Im Bann der Sprache: Die analytische Religionsphilosophie im 20. Jahrhundert [Reprint 2010 ed.] 3110154560, 9783110154566

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Im Bann der Sprache: Die analytische Religionsphilosophie im 20. Jahrhundert [Reprint 2010 ed.]
 3110154560, 9783110154566

Table of contents :
Vorwort
Einleitung
Kapitel 1: Sprache und Bedeutung in der analytischen Philosophie
1. Der Wiener Kreis
2. Willard Van Orman Quine
3. Michael Dummett
4. Donald Davidson
Kapitel 2: Die Anfänge der analytischen Religionsphilosophie
1. Alfred J. Ayer Die verifikationistische Religionskritik
2. Antony Flew Die falsifikationistische Religionskritik
3. Richard B. Braithwaite Eine nonkognitivistische Antwort auf die empiristische Religionskritik
Kapitel 3: Die epistemische Wende in der analytischen Religionsphiloso¬phie und das Problem der religiösen Eigenständigkeit
1. Eine Skizze der analytischen Epistemologie
2. Von der kognitiven Sinnhaftigkeit zur epistemischen Recht¬fertigung religiöser Aussagen
3. Epistemische Wende und religiöse Eigenständigkeit
Kapitel 4: Alvin Plantinga Die epistemische Basalität des christlichen Glaubens
1. Der Entwurf eines nichtklassischen Fundamentalismus
2. Die ›proper basicality‹ des christlichen Glaubens
3. Die Wende zur ›virtue epistemology‹
Kapitel 5: Ingolf U. Dalferth Die Komplementarität von Religiosität und Sprachlichkeit religiöser Rede
1. Die Sprachlichkeit religiöser Rede
2. Die Religiosität religiöser Rede
3. Die Vermittlung zwischen Religiosität und Sprachlichkeit religiöser Rede
Kapitel 6: Ludwig Wittgenstein Die Kritik theologischer Sinnkonstruktion und die Unverzichtbarkeit religiösen Sinnvollzugs
1. Der frühe Wittgenstein
2. Der späte Wittgenstein
Zusammenfassung und Ausblick
Literaturverzeichnis
Personenregister
Sachregister

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Martin Laube Im Bann der Sprache

1749

1999

Theologische Bibliothek Töpelmann

Herausgegeben von O. Bayer · W Härle · H.-P. Müller

Band 85

Walter de Gruyter · Berlin · New York

1999

Martin Laube

Im Bann der Sprache Die analytische Religionsphilosophie im 20. Jahrhundert

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1999

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche Bibliothek — Cataloging-in-Publication Data

Laube, Martin: Im Bann der Sprache : die analytische Religionsphilosophie im 20. Jahrhundert / Martin Laube. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1998 (Theologische Bibliothek Töpelmann ; Bd. 85) Zugl.: München, Univ., Diss., 1995 ISBN 3-11-015456-0

© Copyright 1998 by Walter de Gruyter GmbH & Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen Printed in Germany Druck: Werner Hildebrand, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer-GmbH, Berlin

Vorwort Die vorliegende Untersuchung stellt die geringfügig überarbeitete Fassung meiner Dissertation dar, die im Sommersemester 1995 unter dem Titel >Im Bann der Sprache. Das Problem der religiösen Eigenständigkeit in der analytischen Religionsphilosophie< von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München angenommen worden ist. Mein herzlicher Dank gilt zunächst Herrn Prof. Dr. Jan Rohls. Er hat die Arbeit in allen Phasen ihrer Entstehung mit kritischer Anteilnahme und fürsorglichem Interesse begleitet und aus seiner profunden Kenntnis der analytischen Sprach- und Religionsphilosophie heraus schließlich auch das Erstgutachten erstellt. In Erinnerung an seine stete Gesprächsbereitschaft und sein hilfsbereites Engagement fühle ich mich ihm sehr verbunden. Maßgebliche Förderung verdanke ich ferner Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Trutz Rendtorff. Er hat mir als seinem Assistenten in großzügiger Weise Freiraum zu eigener Arbeit gewährt und im Promotionsverfahren die Aufgabe des Korreferats übernommen. Dafür und für die vielfältigen fachlichen Anregungen und Impulse, die ich von ihm empfangen habe, bin ich von Herzen dankbar. An die gemeinsame Zeit im Institut für Systematische Theologie denke ich gerne zurück. Von der ersten Orientierung an bis zur endgültigen Niederschrift des Manuskripts habe ich vielfältige freundschaftliche Unterstützung von Herrn Prof. Dr. Philip Clayton empfangen. Frau Dr. Friederike Nüssel und Herr Dr. Thomas Vogl haben in unermüdlicher Treue und Zuverlässigkeit die einzelnen Kapitel gelesen, korrigiert und durch kritische Rückfragen zu mancher Präzisierung Anlaß gegeben. Ein herzlicher Dank gebührt weiterhin der Studienstiftung des deutschen Volkes. Sie hat mir nicht nur ein von finanziellen Sorgen entlastetes Studium ermöglicht, sondern durch ein Promotionsstipendium auch die Anfertigung der Dissertation entscheidend gefördert. Herrn Prof. Dr. Oswald Bayer und Herrn Prof. Dr. Wilfried Härle danke ich für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe >Theologische Bibliothek Töpelmann< sowie Herrn Klaus Otterburig vom Verlag de Gruyter für die freundliche verlegerische Betreuung. Meiner Heimatkirche, der Ev.-luth. Kirche in Oldenburg, danke ich für die Gewährung eines namhaften Druckkostenzuschusses. Ein besonderer Dank gilt schließlich meinen Eltern. Mein Vater hat schon früh das Interesse an theologischen Fragestellungen geweckt und gefördert; gemeinsam haben beide meinen Werdegang ermöglicht und stets mit Anteilnahme und Verständnis begleitet. Bant, im August 1997

Martin Laube

Inhaltsverzeichnis Vorwort

V

Einleitung

l

Kapitel 1: Sprache und Bedeutung in der analytischen Philosophie

16

1. 2. 3. 4.

19 34 43 55

Der Wiener Kreis Willard Van Orman Quine Michael Dummett Donald Davidson

Kapitel 2: Die Anfänge der analytischen Religionsphilosophie

69

1. Alfred J.Ayer Die verifikationistische Religionskritik

74

1.1 Der sprachphilosophische Rahmen 1.2 Die religionsphilosophischen Konsequenzen

2. Antony Flew Die falsifikationistische Religionskritik 2.1 Ein Zwischenspiel Der interpretative Holismus John Wisdoms 2.2 Der sprachphilosophische Rahmen 2.3 Die religionsphilosophischen Konsequenzen

3. Richard B. Braithwaite Eine nonkognitivistische Antwort auf die empiristische Religionskritik 3.1 Der sprachphilosophische Rahmen 3.2 Die religionsphilosophischen Konsequenzen

Kapitel 3: Die epistemische Wende in der analytischen Religionsphilosophie und das Problem der religiösen Eigenständigkeit 1. Eine Skizze der analytischen Epistemologie 2. Von der kognitiven Sinnhaftigkeit zur epistemischen Rechtfertigung religiöser Aussagen 3. Epistemische Wende und religiöse Eigenständigkeit

74 85

89 89 91 100

102 102 108

117 117 125 134

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 4: Alvin Plantinga

Die epistemische Basalität des christlichen Glaubens .................. 1 42 l . Der Entwurf eines nichtklassischen Fundamentalismus .......................... 144 1.1 Die Kritik des klassischen Fundamentalismus ........................................... 1.2 Die Suche nach der >proper basicality< ..................................................... 1 .3 Die realistische Selbstentmachtung des nichtklassischen Fundamentalismus ...............................................................................

2. Die >proper basicality< des christlichen Glaubens

144 152 162

..................................

173

2 . l Die epistemologische Legitimation des christlichen Glaubens ...................... 2.2 Der>sensus divinitatis< ......................................................................... 2.3 Von der Epistemologie der Religion zur religiösen Epistemologie ......................................................................................

173 182 189

3. Die Wende zur >virtue epistemologyWarrant< und >Proper Function< ............................................................. 3.2 Religiös-theistische Epistemologie auf externalistischer Grundlage ........................................................................................... 3.3 Epistemologischer Naturalismus und metaphysischer Supranaturalismus ...............................................................................

199 203 208

Kapitel 5: Ingolf U. Dalferth Die Komplementarität von Religiosität und Sprachlichkeit religiöser Rede .......................................................................... 212 1. Die Sprachlichkeit religiöser Rede .......................................................... 2. Die Religiosität religiöser Rede ...............................................................

219 226

2.1 Die situative Grundstruktur christlich-religiöser Rede ................................... 2.2 Die christliche Grundsituation der Erfahrung Jesu als Anrede Gottes .................................................................................. 2.3 Die christliche Grundbehauptung der Existenz Gottes ...................................

226

3 . Die Vermittlung zwischen Religiosität und Sprachlichkeit religiöser Rede ........................................................................................ 3 . l Die >fides quaerens intellectum< .............................................................. 3.2 Die Propositionalität christlicher Rede ...................................................... 3.2.1 Dieldentifizierbarkeitsproblematik ................................................. 3.2.2 Die Prädizierbarkeitsproblematik ..................................................... 3.2.3 Das Scheitern der Vermittlung von Religiosität und Sprachlichkeit ....................................................................... 3.3 Die eschatologische Verifikation ............................................................. 3.3.1 Selbstverifikation und Verifikation durch religiöse Erfahrung ....................................................................... 3.3.2 Die eschatologische Verifizierbarkeit bei John Hick ............................ 3.3.3 Von der eschatologischen Verifizierbarkeit zur eschatologischen Verifikation ....................................................

232 242

248 252 265 270 275 280 282 286 291 304

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 6: Ludwig Wittgenstein Die Kritik theologischer Sinnkonstruktion und die Unverzichtbarkeit religiösen Sinnvollzugs 1. Der frühe Wittgenstein l. l Die sprachlogische Kritik der Philosophie im Tractatus 1.2 Religion und Ethik im Tractatus 1.2.1 Thema und Kritik der Religion im Tractatus 1.2.2 Die vorgängige Vermitteltheit von Ich und Welt 1.2.3 Das >Mystische
Geschichtsglauben< gegenüber höhere Autorität zumißt. Die theologische Unterscheidung zwischen natürlicher und übernatürlicher Gotteserkenntnis bleibt zwar formell in Geltung, vermag jedoch nicht mehr auszurichten, als die Emanzipation der Vernunft gegenüber dem Geltungsanspruch der Offenbarung faktisch zu ratifizieren und so die spezifisch neuzeitliche Bestimmung des Verhältnisses von Allgemeinem und Besonderem auch von ihrer Seite aus anzuerkennen. Die Ausgangslage stellt sich damit auf den Kopf: Aus der Reichweite der ehemals als universal angesetzten göttlichen Offenbarung entlassen schwingt sich nun die Vernunft zu dem Allgemeinen auf, das über die Geltung der nurmehr besonderen Offenbarung entscheiden zu können beansprucht. Erst vor diesem Hintergrund wird die neuzeitliche Problemlage einsichtig, auf die sich die heftig geführte Auseinandersetzung um das Unternehmen einer natürlichen Theologie bezieht. Denn die skizzierte Umkehrung des Verhältnisses von Allgemeinheit und Besonderheit dergestalt, daß sich die im christlichen Glauben als universal beanspruchte Auslegung der Offenbarung auf der Seite partikularer Positivität wiederfindet, nötigt die theologische Reflexion dazu, den aus dieser besonderen Offenbarung heraus erhobenen Wahrheitsanspruch im Medium einer allgemeinen Rationalität einzulösen und zu verteidigen. Es ergibt sich die Aufgabe, zwischen der Besonderheit des christlichen Offenbarungsglaubens und der Allgemeinheit seiner rational-vernünftigen Ausweisbarkeit vermitteln zu müssen. In voller Schärfe stellt sich dieses Problem durch das mit dem Namen Hegels verknüpfte Programm, die religiöse Vorstellung in den philosophischen Begriff aufheben zu wollen, um so die Religion in ihre Wahrheit zu führen. Denn diese Aufhebung impliziert die nicht geringe >ZweideutigkeitSache< willen keinen von außen herangetragenen Fragestellungen und Kriterien unterwerfen. Entsprechend wehrt Barth den von Heinrich Scholz vorgetragenen Versuch, bestimmte Mindestpostulate für eine sich als Wissenschaft verstehen wollende Theologie zu entwerfen, rundweg ab: »Ohne Verrat an der Theologie kann hier kein Jota zugegeben werden, denn jede Konzession hieße hier Preisgabe des Themas der Theologie«8. Die Theologie müsse in der Ausrichtung auf ihre besondere Aufgabe von allen Anforderungen eines allgemeinen Wissenschaftsbegriffs absehen. Das von Schleiermacher her überkommene Vermittlungsproblem von besonderer Positivität und allgemeiner Wahrheit wird damit als theologisch illegitim abgewiesen. Doch Barth geht noch einen Schritt weiter. Nach seinem Durchgang durch die Kritik der natürlichen Theologie stellt er fest, »daß es sich gerade u m eine >Auseinandersetzung< eigentlich n i c h t gehandelt hat«9. Die strikte Ausrichtung auf die göttliche Offenbarung verbiete es letztlich, die natürliche Theologie überhaupt als Widerpart anzuerkennen. Andernfalls wäre ein Rückfall in eben diese natürliche Theologie die notwendige Folge: »Wir müßten dazu unsererseits, wenn auch nur um der Ablehnung willen, die natürliche Theologie doch wieder neben die Theologie der Offenbarung stellen und also jener gerade die Stellung grundsätzlich zubilligen, nach der es sie ja aus guten Gründen nur zu sehr gelüstet«10. Barth bleibt also nicht an dem Punkt stehen, gegenüber den Ansprüchen einer vorgängigen Allgemeinheit die Eigenständigkeit des christlichen Glaubens und seiner theologischen Entfaltung einzuklagen. Eine solche Interpretation hätte die Pointe des Barthschen Ansatzes gerade verfehlt. Ihm ist es nicht darum zu tun, erneut das Besondere als das Allgemeine setzen oder doch zumin5 6 7 8 9 10

K. Barth, Kirchliche Dogmatik, Bd. II/l, Zürich M948 (KD II/l), 151, 182. K. Barth, KD II/l, 150. K. Barth, KD II/l, 142. K. Barth, KD Ul, 7. K. Barth, KD II/l, 184. Ebd.

Einleitung

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dest dessen Reichweite entziehen zu wollen. Seine Interesse geht vielmehr dahin, das Problem des Verhältnisses von Besonderem und Allgemeinem überhaupt als Problem zu verabschieden. Die natürliche Theologie und auch schon die Auseinandersetzung mit ihr stehen für den Versuch, das Besondere der christlichen Offenbarung auf dem Boden eines allgemeinen Wahrheitsverständnisses ausweisen zu wollen. Ein solches Unterfangen aber hätte den Boden der Offenbarung immer schon verlassen. Daher ist nicht nur die natürliche Theologie selbst, sondern auch jedwede Auseinandersetzung mit ihr aus dem Bereich der Theologie zu verbannen: »Die natürliche Theologie steht einer sich selbst recht verstehenden Theologie des Wortes Gottes in keinem Sinn als Partner gegenüber, sondern sie kommt, von dieser her gesehen, als überflüssig sang- und klanglos in W e g f a 11. Das ist der Sinn, und darin besteht die eigentümliche Radikalität der ihr widerfahrenden Ablehnung«11. Auf diese Weise trägt Barth der Einsicht Rechnung, daß jede Reflexion auf das Verhältnis von Positivität und Wahrheit schon eben diejenige Ebene von Allgemeinheit in Anspruch nehmen muß, von der sich die Theologie um ihrer >Sache< willen grundsätzlich zu distanzieren habe. Doch umgekehrt ergibt sich daraus die Konsequenz, nicht nur eine Begründung der Eigenständigkeit der Theologie unterlassen, sondern darüber hinaus überhaupt auf eine Auseinandersetzung mit konkurrierenden Wahrheitsansprüchen außerhalb und neben der Theologie verzichten zu müssen. Eine sich im Barthschen Sinne ausschließlich von der in Christus ergangenen Offenbarung Gottes her entwerfende Theologie kann nicht anders verfahren, als sich einem offenen Diskurs um die Wahrheit des christlichen Glaubens zu versagen. Diese erneute >ZweideutigkeitSache< her gebotene Eigenständigkeit des christlichen Glaubens nur um den Preis seiner gänzlichen Isolierung erreichen zu können, hat zur Folge, daß zu Beginn der sechziger Jahre der programmatische Versuch unternommen wird, vermittelt durch eine Hinwendung zur Geschichte den Horizont des Allgemeinen für den Glauben und seine theologische Entfaltung wiederzugewinnen12. Je nachdem, ob die Geschichte dabei als der universale Bezugsrahmen für die - eschatologisch zugespitzten - Erwartungen des Glaubens zu stehen kommt oder umgekehrt das Christentum selbst auf die Geschichtlichkeit seiner Gestaltungen hin durchsichtig gemacht wird, erfährt dieser gemeinsame Aufbruch eine jeweils anders akzentuierte Ausprägung. So mündet die eine Linie in das anspruchsvolle Unterfangen, unter Aufnahme des philosophischen Problembestandes und in Auseinandersetzung mit den Ergebnissen von Anthropologie und Naturwissenschaften die Wahrheit des christlichen Glaubens zu verteidigen. Die andere Linie hingegen zieht ihre breite theologische Wirksamkeit aus dem Bemühen, die Intentionen der liberalen Theologie für eine soziologisch aufgeschlossene und ethisch ausgerichtete Wahrnehmung des Christentums unter den Bedingungen der Moderne fruchtbar zu machen. 11 12

K. Barth, KDII/l, 188. Vgl. W. Pannenberg (Hg.), Offenbarung als Geschichte, Göttingen 1961, 982.

6

Einleitung

Doch trotz dieser unterschiedlichen Interessenlage stimmen beide Ansätze darin überein, das Problem des Verhältnisses von Besonderem und Allgemeinem geht es nun um die allgemeine Wahrheit der besonderen Offenbarung oder die besondere Gestalt des Christentums im Horizont der allgemeinen Kultur- und Gesellschaftsgeschichte - wieder als Problem in die theologische Arbeit einzuführen. Die Wiedergewinnung dieses Verhältnisses zieht freilich die Schwierigkeit nach sich, wie das erneute Aufmerken auf die Besonderheit des christlichen Glaubens mit jener von B arm erhobenen strikten Eigenständigkeitsforderung ausgeglichen werden kann. Vor allem für die in der Nachfolge Barths stehenden theologischen Ansätze ergibt sich daraus ein Problem von grundsätzlicher Tragweite. Denn auch dort wird die Notwendigkeit zugestanden, die offenbarungstheologischen Engführungen der frühen dialektischen Theologie auf eine neue Wahrnehmung von Welt und Geschichte hin überwinden zu müssen. So ist nicht zu übersehen, daß Eberhard Jüngel mit seinem Aufweis Gottes als Geheimnisses der Welt und der betonten Hinwendung zu den vielfältigen Entsprechungen zwischen Gott und dem in seinem Selbst- und Weltverhältnis sich als Geschöpf verstehenden Menschen eine Denkfigur des späten B arm aufnimmt und programmatisch ausweitet, die zu dem strengen Offenbarungszentrismus der ersten Bände der Kirchlichen Dogmatik in eine nicht leicht auflösbare Spannung rückt. Er folgt dem späten Barth in der Wiedergewinnung von Welt und Natur als Gleichnis des eschatologischen Kommens Gottes, wird damit aber zugleich an eine Aufgabe gewiesen, die Barth aus dem Kanon der von einer sachgemäßem Theologie zu bearbeitenden Probleme ausgeschlossen sehen wollte. In diesem Sinne steht er zwischen Barth und Barth. Dies zeigt sich vor allem in seinem Umgang mit dem Problem der natürlichen Theologie13. Denn dem Festhalten an dem Dilemma der natürlichen Theologie soll die Wahrung der Wahrheit ihres Problems so zur Seite treten, daß das Gegenüber des christlichen Glaubens und seiner theologischen Entfaltung zu den konkurrierenden Wirklichkeitsmodellen der Philosophie und Naturwissenschaften erneut zum Thema werden kann. Jüngel legt alles Gewicht auf die Einsicht, »daß sich ohne ständigen Bezug auf das philosophische Problembewußtsein die theologische Frage, was denn nun Wahrheit genannt zu werden verdient, nicht einmal angemessen stellen läßt«14. Die Theologie hat sich insofern mit der Philosophie ebenso wie mit den anderen Wissenschaften kritisch auseinanderzusetzen und ihren Wahrheitsanspruch in dieser Auseinandersetzung zu bewähren - auch wenn sie darin von ihrer konsequenten Ausrichtung auf die in Christus geschehene Offenbarung nicht absehen kann. Er läßt also erkennen, daß ihm über Barth hinaus an einer Wiedergewinnung des Verhältnisproblems von besonderer Positivität und allgemeiner Wahrheit des christlichen Glaubens gelegen ist. Frei13 14

Vgl. E. Jüngel, Dilemma der natürlichen Theologie 175-177. E. Jüngel, Entsprechungen 8.

Einleitung

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lieh soll sich diese Wiedergewinnung auf dem Boden der Barthschen Offenbarungstheologie selbst ins Werk setzen lassen. Das Problem des Verhältnisses von Besonderem und Allgemeinem findet seine Wiederaufnahme, indem nicht auf der Grundlage des Allgemeinen nach dem Besonderen des christlichen Glaubens gefragt wird, sondern umgekehrt dieses Besondere in seiner allgemeinen Geltung aufscheinen soll15. Jüngel versucht mithin auf dem Boden Barths über Barth hinauszugehen. Dabei mag er zwar diesen Übergang noch im späten Barth selbst niedergelegt finden. Doch entscheidend ist, daß der von ihm erhobene Anspruch, die betonte Ausrichtung auf den Gegenstand des Glaubens mit der Wahrung seines allgemeinen Geltungshorizonts verknüpfen zu können, die Theologie vor eine ungeahnte Herausforderung stellt. Denn das klassische Verhältnisproblem von Besonderem und Allgemeinem wird nun unter der Perspektive der Barthschen Eigenständigkeitsforderung reformuliert und so in radikaler Weise zugespitzt. Jüngel behauptet nicht weniger, als daß sich der christliche Glaube als der Reichweite einer vorgängigen Allgemeinheit entzogen und doch zugleich auf sie bezogen denken lasse. Er soll als ein dem Allgemeinen gegenüber Eigenständiges gelten und doch wieder als das Besondere eines Allgemeinen vorstellig gemacht werden können. Doch über die Möglichkeit dieser Vermittlung ist bisher noch nichts ausgemacht. Jüngel bleibt bei der schlichten Behauptung stehen, die faktische Wahrnehmung der Besonderheit des Glaubens und die theologisch notwendige Forderung seiner Eigenständigkeit zugleich zur Geltung bringen zu können. Damit aber stürzt er die Theologie in eine tiefe Krise: Sollte es sich herausstellen, daß die Vermittlung von Besonderheit und Eigenständigkeit - in dem oben skizzierten Sinne - nicht gelingen kann, dann ist von dem vorfindlichen Problem aus auf dessen Voraussetzungen zurückzugehen und dort nach Revisionen Ausschau zu halten. Die Radikalität der Barthschen >Sachgemäßheit< wird so in den Händen Jüngels zur Schicksalsfrage für die überkommene Gestalt von christlichem Glauben und theologischer Lehre. Vor diesem Hintergrund ist es auffällig, daß jener zugespitzten Fassung des Verhältnisproblems in der deutschsprachigen protestantischen Theologie - zumindest in ihren explizit an Barth anschließenden Richtungen - bisher kaum eine entsprechende Aufmerksamkeit zuteil geworden ist. Wohl nicht zuletzt unter 15

Vgl. die programmatische Bemerkung im Vorwort zu E. Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt. Zur Begründung der Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus, Tübingen 1977, 51986, XII: »Das Denken geht hier seinen Weg sozusagen von innen nach außen, von der spezifisch christlichen Glaubenserfahrung zu einem universale Geltung beanspruchenden Gottesbegriff. Nicht aufgrund allgemeiner anthropologischer Bestimmungen Gottes Denkbarkeit zu demonstrieren, sondern aufgrund des zur Gotteserfahrung führenden Ereignisses der Selbstmitteilung Gottes sowohl diesen als auch den Menschen zu denken und so die christliche Wahrheit allein aus ihrer inneren Kraft heraus in ihrer allgemeinen Geltung als die eine Wahrheit zu erweisen - das ist das Ziel des in diesem Buch eingeschlagenen Denkweges«.

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Einleitung

dem Einfluß der Barthschen Skepsis gegenüber einem wissenschaftstheoretischen Leerlauf der Theologie dort, wo es doch allein um ihre >Sache< zu gehen habe, ist eine grundsätzliche Zurückhaltung in methodologischen und epistemologischen Fragen deutlich zu spüren. Gänzlich anders liegen die Dinge im angelsächsischen Sprachraum - wenngleich auch hier weniger im engeren Umfeld der Theologie selbst als vielmehr im weitergefaßten Spektrum dessen, was als analytische Religionsphilosophie bezeichnet werden kann. Dabei handelt es sich keineswegs um eine einheitliche Richtung in dem Sinne, daß ihre Vertreter auf der Grundlage eines gemeinsamen Programms und eines strikt fixierten Problembestandes ein übereinstimmendes Interesse verfolgten. Zudem würde es einer groben Verzeichnung gleichkommen, wollte man die verschiedenen Ansätze innerhalb der analytischen Religionsphilosophie in genere auf eine methodologisch-epistemologische Fragestellung hin ausgerichtet sehen und diese auch noch mit dem benannten Verhältnisproblem gleichsetzen. Gleichwohl ist nicht zu bestreiten, daß die analytische Religionsphilosophie von einem grundsätzlichen - sprachkritisch und epistemologisch eingefädelten - Interesse an der Struktur religiöser Äußerungen ihren Ausgang genommen hat und nach wie vor durch eine weit ausladende methodologisch-epistemologische Debatte geprägt ist. Hinzu kommt, daß vornehmlich auf diesem Flügel eine betonte Aufnahme Barthscher Intentionen zu verzeichnen ist. Sowohl der gemeinhin so genannte >Wittgensteinsche Fideismus< im Umfeld von Dewi Z. Phillips als auch die reformierte Epistemologie< im Anschluß an Alvin Plantinga berufen sich auf eine >interne< Eigenständigkeit des christlichen Glaubens, die sich mit der unkritischen Übernahme >externer< Rationalitätskriterien nicht vertrage. Dieser Umstand legt es nahe, der analytischen Religionsphilosophie und ihrer Entwicklung eine eigene Studie zu widmen und diese unter die Frage zu stellen, ob und in welcher Weise sich ihre Problemlage auf die Bestimmung des Verhältnisses von religiöser Besonderheit und allgemeiner Geltung abbilden läßt. Für die Beschäftigung mit der analytischen Religionsphilosophie ergibt sich daraus ein doppeltes Interesse. So soll es zunächst darum gehen, die fremd anmutenden Diskussionszusammenhänge der analytischen Religionsphilosophie für die Problemlage der deutschen protestantischen Theologie aufzuschließen. Dies kann in der Weise geschehen, daß der Entwicklungsgang der analytischen Religionsphilosophie nach Maßgabe jenes für die deutsche Theologie bestimmenden Verhältnisproblems zu rekonstruieren versucht wird. Es läßt sich zeigen, daß in der Reaktion auf die empiristische Gleichsetzung religiöser Aussagen mit empirischen Hypothesen allmählich ein Bestreben einsetzt, dasjenige Spezifikum ausfindig zu machen, das religiöse von nichtreligiösen Äußerungen zu unterscheiden erlaubt. Handelt es sich dabei vorerst lediglich um eine Kritik des empiristischen Sprachbegriffs, so steht bald die sprachphilosophische Verankerung religiöser Rede überhaupt zur Diskussion. In der Folge kommt es zur Ausbildung einer Eigenständigkeits-

Einleitung

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these, die die besondere >Religiosität< religiöser Rede im Gegenüber zu ihrer allgemeinen >Sprachlichkeit< zu bestimmen sucht und insofern die Jüngelsche Problemlage sprachphilosophisch reformuliert. Mit dieser Rekonstruktion des Entwicklungsgangs verbindet sich sodann die umgekehrte Erwartung, das methodische und begriffliche Instrumentarium der analytischen Religionsphilosophie für eine präzisere Diagnose des Verhältnisproblems und seiner Voraussetzungen fruchtbar machen zu können. Vielleicht ergibt sich daraus ein Anhaltspunkt, der die geforderte Vermittlung zu leisten erlaubt oder aber die notwendigen Revisionen in Aussicht stellt, um das Verhältnisproblem unterlaufen zu können. Die entscheidende Frage lautet mithin, ob sich innerhalb der analytischen Religionsphilosophie ein Ansatz ausfindig machen läßt, der das notwendige philosophische Potential und theologische Niveau aufweist, um das Problem des Verhältnisses von theologisch zugespitzter Eigenständigkeit und faktisch vorfindlicher Besonderheit des christlichen Glaubens entweder lösen oder aber auflösen zu können. Die analytische Religionsphilosophie nimmt ihren Ausgang bei jener Hinwendung zur Sprache, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Aufkommen der analytischen Philosophie prägt. Sie versteht insofern das Geschäft der religionsphilosophischen Reflexion als die Aufgabe einer sprachphilosophisch orientierten Analyse und Kritik des Phänomens religiöser Rede. Die religionsphilosophische Debatte bewegt sich dabei im Umkreis der von der analytischen Philosophie vorgegebenen Problemlage, »so daß sich die Analytische Religionsphilosophie weitgehend als eine Anwendung sprachphilosophischer Grundgedanken der Analytischen Philosophie auf aus der Tradition überkommene religionsphilosophische Fragestellungen begreifen läßt«16. Aus dieser Einsicht heraus wird in Kapitel l der Versuch unternommen, die Entwicklungsgeschichte der analytischen Sprachphilosophie - ausgehend vom Logischen Empirismus des Wiener Kreises über Quine und Dummett bis hin zu Davidson - zumindest in Umrissen nachzuzeichnen. Im Vordergrund steht dabei das innerhalb des Wiener Kreises an zentraler Stelle eingeführte und in der Folge sprachphilosophisch ausgearbeitete Verifikationsprinzip der Bedeutung. Eine genauere Betrachtung weist auf, daß sich dieses Verifikationsprinzip - weit über seine anfängliche Funktion als Abgrenzungskriterium zwischen sinnvollen empirischen und sinnlosen metaphysischen Sätzen hinaus - der Intention verdankt, die epistemologisch angesetzte Differenz von Sprache und Welt semantisch überwinden zu wollen. Der Logische Empirismus hebt darauf ab, jenen klassisch-realistischen >Graben< zwischen Sprache und Welt zu schließen, der metaphysische Aussagen erst zu ermöglichen scheint. Dafür greift er auf das aus dem älteren Empirismus her überkommene Verifikationsprinzip zurück und spitzt es bedeutungstheoretisch zu. Das Vermächtnis des Wiener Kreises besteht mithin in einer aus antirealisti16

I.U. Dalferth, Religiöse Rede von Gott, München 1981, 283.

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Einleitung

schem Interesse vollzogenen epistemologischen Aufladung der Sprachphilosophie. Diese Kombination ist für die weitere Entwicklung der analytischen Philosophie bestimmend geworden. Sie läßt sich als eine Abfolge von Versuchen deuten, auf sprachphilosophischem Wege den Problemen des realistischen Gegenübers von Sprache und Welt Herr zu werden. Doch erst Donald Davidson gelingt es, die Aporien einer solchen Verquickung von epistemologischem Interesse und sprachphilosophischer Durchführung dadurch zu überwinden, daß er ausgehend von der Einsicht in die immer schon vorgängige Vermitteltheit von Sprache und Welt die epistemologische Relevanz dieser Differenz grundsätzlich zu entmythologisieren vermag. Der Durchgang durch die analytische Sprachphilosophie macht deutlich, daß ein realistisches Verständnis der Differenz von Sprache und Welt keineswegs selbstverständlich ist, sondern eine von weitreichenden Voraussetzungen getragene und mit gewichtigen Problemen belastete Position darstellt, die aus diesem Grund in der analytischen Philosophie stets erneut zur Überwindung ausgeschrieben wird. Umso erstaunlicher ist es daher, daß die analytische Religionsphilosophie gerade auf der Grundlage eines strikt realistischen Paradigmas ihre ersten Schritte unternimmt. Kapitel 2 geht diesen Anfängen unter der Frage nach, ob und in welcher Weise der Zugang zu dem Phänomen religiöser Rede immer schon durch die unthematisch bleibende Voraussetzung eines bestimmten Sprachbegriffs vermittelt ist. So beruht die verifikationistische Religionskritik von Alfred J. Ayer, der als Begründer der analytischen Religionsphilosophie gelten kann, auf der schlichten Übernahme eines Sprachbegriffs, der im Umfeld der empiristischen Debatte um das Verifikationsprinzip seine Ausgestaltung findet. Religiöse Aussagen werden umstandslos mit empirischen Hypothesen gleichgesetzt, auf die Behauptung der Existenz Gottes ausgerichtet und so nicht nur theistisch enggeführt, sondern überdies aufgrund ihrer mangelnden empirischen Verifizierbarkeit als kognitiv sinnlos ausgeschieden. Bei Antony Flew findet dieses Verfahren eine falsifikationistisch gewendete Neuauflage. Es gelingt ihm, den empiristischen Sprachbegriff als für die weitere Entwicklung der analytischen Religionsphilosophie verbindlich festzuschreiben. Seinen sichtbaren Ausdruck findet dies in dem Umstand, daß auch der Versuch Richard B. Braithwaites, die - wenngleich nunmehr nonkognitiv bestimmte - Sinnhaftigkeit religiöser Rede zu verteidigen, in negativer Abhängigkeit auf den empiristischen Sprachbegriff bezogen bleibt. Die analytische Religionsphilosophie steht so von ihren ersten Anfängen her ganz im Bann eines vorausgesetzten Sprachbegriffs. Dabei ist weniger der inhaltliche Umstand von Interesse, daß es sich um einen realistisch geprägten Sprachbegriff handelt, als vielmehr die methodologische Einsicht in dieses Voraussetzungsverhältnis überhaupt und die damit einhergehende Beobachtung, daß es von Seiten der Religionsphilosophie nicht als Voraussetzungsverhältnis thematisiert wird. Denn nun erst läßt sich die für die weitere Entwicklung der analytischen Religionsphilosophie entscheidende Fragestellung präzise formulieren.

Einleitung

11

In dem Moment, in dem sich die Versuche mehren, die Religion unter Berufung auf deren irreduzible Eigenständigkeit aus den Fängen jenes empiristischen Sprachbegriffs zu befreien, steht auch die analytische Religionsphilosophie vor dem Problem, wie sich diese behauptete Eigenständigkeit mit dem Faktum der Bezogenheit auf eine vorgängige Allgemeinheit soll ausgleichen lassen. Dieses Problem erscheint unter sprachphilosophischem Vorzeichen als das Problem des Verhältnisses von religiöser Besonderheit und allgemeiner Sprachlichkeit. Die entscheidende Frage lautet also, wie sich das schlichte Faktum, daß die religiöse Rede als religiöse Rede einem allgemeinen Sprachbegriff verpflichtet ist, mit der gewünschten Zielsetzung verträgt, die religiöse Rede als religiöse Rede einem solchen Allgemeinen zugleich entziehen zu wollen. Denn es ist zu beobachten, daß auch die analytische Religionsphilosophie nicht bei der bloßen Relation von Besonderem und Allgemeinen stehen bleibt. Vielmehr wird im Anschluß an das Barthsche Kriterium der >Sachgemäßheit< und somit aus einem dezidiert theologischen Interesse heraus - die Wahrnehmung der vorfindlichen Besonderheit religiöser Rede zur Forderung nach ihrer grundsätzlichen Eigenständigkeit vorangetrieben. Im Hintergrund steht die zu Beginn der siebziger Jahre einsetzende >epistemische Wende< in der analytischen Religionsphilosophie. An die Stelle der empiristisch geprägten Frage nach der kognitiven Sinnhaftigkeit religiöser Äußerungen tritt die Frage nach ihrer möglichen epistemischen Rechtfertigung und Begründung. Kapitel 3 übernimmt die doppelte Aufgabe, diese Wende auf ihre Wurzeln in der analytischen Epistemologie hin durchsichtig zu machen und zugleich innerhalb des weiteren Spektrums der analytischen Religionsphilosophie zu verorten. Daraufhin gelangen in den Kapiteln 4 und 5 die Ansätze der beiden profiliertesten Vertreter jener Eigenständigkeitsthese, Alvin Plantinga und Ingolf U. Dalferth, zur Darstellung. Sie gehen beide von der skizzierten >epistemischen Wende< aus. Doch während Dalferth an einem grundsätzlichen Aufweis der Begründungsfähigkeil christlich-religiöser Rede gelegen ist, richtet Plantinga sein Augenmerk auf die Frage nach dem ihr angemessenen Begründungsver/aAren. In Auseinandersetzung mit den gemeinhin erhobenen Begründungsansprüchen an die Adresse von Religion und Theologie sucht er ein epistemologisches Modell zu entwickeln, das den christlichen Glauben an Gott seiner Begründungspflichtigkeit enthebt und stattdessen als >properly basic< aufzuweisen erlaubt. In diesem Sinne soll er sich mit anderen Überzeugungen gleichstellen lassen, die ebenfalls in Geltung stehen, ohne jeweils erst begründet werden zu müssen. Plantinga verfolgt somit die Strategie, die behauptete Eigenständigkeit der Religion epistemologisch zu legitimieren. Entsprechend geht es ihm weniger um eine Vermittlung von religiöser Eigenständigkeit und allgemeiner Sprachlichkeit als vielmehr um die apologetische Absicherung jener Eigenständigkeit überhaupt. Freilich zieht die offensichtliche Widersprüchlichkeit dieses Unterfangens, den Erlaß der Begründungsforderung selbst wieder begründen zu wollen, ein eigentümliches Schillern in der Durchführung nach sich. Plantinga changiert

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zwischen dem Festhalten an einer epistemologischen Apologie der Religion und dem Übergang zu einer selbst bereits theistisch argumentierenden Epistemologie. Dabei bleibt ihm verborgen, daß er sich in beiden Fällen von der Voraussetzung eines allgemeinen Sprachbegriffs realistischer Prägung nicht zu lösen vermag. Dalferth setzt demgegenüber einen Schritt früher an. Im Zuge seiner Ausrichtung auf die Begründungsfähigkeit religiöser Rede wendet er sich der sprachlich-propositionalen Struktur religiöser Äußerungen zu. Deren spezifische >Religiosität< sucht er in einer nichtsprachlichen Anredeerfahrung zu verankern, die zwar in jenen Äußerungen ihren sprachlichen Niederschlag finde, der allgemeinen >Sprachlichkeit< aber als eine eigenständige Größe gegenüberstehe. Anders als Plantinga betont Dalferth daher die Aufgabe der Vermittlung von religiöser Eigenständigkeit und allgemeiner Sprachlichkeit. Sie soll so gewährleistet werden können, daß die religiöse Rede ihrer sprachlichen Form wegen einer allgemeinen Begründungspflichtigkeit unterstellt sei, während umgekehrt der religiöse Inhalt davon unberührt bleibe. Allerdings täuscht diese strikte Trennung von Form und Inhalt nur unzulänglich über die Tatsache hinweg, daß auch Dalferth die intendierte Eigenständigkeit der Religion nur als das Besondere eines sprachlichen Allgemeinen aussagen kann. So bleibt er durchgängig einem realistischen Verständnis des Gegenübers von Sprache und Welt verhaftet. Die Behauptung einer nichtsprachlichen Anredeerfahrung, die Fixierung auf eine singuläre Existenzpräsupposition Gottes und die schließlich zur Durchführung der Begründung in Anspruch genommene These einer eschatologischen Verifikation setzen notwendig einen realistischen Hintergrund voraus. Damit können weder Plantinga noch Dalferth ihr angestrebtes Ziel erreichen. Beiden gelingt es nicht, die Eigenständigkeitsthese so zu explizieren, daß sie sich der vorgängigen Voraussetzung eines allgemeinen Sprachbegriffs zu entziehen vermögen. Sie scheitern an dem schlichten Umstand, die religiöse Eigenständigkeit eben nicht als das Andere eines Allgemeinen, sondern nur als ein durch dieses Allgemeine vermitteltes Besonderes aussagen zu können. Freilich ist mit dem Aufweis dieses Scheiterns selbst noch nicht allzu viel erreicht. Wohl kann es nun als erwiesen gelten, daß sich die Übersteigerung der faktischen Besonderheit des christlichen Glaubens zu einer grundsätzlichen Eigenständigkeit nicht konsistent durchführen läßt. Unter sprachphilosophischem Vorzeichen wird deutlich, daß das Phänomen religiöser Rede als religiöse Rede zwar von nichtreligiöser Rede unterschieden werden muß, als religiöse Rede jedoch notwendig der Voraussetzung eines allgemeinen Sprachbegriffs verpflichtet bleibt. Die Vorstellung, auf ein nichtsprachliches Residuum religiöser Eigenständigkeit zurückgreifen zu können, stellt sich dabei ebenso als Illusion heraus wie der Versuch, eine epistemologische Autonomie der Religion zu postulieren. Die Hinwendung zur analytischen Religionsphilosophie führt insofern zu dem Ergebnis, daß Jüngel mit seinem Programm, die betonte Eigenständigkeit

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des christlichen Glaubens mit einer erneuten Wahrnehmung seiner Besonderheit verknüpfen zu wollen, nicht weniger als die Quadratur des Kreises propagiert. Es scheint keinen Weg zu geben, so mit Barth über Barth hinauszugehen, daß sich unter der Barthschen Bedingung einer alleinigen Ausrichtung auf die >Sache< des Glaubens die Möglichkeit einer diskursiven Auseinandersetzung um die allgemeine Wahrheit des im Glauben Geglaubten wiedergewinnen ließe. Doch damit verschärft sich nur das von Jüngel angegebene Problem. Denn ihm ist fraglos darin Recht zu geben, daß an der Anerkennung der faktischen Besonderheit des Glaubens und mithin seiner notwendigen Einbettung in den Horizont einer allgemeinen Rationalitätskultur kein Weg vorbeiführt. Dem universalen Anspruch des Wortes >Gott< Rechnung tragen zu wollen, kann daher nur bedeuten, sich dieser spezifisch neuzeitlichen Sachlage zu stellen. Wie aber soll dieses Erfordernis mit jener anderen Maxime ausgeglichen werden können, die das Zugeständnis einer bloßen Besonderheit des Glaubens nicht anders denn als Verrat an seiner >Sache< aufzufassen vermag? Die bisherigen Überlegungen nötigen zu dem Schluß, eine Vermittlung beider Seiten nicht leisten zu können. Soll an der Wahrung der Besonderheit des christlichen Glaubens festgehalten werden, bedeutet das, die Eigenständigkeitsthese genauer in den Blick nehmen zu müssen: Unter welchen Bedingungen sieht sich die Theologie genötigt, ihren Gegenstand so zu denken, daß auch dieses Gedachtwerden noch als ausschließlich in ihm selbst begründet und von ihm herkommend expliziert werden muß? Diese Frage leitet erneut zurück zur analytischen Religionsphilosophie. Die Suche nach einer religiösen Eigenständigkeit scheitert an der notwendigen Voraussetzung eines realistisch geprägten Rahmens. Gerade dieser auffällige Zusammenhang von Eigenständigkeitsthese und realistischer Vorgabe läßt nun aber die Frage aufkommen, ob es sich hier vielleicht um eine systematische Verbindung handelt, die auch in umgekehrter Richtung gilt. Ist der Nachweis erbracht, daß die Behauptung einer religiösen Eigenständigkeit überhaupt nur unter der Voraussetzung eines strikt realistischen Paradigmas formuliert werden kann, legt es sich nahe, ob nicht auch umgekehrt diese realistische Vorgabe erst den Anlaß zur Ausbildung jener Eigenständigkeitsthese gibt. Das würde bedeuten, die Eigenständigkeitsforderung als Konsequenz eines realistischen Verständnisses religiöser Rede auffassen zu müssen. Dieses Verständnis spiegelt sich wider in der Bestimmung religiöser Äußerungen als wahrheitsdefiniter Behauptungen, die etwas über eine erkenntnisunabhängig vorfindliche Wirklichkeit auszusagen versuchen. Sie finden ihren inneren Zusammenhang in der Ausrichtung auf Gott als Gegenstand des Glaubens und nötigen so in der Übernahme der mit ihrem Wahrheitsanspruch erhobenen Begründungspflichtigkeit zur Ausarbeitung eines religiösen >WeltbildesWeltbild< drängt. Als Kronzeuge für diesen inneren Zusammenhang dürfte wohl Karl Barth gelten: Sein Geologischer RealismusWeltbild< schließen zu müssen. Ein solcher Ansatz findet sich schließlich bei Ludwig Wittgenstein; ihn gilt es in Kapitel 4 darzustellen. Seine religionsphilosophischen Äußerungen scheinen zwar eher religionskritischer Natur zu sein, als zu einem konstruktiven Verständnis religiöser Rede beitragen zu können. Doch umgekehrt liegt gerade in dieser kritischen Stoßrichtung die konstruktive Pointe des Wittgensteinschen Ansatzes: Durch alle Umbrüche seines philosophischen Schaffens hindurch zieht sich die Intention, um eines selbst wieder religiös-ethischen Interesses willen die überzogenen Ansprüche philosophisch-theologischer Weltabschlußdeutungen grundsätzlich zu destruieren. Dieser theoriekritischen Stoßrichtung fällt jeglicher Versuch zum Opfer, ein >Weltbild< auszuarbeiten, das - ob realistisch oder idealistisch, ontologisch oder konstruktivistisch, theologisch oder anderweitig verfaßt - einen letzten Halt in der Suche nach unumstößlichen Fundamenten des Seins und der Erkenntnis gefunden zu haben glaubt. Wittgenstein ist daran gelegen, gerade die Unbegründbarkeit, aber auch die Unhintergehbarkeit unseres vorfindlichen Selbst- und Weltverständnisses aufzuweisen und so den Blick für die Notwendigkeit zu öffnen, sich den Problemen des Lebens zu stellen, statt sie immer wieder neu und immer wieder vergeblich lösen zu wollen. Er zielt auf eine religiös-ethische Haltung, die sich in die Welt einstellt und so im lebensweltlichen Vollzug jenen Sinn realisiert, der den mannigfachen Anläufen philosophisch-theologischer Sinnkonstruktion notwendig verschlossen bleibt. Während allerdings dieses Interesse in der Frühphilosophie noch unter der Dominanz eines rigiden Sprachbegriffs zu stehen kommt und so zum Schweigen verpflichtet wird, eröffnet erst die Spätphilosophie die Möglichkeit, auch der sprachlichen Ausdifferenzierung eines religiösen Sprachspiels Rechnung zu tragen. Dabei tritt nun an die Stelle des überkommenen kognitiv17

Vgl. I.U. Dalferth, Theologischer Realismus und realistische Theologie bei Karl Barth, in: EvTh 46 (1986), 402-422.

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lehrhaften Verständnisses religiöser Äußerungen, das in der Konstruktion eines religiösen >Weltbildes< seinen entsprechenden Ausdruck findet, ein kritischfunktionaler Ansatz, der ihre spezifischen Gehalte als in Bilder gefaßte Lebensregeln aufzufassen und so auf den funktionalen >Sitz im Leben< hin durchsichtig zu machen sucht. Es wird abschließend zu fragen sein, ob auf der Grundlage eines solchen bildhaft-funktionalen Verständnisses religiöser Äußerungen die theologische Nötigung zur Behauptung einer religiösen Eigenständigkeit als obsolet aufgewiesen werden kann. Das Jüngelsche Dilemma, zwischen der von der >Sache< her gebotenen Eigenständigkeit des christlichen Glaubens und der Wahrnehmung seiner faktischen Besonderheit vermitteln zu müssen, dies aber nicht zu können, würde dann seine Auflösung darin finden, daß mit dem Verzicht auf ein realistisches Verständnis religiöser Äußerungen sowohl die Möglichkeit als auch die Notwendigkeit entfällt, jene Eigenständigkeitsthese überhaupt formulieren zu müssen. Allerdings kann dieser Nachweis erst dann als sachlich befriedigend angesehen werden, wenn mit dem Übergang zu einem funktionalen Verständnis religiöser Rede die inhaltliche Bestimmtheit des christlichen Glaubens und also die Möglichkeit einer normativ-lehrhaften Entfaltung seiner Gehalte bewahrt werden kann. Es wäre ein schlechter Tausch, wenn die Auflösung der Jüngelschen Fassung des Verhältnisproblems mit dem gänzlichen Verzicht auf die Möglichkeit theologischer Reflexion und dem Rückzug in eine orientierungslose religiöse Beliebigkeit bezahlt werden müßte. Sollte es daher gelingen können, unter den Wittgensteinschen Vorgaben das Problem der religiösen Eigenständigkeit so weit in den Griff zu bekommen, daß es sich der schlichten Wahrnehmung des christlichen Glaubens als des Besonderen eines Allgemeinen nicht mehr widersetzt, so muß die nächste Frage lauten, ob das dazu in Anschlag gebrachte funktionale Instrumentarium für ein Verständnis religiöser Rede fruchtbar gemacht werden kann, das auch der unverzichtbaren Aufgabe theologischer Reflexion und Lehrbildung hinreichend Rechnung zu tragen vermag. Freilich kann es hier nur noch um die grobe Skizze eines funktionalen Ansatzes gehen, dessen methodische Ausarbeitung und inhaltliche Füllung an anderer Stelle zu erfolgen hätte.

Kapitel l

Sprache und Bedeutung in der analytischen Philosophie Die Frage nach dem Beginn der analytischen Philosophie ist umstritten. Je nach dem eigenen Verständnis dessen, was unter dem Titel analytische Philosophie< zu verstehen sei, lassen sich drei Antworten unterscheiden1: (1) Die analytische Philosophie beginne mit Gottlob Frege als dem Begründer nicht nur der formalen Logik, sondern auch der modernen Sprachphilosophie2. (2) Die analytische Philosophie beginne mit George E. Moore und Bertrand Russell, deren beider Programm einer sprachlogischen Analyse - ungeachtet ihrer internen Divergenzen - ein neues Paradigma philosophischer Forschung eröffne. Im Tractatus des jungen Ludwig Wittgenstein finde dieser Ansatz seinen für die Folgezeit wirkungsmächtigen Ausdruck3. (3) Die analytische Philosophie beginne mit dem Für das Folgende vgl. D. Koppelberg, Die Aufhebung der analytischen Philosophie. Quine als Synthese von Carnap und Neurath, Ffm 1987, 55f. Vgl. M. Dummett, Frege. Philosophy of Language, London 1973; vgl. Ders., Can Analytical Philosophy be Systematic, and Ought it to Be?, in: Hegel-Studien, Beiheft 17 (1977), 305-326, wieder in: Ders., Truth and Other Enigmas, Cambridge 1978, 437^58, dt. Kann und sollte die analytische Philosophie systematisch sein?, in: Ders., Wahrheit. Fünf philosophische Aufsätze, Stuttgart 1982, 185-220; sowie Ders., Ursprünge der analytischen Philosophie, Ffm 1988, llf.: »Was die analytische Philosophie in ihren mannigfachen Erscheinungsformen von anderen Richtungen unterscheidet, ist erstens die Überzeugung, daß eine philosophische Erklärung des Denkens durch eine philosophische Analyse der Sprache erreicht werden kann, und zweitens die Überzeugung, daß eine umfassende Erklärung nur in dieser und keiner anderen Weise zu erreichen ist. ... Nach dieser Kennzeichnung entstand also die analytische Philosophie, sobald die >Wende zur Sprache< vollzogen wurde. Dieser neue Weg wurde freilich nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt und in einheitlicher Weise von irgendeiner Gruppe von Philosophen eingeschlagen. Das früheste klare Beispiel, das ich kenne, steht in Freges Grundlagen der Arithmetik von 1884«. Vgl. ebenfalls H. Sluga, Frege and the Rise of Analytic Philosophy, in: Inquiry 18 (1975), 471^98; sowie Ders., Gottlob Frege, London 1980. Vgl. den Überblick bei I.U. Dalferth, Einführung in die analytische Religionsphilosophie und Theologie, in: Ders. (Hg.), Sprachlogik des Glaubens. Texte analytischer Religionsphilosophie und Theologie zur religiösen Sprache, München 1974, 9-60, 12-21; sowie die ausführlichere Darstellung in I.U. Dalferth, Religiöse Rede von Gott, München 1981, 49-120. - Dalferth unterscheidet in der Entwicklungsgeschichte der analytischen Philosophie bis zum Beginn der siebziger Jahre vier Phasen. Den Ausgangspunkt bilde der in Cambridge von Moore und Russell eingeführte und von Wittgenstein konsequent zugespitzte >Logische AtomismusLogische EmpirismusSprechaktanalyse< (vgl. Ders., Religiöse Rede 41). Dabei weist Dalferth mit Recht auf den »Unterschied zwischen Moores Anwendung analytischer Methoden und Russells und Wittgensteins Ausarbeitung einer philosophischen Theorie« hin, der es erlaubt, »die Entstehung der Analytischen Philosophie in Großbritannien auf zwei Wurzeln, nämlich Moores philosophisch-analytische Praxis und Russells und Wittgensteins logisch-sprachphilosophische Theorie zurückzuführen« (ebd.). Wenn er jedoch meint, daß sich Wittgensteins sprachphilosophischer Ansatz im Tractatus mit innerer

Kapitel l: Sprache und Bedeutung in der analytischen Philosophie

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sogenannten >Wiener Kreiswissenschaftlichen< Philosophie ein neues Gepräge verleihe4. Ohne diese Streitfrage klären zu können, ist doch zumindest soviel deutlich, daß sich erst im Anschluß an den >Logischen EmpirismusLogische Atomismus< bleibt ohne weitreichenden Einfluß auf Religionsphilosophie und Theologie. Wittgensteins Ausführungen über das >Mystische< deuten zwar eine Aufnahme der religiösen Thematik an6, indem er es aber als »Unaussprechliches«7 kennzeichnet und einem strikten Unsinnigkeitsverdikt unterwirft, unterbindet er zunächst eine weitere Ausarbeitung der möglichen religionsphilosophischen Implikationen. Erst mit dem Aufkommen des Logischen Empirismus ändert sich die Lage. Allerdings beschränken sich die Mitglieder des Wiener Kreises selbst auf eine allgemeine Kritik an der scheinbaren Sinnhaftigkeit metaphysischer Sätze8. Zwar werden in diese nicht näher spezifizierte >Metaphysik
motor< of analytic philosophy was logical positivism (and, earlier, logical atomism); not because all analytic philosophers were positivists, but because the arguments pro-and-con positivism were what kept analytic philosophy in motion«. - Vgl. auch R. Rorty, Zur Lage der Gegenwartsphilosophie in den USA, in: Analyse und Kritik 3 (1981), 3-22. Die Philosophie des Wiener Kreises wird zumeist mit den als austauschbar gesetzten Begriffen >Logischer Positivismus< und >Logischer Empirismus< bezeichnet, so auch in der jüngst erschienenen Monographie von R. Haller, Neopositivismus. Eine historische Einführung in die Philosophie des Wiener Kreises, Darmstadt 1993. Zwar darf die Differenz beider Begriffe nicht überbewertet werden, doch ist zu beachten, daß innerhalb des Wiener Kreises zunehmend die Selbstbezeichnung als >Logischer Empirismus< Verwendung findet, um die Kontinuität zum Empirismus allgemein betonen und irreführende Anklänge an den älteren Positivismus Comtescher Prägung vermeiden zu können (vgl. D. Koppelberg, Aufhebung 311 f. Anm. 2). Aus diesem explizit empiristischen Selbstverständnis heraus ist daher dem Versuch gegenüber Vorsicht geboten, den Titel >Logischer Empirismus< der dem britischen Empirismus verpflichteten Ayerschen Version des Logischen Positivismus vorbehalten zu wollen (vgl. I.U. Dalferth, Religiöse Rede 121 Anm. 23). Vgl. L. Wittgenstein, Logisch-philosophische Abhandlung. Tractatus logico-philosophicus, in: Ders., Werkausgabe, Bd. l, Ffm 1989 (TLP), 6.44-7; vgl. dazu Kapitel 6, 1.2. L. Wittgenstein, TLP 6.522. Vgl. etwa den programmatischen Titel des Aufsatzes von R. Carnap, Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache, in: Erkenntnis 2 (1931/32), 219-241, wieder in: H. Schleichert (Hg.), Logischer Empirismus - Der Wiener Kreis. Ausgewählte Texte mit einer Einleitung, München 1975, 149-171.

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Kapitel 1: Sprache und Bedeutung in der analytischen Philosophie

auch religiöse und theologische Aussagen einbezogen9, eine explizite Auseinandersetzung mit religiösen und theologischen Aussagen findet sich aber erstmals in Alfred J. Ayers 1936 erschienenem Buch >Language, Truth and LogicGraben< zwischen Sprache und Welt zu schließen, der metaphysische Aussagen überhaupt erst zu ermöglichen scheint. Das Verifizierbarkeitsprinzip fungiert zwar als Abgrenzungskriterium, um zwischen sinnvollen empirischen und sinnlosen metaphysischen Aussagen unterscheiden zu können, wird dabei aber bedeutungstheoretisch zugespitzt: Die Bedeutung eines Satzes, so lautet die entscheidende These, bestehe in der Methode seiner Verifikation. 9 10 11

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Vgl. R. Carnap, aaO. 225-227. Vgl. A.J. Ayer, Language, Truth and Logic, London 1936,21946, ND Harmondsworth 1971. Zwar erscheint bereits ein Jahr zuvor der Aufsatz von H.H. Price, Logical Positivism and Theology, in: Philosophy 10 (1935), 313-331; doch ist dessen Wirkung mit derjenigen des Ayerschen Buches nicht vergleichbar. - Zur Wirkungsgeschichte von Ayers language, Truth and Logic< vgl. A.J. Ayer, Reflections on Language, Truth and Logic, in: B. Gower (Hg.), Logical Positivism in Perspective. Essays on Language, Truth and Logic, London 1987, 23-34; sowie G.F. Macdonald, C. Wright (Hgg.), Fact, Science and Morality. Essays on A.J. Ayer's Language, Truth and Logic, Oxford 1986. So erscheint die maßgebliche Darstellung jener Auseinandersetzung um die mögliche Verifikation oder Falsifikation religiöser Aussagen erst im Jahre 1969 und ist zudem selbst noch empiristisch gestimmt; vgl. R.S. Heimbeck, Theology and Meaning. A Critique of Metatheological Scepticism, London 1969. - Allerdings bleibt zu beachten, daß der an Wittgenstein sich anschließende Strang der Religionsphilosophie, von Wittgensteins eigenen religionsphilosophischen Intentionen ganz abgesehen, quer zu dieser empiristischen Diskussionslage steht. Hier geht es nicht um die Frage nach der möglichen Sinnhaftigkeit religiöser Sätze überhaupt, sondern um die anders gelagerte Frage, welcher Sinn sich aus der schlichten Beschreibung ihrer faktischen Verwendung erheben läßt.

1. Der Wiener Kreis

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Im Anschluß daran ist die Aufnahme und Ausarbeitung dieser Pointe in der weiteren Entwicklung der analytischen Sprachphilosophie zu verfolgen. So wird die Verifikationstheorie der Bedeutung von Willard Van Orman Quine in seinen >Empirismus ohne Dogmen< übernommen und rückt bei Michael Dummett - der freilich weniger in der Nachfolge des Wiener Kreises als vielmehr in der Tradition Freges steht - in den Status einer umfassenden Theorie des Sprachverstehens ein. Auf diese Weise sollen zugleich die klassischen Probleme der Philosophie ihre sprachphilosophische Reformulierung und Lösung erfahren. Doch es wird sich zeigen, daß auch der bedeutungstheoretische Verifikationismus noch eben jener epistemologisch aufgeladenen Differenz von Sprache und Welt verhaftet bleibt, die er zu überwinden sucht. Erst ein sprachphilosophisches Programm, das sich gänzlich von dieser Voraussetzung zu lösen vermag, kann daher die >antirealistischen< Intentionen des Verifikationismus konsequent und überzeugend zur Geltung bringen. Die >Interpretationsphilosopnie< Donald Davidsons stellt sich dieser Aufgabe und stößt dabei zu überraschenden Einsichten vor, die ihrerseits schließlich den Bogen zurück zur analytischen Religionsphilosophie zu schlagen erlauben.

1. Der Wiener Kreis Der Wiener Kreis ist in den letzten Jahren verstärkt in das Blickfeld des philosophiegeschichtlichen Interesses gerückt13. Neben der Erforschung seiner Entwicklung von den ersten Zusammenkünften im Jahre 1907 bis zu seiner Auflösung im Jahre 193814 und der Rekonstruktion seiner internen Spannungen - vor allem zwischen Rudolf Carnap und Otto Neurath15 - richtet sich das Augenmerk vornehmlich auf die Frage nach den Motiven und Traditionen, denen er entwachsen ist und denen er verpflichtet bleibt. Dabei wird deutlich, daß der Logische Empirismus des Wiener Kreises an die ältere, mit den Namen Auguste Comte, John Stuart Mill und Ernst Mach verknüpfte empiristisch-positivistische Tradition >wissenschaftlicher< Philosophie anzuschließen und diese erneut zur Geltung zu bringen sucht16. Dieser ältere Positivismus läßt sich vor allem durch drei Merkmale umschreiben: (1) Den Ausgangspunkt bildet ein radikal empiristischer Ansatz, der die sinnliche Erfahrung als die alleinige Quelle der Erkenntnis ansetzt: »Die wissenschaftliche Weltauffassung ... ist... empiristisch 13

Allerdings steht eine historisch-systematische Gesamtdarstellung der Geschichte des Wiener Kreises bis heute noch aus. Über die Stärken und Schwächen der einflußreichsten vorliegenden Darstellungen informiert knapp R. Haller, Neopositivismus 3f. 14 Vgl. D. Koppelberg, Aufhebung 38-54; sowie R. Haller, Neopositivismus 45-213. 15 D. Koppelberg vertritt die These, daß sich in den vielfältigen Auseinandersetzungen zwischen Carnap und Neurath das großangelegte Programm des Wiener Kreises widerspiegele, die beiden Traditionen der analytischen Philosophie und des Empirismus miteinander zu vermitteln. Dabei »steht für Carnap die neue formale Logik im Mittelpunkt seiner philosophischen Bemühungen, wohingegen bei Neurath das Ziel eines konsequenten Empirismus im Vordergrund steht« (Ders., Aufhebung 53). Die Pointe dieser Interpretation besteht sodann darin, »Quines Empirismus als Integrationsversuch der unterschiedlichen philosophischen Auffassungen von Carnap und Neurath ... rekonstruieren« (aaO. 13) zu können. Dessen Philosophie stelle somit »weniger eine destruktive Kritik des Wiener Kreises als vielmehr einen Integrationsversuch seiner unterschiedlichen theoretischen Schwerpunkte und eine Weiterentwicklung seiner wichtigsten Ziele dar« (aaO. 14). 16 Vgl. dazu vor allem R. Haller, Neopositivismus 18-44.

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Kapitel l: Sprache und Bedeutung in der analytischen Philosophie

und positivistisch: es gibt nur Erfahrungserkenntnis, die auf dem unmittelbar Gegebenen beruht. Hiermit ist die Grenze für den Inhalt legitimer Wissenschaft gezogen«17. Dieser auf Hume zurückgehende empiristische Ansatz ist für den Wiener Kreis besonders in seiner von Ernst Mach vertretenen, in eigentümlicher Weise phänomenalistische und naturalistische Momente verschränkenden Ausprägung bestimmend geworden18. (2) Mit diesem empiristischen Ansatz verbindet sich sodann die wissenschaftsorientierte Zielsetzung, das Postulat der >Einheitswissenschaft< so zu verwirklichen, daß darin zugleich die Philosophie als eine im strikten Sinn >wissenschaftliche< Philosophie ihre Begründung erfahren kann. Erneut ist es vor allem Mach, dessen Elementenlehre und Ökonomieprinzip auf das wissenschaftstheoretische Selbstverständnis der Philosophie des Wiener Kreises einen weitreichenden Einfluß ausgeübt haben19. (3) Die Kehrseite dieser wissenschaftsorientierten Zielsetzung bildet die ausgeprägte antimetaphysische 17 18

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R. Carnap, H. Hahn, O. Neurath, Wissenschaftliche Weltauffassung - Der Wiener Kreis, in: Veröffentlichungen des Vereins Ernst Mach, Wien 1929, 9-30, wieder in: H. Schleichen (Hg.), Logischer Empirismus 201-222, 211. Machs vermeintlicher Phänomenalismus steht im Dienste einer grundsätzlichen Kritik an der im physikalischen Mechanismus üblichen ontologischen Deutung physikalischer Theorien (vgl. E. Mach, Die ökonomische Natur der physikalischen Forschung, in: Ders., Populär-Wissenschaftliche Vorlesungen, Leipzig 21897, 208-236, 229). Er zielt also keineswegs auf eine Reduktion physikalischer Dinge auf psychologische Empfindungen, sondern vielmehr »auf eine wechselseitige Ergänzung von physikalischer und psychologischer Betrachtungsweise ... Weder sind seine Elemente mit sensualistischen Empfindungen zu identifizieren, noch sind sie ohne weiteres als >gegeben< zu bezeichnen. Sie sind keine metaphysische Voraussetzung der Forschung, sondern lediglich hypothetische Entitäten, die verändert oder verworfen werden können« (D. Koppelberg, Aufhebung 43f.); vgl. E. Mach, Die Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Physischen zum Psychischen, Jena 21900, ND Darmstadt 91987, 255; vgl. dazu auch R. Haller, Neopositivismus 32-44. Hinter der Machschen Elementenlehre steht der Versuch, an die Stelle des kategorialen Grundgerüsts der mechanistischen Physik den Ausgang von ontologisch neutralen >Elementen< zu setzen: »Man nennt diese Elemente gewöhnlich Empfindungen. Da aber in diesem Namen schon eine einseitige Theorie liegt, so ziehen wir vor, kurzweg von Elementen zu sprechen. ... Alle Forschung geht auf die Ermittlung der Verknüpfung dieser Elemente aus. Sollte man mit einer Art dieser Elemente durchaus nicht das Auskommen finden, so werden eben mehrere statuiert werden« (E. Mach, Analyse der Empfindungen 17f.). Auf diese Weise soll es möglich sein, »einen einheitlichen, monistischen Bau aufzuführen und den leidigen verwirrenden Dualismus los zu werden« (aaO. 255), der in Gestalt der Unterscheidung zwischen materieller und psychischer Welt »den Zusammenschluß der Wissenschaften zu einem Ganzen« (ebd.) bisher verhindert habe. In der Folge sei daher »die Erforschung der Verbindung, des Zusammenhangs, der gegenseitigen Abhängigkeit dieser gleichartigen Elemente aller Gebiete als die einzige Aufgabe der Wissenschaft« (ebd.) anzusehen. Doch stehe die Durchführung dieser Aufgabe unter dem ökonomischen Prinzip, »bei allen Beschreibungen von Erfahrungen und bei allen Erklärungsversuchen nicht mehr Entitäten zu postulieren als nötig, nicht mehr Prinzipien und Gesetze einzuführen als zur Erklärung erforderlich sind, in den ordnenden und systematisierenden Handlungen dem Einfachheitsprinzip zu folgen, kurz, das wissenschaftliche Prozedieren den Geboten der Rationalität wirtschaftlich-sparsamen Handelns unterzuordnen« (R. Haller, Neopositivismus 38; jeweils verschiedene Fassungen dieses Prinzips finden sich in E. Mach, Die Mechanik in ihrer Entwicklung historisch-kritisch dargestellt, Leipzig 1883, ND Darmstadt 91988, 457, 464-466; Ders., Analyse der Empfindungen 40f.; Ders., Die Prinzipien der Wärmelehre, historisch-kritisch dargestellt, Leipzig 1896, 391-395). In der Philosophie des Wiener Kreises findet das Ökonomieprinzip seine Aufnahme und Reformulierung in der Gestalt von Occams razor (vgl. etwa H. Hahn, Überflüssige Wesenheiten [Occams Rasiermesser], in: Veröffentlichungen des Vereins Ernst Mach, Wien 1930, 324, wieder in: H. Schleiche« [Hg.], Logischer Empirismus 95-116).

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Stoßrichtung des älteren Positivismus. So steht schon bei Auguste Comte die Frage nach einer möglichen Unterscheidung zwischen Metaphysik und Wissenschaft im Vordergrund und wird mit der verifikationistisch interpretierten Regel zu lösen versucht, »daß jede Behauptung, die nicht genau auf dem bloßen Ausdruck einer Tatsache, einer besonderen oder allgemeinen, zurückzuführen ist, keinen tatsächlichen und verständlichen Sinn bieten kann« 20 . In dieser Richtung kann dann auch Mach von »störenden Scheinproblemen«21 sprechen und so die radikale Metaphysikkritik vorwegnehmen, die Carnap im Jahre 1928 unter dem Titel >Scheinprobleme in der Philosophiemetaphysischer< Entitäten entledigen zu können. Dabei beruft er sich bereits auf Verifikation und Falsifikation und nimmt so die Ausarbeitung jenes Kriteriums im Wiener Kreis vorweg: »Alle Wissenschaft hat nach unserer Auffassung die Funktion, Erfahrung zu ersetzen. Sie muß daher zwar einerseits in dem Gebiet der Erfahrung bleiben, eilt aber doch andererseits der Erfahrung voraus, stets einer Bestätigung, aber auch einer Widerlegung gewärtig. Wo weder eine Bestätigung noch eine Widerlegung ist, dort hat die Wissenschaft nichts zu schaffen« (E. Mach, Mechanik 465). Vgl. R. Carnap, Scheinprobleme in der Philosophie. Das Fremdpsychische und der Realismusstreit, Berlin 1928, ND Ffm 1966. R. Haller, Neopositivismus 17. Im Anschluß an F. Stadier, Vom Positivismus zur >Wissenschaftlichen WeltauffassungVereins Ernst Mach< im November 1928 bis zur Auflösung im Jahre 1938. Die Ausrichtung auf die formale Logik und Semantik hat sich nun vollends durchgesetzt: »Die Wissenschaft wird als ein System von Sätzen aufgefaßt, das mit Hilfe der Logik analysiert werden soll« (aaO. 52). D. Koppelberg, Aufhebung 52. Poincarö gilt als der Begründer des Konventionalismus in der Wissenschaftstheorie. Am Beispiel der Geometrie weist er auf, daß ihre Sätze weder als apriorische Axiome noch als bloße empirische Behauptungen gelten können. Vielmehr seien sie als Festsetzungen zu betrachten, über deren Tragfähigkeit und insofern >Wahrheit< nur relativ auf dasjenige System entschieden werden könne, innerhalb dessen sie verwendet werden: Die geometrischen Axiome »sind auf Übereinkommen beruhende Festsetzungen; unter allen möglichen Festsetzungen wird unsere Wahl von experimentellen Tatsachen geleitet; aber sie bleibt frei und ist nur durch die Notwendigkeit begrenzt, jeden Widerspruch zu vermeiden« (H. Poincaro, Wissenschaft und Hypothese, Leipzig 1904, ND Stuttgart 1974, 51f.). Duhem zieht diese kontextualistische Linie auf einen konsequenten wissenschaftstheoretischen Holismus hin aus. Eine einzelne Hypothese könne nicht aus ihrem theoretischen Zusammenhang herausgelöst und für sich allein einer experimentellen Überprüfung unterzogen werden. Entsprechend lasse sich auch eine umfassendere Theorie nicht im Rekurs auf einzelne Hypothesen überprüfen, sondern stehe immer nur im ganzen zur Disposition. Im Zuge seiner Untersuchung von Ziel und Struktur physikalischer Theorien kommt er daher zu folgender Einsicht: »Die Physik ist keine Maschine, die sich demontieren läßt. Man kann nicht jedes Stück isoliert untersuchen.... Die physikalische Wissenschaft ist ein System, das man als Ganzes nehmen muß, ist ein Organismus, von dem man nicht einen Teil in Funktion setzen kann, ohne daß auch die entferntesten Teile desselben ins Spiel treten, die einen in höherem die anderen in geringerem, aber alle in irgendeinem Grade« (P. Duhem, Ziel und Struktur der physikalischen Theorien, Leipzig 1908, ND Hamburg 1978, 249). Daraus ergibt sich die Konsequenz, daß es das klassische experimentum crucis nicht geben könne: »Das experimentum crucis ist in der Physik unmöglich« (ebd.). Insofern stellt sich der wissenschaftliche Fortschritt nicht als eine schlichte Abfolge von Theorien, sondern als ein > Kampf< zwischen Gesetz und Wirklichkeit dar: »Jedem Gesetz, das die Physik formulieren wird, wird die Wirklichkeit früher oder später die rücksichtslose Widerlegung durch eine Tatsache entgegenstellen. Aber unermüdlich wird die Physik das widerlegte Gesetz verbessern, modifizieren und verwickelter machen, und es durch ein umfassendes Gesetz ersetzen, in dem die durch das Experiment aufgezeigte Ausnahme nun ihrerseits ihre Regel findet. In diesem unaufhörlichen Kampf... besteht der Fortschritt der Physik« (aaO. 235). D. Koppelberg, Aufhebung 50.

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des Empirismus speist sich weitgehend aus jenem Einfluß Machs, Poincares und Duhems28. (2) Neben das wissenschaftsgeschichtliche Interesse tritt sodann eine Aufnahme der mit den Namen Gottlob Frege, Bertrand Russell und auch Ludwig Wittgenstein verknüpften Errungenschaften der modernen Logik und Mathematik. Die von Frege begründete formale Logik wird von Russell zu einem logizistischen Programm ausgeweitet. Er versucht, die logische Analyse als allgemeingültige Methode einer wissenschaftlichem Philosophie zur Geltung zu bringen, die »von vagen und mehrdeutigen Aussagen zu klaren und präzisen Feststellungen unserer Erkenntnis«29 fortzuschreiten vermag. Diese Konzeption wird vor allem von Rudolf Camap aufgenommen und mit einer Ausrichtung auf die empirischen Wissenschaften verbunden: Das Interesse des Wiener Kreises verlagert sich zusehends auf die Behandlung logischer und formalsemantischer Probleme30. Die Aufgabe der Philosophie wird dahingehend bestimmt, die logische Struktur der empirischen Wissenschaften zu explizieren. Somit steht nun nicht mehr die historische und empirische Analyse der Wissenschaften im Vordergrund, sondern der Entwurf einer logisch-formalen Metatheorie31. (3) Allerdings setzt diese wissenschaftstheoretisch vermittelte Aufnahme der modernen Logik bereits die ebenfalls durch Frege inaugurierte und von Wittgenstein philosophisch ausgearbeitete >Wende zur Sprache< voraus. Denn Wittgenstein liefert mit seinem Tractatus überhaupt erst die sprachphilosophische Grundlage, die es erlaubt, der Philosophie die Aufgabe einer formallogischen Analyse der materialen Sätze der empirischen Wissenschaften zuweisen zu können32. So unterscheidet Wittgenstein zwischen den sinnvollen Sätzen der empirischen Naturwissenschaften, den sinnlosen Sätzen der Logik und Mathematik sowie den unsinnigen Sätzen der Metaphysik und Religion33. Während die erste 28 29 30 31 32

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Vgl. vor allem R. Haller, Neopositivismus 150-178. D. Koppelberg, Aufhebung 68. Zu Carnap vgl. vor allem R. Haller, Neopositivismus 179-213. Vgl. D. Koppelberg, 80-89. R. Haller, Neopositivismus 93-100, benennt drei Grundgedanken Wittgensteins, die für den Wiener Kreis bestimmend geworden seien: (1) So ermögliche seine Deutung logischer Sätze als leerer Tautologien (vgl. L. Wittgenstein, TLP 6.1-6.11) die strikte Unterscheidung zwischen empirisch gehaltvollen, >synthetischen< und empirisch gehaltlosen, analytischem Sätzen. (2) Wittgensteins Auffassung empirischer Sätze bilde sodann die Grundlage für das spätere Verifikationsprinzip: »Einen Satz verstehen, heißt, wissen was der Fall ist, wenn er wahr ist. (Man kann ihn also verstehen, ohne zu wissen, ob er wahr ist.) ... Um sagen zu können: >p< ist wahr (oder falsch), muß ich bestimmt haben, unter welchen Umständen ich >p< wahr nenne, und damit bestimme ich den Sinn des Satzes« (TLP 4.024-4.063). - Freilich bleibt hier kritisch anzumerken, daß Wittgenstein weniger das Verifikationsprinzip vorwegnimmt als vielmehr die Grundeinsicht einer wahrheitskonditionalen Semantik formuliert. (3) Schließlich übernehme der Wiener Kreis auch Wittgensteins Aufgabenbestimmung der Philosophie als Analyse und Kritik der Sprache: »Der Zweck der Philosophie ist die logische Klärung der Gedanken. Die Philosophie ist keine Lehre, sondern eine Tätigkeit« (TLP 4.112; vgl. TLP 4.0031). Vgl. zum folgenden unten Kapitel 6, 1.

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Kapitel l: Sprache und Bedeutung in der analytischen Philosophie

Reihe von Sätzen insofern sinnvoll ist, als sie innerhalb der durch die logische Form umgrenzten Welt bestimmte - bestehende oder nichtbestehende - Sachverhalte abbilden34, werden im zweiten Fall analytische Sätze bezeichnet, die als tautologische bzw. kontradiktorische Sätze keinen empirischen Gehalt haben, nichts über die Welt aussagen und insofern sinnlos sind35. Dennoch sind sie von der Reihe der unsinnigen Sätze dadurch unterschieden, daß sie »das Gerüst der Welt«36 beschreiben. Die unsinnigen Sätze hingegen sprengen die Grenzen des Sagbaren, ohne daß sich mit ihnen eine angebbare Bedeutung verbinden ließe. Zu ihnen zählt Wittgenstein die Sätze der Metaphysik und Ontologie ebenso wie die Sätze der Religion und Ethik37. Diese dreigliedrige Sprachtheorie wird im Zuge ihrer Aufnahme innerhalb des Wiener Kreises dahingehend vereinfacht, daß nur noch zwischen den sinnvollen logisch-analytischen oder empirisch-synthetischen Sätzen auf der einen und den sinnlosen >metaphysischen< Sätzen auf der anderen Seite unterschieden wird38. So zieht die Programmschrift des Wiener Kreises »eine scharfe Grenze ... zwischen zwei Arten von Aussagen. Zu der einen gehören die Aussagen, wie sie in der empirischen Wissenschaft gemacht werden; ihr Sinn läßt sich feststellen durch logische Analyse, genauer: durch Rückführung auf einfachste Aussagen über empirisch Gegebenes. Die anderen Aussagen ... erweisen sich als völlig bedeutungsleer, wenn man sie so nimmt, wie der Metaphysiker sie meint. ... Der Metaphysiker und der Theologe glauben, sich selbst mißverstehend, mit ihren Sätzen etwas auszusagen, einen Sachverhalt darzustellen. Die Analyse zeigt jedoch, daß diese Sätze nichts besagen, sondern nur Ausdruck etwa eines Lebensgefühls sind«39. Camap ergänzt diese Zweiteilung, indem er innerhalb der sinnvollen Sätze selbst nochmals zwischen logischen und empirischen Sätzen unterscheidet: »Die (sinnvollen) Sätze zerfallen in folgende Arten: Zunächst gibt es Sätze, die schon auf Grund ihrer Form allein wahr sind (>Tautologien< ...); sie besagen nichts über die Wirklichkeit. Zu dieser Art gehören die Formeln der Logik und Mathematik; sie sind nicht selbst Wirklichkeitsaussagen, sondern dienen zur Transformation solcher Aussagen. Zweitens gibt es Negate solcher Sätze (>Kontradiktionenphilosophische< Sätze geben. Aber gänzlich kann auf Philosophie nicht verzichtet werden. Denn Betrachtungen wie die eben durchgeführte sind die Bedingung dafür, daß Wissenschaft sich vollziehen kann. Philosophie hat also keine eigenen Gegenstände, sondern ist Klärung der Sprache, negativ Metaphysikkritik und positiv Wissenschaftslehre. ... Und doch bleibt bestehen: die einzig sinnvollen Sätze sind die Sätze der Wissenschaft«. Vgl. dazu die Darstellungen bei D. Koppelberg, Aufhebung 20-38; sowie E. Tugendhat, Tarskis semantische Definition 193-204. Die Protokollsatzdebatte kreist im wesentlichen um drei Fragestellungen (vgl. dazu vor allem E. Tugendhat, Tarskis semantische Definition 196-204): (1) Zunächst gilt es, das Verhältnis der sinnvollen Sätze überhaupt zu den Beobachtungssätzen zu klären. (2) Sodann ist der Charakter dieser Beobachtungssätze selbst zu bestimmen. (3) Schließlich steht die Frage nach dem Verhältnis der Beobachtungssätze zum >Gegebenen< im Vordergrund. Vor allem diese letzte Frage führt den Ansatz des Logischen Empirismus an seine Grenzen. Denn diese Unterscheidung muß festgehalten und als Unterscheidung zur Geltung gebracht werden können, soll von einem empiristischen Ansatz überhaupt die Rede sein. Doch umgekehrt kann es gerade unter empiristischen Prämissen nicht zu einer Klärung jenes Verhältnisses kommen, »da jede solche Aussage nicht mehr ein wissenschaftlicher Satz und somit sinnlos, metaphysisch ist« (E. Tugendhat, Tarskis semantische Definition 199). - Neurath zieht daraus die Konsequenz, indem er an die Stelle des traditionellen korrespondenztheoretischen Gegenübers von Aussage und Sachverhalt die kohärenztheoreti-

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von sinnvollen und sinnlosen Sätzen zugespitzte Aufnahme des Wittgensteinschen Sprachbegriffs die Möglichkeit, nun auch die antimetaphysische Stoßrichtung des älteren Positivismus sprachphilosophisch zu reformulieren. Dabei liegt die entscheidende Pointe darin, die Frage nach dem Kriterium, das empirisch-wissenschaftliche von >metaphysischen< Sätzen zu unterscheiden erlaubt, im Rekurs auf eine bedeutungstheoretische Strategie beantworten zu wollen.

An dieser Stelle hat das weithin bekannte und umstrittene empiristische Sinnkriterium der Verifikation seinen Ort47. Dabei ist das Problem der Unterscheidung sehe Verknüpfung von Aussagen setzt: »Aussagen werden mit Aussagen verglichen, nicht mit >ErlebnissenWelt< noch mit sonst was. Alle diese sinnleeren Verdopplungen gehören einer mehr oder minder verfeinerten Metaphysik an und sind deshalb abzulehnen. Jede neue Aussage wird mit der Gesamtheit der vorhandenen, bereits miteinander in Einklang gebrachten, Aussagen konfrontiert. Richtig heißt eine Aussage dann, wenn man sie eingliedern kann« (O. Neurath, Soziologie im Physikalismus, in: Erkenntnis 2 [1931/32], 393-431, 403). Die Radikalisierung des Empirismus führt also zur Einziehung der Unterscheidung zwischen sprachlicher Aussage und >gegebenem< Sachverhalt und somit letztlich zu seiner Preisgabe. Carnap setzt diesen von Neurath eingeschlagenen Weg fort, indem er - gegen Wittgenstein - an der Möglichkeit einer philosophischen Wissenschaftstheorie festhält, diese aber auf die Konstruktion eines formalen Kalküls der wissenschaftlichen Sprache reduziert: »Wissenschaftslogik ist Syntax der Wissenschaftssprache« (R. Carnap, Logische Syntax der Sprache, Wien 1934, 243). Insofern gehören alle sinnvollen philosophischen Probleme zur Syntax und damit selbst zur Wissenschaft (vgl. aaO. 203-210). Dieser Syntaktizismus erfährt seine inhaltliche Zuspitzung sodann durch eine spezifische Aufnahme des ebenfalls von Neurath eingeführten Physikalismus. An die Stelle der zunächst intendierten Übersetzbarkeit der Protokollsätze in eine physikalische Sprache tritt die Auffassung jener Sätze als der physikalischen Sachverhalte selbst: »Die Protokollsätze - und mit ihnen dann auch alle Sätze der Wissenschaft - sind anonyme Bestandteile der physikalischen Wirklichkeit selbst« (E. Tugendhat, Tarskis semantische Definition 202). Der Syntaktizismus kippt mit Notwendigkeit in einen >Materialismus< um (vgl. R. Carnap, Die physikalische Sprache als Universalsprache der Wissenschaft, in: Erkenntnis 2 [1931/32], 432-465, 461). - Im Gegenzug zu dieser kohärenztheoretisch eingefädelten und syntaktizistisch-naturalistisch durchgeführten Preisgabe des Empirismus unternimmt Schlick den Versuch, an der Unterscheidung zwischen sprachlicher Aussage und >gegebenem< Sachverhalt explizit festzuhalten. Zur Sicherstellung der Wahrheit von Sätzen reiche der Aufweis einer internen Konsistenz bzw. Kohärenz nicht hin; vielmehr müsse auch ihre intendierte »Übereinstimmung mit der Wirklichkeit« (M. Schlick, Über das Fundament der Erkenntnis, in: Erkenntnis 4 [1933/34], 79-99, 86) geprüft werden. Damit fällt er in seinem Bestreben, die verifikationistische Grundproblematik des Empirismus zur Geltung zu bringen, hinter diesen in einen metaphysischen Ansatz zurück. - In dem Versuch, das Problem des Verhältnisses zwischen Beobachtungssatz und >Gegebenem< zu lösen, verstrickt sich der Logische Empirismus also in das Dilemma, entweder die Philosophie auf Syntax reduzieren oder aber in eine Form von Metaphysik zurückfallen zu müssen (vgl. E. Tugendhat, Tarskis semantische Definition 204). 47 Eine gründliche und umfassende Abhandlung über das Verifikationskriterium gehört zu den dringenden Desideraten der philosophischen Forschung. Eine solche Arbeit hätte nicht nur die semantischen und pragmatischen Aspekte des Verifikationsgedankens zu untersuchen, sondern auch dessen epistemologische Implikationen durchsichtig zu machen. Dariiberhinaus wäre es notwendig, die komplizierten Verflechtungen zwischen den Auffassungen der Vertreter des Wiener Kreises auf der einen und Wittgensteins auf der anderen Seite aufzuklären, ihre Wandlungen nachzuzeichnen und so auch den Brückenschlag zu den modernen Varianten einer verifikationistischen Semantik und der von dort ausgehenden Realismusdebatte zu wagen. - Vgl. aber immerhin M. Black, Verificationism Revisited, in: Grazer Philosophische Studien 16/17 (1982), 35^7; J. Schulte, Bedeutung und Veri-

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zwischen empirischen und metaphysischen Sätzen keineswegs neu. Zudem hatte sich bereits Mach auf das Kriterium der Verifikation berufen, um jene Unterscheidung durchführen und die Sätze der Metaphysik aus dem Bereich der Wissenschaft ausschließen zu können48. Doch dieses traditionelle empiristische >Abgrenzungsproblemmetaphysischen< Systemen abgrenzen können, bezeichnen wir als Abgrenzungsproblem«. Vgl. R. Haller, Neopositivismus 194: »Das Problem, wie die empirischen Aussagen zu charakterisieren seien, war natürlich nicht neu. ... Neu aber war, daß das Problem aus der empiristischen Perspektive - wie es sich bereits bei Mach und Mauthner angekündigt hatte - mit dem des Sinnes sprachlicher Ausdrücke gekoppelt wird«. R. Haller, aaO. 195; vgl. auch D. Koppelberg, Aufhebung 86, der zwischen dem empiristischen Sinnkriterium der Verifikation und einer Verifikationstheorie der Bedeutung unterscheidet. K. Nielsen, Contemporary Critiques of Religion, London 1971, 31, betont die logische Priorität der Sinnfrage vor der Verifiktaionsthematik und kommt zu dem Schluß: »Questions of meaning and verification should be kept distinct«. - Diese Unterscheidung vorausgesetzt, wird im folgenden nach einer möglichen Verknüpfung beider im Logischen Empirismus zu fragen sein. R. Haller, aaO. 196; vgl. A. Kleiner, Ende der Wahrheit? Zum Wahrheitsverständnis in Philosophie und Theologie, Freiburg 1992, 517f.

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Doch es wird auch deutlich, daß sich das Verifikationskriterium nicht auf jene anfängliche Unterscheidung zwischen wissenschaftlichen und metaphysischen Sätzen beschränkt, sondern diese sogleich als eine Unterscheidung zwischen sinnvollen und sinnlosen Sätzen in den Blick nimmt. Die Pointe besteht gerade darin, daß das als Abgrenzungskriterium eingeführte Verifikationsprinzip unmittelbar auf der semantischen Ebene des Sinns von Sätzen zum Zug gebracht wird. Diese semantische Zuspitzung des Verifikationsgedankens geht wohl auf einen Vorschlag Wittgensteins zurück53 und findet ihren erstmaligen schriftlichen Niederschlag bei Friedrich Waismann: »Eine Aussage beschreibt einen Sachverhalt. Der Sachverhalt besteht oder er besteht nicht. Ein Mittelding gibt es nicht, und daher gibt es auch keinen Übergang zwischen wahr und falsch. Kann auf keine Weise angegeben werden, wann ein Satz wahr ist, so hat der Satz überhaupt keinen Sinn; denn der Sinn eines Satzes ist die Methode seiner Verifikation. In der Tat, wer einen Satz ausspricht, der muß wissen, unter welchen Bedingungen er den Satz wahr oder falsch nennt; vermag er das nicht anzugeben, so weiß er auch nicht, was er gesagt hat«54. In dieser Definition des Satzsinnes durch die Methode seiner Verifikation liegt schließlich der Übergang von einer methodischen Aufnahme des Verifikationskriteriums zu einer Verifikationstheorie der Bedeutung beschlossen55. Die überkommene empiristische Metaphysikkritik erfährt also durch die Aufnahme des Verifikationsgedankens eine doppelte sprachphilosophische Radikalisierung: Er wird zunächst eingeführt, um entscheiden zu können, ob ein Satz sinnvoll ist oder nicht, rückt aber alsbald in die Funktion ein zu bestimmen, welchen Sinn ein Satz hat. Die Frage nach der Unterscheidung zwischen sinnvollen und sinnlosen Sätzen, die schon für sich eine durch das Verifikationskriterium vermittelte sprachphilosophische Zuspitzung des empiristischen Abgrenzungsproblems darstellt, wird nochmals zurückgespiegelt auf die Frage nach der Bestimmung des Sinns von Sätzen überhaupt. Während es zunächst darum geht, mit Hilfe des Verifikationskriteriums zwischen sinnvollen und sinnlosen Sätzen 53

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So heißt es in den Gesprächen Wittgensteins mit dem Wiener Kreis bereits am 22.12. 1929: »Wenn ich den Sinn des Satzes nie vollständig verifizieren kann, dann kann ich mit dem Satz auch nichts gemeint haben. Dann heißt der Satz auch gar nichts« (F. Waismann, Wittgenstein und der Wiener Kreis, hg. von B.F. McGuinness, in: L. Wittgenstein, Werkausgabe, Bd. 3, Ffm 1989 [WWK], 47). Unter dem 2.1.1930 findet sich schließlich jene folgenreiche semantische Definition des Satzsinnes: »Der Sinn eines Satzes ist die Methode seiner Verifikation« (WWK 79). F. Waismann, Logische Analyse des Wahrscheinlichkeitsbegriffs, in: Erkenntnis l (19307 31), 228-248, 229; vgl. R. Carnap, Überwindung der Metaphysik 221-224, 236. Dalferths Auffassung, daß es sich »beim Verifizierbarkeitsprinzip nie um ein generelles Bedeutungskriterium (...), sondern bestenfalls um ein Kriterium für eine bestimmte Eigenschaft der Bedeutung mancher Sätze, nämlich der, empirisch signifikant zu sein« (I.U. Dalferth, Religiöse Rede 137), gehandelt habe, geht also an der Selbsteinschätzung des Logischen Empirismus und auch seiner philosophiegeschichtlichen Einordnung vorbei. Dieses Fehlurteil scheint bei Dalferth nicht nur durch die Art seiner eigenen Aufnahme des Verifikationsgedankens bedingt zu sein, sondern auch in der unkritischen Voraussetzung einer realistischen Semantik begründet zu liegen (vgl. dazu unten Kapitel 5).

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unterscheiden und so das empiristische Abgrenzungsproblem einer Lösung zuführen zu können, rückt der Verifikationsgedanke nun unter der weitergespannten Frage in den Blick, ob er sich zur Bestimmung des Sinns sprachlicher Ausdrücke überhaupt in Anschlag bringen läßt. Diese bedeutungstheoretische Vereinnahmung des Verifikationsgedankens stellt zwar auf der einen Seite eine der wesentlichen Errungenschaften Wittgensteins und des Logischen Empirismus dar; doch auf der anderen Seite führt gerade das enge Beieinander der beiden Deutungen als Sirmkriterium und Siimdefiniens zu einem Kurzschluß von empirischer Verifizierbarkeit und semantischem Gebrauch, der schließlich auch die Schwächen des empiristischen Sprachbegriffs überhaupt hervortreten läßt. Die bedeutungstheoreiische Pointe des Verifikationsprinzips liegt zunächst in dem schlichten Umstand, den Sinn eines sprachlichen Ausdrucks mit der Methode seiner Verifikation zu verknüpfen. Darin kommt eine grundlegende sprachphilosophische Einsicht zum Ausdruck, die nicht nur in der sogenannten >verifikationistischen< Semantik im Anschluß an Michael Dummett56, sondern - in sachlicher Nähe zu Wittgenstein57 - auch in der scheinbar konträren > wahrheitskonditionalem Semantik Donald Davidsons ihre Aufnahme gefunden hat58. Dabei geht es um die Einsicht in den grundsätzlichen Zusammenhang zwischen der sprachlichen Bedeutung und einem Sachverhalt, der von Dummett als >VerstehenGebrauch< und von Davidson als sprachliche Kompetenz< umschrieben wird. Die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks, so lautet die entscheidende These, kann nicht unabhängig von seinem Gebrauch im Rahmen einer bestimmten Sprachpraxis expliziert werden59. Die Aporien des Versuchs, die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke im Rekurs auf die Postulierung abstrakter Bedeutungsentitäten klären zu wollen, nötigen zu dem Schluß, das Problem der sprachlichen Bedeutung vom Phänomen des sprachlichen Verstehens bzw. der sprachlichen Kompetenz her in Angriff nehmen zu müssen60. Ebenso besteht umgekehrt nur auf der Grundlage einer befrie56 57 58 59 60

Vgl. M. Dummett, Truth and Other Enigmas, London 1978, dt. Wahrheit. Fünf philosophische Aufsätze, Stuttgart 1982. Vgl. K. Glüer, Donald Davidson zur Einführung, Hamburg 1993, 161f.; vgl. auch K. Stüber, Donald Davidsons Theorie sprachlichen Verstehens, Ffm 1993, 97-133. Vgl. D. Davidson, Inquiries into Truth and Interpretation, Oxford 1984, dt. Wahrheit und Interpretation, Ffm 1990. Diese Einsicht bildet den zentralen Nerv der Wittgensteinschen Spätphilosophie: »Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache« (Ders., PU § 43). Sowohl Dummett als auch Davidson schließen sich ihr an. Dies ist die Blickrichtung Davidsons. Ausgehend von Quines Destruktion mentalistischintensionaler Auffassungen der Bedeutung wendet er sich erneut der Aufgabe zu, eine systematische Theorie der Bedeutung zu entwickeln. Dabei hebt er anders als die betont unsystematische Oxforder >ordinary language philosophy< darauf ab, »die natürliche Sprache, die in der Folge der Kritik am logischen Empirismus in den Vordergrund rückte, nun doch mit Hilfe der logischen Systeme, die am Anfang des Jahrhunderts entwickelt worden sind, zu beschreiben, ohne daß er die Dogmen des logischen Positivismus teilen muß« (K. Stüber, Davidson 11). Doch zugleich geht er methodisch so vor, daß er von dem Phänomen des sprachlichen Verstehens seinen Ausgang nimmt: »>Was heißt es, daß Worte bedeuten, was sie nun einmal bedeuten?< ... Die Antwort darauf, so Davidson, ist zu finden, wenn wir untersuchen, was es heißt, die Äußerungen eines Sprechers zu verstehen. Die Frage nach der Bedeutung muß in ihrem primären Kontext gestellt werden, im alltäglichen Gebrauch von Sprache« (K. Glüer, Davidson 13, unter Bezug auf D. Davidson, Wahrheit und Interpretation ). Allerdings ist zu beobachten, daß Davidson in seinen neueren Veröffentlichungen auffallend die Grenzen der Reichweite einer systematischen Bedeutungstheorie betont (vgl. D. Davidson, A Nice Derangement of Epitaphs, in: E. LePore [Hg.],

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Kapitel l: Sprache und Bedeutung in der analytischen Philosophie

digenden Theorie der Bedeutung die Aussicht, zu einem angemessenen Verständnis dessen zu gelangen, was es heißt, einen sprachlichen Ausdruck verstehen und gebrauchen zu können61. Die Betonung des konstitutiven Zusammenhang von Bedeutung und Gebrauch bildet aber nur den Ausgangspunkt für sehr viel weiterreichende Kontroversen: Denn nun erhebt sich die Frage, in welchem Verhältnis diese Einsicht zu jener anderen - ebenfalls auf Wittgenstein zurückgehenden - steht, daß »einen Satz verstehen, heißt, wissen was der Fall ist, wenn er wahr ist«62. Der Logische Empirismus nimmt diese >wahrheitskonditionale< Bestimmung des Satzsinns zwar auf: »In der Tat, wer einen Satz ausspricht, der muß wissen, unter welchen Bedingungen er den Satz wahr oder falsch nennt«63. Doch er meint zugleich über sie hinausgehen zu müssen, da sich die Bedeutung eines Satzes nicht allein im Rekurs auf seine Wahrheitsbedingungen festlegen lasse. Die Verknüpfung von Bedeutung und Gebrauch fordere darüber hinaus eine Angabe darüber, wie die Kenntnis dieser Wahrheitsbedingungen im Gebrauch des sprachlichen Ausdrucks ihren Niederschlag finde. Es sei daher notwendig, die bloße Angabe der Wahrheitsbedingungen eines Satzes durch die Angabe eines Verfahrens zu ergänzen, mit dessen Hilfe sich die Wahrheit oder Falschheit jenes Satzes entscheiden lasse: »Stellt man ... die Frage, wie der Sinn eines Satzes verstanden werden könne, dann scheint die Angabe der Wahrheitsbedingungen des Satzes allein nicht hinreichend, wenn nicht auch ein Weg zu ihrer Überprüfung angegeben werden kann. Das ist der eigentliche Grundgedanke einer verifikationistischen Bedeutungstheorie nicht weniger als einer wohlverstandenen empiristischen Erkenntnislehre«64. Neben die Angabe der Wahrheitsbedingungen eines Satzes tritt also die Angabe seiner Erfüllungs- oder Verifikationsbedingungen. Allerdings ist damit noch keineswegs ausgemacht, wie dieses Verhältnis zwischen Wahrheits- und Verifikationsbedingungen näherhin zu bestimmen ist - und an diesem Punkt gehen nicht nur die Auffassungen von Dummett und Davidson auseinander, sondern kommen auch die Schwierigkeiten des Logischen Empirismus ans Licht.

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Truth and Interpretation. Perspectives on the Philosophy of Donald Davidson, New York 1986, 433-446, dt. Eine hübsche Unordnung von Epitaphen, in: E. Picardi, J. Schulte [Hgg.], Die Wahrheit der Interpretation. Beiträge zur Philosophie Donald Davidsons, Ffm 1990, 203-227). Dies ist die Blickrichtung Dummetts. Während Davidson auf eine Erklärung des Phänomens der Bedeutung zielt, geht es Dummett gerade umgekehrt um die Aufhellung der Bedingungen sprachlichen Verstehens. Zu diesem Zweck entwickelt zwar auch er eine systematische Bedeutungstheorie, sie steht jedoch ausschließlich im Dienst jenes sprachlichen Verstehens: »Dfummett] geht davon aus, daß die Kenntnis der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke (unser >SprachgefühlDie Bedeutung eines Satzes ist seine WahrheitsbedingungDer Sinn eines Ausdrucks ist sein Gebrauche« (J. Husted, Michael Anthony Eardley Dummett. Realismus und Antirealismus, in: A. Hügli, P. Lübcke [Hgg.], Philosophie im 20. Jahrhundert, Bd. 2: Wissenschaftstheorie und Analytische Philosophie, Reinbeck 1993, 448^69, 448). Freilich besteht die sprachphilosophische Aufgabe darin, die beiden Prinzipien miteinander zu vermitteln statt zwischen ihnen zu wählen. So läßt sich die Auseinandersetzung zwischen der >wahrheitskonditionalen< Sematik Davidsons und der >verifikationistischen< Semantik Dummetts in der Weise interpretieren, daß ersterer den sprachlichen Gebrauch auf der Grundlage des Wahrheitsbegriffs zu explizieren versucht, während letzterer umgekehrt darauf abhebt, den Wahrheitsbegriff vom sprachlichen Gebrauch her einsichtig zu machen. F. Waismann, Logische Analyse 229. R. Haller, Neopositivismus 120.

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Der Wiener Kreis scheint nun an jener Unterscheidung zwischen Wahrheits- und Verifikationsbedingungen nicht festhalten, sondern geradezu umgekehrt die Wahrheitsbedingungen eines Satzes auf dessen Verifikationsbedingungen reduzieren zu wollen: »Die Bedeutung eines Satzes wird ... nicht wie bei Frege und Wittgenstein mit seinen Wahrheitsbedingungen, sondern mit seinen Verifikationsbedingungen identifiziert: Ein Satz hat nicht Bedeutung genau dann, wenn er wahr oder falsch ist, sondern dann, wenn er als entweder wahr oder falsch erkannt werden kann«65. Die semantische Zuspitzung des Verifikationskriteriums hat zur Folge, daß die Sinnhaftigkeit eines Satzes nurmehr ausschließlich von der Möglichkeit seiner empirischen Verifizierbarkeit abhängig gemacht wird. In seiner ursprünglichen Fassung lautet das empiristische Sinnkriterium der Verifikation daher, daß eine Aussage genau dann als empirisch sinnvoll gelten kann, »wenn sie nichtanalytisch ist und durch logische Ableitung aus einer endlichen, logisch konsistenten Menge von Beobachtungsaussagen vollständig verifiziert werden kann«66. Diese Formulierung setzt zwei grundsätzliche Bedingungen voraus: (1) Ein Satz muß definitiv und endgültig verifiziert werden können. (2) Er muß sich zudem auf elementare Beobachtungsaussagen zurückfuhren lassen, die in einem direkten Verhältnis zum sinnlich >Gegebenen< stehen und so die geforderte Verifikation zu leisten vermögen67. Beide Bedingungen jedoch sind nicht erfüllbar. Dabei läßt sich im ersten Fall noch dadurch Abhilfe schaffen, daß an die Stelle der strikten Verifikation die ermäßigte Forderung einer lediglich prinzipiellen Verifizierbarkeit gesetzt wird68. Die zweite Bedingung hingegen stellt vor ungleich größere Schwierigkeiten: Sie fordert nicht nur eine durchgängige Reduktion aller sinnvollen Aussagen auf Beobachtungssätze, sondern mutet diesen auch die Leistung eines verifikativen Bezugs zum Gegebenem zu. Damit sind die beiden wesentlichen Themenfelder benannt, auf denen sich die weitere Entwicklung des Logischen Empirismus vollzieht. So erweist sich zunächst die Forderung eines strikten Reduktionismus als undurchführbar. Es gelingt nicht, die komplexeren empirischen Ausdrücke der Sprache vollständig auf einfache Beobachtungssätze über sinnlich >Gegebenes< zurückzuführen69. Hinzu 65 66

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I.U. Dalferth, Religiöse Rede 130; vgl. M. Schlick, Positivismus und Realismus, in: Erkenntnis 3 (1932/33), 1-31, 7: »Die Angabe der Umstände, unter denen ein Satz wahr ist, ist dasselbe wie die Angabe seines Sinnes«. G.G. Hempel, Der Begriff der kognitiven Signifikanz: eine erneute Betrachtung, in: J. Sinnreich (Hg.), Zur Philosophie der idealen Sprache. Texte von Quine, Tarski, Martin, Hempel und Carnap, München 1972, 126-144, 128f.; vgl. auch Ders., Probleme und Modifikationen des empiristischen Sinnkriteriums, in: J. Sinnreich, aaO. 104-125, 107f. Vgl. I.U. Dalferth, Religiöse Rede 128. Vgl. bereits M. Schlick, Meaning and Verification, in: PhRev 45 (1936), 339-369, wieder in: H. Schleichen (Hg.), Logischer Empirismus 118-147. R. Carnap, Der logische Aufbau der Welt, Berlin 1928, unternimmt den Versuch, ausgehend von bestimmten >Elementarerlebnissen< und unter Verwendung der Grundrelation der >Ähnlichkeitserinnerung< ein Konstitutionssystem der empirischen Begriffe aufzuführen. Auf diese Weise soll mit der Behauptung ernst gemacht werden, alle auf die empirische

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kommt, daß die universalen Aussagen der Naturwissenschaften schon aus logischen Gründen durch eine endliche Menge von Beobachtungssätzen nicht schlüssig verifiziert werden können70. Das Verifizierbarkeitsprinzip ist damit zu restriktiv angesetzt: Es schließt auf der einen Seite zu viele als sinnvoll in Geltung stehende Sätze aus und muß auf der anderen Seite sogar offensichtlich sinnlose Sätze als scheinbar sinnvoll anerkennen71. Daher ergibt sich für den Logischen Empirismus die Aufgabe, das Verhältnis jener empirisch-naturwissenschaftlichen Sätze zu den Beobachtungssätzen so zu bestimmen, daß erstere als sinnvoll aufgewiesen werden können, ohne auf ein Kriterium empirischer Überprüfbarkeit gänzlich verzichten zu müssen. Die weitere Geschichte des Logischen Empirismus läßt sich als den Versuch darstellen, diese Aufgabe zu lösen und eine befriedigende Fassung des empiristischen Sinnkriteriums zu entwickeln. Dabei tritt an die Stelle des ursprünglichen Verifizierbarkeitsprinzips schließlich das sehr viel moderatere Prinzip der Bestätigungsfähigkeit72. Doch das Schicksal des Logischen Empirismus entscheidet sich nicht primär an der Möglichkeit einer geeigneten Formulierung des Sinnkriteriums, sondern an der Frage nach dem Status der Beobachtungssätze: »Sie erst können und müssen direkt verifiziert werden, d.h. dann aber: nicht mehr nur mittels anderer Sätze, sondern auf Grund ihres Bezuges zu etwas, was überhaupt nicht mehr Satzcharakter hat, dem >GegebenenGegebene< sei und welche Struktur dementsprechend jenen ersten Sätzen eignet«73. Über diese Aufgabe kommt es in der ersten Hälfte der dreißiger Jahre innerhalb des Wiener Kreises zu einer Auseinandersetzung, die schließlich die Grundfesten des empiristischen Ansatzes überhaupt in Frage stellt. In dieser >Protokollsatzdebatte< geht es vordringlich um das Problem, in welcher Weise sich bestimmte elementare Beobachtungssätze ausfindig machen lassen, die - mögen sie nun >Proto-

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Welt bezogenen Sätze auf Aussagen über unmittelbar >Gegebenes< zurückführen zu können. Allerdings hat er bald selbst das Scheitern eines derartigen Versuchs zugestanden und die weitere Durchführung des nur als Programm vorliegenden Entwurfs aufgegeben. Neben dem auf Neuraths Einfluß zurückgehenden Übergang von der phänomenalistischen zu einer physikalistischen Grundsprache spielt dabei vor allem die Einsicht eine Rolle, daß sich bestimmte komplexere empirische Begriffe - wie etwa die Dispositionsbegriffe oder die abstrakten theoretischen Begriffe der Naturwissenschaften - der geforderten Reduktion widersetzen (vgl. W. Stegmüller, Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie, Bd. l, Stuttgart 61978, 392). Vgl. K. Popper, Logik der Forschung 14f., 199-211. Vgl. dazu vor allem C.G. Hempel, Probleme und Modifikationen des empiristischen Sinnkriteriums 109f.; sowie die Ausführungen in Ders., Der Begriff der kognitiven Signifikanz 128f. Vgl. zu den verschiedenen Fassungen des empiristischen Sinnkriteriums die beiden Darstellungen von C.G. Hempel, Probleme und Modifikationen; und Ders., Begriff der kognitiven Signifikanz; sowie den knappen Überblick bei I.U. Dalferth, Religiöse Rede 132135. - Das Prinzip der Bestätigungsfähigkeit findet sich ausgearbeitet allerdings erst bei R. Carnap, Testability and Meaning, New Haven 1950. E. Tugendhat, Tarskis semantische Definition 197.

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kollsätzeBasissätzeKonstatierungenGegebenen< garantieren und mithin als Grundlage der empirischen Wissenschaften dienen können. Die Auszeichnung dieser Sätze erweist sich als notwendige Konsequenz eines empiristischen Ansatzes; sie müssen in einem unmittelbaren Verhältnis zum sinnlich >Gegebenen< stehen, um die auf sie sich berufenden Sätze der Naturwissenschaften als empirisch sinnvoll ausweisen zu können: »Wir brauchen sie, um entscheiden zu können, wann wir eine Theorie ... empirisch nennen können«77. Gerade diese epistemische Auszeichnung der Beobachtungssätze wird nun zunehmend problematisch. So weist innerhalb des Wiener Kreises erstmals Otto Neurath darauf hin, daß sich Aussagen nur mit anderen Aussagen, nicht aber mit einem nichtsprachlich >Gegebenen< vergleichen lassen78. Die Wissenschaft stellt für ihn ein einheitliches und möglichst kohärentes System von Aussagen an, innerhalb dessen es keine epistemischen Hierarchien gebe. Die Richtigkeit einer einzelnen Aussage bemesse sich daran, ob sie mit der Gesamtheit der anderen in Übereinstimmung gebracht werden kann. Kommt es zu Unverträglichkeiten, so könne entweder der entsprechende Satz abgelehnt oder aber auch das ganze System einer Änderung unterzogen werden. Auch den Protokollsätzen lasse sich daher kein Sonderstatus zuweisen: »Es gibt kein Mittel, um endgültig gesicherte saubere Protokollsätze zum Ausgangspunkt der Wissenschaften zu machen. Es gibt keine tabula rasa. Wie Schiffer sind wir, die ihr Schiff auf offener See umbauen müssen, ohne es jemals in einem Dock zerlegen und aus besten Bestandteilen neu errichten zu können«79. Mit diesem holistischen Fallibilismus handelt sich Neurath allerdings den Vorwurf ein, den Boden des Empirismus verlassen zu haben80. Vor allem Moritz Schlick wendet hier ein, daß Neurath die notwendige Übereinstimmung mit der Wirklichkeit aus dem Auge verliere und so der Forderung nach absoluter Gewißheit der Erkenntnis nicht hinreichend Rechnung tragen könne. Er fordert den Rückgang auf ein unbezweifelbares Fundament der Wissenschaft, um diese 74 75 76 77 78

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Vgl. O. Neurath, Soziologie im Physikalismus 393. - R. Carnap, Die physikalische Sprache 438, schließt sich dieser Sprachregelung an. Vgl. K. Popper, Logik der Forschung 52, 66-71. Vgl. M. Schlick, Über das Fundament der Erkenntnis 96. K. Popper, Logik der Forschung 66. - Freilich bleibt zu beachten, daß Popper die Falsifizierbarkeit ausdrücklich nicht als Sinnkriterium, sondern als Abgrenzungskriterium verstanden wissen will (vgl. aaO. 15, 253-256). Vgl. O. Neurath, Soziologie im Physikalismus 403; vgl. oben Anm. 46. - K. Popper, Logik der Forschung 60f., weist darauf hin, daß sich bereits bei J.F. Fries, Neue oder anthropologische Kritik der Vernunft, 3 Bde., Heidelberg 1807, die Einsicht in die grundsätzliche Sprachintemalität des Begründungsrekurses finde. Allerdings optiere er angesichts der Alternative von unendlichem Begründungsregreß und dogmatischem Abbruch des Begründungsverfahrens letztlich doch für die psychologistische Annahme einer auf Sinneswahrnehmung beruhenden unmittelbaren Erkenntnis. O. Neurath, Protokollsätze, in: Erkenntnis 3 (1932/33), 204-214, 209. Vgl. K. Popper, Logik der Forschung 63f.

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Übereinstimmung sicherzustellen zu können. Die geeigneten Kandidaten dafür findet er in seinen > KonstatierungenFundamentes< von selbst in das Problem der unerschütterlichen Berührungspunkte von Erkenntnis und Wirklichkeit verwandeln. Diese absolut festen Berührungspunkte, die Konstatierungen ... sind die einzigen synthetischen Sätze, die keine Hypothesen sind«81. Rudolf Carnap schließlich scheint in dieser Debatte eine vermittelnde Haltung einzunehmen. Er unterscheidet zwischen einer formalen und einer inhaltlichen Redeweise. Auf diese Weise meint er Neuraths Postulat der >Sprachinternalität< Rechnung tragen und doch zugleich an einer besonderen Stellung der Beobachtungssätze festhalten zu können. So handle es sich in der formalen Redeweise um Sätze, »die selbst nicht einer Bewährung bedürfen, sondern als Grundlage für alle übrigen Sätze der Wissenschaft dienen«82. In inhaltlicher Redeweise jedoch bezögen sie sich sehr wohl auf das Gegebene: »Sie beschreiben die unmittelbaren Erlebnisinhalte oder Phänomene, also die einfachsten erkennbaren Sachverhalte«83. Ein Protokollsatz könne nun sowohl hinsichtlich seines logischen als auch hinsichtlich seines empirischen Gehaltes in den Blick genommen werden. Stehe im ersten Fall das Verhältnis der Protokollsätze zu den Sätzen der Wissenschaft im Vordergrund, so gehe es im anderen Fall um den verifikativen Bezug zum >GegebenenSynonymie< als auch die Begriffe der >Definition< und der >semantischen Regel< scheiterten, da sie ihrerseits nicht ohne den Analytizitätsbegriff verstanden werden könnten85. Trotz aller anfänglichen Plausibilität entziehe sich die Unterscheidung zwischen analytischen und synthetischen Sätzen einer eindeutigen Bestimmung: »That there is such a distinction to be drawn at all is an unempirical dogma of empiricists, a metaphysical article of faith«86. Lediglich der Rückgriff auf die empiristische Verifikationstheorie der Bedeutung scheint hier einen Ausweg zu bieten: Sie erlaube eine Definition der Synonymic und somit auch der Analytizität in der Weise, »daß zwei Aussagen dann und nur dann synonym sind, wenn sie hinsichtlich der Methode ihrer empirischen Bestätigung bzw. Schwächung gleich sind«87. Die Gleichheit der Verifikationsbedingungen ermögliche es dann, auch unabhängig von der Beobachtung die Wahrheit eines Satzes feststellen zu können, so daß der Analytizitätsbegriff gerettet wäre. Allerdings rückt damit ein noch schwerwiegenderes Problem in den Blick: »Synonymic von Aussagen, heißt es, sei Gleichheit der Methode empirischer Bestätigung bzw. Schwächung. Welches genau sind diese Methoden, die auf ihre Übereinstimmung hin zu überprüfen sind? Mit anderen Worten, welcher Art ist die Beziehung zwischen einer Aussage und den Erfahrungen, die zu ihrer Bestätigung beitragen bzw. ihr abträglich sind?«88

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nerseits analytischen Wahrheiten, die auf Bedeutungen beruhen und unabhängig von Tatsachen sind, und synthetischen, auf Tatsachen beruhenden Wahrheiten andererseits. Das andere Dogma ist der Reduktionismus: der Glaube, daß jede sinnvolle Aussage äquivalent einem logischen Konstrukt aus Termen sei, die auf unmittelbare Erfahrung referieren« (aaO. 27). - Für eine ausführliche Darstellung dieser beiden Thesen vgl. D. Koppelberg, Aufhebung 103-184; sowie W. Stegmüller, Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie, Bd. 2, Stuttgart 81987, 225-257. Eine kritische Auseinandersetzung mit Quines Aufsatz findet sich bei H. Putnam, >Two Dogmas* Revisited, in: G. Ryle (Hg.), Contemporary Aspects of Philosophy, Stocksfield 1976, 202-213, wieder in: Ders., Realism and Reason. Philosophical Papers, Vol. 3, Cambridge 1983, 87-97; eine zumindest skizzenhafte Einordnung der Quineschen >Dogmenkriük< in die Geschichte der analytischen Philosophie bietet R. Rorty, Der Spiegel der Natur. Eine Kritik der Philosophie, Ffm 1981, 185-235. Vgl. W.V.O. Quine, Two Dogmas 27-42. - Quines Kritik an der Unterscheidung zwischen analytischen und synthetischen Aussagen richtet sich vor allem gegen die Auffassung Carnaps, im Rückgriff auf jene Dichotomic einen eigenständigen Aufgabenbereich für Logik und Mathematik sicherstellen zu können. In der Folge kommt es daher zu einer intensiven Auseinandersetzung zwischen Carnap und Quine (vgl. etwa R. Carnap, Meaning Postulates, in: PhSt 3 [1952], 65-73, wieder in: Ders., Meaning and Necessity. A Study in Semantics and Modal Logic, Chicago 1947,21956, 222-229; Ders., Meaning and Synonymy in Natural Languages, in: PhSt 6 [1955], 33-47, wieder in: Ders., Meaning and Necessity 233-247; sowie W.V.O. Quine, The Problem of Meaning in Linguistics, in: Ders., From a Logical Point of View 47-64, dt. Das Problem der Bedeutung in der Linguistik, in: Ders., Von einem logischen Standpunkt 51-66; Ders., Notes on the Theory of Reference, in: Ders., From a Logical Point of View 130-138, dt. Anmerkungen zur Theorie der Referenz, in: Ders., Von einem logischen Standpunkt 125-132). Der Verzicht auf die Unterscheidung zwischen analytischen und synthetischen Aussagen unterminiert daher die methodologische Bestimmung der Philosophie als Wissenschaftstheorie. Umgekehrt weist Quines Kritik am Analytizitätsbegriff auf seinen spätere Konzeption eines holistischen Naturalismus voraus, innerhalb dessen es keine ausgezeichnete Stellung für die Philosophie mehr geben könne (vgl. D. Koppelberg, Aufhebung 180f). W.V.O. Quine, aaO. 37. - Zur Kritik an Quines Argumentation vgl. P. Grice, P.F. Strawson, In Defense of a Dogma, in: R.R. Ammermann (Hg.), Classics of Analytic Philosophy, New York 1965, 340-352; vgl. aber dagegen D. Koppelberg, Aufhebung 166-171. W.V.O. Quine, Two Dogmas 42. W.V.O. Quine, aaO. 43.

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Kapitel 1: Sprache und Bedeutung in der analytischen Philosophie

Die Explikation dieser Beziehung stellt für Quine das eigentliche Problem dar, an der er den Logischen Empirismus schließlich scheitern sieht. Bisher habe sich gezeigt, daß die Dichotomic zwischen analytischen und synthetischen Sätzen - das erste >Dogma< des Empirismus nur dann aufrechterhalten werden könne, wenn sich die Beziehung zwischen einer Aussage und den sie bestätigenden Erfahrungen eindeutig bestimmen lasse. Gerade diese Voraussetzung aber bilde das zweite >Dogma< des Empirismus; sie finde ihren Ausdruck in der reduktionistischen These, daß jede sinnvolle Aussage »in eine (wahre oder falsche) Aussage über direkte Erfahrung übersetzbar sei«89. Zwar habe der Logische Empirismus sehr bald eingesehen, daß der Reduktionismus in seiner radikalen Fassung zum Scheitern verurteilt sei. In einer »subtileren und verfeinerten Form«90 jedoch habe er auch weiterhin den Empirismus bestimmt: »Der Gedanke bleibt, daß jeder Aussage oder jeder synthetischen Aussage ein eindeutiger Bereich möglicher sinnlicher Ereignisse derart zugeordnet ist, daß jedes Eintreten eines dieser Ereignisse die Wahrscheinlichkeit der Wahrheit jener Aussage erhöhen würde, und daß jeder Aussage ebenfalls ein anderer eindeutiger Bereich möglicher sinnlicher Ereignisse zugeordnet ist, deren Eintreten jene Wahrscheinlichkeit verringern würde. ... In der Annahme, daß jede Aussage unabhängig und isoliert von anderen Aussagen bestätigt bzw. geschwächt werden kann, besteht das Dogma des Reduktionismus fort«91. Diese Auffassung ist nach Quine jedoch nicht haltbar; sie setzt ihrerseits die mögliche Aufteilung einer Aussage in einen logisch-sprachlichen und einen empirisch-faktischen Teil voraus, die nicht nur auf die Aporien der Unterscheidung zwischen dem Analytischen und dem Synthetischen zurückführe, sondern sich überdies einem trügerischen Bild der Beziehung zwischen Sprache und Welt verdanke. An die Stelle dieses Bildes setzt Quine daher eine holistische Auffassung: »Mein Gegenvorschlag ... besteht darin, daß unsere Aussage über die Außenwelt nicht als einzelne Individuen, sondern als ein Kollektiv vor das Tribunal der sinnlichen Erfahrung treten«92. Nicht der einzelne Satz also stehe der Sinneserfahrung gegenüber, sondern die Gesamtheit der wissenschaftlichen Theorien: »Die Gesamtheit unseres sogenannten Wissens oder Glaubens ... ist ein von Menschen geflochtenes Netz, das nur an seinen Rändern mit der Erfahrung in Berührung steht. Oder, um ein anderes Bild zu nehmen, die Gesamtwissenschaft ist ein Kraftfeld, dessen Randbedingungen Erfahrung sind. Ein Konflikt mit der Erfahrung an der Peripherie führt zu Anpassungen im Inneren des Feldes«93. Daraus folge auf der einen Seite, daß jede beliebige Aussage als wahr aufrecht erhalten werden könne, sofern sich an anderer Stelle des Systems entsprechende Änderungen vornehmen ließen. Auf der anderen Seite könne aber auch keine Aussage mehr als unrevidierbar angesehen werden94. Damit falle die dichotomische Unterscheidung zwischen analytischen und synthetischen Sätzen fort; sie lasse sich nurmehr im Sinne einer >graduellen< Unterscheidung reformulieren, die angebe, welche Sätze eher als andere zur Revision gestellt würden - diese Entscheidung aber sei von pragmatischen Gesichtspunkten abhängig und dürfe nicht bedeutungstheoretisch überhöht werden.

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Ebd. W.V.O. Quine, aaO. 45. Ebd. Ebd. W.V.O. Quine, aaO. 47. Dies ist die sogenannte >Duhem-Quine-TheseTwo Dogmas of EmpiricismDogmen< des Empirismus weist auf, daß der Logische Empirismus mit seinem dichotomischen Sprachbegriff letztlich doch - trotz aller Modifikationen - in einem unhaltbaren Reduktionismus wurzelt, der jede einzelne Aussage in ihrem empirischen Gehalt auf eine sie bestätigende Erfahrung zurückbeziehen zu können meint95. Die strikte Trennung zwischen sprachlogischer Form und empirischem Gehalt gründet so in einem problematischen Bild des Verhältnisses zwischen Sprache und Welt. Auf diese Weise gelingt es Quine, den sachlichen Grund für jene Schwierigkeiten offenzulegen, die das empiristische Verifizierbarkeitsprinzip schließlich scheitern lassen96. (1) So erweist sich das Verifizierbarkeitsprinzip unter der Voraussetzung einer strikten Dichotomie zwischen analytischen und synthetischen Aussagen als selbstwidersprüchlich. Denn da es offensichtlich weder eine analytische Aussage darstellt noch selbst empirisch verifizierbar ist, muß es - auf sich selbst angewandt - sinnlos sein97. Aus diesem Dilemma kann es erst dann befreit werden, wenn die jener Unterscheidung zugrunde liegende reduktionistische Auffassung des Verhältnisses von Sprache und Welt einem anderen Verständnis weicht wobei allerdings zu fragen bleibt, ob die Wende zu einem holistisch-naturalistischen Empirismus Quinescher Prägung hier ausreicht. (2) Die verschiedenen Versuche, das zunächst nur unbestimmt-allgemein formulierte Verifizierbarkeitsprinzip zu präzisieren, müssen allesamt als gescheitert angesehen werden. Es ist bisher nicht gelungen, eine Formulierung anzugeben, die zwischen sprachlogischer Form und empirischem Gehalt - zwischen Theorie und Beobachtung - zu unterscheiden erlaubt, ohne auf der einen Seite zu viel 95

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Quines Argumentationsstrategie ist also so zu verstehen, daß erst die Kritik am Dogma des Reduktionismus dem Angriff auf das Analytizitätsdogma zum Erfolg verhilft: »Das Dogma des Reduktionismus steht, selbst in seiner abgeschwächten Form, im engen Zusammenhang mit dem anderen Dogma - daß es eine Kluft zwischen dem Analytischen und dem Synthetischen gebe. Wir sahen uns in der Tat vom letzteren Problem über die Verifikationstheorie der Bedeutung zu dem ersteren hingeführt. Direkter formuliert: das eine Dogma stützt das andere deutlich auf die folgende Weise: solange es als sinnvoll gilt, allgemein von der Bestätigung oder Schwächung einer Aussage zu reden, scheint es ebenfalls sinnvoll zu sein, von einem Grenzfall einer Aussage zu reden, der ohne weiteres ipso facto, komme was da will, bestätigt ist; und eine solche Ausssage ist analytisch« (W.V. O. Quine, Zwei Dogmen 45f.). Für Quine steht also das mit dem Analytizitätsdogma verknüpfte Problem der Stellung von Logik und Mathematik im Vordergrund, nicht aber die Frage nach der Bestimmung des Verhältnisses von Sprache und Welt. Vielleicht ist es von daher zu verstehen, daß er seinen »Empirismus ohne Dogmen« (aaO. 47) zwar in Richtung auf einen holistischen Naturalismus ausarbeitet, jedoch nicht bis zu jenem dritten Dogma vordringt, das Davidson in der Unterscheidung zwischen Begriffsschema und empirischen Gehalt überhaupt erblickt (vgl. D. Davidson, On the Very Idea of a Conceptual Scheme, in: PAPS 47 [1974], 5-20, wieder in: Ders., Inquiries into Truth and Interpretation, Oxford 1984, 125-139, dt. Was ist eigentlich ein Begriffsschema, in: Ders., Wahrheit und Interpretation, Ffm 1990, 261-282). Vgl. zum Folgenden G. Abel, Interpretationswelten. Gegenwartsphilosophiejenseits von Essentialismus und Relativismus, Ffm 1993, 154-157. Vgl. G. Abel, aaO. 154; vgl. auch H. Putnam, Reason, Truth and History, Cambridge 1981, dt. Vernunft, Wahrheit und Geschichte, Ffm 1982, 145.

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Kapitel l: Sprache und Bedeutung in der analytischen Philosophie

ausschließen oder auf der anderen Seite zuviel zulassen zu müssen. Dieses Scheitern hat seinen Grund darin, Theorie und Beobachtung nicht so auseinanderdividieren zu können, daß sich direkt verifizierbare Beobachtungssätze eindeutig von theoretischen Zusatzannahmen abheben ließen. Der Versuch einer Reduktion aller sinnvollen Sätze auf elementare Beobachtungssätze erweist sich als undurchführbar, und auch diese Beobachtungssätze selbst lassen sich nicht auf eine unmittelbare Wiedergabe des sinnlich >Gegebenen< beschränken. Vielmehr zeigt sich, »daß selbst noch die direkten Beobachtungssätze unter Bedingungen der Interpretation stehen, d.h. nicht unmittelbar, sondern interpretationsbedingt und interprelauombedürftig sind und bleiben«98. (3) Zudem hat bisher nicht befriedigend geklärt werden können, wann eine sprachliche Äußerung oder ihre Negation überhaupt als definitiv verifiziert angesehen werden kann. Dieses Problem verdankt sich dem doppelten Umstand, daß auf der einen Seite »die Formen dessen, was als eine gültige und sichere Verifikation zugelassen wird, jeweils von institutionalisierten Normen und deren Anerkennung, auf die wir die Sicherheit unserer Wahrnehmungsurteile stützen, abhängig sind«99, während auf der anderen Seite einer scheinbaren Widerlegung durch die Erfahrung dadurch begegnet werden kann, daß die Theorie an anderer Stelle so umgebaut wird, bis sie mit der Erfahrung wieder übereinstimmt. Trotz dieser holistischen Modifikation des empiristischen Reduktionismus stößt aber auch Quine noch nicht zu dem eigentlichen Punkt vor, der die bedeutungstheoretische Zuspitzung des Verifizierbarkeitskriteriums als problematisch und letztlich aporetisch erscheinen läßt. Denn er setzt sich zwar mit einem bestimmten Verständnis des Verifizierbarkeitsprinzips auseinander, nimmt aber dessen bedeutungstheoretische Pointe nicht in den Blick. So ist mit der Ablehnung einer reduktionistischen Auffassung empirischer Verifizierbarkeit über die Verifikationstheorie der Bedeutung noch nichts ausgemacht. Entsprechend zeigt sich, daß Quine mit seiner holistisch-naturalistischen Variante des Empirismus wohl den Reduktionismus des Wiener Kreises zu überwinden vermag, dessen spezifischer Epistemologie und Bedeutungstheorie jedoch verhaftet bleibt100. Sein Augenmerk richtet sich auf eine >undogmatische< Ausar98 G. Abel, Interpretationswelten 155. 99 G. Abel, aaO. 156; vgl. H. Putnam, Vernunft, Wahrheit und Geschichte 144-154. 100 Im folgenden soll lediglich eine knappe Skizze des Quineschen Naturalismus gegeben werden, sofern dieser die Problematik der Quineschen Aufnahme und Modifikation des empiristischen Sprachbegriffs deutlicher hervorzuheben erlaubt. Die in der analytischen Philosophie zu breiter Wirksamkeit gelangten Thesen Quines über die Unbestimmtheit der Übersetzung, der Unerforschlichkeit der Referenz sowie der ontologischen Relativität, ganz abgesehen von der spezifischen Ausarbeitung seines Holismus und der damit verknüpften These von der Unterbestimmtheit der Theorien durch die Erfahrung, können daher nur am Rande gestreift werden. Ein ausgezeichneter Überblick über Quines Philosophie findet sich bei F. Mühlhölzer, Willard Van Orman Quine. Partnerschaft zwischen der Philosophie und den Naturwissenschaften, in: M. Fleischer (Hg.), Philosophen des 20. Jahrhunderts. Eine Einführung, Darmstadt 1990, 57-78; vgl. als Gesamtdarstellungen darüber hinaus P. Gochet, Quine zur Diskussion, Ffm 1984; H. Lauener, Willard Van

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beitung dieser beiden Hauptthesen des Empirismus: »Two cardinal tenets of empiricism remained unassailable and so remain to this day. One is that whatever evidence there is for science is sensory evidence. The other ... is that all inculcation of meanings of words must rest ultimately on sensory evidence«101. Quine lehnt es zwar ab, im Fall einer einzelnen Aussage die sprachlogische und die empirische Komponente voneinander abheben und letztere direkt mit dem sinnlich >Gegebenen< vergleichen zu können. Doch an der prinzipiellen Unterscheidung zwischen sprachlogischer Form und empirischem Gehalt hält er sehr wohl fest: »Mein gegenwärtiger Standpunkt ist der, daß es Unsinn ist und zu viel Unsinn führt, von einer sprachlichen und einer faktischen Komponente der Wahrheit irgendeiner individuellen Aussage zu reden. Wissenschaft ist, kollektiv betrachtet, sowohl von Sprache wie von Erfahrung abhängig; doch dieser Doppelcharakter kann nicht sinnvollerweise bis in die einzelnen Aussagen der Wissenschaft, je für sich genommen, verfolgt werden«102. Quine läßt also nicht mehr einen einzelnen Satz, wohl aber die Gesamtheit der wissenschaftlichen Theorien der Erfahrung gegenübertreten. Diese holistisch gefärbte Aufnahme der Grunddifferenz von Sprache und Welt erlaubt es ihm nun auch, die Verifikationstheorie der Bedeutung seinem modifizierten Empirismus einzufügen103. Entscheidend ist dabei der methodische Rückgang auf die Situation des Erlernens einer Sprache104. Sie weise die Notwendigkeit einer empi-

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Orman Quine, München 1982; sowie G. Romanes, Quine and Analytic Philosophy. The Language of Language, Cambridge, 1983; vgl. schließlich auch D. Koppelberg, Aufhebung 185-309. - Quines eigene Entfaltung seines holistisch-naturalistischen Empirismus findet sich vor allem in Ders., Word and Object, Cambridge 1960, I01976, dt. Wort und Gegenstand, Stuttgart 1980; eine ergänzende Ausarbeitung seiner Referenztheorie bietet Ders., The Roots of Reference, La Salle 1974, dt. Die Wurzeln der Referenz, Ffm 1976. Daneben sind vor allem folgende Aufsatzbände von Belang: Ders., From a Logical Point of View, Cambridge 1953, dt. Von einem logischen Standpunkt. Neun logisch-philosophische Essays, Ffm 1979; Ders., Ontological Relativity and Other Essays, New York 1969, dt. Ontologische Relativität und andere Schriften, Stuttgart 1975; sowie Ders., Theories and Things, Cambridge 1981, dt. Theorien und Dinge, Ffm 1985. Einen zusammenfassenden Überblick über seine Philosophie gibt Quine schließlich in Ders., Pursuit of Truth, Cambridge 1990. W.V.O. Quine, Epistemology naturalized, in: Ders., Ontological Relativity 69-90, 75, dt. Naturalisierte Erkenntnistheorie, in: Ders., Ontologische Relativität 97-126, 104f. W.V.O. Quine, Two Dogmas 46. Vgl. W.V.O. Quine, Naturalisierte Erkenntnistheorie 112f. Dabei kann es sich um das kindliche Erlernen der eigenen oder die Erforschung einer fremden Sprache handeln; vgl. W.V.O. Quine, aaO. 112-114; sowie ausführlicher Ders., Ontologische Relativität, in: Ders., Ontologische Relativität 41-96. - Dieser Rückgang auf die Situation des Erlernens einer Sprache hat ihren Grund in Quines behavioristischem Sprachbegriff: »Sprache ist eine soziale Kunstfertigkeit, die wir allein auf der Grundlage des beobachtbaren Verhaltens anderer Menschen unter öffentlich erkennbaren Umständen erwerben« (Ders., Ontologische Relativität 41). Um also eine Sprache erlernen zu können, stehen keine anderen Daten als die beobachtbaren Verhaltensweisen der jeweiligen Sprachbenutzer in einer bestimmten Umgebung zur Verfügung. Das Gedankenexperiment der radikalen Übersetzung (vgl. Ders., Wort und Gegenstand 59-147) weist nun auf, daß sich aus diesen Daten keine eindeutigen Richtlinien zur Übersetzung jener fremden in die

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Kapitel l: Sprache und Bedeutung in der analytischen Philosophie

risch-objektiven Evidenzbasis auf, die ihrerseits nur in den intersubjektiv zugänglichen >Daten< des verbalen Verhaltens der jeweiligen Sprachbenutzer in einer bestimmten Umgebung bestehen könne. Ein Linguist, der eine ihm unbekannte Sprache erforscht, »kann seine Daten offensichtlich nur dadurch gewinnen, daß er beobachtbare Reizsituationen und die Äußerungen der Fremden miterlebt«105 und diese miteinander verknüpft. Daraus erhalte er bestimmte Beobachtungssätze, deren Bedeutung durch eben jene Sinnesreizungen bestimmt sei, die den Fremden - oder Sprecher einer Sprache überhaupt - zur Zustimmung oder Ablehnung veranlaßten106. Quine führt also den Begriff der Bedeutung auf eine durch Sinnesreizungen vermittelte Situation empirischer Evidenz zurück: Ein Beobachtungssatz stehe in einem besonders unmittelbaren Verhältnis zu den Sinnesreizungen; seine Bedeutung hänge ausschließlich von denjenigen - durch Sinnesreizungen vermittelten - beobachtbaren Begleitumständen ab, die während seiner Äußerung bestehen. Ihm komme damit innerhalb des Sprachganzen eine ausgezeichnete Stellung zu: »Der Beobachtungssatz, an der Beobachtungsperipherie des wissenschaftlichen Gebäudes gelegen, ist die minimale verifizierbare Einheit; er hat ganz für sich allein einen empirischen Gehalt«107. Auch wenn also der Übergang von den Beobachtungssätzen zu den theoretisch höher geleeigene Sprache gewinnen lassen. Daraus ergibt sich Quines These von der Unbestimmtheit der Übersetzung (vgl. aaO. 135-147). Sie besagt nicht, daß sich die Frage nach einer richtigen Übersetzung nicht entscheiden läßt, sondern behauptet, daß es hier nichts zu entscheiden gibt. Recht verstanden geht sie daher in die andere These von der Unbestimmtheit der Bedeutung über (vgl. aaO. 78f., 142f.). Auf diese Weise gelingt es Quine, seinen bereits in >Two Dogmas of Empiricism< geführten Angriff gegen mentalistische Bedeutungstheorien auf eine breitere sprachphilosophische Grundlage zu stellen. 105 W.V.O. Quine, Naturalisierte Erkenntnistheorie 113. 106 Vgl. W.V.O. Quine, Empirischer Gehalt, in: Ders., Theorien und Dinge 39-46, 40: »Ein Beobachtungssatz ist ein Gelegenheitssatz, den der Sprecher beharrlich bejahen wird, wenn seine Sinnesrezeptoren in bestimmter Weise gereizt werden, und den er beharrlich verneinen wird, wenn sie in anderer Weise gereizt werden.... Es ist in diesem Sinne, daß sie die am unmittelbarsten mit der Sinnesreizung verknüpften Sätze sind«. Vgl. auch Ders., Naturalisierte Erkenntnistheorie 120f.; sowie Ders., Wort und Gegenstand 66-91. - Entscheidend ist, daß Quines Beobachtungssätze auf Sinnesreizungen, nicht aber - wie im Logischen Empirismus - auf Sinnesdaten bezogen sind. Sie handeln daher zumeist von vertrauten Gegenständen der Außenwelt. Auf diese Weise sucht Quine die Engführung auf private Wahrnehmungen im Logischen Empirismus in Richtung auf eine Orientierung an intersubjektiv zugänglichen >Daten< zu überwinden. Von diesem durch Sinnesreizungen vermittelten >Kontakt< der Beobachtungssätze mit der Wirklichkeit ist die >Referenz< einzelner Worte streng zu unterscheiden. Sie wird auf der Ebene der empirischen Theorie durch die Verpflichtung auf eine bestimmte Ontologie - im schlichten Sinne dessen, was die Theorie als existierend voraussetzt - bestimmt. Daraus folgt auf der einen Seite Quines These von der ontologischen Relativität: »Nur innerhalb unserer Theorie hat die Frage danach, was es gibt, Sinn, und diese Frage wird von unserer Theorie selbst beantwortet. Referenz wird dabei zu einer Trivialität« (F. Mühlhölzer, Quine 74). Auf der anderen Seite ermöglicht der Quinesche Holismus nun verschiedene Referenzsysteme, die sich in ihrem Bezug auf die empirischen Daten der Beobachtungssätze gleichwohl als äquivalent erweisen. Daraus ergibt sich die These von der Unerforschlichkeit der Referenz (vgl. Ders., Wort und Gegenstand 101-110; vgl. auch Ders., Ontologische Relativität). 107 W.V.O. Quine, Naturalisierte Erkenntnistheorie 124.

2. Willard Van Orman Quine

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genen Sätzen vor mannigfache Probleme stellt108, ist doch zumindest soviel deutlich, daß ein Satz Bedeutung besitzt »nur hinsichtlich seiner Verbindung zu dieser nichtsprachlichen Basis der Sinnesreizungen, die, je nach Stellung innerhalb des Theoriesystems bzw. Sprachsystems, mehr oder minder direkt ist«109. Im Hintergrund dieser Reformulierung einer verifikationistischen Bedeutungstheorie steht die naturalistische Auffassung, daß die Außenwelt durch kausale Einwirkung auf unsere Sinnesrezeptoren physische Reizungen verursache, die uns ihrerseits dazu veranlaßten, bestimmte Sätze zu äußern. Mit dieser These schlägt Quine den Bogen zu seinem Programm einer naturalisierten Erkenntnistheorie. Er hebt darauf ab, unter Voraussetzung der naturwissenschaftlichen Theoriebildung selbst das Verhältnis zwischen dieser Theorie und ihren >Daten< einsichtig zu machen: »Ich akzeptiere unsere vorherrschende physikalische Theorie und damit auch die Physiologie meiner Rezeptoren; daraufhin denke ich darüber nach, wie der sensorische Input gerade die von mir akzeptierte physikalische Theorie bestätigt.... Die zu analysierende Beziehung ist demnach die Beziehung zwischen unseren Sinnesreizungen und unseren wissenschaftlichen Theorieformulierungen«110. Auf diese Weise meint er mit der klassischen Vorrangstellung der Erkenntnistheorie abschließen und diese in die empirischen Naturwissenschaften einreihen zu können. An die Stelle des vergeblichen Bemühens um die Erkenntnis einer angeblich sprachjenseitigen >Welt< soll mithin die schlichte Anerkennung der empirisch verbürgten und physikalisch ausgewiesenen >Daten< treten111. Doch zugleich weist Quine diesen als Sinnesreizungen explizierten >Daten< eine theorie- und sprachneutrale Sonderstellung zu. Sie bilden die empirisch-objektive Evidenzbasis für die durch sie veranlaßten sprachlichen Äußerungen und gehen diesen insofern als etwas letztlich nichtsprachlich >Gegebenes< voraus112. Damit bleibt Quine der spezifisch empiristischen Unterscheidung zwischen sprachlogischer Form und empirischem Gehalt, zwischen sprachlicher Theorie und nichtsprachlich >Gegebenem< verhaftet und fällt in einen - wenngleich naturalistisch verkleideten - >Mythos vom Gegebenem113 zurück. Entgegen seiner anfänglichen Behauptung, 108 109 110 111

Vgl. dazu W.V.O. Quine, Wort und Gegenstand 129-136. K. Stüber, Davidson 26. W.V.O. Quine, Empirischer Gehalt 39; vgl. dazu auch F. Mühlhölzer, Quine 57-59. Quine vertritt also eine naturalistisch gefärbte Variante des >InternalismusWilliam James Lectures< aus dem Jahre 1976, veröffentlicht als Ders., The Logical Basis of Metaphysics, London 1991. Ergänzend zu beachten sind Ders., Truth and Other Enigmas, Cambridge 1978; Ders., Wahrheit. Fünf philosophische Aufsätze, Stuttgart 1982; sowie Ders., Die Urprünge der analytischen Philosophie, Ffm 1988. - Vgl. zu Dummett insgesamt G. Evans, J.M. McDowell (Hgg.), Truth and Meaning, Oxford 1976; M. Devitt, Dummett's Anti-realism, in: JPh 80 (1983), 73-99; B. Taylor (Hg.), Michael Dummett. Contributions to Philosophy, Dordrecht 1987; sowie B. Rössler, Die Theorie des Verstehens in Sprachanalyse und Hermeneutik. Untersuchungen am Beispiel M. Dummetts und F.D.E. Schleiermachers, Berlin 1990. 120 Vgl. M. Dummett, Logical Basis 4-15, 322-351. 121 Vgl. M. Dummett, Kann und sollte die analytische Philosophie systematisch sein?, in: Ders., Wahrheit 185-220, 192-195.

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zu verstehen; eine vollständige Bedeutungstheorie einer Sprache ist also eine vollständige Theorie der Funktionsweise dieser Sprache als Sprache. Unser Interesse an Bedeutung als einem allgemeinen Begriff ist demnach ein Interesse an der Art und Weise, wie die Sprache arbeitet«122. Die vordringliche Aufgabe der Philosophie bestehe mithin darin, eine systematische Bedeutungstheorie auszuarbeiten, um so die Regeln des Sprachgebrauchs einsichtig machen und erklären zu können, was es heißt, eine Sprache zu verstehen: »Die Sprachphilosophie in der Form einer Theorie der Bedeutung spielt die Rolle der prima philosophia - bevor nicht das Problem geklärt ist, was es heißt, eine Sprache zu verstehen, besteht auch keine Hoffnung auf eine Lösung der Probleme in der theoretischen wie der praktischen Philosophie«123. Den Rahmen für die Ausarbeitung einer Bedeutungstheorie sieht Dummett durch das Erfordernis aufgespannt, zwei widerstrebende semantische Maximen miteinander vermitteln zu müssen. Auf der einen Seite steht die Einsicht Freges - und des frühen Wittgensteins - in den engen Zusammenhang der Begriffe von Wahrheit und Bedeutung. Die Bedeutung eines Satzes lasse sich nicht unabhängig von der Angabe seiner Wahrheitsbedingungen explizieren. Vielmehr setze das Verstehen eines Satzes ein Wissen darum voraus, unter welchen Bedingungen dieser Satz als wahr gelten könne: »Einen Satz verstehen heißt wissen, was der Fall ist, wenn er wahr ist«124. Auf der anderen Seite jedoch ist dem Hinweis des späten Wittgenstein Rechnung zu tragen, daß die Bedeutung eines Satzes nicht unabhängig von seinem sprachlichen Gebrauch bestimmt werden könne. Das Verstehen eines Satzes äußere sich vielmehr erst in der Fähigkeit, diesen Satz selbst verwenden zu können: »Um die Praxis des Sprechens einer Sprache wirklich zu erklären, muß die Bedeutungstheorie ihre Darstellung der Bedeutung eines Ausdrucks in Verbindung bringen mit den Verwendungsweisen dieses Ausdrucks oder seiner Bestandteile, durch die der Sprecher sein Verständnis des Ausdrucks bekundet«125. Die entscheidende These Dummetts lautet nun, daß eine >wahrheitskonditionale< Bedeutungstheorie, die die Bedeutung eines Satzes ausschließlich im Rekurs auf dessen - realistisch gefaßte - Wahrheitsbedingungen zu bestimmen suche, kein angemessenes Verständnis des Sprachverstehens ermögliche. Dabei kennzeichnet er als >realistisch< die Auffassung, »that Statements of the disputed class possess an objective truth-value, independently of our means of knowing it: they are true and false in virtue of a reality existing independently of us. ... That is, the realist holds that the meanings of the statements of the disputed class are not directly tied to the kind of evidence for them that we can have, but consist in the manner of their determination as true or false by states of affairs whose existence is not dependent on our possession of evidence for them«126. Auf diese Weise meint er, die klassische Realismusdebatte als einen Streit um das angemessene Verständnis des Wahrheitsbegriffs interpretieren zu können127. Die realistische Annahme einer vom menschlichen Erkennen unabhängigen Welt sei gleichbedeutend mit der semantischen These, daß die Wahrheit oder Falsch122 123 124 125 126 127

M. Dummett, Was ist eine Bedeutungstheorie 96. B. Rössler, Von den semantischen Grenzen der Welt, in: PhR 41 (1994), 18-28, 19. L. Wittgenstein, TLP 4.024. M. Dummett, Ursprünge 155. M. Dummett, Realism, in: Ders., Truth and Other Enigmas 145-165, 146. Bei der oftmals so bezeichneten >Realismusdebatte< handelt es sich um ein ganzes Bündel um Debatten, die jeweils auf den Feldern von Erkenntnistheorie, Bewußtseinsphilosophie, Wissenschaftstheorie, Philosophie der Mathematik, Ethik und auch Zeitphilosophie ausgetragen werden (vgl. etwa den Überblick von M. Dummett, Logical Basis 4-8). Dabei geht es im wesentlichen um die Frage, ob einer bestimmten Art von Entitäten eine sprach- und erkenntnisunabhängige Existenz zugewiesen werden kann.

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Kapitel l: Sprache und Bedeutung in der analytischen Philosophie

heit eines Satzes unabhängig davon eindeutig bestimmt sei, ob sie als Wahrheit oder Falschheit erkannt werden könne: »Denn klassisch verstanden, ist Wahrheit etwas, das einem Satz aufgrund seiner Beziehung zur Wirklichkeit zukommt, unabhängig von unserem Vermögen, den bestimmten Wahrheitswert eines Satzes festzustellen«128. Die Pointe einer realistischen Bedeutungstheorie bestehe also darin, daß für ihre Wahrheitsbedingungen das Prinzip der Zweiwertigkeit gelte und diese überdies unabhängig von ihrer möglichen Erkennbarkeit festgelegt seien. Die Kenntnis der Bedeutung eines Satzes setze zwar die Kenntnis seiner Wahrheitsbedeutungen voraus, müsse um ihre Erfüllung jedoch nicht wissen. Vielmehr sei der effektive Wahrheitswert eines Satzes für das Verstehen seiner Bedeutung gänzlich ohne Belang. Doch gerade eine derartige Bedeutungstheorie könne nun mit der Wittgensteinschen Einsicht in den Zusammenhang von Bedeutung und Gebrauch nicht in Einklang gebracht werden und scheitere daher an der Aufgabe, das Phänomen des sprachlichen Verstehens zu erklären: »Eine Bedeutungskonzeption, welche klassische Wahrheitsbedingungen als Grundlage einer Bedeutungsexplikation ansetzt, ist unhaltbar, weil sie nicht imstande ist, die so explizierte Kenntnis der Bedeutung von Aussagesätzen mit ihrem Gebrauch adäquat zu verknüpfen«129. Damit lasse sich also auf dem Boden der Bedeutungstheorie die Realismusdebatte zugunsten einer antirealistischen Position entscheiden, die auf die Annahme einer unabhängig von ihrer möglichen Erkennbarkeit gelegenen Wahrheit verzichtet: Eine befriedigende Erklärung des Sprachverstehens sei nur unter der Bedingung zu gewinnen, daß die Wahrheitsbedingungen eines Satzes nicht grundsätzlich über die Möglichkeit des verifikativen Wahrheitsaufweises hinausgehen. Die Wahrheit eines Satzes bestehe daher in nicht mehr als seiner - verifikationistisch gestützten - gerechtfertigten Behauptbarkeit. Dieses Programm löst Dummett in zwei Schritten ein: Zunächst formuliert er ein bedeutungstheoretisches Argument, das das Scheitern einer wahrheitskonditional-realistischen Bedeutungstheorie aufweisen soll. Von dort aus geht er dann zu dem Entwurf einer verifikationistischen Bedeutungstheorie über130. (1) Seinem bedeutungstheoretischen Argument legt Dummett die These zugrunde, daß sich die Kenntnis der Bedeutung eines Satzes in der beobachtbaren Fähigkeit des Sprechers niederschlagen müsse, den in Frage stehenden Satz epistemisch rechtfertigen und hinsichtlich seines Wahr128 L. Röska-Hardy, Realismus und das bedeutungstheoretische Argument von Michael Dummett, in: Realismus und Antirealismus, hg. vom Forum für Philosophie Bad Homburg, 149-195, 155. 129 L. Röska-Hardy, aaO. 150; vgl. K. Stüber, Davidson 66. 130 Im Hintergrund von Dummetts bedeutungstheoretischen Überlegungen steht seine Beschäftigung mit der intuitionistischen Logik und Mathematik, deren zentrale Forderung lautet, an die Stelle des Bivalenprinzips die strikte Beweisbarkeit einer mathematischen Aussage setzen zu müssen; vgl. M. Dummett, Elements of Intuitionism, Oxford 1977; sowie Ders., The Philosophical Basis of Intuitionistic Logic, in: H.E. Rose, J.C. Shepherdson (Hgg.), Logic Colloquium '73, Amsterdam 1975, 5-40, wieder in: Ders., Truth 215-247; vgl. auch J. McDowell, Mathematischer Platonismus und Dummettscher Antirealismus, in: Realismus und Antirealismus 94-121.

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heitswertes entscheiden zu können: »Die Kenntnis der Satzbedeutung muß so beschaffen sein, daß dieses Wissen sich in der beobachtbaren Ausübung der Fähigkeit des Sprechers, die Umstände zu erkennen, welche den semantischen Wert des Satzes bestimmen, vollständig manifestiert«131. Nur unter dieser Voraussetzung, so argumentiert Dummett, ließen sich die Möglichkeit von sprachlicher Kommunikation und Spracherwerb erklären. So müsse die Bedeutung von Sätzen öffentlich zugänglich sein, um im Zuge sprachlicher Kommunikation verwendet und mitgeteilt werden zu können. Sie dürfe daher über das im Sprachgebrauch Beobachtbare nicht hinausgehen132. Entsprechend ließe sich die Kenntnis einer Bedeutung ausschließlich über die Beobachtung sprachlichen Verhaltens erwerben133. Es könne daher auf die >ManifestationsforderungWissen< dar, daß so die Aufforderung zu seiner epistemischen Rechtfertigung notwendig einschließe134. Allerdings gebe es nun Sätze, deren Wahrheitswert nicht effektiv entscheidbar sei. Diese Sätze könnten durchaus verstanden werden; doch unter Voraussetzung eines wahrheitskonditional-realistischen Ansatzes gebe es keine Möglichkeit, dieses Verständnis in einem beobachtbaren Verhalten zu dokumentieren. Denn die Kenntnis der Bedeutung eines Satzes bestehe nach realistischer Auffassung allein in der Kenntnis seiner Wahrheitsbedingungen. Im Fall jener unentschuldbaren Sätze könne also das behauptete Verständnis nicht mehr durch die beobachtbare Anwendung eines effektiven Entscheidungsverfanrens demonstriert werden. Die realistische Behauptung, der Wahrheitswert eines Satzes sei auch unabhängig von seiner verifikativen Entscheidbarkeit eindeutig bestimmt, verstößt mithin gegen das Manifestationskriterium der Satzbedeutung. Damit ist der angestrebte Nachweis erbracht: »Die Kenntnis der Satzbedeutung kann nicht in der Kenntnis der Wahrheitsbedingungen des Satzes bestehen, weil es effektiv unentscheidbare Sätze in der Sprache gibt, für die eine solche Kenntnis im Sprachgebrauch weder manifestiert noch erworben werden kann«135. (2) Dummett zieht aus diesem Scheitern der wahrheitskonditionalen Bedeutungstheorie den Schluß, den Wahrheitsbegriff in seiner realistischen Fassung aufgeben und aus seiner zentralen Stellung in der Bedeutungstheorie entlassen zu müssen: »The evident remedy is to replace truth, as the central notion of the meaning theory, by some notion that can be wholly accounted for in terms of the use of a speaker actually makes of the sentences of the language«136. Dabei sieht er selbst nur zwei mögliche Kandidaten: »the acknowledged means of establishing a 131 L. Röska-Hardy, Realismus 179. - Röska-Hardy weist auf, daß sich diese reduktionistische Manifestationsforderung dem Versuch verdankt, die Einsichten Wittgensteins über den Zusammenhang von Bedeutung und Gebrauch im Rahmen einer Fregeschen Bedeutungstheorie zur Geltung zu bringen, die Sinn, Bezug und Behauptungskraft voneinander unterscheidet. Sie kommt von daher zu dem Schluß, »daß Dummetts Deutung der Verwendungsthese sein bedeutungstheoretisches Argument gegen den semantisch gedeuteten Realismus entkräftet« (aaO. 152). 132 Vgl. M. Dummett, Theory of Meaning (I) 216f. 133 Vgl. M. Dummett, aaO. 217f. 134 Vgl. M. Dummett, aaO. 108f. 135 L. Röska-Hardy, Realismus 186f. 136 M. Dummett, Logical Basis 317; vgl. Ders., Wahrheit, in: Ders., Wahrheit 7^t6, 37; sowie Ders., Ursprünge 29. - Die Rolle des Wahrheitsbegriffs ist allerdings bei Dummett nur schwer zu bestimmen. Zuweilen scheint er den Wahrheitsbegriff gänzlich zugunsten einer bloßen Rede von Verifikations- und Behauptungsbedingungen preisgeben zu wollen. An anderer Stelle wiederum hat es den Anschein, als wolle er doch zumindest einen epistemischen Wahrheitsbegriff zulassen, der freilich mit Verifizierbarkeit oder Behauptbarkeit gleichzusetzen wäre. Die Wahrheitsbedingungen eines Satzes würden also mit den Bedingungen seiner gerechtfertigten Behauptbarkeit oder Verifizierbarkeit zusammenfallen; darüber hinaus könne es keine weiteren Wahrheitsbedingungen geben (vgl. so etwa Ders., Wahrheit 44f.).

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statement as true, and the consequences of accepting it as true«137. Im ersten Fall ergebe sich eine verifikationistische, im zweiten hingegen eine pragmatistische Bedeutungstheorie. Dabei scheint ihm zwar an einer Vereinbarkeit beider Theorien gelegen zu sein138, doch sein hauptsächliches Augenmerk gilt der Ausarbeitung einer verifikationistischen Bedeutungstheorie. Den Ausgang nimmt Dummett bei seiner These, daß sich das Verstehen eines Satzes in der Fähigkeit des Sprechers niederschlagen müsse, diesen Satz rechtfertigen und in seinem Wahrheitswert entscheiden zu können. Es reiche nicht hin, die Bedeutung eines Satzes im Rekurs auf seine Wahrheitsbedingungen zu bestimmen; entscheidend sei vielmehr der notwendige Aufweis seiner >Verifikation< oder - zurückhaltender formuliert - seiner gerechtfertigten BehauptbarkeitVerifikation^ »The central core of the meaning theory will consist of an inductive specification, for each sentence of the language, of what is to constitute a verification of it«141. Dabei könne es sich um eine direkte Beobachtung des >Gegebenen< handeln; gleichwohl brauche keine effektive Verifikation, sondern müsse lediglich eine prinzipielle Verifizierbarkeit gefordert werden. An die Stelle der klassischen Wahrheitsbedingungen treten mithin bestimmte Verifizierbarkeits- oder Behauptbarkeitsbedingungen: »Den Sinn einer Aussage erklären wir nicht mehr dadurch, daß wir ihren Wahrheitswert durch Angabe der Wahrheitswerte ihrer Bestandteile festlegen, sondern dadurch, daß wir bestimmen, wann sie behauptet werden kann, indem wir die Bedingungen angeben, unter denen ihre Bestandteile behauptet werden können«142. Die Bedeutung eines Satzes wird nicht mehr im Rückgang auf einen vorgegebenen Wahrheitsbegriff bestimmt, sondern umgekehrt der Wahrheitsbegriff an die Möglichkeit der Verifizierbarkeit eines Satzes geknüpft. So setze zwar auch eine verifikationistische Bedeutungstheorie notwendig voraus, zwischen behauptbaren und nicht behauptbaren Sätzen unterscheiden zu können. An dieser Stelle finde auch der Wahrheitsbegriff seinen Ort: »The theory must lay down the appropriate criterion for an assertion to be correct. We may call this the criterion for the truth of a statement«143. Doch handle es sich dabei nicht mehr um den Grundbegriff einer Bedeutungstheorie. Vielmehr erweise er sich nun als abhängig von der Möglichkeit, einen Satz als wahr erkennen und ausweisen zu können. Damit tritt an die Stelle des Wahrheitsbegriffs der realistischen Semantik ein epistemisches Verständnis der Wahrheit als gerechtfertigter Behauptbarkeit144. 137 M. Dummett, Logical Basis 317.

138 Vgl. M. Dummett, aaO. 321: »The two of them are partners in the most ambitious of intellectual endeavours, to gain a clear view of the working of our language«. 139 Dummett nimmt alsbald seine Redeweise von direkter und endgültiger Verifikation zurück und fordert nunmehr eine gerechtfertigte Behauptbarkeit; vgl. Ders., Preface, in: Ders., Truth IX-LI, XXXVIII. Auf diese Weise meint er dem Faktum aktuell unentscheidbarer Sätze ebenso Rechnung tragen zu können wie der Tatsache prinzipieller Fallibilität aller empirischen Aussagen. 140 M. Dummett, Logical Basis 317. 141 Ebd. - Allerdings ist zu beachten, daß Dummetts verifikationistische Bedeutungstheorie nicht einfach eine Neuauflage des empiristischen Sinnkriteriums der Verifizierbarkeit darstellt. Denn während letzteres primär dazu dienen soll, sinnvolle empirische von sinnlosen metaphysischen Aussagen unterscheiden zu können, geht es Dummett um eine Theorie des Sprachverstehens überhaupt, »wobei die Praxis des Sprachverstehens die Sätze als bedeutungsvoll auszeichnet und nicht das Postulat eines Sinnkriteriums« (K. Stüber, Davidson 90 Anm. 23). 142 M. Dummett, Wahrheit 35. 143 M. Dummett, Logical Basis 318. 144 Diese Modifikation des Wahrheitsbegriffs zieht die Preisgabe des Prinzips der Zweiwertigkeit nach sich, insofern effektiv nicht entscheidbare Sätze nunmehr weder als wahr noch

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Mit dieser Reduktion der Wahrheitsbedingungen eines Satzes auf seine - verifikationistisch explizierten - Behauptbarkeitsbedingungen meint Dummett nun den erkenntnistheoretischen Graben zwischen Sprache und Welt bedeutungstheoretisch überwunden zu haben. Der Rekurs auf eine sprachunabhängig strukturierte und dem menschlichen Erkennen möglicherweise unzugängliche Wirklichkeit erweise sich aus bedeutungstheoretischen Gründen heraus als unhaltbar. Doch seine verifikationistisch-antirealistische Alternative stellt ihrerseits vor unüberwindliche Schwierigkeiten. (1) So gelingt es auch Dummett nicht, die Unterscheidung zwischen >wahr< und >glauben, daß wahr< unter verifikationistischen Bedingungen zu reformulieren und damit dem Faktum des Irrtums hinreichend Rechnung zu tragen145. Zwar räumt er durchaus ein, daß diese Unterscheidung für eine vollentwickelte Bedeutungstheorie unverzichtbar sei: »Since, obviously, any plausible theory must allow for a fairly wide gap between being true and being known to be true, global anti-realism needs, if it is to avoid implausibility, to find some other account of how the gap occurs, and, if it is not to surrender to realism, to place a bound on its width«146. Der Versuch jedoch, auf einer antirealistischen Grundlage Kriterien zu formulieren, die zwischen wahren und scheinbar wahren Sätzen zu unterscheiden erlauben, verstrickt sich in das Dilemma, entweder in einen infiniten Regreß zu geraten oder aber auf einen realistischen Ansatz zurückfallen zu müssen. Denn diese Kriterien müssen ihrerseits antirealistischen Ansprüchen genügen und damit erneut auf Kriterien zurückgreifen, die jene ersteren Kriterien als angemessen ausweisen. Damit eröffnet sich ein Regreß, der nur im Rekurs auf objektive Wahrheitsbedingungen zu einem Ende gebracht werden könnte. Es zeigt sich also, daß gerade der Versuch, die Bedeutung eines Satzes an den möglichen Aufweis seiner Wahrheit zu knüpfen, unserem faktischen Sprachverstehen nicht gerecht werden kann. Es muß möglich sein, daß wir uns über die Wahrheit eines bestimmten Satzes täuschen. Denn andernfalls würde sich die Möglichkeit diskursiver Auseinandersetzung um intersubjektive Geltungsansprüche in die Nebel relativistischer Beliebigkeit verlieren. Daher kann die Wahrheit eines bestimmten Satzes nicht an irgendwelche Kriterien gerechtfertigter Behauptbarkeit geknüpft werden, sondern muß umgekehrt der Formulierung derartiger Kriterien bereits vorausgehen: »Das Verständnis der Bedeutung von linguistischen Ausdrücken konstituiert sich vielmehr erst in dem Gegensatz von >wahr sein< und >glauben, daß etwas wahr istGegebenen< zurück: »Dummett faßt das im Sprachgebrauch Beobachtbare sowohl im Hinblick auf Umstände in der Welt, als auch im Hinblick auf das demonstrierte sprachliche Verhalten als etwas unmittelbar Gegebenes auf«149. Es läßt sich also auch bei Dummett noch jene folgenreiche Unterscheidung zwischen sprachlicher Form und empirischem Gehalt aufweisen, die bereits im Logischen Empirismus und bei Quine zu desaströsen Konsequenzen geführt hat. Vor allem Dummett und Quine scheinen in dem grundlegenden Prinzip übereinzustimmen, »daß ... alles, was zur Bedeutung gehört, irgendwie auf die Erfahrung, auf das Gegebene oder auf bestimmte Muster sensorischer Stimulation zurückgeführt werden muß«150. Mithin verstrickt sich auch Dummett in das Dilemma, entweder kausale Genese und logische Geltung miteinander zu verwechseln und so seinen Ansatz auf einen grundsätzlichen Kategorienfehler zu stützen oder aber doch eine vorgängige sprachliche Vermitteltheit zulassen und damit seinen bedeutungstheoretisch gefaßten Verifikationismus preisgeben zu müssen. 147 148 149 150

K. Stüber, Davidson 86. Vgl. zum folgenden vor allem L. Röska-Hardy, Realismus 185-194. L. Röska-Hardy, aaO. 188. D. Davidson, A Coherence Theory of Truth and Knowledge, in: D. Henrich (Hg.), Kant oder Hegel? Über Formen der Begründung in der Philosophie, Stuttgart 1983, 423-438, 430, dt. Eine Kohärenztheorie der Wahrheit und der Erkenntnis, in: P. Bieri (Hg.), Analytische Philosophie der Erkenntnis, Ffm 1987,21992, 271-290, 279.

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So erliegt er jenem Kategorienfehler eben dort, wo er meint, eine sprachliche Äußerung durch eine Beobachtung schlüssig verifizieren zu können. Dies sei vor allem bei bestimmten einfachen Sätzen der Fall, die sich nicht wie andere Sätze mittels verbaler Erklärungen einführen und lernen lassen151. Die Kenntnis ihrer Bedeutung müsse sich daher auf die Durchführung eines effektiven Verifikationsverfahrens berufen. Indem Dummett nun dazu auf den Aufweis direkter Beobachtungen zurückgreift152, verwechselt er die beiden Ebenen von kausaler Genese und logischer Geltung. Die kausale Verknüpfung der Beobachtung eines sinnlich >Gegebenen< mit der entsprechenden sprachlichen Äußerung wird dafür in Anspruch genommen, diese Äußerung im Rekurs auf jene Beobachtung gerechtfertigt sein zu lassen153. Entsprechend bezeichnet es Dummett als eine wesentliche Einsicht der - ansonsten verfehlten - Korrespondenztheorie der Wahrheit, »daß eine Aussage nur wahr ist, wenn es in der Welt etwas gibt, vermöge dessen sie wahr ist«154. Doch eine derartige Relation der epistemischen Rechtfertigung kann nur zwischen Sätzen bestehen; eine Aussage läßt sich nur wieder durch eine andere Aussage begründen. Dann aber muß der Rekurs auf das sinnlich >Gegebene< so expliziert werden, daß dieses >Gegebene< selbst wieder als sprachlich vermittelt und mithin innerhalb der Reichweite eines bestimmten sprachlichen Interpretationsrahmens stehend erscheint: »Bevor von Objektivität und objektiven Tatsachen sinnvoll gesprochen werden kann, müssen bereits eine Reihe von Voraussetzungen erfüllt und die Leistungen erbracht sein, die den Vorgang der Objektivation bestimmen. ... Daß es >objektive Fakten< gibt, kann selbst kein Faktum, sondern muß Interpretation sein«155. Damit aber schließt sich der Kreis: Die Verwechslung zwischen Grund und Ursache läßt sich nur so vermeiden, daß auf die Annahme eines nichtsprachlich >Gegebenen< verzichtet wird. Das wesentliche Verdienst Dummetts besteht darin, in seiner Aufnahme der Wittgensteinschen Einsicht in den Zusammenhang von Bedeutung und Gebrauch - und mithin von einer bedeutungstheoretischen Ebene aus - die Unhalt151 Vgl. M. Dummett, Wahrheit 152f. - Dummett führt also die klassische empiristische Unterscheidung verschiedener Ebenen von Sätzen fort, die hierarchisch aufeinander aufbauen. Aus diesem Grund wendet er sich auch gegen holistische Bedeutungstheorien, wie sie von Quine und Davidson vertreten werden: Sie könnten der gegliederten Struktur der Sprache nicht Rechnung tragen. Stattdessen beharrt Dummett auf einer molekularen Bedeutungstheorie, die nicht die Sprache insgesamt, sondern den einzelnen Satz als primären Bedeutungsträger auffaßt. Doch ein solcher Ansatz stellt notwendig vor die Frage nach Status und Rechtfertigung der >untersten< Sätze. Dummett spricht hier von der Möglichkeit einer direkten Verifikation; vgl. dazu A. Bilgrami, Meaning, Holism and Use, in: E. LePore (Hg.), Truth and Interpretation. Perspectives on the Philosophy of Donald Davidson, Oxford 1986, 101-122. 152 Vgl. M. Dummett, Theory of Meaning (II) 95-99. 153 Vgl. zu dieser Kritik auch R. Rorty, Pragmatismus, Davidson und der Wahrheitsbegriff, in: E. Picardi, J. Schulte (Hgg.), Die Wahrheit der Interpretation. Beiträge zur Philosophie Donald Davidsons, Ffm 1990, 55-96, 92f. 154 M. Dummett, Wahrheit 29. 155 G. Abel, Interpretationswelten 167f.

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barkeit des korrespondenztheoretischen Realismus vor Augen geführt zu haben. Unter der Voraussetzung einer strikten Unabhängigkeit zwischen der tatsächlichen Wahrheit eines Satzes und seiner epistemischen Rechtfertigung läßt sich das Phänomen des sprachlichen Verstehens nicht hinreichend einsichtig machen. Gibt es keine >Brücke< mehr zwischen Rechtfertigung und Wahrheit, kann auch nicht mehr erklärt werden, was ein Sprecher überhaupt versteht, wenn er einen Satz versteht. Denn das Verständnis eines Satzes entscheidet sich an der Fähigkeit, ihn verwenden zu können. Wird die Bedeutung eines Satzes durch die Angabe seiner Wahrheitsbedingungen festgelegt, so knüpft sich das Verständnis an die Fähigkeit, ihn nach Maßgabe dieser Wahrheitsbedingungen gebrauchen und also auf die Frage ihrer Erfüllung hin behaften zu können. Steht dem Sprecher ein solches Entscheidungsverfahren per deßnitionem nicht zur Verfügung, so gibt es für ihn keine Möglichkeit mehr, diesen Satz überhaupt noch sinnvoll verwenden zu können. Die Behauptung, daß diese Wahrheitsbedingungen trotz ihrer möglichen Unerkennbarkeit eindeutig festgelegt seien, hilft hier nicht weiter, da der Sprecher sie dazu gerade nicht in Beziehung setzen kann. Er weiß also nicht, wie er überhaupt vorgehen soll, um die Kenntnis der Wahrheitsbedingungen in einen sinnvollen Gebrauch des Satzes umzusetzen156. Hinzu kommt, daß die realistische These einer Unabhängigkeit von Wahrheit und epistemischer Rechtfertigung insofern selbstwidersprüchlich ist, als sie eine Ebene außerhalb der Sprachlichkeit voraussetzt, um jene Unabhängigkeit behaupten zu können, damit aber gerade die Bedingung als erfüllt in Anspruch nimmt, die sie zu leugnen versucht. Denn geht es ihr darum, die innersprachliche Rechtfertigung eines Satzes von seiner außersprachlichen >Wahrheit< grundsätzlich zu unterscheiden, so muß sie eben den Übergang zur Welt voraussetzen, den sie der Rechtfertigung verweigert. Doch diese notwendige Verknüpfung von Wahrheit und Rechtfertigung Bedeutung und Gebrauch - hat nicht unmittelbar zur Folge, den Begriff der Wahrheit auf den Begriff einer gerechtfertigten Behauptbarkeit einschränken zu müssen. Die Aporetik des semantischen Realismus nötigt keineswegs zu einer epistemischen Reformulierung des Wahrheitsbegriffs. Stattdessen wird nun umgekehrt deutlich, aus welchem Grund heraus sich Dummett überhaupt erst auf seine verifikationistische Bedeutungstheorie verpflichtet sieht. Im Hintergrund steht auch bei ihm die Annahme einer Differenz von sprachlicher Form und sinnlich >Gegebenemwahr< und >glauben, daß wahr< einziehen. Dann aber legt sich die Frage nahe, ob nicht vielleicht jene Ausgangsunterscheidung zwischen sprachlicher Form und empirischem Gehalt den eigentlichen Grund für die aufgewiesenen Schwierigkeiten darstellt. Denn wird diese Differenz von Sprache und Welt epistemologisch gefaßt, ergibt sich das Problem, die sprachlichen Äußerungen mit einem nichtsprachlich >Gegebenen< in Verbindung bringen zu müssen. Soll aber nun eine Bedeutungstheorie diese Vermittlung leisten, ist die unvermeidliche Folge das Auseinandertreten von Bedeutung und Wahrheit: »Wenn sich die Bedeutung so mit der Epistemologie einläßt, werden Wahrheit und Bedeutung zwangsläufig geschieden. Natürlich kann man eine Zwangsheirat arrangieren, indem man Wahrheit als dasjenige neu definiert, was wir zu behaupten berechtigt sind. Aber auf diese Weise kommt keine Heirat zwischen den ursprünglichen Partnern zustande«157. Damit ist der Punkt erreicht, um die von den Anfängen des Wiener Kreises über Quine bis zu Dummett reichenden Ansätze einer verifikationistischen Bedeutungstheorie auf die ihnen - trotz unterschiedlicher Ausarbeitung - gemeinsame Intention hin zusammenfassen zu können. Dabei zeigt sich, daß mit der verifikationistischen Einsicht in die Verknüpfung von Bedeutung und Gebrauch eine originäre Einsicht auf den Plan tritt, die zwar auf eine Revision des klassischen Gegenübers von Sprache und Welt zielt, diesem Bild aber doch noch selbst verhaftet bleibt. Die entscheidende Frage lautet daher, ob sich aus dieser Diagnose ein neuer Weg gewinnen läßt, der die Intention des verifikationistischen Ansatzes über seine eigenen Grenzen hinaus fortzuschreiben erlaubt. Bereits im Wiener Kreis verbindet sich mit dem Prinzip der empirischen Verifizierbarkeit mehr als nur die Suche nach einem Abgrenzungskriterium, um zwischen sinnvollen empirisch-wissenschaftlichen und sinnlosen metaphysischen Sätzen unterscheiden zu können. Vielmehr soll das Verifizierbarkeitsprinzip bedeutungstheoretisch zugespitzt und so die überkommene Metaphysikkritik des älteren Empirismus auf eine sprachphilosophische Grundlage gestellt werden. Im Hintergrund steht dabei die Einsicht in den engen Zusammenhang von Bedeutung und Gebrauch. Sie soll für eine Revision der klassischen Verhältnisbestimmung von Sprache und Welt fruchtbar gemacht werden. Wenn es gelingen könnte, die sprachliche Bedeutung eines Satzes konstitutiv an seine empirische Verifizierbarkeit zu knüpfen, wäre der Graben zwischen Sprache und Welt in einer Weise überbrückt, die für eine metaphysische Auszeichnung erfahrungstranszendenter Sachverhalte keinen Raum mehr lassen würde. Entsprechend bemüht sich Quine, die Bedeutung eines Beobachtungssatzes ausschließlich durch eben die Sinnesreizungen zu bestimmen, die einen Sprecher 157 D. Davidson, Kohärenztheorie 279.

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zur Zustimmung oder Ablehnung dieses Satzes veranlassen und so einer intersubjektiven Beobachtung zugänglich sind. Erneut werden Sprache und Welt, diesmal im naturalistischen Rekurs auf physikalische Sinnesreizungen, so eng miteinander verknüpft, daß sich die Frage eines realistischen Gegenübers nicht mehr stellen kann. Bei Dummett schließlich findet dieser Ansatz seine explizite semantische Ausarbeitung und Zuspitzung. Aus dem Scheitern einer wahrheitskonditionalen, auf den korrespondenztheoretischen Wahrheitsbegriff sich berufenden Bedeutungstheorie zieht er die Konsequenz, diesen Wahrheitsbegriff aus seiner semantischen Zentralstellung verdrängen und in den epistemischen Begriff einer gerechtfertigten Behauptbarkeit überführen zu müssen. Auf diese Weise soll hier programmatisch die überkommene realistische Verhältnisbestimmung von Sprache und Welt zugunsten eines antirealistischen Ansatzes überwunden werden, der die Annahme einer sprachunabhängig bestehenden erkenntnisjenseitigen Welt grundsätzlich ausschließt158. Die originäre Einsicht der verifikationistischen Bedeutungstheorie besteht also darin, mittels der semantischen Verknüpfung von Bedeutung und Gebrauch zu einer Kritik jener realistischen Auffassung vorstoßen zu können, die um der Wahrung des - korrespondenztheoretisch explizierten - Gegenübers von Sprache und Welt zwischen der Bedeutung eines Satzes und dem möglichen Aufweis seiner Wahrheit eine strikte Scheidelinie ziehen zu müssen meint. Sowohl der Logische Empirismus des Wiener Kreises als auch Quine und Dummett stimmen darin überein, daß sich auf der Grundlage einer solchen Trennung von Bedeutung und Wahrheit das Phänomen des sprachlichen Verstehens nicht hinreichend durchsichtig machen läßt. Die Pointe ihres semantischen Ansatzes zielt mithin 158 Eine weitere Variante einer verifikationistischen Bedeutungstheorie findet sich schließlich auch bei Hilary Putnam, insofern er den Wahrheitsbegriff mit gewissen Bedingungen idealer rationaler Akzeptierbarkeit verknüpfen zu können meint. Seine These lautet, »that truth is independent of justification here and now, but not independent of all justification. To claim a statement is true is to claim it could be justified« (H. Putnam, Reason, Truth and History, Cambridge 1981, 56, dt. Vernunft, Wahrheit und Geschichte, Ffm 1982, 83). In diesem Sinne gelte, »that truth is an idealization of rational acceptability. We speak as if there were such things as epistemically ideal conditions, and we call a statement >true< if it would be justified under such conditions« (aaO. 55). Allerdings verdeutlicht er seinen Ansatz später dahingehend, daß es ihm nicht um eine Reduktion des Wahrheitsbegriffs auf den Begriff der rationalen Akzeptierbarkeit gehe, sondern um die These einer Interdependenz von Wahrheit und rationaler Akzeptierbarkeit: »Der Witz ist, daß ich keine in irgendeinem Sinne reduktionistische Analyse der Wahrheit (oder der Berechtigung) liefere. In Vernunft, Wahrheit und Geschichte habe ich den Gedanken so erklärt: >Wahrheit ist idealisierte rationale Akzeptierbarkeit. Diese Formulierung ist von vielen dahingehend verstanden worden, daß nationale Akzeptierbarkeit< (sowie der ebenfalls von mir gebrauchte Begriff >besser und schlechter geeignete epistemische SituationWahrheitGegebenen< zurückgeführt - handle es sich nun um Carnaps Sinnesdaten, Quines Sinnesreizungen oder Dummetts Beobachtungstatsachen -, so stellt sich die behauptete Überwindung der Differenz von Sprache und Welt als eine solche dar, die im Zuge ihrer >Überwindung< diese Differenz überhaupt erst als eine epistemologisch relevante Differenz zur Geltung bringt. Auf der einen Seite soll also die realistische Annahme einer sprach- und erkenntnisunabhängigen Welt unterbunden werden. Doch auf der anderen Seite wird zu diesem Zweck ein Verfahren präsentiert, der gerade diese Voraussetzung in Geltung stehen läßt. Die verifikationistische Bedeutungstheorie schließt die epistemologische Grunddifferenz von Sprache und Welt nachträglich zusammen, statt sie bereits im Ansatz zu überwinden. Die Folgen liegen offen zutage: Es kommt zu jener folgenschweren Reduktion der Wahrheitsbedigungen eines Satzes auf seine Verifikationsbedingungen, die sich ihrerseits einer Verwechslung der beiden Ebenen von kausaler Genese und logischer Geltung verdankt. Das Programm einer semantisch eingefädelten Revision des klassischen Realismus schlägt fehl, weil es in seiner verifikationistischen Durchführung eben derjenigen epistemologisch aufgeladenen Grunddifferenz von sprachlicher Form und sinnlich >Gegebenem< verhaftet bleibt, die es gerade zu überwinden sucht.

4. Donald Davidson Für eine mögliche Weiterführung der >antirealistischen< Intentionen des Verifikationismus ergibt sich folgende Aufgabenstellung: Die Revision des klassischen Realismus ist so anzusetzen, daß ausgehend von der Frage nach dem Verstehen sprachlicher Äußerungen der Versuch unternommen werden muß, erneut den Wahrheitsbegriff ins Zentrum der Bedeutungstheorie zu rücken und nun daraufhin zu präparieren, die epistemologisch aufgeladene Differenz von sprachlicher Form und empirischem Gehalt bereits im Ansatz zu unterlaufen. Auf diese Weise soll es gelingen, die Unterscheidung zwischen den Wahrheits- und Verifikationsbedingungen einer Aussage beibehalten zu können, ohne in die Aporien eines epistemologisch eingeführten und realistisch explizierten Gegenübers von Sprache und Welt zurückfallen zu müssen. Dieser Aufgabe hat sich vor allem

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Donald Davidson gestellt159. Sein semantisch abgestützter Entwurf einer >Interpretationsphilosophie< läßt sich als der Versuch beschreiben, dem Phänomen des sprachlichen Verstehens dadurch auf die Spur zu kommen, daß ein vorgängiger Horizont gemeinsamer Überzeugungen dessen, was als wahr zu gelten habe, als Bedingung für die Möglichkeit sprachlichen Verstehens in Anspruch genommen wird. Die Pointe eines solchen Vorgehens liegt darin, daß gerade diese Vorgängigkeit eines gemeinsamen sprachlichen Weltbezugs die Annahme einer erkenntnistheoretisch relevanten Differenz von sprachlicher Form und empirischem Gehalt für unverständlich und überflüssig erklären kann. Ein konsequent semantischer Ansatz bei der Frage nach dem Verstehen sprachlicher Äußerungen führt also anders als bei Dummett nicht zu einer 159 Die Schwerpunkte des Davidsonschen Denkens liegen zunächst auf den beiden Feldern von Sprachphilosophie und Handlungstheorie. Seit einiger Zeit treten ihnen jedoch auch bewußtseinsphilosophische Fragestellungen zur Seite. Dabei wird erst allmählich sichtbar, in welcher Weise sich diese scheinbar disparaten Bereiche zu einem systematischen Ganzen - dem >Davidson-Programm< - zusammenfügen. Die Frage nach dem Verstehen sprachlicher Äußerungen, die Suche nach einer Erklärung nichtsprachlichen Verhaltens und das zunehmende Interesse an dem Verhältnis von Geist und Materie finden ihren übergreifenden Zusammenhang in dem Entwurf einer hermeneutischen >Interpretationsphilosophieneuen Antisubjektivismus< aus, der an die Stelle des cartesischen Dualismus zwischen subjektiven Vorstellungen und objektiven Sachverhalten treten soll. Eine Auswahl dieser neueren Aufsätze findet sich gesammelt in Ders., Der Mythos des Subjektiven. Philosophische Essays, Stuttgart 1993. - Für eine Gesamtdarstellung von Davidsons Philosophie vgl. S. Evnine, Donald Davidson, Oxford 1991; sowie K. Glüer, Donald Davidson zur Einführung, Hamburg 1993. Einen Überblick über die Davidsonsche Sprachphilosophie geben B.T. Ramberg, Donald Davidson's Philosophy of Language, Oxford 1989; sowie K. Stüber, Donald Davidsons Theorie sprachlichen Verstehens, Ffm 1993. Die Spannbreite von Aufnahme und Diskussion der Davidsonschen Thesen findet sich dokumentiert in: E. LePore (Hg.), Truth and Interpretation; sowie E. Picardi, J. Schulte (Hgg.), Die Wahrheit der Interpretation. Eine ausführliche Darstellung und Kritik der Davidsonschen Sprachphilosophie aus interpretationistischer Perspektive finde sich schließlich bei G. Abel, Interpretations weiten 317-443.

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sprachphilosophischen Reformulierung klassischer epistemologischer Problemstellungen, sondern zu ihrer letztlichen Überwindung. Mithin findet sich erst bei Davidson eine dem Wittgensteinschen Problemniveau vergleichbare und sprachphilosophisch ausgereifte Umsetzung der weitreichenden kritischen ebenso wie konstruktiven Potentiale, die in der analytischen Wende zur Sprache beschlossen liegen160. Davidson nimmt seinen Ausgang bei der Frage nach der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke: »Was heißt es, daß Wörter bedeuten, was sie nun einmal bedeuten?«161 Was ein Wort bedeutet, wisse nun zumindest der, der es versteht. Damit nimmt die Frage nach der Bedeutung die Gestalt der Frage an, was es heißt, eine sprachliche Äußerung verstehen zu können. Dieses Verstehen wird von Davidson als die Fähigkeit zur Interpretation einer sprachlichen Äußerung aufgefaßt162. Im Mittelpunkt seines Interesses steht also der Entwurf einer Interpretationstheorie, deren Aufgabe darin besteht, das im alltäglichen Sprachverstehen sich manifestierende Phänomen der > sprachlichen Kompetenz< auf seine Möglichkeitsbedingungen hin durchsichtig zu machen. Dabei greift Davidson - in Anlehnung an das Quinesche Gedankenexperiment der radikalen Übersetzung< - auf die Situation einer radikalen Interpretation zurück163. Um das Verstehen einer sprachlichen Äußerung möglichst voraussetzungslos in den Blick bekommen und so die Gefahr einer zirkulären Erklärung vermeiden zu können, entwirft er das Szenario eines Feldlinguisten, der eine ihm völlig unbekannte Sprache zu verstehen und in diesem Sinne zu interpre160 Vor allem K. Stüber, Davidson 134-138, hat eindringlich auf die sachliche Nähe Davidsons zu Wittgenstein hingewiesen. Entgegen der gängigen Lesart, die den Dummettschen Antirealismus in der legitimen Nachfolge Wittgensteins stehen sieht, weist Stüber auf, daß die Wittgensteinsche Gebrauchstheorie der Bedeutung zwar auf eine Kritik an der realistischen Deutung der wahrheitskonditionalen Semantik zielt, daraus aber keinesfalls einen verifikationistischen Wahrheitsbegriff abzuleiten sucht: Davidsons sprachphilosophischer Ansatz erweist sich »nicht nur mit der grundlegenden Wittgensteinschen Einsicht des >meaning is use< als kompatibel..., sondern Davidsons Projekt einer wahrheitskonditionalen Theorie der Bedeutung und seine Verteidigung dieses Projekts sollte vielmehr als ein Ansatz verstanden werden, der mit Wittgenstein in seinem Verständnis von Sprache als einer Praxis und und der Ablehnung einer Privatsprache übereinstimmt« (aaO. 12); vgl. dazu auch Davidsons eigene Bemerkungen in K. Glüer, Davidson 161-163. 161 D. Davidson, Einleitung, in: Ders., Wahrheit und Interpretation 9-19, 9. 162 Vgl. D. Davidson, Denken und Reden, in: Ders., Wahrheit und Interpretation 224-246, 227: »Was für mein Argument wesentlich ist, ist der Begriff eines Interpreten, einer Person, die die Äußerungen eines anderen versteht«. 163 Davidson weitet Quines Situation der radikalen Übersetzung insofern noch aus, als er auf die Voraussetzung einer bekannten Sprache, in die übersetzt werden soll, verzichtet: »Es geht nicht mehr nur um radikale Übersetzung, sondern um radikale Interpretation, das heißt, es geht nicht um die in einer Metasprache formulierte Herstellung von Beziehungen zwischen den Äußerungen zweier Sprachen, sondern ausschließlich um die Aufstellung einer strukturell aufschlußreichen Theorie der Deutung einer Objektsprache - der bei Übersetzungen unerläßliche Bezug auf die bekannte Sprache fällt weg« (J. Schulte, Nachwort, in: D. Davidson, Mythos des Subjektiven 109-117, 112f.). Davidson argumentiert, daß die Fähigkeit zur Übersetzung eines Satzes nicht notwendig die Kenntnis seiner Bedeutung impliziere. Zudem könne erst die Situation einer radikalen Interpretation die Bedingungen einsichtig machen, unter denen es überhaupt zu einem Verstehen einer sprachlichen Äußerung komme (vgl. Ders., Radikale Interpretation 188-190).

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tieren versucht. Diese Situation einer radikalen Interpretation liegt zwar Davidson zufolge bei jedem Verstehensvorgang - auch innerhalb der eigenen Sprache - vor164; doch im Fall des Feldlinguisten lasse sie sich in exemplarischer Deutlichkeit vor Augen stellen. Denn dem >Radikalinterpreten< stehe nun nicht mehr zur Verfügung als das zunächst uninterpretierte verbale und nonverbale Verhalten der Sprecher jener unbekannten Sprache und die beobachtbaren Umstände ihrer Äußerungen. Seine Aufgabe stelle sich also doppelt schwierig dar: Er müsse nicht nur die Bedeutung jener Äußerungen bestimmen, sondern überdies klären, in welcher Weise die jeweiligen Sprecher von ihrer Wahrheit überzeugt sind. Für den Interpreten ergebe sich daraus folgendes Dilemma: »Wenn ein Sprecher in einer bestimmten Situation einen Satz für wahr hält, so liegt das zum Teil an dem, was er unter einer Äußerung dieses Satzes versteht oder verstehen würde, und zum Teil an dem, was er glaubt. Wenn wir uns an nichts weiter halten können als die Tatsache der aufrichtigen Äußerung, können wir die Überzeugung nicht erschließen, ohne die Bedeutung zu kennen, und es besteht keine Aussicht, die Bedeutung zu erschließen, ohne zu wissen, was der Sprecher glaubt«165. Um in diesen Zirkel einbrechen und eine entsprechende Äußerung verstehen zu können, sei daher eine radikale Interpretation notwendig, die - auf der Grundlage der vorfindlichen Daten die Überzeugung eines Sprechers und die Bedeutung jener Äußerung zugleich festzulegen erlaube. Den entscheidenden Schlüssel dafür sieht Davidson in der schlichten »Einstellung des Einen-Satz-für-wahr-Haltens, des ihn Ais-wahr-Akzeptierens«166. Es ließe sich aus den Daten heraus zumindest die Überzeugung aufspüren - die hinsichtlich der Frage, was sie für wahr hält, noch gänzlich unbestimmt bleibt167 -, daß eine bestimmte Äußerung zu einer bestimmten Zeit wahr sei168. Diesen >okkasionellen< Sätzen habe der Interpret nun die beobachtbaren Umstände, unter denen sie für wahr gehalten werden, als die Bedingungen zuzuordnen, unter denen sie wahr sind169. So komme es allmählich zum Aufbau einer Bedeutungstheorie für die interpretierte Sprache: Ausgehend von den erwähnten >okkasionellen< Sätzen gelinge es schließlich auch, die Wahrheitsbedingungen komplexerer und höher gelegener Sätze festzulegen. Allerdings steht diese Bedeutungstheorie unter zwei wesentlichen Einschränkungen: Davidson lehnt es strikt ab, jene >ersten< Sätze im Rekurs auf irgendwelche >gegebenen< Sinnesreizungen gerechtfertigt sein zu lassen. Wie alle Sätze könne auch ein Beobachtungssatz ausschließlich im Rahmen einer bestimmten Theorie durch den Rückgang auf andere Sätze gerechtfertigt werden. Seine Bedeutung lasse sich nur im Zusammenhang mit einer Vielzahl anderer Sätze interpretieren170. Die so angedeutete holistische Struktur der avisierten Bedeutungstheorie erhält ihre Zuspitzung jedoch erst daraus, daß Davidson nun umgekehrt Quines These einer Unbestimmtheit von Bedeutung und Referenz übernimmt und auf die Interpretation insgesamt 164 Vgl. D. Davidson, Radikale Interpretation, in: Ders., Wahrheit und Interpretation 183203, 183: »Das Problem der Interpretation gilt für die Muttersprachen ebenso wie für Fremdsprachen.... Die radikale Interpretation ist immer beteiligt, wenn man die Äußerungen eines anderen Sprechers versteht«. 165 D. Davidson, Der Begriff des Glaubens und die Grundlage der Bedeutung, in: Ders., Wahrheit und Interpretation 204-223, 206. 166 D. Davidson, Radikale Interpretation 196. 167 Vgl. ebd.: »Dies ist zwar ein Glauben, aber es ist eine einzige Einstellung, die sich auf alle Sätze anwenden läßt und daher nicht verlangt, daß wir imstande seien, diffizile Unterscheidungen zwischen verschiedenen Überzeugungen zu treffen«. 168 Vgl. D. Davidson, Begriff des Glaubens 208f.; vgl. auch K. Stüber, Davidson 144. 169 Dieses Vorgehen läßt sich äußerst leicht zu veranschaulichen: Ein Sprecher äußert den Satz »It is raining«, und es regnet tatsächlich. Unter der Voraussetzung, daß der Sprecher diesen Satz zum Zeitpunkt seiner Äußerung für wahr hält, kann der beobachtete Umstand, daß es regnet, als die Wahrheitsbedingung des Satzes »It is raining« aufgefaßt werden. Es ergibt sich also folgende Äquivalenz: »Der Satz >It is raining< ist wahr genau dann, wenn es regnet«. Der entscheidende Clou besteht nun darin, daß Davidson behauptet, mittels dieser Äquivalenz die Bedeutung des Satzes »It is raining« angegeben zu haben. 170 Vgl. D. Davidson, Kohärenztheorie 284; sowie Ders., Empirical Content, in: E. LePore (Hg.), Truth and Interpretation 320-332.

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ausweitet: »When all the evidence is in, there will remain ... the trade-offs between the beliefs we attribute to a speaker and the interpretations we give his words«171. Der Zirkel zwischen Überzeugung und Bedeutung läßt sich zwar durch den Entwurf einer holistischen Interpretationstheorie entschärfen, nötigt aber dennoch zur Anerkennung einer grundsätzlichen Unbestimmtheit. Entscheidend ist freilich, daß diese Unbestimmtheit das Gelingen einer Interpretation nicht entscheidend beeinträchtigt: »But the resulting indeterminacy cannot be so great but that any theory that passes the tests will serve to yield interpretations«172. Aus diesem Verfahren der radikalen Interpretation erhellt ein Doppeltes: (1) Davidson knüpft erneut die Bedeutung eines Satzes an die Angabe seiner Wahrheitsbedingungen. Zu diesem Zweck greift er auf eine im Anschluß an Alfred Tarski formalisierte Wahrheitstheorie zurück, die er auf natürliche Sprachen meint ausweiten zu können. Tarski sucht nach einer sachlich angemessenen und formal richtigen Definition des Wahrheitsbegriffs173. Sachlich angemessen sei eine Definition dann, wenn sie dem intuitiven Wahrheitsverständnis Rechnung trage, das Tarski in der klassischen Korrespondenztheorie der Wahrheit zum Ausdruck gebracht findet: »Die Wahrheit einer Aussage besteht in ihrer Übereinstimmung (oder Korrespondenz) mit der Wirklichkeit«174. Dieser Intuition entspreche auf präzisere Weise seine >Konvention Wp< durch eine Aussage der Sprache, auf die sich das Wort >wahr< bezieht, ersetzt wird und >X< durch den Namen dieser Aussage)«175. Eine Definition der Wahrheit sei nun sachlich angemessen, wenn sie alle Sätze impliziert, die sich aus der >Konvention W< gewinnen lassen. Tarskis berühmtes Beispiel lautet: »Die Aussage >Schnee ist weiß< ist wahr genau dann, wenn Schnee weiß ist«176. Die >Konvention W< stellt also nicht selbst die gesuchte Wahrheitsdefinition dar, sondern fungiert als ein Kriterium der sachlichen Angemessenheit, dessen Äquivalenzen aus jener Definitionen müssen abgeleitet werden können. Formal richtig sei eine Wahrheitsdefinition - neben anderen Bedingungen - jedoch erst unter der Voraussetzung einer strikten Unterscheidung zwischen Objekt- und Metasprache, um so die traditionellen semantischen Antinomien vermeiden zu können. Daraus ergibt sich die Beschränkung der Tarskischen Wahrheitsdefinition auf formalisierte Sprachen: Tarski definiert einen metasprachlichen Wahrheitsbegriff relativ auf eine formalisierte Objektsprache L. Doch trotz dieser Beschränkung gelingt es Tarski, eine rekursive Definition des Wahrheitsbegriffs zu liefern und so das Problem der finiten Axiomatisierung zu lösen. Der semantische Begriff der Erfüllung ermöglicht es, die Wahrheitsbedingungen komplexer Sätze auf die Wahrheitsbedingungen atomarer Sätze zurückzuführen und dabei sogar die Prädikatenlogik erster Stufe einzubeziehen. Davidson behauptet nun, Tarskis Wahrheitsdefinition auch auf natürliche Sprachen ausweiten und als Grundlage einer leistungsfähigen Bedeutungstheorie in Anspruch nehmen zu kön171 D. Davidson, Radical Interpretation, in: Ders., Inquiries 125-139, 139, dt. Radikale Interpretation, in: Ders., Wahrheit und Interpretation 183-203, 203. 172 Ebd. 173 Vgl. A. Tarski, Der Wahrheitsbegriff in den formalisierten Sprachen, Lemberg 1935, wieder in: K. Berka, L. Kreiser (Hgg.), Logik-Texte. Kommentierte Auswahl zur Geschichte der modernen Logik, Darmstadt 31983, 445-546; sowie Ders., The Semantic Conception of Truth and the Foundations of Semantics, in: PPR 4 (1944), 341-376, wieder in: H. Feigl, W. Sellars (Hgg.), Readings in Philosophical Analysis, New York 1949, 52-84, dt. Die semantische Konzeption der Wahrheit und die Grundlagen der Semantik, in: J. Sinnreich (Hg.), Zur Philosophie der idealen Sprache, München 1972, 53-100, wieder in: G. Skirbekk (Hg.), Wahrheitstheorien. Eine Auswahl aus den Diskussionen über Wahrheit im 20. Jahrhundert, Ffm 1977, 140-188. - Zu Tarskis semantischer Wahrheitsdefinition vgl. E. Tugendhat, Tarskis semantische Definition der Wahrheit und ihre Stellung innerhalb der Geschichte des Wahrheitsproblems im logischen Positivismus, in: PhR 8 (1960), 131-159, wieder in: Ders., Philosophische Aufsätze, Ffm 1992, 179-213; sowie H. Field, Tarski's Theory of Truth, in: JPh 69 (1972), 347-375. 174 A. Tarski, Semantische Konzeption 143. 175 A. Tarski, aaO. 145. 176 A. Tarski, aaO. 143.

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nen. Die >Konvention W< biete dem Radikalinterpreten die Möglichkeit, ausgehend von der Annahme, daß der Sprecher eine Äußerung für wahr hält, diese Äußerung mit den beobachtbaren Umständen als deren Wahrheitsbedingungen zu verknüpfen und so ihre Bedeutung zu bestimmen. Davidson stellt damit Tarskis Intentionen auf den Kopf. Während es diesem darum geht, im Rekurs auf den semantischen Begriff der Erfüllung den Begriff der Wahrheit zu definieren, setzt Davidson geradewegs umgekehrt an: »Ich habe die Wahrheit als den zentralen Undefinierten Begriff angesehen und gehofft, durch detailliertere Ausführungen über die Struktur der Wahrheit zur Bedeutung vorzustoßen«177. Die wahrheitskonditionale Semantik wird von Davidson so eingeführt und zugespitzt, daß überhaupt erst ein vorausgesetztes Verständnis dessen, was Wahrheit ist, die Interpretation der Bedeutung eines Satzes ermöglicht178. (2) In der Situation der radikalen Interpretation muß der Interpret dem Sprecher zunächst unterstellen, daß er einen von ihm geäußerten Satz für wahr hält. Denn nur unter dieser Voraussetzung läßt sich der entsprechende Satz auf seine beobachtbaren Umstände in der Welt beziehen. Doch darüber hinaus muß der Interpret dem Sprecher unterstellen, daß zumindest die meisten seiner Äußerungen auch tatsächlich wahr sind. Andernfalls könnte es nicht gelingen, aus den beobachtbaren Umständen einer Äußerung deren Wahrheitsbedingungen zu gewinnen: »Nur die Annahme, daß der Sprecher die Wahrheit des Satzes aufgrund der beobachtbaren Umstände in der jeweiligen Situation erkennt und einen bestimmten Satz deswegen für wahr hält, läßt die Vermutung zu, daß die beobachtbaren Umstände der Äußerung eines Satzes auch seine Wahrheitsbedingungen sind«179. Freilich müsse diese Verknüpfung von Äußerung und Beobachtung ihre Durchführung in einem holistischen Ansatz finden. Denn die Interpretation könne sich nicht allein auf das Gegenüber von Äußerung und Beobachtungssituation stützen, sondern müsse auch den systematischen Zusammenhang zwischen den Sätzen der jeweiligen Sprache berücksichtigen. Daraus ergibt sich die Ausweitung jener Wahrheitsunterstellung auf das Überzeugungssystem des Sprechers insgesamt: Er muß, soll er überhaupt verstanden werden können, zumindest im wesentlichen Überzeugungen vertreten, die in sich konsistent sind und als wahr aufgewiesen werden können. Davidson bezeichnet diesen Grundsatz der notwendigen Wahrheits- und Konsistenzunterstellung als das >principle of charityprinciple of charity < ergeben sich zwei weitreichende Konsequenzen: Der Interpret muß dem Sprecher unterstellen, daß die meisten seiner Überzeugungen wahr sind. Diese Unterstellung erweist sich damit als relativ auf das, was der Interpret selbst für wahr hält: Die radikale Interpretation einer fremden Sprache gelingt, »indem man den fremdsprachigen Sätzen Wahrheitsbedingungen zuordnet, denen zufolge die eingeborenen Sprecher recht haben, wenn es plausiblerweise möglich ist, je nachdem freilich, was wir nach unserer eigenen Auffassung für das Richtige halten«183. Die Methode der radikalen Interpretation stellt also notwendig eine generelle Einheit zwischen dem Interpreten und dem Sprecher her. Sie läuft damit auf die These hinaus, daß Sprecher und Interpret immer schon in einer gemeinsamen Welt leben: »Um die Sprache eines anderen zu verstehen, muß ich in der Lage sein, meine Gedanken auf dieselben Gegenstände zu richten wie er; ich muß seine Welt mit ihm teilen«184. Eine besondere Wendung ergibt sich fernerhin aus dem Umstand, daß der Interpret im Zuge der Interpretation der Äußerungen eines Sprechers ein eigenes Verständnis davon voraussetzen muß, was als wahr zu gelten habe. Er kann eben »nur dann eine W-Theorie für sein L entwikkeln ..., wenn er zur Konstruktion seiner W-Äquivalenzen ein interpretiertes W-Prädikat verwendet, also sein eigenes, intuitives Konzept von Wahrheit«185. Die radikale Interpretation kann immer nur auf der Grundlage eines bereits in Geltung stehenden Systems wahrer Sätze gelingen. Das >principle of charity< bringt mithin zum Ausdruck, »daß es prinzipiell nicht möglich ist, von den eigenen Ansichten über die Welt und der eigenen Begrifflichkeit zu abstrahieren«186. Neben die notwendige Intersubjektivität des Weltbezuges tritt also die Vorgängig182 D. Davidson, Kohärenztheorie 283. - Davidson fährt fort: »Unter formalem Gesichtspunkt betrachtet, trägt das Prinzip des Wohlwollens zur Lösung des Problems der Wechselwirkung zwischen Meinung und Bedeutung bei, denn es legt fest, wie die Worte zu interpretieren sind und schränkt damit zugleich die Freiheitsgrade ein, die den Meinungen zugestanden werden« (ebd.). 183 D. Davidson, Radikale Interpretation 199. 184 D. Davidson, Rational Animals, in: Dial 36 (1982), 317-328, 327, zit. nach K. Glüer, Davidson 66. 185 K. Glüer, Davidson 122. 186 K. Stüber, Davidson 156. - Davidson spitzt das >principle of charity< letztlich sogar auf die verblüffende These zu, daß nicht nur die Überzeugungen eines anderen Sprechers, sondern auch die meisten unserer eigenen Überzeugungen wahr sein müssen, soll sprachliches Verstehen möglich sein: »Gelingende Kommunikation beweist das Vorhandensein einer gemeinsamen und großenteils wahren Weltsicht« (D. Davidson, Die Methode der Wahrheit in der Metaphysik, in: Ders., Wahrheit und Interpretation 283-305, 286). Ausgehend von der bereits bekannten These, »daß ein hohes Maß gemeinsamer Überzeugungen nötig ist, um eine Grundlage für die Kommunikation oder das Verstehen zu liefern« (aaO. 285), führt er die Person eines allwissenden Interpreten ein. Dieser müsse wie die anderen Interpreten einem Sprecher Überzeugungen zuschreiben und dessen Äußerungen auf der Basis seiner eigenen Überzeugungen interpretieren. Er sei also genötigt, Einigkeit zwischen sich und dem interpretierten Sprecher herzustellen; und da er ein allwissender Interpret sei, müsse das, worüber Einigkeit bestehe, per defmitionem wahr sein. Damit sei das Beweisziel erfüllt: »Doch nun ist klar, warum massiver Irrtum mit Bezug auf die Welt schlicht unverständlich ist, denn wenn man ihn für verständlich hält, nimmt man an, es könne einen Interpreten geben (nämlich den allwissenden), der durch richtige Interpretation dahin gelangt, eine andere Person als jemanden hinzustellen, der meistens im Irrtum ist, und dies ist, wie wir gezeigt haben, unmöglich« (aaO. 285f.). Davidson wiederholt sein Argument in Ders., Kohärenztheorie 285-288; vgl. G. Abel, Interpretationswelten 421-426.

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keit ebenso wie Unhintergehbarkeit seiner sprachlichen Vermitteltheit. Die Möglichkeit des Verstehens einer sprachlichen Äußerung setzt voraus, diese Äußerung nach Maßgabe eines vorgängigen und intersubjektiv konstituierten Wahrheitsverständnisses in ihren Wahrheitsbedingungen einsichtig machen zu können.

Die eigentliche Pointe des Davidsonschen Ansatzes geht jedoch über diese These eines vorgängigen und gemeinsamen Weltbezuges noch hinaus. Denn er vertritt die Auffassung, daß gerade eine wahrheitskonditionale Semantik die epistemologisch aufgeladene Rede von einem der Sprache gegenüberstehenden Gegebenem unverständlich werden lasse. So hat sich bisher gezeigt, daß das Phänomen des sprachlichen Verstehens nur unter der Voraussetzung eines vorgängigen Wahrheitsverständnisses angemessen expliziert werden kann. Es ist also nicht möglich, die Wahrheitsbedingungen eines Satzes als dessen Behauptbarkeitsbedingungen zu rekonstruieren, da so die Wahrheit als von der Bedeutung des Satzes abhängig erscheint, während umgekehrt erst die Wahrheitsbedingungen die Bedeutung eines Satzes festlegen. Diese Einsicht steht keineswegs im Gegensatz zu der Forderung, die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks an seinen Gebrauch knüpfen zu müssen. Denn die Situation der radikalen Interpretation weist auf, daß die Bedeutung eines Satzes nicht isoliert aus der schlichten Kenntnis seiner Wahrheitsbedingungen erschlossen werden kann, sondern dieser Aufweis selbst bereits die Verbindung mit anderen Sätzen und damit den Zusammenhang mit der Praxis des Sprachgebrauchs überhaupt voraussetzt. Entscheidend ist jedoch, daß die Wahrheit als der semantische Grundbegriff fungiert, um die Bedeutung sprachlicher Äußerungen bestimmen zu können. Die Unterscheidung zwischen wahr und falsch bildet die unhintergehbare Grundlage, die überhaupt erst die Interpretation und das Verstehen sprachlicher Äußerungen ermöglicht. Daraus ergibt sich aber nun die verblüffende Konsequenz, daß die klassische Unterscheidung zwischen der Sprache und einem ihr gegenüberstehenden >Gegebenen< gänzlich überflüssig wird. Denn es gelingt nicht mehr, der Beziehung zwischen Sprache und >Gegebenem< - werde sie als Übereinstimmung, Entsprechung oder auch anders bezeichnet - einen klaren Sinn abzugewinnen: »Das Problem ist, daß die Konzeption des der Erfahrungsgesamtheit Entsprechens - ebenso wie die Konzeption der Tatsachenentsprechung oder Tatsachenübereinstimmung - dem schlichten Begriff des Wahrseins nichts Verständliches hinzufügt. ... Der Satz >Meine Haut ist warm< ist dann und nur dann wahr, wenn meine Haut warm ist. Hier wird weder auf eine Tatsache noch auf eine Welt, weder auf eine Erfahrung noch auf Belegmaterial Bezug genommen«187. Sofern die Wahrheit als semantischer Grundbegriff fungiere und die Bedeutung einer Aussage durch die Angabe ihrer Wahrheitsbedingungen festgelegt sei - so lautet die These -, erübrige es sich, darüber hinaus noch eine Differenz von Sprache und Welt einzuführen, an deren gelingender Überbrückung sich die Wahrheit einer Aussage entscheiden solle. 187 D. Davidson, Was ist eigentlich ein Begriffsschema?, in: Ders., Wahrheit und Interpretation 261-282, 275f.

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Im Hintergrund steht dabei die Einsicht Davidsons, daß das Sprachverstehen immer schon einen vorgängigen Weltbezug voraussetzt, der also nicht erst nachträglich konstituiert oder überbrückt zu werden verlangt: »Sprache ist kein instrumentelles Zeichensystem, dessen Gegenstandsbezug erst noch zur Diskussion steht und etwa durch außersprachliche Sinnesdaten gesichert werden muß. Sprache hat von Hause aus keine andere Funktion, als Welt zugänglich zu machen«188. Davidson macht Ernst mit der These, daß die Erkenntnis der Welt immer schon sprachlich vermittelt ist. Unter dieser Voraussetzung sei es eben per definitionem nicht möglich, einen archimedischen Punkt außerhalb der Sprache einnehmen zu können, um diese auf ihr Gegenüber zu einer sprachunabhängigen Welt hin zu betrachten. Doch daraus folge gerade nicht ein skeptischer Rückzug >in< die Sprache, der auf die Erkenntnis einer objektiven Außenwelt verzichten zu müssen meint. Denn die Annahme einer sprachjenseitig zu beobachtenden Differenz von Sprache und Welt werde so gerade im Modus ihrer Ablehnung noch aufrecht erhalten. Stattdessen sei der Einsicht Rechnung zu tragen, daß die Sprache den Zugang zu einer Welt eröffne, >hinter< der sinnvoll keine andere Welt mehr angesetzt werden könne. Die Differenz von Sprache und Welt verliere so ihre epistemologische Relevanz. Das Gegenüber beider Relata bedürfe keiner aufwendigen Vermittlung mehr, sondern setze diese gerade immer schon voraus: Dem sprachlich vermittelten Weltbezug entspricht eine grundsätzliche >Welthaftigkeit< der Sprache selbst. Die Grundlage dafür bietet der allem Sprachverstehen vorausgehende Begriff der Wahrheit. In seiner an Tarskis Wahrheitstheorie anschließenden Fassung konstituiert er ein Gegenüber von Sprache und Welt, das so zugleich als durch ihn selbst vermittelt erscheint189, Ein Satz ist wahr genau dann, wenn seine Wahrheitsbedingungen erfüllt sind, und falsch genau dann, wenn sie nicht erfüllt sind. Mehr ist nicht zu sagen. Die klassische Korrespondenztheorie der Wahrheit und Erkenntnis erfahre damit schließlich eine epistemologisch neutrale Rehabilitierung: »My slogan is: correspondence without confrontation. Given a 188 R. Bubner, Wohin tendiert die analytische Philosophie?, in: PhR 34 (1987), 257-281, 278. 189 Die These von G. Abel, Interpretationswelten 325-331, daß Davidson mit seiner Interpretationsphilosophie den konstruktbildenden Charakter auch jener ursprünglichen Fürwahrhaltungen nicht angemessen zum Ausdruck bringen könne, ist von dieser grundsätzlich differentiellen Funktionsbestimmung des Wahrheitsbegriffs her zu korrigieren. So referiert Abel zwar korrekt die >externalistische Wende< Davidsons, die sich vor allem als Konsequenz seiner Ablehnung des dritten empiristischen Dogmas darstellt: »Indem wir den Dualismus von Schema und Welt fallenlassen, verzichten wir nicht auf die Welt, sondern stellen die unmittelbare Beziehung zu den Gegenständen wieder her, deren Possen unsere Sätze und unsere Meinungen wahr oder falsch machen« (D. Davidson, Begriffsschema 282). Entsprechend geht Davidson zu der weiteren These über, daß sich die Beziehung zwischen Sprache und Welt einer kausalen Verknüpfungsrelation verdanke (vgl. D. Davidson, Externalisierte Erkenntnistheorie, in: Ders., Mythos des Subjektiven 65-83). Doch die entscheidende Voraussetzung dieses kausalen Zusammenschlusses ist, daß für eine erkenntnistheoretisch relevante Betrachtung des Verhältnisses von Sprache und Welt unter interpretationsphilosophischen Bedingungen kein sinnvoller Platz mehr bleibt.

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correct epistemology, we can be realist in all departments. We can accept objective truth conditions as the key to meaning, a realist view of truth, and we can insist that knowledge is of an objective world independent of our thought and language«190. Dieser >Realismus< steht mm jenseits der Alternative von Realismus und Antirealismus191. Da er dem Gegenüber von Sprache und Welt keinen erkenntnistheoretisch relevanten Aspekt mehr abzugewinnen vermag, reduziert sich die Aufgabe ihrer Verhältnisbestimmung auf den schlichten Aufweis ihrer kausalen Verknüpfungen: »Ich schlage deshalb vor, daß wir uns von der Vorstellung trennen, Bedeutung oder Erkenntnis sei auf irgendeine letzte Quelle der Evidenz gegründet. Zweifellos sind Bedeutung und Erkenntnis von Erfahrung abhängig, und diese ist letztlich von Empfindung abhängig. Aber diese Abhängigkeit ist kausaler Natur, sie hat nichts mit Evidenz oder mit Rechtfertigung zu tun«192. Mit seiner semantisch eingefädelten >Interpretationsphilosophie< gelingt es Davidson, die vom Verifikationismus her übernommene Problemlage in eine befriedigende Theorie des sprachlichen Verstehens zu überführen. Er geht aus von der These, daß eine empirisch gewendete Wahrheitstheorie im Stile Tarskis dazu genutzt werden könne, eine natürliche Sprache zu interpretieren. In Umkehrung der Tarskischen Intentionen setzt er die Wahrheit als Undefinierten Grundbegriff an, um so die Bedeutung eines Satzes aus dessen Verknüpung mit den beobachtbaren Umständen seiner Äußerung gewinnen zu können. Die Situation der radikalen Interpretation weist die weitreichenden Folgen dieses Ansatzes auf. Dabei kommt dem >principle of charity< eine zentrale Stellung zu: Die notwendige Wahrheits- und Konsistenzunterstellung der Äußerungen eines Sprechers ermöglicht es zunächst, dem Umstand Rechnung zu tragen, daß »die Unterscheidung zwischen dem Fürwahrhalten eines Satzes und seinem faktischen Wahrsein ... für die Existenz eines interpersonalen Kommunikationssystems«193 wesentlich ist. Denn erst vor dem Hintergrund von großenteils wahren Überzeugungen lasse sich ein Irrtum als Irrtum erkennen: »Je größer die Anzahl 190 D. Davidson, Coherence Theory 307, dt. Kohärenztheorie 271. 191 Vgl. R. Rorty, Pragmatismus, Davidson und der Wahrheitsbegriff 94f. 192 D. Davidson, Kohärenztheorie 280. - In seinen neueren Arbeiten geht Davidson sogar noch einen Schritt weiter, indem er nicht nur den empiristischen Dualismus von Schema und Gehalt, sondern sogar den abendländisch-cartesianischen Dualismus von Subjektivem und Objektivem überhaupt zur Verabschiedung ausgibt: »Nach meinem Eindruck läuft der am meisten versprechende und interessanteste Wandel, der sich heute in der Philosophie abspielt, darauf hinaus, daß diese Dualismen auf neue Weise in Frage gestellt oder gründlich umgestaltet werden. Es bestehen gute Aussichten, daß diese Dualismen zumindest in ihrer jetzigen Form preisgegeben werden. Die Veränderung wird gerade erst sichtbar, und ihre Konsequenzen sind auch von denen, die diese Veränderung herbeiführen, bisher kaum erkannt worden. Und natürlich wird jetzt und künftig von vielen erheblicher Widerstand dagegen geleistet. Was uns bevorsteht, ist der Blick auf das Auftauchen einer radikal umgemodelten Auffassung der Beziehung zwischen Geist und Welt« (D. Davidson, Der Mythos des Subjektiven, in: Ders., Mythos des Subjektiven 84-107, 91). 193 D. Davidson, Denken und Reden 245.

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der Dinge, mit Bezug auf die jemand das Richtige glaubt, desto schärfer umrissen sind seine Irrtümer. Durch zu viele Fehler wird einfach der Brennpunkt unscharf«194. Darüber hinaus jedoch impliziert das >principle of charity< die Notwendigkeit eines vorgängigen und gemeinsamen Weltbezugs von Sprecher und Interpret. Das Phänomen des sprachlichen Verstehens läßt sich nur unter der Voraussetzung einsichtig machen, daß Sprecher und Interpret in einer gemeinsamen Welt leben, die ihrerseits bereits durch das vorgängige Wahrheitsverständnis des Interpreten sprachlich eröffnet und vermittelt ist. Damit erweist sich dieses Wahrheitsverständnis als der uhhintergehbare Bezugsrahmen, um die sprachliche Vermitteltheit der Welt ebenso wie die grundsätzliche Welthaftigkeit der Sprache zum Ausdruck bringen zu können. Die Differenz von Sprache und Welt verliert so ihre epistemologische Relevanz. Die Vermittlung zwischen sprachlicher Aussage und nichtsprachlichem Sachverhalt muß nicht erst aufwendig gesichert werden, sondern liegt dieser Differenz immer schon im Rücken. Dann aber verliert auch die Annahme eines der Sprache gegenüberstehenden >Gegebenen< einer uninterpretierten oder theorieneutralen Realität - ihre Plausibilität. Es läßt sich nicht mehr zum Ausdruck bringen, wie ein solches >Gegebenes< sinnvoll expliziert und die Relation ihres >Gegenübers< zur Sprache präzise formuliert werden könnte. Somit führt gerade die konsequente Ausarbeitung einer wahrheitskonditionalen Semantik zu der Einsicht, daß sich dem klassischen Gegenüber von Sprache und Welt kein verständlicher Sinn mehr abgewinnen läßt. Auch in ihrer um die beiden Quineschen Dogmen des Empirismus verkürzten Fassung - als das Gegenüber von sprachlichem Begriffsschema und empirischem Gehalt - stellt diese Differenz vor die Schwierigkeit, daß sie der durch den Wahrheitsbegriff angezeigten semantischen Vermittlung zwischen einer Aussage und ihren Wahrheitsbedingungen keinen relevanten epistemologischen Aspekt mehr hinzuzufügen vermag: »Ich möchte behaupten, daß sich dieser ... Dualismus von Schema und Inhalt, von ordnendem System und etwas, was darauf wartet, geordnet zu werden, weder verständlich machen noch rechtfertigen läßt. Er ist seinerseits ein Dogma des Empirismus, das dritte Dogma. Das dritte und vielleicht das letzte, denn wenn wir dieses Dogma fallenlassen, ist nicht klar, ob überhaupt noch etwas Spezifisches übrigbleibt, was Empirismus zu nennen ist«195. Damit gelingt es Davidson, unter Wahrung der antirealistischen Intentionen des Verifikationismus dessen Aporien zu unterlaufen und so der analytischen Sprachphilosophie ein neues Problemniveau zu erschließen. Die grundlegende Einsicht in die durch ein vorgängiges Wahrheitsverständnis eröffnete Vermitteltheit von Sprache und Welt ermöglicht nicht nur eine Verknüpfung der wahrheitskonditionalen Semantik mit der Ebene des sprachlichen Gebrauchs, sondern hat überdies zur 194 D. Davidson, aaO. 244. 195 D. Davidson, Begriffsschema 270.

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Folge, die problematische Voraussetzung einer epistemologisch aufgeladenen Differenz von Sprache und Welt ein für alle Mal hinter sich lassen zu können. Die vorangehende Skizze der analytischen Sprachphilosophie zeitigt für die nun anstehende Darstellung und Auseinandersetzung mit der analytischen Religionsphilosophie einen doppelten Ertrag: Zunächst weist sie den sprachphilosophischen Rahmen auf, innerhalb dessen die jeweiligen religionsphilosophischen Ansätze ihren Ort haben. Dies gilt auf der einen Seite für die frühe >empiristische< Phase der analytischen Religionsphilosophie. Im Modus der direkten Aufnahme oder doch zumindest einer indirekten Abhängigkeit bildet der verifikationistische Sprachbegriff des Logischen Empirismus die selbstverständliche Grundlage, um das Phänomen der religiösen Rede einer sprachphilosophischen Analyse und Kritik unterziehen zu können. Damit kommt die religiöse Rede ausschließlich unter der Perspektive eines vorgängigen und allgemeinen Sprachbegriffs in den Blick. Es erscheint daher verständlich, wenn schließlich auf der anderen Seite der Versuch unternommen wird, entgegen einer sprachphilosophischen Vereinnahmung religiöser Rede die irreduzible Selbständigkeit der Religion in den Vordergrund zu rücken. Dieser Umschwung in der analytischen Religionsphilosophie geht zwar einher mit einer >epistemischen Wendeepistemologischen< Phase niemals bis zu dem Punkt vorgestoßen, das Verhältnis von Sprache und Welt eigens zum Thema zu machen. Vielmehr wird sich zeigen, daß durchgängig und unausgesprochen ein strikter erkenntnistheoretischer und sogar ontologischer Realismus die Grundlage bildet, um die Frage nach der Begründung religiöser Äußerungen zu beantworten oder selbst wieder auf ihre theologische Legitimität hin zu befragen. Damit wiederholt sich auch hier die Beobachtung, daß die Auseinandersetzung um das Phänomen der religiösen Rede von vornherein im Bann eines allgemeinen Sprachbegriffs steht. Die Einsicht in diese Aporetik des Verhältnisses von religiöser Eigenständigkeit und allgemeiner Sprachlichkeit läßt sodann eine erneute Hinwendung zur aufgewiesenen Problemlage der analytischen Sprachphilosophie geraten sein. Denn unter der Annahme, daß der realistische Sprachbegriff vor unüberwindliche Schwierigkeiten stellt, wird die Frage umso dringlicher, warum die analytische Religionsphilosophie unbeirrt auf der Fortführung ihres Realismus beharrt. Eine Antwort ergibt sich aus einem Blick auf die Konsequenzen, die die Verabschiedung eines epistemologischen relevanten Verständnisses des Gegenübers

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von Sprache und Welt nach sich zieht. Vor allem Davidson hat nachdrücklich auf zwei Folgerungen aufmerksam gemacht196: (1) Auf der einen Seite fällt mit der Preisgabe des Dualismus von Schema und Gehalt die Möglichkeit dahin, sich auf ein uninterpretiertes >Gegebenes< berufen zu können. (2) Auf der anderen Seite aber läßt sich auch jene >internalistische< oder gar relativistische Auffassung nicht mehr aufrecht erhalten, die sich ausgehend von der Unterscheidung zwischen Begriffsschema und empirischem Gehalt zu der These versteigt, daß es plurale Schemata geben könne, die - obgleich vielleicht sogar inkommensurabel - eine jeweils >wahre< Interpretation der Welt lieferten. Scheitern alle Versuche, der epistemologisch aufgeladenen Differenz von Schema und Gehalt einen verständlichen Sinn abgewinnen, verliert auch die These des internalistischen Pluralismus ihren Halt. Es wird sich nun zeigen, daß die analytische Religionsphilosophie gerade diese beiden destruierten Voraussetzungen in Anspruch nehmen muß, um ihre Eigenständigkeitsthese der Religion einlösen zu können: So läßt sich nur im Rückgriff auf die These eines uninterpretiert >Gegebenen< die These vetreten, daß die spezifische Religiosität religiöser Rede nicht auf der Ebene eines allgemeinen Sprachbegriffs verortet werden könne, sondern den Einbezug einer nichtsprachlich strukturierten Erfahrungssituation verlange. Der Rekurs auf den internalistischen Begriffspluralismus hingegen erweist sich als notwendig, um das religiöse Weltbild gegenüber den >externen< Begründungsansprüchen eines zu Unrecht als allgemein angesetzten Rationalitätsmodells abschotten zu können. Die mit theologischem Pathos eingeführte und epistemisch zugespitzte These einer religiösen Eigenständigkeit bedarf also um ihrer Durchführbarkeit willen der Verankerung in der Konzeption eines ontologischen Realismus. Das Scheitern dieses realistischen Unterbaus läßt auch die Durchführbarkeit der Eigenständigkeitsthese problematisch werden. Neben jene strukturelle Aporie, die Eigenständigkeit nur von Gnaden einer vorausgesetzten Allgemeinheit aus explizieren zu können, tritt die andere Schwierigkeit, als diese Allgemeinheit einen Sprachbegriff wählen zu müssen, der sich als offensichtlich unhaltbar erweist. Selbst wenn es gelingen sollte, die Eigenständigkeit der Religion konsequent >von innen her< zu entfalten, bliebe immer noch zu fragen, ob ein derartiger, nun >theologischer< Realismus den kritischen Einwänden gegen realistische Konzeptionen insgesamt standzuhalten vermöchte. 196 Vgl. D. Davidson, Begriffsschema 28If.: »Es wäre verfehlt, zusammenfassend zu behaupten, wir hätten gezeigt, wie Verständigung zwischen Leuten mit verschiedenen Schemata möglich ist: ein Verfahren, das funktioniert, ohne zu benötigen, was es nicht geben kann, nämlich eine neutrale Grundlage oder ein gemeinsames Koordinatensystem. Denn wir haben keine verständliche Basis gefunden, auf der sich die These aufstellen ließe, es gebe verschiedene Schemata. Ebenso verfehlt wäre es, die prächtige Nachricht zu verkünden, der ganzen Menschheit - oder zumindest allen, die eine Sprache sprechen - sei das gleiche Schema und die gleiche Ontotogie gemeinsam. Denn wenn wir nicht verständlich behaupten können, die Schemata seien verschieden, kann es auch nicht sinnvoll sein, zu sagen, es gebe nur eines«; vgl. ebenfalls Ders., Mythos des Subjektiven 85-91.

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Kapitel 1: Sprache und Bedeutung in der analytischen Philosophie

Diese aussichtslose Lage nötigt schließlich dazu, die Motive und Voraussetzungen der Eigenständigkeitsthese selbst in den Blick zu nehmen. Hier wird deutlich, daß sich die Behauptung religiöser Eigenständigkeit als die notwendige Konsequenz einer Auffassung von Religion darstellt, die dieser die Aufgabe zuweist, ein umfassendes >Weltbild< zu entwickeln. Der entscheidende Schnitt muß also dort angesetzt werden. Allerdings ist es erst Wittgenstein, der die sprachphilosophische Realismuskritik zu einer umfassenden Destruktion metaphysischer und theologischer Sinnkonstruktionen ausweitet und so den Boden freilegt, um aus funktionaler Perspektive der Eigenart und Leistungsfähigkeit religiöser Vorstellungen und >Bilder< Rechnung zu tragen.

Kapitel 2

Die Anfänge der analytischen Religionsphilosophie Im Jahre 1936 veröffentlicht der gerade 25jährige Alfred J. Ayer ein Buch unter dem Titel >Language, Truth and Lx>gicklassische< Darstellung der Entwicklung der analytischen Religionsphilosophie bis zum Beginn der siebziger Jahre findet sich bei I.U. Dalferth, Einführung in die analytische Religionsphilosophie und Theologie, in: Ders. (Hg.), Sprachlogik des Glaubens. Texte analytischer Religionsphilosophie und Theologie zur religiösen Sprache, München 1974, 9-60. - Einen ausführlicheren Überblick bieten, allerdings auf höchst unterschiedlichem Niveau, P.J. Etges, Kritik der analytischen Theologie. Die Sprache als Problem der Theologie und einige Neuinterpretationen der religiösen Sprache, Hamburg 1973; H. Hofmeister, Wahrheit und Glaube. Interpretation und Kritik der sprachanalytischen Theorie der Religion, Wien 1978; W.D. Just, Religiöse Sprache und analytische Philosophie. Sinn und Unsinn religiöser Aussagen, Stuttgart 1975; J.A. Martin, Philosophische Sprachprüfung der Theologie, München 1974; H. Schrödter, Analytische Religionsphilosophie. Hauptstandpunkte und Grundprobleme, Freiburg 1979; J. Track, Sprachkritische Untersuchungen zum christlichen Reden von Gott, Göttingen 1977; sowie K. Wuchterl, Philosophie und Religion. Zur Aktualität der Religionsphilosophie, Bern 1982. Eine ausgezeichnete, wenngleich stark an Dalferths Vorgaben orientierte Zusammenfassung und von seinem eigenen theologischen Ansatz her pointierte Kritik des Entwicklungsgangs der analytischen Religionsphilosophie findet sich schließlich bei F. Wagner, Was ist Religion? Studien zu ihrem Begriff und Thema in Geschichte und Gegenwart, Gütersloh 1986, 397-439. - Es ist auffallend, daß auch neuere Darstellungen über die zu Beginn der siebziger Jahre bestehende Problemlage der analytischen Religionsphilosophie nicht hinausgehen. So arbeitet sich etwa A. Kreiner, Ende der Wahrheit? Zum Wahrheitsverständnis in Philosophie und Theologie, Freiburg 1992, 475-576, ein weiteres Mal an der empiristischen Falsifikationsdebatte ab, ohne die Problematik des zugrundeliegenden Sprachbegriffs und seine Weiterentwicklung in der analytischen Philosophie in den Blick zu nehmen. F.v. Kutschera, Vernunft und Glaube, Berlin 1991, zieht sich angesichts der Unentscheidbarkeit religiöser Annahmen über eine transzendente Wirklichkeit auf die These einer praktischen Bewährung des Glaubens zurück. Dabei liegt es wohl im einführenden Charakter seines Buches begründet, daß er gerade die entscheidende Frage nach der sprachphilosophischen Grundierung und religionsphilosophischen Vermittlung dieses Übergangs außer Acht läßt. Demgegenüber ist es das Verdienst von H.O. Jones, Die Logik theologischer Perspektiven. Eine sprachanalytische Untersuchung, Göttingen 1985, immerhin die >interpretativen< Konzepte der analytischen Religionsphilosophie ausgehend von Wisdom über Hare, Hick und Wittgenstein bis hin zu Barbour zusammengefaßt und für einen theologischen Ansatz der >Lebens-story< fruchtbar gemacht zu haben. Es liegt hier in der Themenstellung begründet, daß Jones nicht zu einer umfassenden Aufarbeitung der analytischen Religionsphilosophie vorstößt. Damit bestätigt auch er die Beobachtung, daß der zu Beginn der siebziger Jahre einsetzende Umbruch in der analytischen Religionsphilosophie bisher weitgehend unbeachtet geblieben ist. Dieser auffällige Tatbestand mag zwar dadurch bedingt sein, daß die analytische Religionsphilosophie zunehmend

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Kapitel 2: Die Anfänge der analytischen Religionsphilosophie

enthalts in Wien mit dem Wiener Kreis in Berührung kommt und an seinen Sitzungen teilnimmt3, faßt darin nicht nur die Intentionen des Logischen Empirismus zusammen, sondern weitet dessen antimetaphysische Stoßrichtung erstmals explizit zu einer grundsätzlichen Religionskritik aus. Unter der Perspektive des Verifikationsprinzips, so lautet seine These, erweisen sich alle religiösen Aussagen als sinnlos: »The point which we wish to establish is that there cannot be any transcendent truths of religion. For the sentences which the theist uses to express such >truths< are not literally significant«4. Mit dieser Einfügung der Religion in den Horizont eines empiristischen Sprachbegriffs konstituiert Ayer eine Problemlage, die für die weitere Entwicklung der analytischen Religionsphilosophie bestimmend geworden ist. Bis weit in die sechziger Jahre hinein steht sie unter dem Bann des von ihm aufgeworfenen Sinnlosigkeitsverdikts. Dazu trägt zunächst der Umstand bei, daß die >klassische< Religionskritik durch ihre verifikationistische Reformulierung nochmals eine Radikalisierung zu erfahren scheint. Es geht nicht mehr nur darum, ob religiöse Aussagen faktisch wahr oder falsch sind. Im Vordergrund steht vielmehr die andere Frage, ob diese Aussagen überhaupt mit Recht einen Wahrheitsanspruch erheben können: »Religions make putative truth-claims which are integral and central to them, but it is not evident how they could be genuine truth-claims at all«5. Hinzu kommt, daß Ayers Angriff auf die Sinnhaftigkeit religiöser Aussagen zu Beginn der fünfziger Jahre eine falsifikationistisch gewendete Neuauflage findet. Antony Flew vertritt die These, daß sich religiöse Aussagen der Möglichkeit einer empirischen Falsifizierbarkeit grundsätzlich entziehen und daher nicht als Behauptungen gelten könnten: »If there is nothing which a putative assertion denies then there is nothing which it asserts either: and so it is not really an assertion«6. Zur Veranschaulichung greift er auf eine Parabel zurück, die sich erstmals in einem Aufsatz von John Wisdom findet7. Darin hatte dieser nach dem

3 4 5 6 7

die klassischen Themenbestände wiederentdeckt. In den Vordergrund rücken dabei die Probleme der Gottesbeweise, der philosophischen Gotteslehre und der Theodizee. Doch umgekehrt erfahren auch die anfanglichen Fragen nach Sinn, Status und epistemischer Rechtfertigung religiöser Aussagen eine postempiristisch gewendete Aufnahme und Weiterführung. Insofern ist es von besonderem Interesse, das religionsphilosophische Problemniveau mit der Diskussionslage in der analytischen Sprachphilosophie und Erkenntnistheorie zu vergleichen und von dort aus den Entwicklungsgang der analytischen Religionsphilosophie über den Stand zu Beginn der siebziger Jahre hinaus nachzuzeichnen. Vgl. R. Haller, Neopositivismus. Eine historische Einführung in die Philosophie des Wiener Kreises, Darmstadt 1993, 253. A.J. Ayer, LTL 123. K. Nielsen, Scepticism, London 1973, 21f. A. Flew, Theology and Falsification, in: Ders., A. Maclntyre (Hgg.), New Essays in Philosophical Theology, London 1955,51966, 96-99, 98. Vgl. J. Wisdom, Gods, in: PAS 45 (1944/45), 185-206, wieder in Ders., Philosophy and Psycho-Analysis, Oxford 1953, 149-168, dt. Götter, in: I.U. Dalferth (Hg.), Sprachlogik des Glaubens 63-83, 69f.

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Ayerschen Sinnlosigkeitsverdikt die religionsphilosophische Debatte neu in Gang zu setzen versucht. Seine Überlegungen heben darauf ab, die empiristische Engführung religiöser Aussagen in Richtung auf einen >interpretativen Holismus< zu überwinden. Religiöse Aussagen ließen sich nicht auf den Status verifizierbarer Hypothesen reduzieren, sondern hätten ihre Eigenart darin, dem Menschen ein übergreifendes Interpretationsmodell der Wirklichkeit darzubieten. Indem nun Flew die Wisdomsche Parabel aufnimmt und nach seinen Interessen umgestaltet, kommt es zu einer für die Entwicklung der analytischen Religionsphilosophie folgenreichen Weichenstellung: Die Pointe des Wisdomschen Ansatzes, die eng gesteckten Grenzen des empiristischen Sprachbegriffs überwinden zu wollen, rückt in den Hintergrund. Flew gelingt es, den Sprachbegriff des Logischen Empirismus als die selbstverständliche und unhinterfragte Grundlage der analytischen Religionsphilosophie zu etablieren. Die Falsifizierbarkeitsdebatte beherrscht nahezu konkurrenzlos die Szene; in immer neuen Anläufen wird der Versuch unternommen, den empirischen >Gehalt< religiöser Aussagen zu erweisen oder zu bestreiten, und selbst dort, wo nach alternativen Bestimmungen des Sinns religiöser Aussagen gesucht wird, bleibt das Zentrum jenes Sprachbegriffs - das realistisch verstandene Gegenüber von Sprache und Welt unbestritten in Geltung. Erst allmählich finden auch Wisdoms Überlegungen eine erneute Aufnahme. Der Rekurs auf den Interpretationsgedanken scheint nun eine Möglichkeit zu eröffnen, um sich aus dem empiristischen Umfeld des Sinnlosigkeitsverdikts absetzen und auf eine eigenständige Funktionsbestimmung religiöser Aussagen besinnen zu können. Im Anschluß an den späten Wittgenstein und die aufkommende >ordinary language philosophy< bilden sich zunehmend religionsphilosophische Ansätze heraus, die jenseits des empiristischen Sprachbegriffs Fuß zu fassen versuchen und ihr Augenmerk auf die Vielfalt des vorfindlichen religiösen Sprachgebrauchs richten. Für die erste Phase der analytischen Religionsphilosophie ergibt sich daraus folgendes Bild: Auf der einen Seite steht die unumschränkte Vorherrschaft des empiristischen Sprachbegriffs. Die Angriffe von Ayer und Flew geben den Rahmen vor, innerhalb dessen sich die religionsphilosophische Debatte zu bewegen hat: Die religiöse Rede muß sich im Horizont jenes Sprachbegriffs verorten lassen, soll sie erfolgreich gegen den Vorwurf der Sinnlosigkeit verteidigt werden können. Auf der anderen Seite jedoch lassen sich - wenngleich zunächst nur vereinzelt - Stimmen vernehmen, die dieser empiristischen Engführung kritisch gegenüberstehen. Sie verwahren sich gegen die Unterstellung, religiöse Aussagen als empirische Hypothesen auffassen zu müssen, und verweisen stattdessen auf eine Vielzahl von Funktionsweisen religiöser Rede, die sich gerade nicht in das kognitive Schema des Gegenübers von Sprache und Welt einspannen ließen. Im Hintergrund steht der betonte Versuch, die Religion aus ihrer Einbettung in einen vorgängigen Sprachbegriff herauszulösen und als eigenständige Größe zu explizieren. Zwar beschränkt sich diese Eigenständigkeitsforderung zunächst

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auf die Kritik einer empiristischen Engführung der Religion: Es geht nicht um die Ablehnung der sprachphilosophischen Verankerung überhaupt, sondern lediglich um die Betonung der Unangemessenheit eines empiristischen Sprachbegriffs. Doch schon bald erfährt dieser Ansatz eine grundsätzliche, theologisch motivierte Ausweitung. Im Zuge der >epistemischen Wende< - des Übergangs von der Sinnproblematik religiöser Äußerungen zu der Frage nach ihrer epistemischen Rechtfertigung - wird jedweder Versuch einer sprachphilosophischen oder epistemologischen Vereinnahmung der Religion abgelehnt. Die >Religiosität< religiöser Rede lasse sich - um der ihr eigenen Sache willen - nur >von innen her< explizieren und könne daher weder einem allgemeinen Sprachbegriff ausgeliefert oder >externen< Begründungsansprüchen unterstellt werden. Die entscheidende Frage lautet also, ob sich diese emphatisch zugespitzte Eigenständigkeitsbehauptung überhaupt konsistent durchführen und vertreten läßt. Dazu ist es notwendig, in einem ersten Schritt die Entwicklungsgeschichte der analytischen Religionsphilosophie bis hin zu jener >epistemischen Wende< vor Augen zu führen. Denn die Eigenständigkeitsthese muß den Anspruch erheben, in ihrer Explikation der >Religiosität< religiöser Rede die Voraussetzungen jenes empiristischen Sprachbegriffs gänzlich überwunden zu haben. Die Aufgabe der folgenden Ausführungen besteht also darin, in einem Durchgang durch die empiristische Phase der analytischen Religionsphilosophie nicht nur die faktische Auslieferung der Religion an den empiristischen Sprachbegriff aufzuweisen, sondern überdies dessen implizite Voraussetzungen hinreichend durchsichtig zu machen. Erst vor diesem Hintergrund wird es möglich sein, in einem zweiten Schritt die skizzierte Eigenständigkeitsthese einer angemessenen Prüfung unterziehen zu können. Aus dieser Perspektivierung ergibt sich folgender Gedankengang: Zunächst ist Ayers verifikationistisches Sinnlosigkeitsverdikt über die Religion in seinen sprachphilosophischen Prämissen ebenso wie seinen religionsphilosophischen Konsequenzen darzustellen (L). Dabei richtet sich das hauptsächliche Interesse auf die beiden Fragen, welche sprachphilosophische Intention Ayer mit seiner Aufnahme des Verifikationsprinzips verfolgt und welchem religionsphilosophischen Vorverständnis er sich verpflichten muß, um dieses Prinzip für religiöse Aussagen in Anschlag bringen zu können. Dabei wird sich zeigen, daß ein strikt realistisches Verständnis des Gegenübers von Sprache und Welt den Hintergrund abgibt für den semantisch eingefädelten Versuch, diese Differenz verifikationistisch zu vermitteln. Es wiederholt sich bei Ayer die grundlegende Aporetik des Verifikationismus: Der selbst noch epistemologisch befestigte Graben zwischen Sprache und Welt soll semantisch überwunden werden. Auf religionsphilosophischer Ebene ergibt sich daraus ein schlichter Theismus, der religiöse Aussagen auf den Status empirisch-wissenschaftlicher Hypothesen meint reduzieren zu können. Die Pointe der Ayerschen Religionskritik liegt gerade darin, daß er einen konstitutiven Zusammenhang herstellt zwischen jenem realistischen Sprachbegriff auf der einen und einem >kognitiven< Ver-

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ständnis religiöser Aussagen - als empirisch-wissenschaftlicher Behauptungen auf der anderen Seite. Es wird zu fragen sein, ob es der analytischen Religionsphilosophie je gelingen kann, diesen Zusammenhang wieder aufzulösen und so am Behauptungscharakter religiöser Äußerungen festzuhalten, ohne sich in die Netze eines vorgängigen realistischen Sprachbegriffs verstricken zu müssen. Einen ersten Vorstoß in diese Richtung unternimmt Wisdom, doch sein Ansatz eines >interpretativen Holismus< bleibt ohne größeren Einfluß. Stattdessen ist es Flew, der mit seiner falsifikationistischen Umdeutung der Wisdomschen Gärtnerparabel8 die empiristische Problemlage als für die weitere Entwicklung der analytischen Religionsphilosphie verbindlich festschreibt. Dieser Übergang von Wisdom zu Flew erfordert eine gesonderte Darstellung (2.). Dabei steht jedoch weniger der Ansatz Wisdoms im Vordergrund als vielmehr das Vorgehen von Flew. Da die empiristische Grundausrichtung der analytischen Religionsphilosophie hauptsächlich sein Werk ist, wird darauf zu achten sein, aus welchem Interesse heraus er hinter Wisdom auf den Logischen Empirismus zurückzugreifen versucht. Es wird sich zeigen, daß er dabei das Problemniveau der Ayerschen Religionskritik nicht zu halten vermag. Denn während dieser auf eine semantische Überwindung der Differenz von Sprache und Welt abhebt, fällt Flew auf eine schlichte Voraussetzung dieser Differenz zurück. Sein Falsifikationismus erweist sich als eine lediglich invertierte Fassung des Verifikationismus, doch ohne Einsicht in die mit diesem Programm ursprünglich verknüpfte Intention. Entsprechend bieten auch seine religionsphilosophischen Überlegungen keine neuen Anstöße. Die von Ayer übernommene Gleichsetzung religiöser Aussagen mit empirischen Hypothesen erstarrt zu einem Religionsverständnis, das diese auf die bloße Behauptung der Existenz Gottes reduziert. Der von Flew zementierte empiristische Sprachbegriff bleibt nun auch dort in Geltung, wo der Versuch unternommen wird, die Sinnhaftigkeit religiöser Aussagen zu verteidigen9. Dabei werden die sprachphilosophischen Prämissen zunächst übernommen, um sodann entweder gegen Ayer und Flew an einer bestimmten Form der Verifizierbarkeit10 respektive Falsifizierbarkeit1' religiöser Aussagen festzuhalten oder aber - in Übernahme auch der religionsphilosophi8 9

Vgl. dazu im folgenden. Eine Typologie der verschiedenen Versuche, auf Flews Falsifizierbarkeitsfordenmg zu antworten, findet sich bei I.U. Dalferth, Religiöse Rede von Gott, München 1981, 503f. 10 Vgl. vor allem J. Hick, Faith and Knowledge, Ithaca 1957, London 31988, 169-199; Ders., Theology and Verification, in: ThTo 17 (1960), 12-31, dt. Theologie und Verifikation, in: I.U. Dalferth (Hg.), Sprachlogik des Glaubens 146-166; sowie Ders., Eschatological Verifiaction Reconsidered, in: RelSt 13 (1977), 189-202, wieder in: Ders., Problems of Religious Pluralism, London 1985, 110-128, sowie in: A John Hick Reader, hg. von P. Badham, London 1990, 126-144. 11 Vgl. etwa B. Mitchell, Theology and Falsification, in: A. Flew, A. Maclntyre (Hgg.), New Essays in Philosophical Theology 103-105, dt. Theologie und Falsifikation, in: I.U. Dalferth (Hg.), Sprachlogik des Glaubens 90-92; und R.S. Heimbeck, Theology and Meaning. A Critique of Metatheological Scepticism, London 1969, bes. 166-203, 249260.

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sehen Konsequenzen beider - den Blick auf bestimmte >nichtkognitive< Funktionen religiöser Aussagen zu lenken. Exemplarisch für einen letzteren Ansatz steht der Versuch Richard Braithwaites, die Sinnhaftigkeit religiöser Aussagen im Rekurs auf ihre moralische Funktion einsichtig zu machen (3.). Doch mit seiner betont >nichtkognitiven< Bestimmung religiöser Aussagen erreicht er nicht mehr, als in negativer Abhängigkeit auf den empiristischen Sprachbegriff bezogen zu bleiben und dessen unbestrittene Vorherrschaft ex negative ein weiteres Mal zu bestätigen. Für seinen moralisch-funktionalen Ansatz ergeben sich daraus desaströse Konsequenzen: Es gelingt ihm nicht, ein Verständnis religiöser Aussagen auszuarbeiten, das diese als empiristisch verträglich und zugleich inhaltlich bestimmt auszuweisen vermag.

1. Alfred J. Ayer Die verißkationistische Religionskritik 1.1 Der sprachphilosophische Rahmen Ayer eröffnet seine Überlegungen mit der Frage: »What ist the purpose and method of philosophy?«12 Die Antwort findet sich in der Überschrift des ersten Kapitels; sie lautet kurz und bündig: »The Elimination of Metaphysics« (ebd.)13. Auch hinsichtlich der Durchführung dieser Aufgabe läßt er keinen Zweifel. Metaphysische Aussagen bezögen sich auf eine als erkenntnisjenseitig angesetzte >Realität< und seien daher schlicht sinnlos: »No statement which refers to a >reality< transcending the limits of all possible sense-experience can possibly have any literal significance« (LTL 14). Es ergebe sich also, »that the labours of those who have striven to describe such a reality have all been devoted to the produc12

A.J. Ayer, LTL 5. - Im folgenden beziehen sich die Seitenverweise im Text auf dieses Buch; zitiert wird nach der leicht zugänglichen Penguin-Ausgabe aus dem Jahr 1971. - Zu Ayer insgesamt ist vor allem auf die solide Darstellung von J. Foster, Ayer, London 1985, zu verweisen. Darüber hinaus werden einzelne Aspekte, besonders die Probleme des Verifikationsprinzips, behandelt in den Sammelbänden G.F. MacDonald (Hg.), Perception and Identity. Essays to Alfred J. Ayer, with His Replies, Ithaca 1979; G.F. MacDonald, C.Wright (Hgg.), Fact, Science and Morality. Essays an Alfred J. Ayer's Language, Truth and Logic, Oxford 1986; sowie B. Gower (Hg.), Logical Positivism in Perspective. Essays on Language. Truth and Logic, London 1987. Zu Ayers verifikationistischer Religionskritik vgl. die oben erwähnten Darstellungen der analytischen Religionsphilosophie; eine eigenständige Monographie fehlt und wäre auch nur insofern von Interesse, als Ayer in den späteren Jahren seine letztlich oberflächliche und von Ressentiments beladene Religionskritik - zumindest in Teilen - revoziert zu haben scheint; vgl. A.J. Ayer, The Central Questions of Philosophy, London 1973, dt. Die Hauptfragen der Philosophie, München 1976. 13 Vgl. dazu auch M. Williams, The Elimination of Metaphysics, in: G. MacDonald, C. Wright, Fact 9-25.

1. Alfred J.Ayer

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tion of nonsense« (ebd.). Mit diesen markigen Worten macht Ayer gleich zu Beginn deutlich, daß er die antimetaphysische Stoßrichtung des älteren Empirismus übernimmt und - im Anschluß an den Wiener Kreis - sprachphilosophisch zuspitzt. Seinen Ausgang nimmt er bei der empiristischen Grundthese, daß alle Erkenntnis ausschließlich auf Sinneserfahrung beruhen müsse, und stellt diese auf ein sprachphilosophisches Fundament: Ein Satz, der über die Grenzen möglicher Sinneserfahrung hinausgehe, sei ohne »literal significance« (LTL 14). Die Metaphysikkritik mündet so in die These, »that he [the metaphysician; ML] produces sentences which fail to conform to the conditions under which alone a sentence can be literally significant« (LTL 15). Doch ergibt sich nun für ihn die Aufgabe, ein Kriterium formulieren zu müssen, »which enables us to test whether a sentence expresses a genuine proposition about a matter of fact« (LTL 15f.). An dieser Stelle greift Ayer auf das Kriterium der empirischen Verifizierbarkeit zurück: »We say that a sentence is factually significant to any given person if, and only if, he knows how to verify the proposition which it purports to express that is, if he knows what observations would lead him, under certain conditions, to accept the proposition as being true, or rejecting it as being false« (LTL 16). Die Philosophie hat dabei die logische Struktur empirischer Sätze auf dieses Kriterium empirischer Signifikanz hin so durchsichtig zu machen, daß sich daraus die Bedingungen empirischer Verifizierbarkeit gewinnen lassen. In diesem Sinn hebt sie darauf ab, die logischen Verknüpfungsrelationen und die Verifikationsbasis empirisch-wissenschaftlicher Sätze aufzuklären und entwirft sich als »logic of science« (LTL 170). Umgekehrt hat sie im Zuge dieser Analyse das Scheitern der nur scheinbar sinnvollen >metaphysischen< Sätze am Kriterium der empirischen Signifikanz aufzuweisen und so die logisch-grammatischen Irrtümer ausfindig zu machen, die erst den Anschein entstehen lassen, als könnten diese Sätze im Sinne empirischer Hypothesen verstanden werden. Das Kriterium der empirischen Verifizierbarkeit wird mithin von Ayer ebenso wie im Wiener Kreis zunächst in der Funktion eines Entscheidungsverfahrens eingeführt, um die sinnvollen empirischen von den nur scheinbar sinnvollen >metaphysischen< Sätzen unterscheiden zu können. Doch auch er läßt es gleich darauf in den Status eines Bedeutungskriteriums einrücken: Die Bedeutung eines Satzes wird an die Methode seiner Verifikation geknüpft14. Seine Ausarbeitung stellt also vor die doppelte Aufgabe, die sprachphilosophischen Implikationen aufzuklären, die sich mit dem Ausdruck >factually significant verknüpfen, und sodann danach zu fragen, wie die Forderung nach empirischer Verifizierbarkeit präzisiert und eingelöst werden kann. Im Hintergrund des Verifizierbarkeitsprinzips steht auch bei Ayer ein streng dichotomischer Sprachbegriff, der die Klasse sinnvoller sprachlicher Äußerungen in empirisch-synthetische und logisch-analytische Sätze einteilt. Dabei gilt eine Aussage als analytisch, »when its validity 14

Vgl.A.J. Ayer, LTL 184.

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depends solely on the definition of the symbols it contains« (LTL 73). Als analytische Sätze in diesem Sinne bestimmt Ayer die Sätze der Logik und Mathematik15; sie erweisen sich als notwendig wahre Tautologien - bzw. notwendig falsche Kontradiktionen -, die in ihrer Ausrichtung auf die sprachlogische Form zwar durch keine Erfahrung widerlegt werden können, damit aber auch nichts über die Welt aussagen und insofern ohne jeden empirischen Gehalt sind: »They none of them provide any information about any matter of fact. In other words, they are entirely devoid of factual content. And it is for this reason that no experience can confute them« (ebd.). Freilich gelten sie dadurch nicht als sinnlos; stattdessen zielen sie darauf ab, die Implikationen des Sprachgebrauchs aufzuklären16. Demgegenüber ist eine Aussage synthetisch, »when its validity is determined by the facts of experience« (LTL 73). Anders als analytische haben synthetische Sätze einen empirischen Gehalt; sie lassen sich insofern als empirische Hypothesen bestimmen, die freilich niemals notwendig wahr, sondern stets nur mehr oder minder wahrscheinlich sein können: »It will be our contention that no proposition, other than a tautology, can possibly be anything more than a probable hypothesis« (LTL 19)17. Die Dichotomic zwischen analytischen und synthetischen Sätzen gründet in der Voraussetzung, zwischen sprachlogischer Form und empirischem Gehalt so unterscheiden zu können, daß sich analytische Sätze ausschließlich auf die logische Form beziehen und synthetische Sätze vollständig in die beiden Komponenten von Form und Gehalt zerlegen lassen. Für Ayer ergibt sich daraus eine befriedigende Verhältnisbestimmung von Philosophie und Wissenschaft: Während die Wissenschaften empirische Hypothesen formulieren und so >Wissen< über die Welt zu erlangen suchen18, zielt die Philosophie auf eine Analyse und Klärung der logischen Struktur dieser Hypothesen. Sie rückt damit in die Funktion eines wissenschaftsorientierten »department of logic« (LTL 44) ein.

Doch nun wird auch die besondere Pointe einsichtig, die sich aus der Unterscheidung zwischen logischer Form und empirischem Gehalt für die Frage nach der Bedeutung nichtanalytischer Sätze ergibt. Denn sie spitzt sich auf die Frage zu, »whether a sentence expresses a genuine proposition about a matter of fact« (LTL 15f.). Die Sinnhaftigkeit sprachlicher Äußerungen wird - insofern es sich nicht um analytische Sätze handelt - auf ihre kognitiv-wahrheitsdefinite Funktion reduziert, etwas über die empirisch erfahrbare Wirklichkeit auszusagen19. In diesem Sinne fallen für Ayer im Fall nichtanalytischer Sätze >factual meaning< und >literal meaning< in eins20: Die Klasse sinnvoller nichtanalytischer Sätze wird mit der Klasse empirischer Hypothesen identifiziert. Damit stellt sich die Frage, in welcher Weise dieser notwendige empirische Bezug sinnvoller Äußerungen bedeutungstheoretisch eingelöst wird. Ayer nimmt seinen Ausgangspunkt bei der These, die wahrheitskonditionale Bestimmung des Sinns sprachlicher Äußerungen in eine verifikationistische Bestimmung transformieren zu können. Die Wahrheitsbedingungen einer Aussage sol15 16 17 18 19

20

Vgl. A.J. Ayer, LTL71. Vgl. A.J. Ayer, LTL 74: »Although they give us no information about any empirical situation, they do enlighten us by illustrating the way in which we use certain symbols«. Vgl. A.J. Ayer, LTL 92. Vgl. A.J. Ayer, LTL 97. J. Foster, Ayer 5, legt dar, daß Ayer die Sinnhaftigkeit sprachlicher Äußerungen durch ihre Wahrheitskonditionalität geradezu definiert sein läßt: »It is precisely the capacity to be true or false which defines his notion of literal significance and his notion of a genuine proposition«. Vgl. A.J. Ayer, LTL 184.

1. Alfred J.Ayer

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len sich auf ihre Verifikationsbedingungen reduzieren lassen: Von der Wahrheit oder Falschheit einer Aussage könne nur im Hinblick auf die Bedingungen gesprochen werden, die sie als wahr oder falsch erweisen21. Ayer legt also alles Gewicht auf eine Explikation des Verifikationsbegriffs. Das Gelingen seiner verifikationistischen Programms hängt davon ab, die Struktur der empirischen Verifizierbarkeit angemessen zur Darstellung bringen zu können. Ayer führt sein Verifikationsprinzip zunächst in folgender Weise ein: »We say that a sentence is factually significant to any given person if, and only if, he knows how to verify the proposition which it purports to express - that is, if he knows what observations would lead him, under certain conditions, to accept the proposition as being true, or rejecting it as being false« (LTL 16). Die Verifizierbarkeit wird an das Vorliegen von Beobachtungen geknüpft, die eine bestimmte Aussage stützen oder schwächen. Diese Beobachtungen liefern also nicht mehr als eine »observational evidence«22 für oder gegen die Aussage; das Verifikationsprinzip ist, wenn es sich lediglich auf diese >Evidenzrelation< stützt, sehr weit formuliert. Doch bereits an dieser Stelle sieht sich Ayer zu zwei Einschränkungen genötigt: Er unterscheidet sowohl zwischen »practical verifiablity« und »verifiability in principle« (LTL 16) als auch zwischen einem >strengen< und einem >weichen< Verständnis von Verifizierbarkeit (vgl. LTL 18). Dabei übernimmt er in beiden Fällen die gemäßigtere Variante: So hätten auch Sätze als sinnvoll zu gelten, deren Verifikation zwar nicht aktuell vollzogen, deren Verifikationsmethode aber bekannt sei23; und entsprechend werde zuviel verlangt, wenn die Verifizierbarkeit so ausgelegt werde, daß ein Ausdruck nur dann als verifizierbar gelte, wenn »its truth could be conclusively established in experience« (LTL 18). Denn da eine empirische Aussage weder definitiv verifizierbar noch definitiv falsifizierbar sei, würde sich ein derartiges Kriterium selbst destruieren. Aus diesem Grund sei es ausreichend, einen Ausdruck als verifizierbar anzusehen, »if it is possible for experience to render it probable« (ebd.). Ayer faßt diese beiden Einschränkungen in eine leicht veränderte Fassung seines Verifikationsprinzips zusammen: »We say that the question that must be asked about any putative statement of fact is not, Would any observations make its truth or falsehood logically certain? but simply, Would any observations be relevant to the determination of its truth or falsehood?« (LTL 20). Die anfängliche >Evidenzrelation< zwischen Beobachtung und Aussage wird somit im Sinne eines Kriteriums >empirischer Relevanz< reformuliert: Eine Aussage erweist sich genau dann als empirisch verifizierbar - und somit sinnvoll -, wenn sich Beobachtungen angeben lassen, die für die Bestimmung ihrer Wahrheit oder Falschheit relevant sind. Allerdings ergeben sich auch an dieser Stelle Schwierigkeiten: Ayer selbst gesteht ein, daß der Rekurs auf eine bloße empirische Relevanz »uncomfortably vague« (LTL 179) sei - und in der Tat reicht diese Formulierung nicht hin, um zuverlässig zwischen sinnvollen und sinnlosen Sätzen unterscheiden zu können24. Daher gibt er eine nochmals veränderte Fassung an: »Let us call a proposition which records an actual or possible observation an experiential proposition. Then we may say that it is the mark of a genuine factual proposition, not that it should be equivalent to an experiential proposition, or any finite number of experiential propositions, but simply that some experiential propositions can be deduced from it in conjunction with certain other premises without being deducible from those other premises alone« (LTL 20). Im Vergleich mit den beiden früheren Formulierungen deutet sich nun eine Wende an: An die Stelle des »evidence-principle«25 tritt eine Auffassung, die die Verifizierbarkeit einer Aussage daran knüpft, in welcher Weise sie auf bestimmte >experiential propositions< zurückgeführt werden 21 22 23 24 25

Vgl. dazu bereits A.J. Ayer, A Demonstration of the Impossibility of Metaphysics, in: Mind 43 (1934), 335-345. J. Foster, Ayer 16. Vgl. A.J. Ayer, LTL 36. Ein einfaches Beispiel, das dieses Ungenügen belegt, findet sich bei J. Foster, Ayer 14. J. Foster, aaO. 22.

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kann. Diese >experiential propositions< aber- im Nachwort zur zweiten Auflage nennt Ayer sie »observation-statement[s]evidence-principle< oder >content-principle observation statement zurück. Darunter faßt er zwar »a statement >which records an actual or possible observation« (LTL 179), dennoch ist auffäl26

Ebd. - Zur philosophischen Relevanz dieser beiden unterschiedlichen Deutungen des Verifikationsprinzips als >evidence-principle< respektive >content-principle< vgl. im folgenden. 27 J. Foster, aaO. 17. 28 Vgl. A.J. Ayer, LTL 181: »I propose to say that a statement is directly verifiable if it is either itself an observation-statement, or is such that in conjunction with one or more observation-statements it entails at least one observation statement which is not deducible from these other premises alone; and I propose to say that a statement is indirectly verifiable if it satisfies the following conditions: first, that in conjunction with certain other premises it entails one or more directly verifiable statements which are not deducible from these other premises alone; and secondly, that these other premises do not include any statement that is not either analytic, or directly verifiable, or capable of being independently established as indirectly verifiable. And I can now reformulate the principle of verification as requiring of a literally meaningful statement, which is not analytic, that it should be either directly or indirectly verifiable, in the foregoing sense«. 29 Vgl. A. Church, Review of Language, Truth and Logic, 2nd edition, in: JSyL 14 (1949), 52f. 30 Zur Auseinandersetzung um die Frage einer angemessenen Formulierung des Ayerschen Verifikationsprinzips vgl. G.G. Hempel, Problems and changes in the empiricist criterion of meaning, in: RIPh 4 (1950), 41-63; R. Brown, J. Watling, Amending the Verification Principle, in: Analysis 11 (1951), 87-89; P. Nidditch, A defence of Ayer's Verifiability Principle against Church's criticisms, in: Mind 70 (1961), 88f.; I. Sheffler, The Anatomy of Inquiry, New York 1963, 154; J. Ullian, A Note on Sheffler on Nidditch, in: JPh 10 (1965), 274f.; L.J. Cohen, Is a Criterion of Verifiability Possible?, in: P.A. French u.a. (Hgg.), Midwest Studies in Philosophy, Bd. 5: Studies in Epistemology, Minneapolis 1980, 347-352; M.L. Prokriefka, Ayer's definition of empirical significance revisited, in: Analysis 43 (1983), 166-170; Ders., More on empirical significance, in: Analysis 44 (1984), 92f.; sowie den zusammenfassenden Überblick und eigenen Lösungsversuch bei C. Wright, Scientific Realism, Observation and the Verification Principle, in: G. MacDonald, C. Wright (Hgg.), Fact, Science and Morality. Essays on A.J.Ayers's Language, Truth and Logic, Oxford 1986, 247-274, 263-269.

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lig, daß Ayer den Status dieser Beobachtungssätze nicht weiter expliziert. Immerhin aber wird deutlich, daß sie in einer von anderen Sätzen hinreichend unterschiedenen Weise einen durch Beobachtungen gegebenen empirischen Gehalt zum Ausdruck bringen sollen. Auch wenn sie falsch sein können und sich so - wie alle empirischen Sätze - einer definitiven Verifikation notwendig entziehen, sieht Ayer mit ihnen die Möglichkeit empirischer Verifizierbarkeit überhaupt gegeben. Denn insofern sie eine nichtsprachliche Beobachtung sprachlich dokumentieren, leisten sie - auf welche Weise auch immer - die Umsetzung der beobachteten nichtsprachlichen Sachverhalte in den empirischen Gehalt einer sprachlichen Äußerung. Die Beobachtungssätze nehmen dadurch eine Sonderstellung ein, daß sie das empirisch >Gegebene< direkt sprachlich wiedergeben und so in einer besonderen Nähe zur nichtsprachlichen Realität stehen. Steht diese Klasse der Beobachtungssätze im Mittelpunkt des Verifikationsprinzips, erhält es durch Ayer eine äußerst strenge Fassung: »Not only does he require, of any factually significant statement, that it be open to observational evidence ... but he also requires that its content be purely observational - the kind of content which can be wholly covered by some sentence or infinite complex of sentences in an observational language«31. Ayer fordert die Übersetzbarkeit verifizierbarer Sätze in eine Beobachtungssprache und sieht sich insofern dazu genötigt, eine reduktionistische Position zu vertreten: »We must allow that the employment of a symbol is legitimate if it is possible, at any rate in principle, to give a rule for translating the sentences in which it occurs into sentences which refer to sense-contents« (LTL 148). Die Deutung des Verifikationsprinzips nach dem >content-principle< läuft also darauf hinaus, komplexere Aussagen - sollen sie verifizierbar und damit sinnvoll sein - als auf Beobachtungsaussagen reduzierbar erweisen zu müssen; und Ayer bestätigt diese Deutung des Verifikationsprinzips, indem er diese Konsequenz explizit zieht. Doch umgekehrt weist gerade die rekursive Fassung des Verifikationsprinzips eine Intention auf, die dem Reduktionismus strikt zuwiderläuft. Denn diese Fassung »is evidently designed, in the light of the then dominant perception of the architectonic of scientific theories, with the aim of legitimating the >literal significance< of any hypothesis of a reputable scientific theory«32. Diese Ausrichtung deutet auf ein nichtreduktives Verständnis theoretisch-wissenschaftlicher Sätze hin. Sie mündet in die Frage, ob sich auf der Grundlage des Verifikationsprinzips eine Auffassung entwickeln ließe, die »would hold that Statements are apt for the depiction of genuine fact only provided their truth would have a bearing on which observation statements could be expected to be true, but would eschew the demand that factually significant statements have a content which may be paraphrased, in whatever precise sense, in purely observational terms«33. Unter dieser Zielsetzung bietet sich die weniger strenge Deutung des Verifikationsprinzips nach dem >evidence-principle< an: Eine theoretische Aussage gilt demnach als empirisch verifizierbar nicht erst dann, wenn sie in direkte Beobachtungssätze übersetzt werden kann, sondern schon dann, wenn sie mit bestimmten Beobachtungen zusammenstimmt und sich in diesem Sinne als >empirisch adäquat< erweist34. Allerdings kann auch diese Deutung des Verifikationsprinzips nicht umhin, an einer ausgezeichneten Stellung der Beobachtungssätze festzuhalten. Eine nichtreduktionistische Deutung teilt mit der reduktionistischen die Voraussetzung, »that there is a class of statements of an epistemologically basic, non-theoretical sort, whose truth-values can be decided by observation«35. Denn soll die empirische Verifizierbarkeit darin bestehen, daß Gründe für oder gegen die Wahrheit einer Aussage angegeben werden können, dann muß auch die Forderung nach empirischer Adäquanz auf dieses Ziel hin zugespitzt werden. Dann aber reicht ein bloßes Ein31 J. Foster, Ayer 27. 32 C. Wright, Scientific Realism 249. 33 C. Wright, aaO. 251. - Wrights These lautet, daß Ayer gerade eine solche Auffassung habe vertreten wollen. Ihm sei es daher darum gegangen, »to provide for a kind of verificationist realism« (ebd.). 34 Vgl. B.v. Fraassen, The Scientific Image, Oxford 1980, 12; sowie C. Wright, Scientific Realism 270. 35 C. Wright, Scientific Realism 254.

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vernehmen zwischen theoretischen Sätzen und Beobachtungssätzen nicht mehr aus. Stattdessen ergibt sich nun auch hier, daß »reputable theoretical vocabulary ... an ancestral analytical dependence on observational vocabulary«36 haben muß, um an der wahrheitsdefiniten Ausrichtung des Verifikationsprinzips festhalten zu können.

Beide Deutungen des Verifikationsprinzips kommen darin überein, den Beobachtungssätzen einen besonderen Status zuweisen zu müssen. Um die Last der empirischen Verifikation tragen zu können, sollen sie sich durch ihren direkten Bezug zum empirisch >Gegebenen< von anderen Sätzen unterscheiden lassen. Diese anderen Sätze müssen dann ihrerseits, um als empirisch verifizierbar gelten zu können, mit jenen Beobachtungssätzen in einem - näher zu bezeichnenden - engen Zusammenhang stehen. Damit liegen die sprachphilosophischen Implikationen des Ayerschen Verifikationsprinzips offen zu Tage. Sie lassen sich in eben jene drei >Dogmen< zusammenfassen, die von Quine und Davidson als Kennzeichen des Empirismus aufgewiesen worden sind37. 1l) Ayers Sprachbegriff ist streng dichotomisch konzipiert und findet seinen Mittelpunkt in der Unterscheidung zwischen analytischen und synthetischen Sätzen. Zusammen bilden sie die Klasse aller sinnvollen Sätze überhaupt, so daß Ayer sein Verifikationsprinzip auch in der folgenden Weise formulieren kann: »A sentence had literal meaning if and only if the proposition it expressed was either analytic or empirically verifiable« (LTL 171). Diese Unterscheidung ermöglicht Ayer eine befriedigende Aufgabenbestimmung der Philosophie: Sie übernimmt die Funktion der logischen Analyse und Klärung des wissenschaftlichen Sprachgebrauchs. Doch überdies bildet sie die unerläßliche Voraussetzung für die Durchführbarkeit des Verifikationsprinzips. Denn erst unter der Voraussetzung jener Dichotomie erscheint es plausibel, neben den Sätzen, die sich ausschließlich auf die logische Form beziehen und insofern analytisch sind, bestimmte synthetische Sätze auszuzeichnen, die umgekehrt den empirischen Gehalt möglichst direkt zur Darstellung bringen. Die für das Verifizierbarkeitsprinzip notwendige Auszeichnung einer Klasse von Beobachtungssätzen setzt die Möglichkeit voraus, zwischen logischer Form und empirischem Gehalt unterscheiden und in >Sonderfällen< beide Komponenten voneinander abheben zu können. Dies kann jedoch seinerseits nur unter der Voraussetzung einer strikten Dichotomie zwischen analytischen und synthetischen Sätzen gelingen. (2) Die Auszeichnung einer Klasse von Beobachtungssätzen verdankt sich der Auffassung, daß diese Sätze in einem besonderen, direkten Verhältnis zu der von ihnen beobachteten >Realität< stehen. Die anderen, theoretisch höherstufigen Sätze sollen ihre empirische Verifizierbarkeit daraus gewinnen, daß sie sich - in welcher Weise auch immer - auf jene Beobachtungssätze zurückführen lassen. Damit sieht sich Ayer auf die Annahme einer sprachlichen Reduktionshierarchie verpflichtet, die komplexere sprachliche Ausdrücke auf Kombinationen einfacherer Ausdrücke zurückführen zu können erlaubt, an deren Ende schließlich 36 37

C. Wright, aaO. 270. Vgl. dazu oben Kapitel 1.

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elementare Beobachtungssätze stehen. Zwar muß diese Voraussetzung nicht in die Konzeption eines radikalen Reduktionismus münden, der die strikte Übersetzbarkeit theoretischer Aussagen in einfache Beobachtungssätze behauptet auch wenn Ayer dies zunächst anzunehmen scheint38. Doch entscheidend ist, daß eine subtilere Fassung des Reduktionismus unverzichtbar bleibt: Eine theoretisch höherstufige Aussage muß, soll sie als empirisch verifizierbar gelten, in einen engen Zusammenhang mit Beobachtungssätzen gebracht werden können, die ihn entweder bestätigen oder widerlegen. (3) Beide Voraussetzungen - die Dichotomie zwischen analytischen und empirischen Sätzen ebenso wie die reduktionistische These einer Zurückführbarkeit der theoretischen Sätze auf Beobachtungssätze - finden ihren zentralen Mittelpunkt in einer dritten Prämisse: Ayer operiert durchgehend mit der Unterscheidung zwischen sprachlogischer Form und empirischem Gehalt. Sie allein erlaubt es, theoretische Sätze und Beobachtungssätze über einen sprachlogischen Strukturrahmen miteinander zu verknüpfen und dennoch letzteren einen besonderen Status dadurch zuzuweisen, daß sie das empirisch >Gegebene< direkt zur Darstellung zu bringen vermögen. Damit rückt die Leitdifferenz des Ayerschen Verifikationismus in den Blick: Die Unterscheidung zwischen sprachlogischer Form und empirischem Gehalt hat ihre Wurzel in einer grundlegenden Differenz von Sprache und Welt. Diese wird so in Anschlag gebracht, daß die nichtsprachliche Realität im Sinne eines wenngleich unbestimmten - >Gegebenen< den sprachlichen Äußerungen gegenüberstehen soll. Die Verifikationsbeziehung zwischen Beobachtungssatz und Sachverhalt erscheint als eine Relation des >Zutreffens< mit dem Anspruch, kategorial Differentes in Beziehung setzen zu können. In dieser Fokussierung auf das realistische Gegenüber von Sprache und Welt liegt es letztlich auch begründet, daß die Sinnhaftigkeit sprachlicher Äußerungen von vornherein auf ihre >kognitive< Funktion eingeschränkt wird. Zugleich macht die empiristische Zuspitzung dieses Gegenübers einsichtig, warum jene >kognitive< Funktion an die Verifikations- statt die Wahrheitsbedingungen einer Aussage geknüpft wird. Die Unterscheidung zwischen Sprache und Welt soll sich dadurch als immer schon vermittelt erweisen, daß in den Beobachtungssätzen das empirisch >Gegebene< seine unmittelbare sprachliche Umsetzung findet. Auf diese Weise kann die Frage nach der Wahrheit einer Aussage auf jene andere Frage reduziert werden: »With regard to any proposition p, what are the conditions in which p (is true) and what are the conditions in which not-/??« (LTL 87). Es zeigt sich, daß Ayers Verifikationismus in einer strikt realistischen Auffassung des Verhältnisses von Sprache und Welt wurzelt. Diese Voraussetzung erklärt zunächst die spezifische Intention seiner semantischen Einführung des Verifikationsprinzips, läßt dann aber auch die Aporetik dieses Unterfangens deutlich vor Augen treten. Die Pointe des Ayerschen Verifikationismus besteht 38

Vgl. A.J. Ayer, LTL 148.

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darin, das Verifikationsprinzip bedeutungstheoretisch zuspitzen zu wollen. Auf diese Weise soll der klassische semantische Realismus, dessen Hiatus zwischen Bedeutung und Verifizierbarkeit die Metaphysik erst zu ermöglichen scheint, dadurch überwunden werden, daß mit der Verknüpfung jener beiden Relate die überkommene antimetaphysische Stoßrichtung sprachphilosophisch radikalisiert und jegliche Metaphysik schon im Ansatz als sinnlos aufgewiesen wird. Die empirische Verifizierbarkeit wird als alleiniges Sinnkriterium sprachlicher Äußerungen eingesetzt und die klassische Ausrichtung auf die Wahrheitsbedingungen einer Aussage durch die Angabe ihrer Verifikationsbedingungen abgelöst. Diese Umkehrung verdankt sich einer >externalistischen< Strategie, mit der an die Stelle des wahrheitskonditionalen Bedingungsgefüges und seiner semantischen Differenzierung zwischen Bedeutung und Verifikation der direkte Aufweis der empirischen Bestätigung einer Aussage als Kriterium ihrer Bedeutung treten soll. Doch dieser semantische >Kurzschluß< von Bedeutung und empirischer Verifizierbarkeit mündet nun in die unliebsame Konsequenz, nicht mehr hinreichend zwischen >wahr< und >glauben, daß wahr< unterscheiden zu können. Unter der Voraussetzung eines semantisch zugespitzten Verifikationsprinzips entfällt die Möglichkeit, die grundsätzliche Fallibilität sprachlicher Äußerungen zum Ausdruck bringen zu können. Denn die Reduktion der Bedeutung auf die Verifikationsbedingungen einer Aussage läßt keinen Raum mehr für eine Unterscheidung zwischen einer nur vorläufigen oder irrtümlichen >Verifikation< und einer tatsächlichen Verifikation. Wird die Bedeutung einer Aussage durch den Aufweis der Bedingungen ihrer empirischen Verifizierbarkeit konstituiert, so ist die definitive Entscheidbarkeit ihres Wahrheitswertes ein Korrelat ihrer Sinnhaftigkeit. Es entfällt die Möglichkeit, zwischen der epistemisch gerechtfertigten, aber irrtümlichen Behauptbarkeit und dem tatsächlichen Wahrheitserweis einer Aussage - wie immer dieser bestimmt sein mag - unterscheiden zu können. Die empiristische Verknüpfung von Bedeutung und Verifizierbarkeit schießt also weit über das Ziel hinaus. Die Folge ist ein grundsätzliches Dilemma: Der Verifikationismus zielt auf eine enge Verknüpfung von Sprache und Welt, kann diese aber nur so durchführen, daß er beide in eins fallen läßt. Es gelingt ihm nicht, den Graben zwischen Sprache und Welt so zu überbrücken, daß die Differenz von Behauptung und Geltung erhalten bleibt. Sprache und Welt fallen entweder auseinander oder ineinander; einen dritten Weg gibt es nicht. Damit rückt eben diese vorausgesetzte Differenz zwischen Sprache und Welt selbst in den Vordergrund. Ayer legt seiner semantisch eingefädelten Metaphysikkritik einen Sprachbegriff zugrunde, dessen problematische Fokussierung auf die Dichotomie von sprachlogischer Form und empirischem Gehalt die ursprüngliche Intention des Verifikationismus, den metaphysischen >Graben< zwischen Sprache und Welt sinnlogisch überwinden zu wollen, geradezu konterkariert. Der Versuch, die Differenz von Sprache und Welt dadurch zu entschärfen, daß die empirische Verifizierbarkeit zum Bedeutungskriterium erklärt wird, setzt eben diese Differenz erst in ihrer vollen Schärfe voraus.

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Denn die intendierte Verknüpfung von Bedeutung und Verifizierbarkeit fordert zunächst eine Unterscheidung zwischen logischer Form und empirischem Gehalt der Sprache. Nur auf der Grundlage dieser Unterscheidung ist es möglich, die vollständige logische Konstruierbarkeit der Sprache mit der Wahrung ihres empirischen Gehalts verknüpfen zu können, und dieser Zusammenschluß ist unumgänglich, wenn auch komplexere sprachliche Äußerungen - wie etwa die theoretischen Sätze der Naturwissenschaft - als sinnvoll aufrecht erhalten werden sollen. Sie müssen sich dann so auf einfachere Beobachtungssätze zurückführen lassen, daß umgekehrt der empirische Gehalt dieser Sätze durch die logischen Transformationen hindurch auch den komplexeren Sätzen zugerechnet werden kann. Die Unterscheidung zwischen logischer Form und empirischem Gehalt hat sodann aber ihren eigentlichen Grund in der Voraussetzung, mit der Herausschälung des empirischen Gehalts einer Aussage die Komponente namhaft machen zu können, die den unmittelbaren Zugang zu der in den Sinnesdaten >gegebenen< Realität garantiert. Die Beobachtungssätze markieren den Punkt, an dem die Sprache der sinnlich erfahrbaren Realität gegenübertritt und umgekehrt durch die sprachliche Dokumentation sinnlicher Beobachtungen die Aufnahme dieser Realität in die Sprache geleistet wird. Gerade die empiristische Fokussierung auf die direkte empirische Verifizierbarkeit einer Aussage setzt also - zumal in ihrer bedeutungstheoretischen Fassung - eine strikte Dichotomic zwischen Sprache und >gegebener< Realität voraus. Das Verifikationsprinzip bleibt in seiner Funktion darauf beschränkt, das vorausgesetzte Gegenüber von Sprache und Welt zu vermitteln, ohne diese Differenz selbst in den Blick nehmen zu können. Statt den semantischen Realismus in seiner Wurzel offenzulegen, wird dessen propagierte Überwindung selbst wieder >realistisch< ins Werk gesetzt - und muß daher zwangsläufig scheitern. Damit aber stellt sich die Frage, ob dieses Scheitern nicht schon darin begründet liegt, daß die Zielsetzung des Verifikationismus aus einer verfehlten Problemstellung herrührt. Diese Frage führt erneut zurück auf die zugrunde liegende Dichotomic zwischen Sprache und Welt: Lassen sich beide Relata tatsächlich so einander gegenüberstellen, daß die nichtsprachliche Realität als ein zwar unabhängig strukturiertes, dabei aber doch der Sprache unmittelbar zugängliches >Gegebenes< einsichtig gemacht werden kann? Der Verifikationismus meint, mittels der Sprache auf ein >Gegebenes< zugreifen zu können, das seinerseits der Sprache unabhängig gegenüberstehen soll. Beide Thesen lassen sich nicht konsistent vertreten. So sollen die Beobachtungssätze den unmittelbaren Zugang der Sprache zur nichtsprachlichen Realität gewährleisten. Sie dokumentieren die >Umwandlung< nichtsprachlicher Beobachtungen in die sprachliche Form des Satzes. Diese Transformation muß daher wie dies auch im einzelnen expliziert werden mag - als ein >Prozeß< dargestellt werden, der Nichtsprachliches und Sprachliches kausal miteinander verknüpft39. Für die Relation zwischen Aussage und Sachverhalt gilt dasselbe wie für die Relation zwischen Überzeugung und Sinnesdatum: »Die Beziehung zwischen einer Empfindung und einer Mei39 Vgl. etwa die Entwürfe einer kausalen Referenztheorie bei H. Putnam, Explanation and Reference, in: Ders., Mind, Language and Reality. Philosophical Papers, Vol. 2, Cambridge 1975, 196-214; Ders., The meaning of >meaningBedeutungProzesses< vollzieht sich selbst wieder innerhalb der Sprache und setzt damit auch das als nichtsprachlich postulierte >Gegebene< schon als sprachlich vermitteltes Gegebenes voraus. Die kausale Argumentation kann also gerade das nicht leisten, was sie zu leisten beansprucht: Die Relation zwischen Sprache und Welt läßt sich immer wieder nur sprachlich explizieren und vermag damit auf das nichtsprachlich >Gegebene< nur insofern Bezug zu nehmen, als es schon sprachlich als dieses >Gegebene< bezeichnet wird. Vor diesem Hintergrund wird einsichtig, daß sich auch die These einer sprachunabhängig strukturierten Realität nicht sinnvoll explizieren läßt. Denn die Kritik an der Vorstellung eines sprachlichen Zugangs zu einem nichtsprachlich >Gegebenen< zielt nicht auf die skeptische Konsequenz einer gänzlichen Unzugänglichkeit der nichtsprachlichen Realität, sondern versucht gerade diese Annahme selbst in Zweifel zu ziehen: Da das als nichtsprachlich postulierte >Gegebene< immer schon ein sprachlich >Gegebenes< ist, läßt sich die Annahme einer sprachunabhängig strukturierten Realität gar nicht konsistent vertreten. Allerdings kann diese Konsequenz auch im Zuge einer Auseinandersetzung mit dem Verifikationsprinzip aufgewiesen werden. Denn es stellt sich die Frage, woraufhin überhaupt sichergestellt ist, daß das, was als Verifikation einer Aussage in Anspruch genommen wird, tatsächlich das ist, was die Aussage verifiziert: Was ist es, das eine Verifikation als Verifikation auszuweisen erlaubt? Der bloße Hinweis auf den - verifizierenden - Sachverhalt selbst reicht nicht aus. Denn dieser Sachverhalt ist erst dann als Verifikation verfügbar, wenn schon gewußt wird, daß er die Aussage verifiziert. Dann aber kann es nicht mehr die Verifikation sein, die die Bedeutung eines Satzes vermittelt. Diese These setzt immer schon voraus, was sie erklären soll: Nicht die Verifikation konstituiert die Bedeutung, sondern erst auf der Grundlage der Bedeutung gibt es Verifikation. Daraus folgt zugleich, daß ein Wissen um die nichtsprachliche Realität schon vorausgesetzt werden muß, wenn von der empirischen Verifizierbarkeit eines Satzes gesprochen werden können soll. Dann aber kann diese Realität auch nicht mehr als gänzlich nichtsprachlich strukturiert bestimmt werden. So wie das, was als relevantes Verifikationsdatum angesehen wird, bereits einen sprachlichen Bedeutungshorizont voraussetzt, innerhalb dessen erst eine Verifikation als Verifikation konstatiert werden kann, so setzt auch die Rede von einer empirischen Realität einen Interpretationsrahmen voraus, der erst die Realität als bestimmte 40

D. Davidson, Eine Kohärenztheorie der Wahrheit und der Erkenntnis, in: P. Bieri (Hg.), Analytische Philosophie der Erkenntnis, Ffm 1987,21992, 271-290, 277; vgl. dazu auch Ders., Externalisierte Erkenntnistheorie, in: Ders., Mythos des Subjektiven. Philosophische Essays, Stuttgart 1993, 65-83.

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Realität auszuweisen erlaubt. Die These einer sprachunabhängig strukturierten Realität ist inkonsistent, da sie implizit in Anspruch nehmen muß, was sie explizit zu leugnen versucht: Die sprachunabhängige Struktur muß, soll sie erkannt werden können, als schon sprachlich vermittelte - und damit nicht mehr sprachunabhängige - Struktur vorausgesetzt werden.

1.2 Die religionsphilosophischen Konsequenzen Der bisherige Durchgang durch Ayers sprachphilosophischen Ansatz führt zu folgendem Ergebnis: Seine semantische Aufnahme und Zuspitzung des Verifikationsprinzips verdankt sich dem Versuch, den metaphysischen >Graben< zwischen Sprache und Welt schließen zu wollen. Doch gerade der Rückgang auf das Prinzip der empirischen Verifizierbarkeit setzt diesen Graben selbst wieder voraus. Die originäre Einsicht des empiristischen Verifikationismus besiegelt so zugleich sein Scheitern: Die Verknüpfung von Bedeutung und Verifikation schließt an der Oberfläche kurz, was in der Tiefe als Differenz vorausgesetzt und befestigt wird. Dieser semantische Verifikationismus auf realistischer Grundlage bildet nun den Hintergrund für Ayers Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Religion. Dabei spitzt er die Frage nach der Sinnhaftigkeit oder Sinnlosigkeit religiöser Aussagen von vornherein auf die Behauptung der Existenz Gottes zu und unterzieht diese einer doppelten Kritik. Ein erstes Argument hebt auf die Unbeweisbarkeit der Existenz Gottes ab. Denn eine deduktive Ableitung der Existenz Gottes müßte notwendig wahre Prämissen voraussetzen, als welche nach Maßgabe des dichotomischen Sprachbegriffs nur analytische Sätze in Frage kämen. Diese aber verdankten ihre apriorische Geltung dem Umstand, daß sie nichts über die Welt aussagten und sich so als Tautologien erwiesen. Da aus Tautologien nur wieder Tautologien abgeleitet werden könnten, ergäbe sich also, daß die Behauptung der Existenz Gottes, solle sie etwas über die Welt aussagen, nicht auf deduktivem Wege sichergestellt werden könne: »We know that the reason why a priori propositions are certain is that they are tautologies. And from a set of tautologies nothing but a further tautology can be validly deduced. It follows that there is no possibility of demonstrating the existence of a god« (LTL 119f.). Ein zweites Argument dient dem Nachweis, daß die Behauptung der Existenz Gottes nicht nur nicht bewiesen, sondern nicht einmal wahrscheinlich gemacht werden könne. Denn in diesem Fall müßte sich die Behauptung der Existenz Gottes als empirische Hypothese ausweisen lassen. Das aber hätte zur Bedingung, daß »it would be possible to deduce from it, and other empirical hypotheses, certain experiential propositions which were not deducible from those other hypotheses alone« (LTL 120). Diese Bedingung sei jedoch nicht erfüllbar, da Gott als ein »transcendent being« (ebd.) vorausgesetzt werde und sich so die

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Behauptung seiner Existenz per definitionem einer empirischen Validierbarkeit entziehe. Somit könne sie weder als Erfahrungsaussage noch als empirische Hypothese gelten, sondern müsse als >metaphysische< Aussage bezeichnet werden. Nimmt man beide Argumente zusammen, so münden sie in die unausweichliche Konsequenz, die religiöse Behauptung der Existenz Gottes zu den metaphysischem Aussagen zählen und mithin als sinnlos bezeichnen zu müssen: »To say that >God exists< is to make a metaphysical utterance which cannot be either true or false« (LTL 120). Den entscheidenden Grund dafür sieht Ayer in dem von der Religion vorausgesetzten Begriff Gottes als eines transzendenten Wesens: »The notion of a person whose essential attributes are non-empirical is not an intelligible notion at all« (LTL 122). Dabei ist das Sinnlosigkeitsverdikt sorgfältig von der Haltung eines Atheisten zu unterscheiden. Denn während dieser die Frage nach der Existenz Gottes sehr wohl für sinnvoll hält, wenngleich er sie verneint, zielt Ayer auf den Nachweis, »that the sentences in question do not express propositions at all« (LTL 121). Ayers verifikationistische Religionskritik bringt also eine nochmalige Radikalisierung mit sich: Die religiöse Behauptung der Existenz Gottes wird nicht einmal für falsch gehalten, sondern darüber hinaus für gänzlich sinnlos erklärt. Auf diese Weise unterbindet sie jeglichen Versuch, mit rationalen Gründen für oder wider die Religion einzutreten. Denn es steht nicht mehr nur die Wahrheit oder Falschheit religiöser Behauptungen selbst, sondern sogar die Möglichkeit ihrer Wahrheit oder Falschheit in Frage. Daher kann es nach Ayer auch keine Spannung zwischen Religion und Wissenschaft geben: »As far as the question of truth or falsehood is concerned, there is no opposition between the natural scientist and the theist who believes in a transcendent god. For since the religious utterances of the theist are not genuine propositions at all, they cannot stand in any logical relation to the propositions of science« (LTL 123). Der Eindruck eines Antagonismus zwischen Religion und Wissenschaft verdanke sich vielmehr der Tatsache, daß die Intention der Wissenschaft dem Entstehungsmotiv der Religion zuwiderlaufe: »For it is acknowledged that one of the ultimate sources of religious feeling lies in the inability of men to determine their own destiny; and science tends to destroy the feeling of awe with which men regard an alien world, by making them believe that they can understand and anticipate the course of natural phenomena, and even to some extent control it« (ebd.). Der Rekurs auf die mangelnde empirische Verifizierbarkeit religiöser Sätze erlaubt es Ayer auch, das Argument aus der religiösen Erfahrung zu widerlegen. Denn da sich die These einer unmittelbaren Erfahrung Gottes nicht in der Faktizität eines religiösen Gefühls erschöpfe, sondern auf die Behauptung abziele, »that there exists a transcendent being who is the object of this emotion« (LTL 125f.), müsse sich - nach empiristischer Auffassung - diese Behauptung empirisch verifizieren lassen. Dies aber habe sich gerade als unmöglich erwiesen, so daß auch das Argument aus der religiösen Erfahrung die kognitive Sinnhaftigkeit religiöser Aussagen nicht zu sichern vermöge. Ayer kann somit feststellen: »The

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fact that people have religious experiences is interesting from the psychological point of view, but it does not in any way imply that there is such a thing as religious knowledge« (LTL 126)41. Ayer rückt in eigentümlicher Weise das Problem der Existenz Gottes in den Mittelpunkt seiner Religionskritik. Liegt hier schon eine bemerkenswerte Engführung des Religionsbegriffs, so wird diese durch seine Bestimmung dessen, was unter >Gott< zu verstehen sei, nochmals zugespitzt. Denn Ayer unterstellt dem Christentum gemeinsam mit den anderen »sophisticated religions« (LTL 122) einen schlichten theistischen Gottesbegriff: »The >person< who is supposed to control the empirical world is not himself located in it; he is held to be superior to the empirical world, and so outside it; and he is endowed with superempirical attributes« (ebd.). Zu dieser Auffassung gelangt er nicht durch ein Studium der modernen Entwicklungsgeschichte von Religion und Theologie - die ihn sogleich eines Besseren belehrt hätte -, sondern durch eine ebenso schlichte sprachlogische Beobachtung: »The mere existence of the noun [>godGott< und einem ihm entsprechenden transzendenten Wesen zu behaupten. Es legt sich also der Schluß nahe, daß das starre Korsett des empiristischen Sprachbegriffs Ayer keine andere Wahl läßt, als ein schlichtes theistisches Bild der Religion zu entwerfen. Sie wird mithin einem vorgängigen dichotomischen Sprachbegriff untergeordnet und auf die bloße Annahme der - zumal singulären - Existenz Gottes zurechtgestutzt. Diese empiristisch bedingte theistische Verkürzung der Religion bleibt nicht ohne Folgen: Die Beschränkung auf die singuläre Existenzbehauptung Gottes geht an der für das neuzeitliche Religionsverständnis kennzeichnenden Hinwendung zum religiösen >Subjekt< - sei dieses nun subjektivitätstheoretisch, anthropologisch, psychologisch oder auch soziologisch bestimmt gänzlich vorbei. An die Stelle des religiösen Verhältnisses von Gott und Mensch tritt die bloße Frage nach der empirisch verifizierbaren Existenz Gottes. Auch in der Ausrichtung auf den Gottesgedanken selbst steht mithin nicht die Frage seiner konsistenten Bestimmbarkeit, sondern lediglich die Aufgabe seines verifikativen Existenzaufweises im Vordergrund42. Ayer bleibt so die Einholung der für die Moderne bestimmend gewordenen Problemlage von Religionstheorie 41 42

Vgl. A.J. Ayer, LTL 125: »So that in describing his vision the mystic does not give us any information about the external world; he merely gives us indirect information about the condition of his own mind«. Daher scheint es nicht einmal so zu sein, daß Ayer »in der Nachfolge religionskritischer Positionen den Finger auf den wunden Punkt der Religionsbegründung gelegt« habe (F. Wagner, Was ist Religion 407). Denn besteht dieser Punkt darin, daß »der religiöse Mensch (bzw. das religiöse Bewußtsein) sich auf Gott als auf seinen Grund bezogen weiß« (ebd.) und die rationale Begründbarkeit der Religion insofern an die Konsistenz des Gottesgedankens geknüpft sei, dann kann ihn Ayer schon deshalb nicht erfaßt haben, weil ihm die Einsicht in das >religiöse Verhältnis< zwischen dem religiösen Menschen und seinem göttlichen Grund verschlossen bleibt.

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und Theologie schuldig. Seine Reduktion der Religion auf die Voraussetzung eines simplen Theismus muß gerade die Züge ausblenden, die sich als für eine angemessene Auseinandersetzung um das Phänomen der Religion maßgeblich herausgebildet haben. Diese oberflächliche Beschränkung auf das Problem der Existenz Gottes führt dazu, daß auch das mit jener Hinwendung zum religiösen Subjekt notwendig verknüpfte - und strukturlogisch als >Aporie des religiösen Bewußtseins< benennbare43 - Grundproblem der Religion umgangen wird. Diese Aporie besteht in dem Selbstwiderspruch des religiösen Bewußtseins, sich von einem göttlichen Grund abhängig wissen zu wollen, den es so umgekehrt erst als Grund postuliert: »Der absolute Grund, der das das religiöse Bewußtsein gründende Prinzip sein soll, kommt von der Logizität des Gegründeten nicht los, weil er zugleich der vorn religiösen Bewußtsein abhängige Grund ist«44. Diese strukturelle Unumkehrbarkeit der Abhängigkeit des Gedachten vom Denken wird von Ayer in der Weise sprachphilosophisch umgangen, daß eine strikte Dichotomie zwischen Sprache und Welt aufgespannt wird, die den transzendenten Gegenstand des Wortes >Gott< als unabhängig von seiner sprachlichen Fixierung voraussetzen zu können behauptet. Die vom religiösen Bewußtsein intendierte Sicherstellung des göttlichen Grundes findet ihr sprachphilosophisches Äquivalent mithin in der These, das nichtsprachlich Gegebene unabhängig vom konstruierenden Zugriff der Sprache ansetzen zu können. Das bedeutet freilich nicht, daß die Aporie nun unter sprachphilosophischen Prämissen bewältigt werden könnte. Es verschiebt sich lediglich die Last der Argumentation von der Ebene der Religion auf die allgemeine Ebene der sprachphilosophischen Grundlegung. Die Problematik der grundlegenden Konstruktivität des religiösen Bewußtseins - oder auch einer religiös verwendeten Sprache - fällt aus der Reichweite einer religionsphilosophischen Betrachtung heraus. Damit wird ein Problemniveau verspielt, das für die religionsphilosophische Auseinandersetzung von entscheidender Bedeutung ist. Indem die Aporie des religiösen Bewußtseins durch den Rekurs auf einen bestimmten Sprachbegriff stillgestellt wird, geraten alle weiteren religionsphilosophischen Überlegungen in den Bann des jeweils vorausgesetzten oder implizit in Anspruch genommenen Sprachbegriffs. An dieser Stelle machen gerade die Ausweglosigkeiten des Ayerschen Verifikationismus hinreichend deutlich, daß die logische Struktur der Aporetik des religiösen Bewußtseins unterschwellig virulent bleibt, ohne explizit für ein konstruktives Verständnis der Religion umgesetzt werden zu können. Stattdessen fällt Ayer auf ein Problemniveau zurück, das die Sätze der Religion innerhalb der Dichotomie zwischen Sprache und Welt verrechnen zu können meint, so daß er weder eine befriedigende sprachphilosophische Konzeption noch ein angemessenes Verständnis religiöser Aussagen zu entfalten vermag.

Ayers religionsphilosophische Erörterungen stehen also von vornherein im Bann seines empiristischen Sprachbegriffs: Die Voraussetzung eines strikten Gegenübers von Sprache und Welt verführt ihn zu dem Mißverständnis, als ginge es der Religion ausschließlich um den Nachweis der singulären Existenz Gottes. Seine auf dieser Grundlage verifikationistisch durchgeführte Kritik der vermeintlichen Sinnhaftigkeit religiöser Aussagen ist demgegenüber nur von untergeordnetem Interesse. Entscheidend ist vielmehr, daß Ayer mit seiner empiristischen Vereinnahmung der Religion zwei folgenreiche Weichenstellungen vornimmt. (1) Er reduziert die vorfindliche Spannbreite religiöser Äußerungen und ihrer vielfältigen Funktionsweisen auf den einen Modus der kognitiv-propositional intendierten Behauptung. Das Phänomen der religiösen Rede kommt nur aus der Perspektive ihrer vermeintlichen Intention in den Blick, einen Wahrheitsanspruch erheben und etwas über die nichtsprachliche Wirklichkeit aussagen zu wollen. Von daher rückt beinahe zwangsläufig die Existenzbehauptung Gottes in 43 44

Vgl. dazu vor allem F. Wagner, Was ist Religion 555-589. F. Wagner, Was ist Religion 573.

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eine prominente Stellung ein. Die Kognitivität religiöser Rede läßt sich exemplarisch daran bemessen, ob es ihr gelingt, diese >Grundbehauptung< des religiösen Glaubens als sinnvoll aufzuweisen. (2) Dieser propositionalen Engführung des Phänomens religiöser Rede entspricht auf sprachphilosophischer Seite die Voraussetzung eines realistischen Rahmens. Die Auseinandersetzung um die Sinnhaftigkeit der Existenzbehauptung Gottes vollzieht sich zwar auf der Grundlage des Versuchs, diesen Rahmen verifikationistisch zu korrigieren. Doch die Schwierigkeiten, in die sich Ayer mit seiner semantischen Zuspitzung des Verifikationsprinzips verstrickt, lassen die unterschwellige Fortgeltung der als überwunden ausgegebenen Differenz von Sprache und Welt offen zu Tage treten. Die späteren religionsphilosophischen Versuche, die spezifische >Religiosität< religiöser Rede aus ihrer vorgängigen Einbettung in einen allgemeinen Sprach- oder Rationalitätsbegriff grundsätzlich herauslösen und so als eigenständig zur Geltung bringen zu wollen, werden sich daher vor allem an der Frage zu bewähren haben, ob es ihnen gelingt, auch jene realistische Grunddifferenz von Sprache und Welt hinter sich zu lassen.

2. Antony Flew Die falsifikationistische Religionskritik 2. l Ein Zwischenspiel Der interpretative Holismus John Wisdoms Nach dem polemisch vorgetragenen Sinnlosigkeitsverdikt Ayers greift erst John Wisdom45 die religionsphilosophische Debatte wieder auf. In Anknüpfung an zentrale Motive der Wittgensteinschen Spätphilosophie unternimmt er nun den Versuch, die kognitiv-propositionalen Intentionen religiöser Aussagen zur Geltung zu bringen, ohne damit die Ebene des empiristischen Verifizierbarkeitsprinzips betreten zu müssen. Sein besonderes Augenmerk liegt auf der These einer interpretativen Funktion der Sprache46. Die von ihm konzipierte >Gärtnerparabel< 45

46

Vgl. J. Wisdom, Gods, in: PAS 45 (1944), 185-206, dt. Götter, in: I.U. Dalferth (Hg.), Sprachlogik des Glaubens 63-83. - Im folgenden beziehen sich die State auf die deutsche Übersetzung. - Zu Wisdom insgesamt vgl. H.O. Jones, Die Logik theologischer Perspektiven. Eine sprachanalytische Untersuchung, Göttingen 1985, 21-35; sowie die knappe Skizze bei F. Wagner, Was ist Religion 41 Of. Wisdom greift hier auf Wittgensteins interpretative Bestimmung der Wahrnehmung als eines >Sehens-als< zurück. Dieser hatte im Zusammenhang der Auseinandersetzung mit ambiguen Wahrnehmungsgegenständen - wie beispielsweise Jastrows Hasen-Entenkopf Wahrnehmung und Interpretation miteinander verknüpft: »Wir können ... die Illustration einmal als das eine, einmal als das andere Ding sehen. - Wir deuten sie also, und sehen sie, wie wir sie deuten« (L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, hg. von G.E. M. Anscombe, G.H. von Wright, R. Rhees, in: Ders., Werkausgabe, Bd. l, Ffm 1989,

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soll deutlich machen, daß die Frage nach der Existenz Gottes ihren angemessenen Ort erst im Kontext einer umfassenden Weltdeutung findet. In dieser Parabel vergleicht er die Auseinandersetzung um die Existenz Gottes mit der Situation zweier Leute, die in ihren lange vernachlässigten Garten zurückkehren und unter dem wuchernden Unkraut überraschenderweise auch einige blühende Pflanzen entdecken. Während nun der eine die Existenz eines unsichtbaren - Gärtners postuliert, der sich um den Garten gekümmert haben müsse, leugnet der andere diesen Gärtner, da alle Versuche, ihn empirisch nachzuweisen, scheitern. Dabei sind sich beide hinsichtlich dessen einig, was sie im Garten gefunden haben. »Worin besteht dann der Unterschied zwischen ihnen? Der eine sagt: >Ein Gärtner kommt ungesehen und ungehört. Er ist nur in seinen Werken offenbar, mit denen wir alle vertraut sindEs gibt keinen GärtnerSehens-als< von der Einzelwahrnehmung bestimmter Gegenstände auf die Ebene einer holistischen Weltinterpretation aus. Dabei folgt ihm J. Hick, Faith and Knowledge, Ithaca 1957, ND London 1988, 95-148. 47 J. Wisdom, Götter 69. 48 Wisdom verknüpft seine interpretative Sprachkonzeption mit den Gefühlseinstellungen und Erwartungen des Sprechers, die in den verschiedenen Wirklichkeitsmodellen ihren Ausdruck finden. So gilt auch für die Behauptung der Existenz Gottes, daß sie »eine Einstellung zu den vertrauten Dingen bekundet« (J. Wisdom, Götter 68). Damit steht Wisdom allerdings in der Gefahr, eine intersubjektiv nicht mehr vermittelbare Gefühlseinstellung als Voraussetzung für die Erfassung des interpretativen Wirklichkeitsmodells etablieren zu müssen (vgl. F. Wagner, Was ist Religion 410f.). 49 J. Wisdom, Götter 68.

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unrecht, in denen beide Parteien Gründe anführen können und die eine besser als die andere«50. Wisdom versucht dafür ein >horizontales< statt >vertikales< Begründungsverfahren - seine >Verbindungstechnik< - zu entwickeln51. Wisdom sucht in seiner Konzeption eines >interpretativen Holismus< zwei auseinanderstrebende Tendenzen miteinander zu verknüpfen: Auf der einen Seite verläßt er den Boden einer Sprachkonzeption, die religiöse Aussagen allein aus dem Blickwinkel ihrer empiristischen Verifizierbarkeit wahrnimmt. Stattdessen bringt er durch den Rekurs auf die interpretative Funktion der Sprache den Überzeugungsrahmen des religiösen Sprechers für die Frage nach der Bedeutung religiöser Aussagen zur Geltung. Die Funktion religiöser Aussagen wird damit zugleich in einem umfassenderen Kontext verortet und an den religiösen Sprecher zurückgebunden. Auf der anderen Seite hält er an der kognitiv-propositionalen Intention religiöser Aussagen fest, etwas über die Wirklichkeit aussagen zu wollen. Mit seiner Konzeption konkurrierender Wirklichkeitsmodelle wahrt er die Möglichkeit, religiöse Aussagen auf ihre epistemische Rechtfertigung hin befragen zu können. Dabei tritt an die Stelle des > vertikalem Begründungsrekurses ein >horizontales< Argumentationsverfahren52. Beide Tendenzen finden ihr notwendiges Bindeglied in der holistischen Ausrichtung des Interpretationsgedankens: Die einzelne Aussage fordert ihre interpretative Aufnahme in einen umfassenden Kontext, vor dessen Hintergrund erst sinnvoll die Frage nach ihrer epistemischen Rechtfertigung gestellt werden kann. Damit hat Wisdom einen Weg gewiesen, wie der Herausforderung durch das empiristische Sinnlosigkeitsverdikt entgegengetreten werden kann, ohne den Wahrheitsanspruch religiöser Aussagen entweder gänzlich aufgeben oder auf die Möglichkeit ihrer empiristischen Verifizierbarkeit reduzieren zu müssen53.

2.2 Der sprachphilosophische Rahmen Leider ist Wisdoms interpretative Bestimmung religiöser Aussagen ohne weiterreichenden Einfluß geblieben54. Die Entwicklung der analytischen Religionsphi50 J. Wisdom, aaO. 70. 51 Vgl. J. Wisdom, aaO. 71 f., 74-78. 52 Wisdom deutet mit seiner >Verbindungstechnik< ein Argumentationsverfahren an, das die epistemische Rechtfertigung einer Aussage als die Möglichkeit der Verknüpfung mit den Gliedern eines Wirklichkeitsmodells bestimmt (vgl. Ders., aaO. 74-78). Damit erhält seine Konzeption des >interpretativen Holismus< zugleich einen - im epistemologischen Sinne - antifundamentalistischen Zug. 53 Dalferth faßt die Stellung Wisdoms in der Entwicklungsgeschichte der analytischen Religionsphilosophie prägnant zusammen: »Wisdoms Aufsatz leitet eine Periode fruchtbarer Arbeit in Religionsphilosophie und philosophischer Theologie ein. Statt eine an den empirischen Wissenschaften gewonnene Sprachtheorie an den religiösen Sprachgebrauch anzulegen, beginnt man diesem selbst nachzugehen, um die Grammatik seiner spezifischen Funktionsweisen aufzudecken. ... Man ist jetzt bereit zuzugestehen, daß die Funktionen religiösen Sprechens weit komplexer sind als die simplifizierende Sprachtheorie des logischen Empirismus wahrscheinlich machen wollte. Zwar werden die empirisch-sprachlogischen und epistemologischen Probleme, wie sie etwa Ayer formulierte, keineswegs als erledigt angesehen; aber sie problematisieren nur einen Aspekt religiöser Rede und vielleicht nicht einmal den wichtigsten. An die Stelle eines eindimensionalen Zugangs treten daher Analysen, die ihre Aufmerksamkeit auf die ganze Variationsbreite religiöser Sprech- und Funktionsweisen richten« (I.U. Dalferth, Einführung in die analytische Religionsphilosophie und Theologie, in: Ders. [Hg.], Sprachlogik des Glaubens 9-60, 35f.). 54 Vgl. aber immerhin die interpretative Funktionsbestimmung religiöser Aussagen bei I.M.

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losophie nimmt einen anderen Verlauf. Eine Schlüsselstellung kommt dabei Antony Flew55 zu, indem er auf Wisdoms Gärtnerparabel zurückgreift, dieser aber eine seinen eigenen Interessen entsprechende Wendung gibt. Auf diese Weise gelingt es ihm, hinter Wisdom auf die Problemlage des Logischen Empirismus zurückzugehen und diese als für die weitere Entwicklung der analytischen Religionsphilosophie maßgeblich festzuschreiben56. Die entscheidenden Weichenstellungen liegen bereits in der spezifischen Aufnahme der Gärtnerparabel. Flew verlagert sie in den Urwald und spitzt sie auf den Nachweis der kognitiven >Leere< der theistischen Existenzbehauptung Gottes zu: »Once upon a time two explorers came upon a clearing in the jungle. In the clearing were growing many flowers and many weeds. One explorer says, >Some gardener must tend this plotThere is no gardeners So they pith their tents and set a watch. No gardener is ever seen. >But perhaps he is an invisible gardeners So they set up a barbed-wire fence. They electrify it. They patrol with bloodhounds. (For they remember how H.G.Wells's The Invisible Man could be both smelt and touched though he could not be seen.) But no shrieks ever suggest that some intruder has received a shock. No movements of the wire ever betray an invisible climber. The bloodhounds never give cry. Yet still the Believer is not convinced. >But there is a gardener, invisible, intangible, insensible to electric shocks, a gardener who has no scent and makes no sound, a gardener who comes secretly to look after the garden which he lovesBut what remains of your original assertion? Just how does what you call an invisible, intangible, eternally elusive gardener differ from an imaginery gardener or even from no gardener at all?theistischen< Forschers. Oberflächlich scheint es sich zwar nur um eine Nuance zu handeln,

Crombie, The Possibility of Theological Statements, in: B. Mitchell (Hg.), Faith and Logic, London 1957, 31-83, dt. Die Möglichkeit theologischer Aussagen, in: I.U. Dalferth (Hg.), Sprachlogik des Glaubens 96-145; und LT. Ramsey, Religious Language. An Empirical Placing of Theological Phrases, London 1957; vgl. Ders., Models and Mystery, London 1964. - Später greift vor allem John Hick explizit auf Wisdomsche Intentionen zurück. 55 Vgl. A. Flew, Theology and Falsification, in: Ders., A. Maclntyre (Hgg.), New Essays in Philosophical Theology, London 1955,51966, 96-99, dt. Theologie und Falsifikation, in: I.U. Dalferth (Hg.), Sprachlogik des Glaubens 84-87. Im folgenden beziehen sich die Seitenverweise im Text auf das englische Original. - Zu Flews Falsifikationismus vgl. vor allem R.S. Heimbeck, Theology and Meaning 77-123; sowie I.U. Dalferth, Einführung 36-39. 56 So kann noch W.D. Just, Religiöse Sprache 82, Flew als den »bekanntesten Religionskritiker der gegenwärtigen analytischen Philosophie« bezeichnen.

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doch sie ist von erheblicher Tragweite und verläßt den von Wisdom vorgezeichneten Weg. Die Untersuchung des Gartens führt bei diesem zu dem Ergebnis, daß die Frage, ob ein Gärtner am Werk sei oder nicht, empirisch nicht entschieden werden könne. Die beiden Akteure sind sich hinsichtlich all dessen einig, was sie im Garten vorfinden; dennoch beharren sie auf ihren gegensätzlichen Auffassungen. Aus dieser empirischen Unentscheidbarkeit zieht Wisdom den Schluß, daß es sich bei der Gärtnerhypothese nicht um eine experimentelle Hypothese< handeln könne, sondern der ihr angemessene Ort auf einer die empirischen Daten übergreifenden Interpretationsebene gesucht werden müsse. Flews Erzählung nimmt demgegenüber einen anderen Verlauf: Das Interesse richtet sich ausschließlich darauf, die mehrfach modifizierte Gärtnerhypothese empirisch zu verankern und auszuweisen. Aus diesem Grund steht die Frage nach ihrer inhaltlichen >Füllung< betont im Vordergrund. Während bei Wisdom die Gärtnerhypothese selbst eigentümlich unbestimmt bleibt und das Interesse auf der Beschaffenheit des Gartens liegt, zielt Flew auf eine immer wieder modifizierte Fixierung der Person des Gärtners. Auf diese Weise gelingt es ihm zwar, dem Vertreter der Gärtnerhypothese - also dem Theisten - eine Immunisierungsstrategie zu unterstellen, mit deren Hilfe er seine Existenzbehauptung der Reichweite einer empirischen Überprüfung zu entziehen versuche. Doch umgekehrt legt er ihn so auf ein Verständnis der Gärtnerhypothese fest, das erneut die Frage nach ihrer empirischen Einlösung in den Mittelpunkt rückt und diese Frage einem vorgegebenen rigiden Sprachbegriff unterwirft. Denn im Gegenzug zu Wisdom hält Flew die Gärtnerhypothese ausdrücklich als experimentelle Hypothese< fest. Der Versuch ihrer inhaltlichen Bestimmung verdankt sich der grundsätzlichen Weigerung, sie aus der Reichweite einer direkten empirischen Überprüfung zu entlassen. Damit wird offensichtlich, daß Wisdom und Flew mit ihren beiden Erzählungen jeweils gegenläufige Intentionen verfolgen: Während Wisdom die empirische Unentscheidbarkeit der Gärtnerhypothese anerkennt und von dort aus nach der Möglichkeit eines anderen Verständnisses fragt, verwahrt sich Flew gegen diesen >Überschritt< auf die interpretative Ebene. Die empiristische Unentscheidbarkeit der Gärtnerhypothese dient ihm nicht als Ausgangspunkt für eine neue Perspektive, sondern verbürgt als Resultat die Behauptung ihrer empirischen >Leere< und damit Sinnlosigkeit. Der entscheidende Unterschied zwischen beiden liegt also in ihrem Verständnis der Gärtnerhypothese als einer experimentellen Hypothesen Wisdom bemüht sich um eine Überwindung dieses Verständnisses und setzt darin einen Sprachbegriff voraus, der auch Aussagen als sinnvoll zu bezeichnen erlaubt, die sich dem Schema der empirischen Hypothese nicht fügen. Flew hingegen behauptet die Sinnlosigkeit der Gärtnerhypothese gerade deshalb, weil sie sich nicht als empirische Hypothese verstehen und so einer empirischen Nachprüfung aussetzen lasse. Er legt damit einen Sprachbegriff zugrunde, der als sinnvolle sprachliche Äußerungen allein empirisch überprüfbare Hypothesen zu akzeptieren vermag.

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Aus dieser sprachphilosophischen Engführung heraus erklärt sich auch die erneute Fokussierung auf die Behauptung der Existenz Gottes: Die Gärtnerhypothese kann nur unter der Voraussetzung als sinnvoll anerkannt werden, daß sich die Existenz dessen, der als >Gärtner< benannt wird, empirisch aufweisen läßt. Damit ist es ausgeschlossen, diese Hypothese inhaltlich unbestimmt zu lassen oder auf einer der direkten empirischen Überprüfung entzogenen interpretativen Ebene zu verorten. Stattdessen muß alles Gewicht darauf liegen, durch präzise inhaltliche Fixierung das Denotat des Terminus >Gärtner< - bzw. >Gott< sprachlich prädizieren und empirisch identifizieren zu können. Flew fällt damit gänzlich hinter das von Wisdom bereits erreichte sprach- und religionsphilosophische Problemniveau zurück. Während Wisdom den auf die Struktur der empirischen Hypothese reduzierten Sprachbegriff zu überwinden sucht und damit die Möglichkeit eröffnet, einer theistischen Engführung des Religionsverständnisses auf die - empirisch aufzuweisende - Existenzbehauptung Gottes zu entkommen, verliert Flews Modifizierung der Gärtnerparabel beide Einsichten aus dem Blick. Sowohl sprachphilosophisch als auch religionsphilosophisch repristiniert er die Argumentationsebene des Logischen Empirismus. Dies zeigt sich zunächst daran, daß er ebenso wie Ayer die Religion einem vorgegebenen Sprachbegriff unterstellt. Ein nochmaliger Durchgang durch die Gärtnerparabel bestätigt diese Beobachtung. Flew spitzt sie auf die Darstellung der vielfältigen Modifikationen zu, mit denen der Theist einer augenscheinlichen Widerlegung seiner Gärtnerhypothese zu entgehen versucht. Diese Modifikationen zielen letztlich darauf ab, die Gärtnerhypothese dadurch sicherzustellen, daß sie der Reichweite einer empiristischen Nachprüfung entzogen wird. Allerdings verliert sie auf diese Weise auch ihren kognitiven Wirklichkeitsbezug; je weiter sie von der Mannigfaltigkeit des empirisch Gegebenen entfernt wird, desto weniger sagt sie über diese Wirklichkeit noch aus. Indem der Theist die Gärtnerhypothese fortwährend ihrer empiristischen Implikationen entkleidet, läßt er schließlich die skeptische Frage unausweichlich werden, was von ihr noch übrig bleibt: »Someone may dissipate his assertion completely without noticing that he has done so. A fine brash hypothesis may thus be killed by inches, the death by a thousand qualifications« (97). Die Pointe der Flewschen Parabel liegt mithin in dem Nachweis, daß empirische Immunisierung und kognitive Sinnentleerung konstitutiv miteinander verknüpft sind. Der Versuch des Theisten, die Gärtnerhypothese ihrer möglichen empirischen Widerlegung zu entziehen, kann nur um den Preis gelingen, daß sie ihrer kognitiven Sinnhaftigkeit und damit ihres Hypothesenstatus' verlustig geht. Flew weist auf, daß sich religiöse Aussagen einer empirischen Nachprüfung entziehen, bringt dafür aber einen Sprachbegriff in Anschlag, der diese >Nichtempirie< nur als Produkt einer - sinnentleerend gefaßten - Immunisierungsstrategie zu erfassen vermag. Er nimmt die eigentümliche Struktur religiöser Aussagen mithin von vornherein aus der Perspektive seines vorausgesetzten empiristischen Sprachbegriffs in den Blick: Anders als Wisdom gelingt es ihm

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nicht, die von beiden erkannte nichtempirische Struktur religiöser Aussagen so an ihr selbst zu thematisieren, daß sich daraus eine Möglichkeit ergibt, über die eng gesteckten Grenzen des empiristischen Sprachbegriffs hinauszugehen. Damit richtet sich das Interesse auf den zugrundeliegenden Sprachbegriff. Flew sucht an die Stelle des Ayerschen Verifikationsprinzips ein Falsifikationsprinzip zu setzen: Über die kognitive Sinnhaftigkeit sprachlicher Äußerungen entscheidet nicht ihre empirische Bestätigung, sondern die Angabe der Umstände, die sie widerlegen. Die religiösen Aussagen erweisen sich nicht aus dem Grund heraus als sinnlos, daß sie nicht empirisch verifiziert werden können, sondern weil gerade umgekehrt die fortschreitende Immunisierung jegliche Möglichkeit unterbindet, die Bedingungen ihrer empirischen Widerlegung zu formulieren. Eine sprachliche Äußerung, die nichts verneint - so lautet die These -, behauptet auch nichts. Auf diese Weise scheint Flew die Probleme des Verifikationsprinzips umgehen und zugleich an der Grundlage eines empiristischen Sprachbegriffs festhalten zu wollen. Es ist offensichtlich, daß Flew die sprachphilosophische Intention des Logischen Empirismus übernimmt, das überkommene Abgrenzungskriterium semantisch zuspitzen zu wollen: Sein Falsifikationsprinzip wird mit der Zielsetzung eingeführt, zwischen kognitiv sinnvollen und >leeren< Aussagen zu unterscheiden. Dabei gilt eine Aussage als kognitiv sinnvoll genau dann, wenn es möglich ist, die Bedingungen zu spezifizieren, unter denen sie sich als falsch erweist. Diese These verpflichtet Flew zu der semantischen Voraussetzung, »that the meaning of a cognitive sentence is equivalent to the empirical expectations of the statement that sentence makes«57. Die sprachphilosophische Inanspruchnahme des Falsifikationsprinzips macht deutlich, daß Flew ebenso wie Ayer die Differenz zwischen Wahrheits- und Erfüllungsbedingungen - zwischen Kriterium und Evidenz58 - einzuziehen versucht. Dabei treten an die Stelle der überkommenen Verifikationsbedingungen einer Aussage nun ihre Falsifikationsbedingungen, während die Grundthese bei Flew unverändert in Geltung steht: »His implicit identification of empirical expectations and checking procedures constitutes this claim as a corollary of the theory (...) that the meaning of a cognitive sentence is equivalent to the checking procedures for the statement it makes«59. Flew erhebt den Anspruch, das Falsifikationsprinzip als seinem verifikationistischen Äquivalent überlegen erweisen zu können. Die entscheidende Frage lautet mithin, ob es die ihm von Flew zugewiesene Aufgabe erfüllen kann, ein Bedeutungskriterium zu formulieren, das die Aporien des Ayerschen Verifikationismus zu vermeiden erlaubt. Mit seinem Falsifikationsprinzip schließt Flew faktisch - wenngleich er sich nicht ausdrücklich auf ihn beruft - an den Versuch Karl Poppers60 an, durch den Übergang vom Verifi57 58 59 60

R.S. Heimbeck, Theology and Meaning 79. Vgl. zu dieser Unterscheidung R.S. Heimbeck, aaO. 47-64. R.S. Heimbeck, aaO. 80. Vgl. K. Popper, Logik der Forschung, Wien 1935, Tübingen »1989.

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kations- zum Falsifikationsprinzip die induktionslogischen Probleme des Verifikationismus zu umgehen61. Der >induktive< Schluß von der einzelnen Aussage auf die übergreifende Theorie erweist sich als logisch nicht haltbar. Auch wenn die Verifizierbarkeit einzelner Sätze aufgewiesen werden könnte, ließe sich doch die entsprechende Theorie nicht empirisch verifizieren. Soll an der empirischen Struktur wissenschaftlicher Theorien festgehalten werden, muß daher ein anderes Kriterium an die Stelle des Verifikationsprinzips treten: »Nun wollen wir aber doch nur ein solches System als empirisch anerkennen, das einer Nachprüfung durch die >Erfahrung< fähig ist. Diese Überlegung legt den Gedanken nahe, als Abgrenzungskriterium nicht die Verifizierbarkeit, sondern die Falsifizierbarkeit des Systems vorzuschlagen«62. Die Pointe der Popperschen These liegt freilich darin, mit der empirischen Falsifizierbarkeit erneut ein bloßes >Abgrenzungskriterium< an die Stelle des verifikationistischen >Sinnkriteriums< setzen zu wollen: »Man beachte, daß ich die Falsifizierbarkeit als Abgrenzungskriterium und nicht als Sinnkriterium vorschlage.... Es ist daher einfach ein Märchen, daß ich je die Falsifizierbarkeit als Sinnkriterium propagiert hätte«63. Während das als Sinnkriterium verstandene Verifikationsprinzip mit den metaphysischen Sätzen auch die Sätze der Naturwissenschaft aus dem Bereich sinnvoller Aussagen auszuschließen gezwungen ist und damit weit über das Ziel hinausschießt64, leistet das Falsifikationsprinzip die erstrebte Abgrenzung zwischen empirisch-wissenschaftlichen und metaphysischen Sätzen so, daß wissenschaftliche Theorien als empirisch ausgerichtete Satzsysteme festgehalten werden können. Überdies lasse sich damit die problematische These eines generellen Sinnlosigkeitsverdikts metaphysischer Sätze vermeiden: »Die Falsifizierbarkeit unterscheidet zwei Arten von durchaus sinnvollen Sätzen voneinander: die falsifizierbaren und die nichtfalsifizierbaren. Die Falsifizierbarkeit zieht innerhalb der sinnvollen Sprache eine Trennungslinie, nicht um sie herum«65.

Vor dem Hintergrund dieser unmißverständlichen Beschränkung des Falsifikationsprinzips auf die Funktion eines Abgrenzungskriteriums muß es umso auffälliger erscheinen, daß Flew gerade umgekehrt das Falsifikationsprinzip als Sinnkriterium zu etablieren sucht. Der Aufweis empirischer Falsifizierbarkeit dient nicht lediglich zur Unterscheidung zwischen wissenschaftlich-empirischen und metaphysischen Aussagen, sondern interpretiert diese Differenz als Unterscheidung zwischen kognitiv sinnvollen und sinnlosen Aussagen. 61 Zum Verhältnis von Flew und Popper vgl. H. Hofmeister, Wahrheit und Glaube 69-81. 62 K. Popper, aaO. 15. 63 K. Popper, aaO. 15 Anm. *3. 64 Vgl. K. Popper, aaO. 255. - Der Verifikationismus bleibt nach Popper zudem der problematischen Voraussetzung einer definiten Entscheidbarkeit aller empirischen Sätze verhaftet und muß schon aus diesem Grund die naturwissenschaftlichen Theorien aus dem Bereich der empirischen Sätze ausschließen. Die bedeutungstheoretische Entfaltung des Verifikationsprinzips im Sinne eines Sinnkriteriums bedeutet dann nur eine nochmalige Verschärfung der durch das Humesche Induktionsproblem vorgegebenen Problemlage. Diese könne nur so überwunden werden, daß die Voraussetzung definitiver Entscheidbarkeit aufgegeben und an ihre Stelle die Konzeption einer >Teilentscheidbarkeit< gesetzt werde: »Die Naturgesetze (>Theorienteilentscheidbare< (d.h. aus logischen Gründen zwar nicht verifizierbare, wohl aber einseitig falsifizierbare) echte Wirklichkeitsaussagen angesehen werden, die durch Falsifikationsversuche methodisch überprüft werden« (K. Popper, aaO. 254f.). Diese falsifikatorische >Teilentscheidbarkeit< löst neben der Aufhebung des Induktionsproblems zudem das Abgrenzungsproblem in einer Weise, die auf dessen semantische Zuspitzung zu verzichten erlaubt: »An Stelle des Sinndogmas und seiner Scheinprobleme kann als Abgrenzungskriterium das >Kriterium der Falsifizierbarkeit (...) treten: Nur solche Sätze (Satzsysteme) sagen etwas über die >Erfahrungswirklichkeit< aus, die an ihr scheitern können« (K. Popper, aaO. 255). 65 K. Popper, aaO. 15 Anm. *3; vgl. aaO. 255f.

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Kognitivität und Sinnhaftigkeit werden von Flew so miteinander verknüpft, daß keine Möglichkeit mehr besteht, auch eine nichtfalsifizierbare Aussage als sinnvoll auszeichnen zu können. Gerade die Gärtnerparabel bringt nach Flew zum Ausdruck, »that the Believer's earlier statement had been so eroded by qualification that it was no longer an assertion at all« (98). Indem Flew nicht in der Lage ist, den >nichtempirischen< Status der Gärtnerhypothese als Ausgangspunkt zu nehmen, um nach einer eigenständigen Funktion religiöser Aussagen zu suchen66, wird deutlich, daß mit der Scheinbarkeit des Behauptungscharakters der Aufweis semantischer Sinnlosigkeit religiöser Aussagen gegeben ist. Allerdings rückt so die Frage in den Vordergrund, in welcher Weise Flew diese semantische Zuspitzung des Falsifikationsprinzips einzulösen vermag. Hier lassen sich drei Argumentationsschritte unterscheiden67: (1) Den Ausgangspunkt bildet die Aufnahme des logischen Gesetzes der doppelten Negation: »Now to assert that such and such is the case is necessarily equivalent to denying that such and such is not the case« (98). (2) Dieses Gesetz wird sodann in ein Verfahren umgesetzt, das zu klären erlaubt, ob es sich bei einer gegebenen Aussage tatsächlich um eine Behauptung handelt: »Suppose then that we are in doubt as to what someone who gives vent to an utterance is asserting, or suppose that, more radically, we are sceptical as to whether he is really asserting anything at all, one way of trying to understand (or perhaps it will be to expose) his utterance is to attempt to find what he would regard as counting against, or is being incompatible with, its truth« (ebd.)68. Als Begründung für diesen Schritt führt Flew folgendes Argument an: »For if the utterance is indeed an assertion, it will necessarily be equivalent to a denial of the negation ofthat assertion« (ebd.). Damit aber begeht Flew einen verhängnisvollen Fehler. So wie er schon in der Einführung seines Arguments empirische Widerlegung und logische Unvereinbarkeit nicht auseinanderzuhalten vermag, so übersieht er nun hier die notwendige Unterscheidung zwischen kontradiktorischem und konträrem Gegensatz69. Indem er diese Differenz einzieht, versucht er einem logischen Argument empirische Relevanz zuzuweisen und überreizt so die Reichweite seiner Argumentation. Aber dieser Fehler bleibt nicht der einzige. Flew hebt überdies darauf ab, den Aufweis der Negation des Gegenteils für die Bestimmung der Bedeutung der Ausgangsbehauptung fruchtbar machen zu können. Durch Negation vermittelt lasse sich so aus der Kenntnis der Negation des Gegenteils die Bedeutung der Ausgangsaussage ermitteln. Allerdings unterläuft Flew hier erneut ein schwerer Fehler, indem er nun logische Geltung und psychologische Akzeptanz nicht voneinander unterscheidet: »And anything which would count against the 66

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Vgl. demgegenüber K. Popper, aaO. 13: »Man kann nicht leugnen, daß es neben metaphysischen Gedankengängen, die die Entwicklung der Wissenschaft hemmten, auch solche gibt (wir erwähnen nur den spekulativen Atomismus), die sie förderten. Und wir vermuten, daß wissenschaftliche Forschung, psychologisch gesehen, ohne einen wissenschaftlich indiskutablen, also, wenn man will, >metaphysischen< Glauben an [rein spekulative und] manchmal höchst unklare theoretische Ideen wohl gar nicht möglich ist«. Vgl. zum folgenden auch I.U. Dalferth, Einführung 36-39. Vgl. bereits hier die Kritik von R.S. Heimbeck, Theology and Meaning 89: »Flew is incognizant of any difference whatsoever between falsifiability and incompatibility or between the meaning of the expressions >counts against< and >is incompatible with< (which he equates by means of an epexegetic >or< in the passage quoted)«. Vgl. I.U. Dalferth, Einführung 39 Anm. 45: »Zwei Aussagen stehen in einem kontradiktorischen Gegensatz, wenn sie sich gegenseitig widersprechen und keine Aussage beiden von ihnen widerspricht. Und sie stehen in einem konträren Gegensatz, wenn sie sich gegenseitig widersprechen, aber die Möglichkeit besteht, daß eine Aussage beiden von ihnen widerspricht«. Während also der kontradiktorische Gegensatz eine rein logische Beziehung darstellt, kommt erst dem konträren Gegensatz empirische Relevanz zu.

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assertion, or which would induce the speaker to withdraw it and to admit that it had been mistaken, must be part of (or the whole of) the meaning of the negation of that assertion« (ebd.)70. (3) Erst diese beiden Fehlschlüsse ermöglichen in einem dritten Schritt den Übergang zur entscheidenden semantischen These: »And to know the meaning of the negation of an assertion, is as near as makes no matter, to know the meaning of that assertion« (ebd.). Die mehrmalige Vermengung von logischer und empirischer Ebene hat nun den Anschein erweckt, als sei es Flew gelungen, das logische Gesetz der doppelten Negation zu einem bedeutungstheoretischen Argument umzuformen. Dieser Anschein beruht aber lediglich darauf, daß Flew unter dem Titel >Negation< wesentlich mehr in Anspruch nimmt als ihm zusteht. Das logisch intendierte Argument wird implizit sprachphilosophisch und psychologisch angereichert und so mit Zusatzannahmen versehen, die Flew nicht als solche kenntlich macht. Entscheidend ist, daß sowohl über die sprachphilosophische als auch dann über die psychologische Ausweitung die Kenntnis der Bedeutung des Gegenteils eingeführt wird, ohne diese Bedeutung ihrerseits theoretisch zu erfassen und zu verorten. Damit aber hat sich Flew die scheinbare Plausibilität seiner Argumentation lediglich dadurch erschlichen, daß er das Problem der Bedeutung um einen Schritt nach hinten verschiebt. Er benutzt seine negationslogische Argumentation als >NebelwerferAbgrenzungskriteriums< beharrt und damit auch die grundlegende Unterscheidung zwischen Wahrheits- und Falsifikationsbedingungen - zwischen Sinnhaftigkeit und Falschheitserweis - aufrechterhält, zielt Flew auf deren sprachphilosophisch radikalisierte Identifikation. Das Poppersche Falsifikations70 71

Vgl. I.U. Dalferth, aaO. 39. H.E. Allison, Faith and Falsifiability, in: RMet 22 (1968/69), 499-522, 515.

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prinzip kann aus der mangelnden empirischen Falsifizierbarkeit lediglich den Schluß ziehen, daß diese Aussage keine empirisch-wissenschaftliche Hypothese darstellt. Damit ist jedoch weder ein Sinnlosigkeitsverdikt impliziert noch auch eine Verhältnisbestimmung von Wahrheit und Bedeutung vorweggenommen auch wenn Popper an dieser Stelle eine korrespondenztheoretische Auffassung zu vertreten scheint72. Das als >Abgrenzungskriterium< konzipierte Falsifikationsprinzip zielt auf den Aufweis der empirischen Widerlegbarkeit einer Aussage, ohne die Frage ihrer Bedeutung berühren zu müssen. Demgegenüber hebt Flews bedeutungstheoretische Fassung des Falsifikationsprinzips gerade umgekehrt darauf ab, die Differenz von Wahrheits- und Falsifikationsbedingungen einzuziehen73. Damit aber fällt er hinter Popper auf die Ausgangslage der Verifizierbarkeitsdebatte zurück. In dem Bestreben, die empirische Falsifizierbarkeit über Popper hinaus als Sinnkriterium zur Geltung zu bringen, verstrickt sich Flew in gerade die Aporien, die Popper zu umgehen versucht hatte. Flew gelingt es nicht, das Falsifikationsprinzip als eine eigenständige Größe neben dem Verifikationsprinzip zu etablieren. Vielmehr türmt sich erneut die aporetische Problemlage des Verifikationismus auf. Dieser sucht die Differenz von Sprache und Welt so zu überbrücken, daß für >metaphysische< Aussagen sinnlogisch kein Raum mehr bleibt. Die Erfüllung dieser Aufgabe knüpft er an ein semantisches Manöver: Mit der Reduktion der Wahrheitsbedingungen einer Aussage auf ihre Verifizierbarkeitsbedingungen soll sichergestellt werden können, daß die Grenzen der empirischen Verifizierbarkeit die Grenzen der sinnvollen Welt bedeuten. Doch in dem Maße, in dem die verifikationistische Überwindung der Differenz von Sprache und Welt propagiert wird, muß sie als solche noch vorausgesetzt werden. Die Aporien sind bekannt: Weder kann der für die Verifikation unerläßliche Rekurs auf ein empirisch >Gegebenes< sinnvoll expliziert werden, noch kann umgekehrt die Reduktion der Wahrheitsbedingungen einer Aussage auf ihre Verifikationsbedingungen der prinzipiellen Fallibilität allen Wissens hinreichend Rechnung tragen. Die Ersetzung der Verifikationsbedingungen einer Aussage durch ihre Falsifikationsbedingungen vermag an dieser Sachlage nichts zu ändern, da auch sie den unmittelbaren Zugang zum empirisch Gegebenen in Anspruch nehmen müssen - wenngleich nicht zur Bestätigung der Ausgangsthese, sondern zur Sicherung der Bedeutung ihrer Negation. Flew verschleiert also die Aporien des Verifikationismus statt sie zu überwinden. Mit seiner semantischen Zuspitzung des Falsifikationsprinzips bleibt er

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Vgl. K. Popper, Objective Knowledge. An Evolutionary Approach, Oxford 1972; sowie vor allem Ders., Truth, Rationality and the Growth of Scientific Knowledge, in: Ders., Conjectures and Refutations, London 1963, 51989, 215-250; vgl. dazu etwa E. Ströker, Einführung in die Wissenschaftstheorie, Darmstadt 1973, 31987, 80-96. Ströker unterstellt Popper eine realistische Position, die »im Rahmen der herkömmlichen Erkenntnistheorie eher dem >naiven< als dem >kritischem Realismus zuzurechnen« (aaO. 91) sei. R.S. Heimbeck, Theology and Meaning 77-123, bes. 90-123, weist diese Ineinssetzung von >truth-conditions< und >checkability-conditions< minutiös auf.

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einer Problemlage verhaftet, in deren Mittelpunkt die Voraussetzung eines realistischen Gegenübers von Sprache und Welt steht. Doch entscheidender noch ist, daß er nicht einmal mehr bis zu der Einsicht in die mögliche philosophische Tragweite des auch von ihm geteilten Ansatzes vorstößt, das empiristische Verifikations- respektive Falsifikationskriterium semantisch zu reformulieren. Denn während zeitgleich mit seinem Angriff auf die Religion die Versuche beginnen, eine verifikationistische Bedeutungstheoriejenseits der empiristischen >Dogmen< zu entwickeln74 und dabei zunehmend auch die Frage nach dem Verhältnis zwischen Sprache und Welt ins Blickfeld rückt75, repristiniert er einen >realistischen EmpirismusLeere< und Sinnlosigkeit78. Die religionsphilosophische Aufgabe reduziert sich ihm daher auf die Frage, wie auch für religiöse Aussagen Falsifikationsbedingungen angegeben und diese als sinnvoll aufgewiesen werden können: »What would have to occur or to have occured to constitute for you a disproof ... of the existence of God?« (99). Erneut wird deutlich, wie sehr die religiöse Rede immer schon aus der Perspektive eines vorgegebenen empiristischen Sprachbegriffs in den Blick kommt. Die Folge ist, religiöse Aussagen formal auf den Status empirischer Hypothesen reduzieren und inhaltlich auf die bloße Behauptung der Existenz Gottes verpflichten zu müssen. Im Rahmen der Leitdifferenz von Sprache und Welt scheint es keine andere Möglichkeit zu geben, als die religiöse Rede von Gott auf das Problem zuzuspitzen, in welcher Weise sie ihren >Gegenstand< als existent behaupten und in seiner realen Verfaßtheit inhaltlich fixieren kann. Dabei liegt der entscheidende Punkt nicht in der Ausrichtung auf den Gottesgedanken selbst, sondern in der Tatsache, daß dieser von vornherein nur auf der Grundlage eines realistischen Sprachbegriffs in den Blick kommt. Denn nun ist es unvermeidlich, daß Flew die christliche Religion auf einen schlichten »Christian theism«79 reduziert, der sich in der bloßen Existenzbehauptung eines transzendenten Wesens erschöpft80.

and the Question of Religious Knowledge, Englewood Cliffs 1963; W.A. Christian, Meaning and Truth in Religion, Princeton 1964; L.R. Churchill, Flew, Wisdom, and Polanyi: The Falsification Challenge Revisited, in: IJPR 3 (1972), 185-194; S.T. Davis, Theology, Verification, and Falsification, in: IJPR 6 (1975), 23-39; F. Ferr€, Basic Modern Philosophy of Religion, New York 1967; A. Flew, The Falsification Response, in: RelSt 5 (1969), 77-79; D.M. High, Belief, Falsification, and Wittgenstein, in: IJPR 3 (1972), 240-250; J. Kellenberger, The Falsification Challenge, in: RelSt 5 (1969), 6976; Ders., The Cognitivity of Religion. Three Perspectives, London 1985; C.B. Martin, Religious Belief, Ithaca 1969; A. McKinnon, Unfalsifiability and the Uses of Religious Language, in: APQ 2 (1965), 229-237; Ders., Falsification and Belief, The Hague 1970; T. McPherson, The Falsification Challenge. A Comment, in: RelSt 5 (1969), 81-84; K. Nielsen, Contemporary Critiques of Religion, London 1971. 78 H.E. Allison, Faith and Falsifiability 501, stellt mit Recht fest, daß »the real question concerns the tendency to view religious belief in terms of the model of a scientific hypothesis«. Doch geht seine Antwort auf diese Frage an dem angezeigten Problem vorbei: »The task of faith is not to reconcile one's belief with the facts, but to hold to it in the face of the facts. Religious belief, with its requirement of total commitment and complete trust in God, is in its very nature not because of but in spite of the facts, and thus, the believer unlike Flew's theologian or explorer, will neither qualify his belief out of existence, nor admit that it is falsified«. 79 A. Flew, God & Philosophy, London 1966, 14. 80 Allerdings unterscheidet Flew durchaus zwischen den klassischen Problemen der Identifizierbarkeit und Prädizierbarkeit Gottes sowie der Konsistenz der ihm zugeschriebenen Wesensbestimmungen und Eigenschaften (vgl. A. Flew, aaO. 30). Die wesentlichen Aus-

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Auf diese Weise übergeht er nicht nur die für das Verständnis der Religion in der Moderne bestimmend gewordene Stellung des religiösen >SubjektsSinn< abzugewinnen, erweist sich dabei der empiristische Sprachbegriff mit seiner dezidiert realistischen Bestimmung des Verhältnisses von Sprache und Welt. Selbst dort, wo der Versuch unternommen wird, die Sinnhaftigkeit religiöser Aussagen - in welcher Form auch immer - explizit zu verteidigen, bleibt er unbestritten in Geltung. Erst vor diesem Hintergrund einer Abhängigkeit von den Vorgaben der empiristischen Religionskritik - selbst im Versuch ihrer Überwindung - läßt sich ermessen, welche gewaltige Last schließlich diejenigen religionsphilosophischen Ansätze zu schultern genötigt sind, die meinen, um der Sache des Glaubens willen die Religion aus jeglicher vorgängigen sprachphilosophischen Verankerung herauslösen zu müssen. Exemplarisch für den Aufweis jener bleibenden Abhängigkeit von der empiristischen Problemlage steht der Versuch Richard B. Braithwaites81, die Sinnhaf-

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künfte hinsichtlich dieser Fragen meint er vorzugsweise dem römischen Katholizismus entnehmen zu können (vgl. Ders., aaO. 16). Vgl. R.B. Braithwaite, An Empiricists' View of the Nature of Religious Belief. The Ninth Arthur Stanley Eddington Memorial Lecture, Cambridge 1955, wieder in: B. Mitchell (Hg.), The Philosophy of Religion, London 1971, 72-91, dt. Die Ansicht eines Empiristen über die Natur des religiösen Glaubens, in: I.U. Dalferth (Hg.), Sprachlogik

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tigkeit religiöser Aussagen im Rekurs auf ihre moralische Funktion einsichtig zu machen. Denn auf der einen Seite steht er auf dem Boden des Empirismus und übernimmt explizit die Kritik an einem kognitiven Verständnis religiöser Aussagen. Auf der anderen Seite meint er ihre semantische Sinnhaftigkeit dadurch sichern zu können, daß er ihnen die Aufgabe zuweist, bestimmte moralische Verhaltensmaximen durch >Geschichten< zu illustrieren und so zu einer christlich geprägten Lebensweise aufzufordern. Braithwaite nimmt so eine eigentümliche Zwischenstellung ein: Er bestätigt zwar die semantische Durchführung des Verifikationsprinzips mitsamt ihren religionsphilosophischen Konsequenzen; dennoch meint er an einer - wenngleich nichtkognitiven - Sinnhaftigkeit religiöser Aussagen festhalten zu können. Dieser Ansatz erhält seine besondere religionsphilosophische Relevanz aus dem Umstand, daß Braithwaite mit seinem Übergang auf die Ebene der ethischen Lebensführung aus analytischer Perspektive einen Horizont zurückzugewinnen sucht, der in den empiristisch verkürzten Darstellungen von Ayer und Flew gänzlich unberücksichtigt geblieben war. Gleichwohl ist an Braithwaite die kritische Frage zu richten, ob es ihm gelingen kann, seine moralisch-funktionale Bestimmung religiöser Aussagen unter empiristischen Bedingungen zu einem befriedigenden religionsphilosophischen Ansatz auszuarbeiten. Braithwaite geht es darum, »das Verifikationsprinzip der Bedeutung und eine natürliche Weiterentwicklung davon« (167) in seiner Relevanz für die Frage nach der Bedeutung religiöser Aussagen einsichtig zu machen. Damit stellt sich Braithwaite nicht nur grundsätzlich auf den Boden des Empirismus, sondern übernimmt das empiristische Verifikationsprinzip zudem von vornherein in seiner semantisch zugespitzten Fassung82. Doch ebenso wird die andere Linie deutlich, mit der er über die verifikationistische Religionskritik hinauszugelangen sucht: »Wir werden sehen, daß es notwendig sein und mit einer empiristischen Denkweise übereinstimmen wird, das Prinzip dadurch zu modifizieren, daß man Gebrauch ebenso wie Verißzierbarkeit als Bedeutungskriterium zuläßt« (168). Indem Braithwaite sowohl an der empiristischen Grundlage als auch an der Sinnhaftigkeit religiöser Aussagen festhalten will, ist er gezwungen, das Verifikationsprinzip in einer Weise zu modifizieren, die den Bereich religiöser Aussagen einzubeziehen erlaubt, ohne den Boden des Empirismus verlassen zu müssen. Die entscheidende Frage lautet, ob ihm diese Quadratur des Kreises gelingt. Seinen Ausgangspunkt nimmt er bei der semantischen Fassung des Verifikationsprinzips, »daß die Bedeutung einer jeden Aussage durch die Methode ihrer

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des Glaubens 167-189. Im folgenden beziehen sich die Seitenverweise im Text auf die deutsche Übersetzung. — Zu Braithwaites Ansatz vgl. neben den entsprechenden Abschnitten in den genannten Darstellungen insbesondere R.S. Heimbeck, Theology and Meaning 124-165; A. Kreiner, Ende der Wahrheit 481^94; sowie vor allem F. Wagner, Was ist Religion 425^130. Vgl. R.B. Braithwaite, Ansicht 168.

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Verifikation gegeben sei« (ebd.). Darin ist auch für Braithwaite die Reduktion der Wahrheitsbedingungen einer Aussage auf ihre Verifikationsbedingungen impliziert. Eine Aussage hat ausschließlich dann als sinnvoll zu gelten, wenn sie nicht nur wahr oder falsch ist, sondern als wahr oder falsch aufgewiesen werden kann; Bedeutung und Verifikation gehören also konstitutiv zusammen83. Für religiöse Aussagen ergibt sich daraus, »daß die primäre Frage nicht darin besteht, ob eine religiöse Aussage - wie etwa, ein persönlicher Gott habe die Welt erschaffen - wahr oder falsch ist, sondern wie sie als wahr oder falsch erkannt werden könnte« (168). Braithwaite betont ausdrücklich, daß damit insofern eine Radikalisierung der religionsphilosophischen Problemlage einhergeht, als nicht lediglich die Wahrheit, sondern viel grundsätzlicher die Möglichkeit der Wahrheit religiöser Aussagen auf dem Spiel steht84. Die Ausarbeitung des Verifikationsprinzips führt nun Braithwaite zufolge zu dem Ergebnis, daß es drei Klassen empirisch verifizierbarer und damit sinnvoller Aussagen gebe: »Aussagen über empirische Einzeltatsachen, wissenschaftliche Hypothesen und andere empirische Allaussagen und die logisch notwendigen Aussagen der Logik und Mathematik (und ihre Gegensätze)« (169). Sollten also religiöse Aussagen nach Maßgabe des Verifikationsprinzips als sinnvolle Aussage angesehen werden können, so müßten sie sich einer dieser drei Klassen zuordnen lassen; in diesem Fall hätte sich ihr Wahrheitswert in einer den empirischen Einzel- oder Allaussagen oder den mathematischen Aussagen entsprechenden Weise aufweisen zu lassen. Braithwaite verneint dies und behauptet, »daß religiöse Aussagen in ihrer üblichen Verwendung keinen Platz in dieser Trichotomie haben« (169)85. Allerdings schließt er daraus - anders als Ayer und Flew - nicht auf ihre gänzliche >Leere< und Sinnlosigkeit86. Die Nichtverifizierbarkeit impliziere zunächst nur, daß religiöse Aussagen nicht als empirisch >kognitive< und in diesem Sinne >wahrheitsdefmite< Sätze verstanden werden können - über ihre generelle Sinnlosigkeit sei aber damit noch nichts ausgemacht. Als Beispiel führt Braithwaite die moralischen Aussagen an: Auch diese entziehen sich einer empirischen Verifizierbarkeit, lassen sich aber nicht gut als sinnlos qualifizieren. Das entscheidende Kriterium bilde hier ihre faktische Verwendung: »Denn moralische Aussagen haben eine Verwendung als Verhaltensdirektiven, und wenn sie eine Verwendung haben, besitzen sie gewiß eine Bedeutung - in einem gewissen Sinn von Bedeutung« (173). Daraus ergebe sich die Notwendigkeit, das empiristische Verifikationsprinzip so zu modifizieren und auszuweiten, daß es den Aspekt des Gebrauchs als Kriterium der Bedeutung einer sprachlichen Äußerung einbeziehen könne. Dem Verifikationsprinzip soll mithin ein >Gebrauchsprinzip< zur Seite treten: »Die Bedeutung einer jeden Aussage ist durch die Weise gegeben, in der sie gebraucht wird« (173). 83 84 85 86

Vgl. ebd. Vgl. R.B. Braithwaite, aaO. 169. Vgl. zur Durchführung dieser These R.B. Braithwaite, aaO. 169-172. Vgl. R.B. Braithwaite, Ansicht 172.

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Die semantisch entscheidende Frage besteht nun darin, in welcher Weise Verifikations- und Gebrauchsprinzip miteinander ins Verhältnis gesetzt werden müssen: Läßt sich die gebrauchstheoretische Rehabilitierung moralischer Aussagen schlichtweg neben den Ansatz einer verifikationistischen Bedeutungstheorie stellen, lassen sich beide Konzeptionen durch Transformationsoder Ableitungsregeln miteinander verknüpfen oder kann das Verhältnis beider angemessen nur als Versuch einer gegenseitigen Ersetzung begriffen werden? Erschwerend kommt hinzu, daß die verifikationistische Bedeutungstheorie zwei Spielarten eröffnet je nachdem, ob im Anschluß an den Wiener Kreis der Aspekt der empirischen Verifizierbarkeit in den Vordergrund gerückt oder im Anschluß an Michael Dummett die gemäßigtere, aber programmatisch antirealistisch zugespitzte Komponente der gerechtfertigten Behauptbarkeit betont wird. Umgekehrt steht die Gebrauchstheorie der Bedeutung von vornherein in einem engen Zusammenhang mit dem Verifikationsprinzip. Die Gebrauchstheorie wird zumeist auf Wittgenstein zurückgeführt87; doch ist umstritten, in welcher Weise er deren Ausarbeitung von dem ebenfalls von ihm eingeführten Verifikationsprinzip der Bedeutung abgegrenzt wissen will88. Immerhin läßt sich kaum ernsthaft bezweifeln, daß die Gebrauchstheorie als eine Kritik an der empiristischen Interpretationslinie des Verifikationsprinzips gelesen werden muß: Die Verifikation setzt immer schon die Bedeutung voraus, die sie erst zu konstituieren versucht. Es scheint daher, daß die Gebrauchstheorie der Bedeutung die antirealistischen Implikationen des Verifikationismus gegen dessen realistische Voraussetzungen zur Geltung zu bringen versucht. Doch auf der anderen Seite beruft sich die antirealistische Fortführung der verifikationistischen Bedeutungstheorie gerade auf Wittgensteins Verknüpfung von Bedeutung und Gebrauch und propagiert damit eine Traditionslinie, die einen von seinen empiristischen Relikten gereinigten semantischen Verifikationismus zusammen mit der Gebrauchstheorie gegen einen wahrheitskonditionalen Realismus ins Feld zu führen versucht. So komplex sich also die semantische Debatte darstellt, kommt sie doch zumindest in zwei Punkten überein: (1) Es läßt sich sehr wohl für eine Verknüpfung von Verifikationsprinzip und Gebrauchsprinzip argumentieren - wenngleich damit noch gänzlich offen ist, in welcher Weise diese Verknüpfung zu gestalten ist. (2) Freilich setzt sie die Aufgabe des empiristischen Hintergrundes des Verifikationsprinzips voraus. Denn während der empiristische Rahmen auf ein realistisches Gegenüber von Sprache und Welt fixiert ist, zielt die Gebrauchstheorie gerade umgekehrt auf eine Überwindung dieses Realismus.

Damit tritt die Problematik des Braithwaiteschen Vorschlages offen zu Tage. Er behauptet, das Verifikationsprinzip so aus dem Gebrauchsprinzip ableiten zu können, daß sich ein »Abfall vom Geist des Empirismus« (173) vermeiden läßt89. Auf diese Weise stellt er die Diskussionslage um die Gebrauchstheorie der Bedeutung auf den Kopf. Seine Intention geht dahin, sie in einer Weise zur Geltung zu bringen, die es ihm erlaubt, an der empiristischen Grundlage des Verifikationsprinzips festzuhalten. Gebrauchs- und Verifikationsprinzip werden nicht so miteinander verknüpft, daß - wie es Dummett initiiert - das Verifikationsprinzip von seinen empiristischen Implikationen abgelöst und auf das Gebrauchsprinzip als dessen konsequente sprachphilosophische Ausarbeitung bezogen wird. Stattdessen sucht Braithwaite an Gebrauchsprinzip und verifika87 88

89

Vgl. L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, hg. von G.E.M. Anscombe, G.H. von Wright, R. Rhees, in: Ders., Werkausgabe, Bd. l, Ffm 1989, 227-580, § 43. Vgl. F. Waismann, Wittgenstein und der Wiener Kreis, hg. von B.F. McGuinness, in: L. Wittgenstein, Werkausgabe, Bd. 3, Ffm 1989, 47; vgl. dazu P.M.S. Hacker, Einsicht und Täuschung. Wittgenstein über Philosophie und die Metaphysik der Erfahrung, Ffm 1978, 218-220. Vgl. R.B. Raithwaite, Ansicht 173.

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tionistischem Empirismus festzuhalten und beide so miteinander zu verknüpfen, daß sich das Verifikationsprinzip aus dem Gebrauchsprinzip ableiten läßt. Damit aber verstrickt er sich in Aporien. (1) Das Verifikationsprinzip soll zwar durch das Gebrauchsprinzip eine Ausweitung erfahren, dabei aber doch als Bedeutungskriterium Bestand haben. Damit stellt sich die Frage, wie sich der Geltungsbereich beider Prinzipien voneinander abgrenzen läßt: Wie können Aussagen, deren Bedeutung durch den Aufweis ihrer empirischen Verifizierbarkeit festzulegen ist, von anderen Aussagen unterschieden werden, die dem Gebrauchsprinzip zu unterstellen sind? Diese Unterscheidung setzt selbst wieder eine Bedeutungstheorie voraus, da die fragliche Grenze wohl nicht anders als durch den Rekurs auf bestimmte sprachlogisch-bedeutungstheoretische Eigenschaften der entsprechenden Aussagen gezogen werden kann. Die Braithwaitesche Konzeption läßt sich mithin nur dann vertreten, wenn das Verifikationsprinzip als das untergeordnete Element einer Bedeutungstheorie aufgewiesen werden kann, die die Zuweisung sprachlicher Aussagen in den Geltungsbereich des Verifikationsprinzips regelt und dieses als Bedeutungskriterium in Geltung setzt. Braithwaite beruft sich für diese übergreifende Bedeutungstheorie auf das Gebrauchsprinzip. Die semantische Beibehaltung des Verifikationsprinzips setzt also voraus, dieses aus der Gebrauchstheorie der Bedeutung so >ableiten< zu können, daß die empirische Verifizierbarkeit als der für eine bestimmte Klasse von Aussagen anzuwendende Sonderfall einer gebrauchstheoretischen Bedeutungstheorie einsichtig wird. (2) Diese postulierte >Ableitbarkeit< des Verifikations- aus dem Gebrauchsprinzip erweist sich aber als undurchführbar. Denn beide stehen für zwei gänzlich disparate sprachphilosophische Ansätze, insofern das Verifikationsprinzip ein Gegenüber von Sprache und Welt voraussetzt, von dem sich das Gebrauchsprinzip gerade zu lösen versucht. Während im ersten Fall die Differenz von Sprache und Welt immer schon so in Anspruch genommen wird, daß der verifikationistische Zugriff auf das nichtsprachlich >Gegebene< eine bedeutungskonstituierende Funktion erfüllt, gründet das Gebrauchsprinzip in der umgekehrten Einsicht, die verifikationistische Relation zwischen Sprache und Welt nur innerhalb eines beide Relate schon übergreifenden >grammatischen< Rahmens einsichtig machen zu können. Wird die Differenz zwischen Sprache und Welt im einen Fall vorausgesetzt, um sie bedeutungstheoretisch überbrücken zu können, so steht im ändern Fall die Bedeutungstheorie bereits im Hintergrund, wenn von einer Differenz zwischen Sprache und Welt überhaupt soll gesprochen werden können: Statt sie erst vermitteln zu müssen, ist sie immer schon vermittelt. Allerdings bleibt Braithwaite es nicht nur schuldig, seine These einer >Subsumierung< des Verifikations- unter das Gebrauchsprinzip konsistent einzulösen; vielmehr geht er faktisch sogar umgekehrt vor und bindet das Gebrauchsprinzip selbst wieder an eine empiristische Grundlegung zurück. So lautet seine entscheidende These: »Das ältere Verifikationsprinzip ist unter das neue Gebrauchsprinzip subsumiert: der Gebrauch einer empirischen Aussage leitet sich von der

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Tatsache her, daß die Aussage empirisch verifizierbar ist« (173). Dabei widerspricht aber der zweite Satz dem ersten: Statt der Subsumierung des Verifikations- unter das Gebrauchsprinzip propagiert Braithwaite die Gründung des Gebrauchs auf die empirische Verifizierbarkeit. Wenn die empirische Verifizierbarkeit einer Aussage als die Bedingung ihres faktischen Gebrauchs als empirische Aussage eingeführt wird, kann gerade nicht mehr von einer Subsumierung des Verifikations- unter das Gebrauchsprinzip die Rede sein, sondern muß die Relation beider mit umgekehrtem Richtungssinn geknüpft werden. Dem scheint zu entsprechen, daß Braithwaite die Bestimmung der Verwendung einer Aussage - und damit die Explikation ihrer Bedeutung - einer empirischen Untersuchung überantwortet: »Überdies ist die einzige Methode, die Verwendung einer Aussage herauszufinden, eine empirische Untersuchung: eine Aussage braucht selbst nicht empirisch verifizierbar zu sein, aber daß sie auf eine bestimmte Weise gebraucht wird, ist immer ein direkter empirischer Satz« (ebd.). Hier gehen Braithwaite erneut die Ebenen durcheinander. Die Frage nach dem Aufweis der Bedeutung einer Aussage ist von der anderen Frage zu unterscheiden, auf welche Weise diese Bedeutung konstituiert wird. Braithwaite verwechselt Entdeckungs- und Begründungszusammenhang und kann nur so für seine Rückführung des Gebrauchs- auf das Verifikationsprinzip Plausibilität beanspruchen. Es zeigt sich, daß Braithwaite in eigentümlicher Unausgewogenheit90 die bedeutungstheoretische Enge des verifikationistischen Empirismus zu überwinden sucht und ihr doch verhaftet bleibt. So sieht er zwar sehr wohl, daß die Rehabilitierung der Sinnhaftigkeit moralischer Aussagen einer Ausweitung des empiristischen Verifikationsprinzips bedarf und schließt sich dabei dem von Wittgenstein herstammenden Gebrauchsprinzip an. Die tiefgreifenden Folgen dieser Ausweitung bleiben ihm jedoch verschlossen. Indem er weiterhin an der Geltung des Verifikationsprinzips ebenso wie an einer empiristischen Grundlegung des Sprachbegriffs festhält, gelingt es ihm nicht, Verifikations- und Gebrauchsprinzip angemessen miteinander ins Verhältnis zu setzen. Stattdessen liegen zwei gegenläufige und schon je für sich unhaltbare Gedankenlinien miteinander im Streit: Der Versuch einer gebrauchstheoretischen Reformulierung des Verifikationsprinzips scheitert an dessen empiristischer Grundlegung; umgekehrt vermag die empiristische Einholung des Gebrauchsprinzips dessen bedeutungstheoretischen Implikationen nicht gerecht zu werden. So stehen Verifikationsund Gebrauchsprinzip einander letztlich unvermittelt und unreguliert gegenüber. Die folgende Auseinandersetzung mit der These einer moralischen Funktion religiöser Aussagen wird zeigen, daß dieses ungeklärte Nebeneinander zweier semantischer Ansätze den Versuch einer gebrauchstheoretischen Einholung der 90

Die Ratlosigkeit von W.D. Just, Religiöse Sprache 101, Braithwaites Ausführungen zu verstehen, ist ein deutlicher Ausdruck dieser mehrfachen gedanklichen Irrwege; vgl. auch F. Wagner, Was ist Religion 426.

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Sinnhaftigkeit religiöser Aussagen negativ auf die empiristische Problemlage bezogen sein läßt und daher gerade nicht dazu führen kann, ein die empiristischen Zwänge überwindendes Verständnis religiöser Aussagen zu entfalten.

3.2 Die religionsphilosophischen Konsequenzen Braithwaite knüpft an seine gebrauchstheoretische >Ausweitung< des Verifikationsprinzips an, um nun in einem zweiten Schritt die religiösen Aussagen als modifizierte moralische Behauptungen im Rahmen einer nichtpropositionalen Ethik interpretieren zu können. Dabei vertritt er eine >konative< statt >emotive< Theorie moralischer Aussagen: »Sie sieht den primären Gebrauch einer moralischen Behauptung darin, daß sie die Intention des Sprechers zum Ausdruck bringt, auf eine ganz bestimmte, in der Behauptung spezifizierte Art und Weise zu handeln« (174). Braithwaite unterscheidet diese konative Bestimmung moralischer Aussagen nicht nur von dem seiner Auffassung nach gescheiterten Versuch einer propositional-kognitiven Ethik, sondern auch von der in Abgrenzung davon zumeist vertretenen nichtpropositional-emotiven Bestimmung moralischer Aussagen, derzufolge sie die Einstellung des Sprechers gegenüber einer bestimmten Handlung zum Ausdruck bringen sollen. Denn anders als diese beiden Ansätze vermag allein eine konative Theorie den Graben zwischen moralischem Urteil und Handlungsintention zu überbrücken. Insofern bestehe der Vorteil einer konativen Bestimmung moralischer Aussagen darin, »daß allein sie eine zufriedenstellende Antwort auf die Frage ermöglicht: Aus welchem Grund handle ich so, wie ich denke, daß ich handeln soll? Ihre Antwort lautet: wenn ich denke, ich sollte die Handlung tun, dann ist das meine Intention, sie wenn möglich zu tun. Daher ist mein Grund für das Ausführen der Handlung einfach, daß ich intendiere, diese wenn möglich zu tun« (175). Läßt sich also die Bedeutung einer moralischen Aussage so bestimmen, daß sie die Handlungsintention ihres Sprechers zum Ausdruck zu bringt, dann ist darin der Grund für die Ausführung der Handlung impliziert und das Problem, zwischen der Erkenntnis des Guten und dem ihm entsprechenden Handeln vermitteln zu müssen, bereits im Ansatz unterlaufen: »Bei jeder anderen ethischen Ansicht wird es zwischen dem moralischen Urteil und der Intention, in Übereinstimmung mit ihm zu handeln, eine mysteriöse Kluft geben, die irgendwie überbrückt werden muß: es gibt keine solche Kluft, wenn der primäre Gebrauch einer moralischen Behauptung darin besteht, eine derartige Intention zu erklären« (175)91. 9l

Hier erliegt Braithwaite jedoch einem gedanklichen Kurzschluß. So besteht eines der Hauptprobleme der analytischen Handlungstheorie gerade darin, wie zu erklären ist, daß eben nicht aus der Einsicht des Guten immer auch das Tun des Guten folgt. Die entscheidende Aufgabe lautet mithin nicht, die Kluft zwischen moralischem Urteil und Handlungs-

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Diese konative Funktionsweise moralischer Aussagen bringt Braithwaite auch für religiöse Aussagen in Anschlag. Sie lassen sich so »als Bekanntmachungen der Befolgung einer Handlungsmaxime, Erklärungen der Bindung an eine Lebensweise« (176) einsichtig machen. Religiöse Aussagen zielen darauf ab, die Intention zu einer bestimmten Verhaltensmaxime oder Lebensweise92 in einer Weise zum Ausdruck zu bringen, die umgekehrt erst ihre Bedeutungshaftigkeit konstituiert: »Ich behaupte also, daß der primäre Gebrauch religiöser Behauptungen in der Bekanntgabe der Bindung an eine Menge moralischer Prinzipien besteht: ohne eine solche Bindung gibt es keine >echte ReligionGeschichten< einschließt. Und drittens parallelisiert Kant nicht nur die (äußere) Besserung der Sitten und die (innere) Umwandlung der Denkungsart, sondern fordert, radikaler als Braithwaite, daß die als Revolution der Denkungsart vorgestellte >Änderung des Herzens< der allmählichen Reform der Sinnesart vorhergehen müsse«. 95 Vgl. R.B. Braithwaite, Ansicht 177.

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als auch zwischen verschiedenen Religionen unterschiedlich akzentuiert werden. Für den Fall christlicher Behauptungen gelte jedoch, »daß sie Intentionen zur Befolgung einer agapeistischen Lebensweise proklamieren« (178). (2) Während die intendierten Verhaltensmaximen im Fall moralischer Aussagen in der Form theoretisch abstrakter Erörterungen vermittelt werden, beschränken sich religiöse Aussagen auf das Medium konkreter Beispielsgeschichten96. Sie erfüllen für Braithwaite drei Funktionen. So erlaube es die Rede von >GeschichtenChristlichkeitGeschichten< dazu bei, die spezifische Funktion der religiösen Gehalte im Kontext der Umsetzung moralischer Verhaltensintentionen benennen zu können. Die religiösen Geschichten - und damit die durch sie zum Ausdruck gebrachten religiösen Gehalte - verfolgten den Zweck, »den Entschluß eines religiösen Menschen, einer bestimmten Lebensweise zu folgen, psychologisch zu unterstützen«101. Damit wird die Funktion religiöser Gehalte zugleich sichergestellt und relativiert: Auf der einen Seite kommt ihnen die Funktion zu, eine Verhaltensmaxime so zum Ausdruck zu bringen, daß die Entscheidung eines religiösen Menschen psychologisch unterstützt werden kann102; auf der anderen Seite jedoch geht dieser Entschluß dem religiösen Gehalt immer schon unabhängig voraus: »Bei einer religiösen Über-

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Braithwaite verweist hier auf die Parabel vom barmherzigen Samariter Lk 10,25-37; vgl. Ders., aaO. 179. Vgl. R.B. Braithwaite, aaO. 181: »Mit einer Geschichte meine ich hier einen Satz oder eine Menge von Sätzen, die direkt empirisch sind und empirisch überprüft werden können und an die von einem religiösen Menschen im Zusammenhang mit seinem Entschluß gedacht wird, die von seiner Religion befürwortete Lebensweise zu befolgen«. Vgl. R.B. Braithwaite, aaO. 181f. Es fragt sich jedoch, ob es unter Braithwaites sprachphilosophischen Voraussetzungen überhaupt möglich ist, zwischen Propositionalität und empirischer Verifizierbarkeit zu unterscheiden. Vgl. R.B. Braithwaite, Ansicht 183. F. Wagner, Was ist Religion 429; vgl. R.B. Braithwaite, Ansicht 183: »Wenn die religiösen Geschichten nicht geglaubt werden müssen, welche Funktion erfüllen sie dann in der komplexen Geistes- und Verhaltensverfassung, die als religiöser Glaube bekannt ist? Wie hängt die Vergegenwärtigung der Geschichte mit dem Entschluß zusammen, eine bestimmte Lebensweise zu befolgen? Meine Antwort ist, daß die Beziehung psychologisch und kausal ist« Vgl. R.B. Braithwaite, Ansicht 186.

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zeugung ist der Entschluß, einer Lebensweise zu folgen, primär und ist weder vom Glauben und noch weniger vom Gedanken an irgendeine empirische Geschichte abgeleitet« (186). Es bestehe also »kein innerer Zusammenhang zwischen Gedanke und Handlung« (185). Dieser sei vielmehr rein kausal zu bestimmen: Eine religiöse Geschichte bietet eine psychologische Unterstützung, stelle aber keine logische Bedingung für den religiösen Entschluß eines Menschen dar. (3) Im Unterschied zu moralischen Aussagen wirken religiöse Aussagen nicht nur auf eine äußerliche, sondern auch eine innerliche Verhaltensänderung hin: »Es geht nicht nur um einen Wandel des äußerlichen Menschen, sondern um den Wandel des Herzens«103. Damit lasse sich ein weiteres Mal dem engen Zusammenhang von religiöser Überzeugung und Handeln Rechnung tragen. Das schon bei moralischen Aussagen geltend gemachte Band zwischen Urteil und Handlung werde so im Rekurs auf eine religiöse >Innerlichkeit< nochmals enger geknüpft.

Braithwaite entfaltet ein moralisch-funktionales Religionsverständnis, das die religiösen Aussagen an eine konative Bestimmung moralischer Aussagen anzuschließen versucht, dabei aber um die Wahrung der Differenz von Religion und Moral bemüht ist. Seinen Ansatz faßt er in folgender Weise zusammen: »Ein moralischer Glaube ist eine Intention, sich auf eine bestimmte Weise zu verhalten: ein religiöser Glaube ist eine Intention, sich auf eine bestimmte Weise zu verhalten (ein moralischer Glaube), zusammen mit der Vergegenwärtigung bestimmter Geschichten, die mit der Intention im Geist des Gläubigen verknüpft sind« (187). Er nimmt für sich in Anspruch, eine Vermittlung zwischen empiristischer Grundlegung und religiösem Selbstverständnis geleistet zu haben, die beiden Seiten gerecht wird: »Diese Lösung des Problems religiösen Glaubens scheint mir sowohl der Forderung des Empiristen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, Bedeutung müsse an einen empirischen Gebrauch gebunden sein, als auch dem Anspruch des religiösen Menschen, seine religiösen Glaubensansichten seien ernst zu nehmen« (ebd.). Doch trotz dieser optimistischen Selbsteinschätzung läßt sich zeigen, daß Braithwaites moralische Reduktion religiöser Aussagen vor Schwierigkeiten steht, die ihrerseits bereits in seinem sprachphilosophischen Grundansatz beschlossen liegen. (1) So erweist sich bereits sein Verständnis von Moral und Ethik als problematisch. Denn er scheint diese Thematik auf eine lediglich individualethische Dimension einzuschränken. Die ausschließliche Bindung an bestimmte Verhaltensmaximen reduziert den Bereich von Moral und Ehtik auf die intendierten Verhaltensoptionen eines handelnden Subjekts, ohne mit der Ausweitung der Perspektive auf die soziale Einbettung von Handlungsnormen und -folgen das sozialethische Vermittlungsproblem zwischen Individuum und Gesellschaft in den Blick nehmen zu können. Die konative Explikation der Bedeutung moralischer Aussagen leidet an der Einseitigkeit, mit der das handelnde Individuum ohngeachtet seiner gesellschaftlichen Verankerung als alleinige Instanz moralischer Überzeugungen und Entscheidungen geltend gemacht wird. Mit dieser individualethischen Engführung verknüpft sich ein weiterer Aspekt: Indem Braithwaite auf die Ebene einer Begründung moralischer Aussagen 103 W.D. Just, Religiöse Sprache 98; vgl. auch R.B. Braithwaite, Ansicht 180.

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und damit die Thematik einer Reflexion auf den Geltungsanspruch moralischer Aussagen gänzlich verzichtet, reduziert er faktisch Ethik auf Paränese. Diese Konsequenz deutet sich bereits in der mangelnden terminologischen Unterscheidung zwischen Moral und Ethik an; sie findet ihren sichtbaren Ausdruck darin, daß Braithwaite zwar die intendierte Bindung an bestimmte moralische Verhaltensmaximen betont, dabei aber die Frage nach der Geltung dieser Maximen gänzlich ausklammert. Der im Rekurs auf ihre konative Funktion unternommene Versuch einer bedeutungstheoretischen Rehabilitierung moralischer Aussagen vermag lediglich die Intention des handelnden Subjekts zum Ausdruck zu bringen, einer bestimmten Verhaltensmaxime zu folgen, während die Frage nach der Geltung dieser Maxime dem sprachphilosophischen Zugriff entzogen zu bleiben scheint. Dann aber kann von einer >ethischen Theorie< keine Rede mehr sein. An ihre Stelle tritt die paränetische Verpflichtung auf bestimmte moralische Normen, die in ihrer unhinterfragten Vorgegebenheit zugleich als Resultat einer in gleicher Weise dezisionistischen wie relativistischen Moral erscheinen müssen. Die konative Interpretation moralischer Ausagen scheitert daran, daß sie der notwendigen Ebene praktischer Rationalität nicht Rechnung zu tragen vermag. Damit hängt schließlich ein dritter Punkt zusammen. Als Konsequenz seines dichotomischen Sprachbegriffs - der eine scharfe Trennung zwischen kognitiven und nichtkognitiven Aussagen vorschreibt - ist Braithwaite dazu gezwungen, auch zwischen den beiden Bereichen von >Erkennen< und >Handeln< eine strikte Grenze zu ziehen. Es erklärt sich mithin als Folge seines Sprachbegriffs, daß Braithwaite die Ebene praktischer Rationalität nicht einholen kann. Der Bereich nichtkognitiver Aussagen wird lediglich in Abgrenzung von den kognitiven Aussagen bestimmt und kann daher keine der Kognitivität zugeschriebenen Attribute übernehmen. Wird also die Ebene kognitiver Aussagen als Inbegriff diskursiver - wahrheitsdefiniter - Rationalität expliziert, so muß die Ebene nichtkognitiver Aussagen auf eine entsprechende Form von Rationalität verzichten. Die Dichotomic zwischen empirischer Verifizierbarkeit und moralischer Intentionalität hat zur Folge, daß zwischen Welterkenntnis und Weltumgang keine Verbindungslinie mehr besteht - weder läßt sich die epistemische Perspektive ethisch umsetzen noch kann sich eine ethische Reflexion auf epistemische Aspekte berufen. (2) Auch die Verhältnisbestimmung zwischen moralischen und religiösen Aussagen stellt vor gewichtige Probleme. So fällt auf, daß an die Stelle der klassischen Entlassung der Moral aus der Religion die faktische Reduktion der Religion auf die Moral tritt. Braithwaite expliziert die religiösen Aussagen als mythologische Illustrationen moralisch-ethischer Verhaltensmaximen - aber nicht so, daß sich die religiösen Gehalte in eine bestimmte Weise des ethischen Weltumgangs hinein >aufhebenbegründetethische< Umsetzung in eine - freilich weiter gefaßte Form der Lebens- und Weltgestaltung impliziert105. Doch als christliche Aussagen erweisen sie sich wesentlich dadurch bestimmt, daß diese intendierte ethische Umsetzung auf ihre Anknüpfung an bestimmte christliche Gehalte zurückgeführt werden muß. Die Gehalte des christlichen Glaubens stehen zwar in einem engen Zusammenhang mit der Frage ihrer ethischen Realisierung. Doch sie lassen sich nicht darauf reduzieren: Wird die Differenz zwischen religiösem Gehalt und ethischer Handlungsmaxime eingezogen, verliert die Religion ihre inhaltliche Bestimmtheit und die von ihr propagierte >agapeistische< Lebensweise ihren religiösen Rückhalt. Die moralisch-funktionale Reduktion religiöser Aussagen zwingt Braithwaite insofern zu einer Perspektive auf die Religion, die um der direkten moralischen Zuspitzung willen den inneren Zusammenhang zwischen der inhaltlichen Bestimmtheit des Glaubens und seiner ethischen Realisierung nicht mehr aufrechtzuerhalten vermag. Der Durchgang durch die religionsphilosophische Ausarbeitung dieses moralisch-funktionalen Ansatzes bestätigt also die bereits im Zuge der sprachphilosophischen Grundlegung gewonnene Einsicht: Mit seinem Versuch, auf der Grundlage des Empirismus selbst über dessen eng gesteckte Grenzen hinausgelangen zu wollen, verschreibt sich Braithwaite einer unlösbaren Aufgabe. Zwar müht er sich darum, die rigide Verknüpfung von Sinnhaftigkeit und empirisch verifizierbarer Kognitivität zu lockern, um so zumindest eine nichtkognitive Sinnhaftigkeit moralischer und religiöser Aussagen sichern zu können. Doch gerade diese Ersetzung der >altempiristischen< Fixierung auf die empirische Verifizierbarkeit durch die Einführung einer >neuempiristischen< Differenz von Kognitivität und Nichtkognitivität kleidet die alten Probleme nur wieder in neue Gewänder. Weil die Dichotomic zwischen Kognitivität und Nichtkognitivität keine andere Möglichkeit zuläßt, müssen die religiösen Gehalte als Geschichten aufgefaßt werden, die eine Form moralischen Verhaltens illustrieren. Ein dritter Weg jenseits von empirischer Kognitivität und moralischer Nichtkognitivität läßt sich auf der Grundlage des empiristischen Sprachbegriffs nicht formulieren. Abgesehen von dem sprachphilosophischen Umstand, daß auch die Reduktion religiöser Aussagen auf den Status mythologisch-allegorischer Geschichten noch aporetisch bleibt und dem empiristischen Ansatz in den Rücken fällt, ist das entscheidende religionsphilosophische Problem darin zu sehen, daß der Versuch einer nichtkognitiven Rettung der Religion nur wieder um den Preis ihrer inhaltlichen Bestimmtheit ins Werk gesetzt werden kann. Es gelingt Braithwaite eben nicht, 105 Vgl. F. Wagner, Was ist Religion 429f.

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Kapitel 2: Die Anfänge der analytischen Religionsphilosophie

die inhaltliche Bestimmtheit des Glaubens in einer Weise zum Ausdruck zu bringen, die sie in gleicher Weise davor bewahrt, entweder auf den Status einer empirischen Hypothese reduziert oder umgekehrt in die letztlich beliebige Verfügungsmasse anschaulicher Beispielerzählungen aufgelöst zu werden.

Kapitel 3

Die epistemische Wende in der analytischen Religionsphilosophie und das Problem der religiösen Eigenständigkeit L Eine Skizze der analytischen Epistemologie Der Titel >analytische Philosophie< täuscht die methodische ebenso wie thematische Einheitlichkeit einer philosophischen Richtung vor, die so nicht einmal zu ihren Anfängen bestanden hat. Die beiden auf Frege zurückgehenden Errungenschaften der modernen Logik und der sprachlichen Wende< spannen nur einen formalen Rahmen auf, innerhalb dessen von Moores logischer Analyse über Russells Atomismus und Wittgensteins sprachlogischem Grenzgang bis hin zu Carnaps formaler Semantik und Neuraths holistischer Wissenschaftsphilosophie eine Vielzahl höchst unterschiedlicher und sogar teilweise gegensätzlicher analytischer Ansätze zur Entfaltung kommt. Sie alle eint zunächst die strenge Ausrichtung auf die Sprache und eine grundsätzliche Ablehnung jeglicher Form von Metaphysik. Doch schon bald geraten auch diese Eckpfeiler ins Wanken. Im Zuge der allmählichen Wiederaufnahme des klassischen philosophischen Themenbestandes werden die Konturen unscharf und verschwimmen schließlich ganz. Die Sprachphilosophie kann in den Status einer philosophischen Grunddisziplin einrücken, um die klassischen Probleme der Metaphysik zu reformulieren statt zum Verschwinden zu bringen1, und sogar das lange verpönte Thema der Bewußtseinsphilosophie erlebt eine Renaissance, die die Frage nach dem Verhältnis von Geist und Materie geradezu in den Mittelpunkt des gegenwärtigen philosophischen Interesses rücken läßt2. Es nimmt daher nicht wunder, daß neben der Beschäftigung mit den Problemen von Bedeutung und Verstehen immer auch andere philosophische Themen die Aufmerksamkeit der analytischen Philosophie auf sich gezogen haben. Diese läßt sich mithin wohl - formal - dadurch umschreiben, daß sie im Umgang mit philosophischen Problemen dem Phänomen der Sprache einen besonderen Stellenwert zuweist, doch daraus folgt keineswegs, daß sie sich jemals ausschließlich als Sprachphilosophie im engeren Sinne verstanden hat. Zu den durchgehenden Themenbeständen der analytischen Philosophie gehört auch die klassische Erkenntnistheorie - wenngleich nun so, daß an die Stelle der 1 2

Vgl. etwa M. Dummett, The Logical Basis of Metaphysics, London 1991, 1-19. Vgl. dazu D. Davidson, The Myth of the Subjective, in: M. Benedikt, R. Burger (Hgg.), Bewußtsein, Sprache und die Kunst, Wien 1988, 45-54, dt. Der Mythos des Subjektiven, in: Ders., Der Mythos des Subjektiven. Philosopische Essays, Stuttgart 1993, 84-107.

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Kapitel 3: Die epistemische Wende

überkommenen Konstitutionstheorie der Erkenntnis die sprachphilosophisch gewendete Frage nach der epistemischen Rechtfertigung von Aussagen tritt3. Bereits Russell4 und Ayer5 haben sich intensiv mit erkenntnistheoretischen Problemen beschäftigt, und auch Wittgensteins letzte Aufzeichnungen Über Gewißheit kreisen hauptsächlich um die Fragen nach der >grammatischen< Struktur und Das philosophische Problem der Erkenntnis hat vor dem Hintergrund der > sprachlichen Wende< des 20. Jhs. eine entscheidende Umwandlung erfahren. An die Stelle der überkommenen Frage nach der Möglichkeit von Erkenntnis tritt nun die Frage nach der epistemischen Rechtfertigung sprachlicher Äußerungen. Darin ist ein Doppeltes impliziert: (1) Die klassische Erkenntnistheorie steht im Bann der skeptischen Frage nach der Möglichkeit von Erkenntnis überhaupt. Mit ihrer Ausrichtung auf das menschliche Erkenntnisvermögen und dem Entwurf einer Konstitutionstheorie der Erkenntnis versucht sie dieser Skepsis Zügel anzulegen. Dabei verstrickt sie sich jedoch in ein unaufhebbares Dilemma: »Die Untersuchung des Erkennens kann nicht anders als erkennend geschehen; bei diesem sogenannten Werkzeuge heißt dasselbe untersuchen nichts anderes als es erkennen. Erkennen wollen aber, ehe man erkenne, ist ebenso ungereimt als der weise Vorsatz jenes Scholastikus, schwimmen zu lernen, ehe er sich ins Wasser wage« (G.W.F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse [1830], hg. von F. Nicolin, O. Pöggeler, Hamburg 1991, 43). Erst der Übergang zur Frage nach der epistemischen Rechtfertigung sprachlicher Äußerungen erlaubt es, mit dem Verzicht auf jene Konstitutionstheorie auch die skeptische Frage nach der Möglichkeit von Erkenntnis überhaupt hinter sich zu lassen. Damit ist freilich das Problem der Skepsis nicht erledigt. Der Skeptiker wird nun bezweifeln, daß unsere sprachlich artikulierten Überzeugungen je die >wahre< Welt erfassen oder daß dieses zumindest niemals zweifelsfrei festgestellt werden könnte. Mithin hängt alles an der Frage, wie die epistemologische Grunddifferenz von Sprache und Welt zu bestimmen ist, die der Skeptiker im Zuge seines Arguments in Anspruch nimmt (vgl. dazu vor allem G. Abel, Interpretationswelten. Gegenwartsphilosophiejenseits von Essentialismus und Relativismus, Ffm 1993). (2) Hinzu kommt in der analytischen Erkenntnistheorie eine strikte Trennung zwischen kausaler Genese und logischer Geltung - zwischen der quaestio facti und der quaestio iuris. Die Frage nach der epistemischen Rechtfertigung einer sprachlichen Äußerung hat ihren Ort ausschließlich im logischen Raum der Gründe. Die Frage nach dem faktischen Zustandekommen der Erkenntnis gehört in den Bereich der Naturwissenschaften, nicht aber in die Erkenntnistheorie. Von daher erscheint es verständlich, daß gerade der klassischen Erkenntnistheorie der Vorwurf gemacht wird, sie habe Genese und Geltung sträflich miteinander vermengt. Es lasse sich zeigen, daß sie »auf einer Kontamination der Rechtfertigung von Wissensansprüchen und ihrer kausalen Erklärung beruht - sozialer Praktiken und postulierter psychischer Vorgänge« (R. Rorty, Der Spiegel der Natur. Eine Kritik der Philosophie, Ffm 1981, 20). Dabei steht jedoch im Hintergrund die sehr viel weiterreichende Voraussetzung eines realistischen Gegenübers von Sprache und Welt. Die Erkenntnis wird folgerichtig in Analogie zur Metapher des Spiegels als die Darstellung von Sachverhalten im Bewußtsein gedeutet (vgl, R. Rorty, aaO. 149-340). Fällt diese Voraussetzung fort, ergeben sich überraschende Konsequenzen. So verliert die anfänglich zentrale Frage nach einer möglichen Übereinstimmung von Sprache und Welt ihre philosophische Relevanz. Die Erkenntnistheorie wird externalisiert und naturalisiert: Während sich die Frage nach der logischen Geltung einer Aussage von der Aufgabe verabschiedet, die Differenz von Sprache und Welt erst überbrücken zu müssen, erfährt die Frage nach der kausalen Genese neuen Auftrieb - doch nun in einem epistemologisch gänzlich unspektakulären Sinn. Vgl. B. Russell, Our Knowledge of the External World, Chicago 1914; sowie Ders., Human Knowledge: Its Scope and Limits, London 1948. Vgl. A.J. Ayer, The Foundations of Empirical Knowledge, New York 1940; sowie Ders., The Problem of Knowledge, London 1956.

l. Eine Skizze der analytischen Epistemologie

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möglichen Einlösung von Erkenntnisansprüchen6. In den fünfziger Jahren erfährt diese Beschäftigung mit erkenntnistheoretischen Problemen einen zusätzlichen Auftrieb durch die Arbeiten von Roderick M. Chisholm7; es kommt zur Ausbildung einer eigenständigen Disziplin der analytischen Epistemologie8. Hier stehen sich zwei gegensätzliche Auffassungen gegenüber. Der epistemische Fundamentalismus9 unterscheidet zwischen zwei Arten von epistemischer Rechtfertigung. Eine Aussage werde entweder inferentiell durch den Rekurs auf andere Aussagen oder aber nichtinferentiell durch den Rekurs auf direkte Sinneswahrnehmungen gerechtfertigt. Diese Unterscheidung sei notwendig, um dem Vgl. dazu T. Morawetz, Wittgenstein and Knowledge. The Importance of On Certainty, Amherst 1978; S.C. Fay, Zweifel und Gewißheit beim späten Wittgenstein, Ffm 1992; sowie M. Kober, Gewißheit als Norm. Wittgensteins erkenntnistheoretische Untersuchungen in Über Gewißheit, Berlin 1993. Vgl. auch W. Lütterfelds, Jenseits von Cartesianismus und Skeptizismus? Wittgensteins Paradox kontingenter Gewißheit, in: ZphF 43 (1993), 352-369; sowie unten Kapitel 6, 2.2.1. Die Initialzündung für die Entstehung einer eigenständigen analytischen Erkenntnistheorie gibt R.M. Chisholm, Perceiving. A Philosophical Study, Ithaca 1957. Zu den Standardwerken gehört bis heute die in mehreren Auflagen erschienene und jeweils tiefgreifend veränderte und erweiterte Monographie Ders., Theory of Knowledge, Englewood Cliffs 1966, 3 1989, dt. Erkenntnistheorie, München 1979. Vgl. schließlich auch Ders., The Foundations of Knowing, Minneapolis 1982. - Zu Chisholm vgl. vor allem W.P. Alston, Some Remarks on Chisholm's Epistemology, in: Nous 14 (1980), 565-586; J.L. Pollock, Chisholm's Definition of Knowledge, in: PhSt 19 (1968), 72-76; sowie die beiden Anthologien K. Lehrer (Hg.), Analysis and Metaphysics: Essays in Honor of R.M. Chisholm, Dordrecht 1975; und E. Sosa (Hg.), Essays on the Philosophy of R.M. Chisholm, Amsterdam 1979. Aus der schier unübersehbaren Fülle der Literatur seien lediglich folgende neuere Monographien genannt, die einen umfassenden Überblick über Entwicklung und Problemlage der analytischen Epistemologie mit der Entfaltung eines eigenen Ansatzes verknüpfen: W.P. Alston, Epistemic Justification. Essays in the Theory of Knowledge, Ithaca 1989; R. Audi, Belief, Justification, and Knowledge, Belmont 1988; L. BonJour, The Structure of Empirical Knowledge, Cambridge 1985; J. Dancy, An Introduction to Contemporary Epistemology, Oxford 1985; A.H. Goldman, Empirical Knowledge, Berkeley 1988; K. Lehrer, Knowledge, Oxford 1974; Ders., Theory of Knowledge, London 1990; P.K. Moser, Empirical Justification, Dordrecht 1985; J.L. Pollock, Contemporary Theories of Knowledge, London 1986; sowie E. Sosa, Knowledge in Perspective. Selected Essays in Epistemology, Cambridge 1990. Einen repräsentativen Querschnitt durch den gegenwärtigen Diskussionsstand der analytischen Epistemologie bieten überdies folgende Anthologien: P. Bieri (Hg.), Analytische Philosophie der Erkenntnis, Ffm 1987, 21992; P.A. French u.a. (Hgg.), Midwest Studies in Philosophy, Bd. 5: Studies in Epistemology, Minnesota 1980; P.K. Moser (Hg.), Empirical Knowledge. Readings in Contemporary Epistemology, Totowa 1986; G.S. Pappas (Hg.), Justification and Knowledge. New Studies in Epistemology, Dordrecht 1979; G.S. Pappas, M. Swain (Hgg.), Essays on Knowledge and Justification, Ithaca 1978; sowie J.E. Tomberlin (Hg.), Epistemology, Atascadero 1988. - Eine ausführliche Bibliographie, die die Literatur im wesentlichen der Jahre 1970-1986 umfaßt, findet sich bei P. Bieri, Erkenntnis 473-503. Der klassische Vertreter eines epistemischen Fundamentalismus ist R.M. Chisholm. Vgl. daneben auch W.P. Alston, Two Types of Foundationalism, in: JPh 73 (1976), 165-185, wieder in: P.K. Moser (Hg.), Empirical Knowledge 76-94; Ders., Has Foundationalism Been Refuted?, in: PhSt 29 (1976), 287-305; Ders., Epistemic Justification; sowie P.K. Moser, Empirical Justification; Ders., Knowledge and Evidence, Cambridge 1989.

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Kapitel 3: Die epistemische Wende

Regreßproblem entgehen zu können: Eine Aussage lasse sich nur durch Aussagen rechtfertigen, die selbst bereits gerechtfertigt sind. Könne auch hier wieder nur auf eine inferentielle Rechtfertigung zurückgegriffen werden, käme es zu einem infiniten Regreß, der die Möglichkeit epistemischer Rechtfertigung überhaupt unterbinde. Daher müsse bei bestimmten - basalen - Aussagen die Möglichkeit einer nichtinferentiellen Rechtfertigung zugestanden werden10. Der epistemische Antifundamentalismus verwahrt sich gegen diese Unterscheidung. Seiner Auffassung nach könnten Aussagen nur wieder im Rückgang auf andere Aussagen gerechtfertigt werden, keinesfalls aber unter Berufung auf irgendwelche nichtsprachlichen Gegebenheiten. Daher müsse entweder angenommen werden, daß es basale Aussagen gebe, die sich nicht weiter rechtfertigen ließen, sondern in bestimmten Zusammenhängen faktisch in Geltung stehen, oder aber es müsse auf den Gedanken der Basalität überhaupt verzichtet werden, so daß eine Aussage ihre epistemische Rechtfertigung allein durch die Aufnahme in ein kohärentes System empfangen könne. Die erste Variante läuft auf einen kontextualistischen Ansatz11 hinaus, die zweite bezeichnet eine kohärentialistische Position12. 10

Eine ausführliche Darlegung dieses Regreßarguments findet sich bei P. K. Moser, Empirical Justification 1-28, bes. 23-26. Moser gründet letztlich ausschließlich auf dieses Argument seinen eigenen fundamentalistischen Ansatz. Allerdings ist zu beachten, daß das Regreßproblem überhaupt erst auf der Grundlage eines fundamentalistischen Ansatzes als Problem formuliert werden kann. Denn wird umgekehrt bei der unhintergehbaren Vorgängigkeit eines Systems oder >Weltbildes< angesetzt, stellt sich das Problem der epistemischen Rechtfertigung respektive Begründung gänzlich anders dar. Es kann nun nicht mehr darum gehen, ein letztes, epistemisch gesichertes >Fundament< ausfindig zu machen, um darauf die Gesamtheit unserer Überzeugungen zu gründen. Vielmehr vollzieht sich der Begründungsdiskurs immer schon innerhalb eines faktisch in Geltung stehenden Systems: »Alle Prüfung, alles Bekräften und Entkräften einer Annahme geschieht schon innerhalb eines Systems« (L. Wittgenstein, Über Gewißheit, hg. von G.E.M. Anscombe, G.H. von Wright, in: Ders., Werkausgabe, Bd. 8, Ffm 1989, 115-257 [ÜG], § 105). Letztlich sind es also - überspitzt formuliert - die Gründe selbst, die nun als abhängig von ihren Begründungen erscheinen: »Ich bin auf dem Boden meiner Überzeugungen angelangt. Und von dieser Grundmauer könnte man beinahe sagen, sie werde vom ganzen Haus getragen« (Ders., ÜG. § 248); vgl. dazu auch unten Kapitel 6, 2.2.1. - Vgl. zum Problem des epistemischen Regresses auch R. Foley, Inferential Justification and the Infinite Regress, in: APQ 15 (1978), 311-316; J. Harker, Can there be an Infinite Regress of Justified Beliefs?, in: Australasian Journal of Philosophy 62 (1984), 255-264. 11 Vgl. etwa D.B. Annis, A Contextualist Theory of Epistemic Justification, in: APQ 15 (1978), 213-219, wieder in: P.K. Moser (Hg.), Empirical Knowledge 203-213; M. Williams, Groundless Belief, Oxford 1977; sowie Ders., Coherence, Justification, and Truth, in: RMet 34 (1980), 243-272. Zumeist wird auch Wittgenstein - unter Berufung etwa auf Ders., ÜG § 253 - zu den Vertretern eines epistemischen Kontextualismus gerechnet. Dies stimmt allerdings nur insofern, als Wittgenstein den realistischen Hintergrund des epistemologischen Begründungsparadigmas überhaupt in Zweifel zieht. Sein Ansatz geht damit über den Horizont der analytischen Epistemologie hinaus und läßt sich gerade nicht im Sinne eines epistemischen Kontextualismus vereinnahmen; vgl. dazu Kapitel 6, 2.2. 12 Innerhalb des breiten Spektrums kohärentialistischer Ansätze ist zunächst zwischen negativen und positiven Kohärenztheorien zu unterscheiden. Dabei wird das Kohärenzkriterium im einen Fall dazu eingesetzt, lediglich das Ausbleiben einer epistemischer Rechtfertigung

l. Eine Skizze der analytischen Epistemologie

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Seit Mitte der siebziger Jahre jedoch wird diese Debatte zwischen Fundamentalismus und Antifundamentalismus zunehmend durch eine andere Debatte überlagert; hierbei handelt es sich um die Auseinandersetzung zwischen Internalismus und Externalismus13. Im Hintergrund steht ein Problem, das Edmund L.

zu konstatieren, während es im anderen Fall dazu dient, diese Rechtfertigung selbst zu liefern: »According to a positive coherence theory, coherence has the power to produce justification, while according to a negative coherence theory, coherence has only the power to nullify justification« (K. Lehrer, Art. coherentism, in: J. Dancy, E. Sosa (Hgg.), A Companion to Epistemology, Oxford 1992, 67-70, 67). Die negative Version wird beispielsweise vertreten von J. Pollock, A Plethora of Epistemological Theories, in: G.S. Pappas (Hg.), Justification and Knowledge 93-113; sowie Ders., Contemporary Theories. Die positive Version fächert sich ihrerseits wieder in drei unterschiedliche Richtungen auf: (1) Der explanative Ansatz beschränkt die epistemische Rechtfertigung einer Aussage auf die Möglichkeit einer inferentiellen Ableitung aus dem jeweils in Geltung stehenden System. Begründet wird dieser Ansatz von W. Seilars, Mind, Perception, and Reality, London 1963; Ders., Givenness and Explanatory Coherence, in: JPh 70 (1973), 612-624; fortgeführt findet er sich dann bei B. Aune, Knowledge, Mind and Nature, New York 1967; G. Harman, Thought, Princeton 1973; sowie Ders., Change in View, Cambridge 1986. (2) Demgegenüber besteht der dezidiert intemalistisch-doxastische Ansatz auf einem weitergefaßten Verständnis der Kohärenzrelation (zur Unterscheidung zwischen doxastischer und propositionaler Rechtfertigung vgl. P.K. Moser, Empirical Justification 3). Entscheidend ist nunmehr die Frage, ob eine gegebene Aussage besser als andere mit den jeweiligen Hintergrundüberzeugungen zusammenstimmt. Eine objektive Variante betont dabei die notwendige Ausrichtung auf empirische Beobachtungen; vgl. etwa L. Bonjour, The Coherence Theory of Empirical Knowledge, in: PhSt 30 (1976), 281-312, dt. Die Kohärenztheorie empirischen Wissens, in: P. Bieri (Hg.), Erkenntnis 239-270; sowie Ders., Structure. Eine subjektive Variante hingegen orientiert sich vornehmlich an den vorfmdlichen Überzeugungen eines Sprechers; vgl. K. Lehrer, Knowledge; sowie Ders., Theory of Knowledge. Die beiden genannten Ansätze von BonJour und Lehrer können als die derzeit führenden kohärenztheoretischen Entwürfe angesehen werden; vgl. dazu etwa die Beiträge in J.W. Bender (Hg.), The Current State of the Coherence Theory. Critical Essays on the Epistemic Theories of Keith Lehrer and Laurence BonJour, with Replies, Boston 1989. (3) Schließlich findet sich noch eine pragmatistische Variante der Kohärenztheorie. Sie sucht die Kohärenzrelation zwischen Aussage und System durch Erwägungen festzulegen, die weniger am klassischen Ziel der Wahrheit als vielmehr an der pragmatistischen Maxime der Fruchtbarkeit orientiert sind. Ein solcher Ansatz wird etwa vertreten von N. Rescher, The Coherence Theory of Truth, Oxford 1973; Ders., Foundationalism, Coherentism, and the Idea of Cognitive Systematization, in: JPh 71 (1974), 695-708; sowie Ders., Methodological Pragmatism, New York 1977. 13 Als Initiator einer externalistischen Erkenntnistheorie kann W.V.O. Quine mit seiner Forderung gelten, die Erkenntnistheorie zu naturalisieren (vgl. Ders., Epistemology naturalized, in: Ders., Ontological Relativity and Other Essays, New York 1969, 69-90, dt. Naturalisierte Erkenntnistheorie, in: Ders., Ontologische Relativität und andere Schriften, Stuttgart 1975, 97-126; vgl. dazu oben Kapitel l, 2). In der analytischen Epistemologie findet sich der erste ausgearbeitete externalistische Ansatz bei D.M. Armstrong, Belief, Truth and Knowledge, London 1973. Seine entscheidende These lautet, daß eine Überzeugung, daß p, soll sie als Wissen gelten können, eine kausale Verknüpfung mit dem entsprechenden Sachverhalt, daß p, voraussetzt. In der Folge wird diese kausale Ansatz zu einem reliabilistischen Verständnis der epistemischen Rechtfertigung fortgeführt. Die kausale Brücke zwischen Überzeugung und Sachverhalt wird dabei über die Zuverlässigkeit des jeweiligen Erkenntnisprozesses zu schlagen versucht. Der führende Vertreter dieser Auffas-

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Kapitel 3: Die epistemische Wende

Gettier bereits 1963 formuliert hatte14. In einem nur drei Seiten umfassenden Aufsatz weist er auf, daß die klassische triadische Definition der Erkenntnis als justified true belief< nicht ausreicht, um zuverlässig zwischen gewußten und nur vermeintlich gewußten Überzeugungen unterscheiden zu können. In der Folge setzt zunächst die Suche nach einer vierten Bedingung ein, mit der sich die Definition soll vervollständigen lassen15. Doch allmählich entwickelt das Gettier-Problem eine Sprengkraft, die das vorherrschende epistemologische Paradigma in seinen Grundfesten erschüttert. Die Rede von der epistemischen Rechtfertigung einer sprachlich artikulierten Überzeugung scheint das von Gettier aufgeworfenen Problem nicht zufriedenstellend lösen zu können: »What is it that distinguishes knowledge from mere true belief? What is this elusive quality or quantity enough of which, together with truth and belief, is sufficient for knowledge?«16 Der Begriff der epistemischen Rechtfertigung knüpft die Rechtfertigung einer

sung ist Alvin I. Goldman. Seine ersten Überlegungen reichen bereits bis in die Zeit vor Armstrong zurück; vgl. A.I. Goldman, A Causal Theory of Knowing, in: JPh 64 (1967), 357-372, dt. Eine Kausaltheorie des Wissens, in: P. Bieri (Hg.), Erkenntnis 150-166. Die ausgereifte Fassung seines Ansatzes findet sich in Ders., Epistemology and Cognition, Cambridge 1986. Ergänzend sind heranzuziehen Ders., The Relaüon Between Epistemology and Psychology, in: Synthese 64 (1985), 29-68; sowie Ders., Epistemic Folkways and Scientific Epistemology, in: Ders., Liaisons: Philosophy meets the Cognitive and Social Sciences, Cambridge 1992, 155-175. Weitere profilierte Vertreter des Reliabilismus sind ua. F. Dretske, Knowledge and the Flow of Information, Cambridge 1981; R. Feldman, Reliability and Justification, in: The Monist 68 (1985), 159-174; sowie F.F. Schmitt, Knowledge, Justification and Reliability, in: Synthese 55 (1983), 209-229; Ders., Reliability, Objectivity and the Background of Justification, in: Australasian Journal of Philosophy 62 (1984), 1-15; Ders., Knowledge and Belief, London 1992. Zur Kritik vgl. M. Lipson, S. Savitt, A Dilemma for Causal Reliabilist Theories of Knowledge, in: CJP 23 (1993), 55-74. Neben der prozeßtheoretischen Variante des Reliabilismus findet sich sodann eine reliabilistische Indikationstheorie. Sie behauptet, daß eine Überzeugung epistemisch gerechtfertigt ist, wenn sie sich auf einen zuverlässigen Indikator für ihre Wahrheit berufen kann; vgl. etwa M. Swain, Justification and Reliable Belief, in: PhSt 40 (1981), 389-407; Ders., Reasons and Knowledge, Ithaca 1981; vgl. dazu F.F. Schmitt, Justification as Reliable Indication or Reliable Process?, in: PhSt 40 (1981), 409-417. Ein dritter Ansatz knüpft schließlich die geforderte Zuverlässigkeit an das >proper functioning< des menschlichen Erkenntnisvermögens. Diese >virtue epistemology< findet sich ausgearbeitet bei E. Sosa, Knowledge and intellectual virtue, in: The Monist 60 (1985), 226-245; Ders., Knowledge in context, scepticism in doubt. The virtue of our faculties, in: Philosophical Perspectives 2 (1988), 139-155; Ders., Knowledge in Perspective. Collected Essays in Epistemology, Cambridge 1991. Nach seiner >externalistischen Wende< schließt sich auch Alvin Plantinga dieser Variante an; vgl. dazu unten Kapitel 4, 3. 14 Vgl. E. Gettier, Is Justified True Belief Knowledge, in: Analysis 23 (1963), 121-123, dt. Ist gerechtfertigte, wahre Meinung Wissen?, in: P. Bieri, Erkenntnis 91-93. 15 Einen Überblick über diese Bemühungen geben die Studien von R.J. Ackermann, Belief and Knowledge, Garden City 1972; R.K. Shope, The Analysis of Knowing. A Decade of Research, Princeton 1983; sowie E. Craig, Knowledge and the State of Nature, Oxford 1990. 16 A. Plantinga, Warrant and Proper Function, Oxford 1993, V.

l. Eine Skizze der analytischen Epistemologie

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Überzeugung, daß p, an die intern zugänglichen Gründe eines Sprechers und vermag so den externen Brückenschlag zum schlichten Sachverhalt, daß p, nicht zu leisten. Auch als gerechtfertigte Überzeugung bleibt diese dem Gettier-Problem ausgeliefert und kann mithin nicht als Erkenntnis gelten. Der Externalismus schlägt daher vor, an die Stelle der herkömmlichen epistemischen Rechtfertigung einer Überzeugung - sei diese inferentiell oder nichtinferentiell bestimmt - eine im weiteren Sinn kausal gefaßte Verknüpfung von Überzeugung und Sachverhalt zu setzen: »The epistemic justification or reasonableness of a basic empirically belief derives from the obtaining of an appropriate relation, generally construed as causal or nomological in character, between the believer and the world. This relation, which is differently characterized by different versions of externalism, is such as to make it either nomologically certain or highly probable that the belief is true«17. Die beiden ehemaligen Kontrahenten von Fundamentalismus und Antifundamentalismus finden sich so als Vertreter eines internalistischen Ansatzes wieder, indem sie gemeinsam davon ausgehen, daß die epistemische Rechtfertigung einer Aussage den Rekurs auf die internen Gründe des Sprechers verlangt - möge es sich dabei nur wieder um andere Aussagen respektive Überzeugungen oder auch um bestimmte epistemische Erlebnisse handeln. Der Externalismus hingegen wendet sich von dieser Konzeption ab und beruft sich ausschließlich auf eine Relation zwischen Überzeugung und Welt, die der Kenntnis des jeweiligen Sprechers auch entzogen bleiben kann18. Auffallend an dieser in aller Kürze skizzierten Entwicklungsgeschichte der analytischen Epistemologie ist nun, daß sie sich scheinbar ohne jeden Bezug auf die Problemlage der analytischen Bedeutungstheorie vollzieht. Dies wird besonders deutlich anhand der internalistischen Auseinandersetzung zwischen Fundamentalismus und Antifundamentalismus. Beide Seiten nehmen wie selbstverständlich ein realistisches Gegenüber von Sprache und Welt an, ohne die Frage nach der epistemischen Rechtfertigung auf die semantische Frage nach der Möglichkeit des Verstehens sprachlicher Äußerungen abzubilden und so die Problematik jener Grunddifferenz in den Blick nehmen zu können. 17 18

L. BonJour, Structure 34. Vgl. dazu auch die zusammenfassende Gegenüberstellung von Intemalismus und Externalismus bei L. BonJour, Art. externalism/internalism, in: J. Dancy, E. Sosa (Hgg.), Companion 132-136, 132: »A theory of justification is internalist if and only if it requires that all of the factors needed for a belief to be epistemically justified for a given person be cognitively accessible to that person, internal to his cognitive perspective; and externalist, if it allows that at least some of the justifying factors need not be thus accessible, so that they can be external to the believer's cognitive perspective, beyond his ken«. - Zur Diskussion zwischen Internalismus und Externalismus vgl. auch W.P. Alston, An Internalist Externalism, in: Synthese 74 (1988), 265-283; L. BonJour, Externalist Theories of Empirical Knowledge, in: P. French u.a. (Hgg.). Midwest Studies in Philosophy, Bd. 5: Studies in Epistemology, Minneapolis 1980, 53-73; A.I. Goldman, The Internalist Conception of Justification, in: P. French u.a. (Hgg.), aaO. 27-51; sowie K. Kim, Internalism and Externalism in Epistemology, in: APQ 30 (1993), 303-316.

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Kapitel 3: Die epistemische Wende

Im Fall des epistemischen Fundamentalismus ist die Sachlage ohnehin klar, denn er beruft sich ja programmatisch auf die Möglichkeit eines direkten Gegenübers von basaler Aussage und rechtfertigendem Sachverhalt19. Doch auch die beiden antifundamentalistischen Ansätze bleiben dieser Voraussetzung verhaftet. Die kontextualistische Variante dringt nicht bis zu der Einsicht vor, daß die Notwendigkeit, den Begründungsrekurs zu einem Ende kommen zu lassen, eine grundsätzliche Infragestellung des epistemologischen Korrespondenzmodells der Erkenntnis nach sich zieht20. Dies ist umso erstaunlicher angesichts der Tatsache, daß bereits Wittgenstein in seinen Aufzeichnungen Über Gewißheit diese Auffassung explizit vertreten hat. Die kohärentialistische Variante hingegen sieht sich dazu genötigt, den Kohärenzgedanken ausschließlich epistemisch fassen und so an einer realistischen Auffassung des Verhältnisses von Sprache und Welt festhalten zu müssen: »I mean to suggest quite deliberately the classical realist account of truth as a relation of correspondence or agreement or accordance between belief and world: the propositional content of my subjective state of mind describes or specifies the world in a certain way; and for this description or specification to be true is for the world as it is in itself, independent of my cognitive or conceptualizing activity (...), to fit that description or specification. ... I regard the realist conception of truth as indispensable to the very enterprise of critical epistemology«21. Umgekehrt treibt jedoch auch der Externalismus seine These einer kausalen Verknüpfung von sprachlich artikulierter Überzeugung und nichtsprachlichem Sachverhalt nicht bis zu dem entscheidenden Punkt voran, damit der epistemologischen Überhöhung jener Differenz von Sprache und Welt überhaupt eine Absage zu erteilen. Denn die Pointe des Externalismus läuft darauf hinaus, mit dem Rekurs auf eine kausale Verknüpfungsrelation das Problem der epistemischen Rechtfertigung nicht entzaubern, sondern lösen zu wollen22. Darin aber liegt ein schwerer Kategorienfehler: Die kausale Genese einer Überzeugung läßt sich nicht für die logische Frage ihrer epistemischen Geltung in Anspruch nehmen. Bezeichnenderweise ist es Davidson, der - vor dem Hintergrund seines eigenen sprachphilosophischen Ansatzes - diese Differenz unermüdlich einschärft23. Er zieht daraus die kohärentialistisch gestimmte Konsequenz, »daß alles, was als Evidenz oder Rechtfertigung für eine Meinung gilt, aus der Gesamtheit der Meinungen kommen muß, der auch die zu rechtfertigenden Meinung angehört«24. Doch diese Schlußfolgerung ist selbst wieder durch die Preisgabe einer epistemologischen Überhöhung jener Differenz von Sprache und Welt 19 20 21 22 23 24

Vgl. etwa Chisholms Ausführungen über >das unmittelbar Evidente< in Ders., Erkenntnistheorie 34-58. Vgl. etwa D.B. Annis, Contextualist Theory 207f. L. BonJour, Structure 4. Exemplarisch für diese Verfehlung steht Plantingas Ausarbeitung des >proper functioningpragmatische< Richtung bedürfte einer eigenen Aufarbeitung; sie ist jedoch im Horizont des hier verfolgten Problemzusammenhangs nicht zu leisten. Diese Wende geht in der Hauptsache auf Thomas S. Kühn zurück. In seinem im Jahre 1962 erschienenen Buch The Structure of Scientific Revolutions (Chicago 1962,21970) wendet er sich gegen den formalistischen Falsifikationismus Popperscher Prägung und

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Kapitel 3: Die epistemische Wende

den Wissenschaften gegenüber eigenständiges Paradigma zu etablieren. An die Stelle einzelner religiöser Aussagen tritt so die Gesamtheit eines religiösen Überzeugungssystems, das entweder auf einen von den Wissenschaften hinlänglich unterschiedenen eigenen Gegenstandsbereich bezogen oder aber mit der Aufgabe betraut wird, ein umfassendes religiöses Weltbild zu entwickeln. Mitchell und Barbour gehen insofern beide über die Grenzen des empiristischen Sprachbegriffs hinaus: An die Stelle der fruchtlosen Auseinandersetzung um die Kognitivität und Sinnhaftigkeit religiöser Rede tritt die Frage nach der Rationalität des religiösen Paradigmas. In unterschiedlicher Weise versuchen beide der Besonderheit des christlichen Glaubens Rechnung zu tragen, ohne damit auf dessen Rechtfertigung vor dem Forum einer allgemeinen Rationalität verzichten zu müssen. Insofern sie dabei jedoch den wissenschaftstheoretischen Paradigmenbegriff fraglos voraussetzen, haben sie noch nicht jene grundsätzliche Eigenständigkeitsthese im Auge, mit der Plantinga und Dalferth die Religion aus der Einbettung in eine vorgängige Allgemeinheit herauszulösen versuchen. So geht Basil Mitchell19 von der Frage aus, »whether religious belief requires or admits rational support« (1). Seine Überlegungen heben darauf ab, »to give an account of the sort of rea-

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skizziert einen Ansatz, der den wissenschaftlichen Fortschritt als eine Abfolge wissenschaftlicher Revolutionen darstellt, in denen es zu einem grundstürzenden Wechsel des jeweils dominierenden Paradigmas kommt (vgl. etwa P. Clayton, Rationalität und Religion. Erklärung in Naturwissenschaft und Theologie, Paderborn 1992, 41-58; G. Gutting [Hg.], Paradigms and Revolutions. Appraisals and Applications of Thomas Kuhn's Philosophy of Science, Notre Dame 1980; W. Stegmüller, Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie, Bd. 3, Stuttgart 81987, 280-330). Dieses kontextualistische Modell geht davon aus, daß sowohl die relevanten Beobachtungsdaten als auch die wissenschaftlichen Kriterien und Prüfverfahren immer schon unter der Voraussetzung eines bestimmten Paradigmas stehen und insofern grundsätzlich theorieabhängig sind. Kühn sieht sich daher letztlich auf die Annahme einer Inkommensurabilität divergierender Paradigmen verpflichtet - mit der Konsequenz, auf übergreifende Rationalitätskriterien verzichten und sich in einen kontextualistischen Relativismus fügen zu müssen. Er steht also vor dem Dilemma, seinen Paradigmenbegriff nur auf Kosten einer intersubjektiven Rationalität zur Geltung bringen zu können. Damit stellt sich die Frage, ob und wie es möglich ist, trotz tiefgreifender begrifflicher Differenzen bestimmte Regeln zu spezifizieren, die zwischen konkurrierenden Paradigmen zu entscheiden und so an einem übergreifenden Rationalitätsbegriff festzuhalten erlauben. Imre Lakatos nimmt hier Kuhns kontextualistische Einsichten auf, ohne auf die Möglichkeit einer rationalen Prüfung zu verzichten. Seine Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme verfolgt das Ziel, zwischen Popper und Kühn zu vermitteln. Dabei spannt die Unterscheidung zwischen progressiven und degenerativen Problemlösungen den Rahmen auf, innerhalb dessen sich ein mit empirischen, theoretischen und heuristischen Elementen verknüpfter Fortschrittsgedanke als Angelpunkt rationaler Prüfung in der Wissenschaft erweist (vgl. I. Lakatos, Falsification and the Methodology of Scientific Research Programmes; in: I. Lakatos, A. Musgrave [Hgg.], Criticism and the Growth of Knowledge, Cambridge 1970, 91-196). Vgl. B. Mitchell, The Justification of Religious Belief, London 1973. Im folgenden beziehen sich die Seitenverweise im Text auf dieses Buch. - Zu Mitchell vgl. die Aufsätze in W.J. Abraham, S.W. Holtzer (Hgg.), The Rationality of Religious Belief. Essays in Honour of Basil Mitchell, Oxford 1987.

2. Von der kognitiven Sinnhaftigkeit zur epistemischen Rechtfertigung

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soning by which a religious position is characteristically supported« (2)29. Dabei schließt er sich an die von der kontextuellen Wende geprägte Diskussionslage in der Wissenschaftstheorie an. Der Rückgang auf den Paradigmenbegriff soll es ermöglichen, die assertorische Gewißheit des christlichen Glaubens mit dem allgemeinen Horizont einer nur hypothetischen Rationalität zu vermitteln: »The problem before us is that, if systems of religious belief require and admit of rational justification ... they ought only to be accepted more or less provisionally; yet the religious believer characteristically gives whole-hearted assent to his beliefs« (117). Zu diesem Zweck richtet Mitchell sein Augenmerk auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen religiösen und nichtreligiösen Überzeugungssystemen: »I shall claim that there are important resemblances ... between religious and other fundamental convictions« (3). Seine Strategie läuft darauf hinaus, im Aufweis weitreichender Analogien zwischen religiösen und nichtreligiösen Überzeugungssystemen den christlichen Theismus als ein >metaphysisches WeltbildReligiosität< religiöser Rede gegenüber ihren vielfältigen sprachphilosophischen Überfremdungen zur Geltung zu bringen. Die Geschichte der analytischen Religionsphilosophie stellt sich aus ihrer Perspektive als eine Verfallsgeschichte dar, die mit der Reduktion religiöser Aussagen auf den bloßen Anwendungsfall eines allgemeinen Sprachbegriffs auch die Sache des Glaubens selbst einem ihr unangemessenen externen sprachphilosophischen Paradigma ausgeliefert habe. Demgegenüber sei es dringend erforderlich, das Phänomen der Religiosität religiöser Rede so zu erfassen, daß es in seiner internen Eigenständigkeit gegen die Ansprüche eines allgemeinen Horizonts von Sprachlichkeit und Rationalität zur Geltung gebracht werden könne. Mit Plantinga und Dalferth hält also das für eine >Theologie nach Barth< kennzeichnende Problem des Verhältnisses zwischen interner Glaubensperspektive und externer Beobachtungsperspektive Einzug in die analytische Religionsphilosophie. Unter ausdrücklicher Berufung auf Karl Barth sieht sich Planlinga vor die Aufgabe gestellt, der Eigenständigkeit des christlichen Glaubens Rechnung tragen zu müssen - wenngleich nun so, dies als eine über Barth hinaus epistemologisch legitimierte Option aufweisen zu können. Die von Barth schlicht in Anspruch genommene epistemische Eigenständigkeit des christlichen Glaubens soll darin ihre epistemologische Fundierung erhalten. Entsprechend sucht auch Dalferth eine spezifische Religiosität religiöser Rede jenseits ihrer Einbettung in einen vorgängigen Sprachbegriff ausfindig zu machen, um sich dann der entscheidenden Frage zuzuwenden, wie es gelingen könne, diese besondere Religiosität zugleich vor dem Forum einer allgemeinen Rationalität zu behaupten. Beide übernehmen also die durch den Slogan >mit Barth über Barth hinaus< angezeigte Problemlage und suchen ihr auf dem Feld der analytischen Religionsphilosophie Rechnung zu tragen. Auf der Grundlage einer theologisch motivierten und epistemisch zugespitzten Eigenständigkeitsthese geht es ihnen darum, die irreduzible Besonderheit des christlichen Glaubens mit den Rationalitätskriterien und Begründungsansprüchen einer sprachlichen Allgemeinheit auszugleichen. Die religiöse Rede soll als religiöse Rede ebenso wie religiöse Rede zur Geltung gebracht werden können. In dem Versuch, diese Aufgabe durchzuführen, setzen nun beide eine epistemische Wende< von der Bedeutungs- zur Begründungsproblematik religiöser

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Kapitel 3: Die epistemische Wende

Aussagen voraus. Im Zentrum ihres Interesses steht nicht mehr die Frage nach der kognitiven Sinnhaftigkeit religiöser Rede, sondern die andere Frage nach ihrer möglichen epistemischen Rechtfertigung. So ist Dalferth sichtlich darum bemüht - und dabei verwechselt er den philosophiegeschichtlichen Sachverhalt mit seinem eigenen religionsphilosophischen Interesse -, das empiristische Verifikationsprinzip als Begründungs- statt als Bedeutungskriterium darzustellen. Die Verifizierbarkeits- respektive Falsifizierbarkeitsforderung sei »ihres irreführenden Charakters« zu entkleiden, »ein Sinn- oder Bedeutungskriterium aufstellen zu wollen« und stattdessen »ihrer eigentlichen Intention gemäßer als Frage nach der Möglichkeit rationaler Rechenschaftsablegung über den Wahrheitsanspruch religiöser Rede« zur Geltung zu bringen57. In noch stärkerem Maße setzt sich Plantinga von der mit dem Verifikationsprinzip verknüpften Sinnproblematik ab. So erklärt er das empiristische Sinnlosigkeitsverdikt - ohne freilich dessen semantische Stoßrichtung zur Kenntnis zu nehmen - für konfus und unverständlich. Die ungeklärten Anwendungsbedingungen des Verifikationsprinzips auf religiöse Aussagen sowie die Probleme seiner konsistenten Formulierung erlaubten nurmehr den Schluß, daß »it is impossible to determine whether his [sc. Flew's; ML] challenge is legitimate or even what the challenge is«5*. Zudem entledigt er sich der Problemlage des Logischen Empirismus mit dem schlichten Hinweis, daß sich das religionsphilosophische Interesse gewandelt habe. Sei es ehedem um die Frage gegangen, »whether it... makes sense to say that there is such a person as God«, so stünde nun die andere Frage im Vordergrund, »whether Christianity or theism is true«59. Doch trotz dieses gemeinsamen Bodens - der sie auch, wie sich noch zeigen wird, auf eine gemeinsame epistemologische Grundoption verpflichtet - verfolgen Plantinga und Dalferth nicht nur unterschiedliche Intentionen, sondern vertreten in deren Durchführung nahezu entgegengesetzte Positionen. Plantinga geht umstandslos von der Voraussetzung aus, daß christlich-religiöse Aussagen prepositional strukturiert sind und insofern einen Wahrheitsanspruch erheben. In ihrem Mittelpunkt steht - wie in der empiristischen Phase der analytischen Religionsphilosophie - die theistische Behauptung der Existenz Gottes. Sein Augenmerk richtet sich auf die Frage, welche epistemologische Begründungsstruktur in Anschlag gebracht werden muß, um diese Behauptung als rational ausweisen zu können. Es geht ihm also nicht um die Durchführung der Begründung selbst, sondern um die vorgelagerte Frage nach der angemessenen Struktur einer solchen Begründung. Dalferth setzt noch einen Schritt früher an. Ihm liegt nicht so sehr an der Konzeption eines Begründungsverfahrens als vielmehr an dem Aufweis der Begrün57 58 59

I.U. Dalferth, Religiöse Rede 506. A. Plantinga, God and Other Minds. A Study of the Rational Justification of Belief in God, Ithaca 1967, 168. A. Plantinga, Prologue. Advice to Christian Philosophers, in: M.D. Beaty (Hg.), Christian Theism and the Problems of Philosophy, Notre Dame 1990, 14-37, 14.

3. Epistemische Wende und religiöse Eigenständigkeit

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dungsfähigkeit christlicher Rede überhaupt. Der christliche Glaube erhebe zwar kraft des Behauptungscharakters seiner Aussagen einen Wahrheitsanspruch, den es um des Glaubens und seines Gegenstandes willen einzulösen gelte60. Doch angesichts der empiristischen Bestreitung der Wahrheitsfähigkeit religiöser Aussagen sei es notwendig, vor der Durchführung der Begründung selbst die Wahrheits- und Begründungsfähigkeit dieser Aussagen sicherzustellen. Plantinga und Dalferth verfolgen also ein jeweils unterschiedliches Interesse: Während Dalferth die Propositionalitätsstruktur religiöser Aussagen zu sichern sucht, zielt Plantinga auf ein angemessenes Verständnis des für religiöse Aussagen in Anschlag zu bringenden Begründungsverfahrens. Dalferth geht es um die Begründungs/ä/iigfceif, Plantinga um die Regründungsstruktur religiöser Rede. Dabei bleiben beide der gleichen Zielsetzung verhaftet: Es geht ihnen um den Aufweis der Rationalität des theistischen Gottesglaubens. Während jedoch Dalferth diese Rationalität vorrangig in der Weise zu sichern sucht, daß er die Wahrheitsbedingungen religiöser Rede spezifiziert, loziert Plantinga die Aufgabe im Umfeld einer möglichen oder geforderten Begründung religiöser Aussagen: »Is belief in God contrary to reason, unreasonable, irrational? Must one have evidence to be rational or reasonable in believing in God?«61 In dieser Frage schwingt nun auch bereits die spezifische Stoßrichtung des Plantingaschen Ansatzes mit. Ihm geht es darum, ein allgemeines epistemologisches Modell zu entwerfen, das die Überzeugung von der Existenz Gottes als epistemisch basal anzusetzen erlaubt. So wendet er sich gegen die von ihm als >evidentialistischGod existsbelief in< und >belief that< fährt Plantinga fort: »Having made this distinction, however, I shall ignore it for the most part, using >belief in God< as a synonym for >belief that there is such a person as GodGott< einen Referenten unterstellt und diesen auf der Seite einer sprach- und erkenntnisunabhängig strukturierten Wirklichkeit als existent aufweisen zu können behauptet. Gerade die Fixierung auf die singuläre Existenzbehauptung Gottes macht deutlich, daß Plantinga für die Formulierung seines Gottesbegriffs ein epistemologisches Modell in Anschlag bringt, das diesen Gottesbegriff zwar erst ermöglicht, dabei aber weder an sich selbst noch in seiner religionsphilosophischen Grundlegungsfunktion expliziert wird. Auf der anderen Seite verknüpft Plantinga die Rationalitätsproblematik mit der Frage einer möglichen oder geforderten Begründung religiös-theistischer Aussagen. Rationalität und Begründung treten so in einen engen Zusammenhang: Die Frage nach der Rationalität einer bestimmten Überzeugung6 nimmt die Gestalt der Frage an, in welcher Weise sie als epistemisch gerechtfertigt aufgewiesen werden muß, um als rational gelten zu können. Damit schließt sich Plantinga der in der analytischen Philosophie vorgezeichneten epistemologischen Wende an; an die Stelle der empiristischen Sinnproblematik tritt die auf die Begründung religiöser Rede zielende Rationalitätsproblematik. Freilich steht nicht die Durchführung dieser epistemischen Rechtfertigung selbst, sondern die Frage nach ihrer angemessenen Struktur im Mittelpunkt des Interesses. Plantinga geht es nicht darum, die verschiedenen Argumente zu prüfen, die sich für und wider religiöse Aussagen anführen lassen; die entscheidende Frage lautet vielmehr, welche Art von epistemischer Rechtfertigung notwendig ist, um sie als rational aufweisen zu können. Damit kommt es zu einer Ausweitung der Blickrichtung: Die zunächst lediglich religionsphilosophisch angesetzte Frage nach der Rationalität religiöser Rede leitet über zu der allgemeinen epistemologischen Frage, welche Begründungsstruktur für den Rationalitätsaufweis sprachlicher Aussagen überhaupt in Anschlag zu bringen ist. Gleichwohl bleibt das religionsphilosophische Interesse sehr wohl bestimmend: Plantinga zielt auf eine Auseinandersetzung mit der als >evidentialistisch< apostrophierten Kritik an der Rationalität religiös-theistischer Rede: »Many philosophers ... have argued that belief in God is irrational or unreasonable or not rationally acceptable or intellectually irresponsible or somehow noetically below par because, as they say, there is insufficient evidence for it« (RBG 17).

Die fragliche Rationalität kann sowohl prepositional eine bestimmte Überzeugung als auch doxastisch die entsprechende Person bezeichnen, die diese Überzeugung vertritt. Plantinga außen sich hier nicht eindeutig. Zumeist bezieht sich der Terminus >rational< jedoch auf Überzeugungen und wird damit austauschbar zu >epistemisch gerechtfertigt verwendet; vgl. M.S. McLeod, Rationality 106f.

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Kapitel 4: Alvin Plantinga

Dieser »evidentialist objection to theistic belief« (RBG 16) impliziert einen vierfachen Argumentationsgang7. (1) Den Ausgangspunkt bildet die normative These, es gebe hinsichtlich der epistemischen Rechtfertigung einer Überzeugung bestimmte epistemische Standards oder Pflichten, die es zu erfüllen gelte: »This objection is rooted in a normative view. It lays down conditions that must be met by anyone whose system of belief s is rational, and here >rational< is to be taken as a normative or evaluative term. According to the objector there is a right way and a wrong way with respect to belief. People have responsibilities, duties, and obligations with respect to their believings« (RBG 30). Plantinga teilt zwar diesen normativen Ansatz8, betont aber den internalistischen Rahmen, innerhalb dessen er zumeist ausgearbeitet wird: »To be justified in believing something ... is to be within your rights in so believing, to be doing no wrong in believing this way, to be flouting no duty, to be satisfying your epistemic duties or obligations«9. (2) Diese epistemischen Standards oder Pflichten werden sodann mit der These verknüpft, »that the strength of one's belief ought always to be proportional to the strength of the evidence for that belief« (RBG 24)10. Dabei wird unter der geforderten Evidenz zumeist propositionale Evidenz in dem Sinne verstanden, daß die Rationalität einer Überzeugung an den Grad ihrer inferentiellen Rechtfertigung gebunden ist". (3) Dies trifft vor allem auf den Fall der religiös-theistischen Existenzbehauptung Gottes zu. Die entscheidende These lautet, daß die Evidenzbedingung auch für religiöse Überzeugungen gelten müsse. Plantinga formuliert sie folgendermaßen: »It is irrational or unreasonable to accept theistic belief in the absence of sufficient evidence or reasons« (RBG 27). Sie wird sogleich stillschweigend auf propositionale Evidenz zugespitzt und damit auf die Problematik des argumentativen Aufweises der Existenz Gottes bezogen: »The theist without sufficient evidence - evidence in the sense of other propositions that prove or make probable or support the existence of God - is violating zprimafacie intellectual obligation of some sort« (RBG 38f.).

7 Vgl. zum folgenden M.S. McLeod, aaO. 108-112. Er charakterisiert den Evidentialismus durch folgende Thesenreihe: (1) »There are obligations or standards of excellence with respect to belief« (aaO. 108); (2) »It is either intellectually wrong or intellectually defective for anyone to believe anything on insufficient evidence« (aaO. 109); (3) »It is irrational or unreasonable to accept theistic belief in the absence of sufficient evidence or reasons« (ebd.); (4) »We have no evidence or at any rate not sufficient evidence for the proposition that God exists« (ebd.). - Zum Evidentialismus überhaupt und Plantingas Auseinandersetzung mit dem >evidentialist objection< vgl. auch R. Feldman, E. Conee, Evidentialism, in: PhSt 48 (1985), 15-34; G. Kaufman, >Evidentialismproperly basicbasic< und >properly basicproperly basic< und nur vermeintlich basalen Überzeugungen zu ziehen erlauben. Dabei greift er auf die These einer nichtdiskursiven Rechtfertigung zurück; sie soll die gesuchten Basali tätskriterien beinhalten. Plantinga unterscheidet zwei Varianten: »Ancient and medieval foundationalists tended to hold that a proposition is properly basic for a person only if it is either self-evident or evident to the senses: modern foundationalists - Descartes, Locke, Leibniz, and the like - tended to hold that a proposition is properly basic for 5 only if either self-evident or incorrigible for S« (RBG 58f.). Der klassische Fundamentalismus beruft sich also auf Selbstevidenz, sensorische Evidenz oder Inkorrigibilität19 als die notwendigen und hinreichenden Kriterien, um zwischen basalen und nichtbasalen Überzeugungen unterscheiden zu können. Es ergibt sich mithin folgendes Grundprinzip des Fundamentalismus: »A proposition p is properly basic for a person S if and only if p is either self-evident to S or incorrigible for S or evident to the senses for S«20. Plantinga gibt nun zwar zu, daß diese Kriterien wohl als hinreichende Bedingungen für >proper basicality< in Anspruch genommen werden können; er bestreitet aber, daß sie sich als notwendige Bedingungen explizieren lassen. Zur Begründung führt er zwei Argumente an21. Das erste Argument zielt auf den Nachweis, daß sich unter der Voraussetzung der fundamentalistischen Basalitätskriterien viele unserer alltäglichen Überzeugungen als epistemisch nicht gerechtfertigt und damit irrational erweisen: »If this thesis ... [is] true, then enormous quantities of what we all in fact believe are irrational« (RBG 59). Plantinga hat hier vornehmlich Aussagen im Auge, die von materiellen Gegenständen, vergangenen Ereignissen oder fremdpsychischen Zuständen handeln. Sie alle genügen weder den geforderten Basalitätskriterien noch lassen sie sich diskursiv rechtfertigen. Sie haben daher als irrational zu gelten, auch wenn ihnen im alltäglichen Sprachverhalten sehr wohl eine hinreichende Rechtfertigung und Basalität zugestanden wird. Daraus ergibt sich zwar kein zwingender Beweis, sehr wohl aber ein einleuchtendes Argument dafür, daß die Basalitätskriterien des klassischen Fundamentalismus nicht angemessen formuliert sind22. Das zweite Argument setzt tiefer an: Es fragt nach der epistemischen Rechtfertigung der fundamentalistischen Basalitätskriterien selbst und gelangt zu der Schlußfolgerung, daß diese Kriterien sich selbst nicht genügen und daher der klassische Fundamentalismus insgesamt als selbstreferentiell inkonsistent angesehen werden müsse. Denn die These, die Basalität einer Aussage auf ihre Selbstevidenz, ihre sensorische Evidenz oder ihre Inkorrigibilität zu gründen, erweist sich ihrerseits weder als selbstevident, sensorisch evident oder gar inkorrigibel. Darüber hinaus läßt sich auch keine diskursive Rechtfertigung einleuchtend machen, so daß sie als gänzlich ungerechtfertigt und daher irrational gelten muß. Der klassische Fundamentalismus kann mithin seine eigene Geltung nicht begründen. Stattdessen sieht er sich vor die Aporie gestellt, 19 20 21 22

Zur Explikation der Inkorrigibilität vgl. A. Plantinga, RBG 58. A. Plantinga, RBG 59. M.S. McLeod, Rationality 112, bezeichnet sie als das »widespread belief argument« und das »incoherence argument«. Vgl. A. Plantinga, RBG 59f. - Die Darstellung von M.S. McLeod, Rationality 113, der bereits an dieser Stelle von einer direkten Widerlegung des klassischen Fundamentalismus ausgeht, ist also in entsprechender Weise zu korrigieren.

l. Der Entwurf eines nichtklassischen Fundamentalismus

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seine Basalitätskriterien zwar als basal ansehen zu müssen, da sie sich einer diskursiven Rechtfertigung entziehen, sie aber nicht als basal ansehen zu können, da er ihnen sonst widersprechen würde23. Plantinga zieht daraus den Schluß, »that classical foundationalism is both false and self-referentially incoherent; it should therefore be summarily rejected« (RBG 17)24.

Dieser Angriff auf die fundamentalistischen Basalitätskriterien impliziert eine weitreichende religionsphilosophische Konsequenz. Denn die Pointe der evidentialistischen Religionskritik liegt in der impliziten Voraussetzung, den theistischen Glauben an Gott nicht als >properly basic< ansehen zu können. Lassen sich die dazu in Anschlag gebrachten Basalitätskriterien jedoch nicht aufrecht erhalten, so gerät jene Voraussetzung ins Wanken25. Wenn sich aber die evidentialistische Begründungsforderung der Ablehnung theistischer Basalität verdankt und diese Ablehnung nun problematisch wird, dann stellt sich die Frage: »Why not suppose, instead, that he is entirely within his epistemic rights in believing in God's existence even if he has no argument or evidence at all?« (RGB 30). Die epistemologische Kritik an der Konzeption des klassischen Fundamentalismus eröffnet also in religionsphilosophischer Hinsicht die Möglichkeit, die Überzeugung von der Existenz Gottes aus ihrer evidentialistischen Begründungspflichtigkeit herauszulösen und als >properly basic< anzusetzen. Genau diesen Weg beschreitet Plantinga. Seine These lautet: »One can rationally (justifiably) believe in God without having adequate reasons, indeed without having any reasons, for that belief«26 - oder mit anderen Worten: »Belief in God is properly basic«27. Allerdings ist es notwendig, die These einer >proper basicality< zunächst ohne voreilige religionsphilosophische Zuspitzung allein in epistemologischer Perspektive auszuarbeiten. Dabei wird darauf zu achten sein, in welcher Weise dieses modifizierte Beharren auf einer epistemischen Basalität fundamentalistische Intentionen aufnimmt und sich konsistent explizieren läßt, ohne den Aporien des evidentialistischen Fundamentalismus zu verfallen. Erst in einem zweiten Schritt kann dann zu der religionsphilosophischen Ausweitung dieses epistemologischen Ansatzes übergegangen werden. Das Interesse wird sich dabei vornehmlich auf den Nachweis der Basalität religiös-theistischer Überzeugungen richten. Er nimmt die Gestalt einer Paritätsthese an, die die epistemologische Gleichrangigkeit theistischer Überzeugungen mit bestimmten anderen als basal angesehenen Überzeugungen zur Geltung zu bringen versucht. Doch schließlich wird auch nach den spezifischen Intentionen zu fragen sein, die überhaupt dazu führen, den Glauben an Gott als basal aufweisen zu wollen.

23 24 25 26 27

Vgl. zur Kritik an der Reichweite dieses Arguments W.P. Aiston, Plantinga 298f. Vgl. dazu auch R.A. Christian, Plantinga, Epistemic Permissiveness, and Metaphysical Pluralism, in: RelSt 28 (1992), 553-573, 554. Vgl. A. Plantinga, RBG 62. W.P. Aiston, Plantinga 290. Ebd.

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Kapitel 4: Alvin Plantinga

Sie führen erneut auf die Leitfrage nach dem Verhältnis von epistemologischer Reflexion und religionsphilosophischer Zielsetzung zurück.

1.2 Die Suche nach der >proper basicality< Plantingas These einer nicht evidentialistisch abgestützten >proper basicality< muß vor dem Hintergrund ihrer Abgrenzung gegen die Ansprüche des klassischen Fundamentalismus gelesen werden. Es handelt sich nicht um die konstruktive Ausarbeitung eines epistemologisehen Gegenentwurfs, sondern lediglich um die Formulierung von programmatischen Vorgaben und Problemanzeigen. Sie stecken wohl den Rahmen für einen eigenständigen Ansatz ab, lassen diesen aber zunächst nur negativ bestimmt sein und verzichten auf eine explizite Durchführung. So werden zwar die Problemstellungen vorgeführt und Weichenstellungen angedeutet, die sich aus der Aporetik des evidentialistischen Fundamentalismus ergeben und schließlich einen tiefgreifenden Wandel der epistemologischen Grundorientierung ins Werk setzen. Dennoch zielt Plantingas Festhalten an der >proper basicality< vorerst nur auf eine programmatische Vorgabe: Die Kritik an den fundamentalistischen Basalitätskriterien richtet sich weder gegen die Formulierung dieser Kriterien selbst noch gegen die Wahl eines fundamentalistischen Ansatzes überhaupt. Die >proper basicality< von Überzeugungen, die den evidentialitischen Basalitätskriterien genügen, wird von Plantinga ebensowenig in Frage gestellt wie die fortwährende Plausibilität des fundamentalistischen Basalitätsgedankens. Stattdessen rückt die Frage nach der Reichweite der fundamentalistischen Basalitätskriterien in den Vordergrund: »The problem ... is not with the criteria themselves, however, or so Plantingua argued, but with the epistemologists' claim that only beliefs meeting such criteria are properly foundational«28. Es geht nicht darum, ob Überzeugungen, die den fundamentalistischen Basalitätskriterien genügen, >properly basic< sind, sondern umgekehrt darum, ob alle Überzeugungen, die als >properly basic< aufgewiesen werden sollen, diesen Kriterien genügen müssen. Plantinga gesteht durchaus zu, daß die Basalitätskriterien als hinreichende Bedingungen für >proper basicality< gelten können; er wendet sich vielmehr gegen die These, sie auch als notwendige Bedingungen für >proper basicality< auffassen zu wollen29.

28 29

R.A. Christian, Plantinga 554. Diese Argumentation setzt also voraus, daß Überzeugungen, die die fundamentalistischen Basalitätskriterien erfüllen, tatsächlich als >properly basic< gelten können, und stellt - in Selbstanwendung dieser Kriterien - nur fest, daß es auch Überzeugungen gibt, die zwar >properly basic< sind - nämlich die Basalitätskriterien selbst, die zu Recht als Basalitätskriterien angelegt werden -, den zugrunde liegenden Kriterien aber nicht genügen. Das Argument ist also nur schlüssig unter der Voraussetzung, von der Geltung der Basalitätskriterien als hinreichender Bedingungen auf ihre >proper basicality< schließen zu können.

l. Der Entwurf eines nichtklassischen Fundamentalismus

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Plantingas Argumentation zielt damit zwar nicht auf eine Ablehnung von Basalität überhaupt, sondern lediglich auf eine Widerlegung der diese Basalität sichernden evidentialistischen Basalitätskriterien. Doch umgekehrt reicht seine Kritik sehr viel weiter, als zunächst offensichtlich ist: Indem er die >proper basicality< einer Überzeugung als gänzlich unabhängig von den bisherigen Basalitätskriterien aufweist, muß es ihm darum zu tun sein, ein nichtklassisches Verständnis epistemischer Basalität zu explizieren, das ohne die klassischen Basalitätskriterien auszukommen in der Lage ist und dennoch am Basalitätsgedanken selbst festzuhalten vermag. Damit gewinnt das Problem der Basalitätskriterien von einer anderen Seite her erneut an Bedeutung. So ist zu fragen, welche Konsequenzen sich aus der Ablehnung der evidentialistischen Basalitätskriterien für die Suche nach Basalitätskriterien überhaupt ergeben: Lassen sich eventuell andere Basalitätskriterien ausfindig machen, oder führt schon die Suche nach Basalitätskriterien überhaupt in die Irre? Dabei ist zu beachten, daß Plantingas Programm einer nichtklassischen Basalität innerhalb eines von zwei Richtungen her bestimmten Spannungsfeldes operiert. Auf der einen Seite steht die in Abgrenzung gegen die Ansprüche des klassischen Fundamentalismus entfaltete Schwierigkeit, die >proper basicality< bestimmter Überzeugungen nicht durch geeignete Basalitätskriterien untermauern zu können. Der evidentialistische Aufweis von Basalitätskriterien scheitert an seiner selbstreferentiellen Inkonsistenz. Auf der anderen Seite jedoch bleibt auch eine nichtklassische Basalitätskonzeption darauf angewiesen, begründet zwischen basalen und nichtbasalen Überzeugungen unterscheiden zu können. Diese Aufgabe erhält ihrer besondere Relevanz vor dem Hintergrund zweier grundsätzlicher Einwände, denen Plantinga entgegentreten muß. Dabei handelt es sich zunächst um das Beliebigkeitsproblem. Die Ablehnung der klassischen Basalitätskriterien darf nicht zur Folge haben, daß jede beliebige Überzeugung als >properly basic< angesehen werden kann: »The fact that he [sc. the Reformed epistemologist; ML] rejects the criterion of proper basicality purveyed by classical foundationalism does not mean that he is committed to supposing just anything is properly basic« (RBG 75). Dim tritt sodann das Grundlosigkeitsproblem zur Seite. Die Ablehnung der evidentialistischen Basalitätskriterien darf auch nicht dazu führen, daß basale Aussagen nun als völlig grundlos dastehen: »Basic beliefs are not, or are not necessarily, groundless beliefs« (RBG 80). Diese beiden Probleme spannen den Rahmen auf, innerhalb dessen Plantinga seinen Ansatz einer nichtklassischen Basalität zu explizieren sucht. Sie bezeichnen die unverzichtbaren Wegmarken und Eckpunkte, denen er im Zuge seiner Ausarbeitung Rechnung zu tragen hat. Plantinga hebt darauf ab, ein Verständnis von Basalität zu skizzieren, das die Aporetik der evidentialistischen Basalitätskriterien vermeidet, ohne umgekehrt dem Sog einer relativistischen Beliebigkeit oder dezisionistischen Grundlosigkeit zu verfallen. Dabei steht ihm noch gar keine ausgearbeitete Konzeption zur Ver-

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fügung, deren Haltbarkeit es gegen kritische Einwände zu verteidigen gälte; vielmehr ist er darum bemüht, zunächst den Rahmen abzustecken und die Bedingungen anzugeben, denen eine noch auszuarbeitende Konzeption Genüge zu leisten hätte. In diesem Sinne trägt die Auseinandersetzung um die beiden Einwände überhaupt erst zur Profilierung der angestrebten Basalitätsthese bei. Indem einige naheliegende Versuche, diesen Einwänden zu entgehen, scheitern und so zu tiefgreifenden Modifikationen nötigen, kommt es allmählich zur Ausbildung nicht nur einer spezifischen Problemlage, sondern auch eines eigenständigen epistemologischen Ansatzes, um die programmatische Vorgabe einer nichtklassischen Basalität konstruktiv durchführen zu können. Von besonderer Bedeutung ist dabei der Übergang vom Beliebigkeits- zum Grundlosigkeitsproblem: Plantinga versucht dem aus der Ablehnung der evidentialistischen Basalitätskriterien sich ergebenden Beliebigkeitsproblem zunächst durch eine phänomenologisch orientierte Kontextualisierung basaler Überzeugungen entgegenzutreten und verbleibt so im Umfeld eines internalistischen Paradigmas epistemologischer Reflexion. Das Scheitern dieser Strategie veranlaßt ihn jedoch schließlich zu einem extemalistischen Neuansatz, der sich in seiner Auseinandersetzung mit dem Grundlosigkeitsproblem zwar bereits andeutet, aber erst in der Fokussierung auf das Programm einer >virtue epistemologyproperly basic< nicht an die Erfüllung vorgegebener Basalitätskriterien gebunden sein läßt. Doch er sieht sich damit vor ein grundsätzliches Problem gestellt: »His argument seemed to lead the way to epistemic permissiveness, insofar as it included nothing to prevent any belief aspiring to foundational status from storming the epistemic castle and usurping, or rather, crowding the ranks of its nobility. ... Here is where the facets of Plantinga's programme in epistemology begin to show up. He has by this time come to devise a number of ways of thinking about how to rethink the credentials of foundational belief«31. Plantinga selbst umschreibt dieses Problem als »the Great Pumpkin Objection« (RBG 74) und formuliert es von vornherein in expliziter Zuspitzung auf die These theistischer Basalität: »If belief in God is properly basic, why cannot just any belief be properly basic? Could we not say the same for any bizarre aberration we can think of? What about vodoo or astrology? What about the belief that the Great Pumpkin returns every Halloween? Could I properly take that as basic? ... If we say that belief in God is properly basic, will we not be committed to holding that just anything, or nearly anything, can properly be taken as basic, thus throwing wide the gates to irrationalism and superstition?« (ebd.) Diese theistische Fokussierung des Problems weist zwar auf die religionsphilosophische Intention, die Plantinga mit seinen epistemologischen Überlegungen verknüpft. Doch der Einwand selbst hat seinen Ort im Umkreis einer epistemologischen Problemstellung und zielt auf die unliebsame Konsequenz, »that, because he does not set out criteria for properly basic belief analogous to those provided by classical foundationalists, practically any belief can be promoted as basic and, therefore, as rational on his programme«32. Im folgenden muß es also vor30 31 32

Vgl. J. Greco, Art. virtue epistemology, in: J. Dancy, E. Sosa (Hgg.), Companion 520522; vgl. dazu im folgenden. R.A. Christian, Plantinga 554f. R.A. Christian, aaO. 555.

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nehmlich um die epistemologische Auseinandersetzung Planüngas mit dem Beliebigkeitsproblem gehen; erst in einem zweiten Schritt sind dann dessen religionsphilosophische Auswirkungen auf die These einer theistischen Basalität in den Blick zu nehmen. Dieses Vorgehen entspricht nicht nur dem Anspruch Planüngas selbst, eine selbständige epistemologische Konzeption zu entwickeln, sondern macht überdies deutlich, daß die entscheidende religionsphilosophische Problematik gerade in der Frage nach der Verhältnisbestimmung von epistemologischer Argumentation und theistischer Zielsetzung liegen wird.

Plantinga läßt sich nicht auf die Forderung ein, alternative Basalitätskriterien zu formulieren, um dem Beliebigkeitsproblem entgehen zu können. Stattdessen wendet er sich einigen paradigmatischen Fällen basaler Überzeugungen zu und versucht anhand ihrer seine These einer >proper basicality< zu präzisieren. Zu diesen paradigmatischen Fällen zählt er neben den fremdpsychischen33 und memoralen34 vor allem die sensorischen Überzeugungen: »Upon having an experience of a certain sort, I believe that I am perceiving a tree. In the typical case, I do not hold this belief on the basis of other beliefs; it is nonetheless not groundless. My having that characteristic sort of experience ... plays a crucial role in the formation and justification of that belief. We might say this experience, together, perhaps, with other circumstances, is what justifies me in holding it; this is the ground of my justification, and, by extension, the ground of the belief itself«35. Die Kennzeichnung einer bestimmten Überzeugung als >properly basic< bedeutet also nicht den Verzicht auf jegliche epistemische Unterstützung auch wenn diese nicht durch vergebene Basalitätskriterien erfaßt werden kann36. Gleichwohl kommt es entscheidend darauf an, die notwendige kontextuelle Einbettung der entsprechenden Überzeugung in Rechnung zu stellen und ihre basale Geltung darauf auszurichten: »Whether or not a belief may be legitimately regarded as properly basic will depend on the circumstances in which it occurs; only in some and not in other cases will a candidate belief merit the status at issue«37. Plantingas These der >proper basicality< bedarf also einer kontextuellen Präzisierung: »According to the Reformed epistemologist certain beliefs are properly basic in certain circumstances; those same beliefs may not be properly basic in other circumstances« (RBG 74). Allerdings handelt es sich dabei nicht um eine beiläufige Vervollständigung des Basalitätsbegriffs in dem Sinne, als ließe sich ein angemessenes Verständnis der >proper basicality< weitgehend unabhängig 33

Bei den fremdpsychischen Überzeugungen handelt es sich um die »beliefs ascribing mental states to other persons« (A. Plantinga, RBG 78). Als Beispiel wählt Plantinga zumeist die Aussage: »That person is in pain« (ebd.). 34 Bei den memoralen Überzeugungen handelt es sich um die »memory beliefs« (A. Plantinga, RBG 78). Als Beispiel wählt Plantinga zumeist die Aussage: »I had breakfast this morning« (ebd.). 35 A. Plantinga, Rationality and Religious Belief, in: S.M. Cahn, D. Shatz (Hgg.), Contemporary Philosophy of Religion, Oxford 1982, 255-277, 271; vgl. - mit zumeist wörtlicher Übereinstimmung - Ders., RBG 79. 36 Vgl. M.S. McLeod, Rationality 114. 37 R.A. Christian, Plantinga 557.

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von dieser nur zusätzlichen Kontextualisierung entfalten. Stattdessen bildet diese angedeutete kontextuelle Wende für Plantinga den eigentlichen Fluchtpunkt seines epistemologischen Ansatzes. Denn er verknüpft zwar mit dem Rekurs auf die kontextuelle Einbettung der >proper basicality< eine Verteidigungsstrategie gegen den >Great Pumpkin Objection^ darüber hinaus jedoch zielt er auf eine grundlegende methodologische Weichenstellung, die in jener kontextuellen Wende ihren Ausdruck findet und der Auseinandersetzung mit dem Beliebigkeitsproblem schon vorausgeht. Dies zeigt sich vor allem darin, unter welcher Perspektive Plantinga die Frage nach der >proper basicality< in den Blick nimmt. Es fällt auf, daß er nicht mehr wie noch der Fundamentalist - nach den Kriterien fragt, die eine bestimmte Überzeugung als >properly basic< aufzuweisen erlauben. Vielmehr kehrt er die Problemlage um und richtet sein Augenmerk auf die faktische Geltung basaler Überzeugungen innerhalb vorgegebener und umgrenzter situativer Kontexte, ohne daraus in jedem Fall formale Kriterien ableiten zu wollen38. An die Stelle der fundamentalistisch-kriteriologischen tritt damit eine phänomenologisch-analytische Perspektive. Plantinga läßt sich auf die Beobachtung und Beschreibung lebensweltlich vorgegebener Zusammenhänge ein, innerhalb derer die Basalität bestimmter Überzeugungen - auch ohne explizite Reflexion - faktisch in Geltung steht: »He argues that we recognise, in certain circumstances, the proper basicality of certain propositions without actually forming any formal criteria«39. Das epistemologische Programm einer nichtklassischen Basalität wird also von Plantinga auf eine methodologische Vorgehensweise gestützt, die sich der phänomenologischen Beschreibung umgrenzter situativer und umfassenderer semantischer Kontexte widmet und die in diesen Zusammenhängen in Anspruch genommenen Basalitätsbeziehungen analytisch aufzuhellen versucht. Die entscheidende Frage lautet dann, ob Plantinga mit seiner phänomenologischen Perspektive philosophische Implikationen verknüpft, oder umgekehrt die methodologische Verfahrensweise dem epistemologischen Programm gegenüber äußerlich bleibt. Im ersten Fall führt die kontextuelle Wende dazu, hinter die epistemologische Begründungsproblematik auf die grundlegendere Frage nach dem Verhältnis von Sprache und Welt überhaupt zurückgehen zu müssen. Denn mit der Einsicht in die notwendige Kontextualität von Basalitätsverhältnissen rückt nicht nur die konstitutive Interpretativität semantischer Kontexte im allgemeinen, sondern vor allem die Interpretativität der jeweils in Anspruch genommenen Beobachtungsebene im besonderen in den Blick. Der Beliebigkeitseinwand zielt dann auf die Problematik der Verhältnisbestimmung differenter Überzeugungssysteme und steht schließlich vor dem Frage, ob er sich auf der Grundlage einer selbstreferentiell zugespitzten Interpretativität überhaupt konsistent formulieren läßt. 38 39

Vgl. M.S. McLeod, Rationality 114. D.Z. Phillips, Faith after Foundationalism, London 1988, 19.

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Im zweiten Fall hingegen gerät die epistemologische Relevanz der kontextuellen Wende ins Zwielicht. Denn wenn die kontextuelle Einbettung der >proper basicality< sich allein einer phänomenologischen Perspektive verdankt, ohne zu weiterreichenden philosophischen Konsequenzen Anlaß zu geben, dann stellt sich die Frage, ob auf diese Weise das Beliebigkeitsproblem überhaupt erreicht werden kann. Wenn es lediglich darum geht, die faktische Geltung basaler Überzeugungen innerhalb vorgegebener Zusammenhänge aufzuweisen, ohne damit auch die Frage nach dem Verhältnis der jeweiligen Kontexte in den Blick zu nehmen, dann läßt sich entweder keine hinreichende Antwort auf den Beliebigkeitseinwand formulieren oder muß umgekehrt eine philosophische Grundlage in Anschlag gebracht werden, die zwar den Beliebigkeitseinwand unterläuft, dabei aber auch das Programm einer nichtklassischen Basalität als bloßes Scheingefecht entlarvt. Plantinga selbst erhebt nun den Anspruch, mit seiner Kontextualisierung der Basalitätsthese den entscheidenden Schlüssel gefunden zu haben, der den Beliebigkeitsein wand zu entkräften vermag: »So, the Reformed epistemologist can properly hold that belief in the Great Pumpkin is not properly basic,... even if he has no full-fledged criterion of proper basicality« (RBG 78)40. Daher wird im folgenden darauf zu achten sein, ob seine methodologisch eingefädelte kontextuelle Wende die notwendigen epistemologischen Konsequenzen nach sich zieht, um dem >Great Pumpkin Objection< wirkungsvoll begegnen zu können. Plantinga führt sein Programm einer kontextuellen Einbettung der Basalität in doppelter Richtung durch: (1) Zunächst wendet er sich der Problematik der Basalitätskriterien zu und skizziert ein induktives Verfahren zur analytischen Rekonstruktion faktisch in Geltung stehender Kriterien. (2) Sodann nimmt er die Frage nach der Grundlosigkeit basaler Überzeugungen auf und behauptet im Gegenzug ihre auf kontextrelative Bedingungen bezogene >GrundhaftigkeitGrundhaftigkeit< der basalen Überzeugungen selbst im Vordergrund und verweist so auf ein primär epistemologisches Interesse. Beide Seiten zielen dabei auf eine Ausarbeitung der kontextuellen Wende, mit der Plantinga seine These einer nichtklassischen Basalität zugleich explizieren und gegen den Beliebigkeitseinwand in Schutz zu nehmen sucht41. Als Basali40 41

Vgl. - mit wörtlicher Übereinstimmung - A. Plantinga, Rationality 276. Es ist insofern irreführend, wenn R.A. Christian, Plantinga 558, beide Argumentationslinien - die sie zudem nicht in der gleichen Weise voneinander unterscheidet - auf eine »revised version of the permissiveness charge« bezieht. So bestehe der >Great Pumpkin Objection zunächst in der Frage: »If belief in God is properly basic, then why cannot just any belief be properly basic?« (A. Plantinga, RBG 74). Er finde seine Antwort bereits in der Kontextualisierungsthese selbst: »Whether or not a belief may be legitimately regarded as properly basic will depend on the circumstances in which it occurs; only in some and not in other cases will a candidate belief merit the status at issue« (R.A. Christian, Plan-

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tätskriterien werden gerade die Bedingungen einsichtig gemacht, die die >Grundhaftigkeit< basaler Überzeugungen sicherstellen und so den Beliebigkeitsvorwurf widerlegen sollen: »A belief is properly basic only in certain conditions; these conditions are, we might say, the ground of its justification and, by extension, the ground of the belief itself. In this sense, basic beliefs are not, or are not necessarily, groundless beliefs«42. (1) Plantinga ist es nicht darum zu tun, den fundamentalistischen Basalitätskriterien andere entgegenzusetzen, die zur Unterscheidung zwischen basalen und nichtbasalen Überzeugungen in Anspruch genommen werden können. Er lehnt diese kriteriologische Fragestellung überhaupt ab und wendet sich stattdessen einer phänomenologischen Perspektive zu. Sein Interesse liegt nicht mehr auf der Frage nach der Bestimmung, sondern der Beschreibung von Basalitätskriterien. Damit verknüpft sich eine Umkehrung der Blickrichtung: An die Stelle des fundamentalistischen Versuchs, auf der Grundlage notwendiger und hinreichender Basalitätskriterien den Korpus basaler Überzeugungen zu spezifizieren, tritt das phänomenologische Verfahren, in der Hinwendung zu den faktisch bereits in Geltung stehenden basalen Überzeugungen die darin implizit in Anspruch genommenen Basalitätskriterien zu erheben43. Den Ausgangspunkt für dieses Vorhaben bildet die Frage nach der Struktur möglicher Basalitätskriterien: »How do we rightly arrive at or develop criteria for meaningfulness, or justified belief, or proper basicality? ... What is the status of criteria for knowledge, or proper basicality, or justified belief?« (RBG 75). Der Fundamentalismus setzt seine Kriterien zwar als allgemeingültig an, ist aber gerade daran gescheitert; denn erst unter dieser Bedingung einer >univer-

tinga 557). Allerdings führe diese These nur wieder zu einem neuen Einwand, den Christian als zweite Version des >Great Pumpkin Objection bezeichnet und in der folgenden Formulierung Plantingas zitiert: »For any belief there are circumstances in which it is properly basic« (A. Plantinga, RBG 74). Plantinga selbst freilich führt dieses Problem wie auch Christian sieht - nicht als eine sich auf die Beantwortung des ersten Einwandes gründende zweite Version ein, sondern bezeichnet es gerade umgekehrt als eine »vastly weaker« (ebd.) Fassung des ursprünglichen Einwandes. Schon diese Einschätzung der Sachlage läßt vermuten, daß Plantinga die epistemologische Relevanz der mit dem zweiten Einwand verbundenen Problematik nicht zur Kenntnis zu nehmen gewillt ist. Das bedeutet, daß er sich mit diesem Problem auch gar nicht eingehend beschäftigt. Vor allem aber ist festzuhalten, daß sowohl Plantingas induktive Rekonstruktion der Basalitätskriterien als auch seine Auseinandersetzung mit dem Vorwurf der Grundlosigkeit basaler Überzeugungen ihren Ort nicht im Umfeld der zweiten, sondern der ersten Fassung des >Great Pumpkin Objection haben. Denn es geht hier nicht um die Beliebigkeit ganzer Kontexte, sondern nur um die Beliebigkeit einzelner Überzeugungen relativ zu bestimmten Kontexten. Die zweite Fassung spielt auf die drohende Konsequenz einer relativistischen Partikularität an, die sich aus einer bloß phänomenologisch-analytischen Durchführung der kontextuellen Wende ergibt (vgl. dazu auch R.A.Christian, Plantinga 555f., 560f.). Diese Problemlage steht aber noch nicht im Hintergrund der beiden Argumentationslinien, mit denen er seine Kontextualisierung überhaupt erst gegen den Beliebigkeitseinwand in Anschlag bringen will. 42 A. Plantinga, Rationality 272; vgl. - mit wörtlicher Übereinstimmung - Ders., RBG 80. Vgl. auch R.A. Christian, aaO. 559. 43 Vgl. R.A. Christian, Plantinga 558: »Plantinga, a man of the people, starts >from belowGreat Pumpkin Objection< bereitstellen. Sie beruft sich auf die induktive Aufweisbarkeit von Basalitätskriterien und beharrt insofern auf der Möglichkeit, zwischen basalen und nichtbasalen Überzeugungen unterscheiden zu können48. (2) Neben der phänomenologisch-methodologischen Ausarbeitung entfaltet Plantinga auch einen epistemologischen Gedankengang, der seine kontextuelle Wende gegen den Einwand der Grundlosigkeit basaler Überzeugungen ins Werk setzen soll. Dabei werden die deskriptiv aufweisbaren Basalitätskriterien nun als kontextrelative >Gründe< ins Spiel gebracht49, die eine basale Überzeugung trotz ihrer Basalität als epistemisch gerechtfertigt einsichtig zu machen vermögen: »A belief is properly basic in certain conditions; these conditions are, we might say, the ground of its justification and, by extension, the ground of the belief itself. In this sense basic beliefs are not, or are not necessarily, groundless beliefs« (RBG 80). Zur Unterstützung dieser These wendet sich Plantinga den für seine Basalitätskonzeption paradigmatischen Fällen sensorischer, memoraler und fremdpsychischer Überzeugungen zu. Alle derartigen Überzeugungen - wie etwa die Aussagen >Ich sehe einen BaumIch habe heute morgen gefrühstückt< oder >Diese Person hat Schmerzen< - gründen sich nicht auf andere Überzeugungen; sie können daher nicht auf argumentativ-inferentiellem Wege gerechtfertigt werden. Dennoch gelten sie zu Recht als >properly basicGründeGriinden< - im Englischen steht hier >ground< - liegt eine interessante semantische Ambivalenz, insofern >ground< weniger den logischen Grund (vgl. das englische >reasoncauseGrundhaftigkeit< basaler Überzeugungen vor schwerwiegende Probleme. So bleibt Plantinga eine genaue Ausarbeitung dieses Ansatzes ebenso schuldig, wie er es schon im Fall des >induktiven< Kriterienaufweises bei vagen Andeutungen belassen hatte51. Vor allem läßt er die Frage offen, wie er den Terminus >ground< verstanden wissen möchte. Auf der einen Seite kann damit kein logischer Grund im Sinne des englischen >reason< gemeint sein; denn das würde eine inferentielle Rechtfertigung implizieren und so den Verlust der Basalität der fraglichen Überzeugungen zur Folge haben. Stattdessen deuten einige Formulierungen auf eine Lesart im Sinne des englischen >cause< hin und legen damit ein externalistisches Verständnis nahe: »My perceiving the pain behavior plays a unique role in the formation and justification ofthat belief« (RBG 79; Hervorhebung ML). Dazu würde passen, daß Plantinga bereits in diesem Zusammenhang auf das >proper functioning< des Erkenntnisvermögens anspielt52 und auch an anderer Stelle reliabilistische Tendenzen einfließen läßt53. Die >Grundhaftigkeit< basaler Überzeugungen zielt dann auf den Nachweis, daß sich im Rekurs auf die kontextuellen Umstände ein Verfahren angeben läßt, das zur Bildung der in Frage stehenden Überzeugung Anlaß gibt und diese so zugleich rechtfertigt. Auf der anderen Seite jedoch rekurriert Plantinga gerade auf die epistemische Rechtfertigung in einer Weise, die sich nicht mit einer externalistischen Perspektive verträgt. Denn im Hintergrund eines externalistischen Ansatzes steht die Kritik an der internalistischen These, »that all of the factors needed for a belief to be epistemically justified for a given person be cognitively accessible to that per-

51 52 53

Vgl. R.A. Christian, aaO. 560: »In fact, Plantinga is in general silent about how the epistemologist is to proceed in the task, seemingly so important to his revisionary epistemology, of formulating hypotheses about the conditions of proper basicality«. Vgl. die Definition der epistemischen Rechtfertigung in A. Plantinga, RBG 79. Vgl. A. Plantinga, Is Belief in God rational?, in: C. Delaney (Hg.), Rationality and Religious Belief, Notre Dame 1979, 7-27, 24.

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son«54. Der Externalist behauptet hingegen, »that at least some of the justifying factors are not be thus accessible, so that they can be external to the believer's cognitive perspective, beyond his ken«55. Plantinga jedoch läßt erkennen, daß er an der grundsätzlichen epistemischen Zugänglichkeit der rechtfertigenden Faktoren festhält. So formuliert er im Blick auf sensorische Überzeugungen: »My being appeared to in this characteristic way (together with other circumstances) is what confers on me the right to hold the belief in question« (RBG 79; Hervorhebung ML). Es läßt sich also feststellen, daß Plantinga internalistische und externalistische Motive nebeneinanderstellt, ohne sie miteinander auszugleichen56. Ihren deutlichsten Ausdruck findet diese Ambivalenz in Plantingas Definition der epistemischen Rechtfertigung: »Let us say that a belief is justified for a person at a time if (a) he is violating no epistemic duties and is within his epistemic rights in accepting it then and (b) his noetic structure is not defective by virtue of his then accepting it« (ebd.). Später wird er gerade das in der ersten Bedingung explizierte deontologisch-internalistische Verständnis einer grundlegenden Kritik unterziehen und stattdessen eine an die zweite Bedingung anknüpfende externalistische Konzeption des >proper functioning< entwickeln57. Allerdings ist mit der Feststellung dieser Ambivalenz allein nicht auch schon die Frage beantwortet, wie diese zu verstehen ist und welche Folgerungen sich aus ihr ziehen lassen. Es legt sich die Vermutung nahe, daß Plantinga zwar einen grundsätzlichen Wechsel der Perspektive anstrebt, dabei aber dem alten Ansatz noch verhaftet bleibt. Die externalistischen Elemente würden dann die Richtung anzeigen, in die Plantingas Konzeption zielt, ohne diesen Weg jedoch schon konsequent beschreiten zu können. Damit drängt sich die weitere Frage auf, aus welchen Gründen heraus Plantinga diesen Paradigmenwechsel ins Werk zu setzen versucht. Soll sich die Ambivalenz zwischen internalistischer und externalistischer Perspektive nicht nur einer Nachlässigkeit Plantingas verdanken, son54

L. BonJour, Art. externalism/internalism, in: J. Dancy, E. Sosa (Hgg.), Companion 132-136, 132. 55 Ebd. 56 R.A. Christian beobachtet eine ähnlich gelagerte Ambivalenz zwischen reliabilistischen und kontextualistischen Tendenzen; vgl. Dies., Plantinga 555 (unter Bezug auf A. Plantinga, Is Belief in God Rational 24; sowie Ders., RBG 85): »He both flirts with reliabilist theories of knowledge and hints, in a passage that brings the later Wittgenstein to mind, at the importance of community and training in establishing (and legitimating?) the basicality of certain of our beliefs«. J.W. Robbins, Is Belief in God Properly Basic?, in: IJPR 14 (1983), 241-248, diagnostiziert ebenfalls Plantingas Unentschlossenheit, sich eindeutig zwischen einem >epistemic behaviorism< Rortyscher Prägung oder einem Rückgang auf objektive Basalitätskriterien zu entscheiden; vgl. auch Ders., Does Belief in God Need Proof?, in: FaPh 2 (1985), 272-286. 57 Vgl. zu Plantingas späterer Kritik an der intemalistischen Konzeption einer deontologischen Rechtfertigung Ders., Warrant: The Current Debate, Oxford 1993, 3-29; und zu seiner eigenen Konzeption des >proper functioning< Ders., Warrant and Proper Function, Oxford 1993, 3-47; vgl. dazu unten.

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dem als Vorbereitung eines tiefgreifenden epistemologischen Wandels gedeutet werden können, dann muß sich ein Problem ausfindig machen lassen, das Plantinga nur durch einen derartigen Umbruch in den Griff bekommen zu können meint.

1.3 Die realistische Selbstentmachtung des nichtklassischen Fundamentalismus Die vorangegangene Frage führt zurück auf die übergreifende Problemstellung, der sich Plantingas kontextuelle Wende allererst verdankt. Plantinga erhebt den Anspruch, mit seiner Kontextualisierungsthese einen Weg gefunden zu haben, um dem Beliebigkeitseinwand wirkungsvoll begegnen zu können. Gerade dieser Anspruch jedoch ist zum Scheitern verurteilt: »It is unclear why Plantinga's programme ... should ever been thought to provide for the epistemic possibilities against which the Great Pumpkin Objection protests«58. Der Grund dafür liegt in der Art und Weise, mit der Plantinga seine kontextuelle Wende einführt: Er setzt an die Stelle der kriteriologischen eine phänomenologische Perspektive, die nicht mehr auf die Frage nach der normativen Bestimmung basaler Überzeugungen zielt, sondern umgekehrt deren faktische Geltung voraussetzt und sich stattdessen der deskriptiven Aufweisbarkeit ihrer kontextrelativen Kriterien und Gründe widmet. Die epistemologische Perspektive wird so phänomenologisch >eingeklammertproperly basic< ansetzen; an seine Stelle tritt aber nun die andere und sehr viel gewichtigere - Frage, wie sich die jeweils unterschiedlichen Kontexte, auf die sich die fraglichen Überzeugungen phänomenologisch zurückführen lassen und innerhalb derer sie als basal in Geltung stehen, selbst zueinander verhalten. Die >vertikale< Problematik der Basalitätskriterien einzelner Überzeugungen wird also abgelöst durch die >horizontale< Problematik der gegenseitigen Zugänglichkeit und Vermittelbarkeit jener vorausgesetzten Basalitätskontexte. Hinter der phänomenologischen Antwort auf den Beliebigkeitseinwand scheint mithin das sehr viel grundsätzlichere Problem einer relativistischen Pluralität epistemologisch immunisierter Überzeugungssysteme auf. Plantinga erweckt selbst den Anschein, als sei er sich dieser Verschiebung der Problemlage durchaus bewußt. Er hält an seiner kontextuellen Wende fest und erweitert sie zu einer partikularistischen Konzeption eigenständiger Basalitätskontexte: »There is 58

R.A. Christian, Plantinga 560.

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no reason to assume, in advance, that everyone will agree on the examples. ... And hence criteria for proper basicality arrived at in this particularistic way may not be polemically useful. If you and I start from different examples ... then we may very well arrive at different criteria for proper basicality« (RBG 77). Nun erst, so hat es also den Anschein, ist der eigentliche Gipfelpunkt von Plantingas Argumentation erreicht: Die Kontextualisierungsstrategie mündet in den Aufweis divergierender Basalitätskriterien in differenten Überzeugungssystemen und weitet so den Blick für die Frage nach der Verhältnisbestimmung dieser Kontexte selbst. Damit tritt jedoch nicht nur das Problem der gegenseitigen Zugänglichkeit oder möglichen Inkommensurabilität der jeweiligen Kontexte in den Vordergrund, sondern vor allem - vermittelt durch die selbstreferentielle Zuspitzung der Kontextualisierung auf die eigene Beobachtungsebene - die Frage nach den Konsequenzen für das Verständnis von Wahrheit und Erkenntnis. Denn eine konsequente Durchführung des Kontextualisierungstheorems mündet in die Einsicht, die implizite Voraussetzung eines archimedischen Punktes preisgeben zu müssen. Die eigene Perspektive verdankt sich ebenso kontextrelativ in Geltung stehenden und damit im Rücken der angelegten Blickrichtung befindlichen Kriterien wie die von ihr aus ins Auge gefaßten Überzeugungskontexte. Die entscheidende Frage zielt dann nicht auf die gegenseitige Zugänglichkeit der pluralen Kontexte; sie ist schon dadurch unterlaufen, daß die Wahrnehmung anderer Kontexte als anderer Kontexte diese Zugänglichkeit immer schon in Anspruch nimmt. In den Vordergrund rückt vielmehr die Problematik der jeweils eigenen Kontextualität, die nicht mehr als die distanzierte Neutralität eines archimedischen Punktes ausgegeben werden kann. Gilt die kontextrelative Einbettung der Basalitätskriterien auch hier, so wird der weitere Schritt unausweichlich, das, was es epistemisch zu rechtfertigen gilt, konstitutiv an Bedingungen zu knüpfen, die nicht mehr auf der Objektseite des zu Erkennenden, sondern auf der Subjektseite des angelegten Erkenntnisrahmens verortet werden müssen. Die selbstreferentielle Zuspitzung der Kontextualisierungsthese nötigt zu dem Zugeständnis einer grundsätzlichen Interpretativität, die das epistemisch zu Rechtfertigende immer schon unter vorgegebenen Bedingungen epistemischer Rechtfertigung in den Blick nimmt. Der Zugriff auf eine an sich seiende >Realität< erweist sich damit als Illusion; an seine Stelle muß eine Konzeption treten, die der unhintergehbaren Kontextualität - und damit Konstruktivität - des Begründungsrekurses auch auf dieser tiefer liegenden Ebene des Wahrheits- und Weltverständnisses Rechnung zu tragen vermag. Plantingas kontextuelle Wende führt also, wird sie als Antwort auf den Beliebigkeitseinwand ernstgenommen, zu tiefgreifenden Revisionen des der Begründungsproblematik zugrunde liegenden epistemologischen und sprachphilosophischen Modells: Die Forderung nach der kontextuellen Einbettung basaler Überzeugungen verlagert das Interesse nicht nur von der einzelnen Überzeugung auf das übergreifendere Uberzeugungssystem, sondern rückt gerade damit die Frage nach dem Verhältnis von sprachlicher Überzeugung und nichtsprachlichem Sachverhalt - von Sprache und Welt - in den Vordergrund. Dabei verstrickt sich das klassische realistische Ver-

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ständnis einer Übereinstimmung von sprachlicher Überzeugung und nichtsprachlich strukturiertem Sachverhalt aus dem Grund in Schwierigkeiten, daß die selbstreferentielle Zuspitzung der Kontextualisierung die Interpretativität des sprachlichen Überzeugungssystems in einer Weise hervorhebt, die umgekehrt die Annahme eines als nichtsprachlich gegeben postulierten Sachverhalts problematisch erscheinen läßt. Der Beliebigkeitseinwand erfahrt seine Widerlegung dadurch, daß er im Verlauf einer konsequenten Durchführung der kontextuelle Wende seiner unhaltbaren realistischen Implikationen überfuhrt wird. Der Rekurs auf die kontextuelle Verankerung faktisch in Geltung stehender basaler Überzeugungen und ihrer impliziten Kriterien kann also dem Beliebigkeitseinwand insofern entgegentreten, als mit ihm eine Revision des realistischen Gegenübers von Sprache und Welt verbunden wird. Eine erste Konsequenz dieser Einsicht zeigt sich in der Hinwendung zu dem Problem differenter Überzeugungskontexte: Ihre Pluralität kann nicht mehr in der Weise realistisch aufgelöst werden, daß es zwar faktisch verschiedene - und einander widersprechende - Kontexte geben möge, nur einer aber die Sachverhalte der Welt widergebe und so als >wahr< angesehen könne. Vielmehr wird das Pluralitätsproblem seine Auflösung darin finden müssen, daß über die immer schon vorausgesetzte Zugänglichkeit differenter Kontexte die Unhintergehbarkeit des jeweils in Anspruch genommenen eigenen Kontextes zur Geltung gebracht wird. Der Vorwurf der Beliebigkeit findet seine Grenze mithin darin, daß er innerhalb eines bestimmten Kontextes immer schon unterlaufen ist - ohne freilich die entsprechenden Kriterien von einem archimedischen Punkt aus festschreiben zu können.

Allerdings verwahrt sich Plantinga gegen eine derartige Ausweitung seiner kontextuellen Wende. Kennzeichnend dafür ist seine Behandlung der Problematik pluraler Kontexte. Zunächst skizziert er zwar ein partikularistisches Modell, das differente Überzeugungskontexte zuläßt, die jeweils unterschiedliche Basalitätskriterien zugrunde legen und sich insofern als einander unvereinbar erweisen können. Dann jedoch fährt er fort: »Of course it does not follow that there is no truth of the matter; if our criteria conflict, then at least one of them is mistaken, even if we cannot by further discussion agree as to which it is.... Particularism does not imply subjectivism« (RBG 78). Daraus erhellt ein Doppeltes. (1) Zunächst tritt der realistische Hintergrund zutage, der von Plantinga fraglos vorausgesetzt wird und seinen epistemologischen Überlegungen immer schon im Rücken liegt. Er spitzt ihn sogar in der Weise zu, daß die Wahrheitsfrage als letztlich unabhängig vom Komplex der epistemischen Rechtfertigung zu stehen kommt. Wohl hebt er auf den Nachweis der Eigenständigkeit zweier differenter Kontexte ab, zwischen deren - einander inkompatiblen - Basalitätskriterien auf der Grundlage dieser Kriterien selbst keine Entscheidung getroffen werden könne59. Daraus folge jedoch keine grundsätzliche Unentscheidbarkeit: »But it does not follow from this that there is no right or wrong about criteria of basicality, or that there is no >truth of the matten«60. Plantinga unterscheidet also in der Frage differenter Basalitätskriterien zwischen einer kontextinternen und einer kontextexternen Perspektive; während jene keine definitive Entscheidung zu fällen imstande sei, bleibe diese den in Frage stehenden Überzeugungskontexten selbst verschlossen. Damit nimmt er einen 59

Vgl. A. Plantinga, RBG 77f.; Plantinga zielt hier auf eine Gleichrangigkeit verschiedener, als voneinander unabhängig postulierter Überzeugungskontexte. 60 R.A. Christian, Plantinga 562.

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archimedischen Punkt in Anspruch, der diese Unterscheidung überhaupt erst zu formulieren und so die kontextinterne Problematik der epistemischen Rechtfertigung an den kontextexternen Horizont des Verhältnisses von Sprache und Welt zurückzubinden erlaubt. Diese Einbettung der Kontextrelativität in einen vorgängigen realistischen Rahmen hat weitreichende Konsequenzen auch für das Verständnis der kontextuellen Wende selbst. (2) So läßt der realistische Hintergrund nun umgekehrt deutlich werden, daß die Berufung auf die kontextuelle Verankerung von Basalitätskriterien einer phänomenologisch-deskriptiven Perspektive verhaftet bleibt, die sich einer weitergehenden epistemologischen Zuspitzung entzieht. Der phänomenologische Aufweis einer kontextrelativen Geltung bestimmter basaler Überzeugungen bleibt insofern an der Oberfläche der epistemologischen Fragestellung, als die Betonung des Kontextes auf die Relation zwischen Einzelüberzeugung und Überzeugungssystem beschränkt wird, während die andere Frage nach der Verhältnisbestimmung differenter Überzeugungskontexte ohne Umschweife eine realistische Beantwortung findet. Plantingas kontextuelle Wende geht also nicht über die schlichte Deskription faktisch in Geltung stehender Basalitätskriterien im Horizont vorgegebener Überzeugungskontexte hinaus; die durch ihre selbstreferentielle Zuspitzung vermittelte Ausweitung der Kontextualisierungsstrategie auf die Frage nach der Verhältnisbestimmung der differenten Kontexte selbst mitsamt der auf diese Weise sich aufdrängenden Revision des epistemologischen Grundansatzes bleibt Plantinga fremd. Der deskriptive Aufweis der kontextuellen Verankerung berührt nicht die epistemologische Geltungsfrage - und zwar deshalb nicht, weil er sich auf eine kontextinterne Perspektive beschränkt, die ihrerseits die Möglichkeit einer kontextexternen Perspektive bereits voraussetzt und realistisch fixiert. Gerade diese Unterscheidung markiert also die Grenze der von Plantinga postulierten kontextuellen Wende: Indem dem phänomenologischen Interesse eine realistische Grundlage vorgeordnet wird, reduziert sich die Reichweite des phänomenologischen Basalitätsaufweises auf eine lediglich interne Deskription, deren externe Geltungsfrage unthematisch bleibt. Erst mit einer Verabschiedung dieses realistischen Rahmens wird es möglich, die kontextuelle Wende mit einer weitergehenderen epistemologischen Relevanz zu verbinden. Plantingas Verwahrung gegen eine subjektivistische Ausdeutung seines Partikularismus wirft ein grelles Licht auf die sprachphilosophischen Hintergründe seines epistemologischen Ansatzes insgesamt. Die zunächst zur Verteidigung der nichtklassischen Basalitätsthese eingeführte kontextuelle Wende wird realistisch entschärft und auf eine lediglich deskriptive Funktion zurückgeschnitten. Dann aber stellt sich die Frage, ob sie dem Problem des >Great Pumpkin Objection überhaupt noch wirkungsvoll entgegentreten kann. Dieser Frage soll abschließend so nachgegangen werden, daß in einem Rückblick auf die kontextuelle Wende und deren Verständnis kontextueller Basalität die spezifische epistemologische Fragestellung Plantingas und seine darin zum

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Ausdruck kommende sprachphilosophische Grundkonzeption erhoben werden. Dabei läßt sich als Leitfaden auf die Diagnose und Kritik zurückgreifen, die Dewi Z. Phillips - wenngleich in fideistischer Perspektive - in seiner gründlichen Auseinandersetzung mit Plantinga und der von ihm konzipierten reformierten Epistemologie< formuliert hat61. Den Ausgangpunkt bilden die oberflächlichen Übereinstimmungen, die Plantingas Programm einer nichtklassischen Basalität mit Wittgensteins epistemologischen Überlegungen zu verbinden scheinen: Beide lehnen nicht nur die Konzeption eines evidentialistischen Fundamentalismus ab62, sondern verweisen darüber hinaus auf die Notwendigkeit einer kontextuellen Wende. Sie soll das Augenmerk auf den jeweiligen Rahmen richten, innerhalb dessen bestimmte Überzeugungen als basal in Geltung stehen63. Bei genauerem Hinsehen jedoch entlarven sich diese Ähnlichkeiten als ein grobes Mißverständnis: »It cannot be said that Plantinga's philosophical enterprise bears any positive relation to what Wittgenstein was concerned with«64. Dies zeigt sich bereits im Zusammenhang der Auseinandersetzung um den fundamentalistischen Versuch, allgemeine - und insofern dem jeweiligen epistemischen Kontext externe - Basalitätskriterien spezifizieren zu wollen. Während dieser Ansatz aus Wittgensteinscher Perspektive als gänzlich »confused and misconceived«65 erscheinen muß, hält ihn Plantinga zwar für falsch, akzeptiert damit aber doch die zugrunde liegende Fragestellung: »Plantinga ... says that the attempt fails. He does not say it is confused or unintelligible«66. Hinter dieser zunächst nebensächlich erscheinenden Nuancierung verbirgt sich ein tiefgehender sprachphilosophischer Unterschied, der die Konzeptionen von Plantinga und Wittgenstein als zwei gänzlich disparate Entwürfe einsichtig werden läßt. Er tritt deutlicher zutage, wenn die jeweilige Intention der kontextuellen Wende und das daraus resultierende Verständnis der >proper basicality< einer eingehenderen Betrachtung unterzogen werden. Phillips sieht den Fokus von Plantingas Fundamentalismuskritik darin, daß dieser seine eigenen Basalitätskriterien nicht begründen könne. Damit sei der Versuch eines allgemeinen Kriterienaufweises überhaupt gescheitert; an seine Stelle müsse der Rekurs auf epistemische Kontex-

61 Vgl. zum folgenden D.Z. Phillips, Faith after Foundationalism 3-127. 62 Vgl. D.Z. Phillips, aaO. 14-23, sowie die Zusammenfassungen in Ders., aaO. 24, 38. 63 Vgl. D.Z. Phillips, aaO. 38. Phillips bezieht den Aspekt der kontextuellen Wende sogleich auf die auch bei Plantinga im Hintergrund stehende religionsphilosophische Intention, der evidentialistischen Ablehnung theistischer Basalität entgegentreten zu wollen: »They say that God is believed in without God's existence being seen as a presupposition for which prior evidence must be sought« (ebd.). Die bei Plantinga vorausgesetzte epistemologische These einer kontextuellen Verankerung von Basalität referiert er an anderer Stelle (vgl. aaO. 18f.). 64 D.Z. Phillips, aaO. 38. 65 D.Z. Phillips, aaO. 25. Phillips beruft sich hier auf J.D. Kenyon, Doubts about the Concept of Reason, in: ArSoc 59 (1985), 249-267. 66 D.Z. Phillips, aaO. 25.

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te treten, innerhalb derer bestimmte Überzeugungen als basal in Geltung stehen67. Allerdings werde diese Kontextualisierung nicht konsequent auf die logisch-grammatischen Relationen innerhalb der jeweiligen epistemischen Praxis zugespitzt, sondern durch psychologisierende Einschübe aufgeweicht und so in ihrer argumentativen Reichweite beschnitten. Als Beispiel führt Phillips Plantingas These an, die Selbstevidenz von Propositionen müsse auf Personen relativiert werden: »Very simple arithmetic truths will be self-evident to nearly all of us; but a truth like 17 + 18 = 35 may be self-evident only to some«68. Plantinga verwechsle hier in unzulässiger Weise die Ebenen von psychologischem Vermögen und grammatischer Regel. Gerade das Beispiel der Arithmetik zeige jedoch, daß es hier um die Teilnahme an einer sozialen Praxis und nicht um ein individuelles >Erfassen< gehe: »The self-evidence of 2 + 1 = 3 does not emanate from the epistemic and phenomenological properties of the proposition considered in relation to the reactions of an isolated individual. The proposition enjoys its selfevident status in arithmetic. It is within the practice that the proposition has its application and its sense«69. Diese Individualisierung verleitet Plantinga nun zu einer folgenschweren Überlegung: »How does he [sc. the Foundationalist; ML] know that a given proposition - 7 + 5 = 12, for example - is self-evident? Might we not be mistaken in our judgements of self-evidence«70. Plantinga gesteht also die Möglichkeit zu, daß sich die eigene epistemische Praxis der Arithmetik als falsch herausstellen könnte71. Diese Möglichkeit gilt dann mutatis mutandis für alle epistemischen Kontexte: Plantinga nimmt trotz seiner Ablehnung der Möglichkeit kontextexterner Basalitätskriterien einen externen Standpunkt in Anspruch, der es ihm erlaubt, als radikaler Skeptiker aufzutreten. So schließt er gerade umgekehrt aus der mangelnden externen Rechtfertigung einer bestimmten Praxis auf die Möglichkeit ihrer prinzipiellen Falschheit. Damit aber wird deutlich, daß er dem Ideal einer externen Rechtfertigung - zumindest in negativer Abhängigkeit - verhaftet bleibt: »Plantinga admits that Reformed Epistemology lacks a criterion of basicality ... But he does not see this lack as freedom from confusion. He admits the criterion is lacking, but thinks there ought to be one«72. Überdies stellt er sich auf diese Weise gegen seine eigene Kontextualisierungsthese. Ihre konsequente - und selbstreferentiell zugespitzte - Durchführung läßt gerade die von Plantinga in Anspruch genommene Differenz von Innen- und Außenperspektive problematisch werden: Wie soll es eine Außenperspektive geben, wenn auch diese selbst wieder nur innerhalb einer bestimmten epistemischen Praxis loziert werden kann? Plantinga versteht die Kontextualisierung immer schon als eine von einer externen Außenperspektive her gesehene Relativierung, die so die Möglichkeit des prinzipiellen Andersseins als skeptische Drohung in Anschlag bringen muß. Im Anschluß an Wittgenstein hingegen stellt sich die Intention der Kontextualisierungsthese anders dar. Der Verzicht auf eine externe Rechtfertigung und somit eine externe Letztbegründung impliziert zwar das Zugeständnis, es könnte auch andere epistemische Kontexte und Praxeis geben. Dieses Zugeständnis läßt sich jedoch gerade nicht relativistisch ausbeuten; denn der Verzicht auf eine externe Perspektive bedeutet auch den Verzicht auf die Dichotomic zwischen externer und interner Perspektive überhaupt - zumindest in dieser weitgespannten, auf den radikalen Skeptizismus bezogenen Ausrichtung: »It cannot be over-emphasised that his [sc. Wittgenstein's; ML] postulation of other possibilities is not meant to deny the naturalness of the way we calculate, but to emphasise it«73. Indem Plantinga also an der Möglichkeit einer externen Problematisierung einer gegebenen epistemischen Praxis und damit an der Voraussetzung einer externen Denkbarkeit des Gegen67 68 69 70 71 72 73

Vgl. D.Z. Phillips, aaO. 19. A. Plantinga, Is Belief in God rational 17. D.Z. Phillips, Faith 27f. A. Plantinga, Rationality and Religious Belief 266. Vgl. D.Z. Phillips, Faith 29. D.Z. Phillips, aaO. 33. D.Z. Phillips, aaO. 32. Phillips entfaltet diese These im Zusammenhang einer Darstellung der Ausführungen von Rush Rhees zum Problem einer alternativen Arithmetik; vgl. Ders., aaO. 29-32.

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übers von epistemischer Praxis und nichtsprachlicher Wirklichkeit festhält, erweist er sich als ein Vertreter gerade des Fundamentalismus, den er überwunden zu haben meint: »Plantinga is quite right in insisting that no external justification of our arithmetic can be given to show it is the right arithmetic, but quite wrong to conclude that, consequently, the whole of our arithmetic could be mistaken«74. Von einer anderen Seite aus gelangt man zum selben Ergebnis: Plantinga verknüpft seine kontextuelle Wende mit der Aufforderung, an die Stelle der kriteriologischen Reflexion eine deskriptive Perspektive zu setzen, die die kontextrelative Geltung basaler Überzeugungen aufzuweisen erlaubt75. Doch ist damit nur eine Methode des Aufweises von Basalität intendiert; an der - vom Fundamentalismus her übernommenen - epistemischen Funktion basaler Überzeugungen hält Plantinga nach wie vor fest: »I know the propositions in the foundations of my noetic structure, but not by virtue of knowing other propositions; for these are the ones I start with«76. Die basalen Überzeugungen dienen Plantinga als Ausgangs- bzw. Endpunkte des epistemischen Begründungsrekurses; die deskriptive Perspektive weist auf, welche Überzeugungen als basal in Geltung stehen, um sodann die Blickrichtung umzukehren, sie als >Fundamente< in Anspruch nehmen und andere Überzeugungen >begründen< zu können. Plantinga verschenkt also eine konsequente Durchführung der kontextuellen Wende und bleibt - entgegen seiner eigenen Intention - einem fundamentalistischen Verständnis epistemischer Rechtfertigung verhaftet. Demgegenüber nähert sich Wittgenstein der kontextuellen Basalität von Überzeugungen mit einem gänzlich anderen Interesse. Er stellt zwar ebenfalls fest, daß sie anderen - nichtbasalen Überzeugungen zugrunde liegen; allerdings richtet er sein Augenmerk nicht auf eine daraus zu erhebende Fundamentalität basaler Überzeugungen, sondern »the crucial question for Wittgenstein is the sense in which these basic propositions do underlie other propositions«77. Er zielt also nicht auf eine epistemologische Verwertbarkeit des Basalitätsaufweises, sondern bleibt auf die Deskription der Art und Weise bezogen, in der sich bestimmte Überzeugungen als basal erweisen. Vor diesem Hintergrund erhellt auch seine entscheidende These: »Es bildet sich nach und nach ein System von Geglaubtem heraus, und darin steht manches unverrückbar fest, manches ist mehr oder weniger beweglich. Was feststeht, tut dies nicht, weil es an sich offenbar oder einleuchtend ist, sondern es wird von dem, was darum herumliegt, festgehalten«78. Es geht Wittgenstein also gerade nicht um den Rückgang auf epistemische Fundamente; vielmehr bleibt die Basalität stets von dem sie konstituierenden Kontext abhängig: »Ich bin auf dem Boden meiner Überzeugungen angelangt. Und von dieser Grundmauer könnte man beinahe sagen, sie werde vom ganzen Haus getragen«79. Den Bezugspunkt seines Interesses bildet eine epistemische Praxis, innerhalb derer bestimmte Überzeugungen als grundlegend in Anspruch genommen werden, ohne daß ihm daran gelegen wäre, diese Blickrichtung umzukehren. Nichts zeigt nun deutlicher die Differenz zwischen Wittgenstein und Plantinga, als daß letzterer seine kontextuelle Wende mit der weiteren These verknüpft, basale Überzeugungen seien auch trotz ihrer kontextrelativen Einbettung nicht als grundlos anzusehen80. Denn damit gibt er zu erkennen, über den Horizont der jeweiligen epistemischen Praxis hinausgreifen und so gerade den Rahmen sprengen zu wollen, den Wittgenstein als für die Frage der epistemischen Rechtfertigung unhintergehbar eingesehen hatte. Dies läßt sich vor allem im Zusammenhang der Problematik sensorisch inkorrigibler Überzeugungen aufzeigen: Plantinga sucht nach Gründen, die bestimmte Überzeugungen als senso74 D.Z. Phillips, aaO. 29. 75 Vgl. A. Plantinga, RBG 76. 76 A. Plantinga, Is belief in God rational 13. 77 D.Z. Phillips, Faith 39. 78 L. Wittgenstein, Über Gewißheit, hg. von G.E.M. Anscombe, G.H. von Wright, in: Ders., Werkausgabe, Bd. 8, Ffm 1989, 115-257 (ÜG), § 144; vgl. D.Z. Phillips, Faith 40: »Wittgenstein would not say that one could start with these propositions, because the propositions have their sense, are held fast, by all that surrounds them«. 79 L. Wittgenstein, ÜG § 248. 80 Vgl. D.Z. Phillips, Faith 43f.

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risch inkorrigibel und damit >properly basic< zu klassifizieren erlauben. Dabei übersieht er jedoch, daß er gerade so die angestrebte Inkorrigibüität verfehlt: Der Versuch, eine gegebene Erfahrung auf ihre inkorrigiblen Komponenten hin zu analysieren, rückt den intendierten Erfahrungsgegenstand in eine letztlich unerreichbare Ferne81. Folgerichtig kommt Plantinga ein weiteres Mal zu dem Schluß, die Möglichkeit eines Irrtums niemals grundsätzlich ausschließen zu können. Eine Überzeugung könne sich auch dann noch, wenn sie innerhalb eines gegebenen Kontextes bereits als basal in Geltung stehe, als falsch erweisen: »Therefore, he must allow the possibility that he could be wrong, while acting with certainty in practice ... He is as certain as anyone else that he is seeing a tree when he sees one in normal circumstances. Yet he also wants to say that he could be mistaken«82. Plantinga führt seine kontextuelle Wende mithin nur halbherzig durch. Er nimmt sie zwar als deskriptive Methode zum Aufweis basaler Überzeugungen in Anspruch, bleibt aber dem realistischen Hintergrund des epistemischen Fundamentalismus verhaftet. So gelingt es ihm nicht, bis zu der Wittgensteinschen Unterscheidung zwischen empirischen und >logisch-grammatischenWeltbildes< auf einen externen Beobachtungsstandpunkt hin stellt ein sinnwidriges Unterfangen dar: »Alle Prüfung, alles Bekräften und Entkräften einer Annahme geschieht schon innerhalb eines Systems. ... Das System ist nicht so sehr der Ausgangspunkt, als das Lebenselement der Argumente«85. Wenn also Plantinga die Inkorrigibüität bestimmter Überzeugungen im Rekurs auf kausalgenetisch lozierte Gründe zu befestigen und damit den internen Geltungskontext auf eine externe Verankerung hin aufzubrechen sucht, dann verweigert er sich schlicht den sprachphilosophischen Konsequenzen seiner eigenen kontextuellen Wende. Im Hintergrund steht die grundsätzliche Differenz, die Plantinga von der Möglichkeit einer externen Perspektive träumen läßt, wo Wittgenstein nur die Schmerzen verspürt, »die sich der Verstand beim Anrennen an die Grenze der Sprache geholt hat«86.

Beide Gedankengänge führen zum gleichen Resultat: Plantinga präsentiert seine kontextuelle Wende als ein deskriptives Verfahren, das mit dem Aufweis der kontextuellen Verankerung basaler Überzeugungen dem Einwand ihrer Beliebigkeit entgegentreten können soll. Die sprachphilosophischen Konsequenzen dieses Ansatzes lehnt er jedoch ab; stattdessen bleibt er einem realistischen Rahmen verhaftet, den er vom epistemischen Fundamentalismus übernimmt und der es ihm erlaubt, einen Standpunkt jenseits aller Kontextualität zu behaupten und die einzelnen epistemischen Kontexte von einem - zumindest als denkbar vorausgesetzten - Maßstab absoluter Wahrheit her in Frage zu stellen. 81 82 83

84 85 86

Vgl. D.Z. Phillips, aaO. 46: »In fact... the >experiences< which are supposed to make the assertion >I see a tree< a well-grounded one in fact take us further and further away from the assurance that we are seeing a tree«. D.Z. Phillips, aaO. 48. Zur terminologischen Differenzierung zwischen >grammatischen< und >Iogischen< Sätzen bei Wittgenstein vgl. M. Kober, Gewißheit als Norm. Wittgensteins erkenntnistheoretische Untersuchungen in Über Gewißheit, Berlin 1993, 50-67. L. Wittgenstein, ÜG § 94. L. Wittgenstein, ÜG § 105. L. Wittgenstein, PU § 119.

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Der Vergleich dieser Konzeption mit dem Ansatz Wittgensteins weist auf, daß der entscheidende Differenzpunkt in der Frage liegt, welche Relevanz jene kontextuelle Wende für eine Revision der überkommenen Verhältnisbestimmung von Sprache und Welt beanspruchen kann. Plantinga legt sich hier auf einen realistischen Ansatz fest, den er selbst nicht in Frage gestellt sieht: »Plantinga's purpose is the discovery what in fact is true. He wants to give a correct picture of the world«87. Damit bleibt der realistische Korrespondenzgedanke uneingeschränkt in Geltung. Der Topos des Kontextes wird nicht auf die selbstreferentielle Beobachtung hin zugespitzt, daß auch die Annahme des welthaften Gegenübers eines epistemischen Kontextes nur wieder innerhalb eines Kontextes zu stehen kommt und damit gerade die kontextextern angesetzte Welt nicht erreicht, die sie zu erreichen vorgibt. Die sprachphilosophische Konsequenz lautet dann, die Voraussetzung einer sprachunabhängig strukturierten Welt als widersinnig verwerfen und die Unterscheidung zwischen Sprache und Welt als allenfalls selbst schon sprachintern konstituiert einsehen zu müssen. Die selbstreferentielle Zuspitzung der Kontextualisierungsthese entlarvt die Voraussetzung eines archimedischen Punktes jenseits aller Kontextualität, der die Korrespondenz zwischen Überzeugungssystem und welthaftem Gegenüber denken zu können behauptet, als Illusion. Die kontextrelative Verankerung logisch-grammatischer Überzeugungen weist auf ihre Unhintergehbarkeit in dem doppelten Sinne, daß sich mit dem Versuch ihrer ontologischen Letztbegründung zugleich auch die Möglichkeit einer skeptischen Relativierung erledigt. Denn mit dem Verzicht auf die externe Außenperspektive geht der Verzicht auf ein epistemologisch relevantes Verständnis der Unterscheidung von >innen< und >außen< - von Sprache und Welt überhaupt einher88. An die Stelle der Plantingaschen Frage nach dem ontologischen Fundament einer epistemischen Praxis tritt damit die Wittgensteinsche Frage nach der ihr zugrunde liegenden >Grammatikagreement with reality< amounts to can be 87 88 89

D.Z. Phillips, Faith 54. Vgl. dazu bereits oben Kapitel l, 4. D.Z. Phillips, aaO. 54f. Phillips spielt hier an auf L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, hg. von G.E.M. Anscombe, G.H. von Wright, R. Rhees, in: Ders., Werkausgabe, Bd. l, Ffm 1989, 227-580, § 217: »Habe ich die Begründungen erschöpft, so bin ich nun auf dem harten Felsen angelangt, und mein Spaten biegt sich zurück. Ich bin dann geneigt zu sagen: >So handle ich eben.Great Pumpkin Objection< nur um den Preis begegnen, daß er auf sein epistemologisches Programm überhaupt verzichtet. Seine Strategie gleicht insofern dem merkwürdigen Unterfangen, den eigenen Ansatz von hinten zu erdolchen, um sein Erschießen von vorne zu verhindern. Plantinga geht es in seiner kontextuellen Wende lediglich um einen deskriptiven Aufweis faktisch in Anspruch genommener, kontextrelativer Basalitätsverhältnisse. Die Geltungsfrage bleibt davon zunächst unberührt und wird erst in einem zweiten Schritt eingeführt, der hinter die kontextuelle Partikularität auf die realistische Perspektive einer Übereinstimmung mit der ontologisch vorgegebenen >Welt< zurückgreift. Gerade dieser ontologische Vorbehalt ist es, der die kontextuelle Wende auf einer nur oberflächlichen Ebene zu stehen kommen läßt. Der deskriptive Aufweis kontextueller Zusammenhänge ist immer schon in der Weise ontologisch >eingeklammertWelt< die alleinige Geltung eines der vielen Überzeugungssysteme immer schon gegeben sei. Die vorgebliche epistemologisch-plurale Partikularität findet ihre Grenze mithin an dem ontologisch vorgegebenen Weltgefüge, das nur von einem der Kontexte angemessen erfaßt werden könne. Auf diese Weise wird der epistemologische Pluralismus durch die Vorschaltung eines ontologischen Monismus entschärft. Doch umgekehrt bedeutet dieser Schritt eine ontologische Entmachtung der epistemologischen Fragestellung. Plantinga reißt einen Graben auf zwischen epistemischer Rechtfertigung und ontologischer Wahrheit - zwischen >justification< und >truthAn sich An sich< verschwinden läßt. Dieses Ergebnis ist alles andere als zufriedenstellend. Plantinga kann nur schwerlich den Anspruch erheben, auf den Beliebigkeitseinwand eine befriedigende Antwort gegeben zu haben. Durch seinen Rückgang auf einen schlichten

2. Die >proper basicality < des christlichen Glaubens

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Realismus hat er die Situation nochmals verschärft. Der Graben zwischen epistemischer Rechtfertigung und vorgängiger Wahrheit kommt einer Selbstkapitulation epistemologischer Reflexion gleich: Nicht nur die kontextuelle Wende, sondern auch die Frage nach der epistemischen Rechtfertigung überhaupt wird auf eine Ebene beschränkt, der jeder Zugang zur >Welt< verwehrt bleibt. Die Folge ist eine gänzliche philosophische Irrelevanz epistemologischer Reflexion - aber nicht im Sinne einer Entzauberung der Differenz von Sprache und Welt, sondern als Folge ihrer mystifizierenden Überhöhung. Der Dichotomie zwischen phänomenologischer Kontextualisierung und realistischer Verankerung liegt so ein sehr viel weitreichenderes Problem zugrunde. Dabei handelt es sich um das Grundproblem des Verhältnisses von Sprache und Welt. Es bedarf einer Lösung, die der realistischen Selbstentmachtung epistemologischer Reflexion ebenso zu entgehen vermag wie dem entgegengesetzten Extrem eines epistemischen Relativismus. Plantinga selbst führt die Aporie deutlich vor Augen, die sich aus seinem Bemühen ergibt, die fällige Revision des realistischen Gegenübers von Sprache und Welt zu verhindern. Es wird im folgenden darauf zu achten sein, ob Plantinga doch noch selbst die entsprechenden epistemologischen Konsequenzen zu ziehen bereit ist. Wohl sieht er sich zu einem grundsätzlichen Wechsel des epistemologischen Paradigmas genötigt. Allerdings verfolgt er dabei nicht den von Wittgenstein und Phillips vorgezeichneten Weg, die kontextuelle Wende auf eine logisch-grammatische Neubestimmung des Verhältnisses von Sprache und Welt hin auszuarbeiten, sondern propagiert gerade umgekehrt eine externalistische Wende, die die Kluft zwischen Sprache und Welt auf die Seite der Welt hin aufzulösen versucht. An die Stelle der irregeleiteten Frage, wie die epistemische Vermittlung zwischen Sprache und Welt soll gedacht werden können, habe nun ein kausalexternalistischer Aufweis des Erkenntnisprozesses und seiner physiologischphysikalischen Bedingungen zu treten. Um jedoch diese externalistische Wende auch in ihren religionsphilosophischen Konsequenzen durchsichtig machen zu können, ist es notwendig, vorher nochmals zu Plantingas These eines nichtklassischen Fundamentalismus zurückzukehren und sie auf ihre religionsphilosophischen Intentionen und Probleme hin in den Blick zu nehmen.

2. Die >proper basicality< des christlichen Glaubens 2.1 Die epistemologische Legitimation des christlichen Glaubens Plantingas religionsphilosophisches Interesse kreist um die Frage nach der Rationalität des christlichen Glaubens. Dabei richtet er sein Augenmerk vornehmlich auf die Behauptung der Existenz Gottes: »The subject under discussion is not really the rational acceptability of belief in God, but the rationality of belief

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that God exists - that there is such a person as God. And belief in God is not at all the same thing as belief that there is such a person as God« (RBG 18). Plantinga scheint hier wohl auf die klassische Unterscheidung zwischen fiducia, assensus und notitia anzuspielen93: Während die Formulierung >belief in< die beiden Aspekte des assensus und der fiducia hervorhebt, die die Zustimmung des Glaubens zu den geglaubten Inhalten und die Gründung der glaubenden Existenz auf das Geglaubte zum Ausdruck bringen94, zielt die andere Formulierung >belief that< auf die notitia als Kenntnis von Inhalt und Gegenstand des Glaubens. Doch letztlich kommt es ihm weniger auf eine Differenzierung des Glaubensbegriffs selbst als vielmehr darauf an, zwischen der Haltung des Glaubens und dem geglaubtem Inhalt zwischen Glaubensvollzug und Glaubensgegenstand - unterscheiden zu können95. Dazu paßt die Beobachtung, daß Plantinga die beiden Aspekte von fiducia und assensus auffallend in den Hintergrund treten läßt und sich statt dessen vornehmlich der notitia zuwendet96. Sein Interesse liegt in der Frage, ob sich der Inhalt des Glaubens rational vertreten läßt. Diesen Inhalt bestimmt er in folgender Weise: »To believe that God exists is simply to accept as true a certain proposition: perhaps the proposition that there is a personal being who has created the world, who has no beginning, and who is perfect in wisdom, justice, knowledge, and power« (RBG 18). Die Ausrichtung auf den kognitiven Inhalt des Glaubens verdankt sich also der Intention, den Wahrheitsanspruch religiöser Aussagen zur Geltung bringen zu wollen.

Plantinga knüpft dabei an einen schlichten Theismus an: »The belief I mean to identify and discuss is ... the belief, first, that there exists a person of a certain sort - a being who acts, holds beliefs, and has aims and purposes. This person, secondly, is immaterial, exists se, is perfect in goodness, knowledge, and power, and is such that the world depends on him for its existence« (RBG 20). Gott wird als ein personales Wesen eingeführt, das sich durch sein Schöpferwir93

Bei Augustin findet sich erstmals eine Unterscheidung zwischen credere Deum, credere Deo und credere in Deum (vgl. Ders., Sermo 61, 2, in: Sancti Aurelii Augustini, Hipponensis Episcopi, Opera omnia, Bd. V/l: Sermones, hg. von J.-P. Migne, Paris 1865 [PL 38], 409-414, 409f,); sie differenziert zwischen Gott als dem Gegenstand des Glaubens, der auf die Autorität Gottes gegründeten Zustimmung des Glaubens zu seinen kirchlich vermittelten Inhalten und schließlich der auf Gott sich richtenden Haltung des glaubenden Vertrauens (vgl. dazu W. Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 3, Göttingen 1993, 166). Die Reformatoren unterscheiden zwischen Act fiducia als Vertrauen auf die göttliche Verheißung, die den assensus als glaubende Zustimmung zu dieser Verheißung ebenso in sich schließt wie die notitia als Kenntnis ihrer historischen Grundlage (zu den Belegen für diese drei Modi des Glaubens bei den Reformatoren vgl. W. Pannenberg, aaO. 160-165). In der nachreformatorischen Dogmatik wird diese Differenzierung terminologisch ausgearbeitet und auf jene augustinische Unterscheidung zurückgespiegelt (vgl. D. Hollaz, Examen theologicum acroamaticum, Stargard 1707, p. Ill, sect. II, c. 7, q. 3, 282, zit. nach W. Pannenberg, aaO. 166, Anm. 148). Die Zusammenstellung dieser drei Momente zur Bestimmung des Glaubensbegriffs findet sich wohl erstmals bei Martin Chemnitz (vgl. Ders., Loci theologici, Frankfurt 1591; vgl. dazu W. Pannenberg, aaO. 167, Anm. 152). 94 Vgl. A. Plantinga, RBG 18: »Belief in God means trusting God, accepting God, accepting his purposes, committing one's life to him and living in his presence«. 95 Er bezieht sich also eher auf die ebenfalls auf Augustin zurückgehende Unterscheidung zwischen fides qua creditur und fides quae creditur; vgl. Ders., De Trinitate Libri XV, in: Aurelii Augustini Opera, Bd. 16/2, Turnhout 1968 [CChr.SL 50/2], XIII, II, 5, 386: »Aliud sunt ea quae creduntur, aliud fides qua creduntur«. 96 Vgl. A. Plantinga, RBG 18: »So belief in God must be distinguished from the belief that God exists. Having made this distinction, however, I shall ignore it for the most part, using >belief in God< as a synonym for >belief that there is such a person as Godproper basicality< des christlichen Glaubens

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ken, seine Anfangslosigkeit und die klassischen Attribute der Allmacht inhaltlich bestimmen läßt. Damit geht Plantinga weder auf die Probleme ein, die mit der konsistenten Formulierbarkeit eines solchen Gottesgedankens verknüpft sind, noch läßt er überhaupt erkennen, daß er sich der neuzeitlichen Problemlage bewußt ist, die diesen Gottesgedanken grundsätzlich in den Horizont des religiösen Subjekts gestellt hat. Er bringt vielmehr einen Gottesbegriff in Anschlag, dessen konsequente begriffliche Fixierung ihn als aporetisch erweisen97 und zudem der radikal-genetischen Religionskritik überlassen muß: Der der Logizität unmittelbarer Selbstbestimmung verhaftete Gottesbegriff bleibt in seiner intendierten Selbstmächtigkeit nicht nur vom Ausschluß des Andersseins abhängig98, sondern kann darüber hinaus auch der Aporie des religiösen Bewußtseins nicht entkommen, die diesen als selbstbestimmend bestimmten göttlichen Grund nur als selbstbestimmend bereits bestimmten und damit abhängigen Grund zu explizieren erlaubt99. Indem sich Plantinga dieser Problematik entzieht, läßt er erkennen, daß er die durch die neuzeitliche Religionstheorie und Theologie eröffnete Problemlage nicht erreicht100. Stattdessen hält er sich an ein vermeintliches Selbstverständnis des christlichen Glaubens101, das er ohnehin nicht in der Abhängigkeitsbezie97 Es fällt auf, daß Plantinga auf eine trinitarische Explikation seines Gottesbegriffs verzichtet, die allenfalls in der Lage wäre, die anstehenden Probleme der Vermittlung zwischen Absolutheit und Personalität zu meistern; vgl. dazu W. Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. l, Göttingen 1988 (ST 1), 283-364. 98 Vgl. dazu F. Wagner, Theologische Gleichschaltung - Zur Christologie bei Karl Barth, in: T. Rendtorff (Hg.), Realisierung der Freiheit. Beiträge zur Kritik der Theologie Karl Barths, Gütersloh 1975, 10-43, wieder in: Ders., Was ist Theologie? Studien zu ihrem Begriff und Thema in der Neuzeit, Gütersloh 1989, 93-125; sowie Ders., Absolute Notwendigkeit. Ein Beitrag zur Art der Aufhebung der kriüzistischen Bestreitung des kosmoontotheologischen Arguments, in: T.S. Hoffmann, F. Ungler (Hgg.), Aufhebung der Transzendentalphilosophie? Systematische Beiträge zu Würdigung, Fortentwicklung und Kritik des transzendentalen Ansatzes zwischen Kant und Hegel, Ffm 1994, 143-167, bes. 143-148. 99 Vgl. dazu F. Wagner, Was ist Religion, bes. 555-589. 100 Plantinga erwähnt nur am Rande den Ansatz von Gordon Kaufman, God the Problem, Cambridge 1972. Dieser nimmt zwar Gott als »imaginative construct« (aaO. 86) und damit in Abhängigkeit vom denkenden Bewußtsein in den Blick, unterscheidet aber in kantischer Tradition zwischen einem »available referent« (ebd.) und einem »real referent« (aaO. 85) und hebt so auf eine erkenntnistheoretische Differenzierung ab, die an der tieferliegenden Aporie des religiösen Bewußtseins vorbeigeht; vgl. A. Plantinga, RBG 19f. 101 Plantinga schiebt die kritische Anfrage von Kaufman ohne eingehendere Erörterung beiseite, indem er sich gegen dessen normative Auffassung auf das Selbstverständnis christlicher Glaubensaussagen beruft: »If it is Kaufman's available referent< >in terms of which we speak whenever we use the word >God«, and if the available referent is a mental or imaginative construct, then presumably when we say >there is a God< or >God exists< we are affirming the existence of a certain kind of mental or imaginative construct. But surely we are not. And when Christians say that God has created the world, for example, are they really claiming that an image or an imaginative construct, whatever precisely that may be, has created the world? That seems at best preposterous« (Ders., RBG 20). Allerdings

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hung des religiösen Bewußtseins gegenüber dem göttlichen Grund erblickt, sondern auf die Behauptung der singulären Existenz Gottes fokussiert sein läßt. Die Frage nach der Rationalität des Glaubens erscheint somit als Frage nach der Rationalität der Existenzbehauptung des christlichen Gottes102. Im Hintergrund steht dabei die evidentialistische Forderung, diese Rationalität in der Angabe hinreichender Gründe ausweisen zu müssen. Sie verbindet sich zumeist mit der religionskritischen These, daß sich diese Forderung nicht erfüllen lasse und der Glaube an Gott daher als irrational zu gelten habe: »Many philosophers ... have argued that belief in God is irrational or unreasonable or not rationally acceptable or intellectually irresponsible or somehow noetically below par because, as they say, there is insufficient evidence for it« (RBG 17)103. Gerade diese Verknüpfung von Rationalität und evidentialistischer Begründungspflichtigkeit ist es nun, der Plantinga sein Interesse widmet. Es geht ihm um die Voraussetzung, »that it is irrational or unreasonable to accept theistic belief in the absence of evidence or reasons. Why suppose that is true? Why should we think a theist must have evidence, or reason to think there is evidence, if he is not to be irrational?« (RBG 30) Plantinga stellt also nicht die Begründungsmöglichkeit theistischer Überzeugungen, sondern ausschließlich ihre zum Rationalitätserweis geforderte Begrimdungspflichtigkeii in Frage104. Er versucht den Gedanken durchzuspielen, an der Rationalität theistischer Überzeugungen auch ohne vorgängige Begründung festhalten zu können: »Why not suppose, instead, that he is entirely within his epistemic rights in believing in God's existence even if he has no argument or evidence at all? This is what I want to investigate« (ebd.). Diese Fragestellung verdankt sich nun ihrerseits einer doppelten Blickrichtung: Auf der einen Seite läßt sie sich als der Versuch auffassen, die Früchte der epistemologischen Auseinandersetzung mit dem evidentialistischen Fundamentalismus auch auf dem Feld der Religion zu ernten. Die These der theistischen Begründungspflichtigkeit gründet offensichtlich in einer Konzeption, die die Gegebenheit allgemeiner Basalitätskriterien voraussetzt und von diesen her eine basale

bleibt er den Nachweis schuldig, dieses Selbstverständnis nicht nur postuliert, sondern zumal in seiner unterstellten Allgemeinheit - tatsächlich aufgewiesen zu haben. 102 Vgl. A. Plantinga, RBG 18f.: »The question I want to address, therefore, is the question whether belief in God - belief in the existence of God - is rationally acceptable. But what is it to believe or assert that God exists? ... Which God do I mean to speak of? The answer, in brief, is: the God of Abraham, Isaac, and Jacob; the God of Jewish and Christian revelation: the God of the Bible«. 103 Zwischen der evidentialistischen Begründungsforderung und ihrer religionskritischen Umsetzung ist also sehr wohl zu unterscheiden; vgl. dazu auch M.S. McLeod, Rationality 108-112. So geht das Bemühen der natürlichen Theologie - wie Plantinga sie versteht (vgl. Ders., RBG 63) -ja gerade dahin, auf der Grundlage des Evidentialismus Argumente zugunsten der Existenz Gottes anzuführen. 104 Vgl. W.P. Aiston, Plantinga 292f.

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Inanspruchnahme der Existenzbehauptung Gottes ausschließt. Dieser Ansatz scheitert an dem von Plantinga formulierten Dilemma: Die in der philosophischen Tradition angeführten Basalitätskriterien erweisen sich nicht nur als selbstdestruktiv hoch angesetzt, sondern scheitern vor allem daran, daß sie ihren eigenen Anforderungen nicht Genüge leisten können und damit selbstreferentiell inkonsistent sind. Vor diesem Hintergrund fällt auch die evidentialistische Religionskritik in sich zusammen und eröffnet den Spielraum für den Versuch, im Zuge eines allgemeinen epistemologischen Ansatzes nichtklassischer Basalität ein Verständnis theistischer Basalität zu erarbeiten. Auf der anderen Seite läßt sich neben dieser epistemologischen Argumentationslinie ein eigenständiges religionsphilosophisches Motiv für die Suche nach theistischer Basalität geltend machen. In diesem Zusammenhang rekurriert Plantinga auf die Tradition reformierter Theologie in der Gestalt dessen, was er »the Reformed objection to natural theology« (RBG 63) nennt. Einen besonderen Platz nimmt hier Calvins Kritik an der Möglichkeit einer natürlichen Theologie105 ein: »The Christian does not need natural theology, either as the source of his confidence or to justify his belief. Furthermore, the Christian ought not to believe on the basis of argument; if he does, his faith is likely to be >unstable and waveringsubject of perpetual doubtSicherheitcertitudo< des Glaubens und einer bloßen >securitas< des Fleisches; vgl. Ders., Institutio III, 2, 11. 108 K. Barth, Kirchliche Dogmatik, Bd. II/l, Zürich 31948 (KD II/l), 93. 109 Vgl. K. Barth, KD II/l, 150f.; vgl. dazu auch W. Pannenberg, ST l, 114f. 110 Dieses Ergebnis wirkt umso befremdlicher angesichts der Tatsache, daß Plantinga die entscheidende These Barths selbst zitiert: »Sein [sc. des Menschen; ML] Versuch, sich selbst zu bewahren und zu behaupten« - Plantinga umschreibt ihn als den Versuch, die Existenz Gottes zu beweisen, ohne diese Ergänzung als solche kenntlich zu machen - »dieser sein Versuch kann gar nicht anders endigen als in der Behauptung, daß er auch o h n e Gottes Gnade, der Gnade Gottes immer schon z u v o r kommend, sie immer schon v o r w e g nehmend, für Gott bereit, daß ihm also Gott auch anders als aus und durch sich selbst erkennbar sei« (K. Barth, KD II/l, 150).

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zugleich die Möglichkeit, seine These einer theistischen Basalität nicht nur am Glaubensbegriff, sondern darüber hinaus auch am Gegenstand des Glaubens selbst festzumachen. Auf diese Weise hätte es ihm gelingen können, seine epistemologische Basalitätsthese theologisch in Kraft zu setzen und so ein Verständnis für die damit verknüpften Ebenenprobleme zu gewinnen. Stattdessen bleibt er einem Ansatz verhaftet, der zwar an einen theologisch interpretierten Glaubensbegriff anschließt, dabei aber nicht zu den tieferliegenden Wurzeln dieser Interpretation vorstößt. Die Berufung auf die reformatorische fiducia bleibt in dem Sinne oberflächlich, daß Plantinga sich auf den Akt des Vertrauens beschränkt, ohne auch den Gegenstand des Glaubens in den Blick zu nehmen, auf den sich dießducia bezieht und in dem sie sich als Glaubensgewißheit gegründet weiß. Die Folge ist eine sprachanalytische Reduktion des Glaubensbegriffs, die seine >grammatischegrammatisch< aufgewiesene Eigenart des Glaubens zielt auf eine von externer Kritik unberührbare epistemische Eigenständigkeit des innerhalb dieses Glaubens Geglaubten, der epistemologisch nur durch das Zugeständnis einer religiös-theistischen Basalität Rechnung getragen werden kann. Die spezifische Eigenart des religiösen Glaubens dient folglich als religionsphilosophisches Argument, um den epistemologischen Ansatz der >proper basicality< auch auf das Feld der Religion ausweiten zu können. In umgekehrter Richtung ergibt sich daraus, die Basalitätskonzeption dazu in Anspruch zu nehmen, um die religionsphilosophische Intention einer epistemischen Eigenständigkeit des religiösen Glaubens epistemologisch zu untermauern. Diese Lesart des Plantingaschen Ansatzes wird zumindest, was die >grammatische< Reduktion des Glaubensbegriffs betrifft, von Dewi Z. Phillips unterstützt. In seiner Auseinandersetzung mit dem Programm der reformierten Epistemologie< - für die Frage nach dem Verhältnis von epistemologischer Argumentation und religionsphilosophischer Zielsetzung ist gerade dieser Titel von besonderem Interesse - gesteht er Plantinga das Verdienst zu, die Eigenart des religiösen Glaubens gegenüber seiner Vereinnahmung durch den philosophischen Fundamentalismus wieder zur Geltung gebracht zu haben. Dabei geht er von einem grundlegenden Skandal aus, der die gegenwärtige Situation der Religionsphilosophie kennzeichne. Die Vorherrschaft des Fundamentalismus habe dazu geführt, die Rationalitat des Glaubens an Gott an die Erfüllung einer evidentialistischen Begründungsforderung zu knüpfen"1 und so den Blick für die Wahrnehmung des religiösen Glaubens zu verlieren: »We are asked to accept as the only appropriate philosophical method for establishing the rationality of religious belief, a method which actually distorts the character of religious belief«112. 111 D.Z. Phillips, Faith 4, zitiert als deutlichstes Beispiel für diese Auffassung die These von W.K. Clifford, The Ethics of Belief, in: Ders., Lectures and Essays, London 1879, 184: »To sum up: it is wrong always, everywhere, and for anyone to believe anything upon insufficient evidence«. 112 D.Z. Phillips, Faith 12.

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Phillips geht es allerdings - im Unterschied zu Plantinga - nicht darum, die evidentialistische Begründungsforderung als ungerechtfertigt zurückzuweisen - möge diese Ablehnung nun epistemologisch oder religionsphilosophisch motiviert sein. Er tritt vielmehr noch einen Schritt zurück und hält das Ansinnen selbst für sinnlos. Der Fundamentalismus sei gezwungen, den religiösen Glauben als eine Hypothese zu betrachten, um deren Einlösung mit Gründen gestritten werde: Es handle sich dabei um »disputes between opposing hypotheses, so that the believer and non-believer may said to hold opposite beliefs from each other«113. Gerade diese Auffassung aber widerspreche dem biblischen - und damit religionsinternen - Selbstverständnis des Glaubens: »When we turn to Scripture it is patently obvious that belief in God is not a matter of believers entertaining a hypothesis. It is not a matter of embracing the best available explanation given the evidence at hand«114. Der Sache nach greift also auch Phillips auf den Aspekt derfiducia zurück, nun allerdings so, daß an die Stelle der theologischen Ausrichtung auf den Glaubensgrund die >grammatische< Betonung der Glaubensgewißheit tritt: »Tentativeness must not be admitted to the grammar of the belief itself. When that is done, the logic of belief in an inescapable God is turned into a belief in a god who may or may not exist«115. Plantinga habe diesen religionsphilosophischen Skandal erkannt. Er wird von Phillips als derjenige eingeführt, der gerade aus der Einsicht in die Eigenart des religiösen Glaubens heraus dem epistemischen Fundamentalismus widersprochen habe. Die epistemologische Argumentation stehe somit im Dienst eines religionsphilosophischen Interesses: Die Kritik an den überzogenen Ansprüchen des evidentialistischen Fundamentalismus ziele darauf ab, die epistemische Basalität des Glaubens an Gott zur Geltung zu bringen; und diese Basalität sei ihrerseits eine notwendige Konsequenz aus der Einsicht in die >grammatische< Struktur des Glaubensbegriffs116.

Diese auf die Eigenart des religiösen Glaubens zielende Aufnahme des Plantingaschen Ansatzes durch Phillips führt auf die grundlegende Frage zurück, in welchem Verhältnis epistemologische Reflexion und religionsphilosophische Zielsetzung bei Plantinga stehen. Zumindest folgendes dürfte bisher klar geworden sein. (1) Plantinga entwickelt ein epistemologisches Argument, das unabhängig von der weiteren religionsphilosophischen Verwendung Geltung beansprucht. Dabei wird dem selbstreferentiell inkonsistenten Fundamentalismus eine Konzeption gegenübergestellt, die auf kontextuellen Basalitätsaufweis statt kriteriologischen Begründungsrekurs setzt. (2) Von dieser epistemologischen Perspektive aus kommt die Religion zunächst nur als ein weiterer Kontext von Überzeugungen in den Blick, der mit phänomenologisch-deskriptiven Mitteln auf seine Basalitätsstruktur hin durchsichtig gemacht werden kann. Damit läßt sich die von Plantinga angestrebte 113 D.Z. Phillips, aaO. 7. 114 D.Z. Phillips, aaO. 9. 115 Auch wenn mit dem »inescapable God« hier der Gegenstand des Glaubens angegeben wird, so ist doch zugleich deutlich, daß diese Bestimmung den auf den subjektiven Glaubensvollzug bezogenen Gedankengang nicht sprengt und überdies der Gegenstand nicht auch als Grund expliziert wird, dem der Glaube sich verdankt. Die Rede von »God's inescapable reality« (D.Z. Phillips, Faith 14) darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß Phillips sich eng an Wittgensteins Deutung des religiösen Glaubens anschließt und von daher auf die existentielle Erschließungsfunktion religiöser Begriffe achtet, ohne ihre kognitiven Implikationen eigens in den Blick zu nehmen. 116 Vgl. D.Z. Phillips, Faith 14f.

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rationale Basalität des Glaubens an Gott epistemologisch zur Geltung bringen: Die innerhalb eines religiösen Kontextes als basal in Geltung stehenden Überzeugungen - zu denen auch die Existenzbehauptung Gottes zählt - bedürfen keiner externen Rechtfertigung und können dennoch als rational angesehen werden. (3) Dieser epistemologischen Argumentation stellt Plantinga ein religionsphilosophisches Motiv zur Seite: In Anknüpfung vornehmlich an Calvin beruft er sich auf die Eigenart des religiösen Glaubens als eines sich seines Grundes gewissen Vertrauens, das mit seiner Unterordnung unter die evidentialistische Begründungsforderung nicht zu vereinbaren sei. (4) Damit wird der Glaubensbegriff von Plantinga epistemologisch funktionalisiert. Der Rekurs auf die dem Glauben eignende Gewißheit dient dazu, die epistemische Basalität des im Glauben Gewußten behaupten zu können. Die Betonung der >grammatischen< Eigenart des Glaubens a\&fiducia erfüllt so die Funktion, den im Glauben geglaubten Inhalt - die notitia - dem evidentialistischen Zugriff zu entziehen und in seiner epistemischen Eigenständigkeit zum Ausdruck zu bringen. Diese Überlegungen lassen sich in folgende These zusammenbinden: Plantinga ist es darum zu tun, die Rationalität des Glaubens an Gott zu verteidigen und zugleich seine epistemische Basalität zu behaupten. Letzteres wird religionsphilosophisch gerechtfertigt durch den Rückgriff auf die Eigenart des Glaubens als fiducia, um deretwillen einer fundamentalistischen Vereinnahmung der Glaubensinhalte zu wehren ist. Die Kritik an den überzogenen Ansprüchen des Evidentialismus rückt von daher in die Funktion ein, diese behauptete Eigenständigkeit des Glaubens epistemologisch zu untermauern. Damit werden theistische Basalität und epistemische Rationalität als die beiden Eckpunkte eines anspruchsvollen Programms einsichtig: Plantinga verfolgt die Intention, die religionsphilosophisch motivierte epistemische Eigenständigkeit des religiösen Glaubens epistemologisch zur Geltung zu bringen. Allerdings verstrickt er sich auf diese Weise unweigerlich in eine Aporie: Die religionsphilosophische Vorgabe zielt auf die Selbständigkeit der Religion gegenüber externen Begründungsansprüchen, soll aber selbst wieder - gerade der epistemologische Terminus der >Basalität< zeigt dies an - epistemologisch eingelöst werden. Plantinga argumentiert epistemologisch dafür, ^i/die Religion nicht argumentieren zu müssen und gegen sie es nicht zu können; er begründet also den Erlaß der Begründungsforderung und erliegt so einem pragmatischen Selbstwiderspruch. Diese Paradoxie beleuchtet schlaglichtartig die grundsätzliche Schwierigkeit, der Plantinga mit der religionsphilosophischen Ausweitung seines epistemologischen Ansatzes gegenübersteht. Sie betrifft den Sachverhalt, daß die epistemologische Reflexion auf die Religion eine Beobachtungsdifferenz in Anspruch nimmt, die die beobachtete Religion innerhalb der Reichweite und damit auch des inhaltlich bestimmten Rahmens der beobachtenden Reflexion zu stehen kommen läßt. Dies gilt dann auch für die Forderung nach religiöser Eigenständigkeit: Die religionsphilosophische Formulierung und epistemologische Absicherung dieses Interesses setzt gerade die epistemische Zugänglichkeit der Religion immer schon voraus, die sie zu unterbinden sucht. Ins Grundsätzliche gewendet handelt es sich also um das Problem, wie es unter der Voraussetzung der Asymmetrie von Beobachter und Beobachtetem möglich sein kann, das Beobachtete

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anders denn als abhängig von der vorgängigen Beobachtungsdifferenz des Beobachters zur Geltung zu bringen. Die Komplexität und Brisanz dieser Frage läßt sich deutlicher erfassen, wenn das Augenmerk nun auf die Durchführung des Plantingaschen Programms gerichtet wird.

2.2 Der >sensus divinitatis< Plantingas epistemologischer Ansatz steht im Dienst der religionsphilosophischen Intention, den theistischen Glauben als >properly basic< zur Geltung bringen und so die Wahrung seiner religiösen >Grammatik< mit der Betonung seiner epistemischen Rationalität verknüpfen zu können. Die Pointe besteht darin, gerade mit der These der theistischen Basalität den Glauben an Gott als rational aufweisen zu können. Die Basalität der Existenzbehauptung Gottes wird so zur Geltung gebracht, daß sie als Kriterium der Rationalität des Glaubens erscheint: Dieser erweist sich aus dem Grund heraus als rational, weil jene das Kriterium der >proper basicality< erfüllt. Damit ist gesagt, daß die Behauptung der Existenz Gottes in eben der Weise als basale Überzeugung fungiert, in der es auch andere Überzeugungen tun, die als >properly basic< in Geltung stehen. Plantinga behauptet, »that beliefs about God are not only rational but just as rational as many nontheistic beliefs that nearly everyone accepts as obviously rational«117. Darin ist die These einer epistemischen Parität zwischen theistischen und anderen basalen Überzeugungen impliziert: »Theistic beliefs have the same epistemic status as commonly held but obviously rational nontheistic beliefs«118. Als derartige paradigmatische Fälle basaler Überzeugungen greift Plantinga vornehmlich auf Wahrnehmungs- und Erinnerungsaussagen sowie solche Aussagen zurück, die sich mit inneren Zuständen anderer Personen beschäftigen119. Damit kann er seine Paritätsthese als die Annahme einer »analogy between belief in God and belief in the existence of perceptual objects, other persons, and the past« (RBG 81) umschreiben120. Diese epistemologische Einführung der Paritätsthese unterstreicht zunächst die Beobachtung, daß Plantinga mit seinen religionsphilosophischen Überlegungen auf einer epistemologischen statt religionsintern-theologischen Beobach117 M.S. McLeod, Rationality 1. 118 M.S. McLeod, aaO. 2; zur präziseren Ausarbeitung dieser Paritätsthese vgl. Ders., aaO. 118-122. 119 Vgl. M.S. McLeod, aaO. 6-9. 120 Gegen diese Form der Paritätsthese hat vor allem J. Grigg, Theism and Proper Basicality. A Response to Plantinga, in: IJPR 14 (1983), 123-127, seinen entschiedenen Widerspruch eingelegt: »One of the reasons that I can take ... memory beliefs as properly basic is that my memory is almost always subsequently confirmed by empirical evidence. But this cannot be said for a belief about God, e.g., the belief that God created the world« (aaO. 126); vgl. auch Ders., The Crucial Disanalogies between Properly Basic Belief and Belief in God, in: RelSt 26 (1990), 389-401. - J. Gowen, Foundationalism and the Justification of Religious Belief, in: RelSt 19 (1983), 393-406, 398, unterstellt Plantinga hier sogar ein Argument aus der religiösen Erfahrung.

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tungsebene operiert. Darüber hinaus verbindet sich mit ihr jedoch ein weiteres, in seinen epistemologischen Voraussetzungen und Implikationen schwer zu durchschauendes Interesse. Denn es zeigt sich, daß Plantinga die Paritätsthese einsetzt, um dem Vorwurf der >Grundlosigkeit< theistischer Überzeugungen zu entgehen. Im Aufweis der Strukturanalogie zur >Grundhaftigkeit< nichttheistischer Überzeugungen versucht Plantinga den Nachweis zu führen, daß sich auch im Fall des Glaubens an Gott Bedingungen namhaft machen lassen, die als Gründe für seine Basalität in Anspruch genommen werden können. Die entscheidende Frage lautet somit, wie sich diese in Anspruch genommene theistische >Grundhaftigkeit< zu dem epistemologischen Rahmen verhält, innerhalb dessen sie formuliert und behauptet wird. Zur Explikation seiner Paritätsthese und damit der >Grundhaftigkeit< der Existenzbehauptung Gottes greift Plantinga erneut auf Calvin zurück. Dabei richtet sich sein Augenmerk vornehmlich auf Calvins These eines sensus divinitatis121. Sie wird von Plantinga in folgender Weise epistemologisch umgesetzt: »Calvin's claim, then, is that God has created us in such a way that we have a strong tendency or inclination toward belief in him. This tendency has been in part overlaid or supressed by sin. Were it not for the existence of sin in the world, human beings would believe in God to the same degree and with the same natural spontaneity that we believe in the existence of other persons, an external world, or the past. That is the natural human condition; it is because of our presently unnatural sinful condition that many of us find belief in God difficult or absurd. The fact is, Calvin thinks, one who does not believe in God is in an epistemically substandard position« (RBG 66). Plantinga entnimmt Calvins Ausführungen die These eines dem Menschen von Gott eingepflanzten Vermögens, ihn durch sein Wirken an uns und in der Welt zu erkennen. Dieses von Plantinga anthropologisch lozierte Vermögen hat zur Folge, daß der Gläubige, indem er seiner kognitiven Verfassung nachgibt, bestimmte religiöse Überzeugungen faßt, die er ohne weitere argumentative Verankerung als basal in Anspruch nehmen kann: »Calvin's claim is that one who accedes to this tendency and in these circumstances accepts the belief that God has created the world - perhaps upon beholding the starry heavens, or the splendid majesty of the mountains, or the intricate articulate beauty of a tiny flower is entirely within his epistemic rights in so doing. ... His belief need not be based on any other propositions at all; under these conditions he is perfectly rational in accepting belief in God in the utter absence of any argument, deductive or inductive« (RBG 67). Mithin wird die kognitive Ausstattung des Menschen - mitsamt seines sensus divinitatis - als der Ort ausfindig gemacht, hinsichtlich dessen von einer epistemischen Analogie zwischen theistischen und nichttheistischen Überzeugungen gesprochen werden kann. Auf der Grundlage des sensus divinitatis läßt sich eine 121 Vgl. Calvin, Institutio I, 3, 1.

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ganze Reihe von Bedingungen und Situationen angeben, die die Bildung einer religiösen Überzeugung veranlassen und sie als >properly basic< ausweisen. Plantinga hat hier vornehmlich religiöse Erfahrungen im Sinn: »guilt, gratitude, danger, a sense of God's presence, a sense that he speaks, perception of various parts of the universe« (RBG 81). Es geht daher strenggenommen auch nicht um die Behauptung der Existenz Gottes selbst, sondern um Überzeugungen, die von einem erfahrenen Wirken Gottes sprechen und dabei die Behauptung der Existenz Gottes notwendig implizieren122. Vor allem aber ist im Auge zu behalten, daß sich die von Plantinga verfochtene Paritätsthese nicht auf eine zu behauptende Ähnlichkeit zwischen theistischen und nichttheistischen Überzeugungen gründet - was ja schon auf den ersten Blick kontraintuitiv zu sein scheint123 -, sondern auf eine funktionale Äquivalenz der kognitiven Vermögen, die diese Überzeugungen hervorbringen: »Just as, in appropriate circumstances, we see trees owing both to outward circumstances and to the proper functioning of perceptual capacities and cognitive processes (...), so in appropriate circumstances, owing to the proper functioning of the noetic equipment posited by Calvin, countenanced by Plantinga, and according to them, supplied by God, we perceive God, or rather, something about him that implies his existence«124. Der dem Menschen von Gott her eingepflanzte sensus divinitatis wird von Plantinga als epistemischer Garant dafür in Anspruch genommen, daß der theistische Glaube an Gott in gleicher Weise als >properly basic< - und damit rational - gelten kann wie andere Überzeugungen, die als basal angesehen werden. Allerdings stellt diese >vermögenspsychologische< und an Calvins sensus divinitatis orientierte Ausarbeitung der Paritätsthese vor gewichtige Probleme. Diese zeigen sich bereits in der Aufnahme des sensus divinitatis selbst; denn Plantinga unterläuft hier eine grobe Fehleinschätzung der theologischen Intention, um deretwillen Calvin einen derartigen >natürlichen Instinktproperly basic< angesehen werden, weil sie sich lediglich der Aktivierung des menschlichen Vermögens zur Erkenntnis Gottes in der Erfahrung seines Wirkens verdankt. An die Stelle

122 Vgl. A. Plantinga, RBG 81: »It is not the relatively high-level and general proposition God exists that is properly basic, but instead propositions detailing some of his attributes or actions«. 123 Vgl. die Beobachtungen bei R.A. Christian, Plantinga 564. 124 R.A. Christian, Plantinga aaO. 564; vgl. aaO. 564f.: »The analogy, then, is not one that depends for its plausibility on the similarity or lack thereof among beliefs about God, physical objects, the past and other minds, for it is not so much about these beliefs as it is about the supposed faculties or powers or capacities or equipment said to generate them«. 125 Vgl. Calvin, Institutio I, 3, 1.

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der diskursiven Reflexion tritt die schlichte Aufforderung, sich seiner kognitiven Disposition gemäß zu verhalten und der Erfahrung des Wirkens Gottes gegenüber nicht zu verschließen. Damit rückt die Berufung auf den sensus divinitatis in ein eigentümliches Spannungsverhältnis zu dem ebenfalls von Calvin entnommenen Glaubensbegriff: Der sensus divinitatis wird als anthropologische Grundlage dafür genutzt, den kognitiven Aspekt des im Glauben Geglaubten epistemologisch zu situieren und abzusichern. Doch die Pointe des Glaubensbegriffs liegt gerade darin, sich um dcifiducia willen einer derartigen - anthropologisch eröffneten - epistemologischen Zugänglichkeit des Glaubensinhalts zu verweigern. Der im Glauben gewußte Grund erschließt sich nur im Glauben selbst. Diese Einsicht wird von Calvin so zur Geltung gebracht, daß die cognitio die immer schon durch dießdes vermittelte Erkenntnis darstellt: Der Glaube ist konstitutiv auf die Erkenntnis des Glaubensinhalts bezogen; umgekehrt ist diese Erkenntnis immer schon durch den erkannten Inhalt als G/aubenierkenntnis bestimmt126. Daraus folgt, daß die im Glauben statthabende notitia gerade nicht die Kenntnis sein kann, die Plantinga im Rekurs auf den sensus divinitatis aufgewiesen zu haben meint. Denn diese Kenntnis soll anthropologisch verankert sein; sie ist damit grundsätzlich unterschieden von der Kenntnis, die als Explikation des Glaubensgrundes ihren Ort allein innerhalb des Glaubens haben kann. Diese Spannung zwischen einer im sensus divinitatis verankerten und einer allein durch den Glauben vermittelten Gotteserkenntnis kann allerdings nur deshalb auftreten, weil Plantinga den sensus divinitatis als Ausgangspunkt eines positiven Vermögens zur Erkenntnis Gottes in Anschlag bringt. Damit wird seine Fehldeutung Calvins erst recht offensichtlich: Calvin nimmt den sensus divinitatis gerade nicht als Ausgangspunkt für eine dem Glauben gegenüber eigenständige Form der Gotteserkenntnis in Anspruch. Seine Argumentation verläuft vielmehr in umgekehrter Richtung. Das unbestrittene Faktum einer natürlichen Kenntnis von Gott127 weist die Unentschuldbarkeit derer auf, die sich dennoch nicht zu Gott bekannt haben128. Daraus erhellt ein Doppeltes: Zunächst wird der sensus divinitatis nicht im Sinne eines menschlichen Vermögens eingeführt, sondern - ganz im Sinne von Rm 1,19-21 - auf eine faktisch vorhandene Kenntnis Gottes zugespitzt. Es geht Calvin gerade nicht um die Situierung eines Vermögens, sondern um die Feststellung eines faktisch vorhandenen Wissens. Sodann aber wird dieses Wissen nicht als Ausgangspunkt einer eigenständigen Erkenntnis Gottes in Anschlag gebracht, sondern gerade umgekehrt - wieder ganz im Sinne von Rm 1,19-21 und auch Rm 2,15129 - auf seine Verkehrung abgehoben. 126 Vgl. Calvin, Institutio I, 3, 1; vgl. auch W. Nijenhuis, Art. Calvin, Johannes (15091564), in: TRE 7 (1981), 568-592, 581f. 127 Calvin nimmt hier der Sache nach vorweg, was in der Theologie der altprotestantischen Orthodoxie als >cognitio Dei naturalis insita< entfaltet wird; vgl. etwa J. Gerhard, Loci theologici, Jena 1610-1625, Tübingen 1762-1781,1, 93; sowie J.A. Quenstedt, Theologia didacticopolemica (1685), Wittenberg 1691,1, 253. 128 Vgl. Calvin, Institutio I, 3, 1: »Quendam inesse humanae menti, et quidem naturali instinctu, divinitatis sensum, extra controversiam ponimus: siquidem, nequis ad ignorantiae praetextum confugeret, quandam sui numinis intelligentiam universis Deus ipse indidit, cuius memoriam assidue renovans, novas subinde guttas installat: ut quum ad unum omnes intelligent Deum esse, et suum esse opificem, suo ipsorum testimonio damnentur quod non et illum coluerint, et eius voluntati vitam suam consecrarint«. Es ist erneut sehr bemerkenswert, daß Plantinga gerade diese Äußerung Calvins zitiert, um sie dann in einer der Calvinschen Intention geradezu zuwiderlaufenden Richtung zu interpretieren; vgl. A. Plantinga, RBG 65f. Die reformatorische Stoßrichtung Calvins, aus der Einsicht in die allein dem Glauben geschenkten Erkenntnis Gottes heraus gerade das Scheitern aller natürlichen Erkenntnisbemühungen zu betonen und dies noch darauf zuzuspitzen, daß selbst die faktische Kenntnis von Gott nicht ergriffen wird, bleibt Plantinga leider verborgen. 129 Calvin geht von der Erkenntnis, »Deum esse, et suum esse opificem« (Ders., Institutio I, 3,1), sogleich zum Verdammungsurteil über, »quod non et illum coluerint, et eius voluntati vitam suam consecrarint« (ebd.). Während ersteres der Sache nach Rm l,19f. aufnimmt, schließt sich letzteres an Rm 2,15 an.

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Calvin geht es nicht um den positiven Möglichkeitsaufweis natürlicher Gotteserkenntnis, sondern um die negative Feststellung ihrer faktischen Mißachtung. Bei dieser Verfehlung kann der Mensch dann behaftet und ihm die Unentschuldbarkeit seiner Hinwendung zum Götzendienst vorgehalten werden. Bei der natürlichen Kenntnis von Gott handelt es sich also keinesfalls um die notitia des Glaubens; vielmehr wird erst vom Glauben her einsichtig, daß sie immer schon in Götzendienst verkehrt worden ist. Der Gedankengang zielt nicht - wie Plantinga unterstellt - darauf ab, den sensus divinitatis als Ausgangspunkt zu etablieren, um von dort zur Vollgestalt des Glaubens vordringen zu können. Stattdessen verfolgt Calvin das lediglich negativ ausgerichtete Interesse, mit dem sensus divinitatis den Ort namhaft zu machen, der es erlaubt, trotz der reformatorischen These des allein durch Gott gewirkten Glaubens an der Unentschuldbarkeit des Unglaubens festhalten zu können.

Plantinga setzt mithin als anthropologische Möglichkeit an, was von Calvin als immer schon schuldhaft verfehltes Faktum aufgewiesen wird. Dieses gravierende Mißverständnis steht nun aber nicht für sich allein, sondern stellt bei näherem Hinsehen nur die Folge eines tief erliegenden Fehlers dar, der die innere Stimmigkeit des Plantingaschen Ansatzes überhaupt betrifft und auf die grundsätzliche Problematik der Verhältnisbestimmung von epistemologischer Reflexion und religiöser Bestimmtheit zurücklenkt. Um diesen Fehler aufzuzeigen, ist nochmals zu Plantingas Aufnahme des sensus divinitatis zurückzukehren. Hier zeigte sich, daß dessen anthropologische Verankerung zu Plantingas Betonung einer epistemischen Eigenständigkeit des Glaubens in Spannung gerät: Es bleibt im Unklaren, wie der Rekurs auf ein mit anthropologischer Allgemeinheit ausgestattetes Vermögen der Gotteserkenntnis mit der These soll ausgeglichen werden können, daß um der >grammatischen< Eigenart des religiösen Glaubens willen der Inhalt dieses Glaubens als eigenständiger epistemischer Kontext aufzufassen sei. Anthropologische Allgemeinheit und epistemische Partikularität stehen einander unvermittelt gegenüber. Dieses Problem nötigt dazu, sich auf die Funktion zurückzubesinnen, um deretwillen Plantinga den sensus divinitatis ins Spiel bringt. Es geht um die Einlösung der Paritätsthese: Der sensus divinitatis eröffnet die Möglichkeit, die theistischen mit anderen Überzeugungen epistemisch auf eine Stufe zu stellen und so als rational auszuweisen, ohne sie einem externen Begründungsverfahren aussetzen zu müssen. Der Rahmen, innerhalb dessen der sensus divinitatis eingeführt wird, ist also epistemologisch bestimmt. Es geht um das Bemühen, innerhalb des epistemologischen Partikularismus, mit dem Plantinga dem Evidentialismus entgegenzutreten sucht, dem Bereich der Religion einen Platz zuzuweisen, der religiöse Eigenständigkeit und epistemische Rationalität in gleicher Weise zu bewahren vermag. Der sensus divinitatis findet seinen Ort damit innerhalb des Kontextes der Religion, indem ihm die Funktion zugewiesen wird, innerhalb dieses Kontextes die Bedingungen zu benennen, die sich als Gründe für die Basalität bestimmter theistischer Überzeugungen anführen lassen: »God has so created us that we have a tendency or disposition to see his hand in the world about us. More precisely, there is in us a disposition to believe propositions of the sort this flower was created by God or this vast and intricate universe was created by God when

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we contemplate the flower or behold the starry heavens or think about the vast reaches of the universe« (RBG 80). Der sensus divinitatis wird von einer epistemologischen Beobachtungsebene aus als religionsintemes Theologoumenon eingeführt, um in religionsphilosophischer Absicht ein epistemologisches Problem zu lösen. Dieser religionsinternen Verortung des sensus divinitatis eignet jedoch eine eigentümliche Ambivalenz. Denn dessen anthropologische Verankerung greift unmittelbar über den religionsinternen Horizont hinaus: Der Rekurs auf ein allgemeines Erkenntnisvermögen sprengt den Rahmen des religionsinternen Kontextes und beansprucht stattdessen allgemeine epistemologische Geltung. Der sensus divinitatis hat seinen Ort damit nicht mehr innerhalb eines epistemologisch beobachtbaren religiösen Kontextes, sondern auf der epistemologischen Beobachtungsebene selbst. Diese Verschiebung der Problemlage impliziert eine doppelte Konsequenz. Auf der einen Seite rückt das epistemologische Programm selbst in ein neues Licht. Denn es stellt sich die Frage, wie der partikulare Ansatz Plantingas, den jeweiligen epistemischen Kontexten eine nur auf sich selbst bezogene Reichweite zuzugestehen, mit dem Ansinnen vermittelt werden kann, nun doch das Basalitätskriterium eines solchen partikularen Kontextes mit allgemeiner epistemologischer Relevanz auszustatten. Auf der anderen Seite gewinnt die Ebene der Religion dadurch an epistemologischem Gewicht. Das Programm einer epistemologischen Reflexion auf die Religion schlägt um in eine religiös-theistisch argumentierende Epistemologie. Dieser Ebenensprung stellt erneut vor die Frage nach dem Verhältnis zwischen epistemologischer Reflexion und religiöser Bestimmtheit: Kann eine religiös argumentierende Epistemologie nun als konsequente Umsetzung der religionsphilosophischen Intention nach epistemischer Eigenständigkeit der Religion verstanden und damit erfolgreich gegen den Vorwurf verteidigt werden, die behauptete Eigenständigkeit der religiösen Gehalte immer schon einem vorgängigen epistemologischen Rahmen einfügen zu müssen? Der bisherige Versuch Plantingas, den religiös-theistischen Glauben an Gott als >properly basic< aufzuweisen und damit in seiner epistemischen Eigenständigkeit zu rechtfertigen, scheitert an dem pragmatischen Selbstwiderspruch, diese Eigenständigkeit doch wieder nur von einer vorausgesetzten epistemologischen Beobachtungsebene her in Kraft setzen zu können. Das Interesse an Plantingas Verschiebung der Problemlage zielt dann auf die Frage, ob sich auf diese Weise das Dilemma einer epistemologischen Vereinnahmung der Religion umgehen läßt. Was die erste Fragestellung angeht, so macht sie erneut auf die grundsätzliche Spannung aufmerksam, die schon Plantingas Auseinandersetzung mit dem Fundamentalismus gekennzeichnet hatte: Auf der einen Seite propagiert er eine kontextuelle Wende, um den Vorwurf eines epistemischen Relativismus zurückweisen zu können; auf der anderen Seite jedoch bleibt er einem realistischen Rahmen verhaftet, der die kontextuellen Wende auf eine bloß deskriptive Ebene beschränkt und somit aller epistemologischen Relevanz beraubt. In diesem Spannungsfeld zwischen deskriptiver Partikularität und ontologischem Realismus findet auch der sensus divi-

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nitatis seinen Ort: Er wird zwar innerhalb eines bestimmten epistemischen Kontextes eingeführt, zielt aber doch auf den allgemeinen Horizont des epistemologischen Grundansatzes. Zwei Beobachtungen lassen sich dafür geltend machen: So weist schon Rose A. Christian darauf hin, daß Plantinga mit seiner Aufnahme des sensus divinitatis ein Interesse verknüpft, das über den deskriptiven Basalitätsaufweis weit hinausgeht: »Calvin's theology does more than provide for an interesting application of the inductive procedure. It also makes intelligible Plantinga's insistence that there is a truth about the status of proper basicality - one that is not dependent on the epistemic attitudes of the members of some particular community«130. Erst der Rückgriff auf Calvin ermögliche es Plantinga - so die Beobachtung Christians -, die theistischen Überzeugungen aus ihrem bloß phänomenologischen Umfeld herauszulösen und unter epistemologischem Blickwinkel zu betrachten131. Plantinga nutzt also den sensus divinitatis, um zur Frage nach der Wahrheit religiöser Überzeugungen vorstoßen zu können; dieses Interesse schließt aber umgekehrt eine epistemologische Reichweite des sensus divinitatis ein. Ein zweiter Beleg findet sich in der Art und Weise, in der Plantinga selbst aus seiner Aufnahme des sensus divinitatis bestimmte Konsequenzen zieht. So sieht er sich dazu genötigt, das Faktum der Sünde als Grund dafür in Anspruch zu nehmen, daß nicht alle Menschen ihrem Hang zur natürlichen Gotteserkenntnis stattgeben: »This tendency has been in part overlaid or suppressed by sin. Were it not for the existence of sin in the world, human beings would believe in God to the same degree and with the same natural spontaneity that we believe in the existence of other persons, an external world, or the past« (RBG 66). Gerade aus der Tatsache heraus, daß Plantinga die Sünde in Anspruch nimmt, um die mangelnde Universalität des faktischen Glaubens an Gott zu erklären, wird umgekehrt einsichtig, daß er gerade diese Universalität mit dem potentiellen sensus divinitatis verbindet. Die Sünde wird also von Plantinga in der Weise eingeführt, daß sie als ihre Folge einen anthropologischen Defekt nach sich zieht, der das kognitive Vermögen des sensus divinitatis zeitweilig außer Kraft setzt. Diese kognitive Fehlfunktion des Menschen läßt sich dann als Antwort auf die Frage heranziehen, warum nicht alle Menschen an Gott glauben, wenn sie doch mit einem Vermögen ausgestattet sind, das ihnen diesen Glauben als >properly basic< nahelegt. Nun erweist es sich zwar als unumgänglich, auch an dieser Stelle inhaltlich zu konstatieren, daß Plantinga die reformatorischen Intentionen Calvins verzeichnet132. Doch im Vordergrund 130 R.A. Christian, Plantinga 566. 131 Vgl. R.A. Christian, aaO. 565. 132 Plantingas Verständnis des Sündenbegriffs offenbart eine erstaunliche Oberflächlichkeit in der Auseinandersetzung mit der theologischen Tradition. Dieser Umstand wird noch dadurch verschärft, daß er sich in einer Unmittelbarkeit an diese Tradition anzuschließen sucht, die den Abstand zwischen dem 16. und dem 20. Jh. einfach übergehen zu können meint. Der Verkennung zentraler reformatorisch-theologischer Motive auf der einen entspricht eine unkritische Anknüpfung an theologisch-epistemologische Grundvoraussetzungen auf der anderen Seite. Für den Sündenbegriff läßt sich diese eigentümliche Dopplung in folgender Weise explizieren: (1) Bei Calvin wird die Sünde nicht nur als ein kognitiver Defekt bestimmt, sondern sehr viel radikaler aufgefaßt. Nicht etwas am Menschen, sondern der ganze Mensch ist Sünder. Es hat daher gar keinen Sinn, ein kognitives Vermögen zu postulieren, das in seiner Funktionstüchtigkeit - zumindest zeitweilig und auch nur bei den Ungläubigen - außer Kraft gesetzt sei. Denn diese Vorstellung erweckt den Eindruck, als gebe es etwas im sündigen Menschen, das von der Reichweite der Sünde nur teilweise betroffen sei. Zudem ist der Schwere der Sünde nicht angemessen Ausdruck verschafft, wenn sie lediglich als - zudem behebbarer - >Makel< an der menschlichen Grundausstattung oder als Mangel an natürlicher Gotteserkenntnis expliziert wird. Sie äußert sich vielmehr in einer grundsätzlichen Vorkehrung der Lebensausrichtung des Menschen - sie zieht, um es kurz zu formulieren, Unglaube und Götzendienst nach sich. (2) Umgekehrt zeigt sich bei Plantingas Umgang mit dem Sündenbegriff aber auch, daß er unkritisch an Grundvoraussetzungen des 16. Jhs. anknüpft: So nimmt er implizit die Unterscheidung von Urständ und Sündenfall in Anspruch, faßt die Sünde nach dem Schema einer Verände-

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soll vielmehr der funktionale Sachverhalt stehen, daß Plantinga, indem er den Sündenbegriff als Antwort auf den Universalitätseinwand zur Geltung bringt, zugleich eine epistemologische Relevanz des sensus divinitatis voraussetzt, die über die Grenzen der kontextuellen Partikularität hinausgeht. Denn nur dann, wenn der sensus divinitatis als eine für alle epistemischen Kontexte in Betracht zu ziehende Größe aufgefaßt und in diesem Sinne epistemologisch statt religionsintern verortet wird, ergibt sich erst die Notwendigkeit, der mangelnden Universalität der Gotteserkenntnis Rechnung tragen zu müssen. Daraus folgt, daß mit dem Rekurs auf den sensus divinitatis die epistemologische Beobachtungsebene selbst betreten und zugleich verändert wird. Die Aufnahme des sensus divinitatis leitet eine epistemologische Wende ein, die hinter den von Plantinga skizzierten epistemischen Partikularismus auf dessen realistische Grundlage zurückgeht, um dort an die Stelle des vorausgesetzten internalistischen ein externalistisch.es Paradigma zu setzen, das die letztlich aporetische Fokussierung auf die Differenz von Sprache und Welt unterlaufen zu können behauptet. Insofern diese Wende mit dem sensus divinitatis verknüpft ist und dieser wiederum gegen den Vorwurf epistemischer Beliebigkeit die >Grundhaftigkeit< theistischer Überzeugungen sichern soll, bestätigt sich also die bereits im Zusammenhang der epistemologischen Thematik geäußerte Vermutung, daß Plantinga mit seinem Wechsel zu einem - virtuell eingefädelten - Externalismus die Konsequenz aus den Aporien zieht, die sich aus dem ungelösten Beliebigkeitsproblem seines nichtklassischen Fundamentalismus ergeben.

2.3 Von der Epistemologie der Religion zur religiösen Epistemologie Faßt man die bisherigen Überlegungen zusammen, so ergibt sich - in aller Kürze - folgendes Bild: (1) Das calvinische Theologoumenon des sensus divinitatis wird von Plantinga eingeführt, um ein epistemologisches Problem zu lösen. Es gilt, die epistemische Parität zwischen nichttheistischen und theistischen Überzeugungen einsichtig zu machen. Die religionsphilosophische Forderung nach einer epistemischen Eigenständigkeit der Religion findet so ihre epistemologische Einlösung. Zugleich bestätigt sich in der Durchführung der Paritätsthese die Vermutung, daß Plantinga die Quadratur des Kreises versucht. Er argumentiert dafür, für die Religion nicht argumentieren zu müssen. Das Ziel der epistemischen Eigenständigkeit der Religion läßt sich nur um den Preis erreichen, es im Verlauf seiner Ausarbeitung immer schon preisgegeben zu haben. (2) Doch Plantinga selbst ist sich dieser Aporetik gar nicht bewußt. Der tiefere Grund dafür liegt in dem Umstand, daß er sich einer selbstreferentiellen Zuspitzung seines Ansatzes verschließt. Zwischen epistemologischer Beobachtungsebene und beobachteter Religion besteht für ihn keine philosophisch relevante Differenz. Vielmehr ist er der Auffassung, mit seiner Kritik an der evidentialistischen Vereinnahmung der Religion diese Differenz hinreichend problematisiert und zugunsten der epistemisch selbständigen Religion hinter sich gelassen zu haben. Von daher erscheint es nur konsequent, daß dem sensus divinitatis

rung der anthropologischen Ausstattung des Menschen und führt damit ein Sündenverständnis fort, das mit dem Übergang zur Neuzeit seine Plausibilität verloren hat.

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über die Grenzen des religiösen Kontextes hinaus allgemeine epistemologische Relevanz zugewiesen wird. Wenn die epistemologische Beobachtungsebene nicht mehr als Beobachtungsebene präsent gehalten wird, kann das epistemologisch Beobachtete selbst als Beobachtungsebene ausgegeben werden. (3) Allerdings ist damit das Problem, in welchem Verhältnis Beobachtung und Beobachtetes zueinander stehen, nicht beseitigt. Denn gerade die epistemologische Ausweitung des religiösen Kontextes kann nicht davon absehen, daß auf diese Weise der Überschritt auf eine Ebene vollzogen wird, deren Grundvoraussetzungen einer Explikation bedürfen, um nicht erneut die Religion einem ihr externen Rahmen auszuliefern. Die epistemologische Generalisierung des sensus divinitatis ist daher nochmals von der Frage aus in den Blick zu nehmen, welche Konsequenzen sich daraus für die Frage nach dem Verhältnis zwischen epistemologischer Reflexion und religiöser Bestimmtheit ergeben. Plantingas religionsphilosophische Zielsetzung hebt darauf ab, die epistemische Eigenständigkeit der Religion gegenüber jeglicher externer Vereinnahmung sicherzustellen. Sein Interesse kann daher durchaus als apologetisch bezeichnet werden: Es geht ihm darum, die Wahrheit des religiös-theistischen Glaubens an Gott darzutun, ohne auf von außen kommende Unterstützung zurückgreifen zu müssen. Doch in dieser strikten Ausrichtung auf das alleinige Ziel, die Religion gegen eine externe Vereinnahmung zu sichern, bleibt Plantinga die Einsicht in die Notwendigkeit selbstreferentieller Argumentation verschlossen. Das zeigt sich nicht erst daran, daß er den selbst wieder epistemologischen Charakter seines apologetischen Bemühens übersieht, sondern tritt bereits dort zu Tage, wo es um die epistemologische Struktur religiöser Überzeugungen geht. Denn diese setzen das realistische Schema der Differenz von Sprache und Welt voraus und nehmen damit zur sprachlichen Formulierung der religiösen Gehalte ein epistemologisches Modell in Anspruch, das diesen Gehalten selbst im Rücken liegt. So spitzt Plantinga den kognitiven Gehalt der Religion auf die Behauptung der Existenz Gottes zu; diese Behauptung aber läßt sich nur dann sinnvoll formulieren, wenn eine sprachunabhängig strukturierte Realität angesetzt wird, zu deren Objekten eine Entität gehören kann, auf die mit dem Wort >Gott< referiert wird. Es geht dann um die Frage, ob diese Behauptung auf die Wirklichkeit zutrifft und sich für das Wort >Gott< ein entsprechender Gegenstand auffinden läßt. Plantingas Auffassung religiöser Überzeugungen setzt nicht nur den klassischen Theismus voraus, sondern nimmt zudem das epistemologische Modell eines ontologischen Realismus in Anspruch. Dabei ist nicht in erster Linie entscheidend, daß Plantinga diese Auffassung vertritt, sondern daß er dabei einen epistemologischen Rahmen übernimmt, den er sich nicht als solchen durchsichtig macht. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, daß seine religionsphilosophischen Bemühungen gerade das nicht erreichen können, was sie erreichen wollen. Auch hier ist der epistemologische Partikularismus allein nicht das vorrangige Pro-

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blem. Denn es hatte sich ja bereits gezeigt, daß Plantinga selbst ihn nur auf der Grundlage eines ontologischen Realismus vertreten mag. Dieser Realismus bildet die eigentliche Grundlage von Plantingas epistemologischen wie religionsphilosophischen Überlegungen. Er steht daher nicht nur bei der - noch der partikularistischen Konzeption verpflichteten - Einführung des sensus diviniiatis im Hintergrund, sondern liegt auch dessen epistemologischer Ausweitung zugrunde. Diese These gilt es etwas eingehender zu explizieren. Mit der anthropologischen Verankerung des sensus divinitatis nimmt das apologetische Interesse Plantingas eine neue Form an. Zunächst wird der epistemologische Standpunkt aufgegeben, der - unter der Voraussetzung eigener epistemischer Neutralität - die Religion als einen von mehreren Kontexten in den Blick nimmt. Vielmehr sieht er sie nun als den einen Kontext an, dessen Basalitätskriterien einen über die kontextrelative Geltung hinausgehenden Anspruch erheben: Der sensus divinitatis erfaßt den wirklich bestehenden und damit ontologisch wahren Sachverhalt der Existenz Gottes. Die Religion kann daher einen begründeten Anspruch auf die Wahrheit erheben, die jenseits der jeweils partikularen Kontexte die ontologische Verfassung der Wirklichkeit betrifft. Die zunächst kontextrelativ-religionsinternen Basalitätskriterien entfalten eine kontextübergreifende Reichweite, die sie zu der epistemologischen Metaebene vordringen läßt, von der aus sowohl die verschiedenen epistemischen Kontexte beobachtet als auch deren Relation zur kontextinvarianten Wirklichkeit überprüft werden kann. Umgekehrt jedoch handelt es sich beim sensus divinitatis trotz seiner epistemologischen Funktion um einen religionsinternen Terminus. Es legt sich so die Vermutung nahe, daß mit der epistemologischen Ausweitung der Religion eine religiös-theistische Deutung der Epistemologie einhergeht. Plantinga verläßt seine epistemologische Beobachtungsebene und geht auf die Ebene der Religion über. Dieser Schritt ließe sich als Vollendung des apologetischen Bemühens Plantingas verstehen: An die Stelle des aus religiös-theistischer Perspektive verfehlten Versuchs einer epistemologischen Beobachtung der Religion tritt eine selbst schon religiös-theistisch argumentierende Epistemologie. Die epistemische Eigenständigkeit der Religion wird in der Weise umgesetzt, daß die Religion nicht nur von ihrer epistemologischen Beobachtung abgekoppelt, sondern diese von einer religionsinternen Beobachtungsebene her allererst in Kraft gesetzt wird. Das apologetische Interesse Plantingas findet in dieser Umkehrung von epistemologischer und religiöser Ebene, so scheint es, seine höchste Erfüllung - und muß doch letztlich scheitern133. Denn auch diese Zuspitzung bleibt noch einem vorgängigen epistemologischen Rahmen verhaftet, der den religiösen Überzeugungen bereits im Rücken liegt.

133 Vgl. zu Plantingas theistischer Epistemologie auch die >pragmatistische< Kritik von J.W. Robbins, Christian World View Philosophy and Pragmatism, in: JAAR 56 (1988), 529543; sowie Ders., Belief in God, Proper Basicality, and Rationality, in: JAAR 61 (1993), 339-341.

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Vor allem Dewi Z. Phillips hat auf diesen Aspekt in eindringlicher Weise aufmerksam gemacht. Dabei knüpft seine Kritik an die beobachtete Spannung zwischen epistemischer Eigenständigkeit und epistemologischer Allgemeinheit der Religion an: »Reformed epistemology endeavours to do justice to the foundational character of religious belief, and to the notion of God's inescapable reality. Therefore, as we have seen, they resist the notion of a sovereign reason to which religious belief is answerable. ... At the same time, however, within the Reformed epistemologists' view of religious belief there is the conception of a God who is sovereign over all things, reason included. There is a tension, therefore, between Plantinga's emphasis on negative apologetics and the temptation to think that belief in an all-embracing God should yield, in the Christian philosopher, an all-embracing metaphysical system«134. Der Versuch einer konsequenten Durchführung der Eigenständigkeitsthese bringe es mit sich, den Horizont der Religion selbst wieder auf die Ebene der Epistemologie hin überschreiten zu müssen: »There is a constant danger of turning religious beliefs into epistemological theories. In order to do justice to the character of religious belief, Reformed epistemologists also insist that the whole religious noetic structure with its foundational beliefs is, in fact, true«135. Den Grund dafür erblickt Phillips in einem doppelten Umstand. Auf der einen Seite sei es gerade der göttliche Gegenstand des Glaubens selbst, der eine solche Ausweitung verlange. Denn er erhebe einen universalen Geltungsanspruch, der notwendig auch auf dem Feld der Epistemologie seinen Niederschlag finden müsse: »For the believing philosopher ..., the sovereignty of God, which he acknowledges as a believer, should be reflected in his philosophy in the working out of an epistemology which is itself sovereign over all alternatives«136. Dabei gehe Plantinga so vor, daß er eine gemeinsame epistemische Grundlage theistischer und nichttheistischer Überzeugungen postuliert, die nun nicht mehr - und darin liege der Unterschied zum Fundamentalismus - als neutral angesetzt, sondern bereits innerhalb des theistischen Rahmens selbst verortet wird137. Dazu berufe er sich sodann auf den Calvinschen sensus divinitatis und verknüpfe ihn mit dem Sündenbegriff, um die mangelnde Universalität des Gottesglaubens erklären zu können: »All men have knowledge of God ... This knowledge, explicit in the believer, overlaid in the unbeliever, is the common ground which makes it possible for the former to judge the latter«138. Von daher kommt auch Phillips zu dem Schluß, daß Plantinga sein Programm einer Epistemologie der Religion in eine religiöse Epistemologie überführe: »It follows, then, that when Reformed epistemologists ask whether there can be a religious epistemology, they are asking for far more than an epistemology of religion. ... What is being proposed is an epistemology, a mode of enquiry, which is itself religious in character«139. Auf der anderen Seite jedoch verbleibe Plantinga mit dem Versuch, eine religiös-theistische Epistemologie zu entfalten, selbst noch innerhalb eines vorgängigen epistemologischen Paradigmas. Denn er teile mit den konkurrierenden Ansätzen weiterhin das Ziel, »theories or hypotheses about the nature of reality« zu entfalten, »which are either true or false«140. Gerade die apologetische Stoßrichtung seines Ansatzes verpflichte Plantinga daher auf die Voraussetzung eines realistischen Horizonts epistemologischer Reflexion: »What is essential to note is that a true theory of knowledge is one which gives a true account of reality«141. Daraus lasse sich ersehen, daß Plantinga im Zuge der epistemologischen Ausarbeitung seiner Eigenständigkeitsthese nicht einer internen >Grammatik< der Religion folge, sondern den Bedürfnissen eines externen Sprachbegriffs verpflichtet bleibe, der die religiöse Rede von vornherein in die Differenz von Sprache und Welt einspanne. 134 135 136 137 138

D.Z. Phillips, Faith 94. D.Z. Phillips, aaO. 96f. D.Z. Phillips, aaO. 94. Vgl. D.Z. Phillips, aaO. 99. D.Z. Phillips, aaO. 102; Phillips unterzieht überdies Plantingas Verwendung des Sündenbegriffs einer ausführlichen und durchschlagenden Kritik; vgl. Ders., aaO. 102-109. 139 D.Z. Phillips, aaO. 97. 140 Ebd. 141 Ebd.

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Der Versuch, in apologetischer Manier die epistemische Eigenständigkeit der Religion in Kraft zu setzen, verstrickt sich also in gerade die Aporie, die zu überwinden er angetreten war: Das Unterfangen einer epistemologischen Sicherung der religiösen Eigenständigkeit muß eben diese Eigenständigkeit immer schon verfehlen.

Der Durchgang durch die religionsphilosophische Ausarbeitung der reformierten Epistemologie< bestätigt also die in diesem Titel selbst beschlossene Ambivalenz. Auf der einen Seite verfolgt Plantinga einen selbständigen epistemologischen Ansatz, der auch unabhängig von seiner religionsphilosophischen Anwendung in Geltung stehen soll. Auf der anderen Seite jedoch zielt er auf den Nachweis der >proper basicality< des christlichen Glaubens, um so dessen Eigenständigkeit angemessen Rechnung tragen zu können. Es geht ihm mithin darum, einem religionsphilosophischen Interesse auf epistemologischer Ebene Geltung zu verschaffen. Die entscheidende Frage lautet, wie sich epistemologische Argumentation und religionsphilosophische Zielsetzung so miteinander vermitteln lassen, daß nicht die intendierte religiöse Eigenständigkeit immer schon als Produkt eines vorgängigen epistemologischen Paradigmas erscheint und damit notwendig verfehlt wird. Plantinga entscheidet sich hier schließlich für eine Umkehrung der Blickrichtung: An die Stelle einer epistemologischen Reflexion auf den christlichen Glauben tritt eine aus dieser Glaubensperspektive selbst argumentierende Epistemologie. Doch damit scheint er dem Verhältnisproblem nicht entkommen zu können. Vielmehr bricht es nun erst in seiner ganzen Schärfe auf: Das Programm einer apologetisch ausgerichteten, theistisch verfahrenden Epistemologie erweist sich als ein von Grund auf fehlgeleitetes und selbstwidersprüchliches Unterfangen. Denn gerade in dem Versuch, für die Eigenständigkeit der Religion argumentieren zu wollen, muß Plantinga implizit jene vorgängige Allgemeinheit in Anspruch nehmen, die er explizit zu leugnen versucht. Dies zeigt sich besonders deutlich an der realistisch-apologetischen Fundierung seines Ansatzes. Indem er seine theistische Epistemologie gegen andere epistemologische Konzeptionen ins Werk zu setzen sucht, muß er einen gemeinsamen Boden behaupten, auf dem diese Abgrenzung überhaupt erst stattfinden kann. Ihn sieht er durch die Ausrichtung auf die eine wahre Realität gegeben. Doch gerade diese Voraussetzung stellt selbst wieder - zumal in ihrer von Plantinga vertretenen realistischen Lesart - eine äußerst problematische epistemologische Vorgabe dar. Der Übergang zu einer theistisch verfahrenden Epistemologie vermag also dem Selbstwiderspruch nicht zu entgehen, die intendierte Eigenständigkeit der Religion nur wieder auf der Grundlage einer vorausgesetzten Allgemeinheit zur Geltung bringen zu können. Darin liegt ein Doppeltes beschlossen: (1) Plantinga wiederholt auf dem Feld der analytischen Religionsphilosophie die Aporie eben jenes theologischen Programms, das >mit B art h über Barth hinaus< zu gehen versucht. Denn auch wenn ihm die theologische Tiefe des Barthschen Ansatzes verschlossen bleibt, übernimmt er doch die Barthsche Intention, den christlichen Glauben aus jeglicher externen Bevormundung und Vereinnah-

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mung herauslösen zu wollen. Freilich geht er gerade dort über Barth hinaus, wo er meint, diese Eigenständigkeit auch epistemologisch absichern zu müssen. Während Barth sich darauf beschränkt, im bloßen Nachdenken Gottes in seiner Offenbarung die Eigenständigkeit des Glaubens schlicht in Anspruch zu nehmen, hebt Plantinga darauf ab, das Barthsche Verfahren selbst noch einmal epistemologisch zu legitimieren. Doch damit türmen sich eben jene Probleme und Aporien erneut auf, die Barth nur dadurch hatte umgehen können, daß er das Problem des Verhältnisses von partikularer Bestimmtheit und allgemeiner Geltung als Problem von sich wies142. Mit anderen Worten: Es gelingt Plantinga nicht, die intendierte religiöse Eigenständigkeit anders zur Geltung zu bringen als so, daß sie selbst wieder einen allgemeinen, realistisch geprägten Rahmen voraussetzt. (2) Allerdings läßt nun gerade dieser offensichtliche Zusammenhang von Eigenständigkeitsbehauptung und realistischer Vorgabe die Frage aufkommen, ob zwischen diesen beiden Gliedern nicht vielleicht eine systematische Verbindung besteht. So ist zu überlegen, ob nicht erst die realistische Vorgabe Anlaß zur Ausbildung jener religiösen Eigenständigkeitsthese gibt, während umgekehrt die Eigenständigkeitsthese nur unter der Voraussetzung jener realistischen Vorgabe Sinn macht. Zumindest letzteres kann durch Plantingas internalistische Religionsphilosophie als bestätigt gelten. So muß die anfängliche Konzeption der >proper basicality< einen strikt realistischen Horizont in Anschlag bringen, um sich - wenngleich letztlich erfolglos - gegen den Beliebigkeitseinwand verteidigen zu können. In ihrer religionsphilosophischen Verlängerung ergibt sich daraus, daß nur unter der Voraussetzung jener realistischen Grundlage die epistemische Basalität und mithin Eigenständigkeit des christlichen Glaubens aufrechterhalten werden kann. Entsprechendes gilt aber auch für die theistische Variante der Epistemologie. Indem sie darauf ausgerichtet ist, die Basalität des christlichen Glaubens durch den Entwurf eines eigenen epistemologischen Ansatzes zu untermauern und diesen als die eine >wahre< Sicht der Dinge gegen alternative Entwürfe abzugrenzen, bleibt sie ebenfalls auf die Voraussetzung eines realistischen Gegenübers von Sprache und Welt bezogen. Denn nur unter der Voraussetzung eines solchen Gegenübers ist es möglich, die Wahrheit einer Theorie zu behaupten, ohne zugleich auf ihre epistemische Eigenständigkeit verzichten zu müssen143. 142 Vgl. K. Barth, KD I/l, 8. 143 Fällt die Annahme eines strikt realistischen Gegenübers von Sprache und Welt fort, läßt sich die Wahrheit einer Theorie nurmehr unter Berufung auf bestimmte Gründe behaupten, die auch von anderen Theorien als Gründe anerkannt werden. Es muß mithin ein intersubjektiv in Geltung stehendes und allgemein zugängliches >Weltbild< im Hintergrund stehen. Dann aber kann von einer Eigenständigkeit in dem von Plantinga intendierten Sinne keine Rede mehr sein (vgl. dazu D. Davidson, On the Very Idea of a Conceptual Scheme, in: PAPS 47 (1974), 5-20, wieder in: Ders., Inquiries into Truth and Interpretation, Oxford 1984, 125-139, dt. Was ist eigentlich ein Begriffsschema, in: Ders., Wahrheit und Interpretation, Ffm 1990, 261-282).

3. Die Wende zur >virtue epistemology
virtue epistemology< bereits vorweg. Es wird daher im folgenden diese extemalistische Wende Plantingas darzustellen und daraufhin zu befragen sein, ob es ihm unter den veränderten epistemologischen Ausgangsbedingungen gelingt, seine Eigenständigkeitsthese in einer sachlich zufriedenstellenderen Weise zu präsentieren.

3. Die Wende zur >virtue epistemology< In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre vollzieht Plantinga ausdrücklich den Übergang von seinem internalistischen Ansatz des nichtklassischen Fundamentalismus zu einer externalistisch ausgerichteten >virtue epistemologywarrant< ein und bringt ihn gegen den überkommenen Begriff der justification< in Anschlag. Eine deutlichere Ausarbeitung seiner extemalistischen Intentionen bieten sodann die beiden Aufsätze Ders., Justification and Theism, in: FaPh 4 (1987), 403-426; wieder in: M.D. Beaty (Hg.), Christian Theism and the Problems of Philosophy, Notre Dame 1990, 41-70; sowie Ders., Positive Epistemic Status and Proper Function, in: Philosophical Perspectives 2 (1988), 1-50. Während der erste Aufsatz vor allem die theistische Perspektive hervorhebt, aus der heraus Plantinga sich dem Begriff des >proper function < zuwendet, sucht der zweite diesen Begriff in epistemologischer Hinsicht zu entfalten und zu verorten. Eine ausführliche und zusammenfassende Darstellung seines externalistischen Ansatzes liefert Plantinga schließlich in den beiden Bänden Ders., Warrant: The Current Debate, Oxford 1993 (WCD); sowie Ders., Warrant and Proper Function, Oxford 1993 (WPF); denen unter dem Titel >Warranted Christian Belief< noch ein dritter Band folgen soll. Der erste Band bietet einen umfassenden Überblick über den gegenwärtigen Diskussionsstand in der analytischen Epistemologie. Sowohl internalistische - fundamentalistische und kohärentialistische - als auch extemalistische Ansätze werden umfassend dargestellt und konsequent auf ihre Mängel hin durchsichtig gemacht. Der zweite Band beinhaltet den eigenen Entwurf Plantingas, der im Durchgang durch die verschiedenen Felder epistemischer Überzeugungen zu bewähren versucht wird. Der abschließende dritte Band soll diese nunmehr ausgereifte >virtue epistemology< auf den Bereich des christlichen Glaubens übertragen. Die Auseinandersetzung mit Plantingas externalistischer These des >proper functioning< beginnt erst allmählich; vgl. aber immerhin R. Feldman, Proper Functionalism, in: Nous 27 (1993), 34-50; E. Sosa, Proper Functionalism and Virtue Epistemology, in: Nous 27

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Stelle des ehemals zentralen Begriffs der epistemischen Rechfertigung tritt nun die Rede von >warrant< und >proper functiom. Die entscheidende These lautet: »A belief has warrant if it is produced by cognitive faculties functioning properly (subject to no malfunction) in a cognitive environment congenial for those faculties, according to a design plan successfully aimed at truth«145. Diese externalistische Wende kommt nicht von ungefähr. Bereits in Plantingas früheren Arbeiten finden sich externalistische Andeutungen - wenngleich noch unter der Vorherrschaft eines internalistischen Paradigmas. So sucht er dem Grundlosigkeitseinwand mit dem Hinweis zu begegnen, daß »basic beliefs are not, or are not necessarily, groundless beliefs«146. Dazu beruft er sich auf bestimmte kontextuelle Umstände, die zwar - um der Basalität der >basic beliefs< willen - nicht als Gründe gelten, wohl aber als Bedingungen in Anspruch genommen werden könnten, um jene Überzeugungen epistemisch zu rechtfertigen: »There is some circumstance or condition that confers justification; there is a circumstance that serves as the ground for justification«147. Diese kausal-reliabilistische Rechtfertigungsrelation sei aber ihrerseits an eine weitere Voraussetzung geknüpft: »Let us say that a belief is justified for a person at a time if... his noetic structure is not defective by virtue of his accepting it«148. Damit nimmt Plantinga der Sache nach seine spätere Auffassung vorweg, daß sich die epistemische Geltung einer Überzeugung dem >proper functioning< des menschlichen Erkenntnisvermögens verdanke. In Gestalt des Calvinschen sensus divinitatis rückt dieser Gedanke sodann in eine religionsphilosophische Schlüsselstellung ein: Denn erst die anthropologisch-virtuale Lesart des sensus divinitatis ermöglicht den Übergang zu einer theistisch verfahrenden Epistemologie. Vor diesem Hintergrund bedeutet die externalistische Wende Plantingas keinen völligen Neuansatz, auch wenn umgekehrt die tiefgreifenden Unterschiede nicht zu verkennen sind149. Jedoch fällt auf, daß Plantinga an der Rede von der

(1993), 51-65; M. Steup, Proper Functioning and Warrant after Seven Vodka Martinis, in: PhSt 72 (1993), 89-109; I.E. Taylor, Plantinga's Proper Function Analysis of Epistemic Warrant, in: PhSt 64 (1991), 185-202. 145 A. Plantinga, Warrant and Proper Function, Oxford 1993, VHIf. - Im folgenden beziehen sich die unter dem Sigel WPF angeführten Seitenverweise im Text auf diesen Band. 146 A. Plantinga, RBG 80. 147 A. Plantinga, RBG 79. 148 Ebd. 149 Diese liegen vor allem darin, daß Plantinga nun jeden normativen Ansatz, der die epistemische Rechtfertigung an die Erfüllung bestimmter epistemischer Standards oder Pflichten bindet, von Grund auf ablehnt. In RBG hatte Plantinga gerade einen solchen normativen Ansatz vertreten: »It seems plausible to hold that there are obligations and norms with respect to belief, and I do not intend to contest this assumption« (Ders., RBG 31). Dennoch ist zu beachten, daß er auch in RBG bereits eine Alternative vorschlägt: »Here I am taking >rationality< in terms of duty, but ... we could in addition or alternatively take it as the possession of an epistemic excellence or the avoidance of an epistemic defect« (RBG 52).

3. Die Wende zur wirtue epistemology
proper basicality< - vor allem theistischer Überzeugungen150 - ebenso festhält wie an der grundsätzlichen Bedeutung des sensus divinitatis151. Daher legt es sich nahe, Plantingas extemalistische Wende als eine zwar tiefgreifende Revision seines epistemologischen Ansatzes aufzufassen, die sich als Antwort auf die Schwierigkeiten des nichtklassischen Fundamentalismus darstellt, dabei aber umgekehrt die anfänglichen religionsphilosophischen Intentionen fortführt und nurmehr konsequenter zur Geltung zu bringen sucht. Allerdings steht gerade die religionsphilosophische Ausarbeitung dieses externalistischen Programms noch aus. Wohl schließt die epistemologische Grundlegung des >proper functioning< bereits selbst schon mit einem theistischen Argument152. Doch die spezifisch religionsphilosophische Frage, welche Konsequenzen sich aus der externalistischen Wende für die Frage nach der Basalität und Eigenständigkeit des christlichen Glaubens ergeben, wird von Plantinga nur vage gestreift153. Die folgende Darstellung wird diesem Umstand Rechnung tragen müssen. Denn da es nicht darum geht, den epistemologischen Ansatz um seiner selbst willen zu verhandeln, sondern gerade die Frage nach dem Verhältnis zwischen epistemologischer Reflexionsebene und religionsphilosophischer Zielsetzung im Vordergrund steht, kann auf eine detaillierte Ausführung der zuweilen ebenso weitläufigen wie diffizilen Erörterungen Plantingas verzichtet werden154. Stattdessen gilt es die >virtue epistemology< vornehmlich unter der Frage in den Blick zu nehmen, ob und wie es ihr gelingen kann, die aufgewiesenen Probleme des nichtklassischen Fundamentalismus zu unterlaufen und so das Problem der religiösen Eigenständigkeit einer befriedigenden Lösung zuzuführen. Die entsprechende Interpretationshypothese lautet, daß Plantinga seinen religionsphilosophischen Intentionen verpflichtet bleibt und die extemalistische Wende dazu nutzt, das Programm einer theistischen Epistemologie konsequent zur Durchführung zu bringen. Es wird sich jedoch zeigen, daß auch ein externalistisch eingefädelter Versuch, den christlichen Glauben als epistemisch eigenständig auszuweisen, dieses Ziel notwendig verfehlen muß. Plantinga kommt um den schlichten Sachverhalt 150 Vgl. etwa A. Plantinga, WPF 183. Allerdings hat Plantinga selbst die Frage nach dem Verhältnis von >proper function< und >proper basicality< bisher nur gestellt, nicht aber beantwortet; vgl. Ders., Justification and Theism 68. Einige Überlegungen dazu finden sich bei M.S. McLeod, Rationality 178. Er kommt zu dem Schluß, daß »being properly basic ... is not straightforwardly analyzable in terms of proper function« (ebd.). 151 Vgl. besonders A. Plantinga, Justification 43f.; vgl. aber auch Ders., WPF 42f., 48. 152 Vgl. A. Plantinga, WPF 194-237. 153 Vgl. etwa A. Plantinga, Art. religious belief 440f. 154 Diese Einschränkung betrifft in erster Linie die materiale Ausarbeitung der > virtue epistemologyvirtue epistemology< schlägt er den umgekehrten Weg ein. Ausgehend von der epistemologischen These eines >proper functioning< des menschlichen Erkenntnisvermögens behauptet er, daß diese naturalistische Option nur in Verbindung mit einem metaphysischen >Supranaturalismus< einsichtig gemacht werden könne: »There is no naturalistic explanation or analysis of proper function. If this claim is correct (...), then indeed the way to be a naturalist in epistemology is to be a supernaturalist in ontology« (WPF 215). Nur unter der Voraussetzung eines göttlichen Schöpfers lasse sich der epistemologische Sachverhalt des >proper functioning< angemessen explizieren. Mithin tritt an die Stelle einer theistischen Epistemologie das epistemologische Postulat eines supranaturalistischen Theismus. Die Eigenständigkeitsthese ist damit zum Scheitern verurteilt. Allerdings ist mit diesem Hinweis das entscheidende Problem des Plantingaschen Ansatzes noch nicht getroffen. Denn auch wenn er auf diese theistische Nebenlinie verzichten und sich stattdessen der konsequenten Durchführung einer theistischen Epistemologie aus externalistischer Perspektive widmen würde, käme er damit seinem Ziel der religiösen Eigenständigkeit keinen Schritt näher. Plantinga nimmt die ursprüngliche Intention des von Quine und Davidson herstammenden Externalismus, die fruchtlose Differenz zwischen Sprache und Welt epistemologisch zu entmythologisieren, nicht auf. Statt den externalistischen Rekurs auf bestimmte kausale Verbindungslinien zwischen Sprache und Welt dazu zu nutzen, um diese Differenz aus ihrer epistemologischen Zentralstellung zu verdrängen, bleibt Plantinga dem Irrtum verhaftet, als könne er das durch sie angezeigte Vermittlungsproblem externalistisch lösen. Mithin bleibt ihm gerade die Pointe des externalistischen Ansatzes verborgen: Das realistische Gegenüber von Sprache und Welt wird nicht unterlaufen, sondern erneut in Anspruch genommen und bestätigt. Zwar teilt Plantinga damit das Problemniveau der analytischen Epistemologie, übernimmt jedoch auch deren grundlegende Hypothek. Der in der Sprachphilosophie umstrittene realistische Rahmen steht unangefochten in Geltung und läßt insofern alle Bemühungen, den christlichen Glauben aus der vorgängigen Einbettung in einen allgemeinen 155 A. Plantinga, Justification 43.

3. Die Wende zur >virtue epistemology
Warrant< und >Proper Function Als Grundbegriff seines epistemologischen Ansatzes führt Plantinga den Begriff >warrant< ein: »What is knowledge? More exactly, what is it that distinguishes knowledge from mere true belief? What is this elusive quality or quantity enough of which, together with truth and belief, is sufficient of knowledge? Call that quantity, whatever it is, >warrantwarrant< weist darauf

156 Vgl. E. Gettier, Is Justified True Belief Knowledge, in: Analysis 23 (1963), 121-123, dt. Ist gerechtfertigte, wahre Meinung Wissen?, in: P. Bieri (Hg.), Analytische Philosophie der Erkenntnis, Ffm 21992, 91-93. 157 Bei E. Gettier, Wissen 91, findet sich die folgende Definition: »S weiß, daß P gdw. (i) P wahr ist, (ii) S glaubt, daß P, und (iii) S darin gerechtfertigt ist zu glauben, daß P«. 158 Eines der beiden Beispiele, die Gettier selbst anführt, lautet folgendermaßen: Smith und Jones haben sich um dieselbe Stelle beworben. Angenommen nun, Smith habe aus sicherer Quelle erfahren, daß Jones die Stelle erhalten wird, und überdies - warum auch immer - gerade die Münzen in der Hosentasche von Jones gezählt. Er ist damit epistemisch gerechtfertigt zu behaupten, daß Jones die Stelle erhalten wird und zehn Münzen in seiner Hosentasche hat. Er schließt daraus auf folgende ebenfalls gerechtfertigte Behauptung: Derjenige, der die Stelle erhalten wird, hat zehn Münzen in seiner Hosentasche. Nun erhält überraschend doch Smith selbst die Stelle und hat zufällig ebenfalls zehn Münzen in seiner Hosentasche. Die aufgestellte Behauptung ist also wahr, obgleich Smith sie nicht weiß (vgl. E. Gettier, Wissen 92). 159 Vgl. dazu den Überblick bei R.K. Shope, The Analysis of Knowing. A Decade of Research, Princeton 1983. Allerdings hat das Gettier-Problem seit einiger Zeit an Interesse verloren - freilich weniger wegen eines befriedigenden Lösungsvorschlags als vielmehr aus der Einsicht heraus, daß es wohl überhaupt nicht befriedigend zu lösen ist. Mittlerweile mehren sich auch die Stimmen, die grundsätzliche Zweifel an der philosophischen Relevanz dieses Problems anmelden; vgl. etwa E. Conee, Why solve the Gettier problem?, in: D. Austin (Hg.), Philosophical Analysis, Dordrecht 1988, 55-58.

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Kapitel 4: Alvin Plantinga

hin, daß er das Gettier-Problem nicht auf eine nur technische Frage beschränkt wissen möchte. Vielmehr sieht er das überkommene internalistische Paradigma der >epistemic justification überhaupt in seinen Grundfesten erschüttert: »What Gettier examples really show ... is that internalist accounts of warrant are fundamentally wanting« (WPF 32). Der Internalismus beruht auf der grundlegenden Auffassung, daß die epistemische Rechtfertigung einer Überzeugung im Sinne dessen, was diese im Falle ihrer Wahrheit als gewußte Überzeugung auszeichnet, an die Bedingung der epistemischen Zugänglichkeit geknüpft ist. Das, was als epistemische Rechtfertigung einer Überzeugung soll gelten können, muß sich von einer gegebenen Person als epistemische Rechtfertigung dieser Überzeugung heranziehen lassen: »The basic internalist idea ... is that what determines whether a belief is warranted for a person are factors or states in some sense internal to that person; warrant conferring properties are in some way internal to the subject or cognizer«160. Die epistemische Rechtfertigung stellt sich mithin als eine Relation zwischen zu rechtfertigender Überzeugung und rechtfertigendem Sachverhalt dar, die grundsätzlich muß gewußt werden können. Mit anderen Worten: Eine Überzeugung soll nur dann als gewußt gelten können, wenn die entsprechende Person, die sie vertritt, Gründe für sie angeben kann. Dieser internalistische Ansatz habe seine Wurzeln in einem deontologischen Verständnis der epistemischen Rechtfertigung. Unter der Voraussetzung bestimmter epistemischer >Pflichten< ergebe sich zwangsläufig die Vorstellung, daß die epistemische Rechtfertigung einer Überzeugung an die Erfüllung dieser Pflichten gebunden sei. Dies aber setze notwendig voraus, diese Pflichten auch erfüllen zu können, und führe damit zur internalistischen These der epistemischen Zugänglichkeit161. Die klassische Definition des Wissens als justified true belief< ist dann aus internalistischer Perspektive so zu lesen, »that justification is necessary for warrant and nearly sufficient for it: what is required in addition is only a fillip to mollify Gettier« (WPF VI). Doch gerade diese internalistische Zuversicht, das Gettier-Problem durch eine zusätzliche technische Klausel in den Griff bekommen zu können, wird nun von Plantinga in Frage gestellt. Denn die Pointe der Gettier-Beispiele liege darin, daß die fragliche Überzeugung, obgleich epistemisch gerechtfertigt, jeweils nur durch Zufall wahr sei. Der internalistische Rekurs auf intern zugängliche Rechtfertigungsbedingungen sei aber nicht in der Lage, diesen Zufall grundsätzlich auszuschließen. Denn er liege auf einer Ebene jenseits der Reichweite epistemischer Rechtfertigung: »What constitutes or confers warrant, on internalist views, must be accessible, in some special way, to the agent. Note that in all these Gettier cases (...) the cognitive glitch has to do with what is not accessible to the agent in this way. ... What Gettier problems show, stated crudely and without necessary qualification, is that even if everything is going as it ought to with re160 A. Plantinga, WCD 5. 161 Vgl. dazu ausführlich A. Plantinga, WCD 15-25.

3. Die Wende zur >virtue epistemology
external< to the epistemic agent - such factors as whether his beliefs are produced by a reliable cognitive mechanism, or whether they are produced by epistemic faculties functioning properly in an appropriate epistemic environment«162. Das Gettier-Problem nötigt zu der Einsicht, daß internalistische Ansätze an der Schwierigkeit scheitern, zuverlässig zwischen als wahr gewußten und nur zufällig wahren Überzeugungen zu unterscheiden. Plantinga zieht daraus den Schluß, zu einem externalistischen Verständnis von >warrant< übergehen zu müssen. Er geht aus von der Überlegung, daß Erkenntnis und Wissen notwendig das adäquate Funktionieren des menschlichen Erkenntnisvermögens voraussetzen. Das >proper functioning< könne daher als eine notwendige Bedingung von >warrant< angesehen weden: »A necessary condition of a belief's having warrant for me is that my cognitive equipment, my belief-forming and beliefmaintaining apparatus or powers, be free of ... malfunction. A belief has warrant for you only if your cognitive apparatus is functioning properly, working in the way it ought to work, in producing and sustaining it« (WPF 4)163. Plantinga legt sich auf einen externalistischen Ansatz fest, der an der Vorgabe des zuverlässigen und adäquaten Funktionierens eines menschlichen Vermögens zur Produktion von Erkenntnis und Wissen orientiert ist. Er reiht sich damit in die Rubrik der >virtue epistemology< ein, die neben der reliabilistischen Variante im Anschluß an Alvin Goldman eine der beiden vorherrschenden Ansätze im Lager des epistemologischen Externalismus darstellt. Freilich lassen sich beide 162 A. Plantinga, Art. religious belief 440. 163 Plantinga fügt hinzu, daß die Produktion von >warranted beliefs< graduelle Unterschiede beinhalte. So sei zu beachten, daß eine mathematische Überzeugung sicherer sei und mehr >warrant< besitze als etwa eine Erinnerung an lange zurückliegende Ereignisse. Plantinga trägt diesem Umstand durch folgende Klausel Rechnung: »When my cognitive establishment is working properly, then in the typical case, the degree to which I believe a given proposition will be proportional to the degree it has of warrant ... When my faculties are functioning properly, a belief has warrant to the degree that I find myself inclined to accept it« (Ders., WPF 9).

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Kapitel 4: Alvin Plantinga

Richtungen nicht strikt gegeneinander abgrenzen. So ist Plantinga der Auffassung, die Intentionen des Reliabilismus aufzunehmen, diesen aber insofern noch zu überbieten, als er der für Erkenntnis und Wissen unerläßlichen Bedingung des >proper functioning< nicht angemessen Rechnung tragen könne164. Darüber hinaus gehört Plantinga nun auch zu den Vertretern einer naturalisierten respektive naturalistischen Epistemologie. Er legt Wert auf die Feststellung, daß »the account of warrant I propose is an example of naturalistic epistemology: it invokes no kind of normativity not to be found in the natural sciences; the only kind of normativity it invokes figures in such sciences as biology and psychology« (WPF 194). Doch seien hier zwei wesentliche Einschränkungen zu beachten. So verwahrt er sich gegen die radikale Naturalisierung Quines, die jegliche Form von Normativität unterbinde und darum bemüht sei, die Disziplin der Epistemologie überhaupt durch deskriptive Psychologie zu ersetzen165. Stattdessen sucht er an einem funktional-naturwissenschaftlichen Verständnis von Normativität festzuhalten, das freilich von den epistemischen Pflichten des Internalismus strikt unterschieden sei: »Warrant is indeed a normative notion. The sort of normativity involved is not that of duty and obligation; it is normativity nonetheless, and there is an appropriate use of the term >ought< to go with it. This is the use in which we say, of a damaged knee, or a diseased pancreas, or a warn brake shoe, that it no longer functions as it ought to« (WPF 45). Die zweite Einschränkung greift weiter; sie sei an dieser Stelle lediglich benannt: »Naturalism in epistemology flourishes best in the context of a theistic view of human beings: naturalism in epistemology requires supernaturalism in anthropology« (WPF 46). Der Rekurs auf das >proper functioning< des menschlichen Erkenntnisvermögens stellt allerdings nur eine erste Bedingung für >warrant< dar, die für sich allein keineswegs schon hinreichend ist. Plantinga führt in der Folge noch drei weitere Bedingungen an. Eine zweite ergibt sich aus der Überlegung heraus, daß das >properly function< dann nichts ausrichten kann, wenn »your cognitive faculties and the environment in which you find yourself are not properly attuned« (WPF 7). So sei es denkbar, daß das menschliche Erkenntnisvermögen - obgleich für sich selbst >proper functioning< - unter radikal veränderten Umweltbedingungen Überzeugungen produziere, die in keiner Weise der Realität entsprächen. Daher sei der anfänglichen Bestimmung von >warrant< eine Kontextklausel hinzuzufügen: »Your faculties must be in good working order, and the environment must be appropriate for your particular repertoire of epistemic powers. It must be the sort of environment for which your faculties are designed« (WPF 7). Gerade diese letztere Überlegung leitet über zu einem weiteren Grundbaustein der Plantingaschen Epistemologie. Er geht davon aus, daß »human beings are constructed according to a certain design plan« (WPF 13). Dabei müsse nicht unmittelbar an einen göttlichen Schöpfer gedacht werden - auch wenn Plantinga letztendlich gerade dieses behaupten wird. Entscheidend sei zunächst allein der Umstand, daß der menschliche Organismus so angelegt sei, daß jedes seiner Teile, wenn es adäquat funktioniert, auf bestimmte Weise eine bestimmte Funktion erfülle. Dieses Zusammenspiel weise eine bestimmte Struktur auf - und sie bezeichnet Plantinga als >design planvirtue epistemology
warrant< sei daher zu fordern, daß der >design plan< in seinen relevanten Funktionsanweisungen darauf angelegt sei, das menschliche Erkenntnisvermögen zur Produktion wahrer Überzeugungen zu veranlassen: »What confers warrant is one's cognitive faculties working properly, or working according to the design plan insofar as the segment of the design plan is aimed as producing true beliefs« (WPF 16). Doch auch die Einführung eines >design plan< allein reiche noch nicht aus, um den Begriff >warrant< hinreichend zu bestimmen. Vielmehr sei darauf zu achten, daß der >design plan< Funktionsanweisungen beinhalte, die zuverlässig zur Produktion wahrer Überzeugungen führten: »The module of the design plan governing its production must be such that it is objectively highly probable that a belief produced by cognitive faculties functioning properly according to that module (in a congenial environment) will be true or verisimilitudinous« (WPF 17). Plantinga bezeichnet diese abschließende vierte Bedingung als »the reliabilist constraint of warrant« (ebd.) und erhebt den Anspruch, damit der grundlegenden Einsicht des Reliabilismus Rechnung getragen zu haben. So müsse für eine Überzeugung, soll sie als Erkenntnis oder Wissen gelten können, vorausgesetzt werden, daß der dazu verwendete kognitive Apparat nicht nur zuverlässig funktioniert, sondern auch zuverlässige Informationen liefen. Hier liege zudem der Ansatzpunkt für die philosophische Skepsis. Diese könne die These eines >proper functioning< zugestehen und gleichwohl bezweifeln, daß zwischen dieser Funktion und der erstrebten Wahrheit eine Verbindung besteht166. Doch einer weiteren Auseinandersetzung mit dem Problem des Skeptizismus geht Plantinga aus dem Wege. Stattdessen faßt er abschließend die aufgeführten vier Bedingungen zu einer Definition von >warrant< zusammen: »A belief B has warrant for you if and only if (1) the cognitive faculties involved in the production of B are functioning properly (...); (2) your cognitive environment is sufficiently similar to the one for which your cognitive faculties are designed; (3) the triple of the design plan governing the production of the belief in question involves, as purpose or function, the production of true beliefs (...); and (4) the design plan is a good one: that is, there is a high statistical or objective probability that a belief produced in accordance with the relevant segment of the design plan in that sort of environment is true« (WPF 194)167. Diese Definition erlaube es schließlich auch, das Gettier-Problem angemessen diagnostizieren und lösen zu können. Die entscheidende Frage lautet, wie hinreichend zwischen als wahr gewußten und nur zufällig wahren Überzeugungen unterschieden werden kann. Plantingas virtualer Ansatz gibt eine doppelte Antwort an die Hand: Eine Überzeugung sei nur zufällig wahr, wenn entweder der kognitive Apparat tiefgreifende Funktionsstörungen aufweise oder aber die Umgebung in einer Weise beschaffen sei, für die das >proper functioning< nicht ausgelegt sei168.

3.2 Religiös-theistische Epistemologie auf externalistischer Grundlage Plantinga gibt für seine virtual-externalistische Epistemologie zwei Argumentationslinien an. Auf der einen Seite geht er epistemologisch vor, indem er aus dem Scheitern der internalistischen Ansätze am Gettier-Problem den Schluß 166 Vgl. A. Plantinga, WPF 19. 167 Vgl. A. Plantinga, WPF 19. 168 Vgl. A. Plantinga, WPF 36.

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Kapitel 4: Alvin Plantinga

zieht, zu einem extemalistischen Verständnis von >warrant< übergehen zu müssen. Hier biete sich sodann der Rückgriff auf das >proper functioning< des menschlichen Erkenntnisvermögens an, da so auf einer dem Reliabilismus noch vorausliegenden Ebene angesetzt werden könne. Überdies mag dabei die Überlegung eine Rolle spielen, daß nur aus einer externalistischer Perspektive heraus die Aussicht besteht, die These einer >proper basicality< - an der Plantinga festzuhalten scheint - erfolgreich gegen die beiden Einwände der Beliebigkeit und Grundlosigkeit verteidigen zu können. Auf der anderen Seite jedoch findet sich auch ein explizit theistischer Ansatz. Ausgehend von dem schöpfungstheologischen Gedanken, daß Gott den Menschen nach seinem Bilde geschaffen habe, stellt er fest: »God is an actor, a creator, one who chooses certain ends and takes action to accomplish them. He is therefore a practical being. But God is also, crucially, an intellectual or intellecting being. He apprehends concepts, believes truths, has knowledge. In setting out to create human beings in his image, then, God set out to create rational creatures: creatures with reason or ratio; creatures that reflect his capacity to grasp concepts, entertain propositions, hold beliefs, envisage ends, and act to accomplish them. Furthermore, he proposed to create creatures who reflect his ability to hold true beliefs. He therefore creatured us with that astonishingly subtle and articulate battery of cognitive faculties and powers ... From this perspective it is easy enough to say what it is for our faculties to be working properly: they are working properly when they are working in the way they were intended to work by the being who designed and created both them and us« (WPF 197)169. Der Gedanke der imago Dei wird also, verknüpft mit einem schlichten theistischen Gottesbegriff, dazu in Anschlag gebracht, um das Phänomen des menschlichen Erkennens nicht nur erklären, sondern in seiner prinzipiellen Wahrheitsfähigkeit sogleich begründen zu können. Auch wenn die theologische Naivität, mit der Plantinga hier zu Werke geht, die weitere Beschäftigung mit seinen Überlegungen auf eine schwere Probe stellt, ist es doch nicht die materiale Ausfaltung seines Ansatzes, sondern die formale Frage nach dem Verhältnis von Religion und Epistemologie, die hier allein im Vordergrund zu stehen hat. Dabei ist festzustellen, daß Plantinga seinen epistemologisehen Rekurs auf das >proper functioning< theistisch zu fundieren sucht. Er scheint also seine externalistische Wende konsequent dazu zu nutzen, an die Stelle einer epistemologischen Reflexion auf den christlichen Glauben den Entwurf einer theistischen Epistemologie zu setzen. Diese greift zwar auf das menschliche Erkennen überhaupt aus, löst damit aber auch das anfängliche Problem der epistemischen Rechtfertigung des christlichen Glaubens: »The chief thing to see here, I think, is that the ontological question whether there is such a person as God is in a way prior to the epistemological question about the warrant of theistic belief. It is natural to think that if in fact we have been created by God, then the cognitive 169 Vgl. A. Plantinga, Justification 43f.

3. Die Wende zur > virtue epistemology
warrant< dadurch, daß dieser selbst den kognitiven Apparat geschaffen und den Glaubenden dazu instand gesetzt hat, ihn zu erkennen171. Damit erfährt der Calvinsche sensus divinitatis eine externalistische Reformulierung und Ausweitung. Er bezeichnet nunmehr das von Gott her dem Menschen eingesetzte Erkenntnisvermögen, das zunächst das christliche Glaubenswissen als epistemisch gerechtfertigt ausweist, darüber hinaus aber auch das menschliche Welterkennen überhaupt ermöglicht und garantiert. Plantinga legt sich so auf das Programm einer theistischen Epistemologie fest. Das Problem der religiösen Eigenständigkeit soll seine Lösung dadurch erhalten, daß die epistemologische Fragestellung von vornherein aus einer theistischen Perspektive heraus in den Blick genommen wird. An die Stelle des aporetischen Versuchs, jene Eigenständigkeit auf der Grundlage eines vorgängigen epistemologischen Paradigmas ins Werk zu setzen, tritt das Unterfangen, dieses Paradigma selbst bereits theistisch zu untermauern. Plantinga muß also den Anspruch erheben, daß sein theistischer Rahmen - innerhalb dessen erst die Epistemologie zu stehen kommen soll - nicht selbst bereits einem bestimmten epistemologischen Vorverständnis verpflichtet ist. Es wird sich nun zeigen, daß er diesem Anspruch nicht gerecht zu werden vermag. Plantingas Eigenständigkeitsthese kann nur unter der Bedingung als eingelöst gelten, daß es ihm gelingt, die epistemologische Thematik und Problemlage zur Gänze aus seiner theistischen Vorgabe heraus einsichtig zu machen. Sollte es sich erweisen lassen, daß das epistemologische Konzept des >proper functioning< auf Voraussetzungen beruht, die sich nicht auf Gott und seine Schöpfungstätigkeit zurückführen lassen, so muß jene These als gescheitert angesehen werden. Nun wird unmittelbar deutlich, daß Plantinga die eigentliche Pointe des von Quine und Davidson herkommenden - externalistischen Ansatzes völlig verfehlt. Denn der Externalismus verdankt sich der Intention, die fruchtlose Differenz von Sprache und Welt aus ihrer erkenntnistheoretischen Zentralstellung zu entlassen. Statt weiterhin den vergeblichen Versuch zu unternehmen, aus dem 170 A. Plantinga, religious belief 440. - M.S. McLeod, Rationality 179, meint daher die epistemische Paritätsthese wie folgt externalistisch reformulieren zu können: »For a person S, whose epistemic equipment is functioning properly in the appropriate environment, physical object beliefs and theistic beliefs have the same level of epistemic warrant«. 171 Plantinga könnte sogar dem eschatologischen Vorhalt der Glaubenserkenntnis angemessen Rechnung tragen: Da diejenigen Faktoren, die den christlichen Glauben als >warranted belief < ausweisen, extern sind und dem Glaubenden selbst im Rücken liegen, kann Plantinga von einem Wissen des Glaubens reden, ohne damit das vollkommene eschatologische Schauen vorwegnehmen zu müssen.

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Kapitel 4: Alvin Plantinga

Gegenüber von Sprache und Welt erkenntnistheoretisch relevantes Kapital zu schlagen, soll die Erforschung dieser Differenz dem naturwissenschaftlichen Zugriff - sei dieser nun physiologisch oder psychologisch orientiert - überantwortet werden. Im Hintergrund steht dabei bei Davidson die grundlegende Einsicht in die immer schon vorgängige und unhintergehbare sprachliche Vermitteltheit des Weltbezugs172. Die Frage nach dem Gegenüber von Sprache und Welt verliert so jegliches philosophische Interesse. Plantinga jedoch bleibt gerade diese epistemologiefcrifiscÄe Stoßrichtung des Externalismus verschlossen. Er ist vielmehr der Auffassung, mit seinem externalistischen Ansatz das philosophische Problem des Verhältnisses von sprachlich artikulierter Überzeugung und nichtsprachlichem Sachverhalt endgültig lösen zu können. Insofern steht bei ihm die realistische Grunddifferenz von Sprache und Welt weiterhin unangefochten in Geltung. Dies läßt sich an verschiedenen Beispielen belegen. (1) Bereits bei der Definition von >warrant< fällt auf, daß Plantinga sichtlich darum bemüht ist, den Graben zwischen dem menschlichen Erkenntnisvermögen und dem von ihm Erkannten zu schließen. Er beläßt es nicht nur bei der Einführung einer eigenen Kontextklausel, sondern betont überdies die notwendige epistemische Zuverlässigkeit des kognitiven Apparats. Gerade die Kontextklausel ist hier von besonderem Interesse: Plantinga setzt voraus, daß es Fälle geben könne, in denen eine Überzeugung der epistemischen Geltung entbehrt, obgleich sie das Resultat eines adäquat funktionierenden Erkenntnisprozesses darstellt. Dieser Fall kann aber doch nur dann eintreten, wenn zwischen kognitivem Apparat und zu erkennender Welt keine angemessene Verknüpfung besteht. Plantinga gibt dazu folgendes Beispiel: »You have just had your annual checkup at MIT; you pass with flying colors and are in splendid epistemic condition. Suddenly and without your knowledge you are transported to an environment wholly different from earth; you awake on a planet revolving around Alpha Centauri. There conditions are quite different; elephants, we may suppose, are invisible to human beings, but emit a sort of radiation unknown on earth, a sort of radiation that causes human beings to form the belief that a trumpet is sounding nearby. An Alpha Centaurian elephant wanders by; you are subject to the radiation, and form the belief that a trumpet is sounding nearby. There is nothing wrong with your cognitive faculties; they are working quite properly; still, this belief has little by way of warrant for you« (WPF 6). Die ganze Anlage dieses Beispiels zeigt, daß Plantinga von einer grundlegenden Differenz zwischen dem Erkenntnisvermögen und der zu erkennenden Welt ausgeht, die erst überbrückt zu werden verlangt. Dabei sei es denkbar, daß der kognitive Apparat unter bestimmten Umständen leerläuft. Dieses Szenario ist mit den Intentionen eines externalistischen Ansatzes nicht mehr in Einklang zu bringen. Denn auf der einen Seite macht es unter Davidsonschen Bedingungen überhaupt keinen Sinn, eine Welt anzusetzen, die sich dem erkennenden Zugriff grundsätzlich entzieht, während auf der anderen Seite die kausale Verknüpfung von Erkenntnisvermögen und Welt damit zu einer Trivialität herabsinkt. Gerade dadurch also, daß Plantinga an der Möglichkeit einer prinzipiellen Unerkennbarkeit der Welt festhält - und, um diese Möglichkeit auszuschließen, zusätzliche Bedingungen einführt -, gibt er zu verstehen, daß ihm die antirealistische Stoßrichtung des Externalismus verschlossen bleibt. Stattdessen hält er an einem realistischen Grundrahmen fest, den er nun externalistisch meint füllen zu können. Es kommt so zu dem merkwürdigen Umstand, daß er der Funktionsweise des kognitiven Apparats in einem Zuge zuviel Relevanz zuweist und dennoch zuwenig zutraut: Das >proper functioning< soll die ersehnte Brücke zwischen Erkenntnis und Welt schlagen, kann dabei aber grundsätzlich fehlgehen. Demgegenüber beschränkt sich Davidson auf die schlichte Feststellung, daß die Verknüpfung zwi172 Vgl. dazu oben §1,4.

3. Die Wende zur > virtue epistemology
proper functioning< zuzugeben und dennoch zu bezweifeln, daß die auf diese Weise produzierten Überzeugungen in irgendeinem Verhältnis zur Welt stünden: »The skeptic ... may agree that there is indeed a perfectly proper distinction between cognitive proper function and malfunction, but be agnostic about the question whether there is any correlation at all between proper function and truth« (WPF 19). Erneut zeigt sich, daß Plantinga seine externalistische Wende mit einer realistischen Grundhaltung zu verknüpfen sucht, statt sich umgekehrt dieses morschen Unterbaus zu entledigen. In unermüdlicher Weise hat vor allem Davidson darauf aufmerksam gemacht, daß der Externalismus eine grundsätzlich antiskeptische Stoßrichtung beinhaltet. Ebenso wie der Gedanke einer unerkennbaren Realität nicht sinnvoll zu explizieren sei, lasse sich auch zwischen die - kausale - Verknüpfung von Erkenntnis und Welt kein Keil treiben. Diese Beziehung sei vielmehr in dem Maße, in dem sie philosophisch uninteressant sei, auch selbstverständlich: »Ansatzpunkt des Skeptikers ist die unterstellte Relation zwischen Überzeugung und Welt, aufgefaßt als eine Relation zwischen Repräsentation und Repräsentiertem. Dagegen fordert Davidson, diese repräsentationale Auffassung des Geistes und seiner Objekte aufzugeben. Weder gibt es, so seine These, etwas, das zu repräsentieren wäre, noch gibt es Repräsentationen«173. Der Versuch, hier erneut Gräben aufzureißen und skeptische Gespenster an die Wand zu malen, bringt daher nicht mehr zum Ausdruck als eine völlige Verkennung der durch die externalistische Wende geschaffenen Problemlage.

Es ließen sich zahlreiche weitere Beispiele anführen, um diese realistische Grundierung der >virtue epistemology< zusätzlich zu belegen. Der Tatbestand als solcher ist jedoch klar: Plantinga verbindet mit seinem Externalismus keine grundsätzliche Revision der epistemologischen Fragestellung, sondern sucht diese aufzunehmen und nun einer externalistischen Lösung zuzuführen. Statt die realistische Grunddifferenz von Sprache und Welt externalistisch zu unterlaufen, wird umgekehrt der externalistische Ansatz nurmehr in den überkommenen realistischen Rahmen eingezeichnet. Daraus ergibt sich das merkwürdige Unterfangen, ein epistemologisches Geltungsproblem im Rückgriff auf den Aufweis eines kausalgenetischen Zusammenhangs lösen zu wollen. Dieser Kategorienfehler läßt sich nur unter der Voraussetzung vermeiden, daß die externalistische Hinwendung zum Erkenntnisprozeß von jeder epistemologisch aufgeladenen Geltungsfrage entlastet wird. Indem aber Plantinga gerade umgekehrt vorgeht, reiht er sich in die Riege jener Alchemisten ein, die meinen, aus einer kausalen Ursache einen logischen Grund gewinnen zu können. Darüber hinaus besteht die entscheidende Einsicht darin, daß mit dem Aufweis des realistischen Rahmens die Eigenständigkeitsthese als gescheitert angesehen werden muß. Auch wenn es Plantinga gelingen sollte, das >proper functioning< als epistemologische Grundkategorie zu behaupten und im Rückgriff auf den Schöpfungsgedanken theistisch zu fundieren, bleibt er einer realistischen 173 K. Glüer, Donald Davidson zur Einführung, Hamburg 1993, 126.

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Kapitel 4: Alvin Plantinga

Vorgabe verhaftet, die sich ihrerseits einer theistischen Einholung entzieht. Denn es ist nicht zu sehen, wie es möglich sein kann, auch den realistischen Horizont noch theistisch begründet sein zu lassen. Vielmehr stellt es sich nun so dar, daß mit einer theistischen Interpretation des >proper functioning< auch der Gottesbegriff selbst zwangsläufig schon innerhalb jenes realistischen Gegenübers von Sprache und Welt verortet wird. Die weitere Ausarbeitung scheint diese Vermutung zu bestätigen. Anders läßt sich die Behauptung kaum verstehen, daß auch Gott - bestimmt als ein intelligentes Wesen - »holds beliefs (...); and because he is omniscient, he believes every truth and holds only true beliefs« (WPF 43). Das nunmehr externalistisch eingefädelte Programm einer theistischen Epistemologie steht damit erneut im Bann eines vorausgesetzten Realismus. Ganz abgesehen von dem äußerst dürftigen Problemniveau, auf dem Plantinga seine theistische Epistemologie materialiter zu entfalten sucht, bleibt also festzuhalten, daß seine These einer religiösen Eigenständigkeit auch in formaler Hinsicht zum Scheitern verurteilt ist. Die extemalistische Neuauflage verstrickt sich ebenso wie ihr intemalistischer Vorgänger in das Problem, jene Eigenständigkeit nur als von Gnaden einer vorausgesetzten Allgemeinheit aussagen zu können.

3.3 Epistemologischer Naturalismus und metaphysischer Supranaturalismus Plantinga scheint seinem Entwurf einer theistischen Epistemologie selbst nicht recht trauen zu wollen. Hatte er seine extemalistische Wende zunächst ausdrücklich aus einer theistischen Perspektive heraus ins Werk gesetzt, rückt er nun zunehmend den naturalistischen Charakter seiner >virtue epistemology< in den Vordergrund. Freilich läßt er es damit keinesfalls sein Bewenden haben. Die Pointe seines epistemologischen Ansatzes besteht vielmehr darin, daß die naturalistische Struktur des >properly function< aus sich selbst heraus den Übergang zu einem metaphysischen Supranaturalismus erforderlich mache: »Naturalism in epistemology can flourish only in the context of supernaturalism in metaphysics« (WPF 194). Zur Begründung für diese im problemgeschichtlichen Kontext des 20. Jhs. doch recht erstaunliche These führt Plantinga sodann zwei Argumente an. Dabei soll das eine die Falschheit, das andere hingegen die Irrationalität eines metaphysischen Naturalismus nachweisen174. Beide Argumente offenbaren jedoch eine erschreckende Unkenntnis der durch die Moderne heraufgeführten Diskussionslage und lesen sich als ein Relikt aus eben jener längst vergangenen Epoche, als tatsächlich naturalistische, rationalistische und supranaturalistische Positionen miteinander im Streit lagen. Daher mag hier eine knappe Skizze genügen. (1) Das Argument für die Falschheit des Naturalismus nimmt seinen Ausgang von den verwendeten Begriffen >proper function< und >design planvirtue epistemology
proper functioning< des menschlichen Erkenntnisvermögens gelten. Zwar ergäben sich hier aus theistischer Perspektive keinerlei Schwierigkeiten: »From a theistic point of view, human beings, like cathedrals and Boeing 747s, have been designed; we might say that they are divine artifacts« (WPF 197). Naturalistische Ansätze jedoch hätten nun zu erklären, wie sie die Rede von Funktion und Struktur auf das menschliche Erkenntnisvermögen übertragen zu können meinen: »If, as a matter of fact, natural organisms have not been designed, what sense can we make of the notions of design plan and proper function as applied to them?« (WPF 198). Plantinga behauptet also, daß die Rede von Funktion und Struktur notwendig die Voraussetzung eines planvollen Schöpfers in sich schließe. Im Fall natürlicher Organismen ergebe sich daraus die Konsequenz eines göttlichen Schöpfers. Soll diese Schlußfolgerung vermieden werden, muß es daher möglich sein, eine naturalistische Bestimmung der Begriffe >proper function< und >design plan< zu geben: »The real question is whether there is a satisfactory naturalistic explanation or analysis of the notion of proper function« (ebd.). In der Folge geht Plantinga einige solche Erklärungsversuche durch176 - und kommt durchweg zu demselben Ergebnis: Sie alle leiden an einer zirkulären Begründungsstruktur und können die geforderte Analyse nicht in befriedigender Weise leisten177. Damit sei der Nachweis erbracht: »Therefore, if, as it looks, it is in fact impossible to give an account of proper function in naturalistic terms, then metaphysical naturalism and naturalistic epistemology are at best uneasy bedfellows. The right way to be a naturalist in epistemology is to be a supernaturalist in metaphysics« (WPF 211)178. (2) Das Argument für die Irrationalität des Naturalismus hebt darauf ab, daß sich eine naturalistische Position nicht konsistent vertreten lasse. Den Ausgangspunkt bildet die gängige Auffassung, »that the purpose (function) of our cognitive faculties is to provide us with true or verisimilitudinous beliefs, and that, for the most part, that is just what they do« (WPF 216f.). Erneut ergäben sich hier aus theistischer Perspektive keinerlei Schwierigkeiten. Denn Gott habe den Menschen nach seinem Bilde geschaffen und ihm daher das Vermögen eingepflanzt, -

175 Der >design plan< wird von Plantinga zunächst im Sinne einer Struktur eingeführt, die die Funktionsweise der einzelnen Glieder eines umfassenden Systems spezifiziert und reguliert; vgl. A. Plantinga, WPF 13f. 176 Vgl. A. Plantinga, WPF 199-211. 177 Vgl. A. Plantinga, WPF 204, 206, 209, 210. 178 Um die gebotene Sachlichkeit nicht allzusehr zu verletzen, sei zur Kritik nur ein Doppeltes angemerkt: (1) Mit seinen schöpfungstheologischen Einlassungen gibt Plantinga zu erkennen, daß er sich aus einem ernstzunehmenden theologischen Diskurs verabschiedet. Weitere Ausführungen erübrigen sich daher. (2) Der stereotyp wiederholte Zirkularitätsvorwurf gegen die verschiedenen naturalistischen Interpretationen des Funktionsbegriffs läßt keinen Zweifel daran, daß Plantinga der Intentionen des modernen Funktionsbegriffs nicht von Ferne ansichtig geworden ist. Ihm bleibt nicht nur der theoriegeschichtliche Ort des Funktionsbegriffs verschlossen, der diesen durch sein Gegenüber zum metaphysischen Substanzbegriff bestimmt sein läßt, sondern er ignoriert auch souverän die gerade im angelsächsischen Kontext entstandenen kybernetischen und systemtheoretischen Ansätze, die sich mit dem Funktionsbegriff beschäftigen. Die Funktion bestimmt sich hier in Relation zu einem übergeordneten Bezugssystem, nicht aber in Hinsicht auf irgendeinen diese Funktion erst setzenden >designerproper functioning< gerade überwunden werden sollte. Auch Plantinga scheint die Lektion des Gettier-Problems nicht gelernt zu haben.

3. Die Wende zur >virtue epistemology
grammatischen< Reformulierung von Aufgabe und Thema der klassischen Dogmatik; vgl. Ders., Jenseits von Mythos und Logos. Die christologische Transformation der Theologie, Freiburg 1993; sowie Ders., Der auferweckte Gekreuzigte. Zur Grammatik der Christologie, Tübingen 1994. Es wäre allerdings reizvoll, der Frage nachzugehen, in welcher Weise das im folgenden aufzuweisende Grundthema Dalferths, die beiden widerstrebenden Forderungen von Eigenständigkeit und allgemeiner Darstellbarkeit des christlichen Glaubens miteinander zu vermitteln, in seinen neueren Arbeiten eine Fortsetzung findet.

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seinem Gegenstand her begründeten - Eigenständigkeit zur Geltung zu bringen, ohne dabei doch auf die allgemeine Darstellung und Einlösung dieses Glaubens verzichten zu müssen. Damit nimmt er zumindest der Sache nach ein Grundproblem auf, das für die theologische wie religionsphilosophische Reflexion mit dem Aufkommen der Neuzeit bestimmend geworden ist. Es handelt sich um die Frage, in welcher Weise die partikulare Positivität der christlich-religiösen >Vorstellung< mit dem allgemeinen Wahrheitsanspruch des philosophischen >Begriffs< vermittelt werden kann. Diese Frage umfaßt eine Vielzahl sehr wohl zu unterscheidender Themenkreise und Problemzusammenhänge; sie alle aber finden ihren gemeinsamen Bezugspunkt in der grundlegenden Einsicht, daß der christlich-religiöse Glaube immer schon innerhalb eines vorgängigen Allgemeinen zu stehen kommt, das zunächst als Konstitutionsgrund der Artikulation jenes Glaubens in Anspruch genommen wird, damit aber dessen Gehalte zugleich als positivgegenständlichen Ausdruck einer allgemeinen Struktur bestimmt und so letztlich zu der Schlußfolgerung nötigt, diese Positivität als solche durchschauen und in ihrer Abhängigkeit von jenem zugrundeliegenden Allgemeinen einsichtig machen zu müssen. Religiöse Positivität und allgemeine Wahrheit erscheinen von daher als die beiden Seiten eines Spannungsverhältnisses, das seinen klassischen Ausdruck im Zusammenhang der - für die Moderne kennzeichnenden - Hinwendung zum religiösen Bewußtsein findet. Dieses wird als ein solches vorgestellt, das unmittelbar auf seinen Gegenstand bezogen ist und sich als von diesem her bestimmt auslegt, ohne jedoch um sich selbst als religiöses Bewußtsein zu wissen: »Denn weder sein eigenes Tun noch seinen subjektiven Glauben erhebt das religiöse Bewußtsein zum Gegenstand seines ausdrücklichen Wissens; sein Wissen bezieht sich vielmehr allein auf den Inhalt, den Gegenstand des Glaubens«2. Als ein solches unmittelbar auf seinen Inhalt bezogenes Bewußtsein bleibt ihm die Möglichkeit verschlossen, diesen Inhalt als vom Bewußtsein selbst gesetzt einsehen zu können: »Damit weiß es nicht, daß der Gegenstand des Glaubens, durch den es bestimmt ist, durch sein eigenes Tun als der Glaubensgegenstand vermittelt und gesetzt ist, von dem es sich bestimmen läßt. Daß sich das religiöse Bewußtsein durch den Gegenstand des Glaubens bestimmt weiß, wird von ihm vielmehr so ausgelegt, daß es seine eigene Tätigkeit im Glaubensgegenstand stillstellt. Genau darin besteht die Positivität des religiösen Bewußtseins: es nimmt den religiösen Inhalt als gegeben und somit als etwas, was sich nicht seiner Produktion verdankt«3. Das religiöse Bewußstein legt sich zwar als von seinem Gegenstand her bestimmt aus, weist dabei aber doch eine Struktur auf, die diesen Gegenstand erst hervorbringt. Damit ergibt sich das Dilemma, zwischen der Positivität des religiösen Bewußtseins und seiner allgemeinen Struktur als eines religiösen Bewußtseins vermitteln zu müssen: »Denn dieses kann als Bewußtsein offensichtlich dann nicht zureichend beschrieben werden, wenn man seine Struktur einseitig auf das Konstituiertwerden durch Gegebenes oder einen Komplex von Gegebenheiten festlegt. Das religiöse Bewußtsein kann also nur unter der Bedingung als religiöses Bewußtsein auftreten, daß die Besonderheit des religiösen in die Allgemeinheit der Bewußtseinsstruktur plaziert wird, ohne daß dadurch das Bewußtsein selber kollabiert«4.

Dieses Vermittlungsproblem findet bei Dalferth eine sprachphilosophisch gewendete Aufnahme. Dabei tritt an die Stelle des in der klassischen Problemkonstellation vorherrschenden religiösen Bewußtseins die Ausrichtung auf das Phänomen der religiösen Rede: Die Frage nach dem Verhältnis von Positivität und Wahrheit des Glaubens erscheint nicht mehr als die Frage nach dem Verhältnis von positiv-gegenständlicher Bestimmtheit und allgemeinem Strukturaufbau des 2 3 4

F. Wagner, Was ist Religion? Studien zu ihrem Begriff und Thema in Geschichte und Gegenwart, Gütersloh 1986, 525. F. Wagner, aaO. 526. F. Wagner, aaO. 524.

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religiösen Bewußtseins, sondern nimmt die Gestalt der Frage nach dem Verhältnis von Religiosität und Sprachlichkeit religiöser Rede an. Diese wird unter dem doppelten Umstand in den Blick genommen, daß sie als religiöse Rede zwar von anderer Rede unterschieden ist, dabei aber als religiöse Rede zugleich einem allgemeinen Sprachbegriff verpflichtet bleibt. Die entscheidende Frage lautet also, wie es möglich ist, die religiöse Rede so zu bestimmen, daß sie als religiöse Rede zugleich als sprachliche Rede zur Geltung gebracht werden kann. Dalferth erkennt das angezeigte Problem an, zwischen der unmittelbaren Positivität des Glaubens auf der einen und seiner allgemeinen Rechenschaftspflichtigkeit auf der anderen Seite vermitteln zu müssen. Indem er sowohl die dem christlichen Glauben eignende Gewißheit als auch die assertorische Struktur der Glaubensrede betont - die ihren allgemeinen Wahrheitsanspruch ebenso zu Tage treten lasse wie die Notwendigkeit ihrer argumentativen Begründung und Rechtfertigung -, weist er nicht nur auf die durch das Gegenüber von Positivität und Wahrheit bezeichnete Spannung hin, sondern erblickt in ihr das Grundproblem, um dessen rechte Erfassung es ihm in seiner Auseinandersetzung mit der analytischen Religionsphilosophie zu tun ist. Dalferth zielt nicht darauf ab, eine der beiden Seiten in die andere aufzuheben. Er faßt das Verhältnis von Religiosität und Sprachlichkeit nicht als einen Gegensatz, den es in der Auflösung einer der beiden Seiten zu überwinden gelte, sondern als ein Gegenüber, dessen beide Momente miteinander zu vermitteln und so in ihrer relativen Eigenständigkeit zu bewahren sind. Es geht ihm darum, Religiosität und Sprachlichkeit als einander komplementäre Momente zu bestimmen und zu einem Verständnis religiöser Rede vorzustoßen, das ihre Religiosität als eine auch sprachlich vermittelte einsichtig zu machen vermag. Eine derartige Theorie religiöser Rede muß sich in gleicher Weise auf Sprachlichkeit und Religiosität beziehen können: »Man kann geradezu ein Adäquatheitskriterium einer solchen Theorie darin sehen, inwiefern sie beide Seiten religiöser Rede so berücksichtigt, daß keine der ändern gegenüber unter- oder überbewertet und auch keine um der anderen willen mißachtet oder überbetont wird« (275)5. Freilich stellt Dalferth den Richtungssinn jenes Vermittlungsproblems auf den Kopf. Ihm geht es nicht primär darum, auf dem Boden eines vorgängigen philosophischen Paradigmas die partikulare Besonderheit der religiösen Gehalte auf ihren allgemeinen Geltungsanspruch hin durchsichtig zu machen. Vielmehr hebt er gerade umgekehrt darauf ab, die inhaltliche Bestimmtheit des christlichen Glaubens überhaupt aus der Vorherrschaft eines philosophischen Allgemeinen herauszulösen. Erst in einem zweiten Schritt wendet er sich der Aufgabe zu, die solchermaßen gesicherte religiöse Eigenständigkeit im Horizont der allgemeinen Sprachlichkeit zur Darstellung zu bringen. So richtet Dalferth an die Adresse der analytischen Religionsphilosophie den Vorwurf, daß diese sich »weitgehend als eine Anwendung sprachphilosophischer Grundgedanken der Analytischen 5

Vgl. auch I.U. Dalferth, Religiöse Rede 143f.

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Philosophie auf aus der Tradition überkommene religionsphilosophische Fragestellungen begreifen läßt« (283). Damit aber würden religiöse Äußerungen innerhalb eines vorgegebenen Sprachbegriffs verrechnet, während das, was sie als religiöse von nichtreligiösen Äußerungen unterscheidet, gerade im Dunkeln bleibe: »Religiöse Äußerungen kommen als Sonderfall von Äußerungen überhaupt in den Blick, ohne daß ihre religiöse Besonderheit wirklich thematisiert würde« (284). Die religiöse Rede stehe so immer schon unter der Vorherrschaft eines allgemeinen Sprachbegriffs. Dieser bildet den Konstitutionsrahmen für die Artikulation religiöser Gehalte und liegt ihnen damit uneinholbar im Rücken; sie kommen nur wieder innerhalb jenes vorausgesetzten Sprachbegriffs zu stehen. Gerade dieses einseitige Dependenzverhältnis versucht Dalferth aufzubrechen. Das Gegenüber von Religiosität und Sprachlichkeit dürfe nicht in einer Weise bestimmt werden, die die eine Seite nur innerhalb der anderen verorten kann. Die Religiosität müsse als das komplementäre Moment der Sprachlichkeit einsichtig gemacht werden, das sich gleichwohl in der religiösen Rede sprachlich vermitteln läßt. Zu diesem Zweck führt er die folgenreiche Differenz zwischen >innen< und >außen< ein, um das Verhältnis des christlichen Glaubens zu seinem sprachlichen Rahmen beschreiben zu können6. Die allgemeine Sprachlichkeit erscheint so als der externe Horizont, dem gegenüber es die >interne< Selbständigkeit des christlichen Glaubens zu bewahren gilt.

Dalferth unternimmt den Versuch, die besondere Religiosität religiöser Äußerungen aus der vorgängigen Einbettung in einen allgemeinen Sprachbegriff herauszunehmen und stattdessen in ihrer irreduziblen Eigenständigkeit zur Geltung zu bringen. Er beruft sich dabei auf eine Situation der Erfahrung Jesu als der Anrede Gottes. Diese erlaube es, die Religiosität religiöser Rede nichtsprachlich-situativ zu bestimmen und so der Dominanz jener sprachlichen Allgemeinheit zu entziehen. Dalferth verfolgt mithin das Interesse, die Religiosität religiöser Rede als eine ihrer allgemeinen Sprachlichkeit gegenüber grundsätzlich eigenständige Größe zu etablieren. In sprachphilosophisch gewendeter Fassung nimmt er so das Grundanliegen Karl Barths auf, den christlichen Glauben und seine nachdenkende Entfaltung um der ihnen eigenen Sache willen - aus jedweder Unterordnung unter externe Rationalitätskriterien oder sonstige allgemeine Vorgaben herauszulösen. Dem Gegenstand des Glaubens, Gott, könne nur in der ausschließlichen Bindung an seine Offenbarung angemessen Rechnung getragen werden. Zwar sei der Glaube dazu genötigt, dem im Glauben Geglaubten nachzudenken; doch sei dieses Denken zugleich ein Nachdenken, das aus dem strikten Gehorsam gegenüber der in der Offenbarung eröffneten Kenntnis Gottes nicht herausfallen dürfe: »Nur um das Begehen der Mittelstrecke zwischen der s t a t t g e f u n d e n e n Kenntnisnahme u n d d e r e b e n f a l l s s c h o n s t a t t g e f u n d e n e n Bejahung kann es sich also handeln, wenn/wies quaerit intellection«1. Für Barth ergibt sich daraus nicht nur die Konsequenz, auf eine Rechtfertigung des GlauVgl. auch I.U. Dalferth, Theologischer Realismus und realistische Theologie bei Karl Barth, in: EvTh 46 (1986), 402^22; sowie Ders., Theology and Philosophy, Cambridge 1988. K. Barth, Fides quaerens intellectum. Anselms Beweis der Existenz Gottes im Zusammenhang seines theologischen Programms, hg. von E. Jüngel, I.U. Dalferth, Zürich 1981 (Karl Barth - Gesamtausgabe II, 13), 24.

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bens vor dem Forum allgemeiner Rationalität verzichten zu müssen. Er hebt noch sehr viel grundsätzlicher darauf ab, das Problem des Verhältnisses von Besonderheit und Allgemeinheit überhaupt als Problem zu verabschieden8. Hier meint Dalferth nun über Barth hinausgehen zu können. Ihm ist zwar daran gelegen, die Barthsche Vorgabe einer kompromißlosen Unabhängigkeit und Eigenständigkeit des Glaubens gegenüber externen Rationalitätskriterien auch unter sprachphilosophischen Bedingungen Geltung zu verschaffen. In diesem Sinne ist seine situative Verankerung der Religiosität religiöser Rede in der Anredeerfahrung Jesu zu verstehen. Doch zugleich sucht er >über Barth hinaus< das Problem des Verhältnisses von Besonderem und Allgemeinem als Problem wiederzugewinnen. Damit stellt er sich in die Reihe derjenigen theologischen Ansätze, die meinen, auf dem Boden Barths sein grundsätzliches Veto gegen alle Versuche, den christlichen Glauben in der Auseinandersetzung mit Philosophie und Wissenschaften zu bewähren, korrigieren zu können. Die Eigenständigkeit des christlichen Glaubens soll nicht nur vollzogen, sondern als eine solche ausgewiesen werden, die es zugleich erlaubt, nun doch dem von ihm erhobenen Wahrheitsanspruch vor dem Forum einer allgemeinen Rationalität Rechnung zu tragen. Dalferth verfolgt also ein für eine sich betont in die Nachfolge Barths stellende Theologie signifikantes doppeltes Interesse: Auf der einen Seite schließt er sich dort ausdrücklich an Barth an, wo es darum geht, gegenüber externen Kriterien die Eigenständigkeit des Glaubens zu bewahren. Auf der Grundlage seines sprachphilosophischen Paradigmas bedeutet das, die Religiosität religiöser Rede gerade nicht im Rekurs auf einen vorgängigen Sprachbegriff zu bestimmen. Auf der anderen Seite sucht er über Barth hinaus jenen allgemeinen Horizont wiederzugewinnen, innerhalb dessen eine argumentative Auseinandersetzung über den Wahrheitsanspruch des christlichen Glaubens möglich wird. Diese beiden widerstreitenden Intentionen meint Dalferth über seine These einer Komplementarität von Religiosität und Sprachlichkeit miteinander ausgleichen zu können. Religiosität und Sprachlichkeit religiöser Rede sollen sich so aufeinander beziehen lassen, daß die Religiosität als das Andere der Sprachlichkeit zugleich durch sie vermittelt zugänglich ist. Mit seiner Komplementaritätsthese erhebt er also den Anspruch, vor dem Hintergrund eines allgemein in Geltung stehenden Sprachbegriffs eine eigene Ebene der Religiosität religiöser Rede ausfindig machen und diese sodann im Horizont jener Sprachlichkeit so zur Darstellung bringen zu können, daß sie zugleich in ihrer Eigenständigkeit bewahrt werden kann. Entsprechend entfaltet er einen dreigliedrigen Gedankengang. Ausgehend von der Leitfrage, was es heißt, religiös von Gott zu reden9, lassen sich drei Teilfragen voneinander unterscheiden. 8 9

Vgl. K. Barth, Kirchliche Dogmatik, Bd. I/l, Zürich 1932 (KD I/l), 8f. Vgl. I.U. Dalferth, Religiöse Rede 23.

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In einem ersten Teil ist es ihm darum zu tun, den allgemeinen Sprachbegriff zu explizieren, der der Wahrnehmung des Phänomens religiöser Rede zugrunde liegt. Die entsprechende Frage lautet also: »Was heißt es, religiös von Gott zu reden?« (147). Der zweite Teil wendet sich der Aufgabe zu, eine Theorie religiöser Rede zu entfalten, die neben der aufgewiesenen allgemeinen Sprachlichkeit religiöser Äußerungen nun auch ihrer spezifischen Religiosität Rechnung zu tragen vermag. Der Frage nach dem Verständnis religiöser Rede von Gott tritt mithin die andere nach dem Verständnis religiöser Rede von Gott zur Seite: »Was heißt es, religiös von Gott zu reden?« (269). In einem dritten Teil unternimmt Dalferth schließlich den Versuch, zwischen der allgemeinen Sprachlichkeit des ersten und der situativen Religiosität des zweiten Teils zu vermitteln. Es soll darum gehen, die religiöse Rede von Gott in ihrer allgemeinen Propositionalität und Begründungspflichtigkeit darzustellen, ohne ihre spezifisch religiöse Verankerung aufgeben zu müssen. Gegenüber dem zweiten Teil kehrt sich die Blickrichtung um: Stand dort die Suche nach einer von der allgemeinen Sprachlichkeit unabhängigen Religiosität religiöser Rede im Vordergrund, so gilt es diese nun erneut an die allgemeine Sprachstruktur zurückzubinden. Denn erst wenn es Dalferth gelingt, seine religiöse Rede zugleich als religiöse Rede auszuweisen, kann sein Komplementaritätspostulat als eingelöst gelten. Als konkreten Hintergrund für diese Vermittlungsaufgabe wählt er die Debatte der analytischen Religionsphilosophie um die Möglichkeit begründeter Rede von Gott. Damit steht der abschließende dritte Teil unter der Leitfrage: »Was heißt es, religiös von Gott zu reden?« (495). Es wird im folgenden zu prüfen sein, ob Dalferth seinen Anspruch einlösen kann und es ihm so gelingt, die behauptete Vermittlung von Religiosität und Sprachlichkeit konsistent durchzuführen. Dabei ist zunächst in groben Zügen der Sprachbegriff zu skizzieren, den Dalferth seinen weiteren Ausführungen zugrunde legt (l.). Zwar ist hier durchaus zu registrieren, daß Dalferth darum bemüht ist, über die Grenzen des empiristischen Sprachbegriffs der frühen analytischen Philosophie hinauszugelangen. An die Stelle der Ausrichtung auf die formale Sprachstruktur soll die Einholung der lebensweltlichen Vielfalt des Sprechhandelns treten. Dennoch zeigt sich recht bald, daß Dalferth diese Korrektur nur an der Oberfläche ansetzt und dabei den realistischen Hintergrund jenes empiristischen Sprachbegriffs nicht nur übernimmt, sondern sogar noch zuspitzt: Gegen die Versuche des Logischen Empirismus, das Gegenüber von Sprache und Welt semantisch zu überwinden, greift Dalferth erneut auf eine strikt realistische Semantik zurück. Dieser Ansatz steht nun auch im Hintergrund, wenn Dalferth sich der Suche nach einer eigenständigen Religiosität religiöser Rede zuwendet (2.). Diese lasse sich durch sprachliche Kriterien nicht angemessen explizieren, sondern habe ihren Ort in einer nichtsprachlich strukturierten religiösen Situation. Im Fall der christlichen Religion handle es sich um eine Erfahrungssituation, in der die

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Wahrnehmung eines bestimmten personalen Gegenübers nach Maßgabe des Anredemodells als Erfahrung Jesu als der Anrede Gottes gedeutet wird. Allerdings stellt der Erfahrungsbegriff vor gewichtige Schwierigkeiten. Dalferth sucht dem Umstand Rechnung zu tragen, daß jede Erfahrung bereits einen vorgängigen und sprachlich-semiotisch vermittelten Interpretationshorizont voraussetzt. Um die These einer nichtsprachlichen Verankerung der Religiosität aufrecht erhalten zu können, muß er daher hinter die Erfahrung auf eine ihrem interpretativen Zugriff vorausliegende Wahrnehmung zurückgehen. Dabei übersieht er freilich, daß er mit seiner Rede von einem uninterpretiert Wahrgenommenen ein realistisches Gegenüber von Sprache und Welt in Anschlag bringen muß. Diese Beobachtung bestätigt sich bei einem Blick auf die singuläre Existenzpräsupposition Gottes, in der die sprachliche Artikulation jener Grunderfahrung ihren Mittelpunkt findet. Somit bleibt Dalferths Suche nach einer nichtsprachlichen Eigenständigkeit religiöser Rede ohne Erfolg. Die These einer situativen Verankerung der Religiosität in der Anredeerfahrung kann die in sie gesteckten Erwartungen nicht erfüllen, da sie ihrerseits nur wieder unter der Voraussetzung eines realistischen Sprachbegriffs konsistent zu explizieren ist. Die durchgängige Prägung des Dalferthschen Ansatzes durch einen realistischen Hintergrund, der ihm als solcher verborgen bleibt, findet in der avisierten Vermittlung von Sprachlichkeit und Religiosität ihren Niederschlag (3.). Sie gliedert sich in drei Schritte. Zunächst bestimmt Dalferth grundsätzlich die Begründungsthematik religiöser Rede als den Ort, an dem die fragliche Vermittlung geleistet werden soll (3.1). Dabei greift er nicht nur auf den mit der sprachlichen Behauptungsstruktur verknüpften Wahrheitsanspruch zurück und weist von dort die allgemeine Begründungspflichtigkeit christlich-religiöser Rede auf, sondern sucht überdies die Berechtigung dieser Begründungsforderung aus einer internen Nötigung des Glaubens selbst einsichtig zu machen. Auf diese Weise soll es möglich sein, die allgemeine Sprachlichkeit jener Rede zum Ausdruck zu bringen, ohne auf die Wahrung ihrer besonderen Religiosität verzichten zu müssen. Doch eine genauere Betrachtung erweist das Programm als aporetisch: Auf der einen Seite läßt sich die religiöse Eigenständigkeit nur unter der Voraussetzung einer strikten Dichotomie zwischen sprachlicher Form und religiösem Inhalt aufrecht erhalten, die aber umgekehrt die Begründungsthematik als der Religiosität gegenüber äußerlich bestimmen und so die angestrebte Vermittlung notwendig verfehlen muß. Auf der anderen Seite vermag Dalferth zwar über die sprachliche Behauptungsstruktur die Begründungsthematik als berechtigt aufzuweisen, muß dann aber die Reduzierung der allgemeinen Sprachlichkeit auf eine bloße Form revozieren und somit zugestehen, daß er auch die christlich-religiöse Rede immer schon einem bestimmten epistemologischen Modell unterwirft. An die Stelle der angestrebten Komplementarität zwischen Religiosität und Sprachlichkeit tritt faktisch eine Konzeption, die die Religiosität christlich-religiöser Re-

l. Die Sprachlichkeit religiöser Rede

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de nur vermittelt durch die vorgängige Einbettung in einen allgemeinen sprachlich-epistemologischen Horizont zu explizieren vermag. Dieses Ergebnis bestätigt sich, wenn es nun in einem zweiten Schritt darum geht, die Möglichkeit der Begründung religiöser Rede aufzuweisen (3.2). Vor dem Hintergrund der in der analytischen Religionsphilosophie formulierten grundstürzenden Kritik ist Dalferth darum bemüht, die wahrheitsdefinite Propositionalität religiöser Rede sicherzustellen. In einer weitgefächerten Auseinandersetzung mit den beiden Problemen von Identifizierbarkeit und Prädizierbarkeit des mit >Gott< bezeichneten Referenten sucht er den Nachweis zu erbringen, daß gerade im Rückgang auf die in der Anredeerfahrung eröffnete Kenntnis Gottes die Möglichkeit beschlossen liegt, die religiöse Rede von Gott als propositional strukturiert und mithin begründungsfähig zu erweisen. Gerade in dieser Auseinandersetzung mit der Identifizierbarkeits- und Prädizierbarkeitsproblematik wird jedoch deutlich, daß Dalferth seine These einer bloß formalen Neutralität der Sprachlichkeit nicht durchhalten kann, sondern für seinen Propositionalitätsaufweis faktisch einen vorgängigen realistischen Rahmen übernimmt. Dieser Rahmen zeichnet auch verantwortlich für die überraschende Wende, mit der Dalferth das Schicksal seines anspruchsvollen Vermittlungsprogramms besiegelt. Er beruft sich auf die These einer eschatologischen Verifikation, um nach dem Aufweis von Ort und Möglichkeit der Begründung religiöser Rede zumindest eine Skizze des angemessenen Begründungsverfahrens zu geben (3.3). Dieser Verifikationsgedanke erweist sich freilich, zumal auf realistischer Grundlage, als zirkulär. Wird er dazu in Anspruch genommen, die Differenz zwischen Sprache und Welt zu überbrücken, muß er eine vorgängige Vermittlung beider Seiten immer schon voraussetzen. Die Frage lautet, wie eine Verifikation überhaupt als Verifikation erkannt werden kann. Hier kehrt Dalferth die Blickrichtung um: Gott selbst ist es, der sich verifizieren wird. An die Stelle des Verifikationsaufweises tritt die These einer göttlichen Selbstverifikation. Damit verabschiedet sich Dalferth aus seiner eigenen Problemstellung. Indem er die Frage nach der Begründung religiöser Rede von Gott dem zuvorkommenden Handeln Gottes selbst unterstellt, zieht er sich auf eine interne Perspektive des Glaubens zurück, die mit der anfänglichen Ausrichtung auf eine Vermittlung von Religiosität und Sprachlichkeit nichts mehr anzufangen weiß.

L Die Sprachlichkeit religiöser Rede Die Beschäftigung mit dem Phänomen der religiösen Rede fordert zunächst eine Beschäftigung mit dem Phänomen der Sprache. Dalferth sieht sich dazu genötigt, vor der eigentlichen religionsphilosophischen Arbeit die vorfindlichen sprachphilosophischen Ansätze kritisch zu sichten und darauf zu achten, »wie

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Sprache als Sprache empirisch überhaupt in den Blick kommt« (24). Damit versucht er seine sprachphilosophischen ebenso wie religionsphilosophischen Überlegungen auf einen hinreichend tragfähigen Boden zu stellen, der vorschnelle Engführungen des Sprachverständnisses als solche aufzuweisen und unschädlich zu machen erlaubt: »Ausgegangen wird dabei von der ... Einsicht, daß jede Sprachreflexion unter den Bedingungen und Beschränkungen einer Sprachkonzeption geschieht, die bestimmt, was als Sprache und Bedeutung überhaupt in den Blick kommen kann und die es explizit zu machen gilt, will man sich ihrem Diktat nicht unkritisch unterwerfen« (ebd.). Dalferth will also ein kritisches mit einem konstruktiven Interesse verknüpfen: Auf der kritischen Seite steht der Versuch, zumindest in Grundzügen einen sprachphilosophischen Ansatz zu entfalten, der bestimmte Irrgänge der religionsphilosophischen Auseinandersetzung um die religiöse Rede zu vermeiden erlaubt10. Auf der konstruktiven Seite gesteht Dalferth zu, auf die Implikationen des eigenen Sprachbegriffs reflektieren zu müssen, um auch hier vorschnelle Engführungen vermeiden zu können. Seine Ausführungen tragen dem Umstand Rechnung, daß jegliche Hinwendung zum Phänomen der religiösen Rede unter der Ägide eines bestimmten Sprachbegriffs steht. Dalferth versucht diesen Sprachbegriff offenzulegen, um die Angemessenheit des eigenen sprachphilosophischen Ansatzes auszuweisen und überdies verhindern zu können, daß sich in die Auseinandersetzung um die religiöse Rede sprachphilosphische Voraussetzungen einschleichen, die trotz ihrer grundlegenden Rolle unerkannt bleiben. Dalferth geht stillschweigend davon aus, daß die Aufklärung über den eigenen Sprachbegriff die Möglichkeit eröffnet, sich außerhalb der Reichweite dieses Sprachbegriffs zu stellen. Die explizite Sprachreflexion soll gleichsam den Boden bereiten, um über den so freigelegten Sprachbegriff hinausgehen zu können. Diese Voraussetzung ist zwar unumgänglich, wenn es später darum gehen soll, eine der allgemeinen Sprachlichkeit entzogene und insofern eigenständige Religiosität religiöser Rede ausfindig zu machen. Dennoch gerät Dalferth damit in Widerstreit zu seiner eigenen Einsicht, daß »Sprache als der hermeneutische Raum aller Sachreflexion gerade auch dort, wo sie zum (sprach)wissenschaftlichen Gegenstand gemacht wird, nicht von außen, sondern nur aus ihr selbst reflektiert werden« (147) kann. Es ist nicht zu sehen, wie es jemals soll gelingen können, sich grundsätzlich jenseits dieser sprachlichen Internalität zu stellen. Allerdings enfaltet Dalferth seinen Sprachbegriff unabhängig von diesen methodischen Implikationen. Als Schlüsselbegriff fungiert der Begriff der sprachlichen Äußerung. Er erlaubt es, ein Modell zu skizzieren, das nicht nur die wichtigsten Einsichten der analytischen Sprachphilosophie aufnehmen kann, sondern überdies der grundlegenden Ausweitung der Blickrichtung von der Sprache auf 10

Vgl. I.U. Dalferth, Religiöse Rede 265: »Denn nur von einer solchen zumindest in den Grundzügen systematisch entwickelten Basis aus ist es möglich, Engführungen und Fehlansätze dieser Debatte, die auf eine inadäquate Sprachkonzeption zurückzuführen sind, fundiert zu kritisieren und zu korrigieren«.

l. Die Sprachlichkeit religiöser Rede

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das Sprechen hinreichend Rechnung zu tragen vermag. Dalferth selbst faßt seinen Ansatz in der folgenden Weise zusammen: »Ausgehend von der Bestimmung des Sprechens als des Vollzugs sprachlicher Handlungen durch die Erzeugung von Texten wurde die Äußerung als Grundkategorie von Rede bestimmt und durch die Entfaltung der drei wesentlichen Aspekte des Äußerungsbegriffs gezeigt, daß jede Äußerung als Ereignis in einer ganz konkreten Situation lokalisiert ist; daß sie dabei als Handlung, und zwar genauer als Sprechhandlung begriffen werden muß, die sich von anderen Sprechhandlungen durch ihren Textcharakter unterscheidet; daß sie aber als Sprechhandlung und Text letztlich nur aufgrund ihrer propositionalen Struktur fungieren kann« (265). Dalferth verknüpft also die beiden sprachphilosophischen Paradigmen eines sprachhandlungsorientierten und eines sprachproduktorientierten Ansatzes so, daß er diesen in jenen aufzuheben versucht: »Die auf einen engeren Bereich beschränkte sprachproduktorientierte Betrachtungsweise ist in die umfassendere handlungsorientierte zu integrieren und nicht umgekehrt« (159)11. Diese Intention findet ihren Ausdruck in der dreifachen Differenzierung des als Grundkategorie eingeführten Äußerungsbegriffs. Er bezeichnet das Ereignis des Äußerns und die Handlung der Äußerung ebenso wie den durch sie geäußerten Gehalt: »Denn es ist eines, eine Äußerung als Äußerungsereignis zu thematisieren, ein anderes, sie als Handlung in den Blick zu fassen, und wieder ein anderes, sich auf den durch sie geäußerten Gehalt zu konzentrieren« (161). Damit wird deutlich, daß der Aspekt des in der Äußerung zur Sprache kommenden propositionalen Gehalts mitsamt der Frage seiner sprachphilosophischen Bestimmung eingebettet werden soll in einen übergreifenden Horizont, der sich nicht primär auf die Sprache als eines nach syntaktischen und semantischen Gesichtspunkten beschreibbaren Systems bezieht, sondern dieses erst als Resultat einer sozial verankerten und regelgeleitet zu explizierenden kommunikativen Handlungsform des Sprechens in den Blick nimmt. Doch umgekehrt zeigt sich, daß innerhalb dieses übergreifenden Verständnisses von Sprache und Sprechen die propositionale Struktur des Satzes eine kaum zu überschätzende Rolle einnimmt. Denn mit ihr verbindet sich die sprachphilosophische Grundfrage nach dem Verhältnis von sprachlicher Äußerung und nichtsprachlichem Sachverhalt. So ist zunächst zwischen der Intension - dem Sinn - und der Extension - dem Wahrheitswert - einer Äußerung zu unterscheiden12. Die Intension bezeichnet den propositionalen Gehalt einer Äußerung und somit das, was beim Verstehen ihrer verstanden wird und für die mögliche Bestimmung ihres Wahrheitswertes von Bedeutung ist. Wird ein propositionaler 11

12

Übertragen auf das Verhältnis von Syntax, Semantik und Pragmatik bedeutet das, »daß nicht die innerhalb der Linguistik im engeren Sinn entwickelte Syntax- und Semantiktheorie Basis der den Handlungsaspekt des Sprechens thematisierenden Pragmatik, sondern umgekehrt die Pragmatik die Basis für die Syntax und Semantik abzugeben hat« (I.U. Dalferth, Religiöse Rede 159). Vgl. I.U. Dalferth, Religiöse Rede 231 f.

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Kapitel 5: Ingolf U. Dalferth

Gehalt als Proposition behauptet, so kommt der entsprechenden Äußerung ein Wahrheitswert und damit eine Extension zu. Während also alle Äußerungen eine Intension haben, so bleibt die Extension auf die mit der Sprechhandlung des Behauptens vollzogenen Äußerungen beschränkt: »Nicht ein propositionaler Gehalt, sondern nur ein behaupteter propositionaler Gehalt, und d.h. eine Proposition ist wahr oder falsch; welchen Wahrheitswert eine Proposition aber faktisch hat, darüber läßt sich aufgrund dessen entscheiden, ob der mit dem propositionalen Gehalt zum Ausdruck gebrachte Sachverhalt der Fall ist oder nicht« (238). Dalferth knüpft den Wahrheitswert einer Proposition an die Sprechhandlung der Behauptung; freilich bleibt umgekehrt die Bestimmung des Wahrheitswertes daran gebunden, ob sich die mit der Behauptung zum Ausdruck gebrachte Proposition als ein bestehender Sachverhalt aufweisen läßt. Damit gewinnt nun doch ein an der formalen Sprachstruktur orientierter Ansatz die Oberhand. Denn die zentrale Frage danach, auf welche Weise eine Proposition wahr sein und einen bestehenden Sachverhalt zum Ausdruck bringen kann - wie also das Verhältnis zwischen der sprachlichen Behauptung und dem zu denken ist, von dem etwas behauptet wird -, wird von Dalferth ausschließlich an der logischen Struktur der Behauptung festgemacht. Es kommt hier nicht auf den trivialen Umstand an, daß die Bestimmung der propositionalen Struktur eines Satzes sich in Gestalt einer logischen Analyse zu vollziehen hat; entscheidend ist vielmehr, daß diese logische Analyse zugleich dafür in Anspruch genommen wird, die epistemologische Relation zwischen sprachlicher Behauptung und nichtsprachlichem Korrelat zu klären. Dalferth richtet sein Augenmerk vornehmlich auf die Differenz zwischen Sprache und Sprechen; dabei entgeht es ihm, daß quer zu dieser Differenz eine andere zwischen Sprache und Welt liegt, die die beiden Relata von Sprache und Sprechen auf einer gemeinsamen Seite zusammenfaßt, um ihr auf der anderen Seite die zumindest dem Dalferthschen Verständnis nach - nichtsprachlich strukturierte, aber von der Sprache aus intendierte Wirklichkeit gegenüberzustellen. Indem Dalferth diese zweite Differenz zugunsten der ersteren übergeht, meint er sich einem sprechhandlungsorientierten Ansatz zuwenden zu können, ohne die Frage nach dem Verhältnis zwischen Sprache und Welt eigens thematisieren zu müssen. Dabei übersieht er jedoch die unterschwellige Wirksamkeit dieser Differenz; sie kommt zum Ausdruck in der faktischen epistemologischen Aufladung der logischen Propositionalitätsstruktur. Diese Konsequenz ergibt sich daraus, daß Dalferth keinen von der logischen Analyse der Behauptung unterschiedenen Gedanken auf die Frage verwendet, wie diese Struktur in epistemologischer Hinsicht zu werten sei. So faßt er seine Analyse in folgender Weise zusammen: »Die Grundform der singulären Proposition ist die Prädikation, die sich als Ergebnis der beiden grundverschiedenen propositionalen Teilhandlungen des Prädizierens und Referenzialisierens verstehen läßt und sich sprachlogisch als Verbindung eines Designators und eines Prädikators in einem Subjekt-Prädikat-Gefüge darstellt«

l. Die Sprachlichkeit religiöser Rede

223

(242)13. Dabei nimmt der Designator referierend auf einen oder mehrere Gegenstände Bezug, dem oder denen dann mit Hilfe des Prädikators etwas zu- oder abgesprochen wird. Während also der Designator bestimmt, wovon die Rede ist, bringt der Prädikator zum Ausdruck, was davon zu sagen ist. Doch diese auf die Prädikation abhebende Analyse der Proposition impliziert, wenn sie nicht eigens davon unterschieden wird, einen problematischen epistemologischen Hintergrund. Die Betonung der singulären Referenz setzt einen realistischen Rahmen voraus, der die Gegenstände als Bestandteile einer sprachunabhängig strukturierten Wirklichkeit bestimmt, auf die sprachliche Aussagen Bezug zu nehmen versuchen. Der Graben zwischen Sprache und Welt soll damit in der Weise überbrückt werden können, daß sprachliche Aussagen auf nichtsprachliche Gegenstände oder Sachverhalte zutreffen und diese korrekt darstellen. Eine Behauptung erweist sich dann als wahr, wenn sie den intendierten Gegenstand referierend erfaßt und prädizierend so bestimmt, wie er tatsächlich ist. Im Hintergrund steht somit nicht nur das klassische Korrespondenzmodell der Erkenntnis, das die Wahrheit einer Äußerung als bestimmt durch ihre Beziehung zu den Gegenständen einer objektiven Realität auffaßt, sondern ebenso das >objektontologische Dogmaprimären Verhaltsobjektontologischen Dogmas< auch auf die realistische Annahme ausweiten, die Welt sei bereits unabhängig von ihrer sprachlichen Erfassung vollständig in Gegenstände geordnet, »that are at one and the same time mind-independent and SelfIdentifying« (H. Putnam, Reason, Truth and History, Cambridge 1981, 54).

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Kapitel 5: Ingolf U. Dalferth

Wahrnehmung ausgeht15 und insofern die Erkenntnis als einen semiotisch vermittelten Übersetzungsprozeß zwischen verschiedenen Zeichensystemen begreift: »Der Übergang von der Sprache zu einer von ihr thematisierten Sache stellt sich dann nicht mehr als ein Transzendieren in einen qualitativ völlig anderen Bereich dar. Eher gleicht es der Übersetzung von einem Zeichensystem in ein anderes. Was uns gegeben ist, sind Zeichen; und wir erfassen sie, indem wir sie durch andere Zeichen ausdrücken und repräsentieren ... Die alte Frage nach der Möglichkeit einer Adäquation zwischen res und intellectus erscheint dann aber semiotisch transformiert als die Frage nach der Übersetzbarkeit zwischen Zeichensystemen« (153)16. Doch dieser semiotische Konstruktivismus wird auf keine Weise mit der logischen Analyse der Behauptung vermittelt; die Prädikation bleibt ohne Bezug auf die These einer vorgängigen propositionalen Strukturierung der Wirklichkeit. Gerade darin aber liegt die Gefahr - der Dalferth auch zunehmend erlegen zu sein scheint -, die formale Struktur von Behauptungen17 mit einem überschüssigen epistemologischen Sinn anzureichern und statt der semiotischen Übersetzbarkeit die Referenzbeziehung als Paradigma des sprachlichen Weltverhältnisses einzusetzen. Darüber hinaus läßt sich noch ein weit gewichtigerer Einwand geltend machen: Dalferth beschränkt seinen semiotischen Konstruktivismus auf die Ebene der semiotisch und sprachlich vermittelten Erkenntnis und schließt die Ebene der Dinge selbst betont davon aus. Im Hintergrund steht die aus einem realistischen Ansatz gespeiste grundsätzliche Differenz zwischen Erkenntnis und Wahrheit18. Dalferth hält an der These fest, daß es eine jenseits der semiotischen Konstruktionsleistungen gelegene Dimension der >Welt< gibt. Das dort als wahr Geltende soll Bestand haben unabhängig davon, ob es als wahr erkannt wird oder nicht: »Nicht alles ..., was wahr oder falsch ist, kann von uns auch als solches erkannt werden« (518). Da nun aber die beiden Ebenen von semiotischer Konstruktivität und sprachlicher Propositionalität nicht miteinander vermittelt werden, ist zu vermuten, daß die unter semiotischen Vorzeichen nicht mehr einlösbare Gegenüberstellung von Zeichensystemen und an sich seiender >Welt< von Dalferth nach Analogie des prädikativen Referenzmodells vorstellig gemacht wird. Der logischen Analyse der Behauptung kommt damit eine Funktion zu, die über die Grenzen des sprachlichen Äußerungsbegriffs weit hinausreicht. 15 16 17 18

Vgl. I.U. Dalferth, Religiöse Rede 149: »Unser Vorstellen und Wahrnehmen richtet sich ... auf Sachverhalte und - sofern diese bestehen - auf Tatsachen, und d.h.: immer auf komplexe und propositional strukturierte Gebilde«. Vgl. I.U. Dalferth, aaO. 529. Dalferth betont explizit den nur sprachlogisch-kategorialen Charakter seiner Analyse. Die Frage lautet aber, ob er mit dieser Selbstbeschreibung seinem faktischem Vorgehen gerecht wird. Diese grundsätzliche Trennung zwischen Erkenntnis und Wahrheit bildet ebenso wie die entsprechende semantische Trennung von Bedeutung und Wahrheit das Kennzeichen eines realistischen Ansatzes.

l. Die Sprachlichkeit religiöser Rede

225

Es soll an dieser Stelle nicht darum gehen, die realistische Grundlegung des Dalferthschen Sprachbegriffs bis in seine Verästelungen hinein aufzuweisen oder einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Im Vordergrund steht vielmehr das Interesse, die grundsätzliche Prägung des Dalferthschen Ansatzes durch einen Sprachbegriff aufzuweisen, dessen tiefliegende Wurzeln und weitreichende Wirkungen ihm auch dort nicht aufgegangen sind, wo er sich seine Aufklärung explizit zur Aufgabe gemacht hat. Er zielt auf eine theoretische Einholung der Differenz zwischen Sprache und Sprechen, zwischen der für die Frühphase der analytischen Philosophie kennzeichnenden Orientierung an der formalen Sprachstruktur auf der einen und einer der neueren Entwicklung der analytischen Philosophie Rechnung tragenden Ausrichtung auf die konkrete soziale und lebensweltliche Verankerung des Sprechens auf der anderen Seite. Dabei übersieht er jedoch, daß dieser Unterscheidung zwischen Semantik und Pragmatik selbst noch eine fundamentalere Differenz vorausgeht. Sie betrifft das Verhältnis zwischen der sprachlichen Behauptung und dem, von dem etwas behauptet wird. Dalferth legt dabei nicht nur methodisch, sondern auch sprachphilosophisch ein ontologiscb.es Schema an, das von der Voraussetzung einer gegenüber Sprache und - sprachlich vermitteltem - Denken unabhängig gesetzten Welt ausgeht und eine Überbrückung dieser Differenz folgerichtig nur als Übereinstimmung des Erkennens mit der vorgängig feststehenden und zu erkennenden Sache zu explizieren erlaubt. Dieses Verständnis des Gegenübers von Sprache und Welt scheint Dalferth trotz aller sprachphilosophischer Versiertheit so selbstverständlich zu sein, daß er eine Korrektur nur an der Oberfläche ins Werk setzt und darunter einem Referenzmodell verhaftet bleibt, das er durch eine scheinbar auf die Ebene der Logik beschränkte Analyse der Behauptung gerechtfertigt sieht. Gerade die Nichtthematisierung dieser epistemologischen Grunddifferenz hat zur Folge, daß die logische Analyse der Behauptung faktisch in den Rang eines epistemologischen Ansatzes einrückt, der ihr nach Dalferths eigenem Bekunden gar nicht zukommen soll. Es wird daher in der Folge darauf zu achten sein, in welcher Weise dieser >blinde Fleck< des Dalferthschen Sprachbegriffs auch dort seine Wirksamkeit entfaltet, wo Dalferth sich jenseits seiner stellen zu können meint. Diese Frage leitet zurück zu der systematischen Intention dieses ersten Teils. Dalferth sucht den Sprachbegriff offenzulegen, der als Grundlage einer Auseinandersetzung mit dem Phänomen der religiösen Rede dienen kann. Doch es hat sich nun ergeben, daß Dalferth seiner Aufgabe nur zum Teil hat gerecht werden können. Sein sprachpragmatisch eingefädelter Versuch, die starren Grenzen des analytischen Sprachbegriffs zu überwinden, bleiben selbst noch einem strikt realistisch verstandenen Gegenüber von Sprache und Welt verhaftet. Diese Beobachtung wird im folgenden in Gestalt der Frage aufzunehmen sein, ob sich diese These einer realistischen Grundlegung des Dalferthschen Ansatzes im Durchgang durch seine Analyse der religiösen Rede erhärten läßt.

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Kapitel 5: Ingolf U. Dalferth

2. Die Religiosität religiöser Rede 2. l Die situative Grundstruktur christlich-religiöser Rede Dalferth sucht die Frage nach der spezifischen Religiosität religiöser Rede im Zuge des Entwurfs einer Theorie religiöser Rede zu klären. Diese sei als eine »empirische Theorie der religiösen Kommunikation durch Texte« (271) zu konzipieren. Ihr Ziel besteht darin, in der Explikation des empirischen Gegenstandsbereichs religiöser Äußerungen und dem Aufweis der Regeln religiöser Kommunikation eine Strukturbeschreibung des religiösen Redens einer bestimmten Religion zu formulieren19. Doch zugleich stellt sie sich als »Teiltheorie einer allgemeinen Theorie der Religion bzw. religiösen Interaktion« (279) dar. Ihr Gegenstand ist das Gesamt religiöser Äußerungen. Diese gelte es als sprachliche Äußerungen ernst zu nehmen und zugleich auf ihre besondere religiöse Funktion hin durchsichtig zu machen. Eine Theorie religiöser Rede müsse immer beide Seiten im Blick haben: »Man kann daher geradezu ein Adäquatheitskriterium einer solchen Theorie darin sehen, inwiefern sie beide Seiten religiöser Rede so berücksichtigt, daß keine der ändern gegenüber unter- oder überbewertet und auch keine um der anderen willen mißachtet oder überbetont wird« (275). Dieses methodische Postulat einer strikten Komplementarität von Sprachlichkeit und Religiosität religiöser Äußerungen bildet den unhintergehbaren Bezugspunkt einer Theorie religiöser Rede, die der allgemeinen Sprachlichkeit religiöser Äußerungen Rechnung tragen will, ohne ihre religiöse Eigenart einem externen Strukturprinzip unterordnen zu müssen. Die Aufgabe einer Strukturbeschreibung religiöser Rede setzt weiterhin voraus, aus dem Gesamtbereich sprachlicher Äußerungen ein adäquates und repräsentatives Korpus religiöser Äußerungen herausgreifen zu können: »Offensichtlich muß man vor jedem weiteren Schritt aus dem Gesamt vorfindlicher Äußerungen diejenigen auswählen, die religiös genannt zu werden verdienen. Welche aber sind das und wie lassen sie sich isolieren?« (276). Damit rückt das Problem der Religiosität religiöser Äußerungen in den Mittelpunkt einer Theorie religiöser Rede20. Sie muß über ein Kriterium verfügen, um hinreichend zwischen religiösen und nichtreligiösen Äußerungen unterscheiden zu können: »Um ein adäquates und repräsentatives Korpus religiöser Äußerungen zu erhalten, muß ein Kriterium der Religiosität gefunden werden, anhand dessen Bedingungen der Repräsentativität einer Datenmenge spezifiziert werden können« (279). Mit dieser Ausrichtung seines Komplementär!tätspostulats auf die Problematik der Religiosität religiöser Äußerungen hat Dalferth die leitende Perspektive

19 20

Vgl. I.U. Dalferth, Religiöse Rede 271 f. Vgl. I.U. Dalferth, aaO. 276: »Das Problem der Religiosität religiöser Rede erweist sich von daher als eine Grundfrage, die vor jedem ernsthaften Versuch einer Theoriebildung eine Antwort finden muß«.

2. Die Religiosität religiöser Rede

227

für den Entwurf einer Theorie religiöser Rede skizziert. Die allgemeine Sprachlichkeit religiöser Äußerungen wird als gegeben vorausgesetzt, um nach ihrer besonderen Religiosität fragen zu können: »Bislang wurde nur darüber reflektiert, was es heißt, zu reden. Was aber heißt es, religiös zu reden? Um diese Frage beantworten zu können, gilt es zu klären, worin die Religiosität von Rede besteht. Was kennzeichnet Rede als religiöse Rede?« (281 f.). Damit stellt er die vorherrschende Ausrichtung der analytischen Religionsphilosophie auf den Kopf: In der Auseinandersetzung um die Sinnhaftigkeit religiöser Äußerungen habe diese »im wesentlichen nur die Prädikatskomponente dieser Frage, also das Sinn- und Bedeutungsproblem ..., nicht oder nur selten dagegen die Subjektskomponente, also [den] Begriff der religiösen Äußerung bzw. religiösen Sprache selbst« (283) im Blick gehabt. Gerade darin liege schließlich auch ihre Grenze: In der Ausrichtung auf die allgemeine Sprachlichkeit religiöser Äußerungen habe sie die besondere Religiosität religiöser Äußerungen nicht mehr angemessen zur Geltung bringen können. Dalferth sieht es als die grundsätzliche Aporie der analytischen Religionsphilosophie an, »daß mit ihren Mitteln kein Kriterium zur Unterscheidung religiöser und nichtreligiöser Äußerungen ... gewonnen werden kann« (287). Diese Aporie habe ihren Grund in dem Versuch, die Religiosität religiöser Äußerungen sprachlich bestimmen zu wollen. Damit sei sie gezwungen, die Religiosität in einer Weise sprachlich verrechnen zu müssen, die sie nicht mehr als das Spezifikum religiöser Äußerungen in den Blick kommen lasse: Für das Verständnis religiöser Rede »bleibt ihre Funktion daher insofern äußerlich, als sie zwar zu differenzierteren Betrachtungen religiöser Rede, nicht aber religiöser Rede« (292) beizutragen vermag21. Dieser Aporie versucht Dalferth dadurch zu entgehen, daß er das Phänomen der religiösen Rede von der entgegengesetzten Seite her in Angriff nimmt: An die Stelle einer sprachlichen Vereinnahmung der Religiosität religiöser Äußerungen müsse ein Ansatz treten, der nichtsprachliche Kriterien spezifiziert, um zwischen religiösen und nichtreligiösen Äußerungen unterscheiden zu können. Den entscheidenden Schlüssel findet Dalferth in der These einer situativen Verankerung der Religiosität religiöser Rede: »Eine Äußerung ist genau dann religiös, wenn sie in einer religiösen Situation ihren Ort hat« (354). Dieses situative Kriterium nötigt allerdings zu einer Einschränkung des Blickwinkels. Erst im Kontext des Verhaltens- und Interaktionsmusters einer be-

2l

Dalferth stützt diese These durch eine ausführliche Auseinandersetzung mit den verschiedenen Versuchen der analytischen Religionsphilosophie, die Religiosität religiöser Äußerungen unter Rekurs auf sprachliche Kriterien zu bestimmen (vgl. Ders., Religiöse Rede 309-354). So geht er der Reihe nach die textuell-grammatische, die propositionale, die textuell-instruktive und auch die textuell-funktionale Ebene durch. Er gelangt schließlich zu dem Ergebnis, »daß es niemals eine sprachliche Funktion als solche, sondern immer ein zu dieser Funktion hinzutretender zusätzlicher nichtsprachlicher Aspekt ist, dem sich die Religiosität einer Äußerung oder eines Texts entnehmen läßt« (aaO. 353).

228

Kapitel 5: Ingolf U. Dalferth

stimmten Religion lassen sich Situationen als religiös strukturierte Situationen beschreiben. Damit ist eine Äußerung genau dann religiös, »wenn sie ihren Ort in einer Situation hat, die durch die Realisierung eines Musters einer bestimmten Religion religiös strukturiert ist« (360). In der Folge geht Dalferth zur christlichen Religion über. An die Stelle der allgemeinen Frage nach der Religiosität religiöser Äußerungen tritt die Frage nach der situativen Grundstruktur der christlichen Religion. Dabei sieht er sich methodisch an die Selbstauskunft der christlichen Religion gewiesen, um diese situative Grundstruktur angemessen explizieren zu können. Die Aufgabe einer in die Form der situativen Strukturbeschreibung gekleidete Bestimmung des >Wesens< des Christentums mache es notwendig, »auf die normativen Selbstaussagen einer Religion zurückzugreifen und diese mit deren deskriptiv erhebbaren Eigentümlichkeiten zu vergleichen« (361). Diese interne Wende wird von Dalferth in zwei Schritten durchgeführt: Zunächst bringt er - im Anschluß an S.W. Sykes22 - als formales Strukturprinzip und normatives Kriterium der christlichen Religion die konstitutive Verknüpfung christlicher Situationen mit den Vorgängen um Jesus von Nazareth zur Geltung: »Eine Situation ist daher christlich, wenn ihre Struktur in einem aufweisbaren strukturellen Zusammenhang mit der Situation und den Situationen des Lebens und Sterbens Jesus von Nazareth steht, wie und soweit uns diese aus den überlieferten Zeugnissen erschließbar und zugänglich ist« (362f.). Dieser Zusammenhang impliziert zwar ein gewisses historisches Interesse an den Vorgängen um Jesus von Nazareth, findet seine kerygmatisch bestimmte christologische Pointe aber darin, »daß er durch die Rede von Jesus als dem Christus hergestellt wird und damit aus einem Redevorgang resultiert, der für ihn konstitutiv ist« (363). Damit steht die Kenntnis der historischen Situationen Jesu von Nazareth nicht für sich selbst im Mittelpunkt; entscheidend ist vielmehr die spezifische Art und Weise der Bezugnahme auf diese Situationen, wie sie in der gelebten Religion zum Ausdruck kommt. Sie ist für Dalferth dadurch ausgezeichnet, »daß sie Reaktion einer bestimmten Erfahrung, nämlich der Erfahrung Jesu als der Anrede Gottes ist« (363). Freilich entzieht sie sich damit zugleich einem deskriptiven Zugriff. Denn diese Erfahrungssituation läßt sich nur als eine sprachlich behauptete Erfahrung darstellen und bleibt daher notwendig auf das Selbstzeugnis dessen angewiesen, der sie zum Ausdruck bringt23. Die für die christliche Situationsstruktur konstitutive Art der Bezugnahme auf Jesus von Nazareth läßt sich mithin nur im Rekurs auf die Selbstauskunft der 22 23

Vgl. S.W. Sykes, The Essence of Christianity, in: RelSt 7 (1971), 291-305. Vgl. I.U. Dalferth, Religiöse Rede 375: »Es gibt keine Möglichkeit einer adäquaten Analyse christlicher Glaubensrede, wenn man diese unabhängig vom Selbstverständnis und dem Selbstzeugnis der sie äußernden Redesubjekte zu thematisieren sucht. ... Handelt es sich doch bei ihnen um geschichtliche Phänomene aus dem individuellen und sozialen Erfahrungs- und Handlungsbereich von Subjekten, bei denen nie außer Acht gelassen werden darf, wie die jeweils betroffenen Personen ihre Erfahrungs- und Handlungssituation selbst beschreiben und beurteilen, da sie nur von daher in ihrem Wert und ihrer Bedeutung einsichtig werden«.

2. Die Religiosität religiöser Rede

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christlichen Religion explizieren; an die Stelle einer externen Deskription christlicher Religiosität tritt die interne Selbstexplikation ihrer situativen Erfahrungsbasis. Für diese Selbstauskunft setzt Dalferth beim >Selbstverständnis< christlicher Glaubensrede an und bestimmt dieses als Antwort auf die in Jesus ergangene Anrede Gottes24. Damit meint Dalferth bis zu dem Punkt vorgestoßen zu sein, der nun die situative Grundstruktur der christlichen Religion im Modus ihrer Selbstauskunft zu explizieren erlaubt: »Christliche Glaubensrede als Antwort auf ergangene Anrede Gottes zu charakterisieren ist in diesem Sinn und aus diesem Grund dezidiert ein Ansatz, der nicht nur allgemein von deren situativer Verankerung, sondern speziell vom Selbstverständnis und Selbstzeugnis der betroffenen Personen ... seinen Ausgang nimmt und auf diese Weise von vornherein klar stellt, daß es auf andere Weise keine adäquate Analyse christlicher Glaubensrede geben kann« (375). So einleuchtend diese interne Wende auf den ersten Blick auch scheinen mag, so weitreichend sind die mit ihr verknüpften Implikationen, denen Dalferth bei weitem nicht die gebührende Aufmerksamkeit widmet. So lassen sich vor allem drei Aspekte besonders hervorheben. (1) Die für das Selbstverständnis christlicher Glaubensrede in Anspruch genommene Selbstauskunft der christlichen Religion setzt notwendig eine religionsinieme Afefaebene voraus, von der aus die erststufige Glaubensrede in den Blick genommen und in ihrer situaüven Verankerung expliziert werden kann. Auch die Selbstauskunft ist Auskunft über etwas in dem Sinne, daß sie im Vollzug dieser Auskunft dem gegenüber, über das Auskunft gegeben wird, eine zweitstufige Ebene einzunehmen gezwungen ist. Die Zuspitzung der Auskunft auf Selbstauskunft läßt diese Ebenendifferenz zugleich innerhalb des jeweils vorgegebenen Systems verortet sein. Die Selbstauskunft der christlichen Religion bewegt sich auf einer der beobachteten Glaubensrede gegenüber zweitstufigen und doch religionsinternen Metaebene und kann in diesem Sinne als theologische Reflexion auf die Implikationen erststufiger Glaubensrede expliziert werden. (2) Die als Selbstverständnis christlicher Glaubensrede zum Ausdruck kommenden Gehalte und situativen Implikationen sind freilich auf diese Weise immer schon über die theologische Metaebene sprachlich vermittelt. Die Bestimmung der Glaubensrede als Antwort auf eine ergangene Anrede Gottes ist Ausdruck eines theologischen Interpretationsschemas, das die Glaubensrede als Antwort einsichtig werden und schließlich in einer Situation der Anredeerfahrung verankert sein läßt. Die These einer nichtsprachlich strukturierten Anredeerfahrung wurzelt in einem sprachlichen Deutungshorizont, der die situativen Implikationen des Begegnungsmodells überhaupt erst als nichtsprachlich strukturiert bestimmt. (3) Damit ist die entscheidende Intention Dalferths, die Religiosität religiöser Rede nichtsprachlich zu verankern und so der Unterordnung unter einen vorgängigen Sprachbegriff zu entziehen, bereits im Ansatz verfehlt. Seine interne Wende übersieht den Umstand, daß auch die im Modus der Selbstauskunft eingeklagte situativ lozierte und nichtsprachlich strukturierte Anredeerfahrung nur unter der Voraussetzung eines bereits vorgängig in Geltung stehenden und sprachlich vermittelten Interpretationsschemas zugänglich ist. Dalferth steht also vor dem Dilemma, die intendierte Nichtsprachlichkeit religiöser Situativität doch wieder sprachlich aufgehoben und so die Religiosität religiöser Rede erneut einem allgemeinen Sprachbegriff ausgeliefert zu haben.

Dalferth sucht nun über eine Analyse der christlichen Glaubensrede zur situativen Grundstruktur der christlichen Religion vorzustoßen. Aus der These ihrer situativen Verankerung gewinnt er das methodische Postulat, »daß verschiedene 24

Vgl. I.U. Dalferth, aaO. 374.

230

Kapitel 5: Ingolf U. Dalferth

Formen christlicher Rede als Ausdruck charakteristisch verschieden strukturierter christlicher Situationen zu verstehen sind« (366). Die Ausrichtung auf die Selbstauskunft der christlichen Religion findet so ihre Durchführung im Programm einer >Topographie christlicher RedeTopographie christlicher Rede< nimmt Dalferth seinen Ausgangspunkt bei der Unterscheidung zwischen christlicher Rede und Rede über christlicher Rede, oder allgemein: religiöser Rede und Rede über religiöser Rede: »Nur in ersterer wird Rede religiös gebraucht, in letzterer wird sie dagegen in nichtreligiöser Rede als religiöse Rede zur Sprache gebracht. Erstere hat somit immer religiösen Charakter und vollzieht sich im Rahmen und und unter den Prämissen einer Religion, letztere ist dagegen von solchen Voraussetzungen frei« (368). Die Rede über religiöse Rede differenziert sich in religionswissenschaftliche und religionsphilosophische Rede, die jeweils im Modus empirischer Deskription und kritischer Reflexion auf die Vorgängigkeit religiöser Rede bezogen bleiben. Die religiöse Rede selbst hingegen differenziert sich in die beiden Hauptbereiche von theologischer Rede und Glaubensrede: Die theologische Rede zunächst »läßt sich bestimmen als Rede über Glaubensrede und Glaubenshandeln im Modus der interpretativen Reflexion und Explikation« (372). Sie ist damit durch die beiden Aspekte gekennzeichnet, auf der einen Seite - gemeinsam mit der Rede über religiöse Rede und im Unterschied zur Glaubensrede - als Rede über die Glaubensrede insofern einen Wahrheitsanspruch zu erheben, »als sie den propositionalen Gehalt der ihr vorgegebenen Glaubensrede im Modus der Erwähnung expliziert und interpretiert« (373), während sie auf der anderen Seite - gemeinsam mit der Glaubensrede und im Unterschied zur Rede über religiöse Rede - »in zwar distanzierterer, aber nicht weniger eindeutiger Weise religiöses Geschäft ist, unter religiösen Normen und Präsuppositionen geschieht und im Bezug auf religiöse Situationen ihren Ort hat« (372). Theologische Rede ist also zugleich religiöse Rede und Rede über religiöse Rede, indem sie innerhalb des Überzeugungsrahmens einer bestimmten Religion die propositionalen Gehalte der Glaubensrede zu explizieren und auf ihren Wahrheitsanspruch hin zu überprüfen unternimmt. Sie bleibt so auf die Vorgängigkeit religiöser Glaubensrede bezogen, daß diese den Ermöglichungsgrund theologischer Rede bildet. Die christliche Glaubensrede selbst erweist sich damit als Fokus einer auf die Erhebung ihrer situativen Grundstruktur ausgerichteten >Topographie christlicher RedeTopographie christlicher Rede< läßt sich also in der folgenden Weise zusammenfassen: »Christliche Glaubensrede ist Rede aus einer Erfahrung Gottes im Modus der Rezeption, Responsion und Reaktion. Das heißt: Christliche Glaubensrede gründet ihrem eigenen Selbstverständnis nach in der Erfahrung einer Rede von Gott (gen. subj.), sie artikuliert sich auf der Grundlage dieser Erfahrung zunächst und vor allem als Rede zu Gott, dann aber anderen gegenüber auch als Rede über Gott, um schließlich als Rede von Gott (gen. obj.) darauf hinzuwirken, die Erfahrung der Rede von Gott (gen. subj.) immer wieder neu zu ermöglichen« (373).

2.2 Die christliche Grundsituation der Erfahrung Jesu als Anrede Gottes Dalferth hat bisher auf der Grundlage seiner religionsinternen Methodologie und in der Ausarbeitung einer topographischen Skizze christlicher Situativität die Explikation der situativen Grundstruktur christlicher Religiosität bis zu dem Punkt vorangetrieben, die - primäre - Rezeptionssituation als den Ursprungsort christlicher Erfahrung und die Grundlage christlicher Glaubensrede aufweisen zu können. Damit stellt sich nun die Aufgabe, diese Rezeptionssituation in ihrer Struktur so zu explizieren, daß sie mit ihrer spezifischen Bezogenheit auf die Vorgänge um Jesus als Fokus christlicher Situativität und Ort der Religiosität christlicher Rede einsichtig gemacht werden kann. Seinen Ausgangspunkt nimmt Dalferth bei der Bestimmung der Rezeptionssituation als einer Situation der Erfahrung Jesu als der Anrede Gottes27. Damit sind zugleich die weiteren Schritte vorgezeichnet, die es im folgenden zu entfalten gilt: (1) Zunächst wendet er sich dem Begriff der Anrede zu und konzipiert ein Modell personaler Begegnung, das die Erfahrungsbasis christlicher Glaubensrede als Anredeerfahmng zu explizieren erlaubt. (2) Sodann richtet er sein 26 27

Diese Zuordnungen finden ihren übersichtlichen Ausdruck in einem zusammenfassenden Schema Dalferths; vgl. Ders., aaO. 384. Vgl. I.U. Dalferth, aaO. 469.

2. Die Religiosität religiöser Rede

233

Augenmerk auf den Begriff der >Erfahrung< und spitzt ihn so auf seine interpretativen Implikationen zu, daß mit der Ausrichtung auf die AnKdeerfahrung der Aspekt der Erfahrung als Anrede in den Vordergrund rückt. (3) Schließlich verknüpft er beide Begriffe mit der Ausrichtung auf die Erfahrung Jesu als der Anrede Gottes und bringt auf diese Weise die christliche Anredeerfahrung als situativen Ort der Religiosität christlicher Glaubensrede zur Geltung. Dalferth greift auf das Anredemodell zurück, um so die christliche Grunderfahrung als Anredeerfahrung einsichtig machen zu können. Dabei wird die Anrede zunächst als Paradigma situationskonstituierender Rede gekennzeichnet und auf ihre personale Dimension zugespitzt: »Vom Anredesubjekt her ist sie eine kommunikative Handlung zur Herstellung einer konkreten personalen Beziehung zu einem gegenwärtigen Gegenüber; vom angeredeten Gegenüber her ein Betroffensein durch einen gerade an ihn herangetragenen Anspruch« (399). Sodann läßt sie sich sowohl hinsichtlich ihres kommunikativen Typus28 als auch hinsichtlich der Art29 differenzieren, in der sie situationskonstituierend wirksam wird und ihre Rezeption mit der durch sie eröffneten Situation verknüpft30. Dieses Modell wird von Dalferth als Interpretament in Anspruch genommen, um die christliche Grunderfahrung als Anredeerfahrung explizieren zu können. Dabei ist die direkte Übertragung auf eine Anrede Gottes insofern ausgeschlossen, als diese Anrede nur als erfahrene Anrede zugänglich und so über die Rezeptionssituation vermittelt ist: »Anrede Gottes ist nicht einfach unter Rückgriff auf Aspekte des Anredebegriffs konstruierbar, weil Anrede Gottes immer nur als erfahrene Anrede Gottes thematisierbar ist, Gottes Anrede aber nur erfahren wird, indem etwas - nämlich Jesus - als Anrede Gottes erfahren wird« (428).

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29

30

Dalferth unterscheidet je nach singulärer oder pluraler Bestimmung von Anredendem und Angeredetem vier kommunikative Anredetypen: (1) die singulär-singuläre Anrede, (2) die singulär-plurale Anrede, (3) die plural-singuläre Anrede und (4) die plural-plurale Anrede (vgl. Ders., aaO. 404). Dalferth unterscheidet folgende Grundarten der Anrede, die sich jeweils noch weiter ausdifferenzieren lassen: »Anrede ist entweder rein oder instruktiv. Reine Anrede beschränkt sich auf die Kontaktfunktion, leistet also nicht mehr, als einen Kontakt zwischen Anredendem und Angeredetem herzustellen. Instruktive Anrede dagegen übermittelt dem Angeredeten über den bloßen Kontakt hinaus Information, an der er sich in seinem Verhalten orientieren kann. Zwei Hauptarten instruktiver Anrede lassen sich unterscheiden, nämlich nichtnormative und normative Anrede. Normative Anrede ist kausatives Sprechhandeln, das (neue) Geltungs- und Handlungsregeln setzt und sonstige neue soziale Fakten schafft (...). Nicht-normative Anrede dagegen ist illokutionäres Sprechhandeln und geschieht sowohl im illokutionären Grundmodus des assertorischen Informierens als auch des direktiven Anweisens« (Ders., aaO. 406). Die Anrede konstituiert als situationskonstituierende Rede je nach ihrer Art verschiedene Situationen, in denen sie den Angeredeten auf sich bezogen sein läßt (vgl. I.U.Dalferth, aaO. 405). Damit aber erweist sich die Antwort als abhängig nicht nur vom Inhalt, sondern auch von der formalen Art der Anrede: »Denn rezipiert wird ja nicht einfach Anrede, sondern immer Anrede einer bestimmten Art. Je nach der Art der Anrede fällt aber auch die Rezeption aus, und entsprechend der Art der Rezeption gestalten sich dann auch Responsion und Reaktion« (aaO. 427).

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Kapitel 5: Ingolf U. Dalferth

Die konstitutive Bindung der Anrede Gottes an die Vermittlung durch eine Anredeerfahrung impliziert eine doppelte Konsequenz: Auf der einen Seite bleibt die Explikation der christlichen Grunderfahrung als Anredeerfahrung unhintergehbar an die Behauptung des ErfahrungsSubjekts gewiesen, etwas als Anrede erfahren zu haben. Damit kommt die Erfahrungsbasis christlicher Glaubensrede immer nur als behauptete Erfahrungsbasis in den Blick31. Auf der anderen Seite erweist sich das Anredemodell so immer als Interpretament, um ein bestimmtes Ereignis a/5 Anrede Gottes einsichtig machen zu können. Das Anredemodell wird vom Erfahrungssubjekt in Anspruch genommen, um seine Erfahrung als Anredeerfahrung explizieren zu können. Es hat seinen Ort daher nicht im begründenden Aufweis des Faktums der Anrede Gottes, sondern in der interpretierenden Explikation christlicher Erfahrung als Anredeerfahrung. Mit dem Aufweis der interpretativen Funktion des Anredemodells richtet sich das Augenmerk auf den zugrunde liegenden Erfahrungsbegriff. Dieser Erfahrungsbegriff erweist sich in doppelter Hinsicht als der Mittelpunkt des Dalferthschen Ansatzes: Auf der einen Seite wird die christliche Grundsituation von Dalferth als Erfahrungssituation bestimmt und über die Vermittlung durch das Anredemodell auf die Erfahrung Jesu als der Anrede Gottes zugespitzt. Damit tritt die Intention Dalferths in den Vordergrund, in der Ausarbeitung der Rezeptionssituation als Erfahrungssituation den Begriff der religiösen Erfahrung als Fokus christlicher Religiosität rehabilitieren zu wollen: Die Religiosität christlicher Glaubensrede wurzelt in einer Erfahrung Jesu als der Anrede Gottes. Auf der anderen Seite bündelt der Erfahrungsbegriff den methodischen Grundansatz Dalferths, mit der situativen Bestimmung christlicher Religiosität ihre Auslieferung an einen allgemeinen Sprachbegriff vermeiden zu wollen. Damit wird der Erfahrungsbegriff als der Ort einsichtig, an dem die epistemologischen Implikationen der These einer nichtsprachlichen Religiosität ihren sachlichen Ausdruck finden. Der Erfahrungsbegriff fungiert in der Weise als methodischer Fokus und inhaltlicher Schlüsselbegriff des Dalferthschen Ansatzes, daß er umgekehrt allgemeine Relevanz auch für die Durchführung des Dalferthschen Programms beanspruchen kann: An der Tragfähigkeit des Erfahrungsbegriffs entscheidet sich die Tragfähigkeit einer situativen Bestimmung christlicher Religiosität. Vor diesem Hintergrund erscheint es auffällig, daß Dalferths Erfahrungsbegriff von einer grundlegenden Spannung geprägt ist, die ihre Wurzel in dem Bemühen hat, zwei gänzlich widerstreitende Intentionen miteinander zu verknüpfen. Beide Intentionen klingen schon in der allgemeinen Umschreibung des Er31

Der Wahrheitsanspruch christlicher Glaubensrede erweist sich damit als in doppeltem Sinne hypothetisch: »Die Analyse der primären Rezeptionssituation und damit der Erfahrungsbasis der christlichen Glaubensrede kann so weder vom Faktum der Anrede Gottes noch vom Faktum der Anredeerfahrung des Rezipienten, sondern einzig vom Faktum der Behauptung einer solchen Anredeerfahrung ausgehen mit allen Konsequenzen, die dies beinhaltet« (I.U. Dalferth, aaO. 394).

2. Die Religiosität religiöser Rede

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fahrungsphänomens an: Auf der einen Seite betont Dalferth die - zudem nur durch die »Selbstäußerung des Erfahrungssubjekts« (444) zugängliche - »Unmittelbarkeit eigentlicher, direkter Erfahrung, die >aus dem unmittelbaren Empfangen eines Gegenstandes entspringt« (446)32. Auf der anderen Seite steht dieser Unmittelbarkeitsthese die Einsicht in die Notwendigkeit ihrer sprachlichen Vermittlung gegenüber, um so mitteilbar und verständlich sein zu können: »Erfahrungen ... müssen, um sprachlich mitgeteilt werden zu können, in einem Medium artikuliert werden, das allgemeinen Charakter hat« (445)33. Diese Ambivalenz zwischen direkter Unmittelbarkeit und sprachlicher Vermittlung spiegelt sich dann vor allem in der für Dalferth grundlegenden Unterscheidung zwischen Erfahrung und Wahrnehmung34. Dabei leistet die Wahrneh32

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Dalferth unterscheidet in der Weise zwischen direkter und indirekter Erfahrung, daß die letztere sich als durch diskursive Operationen vermittelt erweist, während die erstere auf die Unmittelbarkeit der in der primären Rezeptionssituation sich ereignenden Anredeerfahrung zugespitzt wird: Nur die direkte Erfahrung »ist Erfahrung im eigentlichen Sinn, während alles diskursive Operieren auf ihrer Basis erst stattfinden kann (...)· Auch die Erfahrung der Anrede Gottes ist in diesem Sinn als direkte Erfahrung zu bestimmen, da die primäre Rezeptionssituation durch eine Direktheit und Unmittelbarkeit ausgezeichnet ist, die diskursives Schlußfolgern nur als sekundäres Phänomen beinhaltet« (Ders., aaO. 446). Diese Unmittelbarkeitsthese erscheint schon von daher verwunderlich, daß die Explikation der Anredeerfahrung als Erfahrung der Anrede Gottes doch immer schon durch ein interpretatives Modell vermittelt ist. Dalferth unterscheidet scharf »zwischen intersubjektiv mitteilbarer und intersubjektiv nachprüfbarer Erfahrung« (Ders., aaO. 446), um so dem Sinnlosigkeitsverdikt des empiristischen Verifikationismus zu entgehen. Im Zusammenhang der Explikation der christlichen Erfahrungsbasis kommt es ihm zunächst darauf an, daß die Anredeerfahrung »aufgrund ihrer sprachlichen Artikulation Anspruch auf Intelligibilität und Verständlichkeit erhebt« (aaO. 446); die Aufgabe der Prüfung des damit verknüpften Wahrheitsanspruches kommt demgegenüber erst später in den Blick. Allerdings stellt diese strikte Unterscheidung zwischen Mitteilbarkeit und Nachprüfbarkeit insofern vor Schwierigkeiten, als der für die Sicherung der Intelligibilität vorausgesetzte epistemologische und semantische Interpretationsrahmen von der Prüfung des Wahrheitsanspruches her - die sich ja auf seiner Grundlage vollzieht - nicht mehr zugänglich ist und so einer kritischen Reflexion entzogen bleibt. Dalferth geht von der These aus, »daß erfahren immer heißt, etwas als etwas erfahren« (Ders., aaO. 447), und findet die formale Grundstruktur des Erfahrungsbegriffs mithin in der Satzform >S erfährt E als X< (aaO. 447). Dabei wird >S< als das personale Erfahrungssubjekt bestimmt, dem eine Erfahrung zuzusprechen ist, während >E< das - semiotisch vermittelte - Erfahrungsobjekt bezeichnet, das in einer Erfahrung als prepositional strukturiertes >X< erfahren wird. Die Erfahrung stellt sich so als eine Relation zwischen Person und Sachverhalt dar: >S erfährt, daß p< (vgl. aaO. 451). Das für die Interpretativität des Erfahrungsbegriffs konstitutive Verhältnis zwischen >E< und >X< findet seine Ausarbeitung in der Unterscheidung zwischen Erfahrung und Wahrnehmung. Sie hat ihre Pointe darin, daß erst die Erfahrung - über die semiotisch vermittelte Wahrnehmung hinaus - auf sprachliches Handeln bezogen ist: »Erfahrung gibt es im Unterschied zu Wahrnehmung erst da, wo prädizierend und referenzialisierend, und d.h. sprachlich gehandelt wird« (aaO. 457). Damit bereitet Dalferth eine sprachinterne Wende vor und handelt sich zugleich das Problem ein, wie es möglich sein soll, von dieser Sprachinternalität aus auf eine nichtsprachliche Wahrnehmung oder gar eine durch sie semiotisch vermittelte Wirklichkeit zugreifen zu können.

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mung die semiotische Erschließung der Wirklichkeit durch die Konstituierung des Einzelnen als eines besonderen Etwas vor dem Hintergrund der es umgebenden Komplexität35, während die Erfahrung gerade umgekehrt das wahrgenommene Einzelne mit der sprachlichen Aufnahme und Interpretation in einen übergreifenden Strukturzusammenhang einfügt und so die in der Wahrnehmung semiotisch atomisierte Wirklichkeit als ein geordnetes Ganzes rekonstruiert36. Die konstitutive Interpretativität des Erfahrungsbegriffs liegt also darin, daß die Erfahrung im Vollzug ihrer propositionalen Strukturierung der Wirklichkeit ein wahrgenommenes Einzelnes innerhalb eines allgemeinen Erfahrungshorizonts verortet, mit anderen Erfahrungen verknüpft und so erst als Erfahrung bestimmt: »Das als ein Etwas identifizierte Etwas der Wahrnehmung wird folglich dadurch zu einem Erfahrungsobjekt, daß es propositional strukturiert, und d.h. als etwas interpretiert wird« (460)37. Damit spitzt sich die Differenz zwischen Wahrneh35

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In der Wahrnehmung kommt es so zu einem Zusammenwirken von affizierter Rezeptivität und konstruktiver Aktivität; die Wahrnehmung setzt eine gegebene Mannigfaltigkeit voraus, innerhalb deren sie etwas als ein Etwas erfaßt und so semiotisch konstituiert: »Wahrnehmung ist die semiotische Erschließung der raumzeitlich gegenwärtigen Welt. Sie erschließt diese, indem sie die Komplexität eines vorgegebenen und sie affizierenden Etwas dadurch reduziert, daß sie es als ein besonderes Etwas semiotisch konstituiert, dadurch im Wahrnehmungsbereich identifiziert und eben so als besonderes Einzelnes in einen Zeichenkontext integriert, an dem sich das Wahrnehmungssubjekt in seinem Erkennen und Handeln orientieren kann« (Ders., aaO. 460). Die Erfahrung hat die Funktion, im Vollzug ihrer Tätigkeiten des Referenzialisierens und Prädizierens das wahrgenommene Einzelne propositional zu strukturieren und so die in der Wahrnehmung gesetzte Vereinzelung der Welt in ein sprachlich vermitteltes Ordnungsgefüge aufzuheben. Durch diese Aufnahme der Wahrnehmung in einen vorgängigen Strukturzusammenhang leistet die Erfahrung zwar die sprachliche Konstruktion der Wirklichkeit, bleibt aber dennoch auf die Gegebenheit der Wahrnehmung angewiesen: »Erst wo die Welt referenzialisierend und prädizierend durch die Setzung elementarer Unterscheidungen propositional strukturiert und damit sprachlich geordnet wird, kann es Erfahrung und damit die Fähigkeit zuverlässiger Orientierung in der Welt geben (...). Aber erst wo die Welt durch die Wahrnehmung semiotisch erschlossen und vergegenwärtigt und damit als sinnliche Mannigfaltigkeit gegeben ist, können durch die sprachlichen Handlungen des Referenzialisierens und Prädizierens diese Unterscheidungen gesetzt werden« (Ders., aaO. 457). Dalferth unterscheidet nach Maßgabe ihrer Komplexität drei verschiedene Ebenen der Interpretativität des Erfahrungsbegriffs: (1) Zunächst impliziert jede Erfahrungstradition bestimmte Prädikatoren, »die mittels der porpositionalen Strukturierung von Wahrnehmungen zur Konstitution von Erfahrung und in diesem Sinn zur Beschreibung von Welt dienen« (Ders., aaO. 463). Sie repräsentieren mithin die grundlegenden Unterscheidungen, mit Hilfe derer das wahrgenommene Einzelne propositional strukturiert und so überhaupt als Erfahrung bestimmt werden kann. (2) Auf der nächsten Ebene finden sich Modelle, die »der Organisierung und systematischen Strukturierung der durch die Prädikationshandlungen konstituierten Einzelerfahrungen« (aaO. 464) verpflichtet sind. Sie fungieren als interpretative Matrizen, die einzelne Erfahrungen in einen umfassenderen Zusammenhang einfügen und von dort her in ihrer spezifischen Bedeutung bestimmen. Auf diese Weise wird die in der Wahrnehmung gesetzte Vereinzelung in die Rekonstruktion eines übergreifenden Strukturzusammenhangs der Wirklichkeit aufgehoben. (3) Über den Modellen schließlich stehen die Paradigmen, die jeweils verschiedene »Modelle der Erfahrung in Standardformen der Erfahrungsorganisation« (aaO. 465) integrieren. Sie stellen damit - historisch und sozial vermittelt - die epistemologischen Prämissen bereit, unter deren Voraussetzung

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mung und Erfahrung darauf zu, »daß erstere die semiotische Erschließung, letztere dagegen die propositionale Strukturierung der Wirklichkeit leistet« (457). Dalferth unternimmt mit dieser Unterscheidung den Versuch, die konstitutive Interpretativität der Erfahrung und damit die Abhängigkeit der kognitiven Verarbeitung einer Wahrnehmung von ihrer Einfügung in einen vorgängigen Interpretationsrahmen zuzugestehen, ohne zugleich auf die Möglichkeit einer korrespondenztheoretisch abgestützten und insofern über die Schranken sprachlich vermittelter Interpretativität hinausgehenden Begegnung mit einem personalen Gegenüber verzichten zu müssen. Auf der einen Seite steht die intemalistisch anmutende Einsicht in die unhintergehbare Vorgängigkeit sprachlich vermittelter Erfahrungstraditionen, die die einzelne Wahrnehmung im Kontext eines immer schon in Geltung stehenden Interpretationsrahmens aufnehmen und erst vor diesem Hintergrund als Erfahrung zur Geltung bringen: »Erfahrung ist daher wesentlich Interpretation von Wahrnehmung im Licht einer je spezifischen Erfahrungstradition, die entscheidend mitbestimmt, welche Unterscheidungen prädizierend in der semiotisch erschlossenen Welt gesetzt und damit als Wirklichkeit akzeptiert werden« (461f.)38. Die Konstitution der Erfahrung durch die interpretierende Aufnahme einzelner Wahrnehmungen in einen übergreifenden Strukturzusammenhang und die Bindung dieses Interpretationsgeschehens an die Vorgängigkeit eines immer schon in Geltung stehenden Erfahrungshorizonts münden in die Konsequenz, auf die Annahme einer uninterpretiert zugänglichen Wirklichkeit verzichten zu müssen. Stattdessen eröffnet die sprachlich zugespitzte Interpretativität des Erfahrungsbegriffs die Möglichkeit, an die Stelle des klassischen Korrespondenzmodells eine

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einzelne Erfahrungen gemacht und in bestimmte Modelle integriert werden können, und erfüllen so zugleich die Funktion, Neues entweder auszuschließen oder von der Grundlage des Bekannten her zu verstehen. Vor dem Hintergrund dieser Ebenenunterscheidung wird deutlich, daß die Interpretativität des Erfahrungsbegriffs keine subjektive Beliebigkeit impliziert, sondern gerade umgekehrt als konstitutives Strukturmerkmal der Erfahrungserkenntnis fungiert: »Das von der Erfahrung nicht zu trennende Interpretationsgeschehen ist also kein subjektiv-willkürliches Bewerten, sondern ein immer schon historisch tradierter, sozial vermittelter und im Sozialisationsprozeß eingeübter Vorgang, der auf seine intersubjektive Gültigkeit hin mit Kriterien überprüft werden kann, die in der jeweiligen Erfahrungstradition spezifiziert sind« (aaO. 466). Die verschiedenen Ebenen der Erfahrungsinterpretativität dürfen daher auch nicht im Sinne einer aufsteigenden Hierarchie verstanden werden, als sei die einzelne Erfahrung zunächst für sich zugänglich und werde erst dann in jeweils verschiedene Modelle integriert, die sich ihrerseits nochmals in Paradigmen aufheben ließen. Statt dessen ist das Grundlegungsverhältnis gerade umgekehrt zu bestimmen: Die einzelne Erfahrung wird erst vor dem Hintergrund eines spezifischen Modells als Erfahrung strukturiert, das seinerseits immer schon in einem bestimmten Paradigma verwurzelt ist. Entscheidend für den Erfahrungsbegriff ist mithin das von Dalferth als > Interpretation < bezeichnete »Einordnungsgeschehen« (Ders., aaO. 462), das eine Erfahrung immer schon auf einen vorgängigen Strukturzusammenhang bezogen sein läßt: »Eine Wahrnehmung wird ... immer im Kontext eines ganzen Systems von Erfahrungen interpretiert« (aaO. 461).

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konstruktivistisch ausgerichtete Verhältnisbestimmung von Sprache und Wirklichkeit zu setzen. Mit seiner These einer propositionalen Strukturierung der Wirklichkeit hat Dalferth den Punkt erreicht, an dem es sich nahelegt, auf ein realistisches Verständnis jenes Gegenübers grundsätzlich zu verzichten. Die interpretative Struktur des Erfahrungsbegriffs läßt die der Sprache gegenüberstehende Wirklichkeit gleichwohl als eine immer schon sprachlich vermittelte Wirklichkeit erscheinen, so daß sie nicht mehr sinnvoll als sprachunabhängig zur Geltung gebracht werden kann. Auf der anderen Seite aber versucht Dalferth doch wieder mit seinem Wahrnehmungsbegriff die Reichweite der Erfahrungsinterpretativität einzuschränken. Die Wahrnehmung übernimmt die der Erfahrung notwendig vorausgehende Aufgabe einer semiotischen Erschließung der Wirklichkeit. Damit vollbringt sie zwar eine spezifische Vermittlungsleistung, bleibt aber dennoch in der Weise auf eine vorgegebene Mannigfaltigkeit bezogen, daß sie sie vor ihrer propositionalen Strukturierung als Etwas identifizieren zu können beansprucht. Die Wahrnehmung nimmt so eine eigentümliche Zwischenstellung ein: Wohl ist die vorgegebene Mannigfaltigkeit nur als semiotisch vermitteltes Einzelnes zugänglich; dennoch wird dieses Einzelne erneut seiner sprachlichen Strukturierung vorgeordnet und stellt sich insofern als der unvermittelte Verknüpfungspunkt zwischen Sprache und Wirklichkeit dar. Die Verdopplung von Erfahrung und Wahrnehmung scheint sich der Intention zu verdanken, trotz des Eingeständnisses struktureller Interpretativität einen letzten Punkt ausfindig machen zu wollen, der sich - in der Wahrnehmung verortet - der sprachlichen Interpretativität entzieht. Das realistische Gegenüber von Sprache und Welt soll es ermöglichen, die These einer in der christlichen Anredeerfahrung sich ereignenden personalen Begegnung so zur Geltung zu bringen, daß die der sprachlichen Interpretation vorgängige direkte Unmittelbarkeit gewahrt bleibt. Der Wahrnehmungsbegriff umschreibt mithin den nichtsprachlichen, wenngleich semiotisch vermittelten Ort einer Verknüpfung zwischen Wahrnehmungssubjekt und Wirklichkeit, der es erlaubt, die in der primären Rezeptionssituation sich ereignende Anredeerfahrung auf den Kern einer - ihrer sprachlichen Interpretation als Anredeerfahrung immer schon vorausgehenden personalen Begegnung zu gründen. Der Begriff der Wahrnehmung weist so in seiner Unterscheidung vom Erfahrungsbegriff auf die Intention Dalferths, die religiöse Erfahrung als die interpretative Verarbeitung eines Geschehens zu explizieren, das seinen Grund in einer jenseits der sprachlichen Interpretativität liegenden personalen Begegnung mit Gott findet. Dalferths Erfa/irungsbegriff ist damit von der Spannung durchzogen, auf der einen Seite die konstitutive Interpretativität sprachlich vermittelter Erfahrung zugestehen zu wollen, ohne auf der anderen Seite die Vorstellung eines Gegenübers von Sprache und Welt preisgeben zu müssen. Diese Spannung versucht er durch die Unterscheidung zwischen Erfahrung und Wahrnehmung auszugleichen, verlagert sie so jedoch lediglich auf die Ebene des Wahr-

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nehmungsbegriffs: Diese leistet zwar die semiotische Erschließung und Vermittlung der Wirklichkeit, bildet aber zugleich die Grenze der Reichweite sprachlicher Interpretativität und übernimmt so die Rolle eines letzten Verknüpfungspunktes zwischen Sprache und Wirklichkeit. Mit dieser Konzeption verstrickt sich Dalferth in weitreichende Schwierigkeiten. Sein Zugeständnis einer konstitutiven Sprachlichkeit der Erfahrung und das Festhalten an einem Gegenüber von Sprache und Welt erweisen sich als unvereinbar. Doch unabhängig davon bildet Dalferths eigentümliche Unterscheidung zwischen Wahrnehmung und Erfahrung das erkenntnistheoretische Fundament für die Explikation der christlichen Anredeerfahrung. Es ergeben sich also zwei grundlegende Fragen, die für die folgenden Ausführungen im Auge zu behalten sind: (1) In welcher Weise bringt Dalferth die Unterscheidung zwischen Erfahrung und Wahrnehmung in Anschlag, um die nichtsprachlich strukturierte Situativität der primären Rezeptionssituation mit ihrer sprachlichen Explikation als Anredeerfahrung vermitteln zu können? (2) In welcher Weise gelingt es ihm, seinen sprachlich ausgerichteten Erfahrungsbegriff so in eine Konzeption der Religiosität aufzuheben, daß er dem Vorwurf entgehen kann, diese Religiosität doch wieder an eine allgemeine Konzeption der Sprachlichkeit ausgeliefert zu haben?

Mit der Entfaltung von Anredemodell und Erfahrungsbegriff hat Dalferth sein begriffliches Instrumentarium ausgearbeitet, um nun die christliche Grunderfahrung als Anredeerfahrung explizieren und auf die Erfahrung Jesu als der Anrede Gottes zuspitzen zu können. Dabei werden Anrede und Erfahrung in der Weise miteinander verknüpft, daß in der spezifischen Art ihrer Bezogenheit auf die Vorgänge um Jesus von Nazareth die situative Grundstruktur christlicher Religiosität einsichtig wird. Dalferth nimmt seinen Ausgangspunkt bei der These, daß »alle christliche Glaubensrede ... in der Erfahrung Jesu als der Anrede Gottes« (469) gründet. Diese Anredeerfahrung - zugespitzt auf die primäre Rezeptionssituation - läßt sich in die beiden Komponenten von Anrede und Erfahrung zerlegen und von der allgemeinen Bestimmung dieser beiden Begriffe her explizieren. So impliziert der Erfahrungsbegriff die sprachlich vermittelte Interpretation einer Wahrnehmung39. Das Anredemodell hingegen wird als explikatives Interpretament in Anspruch genommen, um eine Erfahrung als Anredeerfahrung einsichtig machen zu können. Damit richtet sich das Augenmerk vornehmlich auf die beiden Fragen, auf welche Wahrnehmungen sich die Anredeerfahrung stützt und in welcher Weise diese Erfahrung durch das Interpretament des Anredemodells vermittelt ist. Dalferth setzt zunächst ein bei der Wahrnehmungsbasis der christlichen Grunderfahrung. Dabei handelt es sich um die Erfahrungen bestimmter Personen mit der historisch konturierbaren Person Jesus von Nazareth. Auf diese Weise wird die Wahrnehmungsbasis selbst als Erfahrung expliziert und als ein

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Vgl. I.U. Dalferth, aaO. 469: »Eine Erfahrung machen heißt nun aber, eine Wahrnehmung oder eine schon zu einer Erfahrung verarbeitete Wahrnehmung als etwas Bestimmtes zu interpretieren und es so in einen umfassenderen Erfahrungs- und Verstehenszusammenhang zu integrieren«.

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relationales Beziehungsgefüge zwischen zwei Größen aufgefaßt: »Der Glaube hat seinen historischen Fußpunkt nicht in Jesus, sondern in einer bestimmten Beziehung bestimmter Menschen zu Jesus. Er basiert nicht auf einer isolierten Größe, sondern auf einem Beziehungsgefüge zwischen zwei Größen. Er gründet damit nicht einfach in einem durch Jesus markierten historischen Punkt, sondern in einem Geschehen zwischen Jesus auf der einen und Menschen, die ihn als Anrede Gottes erfuhren, auf der anderen Seite« (469f.). Dieses auf der Ebene der Wahrnehmung lokalisierte Geschehen zwischen Jesus und den auf ihn bezogenen Personen wird in doppelter Weise interpretativ vermittelt und so als Erfahrung bestimmt: Zunächst wird das wahrgenommene Beziehungsgefüge als Erfahrung Jesu als Anrede expliziert und sodann auf die Erfahrung Jesu als der Anrede Gottes zugespitzt. Damit wird die Relation zwischen Jesus und den auf ihn bezogenen Personen als ein Ereignis einsichtig, in dem diese Personen Jesus als die Anrede Gottes erfahren haben. Als paradigmatische Situation dieser Erfahrung erweist sich Pfingsten: »Die Pfingsterfahrung ist daher die christliche Grunderfahrung und als solche Erfahrungsbasis christlicher Glaubensrede, weil sie gerade dadurch charakterisiert ist, daß Menschen das ganze Leben und Sterben Jesu als Anrede Gottes an sich verstanden« (470). Die situative Grundstruktur der primären Rezeptionssituation läßt sich mithin in der folgenden Weise zusammenfassen: Die historische Wahrnehmungsbasis der als >Pfingsterfahrung< gekennzeichneten christlichen Erfahrungsbasis bildet eine Relation zwischen Jesus und bestimmten Personen, die dieses Geschehen unter Rekurs auf das Anredemodell zunächst als Anrede interpretieren, sodann auf die Anrede Gottes zuspitzen und so als Erfahrung Jesu als der Anrede Gottes einsichtig machen. Dalferth verknüpft somit Anredemodell und Erfahrungsbegriff in der Weise, daß die Wahmehmungsbasis eines relationalen Geschehens zwischen Jesus und bestimmten Personen im Rekurs auf das Anredemodell als die Erfahrung Jesu als der Anrede Gottes expliziert wird: Die Grundsituation christlicher Religiosität erweist sich als die durch das Anredemodell vermittelte Erfahrung Jesu als der Anrede Gottes. Mit dieser auf die christliche Anredeerfahrung ausgerichteten Verknüpfung von Anredemodell und Erfahrungsbegriff spitzt sich nun jedoch die Problematik des Dalferthschen Grundansatzes zu: Das Begegnungsmodell wird von Dalferth als Interpretament in Anspruch genommen, um eine bestimmte Wahrnehmung als Anredeerfahrung explizieren zu können. Erst vermittelt durch diese Interpretation wird die Relation zwischen Jesus und den zu ihm in Beziehung stehenden Personen als Erfahrung konstituiert: Die Erfahrung Jesu ist als Erfahrung immer schon eine als Anredeerfahrung explizierte Erfahrung. Damit aber ist die Anredeerfahrung auch immer schon sprachlich vermittelt, insofern ihre Bestimmung als Anredeerfahrung die sprachliche Strukturierung einer Wahrnehmung voraussetzt. Somit ergibt sich für Dalferth das Problem, diese sprachliche Vermittlung mit seiner These einer nichtsprachlich strukturier-

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ten Situativität ausgleichen zu müssen. Er geht zwar von der Zielsetzung aus, die Religiosität religiöser Äußerungen in ihrer nichtsprachlichen Situativität zu verankern. Die Grundstruktur dieser Situativität expliziert er als Situation der Erfahrung Jesu als der Anrede Gottes. Doch diese Erfahrung wird nur über ihre sprachlich vermittelte Interpretation als Anredeerfahrung zugänglich. Ohne Rekurs auf das Anredemodell gibt es keine Anredeerfahrung; das auf der Wahrnehmungsebene lokalisierte Geschehen zwischen Jesus und zu ihm in Beziehung stehenden Personen wird erst auf der Grundlage des Anredemodells und damit sprachlich vermittelt als Anredeerfahrung zugänglich. Dalferth verstrickt sich mithin in eine Aporie: Auf der einen Seite gesteht er die strukturelle Interpretativität sprachlich vermittelter Erfahrung zu und nimmt das Begegnungsmodell als explikatives Interpretament der christlichen Grunderfahrung in Anspruch. Daraus ergibt sich die notwendige Konsequenz, auf einen Rückgang hinter die sprachlich vermittelte Interpretation der Grundsituation als Anredeerfahrung verzichten zu müssen. Ohne die interpretative Vermittlung als Anredeerfahrung gibt es keine Erfahrung, so daß sich umgekehrt die Anredeerfahrung immer schon als eine sprachlich vermittelte Erfahrung erweist. Auf der anderen Seite verpflichtet ihn seine Intention, die Religiosität christlicher Glaubensrede ihrer allgemeinen Sprachlichkeit zu entziehen, zu dem Schluß, sie in einer nichtsprachlich strukturierten Situation verankert zu sehen. Aus diesem Grund hält Dalferth an der These eines Zugangs zur nichtsprachlichen Situativität fest. Dabei wird zunächst der Wahrnehmungsbegriff bemüht, um das der sprachlichen Interpretativität Vorgegebene erfassen zu können; sodann greift er auf ein korrespondenztheoretisches Gegenüber von Sprache und Welt zurück, das der Reichweite jener sprachlichen Interpretativität definitive Grenzen setzt. Dalferths kerygmatisch bestimmte Intention, von Gott immer nur rezeptiv im Modus seiner Erfahrung reden zu wollen, führt ihn zu der Einsicht in die strukturelle Interpretativität des Erfahrungsbegriffs. Umgekehrt verpflichtet ihn seine auf die Exklusivität der Offenbarung Gottes ausgerichtete Intention, die Religiosität religiöser Glaubensrede im Gegenzug zu ihrer allgemeinen Sprachlichkeit bestimmen zu wollen, auf die These eines sprachlichen Zugangs zur nichtsprachlichen Wahrnehmung. Beide Intentionen treffen sich in dem Bemühen, die unverfügbare Vorgängigkeit Gottes in der Form festzuschreiben, daß das Gegenüber der als Anrede interpretierten Begegnung einer sprachlichen Vereinnahmung entzogen bleibt. Gerade aus diesem Grund aber muß das Dalferthsche Programm scheitern: Sowohl die These eines sprachlichen Zugangs zur nichtsprachlichen Wahrnehmung als auch der Rückfall in ein korrespondenztheoretisches Gegenüber von Sprache und Welt erweisen sich als selbstreferentiell inkonsistent. Damit tritt zugleich die Vernachlässigung der selbstreferentiellen Perspektive als der entscheidende Fehler Dalferths hervor. So erhebt er den Anspruch, die analytische Unterordnung der Religiosität religiöser Äußerungen unter einen all-

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gemeinen Sprachbegriff in der Weise aufzubrechen, daß die Religiosität in einer nichtsprachlich strukturierten Situativität verankert wird. Diese Situativität wird von ihm - zugespitzt auf die primäre Rezeptionssituation - unter Rekurs auf das Anredemodell und den Erfahrungsbegriff als Situation der Erfahrung Jesu als der Anrede Gottes expliziert und als Grundsituation christlicher Religiosität aufgefaßt. Dabei zeigt sich jedoch, daß diese Bestimmung der christlichen Religiosität eine allgemeine Konzeption von Erfahrung und Anrede voraussetzt, die von der Perspektive der christlichen Glaubensrede her nicht mehr eingeholt werden kann. Gerade der Erfahrungsbegriff mit seiner Verknüpfung von nichtsprachlicher Wahrnehmung und sprachlicher Interpretation erweist sich als allgemeiner Rahmen, der auf die Problematik religiöser Rede und religiöser Erfahrung lediglich äußerlich übertragen wird, ohne umgekehrt von der Perspektive der Religiosität aus vermittelt zu werden. Ihren deutlichen Ausdruck findet dieses Versäumnis in der Ausrichtung auf die Existenzpräsuppositionen christlicher Glaubensrede: Hier zeigt sich, daß Dalferth einem korrespondenztheoretischen Gegenüber von Sprache und Welt und damit einem allgemeinen Sprachbegriff verhaftet bleibt, den er sich selbst nicht mehr durchsichtig zu machen vermag. Diese Aporie hat ihren Grund in der Vernachlässigung der selbstreferentiellen Perspektive: Dalferth behauptet eine nichtsprachliche Verankerung der Religiosität religiöser Glaubensrede, ohne sich darüber Rechenschaft abzulegen, in welcher Weise diese These selbst wieder sprachlich vermittelt ist.

2.3 Die christliche Grundbehauptung der Existenz Gottes Nachdem Dalferth unter Rekurs auf das Anredemodell und den Erfahrungsbegriff die Grundstruktur der primären Rezeptionssituation auf die Erfahrung Jesu als der Anrede Gottes zugespitzt hat, stellt sich ihm nun die abschließende Aufgabe, die Implikationen dieser situativen Bestimmung auf der Ebene christlicher Glaubensrede aufzuweisen. Damit schlägt Dalferth die Brücke von der Explikation der Erfahrungsbasis religiöser Rede zu der Frage nach ihrer Begründung. Zugleich jedoch wird deutlich, daß die Sprachlichkeit religiöser Rede ihrer situativ bestimmten Religiosität gegenüber äußerlich bleibt: Die von Dalferth aufgewiesenen Bedingungen der Propositionalität religiöser Glaubensrede bleiben ohne Vermittlung mit dem Erfahrungsbegriff; stattdessen tritt ein ungebrochenes Korrespondenzmodell des Gegenübers von Sprache und Welt in den Vordergrund. Die christliche Grunderfahrung findet ihren sprachlichen Ausdruck in der christlichen Grundbehauptung als des Selbstzeugnisses dessen, der eine solche Erfahrung gemacht zu haben behauptet. Damit erhebt diese Grundbehauptung einen Wahrheitsanspruch, der unter bestimmten Bedingungen steht. Dalferth unterscheidet hier zwischen definitionalen und kriterialen Bedingungen. Die de-

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finitionalen Bedingungen umschreiben die Voraussetzungen, die notwendig erfüllt sein müssen, damit eine Behauptung überhaupt zu Recht einen Wahrheitsanspruch erheben kann. Mit ihnen steht die Möglichkeit einer Aussage auf dem Spiel, wahr oder falsch sein zu können und so als wahrheitsdefinite Aussage zu gelten. Die kriterialen Bedingungen hingegen benennen die Umstände, deren Erfüllung eine Aussage tatsächlich als wahr ausweist. Während erst diese kriterialen Bedingungen als hinreichend für die Wahrheit einer Aussage gelten können, umschreiben die defmitionalen Bedingungen lediglich die notwendigen Voraussetzungen eines Wahrheitsanspruchs. Es müssen zusätzliche Bedingungen erfüllt sein, um eine Behauptung als nicht nur wahr oder falsch, sondern tatsächlich wahr ausweisen zu können. Dalferth richtet sein Augenmerk vornehmlich auf die erste Klasse von Bedingungen: Insofern mit ihnen die Propositionalität religiöser Aussagen auf dem Spiel steht, entscheiden sie über die Stichhaltigkeit des analytischen Sinnlosigkeitsverdikts. Der Aufweis der notwendigen Bedingungen eines Wahrheitsanspruches religiöser Äußerungen bereitet somit den Boden, um die weitergespannte religionsphilosophische Auseinandersetzung um die Wahrheitsfähigkeit und Kognitivität religiöser Rede in den Blick bekommen zu können. Dalferth sieht die für die Wahrheitsfähigkeit religiöser Rede notwendigen Bedingungen in einer Reihe von drei Existenzpräsuppositionen zusammengefaßt, die er in der christlichen Grundbehauptung impliziert findet: »So präsupponiert sie, daß es (1.) eine Person A gibt, die behauptet, Jesus als die Anrede Gottes erfahren zu haben; (2.) eine Person Jesus gibt, die von A als Anrede Gottes erfahren wird; (3.) Gott gibt, der von A als Subjekt der Anrede, als die er Jesus erfährt, erfahren wird« (473). Diese Existenzpräsuppositionen bilden die notwendige Voraussetzung der Wahrheitsfähigkeit der christlichen Grundbehauptung: »Nur wenn diese drei Existenzpräsuppositionen wahr sind, kann die christliche Grundbehauptung wahr oder falsch sein« (473). Dabei stellen die beiden ersten Existenzpräsuppositionen vor keine besonderen Schwierigkeiten: Die Existenz von A folgt aus der Tatsache, daß es das Bekenntnis zu Jesus als dem Christus gibt, und die Existenz Jesu kann als von der historischen Wissenschaft mit hinreichender Sicherheit erwiesen gelten. Bei der dritten Existenzpräsupposition hingegen liegen die Dinge anders: Denn sie stellt nicht nur vor die Frage nach der Existenz Gottes, sondern behauptet zugleich, daß das Subjekt der Anrede, als die A Jesus erfährt, mit diesem Gott identisch ist. Zudem impliziert schon die quantorenlogische Form der Existenzaussage die Aufgabe, >Gott< so als sortalen Prädikator zu explizieren, daß sich daraus die identifizierende Beschreibung eines Gegenstandes gewinnen laßt: »Damit aber stellt sich als das Grundproblem der dritten Existenzpräsupposition der christlichen Grundbehauptung heraus, daß die Identifizierbarkeit des als >Gott< bezeichneten Subjekts der in Jesus erfahrenen Anrede zu erweisen ist... Denn die Überprüfung der Wahrheit einer Existenzbehauptung setzt die Identifizierbarkeit dessen voraus, dessen Existenz behauptet wird« (475). Für die Wahrheitsfähigkeit der christlichen Grundbehauptung ergibt sich daraus ein doppelt gestuftes Bedingungsgefüge: Sie setzt zunächst, um zu Recht einen Wahrheitsanspruch erheben zu können, die Presupposition der Existenz Gottes voraus, während diese ihrerseits, um als wahr behauptet werden zu können, auf eine identifizierende Beschreibung für >Gott< angewiesen ist. Allerdings ist es für den Wahrheitsanspruch der christlichen Grundbehauptung hinreichend, die Wahrheit der Existenzpräsupposition Gottes behaupten zu können, ohne sie auch einlösen zu müssen: »Die Aussage >Gott existiert< ist ... nur wahr, wenn sie (a) wahr sein kann, und d.h. wenn es eine konsistente und nicht selbstwidersprüchliche identifizierende Beschreibung für Gott gibt, und wenn diese (b) nicht leer ist, sondern auf etwas zutrifft. Eine solche Beschreibung zu formulieren, nicht aber den Nachweis zu erbringen, daß sie auf etwas zutrifft, ist die

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Hauptaufgabe der Theologie, die sich infolgedessen nicht um die Wahrheit, sondern um die Verständlichkeit und damit die Möglichkeit der Wahrheit (und Falschheit) der Existenz Gottes zu sorgen hat« (477)40.

Die christliche Grundbehauptung impliziert als notwendige Bedingungen ihres Wahrheitsanspruches drei Existenzpräsuppositionen, von denen sich zwei historisch als wahr ausweisen lassen, während die dritte nur als wahr behauptet werden kann. Sie erhebt damit einen Wahrheitsanspruch, »der selbst als Anspruch nicht durch Wahrheiten, sondern durch Wahrheitscwj/jrwc/ie legitimiert ist« (477). Aus diesem Grund rückt die Behauptung der Existenz Gottes in den Mittelpunkt der theologischen Reflexion. Dalferth faßt »die zentrale Aufgabe jeder Theologie« (ebd.) in folgende zwei Punkte zusammen: »Sie hat erstens die Identifizierbarkeit Gottes zu gewährleisten, indem sie z.B. durch eine identifizierende Beschreibung verständlich macht, wer oder was mit >Gott< gemeint ist, und damit die logische Möglichkeit der Wahrheit (oder Falschheit) von >Gott existiert< garantiert. - Sie hat aber zweitens zu zeigen, daß es falsch ist, daß dieser identifizierenden Beschreibung nichts entsprechen kann oder entspricht, so daß - wenn schon nicht die Wahrheit von >Gott existierte erwiesen werden kann - wenigstens die Möglichkeit ihrer Wahrheit durch Widerlegung angeblicher Aufweise ihrer Falschheit garantiert bleibt« (477f.)4». Mit seiner Konzeption einer in der christlichen Grundbehauptung notwendig vorausgesetzten, aber zugleich nur als Wahrheitsanspruch in Geltung stehenden Existenzpräsupposition Gottes schlägt Dalferth die Brücke von der Explikation der christlichen Erfahrungsbasis zur Frage nach der Wahrheit der in ihr verankerten Glaubensrede. Dabei führt er zunächst die Religiosität christlicher Glaubensrede auf eine Situation der Erfahrung Jesu als der Anrede Gottes zurück, 40

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Allerdings ist mit der Ausarbeitung einer identifizierenden Beschreibung für >Gott< die weitere Aufgabe verknüpft, diesen Gott als identisch mit dem Subjekt zu erweisen, als dessen Anrede Jesus von A zu erfahren behauptet wird: »Es geht um eine identifizierende Beschreibung nicht irgendeines, sondern genau des Gottes, von dem behauptet wird, er sei das Subjekt der in Jesus erfahrenen Anrede« (I.U. Dalferth, aaO. 477). Über diese drei notwendigen Bedingungen des Wahrheitsanspruches der christlichen Grundbehauptung hinaus benennt Dalferth auch noch drei hinreichende Bedingungen, deren Erfüllung die Grundbehauptung als wahr ausweist: »(4.) A kennt Jesus; (5'.) A erfährt, daß Jesus die Anrede Gottes an ihn ist; (6'.) Jesus ist die Anrede Gottes an ihn« (Ders., aaO. 479). Während nun die erste Bedingung empirisch überprüft werden kann und sich die zweite nicht bestreiten läßt, solange die Präsupposition der Existenz Gottes und die dritte Behauptung nicht widerlegt sind, bildet erneut die dritte Bedingung den neuralgischen Punkt: »Daß (6'.) wahr ist, kann nun aber nicht gezeigt, sondern nur behauptet werden, so daß sich auch hier der irreversibel assertorische Charakter christlicher Glaubensrede zeigt« (aaO. 479). Damit sind zugleich der Einlösung des Wahrheitsanspruches der christlichen Grundbehauptung unüberschreitbare Grenzen gesetzt: »A's Erfahrung taugt zur Rechtfertigung seiner Behauptung, nicht aber zur Begründung der Wahrheit des von ihm Behaupteten. Seine subjektive Gewißheit, in Jesus die Anrede Gottes erfahren zu haben, kann daher nicht die Wahrheit dieser Erfahrung erweisen, wohl aber zum Erheben des entsprechenden Wahrheitsanspruches berechtigen« (aaO. 479f.).

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deren sprachlichen Ausdruck in der christlichen Grundbehauptung er zugleich an den Wahrheitsanspruch der präsupponierten Existenzbehauptung Gottes knüpft. Umgekehrt schränkt er mit dem Aufweis des unaufhebbar assertorischen Charakters dieser Existenzbehauptung die Aufgabe der Theologie darauf ein, in der Ausarbeitung einer identifizierenden Beschreibung für den mit >Gott< bezeichneten Gegenstand die Verständlichkeit der Existenzpräsupposition und so auch die Propositionalität der christlichen Grundbehauptung sicherzustellen. An die Stelle der Begründung christlicher Rede von Gott tritt damit ihre Rechtfertigung in der Weise, daß der mit ihr erhobene Wahrheitsanspruch zwar als Wahrheitsanjprwc/i legitimiert ist, sich einem argumentativen Aufweis aber entzieht42. Dalferth läßt die theologische Reflexion im folgenden darauf bezogen sein, mit dem Aufweis der Identifizierbarkeit und Prädizierbarkeit Gottes die Propositionalität seiner Existenzpräsupposition und so die Wahrheitsfähigkeit christlicher Glaubensrede zu verteidigen, während er die Frage nach der Einlösung dieses Wahrheitsanspruches einer eschatologischen Verifikationssituation überantwortet. In dieser Ausrichtung auf die Existenzpräsupposition Gottes und der Beschränkung auf die Legitimität des damit erhobenen Wahrheitsanspruchs wird deutlich, daß Dalferth die christliche Grundbehauptung in den Rahmen eines korrespondenztheoretischen Sprachbegriffs einfügt. So spitzt er zunächst die Existenzpräsupposition Gottes auf die Ausarbeitung einer identifizierenden Beschreibung für den Gegenstand zu, der mit >Gott< bezeichnet wird. Damit stellt sich die Behauptung der Existenz Gottes - entgegen ihrer quantorenlogischen Form - als eine singuläre Existenzaussage dar. Es geht Dalferth nicht um den Aufweis inhaltlicher Bestimmungen für das Prädikat >GottGott< behauptet wird. Im Hintergrund steht ein korrespondenztheoretischer Sprachbegriff: Mit der Auffassung >Gottes< als eines singulären Terminus und der Suche nach dem ihm entsprechenden Gegenstand wird nicht nur der Gottesgedanke auf den - personal bestimmten - Referenten eines sprachlichen Ausdrucks fixiert, sondern vor allem ein Gegenüber von Sprache und Welt angesetzt, das von der Annahme einer sprachunabhängig strukturierten und zugänglichen Wirklichkeit ausgeht. Die Funktion der Sprache reduziert sich dann auf die Aufgabe, diese sprachunabhängige Wirklichkeit sprachlich abzubilden und so eine Übereinstimmung zwischen Sprache und Wirklichkeit herzustellen. 42

Vgl. zu dieser Unterscheidung I.U. Dalferth, aaO. 507-516, 508: »Während im ersten Fall die Wahrheit (oder Wahrscheinlichkeit) von P zur Debatte steht, geht es im zweiten Fall darum, mit welchem Recht P behauptet wird, d.h. der Forderung nach Begründung einer Aussage auf der einen steht auf der anderen Seite die Forderung nach der Rechtfertigung eines Verhaltens bzw. einer Handlung gegenüber«. Die Rechtfertigung zielt damit auf die »quaestio iuris von Handlungen« (aaO. 509), die Begründung hingegen auf die »quaestio veritatis von Aussagen« (ebd.).

246

Kapitel 5: Ingolf U. Dalferth

Zudem weist auch die Unterscheidung zwischen Rechtfertigung und Begründung auf einen realistischen Hintergrund: Die Beschränkung auf eine vom begründenden Wahrheitsaufweis unterschiedene Rechtfertigung setzt eine Konzeption voraus, die den Wahrheitsbegriff auf einer der sprachlichen Erfassung gegenüber unabhängigen Ebene verankert. Erst eine solche nichtepistemische Bestimmung des Wahrheitsbegriffs eröffnet die Möglichkeit, zwischen einer auf Verständlichkeit ausgerichteten Rechtfertigung und einer dem Wahrheitsaufweis verpflichteten Begründung zu unterscheiden. Damit ist aber zugleich ein realistisches Gegenüber von Sprache und Welt vorausgesetzt, das nach einer letztlich nur korrespondenztheoretisch explizierbaren Überbrückung verlangt. Ein derartiger Ansatz wirft zwar schon für sich gewichtige Probleme auf43; doch entscheidend ist die andere Frage, ob es Dalferth gelingt, den realistischen Hintergrund - und damit die allgemeine Sprachlichkeit der christlichen Grundbehauptung - mit seiner These einer situativen Verankerung der Religiosität christlicher Glaubensrede in der Erfahrung Jesu als der Anrede Gottes zu vermitteln. Mit dieser Frage steht zugleich die Tragfähigkeit des Dalferthschen Grundansatzes überhaupt auf dem Spiel, denn die These einer situativen Verankerung der Religiosität christlicher Glaubensrede hebt gerade darauf ab, der Auslieferung der Religion an einen allgemeinen Sprachbegriff entgegentreten zu können. Diese situative Verankerung wird so expliziert, daß als Ort der Religiosität christlicher Rede die Grundsituation der Erfahrung Jesu als der Anrede Gottes einrückt. Freilich findet diese Situativität ihren sprachlichen Niederschlag in der christlichen Grundbehauptung; und damit ergibt sich das Problem, in welchem Verhältnis die Sprachlichkeit dieser Aussage zu ihrer situativ verankerten Religiosität steht. Dabei müssen sich Sprachlichkeit und Religiosität befriedigend miteinander ausgleichen lassen. Denn bleibt der für diese Behauptung vorausgesetzte Sprachbegriff ohne Relevanz für die situative Bestimmung der Religiosität, so findet diese Religiosität keinen angemessenen sprachlichen Ausdruck. Der sprachliche Zugang zur Religiosität setzt eine sprachliche Vermitteltheit der Religiosität voraus. Umgekehrt geht die situative Bestimmung der Religiosität auf das Bemühen zurück, ihre Umklammerung durch einen allgemeinen Sprachbegriff aufzubrechen. Daher muß die Sprachlichkeit der christlichen Grundbehauptung in die Bestimmung der Religiosität eingeholt werden können, um diese umgekehrt nicht doch wieder an einen allgemeinen Sprachbegriff ausliefern zu müssen. Allerdings zeigt sich nun, daß Dalferth diese notwendige Vermittlung zwischen Sprachlichkeit und Religiosität nicht leistet: Die Sprachlichkeit der christlichen Grundbehauptung bleibt ihrer situativen Religiosität gegenüber äußerlich. Der für die christliche Grundbehauptung angesetzte realistische Sprachbegriff steht unausgeglichen neben jenem interpretativen Ansatz, den Dalferth mit seinem Erfahrungsbegriff verknüpft hatte. Die konstitutive Interpretativität der 43

Vgl. oben Kapitel 1.

2. Die Religiosität religiöser Rede

247

sprachlich vermittelten Erfahrung erweist sich als unvereinbar mit einem Sprachbegriff, der von einem unvermittelten Gegenüber von Sprache und Welt ausgeht. Darin zeigt sich eine Spannung, die ihre Wurzel in Dalferths situativer Bestimmung der Religiosität hat und in Gestalt der Unterscheidung zwischen Erfahrung und Wahrnehmung seine Explikation der christlichen Anredeerfahrung durchzieht. Um seinen Ansatz einer nichtsprachlich strukturierten Religiosität zu retten, beschneidet Dalferth die Reichweite seines interpretativen Erfahrungsbegriffs durch die Vorordnung eines Wahrnehmungsbegriffs, der in seiner Ambivalenz zwischen semiotischer Vermittlungsleistung und vorsprachlichem Erfahrungsgegenüber eigentümlich schillernd bleibt. Beinahe zwangsläufig greift Dalferth daher mit der christlichen Grundbehauptung auf einen Sprachbegriff zurück, den er aus der Perspektive seines situativen Ansatzes heraus nicht mehr einzuholen vermag: Indem er versucht, mit der Begrenzung der Interpretativität des Erfahrungsbegriffs die Reichweite sprachlicher Vermittlung einzuschränken, liefert er die religiöse Erfahrung ebenfalls einem vorgängigen Sprachbegriff aus. Der Rückgang auf die unmittelbare Begegnungserfahrung wird an die Bedingung der singulären Existenz Gottes geknüpft, die ihrerseits nur unter der Voraussetzung eines realistischen Sprachbegriffs und damit einer sprachlichen Vorentscheidung darüber, in welcher Richtung >Gott< zu bestimmen ist, einsichtig gemacht werden kann. Es läßt sich also festhalten: Mit seiner Konzeption einer nichtsprachlichen Verankerung der Religiosität christlicher Äußerungen in der Situation einer Erfahrung Jesu als Anrede Gottes verstrickt sich Dalferth in die doppelte Aporie, die intendierte Nichtsprachlichkeit religöser Situativität doch wieder sprachlich aufheben zu müssen und so den Versuch einer dezidiert eigenständigen Bestimmung der Religiosität religiöser Rede erneut einem allgemeinen Sprachbegriff auszuliefern. Diese Aporetik weist auf die Problematik seines Grundansatzes zurück, vor dem Hintergrund einer dichotomischen Verhältnisbestimmung von Religiosität und Sprachlichkeit religiöser Rede und im Rekurs auf die These einer nichtsprachlichen Situativität die besondere Religiosität religiöser Äußerungen im Gegenzug zu ihrer allgemeinen Sprachlichkeit aufweisen zu wollen. Auf der einen Seite nimmt Dalferth sein Begegnungsmodell als Interpretament in Anspruch, um die im Pfmgstereignis lokalisierte Erfahrungsbasis christlicher Glaubensrede als Anredeerfahrung einsichtig zu machen. Damit fungiert das Begegnungsmodell als ein immer schon sprachlich vermittelter Interpretationsrahmen, der - in Dalferths Terminologie - vorgegebene Wahrnehmungen prepositional strukturiert und so als Erfahrungen konstituiert. Die Anredeerfahrung wird als Anredeerfahrung erst durch ein sprachlich vermitteltes Interpretationsgeschehen zugänglich, das ein vorgegebenes Faktum als Anredegeschehen bestimmt und in die Form der Erfahrung überführt. Dann aber ist es nicht mehr möglich, von der Verankerung der Anredeerfahrung in einer nichtsprachlichen Erfahrungssituation auszugehen: Denn diese Er-

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Kapitel 5: Ingolf U. Dalferth

fahrungssituation wird erst durch die Einbettung in einen bestimmten Interpretationsrahmen als Anredesituation konstituiert und erweist sich daher als immer schon sprachlich vermittelt. Überdies erscheint es problematisch, die sprachinterne Konstituierung auf eine nichtsprachliche Verortung hin zu überschreiten, die doch immer wieder nur sprachlich zugänglich ist. Dalferth erliegt so dem Selbstwiderspruch einer immer schon sprachlich vermittelten Suche nach der nichtsprachlichen Verankerung sprachlicher Rede. Dies kommt auch darin zum Ausdruck, daß er trotz seiner Einsicht in die semiotische Vermittlung der Wahrnehmung und die interpretative Zuspitzung der Erfahrung an einem realistischen Korrespondenzmodell von Wahrheit und Erkenntnis festhält: Die Fokussierung der theologischen Aufgabe auf die singuläre Existenzpräsupposition Gottes ist nur vor dem Hintergrund verständlich, eine sprachunabhängig strukturierte Wirklichkeit in der Weise anzunehmen, daß die Interpretativität der Sprachlichkeit erneut auf eine bloße Abbildfunktion reduziert wird. Auf der anderen Seite wird Dalferth dadurch auf die Voraussetzung eines allgemeinen Sprachbegriffs verpflichtet, der sich von der Perspektive christlicher Glaubensrede her nicht mehr einholen läßt. Die von Dalferth konzipierte Unterscheidung zwischen Wahrnehmung und Erfahrung sowie die auf das Anredemodell übertragene Interpretativität des Erfahrungsbegriffs implizieren einen sprachphilosophischen und epistemologisehen Ansatz, der einer religionsinternen und damit theologischen Erfassung insofern entzogen ist, als er für die Konstituierung religiöser Erfahrung und die situative Verankerung religiöser Rede immer schon vorausgesetzt ist. Damit verstrickt sich Dalferth in gerade die Aporie, die aufzulösen er angetreten war: Sein Versuch, die analytische Umklammerung religiöser Äußerungen durch ihre Unterordnung unter einen allgemeinen Sprachbegriff in der Weise aufzubrechen, daß ihre eigenständige Religiosität in einer nichtsprachlichen Situativität verankert wird, mündet in die Konsequenz, zunächst die Sprachlichkeit religiöser Äußerungen aus dem Auge zu verlieren und mit ihrer Religiosität nicht mehr vermitteln zu können - die Sprachlichkeit religiöser Äußerungen bleibt ihrer Religiosität gegenüber äußerlich - und überdies mit dem Eingeständnis einer sprachlichen Konstituierung der religiösen Situativität die Religiosität religiöser Äußerungen doch wieder an einen allgemeinen Sprachbegriff ausliefern zu müssen. Auf diese Weise vermag er sich aus dem Bann der analytischen Dichotomic zwischen Religiosität und Sprachlichkeit nicht nur nicht zu lösen, sondern muß sie gerade umgekehrt zu einem unüberbrückbaren Graben vertiefen.

3. Die Vermittlung zwischen Religiosität und Sprachlichkeit religiöser Rede Nachdem Dalferth in einem ersten Teil die allgemeine Sprachlichkeit religiöser Rede offengelegt und in einem zweiten Teil ihre besondere Religiosität als reli-

3. Die Vermittlung zwischen Religiosität und Sprachlichkeit

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giöser Rede herauszuarbeiten versucht hat, ist es ihm in einem dritten Teil darum zu tun, in Aufnahme der Begründungsfrage und unter Zuspitzung auf das Problem christlich-religiöser Rede von Gott die beiden Aspekte von allgemeiner Sprachlichkeit und besonderer Religiosität miteinander zu vermitteln44. Dabei liegt der Schwerpunkt weniger in der Durchführung der Begründung selbst - zumal Dalferth von der unaufhebbaren Assertivität christlich-religiöser Rede ausgeht45 - als vielmehr in dem Nachweis ihrer Begründungsmöglichkeit überhaupt. So zielt auch die religionskritische Linie der analytischen Religionsphilosophie nicht auf die Frage nach der Wahrheit christlich-religiöser Äußerungen, sondern setzt sehr viel grundsätzlicher an: »Nicht ihre Wahrheit oder Falschheit, sondern die Möglichkeit ihrer Wahrheit oder Falschheit, und d.h. ihre Propositionalität steht im Zentrum ihres Fragens« (543). Von daher liegt der Schwerpunkt der von Dalferth angestrebten Vermittlung zwischen allgemeiner Sprachlichkeit und besonderer Religiosität in der Aufgabe, im Aufweis der Propositionalität christlich-religiöser Rede ihre allgemeine Wahrheitsfähigkeit und Begründungsmöglichkeit sicherzustellen. Denn gelingt es, ihr eine Struktur zu unterlegen, die sie in den Kontext allgemeiner Begründungspflichtigkeit stellt, so ist ihre allgemeine sprachliche Verankerung erwiesen und kann die intendierte Vermittlung als durchgeführt gelten. Freilich stellt diese Aufgabe vor besondere Schwierigkeiten: Die christlichreligiöse Rede ist auf ihre allgemeine Begründungsmöglichkeit hin so durchsichtig zu machen, daß nicht umgekehrt ihre besondere Religiosität erneut unter die Vorherrschaft eines allgemeinen Sprachbegriffs gerät. Die Propositionalität darf daher nicht unabhängig von der Anredeerfahrung fixiert werden, in der die christlich-religiöse Rede als religiöse Rede ihren Ort hat. Sowohl die Identifizierbarkeits- wie auch die Prädizierbarkeitsproblematik - in denen Dalferth die Auseinandersetzung um die Propositionalität christlich-religiöser Rede paradigmatisch zusammengefaßt findet - werden insofern auf die programmatische Maxime hin zugespitzt, die Aporetik der philosophischen Konstruktionsversuche eines konsistenten Goltesbe griffs durch das Verfahren einer Rekonstruktion des in der Anredeerfahrung eröffneten Gottes Verständnisses zu unterlaufen46. So hat die in der analytischen Religionsphilosophie geführte Auseinandersetzung um die Möglichkeit der Begründung christlich-religiöser Rede ihre Grenze 44

45 46

Die folgenden Ausführungen gehen von der - freilich kontrafaktischen - Voraussetzung aus, es sei Dalferth gelungen, im Rekurs auf die situative Verankerung religiöser Äußerungen eine der sprachlichen Vereinnahmung entzogene Religiosität religiöser Rede zu etablieren. Dieses Verfahren ist unumgänglich, um der Intention Dalferths, religiöse Eigenständigkeit und allgemeine Sprachlichkeit miteinander vermitteln zu wollen, hinreichend Rechnung tragen zu können. Eine angemessene Beurteilung und Kritik seines Ansatzes kann nicht von außen her erfolgen, sondern muß sich auf den Boden seiner Voraussetzungen stellen. Sie wird sich daher an der Frage zu orientieren haben, ob es Dalferth gelingen kann, diese Intention schlüssig und konsistent zur Durchführung zu bringen. Vgl. etwa I.U. Dalferth, Religiöse Rede 394. Vgl. I.U. Dalferth, Religiöse Rede 569.

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Kapitel 5: Ingolf U. Dalferth

gerade darin, »daß die Probleme der Begründung und Rechtfertigung dieser Rede im Horizont eines Gottesbegriffs diskutiert werden, der nicht aus ihr erhoben, sondern an sie herangetragen ist« (24). Dieses Versäumnis habe zur Folge, daß der für die religiöse Rede kennzeichnende spezifische Situationsbezug übergangen und die angestrebte Komplementarität von Religiosität und Sprachlichkeit verfehlt wird. Allein der Rekurs auf die in der Anredeerfahrung eröffnete Kenntnis Gottes gibt Dalferth die Gewähr, die Begründungsfrage in einer Weise anzugehen, »die sowohl dem sprachlichen Befund als auch dem theologischen Sachverhalt gerecht zu werden vermag, insofern sie den Wahrheitsanspruch dieser Rede weder aus sprachlogischen oder empirischen Gründen reduktionistisch zu bestreiten, noch ihn nur dogmatisch gegen sprachlogische und empirische Anfragen aufrecht zu erhalten gezwungen ist« (25). Daraus ergibt sich, daß die Durchflihrung der Vermittlung zwischen besonderer Religiosität und allgemeiner Sprachlichkeit in erster Linie mit der Aufgabe verknüpft ist, die Propositionalität und insofern Möglichkeit der Begründung christlich-religiöser Rede aufzuweisen. Doch dieser Schritt setzt selbst bereits ein Programm voraus, das in Gestalt eines vorgefaßten Verständnisses der Begründungsfrage und ihrer Ausweitung auf den Bereich christlich-religiöser Rede der angestrebten Vermittlung eine bestimmte Richtung vorgibt. Dieses Programm ist insofern von besonderer Bedeutung, als es den methodologisch-epistemologischen Grundansatz offenzulegen erlaubt, von dem aus Dalferth die Aufgabe des Propositionalitätsaufweises in Angriff nimmt. Daher soll im folgenden der Versuch unternommen werden, Dalferths Aufnahme der Begründungsproblematik unter der Frage in den Blick zu nehmen, welche impliziten oder auch expliziten Vorentscheidungen gefällt sein müssen, wenn überhaupt nach der Begründung christlich-religiöser Äußerungen soll gefragt werden können. Das Interesse der folgenden Ausführungen richtet sich also auf die zugrunde liegende Verhältnisbestimmung zwischen den beiden Ebenen von sprachlicher Form und religiösem Inhalt, die Dalferth in Anspruch nimmt, wenn er diesen Inhalt als durch jene Form einer argumentativen Begründung zugänglich aufweisen will. Es geht mithin darum, auf der Ebene des Begründungsbegriffs selbst eine Struktur zu skizzieren, die in der konkreten Ausarbeitung der Begründungsmöglichkeit christlich-religiöser Rede ihren deutlichen Ausdruck finden mag. Die Durchführung des Propositionalitätsaufweises dieser Rede dient somit als Prüfstein wie auch Bestätigung dessen, was sich bereits aus der dieser Durchführung vorgeordneten Formulierung der Problemstellung selbst entnehmen läßt. Dabei lautet die These daß Dalferth die Begründungsfrage zwar in einer Weise anzusetzen versucht, die mit der postulierten Selbständigkeit des christlich-religiösen Glaubens soll vereinbart werden können, daß er dabei aber doch auf ein epistemologisches Modell zurückgreift, das die inhaltliche Bestimmtheit der christlich-religiösen Gehalte einem vorgängigen und die Grenzen der religiösen Internalität übergreifenden Rahmen allgemeiner Sprachlichkeit unterwirft.

3. Die Vermittlung zwischen Religiosität und Sprachlichkeit

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So läßt sich die religiöse Eigenständigkeit nur unter der Voraussetzung einer strikten Dichotomic zwischen religiösem Inhalt und sprachlicher Form aufrecht erhalten. Gerade diese Reduktion des Sprachbegriffs auf die bloße Form eines sich unabhängig von ihr und doch zugleich in ihr ausdrückenden Inhalts erweist sich aber als Illusion. Indem Dalferth die christlich-religiöse Rede über ihre sprachliche Behauptungsstruktur in den Horizont eines allgemeinen Wahrheitsbegriffs stellt, nimmt er auch für das Verständnis des Inhalts dieser Rede die Prägung durch das epistemologische Modell in Anspruch, dem jener Wahrheitsbegriff sich verdankt. Vor dem Hintergrund dieser Einsicht läßt sich Dalferths Strategie zur Sicherung der religiösen Eigenständigkeit christlich-religiöser Rede in zwei Schritten rekonstruieren. (1) Zunächst sieht er sich genötigt, die angestrebte Selbständigkeit in der Weise zum Ausdruck zu bringen, daß die argumentative Zugänglichkeit der christlich-religiösen Gehalte an die Bedingung des Glaubens geknüpft wird. Nur von innen her und damit immer schon unter der Voraussetzung dessen, was erst noch zu erweisen ist, läßt sich die Begründungsfrage angemessen stellen. Denn allein im Rückgang auf die den christlichen Glauben kennzeichnende Anredeerfahrung und die durch sie eröffnete Kenntnis Gottes ist es möglich, schlüssig zu explizieren, nach wessen Begründung überhaupt gefragt wird. (2) Damit aber wird deutlich, daß Dalferth unter der Hand die Beobachtungsebenen wechselt. Er gibt zwar vor, von einer epistemologischen Beobachtungsebene aus die Ebene der religiösen Rede daraufhin in den Blick zu nehmen, ob sie eine Struktur aufweist, die sie als wahrheitsfähig und begründungsmöglich auszeichnet. Faktisch aber führt er diese Aufgabe so durch, daß er auf die soeben noch als beobachtete Ebene eingeführte Ebene christlich-religiöser Rede selbst zurückgeht und von dort aus die Begründungsproblematik aufzulösen versucht. Damit vollzieht Dalferth eine >neobarthianischßdes quaerens intellectum< Dalferth nimmt die Frage nach der Begründung christlich-religiöser Äußerungen unter zwei Maximen in den Blick: Auf der einen Seite soll im Aufweis der Begründungspflichtigkeit ihre allgemeine Sprachlichkeit offengelegt werden, auf der anderen Seite jedoch auch in dieser Allgemeinheit ihre in der Form eigenständiger Religiosität explizierte Besonderheit erhalten bleiben. Daraus ergibt sich für Dalferth die Aufgabe, die Begründungsthematik so einzuführen, daß sie nicht im Sinne einer Forderung an den religiösen Glauben herantritt, die diesen zur Auslieferung ihrer besonderen Eigenständigkeit an einen allgemeinen Begründungskodex zwingt. Sein Lösungsvorschlag besteht darin, den Glauben selbst nach Gründen für das von ihm Geglaubte fragen zu lassen: So muß die Rechenschaftspflichtigkeit des Glaubens keineswegs immer schon mit der Konsequenz verknüpft sein, »daß er irgendwelchen ihm von außen oktroyierten Maßstäben gerecht zu werden hat« (507), sondern sollte Stattdessen in der Weise expliziert werden, »daß der Glaube sich selbst nachdenkend die Gründe nennt, die ihn zu seiner Rede von Gott veranlassen und an denen diese gemessen sein will« (ebd.). Damit nimmt Dalferth sowohl der Sache nach als auch explizit50 das anseimische Programm der fides quaerens intellectum auf: »Der Glaube ist aus sich selbst heraus genötigt, die Gründe für seinen Wahrheitsanspruch aufzusuchen und argumentierend darzulegen, nicht um sich zu fundieren, sondern um sich und anderen einsichtig zu werden« (ebd.). Im Mittelpunkt steht die schon von Karl Barth aufgewiesene Dopplung in der Rede vom intelligere des Glaubens: »Intelligere heißt bei Anselm ... fraglos grundsätzlich legere: das im Credo Vorgesagte n a c h denken. In der Kenntnis50

Vgl. I.U. Dalferth, aaO. 516.

3. Die Vermittlung zwischen Religiosität und Sprachlichkeit

253

nähme von der Wahrheit und in ihrer Bejahung trifft das intelligere mit dem credere zusammen, ist und bleibt es selber ein credere, wie das credere an sich und als solches ... selber schon ein primitives intelligere ist. Aber darüber hinaus heißt nun intelligere: in dem Vorgesagten lesen, nach d e n k e n , d.h. in der Aneignung der Wahrheit nun auch jene Mittelstrecke (zwischen der Kenntnisnahme und der Bejahung) wirklich durchschreiten«51. Der Versuch einer argumentativen Selbstexplikation des Glaubens ist insofern immer schon ein Mzc/tdenken des im Glauben Geglaubten, als dieser Glaube sich erstens von seinem Gegenstand her begründet weiß und eben nicht aus einem argumentativen Diskurs erwächst, und darüber hinaus zweitens immer schon eine - wenn auch nur anfängliche - Erkenntnis dieses Gegenstandes einschließt52. Umgekehrt weist das Moment des Nachdenkens auf die Notwendigkeit hin, diese im Glauben anfänglich gewährte Erkenntnis im Zuge argumentativer Reflexion zu vertiefen und auf ihre Gründe hin durchsichtig zu machen. Allerdings zeigt sich in der Ausführung jener nachdenkenden Aufgabe des Glaubens ein Unterschied zwischen Barth und Dalferth, der auf eine Differenz auch in der Grundanlage ihres theologischen Programms überhaupt schließen läßt. So beschränkt Barth das Nachdenken des Glaubens ausdrücklich auf das »Begehen der Mittelstrecke zwischen der s t a t t g e f u n d e n e n Kenntnisnahme u n d d e r e b e n f a l l s s c h o n s t a t t g e f u n d e n e n Bejahung«53. Der durch den Glauben selbst abgesteckte Horizont wird nicht überschritten; die argumentative Selbstexplikation gilt ausschließlich dem Glauben selbst. Dalferth jedoch läßt hier ein leicht verändertes Interesse erkennen: Für ihn steht mit der Fähigkeit des Glaubens, sich selbst - und anderen54 - einsichtig zu werden, die Frage nach der »Rationalität des Glaubens« (506) zur Debatte. Damit geht er über den von Barth angesetzten internen Horizont hinaus. Zwar dürfe die Aufnahme der Begründungsthematik nicht so verstanden werden, als sei der Geltungsanspruch des Glaubens von einem externen Argumentationsgang abhängig: »Der Glaube ist keiner rationalen Unterstützung bedürftig, als könnte er nicht auf eigenen argumentativen Beinen stehen« (507). Dennoch zielt die Frage nach der Begründung - oder grundsätzlicher noch nach der Möglichkeit der Begründung - auf ein externes Forum. Dies wird zunächst darin deutlich, daß Dalferth ein aus der religionskritischen Linie der analytischen Religionsphilosophie herstammendes Verdikt aufnimmt und diesem mit der Konzeption einer Selbstexplikation des Glaubens entgegenzutreten sucht: »Die Vermutung, daß religiöse Rede von Gott nicht nur nicht wahr sei, sondern nicht wahr sein könne, ist zu schwerwiegend, um übergangen 51 52 53 54

K. Barth, Fides quaerens intellectum 40. Vgl. K. Barth, aaO. 23f. und, zumindest der Sache nach, I.U. Dalferth, Religiöse Rede 595f. K. Barth, Fides quaerens intellectum 24. Vgl. I.U. Dalferth, Religiös Rede 507.

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Kapitel 5: Ingolf U. Dalferth

werden zu können« (501). Das glaubensinterne Theologoumenon der Selbstexplikation wird also in der Weise auf eine glaubensexterne Problemstellung bezogen, daß das, was >von außen her< in Frage gestellt wird, >von innen her< als immer schon beantwortet aufgewiesen werden soll. Der >von außen her< in seiner Wahrheitsfähigkeit problematisch erscheinende Glaube weiß sich >von innen her< in der Erfahrung Jesu als der Anrede Gottes begründet und damit den kritischen Anfragen immer schon enthoben. Diese interne Abweisung der Fragestellung - denn als Antwort im eigentlichen Sinne wird man dieses strategische Manöver Dalferths wohl nur schwerlich bezeichnen können - steht mithin vor dem Dilemma, auf der einen Seite die externe Kritik zurückweisen zu wollen, auf der anderen Seite aber gerade damit auf sie bezogen zu sein. Dieses Dilemma nimmt bereits die grundsätzliche Aporie des Dalferthschen Ansatzes vorweg. Denn unter der Voraussetzung der von Dalferth skizzierten Problemlage ist keine Lösung möglich: Der Rückzug auf die interne Selbstexplikation des Glaubens muß die externe Bestreitung seiner Rationalität entweder gänzlich übergehen oder so verfehlen, daß er in der Antwort voraussetzt, was es zu erweisen gilt. Barth ist hier konsequenter: Indem er von vornherein eine derartige Ausrichtung auf eine externe Fragestellung hin ablehnt und die Aufgabe der Selbstexplikation ausschließlich an das durch seinen Gegenstand bestimmte Bemühen des Glaubens bindet, sich auf seine Gründe hin durchsichtig zu werden, scheint er das Dalferthsche Dilemma im Ansatz vermeiden zu können55. So lehnt er es in seiner Auseinandersetzung mit dem Religionsphilosophen Heinrich Scholz um dessen Mindestpostulate der Wissenschaftlichkeit56 rundweg ab, daß sich die Theologie einem derartigen von außen an die Theologie herangetragenen Wissenschaftsbegriff fügen könne: »Ohne Verrat an der Theologie kann hier kein Jota zugegeben werden, denn jede Konzession hieße hier Preisgabe des Themas der Theologie«57. Stattdessen führt er - und bereits an dieser Stelle deuten sich die eigenen Schwierigkeiten des Barthschen Ansatzes an - ein Postulat der »Sachgemäßheit«58 ein, das die Theologie zur ausschließlichen Ausrichtung auf ihren Gegenstand verpflichte: »Die Theologie hat keine andere Möglichkeit, ihre >Wissenschaftlichkeit< zu erweisen, als die, in der faktisch stattfindenden, durch ihren Gegenstand bestimmten Arbeit an ihrer Er55 56

57 58

Allerdings ist zu überlegen, ob Barth dieses Dilemma nicht doch nur um einen Schritt nach hinten verschiebt; vgl. dazu im folgenden. Vgl. H. Scholz, Wie ist eine evangelische Theologie als Wissenschaft möglich?, in: ZdZ 9 (1931), 8-53. - Vgl. zu dieser Auseinandersetzung W. Pannenberg, Wissenschaftstheorie und Theologie, Ffm 1973, 1987, 266-277; sowie, vornehmlich aus historischer Perspektive, A. Molendijk, Aus dem Dunkeln ins Helle. Wissenschaft und Theologie im Denken von Heinrich Scholz, Amsterdam 1991; Ders., Ein >heidnischer< Wissenschaftsbegriff? Der Streit zwischen Heinrich Scholz und Karl Barth um die Wissenschaftlichkeit der Theologie, in: EvTh 52 (1992), 527-545. K. Barth, KD I/l, 7. K. Barth, KD I/l, 7.

3. Die Vermittlung zwischen Religiosität und Sprachlichkeit

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kenntnisaufgabe zu zeigen, was nun eben sie unter >Wissenschaftlichkeit< versteht«59. Damit behauptet Barth nicht weniger als die gänzliche Unabhängigkeit der Theologie - im Sinne der internen »wissenschaftliche[n] Selbstprüfung der christlichen Kirche hinsichtlich des Inhalts der ihr eigentümlichen Rede von Gott«60 - von den Standards und Kriterien allgemeiner Wissenschaftlichkeit: »Der Ausrichtung auf diese ihre eigene Aufgabe hat sie ... schlechterdings j e d e Rücksicht auf das, was sonst >Wissenschaft< heißt, unterzuordnen und nötigenfalls zu opfern«61. Auf diese Weise unterläuft er von vornherein das Dilemma, in das sich Dalferths Ansatz verstrickt. Denn nur die grundsätzliche Absage an die Relevanz eines externen Wissenschaftlichkeitspostulats oder - wie im Zusammenhang der Auseinandersetzung mit Scholz auch gesagt werden kann - eines allgemeinen Rationalitätskriteriums vermag die interne Selbstexplikation in der angestrebten 59

K. Barth, KD 1/1,9.- Barth führt das Kriterium der Sachgemäßheit ein, um sich unter Berufung auf den Gegenstand der Theologie dem Ansinnen einer außertheologischen Normierung der theologischen Methode entziehen zu können. Der Gegenstand der Theologie selbst - Gott in seiner Selbstoffenbarung im Wort - widerspricht einer Unterordnung der Theologie unter externe Kriterien der Wissenschaftlichkeit. Eine außertheologische Methodologie ist nicht deshalb abzulehnen, weil sie von der Theologie nicht erfüllt werden kann, sondern umgekehrt kann eine Methodologie, die nicht im Gegenstand der Theologie begründet ist, diesen Gegenstand überhaupt nicht erreichen. Das Problem ist also für Barth nicht die Wissenschaftlichkeit der Theologie, sondern die Theologizität der Wissenschaft. Entsprechend setzt Barth das Kriterium der Sachgemäßheit als Maxime der theologischen Methodologie an. In diesem Sinne kann es als Zusammenfassung jener drei Bestimmungen gelten, die nach Barth die Wissenschaftlichkeit der Theologie ausmachen: Sie ist zunächst »menschliche Bemühung um einen bestimmten Erkenntnisgegenstand«, geht dabei »einen bestimmten, in sich folgerichtigen Erkenntnisweg« und ist schließlich »in der Lage, sich selbst und jedermann ... über diesen Weg Rechenschaft abzulegen« (KD I/l, 6). Barth geht sogar noch einen Schritt weiter. Jede dieser drei Bestimmungen gilt wie für die Theologie, so auch für »alle anderen Wissenschaften« (ebd.). Von daher kann die Sachgemäßheit von Barth zu den »Postulaten des Wissenschaftsbegriffs« (KD I/l, 7) gezählt werden. Es scheint mithin doch eine »charakteristische Regel« (ebd.) zu geben, die die Theologie mit allen anderen Wissenschaften verbindet - und zwar die methodische Maxime der Sachgemäßheit. Barth verweigert also die Unterordnung der Theologie unter vorgängige Kriterien der Wissenschaftlichkeit, beruft sich dafür jedoch seinerseits auf eine mit allgemeinem Geltungsanspruch ausgestattete methodische Maxime. An die Stelle der Scholzschen Mindestpostulate tritt das Kriterium der Sachgemäßheit. Damit erhebt sich die Frage, ob nicht auch Barth gerade im Zuge seiner Ablehnung externer Wissenschaftlichkeitskriterien ein solches externes Kriterium in Anschlag bringt. Es hat den Anschein, als setze die explizite Kritik einer externen Beobachtungsperspektive auf Religion und Theologie notwendig eben diese Beobachtungsperspektive selbst wieder voraus. Die entsprechende Konsequenz lautet, die methodische Eigenständigkeit der Theologie nur vollziehen, nicht aber begründen zu können. Auch Barth ist sich dessen bewußt: Die Theologie hat bei den anderen Wissenschaften »methodisch nichts ... zu lernen. Sie hat sich nicht vor ihnen zu rechtfertigen, vor allem nicht dadurch, daß sie sich den Anforderungen eines zufällig oder nicht zufällig allgemein gültigen Wissenschaftsbegriffs unterzieht« (KD I/l, 6). 60 K. Barth, KD I/l, l. 61 K. Barth. KD I/l, 6.

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Kapitel 5: Ingolf U. Dalferth

Eigenständigkeit durchzuführen, ohne dabei zugleich auf eine >von außen her< herangetragene Fragestellung bezogen zu bleiben. Der grundlegende Unterschied zwischen Barth und Dalferth läßt sich also in der Weise skizzieren, daß dieser zwar die programmatische Ausrichtung Barths auf die Selbstexplikation des im Glauben Geglaubten aufnimmt, dabei aber über Barth hinaus diese argumentative Rechenschaft an allgemeine Rationalitätsstandards anzuknüpfen sucht. Doch gerade dieser Überschritt erweist sich dadurch als Fehltritt, daß Dalferth nun Vermittlungsproblemen gegenübersteht, die den betonten Rückzug auf eine interne Selbstexplikation als ein apologetisches Manöver zur Selbstimmunisierung des christlichen Glaubens entlarven. Dalferth zielt mit seinem Rekurs auf die fides quaerens intellectum schon insofern auf ein externes Forum, als er diese interne Selbstexplikation auf eine von außen her herangetragene Fragestellung bezogen sein läßt. Doch er geht über diese nach dem Schema von Frage und Antwort konzipierte Korrelation sogar noch einen Schritt hinaus, indem er die fides quaerens intellectum so in seinen programmatischen Horizont einfügt, daß sie nicht mehr nur als besondere Religiosität auf den Bereich allgemeiner Sprachlichkeit bezogen, sondern selbst als Ort der Vermittlung beider Relata durchsichtig werden soll. Die Nötigung des Glaubens, von innen heraus die Gründe für seinen Wahrheitsanspruch darzulegen, wird von Dalferth dafür in Anspruch genommen, die allgemeine Sprachlichkeit und Rationalität des in seiner besonderen Religiosität zugleich epistemisch subsistenten Glaubens offenzulegen. So ermöglicht seine argumentative Rechenschaftspflichtigkeit die Einbettung in einen Horizont allgemeiner Diskursrationalität, während umgekehrt die Verankerung dieser Nötigung im Wesen des Glaubens selbst die Wahrung seiner eigenständigen Religiosität verbürgt. Damit ist die Unterscheidung zweier Gedankenreihen angedeutet, die in je gegenläufiger Richtung diese in der Selbstexplikation des Glaubens lozierte Vermittlung zwischen Religiosität und Sprachlichkeit zu explizieren versuchen. (1) Zunächst hebt Dalferth deutlich hervor, daß die Frage nach der Begründung christlich-religiöser Rede die Geltung dieser Rede selbst nicht betreffen könne. Die Aufgabe der Selbstexplikation des Glaubens eröffne zwar die Möglichkeit einer allgemeinen Darstellbarkeit christlich-religiöser Äußerungen im Kontext rationaler Argumentationsstandards, mache die Geltung jener Überzeugungen aber nicht von der Durchführung dieses Diskurses abhängig. Indem Dalferth davon ausgeht, »daß sich wirklicher Glaube argumentativ weder wecken noch auflösen läßt« (517), beschränkt er die Begründungsfrage auf die schlichte Funktion einer nachträglichen Vergewisserung des im Glauben selbst nur vorläufig und unzulänglich Gewußten. Die Stoßrichtung dieser Beschränkung zielt auf die Sicherung der epistemischen Subsistenz des im Glauben Geglaubten, um so der Forderung nach der Komplementarität zwischen allgemeiner Sprachlichkeit und besonderer Religiosität gerecht werden zu können. Im Vordergrund steht zunächst also nicht die

3. Die Vermittlung zwischen Religiosität und Sprachlichkeit

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Verknüpfung der beiden Relate von Religiosität und Sprachlichkeit, sondern die Betonung ihrer jeweiligen Eigenständigkeit. Umgekehrt hat diese vor allem auf die Wahrung der religiösen Eigenständigkeit fokussierte Einführung der Begründungsthematik zur Folge, daß der für sie in Anschlag zu bringende Horizont allgemeiner Sprachlichkeit auf den Status eines bloß technischen Arsenals formaler Darstellungsweisen und Argumentationsfiguren zurückfällt. Denn die argumentative Unzugänglichkeit des Geltungsanspruchs einer sprachlichen Äußerung kann nur dann sinnvoll behauptet werden, wenn dieser von der sprachlichen Struktur der jeweiligen Äußerung selbst aus nicht in Frage gestellt werden kann. Das aber bedeutet, daß das, was die Geltung des Inhalts einer Äußerung ausmacht, als von deren sprachlicher Form gänzlich unabhängig bestimmt werden muß. Der Inhalt darf nicht so durch die sprachliche Form vermittelt expliziert werden, daß er in der Folge an die Form seiner sprachlichen Darstellung geknüpft ist. Weder in methodologischer noch in epistemologischer Hinsicht darf die sprachliche Form den in ihr zum Ausdruck kommenden Inhalt als sprachlichen Inhalt prägen. Denn unter diesen Umständen wäre die argumentative Unzugänglichkeit eines Geltungsanspruchs nur noch so aufrecht zu erhalten, daß der Inhalt der jeweiligen Äußerung trotz seiner Vermittlung durch die sprachliche Form gegen kritische Anfragen immunisiert wird. Wenn also der Geltungsanspruch einer christlich-religiösen Äußerung durch ihre Einbettung in den Kontext sprachlich-rationaler Argumentation nicht beeinflußt werden können soll, dann ist eine Unterscheidung zwischen geltungsrelevantem Inhalt und sprachlicher Form vorauszusetzen, die diese auf ein methodologisch ebenso wie epistemologisch neutrales Medium der Darstellung des religiösen Inhalts reduziert. Die intendierte Sicherung religiöser Eigenständigkeit impliziert mithin eine strikte Trennung zwischen sprachlicher Form und religiösem Inhalt: Der Horizont allgemeiner Sprachlichkeit wird als ein bloß formaler Rahmen der Darstellung religiöser Inhalte vorstellig gemacht, ohne daß diese Darstellung auf Struktur und Geltung jener Inhalte zurückwirken könnte. Im Hintergrund steht dabei ein >kombinatorisches< Modell von Sprachlichkeit und Rationalität, das die allgemeine Reichweite argumentativer Verfahrensweisen als Kennzeichen einer argumentativen Rationalität in Anspruch nimmt, ohne diese jedoch auf normative Geltungsfragen ausdehnen zu wollen62. Doch gegen diese These einer epistemologisch-methodologischen Neutralität der allgemeinen Sprachlichkeit lassen sich schwerwiegende Bedenken geltend machen. So gibt Dalferth selbst schon auf die Frage, warum der Glaube überhaupt dazu genötigt ist, sich seiner Gründe einsichtig zu werden, eine doppelte Antwort. Zunächst verweist er pauschal darauf, daß der Glaube »alsßdes quae-

62

Vgl. I.U. Dalferth, Kombinatorische Theologie. Probleme theologischer Rationalität, Freiburg 1991, 71 f.

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Kapitel 5: Ingolf U. Dalferth

rens intellectum aus sich selbst heraus danach verlangt« (516)63. Doch über diese bloße Feststellung hinaus unterläßt Dalferth jede weitere Explikation und theologische Rückbindung64. Stattdessen findet sich bei ihm noch ein anderer Gedanke: »Religiöse Rede und insbesondere christliche Rede hat Behauptungscharakter ... Als behauptende Rede aber hat sie sich der Begründungsforderung zu stellen« (525). Die Begründungsforderung, so heißt es an anderer Stelle, ist »mit dem Behauptungscharakter christlicher Rede als berechtigt gesetzt. Wer eine Behauptung aufstellt, erhebt einen Wahrheitsanspruch und steht daher unter dem Obligat, diesen auf Verlangen zu begründen« (523). Damit wird deutlich, daß Dalferth weniger auf einen im Glauben selbst gelegenen Sachverhalt als vielmehr auf die allgemeine Sprachstruktur seiner Äußerungen zurückgreift, um die Berechtigung der Begründungsfrage sicherzustellen. Der Glaube ist in erster Linie deshalb genötigt, sich seiner Gründe einsichtig zu werden, weil seine Äußerungen eine sprachliche Struktur aufweisen, die die Begründungsfrage als berechtigt erscheinen lassen: »Wo Behauptungen aufgestellt werden, kann mit Recht deren Begründung gefordert werden, da die Begründungsobligation zu den Bedingungen für das Gelingen einer Behauptung gehört. ... Die Berechtigung der Begründungsforderung ist somit einzig davon abhängig, daß Behauptungen aufgestellt werden« (524). Dieser Rekurs auf die sprachliche Behauptungsstruktur christlich-religiöser Äußerungen rückt in eine eigentümliche Spannung zu dem vorgängigen Bemühen Dalferths, um der Wahrung der epistemischen Subsistenz des Glaubens willen die Legitimität der Begründungsfrage in der fides quaerens intellectum zu 63 64

Vgl. auch I.U. Dalferth, Religiöse Rede 507. Barth formuliert diesen Gedanken in folgender Weise: »Es ist... das W e s e n des Glaubens, das nach Erkenntnis verlangt. Credo ut intelligam heißt: Mein Glaube selbst und als solcher ist mir Aufruf zum Erkennen« (K. Barth, Fides quaerens intellectum 16). In seiner Darstellung von Anselms >theologischem Programm< expliziert er diese innere Nötigung durch die Verknüpfung einer theologischen, einer psychologischen, einer anthropologischen und einer eschatologischen Linie: »Der geglaubte Gott ist causa veritatis in cogitatione. Der im Glauben beschlossenen Liebe zu Gott ist die Erkenntnis unweigerlich zugeordnet. Zur Aktualisierung der imago Dei, wie sie im Glauben stattfindet, gehört auch der intellectus. Der intellectus ist die in all ihrer Beschränktheit erreichbare Vorstufe des dem Glauben eschatologisch entsprechenden Schauens. D a r u m , w e s e n s mäßig, ist die fides: quaerens intellectum« (aaO. 20). Allerdings scheint dieser Versuch, die interne Nötigung des Glaubens zur Selbstexplikation nochmals theologisch an den Grund des Glaubens zurückzubinden, von Barth in der Kirchlichen Dogmatik nicht mehr aufgenommen zu werden. Bei Dalferth findet sich - vielleicht aus diesem Grund - ebenfalls keine weitergehende theologische Argumentationslinie für die Notwendigkeit des intellectus fidei. In seiner eigenen Auseinandersetzung mit Anselm beschränkt er sich vielmehr auf folgende knappe Feststellung: »Der ... in konkreter Gestalt angeeignete und narrativ vergegenwärtigte Glaube provoziert das Denken, seine Implikationen und Konsequenzen, vor allem aber seine ratio zu erforschen und ihn so als Wissen zu thematisieren« (Ders., Fides quaerens intellectum. Theologie als Kunst der Argumentation in Anselms Proslogion, in: ZThK 81 [1984], 54-105, 65). Auffällig ist zumindest, daß die Nötigung des Glaubens, sich seiner Gründe einsichtig zu werden, nicht auf den Grund des Glaubens bezogen, sondern im Glauben selbst festgemacht wird.

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verankern. Denn es stellt sich jetzt heraus, daß Dalferth zwar eine interne Nötigung des Glaubens zur Selbstexplikation in Anspruch nimmt, um die Begründungsthematik aus dem Glauben selbst erwachsen und ihm nicht von außen her aufgetragen sein zu lassen, dabei aber faktisch doch auf die sprachliche Behauptungsstruktur zurückgreift und so eine externe Perspektive in Anschlag bringt. Dalferth macht die Begründungsfrage nicht an einer internen Nötigung des Glaubens selbst als vielmehr an der externen Form seiner sprachlichen Äußerungen fest. Daraus folgt, daß die mit der Begründungsthematik verknüpfte allgemeine Darstellbarkeit christlich-religiöser Rede ausschließlich an ihrer sprachlichen Form hängt. Unter Voraussetzung der strikten Dichotomic zwischen Form und Inhalt bedeutet dies, daß der Inhalt christlich-religiöser Rede selbst, also die als selbständig zu bestimmende besondere Religiosität, gänzlich ohne Anbindung an die Ebene allgemeiner Sprachlichkeit bleibt. Entgegen seiner erklärten Absicht, aber in konsequenter Fortschreibung der Emanzipationsthese, gelingt es Dalferth nicht, die Begründungsthematik als ein inneres Erfordernis des Glaubens selbst einsichtig zu machen und von dort her den Schlüssel für die Vermittlung zwischen Religiosität und Sprachlichkeit zu gewinnen. Zwar hebt er darauf ab, im Rückgriff auf das Programm derßdes quaerens intellection die Begründungsthematik als dasjenige Bindeglied einzuführen, das die Vermittlung zwischen Form und Inhalt in der Weise zu leisten imstande ist, daß nichtsdestotrotz der Inhalt als der Form gegenüber selbständig aufrecht erhalten werden kann. Die Aufgabe interner Selbstexplikation soll insofern die Begründungsfrage vom Glauben selbst ausgehen lassen. Doch dieser Versuch ist in doppelter Hinsicht gescheitert: Die im Hintergrund stehende Intention einer Wahrung der religiösen Eigenständigkeit mündet in eine Dichotomic von sprachlicher Form und religiösem Inhalt, die nicht nur die inhaltliche Bestimmtheit christlich-religiöser Rede in einen Nebel sprach- und formloser Religiosität abgleiten läßt, sondern ebenso umgekehrt die Begründungsthematik zu einer der eigentlichen Religiosität christlich-religiöser Rede gegenüber gänzlich äußerlichen Fragestellung degradiert. Soll also gerade über die Frage nach der Begründung christlich-religiöser Äußerungen die angestrebte Vermittlung zwischen Religiosität und Sprachlichkeit inszeniert werden, so muß Dalferth nochmals und von einer anderen Seite aus die Legitimität und Notwendigkeit der Begründungsfrage aufweisen. (2) Dieser andere Weg sieht nun so aus, daß Dalferth das Interesse an einer Sicherung der religiösen Eigenständigkeit in den Hintergrund treten läßt und stattdessen die mit der Begründungsfrage gegebene allgemeine Sprachlichkeit christlich-religiöser Rede zum Ausgangspunkt nimmt. Dabei entfaltet er seinen eigenen Gedankengang vornehmlich in Auseinandersetzung mit dem Einwand, daß »jeder Begründungsversuch bedeuten würde, christliche Rede von Gott an einem ihr äußerlichen und daher fremden Maß zu messen« (525)65. 65

Vgl. I.U. Dalferth, Religiöse Rede 525-530.

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Die Frage nach der Begründung christlich-religiöser Rede wird hier für theologisch illegitim gehalten, »weil sie christlichen Glauben an einem ihm fremden und von außen aufgezwungenen Maß zu messen suche« (523). Im Hintergrund dieser Kritik steht der Versuch, Wittgensteins Sprachspielbegriff so auszuweiten und religionsphilosophisch umzusetzen, daß die Religion als ein - externer Kritik grundsätzlich entzogenes - eigenständiges Sprachspiel erscheint. Der profilierteste Vertreter eines solchen Ansatzes ist Dewi Z. Phillips66. Er schließt sich zwar an Wittgensteins Spätphilosophie an, verkennt aber deren kritisch-funktionale Pointe67. An die Stelle der methodischen Aufforderung, eine Übersicht über unseren Sprachgebrauch zu erstellen68, tritt eine essentialistische Verzeichnung des Sprachspielbegriffs, »als ob zwischen dem religiösen Sprachspiel und anderen Sprachspielen keinerlei logische Verbindungen bestünden, als ob es sich um verschiedene Welten handelte« (526). Aus dem apologetischen Interesse heraus, die religiöse Eigenständigkeit sicherstellen zu wollen, läßt sich Phillips dazu verleiten, die Religion im Sinne eines autonomen Sprachspiels aufzufassen und diesem die Aufgabe zuzuweisen, ein eigenes >Weltbild< zu entfalten. Eine solcher Ansatz hat zur Folge, »that there is no question of a general justification of religious belief, of giving religion a >sound foundation«^9. Es lassen sich wohl einzelne Äußerungen innerhalb einer bestimmten Religion begründen, keinesfalls aber die Religion selbst. In diesem Fall müßten Kriterien in Anschlag gebracht werden, die über die Grenzen der Religion hinaus in Geltung stünden. Gerade das aber wird durch die epistemologische Ausweitung des Sprachspielbegriffs ausgeschlossen. Indem ein Sprachspiel den >grammatischen< Rahmen erst konstituiert, innerhalb dessen sinnvoll nach Gründen gefragt werden kann, bleibt dieses Sprachspiel selbst dem Versuch einer Begründung notwendig entzogen: »The criteria of truth and falsity are internally related to the contexts in question«70. Entsprechendes gilt dann auch für das Sprachspiel der Religion: »Es gibt keinen generellen Standard, mit dem sich nicht nur über die Wahrheit oder Falschheit einer Behauptung im Kontext einer bestimmten Religion, sondern über die Wahrheit oder Falschheit eines gesamten komplexen Sprachspiels entscheiden ließe« (527).

66

Vgl. vor allem die programmatische Einleitung in D.Z. Phillips, The Concept of Prayer, London 1965, 21981, 1-29; für eine eingehendere Darstellung und Kritik des Phillips'schen Ansatzes vgl. unten Kapitel 6, 2.3.1.1. 67 Vgl. dazu unten Kapitel 6, 2.2 sowie 2.3.1.2. 68 Vgl. etwa L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, hg. von G.E.M. Anscombe, G.H. von Wright, R. Rhees, in: Ders., Werkausgabe, Bd. l, Ffm 1989, 227-580, § 130. 69 D.Z. Phillips, Concept 27. 70 D.Z. Philips, aaO. 22. - Vgl. auch L. Wittgenstein, Über Gewißheit, hg. von G.E.M. Anscombe, G.H. von Wright, in: Ders., Werkausgabe, Bd. 8, Ffm 1989, 115-257 (ÜG), §§ 94, 105. Allerdings bezieht Wittgenstein diese Internalität nicht auf einzelne Sprachspiele, denen gegenüber eine externe Beobachtungsebene eingenommen werden kann, sondern auf das aller sprachlichen Verständigung und Erkenntnis bereits zugrundeliegende und notwendig gemeinsame >WeltbildFakten< vielmehr als »immer schon im Rahmen eines bestimmten Systems interpretierte Daten« (528) auf und stellt fest, »daß sie semiotisch vermittelte und im Rahmen eines Symbolsystems artikulierte Wahrheitskandidaten sind« (ebd.)73. Die Wahrheit einer 72 73

Vgl. etwa W.R. Köhler, Einleitung, in: Realismus und Antirealismus, hg. vom Forum für Philosophie Bad Homburg, Ffm 1992, 7-19, bes. 7-12. Dalferth greift hier auf Überlegungen von Nicholas Rescher zurück; vgl. Ders., The Coherence Theory of Truth, Oxford 1973, 53ff. Nun vertritt Rescher in diesem Buch die Auffassung, trotz einer kohärentialen Explikation der Wahrheitskriterien an einer korrespon-

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Äußerung ist bestimmt durch ihre Beziehung zu den tatsächlichen Fakten; diese aber sollen keineswegs als irgendwelche uninterpretierte S ach verhalte verstanden werden, sondern ihrerseits immer schon in einem bestimmten System artikulierte Daten darstellen. Die den Wahrheitsbegriff konstituierende Korrespondenz bestehe daher »nicht zwischen einer Äußerung und einem Ausschnitt der außersprachlichen Realität, sondern zwischen der mit einer Vielzahl anderer Äußerungen im gleichen System kohärierenden Äußerung (...) einerseits und einem die Daten formulierenden System oder Systemausschnitt andererseits« (529). Doch diese These einer semiotisch vermittelten Korrespondenz wird von Dalferth letztlich doch wieder durch den Rekurs auf eine >objektive Realität< unterlaufen. Denn auch wenn jede begründete Behauptung nur den Status einer vorläufigen Erkenntnis beanspruchen könne, so liege das Ziel doch darin, im Zuge der allmählichen Annäherung eine »völlige Entsprechung ... zwischen den jeweiligen belief-systems und der objektiven Realität, zwischen konstruierter und erschlossener Welt und dabei intendierter Wirklichkeit herzustellen« (530; Hervorhebungen ML). Bereits die Terminologie zeigt hier an, daß Dalferth sich keinesfalls mit einem semiotisch gebrochenen Korrespondenzverhältnis zufrieden gibt; statt dessen bestätigt sich die anfängliche Vermutung, daß die angestrebte Entsprechung zur >objektiven Realität< den aufgewiesenen semantischen Realismus auch epistemologisch untermauert. Kehrt man von dieser Einsicht aus zu der Ausgangsfrage zurück, in welcher Weise es Dalferth gelingt, über die Begründungspflichtigkeit christlich-religiöser Rede ihre allgemeine Sprachlichkeit mit der besonderen Religiosität zu vermitteln, so tritt die Aporetik des Dalferthschen Ansatzes deutlich zutage. Denn zunächst hatte sich ergeben, daß eine von der Seite der Religiosität ausgehende Durchführung dieser Vermittlung an dem Dilemma scheitert, um der Wahrung der religiösen Eigenständigkeit willen eine strikte Dichotomic zwischen sprachlicher Form und religiösem Inhalt voraussetzen zu müssen, die jedoch umgekehrt die sprachliche Begründungsthematik auf den Status einer jener Religiosität gegenüber äußerlichen Fragestellung reduziert. Daher unternimmt Dalferth den Versuch, die Berechtigung und Relevanz der Begründungsthematik als Implikat der allgemeinen Sprachlichkeit christlich-religiöser Rede zu erweisen. Die bloße Äußerlichkeit der Frage nach der Begründung christlich-religiöser Äußerungen soll darin ihre Korrektur finden, daß sie

denztheoretischen Wahrheitsdefinition festhalten zu können. Darauf beruft sich auch Dalferth (vgl. Ders., Religiöse Rede 529). Inzwischen hat Rescher diese Differenzierung jedoch aufgegeben und ist zu der These übergegangen, auch den Wahrheitsbegriff kohärential bestimmen zu müssen; vgl. Ders., Truth as Ideal Coherence, in: RMet 38 (1985), 795806, dt. Wahrheit als ideale Kohärenz, in: L.B. Puntel (Hg.), Der Wahrheitsbegriff in der neueren Diskussion, Darmstadt 1987, 284-297. Von dieser Wende Reschers aus fällt auch ein neues Licht auf Dalferths Versuch, die Rede von den >Wahrheitskandidaten< im Rahmen einer klassischen Korrespondenztheorie zur Geltung zu bringen.

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aus der allgemeinen sprachlichen Struktur jener Äußerungen heraus als angemessen einsichtig gemacht wird und so umgekehrt die Religiosität christlich-religiöser Rede als im Horizont allgemeiner Sprachlichkeit artikulierbar vor Augen treten läßt. Dalferth geht es also darum, das Scheitern seines Versuchs, die Begründungsfrage aus einem inneren Erfordernis des Glaubens selbst hervorgehen zu lassen, dadurch zu überwinden, daß sie mit der sprachlichen Struktur christlichreligiöser Rede als berechtigt gesetzt wird. Doch gerade auf diese Weise werden von Dalferth epistemologische Voraussetzungen in Anspruch genommen, die als Konstitutionsrahmen für das Verständnis christlich-religiöser Rede fungieren und so erneut die Komplementärität verfehlen, um die es Dalferth in seinem Ansatz zu tun ist. Der Schlüssel liegt dabei in der Art und Weise, mit der Dalferth dem Versuch Phillips' entgegentritt, jegliche von außen her an den christlich-religiösen Glauben herangetragene Begründungsforderungen als sachlich illegitim abzuweisen. Denn zunächst hat es durchaus den Anschein, als verfolge Phillips ein dem Dalferthschen Ansatz verwandtes Anliegen: Die Betonung der Autonomie des religiösen Sprachspiels läßt sich in der Weise interpretieren, als ginge es Phillips um die Wahrung der Eigenständigkeit und epistemischen Subsistenz des christlich-religiösen Glaubens. Umso auffälliger ist daher die vehemente Kritik Dalferths: Sie läuft darauf hinaus, die besondere Religiosität zugleich in ihrem allgemeinen Wahrheitsanspruch darstellen zu wollen. Aus diesem Grund hält Dalferth im Gegenzug zu Phillips' »verhängnisvolle[r] Relativierung der Wahrheitsfrage« (527) an einer strikten Trennung von kontextrelativer Begründung und allgemeiner Wahrheit fest. Diese Trennung setzt freilich ihrerseits einen realistischen Rahmen voraus, um mit dem strikten Gegenüber von Sprache und Welt die Vorgängigkeit der einen Wahrheit gegenüber der Vielfalt möglicher Begründungsversuche absichern zu können. Indem aber aus dieser semantisch-epistemologischen Grundlegung heraus und vermittelt über die allgemeine Sprachstruktur die Berechtigung der Begründungsfrage für den Bereich christlich-religiöser Rede abgeleitet wird, rückt die Religiosität dieser Rede erneut unter die Vorherrschaft eines allgemeinen Sprachbegriffs. Denn nun zeigt sich, daß die Reduktion der allgemeinen Sprachlichkeit auf eine bloße Form nicht aufrecht erhalten werden kann. Stattdessen wird einsichtig, daß auch diese Form immer schon eine bestimmte epistemologische Struktur impliziert und so den Inhalt nur als sprachlich vermittelten Inhalt zum Ausdruck zu bringen vermag. Die Inhalte des Glaubens werden damit in einen epistemologischen Rahmen eingespannt, der mit der strikten Trennung zwischen Sprache und Welt operiert und so - zumindest im Fall der Gotteslehre - darauf verpflichtet ist, die grundlegende Architektonik des klassischen Theismus auch dort fortzuführen, wo sie explizit überwunden werden soll. Gerade der Versuch also, die Berechtigung und Relevanz der Begründungsfrage für die christlich-religiöse Rede aufzuweisen, läßt es für Dalferth unaus-

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weichlich erscheinen, einen epistemologischen Ansatz in Anschlag zu bringen, innerhalb dessen diese Rede dann auch als religiöse Rede erst zu stehen kommt. Dalferth versucht zwar, die allgemeine Sprachlichkeit christlich-religiöser Rede als bloße Form aufzuweisen; um aber mit Recht nach ihrer Begründung fragen zu können, muß er diese Form epistemologisch qualifizieren und ihr so auch den Inhalt einer vorgängigen epistemologischen Prägung unterordnen. Indem Dalferth die Berechtigung der Begründungsforderung letztlich nur so einsichtig zu machen vermag, daß er auf die sprachliche Struktur christlich-religiöser Äußerungen zurückgreift und dieser ein bestimmtes epistemologisches Gerüst unterlegt, muß der Versuch, über den Aufweis der allgemeinen Begründungspflichtigkeit Religiosität und Sprachlichkeit miteinander zu vermitteln, als gescheitert angesehen werden. Denn auf der einen Seite bleibt die These, diese Begründungspflichtigkeit in der internen Struktur der fides quaerens intellectum selbst verankern zu können, ein bloßes Postulat, das zudem im Versuch seiner Durchführung in einen Widerspruch zu seiner eigenen Intention gerät; auf der anderen Seite weist die Ableitung der Begründungspflichtigkeit aus der sprachlichen Struktur christlich-religiöser Behauptungen auf die notwendige Vorgängigkeit eines epistemologischen Horizontes, innerhalb dessen erst der religiöse Inhalt seinen sprachlichen Ausdruck finden kann. Die Vermittlung zwischen besonderer Religiosität und allgemeiner Sprachlichkeit mündet also in die Aporie, entweder die Sprachlichkeit als nur äußerliches Beiwerk einer sich in die Unaussprechlichkeit verflüchtigenden Religiosität bestimmen zu müssen oder umgekehrt die Religiosität nur als immer schon durch ein bestimmtes epistemologisches Modell vermittelt explizieren zu können. Die Komplementaritätsthese scheitert an dem einfachen Umstand, die Religiosität christlich-religiöser Rede niemals als das Andere ihrer Sprachlichkeit fixieren, sondern nur als das durch diese Sprachlichkeit vermittelte Besondere aussagen zu können.

3.2 Die Propositionalität christlicher Rede Die Einsicht in die strukturelle Aporetik des Programms hat nun auch Folgen für dessen Durchführung. Dalferth ist darauf aus, die zunächst nur behauptete und am Ort der Begründungsfrage lozierte Vermittlung zwischen Religiosität und Sprachlichkeit so durchzuführen, daß über die Klärung der Begründungsmöglichkeit christlich-religiöser Äußerungen - und damit über den Aufweis ihrer Propositionalität - die allgemeine sprachliche Artikulierbarkeit eines spezifischen christlich-religiösen Inhalts einsichtig wird. Mit dieser Anlage seines Gedankengangs verfolgt Dalferth ein doppeltes Ziel. Auf der einen Seite gibt ihm die Ausrichtung auf die Aufgabe des Propositionalitätsaufweises christlich-religiöser Rede die Möglichkeit, an die Problemlage der analytischen Religionsphilosophie anzuknüpfen. Diese habe in ihrer reli-

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gionskritischen Variante vornehmlich zwei Einwände gegen die christlich-religiöse Rede von Gott erhoben: »So wird gegen ihre behauptete Propositionalität im wesentlichen die Identifizierbarkeitsproblematik und die Prädizierbarkeitsproblematik ins Feld geführt (...)· Denn nur wenn sich verständlich machen läßt, wer Gott ist und was von ihm gesagt wird, kann christlichen Behauptungen mit Recht Propositionalität zugesprochen werden« (544). Folgerichtig geht auch Dalferth so vor, die Verteidigung der Propositionalität auf dem Wege einer Beantwortung der beiden Fragen zu führen, wer derjenige ist, von dem in christlich-religiösen Äußerungen geredet wird, und wie zu verstehen ist, was von ihm gesagt wird. Auf der anderen Seite aber tritt mit der Verortung der Vermittlungsaufgabe im Vorfeld des eigentlichen Begründungsgangs ein weiterer für Dalferths Ansatz kennzeichnender Zug zu Tage. Der Aufweis der allgemeinen Sprachlichkeit christlich-religiöser Rede soll nicht deren generelle argumentative Zugänglichkeit und Kritisierbarkeit einschließen, sondern lediglich dem Umstand Rechnung tragen, daß der besondere religiöse Inhalt in einer allgemeinen sprachlichen Form seinen Ausdruck findet. Der christlich-religiöse Glaube lasse sich zwar im Medium allgemeiner Sprachlichkeit artikulieren und in der Darlegung seiner Gründe als rational erweisen, bleibe einer externen Kritik aber insofern verschlossen, als er argumentativ weder geweckt noch aufgelöst werden könne. Die allgemeine Sprachlichkeit erstreckt sich also nur auf die Form rationaler Argumentation, nicht aber auf deren inhaltlichen Geltungsanspruch. Im Hintergrund dieser These steht das methodische Postulat, die philosophischen Konstruktionsversuche eines konsistenten Gottesbegriffs durch das Verfahren der Rekonstruktion eines aus der christlichen Anredeerfahrung gewonnenen Gottesverständnisses zu ersetzen. Denn der philosophische Weg der Konstruktion bleibe den Aporien des metaphysischen Gottesbegriffs verhaftet. Er sei weder in der Lage, über den Aufweis der bloßen Möglichkeit irgendeines Gottes hinaus zur Wirklichkeit des einen christlichen Gottes vorzustoßen74, noch vermöge er die Schwierigkeiten der klassischen Eigenschaftslehre so aufzulösen, daß im Gegenzug zu der kategorialen Differenz zwischen Gott und Mensch dem faktischen Reden von Gott Rechnung getragen werden könne75. Erst der Weg der Rekonstruktion setze so bei der konkret vorfindlichen Rede von Gott an, daß im Rückgang auf die dieser Rede zugrunde liegende Anredeerfahrung das Subjekt dieser Anrede als derjenige zur Sprache kommt, als der er sich in dieser Erfahrung zu erkennen gibt. Dalferth sucht mit dieser methodischen Wende seiner situativen Verankerung der Religiosität religiöser Rede in der Erfahrung Jesu als der Anrede Gottes auch dort Rechnung zu tragen, wo es um die sprachliche Artikulation dieser Erfahrung geht. Das rekonstruktive Verfahren soll mithin die Gewähr leisten, daß die 74 75

Vgl. I.U. Dalferth, Religiöse Rede 568. Vgl. I.U. Dalferth, aaO. 617.

3. Die Vermittlung zwischen Religiosität und Sprachlichkeit

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situativ verankerte religiöse Eigenständigkeit auch unter den Bedingungen ihrer Darstellung im Medium allgemeiner Sprachlichkeit bewahrt werden kann. Doch die bereits auf der Ebene des Programms aufgewiesene Aporetik der Vermittlung zwischen Religiosität und Sprachlichkeit wirkt sich nun im Zuge seiner Durchführung dahingehend aus, daß der von Dalferth inszenierte Propositionalitätsaufweis, wenn er auf die Situation der Anredeerfahrung zurückzugreifen versucht, sich selbst immer schon als gelungen voraussetzen muß. Damit stellt sich überdies die betonte Anknüpfung an die vorgängige Anredeerfahrung als der Versuch dar, die intendierte Eigenständigkeit des christlich-religiösen Glaubens unter den Bedingungen seiner faktischen sprachlichen Vermittlung auf dem Wege einer immunisierenden Restriktion seiner Zugänglichkeit aufrecht zu erhalten. Der Propositionalitätsaufweis wird methodisch an die Aufgabe der Rekonstruktion eines Gottesverständnisses geknüpft, das zwar auf eine Erfahrung Jesu als der Anrede Gottes zurückgehen soll, dabei aber doch seiner selbst schon sprachlichen Vermittlung nicht entgehen kann. Denn wenn diese Anredeerfahrung nur so zugänglich ist, daß es in der Durchführung des Propositionalitätsaufweises um die Rekonstruktion »des in Gebet, Bekenntnis und Verkündigung intendierten und thematisierten Referenten christlicher Rede und des darin geäußerten Gottesverständnisses« (669; Hervorhebungen ML) gehen muß, dann kann nicht anders geurteilt werden, als daß die sprachliche Bestimmtheit jener Anredeerfahrung gerade die propositionale Struktur immer schon impliziert, um deren Auf weis es doch erst gehen soll. Dalferth sitzt hier insofern einem Zirkel auf, als er die sprachliche Propositionalitätsstruktur christlich-religiöser Äußerungen im Rückgang auf eine Anredeerfahrung erweisen will, die als Anredeerfahrung selbst schon durch diese Struktur vermittelt ist. Denn anders wäre es weder möglich, von einem »Subjekt der in Jesus erfahrenen Anrede« (669) zu reden, noch könnte sinnvoll nach der »Verständlichkeit der von diesem ausgesagten Prädikatoren« (607) gefragt werden. Indem Dalferth das sprachlogische Schema >Gott ist F< so einführt, daß es sich durch eine Rekonstruktion des in der Anredeerfahrung eröffneten Gottesverständnisses inhaltlich soll füllen lassen76, spiegelt er die mit diesem Schema in Anspruch genommene sprachlogische und epistemologische Struktur auf die Ebene der Anredeerfahrung selbst zurück. Das aber bedeutet, die Propositionalität nicht erst aufzuweisen, sondern lediglich nachträglich zu explizieren und so eine Vermittlung zwischen Religiosität und Sprachlichkeit nicht zu leisten, sondern umgekehrt bereits vorauszusetzen. Das hat zur Folge, daß die von Dalferth behauptete Eigenständigkeit des christlich-religiösen Glaubens ihren epistemologischen Rechtsgrund verliert. Sie kann sich nicht mehr darauf stützen, in einer nichtsprachlich strukturierten Begegnungs- oder Anredesituation ihren Ort zu haben. Stattdessen sollte nunmehr 76

Vgl. I.U. Dalferth, aaO. 565, 607.

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deutlich geworden sein, daß auch diese Anredeerfahrung selbst und damit dasjenige Moment, das religiöse von nichtreligiösen Äußerungen zu unterscheiden erlaubt, eine vorgängige sprachliche >Grammatik< und Vermittlung voraussetzt. Wenn Dalferth dennoch an der These festhält, daß nur innerhalb des Glaubens sinnvoll von Gott geredet werden könne und daher »die Frage der Existenz Gottes außerhalb des Glaubens unbeantwortbar« (605) sei77, dann kommt diese notwendig in einem anderen argumentativen Zusammenhang zu stehen. Zwar zielt Dalferth auf die Sicherstellung der epistemischen Subsistenz des christlichreligiösen Glaubens. Doch der Aufweis der vorgängigen sprachlichen Vermittlung auch der Anredeerfahrung hat zur Folge, daß eine auf sie gestützte Religiosität christlich-religiöser Rede nicht mehr als das Andere, sondern nurmehr als das Besondere jener sprachlichen Allgemeinheit expliziert werden kann. Die semantische wie epistemologische >Grammatik< der Sprache wird als der allgemeine Rahmen einsichtig, innerhalb statt jenseits dessen die besondere Religiosität christlich-religiöser Rede ihren Ort findet. Die These einer externen Unzugänglichkeit des im Glauben Geglaubten kann dann aber nur bedeuten, innerhalb dieses gemeinsamen Rahmens sprachlicher Allgemeinheit dennoch Grenzen ziehen zu wollen, die die Glaubensinhalte gegen eine sprachlogisch zwar mögliche, theologisch aber unerwünschte Kritik immunisieren sollen. Der ursprünglich epistemologisch ausgerichtete Versuch, die intendierte Eigenständigkeit des christlich-religiösen Glaubens gegenüber einer vorgängigen sprachbegrifflichen Vereinnahmung zur Geltung zu bringen, reduziert sich auf das apologetische Manöver, um der Unmittelbarkeit der eigenen Glaubenserfahrung willen an der externen Unzugänglichkeit ihrer Gehalte festhalten zu wollen: »>Gott existiert< vermag daher überhaupt nur von demjenigen in assertorischer Rede behauptet zu werden, der sich selbst im Glauben in das mit >Gott< intendierte trinitarische Individuum hineingenommen und damit durch dieses konstituiert weiß; und er kann diese Existenzbehauptung nicht aufstellen, ohne dadurch zugleich seine eigene Existenz als durch Gott konstituiert zu bekennen« (605). Freilich bleibt Dalferth noch ein letzter Ausweg. Es ist ihm ja in erster Linie darum zu tun, einem Verständnis des Glaubens Rechnung zu tragen, das diesen als von seinem Grund her bestimmt einsichtig zu machen erlaubt, ohne ihn um irgendwelcher externer Rationalitätskriterien willen einem ihm selbst fremden und vor allem unsachgemäßen Maßstab unterwerfen zu müssen. In der Fluchtlinie dieses Ansatzes liegt daher letztlich auch die Möglichkeit, die Begründungs77

Vgl. auch I.U. Dalferth, aaO. 605: »Gott ist nur für diejenigen Subjekte Erfahrungsgegenstand, die er sich selbst schafft, damit er von ihnen erfahren und erkannt wird. Nur wer sich durch den Glauben in die trinitarische Struktur Gottes hineingenommen erfährt, vermag Gott aufgrund eigener Erfahrung als Gegenstand, und d.h. als ihm gegenüberliegendes Individuum zu thematisieren«. Es ist interessant zu sehen, wie sich bereits an dieser Stelle die Umkehrung der Beobachtungsebenen andeutet, mit der Dalferth sich schließlich der epistemologisch verstandenen - Begründungsproblematik überhaupt zu entledigen trachtet und zu einer an Barth erinnernden vorgängigen Gegründetheit auch dieser Fragestellung in Gott selbst zurückkehrt.

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frage so an die interne Ebene des Glaubens zurückzubinden, daß als das Subjekt dieser Begründung schließlich nicht mehr der Mensch - sei er Glaubender oder Beobachter des Glaubens -, sondern der Grund des Glaubens selbst eintritt: »Alle Methoden zur Begründung des christlichen Wahrheitsanspruchs sind daher in jeder Dimension auf das schöpferische Handeln Gottes als der Bedingung der Möglichkeit des Wahrheitserweises des christlichen Glaubens bezogen. Denn nur was von Gott wahr gemacht ist, kann dem Menschen als wahr erwiesen werden« (700). Dalferth vollzieht so nicht nur eine Umkehrung der Beobachtungsebenen des Glaubens und seiner Begründung, sondern verzichtet letztlich auf seine eigene Problemstellung. Der Versuch, die Frage nach der Begründung christlich-religiöser Rede letztlich durch Gott selbst beantworten zu lassen, kann nur als eine Kapitulation vor der anfänglichen Aufgabe verstanden werden, die Rationalität des Glaubens vor dem Forum der analytischen Religionskritik zu verantworten. Damit legt diese Wende noch einmal in aller Deutlichkeit die Aporetik des Dalfertschen Ansatzes offen: Er unternimmt den breit angelegten Versuch, eine von Barth her übernommene grundsätzliche Internalität des Glaubens mit dem über Barth hinausgehenden Interesse zu verknüpfen, unbeschadet jener Internalität auch die externe Rationalität des Glaubens aufzuweisen. Die sprachphilosophisch angelegte Durchführung dieser Vermittlung zwischen besonderer Religiosität und allgemeiner Sprachlichkeit mündet jedoch in die Aporie, entweder die vorgängige sprachliche Einbettung auch der für die Wahrung der Religiosität eingeführten Anredeerfahrung zugestehen und damit das Scheitern jener Vermittlung in Kauf nehmen zu müssen oder aber gezwungen zu sein, sich auf die interne Ebene des Glaubens selbst zurückzuziehen und damit die Preisgabe der eigenen Problemstellung als die Weise ihrer Lösung zu präsentieren. Doch dieser Ausblick ist vorerst noch hinter die andere Aufgabe zurückzustellen, die zunächst nur auf der Ebene des Programms lokalisierte Aporetik des Dalfertschen Ansatzes auch auf der Ebene seiner Durchführung namhaft zu machen. Dazu ist es notwendig, im folgenden Dalferths Versuch in den Blick zu nehmen, gegenüber der analytischen Religionskritik und in Auseinandersetzung mit der Identifizierbarkeits- und der Prädizierbarkeitsproblematik die Propositionalität christlich-religiöser Rede aufzuweisen. Dalferth sieht die religionskritische Linie der analytischen Religionsphilosophie auf zwei paradigmatische Anfragen zulaufen. Die Identifizierbarkeitsproblematik »besteht in der Schwierigkeit, die Referenz christlicher Rede von Gott zu bestimmen, also zu sagen, wovon eigentlich und ob überhaupt von etwas die Rede ist« (544). Die Prädizierbarkeitsproblematik hingegen betrifft die Schwierigkeit, »wie auch sonst gebrauchte (allgemeine) Ausdrücke der menschlichen Sprache in Aussagen über Gott als Prädikatoren zur Charakterisierung Gottes verwendet werden können« (545). Während es also im ersten Fall darum geht, wer derjenige ist, auf den mit dem Namen >Gott< Bezug genommen wird, steht im zweiten Fall die Frage im Vordergrund, von welcher Art er ist. Bezogen auf

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Äußerungen der Form >Gott ist F< besteht die Aufgabe darin, sowohl den Referenten des Designators >Gott< als auch die Verständlichkeit der Prädikation >F< aufweisen zu können. Erst wenn es gelingt, einen Referenten christlicher Rede zu identifizieren und überdies anzugeben, in welcher Weise die über ihn gemachten Äußerungen zu verstehen sind, kann der geforderte Propositionalitätsaufweis als gelungen gelten und die weitere Frage nach der Begründung christlich-religiöser Rede beantwortet werden78.

3.2.7 Die Identifizierbarkeitsproblematik Dalferth stellt seine Auseinandersetzung mit dem Identifizierbarkeitsproblem unter eine doppelte Einschränkung: »Zum einen geht es um die Identifizierbarkeit nicht irgendeines, sondern des christlichen Gottes. Zum anderen ist die Frage nach seiner Identifizierbarkeit von der Frage nach seiner Existenz zu unterscheiden. Wovon und ob überhaupt von etwas die Rede ist, ist in ihrem Horizont problematisch, und das ist eine andere Frage als die, ob das, wovon die Rede ist, tatsächlich existiert« (566). Mit letzterem nimmt Dalferth die für einen realistischen Ansatz kennzeichnende strikte Unterscheidung von Bedeutung und Wahrheit auf. Er hält es für möglich, die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks - hier der Existenzbehauptung Gottes - gänzlich unabhängig von der möglichen Erkenntnis seiner Wahrheit zu bestimmen. Diese Beobachtung ist insofern bedeutsam, weil sie einen ersten Ausblick auf den sprachphilosophisch-epistemologischen Ansatz eröffnet, von dem aus Dalferth das Identifizierbarkeitsproblem in den Blick nimmt. Denn Dalferth zieht zwischen sprachlicher Bedeutung und nichtsprachlichem Sachverhalt eine Grenze, die beide als unabhängig voneinander strukturierte Größen erscheinen läßt. Erst auf dieser Grundlage, so wird sich zeigen, ist es überhaupt möglich, die Frage nach der Identifizierbarkeit Gottes als ein sinnvolles Problem zu formulieren. Dann aber legt sich schon an dieser Stelle der Schluß nahe, daß Dalferth ein bestimmtes sprachphilosophisches Modell in Anschlag bringt, ohne sich die damit zusammenhängenden methodologischen Probleme vor Augen zu führen. Gegenüber diesem sprachphilosophischen Aspekt weist die andere Einschränkung auf einen spezifisch theologischen Sachverhalt: Es ist für Dalferth schlechthin entscheidend, »daß es bei der Identifizierbarkeit des Referenten christlicher Rede nicht um die Möglichkeit irgendeines, sondern eines ganz bestimmten, nämlich des christlichen Gottes geht« (568). Die in dieser Bemerkung angedeutete Differenz zwischen der Konstruktion eines Gottesbegriffs auf der einen und der Rekonstruktion eines Gottesverständnisses auf der anderen Seite bildet den roten Faden in Dalferths Auseinandersetzung mit der Identifizierbarkeitsproblematik. Konstruktion und Rekonstruktion erscheinen als Chiffren für die beiden gegenläufigen Versuche, entweder von außen her einen konsistenten Gottesbegriff als denkbar zu erweisen oder aber von innen her ein angemessenes Gottesverständnis zu erheben. Dalferth selbst läßt keinen Zweifel daran, »daß der in christlicher Rede intendierte Gott entweder verfehlt wird und unidentifiziert bleibt oder aber durch den Rückgang auf die christliche Grunderfahrung, die diese Rede begründet und in ihr artikuliert wird, als identifizierbar erwiesen wird« (571). Die folgende Auseinandersetzung um die Identifizierbarkeit Gottes steht somit unter dem methodischen Primat der internen Rekonstruk78

Bereits die strikte Unterscheidung zwischen Identifizierbarkeit und Prädizierbarkeit läßt ersehen, daß Dalferth seinen Ausführungen einen realistischen Ansatz zugrunde legt. Denn nur unter der Voraussetzung einer sprachunabhängig strukturierten Welt erweist es sich überhaupt als sinnvoll, die Frage nach der Identifizierbarkeit eines bestimmten Referenten ebenfalls unabhängig von der Frage nach seiner sprachlichen Prädizierbarkeit in den Blick zu nehmen; vgl. etwa H. Putnam, Reason, Truth and History, Cambridge 1981, 54; vgl. auch im folgenden.

3. Die Vermittlung zwischen Religiosität und Sprachlichkeit

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tion eines als wirklich erfahrenen und in der christlichen Glaubensrede als solchen bezeugten Gottes. Diese Dopplung von vorausgesetztem sprachlogischem Modell und methodischem Primat der Rekonstruktion interner Glaubenserfahrung durchzieht den weiteren Gedankengang. So ergibt sich zunächst das Problem, den logischen Status des Wortes >Gott< bestimmen zu müssen. In der christlichen Rede findet sich ein nominaler und ein prädikativer Gebrauch79. In dieser Ambiguität spiegelt sich für Dalferth die Spannung zwischen der allgemeinen Reichweite eines nicht eigentlich christlichen Wortes auf der einen und seiner partikular-christlichen Verwendung auf der anderen Seite. Er selbst löst das Dilemma durch einen betonten Rückgang auf die Ebene der internen Rekonstruktion. Das Wort >Gott< wird in christlicher Rede zwar nicht als Eigenname, wohl aber als rigider Designator verwendet, um so anzuzeigen, das von einem ganz bestimmten Gegenstand - eben dem Subjekt der in Jesus erfahrenen Anrede - die Rede sein soll. Im Vordergrund steht nicht die logische Struktur des Wortes >Gott< für sich selbst, sondern die Identifizierbarkeit des damit bezeichneten Referenten. Der auf diese Weise angedeutete Wechsel von der Ebene logischer Konstruktion auf die Ebene interner Rekonstruktion erfährt eine zusätzliche Plausibilität durch den Aufweis der Aporien, in die sich der Versuch einer sprachlogischen Bestimmung des Ausdrucks >Gott< verstrickt. Die in der christlichen Rede intendierte Einzigartigkeit Gottes kann sprachlogisch nur um den Preis ihrer völligen Unbestimmtheit eingeholt werden80. Doch die christliche Rede beansprucht ja sehr wohl, positiv von Gott reden zu können, indem sie ihn als das Subjekt der in Jesus erfahrenen Anrede bezeichnet. Daraus ergibt sich die Aufgabe, auf die konkrete Situation zurückgehen und so von innen her den Referenten christlicher Rede explizieren zu müssen. Freilich stellt die designatorische Verwendungsweise des Ausdrucks >Gott< erneut vor eine Alternative. Die Bezugnahme auf einen Gegenstand kann entweder durch deskriptive Spezifikation oder durch deiktische Lokalisierung erfolgen81. Beide Verfahrensweisen jedoch bleiben je für sich unbefriedigend82. Dalferth schlägt daher vor, »daß Spezifikation und individuierende Lokalisierung als die beiden notwendigen Teilmomente einer Identifikation Gottes so aufeinander angewiesen sind, daß einerseits eine Lokalisierung ohne Spezifikation leer und kommunikativ unzureichend ist, andererseits aber eine Spezifikation des christlichen und nicht irgend eines möglichen Gottes nur auf der Basis seiner konkreten Erfahrung, und d.h. seiner schon vollzogenen bzw. anfangsweise vollzogenen Identifikation erfolgen kann« (595). Diese wechselseitige Verwiesenheit von Deskription und Deixis macht die Identifizierbarkeit Gottes als einen »hermeneutischen Prozeß« (596) einsichtig, der seinen Mittelpunkt in der christologischen Identifikationssituation findet. Diese erfüllt die doppelte Funktion, zunächst den Referenten zu fixieren, auf den sich die christliche Rede von Gott bezieht, und diesen sodann in bestimmter Weise erfahren und zu sprachlichem Ausdruck kommen zu lassen. Die Frage nach der Identifizierbarkeit Gottes fächert sich in einen mehrschichtigen Prozeß auf, der die

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Vgl. I.U. Dalferth, Religiöse Rede 572: »Einerseits ist von Gott so die Rede, daß er als logisches Subjekt fungiert, von dem und über das Aussagen gemacht werden. >Gott< wird also als Designator verwendet... Andererseits aber wird der Ausdruck >Gott< auch korrekt so verwendet, daß er als Prädikator von anderen Subjekten prädiziert wird«. Vgl. I.U. Dalferth, aaO. 581. Vgl. I.U. Dalferth, aaO. 583: »Man kann entweder auf außersprachliche Weise ... den intendierten Referenten durch Deixis direkt identifizieren; oder man identifiziert ihn innersprachlich mit einem Gegenstand, der unter einer anderen Bezeichnung schon bekannt ist«. So erlaubt die deskriptive Spezifikation den Aufweis lediglich einer Menge von Beschreibungen, nicht aber den Vorstoß zum intendierten Individuum selbst; überdies vermag sie nicht zwischen der Spezifikation eines wirklichen oder bloß fiktionalen Referenten zu unterscheiden. Die christliche Rede aber behauptet, mit >Gott< sowohl auf ein ganz bestimmtes als auch auf ein als wirklich erfahrenes Individuum Bezug zu nehmen. Doch auch der umgekehrte Weg einer deiktischen Lokalisierung wird diesem Anspruch christlicher Rede nicht gerecht, da jede Deixis grundsätzlich vieldeutig ist und eine deskriptive Spezifikation voraussetzen muß, um überhaupt wissen zu können, was deiktisch lokalisiert werden soll.

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Kapitel 5: Ingolf U. Dalferth

anfängliche Bestimmung der Referenz christlicher Rede von Gott in die allmähliche Entfaltung eines aus vielfältigen Erfahrungen gespeisten Gottesverständnisses überführt83. Dalferth zeichnet also in seine Auseinandersetzung mit dem Identifizierbarkeitsproblem die grundlegende Differenz ein zwischen dem eindeutigen Sachbezug auf das Subjekt der in Jesus erfahrenen Anrede auf der einen und seinen aus den jeweiligen Erfahrungen gesättigten mannigfaltigen Artikulationsversuchen auf der anderen Seite: »Wovon in christlicher Rede von Gott die Rede ist, ist daher einzig und ausschließlich durch die christologische Erfahrungssituation festgelegt; und als was Gott zur Sprache gebracht wird, ist nicht schlichtweg als deskriptive Charakterisierung seines Gott-Seins aufzufassen, das zur Formulierung identifizierender Beschreibungen verwendet werden kann, sondern ist der Versuch, die mit Gott in Jesus gemachte Erfahrung zu artikulieren« (599). Der christologischen Identifikationssituation eignet daher die Struktur einer »vermittelten Unmittelbarkeit« (598). Indem sie mit >Gott< auf das Subjekt der in Jesus erfahrenen Anrede Bezug nimmt, gründet sie sich zwar in einer spezifischen Erfahrungssituation, thematisiert Gott aber vermittelt durch die in Jesus gemachte Anredeerfahrung und trägt damit dem interpretativen Charakter des Erfahrungsbegriffs Rechnung. Die Situation der Erfahrung Jesu als der Anrede Gottes impliziert keinen unmittelbaren Zugang zu Gott, sondern läßt jemanden als Gott und diesen als jemanden erfahren. Dalferth unterscheidet grundsätzlich »zwischen der Festlegung der Referenz christlicher Rede und der Beschreibung des damit lokalisierten Referenten« (597). Diese Differenz bestätigt die von Dalferth übernommene Unterscheidung zwischen der Identifizierbarkeits- und der Prädizierbarkeitsproblematik. Darüber hinaus versucht sie einem genuin theologischen Interesse Rechnung zu tragen. Dabei handelt es sich um die am ersten Gebot ausgerichtete Wahrung der Differenz zwischen Gott und Gottesbegriff: »Gott ist ... vorgängig da und wird zunächst erfahren, und alle begrifflichen Bestimmungen sind nichts anderes als menschliche Näherungsversuche, die mehr oder weniger glücken oder auch mißglücken können« (597). Dieses auf der Seite des ordo cognescendi lozierte Interesse an der Unterscheidung zwischen Gott und Gottesbegriff findet aber dann auch eine Entsprechung auf der Seite des ordo essendi: Gott ist zwar über das raumzeitlich lokalisierte Ereignis der in Jesus erfahrenen Anrede identifizierbar, ohne doch selbst einfach raumzeitlich lokalisiert werden zu können. Er wird in dem Sinne als Verborgener zugleich erfahren, daß Jesus als die Anrede erfahren wird, in der er als Verborgener zugleich gegenwärtig ist. Diese Verknüpfung von Verborgenheit und Erfahrbarkeit führt zu dem Schluß, Gott als den Referenten christlicher Rede trinitarisch explizieren zu müssen84. Dalferth schlägt so auch den Bogen zurück zu der grundlegenden Erfahrungssituation, in der allein die Rede von Gott sich gründen kann. Indem der mit >Gott< bezeichnete Referent christlicher Rede nur trinitarisch identifiziert werden kann, kann im Vollzug dieser Identifikation nicht abgesehen werden von dem Wirken Gottes selbst, mit dem er sich überhaupt erst identifizierbar macht. Daraus ergibt sich also, daß nur im Rückgang auf die Situation der Erfahrung Jesu als der Anrede Gottes in dem Sinne, sich darin zugleich als das von seinem Wirken her bestimmte Geschöpf zu erkennen, eine Identifikation Gottes gelingen kann85. Stellt man nun diesen Ansatz in den Horizont des Ausgangsproblems einer Vermittlung zwischen besonderer Religiosität und allgemeiner Sprachlichkeit, so stechen die vielfältigen Probleme unmittelbar ins Auge. Zunächst bestätigt sich der Verdacht, der sich bereits in der Auseinandersetzung mit Dalferths Bestimmung einer situativ verankerten Religiosität in der Erfahrung Jesu als der Anrede Gottes ergeben hatte: Seine eigene Einsicht in die grundsätzliche Interpretativität der Erfahrung wird von ihm in der Weise unterlaufen, daß er zwischen einem

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I.U. Dalferth, aaO. 596: »Die Identifikation Gottes ist in diesem Sinn der mit der christlichen Grunderfahrung einsetzende Prozeß, den durch diese Erfahrung fixierten Referenten christlicher Rede von Gott immer besser zu verstehen und eben so zu einer immer besseren Kenntnis Gottes zu gelangen«. I.U. Dalferth, aaO. 604: »Er kann ... immer nur durch den gleichzeitigen Verweis auf das in Jesus anredende Subjekt, auf Jesus als seine Anrede und auf das Subjekt, das den Menschen zur Erfahrung Jesu als der Anrede Gotte bewegt, identifiziert werden«. Vgl. I.U. Dalferth, aaO. 605; vgl. zur Zusammenfassung aaO. 605f.

3. Die Vermittlung zwischen Religiosität und Sprachlichkeit

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identifizierbaren Referenten auf der einen und seiner inhaltlich-prädikativen Bestimmung auf der anderen Seite unterscheiden zu können behauptet. Dabei wird die Sprachform >Gott ist F< als Ausweis für die Sache genommen, ohne sich über die darin implizierte ontologische Verlängerung einer sprachlogischen Struktur Rechenschaft zu geben. Indem Dalferth in der angezeigten Weise zwischen Designator und Prädikation unterscheiden zu können meint, setzt er einen ontologischen Realismus voraus, dessen Pointe darin liegt, auf eine gänzlich sprachunabhängig strukturierte Wirklichkeit Bezug nehmen zu können, die es lediglich korrekt zu erfassen gelte. Dabei kommt es im vorliegenden Zusammenhang nicht in erster Linie auf die Schlüssigkeit oder Problematik dieses Modells an, sondern auf den dieser Frage noch vorgeordneten Sachverhalt, daß er dieses Modell in Anspruch nimmt, ohne sich darüber explizit Rechenschaft abzulegen. Denn dieser realistische Rahmen betrifft nun nicht nur den Zusammenhang der sprachlichen Vermittlung der religiösen Eigenständigkeit, sondern prägt auch die Bestimmung der religiösen Grunderfahrung selbst. Dies zeigt sich paradigmatisch an einem Problem, das auch Dalferth vor Augen steht. Dabei geht es um die Unterscheidung zwischen der Eindeutigkeit des Referenten und den vielfältigen Versuchen, ihn sprachlich zu artikulieren: »Um Jesus als die Anrede Gottes erfahren zu können, darf >Gott< kein leerer Ausdruck für mich sein; ich muß vielmehr schon eine gewisse Vorstellung von Gott haben, um das Subjekt der in Jesus erfahrenen Anrede >Gott< nennen zu können« (600). Die Lösung liegt für ihn nun darin, auf die primäre Rezeptionssituation derer zurückzugehen, die in Jesus das Handeln Gottes erfahren zu haben behaupten86. Doch diese Auskunft verlagert das Problem nur um einen Schritt nach hinten; auch hier läßt sich wieder die Frage anschließen, wie es denn möglich sein kann, ein singuläres Individuum zu postulieren, von dem dann erst in einem zweiten Schritt prädikative Feststellungen getroffen werden sollen. Um der Konsistenz des Dalferthschen Gedankengangs willen läßt sich der Schluß nicht umgehen, daß hier eine unmittelbare personale Begegnung statthaben muß, die vor aller Interpretation das Substrat prädikativer Aussagen zu erfassen vermag. Gerade diese Voraussetzung jedoch verdankt sich einem bestimmten sprachlogisch-epistemologischen Rahmen, der auch der Suche nach der sprachjenseits zu lozierenden religiösen Grundsituation schon im Rücken liegt. Dalferth greift also - wenngleich wider Willen - so hinter seinen interpretativen Erfahmngsbegriff zurück, daß er eine vor dem interpretativen Zugriff der Erfahrung liegende Struktur des personalen Gegenübers eines singulären Individuums annimmt, die dann freilich nur mittels jener Interpretation sprachlich zum Ausdruck kommen soll. Damit zeigt sich eine Ambivalenz zwischen zwei widerstreitenden Intentionen, die die gesamte Auseinandersetzung mit der Identifizierbarkeitsproblematik prägt: Auf der einen Seite schärft Dalferth ein ums andere Mal den interpretativen Charakter der Versuche ein, den in der christlichen Grunderfahrung gegenwärtigen Referenten christlicher Rede sprachlich zu beschreiben. Auf der anderen Seite weist gerade die dazu in Anschlag gebrachte Differenz zwischen Gott und Gottesbegriff auf einen Horizont, der dem interpretativen Begriff ein ontologisches Substrat vorausgehen läßt. In diesen Zusammenhang gehören schließlich auch die Versuche Dalferths, trotz aller Einschränkungen an der logischen Funktion des Wortes >Gott< als eines rigiden Designators und der Unverzichtbarkeit des Moments der deiktischen Lokalisierung festzuhalten87. 86 Vgl. I.U. Dalferth, aaO. 602. 87 Gegenüber möglichen Mißverständnissen ist nochmals zu betonen: Es geht weder um eine direkte Kritik an dem zugrunde liegenden Modell selbst noch um eine Verkennung des Sachverhalts, daß Dalferth die Reichweite der interpretativen Erfahrung so umfassend als möglich zu bestimmen sucht. Das Augenmerk liegt allein auf dem Umstand, daß trotz dieses Zugeständnisses die religiöse Grunderfahrung auf der Grundlage eines sprachlogischen Modells einsichtig gemacht wird, ohne daß dieses Fundierungsverhältnis eigens thematisiert wird. Dann aber ist zu schlußfolgern, daß der Versuch Dalferths, eine gegenüber der allgemeinen Sprachlichkeit unabhängige Religiosität zu erweisen, zum Scheitern verurteilt ist. In der Fokussierung auf die singuläre Existenz eines Subjekts der in Jesus erfahrenen Anrede wird auch diese christlich-religiöse Grunderfahrung bereits einem allgemeinen sprachlogisch-epistemologischen Horizont unterstellt.

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Kapitel 5: Ingolf U. Dalferth

Doch mit diesem Aufweis allein ist noch nicht allzuviel erreicht. Die entscheidende Frage lautet vielmehr, welche Konsequenzen sich aus diesem faktischen Scheitern für den Versuch Dalferths ergeben, dessen ungeachtet eine Vermittlung zwischen Religiosität und Sprachlichkeit zu inszenieren, die an der betonten Eigenständigkeit der Religiosität festzuhalten erlaubt88. Die faktische Durchführung dieser Vermittlung zeigt nun, daß die Religiosität immer schon auf der Grundlage eines vorgängigen sprachlichen Rahmens bestimmt wird. Gerade die inhaltliche Bestimmtheit dessen, was als die Grundsituation christlich-religiöser Rede ausgegeben wird, läßt die Tatsache eines vorgängigen sprachlogisch-epistemologischen Rahmens deutlich vor Augen treten89. Denn schon eine logische Reflexion weist auf, daß eine Bestimmung das, was durch sie bestimmt wird, immer unter die Bedingungen der Bestimmung selbst stellt. Die postulierte Begegnungssituation wird also als eine solche nur vor dem Hintergrund des Horizonts einsichtig, der in Anspruch genommen werden muß, um überhaupt etwas als eine Begegnung einsichtig machen zu können. Daraus ergibt sich, daß die von Dalferth gesuchte Eigenständigkeit der Religiosität nicht in der von der allgemeinen Sprachlichkeit abgesonderten Struktur einer spezifischen Anrede oder Begegnung loziert werden kann. Die Explikation dieser Eigenständigkeit als Begegnung oder gar Erfahrung setzt vielmehr einen gemeinsamen und allgemeinen Rahmen immer schon voraus. Die Eigenständigkeit kann dann aber nur so aufrecht erhalten werden, daß innerhalb dieses gemeinsamen Rahmens ein von außen her nicht zugänglicher Bereich religiöser >Innerlichkeit< aufgebaut wird. Genau diesen Weg schlägt Dalferth ein: Die Frage nach der Identifizierbarkeit Gottes wird von vornherein auf die Aufgabe einer Rekonstruktion des als wirklich erfahrenen Gottes zugespitzt und der bloßen Konstruktion eines möglichen Gottesbegriffs entgegengesetzt. Die Identifikation Gottes gelingt mithin nur dem, der von der vorgängigen Existenz dessen, den er nachträglich zu identifizieren sucht, schon überzeugt ist. Dalferth meint sich auf die Aufgabe beschränken zu können, einen bereits als wirklich erfahrenen Gott auch als denkmöglich einsichtig zu machen. Den Rechtsgrund für dieses Verfahren entnimmt er dem theologischen Programm der fides quaerens intellectum. Doch unter der Hand hat sich nun die Argumentationsrichtung verschoben. Ging es Dalferth zunächst darum, diese Eigenständigkeit überhaupt erst in ihrem Gegenüber zur allgemeinen Sprachlichkeit aufzuweisen, so wird sie nun in der Weise eingesetzt, daß sie die Abgrenzung gegen eine von außen her kommende allgemeine Sprachlichkeit stützen soll. Deutlicher noch läßt sich dieser Wandel an der veränderten Inanspruchnahme des Erfahrungsbegriffs ablesen: Er wird zunächst von Dalferth eingeführt, um die grundsätzliche Interpretativi-

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Bereits der Versuch einer Vermittlung selbst läßt den Dalferthschen Ansatz in zweideutigem Licht erscheinen: Zunächst erhebt er den Anspruch, zwischen Religiosität und Sprachlichkeit so unterscheiden zu können, daß jene ohne Rekurs auf diese bestimmt werden kann. Es geht ihm also nicht lediglich um die Herausstellung des Besonderen religiöser Rede, das diese von nichtreligiösen Äußerungen zu unterscheiden erlaubt; vielmehr sucht er die Religiosität nichtsprachlich zu verankern und so als das Andere der Sprachlichkeit zur Geltung zu bringen. Dann jedoch sollen beide Relata auch wieder miteinander vermittelt werden können - wenn auch so, daß diese Vermittlung der jeweiligen Eigenständigkeit keinen Abbruch tut. Damit versucht Dalferth die Quadratur des Kreises: Eine Vermittlung zwischen Religiosität und Sprachlichkeit setzt deren gegenseitige Zugänglichkeit voraus, die um der Eigenständigkeit der Religiosität willen aber gerade nicht gegeben sein soll. Wenn also die Religiosität als das Andere der Sprachlichkeit entfaltet werden soll, dann ist nicht zu sehen, wie dieses Andere zugleich so für die Sprachlichkeit aufgeschlossen werden kann, daß sich die Religiosität ungeachtet ihrer nichtsprachlichen Eigenständigkeit soll sprachlich darstellen lassen. Diese inhaltliche Bestimmtheit erstreckt sich zwar nur auf die von der interpretativen Erfahrung unterschiedene Ebene der Wahrnehmung, ist aber nichtsdestotrotz als inhaltlich bestimmt zu explizieren, insofern es sich um die unmittelbare Begegnung mit einem personalen Gegenüber handeln soll, das zudem — des ambivalenten Status dieser Aussage eingedenk - als Subjekt der in Jesus erfahrenen Anrede soll fixiert werden können.

3. Die Vermittlung zwischen Religiosität und Sprachlichkeit

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tat zum Ausdruck zu bringen, die mit der Aufnahme und Verarbeitung von Wahrnehmungen verknüpft ist. Die Erfahrung gehört damit insofern auf die Seite der allgemeinen Sprachlichkeit, als sie ein bestimmtes Interpretationsmuster in Anschlag bringt und so die vereinzelten Wahrnehmungen in einen übergreifenden Strukturzusammenhang einfügt. Nun jedoch rekurriert er auf den Erfahrungsbegriff, um gerade die Besonderheit und interne Geschlossenheit des christlich-religiösen Glaubens gegenüber externen Konstruktionsversuchen zum Ausdruck zu bringen: Die Identifikation Gottes ist der grundsätzlich von der Anredeerfahrung her bestimmte und nur unter dieser Voraussetzung gelingende Versuch, den einen und wirklichen Gott, der sich in dieser Erfahrung als Verborgener zugleich gegenwärtig zeigt, sprachlich zu artikulieren. Dieses Verfahren erweist sich als zirkulär: Die Frage nach der Identifikation des Referenten christlicher Rede wird so angesetzt, daß sie als in der christlichen Anredeerfahrung immer schon beantwortet vorausgesetzt ist. Doch diese Zirkularität selbst ist gar nicht das Entscheidende. Sie läßt sich erst dann mit Recht kritisieren - und der Zirkel sich als circulus vitiosus aufweisen -, wenn das grundsätzliche Vermittlungsproblem in Rechnung gestellt wird, um dessen Durchführung Dalferth sich bemüht. Die als eigenständig postulierte christlich-religiöse Anredeerfahrung bedient sich selbst schon eines sprachlogisch-epistemologischen Modells und wiederholt damit den Fehler, um dessen Vermeidung willen Dalferth auf die These einer nichtsprachlich verankerten Religiosität zurückgreift. Für die Beurteilung des Dalferthschen Programms ergibt sich daraus folgendes Dilemma: Soll die Verhältnisbestimmung von Religiosität und Sprachlichkeit als Problem festgehalten werden - insofern Dalferths Kritik an einer sprachbegrifflichen Vereinnahmung der religiösen Rede durch die analytischen Religionsphilosophie durchaus zuzustimmen ist -, so wird der Schluß unabweisbar, daß Dalferth diesem Problem in seiner eigenen Durchführung nicht gerecht geworden ist. Indem er die sprachbegrifflich-epistemologische Prägung auch der von ihm emphatisch eingeführten Religiosität nicht erkennt, fällt er hinter das von ihm selbst aufgewiesene Problemniveau zurück. Soll aber umgekehrt der Versuch Dalferths aufgenommen werden, die Eigenständigkeit der Religiosität religiöser Rede gegenüber ihrer allgemeinen sprachlichen Verankerung zur Geltung zu bringen, so ist auch diese Intention nur um den Preis einer doppelten Verkürzung zu bewahren: Auf der einen Seite muß ein derartiger Ansatz sich auf ein Verständnis sprachlicher Rationalität zurückziehen, das dieser einen nur formalen, sich in kombinatorischen Verknüpfungsleistungen erschöpfenden Status zugesteht. Gerade die Identifizierbarkeitsproblematik sollte demgegenüber jedoch gezeigt haben, daß eine derartige Trennung von Form und Inhalt illusorisch ist. Auf der anderen Seite aber läßt sich auch unter der Voraussetzung eines derart formalen Sprachbegriffs die Religiosität nur innerhalb eines allgemeinen Rationalitätshorizontes zur Geltung bringen. Dalferth kann ihre Eigenständigkeit dann nur so durchsetzen, daß er sie als von außen her unzugänglich darstellt. Das aber bedeutet einen Rückzug in eine irgendgeartete Innerlichkeit religiöser Erfahrung, die freilich in eigentümlichem Gegensatz zu eben jenem Vermittlungsinteresse steht, von dem aus Dalferth das Identifizierbarkeitsproblem in den Blick genommen hat.

3.2.2 Die Prädizierbarkeitsproblematik Diese Kritik an Dalferths Vermittlungsversuch zwischen Religiosität und Sprachlichkeit läßt sich von einer anderen Seite her erhärten, wenn seine Auseinandersetzung mit der Prädizierbarkeitsproblematik in den Blick genommen wird. Den Ausgangspunkt bildet auch hier die sprachliche Form der Aussage >Gott ist FGott ist F< auf das Verständnis ihrer Prädikatskomponente hin durchsichtig zu machen, wird deutlich, daß erst im Rückgang auf die Sprecher und Hörer konstitutiv miteinander verknüpfende pragmatische Dimension die Prädizierbarkeitsproblematik einer angemessenen Lösung zugeführt werden kann92. Der unter syntaktischem Vorzeichen stehende Ansatz einer negativen Prädikation erweist sich als unbefriedigend, insofern er parasitär auf positive Prädikationen bezogen bleibt und mithin aus sich selbst heraus auf die semantische Ebene hin fortzuschreiten nötigt. Doch auch hier läßt sich noch kein adäquates Verständnis der Rede von Gott gewinnen. So legt zwar eine genauere Betrachtung der essentiellen Prädikation den Blick dafür frei, daß nur aus der in der christlichen Erfahrungssituation eröffneten Kenntnis des mit >Gott< bezeichneten Individuums

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Vgl. I.U. Dalferth, aaO. 617. Vgl. I.U. Dalferth, aaO. 618.

3. Die Vermittlung zwischen Religiosität und Sprachlichkeit

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die Möglichkeit erwachsen kann, von diesem bestimmte Prädikatoren zu prädizieren93. Damit bleibt jedoch die andere Frage nach dem Verständnis dieser Prädikate noch offen. Sie wird in der theologischen Tradition im Rückgriff auf eine analoge Prädikation zu beantworten versucht, die einen Mittelweg zwischen anthropomorpher Univokation und agnostischer Äquivokation beschreiten soll. Auf diese Weise sei es möglich, der Transzendenz und Andersartigkeit Gottes Rechnung zu tragen, ohne auf die Verständlichkeit und Sinnhaftigkeit christlicher Rede verzichten zu müssen. Allerdings vermag auch dieser Ansatz der Aporie eines metaphysischen Gottesbegriffs nicht zu entkommen: Entweder wird um der Wahrung der göttlichen Andersheit willen jede Gemeinsamkeit zwischen den Analogaten bestritten und eine bloße Ähnlichkeit zwischen ihnen behauptet. Damit bleibt jedoch der in Anspruch genommene Bedeutungsgewinn analoger gegenüber äquivoker Prädikation uneingelöst und verflüchtigt sich in die Sprachlosigkeit eines infiniten Regresses. Oder aber es wird eine Verknüpfung zwischen den Analogaten zugestanden, um die analoge hinreichend von der bloß äquivoken Prädikation unterscheiden zu können. Damit jedoch verschwimmt die Scheidelinie zwischen analoger und univoker Rede und läßt entweder die analoge Prädikation in gänzliche Unbestimmtheit zurückfallen oder die betonte Andersheit Gottes als faktisch unterlaufen erscheinen. Damit gilt es für Dalferth als ausgemacht, »daß allein auf semantischer Ebene ohne Berücksichtigung ihrer pragmatischen Funktion die Sinnstruktur analoger Rede nicht befriedigend expliziert werden kann« (646). Im folgenden unternimmt er daher den Versuch, den Ansatz semantischer Sinnkonstruktion »durch ein narratives Grundmodell und eine pragmatische Sinnrekonstruktion zu ersetzen« (647; Hervorhebung ML). An die Stelle der analogen Prädikation tritt mithin die parabolische Prädikation94. Dalferth macht im folgenden vor allem zwei wesentliche Momente namhaft, durch die sich parabolische von analogen Prädikationen unterscheiden. An erster Stelle ist dabei ihr perspektivischer Charakter zu nennen. Parabolische Prädikationen ermöglichen es, durch Einbezug der spezifischen Perspektive des Sprechers dem pragmatischen Gesichtspunkt Rechnung zu tragen, daß das in der Äußerung Prädizierte in einem konstitutiven Zusammenhang mit dem Sprecher dieser Äußerung steht. Im Anschluß an Donald D. Evans' Bestimmung christlich-religiöser Äußerungen als »metaphysical parabolic onlooks«95 zählt Dalferth die wesentlichen Punkte auf, die mit der Einsicht in den perspektivischen Charakter verbunden sind: Christlich-religiöse Äußerungen sind (1) perspektivische, (2) selbstinvolvierende, (3) tentativ wirklichkeitserschließende und (4) wesentlich assertorische Äußerungen. Evans versucht auf diese Weise dem konstitutiven Einbezug des Sprechers in das von ihm Geäußerte und damit der selbstimplikativen Struktur religiöser Erfahrung gerecht zu werden, ohne so zugleich den Wahrheitsgehalt der Äußerung auf eine bloß subjektive Perspektive des Sprechers reduzieren zu müssen. Dennoch bleiben auch bei Evans Fragen offen, die noch über die Betonung des perspektivischen Charakters hinauszugehen nötigen. Er kann dem Einwand nicht entgehen, den perspektivischen Charakter christlich-religiöser Rede letztlich nur subjektivistisch und monologisch konzipiert zu haben: Indem der Sprecher für ihn eine selbständige Größe bleibt, vermag er weder anzugeben, warum die eine einer anderen Perspektive vorzuziehen sei, noch die Möglichkeit intersubjektiver Zustimmung perspektivischer Prädikationen zur Geltung zu bringen. Dalferth geht daher insofern über Evans hinaus, als er die konkrete Erfahrungssituation zur Geltung bringt, in der der Sprecher auf die Erfahrung Jesu als der Anrede Gottes zu reagieren versucht. Diese Erfahrungsverankerung kommt in ihrer hermeneutischen Leitfunktion freilich erst dann zur Geltung, wenn neben dem perspektivischen Charakter christlich-religiöser Rede nun auch ihrer narrativen Grundstruktur Rechnung getragen wird: »Christliche Äußerungen kommen dann nicht mehr nur als onlooks, sondern als parables in den Blick« (652).

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Vgl. I.U. Dalferth, aaO. 625f. Vgl. I.U. Dalferth, aaO. 648. D.D. Evans, The Logic of Self-Involvement. A Philosophical Study of Everyday Language with Special Reference to the Christian Use of Language about God as Creator, London 1963, 124.

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Kapitel 5: Ingolf U. Dalferth

Dabei sucht Dalferth drei Ansätze der analytischen Religionsphilosophie miteinander zu verbinden: »Sie alle bemühen sich um eine Aufklärung der Sinnstruktur christlicher und überhaupt religiöser Äußerungen, indem sie diese als Bilder, Parabeln bzw. Gleichnisse (...), Geschichten oder Mythen zu verstehen und verständlich zu machen suchen« (ebd.). Während der von Wittgenstein96 herstammende Begriff des Bildes die regulative Funktion hervorhebt, mit der die christlich-religiöse Rede den gesamten Lebenszusammenhang eines Sprechers >grammatisch< konstituiert und strukturiert, lenkt der von Braithwaite97 eingeführte Begriff der Geschichte den Blick auf den größeren Zusammenhang, in den die religiösen Äußerungen so eingebettet sind, daß sie als Glieder einer narrativen Struktur einsichtig werden, »über die sie nicht nur mit einer spezifischen Grunderfahrung, sondern mit einer Vielzahl ebenfalls mit dieser in Zusammenhang stehender Äußerungen und Geschichten in Verbindung stehen« (665). Doch der Begriff der Geschichte ist für sich allein noch nicht ausreichend. Er fordert zwei wesentliche Ergänzungen, die dem unveräußerbaren Wahrheitsanspruch christlich-religiöser Rede ebenso Rechnung tragen wie ihrer Bezogenheit auf die in Jesus offenbar werdende soteriologische Grundstruktur98. Diese finden ihre angemessene Aufnahme erst in dem auf Crombie99 zurückgehenden Versuch, christlich-religiöse Äußerungen als Parabeln einsichtig zu machen. Dabei erlaubt es der Begriff der Parabel, vermittelt durch die von ihr dargestellte Geschichte auf eine zugleich jenseits ihrer liegende und doch nur durch sie selbst zugängliche Wirklichkeit Bezug zu nehmen. Es läßt sich also die unhintergehbare Bindung an die spezifisch christliche Grunderfahrung verknüpfen mit der Ausrichtung auf eine als nichtfiktiv behauptete Realität Gottes. Allerdings fügt Dalferth gegenüber Crombie eine doppelte Präzisierung hinzu: »Zum einen gründet das, was sie behauptet, in ihrem Zusammenhang mit einer Geschichte, über die sie mit der Geschichte der christlichen Grunderfahrung, und d.h. der in der Rezeption Jesu als der Anrede Gottes erfahrenen Geschichte Gottes mit den Menschen, in Verbindung steht. Zum ändern aber gründet das, warum sie behauptet wird, in einer Geschichte, die der Sprecher selbst mit der 96 97 98

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Vgl. dazu unten Kapitel 6, 2.3.2.2. Vgl. dazu oben Kapitel 2, 3.2. Der Begriff der Geschichte übergeht zunächst »die Differenz zwischen der Geschichte als einem Geschehen und der Geschichte als einer Erzählung« (I.U. Dalferth, aaO. 657). Eine erzählte Geschichte aber kann sowohl den Anspruch erheben, ein wirkliches Geschehen darzustellen, als auch sich darauf beschränken, eine bestimmte intendierte Pointe fiktional zu illustrieren. Daher ist zwischen der Wahrheit einer Erzählung und der durch eine Erzählung vermittelten Wahrheit zu unterscheiden: Während diese ein Wahrheitsangefeof illustriert, kann erst jene mit Recht einen Wahrheitsansprwc/i erheben. Erst vor dem Hintergrund dieser Differenz aber läßt sich das Eigentümliche christlich-religiöser Geschichten so erfassen, »daß sie nicht nur Wahrheitsangebote machen oder Verhaltensangebote illustrieren, sondern dezidiert einen Wahrheitsanspruch erheben und als Geschichten geschehener Geschichte verstanden sein wollen« (aaO. 658). Darüber hinaus läßt sich aber noch eine weitere für das Selbstverständnis christlich-religiöser Rede bedeutsame Differenz angeben. So hat der Wahrheitsanspruch christlicher Geschichten seine besondere Pointe darin, »daß diese nicht nur geschehene Ereignisse, sondern geschehene Geschichte in Geschichten zu erzählen beanspruchen« (ebd.). Dalferth hebt damit auf eine Unterscheidung zwischen Geschichte und Geschehen ab, die dieses als ein nur von außen her beschreibbares Ereignis kennzeichnet, während jene den vorgegebenen Ereigniszusammenhang auf ein vom Subjekt dieser Geschichte her vorgegebenes Ziel hin fokussiert. Dieses Ziel wird in der christlich-religiösen Rede soteriologisch expliziert und so gefaßt, »daß die christliche Grundgeschichte ein sich zwischen Gott, Jesus, Mensch und Welt abspielendes soteriologisches Drama ist, in dem Gott als das Subjekt dieser Geschichte sein Interesse und seine Deutung der Ereignisse durchsetzt und in Szene setzt« (ebd.). Vgl. I.M. Crombie, The Possibility of Theological Statements, in: B. Mitchell (Hg.), Faith and Logic, London 1957, 31-83, dt. Die Möglichkeit theologischer Aussagen, in: I.U. Dalferth (Hg.), Sprachlogik 96-145.

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erzählten Grunderfahrung oder dem Erzähler dieser Erfahrung gehabt hat« (665f.). Der perspektivische Charakter und die narrative Grundstruktur christlich-religiöser Äußerungen eröffnen eine Möglichkeit parabolischer Prädikation, die in hinreichender Weise zu bestimmen erlaubt, von wem in christlicher Rede gesprochen wird. Entscheidend ist, daß Dalferth den in seiner Auseinandersetzung mit der Identifizierbarkeitsproblematik eingeschlagenen Weg fortführt: Die Propositionalität christlicher Rede von Gott ist aus ihrer hermeneutischen Verankerung in der Situation der Erfahrung Jesu als der Anrede Gottes einsichtig zu machen. Die Referenz christlicher Rede ist dann dadurch festgelegt, daß mit dem Ausdruck >Gott< auf das Subjekt dieser in Jesus erfahrenen Anrede Bezug genommen wird. Entsprechend läßt sich auch die Prädizierbarkeitsproblematik nur im Rückgang auf die Erfahrungen auflösen, die mit dem Subjekt der in Jesus erfahrenen Anrede gemacht werden: »Was von Gott in christlicher Rede gesagt wird, gründet demnach in der Erfahrung eines spezifischen Geschehens, das Gott, Jesus und die Menschen unauflösbar integriert, und hat damit wesentlich perspektivischen Charakter und eine narrative Grundstruktur« (672). Diese beiden Momente umreißen den Rahmen, innerhalb dessen christliche Rede verstanden werden kann. Auf der einen Seite steht ihr anthropologischer Situationsbezug, der die Durchsichtigkeit auf die christliche Anredeerfahrung hin zur Pflicht macht, auf der anderen Seite hingegen der christologische Modellbezug, der diese Anredeerfahrung im Horizont einer geschehenen und zugleich geschehenden Geschichte Gottes mit dem Menschen zu begreifen lehrt. Die bereits im Zusammenhang der Identifizierbarkeitsproblematik angeführte Kritik findet damit eine eindrucksvolle Bestätigung. Dabei ist erneut von der Unterscheidung zwischen Identifizierbarkeit und Prädizierbarkeit selbst auszugehen. Mit seiner Orientierung an der sprachlogischen Form der Aussage >Gott ist F< begeht Dalferth einen doppelten Fehler. Zum einen zieht Dalferth aus der sprachlichen Unterscheidung von Subjekts- und Prädikatskomponente den irrigen Schluß, als ließe sich unabhängig und vor jeder inhaltlich-prädikativen Bestimmung ein Referent festlegen, der als Substrat eben dieser prädikativen Zuweisungen in Anspruch genommen werden könnte. Diese Annahme stellt nicht in Rechnung, daß auch die Fixierung eines Referenten nur sprachlich vermittelt möglich ist und damit prädikative Bestimmungen bereits in Anspruch nehmen muß, um überhaupt etwas als etwas identifizieren zu können. Die Unterscheidung zwischen Subjekt- und Prädikatskomponente läßt sich sinnvoll - und in direktem Gegenzug zu Dalferth - nur so durchführen, daß die Identifizierbarkeit als Resultat statt Voraussetzung der Prädizierbarkeit behandelt wird. Ein derartiger Ansatz mündet allerdings in die Konsequenz, von einer Verhältnisbestimmung zwischen Sprache und Welt Abschied nehmen zu müssen, die jener lediglich die Aufgabe zuweist, eine als selbständig strukturierte Welt nachträglich zu erfassen und abzubilden. Damit ist zugleich der andere Fehler Dalferths berührt: Er verlängert die sprachlogische Unterscheidung von Subjekt und Prädikat zu der epistemologischen These, einen nichtsprachlichen Referenten ansetzen zu können, von dem sich dann bestimmte Prädikate sollen aussagen lassen. Ungeachtet der Problematik dieses Modells ist der erstaunliche Umstand zu registrieren, daß Dalferth einen sprachlogischen Sachverhalt mit epistemologischer Relevanz ausstattet, ohne sich über die darin beschlossenen Konsequenzen Rechenschaft zu geben. Diese Beobachtung wiegt um so schwerer, als Dalferth unter dem betonten Versprechen antritt, mit der blinden Voraussetzung bestimmter sprachbegrifflicher Modelle aufräumen zu wollen. Stattdessen hat die mangelnde Einsicht in die realistisch geprägte Struktur des eigenen Ansatzes zur Folge, das Verständnis religiöser Rede erneut einem allgemeinen Sprachbegriff auszuliefern. Diese These läßt sich mit einem Blick auf die Aufnahme der Unterscheidung von konstruiertem Gottesbegriff und rekonstruiertem Gottesverständnis erhärten. Sie wird von Dalferth daraufhin gemünzt, im Rückgang auf die christliche Anredeerfahrung den Einsatzpunkt ausfindig zu machen, der eine direkte Kenntnis des mit >Gott< bezeichneten Individuums erlaubt. An die Stelle der diskursiven Reflexion auf die Möglichkeit eines konsistenten Gottesbegriffs soll der Versuch treten, die im Medium christlicher Anredeerfahrung eröffnete unmittelbare Begegnung sprachlich zu artikulieren. Dalferth zielt auf eine Einbettung christlich-religiöser Rede in einen parabolisch-pragmatischen Geschichtszusammenhang, um so die Thematisierung Gottes exklusiv an die eigene Erfahrungssituation knüpfen zu können. Diese situative Verankerung soll die im Erfahrungsbegriff zunächst zugestandene grundsätzliche Interpretativität letztlich doch unter-

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laufen. Damit wird der Erfahrung eine Struktur vorgeordnet, die die Relation von Erfahrendem und Erfahrenem selbst bereits konstituiert und erst in einem zweiten Schritt dem interpretativen Zugriff der Erfahrung zugänglich macht. Diese Struktur ist durch die in der Wahrnehmung angezeigte unmittelbare Begegnung bestimmt, in der ein einzelnes Individuum - das zunächst formal als Subjekt der in Jesus erfahrenen Anrede bezeichnet wird - dem Erfahrenden gegenübertritt. Indem aber dieses Gegenüber bereits als Individuum gefaßt wird, ist ein realistisches Modell in Anschlag gebracht, das der Reichweite des Erfahrungsbegriffs nochmals vorausliegt. Auf diese Weise rückt auch die perspektivisch-narrative Auflösung der Prädizierbarkeitsproblematik in ein neues Licht. Dalferth zielt auf ein Verständnis christlich-religiöser Äußerungen, das in direktem Gegensatz zur distanzierenden Form diskursiver Rationalität den Glaubenden in das von ihm Thematisierte aufzuheben erlaubt. Die Konzeption parabolischer Prädikation soll ein Verständnis christlicher Rede ins Werk setzen, das diese als eine Geschichte des Handelns Gottes am Menschen einsichtig macht, in dessen Vollzug der diese Geschichte Erzählende selbst bereits eingeholt ist. Die Rede von Gott ist daher nur durch die Einbettung in den situativen Zusammenhang möglich, in dem er als Gott erfahren wird100. Damit aber verstrickt sich Dalferth in einen Zirkel. Gott soll allein durch die Erfahrung als der zugänglich sein, der er ist; umgekehrt setzt diese Erfahrung, um die Erfahrung Gottes sein zu können, eine vorgängige Kenntnis Gottes bereits voraus. Die Anredeerfahrung als den hermeneutischen Mittelpunkt der Entfaltung christlich-religiöser Rede zur Geltung zu bringen, impliziert, diese Erfahrungssituation bereits als Erfahrung Jesu als der Anrede Gottes bestimmt zu haben. Dalferth sucht zwar nach der einen Grunderfahrung, die die originäre Kenntnis Gottes gewährt und so den hermeneutischen Prozeß einer immer weiter fortschreitenden Vertiefung dieser Kenntnis in Gang setzt. Doch in der Explikation dieser Grunderfahrung als der - in der primären Rezeptionssituation verankerten - Erfahrung Jesu als der Anrede Gottes muß er die Grenzen diese Erfahrung überschreiten, um sie als Anredeerfahrung einsichtig machen zu können. Der behauptete Rekurs auf die in der Erfahrung Jesu eröffnete Kenntnis Gottes läßt sich nur um den Preis als Ursprung christlich-religiöser Rede einsichtig machen, daß diese Kenntnis unter die Bedingung einer ausschließlich glaubensinternen Zugänglichkeit gestellt wird. Dalferth sucht die Glaubensrede in der Weise als perspektivisch-narrativ verfaßt zu bestimmen, daß sie das >Zugleich< zum Ausdruck bringen kann, mit dem der Glaubende in den Vollzug des von ihm Artikulierten aufgehoben ist. Dieses Vorhaben ist nur so zu erfüllen, daß darauf verzichtet wird, die epistemologischen Bedingungen des Glaubens von außen her zu beobachten. Die Verankerung christlich-religiöser Rede in einer Situation der Erfahrung Jesu als Anrede Gottes kann nur dann gelingen, wenn sie von innen her postuliert und so auf der Grundlage gerade des Glaubens entfaltet wird, dessen Struktur und Propositionalität erst einsichtig gemacht werden soll. Dalferth muß auch für seine Beobachtung der Struktur christlich-religiöser Rede voraussetzen, was er über die theologische Rede in ihrem Verhältnis zur Glaubensrede behauptet: »Was theologische Rede von Gott zu sagen vermag, ist damit immer schon in der Glaubensrede artikuliert und wird in der theologischen Rede nurmehr interpretierend reflektiert und expliziert. ... Die Adäquatheit theologischer Explikationen des Glaubens bemißt sich an ihrer Rückführbarkeit auf geschehene und an ihrer Ermöglichung neuer Glaubensrede« (673).

3.2.3 Das Scheitern der Vermittlung von Religiosität und Sprachlichkeit Nach dem Aufweis einer situativ verankerten und der allgemeinen Sprachlichkeit gegenüber eigenständigen Religiosität religiöser Rede zielt Dalferth auf eine Vermittlung beider Seiten, die die religiöse Rede ebenso als sprachliche Rede zur Geltung zu bringen erlaubt, ohne jedoch nun wieder die postulierte Religiosität einem allgemeinen Sprachbegriff unterordnen zu müssen. Das Medium dieser 100 Vgl. I.U. Dalferth, Religiöse Rede 671.

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Vermittlung bildet die mit dem Wahrheitsanspruch verknüpfte allgemeine Begründungspflichtigkeit christlich-religiöser Rede. Diese setzt die Wahrheitsfähigkeit christlich-religiöser Rede überhaupt voraus und nötigt in einem vorgeschalteten Schritt dazu, mit dem Aufweis der Propositionalität religiöser Rede sicherzustellen, daß sie einen echten Wahrheitsanspruch erhebt. Gelingt es Dalferth zu zeigen, daß die christlich-religiöse Rede zu Recht einen Wahrheitsanspruch erhebt, und gelingt es ihm überdies, diesen Nachweis unter Wahrung der als eigenständig postulierten Religiosität zu führen, so kann die intendierte Vermittlung als durchgeführt gelten. Identifizierbarkeits- und Prädizierbarkeitsproblematik werden damit als die beiden Prüfsteine einsichtig, an denen sich die Tragfähigkeit des Dalferthschen Ansatzes zu erweisen hat. Doch gerade diese Hürden vermag er nicht zu nehmen. Vielmehr bestätigt sich ein grundsätzliches Dilemma, das bereits in dem Versuch zutage getreten war, eine gegenüber der allgemeinen Sprachlichkeit eigenständige Ebene situativ verankerter Religiosität aufzuweisen. Dieses Dilemma besteht darin, daß Dalferth mit seinem Komplementaritätspostulat von Religiosität und Sprachlichkeit religiöser Rede einen Graben aufreißt, den er selbst nicht mehr zu überbrücken vermag. Partikulare Glaubensinternalität und allgemeine Rechenschaftspflichtigkeit treten so auseinander, daß sie nur um den Preis des Verzichts einer komplementären Vermittlung wieder zusammengeführt werden können. Denn entweder wird die vorgängig sprachlogisch-epistemologische Prägung der religiösen Erfahrung zugestanden und damit die These einer religiösen Subsistenz faktisch revoziert, oder aber diese religiöse Eigenständigkeit wird so weit vorangetrieben, daß sich der in ihr noch behauptete inhaltlich bestimmte Gehalt seiner sprachlichen Zugänglichkeit entzieht. Dalferth sieht zwar noch einen beide Extreme vermeidenden Mittelweg: Die in der Hinwendung zu Wahrheitsanspruch und Rechenschaftspflichtigkeit für die religiöse Rede in Anspruch zu nehmende allgemeine Sprachlichkeit wird von ihm als in der Weise formal angesetzt, daß sie gänzlich ohne Einfluß auf die Bestimmung des religiösen Inhalts bleiben soll. Die Frage nach den Gründen für einen Wahrheitsanspruch und die Bedingungen der Propositionalität einer sprachlichen Äußerungen bewegen sich in einem Rahmen >kombinatorischer< Rationalität, der zwischen verschiedenen Uberzeugungssystemen zu vermitteln vermag, dabei aber gerade selbst als epistemologisch neutral angesetzt werden kann. Unter dieser Voraussetzung mag die von Dalferth avisierte Vermittlung wohl gelingen: Der geforderte Propositionalitätsaufweis christlich-religiöser Rede würde sich auf bestimmte technische Aspekte - wie etwa die Identifizierbarkeit und Prädizierbarkeit des mit >Gott< bezeichneten Referenten - beschränken, ohne je in die Gefahr zu kommen, erneut einen Rahmen anzusetzen, der die Religiosität religiöser Rede um ihre ersehnte Eigenständigkeit bringen würde. Doch schon die Explikation dieser eigenständigen Religiosität ließ an der Durchführbarkeit eines derartigen Rationalitäts- und Sprachlichkeitsmodells Zweifel aufkommen: Die Fixierung auf die singuläre Existenzpräsupposition

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Gottes machte zur Genüge deutlich, in welcher Weise der scheinbar neutrale Rahmen ein in höchstem Maße problematisches, zumindest aber von weitreichenden Voraussetzungen getragenes epistemologisches Modell voraussetzt. Gerade diese These läßt sich nach dem Durchgang durch Dalferths Propositionalitätsaufweis christlich-religiöser Rede als bestätigt ansehen: Sowohl die Unterscheidung zwischen Identifizierbarkeits- und Prädizierbarkeitsproblematik überhaupt als auch ihre je selbständige Ausarbeitung lassen deutlich eben jenen realistischen Rahmen zutage treten, der sich bereits in der Explikation der situativen Religiosität abgezeichnet hat.

3.3 Die eschatologische Verifikation Sowohl die Auseinandersetzung um die Legitimität der Begründungsfrage im Umfeld christlich-religiöser Rede als auch der Aufweis ihrer Möglichkeit haben beide je auf ihre Weise die Aporetik des Dalfertschen Ansatzes offengelegt, zwischen allgemeiner Sprachlichkeit und besonderer Religiosität so vermitteln zu wollen, daß diese sich als das Andere der Sprachlichkeit bestimmen und doch zugleich im Medium jener zum Ausdruck bringen läßt. Abschließend soll nun noch ein Blick auf die Frage nach der Struktur der Begründung geworfen werden. Dalferth selbst widmet dieser Frage - im Vergleich zu seinen Ausführungen über Legitimität und Möglichkeit - zwar nur einige knappe Bemerkungen101, läßt aber gerade dadurch seinen epistemologischen Grundansatz nochmals in aller Deutlichkeit zu Tage treten. Denn mit der Frage nach der Struktur der Begründung ist insofern das Herzstück der analytischen Epistemologie bezeichnet, als diese sich nach der Abwendung von der Frage nach der Möglichkeit von Erkenntnis überhaupt die Gestalt einer Reflexion auf die Frage nach der Struktur der epistemischen Rechtfertigung sprachlicher Behauptungen gegeben und von dort aus in eine Vielzahl divergierender Theorien epistemischer Rechtfertigung ausdifferenziert hat102. Das bedeutet, daß mit der Frage nach der Struktur der epistemischen Rechtfertigung das epistemologische Grundthema der Verhältnisbestimmung zwischen Sprache und Welt zur Verhandlung steht. Zwar hat sich auch in der analytischen Epistemologie erst zögerlich die Einsicht in einen notwendigen Zusam101 Während Dalferth sich mit der Durchführung des Propositionalitätsaufweises christlichreligiöser Rede am ausführlichsten befaßt (vgl. Ders., Religiöse Rede 547-678) und auch die Probleme von Programm und Legitimität der Begründungsfrage immerhin noch mit hinlänglicher Intensität abhandelt (vgl. aaO. 497-546), kann im Vergleich dazu seine Darstellung der Begründungsstruktur nur noch den Status einer Skizze beanspruchen (vgl. aaO. 679-702). Diese Gewichtung ist um so erstaunlicher, wenn die zentrale Stellung der Frage nach der Struktur von Begründung und epistemischer Rechtfertigung in der neueren analytischen Epistemologie in Rechnung gestellt wird. 102 Vgl. dazu oben Kapitel 3, 1.

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menhang der beiden Themenkreise von epistemischer Rechtfertigung und epistemologischer Grunddifferenz durchgesetzt; aber dennoch ist mit dieser Verknüpfung eine Problemlage erreicht worden, die nicht ohne Folgen wieder unterschritten werden kann. Indem also Dalferth die Frage nach der Struktur der epistemischen Rechtfertigung derart marginal behandelt, läßt er erkennen, daß ihm die Relevanz dieser Fragestellung weder im Kontext der verschiedenen Theorien epistemischer Rechtfertigung selbst noch in Hinsicht auf die damit verknüpfte Verhältnisbestimmung zwischen Sprache und Welt vor Augen steht. Diese Einschätzung läßt sich erhärten durch den Hinweis auf die lediglich technische Bestimmung, mit der Dalferth die Frage nach der Struktur der Begründung kennzeichnet: »Die Frage nach der Begründung ist die Frage nach der Erkennbarkeit der Wahrheit oder Falschheit christlicher Behauptungen und damit nach der Möglichkeit epistemischer Sicherheit im Hinblick auf das, was christlich von Gott behauptet wird« (679). Dabei »muß zum Erreichen epistemischer Sicherheit die Frage beantwortet werden, wie entschieden werden kann, ob christliche Behauptungen oder ihre Bestreitungen wahr sind« (ebd; Hervorhebung ML). Die Frage nach der Struktur der epistemischen Rechtfertigung wird von Dalferth von vornherein auf die Frage nach den angemessenen Entscheidungsverfahren reduziert, um eine bestimmte Behauptung oder ihre Bestreitung als wahr ausweisen zu können. Nun geht es keinesfalls darum, diese auf die Durchführung der Begründung gerichtete Fragestellung im ganzen zu bestreiten; dennoch fällt ins Auge, daß Dalferth darauf verzichtet, seine Suche nach dem angemessenen Entscheidungsverfahren an eine vorgängige Überlegung darüber zurückzubinden, in welcher Weise die Bestimmung eines derartigen Verfahren abhängig ist von einer zugrundeliegenden Auffassung des Verhältnisses zwischen Sprache und Welt. Denn wird dieses Verhältnis im Sinne eines korrespondenztheoretisch zu überbrückenden Gegenübers zweier selbständiger Relata angesetzt, so wird die Wahrheit oder Falschheit einer Behauptung anders zu entscheiden sein als dann, wenn von der notwendigen Einbettung einer einzelnen Behauptung in den übergreifenden Rahmen einer vorgängigen Vermitteltheit von Sprache und Welt ausgegangen wird. Die weitere Exposition der Begründungsfrage im Zusammenhang christlichreligiöser Rede von Gott weist nun auf, daß Dalferth einen realistischen Rahmen in Anspruch nimmt, ohne sich jedoch über diese Voraussetzung Rechenschaft abzulegen. So nimmt er zunächst seine sprachlogische Analyse der christlichen Existenzbehauptung Gottes zum Ausgangspunkt und verknüpft sie mit der methodischen Hinwendung zu dem in der Anredeerfahrung eröffneten Gottesverständnis: »Alle christliche Rede von Gott steht unter der singulären Existenzpräsupposition der Existenz Gottes, die weder durch Aufweis der Inkonsistenz des dabei angeblich zugrundegelegten Gottesbegriffs widerlegt werden kann, weil mit >Gott< unabhängig von jedem Gottesbegriff auf ein in ganz bestimmter Wei-

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se erfahrenes Individuum Bezug genommen wird, noch auf Grund von noch so vielen Beobachtungen jemals definitiv falsifizierbar ist« (679f.). Auf diese Weise ist Dalferth von vornherein einem epistemologischen Modell verpflichtet, das die Gesamtheit der gegenständlichen Wirklichkeit als ein sprachunabhängig strukturiertes Gegenüber zu den Versuchen ihrer sprachlichen Erfassung bestimmt. Denn erst unter dieser realistischen Voraussetzung mitsamt seines >objektontologischen Dogmas< ist es möglich, eine singuläre Existenzpräsupposition als sinnvoll einzuführen und überdies deren Referenten so zu bestimmen, daß dieser als Individuum allen Mängeln seiner sprachlichen Explikation oder empirischen Beobachtung bereits vorgeordnet ist. Zugleich bleibt unter diesen Bedingungen für das in Frage stehende Begründungsverfahren keine andere Möglichkeit als die des verifizierenden Wahrheitsaufweises übrig: »Das entscheidende Problem ist dann aber die Verifizierbarkeit christlicher Behauptungen selbst und nicht die ihrer Bestreitungen« (680). In dieser These findet der realistische Grundansatz Dalferths seine prägnante Zusammenfassung. Denn die Rede von der Verifikation einer Behauptung setzt ein repräsentationales Gegenüber von sprachlicher Aussage und nichtsprachlichem Sachverhalt voraus. Dieses Gegenüber läßt sich nicht anders explizieren als so, daß eine Behauptung daraufhin überprüft wird, ob sie mit dem in Frage stehenden S ach verhalt übereinstimmt oder nicht. Der Wahrheitsauf weis kann als gelungen und die Aussage mithin als verifiziert gelten, wenn diese Übereinstimmung sich feststellen läßt. Damit nimmt das Verfahren der Verifikation die realistische Voraussetzung in Anspruch, Sprache und Welt gleichsam von außen her vergleichen und somit die sprachintem behaupteten Korrespondenzbeziehungen sprachextern beobachten und auf ihre Geltung hin überprüfen zu können. Die realistische Einführung der Frage nach der Struktur der Begründung läßt noch ein letztes Mal das Grundthema des Dalferthschen Ansatzes zu Tage treten. Es geht um die Verifikation der singulären Existenzbehauptung desjenigen Gottes, der zugleich nur als das Subjekt der in Jesus erfahrenen Anrede zugänglich sein soll. Damit rücken die beiden widerstreitenden Intentionen in den Vordergrund, die die Ausarbeitung ebenso wie die Aporetik des Dalferthschen Ansatzes grundlegend bestimmen: Auf der einen Seite zielt er auf die Wahrung einer eigenständigen Religiosität christlich-religiöser Rede, während er auf der anderen Seite an ihrer gleichzeitigen Darstellbarkeit im Medium allgemeiner Sprachlichkeit festzuhalten sucht. Diese Spannung wiederholt sich in der Einführung der Verifikationsthematik, insofern nach der allgemeinen Verifkation dessen gefragt wird, was zugleich nur in der besonderen Anredeerfahrung zum Gegenstand werden können soll. Damit deutet sich bereits in der Exposition dieser Fragestellung die für Dalferths Ansatz kennzeichnende Aporetik an: Die als eigenständig eingeführte Religiosität erweist sich als selbst schon vorgängig sprachlich vermittelt, so daß umgekehrt das betonte Festhalten an dieser Eigenständigkeit die Form einer apologetischen Selbstimmunisierung annehmen muß.

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Es wird nun im folgenden zu zeigen sein, in welcher Weise diese Aporetik die Einlösung der Verifikationsthese durchgängig bestimmt und Dalferth letztlich dazu nötigt, seine eigene Problemstellung gänzlich zu verabschieden. Denn die Rede von der Verifikation christlich-religiöser Behauptungen spitzt das Vermittlungsproblem zwischen interner Religiosiät und externer Sprachlichkeit in einer Weise zu, die nicht mehr übergangen werden kann. Die Suche nach einem verifikativen Wahrheitsaufweis der christlichen Existenzbehauptung Gottes läßt sich nicht mehr mit der methodischen Forderung in Einklang bringen, diesen Aufweis im Rekurs auf die christliche Anredeerfahrung und damit unter Voraussetzung gerade dessen durchzuführen, um dessen Existenzaufweis es erst gehen soll. An dieser Stelle zeigt sich die sachliche Unhaltbarkeit des von Dalferth angestrebten Versuchs, auf der Grundlage einer betonten Wahrung der internen Eigenständigkeit des christlich-religiösen Glaubens auch seiner externen Rationalität und Ausweisbarkeit Rechnung tragen zu wollen. Dalferths letzter Schritt besteht darin, von der meta-religiösen Beobachtungsebene auf die Ebene der Religion selbst überzugehen und so die Frage nach der Verifikation der Existenzbehauptung Gottes an eben diesen Gott als das Subjekt der Verifikation zurückzugeben: »Epistemische Sicherheit über den christlichen Wahrheitsanspruch ist... Resultat nicht unserer, sondern von Gottes verifizierender Tätigkeit« (697). Damit schwenkt Dalferth am Ende seiner weitgespannten Ausführungen doch wieder auf den Ansatz Barths ein, der die Frage nach der Begründung des Glaubens von vornherein nur auf der Grundlage eben dieses Glaubens selbst und damit als Akt des Gehorsams gegenüber seinem Grund für legitim erachtet hatte. Umgekehrt bedeutet dieser Wechsel der Beoachtungsebenen nicht weniger als die gänzliche Preisgabe der eigenen Problemstellung: Ausgegangen von dem Versuch, über die interne Selbstexplikation des Glaubens hinaus auch externen Fragestellungen Rechnung tragen zu wollen, muß Dalferth nun eingestehen, um der Eigenständigkeit des christlich-religiösen Glaubens willen dieses Vorhaben fallenlassen zu müssen. Indem er letztlich doch nur »Gott als das Subjekt der Verifikation der Wahrheit des christlichen Glaubens« (699) anerkennt, verabschiedet er sich von der Frage, in welcher Weise dieser Glaube auch vor dem Forum allgemeiner Rationalitätskriterien - und damit ohne die immer schon in Anschlag gebrachte Voraussetzung dessen, was es erst zu erweisen gilt - argumentativ einsichtig gemacht werden kann. Dalferth unterscheidet im Anschluß an die Diskussionslage in der analytischen Religionsphilosophie drei Versuche, die Frage nach der Begründung christlich-religiöser Rede im Rückgriff auf den Gedanken der Verifikation zu beantworten. Dabei handelt es sich jeweils um die Thesen der Selbstverifikation, der Verifikation durch religiöse Erfahrung und der eschatologischen Verifikation. Während die beiden ersten Ansätze nach Dalferths Auffassung an der mangelnden Unterscheidung zwischen kausaler Genese und logischer Begründung scheitern, eröffnet die auf John Hick zurückgehende Konzeption der eschatolo-

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gischen Verifikation die Möglichkeit, dem Versuch einer Begründung christlicher Rede von Gott so Rechnung zu tragen, daß umgekehrt der integrale Bezug auf die die ganze Wirklichkeit umfassende und sie konstituierende christliche Grundgeschichte gewahrt bleibt.

3.3.1 Selbstverifikation und Verifikation durch religiöse Erfahrung Das erste Modell stützt sich auf die These einer selbstverifizierenden Erfahrung: »Selbstverifizierend ist eine Erfahrung, die dadurch, daß sie gemacht wird, als wahr erwiesen ist.... Eine argumentative oder demonstrative Begründung zur Erreichung epistemischer Sicherheit würde sich dann erübrigen, weil Rede von Gott als wahr erkannt ist, wenn auf der Basis der christlichen Grunderfahrung von ihm geredet wird« (680). Doch dieser Versuch, die Wahrheit einer bestimmten Behauptung auf das bloße Ereignis einer ihr zugrunde liegenden Erfahrung zurückzuführen, macht sich dreier Verwechslungen schuldig. Zunächst ist zwischen der Erfahrung selbst als einem inneren Vorgang und dem Versuch ihrer sprachlich-intersubjektiven Artikulation zu unterscheiden. Damit ist nicht gesagt, daß diese innere Erfahrung nicht selbst schon sprachlich vermittelt ist. Entscheidend ist vielmehr der Umstand, diese Erfahrung immer schon so sprachlich artikulieren zu müssen, daß sie als die Erfahrung einer bestimmten Person nur vermittelt über dieses sprachliche Zeugnis zugänglich ist: »Die Berufung auf das Zeugnis von einer Erfahrung ist aber etwas anderes als die Berufung auf diese Erfahrung selbst« (681). Die These einer selbstverifizierenden Erfahrung scheitert schlicht daran, daß sie als Erfahrung sprachlich artikuliert werden muß und damit die Form einer Behauptung annimmt, die ihrerseits nicht mehr in Hinsicht auf das Erfahrene selbst hintergangen, sondern lediglich in Hinsicht auf die Behauptung dieser Erfahrung selbst befragt werden kann. Die sprachliche Artikulation einer Erfahrung berechtigt »prinzipiell nur zu Behauptungen über die Erfahrung des Sprechers, niemals aber zu darüber hinausgehenden Behauptungen über einen Erfahrungsgegenstand« (ebd.). In eine ähnliche Richung zielt auch die Differenz zwischen epistemischer Sicherheit und Gewißheit. So mag eine Erfahrung wohl dazu führen, von der Wahrheit des Erfahrenen überzeugt zu sein, doch diese Überzeugung allein vermag die tatsächliche Wahrheit nicht zu verbürgen. Die auf eine bestimmte Erfahrung zurückgehende Gewißheit, mit der ein Wahrheitsanspruch aufgestellt wird, ist von der epistemischen Sicherheit zu unterscheiden, die sich aus der argumentativen Einlösung dieses Wahrheitsanspruches ergibt: »Der Erweis der Wahrheit von p aber ist als Überprüfung des Wahrheitsanspruchs etwas anderes als das Aufstellen des Wahrheitsanspruchs, daß p; und die Gewißheit, die mich zu meiner Behauptung veranlaßt, ist etwas anderes als die Sicherheit, die aus dem Erweis der Wahrheit dieser Behauptung resultiert. Es ist daher ein Mißverständnis, die mit den christlichen Behauptungen verbundene Gewißheit mit epistemischer Sicherheit zu verwechseln (...), da erstere auch ohne die letztere der Fall sein kann und der Fall ist« (682). Im Hintergrund aber sowohl dieser Unterscheidung zwischen Gewißheit und Sicherheit als auch schon jener zwischen der Erfahrung selbst und ihrer sprachlichen Artikulation steht eine weitere Differenz, die erst vollgültig die Unhaltbarkeit der behaupteten Selbstverifikation einsichtig macht. Dabei handelt es sich um die Unterscheidung zwischen der kausalen Genese und der logischen Begründung einer sprachlichen Äußerung. Der Verweis auf die Verankerung einer Behauptung in einer bestimmten Erfahrung kann nicht dazu in Anspruch genommen werden, den Wahrheitsanspruch dieser Behauptung zu begründen. Denn während der Aufweis der Entstehung eines bestimmten Wahrheitsanspruches - und damit seine Herleitung aus einer vorgängigen Erfahrung - der kausalen Verknüpfung von Ursachen verpflichtet ist, hat die Frage seiner Geltung und der Versuch seiner Einlösung ihren Ort im logischen Raum der Gründe. Für den Fall christlich-religiöser Rede von Gott ergibt sich daraus, »daß epistemische Sicherheit, wenn sie möglich sein soll, in einer Situation der Begründung des Wahrheitsanspruchs christlicher

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Rede erworben werden muß, die von der Situation der Entstehung des christlichen Glaubens verschieden ist« (682; Hervorhebung ML). Das zweite Modell einer Verifikation christlich-religiöser Rede versucht dieser Unterscheidung zwischen Entstehungs- und Begründungszusammenhang dadurch Rechnung zu tragen, daß die religiöse Erfahrung selbst als diese Begründungssituation aufgewiesen wird. Diesen Ansatz findet Dalferth vor allem von John B. Wilson vertreten103. Er geht zunächst davon aus, daß die religiöse Erfahrung innerhalb eines Spektrums unterschiedlicher Erfahrungstypen so zwischen empirischer Sinneserfahrung und ästhetischer Erfahrung zu stehen kommt, daß die ihr entsprechenden religiösen Behauptungen zwar nicht den hinreichenden, wohl aber den notwendigen Bedingungen kognitiver und damit objektiver Erfahrungsaussagen genügen. Daraus ergibt sich, daß auch religiöse Behauptungen verifizierbar oder zumindest falsifizierbar sein müssen. Denn als kognitive Aussagen fallen sie in die Reichweite des für alle Behauptungen geltenden Verifikationsprinzips: »Any assertion has to be supported by certain kinds of experience only. It is this principle (whether under the name of the Verification Principle or under some other name) which in the last few decades has been chiefly responsible for casting so much doubt on religious and other assertions: not directly upon their truth or falsehood, but upon their whole logical status«104. Ausgehend von dem Faktum religiöser Erfahrung weist Wilson nun auf, daß religiöse Behauptungen zu dieser Erfahrung in eben der Beziehung stehen, in der nichtreligiöse Behauptungen ihrerseits eine entsprechende Erfahrung voraussetzen. Wie letztere durch bestimmte Erfahrungen verifiziert oder falsifiziert werden können, so verweisen auch religiöse Behauptungen auf die religiöse Erfahrung als ihre Verifikationssituation: »Wilson argumentiert also für eine strikte Parallelität zwischen der Verifizierbarkeit gewöhnlicher empirischer Behauptungen und religiöser Behauptungen, und zwar jeweils bezüglich der für sie relevanten und voneinander unterschiedenen Erfahrungen« (683). Daraus ergibt sich die Aufgabe, ein Testverfahren zu entwickeln, das im Rückgang auf die entsprechenden Erfahrungen über die Wahrheit oder Falschheit religiöser Behauptungen zu entscheiden erlaubt und so ihrer postulierten Verifizierbarkeit Rechnung trägt. Ein derartiges Verfahren muß zunächst eine intersubjektive Struktur religiöser Erfahrung voraussetzen und annehmen, »that under certain conditions certain people would always have certain experiences, such that reliable existential assertions could be made to incorporate them«. Auf dieser Grundlage soll dann so über die Wahrheit oder Falschheit religiöser Behauptungen entschieden werden können, daß diese auf das Vorhandensein bestimmter Erfahrungen zurückgeführt werden105. Doch auch dieser Ansatz stößt auf schwerwiegende Bedenken. Dalferth weist vor allem auf drei grundlegende Schwierigkeiten hin106: Zunächst bringt Wilson nicht hinreichend den Unter-

103 Vgl. vor allem J.B. Wilson, Language and Christian Belief, London 1958; Ders., The Truth of Religion, London 1958; Ders., Philosophy and Religion. The Logic of Religious Belief, London 1961. 104 J.B. Wilson, Philosophy and Religion 61; Hervorhebung ML. 105 Vgl. dazu die Ausführungen J.B. Wilsons, aaO. 92: »The subjects of our programme might come to have certain common experiences which always recurred under certain conditions. Call these experiences >lovegracepowermajestybeautyGod is loveGod is love< decisively falsifiable«. 106 Daneben lassen sich auf einer noch sehr viel grundsätzlicheren Ebene - wie auch Dalferth notiert (vgl. Ders., Religiöse Rede 684) - bereits die unklare Verhältnisbestimmung zwischen Verification und Falsifikation, der unkritisch in Anspruch genommene positivistische Rahmen sowie die Verwechslung von bloßer Intersubjektivität und objektiver Geltung bemängeln.

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schied zur Geltung, der zwischen der kognitiven Ausrichtung auf einen bestimmten Glaubensinhalt und der existentiellen Bestimmtheit durch diesen Inhalt selbst besteht und in der theologischen Tradition zumeist durch die Differenz von fides quae creditor und fides qua creditor zu erfassen versucht worden ist. Er bleibt damit einer extern-kognitivistischen Perspektive verhaftet, die den religiösen Glauben zwar als belief, nicht aber als faith in den Blick nehmen kann. Überdies wird der Versuch, Gott als Ursprung bestimmter Erfahrungen einzuführen, nicht angemessen begründet. Es bleibt völlig offen, »wie von der Feststellung, daß bestimmte Erfahrungen in einer Gemeinschaft rekurrent auftreten, zu der Behauptung übergegangen werden kann, diese seien durch Gott verursacht« (685f.). Doch das entscheidende Problem bildet der von Wilson verwendete Begriff der religiösen Erfahrung selbst. Denn er geht davon aus, daß sich diese Erfahrung im Sinne eines positivistisch aufweisbaren Grunddatums einführen ließe und so in der Funktion eines Verifikationskriteriums den wechselnden theoretischen Interpretationen gegenübergestellt werden könne. Dieser Ansatz erweist sich als illusorisch: »>Religiöse< oder christliche Erfahrung< ist vielmehr ein zuhöchst theoriegeladener Begriff, so daß sich mit dem theoretischen Kontext... auch die Natur der Erfahrung ändert. Ihre verifizierende Kraft besitzt sie dann aber immer nur im Horizont des jeweiligen Systems und taugt damit gerade nicht dazu, den Wahrheitsanspruch des ganzen Systems zu begründen und dessen Annahme rational zu rechtfertigen« (686)107. Damit macht sich schließlich auch Wilson des Versäumnisses schuldig, nicht hinreichend zwischen dem kausalen Entstehungszusammenhang und dem logischen Begründungszusammenhang sprachlicher Äußerungen unterschieden zu haben: »Sein Konzept der christlichen bzw. religiösen Erfahrung erlaubt ihm gerade nicht, zwischen der christlichen Grunderfahrung als dem Entstehungszusammenhang christlichen Wissens um Gott und der Situation der Begründung von dessen Wahrheitsanspruch zu differenzieren. Doch die christliche Grunderfahrung als Quelle und Ursprungsort christlicher Behauptungen ist nicht zugleich auch Ort ihrer Verifikation« (687). Zu dieser Verwechslung kommt es nach Dalferths Auffassung vornehmlich deshalb, weil Wilson die notwendige Einbettung der einzelnen Erfahrung in einen übergreifenden Interpretationshorizont nicht angemessen berücksichtigt. Denn erst innerhalb eines derartigen Zusammenhangs gewinnt die für sich ambivalente Erfahrung ihre inhaltliche Bestimmtheit und epistemische Verankerung. Dalferth vertritt damit ein Kontextprinzip der religiösen Erfahrung. Sie läßt sich nicht schon für sich als religiöse Erfahrung einsichtig machen, sondern bedarf der vorgängigen Aufnahme in einen sie inhaltlich bestimmenden und als religiöse Erfahrung erst konstituierenden Interpretationsrahmen: »Keine Erfahrung aber nötigt von sich aus dazu, christlich oder nichtchristlich interpretiert zu werden, vielmehr ist dies immer wesentlich durch den Erfahrungshorizont bestimmt, in den sie eingeordnet wird« (687). Aus dieser Struktur folgt nicht nur, daß die eine bestimmte Erfahrung artikulierende Behauptung nur relativ auf den jeweiligen Interpretationshorizont begründet werden kann, in dem diese Erfahrung als religiöse Erfahrung ihren Ort hat. Entscheidend ist vielmehr der umgekehrte Schluß, daß eine religiöse Erfahrung nicht als Verifikationsbasis für eine bestimmte Behauptung in Anspruch genommen werden kann, da sie nur innerhalb eines vorgängigen Interpretationszusammenhangs als religiöse Erfahrung bestimmt ist und die Geltung dieses Horizonts so-

107 Diese Aussage Dalferths rückt allerdings auch seine eigene Konzeption ins Zwielicht. Denn er unternimmt ja gerade den Versuch, die Erfahrung Jesu als der Anrede Gottes so zur Geltung zu bringen, daß diese nicht nur die spezifische inhaltliche Bestimmtheit christlich-religiöser Rede verbürgt, sondern überdies als der methodische Fokus des Versuchs ihrer argumentativen Rechtfertigung einsichtig wird. Dabei setzt er die Anredeerfahrung nicht nur als Kriterium der Wahrheitsfähigkeit christlich-religiöser Rede ein, sondern bindet letztlich sogar - wie noch zu zeigen sein wird - den Erweis der Wahrheit selbst an diese situative Verankerung zurück. Wie soll dieses Vorgehen anders interpretiert werden als der Versuch, im Rekurs auf die »verifizierende Kraft« (Ders., Religiöse Rede 686) einer bestimmten religiöse Erfahrung zugleich über den »Horizont des jeweiligen Systems« (ebd.) hinausgehen zu wollen, um so den »Wahrheitsanspruch des ganzen Systems« (ebd.) begründen zu können?

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mit immer schon voraussetzen muß. Der Wilsonsche Versuch, religiöse Behauptungen im Rekurs auf die ihnen zugrunde liegenden Erfahrungen zu verifizieren oder falsifizieren, scheitert daran, daß diese Verifikation nur relativ auf ein übergreifendes religiöses Interpretationssystem gelingen und damit gerade nicht zu den interpretationsjenseitig zu verortenden Daten selbst vordringen kann. Dalferth meint daher so über Wilson hinausgehen zu müssen, daß an die Stelle der Verifikation einer einzelnen Behauptung die Aufgabe treten müsse, das übergreifende Interpretationssystem selbst verifizieren zu müssen: »Es ist vielmehr über den Wahrheitscharakter des ganzen Interpretationssystems zu entscheiden, in dem eine Erfahrung ihren Ort hat, die christlichen Behauptungen über Gott zu widersprechen oder diese zu bestätigen scheint.... Es ist daher - in der oben verwendeten Terminologie - nicht nur die einzelne christliche Behauptung, sondern der Wahrheitsanspruch der in ihr zusammengefaßten Geschichte und insbesondere der christlichen Grundgeschichte, in der sie integriert ist, der als wahr einsichtig werden muß, um christliche Rede von Gott epistemisch sicher zu machen« (688). Insofern diese Geschichte nun eschatologische Implikationen besitzt, die sie erst von ihrem Ende her als Ganze in den Blick zu nehmen und auf ihren Wahrheitsanspruch hin zu entscheiden erlaubt, gewinnt Dalferth den Übergang zum Modell der eschatologischen Verifikation. Freilich steht auch diese auf das christliche Interpretationssystem im ganzen ausgedehnte und um die geschichtliche Dimension erweiterte Rede von der Verifikation unter der von Dalferth programmatisch eingeführten Bedingung einer Unterscheidung von Entstehungs- und Begründungszusammenhang. Darunter versteht er zunächst nicht mehr als die Einhaltung der für die Struktur der Begründung notwendigen Forderung, daß die zur Begründung angeführte Behauptung von der zu begründenden Behauptung logisch unabhängig sein muß108. Für den Fall christlich-religiöser Behauptungen heißt das, daß sie nicht im Rekurs auf eben die Erfahrung begründet werden können, aus der sie entstammen. Denn der Verweis auf diese Erfahrung hebt einen Entstehungszusammenhang hervor, der das zu Begründende nicht mehr unabhängig von seiner Begründung zu formulieren erlaubt. Es geht Dalferth nicht um den Aufweis der kategorialen Differenz zwischen kausaler Genese und logischer Begründung, der es logisch unmöglich macht, den kausalen Entstehungszusammenhang einer Behauptung für deren logische Begründung in Anspruch zu nehmen. Denn Dalferth hält nicht nur an der fundamentalistischen Konzeption fest, eine sprachliche Behauptung im Rückgang auf den ihr entsprechenden Sachverhalt verifizieren zu können und damit an irgendeinem Punkt den Übergang von der logischen auf die kausale Ebene vollziehen zu müssen109; er ist überdies daran interessiert, letztlich ebenfalls auf eine christliche Grunderfahrung verweisen zu können, die bestimmte Behauptungen begründet. Stattdessen geht es ihm lediglich darum, für die zu begründenden Behauptungen eine Verifikationssituation ausfindig zu machen, die in ihrer inhaltlichen Bestimmtheit von der in Frage stehenden Behauptung selbst unabhängig ist. Gerade diese Formulierung der notwendigen Unterscheidung zwischen Entstehungs- und Begründungszusammenhang macht nun einsichtig, warum auch der Versuch einer Verifikation durch religiöse Erfahrung im Sinne Wilsons scheitern muß. Denn Dalferth hebt auf die notwendige kontextuelle Einbindung religiöser Erfahrungen in einen übergreifenden Interpretationsho108 Vgl. I.U. Dalferth, Religiöse Rede 522: »Die zur Begründung angeführte Behauptung Q muß von der zu begründenden Behauptung P so verschieden sein, daß Q unabhängig von P formuliert werden kann«. 109 Das von Dalferth vorausgesetzte realistische Begründungsmodell behauptet die Möglichkeit einer epistemischen Gegenüberstellung von Sprache und Welt. Der logische Begründungsrekurs muß also an irgendeinem Punkt so unterbrochen werden können, daß ein außersprachlicher Sachverhalt als epistemischer Grund eingeführt werden kann. Dies ist aber nicht anders vorstellbar als in der Weise, daß entweder auf die kausale Entstehungskette der in Frage stehenden Überzeugung zurückgegriffen oder die These eines repräsentationalen Gegenübers zwischen Behauptung und Sachverhalt bemüht wird, deren Überbrükkung dann aber letztlich auch wieder nur auf kausalem Wege gelingen dürfte.

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rizont ab, innerhalb dessen sie erst als religiöse Erfahrungen inhaltlich bestimmt werden. Dann aber läuft der Versuch, einzelne Behauptungen im Rekurs auf religiöse Erfahrungen verifizieren zu wollen, auf das zirkuläre Unterfangen hinaus, als Verifikationsbasis etwas in Anspruch zu nehmen, was selbst erst durch die in Frage stehende Behauptung inhaltlich geprägt ist. Gerade dadurch aber wird die Bedingung logischer Unabhängigkeit verletzt und die Begründung im Rückgriff auf den Entstehungszusammhang zu leisten versucht. Von einer Begründung in dem von Dalferth intendierten Sinn des verifikativen Wahrheitsaufweises - der Gewinnung epistemischer Sicherheit - kann nur dann die Rede sein, wenn hinter den interpretativen Zusammenhang zurückgegriffen wird, von dem her die einzelne Behauptung erst ihre inhaltliche Bestimmung erhält. Dalferth geht es also mit seinem Kontextprinzip der religiösen Erfahrung nicht darum, die notwendige Relativität aller Begründungen auf einen übergreifenden Interpretationshorizont auszusagen; stattdessen zielt er gerade umgekehrt darauf, diese Relativität als für das Unternehmen verifikativer Begründung illegitim aufzuweisen und Wege ausfindig zu machen, wie sie überwunden werden kann. In diesem Sinn ist auch sein Vorschlag aufzufassen, an die Stelle der singulären Begründung einzelner Behauptungen die Aufgabe der Begründung des ganzen Interpretationssystems zu setzen. Indem aber Dalferth nicht nur die Unterscheidung zwischen Genese und Begründung realistisch verkürzt, sondern überdies sein Kontextprinzip der religiösen Erfahrung lediglich zur kritischen Abwehr eines bestimmten Verifikationsmodells in Anschlag bringt, verschenkt er die grundsätzliche Reichweite seiner eigenen Einsichten. Er hält daran fest, eine Erfahrung als Grund für eine Behauptung anfuhren zu können. Die Unterscheidung zwischen Genese und Begründung führt lediglich dazu, im Fall christlicher Behauptungen die Differenz im Auge zu behalten »zwischen der Erfahrung, aus der sie entsprungen, und der Erfahrung, durch die sie als wahr erwiesen werden« (689). Damit stößt Dalferth nicht bis zu dem Punkt vor, die kategoriale Andersartigkeit von kausaler Genese und logischer Begründung zu erkennen. Ein genaueres Hinsehen auf die logische Unmöglichkeit, eine Behauptung dadurch begründen zu wollen, daß auf ihre kausale Genese oder Verankerung verwiesen wird, hätte dazu führen können, den realistischen Rahmen des Verifikationsmodells insgesamt in Frage zu stellen. Auf der anderen Seite bleibt Dalferth mit seinem Kontextprinzip auf der Ebene einzelner Erfahrungen und Behauptungen stehen. Die Lösung für die mit diesem Prinzip bezeichnete Relativität sieht er in dem Versuch einer Begründung des christlichen Interpretationssystems insgesamt. Doch es stellt sich hier die Frage, wie dieses Interpretationssystem überhaupt in den Blick genommen werden kann: Gilt nicht das, was Dalferth im Fall einzelner Behauptungen zugesteht, auch wieder auf der Ebene ganzer Interpretationssysteme? Eine einzelne Behauptung ist sowohl in der inhaltlichen Bestimmung ihrer Bedeutung als auch in der epistemischen Rechtfertigung ihres Wahrheitsanspruches abhängig von der vorgängigen Einbettung in einen übergreifenden Zusammenhang. Denn ebenso wie sich die Bedeutung eines Satzes erst von ihrer Stellung innerhalb eines größeren semantischen Kontextes her erschließt, läßt sich auch die Aufgabe der Begründung nur relativ auf einen argumentativen Horizont durchführen, der so in seiner epistemischen Geltung vorausgesetzt werden muß. In eben dieser Weise ist dann aber auch ein System von Behauptungen darauf angewiesen, innerhalb eines nochmals übergreifenden Interpretationshorizonts zu stehen zu kommen: Auf seiner Ebene wiederholt sich die kontextrelative Bestimmung von semantischer Bedeutung und epistemischer Rechtfertigung. So gilt vor allem für den Versuch einer Begründung dieses Systems, daß sie nur relativ auf ein System von Überzeugungen gelingen kann, das seinerseits in seiner epistemischen Geltung vorausgesetzt werden muß. Diese grundlegende Kontextualität von Bedeutung und Begründung betrifft auch den Versuch, das christliche Interpretationssystem im ganzen in den Blick nehmen zu wollen. Es ist nicht damit getan, an die Stelle einzelner christlicher Behauptungen das System insgesamt treten zu lassen, um so der kontextuellen Relativität entgehen zu können. Auch auf der Ebene des christlichen Gesamtsystems bleibt die Notwendigkeit bestehen, einen nochmals übergreifenden Interpretationshorizont voraussetzen zu müssen, wenn nach Bedeutung und Begründung gefragt werden soll. Indem sich Dalferth dieser Ausweitung seines Kontextprinzips zu entziehen sucht, macht er deutlich, daß er letztlich doch einem realistischen Modell verhaftet bleibt, das sich - zumindest

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grundsätzlich - die Möglichkeit offenhält, jenseits der Reichweite kontextueller Interpretativität auf unmittelbare Gegebenheiten zugreifen zu können. Nur so läßt sich auch verstehen, daß Dalferth in der Ausweitung der Verifikation auf das christliche Interpretationssystem insgesamt seinem eigenen Kontextprinzip der religiösen Erfahrung in den Rücken fällt. Denn er greift nun doch wieder auf eine christliche Gmnderfahrung zurück, die den christlichen Interpretationshorizont aus sich entlassen und damit selbst einer kontextuellen Einbettung entzogen sein soll: »So ist der Wahrheitsanspruch christlicher Behauptungen eingebunden in einen Interpretationshorizont, der in der christlichen Grunderfahrung gründet und alle Erfahrung in ein bestimmtes Licht rückt,..., und der als ganzer einen Wahrheitsanspruch erhebt, der zur Erlangung epistemischer Sicherheit über christliche Rede von Gott als wahr erwiesen werden muß« (ebd.). Dalferth führt die christliche Grunderfahrung mithin in der Weise ein, daß der christliche Interpretationshorizont sowohl im kausalen wie auch im logischen Sinn in ihr >griindettotal interpretation«119. Diese totale Interpretation richtet sich nicht mehr nur auf einen partikularen Bereich, sondern umfaßt die Welt im ganzen: »Our interpretation must be a total interpretation, in which we assert that the world as a whole (as experienced by ourselves) is of this or that kind«120. 113 J. Hick, Faith and Knowledge VIII. - Hick nimmt damit Einsichten von Wittgenstein und Wisdom auf. 114 Hick greift auf den Begriff der Signifikanz zurück, um so den wegen seiner inflationären und plurivoken Verwendung diskreditierten Sinnbegriff umgehen zu können (vgl. Ders., Faith and Knowledge 97). 115 Vgl. J. Hick, Faith and Knowledge 106f. 116 J. Hick.aaO. 107f. 117 J. Hick, aaO. 108. 118 J. Hick, aaO. 113. 119 Ebd. 120 J. Hick, aaO. 114.

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Für Hick eröffnet sich damit eine Möglichkeit, der spezifischen Eigenart religiöser Erfahrung gerecht werden zu können. Diese wird zunächst in der Weise expliziert, daß der Gläubige den Anspruch erhebt, in und vermittelt durch die Welt die Gegenwart eines göttlichen Wesens erfahren zu können121. Sie richtet sich auf die Welt im ganzen und interpretiert diese als Ausdruck des Wirkens Gottes: »The monotheist's faith-apprehension of God as the unseen Person dealing with him in and through his experience of the world is ... an interpretation of the world as a whole as mediating a divine presence and purpose«122. Hick gelingt es so, den religiösen Glauben auf einen besonderen Gegenstand ausgerichtet sein zu lassen und doch zugleich als Anwendungsfall einer allgemeinen epistemologischen Struktur einsichtig zu machen: »While the object of religious knowledge is unique, its basic epistemological pattern is that of all our knowing«123. Diese holistische Interpretativität wirft ein besonderes Licht auf die Situation der Strittigkeit zwischen religiösen und nichtreligiösen Interpretationen der Wirklichkeit. Es geht hier nicht primär um eine unterschiedliche Beurteilung einzelner Ereignisse in der Welt. Vielmehr steht die Frage nach der Interpretation der Welt im ganzen zur Debatte. Während der Gläubige davon überzeugt ist, in ihr das Wirken Gottes zu erfahren, meint der Ungläubige auf eine derartige Annahme verzichten zu können. Dabei muß diese unterschiedliche Sichtweise keineswegs zur Folge haben, daß sich daraus notwendig auch Differenzen in der Beurteilung innerweltlicher Ereignisse ergeben. Denn es geht ja gerade nicht um die Interpretation derartiger Einzelereignisse, sondern um die Frage nach dem Verständnis der Wirklichkeit im ganzen. Es besteht durchaus die Möglichkeit, auf einer innerweltlichen Ebene Übereinstimmung erzielen zu können, während die Sicht der Welt im ganzen von Grund auf differiert. Entscheidend ist der umgekehrte Sachverhalt, daß die rivalisierenden Wirklichkeitsinterpretationen durch die Berufung auf einzelne Ereignisse auch nicht widerlegt werden können. Diese lassen sich ohne weiteres so in die jeweiligen Entwürfe einfügen, daß von dort her keine Entscheidung mehr darüber getroffen werden kann, welche der Interpretationen im Recht ist. Gerade an dieser Stelle entsteht für Hick das entscheidende Problem: Wenn die innerweltlichen - und insofern empirisch anweisbaren - Ereignisse keine Entscheidung über die Wahrheit der religiösen Rede von Gott erlauben, wird es zweifelhaft, ob diese überhaupt etwas über die Welt aussagt: »The religious person speaks of God as a living reality in whose presence we are, and of a divine purpose which gives ultimate meaning to our lives. But is not the world the same whether or not we suppose it to exist in God's presence; and is not the course of history the same whether or not we describe it as fulfilling God's pur121 Vgl. J. Hick, aaO. 96. 122 J. Hick, aaO. 114f. 123 J. Hick, aaO. 97.

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poses? ... Must not the central religious use of language then be accounted a non-cognitive use, whose function is not to assert alledged facts but to express a speaker's, or a community of speakers', emotions within the framework of a factually contentless blik, >slant< or >onlook