If you believe: Religion in Rock- und Popmusik 9783429043728, 9783429049287, 9783429063481, 3429043727

Die Beatles haben 1965 behauptet, sie seien populärer als Jesus - und sie hatten Recht. Auf Facebook haben sie fast zehn

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If you believe: Religion in Rock- und Popmusik
 9783429043728, 9783429049287, 9783429063481, 3429043727

Table of contents :
Front cover
Copyright
Inhalt
Einleitung: I still believe in Rock n Roll
Vom Sklavenlied zur Rock-Hymne
Wenn Musiker bei der Bibel klauen …
Ein buddhistischer Jude und sein „schräges“ Lied über Jesus
Ein Liebeslied für Vietnam
Mit dem Teufel muss man Mitleid haben
Die Band, die populärer ist als Jesus und trotzdem zu Maria betet
Ein Gebet für alle Religionen
Hymne für den Weltfrieden oder kommunistisches Manifest?
Das Kirchenlied eines islamischen Glaubenskämpfers
Vom Western-Hit zur Glaubens-Hymne
Ein unbewusstes Lied über Gott
Staub und Asche
Gott und Glaube oder Koks und Heroin?
Ist der wahre Himmel vielleicht doch die Hölle?
Freiheit, Erlösung, und eine späte Taufe
Sex, Gott und Verzweiflung
Ein Pop-Gebet
Der Himmel auf Erden, nicht nur sprichwörtlich
Eine „erweiterte katholische Metapher“
Was ist die Sünde?
Ein Liebeslied an einen Menschen, die Schöpfung und Gott
Madonna, Pepsi und der Vatikan
Von Jesus und Elvis, von Glaube und Zweifel
(K)ein Lied über Atheismus?
Das Geschäft mit dem Glauben
Musik und Schicksalsschläge
„Musik ist meine Religion“
Kronen von Scheiße oder Dornen?
Was wäre, wenn …
„ Ich habe Gott nicht gefunden, aber sie mich“
Vom T-Shirt-Spruch zum Glaubensbekenntnis
Liebe, Sex und Gott
Der Weg von schwangeren Nonnen zum Gebet, das Halt gibt.
Der Papst in der Popmusik
Rock n Roll wird uns alle retten
Die inneren Dämonen
Ein „wundervolles Zeichen der Respektlosigkeit“
Himmel und Hip Hop
Der Tod in der Popmusik
Weitere/Diverse:
Liedverzeichnis
Back cover

Citation preview

populärer als Jesus – und sie hatten Recht. Auf Facebook haben sie fast zehnmal so viele ›Fans‹ wie Christus. Trotzdem spielt Spiritualität für sie und andere Rockstars eine große Rolle. Wenn Robbie Williams über »Angels« singt, dann meint er himmlische Wesen. AC/DC sind unterwegs auf dem »Highway to Hell« zur endlosen Party, bis ihr Frontmann stirbt und die Hölle in den Liedern auf einmal eine viel ernstere Note bekommt. Bruce Springsteen, Bob Dylan oder

If you believe ...

Die Beatles haben 1966 behauptet, sie seien

Madonna – sie alle beschäftigen sich mit ihrem

Renardo Schlegelmilch begibt sich in diesem Buch auf die Suche nach den offenen und versteckten Spuren von Religion in der Pop- und Rockmusik. Ein Streifzug durch deren Geschichte, von 1950 bis zur Gegenwart. Renardo Schlegelmilch ist Moderator beim domradio in Köln und Journalist mit Schwerpunkt Kirche und Gesellschaft.

Renardo Schlegelmilch

Glauben, im Leben wie in der Musik.

Renardo Schlegelmilch

If you believe ... Religion in Rockund Popmusik

ISBN 978-3-429-04372-8

echter_04372_Schlegelmilch_Umschlag_rz_02.indd 3

14.07.2017 11:11:58

„If you believe ... Religion in Rock- und Popmusik“ Renardo Schlegelmilch 

„If you believe ... Religion in Rock- und Popmusik“ Renardo Schlegelmilch

echter

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar. 1. Auflage 2017 © 2017 Echter Verlag GmbH, Würzburg www.echter.de Umschlag: wunderlichundweigand.de (Foto: Don Arnold, Bruce Springsteen And The E Street Band Summer ’17 Tour – Sydney © gettyimages.) Satz und Innengestaltung: Crossmediabureau – xmediabureau.de Druck und Bindung: CPI books – Clausen & Bosse, Leck ISBN 978-3-429-04372-8 (Print) 978-3-429-04928-7 (PDF) 978-3-429-06348-1 (ePub)

Inhalt Einleitung: I still believe in Rock n Roll . . . . . . . . . . . . . . . . .    7 Vom Sklavenlied zur Rock-Hymne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   11 Wenn Musiker bei der Bibel klauen … . . . . . . . . . . . . . . . . .   14 Ein buddhistischer Jude und sein „schräges“ Lied über Jesus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   19 Ein Liebeslied für Vietnam. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   23 Mit dem Teufel muss man Mitleid haben. . . . . . . . . . . . . . .   26 Die Band, die populärer ist als Jesus und trotzdem zu Maria betet. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   29 Ein Gebet für alle Religionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   34 Hymne für den Weltfrieden oder kommunistisches Manifest? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   39 Das Kirchenlied eines islamischen Glaubenskämpfers. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   45 Vom Western-Hit zur Glaubens-Hymne. . . . . . . . . . . . . . . .   50 Ein unbewusstes Lied über Gott. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   53 Staub und Asche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   57 Gott und Glaube oder Koks und Heroin?. . . . . . . . . . . . . . .   60 Ist der wahre Himmel vielleicht doch die Hölle?. . . . . . . .   64 Freiheit, Erlösung, und eine späte Taufe. . . . . . . . . . . . . . . .   69 Sex, Gott und Verzweiflung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   73 Ein Pop-Gebet. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   79

Der Himmel auf Erden, nicht nur sprichwörtlich. . . . . . .    82 Eine „erweiterte katholische Metapher“. . . . . . . . . . . . . . .    86 Was ist die Sünde?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    88 Ein Liebeslied an einen Menschen, die Schöpfung und Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    90 Madonna, Pepsi und der Vatikan. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    94 Von Jesus und Elvis, von Glaube und Zweifel. . . . . . . . . .    99 (K)ein Lied über Atheismus?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   103 Das Geschäft mit dem Glauben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   106 Musik und Schicksalsschläge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   110 „Musik ist meine Religion“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   114 Kronen von Scheiße oder Dornen?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   117 Was wäre, wenn  …  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   121 „Ich habe Gott nicht gefunden, aber sie mich“ . . . . . . . .   125 Vom T-Shirt-Spruch zum Glaubensbekenntnis . . . . . . . .   129 Liebe, Sex und Gott. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   132 Der Weg von schwangeren Nonnen zum Gebet, das Halt gibt.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   135 Der Papst in der Popmusik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   140 Rock n Roll wird uns alle retten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   144 Die inneren Dämonen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   148 Ein „wundervolles Zeichen der Respektlosigkeit“. . . . . .   150 Himmel und Hip Hop . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   154 Der Tod in der Popmusik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   156 Weitere / Diverse:. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   159 Liedverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   174

Einleitung: I still believe in Rock n Roll

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ie Schwäbische Alb vor ungefähr 35.000 Jahren. Eine Gruppe von Frühmenschen sitzt gemeinsam am Lagerfeuer. Im Hintergrund zwitschern die Vögel. Einer der frühen Schwaben nimmt sich ein Gerät zur Hand, das er gerade geschnitzt hat. Ein hohler Tierknochen. Wenn man vorne hineinbläst, kommt hinten ein Ton raus, der sich fast so anhört, wie das Zwitschern der Vögel. Die anderen Männer um das Feuer schlagen sich einem simplen Rhythmus folgend auf die Brust. Eines der ersten Lieder der Geschichte entsteht, und es berührt die erste Musik-Gruppe der Welt. Es verbindet sie auf eine Art, die man nicht in ­Worte fassen kann. Es passiert irgendwas, das ihren Wis­ sens­horizont überschreitet. Zeitsprung. Wir sind im Wembley Stadion in London im Sommer 2016. Bruce Springsteen steht mit seiner E Street Band auf der Bühne. Die Rock-Hymne „Born to Run“ wird angestimmt. Die knapp 50.000 Menschen in der Arena fühlen sich als Gemeinschaft verbunden, für ein paar Minuten werden sie ein Leib, der das Gleiche denkt und fühlt. Einige von ihnen weinen. In Worte fassen können sie dieses Gefühl aber kaum, es übersteigt ihren Wissenshorizont. Noch ein Zeitsprung: Wir sind in Harlem, New York City. Eine kleine Kirche, voll mit tiefgläubigen Afro-Amerikanern. Wenn die Gospelhymne „Oh Happy Day“ angestimmt wird, wird die Gemeinde zu einer Einheit. „When Jesus walks“. In

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religiöser Ekstase vergessen die Menschen Raum und Zeit, in Worte fassen kann das Gefühl keiner. Es übersteigt ihren Wissenshorizont. Drei Geschichten, drei Situationen, die sich ziemlich ähnlich sind, obwohl sie Raum und Zeit weit voneinander trennt. Religion und Musik sind archaisch. Sie gehören zu den frühesten Erfahrungen der Menschheitsgeschichte. Einige Experten vermuten sogar, dass das musikalische Erlebnis, mit seiner unbeschreiblichen Emotionalität, erst zur Entwicklung der Religion geführt hat. Da ist etwas, das wir nicht erklären können, also muss es von einer höheren Macht kommen. In der Geschichte des Christentums spielt die Musik auch eine große Rolle. Luther hat sie nach der Theologie zum zweitwichtigsten Aspekt des Glaubens erhoben. Angefangen mit den gregorianischen Chorälen der Klöster des Mittelalters bis hin zum Neuen Geistlichen Liedgut oder SacroPop ist die Musik eines der wichtigsten Gestaltungsele­mente des Gottesdienstes und des Gemeindelebens. Ohne Musik fehlt einfach etwas. Eine Möglichkeit, das was man empfindet, auch auszudrücken, mit mehr als nur simplen Worten. Ob es um den Lobpreis im Halleluja geht, um die Bitte um Gottes Erbarmen im Kyrie, die Musik schafft eine Dimension im Gottesdienst, die dem Ausdruck der religiösen Gefühle ein neues Mittel geben kann. Das beginnt vielleicht im Gottesdienst, aber es hört dort nicht auf. „Hallelujah“ ist auch ein Song von Leonard Cohen, „Kyrie“ ist ein 80er-Jahre-Hit der schottischen Band ­„Danny Wilson“. Im 20. Jahrhundert haben sich schier endlose Variationen der modernen Popmusik entwickelt. Rock, Pop, Hip-Hop oder Jazz können ganz genau so eine religiöse Dimension haben. Das kann ganz offensichtlich sein. Joan Osborne fragt in „One of us“ von 1995: Was wäre, wenn Gott

einer von uns wäre? Nur ein Fremder im Bus, der genau so wie wir versucht nach Feierabend nach Hause zu kommen. Keiner wird ihn anrufen heute Abend, nur vielleicht der Papst in Rom. – Die Art-Rock Band Barclay James Harvest spricht auch ganz offen über ihren Glauben, im Lied „Hymn“ (kann man auch mit „Hymnus“ übersetzen), geht es um das Leben Jesu Christi, seine Leiden und die Auferstehung: „Für seine Werke haben wir ihn ans Kreuz genagelt. Er ist wieder auferstanden, als ob er uns fragen will: warum?“ Es kann aber auch ganz anders gehen. Popmusik kann ­religiöse Dimensionen entwickeln, ohne dass der Künstler es überhaupt beabsichtigt. Wenn Queen im Konzert „We Will Rock You“ anstimmen, weiß jeder im Publikum was zu tun ist: Stampf – Stampf – Klatsch! Stampf – Stampf – Klatsch! Auch hier wird ein Gefühl von Einheit beschworen, das über den Einzelnen hinausgeht. US-Rockstar Bruce Springsteen hat dieses Gefühl mal so beschrieben: „Wir kommen in eine Halle, und da ist nichts. Wir kommen zusammen mit den Menschen, die unsere Musik hören wollen. Und gemeinsam mit ihnen erschaffen wir etwas reales, etwas greifbares. Da liegt etwas in der Luft, das man nicht in Worte fassen kann.“ Die Popmusik bedient sich dabei auch sehr gerne der Symbolik des Christentums und der anderen Weltreligio­ nen. Ohne die biblischen Texte über Verdammnis und Hölle würde es kein „Highway to Hell“ von AC/DC und kein ­„Sympathy for the Devil“ von den Rolling Stones geben. Musik und Religion hängen also enger zusammen, als man vielleicht denken mag. Auf vielerlei Ebenen. Mich hat dieses Thema schon immer fasziniert. Als Mode­ rator im katholischen Kölner Radiosender domradio habe ich mit beidem, Musik und Religion, täglich zu tun. Wie oft es da zu Zusammenhängen und Überschneidungen kommt, ist erstaunlich. Jede Radiostunde beenden wir im

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Programm mit einem „Himmlischen Hit“; ein Popsong, der etwas ruhiger ist als der Rest des Programms. Eine Möglichkeit runter zu kommen, zu sinnieren und auch zuzuhören, denn in diesen Liedern von Cat Stevens, Ed Sheeran, Katie Melua oder Udo Lindenberg finden sich fast jedes Mal auch Fragen zu Religion oder Spiritualität. Antworten werden übrigens eher selten geliefert, da müssen wir uns schon selber drum kümmern. Im Radioalltag finden sich viele solcher Geschichten, die zum Nachdenken über Gott und die Welt anregen. Ein paar davon habe ich im vorliegenden Buch gesammelt. Einige Geschichten befassen sich mit den schweren Fragen des Lebens, wenn zum Beispiel Eric Clapton in „Tears in Heaven“ Gott fragt, weshalb er seinen vier Jahre alten Sohn hat sterben lassen. Andere kratzen eher schmunzelnd an der Oberfläche. Belinda Carlisle findet in einem Disco-Klassiker heraus, dass der Himmel sowieso ein Platz auf Erden ist, wenn wir nur ordentlich tanzen gehen. Und mit welchen Worten beginnen wir unsere erleuchtete Reise durch die Popmusik? Ich wähle die Worte des britischen Singer-Songwriters Frank Turner (Atheist). In dem Lied „I still believe“ antwortet er auf die Frage nach seinem Glauben: „Ich glaube daran, dass jeder von uns ein Lied für sich finden kann. Ein Lied für jeden Moment, an dem wir gewonnen oder verloren haben. Wir retten hier keine Leben, wir retten Seelen. Und wir haben Spaß dabei.“ In diesem Sinne! 10

Vom Sklavenlied zur Rock-Hymne titel : 

God’s gonna cut you down (Traditional vor 1900) album :  „American V: A Hundred Highways“ von Johnny Cash

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ch war ein wenig überrascht, als ich gesehen habe, dass eines meiner Lieblingslieder von Country-Legende Johnny Cash schon weit über 100 Jahre alt ist. Ein Spiritual, eine Tradition der schwarzen Sklaven­ arbeiter in den amerikanischen Südstaaten. Um ihren ein­ tönigen und schweren Arbeitsalltag zu überstehen, hatten sie immer eine Melodie auf den Lippen. Viele dieser Lieder sind die Vorläufer unserer heutigen Pop- und Rockmusik. Spirituals kamen in die Kirchen als Gospel, die Gospel-Musik verließ um 1900 die Kirchen und wurde zum Blues, der B ­ lues wurde zum Jazz, und beides zusammen legte den Grundstein für den Rock n Roll. Der Kreis schließt sich bei diesem Lied wieder perfekt mit Johnny Cash. Die Rock-Version ­eines Spirituals. Cash lässt sich schwer in eine Schublade einordnen. Man könnte natürlich sagen Country-Musiker, sein Lebenslauf sieht aber eher nach Rockstar aus. Seine ersten Aufnahmen hat er in den Sun-Studios in Memphis gemacht, zur gleichen Zeit als dort ein junger Elvis Presley angefangen hat schwarze Musik zu machen, die auch Weiße hören wollten. Cash ging auf Tour mit Presley und Jerry Lee Lewis und brachte diese neue Art der Musik hinaus in die Welt. Immer wieder geriet er dabei aber ins Straucheln. Die erste Ehe scheiterte, und immer wieder hatte er Probleme mit Drogen. Dieser Unzulänglichkeiten war er sich sehr be-

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wusst. „Ich müsste schon 100-mal tot sein“, sagte er mal. Und trotzdem hat er sich immer wieder aufgerafft. Hat angefangen Musik für die zu machen, die es schwerer hatten als er. In den Gefängnissen in Folsom und San Quentin spielte er hinter Gittern für die Gefangenen und sang auch für sie von Hoffnung und Erlösung. Um die Leiden der Menschen nicht zu vergessen, begann er in dieser Zeit nur noch in schwarz gekleidet aufzutreten. Den „Man in Black“ nannten sie ihn. Warum hat er im gleichnamigen Lied erklärt. „Ich trage schwarz für die, die nie die Worte Jesu hörten. Worte vom Weg zur Erlösung durch Liebe und Selbstlosigkeit. Das betrifft uns alle.“ Nach ein paar Jahrzehnten mäßigen Er­ folges, kam Mitte der 90er-Jahre das große Comeback. ­Hip-Hop Produzent Rick Rubin hat sich Cash angenommen. Johnny brachte die Stimme, die der Gesellschaft gefehlt hat. Die Stimme des Mannes, der viel erlebt hat, gutes wie schlechtes, und der Generation nach ihm ein paar Rat­ schläge mitgeben kann. Gegen Ende seines Lebens hat die Country-­Legende sich da noch mal richtig aufgerafft und hunderte (!) von Liedern aufgenommen, mit seinem ganz eigenen Dreh (Aus dieser Zeit kommt übrigens auch Johnny Cash’s eindringliche Version von „Hurt“, siehe das entsprechende Kapitel). Cover-Versionen von Liedern von Tom ­Petty, Neil Diamond, Sheryl Crow und anderen hat er aufgenommen, aber auch alte Spirituals. Im Jahr 2005 erschien dann „God’s gonna cut you down“ auf Cash’s posthum veröffentlichtem „A ­Hundred Highways“-Album. Die Neuinterpretation dieses alten Sklavenliedes bekommt bei ihm noch mal eine ganz andere Bedeutung. Mit stampfendem Rhythmus und monotonem Klatschen klingt seine Version anders als alle anderen Inkarnationen des Liedes. Treibender, drängender. Kurz vor seinem Tod scheint ihm ganz klar, dass Gott ihn irgendwann einholt. Zeit zur Umkehr nach einem sün-

digen Leben könnte man sagen. „Renne so lang du willst, Gott holt dich ein.“ Im Text gibt es aber auch ganz konkrete biblische Verweise: „Ich kniete mich nieder und sprach zu dem Mann aus Galiläa. Seine Stimme so zart wie die Fußschritte der Engel. Er rief meinen Namen. Mein Herz blieb stehen, als er sagte: John, folge meinen Worten!“ Das Schicksal der Sklaven, die dieses Protestlied geschrieben haben, wird aber auch mehr als deutlich. Mit diesem Lied haben sie ihre Hoffnung ausgedrückt, dass die Ungerechtigkeit ihrer Lebenssituation irgendwann ein Ende findet, auch wenn es erst im Himmel sein mag. „Schmeißt nur mit euren Steinen, beutet eure Mitmenschen aus. Aber so sicher wie Gott Schwarz und Weiß geschaffen hat, werden eure Taten aus dem Dunkel ans Licht gebracht.“ Johnny Cash ist übrigens bei weitem nicht der einzige Künstler, der diesem Lied seine ganz eigene Stimme gegeben hat. Von Elvis Presley über den Techno-DJ Moby hin zur Death-Metal-Band „Panzerfaust“ funktioniert die Botschaft der Unterdrückung und Hoffnung auf Gerechtigkeit in vielen Musikrichtungen. Die wohl wichtigste Version stammt übrigens von der schwarzen Bürgerrechtlerin Odetta Holmes aus dem Jahr 1960. Für Protest-Musiker wie Bob Dylan und Joan Baez war sie ein großes Vorbild. Martin Luther King Jr. hat sie als Königin der Folkmusik bezeichnet. Mit ihrer Musik, auch mit diesem Lied, hat sie also auch politisch einiges bewegt. 13

Wenn Musiker bei der Bibel klauen … titel : 

Turn! Turn! Turn! (To everything there is a season) – Pete Seeger album :  Turn! Turn! Turn! (The Byrds, 1965)

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in Lied, das in die Geschichte eingegangen ist. Als es 1965 auf Platz 1 der US-Charts stand, war es das Lied mit dem ältesten Text der Pop­geschichte. Das wird es wohl auf absehbare Zeit auch bleiben. Der Text von „Turn! Turn! Turn!” wurde fast komplett dem ­Alten Testament entnommen. Genauer gesagt dem Buch Kohelet. Bibelwissenschaftler vermuten, dass das Buch irgendwann zwischen dem zehnten und dritten Jahrhundert vor Christus verfasst wurde. Der Text zum Lied ist also mindestens 2300 und vielleicht auch 3000 Jahre alt. Das Buch Prediger zählt zu den eher schwierigen Texten der Bibel. Es enthält eine Sammlung von allgemeinen Richt­linien und Lebensweisheiten. Der Text des Liedes stammt aus dem dritten Kapitel des Buches (Pre 3,1–8). Die Zeilen waren damals genau so aktuell, wie sie heute noch sind. In den 50er-Jahren hat das den Liedermacher und Protest­musiker Pete Seeger (bekannt unter anderem durch ­„Where have all the Flowers gone?”) dazu bewegt eine Melodie zu den alten Worten zu verfassen. Ein Protestlied sollte es werden, das vor allem den Frieden in den Mittelpunkt stellt. „Eine Zeit für den Frieden” erhofft er sich, „ich schwöre, es ist noch nicht zu spät”. Der biblische Text stellt die verschiedenen Aspekte des Lebens, positiv wie negativ, gegenüber. Für alles gibt es eine Zeit: Zum Leben und Sterben, zum Lachen und Weinen, zum

Bauen und Abreißen, zum Lieben und Hassen. Das Lied kam zu einer Zeit auf dem Markt, als die Hippie- und Friedensbewegung ihren Höhepunkt hatte. Der Vietnamkrieg war in vollem Gange und auch der Konflikt Amerikas mit der Sowjetunion war allgegenwärtig. Immer mehr junge Leute in den USA wünschten sich eine Zeit des Friedens und sind auf die Straße gegangen. Musikalisch wurden sie von einer großen Garde der Protestmusiker unterstützt. Bob Dylan ist der bekannteste davon, Pete Seeger, der dieses Lied verfasst hat, wahrscheinlich der einflussreichste. Viele große Hits dieser Zeit stammen aus seiner Feder. Für Pazifismus, Umweltschutz und Arbeiterrechte ist er auf die Straße gegangen. Übrigens noch bis ins hohe Alter. Kurz vor seinem Tod 2014 (mit 94 Jahren) stand er noch gemeinsam mit US-Präsident Barack Obama auf der Bühne und hat für die Benachteiligten der Gesellschaft gekämpft. Das übrigens nicht nur auf den großen Bühnen. Es hält sich hartnäckig die Legende, dass er mal im hohen Alter einsam am Straßenrand stand, mit einem Schild mit dem Wort „Frieden” in Händen. Obwohl „Turn! Turn! Turn!” aus seiner Feder stammt, waren es die Byrds, die das Lied zum Welthit gemacht haben, der heute noch gespielt wird. Der Text kommt aus der ­Bibel – trotzdem wird Pete Seeger als Autor angegeben. Das Einzige, was er aber textlich beigesteuert hat, ist der „Turn! Turn! Turn!”-Ausruf im Refrain, den man frei mit „Kehrt um!” übersetzen kann, sowie die letzte Zeile: „Eine Zeit für den Frieden, ich schwöre, es ist nicht zu spät.” Sein Lebtag hat er aber trotzdem für den Text Tantiemen kassiert. Ein großer Teil davon ging an eine jüdische Friedensorganisation, die sich gegen den Siedlungsbau in den Palästinensergebieten und für eine Zwei-Staaten-Lösung einsetzt. „Sechs Worte habe ich für das Lied schließlich geschrieben, und dafür

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gibt’s auch Geld”. Übrigens war Pete Seeger nicht der ein­ zige, der diesen Bibel-Text zur Inspiration genommen hat. Die DDR-Rockband „Die Puhdys” hat 1973 für den Sound­ track zum DEFA-Film „Die Legende von Paul und Paula” das Lied „Wenn ein Mensch lebt” aufgenommen. Im sozialistischen Arbeiterstaat hat keiner groß über die Bedeutung des Textes gesprochen, die Ähnlichkeiten zum Bibeltext aus dem Buch Prediger sind aber wahrscheinlich kein Zufall: „Jegliches hat seine Zeit, Steine sammeln – Steine zerstreu’n. Bäume pflanzen – Bäume abhau’n, Leben und Sterben und Frieden und Streit.“ Obwohl das Lied den ältesten Text der Popgeschichte hat, ist es bei weitem nicht der einzige Song, der sich in den Versen der Bibel bedient. Allseits bekannt ist zum Beispiel der Disco-Hit „Rivers of Babylon” von Boney M., der Zeilen aus den Psalmen 19 und 137 zitiert. Es geht um das Exil der Israeliten, nachdem die Babylonier das Heilige Land eingenommen hatten. Das Ereignis, das die 12 Stämme Israels in verschiedene Himmelsrichtungen verstreut hat. „An den Strömen von Babel, da saßen wir und weinten, wenn wir an Zion dachten.“ (Ps 137,1). Auch hier kommt übrigens das Original nicht von Boney M., sondern von der jamaikanischen Raggae-Band „The Melodians“. Der Hintergrund des Liedes ist hier aber ein vollkommen anderer. The Melodians sind eine Rastafari-Band. Kurzer Exkurs: Der Rastafarianismus ist eine in den 1930er-Jahren in Jamaika entstandene Religion. Sie basiert auf dem Christentum, besonders auf den Schriften des Alten Testaments. Die Rastafaris sehen im ehemaligen äthiopischen Regenten Haile Selassie I. (1892–1975) die Wiederkunft des Messias. Er wird auch in diesem Lied berufen. Zur Anbetung des Messias gehört für die Rasta­faris ebenfalls der Konsum von Marihuana, was zu Konflikten mit der Regierung und Polizei Jamaikas führt. Hier kommt das

Lied „Rivers of Babylon“ ins Spiel. Als Babylon bezeichnen die Rastafaris die Regierung und die Behörden auf Jamaika, die sie, ihrer Meinung nach, genauso unterdrücken, wie die ­Babylonier die Israeliten. Deshalb werden im Lied die Psalmen über die Vertreibung des Volkes Israel zitiert. Auch die irische Rockband U2 bedient sich bei der Bibel, im Lied „40“ (1983, Album „War“) werden die Zeilen von Psalm 40 zitiert: „Ich bin arm und gebeugt; der Herr aber sorgt für mich. Meine Hilfe und mein Retter bist du.“ Große Botschaften verbindet U2 damit aber weniger, das Lied ist aus Zeitnot entstanden, sagt Sänger Bono. „Wir haben zehn Minuten geschrieben, zehn Minuten geprobt, zehn Minuten aufgenommen und zehn Minuten produziert. Das hat aber nichts mit dem Titel 40 zu tun.“ Bei den Live-Auftritten der Band ist das Lied zum Standard-Abschlusslied geworden. Bevor die Band zur Zugabe zurück auf die Bühne kommt, singen die Fans den Text des Liedes immer weiter und weiter. Führt dazu, dass bei U2-Konzerten regelmäßig zehntausende Menschen in Ekstase biblische Verse zitieren. Wenn Bands wie U2 oder Boney M. Psalmen zu Liedern machen, sind sie übrigens relativ nah beim eigentlichen Sinn dieser Texte. Obwohl die Melodien über die Jahrtausende verloren gingen, geht man davon aus, dass viele Psalmen im Ursprung oftmals in Liedform vorgetragen wurden. Auch das „Vater Unser“ hat es einmal in die Charts geschafft, allerdings nur in Großbritannien. 1999 hat Sir Cliff Richard sein „Millenium Prayer“, das Jahrtausendgebet als Charity-Single veröffentlicht. Den englischen Text des Gebetes legt er dabei auf die Melodie des alten englischen Volksliedes „Auld Lang Syne“. Den Engländern hat das gefallen, das Lied blieb mehrere Wochen auf Platz eins der Charts. Neben Cliff Richard haben auch andere das „Vater Unser“ musikalisch überarbeitet, unter anderem Frank

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Sinatra oder die australische „Rock-Nonne“ Sister Janet Mead. Ob nun also als tiefgreifende Wahrheit über Glaube und Leben oder aus Zeitnot: Die Bibel bietet vielen Künstlern Inspiration für ihre Musik.

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Ein buddhistischer Jude und sein „schräges“ Lied über Jesus titel : 

Suzanne – Leonard Cohen Songs of Leonard Cohen (1967)

album : 

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ch lehne mich mal aus dem Fenster, und sage: Kaum ein Mainstream-Künstler nimmt seinen Glauben so ernst, wie der kanadische Songwriter Leonard Cohen. Beweis? Um seinem Glauben nachzugehen hat er in den 90ern sein Leben, sein Hab und Gut und alle Beziehungen aufgegeben und ist als Mönch einem buddhistischen Kloster nahe Los Angeles beigetreten. Eigentlich war der Plan hier den Rest seines Lebens zu verbringen. Eigentlich. Dann ist aber seine Managerin mit seinen sämtlichen Ersparnissen durchgebrannt. Für Leonard gab es keine Wahl, es musste wieder Geld in die Kasse. Das hat er sich auf die Art erarbeitet, die er am besten beherrschte: Singen. Von dem Zeitpunkt an ist er quasi konstant auf Tour gegangen und hat Alben veröffentlicht bis zum Ende seines Lebens. Eine gute Entscheidung, nach diesem Comeback wurde er Jahr für Jahr bekannter und erfolgreicher. Der zweite Frühling für den Popstar, der mit seinen melancholischen Melodien und der sanften Stimme die ganze Weisheit der Welt zu verkörpern schien, zog sich bis ins Jahr 2016, als er mit 82 Jahren verstarb. Kurz nachdem er noch sein letztes Album „You want it darker“ veröffentlicht hatte. Musiker war er dabei erst auf dem zweiten Bildungsweg. Sein Lebtag hat

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er sich als Poet betrachtet, so hat er auch seine Karriere be­ gonnen, als Autor von Gedichten. Mehrere Jahre hat er sich zum Beispiel auf einer griechischen Insel aufgehalten, nur um zu dichten. Selbst damals waren seine Texte schon von Gedanken über Gott und Glaube geprägt. Sein erster Gedichtband heißt dann auch „Let us compare m ­ ythologies“. Erst später, 1967, hat er zu den Texten auch Melodien geschrieben. Das Debütalbum heißt deshalb auch „Songs of Leonard Cohen“, zu dem Zeitpunkt für ihn was Neues – ­Lieder machen. Ich bin sehr froh, dass ich Leonard Cohen auf dem Höhe­ punkt seines Comebacks noch live erleben durfte. 2009 hat er in der Dortmunder Westfalenhalle gespielt. Ich kann sehr gut verstehen, warum er in seinen letzten Lebensjahren noch mal so einen Riesenerfolg feiern konnte. Mit seiner Stimme („I was born like this, I had no choice, I was born with the gift of a golden voice“ aus „Tower of Song“) und den meditativen Melodien versetzt er sein Publikum regelrecht in Trance. Man wird in seine Welt hineingezogen. Die Zeit scheint still zu stehen, und jedes Wort von dem alten Mann mit Hut und Anzug auf der spärlich dekorierten Bühne trifft direkt ins Herz und in die Seele. Mich zumindest. Man tritt ein in eine Welt voller Melancholie, Verlangen und auch tiefer Spiritualität. Eine Welt, in der getanzt wird bis ans Ende der Liebe. Eine Welt, in der oftmals die Einsamkeit herrscht („Ich war zu lange einsam. Lass uns gemeinsam einsam sein. Lass uns schauen, ob wir dafür stark genug sind“). Eine Welt aber auch, in der oft zu Gott gesprochen wird. „Dein Wille geschehe. Lass die Flüsse sich füllen und die Menschen auf den Hügeln singen. Zeige Deine Gnade all diesen Herzen, die in der Hölle brennen. Dein Wille geschehe, dass wir ein besseres Leben führen.“ (Frei übersetzt aus „If it be your will“).

Von Leonard Cohen kommt auch das bekannteste und erfolgreichste „Hallelujah“ der Popmusik (siehe dazu das eigene Kapitel), das ist aber bei weitem nicht der einzige Bezug auf Gott und Glaube. Die Thematik zieht sich durch sein ganzes Werk. Mit „Who by Fire“ hat er ein jüdisches Gebet vertont, das traditionell an Yom Kippur, dem jüdischen Neujahrsfest, gebetet wird. Leonard Cohen war gläubiger Jude. Seine Familie war auch maßgeblich beteiligt an der Etablierung des Judentums im Osten Kanadas. Ein Vorfahre hat im 19. Jahrhundert der jungen jüdischen Gemeinde Montreals vorgestanden. Sein Bruder war respektierter Rabbiner. Nun kann man berechtigt fragen: Wenn Cohen gläubiger Jude ist, mit langer Familientradition, warum geht er dann im Rentenalter in ein buddhistisches Kloster? Er hat selber darauf die Antwort geliefert. Beim Zen Buddhismus gehe es nicht um ein Gottesbild, sondern um Meditation. „Ich habe eine ­Religion und ich suche keine andere. Ich bin ein Jude.“ Als jüdisch-­ buddhistischer Mönch trug er den Namen Jikan: „Der Raum zwischen den Stillen“. Bei all den religiösen Bezügen in seiner Musik findet sich in „Suzanne“, einem seiner früheren Werke, wohl eine der schrägsten Zeilen. Jesus ist ein Segler, sieht, dass nur die Ertrinkenden ihn sehen, und macht alle Menschen zu Seeleuten. Warum? Das hat zu tun mit seiner Heimatstadt Montreal, einer Fast-Affäre mit einer verheirateten Frau und Orangentee. Das Lied erzählt von seinem Verhältnis zu Suzanne ­Vaillancourt, der Ehefrau eines Bekannten, die in einem Haus direkt am Hafen von Montreal wohnte. Cohen und ­Suzanne fühlten sich unwiderstehlich zueinander hin­ge­ zogen, respektierten aber die Ehe von Suzanne und haben deshalb nie mehr getan als geredet. Bei diesen langen,

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i­ ntensiven Gesprächen gab es immer Orangentee, der auch in den Zeilen des Liedes verewigt ist. Eine Teemischung, aus China importiert, mit kleinen Stückchen Orangenrinde eingestreut. („She feeds me tea and oranges, that come all the way from China“). Soweit der offensichtliche Inhalt des Liedes. Bevor er aber selbst wusste, dass es in dem Lied um Suzanne gehen würde, hatte er die Melodie im Kopf, und das Bild des Hafens von Montreal. Dort in diesem Hafen befindet sich eine Kirche für die Seeleute, die in der Stadt anlegen. Notre Dame de Bon Secour, auf dem Dach der Kirche steht eine große Marienstatue, Our Lady of the Harbour, die ihre Arme gen Wasser ausbreitet, die Segler, die Ertrinkenden, willkommen heißt. Für Cohen war dies immer ein Ort der besonderen Anziehungskraft, deshalb hat er die Kirche, die Segler und die Statue in diesem Lied verewigt. Interessanterweise stellt Cohen die Beziehung zu Suzanne und die zu Gott bzw. Jesus in diesem Text auf die gleiche Ebene. Zumindest wenn es darum geht, was sie mit ihm als Menschen anrichten. Im ersten Refrain heißt es „Du willst ihren Weg mitgehen, blind, und du weißt sie vertraut dir, weil du ihren perfekten Körper mit deinem Geist berührst“. Nach der Strophe über Jesus und die Seemänner bezieht er diese Worte aber auf Christus: „Verlassen, fast menschlich, willst du seinen Weg gehen, blind, du willst ihm vertrauen, weil er dich mit seinem Geist berührt hat.“ Und was wurde aus Suzanne? Nachdem sie als Tänzerin in den 70ern die halbe Welt bereiste, erlitt sie eine Rückenverletzung und lebte später in einem umgebauten Campingwagen in der Nähe von Los Angeles. Cohen hatte sie nach der Veröffentlichung des Liedes nur noch einmal getroffen, kurz nach einem seiner Konzerte. Er gab ihr die Hand und bedankte sich mit den Worten: „Du hast mir ein wunderschönes Lied geschenkt.“

Ein Liebeslied für Vietnam titel : 

I say a little Prayer – Dionne Warwick album :  The Windows of the World (1967)

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an stelle sich das mal vor: Mädchen ist in Jungen verliebt. So sehr, dass sie für ihn betet. Konstant. Morgens beim Aufstehen, noch bevor sie ihr Make up auflegt, während sie überlegt, welches Kleid sie anziehen soll, auf dem Weg zur Arbeit und in jeder Kaffee­ pause: Immer spricht sie ein kleines Gebet. „I say a little Prayer“ wurde 1967 zu einem der ersten großen Hits für die Soul-Diva Dionne Warwick. Die Version, die die meisten im Kopf haben, stammt allerdings von Aretha Franklin und wurde ein Jahr später, 1968, aufgenommen. Beide verbindet diese ungewöhnliche Liebesgeschichte. Eine Geschichte, die noch nicht mal von erwiderter Liebe erzählt. „Warum erhörst du meine Gebete nicht?“ Fragen beide in den letzten Zeilen des Liedes. Wer steckt hinter dem Song? Einer der einflussreichsten Komponisten und Produzenten überhaupt, der maßgeblich für die Musik des 20. Jahrhunderts mit verantwortlich war. Burt Bacharach. Geboren 1928 wurden seine Songs von über 1.000 Künstlern aufgenommen, über 50 Nummer-Eins-Hits kann sein Gesamtwerk aufweisen. Heute würden wir seine Musik wohl am ehesten als „easy listening“ bezeichnen, mit vielen sanften Trompeten, beschwingten Melodien und Anleihen aus der Jazz-Musik. Am ehesten wird das deutlich bei Liedern wie „That’s what Friends are for“ oder „Raindrops keep falling

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on my head“. Hört man sich das Original von „I say a little Prayer“ an, Dionne Warwicks Version, wird seine musikalische Handschrift auch einiges deutlicher, als bei Aretha Franklins Version, die doch mehr in Richtung Motown geht. Dionne Warwick kann man durchaus als die große Muse für Bacharach bezeichnen, als die beiden einmal begonnen hatten zusammenzuarbeiten, schrieb er seine Lieder in erster Linie nur noch für sie. Die Idee zu „I say a little Prayer“ hatte er gemeinsam mit Texter Hal David. Ein Liebeslied mit solch einem starken Glaubensbezug war auch in den 60ern durchaus unüblich (man denke daran, dass die Beatles erst zwei Jahre vorher gesagt haben, sie und die Popkultur der Jugend, seien populärer als Jesus, siehe dazu das Kapitel zu „Imagine“). Allerdings ist das Gebet im Zentrum des Liedes nicht das einzige, was dieses Lied ungewöhnlich macht: Es geht um eine unerwiderte Liebe. Warum? ­Warum betet die Sängerin für den jungen Mann Tag für Tag? Weil er im Moment im Krieg ist, in Vietnam genauer gesagt. Das Lied wurde fast zur Hymne für die Frauen und Freundinnen der US-Soldaten, die in dieser Zeit gegen den Vietcong kämpften. In so einer Situation reicht es nicht einfach zu hoffen und zu wünschen, dass der Partner gesund zurück kommt, in dieser Lage spielt auch das Gebet eine große Rolle. Ein Fakt, der sowohl Bacharach beim Schreiben, als auch ­Warwick beim Singen mehr als bewusst war. Hört man sich das Lied nun unter diesem Aspekt an, und bedenkt man, dass die Dame vielleicht so oft für den Geliebten betet, weil er in einem fernen Land um sein Leben kämpfen muss, dann bekommt das Gebet beim Aufstehen, auf dem Weg zur Arbeit, in der Kaffeepause, und wo es in dem Lied sonst noch besungen wird, noch mal eine viel tiefere Dimension. Das gleiche bei der Frage: „Why won’t you answer my ­prayer?“ Warum erhörst du meine Gebete nicht.

Noch ein ganz persönlicher Tipp: Die Coverversion der Country-Western Band „The BossHoss“ aus dem Jahr 2006. Ich glaube, die Version ist nicht so ganz ernst gemeint, aber man hat was im Leben verpasst, wenn man nicht mindestens einmal einen Dionne-Warwick-Hit mit Wüstenklängen, Country-Instrumenten und der Zeile „The Moment I wake up, before I pull my jeans up“ gehört hat!

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Mit dem Teufel muss man Mitleid haben titel : 

Sympathy for the Devil – Rolling Stones Baggers Banquet (1968)

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enn es ein einziges Lied gibt, das verantwortlich ist für das Klischee, Rockstars würden den Teufel anbeten und Musik aus der Hölle machen, dann ist es wahrscheinlich dieses. Jahrzehnte später scheint das etwas skurril, da das Lied musikalisch und größtenteils auch textlich eher brav daherkommt. 1968 war die Aufregung aber groß. Dank „Sympathy for the Devil“ waren die Rolling Stones auf einmal die ersten „Bad Boys“ der Popmusik, was ganz anderes als die braven Beatles mit ihren Pilzkopf-Frisuren. Musikalisch versetzen sich die Stones hier in die Person des Teufels, der nicht irgendwo in der Hölle sitzt, sondern mitten unter uns ist. Verantwortlich für all das, was in der Geschichte schiefgelaufen ist. Angefangen hat es mit Jesus, dem er die Zweifel und den Schmerz ins Ohr geflüstert hat. Pontius Pilatus hat er angeraten seine Hände in Unschuld zu waschen. Später begibt er sich nach Russland und bringt den Zar zu Fall – und setzt damit die kommunistische Revolution in Gang. Aufgrund dieser Zeilen wurde das Lied in Hippie-Kreisen übrigens als heimliche Hymne der Konservativen betrachtet, weil der Teufel mit dem Kommunismus gleichgesetzt wird. Später geht der Teufel nach Amerika,

bringt Präsident Kennedy und seinen Bruder Robert um. Der Holocaust, der Hundertjährige Krieg und politische Unruhen in Indien. Überall war der besungene Teufel mit im Spiel. Man könnte das ja ganz einfach abtun als Faszination des Bösen, der Hölle und des Teufels, was alles jeher in Kunst und Kultur eine große Rolle gespielt hat. Denken wir nur an die Höllenvisionen des Hieronymus Bosch. In Wahrheit haben sich Mick Jagger und Keith Richards aber tatsächlich einiges an Gedanken gemacht. Keith hat mal in einem Interview gesagt, man müsse dem Teufel ins Gesicht schauen, auch wenn man das Böse in der Welt nur zu gerne ignorieren würde. Das Lied ist während des Vietnam-Krieges entstanden. Das erste Mal nach Ende des Zweiten Weltkrieges hatte die Jugend das Gefühl, dass die Zukunft eben nicht nur aus Wohlstand, Fortschritt und Frieden bestehen könnte. Und dafür muss jemand verantwortlich gemacht werden. „Die Menschen versuchen das Böse zu verdrängen und hoffen, dass sich das Thema von alleine erledigt. Dass es seine ekelige Fratze nicht zeigen wird. An so Momenten wie dem 11. September 2001 merken wir aber, dass dem nicht so ist.“ sagt der Gitarrist der Rolling Stones. Er sei dem Teufel auf diese Art schon oft begegnet, so Keith Richards im Jahr 2005 und führt fort: „Wir können uns vor dem Bösen nicht verstecken, also sollten wir akzeptieren, dass es in der Welt existiert. Wenn wir dem Teufel bewusst ins Gesicht schauen, dann ist er arbeitslos.“ Auch wenn die Stones selber das Lied mit einem Augenzwinkern geschrieben haben, gibt es einige Fans, die das leider einiges ernster genommen haben. 1969 wurde ein Stones-Fan während eines Konzerts in der Masse niedergestochen und erlag seinen Verletzungen. Mehrere Jahre hat die Band das Lied daraufhin nicht mehr in Konzerten gespielt.

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Zu den Kriegen und Katastrophen im Text kann übrigens noch eins hinzugefügt werden, das Ende der Rock n RollBand Guns n’ Roses. Die Herren um Axl Rose haben für den Soundtrack zum Film „Interview mit einem Vampir“ eine Cover-Version von „Sympathy for the Devil“ aufgenommen. Das war das letzte Lied, das die Band gemeinsam produziert hat, bevor sie sich für mehr als zehn Jahre auflöste. Eine moderne Version des Liedes und der Thematik kommt übrigens vom eingefleischten Rolling-Stones-Fan Wolfgang Niedecken und seiner Kölschrock-Band BAP: Auf dem Album „Halv su wild“ von 2011 findet sich das Lied „Enn Dreidüüvelsname“, Hochdeutsch „In drei Teufels ­Namen“. Auch hier geht’s um den Mann, der immer wieder in der Geschichte seine Finger im Spiel hat („War Folterknecht bei der Inquisition, saß als Diktator auf so manchem Thron“), hier geht es aber auch noch mehr in die aktuelle Geschichte des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts. Er hat die „Flieger in die Türme gelenkt, und Giftmüll Gott weiß wo im Meer versenkt“, hat „In Srebrenica massakriert“ und nebenher auch „die Wall Street und den Vatikan regiert.“ Am Ende ist das ganze Lied aber kein düsteres Höllenbild, sondern ein Aufruf an jeden einzelnen, dem Bösen, dem wir jeden Tag im Kleinen begegnen, die Stirn zu bieten. Wie Mick Jagger es sagt, geht es nicht um Satanismus oder Okkultismus, sondern um die dunkle Seite in jedem einzelnen von uns. 28

Die Band, die populärer ist als Jesus und trotzdem zu Maria betet titel : 

Let it be – The Beatles Let it be (1970)

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enn die Beatles 1966 gesagt haben, sie sind „bigger than Jesus“, dann haben sie diesen Kampf der Kulturen 50 Jahre später anscheinend gewonnen. Zumindest wenn man die Internetplattform Facebook befragt. Die erste und einflussreichste Popband der Geschichte hat im sozialen Netzwerk über 42 Millionen Fans. Die Seite „Jesus Christus“ (fiktive Person) hat nur gut fünf Millionen Fans. Ein regelrechter Kulturkampf, ein Feldzug gegen die Religion wurde der Band aus Liverpool während ihrer aktiven Zeit und auch immer wieder danach angedichtet. Die Realität sieht aber ein bisschen anders aus. Ihr Lebtag suchten, und suchen, die vier Musiker nach dem tieferen Sinn im Leben. Manche nennen es Religion, andere nicht. Man kann aber definitiv sagen: Ohne die katholische Kirche würde es die Band in dieser Form wahrscheinlich nicht geben. Betrachten wir folgende Worte mal komplett alleinstehend und ohne Kontext: „In den Zeiten der Verzweiflung spricht Mutter Maria zu mir, mit Worten voller Weisheit. In meiner dunkelsten Stunde steht sie an meiner Seite. In der düsteren Nacht gibt es ein Licht, das mich begleitet bis zum Morgen.“ Das ist doch ein Text, der einem Psalm, oder mit

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Bezug auf Maria, einem Evangelium entstammen könnte. Tatsächlich sind es aber Worte von Beatle Paul McCartney. Nach seiner eigenen Aussage haben sie überhaupt nichts religiöses. Es geht um seine Mutter, Mary McCartney, die gestorben ist, als Paul nur 14 Jahre alt war. Eines Nachts sei sie ihm im Traum erschienen und habe ihm in schwerer Stunde Trost gespendet. Und genau dafür ist auch das Lied da: Trost spenden. „Let it be“ – besser zu übersetzen mit „Lass es gut sein“ als „Lass es sein“, spricht davon, sich nicht an den schweren Momenten im Leben kaputt gehen zu lassen, sondern durchzuhalten. Ganz konkret ist das auch auf die Bandgeschichte der Beatles anzuwenden. Eigentlich sollte ihr letztes Album „Get back“ heißen und das ganz große C ­ omeback der vier Jungs werden. Handgemachte Musik wie ganz am Anfang sollte es werden, und nicht wie das in penibelster Kleinarbeit produzierte „White Album“. Trotzdem ließen sich die Konflikte der Musiker nicht überwinden. Beim Dreh einer Konzert-Dokumentation wurde das deutlich. Die Band ist getrennter Wege gegangen. Die Demo Aufnahmen für „Get back“ wurden dem Starproduzenten Phil Spector in die Hand gedrückt, der sie ohne Beteiligung von John, Paul, George oder Ringo fertig produzierte und 1970 veröffentlichte. Dann aber unter dem passenden Abschiedstitel „Let it be“, lasst es gut sein. Obwohl McCartney auf seine Mutter verweist und sagt, dass das Lied nichts mit der Mutter Gottes zu tun hat, wird das Lied immer wieder als Beweis für die Religiosität der ­Beatles angebracht. Glauben sie nun, oder glauben sie nicht? Der Text zu „Let it be“, liefert da zwar Anhaltspunkte, aber die Frage ist nicht so einfach mit ja oder nein zu beantworten. Die Hälfte der Beatles sind katholisch getauft. Genauer gesagt Paul McCartney und George Harrison. Das ist schon

definitiv ein wenig ungewöhnlich, da die anglikanische Kirche in England seit Jahrhunderten Staatsreligion ist und die Katholiken in diesem Fall in der Minderheit sind. Die Antwort liefert hier aber die Heimatstadt der Fab Four. Liverpool ist, oder war in den 50ern, eine typische Arbeiterstadt mit vielen Einwanderern. In diesem Fall sind es die vielen Iren, die in die katholischen Gemeinden gegangen sind. Eine davon war St. Peter im Liverpooler Ortsteil Woolton. Die Kirche, die Familie McCartney regelmäßig besucht hat. Mutter Mary war dabei besonders überzeugt. Vater James, von Hause aus Protestant, hat sich nicht viel um das Thema Religion geschert. Der junge Paul wurde, was diese Themen anging, auch hauptsächlich von seiner Mutter geprägt, die ihn allerdings nach keiner bestimmten Konfession, also nicht explizit katholisch, erzogen hat. Trotzdem spielt die katholische Kirche St. Peter Woolton, wo McCartney übrigens als junger Mann auch im Kirchenchor gesungen hat, eine signifikante Rolle für die Beatles. Beim Gartenfest der Gemeinde am 6. Juli 1957 haben hier das erste Mal Paul McCartney und John Lennon in einer kleinen Schülerkombo gespielt. Der Grundstein für die Beatles. Ein Umfeld, das Paul McCartney geprägt hat. 1984 wird er über sein Jugend-Umfeld sagen: „Das waren die besten Menschen, die mir je begegnet sind. Besser als Präsidenten und Premierminister. Einfache Menschen, die jedes Problem, das kommt, angehen und lösen. Für mich sind sie das Salz der Erde.“ Zumindest also in die Sprache von McCartney hat der Glaube sich schon mal eingeschlichen. So sind es, neben „Let it be“, auch eine Vielzahl anderer Beatles-Songs, in denen sich Bezüge zu Gott und Glaube finden lassen. Der Refrain von „The Ballad of John and Yoko“ sagt uns: „Christus, du weißt, dass das Leben nicht einfach ist. Du weißt, dass die Zeiten schwer sein können. Und wie

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es aussieht, werden sie wohl auch noch mich kreuzigen.“ Eine Zeile, die übrigens mehrere US-Radiosender dazu gebracht hat, das Lied wegen Blasphemie zu boykottieren. In „Eleanor Rigby“ wird der Tod und die Trauerfeier einer Obdachlosen beschrieben. Gestorben ist sie in der Kirche, und „Father McKenzie“ feiert für sie alleine den Trauergottesdienst, weil niemand zum Begräbnis erscheint. Zu vergessen ist auch nicht der Beatles-Song „Lady Madonna“, der in der frühen Version sogar direkt „Virgin Mary“ geheißen haben soll, und sich mit den vielen einfachen, katholischen, Menschen in Liverpool und ihrem schweren Alltag beschäftigt. In späteren Liedern gibt es dann auch sehr viele Be­ züge zu östlichen Religionen, zu Buddhismus und Hinduismus (dazu mehr im Kapitel zu George Harrison und „My sweet Lord“). Aber warum machen wir uns es nicht ganz einfach und fragen die Musiker selber, woran sie glauben oder nicht? Das Magazin „Playboy“ hat genau das getan, im Jahr 1964. Die Antwort: „Wir glauben nicht an Gott.“ Der Satz kommt von Paul McCartney. John Lennon schiebt allerdings hinterher „Wir wissen nicht ganz, woran wir glauben, ich würde uns eher als Agnostiker bezeichnen, nicht als Atheisten.“ Der Satz kann allerdings auch damit zu tun haben, dass die Band ihre religiösen Fans, die gerade in den USA eine große Zahl ausmachten, nicht verprellen wollte. Noch bezeichnender aber ist garantiert das Interview mit der Band eines amerikanischen Jugendmagazins aus dem Jahr 1966, in dem sich die Musiker als „populärer als Jesus“ bezeichnet haben. Eine Aussage, die zu Protesten auf der ganzen Welt geführt hat, insbesondere aber in den USA. John Lennon hat die Aussage später als „aus dem Kontext gerissen“ bezeichnet. Damit sei eher die Popkultur gemeint, die die Jugend im 20. Jahrhundert mehr bewegt, als der Kirchbesuch. „Hätte

ich gesagt, das Fernsehen ist populärer als Jesus, wäre ich sicher damit durchgekommen.“ Es war auch zu dieser Zeit, der zweiten Lebenshälfte der Band in den späten 60ern, in der die Musiker sich aufgemacht haben nach einem anderen Sinn im Leben zu suchen. Alle vier sind zusammen für eine Weile nach Indien gegangen und ließen sich dort von einem Yogi unterweisen. John, Paul und Ringo hat das wohl nicht dauerhaft beeindruckt, George Harrison blieb aber bis zu seinem Tod 2001 Anhänger der Hare Krishna-Bewegung. John Lennon, der aufgrund seines Songs „Imagine“ als Ikone des Atheismus gesehen wird, hat auch bis zu seinem Tod immer wieder Bezüge zu Gott und Glaube in seine Musik eingebaut. (Siehe Kapitel zu John Lennon und „Imagine“). Ringo Starr findet in seinem späten Leben auch wieder zum monotheistischen Glauben zurück. Vor ein paar Jahren hat er noch gesagt: „Ich suche schon seit den 60ern nach Gott. Für viele Jahre habe ich den Weg verlassen, aber inzwischen wieder, Gott sei Dank, zurückgefunden. Gott ist ein Teil meines Lebens, und davor verstecke ich mich nicht.“ Und Paul? Er spricht von seinem „ganz persönlichen Glauben an das Gute“, der sich nicht in eine Konfession oder ­Religion verpacken lässt. Fügt allerdings hinzu: „An Jesus glaube ich, das war eine historische Person.“ Auch wenn sich die Zeilen von „Let it be“ also nicht auf die Mutter Gottes beziehen, erfüllen sie trotzdem den Zweck eines Gebetes: Trost und Hoffnung spenden in schweren Stunden. Und wenn der Autor der Zeilen dann noch auf der Suche nach einem Lebenssinn ist und vom Glauben an die historische Person des Messias spricht, dann kann man schon sagen, dass in der Musik der Beatles einiges an Religion steckt.

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Ein Gebet für alle Religionen titel : 

My sweet Lord – George Harrison album :  All Things must pass (1970)

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as haben alle großen Weltreligionen gemein? Den Glauben an einen Schöpfer, einen Herrn, der über uns wacht. In manchen Religionen drückt sich sein Wirken durch verschiedene Götter aus, in manchen durch einen, in manchen durch einen mit mehreren Gestalten. Alles ziemlich ähnlich. Trotzdem ist die Religion eines der größten Konfliktpotentiale der Menschheitsgeschichte. Von den Kreuzzügen des Mittelalters zum islamistischen Terrorismus des 21. Jahrhunderts läuft alles auf einen Gedanken zusammen: Mein Gott ist besser als deiner. – Was das mit George Harrison von den Beatles zu tun hat? Viel. George Harrison ist mitverantwortlich für die Faszination fernöstlicher Religionen, die eine große Rolle gespielt haben in der Jugendkultur der 60er und 70er Jahre. Ob man es Hippies oder New Age nennt, wäre der Musiker als Liverpool nicht mit seinen Freunden für ein paar Monate nach ­Indien gereist und hätte dort nicht religiöse Praktiken studiert, wäre diese Faszination wohl nie im Westen angekommen. Aber noch einen Schritt zurück. Im vorigen Kapitel haben wir über die spirituelle Suche der Beatles gesprochen, die sich Mitte der 60er sogar als antireligiös bezeichnet hatten. Gegen Ende der gemeinsamen Band­geschichte, 1968, ­haben sie sich gemeinsam mit Freunden wie Eric Clapton oder Schauspielerin Mia Farrow nach I­ndien begeben und

sich von einem bekannten Yogi in hinduistischen Medita­ tionstechniken unterweisen lassen. Für viele von ihnen sicher ein interessantes Erlebnis. Wirklich geprägt hat es aber nur George Harrison. So sehr, dass nach seinem Tod 2001 nach hinduistischem Ritual seine Asche im Ganges verstreut wurde. Genau wie sein Band-Kollege Paul McCartney ist George Harrison allerdings katholisch aufgewachsen. Ähnlich wie bei Paul war seine Mutter die prägende, religiöse Kraft. Die Väter ­Harrison und McCartney haben die Sonntagvor­mittage gerne auf der Couch verbracht, während Louise Harrison und Mary McCartney die Heilige Messe in ihren Gemeinden besuchten. Die Söhne haben sich beide im Jugendalter von der Kirche abgewandt. Harrison wird später sagen, dass ihn zwar die pompösen Rituale beeindruckt haben, bei ihm aber spiri­tuell nichts davon angekommen ist. Für ihn war die Religion nur eine Ansammlung von Verboten und Geboten. Als die Beatles 1968 von ihrer Indien-Reise zurückkehrten, hatte sich an dieser Einstellung einiges geändert. Organisierte Religion war für Harrison tatsächlich immer noch ein Dorn im Auge, der Glaube aber fester Bestandteil seines Lebens geworden. „Ich bin von der Existenz Gottes überzeugt.“ Sein religiöses Erweckungserlebnis hat er einem intensiven LSD-Trip zu verdanken. „Ich habe in 24 Stunden die Erfahrungen von 100 Jahren gemacht,“ sagt er in einem Interview. Die Form und Richtung seines Glaubens hat dann die Reise nach Indien gebracht. Von da an bis zu seinem Tod wurde er zum Anhänger der Hare-Krishna-Bewegung, obwohl er deren Gemeinschaft nie offiziell beigetreten ist. Diese Gedanken und Erfahrungen sind dann auch mit „My sweet Lord“ für seinen größten Hit, und gleichzeitig ein Ärgernis bis zum Lebensende, verantwortlich. Wie kam es zu dem Lied? Harrison wollte einen modernen Gospel-Song

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schreiben. Die Inspiration dafür war das über 100 Jahre alte „Oh Happy Day“, das Ende der 60er gerade wieder in den Charts war durch die Version der Edwin Hawkins-Singers. Harrison wollte aber eine grundsätzliche Sache bei seinem Gospel anders machen. Das Lied sollte ein Gebet werden, das gläubige aller Religionen singen können. Deshalb auch der Titel: „Mein lieber Gott“. Das kann jeder über seinen Gott sagen, nirgendwo im Text fallen die Worte Jesus, Buddha oder Mohammed. Ein Brückenbauer der Religionen wollte er mit dem Lied werden. Deshalb wird im Hintergrund das jüdisch-christliche „Hallelujah“ gesungen, in der nächsten Zeile aber das „Hare Krishna“, Teil des gleichnamigen hinduistischen Mantras. Laut Harrison sind beide Ausrufe „quite the same thing“ – eigentlich doch das gleiche. Obwohl der Text aus wenigen, sich immer wiederholenden Textzeilen besteht, ist aus denen doch einiges über das Lied und den Autor herauszulesen. Es geht um das religiöse Verlangen Gott nahe zu sein und ihn zu verstehen, damit aber auch um die Frustration, dass diese Aufgabe gar nicht mal so einfach ist. „Ich will wirklich bei dir sein, oh Herr, aber der Weg ist so weit“, heißt es in der ersten Strophe. In der zweiten ändert sich das. „Ich will, dass du, oh Herr, mir zeigst, dass der Weg doch nicht so weit ist.“ Das Hare-Krishna-Mantra, das im Text gesungen wird, zählt zu den ältesten und wichtigsten Gebeten des Hinduismus. In diesem Sinne ist es vielleicht mit dem christlichen „Vater Unser“ zu vergleichen. Das Hare-Krishna-Mantra ist an den Guru, den Glaubensunterweiser, gerichtet. Die Zeilen in „My sweet Lord“ tauchen gegen Ende des Liedes im Hintergrund auf und sind die ersten Sätze des Gebetes. Frei übersetzt: „Ich lege dir mein Vertrauen dar, mein Guru. Du, der groß bist wie der Schöpfer Brahma, der Herrscher Vishnu, der Zerstörer Shiva – die wahre Energie Gottes.“ Diese Zeilen im Lied sind übrigens

zum Teil von echten, überzeugten Hare-Krishna-Mönchen gesungen, die Harrison zu den Aufnahmen in die Londoner Abbey-Road-Studios eingeladen hatte. Als das Lied im November 1970 veröffentlicht wurde, hat es für einiges an Schlagzeilen gesorgt. Weniger aber wegen des religiösen Inhalts, sondern weil die Melodie dem Song „He’s so fine“ der amerikanischen Girl-Group „The Chiffons“ erstaunlich ähnlich war. Gerichtsprozesse folgten, die sich bis in die 90er-Jahre hineinzogen. Harrison wollte immer wieder einen Vergleich herbeiführen, weil ihn die andauernden Prozesse sehr belasteten. Dazu kam es aber nie. In einem der Urteile heißt es, Harrison habe die Melodie nicht bewusst geklaut, aber sie unterbewusst als Inspiration genommen. Genug Grund einen Großteil der Einnahmen des Liedes abgeben zu müssen. In religiösen Kreisen hat George Harrison mit dem Lied aber genau das erreicht, was er wollte. Ein Gebet geschaffen, das über die Konfessionen und Religionen hinweg verbindet. Besonders die sogenannten „born-again Christians“ in den USA haben das Lied fast schon als Hymne verwendet, da es als Statement gegen den Hass auf andere Religionen zu verstehen ist. Einige wenige fundamental-christliche Gruppen in den USA haben das Lied als antichristlich, auch satanistisch, bezeichnet. Wirklich getragen hat sich diese Meinung aber kaum. Es sind aber nicht nur die Gläubigen, auch die Musikindustrie hält viel von „My sweet Lord“. In die Geschichte eingegangen ist das Lied als erfolgreichster Song 1971, sogar mit dem Grammy-ausgezeichnet. Der Musikjournalist Richie Unterberger macht den Erfolg daran fest, dass das Lied jeden auf seine eigene Art anspricht: „Ob nun als Gebet, Liebeslied, Hymne, moderner Gospel oder ganz einfach als perfekter Popsong“. Besonders lustig für den Kritiker üb-

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rigens, dass Millionen Menschen auf der Welt Jahr für Jahr aus voller Kehle „Hallelujah“ und „Hare Krishna“ singen, ohne überhaupt zu wissen, dass sie damit eigentlich ein Gebet sprechen. Selbst sein ehemaliger Beatles-Kollege John Lennon, der als Ikone der Atheisten in die Geschichte eingegangen ist, hat die religiöse Kraft des Liedes erkannt. Wenn auch mit Augenzwinkern: „Immer wenn ich im Moment das Radio ­anmache, singt irgendwer von Gott und Halleluja. So langsam glaube ich, da ist was dran!“ Harrison selbst hat sich übrigens später im Leben wieder dem Christentum angenähert. In einem Brief an seine Mutter schreibt er, dass ihm erst der Hinduismus gelehrt hat, das Herz Jesu wirklich zu verehren. In einem späteren Interview sagt er, dass er eine enge, persönliche Beziehung zu Jesus Christus lebt, unabhängig von Religion und Bekenntnis.

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Hymne für den Weltfrieden oder kommunistisches Manifest? titel : 

Imagine – John Lennon Imagine (1971)

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ergangenes Jahr habe ich mir einen Wunsch erfüllt. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York City. Ein überwältigendes Erlebnis. Die Wolkenkratzer, der Trubel der Weltmetropole, aber auch die Geschichten der 9/11-Überlebenden. Die Reise hatte viele bewegende Momente. Einer bleibt mir aber ganz besonders in Erinnerung. Auf der westlichen Seite des Central Parks, zwischen den Joggern und Sonnenanbetern sitzen im Schatten mehrerer Bäume verteilt einige junge Männer mit Akustik-Gitarren. Jeder für sich spielt ein paar Lieder. Einige lauter, einige leiser, einige virtuoser, andere auch bemüht. In der Mitte der Gruppe ist eine ca. 2 Meter große, mit Mustern verzierte Plakette in den Boden eingelassen. Darauf nur ein Wort: Imagine. Dieser Ort ist unter Beatles-Fans bekannt als die „Straw­ berry Fields“, ein Teil des Parks, der dem Gedenken an John Lennon gewidmet wurde. Es war genau 22:50 Uhr am 8.  ­Dezember 1980, als Lennon auf der gegenüberliegenden Straßenseite von Mark Eric Chapman angesprochen wurde. Der Beatles-Fan ließ sich ein Album signieren. Als sich ­Lennon umdrehte, schoss ihm Chapman vier Mal in den Rücken. Nur zehn Minuten später wurde er im nahen

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Krankenhaus für tot erklärt. In einem Statement am Folgetag schreibt seine Frau Yoko Ono: „Es wird kein Begräbnis für John geben. Er hat die Menschheit geliebt und für sie gebetet. Bitte tut dasselbe für ihn.“ Seine Asche wurde da­ raufhin im Central Park an der Stelle verstreut, zu der selbst Jahrzehnte später noch Tag für Tag Menschen pilgern – den Strawberry Fields. Die Anziehungskraft des ehemaligen Beatles-Sängers ging weit über seine Musik hinaus. Er ging in die Geschichte ein als Ikone für den Frieden, aber auch für den Atheismus. Und viel davon hat mit diesem einen Lied aus dem Jahr 1971 zu tun. Ein paar Wochen nach meiner Reise hat die Nachricht des Attentats auf dem Berliner Weihnachtsmarkt Deutschland und die Welt erschüttert. Bei uns am Kölner Dom wurde am Abend danach zur Schweigeminute auf dem Weihnachtsmarkt aufgerufen. Hunderte Menschen haben sich mit Kerzen hier im Schatten des Doms versammelt, gebetet, geschwiegen und dieses eine Lied von John Lennon gesungen. „Imagine, there’s no heaven, it’s easy if you try …“ Zwei Erlebnisse, verbunden durch ein Lied. „Imagine“ ist in den vergangenen Jahrzehnten zum Symbol geworden. Ein Symbol, das der Trauer der Menschen Worte gibt, aber auch ein Symbol der Hoffnung, des Wir-lassen-uns-nicht-unterkriegens. Neil Young hat den Song im September 2001 beim Tribute-Konzert für die 9/11-Opfer gespielt. Am Tag nach den Anschlägen von Paris im November 2015 ist der deutsch-italienische Straßenmusiker Davide Martello mit seinem Klavier vor die Türen des Bataclan-Konzertsaals ­gezogen und hat ebenso dieses Lied von John Lennon gespielt. Danach ist er mit dem Klavier zu den anderen Tat­ orten der vorigen Nacht gezogen und hat an jedem Ort „Imagine“ gespielt. Das Video davon ist im Internet zu einem viralen Hit geworden.

Ich muss aber eingestehen, so bewegend „Imagine“ auch ist, mir läuft immer ein unangenehmer Schauer über den Rücken, wenn ich die Zeilen „Imagine there’s no heaven … and no religion too“ singe. Und vielen anderen Christen geht es ähnlich. Man muss sich nur mal die Diskussionen auf Facebook oder YouTube anschauen, wann immer das Lied irgendwo gepostet wird. Wie geht das zusammen? Ein Lied, das scheinbar alle Menschen auf der ganzen Welt im Frieden vereinen will, auf der anderen Seite aber sagt „Ihr, die ihr an Gott glaubt, euch wollen wir nicht“? Man könnte ja denken, dass ein naiver John Lennon einfach überschätzt hat, welchen Einfluss das Lied und insbesondere diese eine Zeile zur Religion haben wird. Dem Rolling Stone Magazin hat er 1980, kurz vor seinem Tod, etwas eingestanden: „Im Grunde genommen ist ­„Imagine“ das kommunistische Manifest. Ich bin kein Kommunist oder gehöre einer anderen Bewegung an, aber das steckt definitiv drin“. „Imagine no posessions …“ Stell dir eine Welt ohne Besitz vor, ohne Gier oder Hunger, wo jeder alles teilt.“ Die Idee mit dem Kommunismus ist definitiv nicht von der Hand zu weisen. Dabei sagt Lennon aber auch, dass er damit nicht den russischen Sozialismus oder Kommunismus meint, das was er sich vorstellt ist eher ein Ideal, das mit der heutigen Welt nichts zu tun hat. „You may say, I’m a dreamer …“ Ob man es nun Kommunismus nennt oder Utopie, Lennon wollte immer ein richtiges politisches Kampflied schreiben. Im Gegensatz zu Songs wie „Working Class Hero“ oder dem Folk-Klassiker „This Land is your Land“ von Woody Guthrie, wird die Botschaft in „Imagine“ aber mit einer eingängigen Melodie und süßlichen Piano-Klängen verziert. Auf d ­ iese Weise wird die Botschaft dahinter ein wenig versteckt oder

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verschleiert. So kommt es dazu, dass dieses „politische Kampf­ lied“ immer wieder bei Hochzeiten oder anderen feier­li­ chen Anlassen von Leuten gesungen wird, die sich über den Text gar nicht so wirklich im Klaren sind. In gewissem Sinne also noch einiges subtiler, als die anderen „Kampf­lieder“. Aber versuchen wir mal die Welt nicht ganz so schwarz und weiß zu sehen. Wie sieht es aus mit John Lennon und seiner Spiritualität? „Ich bin Jesus’ größter Fan“, ist ein Satz, den man von John Lennon vielleicht nicht erwarten würde, aber diese Worte hat er tatsächlich mal in einem kanadischen Radiointerview gesagt, Ende der 60er. Angefangen hat alles ähnlich wie bei seinen Beatles-Kollegen. Religiöses Elternhaus, dann die Entfremdung von der Kirche im Teenager-Alter. Lennon wurde mal aus der Kirche rausgeschmissen, weil er während der Messe gekichert hat. Von dem Zeitpunkt an stand er in gewissem Sinne auf Kriegsfuß mit der Idee der organisierten Religion. Einer der größten Konflikte für ihn war, dass er Yoko Ono nicht in der Kirche heiraten konnte, weil er schon vorher verheiratet und geschieden wurde. Die Kirche hat er daraufhin als „spießig“ bezeichnet. Natürlich muss hier auch sein Interview von 1966 erwähnt sein, in dem er die Beatles als ‚populärer als Jesus‘ bezeichnet hat. Später hat er die Worte gleichzeitig verteidigt und relativiert. „Ich habe nie gesagt, dass das was Gutes ist, aber ich glaube, dass die Beatles auf die Jugend einen größeren Einfluss haben als Christus.“ Die Beatles, fügt er hinzu, haben immer auf der Seite Jesu gestanden, wenn auch nicht auf der Seite der Religion. Wenn das mehr Leuten bewusst wäre, sagt er, würden zwar die Kirchen nicht voller, aber in den Diskotheken würden viel mehr Menschen tanzen, die sich als Christen bezeichnen. Eine unerwartete Wendung hat ihm 1977 der Fernsehfilm „Jesus von Nazareth“ beschert. Anscheinend hat ihn der Film so bewegt, dass er

sich danach als „bekehrten Christen“ bezeichnet hat. Mit Frau Yoko und Sohn Sean wurde er kurz danach auch in der Messe zum Ostersonntag gesehen, mit feinem Anzug und allem. Wie überzeugt er von diesem Wandel war, oder ob es nur die fixe Idee eines exzentrischen Künstlers war, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen. Auf jeden Fall hat ihn seine Frau nach diesem überraschenden Wandel doch relativ schnell wieder davon überzeugen können, dass er doch viel mehr in den fernöstlichen und meditativen Religionen und Weltanschauungen zuhause ist. Das Thema des bekehrten John Lennon hatte sich damit erledigt. Und was ist mit „Imagine“? Steckt trotz „and no ­religion, too“ ein Glaube, eine Weltanschauung drin? Entstanden ist das Lied einerseits durch die Inspiration verschiedener Gedichte von Yoko Ono, aber auch durch ein christliches Gebetbuch, das ihm der schwarze Bürgerrechtler Dick Gregory geschenkt hatte. Lennon sagt, in diesem Buch hat er die Inspiration gefunden aus „Imagine“ ein Gebet zu machen. Als „positives Gebet“ bezeichnet er das. Wenn man sich eine Welt ohne Grenzen, ohne Krieg und ohne Religion vorstelle, dann habe dieses ‚Gebet‘ auch die Kraft, das zu vollbringen. Interessanterweise fügt er direkt hinzu, dass keine Religion für ihn definitiv nicht das gleiche heißt wie kein Gott. Es heißt nur keine „Mein-Gott-ist-besser-als-deiner“-Religion, die seiner Meinung nach das ganze Leid und die Spaltung in die Welt bringt. „Ich wurde mal von einer christlichen Gemeinschaft gefragt, ob ich den Text zu ‚and one religion, too‘ ändern kann, diese Leute haben es nicht verstanden und nur auf sich bezogen.“ Ist also „Imagine“ dann doch kein kommunistisches Manifest gegen den Glauben und will nur, dass die Menschen alle in Frieden mit ihrem eigenen Gott leben? Das wäre wieder zu schwarz-weiß. Yoko Ono hat vor ein paar Jahren

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im Interview gestanden, dass sie als Rechteverwalterin sehr viele Anfragen von Künstlern bekommt, die das Lied covern wollen. „Die meisten bitten mich drum, die Zeilen über die Religion doch raus lassen zu dürfen. Ich habe jedes Mal abgelehnt.“

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Das Kirchenlied eines islamischen Glaubenskämpfers titel : 

Morning has broken – Cat Stevens Teaser and the Firecat (1971)

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poiler! Der Künstler, der dieses Lied geschrieben hat, wird sich ein paar Jahre später den Namen Yusuf Islam geben, gegen „Ungläubige“ vorgehen, ein Lied namens „Allah ist mir genug“ veröffentlichen und später dann doch zur Erkenntnis kommen, dass die Harmonie zwischen den Religionen der einzige Weg für die Menschheit ist. Dieses Lied ist alt. An die hundert Jahre. Erstmals erwähnt wurde es in einem kirchlichen Liederbuch im Jahr 1931. Die Melodie ist aber noch einiges älter, und stammt eigentlich von einem Weihnachtslied aus dem 19. Jahrhundert. Trotzdem denkt jeder, der den Titel hört, sofort an Cat Stevens. Die Melodie kommt von einem schottischen Volkslied. Noch heute finden sich aber in der katholischen und anglikanischen Kirche einige Kirchenlieder, die die Melodie nutzen. Im Fall von „Morning has broken“ ist die britische Kinderbuchautorin Eleanor Farjeon dafür verantwortlich. Ihre Gemeinde kam auf sie zu, mit der Bitte ein Gedicht zu schreiben, das man als Kirchenlied nutzen kann. Die Gemeinde hatte in ihrem Repertoire kein Lied, das Gott für den neuen Tag dankt, und irgendwie brauche man doch sowas. Die Autorin, die übrigens auch Biographien und Satire ver-

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öffentlicht hat, machte sich an die Arbeit und lieferte den Text ab als „A Morning Song (for the first day of Spring)“. Fast genau 40 Jahre später war der britische Musiker Cat Stevens dabei sein Album „Teaser and the Firecat“ fertig­ zustellen. Ein paar Lieder fehlten ihm allerdings noch. Eines Morgens nahm er sich ein altes schottisches Liederbuch zur Hand, fand genau dieses Kinderlied und wollte es für sein Album aufnehmen. Ärger gab es aber mit den Produzenten. „Das Kirchenlied ist noch nicht mal eine Minute lang! Für einen Popsong brauchen wir mindestens drei Minuten.“ Stevens machte sich also dran und verfeinerte das Lied, änderte die Strophen etwas ab, fügte Text und Instrumentalteile hinzu und nahm das Lied auf, das wir selbst heute noch relativ häufig im Radio hören. „Es ist ein Lied, das die Menschen näher zu Gott bringt, und da bin ich stolz drauf“, so Cat Stevens. Dass der Text einen religiösen Hintergrund hat, liegt auf der Hand. Neben dem „praise for the morning“, „lobet den Herrn für den Morgen“, das in jeder Strophe auftaucht, gibt es einige, teils poetische Zeilen, die darauf verweisen. „Danke für den Morgen, Gott hat ihn geschaffen, wie den ersten Tag, die Natur sprießt in Vollkommenheit, da wo Seine Füße den Boden berührt haben.“ Wer das Lied heute hört, wird das Gleiche empfinden wie die schottischen Kirchgänger im Jahr 1931. Aber was führt den Mann, der voller Überzeugung ein schottisches Kirchenlied singt, dazu zum islamischen Glaubenskämpfer zu werden? Die große musikalische Inspiration seiner Kindheit und Jugend waren die Beatles. Auch seine Jugendzeit ist der Jugend der vier Jungs aus Liverpool ziemlich ähnlich. Aufgewachsen ist er im Londoner Theatre District, nahe des Piccadilly Circus. Sein Vater war griechischer Zypriot, seine Mutter kam aus Schweden. Gemeinsam mit den Kindern hat die Familie ein kleines Restau-

rant im Londoner West End betrieben. Als Steven Georgiou im Grundschulalter war, ließen sich die Eltern scheiden. Trotzdem betrieben sie weiter das gemeinsame Familienrestaurant. Das Elternhaus von Cat Stevens war ein christliches, und ein durchaus ökumenisches. Sein Vater war griechisch-orthodoxer Christ, seine Mutter Baptistin, und der junge Steven wurde auf die katholische Schule geschickt. Verantwortlich dafür waren eher pragmatische Gründe. Die katholische Schule war die, die am nächsten zum Restaurant lag. Cat Stevens einen guten Schüler zu nennen, wäre eine Übertreibung. In fast allen Fächern hatte er Probleme, mit einer Ausnahme: Kunst. Von seinen Klassenkameraden wurde er verspottet als „Artist Boy“, Künstlerknabe. Stevens hat dies als seine Identität angenommen und später ein Kunst-Collage besucht. Cartoonist wollte er werden, bis er das Songschreiben für sich entdeckt hat. Zu diesem Zeitpunkt war er Christ, aber definitiv auf der Suche nach einem Sinn im Leben. Das wird allein schon an den Texten seiner frühen Hits deutlich. In „Peace Train“ auf seinem Debüt-­ Album heißt es „pack deine Sachen, nimm deine Freunde mit, wir machen uns auf den Weg, wir werden die Wahrheit finden“ (frei übersetzt). Diese Wahrheit hat sich für ihn dann im Koran offenbart. Angefangen hat es mit einem Urlaub in Marokko, wo er zum ersten Mal traditionelle islamische Gebetsgesänge gehört hat. Musik für Gott. „Das war für mich etwas vollkommen neues, nicht Musik für Ruhm, Geld, für mich – sondern für Gott.“ Später wurde ihm ein Koran geschenkt, den er von da an intensiv studiert hat. Den Anstoß für die Konversion hat dann ein Badeunfall vor der Kalifornischen Küste geliefert. Stevens war kurz vor dem Ertrinken und hat zu Gott gebetet. „Wenn du mich rettest, dann stelle ich mein Leben in deinen Dienst.“ Prompt, sagt er, sei eine große Welle gekom-

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men und habe ihn an die Küste getragen. Die Konversion zum Islam fand dann offiziell am 23. Dezember 1977 statt. Kurz darauf nahm er den Namen Yusuf Islam an. „Die Figur des Joseph (Yusuf ) hat mich schon in der Bibel fasziniert. Ein Mann, der auf dem Markt verkauft und gekauft wird. Als Mensch im Musikgeschäft konnte ich mich schon immer gut damit identifizieren.“ Seine Karriere als Popmusiker ließ er erst mal ruhen. Bei einem UNICEF-Tribute Konzert zum Weltkindertag trat er ein letztes Mal auf, verkaufte alle seine Gitarren und verabschiedete sich vom Musikgeschäft – für 26 Jahre. Yusuf Islam nahm, und nimmt, seinen Glauben ernst. ­Vielleicht ein bisschen zu ernst. Knapp zehn Jahre nach seiner Konversion hat er einen weltweiten Eklat ausgelöst. Vor Studenten einer Londoner Universität hat er einen Vortrag über seinen Wechsel zum Islam gehalten. In der anschließenden Fragerunde wurde das Buch „Die satanischen Verse“ von Salman Rushdie angesprochen. Ein gerade erst erschienener Roman, der für großen Wirbel in der islamischen Welt gesorgt hat. Da der Islam darin teils mit Teufelsanbetung verglichen wurde, hat der iranische Ajatollah Khomeini zur Fatwa gegen Rushdie aufgerufen. Gläubige Muslime sollten den blasphemischen Autor mit dem Tod bestrafen. Ein Aufruf, dem viele Muslime weltweit gefolgt sind. Ausschreitungen und Bombenanschläge mit Verletzten und Toten waren die Folge. Auch Yusuf Islam wurde zu seiner Meinung im Bezug auf Rushdie und die Fatwa befragt. Seine Antwort: „Er muss sterben, der Koran ist da ganz klar. Wenn er den Propheten diffamiert, muss er sterben.“ Ein Statement, das, verständlicherweise Entsetzen in der westlichen Welt hervorgerufen hat. Später hat der Musiker die Aus­sage relativiert, aber nie zurückgenommen. Er spricht davon, dass er nur widergibt, was der Koran verlangt, und

jeder diese Antwort geben würde, wenn er nach den Aussagen des Korans befragt wird. Allerdings würde er, wenn ein weltliches Gericht, wie das in seinem Heimatland Großbritannien, ­Rushdie für unschuldig erklärt, dieses Urteil auch „akzep­tieren“. Selbst Jahrzehnte später sorgt diese Aussage immer noch für Ärger. Der amerikanische Talkshow-Host und Komiker Jon Stewart hat Yusuf Islam 2010 in seine Sendung eingeladen und darauf einen erbosten Anruf von Salman Rushdie erhalten. Stewart gestand ein, dass ihm die Tragweite des Konfliktes nicht bewusst war und es ein Fehler war, Yusuf Islam einzuladen. Yusuf sagt dazu selber, es mache ihn traurig, dass er immer wieder auf dieses Thema angesprochen wird, ist aller­ dings auch froh, dass er sich selbst in den Medien dazu rechtfertigen kann. Man muss fairerweise auch eingestehen, dass sich die Weltanschauung von Yusuf Islam, oder Cat Stevens, über die Jahrzehnte doch um einiges gemildert hat. Obwohl er das ­Rushdie-Statement nie zurückgenommen hat, ist er mit dem Alter um einiges milder geworden und setzt sich heute auch für die Verständigung zwischen den Religionen ein. Nach den Terroranschlägen vom September 2001 setzt er sich dafür ein mehr über den Islam aufzuklären, da viele Muslime Opfer von Angst, Intoleranz und Rassismus geworden sind. Während er in den 90ern und frühen 2000ern nur traditionelle islamische Gesänge aufgenommen hat, kam 2006 sein erstes Pop-Album seit 1978 raus. „An other Cup“ mit dem Hit „Heaven (where true love goes)“ hat ihm den Rückweg auf die Bühnen der Popmusik beschert. Als Künstler nennt er sich jetzt nur noch „Yusuf“, spielt in seinen Konzerten aber auch wieder Songs wie „Morning has broken“.

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Vom Western-Hit zur Glaubens-Hymne titel : 

Knockin’ on Heaven’s Door – Bob Dylan Pat Garrett & Billy the Kid (1973)

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ch konnte mit Bob Dylan nie was anfangen. Seine Musik war für mich immer einfallslos. Immer das gleiche Drei-Akkord-Schema, keine Variation, keine Emotion in der Stimme. Ich habe nie verstanden, was die Leute an ihm finden. Das sehe ich eigentlich heute noch so, bis mir aufgegangen ist: Bei Bob Dylan geht es überhaupt nicht um die Musik. Es geht um die Texte, und was er damit aussagen will. Teils politisch, teils poetisch, aber immer steckt was drin. Ich lasse den Literatur-Nobelpreisträger 2016 einfach mal selbst sprechen. Meine absolute Lieblingszeile von Bob Dylan: „Cinderella, she seems so easy. „It takes one, to know one“ – she smiles, and puts her hands in her backpockets, Bette Davis-style. And in comes Romeo, he’s moaning: „You belong to me, I believe“, then someone says „you’re in the wrong place my friend. You better leave.“ (Desolation Row, auf „Highway 61 revisited“): Bei solchen poetischen Zeilen, sieht man es ihm doch irgendwie nach, dass die Melodien meist nicht allzu abwechslungsreich daherkommen. Genau so sieht’s aus bei „Knockin’ on Heavens Door“ von 1973. Ein Lied, das über die Jahrzehnte großen Symbolcharakter bekommen hat, ein „Halte durch!“-Song. Der Liedermacher Warren Zevon („Werewolves of London“)

hat es aufgenommen, kurz bevor er an Lungenkrebs verstorben ist. Beim großen Tribute-Konzert zum Tod von ­Freddy Mercury wurde es gespielt. Und es hat sogar den Rekord aufgestellt für das größte Gitarrenorchester der Welt, als sich 2007 im indischen Shillong 1730 Menschen getroffen haben, um dieses Lied zu spielen. Wenn ein Lied über Jahrzehnte so eine große Bedeutung hat, dann muss der Text auch ziemlich philosophisch und bedeutungsschwer sein, oder? In diesem Fall: Nein. Wir wissen ganz genau, was mit den Worten von „Knockin’ on Heavens Door“ gemeint ist, weil das Lied auf dem Sound­ track des 70er-Jahre-Westerns „Pat Garrett jagt Billy the Kid“ zu finden ist und hier bildlich eine Filmszene beschreibt. Es geht um einen Hilfssheriff, der von Banditen erschossen wird. In seinen letzten Lebensminuten sinniert er darüber nach, dass er jetzt seine Dienstmarke ablegen muss, „take this badge from me“, seine Pistole nicht mehr abfeuern kann und bald an die Himmelstür klopfen muss. Trotzdem haben die Worte über die Jahre eine ganz eigene Botschaft ent­ wickelt, die auch ohne den inzwischen fast vergessenen Film funktionieren. Die Coverversionen von Guns n’ Roses oder Eric Clapton sind auch Durchhalte-Lieder, haben aber definitiv nichts mehr mit dem Western zu tun, sondern mit der Hoffnung, dass auch in schlechten Zeiten irgendwann das Himmelreich auf uns warten wird. Interessanter aber noch als das Lied, ist der Mensch, der dahinter steckt. Bob Dylan nach seiner Religion, seinem Glauben oder seiner Spiritualität zu fragen, wird keine direkte oder einfache Antwort bringen. Geboren wurde Robert Zimmerman (bürgerlich) in eine jüdische Familie im amerikanischen Mittelwesten. Seine Familie hat ihre Religion auch ernst genommen, deshalb war (oder ist?) Bob Dylan auch im Erwachsenenalter noch praktizierender Jude. Bis ihm

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sein spiritueller Mentor Al Kasha begegnet ist, der ihn dazu überzeugt hat zum Christentum zu konvertieren. 1978 war das, also fünf Jahre nachdem „Knockin’ on Heavens Door“ veröffentlicht wurde. Mit seiner neuen Religion hat der Musiker auch nicht hinter dem Berg gehalten. Mehrere christlich geprägte Alben („Saved“ und „Long Train coming“) hat er in dieser Zeit veröffentlicht. Mit der Zeit hat seine Begeisterung für die Religion allerdings nachgelassen. In seiner Musik haben sich immer weniger Bezüge zu Gott und Glaube gefunden, und auch öffentlich hat er nichts mehr groß dazu gesagt. In Interviews danach gefragt, sagt er bis heute meistens „Ich glaube an keine organisierte Religion“, wie es so viele Künstler von sich behaupten. Interessanterweise lässt sich in seiner Musik in letzten 10 bis 15 Jahren etwas anderes herauslesen. Sie kommen nämlich wieder zurück, die Bezüge zum Glauben. 2006 in „When the Deal goes down“ heißt es: „Durch die dunklen Zeiten auf dem Weg deines Lebens, trägt dich jedes unsichtbare Gebet, wie eine Wolke durch die Lüfte.“ Besonders deutlich wird das in seinem 2012er Album „Tempest“, das wieder einige christliche Bezüge in der Musik auffinden lässt. Fragt man Freunde und Bekannte, dann sind die Angaben widersprüchlich. Einige sagen, er praktiziere bis heute immer noch den jüdischen Glauben, andere, wie sein geistlicher Mentor Al Kasha, sagen, dass der den Glauben an Gott nie verloren hat, er nur zwischenzeitlich in den Hintergrund gerückt ist. Einen interessanten Einblick bietet ein handgeschriebener Brief von Dylan, der vor ein paar Jahren an die Öffentlichkeit gekommen ist. An einen Freund namens „Steve“ in Kanada schreibt er einen langen Brief voller biblischer Zitate und schließt ihn mit den Worten: „Bete und denke nicht mehr zurück, an das was gewesen ist. Blicke immer nach vorn, auf den Weg, der vor dir liegt. Ich schicke dir meine Liebe und bete für deine Kraft.“

Ein unbewusstes Lied über Gott t itel :  Sailing – Rod Stewart a lbum :  Atlantic Crossing (1975)

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or ein paar Jahren habe ich mal eine Woche Urlaub auf einem Segelboot in der Ägäis gemacht. Kleines Schiff, zehn Leute, und eine Fahrt von Insel zu Insel. Als Radiomensch, der sich beruflich viel mit Musik befasst, habe ich mich immer stundenlang auf Deck gelegt. Mp3-Player in den Ohren und die wehenden Segel über mir. Das hat ja schon etwas romantisches. Die wilde See, der raue Wind, das auf und ab. Und in den Ohren die Musik über das Leben auf See. „Sailing to Philadelphia“ von Mark Knopfler, Enyas „Orinoco Flow“ („Sail away, sail away, sail away …“+) und natürlich „Sailing“ von Rod Stewart. Ist doch das perfekte Segel-Lied, oder? „I am sailing stormy waters“, stürmische See, ein einsames Boot. Im Gegensatz zu den anderen Liedern, hat aber „Sailing“ von Rod Stewart überhaupt nichts mit der Schifffahrt zu tun. Anscheinend habe ich das Lied immer falsch gedeutet. Da bin ich allerdings nicht der Einzige, Rod Stewart ging es ganz genau so. Selbst der Albumtitel „Atlantic Crossing“ lässt das vermuten, oder der Fakt, dass die BBC den Song 1976 als Titellied für eine mehrteilige Doku über die Marine genutzt hat. Um zu verstehen, worum es eigentlich geht, müssen wir erst mal die „Sutherland Brothers“ kennenlernen. Wie es der Name schon sagt, geht es hier um zwei Brüder. Gavin und Iain Sutherland. Beide Musiker aus Schottland. Am ehesten

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kennt man die Brüder vielleicht noch vom Folk-Rock-Song „Arms of Mary“ aus dem Jahr 1976, der heute noch hin und wieder auf den Oldie-Sendern zu hören ist. Bevor es aber zu diesem „Durchbruch“ kam, hatten sie in den frühen 70ern einige Alben veröffentlicht, die von keltischer Musik inspiriert waren. 1973 kam das Album „Lifeboat“, und darauf zu finden ist auch der Song, den Rod Stewart zwei Jahre später als „Sailing“ gecovert hat. Richtig, einer der bekanntesten Hits von Rod Stewart ist ein Cover. Die Legende besagt, dass Stewarts damalige Lebensgefährtin die Sutherland Brüder bei einem TV-Auftritt der britischen Musikshow „Old Grey Whistle Test“ gesehen hat. „Rod wird das auch gefallen“, hat sie sich gedacht und ist mit ihm gemeinsam zum Sutherland Brothers Konzert gegangen. Rod hat es auch gefallen, und er hat sich mit den Brüdern in Verbindung gesetzt, um gemeinsam Musik zu machen. Ein paar Nummern haben sie geschrieben. Auf Stewarts Album hat es aber nur das C ­ over von „Sailing“ geschafft, das im Original starke keltische Einflüsse aufzeigt. Für Rod war jedoch der Titel wichtiger. Er hat sich von „Sailing“ angesprochen gefühlt, weil er kurz zuvor von England nach Amerika ausgewandert ist und ­seine ­Heimat vermisste. Deshalb auch der Albumtitel „Atlantic Crossing“. Aufgenommen wurde der Song in ­ Alabama. (kleine Randnotiz: Rod Stewart behauptet bis heute, dass das der einzige Song ist, den er jemals komplett nüchtern aufgenommen hat. Er leidet wohl unter Panikattacken, immer wenn’s ins Studio geht. Da Sailing schon morgens halb elf aufgenommen wurde, hatte er keine Chance mehr vorher was Alkoholisches aufzutreiben.) Wenn Rod im Text also „to be near you, to be free“ singt, dann geht es um seine alte Heimat England. Die Sutherland Brothers hatten aber was ganz anderes im Kopf. In einem Interview hat Gavin Sutherland mal erklärt: „Die meisten halten „Sailing“ für ein

romantisches Lied. Ein Junge sagt seinem Mädchen, er würde den Atlantik überqueren, um bei ihr zu sein. Tatsächlich hat das Lied weder mit Romantik noch mit Schiffen zu tun. Es ist eine Erzählung über die Menschheit und ihre Odyssee durch das Leben, auf der Suche nach Freiheit und Erfüllung, im Einklang mit einer höheren Macht.“ In „Sailing“ geht es also um die Suche nach Gott, auch wenn das Rod Stewart vielleicht nicht bewusst war. Wer sich die Texte der Sutherland Brothers mal unter diesem Gesichtspunkt ansieht, der stellt fest, dass das bei ihnen kein Einzelfall ist. Im Titellied des Albums „Lifeboat“ wird auf den ersten Blick die Geschichte eines gekenterten Schiffes und seiner Besatzung erzählt, „Rettungsboot, komm vorbei und hilf uns“, heißt es im Refrain. In der dritten Strophe aber heißt es: „Spät nachts ließ ich den Kopf hängen, und ich hörte eine Antwort, für alle, die in Seenot sind. Wir gemeinsam rufen dich an!“ Heißt das denn dann im Umkehrschluss, dass Glaube und Religion für Rod Stewart überhaupt keine Rolle spielen? Jein. Zum Zeitpunkt der Aufnahme war das anscheinend wirklich so, zumindest was die organisierten Religionen angeht. Es findet sich keine Quelle, in der Rod Stewart über seinen Glauben spricht. Trotzdem wird das Thema diskutiert. Er hat neben Sailing auch Songs mit Titeln wie „Blind Prayer“ oder „Heaven“ veröffentlicht; in denen geht es aber tatsächlich mehr um Romanzen als um das Gebet oder den Himmel. Deutlicher wird er in seiner Coverversion von „Have i told you lately“, laut dem Komponisten und Texter Van Morrison ein Liebeslied, das direkt an Gott gerichtet ist. Für Rod Stewart wurde dieses Liebeslied an Gott zu einem seiner größten Hits. (Mehr dazu im Kapitel zu „Have I told you lately“). Heute sieht das bei ihm alles etwas anders aus. Rod Stewart geht bewusster mit seinem Glauben um. Er ist prak-

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tizierendes Mitglied der Kirche von Schottland, einer presbyterianischen Gemeinschaft. Verantwortlich dafür ist seine dritte, und aktuelle, Ehefrau, Penny Lancester. Regelmäßig werden die beiden im Gottesdienst gesehen. Den Anstoß für sein aktives Glaubensleben hat laut Penny aber ein anderes Ereignis gegeben: Die Terroranschläge vom 11. September 2001. Stewart und Lancester waren davon so bewegt, dass sie bei jedem Tour-Aufenthalt als erstes immer in die Kirche gegangen sind um zu beten. Und das machen sie auch 15 Jahre später noch. Es ist also gut möglich, dass Rod Stewart in seinen Konzerten mit den Zeilen „I am sailing, to be near you, to be free“ heute doch etwas anderes meint, als zu der Zeit, als er das Lied aufgenommen hat.

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Staub und Asche t itel :  Dust in the Wind – Kansas a lbum :  Point of Know Return (1977)

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m Sommer nach Ende meines Studiums hatte ich mir in den Kopf gesetzt Gitarre zu lernen. Ich bin seit jeher ein Mensch, dem Musik sehr viel bedeutet. Sie berührt mich auf eine Art, die ich nicht in Worte fassen kann. Trotzdem wollte ich sie etwas besser ‚verstehen‘. Als ich ohne Vorlesungen auf einmal so viel Zeit hatte, habe ich mir eine, zwei, drei Gitarren angeschafft. Jeden Abend habe ich mich drangesetzt. Die Musik hat mir die Möglichkeit gegeben, mich besser mit meinen Gefühlen auseinanderzusetzen. Selbst die einfachsten Fingerübungen, 1-2-3-2-1-23…, können schon eine Melodie erschaffen, die ans Herz geht. Das habe nicht nur ich entdeckt, sondern auch Kerry Livgren. Gitarrist der Rock Band Kansas. Bekannt durch Nummern mit lauten E-Gitarren und großen Emotionen, wie ihrem bis dato größten Hit „Carry on Wayward Son“. Im Sommer 1977 stand Karry Livgren unter großem Druck. ‚Carry on‘ brauchte einen Nachfolgehit. Mehrere große Stadionhymnen hat er geschrieben. Abends saß er dann mit der Akustik-Gitarre auf der Couch und hat, wie ich, seine Fingerübungen gemacht. 1-2-3-2-1-2-3. Seine Frau sagt auf einmal „Das ist schön! Gibt’s da auch Text dazu?“, Livgren kommt auf die Idee aus der simplen Fingerübung ein Lied zu machen. Es gibt nur zwei Probleme. Die sanfte Ballade klingt anders als alles andere, was die Band je veröffentlicht

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hat, und er hat keine Ahnung, worum es in den Lied gehen soll. Unterbewusst kannte er aber zumindest auf die zweite Frage bereits eine Antwort. Obwohl Kansas eine der erfolgreichsten Rockbands der 70er war, ist ihm irgendwann seine Vergänglichkeit bewusst geworden. Egal wie viel Geld und Erfolg Kansas haben würden, im Endeffekt würde ihnen für die Ewigkeit nichts davon bleiben. „Dein ganzes Geld wird dir keine weitere Minute kaufen können.“ Zu dieser Zeit hat sich Kerry aber auch intensiv mit der Spiritualität und den Legenden der amerikanischen Ureinwohner befasst. Eine Formulierung ist ihm dabei im Kopf geblieben. „Alles was wir sind, ist Staub im Wind.“ – „All we are is Dust in the Wind.“ Eine Vorstellung, die es nicht nur bei den amerikanischen Ureinwohnern gibt. „Bedenke Mensch, dass du Staub bist und wieder zum Staub zurückkehren wirst“. Das sind die Worte, die traditionell zum Aschermittwochs-Gottesdienst gesprochen werden, wenn dem Gläubigen das Aschekreuz auf die Stirn gezeichnet wird. Der leibliche Mensch ist Asche und Staub. Eine Vorstellung, die auch der katholischen Kirche mehr als bewusst ist. Die Tradition des Aschekreuzes stammt aus dem frühen Christentum und ist in gewissem Sinne der Vorläufer des Sakramentes der Beichte. Wenn jemand ein schweres Unrecht begangen hat, wurde ihm das Aschekreuz auf die Stirn gezeichnet, er bekam ein Büßergewand übergezogen und wurde in den Stand der Büßer aufgenommen. Heute steht die Tradition in enger Verbindung mit dem Karneval, insbesondere im Rheinland. Nach einer Woche Exzess und „Abschied vom Fleisch“ („Carne-val“) wird mit dem Gottesdienst die Fastenzeit, oder österliche Bußzeit, eingeläutet. Die Asche steht also gleichermaßen für Buße wie für Vergänglichkeit. Ob das Kerry Livgren 1977 bewusst gewesen ist, lässt sich schwer sagen. Auf alle Fälle hat das Lied „Dust in the Wind“

für ihn eine zwiespältige Bedeutung. Als die Lieder für das Album „Point of Know Return“ gesammelt wurden, war die Plattenfirma nicht ganz zufrieden mit der Auswahl der Band. Auf Drängen seiner Bandkollegen hat Kerry Livgren auf der Akustik-Gitarre noch schnell „Dust in the Wind“ gespielt, direkt aber eingeworfen, dass Kansas so eigentlich nicht klingen. Die Produzenten waren aber ziemlich begeistert von der Ballade und bestanden darauf, dass das Lied zur  ersten Single des Albums wird. Der Erfolg gibt ihnen dabei auch Recht. „Dust in the Wind“ wurde zu einer der erfolgreichsten Gitarren-Balladen der Rock-Geschichte. Obwohl es im Lied um ein so schwieriges Thema wie Tod und Vergänglichkeit geht. Kerry Livgren ist bis heute immer noch kein großer Fan des Liedes, gibt aber zu, dass seine Frau die richtige Entscheidung getroffen hat, ihn dazu zu nötigen ein Lied aus der einfachen Fingerübung zu machen. „Ein paar Millionen verkaufte Platten geben ihr da Recht.“ Dass „Dust in the Wind“ dabei aber nicht nur so daher gesungen wird, sondern ein Ausdruck der inneren Suche ist, wurde ein paar Jahre später deutlich. Kerry Livgren ist seit 1980 überzeugter evangelikaler Christ. Auf das Lied angesprochen, hat er einmal in einem Interview gesagt: „Ich war auf der Suche nach irgendwas und habe das ausgedrückt. Das Lied befasst sich mit der Vergänglichkeit, oder Übergänglichkeit, unseres physischen Lebens. Das könnte man als Suche nach Gott bezeichnen.“

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Gott und Glaube oder Koks und Heroin? titel : 

Hymn – Barclay James Harvest Gone to Earth (1977)

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ch zitiere mal ein paar Sätze, die fast aus dem Glaubensbekenntnis stammen könnten: ­„Jesus ist vom Himmel herabgestiegen, auf die Erde. Geboren durch die Jungfau Maria. Er hat gepredigt, große Geschichten über den Herrn. Er war der Retter aller Völker. Dafür haben wir ihn getötet, ans Kreuz genagelt. Am dritten Tage ist er auferstanden, nur um uns zu fragen: Warum? Er stieg auf in den Himmel, um uns zu sagen: Nur mit Gott wirst du aufsteigen. Nur mit Gott wirst du fliegen.” Man könnte diese Worte als regelrechten Hymnus bezeichnen. Und genau das hat die britische progressive Rock-Band Barclay James Harvest getan. 1977 mit der Single „Hymn”. Den Titel des Albums „Gone to Earth”, könnte man frei übersetzen mit ­„Herabgestiegen auf die Erde”. Der christliche Glaube scheint für die Musiker auf dem Album eine große Rolle zu spielen: Die Hälfte der Lieder befassen sich mit Jesus, Himmel oder jungfräulicher Geburt. Auch der Arbeitstitel von „Hymn” ließe das vermuten. „Hymn for the white Lady” könnte man mit „Hymne für die weiße Madonna” übersetzen. – Alles das ist kein Geheimnis und lässt sich herausfinden, wenn man sich nur fünf Minuten mit dem Lied und der Band befasst. Was vielleicht mehr überrascht, ist, dass

es in Hymn eigentlich gar nicht um Jesus geht. Es geht um Drogen, um Janis Joplin und Jimi Hendrix. Ist das Lied eine Hymne, eine Ode an die Musiker, die den Kampf mit den Drogen nicht überlebt haben? Warum dann so tiefe, reli­giöse Bilder und Bezüge? In einem Interview 1994 vergleicht die Band die künstlichen Highs durch Kokain oder Heroin mit der Entrückung durch spirituelle Ekstase. Auf die Art ist Musik-Fans, die nie in ihrem Leben mit harten Drogen zu tun hatten, der Einfluss der bewusstseinsverändernden Substanzen vielleicht besser verständlich zu machen? Das geht vielleicht etwas zu weit. Fangen wir etwas weiter vorne an: Barclay James Harvest kennt man wohl am ehesten von „Life is for Living“, einem Lied in der Standard-Rotation vieler Oldiesender. Obwohl die Band sich Ende der 60er unter dem Einfluss der Beatles in einer kleinen Stadt in England gegründet hat, wird man bei den meisten Briten nur Kopfschütteln ernten, wenn man sie auf die Band anspricht. Barclay James Harvest ist ein ziemlich deutsches Phänomen. Das „Gone to Earth“-Album zählt hierzulande bis heute zu den Top 10 der bestverkauften Alben aller Zeiten. In Frankreich hatten sie mit einigen Singles auch ordentlich Erfolg. In ihrem Heimatland haben sie aber nie eine wirklich große Rolle gespielt. Man hat sich eher über sie lustig gemacht, da sie mit ihrem Sound ziemlich nah an die Moody Blues (von „Nights in White Satin“) herangekommen sind. Ein Reporter sagte mal „Ihr seid doch die Moody Blues für Arme!“ Zumindest haben die Jungs Humor und daraufhin die Ballade „Poor Man’s Moody Blues“ veröffentlicht. Hinter dem Namen der Band verbirgt sich keine große Geschichte. Die Musiker konnten sich nicht auf einen Namen einigen. Haben unzählige Worte auf Papierschnipseln in einen Hut geschmissen. Als nur noch drei übrig waren,

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haben sie diese Worte ohne Kontext zu ihrem Bandnamen gemacht. James hieß mal ein Junge, der mit ihnen Musik gemacht hat. Harvest („Ernte“), weil sie auf einem Bauernhof lebten, und Barclay ist eines der bekanntesten Geldinstitute Großbritanniens. Man will schließlich als Rockstar auch ordentlich Geld machen! Zu Deutschland hat die Band jeher eine gute Beziehung gehabt. So sehr, dass sie der deutschen Hauptstadt eines ihrer größten Lieder sowie sicherlich den Höhepunkt der Bandgeschichte zu verdanken haben. „Berlin“ ist eine weitere Ballade, die sich mit einer verflossenen Liebe in der geteilten Stadt befasst. Im Jahr 1980 konnten sie das Lied den Berlinern auch persönlich präsentieren. Als Dankeschön für die deutschen Fans wurde ein kostenloses Konzert vor dem Reichstag organisiert. 175.000 Menschen kamen, um sich Barclay James Harvest anzuhören, so viele Menschen sollten sich nie wieder für ein „BJH“ Konzert versammeln. Die Kosten dafür hat die Band übrigens größtenteils aus eigener Tasche gezahlt. Der Höhepunkt des Konzerts, das es auch auf CD zu kaufen gibt, ist definitiv „Hymn“. Worin schon wieder ein wenig Ironie liegt. Inmitten des sozialistischen Arbeiterstaates, in der kleinen Enklave Westberlin, spielt eine britische Rockband ein Lied über Jesus Christus, und 175.000 Menschen singen mit. David Hasselhoff brüstet sich gerne damit, dass er mit „Looking for Freedom“ den Mauerfall herbeigeführt hat. Ich denke, dass eine Hymne über Jesus Christus den Führern des Politbüros ein paar Straßen weiter sicher mehr Stirnrunzeln bereitet hat, als ein amerikanischer Seifenoper-Star. Aber noch mal zum Inhalt: „Hymn“ soll nicht ein Lied über Christus, sondern über Drogenhighs, verglichen mit religiö­ ser Entrückung sein? Ist da was dran? Viele Indianerstämme nutzen bewusstseinserweiternde Drogen um mit ihren

­ öttern ins Gespräch zu kommen. Die Trance durch stunG denlanges Tanzen und Trommeln ist auch eine Möglichkeit diesen Geisteszustand zu erreichen. Und schauen wir uns auch mal evangelikale Gottesdienste in den USA an, selbst da gibt es Menschen, die sich in Euphorie auf den Boden schmeißen, weil sie ihre Gefühle nicht anders ausdrücken können. Dass man sich im Gottesdienst berührt fühlt, von Gefühlen überwältigt, kann ich nachvollziehen, aber so sehr, dass es dem Drogentod von Jimi Hendrix und Janis Joplin nahe kommt? Mir persönlich geht das dann doch ­einen Schritt zu weit. Kleine Randnotiz: Ich bin bis heute großer Fan von Barc­ lay James Harvest, weil mit der Band meine persönliche „Rock-Karriere“ begonnen hat. Meinen 18. Geburtstag habe ich beim Konzert der Band mit Orchester-Begleitung in der „Alten Oper“ in Erfurt verbracht. Mein erstes von hunderten von Rock-Konzerten. Dafür möchte ich an dieser Stelle mal Danke sagen!

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Ist der wahre Himmel vielleicht doch die Hölle? t itel :  Highway to Hell – AC/DC a lbum :  Highway to Hell (1979)

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heologen sagen die Hölle ist zwar etwas, das real existiert, allerdings mehr als ein Zustand zu verstehen. Es geht nicht um Feuer und Schwefel, es geht um die „endgültige Trennung von Gott“. Gott bietet die Erlösung, zwingt aber nicht, deshalb muss es auch eine Alternative geben, so erklärt der Theologe Martin Korden die Hölle. Ein befreundeter Pastor hat mir mal gesagt, dass die Hölle die schlimmste Depression ist, die sich ein Mensch vorstellen kann. Es geht nicht darum, sich ein oder zwei Tage krank zu melden, weil man sich nicht aus dem Bett aufraffen kann, es geht um einen Dauerzustand davon, und das noch tausend Mal schlimmer. Bei AC/DC klingt das alles irgendwie viel positiver. Eine endlose Party mit allen Freunden. Das gelobte Land des Rock n Roll. „Highway to Hell“ gehört zu den Hymnen des Rock n Rolls. Ein Lied, das die Freiheit und Rebellion verkörpert wie kaum ein anderes, „Born to be Wild“ von Steppenwolf fällt vielleicht noch in diese Kategorie. Das kommt allerdings ohne christliche Allegorien aus. Das Bild der Hölle und der Rock n Roll gehören zusammen. Keine Band ist da profilierter als AC/DC. Bis heute ist es ein Markenzeichen der Band, dass Fans im Publikum klei-

ne blinkende Teufelshörner auf dem Kopf tragen. Als AC/ DC-Gitarrist Angus Young damit in den 70ern angefangen hat, gab es große Proteste von christlichen Gruppen. Das wird dann wohl auch der Grund dafür sein, dass die Band so sehr mit diesem Image gespielt hat. Als Rocker will man rebellieren, sich gegen das Establishment auflehnen. Ein Gefühl, das gerade viele junge Fans zur Musik von AC/DC und Co. gezogen hat. Wer sich gegen die Eltern auflehnt, rebelliert gegen das Establishment, und wie geht das besser als Musik zu hören (zu machen) über eines der Tabuthemen der christlich geprägten Eltern? Die Hölle. Im Text des Liedes wird das auch mehr als deutlich. Es geht nicht um die Verdammnis, sondern um Freiheit und Rebellion. „Living easy, Living free…“. Der Sänger lebt in einer Welt ohne Stopp-Schilder, ohne Geschwindigkeits-­ Begrenzungen. Es gibt keine Pflichten, keine Arbeit und das ganze Leben ist eine lange Party. Keiner kann ihm was vorschreiben: „Nobody’s gonna mess me ‘round.“ Trotz dieser starken metaphorischen Bilder hat das Lied der australischen Rockband einen realen Hintergrund. Ganz recht, den „Highway to Hell“ gibt es wirklich! Wer mal persönlich den Highway mit aufgedrehten Boxen entlang rasen will, muss nach Perth in Australien. Hier sind die Musiker der Band aufgewachsen. Der Canning Highway verbindet zwei Hauptverkehrsstraßen in der Provinz und endet, wie könnte es anders sein, vor einem Pub. „The Raffles“ heißt der und war in den 70ern DER Treffpunkt für die Rocker in Perth. Hier gab es regelmäßig Livemusik und, viel wichtiger, billiges Bier. Die letzten paar hundert Meter vor dem Pub geht der Canning Highway allerdings steil bergab. Obwohl im Tal eine Kreuzung wartet, gibt es weder Stopp-Schilder noch  Geschwindigkeits-Begrenzungen („no more stop sings, speed limits“). So kam es leider aber auch immer wie-

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der zu tödlichen Unfällen auf der Straße. Schnell bekam sie im Volksmund den Namen „Highway to Hell“. Als die Band Mitte der 70er mit ihrem Tourbus auf der langen, geraden, öden Straße unterwegs war und in den Sonnenuntergang fuhr, kam den Musikern die Idee zu „Highway to Hell“. „Die untergehende Sonne kam uns vor wie ein riesiger Feuerball, auf den wir zufuhren.“ Kleine Randnotiz: Auch die Amerikaner haben, oder hatten, ihren ganz eigenen „Highway to Hell“. Die Route 666 führte früher durch die Bundesstaaten Arizona und Utah. Als sich aber die Zahl von Geistergeschichten und unerklärten Phänomenen häuften, haben die Behörden die Nummerierung geändert. Im Okkultismus gilt die Zahl 666 als Symbolik für Teufel, Hölle sowie Apokalypse und wird als „Zahl des Tieres“ bezeichnet. Erstmals erwähnt wird die Zahl in der Bibel, genauer gesagt in der Offenbarung des Johannes. In Deutschland gibt es im Moment keine Autobahn A666. Ähnlich wie bei „Sympathy for the Devil“ von den Rolling Stones (siehe entsprechendes Kapitel) gibt es auch hier Menschen, die den Text zu ernst nehmen. Der Serienmörder Richard Ramirez, in den Medien auch „Night Stalker“ genannt, hat 1985 in Kalifornien 13 Menschen umgebracht. Nach seinem Motiv befragt, hat er die Band AC/DC und das Album „Highway to Hell“ angegeben. AC/DC stand seiner Meinung nach für Anti Christ/Devil’s Child, der Antichrist, Sohn des Teufels (AC/DC steht nach Angaben der Band für Alternating Current/Direct Current. Wechselstrom und Gleichstrom.). Die Rocker aus Australien sind aber bei weitem nicht die einzige Band, die vom Motiv der Hölle fasziniert sind. Na­ türlich muss hier „Bat out of Hell“ von Meat Loaf erwähnt sein. Eines der Lieblingslieder meiner Jugendzeit. In thea­ tralischen Bildern wird hier ein Motorradunfall geschildert,

der dazu führt, dass das Herz des Protagonisten „wie eine Fledermaus aus der Hölle“ aus dem Herz heraus-explodiert und davonfliegt. Solch ein starkes Bild, dass Meat Loaf sein ganzes Image als Künstler drum herum aufgebaut hat. Bis heute ist seine Bühnendeko mit Fledermäusen und Totenköpfen geschmückt. Das Bild der Hölle wird sonst sehr gerne von den richtig harten Rockern genutzt, Metal-Bands wie Slayer oder Anthrax füllen gefühlt ihren halben Lieder-­ Katalog mit Songs wie „To Hell with the Devil“ oder „Earth on Hell“. 2004 hatten wir sogar mit Lordi aus Finnland eine Eurovision-Song-Contest-Gewinnerband, die sich auf der Bühne als Höllenmonster verkleidet und vom „Hard Rock Hallelujah“ in der Hölle gesungen hat. Dabei spielt die Hölle in diesen Liedern hier sehr unterschiedliche Rollen. Während AC/DC das Bild nur als Metapher für Spaß, Freude und Freiheit verwenden, setzen Anthrax oder Slayer mehr auf den Schockfaktor. Harte Death- und Thrash-MetalBands, mit der die Jugend heute ihre Eltern schocken will, müssen natürlich auch düstere Bilder der Hölle besingen. Die sind dann aber einiges trister und depressiver, als die ewige Party der AC/DC-Hölle, kommen wiederum also um einiges näher an die eigentliche, katholische Definition der ewigen Verdammnis. Lordi nimmt hier übrigens noch eine ganz andere Rolle ein. In „Hard Rock Hallelujah“ werden clevererweise Bilder von Himmel und Hölle gegenüber­ gestellt, um einen Kontrast zu liefern. Das Lied beginnt mit Kirchenorgeln, spricht von Rock n Roll-Engeln, die das ­harte „Hard-Rock-Halleluja“ auf die Erde bringen, Himmel und Hölle sind hier das Gleiche: „Demons and Angels all in one have arrived“, singt die Band über sich selbst, Engel und Teufel gleichzeitig verkörpern sie. Leider liegen die ewige „Party-Hölle“ und die Hölle der Verdammnis dann doch näher bei einander als man denkt.

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Kurz nach der Veröffentlichung von „Highway to Hell“ ist AC/ DC-Sänger Bon Scott unerwartet verstorben. Auf dem Rücksitz seines Autos ist er nach einer langen Party-Nacht am eigenen Erbrochenen erstickt. AC/DC hat daraufhin erst mal eine Pause eingelegt und ihr nächstes Album „Back in Black“ dem verstorbenen Freund gewidmet. Bis heute das erfolgreichste Album der Band und nach Thriller von M ­ ichael Jackson das zweit-meistverkaufte Album aller Zeiten. Eröffnet wird das Album übrigens von „Hells Bells“, das man als Nachfolgelied zu „Highway to Hell“ betrachten könnte. Nach dem Tod von Bon Scott wird hier aber schon etwas anders über die Hölle gesprochen: „Du bist noch jung, aber du wirst trotzdem sterben. Ich nehme keine Gefangenen und verschone niemanden, keiner wird Widerstand leisten. Ich bringe euch in die Hölle, wo der Teufel euch holt“. Ich persönlich höre dann lieber „Highway to Hell“, aber das mag persönlicher Geschmack sein.

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Freiheit, Erlösung, und eine späte Taufe titel : 

Redemption Song – Bob Marley and the Wailers Uprising (1980)

album : 

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ch gebe zu, ich verstehe dieses Lied nicht. Und Sie wahrscheinlich auch nicht. Wir können es nicht verstehen. Wir können versuchen es nachzuvollziehen, um es zu verstehen, müssten wir aber die Kultur der Jamaikaner und Rastafaris verstehen, die schon etwas sehr Spezielles ist. Eine Religion, die lange, filzige Rasta-Zöpfe mit einem Text des Alten Testaments begründet und in der Marihuana-Konsum zum religiösen Alltag gehört, um den Geist von Schranken und Barrieren zu befreien. Von Bob Marleys „Redemption Song“ (dt. „Erlösungslied“) bin ich allerdings vorgeschädigt. Vor unseren domradio-­ Büroräumen auf der Kölner Domplatte spielen tagein tagaus von morgens bis abends Straßenmusiker, bei denen dieser Reggae-Hit auch zum festen Repertoire gehört. Zudem sind mir zwei, Pardon, unterirdische Coverversionen über den Weg gelaufen, die meine Meinung geprägt haben: Eine von Johnny Cash (im hohen Alter) und eine von BAP. Ich glaube, ich lehne mich nicht aus dem Fenster, wenn ich behaupte, dass auch Mr. Cash und Wolfgang Niedecken ihre Probleme haben werden, die Rasta-Kultur für sich zu begreifen. Es fängt alleine schon damit an, dass das jamaikanische Englisch schon fast mehr eine eigene Sprache als ein Dia-

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lekt ist. „Old pirates, yes, they rob I, sold I to the merchant ship“, sind die ersten Zeilen des Liedes. „Alte Piraten haben ich geraubt, haben ich verkauft ans Handelsschiff“. Dass ich die Rasta-Kultur nicht verstehe, heißt aber nicht, dass ich ihr abspreche einen tieferen Sinn und auch eine tiefe Spiritualität zu haben. Und ihre Musik, der Reggae, hat natürlich auch was sehr Reizvolles für den Musikfreund, besonders die Musik des weltweit bekanntesten Jamaikaners: Bob Marley. Auf Jamaika wird der regelrecht als Volksheld verehrt, als Freiheitskämpfer, eine Ikone. So nennen ihn auch heute viele Landsleute noch den „Lehrer“, aber auch den „Propheten“. Im jungen Alter von 36 Jahren ist er an Hautkrebs gestorben. Der „Redemption Song“ ist eines der letzten Lieder, die er veröffentlicht hat. Das Lied spricht von Befreiung und Erlösung, im welt­ lichen wie auch im spirituellen Sinn. Es beschreibt das Schicksal der Jamaikaner, die vor Jahrhunderten als Sklaven aus Afrika geraubt wurden, und auch noch heute darunter leiden. Ihnen will er Mut zusprechen. Wenn man bedenkt, welche kulturelle Bedeutung das Lied hat, auch über Jamaika hinaus, dann hat Marley sein Ziel definitiv erreicht. Der Text setzt die Versklavung der schwarzen Zwangs­ arbeiter dabei mit biblischen Bildern gleich. Mit der Geschichte Josefs und seiner Brüder (Genesis 37) um genau zu sein. Josef, Lieblingssohn seines Vaters, wird von den eifersüchtigen Brüdern verschleppt und in einen tiefen Brunnen geworfen. Die Brüder beschließen ihn allerdings nicht tot­ zuschlagen, sondern als Sklaven zu verkaufen. Später wird er sich aus der Sklaverei befreien, hocharbeiten und zu seiner Familie zurückkehren. Bob Marley hat hier das Bild des tiefen Brunnens anscheinend am meisten fasziniert. Ein Bild, das in der englischen Übersetzung allerdings viel poetischer klingt. Josef wird hier in eine „bottomless pit“, eine boden­

lose Grube geworfen. Wie auch Josef wird der Sklave im Lied aus der Grube heraus verkauft und bekommt Zuspruch und Kraft von Gott. „My hand was made strong by the hand of the Almighty.“ Viel mehr noch als um die Vergangenheit geht es im ­„Redemption Song“ aber um die Gegenwart, um die mentale Versklavung, „mental slavery“, unter der die Jamaikaner nach Meinung von Marley noch heute leiden. Hier zitiert er eine Rede des Jamaikaners und Bürgerrechts-­ Aktivisten Marcus Garvey, der sich, wie später Marley, ­dafür eingesetzt hat, dass alle Schwarzen eine gemeinsame Vertretung bekommen und für ihre Rechte, aber auch Entschädigung für die Zeit der Sklaverei, kämpfen. Garvey hat die schwarzen dazu aufgerufen selbst aktiv zu werden: „Emanzipiert euch von der mentalen Sklaverei, nur wir selbst können unseren Geist befreien.“ Worte, die Marley fast eins zu eins für seinen „Redemption Song“ übernommen hat, die mit der Zeit fast schon zum Mantra für die Jamaikaner geworden sind. Dabei ist der „Redemption Song“ nicht das einzige Lied Marleys mit spirituellem Hintergrund. In „One Love“ heißt es: „Gott danken und beten, damit fühle ich mich wohl“ (Give thanks and praise to the Lord, and I will feel all right). Die Zeilen von „Forever loving Jah“ (Jah ist jamaikanischer Slang für Gott) sind mehr ein Gebet an Gott als ein Lied über Gott. Und da hört es bei weitem nicht auf: In seinem Gesamtwerk finden sich knapp 40 Lieder, die direkte biblische Zitate verwenden. Landsleute sprechen deswegen immer auch gleich von der tiefen Spiritualität Bob Marleys, wenn sie über ihren „Propheten“ sprechen. Er sei kein Popstar mit religiösem Hintergrund, sondern ein religiöser Musiker, der er es geschafft hat in der Welt der Popmusik Erfolg zu haben.

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Sie merken sicher, dass ich bewusst nicht das Wort „christlich“ verwende. Obwohl die Religion der Rastafaris auf dem Christentum basiert, ist sie doch eine vollkommen eigene Weltanschauung. Sie besagt, dass Jesus Christus bereits auf Erden zurückgekehrt ist, und sie nicht mehr auf ihren Erlöser warten. Dieser Messias sei Haile Selassie I. (1892 – 1972), König von Äthiopien. Als dieser äthiopische König davon erfahren hat, dass die Einwohner Jamaikas ihn teilweise als Gott verehren, zeigte er sich sehr bewegt und bat den äthiopisch-orthodoxen Erzbischof Abuna Yasehaq doch nach Jamaika zu reisen, um die Rastafaris zu überzeugen, dass er doch kein Gott sei, und sie lieber Christus anbeten sollten. Dieser äthiopische Erzbischof hat in seiner Zeit in Jamaika eine enge Freundschaft zu Bob Marley entwickelt, und ihn, Monate vor Marleys Tod, 1981 als orthodoxen Christen getauft. Für viele Jamaikaner ist das Konvertieren zum Christentum eine schwere Sünde. Marleys Mitbürger waren verständlicherweise teils auch ziemlich empört von diesem Schritt. Aber er stand zu seiner Entscheidung. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, wird auch deutlich, dass Bob Marley im „Redemption Song“ auf der Suche ist. Auf der Suche nach tieferem Sinn kurz vor seinem Lebensende. Ein orthodoxer Priester hat später auch davon berichtet, wie bewegt, von Tränen gerührt, Bob Marley beim Gottesdienst in diesen letzten Lebensmonaten gewesen sei. Eine enge Freundin berichtet sogar, dass er am Sterbebett die Hand ausgestreckt habe, mit den Worten „Jesus, nimm mich zu dir.“ Am 11. Mai 1981 hat ihm Christus diesen Wunsch erfüllt und ihn in Frieden entschlafen lassen.

Sex, Gott und Verzweiflung titel : 

Hallelujah – Leonard Cohen album :  Various Positions (1984)

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ach christlich-jüdischer Tradition ist ein Halleluja ein Jubelgesang. Das Wort setzt sich zusammen aus „Hallelu“, der hebräischen Aufforderung lobet, preiset oder feiert, und „Jah“, der Kurzform des Namens ­„Jehova“, der Bezeichnung für Gott im Alten Testament. Das Halleluja von Leonard Cohen ist eines meiner absoluten Lieblingslieder. Begegnet ist es mir zuerst in der Version von Jeff Buckley, der das Lied für sein Album „Grace“ 1994 als Cover aufgenommen hat. Ich behaupte mal, durch seine Version, und die von Rufus Weinwright, ist das Lied erst zum Welthit geworden. Jeffs herzzerreißende Version beginnt erst mal mit einem tiefen Seufzer. Es folgen ein paar einzelne Noten auf der E-Gitarre, die sich zu einer Melodie ausbauen. Dann setzt die Stimme ein. Zart, hoch, brüchig – und verletzt. Und das macht dieses Lied aus. Es ist nicht wie im Gottesdienst ein simpler Jubelruf, es ist ein „kaltes und gebrochenes Halleluja“. Erfüllt von Leid und Herzschmerz. „Es ist besser geliebt und verloren zu haben, als nie geliebt zu haben“, besagt ein Sprichwort, und das trifft genau den Kern dieses Liedes. Es geht um eine verlorene Liebe. Anstelle aber in Elend und Selbstmitleid zu versinken, lobt der Protagonist immer noch Gott („Hellelu Jah“) und dankt für die Erfahrung, die er gemacht hat. Das tut er auch mit vielen, sehr vielen biblischen Bildern. In der ersten Strophe

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geht das schon los: „Ich habe eine geheimnisvolle Melodie gehört, König David hat sie gespielt, und sie hat dem Herrn gefallen. Aber du bist nicht wirklich musikalisch, oder? Sie geht so: Vierter Schritt, fünfter, Moll, Dur – so hat König ­David das Halleluja komponiert.“ In der Bibel wird tatsächlich davon gesprochen, dass König David von Gott Musik erhalten hat, Akkordfolgen, eine Abfolge, die sich auch in sehr vielen modernen Popsongs findet, von Journey’s „Don’t stop ­believin’“ über „Let it be“ von den Beatles zu „Call me, maybe“ von Carly Rae Jepsen oder „Wake me up“ von Aloe Blacc. Und natürlich auch im klassischen Halleluja im Gottesdienst. Das Lied wird in der Messe vor und nach Verlesung des Evangeliums gesungen, in dem Jesus Christus gegenwärtig ist (Die Ausnahme bildet die Fastenzeit. Hier gibt es für die Kirche nichts zu feiern.). Die Melodie wird vom Vorsänger vorgetragen und von der Gemeinde wiederholt. Leonard Cohens Lied folgt genau dem gleichen Schema. Obwohl sich das Lied mit einer verflossenen Liebe befasst, bezieht Cohen den Text nicht nur auf seine eigenen Erfahrungen, er erzählt die Geschichten verschiedener Frauen aus der Bibel. „Your faith was strong, but you needed proof. You saw her bathing on the roof. Her beauty in the moonlight overthrew ya“, zu Deutsch: „Dein Glaube war zwar stark, aber dir verlangte es nach Zeichen. Da sahst du sie baden, auf dem Dach, und ihre Schönheit im Mondeslicht hat dich umgehauen.“ Hier wird die Geschichte von König David und ­Bathseba erzählt. Beim Bad im Mondschein hat er sie gesehen, sich verliebt, und die beiden hatten Sex. Das obwohl Bathseba verheiratet war. Sie wurde schwanger. König David bot ihrem Mann an, dass er Davids Kind als seines erziehen könne. Dieser lehnte ab. David ließ ihn umbringen

und nahm Bathseba zur Frau. Wem die Geschichte als Beweis für die Blutrünstigkeit des Alten Testaments gilt, dem sei gesagt: Direkt der nächste Text in der Bibel ist eine Verurteilung der Taten Davids, die auch Konsequenzen mit sich bringt: Das uneheliche Kind verstirbt. David und Bathseba haben allerdings noch einen zweiten Sohn, der heranwachsen wird zum biblischen König Salomo. Leonard Cohen nutzt die Geschichte in seinem Halleluja als Warnung und mahnendes Beispiel gegen den Ehebruch, ähnlich schon wie bei seinem früheren Hit „Suzanne“, in dem er sich zwar zu einer verheirateten Frau hingezogen fühlte, allerdings nie mit ihr verkehrte (Siehe dazu das entsprechende Kapitel über ­„Suzanne“). Weiter heißt es in „Hallelujah“: „She broke your throne and she cut your hair“, sie hat dir den Thron geraubt und dein Haar geschnitten. Die Zeile bezieht sich auf die bi­ blische Geschichte von Samson und Delila. Samson war ein gottgeweihter Richter, dem der Herr übermenschliche Kraft verliehen hat, diese würde er verlieren, wenn er ein Schneid­ instrument an sein Haar ließe. Verliebt hat sich Samson in Delila, der er dieses Geheimnis nicht anvertrauen wollte. Nach mehreren falschen Erklärungen für seine Stärke und ihrem Vorwurf, er würde ihr nicht vertrauen, erklärte er ihr, dass in seinem Haar die Kraft liegt. Delila hat dies seinen Feinden verraten, die des Nachts sein Haar abschnitten und seinen Thron einnahmen. Es geht also hier um Vertrauen und Betrug. Delila wurde damit zur Symbolfigur für den Betrug durch die Frau in Kunst und Kultur. Diese Geschichte liefert auch den Ausgangspunkt für mehrere Popsongs, hier wird sie oftmals so weitererzählt, dass Samson Delila aus Rache das Leben nimmt. Tom Jones singt zum Beispiel in „Delilah“ (der Titel liegt auf der Hand) davon, dass er von seiner Geliebten betrogen wird. Als er

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sie zur Rede stellt, lacht sie ihn nur aus. Als er das Messer aus der Tasche holt, hört er auf einmal kein Gelächter mehr („She stood there laughing. I felt the knive in my hand, then she laughed no more“). Die tote Geliebte bittet er um Vergebung, bevor ihn die Polizei abholt. Ähnlich sieht’s aus bei Johnny Cash, der vielleicht aus Personenschutzgründen den Namen von Delila zu Delia ändert. In „Delia’s gone“ geht es allerdings ein wenig detailreicher zu. Delia betrügt Mr. Cash von vorne bis hinten, bis er sich entschließt sie zu erschießen. Der erste Schuss trifft sie in die Seite, aber er kann sie nicht leiden sehen, deshalb stirbt sie mit dem zweiten. „First time I shot her, I shot her in the side, hard to watch her suffer, but with the second shot she died.“ Trotzdem wird er in seinen Träumen von ihr heimgesucht. Er endet mit dem Rat: „Wenn du auch so ein teuflisches Weib hast, dann lass sie einfach laufen, oder mach das, was ich mit Delia gemacht hab.“ Der Ratschlag von Leonard Cohen ist da schon etwas friedfertiger. Auch für diese Erfahrung sollte man dankbar sein, Preiset den Herrn, Halleluja. Leonard ist dabei auch einer der Künstler, der es schafft Sex, Leidenschaft und Erotik mit solchen Worten zu verkleiden, dass sie auch schon fast nach einem Gebet klingen: „Remenber when I moved in you, and the holy Dove was moving, too, and every breath we drew was Hallelujah“, erinnere dich, wie ich in dich eingedrungen bin, so wie der Heilige Geist es tat, und jeder unserer Atemzüge zum Lob Gottes wurde. Genauer gesagt wird hier nicht der Heilige Geist, sondern die „Heilige Taube“ besungen, die in der Kunst oftmals ein Symbol für den Geist in der Dreifaltigkeit Gottes ist. Sprich: Leonard Cohen ist vom Sex mit der Dame so sehr bewegt, dass er ihn mit der Empfängnis Jesu Christi durch den Heiligen Geist vergleicht, und ihm nichts mehr einfällt, als das Halleluja aus-

zurufen. Zugegebenermaßen harter Tobak. Solche Zeilen fallen einem auch nicht von heute auf morgen ein. Fünf Jahre hat Leonard Cohen am Text von „Hallelujah“ gearbeitet, bis er ihn 1984 veröffentlicht hat. Dabei sei ihm aufgefallen, sagt er, dass all diese Geschichten von Liebe und Leid in der Bibel zwar ziemlich unterschiedlich seien, sie aber alle eine Gemeinsamkeit aufweisen: Das Halleluja, die Dankbarkeit für das Erlebnis, ob positiv oder negativ. Interessanterweise hat es dieses Lied, mit nicht allzu frommen Texten, in den vergangenen Jahren wieder zurück zu seinem Ausgangspunkt geschafft: In die Kirchen. Das ist auch ganz einfach möglich, da ja, wie gesagt, das Lied im klassischen Ruf-Antwort-Schema geschrieben ist, also auch in die Messen und Gottesdienste passt. Gerade in Amerika ist das fast schon zu einem Trend geworden. Die mormonische Familien-Christ-Pop-Band „The Osmonds“ hat sogar im Jahr 2015 eine komplett umgetextete, christliche Version auf ihrem Weihnachtsalbum „Merry Christmas“ veröffentlicht (definitiv hörenswert). Sie beziehen den Text hier komplett auf Christus: „I heard about this baby boy, who ­comes to earth to bring us joy, and I just want to sing my song to ya.“ So wird die Lebensgeschichte Jesu von der Krippe bis zum Kreuz nacherzählt. Für Mormonen-Musik klingt das Ganze sogar ziemlich modern und eingängig und wenig anbiedernd. Kann aber auch sehr gut an Cohens Ausgangskomposition liegen. Ein Lied möchte ich hier noch erwähnen, das zwar kein Cover, aber definitiv inspiriert ist von Leonard Cohens „Hallelujah“: Dafür müssen wir aber noch mal einsteigen in die Tiefen des Kölsch-Rocks und der Karnevalsmusik. Die Band „Brings“ ist eine der drei oder vier großen Namen in der Kölner Musikszene, die hauptsächlich rund um Karneval aktiv wird. Zum Karneval gehört in Köln auch immer ein

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gewisses Maß an Melancholie, dazu passt perfekt das Lied „Halle­luja“ von Brings. Obwohl es eine andere Melodie als Cohens Lied hat, nutzt es die gleiche Struktur. Frage und Antwort. Sänger Peter Brings hat bei uns im domradio-­ Interview auch malzugegeben, dass er eine Kölsche Version vom ­Cohen-Song schreiben wollte. Der Text macht das auch mehr als offensichtlich. Auf Hochdeutsch übersetzt beginnt das Lied mit den Worten: „Ich hab’ gehört, es gibt ein Lied, das jeder kennt, und jeder singt, auch wenn du mit Musik nix am Hut hast. Egal ob du am Fliegen bist, oder genug hast von all dem Mist. Nimm dir ein Herz und sing’ Halleluja.“ Nah dran an „I’ve heard there was a secret chord (…), but you dont really care for music, do you?“ Ähnlich wie auch bei den Mormonen in den USA hat sich bei uns in Köln die letzten Jahre die schöne Tradition entwickelt, auch dieses Halleluja zurück in die Kirche zu bringen. Rund um die Karnevalstage wird im Kölner Dom beim Gottesdienst gerne mal kein Halleluja aus dem Gotteslob angestimmt, sondern die Melodie von Brings. Halleluja!

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Ein Pop-Gebet titel : 

Kyrie – Mr. Mister album :  Welcome to the real World (1985)

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as singt der da eigentlich?“ Eine Frage, die bei Popsongs häufig auftaucht. Ob es die vernuschelte Aussprache vieler Künstler ist, oder die Begleitung der Instrumente, viele Lieder bieten sich regelrecht an für legendäre „Verhörer“. So wird aus „I’ve got the Power“ schnell mal „Agathe Bauer“ oder aus „All my feelings grow“ „Oma fiel ins Klo“. Im Jahr 1985 gab es auch große Verwirrung bei dieser Single der Band Mr. Mister. „Was singt der da?“ „Carry a laser down the road that I must travel“, oder „carry a raisin“? Der Sänger muss weder eine Lampe noch Rosinen die Straße runter tragen, die Titelzeile dieses Liedes zitiert das griechische „Kyrie eleison“, „Herr, erbarme dich“, ein wichtiger Teil des Gottesdienstes in der westlichen wie auch in der orthodoxen Kirche. Entstanden ist diese Anbetungsform im antiken Griechenland. Noch bevor es also zum christlichen Gebet wurde, wurden bereits andere Götter mit dem Kyrie angerufen. Auch der römische Kaiser wurde mit dem „Herr, erbarme dich“ begrüßt. „Kyrios“ ist der Herr, oder Herrscher, der mit der Vokativ-Form „Kyrie“ direkt angesprochen wird. Im Christentum wurde das Kyrie zuerst von den orthodoxen Christen übernommen, bis es dann den Weg zur katholischen und in der Folge auch den reformierten Kirchen gefunden hat. Im Gottesdienst steht es im Zusammenhang mit dem

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Schuldbekenntnis und wird in der dreigliedrigen Form „Kyrie eleison – Christe eleison – Kyrie eleison“ verwendet. „Herr, erbarme dich – Christus, erbarme dich – Herr, erbarme dich“. Wie findet aber solch ein Ausruf, ein Gebet, seinen Weg in die Popmusik? Dahinter stecken Richard Page und ­Steve George, Sänger und Gitarrist von Mr. Mister und deren Texter John Lang. Lang hatte schon länger vor, ein Lied mit ­einer christlichen Botschaft zu schreiben. Page und George waren davon nicht so begeistert, solche Glaubensausrufe würden in der Popmusik nicht besonders gut ankommen, hieß es. Nachdem Page und George bereits die Melodie zu diesem Lied verfasst hatten, hat Lang einfach mal die Worte „Kyrie eleison“ drauf gelegt. Nach Aussagen der Band hat das dann vom Klang so gut gepasst, dass sie eben das ganze Lied zu solch einem Bekenntnis gemacht haben. „Ich finde Kraft in der Stille und der Meditation,“ sagt der Sänger Richard Page, „Das Lied kann man eigentlich auch als Gebet betrachten“. Den meisten Fans, auch den Menschen, die das Lied zufällig im Radio oder in der Disco hörten, wird das wohl kaum bewusst gewesen sein. Im Text geht es darum, dass Gott einen im Leben begleitet und auch in den schweren Zeiten zur Seite steht. „Der Wind weht über die Berge und Seen direkt in meine Seele, dahin, wo ich mich nicht verstecken kann. Er setzt meine Füße auf die Straße und ich gehe meinen Weg. Herr, begleite mich auf diesem Weg, dem ich folge.“ Der Wind kann dabei durchaus als Symbol für den Heiligen Geist angesehen werden. Ein Bild, das in der Kunst häufig verwendet wird. Dieser Wind zeigt dem Sänger im Lied den Weg. „Durch die Dunkelheit der Nacht wirst du mir folgen, und durch das helle Licht des Tages.“ Dabei ist das „Kyrie“ hier eher als allgemeiner Ausruf des Glaubens zu verstehen, es geht mehr darum, dass Gott bei

uns ist, als dass wir auf allen Wegen immer wieder und konstant um Erbarmen bitten und unsere Schuld bekennen müssen. Das merkt man auch an der Musik. Mr. Misters ­Kyrie ist keinesfalls ein getragenes Lied, sondern ein perfektes Beispiel für den 3-Minuten-Popsong in Dur, der bei mir ein wohliges Gefühl hinterlässt, wann immer er im Radio läuft. Vielleicht auch weil ich merke, der Mensch im Radio macht sich genau so Gedanken über Gott und Glauben wie ich.

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Der Himmel auf Erden, nicht nur sprichwörtlich titel : 

Heaven is a Place on Earth – Belinda Carlisle Heaven on Earth (1987)

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in bisschen Disco gehört zum Leben dazu. Deshalb findet auch Disco-Queen Belinda Carlisle hier ihren Platz. Anfang der 80er (halbwegs) bekannt geworden, durch die Girl-Group Go-Go’s in Kalifornien, hat man bei uns in Europa erst durch ihre Solo-Karriere etwas von ihr gehört. „Heaven is a Place on Earth“ ist dabei definitiv ihr größter Hit, bekannt sind aber auch „Circle in the Sand“, „La Luna“ oder „Leave a Light on“. Schaut man in die Texte dieser Songs, dann bekommt man nicht den Eindruck einer philosophischen Abhandlung, sondern eher eines Oberstufen-Poesiealbums: „Ein Kreis im Sand, rund rund, so wie der Mond aufgeht und die Sonne unter, machst du mein Herz komplett, die ewige Liebe haben wir gefunden.“ Heißt es in „Circle in the Sand“. Da überrascht es auch nicht, dass die Sängerin hinter „Heaven is a Place on Earth“ keinen all zu tiefen Sinn zu sehen scheint: „Ich glaube, es bedeutet, dass jeder von uns sein eigenes Stückchen Himmel abstecken kann. Ein Lied über inneren Frieden, und auch zum Teil ein Liebeslied.“ Da sie das Lied allerdings nicht selbst geschrieben hat, sollte man vielleicht die Autoren Rick Nowels und Ellen Shipley fragen, was dahinter steckt. Nach ihrer Aussage haben sie einfach sprachliche Bilder gebrainstormt, sind

auf „Heaven on Earth“ gekommen, fanden aber „Heaven is a Place on Earth“ habe eine bessere sprachliche Rhythmik und würde irgendwie gut zu Belinda Carlisle passen. Ist der Himmel im Lied also nur ein sprachliches Bild? Ein Sinnbild für Liebe und Seelenfrieden? Vielleicht. Schauen wir mal in ein anderes Werk, wo es um Liebe und Frieden geht, in die Bibel. Das 16. Kapitel des Johannes-Evangeliums sagt uns: „Der Himmel ist die Liebe, wie er, so sind auch wir in dieser Welt. Furcht gibt es in der Liebe nicht, sondern die vollkommene Liebe vertreibt die Furcht.“ Belinda Carlisle singt: „Früher hatte ich Furcht, nun fürchte ich mich nicht mehr. Weißt du was das wert ist? Der Himmel ist bei uns auf Erden, im Himmel ist die Liebe vollkommen.“ Ich gebe zu, ich habe im Bibeltext gerade das Wort „Gott“ mit „Himmel“ ersetzt, aber erstaunlich ist es schon, dass die Botschaft dieses Disco-Hits so nah an der des Evangeliums steht. Es geht um die Liebe, Gott ist die Liebe, sagt das Johannes-Evangelium. Aber welche Rolle spielt dabei der Himmel? Genau wie die Hölle bei AC/DC oder den Rolling Stones (siehe die Kapitel zu „Highway to Hell“ und „Sympathy for the Devil“), ist auch der Himmel in der Popmusik ein oft genutztes Bild. „Wenn du in meinen Armen liegst, bin ich im Himmel“, singt Bryan Adams in „Heaven“. Queen singen: „Wenn wir Liebe zu unseren Söhnen und Töchtern bringen, dann ist das der Himmel für uns alle“ in „Heaven for everyone“, U2 beschreiben den Himmel in „Where the Streets have no Name“, Eric Clapton fragt, ob ihn sein verstorbener Sohn wiedererkennen würde, wenn die Zwei sich im Himmel wieder sehen (siehe Kapitel zu „Tears in Heaven“). Es ist die Sehnsucht nach dem Vollkommenen, die in all diesen Liedern ihren Ausdruck findet. Entweder wird davon gesprochen, dass im Himmel all das erfüllt werden wird, das

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wir hier auf Erden nicht haben, oder es geht um den perfekten Moment, z.B. der Liebe, der quasi gleichzusetzen ist mit dem Himmel – auf Erden. Das ist übrigens ein Konzept, das auch der Religion nicht fremd ist. Wenn wir auf Erden einen Eindruck vom Himmel gewinnen wollen, dann sollen wir an die paar Momente im Leben denken, die einfach perfekt waren, sagt der Kölner Pfarrer Gerhard Dane. Die erste Liebe, der gewonnene Wettbewerb, die Hochzeit, die Geburt des eigenen Kindes. Diese Momente der vollkommenen Glückseligkeit bringen einen ersten Eindruck vom Himmel, schon jetzt greifbar auf Erden. So schmalzig Lieder wie ­„Heaven is a Place on Earth“ also manchmal daherkommen, ihre Botschaft entspricht eins zu eins der der Kirche. Wenn man übrigens einen zweiten Blick auf Belinda ­Carlisles Liedtext wirft, dann findet man noch mehr Zeilen, die darauf hindeuten, dass es in diesem Lied vielleicht doch um mehr geht als die Liebe und den Seelenfrieden. „Wenn du mich nah an dich ran ziehst, wir tanzen, und die Sterne über uns funkeln“, ist in der Deutung relativ einfach: Ein Liebeslied. Aber was ist mit so Zeilen wie: „Wenn ich mich verlassen fühle, verlangt es mir nach dir, und du zeigst mir den Weg. Auf stürmischer See höre ich deine Stimme, und sie trägt mich.“ Oder noch deutlicher: „Das Wunder des Lebens fangen wir erst an zu verstehen. Zuvor hatte ich Furcht, nun fürchte ich mich nicht mehr.“ Zeilen, die nicht allzu häufig in klassischen Liebesliedern zu hören sind. Belinda Carlisle hat mit ihrem größten Hit also vielleicht doch mehr gesagt, als ihr bewusst war. Mit ihren Liedern geht sie heute übrigens immer noch auf Tour. 2016 ist sie in die Schlagzeilen gekommen durch einen öffentlichen Streit mit dem Gouverneur des US-Bundesstaates Mississippi. Dieser hatte ein Gesetz eingeführt, das Arbeitgeber davon befreit hat, schwule oder lesbische

Mitarbeiter gleichberechtigt zu behandeln. Carlisle hat angedroht ein Konzert in Mississippi wegen des neuen Gesetzes abzusagen: „Vor 30 Jahren habe ich ein Lied namens „Heaven is a Place on Earth“ veröffentlicht, ich war und bin stolz auf die Botschaft dieses Liedes. Sie, Herr Gouverneur, machen die Erde für viele Menschen zur Hölle, denn es gibt nichts weniger christliches, als andere Menschen durch ein Gesetz zu verfolgen.“

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Eine „erweiterte katholische Metapher“ titel : 

Mary’s Prayer – Danny Wilson Meet Danny Wilson (1987)

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ls der Musik-Kritiker Colin Larkin dieses Lied 1988 als eine „erweiterte katholische Metapher“ bezeichnet hat, hat er eigentlich alles gesagt, was man über darüber wissen muss und sagen kann. Es ist ein Lied über Maria, und irgendwie auch nicht. Aber von vorne: Der Name hinter dem Lied heißt Danny Wilson, und Danny Wilson gibt es nicht. Die drei Clark-­ Brüder aus Schottland haben Mitte der 80er ihre Band so benannt, nach einer von Frank Sinatra gespielten Filmfigur (aus dem Film „Meet Danny Wilson“). Songschreiber Gary Clark hat keine allzu hohe Meinung von diesem Lied. Sie hätten schon bessere Lieder geschrieben und gespielt, selbst auf dem Album seien bessere Stücke. Mary’s Prayer ist aber das Lied, das zum Radio-Hit wurde. Die Band vermutet, weil das Lied so zugänglich und eingängig ist. Worum geht’s? Es geht um eine verflossene Liebe. Die geliebte Mary, oder Maria, hat jetzt einen anderen, einen Milliardär sogar. Danny Wilson blicken zurück auf die gemeinsame Zeit mit Mary, tun dies aber ohne Groll. „Alles war so wundervoll, bis der Donner kam und der Regen fiel, und die Mary, die ich kannte, auf einmal verschwunden war.“ Zeilen, die man in jedem zweiten Song im Radio erwartet.

Im Refrain wird die Geliebte, die mehr oder weniger zufällig Maria heißt, regelrecht angebetet. „Rette mich, sei das Licht in meinen Augen. Wenn ich zehnmal das ‚Ave Maria’ spreche, lässt du dann ein Licht im Himmel an?“ Obwohl die kirchlichen, mit Maria katholischen, Untertöne des Liedes kaum zu überhören sind, streitet Komponist Gary Clark vehement ab, dass dies ein religiöses Lied ist. „Der Song ist ein einfaches Liebeslied, es hat zwar viel katholische Symbolik in sich, aber es ist kein religiöses Lied.“ Die Symbolik geht dabei weit über den Refrain hinaus. Singen Danny Wilson vom „Neuen“ der Geliebten Mary, wird das in Form von Fürbitten gemacht, zumindest würde der Theologe das wohl so bezeichnen. „Gesegnet sei der, der jetzt deine Stärke und Schönheit mit dir teilt. Gesegnet sei der Milliardär, der deinen Hochzeitstag mit dir teilt.“ Man könnte jetzt die Bedeutung des Liedes weiter spinnen und sagen, dass das ganze Lied ein Gebet an die Mutter Gottes ist, und darum bittet dem Sänger Kraft zu geben („Save me, save me!“) das Leben ohne seine Geliebte Mary zu bestehen. Dabei ist es sicher kein Zufall, dass a) die Geliebte Maria heißt, und b) das Lied den Titel Mary’s Prayer trägt. Es werden also zwei Marias gleichzeitig besungen, die auf der Erde und die im Himmel. Insofern sind die Worte „eine erweiterte katholische Metapher“ schon ziemlich zutreffend. Allerdings würden die drei Clark-Brüder da sicher widersprechen: „Das hat nichts mit Religion zu tun!“ 87

Was ist die Sünde? titel : 

It’s a Sin – Pet Shop Boys album :  Actually (1987)

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atholisch sein ist nicht immer einfach. Gerade für den Außenstehenden wirken viele Gottesdienste und Rituale sicher teilweise ziemlich skurril und befremdlich. Menschen, die auf Knien beteuern, wie unwürdig sie sind, und welche Sünder sie sind. Da liegt die Vermutung nahe, dass solche Rituale den Menschen klein halten und ihm die Würde nehmen sollen. Wenn man schon von Grund auf Probleme mit diesen Ideen und mit dem Konzept der Demut hat, dann macht eine katholische Schulbildung das sicher alles nicht besser. Genau so ging es Neil Tennant, Stimme und die Hälfte des Symthie-PopDuos „Pet Shop Boys“. Aufgewachsen ist er in Newcastle im Norden Englands und hat dort die katholische St. Cuthbert High School besucht. Eine Schule, an der ihm nicht viel Verständnis und Nächstenliebe entgegengebracht wurde, sondern jede seiner Lebensentscheidungen in Frage gestellt wurde. Eine Zeit, die ihn geprägt hat. So sehr, dass er sie in den 80ern in diesem Lied verewigt hat. „Alles was ich tue, je getan habe oder tun werde ist eine Sünde.“ Tennant beschreibt, dass nach seinem Gefühl alles, was im Leben Freude oder Spaß bringt, verboten wurde. Obwohl er als Heranwachsender versucht hat, sich an die Regeln der Kirche zu halten, hat das nie so ganz geklappt. Was ihm nicht nur als Jugendlichen, sondern auch im Erwachsenenalter

tief geprägt hat. Die erste Demoversion für das Lied hat er 1984 geschrieben, den Text dabei in 15 Minuten verfasst. „Das musste einfach raus“, sagt er. Im Gegensatz zu anderen Liedern über Tod, Hölle oder Sünde, fällt aber bei „It’s a Sin“ auf, dass Tennant hier aus eigener Erfahrung spricht. „In Gedanken, Worten und Werken wollten sie mich erziehen, das hat nicht ganz geklappt.“ Worte, die dem Schuldbekenntnis der katholischen Kirche entnommen sind, das entweder in gesprochener Form oder als gesungenes Kyrie (siehe das Kapitel zu „Kyrie“ von Mr. Mister) in jedem Sonntagsgottesdienst seinen Platz hat. Tennant ist in einer Zeit aufgewachsen, als der lateinische Ritus noch üblich war, deshalb zitiert er zum Ende des Liedes auch das Kyrie in seiner lateinischen Form als gesprochenen Text. Aber ist das wirklich so? Ist der Mensch von Grund auf schlecht und durch die Sünde geprägt – nach kirchli­ cher Überzeugung? Jein. Ja, aber Sünde hat in der Kirche nicht die Bedeutung, die man allgemein vermuten würde. ­„Sünde heißt Trennung von Gott.“ Erklärt der Kölner Priester Gerhard Dane. „Eine Abwendung vom ‚du’ und eine Hinwendung zum  ‚ich’.“ Schon im Paradies habe sich der Mensch vom „du“ Gottes abgewandt und dem „ich“ zugewandt, und wurde deshalb aus dem Garten Eden verstoßen. Wichtig sei es dabei aber immer eines zu bedenken: „Gott hasst zwar die Sünde, aber er liebt den Sünder.“ Wenn also in Gottesdiensten, oder in der katholischen Schule von Newcastle, diese Worte dazu genutzt werden den Menschen klein zu halten, und ihm seine gottgegebene Würde zu nehmen, dann ist das nicht die Idee des ursprünglichen Textes. Sünde heißt Trennung und beschreibt nicht unbedingt eine verbotene Handlung, so wie es Neil Tennant hier auffasst. Hätte ihm vielleicht die Schule etwas besser beibringen müssen.

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Ein Liebeslied an einen Menschen, die Schöpfung und Gott titel : 

Have I told you lately – Van Morrison Avalon Sunset (1989)

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ch bin großer Fan der US-Comedyserie „South Park“. Vier unflätige Neunjährige im Zeichen­ trickformat, die die Welt der Erwachsenen nie so ganz verstehen. Perfektes Spielfeld für jede Art von Satire und Kommentar. In einer der frühen Staffeln wollen die Jungs eine christliche Rockband gründen, um eine goldene Schallplatte zu gewinnen. Christen kaufen eh alles, wo Jesus  drauf steht. Der Plan: Klassische Liebeslieder nehmen und einfach das Wort „Baby“ durch „Jesus“ ersetzen. Das Ganze führt zu Zeilen wie „Jesus, ich will dich tief in mir spüren“ und „Lass uns noch mal drüber schlafen, Jesus.“ Was folgt ist viel Verwirrung und Zweideutigkeit. Der Gedanke dahinter ist aber klar: Religiöse Popmusik ist so langweilig und einfallslos, dass man sie von 08/15-Liebesliedern im Radio kaum unterscheiden kann. Viel Schmalz, wenig Inhalt. Die Fans merken eh nicht, worum es in dem Lied geht, so lange Jesus vorkommt. Und da ist auch vielleicht was dran. Wer hätte nämlich erwartet, dass eines der Lieder, das gefühlt auf jeder Kuschelrock-CD drauf war, eigentlich ein Liebeslied über und an Gott ist? „Have I told you lately“ kennt man wohl am ehesten in der Version von Rod Stewart. Eigentlich hat er den Song aber

nur gecovert, 1993 bei einem „MTV Unplugged“-Konzert. Das Original kommt vom nordirischen Singer-Songwriter Van Morrison, aus dem Album „Avalon Sunset“ von 1989. Ein Lied, das, nach den Worten des britischen Musikjournalisten Brian Hinton, gleichzeitig an den Menschen, wie auch an Gott gerichtet ist, und von einem zum anderem übergeht. Er bezeichnet den Song als eines der besten Liebeslieder des Jahrhunderts, „das mich vollkommen erschüttert hat beim ersten Hören. Die Worte wirken gleichzeitig wie etwas noch nie gesagtes, und etwas schon immer da gewesenes. Die irdische Liebe geht über in die Liebe zu Gott.“ Van Morrison wählt poetische Worte um das auszudrücken: „There’s a love, that’s divine, and it’s yours and it’s mine.“ Die Liebe ist göttlich, aber geschaffen für dich und für mich. Am Ende des Tages sollten wir Dank sagen, und den einen Herrn dafür anbeten, singt er weiter. Spiritualität spielt dabei eine große Rolle für Van Morrison. Bekannt geworden in den frühen Siebzigern („Brown Eyed Girl“), haben die Hippies versucht ihn für sich zu vereinnahmen. Van Morrison hat sich nichts daraus gemacht. Überhaupt scheint er sich wenig Gedanken zu machen über sein öffentliches Bild. Den Ruhm als Musiker bezeichnet er als „Last“ und „Prüfung“, da er dazu führt, dass die Künstler sich mehr mit ihrem Image als mit ihrer Musik befassen. Über 30 Alben hat er bis heute veröffentlicht, die wenigsten davon sind dem großen Publikum bekannt. Morrison macht Musik für sich selbst, in diesem Sinne ist sein Schaffen eine Chronologie des Lebens eines jetzt über 70jährigen Musikers aus Belfast. Die Momente der Freude, des Leides und auch der Suche finden sich immer wieder irgendwo auf einem seiner Alben wieder. „Have I told you lately“ scheint da eher ein Moment der Freude zu sein. Seiner Geliebten und/oder seinem Schöpfer

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sagt er, dass er tiefe Liebe verspürt, Liebe und Dankbarkeit. Die Kunst dabei ist, den Sprung vom einen zum anderen zu schaffen, ohne dass es im Liedtext peinlich oder zu fromm rüberkommt. Morrison macht das gut. Ganz allgemein beginnt das Lied: „Habe ich dir in letzter Zeit gesagt, dass ich dich Liebe? Du füllst mein Herz mit Freude und nimmst mir die Traurigkeit.“ Schon in der ersten Strophe nach diesem Refrain geht’s aber nicht mehr nur um dieses Gefühl, sondern auch um die Schöpfung. „Die Morgensonne mit all ihrem Strahlen begrüßt den Tag, mit Hoffnung und Geborgenheit“. Schon geht es nicht mehr unbedingt nur um die Geliebte, sondern um die Dankbarkeit für die Schöpfung. Das macht er auch klar, mit der göttlichen Liebe, „Love that’s divine“ in der nächsten Zeile. So wird der Sinn für Liebe und für Dankbarkeit im Laufe des Liedes immer weiter gefasst. Von einem Menschen zur Schöpfung, zu Gott. Ob das allerdings von Van Morrison wirklich alles so gemeint ist, das bleibt in gewissem Sinne Spekulation. Er hat sich selber zur Bedeutung dieses Liedes nie geäußert, nur dazu, dass die Spiritualität für ihn eine sehr große Rolle spielt. Was sich in sehr vielen seiner Lieder ausdrückt. So ist „Have I told you lately“ auch nicht das einzige Lied auf dem Album „Avalon Sunset“, das sich mit dieser Thematik befasst. Deutlicher wird er in „When will I ever learn to live in God?“, wann werde ich je lernen in Gott zu leben? Darin beschreibt der die Suche und die Sehnsucht danach Gottes Werk zu verstehen: „Rufe ihn, und er wird da sein. All deine Sorgen kannst du mit ihm teilen. Eine höhere Macht, die dich jede Stunde begleitet.“ In diesem Kontext wird auch klar, dass die anderen Lieder des Albums zumindest zum Teil an Gott gerichtet sind. Dabei verwendet Van Morrison selbst lieber das Wort Spiritualität als Religion. „Religion würde ich nicht mit ei-

nem Drei-Meter-Stab berühren wollen. Religion kann alles bedeuten, Suppe oder Nüsse. In der Regel geht es aber um Organisationen. Meine Kirche oder deine Kirche. Während Spiritualität immer den einzelnen Menschen anspricht – das Individuum.“

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Madonna, Pepsi und der Vatikan titel : 

Like a Prayer – Madonna album :  Like a Prayer (1989)

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enn eine Selbsternannte „Queen of Pop“ den Namen der Mutter Gottes schon als Geburtsnamen trägt, dann kann es mit der Kontroverse nicht weit her sein. Wenn sie es in ihrer Karriere allerdings schafft, sowohl einen der größten Konzerne der Welt wie auch gleich drei Religionsgemeinschaften zu verärgern, dann verdient das zumindest Anerkennung für die Arbeit, die sie in ihr Image gesteckt hat. Es gibt wohl kaum einen Künstler, oder eine Künstlerin, die in modernen Zeiten solche Konflikte mit dem Papst und dem Vatikan hatte wie Madonna. Fast schon in regelmäßigen Abständen werden ihre Auftritte aus Rom her verurteilt, einmal wurde ihr sogar mit der Exkommunikation gedroht. Alles das, weil die Künstlerin seit je her weiß, wie man Autoritäten reizt und Grenzen austestet. Madonna weiß, wie man provoziert, und das hat noch nicht mal unbedingt zwingend etwas mit der Kirche zu tun. In „Papa don’t ­preach“ geht es um eine ungewollte Teenager-Schwangerschaft (obwohl „preach“ zu Deutsch „predigen“ heißt, ist das hier noch nicht wörtlich aufzufassen). In „Like a Virgin“ vermutet zumindest Hollywood-Regisseur Quentin Tarantino eine Metapher für Sex mit, nennen wir das mal, besonders gut ausgestatteten Partnern (siehe den Anfangsmonolog im Film „Reservoir Dogs“ – It’s about big dicks). Die größte

Kontroverse bietet aber bis heute „Like a Prayer“, ihr bis dato größter Hit aus dem Jahr 1989. Madonna hat von jeher mit Zweideutigkeiten und ihrem überaus sexualisierten Image gespielt. Wenn sie im Refrain von „Like a Prayer“ singt, dass sie in der Mitternachtsstunde auf den Knien die große Kraft spürt, dann ist es kein allzu großer Sprung von hier zur Fellatio und anderen ausgefalleneren Sexualpraktiken. Wäre es aber dabei geblieben, dann hätte es vermutlich nie den Skandal um das Lied gegeben, über den im Vatikan hinter vorgehaltener Hand vermutlich auch heute noch getuschelt wird. Angefangen hat es mit einem riesigen Marketing-Deal. Madonna will ihre neue Single veröffentlichen, und das dazugehörige Video. Tut das allerdings nicht, wie in den späten 80ern üblich, über den Musiksender MTV, sondern gemeinsam mit der Getränkefirma Pepsi. Pepsi produziert ein zwei-Minuten-Video zu dem Song, das während der Cosby-­ Show in den USA als ein langer Werbeclip ausgestrahlt wird. Der Hype ist groß. So groß, dass sogar Werbespots für die Ausstrahlung des Werbespots produziert werden. Das Video ist ein Riesenerfolg. Millionen Zuschauer in den USA sehen das Video und kaufen am nächsten Tag die Single. Relativ harmlos kommt das Pepsi-Video daher. Eine junge Madonna singt und tanzt auf der Straße. Erst am nächsten Tag wird die Vollversion des Musikvideos auf MTV gezeigt. Ein Clip, der mit dem Pepsi-Video nichts zu tun hat, und von einem ganz anderen Team produziert wurde. Die spärlich bekleidete Madonna sucht dabei eine (vermutlich katholische) Kirche auf. Sieht unter anderem eine Heiligenfigur, der Tränen aus den Augen fließen, die zum Leben erwacht und sich mit der Sängerin im heftigen Vorspiel auf dem Kirchenboden verliert (Randnotiz: Verschiedene Gruppen in den USA hatten weniger ein Problem mit

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der angedeuteten Blasphemie als mit der Tatsache, dass es ein schwarzer Mann ist, der eine weiße Frau küsst.). Kurz nach der Szene beginnen Madonnas Hände zu bluten, als Zeichen der Wundmale Christi. Zum Ende des Videos tanzt sie, mit noch weniger Kleidung, auf einem Hügel bei Nacht, vor mehreren brennenden Kreuzen. Der Aufschrei ist groß, nicht nur von Seiten der Kirchen. Pepsi kündigt sofort den Marketing-Vertrag mit der PopQueen und zieht sich aus dem Arrangement zurück, weil sie Einbußen bei den Verkäufen ihrer Getränke befürchten. Für Madonna und Ihr Image konnte allerdings nichts Besseres passieren. Die Menschen, die sich durch das Video negativ berührt fühlen, sind eh nicht ihr Zielpublikum. Die Alten, Religiösen und Konservativen haben nie ihre Platten gekauft. In den Augen der aufmüpfigen Jugend wurde sie in diesem Sinne noch populärer, als Sinnbild der Rebellion und der Auflehnung gegen das (religiöse) Establishment. Anders sah die Reaktion von religiösen Verbänden und Gemeinschaften aus, die nicht nur zum Boykott der Künstlerin, sondern auch zum Boykott von Pepsi aufriefen. Der Vatikan verurteilte das Lied und insbesondere das Video als Blasphemie. Insbesondere, weil das Symbol des Kreuzes entwürdigt worden sei. Selbst Papst Johannes Paul II. persönlich rief Madonnas katholische Fans auf, die Single zu boykottieren. Eine katholische Interessengemeinschaft in Italien konnte den staatlichen Fernsehsender RAI auch davon zu überzeugen, das Video in Italien gar nicht erst auszustrahlen. Selbst der Chor, der auf der Aufnahme im Hintergrund zu hören ist, hat sich damals von Madonna distanziert. Der Andrae Crouch Gospel Choir ist zwar auf der Platte zu hören, hat sich aber geweigert im Video aufzutreten. Ob diese Provokation Madonnas tiefe, innere Überzeugung war, oder mehr der rebellischen Imagepflege zu Gute

kam, lässt sich schwer beantworten. Auf alle Fälle hatte sie mit dem Skandal ein Mittel gefunden, um sich weiter zu profilieren. Seit „Like a Prayer“ und bis zu ihren aktuellsten Platten gehört die religiöse Provokation zum Standard­repertoire der Künstlerin. Ihr Best of-Album in den frühen 90ern hat sie als „The immaculate Collection“, die unbefleckte Kollektion, veröffentlicht. Wer nun hofft, dass sich beide Seiten drei Jahrzehnte danach beruhigt hätten, der irrt. Im Jahr 2006 gab es den letzten großen Krach zwischen Madonna und dem Vatikan. Im Rahmen ihrer „Sticky and Sweet“ Tour ließ sie sich mit einer Dornenkrone an ein glitzerndes, silbernes Kreuz hängen. Wenn man einmal jemanden gefunden hat, der sich provozieren lässt, ist das natürlich ein gefundenes Fressen. Als sie mit der Tour in Rom angekommen war, gab es erneut Kritik von Seiten der Kardinäle. Kard. Ersilio Tonino sprach damals mit Autorisierung Benedikt XVI. davon, dass Madonna mit diesem blasphemischen Auftritt eine Grenze überschritten habe und eigentlich exkommuniziert werden müsste. Zuspruch für seine Empörung bekam er von unerwarteter Stelle. Die Verbände der Juden und Muslime in Italien bezeichneten den Auftritt als geschmacklos und respektlos. Madonna selbst antwortete bei ihrem nächsten Konzert in Rom, 2008, darauf und widmete den Song „Like a Prayer“ Papst Benedikt XVI.: „Weil auch ich ein Kind Gottes bin.“ Ein versöhnlicheres Verhältnis scheint Madonna zu Papst Franziskus zu pflegen. Im Oktober 2015 hat der Papst die USA und auch die Stadt Philadelphia besucht, in der gleichen Woche als auch Madonna in der Stadt einen Auftritt hatte. „Ich glaube, der verfolgt mich“, rief sie bei ihrem Konzert von der Bühne. Grund zur Aufregung für Papst und Vatikan gäbe es auch bei dieser Tour genug. Auf der Bühne wurde das letzte Abendmahl nachgebaut, in der Mitte ein

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großes Kreuz, das die Musikerin als Striptease-Stange nutzt und daran lasziv entlang gleitet. Vom Vatikan gibt es diesmal keine Reaktion. Ein paar Tage nach der Show spricht Madonna aber mit dem Musikmagazin „Rolling Stone“, und wird auch zu Franziskus befragt: „Ich glaube, mit diesem Papst könnte man sich bei einer Tasse Tee zusammensetzen und reden. Er hat einen offeneren Geist und akzeptiert anscheinend auch Menschen, die nicht so denken wie er. Vielleicht würde er auch über meine Witze lachen.“ Der Konflikt mit der katholischen Kirche ist Teil von Madonnas öffentlicher Persönlichkeit. Das heißt aber nicht, dass sie keinen Bezug zur Religion hat. Im gleichen Interview heißt es: „Ich bin katholisch aufgewachsen, egal welcher Glaubensgemeinschaft ich heute angehöre, fühle ich mich der Kirche immer verbunden.“ Madonna praktiziert heute den Glauben der jüdischen Kabbala-Sekte, obwohl selbst Vertreter der Religionsgemeinschaft abstreiten, dass die Künstlerin versteht, worum es in dieser Glaubensrichtung geht. Sie selbst scheint von diesem Weg überzeugt. Es waren wohl auch ihre religiösen Ansichten, die zur Scheidung von ihrem letzten Ehemann Guy Ritchie führten. „Auf dem Höhepunkt meiner Karriere hatte ich alles. Geld, Ruhm, Schönheit, ich war schwanger. Trotzdem habe ich mich gefragt: Soll das alles sein? Ich habe mich außerhalb meines Körpers gefühlt und gefragt, ‚gehörst du da rein’? Die Antwort hat mir die Kaballa geliefert.“ Auch wenn die Beziehung zu den Religionsgemeinschaften für Madonna schwierig bleibt. Einen der Konflikte, die durch „Like a Prayer“ entstanden sind, hat sie lösen können: Seit 2016 hat Madonna wieder einen Werbevertrag mit ­Pepsi.

Von Jesus und Elvis, von Glaube und Zweifel titel : 

Personal Jesus – Depeche Mode Violator (1989)

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er im Sommer 1989 in England Tages­ zeitungen gelesen hat, der hat eventuell eine etwas kryptische Kontaktanzeige überflogen: „Für deinen ganz persönlichen Jesus, rufe an! 020-874 …“ Wer der Aufforderung gefolgt ist, hat eine Tonband-Aufnahme des brandneuen Depeche-Mode-Songs „Personal Jesus“ ge­ hört.  Die ungewöhnliche Werbekampagne hatte Erfolg: ­„Personal Jesus“ wurde zur bis dato erfolgreichsten Single nicht nur der Band, sondern der gesamten Plattenfirma. Es ist ein ungewöhnliches Lied für die Synthie-Pop-Band. Denkt man an Hits wie „People are People“ oder „Enjoy the Silence“ hat man vor allem elektronische Klänge und einen tanzbaren Beat in den Ohren. „Personal Jesus“ ist anders. Das erste Lied der Band mit einem prominenten Gitarren-Riff, wenn es auch elektronisch verfremdet ist. Spiritualität spielt für die Band um Sänger Dave Gahan und Gitarrist Martin Gore eine große Rolle. Wenn der Titel „Personal Jesus“ eine Bezeugung des Glaubens vermuten ließe, ist der Inhalt allerdings ein anderer. „Wenn du dich einsam und alleine fühlst, nimm das Telefon in die Hand. Ich führe dich zum Glauben. Dein eigener, ganz persönlicher Jesus. Jemand, der deine Gebete erhört

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und für dich sorgt. Probier’ es aus! Wenn dir etwas auf dem Herzen liegt, beichte es mir! Ich rette dich, ich schenke Vergebung.“ Dass über Glauben und Erlösung gesungen wird, ist ja nicht selten, dass sich der Sänger aber selber in die Posi­tion des Erlösers versetzt, das ist schon eher ungewöhnlich. Popmusik soll die Menschen bewegen, sie sollen sich in ein Lied hineinfühlen können. Sich in die Schuhe von Jesus Christus zu versetzen scheint mir da keine wirklich erfolgversprechende Idee. Selbst Genesis, die die Erlösung per Fernsehen und Telefon angeboten haben, gehen nicht ganz so weit. Phil Collins singt nur davon, dass Jesus ihn kennt, nicht dass er Jesus ist (siehe Kapitel zu „Jesus He knows me“) „Personal Jesus“ ist dabei allerdings nicht ganz so blasphemisch aufzufassen, wie es im ersten Moment erscheinen mag. Es geht eigentlich um ein anderes Idol der Popkultur: Elvis Presley. Genauer gesagt um seine Frau Priscilla Presley. Die ungesunde Beziehung der beiden hat sie in ihrer Autobiographie „Elvis and me“ festgehalten. Darin beschreibt sie, dass sie (den damals schon bekannten Rockstar) Elvis in Bad Nauheim in Deutschland auf einer Party kennengelernt hat, als sie erst 14 Jahre alt war. Auf Elvis machte sie einen reiferen, selbstbewussten Eindruck. Die beiden gingen eine Beziehung ein. Eine Fernbeziehung, da Elvis kurz danach schon auf sein Anwesen Graceland in Memphis, Tennessee, zog. Mehrere Jahre hatten die beiden nur per Telefon Kontakt („Nimm das Telefon ab, ich führe dich zum Glauben“), bis Priscillas Eltern ihr den Umzug gestatteten, unter der Voraussetzung, dass sie und Elvis zu gegebener Zeit heiraten würden. Erst mal sollte Priscilla allerdings einen Schulabschluss machen, was sie dann auch in Memphis tat, auf einer katholischen Privatschule, der Immaculate Conception Cathedral High School. Bis zum Zeitpunkt

ihrer Hochzeit drehte sich für das junge Mädchen in ihrem Leben alles um Elvis. Er wurde ihr Lebensmittelpunkt, der ihr Sinn und Glauben schenkte. Und genau diese ungesunde Fixierung auf einen Menschen ist es, die Martin Gore von Depeche Mode in Priscillas Biographie so fasziniert hat, dass er ein Lied darüber schrieb. Elvis wurde so sehr zu ihrem Lebensinhalt, dass er auch ihr eigener, persönlicher Jesus hätte sein können. Das Besondere daran ist, dass das Lied eben nicht aus der Perspektive des verfallenen Mädchens gesungen wird, sondern vom persönlichen Jesus selbst: „I will deliver, you know I’m a forgiver“. Martin Gore sagt dazu in einem Interview: „Elvis war nicht nur ihr Mann, sondern ihr Mentor. Wie oft passiert sowas in Beziehungen, dass das Herz eines Menschen für dich regelrecht zum Gott wird. Das ist kein gesundes Lebensbild, oder?“ Jesus im Lied ist hier also mehr das Sinnbild für das hoffnungslose Verfallen in eine Idee, mehr noch als in einen Menschen. Trotzdem, Religion und Glaube sind Themen, die in der Musik von Depeche Mode eine Rolle spielen. Das Album nach „Violator“ trägt auch den passenden Titel „Songs of Faith and Devotion“, Lieder von Glaube und Verehrung. Und das ist nicht nur ein Titel, sondern wird wörtlich genommen. Man könnte es fast schon als Konzeptalbum über die Lichtund Schattenseiten des christlichen Glaubens bezeichnen. In „Condemnation“, Verdammnis, beschreibt die Band die Fehler eines jungen Mannes in der Liebe, und die Bitte um Vergebung: „Warum bin ich verdammt? Weil ich nur der Schönheit folge, das ist mein Verbrechen. Befreit fühle ich mich aber, weil ich weiß, dass ich von dieser Ungerechtigkeit erlöst werde.“ Direkt das nächste Lied auf dem Album heißt „Mercy in You“, die Gnade in Dir. Das Lied, das den Inhalt hat, den man vielleicht von „Personal Jesus“ erwarten würde. Dieses Lied ist nämlich tatsächlich an Gott, an Jesus

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gerichtet und dankt für die Gnade und Erlösung. Hat nichts mit Elvis zu tun. „Ich kann nicht verleugnen, wie ich geheilt werde. Auch nicht die Freude, die mir deine Gnade schenkt. Ich würde alles wieder tun, genau so meinen Weg verlieren und zu Boden fallen, nur weil ich für Deine Gnade beten kann.“ Viel Raum für Zweideutigkeit bleibt da nicht mehr. In „Judas“ auf demselben Album nehmen Depeche Mode musikalisch allerdings wieder die Rolle des Christus selbst ein, diesmal weniger fies und gemein als zusprechend und hoffnungsvoll. „Wenn ihr meine Liebe wollt, dann tut was dafür! Betrügender Judas, zweifelnder Thomas, redet nicht nur, sondern tut was dagegen! („Don’t just stand there and shout it, do something about it!“). Das Album liefert vielleicht nicht die großen Hits der Band, aber es liefert definitiv das spannendste Glaubenswerk im Synthie-Pop ab. Der amerikanische Fernsehsender CNN hat Frontsänger Dave Gahan vor ein paar Jahren nach seinem persönlichen Glauben und seinem Weg zu Gott befragt. Seine Antwort: „Das prägende für mich ist, dass Zweifel und Glaube zusammengehören. Manchmal fühle ich mich unglaublich geborgen, und im nächsten Moment frage ich mich: Was zur Hölle erzählst du da? Das geht jedem so, der Augen und Ohren offen hält. Mit meiner Musik will ich nicht missionieren, sondern die Menschen dafür öffnen sich ihre eigenen Gedanken zu machen.“ Wer sich noch andere Gedanken und Sichtweisen zu „Personal Jesus“ eröffnen will, der sollte sich auch eine der vielen Coverversionen anhören, die alle ihren eigenen Zugang zum Thema finden. Meine Tipps: Johnny Cash, Marilyn Manson und Nina Hagen.

(K)ein Lied über Atheismus? titel : 

Losing my Religion – R.E.M. album :  Out of Time (1991)

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as ist doch zum katholisch werden!“ Angeblich ist das ein geläufiges Sprichwort im protestantischen Norddeutschland. Heißt wohl so viel wie: Die Lage ist so aussichtslos, da hilft nix mehr, da können wir auch gleich die Konfession wechseln und zu den (früher) verhassten Katholiken überlaufen. Der Spruch ist mir in der Journalistenausbildung begegnet, als ihn eine Referentin aus Hamburg vor einer Gruppe von zehn jungen, katholischen Journalisten verwendet hat. Das hat für sehr viel Heiterkeit gesorgt, und dafür, dass wir diesen Spruch in passenden Situationen auch heute noch verwenden. Würde man ein englisches Äquivalent für „Es ist zum katholisch werden!“ suchen, dann wäre das wohl „I’m losing my Religion!“ ein gebräuchliches Sprichwort im Süden der USA, das im Prinzip das Gleiche beschreibt. Die Situation ist so verzweifelnd, aussichtslos, dass man auch gleich den Glauben (an eine Person) verlieren könnte. Wörtlich könnte man auch sagen: Ich habe den Glauben an dich verloren. Dieses Sprichwort hatten die Jungs von R.E.M. im Kopf, als sie ihren ersten großen internationalen Überraschungshit geschrieben haben. Um das Wichtigste zuerst zu klären: „Das Lied hat nichts mit Atheismus oder dem Verlieren des Glaubens zu tun“, erklärt R.E.M.-Sänger Michael Stipe im Interview mit dem

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Rolling Stone. „Ich wollte einen großen Klassiker über Obsession schreiben“ und fügt selbstbewusst hinzu: „Also habe ich genau das getan.“ Für das Fremdwort Obsession gibt es im Deutschen eigentlich gar keine wirklich treffende Übersetzung. Das Wörterbuch schlägt „Verlangen“ vor. Obsession geht aber weiter. Spleen, Sucht und sogar Besessenheit könnte man auch hineindeuten. Gerade die Besessenheit ist es, die wieder die Parallelen zur Religion zeigt. R.E.M. sprechen im Prinzip davon in jemanden so richtig verschossen zu sein. Über jedes Zeichen, jedes Wort und jedes Lachen so lange nachzudenken, so viel hineinzudeuten, dass man eigentlich gar nicht mehr mit der Realität zu tun hat. „I thought that I heard you laughing, I thought that I heard you sing.“ Das führt dann eben im Lied soweit, dass man schon fast wieder von „Besessenheit“ im biblischen Sinne sprechen kann. Und wie kann man solche Gefühle am besten bildlich beschreiben? Mit religiösen Motiven, die, auch wenn das Lied nichts mit dem Verlust des Glaubens zu tun hat, massig im Text versteckt sind. „Every waking hour I’m chosing my confession“, in jeder wachen Stunde denke ich darüber nach, was ich beichten kann, ich „wähle meine Beichten“ aus. Er spricht aber auch davon, dass ihn manche Situation schon in die Knie gezwungen hat. Zum Gebet? Wenn ja, dann nicht an Gott, sondern an die Dame, über die er sowieso schon viel zu viel nachdenkt, von der er „besessen“ ist. So weit führt das, dass er dann doch ins Verzweifeln gerät und den Glauben an seine Angebetete verliert. „Losing my Religion“. Auch wenn die biblischen Bilder alle hier nur metaphorisch verwendet werden, gab es auch bei diesem Lied ordentlich Protest von christlichen Interessengruppen in den USA. Man will halt nicht ein Lied im Radio hören, das den ­Titel „Losing my Religion“ trägt. Einen großen Teil hat auch

das Video zum Lied beigetragen, in dem die religiöse Symbolik noch tiefer geht. Unter anderem fällt dort ein Engel vom Himmel, wird von den Menschen als Karnevalsattraktion betrachtet und in einer regelrechten „Freak-Show“ ausgestellt. Gegen Geld natürlich. Es gibt aber auch Fans der Band, die geben sich mit den Erklärungen nicht zufrieden, die vermuten noch mehr hinter dem Lied. Laut R.E.M.-Fans befasst sich der Song mit dem Mord an John Lennon. Ähnlich Don McLean’s „American Pie“, in dem „The Day the Music died“ beschrieben wird, und den Todestag von Buddy Holly meint, soll es nach Fan-Meinung hier um den Tod eines ganzen Weltbildes gehen, durch den Tod der Pop-Ikone John Lennon. Die Indizien dafür? Einerseits das Wort Religion im Titel. Lennon wurde von vielen Atheisten als großes Vorbild und als Fürsprecher betrachtet, hauptsächlich durch Zeilen im Song „Imagine“ („and no religion, too“). Man könnte sagen, Lennon ist dadurch selber zu so einer Art Prophetenfigur einer nichtreligiösen Weltanschauung geworden. Durch seinen Tod ist dann eben auch diese Weltanschauung, diese Religion, verloren gegangen. Losing my Religion. (Mehr dazu im Kapitel über John ­Lennon und „Imagine“). R.E.M.-Fans verweisen weiterhin auf die Zeile „What if all these Fantasies come flailing around“, was ist, wenn diese Fantasien auf einmal zusammenbrechen? Fans vermuten, das sei ein Verweis auf das letzte Album von John Lennon: „Double Fantasy“. Die Band selber hat alle diese Theorien immer wieder abgewiesen, die Fans würden da viel zu viel hineindeuten. Man könnte fast schon von Obsession, Spleen, Sucht, Besessenheit sprechen. Es ist zum katholisch werden.

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Das Geschäft mit dem Glauben titel : 

Jesus He knows me – Genesis album :  We can’t dance (1991)

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in wenig erinnert die Geschichte an den Ablasshandel des Mittelalters, der einerseits damals den Petersdom in Rom finanziert hat, aber auch zur abendländischen Kirchenspaltung beigetragen hat. Auf einen Satz runtergebrochen: Du gibst mir Geld – und ­bekommst dafür das Seelenheil. Natürlich sammeln auch die Kirchen im 21. Jahrhundert noch Geld, aber alles wandert in der Regel wohltätigen Zwecken zu, wenn man die ein oder andere goldene Badewanne im Bistum Limburg mal ausnimmt. Ein wenig anders sieht das in den USA aus. Seit Jahrzenten gibt es dort die fragwürdige Tradition der ­„Televangelisten“. Ein Kunstwort aus Television und Evange­ listen. Gemeint sind damit Fernsehprediger, meist Evan­ gelikale, die in aufwändigen TV-Shows den Glauben verkündigen. Viele von ihnen betreiben eigene Fernsehsender oder Radiostationen. Leider gibt es unter diesen Televangelisten auch immer wieder das ein oder andere schwarze Schaf. In den USA, Ende der 80er, ein großes Thema, da mehrere von ihnen wegen Veruntreuung von Spenden­ geldern vor Gericht standen. Einer von ihnen war Jimmy Swaggert, der jährlich Spendengelder in Höhe von  150 Millionen Dollar einkassiert hat. Nach einem Sex-­Skandal und Gerichtsverfahren sind diese Zahlen in den Keller gegangen, was er dafür aber bekommen hat, war viel öffent-

liche Aufmerksamkeit. Unter anderem von einem gewissen Phil Collins. Der damalige Drummer und Sänger von Genesis saß mit seinen Kollegen Mike Rutherford und Tony Banks gerade am neuen Album „We can’t dance“. Einer der Tracks war musikalisch schon fertig, nur der Text fehlte noch. Collins erinnerte sich an mehrere Besuche in den extrem konservativen Südstaaten, dem „Bible Belt“ der USA, wo er im Fernsehen über diese Televangelisten gestolpert ist. Ein hochaktuelles, politisches Thema, perfekt für die nächste Genesis-Single. Vergleicht man „Jesus He knows me“ mit anderen Songs der Band, wirkt das Lied einiges zynischer und fieser als z.B. „Follow you, Follow me“. Collins schlüpft satirisch in die Rolle des Fernsehpredigers und hat die große Aufgabe 18 Millionen Dollar zu sammeln. Dafür ist ihm jedes Mittel, jedes Heilsversprechen recht. Denn Jesus kennt ihn ja, „and he knows I’m right.“ Eine große Rolle spielt im Text einerseits die betrügerische Geldmache der Prediger, aber auch das oftmals geführte Doppelleben, das zu diesen Zeiten auch durch die Presse ging. Hat Jimmy Swaggert einen Sex-Skandal hinter sich, singt Phil Collins von den christlichen Werten, Treue und Familie, die damit komplett ignoriert werden: „Ich glaube an die Familie, mit meiner ewig-liebenden Frau an meiner Seite. Sie weiß aber nichts von meiner Freundin, oder von dem Mann, den ich gestern Abend getroffen habe.“ Viele der schwarzen Schafe unter den Fernsehpredigern arbeiten damals wie heute mit der Idee des sogenannten „Seed Faith“. Du musst deinen Glauben aussähen, dann bekommst du auch was zurück – und zwar Geld. Die Zuschauer sind aufgerufen zu Spenden, um durch ihren Glauben selbst auf himmlischem Wege Geld zurück zu bekommen. Je mehr gespendet wird, umso mehr wird irgendwann zu-

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rück kommen – versprechen die fadenscheinigen Prediger. Die Gläubigen vor den Fernsehschirmen sind sogar aufgerufen Kredite und Schulden in Kauf zu nehmen, nur um (steuerfreies) Geld für die Fernsehkirchen zu sammeln. Dabei ist das Ganze mit einem Pomp und einer Selbst­ inszenierung garniert, die Genesis und Phil Collins gerade im Video zum Lied genüsslich aufs Korn nehmen. Collins (mit schlecht sitzendem Toupet und pastellfarbenen Anzügen) inszeniert eine ganze Fernsehshow, nur um Geld einzukassieren. Aber das ist ja laut Liedtext alles würdig und recht, „Du kaufst dir damit ein Stück vom Paradies, du kaufst dir ein Stück von mir.“ Die richtigen Televangelisten scheint er dafür ordentlich studiert zu haben, es ist faszinierend, wie er Anmutung und Tonfall vieler amerikanischer evangelikaler Christen trifft: Immer ein wenig beseelt, und trotzdem steif. Lächelnd, mit kurzarmigem, weißen Hemd (in die Hose gestopft) und Krawatte, wird schlecht im Takt geschunkelt. Auch wenn das Video und das Lied das Phänomen der Televangelisten allgemein aufs Korn nimmt, hatte Collins einen ganz bestimmten Prediger im Kopf. Ernest Angley hat in den 80ern zu den erfolgreichsten Fernsehpredigern der USA gezählt. Kritik hat er nicht nur für seine Geld­sammelAktionen geerntet, sondern auch dafür, dass er gepredigt hat HIV und AIDS seien Strafen Gottes, die durch den rechten Glauben heilbar seien. Alles was dafür zu tun ist, niederknien und beten. „Get on your knees and start praying“, oder wie es bei Genesis heißt „get on your knees and start paying.“ Niederknien und bezahlen! Nur einmal im Lied schlüpft Phil Collins aus der Satire heraus und gibt seine wahre, ehrliche Meinung wieder. „Das was ich predige, werde ich nicht in die Tat umsetzen. Ich werde keine Opfer bringen müssen. Gott wird sich schon

um dich kümmern, wenn du den einen Satz befolgst: Tue, was ich sage, und tue nicht, was ich tue.“ Im 21. Jahrhundert gibt es Televangelisten im US-TV noch genauso wie in den 80ern. Für Phil Collins erstaunlich, aber auch gleichzeitig erschreckend. „Viele Menschen in Ame­rika glauben diesen Typen, und das ist beängstigend.“ Ernest Angley, das Vorbild für Collins im Video, hat übrigens von der Ironie des Videos nicht viel verstanden. Er hat sich durch die Portraitierung durch Phil Collins eher geschmeichelt gefühlt. „Ich glaube, er hat mich ziemlich gut getroffen!“

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Musik und Schicksalsschläge titel : 

Tears in Heaven – Eric Clapton album :  Rush (Soundtrack, 1992)

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lapton is God“, konnte man Mitte der 60er auf einem Graffiti in der Londoner U-Bahn Station Islington lesen. Der junge Eric, vernarrt in seine Gitarre, fing in dieser Zeit an, ein Name in der Untergrund-Szene zu werden. Zu dieser Zeit hat er für die „Bluesbreakers“ gespielt, mit seinen Gitarrenkünsten konnte niemand mithalten. Das Graffiti in der U-Bahn-Station wurde mit der Zeit zum geflügelten Wort. Heute ziert ein Schwarz-weiß-Foto davon alles von T-Shirts über Poster bis hin zu Kaffeetassen. Was würde er selber zu diesem Vergleich sagen? Er gibt zwar zu, dass er ein großes Ego hat, so anmaßend wird er dann aber doch nicht. Die Fragen der Spiritualität spielen für ihn aber eine große Rolle. Deshalb stellt er sich in einem seiner größten Hits, „Tears in Heaven“, auch eine der fundamentalen Fragen aller Religionen: Was kommt nach dem Tod? Anlass dafür sich mit der Thematik zu befassen hatte er leider genug. Am 20. März 1991 war er gemeinsam mit seinem vierjährigen Sohn Connor zu Besuch bei seiner Mutter in einem Apartment-Gebäude in New York. Nur ein Moment der Unaufmerksamkeit hat ausgereicht, und Connor fiel aus dem Fenster der Wohnung im 53. Stock. Der Junge war sofort tot. Clapton selbst stürzte dieser Schicksalsschlag, nach eigenen Worten, in die dunkelste Zeit seines Lebens, und das obwohl er in früheren Jahrzehnten Heroin- und Alko-

holabhängig war. Wie geht ein Musiker mit dem schlimmsten um, was einem Vater passieren kann? Er schreibt ein Lied darüber. Im gleichen Jahr sollte Clapton am Sound­ track zum Actionfilm Rush (in Deutschland als „Fieberhaft“ erschienen) mitarbeiten. Dafür hat er sich mit dem Songschreiber Will Jennings zusammengetan, der unter anderem für Joe Cockers „Up where we belong“ und Celine Dions „My Heart will go on“ verantwortlich ist. Gemeinsam haben sie für den Film das Lied „Help me up“ geschrieben. Clapton war aber überzeugt: „Ich will auch ein Lied für meinen Jungen schreiben“ und bat Jennings dabei um Hilfe. „Die Zeit zwingt dich in die Knie und bricht dein Herz, bringt dich zum Flehen. Wenn ich durch die Tür schreite, werde ich Frieden finden, im Himmel gibt es keine Tränen.“ Aber zum Ende des Liedes wird ihm klar, dass der Himmel kein Platz für ihn ist, und er sein Leben weiter leben muss. „Ich gehöre hier nicht hin, in den Himmel.“ In seiner Autobiographie beschreibt Eric Clapton, dass dies allerdings auch Gedanken sind, die ihn seit seiner frühesten Kindheit begleitet haben, also nichts Neues. „Seit dem Tod meines Großvaters habe ich mich das gefragt. Werden wir uns wirklich irgendwann im Himmel wiedersehen? Das Lied zu schreiben hat mich in der schwersten Zeit meines Lebens bei Verstand gehalten. Anfangs habe ich das Lied noch nicht mal zum Veröffentlichen geschrieben, es war nur für mich. Ich habe es mir selber vorgespielt, immer und immer wieder, bis es ein Teil meiner Person wurde.“ Wenn er dabei vom Himmel spricht, ist das nicht nur ein poetisches Bild, sondern etwas, über das er sich immer wieder Gedanken gemacht hat. Nach seinen eigenen Worten ist Eric Clapton mit einer „spirituellen Neugier“ aufgewachsen. In der englischen Provinz haben ihn seine Großeltern aufgezogen (da seine Mutter ihn jung und unehelich gebo-

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ren hat, haben sich die Großeltern als Eltern ausgegeben, seine Mutter kannte er nur als „Tante“). Die Familie gehörte zur anglikanischen Kirche, der Besuch des Gottesdienstes gehörte zum Alltag. Klein Eric war davon durchaus angetan. Seinen kindlichen und jugendlichen Glauben bezeichnet er als „minimalistisch“; ihm ging es um die persönliche Beziehung zu Gott. Wie viele junge Leute im England der 50er Jahre ist er aber auch schnell aus diesem Glauben herausgewachsen. Dass die Religion zumindest aber weiter ein Thema für ihn war, zeigt sich zum Beispiel daran, dass er gemeinsam mit Ginger Baker und Stevie Winwoood 1969 die Band „Blind Faith“ (Blinder Glaube) gegründet hat, eine der ersten „Super-Groups“ der Geschichte (Bands, die sich aus bekannten Musikern anderer Gruppen zusammensetzen). Nun könnte man sagen, dass „Blind Faith“ nur ein Name ist. Allerdings heißt einer der größten Hits der Band „Presence of the Lord“, die Gegenwart Gottes. Das Lied bezieht sich auf eine Geschichte aus dem Alten Testament. Nachdem Moses das goldene Kalb sah und die Tafeln mit den Zehn Geboten zerstörte, landeten die Einzelteile in der Bundeslade (bekannt auch aus „Indiana Jones: Jäger des verlorenen Schatzes“). Die Gläubigen treten nun vor die Lade und fragen: Wer kann vor dem Herrn, diesem heiligen Gott, bestehen? (1. Sam 6,20). Auf diese Frage versucht die Band eine Antwort zu liefern. In „Presence of the Lord“ heißt es: „Ich habe meinen Platz gefunden. Habe nicht viel zu geben, aber bald öffne ich die Tür. Ich habe meinen Platz gefunden in der Gegenwart des Herrn.“ Während eines Konzerts der Band 1969 hat das Lied zwei junge Leute so bewegt, dass sie nach dem Konzert Clapton hinter der Bühne aufgesucht haben. Sie baten ihn gemeinsam mit ihnen zu beten. Clapton spricht davon, dass er dabei ein helles Licht gesehen habe, und bezeichnet sich von nun an als bekehrten Christen. Das alles

wohlgemerkt fast zur gleichen Zeit, als seine Freunde von den Beatles gerade in Indien waren und die New Age-Kultur zurück in den Westen brachten, Christ sein war damals noch viel weniger hip als es heute ist. Ob dies eine wirkliche spirituelle Erfahrung war oder nur eine durch Drogenkonsum ausgelöste Halluzination, lässt sich heute nicht mehr sagen. Auf alle Fälle ist Eric Clapton kurz danach in einen Sumpf aus Drogen und Alkohol abgedriftet, der die ganzen 70er und 80er Jahre sein Leben prägen sollte. 1987 hat er sich in den Entzug begeben und da auch wieder zu Gott gefunden. Diesmal weniger dramatisch, ohne Licht und Geigen aus dem Himmel, dafür aber mit langfristiger Wirkung. Seitdem hat er weder Alkohol noch Drogen angerührt. In seiner Autobiographie schreibt er über diese Zeit des Entzugs: „Ich war vollkommen verzweifelt. Habe um Hilfe gefleht, hatte aber keine Ahnung, wen ich überhaupt damit angesprochen habe. Ich bin auf die Knie gefallen und habe mich geschlagen gegeben. Schnell habe ich aber gemerkt, dass da doch jemand ist, der mir helfen kann. Der schon immer da gewesen ist, den ich aber nie wirklich beachtet habe.“ Von diesem Tag an, so Clapton, bete er mindestens zweimal am Tag. Morgens, um für Kraft zu bitten, Abends, um Danke zu sagen. „Das tue ich im Knien. Mit meinem Ego ist das der einzige Weg, um mich vor Gott demütig zu zeigen.“ „Tears in Heaven“ hat er übrigens im Jahr 2003 bis dato das letzte Mal live gespielt. Er sagt, dass er den Schmerz und Verlust, die dieses Lied so geprägt haben, heute nicht mehr so fühlt wie damals, und dass es dem Lied und dem Andenken an Connor unwürdig wäre, das Lied einfach so runter zu singen.

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„Musik ist meine Religion“ titel : 

If I ever lose my faith – Sting album :  Ten Summoner’s Tales (1993)

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ei all den Liedern und Künstlern, die in diesem Buch zu Wort kommen, könnte man den Eindruck bekommen, dass die Suche nach Gott eigentlich etwas ganz einfaches ist. Jeder scheint eine Antwort darauf zu finden. Leonard Cohen im buddhistisch angehauchten Judentum, Cat Stevens im Islam, George Harrison im Hinduismus. In Wahrheit ist die Suche nach dem Sinn im Leben wahrscheinlich die komplizierteste Frage überhaupt, da wir zu Lebzeiten wohl nie eine Antwort darauf finden werden. Für viele Menschen bedeutet das einfach nur Verwirrung (Agnostiker) oder ein komplettes Ignorieren der Frage nach Transzendenz (Atheisten). Auch solche Leute machen Musik, nicht nur überzeugte Glaubens-Menschen. Einer davon ist Gordon Sumner, der als Kind wegen seines gelb-schwarzen Pullis von allen nur „Sting“ genannt wurde. Wenn es einen Popsong gibt, der absolute Verwirrung über die Fragen des Geistlichen ausdrückt, dann ist es Stings „If I ever lose my faith in you“. Wer damit gemeint ist? Dazu sagt der Musiker nichts. Die Worte des Liedes sprechen aber für sich. „Man sagt, ich habe den Glauben an Wissenschaft und Fortschritt verloren, an die heilige Kirche. Man könnte sagen, ich habe das Ziel aus den Augen verloren. Man könnte all das über mich sagen, und schlimmeres.

Wenn ich aber den Glauben an dich verlieren würde, wäre für mich nichts mehr zu tun.“ Und die Aufzählung geht weiter. Die Fernsehstars oder die Politiker (die für ihn alle wie Spielshow-Moderatoren wirken) bieten für ihn keine Alternative, da sie eh nur Lügen verbreiten. Wenn er aber den Glauben an „dich“ verliert, wäre nichts mehr zu tun. Als verlorenen Mann in einer verlorenen Welt bezeichnet er sich. Gibt es einen Satz, der die spirituelle Verwirrung besser ausdrücken könnte? Geboren wurde der kleine Gordon in eine katholische Familie in England. Mit den Riten und Festen der Katholiken konnte er schon als Kind nichts mehr groß anfangen. In den 70ern kam er zu Ruhm und Bekanntheit durch die Band „The Police“, für die er fast alle Hits selber geschrieben hat. In den 80ern dann der Schritt in die Solokarriere, mit der auch die spirituelle Suche immer wieder ihren Weg in seine Lieder gefunden hat. Sucht man nach Interviews über Sting und seine Reli­ gion, dann findet man einige. Das Problem ist, die Antworten sind immer ein bisschen anders. Einmal sagt er, dass er sich dem christlichen Kulturkreis zugehörig fühlt, das Bild des monotheistischen Gottes nach Christentum, Judentum und Islam längst hinter sich gelassen habe und jetzt an etwas „größeres“ glaubt. Ein andernmal ist Sting gerade im Indienfieber und schwärmt vom Hinduismus. „Wenn ich irgendeiner Religion angehören würde, dann wäre ich sicher Hindu.“ Was man definitiv sagen kann, ist, dass die Suche mit zunehmendem Alter und Erkenntnis der Sterblichkeit in seiner Musik immer häufiger auftaucht. Ist Sting mit dem spirituellen Hin und Her einfach nur inkonsequent? Oder ist er ehrlich und spricht das aus, was sich die meisten von uns einfach nicht trauen zu sagen? Woran glaubst du? Ich weiß es nicht. Das amerik­anische

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Time-Magazin hat ihn einmal nach seinen religiösen ­Ansichten gefragt, die Antwort darauf war wahrscheinlich seine ehrlichste: „Meine Religion? Musik ist meine Religion.“

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Kronen von Scheiße oder Dornen? titel : 

Hurt – Nine Inch Nails album :  The Downward Spiral (1994)

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ieses Lied macht keinen Spaß. Es beginnt mit einem über 20 Sekunden langen Störgeräusch. Wenn der Gesang einsetzt, fällt der linke Ton-Kanal immer wieder aus, so als wäre der Lautsprecher oder Kopfhörer kaputt. Die Gesangsstimme von Trent Reznor klingt fistelig, schwach und irgendwie bedrohlich. Die Akkorde haben auch einige Töne, die da definitiv nicht hingehören, was das Gefühl noch bestärkt. Das Lied wird weh tun. It will make you hurt. Das akustische Äquivalent zu einem Rasierklingen-Ritzer auf dem Arm. „I hurt myself today, to see if I still feel“. Ich habe mich heute verletzt, um zu sehen, ob ich noch etwas empfinde. „Die Nadel reißt ein Loch, der altbekannte Schmerz.“ Was sie in ihrem Text beschreiben, haben die „Nine Inch Nails“ damit auch musikalisch ziemlich gut umgesetzt. Versuch geglückt. Ein Lied, das weh tut. Ich gehe mal davon aus, die meisten kennen das Lied nur in der genialen Coverversion von Johnny Cash. Kurz vor seinem Tod hat er das Lied auf dem letzten Album veröffentlicht, das zu seinen Lebzeiten erschienen ist („American IV: The Man comes around“). Ich weiß noch, wie ich das Lied zum ersten Mal gehört habe. Ich habe zu der Zeit Schülerradio gemacht, der Sender heißt Wartburgradio 96,5 und sitzt in Eisenach in Thüringen. Ich war dabei mich auf eine Sendung vorzubereiten und einer unserer Country-Exper-

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ten kam rein. Das war nur Tage nach dem Tod von Cash im Herbst 2003. „Hast du das hier gehört, das ist eines der letzten Lieder, das Johnny Cash aufgenommen hat.“ Ich dachte mir „Johnny Cash? Dieser Country-Opa von „Ring of Fire“?“, war aber vom Lied, das ich dann hörte, doch ziemlich überrascht. Ein alter Mann mit einer einzigartigen Stimme, so brüchig wie eindringlich, spricht über die Verletzungen, die er im Leben erfahren hat. Begleitet von einzelnen, genauso fragilen Gitarrentönen, die sich im Laufe des Liedes immer weiter steigern, bis sie im letzten Refrain von einem stampfenden Piano begleitet werden, das immer und immer wieder ein und denselben Ton anschlägt. Bei allem materiellen Besitz: am Ende bleibt doch nichts übrig als Schmerz. „You can have it all, my empire of dirt, I will let you down. I will make you hurt.“ Du kannst alles haben, mein ganzes dreckiges Imperium, am Ende werde ich dich doch enttäuschen, werde ich dich verletzen. Ich habe zu der Zeit viel MTV und VIVA geguckt, die damals noch Musikvideos ausgestrahlt haben. Das Video zu „Hurt“ war sehr häufig in der Rotation. Das war schon ungewöhnlich, zwischen Christina Aguilera und No Doubt. Natürlich hat es bei mir etwas Zeit gebraucht, bis ich die Genialität von Cashs Performance verstanden habe (geht mir meistens bei großen Liedern so), im Endeffekt hat mich „Hurt“ aber dazu gebracht, mich näher zu beschäftigen mit dem Gesamtwerk des „Man in Black“. In meinem Wohnzimmer hängt heute auch ein großes Schwarz-weiß-Portrait von Mr. Cash. Bis ich allerdings die Originalversion von „Hurt“ der PunkBand Nine Inch Nails gehört habe, sind noch ein paar Jahre vergangen. 1988 in Cleveland, Ohio, gegründet, zählt die Band zu den bedeutendsten Vertretern des „Industrial Rock“. Besonders in den 90ern haben sie eine große Rolle in der Musikszene gespielt, haben bis heute über 20 Millionen

Platten verkauft. Immer wieder liest man auch, dass sich der Bandname auf Jesus und die Kreuzigung bezieht. Jesus soll mit neun Zoll langen Nägeln ans Kreuz geschlagen worden sein, Nine Inch Nails. Frontmann Trent Reznor hat sich dazu bis heute nicht geäußert. Seine Erklärung für den Namen: Nine Inch Nails lasse sich besonders gut abkürzen. NIN. Der Song „Hurt“ ist zwar auf einem der erfolgreichsten Alben der Band erschienen, hat damals, 1994, musikalisch aber keine großen Wellen geschlagen. Erst Johnny Cash und Rick Rubin waren es, die dem Lied zu Popularität verholfen haben. Gemeinsam haben sie in Cashs letzten Lebensjahren (und danach) sechs Alben veröffentlicht, die größtenteils Coverversionen enthalten haben. Johnny Cash hat das in den 90ern und 2000ern noch mal zu neuer Popularität verholfen. Erst da kam es zum Status der „Country-Legende“, ohne Rick Rubin wäre er wohl wie seine Kollegen Willie Nelson oder Waylon Jennings bis heute nur den eingefleischten Country-Fans ein Begriff. Eigene Lieder hat er für die „American“-Alben neu aufgenommen, mit der neuen, reifen Perspektive gesungen, aber auch teils obskure Lieder anderer Künstler gecovert. Erwähnenswert sind da definitiv „Solitary Man“, im Original von Neil Diamond“, oder „I won’t back down“ von Tom Petty, aber auch so Lieder wie „Redemption Day“ von Sheryl Crow. Die Genres haben keine große Rolle gespielt bei der Zusammenarbeit des Country-Urgesteins und des Hip Hop-Produzenten. Am bekanntesten ist dabei aber definitiv Cashs Version von „Hurt“. Dabei nimmt er auch einige Änderungen am Text vor. „I wear this crown of ­thornes, upon my liars chair“, diese Dornenkrone trage ich auf meinem Lügnerthron. Im Gegensatz zum Bandnamen der Nine Inch Nails geht Cash hier mit dem Bezug zur Kreuzigung ganz offen um. Im Original ist es aber eine „crown of shit“, nicht „of thornes“. Ob sich Cash damit bewusst mehr

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auf die Religion beziehen wollte, oder einfach in seinem bewegenden Altwerk nicht unbedingt das Wort „shit“ haben wollte, das kann man ihn heute schwer fragen. Auf alle Fälle ist das nicht der einzige Bezug auf die Bibel in dem Album „The Man comes around“. Das Titellied des Albums zählt zu den letzten Liedern, die Cash selber geschrieben hat und beweist, dass der „Man in Black“ ziemlich bibelfest gewesen sein muss. „The Man“ bezieht sich auf Jesus, dessen zweite Wiederkehr beschrieben wird. Die ersten Worte des Liedes, damit des Albums, sind direkt aus dem sechsten Kapitel der Offenbarung des Johannes zitiert. Die Apokalypse wird in bunten Farben und deutlichen Bildern beschrieben. So zitiert Cash im Verlauf des Liedes viele Stellen der Offenbarung, aber auch der Evangelien und aus dem Buch des Propheten Elias. Das Album „The Man comes around“ zählt zu den erfolgreichsten des Jahres 2002. Damit hat Johnny Cash es geschafft, eine Platte mit vielen biblischen Verweisen und einem Titel, der direkt aus dem Neuen Testament zitiert ist, an die Spitze der Charts zu bringen.

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Was wäre, wenn … titel : 

One of us – Joan Osborne album :  Relish (1996)

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ieses Lied enthält für mich eine der genialsten, humorvollsten und überraschendsten Liedzeilen, die ich kenne: „Nobody calls him on the phone – except for the Pope, maybe, in Rome.“ Lieder über Gott und den Glauben gehören in der Regel ja nicht zu den Nummern, die viel Witz oder Esprit haben. Dieser Hit von Joan Osborne stellt einerseits die großen philosophischen Fragen über Religion und Spiritualität – und beantwortet sie mit dem Bild eines einsamen alten Mannes, der neben dem Telefon sitzt, weil er niemanden hat, der ihn anruft. Außer vielleicht dem anderen einsamen alten Mann: Dem Papst in Rom. Mich würde ja schon interessieren, wie solch ein Telefonat ablaufen würde … „One of Us“ ist wahrscheinlich die Textbuch-Definition eines One Hit Wonders. Joan Osborne (Nein, weder verwandt noch verschwägert mit Ozzy Osbourne) wurde 1962 in der Provinz in Kentucky geboren. Ende der 80er hat sie sich aufgemacht in die große Stadt, nach New York, um professionell Musik zu machen. Wenn man ihr eines nicht vorwerfen kann, dann dass sie ihr Ziel nicht mit harter Arbeit und Ausdauer verfolgt hat. Weil sie keine Plattenfirma unter Vertrag nehmen wollte, hat sie in den frühen 90ern einfach ihr eigenes Label „Womanly Hips“ gegründet und mehrere Platten veröffentlicht. Bis heute hat sie mehr als zehn eigene Al-

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ben rausgebracht, aktuell ist sie mit der Formation „Trigger ­Hippy“ unterwegs. Musikalisch versucht sie mal dies, mal das. Von Folk über Pop bis R’n’B. Der einzige Grund warum man Joan Osborne aber kennen würde, ist der Hit „One of Us“ von 1996. Der Plattenproduzent Eric Bazilian hat sie auf einer kleinen Bühne gesehen und sich darum gekümmert, dass sie die Chance bekommt, bei einem der großen Label zu veröffentlichen. Gesagt, getan. Ergebnis ist das Album „Relish“ mit der Single „One of Us“. Es sind die großen Fragen, die in dem Lied diskutiert werden. Fragen, die man sich in einer ruhigen Stunde mit einem Glas Wein stellen mag, aber nicht in einem dreiminütigen Popsong: Wenn Gott einen Namen hätte, wie würde er heißen? Wenn Gott ein Gesicht hätte, würdest du es sehen wollen, wenn das gleichzeitig bedeuten würde, auch an Jesus und die Heiligen und all die Propheten zu glauben? Was wäre, wenn Gott einer von uns wäre? Genau so ein Chaot, Lümmel, Fiesling, Waschlappen (das Lexikon bietet einige Übersetzungen für das Wort „slob“) wie wir? Nach Feierabend will er nur noch nach Hause kommen, alleine zurück in den Himmel. Man könnte sich denken, dass hinter diesem Lied ein tief religiöser Mensch steckt, der sich viele Gedanken über all diese Fragen gemacht hat. Der Text und die Musik kommen von Eric Bazilian: „An sich hat das Lied nichts mit Religion zu tun,“ sagt er mal im Interview. „Ich bin kein religiöser Mensch. Meine Beziehung mit dem Absoluten ist etwas sehr privates. Ich versuche niemanden von meinen Ansichten zu überzeugen. So funktioniert auch Songschreiben nicht. Ich würde sagen, nicht du schreibst das Lied, sondern es schreibt dich. Es war keine bewusste Entscheidung ein Lied über Gott zu schreiben, die Worte sind aber so aus mir raus gekommen.“ Angefangen hat es eines Abends mit einer TV-Doku über die Beatles. Gemeinsam mit seiner schwedischen Frau saß

Bazilian vor dem Fernseher. Sie wollte wissen, wie man ein Lied denn aufnehme. Gemeinsam sind sie in sein Heimstudio, und er hat ein Gitarren-Riff gespielt. Das, welches wir vom Anfang dieses Liedes kennen. „Jetzt sing was dazu!“ „So einfach ist das nicht, ich muss einen Text schreiben und ihn redigieren und drüber nachdenken“ „Sing was dazu!“ „Wenn Gott einen Namen hätte, wie würde er heißen?“ Auf die Art ist noch am gleichen Abend der erste Teil des Liedes in einer Form entstanden, die der endgültigen schon ziemlich nahe kommt. „Du schreibst nicht ein Lied, das Lied schreibt dich.“ Am nächsten Tag im Plattenstudio hat Bazilian den Song Joan Osborne vorgespielt, die ihn direkt aufgenommen hat. Den Refrain haben sie noch gemeinsam entwickelt. Hört man sich die Albumversion an, geht’s vor dem Lied noch mit vier Zeilen eines alten Gospelsongs los, „Heavenly Airplane“, 1927 aufgenommen. Was würdest du Gott fragen, wenn du nur eine Frage hättest? Würdest du ihn mit Namen ansprechen, wenn du ihm gegenüberstehst, von Angesicht zu Angesicht? Fragen, die nicht nur Eric Bazilian und Joan Osborne bewegen, sondern auch TV-Produzenten. Von 2003 bis 2005 lief in den USA die TV-Serie „Joan of Arcadia“, in der die Protagonistin in ihrem Alltag Gott begegnet, immer in ganz normalen Menschen, die jedem von uns Tag für Tag auf der Straße entgegen kommen. Kein Wunder, dass die Serie „One of Us“ zu ihrem Titellied gemacht hat. Eric Bazilian wird übrigens später sagen, dass das Lied nicht unbedingt direkt mit Gott zu tun haben muss. Es gehe einfach um die Momente, die das Leben von Grund auf in Frage stellen. Die entweder alles, was man weiß widerlegen, oder alles was man glaubt schlussendlich bestätigen. „Das kann eine Begegnung mit Gott sein, aber auch mit einem Außerirdischen, oder auch eine Nahtod-Erfahrung.“

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Dabei ist es nicht das erste Mal, dass sich Bazilian mit Gott und Religion befasst. Classic Rock-Fans werden den Namen vielleicht als Sänger der Band „The Hooters“ kennen, mit Hits wie „Johnny B.“, „Satellite“ oder „All you Zombies“. Letzterer erzählt Geschichten des Alten Testaments von Moses und Noah und stellt sie den Erfahrungen der Menschen von heute gegenüber. Ein kontroverses Lied, mehrere christliche Radiostationen haben sich geweigert das Lied zu spielen. Fragt man Bazilian nach der Entstehung, klingt die Geschichte sehr ähnlich der von „One of Us“: „Wir haben das Lied in einer Nacht geschrieben, es sollte noch nicht mal ein Lied über Religion werden, so sind die Worte aber aus uns raus gekommen.“ Was denkt nun aber die Frau, die „One of Us“ singt, Joan Osborne, über Gott und den Glauben? Sucht sie täglich im Bus auf dem Heimweg nach Gott? Aufgewachsen ist sie katholisch, mit einer Faszination für den Gottesdienst und die Rituale der Kirche. „Die Musik, der Geruch, die Stimmung haben mich fasziniert. Ich erinnere mich, dass ich hinter dem Altar immer nach Jesus gesucht habe, weil ich dachte, da versteckt er sich. Mir war bewusst, dass wir hier etwas vollkommen anderes tun als in unserem Alltag.“ So fasziniert war die kleine Joan davon, dass sie ihren Eltern gesagt hat: „Ich will Priesterin werden.“ Die Erkenntnis, dass die katholische Kirche Frauen nicht zum Priesteramt zulässt, hat sie damals tief getroffen. Von diesem Zeitpunkt an hat sie sich von der Kirche entfernt, ihre Spiritualität aber beibehalten. Sie hat viel über den Buddhismus gelesen, sagt heute, dass sie zwar nicht täglich meditiert, ihr aber sehr bewusst ist, dass sie in einer spirituellen Welt lebt, und es dafür nicht unbedingt den Ort der Kirche braucht.

„Ich habe Gott nicht gefunden, aber sie mich“ titel : 

Angels – Robbie Williams Life thru a Lens (1997)

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ieder über Engel gibt es weiß Gott genug. Von Smokies „Wild Wild Angels“, einem Lied über die Freiheit der Cowboys, über die Eurythmics mit „There must be an Angel“ oder U2’s „Angel of Harlem“ hin zum unfassbar schmalzigen „Calling all Angels“, das die Band Train 2003 veröffentlicht hat. Alleine alle diese Lieder aufzulisten würde schon ein eigenes Kapitel füllen. Die meisten dieser Lieder haben eines gemeinsam: Die Engel sind Metaphern. Meistens für die Angebetete, deren Schönheit nur den Engeln gleicht. Ist ja auch logisch. Welcher normal denkende Mensch würde schon ein Lied über diese Wesen in weiß mit den großen Flügeln schreiben? Einer tut das: Robbie Williams. In den 90ern das große Teenie-Idol als Frontmann von Take That, hat er es kurz vor der Jahrtausendwende geschafft, nicht nur von Töchtern, sondern auch von Müttern, Vätern, Brüdern, Tanten und Onkels ernst genommen zu werden. Er war mit verantwortlich für das Revival der Swing-Musik um 2000 (mit dem Album „Swing when you’re winning“) und hat seitdem unzählige Radio-Hits geliefert. Ein Erfolg, der sich bis heute übrigens fast ausschließlich auf seine Heimat England und den europäischen Kontinent bezieht. Obwohl er mehrmals versucht

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hat den großen Durchbruch in den Staaten zu schaffen, sollte das wohl nie sein. Inzwischen hat er sich damit abgefunden Rockstar für Europa zu sein. Das Lied „Angels“ fällt in die Phase, als er sich schon von Take That losgesagt hat, allerdings noch nicht wirklich zu 100 Prozent als Solokünstler ernst genommen wurde oder seine eigene Stimme gefunden hatte. Deshalb klingt das Lied auch irgendwie noch nach Boygroup-Ballade. Wie in so vielen Liedern dieser Art geht es um eine verflossene Beziehung („when I feel the love is dead“), allerdings wendet er sich zum Trost hier an die Engel. Und das absolut nicht im metaphorischen, sondern im biblischen Sinne. Natürlich sind Engel nach biblischer Definition nicht mit Flügeln ausgestattet, sondern gehören im Gegensatz zu uns zur unsichtbaren Schöpfung, machen sich aber definitiv im Leben bemerkbar. Ob es der Erzengel Gabriel war, der Maria die Botschaft überbracht hat, dass sie bald ein Kind tragen wird, oder die Schutzengel, die in unser Leben eingreifen, wenn es brenzlig wird. Genau über diese Art Engel singt Robbie Williams. Im Lied sind sie Zeichen der Liebe und Fürsorglichkeit. „Durch alle Zeiten bieten sie mir Schutz, Liebe und Zärtlichkeit.“ Für Robbie Williams, gläubiger Katholik, eine feste Überzeugung. Für mich sind Engel Menschen, die von uns gegangen sind, die sich als Zeichen der Liebe bemerkbar machen.“ Schnell fügt er im Interview mit dem „Daily Telegraph“ hinzu: „An den Krams habe ich damals wirklich geglaubt. Man könnte sagen, das Lied beschreibt meine Faszination mit dem Paranormalen.“ Das Glaubensleben von Robbie Williams scheint viele Höhen und Tiefen genommen zu haben, katholisch aufgewachsen hat ihn die Alkohol- und Drogensucht in eine tiefe Krise gestürzt, immer wieder liest man Interviews, in denen er davon spricht zum wahren Glauben gefunden zu haben, nur

sieht der Tenor dieser Interviews jedes Mal ein wenig anders aus. Deutlich wird das zum Beispiel auch in seinem Song „Bodies“ von 2009, ein Lied das ganz offen die Frage stellt: „Ist Jesus wirklich für dich gestorben?“, aber auch im Refrain Bezüge zum Buddhismus und zum „Baum der Erleuchtung“ macht. Die letzte Zeile des Liedes würde wohl jeden Theologen erschaudern lassen, wenn er singt: „Jesus ist nicht für dich gestorben! Auf welchen Drogen bist du denn?“ Erläutert hat er diese Zeilen in einem Gespräch mit dem „Tagesspiegel“. Obwohl es die Erklärung nicht unbedingt besser macht. Er erklärt, dass die Zeilen an den ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush gerichtet sind, der nach eigenen Worten im Auftrag Gottes 2003 im Irak einmarschiert ist. „Wie konnte dieser Kerl eine Hotline zu Jesus haben und ich nicht? Mein Jesus würde jedenfalls nicht sagen: Zieh in den Krieg … Ja, das Lied klingt blasphemisch, aber glücklicherweise leben wir in einer Welt, in der man auch so etwas sagen darf.“ Jeder Pfarrer und Theologe würde dem State­ment sofort widersprechen. Tod und Auferstehung Jesu seien zum Sündenerlass aller Menschen geschehen, selbst der Verbrecher, Mörder und Terroristen, da kann man auch einen George W. Bush nicht ausklammern. Diese Erkenntnis ist dann später auch bei Robbie Williams angekommen, der das Lied heute als „Unsinn“ bezeichnet, und es in dieser Form auch nicht mehr auf Tour spielt. „Wer verdammt noch mal bin ich, um sowas behaupten zu können? Damals hat der Satz für mich Sinn gemacht, aber heute nicht mehr. Ich habe mich geirrt.“ Wie steht Robbie Williams heute zu Jesus, Engeln und ­George Bush? Zumindest was die Engel angeht, findet sich die Antwort in dem Song „Love my Life“ von 2016. Ein Lied, dass er seiner jungen Tochter Teddy gewidmet hat. „Ich werde vielleicht nicht für alle deine Schlachten an deiner Seite

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stehen, aber ich verspreche dir, dass du sie am Ende gewinnen wirst.“ In dem Lied spricht er auch über die dunklen Zeiten seines Lebens, über Depressionen und Drogensucht. In dieser Zeit hat er angefangen die „Engel in Frage zu stellen“, und die Antwort, die sie gaben, „bist du“. („I started to ­question the angels, and the answer they gave was you“) Robbie gibt heute zu, dass seine Glaubensgeschichte keine einfache ist. „Ich glaube, dass ich Gott noch nicht gefunden habe. Aber sie vielleicht mich.“

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Vom T-Shirt-Spruch zum Glaubensbekenntnis titel : 

God is a DJ – Faithless Sunday, 8PM (1998)

album : 

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eute kann man eigentlich ganz berechtigt die Frage stellen: Braucht der moderne Mensch überhaupt noch einen Glauben? Sozialstudien sagen, dass der Hedonismus auf dem Vormarsch ist, der Siegeszug der „Spaßgesellschaft“ ist nicht abzustreiten. Für viele Kirchen ist das großer Grund zur Klage. Die Zahl der Taufen und insbesondere der katholischen Priesterweihen geht extrem zurück. Im Jahr 2016 gab es in Deutschland nur 80 junge Männer, die sich entschlossen haben, ein zöliba­ täres Leben als Pfarrer einzugehen. Und irgendwie kann man das auch verstehen, oder? Man kommt im 21. Jahrhundert auch ziemlich gut ohne Reli­ gion klar. Politische Gruppierungen wie PEGIDA oder die AfD sprechen zwar davon, das christliche Abendland zu verteidigen, haben mit der christlichen Religion aber wenig am Hut, rufen sogar dazu auf aus den Kirchen auszutreten. Sonst hören wir in den Nachrichten in der Regel nur von Religion, wenn es um Fanatismus und Selbstmordattentäter aller Art geht. Trotzdem, obwohl die organisierten Religionen in Deutsch­ land an Bedeutung verlieren, ist die Sinnsuche, die Spiritualität nach wie vor ein großes Thema. Selbsthilfe­bücher

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boomen, neue Philosophien und fernöstliches Denken haben viele Fans. Aber kann Religion vielleicht auch was ganz anderes sein? Die Frage hat sich 1998 die britische Dance-Kombo Faith­less gestellt, deren ketzerisch anmutender Name auf Deutsch so viel heißt wie „ungläubig“. Ganz so ungläubig, wie ihr Name vermuten lässt, scheinen sie allerdings nicht zu sein. Einer Ihrer ersten Hits heißt „Salva mea (save me“) , die Chef-Songschreiberin der Kombo tritt zudem immer nur unter dem Pseudonym „Sister Bliss“ auf, Schwester Segen. Wie kommt’s dann zu einem Lied namens „God is a DJ“? „Wir haben den Spruch einmal irgendwo auf einem T-Shirt gesehen und haben gedacht, das macht einen guten Songtitel.“ Auch wenn anfangs wenig damit gemeint war, spricht das Lied doch von einer Lebenseinstellung, einer Überzeugung, die man durchaus als Religion bezeichnen könnte. „Meine Kirche zeigt sich in den Wundern der Natur. Darin zu sehen, wie sich junges Leben entfaltet. In Moll-Melodien, gelösten Problemen und gelindertem Schmerz. Wenn aus Feinden Freunde werden, die Bitterkeit ein Ende findet.“ Die erste Strophe von „God is a DJ“ könnte man unter Umständen auch als Glaubensbekenntnis auffassen. Es zeigt eine Überzeugung, einen Blick auf das Leben, der sonst Religionen und anderen Weltanschauungen vorbehalten ist. Da hört das Lied aber nicht auf. Alle diese Erlebnisse werden auf den modernen Ort der Anbetung umgemünzt. Auf den Club, die Disco, den Dancefloor. Den Glauben so zu finden, irgendwo zwischen dem Dröhnen der Bässe, dem Schlagzeug und der Stimme, im Wechsel der Melodien. Irgendwo dort finden sich Liebe, Respekt und Mitgefühl. Die Macher des Liedes sprechen davon, dass sie eine ­moderne Alternative zur Kirche finden wollten. „Religion schafft heute keine Gemeinschaft mehr, sie bringt Men-

schen auseinander. Wir wollten über einen Ort sprechen, wo alle gleich sind: Der Club.“ Inspirierende Worte, vielleicht auch für Rock-Sternchen Pink. Die hat 2003 ihr eigenes Lied „God is a DJ“ veröffentlicht. Mit dem Original von Faithless hat der Song nichts zu tun, aber man könnte ihn durchaus als Antwort auf die Dance-Hymne verstehen: „Wenn Gott ein DJ ist, ist das Leben ein Dancefloor, Liebe ist der Rhythmus und du bist du Musik. Das Leben ist, was es ist. Es kommt nur drauf an, was du draus machst.“ Vielleicht auch, was die Religion angeht.

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Liebe, Sex und Gott titel : 

If you believe – Sasha album :  Dedicated to (1998)

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ch gebe es ja zu. Als wir über den Titel dieses Buches rund um Religion und Popmusik diskutiert haben, habe ich mich mit der Zeile „If you believe“ etwas schwer getan. Wer will schon alleine durch den Titel mit Sasha assoziiert werden? Selbst Sasha selbst scheint kein großer Fan seiner frühen Werke zu sein, ist er heute doch entweder in Fernsehshows, TV-Filmen oder mit seinem Rockabilly-Projekt „Dick Brave and the Backbeats“ unterwegs. Singt er heute überhaupt noch seinen ersten großen Hit? Trotzdem wirft das Lied aus dem Jahr 1998 einige interessante Fragen auf, die auch für dieses Buch relevant sind. Namentlich: Welche Rolle spielen die Liebe und auch die Sexualität, wenn es um den Glauben geht? Der erste Impuls für viele wäre jetzt zu sagen: Das hat wenig miteinander zu tun. Schließlich ist die Sexualität für die Kirche kein Thema, über das gerne oder oft gesprochen wird. Sex vor der Ehe? Verhütung? Homosexualität? Wenn man sich mit seinem örtlichen Priester gut stellen möchte, sollte man diese Themen in der Regel tunlichst umschiffen. Im Gegesatz dazu geht es im Lied von Sasha schon relativ deutlich zur Sache. „Du streichst deine Finger durch mein Haar, deine Lippen berühren meine, und die Spannung wird unerträglich“ oder „Du zitterst, als ich deinen Hals berühre, und schließt langsam deine Augen. Ich bin hier, um all deine

Gelüste zu befriedigen.“ Sätze, die man auch in Büchern wie „50 Shades of Grey“ erwarten würde. Trotzdem, ob es Sasha bewusst ist oder nicht, mit dieser klassischen Ballade der späten 90er liegt er in vielen Belangen ganz auf der Linie der Kirche. „Wir dürfen die erotische Dimension der Liebe keineswegs als ein geduldetes Übel oder als eine Last verstehen, sondern müssen sie als Geschenk Gottes betrachten“, schreibt Papst Franziskus 2014 in „Amoris laetitia“, dem Abschlussdokument der Familiensynoden 2014 und 2015. Ein Standpunkt, der der kirchlichen Lehrmeinung zwar nicht widerspricht, in dieser Deutlichkeit für einen Papst allerdings ziemlich ungewohnt ist. Spaß am Sex und an Erotik sind also vom Vatikan nicht nur geduldet, sondern auch gewollt? Wenn es um eheliche, monogame, heterosexuelle Beziehungen geht, dann schon. Und vielleicht auch darüber hinaus. Schließlich spricht Franziskus im gleichen Text davon, dass Eheleute und Familien manchmal mehr ihrer Moral folgen sollten als alten, festgelegten Vorschriften. „Wenn du heute Nacht an die Liebe glaubst, dann werde ich sie dir zeigen. Wenn du glaubst, dann lass es raus: Du brauchst dich nicht sorgen, für Zweifel gibt es keinen Grund.“ Der Refrain von Sashas „If you believe“ widerspricht in keinster Weise weder dem Text des Papstes noch der kirchlichen Lehre. Sasha wie Franziskus (ungewohntes Duo) geht es hier nicht um den schnellen Quickie auf dem Club-Klo, sondern um die Liebe. Die wahre, große Liebe ist gleichzeitig ein gerne genutztes Bild für romantische Bücher, Filme und Lieder, gleichzeitig aber auch eine Grundüberzeugung der Kirche. Die Liebe zwischen den Menschen ist ein Ausdruck der Liebe Gottes und einer der Momente, wo Gläubige einen Eindruck davon bekommen können, was sie im ewigen Leben erwartet. Nicht umsonst wird das Bild der Liebe, der

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Verliebtheit, oft in Predigten zu Ostern oder Weihnachten verwendet, um zu erklären, warum Gott seinen Sohn Jesus Christus auf die Welt geschickt und dann auch noch dem Kreuzestod geopfert hat. „Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat.“ (Joh 3,16) um es mit den Worten der Bibel zu sagen. „Die Welt lassen wir hinter uns, in diesem Moment, den nur wir beide teilen, brauchst du keine Angst zu haben“, beschreibt Sasha das Gefühl der Liebe, Verbundenheit und sexuellen Ekstase. Was sagt die Bibel dazu? „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden“ (Joh 16,33).

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Der Weg von schwangeren Nonnen zum Gebet, das Halt gibt. titel : 

My City of Ruins – Bruce Springsteen The Rising (2002)

album : 

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ch schäme mich nicht zu sagen, dass ich absoluter Bruce Springsteen-Fan bin. Ich bin für Konzerte schon durch halb Europa gereist. Ich war im Londoner Wembley Stadion und im Hyde Park, als die Queen dem Boss wegen Ruhestörung den Strom abgedreht hat. Ich war in Berlin, Köln, Mönchengladbach und jeder anderen Stadt, die Zeit- und Geld-Budget für mich seit meiner Studentenzeit erlaubt haben. Obwohl die Zeit der CDs und Schallplatten sich längst erledigt hat, habe ich alle Springsteen-Platten, natürlich in den Super-Deluxe Versionen, mit massig nutzlosen Demos und Alternativ-Versionen. Warum das alles? Weil von der Musik des Mannes aus New Jersey eine Faszination ausgeht. Etwas Verbindendes, Verständnis Suggerierendes und, wenn notwendig, Tröstendes. Viele Fans sagen, seine Musik hat auf diese Art etwas religiöses, und da ist definitiv auch was dran. „Can you feel the spirit?“ schreit der Boss ins Mikrofon auf der Bühne des Wembley Stadions im Sommer 2016. „If you can feel the spirit answer me! Answer me: Yeah, yeah!“ Daraufhin 50.000 Stimmen im Chor: „Yeah! Yeah!“ Die ­Konzerte von Bruce Springsteen erinnern oftmals auch an Gospel-Gottesdienste. Springsteen selbst sagt dazu: „Wir

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erschaffen etwas aus dem Nichts, das ist unbestreitbar. Wir kommen in eine Halle oder ein Stadion, das komplett leer ist. Mit unserer Musik schaffen wir eine Verbindung, fast schon etwas greifbares.“ Während andere Künstler davon sprechen, dass Konzerte schwere Arbeit sind, und sie sich zu manchen Auftritten zwingen müssen, ist das bei Bruce umgekehrt. Er muss sich dazu zwingen aufzuhören. Deshalb schafft er mit seiner E Street Band auch mit Mitte 60 noch regelmäßig Konzerte, die die Vier-Stunden-Marke überschreiten. Vier Stunden, während derer im Publikum gelacht und geweint wird. Es sind aber nicht nur die Konzerte, die religiöse Dimen­ sionen aufweisen. Springsteen ist in seinem ganzen Lebenslauf katholisch geprägt. „Vorgeschädigt“, wie er es selbst sagt. In einer Arbeiterfamilie in der amerikanischen Provinz aufgewachsen, war die katholische Kirche um die Ecke für ihn lange der eine Fixpunkt im Leben. In seiner Autobiografie spricht er davon, dass Familie Springsteen immer da war, bei jedem Sonntagsgottesdienst, bei jeder Hochzeit und jeder Beerdigung. Obwohl die religiöse Dimension dieser Erlebnisse für ihn nie von größter Bedeutung war, hat er sich von dieser Zeit etwas mitgenommen, das ihn bis heute noch prägt: Die Sprache. „Der Katholizismus steckt voller Bilder. Voller Licht und Dunkelheit, Schönheit und Gefahr, Verdammnis und Erlösung.“ Diese Bilder sind es, die sich immer wieder in seiner Musik finden. „Nuns run bald through Vatican halls, pregnant, pleading immaculate conception.“ Mit Bildern von schwangeren Nonnen im Vatikan hat er die kirchliche Sprache zu Beginn seiner Karriere hauptsächlich genutzt um zu schockieren und sich abzugrenzen. Ein Auszug aus „Lost in the Flood“ von 1973. Schon ein paar Jahre später sind es ganz andere Bilder, die er bemüht. Bilder, die mehr wollen als scho-

ckieren. Auf dem Album „Darkness on the Edge of Town“ von 1978 finden sich viele davon. Das schwierige Verhältnis zu seinem gewalttätigen Vater setzt er gleich mit Kain und Abel, die einen fiktiven Kampf mit ihrem Vater, Adam, austragen. Das Lied heißt „Adam raised a Cain“, kann man übersetzen mit „Adam erzieht Kain“; oder „Adam erhebt den Stock zum Prügeln“. Das Alte Testament scheint es ihm mit seinen Bildern besonders angetan zu haben, auf dem gleichen Album findet sich „The promised Land“, eine Geschichte über das gelobte Land, das sich hier allerdings irgendwo auf dem „Rattlesnake Highway“ in der Wüste des US-Bundestaates Utah befindet. Das gelobte Land ist hier nicht das Ziel von vierzig Jahren Wanderung durch die Wüste, sondern die Freiheit des Erwachsen-Seins, die auch viel Ungewissheit mit sich bringt. „Mister, I ain’t a boy, no I’m a man. And I believe in the promised Land“ Ich bin kein Junge, sondern ein Mann, und ich glaube an das gelobte Land. Interessant ist zu sehen, wie sich auch in seinen Texten mit der Zeit die Beziehung zum Glauben verändert. Heißt es im Titellied des gleichen Albums („Darkness on the Edge of Town“) „I lost my money and I lost my wife, those things don’t seem to matter much to me now.“ („Ich habe mein Geld und meine Frau verloren. Das scheint mir beides eh nicht mehr so viel zu bedeuten“), so wird in Live-Versionen aus dem „Money“ der „Faith“. Heute singt er davon, dass er seinen Glauben verloren hat und ihm das anscheinend eh nichts bedeutet. Wie so oft im Leben sind es aber die Krisen, in denen der Glaube wieder seine Bedeutung zeigt. Da Springsteen in gewissem Sinne das Gewissen des amerikanischen Volkes ist, ist es auch ein Moment des geteilten, weltweiten Schocks, der seiner Musik den Bezug zur Religion wieder gibt: Das Album „The Rising“ (übersetzbar mit „Das Hoch-

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haus“) von 2002 befasst sich ausschließlich mit der Verarbeitung der Schrecken des 11. Septembers. Geschichten von Feuerwehrleuten, die nicht mehr nach Hause kommen („You’re missing“) , aber auch die möglichen Gedanken eines Selbstmordattentäters („Paradise“) hat er in Liedzeilen niedergelegt. Am faszinierendsten dabei ist das letzte Lied des Albums: „My City of Ruins“, das man eins zu eins als Gebet betrachten könnte. Das Lied beginnt schon mit einem christlichen Bild, nicht aus der Bibel, sondern aus seinem Heimatort. Die Kirchen­ türen gehen auf, die Orgel spielt, aber die Gemeinde ist nicht da. Das Lied spricht hier auf verschiedenen Ebenen von der Lage der amerikanischen Gesellschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Den Arbeitern geht es schlecht, viele kleine Geschäfte gehen bankrott, und ganze Städte und Gemeinden leiden darunter. Wo geht man hin, wenn man Hoffnung braucht? In die Kirche, aber selbst die ist leer. Gegenübergestellt wird das Bild natürlich mit der Stadt New York City, die nach den Anschlägen nicht sprichwörtlich, sondern im wahrsten Sinne des Wortes in Schutt und Asche liegt. Meine Stadt der Ruinen. Angesichts dieser aussichtslosen Lage verzweifelt Spring­ steen aber nicht, sondern er betet. „Come on, rise up“ wiederholt das Lied immer wieder. Erhebe dich! Steh wieder auf! Die Zeilen erinnern wieder an den Gospel-Gottesdienst. Und wem das noch nicht deutlich genug ist, dem fügt er hinzu: „With these hands I pray“ – mit diesen Händen bete ich: Für die Kraft, für den Glauben, für deine Liebe, oh Herr. Ein Bild, dass er in seinem 2012er Album „Wrecking Ball“ wieder aufgreift, dieses Mal ist es aber nicht der Terror, der das Land erschüttert, sondern die Finanzkrise, die Millionen Menschen die Lebensgrundlage nimmt. „Rise up, shepard, rise up!“ Beginnt das Lied „Rocky Ground“, „Erhebe dich, oh

guter Hirte!“ Deine Herde ist vom Weg abgekommen, obwohl die Engel das Halleluja singen. Es sind die biblischen Bilder, die er hier wieder aus der Schublade holt. 40 Tage Regen ertränken die Menschen in Not in der Geschichte von Noahs Arche, Jesus der die Geldwechsler aus dem Tempel vertreibt (Mt 21,12). Diese Art von Geschichten und Gebeten sind es, die mit dem Alter immer häufiger in seinen Texten zu finden sind. Ein weiter Weg von den schwangeren Nonnen im Vatikan. Und Springsteen selbst? Sind das für ihn alles nur nützliche Bilder als Songschreiber, oder spielt der Glaube auch in seinem Erwachsenenleben wieder eine größere Rolle? Da will er sich nicht so ganz festlegen. „Einmal katholisch, immer katholisch. Ich gehe zwar nicht zum Gottesdienst, aber ich bin immer noch irgendwie ‚im Team’, das wird man auch nicht los.“

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Der Papst in der Popmusik titel : 

P2 Vatican Blues – George Harrison album :  Brainwashed (2002)

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s ist einer der geheimnisvollsten Orte der Welt, der Vatikan. Regelmäßig blickt der gesamte Globus hier hin, wenn der Papst Regierungschefs aus aller Welt trifft, oder die Botschaften zu Weihnachten und Ostern von der Mittel-Loggia des Petersdomes verlesen werden. Die Faszination geht aber viel tiefer als nur zur politischen und religiösen Bedeutung. Hinter den Mauern des Vatikans verbergen sich Jahrhunderte voller Geheimnisse und Verschwörungen. Der Apostel Petrus wurde hier als christlicher Märtyrer kopfüber gekreuzigt. Im Mittelalter soll es gerüchteweise eine heimliche Päpstin Johanna gegeben haben, und selbst im 21. Jahrhundert wird nur all zu gerne darüber spekuliert, was im kleinsten Staat der Welt so vor sich geht. Man muss sich nur die Bücher von Dan Brown angucken. Vor einer Weile konnte ich mich selbst davon überzeugen und habe einen Monat im Vatikan verbracht. Mein Fazit: Hier wird auch nur mit Wasser gekocht. Wasser, das in der Dusche morgens auch mal kalt bleibt. Das Gefühl an dem Ort zu sein, wo so viel weltliche und religiöse Macht zusammenkommt, und über den unzählige Bücher und Filme geschrieben und gedreht wurden, ist dabei trotzdem faszinierend. Als Musikfreund höre ich seitdem Lieder, in denen es um den kleinsten Staat der Welt geht, mit anderen Ohren an. Natürlich gibt es Popsongs, die sich mit dem

Vatikan befassen. Bruce Springsteen hat in seinem frühen Werk schon von schwangeren Nonnen gesungen, die durch die Hallen des Vatikan rennen (siehe Kapitel zu „My City of Ruins“) und damit große sprachliche Bilder gemalt. Sobald man über den Vatikan singt, bekommt ein Popsong freiwillig oder unfreiwillig eine epische Dimension. Einer schafft es allerdings, diese vatikanische Epik zu umgehen: George Harrison. Im Jahr 2002, kurz nach seinem Tod, wurde sein letztes Album „Brainwashed“ veröffentlicht. Angeblich soll er über 20 Jahre an diesem Album gearbeiten haben. Harrison war von den vier Beatles sicher der, für den Religion und Spiritualität die größte Rolle gespielt haben (siehe Kapitel zu „My sweet Lord“). Ihm persönlich lagen aber die fernöstlichen Religionen, wie der Hinduismus oder genauer gesagt die Hare-Krishna-Bewegung, näher als alles, was sich im Vatikan so abspielt. Auf „Brainwashed“ hat er sich aber trotzdem darauf eingelassen, noch mal einen Blick zurück auf seine katholische Vergangenheit zu werfen. Am deutlichsten wird das in „P2 Vatican Blues“. Harrison singt hier von einem, für ihn etwas verstörenden, Besuch im Vatikan. Anfangs ist er noch begeistert von all den Schätzen und Kunstwerken, die er sieht: „Ich bin noch-­ gläubig angekommen, habe jede Stufe im Petersdom erklommen.“ Er lässt sich betören von Michaelangelos Deckengemälde in der Sixtinischen Kapelle, bemerkt aber schnell, dass hier etwas Merkwürdiges vor sich geht. „Wieso hat niemand den weißen Rauch bemerkt, der mich umgehauen hat? Die Wahrheit verbirgt sich irgendwo dahinter.“ Irritiert davon und von den Sachen, die sich hier „bei Nacht“, jede Samstagnacht, ereignen, sucht er seinen Heimatpfarrer auf. Das Ergebnis: Von nun an muss er, George Harrison, jeden Samstagabend ein „Vater Unser“ und drei „Ave Maria“ beten.

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„It’s quite suspicious, to say the least,“ es sei ein wenig verdächtig, um es vorsichtig auszudrücken, singt der Mann, der schon in Jugendjahren die Kirche hinter sich gelassen hat. „I wish somebody would tell me, that it’s only a show.“ Ich wünschte mir würde jemand erklären, dass das alles nur Show ist und nicht ernst gemeint, fasst George Harrison ­seine Verwunderung in Worte. Das Ganze ist, musikalisch zumindest, mit einem Augenzwinkern vorgetragen. Das Lied erinnert von der Stimmung ein wenig an Beatles-Klassiker wie „Ob-La-Di, Ob-La-Da“. Auf dem Album ist es aber nicht das einzige Lied, das sich mit dem Glauben befasst und auch nicht das einzige, in dem der Papst erwähnt wird. „Aus der Brauerei kommen Rauchsignale, als hätte man im Bierfass einen neuen Papst gefunden,“ heißt es in „Pisces Fish“. Ein Lied, das sich mit dem frühchristlichen Symbol des Fisches befasst, auf Griechisch „Pisce“: „Ich bin ein Pisce-Fisch und der Fluss fließt durch meine Seele.“ Er singt von einem Tempel auf einer Insel, wo sich alle Götter versammeln. Götter, die man nur auffindet, wenn man sie in der eigenen Stille sucht. Hier kommt schon mehr von Harrisons persönlicher, religiöser Überzeugung rüber als im „P2 Vatican Blues.“ Das sind allerdings bei weitem nicht die einzigen Popsongs, in denen der Papst und der Vatikan eine Rolle spielen. Das bekannteste davon ist sicher gleichzeitig das skurrilste, und wir haben es einem New Yorker Straßenmusiker zu verdanken. „The Pope smokes dope“, der Papst raucht Gras, beginnt erst mal mit einem tiefen Inhalieren, bevor das Lied davon erzählt, auf welche Arten sich der Papst, Jesus, Gott und der Teufel denn ihre „Highs“ verschaffen. „Der Papst raucht Gras, gerne in der Messe. Gott hat ihm den Stoff beschafft, der Papst ist ziemlich groovy.“ So skurril wie die Story daherkommt, so faszinierend ist auch die

Geschichte dahinter. David Peele war Straßenmusiker in New York, wo ihm eines Tages John Lennon über den Weg gelaufen ist. Lennon, der sowieso seine Probleme mit organisierter Religion hatte (siehe Kapitel zu „Imagine“), hat den Musiker mit seinen skurrilen Songs wie „Everybody smokes Mari­juana“ oder dem „Birth-Control Blues“ von der Straße geholt und 1972 mit ihm ein Album produziert. Der Skandal war natürlich sofort da, und das Lied wurde in verschiedenen katholischen Ländern verboten. Man kann also gut schockieren und Aufmerksamkeit bekommen, wenn man solche Lieder über den Papst und den Vatikan schreibt. Prince hat das auch mal versucht mit seinem Song „Pope“, in dem es heißt „Du willst Präsident sein? Ich wäre lieber der Papst.“ Dabei spricht er auch die Macht an, die mit dem Amt einher geht. Inspiriert vom zweiten Vatikanischen Konzil, das Mitte des 20. Jahrhunderts die katholische Kirche grundlegend reformiert hat, hat sich bereits 1965 (während des Konzils) der Pianist Tom Lehrer gezeigt. Das Konzil hat nicht nur die Landessprache für die Messen eingeführt, sondern auch die Musik des Gottesdienstes geöffnet. Lehrer hat daraufhin seinen „Vatican Rag“, eine Old-Time Ragtime Nummer präsentiert, mit so herrlichen Zeilen wie „2-4-6-8, Time to Transsubstanciate“ oder „You can do whatever you want if, you clear it with the Pontiff.“ Alles natürlich nicht all zu ernst gemeint, aber einen Comedy-Ansatz zum Zweiten Vatikanischen Konzil zu hören ist definitiv mal was anderes.

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Rock n Roll wird uns alle retten titel : 

I still believe – Frank Turner album :  England keep my bones (2011)

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onzerte von Frank Turner könnten einige Christen schockieren. Es kann vorkommen, dass Zehntausende von Menschen freudig im Chor die Zeile „There is no God“ – Es gibt keinen Gott – singen und dabei ein breites Grinsen auf den Lippen haben. Trotzdem gehört der junge Mann aus England für mich zu den faszinierendsten neuen Künstlern des letzten Jahrzehntes, und auch wenn ich seinen Standpunkt im Bezug auf Religion nicht teile, muss ich anerkennen: Er hat sich Gedanken gemacht, und das ist mehr als man von anderen Künstlern sagen kann. Frank Turner gehört zu den Künstlern, die sich ihren Erfolg sehr hart erarbeitet haben (wovon gefühlt auch die Hälfte seiner Lieder erzählt). Jahrelang Abend für Abend durch kleine Bars und Clubs getourt, auf Sofas von Freunden oder Fremden übernachtet und immer auf den Moment des großen Durchbruchs gehofft. Dass er dem Massenpublikum heute halbwegs bekannt ist, ist auch seinem Freund Danny Boyle zu verdanken. Der Regisseur von Filmen wie „28 Days Later“ oder „Sunshine“ hat 2012 die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in London inszeniert. Als Musikact für das große Finale hat er seinen Kumpel Frank Turner engagiert, der unter anderem den Song „I still believe“ vor zehntausenden Menschen im Wembley-Stadion und Millionen vor den TV-Geräten in aller Welt aufgeführt hat.

Turner selbst bezeichnet den Song als „schamloses Liebeslied an den Rock n Roll“, auch wenn das bei manch einem Zuhörer vielleicht zu Augenrollen führen sollte. Das Lied beschreibt, wie wichtig ihm die Musik in seinem Leben ist, welche Rolle die Rockmusik für ihn einnimmt, und, dass sie in gewissem Sinne auch seine Seele rettet. Eine Aufgabe, die traditionell eigentlich dem Glauben und der Religion zufällt, und so finden sich im Text auch mehr als genug Vergleiche, in denen er Musik und Spiritualität auf eine Ebene stellt: „Ich glaube immer noch an die Heiligen“, bei ihm sind das aber nicht Petrus oder Paulus, sondern „Jerry Lee, Johnny and all the greats“, Jerry Lee Lewis und Johnny Cash und all die Künstler, die ihn schon zu Kindertagen bewegt haben. Musik als Ersatz für Religion. Ist diese Idee so abwegig? Peter Gabriel hat dazu mal gesagt, dass beides auf ungehinderte, direkte Weise das Herz und die Seele berühren kann, und das für den Menschen eine große Kraft mit sich bringt. Wenn Frank Turner also von der verunglückten Liebe zu Amy, Isabel oder Eva Mae erzählt, leistet er damit nicht nur eigene Seelentherapie, sondern gibt auch all denen, die selbst geliebt und verloren haben ein Mittel um ihre Gefühle auszudrücken. „Der versteht mich!“ wird da vielen Jugendlichen und jungen Erwachsenen durch den Kopf gehen. Das bezieht sich nicht nur auf die Liebe, sondern auf alles, was den Menschen tief drin bewegt. Wer sich in Party-Stimmung fühlt, hört „Dan’s Song“, wer denkt, dass er nie so wirklich erwachsen geworden ist, spielt „Photosynthesis“, und wer gerne mal im Traum mit der verstorbenen Großmutter im Himmel Karten spielen und Whiskey trinken würde, geht zum Album „England keep my bones“ und hört sich „Peggy sang the Blues an“ („Wir spielen Poker, und spielen um Geld. Neuerdings spiele ich nur gegen Engel, und die lassen mich nicht schummeln“).

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In der Bridge von „I still believe“ singt er: „Ich glaube daran, dass jeder von uns ein Lied finden kann. Ein Lied für jeden einzelnen Moment, in dem wir gewonnen oder verloren haben. Genau auf diese Weise retten wir Seelen und haben auch noch Spaß dabei.“ Ist das ein bisschen blasphemisch? Obwohl er mit seinem Atheismus offen umgeht, relativiert er hier doch ein wenig. Im Interview mit dem Musikmagazin NME sagt er: „Das ist alles nicht ganz so ernst gemeint. Ich glaube nicht wirklich daran, dass der Rock n Roll die Welt rettet. Mein Leben macht er aber definitiv besser und interessanter, und dafür darf man doch auch mal dreieinhalb Minuten Danke sagen!“ Was Frank Turner bei all seinen Liedern von anderen Künstlern unterschiedet, ist, dass man ihm jedes gesungene Wort als offen und ehrlich abnimmt. In diesem Sinne kommt er an einen Bruce Springsteen oder Leonard Cohen ran. Ob es an einem Naturtalent liegt oder daran, dass er Hun­derte von Konzerten in halbleeren Bars spielen musste, man nimmt ihm ab, was er da auf der Bühne erzählt, und dass er unglaublichen Spaß daran hat. Ich habe ihn vor unter hundert Leuten in einer kleinen Kirche spielen sehen und vor Tausenden in großen Hallen, nach meinem Empfinden hat er seine Euphorie für die Musik als Religion beide Male gleich rüberbringen können. Das eingangs zitierte Lied („There is no God“ aus dem Lied „Glory Hallelujah“) hat er in der evangelischen Kirche in Köln Nippes übrigens nicht gespielt. So viel Respekt vor Religion und religiösen Menschen ist dann doch da. „Ich verstehe absolut, wenn Menschen ein Bedürfnis nach Religion haben. Der Tod, das Nicht-Existieren ist eine düstere Vorstellung. Auch das Fröhlich-Sein und Dank-Sagen hat seinen Platz im Leben. Ich fülle dieses Loch in meinem Leben mit der Rockmusik.“ In den Zeilen von „Glory Hallelujah“ führt er

weiter aus: „Ich weiß, dass du Angst vor dem Sterben hast, das habe ich auch, aber einfach so tun, als würde es den Tod nicht geben, hilft uns auch nicht weiter.“ Wenn die Menschen akzeptieren würden, dass ihre Lebenszeit begrenzt ist, dann würden sie sich umso mehr bemühen, schon zu Lebzeiten eine lebenswerte Welt zu schaffen, sagt er. Während andere Werke, die der Religion entsagen, vielleicht grau, trist und depressiv wirken, schafft es Frank Turner ein Gefühl der Gemeinschaft und des Triumphes zu erzeugen. „Es gibt keinen Gott, klatscht alle in die Hände, wir sitzen alle im selben Boot, also lasst die Siegesglocken läuten.“

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Die inneren Dämonen titel : 

Demons – „Imagine“ Dragons album :  Night Visions (2012)

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ie Zeiten, in denen die Kirche bei dem Begriff „Dämon“ von gehörnten Monstern aus Horrorfilmen wie der „Exorzist“ oder „Rosemary’s Baby“ spricht, ist Gott sei Dank größtenteils vorbei. Trotzdem, die Kirche sagt: Dämonen sind Realität. Man sollte sie nur eher als „unreine Geister“ betrachten denn als kleine Tiere mit spitzen Zähnen. „Unreiner Geist“ ist auch die wörtliche Übersetzung des biblischen Begriffs des Dämons. Mit diesem Gedanken kann man sich auch im 21. Jahrhundert noch anfreunden. Ich bin mir sicher, jeder von uns macht Zeiten durch, in denen Depressionen und negative „was wäre wenn“-Gedanken einen runter ziehen. Zeiten, wo das Aufstehen aus dem Bett an manchen Tagen schwer fällt. Wenn man diese Definition der Dämonen nimmt, dann wirkt auch das Lied „Demons“ von „Imagine“ Dragons auf einmal gar nicht mal so weit hergeholt. „Demons“ ist mit 2 : 55 Minuten wahrscheinlich der kürzeste Popsong der 2010er-Jahre. Intro und Outro gibt es nicht, denn die Botschaft und die Geschichte stehen ganz klar im Vordergrund: Jeder von uns hat seine Dämonen, ob wir es uns eingestehen oder nicht. „Wenn du meine menschliche Wärme spürst, komm mir nicht zu nah. Denn in meinen Augen wirst du meine Dämonen sehen.“

Die Band schafft es dabei in den knapp drei Minuten ein ziemlich akkurates Bild dieser depressiven Lebensphasen zu schaffen, alleine schon in den ersten Zeilen des Liedes. „When the days are cold…“ Zu Deutsch „Wenn die Tage kalt sind, deine Kartenhäuser in sich zusammenfallen und die Heiligen und Götter, die wir sehen, alle aus Gold sind…“ Ein Bezug zur Geschichte des Goldenen Kalbes aus dem Alten Testament, der Juden und Christen bis heute untersagt ­Götzenbilder zu schaffen und anzubeten. Die Heiligen aus Gold können sich natürlich hier auch auf Kapitalismus und Konsumgesellschaft beziehen, die Band lässt das an der Stelle offen, relativ zumindest. „Egal was wir in der Welt hervorbringen, wir sind immer noch aus der Gier geschaffen.“ Im Video wird die Frage nach den persönlichen Dämonen auch konkret beantwortet, nicht von der Band, sondern von ihren Fans. Zwischen den Konzertausschnitten werden einzelne Menschen befragt, was für sie denn persönliche Dämonen im Leben sind. Bilder von Krieg, häuslicher Gewalt oder Selbstverletzung werden da gezeichnet. Eine wirkliche Antwort, wie mit diesen Dämonen umzugehen ist, bleibt das Lied allerdings schuldig. Es bietet auf der anderen Seite damit aber auch wieder ein akkurates Bild der Depression, der persönlichen Dämonen, für die es oftmals auch keine einfache Antwort oder Lösung gibt.

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Ein „wundervolles Zeichen der Respektlosigkeit“ titel : 

Take me to Church – Hozier Hozier (2014)

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n gewissem Sinne ist dieses Lied das erfolgreichste, das in diesem Buch auftauchen wird. Zumindest wenn man die Engländer fragen würde. In der Geschichte der britischen Charts ist „Take me to Church“ das am höchsten platzierte Lied, das das Wort „Church“ enthält. Auf dem Streamingdienst Spotify wurde der Song von ­Hozier 2014 über 87 Millionen mal abgespielt. Als das Lied bei uns in Deutschland raus gekommen ist, war ich total begeistert. Ich habe eine Schwäche für diese düsteren, melancholischen Stücke, die kraftvoll und dramatisch von der Apokalypse reden. Wenn so ein Lied dann auch noch „Take me to Church“ heißt, und im Text immer wieder „Amen Amen“ gesungen wird, wäre das ja perfekte Musik für einen christlichen Radiosender wie das domradio, oder? Trotzdem sah unsere Musikredaktion das ein wenig anders. Obwohl wir immer auf der Suche nach Songs mit christlichen Botschaften sind, ist der damalige Riesenhit von Hozier nicht bei uns im Programm aufgetaucht. Neugierig habe ich mich etwas näher mit dem Lied und seinem Hintergrund befasst und ganz schnell verstanden, warum das Lied kein domradio-Material ist. Der Song beschreibt alles das, wofür Glaube und Kirche nicht

stehen sollten, und endet im Selbstmord des unglücklich verliebten, in Abhängigkeit verfallenen Sängers. Aber von Anfang. Andrew Hozier Byrne ist in der irischen Provinz aufgewachsen, in einem musikalischen Elternhaus. Sein Vater war Bluesmusiker in Dublin und hat ihm die Liebe für die Musik quasi in die Wiege gelegt. Genauso wie den Konflikt mit der Religion. Irland und Glaube ist kein einfaches Thema. Es ist nicht nur der Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten, der sich lange Zeit auch gewaltsam in Nordirland ausgedrückt hat. Es ist auch eine lange Geschichte von religiö­ ser Intoleranz und Unterdrückung „Ungläubiger“. Hoziers Eltern sind irisch-katholisch aufgewachsen, haben aber so unter der Konfession gelitten, dass sie zum Quäkertum konvertierten, für ihren Sohn wollten sie andere religiöse Erfahrungen möglich machen. Die Quäker sind eine christliche Denomination, die mehr auf das Innere blickt. Das Licht Gottes sehen sie im Alltag, in jedem Menschen, und legen deshalb weniger großen Wert auf Gottesdienste, aber auch auf die Funktion des Pfarrers oder Priesters. Trotzdem ist die religiöse Vergangenheit in der irischen Gesellschaft so verwurzelt, dass sie natürlich auch für den Songschreiber Hozier eine große Rolle gespielt hat. In „Take me to Church“ vergleicht er die Erfahrung des Glaubens mit der von Liebe und Sexualität. „Sich zu verlieben ist wie zu sterben.“ Sagt er der „Irish Times“. „Ein wundervoller Tod, in dem man für einen Moment den Körper verlässt und die Welt durch andere Augen sieht.“ Die beste Analogie für ihn war da das Bild von Kirche und Gottesdienst. „Wenn der Himmel je sprechen sollte, wäre sie sein letztes, wahres Sprachrohr,“ heißt es im Lied. Es sind aber nicht nur die schönen Bilder der Verliebtheit, die er zeichnet und mit dem Glauben gleichsetzt. Es ist ein düsteres Bild

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der Verzweiflung: „Jeder Sonntag wird hoffnungsloser, jedes Mal neues Gift für mich. Wir sind krank geboren und lieben es. Meine Kirche vergibt keine Sünden – stattdessen soll ich sie nur im Schlafzimmer anbeten.“ Diese düsteren Bilder sind daher zu erklären, dass er selbst beim Schreiben gerade das Ende einer Beziehung hinter sich hatte und deshalb sowohl die guten, wie auch die düsteren Momente in Erinnerung hatte. „Das kann man damit vergleichen, wenn jemand den Glauben oder die Religion verliert.“ Sein Verhältnis zur Religion, das sich auch im Lied ausdrückt, ist dabei auch kein einfaches. Die Kirche bezeichnet er als eine Organisation, die die Menschlichkeit untergräbt: „Sexualität, egal welcher Neigung, ist etwas vollkommen Natürliches. Die Kirche kommt her und verbindet sie mit Begriffen der Sünde und des Bösen, einer Beleidigung Gottes. Mit diesem Lied wollte ich meinen Standpunkt klar machen: Die Menschlichkeit zurückgewinnen durch einen Akt der Liebe.“ Dabei, fügt er aber schnell hinzu, sei das Lied vielleicht ein Angriff auf die Religion, aber nicht auf die Gläubigen. Trotzdem leide ein Land wie Irland unter einem „cultural hangover“ von Generationen der religiösen Prägung, und den will er überwinden. Schon in der Wortwahl des Textes will er sich dabei von der Kirche distanzieren und vielleicht auch gleichzeitig provozieren. Dem „Amen Amen“ und der Beschreibung des Gottesdienstes folgen Sätze wie „Ich bin ein Heide auf der Suche nach guten Zeiten und bete meine Sonnengöttin an. Sie fordert ein Opfer von mir, das Meer soll ich trocken legen und ihr ein glitzerndes Götzenbild darbringen.“ Im Endeffekt kommt er aber darauf zurück, dass kein religiöses Ritual für ihn die Erlösung bringt, nur der körperliche Akt der Liebe. „Keine Herren und Könige sind wichtig, wenn unser

Ritual beginnt. Es gibt keine größere Unschuld als unsere zarten Sünden. Amen.“ Für Kontroversen in kirchlichen Kreisen hat übrigens auch das Video zum Lied gesorgt, das gleichgeschlechtliche Liebe zwischen zwei Männern zeigt, und dabei über die Unterdrückung Homosexueller in Russland spricht. Hozier selbst sagt dazu: Die russische Regierung unterdrücke die Menschen heute so, wie es jahrhundertelang die Religion in Irland getan habe. „Eine Organisation, die die Menschlichkeit untergräbt.“ Einen ganz persönlicher Seitenhieb gegen die Kirche versteckt sich übrigens in den ersten Worten des Liedes. „My lover’s got humour, she’s the giggle at a funeral.“ Meine Geliebte hat Humor, sie kichert sogar bei Beerdigungen. Den Moment des Lachen-Verkneifens in unpassenden Momenten hat sicher jeder schon mal erlebt, für Hozier ist das aber noch mehr ein Ausdruck der Kirche ihre Würde und Kraft zu nehmen: „Das ist ein wundervoller Ausdruck der Respektlosigkeit gegenüber etwas, das hochwürdig und andächtig sein soll.“

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Himmel und Hip Hop titel : 

OMG! – Martaria album :  Zum Glück in die Zukunft II (2014)

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ie Zeiten, in denen sich deutscher Hip Hop nur mit Kiffen, Saufen, Feiern und Möchtegern-Gängsta’s befasst hat, sind schon lange vorbei. Künstler wie Sido haben es geschafft in den vergangenen Jahren zu ernstzunehmenden gesellschaftlichen Stimmen zu werden. Eine der interessantesten dieser Stimmen kommt vom Berliner Rapper Marteria. Das Lebensgefühl der Mitte-20er im 21. Jahrhundert kann er perfekt einfangen, ob es in seinem ersten großen Hit „Lila Wolken“ ist oder in dem Song „Kids“ mit der berühmten Zeile „Alle haben’ Job, ich hab Langeweile. Keiner hat mehr Bock auf Kiffen, Saufen, Feiern.“ Wenn man sich so intensiv mit dem Lebensgefühl und den Fragen junger Erwachsener beschäftigt, da passt es sicher auch rein, mal nach der großen Wahrheit hinter den Dingen zu fragen, und das tut er mit dem Song „OMG!“. Übersetzt in Erwachsenen-Deutsch: Oh mein Gott! Am faszinierendsten an diesem Lied ist, wie unvoreingenommen der Rapper mit den Fragen nach Glauben und Spiritualität umgeht. Wollte Madonna mit ihrem Video zu „Like a Prayer“ noch schockieren, ist es bei Marteria eher eine kuriose Randnotiz, dass im Video Nonnen knutschen oder Madonnenstatuen Blut weinen. Wenn man weder schockieren noch sich anbiedern will, dann kann man auch wirklich die Fragen stellen, um die es geht: „Oh mein Gott,

dieser Himmel. Wie komm ich da bloß rein? Wo zum Teufel soll der sein?“ Natürlich gehört ein wenig schockieren auch hier dazu. „Fahr mit nem eigenen Wagen über den CSD, schmeiß Gummis in die Menge und schrei: Gay ok!“ oder „Vatikan, Tibet und Mekka – wir feiern ins nächste Jahr. Zum Dank schießen wir dir Silvesterraketen in den Arsch.“ Wenn es aber an die wirklichen Glaubensfragen geht, dann wird er durchaus ernst: „Ich mach mir heute nen schönen Abend, doch wie so oft kann ich wieder nicht schlafen, denn ich stell mir diese eine Frage“ Wie er denn wohl in den Himmel kommt, auf die Frage gibt es verschiedene Antwortideen im Text. Gute ­Taten sind eine Idee. „Ich will ja gut sein, auch wenn’s nicht immer klappt. Lauf durch die Straßen im Winter, verteile Schuhe und Brot“. Im Endeffekt ist es der menschliche Kontakt, die Liebe, die ihm zumindest einen Eindruck vom Himmel bereitet, und damit liegt er (vielleicht unbewusst) schon ziemlich genau auf der Linie der Kirche. Marteria singt zum Ende des Liedes: „Oh mein Gott, dieser Himmel, wie komm ich da bloß rein? Egal, ich lieg in ihren Armen.“ Dabei reimt er geschickt mehrmals „Armen“ mit – was wohl? Amen.

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Der Tod in der Popmusik titel : 

You want it darker – Leonard Cohen album :  You want it darker (2016)

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ch denke, dass Leonard Cohen Geschichte schreiben wird. Ähnlich wie Johnny Cash wird seine Bedeutung erst Jahre nach seinem Tod Ende 2016 den Menschen wirklich bewusst werden. Er ist nicht nur einer der bedeutendsten Song-Poeten des 20. Jahrhunderts und hat einen wahnsinnig spannenden Lebenslauf (siehe das Kapitel zu „Suzanne“), sondern er hat quasi seinen eigenen Tod musikalisch begleitet. Man könnte Vergleiche zu Johannes Paul II. aufstellen, der als Papst selbst Wochen vor seinem Ableben noch in der Öffentlichkeit gestanden hat, und das bewusst. Leonard Cohen hat bis zum Schluss Musik gemacht, sein letztes Album ist erst Wochen vor seinem Tod erschienen. Wie bereitet sich ein 82-jähriger jüdischer Sänger, der einige Jahre im buddistischen Kloster gelebt hat, auf seinen nahenden Tod vor? Die beeindruckende Antwort liefert das letzte Album von Leonard Cohen, insbesondere mit seinem Titeltrack „You want it darker“. „Eine Million Kerzen brennen für die Hilfe, die niemals kommt. Wenn du es dunkler willst, dann löschen wir die Flamme.“ Der Bezug zur Bibel drängt sich hier schon fast auf, genauer gesagt zum Text des Matthäusevangeliums, in dem Jesus die Jünger nicht nur als Salz der Erde, sondern auch als Licht der Welt bezeichnet. „Man zündet auch nicht ein Licht an und stülpt

ein Gefäß darüber, sondern man stellt es auf den Leuchter; dann leuchtet es allen im Haus.“ (Mt 5,16). Bei Leonard Cohen wird die Flamme allerdings wieder gelöscht. Cohen selbst bezeichnet das Lied als „unerschrockene Erkundung des religiösen Geistes“, und das drückt sich nicht nur an dieser Textzeile aus. Das alte hebräische Wort ­„Hineni“ taucht immer wieder im ganzen Text auf. Ein Wort, das im Judentum des 21. Jahrhunderts kaum noch gebraucht wird. Übersetzt heißt es so viel wie „Hier bin ich“. Im Kontext des Liedes „Hier bin ich – ich bin bereit, oh Herr.“ Das Album, wie das Lied, wie die einzelnen Zeilen des Liedes sprechen von seiner Vorbereitung auf den Übergang ins Jenseits. Im Text spricht er dabei auch Gott ganz persönlich an: „Erhöht und geheiligt werde dein Name. Verraten und gezkreuzigt in menschlicher Gestalt.“ „Ich bin bereit zu sterben. Ich hoffe, es wird nicht zu unangenehm.“ Das hat Cohen kurz nach Veröffentlichung des Albums dem Magazin „New Yorker“ gesagt, und das merkt man seiner Musik auch an. „Wenn du die Karten gibst, bin ich raus aus dem Spiel.“ Diese letzte musikalische Reise hat er übrigens mit Unterstützung angetreten. Unterstützung von Menschen, die Ihren Glauben genau so ernst nehmen wie er. Im Hintergrund des Liedes singt der Shaar Hashomayim Synagogen Chor aus Montreal. Die Synagoge, die Cohen schon als Kind besucht hat. Der Kantor der Gemeinde, Gideon Zelermyer, war an der Aufnahme beteiligt. Er sagt zu Cohens letztem musikalischen Werk: „Er versucht mit Gott ins Reine zu kommen, eine Übereinkunft zu treffen. Er betrachtet die letzten Seiten im Buch seines Lebens und schreibt: Hier bin ich – ich bin bereit.” Gedanken sind das, die sich durch die letzten Jahre seines musikalischen Werkes konsequent hindurchziehen. Beson-

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ders im Song „Slow“ von 2014. Hier singt er, dass er es schon immer hat ruhig angehen lassen, sein Leben, und, dass das Hetzen eh nichts bringt. Das habe nichts mit seinem Alter zu tun, und auch nichts damit, dass er bald tot ist. („It’s not because I’m old, it’s not because I’m dead, I always liked it slow, that’s what my mama said“). Am Ende des Liedes verabschiedet er sich noch von seiner Geliebten und gesteht ihr zu, dass sie sich doch lieber den Lebenden zuwenden solle: „Baby let me go, they want you back in town.“ Nun gibt es nicht wenige Künstler, die sich mit Tod und Sterben aus­ ein­andersetzen. Bei Cohen ist es aber was anderes, da es a) für ihn kein Gedankenspiel ist (wie bei AC/DC, Black Sabbath oder auch den Nine Inch Nails), sondern eine immer näher rückende Realität. Und b) ist er bei allem weiß Gott nicht lebensmüde, seinem Leben will er kein Ende setzen, wie Kurt Cobain von Nirvana zum Beispiel, sondern er muss mit dem Gedanken des schwächer werdenden Körpers einfach klar kommen. Cohen schafft das alles auf bemerkenswerte Weise, und das immer mit einem Augenzwinkern. Respekt. Nur wenige Monate nach Veröffentlichung seines letzten Albums ist Leonard Cohen verstorben. „Hier bin ich. Ich bin bereit – oh Herr.“ Wenige Monate nachdem das Lied veröffentlicht wurde, verstarb Leonard Cohen.

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Weitere/Diverse:

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ei der Recherche zu diesem Buch bin ich über viele weitere Lieder gestolpert, die verschiedenste Bezüge zu Glaube und Religion aufweisen, aber nicht genug Stoff und Anekdoten für eigene Kapitel hergegeben haben. Trotzdem möchte ich eine kleine Auswahl dieser Titel und ihrer Geschichten an dieser Stelle nicht vorenthalten. titel : 

American Pie – Don McLean album :  American Pie (1971) Ganze Generationen von Musik-Kritikern haben sich an diesem Lied und seinen Interpretationsmöglichkeiten schon die Zähne ausgebissen. Es gibt ganze Bücher über die Bedeutung von American Pie. Warum? Weil der Text des Liedes ziemlich kryptische Zeilen enthält. („Drove my Chevy to the levee, but the levee was dry“). Heute ist man sich relativ einig: American Pie ist ein musikalisches Denkmal für die Popkultur der USA, den „American Way of Life“, zu dem natürlich auch der Apfelkuchen, der American Pie, gehört. Genauer gesagt beschäftigt sich das Lied mit dem Tod von Buddy Holly („The day the music died“) und der Tragödie, die das damals für den 13-jährigen Musikfan und Zeitungsjungen Don McLean dargestellt hat. Im weiteren Text des Liedes finden sich Bezüge zu allem, das in der amerikanischen Kultur der vergangenen Jahrzehnte (be-

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sonders der 50er) eine Rolle gespielt hat: Baseball („the players try to take tie field“), die Rolling Stones („moss grows fat on a rolling stone“), Folklore („Jack be nimble, Jack be quick“), aber auch die Morde von Charles Manson („Helter Skelter in a summer swelter“). Alles das sei an dieser Stelle aber nur angerissen. Es finden sich natürlich auch einige Bezüge zum Glauben, die hier ebenfalls eher einen Touch der Folklore haben. Die Figur des Satans taucht immer wieder auf, zum Beispiel wenn es um die Freude des Teufels geht, dass der Ausnahmemusiker Buddy Holly in einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen ist („I saw satan laughing with delight, the day the music died“). Oder auch die Zeile „no angel born in hell, could break this satan’s spell“. Hier geht es weniger um den wahren Kampf von Gut und Böse, sondern eher um ein Bild des Teufels aus Film und Fernsehen, mit Hufen, Hörnern und Spitzbart. Don McLean schaut aber auch in die andere Richtung. „The three man I admire the most, the Father, Son and the Holy Ghost“. Die Dreifaltigkeit spielt für ihn eine große Rolle, allerdings versabschieden sich Vater, Sohn und Heiliger Geist auch, als sie vom Tode Buddy Hollys hören und verschwinden auf einem Zug, der Richtung Westküste der USA fährt („they caught the last train for the cost, the day the music died“.). Diese Zeile wird übrigens vom theatralen Schwergewichts-Rocker Meat Loaf 1993 geklaut und etwas umgedreht. „The three man I admore most are Curly, Larry, Moe“ heißt es in „Everything louder than everything else.“ Ein Lied über Rebellion gegenüber der Eltern-Generation, anscheinend auch gegenüber deren religiösen Ansichten. Der Respekt gebührt hier nämlich nicht der Dreifaltigkeit, sondern den drei „Stooges“ Curly, Larry und Moe, ein legen­däres Komiker-Trio (ala Dick und Doof ) der frühen ­US-TV-­Geschichte.

Ganz persönlicher Tipp: Ebenfalls auf dem Album „American Pie“ findet sich der Song „Vincent“, der sich mit dem Leben von Van Gogh befasst und es schafft musikalische Versionen seiner Bilder zu malen. titel : 

Soul – Van Morrison album :  Keep it simple (2008) Wenn man über die Bedeutung von Van Morrison spricht, dann denkt man wahrscheinlich nicht an das Jahr 2008, aber es ist wahr. Der profilierte Musiker aus Nordirland macht auch heute noch neue Musik. Lieder, die vielleicht nicht mehr eine ganze Generation prägen, aber definitiv hörenswert sind und auch noch interessante Gedanken beinhalten. Mit dem Album „Keep it simple“ hat er sich wieder zu seinen musikalischen Wurzen begeben, der Blues- und Soul-Musik. Und mit dem Soul – und der Seele – befasst sich das Lied „Soul“: Van Morrison fragt sich hier, was die unsterbliche Seele des Menschen eigentlich ausmacht. „Soul is not the colour of your skin“, es ist nicht die Hautfarbe, es kann ein Gefühl tief drin sein, es kann eine Vision sein, die Essenz von allem, oder wie es in der letzten Zeile heißt: Die Seele ist das, womit alles beginnt. titel : 

Man on the Moon – R.E.M. album :  Automatic for the People (1992) Liebend gerne hätte ich ein langes Kapitel über die religiö­ sen Überzeugungen der Band R.E.M. geschrieben (siehe das Kapitel zu „Losing my Religion“ für einiges davon), wenn eine Gruppe eine Zeile schreibt wie: „Wenn du glaubst, dass wir einen Mann auf den Mond geschickt haben, dann kann ich dir auch nichts mehr sagen“, dann muss das doch

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irgendwas mit einer inneren Überzeugung zu tun haben? Stellt sich raus, dass das Lied wenig mit Glauben oder Religion zu tun hat, sich aber eine andere, faszinierende Geschichte dahinter verbirgt, über die ich bei der Recherche gestolpert bin, und die ich hier nicht vorenthalten möchte. „Man on the Moon“ ist eine Hommage an den verstorbenen US-Fernsehkomiker Andy Kaufman. Eine schillernde Figur der Sketch-Reihe „Saturday Night Live“, die R.E.M.-Sänger Michael Stipe als Junge tief beeindruckt hat. Andy Kaufmann ist 1984 verstorben, seine Fans wollten das aber nicht wirklich wahr haben und haben verschiedenste Verschwörungstheorien entwickelt, insbesondere, dass der Komiker seinen Tod nur vorgetäuscht hat. Michael Stipe hat das als Ausgangspunkt für sein Lied genommen und den Tod Andy Kaufmanns anderen, berühmten Verschwörungstheorien gegenübergestellt. Elvis kommt hier zur Sprache, aber auch die Mondlandung. Wer glaubt, dass wir auf dem Mond waren, der ist vielleicht auch so gutgläubig, die Geschichte von Kaufmanns Tod nicht weiter zu hinterfragen – alles natürlich mit einem ironischen Unterton. Im zweiten Teil des Liedes beschreibt die Band dann auf skurrile Weise, wie sich Andy Kaufmann wohl im Himmel fühlen wird, wo er mit Moses, Charles Darwin und Sir Isaac Newton zusammensitzt, wenn er denn überhaupt auf der Liste steht und rein kommt, in den Himmel. „See you in ­Heaven, if you make the list.“ Meine Lieblingszeile kommt gegen Ende des Liedes. „Here’s a truck stop instead of Saint Peters“. Wo wird der Komiker seinen Weg in den Himmel finden? Im Petersdom in Rom, oder vielleicht doch nur in der Autobahnraststätte? PS: Michael Stipe hat mit diesem Lied übrigens versucht in Konkurrenz mit Kurt Cobain und Nirvana zu treten. Die Grunge-Band war zu dieser Zeit mit dem Album Nevermind

(„Smells like Teen Spirit“) auf dem Höhepunkt ihres Erfolges. R.E.M. wollten mit diesem Song ein Lied schreiben, dass mehr „Yeah yeah yeah“s enthält, als „Smells like Teen Spirit“, deshalb tauchen die Worte quasi am Ende jeder Zeile auf. titel : 

The 59 Sound – Gaslight Anthem album :  The 59 Sound (2007) Hier muss ich ein wenig tricksen. Im Titellied zum Album „The 59 Sound“ findet sich kein großer religiöser Bezug, allerdings findet der sich in so gut wie keinem Lied der Band, und trotzdem gehören The Gaslight Anthem zu den umstrittenen Künstlern, was ihre Religion angeht. Musikalisch gehören sie in einer gewissen Szene zu den einflussreichsten Gruppen des jungen 21. Jahrhunderts. Wer schrammelige Gitarrenmusik mag (so wie ich), der hat die Jungs aus New Jersey zum Vorbild. Sie selber bezeichnen Bruce Springsteen als großes Idol und zitieren ihn häufig, gerade auf der ersten großen Platte „The 59 Sound“. Wenn Springsteen in „I’m on Fire“ singt: „At night I wake up with the sheets soaking wet and a freight train running through the middle of my head“ heißt es bei The Gaslight Anthem „At night I wake up with the sheets soaking wet is a pretty good song, maybe you know the rest.“ Springsteen wacht nachts verschwitzt im Bett auf und fühlt sich, als würde ihm ein Güterzug durch den Kopf rasseln. Brian Fallon von The Gaslight Anthem erinnert sich, dass es ein Lied gibt mit jemandem, der verschwitzt im Bett aufwacht, „das ist ein ziemlich guter Song, vielleicht kennst du den Rest davon?“ Dass die Jungs der Band ziemlich religiös sind, war schon immer irgendwie bekannt. Respekt verdienen sie aber dafür, dass sie ihren Glauben nicht vor sich hertragen oder in ihre Musik einfließen lassen, sondern zu etwas machen,

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das ins Privatleben gehört und sich eigentlich gar nicht in ihrer Musik ausdrückt. Ein wenig geändert hat sich die öffentliche Meinung dazu allerdings im Jahr 2011. Frontmann Brian Fallon war gerade mit dem Soloprojekt „The Horrible Crowes“ unterwegs, mit dem er auch das Lied „I believe Jesus brought us together“ veröffentlicht hat. Eigentlich kein schlechtes Lied, viele Bilder von Engeln und Teufeln sind darin zu finden. Im Interview mit der Musikzeitschrift ­„Visions“ wurde er zu den Hintergründen des Liedes gefragt und hat sich dabei als Kreationist geoutet. „Ihr glaubt doch nicht im Ernst, dass wir vom Affen abstammen?“ Nach diesem Interview ist er in der Gunst vieler Kritiker, wie auch vieler Fans gefallen. Nur ein paar Jahre später hat sich die Band aufgelöst. Ob das direkt damit zu tun hat, ist schwer zu sagen. Auf alle Fälle haben sie musikalisch danach nie wieder so richtig Fuß gefasst. Seit 2016 ist Brian Fallon komplett solo unterwegs. Auf der ersten Platte „Painkillers“ sucht man auch vergeblich nach Religionsbezügen. Lektion gelernt? titel :  

Heathens – Twenty one Pilots Suicide Squad Soundtrack (2016)

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Die 2010er Jahre werden Kinotechnisch als die Zeit der Superhelden-Filme in die Geschichte eingehen. Die Filmstudios von Marvel und DC sind seit Jahren dabei sich gegenseitig mit Blockbustern zu überbieten. Das Comic-Haus Marvel hat dabei mit Hits wie „Avengers“, „Iron Man“ oder „Captain America“ weitaus mehr Erfolg als die eher düsteren Verfilmungen der DC-Comics wie „Batman v Superman“ oder „Man of Steel“. 2016 sollte dabei das große Jahr für DC werden, man wollte an die leichtfüßigen, humorvollen Marvel-Filme herankommen mit dem Kinofilm „Suicide ­ Squad“. Die Prämisse: Die Bösewichte des Comic-Univer-

sums müssen sich vereinigen und die Welt retten. Der Film wurde zum Flop für Kritiker und Kinogänger, brachte aber mit „Heathens“ einen der Chart-Hits des Jahres hervor. Die Band „Twenty One Pilots“ wurde beauftragt ein Lied direkt für den Film zu schreiben. Heathens heißt übersetzt Heiden. „Alle meine Freunde sind Heiden, lass es deshalb ruhig angehen,“ heißt es im Refrain. Die Heiden beziehen sich dabei nicht nur auf die Protagonisten des Films, sondern sind auch eine Botschaft an die Fans der Band. Twenty One Pilots gehört zu den Gruppen, die lange im Untergrund ihre Fanbase aufgebaut haben, durch den Mainstream-Durchbruch 2016 kamen auf einmal Millionen neuer Fans dazu. Diese „Neuen“ werden von den Hardcore-Fans als „Heiden“ bezeichnet. Die Band hat deshalb im Text zu „Heathens“ die Botschaft versteckt, auch diese Neuankömmlinge zu akzeptieren und zu respektieren. titel : 

Human – Rag n Bone Man album :  Human (2017) Wenn es eine große musikalische Entdeckung des Jahres 2016 gibt, dann ist das Rory Graham aus dem Süden Englands. Als Künstler des 21. Jahrhunderts ist der durch Internetvideos bekannt geworden, bevor im Frühjahr 2016 mit „Human“ seine erste Single und im Februar 2017 das gleichnamige Album veröffentlicht wurde. Als Künstler nennt er sich „Lumpen-und-Knochen-Mann“, Rag n Bone Man. Auf die dreckigen, alten Bluesnummern will er sich besinnen. Mit „Human“ klappt das auf alle Fälle schon mal. Ein Lied über Obsession und Verlangen. Seine Geliebte fixiert ihr ganzes Leben auf ihn, macht ihn sogar zum „Messias“, er sagt aber: Lass das lieber. Ich bin nur ein Mensch, setze weder deine Hoffnungen auf mich noch gib mir die Schuld, wenn was in

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deinem Leben schief läuft. „I’m no prophet or messiah, you should go looking somewhere higher.“ Ich bin weder Prophet noch Messias. Suche lieber nach etwas höherem. titel : 

Heaven/where true love goes – Yusuf album :  An other Cup (2006)

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„Der Himmel hat dich programmiert“, das ist die Zeile in diesem Lied, die besonders ins Auge sticht. Ein Lied über wahre, gottgegebene Liebe. In der Popmusik nichts ungewöhnliches, erwähnenswert wird dieses Lied durch die Vorgeschichte des Künstlers. Yusuf Islam, der Jahrzehnte als Cat Stevens unterwegs war, ist ein Musiker, auf den auch das Wort Hassprediger in gewissem Sinn zutrifft. In seiner Zeit als radikaler Muslim hat er unter anderem zum Mord an Salman Rushdie aufgerufen (siehe dazu das Kapitel zu „Morning has broken“). An dieser Stelle wollen wir kurz über sein Comeback sprechen. Den Hassprediger hat er im 21. Jahrhundert zu großen Teilen hinter sich gelassen. 2006 hat er beschlossen wieder Popmusik zu machen und das Album „An other Cup“ veröffentlicht. Ein Album, das nur so sprüht vor religiöser Inspiration und anscheinend auch persönlichem Frieden. Am deutlichsten wird das in der ersten Single „Heaven“. Er begegnet einer Person, die ihm in der Liebe die Göttlichkeit offenbart, und spricht im Lied offen und verletzlich über seinen eigenen Glauben. „Wenn du deinen Weg gehst, und ihn vielleicht auch mal verlierst, vergiss nie den, der dir dieses Leben geschenkt hat“, „Wenn du Zeiten des Schmerzes und des Ärgers überstehst, ist das vielleicht die Gelegenheit Gottes Namen zu preisen.“ Auch wenn er heute hin und wieder seine Aussagen aus radikalen Zeiten verteidigt, sollte man sich zumindest dieses Album und dieses Lied anhören, um

ein besseres Bild des Sängers Yusuf Islam und seiner Überzeugungen zu bekommen. titel : 

The Power of Love – Frankie goes to Hollywood Welcome to the Pleasuredome (1984)

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Frankie goes to Hollywood (ein Wortspiel, das auf einem Werbeplakat für Frank Sinatras Filmkarriere basiert) gehört zu den Bands, die gerne schockieren. In den frühen Achtzigern hat die Gruppe immer wieder Dinge in ihren Liedern thematisiert, die ihr nicht nur Fans gebracht haben. „Relax“ ist ein Lied über den Orgasmus („dont do it, when you wanna go to it“), in „Two Tribes“ hat sich die Band mit Politik befasst. Im November und Dezember 1984 kam dann der dritte Schlag: Ein Lied über Spiritualität. Den DJs und Musikredakteuren, die jedes Jahr „The Power of Love“ in die Advents- und Weihnachtsrotation nehmen, möchte ich jedes Mal ein bisschen an den Hals springen. Tatsache ist: „The Power of Love“ ist kein Weihnachtslied, auch wenn viele es so interpretieren. Fakt ist, das Lied kam im November 1984 raus und ist im Dezember in die Charts gekommen. Die Band hat die Chance ergriffen und das Musikvideo thematisch der Adventszeit angepasst. Die Weihnachtsgeschichte wird im Video erzählt. Als Plattencover wurde ein altes Marienbild des italienischen Malers Tizian gewählt. Schaut man aber in den Text des Liedes, merkt man, dass das alles nur ein cleverer Marketing-Schachzug war. Das Lied hat im engeren Sinne nichts mit Weihnachten oder der Geburt Jesu zu tun. Im weiteren Sinne geht es aber um die Liebe, wie es der Titel schon sagt, und welche Kraft Gottes in dieser Liebe liegt. „The Power of Love – a force from above.“ Eine Kraft, die von oben kommt. Das Lied beschreibt alles das, was die Liebe bewegen kann, aber geht nirgends

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näher auf die religiöse Symbolik ein. Es ist ein spirituelles Lied, aber kein religiöses. Der Sänger der Band, Holly Johnson, bezeichnet es trotzdem als das wichtigste Lied seiner Karriere. „Ich habe immer gewusst, dass dieses Lied mich in diesem Leben retten wird. Wenn es einen biblischen Aspekt enthält, dann, dass die Liebe und Leidenschaft Teil der Spiritualität sind und im Endeffekt das einzige, was zählt.“ Und ich habe mir als Jugendlicher Jahr für Jahr den Kopf zerbrochen, was Vampire und der Sensenmann (tauchen beide im Text auf ) denn nun mit Weihnachten zu tun haben … titel : 

Heaven – Bryan Adams album :  Reckless (1984)

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Als Meister der radiotauglichen Rockballade haben die Kritiker Bryan Adams aufgrund dieses Liedes bezeichnet, und da ist auch was dran. Obwohl „Heaven“ oftmals in der Aufmerksamkeit untergeht, und man eher an „Everything I do“ denkt, so ist das Lied doch in gewissem Sinne die ultima­tive, dreiminütige, leicht verdauliche Rock-Ballade. Nichts an diesem Lied kann einen stören. Das Lied ist so belanglos und banal, dass selbst Adams und Produzent Jimmy Iovine es erst gar nicht auf das Album „Reckless“ packen wollten. Zu „weichgespült“ kam es den beiden daher. Da passt es ja dazu, dass auch der religiöse Aspekt des Liedes so vage wie möglich bleibt, um niemanden zu beleidigen oder zum Nachdenken zu bringen. Im Lied geht es um eine Beziehung, die schon eine Weile auf dem Buckel hat, gute und schlechte Tage liegen hinter den beiden Protagonisten. Wenn Bryan Adams aber dann doch in den Armen seiner Geliebten liegt, dann ist alles gut. Dann ist das für ihn „der Himmel“. Mehr als das sagt er allerdings nicht dazu.

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Believe – Cher album :  Believe (1998) Wenn wir diesem Lied eines zu verdanken haben, dann ist es der Siegeszug des „Auto-Tune“-Verfahrens, des künstlichen Bearbeitens einer Stimme nach der Aufnahme. Heute wird das Verfahren hauptsächlich dazu genutzt schiefe Töne in gerade umzuwandeln. Zur Hoch-Zeit des Verfahrens, die späten 90er Jahre, wurde es als regelrechtes Stilmittel eingesetzt, um einen „waberigen“ Stimmeffekt zu erzielen. „Believe“ war der erste große Hit, der mit diesem Verfahren produziert wurde. Cher hat er von einer klassischen Rock-Sängerin zur Dance-Ikone gemacht. Sechs Songschreiber waren an der Produktion beteiligt. Und was „glaubt“ Cher nun in einem Song namens „Believe“? Sie fragt, ob du an ein „Leben nach der Liebe“ glaubst. „Do you believe in Life after Love?“ titel : 

Keep the Faith – Bon Jovi album :  Keep the Faith (1992) Irgendwie habe ich den Moment verpasst, als Bon Jovi uncool geworden ist. Das war doch mal der Künstler, der Ende der 90er mit „It’s my Life“ die inoffizielle Hymne zur Fußball EM in Frankreich geschrieben hat. Der Künstler, der so bombastische Nummern wie „Livin’ on a Prayer“ oder „You give Love a bad Name“ veröffentlicht hat. Vor ein paar Jahren musste ich mal von einem Bon Jovi Konzert in Düsseldorf berichten, und habe den ganzen Abend inmitten eingefleischer Bon Jovi Fans verbracht. Das waren allerdings keine Rocker, keine harten Kerle, sondern alles relativ zahme Hausfrauen mittleren Alters. Verantwortlich dafür sind wohl solche Schmacht-Balladen wie „Always“ oder „Bed of Roses“. Ein ziemlicher Schock für mich an dem Abend, und eine

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Erkenntnis zugleich: Irgendwie gehöre ich hier nicht hin. Trotzdem höre ich mir hin und wieder immer noch gerne Bon Jovi Alben an und habe da auch schon die eine oder andere Botschaft entdeckt. Dass man sich auch in schweren Zeiten den Glauben und die Zuversicht bewahren muss, ist die Erkenntnis von „Keep the Faith“, einer Bon Jovi Single von 1992. Bis heute auf fast jedem Live-Konzert zu hören, bekommt das Lied in den Live-Versionen fast schon einen Gospel-Charakter. Jeder braucht einen Menschen zum Lieben, aber auch zum Hassen, das ist die Idee hinter diesem Lied. „Oh Herr, erhalte mir den Glauben“ singt Jon Bon Jovi im Refrain immer und immer wieder. Das Lied scheint keinen wirklichen spirituellen Tiefgang zu haben, aber trotzdem interessant, dass Bon Jovi sich Worte wie „Herr“ und „Glaube“ wählen, um ihre Gedanken über Zuversicht in dunklen Tagen auszudrücken. PS: Wo wir gerade bei Bon Jovi sind, auch „Livin’ on a Prayer“ hat nicht viel mit Religion zu tun. Hier geht es eher um Menschen in schweren Zeiten („Tommy used to work on the docks“) und die Hoffnung, dass es irgendwann mal besser wird. Diese Hoffnung wird als Gebet bezeichnet. „We’re half way there, we’re living on a prayer“. Den halben Weg haben wir schon geschafft, bis dahin leben wir in der Hoffnung, im Gebet.

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In God’s Hands – Nelly Furtado album :  Loose (2006) Im Prinzip ist dieses Lied genau das Gleiche wie Leonard Cohens „Hallelujah“. Es geht um eine verflossene Liebe, die aber nicht mit Bitterkeit betrachtet wird, sondern mit Dankbarkeit für das Erlebte. „Wir haben die Liebe vergessen, den Glauben, das Vertrauen – und uns.“ Die Liebe der Beziehung

ist wieder dahin zurückgekehrt, wo sie auch nach biblischer Überzeugung herkommt. Sie ist bei Gott, „in Gottes Händen“. Dabei wählt die Künstlerin aus Portugal poetische Worte, um diese Bilder zu beschreiben. Die Liebe ist wie eine Taube, die aus dem Fenster fliegt, hoch zum Himmel (sky), von dort in himmlische Gefilde (heaven), und da wieder in die Hände Gottes zurückkehrt. titel : 

Viva la Vida – Coldplay album :  Viva la Vida (2008) Was ist der furchterregendste Satz, den man einem Menschen sagen kann? „Du stehst nicht auf der Liste“. Diese Antwort liefert Coldplay-Sänger Chris Martin, als ihn das Musik-Magazin „Q“ nach der Inspiration für „Viva la Vida“ fragt. „I know St. Peter wont call my name“ heißt es im Text, ich weiß Petrus wird meinen Namen nicht auufrufen. Dieser Gedanke der ewigen Verdammnis hat den Musiker bewegt. „Die Idee am Ende des Lebens bewertet zu werden, hat mich schon immer fasziniert, das zieht sich durch die meisten Religionen. Deshalb jagen Leute Gebäude in die Luft und wünschen sich 72 Jungfrauen im Himmel. Die Idee der ewigen Verdammnis. Das ist schon etwas Furchtbares, und was ziemlich Ernstes.“ titel : 

He ain’t heavy, he’s my brother – The Hollies album :  He ain’t heavy, he’s my brother (1969) Ohne den kathoilischen Priester Father Edward Flanagan würde es diesen Hit der Hollies nicht geben, auch wenn die Geschichte um fünf Ecken erzählt werden muss. Im Jahr 1917 hat Father Flanagan in den USA ein Jugendheim gegründet namens „Boys Town“, ein Zufluchtsort für

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Jungen aus schwierigen Verhältnissen, die hier eine Zukunft bekommen sollten. Eine der Hauptideen von „Boys Town“ war, sich gegenseitig zu unterstützen auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Pater Flanagan ist in dieser Zeit über eine Karikatur in einer Zeitschrift gestolpert. Ein Junge trägt seinen kleinen Bruder auf den Schultern, die Unterschrift: „Er ist mir nicht zu schwer, er ist ja mein Bruder.“ Ergriffen von diesem Zitat und der Karikatur, machte er den Satz zum Leitwort für „Boys Town“ und ließ eine Statue nach Vorbild der Karikatur anfertigen. Eine Geschichte, die auch Hollywood fasziniert hat. 1938 wurde die Story verfilmt, mit Spencer Tracy in der Hauptrolle als Father Flanagan. Genau über diesen alten Film ist Hollies-Gitarrist Tony Hicks gestolpert. Die zwei Songschreiber Bobby Scott und Bob Russell haben ihm das Lied vorgespielt. Russell war zu dieser Zeit unheilbar an Krebs erkrankt, und die beiden haben ein Lied darüber geschrieben, wie sie sich als Freunde in dieser Zeit unterstützt haben. „Er wird mir nicht zu schwer. Er ist ja mein Bruder.“ Die Statue nach Vorbild der Karikatur steht auch heute noch vor „Boys Town“, nur steht heute eine Zweite daneben. Ein Mädchen trägt ihre kleine Schwester auf dem Rücken, und die Einrichtung heißt seit den 70ern offiziell „Girls and Boys Town.“ titel : 

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Stairway to Heaven – Led Zeppelin album :  Led Zeppelin IV (1971) Ich glaube, es ist nicht übertrieben, dieses Lied als größten Rocksong aller Zeiten zu bezeichnen. Kritiker, Fans, Listen, Magazine, fast alle führen dieses Meisterwerk von Led Zeppelin an erster Stelle auf. Neben den cleveren Wendungen in Stimmung und Melodie hat das garantiert auch mit den kryptischen Texten zu tun. „Es gibt eine Dame, die sich si-

cher ist: Alles was glänzt, ist Gold. Also kauft sie sich eine Treppe in den Himmel.“ Allzu tief sollte man die Zeilen des Liedes allerdings nicht interpretieren. Nach den Worten von Leadsänger Robert Plant geht es hier tatsächlich um eine junge Dame, die nie im Leben für etwas arbeiten musste, und der trotzdem alles zu Füßen gelegt wird, selbst der Weg, die Treppe in den Himmel. Hört man sich das 8 : 03 Min. lange Werk aber weiter an, dann werden die Texte schon mysteriöser. Das Lied wird zur Highway-Hymne („as we wind on down the road.“). Es finden sich aber auch Zeilen wie „Wenn es im Gebüsch raschelt, sei nicht beunruhigt. Das ist nur der Frühjahrsputz der Maikönigin.“ Robert Plant sagt dazu: „Jeden Morgen wenn ich aufwache, bekommt der Text des Liedes eine andere Bedeutung für mich. Und ich habe ihn geschrieben!“ Natürlich muss hier auch die Verschwörungstheorie erwähnt sein, dass der Text rückwärts gespielt satanische Botschaften enthalten soll. Ich gestehe, ich habe auch im Teenie-Alter den Kassettenrecorder rückwärts laufen lassen. Von „Here’s to my sweet Satan“ habe ich aber nichts gehört. Auch Robert Plant sieht das Ganze eher kritisch: „Ich kann Leute nicht ernst nehmen, die sowas verzapfen.“ Viele Fans beziehen sich aber mit ihren Theorien gerade auf Plants eigene Worte, der sagt, dass ihn gefühlt eine fremde Hand geleitet hat beim Schreiben der Zeilen von Stairway to Heaven. Ob das so stimmt oder nicht, es macht auf alle Fälle eine gute Geistergeschichte. 173

Liedverzeichnis

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40 17 A Morning Song  46 Adam raised a Cain 137 All you Zombies 124 Allah is enough for me 45 Always 169 American Pie  105, 159 Angel of Harlem 125 Angels  125, 126 Arms of Mary 54 Auld Lang Syne 17 Bat out of Hell 66 Bed of Roses 169 Believe 169 Berlin 62 Birth-Control Blues 143 Blind Prayer 55 Bodies 127 Born to be Wild 64 Born to Run 7 Brown Eyed Girl 91 Call me, maybe 74 Calling all Angels 125 Carry on Wayward Son 57 Circle in the Sand 82 Condemnation 101 Dan’s Song 145 Delia’s gone 76 Delilah 75 Demons 148 Desolation Row 50 Don’t stop believin’ 74 Dust in the Wind  57, 58, 59 Earth on Hell 67 Eleanor Rigby 32

Enjoy the Silence 99 Enn Dreidüüvelsname 28 Everybody smokes ­Marijuana 143 Everything I do 168 Follow you, follow me 107 Forever loving Jah 71 Glory Hallelujah 146 God is a DJ  129, 130, 131 God’s gonna cut you down  11, 12 Hallelujah  8, 21, 36, 38, 73, 77, 78, 170 Hard Rock Hallelujah 67 Hare Krishna  36, 38 Have I told you lately  55, 90, 91, 92 He ain’t heavy, he’s my ­brother 171 He’s so fine 37 Heathens  164, 165 Heaven  49, 55, 83, 168 Heaven for everyone 83 Heaven is a Place on Earth 82, 84, 85 Heaven/where true love goes 166 Heavenly Airplane 123 Hells Bells 68 Help me up 111 Highway to Hell  9, 64, 65, 66, 68, 83 Human 165 Hurt 12 Hurt  117, 118, 119

Hymn  9, 60, 61, 62 I believe Jesus brought us together 164 I say a little Prayer  23, 24 I still believe  10, 144 I still believe in Rock n Roll 7 I won’t back down 119 I’m on Fire 163 If I ever lose my faith 114 If it be your will 20 If you believe  132, 133 Imagine  24, 33, 39, 40, 41, 43, 105, 143 In God’s Hands 170 It’s a Sin  88, 89 It’s my Life 169 Jesus He knows me  100, 106, 107 Johnny B.  124 Judas 102 Keep the Faith  169, 170 Kids 154 Knockin’ on Heaven’s Door 50, 51, 52 Kyrie  8, 79, 81, 89 La Luna 82 Lady Madonna 32 Leave a Light on 82 Let it be  29, 30, 31, 33, 74 Life is for Living 61 Lifeboat 55 Like a Prayer  94, 95, 97, 98, 154 Like a Virgin 94 Lila Wolken 154 Livin’ on a Prayer  169, 170 Looking for Freedom 62 Losing my Religion  103, 104, 105, 161 Lost in the Flood 136 Love my Life 127 Man in Black 12 Man on the Moon  161, 162 Mary’s Prayer 86

Mercy in You 101 Millenium Prayer 17 Morning has broken  45, 49, 166 My City of Ruins  135, 138, 141 My Heart will go on 111 My sweet Lord  32, 34, 35, 36, 37, 141 Nights in White Satin 61 Ob-La-Di, Ob-La-Da 142 Oh Happy Day  7, 36 OMG! 154 One Love 71 One of us  8, 121, 122, 124 Orinoco Flow 53 P2 Vatican Blues  140, 141, 142 Papa don’t preach 94 Peace Train 47 Peggy sang the Blues 145 People are People 99 Personal Jesus  99, 100, 101, 102 Photosynthesis 145 Pisces Fish 142 Poor Man’s Moody Blues  61 Pope 143 Presence of the Lord 112 Raindrops keep falling on my head  23, 24 Rattlesnake Highway 137 Redemption Song  69, 70, 71, 72 , 119 Relax 167 Ring of Fire 118 Rivers of Babylon  16, 17 Rocky Ground 138 Sailing  53, 54, 55 Sailing to Philadelphia 53 Salva mea (save me) 130 Sattelite 124 Slow 158 Smells like Teen Spirit 163 Solitary Man 119 Soul 161

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Stairway to Heaven 172 Strawberry Fields 39 Suzanne  19, 21, 75, 156 Sympathy for the Devil  9, 26, 28, 66, 83 Take me to Church 150 Tears in Heaven  10, 83, 110, 113 That’s what Friends are for 23 The 59 Sound 163 The Ballad of John and Yoko 31 The Man 120 The Pope smokes dope 142 The Power of Love 167 The promised Land 137 There must be an Angel 125 This Land is your Land 41 To Hell with the Devil 67 Tower of Song 20 Turn! Turn! Turn! 14

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Two Tribes 167 Up where we belong 111 Vatican Rag 143 Vincent 161 Viva la Vida 171 Wake me up 74 We Will Rock You 9 Wenn ein Mensch lebt 16 When the Deal goes down 52 When will I ever learn to live in God? 92 Where have all the Flowers gone?  14, 15 Where the Streets have no Name 83 Who by Fire 21 Wild Wild Angels 125 Working Class Hero 41 You give Love a bad Name 169 You want it darker 156

populärer als Jesus – und sie hatten Recht. Auf Facebook haben sie fast zehnmal so viele ›Fans‹ wie Christus. Trotzdem spielt Spiritualität für sie und andere Rockstars eine große Rolle. Wenn Robbie Williams über »Angels« singt, dann meint er himmlische Wesen. AC/DC sind unterwegs auf dem »Highway to Hell« zur endlosen Party, bis ihr Frontmann stirbt und die Hölle in den Liedern auf einmal eine viel ernstere Note bekommt. Bruce Springsteen, Bob Dylan oder

If you believe ...

Die Beatles haben 1966 behauptet, sie seien

Madonna – sie alle beschäftigen sich mit ihrem

Renardo Schlegelmilch begibt sich in diesem Buch auf die Suche nach den offenen und versteckten Spuren von Religion in der Pop- und Rockmusik. Ein Streifzug durch deren Geschichte, von 1950 bis zur Gegenwart. Renardo Schlegelmilch ist Moderator beim domradio in Köln und Journalist mit Schwerpunkt Kirche und Gesellschaft.

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