo­ sophen gewi13 noch einmal gro.Ben Angstschwei.B kosten werde". Da lachten die Herren und meinten : ,Von einem Dilettanten (!) in der Philosophie sei so etwas schwerlich zu erwarten" 1) . Unterdessen ging das W erk d es , Dilettanten" endlich seiner Veroffentlichung entgegen. Nachdem im Sommer des Jahres 1 780 die Niederschrift erfolgt war, begannen im Herbst die rasch zu Ende gefiihrten Verhandlungen mit Verleger (Hartknoch in Riga) und Drucker (Spener in Berlin). Auf Kants Honorarvorschlag : 4 Taler pro Druckbogen, ging der erstere sofort ein (Hartknoch an Kant, 15. Okt. 1 7 80). Da das W erk 55 Bogen stark wurde, hat Kant fiir die erste Auflage seines Hauptwerks, das ihn mehr als ein Jahrzehnt schwerster Geistesarbeit ge­ kostet, un d das di e ganze philosophis che W elt revolutio­ nieren sollte, die nicht allzu hohe Summe von 220 Reichs­ talern bezogen ; dazu 10 - 1 2 Freiexemplare, von denen das erste, ,auf feinem Papier" gedruckt und ,in einem zierlichen Bande" gebunden, als Dedikationsexemplar an den Minister von Zedlitz, die nachsten an Markus Herz, Mendelssohn und einen Dr. Sell (als Gegengabe fiir dessen Rtilosophische Gespriiche) gehen sollten. Damit treten wir in eine neue Periode von Kants g·eistiger Wirksamkeit ein. ') Voigt,

Leben

des Prof.

K r aus .

1 879 S. 87.

F ii n f t e s K a p i t e l. Kant auf der Hohe seiner geistigen Tatigkeit.

1 781-1 790.

1.

tJbersicht iiber die Schriften

di eser

Zeit.

Das Jahrzeh nt 1 7 81-90 ist das Jahrzehnt der drei Kritiken : im Jahre 1781 erschien die Kritik der reinen, 1 788 die Kritik der praktischen Vernunft, 1 790 die der Urteilskraft. Dazu die kiirzeren Einleitungsschriften zur Erkenntniskritik, Ethik und Naturphilosophie : die Pro­ legomena (1783), die Grundlegung (1785) und die Meta­ physischen Anfangsgriinde der Naturwissenschaft ( 1786). Was sie bedeuten, erzahlt j ede Geschichte der Philosophie, iiber ihre Entstehungsgeschichte, Tendenz und unmittel­ bare Nachwirkungen unterrichten die Einleitungen ihrer Ausgaben in der Philosoplzischen Bibliothek. AuBer diesen sechs gr.undlegenden Schriften hat Kant j edoch in diesem fruchtbaren Jahrzehnt no eh eine ganze Reihe geistvoller Aufsatze in verschiedenen Zeitschriften veroffentlicht. Die meisten in dem Organ seines Freundes und Gesinnungsgenossen Biester in B erlin, der Be rlinis ch en Monatsschrift, so : l. di e Idee zu einer a llgem eine n Ge­ schichte in weltbilrgerlicher Absicht (November 1784), die die Grundlinien seiner Geschichtsphilosophie zieht und eine Fortsetzung :fin d et in : 2. Mutma(Jlicher Anfang dm· Menschengeschichte (J anuar 1 7 86) ; B. Be antwortung der Frage : Was ist Aufklarung ? (Dezember 1 784), di e dem nach ihr benannten Zeitalter gewissermaBen nach­ traglich das Pro gramm gemacht hat ; 4. TVas hei(Jt : Sich im Denken orientieren ? (Oktober 1786), w el che Stellung zu dem damals di e philosophische W elt bewegenden Jacobi-Mendelssohnschen Streite nimmt. - In der von seinen Anhangern in Jena (Prof. Schiitz u. a.) gegriindeten .

120

5. Kapitel.

Kant a n f der Hohe seiner geistigen Tatigkeit.

Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung stehen : 5. zwei

Rezensionen des ersten bezw. zweiten Teiles von Herders Ideen (1785). In Wielands Teutschem Merkur : 6. Ober den Gebrauch teleologischer .Prinzi.pien sophiç, (Januar und Februar 1 788) .

in

der

Philo­

Uberblicken wir die beiden bisher genannten Schriftengruppen (6 + 6 12 Schriften), so fi.nden wir einen gewissen inneren Zusammenhang der schriftstelle­ rischen Arbeit unseres Philosophen. Auf das Erscheinen des kritischen Hauptwerks (1781) folgt zunachst. eine zweijahrige Periode d es Ausruhens von der gewaltigen Geistesarbeit, der er ein volles Jahrzehnt seines Lebens gewidmet batte. Die darauf zuerst folgenden Prolegomena sin d gewissermaf3en eine N acharbeit, riickschauende Er­ lauterungen und zugleich eine Einfiihrung zum besseren Verstandnis der Kritik der reinen Vernunft. Dann aber wendet sich Kant vor allem der ihm von jeher am Herzen liegenden, aber durch die theoretische Gedankenarbeit der letzten Jahrzehnte bisher zuriickgedrangten Be­ arbeitung der e t h i s c h e n Probleme zu. Fast gleichzeitig mit seiner Einleitung zur Ethik (der Grundlegung) ent­ stehen die geschichtsphilosophischen Aufsatze l. bis 3. und 5. Der sechste endlich bildet schon ein V orspiel zur Kritik der teleologischen Urteilskraft. Neben diese wichtigeren Schriften der ersten und zweiten Gattung treten schlief3lich eine Reihe kleiner G e l e g e n h e i t s schriften aus verschiedenartigen Gebieten. S ei es, daB er zu seiner alten Liebe, der physischen Geo­ graphie, zuriickkehrt, wie in : Die Vulcane im Monde (Berl. Monatsschr., Marz 1 785) und Ober die Bestimmung des Begriffs einer Menschenrasse (ebd. Nov. 1 785), oder Von der Unrechtmii(Jigkeit des Buchernachdrucks handelt (ebd. Mai 1 785) ; oder daB er, was ihm eigentlich nicht besonders lag, an bestimmte literarische Erscheinungen ankniipft, also eine Art Rezensionen schreibt, wie : l. Ober Schulz' (Predigers zu Gielsdorf) Versuch eine1· =

Anleitung zur Sittenlehre fur alle Menschen ohne Unter­ sihied der Religion ("Rai§onnierendes Biicherverzeichnis" , Konigsberg 1 7 83) ; 2. Uber Hufelands Grundsatz des Naturrechts (Jen. Allg. Lit., 1 786) ; 3. Einige Be­ merkungen zu Jakobs Prufung der Mendelssohnschen

2. Vorlesnngen.

Znhorer.

Akademische

Amter.

121

,Morgenstnnclen " (in der Vorrede zu dieser Schrift, 1786). Dazu kommt noch 4. ein Knrzgefa(Jtes Avertissement

iiber Lamberts Briefwe�hsel, daB er Anfang 1782 in eine Konigsberger Zeitung einriicken lieB (Kant an Bernoulli, 22. Februar 1 782). Auch verfaBte er aus GefaJligkeit fiir seine Freunde wohl kleine Aufsatze , die diese dann ent­ weder in ihre eigenen Schriften aufnahmen, wie Jakob den . �oeben unter 3. genannten, und Borowski einen solchen 5. Uber Schwiirmerei und die Mittel dagegen in seine Schrift iiber Cagliostro (1790) ; oder zur Ausarb eit ung langerer P-igener Rezensionen benut z ten, wie Kraus eine Ausarbeitung Kants 6. iiber d es J enaer Professors Ulrich Eleutlleriologie ( 1788), endlich J oh. Schultz 7. eine Be­ urteilung von Kastners Kritik der Kantischen Raum­ lehre 1 7 90). Ehe wir die Wirkung seiner Schriften betrachten, folgen wir ihm, wie gewohnt, zunachst . ?u seinen Vor­ lesungen und (diesmal auch) akademischen Amtern, danach in sein Pri v atleben. 2. Vm·lesungen.

Zuhorer. a)

Akademische A.mter.

Vorlesungen.

Kants Vorlesun g en blieben auch in diesem Zeitraum im ganzen un d groBen dieselben wie in den 70 er Jahren. Nur kam N a t ii r l i c h e T h e o l o g i e hinzu, di e ihm w o hl durch seine starkere Beschaftigung mit ethischen Pro­ blemen sowie durch das Interesse seiner zahlreichen theo­ logischen Zuhor er nahegelegt wurde. Im Winter 1783/84 las er si e nach Hamann ,mit erstaunlichem Zulauf" . In einem anderen Semester, · so erzahlt Jachmann, der seit 1 783 selbst sein Zuhorer war und deshalb fiir die folgende Z eit eine besonders zuverlassige Quelle ist, , fanden sich nur so wenige Zuhorer fiir diese Vorlesung, daB er sie schon aufgeben wollte ; als er aber erfuhr, daJ3 di e ver­ sammelten Zuhorer fast alle Theologen w aren , so las er sie doch gegen ein geringes Honorar". Denn , er hegte die Hoffnung, daB gerade aus diesem Collegio, in welchem er so lichtvoll und iiberzeugend sprach, sich das helle Licht verniinftiger Religionsiiberzeugungen iiber sein ganzes Vaterland v!lrbreiten wiirde" . Viele Apostel seien

122 5 . Kapitel.

Kant anf der Hohe seiner geistigen Tiitigkeit.

·

denn auch von da ausgegangen, um das ,Evangelium vom Reiche der Vernunft" zu lehren. Freilich entging er eben­ darum schon damals dem Rufe nicht, durch seine Lehre Freigeisterei zu verbreiten, besonders als sich im Spat­ sommer 1 785 eine Anzahl (etwa 50) von friiheren und jetzigen theologischen Zuhorern, die sich Kantianer nannten, zusammentaten und offentlich behaupteten, " da.B keine Sittenlehre noch gesunde Vernunft noch offent­ liche Gliickseligkeit mit dem Christentum bestehen konne" : soda.B sogar das Konigsberger Konsistorium da­ gegen einzuschreiten sich bemii.Bigt fiihlte. Indes ist doch selbst Hamann, der in Briefen (vom 18. August und 4. Oktober 1 785) seinen Freunden Herder un d G. E. Lindner davon berichtet, gerecht genug, die Schuld nicht direkt auf Kants Vorlesung zu schieben, obwohl er ihm auch nicht recht traut ; denn ein andermal erklart er es fiir pure ,,Maske", wenn Kant in dieser Vorlesung , der Offen­ barung einen Haufen..Douceurs sage" (Hamann an Jacobi, 15. Marz 1 786). Ubrigens hatten die ,Domnauer" Schwarmgeister - der Radelsfiihrer stammte aus Domnau, dem ostpreu.Bischen Schilda - nach sechs W ochen , aus­ geschwarmt" . Von den verschiedenen Kompendien machte sich Kant immer unabhangiger, wie sich durch Vergleich er­ haltener Nachschriften nachweisen la6t 1). Er gab z. B. vollig neue Einleitungen, schaltete ganze Abschnitte aus, o der streifte si e nur mit wenigen W otten, un d schob neue dafiir ein, fiihrte den betr. Autor oft nur an, um dar­ zulegen : , Was der Autor sagt, ist falsch" usw. Seine einmal gefa.Bte Absicht, seines Anhangers und Kollegen Joh. Schultz' Erliiuterungen zur Kritilc der reine n Vernunft als Komp endium z u benutzen, fiihrte e r nachher nicht aus. Sein Vortrag war ganz frei ; oft brachte er nur ein Blattchen mit, auf dem er seine Gedanken in ab­ gekiirzter Schrift aufgezeichnet batte. Er philosophierte selbst mit seinen Zuhorern und drang erst allmahlich zum volligen Abschlu.B des nunmehr von allen Seiten beleuchteten Begriffes vor ; wer seine ersten, vorlaufigen ') Vgl. E. Arnoldt, Kritische Exkurse , S. 291 -299.

2. Vorlesungen.

123

Erklarungen gleich fiir die erschopfenden nahm, der , sammelte blol3 halbe Wahrheiten ein" . Merkte er, dal3 ihn sein Geist zu weit vom Gegenstande abgefiihrt batte, kehrte er mit einem : , In summa, meine Herren !" rasch zum Thema zuriick. Wie j eder verstandige Lehrer, be­ miihte auch er sich, fiir das Mittelgut zu lesen : , Ich lese nicht fiir die Genies, denn sie brechen sich nach ihrer Natur selbst die Bahn ; nicht fiir die Dummen, denn si e sind nicht der Miihe wert ; a ber fiir di e, w el che in der Mitte stehen und fiir ihren kiinftigen Beruf gebildet sein wollen" , so horte ihn der spatere beriihmte Rechts­ lehrer Thibaut um 1793 Ofters sagen. Indes war doch sein V ortrag, wie wir es schon aus seiner Magisterzeit wissen, wenigstens in d en rein theoretischen Kollegs der Metaphysik und Logik, fiir die Anfanger nicht leicht ; er forderte daher diese wohl auch auf, sich durch die Vorlesungen seines jiingeren Kollegen Porschke erst darauf vorzubereiten. Dieser las im Sommer 1 788 zum erstenmal iiber Kants Kritik der reinen Vernunft ; das Kolleg mul3 Anklang gefunden haben, denn er kiindigte die Fortsetzung seiner Interpretation fiir den folgenden Winter an. In seinen Vorlesungen iiber Moral wirkte unser Denker nicht blol3 auf den Verstand, sondern auch auf Herz un d Gemiit seiner ZuhOrer. , Wie oft riihrte er uns bis zu Tranen, wie oft erschiitterte er gewaltsam unser Herz, wie oft erhob er unseren Geist und unser Gefiihl aus den Fesseln des selbstsiichtigen Eudamonismus zu dem hohen Selbstbewul3tsein der reinen Willerisfrei­ heit . . . " , so schreibt Jachmann no eh nach zwei Jahr­ zehnten. Wiederum ein anderes Geprage trugen die uns bekannten Kollegien iiber Anthropologie und physische Geographie, zu denen sich nicht blol3 Studierende, sondern auch Gelehrte und kenntnisreiche Beamte oder , Geschafts­ manner" einfanden. Wahrend seines Vortrags sal3 der Philosoph hinter einem niedrigen Katheder, doch so, dal3 er dariiber hinaus alle ZuhOrer sehen konnte. Er fal3te gewohnlich einen in seiner Nahe Sitzenden ins Auge, wobei ihn dann irgendeine Unregelma.Bigke�t - nicht blo.B der beriichtigte ,. fehlende Rockknopf" (s. Kap. III), sondern z. B. auch die damals bei einzelnen aufkommende , geniema.Bige"

124

5 . Rapite!.

Kant a u f der Hohe seiner geistigen Tatigkeit.

'fraeht, d. h. unbedeckter Hals und Brust, lose iiber Stirn und Naeken hangendes Haar - leicht storte und zerstreute. Er besal3 ein leises Organ, so dal3 man die gro13te Stille beobachtete, um ihn zu verstehen, zumal wenn der Horsaal, wie besonders zu Anfang des Semesters, , die gro13e Zahl seiner Horer nicht fassen konnte, sondern viele eine Nebenstube und den Hausflur einnehmen mu13ten" 1). Er blieb ein M:uster von Gewissenhaftigkeit und Piinktlichkeit. In den neun Jahren, in denen Jach­ mann ihn horte, setzte er nie eine Stunde aus oder ver­ saumte er auch nur eine Viertelstunde. Und ahnlich berichtet Kraus, daB er innerhalb von fiinf Jahren nur eine einzige Stunde wegen einer Kopfgeschwulst ausgesetzt habe. Er las in dieser Zeit in der Regel seine beiden Fachkollegien an den vier Haupttagen friih von 7- 9, das populare Mittwoch u n d Samstag von 8 - 10, dazu ein Repetitorium Samstag von 7-8 : also meistens 13 Stunden wochentlich. Erst vom Sommer 1789 an liel3 er ein Fach­ kolleg weg un d beschrankte si eh auf 9 W ochenstunden (s. unten). b) Verhiiltnis zu den Zuhi:i1·ern.

Die Zahl seiner eingeschriebenen Zuhorer betrug, ahnlich wie im vorigen Jahrzehnt, fiir die Haupt- oder ,. liffentlichen" Kollegien, Logik und M:etaphysik, gegen 80-100 und begann erst gegen Ende der 80 er Jahre auf geringere Ziffern (70 - 50) herunterzugeb en. Privatkol­ legia wie Pbysik und Naturrecht erzielten dagegen durch­ schnittlich nur 20-30, desgleichen die Examinatorien oder Repetitorien ; die letzteren j edoch in einzelnen Se­ mestern auch mehr : 40 b z w 50 (Sommersemester 1 784). Fiir die Vorlesungen iiber Anthropologie und physische Geographie betrug die Zahl 36- 55. Wie er von den Studenten , fast vergottert" wurde, so interessierte auch er sich fiir sie, und zwar nicht blol3 .

1) D amit stimmt dic Mitteilung Hamann s : . Ging 8chon um 6 Uhr morgen� mit meinem !Iichel aus. der zu Kerungen Kants (vgl. oben S . 1 9 1 ) (Bd . 5 0 ) . September : Kants Handbuch der Logik, herausg. v o n J asche (Bd. 4 3 ) . 1 4 . November: Letzte amtliche Erklarung Kants. Physische Geograph ie , herausg. von Rink (Bd. 5 1 ). Uber Piidagogik, herausg. von Rink (Bd. 5 0 ) . 9 . Aprii: Letzter erhaltener Brief Kants. 1 2 . F e b r u a r , vormittags 1 1 Uhr: K a n t s T o d . · 2 8 . Februar : Begrabnis. 2 3 . Aprii : Gediichtnisfeier der Universitat (Walds Gediichtnis­ rede). Mai: Kants Preisschrift Uber die Fortschritte der Metaphysik sei t Leibniz und Wolf (geschrieben l 790), herausg. von Rink (Bd. 46 c).

Anhang : Quellen texte

Die Texte, d ie diesem Nachd ruck der VorHind erschen Kant­ Biograp hie von 1 9 2 1 beigege ben sin d , sollen das v o n Vor­ Hinder in geraffte r Form Darge stellte d urch Berichte von Zeitgenossen Kants illustriere n . Alle hier gesam melten Texte sind bereits a n anderen Orten publiziert ; d ie Dru ckvorlage ist j eweils angegebe n .

FICHTE , J o hann Gottlie b , g e b . 1 9 . S . 1 76 2 i n Ram menau/ Oberlausit z , ge st. 29. l . 1 8 1 4 in Berlin . Zum Verha!tnis Kant-Fichte vgl . den Kantischen B riefwechsel ( incl. ,Offent­ liche ErkHiru nge n ") ; R . Reicke : Fichte's erster A ufen thalt in Konigsberg, in : Deutsches Museu m ( Leipzig) Bd. l , 72 1 -736 ; 767-78 5 (zit. nach Ak .XI I I , 3 0 3 ) ; Vorl . l l , 2 6 I-2 6 5 . Aus: Johann Gott lieb Fichte's Leben u n d literarischer Briefwechsei ( s . Bibl. N r. I 7) S. I 2 9 ; I 36/ I 37. - Schon Iange wollte ich Kant ernst hafter besuchen , fan d aber kein Mit t e l . Endlich fie! ich darauf, eine ,Krit ik aller Offenbarung" zu schreiben und sie ihm statt einer E m pfehlung z u iiberreichen . l e h fing ungefahr d e n I 3 . d a m it a n und arbeitete seit d e m unu nterbro chen fort . - Am 1 8 . August iiberschickte ich endlich die nun fe rt ig gewordene Arbeit an Kant und ging den 2 3 . hin , u m sein Urtheil dariiber zu hore n . Er e m p fing mich mit ausgez eich­ neter Giite und schie n se hr wohl mit der Abhand lung zufrieden . Zu einem na hern wissenschaftlichen Gesprache kam es nicht ; wegen meiner p hiloso p h ischen Zweifel verwies e r mich an seine ,Kritik der rein e n Vernunft " und den Hofprediger Schulz , den ich sofort au fsu chen werd e . Am 2 6 . speiste ich bei Kant in Ge sellschaft des Professor Sommer und fand e i nen seh r ange nehme n , geistreichen Mann an Kant ; erst j e t z t erka nnte ich Ziige in ihm , die des

Quellentexte

217

groBen in se inen Schriften niedergelegten Geistes wiird ig sin d . Am 3 . September wurde i c h zu K a n t eingelad e n . Er em pfing m ich m it seiner gewohnlichen Offenheit , sagte aber, er habe sich i.iber meinen Vorschlag noch nicht resolvirt ; jetzt bis in vierzehn Tage n se i er auBer Stand e . W e !che liebenswi.ird ige Offe nheit ! Uebrigens machte e r Sc hwierigkeiten i.iber meine desseins, welche verriethen , daB er unsere Lage in Sachsen nicht genug kennt. M . Gensichen war zugegen . * ) - - Fri.ih besuchte ich Professor S chmalz, ohne Erfolg fi.ir meine Sache. Alle d iese Tage habe ich nichts ge m acht ; ich will aber wieder arbeiten und das Uebrige schlechthin Gott i.iberlasse n . - Den 5. besuchte mich von Scho n * * ) und nahm m ich m it sich zu der Promotion eines Israeliten Hirsch. Ich ging hierauf auf Einladung zum Hofpredige r , wo ich niemand traf als Gensichen und d ie Frau Hofpredigerin , d ie sehr in m ich drang, weil sie meinte, ich sei in groBer Noth. lch werde kein Bauer sei n , ihr meine Lage zu geste hen . Ich gestand n ichts ! - Am 6. Ich war zu Kant gebeten , der m ir vorschlug, mein Manuscript i.iber d ie Kritik aller Offe n­ barung durch Vermittelung des Herrn Pfarrer Borowsk i an Buchhlind ler Hart ung zu verkaufe n . Es se i gut geschriebe n , meinte e r , da i c h v o n Umarbeitung sprach. 1 s t d ies wahr? Und doch sagt es Kant ! Uebrigens schlug er m ir meine erste Bitte ab. - A m l O. war ich zu Mittag bei Kant . Nichts von unserer Affaire ; M. Gensichen w a r zugege n , u n d nur allge meine, zum Theil sehr interessante Gesprliche ; auch ist Kant ganz unverlindert gegen m ie h d erse! be. - - A m 1 3 . Heute wollte ich arbe iten u nd t hue nichts . Mein Mismuth * ) Johann Friedrich Gensichen, geb . 1 75 9 , aufl.erordentlicher Professor an der Universitiit zu Konigsberg u nd Inspector des Alumnats am Collegium Albertinum, bekannt als Vertheidiger der Schulz 'schen Theorie der Parallellinien u nd Verfasser eines Aus­ zugs aus Kant 's ,Naturgeschichte des Himmels ", starb 1 80 7 (vgl. Hallesche Literaturzeitung , IV, 782). Er gehorte zu Fichte 's damaligen konigsberger Freunden. * * ) Heinrich Theodor von Scho n , der ausgezeichnete preufl.i­ sche Staatsmann, der Freund Stein 's , besonders hochverdient als Oberpriisident der Provinz Preufl.en.

218

Anhang

iibe rfallt m ich. Wie wird dies ablaufen? Wie wird es heut iiber acht Tage u m m ich stehen? aufgezehrt !

Da ist mein Geld rein

Aus : Aus den Pa p ieren des Ministers und Burggrafen von Marienburg, Theodor von Scho n . Erster Theil, Halle

1 875, S.

8- 1 0 . Wahrend meiner letzten Studenten- und ersten Refe­ re ndarienzeit hatte die Bekanntschaft , j a Freund schaft von zwei Mannern noch einen entschie denen EinfluB auf die Richtung, w elche nachher sich bei m ir entw ickelte . D ie streng w issenschaftliche Verfolgung beim S chulunter­ richt fand damals noch nicht Statt und mein Studieren auf der Universitat war Anfangs m ehr ein Aufnehmen desse n , was mir zu sagte , als e i n m i t anhaltender Thatigkeit gefiihrtes Studiu m . Da lernte ich den damaligen Lieu te­ nant jetzt Generai von J aski kennen . Er war in Ko nigsberg auf der Militairschule , aber was d iese Schule lehrt e , hatte e r sich bald angeeignet und stu dierte deshalb fo rm lich wie ein i m m at riculirter Student. Er horte bei m ehreren Profes­ sore n , namentlich bei Kant und Kraus Vorlesungen und arbeitete mit einer Thatigkeit und Anstrengung , w ie sie m ir noch nicht v-orgeko m men w.ar. Unsere Charactere sagte n einander zu, und du:rch ihn ging m ir erst das B ild auf, wie man studieren. miisse.. Der zweite Mann dieser Zeit , dem ich viel verdanke , ist Joh. Gotti. Fichte . Er . war aus der Schweiz nach Konigsberg geko m m e n , Iebte in eine m .Privathause auf se:i nem Z imm er ohne alle weitere Bekanntschaft , um seine Kritik der Offenbar.ung zu vollenden und sie Kant vorzulege n . Vorsatzlich vermied er e s , Kant bekannt zu werde n . Kant so lite erst d urch seine S chrift von seiner Existenz Kennt n ill erhalten . Er kam zuweilen in das S peisehaus, in welchem ich Mittag aB, und eine gelegentliche AeuBeru ng zu einem Gesp rach zweier Tischgaste iiber Kant's Schrift vom Dasein Gottes, machte die ganze Ge sellschaft und besonders mich auf ihn aufm erksa m . Da er jeden Umg,mg vermied , so war es Anfangs schwierig , ihm nahe zu kommen ; es gelang m ir indesse n ; er theilte m ir seinen Pian m it , und wir wurden Freunde. Als er die Kritik der Offenbarung vollendet

Quellentcxtc •"

2 19

hatt e , schick te er sie an Kant m it der Oedicatio n : , ,Dem Ph i/osophen " un d ba t Kant in de m U e berreichu ngsschrei­ ben, dem Manuscripte se ine Aufmerksamkeit zu widmen . Nach 2 Tage n schickte Kant das M a nuscript an Fichte zurlick mit Aeuf.)erunge n der Freude d arliber und m it der Bitte, dal.) Fichte ihn bald be suchen moge . Zu dem Manuscript hatte Kant weder Be merkungen n och Z eichen ge macht ; nur allein die Oedication ,dem Philosophen" war du rchstriche n . Nun ging Fichte zu Kant und dieser ford erte ihn gleich auf, das M anuscript drucken zu lasse n . K a n t besorgte d e n Verleger Hartung, u n d es w a r Kant angelegentlich daru m zu thun, Fichte mit den Philosophen von Fach, namentlich mit dem Hofp re d iger S chulz und dem Professar Porschke perso nlich bekannt zu machen und so k am F ichte durch Kant in Konigsberg in die gelehrte Welt . HAM A N N , Johann Georg , geb . 2 7 . 8 . 1 7 3 0 in Konigsberg , gest. 2 1 . 6 . 1 7 8 8 in MUnster. - Ober seine Beziehungen zu Kant vgl . den Kantischen B riefwechsel und den von Ziesemer un d Henkel edierten Haman n-Briefwechsel ; weiterhin : E . Heintel : I m m anuel Kant und J ohann Georg Hamann als Briefpart ner, in : Antaios 5 ( 1 9 6 3 ) 469-4 7 5 ; Vorl . l , 90-9 4 . Aus: J . G . Hamann : Briefwechsel ( s . B i b l . N r . 1 8 ) B d . l , S . 3 6 2 ( Brief vom 1 2 . 7 . 1 7 5 9 an den Bruder) . Ich bin am Anfange dieser Woche in Gese llschaft des Herrn B. u n d Mag. Kant in der Wind mlihle gewese n , wo wir zusammen ein biiurisch Abendbrodt im dort igen Kruge gehalt e n ; seitdem uns nicht wieder gesehen . Unter uns - u nser Umgang hat noch nicht die vorige Vertraulich­ keit , und wir legen uns beyde dadurch den groBten Zwang an, dal.) w ir allen S chein def.)elbe n vermeiden wolle n . Die Entwickelung dieses S pieles sey Gott empfole n , deBen Regierung ich mich UberJaf.)e und von ihm We ishe it und Gedult dazu bitte und ho ffe . B d . 2 , S . 2 3 4 ( B rief vo m l . 2 . 1 7 6 4 an 1 . G . Lindner) . . . . Er hiilt j etzt ein Collegium ftir den G e n . Meyer und se . Officier, das ihm viel Ehre und Nutzen bringt , weil er fast

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Anhang

tagl . speist und m it einer K utsche zu sn V orlesungen geholt w ird in Mathesi und Geographia physica . Durch einen Strudel gesellschaft l . Zerstreuungen fortgeriBen , hat er e ine Menge Arbeiten im Kopf, Sittlich keit , Versuch einer neuen Metaphysik , einen Auszug sr . Geographie P hysik , und eine Menge kleiner I deen , von denen ich auch zu gewinnen hoffe . Ob das wenigste eintreffen w ird , m uB noch im mer zweifeln. B d . 5, S . 4 1 8 ( Brief vom 1 4 . 4 . 1 7 8 5 an Herder) . . . . DaB K . einer unserer scharfsin n igsten Kopfe ist , muB ihm auch sein Feind einriiu men, aber leide r ! ist d ieser Scharfsin n sein boscr Diimo n , fast wie LeBings seiner ; denn eine neue Scholastik und ein neues Pabstum sind die beyden M idasohre n unsers herrschenden Seculi. H E R D E R , Johann Gottfrie d , geb. 2 5 . 8. 1 7 44 in Mohrun­ ge n/Ostpr. , gest . 1 8 . 1 2 . 1 8 0 3 in Weimar. - Ober se ine Bezie hungen zu Kant hat Herder sich an vielen Stellen geiiuBert , am bekanntesten ist die von Vorliinder S. 46f. diese r Ausgabe wiedergegebene Stelle aus de m 7 9 . Humani­ tiitsb rief. Weitere Quellen sind vor alle m der He rdersche Briefwechsel un d die unte n angegebenen Werke , aus denen einschliigige Texte ausgewiihlt wurd e n . A u f d i e Beziehungen Kant-Herder gehen d i e groBeren Herder-Darstellungen fast alle ausflihrlich ein . Speziell m it Herders Studienzeit in Ko nigsberg be fassen sich u . a . : B . Suphan : Herder als Schiile r Kants, in : Ze itschrift fiir deutsche Philologie . Halle 1 8 7 2 , B d . 4 , 2 2 5 -2 3 7 und neuerdings : W . Dobbek : J ohann Gottfried Herders J uge ndzeit i n Mohrungen und Konigsberg 1 7 44- 1 7 6 4 , Wiirzburg 1 9 6 1 ; vg l . auch Vorl . I , 1 4 5- 1 48 ; 1 7 2- 1 7 4 ; 2 3 3-2 3 5 ; 3 1 7-3 2 5 u . 6 . Aus : Aus dem Briefe eines Freu ndes von d e m Herrn Biirgermeister Cari Wilpert in Riga an diese n , in : Herder's Lebensbild , l . B d . , l . Abt. (s. Bibl. Nr. 2 1 ) S. 1 3 7/ 1 3 8 . - Schwerlich werde ich D ir , mein Lieber, etwas von unserm Herder sagen ko nnen , was das, was seine Wittwe schon wissen wird , ergiinzen konnte. Er kam aus M o hrun­ ge n , vermuthlich m it Trescho's E mpfehlung , in's Colle­ giuro Frideric. als I n spicient und nachm als auch als

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Lehrer. I eh ho rte mit ihm bei Kan t die Meta p hy sik , M oral und p hysisehe Geogra p hie . Wir saf!.en an Einem Tise h ; er war damals sehtiehtern und still; sein Gang war gebtiekt und sehnell - seine Auge n mehrentheils krank ; seinem Aeuf!.ern sahe m an es an , d af!. er arm war ; se in Ge ist war aber sehon damals re ieh, und wenn er sich tiber den Vortrag des Le hrers mitt heilte , so war das so grtindlieh und entsehieden, daB er seinen Commilitonen A ehtung und Liebe abno thigt e . - Bei Dr. Lilienthal horten wir zusam men Dogmat ik , sonst habe ieh nieht niihern U mgang mit ihm ge hab t . Er lieB damals bisweilen in der Ko nigsberger Zeitung Gedichte einrtieken, d ie mehrenthe ils etwas S ehwiirme­ risehes hat ten. Ieh erin nere mich, daf!. Kan t einmal bei Gelege nheit eines Charfreit ags-Gediehtes sagte : ,Wenn das brausende Genie wird abgegohre n habe n , wird er mit seinen groBen Tale nten e in ntitzlieher M an n werden . " Aus : Brief Herders a n Hamann vom 1 4 . 2 . 1 7 8 5 , in : Haman n , Briefweehse l , B d . 5 ( s . B i b l . Nr. 1 8 ) S . 3 6 2 / 3 6 3 . . . . In Jena ( ist) ward vo rigen Jahrs eine Literaturzeitung m it so groBem Pom p angektindig t , an der aueh Kant als Einer der ersten Mitarbeiter genannt war. Und siehe d a im 4ten u. 5 ten St . erseheint eine Reeension der Ideen , so hiimiseh u. verdrehend u . meta p hysiseh u. ganz auf!.er dem Geist des Buehs von Anfang bis zu Ende , daf!. ieh e rstaunte, aber an niehts wenige r daehte , als d af!. Kant , mein Lehrer, u . den ieh nie wiBe ntlieh m it etwas beleidigt habe, (s)eines so niedertriichtigen Werks fiihig sey n konne . (Er) Der Re e. zu p ft m ich d arinn nehml. m it meinem Stan d e , legt von fe rn Feuerbriinde 3 . oder 4 . m al an, so daB es nieht an ihm liegt , wenn sie nieht ztinden . Ieh sann hin u. her, wer in Deutsehland so ganz auBer dem Horizont Deutsehlan ds u . des Buehs selbst sehreiben konne ; bis endlieh einer dem andern ins Ohr raunt u . es jetzt laut gesagt wird : es ist der grol!.e Metaphysieus Kant zu Ko nigsb . in Pr. - Zu eben der Zeit wird m ir von einem Kantsehen Aufsatz in der Berl. M o n . sehr. gesag t , der aueh ,Idee zur Geseh. des Mensehengesehl. a ber im weltbtirgerl . Verstande seyn soll" u . da ieh den Aufsatz lese , habe ieh freilieh aueh tiber die Re e . , aber nicht Uber den Charakter

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A nhang

des Mannes AufsehluB. Denn wie ham iseh u . K naben­ mliBig es sei , den Pian eines unvollendeten , kaum angefan­ genen Buehs aus der Vorre de zu nehmen , darauf eine I dee in eben der M anier sogar hinzustellen u. zu thun, als ob kein Bueh der Art in der Welt wlire ; gar von einem Newton u . Kepler zu red e n , der diesen Kan tischen Pian ktinftig ausftihre u . si eh so denn hinzusetze [ n ] u. in einem J ournal das m ir unter den Augen erseheint u. deBen Haupt entrepreneur in Weimar lebt , mein angefangnes, unvolle n­ detes Bueh auf die linkste Weise zum eaput m ortuum zu maehen - das fallt j e d ermann in die A ugen u . kann nur dureh die Kritik der reinen Vernun ft gereehtfertigt wer­ den. Gut, d aB ieh jetzt weiB, was ieh an dem HErn . M agistro VII . artiu m habe ; u. gltieklieh , d aB i eh seinen kindisehen Pian , d aB der M enseh ftir d ie Gattung u. die vollkommenste Staatsmasehiene am Ende der Zeiten ersehaffen sei, nieht b rau ehe. Was ieh von Ihnen bitte , liebster Fr., ist d aB Sie ihm ktinftig keine S ehriften von m ir, als einem Freunde, p rima m anu eommunieiren u . weiter a n m ie h gegen ihn nieht gedenken . I eh laBe dem HErn. Apollon . den metaphys. kritisehen Riehterstul, auf d e m er sich bili h et : d e n n ftir m ie h ist dieser voller Dunst u . gaekliehen Wolken . Sie do rfen sieh aueh gegen ihn e s mit keiner S ylbe m erken laBe [ n ] , d aB ich von der Re e . oder dem Ree. ein Wort weiB ; es soli m ir herzl. lieb sey n , wenn ieh sein l dol der Vernunft ( seha) z urtiek sehauern maehe oder verwtiste. Wie ieh von mehrern fremden Orten hore , ha t die Ree. kein Gltiek , gemaeht : so ndern ist m it einer Verwundrung au fge nommen , die ( aueh) H E . Kant aueh ein Zurtieksehaudern der Vern . nennen wird . Seine letzten Prlieeptorliehen Lehren an mieh sind ganz unanstlindig : ieh bin 40 . J a hr alt u. sitze nicht mehr auf seinen metaphysisehen S ehulblinken. Das Gesehwtir sitz t aber darinn , d aB ich dem HErn . Prof. nieht in seinem S ehlen­ drian von Wortgaukeleien gefolgt bin, daher er sieh tiber m eine Eigenthti m liehkeit u . unmliBiges Genie so albern besehwere t . Doeh satis superq ue ! - Der Himmel helfe m ir dureh mein Bueh u. ieh will der Metaphysiker in s Fliustehen laehen , deren Stolz , wie aueh aus Kants B r . an Lambert erhelle t , u. unertrligl. Selbstgeflilligkeit nichts als des Laehens werth ist .

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Aus : Vorre de zu ,Kalligo ne" ( s . B i b l . Nr. 1 9) S . 1 2 / 1 3 . Vor mehr als dre iBig J a hre n habe ich einen Jiingling gekan n t , der den Urheber der kritischen Ph ilosophie selbst und zwar in seinen bliihenden mannlichen J ahre n , alle seine Vorlesu ngen hindurch, mehrere wiederholt , hort e . * ) Der Jiingling bewunderte des Lehrers d ialekti­ schen Witz , seinen politischen sowohl als wissenschaft­ lichen S charfsinn , seine Beredsamkeit , sein Kenntnisvolles Gedachtnis ; d ie S prache stand dem Redenden immer zu Gebo t ; seine Vorlesungen waren sinnreiche Unterhaltun­ ge n mit sich selbst, angenehme Conversationen. B ald aber merkte der Jiingling, daB, wenn er sich diesen G razien des Vortrages iiberlieBe , er von einem feinen d ialektischen Wortnetz umschlunge n wiird e , innerhalb welchem er se lbst nicht mehr dachte . Stre nge legte ers sich also auf, nach j eder Stunde das sorgsa m-Geho rte in se ine eigne Sprache zu verwandeln , keinem Lieblingswort , keiner Wendung seines Lehrers nachzusehen und eben diese geflissent lich zu vermeiden . Zu solchem Zweck verband er m it dem Hore n das Lese n der bewahrte sten S chrift steller alter und neuer Zeit m it gleicher Sorgfalt , und erwarb sich dadurch , wie er glaubte, d ie Fertigkeit , in der Seele jedes S chrift­ stellers auf einige Zeit wie in seinem Hause zu wohne n , alle dessen Hausrath bequem u n d niitzlich z u gebrauche n , in alle n Zeiten und in den verschie d e nste n Denkarten z u leben , a b e r a u c h ausz iehen zu konnen u n d m i t sich selbst zu wohnen . In dieser Uebung best arkten ihn inso nderheit Plato, Baco, Shaftesburi, Leibnitz . Nie also fiihlte er sich freier und ferner vom Syst e m seines Lehrers , als wenn er dessen Witz und Scharfsinn scheu ehrt e . Young giebt einen ahnlichen Rath, die Alten dadurch in ihrem Sinne nachzuahme n , d aB man sich vo n ihne n entfernt . Wer will, befolge d e n Rat h ; e r w ird sich dadurch fre i , verjiingt , Herr iiber seinen Geist , iiber seine Feder u n d Zunge fiihlen . W e r gegentheils selbst im gemeinen G e * ) In den Jahren 1 76Hi5. in denen die falsche Spitzfindigkeit der vier syl/ogistischen Figuren; ., der einzigm6g/iche Beweis­ grund des Daseyns Gottes; der Versuch , den Begriff der negativen Gr6f3en in die Weltweisheit einzujìihren; die Beobachtungen iiber das Gejìihl des Sch6nen und Erhabenen u. f. erschienen.

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Anhang

sprlich kein Urt heil verstehen kan n , bis er es sich m it augenscheinlicher Mlihe in die kritische S p rache iiber­ se tz te, und es sodann von sich giebt ,transscenden tal­ kritisch," wer selbst m it Gott und mit seinem Weibe nicht anders als ,transscendental-kritisch" zu sprechen weiB , o der ist lahm , lahm an Worten , an Ged anke n , und gewiB lahm in Flihrung des Lebens. Welcher Gott , welcher Heilige hilft ihm zum eignen Gebrauch seiner Glieder? Ein schones Ze ichen der fortwahrenden Jugendkraft des Urhebers der kritischen Philosophie wlire es, wenn Er selbst , nachdem er die Uber- oder gegen se inen Willen e rfolgten Wirku ngen seiner Philosophie erlebt hat , sich von ihnen lossagte , den M isbrau ch derselben 6 ffe nt lich bezeugt e , und seinen primitiven Zweck erkllirt e , ,Nutz­ lose S peculation abzuthun, n icht aber durch einen dem Schein nach i m mer vollendeten , d er Wahrheit nach nie endenden Transscendentalismus Dornen ewiger Specula­ tion zu p flanz e n . " D ie beste Absicht kann m israt hen ; e in offnes Gestlind nis, daB sie misrathen sey , zeigt den Unte rnehmenden gr6Ber als sein Werk und als seine Absicht.

HOGENDORP, Dirk van , ge b . 1 7 6 l , gest . 1 8 3 0 , hielt sich als Leutnant in Konigsberg au f ( 1 7 8 0 ) . Hierzu vgl . A k . X ,2 8 5 f. ; Ak . XI I I , 1 0 7- 1 0 9 ; Hamann-Briefwechsel B d . 4, 3 1 8 . Aus : Mémoires . . . ( s . Bibl . Nr. 2 4) S . 1 5 / 1 6 . Je pou rsu ivois toujours mes études, et je parvins à m e rendre facile la pratique des relevés s u r le terrain et des dessins topograp hiques, tale n t p re squ 'indispensable d ans la can ière que j 'avois embrassé e . Je ne négligeai pas non plus les ressources que m'offroit l'u niversité d e Koenigs­ berg. Le célèbre Kant en étoit alors un des professeurs. J 'avo is fait sa connaissance à la m aison de Keyserling , où il ve noi t souve n t . C'étoit un homme simple e t aimable ; sa conversat ion , sans pédanterie e t sans p ré tentions, fe soit presque oublier l'homme de génie . Je lui m anifestai mon dé sir de l'ente ndre e n public ; e t su r so n conse il j e suivis ses cou rs d 'anthropologie . C 'est :à que j 'ai pu isé les p rincipes

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q u i ont se rvi depuis à me d irige r d a n s m e s relations avec !es ho m mes ; et j 'e n ai recon nu la j u stesse par !e s applicat io ns heureuses que j 'e n ai faites plusieurs fois. Je ne p arlerai p as ici du systè me philoso p hiq ue de ce grand et excelle n t ho mme. · Peu de gens l'ont concu bien distinctement à travers ce voile d'o bscu rité répandu sur se s écrit s : ce que je puis assu re r p ar expérience , c'est q u 'il en développoit lui-méme des fragments dans se s cours avec beaucoup de clart é , et que son élocution facile avoit à peine besoin des e x p lications q u 'o n lui demand oit quel­ quefois et qu 'il donnoit toujours ave c toute la complai­ sance imaginable.

KARAM S I N , Nikolai Michailowitsch, russisc her Schrift­ steller, geb . 1 2 . 1 2 . 1 7 6 6 in Michailowka, gest . 3 . 6. 1 8 2 6 in Petersburg ; er besuchte Kant auf seiner Euro p are ise im J ahre 1 7 8 9 ; Uber diese Re ise und seinen Besuch bei Kant in Konigsberg berichtete er in den ,Briefe n eines re ise nden Russen " , d ie erstm als i m ,Moskauer J o urna l" 1 79 1 ff . publi­ ziert wurden. - Zu K .s Besuch bei Kant vgl . Anton Palm e : Ein Be su eh Karamsins bei Kant, in : K S 5 ( 1 90 l ) 1 20- 1 2 2 ; Krawcz ynsk i : Kant u nd der Russe Kara m sin , in : Ko lnische Vo lkszeitung 1 9 2 4 , N r . 3 1 3 , 2 7 . Aprii . - E in Abdru ck d es Berichts in deu tscher S p rache finde t sich bei Palme und in den von K urt-Joachim Grau herausgegebe nen ,Kant­ Anekdote n " ( Berlin 1 9 24) ; e ine deutsche Neuausgabe des ganzen Reisebe richts (auf der Grund lage der deu tschen Ausg . von Richter - s. Bibl. N r . 2 5 ) e rschien 1 9 5 9 ( 2 1 9 64) i n Berli n . Aus : Brie fe e ines reisenden Russe n ( s . Bibl. N r . 2 5 ) S . 5 7 63. Gestern Nachmittags war ich b e y de m berli hm t e n K an t , einem scharfsinnigen und fe inen Metaphysiker, der Male­ branche un d Hume un d Leibnitz un d Bonnet stlirz te K an t , den einst der jlidische Sokrates, der verstorbcne Mendels­ sohn, den al/es zerm almenden K an t , nannte. ! e h hatte keinen Brief an ihn ; aber Klihnheit gewinnt Stadte , und mir o ffnete sie die T hlire des Philosophen. Ein kleiner -

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Anhang

hagrer Greis, von einer aull>erordentlichen Zartheit und Weill>e, e m pfieng mich. l eh sagte zu ihm : l eh b in ein russischer Edelmann, der deswegen reise t , um m it einigen beriihmten Gelehrte n bekannt zu w erden - und darum komme ich zu Kan t . Er not higte m ich sogleich zum Sitzen und sagte : ,Meine Schriften konnen nicht j edermann gefallen . Nur wenig lieben die t iefen metaphysischen Unte rsu chungen , m it welchen i eh mie h beschaftigt habe . " Wir sprachen erst eine halbe Stunde Uber verschiedne Gege nstande : von Reise n , von China, von Entd eckungen neuer Lander etc. lch mull>te d abey Uber seine geographi­ schen und historischen Kenntnisse e rstaunen, die allein hinreichend schienen, das ganze Magazin eines m ensch­ lichen Gedachtnisses zu fiillen, und doch ist dies bey ihm nur Nebensache . Darauf bracht ' ich das Gesprach , doch nicht ohne S prung, auf d ie moralische Natur des Men­ sche n , und folgendes hab ' ich von se inem Urt heile dariiber gemerkt : ,Unsre Hestim mung ist Thatigkeit . Der Mensch ist nie m ahls ganz m it dem zufrieden , was er be sitz t , und strebt i m mer nach etwas anderm . Der Tod t rifft uns noch auf dem Wege nach dem Ziele unsre r WUnsche . Man gebe dem Menschen al/es , wonach er sich sehnt , und in demselben Auge nblicke, da er es erlangt , wird er empfin­ den, dall> dieses A lles nicht al/es sey . Da wir nun hier kein Zie! und Ende unsers Strebens sehen , so nehmen wir eine Zukunft an, wo sich der Knoten loll>e n mull> ; und dieser Ged anke ist dem Menschen um so ange nehmer, je weniger Verhaltnill> hie nieden zwischen Freu de und Schmerz , zwischen GenUssen und Entbehru nge n , statt findet . l ch fiir meine Person erheitre mich damit , dall> ich schon Uber sechzig J ahre alt bin , u n d dall> das End e m eines Lebens nicht mehr fern ist , wo ich in ein besseres zu kommen hoffe . Wenn ich m ich jetzt an die Freuden erinnre , die ich wahrend meines Lebens genossen hab e , so empfind' ich kein VergnUge n ; denk' ich aber an die Gelgenheiten , wo ich nach dem Moralgesetz handelte , das in m ein Herz geschrieben ist , so fUhl' ich die re inste Freud e . l ch nenne es das Moralgesetz; andre das Gewisse n , die Em pfindung von Recht und Unrecht - man nenne es wie man will ; aber es ist. l e h ha be geloge n ; kein Mense h weill> es, u n d i eh

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sc h a m e m ic h d o c h . - F re y l i c h i s t d ie W a h rsc h e i n l i c h ke i t d e s k ii n f t ige n L e b e n s n o c h i m m e r k e i n e G e w il� h e i t ; a b e r wenn

man

a l l e s z u sa m m e n n i m m t , s o g c b i e t e t

d ie V e r­

n u n ft , d a r a n zu g l a u b c n . W a s wiirde a u c h a u s u n s w e rd e n , w e n n w i r es so zu sage n m it d e n A ug e n sa h e n ? wir dann dem

n i c h t v i e l l e i c h t d u rc h d e n R e i z d c ssc l b c n v o n

rec h t e n

w e rd e n ?

Wii r d e n

G e b ra u c h e

Redcn

z u k ii n f t ige n

d e s G cge n w a r t ig e n

wir aber von

Le be n ,

so

abgczogen

B c st i m m u ng , v o n e i n e m

se t z e n

wir

d a d u rc h

sc h o n

das

D a se y n e i n e s e wige n u n d schop[erisch e n Vers tandes vor­ aus, der a l le s z u i rge n d e t w a s , und zwar z u c t w as G u t e m s c h u f . W as ?

W i e "l

- H i e r m ut� a u c h d e r c r s t e W e i se se i n e

U n w isse n he i t

bek e n n e n .

Fackel

und

au s ,

wir

D ie

Vernu nft

b l e i be n

im

l éi sc h t

D u n ke l n .

h ic r i h re Nur

die

E i n b i l d u ngskraft k a n n i n d iese m D u n k c l h e r u m irrc n u n d P h a n t o m e sc h a f fe n . " E h rw ii r d ige r M a n n ' v e rz e i he , w e n n i c h D e i n e G e d a n ke n i n d ie s e n Z e i l e n e n t s t e l l t habe . Er

ke n n t

L ava t e r

und

hat

m it

ihm

corre s p on d i r t .

, Lava t e r , ' ' sag t e e r , , , ist se h r l ie b e n sw ii r d i g , in R ii ck s i c h t se i n e s g u t e n H e rze n s ; a b c r se i n e a u � e r o rd e n t l i c h l e b h a f t e E i n b i l d u ngskraft

m ac h t ,

da�

er

sich

d u rch

Phantomc

b l e n d e n l a� t . a n M ag n e t i s m u n d d e rg l e i c h e n g l a u b t . " l e h e r w ii h n t e se i n e r F c i n d e . , S i e w e r d e n s i e k e n n e n l e rn e n , sag t e Kan t , u n d S i e w e r d e n f i n d e n , d a � si e a l l z u m a h l g u t e M e n sc h e n s i n d . " E r s c h r i e b m i r d ie T i t e l v o n z w e y e n se i n e r S c h r i f t e n a u f , d ie i c h n o c h n i c h t g e l e s e n h a b e : Kritik der p rak ti­ schen

Vern u n[t, u n d Me taphysik der Sitten

-

u n d d i c ses

Z e t t e l c h e n w e rd ' i c h v e r w a h re n , w i e e i n h e i l ig e s A n d e n ­ ke n . l n d e m e r m e i n e n N a m e n i n se i n T a sc h e n b u c h s c h r i e b , w ii n s c h t e e r , d a� sich e n d l i c h e i n m ah l a l l e m e i n e Z w e i fe l léi�e n m éi c h t e n . D a rau f s c h i e d e n w i r . D a s , m e i n e F re u n d e ! i s t e i n e k u rz e B e s c h re ib u ng e i n c r fii r m ic h a u � e rst i n t e re ssa n t e n U n t e rr e d u n g , d ie ii b e r d re y S t unden

d a u e rt e .

u nv e r st ii n d lic h ;

-

ich

Kant m u il. t e

s p r i c h t ges c h w i n d , a l le

l e i se

und

m e i n e G e h éi r n e rv e n a n­

stre nge n , u m z u v e r st e h e n , w a s er sag t e . Er b e w o h n t e i n k l e i n e s u n a n se h n li c h e s H a u s . U e b e r h a u p t i s t a l l e s b e y i h m alltiig/ich , au sge n o m m e n s e i n e Me taphysik .

Anhang

228 P O RSCHKE ,

Karl

Ludwig, geb. 3 . l . 1 7 5 1

in Molschne n ,

gest. 2 4 . 9 . 1 8 1 2 in Konigsberg , Pro f. f. Philo sophie in Konigsberg, S chiiler Kants. Uber seine B e z iehungen zu Kant vgl. V or!. I I , 1 3 9 . 3 3 0 u. o. - Lit . : Prantl , in : A D B ; Lehnerd t , in : APrB 2 , 5 1 1 . Aus: B rief Porschkes an Fichte vom 1 4 . M arz 1 7 9 7 , in : Fichte's Leben, B d . 2 , S . 446-447 ; 2 . 7 . 1 7 9 8 , S . 4 5 1 . . . . lch freue mich Uber Ihren eigenthtimlichen Weg in der Philosophie , auch daru m , d a1.\ dem heillo sen Geschrei der Kantianer gewehrt wird , die ich ftir die frechste Rotte (kaum die Dominicaner ausgenom men) wegen ihres ganz verdum menden Nachbetens und ihrer Intoleranz gegen Andersre dende halt e . So ehrwtirdig und lieb m ir der Genius Kant, der beinahe der e inzige Gelehrte , m it dem ich hier Umgang habe , ist , ein Mann, m it dem ich schon gegen dreillig Jahre zu dieser Universitat gehore , dessen Redlichkeit vielleicht niemand besser als ich kennt und dessen Wahrhaftigkeit untibertreffbar ist , so sehr sind mir die Kantianer zuwider, unter welchen selten j e m an d ist , der den groBen Geist seines Meisters ahnt . Kant ist nichts so nattirlich gewese n , als ein gro1.\er Weltweiser zu se in ; von allen Menschenseelen ftihlt er am wenigsten seine GroBe, er ist gewill e in Muster von bescheidenem Schrift ­ stelle r ; oft hore ich ihn edelmUthig Uber seine Gegner urtheilen , nur mUssen sie ihn nicht wie M o nche und personlich angreife n , dann wird er bitter. Ihm selbst habe ich meine n Widerwillen gegen die Kantianer gewiese n , die ebe nso wie die m eisten Christe n sin d , deren Vorganger auch als ein herrlicher Mann dasteht . Ich bitte Sie , edler Mann, da I hre Stimme so geehrt und geftirchtet in Deu tschland ist , helfen Sie doch die Philosophie von der S chm ach der Beinamen ret t e n , helfe n Sie doch auch den Namen kritische Philo sophie vertilgen. Wir haben ja ebe nso wenig eine kritische als eine Euklid ische und Wolf'sche Mathematik ; wir solle n j a Philosophie schlecht­ w eg habe n. Selb st die Klugheit verbietet uns in m anchen Landern , den Philo so p hen einen Beinamen , d er so gut als ein Brandzeichen ist , zu geb e n , denn es wird , wenn es so fortgeht, spatestens nach Kant's Tode , eine Zeit kom men , da der N a me Kan t 'scher un d sogar kritischer Philosoph ein

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rother Mantel sein wird , den .eine gewisse tolle Bliffelart mit FliBen treten wird . Kant wird wahrscheinlich n icht u nsterblich sein, weil man ihn schon jetzt flir todt ausgibt . Der Geburtshelfer Meckel aus Halle hat von ihm liippisches Zeug ausgebre i­ tet, daB es m it ihm vorbei wiire , daB er sinnlos geworden. Meckel, der wol besser Leibe sfrlichte als Geistesfrlichte unterscheiden mag, hat bei seiner Durchreise nach Peters­ burg den offenherzigen Kant besucht und seine unzeitigen K lagen liber Bedrlickung des Kopfs durch die Trockenheit der Luft anhoren mlisse n . Daru m ist Kant 's Geist noch nicht erstorben ; zum anhalte nden Denken ist er freilich nicht mehr geschickt ; er lebt groBentheils nur von de m reichen Vorrat he seines Gediichtnisse s ; doch auch jetzt noch macht er oft ausnehmende Combinationen und Entwlirfe. Da ich so oft vier Stunden ununterbrochen mich mit ihm un terhalten muB , so kenne ich seinen ko rperlichen und geistigen Zustand aufs genauest e , er verhehlt m ir nichts. Seinen Lebenslauf von seinen frlihe­ sten Kinderjahren an weiB ich aus seinen vertrauten Erziihlunge n ; er hat m ic h mit den kleinsten U mstiinden seines Fortgangs bekannt gemacht ; dieses soli m ir d iene n , w e n n einst d i e B iographen w ie Aasvogel um sein Grab schreien werden. Auch hier hat m ancher ein Leben des todten K. neben Leichenge d ichten in Bereitschaft . Da er keine Vorlesungen mehr hiilt , sich von alle n Gesellschaf­ ten,

das

Haus des Freundes Mot herby ausge nommen ,

zurlickgezoge n hat , so wird er allmiihlich auch hier unbekannt, selbst sein Ansehen wird geringer. Gediichte ich auch klin ftig nie seiner Philosophie , so werde ich doch nimmermehr seiner Wahrhaftigkeit und Herzensglite ver­ gessen . AuBer einigen wohlwollenden Urtheilen liber m ich und seinem U mgange habe ich gllicklicherweise von ihm keine Gefiilligkeit erhalten. Ich kann nie sein Andenken hasse n . Verlassen Sie sich darau f, daB ich Ihnen se inen letzten Schritt gleich melden wlirde . . .

2 3D

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SCHEFF,NER, J,ohan n George , geb. 8 . 8 . 1 7 3 6 in Konigs­ berg, gest . 1 6 . 8. '1 8 2 0 in Ko nigsherg , Kriegsrat , m it Kant be freu nde t ; nach Kants Tod hat er sich besond ers um die wiirdige Gesta1tung vo n Kants Grabstatte verdie nt gemacht . Lit . : E . Bren ning, in : A D B 3 0 , 6 8 5 -6 8 8 ; C . Diesch, in : APrB 2,600.

Aus : Mein Le ben . . . ( s . Bibl. N r . 3 3 ) , S. 3 6/ 3 7 , S. 2 3 8-2 3 9 ; S. 3 0 5-309 . Auf gute Wohnung hab ich von j eher geha1te n , so wie auf Ordnung in meiner Stube, auf der m an daher nie soge nannte Studen tenwirthschaft , vielmehr alles best mog­ lichst au fgefliehen und unbestaubt antraf. In m anchen Stiicken bin ich ein wahrer Ordnungsped ant , der sich biswei1e n argert , wenn man Graten und Knochen auf .den Tellern nicht bey Seite 1egt . Se1bst in einem fre m den Zimmer ist es m ir unange nehm , d ie Stiih1e nach ihrem Ge brau ch nicht g1eich wieder an Ort 'und Stelle gesetzt zu se he.n. Kant dachte in diesem Stiick anders ; die Wande seines Wohnzim mers waren von Staub und vom Rauch seiner Morge npfeife grau Uberzoge n , und a1s ich einma1 wahrend dem Z uhore n seines Gesprachs m it Hippe1 einige Ziige m it dem Finger an der Wand m achte , wodurch der weiBe Grund wieder sichtb ar wurd e , da sagte Kant : ,Freun d , waru m wollen sie den A1terthumsrost zersto­ ren? 1 st eine so1che von se1bst en1standene Tapete nicht besser, a1s eine gekaufte? " . . . So 1ange Kan t noch ausging, war er bey nah j e d esma1 unter meinen Gasten , ich aber habe nie zu se inen com mensalibus regu laribus ge hort . Es fallt m ir hier ein k1einer Zug von i hm bey , der in de n vie1en : Ue ber lmanuel Kan t nicht steh t ; um ihn n icht zu vergesse n , se tz' ich ihn her, wohin er weder der Zeit noch dem Ort nach gehort . Bey einem Besuch, etwa ein J ahr vor seine m T o d e , konnte er im Gesprach das rechte Wort zur Erw iederung nicht finden, a1s ich nun einhe1fen wollte , ergriff er m eine Hand mit den Worten : ,Nein , nein , Freu nd , he1fen sie m ir nicht , mein Kopf muB se1bst damit heraus" er wandte darauf die Ausdriicke so 1ange, bis er d ie ganz richtigen fand , d ie er

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mit einem rechi zufriedenem ,se hen sie wohl, Freu nd" begleitete. Da mir im ganzen Leben nichts Ausgezeichnetes begegne t , noch von mir ausgerichtet ist , so weiB ich auch von den letz ten zwey Ja hren nichts Erhebliches anzuflih­ re n , es w lire de nn, d aB ich i m J ahr 1 8 09 . auf de n Gedanken kam , das ganz unbrauchbar gewordene Profes­ sorgewolbe an der Kneiphofschen Kirche , in dem auch Kan t seine ganz unbemerkt ge bliebene Grabstlitte e rhalte n hatte, in einen Spaziergang fiir d ie auf dem Co llegio Albe rt ino Wohnenden und andre Bewegungsbediirftige zu verwandeln und bey der Gelegenheit auch etwas zu Kan ts Andenken zu stiften. Es wurde zu diesem Ende d ie 1 3 6 FuB lange und 1 5 FuB breite Gallerie mit Ziegeln ausgelegt, Kan ts Sarg au f einem Fliigel des Ganges angebrac ht, und ob es nun gleich in der Mahlerey abgeschafft ist , den Personen Zettel in den Mund zu gebe n , so hab ich doch iiber den Haupte ingang m it groBe n Buchstaben STOA KANTIANA und inwendlg in eben der Art das aus meinem schlechter gerathnen Hexameter und Pentameter vom Staatsrath Siiwern verwandelte Distichon se tzen !asse n : Hier, von den Geistern u mschwebt ehrwiirdiger Lehrer der Vorzeit , Sinne, daB, Jiingling, auch d ich riihme noch splites Geschlec ht. I n der Folge wurde beschlosse n , die Marmorbiiste Kan ts , die der Baum eister des hie sige n vo rziiglich gerath­ nen neuen S chauspielhauses, der Regieru ngsrath Miil/er , mit einige n Freu nden und Verehrern Kants durch Scha­ dow in Berlin hat te besorgen lasse n , auf die, mit einem Stein un d der Aufschrift : Sepulcru m I m m anuelis Kant n ati a . d . X . Calend . Maii a. M DCC XXIV . de nati pridie I d . Februar . a. M DCCC I V . hoc monumento signavit amicus Scheffner M DCCC I X . bezeichnete Statte z u stelle n . Obgleich in meine Biographie k e i n e Feyerlichke i t sbe­ schreibung aufgenommen ist , so will ich doch die aufneh-

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men , die an der gewohnlkhen jiihrlichen Feyer des Kantschen Geburt st ages, den 2 2 . Aprii 1 8 1 0 . , am ersten Ostertage Statt fan d . Es versa m m leten sich an diesem Tage Kan ts Freunde und verschiedene andre bedeutende Per­ sonen, z. B. der Canzler Freyherr von S chrotter, der Generai v. Sutterheim etc. in der Wohnung des Professors Hiillmann, von wo wir in den akadem ischen Senat gingen , vo m Magnificus, Profe ssor D . R e m er, empfangen und unter Vortritt der Pedellen in das Auditorium Maximum geftihrt wurden, um den vom Nachfolger auf Kan ts Lehrstuhl, de m Professor Herbart , libernommenen Vortrag liber d ie Geistesgeschichte Kan ts anzuhoren , nach dessen Beendigung der ganze Zug sich unter einer angemessenen Musik zu dem Grabe Kan ts verftigte , und ich der verhan­ gnen BUste d ie Decke abnah m , nachd em ich Folgendes dabey gesprochen ha t te : Der Glaube und d ie Hoffnung eines klinftigen Lebens, der gu t mlithige Wunsch, den Nachkom men Beweise vom A nerkennen und Gere chtsey n gege n Verdienste zu hinter­ lasse n , und auch selbst von ihnen nicht vergesse n zu werden , scheinen d ie Me nschen zu verpflichten und aufzu muntern , denen ein Andenken zu stift e n , die ehren­ voll das zeitliche Leben m it ihnen genossen haben . Zwar sorgen groBe Miinner selbst hinreichend flir ihr UnvergeB­ lichbleibe n im Geiste der Nachwelt durch Schriften und Thaten, d a w ir aber insgesam m t zu sehr an das Sinnliche gewohnt sin d , so wiir' es u nbillig das Erleichtern solcher Erinnerung durch das Errichte n sichtbarer Denkmale nicht eingestehen , oder es ftir liberflliBig erkliiren zu wolle n . Keinen kann es d aher befre mden, d a B d ie Freunde und Vere hrer Kan ts , ohne BesorgniB vor dem Spruch : !asse t die Todten ihre Todten begraben, d arauf bedacht gewesen sind , ein Zeichen ihres Andenkens an den Unsterb lichen auf die Erdstiitte hinzustelle n , unter der seine sterb liche Hlille ruht. Mo chte der Anblick dieses prunklosen Monum ents j e de n , der es sieht und sehen w ird , von der Zeitgenosse n Liebe und Hochachtung ftir den groBen Mann liberzeuge n , und i h n zugleich aufmuntern , s o scharf und richtig zu denke n , und so lebensweise zu handeln wie Im manuel Kan t.

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Die durch Einladung der siim mtlichen Senatoren ver­ mehrte Anzahl der, sonst e twa aus 20 Personen bestehen­ den, Tischge nosse n ging von da zu dem diesesmal etwas reichlicher angerichte te n Mahi, vor dessen Beginnung abgem acht wurde, dafl, die Geschichte dieses 2 2 . Aprils nebst Herbarts Vortrage gedru ck t , und das Kantsche Grabmal in Kupfer gestochen werden solite , welches auch 1 8 1 1 . ausgefiihrt ist . (s. die bey Nicolovius erschienene Schrift : lmmanuel Kants Gediichtnifl>feyer.) Es freut m ich gewifl, nicht wenig , d ieses Plans Ausfiih­ rung erlebt und meinem Freunde Kan t ein schickliches Grabmal bereitet zu haben. Gern hat t ' ich ihm das Krausische beygefiigt , da aber das Begrabe n im Professor­ gewi:ilbe nicht mehr Statt findet , so liegt Kraus auf dem entfernten Kirchhofe der Cathedralkirche unter einem mit 4 Linden umpflanzten grofl>en Stein, auf den sein Haupt­ freu nd, der Landhofmeister v. A uerswald , nachstehend e , v o m jetzigen Bischofe v o n Ermeland , Prinzen von Hohen­ zollern gemachte l nschrift hat setzen lassen : lustus et Sapiens patriae profuit. SCHNORR VON CAROLSFELD , Veit Hans. Friedrich, geb . I l . 5 . 1 76 4 in Schneeberg , gest . 30 . 4. 1 8 4 1 in Leipzig, Maler; seine I 78 9 entstandene Portriit-Zeichnung Kants bezeichnete Hippei ais ,aufl>ero rdentlich iihnlich". D ie Zeich­ nung Schnorrs diente Bause ais Vorlage fiir sein Kant-Bild . Vgl. H . V . (=Hans Vaihinger) : Das Originai von Schnorrs Kantbild , in : KS I 4 ( 1 909) I 43 . Aus: Theodor Distei : Das end lich aufgefu ndene Originai von Schnorrs Kant-Zeichnung, in : KS I 4 ( 1 909) 1 44. lch Iernte den vielgefeierten Philosophen Kant persi:i n­ lich kennen. Dieses Mannes l ndividualitiit vera nlasste mich, den Ge hei men Kriegsrat v. Hippei mit meinem Wunsch, des Philosophen Kopf z u zeichnen , bekannt zu machen. Sehr baid wurde mir dieser Wunsch gewahrt . Und als ich in dieser Absicht Kant besuchte und von ihm eine Treppe hoch in d as Zim mer gefiihrt wurde, wo er sitzen wollte, sprach er : ,Sie werden an meinem Gesichte

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zweierlei Seiten find e n , d ie eine m agerer als d ie andere . Es steht nun bei Ihne n , wie Sie meinen Kopf nehmen wolle n . " E in aufm erksames Oberblicken u n d schnelles E rwage n Iiess m ich d as so charakterist ische D reieck seines scharf gezeichneten Profils wahle n . Die Folge rechtfertigte meine Wahl ; denn kau m hatte sich Kant gese tz t , als auch schon sein Blick vor sich hin - des jetzt zusammengesun­ kenen Korpers ganz vergessend - in das weite Universu m sich verlor. Nicht gar lange hatte er gesesse n , als er auf meine Anregu ng das Wort wieder nahm : ,lch habe eben ," sprach er, ,liber die Verschiedenheit meines Gesichts nachgedacht , und wenn ich eine Ursache d erselben ange­ ben solit e , so wlisste ich keine andere , als dass ich von J ugen d an bis heu te bei o ffenem Fenster so wir immer auf einer und derselben Seite Iiegend geschlafe n habe. Ob nun au f der einen Seite d ie Luft und von der andern d ie Bettwarme eingewirkt hat ? Dies w are w ohi moglich . " Nach beendigter Sitzung flihrte er mich in das anstos­ sende Zimmer, worin sein Bett am o ffenen Fenster st and , und fligte hinzu : ,So habe ich immer geschlafe n . " Dieses Zimmer enthielt zugleich seine B ibliothek . Die Reposito­ rien ware n mit grlinen Zugvorhangen versehen . Kants gewohnlicher vertraulicher Umgang waren der Mathemat iker Krause und Wasiansk y , d ie er gern u m sich hat t e . Kant war in Gesellschaft sehr heiter und gesp rachig ; liebte p hilosophisch ein gutes G las Wein und war vom Wirt und den Gasten irn mer gern gesehen . So dlirr und m ager aber, als ihn Reichardt geschildert , habe ich ihn nicht gefu nden, und d ass Kant im E ssen und Trinken libermassig gewesen , davon habe ich nie sprechen geho rt . Was nun meine Zeichnung betrifft - die ich noch ( d . i. u m 1 8 3 1 ) besitze - d iese m achte Hippel gro sse F reude . Sogleich ergriff er das Blei und schrieb auf d ie Rlickseite folgendes : ,Aussero rdentlich ahnlich ! Vergesse n Sie nicht , dem Herrn Dir. Oeser m ich freund schaftlich zu empfeh­ le n. Hippel a . 1 3 . Mai 8 9 ( 1 7 8 9 ) . Meine Kanzlei wlinscht I hnen e in e gliickliche Reise . "

N amen-Register Das Register bezieht sich nur auf den VorHinder-Te x t , j e d o c h nicht a u f d e n Anhang

A.

Abel (Lehrer Schillers) 151 . Abramson 127. Achenwall 43. A dickes, E. 45, 45 A , 201 A . d'Alembert 1 09. Alexander, Markgraf von Ansbach 84. Ammon (Professor der Mathema­ tik in Ki:inigsberg) 21 , 27. Ammon (Professor der Theologie in Erlangen) 1 7 1 . Andersch (Prediger i n Judtschen) 31 f . Arnoldt, E. X, 1 6 f., 25, 27, 28, 35 , 36, 41 A., 45, 57, 9-t, 96 A. , 9 9, 107, 108, 1 22 .!., 164 A., 176 A., 185, 1 87 . Auerswald, von (Freund von Krans) 109 A., 1 36. .

B.

Bielefeld, Baronesse von 1 59_ Biester 93, I OO A., 1 16, 1 19, 1 33 f., 1 55, 156, 1 58, 167, 1 76, 1 77 f. , 1 80, 1 8 1 , 185 f., 1 86, 1 87, 189 A. Birkenstock, von 172. Blnmenbach 1 5 1 , 153. Bobrik 142. Bock {Ober-Bibliothekar in Ki:i­ nigsbeFg) 79-82. Bock (Professor der Dichtknnst in Konigsberg) 77 . Bock (Verfasser eines padagog. Handbnchs) 95 . Bi:ickel, cand. theol. 200, 208 .!., 2U9 f. Bohlius 7 A. Bohme, Jakob 70. Boie 1 12. Born 151 . Borowski 3, 7J.. 1 1 , 1 6, 18, 20, 23, 24, 25, 29, o 1 , 35, 36J.. 37 f., 4 1 , 4 4 4 5 , 46, 4 9 , 5 0 6