Ideengeschichte heute: Traditionen und Perspektiven 9783839439241

The history of ideas is dead - long live the history of ideas! This collection discusses the traditions and perspectives

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Ideengeschichte heute: Traditionen und Perspektiven
 9783839439241

Table of contents :
Inhalt
Einleitung
Wahrheit, Überzeugung und Interpretation
Imaginary Intellectual History and “Managerialism” in 1950s West Germany
Ideen, Handlungen und Gründe in der Ideengeschichte
„Die Gegenwehr muss organisiert werden – und zwar vor allem auch geistig“
Homo Academicus Localis
Genealogie als ideengeschichtliche Methode und die Idee der Menschenrechte
In the Layer Cake of Time
Zum Programm einer Ideengeschichte des Digitalzeitalters
Autorinnen und Autoren

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D. Timothy Goering (Hg.) Ideengeschichte heute

Histoire | Band 112

D. Timothy Goering (Hg.)

Ideengeschichte heute Traditionen und Perspektiven

Die Druckkosten wurden gefördert von der Research School PLUS der RuhrUniversität Bochum.

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Inhalt

Einleitung Ideen- und Geistesgeschichte in Deutschland – eine Standortbestimmung

D. Timothy Goering | 7 Wahrheit, Überzeugung und Interpretation

Quentin Skinner | 55 Imaginary Intellectual History and “Managerialism” in 1950s West Germany

Sean A. Forner | 69 Ideen, Handlungen und Gründe in der Ideengeschichte

D. Timothy Goering | 95 „Die Gegenwehr muss organisiert werden – und zwar vor allem auch geistig“ Armin Mohler und Caspar von Schrenck-Notzing als Rechtsintellektuelle in der frühen Bundesrepublik

Darius Harwardt | 119 Homo Academicus Localis The Circulation of Ideas in an International Context

Emily J. Levine | 151 Genealogie als ideengeschichtliche Methode und die Idee der Menschenrechte

Marcus Llanque | 171 In the Layer Cake of Time Thoughts on a Stratigraphic Model of Intellectual History

Helge Jordheim | 195 Zum Programm einer Ideengeschichte des Digitalzeitalters

Peter Hoeres | 215

Autorinnen und Autoren | 235

Einleitung Ideen- und Geistesgeschichte in Deutschland – eine Standortbestimmung D. T IMOTHY G OERING

E INLEITUNG Ideengeschichte ist tot, lang lebe die Ideengeschichte! So scheint seit geraumer Zeit in Deutschland das unausgesprochene Votum über eine geschichtswissenschaftliche Disziplin zu sein, die jahrzehntelang von der Sozial-, Kultur- und Alltagsgeschichte teils stiefmütterlich behandelt, teils zur Methodenprofilierung gerne als Prügelknabe herangezogen wurde. Die Polemik gegen die Ideen- und Geistesgeschichte galt lange Zeit als ein Nachweis methodischer Fortschrittlichkeit unter Historikern. Man denunzierte sie des Öfteren als abstrakt, idealistisch und durch ihren hermeneutischen Zugriff auch bisweilen als konformistisch. Doch diese Zeiten der Kritik scheinen Vergangenheit zu sein. Seit vielen Jahren ist die nivellierende Grundsatzkritik gegen die Ideengeschichte merklich abgeklungen. Der heilige Ernst der Kritiker wirkt aus der zeitlichen Distanz unnötig und sogar befremdlich. Wie kam es zu dieser Wiederkehr des tot geglaubten Faches? Es könnte paradoxerweise daran liegen, dass sich die Kritik nicht etwa durch die Jahrzehnte abgenutzt, sondern sich tatsächlich durchgesetzt hat. Denn heute bekennt sich wohl kaum jemand zu der ideen- oder geistesgeschichtlichen Praxis von Friedrich Meinecke oder Arthur Lovejoy, die sich in den verschlungenen Gedankenlabyrinthen privilegierter Autoren verlor und dabei gleichzeitig allgemeinhistorischen, repräsentativen Anspruch erhob. Die Kritik gegen diese ältere Ideengeschichte scheint also vollends den Sieg davon getragen zu haben. Sie hat aber zugleich einen konstruktiven Weg geebnet für eine neue Ideengeschichte nach der Ideengeschichte. Die Ideengeschichtskritik hat die Disziplin nicht zerfasern lassen, sondern zur stillen Reformation angeregt. Und so erlebt die Ideenge-

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schichte innerhalb der Geschichtswissenschaft seit einigen Jahren einen Aufschwung als eine Art „Ideengeschichte 2.0“. Anzeichen dieses Aufschwungs mehren sich in Deutschland nun seit mindestens einem Jahrzehnt. Mit der Kollektivmühe diverser Akteure ist die Ideen- und Geistesgeschichte wiederbelebt worden und genießt heute ein so hohes Ansehen wie schon seit Langem nicht mehr. Mit der steigenden Popularität wird allerdings eine klärende Bestandsaufnahme des eigenen Methodenhaushaltes ebenso wie eine Standortbestimmung innerhalb der Geschichtswissenschaft immer dringender.1 Denn trotz ihrer neu gewonnenen Anerkennung innerhalb der Geschichtswissenschaft bleibt weitestgehend ungeklärt, welche ideengeschichtlichen Methoden und Theorieansätze inzwischen veraltet und welche revisionsbedürftig geworden sind. Gibt es ältere Ansätze, die durch eine Kurskorrektur erneut richtungsgebend wirken können? Auf welche Traditionen innerhalb der deutschen Ideengeschichte kann zurückgegriffen werden? Und welche neuen Forschungsfelder sollten erschlossen werden? Diese und weitere Fragen wurden im Laufe der letzten Jahre aufgeworfen und bedürfen der Klärung. Der vorliegende Sammelband will einen Schritt in diese Richtung tun. Selbstverständlich kann ein einziger Band nicht alle Fragen dieses Themas umfassen. Ziel des vorliegenden Sammelbandes ist es daher nicht, alle oben erwähnten Fragen zu beantworten oder eine einzige Methode oder Theorie vorzutragen. Vielmehr versteht sich der Band als pointierte Diskussionsanregung, der unterschiedliche Impulse geben soll und über Ansätze (hauptsächlich aus dem anglo-amerikanischen Raum) informieren soll, die heute diskutiert werden und die für das Fach der Ideen- und Geistesgeschichte in Deutschland eine hohe Relevanz besitzen können und sollen. Der Band fragt erstens danach, an welche Traditionen die heutige ideengeschichtliche Forschung anknüpfen kann und zweitens, welche bisher unerforschten Perspektiven sich ihr heute eröffnen können. Die Beiträge, die in diesen Band versammelt sind, werfen Licht auf einige Aspekte dieser beiden Fragen.

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Einige Standortbestimmungen wurden schon vorgelegt. Siehe vor allem: Lutz Raphael und Heinz-Elmar Tenorth (Hg.), Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft im Europa der Neuzeit. Beiträge für eine erneuerte Geistesgeschichte (= Ordnungssysteme, Bd. 20), München 2006; Barbara Stollberg-Rilinger (Hg.), Ideengeschichte (= Basistexte Geschichte, Bd. 6), Stuttgart 2010; Martin Mulsow und Andreas Mahler (Hg.), Die Cambridge School der politischen Ideengeschichte, Frankfurt a.M. 2010; Martin Mulsow und Andreas Mahler (Hg.), Texte zur Theorie der Ideengeschichte, Ditzingen 2014. Für die Vereinigten Staaten siehe: Darrin M. McMahon und Samuel Moyn (Hg.), Rethinking Modern European Intellectual History, Oxford 2014.

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Die vorliegende Einleitung führt in die Gesamtthematik ein, indem sie (1) die Geschichte der Ideen- und Geistesgeschichte in Deutschland in groben Linien bis heute nachzeichnet, um dann (2) den gegenwärtigen Stand und Horizonte der heutigen Ideen- und Geistesgeschichte in Deutschland zu beleuchten und die einzelnen Beiträge des Sammelbandes einzuordnen.

1. T RADITIONEN DER I DEEN - UND G EISTESGESCHICHTE IN D EUTSCHLAND IM 20. J AHRHUNDERT Wer über Traditionen eines Faches spricht, spricht über seine Vergangenheit, über seine historische Entwicklung. Die Wurzeln der Ideen- und Geistesgeschichte reichen tief in das 19. Jahrhundert zurück.2 Ansätze einer ideen- und geistesgeschichtlichen Forschung finden sich beispielsweise schon in den Schriften von Johann Jakob Brucker3 (1696-1770), Heinrich Ritter4 (1791-1861), Rudolf Haym5 (1821-1901) oder Kuno Fischer6 (1824-1907). Aber in voller Blüte stand diese Fachrichtung, zumindest in der universitären Forschungslandschaft, erst in der Zeit zwischen 1900 bis 1945. In dieser Phase entwickelte sich ein erkennbares Profil und methodisches Programm der ideen- und geistesgeschichtlichen Forschung im Wissenschaftsfeld. Neben der Geschichtswissenschaft und Philosophie trat vor allem die Literaturwissenschaft und Germanistik selbstbewusst als Vertreter dieser Disziplin hervor. Im Zuge des Aufschwungs der Ideen- und Geistesgeschichte gab es unter Historikern, Literaturwissenschaftlern und Philosophen diverse und miteinander konkurrierende Auffassungen darüber, wie die ideen- und geistesgeschichtliche Methode und Praxis auszusehen habe. Ungefähr seit der Jahrhundertwende des

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Siehe: Lutz Geldsetzer, Geistesgeschichte, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 3, Darmstadt 1974, S. 207–210.

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Siehe vor allem: Johann Jakob Brucker, Historia critica philosophiae a mundi incunabulis ad nostram usque aetatem deducta. Bände I-IV.2, Leipzig 1742-1744.

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Siehe vor allem: Heinrich Ritter, Geschichte der Philosophie (12 Bde.), Hamburg

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Siehe vor allem: Rudolf Haym, Hegel und seine Zeit. Vorlesungen über Entstehung

1829-1853. und Entwicklung, Wesen und Werth der Hegel'schen Philosophie, Berlin 1857; Rudolf Haym, Die romantische Schule. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Geistes, Berlin 1870. 6

Siehe vor allem: Kuno Fischer, Geschichte der neueren Philosophie (1-6 Bde.), Mannheim, Stuttgart, Heidelberg 1852-1877.

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19. zum 20. Jahrhunderts lassen sich in idealtypischer Überspitzung zwei Typen dieser Forschungsrichtung ausmachen: Der erste Typus verfolgte Entwicklungsstadien klar umrissener, gesonderter Ideen. Er ging methodologisch davon aus, dass sich Ideen – in der Regel philosophische oder politische Ideen – von den geschichtlichen Kontexten und den historischen Persönlichkeiten absondern und in ihrer Genese verfolgen ließen. Das Eigenleben wichtiger Ideen bildete das erkenntnisleitende Interesse dieses ideengeschichtlichen Forschungstypus‘. Der andere Typus hingegen versuchte den Geist oder Kontext von größeren Ideenzusammenhängen vergangener Epochen zu ergründen. Dieser Typus ging methodologisch vom Gegenteil des ersten aus, nämlich davon, dass Ideen immer mit der Zeit verwoben seien und dass alle Ideen immer Entäußerungen eines herrschenden Zeitgeistes seien. Stand in dem ersten Typus das Eigenleben von Ideen im Vordergrund, so ging der zweite Typus von der wesentlichen Koexistenz von Ideen und historischen Kontexten aus. Der Klarheit halber kann man den ersten Typus dieser Forschungsrichtung „Ideengeschichte“ nennen und ihn vom zweiten, der „Geistesgeschichte“, unterscheiden.7 Die Ideengeschichte war im Vergleich zur Geistesgeschichte methodologisch viel unbestimmter und offener. Von einer Schule, Disziplin oder einheitlichen Methode lässt sich nicht sprechen. Vertreter der ideengeschichtlichen Forschungsrichtung waren in ihrer philosophischen Disposition häufig neukantianisch geprägt und gingen in der Regel von der Prämisse aus, dass (politische und philosophische) Ideen den Motor der Geschichte bildeten. In der Philosophie entwickelte sich kurz nach der Jahrhundertwende eine eigene Färbung eines ideengeschichtlichen Ansatzes, der als „Problemgeschichte“ bekannt wurde.8 Für die Neukantianer Nicolai Hartmann und Wilhelm Windelband ging die Philosophiegeschichte nicht in eine Fakten- oder Personengeschichte auf, sondern sollte stattdessen als die „Geschichte der Probleme und der

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Diese begriffliche und konzeptionelle Unterscheidung spiegelt vage die Quellenbe-

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Vgl. Lutz Geldsetzer u.a., Problemgeschichte, in: Historisches Wörterbuch der Philo-

griffe wider, setzte sich allerdings als Standard nicht durch. sophie, Bd. 7, Basel 1989, S. 1410–1417; Otto Gerhard Oexle und Michael Hänel (Hg.), Das Problem der Problemgeschichte, 1880-1932 (= Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft, Bd. 12), Göttingen 2001; Matthias Kemper, Der Problembegriff der Philosophiegeschichtsschreibung. Zum problemgeschichtlichen Geschichtsverständnis Wilhelm Windelbands, in: Ricardo Pozzo und Marco Sgarbi (Hg.), Eine Typologie der Formen der Begriffsgeschichte, Hamburg 2010, S. 15–42.

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zu ihrer Lösung erzeugten Begriffe“9 verstanden werden. Diese Probleme, die frühere Philosophen zu lösen trachteten, seien „etwas in sich Einfaches, auf sich selbst Beruhendes, in nichts anderem als in der Vernunft Gegründetes.“10 Der Ausgangspunkt für die Problemgeschichte war deshalb, dass die durch rationale Probleme provozierte Vernunft Ideengeschichte möglich mache. Immanuel Kant war hier der Leitstern, der in der Kritik der reinen Vernunft schrieb, dass „die menschliche Vernunft […] durch Fragen belästigt wird, die sie nicht sie abweisen kann.“11 Philosophen waren so gesehen Problemlöser abstrakter Rätsel und die Geschichte der Philosophie wurde von immer wieder neu entworfenen Lösungsansätzen angetrieben. An dem problemorientierten Denken und Schreiben der Philosophen zeige sich schließlich die zeitliche Selbstentfaltung der menschlichen Vernunft als das Movens, das der Philosophie ihre geschichtliche Dimension gebe. Mit diesem problemgeschichtlichen Ansatz, der von anderen weitergeführt wurde und eine eigene Karriere im 20. Jahrhundert feierte12, war es methodisch legitim, einzelne Ideen isoliert als Probleme oder als (Teil-)Lösungsansätze aufzufassen, die jenseits des historischen Kontextes wie fixe „Sterne am Himmel“13 angesiedelt waren. Mit dem problemgeschichtlichen Ansatz konnte man damit der Gefahr entkommen, „über das Historische das Philosophische zu

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Wilhelm Windelband, Lehrbuch der Geschichte der Philosophie, Tübingen 1908, S. III. Vgl. auch: Wilhelm Windelband, Geschichte der Philosophie, in: ders. (Hg.), Die Philosophie im Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Festschrift für Kuno Fischer, Heidelberg 1905, S. 175–199.

10 Nicolai Hartmann, Zur Methode der Philosophiegeschichte [1909], in: ders. (Hg.), Vom Neukantismus zur Ontologie (= Kleinere Schriften, Bd. 3), Berlin 1958, S. 1–22, hier S. 7. Vgl. auch: Nicolai Hartmann, Der philosophische Gedanke und seine Geschichte [1936], in: ders. (Hg.), Abhandlungen zur Philosophie-Geschichte (= Kleinere Schriften, Bd. 2), Berlin 1957, S. 1–48. 11 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft (= Philosophische Bibliothek, Bd. 505), Hamburg 1998, S. 5. 12 Siehe z.B. das Pläyoder von Marco Sgarbi, Umriss der Theorie der Problemgeschichte, in: Ricardo Pozzo und Marco Sgarbi (Hg.), Eine Typologie der Formen der Begriffsgeschichte, Hamburg 2010, S. 185–199. 13 „Die Problemgeschichte des Neukantianismus ist ein Bastard des Historismus. Die Kritik am Problembegriff, die mit den Mitteln einer Logik der Frage und Antwort geführt wird, muß die Illusion zerstören, als gäbe es die Probleme wie die Sterne am Himmel.“ Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik (= Gesammelte Werke, Bd. 1), Tübingen 19865, S. 382.

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vergessen.“14 Philosophische Ideen ließen sich aus der übrigen Geschichte herausschälen wie Kerne aus einer Frucht. Auch in der Soziologie wurden um die Jahrhundertwende tragende Fundamente einer Methode zur Erforschung von einzelnen, handlungsleitenden Ideen errichtet. Hier ragt besonders Max Webers Werk heraus. Mit seiner Studie über die protestantische Ethik wollte er schließlich demonstrieren, wie „‚Ideen‘ in der Geschichte wirksam werden.“15 Seine verstehende Soziologie war durchzogen von dem Bemühen, handlungsleitenden Ideen im historischen Vollzug verstehend auf die Schliche zu kommen. Das Besondere von historisch wirksamen Ideen und ihren ungeahnten Nebenfolgen für bestimmte Kulturerscheinungen standen im Mittelpunkt seiner Untersuchungen, während der allgemeine Geist oder die Kultur einer Zeit bei Weber eine weniger distinguierte Rolle spielte. Er wehrte sich sogar explizit dagegen, von „Kultur in einem diffusen und unbestimmten Sinne zu reden“ und sprach lieber „von bestimmten Ideen“16. Es sei schließlich, so schrieb er in dem bekannten Aufsatz über die Objektivität sozialwissenschaftlicher Erkenntnis, „eine der wesentlichen Aufgaben einer jeden Wissenschaft vom menschlichen Kulturleben, ‚Ideen‘ […] dem geistigen Verständnis zu erschließen.“17 Für Weber beherrschen zwar „Interessen, nicht Ideen unmittelbar das Handeln der Menschen. Aber: die 'Weltbilder', welche durch 'Ideen' geschaffen wurden, haben sehr oft als Weichensteller die Bahnen bestimmt, in denen die Dynamik der Interessen das Handeln fortbewegte.“18 Die kulturelle Wirksamkeit von individuellen Ideen spielte daher in Webers Soziologie eine herausragende Rolle. Mit seiner Kultursoziologie legte er wichtige, theoretisch-methodologische Grundsteine für eine ideengeschichtliche Forschung, auch wenn er nicht immer als ein Ahnherr der Ideengeschichte wahrgenommen wurde. Verglichen mit der Philosophiegeschichte und Soziologie entstanden die bedeutendsten ideengeschichtlichen Arbeiten allerdings in der Geschichtswissen-

14 Windelband, Lehrbuch der Geschichte der Philosophie, S. III. 15 Max Weber und Dirk Kaesler, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, München 20062, S. 105. 16 M. Rainer Lepsius, Interessen und Ideen. Die Zurechnungsproblematik bei Max Weber, in: ders. (Hg.), Interessen, Ideen und Institutionen, Wiesbaden 1990, S. 31–43, hier S. 32. 17 Max Weber, Die 'Objektivität' sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, in: Max Weber und Johannes Winckelmann (Hg.), Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübingen 19887, S. 146–214, hier S. 150. 18 Max Weber u.a. (Hg.), Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Schriften 1915-1920 (= Max-Weber-Gesamtausgabe, I.19), Tübingen 1989, S. 11.

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schaft. Die politische Ideengeschichte wurde zu einem dominanten Zweig der historischen Zunft. So finden sich beispielsweise im Feld der politischen Ideengeschichte mehrere Werke, die sich mit politischen Bewegungen und Ideologien auseinandersetzten, wie eine Arbeit zum Unitarismus und Föderalismus im Deutschen Reiche (1907) von Heinrich Triepel19, die zweibändige Geschichte der sozialistischen Ideen (1909) von Friedrich Muckle20, eine Entwicklungsgeschichte des Sozialismus (1909) von Otto Warschauer21, eine zweibändige Geschichte des deutschen Liberalismus (1911-12) von Oskar Klein-Hattingen22, eine Untersuchung zu den Anfängen der materialistischen Geschichtsauffassung (1911) von Walter Sulzbach23 und viele mehr.24 Friedrich Meinecke spielte unter den Historikern die wohl bedeutendste Rolle für die Etablierung der Ideengeschichte in den Geisteswissenschaften. Er be-

19 Heinrich Triepel, Unitarismus und Föderalismus im Deutschen Reiche. Eine staatsrechtliche und politische Studie, Tübingen 1907. 20 Friedrich Muckle, Der rationale Sozialismus (= Die Geschichte der sozialistischen Ideen im 19. Jahrhundert, Bd. 1), Leipzig 1909; Friedrich Muckle, Proudhon. Der entwicklungsgeschichtliche Sozialismus (= Die Geschichte der sozialistischen Ideen im 19. Jahrhundert, Bd. 2), Leipzig 1909. 21 Otto Warschauer, Zur Entwicklungsgeschichte des Sozialismus, Berlin 1909. 22 Oskar Klein-Hattingen, Die Geschichte des deutschen Liberalismus. 2 Bde. 1911-1912. 23 Walter Sulzbach, Die Anfänge der materialistischen Geschichtsauffassung, Karlsruhe 1911. 24 Siehe z.B. Max H. Meyer, Die Weltanschauung des Zentrums in ihren Grundlinien, München 1919; P. R. Rohden, Die weltanschaulichen Grundlagen politischen Theorien, in: Deutscher Staat und deutsche Parteien. Festschrift zum 60. Geburtstag von Friedrich Meinecke, München 1922, S. 1–35; Karl Vorländer, Geschichte der sozialistischen Ideen, Breslau 1924; Kurt Riezler, Idee und Interesse in der politischen Geschichte, in: Die Dioskuren 3. 1924, S. 1–13; Heinrich von Srbik, Metternich, der Staatsmann und der Mensch. 2 Bde, München 1925; P. R. Rohden, Die Hauptprobleme des politischen Denkens von der Renaissance bis zur Romantik, Berlin 1925; Karl Vorländer, Von Machiavelli bis Lenin. Neuzeitliche Staats- und Gesellschaftstheorien, Leipzig 1926; Siegfried Kaehler, Wilhelm von Humboldt und der Staat: ein Beitrag zur Geschichte deutscher Lebensgestaltung um 1800, München 1927; Waldemar Gurian, Die politischen und sozialen Ideen des französischen Katholizismus 1789-1914, Mönchengladbach 1929; Hans Rothfels, Ideengeschichte und Parteigeschichte, in: Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 8. 1930, S. 753– 786; Karl Spreng, Studien zur Entstehung sozialpolitischer Ideen in Deutschland aufgrund der Schriften Franz von Baaders und F. J. von Buß, Gießen 1932.

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handelte schon in seiner zweibändigen Biographie über den Generalfeldmarschall Hermann von Boyen25 (1896/1899) und dann besonders in Weltbürgertum und Nationalstaat (1908) Ideen der „großen Persönlichkeiten, der schöpferischen Denker“26. Nur in den „hochgelegenen Quellen“, schrieb er, und nicht in der „sogenannten öffentlichen Meinung“ oder der „kleinen politischen Tagesliteratur“27 könne man geschichtsantreibende Ideen finden. Das erkenntnisleitende Interesse von Meineckes Werk sah von der besonderen zeitgeschichtlichen Situation und der „geistesgeschichtlichen Herkunft“28 ab und zielte stattdessen auf die „Geschichte bestimmter Ideen durch die […] Behandlung einzelner Denker“29. Im Gegensatz zu Weber und Windelband entwickelte Meinecke allerdings keine geschichtsphilosophische Theorie, welche die historische Untersuchung einzelner Ideen theoretisch-methodologisch begründete. Es war für ihn schlicht ein Faktum der historischen Wirklichkeit, dass nicht ein Zeitgeist oder materielle Interessen, sondern „Persönlichkeiten und Ideen“ die „wertvollsten Träger des geschichtlichen Lebens“30 darstellten. Er rief deshalb dazu auf, mit den „großen Mächten des Staats- und Kulturlebens zu freier Regung und Fühlung sich zu erheben“ und in „Philosophie und Politik mutiger zu baden“31. Ernst Schulin hat einst zurecht hervorgehoben, dass Meinecke mit Weltbürgertum und Nationalstaat zum entscheidenden „Begründer der politischen Ide-

25 Friedrich Meinecke, Das Leben des Generalfeldmarschalls Hermann von Boyen. 1771-1814 (= Bd. 1), Stuttgart 1896; Friedrich Meinecke, Das Leben des Generalfeldmarschalls Hermann von Boyen. 1814-1848 (= Bd. 2), Stuttgart 1899. 26 Friedrich Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat, München 1908, S. 18. Über das Innovative von Meineckes ideengeschichtlichen Ansatz für die Geschichtswissenschaft siehe: Franz Schnabel, Friedrich Meinecke 13.10.1862-06.02.1954, in: Bayerische Akademie der Wissenschaften. 1954, S. 174–200; Gerhard Albert Ritter, Einleitung. Friedrich Meinecke und seine emigrierten Schüler, in: Friedrich Meinecke und Gerhard Albert Ritter (Hg.), Friedrich Meinecke. Akademischer Lehrer und emigrierte Schüler: Briefe und Aufzeichnungen, 1910-1977 (= Biographische Quellen zur Zeitgeschichte, Bd. 23), München 2006, S. 13–112. 27 Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat, S. 18. 28 Ebd, S. 60. 29 Ebd, S. 50. 30 Friedrich Meinecke, Antrittsrede in der Preußischen Akademie der Wissenschaften, in: Friedrich Meinecke und Eberhard Kessel (Hg.), Zur Geschichte der Geschichtsschreibung (= Friedrich Meinecke. Werke, Bd. 7), München 1968, S. 1–4, hier S. 2. 31 Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat, S. 1f.

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engeschichte“32 wurde. Es gelang ihm als Professor und als Herausgeber der Historischen Zeitschrift, Schüler zu gewinnen, welche die ideengeschichtlichen Schwerpunkte seiner Herangehensweise weitergegeben haben. Trotz seiner großen Wirksamkeit haben die politischen Umbrüche des 20. Jahrhunderts seinen Einfluss auf die historische Forschung in Deutschland und Europa stark gehemmt. Vor allem Historiker wie Hajo Holborn (1902–1969), Dietrich Gerhard (1896–1985), Hans Rosenberg (1904–1988), Hans Baron (1900-1988) und Felix Gilbert (1905-1991) mussten aus diversen Gründen, die mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus‘ in Deutschland zu tun hatten, fliehen und haben damit einen Großteil von Meineckes Erbe ins Ausland exportiert.33 Die akademische Beschäftigung mit der Geschichte von politischen und philosophischen Ideen – ob als Problemgeschichte, verstehende Soziologie oder politische Ideengeschichte – war ein gängiger wissenschaftlicher Ansatz am Anfang des 20. Jahrhunderts, sie war jedoch keineswegs unumstritten. Die stärkste Kritik gegen die Ideengeschichte kam nicht von außen, sondern gleichsam aus den eigenen Reihen: nämlich von der Geistesgeschichte. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lässt sich ein „Siegeszug“34 der Geistesgeschichte in den Geisteswissenschaften verzeichnen, die sich zu keinem geringen Anteil durch ihre Kritik gegen die Ideengeschichte erklären lässt. Die Geistesgeschichte führte am Anfang des 20. Jahrhunderts einen offenen Krieg gegen jegliche Art des Positivismus‘ und boykottierte den Wissenschaftsimport von den naturwissenschaftlichen Methoden in die Geisteswissenschaften.35 Vertreter der Geistesgeschichte witterten in den methodischen Voraussetzungen der Ideengeschichte verdeckte Residuen positivistischer Prämissen. Die Logik der Naturwissenschaften, die alles in Einzelteile zersetze, sah man auch in der Ideengeschichte am Werk. Geistesgeschichte, so verkündete es Rudolf Unger, sollte die „positivistische Verken-

32 Ernst Schulin, Friedrich Meineckes Stellung in der deutschen Geschichtswissenschaft: Vortrag im Rahmen eines Kolloquiums zum Gedenken an Meineckes 25. Todestag, in: Historische Zeitschrift 230. 1980, S. 3–29, hier S. 5f. 33 Vgl. Ritter (Hg.), Friedrich Meinecke. 34 Marcel Janssens, Die Dämmerungsjahre der geistesgeschichtlichen Methode. 1925 bis 1935, in: Leuvense Bijdragen 52. 1963, S. 113–155, hier S: 116. 35 Siehe vor allem: Rudolf Unger, Philosophische Probleme in der neueren Literaturwissenschaft, München 1908. (später: Rudolf Unger, Philosophische Probleme in der neueren Literaturwissenschaft [1908], in: ders. (Hg.), Aufsätze zur Prinzipienlehre der Literaturgeschichte, Berlin 1929d, S. 1–32.).

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nung der Bedeutung organischer Zusammenhänge“36 vermeiden. Genau diese „organischen Zusammenhänge“ gelte es, in der Geistesgeschichte zu Tage zu fördern. Mit dieser Abgrenzung von der Ideengeschichte erschuf sich die Geistesgeschichte ein eigenes Profil. Erich Seeberg schrieb im Jahr 1925: „Während die Ideengeschichte das Werden einzelner Idee verfolgt, so stellt die Geistesgeschichte die einzelnen Ideen nicht nur für sich, sondern im Zusammenhang mit dem gesamten Geistesleben, als Faktoren neben andern und in Wechselwirkung mit anderen dar. Die geistesgeschichtliche Betrachtungsweise […] führt also die Ideen aus der provinziellen oder fachmäßigen Isolierung heraus und sucht ihre Geschichte aus dem universalen Geistesleben heraus zu begreifen.“37

Einige Jahre später schrieb auch Hanns Wilhelm Eppelsheimer programmatisch: „Geistesgeschichte ist nicht Ideengeschichte.“38 Im Gegensatz zur Ideengeschichte, so führte er weiter aus, suche nämlich die Geistesgeschichte die „hinter den Kulturobjektivationen liegende Totalität“39 und nicht nur einzelne Ideen.40 Es ging folglich in der Geistesgeschichte weder um eine Abwendung von Ideen hin zu machtpolitischen Interessen oder gesellschaftlichen Strukturen, noch ging es um eine Absage an die Beschäftigung mit der Höhenkammliteratur. Ideen standen auch in der Geistesgeschichte weiterhin im Vordergrund, sie mussten aber einen weltanschaulichen Bezug zum allgemeinen Zeitgeist aufweisen. Das Konkrete musste sich im Gemeinsamen, im Lebenszusammenhang des gesamten Zeitgeistes bewähren. Das gedanklich Einzelne konnte nur als Pars

36 Ebd, hier S. 7. 37 Erich Seeberg, Theologische Literatur zur neueren Geistesgeschichte, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 3. 1925, S. 463– 484, hier S. 464 (meine Hervorhebung). 38 Hanns Wilhelm Eppelsheimer, Das Renaissance-Problem, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 11. 1933, S. 477–500, hier S. 490. 39 Ebd, hier S. 496. 40 So auch später Ernst Schulin: „Die ‘Ideengeschichte’ geht es meistens um klar umrissene Ideen und ihre Entwicklung, die eher immanent, nur sekundär abhängig von anderen geschichtlichen Entwicklungen verfolgt werden. Bei Geistesgeschichte geht es eher um Bewußtseins- oder Mentalitätsentwicklung, stärker im Interdependenzverhältnis zu gesellschaftlichen Verhältnissen oder politischen Veränderungen. Sie steht der Kulturgeschichte näher.“ Schulin, Friedrich Meineckes Stellung in der deutschen Geschichtswissenschaft, hier S. 10.

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pro Toto des gesamten Zeitgeistes verlebendigt werden: So lautete das Credo der Geistesgeschichte. „Nicht um die Masse der Einzelheiten ist es ihr zu tun,“ schrieb Virgil Redlich zum Auftakt der Zeitschrift für deutsche Geistesgeschichte im Jahr 1935, „sondern um den Geist des Ganzen. Einzelheiten sind nur wichtig, wenn sie zur Sinndeutung des Ganzen führen.“41 Dies war eine implizite Kritik an den neukantianischen Tendenzen der Ideengeschichte. Die Geistesgeschichte ging von der Prämisse aus, dass Ideen nicht über die Welt schwebten wie das Sollen über das Sein, sondern sie bildeten gleichursprünglich mit dem Handeln und Leben das Gewebe der Geschichte. Die „Geschichte des Geistes“ sei immer eine lebendige „Kräftegeschichte“42, wie es Friedrich Gundolf formulierte. „Leben“ wurde das Zauberwort der geistesgeschichtlichen Forschung. So wies zum Beispiel Rothacker darauf hin, dass Dilthey zu Recht auf das „Erstgeburtsrecht des Lebens vor der Wissenschaft“43 hingewiesen hatte. Das „innere Leben in der Totalität“44, das „lebendige Leben“45, das „individuelle Leben“46 einer Zeit sollte Gegenstand der Geistesgeschichte werden – nicht nur die abstrakten Privatgedanken einiger exzeptioneller Autoren. „Es ist die Aufgabe der historischen Analysis, in den konkreten Zwecken, Werken, Denkarten die Übereinstimmung in einem Gemeinsamen aufzufinden, das die Epoche regiert“47. Dieses Wort Wilhelm Diltheys wurde zur Losung der

41 Virgil Redlich, Sinn und Aufgabe deutscher Geistesgeschichte, in: Zeitschrift für deutsche Geistesgeschichte 1. 1935, S. 1–4, hier S. 1. 42 Friedrich Gundolf, Shakespeare und der deutsche Geist, Berlin 1911, S. 285. 43 Erich Rothacker, Einleitung in die Geisteswissenschaften, Tübingen 1920, S. 209. 44 Rudolf Unger, Literaturgeschichte und Geistesgeschichte, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 4. 1926c, hier S. 182 (Rudolf Unger, Literaturgeschichte und Geistesgeschichte. Ein Vortrag [1926], in: ders. (Hg.), Aufsätze zur Prinzipienlehre der Literaturgeschichte, Berlin 1929d, S. 212–225, hier S. 217). 45 Erich Rothacker, Philosophiegeschichte und Geistesgeschichte, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 18. 1940, S. 1–25, hier S. 13. 46 Herbert Cysarz, Der Lebensbegriff der deutschen Geisteswissenschaft, in: Österreichische Rundschau 19. 1923, S. 1085–1106, hier S. 1090. 47 Wilhelm Dilthey und Bernhard Groethuysen (Hg.), Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften (= Wilhelm Dilthey. Gesammelte Schriften, Bd. 7), Göttingen 19928, S. 155.

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Geistesgeschichte, so wie Dilthey insgesamt zur Galionsfigur der Geistesgeschichte wurde.48 Der programmatische Aufsatz „Philosophiegeschichte und Geistesgeschichte“ (1940) von Erich Rothacker fasste im Nachhinein die methodische und geschichtsphilosophische Zielsetzung der Geistesgeschichte präzise zusammen. Besonders die Philosophiegeschichte und Problemgeschichte von Nicolai Hartmann geriet ins Sperrfeuer seiner Kritik. Hartmanns „Philosophiegeschichte […] und die Geistesgeschichte haben überhaupt nichts miteinander zu tun“49, schrieb Rothacker einleitend. Denn die Geistesgeschichte erachte im Gegensatz zur Philosophie- und Ideengeschichte die historischen Kontexte des Denkers nicht als „äußerliche Bedingung“50 oder als „wesenszufälliger Umstand“51, die in der historischen Untersuchung abgestreift werden könnten. Der Geisteshistoriker interpretiere diese Kontexte vielmehr so, „daß er ihr einen positiven, inneren, wesentlichen Einfluß auf den Gehalt der Erkenntnis selbst zuzuschreiben neigt.“52 Denn dass das Denken immer unentwirrbar mit dem Leben verflochten sei, sei die unumstößliche Prämisse der Geistesgeschichte: „Das Denken bleibt an den Horizont der vom Leben aus am Wirklichen aufgeschlossenen Bedeutsamkeiten gebunden. Es vermag diese zwar zu distanzieren und zu versachlichen, aber nicht restlos aufzulösen und vor allem nicht zu ersetzen.“53

Insgesamt sei es deshalb die Aufgabe der Geistesgeschichte, das „wechselseitige Wirken und Empfangen zwischen Gedanke und Leben, Theorie und Praxis, Ethik und Ethos, Lehre und Gesinnung, Dogmatik und Frömmigkeit, Kunsttheorie

48 Über die besondere Rolle Diltheys für die Geistesgeschichte siehe z.B.: Gerhard Masur, Wilhelm Dilthey und die europäische Geistesgeschichte, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 12. 1934, S. 479–503; Rudolf Unger, Literaturgeschichte als Problemgeschichte. Zur Frage geisteshistorischer Synthese, mit besonderer Beziehung auf Wilhelm Dilthey (= Schriften der Königsberger Gelehrten Gesellschaft, Bd. 1), Berlin 1924b. 49 Rothacker, Philosophiegeschichte und Geistesgeschichte, hier S. 2. 50 Ebd, hier S. 7. 51 Ebd, hier S. 7. 52 Ebd, hier S. 7. 53 Ebd, hier S. 13.

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und Kunstübung, Staatsphilosophie und Staatsleben, Rechtstheorie und Rechtspraxis, Fortschritt und Fortschrittsstimmung54“ zu erforschen.

Im Gegensatz zur Ideengeschichte, die methodisch zerstreuter war, gelang es vielen Vertretern der Geistesgeschichte spätestens in den 1920er Jahren, sich unter einem einheitlichen Banner zu versammeln und als Fachrichtung innerhalb der Geisteswissenschaft wahrgenommen zu werden.55 Die Geistesgeschichte, so konstatierte Herbert Cysarz im Jahr 1926, „ist kein Postulat, vielmehr eine Tatsache […]. Ein Wissenschaftszustand also, kein Wissenschaftsideal.“56 Federführend waren die geistesgeschichtlichen Schriften von Germanisten, Literatur-

54 Ebd, hier S. 9. 55 Auch wenn es nicht die eine Geistesgeschichte gab, sondern eine Vielzahl an Methoden, die teils miteinander konkurrierten, ist es trotzdem bedeutend, dass die Geistesgeschichte von ihren Zeitgenossen häufig als eine einheitliche Forschungsrichtung innerhalb der Geisteswissenschaften wahrgenommen wurde. Vgl. Rainer Rosenberg, Methodenpluralismus unter der Dominanz der Geistesgeschichte, in: ders. (Hg.), Zehn Kapitel zur Geschichte der Germanistik: Literaturgeschichtsschreibung, Berlin 1981, S. 226–253; Holger Dainat, Deutsche Literaturwissenschaft zwischen den Weltkriegen, in: Zeitschrift für Germanistik 1. 1991, S. 600–608; Christoph König und Eberhard Lämmert (Hg.), Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 1910 bis 1925, Frankfurt a.M. 1993. Zur methodologischen Grundbestimmung dieser Zeit siehe z.B.: Emil Ermatinger, Die deutsche Literaturwissenschaft in der geistigen Bewegung der Gegenwart, in: Zeitschrift für Deutschkunde 39. 1925, S. 241–261; Fritz Strich, Wesen und Aufgabe der heutigen Geistesgeschichte, in: Frankfurter Zeitung, 29.11.1923; Oskar Benda, Der gegenwärtige Stand der deutschen Literaturwissenschaft. Eine erste Einführung in ihre Problemlage, Wien 1928; Franz Schultz, Das Schicksal der deutschen Literaturgeschichte. Ein Gespräch, Frankfurt a.M. 1929; Rudolf Unger (Hg.), Aufsätze zur Prinzipienlehre der Literaturgeschichte, Berlin 1929d; Redlich; Willy Hellpach, Geistesgeschichte oder Völkerpsychologie?, in: Die Welt als Geschichte. Eine Zeitschrift für Universalgeschichte. 1940, S. 249–270; Rothacker, Philosophiegeschichte und Geistesgeschichte. 56 Herbert Cysarz, Literaturgeschichte als Geisteswissenschaft. Kritik und System, Halle 1926, S. 1. Ähnlich auch Eduard Spranger, Was heißt Geistesgeschichte?, in: Die Erziehung. Monatsschrift für den Zusammenhang von Kultur und Erziehung in Wissenschaft und Leben 12. 1937, der allerdings schon befürchtete, „daß der Höhepunkt der Bewegung schon wieder vorüber ist, ja daß heutzutage die Geistesgeschichte in Deutschland sogar bekämpft wird“ (ebd, hier S. 300).

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wissenschaftlern und einigen Philosophen wie beispielsweise Paul Kluckhohn57, Rudolf Unger58, Hermann August Korff59, Friedrich Gundolf60, Herbert Cysarz61, Julius Petersen62, Ernst Cassirer63 und Erich Rothacker64, die sich erfolgreich an der Universität etablierten und den Ton der geistesgeschichtlichen Arbeit und Methoden angaben.65 Die großen kulturgeschichtlichen Epochen wie die Aufklärung,

57 Paul Kluckhohn, Die Auffassung der Liebe in der Literatur des 18. Jahrhunderts und in der deutschen Romantik, Halle 1922. 58 Unger, Philosophische Probleme in der neueren Literaturwissenschaft; Rudolf Unger, Hamann und die Aufklärung. Studien zur Vorgeschichte des romantischen Geistes im 18. Jahrhundert, Jena 1911; Rudolf Unger, Literaturgeschichte als Problemgeschichte. Zur Frage geisteshistorischer Synthese, mit besonderer Beziehung auf Willhelm Dilthey, in: ders. (Hg.), Aufsätze zur Prinzipienlehre der Literaturgeschichte, Berlin 1929, S. 137–170. 59 Hermann August Korff, Sturm und Drang (= Geist der Goethezeit, Bd. 1), Leipzig 1923; Hermann August Korff, Weltanschauung (= Geist der Goethezeit, Bd. 2), Leipzig 1927; Hermann August Korff, Klassik (= Geist der Goethezeit, Bd. 3), Leipzig 1930; Hermann August Korff, Frühromantik (= Geist der Goethezeit, Bd. 4), Leipzig 1940; Hermann August Korff, Hochromantik (= Geist der Goethezeit, Bd. 5), Leipzig 1953. 60 Gundolf; Friedrich Gundolf, Goethe, Berlin 1916; Friedrich Gundolf, George, Berlin 1920. 61 Cysarz, Literaturgeschichte als Geisteswissenschaft. 62 Julius Peterson, Die Wesensbestimmung der deutschen Romantik. Eine Einführung in die moderne Literaturwissenschaft, Leipzig 1926; Julius Petersen, Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft, Berlin 1939. 63 Vor allem: Ernst Cassirer, Freiheit und Form. Studien zur deutschen Geistesgeschichte, Berlin 1916; Ernst Cassirer, Idee und Gestalt. Goethe, Schiller, Hölderlin, Kleist, Berlin 1921. 64 Erich Rothacker, Einleitung in die Geisteswissenschaften, Tübingen 1920; Rothacker, Philosophiegeschichte und Geistesgeschichte. 65 Siehe: R. Kolk, Literarische Gruppenbildung: Am Beispiel des George-Kreises 1890– 1945, Tübingen 1998, S. 317f. Auch in der Kunst- und Rechtsgeschichte spielte die Geistesgeschichte eine zunehmend größere Rolle in den 1920er Jahren. Siehe z.B.: Max Dvořák, Kunstgeschichte als Geistesgeschichte. Studien zur abendländischen Kunstentwicklung, München 1924; Georg Dehio, Geschichte der deutschen Kunst. 4 Bde, Berlin 1919-1925; Hans Fehr, Mehr Geistesgeschichte in der Rechtsgeschichte, in: Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 5. 1927, S. 1–8; Otto Stolz, Die Ausbreitung des Deutschtums in Südtirol im Lichte der Urkunden. 2 Bde, Berlin 1927-1928.

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der Sturm und Drang oder die Romantik standen stets im Zentrum ihrer Forschung. Zentrales Publikationsorgan der Geistesgeschichte wurde die Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, die 1923 von Paul Kluckhohn und Erich Rothacker gegründet und herausgegeben wurde.66 Die methodische Zielsetzung der Geistesgeschichte und ihre polemische Abgrenzung von der Ideengeschichte wurden in Schriften vieler Autoren der späten Weimarer Republik häufig von politischen Untertönen begleitet. Geisteswissenschaftliche Begriffe führten in der Forschung meist ein öffentliches Doppelleben, da sie sowohl wissenschaftliche Methode als auch politischen Eifer zum Ausdruck bringen konnten. Im „großen Unternehmen des Geistes“67 (Simmel) dieser Zeit war die Distanz zwischen philosophisch orientierter Theoriebildung und politischer Ideologie gering und konnte bisweilen durch einen unmerklichen gedanklichen Katzensprung überwunden werden. Der Geisteshistoriker konnte zum heimlichen Anwalt des vom Intellektualismus, Liberalismus und Positivismus gefährdeten deutschen Geistes werden. Die Geistesgeschichte wurde zum Beispiel von Rudolf Unger als die „früheste Leistung des deutschen Genius“68 gefeiert, die er vom rein empirisch orientierten „westlichen Positivismus“69 abgrenzte. „Geisteswissenschaften helfen mit alledem einen Daseinskampf ihres ganzen Zeitalters austragen“, schrieb Herbert Cysarz, „die Schlacht des gesunden, gefügten Kulturhaushalts gegen jederlei Fellachisierung“70. Neben der wis-

66 Zur Gründung und Bedeutung der Zeitschrift für die Geistesgeschichte siehe: Ralph Stöwer, Erich Rothacker: sein Leben und seine Wissenschaft vom Menschen, Göttingen 2011, S. 81ff; Holger Dainat und Rainer Kolk, Das Forum der Geistesgeschichte. Die 'Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte' (1923-1944), in: Robert Harsch-Niemeyer (Hg.), Beiträge zur Methodengeschichte der neueren Philologien. Zum 125 jährigen Bestehen des Max Niemeyer Verlages, Tübingen 1995, S. 111–134; Holger Dainat, "wir müssen ja trotzdem weiterarbeiten". Die "Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte" vor und nach 1945, in: Wilfried Barner und Christoph König (Hg.), Zeitenwechsel. Germanistische Literaturwissenschaft vor und nach 1945 (= Kultur & Medien), Frankfurt a.M. 1996, S. 76–100. 67 Georg Simmel, Der Begriff und die Tragödie der Kultur, in: Logos 2. 1911/1912, S. 1–25, hier S. 25. 68 Unger, Literaturgeschichte als Problemgeschichte, S. 138. 69 Ebd. 70 Herbert Cysarz, Zur Gegenwartslage der deutschen Geisteswissenschaften, in: Historische Zeitschrift 162. 1940, S. 457–478, hier S. 462. Siehe auch: Cysarz, Literaturgeschichte als Geisteswissenschaft. Kritik und System, Halle 1926. Zu Cysarz siehe: Pe-

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senschaftsinternen Bedeutung konnte der Begriff des „deutschen Geistes“, der dem abstrakt-intellektualistischen Ideen- und Philosophiebegriff entgegengesetzt wurde, eine politisch-weltanschauliche Funktion gewinnen.71 Es ist daher nicht ganz überraschend, dass die Geistesgeschichte im Gegensatz zur Ideengeschichte ein Fixstern der Geisteswissenschaft auch nach der nationalsozialistischen Machtübernahme blieb. Einige Geisteswissenschaftler standen dem Nationalsozialismus näher als andere, aber insgesamt gab es für die Geistesgeschichte im Dritten Reich keine grundsätzlichen „Anpassungsschwierigkeiten“72. Die Kritik der Geistesgeschichte gegen die angeblich positivistische, abstrakte, lebensfremde Ideengeschichte stieß schließlich auf Resonanz. In seinen Studien zur deutschen Geistesgeschichte (1937) schrieb Alfred Baeumler beispielsweise, die „deutsche Geistesgeschichte kann nicht von einem die Tatsachen bloß registrierenden Verstande geschrieben werden. Nur wer selber mit seiner ganzen Existenz in ihr steht, vermag etwas über sie auszusagen.“73 Die wahre deutsche Geistesgeschichte könne also nur jemand schreiben, der die richtige Haltung zum deutschen Volk habe. „Zu den wichtigsten kulturphilosophischen Erkenntnissen unserer Zeit gehört die Einsicht in die untrennbare innere Einheit alle Äußerungen des schöpferischen Volksgeistes auf allen Lebensgebieten, in Schrifttum, bildender Kunst und Musik, in Weltanschauung und Gesellschaft“, schrieb Julius Wiegand in seiner Deutschen Geistesgeschichte (1932). „Keiner von diesen Bezirken des ‚objektiven Geistes‘“, fuhr er fort, „vermag für sich allein eine Vorstellung von Wesen und Werdegang unserer Kultur zu ver-

ter Becher, Herbert Cysarz (1896-1985), Germanist. Seine Prager Universitätsjahre, in: Monika Glettler und Alena Míšková (Hg.), Prager Professoren 1938-1948. Zwischen Wissenschaft und Politik (= Veröffentlichungen zur Kultur und Gesellschaft im östlichen Europa, Bd. 17), Essen 2001, S. 277–297. 71 Siehe: Hinrich Seeba, Zum Geist- und Struktur-Begriff der Literaturwissenschaft der zwanziger Jahre. Ein Beitrag zur Dilthey-Rezeption, in: Christoph König und Eberhard Lämmert (Hg.), Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 1910 bis 1925, Frankfurt a.M. 1993, S. 240–254. 72 Holger Dainat, Anpassungsprobleme einer nationalen Wissenschaft. Die Neuere deutsche Literaturwissenschaft in der NS-Zeit, in: Petra Boden und Holger Dainat (Hg.), Atta Troll tanzt noch. Selbstbesichtigungen der literaturwissenschaftlichen Germanistik im 20. Jahrhundert (= Literaturforschung), Göttingen 1997, S. 103–126. Zur Philosophiegeschichte in Deutschland siehe: Christian Tilitzki, Die deutsche Universitätsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, Berlin 2002 (für die Zeit ab 1933 siehe S. 593ff). 73 Alfred Baeumler, Studien zur deutschen Geistesgeschichte, Berlin 1937, S. 333.

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mitteln.“74 Gerhard Fricke ermahnte alle Germanisten, von „der Buch- und Kathederwissenschaft zu einer volksverbundenen und volksdienenden Lebenswissenschaft“75 vorzustoßen. In einer Rezension eines französischen Werkes, das eine Ideengeschichte des Nationalsozialismus darlegte, beklagte Gerhard Lehmann die „historische Methode“ des ideengeschichtlichen Ansatzes, da sie eine „sehr geschickte Abstraktion, eine Überblendung, zugleich Abblendung“ sei. „Denn ohne Rücksicht auf die politischen und kulturellen Wechselwirkungen, in denen jedes Volk steht, wird die deutsche Geschichte sozusagen umweltlos, monadologisch verstanden.“76 Die Zeitschrift Volk im Werden, die 1944 in die Zeitschrift für Geistes- und Glaubensgeschichte umbenannt wurde, wurde 1933 von Ernst Krieck herausgegeben und war ein wichtiges Organ der Geistesgeschichte. Ein fünfbändiges Gemeinschaftswerk Von deutscher Art in Sprache und Dichtung wurde unter dem Zeichen der Geistesgeschichte geschrieben.77 Die geistesgeschichtliche Forschung erlitt also in den 1930er Jahren im Gegensatz zur Ideengeschichte keinen bedeutenden Einbruch.78 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in der Zeit von 1900 bis 1945 die Geistesgeschichte vor allem innerhalb der Germanistik und Philosophie zu ei-

74 Julius Wiegand, Deutsche Geistesgeschichte, Frankfurt a.M. 1932, S. III. 75 Gerhard Fricke, Über die Aufgabe und die Aufgaben der Deutschwissenschaft, in: Zeitschrift für deutsche Bildung 9. 1933, S. 494–501, hier S. 496. 76 Lehmann, Gerhard: „Eine Ideengeschichte des Nationalsozialismus?“, in: Nationalsozialistische Monatshefte 114 (1939), S. 808-816, hier S. 809. 77 Vgl. Frank-Rutger Hausmann, „Deutsche Geisteswissenschaft“ im Zweiten Weltkrieg. Die „Aktion Ritterbusch“ (1940-1945) (= Schriften zur Wissenschafts- und Universitätsgeschichte, Bd. 1), Dresden 1998. 78 Nolte hat jüngst die „die Bedeutung des politischen Bruches von 1933 für das Verschwinden einer deutschen Ideengeschichte“ hervorgehoben. Paul Nolte, Sozialgeschichte und Ideengeschichte. Plädoyer für eine deutsche "Intellectual History", in: ders. (Hg.), Transatlantische Ambivalenzen. Studien zur Sozial- und Ideengeschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts, Berlin 2014, S. 391–414, hier S. 399f. Vgl auch: JanPieter Barbian, Literaturpolitik im "Dritten Reich". Institutionen, Kompetenzen, Betätigungsfelder, Frankfurt a.M. 1993; Holger Dainat, Germanistische Literaturwissenschaft, in: Frank-Rutger Hausmann (Hg.), Die Rolle der Geisteswissenschaften im Dritten Reich, 1933-1945 (= Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien, Bd. 53), München 2002, S. 63–86; Holger Dainat und Lutz Danneberg (Hg.), Literaturwissenschaft und Nationalsozialismus (= Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur, Bd. 99), Tübingen 2003; Gerhard Kaiser, Grenzverwirrungen. Literaturwissenschaft im Nationalsozialismus, Berlin 2008.

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nem der bedeutendsten geisteswissenschaftlichen Forschungsbereiche aufstieg, der der Ideen-, Philosophie- und Problemgeschichte sukzessive das Wasser abgrub. Erst Mitte der 1940er Jahre geriet das geistesgeschichtliche Paradigma ins Wanken.79 Ein kurzer internationaler Vergleich relativiert allerdings die Höhe des Aufstiegs dieser Disziplinen. Denn mit viel größerem Erfolg als in Deutschland konnte sich nämlich in den USA die „history of ideas“ durchsetzen.80 An der Johns Hopkins University entstand nach dem Ersten Weltkrieg um Arthur Lovejoy eine lose organisierte Forschergruppe – der sogenannten „History of Ideas Club“ –, die sich ab 1923 an der Johns Hopkins University kontinuierlich traf.81 Obwohl Lovejoy schon während des Ersten Weltkrieges seine Methodologie festigte82, legte er erst 1936 mit seinem Werk The Great Chain of Being den Grundstein für die Disziplin der „history of ideas“.83 Mit der Zeitschrift Journal of the

79 Vor allem in der Germanistik. Siehe: Wilfried Barner und Christoph König (Hg.), Zeitenwechsel. Germanistische Literaturwissenschaft vor und nach 1945 (= Kultur & Medien), Frankfurt a.M. 1996. 80 Die Geschichte der „history of ideas“ ist im Vergleich zur Geschichte der deutschen Ideen- und Geistesgeschichte seit Langem von der amerikanischen Geschichtsforschung thematisiert worden. Siehe z.B. John Higham, The Rise of American Intellectual History, in: American Historical Review 56. 1951, S. 453–471; Daniel J. Wilson, Arthur O. Lovejoy and the Quest for Intelligibility, Chapel Hill 1980; Donald R. Kelley, What is Happening to the History of Ideas?, in: Journal of the History of Ideas 51. 1990, S. 3–25; Donald R. Kelley, The Descent of Ideas. The History of Intellectual History, Aldershot, Hants, England, Burlington, VT 2002; Anthony Grafton, The History of Ideas: Precept and Practice, 1950-2000 and Beyond, in: Journal of the History of Ideas 67. 2006, S. 1–32; Leo Cantana, Lovejoy's Readings of Bruno: Or How Nineteenth-Century History of Philosophy was 'Transformed' Into the History of Ideas, in: Journal of the History of Ideas 71. 2009, S. 91–112. 81 Zur History of Ideas Club siehe: Wilson, S. 187-189; Dorothy Stimson, The History of Ideas Club, in: George Boas (Hg.), Studies in Intellectual History, Baltimore 1953, S. 174–196. 82 Siehe: Arthur O. Lovejoy, On Some Conditions of Progress in Philosophical Inquiry, in: Philosophical Review 26. 1917, S. 123–163; Arthur O. Lovejoy, The Revolt against Dualism. An Inquiry Concerning the Existence of Ideas, Chicago 1930. 83 Arthur O. Lovejoy, The Great Chain of Being. A Study of the History of an Idea, Cambridge 1936. Das Buch wurde erst ein halbes Jahrhundert später auf Deutsch übersetzt: Arthur O. Lovejoy, Die große Kette der Wesen. Geschichte eines Gedankens, Frankfurt a.M. 1985.

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History of Ideas, die bis heute erscheint, schuf der „History of Ideas Club“ um Lovejoy ein öffentlich wirksames Publikationsorgan. Der erste Aufsatz der Zeitschrift von Arthur Lovejoy war eine programmatische Standortbestimmung, welche die „history of ideas“ als eine Philosophiegeschichte von „unit-ideas“ vorstellte, die zur geheimen Königsdisziplin der Universität avancieren sollte.84 Im Vergleich zu den deutschsprachigen Ländern, in denen Geistesgeschichte am stärksten von Germanisten und Literaturwissenschaftlern vertreten wurde, blieb die amerikanische „history of ideas“ viel stärker an die Philosophie und Geschichtswissenschaft gebunden und war bemüht, in Anlehnung an naturwissenschaftliche Methoden eine kühle, analytisch-wissenschaftliche Distanz zum Untersuchungsgenstand zu wahren. „Its initial procedure“, schrieb Lovejoy über das methodische Vorgehen der history of ideas, „may be said […] to be somewhat analogous to that of analytic chemistry.“85 Aber noch wesentlich erfolgreicher als in den USA konnte sich die Ideengeschichte als Disziplin auf europäischem Boden etablieren: nämlich in Schweden.86 An der Universität Uppsala wurde 1932 die Emilia und Gustaf Carlberg

84 Arthur O. Lovejoy, Reflections on the History of Ideas, in: Journal of the History of Ideas 1. 1940, S. 3–23. Vgl. auch: Lovejoy, The Great Chain of Being, S. 3-24; Arthur O. Lovejoy, The Historiography of Ideas, in: Proceedings of the American Philosophical Society LXXVIII. 1938, S. 529–543. Vor allem George Boas hat Lovejoys Projekt mitgestaltet und über den Zweiten Weltkrieg hinaus weitergetragen. Siehe vor allem: George Boas, Some problems of intellectual history, in: ders. (Hg.), Studies in Intellectual History, Baltimore 1953, S. 3–21. 85 Lovejoy, The Great Chain of Being, S. 3. Zu den Unterschieden zwischen der Geistesgeschichte und „history of ideas“ siehe vor allem: Leo Spitzer, Geistesgeschichte vs. History of Ideas as Applied to Hitlerism, in: Journal of the History of Ideas 5. 1944, S. 191–203. „In opposition to such a history of ideas,“ schrieb Spitzer, „with its bias for naturalistic and atomistic methods applied to the history of the human mind, I propose a Geistesgeschichte, in which Geist represents nothing ominously mystical or mythological, but simply the totality of the features of a given period or movement which the historian tries to see as a unity“ (hier S. 202). Siehe auch die Antwort Lovejoys auf Spitzers Aufsatz: Arthur O. Lovejoy, Reply to Professor Spitzer, in: Journal of the History of Ideas 5. 1944, S. 204–219. 86 Zur Entwicklung der schwedischen „idé- och lärdomshistoria“ siehe: Tore Frängsmyr (Hg.), History of Science in Sweden. The Growth of a Discipline, 1932-1982 (= Uppsala studies in history of science, Bd. 2), Stockholm 1984; Nils Andersson und Henrik Björck (Hg.), Idéhistoria i tiden. Perspektiv på ämnets identitet under sjuttiofem år, Stockholm 2008.

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Professur für „idé- och lärdomshistoria“ (Ideen- und Gelehrtengeschichte) eingerichtet. Erster Inhaber war Johan Nordström, der 1924 als Schüler von dem Literaturhistoriker Henrik Schück in seiner Promotionsarbeit die philosophischen Fragmente des schwedischen Universalgelehrten Georg Stiernhielm (1598-1672) herausgab, kommentierte und in einer ausführlichen Einleitung in den geistesgeschichtlichen Kontext einband.87 Daraufhin wurde er fünf Jahre später besonders durch seine veröffentlichten Vorlesungen Medeltid och renässans („Mittelalter und Renaissance“) in Schweden bekannt, in denen er gegen Jacob Burckhardt die These vortrug, dass die intellektuellen Wurzeln der Renaissance schon im 12. Jahrhundert in Frankreich lägen.88 Nordstöm wurde als Professor in Uppsala zur Vaterfigur der schwedischen „idé- och lärdomshistoria“. In seiner Forschung wandte er sich zunächst der Gotik zu89, danach investierte er seine gesamte Arbeitskraft in die Gesellschaft Lärdomshistoriska samfundet (Gesellschaft für Gelehrtengeschichte), die 1934 gegründet und zum Knotenpunkt der schwedischen Ideengeschichte wurde. Zudem wurde die Zeitschrift Lychnos 1936 unter seinen Auspizien gegründet, die bis heute die bedeutendste ideengeschichtliche Zeitschrift Schwedens ist. Das methodische Programm, das Nordström und seine Schüler vertraten, besaß eine andere Stoßrichtung als die deutsche und amerikanische ideen- und geistesgeschichtliche Forschung. Die beiden großen Quellen, aus denen Nordström seine Methode speiste, kamen aus der Wissenschafts- und Geistesgeschichte.90 In seiner Antrittsvorlesung, die er März 1933 hielt, verwies er explizit auf naturwissenschaftsgeschichtliche Arbeiten von George Sarton (1884-1956) und Paul Tannery (1843-1904), betonte aber, dass diese „lärdomshistoria“ immer durch „idéhistoria“ ergänzt und korrigiert werden müsse. Alle Wissensbestände innerhalb der akademischen Wissenschaft gehörten schließlich zur „intellektuel-

87 Zu Nordström siehe: Sten Lindroth, Johan Nordström 1891-1967, in: Lychnos. 1967/68, S. 3–20. 88 Johan Nordström, Medeltid och renässans. En utvecklingshistorisk överblick, in: Sven Thunberg und Samuel Ebbe Bring (Hg.), Nordstedts världshistoria (= Nationalstaterna och renässansen 1300-1500, Bd. 6), Stockholm 1929, S. 341–530, später auch: Johan Nordström, Medeltid och renässans. En utvecklingshistorisk överblick, Stockholm 1929. Bislang nur auf Französisch übersetzt: Johan Nordström, Moyen âge et renaissance: Essai historique, Paris 1933. 89 Johan Nordström, De yverbornes ö, Stockholm 1934. 90 Siehe: Tore Frängsmyr, Johan Nordström och lärdomshistoriens etablering i Sverige, in: Lychnos. 1983, S. 131–149; Tore Frängsmyr, Sarton and Nordström, in: Isis 75. 1984, S. 49–55.

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la och moraliska atmosfär“91 („intellektuellen und moralischen Atmosphäre“) der Zeit. Nordström griff daher auch explizit auf Dilthey zurück und lenkte die positivistischen Tendenzen der Wissenschaftsgeschichte in geistesgeschichtliche Bahnen. Heraus kam eine eigene hausgemachte Mischung aus geistesgeschichtlicher Wissenschaftsgeschichte, die für die frühe schwedische „idé- och lärdomshistoria“ charakteristisch wurde. Wie im Falle der Geistesgeschichte in Deutschland so erfüllte auch die schwedische „idé- och lärdomshistoria“ in den 1930er Jahren eine kulturell-politische Funktion und konnte unter den begünstigenden Bedingungen über den akademischen Diskurs hinaus sinnstiftende Wirksamkeit entfalten. Die Professur für „idé- och lärdomshistoria“ in Uppsala wurde schließlich vom Geschäftsmann Gustaf Carlberg zum 300. Todestag des schwedischen Nationalhelden, Gustav II. Adolf (1594-1632), gestiftet für den „svenska andliga framåtskridandet och vår svenska kulturs upprätthållande“92 („schwedischen geistigen Fortschritt und für die Aufrechterhaltung der schwedischen Kultur“). Es ist kein Zufall, dass die Großmachtzeit Schwedens (1611–1719) anfänglich wie ein Leuchtturm im Zentrum der „idé- och lärdomshistoria“ stand. Eine Demonstration der historischen Stärke Schwedens wurde gerne und willig erbracht. Trotz dieser begünstigenden politischen Bedingungen, muss auch betont werden, dass sich die Forschung Nordströms und seiner Schule von der politisch-ideologischen Interessenlage nicht bis ins Letzte hat bestimmen lassen und auch jenseits des politischen Klimas Forschung betrieben werden konnte. Nordström gelang es, mit seinen Schülern, der Zeitschrift Lynchos und der Lärdomshistoriska samfundet ein Fach an schwedischen Universitäten zu institutionalisieren, das Professuren, Forschergruppen und eigene Forschungsschwerpunkte besitzt und sich bis heute an den schwedischen Universitäten hält.93

91 Die „Installationsföreläsning“ wurde erst 1967 abgedruckt. Johan Nordström, Om Idéoch Lärdomshistoria. Installationsföreläsning den 4 Mars 1933, in: Lychnos. 1967/68, S. 21–29, hier S. 28. 92 So hieß es in dem „donationsbrevet“. Siehe: Av herr Lundh, om höjning av den nu utgående lönefyllnaden till professorn Johan Nordström, in: Bihang till Riksdagens protokoll vid lagtima Riksdagan i Stockholm. Fjärde Samlingen. Motioner i Andra kammaren nr. 1-224, Stockholm 1942, Nr. 169, hier S. 1. 93 Über die Entwicklung der „idé- och lärdomshistoria“ nach Nordström siehe: Gunnar Erikson, After 1932: The Nordström Tradition, in: Tore Frängsmyr (Hg.), History of Science in Sweden. The Growth of a Discipline, 1932-1982 (= Uppsala studies in history of science, Bd. 2), Stockholm 1984, S. 48–60; Gunnar Broberg, Sjuttonhundratalets vetenskap. Vad hände och vad händer?, in: Lychnos. 2007, S. 251–272.

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Vor dem Hintergrund der amerikanischen und schwedischen Entwicklungen wird deutlich, dass die Ideen- und Geistesgeschichte international zwar schwach vernetzt war, aber in den jeweiligen nationalen Rahmen im 20. Jahrhundert einen Höhepunkt erlebte. Die deutsche Ideen- und Geistesgeschichte konnte wie die amerikanische „history of ideas“ erfolgreich in der geisteswissenschaftlichen Forschung standhalten. Zeitschriften wie die Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, Lychnos und Journal of the History of Ideas spielten eine wichtige Rolle für die Etablierung und Stabilisierung der Ideenund Geistesgeschichte als Fach. Und Gründungsväter wurden erkoren: Mit Dilthey und Meinecke besaß die deutsche Ideen- und Geistesgeschichte wichtige Pioniere, die ähnlich wie Nordström und Lovejoy, ideen- und geistesgeschichtliche Methoden entwickelten und Forschungsschwerpunkte setzten. Im internationalen Vergleich werden allerdings auch die unterschiedlichen disziplinären Anbindungen deutlich. Während die „idé och lärdomshistoria“ sich stärker auf die Naturwissenschaft und Wissenschaftsgeschichte konzentrierte, baute die „history of ideas“ zum Großteil auf der Philosophiegeschichte auf, während die Ideen- und Geistesgeschichte sich stärker der Germanistik und Literaturgeschichte zuwandte. Im Vergleich zur schwedischen „idé och lärdomshistoria“ wurde die Ideen- und Geistesgeschichte in Deutschland aber nicht als unabhängiges Universitätsfach mit eigenen Lehrstühlen etabliert. Nur in Schweden konnte sie als akademische Disziplin fest und dauerhaft an den Universitäten etabliert werden. Die Entwicklung der deutschen Ideen- und Geistesgeschichte als akademische Fachrichtung verlief in den 1930er Jahren nach einem ähnlichen, wenn auch nicht so erfolgreichen Muster wie die Etablierung der „history of ideas“ und „idé och lärdomshistoria“. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert verlaufen allerdings diese internationalen Parallelen im Sande. Die Jahre nach 1945 bedeuteten weder für die „history of ideas“ noch für die „idé och lärdomshistoria“ eine entscheidende Zäsur. Für die Ideen- und Geistesgeschichte dagegen bildeten das Ende des Dritten Reiches und der Beginn der Nachkriegszeit eine markante Umbruchsphase. Sie geriet nämlich in eine Art zermürbende Doppelkritik. Der Typus der Ideengeschichte befand sich schon seit den 1930ern unter Beschuss, da sie als abstrakt, idealistisch und positivistisch kritisiert worden war. Zur Zeit des Nationalsozialismus‘ wurde die Ideengeschichte vernachlässigt und dadurch langsam erstickt. Auf der anderen Seite stand aus der Warte der Nachkriegszeit die häufig völkisch beflügelte Geistesgeschichte dem ideologischen Pathos des Nationalsozialismus verdächtig nahe. Nicht wenige bekannte Exponenten der Geistesgeschichte – wie Erich Rothacker oder Herbert Cysarz – waren Mitglieder der NSDAP gewesen und hatten die Geistesgeschichte zielbewusst politisch-ideologisch gefärbt. Die

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Ideengeschichte war also in den 1930ern sukzessive verdrängt worden und die Geistesgeschichte litt im bildungspolitischen Klima der Nachkriegszeit unter kräftigem Legitimierungsschwund. Wie deutlich dieser Schwund der Geistesgeschichte gespürt wurde, zeigt sich nicht zuletzt in den Interventionen derjenigen, die sich als Geisteshistoriker gegen eine Gleichsetzung von Nationalsozialismus und Geistesgeschichte zu Wort meldeten. „There have been, God knows, many Fabrikate of more or less recent German make,“ schrieb der österreichisch-jüdische Emigrant Leo Spitzer an der Columbia University, „in which the pursuit of the integration of features of detail into one whole has served as an excuse for confusion and muddled thinking […]. But such writings should not be allowed to discredit the legitimate endeavors of a Burckhardt, a Dilthey, a Simmel, a Max Weber, a Tröltsch.“94 Der an der Harvard University lehrende deutsche Germanist Karl Viëtor beschrieb kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in seinem Aufsatz „Deutsche Literaturgeschichte als Geistesgeschichte“ (1945) den „krisenhaften Zustand“95 der Geistesgeschichte. „Der politische Terror hat die Zersetzung der philosophischen Position beschleunigt“, schrieb er, „und zudem eine tiefgehende Korruption der intellektuellen Redlichkeit hervorgerufen.“96 Die akademische Forschung schien einer neuen Zeit entgegenzublicken, die sich von alten Annahmen befreit habe, schrieb er weiter. „Die Epoche der geistesgeschichtlichen Betrachtungsweise und ihrer Methoden ist offenbar abgeschlossen.“97 In dieser Zeit fehlte es nicht an polemischen Grundsatzkritiken gegen die Geistesgeschichte. Schon 1933 hielt Eckart Kehr, ein Schüler von Hans Rothfels und Friedrich Meinecke, einen Vortrag in Chicago, der sowohl die Ideen- als auch Geistesgeschichte aufs Schärfste attackierte. Kehrs Aufsatz wurde erst später in der Nachkriegszeit bekannt, nachdem Hans-Ulrich Wehler ihn zusammen mit anderen Aufsätzen posthum neu herausgab und als maßgebende Kritik in die geschichtswissenschaftlichen Debatten der 1960er Jahre lancierte.98 Für Kehr

94

Spitzer, Geistesgeschichte vs. History of Ideas as Applied to Hitlerism, S. 203. Dieser Aufsatz war eine kritische Reaktion auf einen Aufsatz von Arthur Lovejoy. Siehe: Arthur O. Lovejoy, The Meaning of Romanticism for the Historian of Ideas, in: Journal of the History of Ideas 2. 1941, S. 257–278.

95

Karl Viëtor, Deutsche Literaturgeschichte als Geistesgeschichte, in: Publications of Modern Language Association 60. 1945, S. 899–916, hier S. 912.

96

Ebd, hier S. 914.

97

Ebd, hier S. 914.

98

Eckart Kehr, Neuere deutsche Geschichtsschreibung (1933), in: Eckart Kehr u.a. (Hg.), Der Primat der Innenpolitik. Gesammelte Aufsätze zur preussisch-deutschen

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war die Ideengeschichte eine „auf Deutschland beschränkte Spezialität“99, die außerhalb Deutschlands keine Rolle spiele. Meinecke sei außerhalb von Deutschland nicht bekannt, fuhr er fort, weil er nur in Deutschland „mit seiner Ideengeschichtsschreibung im richtigen Augenblick einem geistig ratlosen Bürgertum einen Ausweg zeigte“100, die aber außerhalb Deutschlands auf taube Ohren stieße. Der Ideenhistoriker an sich sei grundsätzlich „politisch konservativ, auch in dem Fall, dass er Republikaner und Demokrat ist“101, fuhr Kehr weiter fort. „Er besitzt absolut kein Interesse an den Arbeitern oder Angestellten. Ihre Angelegenheiten gehören dem Tageskampf an und reichen nicht in jene lichten Höhen, in denen der Ideenhistoriker träumt. Er zeigt aber viel Interesse für Konservative wie Friedrich Wilhelm IV. und Julius Stahl, besonders wenn sie ein kompliziertes Geistesleben besitzen.“102

Auch hier zeigt sich, wie stark der politische Rahmen der Nachkriegszeit die Methoden und Praxis der Ideen- und Geistesgeschichte untergrub. Dreißig Jahre später, in den 1960er Jahren der Bundesrepublik, hielt die Rezessionsphase noch weiter an. Als Wehler 1965 die Aufsätze Kehrs herausgab, fügte er in einer Einleitung seine eigene Polemik gegen die Ideengeschichte hinzu. Im „Luftschloss der Ideengeschichte“, schrieb er, habe sich die „ganz unhistorische erkenntnistheoretische Illusion“103 der einfühlenden Hermeneutik eingenistet. Diese sei aber für die Geschichtswissenschaft eine mangelhafte und kümmerliche historische Methode, denn mit der Hermeneutik der Ideengeschichte könne man höchstens zur nachvollziehenden Übereinstimmung mit Denkern früherer Zeiten gelangen. Die Ide-

Sozialgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert (= Ullstein-Buch, Bd. 3269), Frankfurt 19762, S. 254–267. Vgl. ähnliche Kritiken von: Imanuel Geiss, Kritischer Rückblick auf Friedrich Meinecke, in: ders. (Hg.), Studien über Geschichte und Geschichtswissenschaft, Frankfurt a.M. 1972, S. 89–107; Shulamit Volkov, Cultural Elitism and Democracy: Notes on Friedrich Meinecke's Political Thought, in: Jahrbuch des Instituts für Deutsche Geschichte Tel Aviv 5. 1976, S. 383–418. 99

Kehr, Neuere deutsche Geschichtsschreibung, S. 261.

100 Ebd. 101 Ebd. 102 Ebd, S. 262. 103 Hans-Ulrich Wehler, Einleitung, in: Eckart Kehr u.a. (Hg.), Der Primat der Innenpolitik. Gesammelte Aufsätze zur preußisch-deutschen Sozialgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert (= Ullstein-Buch, Bd. 3269), Frankfurt 19762, S. 1–30, hier S. 24.

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engeschichte sei daher in ihrer Bemühung dieses empathischen Hineindenkens nichts anderes als die „Kapitulation vor dem gesellschaftlichen Status quo“104. Ideengeschichte sei, so könnte man diesen Gedanken in seiner vollen politischen Botschaft fortziehen, eine Art intellektuelle Gleichschaltung mit der Vergangenheit. Sie ließe zumindest keine kritische Distanz zu, sondern versuche im Gegenteil, diese immer hermeneutisch zu überbrücken. Wehler betrachtete Kehr daher als positives Vorbild und vergessenen Propheten, denn dieser „war bereit, aus dem Zusammenbruch die Konsequenzen zu ziehen. Das führte ihn zur Sozialgeschichte.“105 Angesichts dieses Legitimationsdefizits sowohl der Ideen- als auch der Geistesgeschichte in der Nachkriegszeit sammelten sich einige Gegenkräfte, die versuchten, die Ideen- und Geistesgeschichte zu rehabilitieren. Autoren wie Kurt Schilling106, Werner Hofmann107, Lothar Gall108, Ernst Nolte109 und einige andere110 veröffentlichten in den ersten zwei Dekaden der Nachkriegszeit ideengeschichtliche Werke und erhofften sich eine Weiterführung der ideengeschichtlichen Forschung trotz der wachsenden Popularität der Sozialgeschichte. Auch Erich Rothacker, einer der Hauptgestalten der Geistesgeschichte aus den 1920er und 1930er Jahren, blieb weiter aktiv. Er gründete 1955 das Archiv für Begriffsgeschichte, das alte Vorhaben und Forschungsinteressen aus den 1920er Jahren wieder aufgriff. Zusammen mit Hans-Georg Gadamer gründete er ein Jahr später die „Senatskommission für Begriffsgeschichte“ der Deutschen Forschungsge-

104 Ebd, S. 25. 105 Ebd, S. 25. 106 Kurt Schilling, Geschichte der sozialen Ideen. Individuum, Gemeinschaft, Gesellschaft, Stuttgart 1957. 107 Werner Hofmann, Ideengeschichte der sozialen Bewegungen, Berlin 1962. 108 Lothar Gall, Benjamin Constant. Seine politische Ideenwelt und der deutsche Vormärz, Wiesbaden 1963. 109 Siehe z.B. Ernst Nolte, Der Faschismus in seiner Epoche. Action française – Italienischer Faschismus – Nationalsozialismus, München 1963. 110 Siehe auch: Emanuel Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie im Zusammenhang mit den allgemeinen Bewegungen des europäischen Denkens (5 Bde.), Gütersloh 1949-1954; Walter Ehrlich, Geistesgeschichte, Tübingen 1952; Friedrich Heer, Europäische Geistesgeschichte, Stuttgart 1953; Klaus Dockhorn, Deutscher Geist und angelsächsische Geistesgeschichte. Ein Versuch der Deutung ihres Verhältnisses, Göttingen 1954; Walter Theimer, Geschichte der politischen Ideen, München 1955.

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meinschaft.111 Die Tagungen und Veranstaltungen dieser Senatskommission – die Jacob Taubes spöttisch „Gadamer Festspiele“112 nannte – wurden schließlich ab 1963 von der Forschergruppe „Poetik und Hermeneutik“ überboten, die sich als jüngere Sezessionsgruppe von der älteren Generation abkoppelte. Schriften, die eine „Sozialgeschichte der Ideen“ verfolgten, verstanden sich als Vermittlungsarbeit zwischen der Sozial- und Geistesgeschichte. Thomas Nipperdey versuchte stets in seinen Schriften, „das, was einmal Ideen- und Kulturgeschichte hieß, in sozialgeschichtliche Analysen einzubeziehen.“113 Eine „Sozialgeschichte der Ideen“114 könne beide Disziplinen fruchtbar verbinden. „Strukturen und Ideen gehören zusammen“115, schrieb er. Unter der Flagge der „Sozialgeschichte der Ideen“ segelten einige Historiker, die Vermittlungsarbeit leisten wollten und dabei Strukturen und Ideen zusammendenken wollte.116 Neben diesen Gruppen war der wichtigste Akteur und Advokat der Geistesgeschichte in der Nachkriegszeit unzweifelhaft der deutsch-jüdische Religionsund Geisteshistoriker Hans-Joachim Schoeps (1909-1980), der heute in Vergessenheit geraten ist. Mit viel Kraftaufwand verfolgte Schoeps das Ziel, die Geistesgeschichte von der Ideengeschichte abzugrenzen und als selbstständige historische Disziplin institutionell an deutschen Universitäten zu etablieren. Seine programmatische Schrift Was ist und was will die Geistesgeschichte? Über Theorie und Praxis der Zeitgeistforschung (1959) sollte die Grundlage für dieses Vorhaben schaffen und setzte bildungspolitische wie auch fachlich-methodologische Grundimpulse. „Mit dieser Schrift“, konstatierte Schoeps im Vorwort, „wird der Öffentlichkeit das Programm einer neuen Disziplin vorgelegt.“117 Er

111 Siehe: Margarita Kranz, Begriffsgeschichte institutionell. Die Senatskommission für Begriffsgeschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft (1956-1966). Darstellung und Dokumente, in: Archiv für Begriffsgeschichte 53. 2011, S. 153–226. 112 Jacob Taubes an Hans Blumenberg, 16.03.1965, in: Hans Blumenberg u.a. (Hg.), Briefwechsel 1961-1981, Berlin 2013, S. 42. 113 Thomas Nipperdey, „Vorwort“, in: Ders., Gesellschaft, Kultur, Theorie. Gesammelte Aufsätze zur neueren Geschichte, (=Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, 18), Göttingen 1976, S. 9. 114 Ibid. 115 Ibid. 116 Siehe z.B. den Sammelband: Klaus Vondung (Hg.), Das wilhelminische Bildungsbürgertum. Zur Sozialgeschichte seiner Ideen (= Kleine Vandenhoeck-Reihe, Bd. 1420), Göttingen 1976. 117 Hans-Joachim Schoeps, Was ist und was will die Geistesgeschichte? Über Theorie und Praxis der Zeitgeistforschung, Berlin 1959, S. 5.

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grenzte die Geistesgeschichte explizit von der „Ideengeschichte im Sinne Friedrich Meineckes und seiner Schule“118 ab, da diese keinen „Anspruch auf ein eigenes, gegenständlich abgrenzbares Gebiet erheben kann.“119 Ganz anders sei die Geistesgeschichte, so Schoeps, denn ihr Thema sei schlicht: „der Zeitgeist und seine Wandlungen.“120 Es ging, wie schon in der Geistesgeschichte der 1920er Jahre, nicht primär um Ereignisse oder um abstrakte Ideen, sondern um die Sonderheit bestimmter Epochen. Kurz: Die historische Untersuchung des Zeitgeistes war für Schoeps das Alleinstellungsmerkmal der Geistesgeschichte im Wissenschaftsbetrieb. Und dieses Forschungsfeld sei die Legitimation, um eine eigene Disziplin an den deutschen Universitäten zu gründen. Dieses Programm knüpfte schon an frühere Vorhaben der Geistesgeschichte an, grenzte sich allerdings an einem Punkt von der früheren Methode ab. Für die Erkenntnisinteressen der Zeitgeistforschung sei es wichtig, so Schoeps, dass der „Geist einer Zeit aus den Selbstzeugnissen“121 erhoben wurde. Damit waren aber nicht die Selbstzeugnisse der Philosophen und Denker einer Zeit gemeint. Die Zeitgeistforschung sollte sich nämlich „nicht zu sehr an die großen Männer halten, die mit ihrem Kopf durch die Dunst-und Wolkendecke ihres Zeitalters hindurchstießen.“122 Das „Lebensgefühl der kleinen Leute“123 sollte als Orientierungskriterium der Quellenauswahl genügen. Nicht nur philosophische Meisterwerke, nicht nur abstrakte Abhandlungen, sondern „Predigten und Traktate“, „Enzyklopädien und Lexika“, „Tagebücher und Briefe“ und „Tageszeitungen, Zeitschriften, und Witzblätter“ sollten im Fokus dieser neuen Disziplin liegen.124 In gewisser Weise forderte Schoeps eine ähnliche institutionelle Entwicklung der Geistesgeschichte, wie er sie in Schweden gesehen hatte. Schoeps hatte als Jude im Dezember 1938 nach Schweden fliehen müssen, wo er siebeneinhalb Jahre in Stockholm und Uppsala verbrachte. Dort sah er die erfolgreiche institutionelle Entwicklung der „idé- och lärdomshistoria“. In den ersten Jahrzehnten der Nachkriegszeit verfolgte Schoeps mit ungeheurer, produktiver Kraft das Ziel, eine ähnliche Entwicklung in Deutschland zu fördern. Als Professor des Lehrstuhls für Religions- und Geistesgeschichte der Universität Erlangen gründete er zusammen mit Ernst Benz die Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte,

118 Ebd, S. 11. 119 Ebd. 120 Ebd. 121 Ebd, S. 59. 122 Ebd. 123 Ebd. 124 Ebd, S. 60ff.

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die seit 1948 bis heute erscheint.125 Zehn Jahre später gründete er die „Gesellschaft für Geistesgeschichte“. Die neue Gesellschaft, so hieß es im Memorandum, richtete sich an die „Kultusministerien aller Länder der deutschen Bundesrepublik mit der Bitte, die Erteilung geistesgeschichtlicher Lehraufträge und die Errichtung solcher Lehrstühle in wohlwollende Erwägung zu ziehen.“126 Auch die 16-bändigen Gesammelten Schriften von Schoeps, die zwischen 1990 und 2005 herausgegeben wurden, dokumentieren seine beachtliche Produktivität auf dem Gebiet der Religions- und Geistesgeschichte.127 Dass Schoeps‘ zahlreiche Werke und hochschulpolitische Mission dennoch keine nachhaltige Wirkung in Deutschland entfalten konnten, hängt wohl zum Teil mit seiner Biographie und dem eigentümlichen Ruf zusammen, der ihm lebenslänglich vorauseilte. Als Jude hatte er vor seiner Emigration aus Deutschland im April 1933 die Organisation Der deutsche Vortrupp. Gefolgschaft deutscher Juden gegründet, der im Nationalsozialismus eine positive politische Kraft zu erkennen geglaubt hatte. In der Zeitschrift der Organisation, Der Vortrupp. Blätter einer Gefolgschaft deutscher Juden128, hatte Schoeps ab 1933 Flugschriften, Broschüren und Aufsätze in der Hoffnung herausgegeben, die Zugehörigkeit der patriotischen Juden zum Deutschtum herauszustellen.129 Sogar noch im Oktober des Jahres 1933 schrieb Schoeps: „Der Nationalsozialismus rettet Deutschland vor dem Untergang; Deutschland erlebt heute seine völkische Erneuerung.“130 Als tragische Illusion eines 24-Jährigen ließ sich diese Episode nicht

125 Zur Zeitschrift siehe: Gideon Botsch, Hans-Joachim Schoeps, Ernst Benz und die Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, in: Gideon Botsch u.a. (Hg.), Wider den Zeitgeist. Studien zum Leben und Werk von Hans-Joachim Schoeps (19091980) (= Haskala, Bd. 39), Hildesheim 2009, S. 273–312. 126 Abgedruckt in: Schoeps, Was ist und was will die Geistesgeschichte?, S. 97. 127 Siehe auch: Schoeps, Hans-Joachim, in: Sand – Stri (= Lexikon deutsch-jüdischer Autoren, Bd. 19), München 2011, S. 104–131. 128 Alle Hefte von Der Vortrupp sind online verfügbar unter: https://archive.org/details/ vortruppfrankfur00unse_0 (02.02.2017) 129 Zum „Vortrupp“ siehe: Carl Rheins, Deutscher Vortrupp. Gefolgschaft deutscher Juden 1933-1935, in: Yearbook of the Leo-Baeck-Institute 26. 1981, S. 207-229; FrankLothar Kroll, Geschichtswissenschaft in politischer Absicht. Hans-Joachim Schoeps und Preußen, 2010 Berlin, S. 27f; John Dippel, Die große Illusion. Warum deutsche Juden ihre Heimat nicht verlassen wollten, Weinheim, Berlin 1997, S. 102ff. 130 Hans-Joachim Schoeps, Der Jude im neuen Deutschland, in: Der Deutsche Vortrupp. Blätter einer Gefolgschaft deutscher Juden 1. 1933, S. 3; später auch: Hans-Joachim Schoeps (Hg.), "Bereit für Deutschland!" Der Patriotismus deutscher Juden und der

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interpretieren: Noch 1970 ließ Schoeps seine Aufrufe der 1930er Jahre unverändert im Wiederabdruck veröffentlichen. Im Vorwort schrieb er dazu, dass er „1970 noch dasselbe denke wie 1930, dass es füglich bei mir keine Entwicklung gegeben“ habe.131 Darüber hinaus war Schoeps als ausgesprochener „Preußenfreund“132 bekannt. 1951 hielt er eine Festrede zum 250. Jahrestag der ersten preußischen Königskrönung – vier Jahre nachdem der Staat Preußen offiziell aufgelöst worden war – mit dem Titel „Die Ehre Preußens“, in der er emphatisch den „echten preußischen Ethos“133 als Wegweiser für die Bundesrepublik pries. Zu seiner öffentlichen Wahrnehmung zählte schließlich auch, dass er offen als Bisexueller lebte.134 Kurz: Als preußischer Erzkonservativer und bisexuell lebender Jude mit nationalsozialistischem Hintergrund wirkte Schoeps‘ Leben und Werk wie ein Anachronismus in der Bundesrepublik. Die Universitätsprofessoren dieser Zeit wurden zumindest aus ihm nicht recht klug. Sein Ruf als „ungewöhnlicher Farbfleck auf der grauen Palette deutscher Universitäten“135 eilte ihm stets voraus. Zu welchem Grad sein Ruf für die schwache Rezeption seiner Zeitgeistforschung den Ausschlag gab, lässt sich sicherlich nicht messen. Fest steht aber, dass die von ihm begonnene Tradition zeitgeisteswissenschaftlichen Arbeitens mit seinem Tode im Jahr 1980 jäh abklang und nur von wenigen Schülern und der Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte weitergeführt wird. In den 1970er Jahren schien ein allgemeiner Niedergang der Ideen- und Geistesgeschichte sowohl in der Germanistik als auch in der Geschichtswissenschaft endgültig besiegelt. So sahen es zumindest die Zeitgenossen. 1971 resümierte Theodor Schieder: „Die Bevorzugung der Geistesgeschichte in der Geschichtswissenschaft und im öffentlichen Bewußtsein ist einer oft sehr unüberlegten Verketzerung gewichen.“136 Als 1972 eine Sammlung von Hans Rosen-

Nationalsozialismus. Frühe Schriften 1930 bis 1939. Eine historische Dokumentation, Berlin 1970, S. 106. 131 Schoeps (Hg.), „Bereit für Deutschland!“, S. 9. 132 Christian Graf von Krockow, Der Geist von Potsdam. Zu Preußen gehörte auch die Toleranz, in: Zeit, 16.1.1981. 133 Hans-Joachim Schoeps, Die Ehre Preußens, Stuttgart 1951, S. 7. 134 Siehe Marita Keilson-Lauritz, „Der selbstmörderische Mut des Professors Schoeps“. Hans-Joachim Schoeps und die Homosexualität, in: ders. (Hg.), Kentaurenliebe. Seitenwege der Männerliebe im 20. Jahrhunderts, Hamburg 2013, S. 116–133. 135 Gestorben: Hans-Joachim Schoeps, in: Der Spiegel 33. 1980, S. 176. 136 Theodor Schieder, Politische Ideengeschichte, in: Historische Zeitschrift 212. 1971, S. 615–622, hier S. 616.

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bergs Aufsätzen veröffentlicht wurde, verfasste er ein Vorwort, in dem er über seinen Werdegang und den Wandel seiner eigenen Forschung reflektierte, die für den Umgang mit der Ideengeschichte im 20. Jahrhundert äußerst sinnfällig ist. Als junger Meinecke-Schüler in den 1920er Jahren sei er von geistesgeschichtlichen Problemen gefesselt worden, schrieb er, weil sie sein Bedürfnis nach Weltanschauung gestillt hätten.137 Doch dann sei er der Ideen- und Geistesgeschichte etappenweise entwachsen. „Denn ich war an dem Typus individualisierendelitärer ideengeschichtlicher Analyse irre geworden, die seit Wilhelm Diltheys Tagen Meinecke so meisterhaft und verführerisch weiterverfolgt hatte.“138 Der „Höhenluft-Stimulans“139 verlor dann schließlich seinen Zauber. Rosenberg bemühte sich deshalb darum, an die Stelle der „,aristokratischen‘ Betrachtungsweise des Kulturlebens“ eine „demokratische“ zu setzen.140 Diese politische Kritik an der Ideengeschichte, die von der „aristokratischen“ Betrachtungsweise zu einer „demokratischen“ übergehen wollte, wurde zu einer Leitkritik dieser Zeit. Sie wurde vor allem, wie bereits erwähnt, von Hans-Ulrich Wehler geübt. 1975 schrieb er, dass der Grund für die Beliebtheit der Ideengeschichte in der Weimarer Republik darin gelegen habe, dass sie lediglich eine „Entlastungsfunktion“ übernommen hatte. „Sie gestattete die Gipfelwanderung – ein auch von Meinecke gern gebrauchtes Bild – in den geistigen Höhenlagen über dem Tal, in dem die ignorierten Interessen des Alltagslebens zusammenprallten. Ihre Ausdrucksform wurde vornehmlich die Biographie. Zu ihr nahm sie Zuflucht, anstatt sich nach dem ersten verlorenen Krieg der Untersuchung der Institutionen und Kollektivphänomene zu widmen.“141

Auch hier stand die Wendung von der Ideen- und Geistesgeschichte zur Sozialund Wirtschaftsgeschichte unter dem Zeichen der Ideologiekritik und westlichen

137 Hans Rosenberg, Vorwort, in: ders. (Hg.), Politische Denkströmungen im deutschen Vormärz (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 3), Göttingen 1972, S. 7–17, S. 10. 138 Ebd. 139 Ebd. 140 Ebd. 141 Hans-Ulrich Wehler, Probleme der modernen deutschen Sozialgeschichte (1975), in: Hans Ulrich Wehler (Hg.), Historische Sozialwissenschaft und Geschichtsschreibung. Studien zu Aufgaben und Traditionen deutscher Geschichtswissenschaft, Göttingen 1980, S. 126–135, hier S. 131.

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Demokratisierung. Die Sozialgeschichte sollte sich – im Anschluss an Theodor Mommsen – der „Pflicht politischer Pädagogik“142 nicht entziehen. Auch in der DDR schien die Ideengeschichte durch eine marxistisch dominierte Geschichtsbetrachtung verdrängt worden zu sein. Es fehlen bislang Untersuchungen, die den Wandel und die Entwicklung der Geistes- und Ideengeschichte in der DDR untersuchen, dennoch ist (zunächst rein a priori) anzunehmen, dass die gesellschaftstheoretischen und philosophischen Grundannahmen eines streng orthodoxen Marxismus‘ die Grundlagen der Geistes- und Ideengeschichte untergraben haben. Gemäß der Prämisse des Basis-Überbau-Modells sind ideelle und geistige Produkte des menschlichen Bewusstseins lediglich eine „Widerspiegelung ökonomischer Verhältnisse […] ohne daß sie den Handelnden zum Bewußtsein kommt“143. Denker seien schließlich, so György Lukács, „letzten Endes doch von den ökonomischen Verhältnissen und von den auf diesem Boden entstehenden Klassenkämpfen bestimmt.“144 Inwiefern marxistische Theorien für einen Schwund der Ideen- und Geistesgeschichte sorgten, ist nicht geklärt. Feststeht allerdings, dass es auch in der DDR zu einem Schwund an ideengeschichtlichen Schriften kam. Spätestens Ende der 1970er Jahre gab es einen fest etablierten Diskurs, der besagte, die Ideen- und Geistesgeschichte bilde in Deutschland keinen Schwerpunkt in der geisteswissenschaftlichen Forschung mehr. So resümierte zumindest Ernst Schulin in einem beachtlichen Aufsatz „Geistesgeschichte, Intellectual History und Histoire des Mentalités seit der Jahrhundertwende“145 (1979), nach-

142 Ebd., hier S. 135. Auch in: Hans-Ulrich Wehler, Bismarck und der Imperialismus, Köln 1972, S. 24. Dieses Zitat stammt aus einem Brief, den Mommsen an Heinrich von Sybel vom 7. Mai 1895. Abgedruckt in: Lothar Wickert, Theodor Mommsen, Bd. IV, Frankfurt a.M. 1980, S. 239f. 143 So Friedrich Engels in einem Brief an Conrad Schmidt. Siehe: Friedrich Engels, Briefe. Januar 1888-Dezember 1890 (= Marx-Engels-Werke, Bd. 37), Berlin 1967, S. 491. 144 Georg Lukács, Die Zerstörung der Vernunft. Irrationalismus und Imperialismus. Band 2, Darmstadt 19743. Auch Hans-Ulrich Wehler hat darauf hingewiesen, dass die theoretischen Grundannahmen der Sozialgeschichte der Ideengeschichte überlegen seien, weil die Ideengeschichte „das Abhängigkeitsverhältnis von sozialökonomischem Substrat und der Wirksamkeit von Überzeugungen“ übersehe. (Wehler, Probleme der modernen deutschen Sozialgeschichte, S. 134). 145 Ernst Schulin, Geistesgeschichte, Intellectual History und Histoire des Mentalités seit der Jahrhundertwende, in: ders. (Hg.), Traditionskritik und Rekonstruktionsversuch, Göttingen 1979, S. 144–162.

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dem er die deutsche Situation mit der in den USA und Frankreich verglichen hatte. Und Schulin hatte Recht: Während Ideen- und Geistesgeschichte in Deutschland scheinbar auf dem Nadir standen, erlebte vor allem die „history of ideas“ und „intellectual history“ in den USA und England einen Aufschwung. Mit der sogenannten Cambridge School, vor allem verbunden mit den Namen Quentin Skinner und John Pocock, kam frischer Wind in die anglo-amerikanischen Debatten. Eine kontextorientierte Methode löste eine ältere von Lovejoy inspirierte Herangehensweise allmählich ab. In den 1980ern erlebte die Disziplin zwar auch in den USA und England eine vermeintliche Krise, doch sie währte nicht lange. Nur zwei Jahre nachdem Robert Darnton geschrieben hatte, „a malaise is spreading among intellectual historians in the United States“146, gaben Dominick LaCapra und Steven L. Kaplan den einflussreichen Sammelband Modern European Intellectual History147 (1982) heraus, in dem Autoren wie Martin Jay, Hayden White, Roger Chartier, Dominick LaCapra und Hans Kellner für eine Neuorientierung und Neubewertung des Faches plädierten. In Deutschland finden sich zu dieser Zeit in der Geschichtswissenschaft vergleichsweise sehr wenige produktive Anstöße, die sich explizit mit der Ideenoder Geistesgeschichte identifizierten. Lediglich unter dem recht vagen Banner der „Mentalitätsgeschichte“ gab es Versuche, geistesgeschichtliche Projekte zu verfolgen.148 Seit den 1970ern bis zu den 1990ern erklang dennoch kontinuierlich ein Schwanengesang über das Fehlen der Geistes- und Ideengeschichte in Deutschland. „Ideengeschichte in Deutschland gibt es nicht mehr“, erklärte Paul Nolte rückblickend Mitte der 1990er Jahre. Man könne seit den späten 1970ern, fuhr er fort,

146 Robert Darnton, Intellectual and Cultural History, in: Michael Kammen (Hg.), The Past Before Us: Contemporary Historical Writing in the United States, Ithaca 1980, S. 327–328, hier S. 327. 147 Dominick LaCapra und Steven L. Kaplan (Hg.), Modern European Intellectual History. Reappraisals and New Perspectives, Ithaca 1982. 148 Diese wurden aber fast immer in Abgrenzung zur Ideengeschichte unternommen. Siehe z.B.: Ernst Hinrichs: Zum Stand der historischen Mentalitätsforschung in Deutschland, in: Ethnologia Europea 11 (1980), S. 226-233; Rolf Reichardt: Für eine Konzeptualisierung der Mentalitätshistorie, in: Ethnologia Europea 11 (1980), S. 234-241; Volker Sellin, Mentalität und Mentalitätsgeschichte, in: Historische Zeitschrift 241. 1985, S. 555–598; Peter Schöttler, Mentalitäten, Ideologien, Diskurse. Zur sozialgeschichtlichen Thematisierung der dritten Ebene, in: Alf Lüdtke (Hg.), Alltagsgeschichte. Zur Rekonstruktion historischer Erfahrungen und Lebensweisen, Frankfurt/M./New York 1989, S. 85-136.

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„jedenfalls nicht einen einzigen [Beitrag] eines deutschen Historikers finden, der sich ausdrücklich und länger als in ein paar flüchtigen Sätzen mit Traditionen und heutigen Chancen einer Ideengeschichte in Deutschland beschäftigte oder der auch nur versuchte, den Diskussionsstand in anderen Ländern vorzustellen und hierzulande nutzbar zu machen.“149

Und doch wäre es falsch zu meinen, nach den 1970ern hätte es nicht dennoch einen ideengeschichtlichen Subtext in der akademischen Forschung gegeben.150 Richtet man den Blick nämlich einmal von der Geschichtswissenschaft ab, so lässt sich beobachten, wie sich in anderen Fachbereichen unbeirrt eine Variation der Ideen- und Geistesgeschichte kontinuierlich fortsetzte. So zum Beispiel in der Philosophie: Philosophen wie Karlfried Gründer151, Wilhelm Schmidt-Biggemann152, Dieter Henrich153, Hermann Lübbe154 oder Herbert Schnädelbach mit seinem bekannten Werk Philosophie in Deutschland. 1831-1933155 haben ohne großen Theoriekrieg oder polemischen Methodenkonservatismus eindrucksvolle ideen- und geistesgeschichtliche Werke weiter vorgelegt. An der Philosophi-

149 Der Aufsatz wurde zum ersten Mal veröffentlicht als: Nolte, Sozialgeschichte und Ideengeschichte. Plädoyer für eine deutsche „Intellectual History“, hier S. 391f. 150 So auch Nolte, Sozialgeschichte und Ideengeschichte. Plädoyer für eine deutsche „Intellectual History“, vor allem S. 400ff. 151 Siehe vor allem: Karlfried Gründer, Zur Philosophie des Grafen Paul Yorck von Wartenburg: Aspekte und neue Quellen, Göttingen 1970; Karlfried Gründer, Reflexion der Kontinuitäten. Zum Geschichtsdenken der letzten Jahrzehnte, Göttingen 1982; Karlfried Gründer und Wilhelm Schmidt-Biggemann (Hg.), Spinoza in der Frühzeit seiner religiösen Wirkung (= Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung, Bd. 12), Heidelberg 1984. 152 Wilhelm Schmidt-Biggemann, Maschine und Teufel. Jean Pauls Jugendsatiren nach ihrer Modellgeschichte (= Symposion, philosophische Schriftenreihe, Bd. 49), München 1975; Wilhelm Schmidt-Biggemann, Baruch de Spinoza: 1677-1977. Werk und Wirkung, Wolfenbüttel 1977; Wilhelm Schmidt-Biggemann (Hg.), Theodizee und Tatsachen. Das philosophische Profil der deutschen Aufklärung (= Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 722), Frankfurt a.M. 1988. 153 Siehe vor allem: Dieter Henrich, Hegel im Kontext, Frankfurt a.M. 1971; Dieter Henrich, Fichtes ursprüngliche Einsicht, Frankfurt a.M. 1967; Dieter Henrich, Konstellationen. Probleme und Debatten am Ursprung der idealistischen Philosophie (1789-1795), Stuttgart 1991. 154 Hermann Lübbe, Politische Philosophie in Deutschland, Basel 1963. 155 Heute mittlerweile in der 6. Auflage: Herbert Schnädelbach, Philosophie in Deutschland. 1831-1933, Frankfurt a.M. 19996.

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schen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München wurde 1965 das Seminar für Philosophie und Geistesgeschichte156 gegründet, das insgesamt 22 Bände in einer eigenen Buchreihe mit dem Titel „Die Geistesgeschichte und ihre Methoden, Quellen und Forschungen“ von 1977 bis 2001 veröffentlichte.157 Auch Theologen schrieben in dieser Zeit Theologie- und Kirchengeschichte, die klare Parallelen zur Ideen- und Geistesgeschichte der Zwischenkriegszeit aufwiesen. Wolfhart Pannenberg verfasste seine Problemgeschichte der neueren evangelischen Theologie in Deutschland158 und andere Theologen wie Heinz Zahrnt159, Bernd Moeller160 oder Martin Greschat161 haben mit ihren Werken ein Publikum – auch jenseits des akademischen Elfenbeinturms – erreicht. Auch die Soziologie und Politikwissenschaft hat auf eigene Weise die Ideengeschichte in ihren eigenen Methodenhaushalt einverleibt. Niklas Luhmann verfolgte zum Beispiel in seinen vielen wissenssoziologischen Studien zur Gesellschaftsstruktur und Semantik162 eine „Ideengeschichte in soziologischer Perspek-

156 Vorgänger dieses Instituts war das 1948 gegründete Centro Italiano di Studi Umanistici e Filosofici (von Ernesto Grassi geleitet). Daraufhin erhielt das Centro immer wieder neue Namen. 1975 wurde das Seminar für Philosophie und Geistesgeschichte in das Institut für Geistesgeschichte des Humanismus umbenannt und 1985 wiederum umbenannt in das Institut für Geistesgeschichte und Philosophie der Renaissance. Heute heißt das Institut seit 1995 Seminar für Geistesgeschichte und Philosophie. 157 Stephan Otto, der von 1973 bis 1997 Leiter des Instituts war, plädierte explizit dafür, Geistesgeschichte nicht den Germanisten oder Historikern zu überlassen, sondern sie in eine „philosophische Disziplin“ zu verwandeln. Siehe: Stephan Otto, Vorwort, in: ders. (Hg.), Materialien zur Theorie der Geistesgeschichte (= Münchner Universitätsschriften: Institut für Geistesgeschichte des Humanismus, Bd. 2), München 1979, S. 7–12. 158 Wolfhart Pannenberg, Problemgeschichte der neueren evangelischen Theologie in Deutschland. Von Schleiermacher bis zu Barth und Tillich, Göttingen 1997. 159 Siehe vor allem: Heinz Zahrnt, Die Sache mit Gott. Die protestantische Theologie im 20. Jahrhundert, München 19783. 160 Siehe vor allem: Bernd Moeller, Geschichte des Christentums in Grundzügen [1965], Göttingen 201110; Bernd Moeller, Deutschland im Zeitalter der Reformation, Göttingen 1977. 161 Martin Greschat, Der deutsche Protestantismus im Revolutionsjahr 1918-19, Witten 1974; Martin Greschat, Das Zeitalter der Industriellen Revolution. Das Christentum vor der Moderne, Stuttgart 1980. 162 Dazu zählen: Niklas Luhmann, Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft (= Gesellschaftsstruktur und Seman-

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tive“163. Im Vordergrund seiner Studien standen vorrangig die „Veränderungen in der Ideen- und Begriffswelt, die den Übergang zur modernen Gesellschaft begleiten und signalisieren.“164 Dieser Übergang von der stratifikatorisch strukturierten hin zur funktional differenzierten Gesellschaft ging mit einer semantischen Reorganisation und einer gesamtgesellschaftlichen Ideenrevolution einher, die, so argumentierte er, interessante Untersuchungsfelder für die Ideengeschichte darstellten. Die zentrale Aufgabe seiner Ideengeschichte aus soziologischer Perspektive bestand darin, den Nexus zwischen der semantischen Destruktion und der begrifflichen Bewahrung in Zeiten des ideengeschichtlichen Umbruchs zu untersuchen. Damit war die Tür geöffnet, durch die die Ideengeschichte und die Soziologie Hand in Hand treten konnten. Auch in der Politikwissenschaft setzte sich die Ideengeschichte als Teilbereich der Politischen Theorie – noch viel stärker als in der Soziologie – durch und bleibt bis heute als „Politische Ideengeschichte“ institutionalisierter Bestandteil der Politikwissenschaft. Vor allem in der „Freiburger Schule“, mit Arnold Bergstraesser165, Dieter Oberndörfer166 oder Hans Maier167, spielte die poli-

tik, Bd. 1), Frankfurt a.M. 1980; Niklas Luhmann, Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft (= Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 2), Frankfurt a.M. 1981; Niklas Luhmann, Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft (= Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 3), Frankfurt a.M. 1989; Niklas Luhmann, Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft (= Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 4), Frankfurt a.M. 1995. 163 Niklas Luhmann, Ideengeschichte in soziologischer Perspektive, in: Joachim Matthes (Hg.), Lebenswelt und soziale Probleme. Verhandlungen des 20. Deutschen Soziologentages zu Bremen 1980 (= Verhandlungen des 20. Deutschen Soziologentages, Bd. 20), Frankfurt a.M. 1981, S. 49–61, später abgedruckt in: Niklas Luhmann, Ideengeschichte in soziologischer Perspektive, in: ders. (Hg.), Ideenrevolution. Beiträge zur Wissenssoziologie. Herausgegeben von André Kieserling, Frankfurt a.M. 2008, S. 234–252. 164 Luhmann, Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft (= Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 2), S. 7. 165 Siehe: Arnold Bergstraesser, Politik in Wissenschaft und Bildung. Schriften und Reden, Freiburg 1961; Arnold Bergstraesser, Weltpolitik als Wissenschaft. Geschichtliches Bewusstsein und politische Entscheidung (= Ordo Politicus, Bd. 1), Köln, Opladen 1965. 166 Siehe z.B.: Dieter Oberndörfer (Hg.), Wissenschaftliche Politik. Eine Einführung in die Grundfragen ihrer Tradition und Theorie, Freiburg 1962.

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tische Ideengeschichte eine wichtige Funktion für die Legitimierung des Standortes innerhalb der Politikwissenschaft. Aber auch jenseits der Freiburger Schule demonstrieren Dolf Sternbergers Drei Wurzeln der Politik168, Karl Dietrich Brachers Zeit der Ideologien169 und die vielen „Klassiker“-Sammlungen170 dieser Zeit die Präsenz einer Ideengeschichte in der Politikwissenschaft. Gerade in Anbetracht dieser Entwicklungen ist es daher richtig zu betonen, dass die Ideen- und Geistesgeschichte in der Geschichtswissenschaft an Boden verloren hat. Ideengeschichtliches Gedankengut fand sich in der Geschichtswissenschaft vergleichsweise fast als Schmuggelware in einigen Werken. Thomas Nipperdey ist ein gutes Beispiel. Anfang der 1950er Jahre wurde er mit einer (bisher unveröffentlichten) Arbeit über Positivität und Christentum in Hegels Jugendschriften promoviert und seine darauffolgenden Werke wiesen ideengeschichtliche Schwerpunkte auf. Seine kleineren Bücher Religion im Umbruch171 und Wie das Bürgertum die Moderne fand172 oder die Aufsätze über Reformation, Revolution, Utopie173 hatten offensichtliche ideengeschichtliche Prägungen. Er versuche stets in seinen Schriften, so schrieb er Mitte der 1970er Jahre, eine „Verbindung von Sozialgeschichte mit der Geschichte des Denkens, der Theo-

167 Siehe vor allem: Hans Maier, Revolution und Kirche. Studien zur Frühgeschichte der christlichen Demokratie 1789-1850, Freiburg 1959; Hans Maier, Kritik der politischen Theologie, Einsiedeln 1970. 168 Dolf Sternberger, Drei Wurzeln der Politik, 2 Bde. (= Gesammelte Schriften, 2.1 und 2.2), Frankfurt a.M. 1978. 169 Karl Dietrich Bracher, Zeit der Ideologien. Eine Geschichte politischen Denkens im 20. Jh, Stuttgart 1982. 170 Siehe z.B.: Gerhard Möbus (Hg.), Die politischen Theorie von ihren Anfängen bis Machiavelli (= Politische Theorien, Bd. 1), Köln 1958; Gerhard Möbus (Hg.), Die politischen Theorien im Zeitalter der absoluten Monarchie bis zur Französischen Revolution (= Politische Theorien, Bd. 2), Köln 1961; Arnold Bergstraesser und Dieter Oberndörfer (Hg.), Klassiker der Staatsphilosophie. Ausgewählte Texte, Stuttgart 1962; Hans Maier u.a. (Hg.), Klassiker des politischen Denkens. 2 Bde, München 1968. Vgl. Wilhelm Bleek, Geschichte der Politikwissenschaft in Deutschland, München 2001, S. 298f. 171 Thomas Nipperdey, Religion im Umbruch. Deutschland 1870-1918, München 1988. 172 Thomas Nipperdey, Wie das Bürgertum die Moderne fand, Berlin 1988. 173 Thomas Nipperdey (Hg.), Reformation, Revolution, Utopie. Studien zum 16. Jahrhundert (= Kleine Vandenhoeck-Reihe, Bd. 1408), Göttingen 1975.

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rien, der Theologien, der Weltauslegung, meinetwegen: mit der Geistesgeschichte“174 herzustellen. Vor allem in den Schriften Reinhart Kosellecks und in der von ihm inspirierten Begriffsgeschichte wurden immer wieder Parallelen zur früheren Ideen- und Geistesgeschichte und zur sogenannten Cambridge School wahrgenommen.175 Begriffsgeschichte wurde – und wird auch heute – als das „ideengeschichtliche alter ego der Sozialgeschichte“176 wahrgenommen. Und das, obwohl es Koselleck immer vorzog, sich über mögliche Gemeinsamkeiten und Parallelen zur Ideengeschichte oder „intellectual history“ auszuschweigen. Wenn er sich zum Methodenstandort der Begriffsgeschichte äußerte, dann grenzte er sich „ganz spezifisch gegen eine abstrakte Ideengeschichte“177 ab und betonte hingegen, dass die Begriffsgeschichte eine „Hilfe der Sozialwissenschaften“178 sei.179

174 Thomas Nipperdey, Vorwort, in: ders. (Hg.), Reformation, Revolution, Utopie, S. 7– 8, hier S. 7. Auch in anderen Schriften hat er ideengeschichtliche Aspekte berücksichtigt. Siehe vor allem: Thomas Nipperdey, Die anthropologische Dimension der Geschichtswissenschaft, in: ders. (Hg.), Gesellschaft, Kultur, Theorie. Gesammelte Aufsätze zur neueren Geschichte (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 18), Göttingen 1976, S. 33–58. 175 Vor allem: Kari Palonen, Rhetorical and Temporal Perspectives on Conceptual Change. Theses on Quentin Skinner and Reinhart Koselleck, in: Finnish Yearbook of Political Thought 3. 1999, S. 41–59; Kari Palonen, Die Entzauberung der Begriffe. Das Umschreiben der politischen Begriffe bei Quentin Skinner und Reinhart Koselleck, Münster 2004. 176 Nolte, Sozialgeschichte und Ideengeschichte. Plädoyer für eine deutsche "Intellectual History", hier S. 400. 177 Reinhart Koselleck, Begriffsgeschichtliche Probleme der Verfassungsgeschichtsschreibung, in: Helmut Quaritsch (Hg.), Gegenstand und Begriffe der Verfassungsgeschichtsschreibung. Tagung der Vereinigung für Verfassungsgeschichte in Hofgeismar am 30./31. März 1981, Berlin 1983, S. 7–46, hier S. 45. 178 Reinhart Koselleck, Einleitung, in: Otto Brunner u.a. (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland (= Bd. 1), Stuttgart 1974, S. XIII–XXVII, hier S. XXIV. 179 Siehe: Jan-Werner Müller, On Conceptual History, in: Darrin M. McMahon und Samuel Moyn (Hg.), Rethinking Modern European Intellectual History, Oxford 2014, S. 74–93; Hans Erich Bödeker, Reflexionen über Begriffsgeschichte als Methode, in: ders. (Hg.), Begriffsgeschichte, Diskursgeschichte, Metapherngeschichte (= Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft, Bd. 14), Göttingen 2002, S.

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Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die Ideen- und Geistesgeschichte in der Bundesrepublik ab den 1970er Jahren vor allem in der Geschichtswissenschaft und Literaturwissenschaft die zweite Geige in der Forschung spielte. Besonders in den Schriften von Koselleck oder Nipperdey (Ähnliches ließe sich auch sagen über das Werk von Hans Blumenberg oder Hans Robert Jauß) wird ersichtlich, dass ideengeschichtliche Schwerpunkte zwar vorhanden waren, aber meist in den Hintergrund gerückt wurden oder nur dann betont wurden, wenn sie eine Korrekturleistung zur Sozialgeschichte beitragen konnten. Ideengeschichtliche Zugänge fanden dafür aber in anderen Fachbereichen Eingang wie in der Wissenssoziologie oder Politikwissenschaft. Die Ideen- und Geistesgeschichte, so muss man schlussfolgern, wechselte im wissenschaftlichen Gemengelage der 1970er und 1980er Jahre mehrmals ihren Standort, musste ihn aber nie ganz räumen. Von einem Untergang kann keine Rede sein. Eine Wende vollzog sich in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre – unerwartet und dauerhaft. Am symbolträchtigsten für den Aufschwung ist wohl das Schwerpunktprogramm „Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft im Europa der Neuzeit – Ansätze zu einer neuen ‚Geistesgeschichte‘“, das von 1997 bis 2003 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wurde. Die „zentrale Absicht“, so lautet es in der Projektbeschreibung, „ist eine Erneuerung der tradierten Ideen- und Geistesgeschichte in Deutschland anzustoßen und damit den Anschluss an Vorbilder in den internationalen Geschichts- und Kulturwissenschaften zu finden.“180 HeinzElmar Tenorth war Sprecher des Programms, der zusammen mit vielen anderen Antragstellern – wie Lutz Raphael, Anselm Doering-Manteuffel, Gangolf Hübinger, Friedrich Wilhelm Graf, Ute Frevert, Michael Stolleis, oder Wolfgang Hardtwig – diverse ideengeschichtliche Projekte betreute und verfolgte. Anzeichen einer „Erneuerung der überkommenen Ideen- und Geistesgeschichte“181 mehrten sich seit den späten 1990er Jahren exponentiell. Zur glei-

73–122; Ernst Müller und Falko Schmieder, Begriffsgeschichte und historische Semantik: Ein kritisches Kompendium, Berlin 2016, S. 278ff. 180 Deutsche Forschungsgemeinschaft, SPP 1024: Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft im Europa der Neuzeit, unter: http://gepris.dfg.de/gepris/projekt/5467666. 181 So im Ausschreibungstext des Schwerpunktprogramms, das abgedruckt wurde als: Ausschreibungstext des Schwerpunktprogramms: Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft im Europa der Neuzeit-Ansätze zu einer neuen 'Geistesgeschichte', in: Lutz Raphael und Heinz-Elmar Tenorth (Hg.), Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft im Europa der Neuzeit. Beiträge für eine erneuerte Geistesgeschichte (= Ordnungssysteme, Bd. 20), München 2006, S. 525–534, hier S. 525.

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chen Zeit, als das Schwerpunktprogramm von der DFG bewilligt wurde, wurden in einer Festschrift für Kurt Kluxen Neue Wege der Ideengeschichte (1996) aufgesucht.182 Zwei Jahre später wurde die Buchreihe „Ordnungssysteme – Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit“ von Anselm Doering-Manteuffel, Lutz Raphael, Dietrich Beyrau (bis 2011) und Jörg Baberowski (seit 2011) herausgegeben, in der bis heute ideengeschichtliche Studien veröffentlicht werden. Wiederum zwei Jahre später leistete Paul Noltes Die Ordnung der deutschen Gesellschaft einen wichtigen Beitrag zu einer „neuen Ideengeschichte“183. Das von Nolte gebrauchte Schlagwort der „Neuen Ideengeschichte“ wurde bald zum Faktor und Indikator der ideengeschichtlichen Erneuerungsbewegung. Ein Jahr nach Noltes Werk erschien nämlich eine Sonderausgabe in der Zeitschrift Geschichte und Gesellschaft mit der Überschrift „Neue Ideengeschichte“, mit Beiträgen von Lutz Raphael, Moritz Föllmer, Ingrid Gilcher-Holtey, Christoph Marx und HansDieter Metzger. Kurze Zeit später wurden viele weitere ideengeschichtliche Werke veröffentlicht. Die Stimmen der Befürworter wurden mit der Zeit immer lauter. Ganz unterschiedliche Autoren wie Martin Mulsow184, Ulrich Raulff185, Jens Hacke186, Friedrich Kießling187, Friedrich Wilhelm Graf188, Gangolf Hübinger189, Ingrid

182 Frank-Lothar Kroll (Hg.), Neue Wege der Ideengeschichte. Festschrift für Kurt Kluxen zum 85. Geburtstag, Paderborn 1996. 183 Paul Nolte, Die Ordnung der deutschen Gesellschaft. Selbstentwurf und Selbstbeschreibung im 20. Jahrhundert, München 2000, S. 21. 184 Martin Mulsow, Moderne aus dem Untergrund. Radikale Frühaufklärung in Deutschland 1680-1720, Hamburg 2002; Martin Mulsow, Die unanständige Gelehrtenrepublik. Wissen, Libertinage und Kommunikation in der Frühen Neuzeit, Stuttgart 2007; Martin Mulsow, Prekäres Wissen. Eine andere Ideengeschichte der Frühen Neuzeit, Berlin 2012. 185 Ulrich Raulff, Ein Historiker im 20. Jahrhundert. Marc Bloch, Frankfurt a.M. 1995; Ulrich Raulff, Kreis ohne Meister. Stefan Georges Nachleben, München 2009. 186 Jens Hacke, Philosophie der Bürgerlichkeit. Die liberalkonservative Begründung der Bundesrepublik, Göttingen 2006; Jens Hacke (Hg.), Streit um den Staat. Intellektuelle Debatten in der Bundesrepublik 1960-1980, Göttingen 2008; Jens Hacke, Die Bundesrepublik als Idee. Zur Legitimationsbedürftigkeit politischer Ordnung, Hamburg 2009. 187 Friedrich Kießling, Die undeutschen Deutschen. Eine ideengeschichtliche Archäologie der alten Bundesrepublik 1945-1972, Paderborn 2012. 188 Friedrich Wilhelm Graf (Hg.), Intellektuellen-Götter. Das religiöse Laboratorium der klassischen Moderne (= Schriften des Historischen Kollegs, Bd. 66), München

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Gilcher-Holtey190, Luise Schorn-Schütte191, Barbara Stollberg-Rilinger192, Andreas Dorschel193, Peter Hoeres194 oder Ulrich Sieg195 haben ideengeschichtliche Werke eigener Prägung vorgelegt. 2007 wurde die Zeitschrift für Ideengeschichte gegründet, die vierteljährlich erscheint und prominent von den Forschungsbib-

2009; Friedrich Wilhelm Graf (Hg.), Der heilige Zeitgeist. Studien zur Ideengeschichte der protestantischen Theologie in der Weimarer Republik, Tübingen 2010; Friedrich Wilhelm Graf (Hg.), Fachmenschenfreundschaft. Studien zu Troeltsch und Weber (= Troeltsch-Studien, Bd. 3), Berlin 2014. 189 Gangolf Hübinger (Hg.), Versammlungsort moderner Geister. Der EugenDiederichs-Verlag. Aufbruch ins Jahrhundert der Extreme, München 1996; Gangolf Hübinger, Gelehrte, Politik und Öffentlichkeit. Eine Intellektuellengeschichte, Göttingen 2006; Gangolf Hübinger, Engagierte Beobachter der Moderne. Von Max Weber bis Ralf Dahrendorf, Göttingen 2016. 190 Ingrid Gilcher-Holtey, Das Mandat des Intellektuellen. Karl Kautsky und die Sozialdemokratie, Berlin 1986; Ingrid Gilcher-Holtey (Hg.), Zwischen den Fronten. Positionskämpfe europäischer Intellektueller im 20. Jahrhundert, Berlin 2006; Ingrid Gilcher-Holtey, Eingreifendes Denken. Die Wirkungschancen von Intellektuellen, Weilerswist 2007; Ingrid Gilcher-Holtey (Hg.), Eingreifende Denkerinnen. Weibliche Intellektuelle im 20. und 21. Jahrhundert, Tübingen 2015. 191 Luise Schorn-Schütte (Hg.), Intellektuelle in der Frühen Neuzeit (= Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel, Bd. 38), Berlin 2010; Luise Schorn-Schütte, Gottes Wort und Menschenherrschaft. Politisch-theologische Sprachen im Europa der frühen Neuzeit, München 2015. 192 Barbara Stollberg-Rilinger (Hg.), Ideengeschichte (= Basistexte Geschichte, Bd. 6), Stuttgart 2010. Siehe auch: Barbara Stollberg-Rilinger, Der Staat als Maschine. Zur politischen Metaphorik des absoluten Fürstenstaats (= Historische Forschungen, Bd. 30), Berlin 1986; Barbara Stollberg-Rilinger, Vormünder des Volkes? – Konzepte landständischer Repräsentation in der Spätphase des Alten Reiches (= Historische Forschungen, Bd. 64), Berlin 1999; Barbara Stollberg-Rilinger, Des Kaisers alte Kleider. Verfassungsgeschichte und Symbolsprache des Alten Reiches, München 2008. 193 Andreas Dorschel, Ideengeschichte, Göttingen 2010. 194 Peter Hoeres, Krieg der Philosophen. Die deutsche und die britische Philosophie im Ersten Weltkrieg, Paderborn 2004. 195 Ulrich Sieg, Jüdische Intellektuelle im Ersten Weltkrieg. Kriegserfahrungen, weltanschauliche Debatten und kulturelle Neuentwürfe, Berlin 2001; Ulrich Sieg, Deutschlands Prophet. Paul de Lagarde und die Ursprünge des modernen Antisemitismus, München 2007; Ulrich Sieg, Geist und Gewalt. Deutsche Philosophen zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, München 2013.

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liotheken und Archiven in Marbach, Weimar und Wolfenbüttel sowie dem Wissenschaftskolleg zu Berlin gemeinsam getragen wird. Die Ideen- und Geistesgeschichte saß in Deutschland – institutionell, finanziell, methodologisch und forschungsaktiv – noch nie so fest im Sattel wie gegenwärtig. Auch wenn sich die Ideen- und Geistesgeschichte durch ein pluralistisches Set an methodischen Zugängen auszeichnet, hat sich besonders ein Schlüsselbegriff in den Debatten um Methode und Praxis der Ideengeschichte durchsetzen können: der Begriff „Ordnung“. Überall in der „Neuen Ideengeschichte“ taucht dieser Schlüsselbegriff auf, ob in der Buch-Reihe „Ordnungssysteme“; Paul Noltes Die Ordnung der deutschen Gesellschaft; Lutz Raphaels Buch über Recht und Ordnung196 und seine diversen Aufsätze197 oder Jörg Baberowski und Anselm Doering-Manteuffels Ordnung durch Terror198. Komposita wie „Ord-

196 Lutz Raphael, Recht und Ordnung. Herrschaft durch Verwaltung im 19. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 2000. 197 Lutz Raphael, Radikales Ordnungsdenken und die Organisation totalitärer Herrschaft. Weltanschauungseliten und Humanwissenschaftler im NS-Regime, in: Geschichte und Gesellschaft 27. 2001, S. 5–40; Lutz Raphael, Sozialexperten in Deutschland zwischen konservativem Ordnungsdenken und rassistischer Utopie, in: Wolfgang Hardtwig (Hg.), Utopie und politische Herrschaft im Europa der Zwischenkriegszeit (= Schriften des Historischen Kollegs, Bd. 56), München 2003, S. 327-246; Lutz Raphael, ,Ordnung‘ zwischen Geist und Rasse: Kulturwissenschaftliche Ordnungssemantik im Nationalsozialismus, in: Hartmut Lehmann u.a. (Hg.), Leitbegriffe – Deutungsmuster – Paradigmenkämpfe. Erfahrungen und Transformationen im Exil (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 211), Göttingen 2004, S. 115–137; Lutz Raphael, Ordnungsmuster der „Hochmoderne“? Die Theorie der Moderne und die Geschichte der europäischen Gesellschaften im 20. Jahrhundert, in: Christof Dipper u.a. (Hg.), Dimensionen der Moderne. Festschrift für Christof Dipper, Frankfurt a.M. 2008, S. 73–92; Lutz Raphael, Ordnungsmuster und Selbstbeschreibungen europäischer Gesellschaften im 20. Jahrhundert, in: ders. (Hg.), Theorien und Experimente der Moderne. Europas Gesellschaften im 20. Jahrhundert, Köln 2012, S. 9–20; Lutz Raphael, Zwischen Sozialaufklärung und radikalem Ordnungsdenken. Die Verwissenschaftlichung des Sozialen im Europa der ideologischen Extreme, in: Gangolf Hübinger (Hg.), Europäische Wissenschaftskulturen und politische Ordnungen in der Moderne (18901970) (= Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien, Bd. 87), München 2014, S. 29–50. 198 Jörg Baberowski und Anselm Doering-Manteuffel, Ordnung durch Terror. Gewaltexzesse und Vernichtung im nationalsozialistischen und im stalinistischen Imperium, Bonn 2006.

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nungsmuster“, „Ordnungsentwürfe“ oder „Ordnungssysteme“ findet man häufig in den Schriften der „Neuen Ideengeschichte“. Ähnlich wie der Begriff des „Geistes“ oder des „Lebens“ bietet der Begriff der Ordnung einen Untersuchungsgegenstand und eine methodische Grundlage zugleich. Denn mit dem Ordnungsbegriff stehen nicht die großen Gedanken der großen Männer im Vordergrund, sondern vielmehr das Konstruktionswirken von Ideen sowie ihre „gesellschaftliche Gestaltungskraft“199. Damit wird die Kritik gegen das „HöhenluftStimulans“200 aufgenommen und konstruktiv abgearbeitet. Die neuere Ideengeschichte in Deutschland knüpft daher weder an Meinecke noch an Schoeps an. Heutige ideengeschichtliche Forschung findet ihre Legitimation in der Erforschung der „wirklichkeitskonstituierenden Kraft von Ideen“201. Es geht stets darum, gedankliche Ordnungen und Denksysteme zu rekonstruieren.202 Mit dieser methodologischen Zielsetzung hat die Ideengeschichte in Deutschland wieder Fuß fassen können. Trotz der neu gewonnenen Akzeptanz der Ideengeschichte fehlt dennoch im Allgemeinen das Bewusstsein einer eigenen Fachtradition, deren Wurzeln in Deutschland doch eigentlich – im Gegensatz zu Schweden, USA oder England – bis in das frühe 20. Jahrhundert reichen. So wie die anglo-amerikanische „history of ideas“ (oder „intellectual history“) und die schwedische „idé- och lärdomshistoria“ so hat auch die deutsche Ideen- und Geistesgeschichte ihre eigene Prägung und institutionelle Entwicklung. Doch verglichen mit Schweden oder USA, besitzt die deutsche Ideen- und Geistesgeschichte ein sehr ausgeprägtes Kurzzeitgedächtnis, das selten weiter zurückreicht als in die 1970er Jahre. Personen wie Hans-Joachim Schoeps, Erich Rothacker, Paul Kluckhohn, Herbert Cysarz

199 So der Titel des DFG Schwerpunktprogramms. 200 Rosenberg, Vorwort, in: ders. (Hg.), Politische Denkströmungen im deutschen Vormärz, S. 10. 201 Lutz Raphael, Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft im Europa der Neuzeit: Bemerkungen zur Bilanz eines DFG-Schwerpunktprogramms, in: Lutz Raphael und Heinz-Elmar Tenorth (Hg.), Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft im Europa der Neuzeit. Beiträge für eine erneuerte Geistesgeschichte (= Ordnungssysteme, Bd. 20), München 2006, S. 11–27, hier S. 26. 202 Auch wenn diese Methode der Ideengeschichte bislang noch nicht theoretisch präzise dargelegt wurde, arbeitet sie wohl mit zentralen Begriffen und Anleihen aus dem Werk Zygmunt Baumans. Siehe vor allem: Zygmunt Bauman, Moderne und Ambivalenz. Das Ende der Eindeutigkeit, Hamburg 2005; Zygmunt Bauman, Dialektik der Ordnung. Die Moderne und der Holocaust, Hamburg 20123.

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oder Rudolf Unger sind aus diversen Gründen heute vergessene Figuren der deutschen Ideen- und Geistesgeschichte. Als Gründerväter werden sie sicherlich nicht wahrgenommen. Eine längst überfällige Neubewertung von Meineckes ideengeschichtlichem Werk steht noch aus und blockiert eine produktive Auseinandersetzung mit seinen Schriften. Auch besteht noch Unklarheit darüber, ob die Ideen- und Geistesgeschichte auch diejenigen Autoren und Methoden einverleiben soll, die sich früher – wie zum Beispiel Reinhart Koselleck – eigentlich explizit gegen die Ideengeschichte abgegrenzt haben.

2. H EUTIGE P ERSPEKTIVEN DER I DEEN UND G EISTESGESCHICHTE Nach diesem kursorischen Überblick der historischen Entwicklung der Ideenund Geistesgeschichte in Deutschland kommen wir zu der Frage nach den heutigen Perspektiven und Chancen der Ideen- und Geistesgeschichte, auf die die Beiträge eingehen. Welche Fragen drängen sich heute auf? Was machen Historiker/innen, wenn sie heute Ideengeschichte schreiben? Welche methodischen oder konzeptionellen Rahmen bieten sich ihr heute an? Es wurde in diesem kurzen historischen Überblick ersichtlich, dass es Traditionen innerhalb der ideengeschichtlichen Forschung gibt, an die man heute problemlos wieder anschließen kann und die heute noch aktuell sind. Am auffälligsten ist mit Sicherheit die Abgrenzung zum Idealismus, aus der viele Traditionen vor allem innerhalb der Geistesgeschichte methodisch Profit geschlagen haben und die einen roten Faden der Geschichte der Ideen- und Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts bildet. Mit der Abgrenzung gegen den Idealismus meine ich die Abgrenzung von der Leitvorstellung, dass sich die ideelle Sphäre von der physisch-materiellen Sphäre scharf trennen ließe und dass es so etwas wie individuelle Ideen oder „unit-ideas“ gäbe ohne Bezug zu den materiellen Interessen der entsprechenden Zeit. Diese Abgrenzung ist nicht erst eine Entdeckung der Sozialgeschichte. In Deutschland spielte der Anti-Idealismus schon in den 1920ern eine erhebliche Rolle, als durch den Siegeszug der Geistesgeschichte die Kritik laut wurde, man könne die Entwicklung einzelner Ideen nicht ohne Bezug zum Geist einer Zeit verfolgen. Seit den 1920ern wurden unterschiedliche Konzepte entwickelt, die eine anti-idealistische Forderung enthalten: „Geist“, „Kontext“, „Ordnung“. All diese Begrifflichkeiten zielen auf eine holistische Verbundenheit synchroner Ideen, die eng mit der historischen Zeit verflochten sind. Ältere Ansätze von Meinecke, Hartmann oder auch Lovejoy, die individuelle Ideen in den Mittelpunkt ideengeschichtlicher Untersuchungen rückten, wurden bisher noch

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nicht neu wiederbelebt und bilden heute – zumindest in Deutschland – keine Tradition ideengeschichtlicher Forschung mehr. Von den beiden idealtypisch zugespitzten Richtungen der Ideen- und Geistesgeschichte, die am Anfang des 20. Jahrhunderts das Spektrum der Disziplin ausmachten, hat zumindest bislang nur eine überlebt. Der Anti-Idealismus bildet also einen traditionellen Konsens heutiger Ideengeschichte. Aber nicht alle anti-idealistischen Ansätze haben überlebt. Heute spricht zum Beispiel keiner mehr von einer Zeitgeistforschung Schoeps‘ oder von der Geistesgeschichte Rothackers. Die wohl überlebensfähigste und stärkste dieser Traditionen bildet heute die sogenannte „Cambridge School“, die durch Schriften hauptsächlich von Quentin Skinner und John Pocock seit den 1970er Jahren eine genaue Kontextualisierung von Ideen und Äußerungen einfordert. Heute sind die Ansätze der Cambridge School eine „ideengeschichtliche Orthodoxie“203 geworden. Skinner legt in seinem Beitrag dieses Sammelbandes wichtige Aspekte dieser Tradition genau dar. Er fordert, nicht lediglich Überzeugungen früherer Akteure zu rekonstruieren, sondern ihre Äußerungen vielmehr als Handlungen aufzufassen, die kontextspezifische Intentionen verfolgten. Eine solche Forderung wirft unterschiedliche Fragen auf und Skinner konzentriert sich in seinem Aufsatz vor allem auf die Spannung zwischen Wahrheit, Rationalität und Relativismus. Er plädiert dafür, sich nicht mit der Wahrheit oder Falschheit von Überzeugungen zu beschäftigen, wenn frühere Denksysteme untersucht werden. Ob eine Überzeugung wahr war, führe selten zu Erkenntnisgewinn. Zielführender und methodisch legitimier sei die Frage, ob eine frühere Überzeugung rational war, da Rationalitätsbedingungen nicht zeitlos, sondern gesellschaftlich und historisch kontextualisiert seien. Das Plädoyer gegen einen ideengeschichtlichen Idealismus treibt hier implizit die Forderung an, man müsse universelle Wahrheitssätze von der kontextorientierten Rationalität trennen, ohne sich in relativistische Widersprüche zu verstricken. Damit verbunden ist auch die Forderung, Ideen stets in ihrem holistisch-synchronen Bezug zu betrachten. Sean Forner verfolgt einen ähnlichen anti-idealistischen Ansatz, geht aber andere Wege, die mit der gesellschaftlichen Materialität zu tun haben und die er als post-idealistische Methode vorstellt. Er erläutert das weniger bekannte Konzept des 'sozialen Imaginären', das vom Philosophen Cornelius Castoriadis ins Spiel gebracht wurde, seither aber auch prominent von Charles Taylor oder Pierre Rosanvallon aufgegriffen wurde. Mit dem Konzept des sozialen Imaginären

203 Martin Mulsow und Andreas Mahler, Einleitung, in: Martin Mulsow und Andreas Mahler (Hg.), Die Cambridge School der politischen Ideengeschichte, Frankfurt a.M. 2010, S. 7–20, hier S. 8.

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schlägt Forner einen Ansatz vor, der davon ausgeht, dass symbolische Repräsentationen und soziale Ordnungen mit und durch soziale Praktiken entstehen. Das soziale Imaginäre stabilisiert und legitimiert gesellschaftliche Ordnungen, kann sie aber auch in Frage stellen. Eine scharfe Trennung zwischen einer abstrakten Ideenwelt und der konkreten Praxis wird in diesem Ansatz daher bewusst verwischt. Wie ein solcher Ansatz in die ideengeschichtliche Praxis umgesetzt werden kann, demonstriert Forner exemplarisch anhand der Nachkriegsdebatten über Managerherrschaft nach dem Zweiten Weltkrieg. Auch in meinem Beitrag geht es um das Verhältnis zwischen Ideen und Praxis, allerdings konzentriert sich mein Beitrag ausschließlich auf Handlungen und die handlungssteuernde Kraft von Ideen. In diesem Beitrag wird ein ideengeschichtlicher Ansatz vorgestellt, der Handlungsgründe von intentional handelnden Akteure in den Mittelpunkt ideengeschichtlicher Untersuchung rückt. Der heute dominierende Konstruktivismus der ideengeschichtlichen Forschung ist legitim und grundlegend für die Ideengeschichte, muss aber methodisch erweitert werden, um die handlungssteuernde und praxisleitende Kapazität von Ideen für Akteure in Betracht ziehen zu können. Ich greife daher auf aktuelle Debatten innerhalb der Praktischen Philosophie zurück und plädiere dafür, Handlungsgründe als analytisches Werkzeug in dem Methodenapparat der Ideengeschichte zu integrieren. Eine weitere Forschungsrichtung innerhalb der Ideengeschichte fordert, Ideen grundsätzlich nicht von ihren Produzenten zu trennen. Dieser Tradition folgen Ansätze, die sich auf Intellektuelle als Ideenproduzenten konzentrieren und ihre sozialen Vernetzungsstrategien und ihr Engagement in der Gesellschaft untersuchen. Hinter diesem Ansatz steht die These, dass Ideen immer von bestimmten Menschen unter bestimmten Bedingungen produziert und im Rahmen bestimmter Intentionen propagiert werden. Ideen ohne Menschen gibt es nicht. In diesem Sammelband geht Darius Harwardt in seinem Beitrag auf die Intellektuellengeschichte ein und konzentriert sich insbesondere auf zwei Rechtsintellektuelle der Bonner Republik. Er plädiert dafür, die Rolle des Intellektuellen in der Ideengeschichte ernst zu nehmen und sie stärker in die ideengeschichtliche Forschung einzubinden. Hierbei könne der Intellektuelle über sein Streben nach Öffentlichkeit als analytisches Bindeglied zwischen ideengeschichtlichen Traditionen und gesellschaftlichen Diskursen fungieren. Das Themenfeld der Verkörperung und Materialität von Ideen berührt auch ein Themenfeld, das von Riccardo Bavaj in seinem Beitrag vorgestellt wird: das Verhältnis zwischen Raum und Ideen. Bavaj fragt danach, auf welche Weise Ideen bestimmte Denksysteme verräumlichen und „mental maps“ konstruieren. Wie und unter welchen Bedingungen können Ideen Räume als epistemologi-

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sches Gefüge herstellen? Die Schriften von Ernst Fraenkel und Richard Löwenthal werden als Fallbeispiele analysiert, um das Potential der Verräumlichung von solchen Ideen wie „der Westen“ und „westliche Zivilisation“ zu rekonstruieren. In seinem Beitrag plädiert Bavaj dafür, die Räumlichkeit von Ideen und Topographien von Wissenstransfers stärker in das Zentrum ideengeschichtlicher Forschung zu rücken. Eng mit diesem Thema verbunden ist auch die aktuelle Debatte um globale Ideengeschichte – eine Ideengeschichte also, die sich in ihrer Forschung nicht von nationalen Grenzen oder von sprachlichen Barrieren einengen lässt. Globale und transnationale Ansätze haben längst Einzug in die geschichtswissenschaftliche Praxis erhalten, doch wie diese in der Ideengeschichte umgesetzt werden können, steht noch zur Diskussion. Emily Levine schlägt in ihrem Beitrag einen wissenssoziologischen Ansatz vor, der Institutionen (vor allem Universitäten) in den Mittelpunkt der Untersuchung rückt, da hier transnationale Ideen lokal vermittelt werden. Genealogien von Ideen zu rekonstruieren, kann sicherlich zu einer der wichtigsten „Traditionen“ innerhalb der Ideengeschichte gezählt werden. Nicht zuletzt haben sowohl Michel Foucault als auch Quentin Skinner die genealogische Forschung innerhalb der Ideengeschichte favorisiert. Marcus Llanque geht in seinem Beitrag auf die Genealogie als ideengeschichtlichen Ansatz ein und bespricht den Mehrwert und die Gefahren dieser Herangehensweise. Als Fallbeispiel wählt er die Genealogie der Menschenrechte. Wer eine genealogische Geschichte der Menschenrechte schreibt, so argumentiert er, kann immer nur eine Geschichte der Interpretationshistorie schreiben. Die Genealogie widerstrebt nämlich dem Versuch der interpretatorischen Festlegung einer Idee auf einen teleologischen Verlauf ihrer Geschichte und versucht stattdessen, das Variable und die Wandelbarkeit ihrer Interpretationen hervorzuheben. Die besondere Leistung einer genealogischen Methode für die Ideengeschichte bestehe darin, nicht den Ausgangspunkt einer Idee, sondern die Vielfalt ihrer Ursprünge offen zu legen. Helge Jordheim widmet sich in seinem Beitrag dem Thema der Dauer von Ideen für die Ideengeschichte. Unterschiedliche Traditionen innerhalb der Ideengeschichte sind bisher von verschiedenen zeitlichen Konzeptionen von Ideen ausgegangen. Während einige Ideenhistoriker (wie Lovejoy) von der zeitlichen Konstanz von Ideen über längere Epochen hinweg ausgingen, wurde diese Konzeption später von Skinner und Foucault problematisiert. Sie betonten hingegen die Unmittelbarkeit von Ideen in historischen Momenten. Wie lange besteht eigentlich eine Idee? Wann zerfällt sie? Wie die aktuelle Ideengeschichte mit dem Konzept der „deep history“ umzugehen hat, wird zum Schluss besprochen. Jordheim demonstriert, dass die Konzeptionen der zeitlichen Dauer von Ideen von

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fundamentaler Bedeutung für ideengeschichtliche Zugriffe sind und zu selten explizit thematisiert werden. In dem Beitrag von Peter Hoeres wird schließlich ein hochaktuelles Thema diskutiert: Digital Humanities. Es geht dabei sowohl um die Werkzeuge und das Potential der Digital Humanities für die heutige ideengeschichtliche Praxis als auch um eine Ideengeschichte des Digitalzeitalters selbst. Es ist anzunehmen, dass heute fast alle Historiker die Google-Books Suchmaschine kennen und auch für ihre Forschung nutzen. Doch methodische Debatten über ihre Möglichkeiten und Grenzen für die Ideengeschichte finden selten statt. Vor welchen neuen Aufgaben stellen die Digital Humanities die Ideengeschichte? Dass man mit dem Aufkommen der Digital Humanities die Hermeneutik zu Grabe tragen könne, verneint Hoeres. Digitale Werkzeuge können und sollen im Dienste der Ideengeschichte arbeiten, aber Prozesse des Lesens, Schreibens und Verstehens kann die ideengeschichtliche Praxis nicht entbehren. Wie das Verhältnis zwischen Digital Humanities und Ideengeschichte auszusehen hat und ob dieses Verhältnis ein genuin neues Verhältnis ist, wird unter anderem auch dadurch ausgelotet, dass die Ideen des Digitalzeitalters wie Transparenz, Schwarmintelligenz, Open Access und Big Data kritisch diskutiert werden. Selbstverständlich gibt es viele weitere Traditionen und Perspektiven heutiger Ideengeschichte, die in diesem Sammelband nicht diskutiert werden. Die hier versammelten Beiträge stellen nur einen kleinen Ausschnitt einer großen Debatte dar. Ziel des Sammelbandes ist es, nicht alle, sondern einige wichtige Standpunkte und weiterführende Perspektiven zu beleuchten, die für die ideengeschichtliche Forschung heute von besonderer Relevanz sind. Vor allem geht es darum, diskussionsanregend zu wirken. Wenn Ideengeschichte weiterhin als historische Disziplin aktiv bleiben möchte, bedarf es der ständigen methodologischen Klärung und innovativen Weiterführung.

Wahrheit, Überzeugung und Interpretation Q UENTIN S KINNER

Historiker haben viele Steckenpferde und sie beschäftigen sich mit allerlei verschiedenen Sachverhalten. Im Folgenden möchte ich mich jedoch auf die Arbeit von Ideenhistorikern beschränken – Historiker wie ich selbst. Ich denke, es wäre nur gerecht zu sagen, dass wir uns hauptsächlich mit Texten beschäftigen. Damit meine ich nicht lediglich Texte wie etwa Romane – oder Zeitungen, Gerichtsakten, Parlamentsreden oder philosophische Abhandlungen –, die offensichtlich als Texte bezeichnet werden können. Ich bin ferner an einem erweiterten Verständnis interessiert, nach dem auch Gemälde und Gebäude und soziale Handlungen als Texte gelesen werden können. Ich möchte mich auf zwei allgemeine Aussagen konzentrieren, die oft von Kultur- und Ideenhistorikern über Texte – in diesem erweiterten Sinn – gemacht werden und die die Basis ihrer Forschung bilden. Die erste Aussage, die ich erwägen möchte, ist diese: dass Historiker die Texte, die sie studieren, grundsätzlich als Stellungnahmen oder Bekräftigungen von Überzeugungen betrachten sollen. Dies ist die Position, die Philosophen häufig den Historikern aufdrängen. Mark Bevir stellt zum Beispiel in The Logic of the History of Ideas die starke These auf, dass „when people make an utterance, they express ideas or beliefs, and it is these ideas or beliefs that constitute the objects studied by historians of ideas.”1 Praktizierende Historiker haben in der Regel diesen Standpunkt befürwortet. Um ein herausragendes Beispiel aufzugreifen: Zu Beginn seines Klassikers Religion and the Decline of Magic bemerkt Keith Thomas, dass er sich mit Glaubenssystemen befasse, ganz im Geiste eines Kulturanthropologen.2 Ferner behauptet er, dass, wenn Historiker vergangene Glaubenssysteme untersuchen,

1

Mark Bevir, The Logic of the History of Ideas, Cambridge 1999, S. 142.

2

Keith Thomas, Religion and the Decline of Magic, London 1971, S. ix.

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es ihnen häufig auffällt, dass heute wenige der untersuchten Überzeugungen große Anerkennung genießen. Er weist jedoch darauf hin, dass gerade diese Tatsache für den Kultur- oder Ideenhistoriker die interessanteste Herausforderung darstellt. Während viele Überzeugungen, die in der Vergangenheit weitgehend akzeptiert wurden, uns heute als offensichtlich falsch oder gegenstandslos erscheinen, besteht immer noch die Tatsache, dass in vergangenen Zeiten, so Thomas, viele intelligente Personen sie für wahr hielten. Und die Aufgabe eines Historikers sei es zu erklären, warum das so war. Diese Herausforderung wurde von Kultur- und Ideenhistorikern ungefähr in den letzten fünfzig Jahren weitgehend aufgenommen. Jetzt möchte ich zwei solcher fremden Glaubenssysteme, wie wir sie nennen können, herausgreifen, die Historiker des frühmodernen Europas mit besonderer Intensität während der letzten Forschungsgeneration eingehend geprüft haben. Zunächst wurden viele fremde kosmologische Überzeugungen dieser Zeit erforscht. Den wohl stärksten Impetus gab diesem Trend Thomas Kuhn mit seinem Klassiker The Copernican Revolution, dessen Erkenntnisse er in seinem Werk The Structure of Scientific Revolutions verallgemeinerte. Kuhn untersuchte die Ansichten unter anderem von Kardinal Bellarmin, der in seinen Auseinandersetzungen mit Galileo Kopernikus' Hypothese ablehnte, dass die Welt um die Sonne kreise und darauf bestand, dass es die Sonne sei, die um die Erde kreise. Eine weitere Reihe von fremdartigen Überzeugungen, die frühmoderne Historiker in letzter Zeit sehr beschäftigte, war der Glaube an Hexerei. Mitten in der noch aufkeimenden Literatur zu diesem Thema erschienen mindestens drei Bü, cher, die ich für Meisterwerke halte. Eins habe ich bereits erwähnt: Keith Thomas Religion and the Decline of Magic, erstmals 1971 veröffentlicht. Neueren Datums erschien eine herausragende Studie von Stuart Clark, Thinking with Demons.3 Aber älter als beide, jedoch bis 1974 nicht ins Englische übersetzt, ist die bahnbrechende Analyse von Glaubensformen und Praktiken der Hexerei in Emmanuel Le Roy Laduries The Peasants of Languedoc. Ladurie konzentriert sich nicht lediglich auf die jetzt absolut fremde Überzeugung – verbreitet in frühmoderner Zeit –, dass einige Menschen fähig sind, mit dem Teufel Bündnisse einzugehen, der ihnen wiederum die Kraft gibt, allgemeinen Schaden anzurichten; zusätzlich zieht er die Behauptung in Betracht, dass solche Praktiker der Hexerei Satan gewöhnlich dann begegneten, wenn sie nachts zu den sogenannten Hexensabbattreffen aufbrachen. Hier also ist der erste Punkt, den ich diskutieren möchte: dass sich Ideenhistoriker mit der Untersuchung dessen befassen, woran unsere Vorfahren glaubten,

3

Stuart Clark, Thinking with Demons. The Idea of Witchcraft in Early Modern Europe, Oxford 1997.

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was sie für wahr empfanden. Kardinal Bellarmin mag mit seiner Annahme, dass die Sonne um die Erde kreist, falsch gelegen haben, aber das ist augenscheinlich das, woran er glaubte. Die Aufgabe eines Ideenhistorikers, wie uns gesagt wird, bestehe darin, solche Überzeugungen zu identifizieren und zu erklären. Die zweite damit eng verbundene Behauptung, die ich betrachten möchte, ist die: dass wir damit anfangen müssen, nach dem Wahrheits- oder Falschheitsgehalt zu fragen, wenn wir als Historiker solchen fremden Überzeugungen begegnen. Dies ist ausdrücklich Laduries Ziel in seinem Werk Peasants for Languedoc. Er leitet seine Analyse von bäuerlichen Ansichten hinsichtlich der satanischen Besessenheit ein, indem er betont, dass diese Überzeugungen nicht nur offenkundig falsch waren, sondern dass sie nicht viel mehr waren als ein Produkt von dem, was er als „Massendelirium“4 beschreibt. Norman Cohn schreibt in fast identischen Worten in seinem gefeierten Buch über Glauben an Hexerei, das er zwei Jahre später unter dem Titel Europe’s Inner Demons veröffentlichte. Müssten wir diese Überzeugungen beschreiben, sagt er, dann müssten wir zunächst erkennen, dass sie nicht einfach nur falsch waren, sondern dass sie die Form einer „kollektiven Fantasie“5 annahmen. Wenn wir diese Historiker weiter befragen, warum sie es als wichtig ansähen, damit anzufangen, den Wahrheits- und Falschheitsgehalt der von ihnen untersuchten Überzeugungen zu überprüfen, so finden wir den Hinweis bereits in dem Abschnitt, den ich von Cohn zitiert habe. Er nimmt an, dass diese falschen Überzeugungen auf eine falsche Argumentation hindeuteten und müssten dementsprechend auf eine andere Weise erklärt werden als richtige Überzeugungen. Noch klarer trifft dies auf Ladurie zu. Wenn wir verstehen wollen, warum der Glaube an Hexerei auf solch verbreitete Akzeptanz stieß, so Ladurie, brauchen wir eine Darstellung von dem, was den Zusammenbruch eines normalen Prozesses der rationalen Argumentation hätte verursachen können. Das Rätsel, wie er es nennt, besteht darin zu verstehen, was die Bauern daran hinderte, die Falschheit ihrer Überzeugungen zu erkennen, die einen „Aufschwung des Obskurantismus“6 verursachte. Dieser Ansatz ist nicht nur einer, der von Historikern wie Ladurie und Cohn aufgenommen wurde. Es ist ebenfalls einer, der von vielen Philosophen empfohlen wird, die über die Logik von Erklärungen schreiben, inklusive solcher führenden Personen in der jüngsten anglophonen Tradition wie Steven Lukes, Philip

4

E. Roy Le Ladurie, The Peasants of Languedoc. Übers. von John Day, London 1974, S. 203-205.

5

Norman Cohn, Europe’s Inner Demons, London 1976, S. 258.

6

Ladurie, The Peasants of Languedoc, S. 204f, 206f.

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Pettit und Charles Taylor. Pettit behauptet in einer Aussage, die auffallend nach Ladurie klingt, dass wir beachten müssten, welche Arten von „social function or psychological pressure“ fähig sein könnten, Menschen daran zu hindern, die „mistaken nature“ ihrer Überzeugungen zu erkennen.7 An dieser Stelle bin ich nicht so sehr an den Erklärungen interessiert, die Historiker wie Ladurie hinsichtlich des Glaubens an Hexerei lieferten. Aber es ist wichtig zu erkennen, dass Ladurie selbst zwei Erklärungsansätze angibt, weshalb so viele Menschen im frühmodernen Frankreich solche Fantasien unterhielten. Der erste besagt, dass mit dem Anbruch der Reformation, die Bauern einen Verlust ihrer traditionellen spirituellen Führung fürchteten. Weit entfernt von ihren Priestern fanden sich die Bauern mit ihren „primordial fears“ konfrontiert und „abandoned themselves to Satan“8. Seine andere zentrale Hypothese ist, dass die Bauern über den Zusammenbruch der Bestrebungen des sozialen Wandels frustriert waren, der in der ersten Phase der Reformationszeit ausschlaggebend war. Mit dem Misslingen einer Sozialreform, so gibt Ladurie an, nahm der fortlaufende Wille des Bauernstandes, ihr Schicksal zu verbessern, einen „mythical dress“ an und war gezwungen, sich selbst durch den „chimerical and fantastic revolt of the witches‘ Sabbath, an attempt at demonic forms of escape“9 auszudrücken. Wie ich bereits angedeutet habe, interessiert mich hier – viel mehr noch als Laduries spezifischen Erklärungen – seine Wahrnehmung, dass, bevor man sich daran setzten kann, solche fremden Überzeugungen zu erklären, man genau das tun muss, was die oben erwähnten Philosophen vorschlagen: nämlich, sich auf ihre Falschheit zu konzentrieren und sich zu fragen, welche Arten von kausalem Druck dazu führen konnten, dass solchen Fantasien Glauben geschenkt wurde. So viel zur Auslegung. Jetzt möchte ich auf die beiden damit verbundenen Behauptungen zu sprechen kommen, die ich bisher ausgelassen habe. Ich fange an, indem ich auf die erste Behauptung zurückkomme: dass die Texte, mit denen sich Kultur- und Ideenhistoriker befassen, am besten als Feststellungen oder Bekräftigungen von Überzeugungen behandelt werden sollen. Ich möchte hier zwei Beispiele in Betracht ziehen, angefangen mit dem Fall der literarischen Texte. Um die Frage zu diskutieren, ob wir literarische Texte als Ausdrücke der Überzeugungen behandeln sollen, möchte ich mich auf das bekannteste Beispiel konzentrieren, das mir einfällt. Die Stücke von William Shakespeare. Wenn man auf die jüngste Literatur über Shakespeare schaut, wird man vielen Werken begeg-

7

Philip Pettit und Graham Macdonald, Semantics and Social Science, London 1981, S.

8

Ladurie, The Peasants of Languedoc, S. 207.

9

Ebd, S. 203.

9.34.42.

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nen, die davon ausgehen, dass seine Stücke Aussagen enthalten, die seine Überzeugungen über bestimmte Themen widerspiegeln. Andrew Hadfields Buch aus dem Jahr 2005 behauptet zum Beispiel, aufzeigen zu können, wie Shakespeare zumindest eine Zeit lang eine republikanische Regierung favorisierte. Robin Wells' Buch von 2005 über Shakespeares Humanismus behandelt Shakespeares Überzeugung hinsichtlich der Natur der sozialen Gerechtigkeit. Catherine Caninos Buch von 2007 behauptet, Shakespeares Einstellungen zum Adelsstand identifizieren zu können. Und so weiter. Dieser Ansatz ist bekannt, aber er hat auch etwas Fragwürdiges an sich. Schließlich schreibt Shakespeare Dramaturgie oft in der technischen Sprache der Rhetorik der Renaissance, verschiedene und oft gegnerische Ansichten nebeneinanderstellend. Betrachtet man zum Beispiel die Figur der Portia im IV. Akt aus Der Kaufmann von Venedig, die auf Shylocks Bitte, seinen legalen Vertrag anzuerkennen, mit der Angabe antwortet, dass die Gnade der Gerechtigkeit vorzuziehen sei. Hier dramatisiert Shakespeare ein zu der Zeit von rhetorischen Schriftstellern vielfach diskutiertes Problem über genus iudiciale. In dieser Frage ging es darum, wie die beste Verteidigung einer Person vor Gericht lautete, der keine Rechtsgrundlage habe. Dies sei die schlimmste Lage, in der sich ein Anwalt wiederfinden könne, warnten Rhetoriker wie Quintilian; es gäbe einzig die Möglichkeit, sich darauf zu verlassen, was die rhetorischen Theoretiker loci communes nannten. Was man tun müsse, sagten sie, sei einige weitgehend akzeptierte moralische Axiome hervorzuheben in der Hoffnung, dass der Richter oder die Geschworenen dies als herausragender betrachteten als die Kraft der entgegenstehenden Rechtsgrundlage. In ihrer Eröffnungsrede versucht Portia, den rhetorischen Textbüchern buchstäblich folgend genau das zu erreichen und achtet darauf, dass sie den topos in der Art zitiert, wie man sie auch im Alten Testament finden kann.10 Gibt uns dieser Abschnitt irgendwelche Beweise, dass Shakespeare an der Überzeugung festhielt, dass Gnade dem Recht vorzuziehen sei, sodass wir Portias Rede als eine Spiegelung von Shakespeares Humanismus beschreiben können? Wir haben sicherlich keinerlei Grundlage, solch einen Rückschluss zu ziehen. Alles, was wir mit Sicherheit sagen können, ist, dass Shakespeare einem fiktiven Charakter eine Überzeugung zuschreibt, der sich in einer rhetorischen Debatte befindet. Ich bin bereit, noch weiter zu gehen und behaupte, dass ich selbst an keine einzige moralische Bindung in Shakespeares Stücken denken kann, die mit Sicherheit als eine seiner eigenen Überzeugungen identifiziert werden kann.

10 Siehe vor allem das apokryphe alttestamentliche Buch Jesus Sirach.

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Man mag jedoch einwenden, dass literarische Texte einen besonderen Fall darstellen, da sie nur von Fiktionen handeln. Was ist mit einigen der anderen Textarten, die ich am Anfang genannt habe wie zum Beispiel Parlamentsreden oder philosophische Abhandlungen? Müssen wir diese in erster Linie als Aussagen von Überzeugungen behandeln, wenn wir sie verstehen wollen? Ich denke nicht, dass dies der Fall ist, obwohl dies offensichtlich die umstrittenere Behauptung ist und eine, die nach einer ausführlichen Demonstration verlangt. Ich möchte versuchen, dies mit dem Beispiel einer berühmten politischen Abhandlung, Machiavellis Der Fürst, zu veranschaulichen. In Kapitel 18, einer der wohl bekanntesten Beobachtungen im Buch, argumentiert Machiavelli, dass politische Führer, die nach Ehre und Ruhm streben, lernen müssen, den Löwen und den Fuchs zu imitieren. Wie lässt sich dieser Abschnitt am besten interpretieren? Die Antwort, die normalerweise gegeben wird, lautet, dass Machiavelli behaupte – das heißt, er bekenne sich zu der Überzeugung –, dass Erfolg in der Politik davon abhänge, dass man die Unvermeidbarkeit von Gewalt und Betrug realistisch erkenne, wobei der Löwe Gewalt und der Fuchs Betrug darstelle. Ich möchte nicht bestreiten, dass Machiavelli dies glaubte. Aber was ich fragen möchte, ist, wie angemessen sich die Stelle interpretieren lässt, wenn man sie auf diese Weise behandelt? Machiavellis Behauptung wurde schließlich nicht im kulturellen Nichts aufgestellt. Sie war Teil der umfangreichen italienischen Ratgeberliteratur für Prinzen, in denen sich jeder darauf geeinigt hatte, dass Ruhm in der Tat das angemessene Ziel für Prinzen sei und dass das Mittel, um diesen Ruhm zu erlangen, darin läge, die Tugend der virtù zu fördern. Mit dem Gebrauch dieses Begriffs ging es nicht bloß darum, nur die moralischen und politischen Tugenden zu kennzeichnen. Sie sahen virtù zudem als eine bestimmende Eigenschaft des vir an, dem lateinischen Wort für einen Mann. Damit machten sie es zu einem bestimmenden Merkmal von erfolgreichen Anführern, dass sie ausgeprägte männliche Eigenschaften besitzen sollen. Im Gegensatz dazu sagt uns Machiavelli, dass man nicht nur männliche Eigenschaften besitzen müsse, um Ruhm zu erwerben, sondern auch tierische. Er widerspricht demnach in dem oben genannten Abschnitt der bis dahin unbestrittenen humanistischen Gewissheit, dass männliche Eigenschaften einen der Schlüssel zum politischen Erfolg bilden. Damit zweifelt er die Angemessenheit von humanistischen Darstellungen von Werten an und definiert neu, was es bedeutet, von virtù als die Bezeichnung von Attributen zu sprechen, die fürstlichen Ruhm bringen. Des Weiteren trägt Machiavelli seine Kritik in einer Kultur vor, in der die bekannteste und anerkannteste Abhandlung über politische Führung Ciceros De officiis war. In Buch I legte Cicero fest, dass Unrecht auf zwei Wegen begangen werden könne: entweder durch Gewalt oder durch Betrug. Beide

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Arten seien tierisch, stellt Cicero fest, und deshalb der Menschheit unwürdig – Gewalt, weil es zum Löwen gehöre und Betrug, weil es zum Fuchs gehöre. Somit stellt sich heraus, dass Machiavelli in dem oben genannten Absatz Cicero bezüglich desselben Themas zitiert und damit seine Leser an die allseits angesehene Autorität in der Angelegenheit erinnert, während er gleichzeitig Ciceros moralische Ernsthaftigkeit zurückweist und sogar verhöhnt. Mein Punkt ist, dass Machiavelli in diesem Abschnitt nicht nur seine Überzeugung darlegt, dass Gewalt und Betrug für politischen Erfolg unabdingbar sind. Er zitiert zudem Cicero in Bezug auf den Charakter von virtus, erinnert dabei seine Leser an Ciceros Behauptung, hinterfragt und verspottet diese. Somit widersetzt er sich einem anerkannten Grundsatz der humanistischen politischen Theorie und bietet gleichzeitig eine Darstellung des virtus an, in dem das zentrale Konzept neu definiert wird. Dies gibt uns offensichtlich eine reichhaltigere Interpretation des berühmten Abschnitts. Aber der entscheidende Punkt, den ich hervorheben möchte, wenn wir uns Machiavellis Text auf diese Weise annähern und ihn so interpretieren, ist, dass wir ihn nicht in erster Linie als einen Ausdruck einer Überzeugung behandeln. Stattdessen behandeln wir ihn als eine Intervention einer spezifischen und recht komplexen Art in den politischen Debatten seiner Zeit. Wir fragen nicht, was Machiavelli bekräftigt. Wir fragen eher, was er in der Passage tut. Man könnte auch sagen, dass wir danach fragen, worauf er hinauswill. Um meinen Punkt zu verallgemeinern, schlage ich vor, dass das angemessenste Vokabular einer Textinterpretation jenes ist, womit wir Handlungen beschreiben nicht Überzeugungen. Ich schlage vor, dass sich der Vorgang einer Interpretation nicht ausschließlich auf das konzentriert, was Menschen sagen und stattdessen nachdrücklicher auf das, was sie tun, was ihre grundlegenden Absichten waren, als sie sagten, was sie sagten. Um mich modisch auszudrücken, behaupte ich, dass wir uns auf die Performativität von Texten konzentrieren sollen. Ich möchte nun den ersten Teil meiner Erörterung mit zwei Implikationen abrunden, die mir für die kulturellen Disziplinen sehr wichtig erscheinen. Erstens, wenn von jedem Text gesagt werden kann, dass er eine Intervention in der Kultur darstellt, an die er ursprünglich adressiert war, dann besteht zwischen Literatur oder Philosophie auf der einen Seite und Ideologie auf der anderen kein kategorischer Unterschied. Anders gesagt, es wird immer nötig sein, nach der ideologischen Orientierung von selbst den abstraktesten Textarten zu fragen. Oft machen Schriftsteller Aussagen als direkte Bestätigungen von Überzeugungen, die zusätzlich unterschwellige ideologische Absichten haben, manchmal von beträchtlicher und versteckter Komplexität. Was ich vorschlage, ist dies: Wenn es

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unser Ziel ist, zu erklären, was genau vor sich geht, dann müssen wir die unterschwelligen Absichten an die Oberfläche bringen. Wenn man fragt, wie dies zu meistern sei, so ist meine Antwort – wie ich versucht habe, zu verdeutlichen –, dass wir hoffen können, es nur durch intertextuellen Vergleich zu tun, um die Beziehungen zwischen den Texten, Kontexten und anderen Texten zu enthüllen. Sobald wir Texte, mit denen wir uns befassen, als soziale Handlungen behandeln, so meine zweite Beobachtung, entsteht der Effekt, dass individuelle Autoren radikal dezentriert werden. Alle Schriftsteller – wie bekannt auch immer – nehmen wesentlich als Teilnehmer an umfassenderen Diskursen und Traditionen von Debatten teil. Wofür ich also plädiere, ist eine Art von literarischer und historischer Forschung, die nicht so sehr darauf abzielt, Interpretationen von einzelnen Texten zu liefern, sondern eher uns das Spektakel einer mit sich selbst streitenden Kultur zu bieten. Ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass dies die wesentliche Aufgabe von interpretativen Disziplinen sein sollte. Hier ist also die erste Behauptung, die ich aufstellen möchte, aber ich muss vorsichtig sein, sie nicht zu übertreiben. Selbst wenn ich vorschlage, Texte als soziale Handlungen zu betrachten, leugne ich natürlich nicht, dass sie auch Ausdrücke von Überzeugungen beinhalten können. In seiner Auseinandersetzung mit Galileo bestätigt Kardinal Bellarmin schließlich, dass die Sonne um die Erde kreise. Das ist das, woran er glaubte. Gleichermaßen bestätigten die Dämonologen, mit denen sich Emmanuel Le Roy Ladurie und Stuart Clark beschäftigten, dass es Leute gäbe, die mit dem Teufel im Bunde stünden. Das ist das, woran sie glaubten. Vorausgesetzt, dass dem so ist, können wir der anderen Behauptung nicht ausweichen, die ich eingangs aufwarf. Diese Behauptung war, dass, wenn wir auf tief fremde Überzeugungen treffen, wir anfangen sollten, uns auf deren fremde Eigenschaften zu konzentrieren und auf die Tatsache, dass sie uns heute als offensichtlich falsch erscheinen. Wir sollten so vorgehen, argumentierte Ladurie, weil erklärt werden müsse, welche Arten von Mechanismen die Menschen, mit denen wir uns befassen, daran hinderten, die Falschheit ihrer Überzeugungen zu sehen. Was sollen wir von diesem Argument halten? Ich möchte direkt meine eigene Antwort darlegen. Obwohl, wie ich gezeigt habe, dieser Ansatz von herausragenden Philosophen empfohlen und von herausragenden Historikern angewandt worden ist, ist ihre Anwendung meiner Meinung nach nichts anderes als fatal für die historische Forschung. Warum? Weil dieser Ansatz davon ausgeht, dass Historiker, die auf eine Überzeugung treffen, die er oder sie als falsch ansieht, die erklärende Aufgabe bewältigen sollte, einen Fehlschluss des logischen Denkens ausfindig zu machen. Aber damit wird das Halten rationaler Überzeugungen mit

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dem Halten von Überzeugungen, die der Historiker für wahr hält, gleichgestellt. Damit wird die Möglichkeit ausgeschlossen, dass selbst im Fall von Überzeugungen, die uns heutzutage als offenkundig falsch erscheinen, es in früheren historischen Zeitaltern gute Gründe gegeben haben mag, diese Überzeugungen als wahr anzusehen. Mit anderen Worten erscheint es mir, dass Kultur- und Ideenhistoriker mit einer sehr starken Unterscheidung zwischen Wahrheit und Rationalität arbeiten müssen. Wenn wir versuchen, Überzeugungen zu erklären, die wir für irrational halten, so entstehen tatsächlich zusätzliche Fragen, wie man diese am besten erklärt. Wir müssen die Arten der Bedingungen untersuchen, die den Handelnden daran hinderten, anerkannten Grundsätzen von Beweisen und Argumenten zu folgen, oder vielleicht den Handelnden mit einem Motiv versorgten, diesen zu trotzen. Es ist jedoch vollkommen möglich, den verfügbaren Grundsätzen von Beweisen innerhalb einer Gesellschaft zu folgen, die zur Bildung und Prüfung von Überzeugungen bereitstehen und trotzdem zu falschen Überzeugungen zu gelangen. Ich bin mir sicher, dass wir das alle getan haben. Wenn wir also das Halten von Überzeugungen, die uns als falsch erscheinen, mit rationalen Fehlschlüssen gleichsetzen, bedeutet das – bevor man weiß, ob es angemessen ist –, einen Erklärungstyp zugunsten einer anderen auszuschließen. Um diese Behauptung zu verdeutlichen, komme ich auf Laduries Darstellung von den Überzeugungen über Hexen zurück, die die Bauern des frühmodernen Languedoc hatten. Ladurie stellt zu Beginn nicht nur fest, dass diese Überzeugungen falsch waren. Er nimmt an, dass ihre Falschheit ausreichend sei, um zu zeigen, dass sie rational unhaltbar gewesen seien. Seine Suche nach einer Erklärung nimmt dementsprechend die Form einer Prüfung an, warum so viele Menschen einer Täuschung zum Opfer fielen. Er räumt jedoch die Möglichkeit nicht ein, eine andere Art der Erklärung zu betrachten. Er zieht nicht in Betracht, dass die Bauern an die Existenz von Hexen glaubten als Ergebnis von einer Anzahl anderer Überzeugungen, von denen sich diese Schlussfolgerung hätte folgerichtig ableiten können. Man betrachte nur die einfachste Möglichkeit. Man nehme an, dass die Bauern auch der Überzeugung waren, dass die Bibel das Wort Gottes darstelle, was im frühmodernen Europa weitgehend als rational und unbestreitbar galt. Wenn das eine ihrer Überzeugungen gewesen wäre und wenn es für sie rational gewesen wäre, sie zu haben, dann wäre es höchst irrational gewesen, hätten sie nicht an die Existenz von Hexen geglaubt. Denn im Alten Testament – sowohl in Deuteronomium als auch in Exodus – wird uns nicht nur erzählt, dass Hexen existieren, sondern dass Hexerei zudem eine Abscheulichkeit ist und dass Hexen nicht am Leben bleiben sollen. Den Zweifel an der Existenz von Hexen käme dem

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Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Gottes Wort gleich. Und was gäbe es irrationaleres als das? Ladurie schließt von vornherein die Möglichkeit aus, dass diejenigen, die an Hexen glaubten, eine solche nachvollziehbare Kette logischen Denkens folgten. Das bedeutet nicht nur, dass er als Ergebnis eine Erklärung über den Glauben an Hexerei vorbringt, die, soweit er weiß, komplett irrelevant sein könnte. Das bedeutet auch, dass er eine Reihe von Fragen über die mentale Welt des Bauerntums überspringt, die in der Nachforschung unumgänglich ist, um ihre Überzeugungen und Verhalten zufriedenstellend zu verstehen. Dieses Problem wurde natürlich schon von einer Anzahl von Historikern heutzutage bemerkt. In der Tat ist es die aktuelle Mode, so zu argumentieren, wie es zum Beispiel Stuart Clark in Thinking With Demons tut. Er schreibt, dass es unser Ziel sein müsse, so viel wie möglich von den fremden mentalen Welten, in denen unsere Ahnen gelebt haben, zu verstehen – sie sozusagen so rational wie möglich zu machen. Ich möchte daher diese historiographische Entwicklung als nächstes kommentieren. Ich gebe zu, dass mir diese gegensätzliche Vorgehensweise für eine gute historische Forschung manchmal kaum weniger gefährlich erscheint als die andere. Erstens bin ich überrascht, dass Historiker der Frage nach der Wahrscheinlichkeit, die wir an unsere Überzeugungen knüpfen, so wenig Beachtung schenken. Für gewöhnlich schreiben sie so, als hätten Menschen definitiv oder definitiv nicht an Hexen geglaubt. Aber während wir einige unserer Überzeugungen als mehr oder weniger gefestigt betrachten, halten wir an anderen viel weniger fest. Und es ist ebenfalls deutlich, dass wir nicht dieselben Kriterien der Evaluation gleichmäßig auf alle unsere Überzeugungen anwenden. Wenn wir also versuchen, die Rationalität von etwas wie dem Glauben an Hexerei zu beurteilen, müssen wir sicherlich ein so klares Gespür wie möglich dafür haben, wie stark an diesen Überzeugungen festgehalten wurde oder wie bereit die Menschen waren, diese aufzugeben. Eine weitere Schwäche in aktuellen Debatten über fremdartige Überzeugungen ist, dass sie oft mangelhaft erscheinen, wenn es darum geht, was es bedeuten könne, einige Überzeugungen als rational zu erachten. Manchmal scheinen sie von einer Verwirrung beherrscht zu sein, wenn es darum geht, was rational geglaubt und was rational getan werden kann. Man beachte zum Beispiel Paul Veynes berühmte Studie Did the Greeks Believe in their Myths?11. Veynes Antwort ist, grob gesagt, dass die Frage, ob es für die Griechen rational war, die

11 Paul Veyne, Did the Greeks Believe in their Myths? An Essay on the Constitutive Imagination. Übers. von Paula Wissing, Chicago 1988.

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Wahrheit ihrer Mythen anzuerkennen, selten gestellt wurde, aber dass es für sie nicht irrational gewesen war, sie nicht zu stellen. Die These mag hier so lauten, dass die innere Kohärenz eines Katalogs von Überzeugungen ausreichte, damit eine Überzeugung als wahr galt. Wenn jedoch die These ist, dass es für die Griechen praktisch rational hätte sein können, die Frage nach der Wahrheit nicht zu stellen – vielleicht, weil die weitgehende Akzeptanz der Mythen so viele positive Auswirkungen hatte –, dann ist es wichtig zu bemerken, dass dies die Frage komplett offenlässt, ob es für sie rational gewesen war, an ihre Mythen zu glauben. Und es ist einfach zu vermuten, dass es in vielen Fällen nicht so war. Der hauptsächliche Fehler, den ich jedoch in aktuellen Debatten über die Rationalität von fremden Denksystemen erkenne, besteht darin, dass es eine zu umfassende Auffassung davon gibt, was eine bestimmte Überzeugung rational macht. Stuart Clark argumentiert zum Beispiel, dass es ausreiche, wenn die frühmodernen Überzeugungen über Dämonen mit anderen Überzeugungen kohärent seien, um als rational zu gelten.12 Ich stimme zu, dass es notwendig ist, an die Kohärenz von Überzeugungen interessiert zu sein, um meine Überzeugungen rational halten zu können. Ich kann aber nicht erkennen, weshalb dies ausreichend sein soll. Es muss darüber hinaus notwendig sein, dass ich meine Überzeugungen nur im Lichte einer bestimmten Einstellung zum Prozess der Überzeugungsformation selbst übernehmen soll. Von mir kann kaum behauptet werden, dass ich meine Überzeugungen rational halte, wenn ich nicht an Beweisen interessiert wäre, die mir Grund geben, zu folgern, dass meine Aussagen über meine Überzeugungen gerechtfertigt sind. Ich kann also dem Vorschlag nicht zustimmen, dass, sobald wir die innere Akzeptanz von bestimmten Systemen von Überzeugungen in den Quellen entdecken, wir nicht umhinkönnen, es als rational anzusehen, dieses System aufrechtzuerhalten. Dieser Zweifel ist zugegebenermaßen nicht zeitgemäß. Heutzutage wird uns häufig gesagt, dass die Art der Verpflichtung, für die ich mich gerade ausgesprochen habe, zur Folge hat, anachronistische und herablassende Ansichten über unsere eigene überlegene Rationalität in unsere Forschung über die Vergangenheit einzuführen. Aber dieser Einwand erscheint mir als ein komplettes Missverständnis. Wenn ich als Historiker eine bestimmte Überzeugung als irrational kennzeichne, behaupte ich nur, dass ich die vorherrschenden Normen für die Aneignung und Rechtfertigung von Überzeugungen in der betroffenen Gesellschaft aufgedeckt habe und dass die besagte Überzeugung im Gegensatz zu den lokalen Normen aufrechterhalten wurde. Ich muss nicht behaupten, dass die

12 Stuart Clark, Inversion, Misrule and the Meaning of Witchcraft, in: Past and Present 87. 1980, S. 98–127, hier S. 100.

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Überzeugung nach meinen Standards von Rationalität irrational war und noch weniger nach den Standards von Rationalität, was auch immer das bedeuten mag. Ich behaupte lediglich, dass die historischen Akteure, die ich untersuche, irgendeinen Rationalitätsstandard verfehlt haben, der in der Gesellschaft zu der Zeit akzeptiert wurde. Nach dieser Ausführung muss ich jedoch klarstellen, dass ich trotzdem der Ansicht bin, dass die Aufgabe eines Ideenhistorikers darin besteht, der internen Rationalität von fremden mentalen Welten wie der von Kardinal Bellarmin oder der Bauern des frühmodernen Languedoc gerecht zu werden. Der entscheidende Punkt ist, wie ihn Thomas Kuhn vor langer Zeit in Bezug auf Galileos Diskussion mit Bellarmin formuliert hat, dass es schwerfällt, irgendeinen klaren Moment zu finden, an dem es möglich wäre, Bellarmin Irrationalität vorzuwerfen. Aber das bedeutet natürlich nicht, dass Bellarmins Aussagen gegen die heliozentrische Hypothese wahr waren. Es bedeutet nur, dass es für ihn rational war, seine Überzeugung für wahr zu halten, selbst wenn sie uns als offensichtlich falsch erscheint. Das Wesentliche meiner Behauptung ist demnach, dass, wenn Ideenhistoriker Denksysteme in vergangenen Gesellschaften zu erklären suchen, sie es vermeiden sollen, nach der Wahrheit oder Falschheit der Überzeugungen überhaupt zu fragen. Man sollte sich nur dann auf das Konzept der Wahrheit berufen, wenn man die Frage stellt, ob unsere Ahnen ausreichende Gründe hatten, um das als wahr zu betrachten, woran sie glaubten. Dies ist also meine wesentliche Behauptung. Aber mir ist nur allzu bewusst, dass jeder, der auf diese Art und Weise argumentiert, früher oder später als Relativist gebrandmarkt wird.13 Deshalb muss ich mit einem Wort darüber schließen, ob ich in der Tat eine relativistische Haltung verinnerlicht habe. Es ist sicherlich in einem gewissen Sinne richtig, dass mein Argument relativistisch ist. Ich habe den Gedanken des „für wahr Haltens“ einer bestimmten Überzeugung relativiert. Ich habe vorgeschlagen, dass es für die Bauern von Languedoc sehr wohl rational sein konnte, es für wahr zu halten, dass Hexen mit dem Teufel ein Bündnis eingingen, auch wenn es jetzt nicht mehr rational wäre, dieselbe Überzeugung zu halten. Weiterhin habe ich argumentiert, dass wir als Kulturhistoriker in diesem Sinne Relativisten sein müssen. Wir müssen uns den Gedanken vor Augen halten, dass es möglich ist, eine falsche Überzeugung mit vollkommener Rationalität zu halten. Es ist jedoch ein Missverständnis anzunehmen, dass Historiker, die diese Position propagieren, die These des konzeptionellen Relativismus annehmen. Kon-

13 Siehe zum Beispiel: Martin Hollis, The Social Destruction of Reality, in: Martin Hollis und Steven Lukes (Hgg.), Rationality and Relativism, Cambridge 1982, S. 67–86.

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zeptioneller Relativismus ist eine These über die Natur der Wahrheit. Es ist die These, dass an Wahrheit nichts weiter dran ist als rationale Akzeptanz. Zum Beispiel ist Richard Rorty in seiner charakteristischen Abhandlung Philosophy and the Mirror of Natur definitiv ein konzeptioneller Relativist. Wenn er Galileos Auseinandersetzung mit Bellarmin erörtert, beharrt er darauf, dass Bellarmins Ablehnung des Heliozentrismus nicht weniger objektiv war als Galileos Bekräftigung dessen. Etwas anderes anzunehmen, sei lediglich eine Bestätigung dessen, was Rorty die Rhetorik der modernen Wissenschaft nennt.14 Aber dies ist ganz und gar nicht das, was ich behaupte. Ich gehe davon aus, dass es in dem genannten Beispiel um einen wirklichen Tatbestand geht und ich scheue mich nicht zu sagen, dass Bellarmins Überzeugung falsch war. Aber auch das ist nicht meine Behauptung. Ich möchte nicht, dass wir uns als Historiker fragen, ob Bellarmins Überzeugungen über den Heliozentrismus oder die Überzeugungen der Bauern hinsichtlich Hexen wahr oder falsch waren. Ich möchte nicht, dass wir überhaupt auf diese Weise über Wahrheit reden. Mit dieser Stellungnahme greife ich noch nicht einmal in die Debatte über den konzeptionellen Relativismus ein. Ich sage sicherlich nicht, dass es wahr war, dass es einst Hexen im Bündnis mit dem Teufel gab. Ich behaupte nur, dass es möglicherweise eine Zeit gab, in der es rational war, dies für wahr zu halten, auch wenn es falsch ist. Um diesen Punkt zu verallgemeinern, merke ich nur an, dass die Frage danach, was als rational gehalten werden kann, variieren wird hinsichtlich der Gesamtheit unserer Überzeugungen. Aber damit behaupte ich nicht, dass die Wahrheit auf dieselbe Art und Weise variieren kann. Wenn ich das tatsächlich tun würde, würde ich etwas offensichtlich Inkohärentes sagen, da ich behaupten würde, dass der Vorschlag, dass es keine universellen Wahrheiten gäbe, selbst eine universelle Wahrheit sei. Ich muss aber gestehen, dass mein Vorschlag, Historiker sollten sich nicht mit Wahrheit auseinandersetzen, vielen Menschen, vor allem Philosophen, seltsam erscheint. So fragen sie: Sicherlich willst du doch, dass das, was du sagst, wahr ist? Wenn ich sage, dass man für das Verständnis von Machiavellis Fürst erkennen muss, dass es zum Teil eine Satire über Cicero ist, ist es für mich sicherlich von Bedeutung, dass ich diese Behauptung für wahr empfinde. Hier empfinde ich eine beträchtliche Sympathie mit Richard Rortys Ablehnung dessen, was er als diese Art von Rhetorik bezeichnet. Wenn wir behaupten, dass unsere Aussagen wahr sind und wenn wir damit etwas mehr als rationale Anerkennung meinen, dann müssen wir wohl der Meinung sein, dass unsere Aussagen die Welt, wie sie tatsächlich ist, widerspiegeln. Nun versuchen wir natürlich als

14 Richard Rorty, Philosophy and the Mirror of Nature, Princeton 1979, S. 328-331.

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Historiker, der Wahrheit in diesem Sinn auf die Spur zu kommen. Aber das Beste, worauf wir tatsächlich in den Geisteswissenschaften oder auch in den Naturwissenschaften hoffen können, ist, dass das Gesagte denjenigen, die am besten darüber urteilen können, als rational akzeptabel erscheint. Ich positioniere mich also mit dem Vorschlag, dass Faktizität von der Wahrheit getrennt werden muss. Das ist alles, was ich behaupten möchte. Und falls dies zu bescheiden scheint, lohnt es sich, daran zu erinnern, dass es bisher das universelle Schicksal von historischen und sogar naturwissenschaftlichen Erklärungen war, überholt zu werden.

Übersetzt von D. Timothy Goering und Alexandra Weinschenker

Imaginary Intellectual History and “Managerialism” in 1950s West Germany S EAN A. F ORNER

A recent essay collection on the state of intellectual history in the early twentyfirst century parallels the present volume and shares some of its motivating concerns. Coeditors Darrin McMahon and Samuel Moyn diagnose a rise in the field’s fortunes without a corresponding increase in methodological reflection and debate, and they contend that some stocktaking is now overdue. Many traditions are discussed, and forward-looking perspectives are offered. Among the latter, the editors propose that intellectual historians might conjoin “a history of ideas and a history of the social […] through the broader interrogation of the imaginary horizons of cultures.”1 Although several other contributions echo this desideratum, McMahon and Moyn admit that not all their peers would endorse such an endeavor. The question of whether and how to conceive of a relation between ideas and society has long haunted intellectual historians; perhaps it is time to re-engage it head-on. In his own essay, Moyn sharpens the point, alleging that the major approaches to intellectual history since its constitution as a field have all shared an idealist bias. From the History of Ideas to the Cambridge School, and from archaeologists to deconstructionists to synoptic paraphrasers, he asserts, most practitioners have effectively concurred in the too-often unreflected view that “there [is] noth-

Thanks to fellow presenters and audience members at the Bochum conference, especially Warren Breckman, Marcus Llanque, and Victor Strazzeri, for stimulating feedback on an earlier version of this paper. 1

Darrin M. McMahon and Samuel Moyn, Introduction: Interim Intellectual History, in: idem (eds.), Rethinking Modern European Intellectual History, Oxford 2014, 10-11.

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ing determinative outside texts except other texts.”2 To be sure, the political, institutional, and interpersonal settings of ideas are described, but when contexts are mobilized to explain the contents and roles of the ideas themselves, our disciplinary common sense is to reach for contexts consisting of other ideas, discourses, and utterances. A lingering idealism thus links the dominant strands of intellectual history from Friedrich Meinecke and Arthur Lovejoy to their heirs and critics in our own time, for all the important differences among them. As a potential opening to the contrary, Moyn points to the prevalence of the concept of the “social imaginary” in the human sciences today, based more-or-less loosely on the work of Greco-French philosopher Cornelius Castoriadis and his French colleague Claude Lefort. Given that this notion aimed to “challenge […] the boundary between representations and practices,” it could help intellectual historians overcome our idealist proclivities and take on board more robustly a key insight of the social theory some of us study: namely, that ideas are bound up – intrinsically, at a deep level – with “the making and unmaking of society.”3 All but two of the contributors to the volume work in the United States, and its editors have the North American scholarly field primarily (though not exclusively) in view. Yet Moyn’s provocation is no less appropriately taken up in the context of German Ideengeschichte than with reference to intellectual history made in the United States or in Britain. There are grounds to dispute Moyn’s description of the field; a fuller account would reveal more variegated terrain. One could point to alternative traditions, such as the “social history of ideas” first advocated by émigré historian Peter Gay in the 1960s, in which he sought to infuse the systematizing history of ideas he admired in Ernst Cassirer with insights from the sociology of knowledge.4 Around the same time in Germany, Reinhart Koselleck took inspiration in part

2

Samuel Moyn, Imaginary Intellectual History, in: McMahon and Moyn (eds.), Rethinking, 113.

3

Ibid., 116. This essay is indebted to Moyn’s for half its title and for its point of departure. For an instructive sense of this present-day resonance, stimulated by Charles Taylor and Paul Ricoeur alongside Castoriadis and Lefort, see Suzi Adams et al., Social Imaginaries in Debate, in: Social Imaginaries 1. 2015, 15-52. It will be noted that “idealism” is used in a somewhat narrower sense here than in D. Timothy Goering’s introduction to this volume.

4

Peter Gay, The Party of Humanity: Essays in the French Enlightenment, New York 1964, ix-xii; Peter Gay, The Social History of Ideas: Ernst Cassirer and After, in: Kurt H. Wolff and Barrington Moore (eds.), The Critical Spirit: Essays in Honor of Herbert Marcuse, Boston 1967, 106-120.

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from another interwar project, the historical “sociology of concepts” proposed by Carl Schmitt. From the outset, Koselleck’s Begriffsgeschichte focused on excavating how shifts in social experiences and expectations become sedimented in and rendered intelligible by shifts in basic linguistic concepts.5 Meanwhile, in Britain, literary critic Raymond Williams had begun to adapt aspects of Marxist tradition to study how patterns of change in the meaning of “key words” registered changes in experience wrought by social upheaval.6 None of these approaches understood itself as idealist, and all sought to relate the characteristic ideas of an epoch to more general patterns of historical continuity and change. Yet Gay’s “social history of ideas” was soon displaced by more social-historical and quantitative versions of this enterprise, while Williams’s “cultural materialism” helped launch the rather less materialist project of “cultural studies.”7 Begriffsgeschichte, for its part, never fully realized the promise of specifying its mediation of “conceptual history” and “social history.”8 Moreover, from the late 1960s, ascendant approaches to intellectual history began to define themselves against both Marxist and non-Marxist positions that would reduce ideas to mere reflections of socio-historical conditions.9 By the 1980s, the authority of non-

5

Reinhart Koselleck, Richtlinien für das Lexikon politisch-sozialer Begriffe der Neuzeit, in: Archiv für Begriffsgeschichte 11. 1967, 81-99. On the relationship to Schmitt, see Jan-Werner Müller, On Conceptual History, in: McMahon and Moyn (eds.), Rethinking, 79, 81f.

6

Raymond Williams, Culture and Society 1780-1950, London 1958, esp. xiii-xix, 265-

7

Robert Darnton, In Search of the Enlightenment: Recent Attempts to Create a Social

269, 280-282. History of Ideas, in: Journal of Modern History 43. 1971, 113-132; Andrew Milner, Re-Imagining Cultural Studies: The Promise of Cultural Materialism, London 2002. 8

Müller, On Conceptual History, 76, 85f; Paul Nolte, Sozialgeschichte und Ideengeschichte: Plädoyer für eine deutsche ‘Intellectual History,’ in: idem, Transatlantische Ambivalenzen: Studien zur Sozial- und Ideengeschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts, Munich 2014, 401f.

9

In this, too, the Cambridge School was in the vanguard. Quentin Skinner’s point in writing his 1969 manifesto, after all, was to slay not one dragon but two: after dispatching decontextualized approaches to understanding texts (à la A. O. Lovejoy, Leo Strauss, or F. R. Leavis), he turned to his more direct rivals, the “social context[ualists]”; Quentin Skinner, Meaning and Understanding in the History of Ideas, in: History & Theory 9. 1969, 3-53, here 3-4, 39-49. For parallel position-takings against “Marxists” and “Namierites,” see J. G. A. Pocock, Languages and Their Implications: The Transformation of the Study of Political Thought, in: idem, Politics,

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and anti-materialist approaches was secured under the sign of the “cultural” or “linguistic turn” – and, close on its heels, by the collapse of the Soviet bloc.10 None of this has prevented scholars on both sides of the Atlantic from considering how ideas are shaped by the material weight of their embodiment in intellectuals’ biographies, networks, and institutions.11 Over the past several decades, however, the attention paid to problems of language and textuality as well as to local contexts of practical activity has dwarfed the interest shown in relating ideas to social practices of larger scope and societal transformations on a larger scale. In that sense, I find Moyn’s intervention salutary and would like to pursue the questions it raises: What might a post-idealist intellectual history look like today? And on what sorts of conceptual grounds could it be founded? The goal of this essay is to suggest answers that might allow us to revisit avenues of research that were once framed in materialist terms while avoiding the difficulties that led to our disenchantment with that framing. It proceeds in two steps. The first half surveys relevant traditions and current perspectives for such an approach. It returns to a classic debate of the interwar period to establish some guiding methodological concerns, on the basis of which it addresses affinities between a recent neo-Marxist trend in Anglophone intellectual history and a post-Marxist alternative grounded in the notion of the “social imaginary.” The essay’s second half illustrates the potential gains of thinking with and through this latter category, by way of an empirical example. It investigates how the character of the new social order consolidated in Western Europe after 1945 posed something called “managerialism” as a problem to a wide range of historical actors, as reflected in a set of conversations among intellectuals and labor un-

Language, and Time: Essays on Political Thought and History, New York 1971, 1011, 35-39. 10 See, e.g., Dominick LaCapra, Rethinking Intellectual History and Reading Texts, in: History & Theory 19. 1980, 245-276 and the assessment in Martin Jay, The Textual Approach to Intellectual History, in: idem, Force Fields: Between Intellectual History and Cultural Critique, New York 1993, 158-166. On the problematic construct of a singular “turn,” however, see Judith Surkis, When Was the Linguistic Turn? A Genealogy, in: American Historical Review 117. 2012, 700-722. 11 Three examples from the literature on Germany must stand for many more: Thomas Etzemüller, Sozialgeschichte als politische Geschichte: Werner Conze und die Neuorientierung der westdeutschen Geschichtswissenschaft nach 1945, Munich 2001; Tim B. Müller, Krieger und Gelehrte: Herbert Marcuse und die Denksysteme im Kalten Krieg, Hamburg 2010; Emily J. Levine, Dreamland of Humanists: Warburg, Cassirer, Panofsky, and the Hamburg School, Chicago 2013.

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ions in early 1950s West Germany. The conclusion draws out some implications of “imaginary intellectual history” for the status of our subdiscipline and for its role amid present-day calls to move beyond the “cultural” or “linguistic turn.” The proposition that ideas are determined in some fashion by socio-historical conditions is central to the classical sociology of knowledge and to Marxism in its various guises. Both have grappled – albeit differently – with the relation between consciousness and social being, and with one of its facets, the question of ideology. Returning to a foundational debate of the 1920s will highlight two distinctions relevant for any attempt to re-engage this question in the present. In his 1923 essay on “Reification and the Consciousness of the Proletariat,” György Lukács drew a parallel between two phenomena. On the one hand, he analyzed the tendency of modern society to appear alien and objective to its constituents, abstractly calculable yet beyond human control, as a kind of “second nature.” On the other hand, he asserted modern philosophy’s self-narrowing tendency to identify thought with formal, mathematical cognition and artificially sever subject from object. At the apex of this development, Lukács argued, stood the problem of Kant’s unknowable thing-in-itself. Linking Weber to Marx, Lukács sought to ground both the rationalization of social life and the antinomies of philosophy as manifestations of capitalism’s most basic structure, the commodity, and the sorts of abstractions it imposed on everyday experience.12 At a fundamental level, then, what he called the reification of consciousness was parallel for bourgeois and proletarian. Its overcoming, however, was another matter. Ultimately, he declared the worker’s “standpoint” the privileged one for de-reification and the proletariat itself the “identical subjectobject” of humanity’s liberation.13 This deeply ambivalent text thus simultaneously established a vibrant tradition of “Western” Marxist critique, inaugurated that tradition’s tense relationship with orthodox class-reductionist analyses, and heralded Lukács’s own cycle of resistance and accommodation to the Communist Party’s official lines.14 Responding in part to the “one-sided[ness]” he perceived in Lukács, his fellow Hungarian-German and former associate Karl Mannheim outlined a differ-

12 Georg Lukács, Die Verdinglichung und das Bewußtsein des Proletariats, in: idem, Geschichte und Klassenbewußtsein: Studien über marxistische Dialektik (Werke, Bd. 2, Frühschriften), Neuwied 1968, 257-331, quote 260, 307. 13 Ibid., 331-397, quotes 367, 385. 14 Andrew Arato and Paul Breines, The Young Lukács and the Origins of Western Marxism, New York 1979; Arpad Kadarkay, Georg Lukács: Life, Thought, and Politics, Oxford 1991.

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ent approach.15 In his Ideology and Utopia of 1929 and associated writings, Mannheim argued for the Seinsverbundenheit of all thought, its “existential connectedness” to the socio-historical conditions of its emergence and articulation. He underscored that consciousness was complexly bound up with, not rigidly bound to, social being and characterized the relationship as one of flexible “correlation,” qualitatively different from a “mechanical cause-effect sequence.” Because of just this conditioning, however, the standpoint of any given social group would tend to misrecognize its own partiality while seeing – and seeking to “unmask” – the Seinsgebundenheit of competing worldviews, their “existential boundness” and thus partial and partisan character. This “total” but not yet selfreflexive conception of ideology, a Marxist innovation subsequently adopted by other groups, bred antagonistic struggle.16 Amid the fractious politics of the late Weimar Republic, the implications of this insight were clear enough, and Mannheim intended his sociology of knowledge not only as an epistemological theory and a research method but also as a sort of political therapy. By enabling social actors to relativize their own necessarily partial perspectives, it would defuse the ubiquitous zeal for unmasking and allow progress toward a more comprehensive synthesis. The promise of a synthetic perspective, of “politics as a science […] of the whole,” then sent Mannheim on his own flight of fancy, proclaiming intellectuals a relatively less-conditioned, “free-floating” stratum called to this task – and exhibiting a species of misrecognition quite characteristic of intellectuals in the process.17 My aim here is not to juxtapose “Marxist” and “bourgeois” scholarship, as vital as such political distinctions were for the historical figures in question. Rather, I mean to draw attention to two analytic distinctions that seem useful for thinking about post-idealist intellectual history. First, these two approaches imply research objects of different scopes: Initially, Lukács focused on a “reified

15 Karl Mannheim, Ideologie und Utopie, 3. ed., Frankfurt a.M. 1952, 267. On the larger Weimar-era debate, see David Frisby, The Alienated Mind: The Sociology of Knowledge in Germany 1918-33, London 1983. 16 Mannheim, Ideologie und Utopie, 60-75, 227-244, quotes 70f; Mannheim, Ideology and Utopia: An Introduction to the Sociology of Knowledge, transl. Louis Wirth and Edward Shils, New York 1936, 239 Fn1. On his terminology, see Colin Loader, The Intellectual Development of Karl Mannheim: Culture, Politics, and Planning, Cambridge 1985, 112f. 17 Mannheim, Ideologie und Utopie, 69-71, 128-162, 251-263, quotes 130, 135. See also Colin Loader and David Kettler, Karl Mannheim’s Sociology as Political Education, New Brunswick, NJ 2002.

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consciousness” that formed the shared ground on which the forms of thought and forms of life of all social groups – that is, of both classes – were linked together. In contrast, Mannheim was interested in a plurality of discrete worldviews, each bound up with a specific class or group’s conditions of existence. (In this, he was joined by most Marxists, including Antonio Gramsci or Lukács in his more workerist guise.18) One approach, then, studies socially general forms of thought, the other positional or class-bound ones. A second difference has to do with the nature of ideas’ determination by non-ideas. Mannheim was more explicit on this point; his affirmation of correlation over causation sought to preserve a distinction of humanistic from natural scientific knowledge inherited from the historicist and idealist tradition. As for Lukács, his argument was certainly parallel in its anti-positivism, but his goal was to reclaim the mantle of “science” from the positivists. He sought to grasp all social phenomena as elements of a densely mediated but systematic and ultimately knowable totality. In some vital sense, for Lukács, the philosophical conundrum of Kant’s noumenon was sufficiently explained when recognized as an effect of raising reified social relations to conscious theoretical reflection. Second, then, we have a contrast between harder and softer forms of causality or determination, raising questions about contingency and agency. I will return to these issues below. Mannheim co-founded a field of inquiry that has inspired a wide range of work in intellectual history, the history of the disciplines, and science studies, even if others’ theories do more to shape the sociology of knowledge today.19 And though the once prodigious influence of Lukács and of Marxism more broadly has been marginal to intellectual history in recent decades, we may be witnessing a revival. At least, this is what a growing body of (mostly) US-based scholarship would suggest, forming a self-consciously Marxian tendency that takes important cues from Lukács and his successors in the first-generation “Frankfurt School.” The key mediator of these influences has been Moishe Postone, whose reinterpretation of Marxian theory serves as a common point of reference, as does the related yet distinct project of William Sewell, Postone’s

18 See, e.g., Terry Eagleton, Ideology: An Introduction, London 1991, 193-223. 19 While Mannheim’s direct influence remained present for the generation of Peter Gay, Fritz Ringer, and Andrzej Walicki, subsequent scholarship in this tradition has drawn on Thomas Kuhn, Michel Foucault, Pierre Bourdieu, Bruno Latour, and others. See, e.g., Suzanne Marchand, Has the History of the Disciplines Had its Day? and John Tresch, Cosmologies Materialized: History of Science and History of Ideas, in: McMahon and Moyn (eds.), Rethinking, 131-172.

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colleague at the University of Chicago.20 Postone’s Marx is not concerned in the first instance with private property, the market, or class conflict but with the commodity, as the “fundamental structuring core” of modern society. With the generalization of production for exchange, social relations take on a peculiarly “abstract, impersonal” and “quasi-objective” character, yet these very real abstractions – the modes of practical interdependence by which capitalist society is constituted as a society – present themselves in concrete, naturalized forms. This is what Marx meant by “fetishism,” which manifests this dual character of the commodity in consciousness.21 Rather than align capitalism with the abstract and formal dimension, then analyze its colonization of the concrete and substantive dimension (represented by use-value, labor, or “life” itself), as Lukács did, Postone’s Marx takes the co-production of both dimensions and the dynamics set off by their interaction as capitalism’s signature. In the realm of ideas, Postone argues, capitalism has generated both sides of modernity’s characteristic “opposition between positivist and romantic forms of thought.”22 It is this insight that he and others have made useful for intellectual history. Postone’s pioneering contribution was an analysis of modern anti-Semitism as a kind of “fetishized” consciousness – an “anti-capitalism” that unwittingly moved within and reproduced a frame set by capitalism itself. Tellingly, this ideology bore a dualistic structure. Ascribing to Jews a global, intangible, yet overwhelming power and associating them with the abstract forces of money and finance, anti-Semitism opposed these to the seeming concreteness of blood, soil, and honest work. In Germany, a radical anti-Semitic politics emerged that was thus able to understand itself as insurgent and anti-capitalist while affirming industri-

20 Sewell’s theorization of “the social” as a complex of “semiotic practices” and their “material matrices,” which builds on the work of Bourdieu, Anthony Giddens, Clifford Geertz, Marshall Sahlins, and others, is also relevant to this essay’s theme. See William H. Sewell, Jr., Logics of History: Social Theory and Social Transformation, Chicago 2005, 369. In reconstructing these genealogies, I should mention that both Postone and Sewell were graduate teachers of mine. 21 Moishe Postone, Necessity, Freedom, Time: A Reinterpretation of the Marxian Critique of Capitalism, in: Social Research 45. 1978, 739-788; Moishe Postone, Time, Labor, and Social Domination: A Reinterpretation of Marx’s Critical Theory, Cambridge 1993, esp. 123-225, quotes 125, 141, 157. 22 Moishe Postone, Lukács and the Dialectical Critique of Capitalism, in: Robert Albritton and John Simoulidis (eds.), New Dialectics and Political Economy, Basingstoke 2003, 78-100; Moishe Postone, Anti-Semitism and National Socialism, in: New German Critique 19. 1980, 109.

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al capital and modern technology, which it saw as concrete, productive, and Aryan.23 In these terms, Postone sought to explain the distinctive paradox of Nazi ideology that Jeffrey Herf soon thereafter described as “reactionary modernism.”24 Others have elaborated on Postone’s framework to analyze a diverse range of phenomena. Several have focused on other species of romantic response to capitalist modernity. Andrew Sartori, for instance, has explored the globalization of a discourse of “culture” – as a realm of free self-cultivation, elevated over the unfree determinedness of material life – from the late eighteenth into the twentieth century. He tracks this discourse from its origins in Germany to Britain and Eastern Europe as well as to East and South Asia, where it ramified in the Bengali “culturalism” he studies, a dynamic complex of elite and popular nationalisms that emerged in the late nineteenth century to challenge a dominant liberalism. The appeal of similar notions in widely different places, Sartori argues, cannot fully be explained by processes of diffusion or imposition but only with reference to a larger commonality of context. This he finds in the modern capitalism that spread in tandem with the culture concept, as the unfamiliar abstractions its characteristic social practices entailed cast everyday experience in a new mold. While capitalism’s structures made a “culturalist imagination” plausible and gave it global resonance – by lending ideas about concretely rooted, autonomous subjectivity a special salience – Sartori studies its manifestations in their local specificity as well, where they took on a life of their own through contingencies of agency and context.25 This double contextualization raises vital issues for any translocal or global history of the circulation of cultural forms, and Christian Uhl has turned a similar lens on intellectual life during Meiji Japan’s rapid self-transformation to a nation-state polity and market economy. He analyzes the conflict between Western-style modernization and “Asianist” nationalism that structured debates over Japan’s future as a contradictory whole, reading these camps as expressive of two poles within a “single, capitalist modernity.”26 In an intra-European comparison, Mark Loeffler has investigated the continuities

23 Postone, Anti-Semitism, 97-115, quote 110. 24 Jeffrey Herf, Reactionary Modernism: Technology, Culture, and Politics in Weimar and the Third Reich, Cambridge 1984. 25 Andrew Sartori, Bengal in Global Concept History: Culturalism in the Age of Capital, Chicago 2008, quote 5. 26 Christian Uhl, Fukuzawa Yukichi and Miyazaki Tōten: A Double Portrait in Black and White of an Odd Couple in the Age of Globalizing Capitalism, in: Critical Historical Studies 1. 2014, 47-84, quote 52.

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of “anti-financial” discourses in Germany and Britain from the 1870s to the 1930s. From highbrow economic theory to middlebrow reform movements to populist conspiracy fantasies, as he demonstrates, these trafficked in a set of basic tropes that contrasted “productive” to “parasitic” forces in society and gained traction as explanations for the economic crises of the period.27 Other analyses in this vein indicate its potential to shed new light on longstanding historiographic debates. Sewell has begun to reconnect capitalism to the French Revolution by means of a “concrete history of social abstraction.” His investigation of new, commercially conditioned patterns of cross-class intermingling on the eighteenth-century Parisian promenade suggests that the expansion of commerce and consumption enabled new experiences of de facto social dedifferentiation. These, in turn, helped foster notions of abstract civic equality that resonated with (without deriving from) Enlightenment ideas and contributed to making an egalitarian order conceivable.28 Sartori’s subsequent work revisits the relationship between liberalism and British empire. Rather than focus on the transfer and adaptation of concepts such as property or freedom between metropole and colony, he investigates their constitution as objects of practical concern in both contexts. At the intersection of imperial legal debates and peasant smallholder politics during the commercialization of Bengali agrarian society, he finds a “vernacular history” of colonial liberalism, in which actors in the rural hinterland came to stake their claims in the terms of classical political economy.29 Finally, Gary Wilder has taken up the putative misfit between republicanism and colonialism in France. He reframes the question by rooting the “national-imperial imaginary” of the “imperial nation-state” – a “doubled” political formation, on analogy to the commodity – in a “deeper antinomy between universality and particularity.”30 This distinctly modern tension, he argues, shaped

27 Mark Loeffler, Das ‘Finanzkapital’: Diskurse in Deutschland und England zur Jahrhundertwende, in: Nicolas Berg (ed.), Kapitalismusdebatten um 1900: Über antisemitisierende Semantiken des Jüdischen, Leipzig 2011, 115-140, quote 116. 28 William Sewell, Connecting Capitalism to the French Revolution: The Parisian Promenade and the Origins of Civic Equality in Eighteenth-Century France, in: Critical Historical Studies 1. 2014, 5-46, quote 16. 29 Andrew Sartori, Liberalism in Empire: An Alternative History, Berkeley 2014, quote 7; see also Andrew Sartori, Global Intellectual History and the History of Political Economy, in: Samuel Moyn and Andrew Sartori (eds.), Global Intellectual History, New York 2013, 110-33. 30 Gary Wilder, The French Imperial Nation-State: Negritude and Colonial Humanism between the Two World Wars, Chicago 2005, 4, 10, 20.

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new political possibilities manifest in discourses and practices around citizenship, nationality, and race that traversed the interwar imperial system, focusing on reformist colonial administrators in West Africa and African and Antillean Negritude writers in Paris. In these works, a specific reading of Marx has opened a rigorous and powerful approach to explaining certain kinds of intellectual contents. In effect, these scholars have taken seriously Marx’s remark that the history of modern consciousness has remained caught in an “opposition” between the “bourgeois” and the “romantic viewpoint,” rooted this insight in a Marxian theory of modern capitalist society, and made of it a research program.31 It unequivocally rejects a one-sided materialism, the hierarchy of base over superstructure, and the reduction of ideas to specific class positions or interests, thereby circumventing problems that have traditionally beset Marxist approaches. It takes in view socially general forms of consciousness, as Lukács did, and embraces non-mechanistic modes of causation, as Mannheim did, underscoring that ideas are implicated in – not fully determined or interpretatively exhausted by – their societal contexts. Together, these works set one compelling agenda for post-idealist intellectual history. At the same time, their theoretical commitment to the centrality of the commodity form to capitalism (and capitalism’s centrality to modernity) lends itself to the study of particular kinds of phenomena, ones that are readily parsed in terms of the attendant dualisms of abstract-concrete, universal-particular, rational-romantic, and so on. But where does that leave other potential objects of study – complexes of representations and practices – that do not reveal such an underlying binary structure? I want to suggest that the “social imaginary” can be useful in a parallel way, and for an even wider array of projects. The term is Castoriadis’s. First used in print in 1964, it emerged out of a long-standing dialogue and a set of shared concerns with his collaborator Lefort, whose conception of “the political” and its “instituting” role in society builds on Castoriadis’s understanding of the imaginary.32 On its face, the alignment of either figure with neo-Marxism is problematic, since these phenomenological philosophers and former Trotskyists were

31 Karl Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, in: Karl Marx and Friedrich Engels, Ökonomische Manuskripte 1857/1858 (Marx-Engels-Werke, Bd. 42), Berlin 1983, 96. 32 On commonalities and divergences, see John B. Thompson, Studies in the Theory of Ideology, Berkeley 1984, 16-41; Dick Howard, The Marxian Legacy, 2. ed., Minneapolis 1988, 184-263; Warren Breckman, Adventures of the Symbolic: Post-Marxism and Radical Democracy, New York 2013, 96-182.

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quite self-consciously post-Marxists. Both Castoriadis’s and Lefort’s mature projects emerged out of the collapse of a certain form of “Marxist imaginary” after 1956.33 Their turn away from actually existing Marxism, however, was motivated by a rejection of crude materialism and determinism, a motivation shared by the neo-Marxist works mentioned above. Moreover, when Castoriadis declared “society” an “imaginary institution,” he did not intend to exchange a materialist position for an idealist one, or a rigid determinism for total contingency.34 Instead, he broke with Marxism as an exemplar of a longer, deeper tradition of rationalist-scientist understandings of the social, which found their apotheosis in the various structuralisms ascendant in France during the 1950s and ‘60s. Against the self-referential fixity of structure, Castoriadis sought to recapture and to theorize humans’ capacity for spontaneous and autonomous – though not unconstrained – agency.35 And against a philosophical inheritance that identified being with determination, he posited the “social-historical” as the domain of human creativity and the site – always, potentially – of the radically new.36 The “social imaginary” is of consequence for intellectual history above all because it ruptures the distinction between ideal representations and material practices. A history in this vein is thus distinct from one of concepts, languages, utterances, or discourses, although the language of “imaginaries” has proven amenable to idealist appropriation.37 This perspective indeed insists on the ideational dimension of all social practice and the role of the imagination in constituting society. Yet the relationship is reciprocal: it is in and through social practice at all levels that symbolic representations and social order are co-constituted. In Castoriadis’s terms, the two dimensions of the social-historical – “significations” and “doing” – are intertwined. The imagination’s capacity for “creation ex nihilo” is operative in both, but it is also “incontestably caught up in the constraints of the real and the rational, always inserted in an historical continuum”; its products are inevitably “codetermined” by existing ideal and material factors, though they cannot be “reduced” to any of them.38 Two further aspects of this

33 Stephen Hastings-King, Looking for the Proletariat: Socialisme ou Barbarie and the Problem of Worker Writing, Leiden 2014. 34 Cornelius Castoriadis, The Imaginary Institution of Society, transl. Kathleen Blamey, Cambridge, MA 1987, 15-56. 35 Breckman, Adventures of the Symbolic, 96-138. 36 Suzi Adams, Castoriadis’s Ontology: Being and Creation, New York 2011, 19-134. 37 Moyn, Imaginary Intellectual History, 117, 120f, 123f. 38 Castoriadis, Imaginary Institution, 3, 146. He later clarified that imaginary works are “creations ex nihilo – but not in nihilo or cum nihilo,” while societies do not institute

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view are worth emphasizing. First, even as the social imaginary comprises “significations,” it is not simply another word for “culture.” At issue are not general frameworks of meaning so much as the dominant meanings that justify and legitimate the social order, constituting its “reality.” These meanings animate actors’ expectations of and relations to the social world in cognitive, affective, and intentional or practical ways. The most central significations of the given imaginary are the very “laces which tie a society together,” in one commentator’s illuminating metaphor.39 The social imaginary, in other words, produces crucial stabilizing effects. It is not, however – and this is the second point – a seamless or static whole. It is always potentially in flux, since society, as Castoriadis put it, is “instituting” as well as “instituted” (although this fact is systematically misrecognized), rendering the imaginary an agency of transformation as well as reproduction. Vital in this regard are “radical imaginary significations,” which emerge under the dominant imaginary but express meanings it cannot completely contain. The prospect that “radical imagination” at the level of individual embodied psyches might generate a “radical imaginary” at the collective level is always given – and with it, the possibility that society might be de- and reinstituted in novel form.40 These elements, another set of reference points for a post-idealist intellectual history, are likewise embedded in a complex philosophy. Just as some historians will remain skeptical of the theoretical commitments that undergird a neoMarxist approach, so too they may resist the ontology behind Castoriadis’s categories. His celebrations of creativity, for instance, indicate an emphatically voluntarist view of agency, one that arguably leaves the relationship between individual and social or collective levels insufficiently specified.41 Key bricks in his conceptual edifice may seem idiosyncratic or obscure, notions such as “legein” and “teukhein” or “magma” that are products of his cross-fertilization of modern philosophy and social theory with ancient Greek thought and psychoanalysis.42

themselves “in vacuo”; Cornelius Castoriadis, Radical Imagination and the Social Instituting Imaginary, in: Gillian Robinson and John Rundell (eds.), Rethinking Imagination: Culture and Creativity, London 1994, 149f. 39 Castoriadis, Imaginary Institution, 115-164, 340-373, quote 371; Thompson, Studies in the Theory of Ideology, 24. 40 Castoriadis, Imaginary Institution, 142-146, 369-373. 41 In an early and influential German reception of Castoriadis, Jürgen Habermas criticized him on these grounds; Jürgen Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne: Zwölf Vorlesungen, Frankfurt a.M. 1985, 370f, 382-388. 42 Castoriadis, Imaginary Institution, 175f, 182, 221-272, 340-344.

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These elements can be rich objects of study for intellectual historians; whether the methodological orientation the overall construct could provide stands or falls with them is a different matter. For present purposes, the “social imaginary” crystallizes two crucial, reciprocal insights: society, a complex of institutionalized practices, exists in part by virtue of the symbolic representations social actors have and make of it, and patterns of social practice help set parameters for what ideas become available, plausible, and persuasive to the actors entangled in them. This recognition of the co-constitution of ideas and society offers a flexible framework through which we might re-engage questions that hinge on the interface between them. Indeed, intellectual historians have begun to do so already. In his aforementioned essay, Moyn cites several examples of work suggesting what intellectual histories of the social imaginary could look like. He notes the category’s explicit influence on Pierre Rosanvallon’s “philosophical history of the political” – via Rosanvallon’s teacher Lefort – and traces implicit parallels with Judith Surkis’s Foucauldian study of masculinity and social regulation in Third Republic France. Sartori’s Marxian book on Bengali “culturalism” is also highlighted, and resonances with Sewell’s overall project are discussed.43 One could add Kristin Ross’s exploration of the Paris Commune’s “political imaginary,” A. Dirk Moses’s work on German anti-Semitism and the “imperialist imaginary,” or several of the contributions to a collection, edited by David Eugster and Sibylle Marti, on facets of the “Cold War imaginary.”44 In what follows, I turn not to these or other instances in the literature but to a case study from my own empirical work, part of a larger project on transformations of Europe’s intellectual left in the 1950s. There, my overarching concern is whether and how an encounter with the dominant socio-political orders of the postwar era can help account for the appearance of various initiatives – at roughly the same time but in different geographic places and from different social positions – that aimed to revitalize so-

43 Moyn, Imaginary Intellectual History, 119-126; Pierre Rosanvallon, Democracy Past and Future, New York 2006; Judith Surkis, Sexing the Citizen: Morality and Masculinity in France 1870-1920, Ithaca 2006. 44 Kristin Ross, Communal Luxury: The Political Imaginary of the Paris Commune, London 2015; A. Dirk Moses, Redemptive Antisemitism and the Imperialist Imaginary, in: Christian Wiese and Paul Betts (eds.), Years of Persecution, Years of Extermination: Saul Friedländer and the Future of Holocaust Studies, London 2010, 233254; David Eugster and Sibylle Marti (eds.), Das Imaginäre des Kalten Krieges: Beiträge zu einer Kulturgeschichte des Ost-West-Konfliktes in Europa, Essen 2015.

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cialism in a “humanist” vein and thereby contributed to the emergence of a pre1960s “first New Left.” The episode to be addressed here involves a series of public discussions hosted by the Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB), a newly founded umbrella trade union organization in the Federal Republic of Germany (FRG). The events were held amid the coalfields of the Ruhr, in the city of Recklinghausen, moreor-less annually from 1950. The DGB called them Europäische Gespräche, and although West Germans were in the majority, participants came from neighboring countries and from still farther afield.45 These events reveal that labor movements and sympathetic intellectuals perceived a similar set of challenges confronting western European societies at that time, to which they gave, each in their own domain, homologous – that is, similarly shaped or structured – responses. We can observe a kind of imaginary convergence, in which each party came to perceive the newly instituted social order as well as compelling alternatives to it in terms of a shared set of significations located at the juncture between conscious reflection and practical experience. Both the traditional intellectuals and the trade unionists involved agreed on the central issue: how to respond to a societal change they seemed to be witnessing. Unsure of how to name it, they made vague assertions of living in an age of “transition” or “restructuring” (Übergang, Umgliederung), one associated with the reconstruction of “mass society” (Massengesellschaft) in novel form. Soon, their concerns coalesced around a newly resonant term, “managerialism” (Managerherrschaft). And they agreed on the task at hand: to make of that challenge an opportunity to realize a true “mass democracy” (Massendemokratie). Moreover, each group conceived the stakes in strikingly parallel ways. Even if labor activists and academics did not speak the same language, they articulated compatible projects in their respective arenas: against the trend of expanding managerial control, both emphasized the intrinsic value of ordinary people’s participation in shaping all spheres of their lives, also in the workplace, and they presented this social element not as a desirable complement to political democracy but as a necessary condition of full democracy in their time. What do we make of this parallel? It was neither consciously intended by the historical actors, nor did it operate behind their backs; rather, it emerged organically in their discussions and then became an explicit topic of self-reflection. Assessing this development re-

45 Thus far, the Europäische Gespräche have attracted minimal scholarly interest. In this section, I reframe and expand my own earlier account in light of the above considerations; cf. Sean A. Forner, German Intellectuals and the Challenge of Democratic Renewal: Culture and Politics after 1945, Cambridge 2014, 300-303.

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quires taking two socio-historical arenas stereoscopically in view as well as exploring their intersection. The remainder of the essay will thus sketch some aspects of the postwar socio-economic order as well as the labor movement’s place within it and then discuss the first three Europäische Gespräche in that light. In schematic terms, this moment saw the consolidation of the postwar Fordist regime, with its attendant “politics of productivity,” forms of organization and regulation that built on interwar and wartime experiences and precedents. Welfare states and welfare capitalism were established across the industrialized “West,” under the signs of scientific management, mass production, and state intervention, as well as under the United States’ Cold War hegemony. These trends showed important national variations, but two common features are relevant here. First, corporatist settlements between employers and labor, overseen by the state and predicated on compromises from all sides, underlay the sustained growth of the postwar boom decades. As fully-integrated partners, unions conceded more rationalization and discipline – on the shop floor, in the street, and in parliament – and agreed to defer structural transformation or major redistributions for overall gains in productivity. What they got in return were robust social programs, wage guarantees, and mass consumption – the latter at first more of a promise than a reality, especially in the FRG.46 Second, a new stratum of civil servants, administrators, technicians, and researchers emerged to staff the various ministries, industry and labor groups, and think tanks that sought to coordinate society and economy. Flexing a newfound social power, these elites subscribed to what David Harvey has called a “high modernist” ideology of untrammeled “belief in linear progress […] and rational planning of ideal social orders.”47 And their technocratic aspirations corresponded well with the new institutional order they helped implement at the dawn of the postwar era. In short,

46 David Harvey, The Condition of Postmodernity: An Enquiry into the Origins of Cultural Change, Oxford 1989, esp. 125-139; Charles S. Maier, In Search of Stability: Explorations in Historical Political Economy, Cambridge 1987, esp. 121-184; Michael Wildt, Am Beginn der „Konsumgesellschaft“: Mangelerfahrung, Lebenshaltung, Wohlstandshoffnung in Westdeutschland in den fünfziger Jahren, Hamburg 1994. 47 Harvey, Condition of Postmodernity, 35f. In that sense, the first postwar decades represented a highpoint in the “scientification of the social” during the twentieth century, a “high modernist” peak in the era of “high modernity”; Lutz Raphael, Die Verwissenschaftlichung des Sozialen als methodische und konzeptionelle Herausforderung für eine Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, in: Geschichte und Gesellschaft 22. 1996, 165-193; Ulrich Herbert, Europe in High Modernity: Reflections on a Theory of the 20th Century, in: Journal of Modern European History 5. 2007, 5-21.

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this was a large-scale transition in which the working class and the bearers of expert knowledge were deeply implicated. In West Germany, the immediate field of the DGB’s activities, one version of this story played out.48 Its foundations were laid and its structural outlines clearly visible during the occupation years. Circa 1950, however, the new state had just been established and some of the terms of its social contract – particularly aspects of the capital-labor compromise – still appeared negotiable. For the shape of industrial relations in the FRG, this was in fact a key juncture. Although optimistic immediate postwar visions of socialization and direct worker control had faded, these energies now flowed into the campaign for “codetermination” (Mitbestimmung), or workers’ participation in economic decision-making at various levels. The goal, in DGB official Ludwig Rosenberg’s influential formulation, was that workers become “economic citizens” (Wirtschafts-Bürger) rather than remain mere “economic subjects” (Wirtschafts-Untertanen).49 In the Federal Republic’s first years, under a CDU government and during the early Cold War, the labor movement’s focus narrowed to codetermination at the level of individual firms. They managed to achieve this in full – from the works council in the plant to parity representation on the supervisory board, with unions formally involved – in the coal, iron, and steel industries. Under threat of a general strike, the CDU supported an SPD-sponsored law to that effect in 1951, based on a model established in the British occupation zone. The DGB’s subsequent bid to extend the same framework to the remainder of the economy, in contrast, failed. Demonstrations and warning strikes proved insufficient to block passage of a Works Constitution Law in 1952 that covered all other private firms. This legislation restricted codetermination to workplace and personnel issues, gave labor

48 See, e.g., James C. Van Hook, Rebuilding Germany: The Creation of the Social Market Economy 1945-1957, Cambridge 2004; Julia Angster, Konsenskapitalismus und Sozialdemokratie: Die Westernisierung von SPD und DGB, Munich 2003; Alexander Nützenadel, Stunde der Ökonomen: Wissenschaft, Politik und Expertenkultur in der Bundesrepublik 1949-1974, Göttingen 2005; Gabriele Metzler, Konzeptionen politischen Handelns von Adenauer bis Brandt: Politische Planung in der pluralistischen Gesellschaft, Paderborn 2005. 49 Diethelm Prowe, Ordnungsmacht and Mitbestimmung: The Postwar Labor Unions and the Politics of Reconstruction” in: David E. Barclay and Eric D. Weitz (eds.), Between Reform and Revolution: German Socialism and Communism from 1840 to 1990, New York 1998, 397-420; Ludwig Rosenberg, Vom Wirtschafts-Untertan zum Wirtschafts-Bürger, Köln 1948.

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only one-third representation on supervisory boards, and excluded unions from the process altogether.50 The first three Europäische Gespräche played out amid these events. Yet their origin had nothing to do with concrete policy aims and struggles, but rather with an arts festival: the Ruhrfestspiele, held annually in Recklinghausen from 1948 and sponsored jointly by the DGB and the city. This multi-week summer gala featured theater and opera as well as art exhibits, film, music, and dance – a culture festival for workers, in a paternalistic mode.51 Beginning in 1950, Europäische Gespräche were added to the program, three-day events to which the DGB invited a host of academics, publicists, pedagogues, officials, and a few politicians from across western Europe and occasionally the US. Most were sympathetic to the labor movement, and some were directly involved. At the inaugural meeting, fifteen participants from seven countries took part. The theme, “Workers and the Culture of the Present,” echoed that of the broader Ruhrfestspiele project. But the round-table discussion quickly left behind the conventional frame of bringing culture to the masses, as Walter Pahl, editor of the DGB’s theoretical organ, the Gewerkschaftliche Monatshefte, approvingly observed. All agreed that fixating on workers’ “receptivity” to high cultural goods missed the mark; instead, the decisive kind of culturedness involved workers’ “subjective power” to shape their lives as well as their society. And in the latter regard, they had a vital contribution to make.52 As British sociologist T. H. Marshall put it during discussion, a new order was in the making, one that

50 Christoph Kleßmann, Die doppelte Staatsgründung: Deutsche Geschichte 1945-1955, 5. ed., Göttingen 1991, 110-113, 236-239; Andrei S. Markovits, The Politics of the West German Trade Unions: Strategies of Class and Interest Representation in Growth and Crisis, Cambridge 1986, 72-83. 51 Matthias Franck, Kultur im Revier: Die Geschichte der Ruhrfestspiele Recklinghausen 1946-1956, Würzburg 1986; Hermann Pölking (ed.), 50 Jahre Ruhrfestspiele Recklinghausen, Bottrop 1996. In the bitter winter of 1946/7, Recklinghausen miners supplied freezing Hamburg actors with coal; in thanks, the latter returned to perform in 1947. Out of this “Kunst für Kohle” transaction grew the Ruhrfestspiele. 52 Franck, Kultur im Revier, 97f; Pölking (ed.), 50 Jahre Ruhrfestspiele, 38, 40; Walther Pahl, Die Arbeiterschaft und die Kultur der Gegenwart: Ein europäisches Gespräch, in: Gewerkschaftliche Monatshefte 1. 1950, 297-302, quote 299. There are no published proceedings of the first Gespräch, only Pahl’s report and an earlier summary distributed to participants: “1. Internationales Gespräch über ‘Die Arbeiterschaft und die Kultur der Gegenwart,’” Juli 1950, Stadt- und Vestisches Archiv Recklinghausen, Bestand Ruhrfestspiele, K 1.

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would be carried by a new class. Just as the aristocracy had birthed the “gentleman” and the bourgeoisie the “entrepreneur,” so the working class would bring a different social type to preeminence, one “capable of mastering the special demands of the technological age.” German left-Catholic publicist Walter Dirks and his colleague Eugen Kogon, a sociologist and political scientist, elaborated on this thought: workers’ distinctive ethos of “solidarity” could be the wellspring of this new kind of person. Workers’ culture in that sense was bound up above all with the character of their activities in the workplace, at the sites where solidarity was directly practiced. Unfortunately, it was just there that workers faced “growing technicization and functionalization” – thus “dehumanization” – in a labor process that operated not under their own conscious control but under that of owners – or rather, increasingly, that of “managers.”53 The problem, in other words, was alienation, and the proposed solution, heartily endorsed by the DGB representative, was not the de-mechanization or de-specialization of work but maximal codetermination in the life of the firm. This would set “a new, free labor constitution” as the cornerstone of “a new social order” and secure human “dignity and freedom” under contemporary conditions.54 To be sure, participants did not speak with one voice. Some remained skeptical of outsized claims for the transformation of work itself, such as sociologist Alfred Weber (Max’s younger brother). Others continued to emphasize more traditional goals, such as Hans Gottfurcht, a Weimar-era union official now at the International Confederation of Free Trade Unions in Brussels who focused on breaking the class monopoly on Bildung. Nevertheless, the question of workers and culture had readily passed over into the “problem of mass democracy” in a managerial age. Coming to grips with this, participants asserted, would require an alliance of “practitioners” and “theoreticians.”55 These became the themes of the second Europäisches Gespräch in 1951, titled “Manager – Worker – Culture.”56 The attention to managers was now framed explicitly with reference to the influential 1941 study The Managerial

53 Pahl, Die Arbeiterschaft, 299f; “1. Internationales Gespräch,” 3f. Kogon and Dirks quoted Marx, on whose early critique of alienated labor they drew; their comments resonated also with the young Lukács’s claims regarding the proletariat’s privileged standpoint for de-reification. 54 Pahl, Die Arbeiterschaft, 300f. 55 Ibid., 298, 300f. 56 Pahl, Manager – Arbeiter – Kultur: Europäisches Gespräch, in: Gewerkschaftliche Monatshefte 2. 1951, 457-462. The title’s sequence would be revised for the published proceedings; Ernst von Schenck (ed.), Arbeiter, Manager, Kultur, Köln 1952.

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Revolution, by American ex-Trotskyist and strident Cold Warrior James Burnham. He argued that capitalism was in fact being superseded, not by socialism but by a “managerial society” that had set the industrial West down a path to join Soviet Russia and Fascist Germany in a collectivist, centralized, decidedly postliberal future. Hotly debated in the Anglophone world from its publication, the book had been translated into Italian, French, German, and Chinese by 1948 (with Japanese, Russian, and Polish editions soon to follow) and was enjoying a lively global reception.57 It was widely read in conservative circles, where contemporary anxieties about “massification” and the technological age were often aired. Yet it also made ripples in other political quarters, not least among leftists and in the labor movement, which wrestled with both Burnham’s diagnosis and his prescriptions. In German-speaking Europe as elsewhere, the book seemed to strike a chord, bringing long-debated themes and issues into sharp relief for the present. It was prominently reviewed and extensively discussed in diverse venues, and its reception was further encouraged by Burnham’s own presence as a contributor to the West Berlin journal Der Monat and a central figure in the associated Congress for Cultural Freedom, an international anti-Communist organization founded there in 1950.58 At Recklinghausen, Burnham’s thesis per se figured less prominently than his central image: a world of large-scale, interlocking institutions ruled by an elite caste of bureaucrats and technicians. The first session developed a diagnosis

57 James Burnham, The Managerial Revolution: What is Happening in the World, New York 1941; James Burnham, Das Regime der Manager, transl. Helmut Lindemann, Stuttgart 1948. On the text and its reception, see Daniel Kelly, James Burnham and the Struggle for the World: A Life, Wilmington, DE 2002, 91-104. 58 Marcus M. Payk, Der Geist der Demokratie: Intellektuelle Orientierungsversuche im Feuilleton der frühen Bundesrepublik: Karl Korn und Peter de Mendelssohn, Munich 2008, 228-231, 243f; Morten Reitmayer, Elite: Sozialgeschichte einer politischgesellschaftlichen Idee in der frühen Bundesrepublik, Munich 2009, 138f, 335; Paul Sering [Richard Löwenthal], Jenseits des Kapitalismus: Ein Beitrag zur sozialistischen Neuorientierung, Lauf b. Nürnberg 1946, 46-49, 66-73, 260f; Rosenberg, Vom Wirtschafts-Untertan, 5-8; Franz Borkenau, Die Revolution der Manager, in: Merkur 3. 1949, 487-494; Jürgen Kuczynski, Die Revolution der Direktoren und andere gefährliche Gespinste der bürgerlichen Ideologie, Berlin 1949; Helmut Schelsky, Berechtigung und Anmaßung in der Managerherrschaft, in: Gewerkschaftliche Monatshefte 1. 1950, 131140; Golo Mann, James Burnham, der Philosoph und der Politiker, in: Neue Schweizer Rundschau N.F. 18. 1951, 719-730; Michael Hochgeschwender, Freiheit in der Offensive? Der Kongress für kulturelle Freiheit und die Deutschen, Munich 1998.

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of contemporary society, in a discussion involving Kogon, Dirks, Alfred Mozer of the Dutch Labor Party, Swiss Jesuit Jakob David, union economist Franz Grosse, pedagogue Grete Henry-Hermann, political scientist Dolf Sternberger, and others. All across the “mass societies” of the “increasingly administered world,” Kogon asserted in his opening statement, “technical developments” were subsuming individuals in what he called “collectives” of various sorts, beginning in the economy and spreading outward from there. In the East, where state and society were forcibly fused, this degenerated into “collectivism.” In the West, by contrast, where “collectives” were in principle voluntary, Kogon saw the potential for a diversity of such units – not only firms, unions, parties, and state administrations but also civic groups, economic associations, families, or church congregations – to re-differentiate the de-differentiated “masses.” In actuality, however, it was the proliferation of such “collectives” that had brought forth the “managers,” who held the formative “lever positions” in society. Kogon’s fellow conferees voiced concerns about this expanding domain of decision-making beyond public oversight or democratic control, legitimated by expertise and technical know-how. At the same time, they recognized that there was no turning back the clock. Managers were an unavoidable – indeed, indispensable – concomitant of advanced industrial civilization. The task was, as Dirks put it, “to determine their […] responsibilities more precisely […] and see how they can be embedded in a solidaristic society.”59 He now invoked solidarity, that distinctive ethic of the working class, as a practical concept to displace and subsume managerialism as an organizing socio-political principle. What this might look like was addressed under the heading of “overcoming merely formal democracy.”60 In his introduction to the session, Swiss philosopher, novelist, and Euro-federalist Ernst von Schenck defined democracy as the “general and fundamental right to codetermination” expansively applied, in which “all mature […] individuals” would “have a say […] in the arrangement of a whole people’s affairs.”61 Institutions such as periodic elections and mass parties were insuf-

59 Schenck (ed.), Arbeiter, Manager, Kultur, 1-20, 26-37, quotes 3, 6; Pahl, Manager – Arbeiter – Kultur, 458. 60 The opposition of “formal” to substantive, material, or real democracy has a long tradition in socialist thought and in the labor movement; it was alive in debates both within and outside the unions in immediate postwar Germany, and it was enshrined in the DGB’s founding Munich program of 1949. From a different ideological vantage, this opposition was also prominent in the interwar anti-parliamentary critiques of conservatives and radical nationalists. 61 Schenck (ed.), Arbeiter, Manager, Kultur, 39-48, quotes 42, 46.

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ficient to realize this right in politics, and the development of capitalism had exempted the economic sphere of social life from even such limited controls. Worse, these problems were only exacerbated by the gradual accumulation of effective authority in the hands of a new managerial stratum. While several responses cautioned against disparaging “formal democracy’s” achievements and potentials, all endorsed the identification of democracy with codetermination, the parallels drawn between polity and economy, and the call for new forms of broad-based, direct participation. Various other issues were raised – by Mozer, who advocated cultivating dispositions toward active citizenship via political education; by Erich Potthoff, a DGB economist, who discussed the corporation’s separation of ownership and control as a form of de-democratization; and by E. F. Schumacher, a protégé of J. M. Keynes and advisor to Britain’s National Coal Board, who raised full employment as a necessary condition of workers’ political clout. Still, the conversation’s dominant thread remained the importance of codetermination as a counter to managerialism in all forms. The final session returned to the larger “cultural” relevance of codetermination in the workplace itself: by counteracting heteronomy and “humaniz[ing] the labor process,” it furthered workers’ capacities for autonomy in all realms.62 Much of the discussion moved at this abstract level, and in his subsequent report, Pahl urged his fellow DGB members to be patient with the lack of concrete strategies and proposals; after all, this was “basic research” into the emergent contours of the present, a necessary preliminary to action. Besides, it was the unions’ prerogative to decide “what practical consequences to draw” from intellectual debates.63 And draw them they did. If the Europäisches Gespräch of 1951 had basked in the glow of the DGB’s and SPD’s legislative victory in the coal, iron, and steel industries, the 1952 event took place amid heated public debates over organized labor’s political role, triggered by the mobilizations to demand more robust codetermination provisions in the proposed Works Constitution Law. That year’s theme was “Unions in the State,” and DGB head Christian Fette laid out the union’s basic position in his opening address: their protest campaign defended the very “rights that animate a social democracy,” which the FRG claimed to be. Of course, he insisted that the unions sought an open exchange of different views at Recklinghausen, to enrich both their internal debate and the broader public one.64 Yet the goal was clearly to take stock of unions’ status internation-

62 Ibid., 57-59, 67-70, 72-74, 83f, 104-108, 135-140, quote 108. 63 Pahl, Manager – Arbeiter – Kultur, 457f. 64 Christian Fette, Das Europäische Gespräch 1952, in: Gewerkschaftliche Monatshefte 3. 1952, 449.

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ally and to develop a program to overcome the deficits of “formal democracy” in the FRG by asserting unions’ vital and legitimate political role within the larger public arena. To begin the conference, a trio of talks by top labor intellectuals – Franz Grosse, lead economist for the miners’ union; Otto Stammer, SPD member and political sociologist at West Berlin’s Free University; and Viktor Agartz, head of the DGB’s Economics Institute – surveyed the contemporary situation of organized labor in Western democracies, in Eastern authoritarian systems, and in relation to the liberal-capitalist state. Guests from Britain (John Hynd, a union official and Labour MP), France (Joseph Rovan, an adult educator and HICOG official), and the Netherlands (Mozer) then focused in on their respective countries.65 The detailed analyses of the German situation presented by Sternberger, Kogon, and Weber, however, provoked the most vigorous discussion. Sternberger asserted a legitimate but circumscribed political role for unions, grounded in the right of all social groups or “minorities” to organize themselves and exert nonelectoral pressure in advocating their “particular interest.” Kogon countered with an argument from the earlier Gespräche: given unions’ broad social basis and their ethos of “solidarity,” they were in a unique position to develop an “image of order” with “general” validity.66 Weber concurred, embedding the point in a larger discussion of state theory. The dominant, liberal-juridical view of the state, he asserted, effectively conflated it with the constitution and privileged it as the fixed, stable center of politics. This rendered any “extraparliamentary” factors – political forces not enumerated in the constitution and active outside its sanctioned institutions – illegitimate. What this perspective failed to recognize, Weber argued, was that the state was properly understood not as a static “condition” or “agency” but as an ongoing “integration process” in which – under conditions of popular sovereignty – “all have a decisive say.” Although constitutional institutions were one privileged framework for that process, unions were another vital “integration factor,” distinctive in that they shared the state’s aim of “democratic integration.” Their mission, a universal one, was to advance the frontier of self-rule and human dignity, as the campaign for codetermination did in present-day “mass democracy.” If the state, narrowly construed, failed to defend such gains – for instance, by attempting to roll back codetermination rights that had already been established and validated in the court of “public opinion” –

65 Wolfgang Hirsch-Weber (ed.), Gewerkschaften im Staat, Köln 1955, 39-103. 66 Ibid., 120-123, 199-203. Published as: Sternberger, Parlamentarismus, Parteien, Verbände, and Kogon, Die Gewerkschaften in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklung, in: Gewerkschaftliche Monatshefte 3. 1952, 473-477, 482-487.

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then it was the unions’ duty to take extraordinary measures, up to and including the general strike. Weber justified such actions via the “right to resist” illegitimate authority enshrined in post-Nazi constitutional discourse. His talk was widely and warmly received within the DGB, published not only in its journal, alongside the others, but also as a self-standing brochure.67 Nonetheless, from 1952, this phase of what they called the “struggle for codetermination” met only with defeats, and by mid-decade, it had fizzled out. In themselves, these early Europäische Gespräche shed light on several important issues in postwar West German history. They encourage us to assess intellectual diagnoses of “mass society” in the 1950s in a differentiated way; too often, intellectual historians have distinguished insufficiently between left- and right-leaning variants of Kulturkritik.68 In Recklinghausen, concerns over “technology” and “alienation” culminated not in anti-democratic or anti-modern laments but in a debate over how to realize “democracy” in a new stage of advanced industrial society, precisely in and through “the masses.” What is more, these meetings of intellectuals and unionists imply that a broader history of participation in political thought and practice after 1945 remains to be written.69 While calls for “participatory democracy” and “self-management” were certainly signatures of the 1960s New Left, the early postwar conflicts around codetermination are redolent of just such commitments, suggesting that they have a longer and richer postwar genealogy than we are presently aware. This, then, brings us directly to questions of theory and method. How would we conceptualize and write such a history? In the case presented above, the concerns of early West German trade unions, on the one hand, and their intellectual

67 Wolfgang Hirsch-Weber (ed.), Gewerkschaften im Staat, 125-139, quote 125, 130, 133f, 136; Weber, Staat und gewerkschaftliche Aktion, in: Gewerkschaftliche Monatshefte 3.8 1952, 478-482; Weber, Staat und gewerkschaftliche Aktion, Köln (1954). On the theories of Rudolf Smend and his school, on which Weber drew, see Frieder Günther, Denken vom Staat her: Die bundesdeutsche Staatsrechtslehre zwischen Dezision und Integration 1949-1970, München 2004. 68 See, e.g., Axel Schildt, Moderne Zeiten: Freizeit, Massenmedien und “Zeitgeist” in der Bundesrepublik der 50er Jahre, Hamburg 1995, esp. 324-350; Monika Boll, Nachtprogramm: Intellektuelle Gründungsdebatten in der frühen Bundesrepublik, Münster 2004. 69 On this point, see also the stimulating reflections by Belinda Davis, What’s Left? Popular Political Participation in Postwar Europe, in: American Historical Review 113. 2008, 363-390.

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allies and interlocutors, on the other, converged on the shared ground of “codetermination” as democratic control and strikes as democratic politics, whether these were practiced in response to new efforts at labor control and discipline or theorized in response to an image of “managerial society.” To analyze such projects together, as different but parallel responses to a shared challenge, requires post-idealist tools that also avoid the pitfalls of earlier materialisms. For this, the “imaginary” offers a promising point of departure, since it would account for intellectuals’ discourses and unions’ activism with reference to their common societal ground, in the large-scale transformations that destabilized established ways of understanding and relating to the social order and opened the door to a creative but not entirely unstructured process of conceiving alternatives. Put otherwise, the “social imaginary” perspective aims to relate forms of consciousness to social forms in some systematic way, an old Marxian desideratum that might again be pursued – in both neo- and post-Marxist modes – today. This example also points to two more general benefits of imaginary intellectual history. First, it can respond to contemporary calls to move “beyond the cultural turn,” on its own behalf as well as for the amalgam “intellectual and cultural history.”70 Such calls are far from new, and they may now be bearing fruit; witness, for example, the recent revival of economic history in what has been called a “new materialism.”71 Still, the discipline as a whole continues to wrestle with how the longstanding preeminence of cultural approaches – which eclipsed social and economic ones just as the latter had older political and intellectual ones – might most productively be disturbed.72 Like other perspectives that see ideas as a species of cultural artifact, a focus on the social imaginary breaches the line between intellectual and cultural history. Its logic, however, moves both approaches beyond their conventional idealism by asking after the reciprocal coconstitution of cultural representations and other kinds of social practice – how do patterns of practice help render certain kinds of thoughts and affects salient

70 For a critical interrogation of this amalgamation, see Judith Surkis, “Of Scandals and Supplements: Relating Intellectual and Cultural History,” in: McMahon and Moyn (eds.), Rethinking, 94-111. 71 Victoria E. Bonnell and Lynn Hunt (eds.), Beyond the Cultural Turn: New Directions in the Study of Society and Culture, Berkeley 1999; Kenneth Lipartito, Reassembling the Economic: New Departures in Historical Materialism, in: American Historical Review 121. 2016, 101-139, quote 135. 72 Geoff Eley, A Crooked Line: From Cultural History to the History of Society, Ann Arbor 2005; Sewell, Logics of History; Wilder, From Optic to Topic: The Foreclosure Effect of Historiographic Turns, in: American Historical Review 117. 2012, 723-745.

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and meaningful, and how do representations infuse and help institutionalize certain practices? This would both preserve and transcend the gains of the “turns” that poststructuralist theory has inspired by re-engaging old questions of structure on new ground. Second, this approach can address the long-standing charge leveled against intellectual history by first social, then cultural history: the charge of elitism. From the perspective of the social imaginary, all social practices are in some sense intellectualized – conceptually informed, affectively invested, and intentionally driven. It insists that the practical activities of ordinary people bear theoretical commitments implicit within them, ones that instantiate, reinforce, or challenge the basic reference points of social order.73 With that, intellectual history is no longer the exclusive province of elites. Moreover, imaginary significations are no less likely to bubble up from the level of general social practices and from non-elite actors as they are to trickle down from the level of intellectuals and their discourses. This aspect should be of no small consequence for any contemporary revival of intellectual history. Does this mean that our field as a whole should become post-idealist, in the sense elaborated here? The collection edited by McMahon and Moyn is framed as an intervention into complacency, at a time when approaches that rest on incompatible assumptions flourish untroubled, side-by-side. In the spirit of the “serious […] eclecticism” proper to intellectual history as a “rendezvous discipline,” defended elsewhere in that same volume, I would resist such an assessment.74 To be sure, more vigorous debate can only be salutary, helping us to clarify our positions and their implications. At the same time, a new consensus on the epistemological and methodological foundations of our practice seems not only unlikely but also undesirable. Surely research objects and questions should determine our methods and concepts, in which case the latter may legitimately remain as diverse and plural as the former. If some account of the societal codetermination of ideas is at stake in one’s question – as it is, for example, in my question about “managerialism” in the 1950s – then imaginary intellectual history offers a useful approach.

73 See also Moyn, Imaginary Intellectual History, 120. 74 McMahon and Moyn, Introduction, in: idem (eds.), Rethinking; Warren Breckman, Intellectual History and the Interdisciplinary Ideal, in: McMahon and Moyn (eds.), Rethinking, 275-93, quotes 290.

Ideen, Handlungen und Gründe in der Ideengeschichte D. T IMOTHY G OERING

E INLEITUNG In welchem Verhältnis stehen Ideen und Handlungen? Wie sollen Ideenhistoriker diesen Zusammenhang in der historischen Forschung thematisieren? Wenn Ideenhistoriker behaupten, Ideen hätten dazu beigetragen, eine Revolution anzustiften, Reformen einzuleiten oder Personen zu motivieren, bestimmte Handlungen zu vollziehen, was meinen sie damit genau? Wie haben Ideen diese Handlungen genau verursacht, motiviert oder beeinflusst? Alle Ideenhistoriker gehen – zumindest implizit – davon aus, dass Ideen das Handeln historischer Akteure auf irgendeine Art und Weise beeinflussen können. Wenn Ideen lediglich als abstrakte Vorstellungen der theoretischen Vernunft von menschlichen Handlungen völlig isoliert wären und keinerlei Wirkung auf das Handeln ausüben könnten, dann wäre die Ideengeschichte als historische Disziplin eine müßige, akademische Beschäftigung. Sie wäre genau genommen keine historische Disziplin, da die Entwicklung der Geschichte handelnde Akteure voraussetzt.1 Es ist dem-

1

Zwischen den astrophysischen Entwicklungen der Kosmologie und den kulturellen Entwicklungen von homo sapiens besteht meines Erachtens ein kategorischer Unterschied, da die zweite Entwicklungsreihe handelnde Akteure besitzt. Der Vorgang der primordialen Nukleosynthese oder die Expansion des Universums gehört zu Recht nicht zur historischen Disziplin, weil die Bewegungen nicht-intentionaler Gegenstände keine Geschichte im engen Sinne hervorbringen. Siehe: Doris Gerber, Analytische Metaphysik der Geschichte. Handlungen, Geschichten und ihre Erklärung, Frankfurt a.M. 2012.

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nach ein feststehendes Anliegen der Ideengeschichte, zu behaupten, dass Ideen das Handeln von Menschen lenken und motivieren können. Und damit ist die Frage aufgeworfen, wie man sich das Verhältnis zwischen Ideen und Handlungen im Detail vorzustellen hat. Wie kann eine Theorie der Ideengeschichte einen methodisch legitimen Standort einnehmen und den Zusammenhang zwischen Ideen und Handeln plausibel machen, ohne dabei in eine philosophisch unhaltbare Position getrieben zu werden? Es gibt bisher eine Anzahl ganz unterschiedlicher Ansätze innerhalb ideengeschichtlicher Forschung, die das Zusammenspiel zwischen Ideen und Handlungen erklären und methodisch fassbar machen. Anleihen für eine solche Theorie könnte man zum Beispiel bei Michel Foucault und der Diskursanalyse machen. In seinem frühen Werk hat Foucault demonstriert, wie Ideen durch regulierende, gesellschaftliche Prozesse in Diskurse gebündelt werden, die sich wiederum zu einem zusammenwirkenden Aggregat von Ideen (von Foucault épistémè genannt) verbinden lassen. Ideen über den Staat, über das Strafen oder über das gute Leben treten daher immer nur vernetzt in einer épistémè auf. Handlungen werden nach Foucault nicht von einem autarken, intentional handelnden Akteur vollzogen, sondern sind stattdessen immer eingebettet in den individuellen Diskursen, die ihrerseits Handlungsmöglichkeiten und –grenzen regulieren. Besonders wenn Foucault in seinen späteren Werken untersucht, wie Regeln der Lebensführung, die er Selbsttechnologien nennt, entstehen und vorgeschrieben werden, wird sinnfällig, wie Ideen und Handlungen auf einer Metaebene zusammenhängen.2 Es geht in diesem Ansatz allerdings nicht vordergründig um individuelle Handlungen von bestimmten Akteuren, sondern um Bedingungen von Handlungspraktiken, die Ideen etablieren können. Auch Pierre Bourdieu hat in seinen soziologischen Studien stets den Zusammenhang zwischen Ideen und Handlungen aufgespürt. Am detailliertesten verfolgte er diesen Zusammenhang in seinem Werk La distinction. Critique sociale du jugement (1979).3 Auch hier wird das Handeln nicht als die freie Ausübung eines Individuums verstanden, sondern immer als das soziale Handeln, das diverse unausgesprochene Regeln in sich birgt. Für Bourdieu ist in den Dispositionen des alltäglichen Handelns und in den Existenzbedingungen von Abgrenzungspraktiken eine gesellschaftlich geordnete Struktur eingeschrieben. Un-

2

Siehe besonders: Michel Foucault, Technologien des Selbst, in: Daniel Defert und François Ewald (Hgg.), Ästhetik der Existenz. Schriften zur Lebenskunst, Frankfurt a.M. 2007, S. 287–317.

3

Auf Deutsch: Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt a.M. 19925.

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tersucht man Ideen, die diese ordnende Struktur aufrechterhalten, so erfährt man, wie Ideen soziale Praktiken regulieren und vorbestimmen können. Auf ähnliche Weise haben auch andere Autoren wie Hans Blumenberg, Ernst Cassirer oder Reinhart Koselleck demonstriert, wie Metaphern4, symbolische Formen5 und politische Begriffe6 gesellschaftliche Praktiken und politische Handlungsräume vorstrukturieren, indem sie Vorstellungswelten und Denkhorizonte bestimmen. Sucht man nach den methodischen Fundamenten innerhalb der gegenwärtigen deutschen Ideengeschichte, die den Zusammenhang zwischen Handeln und Ideen erkennbar machen, so stößt man auf einen stillen konstruktivistischen Konsens, der lose an die Modelle von Foucault, Bourdieu, Koselleck und andere anschließt. Lutz Raphael schrieb in dem Sammelband Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft im Europa der Neuzeit: „Die Mehrzahl der in diesem Band beteiligten versammelten Beiträge eint die Überzeugung von der wirklichkeitskonstituierenden Kraft von Ideen und Symbolen.“7 Vor allem die Schlagworte „Ordnung“ und „Entwürfe“ sind im Zuge der Rehabilitierung der deutschen Ideengeschichte zu analytischen Schlüsselbegriffen emporgestiegen, die stets den Blick darauf lenken wollen, wie Ideen die Wirklichkeit einer Gesellschaft konstruieren und zugänglich machen. Das Vorhaben der neuen Ideengeschichte wurde bisher mit einem Gesellschaftskonstruktivismus fundiert, der postuliert, dass Ideen deshalb ein relevanter Gegenstand historischer Forschung seien, weil sie Einblicke in die epistemischen und doxastischen Horizonte vergangener Vorstellungswelten und Mentalitäten geben. Stichworte einer theoretisch-philosophischen Ver-

4

Siehe vor allem: Hans Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie, Frankfurt a.M. 19985.

5

Siehe vor allem: Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen. Erster Teil. Die Sprache, Hamburg 2010; Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen. Zweiter Teil. Das mythische Denken, Hamburg 2010; Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen. Dritter Teil. Phänomenologie der Erkenntnis, Hamburg 2010.

6

Siehe vor allem Reinhart Koselleck (Hg.), Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a.M. 1984; Reinhart Koselleck, Einleitung, in: Otto Brunner u.a. (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politischsozialen Sprache in Deutschland (= Bd. 1), Stuttgart 1974, S. XIII–XXVII.

7

Lutz Raphael, Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft im Europa der Neuzeit: Bemerkungen zur Bilanz eines DFG-Schwerpunktprogramms, in: Lutz Raphael und Heinz-Elmar Tenorth (Hg.), Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft im Europa der Neuzeit. Beiträge für eine erneuerte Geistesgeschichte (= Ordnungssysteme, Bd. 20), München 2006, S. 11–27, hier S. 26.

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teidigung dieser Position müssten wohl so lauten: Die epistemologische Brücke von der externen Welt zu erkennenden Akteuren schlägt ein organisierendes Deutungsschema von Ideen, das sich als Folie der ganzen Welt unterlegt. Diese epistemische Folie existiert deshalb, weil das „Ding an sich“ keinem Erkenntnissubjekt als solchem zugänglich ist, sondern stets vermittelt wird durch Kategorien, symbolische Formen, Begriffe oder Ordnungsentwürfe, die sich als Produkte einer Gesellschaft der historischen Untersuchung unterwerfen lassen. Wie schon bei Foucault oder Bourdieu geht es in diesem Ansatz nicht um individuelle Handlungen bestimmter Akteure, sondern man kommt den Bedingungen von Handlungspraktiken auf die Spur. In diesem Aufsatz plädiere ich für eine Perspektivenerweiterung der ideengeschichtlichen Theorie und Praxis, die zusätzlich zu den Bedingungen der Handlungspraktiken auch das Handeln individueller Akteure in den Blick nimmt. Eine Ideengeschichte, die anhand von Begriffen, Diskursen oder Ordnungsentwürfen ausschließlich Möglichkeitsräume und gesellschaftliche Ordnungsentwürfe auslotet, wird nur vage die praktische, handlungssteuernde Grundlage fassen, die Ideen für das alltägliche Handeln von Individuen bilden können. Ideen entfalten nicht nur wirklichkeitskonstruierende Kräfte, ihnen wohnen auch handlungssteuernde Kräfte inne. Ein solches Plädoyer gelingt nur, wenn der Zusammenhang zwischen Ideen und Handlungen plausibel gemacht wird. Daher wird die Äußerung, dass Ideen eine handlungssteuernde Kraft innewohnt, die das Handeln von Individuen lenken können, theoretisch-philosophisch präzisiert. Es ist das Hauptanliegen dieses Aufsatzes, Handlungsgründe als weiterer Analysebegriff der ideengeschichtlichen Forschung vorzuschlagen. Der Begriff des Handlungsgrundes sollte neben anderen Analysebegriffen wie Diskurs, Metapher, Begriff, Ideologie oder Ordnungsentwurf dem methodologischen Werkzeugkasten des ideengeschichtlichen Arbeitens hinzugefügt werden.8 Im Folgenden argumentiere ich, dass (I.) Handlungsgründe von Wünschen oder Begehren ontologisch zu trennen sind. Handlungsgründe können also trotz entgegenwirkender Wünsche handlungslenkend wirken. (II.) Historiker können jedoch niemals die tatsächlichen Gründe rekonstruieren, die für das Handeln ei-

8

Es sollte jedoch betont werden, dass es in diesem Aufsatz mehr um theoretischphilosophischen Aspekte geht als um eine neue ideengeschichtliche Methode. Das heißt, der Erkenntnisgewinn dieses Aufsatzes soll darin liegen, das Verhältnis zwischen Ideen und Handeln theoretisch zu erfassen und mit dem Begriff des Handlungsgrundes zu artikulieren. Wie diese Einsichten in der ideengeschichtlichen Praxis eingelöst werden, ist eine Frage, die in diesem Aufsatz nicht im Detail beantwortet werden kann.

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nes Akteurs ausschlaggebend waren. Dennoch können Handlungsgründe, selbst wenn sie nachträgliche Rationalisierungen sind, handlungsleitende Kraft entfalten, weil sie in der sozial-diskursiven Praxis des Gebens und Forderns von Gründen partizipieren, die das Handeln auf sozial-evolutionäre Umwegen lenken können. (III.) Wer daher über handlungssteuernde Ideen spricht, spricht über Ideen, die Handlungsgründe liefern, plausibel machen oder in Frage stellen und die in der diskursiven Praxis des Gebens und Forderns von Gründen Erfolg haben. Abschließend wird (IV.) auf normative Begründungskontexte und auf die enge Verbindung zwischen Macht und Gründen verwiesen.

I. Am 4. Oktober 1943 hielt Heinrich Himmler im Rathaus Posens vor einer Gruppe SS-Offiziere eine Rede und sprach dabei unter anderem über die systematische Ermordung der Juden. „Ich will hier vor Ihnen in aller Offenheit auch ein ganz schweres Kapitel erwähnen“, sagte er. „Unter uns soll es einmal ganz offen ausgesprochen sein, und trotzdem werden wir in der Öffentlichkeit nie darüber reden. […] Von Euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn 100 Leichen beisammen liegen, wenn 500 daliegen oder wenn 1000 daliegen. Dies durchgehalten zu haben, und dabei – abgesehen von Ausnahmen menschlicher Schwächen – anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht und ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte. Denn wir wissen, wie schwer wir uns täten, wenn wir heute noch in jeder Stadt – bei den Bombenangriffen, bei den Lasten und bei den Entbehrungen des Krieges – noch die Juden als Geheimsaboteure, Agitatoren und Hetzer hätten. Wir würden wahrscheinlich jetzt in das Stadium des Jahres 1916/17 gekommen sein, wenn die Juden noch im deutschen Volkskörper säßen.“9

Himmler sprach hier über die rapide zugenommenen Mordaktionen an der jüdischen Bevölkerung durch deutsche Soldaten. Dass auch wehrlose jüdische Frauen und Kinder erschossen werden sollten, war für einige deutsche Soldaten – vor allem am Anfang des Krieges – eine psychologische Belastung. Das Mittel, zu dem Himmler in dieser Rede griff, um die angesprochenen „menschliche[n] Schwächen“ zu überwinden, war die diskursive Rechtfertigung, die mit der Lieferung von Handlungsgründen einherging. Er rechtfertigte das Handeln der Sol-

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Zitiert nach: Peter Longerich, Heinrich Himmler. Biographie, München 20102, S. 708f.

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daten unter anderem mit dem Argument einer Art temporal ausgedehnten Notwehr. Hätten die Soldaten jüdische Säuglinge und potentielle Mütter am Leben gelassen, so Himmlers Argument, dann hätten diese Überlebende eine Generation später versucht, das deutsche Volk umzubringen. Um sich selbst und das deutsche Volk zu schützen, wurden daher auch unschuldige Frauen und Kinder ermordet. Dass die Soldaten trotz einiger „menschlicher Schwächen“ aus diesen Gründen handelten und in Zukunft so handeln würden, habe sie „anständig“ gemacht.10 „Wir haben das moralische Recht,“ sagte Himmler darauf, „wir hatten die Pflicht unserem Volk gegenüber das zu tun, dieses Volk, das uns umbringen wollte, umzubringen. […] Ich hielt mich nicht für berechtigt, die Männer auszurotten […] und die Rächer in Gestalt der Kinder für unsere Söhne und Enkel groß werden zu lassen.“11 Die Argumente, die Himmler in seiner Rede benennt, die das Töten von unschuldigen Juden rechtfertigten und motivierten, waren nicht neu. Sie zirkulierten schon längst unter den Soldaten. „Wir kämpfen diesen Krieg heute um Sein oder Nichtsein unseres Volkes“, schrieb ein Angehöriger eines Sonderkommandos der Einsatzgruppe C in einem Brief nach der Babyn Jar Mordaktion bei Kiew im August 1941. „Ihr in der Heimat spürt es Gott sei Dank nicht zu sehr. Die Bombenangriffe haben aber gezeigt, was der Feind mit uns vorhat, wenn er die Macht dazu hat. Die Front erfährt es auch Schritt und Tritt. Meine Kameraden kämpfen buchstäblich um das Sein unseres Volkes. Sie machen dasselbe, was der Feind machen würde. Ich glaub, Du verstehst mich. Da dieser Krieg nach unserer Ansicht ein jüdischer Krieg ist, spüren die Juden ihn in erster Linie.“12

Ein weiterer Soldat war im Oktober 1941 beteiligt, als in Weißrussland tausende Juden erschossen wurden. „Ich war also auch dabei bei dem großen Massensterben am vorgestrigen Tage“, schrieb er in einem Brief an seine Frau. „Bei den ersten Wagen hat mir etwas die Hand gezittert. Beim zehnten Wagen zielte ich schon ruhig und schoss sicher auf die vielen Frauen, Kinder und Säuglinge. Ein-

10 Zu den „moralischen Gefühlen“ der „alltäglichen NS-Moral“ siehe: Raphael Gross, Anständig geblieben. Nationalsozialistische Moral, Frankfurt a.M. 2012. 11 Longerich, Heinrich Himmler, S. 709. 12 Zitiert nach Christian Ingrao, Hitlers Elite. Die Wegbereiter des nationalsozialistischen Massenmords, übersetzt von Enrico Heinemann und Ursel Schäfer, Berlin 2012, S. 237.

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gedenk dessen, dass ich auch zwei Säuglinge daheim habe, mit denen es diese Horden genauso, wenn nicht zehnmal ärger machen würden.“13 Selbstverständlich sind die psychologischen „Referenzrahmen“14 und das Ordnungssystem der nationalsozialistischen Ideologie als ideengeschichtliche Erklärungsmodelle wichtig, um das Handeln dieser Soldaten zu erklären. In diesen Beispielen wird schließlich deutlich, dass der moralisch-ideologische Kosmos des Nationalsozialismus durch andere Werte strukturiert war als die der europäischen Gesellschaften im 21. Jahrhundert. Die Vorstellung, dass ein Volk für die globale Zersetzung der Menschheit verantwortlich gemacht werden könne und deshalb ausgerottet werden müsse, stößt heute auf kategorischen Widerspruch und könnte keine wirklichkeitskonstituierende Kraft entfalten. Die NSIdeologie ist mit dem Untergang des Dritten Reiches zerbrochen und will man die Handlungen und Verbrechen der Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg erklären, so muss man selbstverständlich das radikale Ordnungsdenken totalitärer Herrschaften ideengeschichtlich rekonstruieren.15 Dennoch muss betont werden, dass nicht eine Weltanschauung, eine Ideologie oder ein abstraktes Ordnungssystem, sondern zunächst Handlungsgründe in den Quellen genannt werden, wenn man nach handlungsleitenden Ideen des Nationalsozialismus sucht. Ideen des Volks, des Lebensraums, der Rassenungleichheit und weitere zentrale Ideen der NS-Ideologie mussten von Soldaten und Offizieren übersetzt werden in konkrete Handlungsgründe, die in den Moralvorstellungen eine gewisse Plausibilität besaßen. Diese Handlungsgründe finden sich sowohl im Privaten, in den Briefen von Soldaten an der Front als auch in den Reden Himmlers. Dass Himmler besonderen Wert auf das „moralische Recht“ der Handlungen legte und dass er die Taten der Soldaten nicht vor einem öffentlichen Tribunal oder in einem internationalen Forum, sondern vor den eigenen SS-Offizieren – „unter uns“ und „nie in der Öffentlichkeit“ – rechtfertigte, deutet schon auf die immens hohe Bedeutung der diskursiven Praxis des handlungsorientierten Gründegebens. An dieser Stelle, wo Ideen in Handlungsgründe übersetzt und konkretisiert werden, so meine These, finden sich Spuren von handlungssteuernden Ideen.

13 Zitiert nach Ibid., S. 238. 14 Siehe dazu Sönke Neitzel und Harald Welzer, Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben, Frankfurt a.M. 2012. 15 Wie in der brillanten Analyse von Lutz Raphael. Siehe: Lutz Raphael, Radikales Ordnungsdenken und die Organisation totalitärer Herrschaft. Weltanschauungseliten und Humanwissenschaftler im NS-Regime, in: Geschichte und Gesellschaft 27. 2001, S. 5–40.

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Was sind Handlungsgründe? Sehr allgemein formuliert, sind Gründe immer Antworten auf Warum-Fragen. Fragen wie „Warum hast du getötet?“, „Warum bist du zu spät?“, „Wann bekommst du endlich Kinder?“, „Warum hast du deine Promotion noch nicht eingereicht?“ und dergleichen: Das sind Fragen nach Handlungsgründen. Antworten auf diese Fragen erfüllen ganz unterschiedliche Funktionen. Handlungsgründe geben einmal existentiell lebensweltliche Anhaltspunkte zur Kontingenzbewältigung. Gründe stellen, so hat es Jürgen Habermas formuliert, „das durch Unverständnis gestörte epistemische Verhältnis zu einer vertrauten Welt wieder her.“16 Unterschiedliche Typen von Gründen lassen sich ausmachen; in der Regel lassen sich Gründe danach unterscheiden, ob sie sich auf Überzeugungen oder auf Handlungen beziehen. Theoretische Gründe fundieren unsere Überzeugungen oder stellen sie in Frage, während praktische Handlungsgründe für die Motivation unserer Handlungen und für verständigungsorientierte Kommunikation eine Rolle spielen können.17 Genau betrachtet sind Gründe (ob theoretische Gründe oder praktische Handlungsgründe) in Kommunikationssituationen omnipräsent. Der Durst nach Gründen, um die Realität und das Verhalten anderer Menschen zu verstehen, scheint epistemisch unstillbar. Sie bilden die elementaren Bausteine von Argumentationen. Sie bringen Kommunikationsprozesse überhaupt einmal erst in Gang. Verständlich wird menschliches Handeln erst dadurch, dass es auf Gründe ausgerichtet wird. Völlig unverständliches und scheinbar irrationales Handeln wird durch gute Gründe wie von Zauberhand verständlich und nachvollziehbar. „Wir können uns selbst und andere gar nicht ansehen denn als Wesen, dir ihr Handeln an Gründen ausrichten“18, schreibt Julian Nida-Rümelin. Handlungen werden also vor dem harten Boden der Sinnlosigkeit dadurch gerettet, dass sie von einem Netz von Gründen aufge-

16 Jürgen Habermas, Die Lebenswelt als Raum symbolisch verkörperter Gründe, in: ders. (Hg.), Nachmetaphysisches Denken II. Aufsätze und Repliken, Berlin 2012, S. 54–76, hier S. 57. 17 In der Philosophie teilt man Gründe zusätzlich in unterschiedliche Typen ein: externe, interne, praktische, theoretische, normative, motivierende, rechtfertigende, erklärende, usw. Siehe z. B.: Bernard Williams, Internal and external reasons [1980], in: ders. (Hg.), Moral Luck. Philosophical Papers, 1973-1980, Cambridge 1981, S. 101–113; Thomas M. Scanlon, What We Owe to Each Other, Cambridge 1998; Christoph Horn und Guido Löhrer, Die Wiederentdeckung teleologischer Handlungserklärungen, in: dies. (Hgg.), Gründe und Zwecke. Texte zur aktuellen Handlungstheorie, Berlin 2010, S. 7–45; Thomas M. Scanlon, Being Realistic about Reasons, Oxford 2014. 18 Julian Nida-Rümelin, Über menschliche Freiheit, Stuttgart 2005, S. 33.

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fangen werden. Menschen sind diejenigen Tiere, die Gründe suchen, sie miteinander kommunizieren, auf sie reagieren und sie abwägen können.19 Man könnte an dieser Stelle nun meinen, dass Antworten auf Warum-Fragen, die auf Handlungen zielen, zwar eine wichtige kommunikative Rolle im Alltag spielen, dennoch für Historiker belanglos ausfallen werden, weil Handlungsgründe letzten Endes immer in Wünsche und sinnliche Neigungen münden oder von diesen zumindest nicht zu trennen sind. David Hume hat einmal bekanntlich behauptet: „Reason is, and ought only to be the slave of the passions, and can never pretend to any other office than to serve and obey them.”20 Das Hume’sche Modell geht davon aus, dass ich eine Handlung nur dann ausführe, wenn ich einen Wunsch habe, etwas zu erreichen. Die Motivation, etwas zu erreichen, kann niemals nur vom Verstand ausgehen, sondern benötigt die Kraft eines Wunsches. Gründe erscheinen aus dieser Perspektive höchstens Leerhülsen zu sein, die die eigentlichen Triebkräfte (nämlich Wünsche) des Handelns verkleiden. Nicht die praktische Vernunft oder motivierende Gründe, sondern Wünsche werden hier als die einzig relevanten Handlungsursachen verstanden. Die Position Humes, dass Wünsche die eigentlichen Triebkräfte des Handelns sind, hat im 20. Jahrhundert in der Philosophie lange Zeit den Ton angegeben. Der amerikanische Philosoph Donald Davidson scheint in seinem berühmten Aufsatz „Actions, Reasons and Causes“ (1963) teilweise in diese Richtung zu zielen und hat damit die Deutung nahegelegt, dass Gründe nicht von Wünschen zu trennen sind.21 Dieses Modell der Handlungsmotivation trifft sicherlich einen intuitiven Kern des Gebrauchs. Handlungsgründe fallen schließlich häufig so aus, dass man sagt: „Ich habe getrunken, weil ich Durst hatte“ oder „Ich habe ihn geschlagen, weil ich wütend war“. Man könnte also meinen, derjenige, der nach handlungsleitenden Motiven sucht, nicht bei den angegebenen Handlungsgründen suchen darf, sondern genau genommen bei den verborgenen Wünschen und Neigungen wie Angst oder Wut, die sich tatsächlich hinter den Handlungsgründen verbergen.22 Eine solche Position würde dazu nötigen, grundsätzlich die Existenz von handlungsleitenden Ideen in Frage zu stellen.

19 Siehe auch: Derek Parfit, On What Matters (= Bd. 1), Oxford 2011, S. 31-38. 20 David Hume, A Treatise of Human Nature, Newburyport 2012, S. 295 (II.3.3). 21 Donald Davidson, Handlungen, Gründe und Ursachen, in: Christoph Horn und Guido Löhrer (Hg.), Gründe und Zwecke. Texte zur aktuellen Handlungstheorie, Berlin 2010, S. 46–69, hier S. 46. 22 Für eine detaillierte Beweisführung dieser Position siehe z.B.: Michael Smith, The Humean Theory of Motivation, in: Mind 96. 1987, S. 36–61; Fred Dretske, Reasons

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Die Position Humes überzeugt meines Erachtens bei genauer Betrachtung nicht. Ich argumentiere hingegen, dass nicht jeder, der einen Handlungsgrund angibt, damit lediglich einen innerlich gehegten Wunsch verdeckt oder umschreibt. Nicht jede Handlung lässt sich restlos auf einen Wunsch zurückführen. Die „menschlichen Schwächen“ der deutschen Soldaten, die Himmler ansprach und die zitternden Hände beim Erschießen, die ein Soldat im Brief erwähnt, deuten darauf hin, dass einige Soldaten anfänglich den Wunsch verspürten, jüdische Frauen und Säuglinge nicht zu ermorden. Die Soldaten haben sich jedoch über ihre Wünsche dadurch hinweggesetzt, dass zirkulierende Handlungsgründe als handlungsmotivierende Motive akzeptiert wurden. Die Soldaten haben scheinbar trotz einiger starker Wünsche sich auf bestimmte Handlungsgründe konzentriert, die das Handeln lenkten – der Wünsche also zum Trotz. Selbstverständlich spielen Wünsche für handlungsleitende Pläne dennoch eine wichtige Rolle. Wenn ich den Wunsch hege, bei einem Vorstellungsgespräch einen guten Eindruck zu machen, dann habe ich einen guten Grund, pünktlich zu erscheinen und freundlich zu sein. Und wenn ich den Wunsch hege, bei Regen nicht nass zu werden, dann habe ich einen guten Grund, einen Regenschirm mitzunehmen. Es sind aber selten Wünsche als solche, die den Ausschlag geben, sondern nur qualifizierte Wünsche, deren Erfüllung nicht in Konflikt mit zielführenden Handlungsgründen stehen. „Das Vorliegen eines Wunsches per se konstituiert noch keinen guten Handlungsgrund.“23 Wünsche gehören häufig zu den Prämissen eines Handlungsgrundes, sie sind aber nicht hinreichend für handlungsleitende Gründe.24

and Causes, in: Philosophical Perspectives 3. 1989, S. 1–15; Michael Smith, The Moral Problem, Oxford 1994. 23 Julian Nida-Rümelin, Zum Begriff des Grundes, in: ders. (Hg.), Philosophie und Lebensform, Frankfurt a.M. 2009, S. 99–109, hier S. 104. 24 Ausführlicher argumentiert in: Robert Brandom, Making it Explicit. Reasoning, Representing, and Discursive Commitment, Cambridge 1994, S. 246ff; Scanlon, What We Owe to Each Other, S. 39f; Robert Brandom, Articulating Reasons. An Introduction to Inferentialism, Cambridge 20002, S. 86ff; John Searle, Rationality in Action, Cambridge 2001, Kapitel 6; Jonathan Dancy, Practical Reality, Oxford 2000, Kapitel 2; Stephen L. Darwall, Desires, Reasons, and Causes, in: Philosophy and Phenomenological Research 47. 2003, S. 436–443; María Alvarez, Explaining Actions and Explaining Bodily Movements, in: Giuseppina D'Oro und Constantine Sandis (Hg.), Reasons and Causes. Causalism and Anti-Causalism in the Philosophy of Action, New York 2013, S. 141–159.

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Man mag an dieser Stelle einwenden, dass die deutschen Soldaten doch ausschließlich wunschgetrieben handelten, weil sie nämlich vor ihren Vorgesetzten Angst hatten und den Wunsch hatten, nicht bestraft zu werden, der einfach nur stärker war als der Wunsch, jüdische Kinder nicht töten zu wollen. Es mag sein, dass der Wunsch, keine Kinder töten zu wollen, nur durch den Wunsch, nicht sanktioniert zu werden, in der Abwägung übertrumpft wurde. Es mag also sein, dass die Soldaten lediglich deshalb Säuglinge getötet haben, weil sie Angst hatten, bei Nichtbefolgen eines Befehls sanktioniert zu werden. Aber hier entpuppt sich ein logischer Fehler des Einwandes: Wie konnten die Soldaten zwei Wünsche erwägen und einen Wunsch akzeptieren und den anderen fahren lassen, wenn sie immer nur von Wünschen getrieben werden? Wer zwischen konkurrierenden Wünschen abwägt, kann dies nicht anhand von Wünschen tun, sondern anhand von elementaren Konzeptionen, die über den Wünschen stehen und die wir Handlungsgründe nennen. Wünsche können und müssen deshalb von Handlungsgründen ontologisch getrennt werden. Handlungsgründe sind im Gegensatz zu Wünschen externe Vorkommnisse, unabhängig von der subjektiven Verfassung eines Akteurs. Sie können in subjektive Handlungspläne integriert werden und stehen nicht selten in Kontrast zu den Wünschen, die man augenblicklich verspürt. In solchen Konfliktsituationen geschieht es häufig, dass Akteure Gründe gegen Wünsche abwägen. Wünsche sind daher nicht die einzigen Triebkräfte unserer Handlungen und wer als Historiker auf Handlungsgründe stößt, sollte nicht davon ausgehen, dass sich hinter der semantischen Fassade eines Handlungsgrundes immer ein versteckter psychologischer Wunsch verbirgt. Mit dieser Unterscheidung zwischen Handlungsgründen und Wünschen wird keine heroische Subjektauffassung verbunden, die den Menschen als zweckrational tätiges Wesen begreift, der mit souveräner Vernunft alle Pläne verwirklicht, die er schmiedet. Die Kritik gegen eine solche heroische Subjektauffassung teile ich. Menschen verwirklichen selten Pläne, die sie entwerfen. Hereinbrechende Überraschungen, sozial einschränkende Strukturen, unbeabsichtigte Handlungsfolgen, Urteilsheuristiken, Framing- oder Priming-Effekte beeinflussen oder durchkreuzen ständig auf Gründen basierte, intentionale Handlungsaktivitäten. Mit der These, dass Handlungen auf Gründen basieren, wird keineswegs unterstellt, dass alle Handlungen immer genau so glücken, wie sie intendiert waren. Die hier vertretene Position ist also nicht nur kompatibel mit der Aussage, dass es in der Geschichte oft anders zugeht, als die Beteiligten sich dachten. Die zweite Aussage (es geht in der Geschichte oft anders zu) setzt die erste (Handlungen setzen handlungsleitende Gründe voraus) sogar logisch voraus und kann daher gar nicht gegen die erste als Kritik gewendet werden. Wenn Menschen ausschließlich von Wünschen getrieben

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werden würden, könnte es in der Geschichte niemals anders zugehen, als die Beteiligten sich dachten. Und erst wenn verstanden wird, dass Gründe und Wünsche in Konflikt zueinanderstehen können und dass Menschen das Vermögen besitzen, ihren Handlungsaktivitäten anhand der „Vorstellung der Gesetze, d. i. nach Principien“25 eine planvolle Struktur zu geben, wird verständlich, weshalb es anders kommen kann, als sich die Beteiligten denken. Und mehr: Nur dann wird verständlich, weshalb Helmut Plessner den Menschen als eine „dargelebte Einheit von erster und dritter Person“ beschreibt und einen „Apostaten der Natur“ genannt hat.26 Nur dann wird verständlich, weshalb Menschen häufig in quälende, widerstreitende Handlungslagen geraten, in die andere Tiere, die stärker wunschgeleitet handeln, scheinbar nicht geraten. Kritiker, die davon ausgehen, dass Menschen ausschließlich wunschgetrieben handeln oder ihre eigenen Handlungspläne nicht verfolgen können, weil sie von unverfügbaren Strukturen oder verborgenen Wünschen getrieben werden, gehen von einer naiven Anthropologie aus, die weder die tatsächlich ausgeführten Handlungen von Menschen erklären kann noch der komplexen Existenz des Menschen Rechnung trägt.

II. An dieser Stelle erhebt sich ein weiterer möglicher Einwand: Werden Handlungsgründe nicht immer nur nachträglich dem Handeln zugeschrieben? Ob die Soldaten der Wehrmacht tatsächlich der Überzeugung waren, dass sie aus einer Art temporal ausgedehnten Notwehr töteten, lässt nicht wohl nicht an den Handlungsgründen in den Briefen ablesen. Wenn aber Handlungsgründe nur nachträgliche Rationalisierungen sind und sie deshalb nicht unkritisch als die echten motivierenden Handlungsgründe behandelt werden dürfen, so der Einwand, dann müssten sie für den Ideenhistoriker, der nach handlungssteuernden Ideen auf der Suche ist, eigentlich irrelevant erscheinen. Ob Gründe das Handeln verursachen können, ist in Debatten der Praktischen Philosophie umstritten.27 Es gibt einige, die argumentieren, es müsse so etwas

25 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft (1. Aufl. 1781). Prolegomena. Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaften (= Akademie Textausgabe, Bd. 4), Berlin 1903/1911, S. 412. 26 Helmuth Plessner, Die Stufen des Organischen und der Mensch. Einleitung in die philosophische Anthropologie, Frankfurt a.M. 2003, S. 395 und S. 89. 27 Siehe Stewart Candlish und Nic Damnjanovic, Reason, Action and the Will. The Fall and Rise of Causalism, in: Michael Beaney (Hg.), The Oxford Handbook of the Histo-

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wie einen „otal reason“28 oder einen „complete reason“29 geben, der einer einzigen Handlung vorauseilt. Donald Davidson hat in seinem viel beachteten Aufsatz die Position vertreten, dass ein „Grund für eine Handlung […] deren Ursache“30 ist. Wenn jemand einen Grund für seine Handlung angibt, so Davidson, ist diese Erklärung eine „Spielart der kausalen Erklärung“31, die in Verwandtschaft steht zu naturwissenschaftlichen Kausalerklärungsmodellen. Aber diese Auffassung hat kein Monopol in der Philosophie erlangt und wird gegenwärtig noch als offene Frage verhandelt.32 Ich bin der Meinung, dass es unproblematisch ist, zu behaupten, dass Gründe das Handeln direkt verursachen können. Diese Aussage ist nichts anderes als Kants Darstellung des menschlichen Willens als das Vermögen, Handlungen von einer Vorstellung des Gesetzes ableiten zu können.33 Und derjenige, der bestreitet, dass Menschen dieses Vermögen besitzen, spricht ihnen jegliche Handlungsfreiheit und Zurechnungsmöglichkeit ab. Dieser Punkt muss uns an dieser Stelle aber nicht interessieren. Gerne lasse ich die Frage offen, ob jede Handlung auf einen individuellen Handlungsgrund zurückgeführt werden kann. Für Historiker ist diese Frage schließlich unwesentlich, denn selbst wenn es sich herausstellen sollte, dass ein Mensch tatsächlich einen Grund im Handeln wirksam werden lassen kann, so bleibt dennoch für den Historiker ungeklärt, welchen Grund er hat wirksam werden lassen. Man kann niemals den tatsächlichen, kognitiven Grund für ein Handeln vom semantisch angegebenen Grund ableiten. Gründe, die kognitiv ausschlaggebend waren, bleiben für den Historiker unverfügbar. Dies betrifft übrigens nicht nur Handlungsgründe. Es ist Historikern genauso unmöglich, zu rekonstruieren, welche tatsächlichen Überzeugungen Menschen hatten. Welche religiösen Überzeugungen

ry of Analytic Philosophy, Oxford 2013, S. 689–708; Giuseppina D'Oro, Reasons and Causes: The Philosophical Battle and The Meta-Philosophical War, in: Australasian Journal of Philosophy 90. 2012, S. 207–221. 28 Searle, Rationality in Action, S. 115-120, 131-134. 29 Joseph Raz, Practical Reason and Norms, London 1975, 22f. 30 Davidson, Handlungen, Gründe und Ursachen, S. 46. 31 Ibid. 32 Siehe vor allem: Smith, The Humean Theory of Motivation; Dancy, Practical Reality; Darwall, Desires, Reasons, and Causes; Eric Marcus, Rational Causation, Cambridge 2012; Kieran Setiya, Causality in Action, in: Analysis 73. 2013, S. 501–512; Ulrike Heuer, Intentions and the Reasons for Which We Act, in: Proceedings of the Aristotelian Society, New Series 114. 2014, S. 291–315; Scanlon, Being Realistic about Reasons, S. 53-68. 33 Brandom, Articulating Reasons, 93ff; Brandom, Making it Explicit, 270ff.

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Thomas Hobbes oder welche politische Ansichten Dmitri Schostakowitsch tatsächlich hatte, wird sich niemals zweifelsfrei historisch klären lassen. Historiker können schließlich nur Aussagen der Quellen kritisch analysieren, nicht die Überzeugungen der Akteure. Genauso verhält es sich mit den angegebenen Handlungsgründen. Man kann als Historiker höchstens mit hermeneutischer Empathie oder mit Vorstellungskraft einem Handlungssubjekt einen möglichen Handlungsgrund spekulativ zuschreiben. Aber diese Zuschreibung basiert nie auf gesicherter Lage. Historiker können den genauen Handlungsgrund eines historischen Akteurs also nie ausfindig machen. Es sollte in einer handlungsorientierten Ideengeschichte nicht darum gehen, nach spekulativ zugeschriebenen Handlungsgründen zu suchen, die dem Handeln tatsächlich kognitiv vorauseilten. Weshalb Handlungsgründe aber dennoch ideengeschichtliche Relevanz besitzen, auch wenn sie nachträgliche Rationalisierungen sein können, liegt daran, dass Pflichten und normative Erwartungen den angegebenen Handlungsgründen eingeschrieben sind, denen sich Akteure nicht füglich entziehen können. Bei dem Angeben von nachträglichen Rationalisierungen herrscht nicht das Prinzip „anything goes“. Auch vergangene Handlungen werden dem Handelnden nachträglich in Rechnung gestellt. Man verlangt auch für längst verjährte Taten gute Gründe. Zielführender als die Suche nach tatsächlich handlungsmotivierenden Gründe ist es daher, die intersubjektiven Rechtfertigungssituationen ernst zu nehmen, in denen Handlungsgründe zirkulieren. Aus der Einsicht, dass angegebene Handlungsgründe auch nachträgliche Rationalisierungen sein können, folgt nämlich nicht, dass diese keinen Einfluss auf das Handeln ausüben können.34 Handlungsgründe können auch als nachträgliche Rationalisierungen kausale Auswirkungen auf zukünftiges Verhalten haben, da Handlungen und das Angeben von Gründen für unsere Handlungen Festlegungen ausdrücken, die bindend sind und für die man sanktioniert werden kann.35

34 Quentin Skinner hat die wohl wichtigsten Überlegungen hierzu vorgelegt. Siehe: Quentin Skinner, The principles and practice of opposition: the case of Bolingbroke versus Walpole, in: J. H. Plumb und Neil McKendrick (Hg.), Historical Perspectives. Studies in English Thought and Society. In Honour of J. H. Plumb, London 1974, S. 93–128; Quentin Skinner, ‘Social meaning’ and the explanation of social action, in: ders. (Hg.), Regarding Method (= Visions of Politics, Bd. 1), Cambridge, New York 2002, S. 128–144; Quentin Skinner, Moral principles and social change, in: ders. (Hg.), Regarding Method (= Visions of Politics, Bd. 1), Cambridge, New York 2002, S. 145–157; Quentin Skinner, Some Problems in the Analysis of Political Thought and Action, in: Political Theory 2. 1974, S. 277–303. 35 Siehe: Brandom, Making it Explicit, S. 243-271.

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Gründe verursachen Handeln also vielleicht nicht immer in direkter Kausalität wie Billardkugeln, die sich stoßen. Stattdessen können Gründe auch als nachträgliche Rationalisierungen teilweise über lange sozialevolutionäre Umwege durch institutionelle Verankerungen, kommunikative Verarbeitung und gesellschaftliche Sozialisation in historischen Entwicklungsprozessen kausale Wirksamkeit gewinnen.36 An dieser Stelle müssen zwei verwandte Punkte hervorgehoben werden, die die These erhellen, weshalb Gründe auch als nachträgliche Rationalisierungen immer noch in Bezug auf Handlungen kausale Auswirkungen haben können und weshalb Gründe als nachträgliche Rationalisierungen für Historiker von hoher Relevanz sind. (1) Zunächst einmal ist jede Handlung – zumindest implizit – Ausdruck einer normativen Stellungnahme und ist in einem normativen Raum vernetzter Gründe eingebettet.37 Handlungen sind zweckgerichtet und die Zwecke werden durch normative Urteile abgewogen.38 Man sagt zum Beispiel: „Wenn du gesund bleiben möchtest, solltest du mehr Sport machen“, „Du willst doch pünktlich zur Arbeit. Solltest du dann nicht so langsam los?“ oder „Die Praxis des Füßebindens ist abscheulich und sollte nicht praktiziert werden“. Alle diese Sollenssätze, die Handlungsgründe umrahmen, gelingen nur auf der Basis eines normativen Hintergrundgefüges, das eine gesellschaftlich stabilisierte Norm bedingt. Um zu verstehen, welche bindende Festlegung man mit einer Handlung eingegangen ist, muss man also die normative Rolle im Griff haben, die die entsprechende Festlegung spielt. Es mag sein, dass im Strom des alltäglichen Handelns alle Gründe nicht immer reflektiert werden, sondern einen Hintergrundcharakter annehmen. Die selbstreflexive Suche nach triftigen und guten Handlungsgründen ist meist nur in Ausnahmesituationen anzutreffen. Dass bedeutet aber nicht, dass Gründe bei un-

36 Habermas hat eine ausführliche Darlegung dieser sozialevolutionären Umwege geliefert: Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns. Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft (= Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 2), Frankfurt a.M. 1981, S. 182-228. 37 Für eine ausführlichere Argumentation siehe: Julian Nida-Rümelin, Strukturelle Rationalität. Ein philosophischer Essay über praktische Vernunft, Stuttgart 2001; Brandom, Articulating Reasons, S. 79ff. 38 Siehe: G. F. Schueler, Reasons and Purposes. Human Rationality and the Teleological Explanation of Action, Oxford 2005; G. F. Schueler, Handlungserklärung: Ursachen und Zwecke, in: Christoph Horn und Guido Löhrer (Hg.), Gründe und Zwecke. Texte zur aktuellen Handlungstheorie, Berlin 2010, S. 246–263.

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reflektierten Handlungen deshalb tatsächlich fehlen, sie werden meist nur nicht beachtet. Auch für die Folgen unreflektierter Handlungen können Menschen zur Rechenschaft gezogen werden. „Wir haften auch für die Folgen fahrlässigen Handelns“, stellt Habermas fest. „Denn solange ‚wir‘ es sind, denen eine inkriminierte Handlung zugerechnet werden darf, operieren auch die gewissermaßen zur Routine geronnenen Handlungsmotive – jene Gefühlsreaktionen, Einstellungen und Gewohnheiten, die nicht durch den Filter expliziter Überlegungen hindurchgegangen sind – mit unserem Einverständnis.“39 Dass man für Handlungen haften kann und dass man für sie getadelt oder gelobt werden kann, auch selbst wenn sie blindlings aus konventioneller Routine vollzogen wurden, zeigt, dass Handlungen immer in einem normativen Resonanzraum flottierender Gründe stattfinden. (2) Weil Handlungen als normative Stellungnahmen aufgefasst werden und Handlungsgründe in sozial-normative Strukturen eingebettet sind, sind sie intersubjektives Gemeingut und stehen stets der Diskussion offen. In anderen Worten: Handlungsgründe sind immer kritisierbar und müssen sich den normativen Regeln sozialer Kommunikationsstrukturen immer öffnen. Eine Spannung bleibt demnach immer zwischen den subjektiven, frei flottierenden Handlungsgründen und dem Katalog an gesellschaftlich akzeptierten, normativen Gründen. Das Taxieren von Handlungsgründen ist ein sozialer Kontrollmechanismus, der mit der normativen Geltungskraft der Aussagen das Handeln mit den angegebenen Gründen in ein gemeinsames Joch spannt. Mitglied einer Gesellschaft zu sein, so hat es Robert Brandom einmal treffend formuliert, bedeutet, „Spieler in dem sozialen, implizit normativen Spiel des Lieferns und Beurteilens, des Produzierens und Konsumierens von Gründen zu sein.“40 Die normativen Strukturen einer Handlung und die intersubjektive Rechtfertigungslage üben einen „eigentümlichen zwanglosen Zwang“41 auf Mitglieder einer jeden Gesellschaft aus. Es be-

39 Jürgen Habermas, Das Sprachspiel verantwortlicher Urheberschaft und das Problem der Willensfreiheit. Wie läßt sich der epistemische Dualismus mit einem ontologischen Monismus versöhnen? in: ders. (Hg.), Kritik der Vernunft (= Philosophische Texte. Studienausgabe, Bd. 5), Frankfurt a.M. 2009, S. 271–341, hier S. 280. 40 Robert Brandom, Begründen und Begreifen. Eine Einführung in den Inferentialismus, übersetzt von Eva Gilmer, Frankfurt a.M. 2001, S. 107; Siehe auch: Brandom, Articulating Reasons, S. 39. 41 Diese häufig verwendete Formulierung von Habermas findet sich beispielsweise in: Jürgen Habermas, Vorbereitende Bemerkungen zu einer Theorie der kommunikativen Kompetenz, in: Jürgen Habermas und Niklas Luhmann (Hg.), Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie. Was leistet die Systemforschung?, Frankfurt a.M.

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steht also immer ein Druck, auf die Worte Taten und auf die Taten Worte folgen zu lassen. Geben und Verlangen von Gründen ist demnach eine sozial-diskursive Praxis, die Grenzen des erlaubten Handelns absteckt. Die Brücke zwischen Handlungen und Gründen schlägt demnach die sozialdiskursive Begründungs- und Rechtfertigungspraxis, die durch die intersubjektive Natur der Normativität verbürgt wird.42 Diese sozial-diskursive Praxis möchte ich in Anlehnung an Robert Brandom und Wilfrid Sellars das „Spiel des Gebens und Verlangens von Gründen“43 nennen. Der Einwand, dass Handlungsgründe immer nur nachträgliche Rationalisierungen sind und deshalb belanglos seien, wird durch die normativen und intersubjektiven Strukturen von Gründen und Handlungen relativiert, in die die sozial-diskursive Praxis des Gebens und Verlangens von Gründen eingebettet ist. Menschen sind keine isolierten Monaden und sie handeln nicht im leeren Raum. Sie leben in der Regel im ständigen Austausch mit anderen Menschen und bewegen sich daher immer in einem öffentlichen Raum von Gründen. Handlungsgründe, die man für sein Tun angibt, legen dem Handeln daher Strukturen auf. „Sich einen bestimmten Handlungsgrund zu eigen zu machen (und diesen gegenüber kritischen Nachfragen anzuführen), legt sich auf die betreffende strukturelle Bindung des Handelns fest. Eine Person, die einen Handlungsgrund anführt, ohne die korrespondierende Struktur in ihrem

1971, S. 101–141, hier S. 137; Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns. Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung (= Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 1), Frankfurt a.M. 1981, S. 47.52. 42 Das Argument, dass Gründe letztlich Handeln kausal steuern, weil sie normativ und intersubjektiv sind, ist meines Erachtens überzeugender als das Argument von Quentin Skinner. Er sagt, man müsse davon ausgehen, dass Handlungsgründe deshalb angegeben werden, weil „any agent possesses a standard motive for attempting to legitimate his untoward social or political actions” (Skinner, Some Problems in the Analysis of Political Thought and Action, hier S. 299; siehe auch Skinner, Moral principles and social change). Ob alle Menschen tatsächlich ein angeborenes Verlangen oder innere Motivation haben, ihr Handeln zu rechtfertigen, ist nicht a priori von der Hand zu weisen, ist aber erklärungsbedürftig. Ich finde es überzeugender, nicht von einer inneren Motivation bei jedem Menschen auszugehen, sondern zu sagen, dass Gesellschaften Rechtfertigungen einklagen und dass Menschen auf diesen Forderungen reagieren. 43 Siehe vor allem: Wilfrid Sellars (Hg.), Essays in Philosophy and its History, Boston 1974; Wilfrid Sellars, Philosophy and the Scientific Image of Man, in: Wilfrid Sellars u.a. (Hg.), In the Space of Reasons. Selected Essays of Wilfrid Sellars, Cambridge 2007, S. 369–408; Wilfrid Sellars, Empiricism and the Philosophy of Mind, Cambridge 20003; Brandom, Making it Explicit.

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Handeln aufzuweisen, ist unglaubwürdig.“44 Handeln bringt demnach sozial akzeptierte und normierte Handlungsgründe zum Ausdruck. Ungewöhnliche oder als verwerflich angesehene Handlungen sind der Begründung schuldig. Und wird eine neue Handlungsweise eingefordert, so müssen Gründe angeführt werden, die in der sozial-diskursiven Kommunikationspraxis Erfolg haben. Das Gleichgewicht der sozial-diskursiven Praxis des Gebens und Verlangens von Gründen kann selbstverständlich gestört oder für bestimmte Zeitabstände gar zerstört werden. Es stimmt, dass es extreme Situationen gibt, in denen Menschen in überhaupt keinem normativen Kommunikations- und Begründungskontext stehen und somit sich dem latenten Begründungsdruck entziehen können – in radikal asymmetrischen Machtkonstellationen zum Beispiel oder in Fällen von nackter Gewaltanwendung. Diese und andere Situationen stellen jedoch keinen globalen Dauerzustand dar und sind insgesamt für Historiker, die auf der Suche nach ideengeschichtlichen Phänomenen sind, genauso interessant wie lange Friedenszeiten für Kriegshistoriker. Von außergewöhnlichen und isolierten Einzelfällen des kommunikationslosen Unverständnisses jedoch abgesehen, in denen der normative Hintergrund von Begründungskontexten aufgelöst wurde, lässt sich in stabilen Kommunikationssituationen erkennen, dass die Praxis des Gebens und Verlangens von Gründen die Handlungen der Mitglieder einer Gesellschaft begleiten. Sobald Menschen kommunizieren und gemeinsam Ziele verfolgen oder kooperativ versuchen, Ziele anderer Menschengruppen zu durchkreuzen, sind sie auf einen geteilten normativen Hintergrund angewiesen, der ihren Handlungsgründen Gehalt und Sinn verleiht.45 Selbst in der Ausnahmesituation der Massenerschießungen von Juden gaben deutsche Soldaten ungefragt ihren Frauen Handlungsgründe für ihre Taten.

III. Bisher habe ich argumentiert, dass Handlungsgründe nicht mit Wünschen oder sinnlichen Neigungen gleichgesetzt werden dürfen, noch sollten sie als nachträgliche Rationalisierungen ad acta gelegt werden. Handlungsgründe implizieren kraft ihrer normativen Struktur und ihrer kritisierbaren Geltungsansprüche Festlegungen, die dem Handeln Strukturen auferlegen und in geregelte Bahnen len-

44 Nida-Rümelin, Strukturelle Rationalität, S. 74. 45 Siehe: Jürgen Habermas, Zur Kritik der Bedeutungstheorie, in: ders. (Hg.), Rationalitäts- und Sprachtheorie (= Philosophische Texte. Studienausgabe, Bd. 2), Frankfurt a.M. 2009, S. 70–104, vor allem S. 98-104.

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ken können. Wer einen Handlungsgrund angibt, legt also nicht nur eine assertorische Behauptung vor oder verkleidet einen geheimen Wunsch, sondern rechtfertigt ein vergangenes Handeln beziehungsweise geht eine auf die Zukunft gerichtete Festlegung ein. In der technischen Sprache der Philosophie ausgedrückt könnte man sagen: Gründe haben nicht nur doxastischen und assertorischen Charakter, sondern unterliegen auch deontischen Zwängen. Wie sieht nun der Zusammenhang zwischen Ideen, Handlungen und Gründen aus? Eine Ideengeschichte, so das Argument, die die handlungssteuernde Kraft von Ideen hervorhebt, konzentriert sich auf die Rekonstruktion von Handlungsgründen in diesem spezifizierten Sinn. Sie untersucht das Geben und Verlangen von Handlungsgründen als sozial-diskursive Praxis. An dieser Stelle bietet es sich an, von den Höhen der philosophischen Abstraktion herabzusteigen und anhand eines konkreten Beispiels den Zusammenhang von Ideen, Handlungen und Gründen zu erhellen. Man führe sich zum Beispiel die Krisen- und Umbruchszeit der Evangelischen Kirchen in der Zeit des Nationalsozialismus vor Augen, die unter der Bezeichnung „Kirchenkampf“ in die Quellen und Forschung eingegangen ist. In der Kirchengeschichte bestand schon immer eine Spannung zwischen den latenten Gründen, die in dogmatischen Bekenntnissen gebunden und in Kircheninstitutionen festgeschrieben sind, und jenen, die in theologischen und (kirchen)politischen Debatten frei flottieren. Die Etablierung des nationalsozialistischen Regimes stellte viele Theologen und Kirchenmänner vor Entscheidungs- und Rechtfertigungszwang. Sie mussten in der politisch-theologischen Gemengelage eine Stellung beziehen. Im Sommer 1933 war für viele Protestanten unklar, wie sich das neue Regime zum Protestantismus stellen würde. „Die Partei als solche“, hieß es in Punkt 24 des Parteiprogramms der NSDAP von 1920, „vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums, ohne sich konfessionell an ein bestimmtes Bekenntnis zu binden.“46 Mit dem Durchbruch der nationalsozialistischen Machtübernahme glaubten viele Christen, eine religiöse Erneuerung des deutschen Volkes stehe bevor. Die zum Atheismus neigenden Kommunisten und Sozialdemokraten waren verdrängt worden. Nun schien eine politische Regierung an die Macht gekommen zu sein, die christlich orientiert war. Einige Kirchenmänner und Theologen, die vor allem von den Deutschen Christen vertreten wurden, bekannten sich offen zum neuen Regime und einige wollten – wie zum Beispiel die preußische Generalsynode im September 1933 – den sogenannten „Arierpa-

46 Siehe Walther Hofer (Hg.), Der Nationalsozialismus. Dokumente 1933-1945, Frankfurt a.M. 201150, S. 30f.

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ragraphen“ auch in den Kirchen einführen.47 In Reaktion auf diese Entwicklungen entstand eine Oppositionsbewegung zu den Deutschen Christen, die zunächst als Pfarrernotbund bekannt wurde und später als die sogenannte „Bekennende Kirche“ hervorging.48 Auf diesem umkämpften diskursiven Schlachtfeld, das im Laufe der Jahre innerhalb der Evangelischen Kirchen entstand und auf dem sich jeder als der bessere Protestant beweisen wollte, wurden viele kontroverse Streitpunkte diskutiert: die Selbstständigkeit der Kirche, der politische Auftrag der Kirche oder die richtige Auslegung der reformatorischen Lehre. Pfarrer oder Theologen, die sich zu Hitler und dem Nationalsozialismus bekennen wollten, mussten für ihr politische Position Gründe vortragen, die sowohl mit den christlich-dogmatischen Kirchentraditionen im Einklang standen als auch mit den politischen Ansprüchen der Nationalsozialisten. Die „Spielregeln“ dieser Begründungslogik waren daher komplex und es wurden diverse religiöse Ideen in den theologischen Debatten vorgetragen, die in Handlungsgründe übersetzt wurden oder Handlungsgründe nahelegten. In den Debatten zwischen Karl Barth, Dietrich Bonhoeffer, Emanuel Hirsch und Friedrich Gogarten ging es nicht lediglich um die Verteidigung von bestimmten theologisch-dogmatischen Ideen, sondern mit ihren theologischen Abhandlungen ging es unter anderem auch um Handlungsgründe, die auch für politische Handlungen relevant waren. Mit der strategischen Platzierung religiöser Ideen ging es darum, Handlungen zu legitimieren und in bestimmte Bahnen zu lenken. Es ging darum, im Aufkommen eines neuen politischen Regimes zu argumentieren, welche Handlungen legitim waren und welche nicht. An dieser Stelle mag ein Beispiel genügen. Die Idee des Gottesgesetzes war im Christentum schon immer ein zentrales theologisches Element und wurde in den 1930ern Jahren – unter anderem von Theologen wie Friedrich Gogarten und Emmanuel Hirsch – durch eine lutherisch-existentielle Lesart umgedeutet und eingesetzt, um den totalitären Staat zu rechtfertigen. Das Gesetz Gottes, so wurde argumentiert, zeige dem Menschen nämlich existentiell, dass er ein Sünder sei und niemals aus eigener Kraft seine Sünde tilgen könne. Erst dann, wenn der Mensch sich der Härte dieses Gottesgesetzes nicht entziehe und sich selbst als totalen Sünder begreife, höre er auf, in einer Illusion der gottähnlichen Selbstmächtigkeit und Ungebundenheit zu leben. Nur dann verstehe er, dass er zu keiner guten Tat fähig sei. Nur dann verstehe er, dass er das Gute politisch nicht herstellen könne. Das Gottesgesetz mache also klar, dass der sündige Mensch

47 Klaus Scholder, Vorgeschichte und Zeit der Illusionen. 1918-1934 (= Die Kirchen und das Dritte Reich, Bd. 1), München 1980, S. 681ff. 48 Siehe: Ibid., S. 681ff.

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keinen selbstherrlichen Individualismus ausleben dürfe oder eine eigene liberale Ordnung über die Welt stülpen dürfe, sondern sich in den „natürlichen Ordnungen“ einfügen müsse, in denen er sich von Natur aus befinde – Ordnung wie Familie, Volk, Staat. Das Gesetz Gottes binde den Menschen an den konkreten Ort seiner Existenz, an sein Volk. „Nur das auf diese Weise verstandene Gesetz,“ schrieb Friedrich Gogarten, „in dem das den einzelnen Menschen umfangende Gemeinschaftsleben sich selbst versteht, hat Macht über den Menschen. […] So gewiß uns Gott in der Gemeinschaft geschaffen hat, so gewiß ist auch das Gesetz dieses Gemeinschaftslebens Gottes Gesetz.“49 Auf diese Weise wurde das politische Regime des Nationalsozialismus mit dem Gottesgesetz in Einklang gebracht. Mitglieder der Evangelischen Kirche sollten sich also dem Nationalsozialismus weder politisch noch religiös widersetzen, sondern im neuen Regime die Führung Gottes anerkennen. Jeder, der sich aus religiöser Überzeugung dem Machtanspruch widersetze, handle aus falschen Gründen, die sich theologisch nicht halten ließen. Mit den religiösen Ideen, die Gogarten und andere Theologen in komplexe Argumentationsstrukturen einsetzten, wurden vergangene Taten gerechtfertigt und Handlungsgründe für zukünftige Handlungen nahegelegt. Unzählige andere Beispiel könnten angeführt werden. Entscheidend ist, an diesem Beispiel zu erkennen, dass Ideen, die im Handeln wirksam werden und handlungssteuernde Kraft entfalten können, solche sind, die jemand in Handlungsgründe übersetzt hat und die in der sozial-diskursiven Praxis des Gebens und Verlangens von Gründen Akzeptanz gewonnen haben. Die Begründung Gogartens, die hier nur kursorisch wiedergegeben wurde, war keine rein dogmatische oder religiöse Angelegenheit, sondern zielte letztendlich auf Handlungen. Die Idee des Gottesgesetzes wurde im Lichte der politischen Situation so gedeutet, dass sie handlungsleitende Gründe zu Tage förderte. Die Idee der Menschenrechte, die Idee der „Dritten Welt“, das Ausrufen des „totalen Krieges“, der „Versuch, in der Wahrheit zu leben“, der Kampf gegen die „Seinsvergessenheit“, die Warnung vor dem „Stummen Frühling“, die Idee eines „Volks ohne Raum“, das Verkünden der „vier Freiheiten“ oder die Idee, dass „democracy is the worst form of government, except for all those other forms that have been tried from time to time“50: Diese Ideen hatten im 20. Jahrhundert einen so großen Einfluss, weil sie von Intellektuellen, Politikern und öffentlichen Akteuren formuliert wurden, die Gründe angeben, um Handeln zu rechtfertigen

49 Friedrich Gogarten, Das Bekenntnis der Kirche, in: ders. (Hg.), Das Bekenntnis der Kirche, Jena 1934, S. 5–52, S. 31f. 50 Winston Churchill, Europe Unite: Speeches 1947 and 1948, Boston 1950, S. 200.

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oder in Frage zu stellen. In vielen Fällen wurden diese Ideen in Handlungsgründe übersetzt, die Menschen für sich übernahmen und als bindende Festlegungen akzeptierten. Vor allem in Umbruchszeiten, in denen eingespielte Praktiken zusammenbrachen oder gestört wurden, konnten tiefgreifende Revisionen von normativen Stellungnahmen und Begründungen in Gang gesetzt werden. In diesen Zeiten wurden latent bereitstehende Gründe und Geltungsansprüche problematisiert und nötigten zu einer kritischen Argumentationspraxis.

IV. Zwei klärende Anmerkungen müssen an dieser Stelle hinzugefügt werden. Die erste betrifft die Kontexte, in die sozial-diskursive Begründungspraktiken eingelassen sind. Es ist nicht anzunehmen, dass es eine globale Begründungspraxis gibt, die zu allen Zeiten sich gleich verhielte. Rainer Forst lokalisiert in seinem Buch Kontexte der Rechtfertigungen vier Bereiche, die er „normative Gesellschaftskontexte“51 nennt: ethische, rechtliche, politische und moralische. Innerhalb dieser Kontexte folgen die Begründungspraktiken unterschiedlichen Eigenlogiken. Rechtliche Geltungsansprüche zielen auf Mitglieder einer Rechtsgemeinschaft, während moralische Normen in der Regel globale Geltung beanspruchen. Ethische Werte beantworten wiederum Fragen nach dem guten Leben, während politische Normen die Ordnung der Gesellschaft betreffen und ethische, moralische und rechtliche Geltungsansprüche zum Ausgleich führen möchten. Diesen Kontexten muss Rechnung getragen werden, wenn man den Zusammenhang zwischen Handlungen und Ideen ausloten möchte, denn es kann durchaus sein, dass Handlungsgründe vorgetragen werden, die Handlungen einer Rechtsperson rechtfertigen wollen, aber in Konflikt geraten mit den Handlungen der moralischen Person. Die Spannung, die hier vorherrschen kann, wird nur dann transparent, wenn unterschiedliche Begründungskontexte beachtet werden. Aber die Ergründung von Begründungskontexten darf kein Selbstzweck sein. Begründungskontexte spielen deshalb eine wichtige Rolle, da sie über die sozialen Funktionen des Gründegebens Aufschluss geben. Die Kontexte, die Forst umreißt, lassen sich produktiv verknüpfen mit Ausführungen des Soziologen Charles Tilly, der untersucht hat, welche sozialen Funktionen Gründe erfüllen. „Whether public officials, emergency workers, or community college students,“ schreibt Tilly, „people do not give themselves and others reasons because of

51 Rainer Forst, Kontexte der Gerechtigkeit. Politische Philosophie jenseits von Liberalismus und Kommunitarismus, Frankfurt a.M. 1996.

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some universal craving for truth or coherence. They often settle for reasons that are superficial, contradictory, dishonest, or farfetched. Whatever else they are doing when they give reasons, people are clearly negotiating their social lives. They are saying something about relations between themselves and those who hear their reasons.“52 Handlungsgründe erfüllen unterschiedliche soziale Funktionen, je nach Begründungskontext, weil sie lebensweltliche Aushandlungen darstellen. Die Briefe der deutschen Soldaten an ihre Frauen, in denen Handlungsgründe genannt wurden, müssen von Aussagen zum Beispiel vor dem Internationalen Militärgerichtshof unterschieden werden. Unterschiedliche normative Kontexte sind für die unterschiedlichen Geltungsansprüche entscheidend. Eine Ideengeschichte von handlungssteuernden Ideen müsste daher die sozialen Funktionen in den jeweiligen Kontexten ausfindig machen, die Handlungsgründe erfüllen. Die zweite klärende Anmerkung betrifft das Phänomen der Macht. Wer als Ideenhistoriker über Handlungsgründe spricht, fällt nämlich nicht einer idealistischen Philosophie zum Opfer, die Macht als Realkraft in der Politik oder in der Öffentlichkeit vernachlässigt. Macht hängt integral mit der oben beschriebenen Begründungspraxis zusammen. Denn sein eigenes Handeln oder fremdes Handeln vor anderen überzeugend zu rechtfertigen beziehungsweise nachhaltig in Frage zu stellen, ist Macht und der „Raum der Gründe“, von dem Wilfrid Sellars spricht, ist nichts geringeres als eine Machtordnung.53 Macht in diesem Sinn ist im Kern die Kunst, andere durch Gründe zu binden und fremdes Handeln durch Handlungsgründe zu steuern.54 Gewalt ist auf physische Kraft angewiesen und muss, wie es Hannah Arendt hervorgehoben hat, von Macht differenziert werden. Denn im Gegensatz zu physischer Gewalt, entfaltet Macht normative Kraft, die auch als Autorität55 bezeichnet werden kann und die im Kampf um die besse-

52 Charles Tilly, Why? What Happens When People Give Reasons … and Why, Princeton 2008, S. 14. 53 Siehe vor allem: Kevin Scharp und Robert Brandom (Hgg.), In the Space of Reasons. Selected Essays of Wilfrid Sellars. 54 Rainer Forst, Kritik der Rechtfertigungsverhältnisse. Perspektiven einer kritischen Theorie der Politik, Frankfurt a.M. 2010, S. 13ff. 55 Siehe: David Enoch, Authority and Reason-Giving, in: Philosophy and Phenomenological Research 89. 2014, S. 296–332; Stephen L. Darwall, Authority and SecondPersonal Reasons for Acting, in: David Sobel und Steven Wall (Hg.), Reasons for Action, Cambridge 2009, S. 134–154; Joseph Raz, The Problem of Authority: Revisiting the Service Conception, in: Minnesota Law Review 90. 2006, S. 1003–1044.

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ren Gründe erzeugt wird.56 Think-Tanks, Intellektuelle und diejenigen, die Quentin Skinner „innovative Ideologen“57 genannt hat, die neue Handlungsgründe erkennen und artikulieren können, sind daher mächtige soziale Akteure und wertvolle Bündnispartner eines politischen Mechanismus, der ein neues Ordnungssystem zu etablieren versucht. Mit dem Hinweis auf Macht will ich also den Einwand im Keim ersticken, es könne sich in diesen methodologischen Überlegungen ein heimlicher Siegeszug eines „herrschaftsfreien Diskurses“ verstecken, der einen naiven Begriff von Macht voraussetzt. Das Gegenteil ist der Fall: Ich vertrete vielmehr die Auffassung, dass ein Machtbegriff, der die normative Kraft von Gründen für die praktische Vernunft nicht berücksichtigt, naiv ist und in der Regel nur von physischer Gewalt handelt. Die genannten zentralen Ideen des 20. Jahrhunderts waren nicht deshalb Eingriffe in Machtstrukturen, weil die Autoren ein Waffenarsenal griffbereit hatten, sondern weil sie kollektives und individuelles Handeln nachhaltig legitimierten oder in Frage stellen konnten durch das Artikulieren von verborgenen oder durch das Erfinden von neuen Handlungsgründen.

56 Siehe: Hannah Arendt, Macht und Gewalt, München 1970. Siehe auch: Jürgen Habermas, Hannah Arendts Begriff der Macht, in: Merkur 30. 1976, S. 946–960. 57 Siehe Skinner, Moral principles and social change, S. 148.

„Die Gegenwehr muss organisiert werden – und zwar vor allem auch geistig“ Armin Mohler und Caspar von Schrenck-Notzing als Rechtsintellektuelle in der frühen Bundesrepublik D ARIUS H ARWARDT

E INLEITUNG Jede historische Untersuchung zu Intellektuellen und Ideen sieht sich stets von Neuem mit der Herausforderung konfrontiert, Denker und Gedachtes miteinander in Bezug zu setzen und sinnvoll zu gewichten. So handeln Intellektuelle zwar als Sinnproduzenten, Schöpfer und Vermittler von Ideen1, stehen andererseits jedoch selbst in einem ideengeschichtlichen Kontext, der sich aus diskursiven Formationen bildet und jene Sinnproduktion entscheidend prägt.2 Damit ist ein Spannungsfeld skizziert, das die intellectual history spätestens seit den 70ern intensiv beschäftigt.3 Eine Zeit lang lief diese vor allem im angelsächsischen Raum betriebene Disziplin der Geschichtswissenschaft in weiten Teilen parallel zu dem, was in Deutschland unter dem Terminus „Ideengeschichte“ bekannt ist. Im Zentrum der Untersuchungen standen häufig Ideen, Ideologien oder Gedanken,

1

Harald Bluhm und Walter Resse-Schäfer, Einleitung. Intellektuelle als Produzenten und Protagonisten politischer Ideen, in: Ebd. (Hg.), Die Intellektuellen und der Weltlauf. Schöpfer und Missionare politischer Ideen in den USA, Asien und Europa nach 1945, Baden Baden 2006, S. 9.

2

Vgl. Michel Foucault, Archäologie des Wissens, Frankfurt a.M. 2013.

3

Daniel Wickberg, Intellectual History vs. the Social History of Intellectuals, in: Rethinking history. A Journal of Theory and Practice 5/3 2001, S. 385ff.

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die im Zuge einer „Faszination der großen Texte“ hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Gestaltungskraft und historischen Entwicklungsprozesse analysiert wurden4 – die Texte und die durch sie transportierten Ideen gerieten gleichsam selbst zum geschichtlichen Protagonisten.5 Zu einem der prominentesten Kritiker dieser Forschungspraxis wurde Quentin Skinner, der eine konsequente historische Kontextualisierung vermeintlich zeitloser Texte forderte, die man als Reaktionen auf die spezifischen zeitgenössischen Problemlagen analysieren müsse.6 Auch Intellektuelle stünden letztlich unter den sozialen, kulturellen und politischen Einflüssen ihrer Zeit und damit ihres historischen Kontextes.7 In Deutschland ging eine ähnliche Kritik von der Frankfurter Schule aus, etwa von Jürgen Habermas8, während in Frankreich vor allem die Archäologie des Wissens von Michel Foucault die bisherige wissenschaftliche Praxis der Disziplin infrage stellte. Die Intellektuellengeschichte hat auf diese grundsätzliche Kritik reagiert und versteht sich in Teilen nun selbst als eine spezifische Form der Sozialgeschichte.9 Auch Texte von Intellektuellen werden nun in der Regel quellenkritisch aus ihrer Zeit heraus gelesen und zunehmend historisch kontextualisiert. Damit finden sie Eingang in darüber gelagerte Diskurse als komplexe Verweisungszusammenhänge von Texten, die diese entweder in einen zeitgenössisch-synchronen oder einen epochenübergreifend-diachronen Zusammenhang einbetten.10

4

Günther Lottes, „The State of the Art“. Stand und Perspektiven der „intellectual history“, in: Kroll, Franz-Lothar (Hg.), Neue Wege der Ideengeschichte: Festschrift für Kurt Kluxen zum 85. Geburtstag, Paderborn [u.a.] 1996, S. 27-29; vgl. hierzu auch Lutz Raphael und Heinz-Elmar Tenorth (Hgg.), Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft im Europa der Neuzeit. Beiträge für eine erneuerte Geistesgeschichte, München 2006.

5

Im angelsächsischen Sprachraum waren vor allem die Begriffe mind und thought essentiell, Wickberg, Intellectual History, S. 385.

6

Einer der ersten und bekanntesten Beiträge von Skinner hierzu ist: Quentin Skinner, Meaning and Understanding in the History of Ideas, in: History & Theory 8.1 1969, S. 3-53. Seiner Kritik schlossen sich etwa Marc Bevir, John Pocock oder Dominic LaCapra an.

7

Wolfgang Eßbach, Intellektuellensoziologie zwischen Ideengeschichte, Klassenanalyse und Selbstbefragung, in: Kroll, Thomas und Reitz, Tilman (Hgg.), Intellektuelle in der Bundesrepublik Deutschland: Verschiebungen im politischen Feld der 1960er und 1970er Jahre, Göttingen 2013, S. 28-29.

8

Lottes, Stand und Perspektiven der „intellectual history“, S. 30.

9

Wickberg, Intellectual History vs. the Social History of Intellectuals, S. 386f.

10 Marcus Llanque, Politische Ideengeschichte. Ein Gewebe politischer Diskurse, München 2008, S. 6f.

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Dies verspricht eine größere analytische Tiefe, bringt jedoch auch neue Probleme mit sich: So gelingt es auch durch die historische Kontextualisierung nicht, einen archimedischen Punkt der wissenschaftlichen Analyse zu erreichen, da auch der Kontext als Text verstanden werden kann und daher selbst interkontextualisiert werden müsste.11 Ein weiteres Problem ergibt sich aus dem Verständnis des Intellektuellen als historischem Protagonisten selbst. Wird dieser als Sinnproduzent und als Vermittler oder gar Schöpfer von Ideen verstanden, zeichnet er sich grade dadurch aus, dass er sich bis zu einem gewissen Grade den sozialen Zwängen und diskursiven Verständlichkeiten entziehen kann und damit zumindest partiell stärker außerhalb seines Kontextes zu analysieren ist.12 Der Bezug auf kanonische Texte und Intellektuelle als ihre Urheber ist somit auch eine Anknüpfung an Denktraditionen und Praxis theoretischer Weltorientierung, von der sich die Forschung nicht vollständig zu lösen vermag, da sie sich sonst selbst historisieren müsste.13 Eine Überinterpretation des Kontextes und der sozialen Strukturen führt zudem zu einer nicht hinreichenden Berücksichtigung der Wahrnehmung und Deutung der historischen Akteure und der hinter ihren Aussagen liegenden agency.14 Es liegt auf der Hand, dass letztlich nur eine Synthese beider kritischer Perspektiven zur Nutzbarmachung für eine historische Untersuchung zielführend sein kann. Weder sind Intellektuelle als autonome Meister der großen Erzählung und „freischwebende Intelligenz“15 zu verstehen, noch sind sie ausschließlich

11 Dominick LaCapra, Wittgenstein's Vienna and Wittgenstein's Tractatus, in: Rethinking Intellectual History. Texts, Contexts, Language, Ithaca/London 1983, S. 84-117. Obwohl LaCapra damit die Kritik von Skinner fortführt, hält er gleichzeitig zumindest partiell an einer kanonischen Unterscheidung zwischen komplexen und dokumentarischen Texten fest, die wiederum selbst als Konstrukt kritisiert werden kann, vgl. Wickberg, Intellectual History vs. the Social History of Intellectuals, S. 391. 12 Jürgen Frese, Intellektuellen-Assoziationen, in: Richard Faber (Hg.), Kreise, Gruppen, Bünde: zur Soziologie moderner Intellektuellenassoziationen, Würzburg 2000, S. 442. 13 Lottes, Stand und Perspektiven der „intellectual history“, S. 29 u. S. 38. 14 Diese Kritik wurde etwa seitens der Geschlechter-, Alltags sowie der Kulturgeschichte erhoben, vgl. Welskopp, Die Sozialgeschichte der Väter. Grenzen und Perspektiven der Historischen Sozialwissenschaft, in: Geschichte und Gesellschaft 24. 1998, S. 173-198; Peter E. Gordon, Contextualism and Criticism in the History of Ideas, in: McMahon, Darrin M. und Moyn, Samuel (Hg.), Rethinking Modern European Intellectual History, Oxford 2014, S. 26-55. 15 Vgl. Karl Mannheim, Ideologie und Utopie, Frankfurt a.M. 1985 [zuerst 1929], S. 134143.

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Produkt ihrer soziokulturellen Einbettung und ihres historischen Kontextes.16 Ein möglicher Kompromiss ergibt sich aus einer ideengeschichtliche Perspektive, die sich von der Betrachtung des Intellektuellen als isoliertem Denker löst und den Fokus stärker auf Zirkel, Konstellationen, Milieus und Gruppen lenkt.17 So akzeptiert man den Intellektuellen als politisch-sozialen Protagonisten, beachtet aber zugleich dessen soziales Umfeld als intellektuelles Netzwerk von gesellschaftlichen Institutionen, Medien oder anderen Akteuren.18 In Deutschland waren es Beiträge der Philosophiegeschichte19 sowie wissenssoziologische Arbeiten von Karl Mannheim oder Ludwik Fleck, die sich schon früh auf intellektuelle Gruppenbildungsprozesse konzentrierten und in jüngerer Zeit von der Forschung wiederentdeckt und methodisch genutzt wurden.20 Folgt man diesen ideengeschichtlichen Traditionen lässt sich das Spannungsfeld zwischen Ideen und Intellektuellen verhältnismäßig umfassend analysieren, ohne eine der beiden Seiten überzuinterpretieren und somit relevante Aspekte aus dem Blick zu verlieren. Gleichwohl stellt sich im Rahmen der sozialen Ein-

16 François Beilecke, Netzwerke und Intellektuelle, in: Ebd. (Hg.), Der Intellektuelle und der Mandarin: für Hans Manfred Bock, Kassel 2005, S. 50-51. Auch Skinner und Bevir fordern zwar die kritische Kontextualisierung, fokussieren sich aber auf Sprechakte und die hinter den Ideen und Texten und somit von den Autoren ausgehende agency, vgl. hierzu etwa Mark Bevir, The Logic of the History of Ideas, Cambridge 1999. Kritisch zu dem agency-Ansatz wiederum: Wickberg, Intellectual History and the Social History of Intellectuals, S. 388-390. 17 Entscheidende Impulse hierzu lieferten etwa die Arbeiten von Jean-François Sirinelli und Pascal Ory, vgl. hierzu auch François Beilecke, „Der Intellektuelle ist tot, es lebe der Intellektuelle!“ Anmerkungen zur neueren französischen Intellektuellenforschung, in: vorgänge 40/4 2001, S. 41-49; zur ideengeschichtlichen Konstellationsforschung siehe: Martin Mulsow und Marcelo Stamm, Konstellationsforschung, Frankfurt a.M. 2005. 18 Beilecke, Netzwerke und Intellektuelle, S. 50-51. 19 Vgl. hierzu v.a. die Arbeiten von Dieter Henrich: Dieter Henrich, Hegel im Kontext, Frankfurt a.M. 1971; Ebd., Konstellationen. Probleme und Debatten am Ursprung der idealistischen Philosophie (1789-1795), Stuttgart 1991; Ebd., Grundlegungen aus dem Ich: Untersuchungen zur Vorgeschichte des Idealismus. Tübingen – Jena (1790-1794), Frankfurt a.M. 2004. 20 Gangolf Hübinger, Gelehrte, Politik und Öffentlichkeit. Eine Intellektuellengeschichte, Göttingen 2006, S. 20; Ludwig Flek, Enstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre von Denkstil und Denkkollektiv, Frankfurt a.M. 1999 [zuerst Basel 1935]; Karl Mannheim, Das Problem der Generationen, in: Kölner Jahreshefte für Soziologie 8. 1928, S. 17-76.

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bettung des Intellektuellen die Frage, wie diese schillernde Figur überhaupt zu charakterisieren und wissenschaftlich zu definieren ist. Entscheidend ist hierbei, ob es gelingt, den Terminus von normativen Zuschreibungen zu lösen, die sich begriffsgeschichtlich von Beginn an mit dem „Intellektuellen“ verknüpfen. Erstmals etablierte sich der Begriff in der Dreyfus-Affäre im Rahmen der öffentlichen Anklage Émile Zolas gegen die Verurteilung des jüdischen Hauptmanns Alfred Dreyfus21 und den darauffolgenden Stellungnahmen weiterer namhafter Schriftsteller und Akademiker.22 Dieser historische Entstehungskontext prägte den Begriff des Intellektuellen nachhaltig und fand mitsamt der normativen Zuschreibungen Eingang auch in wissenschaftliche Arbeiten: Intellektuelle werden daher in Anlehnung an die Dreyfusards oftmals als politisch linke, kritische oder gar tugendhafte Aufklärer verstanden, die sich humanistisch-republikanischen Werten wie Menschenrechten und Demokratie verpflichtet fühlen.23 Eine solche begriffsgeschichtliche Verengung führt jedoch zu Problemen in doppelter Hinsicht: Zum einen wäre es offensichtlich falsch, das Auftauchen des Begriffes im öffentlichen Diskurs mit der Geburtsstunde des Bezeichneten gleichzusetzen.24 Vielmehr muss angenommen werden, dass es auch vor der Dreyfus-Affäre Protagonisten gab, die hinsichtlich ihrer sozialen, politischen und kulturellen Rolle die Funktion eines Intellektuellen erfüllten.25 Zum anderen entspricht die zum Teil implizit vorgenommene normative Stilisierung des Intellektuellen als poli-

21 Zolas berühmter Protestbrief wurde unter dem Titel „J'Accuse“ am 13. Januar 1898 in der Zeitung „L’Aurore“ veröffentlicht. 22 Vgl. Christophe Charle, Naissance des „intellectuels“: 1880-1900, Paris 1990; Dietz Bering, Die Epoche der Intellektuellen (1898-2001). Geburt – Begriff – Grabmal, Berlin 2010. 23 Siehe z.B.: Jürgen Habermas, Ein avantgardistischer Spürsinn für Relevanzen. Was den Intellektuellen auszeichnet, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 5. 2006, S. 551-557. Vgl. auch Birgit Pape, Intellektuelle in der BRD 1945-1967, in: Schlich, Jutta (Hg.), Intellektuelle im 20. Jahrhundert in Deutschland: ein Forschungsreferat, Tübingen 2000; Roman Luckscheiter, Intellektuelle in der Bundesrepublik 1968-1989, a.a.O. 24 Jutta Schlich, Begriffsgeschichte im allgemeinen und im besonderen – methodische Überlegungen, in: Ebd. (Hg.), Intellektuelle im 20. Jahrhundert in Deutschland, S. 4. 25 Kirill Abrosimov, Die Genese des Intellektuellen im Prozess der Kommunikation. Friedrich Melchior Grimms »Correspondance littéraire«, Voltaire und die Affäre Calas, in: Geschichte und Gesellschaft 33. 2007, S. 163-197; Bluhm und Reese-Schäfer, Intellektuelle als Produzenten und Protagonisten politischer Ideen, S. 11; Dietmar Wetzel, Diskurse des Politischen: Zwischen Re- und Dekonstruktion, München 2003, S. 101.

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tisch linken und demokratischen Regierungskritiker offenbar einem französischen Typus, der sich nicht reibungslos auf die deutschen „Gelehrten“ oder „Geistigen“ übertragen lässt und insgesamt den Zugang zu einer wertfreien und wissenschaftlich-analytischen Verwendung des Begriffes verstellt.26 Der Begriff des Intellektuellen konnte in Deutschland bisweilen als Schimpfwort für eine Person benutzt werden, die abstrakt dachte und lebensfremd auftrat.27 So kam es zu seltsamen Wortneuschöpfungen wie dem „Gegenintellektuellen“, der als ein rechtskonservativer Kritiker des „Intellektuellen“ auftrat, selbst aber als Intellektueller verstanden werden konnte.28 Derartige Narrative folgen offenbar dem Diktum Helmut Schelskys, der Mitte der 70er Jahre eine „Priesterherrschaft“ der Intellektuellen beklagte29 und sich selbst als Antiintellektuellen stilisierte, um den Begriff pejorativ gebrauchen zu können.30 Einer analytischen Verwendung des Begriffes muss daher zunächst eine Formalisierung vorausgehen, die den Intellektuellen unabhängig von seiner vordergründigen politischen Ausrichtung und vielmehr hinsichtlich seiner sozialen und ideengeschichtlichen Funktion begreift. Ein festumrissenes und eindeutiges Verständnis gestaltet sich hingegen problematisch, da jene Funktion aus dem historischen Kontext erwächst und damit selbst Wandlungsprozessen unterworfen ist.31 Um den „Intellektuellen“ für die ideengeschichtliche Forschung als Analysebegriff nutzbar zu machen bietet sich daher eine möglichst weitumfassende und wertfreie Definition an. In diesem Sinne kann der Intellektuelle zu-

26 Vgl. Gangolf Hübinger, Die politischen Rollen europäischer Intellektueller im 20. Jahrhundert, in: Ebd. (Hg.) Kritik und Mandat: Intellektuelle in der deutschen Politik, Stuttgart 2000, S. 30ff.; Ebd., Intellektueller in Deutschland. Mehr als die Geschichte eines Schimpfwortes. Bemerkungen zur 'Geburt' der Intellektuellen im Deutschen Kaiserreich, in: Jurt, Joseph (Hg.), Intellektuelle – Elite – Führungskräfte und Bildungswesen in Frankreich und Deutschland. Kolloquium des Frankreich-Zentrums der Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg 2004, S. 32-32; Denis A. Sdvižkov, Das Zeitalter der Intelligenz: zur vergleichenden Geschichte der Gebildeten in Europa bis zum Ersten Weltkrieg, Göttingen 2006, S. 67ff.; Joseph Jurt, Frankreichs engagierte Intellektuelle. Von Zola bis Bourdieu, Göttingen 2012, S. 13ff. 27 Bering, Die Epoche der Intellektuellen, S. 70ff. 28 Wetzel, Diskurse des Politischen, S. 110-112. 29 Helmut Schelsky, Die Arbeit tun die anderen. Klassenkampf und Priesterherrschaft der Intellektuellen, Opladen 1975. 30 Bluhm u.a. Reese-Schäfer, Intellektuelle als Produzenten und Protagonisten politischer Ideen, S. 12-13. 31 Kroll und Reitz, Zeithistorische und wissenssoziologische Zugänge, S. 11-12

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nächst als Person verstanden werden, die geistige Arbeit verrichtet, sich also ihres Intellekts bedient, und die Ergebnisse dieser Arbeit medial vermittelt einem Publikum zugänglich macht.32 Da hiermit jedoch die Gesamtheit aller Journalisten, Künstler oder Wissenschaftler bezeichnet würde, sind zwei weitere Einschränkungen notwendig: Der Intellektuelle tritt erst dann als solcher in Erscheinung, wenn er außerhalb seines spezifischen Tätigkeitsfeldes an gesellschaftlichen Diskursen partizipiert, die zudem von allgemeinem politischen Interesse sind.33 Der öffentliche Diskurs und die politische Idee sind somit gleichsam konstitutiv; der Intellektuelle kann dann als „Produzent und Protagonist politischer Ideen“ verstanden werden.34 Natürlich sind die Begriffe der „Öffentlichkeit“ und „Allgemeinheit“ hierbei zu problematisieren. So können die politischen Diskurse durchaus zunächst im arkanen Raum einer „klandestinen Gegenöffentlichkeit“35 stattfinden, die sich innerhalb der Zirkel, Kreise oder Gruppen formiert, in denen intellektuelle Netzwerke geknüpft werden. Tatsächlich erscheint eine Sozialisation über diese Netzwerke, die sich nicht durch den Grad ihrer Institutionalisierung auszeichnen, geradezu als kennzeichnende Sozialisationsform von Intellektuellen.36 Eine zu starke institutionelle Einbettung des Intellektuellen – etwa als Repräsentant einer politischen Partei, eines Unternehmens oder einer anderen bedeutenden gesellschaftlichen Einrichtung – kann seine soziale Funktion überlagern.37 Die Netzwerke von Intellektuellen sind daher ver-

32 Eßbach, Intellektuellensoziologie, S. 21; Schlich, Begriffsgeschichte, S. 4. 33 Diese Definition orientiert sich an: Stefan Collini, Absent Minds. Intellectuals in Britain, Oxford [u.a.] 2006, S. 52. 34 Bluhm und Reese-Schäfer, Intellektuelle als Produzenten und Protagonisten politischer Ideen. 35 Constantin Goschler, Radikalkonservative Intellektuelle in der frühen Bundesrepublik, in: Schütz, Erhard (Hg.), Solitäre und Netzwerker. Akteure des kulturpolitischen Konservatismus nach 1945 in den Westzonen Deutschlands, Essen 2009, S. 27-28. 36 Beilecke, Netzwerke und Intellektuelle, S. 58-59. 37 Daher zeichnen sich viele Intellektuelle – wie Georg Simmel feststellte – durch eine „sterile Aufgeregtheit“ aus, die sie grade von der Praxis der Politikers unterscheide und doch für ihre gesellschaftliche Funktion als kennzeichnend verstanden werden könne; vgl. Bluhm und Reese-Schäfer, Intellektuelle als Produzenten und Protagonisten politischer Ideen, S. 9-10; die Formulierung Georg Simmels wurde von Max Weber überliefert, der sie als Kritik formulierte vgl. Max Weber und John Dreijmanis (Hg.), Max Webers vollständige Schriften zu akademischen und politischen Berufen, Bremen 2010, S. 214; dies schließt andererseits nicht aus, dass auch Politiker die Funktion von Intellektuellen einnehmen können.

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mutlich eher durch schwache und informelle Bindungen mit hoher Flexibilität gekennzeichnet, die weder familiär noch primär politisch sind.38 Diese Sozialisationsformen weisen eine lange historische Tradition auf, die sich etwa in Lesegesellschaften, Salons, vorpolitischen Clubs oder kulturellen Vereinen wiederfindet.39 Auch wenn Intellektuelle sich jedoch in geschlossenen oder halböffentlichen Netzwerken sozialisieren, die sich um Verlage, Zeitschriften, universitäre Lehrstühle oder andere Institutionen bilden können, so suchen sie langfristig nach einem Weg in die Diskurse der Gesellschaft, um als Protagonisten politischer Öffentlichkeit aufzutreten.40 Sie beteiligen sich dann als gesellschaftliche Eliten an der Sinnproduktion politischer Deutungskulturen, vertreten politische Deutungsmuster und partizipieren an diskursiven Auseinandersetzungen um Hegemonialität.41 In diesen geht es letztlich um die Distribution politischer Macht sowie die Beeinflussung oder „Veränderung der herrschenden Kategorien zur Wahrnehmung der Welt“.42 Somit reicht der Einfluss von Intellektuellen langfristig eben doch in die politische Praxis hinein, weshalb ihre Funktion mehr ist als eine „ins Leere laufende Romantik des intellektuell Interessanten“.43 Vielmehr beteiligen sie sich an normativen Zuschreibungen politischer Diskurse, konstruieren Sagbarkeitsregeln und Tabus und bestimmen die Verortung politischer Deutungsmuster im Zentrum oder der Peripherie der Gesellschaft.44 Vor

38 Im französischen Forschungsdiskurs hat sich hierbei nach den Arbeiten von JeanFrançois Sirinelli der Begriff der sociabilités etabliert, vgl. etwa Nicole Racine (Hg.), Sociabilités intellectuelles: lieux, milieux, réseaux, Paris 1992; vgl. hierzu auch: Mark Grenovetter, The Strength of the Weak Ties. A Network Theory Revisited, in: Marsden, Peter (Hg.), Social structure and network analysis, Beverly Hills [u.a.] 1985, S. 108-109. 39 Michel Grunewald und Hans-Manfred Bock, Zeitschriften als Spiegel intellektueller Milieus, in: Michel Grunewald (Hg.), Das linke Intellektuellenmilieu in Deutschland, seine Presse und seine Netzwerke (1890-1960), Bern [u.a.] 2002, S. 30. 40 Wolfram Burkhardt und Frederik Hartle, Risse im Raum des Politischen. Über den Typus des streitbaren Intellektuellen, in: Vorgänge: Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik 40.156 2001, S. 5-9. 41 Vgl. hierzu: Steffen Kailitz, Die politische Deutungskultur im Spiegel des Historikerstreits: what's right? What's left?, Wiesbaden 2001, S. 15ff. 42 Pierre Bourdieu, Sozialer Raum und Klassen. Leçon sur la leçon. Zwei Vorlesungen, Frankfurt a.M. 1985, S. 18f. 43 Weber, Vollständige Schriften, S. 214. 44 Kailitz, Die politische Deutungskultur, S. 19-20.

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diesem Hintergrund erscheint es notwendig, Intellektuelle in ihrem gesamten politischen Spektrum zu erfassen, das sich an diesen Diskursen beteiligt und Einfluss auf die Deutungskulturen auszuüben sucht. Intellektuelle sind daher nicht ausschließlich demokratische Kritiker staatlicher Ordnungen in der Tradition der Aufklärung, sondern können auch als Rechtsintellektuelle oder konservative Intellektuelle auftreten.45 Diese Perspektive wird in der Intellektuellengeschichte jedoch noch vergleichsweise selten eingenommen und beschränkt sich häufig auf eine Spurensuche nationalsozialistischer Durchdringung der frühen Bundesrepublik.46 Dabei scheint es naheliegend, dass auch der Konservatismus und die im weitesten Sinne politische Rechte in der Bundesrepublik einen Transformationsprozess durchlief, sich in Netzwerken organisierte und sich mit ihrer politischen Kultur auseinandersetzte, um langfristig Eingang in breitere Diskurse der Öffentlichkeit und hegemoniale Auseinandersetzungen zu finden.47 Zur Nutzbarmachung dieser methodologischen Vorüberlegungen für die Ideengeschichte der Bundesrepublik bietet sich eine Berücksichtigung der Arbeiten aus den Politik- und Sozialwissenschaften an. Denn hier gibt es zu diesem Forschungsgegenstand eine bereits lang andauernde Diskussion, die häufig unter dem Terminus „Neue Rechte“ geführt wird, bisher aber keinen Eingang in die Intellektuellengeschichte gefunden hat. Zentral ist dabei die Fragestellung, inwieweit es in der Bundesrepublik eine soziale, politische und kulturelle Bewegung der Neuen Rechten gibt, die eine Modernisierung ihrer politischen Deutungskultur anstrebt, und inwieweit ein solches Kollektiv definiert, analysiert und beschrieben werden kann.48 Über den Terminus „Neue Rechte“ herrscht

45 So auch: Gangolf Hübinger und Thomas Herfelder (Hg.), Kritik und Mandat. Intellektuelle in der deutschen Politik, Stuttgart 2000; Helmut Schelsky wäre hierfür ebenso ein Beispiel wie Carl Schmitt. Ein Standardwerk zu letzterem ist sicherlich die Untersuchung Dirk van Laaks: Dirk van Laak, Gespräche in der Sicherheit des Schweigens: Carl Schmitt in der politischen Geistesgeschichte der frühen Bundesrepublik, Berlin 2002. 46 Erhard Schütz und Peter Uwe Hohedahl, Solitäre, Mittler und Netzwerker. Einleitende Vorbemerkungen, in: Erhard Schütz (Hg.), Solitäre und Netzwerker: Akteure des kulturpolitischen Konservatismus nach 1945 in den Westzonen Deutschlands, Essen 2009, S. 9-10; vgl. hierzu auch Dirk A. Moses, German Intellectuals and the Nazi Past, Cambridge [u.a.] 2009. 47 Vgl. Constantin Goschler, Radikalkonservative Intellektuelle in der frühen Bundesrepublik, in: Schütz, Solitäre und Netzwerker, S. 27ff. 48 Vgl. exemplarisch hierzu: Wolfgang Gessenharter, Die „Neue Rechte“ als Scharnier zwischen Neokonservatismus und Rechtsextremismus in der Bundesrepublik, in: Rai-

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hingegen alles andere als Konsens: Unterschiedliche, zum Teil nur schwer miteinander vereinbare Definitionen stehen sich im Forschungsdiskurs gegenüber und lassen eine operationalisierbare Beschreibung des „ideologisch schillernden Phänomens“49 als große Herausforderung erscheinen.50 Bemerkenswerterweise hingegen ist in vielen Publikationen die Verknüpfung zur Intellektuellengeschichte bereits angelegt. Denn einer der wenigen Punkte, über die größtenteils Einigkeit besteht, ist der Umstand, dass es sich bei der „Neuen Rechten“ vor allem um Netzwerke rechter Intellektueller handele.51 Es bietet sich vor diesem Hintergrund an, einen anderen Zugang zum Forschungsgegenstand zu öffnen und die politische Deutung nicht bereits in die Prämisse, sondern erst das mögliche Ergebnis der Arbeit einzubeziehen. Statt also die Intellektuellen von ihren politischen Ideen her zu lesen, die möglicherweise eine „Neue Rechte“ beschreiben, sollen jene Ideen aus den Netzwerken, Tätigkeiten und Diskursen der Intellektuellen selbst erst abstrahiert und konzeptionalisiert werden. Dies ermöglicht zugleich eine stärkere Berücksichtigung historischer Wandlungsprozesse jener politischen Deutungskulturen, die sich nicht nur angesichts verschiedener Gruppen intellektueller Protagonisten und ihrer Netzwerke unterscheiden können, sondern zweifellos auch Reaktionen auf zeitgenössische Problemlagen, gesellschaftliche Debatten und politische Diskurse darstellen.

ner Eisfeld (Hg.), Gegen Barbarei: Essays Robert M.W. Kempner zu Ehren, Frankfurt a.M. 1989, S. 424-452; Rainer Benthin, Auf dem Weg in die Mitte. Die Öffentlichkeitsstrategien der Neuen Rechten, Frankfurt a.M. [u.a.] 2004; Armin PfahlTraughber, Rechtsextremismus in der Bundesrepublik, München 2006, v.a. S. 40ff. 49 Uwe Backes, Gestalt und Bedeutung des intellektuellen Rechtsextremismus in Deutschland, in: APuZ 46. 2001, S. 27. 50 Vgl. Mathias Brodkorb und Stefan Brun, Über die neu-rechte, rechtsradikale extreme Rechte. Kritische Anmerkungen zu einem Begriffswirrwarr im Grenzland von Wissenschaft, Journalismus und Politik, in: Backes, Uwe/Gallus, Alexander/Jesse, Eckhard (Hg.), Jahrbuch Extremismus und Demokratie (E&D), Baden Baden 2009, S. 145-160. 51 Benthin, Auf dem Weg in die Mitte, S. 81-98; Wolfgang Gessenharter, Intellektuelle Strömungen und Vordenker in der deutschen Neuen Radikalen Rechten, in: Thomas Grumke und Bernd Wagner (Hgg.), Handbuch Rechtsextremismus. Personen – Organisationen – Netzwerke vom Neonazismus bis in die Mitte der Gesellschaft, Opladen 2002, S. 189-202; Armin Pfahl-Traughber, Konservative Revolution und neue Rechte: rechtsextremistische Intellektuelle gegen den demokratischen Verfassungsstaat, Opladen 1998; bisweilen taucht auch der Begriff der „Elite“ auf, als „Bewegungselite“ bei Benthin oder bei: Volker Weiß, Deutschlands Neue Rechte: Angriff der Eliten – von Spengler bis Sarrazin, Paderborn [u.a.] 2011.

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Der vorliegende Beitrag versteht sich somit als Versuch, das Phänomen der „Neuen Rechten“ zu historisieren und als Geschichte rechtsintellektueller Protagonisten, ihrer Netzwerke und politischen Deutungskulturen zu analysieren. Damit soll zugleich die Figur des Intellektuellen stärker im derzeit aktiven Forschungsfeld zur Ideengeschichte der Bundesrepublik eingebunden werden. Intellektuelle als Akteure politisch-gesellschaftlicher Sinnstiftung sind in diesem Zusammenhang von besonderer Relevanz, da sie sich zwischen NS-Vergangenheit, Kaltem Krieg und Westernisierung in einem komplexen ideengeschichtlichen Dynamik positionierten52, in dem unterschiedliche Deutungen in die politischen Diskurse eingebracht wurden und miteinander kooperierten oder konkurrierten. Die Bundesrepublik zeigt sich aus dieser Perspektive geradezu als hochdifferenziertes Spannungsfeld politischer Ideen, als deren Vermittler Intellektuelle auftraten, um gesellschaftliche Bedürfnisse nach aktiven Deutungs- und Aushandlungsprozessen politischer Sinnstiftung zu erfüllen. Mit dem vorliegenden Beitrag verbunden ist somit gleichsam das Plädoyer, Intellektuelle und ihre spezifischen Sozialisationsformen analytisch stärker in die Ideengeschichte der Bundesrepublik zu integrieren, um dieses Spannungsfeld politischer Ideen durch in ihm agierende Protagonisten historisch erschließen zu können.

ARMIN M OHLER UND C ASPAR VON S CHRENCK -N OTZING ALS R ECHTSINTELLEKTUELLE IN DER B UNDESREPUBLIK Armin Mohler wird in den wenigen Publikationen, die ihn erwähnen entweder als wichtiger Vordenker der Neuen Rechten charakterisiert53, bisweilen auch als „kluge Spinne im neurechten Netz“54 oder gar als „Stimme der radikalkonservativen Intellektuellen in der Bundesrepublik“.55 Seine Rolle als Rechtsintellektueller in der politischen Kultur der Bundesrepublik ist bislang jedoch von der Forschung nur wenig beachtet worden.56 Noch weniger wurde Caspar von

52 Vgl. hierzu auch: Anselm Doering-Manteuffel, Wie westlich sind die Deutschen? Amerikanisierung und Westernisierung im 20. Jahrhundert, Göttingen 1999. 53 Armin Pfahl-Traughber, Konservative Revolution und Neue Rechte: Rechtsextremistische Intellektuelle gegen den demokratischen Verfassungsstaat, Opladen 1998, S. 164. 54 Peter Glotz, Die deutsche Rechte. Eine Streitschrift, Stuttgart 1989, S. 36. 55 Goschler, Radikalkonservative Intellektuelle, S. 31. 56 Es existieren zwar einige Festschriften für Mohler, sowie eine Biographie, die von Karlheinz Weißmann verfasst wurde. Diesen Publikationen gemein ist jedoch ihre Verbundenheit zu Mohler (Weißmann versteht sich selbst als dessen Schüler), wes-

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Schrenck-Notzings Wirken in der frühen Bundesrepublik und seine Verbindung zu Armin Mohler bislang wissenschaftlich bearbeitet.57 Im Rahmen einer historischen Analyse rechtsintellektueller Netzwerke ist die Freundschaft, die Mohler und Schrenck-Notzing verband, jedoch kaum zu unterschätzen: Ihre intensive politische Zusammenarbeit begründete bereits früh eine bedeutsame Strömung konservativer Deutungskultur und bildete eine zentrale Verknüpfung zweier sich parallel entwickelnder und ausdifferenzierender rechtsintellektueller Zirkel. Den ersten Schritt hierzu machte der aus Basel stammende Armin Mohler. Mohler war als junger Student im Jahre 1942 aus der Schweizer Armee desertiert, illegal nach Deutschland gereist und hatte vergeblich versucht, sich der Waffen-SS und dem deutschen Russlandfeldzug anzuschließen.58 Im Anschluss widmete er sich der Erforschung des Konservatismus und arbeitete an einer Dissertation über konservative Intellektuelle in der Weimarer Republik, für die er mehrere Recherchereisen nach Deutschland unternahm. Hier nahm er bereits früh Kontakt zu dem von ihm bewunderten Carl Schmitt auf, den er seit 1948 regelmäßig besuchte und der offenbar auch für Mohler so große Sympathie hegte,

halb sie nicht als wissenschaftliche Beiträge, sondern eher als rechtsintellektuelle Quellen zu lesen sind, vgl. etwa Karlheinz Weißmann, Armin Mohler. eine politische Biographie, Schnellroda 2011; Ebd. [u.a.] (Hg.), Lauter dritte Wege: Festschrift für Armin Mohler zum 80. Geburtstag, Bad Vilbel 2000; ähnliches gilt für: Sebastian Maaß, Die Geschichte der Neuen Rechten in der Bundesrepublik, Kiel 2014; hilfreicher ist die eher unter umgekehrten Vorzeichen stehende politikwissenschaftliche Arbeit von Thomas Willms, die allerdings sehr knapp gehalten ist, sich vor allem auf die Verbindungen Mohlers zur CSU und Franz-Josef Strauß konzentriert und – soweit ersichtlich – den Nachlass Mohlers nicht berücksichtigt, vgl. Thomas Willms, Armin Mohler. Von der CSU zum Neofaschismus, Köln 2004. Andere Publikationen der Politikwissenschaft behandeln Mohler zumindest kursorisch, vgl. Pfahl-Traughber, Konservative Revolution, S. 164-170; van Laak, Gespräche in der Sicherheit des Schweigens, S. 256-262; insgesamt ist jedoch der These von Thomas Willms zuzustimmen, dass Armin Mohler die Deutung über die größten Teile seiner Biographie selbst geliefert hat, die in der Forschung nicht immer ausreichend kritisch hinterfragt worden sind, vgl. Willms, Armin Mohler, S. 25ff. 57 Caspar von Schrenck-Notzings Name taucht in der Forschung allenfalls im Rahmen seiner Rolle als Verleger des Criticón ab 1970 auf, in einzelnen Publikationen wird zudem stichwortartig auf sein Buch Charakterwäsche verwiesen; vgl. PfahlTraughber, Konservative Revolution, S. 202; Lutz Niethammer, Angepasster Faschismus: politische Praxis der NPD, Frankfurt a.M. 1969, S. 53-54. 58 Pfahl-Traughber, Konservative Revolution, S. 164; Willms, Armin Mohler, S. 25.

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dass er ihn bereits nach ihrem ersten zweitägigen Treffen um einen baldigen erneuten Besuch bat.59 Zwischen Schmitt und Mohler entwickelte sich daraufhin ein Lehrer-Schüler-Verhältnis sowie ein intensiver, freundschaftlicher und umfangreicher Briefwechsel.60 Im November 1949 reichte Mohler seine Arbeit zum Konservatismus der Weimarer Republik als Dissertation in Basel ein. Eine seiner zentralen Thesen ist die parallele Existenz zweier ideengeschichtlicher Entwicklungen in Deutschland, nämlich des Nationalsozialismus einerseits, sowie der „konservativen Revolution“ andererseits. Letztere beschreibt Mohler als „geistige Erneuerungsbewegung, welche das vom 19. Jahrhundert hinterlassene Trümmerfeld aufzuräumen und eine neue Ordnung des Lebens zu schaffen sucht.“61 Die Ideen der konservativen Revolution hält Mohler für zukunftsweisend, da sie sich „bisher nur in Ansätzen hat verwirklichen können“ und ihr Potential, Einheit und Gleichheit statt Individualismus und Dualismus zu erreichen, bislang nicht ausgeschöpft worden sei.62 Stattdessen sei der Nationalsozialismus zur Macht gelangt, der jedoch nur ein „krudes Gemisch“ unterschiedlicher ideologischer Elemente sei und der keinesfalls als Folge der konservativen Revolution missverstanden werden dürfe: „Mögen Einzelne auch überlaufen, so wiegt der Blutzoll, mit dem die 'Konservative Revolution' ihren Widerstand besiegelt, doch schwerer.“63 Obwohl Mohler ausdrücklich betont, dass er die Frage nach der „Verantwortung für den Nationalsozialismus“ nicht beantworten könne64 und dies auch nicht Thema seiner Arbeit sei, ergibt sich die Antwort darauf ebenso wie Mohlers Sympathie für den Weimarer Konservatismus unmittelbar aus den Thesen seiner Publikation. Mehr noch: Die „konservative Revolution“ war ein von Mohler bewusst geschaffenes Konstrukt, das ideengeschichtlich vom Nationalsozialismus getrennt werden sollte, um den Konservatismus politisch zu rehabilitieren und das deutsche Nationalbewusstsein langfristig zu stärken.65

59 Mohler, Kommentar FN1, in: Mohler, Armin [u.a.] (Hg.), Carl Schmitt – Briefwechsel mit einem seiner Schüler, Berlin 1995, S. 23. 60 Mohler wurde zu einer der wenigen Briefreunde, die Schmitt mit Vornamen anschrieb. Er nannte ihn ab Anfang 1953 „Mein lieber Arminius“, vgl. Ebd., S. 137 ff. 61 Armin Mohler, Die Konservative Revolution in Deutschland 1918-1932. Grundriß ihrer Weltanschauung, Stuttgart 1950, S. 8. 62 Ebd., S. 207. 63 Ebd., S. 210. 64 Ebd., S. 17-18. 65 Mohlers Freund Robert Hepp macht daraus in der Festschrift zu Mohlers 75. Geburtstag kein Geheimnis: Er bezeichnet die konservative Revolution als Mohlers „höchst eigene, originelle Erfindung, eine seiner überhistorischen Pointen“. Es sei Mohler we-

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Nachvollziehbare Kriterien, wer nun aus welchen Gründen dieser Bewegung zuzuordnen sei, finden sich in seiner Schrift dementsprechend auch nicht: Thomas Mann beispielsweise gehöre dazu, da er in seinem frühen Wirken einen großen Einfluss auf die Ideen der konservativen Revolution ausgeübt habe.66 Carl Schmitt jedoch klammerte Mohler explizit aus: Zwar stehe „sein ganzes Werk […] bewußt in der 'Konservativen Revolution' drin und formt deren Sprache entscheidend mit.“ Jedoch handele es sich bei den Schriften von Schmitt prinzipiell nicht um Weltanschauungen, sondern um „Tatbestandsuntersuchungen“, deren Kern „nur mittelbar abgelesen werden könne“, weshalb „sein Werk bei aller begrifflichen Schärfe im Letzten in Dunkel gehüllt“ bleibe.67 Aus den Briefwechseln mit Schmitt geht hingegen hervor, dass Mohler „wohlweislich einen Bogen“ um seinen Lehrer machte, um diesen vor Kritik zu schützen.68 Die eingereichte Dissertation bereitete den Gutachtern sichtlich Unbehagen. Ausgerechnet der liberale Karl Jaspers, der in einem vielbeachteten Essay der Nachkriegszeit alle Deutschen dazu aufgefordert hatte, sich mit ihrer individuellen Schuld an den NS-Verbrechen zu beschäftigen69, sollte Mohlers wissenschaftliche Arbeit bewerten. Natürlich erkannte er die politischen Implikationen der Schrift und zögerte daher zunächst, die Promotion zu begutachten. Schließlich entschied er sich jedoch, dem jungen Schweizer keine Steine in den Weg zu legen, nicht ohne Mohler gegenüber seine Bedenken deutlich zu formulieren: „Eigentlich dürfte ich Ihre Dissertation nicht annehmen. Aber es kommt ja nicht mehr auf Deutschland an, es kommt nur noch auf Amerika und Rußland an. Folglich kann Ihr Buch nur beschränkten Unfug anrichten. […] Ich habe ein schlechtes Gewissen, Sie als Doktor der Philosophie auf die Menschheit loszulassen – aber ich habe das Gefühl, Sie machen nicht zu viel Gebrauch davon.“70 Auch die anderen Gutachter schienen Bedenken gehabt zu haben, so dass die Beratung über Mohlers Arbeit ungewöhnlich lange dauerte und letztlich ein cum laude zum Ergebnis hatte, gemeinsam mit den Vorwürfen, dass die Dissertation

niger um eine wissenschaftliche Würdigung gegangen als vielmehr darum, den „Karren der deutschen Geschichte wieder aus dem Dreck zu ziehen“; vgl. Robert Hepp, Mohler sub specie aeternitatis, in: Ulrich Fröschle (Hg.), Der andere Mohler: Lesebuch für einen Selbstdenker, Limburg a.d. Lahn 1995, S. 54-56. 66 Mohler, Die Konservative Revolution, S. 79. 67 Ebd., S. 75. 68 Armin Mohler an Carl Schmitt, 19.3.1949, in: Mohler, Schmitt – Briefwechsel, S. 52. 69 Vgl. Karl Jaspers, Die Schuldfrage, Zürich 1946. 70 Mohler schildert dieses Gespräch selbst, vgl. Armin Mohler, Tendenzwende für Fortgeschrittene, München 1978, S. 181f.

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neben falschen Thesen und einer zu subjektiven und einseitigen Betrachtung des Untersuchungsgegenstandes auch eine „ungerechtfertigte Entlastung“ darstelle.71 Trotz dieser Schwierigkeiten hatte Mohler seine Promotion vollendet und den Begriff der „konservativen Revolution“ erfolgreich in den akademischen Diskurs eingebracht, wo er eine bemerkenswerte Konjunktur erlebte und die Forschung bis in die Gegenwart prägt – die Prognose von Karl Jaspers sollte sich als grobe Fehleinschätzung erweisen.72 Mit der Publikation seines Buches erlangte Armin Mohler 1950 in rechtsintellektuellen Kreisen der Bundesrepublik schnell große Bekanntheit. Bereits im Rahmen seiner Recherchereisen hatte er sich gut vernetzt, nicht nur mit Carl Schmitt, sondern auch vielen weiteren Personen des Umfeldes, über das er geschrieben hatte, etwa Ernst Jünger, dessen Sekretär Mohler noch während seiner Promotion Ende des Jahres 1949 wurde.73 Keinesfalls waren alle diese Personen einverstanden mit der Arbeit des Schweizers. So erhielt Mohler etwa kurz nach Veröffentlichung seines Buches einen scharfen Brief von Hans Zehrer, in dem dieser die Arbeit zwar als „gut und fleissig“, jedoch „zu früh und sehr unvorsichtig“ bezeichnete: „Weil ich an die Zukunft der konservativen Idee glaube, habe ich es nicht gerne, wenn darüber geschrieben wird. Sie soll nicht bewusst gemacht werden! Sie geniesst grade jetzt den Vorzug, alle anderen Positionen bewusst – und damit tot – zu machen und soll das gut ausnutzen. Aber sie soll sich selber nicht manifestieren. Darauf warten die anderen ja nur.“74 Zehrer, der dem sogenannten „Tat-Kreis“ der Konservativen in der Weimarer Republik angehört und sich entschieden gegen die Weimarer Demokratie und den Liberalismus

71 Mohler an Schmitt, 29.6.1949 und Mohler an Schmitt, 8.7.1949, in: Mohler, Schmitt – Briefwechsel, S. 60 u. 62. 72 Erst 1990 publizierte Stefan Breuer eine ausführliche kritische Auseinandersetzung mit der „konservativen Revolution“ und dekonstruierte den Begriff als „Mythos“, der sich nichtsdestotrotz in der politischen Ideengeschichte fest etabliert habe, vgl. Stefan Breuer, Die 'Konservative Revolution' – Kritik eines Mythos, in: Politische Vierteljahresschrift, 31.4. 1990, S. 585-607; wenngleich sich wissenschaftliche Publikationen inzwischen weitaus kritischer mit Mohlers Thesen auseinandersetzen, gilt seine Publikation auch heute noch als Standardwerk und „Leitfaden für die weitere Auseinandersetzung“ mit dem Thema, so Pfahl-Traughber, Konservative Revolution, S. 164. 73 Van Laak, Gespräche, S. 257-258. 74 Hans Zehrer an Armin Mohler, 13.10.1950, in: Nachlass Armin Mohler, Literaturarchiv Marbach; Andere wie Wilhelm Stapel störten sich daran, dass Mohler den Konservatismus entschieden vom Christentum getrennt hatte, van Laak, Gespräche, S. 257.

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ausgesprochen hatte75, stimmte mit Mohler zwar politisch überein, schien jedoch eine andere Strategie zur Etablierung konservativer Deutungskulturen zu verfolgen und fürchtete offenbar um seine berufliche Stellung als Journalist beim Springer-Verlag.76 Trotz einiger kritischer Stimmen hatte Mohler mit seiner Veröffentlichung jedoch einen wichtigen Schritt zur Erweiterung seines rechtsintellektuellen Netzwerkes getan und war fortan als politischer Publizist in der Bundesrepublik etabliert. 1953 beendete er seine Tätigkeit als Sekretär Ernst Jüngers, wechselte in den Journalismus und arbeitete als Pariser Korrespondent für Die Zeit, Die Tat sowie als Autor für die von Giselher Wirsing geleitete Zeitschrift Christ und Welt.77 Während seiner Zeit als Korrespondent in Frankreich knüpfte Mohler auch Kontakte zur französischen Rechten und erlebte die Anfänge der Fünften Republik und des Gaullismus als „großes politisches Erlebnis“.78 Von Frankreich versprach er sich wichtige politische Impulse zur Erneuerung einer rechtskonservativen Bewegung in der Bundesrepublik sowie zur Entwicklung eines „deutschen Gaullismus“.79 Mohlers Dissertation war es schließlich auch, die die Aufmerksamkeit von Caspar von Schrenck-Notzing weckte, der in München studierte und das Buch zunächst für eine allgemeine Geschichte der Weimarer Republik gehalten hatte, dann aber mit zunehmender Begeisterung las.80 Schrenck-Notzing entstammte einem Münchner Patriziergeschlecht mit einem bis ins 13. Jahrhundert zurückreichenden Stammbaum und einem großen Familienvermögen, weshalb er sich

75 Pfahl-Traughber, Konservative Revolution, S. 90ff. 76 Diese Sorge sollte sich als unbegründet herausstellen. Zehrer arbeitete ab 1953 bis zu seinem Tod 1966 als Chefredakteur der Welt und war einer der engsten Vertrauten Axel Springers, vgl. Ebbo Demant, Von Schleicher zu Springer. Hans Zehrer als politischer Publizist, Mainz 1971, S. 211ff.; Claus Jacobi, Der Verleger Axel Springer: eine Biographie aus der Nähe, München 2005, S. 94. 77 Auch Giselher Wirsing gehörte zu den Kreisen konservativer Publizisten der Weimarer Republik und war einer von Hans Zehrers damaligen Weggefährten. Unter seiner Leitung entwickelte sich Christ und Welt bis zum Beginn der Sechziger zur auflagenstärksten Wochenzeitung der Bundesrepublik. Wirsings Rolle bei der Zeitung wurde vor kurzem kritisch aufgearbeitet, vgl. Raoul Löbbert, Der Nazi von Christ und Welt, in: Christ und Welt 36. 2012. 78 Interview mit Armin Mohler, in: Claus Leggewie, Der Geist steht rechts: Ausflüge in die Denkfabriken der Wende, Berlin 1987, S. 203. 79 Felix Dirsch, Authentischer Konservatismus: Studien zu einer klassischen Strömung des politischen Denkens, Berlin [u.a.] 2012, S. 238. 80 Maass, Geschichte der Neuen Rechten, S. 52.

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um seine Auskommen keine Sorgen zu machen brauchte und sich stattdessen der intensiven Erforschung des Konservatismus widmete.81 Der in München praktizierende Schweizer Arzt Franz Riedweg, ehemaliger SS-Obersturmbannführer, hatte Schrenck-Notzing empfohlen, Kontakt mit Mohler aufzunehmen, was dieser 1952 auch tat und Mohler um ein Treffen bat.82 Schrenck-Notzing war seinerseits im Münchener Umfeld bereits gut vernetzt. Er stand etwa in engem Kontakt mit dem ehemaligen Otto-Strasser-Anhänger Herbert Blank, der in der Nachkriegszeit als Journalist und Publizist tätig war und mit dem er an Konzepten für eine politische Monatsschrift arbeitete.83 Zugleich gehörte er der „Münchner Tafelrunde“ an, einer 1951 gegründeten „Herrengesellschaft“, deren etwa 80 Mitglieder sich regelmäßig trafen „um in einem privaten Rahmen geselligen Verkehr und Gedankenaustausch zu pflegen.“84 Neben dem ehemaligen Weimarer Tat-Kreis-Mitglied Ernst Eschmann wurden hier beispielsweise der österreichische Publizist Erik von Kuehnelt-Leddihn sowie der deutschamerikanische Politologe Eric Voegelin zu Vorträgen eingeladen, die dem „vorherrschenden Interesse der Mitglieder entsprechend meist Fragen aus dem historisch-politischen Bereich“ behandelten.85 Schrenck-Notzing war seit dem Frühjahr 1953 für das Vortragswesen der Tafelrunde zuständig und erkundigte sich bei Armin Mohler unter anderem nach geeigneten Rednern aus dessen französischem Umfeld.86 Aus dem Kontakt zwischen den beiden Rechtsintellektuellen entwickelte sich eine Freundschaft, die beide Netzwerke erweiterte. Caspar von

81 Vgl. Peter Kratz, Siemens zum Beispiel, in: Raimund Hethey und Peter Kratz (Hgg.), In bester Gesellschaft: Antifa-Recherche zwischen Konservatismus und NeoFaschismus, Göttingen 1991; Maass, Geschichte der Neuen Rechten, S. 94. 82 Caspar von Schrenck-Notzing an Armin Mohler, 8.12.1952, in: Nachlass Armin Mohler, Literaturarchiv Marbach. 83 Ebd.; Blank war als Intendant beim Nordwestdeutschen Rundfunk aufgrund seiner Vergangenheit gekündigt worden und im Anschluss offenbar im Münchner Umfeld tätig geworden; vgl. Klaus-Peter Schulz, Authentische Spuren: Begegnungen mit Personen der Zeitgeschichte, Boppard am Rhein 1993, S. 246ff.; „Überwachung von NWDR-Mitarbeitern“, in: Der Spiegel 22. 1951, S. 8. 84 Tafelrunde München, i.A. Caspar Frhr. v. Schrenck-Notzing an Professor Ernst Eschmann, in: Bestand Eschmann, Briefe, Literaturarchiv Marbach. 85 Ebd.; Caspar von Schrenck-Notzing an Armin Mohler, 4.6.1961, in: Nachlass Armin Mohler, Literaturarchiv Marbach; Caspar von Schrenck-Notzing an Armin Mohler, 5.5.1953, in: Nachlass Armin Mohler, Literaturarchiv Marbach. 86 Caspar von Schrenck-Notzing an Armin Mohler, 5.5.1953, in: Nachlass Armin Mohler, Literaturarchiv Marbach.

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Schrenck-Notzing eröffnete Armin Mohler einen Zugang zu den konservativen Intellektuellenkreisen des Münchener Umfelds, während Mohler seinerseits versuchte, Schrenck-Notzing mit Carl Schmitt bekannt zu machen und diesem natürlich auch Kontakte aus dem journalistischen Umfeld zu verschaffen.87 Bereits 1957 planten die beiden ihr erstes gemeinsames Projekt: die Publikation von Beiträgen zur Idee und Ideologie des Konservatismus unter der Vorgabe einer objektiven Erforschung.88 Offenbar sollte eine informelle Zeitschrift für Ideologie entstehen, die in unregelmäßigen Abständen verschiedene Aspekte des Themas behandeln sollte, um Verleger und andere Interessierte zu erreichen und so die bestehenden Netzwerke um wertvolle neue Kontakte zu erweitern.89 Dass dabei auch kontroverse Thesen veröffentlicht werden sollten, machte Mohler in seinem Schreiben durchaus deutlich und forderte: „Jeder von uns hat sich genau zu überlegen, wie weit er mit seiner beruflichen Stellung sein namentliches Auftreten als Mitherausgeber der Beiträge vereinbaren kann.“ Auch wenn man sich an objektiven Beiträgen orientiere und keine weltanschauliche Auseinandersetzung plane, so „ist doch möglich, dass auf uns geschossen wird.“90 Wenngleich das Projekt letztlich nicht realisiert werden konnte, veranschaulicht es die frühen Pläne Mohlers und Schrenck-Notzings, publizistisch im Sinne einer konservativen Deutungskultur tätig zu werden. Eine weitere Gelegenheit hierzu ergab sich im Jahr 1958, als der Onkel Caspar von Schrenck-Notzings zum Leiter des Kohlhammer-Verlages wurde und seinem Neffen eine Beschäftigung anbot, woraufhin dieser Mohler im Vertrauen einweihte: „Es ergibt sich also die Möglichkeit, in einem führenden deutschen Verlage […] ein bestimmtes publizistisches Programm zu verankern. Ich glaube, daß das eine Konstellation ist, die so leicht nicht wiederkommt. Das

87 Die Verbindung zu Carl Schmitt fruchtete indes nicht. Auch wenn Schrenck-Notzing einen Besuch in Plettenberg unternahm, wurde der Kontakt nicht weiter vertieft, Maass, Geschichte der Neuen Rechten, S. 94. 88 Rundschreiben des Instituts, Reihe Mohler, Nr. 1 vom 10.10.1957, Bourg-la-Reine, an: Golowin, Mohler, Schrenck, in: Rundschreiben des BB-Instituts, Nachlass Armin Mohler, Literaturarchiv Marbach; ob es sich bei „Golowin“, der ebenfalls in das Projekt eingeplant worden war, sich aber letztlich nicht mehr an den Planungen beteiligte, um den Schweizer Autor Sergius Golowin oder ein Pseudonym handelt, ist nicht zu rekonstruieren. 89 Vgl. Rundschreiben des BB-Instituts ab 8.1.1959, in: Nachlass Armin Mohler, Literaturarchiv Marbach. 90 Rundschreiben des Instituts, Reihe Mohler, Nr. 1 vom 10.10.1957, Bourg-la-Reine, an: Golowin, Mohler, Schrenck, in: Rundschreiben des BB-Instituts, Nachlass Armin Mohler, Literaturarchiv Marbach.

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Wichtigste wäre wohl, die Übergangsperiode auszunutzen, um verschiedene Dinge einzuführen, die dann in einem so bürokratisierten Betriebe wie Kohlhammer von selber weiterlaufen. […] Es würde mich interessieren, was Sie von der ganzen Sache halten, ich muß sagen, daß sie mich beinahe fasziniert, denn schließlich kranken wir daran, daß heute […] alle wirklich gewichtigen publizistischen Positionen in den Händen des geschätzten Gegners sind.“91 Armin Mohler schien jedoch skeptischer gegenüber dieser Möglichkeit zu sein und glaubte nicht, dass sich der Verlag für die politischen Ziele der beiden nutzen ließe, auch wenn darin zumindest eine Option gesehen wurde.92 Auch Pläne von Schrenck-Notzing und Mohler, sich gemeinsam an einer Schriftenreihe des Hermann-Luchterhand-Verlages in München mit Beiträgen zur europäischen Rechten zu beteiligen, scheiterten trotz bereits unterschriebener Vertragsunterlagen an persönlichen Differenzen zwischen dem Verlag und Mohler.93 Zunächst konzentrierten sich beide Autoren daher jeweils auf ihre eigenen Publikationen. Mohler arbeitete an zwei Beiträgen zur französischen Rechten, während Schrenck-Notzing als Erstlingswerk ein Buch über die Geschichte Indiens vorbereitete.94 Für dessen Veröffentlichung 1961 konnte er zwar auf den Kohlhammer-Verlag zurückgreifen, erreichte jedoch keine große Leserschaft, wenngleich Carl Schmitt das Buch mit Interesse registrierte.95 Es war Armin Mohler, der das Netzwerk weiter auszubauen und in den parteipolitischen Einflussbereich hinein auszudehnen wusste. Nachdem er seine Arbeit über den Gaullismus in Frankreich publiziert hatte96, sandte Mohler das Buch mit einer Widmung an Franz-Josef Strauß, in dem er einen Politiker mit Machtbewusstsein sah und somit einen potentiellen Verbündeten, um die politische Kultur der Bundesrepublik nachhaltig zu prägen.97 Strauß erschien offenbar als möglicher Protagonist eines „deutschen Gaullismus“, der eine konservative Stärkung nationa-

91 Caspar von Schrenck-Notzing an Armin Mohler, 8.11.1958, in: Nachlass Armin Mohler, Literaturarchiv Marbach. 92 Caspar von Schrenck-Notzing an Armin Mohler, 22.11.1958, in: Nachlass Armin Mohler, Literaturarchiv Marbach. 93 Mohler glaubte, „immer stärker sich ausprägende Linkstendenzen“ im Verlag zu beobachten und löste den Vertrag schließlich auf, vgl. hierzu Pläne für einen Beitrag bei Luchterhand 1960-1963, in: Nachlass Armin Mohler, Literaturarchiv Marbach. 94 Caspar von Schrenck Notzing, Hundert Jahre Indien: Die politische Entwicklung 1857-1960: eine Einführung, Stuttgart 1961. 95 Carl Schmitt an Armin Mohler, 3.11.1961, in: Mohler, Schmitt – Briefwechsel, S. 312. 96 Armin Mohler, Die Fünfte Republik: Was steht hinter de Gaulle?, München 1963. 97 Van Laak, Gespräche, S. 261; eine maßgebliche Rolle bei der Herstellung des Kontaktes zu Strauß spielte zudem Mohlers Freund Marcel Hepp, vgl. Willms, Armin Mohler, S. 41.

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ler Identität und die Abgrenzung von westlichen Bündnissystemen beinhaltete. Der CSU-Politiker bedankte sich bei Mohler und schlug sogleich vor, dass „wir uns einmal zu einem Gespräch über eine Reihe politischer Fragen zusammensetzen könnten. Denn man kann zur Zeit trotz des äußeren Glanzes nicht ohne Sorge in die Zukunft blicken. Das gilt sowohl für die Gestaltung unserer auswärtigen Beziehungen wie für manche Entwicklung im Inneren.“98 Dieses Treffen kam offenbar zustande und verlief für beide Seiten zufriedenstellend, denn in der Folgezeit war Armin Mohler als Redenschreiber und politischer Berater für Strauß tätig und nutzte gleichzeitig seine journalistische Position, um den bayerischen Politiker in ein möglichst positives Licht zu rücken.99 Zugleich hoffte er auf eine durch die CSU angestoßene Stärkung der politischen Rechten in der Bundesrepublik und berichtete Strauß, dass das Potential hierfür groß sei und er zahlreiche Mitteilungen aus dem nicht-parteigebundenen rechten Lager erhalte, die fast alle dieselbe Frage beinhalteten: „Wie stellt sich Strauss zu der ,nationalen Wendung‘, die demnächst kommen muss? Will er sich an ihre Spitze setzen oder will er die Führung dieser Welle Sektierern überlassen?“.100 In seiner Antwort wiegelte Strauß ab, beteuerte jedoch, dass die „Öffnung nach Rechts“ für die CSU immer eine politische Option sei: „Wir wollen keineswegs in den Geruch geraten, nationale oder gar nationalistische Kräfte bei uns sammeln zu wollen, sind aber bestrebt, jeden, der es ehrlich mit unserer Politik meint, in unseren Reihen aufzunehmen und ihn als wertvollen Mitarbeiter zu gewinnen.“101 Strauß war es schließlich, der Mohler dazu anregte, ein Buch über das fehlende Nationalbewusstsein der Deutschen zu verfassen und ihm mit Heinrich Seewald zugleich einen passenden Verleger vermittelte.102 Über Mohler konnte auch Schrenck-Notzing auf den Verlag zugreifen und sein zweites Buch veröffentlichen, das ein Erfolg wurde und ihn als konservativen Publizisten in der Bundesrepublik weithin bekannt machte: Fast zeitgleich erschienen 1965 somit sowohl Mohlers Was die Deutschen fürchten als auch Schrenck-Notzings Charakterwäsche bei Seewald.103

98

Franz-Josef Strauß an Armin Mohler, 18.1.1964, in: Nachlass Armin Mohler, Literaturarchiv Marbach.

99

Van Laak, Gespräche, S. 261; Maass, Geschichte der Neuen Rechten, S. 61.

100 Im Originaldokument ist die gesamte Passage unterstrichen, Armin Mohler an Franz-Josef-Strauß, 7.8.1964, in: Nachlass Armin Mohler, Literaturarchiv Marbach. 101 Franz-Josef Strauß an Armin Mohler, 10.8.1964, in: Nachlass Armin Mohler, Literaturarchiv Marbach. 102 Anmerkung von Armin Mohler, in: Mohler, Schmitt – Briefwechsel, S. 345, FN 418. 103 Armin Mohler, Was die Deutschen fürchten. Angst vor der Politik, Angst vor der Geschichte, Angst vor der Macht, Stuttgart 1965; , Caspar von Schrenck-Notzing,

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Beide Autoren problematisieren in ihren Publikationen die angeblich fehlende nationale Identität der Deutschen, die aus einer ideologischen Dominanz des Liberalismus resultiere. Dieser sei den Deutschen von den Amerikanern aufgezwungen worden, die die Politik der Entnazifizierung und Re-Education instrumentalisiert hätten, um Deutschland dauerhaft zu kontrollieren und eine „moralische Führung der Welt“ zu erlangen.104 Zugleich sei die hegemoniale politische Leitkultur in Deutschland inzwischen von einer liberalen und „totalitär“ agierenden Gruppe von Intellektuellen beherrscht, der man die Stellungen nach 1945 „gnädig überlassen habe“ und die ihre „Macht der Negation“ nutze, um missliebige politische Bewegungen nach Art einer Gesinnungspolizei anzuschwärzen und die nationale Identität der Deutschen langfristig der Auflösung preiszugeben.105 Beide Autoren warnen davor, dass die „Machtergreifung des Liberalismus“106, die zu einem hysterischen „Bewältigungsrummel“107 und zur totalen „Verketzerung“108 deutscher Tradition geführt habe, das deutsche Nationalbewusstsein derart schwäche, dass es anfällig werde für eine ideologische Beeinflussung durch die Sowjetunion, wenn es nich ohnehin am inhaltsleeren, dekadenten Liberalismus zugrunde gehe. Nur der Konservatismus sei dagegen ein zukunftsfähiges Modell politischer Leitkultur und würde Deutschland gegenüber den kommenden Herausforderungen wappnen. Dieser implizierte die Forderung nach einem sofortigen Ende der deutschen Vergangenheitsbewältigung, einer Abkehr von der Politik der Westbindung und einem neuen politischen Machbarkeits- und Machtbewusstsein, das mit einem Elitenwechsel einhergehen müsse und Deutschland aus der apolitischen Lethargie einer oberflächlich-naiven und individualistischen Konsumgesellschaft befreie.109 Der Erfolg von Schrenck-Notzings Charakterwäsche und die Hoffnungen, die Mohler in Franz-Josef Strauß setzte, bestärkte beide Autoren darin, ihre Bemühungen um eine nachhaltige Beeinflussung der politischen Kultur der Bundesrepublik fortzusetzen und zu intensivieren. Insbesondere Mohler glaubte,

Charakterwäsche: die amerikanische Besatzung in Deutschland und ihre Folgen, Stuttgart 1965. 104 So argumentiert vor allem Schrenck-Notzing; vgl. Schrenck-Notzing, Charakterwäsche, S. 49-50. 105 Mohler, Was die Deutschen fürchten, S. 30-31. 106 Schrenck-Notzing, Charakterwäsche, S. 274. 107 Mohler, Was die Deutschen fürchten, S. 155. 108 Ebd., S. 147. 109 Vgl. Mohler, Was die Deutschen fürchten, S. 38-39, S. 56; Schrenck-Notzing, Charakterwäsche, S. 285-292.

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dass sich die deutsche Gesellschaft nach einer politischen Alternative sehne, die stärker als zuvor in die Öffentlichkeit treten müsse. Gemeinsam mit SchrenckNotzing griff er daher schon bald nach Veröffentlichung ihrer beiden Bücher den Plan wieder auf, eine politische Zeitschrift ins Leben zu rufen. Sie sollte sich vor allem an Intellektuelle und Gebildete wenden, die als Meinungsmacher wiederum Einfluss auf die politische Kultur der Bundesrepublik nehmen könnten, was Mohler für dringend notwendig hielt: „Die Auflösungserscheinungen in Staat und Gesellschaft nehmen so überhand, dass die Gegenwehr organisiert werden muss – und zwar vor allem auch geistig“ schrieb er in einem Entwurf für das Projekt und fügte hinzu: „Weite Teile der Bildungsschicht wären offen für eine solche Zeitschrift. Immer mehr Angehörige dieser Schicht sind der Kapitulationsstimmung und der monotonen ,Negation als Selbstzweck‘ müde.“110 Für die Herausgabe wollte Mohler den Springer-Konzern gewinnen, der bereits Interesse an einer neuen konservativen Zeitschrift gezeigt habe, und bat in dieser Angelegenheit auch Franz-Josef Strauß um Unterstützung: „Es kommt also nun nicht mehr darauf an, den Verleger überhaupt zu interessieren – es käme vielmehr darauf an, ihn darin zu bestärken, dass eine solche meinungsbildende Zeitschrift notwendig ist. [...] Die Gruppen, die sich in Ihnen politisch repräsentiert sehen, bedürfen endlich eines ,Sprachrohrs‘.“111 An den Springer-Konzern schrieb er, es fehle „unter den Periodica des Verlages eines, das sich betont und ausschliesslich an eine Elite wendet“ und bot sich zunächst auch selbst als Redakteur an, da er die meisten der in Frage kommenden Publizisten persönlich kenne und daher ohne Probleme einen geeigneten Autorenkreis zusammenstellen könne.112 Die Zeitschrift war damit offensichtlich als eine publizistische Institutionalisierung und Verstetigung des rechtsintellektuellen Netzwerkes um Mohler geplant, das über den Springer-Verlag eine entsprechende Reichweite generiert hätte. Dort sah man allerdings konzeptionelle Probleme und befürchtete, dass der inhaltliche

110 Armin Mohler, Erstes Exposé zum Plan einer Monatszeitschrift im Zusammenhang mit dem Springer-Verlag, 12. Oktober 1966, in: Nachlass Armin Mohler, Literaturarchiv Marbach. 111 Markierungen im Original, Armin Mohler an Franz-Josef Strauß, 6.12.1966, in: Nachlass Armin Mohler, Literaturarchiv Marbach. 112 Markierungen im Original, Armin Mohler, Exposé zum Plan einer nonkonformistischen Monatszeitschrift im Springer-Verlag. Erste (zurückgezogene) Fassung des 1. Exposés, 11. Juli 1966, in: Nachlass Armin Mohler, Literaturarchiv Marbach; Mohler überarbeitete diese Version später vor allem hinsichtlich einer Versachlichung der Sprache; Mohler an Dr. Horst Mahnke, Springer Verlag, Hamburg 14. Oktober 1966, in: Nachlass Armin Mohler, Literaturarchiv Marbach.

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Rahmen zu weit gesteckt sei – bereits Hans Zehrer habe ähnliche Pläne verfolgt, sei aber nicht zu einer klaren Definition des Programms gelangt.113 Wenngleich Mohler überzeugt war, „dass eine solche Zeitschrift sich in der heutigen Situation aufdrängt“114, sollte es noch etwa vier Jahre dauern, bis sich das Projekt auf anderen Wegen tatsächlich verwirklichen ließ. Es war schließlich Caspar von Schrenck-Notzing, der mit der Gründung der Zeitschrift Criticón 1970 das meinungsbildende Medium schuf, das Mohler sich in seinem Entwurf ausgemalt hatte: „Eine Monatszeitschrift, die einerseits grundsätzliche, meinungsbildende Aufsätze und andererseits aus Distanz zusammenfassende Darstellungen bestimmter Sachgebiete enthält [...] Thematisch soll sie weder bloss auf die Politik noch bloss auf die Kultur beschränkt sein. Sie soll vielmehr zwischen diesen beiden Polen alles aufgreifen, was auf den Nägeln brennt.“115 Von den Plänen einer Kooperation mit dem Springer-Verlag hatte man sich abgewandt, stattdessen übernahm Schrenck-Notzing selbst die Herausgabe, Finanzierung und Chefredaktion, wodurch das Magazin einerseits in einer zunächst kleinen Auflage erschien und andererseits durch den Einfluss Schrenck-Notzings etwas andere Akzente erhielt, als sie Mohler vermutlich allein gesetzt hätte. Dennoch war Mohler von Anfang an eng in Konzeption und Ausrichtung eingebunden und gehörte zum festen Autorenkreis des Criticón, der sich in den folgenden Jahren zu einem der wichtigsten rechtsintellektuellen Leitmedien entwickeln sollte. Dies weniger hinsichtlich der gesamtgesellschaftlichen Rezeption116 als vielmehr im Hinblick auf seine Funktion als Sozialisationsinstanz rechtsintellektueller Netzwerkbildung: Indem der Criticón regelmäßig verschiedene rechtskonservative Autoren versammelte – darunter auch Intellektuelle aus Österreich, der Schweiz, Frankreich oder etwa den USA – diente er als Kristallisationspunkt zur Konstruktion politisch-kultureller Vergesellschaftungsstrukturen und bildete eine rechtsintellektuelle Gegenöffentlichkeit als Vorstufe zur Partizipation an öf-

113 Dr. Mahnke an Dr. Armin Mohler, 7.11.1966, in: Nachlass Mohler, Literaturarchiv Marbach. 114 Mohler an Herrn Gesandter a.D., Dr. Paul K. Schmidt, 12. September 1966, in: Nachlass Armin Mohler, Literaturarchiv Marbach. 115 Armin Mohler, „Erstes Exposé zum Plan einer Monatszeitschrift im Zusammenhang mit dem Springer-Verlag“,12.10.1966, in: Nachlass Armin Mohler, Literaturarchiv Marbach. 116 Die Auflagenstärke des Criticón betrug etwa 8000 Exemplare bei zweimonatigem Erscheinungsrythmus, vgl. Astrid Lange, Was die Rechten lesen: fünfzig rechtsextreme Zeitschriften; Ziele, Inhalte, Taktik, München 1993, S. 61.

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fentlichen politischen Diskursen.117 Dies verfestigte einerseits das eigene Netzwerk um Mohler und Schrenck-Notzing, diente über die Aushandlung und Diskussion politischer Ideen im Raum der Gegenöffentlichkeit aber auch der Vernetzung mit weiteren intellektuellen Zirkeln, die sich um andere Zeitschriften oder Institutionen gebildet hatten. Es ist zu vermuten, dass Mohlers Überlegungen mittelbar auch Einfluss auf die Gründung einer anderen Zeitschrift nahmen, deren Erstausgabe bereits ein Jahr vor dem ersten Criticón erschien: Das Deutschland-Magazin wurde ab 1969 von der Deutschland-Stiftung herausgegeben, die von dem NS-belasteten österreichischen Publizisten Kurt Ziesel geleitet wurde118, der wiederum ein enger Vertrauter von Armin Mohler war.119 So wurde Mohler bereits 1967 der erste Preisträger des von der Deutschland-Stiftung vergebenen, mit 10.000 DM dotierten Konrad-Adenauer-Preises, der in Anwesenheit zahlreicher konservativer Eliten sowie eines Großteils der Führungsspitze von CDU/CSU an den Schweizer verliehen wurde.120 Umgekehrt wurde Mohler im Jahr darauf Mitglied der Deutschland-Stiftung und arbeitete auch als Autor für das DeutschlandMagazin.121 Selbstverständlich ist die Arbeit der Deutschland-Stiftung und des Deutschland-Magazins sowie die Gründung des Criticón auch als Reaktion auf die anhaltenden Proteste und tiefgreifenden gesellschaftlichen Umbrüche zu interpretieren, die als Chiffre der „68er“-Bewegung Eingang in historische Deutungen gefunden haben und als Kulminationspunkt einer zunehmenden Politisierung die Bundesrepublik nachhaltig prägten.122 In dieser Hinsicht verstand sich

117 Vgl. Grunewald, Zeitschriften als Spiegel intellektueller Milieus, S. 30-31. 118 Vgl. zur Deutschland-Stiftung sowie Kurt Ziesel die umfangreiche Untersuchung von: Hans-Dieter Bamberg, Die Deutschland-Stiftung e.V.: Studien über Kräfte der „demokratischen Mitte“ u.d. Konservatismus i.d. Bundesrepublik Deutschland, Meisenheim am Glan, 1978; siehe auch: Axel Schildt, Im Visier. Die NS-Vergangenheit westdeutscher Intellektueller, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 64. 2016, S. 37-68. 119 Ziesel erinnerte sich noch knapp zwanzig Jahre später in einer Glückwunschkarte an Mohler „an unsere gemeinsamen langjährigen Kämpfe“, Kurt Ziesel an Armin Mohler, 18.4.1985, in: Briefe zum 65. Geburtstag Ausscheiden aus der Carl-Friedrich von Siemens-Stiftung 1985, in: Nachlass Armin Mohler, Literaturarchiv Marbach. 120 Willms, Armin Mohler, S. 46. 121 Ebd., S. 47. 122 Vgl. allgemein hierzu exemplarisch Norbert Frei, 1968: Jugendrevolte und globaler Protest, München 2008, v.a. S. 77ff. u. S. 211 ff.; Manuel Seitenbecher, Mahler, Maschke & Co.: rechtes Denken in der 68er-Bewegung?, Paderborn [u.a.] 2013, S. 20ff.

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das Netzwerk um die Deutschland-Stiftung insbesondere seit der verlorenen Bundestagswahl 1969 als radikale Speerspitze der außerparlamentarischen Opposition, die ebenso wie der Criticón auf eine „konservative Tendenzwende“ hinarbeitete.123 Es greift daher zu kurz, die Siebziger ausschließlich als „rotes“124 oder „sozialdemokratisches Jahrzehnt“125 zu charakterisieren, da der umfassende Politisierungsschub der Gesellschaft nicht nur die Linke betraf.126 Vielmehr schien sich die von Mohler und Schrenck-Notzing schon seit Langem geplante Arbeit an der Etablierung konservativer Deutungskulturen in der Bundesrepublik nun zu konkretisieren und stellte sich gleichzeitig für die Rechtsintellektuellen mehr denn je als gesellschaftliche Notwendigkeit dar.127 Die Forderungen der linken Protestbewegungen nach mehr Emanzipation und Demokratie und der in Deutschland in spezifischer Form hervortretende Generationenkonflikt, der das Beschweigen der NS-Vergangenheit zahlreicher gesellschaftlicher Eliten kritisch zur Sprache brachte128, erschienen für Mohler und Schrenck-Notzing als neue Stufe einer Entwicklung, die sie seit langem befürchtet hatten: „Im Sommer 1967 trat aus den wallenden Nebeln der Bewältigung des Pudels Kern hervor, die neue Linke“, bemerkte Schrenck-Notzing in seinem bereits 1968 erneut bei Seewald veröffentlichten Buch Zukunftsmacher, das die Linke in zahlreichen Facetten als hegemoniale Elite der gesellschaftlichen Deutungskultur skizzier-

123 Axel Schildt, „Die Kräfte der Gegenreform sind auf breiter Front angetreten“. Zur konservativen Tendenzwende in den Siebzigerjahren, in: Archiv für Sozialgeschichte 44. 2004, S. 449-478, hier v.a. S. 458ff. 124 Gerd Koenen, Das rote Jahrzehnt: unsere kleine deutsche Kulturrevolution 19671977, Frankfurt a.M. 2011. 125 Bernd Faulenbach, Das sozialdemokratische Jahrzehnt. von der Reformeuphorie zur neuen Unübersichtlichkeit; die SPD 1969-1982, Bonn 2011. 126 Daniel Schmidt und Michael Sturm, „Wir sind die, vor denen euch die Linken immer schon gewarnt haben“. Eine Einleitung, in: Massimiliano Livi [u.a.], Die 1970er Jahre als schwarzes Jahrzehnt: Politisierung und Mobilisierung zwischen christlicher Demokratie und extremer Rechter, Frankfurt a.M. 2010, S. 10ff. 127 Anna von der Goltz, Eine Gegen-Generation von 1968? Politischer Polarisierung und konservative Mobilisierung an westdeutschen Universitäten, in: Livi, Die 1970er Jahre als schwarzes Jahrzehnt, S. 74; vgl. auch: Daniel Schmidt, „Die geistige Führung verloren“. Antworten der CDU auf die Herausforderung „1968“, in: Franz-Werner Kersting (Hg.), Die zweite Gründung der Bundesrepublik: Generationswechsel und intellektuelle Wortergreifungen 1955-1975, Stuttgart 2010, S. 96ff. 128 Frei, 1968, S. 77-88.

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te.129 Im gleichen Jahr publizierte Armin Mohler im gleichen Verlag ein knappes Buch zur Vergangenheitsbewältigung, das diesem Narrativ folgte.130 Die gesellschaftliche Polarisierung und nachhaltige Politisierung, die durch die Proteste der 68er-Bewegungen angeregt wurden, riefen eine Vielzahl diskursiver Auseinandersetzungen um politische Deutungskulturen hervor, an denen sich sowohl linke als auch rechte Intellektuelle beteiligten. Zugleich führten diese Diskurse zu einer Differenzierung politischer Ideen, die auch rechtsintellektuelle Netzwerke betraf, die im Spannungsfeld von Kooperation und Konkurrenz mit- und aufeinander reagierten. Erstmals tauchte in diesem Zusammenhang auch der Terminus „Neue Rechte“ in zeitgenössischen Diskursen auf – als Aktion Neue Rechte (ANR) bezeichnete sich eine Gruppierung, die sich von der NPD losgesagt hatte, da diese aus ihrer Sicht einer rückwärtsgewandten veralteten Ideologie und einem politisch-parlamentarischem Konformismus folgte und einer Erneuerung der Rechten im Wege zu stehen schien.131 Tatsächlich war die NPD nach der großen Enttäuschung über das unerwartet schlechte Wahlergebnis der Bundestagswahl 1969 in eine langanhaltende Krise gestürzt und wurde von zahlreichen Flügelkämpfen beherrscht, die auch generationelle und politisch-kulturelle Differenzen ausdrückten.132 Ein immer größerer Teil grade jüngerer Mitglieder wollte sich nicht mehr an der auf Seriosität und Legalität bedachten antikommunistischen Parteilinie orientieren, sondern radikalisierte sich einerseits hinsichtlich ihrer Protestformen und suchte andererseits nach einer Möglichkeit, die etablierte politische Lagerbildung aufzubrechen, um eine ideologische Erneuerung zu initiieren.133 Aus diesen Impulsen ging schließlich die politische Bewegung der „Nationalrevolutionäre“ hervor, die zugleich als Resultat der intellektuellen Vorarbeit ihres wichtigsten Protagonisten, Henning Eichberg, zu verstehen ist.134

129 Caspar von Schrenck-Notzing, Zukunftsmacher: die neue Linke in Deutschland und ihre Herkunft, Stuttgart 1968, S. 203. 130 Vgl. Armin Mohler, Vergangenheitsbewältigung. Von der Läuterung zur Manipulation, Stuttgart 1968. 131 Fabian Virchow, Faschistische Tatgemeinschaft oder weltanschauliche Kaderschmiede? Systemoppositionelle Strategien der bundesdeutschen Rechten nach 1969, in: Livi, Die 1970er als schwarzes Jahrzehnt, S. 231ff. 132 Christoph Kopke, Die Aktion Widerstand 1970/71: Die „nationale Opposition“ zwischen Sammlung und Zersplitterung, in: Livi, Die 1970er als schwarzes Jahrzehnt, S. 253ff. 133 Virchow, Systemoppositionelle Strategien, S. 234. 134 Benedikt Sepp, Linke Leute von rechts? Die nationalrevolutionäre Bewegung in der Bundesrepublik, Marburg 2013, S. 22ff.

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Die von Eichberg geprägte nationalrevolutionäre Deutungskultur grenzte sich trotz mancher Anknüpfungspunkte in vielerlei Hinsicht entschieden von Mohler und Schrenck-Notzing ab.135 Zwar sah auch Eichberg den sowjetischen Kommunismus als Bedrohung nationaler Identität und lehnte gleichermaßen den westlich-liberalen Universalismus und den als akulturell und dekadent verstandenen Kapitalismus ab.136 Nationale Identität verstand Eichberg hingegen nicht als staatlich-institutionelle Gestaltung von Politik, sondern als Willensäußerung kollektiver Identitäten, die sich aufgrund von Rassen, Ethnien oder kulturellen Aspekten zusammenfinden würden.137 Daraus entwickelte er den Ethnopluralismus, der einen nationalen Befreiungskampf aller Völker im Kampf gegen den Universalismus in gleicher Weise unterstützte, eine Durchmischung der Völker aber grundsätzlich ablehnte und als Gefährdung der Kultur interpretierte.138 Bisweilen hinterfragte er diese Position aber auch wieder, proklamierte eine überstaatliche europäische Identität, setzte sich für die Anerkennung regionaler Identitäten ein, die die deutsche Nation dekonstruierten139, und argumentierte später schließlich sogar für den Multikulturalismus.140 Eichberg zögerte auch in seinen frühen Schriften nicht, den rassistischen Antisemitismus und die „grotesken Fehlleistungen des Nationalsozialismus“ zu verurteilen, die eine lange deutschjüdische Tradition zerstört hätten.141 Am vehementesten jedoch kritisierte er das Feindbild, das rechte Intellektuelle von der politischen Linken zeichneten, die man aus seiner Sicht als Verbündeten gewinnen müsse, um eine Querfrontstrate-

135 Die politische Deutungskultur der Nationalrevolutionäre kann hier aus nur knapp angedeutet werden. Sie wird im Rahmen der Dissertationsarbeit des Verfassers ausführlicher behandelt werden. 136 Vgl. Sepp, Die nationalrevolutionäre Bewegung, S. 51-54. 137 Ebd., S. 46-47. 138 Hierbei griff Eichberg vor allem auf Impulse der französischen Nouvelle Droite unter Alain de Benoist zurück. Wolfgang Bergem, Identitätsformationen in Deutschland, Wiesbaden 2005, S. 104. 139 Henning Eichberg, Mannigfaltigkeit statt Uniformität. Balkanisierung für jedermann. Über Selbsterfahrung, Abkopplung und nationale Identität, in: wir selbst 5-6. 1983, S. 24-26. 140 Henning Eichberg, Fremdes und Eigenes. Der Weg in den Produktivismus, in: wir selbst 1. 1988, S. 4-16. 141 Hartwig Singer, Provokation II, in: Junges Forum 3. (November) 1967, S. 7-9; bei Hartwig Singer handelt es sich um ein Pseudonym von Hennig Eichberg, vgl. Peter Dudek und Hans-Gerd Jaschke, Entstehung und Entwicklung des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik, Opladen 1984, S. 159.

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gie gegen den „status quo“ durchzusetzen und das politische Rechts-LinksSchema letztlich zu überwinden.142 Die Nationalrevolutionäre um Eichberg bildeten einen eigenen intellektuellen Zirkel, der mit den Zeitschriften Junges Forum, Ideologie & Strategie sowie wir selbst auch über entsprechende Publikationsmöglichkeiten verfügte und Einfluss auf die politische Deutungskultur der Bundesrepublik zu nehmen begann. Von den konservativen Rechtsintellektuellen und ihren Denktraditionen grenzte sich Eichberg jedoch von Beginn an vehement ab und sah die nationalrevolutionäre Bewegung als intellektuelle Elite einer völlig neuen politischen Denkrichtung.143 Spätestens im Kontext der umfassenden Friedensbewegungen und Proteste angesichts des NATO-Doppelbeschlusses zu Beginn der 80er wurden die diskursiven Konflikte rechtsintellektueller Netzwerke im Kampf um die politische Deutungshoheit sichtbar, die sich etwa an der Kontroverse um die Rolle der USA als Bündnispartner im Kalten Krieg entzündeten. Die Nationalrevolutionäre als erste Erscheinungsform einer „Neuen Rechten“ zu beschreiben erscheint plausibel.144 Als ihre „Vordenker“ können dann aber weder Armin Mohler noch Caspar von Schrenck-Notzing in Anspruch genommen werden. Versteht man hingegen bereits die rechtsintellektuellen Netzwerke von Mohler und SchrenckNotzing als Ausprägung einer „Neuen Rechten“ der Bundesrepublik, so sind die nationalrevolutionären Protagonisten um Henning Eichberg als Abspaltung zu sehen, die einen neuen ideengeschichtlichen Strang begründete und die „Neue Rechte“ intellektuell ausdifferenzierte.

S CHLUSS Weitere Forschung ist notwendig, um den Kampf um politische Deutungskulturen der Bundesrepublik im Zusammenhang mit Erscheinungsformen einer „Neuen Rechten“ umfassender untersuchen zu können. Dabei ist zu begrüßen, dass ideengeschichtliche Ansätze in der Wissenschaft seit mindestens einem Jahrzehnt wieder verstärkte Aufmerksamkeit erhalten und insbesondere auch die Zeitgeschichte in den Blick nehmen. Die Perspektive der Ideengeschichte ermöglicht es, die intellektuellen Wandlungs- und Entwicklungsprozesse einer bundesrepublikanischen „Neuen Rechten“ zu analysieren, ohne dabei angesichts

142 Vgl. etwa Singer, Provokation II, S. 11; Sepp, Die nationalrevolutionäre Bewegung, S. 7-9, S. 74ff. 143 Ebd., S. 69-71 u. S. 87ff. 144 Ebd., S. 7-8.

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einer unklaren und schwer zu formalisierenden Terminologie Gefahr zu laufen, in einen semantisch-normativen Zirkelschluss zu geraten. Es verwundert daher kaum, dass seit Jahren immer wieder die Forderung erhoben wird, statische Definitionsversuche angesichts der politischen Wandlungsprozesse aufzugeben und das Phänomen stattdessen „vor dem jeweiligen zeitgeschichtlichen Hintergrund“ zu analysieren.145 Angesichts der unbestrittenen Relevanz intellektueller Zirkel im Zentrum dieser Prozesse ist damit eine Forderung an die Ideengeschichte verknüpft, sich stärker den politisch-kulturellen Aushandlungsprozessen der Bundesrepublik zuzuwenden.146 Die Entwicklung der „Neuen Rechten“ begleitet die Bundesrepublik dabei seit ihrer Gründung bis in die Gegenwart, greift zurück in die geistigen Strömungen der Weimarer Republik und stellt auch deshalb ein vielversprechendes Forschungsfeld der Ideengeschichte dar, die einen wertvollen Zugang zu dem diskursiv umkämpften Komplex politischer Teilkulturen, konkurrierender Deutungsmuster und soziokultureller Dynamiken eröffnet. Grade über die Analyse der Intellektuellen lässt sich diese Perspektive entwickeln. Als zentrale Protagonisten der Aushandlungsprozesse dieser Dynamik werden sie jedoch noch zu selten beachtet und kaum hinreichend kontextualisiert. Bisweilen fließen normative Zuschreibungen als Prämisse in die Analyse ein und führen zu vorschnellen Urteilen oder aber einer unkritischen ideologischen Selbstbefragung.147 Die multiperspektivische Untersuchung von Intellektuellen stellt sich dabei zweifellos als große Herausforderung dar, da sie als Akteure zwischen dem „Geisterreich der Ideen“ und der Einbettung in den historisch-sozialen Kontext stehen und damit die traditionelle Dialektik der Ideengeschichte gleichsam exemplarisch verkörpern. Dies streicht jedoch zugleich ihr größtes erkenntnistheoretisches Potential heraus: Intellektuelle ermöglichen einen direkten Zugang zu dem ideengeschichtlichen „Gewebe der Diskurse“, auf die sie als Archiv und Arsenal zugleich zugreifen, um politische Ideen zu formulieren, zu konstruieren und zu kommunizieren.148 Da sie gleichzeitig um diskursiven Einfluss auf die Gesellschaft bemüht sind, verdichten sie soziale Prozesse zu einem politischen Kommunikations- und Erfahrungsraum, in dem verschiedene politische Deutungen miteinander konkurrieren.149 Diese Räume sind nur

145 Friedemann Schmidt, Die Neue Rechte und die Berliner Republik: parallel laufende Wege im Normalisierungsdiskurs, Wiesbaden 2001, S. 21. 146 Vgl. Pfahl-Traughber, Konservative Revolution, S. 12ff. 147 Vgl. hierzu auch: Kurt Flasch, Theorie der Philosophiehistorie, Philosophie hat Geschichte, Bd. 2, Frankfurt a.M. 2005, S. 15ff. 148 Llanque, Politische Ideengeschichte, S. 1-9. 149 Hübinger, Gelehrte, Politik und Öffentlichkeit, S. 24.

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selten in erster Instanz öffentlich sichtbar. Stattdessen bilden sie ein komplexes Geflecht aus politischen Teilkulturen und soziokulturellen Milieus, das unter der Oberfläche gesellschaftlicher Öffentlichkeit existiert, jedoch im Rahmen bestimmter Diskurse öffentlich wird und dann zu Auseinandersetzungen, Debatten oder Skandalen um politische Deutungskulturen führen kann.150 Die Analyse intellektueller Gegenöffentlichkeiten kann daher die Funktion eines Seismographen für mögliche gesellschaftliche Auseinandersetzungen und ideengeschichtliche Konjunkturen erfüllen.151 Gleichzeitig berücksichtigt die Untersuchung von Intellektuellen auch Forderungen an die Ideengeschichte als spezifische Sozialgeschichte: Die Organisation von Intellektuellen über Netzwerke, die oft eine geringe Institutionalisierung aufweisen und über informelle Austauschbeziehungen strukturiert sind, gibt Aufschluss über die sozialen Bedingungen der Ideenproduktion, ohne diese dabei lediglich als typisiertes Ergebnis des historischen Kontextes zu verstehen. Zugleich wird es damit möglich, neben den Intellektuellen selbst auch Zeitschriften, Verlage, Lehrstühle und andere Institutionen als zentrale Strukturen dieser Netzwerke sowohl hinsichtlich ihrer sozialen als auch ideengeschichtlichen Funktion zu berücksichtigen.152 Darüber hinaus werden auch Verbindungen zur historischen Generationsforschung ermöglicht, sofern die besondere Sozialisationsform der Intellektuellen ausreichende Berücksichtigung findet. Der vorliegende Beitrag versteht sich als Plädoyer, den Intellektuellen stärker in die ideengeschichtliche Forschung einzubinden und dabei als Zugang zum Komplex politischer Teilkulturen der Gesellschaft zu verstehen. Der Intellektuelle fungiert damit als analytisches Bindeglied zwischen neueren Perspektiven der Ideengeschichte als Sozialgeschichte und der nach wie vor engen Verknüpfung zur Diskursanalyse. Gleichzeitig werden ideengeschichtliche Traditionen wie die Anlehnung an die Wissenssoziologie über die Betrachtung intellektueller Vergesellschaftung und politischer Teilkulturen wieder stärker berücksichtigt. Insbesondere die Ideengeschichte der Bundesrepublik, die gegenwärtig ein aktives Forschungsfeld der Geschichtswissenschaft darstellt, profitiert von den hier skizzierten Ansätzen. Auswirkungen, Implementierungen und Interpretationen ideengeschichtlicher Westernisierungsprozesse und deren antiamerikanische Gegenbewegungen lassen sich darüber ebenso fruchtbar analysieren, wie beispielsweise die Integrationswirkungen des Antikommunismus, die gesellschaftlichen

150 Kroll und Reitz, Zeithistorische und wissenssoziologische Zugänge, S. 9ff.; Goschler, Radikalkonservative Intellektuelle, S. 33. 151 Pfahl-Traughber, Konservative Revolution, S. 12. 152 Grunewald, Zeitschriften als Spiegel intellektueller Mileus, S. 30.

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Politisierungsprozesse der „68er“-Bewegung, die Debatte um den „Historikerstreit“ und nicht zuletzt die Erscheinungsformen einer „Neuen Rechten“, in deren Zentrum vor allem unterschiedliche rechtsintellektuelle Netzwerke und ihre spezifische Ideenproduktion stehen.

Homo Academicus Localis The Circulation of Ideas in an International Context E MILY J. L EVINE In the international […] circulation of ideas […] texts are transmitted without the context of their production and use, and count on receiving a socalled ‘internal’ reading which universalizes and eternalizes them while derealizing them by constantly relating them to the sole context of their reception. PIERRE BOURDIEU, HOMO ACADEMICUS

Arthur O. Lovejoy, one of the founding fathers of intellectual history contended in his 1940 seminal essay, “ideas are the most migratory things in the world.”1 In this respect, historians of ideas have been ahead of the “international turn” in the wider historical profession, which has persuasively shown in recent years that conceptions of nationhood emerged in the increasingly global world of the late nineteenth century.2 Yet the uneven way that this trend has been both adapted and received by intellectual historians poses the question as to how and to what

1

Arthur O. Lovejoy, Reflections on the History of Ideas, in: Journal of the History of Ideas 1. 1940, 4.

2

This recent trend to view the development of conceptions of nationhood in the context of global history is typified, for example, by Sebastian Conrad, Globalisation and the Nation in Imperial Germany, Cambridge 2012; and by Thomas Bender (ed.), Rethinking American History in a Global Age, Berkeley 2002.

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extent intellectual history is best understood in this new global framework.3 To navigate this question, the French sociologist Pierre Bourdieu provides a helpful guide, for as Bourdieu once observed, the history of ideas is by no means “spontaneously international”: “Intellectual life, like all other social spaces, is a home to nationalism and imperialism, and intellectuals, like everyone else, constantly peddle prejudices, stereotypes, received ideas, and hastily simplistic representations which are fueled by the chance happenings of everyday life, like misunderstandings, general incomprehension, and wounded pride (such as might be felt at being unknown in a foreign country).”4

Bourdieu bemoaned the lack of context present in the analysis of ideas in an international framework. How else to explain the “staggering fact that a President of a French Socialist Republic awarded a decoration to Ernst Jünger” or “the consecration of Heidegger by a certain French Marxist in the 1950s” among other uncomfortable transnational misreadings? A careful reconstruction of those contexts was essential for Bourdieu to building “a truly scientific internationalism” (science des relations internationales en matière de culture).5 One might say that Bourdieu aimed to snuff out the vestiges of parochialism and chauvinism that was a feature of the German Geistesgeschichte that was exported to the Anglo-American world and became a constitutive part of the professionalization of the field. If the nineteenth century was the era of the nationalist intellectual history, as Goering shows in his superb introduction, the twenty-first century could be said to be the era of the new global intellectual history.6 Far from resolving enduring questions about the relationship between text and context, however, this nascent field raises similar concerns. For one, the new global intellectual history is sorely lacking an adequate representation of institutions, in particular, the university. If one takes the jointly edited volume Global Intellectual History as an example, it

3

For one skeptical perspective see Frederick Cooper, What is the Concept of Globalization Good For? An African Historian’s Perspective, in: African Affairs 100. 2001, 189–213.

4

Pierre Bourdieu, The Social Conditions of the International Circulation of Ideas, in:

5

Ibid., 221. Bourdieu originally delivered this lecture in French in which his formulation

Richard Shusterman (ed.), A Critical Reader, New York 2011, 220. differs somewhat from the English version. For the second quotation see Les conditions sociales de la circulation internationale des ideas, in: Romanistische Zeitschrift für Literaturgeschichte/Chies d’Histoire de Littératures Romanes 14. 1990, 1. 6

Timothy Goering, Einleitung (in this collection).

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is telling that there is no contribution that considers the impact of global history on the organization of knowledge with respect to research and higher education. This is surprising since, as the volume’s editors Samuel Moyn and Andrew Sartori admit, “some sort of explanation is needed for the mobility of concepts, one that neither the activities of personal intermediaries nor even the specific processes of linguistic translation can fully illuminate on their own.”7 The contributions to Global Intellectual History examine in its stead such mechanisms as political economy, markets, and linguistic translation. In fact, universities created the international scholarly communities and professorial exchanges that benefited colonial explorers and attachés. These exchanges then fostered new concepts of global economy, a phenomenon that, in turn, produced the diffusion of ideas that provide the subject of many of these volume’s contributions. The second danger in assuming that ideas contain an inherent impulse—or what Lynn Hunt has called with respect to human rights an “inner logic”— towards globalization is that shifting too quickly to the global context threatens to muffle the local register that Bourdieu insisted was so critical to appreciating the nuanced reception of ideas.8 Amid the increasingly loud calls to go bigger, whether in the global history of ideas, or through the use of “big data,” deep history, or the digital humanities, one risks losing both the specificity required for meaningful interpretation—what Clifford Geertz called the “thick description”— and the localities that were required for global exchange.9 What follows is a series of reflections that takes these parallel debates about global history and global intellectual history as a starting point to examine their implications for the field of intellectual history. In my telling, the central meth-

7

Samuel Moyn and Andrew Sartori, Introduction, in: idem (eds.), Global Intellectual History, New York 2013, 16.

8

Lynn Hunt, Inventing Human Rights: A History, New York 2008, 150. Cited in Moyn, On the Nonglobalization of Ideas, in: Global Intellectual History, 188.

9

Jo Guldi and David Armitage argue for the use of “big data” in The History Manifesto, Cambridge 2014. For the new updated version from February 2015 see the online document available through creative commons at http://historymanifesto. cambridge.org. On deep history, see Daniel Smail, On Deep History and the Brain, Berkeley 2008, as well as the contributions in this volume on deep history (see Helge Jordheim’s article) and the digital humanities (see Peter Hoeres’ article) in this collection. My approach is more influenced by outside fields, sociology and anthropology. See Clifford Geertz, Thick Description: Toward an Interpretive Theory of Culture, in: idem (ed.), The Interpretation of Cultures: Selected Essays, New York 1973, 3–30.

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odological debates in the latter field remain identifying the legitimate relationship between text and context, and analyzing the impact of place on the development of ideas. I would like to suggest that these twin themes come together in the new trajectory of global intellectual history and present an opportunity to realign the field of intellectual history with a context-based approach that is grounded in the institutional settings in which ideas emerge, as well as, the specificity of localities, including cities, regions, and the sub-national.10 To this end, this essay first surveys how intellectual historians’ approaches to the “global” have (or have not) changed over time and reflects on the weaknesses in the current trend towards global intellectual history; second I argue that the missing institutional component in this new subfield should be provided by historical sociology, which Goering shows, provided part of the tripartite roots of Geistesgeschichte;11 third, I draw on Bourdieu’s work on cultural capital to remind us why this approach should be a more central component of the new global intellectual history; finally, I offer some suggestions about what an international intellectual history of the university would look like that balanced the global with the local, and embedded ideas in the institutions that nurture and promote them. In a strange contradiction, intellectual historians often claimed that the history of ideas has both “been international history avant la lettre,” and at the same time that space constitutes the “final frontier for intellectual history.”12 In a certain respect, it is easy to see evidence of the former position. Historians of ideas have naturally followed the paths taken by ideas—the “Republic of Letters”—across borders, and their attention to reception history has focused on how those ideas changed when they crossed those borders. Early reception histories investigated the way that bodies of work were shaped by and differently received in distinct locations, for example, Nietzsche in England and Darwin in Germany.13 This lit-

10 In this way, the new global history is just as wedded to the national insofar as it, as David Blackbourn has argued, takes the nation as “container.” David Blackbourn, Germany and the Birth of the Modern World, in: German Historical Institute Bulletin 51. 2012, 9. 11 See Timothy Goering, Einleitung (in this collection). 12 David Armitage admittedly argues both sides of this point in his article. David Armitage, The International Turn in Intellectual History, in: Darrin M. McMahon and Samuel Moyn (eds.), Rethinking Modern European Intellectual History, Oxford 2014, 233, quotation in text 239. 13 For an older classic reception study see David S. Thatcher, Nietzsche in England 1890–1914: The Growth of a Reputation, Toronto 1970. For a more recent example of

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erature has become more sophisticated over the years and historians of eighteenth-century science have led the way by seeing geography not as a circumstantial element of reception history, but as a constitutive part of the production of ideas: Not only was there an English Nietzsche, but also regional variations in Belfast and Edinburgh that produced different scientific communities and modes of interpretation.14 The importance of sub-metropoles as sites for intellectual history is an oft-overlooked element of these early reception histories. By asking what David Armitage summarizes as the where rather than the what question of the Enlightenment, the older concept of a cosmopolitan Enlightenment has been supplanted by multiple Enlightenments each inflected by their own publishing, reading, and reception history.15 More recent projects like “Mapping the Republic of Letters” at Stanford University uses a website to chart correspondence between eighteenth-century thinkers across the Atlantic world.16 Taking advantage of current technology, scholars now agree that such networks as those conveyed by the eighteenth-century “Republic of Letters” are essential to understanding how ideas migrate through space and time.17 Now a legitimate interpretative “turn” in itself that joins the ranks among the previous iterations in the “cultural” and “linguistic” realms, the spatial moment continues to encourage new lines of interpretation in a variety of subfields from cultural history to Jewish Studies.18

this field see Robert J. Richard, Reception of Darwin’s Theory 1860–1945, Cambridge 2013. 14 Diarmid A. Finnegan, The Spatial Turn: Geographical Approaches in the History of Science, in: Journal of the History of Biology 41. 2008, 369–388. 15 Charles W. J. Withers, Placing the Enlightenment: Thinking Geographically about the Age of Reason, Chicago 2007; Charles W.J. Withers and Robert Mayhew, Geography: Space, Place and Intellectual History in the Eighteenth Century, in: Journal for Eighteenth Century Studies 34. 2011, 445–452. Also cited in Armitage, The International Turn in Intellectual History, 241. 16 See the website http://republicofletters.stanford.edu, last accessed on January 26, 2017. 17 A number of German intellectual historians in particular have adopted this approach to the study of intellectual communities in productive ways. See, for example, Claudia Kemper, Das ‘Gewissen’ 1919-1925: Kommunikation und Vernetzung der Jungkonservativen (= Ordnungssysteme Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit 36), Munich 2011. The book project also included an accompanying digital database. 18 See the “turn” essays in the American Historical Review. Charles W. J. Withers, Place and the ‘Spatial Turn’ in Geography and in History, in: Journal of the History of Ideas

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So what has changed since Lovejoy uttered his observation seventy-five years ago about the migratory nature of ideas? First, these approaches are clearly influenced by our present moment, so that for instance, interest in “network theory” has not only been enabled by but also reflects our contemporary technology-imbued world. In a similar way, the history of the “first” globalization was written in the 1990s during the rise of the second moment of massive interconnectivity.19 These contemporary interests have given renewed direction to the initial momentum provided by Eighteenth-Century Studies. In addition to this presentist motivation, historians are also now venturing further afield to territories outside Europe, to the Middle and Far East, to new spaces to expand these reception histories and to discover vastly wider networks than we knew existed. This version of global intellectual history, what Frederick Cooper has referred to as the “soft” understanding of global succeeds in avoiding “the national, continental, and perhaps even temporal and cultural boundedness” of the field.20 It remains “soft,” however, for its understanding of global remains limited to the spatial. A much narrower body of scholarship conforms to what Cooper would identify as the “hard” version of the global: subjects that require modern technology to circulate in the manner enabled by highly intricate networks and globalization, as described above. Much work, according to Cooper, simply falls under what might better be described as “interconnected history” or what the French deem “histoire croisée.”21 This language of “entanglement” is precisely that which is successfully adopted by such historians as Kris Manjapra in his “transnational analysis” of the interactions of German and Indian scholars, artists, and scientists from the

70. 2009, 637–658; Charlotte Elisheva Fonrobert, The New Spatial Turn in Jewish Studies, in: AJS Review 33/1. 2009, 155–164. 19 The literature of the 1990s was very conscious of its relationship to the earlier period. Karl Gunnar Persson, An Economic History of Europe: Knowledge, Institutions and Growth, 600 to the Present, New York 2010; Kevin H. O’Rourke and Jeffrey G. Williamson, When did Globalization Begin?, in: European Review of Economic History 6. 2002, 4; and David Armitage, Is There a Pre-History of Globalization? in: Deborah Cohen and Maura O’Conor (eds.), Comparison and History: Europe in Cross-National Perspective, New York 2004, 165–176. 20 Frederick Cooper, How Global Do We Want Our Intellectual History to Be, in: Global Intellectual History, 283–284. 21 Ibid., 286, 284.

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late nineteenth through the middle of the twentieth centuries.22 The categorization of this brand of global history notwithstanding, this expansion necessarily provokes the question about how we define that expanding world. “This is a story not about globalization as an inevitable fact, but about the politics of globalization as it emerged from multiple centres worldwide,” Manjapra observes. “Transnational historical analysis seeks to expose the contestations around what ‘the global’ meant, and who claimed to be at the centre of the anticipated world order.”23 “Soft” global history can yield thoughtful reflections on the epistemological consequences of spatial reorganization. In this growing field of “soft” global intellectual history, one hears echoes of Dipesh Chakrabarty’s magisterial Provincializing Europe: Postcolonial Thought and Historical Difference, which posed the question as to whether these global investigations did not only derive exclusively from a European lineage but developed their own frameworks as well. Was it possible, Chakrabarty asked, to address questions of political modernity in the social sciences in South Asia without reference to Europe?24 Though Chakrabarty argues that the idea of something called European intellectual history is itself a fabrication, by his own admission, the critique of that tradition requires that very tradition for its rebellion. That is, by definition post-colonialism is committed to engaging with the universal language—reason, modernity, and other familiar tropes—and therefore even in the struggle, this tradition must rely on those tropes to address its plea for social justice.25 Some intellectual historians of the non-Western world seem so intent on establishing the “agency” of the “other” location that they have insisted on uncovering even the darkest of pasts in these efforts to bring such previously neglected continents as Africa into the European tradition—even if that “tradition” is that of genocide and race.26 Yet just as Joan Scott once observed

22 Kris Manjapra, Age of Entanglement: German and Indian Intellectuals across Empire, Cambridge 2014. 23 Kris Manjapra, Transnational Approaches to Global History: A View from the Study of German-Indian Entanglement, in: German History 32. 2014, 292–293. 24 Dipesh Chakrabarty, Provincializing Europe: Postcolonial Thought and Historical Difference, Princeton 2000, 3. 25 Ibid., 5. 26 Jonathon Glassman argues for shifting the focus to local thinkers on racial violence even if it means transferring the “guilt” associated with ethnic violence, normally attributed to colonial thinkers and rulers, to African figures. Slower than a Massacre: The Multiple Sources of Racial Thought in Colonial Africa, in: American Historical Review 109. 2004, 720–754, esp. 721.

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that feminist criticism had “only paradoxes to offer,” so too does Chakrabarty’s line of subaltern intellectual history often betray its own contradictions by simultaneously drawing on and disavowing the European tradition.27 Missing in these otherwise productive studies is the connection between ideas and the institutions that enabled and mediated these transnational crossings. Largely regarded as one of the most successful of the subaltern intellectual history school with respect to the tension between diffusion of and response to European ideas, Andrew Sartori’s work focuses on institutions only insofar as they are part of the narrow context of political economy.28 To a certain degree this absence reflects the recent assault on contextualism as a methodological approach to the history of ideas.29 An approach that was at its height associated with Quentin Skinner and the Cambridge School, contextualism does not represent the only challenge to textualist interpretation, which focuses on the insular analysis of the ideas to the exclusion of extrinsic factors. Indeed, the contextualist analysis of ideas has nonetheless always encompassed more than merely this one school’s interpretation of this position as is evidenced in this volume, which reflects an array of understandings of the term context, including the “social imaginary” and a renewed notion of the intellectual. However, we can and should push further here for other contexts—including cities and families—which have proved to be productive settings for the understanding of ideas.30 This narrow definition of contextualism is unfortunate not only because it fails to convey a more nuanced and varied field, but also because, as Moyn has observed, Skinner has tended to define context as simply more texts. “What separated Skinner from his adversaries in the beginning was, of course, context—

27 Joan Scott, Only Paradoxes to Offer: French Feminists and the Rights of Man, Cambridge 1997. 28 Andrew Sartori, Bengal is Global Concept History: Culturalism in the Age of Capital, Chicago 2008. 29 Matthew Specter, Deprovincializing the Study of European Ideas: A Critique, in: History and Theory 55. 2016, 110-128. 30 For the classic example of urban intellectual history see Carl Schorske, Fin de Siecle Vienna: Politics and Culture, New York 1980. For examples of the more recent intellectual history of families see John Randolph, The House in the Garden: The Bakunin Family and the Romance of Russian Idealism, Ithaca, NY 2007; and Deborah R. Coen, Vienna in the Age of Uncertainty: Science, Liberalism, and Private Life, Chicago 2007. For my interpretation of the latter school see Emily J. Levine, PanDora, or Erwin and Dora Panofsky and the Private History of Ideas, in: Journal of Modern History 83. 2011, 753–787.

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but not a lot of context, for he concurred with his enemies that there was nothing determinative outside texts except other texts.”31 For Moyn, Dominick LaCapra represented a slightly more substantial break from contextualism through his occasional use of non-textual context though he continued to organize his analysis around “reading texts,” and not, as Moyn would have it, on “abrogat[ing] the very distinction between representations and practices.”32 In the realm of the new global history, Sartori interestingly comes closest for Moyn to closing this gap. Sartori describes the implications of reading liberalism in empire: “It suggests that the role of colonial contexts in shaping colonial liberalisms was not only of interrupting liberal universalisms and of demarcating spaces of exclusion and exception. It suggests that colonial contexts could, under some circumstances, resonate with projects of radicalizing and extending liberal commitments as easily as with circumscribing them.”33 Sartori extends the practices of political thought through what he calls “vernacular” liberalism and his “everyday” encompasses the political and social texts of rent and property rights. His interpretation extends earlier studies that showed how liberal thought is transformed by different social locations. However, more could be done here to push these investigations into the realm of the academic institutions that enable and shape this ideology. The persistent absence of institutions in the new global intellectual history is all the more surprising since the sociology of knowledge provided inspiration for much of the same early history of science that paved the way for the recent “spatial turn” in intellectual history. Part of the explanation seems to lie with another misconception: that a narrow—or again “soft” understanding—of the history of science constitutes the sociology of knowledge. As Suzanne Marchand observes, the disciplinary histories often attributed to this category are those undertaken in Festschriften and obituary tributes, which regretfully do not reveal “linkages between institutions, social and cultural norms, and methods of knowledge production that tell us a very great deal about the history of ideas, but are obscured or obliterated by the study of ideas or individuals in isolation […].”34 Marchand is a reliable judge since her own study of the academic discipline of Orientalism

31 Samuel Moyn, Imaginary Intellectual History, in: McMahon and Moyn (eds.), Rethinking, 113. 32 Ibid. 33 Andrew Sartori, Liberalism in Empire: An Alternative History, Berkeley, CA 2014, 5. 34 Suzanne Marchand, Has the History of the Disciplines Had Its Day in: McMahon and Moyn (eds.), Rethinking, 142.

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does broaden the scope of the history of science by connecting the history of that field to questions about the production of knowledge in general.35 A broader conception of the history of science informs a transatlantic group of scholars that includes Peter Burke, Lorraine Daston, and Anthony Grafton, among others, who investigate intellectual production in light of these wider questions.36 In Germany, this wider definition of Wissenschaftsgeschichte has typically been conducted only outside the university in such interdisciplinary centers as the Max-Planck- Institut für Wissenschaftsgeschichte, of which Daston herself is a director. However, it is a testament to the increasing recognition of the connection of disciplinary history to wider social, cultural, and political issues that this movement has begun to influence traditional studies in the university like the Habilitationschrift of Levke Harders: American Studies: Disziplingeschichte und Geschlecht, which persuasively argues that gender was a constitutive part of that disciplinary “founding.”37 Harders’s study also reflects the growing interest among European scholars in American history, which continues to rise so much so that the first full-length study of the history of American Studies has been authored remarkably in the German language. Nonetheless, if this study manages to connect intellectual production to wider social, cultural, and political issues, the absence of a transnational lens in its analysis is a missed opportunity, especially since the university no less than nations clearly emerged in a global world.38 Part of the problem with bringing together these disparate strands—context, institutions, and the international—stems from a global trend that the history of education and scholarly institutions continues to be written in a separate and isolated field from that of history. While Laurence Veysey’s classic study, The Emergence of the American University, was notable for its combination of intellectual and institutional history, the work lacked a comparative element by the

35 Suzanne Marchand, German Orientalism in the Age of Empire, Cambridge 2009. 36 See, for example, Peter Burke, A Social History of Knowledge: From the Encyclopédie: From the Encyclopedia to Wikipedia, Vols. 1 and 2, Cambridge 2012; Lorraine Daston and Peter Gallison, Objectivity, Cambridge 2010; and Anthony Grafton, Worlds Made by Words: Scholarship and Community in the Modern West, Cambridge 2011. 37 Levke Harders, American Studies: Disziplingeschichte und Geschlecht, Stuttgart 2013. 38 See Emily J. Levine, Baltimore Teaches, Göttingen Learns: Cooperation, Competition, and the Research University, The American Historical Review 121/3. 2016, 780– 823.

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author’s own estimation.39 The German and English schools of the sociology of knowledge, which were unified in an impressive combination by the Hungarianborn Israeli sociologist Joseph Ben-David, provided the missing comparative component. However, his prolific body of work is built around fragmentary case studies.40 Both contributions are essential but remain marginal to the concerns of modern history in which higher education should be treated not on its own but in the context of larger cultural and intellectual movements.41 The global encounter necessarily impacted education systems. As Armitage argues, the “international turn” and intellectual history “have much to offer [each other].”42 Questions concerning the role of science and scholarship in society evolved in an international framework. The yardsticks of academic competition transformed from cultural prestige to more empirical measures of performance as scholars reacted to the realities of the new global economy by vying for the success of their ideas and institutions. Armitage, for his part, has called for an in-

39 Laurence Veysey, The Emergence of the American University, Chicago 1970. According to Veysey’s own reckoning of his 1965 publication, “A major flaw in my book, as I now see it, is its failure to look at the university systems of other major countries (except briefly for Germany) alongside the American.” The Emergence of the American University, in: American Journal of Education 90. 1981, 105. With respective to the comparative element Veysey observed that Joseph Ben-David’s work was “vastly superior” to his own. Ibid., 105. Both Julie Reuben and Roger L. Geiger made significant attempts to revise Veysey though their work remained largely in the context of the American framework and concerned with the internal history of the university. Roger L. Geiger, To Advance Knowledge: The Growth of American Research Universities, 1900–1940, New York 1986; and Julie Reuben, The Making of the Modern University: Intellectual Transformation and the Marginalization of Morality, Chicago 1996. 40 Ben-David’s insistence on structuralism and functionalism in his analysis, his avoidance of biography, and his attachment to a triumphalist history of both Great Britain and America, require revision. Gregory Mann, Institutional Dynamics of Scientific Change: Ben-David's Legacy, review of Joseph Ben-David and Gad Freudenthal, Scientific Growth: Essays on the Social Organization and Ethos of Science, Social Studies of Science 23. 1993, 757–763. 41 Studies of higher education on the whole remains the preserve of the popular genre in which the historical treatment is a basis for a critical discussion of current issues. See, for example, Andrew Delbanco, College: What it Was, Is, and Should Be, Princeton 2012; and Louis Menand, The Marketplace of Ideas: Reform and Resistance in the American University, New York 2010. 42 Armitage, The International Turn in Intellectual History, 235.

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stitutional history of internationalism and there already exist a number of works that aim to fill this role.43 Mark Mazower’s excellent Governing the World, for example, which examines organizations as diverse as the International Telegraph Union and the Red Cross, responds to this charge. However, revealingly while science is a “unifier” in the development of internationalism for Mazower, he overlooks universities as either national or international organizations.44 Despite the lack of proclivity of the French tradition for intellectual history, the French have been major contributors to “historical sociology,” and an examination of a recent title steeped in that tradition might offer a helpful guide.45 Described by Thomas Austenfeld as a work of “literary sociology,” Pascale Casanova’s World Republic of Letters draws on Bourdieu—as well as Fernand Braudel and Paul Valéry’s concept of the “great market of human affairs”—to reveal how the business of the literary world operated.46 Neither a work of strict textual interpretation nor an analysis of global political conditions in the publishing world, Casanova’s study also does not conform to current ideas of “World Literature” as practiced in the academy or taught by Literature professors. Opting for Braudel’s concept of an “economy-world” as a basic paradigm, it manages to avoid some of the clichéd definitions and pitfalls of the globalization debate while it also insists that we must account for how literature crossed national boundaries. There is much to admire in Casanova’s rich and comprehensive work—its combination of ideas and institutions, its sensitivity to the relationship between text and context, and its thick description of social and material conditions of production. As Casanova observes, “In this sense, the only genuine history of literature is one that describes the revolts, assaults upon authority, manifestos, inventions of new forms and languages—all the subversions of the traditional order that, little by little, work to create literature and the literary world.”47 Yet

43 Ibid., 238. 44 Mark Mazower, Governing the World: The History of an Idea, London 2013, esp. 94– 115. One exception is Jürgen Osterhammel who allocates the university its moment in his encyclopedic compendium. However, while he identifies it as an episode in globalization, he ignores higher education’s urban and extra-economic value. Jürgen Osterhammel, The Transformation of the World, Princeton 2014, 798–804. 45 Antoine Lilti, Does Intellectual History Exist in France?: The Chronicle of a Renaissance Foretold, transl. Will Slauter, in: McMahon and Moyn (eds.), Rethinking, 56. 46 Thomas Austenfeld, Review of Pascale Casanova’s The World Republic of Letters, transl. M.B. DeBevoise, in: South Atlantic Review 71. 2006, 141. 47 Pascale Casanova, World Republic of Letters, transl. M.B. DeBevoise, Cambridge 2007, 175.

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there is a contradiction at the heart of her literary “world republic” that might provide the missing link to the question about the global nature of ideas posed at the outset of this essay: On one hand, Casanova argues that to become an international literary commodity in the nineteenth century a work or an author had to be “consecrated” in Paris. However, despite the central role Paris plays in her analysis, Casanova disavows the local component of the global republic of letters, and, rather, in the end, conforms to a more traditional understanding of “national literatures.” Rather than treat Paris as a metonym for the nation, it would be fruitful to treat the city as an exceptional urban context with specific conditions of scholarly life. A guide for what this might look like is found latent in Casanova’s analysis in which she cites a long passage from the third volume of Braudel’s Civilization and Capitalism: 15th-18th Century, which reminds us of the essential role played by localities in the distinct path that cultural history took through the ages. According to Casanova, “In the sixteenth century, though Venice was the economic capital of Europe, it was Florence and the Tuscan dialect that prevailed in the intellectual sphere; in the seventeenth century, though Amsterdam was now the great center of European commerce, it was Rome and Madrid that triumphed in the arts and in literature; in the eighteenth century London became the center of the world economy, but it was Paris that imposed its cultural hegemony.”48 That each of these cultural centers was a city—rather than a nation—provides a key to a true international history of ideas. The historical sociology that provides the methodological basis for Casanova’s study, and in particular, its reliance on Bourdieu, deserves a more central position in the new field of global intellectual history. As is well known, Bourdieu argued that we should introduce the notion of capital—its accumulation and its effects—into the study of ideas. “The class of practices whose explicit purpose is to maximize monetary profit cannot be defined as such without producing the purposeless finality of cultural or artistic practices and their products; the world of bourgeois man, with his double-entry accounting, cannot be invented without producing the pure, perfect universe of the artist and the intellectual and the gratuitous activities of art-for-art’s sake and pure theory.”49 Crucially Bourdieu recognized the ambivalent place that the university and its world of ideas occupied

48 Fernand Braudel, Civilization and Capitalism: 15th–18th Century, vol. 3: The Perspective of the World, transl. Sian Reynolds, Berkeley, CA 1992, 67. 49 Pierre Bourdieu, The Forms of Capital, in: J.F. Richardson (ed.), Handbook of Theory for the Sociology of Education, trans. Richard Nice, New York 1986, 46f.

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in this wider economy. “If economics deals only with practices that have narrowly economic interest as their principle and only with goods that are directly and immediately convertible into money (which makes them quantifiable), then the universe of bourgeois production and exchange becomes an exception and can see itself and present itself as a realm of disinterestedness.”50 The university seemed to fit precisely this realm of “bourgeois production and exchange.” To correct for the misconception of the entirely extra-economic status of the university, Bourdieu innovated new categories of capital. In addition to economic capital, which is immediately convertible into money, he famously suggested that cultural capital, “may be institutionalized in the form of educational qualifications.” Bourdieu, for his part, was particularly concerned about the French universities whereby the “scholastic yield, from educational action depends on the cultural capital previously invested by the family.” The widespread challenges to the university in 1968 brought these questions and the problem of power and politics in general into the previously isolated realm of academia and gave Bourdieu an impetus to explore them in practice.51 However, the existence of “cultural capital” as the primary currency in the university also made theoretical sense since, according to Bourdieu’s theory, it was the contexts in which real capital was weakened that the mechanisms that produce cultural capital are strongest. “When the subversive critique which aims to weaken the dominant class through the principle of its perpetuation by bringing to light the arbitrariness of the entitlements transmitted and of their transmission is incorporated in institutionalized mechanisms aimed at controlling the official, direct transmission of power and privileges, the ‘they’ then exploit other kinds of capital like cultural capital.”52 That is, cultural capital becomes more not less important when other forms of material power are threatened. “Thus the more the official transmission of capital is prevented or hindered, the more the effects of the clandestine circulation of capital in the form of cultural capital become determinant in the reproduction of the social structure.” Similarly, in times of economic crisis as Peter Uwe Hohendahl has argued, the myth of the university as a preserve outside of economic forces often emerges.53

50 Ibid., 47. 51 A third category, “social capital,” made up of social obligations was also convertible in certain conditions into economic capital. Pierre Bourdieu, Sketch for Self-Analysis, transl. Richard Nice, Chicago 2004, 7. 52 Bourdieu, The Forms of Capital, 55. 53 According to Peter Uwe Hohendahl, this was the case in the 1990s, when Germans conjured the myth of the Humboldt ideal to challenge the reality of the neoliberal uni-

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Institutions become even more important to individuals in the acquiring of cultural capital but it is not just in individuals’ acquisition of degrees but in their affiliation to institutions. In this respect, we might extend the concept of “cultural capital” to the institutions of universities themselves, for as scholars over the course of the nineteenth century began to benefit from and associate with their universities, they also promoted those institutions, circles, and networks as a part of their own success. We all know this to be true today, especially in the American case in which graduates of universities translate their loyalty and affiliation into the sponsorship of those institutions through alumni fundraising. German institutions have tried to emulate this process—albeit not entirely successfully— beginning well before the end of World War II.54 However, these affiliations are also essential for scholars who draw on these relationships as the basis for their own unique institutions for the production of knowledge.55 On a wider scale, it is also important because it shows how the university might be integrated into the history of the nineteenth and twentieth centuries and what we call today the global knowledge economy: Scholarly “capital” encompasses a range of the immaterial—cultural accolades like Nobel Prizes—to the more purely economic— tuition and patents.56 These processes must be accounted for in an institutionalcum-intellectual history of the university.

versity. Humboldt Revisited: General Education, University Reform, and the Opposition to the Neoliberal University, in: New German Critique 113. 2011, 159–196. 54 According to Paul Michael Lützeler, university administrations have more recently established American-style alumni associations to maintain contact to students, but the donations have so far been inconsequential. See, for example, www.alumni-clubs.net. Deutsche Hochschulen: Europäisierung und Amerikanisierung, in. Transatlantische Germanistik: Kontakt, Transfer, Dialogik, Berlin 2013, 76. However, such innovative scholarly reformers as Karl Lamprecht in Leipzig were already cultivating donors in the American style in the decade preceding World War I. Karl Lamprecht, Americana: Reiseeindrücke, Betrachtungen, Geschichtliche Gesamtansicht, Freiburg 1906, esp. 90f. 55 A scholarly reformer like Felix Klein drew on precisely such relationships to found the Göttingen Association for the Advancement of Applied Physics and Mathematics in 1899. See, for example, Lewis Pyenson, Mathematics, Education, and the Göttingen Approach to Physical Reality 1890–1914, in: Europa 2. 1979, 91–126. 56 The following studies examine the history of Nobel Prizes and patents, respectively, but not in connection with the university and wider social, cultural, and political issues. Elisabeth Crawford, Nationalism and Internationalism in Science 1880–1939: Four Studies of the Nobel Population, Cambridge 1992; and Kees Gispen, Poems in Steel: National Socialism and the Politics of Inventing from Weimar to Bonn, New York 2002.

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In Homo Academicus, the dense volume which represents two decades of Bourdieu’s research and thinking on the subject, he tackled the issue of practice and power among French university professors with a series of ethnographic vignettes, statistical profiles, and prosopographic details, which as we have seen with the rise of “network studies,” is now increasingly in vogue. In the 1980s, Bourdieu expressed interest in writing a similar study about the “Homo Academicus Americanus,” a particular national breed whose tendencies towards federalism and regional differences would nonetheless be difficult to pinpoint.57 As Bourdieu observed, we tend not to place our own institutions under the microscope unless we are forced to do so. Our current moment of self-proclaimed crisis provides precisely such an opportunity that takes the different contexts— local, national, and international—into account in a study of the academic in her institutional context. So what would a global history of the research university look like that unites ideas and institutions and draws on both historical sociology and intellectual history? A brief example inspired by Bourdieu’s historical sociology and his concept of “cultural capital” offers an outline.58 One crucial way that universities competed for “cultural capital” was in the market for foreign students. It became de rigueur in the first decade of the twentieth century to cite the declining number of American students at German universities as a potential threat to the international reputation of German science.59 Neither the Germans nor the Americans at the beginning of the twentieth century were clear on the implications of competition for higher education. Among German education reformers and scholarly managers, however, the rhetoric of competition served short-term needs. Even if that decline was exaggerated, the sense of decline and crisis served the ambitions of German reformers, who used it to further their aims.60

57 Loic J.D. Wacquant, For a Socio-Analysis of Intellectuals: On “Homo Academicus”, in: Berkeley Journal of Sociology 34. (Symposium on the Foundations of Radical Social Science) 1989, 10. 58 This research is drawn from my book, Exceptional Institutions: Cities, Capital, and the Rise of the Research University (in contract, University of Chicago Press). 59 See, for example, Hugo Münsterberg to Friedrich Schmidt-Ott, September 17 1910, Bl. 8. VI. 410, NL Schmidt-Ott, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (hereafter, GStA PK). 60 The number of American students did begin to decrease both in absolute and percentage terms around 1900 though as Peabody suggested they were higher if one examined such places of high exchange like Harvard, Göttingen, and Heidelberg. Peter Drewek, Die

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This competition was also not limited to Germany and America. The British worried about what their scientific lag meant for industry. In Spain, Miguel de Unamuno and José Ortega y Gasset fiercely debated the consequences of these new utilitarian expectations for their country’s spiritual identity. “Let the others invent,” Unamano insisted, a futile attempt to defy the trend.61 On the other side of the world, the young Chinese education reformer Cai Yuanpei, who had attended universities in Germany and France, adapted their models to modernize China’s system of higher education. Upon becoming chancellor of the National Beijing University in 1912, Cai envisioned a globalized world of higher education in which intellectual traditions mixed freely. “If there were a university which made every effort to encompass all the world’s teachings,” Cai declared in 1914, “then our language and history would constitute a department […]. This is proof that the world has become more integrated.”62 The war brought many of these fears to a head. Not only did the war mobilize and politicize previously benign scholarly exchange, as most scholarship on science and the war has emphasized.63 World War I also presented an opportuni-

ungastliche deutsche Universität: Ausländische Studenten an deutschen Hochschulen 1890–1930, in: Jahrbuch für Historische Bildungsforschung 5. 1999, 197–224. See, also, Thomas Weber, Our Friend “The Enemy”: Elite Education in Britain and Germany before World War I, Stanford 2008, 214. Indeed the American physician Francis Peabody insisted that in the years 1905 to 1910, of Harvard students who studied abroad, the majority went to Germany, in total 32 out of 85 students, with 17 opting for France and 14 for England. Peabody to Schmidt-Ott, VI. Bl. 474, NL Schmidt-Ott, GStA PK. I draw on Andrew Hull’s argument that there was a scholarly misconception of British science that takes the discourse of national decline at face value rather than views the rhetoric as part of a long-term plan on the part of British scientists to promote their agendas. Andrew Hull, War of words: the public science of the British scientific community and the origins of the Department of Scientific and Industrial Research, 1914–16, in: The British Journal for the History of Science 32. 1999, 461–481, esp. 462–3. 61 Cited in Carol A. Hess, Manuel de Falla and Modernism in Spain, 1898–1936, Chicago 2001, 47. 62 According to Timothy B. Weston, this statement, which he cites and translates, was part of the introduction to a new journal Cai hoped to launch but would never come into being. Timothy B. Weston, The Founding of the Imperial University, in: Peter Zarrow and Rebecca E. Karl (eds.), Rethinking the Reform Period: Political and Cultural Change in Late Qing China, Cambridge 2002, 123. 63 See, for example, Carol Gruber, Mars and Minerva, World War I and the Uses of the Higher Learning in America, Louisiana 1975; and Martha Hanna, The Mobilization of

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ty to capitalize on the loss of the previous behemoth in the world of universities: Germany. In this newly interconnected world, foreign students were becoming an integral feature of the global competition of goods. However, this competition cannot be explained merely by economics (especially given the then modest student fees), but must also have been concerned with something else, something less tangible. In this respect, Bourdieu’s concept of “cultural capital” could be useful if extended to universities to understand how scholars became invested in and advocated for their scholarly homes. This kind of analysis would also contribute to a reflexive analysis of the scholar’s “social imaginary,” those values and systems that are often invisible to us and yet are crucial to a comprehensive intellectual history.64 Moreover, proponents of global intellectual history have encouraged us to expand bigger but the local is still essential, especially to understanding the history of ideas. As Charles Withers has argued: [In] the face of ‘globalisation,’ questions of locality, sense of place and of identity in place matter now more than ever. Even, then, as Francis Fukuyama cautioned against the ‘death’ of liberal democratic politics as The End of History, geography—that is, geography understood as questions to do with place, and questions to do with where you are in the world as part of questions about how you are and who you are in the world—has had considerably heightened significance and for some places and people more than others.65

Withers traces the use of the local in recent work in history and in geography especially in the history and geography of science, and the centrality of locality certainly holds for the history of universities, which remained local institutions in many respects. If one focuses on provincial cities outside Berlin, in Germany, it was often the smaller towns on the periphery, in addition to the large cities, that fostered a unique set of conditions for higher education. In Göttingen, a college town, the renowned mathematician Felix Klein cultivated a community of industrialists, scholars, and engineers to form a bridge between research and application that made Göttingen the global center for applied mathematics by the 1930s. Klein

Intellect: French Scholars and Writers during the Great War, Cambridge 1996; both of which detail the zealous involvement of scientists and scholars to assert the utility of their work for the war of Kultur. 64 Moyn, Imaginary Intellectual History, 112. Also discussed by Sean Forner in his article in this collection. 65 Charles Withers, Place and the ‘Spatial Turn’ in Geography and in History, 638.

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was influenced by a similar partnership that he saw at MIT and in Cambridge and he used this model to make Göttingen more competitive with Berlin.66 The land grant institutions of the United States show how even a relatively small, provincial town, Madison, Wisconsin was at the center of the discourse about social policy at the end of the nineteenth century. The economist Richard Ely, who arrived in Madison in 1892, trained a generation of social and urban policy scholars who were responsible for turning Madison into a training ground for civil service. According to the nineteenth-century author and politician Frederic C. Howe, “The state university, situated at the state capital, is a scientific research bureau, using its faculty and equipment in the service of the state.”67 Known for the “Wisconsin Idea,” which unified research and application, or “humanism and cheese,” scholars and scholarly reformers at the University of Wisconsin were both shaped by and influenced their local and regional contexts in an increasingly global economy of ideas.68 While recent narratives of this era emphasize how modern institutions alternated between nationalism and internationalism, universities remained local institutions, nested in the cities which benefited from, and contributed to, their success. While Thomas Bender, Daniel Rodgers, and Jürgen Osterhammel emphasize the role of the city in global history, the local fades from their discussions of the university.69 To be sure, not all universities were situated in large cities. However, a focus on the local is crucial to understanding the way that not only ideas crossed borders but also how “cultural capital” was expanded at the turn of the last century. Institutions must be included in our understanding of how that capital operated for scholars if we are to give new life to intellectual history at this juncture. As we have seen, such historians of science as Withers have for some time grasped the centrality of place for analyzing ideas. “Consideration of [the En-

66 Despite offers from Worcester, MA, Johns Hopkins, and Berlin, Felix Klein turned them down and decided to implement many of the features of American universities in Göttingen. For his own reflections see Felix Klein, Göttinger Professoren: Lebensbilder aus eigener Hand 4, in: Mitteilungen. Universitätsbund Göttingen 5. 1923, 25f. 67 Frederic C. Howe, Wisconsin: An Experiment in Democracy, New York 1912, x. 68 Lincoln Steffens, Sending a State to College, in: American Magazine LXVIII. 1909, 349. 69 Thomas Bender, A Nation Among Nations: America’s Place in World History, New York 2006; Daniel T. Rodgers, Atlantic Crossings: Social Politics in a Progressive Age, Cambridge 1998; and Jürgen Osterhammel, The Transformation of the World, Princeton 2014.

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lightenment’s] place-based dimensions, without losing sight of its cosmopolitan dimensions, is helping throw new light on (the) Enlightenment altogether.”70 This article has shown that despite the “international” turn in both intellectual history and the wider field, a sensitivity to both institutions and localities, has been muffled. The danger in assuming what Moyn calls “autoglobalization,”— that is, the intrinsic tendency of ideas to spread—is that, as Moyn rightly warns, not all ideas operate like commodities.71 This is particularly the case for universities which unlike coffee or salt did not need to be exported to fulfill their destiny. Only by integrating the university into these studies will we close the gap between text and context. If we ignore these questions as extrinsic to intellectual life out of a fear of reductionism, we risk further isolating ourselves from the reality of the world in which ideas too must find a home.72

70 Withers, Place and the ‘Spatial Turn’ in Geography and in History, 657. 71 Moyn, On the Nonglobalization of Ideas, in: Global Intellectual History, 197. 72 Such is Hubert Dreyfus’s and Paul Rabinow’s critique of Bourdieu. Hubert Dreyfus and Paul Rabinow, Can there be a Science of Existential Structure and Social Meaning? in: Richard Shusterman (ed.), Bourdieu: A Critical Reader, Oxford 1999, 90.

Genealogie als ideengeschichtliche Methode und die Idee der Menschenrechte M ARCUS L LANQUE

Im Folgenden soll die Genealogie als Forschungsansatz der politischen Ideengeschichtsschreibung diskutiert werden, und zwar anhand der Idee der Menschenrechte als eines möglichen Beispiels. Damit soll die rein abstrakte methodologische Diskussion vermieden werden, auch wenn es dazu führt, dass die ideengeschichtliche Erörterung des Beispiels notwendig skizzenhaft bleiben muss.

D IE I DEENGESCHICHTSSCHREIBUNG DER M ENSCHENRECHTE Die Menschenrechte sind ein schwieriger Gegenstand für die Ideengeschichtsschreibung. Auffällig ist, wie wenig sich die ideengeschichtliche Erforschung der Menschenrechte an anderen Forschungszweigen der Ideengeschichte orientiert, dass dabei sehr verschiedene Wege beschritten werden ohne diesen Umstand selbst zum Anlass einer kritischen Selbstreflexion ihres methodischen Zugangs zu erheben und man sich darüber hinaus nicht einig ist, wie ihr Gegenstand eingegrenzt werden sollte. Was gehört zur Ideengeschichte der Menschenrechte? Wie soll der Entwicklungsgang innerhalb dieser Geschichte aufgefasst werden, wie ist ihr Verlauf strukturiert? Gibt es mehrere Interpretationspfade oder laufen sie allesamt auf das zu, was man heute die „moderne“ Idee der Menschenrechte nennt? Wie bei vielen anderen politischen Ideen sind auch bei der Idee der Menschenrechte die Ursprünge umstritten. Das aber ist eine der Kernfragen der Genealogie als eines Forschungsansatzes in der Ideengeschichte.

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Die jüngste kooperative Beschäftigung mit den Ursprüngen der Menschenrechte enthält sich einer Gesamtaussage, erachtet dies vielmehr als eine weiter zu klärende Forschungsfrage.1 Diese Skepsis ist nicht repräsentativ. Paul Gordon Lauren spricht von einer „Evolution“ der Menschenrechte2 und meint damit eine bestimmte Entwicklungsrichtung, die auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 (im weiteren „AEMR“) als Ausgangspunkt der „modernen“ Menschenrechte zuläuft. Auch wenn frühere Philosophien, Religionen und Weltanschauungen weder von Menschenrechten sprachen noch ihre moderne, nämlich individualrechtliche Gestalt diskutierten, so lassen sich Lauren zufolge doch bis zu Beginn der Menschheitsgeschichte „Visionen“ der Menschenrechte zurückverfolgen. Micheline Ishay gibt eine konventionelle Definition der Menschenrechte gleich zu Beginn, wonach es sich um die dem Menschen angeborenen individuellen Rechte handelt, und zwar ungeachtet aller Unterschiede in Geschlecht, Rasse, Nationalität und ökonomischer Situierung.3 Das sei zugleich die Kernaussage der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“, deren unterschiedliche gedankliche Elemente in der Geschichte zurückverfolgt werden können. Daher setzt ihre Geschichte mit Bartolomé de las Casas und seiner Verteidigung der Rechte der mittelamerikanischen Ureinwohner 1545 ein.4 Lynn Hunt schließlich fragt danach, wann das erste Mal von den „Rechten des Menschen“ gesprochen wurde und untersucht, wie es in dieser Zeit dazu kommen konnte und warum sich dann dieser Begriff so schnell verbreitete.5 Im Text gibt sie Rousseaus „Contrat Social“ von 1762 als erste Verwendung an, auch wenn nicht ganz klar ist, was Rousseau damit meint;6 in den Fußnoten erörtert Hunt aber die Möglichkeit, dass Rousseau die Wendung von Jean-Jacques Burlamaqui übernommen haben könnte, der bereits 1747 von der „Fondement général des droits de l’Homme“ spricht.7 Hunts Erklärung geht davon aus, dass den Menschenrechten eine Vorstellung von der Autonomie des Menschen und der Praxis der Empathie

1

Pamela Slotte und Miia Halme-Tuomisaari (Hgg.), Revisiting the Origins of Human Rights, Cambridge 2015.

2

Paul Gordon Lauren, The Evolution of Human Rights. Visions Seen, Philadelphia

3

Micheline R. Ishay, The History of Human Rights, From Ancient Times to the Glob-

4

Siehe auch die Chronologie der mit den Menschenrechten in Zusammenhang stehen-

2011, 3. Aufl. alization Era, Berkeley 2004, S. 3. den „Ereignisse“: Ishay, The History of Human Rights, S. 357-367, hier S. 357. 5

Lynn Hunt, Inventing Human Rights. A History, New York 2007.

6

Ibid., S. 24.

7

Ibid., S. 231.

G ENEALOGIE ALS IDEENGESCHICHTLICHE M ETHODE

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zwischen diesen Menschen zugrunde liegt und dass diese Vorstellung in der Romanliteratur des 18. Jahrhunderts entwickelt und in der Öffentlichkeit verbreitet wurde. Die Literatur habe erst die Menschen- und Bürgerrechtserklärungen des ausgehenden 18. Jahrhunderts ermöglicht. Diese Deklarationen werden von allen genannten Autoren wiederum als naheliegender Ursprung der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ von 1948 angesehen. Die Vorgeschichte der Deklarationen des 18. Jahrhunderts war jedoch ihrerseits lange umstritten und gehört zu den ersten bedeutenden Kontroversen in der Ideengeschichtsschreibung der Menschenrechte, sie wurde zwischen Georg Jellinek und Émile Boutmy ausgetragen.8 Diese Kontroverse bleibt in den oben genannten Werken unerörtert, ist in der deutschsprachigen Forschung jedoch präsent. Wolfgang Schmale versuchte, die Elemente der Menschenrechte, wie sie in der französischen Menschen- und Bürgerrechtserklärung zum Tragen kamen, bis in das Mittelalter zurückzuverfolgen und nannte die Erforschung dieser Elemente ihre „Archäologie“.9 In jüngster Zeit bedienen sich unterschiedliche Darstellungen der Geschichte der Menschenrechte des Begriffs der „Genealogie“, um das eigene Vorgehen zu beschreiben. Der von Stefan-Ludwig Hoffmann herausgegebene Band zur Geschichte der Menschenrechte im 20. Jahrhundert will damit neben die Ideengeschichte der einschlägigen Texte auch die Geschichte von menschenrechtlichen Praktiken einschließlich der Politik erfassen.10 Dagegen hat Hans Joas versucht, in seiner „Neuen Genealogie der Menschenrechte“ den Ursprung des Menschenrechtsgedankens in der Idee der Person freizulegen.11 Die Menschenrechte stellen also weiterhin ein historiographisches Problem eigener Art dar, an der sich unterschiedliche Autoren mit unterschiedlichen Verlaufsrekonstruktionen versuchen.12 Ob in dieser Situation die Genealogie ein geeigneter Forschungsansatz ist, worin ihr methodisches Vorgehen liegt und was ihre Probleme sind, dafür sind

8

Dokumentiert bei Roman Schnur (Hg.), Zur Geschichte der Erklärung der Menschenrechte, Darmstadt 1964.

9

Wolfgang Schmale, Archäologie der Grund- und Menschenrechte in der Frühen Neuzeit. Ein deutsch-französisches Paradigma, München 1997.

10 Stefan-Ludwig Hoffmann (Hg.), Moralpolitik. Geschichte der Menschenrechte im 20. Jahrhundert, Wallstein 2010. 11 Hans Joas, Die Sakralität der Person. Eine neue Genealogie der Menschenrechte, Frankfurt a.M. 2011. 12 Jan Eckel, Die Ambivalenz des Guten. Menschenrechte in der Internationalen Politik seit den 1940ern, Göttingen 2014, S. 29-44.

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die Bände von Hoffmann und Joas nur in Grenzen erhellend. Was beide eint, ist die Ablehnung der Annahme von Kontinuität und Evolution in der Ideengeschichte, ferner die Wechselbeziehung von sozialer und politischer Praxis einerseits und deren theoretische Reflexion andererseits, die sich dann in den entsprechenden Texten niederschlägt. Doch die für jede genealogische Forschung wesentliche Ursprungsfrage ist hier entweder bewusst offengelassen13 oder aber entgegen dem Anliegen der Genealogie nicht plural, sondern unilateral beantwortet, wenn eine personalistische Interpretation der Menschenwürde als Ausgangspunkt menschenrechtlicher Argumentation und der damit in Verbindung stehenden christlich-theologischen Vorbilder angesetzt wird.14 Daher wird es nötig sein, die Grundzüge genealogischen Erforschens politischer Ideen zu skizzieren. Das erfordert zunächst eine Klärung des praktischen Status von Ideen, damit das Wechselspiel von Praxis und theoretischer Reflexion besser erfasst werden kann. Man sollte ferner zwischen der Idee selbst und ihren begrifflichen Konkretisierungen in einzelnen Diskursen unterscheiden. Schließlich gilt es, drei Ebenen genealogischer Erörterung zu unterscheiden: das Problem der Kontinuität angesichts der Vielzahl von Ursprüngen, das Problem der Entwicklung von unterschiedlichen Interpretationspfaden und ihre Verknüpfung zu konkreten Begriffen in spezifischen Diskursen, und der Umstand, dass diese Interpretationen vor einem anhaltenden Deutungskampf zu verstehen sind, der innerhalb einer Idee, aber vor allem zwischen unterschiedlichen politischen Ideen ausgetragen wird. Zu diesem Deutungskampf gehören nicht zuletzt die Interpreten der Geschichte der Menschenrechte selbst. Wie Martti Koskenniemi, einer der bekanntesten Historiker des modernen Völkerrechts, hervorhebt, sind Interpretationen der Geschichte der Menschenrechte immer zugleich Interventionen in die Gegenwart der jeweiligen Historiker.15

G ENEALOGIE

ALS IDEENGESCHICHTLICHE

F ORSCHUNG

Mit dem Ausdruck Genealogie ist ein Forschungsansatz in der Ideengeschichtsschreibung angesprochen, der besonderen Wert legt auf die Freilegung nicht eines, sondern aller möglichen Ursprünge einer Idee. Es geht um die ideengeschichtliche

13 Hoffmann (Hg.), Moralpolitik. 14 Joas, Die Sakralität der Person. 15 Martti Koskenniemi, The History of Human Rights as Interventions in the Present, in: Pamela Slotte und Miia Halme-Tuomisaari (Hgg.), Revisiting the Origins of Human Rights, Cambridge 2015, S. IX-XVIII.

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Rekonstruktion der Geschichte von Interpretationen, wobei politische Ideen deshalb bedeutsam sind, weil ihre Geschichte zugleich ein kritischer Beitrag zur Geltung und Genese von Deutungsmustern politischen Handelns darstellt. Die Genealogie widerstrebt dem Versuch der interpretatorischen Festlegung einer Idee auf einen einsinnigen, teleologischen oder evolutiven Verlauf ihrer Geschichte und hebt stattdessen die Alternativität und Wandelbarkeit ihrer Interpretationen hervor. Nicht nur ist die Genealogie die historisch angemessenere Form der Ideengeschichte, weil sie bestrebt sein muss, das ganze Bild der Interpretationen einer Idee zu erfassen und in ein Verhältnis zueinander zu stellen, sie ist auch theoretisch fruchtbarer, da sie nicht die Geschichte einer Idee im Lichte einer ihrer Interpretationen erstellt, sondern mit der Fülle der Interpretationen auch das theoretische Spektrum möglicher Interpretationen erweitert, um so die weitere Theoriearbeit zu bereichern und sie vor dogmatischen Festlegungen zu bewahren. Die beiden erwähnten Arbeiten zur Genealogie der Menschenrechte16 fügen sich in eine ganze Kette jüngerer Arbeiten, die ihre Forschung als „Genealogie“ bezeichnen. Das bedeutet aber keineswegs, dass es sich bei dieser Bezeichnung um einen festen, gar methodisch elaborierten Forschungsansatz handelt. Die Mehrzahl dieser Selbstbezeichnungen als „Genealogie“ benutzt bei näherer Betrachtung das Wort nur synonym mit „Geschichte“, verbunden vielleicht mit einer größeren Freiheit in Fragen des methodischen Vorgehens und mit einer ausdrücklichen politischen Ambition, Geschichtsschreibung anders betreiben zu wollen als der „mainstream“. Oft genug findet sich der Ausdruck Genealogie sogar nur schlicht im Titel der Abhandlung, taucht dann aber nicht mehr signifikant auf, geschweige denn, dass überhaupt methodische Überlegungen vorgenommen werden. Ein interessantes Beispiel für die Volatilität der Wortverwendung bietet Corey Robin. Nach der Veröffentlichung eines Aufsatzes zu „Fear. A Genealogy of Morals“17 kündigte er eine Weile ein Buch unter dem Titel „Fear. Biography of an Idea“ an, bevor die Arbeit dann schließlich unter dem Titel „Fear. The History of a Political Idea“18 erschien. Der Ausdruck Genealogie findet sich in dem Buch kaum mehr. Ungewöhnlich erscheinende Gegenstände wie die Idee der Finanzen finden hochreflektierte methodische Ausgangsüberlegungen19, der Versuch dagegen, die Genealogie der Idee der Geometrie zu ermitteln hätte

16 Hoffmann (Hg.), Moralpolitik; Joas, Die Sakralität der Person. 17 Corey Robin, Fear. A Genealogy of Morals, in: Social Research 67. 2000, S. 10851115. 18 Corey Robin, Fear. The History of a Political Idea, Oxford 2004. 19 Marieke de Goede, Virtue, Fortune, and Faith. A Genealogy of Finance, Minneapolis 2005.

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auch „Die verschlungene Geschichte der Meinungen zur Geometrie“ heißen können, und zwar ohne jegliche methodische Reflexion.20 Es sind aber meist politische Ideen, die eine eingehende methodische Würdigung unter dem Signum der Genealogie finden. Dazu zählen Untersuchungen zur Idee von citizenship21 oder zur Idee des Staates.22 Da politische Ideen besonders dem Deutungskampf ausgesetzt sind, ist die Reflexion darüber, wie das ideengeschichtliche Material angeordnet werden kann, ohne dass dies bereits eine bestimmte, meist einseitige Interpretation impliziert, besonders nötig. Die genealogische Forschung ist hierzu ein Beitrag. Man kann einen „französischen“ Strang der Genealogie von einem „englischen“ unterscheiden. Zunächst verwendete der Philosoph Bernard Williams den Begriff der Genealogie, um sich vom Funktionalismus ebenso wie vom epistemologischen Reduktionismus zu distanzieren. Williams versteht unter Ideen und Begriffen kulturelle Phänomene, die sich aus dem Narrativ ihrer Entwicklung erklären lassen. Nicht vermeintliche Fakten und Funktionen stehen im Vordergrund, sondern Interpretationen, die den Ideen und Begriffen nicht äußerlich sind, sondern ihren wesentlichen Bestandteil ausmachen. Der mit der Abkehr von Funktionalismus und Szientifismus verbundene Verlust an wissenschaftlicher Eindeutigkeit wird kompensiert durch die Erschließung dessen, was sich gerade jeder Reduktion und Abstraktion entzieht, der praktische Gebrauch in konkreten Kontexten.23 Quentin Skinner hat sich erst spät den Ausdruck Genealogie zunutze gemacht, und zwar so überraschend, dass bereits von einem „genealogical turn“ in seinem methodischen Denken gesprochen wurde.24 Im Unterschied zum Kontextualismus und Pragmatismus seines früheren Herangehens, das zusammen mit J.G.A. Pocock unter dem Titel „Cambridge School“ in der ideengeschichtlichen Methodologie Furore machte, betont Skinner nun den Umstand, dass sich mehrere Interpretationspfade derselben Idee zeigen lassen, die oft gleichzeitig nebeneinher verlaufen.

20 David Rapport Lachterman, The Ethics of Geometry. A Genealogy of Modernity, New York 1989. 21 Margaret R. Somers, Genealogies of Citizenship. Markets, Statelessness and the Right to Have Rights, Cambridge 2008; Engin F. Isin, Being Political. Genealogies of Citizenship, Minneapolis 2002. 22 Quentin Skinner, A Genealogy of the Modern State, in: Proceedings of the British Academy 162. 2009, S. 325-370. 23 Bernard Williams, Truth and Truthfulness. An Essay in Genealogy, Princeton 2002, S. 35f. 24 Melissa Lane, Doing Our Own Thinking for Ourselves: On Quentin Skinner’s Genealogical Turn, in: Journal of the History of Ideas 73. 2012, S. 71-82.

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Sein Verständnis von Genealogie demonstrierte er in dem Vortrag für die Britische Akademie von 2009 am Beispiel der Idee des Staates. Die Genealogie ermöglicht es, unter Einbezug der gesamten Geschichte eines Begriffs, sich in der theoretischen Debatte der Gegenwart des Interpreten kritisch mit Bedeutungsvarianten zu versorgen: „When we trace the genealogy of a concept, we uncover the different ways in which it may have been used in earlier times. We thereby equip ourselves with a means of reflecting critically on how it is currently understood.“25 Dabei geht es Skinner, wie er in einer Fußnote verdeutlicht, darum, dass er von einer Mehrzahl von solchen Begriffsbedeutungen ausgeht. Mit Bezug auf den Staatsbegriff unterscheidet er den absolutistischen Begriff, den populären oder demokratischen sowie den fiktionalen Begriff à la Thomas Hobbes und die Interpretationskämpfe zwischen diesen unterschiedlichen Linien. Die Geschichte des Staatsbegriffs wird also zur Darlegung ihrer unterschiedlichen Geschichten, die Genealogie somit zu einer kritischen Klärung der Geschichte des Begriffs selbst, und zwar unter Einbezug der ideengeschichtlichen Rekonstruktion der historischen Auseinandersetzungen. Was Skinner unterlässt, zumindest an dieser Stelle, sind Reflexionen darüber, wie sich diese unterschiedlichen Interpretationslinien zueinander verhalten, welche wann und warum ein Übergewicht in welchen Diskursen erringen konnten und welche Konsequenzen das für die weitere Interpretation hatte. Worum es aber gehen muss, ist die Rekonstruktion des ganzen Bildes der Interpretationen. Mit Blick auf das von Skinner ausgewählte Material geht es ihm vornehmlich um den britischen Diskurs. Die komplexen theoretischen Interaktionen zwischen unterschiedlichen solcher Diskurse, nationalsprachlichen ebenso wie gemeineuropäischen (lateinischen, dann französischen), transatlantischen und schließlich globalen Diskursen bleiben unerwähnt. Offenbar wird hier jedenfalls, dass der diskursive Kontext mit der genealogischen Perspektive erheblich erweitert werden kann: es geht nicht mehr alleine um den praktischen Gebrauch politischer Ideen im historisch rekonstruierbaren zeitgenössischen Kontext, es geht um Interpretationsdiskurse, die in ihrem Gesamtverlauf betrachtet werden müssen. Sie nehmen zwar Bezug zu ihrer jeweiligen Zeit, überschreiten sie aber mit Blick auf bekannte frühere oder alternative Interpretationspfade. Damit ist auch bereits das kritische Element angesprochen, das für den französischen Strang der genealogischen Forschung typisch ist. Die Brücke zwischen beiden bildet Raymond Geuss.26 Gerade politisch ambitioniertere Studien

25 Skinner, A Genealogy of the Modern State, S. 325. 26 Raymond Geuss, Genealogy as Critique, in: European Journal of Philosophy 10. 2002, S. 209-215.

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verstehen unter Genealogie die Darstellung der oft brüchigen, diskontinuierlichen, vielpfadigen Entwicklung des Begriffsgebrauchs, die es nicht erlaubt, einen geradlinigen Wegverlauf des Sprachgebrauchs eines Begriffs zurückzuverfolgen, der dann scheinbar teleologisch auf den heute herrschenden Sprachgebrauch hinführt. Vielmehr gilt es, auch die internen Gesetzmäßigkeiten dieser Entwicklung zu studieren einschließlich der Interpretationspfade, die nicht in der gegenwärtig hegemonialen Interpretation ihren Niederschlag gefunden haben. Diese kritische Ambition der genealogischen Forschung versichert ihr Anliegen in der Regel mit Hilfe eines Verweises auf Michel Foucault, der mittlerweile auch die englischsprachige genealogische Forschung dominiert. Betont wird ein kritisches Erkenntnisinteresse, die Ideengeschichte als Geschichte des Wissens in aufklärerischer Absicht zu rekonstruieren, um dadurch bestimmte, heute noch spürbare Machtverhältnisse aufzudecken. Die Genealogie eines Begriffs bedeutet dann die unkritische Handhabung und Reproduktion dieses Begriffes zu entlarven, indem die früheren Festlegungen und vor allem die hegemoniale Überwindung von alternativen Interpretationen und Praktiken aufgedeckt wird. Betont man den kritischen Impetus des Anliegens von Foucault27, kann man seiner „Schule“ den Vorwurf machen, in einem Habitus der Negation zu verharren28, der sich nicht durchringt, eine konstruktive Position zu beziehen. Daher spricht Joas von einer „affirmativen Genealogie“, die seiner Geschichte der Menschenrechte zugrunde liegt, im Unterschied zu den negativen Genealogien der Foucault-Schule mit ihrem rein herrschaftskritischen Anliegen.29 Neben der kritischen Interpretation des Anliegens von Foucault sollte aber nicht übersehen werden, dass sich seine Forschung auf ein umfangreiches und äußerst detailliertes Werk von ideengeschichtlichen Analysen stützt. Foucault beklagt ausdrücklich die anti-etatistische Grundeinstellung seiner Zeitgenossen, die sich auf die Kritik an Staatlichkeit konzentriert, ihre historische Analyse aber vernachlässigt. Foucault selbst hat seine Hörer auf die „Staatsphobie“ hingewiesen, die im zeitgenössischen intellektuellen, speziell im französischen Umfeld grassiert.30 In Foucaults Augen ist Staatlichkeit nicht einfach ein mächtiger Akteur, sie ist vielmehr selbst einem Prozess unterworfen, dem Prozess der „Gou-

27 Ibid.; Martin Saar, Genealogie als Kritik. Geschichte und Theorie des Subjekts nach Nietzsche und Foucault, Frankfurt a.M./New York 2007. 28 Alasdair MacIntyre, Three Rival Versions of Moral Enquiry, in: Encyclopedia, Genealogy, and Tradition, London 1992, S. 215. 29 Joas, Die Sakralität der Person. 30 Michel Foucault, Die Geburt der Biopolitik. Geschichte der Gouvernementalität II (Vorlesungen am Collège de France 1978-1979), Frankfurt a.M. 2004, S. 116.

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vernementalisierung des Staates“31 und diesen Prozess gilt es in Foucaults Augen, ideengeschichtlich zu erforschen. Die Genealogie ist für Foucault vor allem ein Forschungsprogramm im Umgang mit dem historischen Material, das er oftmals selbst den Archiven entnahm. Die Genealogie der Gouvernmentalität beispielsweise, die er in zwei Vorlesungen am College de France vorstellte, verknüpft das ideengeschichtliche Textmaterial mit Archivmaterial zur Praxis staatlicher und politischer Akteure und erörtert dabei Politikfelder, die selten in dieser Weise in Verbindung gebracht werden: von der steuerlichen Erhebung der Bevölkerung bis zur Demographie, von ökonomischen Reflexionen (vom Merkantilismus bis zum deutschen Ordoliberalismus) bis hin zu Praktiken der Verwaltungsorganisation. Das eigentliche Erkenntnisinteresse Foucaults geht dabei durch die Ideengeschichte hindurch und thematisiert Probleme der Wissensgenerierung. So will er die Genealogie des Staates nicht primär anhand der ideengeschichtlichen Interpretationen studieren, sondern anhand der Geschichte der „gouvernmentalen Vernunft“32. Die umfangreich erörterten ideengeschichtlichen Texte versteht Foucault als zeitgenössische Auslegungen und Reflexionen der ihn eigentlich interessierenden Praktiken und der diese bestimmenden Logiken. Anhand der unterschiedlichsten Praktiken und ihrer historischen Entfaltung will Foucault die Entstehung gouvernmentaler Vernunft beobachten, die er heute als die herrschende Denkweise des Politischen ansieht. Die Mannigfaltigkeit der hierbei zu verknüpfenden Phänomene erlaubt daher keine genetische Analyse nur eines Stranges der Gouvernmenatlität, sondern verlangt die Gesamtbetrachtung aller relevanten Praktiken. Deshalb unterscheidet Foucault ausdrücklich sein Verständnis der „genealogischen Analyse“ von der „genetischen Analyse“: diese beschäftigt sich mit Filiationen, jene aber mit dem ganzen „Geflecht von Bündnissen, Verbindungen, Stützpunkten“33, und um diese geht es ihm. Die Wortwahl hier wie an anderen Stellen bedient sich der militärischen Metaphorik (es ist auch immer wieder von Taktiken, Strategien etc. die Rede), was wohl anzeigen soll, dass die von ihm erkundete Rationalität jenseits der Intentionen die Akteure und ihrer Denkwege einerseits liegt, aber andererseits diesseits gesamtgesellschaftlicher Strukturen. Foucault will ein mittleres Feld eben dieser Praktiken enkadrieren, das zwischen den individuellen Dispositionen und den gesellschaftlichen Strukturen angesiedelt ist. Foucault nennt die-

31 Michel Foucault, Sicherheit, Territorium, Bevölkerung. Geschichte der Gouvernementalität 1 (= Vorlesungen am Collège de France 1977-1978), Frankfurt a.M. 2004, S. 163. 32 Foucault, Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, S. 506. 33 Ibid., S. 176.

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ses Gebiet die „Macht“, über die kein Akteur verfügt und die auch nicht einfach gesellschaftliche Strukturen spiegelt, vielmehr die Bahnen der Wahrnehmung und Einschätzung von Wirklichkeit bestimmt. Diese Zuständigkeit der Genealogie für alle Bereiche der historischen Forschung, die Foucault konstatiert, lässt ihre methodischen Konturen gelegentlich etwas diffus erscheinen, was einer methodisch kontrollierten Vorgehensweise derjenigen Geschichtsschreibung, die sich in die Tradition Foucaults stellt, nicht immer förderlich war. Gleichwohl kann die ideengeschichtliche Genealogie im Anschluss an Foucault ihr methodisches Programm entwickeln, muss sich aber nicht von den gesellschaftskritischen Intentionen derjenigen irritieren lassen, die sich in die Nachfolge Foucaults stellen, ohne dessen Kritik der Kritik immer zu beherzigen.

P OLITISCHE I DEEN ALS HANDLUNGSANLEITENDE V ORSTELLUNGEN UND IHRE D EUTUNGSPRAXIS Die politische Ideengeschichte als Genealogie beschäftigt sich mit Ideen, die auf das engste mit politischer und gesellschaftlicher Praxis verwoben sind. Politische Ideen orientieren menschliches Handeln und werden durch dieses Handeln zum Teil der politischen Wirklichkeit. Die Orientierungsfunktion von Ideen als allgemeinsten Interpretationsmustern setzt schon dort ein, wo aus der Fülle beobachtbarer Phänomene und erlebter Wirklichkeit diejenigen herausgefiltert werden, die für Handlungsfragen relevant sind. Die normative Bewertung dieser Phänomene ist das offenkundigste, aber keineswegs wirksamste Element der Orientierungsfunktion. Insofern nicht nur individuelles Handeln, sondern Interaktionen zwischen Individuen koordiniert werden müssen, kommt der Vermittlung von Ideen bei dieser Koordination eine Schlüsselrolle zu. Dabei kann die Vermittlung von Ideen, in politischen Kontexten vor allem ihre autoritative Interpretation (Gesetzgebung, Urteile, öffentliche Meinung, Auslegung autoritativer Texte usf.), das Handeln einer großen Zahl von Individuen anleiten, ohne dass diese untereinander kommunizieren (Ideen sind hier eines der wichtigsten Herrschaftsmittel); in Kooperationen dient die Aussprache über Ideen der Klärung des gemeinsamen Handelns und in Formen des Kollektivhandelns (wie der Repräsentation) werden Kollektivsubjekte (Nation, Volk, Staat usf.) sprachlich konstruiert, welchen Handlungen zugeschrieben werden, um dadurch ganze Personengruppen zu erfassen. Dadurch kann man einerseits die Ressourcen konzentrieren und mit Hilfe der Organisation von Kooperation Handlungsleistungen vorbereiten und orientieren, die der Summe der vereinzelten Individuen schwer-

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lich möglich wäre; andererseits kann man die Folgen des Kollektivhandelns diesen Individuen zurechnen. Ideen sind also nicht etwas Anderes als praktische Wirklichkeit, sie ermöglichen sie. Das heißt aber auch, dass die praktische Wirklichkeit einen wesentlichen Aspekt der Interpretationen von Ideen darstellt. Es reicht nicht aus, Ideen auf ihren sprachlichen Ausdruck zu reduzieren, ihren textlichen Niederschlag zu finden und als historische Quelle überliefert zu sehen, um diese dann zu interpretieren; Ideen dienen der Praxis und müssen aus dieser heraus verstanden werden. Daher ist auch eine Differenzierung zwischen Ideen und Begriffen erforderlich.

I DEE

UND

B EGRIFFE

DER

M ENSCHENRECHTE

Damit Ideen handlungsorientierend sein können, müssen sie konkretisiert werden: die Idee der Menschenrechte umfasst so viele unterschiedliche Vorstellungen, Auslegungsmöglichkeiten, Praktiken, die davon berührt werden, dass diese Fülle eingeschränkt werden muss, um handlungsanleitend zu wirken: die allgemeine und vielschichtige Idee wird zu einem möglichst präzisen Begriff konkretisiert. Daher finden sich über die Zeit hinweg (diachron) wie in zeitgenössischen Debatten (synchron) unterschiedliche Begriffe der Menschenrechte, die teilweise aufeinander Bezug nehmen, oft aber miteinander im Widerspruch stehen. Der völkerrechtliche Begriff der Menschenrechte umfasst ein anderes Deutungsspektrum, zielt auf andere Praktiken und wird mit anderen Begriffen vermittelt und in ein System eingefügt als etwa der moralphilosophische Begriff der Menschenrechte: ersterer zielt auf eine rechtliche Praxis, die am Ende zu Differenzierungen nach Kläger und Beklagten, Verfahren der Beurteilung, Sanktionen, Beziehungen zu anderen völkerrechtlichen Subjekten als individuellen Menschen führen muss; letzterer zielt auf ethische Fragen, auf normative Begründungen und politische Skandalisierungen. Der moralphilosophische und der völkerrechtliche Begriff der Menschenrechte unterwerfen die von ihnen rezipierte und nach eigenen Maßstäben interpretierte Idee der Menschenrechte eigenen Kohärenzkriterien, die auch nicht völlig übereinstimmen: der völkerrechtliche Begriff muss prozeduralen Kriterien der Verfahrensgerechtigkeit standhalten, der moralphilosophische dagegen rationalen Kriterien der Begründung. Neben dem völkerrechtlichen und dem moralphilosophischen Begriff der Menschenrechte, die gegenwärtig einen Großteil der Diskussion um die Idee der Menschenrechte beherrschen, findet sich aber auch ein politikwissenschaftlicher Begriff der Menschenrechte (Wer übt über wen auf Grundlage einer bestimmten Auslegung der Menschenrechte Macht aus? Wie fügen sich die Menschenrechte

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in die Internationalen Beziehungen politischer Akteure?) sowie ein soziologischer Begriff (Welche Akteursgruppen mit welchem sozialen Hintergrund sind an aktiver Menschenrechtspolitik beteiligt, wie werden unterschiedliche Interpretationen und Praktiken durch unterschiedliche Kulturen des Umgangs und der Deutung verständlich?). Schließlich kann man nach verschiedenen historischen Diskursen unterscheiden, die im Vergleich zueinander unterschiedliche Begriffe der Menschenrechte ausgebildet haben: der zwischen den Weltkriegen diskutierte Begriff hatte vor allem mit Problemen des Minderheitenschutzes und der Nationalstaatsbildung zu tun, der Begriff der Menschenrechte im Kontext der Menschen- und Bürgerrechtserklärungen am Ende des 18. Jahrhunderts hatte mit Republikgründungen zu tun, der Diskurs der Menschenrechte im und unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg, als dessen textlicher Höhepunkt die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ von 1948 angesehen werden kann, stand unter dem Eindruck von Krieg, Vertreibung und vor allem dem Holocaust. Diesem Diskurs folgte eine Phase von Staatsgründungspraktiken im Zuge der Dekolonisation, die daher eher eine kollektive als eine individualistische Auslegung der Menschenrechte in den Mittelpunkt stellte. Die Konkretisierungsleistung besteht darin, die Idee zu aktualisieren (inwiefern wird die Idee vor dem Hintergrund der Zeit ihrer Auslegung relevant) und zu adaptieren (sie vor dem Hintergrund drängender Probleme inhaltlich anzupassen) und schließlich die Idee zu operationalisieren, sie also mit den maßgeblichen Praxis-Vorstellungen des Diskurses, in welchem die Idee rezipiert und interpretiert wird, zu vermitteln. Es macht einen erheblichen Unterschied, ob man mit Hilfe der Interpretation der Idee der Menschenrechte Verbrecher identifizieren und verurteilen will, ob man allgemeine Ziele der Politik in universalistischer Absicht begründen will oder ob man auf der Grundlage einer geteilten Auslegung der Menschenrechte außenpolitische Allianzen schmieden, Krieg führen oder humanitäre Interventionen durchführen will oder aber ob man innenpolitische Bündnisse errichten will, um Unabhängigkeitskriege oder Revolutionen durchzuführen. Die jeweilige Praxis veranlasst unterschiedliche begriffliche Konkretisierungen derselben Idee.

G ESCHICHTE DER I DEEN

DER

B EGRIFFE

UND

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All diese Begriffe haben ihre eigene Geschichte und lassen sich innerhalb der jeweiligen Diskurse zurückverfolgen. Wenn nun solche Diskurse, in welchen die Idee zu einem Begriff konkretisiert wird, auch noch die Vorgeschichte ihres Be-

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griffs schreiben, dann wird die hier zugrunde gelegte Auslegung der Idee zusätzlich festgelegt und die Varianten und Alternativen zu dieser Auslegung gehen verloren. Die Ideengeschichte muss sich die Aufgabe stellen, die ganze Geschichte einer Idee zu schreiben und sich hierbei gegen ihre vorschnellen Festlegungen in anderen Diskursen kritisch verwahren. Die Genealogie der Idee ist gleichsam die Geschichte dieser Geschichten von konkreten Begriffen. Sie hat die Summe der Interpretationen zum Gegenstand, die historisch erfolgten. Die Genealogie muss sich dabei der konkretisierenden Interpretation, der Anpassung an die Bedürfnisse eines spezifischen Diskurses enthalten. Sie ordnet das ideengeschichtliche Material, um zunächst den Ort der jeweiligen Interpretationen im Gesamtbild der Idee anzugeben und Angaben zu machen, warum zu einem bestimmten Zeitpunkt welche Interpretation einsetzt, maßgeblich wurde, aussetzte und wieder verschwand, und vor allem: wie sich bestimmte Interpretationen aus den Umständen des Vorgangs der Deutung erklären. Die Ordnung des ideengeschichtlichen Materials muss dabei möglichst wenig selbst inhaltlich interpretieren, vielmehr neue Interpretationen ermöglichen. Die ideengeschichtliche Genealogie trägt auf drei Betrachtungsebenen zur Ordnung des ideengeschichtlichen Materials und zur Klärung ihrer Entstehung und ihres Wandels bei: 1) auf der Ebene der Kontinuität und damit verbunden der Ursprünge einer Idee, 2) auf der Ebene ihres Wandels und schließlich 3) auf der Ebene des Deutungskampfes, der sowohl zwischen Interpretationspfaden derselben Idee wie in Konkurrenz mit anderen Ideen erfolgen kann. Alle drei Ebenen sollen im Folgenden am Beispiel der Menschenrechte vorgeführt werden, wobei ein besonderes Augenmerk auf dem Diskurs gelegt wird, der um die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ von 1948 angeordnet werden kann. Als Ursprung oder Ausgangspunkt des „modernen“ Verständnisses der Menschenrechte wird immer wieder die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ vom 1948 angesetzt.34 Sie ist die erste Deklaration, die über die nationalstaatlich fokussierten Deklarationen und Grundrechteerklärungen, die seit Ende des 18. Jahrhunderts erfolgten, grenzüberschreitend den „Menschen“ als solchen mit „Rechten“ bewehrte. Doch der Text der „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ wurde nicht gefunden, er wurde vereinbart und ist das Resultat komplexer Diskussionsprozesse in unterschiedlichen Kommissionen mit unterschiedlicher Zusammensetzung, meist bestehend aus Delegierten der damaligen UN-

34 Zu deren Vor- und Entstehungsgeschichte vgl. Johannes Morsink, The Universal Declaration of Human Rights. Origins, Drafting and Intent, Philadelphia 1999; Mary Ann Glendon, A World May New. Eleanor Roosevelt and the Universal Declaration of Human Rights, New York 2001; Eckel, Die Ambivalenz des Guten, S. 47-90.

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Mitgliedstaaten. Schon bevor die Menschenrechtskommission der UN den ersten Entwurf vorlegte, wurden Entwürfe eines Katalogs an Rechten des Menschen vorgelegt: allein für den Zeitraum vom Januar 1917 bis zum Dezember 1946 können 18 solcher Entwürfe aufgelistet werden35, und diese Liste ist noch nicht einmal vollständig. Das zeigt bereits die Intensität der zeitgenössischen Debatte um die Menschenrechte, die nach der Errichtung des Völkerbundes einsetzte.36

D IE K ONTINUITÄT EINER I DEE NACH IHREN U RSPRÜNGEN

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S UCHE

Die Genealogie als Frage nach der Genese einer Idee beschäftigt sich mit ihrem „Ursprung“ bzw. ihrer „Herkunft“. Hier liegt auch eine der Anknüpfungspunkte an Friedrich Nietzsches „Genealogie der Moral“. Foucault hatte versucht, Nietzsches wechselnde Wortwahl zwischen Herkunft, Entstehung und Ursprung zu einer begrifflichen Differenzierung zu systematisieren.37 Der Annahme, Nietzsche habe überhaupt eine scharfe Begriffsdifferenzierung im Sinne gehabt, ist zurecht widersprochen worden.38 Nietzsches notorisch unsystematische Argumentationsweise lässt eine eindeutige Auslegung nicht zu, dafür aber hat er wesentliche Anstöße zur Infragestellung bestehender Systematisierungen gegeben. Ungeachtet der Frage nach seiner angemessenen Interpretation kann die doppelte Perspektive hervorgehoben werden, die mit seiner Frage nach dem Ursprung verbunden ist: nicht nur nach einem Ursprung zu suchen, sondern nach allen Ursprüngen und zugleich zu erkennen, dass es hier nicht nur um die Festlegung eines historischen Ausgangspunktes geht, sondern dass mit einer solchen Festlegung bereits Deutungskanäle inhaltlicher Interpretation angelegt werden, die dann die weitere Debatte bestimmen können und auch bestimmen sollen. Das lässt sich an einer der frühesten ideengeschichtlichen Kontroversen in Fragen der Menschenrechtsgeschichte zeigen, der bereits erwähnten Jellinek-

35 Wiliam A. Schabas (Hg.), The Universal Declaration of Human Rights. The traveaux préparatoires, 3 Bde., Cambridge 2013, S. 153-155. 36 Jan Herman Burgers, The Road to San Francisco. The Revival of the Human Rights Idea in the 20th Century, in: Human Rights Quarterly 14. 1992, S. 447-477. 37 Michel Foucault, Nietzsche, Genealogy, History, in: ders., Language, CounterMemory, Practice, hg. von Donald F. Bouchard, Ithaca/N.Y. 1977, S. 139-164, hier S. 140-159. 38 Vgl. die Beiträge in Christa Davis Acampora (Hg), Nietzsche’s On the Genealogy of Morals. Critical Essays, Lanham 2006; ferner Saar, Genealogie als Kritik.

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Boutmy-Debatte, die nichts anderes war als eine Auseinandersetzung um den Ursprung der Menschenrechte. Bekanntlich widerspricht Georg Jellinek der zu diesem Zeitpunkt (1895) zumindest in Frankreich verbreiteten Ansicht, wonach Rousseau der entscheidende Vordenker der Declaration von 1789 gewesen sei. Jellinek weist ausführlich nach, dass Rousseaus politische Theorie gar keinen Platz für individuelle Menschenrechte lässt, vielmehr das Aufgehen des Individuums im politischen Körper der Republik verlangt. Für Jellinek sind es die zahllosen amerikanischen Vorbilder, die von den französischen Revolutionen aufgegriffen wurde, die Verfassungen der Kolonien, Grundrechtskataloge sowie die Unabhängigkeitserklärung von 1776. Die Leitidee dieser Texte setzt Jellinek mit der Religionsfreiheit an, die er auf die englischen Diskussionen des Kalvinismus zurückführt. Dabei betont Jellinek, dass es nicht um die passive Forderung nach Toleranz gegangen sei, sondern um die konstruktive Forderung nach politischer Selbstbestimmung, wonach die eigene soziale und politische Ordnung nur aufgrund der Zustimmung aller Gläubigen zu errichten sei. In Jellineks Darstellung verbindet sich die Forderung nach Religionsfreiheit also notwendig mit der Forderung nach politischer Freiheit. Darin erkennt Jellinek die doppelte Stoßrichtung der Menschenrechte: zum einen die Grenzlinie zwischen Individuum und Staat zu ziehen, zum anderen aber das Individuum als Basis staatlicher Ordnung zu behaupten.39 Diese Interpretation, welche die Menschenrechte unmittelbar mit den Bürgerrechten verbindet, ist unvereinbar mit einer a-politischen Interpretation der Menschenrechte, wonach es sich um normative Annahmen handelt, die nicht politisch gesetzt, sondern „erkannt“ oder „gefunden“ werden können. Für Jellinek besteht der Staat aus Bürgern, die selbst ihre Menschenrechte ordnen, schützen und hierzu der erforderlichen politischen Freiheiten bedürfen. Boutmy dagegen beharrt auf der französischen Aufklärung als Entstehungshintergrund der Menschen- und Bürgerrechtserklärungen des ausgehenden 18. Jahrhunderts und lenkt damit den Interpretationsschwerpunkt auf die universalistische Annahme vor-staatlicher Rechtsansprüche. Die Frage, die sich der genealogischen Forschung stellt, ist nun nicht die inhaltliche Positionierung (hatte Jellinek „recht“ oder Boutmy?), sondern die Beobachtung, dass unterschiedliche Festlegungen des Ursprungs derselben politischen Idee in einer Zeit möglich waren und welche Konsequenzen das für die jeweilige Auslegung von Inhalt und Funktion dieser Idee haben kann. Die besondere Leistung der genealogischen Methode besteht darin, gerade nicht nach

39 Georg Jellinek, Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte. Ein Beitrag zur modernen Verfassungsgeschichte (1895), in: Roman Schnur (Hg.), Zur Geschichte der Erklärung der Menschenrechte, Darmstadt 1964, S. 1-77.

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dem einen Ausgangspunkt einer Idee Ausschau zu halten, sondern die Vielfalt ihrer Ursprünge offen zu legen. Insofern ist die Annahme, man könne den einen Ursprung der Idee der Aufklärung ermitteln mit der genealogischen Methode unvereinbar.40 Die Annahme, bei jeder Idee eine Vielzahl, jedenfalls eine Mehrzahl plausibler Ursprünge zu finden, führt dazu, die Geschichte dieser Idee nicht als Kontinuität nur einer Interpretationsmöglichkeit zu rekonstruieren. Die Frage nach den Ursprüngen stellt daher die Annahme einer Kontinuität in Frage und betont vielmehr die Diskontinuität der Idee41 im Sinne einer nicht abschließbaren Offenheit der Interpretationen. Zeitgleiche aber unterschiedliche Auslegungen der Idee der Menschenrechte können durch die Kenntlichmachung des jeweils zugrunde gelegten angenommenen Ursprungs der Menschenrechte gegenseitig profiliert werden. Die Frage nach den Ursprüngen beschäftigt sich auch mit dem Problem, wie weit man sinnvoller Weise historisch zurück gehen kann auf der Suche nach dem angemessenen Ausgangspunkt der Idee. Kannte die Antike die Idee der Menschenrechte?42 Haben sich die Menschenrechte im älteren Diskurs des Naturrechts vorbereitet und gleichsam daraus herausentwickelt? Dann sind die Menschenrechte als eine dezidiert vorpolitische Idee zu begreifen.43 Sind die verschiedenen Deklarationen des ausgehenden 18. Jahrhunderts Ausgangspunkt der Idee der Menschenrechte? Dann sind die Menschenrechte Resultat von politischen Setzungen, deren Kompromisscharakter man den Verhandlungen entnehmen kann, die erst zu der Zustimmung zum endgültigen Dokument führten. Daraus folgt auch, dass die Festlegung der Menschenrechte der weiteren Zustimmung unterworfen ist und kein einmaliger Erkenntnisakt des vorab schon feststehenden naturrechtlichen Begriffs der Menschenrechte. Muss die Entwicklung der Menschenrechte aus einer bestimmten, mit Hilfe der Idee der Menschenrechte kritisierten Praxis verstanden werden (Folter, Sklaverei), so dass umgekehrt

40 Anders Dan Edelstein, The Enlightenment. A Genealogy, Chicago 2010. 41 So Jennifer Germon, Gender. Genealogy of an Idea, New York 2009 am Beispiel der Idee von Gender. 42 Hubert Cancic, Gleichheit und Freiheit. Die antiken Grundlagen der Menschenrechte, in: Günther Kehrer (Hg.), Vor Gott sind alle gleich, Düsseldorf 1983, S. 190-211; Myles Burnyeat, Did the Ancient Greeks have the concept of human rights?, in: Polis 13. 1994, S. 1-11; Klaus M. Girardet und Ulrich Nortmann (Hgg.), Menschenrechte und europäische Identität. Die antiken Grundlagen, Stuttgart 2005. 43 Chris Brown, International Society, Global Polity. An Introduction to International Political Theory, Los Angeles 2015, S. 59-60

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jede begriffliche Reflexion dieser Praxis der Idee der Menschenrechte zugerechnet werden muss? Mit Blick auf die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ von 1948 ließe sich zeigen, dass die zahllosen Autoren und Praktiker, die sich an den Entwurf einer solchen Erklärung machten, in der Verfertigung und den Gründen hierfür auf unterschiedliche Ursprungsannahmen zurückgriffen. So wird die Erfahrung des Holocaust und der massenweisen Zwangsarbeit unter sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen während des 2. Weltkrieges als maßgeblicher Ausgangspunkt angenommen, der die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ überhaupt erst ermöglichte. Doch welchen Einfluss hatte dieser Ursprung auf die konkrete Formulierung der Menschenrechte in dieser Deklaration? Gehört z.B. die Statuierung eines Menschenrechts auf bezahlten Urlaub (Artikel 24) zu den Ableitungen aus einem solchen Ausgangspunkt, und ist diese Norm daran zu messen? Liegt der Schwerpunkt der Menschenrechte also auf soziale Sicherheit? Oder liegt der Ausgangspunkt der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ in der Annahme, man müsse eine politische Allianz schmieden, die in der Idee der Menschenrechte eine geeignete Formulierung der von ihr zu verteidigenden Wertegemeinschaft erkennt?44 In den meisten Fällen verändert die unterschiedliche Setzung des Ursprungs nicht notwendigerweise die Semantik, alle sprechen von „Menschenrechte“; aber die dabei zugrunde gelegten Maßstäbe und Prinzipien führen zu teilweise unvereinbaren Interpretationen, die aus derselben Idee unterschiedliche Begriffe herausarbeiten.

I NTERPRETATIONSPFADE

DER I DEE UND IHRE BEGRIFFLICHE E NTWICKLUNG Unterschiedliche Ursprünge führen zu unterschiedlichen Interpretationen der Idee der Menschenrechte, die sich zu eigenen Interpretationspfaden ausbilden können. Die Menschenrechte als „Menschen- und Bürgerrechte“ zu begreifen, versteht die Idee der Menschenrechte im Lichte der politischen Ordnung, in welcher diese Idee nicht nur festgelegt, sondern praktiziert werden kann, so dass es die Republik oder Bürgerschaft ist, in deren Lichte ein politischer Begriff der Menschenrechte entwickelt werden muss. Auf dieser Grundüberlegung beruht die berühmte Kritik Hannah Arendts an der „Allgemeinen Erklärung der Men-

44 H. G. Wells, The Right of Man, Or What We Are Fighting for, Harmondworth o.J.

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schenrechte“.45 Ein solcher Interpretationspfad kann andere begriffliche Verknüpfungen im Zusammenhang mit einer Idee vornehmen. Arendt beispielsweise stellt nicht den Menschen als solchen in den Mittelpunkt, sondern den existenziell bedrohten, weil politisch heimatlosen Menschen, den Pariah oder Flüchtling. Ihre Lösung besteht nun nicht darin, ein humanitäres Aufenthaltsrecht zu fordern, sondern den Vorrang der Bürgerrechte vor den Menschenrechten klar zu stellen, und zwar in der paradoxen Formulierung als „Recht, Rechte zu haben“. In diesem Interpretationspfad wird nicht der Mensch als solcher betrachtet, sondern in den politischen Kontext der Kooperation mit anderen Menschen als Mitbürgern gestellt. Das wiederum kann zu einer stärkeren Betonung der Pflichten in Ergänzung der Rechte führen. Es ist auffällig, dass zwei der Vorentwürfe der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ an die Spitze des Katalogs der Menschenrechte Pflichten der Menschen stellten, geschrieben von Autoren, die in der weiteren Entwurfsarbeit eine maßgebliche Rolle spielten. Der von John Humphrey verfasste Entwurf vom 4. Juni 1947 erwähnt an prominenter Stelle Pflichten, so bereits in der Präambel und in Artikel 1.46 Auch der Entwurf von René Cassin nimmt Pflichten auf.47 Diese Auslegung der Menschenrechte ist nicht nur eine Variante zu dem schließlich verabschiedeten Entwurf, der dann in der UN-Generalversammlung angenommen wurde, er repräsentiert eine Interpretation, die dem Individuum eine weitaus aktivere politische Rolle abverlangt und in ihm nicht nur den passiven Träger von Rechten sieht.48 Später wird sich die Forderung nach einem Menschenrecht auf Demokratie diesem Interpretationspfad hinzugesellen. Eine solche eher politische oder republikanische Interpretation hebt sich wiederum ab von Überlegungen, wonach erst die materielle Situation des Menschen, seine sozio-ökonomischen Daseinsbedingungen ein würdevolles Leben sicherstellen kann, weshalb hier die Betonung auf die sozialen und ökonomischen Menschenrechte gelegt wird. Einen solchen Katalog formulierte beispielsweise Georges Gurvitch 194449, der sich wiederum in einen Pfad stellte, zu

45 Hannah Arendt, The Rights of Man, in: Modern Review 3. 1949, S. 24-37. 46 Abgedruckt in: Glendon, A World May New, S. 271. 47 Art. 3, abgedruckt in Ibid., S. 276. 48 Vgl. Marcus Llanque, Menschenrechte: Normative Geltung und politische Verbindlichkeit, in: Andreas Niederberger und Regina Kreide (Hgg.), Internationale Politische Theorie. Umrisse und Perspektiven eines neuen Forschungsfeldes, Stuttgart/Weimar 2015, S. 187-200. 49 Georges Gurvitch, La declaration des droits sociaux, New York 1944 (engl. 1945, Neufassung Paris, 1946).

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dem kurz vorher bereits Franklin Delano Roosevelt mit seiner „Four Freedoms“Forderung und der Idee einer Second Bill of Rights maßgeblich beigetragen hatte. Hier wird die Rolle des Staates als Garant nicht nur des formalen Anspruchs auf Menschenrechte, sondern ihrer materiellen Umsetzung hervorgehoben, verbunden mit der Legitimation zu erheblichen Eingriffen in die Gesellschaft, namentlich in das Menschenrecht auf Eigentum. Aus dieser Sicht verbinden sich zwangsläufig wohlfahrtsstaatliche mit menschenrechtlichen Argumentationen. Auf der anderen Seite betont der naturrechtliche Interpretationsstrang die personale Struktur des Menschen als eines Rechtsträgers auch ohne Staatlichkeit. In dieser Hinsicht ordnete Hersch Lauterpacht die Idee der Menschenrechte der Tradition des Naturrechts zu, und zwar in einer der ersten ideengeschichtlichen Untersuchungen, die nach dem Erlass der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ vorgelegt wurden.50 Lauterpacht hatte bereits 1945 einen eigenen Entwurf der Menschenrechte vorgelegt.51 Der individuelle Eigenwert bedarf im Naturrecht zunächst nur der normativen Begründung, nicht primär der politischen Partizipation, der prozeduralen Umsetzung von Rechtsansprüchen oder gar sozio-ökonomischer Garantien für eine bestimmte Lebensqualität. Im naturrechtlichen Interpretationspfad kann die Idee der Menschenrechte verknüpft werden mit Diskursen, die zuvor die Menschenrechte kaum nannten, die katholische Naturrechtslehre etwa und die hieraus abgeleiteten Menschenrechtsentwürfe.52 Das heißt aber nicht, dass es dadurch zu einer Konfessionalisierung der Menschenrechte kommen musste. Der Bezug auf das Naturrecht war gerade gedacht und hierzu auch geeignet, über die dogmatischen Grenzen der Religionen hinweg Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten, die dann als menschliche Grundnormen identifiziert werden sollten und es erlaubten, den bisherigen Beitrag der Religionen zur Idee der Menschenrechte zu betonen. Der naturrechtliche Interpretationspfad hat weit über die Menschenrechte hinaus in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre an Bedeutung gewonnen. So wurde die Umgehung des Rückwirkungsverbots bei der Statuierung der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse und die Verurteilung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf der Grundlage von Normen, die zum Zeitpunkt der verurteilten Taten noch nicht positiviert waren, mit Rückgriff auf das Naturrecht legitimiert (u.a. Gustav Radbruch).

50 Hersch Lauterpacht, International Law and Human Rights, London 1950, S. 73-126. 51 Hersch Lauterpacht, An International Bill of Rights, New York 1945. 52 Jacques Maritain, Les droits de l’Homme et la Loi naturelle, New York 1942.

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D IE I DEE IM D EUTUNGSKAMPF : K ONKURRENZEN UND K RITIKEN VON POLITISCHEN I DEEN Die Verknüpfungen von Interpretationspfaden einer Idee zu bestimmten Begriffen hat bereits gezeigt, dass sich diese Vorgänge nicht ausschließlich innerhalb des Interpretationsspektrums einer Idee bewegen, etwa nur zwischen ihren diversen Interpretationspfaden. Begriffliche Konkretisierungen können Elemente und Argumente anderer Ideen aufnehmen, sie können aber auch in Konkurrenz zu anderen Ideen erfolgen. Noch 30 Jahre vor der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ galt die Idee der Menschenrechte dem Naturrecht zugehörig und wurde, sofern darunter die Annahme verstanden wurde, der Mensch „habe“ „Rechte“ „von Geburt an“, als eine politisch einflussreich, wissenschaftlich aber unhaltbare Auffassung angesehen. Zu den Kritikern gehörten die Klassiker der Soziologie wie Émile Durkheim und Max Weber53, die nicht den individuellen Menschen und seine Rechte für gegeben erachteten, sondern den Menschen als ein gesellschaftlich interaktives Sozialwesen verstanden. Diese sozialwissenschaftliche Skepsis gegenüber der Idee der Menschenrechte wird auch in der Einstellung des amerikanischen Anthropologen-Verbandes sichtbar, der in einer Stellungnahme zu den Entwürfen der Menschenrechte im Umfeld der UN davor warnte, zu unterschätzen, wie wenig die Annahme einer universalen Gültigkeit der Menschenrechte in einer Kultur (hier: der westlichen) für andere Kulturen zutreffen muss.54 Die mittlerweile etablierte Debatte zu den kulturellen Voraussetzungen der Menschenrechte hat dann in den letzten Jahren sogar zur Ausbildung einer soziologischen Subdisziplin geführt, der „Soziologie der Menschenrechte“. Älter als die sozialwissenschaftliche Kritik der Menschenrechte ist die politisch-theoretische Kritik, die von Edmund Burke und Jeremy Bentham über Hegel zu Karl Marx und zur genannten Hannah Arendt reicht.55 Die Kritik einer Idee gehört ebenso zu ihrer Genealogie wie Versuche ihrer begrifflichen Umsetzung. Eine genauere Untersuchung zeigt nämlich, dass die meisten Kritiker nicht die Idee als solche, sondern spezifische begriffliche Konkretisierungen angreifen. Burke beklagte die sozialradikale Gesellschaftsumgestaltung, die er mit dem

53 Matthias König, Menschenrechte bei Durkheim und Weber. Normative Dimensionen des soziologischen Diskurses der Moderne, Frankfurt a.M. 2002. 54 Statement on Human Rights 1947, in: American Anthropologist 49/4. 1947, S. 539543; vgl. hierzu Morsink, The Universal Declaration of Human Rights, S. IX. 55 Teile davon versammelt bei Jeremy Waldron (Hg.), Nonsense upon Stilts. Bentham, Burke, and Marx on the Rights of Man, London/New York 1987.

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Begriff der Menschenrechte verband, wie sie ihm bei den französischen Revolutionären begegnet, er hatte aber die politischen Freiheiten der Amerikaner vor Ausbruch des Unabhängigkeitskrieges verteidigt. Bentham kritisierte die Menschenrechte nicht aus einer irrationalen Haltung heraus, sondern aus einer konsequent rationalen Einstellung. Marx strebte die Emanzipation der Menschheit als Gattung an und lehnte den Schutz des Eigentums (eines auch heute in der Menschenrechts-Diskussion wenig behandelten, gleichwohl völkerrechtlich positivierten Menschenrechts) einzelner Individuen, das immer nur auf Kosten der Entwicklung anderer Bevölkerungsschichten erfolgt, grundsätzlich ab. Kritiken sind für die Interpretationsarbeit einer Idee oft aufschlussreicher als ihre modellhafte Umsetzung und unreflektierte Repetition. In den Kritiken zeigt sich aber auch, dass begriffliche Konkretisierungen der Idee der Menschenrechte immer in Konkurrenz zu anderen politischen Ideen erfolgen. Hat man einen Gattungsbegriff der Menschheit vor Augen, einen bestimmten Anspruch an Rationalität, folgt man einer bestimmten Geschichtsphilosophie oder werden für göttlich befundene Gebote ebenso für verbindlich angesehen, wenn nicht sogar höherrangig in ihrer Geltung als menschliche Rechtssetzungen, muss sich die Idee der Menschenrechte in einem Deutungskampf durchsetzen. Im Völkerrecht gilt der Nationalstaat als der eigentliche Adressat der Menschenrechte: vor seinen Aktivitäten soll das Individuum geschützt werden. Die souveräne Stellung der Nationalstaaten im Völkerrecht ist mit den Menschenrechten relativiert worden. Der im Völkerrecht oft behauptete Paradigmenwechsel, der sich in einem Wechsel des Fokus vom Nationalstaat zum Individuum als Träger von Menschenrechten durchgesetzt haben soll, macht zwar normativ Sinn, hat aber nicht im erhofften Maße die internationale Politik geprägt, so dass man seit geraumer Zeit eher von einer Konkurrenz eines staatszentriertem zum menschenrechtszentrierten Völkerrecht spricht.56 Der Nationalstaat wurde demnach nicht normativ überwunden, er ist vielmehr eine konkurrierende politische Idee, die auf die Handlungsorientierung einen weiterhin erheblichen Einfluss ausübt. Dieser Einfluss hat sich in den vergangenen Jahren erkennbar verstärkt. Die genealogische Forschung kann solche wechselnden Konkurrenzen im Deutungskampf um die Handlungsorientierung aufgreifen, da sie nicht auf der Grundlage eines Schemas der Abfolge von Epochen operiert. Die verbreitete Redeweise von dem „modernen“ Begriff der Menschenrechte, der seinen Ausgang in der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ von 1948 habe, sug-

56 Bardo Fassbender, Schutz der Menschenrechte als zentraler Inhalt des völkerrechtlichen Gemeinwohls, in: Europäische Grundrechte-Zeitschrift 30. 2003, S. 1-16, hier S. 16.

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geriert, dass sich mit dieser Erklärung ein unumkehrbares Verständnis der Menschenrechte auch gegen konkurrierende Ideen durchgesetzt habe. Die Genealogie der Menschenrechte geht nicht von solchen Annahmen aus. Sie muss mit der Möglichkeit rechnen, dass das normativ gewonnene Terrain im Deutungskampf zu Gunsten eines individualistischen Menschenrechtsverständnisses auch wieder verloren gehen kann. Der Nationalstaat ist in den meisten Fällen mittlerweile ein demokratischer Nationalstaat, zu dem sich Menschen organisieren, um mit der Koordination ihres Handelns gemeinsame Leistungen erbringen können, die ihnen nur durch den demokratischen Rahmen möglich werden, von der Sicherheit bis zum Wohlfahrtsstaat. Dieselben Menschen, die gegen Aktivitäten von Staaten geschützt werden sollen, sind zugleich deren Bürgerinnen und Bürger. Die erwähnte Vorstellung eines Menschenrechts auf Demokratie kann dabei nicht die Konkurrenz zur Idee der Demokratie hinwegdefinieren, denn es lassen sich Konflikte denken, in welchen Individuen sich zwischen einer Handlungsorientierung am demokratischen Staat einerseits und den normativen Postulaten der Menschenrechte andererseits entscheiden müssen. Die Genealogie der Idee der Menschenrechte und die Genealogie der Idee der Demokratie stehen durchaus in einem Spannungsverhältnis.57 Immerhin wird Staaten eine immer aktivere Rolle bei der Durchsetzung der Menschenrechte abverlangt. Bei der Durchführung humanitärer Interventionen wird dann nicht nur eines der anderen UN-Prinzipien, das Nichtinterventionsprinzip durchbrochen, es wird verlangt, in die Menschenrechte der einen Individuen einzugreifen, um die Menschenrechte anderer (mutmaßlich einer größeren Zahl oder einer schutzloseren Personengruppe) zu schützen. Die dabei möglichen Konflikte zeigen, dass in Fragen der tatsächlichen Handlungsorientierung die Genealogie einer politischen Idee nicht vom Deutungskampf mit anderen Ideen absehen kann. Im Vorfeld der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ hatte niemand den Umstand so stark thematisiert, dass die Idee der Menschenrechte im Deutungskampf steht, wie der Romancier H.G. Wells. In einem Brief an die Times vom 23.10.1939 forderte Wells dazu auf, die Kriegsziele Großbritanniens im Kampf gegen das nationalsozialistische Deutschland mit Hilfe einer Deklaration der Rechte zu bestimmen, für die er im selben Brief einen Entwurf beisteuerte. Nachdem in leicht veränderter Form dieser Entwurf als Broschüre in hoher Zahl distribuiert wurde, dokumentierte Wells den Vorgang samt einigen Reaktionen

57 Marcus Llanque, Das genealogische Verhältnis der konstitutionellen Demokratie zur kosmopolitischen Menschenrechtsidee, in: Andre Brodocz, Marcus Llanque und Gary Schaal (Hgg.), Bedrohungen der Demokratie, Wiesbaden 2008, S. 311-333.

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hierauf in einem kleinen Buch, genannt The Rights of Man, Or What We Are Fighting For58. Wells machte deutlich, dass er zum einen der Allianz im Krieg gegen Deutschland (zu diesem Zeitpunkt vor allem Frankreich) eine Wertegrundlage als Fundament geben wollte, zugleich sah er in den Menschenrechten auch die klarste Trennlinie, welche diese Allianz von Deutschland unterschied. Diese Zielsetzung schien dann mit der Kapitulation Deutschlands 1945 hinfällig. Zur Genealogie der Menschenrechte gehört jedoch weiterhin die Praxis, anhand der Menschenrechte zwischen „zivilisierten“ und „barbarischen“ Staaten (auch „rogue states“ genannt) zu unterscheiden.

E RTRAG

DER GENEALOGISCHEN

F ORSCHUNG

Politische Ideen wie sie die Menschenrechte darstellen, müssen immer wieder neu durch Interpretationen begrifflich angeeignet werden. Die begrifflichen Anstrengungen reflektieren das sich wandelnde Interesse an einer Aktualisierung der Idee, das heißt ihrer Anpassung an die Bedürfnisse und Erwartungen der Rezipienten in ihrer Zeit. Der historische Ertrag der genealogischen Forschung liegt in dem Bestreben, die Interpretationen einer Idee vollständig zu erfassen und nicht von nur einem Begriff ausgehend dessen Vorgeschichte zurückzuverfolgen. Die Herausarbeitung und Hervorhebung der vielen Interpretationspfade einer Idee bereichert zugleich das theoretische Potential dieser Idee, das verloren geht, wenn man sich nur auf die gegenwärtig obwaltende Interpretation stützt und von dort die Geschichte zurückverfolgt. Die sich aus dem Gesagten ergebenden methodischen Folgerungen lassen sich in drei Stichworten zusammenfassen:1) Selektion 2) Filiationen 3) Konkurrenz. 1) Da die jeweilige genealogische Festlegung der Idee notwendig die Auswahl des zu Rate gezogenen ideengeschichtlichen Materials steuert, sollte eine möglichst unvoreingenommene genealogische Betrachtung einen umfassenden Diskurs ansetzen, bei dem nicht so sehr die Zugehörigkeit als der Ausschluss begründet werden muss (Selektion des ideengeschichtlichen Materials). Dazu gehört die Unterstellung, dass die Komplexität einer Idee auf die Vielzahl ihrer Ursprünge schließen lässt. 2) Daraus ergibt sich eine Vielzahl von Interpretationspfaden, die sich immer wieder kreuzen, oft aber nebeneinander her verlaufen können (Filiationen der Interpretationspfade). 3) Diese Interpretationspfade einer Idee stehen oft in einem konkurrierenden Verhältnis zueinander: nicht alle aus unterschiedlichen Ursprüngen abgeleiteten Interpretationen der Idee sind inhalt-

58 Wells, The Right of Man.

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lich miteinander harmonisierbar, einige bilden sogar Gegensätze. Ferner ist keine politische Idee solipsistisch in dem Sinne, dass sie sich nur aus einer begrifflichen Selbstbetrachtung heraus entwickelt. Ideen, zumal politische Ideen, konkurrieren um die Deutung der Wirklichkeit. Zur Genealogie einer politischen Idee gehört daher auch die Untersuchung der unmittelbar konkurrierenden Ideen hinzu (Konkurrenz politischer Ideen). Begriffliche Konkretisierungen einer Idee durch die interpretatorische Anpassung an bestimmte Diskurse sind von der Idee selbst zu unterscheiden. Die genealogische Forschung hat alle interpretatorischen Verknüpfungen aufzuzeigen, kann aber keiner davon einen Vorrang einräumen. Sicherlich lässt sich zeigen, dass bestimmte Verknüpfungen eine eigene Diskussion auslösten, insofern erfolgreich rezipiert wurden und vielleicht sogar in völkerrechtlichen Dokumenten ihren Niederschlag gefunden haben. Aber das bedeutet nicht, dass eine bestimmte, zwar erfolgte, aber nur wenig rezipierte theoretische Verknüpfung nicht doch das Potential hat, unter bestimmten Rahmenbedingungen, im Lichte eines bestimmten Konfliktes, neu rezipiert zu werden und so der Idee der Menschenrechte einen neuen Interpretationspfad hinzuzufügen oder alte wiederzubeleben. Die Genealogie dient der Offenlegung und Offenhaltung des theoretischen Interpretationsspektrums, aber nicht auf der Grundlage von normativen Spekulationen, sondern auf der Grundlage des ideengeschichtlichen Materials, den Artefakten tatsächlich vorgenommener Deutungen in der Geschichte und der mit diesen Deutungen verbundenen, von ihnen inspirierten, orientierten oder sogar angeleiteten Praktiken.

In the Layer Cake of Time Thoughts on a Stratigraphic Model of Intellectual History H ELGE J ORDHEIM

I NTRODUCTION Academic disciplines come with their own specific temporal frameworks, which to a large extent decide what can be studied within the remits of that particular scholarly and enterprise, and what cannot.1 Even within individual disciplines there are often a number of competing times, temporal patterns, rhythms and durations, which help to select, contextualize, and even explain, the objects of study at hand. Rivalry between disciplines, sub-disciplines, traditions, or theories often comes down to conflicts about the temporal contexts or patterns applied to a specific object, for example the relative importance of past, present and future in the interpretation or explanation of a phenomenon. Aspects of such a rivalry can be observed in the broad, expanding field of intellectual history, as well as in its predecessor, the history of ideas. No one would doubt that specific and various temporal structures constitute a seminal part of the theoretical framework for practicing intellectual history: in terms of chronologies, on the one hand, and in terms of temporal processes which govern history and historical narration, on the other. A much harder task, however, is to map the ways in which these various temporal structures actually influence the forms of historical analysis performed within the discipline, or disciplines. In this essay, my claim is that many of the theoretical and methodological debates which have dominated the field of what we – loosely and without too

1

Cf. for example Andrew Abbott, Time Matters. On Theory and Method, Chicago 2001.

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much epistemological or sociological precision – could call “intellectual history” are really debates about how to deal with time in history. Time should here be understood both in a chronological sense, referring to the succession of years, decades, even centuries, as well as to precise historical dates, which are evoked in the study of human thought and language, and in a phenomenological sense, as the organization of temporal experiences according to specific patterns and figures, such as periodizations, narratives of progress or decline, growth and extinction, as well as speeds and rhythms, continuities and breaks.2 In order to launch a discussion about the temporalities inherent in intellectual history, I will map out three different positions or traditions, associated with specific authors, works, and even moments, in order to discuss what kind of temporal scales and structures they unfold or adhere to, and what their implications are for the choice of objects and methods of study. In the second part of my argument, I will explore how these three positions might fit into a model for practicing intellectual history, which I will tentatively refer to as “stratigraphic.” Developed in the 17th century within the nascent sciences of mineralogy and geology, “stratigraphy” gave the theoretical framework for understanding how mountains and landscapes were made up by layers of rocks, the oldest at the bottom the youngest at the top.3 In the 20th century this multi-layered model was reintroduced into the human sciences by historians such as Fernand Braudel and Reinhart Koselleck, and not least, the Polish historian and philosopher Krzysztof Pomian, who in 1984 launched of the theory of a “stratigraphy of time and of history.”4 Towards the end of this essay I will, in a rather tentative way, make some suggestions for what I consider a possible “stratigraphy” for intellectual history.

T HE C ONTINUITY OF I DEAS

OF I DEAS :

L OVEJOY

AND THE

H ISTORY

The first of these positions, diachronically speaking, is strongly associated with a specific scholarly, even disciplinary label, which has also become a generic name: “history of ideas.” Of course, the label, which in addition to the theoretical and methodological approach, “history,” also specifically mentions the object

2

Cf. Helge Jordheim, Multiple Times and the Work of Synchronization, in: History & Theory 53/4. 2014, 498–518.

3

Ibid., 506f.

4

Krzysztof Pomian, L’ordre du temps, Paris 1984, 334f.

IN

THE

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of study, “ideas,” remains associated with the work of the American philosopher Arthur O. Lovejoy. This scholarly enterprise was initiated by Lovejoy between the two World Wars in a number of essays, and not least in the book The Great Chain of Being, which won him fame beyond his own university, Johns Hopkins, and beyond the border of his discipline, philosophy. In 1940, the “history of ideas” was institutionalized in a journal with the same name. As part of the expansion of higher education, and especially of the humanities, in the post-war era, it also became the label for a university discipline, for example in Scandinavia.5 As Anthony Grafton points out in his essay celebrating the fiftieth anniversary of the Journal of the History of Ideas, this interdisciplinary enterprise, presenting “a rich mix of technical articles and wide-ranging essays,”6 was originally met by great enthusiasm both among students and scholars. However, in his discussion of the history of the journal for the period 1950-2000, Grafton agrees with Robert Darnton’s observation that “for the last ten years […] younger scholars, especially graduate students, [have] been scrambling over the gunwales of the good ship History of Ideas.”7 Independent of the assessment of the current state of affairs in the Journal of History of Ideas, its “precept” and “practice,” to use Grafton’s terms, it is possible to probe the intellectual content of the label itself, beyond the nominalist claim that it is a purely conventional and thus contingent name for a rather diverse bundle of scholarly interests, differing significantly from one national academic context to another. To the extent that this disciplinary label has real intellectual content, beyond mere pragmatic and contextual fence-ins and fence-offs, it consists in an argument about time and duration, continuity and permanence. And even though “history” is the likely culprit for imposing a specific form of

5

All three Scandinavian countries have strong and long-standing academic traditions in what in Danish and Norwegian is called idehistorie, “history of ideas”, in Swedish ide- och lärdomshistoria, “history of ideas and knowledge”. At several Scandinavian universities, these are the names of full-fledged academic disciplines, offering undergraduate and graduate courses, as well as jobs for junior and senior scholars. Every now and again the title of the disciplines is called into question and replacements are suggested, “intellectual” and “cultural history” figuring prominently among the alternatives. But the old title and hence, the idea of the “idea” as the unit of investigation, has stuck. When a new Nordic journal was founded in 2006, the same name was used: Ideas in History. Journal of the Nordic Society of the History of Ideas.

6

Anthony Grafton, The History of Ideas: Precept and Practice. 1950-2000 and Beyond, in: Journal of the History of Ideas 67/1. 2006, 2.

7

Ibid., 3.

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temporality on the enterprise, processual, based on ideas of causality, change and openness to the future,8 the focus here will be on the specific temporal structure, the kind of duration manifested and projected by an “idea,” which Lovejoy abstracted from textual and visual material and insisted should be the chosen object of study for this discipline. For Lovejoy, “idea” served many different purposes, anchoring his scholarly enterprise both in the natural sciences, in terms of a “unit-idea” and in the philosophical tradition, from which he emerged. Looking back at the history of the discipline, however, the main intellectual role of an idea has been to invest history with duration, continuity, and to a certain extent permanence. One way to present the raison d’être of the history of ideas would be as an enterprise to trace and establish continuities across long time-spans, preferably the entire two millennia of so-called “Western culture or civilization,” for instance by tracing the ideas of democracy, citizenship, and political participation back to the Ancient Greeks. In the words of one of Lovejoy’s sharpest critics, the Romanist and philologist Leo Spitzer, history of ideas operates “by inorganically detaching certain features of the whole of Romanticism in order to draw lines of continuity with our times.”9 In other words, the abstraction, and thus, the construction of a limited set of ideas – or in the words of Arnaldo Momigliano, a “number of Uri deas”10 – puts into practice the dream of a kind of structural continuity across several centuries. At the beginning of his famous book The Great Chain of Being, first published in 1936, Lovejoy refers to the title idea as “one of the half-dozen most potent and persistent presuppositions in Western thought.”11 His name for this and other similar figures of continuity and permanence was “unit-ideas,”12 which later have become a center of gravity for discussions inside and outside the discipline. According to the preface to Essays in the History of Ideas, Lovejoy’s am-

8

Cf. Odilo Engels, Horst Günther, Reinhart Koselleck, Christian Meier, Geschichte, Historie, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historische Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Vol 2. Stuttgart 1975, 647-677.

9

Leo Spitzer, Geistesgeschichte vs. History of Ideas as Applied to Hitlerism, in: Journal of the History of Ideas 5. 1944, 203. The response form Lovejoy was published in the same issue, 204-219.

10 Arnaldo Momigliano, A Piedmontese View of the History of Ideas, in: Essays in Ancient and Modern Historiography, Oxford 1977, 6. 11 Arthur O. Lovejoy, The Great Chain of Being. The Study of the History of An Idea, Cambridge, Mass. 1936, vii. 12 Ibid., 15.

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bition was to study “the presence and influence of the same presuppositions or other ‘operative’ ideas in very different provinces of thought and in very different periods.” His example, his “unit-idea” of choice in this preface, is “the underlying idea-complex, summed up in the word ‘nature’.” According to Lovejoy, this idea possesses a “fundamental identity,” which can be traced from Tertullian in the third century B.C. to the eighteenth century, “not annulled by the dissimilarities of the concomitant ideas with which it was associated nor with the different preoccupations and the temperamental biases of the writers into whose thinking it entered.” Thus, in the case of nature, we encounter “one of the major and persistent ideas of Western thought, which, since the fourth century B.C. has rarely disappeared altogether.”13 Similar things can be said about “primitivism” and “the great chain of being,” other of Lovejoy’s “ideas,” which can be studied historically. The task of history of ideas, according to Lovejoy, is “the study of the (so far as possible) total life-history of individual ideas, in which the many parts that any one of them plays upon the historic scene, the different facets which it exhibits, its interplay, conflicts and alliances with other ideas, and the diverse human reactions to it, are traced out.”14 And such a “life-history” stretches out in time, for around two thousand years, from Antiquity to modernity, in some cases to Lovejoy’s own present. In other words, Lovejoy is quite aware that what distinguishes his “unitideas” from other possible objects of analysis, from works and texts, on one hand, and ideologies and systems of thought, on the other, are their duration, or more precisely, their permanence. Systems of thought can be “original and distinctive,” distinguished by their “seeming novelty,” but this is “due solely to the application and arrangement of the old elements.”15 It is these elements and the fact that they are “old,” in contrast to the novelty to their arrangement and application, which interests Lovejoy and which he labels “unit-ideas.” As Maurice Mandelbaum has pointed out, Lovejoy’s primary concern was “the continuities of elements,” not, as in the case of Ernst Cassirer, “the formative influence that helped determine the patterns into which these elements fitted.”16 And he adds that “this stress on continuity […] rather than what was novel in it as a whole was characteristic of Lovejoy’s earlier essay on the history of philosophy.”17 The

13 Arthur O. Lovejoy, Essays in the History of Ideas, Baltimore 1948, xiv. 14 Ibid., 532. 15 Lovejoy, The Great Chain, 3f. 16 Maurice Mandelbaum, The History of Ideas, Intellectual History, and the History of Philosophy, in: History & Theory Beiheft 5. 1965, 37. 17 Ibid., 37 n. 12.

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fundamental assumption – and indeed, the fundamental problem, according to Mandelbaum – is that the unit-ideas are “assumed to have continuous lifehistories of their own.”18 It is interesting to note how Mandelbaum’s problems with Lovejoy’s version of intellectual history are at least in part due to his way of dealing with time, with temporality. To “understand the occurrence of these unit-ideas in the thought of a particular person,” Mandelbaum argues, “is always by tracing them backwards in time” and this procedure renders it hard or rather irrelevant to make the distinction between “continuing” and “recurrent ideas.”19 Lovejoy, in Mandelbaum’s opinion, is so bent on establishing long temporal continuities, moving backwards in time, that he completely ignores the existence of recurrent ideas, only accepting the continuing ones. This means that he obliges himself to establish “historical,” more precisely “genetic connections,” between each occurrence of an idea in a text. And in this he fails more often than he succeeds, according to Mandelbaum, “most notably in such a case as that in which he suggested the continuity from Tertullian to the eighteenth century, or in the case in which he claimed that there probably was an historical influence of certain ideas held by philosophers and literary men in the 1780’s and 1790’s upon the formation of the state of mind which led to the appeal of totalitarian ideologies in the 1920’s.”20 In Lovejoyean history, ideas are units which have a continuous existence across centuries. Between their different occurrences in particular and historically specific systems of thought, there are “historical” and “genetic connections,” at least in theory, which can be traced backwards through time. If Lovejoy succeeds in establishing these connections, or if he mostly fails, as Mandelbaum will have it, is not the issue here. My point is rather to illustrate the specific role that temporality plays in these studies, as a means of establishing connections and continuities between different and indeed in themselves seemingly unrelated historical texts and contexts. Indeed, the main formal characteristics of Lovejoy’s “unit ideas” seem to be found in this specific form of temporality, a kind of duration spanning across the centuries of Western civilization.

18 Ibid., 38. 19 Ibid. 20 Ibid., 40.

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T HE D ISCONTINUITY OF E VENTS AND ACTIONS : F OUCAULT , S KINNER AND THE ATTACK ON THE H ISTORY OF I DEAS During the last decades, intellectual historians working in different disciplines have taken the lead in the widespread, interdisciplinary search for breaks, moments of discontinuity, innovations, etc. Among the most famous attacks on the illusions of continuity and permanence, haunting the history of ideas, are Quentin Skinner’s “Meaning and Understanding in the History of Ideas” and Michel Foucault’s Archéologie du savoir, both from 1969, which together make up the second theoretical moment to be discussed in this essay, as well as a second temporal layer in the stratigraphy of intellectual history. In his most theoretically explicit work, Foucault attacks the “predefined forms of continuity” at work in the kind of historical writing he somewhat fortuitously calls histoire des idées,21 whereas Skinner, on the other hand, systematically dismantles the “mythologies” involved in establishing influences, connections and continuities between different authors in the philosophical canon.22 Both their attacks on the history of ideas were aimed at replacing the naïve presupposition of permanence and continuity as the dominant figures of temporality with a different set of presupposition about the discontinuity of language, in the form of either enunciative events or speech acts. In their 1969 interventions, both Foucault and Skinner attack something they refer to as “history of ideas” and histoire des idées. None of them, however, seems to target a specific discipline or clearly defined field of knowledge. On the contrary, Foucault insists that to him histoire des idées is a generic label for a series of different disciplines, “so unsure about their borders, so imprecise in their contents,” including the history of “of the sciences, of philosophy, of thought, and also of literature.”23 Skinner, on the other hand, emphasizes the “deliberate vagueness” of the term, referring to “as wide as possible a variety of historical inquiries into an intellectual problem.”24 Since none of them appears to believe that the term “history of ideas” has any precise content or reference, their choice of strawman must have another motivation. Why do both Foucault and Skinner use the term “idea” and “history of ideas” in order to target a way of doing history, which they are ve-

21 Michel Foucault, L’archéologie du savoir, Paris 1969, 37. 22 Quentin Skinner, Meaning and Understanding in the History of Ideas, in: History & Theory 8/7. 1969, 7. 23 Foucault, L’archéologie, 32. 24 Skinner, Meaning and Understanding, 3, n. 1.

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hemently opposed to and want to expose, reject, and supplant with their own theoretical and methodological choices? In the case of Skinner, we could presume that he more than anyone else wants to attack Lovejoy, and indeed, there are claims in this respect, both in this and later essays. But obviously his arguments go further. And in the French context, to which Foucault is referring himself, historie des idées does not offer him a very specific target. In other words, it is possible to argue that the terms are chosen in order to identify as certain set of historiographical and interpretative practices rather than scholars, works, fields and disciplines. Or as Skinner puts it: “my aim has been to articulate some general arguments about the process of interpretation itself, and to draw from them a series of what I take to be methodological implications.”25 In the same way Foucault uses the term “idea” to get at a specific form of “historical analysis,” whose major topics, he states, are “genesis, continuity, and totalization.”26 In other words, “idea” emerges as a prism or a lens used by historians – intentionally or unintentionally, we should probably add – in studying questions of origin and emergence, in continuity with the later history of that which came into being, and as part of a kind of historical totality, a “life-history,” to use Lovejoy’s term. To Foucault then, “idea” is primarily a temporal figure, projecting onto the material a homogenous and continuous time, without breaks, gaps, or alternatives branches. Against this way of writing history, Foucault pits his own historiographical alternative, the “archaeology,” which he calls “a systematic rejection of the postulates and procedures” of the history of ideas, in order to “write a completely in different story about what people have said.”27 Characteristic of the questions Foucault wants to ask – “What is a science? What is a work? What is a theory? What is a concept? What is a text?”28 – is the way they break up the idea of continuous, homogenous time, in terms of “continuity,” “tradition,” and “influence,”29 and instead engage the moment, the immediacy and what Foucault calls “the positivity of discourse,”30 of actual texts or utterances. When Foucault embarks on his crusade to fight “the unreflecting continuities that organize discourse before we start analyzing it,”31 the first continuity he needs to take on, is the “idea,” which seems to guarantee the permanence of certain figures

25 Skinner, A Reply to My Critics, in: James Tully (ed.), Meaning and Context. Quentin Skinner and His Critics, Princeton 1988, 234. 26 Foucault, L’archéologie, 181. 27 Ibid. 28 Ibid., 12f. 29 Ibid., 31. 30 Ibid., for example 164. 31 Ibid., 36.

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of thought beyond particular texts or contexts, beyond immediacies and positivities. His counter-concept to “ideas” in L’archéologie du savoir are “events,” more precisely “real events taking place in the order of discourse,”32 that is, when something is uttered or written, and thus creating responses and reactions, and establishing connections across the discursive field, long before this something has been labelled and boxed as a specific kind of utterance, belonging to a specific text, a work, or a science. Again, the temporality evoked is immediacy and discontinuity, as opposed to the continuity and permanence of ideas. Traditionally, historians have treated “discontinuity” as a problem, Foucault points out, as something they need to overcome in their attempt to create continuity; on the contrary, in the kind of historiography Foucault endorses, discontinuity, for example the discontinuity of events, is not the problem, but “that which defines the historical disciplines and verifies their interpretations.”33 The threat comes from “the unreflecting forms of continuity,”34 the blind faith in duration and permanence, which imposes on history a stable, continuous, and homogenous time, of long, even endless duration, into which historical events seem to disappear. Although the philosophical presuppositions are very different, the attack Skinner launches on the “history of ideas” in one of his first essays, points to many of the same fundamental flaws. In “Meaning and Understanding in the History of Ideas,” he presents two strings of criticism, two major critical arguments, which both essentially deal with the question of time and temporality. First, he attacks the belief in an essential and perennial meaning present in certain specific words: “The great mistake lies not merely in looking for the ‘essential meaning’ of the ‘idea’ as something which must necessarily ‘remain the same,’ but even in thinking of any ‘essential’ meaning (to which individual writers ‘contribute’) at all.”35

Then, he presses on to argue, directly against Lovejoy, that the history of an idea can be nothing but the “history of a sentence,” and that the only thing such a history can actually hope to find out is if this sentence is actually present in the works of a specific author.36 In other words, if there is continuity at all, it can only exist on an extremely superficial level, in terms of the repetition of certain

32 Ibid. 33 Ibid., 17. 34 Ibid., 36. 35 Skinner, Meaning and Understanding, 37. 36 Ibid., 38.

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combinations of letters and words. The real task of the historian, however, would consist in exploring what role or function the sentence has in the work of a specific author, at a specific time, at a specific place, in a specific context: “as soon as we see there is no determinate idea to which various writers contributed, but only a variety of statements made with the words by a variety of different agents with a variety of intentions, then what we are seeing is equally that there is no history of the idea to be written, but only a history necessarily focused on the various agents who used the idea, and on their varying situations and intentions in using it. Such a history, moreover, can hardly be expected even to retain the form of the history of an idea.”37

Against the attempt to write “histories of ideas,” both Foucault and Skinner insist on the immediacy and contextuality of every linguistic utterance, produced in a specific historical context. Whereas Foucault, in an attempt to sideline the human subject as well as the social individual as the sole origin of historical change, insists on referring to utterances and texts as “events,” Skinner prefers to call them “actions,” “linguistic actions,” or even “speech acts,” in reference to the works of J.L. Austin and others,38 thus explicitly bringing back the question of meaning and intention, from which Foucault was distancing himself. In this context, however, the interest is less with the contrast between actions and events, than with the fact that they both evoke the same temporality, the momentary and immediate, the discontinuous and instantaneous, as opposed to the duration and permanence, even eternity of the idea. If different actions or events should prove to be similar, they are still mere repetitions of letters and words, which do not tell us anything about their historical role. Both Foucault and Skinner also agree that the historical meaning, or rather significance of a text, is never something immanent to the text, in the way presupposed by the “history of ideas,” in which the texts only are seen as media for communicating the “unit ideas,” but something that exists only in the exteriority of discourses and political practices. The most forceful part of Skinner’s arguments is his criticism of the four “mythologies” of historiography, more specifically of the “history of ideas,” which corresponds to Foucault’s “unreflecting forms of continuity.” According to the “mythology of doctrines,” every philosopher in history, at least of a certain stature, must have formulated a doctrine for all the major questions in political philosophy;39 according to the “mythology of coherence,” every text – at least by

37 Ibid. 38 Ibid., 46f. 39 Ibid., 7-15.

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a philosopher – must be systematic and coherent, to the extent that contradiction and paradoxes are “solved” by their later interpreters.40 Already at this point, it is clear that all these mythologies produce permanence, by constructing systems of ideas, which guarantee both “genesis, continuity, and totalization,” to use Foucault’s terms. For the last two mythologies, however, the temporal issue, the production of permanence and continuity is even more explicit. By means of the “mythology of prolepsis,” authors are given a role and significance, which they really did not obtain until much later, due to their adaption into the philosophical canon as well as to a practice of interpretation, by which the reader rediscovers in historical texts ideas that he knows from his own time. In this way, Machiavelli became the founder of modern political thinking.41 And finally, by means of the “mythology of parochialism,” chains of influence, from one great author to the next, are created, based on the repetition of sentences as well as the freeflowing associations of the interpreters, using “ideas” as links between works which never had anything to do with each other in the first place.42 By discarding “mythologies” and “unreflecting continuities,” and restoring to utterances and texts their character of “event” and “action,” Foucault and Skinner lay out a new program for the historical disciplines, which I in another context have labelled “philological.”43 In temporal terms, they replace the centurylong “life-histories” of ideas, proclaimed by Lovejoy, with the much shorter time-span, even the immediacy of a historical moment. Theorized as either discourse or context, in terms of a set of “rules” (Foucault) or “conventions” (Skinner), this historical moment is not analyzed as part of a continuous historical process, but rather in terms of an intervention, an innovation, or a break, on which diachronic, long-term temporality only come to bear in a negative sense, as that which is no longer valid, which has lost its power. Undoubtedly, the works by Foucault and Skinner, both published in 1969, had a major impact on how any kind of intellectual history – the history of science, literature, or political thought – was written, not least unleashing a new critical potential in historical studies, fueled by the experience of the difference and the otherness of the past. Both of them also came to realize that something had gone lost on the way. Already in the second part of L’archéologie du savoir, Foucault started worrying about how his method risked bringing history to a

40 Ibid., 16f. 41 Ibid., 22-24. 42 Ibid., 24f. 43 Cf. Helge Jordheim, Reading As Scholarly Practice. Toward a New Philology, Oslo 2001 (in Norwegian: Lesningens vitenskap. Mot en ny filologi).

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standstill,44 whereas Skinner in his studies on the histories of the concept of liberty and of the state began tracing continuities between Early Modern Britain and our own time.45 In returning to diachronic time, both of them selected the method and the genre of “genealogy,” and started tracing origins and paths from the past into the present. However, these paths often have strange and surprising, even disturbing, origins, and take unexpected turns, to the extent that temporal continuities should not be mistaken for continuities of meaning, in the way pioneered by Lovejoy. Above two paradigms and two layers of time have emerged: on the one hand, Lovejoy’s “ideas,” which persist and unfold through centuries; on the other hand, Foucault’s “events” and Skinner’s “actions,” which exist only in the relative immediacy of a specific context. To choose one or the other will give rise to very different histories. What becomes clear in considering Lovejoy’s scholarly ambitions, as well as the attacks first by Mandelbaum, then, although less explicitly, by Foucault and Skinner, is that the primary function of the analytical term “idea” is not to identify a certain kind of epistemological object or an ontological sphere, but a certain kind or temporality, which again can be identified with a certain level or layer in the stratigraphy of intellectual history. Both the supporters and opponents consider “idea” primarily as a figure of continuity, able to establish connections, more or less material or associative, across long timespans. The temporal form of the “idea” – put to work in the “history of ideas” – can thus easily be identified in terms of either Bergson’s durée, Heidegger’s Geschehen, or Braudel’s “structural time” and can be used for measuring and comparing the duration of particular forms of intellectual content. Foucault, Skinner, and others, like Stephen Greenblatt and the so-called New Historicists, have made a strong case that the presumption – or with Skinner, the “mythology” – of continuity blinds us for the specific contextual mechanisms, disciplinary and institutional practices, linguistic conventions, and discursive networks, which are at work in any intellectual product. Instead we fall victim to a complex set of canonizing practices, by which certain texts are inscribed in long intellectual traditions. To avoid this, we do better replace the analytics of ideas with the analytics of more contextual units, such as texts, utterances, linguistic actions or rhetorical interventions. However, in the current state of affairs there might be a set of new and somewhat different reasons for raising questions about the time scales and time layers of intellectual history. Large-scale comprehensive claims

44 Foucault, L’archéologie, 216-232. 45 Quentin Skinner, A Third Concept of Liberty, in: Proceedings of the British Academy 117. 2002, 237-268.

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for continuity in the history of mankind have recently been made in influential bestsellers of evolutionary biology and psychology, by authors like Stephen Pinker and Yuval Harari, presenting us with a new and somewhat different context for discussion the long and short times of ideas, events and speech acts.46

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If we chose to reframe the two temporal horizons suggested above in terms of levels or layers, according to a Braudelian, or more recently, a Koselleckian model of history, the analyses offered by Skinner and Foucault can easily be identified with the uppermost level, the level of political events and actions, succeeding each other at a relatively high speed. Koselleck refers to this as the “pragmatic” level, where concepts are analyzed in regard to their “singular usage [ihren einmaligen Gebrauch].”47 By contrast, Lovejoy’s “history of ideas” clearly operates at the level Braudel refers to as “structural,” consisting of social, political, or cultural, or in this case, intellectual and linguistic patterns. Again Koselleck’s application of multi-layered time to the history of concepts might be useful: To Koselleck, this is the level of semantics, “in which often century-old experiences are stored,” until they are reactivated by new uses of the same concepts, or, in Lovejoy’s case, new formulations or adaptions of the same idea.48 But whereas Skinner and Foucault, at least in their 1969 works, reject the possibility of studying long-term structural continuities in philosophical language, both Braudel and Koselleck perceive the different levels or layers as forming a structure, similar to the geological structures of mountains or rocks, which can and should be studied in their own right – what Pomian refers to as the “stratigraphy of time and history.”49 According to Koselleck, “the synchronic and the diachronic are combined in different ways, dependent on the question at hand.”50

46 Yuval Noah Harari, Sapiens. A Brief History of Humankind, London 2014; Steven Pinker, The Better Angels of Our Nature. Why Violence Has Declined, London 2011. 47 Reinhart Koselleck, Stichwort: Begriffsgeschichte, in: idem, Begriffsgeschichten. Studien zur Semantik und Pragmatik der politischen und sozialen Sprache, Frankfurt a.M. 2006, 100. 48 Skinner has pointed out the similarities between Lovejoy and Koselleck. 49 Jordheim, Multiple Times, 502-505. 50 Koselleck, Stichwort, 100.

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However, both Braudel and Koselleck add a third layer that appears to be absent from the discussions and arguments we have been going through so far. In Koselleck, the third and deepest layer is “syntactic and grammatic,” it is “longterm, repetitive and changes only slowly [der Spielraum einer Begriffsverwendung in langfristig sich wiederholender, nur langsam sich verändernder Weise].”51 To Braudel, on the contrary, the third and deepest layer is the much discussed longue durée, which unfolds not in language, but in man’s relationship to his natural environments, landscape, climate, other forms of life, etc. At the time when Braudel first launched the notion of la longue durée, pioneered by other members of the French Annales school, one main ambition was to slow history down to a degree that it could be viewed as a structure, more than an event and process, and thus could be made accessible for structural and indeed structuralist analysis.52 Today, faced with the fact that humans during the last two centuries have become “geological agents” in their own right, leading to a possible formal revision in the geological time scale and the introduction of a new geological epoch, the Anthropocene, this third and deepest layer in what Andrew Shyrock and Daniel Lord Smail have referred to as “the dense layer cake of time” has taken on new relevance and new dimensions.53 The question I want to raise in the third part of this essay is if the introduction of what is mostly referred to as “deep time,” as shorthand for all time scales which go beyond the six thousand years of human history that have so far been the interest of historians, will have any impact on intellectual history, and in what way. Foucault’s and Skinner’s attack on Lovejoy implied a movement upwards through the layers of time, from the structural and semantic continuities of ideas to the pragmatic immediacy of events and actions; at present, faced with the possibility of an imminent climate catastrophe as well as the with our newfound selfconsciousness as geological agents in the period of the Anthropocene, we might need to move downwards, as recently suggested by Dipesh Chakrabarty, in order to understand both past, present and future.54 As historians, we are challenged to descend into the layer of “deep time” and “deep history.” Exactly what kind of temporal layer we are descending into, what kind of durations, rhythms, continui-

51 Ibid. 52 Fernand Braudel, Historie et sciences sociales: La longue durée, in: Annales ESC 18, 4. 1958, 725-753. 53 Andrew Shyrock and Daniel Lord Smail, Introduction, in: Deep History: The Architecture of Past and Present, Berkeley 2011, 3. 54 Dipesh Chakrabarty, The Climate of History: Four Theses, in: Critical Inquiry 35/2. 2009, 216-217.

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ties and discontinuities it entails, is far from certain, neither are the outcomes of the on-going negotiations between human and natural histories, set off by the inscription of 21st century human existence into geological and biological history. Even harder to answer is the question about the main object of study. Ascending through the layers of time, from the structural to the event-based, ideas were transformed into utterances, events, and actions, semantics into pragmatics; descending through the same levels, however, it is harder to tell what will happen to our main objects of study. There is no reason to believe, however, that Koselleck’s reference to grammar and syntax, strangely echoing structuralist paradigms and presupposing the existence of written records, is going to be of much help. Recently, “deep history” or “deep time” has become a name for different time scales, which have in common that they go beyond the time frames that traditionally guide historical inquiries. What this means varies between disciplines: whereas archaeologists and human evolutionary biologists locate “deep time” to “the simple societies of the Paleolithic,” Shyrock and Smail point out, historians tends to consider “Greco-Roman Antiquity” as the “deep time” of their discipline, hence, thus remaining well within the Lovejoyean framework for the history of ideas.55 Since “the time revolution of the 1860s,” they argue, when geology took human history into a limitless time before Eden, history of humankind has been haunted by a “fragmentation of historical time.” Historians are still largely in “the grip of sacred history,” in which mankind emerged from Eden around six thousand years ago, ignoring completely close to two million years of human history, or rather, leaving it to archaeologists, anthropologists, and evolutionary biologists. In a methodological perspective, this temporal “straightjacket”56– which also serves to exclude an entire continent from historiographical interest, Africa – was supported by the choice of a specific kind of source as well as a specific set of scholarly procedures: the analysis of written documents, accompanied by serious and sustained Quellenkritik. The part of the history of mankind that had no documents, in other words, everything older than six thousand years, disappears from sight. In much present historiography this extremely short, quasi-Biblical chronology is made even shorter by the unresiding interest of historians in progress, modernization and political and economic development, hence, in the last three hundred years of human history. In his recent books on “deep history,” Smail sets out to loosen the grip of sacred history on present historiography in order to produce what he refers to as a

55 Shyrock and Smail, Introduction, 3. 56 Ibid., 5.

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“reunion in history.”57 Only in this way would all disciplines dedicated to studying the history of mankind, historians, archaeologists, evolutionary biologist and neurologists, among others, be able to pool their resources, learn from each other, and thus produce integrated and cross-disciplinary knowledge about the past. Again, the question of continuity in history is raised, but in a very different form from the one we found in the works of Lovejoy, Skinner and Foucault. The continuity in question is “the continuity between the biological descent of hominids and the ‘ascent of civilization’ of the abstract ‘mankind’ of humanistic historical writing,” in a phrase by Mott Greene.58 To write “deep history,” according to Smail, means “bundling together the Paleolithic and the Neolithic” – that is the Old Stone Age, which began approximately 2,5 million years ago, and the New Stone Age, “the period between the shift to agriculture roughly 10,000 years ago and the invention of bronze tools” – “with the Postlithic,” meaning “everything that has happened since the emergence of metal technology, writing, and cities some 5,500 years ago.”59 And he adds, in a wishful, rather than analytic mode, evoking dreams of continuity which go way back in the historical disciplines: “The result is a seamless narrative that acknowledges the full chronology of the human past.”60 In reference to Smail’s somewhat naïve belief in the continuity of history, both synchronically and diachronically, there are good reasons for asking to what extent his wish for a specific form of chronology, namely the “seamless” and “full” one,61 predisposes him for making the theoretical choices that he then goes on to make, when he centers his narrative on “biology, brain, and behavior.” Even less convincing appears his ensuing claim that “deep history can coalesce around any number of narrative threads.”62 To continue in this direction, however, which seems, almost by necessity, to lead to a discussion of what it means to be human, risks derailing us from our real interest here: possible – and even impossible – time frames for writing intellectual history. In my earlier draft for a ‘stratigraphy’ of intellectual history, it became obvious that particular temporal scales were linked to particular objects of study: In

57 Daniel Lord Smail, On Deep History and the Brain, Berkeley 2008, 1. 58 Ibid., 2. 59 Ibid., 3. 60 Ibid. 61 “Seamless” in reference to the unfolding of history returns several times in Smail’s book, for example on pages 6, 7, and 149: “This is the logic that makes the deep past legible” Smail, On Deep History and the Brain, 6. 62 Smail, On Deep History and the Brain, 3.

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the fast-paced top layer, we may study events and actions, in the considerably slower, but still dynamic middle layer, we turn our attention to ideas. I will conclude this essay by looking at what might turn out to be the objects of study in the bottom layer, in “deep time.” As far as I know, the book on intellectual history in deep time has yet to be written. If we take a quick look at neighboring disciplines, however, there are books both on “literature through deep time” (Wai Chee Dimock) and “the deep time of the media” (Zielinski).63 It should be noted, however, that none of these books actually set out to construct a “seamless” and continuous chronology from the Paleolithic, through the Neolithic into the Postlithic. Whereas the first is an attempt at connecting American literature to the longer – but still in our perspective quite short – chronologies of civilizations on other continents, the second begins the historical work with Greek Antiquity, well within the temporal “straightjacket” of Western historiography. Among the most famous works that make claims – at least implicitly – about writing an intellectual history according to “deep time” is Steven Pinker’s recent The Better Angels of Our Nature. “Deep” in this case means “from 8000 BCE to the 1970s.”64 In other words, even though Pinker invokes a much longer chronology than Dimock and Zielinski, he still makes halt at the border between the Neolithic, which he refers to as “human prehistory,”65 a kind of periodization sharply criticized by both Smail and Greene, and the Paleolithic. Between the Ice Age and Modernity, Pinker argues, humankind has experienced a steady decline of violence, despite our current impression that our world is “a nightmare of crime, terrorism, genocide, and war.”66 In part, Pinker substantiates his arguments by means of numbers and graphs, showing a decline in the number of violent deaths; his “explanation,” on the other hand, is based on what could be considered a ‘deep intellectual history.’ Pinker himself calls it “an explanation in terms of psychology and history: how human minds deal with changing circumstances,” and he continues: “The theory of mind that I will invoke is the synthesis of cognitive science, affective and cognitive neuroscience, social and evolutionary psychology, and other sciences of human

63 Wai Chee Dimock, Through Other Continents. American Literature Through Deep Time, Princeton 2008; Siegfried Zielinski, Deep Time of the Media. Toward an Archeology of Seeing and Hearing by Technical Means, Cambridge 2006. 64 Pinker, The Better Angels, 1. 65 Ibid., 2-4. 66 Ibid., xxi.

212 | H ELGE J ORDHEIM nature that I explored in How the Mind Works, The Blank Slate, and The Stuff of Thought. According to this understanding, the mind is a complex system of cognitive and emotional faculties implemented in the brain which owe their basic design to the processes of evolution.”67

In his prior books, Pinker has attacked the idea that the human mind is somehow without innate traits, a tabula rasa, or “blank slate,” and that we can form our ideas and make our choices free from biology. On the contrary, he argues, our minds are formed by evolutionary psychological processes, and thus, predisposed to think and behave in specific ways, for instance more peacefully and less violently.68 To the question if Pinker’s evolutionary psychology can be taken as a model for practicing intellectual history in deep time, or on the contrary, if what it really represents, is a radically ahistorical argument about human nature, in which history is nothing but a prop, there will be different answers, which cannot be discussed at any length here. It is interesting to observe, however, that in the introduction to his work On Deep History and the Brain, Smail explicitly distances himself from evolutionary psychology as a way of writing “deep history”: “This book is not a proposal to bring evolutionary psychology into the realm of history. For reasons discussed at length in chapter 4, evolutionary psychology, at least as the field is currently defined, is not especially helpful to the historical enterprise. I am a firm believer that historians need to work with psychology and neurobiology. [...]. But evolutionary psychology, with its inexorable presentism, is not, I think, the way to go. This book charts an alternative path.”69

In order to stake out this “alternative path,” Smail starts by asking about possible objects of study: “climate and ecology, disease, webs and exchanges, human morphology, sex and gender.”70 His object of preference, however, is the brain, “the most obvious device for making the deep past intelligible” as well as for “building a continuous narrative,”71 thus, in a certain sense, opting for an intellectual, rather than a social or cultural history in deep time.

67 Ibid., xxii. 68 Steven Pinker, The Blank Slate. The Modern Denial of Human Nature, London 2003. 69 Smail, On Deep History and the Brain, 8. 70 Ibid., 3. 71 Ibid., 7.

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Unfortunately, Smail does not really make a coherent attempt to draft what a deep history of mankind focusing on the brain might entail. Instead he sets out to navigate the pitfalls of different disciplinary traditions, such as ethology, sociobiology and evolutionary psychology, as well as different conceptual strategies such as “adaptive variation,” “genotypes and phenotypes,” etc. Nevertheless, he offers a few hints to what such a history could look like. Smail’s ideas for a deep history – what he now terms a “new neurohistory”72 – is based on recent findings of neuropsychology and neurophysiology, and presupposes the existence of brain structures and body chemicals which influence ways of feeling and thinking: moods, emotions and predispositions. One of his main examples is disgust.73 His lists of neurochemicals affecting human emotions include prolactin, oxytocin, epinephrine, dopamine, serotonin, endorphins, only to mention a few.74 At first, it seems that his neurohistorical claims are only valid for feelings, instinctive reactions, behavioral patterns, but he also goes on to argue that they can contribute in explaining “key elements of human economic, political, and social activity.”75 Not least, historians should study the “rapid increase in the range of economic, political, and social devices that serve to modulate the body states of self and others,” ranging “from religious liturgies, sports, education, novel reading, and military training, all of which stimulate the production or reuptake of neurochemicals and create or remove synapses and receptors, to the agricultural and economic practices that promote commerce in chemicals like alcohol, caffeine, and opiates, which alter body chemistry in a more direct fashion.”76 The entire last chapter of the book are dedicated to these mood-altering practices, behaviors, and institutions generated by human culture, which Smail refers to as “psychotropic mechanisms.”77 If we are to believe Smail, the deepest level in the stratigraphy of intellectual history contains moods, emotions, and behavioral patterns, as well as the neurochemicals that produce them, but also all the practices and devices that have been developed through the long history of humankind, to alter and control these bodily responses, both in terms of drugs and in terms of social institutions. But even if we were prone to reject this as a meaningful way of writing intellectual history, we will need to deal with the other implications following from this

72 Ibid., 112. 73 Ibid., 114f. 74 Ibid., 116f. 75 Ibid., 118. 76 Ibid. 77 Ibid., 161.

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change of temporal scale: that the evidence, as Smail puts it, “comes not from written documents but from the other things that teach — from artefacts, fossils, vegetable remains, phonemes, and various forms of modern DNA.” These are all traces encoding information about the past, and just like the written records, historians are used to dealing with, their much-fetishized sources, they need to be approached with curiosity, and respect. In his description Smail exploits the multimodal possibilities of the concepts of reading and interpretation: “they resist an easy reading and must be interpreted with care.”78 In this final insistence on the element of “care” in dealing with the sources, all the other authors discussed in this essay, Lovejoy, Skinner, and Foucault, would undoubtedly have agreed, even though Foucault might have objected to the use of the term “interpret” in describing this activity. But rather than insisting on the common ground between these different scholarly enterprises, which all in different ways could be labelled “intellectual history,” my point here is to highlight the differences, more precisely, those particular differences that have to do with the temporal frameworks, which the authors apply to their material: the structural continuities of “ideas,” the discontinuities of “events” and “speech acts,” and finally, the deep time of “neurohistory” and biochemistry. Furthermore, I wanted to highlight the fact that in all these cases there is a close connection between the choice of temporal framework and the choice of object of study, or, in other words, that objects of study are chosen based on their duration, on their degree of permanence. Objects and time frames condition and reinforce each other mutually. Finally, this essay is not the place for starting a systematic discussion of what a “stratigraphy” of intellectual history might eventually look like; rather, my point here has been to suggest the possibility of a combination of different time scales, of moving upward and downward in the “layer cake of time,” in order to better understand how the role of thought and communication in human history.

78 Ibid.

Zum Programm einer Ideengeschichte des Digitalzeitalters P ETER H OERES

E INLEITUNG Die Ideengeschichte ist wieder da. Zahlreiche Spielarten, Erweiterungen und Neujustierungen sind im Angebot: Die Cambridge School der Intellectual History hat sich diversifiziert und wird kritisch modifiziert,1 die deutsche Begriffsgeschichte wird auf das 20. Jahrhundert ausgeweitet.2 Neben der Diskursanalyse ist eine Kulturgeschichte der Ideen in Verwendung.3 Jüngst hat David Armitage nicht nur eine Geschichte der „Big Ideas“ in der longue-durée postuliert, sondern auch ein „International Turn“ und eine Art „Spatialization“ der Intellectual His-

1

Vgl. die Beiträge in Martin Mulsow, Andreas Mahler (Hgg.), Die Cambridge School der politischen Ideengeschichte, Frankfurt a.M. 2010; Eckhart Hellmuth, Christoph von Ehrenstein, Intellectual History Made in Britain: Die Cambridge School und ihre Kritiker, in: Geschichte und Gesellschaft 27. 2001, S. 149 –172.

2

Vgl. Christian Geulen, Plädoyer für eine Geschichte der Grundbegriffe des 20. Jahrhunderts, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, OnlineAusgabe, 7. 2010, H. 1, (02.02.2017).

3

Vgl. Frank Becker, Auf dem Weg zu einer „Kulturgeschichte der Ideen“? Deutung der Einigungskriege und bürgerlicher Militarismus im Deutschen Kaiserreich, in: Lutz Raphael, Heinz-Elmar Tenorth (Hgg.), Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft im Europa der Neuzeit. Beiträge für eine erneuerte Geistesgeschichte, München 2006, S. 267 –288.

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tory gefordert.4 Der oft vordergründig bemühte Konstruktivismus ist dabei zuletzt verstärkt unter Beschuss geraten,5 Alternativen zeichnen sich bisher nur undeutlich ab,6 werden aber die Diskussion um die Ideengeschichte weiter befördern. Eine Option ist von der Ideengeschichte aber bisher noch kaum angenommen worden: der Sprung ins digitale Zeitalter. Dabei eröffnen sich hier zwei weiterführende Perspektiven, ja Aufgaben: zum einen eine Ideengeschichte, welche die Tools der Digital Humanities nutzt und Text Mining in großen Corpora betreibt, zum anderen eine Ideengeschichte des Digitalzeitalters selbst. Über die bisherige Zurückhaltung mag man spekulieren. Wird eine erneute „Austreibung des Geistes aus den Geisteswissenschaften“ befürchtet, wie sie Friedrich Kittler seit 1980 proklamiert hat?7 Oder fürchtet man nicht nur die Ersetzung von Büchern durch große Datenbestände, sondern auch die Ersetzung des Wissenschaftlers und Denkers durch Programme und Computer? Gelten Ideen per se als nicht digitalisierbar? Was heißt das überhaupt, digital? Als digitale Merkmale werden gegenwärtig die mathematische Beschreibbar- und Quantifizierbarkeit, die Modularität, Automation, Variabilität und Transcodierbarkeit eines Mediums oder einer Information verstanden.8 Digitalisierung beinhaltet demnach eine Zerlegung, Umwandlung und mathematische Erschließung von analogen Informationen. Im Folgenden sollen

4

Vgl. David Armitage, What's the Big Idea? Intellectual History and the Longue Durée, in: History of European Ideas 38. 2012, S. 493 –507; Sers., The International Turn in Intellectual History, in: Darrin M. McMahon, Samuel Moyn (Hgg.), Rethinking Modern European Intellectual History, New York, Oxford 2014, S. 232 –252. Die dort aufgestellte Behauptung, Intellectual History habe sich seit jeher als eine International History verstanden, wird allein dadurch konterkariert, dass der Autor in seinem umfangreichen Anmerkungsapparat fast ausschließlich englische Titel aufgenommen hat. Deutsche Publikationen bleiben (außer einer englischen Übersetzung von Aufsätzen Max Webers) vollkommen außen vor.

5

Siehe etwa Paul Boghossian, Angst vor der Wahrheit. Ein Plädoyer gegen Relativismus und Konstruktivismus, Frankfurt a.M. 2013.

6

Vgl. Tagungsbericht Nach dem Konstruktivismus? Aktuelle Strategien der Kontextualisierung in der Neuen Ideengeschichte. 01.10.2014–02.10.2014, Tübingen, in: H-SozKult 10.01.2015, (02.02.2017).

7

Vgl. Friedrich Kittler (Hg.), Austreibung des Geistes aus den Geisteswissenschaften. Programme des Poststrukturalismus, Paderborn, Wien, Zürich 1980.

8

Vgl. Peter Haber, Digital Past. Geschichtswissenschaft im digitalen Zeitalter, München 2011, S. 101 –103.

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sich die daraus ergebenen Möglichkeiten für die Ideengeschichte exemplarisch verfolgt und tentativ diskutiert werden. Dabei geht es im Sinne der beiden genannten Perspektiven zunächst um eine Anwendung digitaler Tools und in einem zweiten Schritt um eine künftige Ideengeschichte des Digitalzeitalters selbst.

I. Die Autoren der „Geschichtlichen Grundbegriffe“ stützten sich in ihren gelehrten Artikeln zumeist auf bekannte Persönlichkeiten der Philosophiegeschichte und der politischen Theorie. Daneben standen für die Zeit seit dem 17. Jahrhundert Zeitungen und Zeitschriften, für die Zeit seit dem Aufklärungszeitalter Enzyklopädien zur Verfügung. Oftmals fußten die Ausführungen über die Verbreitung von politischsozialen Begriffen aber auf Plausibilitätsannahmen und mehr oder minder belastbaren Induktionen. Durch die neuen Möglichkeiten der digitalen Erschließung werden derart begriffsgeschichtliche Vermutungen nun aber zu nachprüfbaren, genau aufzuschlüsselnden und bei Bedarf kontextualisierbaren Fakten. Der umfangreichste Corpus wird dabei durch Google Books zur Verfügung gestellt. Die geschätzten weltweit rund 130 Millionen existierenden Büchern9 werden derzeit von Google retrodigitalisiert und, soweit rechtlich möglich, mit den üblichen Optionen kostenfrei und voll durchsuchbar im Netz zur Verfügung gestellt. Mit dem Google Books Ngram Viewer steht ferner ein Tool für begriffsgeschichtliche Fragestellungen und der Untersuchung der Ausbreitung von Ideen zur Verfügung. Dieser beruht auf einem Teil der für Google Books gescannten Bücher, der Corpus besteht derzeit aus über fünf Millionen Büchern aus sieben Sprachen aus dem Zeitraum 1500 bis 2008, wobei der englische Bestand der umfangreichste ist.10 In einem Interface können bis zu fünf Begriffe, eingegrenzt nach Sprache und Zeitraum des Corpus, gesucht werden, deren Häufigkeitsverteilung dann in Relation (ausgedrückt in Prozent) zum Gesamtbestand aller sogenannten „Grams“, also Wörter, Wortverbindungen oder Zahlen, angegeben wird. Gegenüber der Zusammensetzung des Corpus – Hauptlieferant in Deutschland ist die Bayerische Staatsbibliothek –, seiner Transparenz und der Nachprüfbarkeit kann man nun berechtigte methodische Bedenken erheben, die unten noch reflektiert werden.11 Gleichwohl kann

9

(02.02.2017).

10 Siehe (02.02.2017). 11 Vgl. Tobias Hodel, Das kleine Digitale. Ein Plädoyer für Kleinkorpora und gegen Großprojekte wie Googles Ngram-Viewer, in: Nach Feierabend. Zürcher Jahrbuch für Wis-

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dieses Tool, das ständig verbessert wird, Tendenzen und Wendepunkte des Sprachgebrauchs indizieren und als Wegweiser zu vertiefter Untersuchung dienen. Ferner wird der Grundbestand ständig erweitert und verbessert, so dass die Aussagekraft der Ergebnisse wächst. Und für die vordigitalen Quellengrundlagen gelten ähnliche Kautelen, sie sind zudem wesentlich weniger umfangreich als die 500 Milliarden Wörter (davon 37 Milliarden aus deutschen Büchern), auf die der Ngram Viewer zurückgreifen kann. Vor allem kann der Bestand als Findbuch und Indikator, weiterhin als Vergleichsquelle dienen, wenn man in toto erschlossene digitalisierte Bestände untersucht. Dafür soll hier als Beispiel das digitale Archiv der Frankfurter Allgemeinen Zeitung herangezogen werden. Die Zeitung stellt ein wichtiges deutsches Leitmedium12 für Politik, Wirtschaft, Kultur und nicht zuletzt Wissenschaft der vordigitalen Zeit dar und ist für die Ideen- und Begriffsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland eine zentrale Quelle.13 Das kostenpflichtige Digitalarchiv der Zeitung bietet für alle Ausgaben seit der Gründung bis heute einen Volltextzugriff auf über vier Millionen Artikel. Die Durchsicht dieser Artikel hätte im analogen Zeitalter rund zehn Jahre gedauert, sofern man in dieser Zeit auf Schlaf und andere Arbeitsunterbrechungen verzichtet hätte. Nun hat man die Möglichkeit, Frequenzanalysen mit Hilfe von Booleschen Operatoren für den gesamten Bestand der FAZ, von ihrer Gründung bis zum letzten Erscheinungstag, vorzunehmen.

sensgeschichte 9. 2013, S. 103 –119. Philipp Sarasin plädiert dagegen mit überzeugenden Argumenten gegen eine vorschnelle Verwerfung des Tools, vgl. Sozialgeschichte vs. Foucault im Google Books Ngram Viewer. Ein alter Streitfall in einem neuen Tool, in: Pascal Maeder, Barbara Lüthi, Thomas Mergel, Wozu noch Sozialgeschichte? Eine Disziplin im Umbruch, Göttingen 2012, S. 151 –174. Siehe auch die Seite der Entwickler des Google Ngram Viewer: (02.02.2017). 12 Vgl. zum Begriff und seiner Anwendung auf die FAZ Jürgen Wilke, Leitmedien und Zielgruppenorgane, in: ders. (Hg.), Mediengeschichte der Bundesrepublik Deutschland, Köln u. a. 1999, S. 302 –329; Hans Mathias Kepplinger, Die Demontage der Politik in der Informationsgesellschaft, Freiburg i. B. 1998, S. 34 –46. Vgl. ferner Otfried Jarren, Martina Vogel, „Leitmedien“ als Qualitätsmedien. Theoretisches Konzept und Indikatoren, in: Roger Blum u.a. (Hg.), Krise der Leuchttürme öffentlicher Kommunikation. Vergangenheit und Zukunft der Qualitätsmedien, Wiesbaden 2010, S. 17 –30. 13 Vgl. dazu Peter Hoeres, Geschichte eines Leitmediums für Wirtschaft, Politik und Public History. Medienhistorische Überlegungen zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, in: Geschichte für heute 8. 2015, Heft 2, S. 14 –27; ders., „Frankfurter Allgemeine Langeweile?“, in: FAZ 21.10.2014, S. 22f.

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Allein die quantitative Übersicht über die Häufigkeit und die Konnotation der Verwendung eines historischen Schlüsselbegriffs wie „Holocaust“ bietet erste aufschlussreiche Ergebnisse. Vor 1979 war der Begriff nahezu absent, nach Ausstrahlung der gleichnamigen amerikanischen Fernsehserie in den dritten Programmen der ARD gab es dann bis 2014 rund 11.000 Nennungen. Freilich tauchte der Begriff in der FAZ erstmalig bereits 1965 in einem Bericht über amerikanische Ausstellungen unerläutert auf, das zweite Mal dann 1971 in einem Artikel der Israel-Korrespondentin Hilde Spiel, diesmal mit Erläuterung. Spiel nannte ihn auch 1974 und 1975 noch einmal mit der Erklärung, die Israelis würden so den Genozid an den Juden nennen.14 Screenshot Frankfurter Allgemeine Archiv

Kann man an diesem Beispiel die Universalisierung des Holocaust-Gedenkens verfolgen, bei dem einem alten Sakralbegriff ein neuer Gehalt zukam, so zeigt ein anderes Beispiel eine wichtige semantische Verschiebung im Zuge einer fundamentalen Umwertung sexuell devianten Verhaltens an. So war die Bezeichnung „Schwule“ ursprünglich ein justiziables Schimpfwort, das in der 14 Vgl. Hilde Spiel, Im Staat des Als-Ob. Notizen aus Israel, in: FAZ vom 18.12.1971, Beilage Bilder und Zeiten, S. 2; dies., Biblisch bildhafte Sprache. Die PEN-Tagung in Jerusalem, in: FAZ vom 27.12.1974, S. 21; dies., Prophet ohne Gott, Staatsmann ohne Staat. Zu der Theodor-Herzl-Biographie von Amos Elon, in: FAZ 28.06.1975, Beilage Bilder und Zeiten, S. 5.

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Hochsprache nicht gebraucht werden konnte. Als Eigenbezeichnung Homosexueller wurde der Begriff dann seines pejorativen Gehalts entkleidet und fand schließlich parallel – was genauer zu untersuchen wäre – zur gesellschaftlichen Akzeptanz Homosexueller Eingang in die gehobene Zeitungssprache. Komposita von „schwul“ wurden in die FAZ zwischen 1949 und 1959 zweimal, in der Dekade von 1980 bis1989 aber schon 65mal und zwischen 2000 bis 2009 869mal gebraucht. Im Vergleich zum Google Ngram Viewer können dabei semantische Besonderheiten der FAZ herausgearbeitet werden: Wo ist die Zeitung Avantgarde, wo verhält sie sich retardierend? Auswertung FAZ-Archiv

Google Ngram (German 2009)

Die Karriere des Begriffs „Holocaust“ verläuft in beiden Auswertungen steil, bei den Ngrams zeigt sich 2000 ein Rückgang, aber eben nur verhältnismäßig zur Gesamtheit der Bücher. Beim englisch- und französischsprachigen wie mit einigen Schwankungen beim spanischsprachigen Buchbestand ergibt sich dagegen ein fortlaufender Anstieg, was die Universalisierung des Holocaust-Gedenkens abbildet. Erstaunlicherweise hatte in deutscher Sprache auch die Chiffre „Auschwitz“ parallel zu „Holocaust“ Konjunktur, in der FAZ deutlich geringer; zuletzt fiel die Ver-

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wendung im Buchbestand hinter „Holocaust“ zurück. Die „soziale Marktwirtschaft“ war lange Zeit in der wirtschaftsfreundlichen FAZ unter den hier ausgewählten Begriffen am häufigsten vertreten. Nach 2000 wurde aber auch dieser Begriff von „Holocaust“ überholt. Die Komposita von „schwul“ haben seit Mitte der 1980er Jahre einen steiler werdenden Anstieg im Gebrauch, im allgemeinen Buchbestand findet sich seitdem nur ein moderater Anstieg. Die Komposita von „neoliberal“ konnten dagegen lange aus der FAZ herausgehalten werden, auch hier bilden die 1980er Jahre den take off. Für die wirtschaftsliberale FAZ ist der der Begriff „neoliberal“ von hoher Signifikanz. Zwischen 1949 und 1959 wurden Komposita des Begriffs „neoliberal“ ganze einundfünfzigmal, zwischen 1960 und 1969 neunundsiebzigmal und in der Dekade von 1970 bis 1979 vierundneunzigmal in der FAZ gebraucht, zwischen 2000 und 2009 dann über zweitausendmal. Dieser Befund bedarf der Erläuterung. „Neoliberal“ assoziiert im heutigen Sprachgebrauch regellos, marktradikal, profitmaximierend, unmoralisch. Dass der Begriff, ursprünglich die Kennzeichnung gerade einer Abkehr von der reinen Marktorientierung, für eine negative Konnotation anfällig ist, ahnten schon die Vertreter des frühen ordoliberalen Neoliberalismus. Der Gründungsherausgeber der FAZ Erich Welter hielt die Begriffsverwendung demgemäß 1962 für einen „fundamentalen Fehler“. In einem Brief an seinen Ressort-Mitarbeiter Hans Herbert Götz nannte Welter den Begriff „selbstmörderisch“. Er wollte „am liebsten die Herausgeberschaft in der Zeitung niederlegen, wenn es mir nicht gelänge zu verhindern, dass wir uns selber als ‚neoliberal‘ abstempeln.“15 Der Begriff wurde zu Welters Zeiten daher auch kaum in der Zeitung verwandt. Erst mit der zweiten Karriere des Begriffs tauchte er seit den 1990er Jahren auch verstärkt in der FAZ in seiner ganzen neuen Unschärfe auf. Aufschlussreich ist eine Frequenzanalyse von Personennennungen, weil sie positive oder negative Identitätsmarker und die Entwicklung von Referenzgrößen der Erinnerungskultur darstellen. Die ordoliberalen Gallionsfiguren Ludwig Erhard und Walter Eucken gewinnen in der FAZ, je mehr die allgemein gesellschaftliche Erinnerung an sie verblasst, weiter an Bedeutung, was die These einer stabilen Identität der Zeitung untermauert. Allerdings steigt auch die Nennung Hitlers an, während sie bei Google Books abnimmt. Liegt für Erhard und Eucken die Interpretation nahe, dass die FAZ sich ihrer Leitfiguren stetig versichert –, je größer der Zeitabstand wird, desto häufiger werden sie als Gegenfiguren zur sozialdemokratisierten politischen Kultur der Gegenwart aufgerufen – so bedarf es im Falle der Hitler-Nennungen weitergehender Untersuchungen. Dass hierfür aber überhaupt Anlass besteht, ist das Ergebnis der digitalen Auswertung.

15 Erich Welter an Herbert Götz 2. Juni 1962, in: BArch Koblenz N1314/221.

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Google Nram

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FAZ-Archiv

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Die Häufigkeit der Nennungen von Schlüsselfiguren der Ideengeschichte wie Marx, Nietzsche und Foucault kann man ebenfalls mit Gewinn diachron und synchron vergleichend für die FAZ und unterschiedliche Sprachwelten eruieren. Die für die FAZ als wichtig angenommenen Denker Carl Schmitt, Reinhart Koselleck und (als Kontrollperson) Hans-Ulrich Wehler fallen nicht nur dort im Vergleich zu Marx und Nietzsche deutlich ab, in den Google-Buchstatistiken führen sie im Vergleich zu den anderen Chefdenkern erst gar nicht zu vergleichbar abbildbaren Ergebnissen. FAZ-Archiv

Google Ngram (German 2009)

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Google Ngram (English 2009)

Google Ngram (French 2009)

Google Ngram (Italien 2009)

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Google Ngram (Spanish 2009)

Marx hatte vor dem Zusammenbruch des Ostblocks seinen Zenit schon in allen Samples überschritten. Erstaunlicherweise ist, relativ gesehen, sein Absturz in der FAZ aber nicht so drastisch wie in den Buchpublikationen; vielmehr erlebt er nach der Jahrtausendwende und dem Platzen der Dotcom-Blase eine zweite Konjunktur. Zur selben Zeit überrundet Foucault Carl Schmitt; der postmoderne Franzose bildet nun eine häufigere Referenz in der FAZ als der deutsche Staatstheoretiker. Anders als der subjektive Eindruck (und Wunsch) für die akademische Szene nahelegt, ist der Aufstieg Foucaults außer in den englischsprachigen Büchern in allen anderen hier herangezogenen Sprachen, also in deutschen, französischen, spanischen und italienischen Büchern ungebrochen. Trotz allem führte in der Häufigkeitsverteilung in allen Statistiken weiterhin Marx mit Abstand. Natürlich ist festzuhalten, dass die Erwähnung von Marx noch keine Zustimmung zum Marxismus bedeutet und die Nicht-Erwähnung des geheimnisumwitternden und sich selbst verbergenden Schmitts noch nicht die Abwesenheit seiner Denkfiguren und Begriffe indiziert. Aber die Relevanz eines Denkers kann man, vielleicht abseits des Sonderfalls Carl Schmitt, mit den digitalen Tools näherungsweise einschätzen, besser jedenfalls, als wenn man sich nur auf verstreute Lesefrüchte und einen subjektiven Eindruck verlässt. Schaut man sich statt Denkern Denkströmungen und politische Ideologien an, so zeigt sich für die FAZ und die deutsche und englische Bücherwelt folgendes Bild:

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FAZ Archiv

Google Ngram (German 2009)

Google Ngram (English 2009)

Nach 1990 wurde der Kommunismus in der FAZ mit der ausgedehnten Russland- und Osteuropaberichterstattung intensiv aufgearbeitet, während sich seine Nennung in deutschen und englischen Büchern im rasanten Abschwung befindet. Der Marxismus hatte nach dem „roten Jahrzehnt“, den 1970ern, in beiden Statistiken für die deutschsprachigen Printmedien seinen Zenit überschritten, in

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den englischen Büchern ist dies erst mit der Befreiung vom Kommunismus in Osteuropa der Fall. Nur in der englischen Lesewelt scheint der Liberalismus seinen Platz einzunehmen, in der deutschsprachigen Welt fungiert nun der Nationalsozialismus/Faschismus als primäre Negativreferenz. Doch wie ist das schwindende Interesse nach 2000 an diesen Ideologien zu erklären, ein Befund, der angesichts des „Kampfes gegen rechts“ kontra-intuitiv wirkt? Vielleicht hat tatsächlich der schwammige unbestimmte Begriff „rechts“ (oder etwas korrekter: „rechtsextrem“ resp. „rechtsradikal“) der Benennung des Nationalsozialismus das Wasser abgegraben, obgleich der Begriff die Rangliste der deutschsprachigen Samples gleichwohl noch anführt. Vergleichende Untersuchungen können darüber weiteren Aufschluss bringen. Zu beachten sind dabei die Unterschiede der hier verwendeten digitalen Tools. Während Google Ngram zunächst nur das Dass und das Wann eines Trends, einer semantischen Verschiebung anzeigt und über Google Books dann zwar nach Datum sortierbare, aber letztlich stark kontingent aufgerufene Buchkontexte liefert,16 erlaubt das FAZ-Archiv, die Verwendung des Sprachgebrauchs präzise datiert zu recherchieren und entsprechende Artikel aufzurufen. Nur über das FAZ-Archiv kommt man also schnell zum präzisen Kontext. Zudem können die mit Datum, Nummern-, Seiten- und Ressortangaben gelisteten Treffer jeweils durch Aufruf des kompletten Artikels kontextualisiert werden. Das Agenda-Setting, und dies ausdifferenzierend: das Framing, also die Perspektivierung, Selektion, Akzentuierung und Attributierung eines Themas sowie das Priming, die Beeinflussung der Bewertungsmaßstäbe und die Salienzssteigerung von Themen, können so in ihrer Veränderung verfolgt werden.17 Dabei gilt es semantische Verschiebungen wie Pejorisierung, Konventionalisierung, Umdeutung

16 Dies liegt an der großen Anzahl der Belegstellen, die dann auch nur jahrgangsweise sowie nach den Dokumenttypen Bücher und Zeitschriften sortiert werden können. Zudem ist der Ngram Viewer blind gegenüber den Inhalten der Grams, es wird also nicht nach Autoren, Themen, Titeln oder Inhalten von Büchern unterschieden. Ferner zeigt sich gerade für den deutschen Sprachraum eine Unterrepräsentanz von Zeitschriften. 17 Vgl. Heinz Bonfadelli, Thomas N. Friemel, Medienwirkungsforschung. Grundlagen und theoretische Perspektiven, Konstanz / München 2011, S. 188f., 196–205; Heinz Bonfadelli, Medieninhaltsforschung. Grundlagen, Methoden, Anwendung, Konstanz 2002, S. 146 –159; Christian Schemer, Priming, Framing, Stereotype, in: Wolfgang Schweiger, Andreas Fahr (Hg.), Handbuch Medienwirkungsforschung, Wiesbaden 2013, S. 153 –169.

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bzw. Resignifikation zu identifizieren.18 Letztlich sagen, wie das Beispiel „neoliberal“ zeigt, die Befunde alleine zumeist noch nicht allzu viel aus, sie geben aber, gerade wenn man vergleichend vorgeht, Hinweise, was für welchen Zeitraum erklärungsbedürftig ist. Auch die Linguistik hat nach anfänglicher Euphorie und der Proklamation eines Endes der Theorie zur Hermeneutik zurückgefunden, denn Daten sprechen nicht für sich selbst und bildgebende Verfahren sind zwar hilfreich und oft ästhetisch ansprechend, bergen aber dank ihres interpretativen Überschusses hohe Suggestivkraft, die ihrerseits kritisch-hermeneutisch in den Blick genommen werden muss.19 Die Anlage des Text Mining ist also ebenso auf reflektierte Vorüberlegungen des Rechercheurs angewiesen wie die Ergebnisse der quellenkritischen Einordnung (in toto und im Exempel), Kontextualisierung und Interpretation bedürfen. Kurzum, ohne Hermeneutik wird eine Data driven Intellectual History der Zukunft kaum möglich sein!20 Die digitalen Tools sind auch für eine Bildgeschichte der Ideen von Nutzen. Buchcover, Zeitungsseiten, Bebilderungen, Grafiken, Layouts – auf all das kann nun in großem Umfang zugegriffen werden. Mit Hilfe des Internet Archive lassen sich darüber hinaus die Veränderung von Websites und ihres Contents, aber

18 Gerd Fritz, Historische Semantik, Stuttgart, Weimar 2006, S. 38 –84; Christian Geulen, Plädoyer für eine Geschichte der Grundbegriffe des 20. Jahrhunderts, in: Zeithistorische Forschungen / Studies in Contemporary History 7/1. 2010, S. 79–97; Reinhart Koselleck, Begriffsgeschichten. Studien zur Semantik und Pragmatik der politischen und sozialen Sprache, Frankfurt a.M. 2006; ders. (Hg.), Historische Semantik und Begriffsgeschichte, Stuttgart 1979. 19 Vgl. das Themenheft „Maschinelle Textanalyse“ der Zeitschrift für Germanistische Linguistik 43. 2015. 20 Insofern scheint mir auch der Nutzen von sogenannten Kookkurrenzanalysen, welche das gemeinsame Auftreten von Begriffen untersuchen, begrenzt zu sein, vgl. dazu Matthias Lemke, Alexander Stulpe, Text und soziale Wirklichkeit. Theoretische Grundlagen und empirische Anwendung von Text-Mining-Verfahren in sozialwissenschaftlicher Perspektive, in: Zeitschrift für Germanistische Linguistik 43. 2015, S. 52– 83. Gerade die Ergebnisse für das dort vorgestellte, interessante Beispiel der „Sozialen Marktwirtschaft“ sind nicht nur wegen des uneinheitlichen zusammengesetzten Untersuchungscorpus, sondern auch wegen der aus der Kookkurrenzanalyse gezogenen weitgehenden Schlüsse fragwürdig. Zustimmungsfähig ist das Plädoyer der Autoren für eine Kombination aus Close und Distant Reading, wofür der Begriff des Blended Reading steht. Zum Distant Reading vgl. Franco Moretti, Distant Reading, London 2013.

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auch von Musik, Bildern, Software selbst nachvollziehen.21 Das Internet Archive verfügt über 432 Milliarden gespeicherte Momentaufnahmen von Websites, wie sie seit 1996 zu bestimmten Zeitpunkten gespeichert wurden. Über die WaybackMachine lassen sich mittels der jeweiligen URL die Geschichten einzelner Seiten und Portale rekonstruieren, auch wenn die Hyperlinkstruktur in den gespeicherten Versionen nur begrenzt konserviert werden kann. Das Internet Archive wird ein wichtiges Archiv der Geschichtswissenschaft und eine zentrale Ressource für eine künftige Ideengeschichte des digitalen Zeitalters darstellen.

II. Richtet sich die Nutzung digitaler Tools und der Digital Humanities in den bisher gezeigten Fällen auf klassische historische Begriffe, politische Ideen und gesellschaftliche Sachverhalte, so soll nun zweitens nach zentralen Ideen des Digitalzeitalters selbst gefragt werden. Kandidaten sind dafür die Ideen von Transparenz, Schwarmintelligenz, Open Access und Big Data und, durch und in der Wikipedia, das Neutral-Point-Of-View-Prinzip. Auch diese Ideen sind auf ihre Herkunft, Ausformulierung und Verbreitung sowie Wirkmacht zu befragen. Neben den oben herangezogenen Methoden, die man hier ebenfalls wieder einsetzen könnte, bietet die Online-Enzyklopädie Wikipedia selbst zahlreiche Optionen zur Taxierung dieser Ideen. Einfach zugänglich sind dort die grundlegenden Daten – für jeden Historiker im Vergleich zur sonstigen mühsamen quellenkritischen Recherche doch ein Traum! – nämlich, wann ein Lemma angelegt wurde, wie oft und inwiefern es bearbeitet wurde (Versionsgeschichte), welche Konflikte es um den Begriff gab (Diskussionsseite), wie oft der entsprechende Artikel gelesen wurde (Abrufstatistik), wie er belegt ist (Referenzen), wohin er verlinkt ist und welche Literaturhinweise und weiterführende Websites er zu welchem Zeitpunkt aufführt und schließlich, welche Unterschiede es in den verschiedenen Sprachversionen der Wikipedia gibt. Da gerade die Protagonisten des Digitalzeitalters ihre Ideen online vertreten und aushandeln, ist die Wikipedia hier besonders aussagekräftig und die Ideenzirkulation und die sie begleitenden Kämpfe können im Vergleich zu den alten Medien wesentlich präziser nachvollzogen werden (daneben wären auch die sozialen Netzwerke zu untersuchen). Zugleich können die normativen Ideen des Digitalzeitalters in ihrer Implementierung beobachtet werden. Schnell stellt sich heraus, dass die viel gepriesene „Schwarmintelligenz“ allenfalls bei den ganz großen Themen wie „Hitler“,

21 Siehe (02.02.2017).

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„Erster Weltkrieg“ oder „Bundesrepublik Deutschland“ zum Tragen kommt. Allenfalls, weil auch hier Macht vor Wissen geht. Bei nachrangigen Themen besteht die Leistung des Schwarms in der „Wikifizierung“, der – fast immer oberflächlichen – Überprüfung der Formalia, der Verlinkung und Strukturanpassung. Inhaltlich wird, wie die teilnehmende Beobachtung zeigt, in sehr seltenen Fällen editiert.22 Bei den großen Artikeln und Themen zeigt sich dagegen das „Erbhof“Phänomen. Poweruser akkumulieren durch die reine Anzahl ihrer erfolgreichen Edits ihre Rechte. Daher müssen sie über die entsprechende Zeit für die Nonprofit-Arbeit in der Online-Welt verfügen. Der Distinktionscode besteht in recht hermetischen, auf der extensiven Verwendung von Abkürzungen basierenden Argumentations- und Belegtechniken. Diese Poweruser blocken Veränderungen, gerade von Neueinsteigern, oft brüsk ab. Durch die Pseudonymität der User werden normative und machtpolitische Ansprüche noch schärfer durchgesetzt als in der Gutenberg-Galaxis. Die Basis dafür sind die abgestuften Rechte für passive und aktive Sichter und Administratoren, das Machtpotential wird dann durch die Vollzeitbeobachtung und omnipräsente Bereitschaft zur Re-Editierung unter Einsatz hoher zeitlicher Ressourcen ausgeschöpft. Die mitunter absurden Ergebnisse dieser verdeckten Re-Hierarchisierung sind an einschlägigen historischen Artikeln und vor allem auch einseitigen und denunziatorischen biografischen Einträgen zu beobachten.23 Mit diesen Hinweisen am Beispiel der Wikipedia sind auch schon die Ideale des NPOV-Prinzips und der Transparenz relativiert. Das NPOV-Prinzip wird durch die Herrschaft der Poweruser, die Transparenz durch die Pseudo- und Anonymität der Netzautoren konterkariert, die Idee der Schwarmintelligenz wiederum durch die Verweigerung seitens des Schwarms von substantieller Kooperation. Auch Open Access ist für die Mehrheit der Menschheit, die weder über einen Zugang zum Internet verfügt noch diesen, hätte sie ihn denn, nutzen könnte,

22 In zwei Hauptseminaren war dies der einhellige Befund der Teilnehmer bei neu angelegten historischen Artikeln in der Wikipedia, selbst wenn dort – zweitweise, versteht sich – bewusst grobe Fehler eingebaut wurden. Bei den von mir geleiteten Seminaren handelt es sich um die Veranstaltung „Public History online“, Hauptseminar am Historischen Institut der Justus-Liebig-Universität Gießen im Wintersemester 2011/12, sowie „Historische Artikel in Wikipedia“, Seminar im Vertiefungsmodul am Institut für Geschichte der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Sommersemester 2015. 23 Vgl. dazu mit Beispielen: Peter Hoeres, Gärtner der Rhizome: Geschichte digital erzählen auf Wikipedia, Berlin 2013; ders., Hierarchien in der Schwarmintelligenz. Geschichtsvermittlung auf Wikipedia, in: Thomas Wozniak, Jürgen Nemitz, Uwe Rohwedder (Hg), Wikipedia und Geschichtswissenschaft, Berlin 2015, S. 15 –31.

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eine Illusion.24 Die Herrschaft über Big Data schließlich besitzen nur die Wenigen, Google, Facebook und andere Global Player, welche die Allgemeinheit eher nach Gutdünken zum eigenen Nutzen der Datenakkumulation daran teilhaben lassen. Nun kann man Ideen und Ideale immer an ihrer mangelhaften Verwirklichung messen und entsprechende Defizite feststellen. Schon die Idee der Transparenz ist aber unklar konzipiert, sie zielt vor allem auf den Staat und große Unternehmen. In der radikalen Variante bei Julian Assange ist letztlich jede gegenwärtige Form des Regierens eine „conspiracy as governance“, je ungerechter eine Organisation sei, desto störanfälliger sei sie durch Aufdeckung des geheimen Informationsflusses. Die Links zwischen den Knoten dieser Verschwörungsnetzwerke müssen also mit Hilfe von Leaks angegriffen werden, um deren Arbeit zu stören und ineffektiv werden zu lassen.25 Dagegen soll der Bürger, so eine häufig von Netzaktivisten gepflegte Vorstellung von „digitalen Freiheitsrechten“, einen nahezu absoluten Schutz der Privatsphäre genießen und das Netz, so eine dabei immer wieder mehr oder weniger deutlich transportierte Vorstellung, soll als quasi rechtsfreier Raum von jedem staatlichen Zugriff abgeschirmt werden, in welchem aber wiederum alle staatlichen Dokumente, denen man habhaft werden kann, veröffentlicht werden sollen.26 Während aber die Idee der (totalen) Öffentlichkeit schon häufig einer Grundsatzkritik unterzogen wurde,27 steht diese für die Idee der Transparenz, die äußerst unduldsam propagiert wird, noch aus.

24 Für eine Grundsatzkritik von Open Access aus der Perspektive der Wissenschaftler siehe Roland Reuß, Eingecremtes Publizieren. Open Access als Enteignung, in: FAZ 11. 2.2009, S. N5 25 Vgl. Christoph Meister, Julian Assanges Theories des Leakings und die Cablegateund NSA-Leaks, in: Journal for Intelligence, Propaganda and Security Studies 8. 2013, S. 132–139. 26 Diese Auffassung des Portals netzpolitik.org setze sich in der entsprechenden Debatte im August 2015, als der Generalbundesanwalt gegen Betreiber und einen Autor wegen Landesverrat ermitteln ließ, weitgehend durch. Netzpolitik.org hatten vertrauliche Dokumente des Verfassungsschutzes veröffentlicht und aus geheimen Unterlagen zitiert. Der Generalsbundesanwalt musste bekanntlich nach der öffentlichen Debatte über die Einleitung der Ermittlungen, die auf einer Strafanzeige des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz hin angestellt wurden, seinen Posten räumen. 27 Das bekannteste Beispiel aus der Geschichtswissenschaft ist sicherlich die berühmte Dissertation von Reinhart Koselleck, Kritik und Krise. Eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt, Frankfurt a.M. 1973 (zuerst 1959). Vgl. auch die Hinweise in

Z UM P ROGRAMM EINER I DEENGESCHICHTE DES DIGITALZEITALTERS

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Die Frage stellt sich darüber hinaus, in welchem Zusammenhang diese genuinen Ideen des Digitalzeitalters zu den normativen Vorgaben des postmodernen Diskursregimes, also Gender-Mainstreaming, Diversity und Inklusion,28 stehen. Gibt es im global village ein Interdependenzverhältnis – ein Begriff der 1970er Jahre29 – oder handelt es sich vielmehr um die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, das hieße, radikalisierte Ideen der Moderne treffen auf Ideen einer anderen digitalen Nach-Moderne? Wie wirken sich ferner die Produktionsund Rezeptionsbedingungen der Ideen auf diese selbst aus? Die sich immer weite beschleunigende Virilität und Rhizomatik30 der Ideenaushandlung führt zur permanenten Skandalisierung und extremer Kurzlebigkeit der ideenpolitischen Diskurse. Eine abschließende Frage richtet sich auf die Urheber der Ideen selbst, die Autoren. Die Etablierung der Kategorie des Autors sorgte für Stabilität und Kontinuität. Im Digitalzeitalter lösen Kollaboration und Pseudonymität das Konzept der Autorschaft auf oder verschleiern diese. Die in den Printmedien absolute Unterscheidung von Autor und Leser wird ebenso aufgehoben wie die eindeutige Zuschreibung der Autorschaft und deren Offenlegung. Zudem brechen die Modul- und Hyperlinkstruktur des Netzes die Linearität und Geschlossenheit der Ideennarrative auf. Jeder Link führt zu einer neuen Erzählung, die Erzählung ist niemals abgeschlossen, kann jederzeit durch weitere Verlinkung und Erweiterung und Veränderung von Textpassagen und Referenzen ergänzt werden. Damit wird jede Erzählung fluide, situativ.31 Was bedeutet das für die Produktion und Stabilität der Ideen? Welche postklassischen Strategien der Stabilisierung sind zu beobachten?

der Einleitung und im Schlusskapitel von Peter Hoeres, Außenpolitik und Öffentlichkeit. Massenmedien, Meinungsforschung und Arkanpolitik in den deutschamerikanischen Beziehungen von Erhard bis Brandt, München 2013, S. 15–42 und 531–534. 28 Siehe dazu jetzt Andreas Rödder, 21.0. Eine kurze Geschichte der Gegenwart, München 2015. 29 Vgl. David Kuchenbuch, „Eine Welt“. Globales Interdependenzbewusstsein und die Moralisierung des Alltags in den 1970er und 80er Jahren, in: Geschichte und Gesellschaft 38. 2012, S. 158 –184. 30 In Anlehnung an Gilles Deleuze, Felix Guattari, Rhizom, aus dem Französischen von Dagmar Berger u. a., Berlin 1976, zielt der Begriff auf das ungesteuerte unaufhörliche Wuchern von Semantiken und Verknüpfungen, siehe dazu Hoeres, Gärtner der Rhizome. 31 Vgl. Hoeres, Gärtner der Rhizome.

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III. Bei den Ideen des Digitalzeitalters scheint es sich um Ideen zu handeln, die ihren normativen Überschuss in Konfrontation mit den Ideen und Praktiken der alten, prä-digitalen Welt erhalten. Die Dekonstruktion dieser Ideen in der digitalen Welt durch den Abgleich von Ideal und Realität erscheint relativ trivial, wenn auch notwendig; weniger trivial ist die Gegenüberstellung mit den Idealen der Offline-Welt. Worin besteht etwa die Differenz zwischen dem Publizitätsideal der Aufklärung und dem Transparenz-Ideal des Digitalzeitalters? Was ist der Unterschied zwischen dem Wissen für alle, das die Enzyklopädisten propagierten, und dem Wissen durch alle, wie es die Verfechter der Schwarmintelligenz propagieren? Wie verhält sich die Maxime der Offenlegung von Erkenntnisinteressen zum Neutral-Point-Of-View-Prinzip? In Rechnung stellen muss man bei jedem Vergleich von Ideen des Gutenberg- und des Digitalzeitalters die Bedingungen der Möglichkeit der Ideenbildung. Führt dieser Weg aber nicht immer weiter in einen Medienmaterialismus à la Kittler? Gibt es am Ende keinen Geist, keine Ideen mehr in der digitalen Welt? Diese Fragen sind genuine Fragen der Ideengeschichte oder sie sollten zumindest auch in ideengeschichtlicher Perspektive gestellt werden. Damit wird eine alte Disziplin, die vielfach kritisiert, verändert und neu erfunden worden ist, vor neue Aufgaben gestellt. Das Programm einer Ideengeschichte des Digitalzeitalters erscheint gleichwohl zunächst einmal als eine kontextualisierte Ideengeschichte in der Erweiterung, da man sowohl das Wissen der klassischen Ideengeschichte als auch deren Methoden weiter benötigt. Fundamentaler gewendet könnte man sagen, dass auch eine Ideengeschichte mit digitalen Tools der Kulturtechniken des Lesens, Schreibens und Verstehens nicht entbehren kann und eine Geschichte der Ideen des Digitalzeitalters ihre Kontur erst in einem Wissen um die Ideengeschichte von „Plato bis Nato“ erhalten kann.

Autorinnen und Autoren

Prof. Dr. Sean A. Forner ist Associate Professor of History an der Michigan State University und Autor u.a. von German Intellectuals and the Challenge of Democratic Renewal. Culture and Politics after 1945, Cambridge 2014. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der deutschen und europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts und der intellectual history der Neuzeit. Er arbeitet an einem Projekt über die Entstehung einer „ersten neuen Linke“ in Europa während der 1950er Jahren. Dr. D. Timothy Goering ist Visiting Fellow an der Harvard Universität. Er hat Geschichte, Anglistik und Philosophie an der Ruhr-Universität Bochum und der Yale Universität studiert. 2015 hat er an der Ruhr-Universität Bochum seine Promotion abgeschlossen. Die Dissertationsarbeit „Friedrich Gogarten (18871967). Religionsrebell im Jahrhundert der Weltkriege“ erscheint im Walter de Gruyter Verlag in der Reihe „Ordnungssysteme. Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit“ (Band 51). Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Ideen- und Religionsgeschichte der Neuzeit, sowie Geschichtsphilosophie und Theorie der Geschichte. Darius Harwardt, M.A., promoviert in Bochum und Essen zum Thema „Amerikabilder deutscher Rechtsintellektueller“. Von 2012 bis 2013 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter der Dokumentations- und Forschungsstelle der Sozialversicherungsträger in Bochum. Seit 2015 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte der Universität DuisburgEssen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Intellektuellengeschichte, politischen Ideengeschichte und Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts. Prof. Dr. Peter Hoeres ist seit 2013 Professor für Neueste Geschichte an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Promoviert hat er 2002 in Münster und

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seine Habilitation schloss er in Gießen im Jahr 2011 ab. Er ist Sektionsleiter für die Sektion Geschichte der Görres-Gesellschaft. Veröffentlicht hat er Untersuchungen zur Mediengeschichte, Internationale Geschichte, Politik-, Kultur- und Ideengeschichte: Krieg der Philosophen. Die deutsche und die britische Philosophie im Ersten Weltkrieg, Paderborn 2004; Die Kultur von Weimar. Durchbruch der Moderne, Berlin 2008; Außenpolitik und Öffentlichkeit. Massenmedien, Meinungsforschung und Arkanpolitik in den deutsch-amerikanischen Beziehungen von Erhard bis Brandt, München 2013; Medien der Außenbeziehungen von der Antike bis zur Gegenwart (hg. zusammen mit Anuschka Tischer), Wien, Köln, Weimar 2017. Derzeit arbeitet er an einer Geschichte der FAZ, die 2019 erscheinen wird. Prof. Dr. Helge Jordheim ist Professor für Kulturgeschichte an der Universität Oslo und Professor II für Deutsch an der Technisch-Naturwissenschaftliche Universität Norwegens (Trondheim). In seiner Forschungsarbeit hat er sich mit unterschiedlichen kulturgeschichtlichen Themen des 18. Jahrhunderts beschäftigt – wie Spiegel von Prinzen, Medizingeschichte und politischer Satire. Seine weiteren Schwerpunkte liegen in der Begriffsgeschichte und Theorie und Philosophie der Geschichte. Gegenwärtig liegen seine Arbeitsschwerpunkte im Themenkomplex der multiplen Zeiten und Prozesse der Synchronisierung, die er in Veröffentlichungen in History & Theory und anderen leitenden Zeitschriften diskutiert hat. Seine letzte Veröffentlichung: Civilizing Emotions. Concepts in NineteenthCentury Asia and Europe, hrsg. mit Margrit Pernau, Oxford 2015. Prof. Dr. Emily J. Levine ist Associate Professor of History an der University of North Carolina, Greensboro und Autorin von Dreamland of Humanists. Warburg, Cassirer, Panofsky, and the Hamburg School, Chicago 2013. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der deutschen und europäischen Intellektuellengeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Derzeit arbeitet sie an einem Projekt über die transatlantische Geschichte der Forschungsuniversität. Prof. Dr. Marcus Llanque ist seit 2008 Professor für Politische Theorie an der Universität Augsburg. Seine Arbeitsschwerpunkte bilden: Demokratietheorie, Republikanismus, politische Ideengeschichte, Verfassungstheorie, Menschenrechte. Er ist zudem einer der Begründer und Mitherausgeber der Zeitschrift für Politische Theorie. Prof. Dr. Quentin Skinner ist Professor für Geisteswissenschaften an der Queen Mary University of London. 1978 erhielt Skinner einen Lehrstuhl für

A UTORINNEN

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Geistesgeschichte und Politische Philosophie an der Universität Cambridge. Von 1996 bis 2008 war er dort Regius Professor of Modern History. Er ist einer der profiliertesten Historiker der politischen Theorie und Ideengeschichte und führender Kopf der „Cambridge School“. Eine Auswahl seines Werks: The Foundations of Modern Political Thought, 2 Bde, Cambridge 1979; Freiheit und Pflicht. Thomas Hobbes’ politische Theorie (übersetzt von Karin Wördemann), Frankfurt a. M. 2008; Visionen des Politischen (übersetzt von Robin Celikates und Eva Engels). Frankfurt a. M. 2009.

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