Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie: Allgemeine Einführung in die reine Phänomenologie [6th Edition. Unrevised reprint of the 2nd edition 1922.] 9783110916096, 9783484701250

In this book, generally held to be the key to his view of an academic approach to phenomenology, Edmund Husserl (1859-19

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Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie: Allgemeine Einführung in die reine Phänomenologie [6th Edition. Unrevised reprint of the 2nd edition 1922.]
 9783110916096, 9783484701250

Table of contents :
Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie.
Einleitung
Erstes Buch. Allgemeine Einführung in die reine Phänomenologie.
Erster Abschnitt. WESEN UND WESENSERKENNTNIS.
Erstes Kapitel. Tatsache und Wesen.
§ 1. Natürliche Erkenntnis und Erfahrung
§ 2. Tatsache. Untrennbarkeit von Tatsache und Wesen
§ 3. Wesenserschauung und individuelle Anschauung
§ 4. Wesenserschauung und Phantasie. Wesenserkenntnis unabhängig von aller Tatsachenerkenntnis
§ 5. Urteile über Wesen und Urteile von eidetischer Allgemeingültigkeit
§ 6. Einige Grundbegriffe. Allgemeinheit und Notwendigkeit
§ 7. Tatsachenwissenschaften und Wesenswissenschaften
§ 8. Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Tatsachenwissenschaft und Wesenswissenschaft
§ 9. Region und regionale Eidetik
§ 10. Region und Kategorie. Die analytische Region und ihre Kategorien
§ 11. Syntaktische Gegenständlichkeiten und letzte Substrate. Syntaktische Kategorien
§ 12. Gattung und Art
§ 13. Generalisierung und Formalisierung
§ 14. Substratkategorien. Das Substratwesen und das τόδε τι
§ 15. Selbständige und unfelbständige Gegenstände. Konkretum und Individuum
§ 16. Region und Kategorie in der sachhaltigen Sphäre. Synthetische Erkenntnisse a priori
§ 17. Schluß der logischen Betrachtungen
Zweites Kapitel. Naturalistische Mißdeutungen
§ 18. Einleitung in die kritischen Diskussionen
§ 19. Die empiristische Identifikation von Erfahrung und originär gebendem Akte
§ 20. Der Empirismus als Skeptizismus
§ 21. Unklarheiten auf idealistischer Seite
§ 22. Der Vorwurf des Platonischen Realismus. Wesen und Begriff
§ 23. Spontaneität der Ideation, Wesen und Fiktum
§ 24. Das Prinzip aller Prinzipien
§ 25. Der Positivist in der Praxis als Naturforscher, der Naturforscher in der Reflexion als Positivist
§ 26. Wissenschaften der dogmatischen und Wissenschaften der philosophischen Einstellung
Zweiter Abschnitt. DIE PHÄNOMENOLOGISCHE FUNDAMENTALBETRACHTUNG.
Erstes Kapitel. Die Thesis der natürlichen Einstellung und ihre Ausschaltung.
§ 27. Die Welt der natürlichen Einstellung: Ich und meine Umwelt
§ 28. Das cogito. Meine natürliche Umwelt und die idealen Umwelten
§ 29. Die »anderen« Ichsubjekte und die intersubjektive natürliche Umwelt
§ 30. Die Generalthesis der natürlichen Einstellung
§ 31. Radikale Änderung der natürlichen Thesis. Die »Ausschaltung«, »Einklammerung«
§ 32. Die phänomenologische ἐποχή
Zweites Kapitel. Bewußtsein und natürliche Wirklichkeit.
§ 33. Vordeutung auf das »reine« oder »transzendentale Bewußtsein« als das phänomenologische Residuum
§ 34. Das Wesen des Bewußtseins als Thema
§ 35. Das cogito als »Akt«. Inaktualitätsmodifikation
§ 36. Intentionales Erlebnis. Erlebnis überhaupt
§ 37. Das »Gerichtetsein = auf« des reinen Ich im cogito und das erfassende Beachten
§ 38. Reflexionen auf Akte. Immanente und transzendente Wahrnehmungen
§ 39. Bewußtfein und natürliche Wirklichkeit. Die Auffassung des »naiven« Menschen
§ 40. »Primäre« und »sekundäre« Qualitäten. Das leibhaftig gegebene Ding »bloße Erscheinung« des »physikalisch wahren«
§ 41 Der reelle Bestand der Wahrnehmung und ihr transzendentes Objekt
§ 42. Sein als Bewußtsein und Sein als Realität. Prinzipieller Unterschied der Anschauungsweisen
§ 43. Aufklärung eines prinzipiellen Irrtums
§ 44. Bloß phänomenales Sein des Transzendenten, absolutes Sein des Immanenten
§ 45. Unwahrgenommenes Erlebnis, unwahrgenommene Realität
§ 46. Zweifellosigkeit der immanenten, Zweifelhaftigkeit der transzendenten Wahrnehmung
Drittes Kapitel. Die Region des reinen Bewußtseins.
§ 47. Die natürliche Welt als Bewußtseinskorrelat
§ 48. Logische Möglichkeit und fachlicher Widersinn einer Welt außerhalb unserer Welt
§ 49. Das absolute Bewußtfein als Residuum der Weltvernichtung
§ 50. Die phänomenologische Einstellung und das reine Bewußtsein als das Feld der Phänomenologie
§ 51. Die Bedeutung der transzendentalen Vorbetrachtungen
§ 52. Ergänzungen. Das physikalische Ding und die »unbekannte Ursache der Erscheinungen«
§ 53. Die Animalien und das psychologische Bewußtfein
§ 54. Fortsetzung. Das transzendente psychologische Erlebnis zufällig und relativ, das transzendentale Erlebnis notwendig und absolut
§ 55. Schluß. Alle Realität seiend durch »Sinngebung«. Kein »subjektiver Idealismus«
Viertes Kapitel. Die phänomenologischen Reduktionen
§ 56. Die Frage nach dem Umfange der phänomenologischen Reduktionen. Natur- und Geisteswissenschaften
§ 57. Die Frage der Ausschaltung des reinen Ich
§ 58. Die Transzendenz Gottes ausgeschaltet
§ 59. Die Transzendenz des Eidetischen. Ausschaltung der reinen Logik als mathesis universalis
§ 60. Die Ausschaltung material = eidetischer Disziplinen
§ 61. Die methodologische Bedeutung der Systematik der phänomenologischen Reduktionen
§ 62. Erkenntnistheoretische Vordeutungen. »Dogmatische« und phänomenologische Einstellung
Dritter Abschnitt. ZUR METHODIK UND PROBLEMATIK DER REINEN PHÄNOMENOLOGIE
Erstes Kapitel. Methodische Vorerwägungen.
§ 63. Die besondere Bedeutung methodischer Erwägungen für die Phänomenologie
§ 64. Die Selbst=Ausschaltung des Phänomenologen
§ 65. Die Rückbeziehung der Phänomenologie auf sich selbst
§ 66. Getreuer Ausdruck klarer Gegebenheiten. Eindeutige Termini
§ 67. Methode der Klärung. »Gegebenbeitsnähe« und »Gegebenheitsferne«
§ 63. Echte und unechte Klarheitsstufen. Das Wesen der normalen Klärung
§ 69. Die Methode vollkommen klarer Wesenserfassung
§ 70. Die Rolle der Wahrnehmung in der Methode der Wesenserklärung. Die Vorzugsstellung der freien Phantasie
§ 71. Das Problem der Möglichkeit einer deskriptiven Eidetik der Erlebnisse
§ 72. Konkrete, abstrakte, »mathematische« Wesenswissenschaften
§ 73. Anwendung auf das Problem der Phänomenologie. Beschreibung und exakte Bestimmung
§ 74. Deskriptive und exakte Wissenschaften
§ 75. Die Phänomenologie als deskriptive Wesenslehre der reinen Erlebnisse
Zweites Kapitel. Allgemeine Strukturen des reinen Bewußtseins.
§ 76. Das Thema der folgenden Untersuchungen
§ 77. Die Reflexion als Grundeigentümlichkeit der Erlebnissphäre. Studien in der Reflexion
§ 78. Das phänomenologische Studium der Erlebnisreflexionen
§ 79. Kritischer Exkurs. Die Phänomenologie und die Schwierigkeiten der »Selbstbeobachtung«
§ 80. Die Beziehung der Erlebnisse auf das reine Ich
§ 81. Die phänomenologische Zeit und das Zeitbewußtsein
§ 82. Fortsetzung. Der dreifache Erlebnishorizont, zugleich als Horizont der Erlebnisreflexion
§ 83. Erfassung des einheitlichen Erlebnisstroms als »Idee»
§ 84. Die Intentionalität als phänomenologisches Hauptthema
§ 85. Sensuelle ὕλη, intentionale μορφή
§ 86. Die funktionellen Probleme
Drittes Kapitel. Noesis und Noema.
§ 87. Vorbemerkungen
§ 88. Reelle und intentionale Erlebniskomponenten. Das Noema
§ 89. Noematische Aussagen und Wirklichkeitsaussagen. Das Noema in der psychologischen Sphäre
§ 90. Der »noematische Sinn« und die Unterscheidung von »immanenten« und »wirklichen Objekten«
§ 91. Übertragung auf die weiteste Sphäre der Intentionalität
§ 92. Die attentionalen Wandlungen in noetischer und noematischer Hinsicht
§ 93. Übergang zu den noetisch=noematischen Strukturen der höheren Bewußtseinssphäre
§ 94. Noesis und Noema im Urteilsgebiete
§ 95. Die analogen Unterscheidungen in der Gemüts- und Willenssphäre
§ 96. Überleitung zu den weiteren Kapiteln, Schlußbemerkungen
Viertes Kapitel. Zur Problematik der noetisch-noematischen Strukturen.
§ 97. Die hyletischen und noetischen Momente als reelle, die noematischen als nichtreelle Erlebnismomente
§ 98. Seinsweise des Noema. Formenlehre der Noesen. Formenlehre der Noemata
§ 99. Der noematische Kern und seine Charaktere in der Sphäre der Gegenwärtigungen und Vergegenwärtigungen
§ 100. Wesensgesetzliche Stufenbildungen der Vorstellungen in Noesis und Noema
§ 101. Stufencharakteristiken. Verschiedenartige »Reflexionen«
§ 102. Übergang zu neuen Dimensionen der Charakterisierungen
§ 103. Glaubenscharaktere und Seinscharaktere
§ 104. Die doxischen Modalitäten als Modifikationen
§ 105. Glaubensmodalität als Glaube, Seinsmodalität als Sein
§ 106. Bejahung und Verneinung nebst ihren noematischen Korrelaten
§ 107. Iterierte Modifikationen
§ 108. Die noematischen Charaktere keine »Reflexions«bestimmtheiten
§ 109. Die Neutralitätsmodifikation
§ 110. Neutralisiertes Bewußtfein und Rechtsprechung der Vernunft. Das Annehmen
§ 111. Neutralitätsmodifikation und Phantasie
§ 112. Iterierbarkeit der Phantasiemodifikation, Nichtiterierbarkeit der Neutralitätsmodifikation
§ 113. Aktuelle und potentielle Setzungen
§ 114. Weiteres über Potentialität der Thesis und Neutralitätsmodifikation
§ 115. Anwendungen. Der erweiterte Aktbegriff. Aktvollzüge und Aktregungen
§ 116. Übergang zu neuen Analysen. Die fundierten Noesen und ihre noematischen Korrelate
§ 117. Die fundierten Thesen und der Abschluß der Lehre von der Neutralisierungsmodifikation. Der allgemeine Begriff der Thesis
§ 118. Bewußtseinssynthesen. Syntaktische Formen
§ 119. Umwandlung polythetischer Akte in monothetische
§ 120. Positionalität und Neutralität in der Sphäre der Synthesen
§ 121. Die doxischen Syntaxen in der Gemüts- und Willenssphäre
§ 122. Vollzugsmodi der artikulierten Synthesen. »Thema«
§ 123. Verworrenheit und Deutlichkeit als Vollzugsmodi synthetischer Akte
§ 124. Die noetisch-noematische Schicht des »Logos«. Bedeuten und Bedeutung
§ 125. Die Vollzugsmodalitäten in der logisch-ausdrücklichen Sphäre und die Methode der Klärung
§ 126. Vollständigkeit und Allgemeinheit des Ausdrucks
§ 127. Ausdruck der Urteile und Ausdruck der Gemütsnoemen
Vierter Abschnitt. VERNUNFT UND WIRKLICHKEIT.
Erstes Kapitel. Der noematische Sinn und die Beziehung auf den Gegenstand.
§ 128. Einleitung
§ 129. »Inhalt« und »Gegenstand«; der Inhalt als »Sinn«
§ 130. Umgrenzung des Wesens »noematischer Sinn«
§ 131. Der »Gegenstand«, das »bestimmbare X im noematischen Sinn«
§ 132. Der Kern als Sinn im Modus seiner Fülle
§ 133. Der noematische Satz. Thesische und synthetische Sätze. Sätze im Gebiete der Vorstellungen
§ 134. Apophantische Formenlehre
§ 135. Gegenstand und Bewußtsein. Übergang zur Phänomenologie der Vernunft
Zweites Kapitel. Phänomenologie der Vernunft.
§ 136. Die erste Grundform des Vernunftbewußtseins: das originär gebende »Sehen«
§ 137. Evidenz und Einficht. »Originäre« und »reine«, assertorische und apodiktische Evidenz
§ 138. Adäquate und inadäquate Evidenz
§ 139. Verflechtungen aller Vernunftarten. Theoretische, axiologische und praktische Wahrheit
§ 140 Bestätigung. Berechtigung ohne Evidenz. Äquivalenz der positionalen und neutralen Einsicht
§ 141. Unmittelbare und mittelbare Vernunftsetzung. Mittelbare Evidenz
§ 142. Vernunftthesis und Sein
§ 143. Adäquate Dinggegebenbeit als Idee im Kantischen Sinne
§ 144. Wirklichkeit und originär gebendes Bewußtsein: Abschließende Bestimmungen
§ 145. Kritisches zur Phänomenologie der Evidenz
Drittes Kapitel. Allgemeinheitsstufen der vernunftheoretischen Problematik.
§ 146. Die allgemeinen Probleme
§ 147. Problemverzweigungen. Die formale Logik, Axiologie und Praktik
§ 148. Vernunftheoretische Probleme der formalen Ontologie
§ 149. Die vernunftheoretischen Probleme der regionalen Ontologien. Das Problem der phänomenologischen Konstitution
§ 150. Fortsetzung. Die Region Ding als transzendentaler Leitfaden
§ 151. Schichten der transzendentalen Konstitution des Dinges. Ergänzungen
§ 152. Übertragung des Problems der transzendentalen Konstitution auf andere Regionen
§ 153. Die volle Extension des transzendentalen Problems. Gliederung der Untersuchungen

Citation preview

EDMUND HUSSERL

Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie Allgemeine Einführung in die reine Phänomenologie

Sechste Auflage

Max Niemeyer Verlag Tübingen 2002

1. Auflage 1913 In: Jahrbuch f ü r Philosophie und phänomenologische Forschung. Bd. 1/1 2. Auflage 1922 3. Auflage 1928 4. Auflage 1980 5. Auflage 1993 Die vorliegende Ausgabe ist ein unveränderter Nachdruck der 2. Auflage 1922

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Husserl, Edmund: Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie : allgemeine Einführung in die reine Phänomenologie / Edmund Husserl. - 6. Aufl., unveränd. Nachdr. der 2. Aufl. 1922. - Tübingen : Niemeyer, 2002 ISBN 3-484-70125-0 Kart.

© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2002 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Einband: Heinr. Koch, Tübingen

I n h a l t .

Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologifd>en Philofophie. Von E d m u n d Hufferl.

Seite

Einleitung

ι

Erftes Buch. A l l g e m e i n e E i n f ü h r u n g in die r e i n e

Phänomenologie.

Erfter Abfcbnitt. WESEN UND WESENSERKENNTNIS. Erftes Kapitel. Tatfache und § § § §

1. 2. 3. 4.

§ § § §

5. 6. 7. β.

§ 9. § 10. §11. § 12. §13. §14. § 15. § 16. § 17.

Wefen.

Natürliche Erkenntnis und Erfahrung Tatfache. Untrennbarkeit von Tatfache und Wefen Wefeneerfcbauung und individuelle flnfebauung Wefenserfcbauung und Pbantafie. Wefenserkenntnis unabhängig von aller Tatfachenerkenntnis . Urteile über Wefen und Urteile von eidetifeber Allgemeingültigkeit Einige Grundbegriffe. Allgemeinheit und Notwendigkeit . . . . Tatfacbenwiffenfcbaften und Wefenswiffenfcbaften . . . . . . . Abbängigkeitsverbältniffe zwifeben Tatfacbenwiffenicbaft und Wefens* wiffenfebaft Region und regionale Eidetik Region und Kategorie. Die analytifebe Region und ihre Kategorien SyntaktifAe Gegenftändliebkeiten und letzte Subftrate. Syntaktifche Kategorien Gattung und Art Generalifierung und Formalifierung Subftratkategorien. Das Subftratwefen und das rotff τι . . . . Selbständige und unfelbftändige Gegenftände. Konkretum und In· dividuum Region und Kategorie in der fathhaltigen Sphäre. Syntbetifcbe Er· kenntniffe a priori Scbluß der logifchen Betrachtungen

7 8 10 12 13 15 16 18 19 20 23 25 26 28 28 30 32

IV

HuefQbrlicbes Inhalteverzeichnis des erften Bandes, Teil I. Zweites Kapitel.

N a t u r a t i f t i f c b e Μi ß d e u t u n g e n . seit« § 18. Einleitung in die kritifcben Diskuffionen 33 § 19. Die empiriftifcbe Identifikation von Erfahrung und originär geben· dem Akte 34 § 20. Der Empirismus als Skeptizismus 37 § 21. Unklarheiten auf idealiftifcber Seite 39 § 22. Der Vorwurf des Platonifchen Realismus. Wefen und Begriff . . 40 § 23. Spontaneität der Ideation, Wefen und Fiktum 42 § 24. Das Prinzip aller Prinzipien 43 § 25. Der Pofitivift in der Praxis als Naturforfcber, der Naturfortöer in der Reflexion als Pofitivift 44 § 26. Wiffenfchaften der dogmatifchen und Wiffenfchaften der pbilofopbi· fcben Einstellung 46 Zweiter flbfcbnitt. DIE PHÄNOMENOLOGISCHE FUNDflMENTflLBETRflCHTUNG. Elftes Kapitel. Die § § § § §

Tbeiis der natürlichen Einftellung und ihre fiusfchaltung.

27. 28. 29. 30. 31.

Die Welt der natürlichen Einftellung: Ich und meine Umwelt . . Das cogito. Meine natürliche Umwelt und die idealen Umwelten Die »anderen« Ichfubjekte und die interfubjektive natürliche Umwelt Die Generaltbefis der natürlichen Einftellung Radikale Änderung der natürlichen Tbefis. Die »fiusfchaltung«, »Einklammerung« § 32. Die phänomenologifche ίποχή

48 50 51 52 53 56

Zweites Kapitel. Bewußtfein

und

natürliche

Wirklichkeit.

§ 33. Vordeutung auf das »reine« oder »tranfzendentale Bewußtiein« als das phänomenologifche Refiduum § 34. Das Wefen des Bewußtfeins als Thema § 35. Das cogito als »Akt«. Inaktuaiitätsmodifikation § 36. Intentionales Erlebnis. Erlebnis überhaupt § 37. Das »Gericbtetfein = auf« des reinen Ich im cogito und das erfaffende Beachten § 38. Reflexionen auf Akte. Immanente und tranfzendente Wahrnehmungen § 39. Bewußtfein und natürliche Wirklichkeit. Die fluffaftung des »naiven« Menfchen § 40. »Primäre« und »fekundäre« Qualitäten. Das leibhaftig gegebene Ding »bloße Erfcheinung« des »pbyfikalifcb wahren« § 41 Der reelle Beftand der Wahrnehmung und ihr tranizendentes Objekt § 42. Sein als Bewußtfein und Sein als Realität. Prinzipieller Unterfchied der flnfchauungsweifen

57 60 61 64 65 67 69

71 73 76

Ausführliches Inhaltsverzeichnis des erften Bandes, Teil I. § 43. Aufklärung eines prinzipiellen Irrtums § 44. Bloß phänomenales Sein des Tranfzendenten, abfolutes Sein des Immanenten § 45. Unwahrgenommenes Erlebnis, unwabrgenommene R e a l i t ä t . . . § 46. Zweifellofigkeit der immanenten, Zweifelbaftigkeit der tranfzendenten Wahrnehmung

γ Seite

78

80 83 85

Drittes Kapitel.

Die R e g i o n

des

reinen

Bewußtfeins.

§ 47. Die natürliche Welt als Bewußtieinskorrelat § 48. Logifcbe Möglichkeit und fachlicher Widerfinn einer Welt außerhalb unferer Welt § 49. Das abfolute Bewußtfein als Refiduum der Weltvernichtung . . § 50. Die phänomenologifche Einftellung und das reine Bewußtfein als das Feld der Phänomenologie § 51. Die Bedeutung der tranfzendentalen Vorbetrachtungen . . . . § 52. Ergänzungen. Das phyfikalifche Ding und die »unbekannte Ur= fache der Erfcheinungen« § 53. Die flnimatien und das pfychologifche Bewußtfein § 54. Fortfetjung. Das tranfzendente pfychologifche Erlebnis zufällig und relativ, das tranfzendentale Erlebnis notwendig und abfolut . . § 55. Scbluß. Alle Realität feiend durch »Sinngebung«. Kein »fubjektiver Idealismus-

87 90 91 93 95 97 103 105 106

Viertes Kapitel.

Die p b ä n o m e n o l o g i f c b e n

Reduktionen.

§ 56. Die Frage nach dem Umfange der phänomenologifcben Reduktionen. Natur» und Geifteswiffenfchaften § 57. Die Frage der flusfchaltung des reinen Ich § 58. Die Tranfzendenz Gottes ausgefchaltet § 59. Die Tranfzendenz des Eidetifchen. flusfchaltung der reinen Logik als matbesis universalis § 60. Die flusfchaltung material -eidetifcber Difziplinen § 61. Die metbodologifcbe Bedeutung der Syftematik der phänomeno» logifcben Reduktionen § 62. Erkenntnistheoretifche Vordeutungen. »Dogmatifcbe« und phänomenologifche Einftellung Dritter

108 109 110 111 113 115 118

flbfcftnitt.

ZUR METHODIK UND PROBLEMATIK DER REINEN PHÄNOMENOLOGIE Erftes Kapitel.

Methodifche

Vorerwägungen.

§ 63. Die befondere Bedeutung metbodifcher Erwägungen für die Phänomenologie § 64. Die Selbft - flusfchaltung des Phänomenologen § 65. Die Rüdtbeziebung der Phänomenologie auf fich felbft . . . .

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VI

Husfübrlid>es Inhaltsverzeichnis des erften B a n d e s , Teil I.

§ 66; Getreuer Husdrudt klarer Gegebenheiten. Eindeutige Termini § 67. Methode der Klärung. »Gegebenheitsnähe« und »Gegebenheiten ferne« § 68. Echte und unechte Klarheitsftufen. Das Wefen der normalen Klärung § 69. Die Methode vollkommen klarer Wefenserfaffung . . . . . . § 70. Die Rolle der Wahrnehmung in der Methode der Wefenserklärung. Die Vorzugsftetlung der freien Pbantafie § 7 1 . D a s Problem der Möglichkeit einer defkriptiven Eidetik der Er· lebniffe § 72. Konkrete, abftrakte, »mathematifebe« Wefenswiffenfcbaften . . . § 73. Anwendung auf das Problem der Phänomenologie. Befcbreibung und exakte Beftimmung . § 74. Defkriptive und exakte Wiffenfcbaften § 75. Die Phänomenologie als defkriptive Wefenslebre der reinen Erleb« niffe '

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Zweites Kapitel.

Hllgemeine Strukturen

des r e i n e n

Bewußtfeins.

§ 76. Das T b e m a der folgenden Unterfucbungen § 77. Die Reflexion als Grundeigentümlichkeit der Erlebnisfpbäre. Studien in der Reflexion § 78. Das pbänomenologifebe Studium der Erlebnisreflexionen • . . . § 79. Kritifcber Exkurs. Die Phänomenologie und die Schwierigkeiten der »Selbftbeobacfttung« § 80. Die Beziehung der Erlebniffe a u f das reine Ich § 81. Die pbänomenologifebe Zeit und das Zeitbewußtfein § 82. Fortfet)ung. Der dreifache Erlebnisborizont, zugleich als Horizont der ErlebnisreAexion § 83. Erfaffung des einheitlichen Erlebnisftroms als »Idee» § 84. Die Intentionalität als pbänomenologifebes Haupttbema . . . . § 85. Senfuelle νΐη, intentionale μορφή § 86. Die funktionellen Probleme

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Drittes Kapitel.

Noefis und

Noema.

§ 87. Vorbemerkungen § 88. Reelle und intentionale Erlebniskomponenten. Das Noema . . § 89. Noematifcbe flusfagen und Wirklicbkeitsausfagen. Das Noema in der pfycbologifcben Sphäre § 90. Der »noematifcbe Sinn« und die Unterfcheidung von »immanenten« und »wirklichen Objekten« § 91. Übertragung auf die weitefte Sphäre der Intentionalität . . . § 92. Die attentionalen Wandlungen in noetifeber und noematifeber Hin» Bebt § 93. Übergang zu den noetifcb • noematifeben Strukturen der höheren Bewußtfeinsfpbäre

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Ausführliches Inhaltsverzeichnis dee erften Bandee, Teil I.

VII Seite

§ 94. Noefis und Noema im Urteilegebiete 194 § 95. Die analogen Unterfcheidungen in der Gemüts· und Witlensfpbäre 197 § 96. Uberleitung zu den weiteren Kapiteln, Schlußbemerkungen . . 199 Viertes Kapitel.

Zur P r o b l e m a t i k der noetiicf)-noematifd)en Strukturen. § 97. Die hyletifchen und noetifd>en Momente ale reelle, die noematifchen als nichtreelle Erlebnismomente § 98. Seinsweife des Noema. Formenlehre der Noefen. Formenlehre. der Noemata § 99. Der noematifcbe Kern und feine Charaktere in der Sphäre der Gegenwärtigungen und Vergegenwärtigungen §100. Wefensgefetjlicbe Stufenbildungen der Vorftellungen in Noefis und Noema § 101. Stufencharakteriftiken. Verfchiedenartige »Reflexionen« . . . . § 102. Übergang zu neuen Dimenfionen der Cbarakterifierungen . . . § 103. Glaubenscharaktere und Seinscharaktere § 104. Die doxifchen Modalitäten als Modifikationen § 105. Glaubensmodalität als Glaube, Seinsmodalität als Sein . . . . § 106. Bejahung und Verneinung nebft ihren noematifchen Korrelaten § 107. Iterierte Modifikationen § 108. Die noematifchen Charaktere keine »Reflexions«beftimmtbeiten . § 109. Die Neutralitätsmodifikation §110. Neutralifiertes Bewußtfein und Recbtfprecbung der Vernunft. Das Annehmen §111. Neutralitätsmodifikation und Phantafie §112. Iterierbarkeit der Pbantafiemodifikation, Nichtiterierbarkeit der Neutralitätsmodifikation § 113. Aktuelle und potentielle Set>ungen §114. Weiteres über Potentialität der Thefis und Neutralitätsmodiflka· tion §115. Anwendungen. Der erweiterte Aktbegriff. Aktvollzüge und Akt· regungen § 116. Ubergang zu neuen Analyfen. Die fundierten Noefen und ihre noematifchen Korrelate §117. Die fundierten Tbefen und der Abfchluß der Lehre von der Nett· tralifierungsmodifikation. Der allgemeine Begriff der Thefts . . § 118. Bewußtfeinsfynthefen. Syntaktifche Formen § 119. Umwandlung polythetifcher Akte in monothetifxhe § 120. Potitionatität und Neutralität in der Sphäre der Synthefen . . §121. Die doxifchen Syntaxen in der Gemüts· und Willensfphäre . . § 122. Voltzugsmodi der artikulierten Synthefen. »Thema« § 123. Verworrenheit und Deutlichkeit als Voltzugsmodi fyntbetifdber Akte § 124. Die noetifch>noematifche Schicht dee »Logos«. Bedeuten und Be· deutung

201 205 208 210 211 213 214 215 217 218 219 220 222 223 224 226 228 232 235 238 241 245 247 249 250 253 255 256

VIII

Ausführliches Inhaltsverzeichnis des erften Bandes, Teil I. Seite

§ 125. Die Vollzugsmodalitäten in der logifch» ausdrücklichen Sphäre und die Metbode der Klärung § 126. Vollftändigkeit und Allgemeinheit des Ausdrucks § 127, Ausdruck der Urteile und Ausdruck der Gemütsnoemen . . .

259 261 262

Vierter Abfcbnitt. VERNUNFT UND WIRKLICHKEIT. Erftes Kapitel.

Der n o e m a t i i c b e S i n n und die B e z i e h u n g auf den G e g e n f t a n d . § § § § § §

128. 129. 130. 131. 132. 133.

Einleitung »Inhalt« und »Gegenftand«; der Inhalt als »SinnUmgrenzung des Wefens »noematifcber Sinn« Der »Gegenftand«, das »beftimmbare X im noematifd>en Sinn« . Der Kern als Sinn im Modus feiner Fülle Der noematiicbe Sat). Tbetifcbe und fyntbetifcbe Sätje. Sätje im Gebiete der Vorftellungen § 134. Apopbantifche Formenlehre § 135. Gegenftand und Bewußtfein. Übergang zur Phänomenologie der Vernunft

265 266 269 270 273 274 275 278

Zweites Kapitel.

Phänomenologie

der

Vernunft.

§ 136. Die erfte Grundform des Vernunftbewußtfeins: das originär gebende »Sehen« § 137. Evidenz und Einßcht. »Originäre« und »reine«, affertorifcbe und apodiktifcbe Evidenz § 138. Adäquate und inadäquate Evidenz § 139. Verflechtungen aller Vernunftarten. Theoretifcbe, axiologifebe und praktifefce Wahrheit § 140 Betätigung. Berechtigung obne Evidenz. Äquivalenz der pofi« tionalen und neutralen Einficbt §141. Unmittelbare und mittelbare Vernunftfetjung. Mittelbare Evidenz § 142. Vernunftthefis und Sein § 143. Adäquate Dinggegebenheit als Idee im Kantifcben Sinne . . § 144. Wirklichkeit und originär gebendes Bewußtfein: Abfcbließende Beftimmungen § 145. Kritifcbes zur Phänomenologie der Evidenz

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Drittes Kapitel.

ftllgemeinhei

t s f t u f e n d e r ν e r n u n f t h e o r e ti ί eben Problematik.

§ 146. Die allgemeinlten Probleme § 147. Problemverzweigungen. Die formale Logik, Axiologie und Praktik § 148. Vernunftbeoretifcbe Probleme der formalen Ontotogie . . . .

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Ausführliches Inhaltsverzeichnis des erften Bandes, Teil I.

IX Seite

§ 149. Die vernunftbeoretifchen Probleme der regionalen Ontotogien. Das Problem der pbänomenologifAen Konftitution § 150. Fortfetjung. Die Region Ding als tranlzendentaler Leitfaden . § 151. Schichten der tranCzendentalen Konftitution des Dinges. Ergän* zungen § 152. Übertragung des Problems der tranizendentalen Konftitution auf andere Regionen § 153. Die volle Extenfion des trantzendentalen Problems. Gliederung der Unterfuchungen

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Bibliographische Vorbemerkung Edmund Husserls Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie (Erstes Buch) erschienen zu seinen Lebzeiten in drei deutschen Auflagen und in einer englischen Ausgabe: 1. Auflage 1913 im Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung, Bd. I/i, 1-323, und zugleich als Sonderdruck im Buchhandel bei Max Niemeyer, Halle a. d. S. 2. Auflage 1922 (mit einigen Korrekturen und mit einem Sachregister von Gerda Walther) 3. Auflage 1928 (Nachdruck der 1. Auflage ohne die Korrekturen der 2. Auflage, mit einem Sachregister von Ludwig Landgrebe und mit einem Namenregister) Englische Übersetzung 1931: Ideas: General Introduction to Pure Phenomenology, translated by W. R. Boyce Gibson, George Allen & Unwin Ltd, London; The Macmillan Company, New York. Für die englische Ausgabe hatte Husserl ein „Nachwort zu meinen ,Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie'" geschrieben, das im Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung, Bd. X I , 1930, 549-570, und zugleich als Sonderdruck im Buchhandel bei Max Niemeyer, Halle a. d. S., erschienen ist. Nachdruck innerhalb der Gesammelten Werke - Husserliana, Bd. V, 138-162, Martinus Nijhoff, Den Haag, 1952. Innerhalb der Gesammelten Werke - Husserliana erschienen zwei Ausgaben der Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie Erstes Buch als Band III: 1. Auflage 1950 mit Aufnahme von handschriftlichen Zusätzen Husserls in den Haupttext und von Beilagen in den Anhang. 2. Auflage 1976 mit dem Text der 2. Auflage von 1922 im 1. Halbband und mit handschriftlichen Zusatztexten im 2. Halbband.

Einleitung. Die reine Phänomenologie, zu der wir hier den Weg iueben, deren einzigartige Stellung zu allen anderen Wiffenfcbaften wir Charakterifieren, und die wir als Grundwiffenfchaft der Pbilofopbie nachweifen wollen, ift eine wefentlich neue, vermöge ihrer prinzipiellen Eigentümlichkeit dem natürlichen Denken fernliegende und daher erft in unferen Tagen nach Entwicklung drängende Wittenfchaft. Sie nennt fich eine Wiffenfcbaft von »Phänomenen«. Ruf Phänomene gehen auch andere, längft bekannte Wiffenfcbaften. S o hört man die Pfycbologie als eine Wiffenfcbaft von den pfycbifchen, die Naturwiifenfchaft als eine folebe von den pbyfifcben »Erfcbeinungen« oder Phänomenen bezeichnen; ebenfo ift gelegentlich in der Gefcbicbte die Rede von biftorifeben, in der Kulturwiifenfchaft von Kultur «Phänomenen; und ähnlich für alle Wiffenfcbaften von Realitäten. Wie verfchteden in folcben Reden der Sinn des Wortes Phänomen feih und welche Bedeutungen es irgend noch haben mag, es ift fieber, daß auch die Phänomenologie auf all diefe »Phänomene« und gemäß allen Bedeutungen bezogen ift: aber in einer ganz anderen Einteilung, durch welche fich jeder Sinn von Phänomen, der uns in den altvertrauten Wiffenfcbaften entgegentritt, in beftimmter Weife modifiziert. Nur als fo modifizierter tritt er in die pbänomenologifdbe Sphäre ein. Diefe Modifikationen verftehen, oder, genauer zu fprechen, die pbänomenologifebe Einteilung vollziehen, reflektiv ihre Eigenart und diejenige der natürlichen Einteilungen in das wifienfchaftliche Bewußtfein erbeben - das ift die erfte und keineswegs leichte Hufgabe, der wir vollkommen genugtun müffen, wenn wir den Boden der Phänomenologie gewinnen und uns ihres eigentümlichen Wefens wiffenfchaftlicb verfiebern wollen. ι

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Edmund Hufferl,

Im testen Jahrzehnt ift in der deutfcben Philofophie und Pfychologie iehr viel von Phänomenologie die Rede. |n vermeintlicher Übereinftimmung mit den »Logifchen Unterfuchungen« 1 faßt man die Phänomenologie als eine unterftufe der empirifchen Pfychologie, als eine Sphäre »immanenter« Defkriptionen pfychifcher Erlebniffe, die (ich — ίο verfteht man dieie Immanenz - ftreng im Rahmen innerer E r f a h r u n g halten. Meine Einfprache gegen dieie Auffaffung* hat, wie es fcheirvt, wenig genügt, und die beigegebenen Ausführungen, die mindeftens einige Hauptpunkte des Unterfchiedes fcharf umfdbreiben, find nicht verftanden oder achtlos beifeitegelchoben worden. Daher auch die völlig nichtigen, weil den ichlichten S i n n meiner Darfteilung verfehlenden Erwiderungen gegen meine Kritik der pfychologifchen Methode - eine Kritik, die den Wert der modernen Pfychologie durchaus nicht leugnete, die von bedeutenden Männern geleiftete experimentelle Arbeit durchaus nicht herab fetjte, fondern gewiffe, im wörtlichen Sinne radikale Mängel der Methode bloßlegte, von deren Befeitigung m. E. eine Erhebung der Pfychologie auf eine höhere Wiffenfchaftsftufe und eine außerordentliche Erweiterung ihres Arbeitsfeldes abhängen muß. Es wird (ich noch Gelegenheit finden, mit einigen Worten auf die unnötigen Verteidigungen der Pfychologie gegen meine angeblichen »Angriffe« einzugehen. Hier berühre id> diefen Streit, um angefichts der herrfchenden und hödbft folgenreichen Mißdeutungen von vornherein icharf zu betonen, d a ß d i e r e i n e P h ä n o m e n o l o g i e , zu der wir uns im folgenden den Zugang bahnen wollen — diefelbe, die in den »Logifchen Unteriuchungen« zu einem erften Durchbruch kam, und deren Sinn fleh mir in der Fortarbeit des legten Jahrzehnts immer tiefer und reicher erichloß n i c h t P f y c h o l o g i e i f t , und daß nicht zufällige Gebietsabgren« zungen und Terminologien, fondern p r i n z i p i e l l e Gründe es ausichließen, daß fie der Pfychologie zugerechnet werde. So groß die methodifche Bedeutung ift, welche die Phänomenologie für die Pfychologie beanfpruchen muß, wie wefentliche »Fundamente« fle ihr auch beifteltt, fie ift (fchon als Ideenwiffenfcbaft) fo wenig felbft Pfychologie, wie die Geometrie Naturwiüenfchaft ift. Ja der Unterfchied ftellt öd) 1) E. Hufferl, »Logifcfte Unterfuchungen«, 2 Bde., 1900 und 1901. 2) Im Artikel » P b i l o f o p b i e a l s i t t e n g e Wiffenfcbaft«, »Logos«, Dd. 1, S. 316-18 (man beachte befonders die Ausführung über den Begriff der Erfahrung S. 316). Vgl. die ausführliche Erörterung, die dem Verhältnis zwifeben Phänomenologie und defkriptiver Pfychologie fefton in meinem »Be» r i d n ü b e r deutfd>e S A r i f t e n zur L o g i k in den Jahren 1895-99«, »flrdriv f. fyftem. Pbilofopbie«, Bd. X (1903), S. 397 - 400, gewidmet ift. Icf» könnte beute kein Wort andere fagen.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. phänomenot. Philofopbie.

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als ein noch radikalerer heraus als in diefem Verglelchsfalle. Daran wird nichts geändert durch die Tatfache, daß die Phänomenologie es mit dem »Bewußtfein«, mit allen Erlebnisarten, Akten, Hktkorrelaten zu tun hat. Das einzufehen erfordert bei den herrfchenden Denkgewohnheiten allerdings nicht geringe Mühe. Die gefamten bisherigen Denkgewohnheiten ausfchalten, die Geiftesfchranken erkennen und niederreißen, mit denen fie den Horizont unferes Denkens umftellen, und nun in voller Denkfreiheit die echten, die völlig neu zu ftellenden pfrilofophifchen Probleme erfaffen, die erft der allfeitig entfchränkte Horizont uns zugänglich macht - das find harte Zumutungen. Nichts Geringeres ift aber erfordert. In der Tat, das macht die Zueignung des Wefens der Phänomenologie, das Verftändnis des eigentümlichen Sinnes ihrer Problematik und ihres Verhältniffes zu allen anderen Wiffenichaften (und insbefondere zur Piychologie) fo außerordentlich fchwierig, daß zu alledem eine neue, gegenüber den natürlichen Erfahrungs- und Denkeinftellungen völlig g e ä n d e r t e W e i f e d e r E i n f t e l l u n g nötig ift. In ihr, ohne jeden Rückfall in die alten Einftellungen, fich frei bewegen, das vor Rügen Stehende fehen, unterfcheiden, befchreiben zu lernen, erfordert zudem eigene und mühfelige Studien. Es wird die vornehmfte Hufgabe diefes e r i t e η Buches fein, Wege zu fuchen, auf welchen die übergroßen Schwierigkeiten des Eindringens in diefe neue Welt fozufagen ftückweife überwunden werden können. Wir werden vom natürlichen Standpunkt ausgehen, von der Welt, wie fie uns gegenüberfteht, von dem Bewußtfein, wie es Geh in der pfychologifdben Erfahrung darbietet, und die ihm wefentlichen Vorausfetjungen bloßlegen. Wir werden dann eine Methode »phänomenologifcher Reduktionen« ausbilden, der gemäß wir die zum Wefen aller natürlichen Forfchungsweile gehörigen Erkenntnisfchranken befeitigen, die einfeitige Blickrichtung, die ihr eigen ift, zur Ablenkung bringen können, bis wir fchließlich den freien Horizont der »tranfzendental« gereinigten Phänomene gewonnen haben und damit das Feld der Phänomenologie in unterem eigentümlichen Sinne. Ziehen wir die vordeutenden Linien noch ein wenig beftimmter, und knüpfen wir, wie es die Vorurteile der Zeit, aber auch innere Gemeinfchaften der Sache fordern, an die Pfychologie an. Die P f y c h o l o g i e ift eine Erfahrungswiffenfchaft. Darin liegt, bei der üblichen Bedeutung des Wortes Erfahrung, ein Doppeltes: 1. Sie ift eine Wiffenfchaft von T a t f a c h e n , von matters of fact im Sinne D. Humes. 2. Sie ift eine Wiffenfchaft von R e a l i t ä t e n . Die »Phänomene«, die fie als pfychologifche »Phänomenologie« behandelt, find reale l*

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Edmund Hufferl,

Vorkommnliie, die als folche, wenn fie wirkliebes Dafein haben, mit den realen Subjekten, denen fie zugehören, der einen räumlich-zeitlichen Welt als der omnitudo realitatis fleh einordnen. Demgegenüber wird die r e i n e o d e r t r a n f z e n d e n t a l c P h ä n o m e n o l o g i e n i c h t a l s T a t i a c b e n w i i f e n f c h a f t , fond e r n a l s W e f e n s w i f f e n f c b a f t (als » e i d e t i f c h e « Wiffenfchaft) b e g r ü n d e t w e r d e n ; als eine Wiffenfchaft, die ausfcbließ» lieh »Wefenserkenntniffe« feftftellen will und d u r c h a u s k e i n e » T a t i a c h e n « . Die zugehörige Reduktion, die vom pfychologifchen Phänomen zum reinen »Wefen«, bzw. im urteilenden Denken von der tatfächlichen (;>empiriicben«) Allgemeinheit zur »Wefens« allgemein= heit überführt, ift die e i d e t i f c h e R e d u k t i o n . F ü r s Z w e i t e w e r d e n die P h ä n o m e n e der t r a η s = fzendentalen Phänomenologie charakterifiert werd e n a l s i r r e a l , findere Reduktionen, die fpezififcb tranfzendentalen, »reinigen« die pfychologifchen Phänomene von dem, was ihnen Realität und damit Einordnung in die reale »Welt« verleibt. Nicht eine Wefenslehre realer, fondern tranfzendental reduzierter Phänomene foil unfere Phänomenologie fein. Was all das des näheren befagt, wird erft im folgenden deutlich werden. Vorläufig bezeichnet es einen fchematifchen Rahmen der einrührenden Reibe von Unterfuchungen. Nur eine Bemerkung halte ich für nötig hier beizufügen: Es wird dem Lefer auffallen, daß oben, in den beiden markierten Punkten, an Stelle der allgemein üblichen einzigen Sonderung der Wiffenfchaften in Realwiffenfchaften und Idealwiffenfcfraften (oder in empirifche und apriorifebe) vielmehr zwei Sonderungen benutjt erfebeinen, entfprechend den zwei Gegenfatjpaaren: Tatfache und Wefen, Reales und Nicht-Reales. Die Unterfdbeidung diefes doppelten Gegenfatjes an Stelle desjenigen zwifeben real und ideal wird im fpäteren Laufe unterer Unterfuchungen (und zwar im zweiten Buche) eine eingehende Rechtfertigung finden. Es wird fieb zeigen, daß der Begriff der Realität einer fundamentalen Begrenzung bedarf, vermöge deren zwifeben realem Sein und individuellem (zeitlichem Sein fchlecbtbin) ein Unterfchied ftatuiert werden muß. Der Übergang zum reinen Wefen liefert auf der einen Seite Wefenserkenntnis von Realem, auf der anderen, binfiebtlieh der übrigbleibenden Sphäre, Wefenserkenntnis von Irrealem. E s wird fich weiter zeigen, daß alle tranfzendental gereinigten »Er· lebniffe« Irrealitäten find, gefegt außer aller Einordnung in die »wirkliche Welt«. Eben diefe Irrealitäten erforfebt die Phänomenologie, aber nicht als finguläre Einzelheiten, fondern im »Wefen«. Inwie·

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofopbie.

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fern jedoch tranfzendentale Phänomene als finguläre F a k t a einer Forfchung zugänglich find, und wetche Beziehung eine folche T a t · fachenforfchung zur Idee der Metaphyfik haben mag, das wird erft in der abfchließenden Reibe von Unterfuchungen feine Erwägung finden können. In dem e r f t e η Buche werden wir aber nicht nur die allgemeine Lehre von den phänomenologifchen Reduktionen behandeln, die uns das tranfzendental gereinigte Bewußtfein und feine Wefenskorrelate fichtlich und zugänglich machen; wir wollen auch verfucben, beftjmmte Vorftellungen von der allgemeinften Struktur diefes reinen Bewußtfeins zu gewinnen und, dadurch vermittelt, von den allgemeinften Problemgruppen, Unterfucbungsrichtungen und Methoden, die der neuen Wiffenfchaft zugehören. Im z w e i t e n Buche behandeln wir dann eingehend einige be· fonders bedeutfame Problemgruppen, deren fyftematifdie Formulierung und typifche Löfung die Vorbedingung ift, um die fchwierigen Verhältniffe der Phänomenologie zu den phyfifchen Naturwiffenfchaften, zur Pfychologie und den Geifteswiffenfchaften, andererfeits aber auch zu den fämtlicben apriorifchen Wiffenfchaften zu wirklicher Klarheit bringen zu können. Die hierbei entworfenen phänomenologifchen Skizzen bieten zugleich willkommene Mittel, um das in dem e r ί t e η Buche gewonnene Verftändnis der Phänomenologie erheblich zu vertiefen und eine ungleich inhaltreichere Kenntnis von ihren gewaltigen Problemkreifen zu gewinnen. Ein d r i t t e s und abfchließendes Bud) ift der Idee der Pbilofopbie gewidmet. Es wird die Einficht erweckt werden, daß echte Pbilofopbie, deren Idee es ift, die Idee abfoluter Erkenntnis zu verwirklichen, in der reinen Phänomenologie wurzelt, und dies in fo ernl'tem Sinne, daß die fyftematifch ftrenge Begründung und Piusführung diefer erften aller Philofophien die unabläßliche Vorbedingung ift für jede Metaphyfik Und fonftige Pbilofopbie - »die als W i f f e n f c h a f t wird auftreten können«. Da die Phänomenologie hier als eine Wefenswiffenfchaft - als eine »apriorifche« oder, wie wir auch fagen, eidetifche Wiffenfchaft begründet werden foil, ift es nütjlid», allen der Phänomenologie felbft zu widmenden Bemühungen eine Reibe fundamentaler Er= örterungen über Wefen und Wefenswiffenfchaft und eine Verteidigung des urfprünglicben Eigenrecbtes der Wefenserkenntnis gegenüber dem Naturalismus vorausgeben zu laffen. — Wir befchließen diefe einleitenden Worte mit einer kleinen terminologifcben Erörterung. Wie fchon in den »Logifchen Unter-

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Edmund Hufferl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie ufw.

fudmngen« vermeide ich na Möglichkeit die Ausdrücke a p r i o r i und a p o s t e r i o r i , und zwar um der verwirrenden Unklarheiten und Vieldeutigkeiten willen, die ihnen im allgemeinen Gebrauch anhaften, fowie auch wegen der anrüchigen philofophifchen Lehren, die mit ihnen, als böfes Erbe der Vergangenheit, verflochten ßnd. Nur in Zufammenhängen, die ihnen Eindeutigkeit verleihen, und nur als Äquivalent anderer, ihnen beigegebener Termini, denen wir klare und einünnige Bedeutungen verliehen haben, Collen iie benutjt werden, zumal wo es gilt, hiftorifche Parallelen anklingen zu laffen. Vielleicht nid>t ganz fo fchlimm hinfichtlich beirrender Vieldeutigkeiten fteht es mit den Ausdrücken I d e e und I d e a l , aber im ganzen doch fchlimm genug, wie mir die häufigen Mißdeutungen meiner »Logifchen Unterfuchungen« empfindlich genug gemacht haben. Zu einer Änderung der Terminologie beftimmt mich auch das Bedürfnis, den höchft wichtigen K a n t i f c h e n B e g r i f f d e r I d e e von dem allgemeinen Begriffe des (formalen oder materialen) WefenS reinlich gefchieden zu erhalten. Ich benutje daher als Fremdwort das terminologifch unverbrauchte Ei dos, als deutfches Wort das mit ungefährlichen, gelegentlich allerdings ärgerlichen ftquivokationen behaftete »Wefen«. Hm liebften hätte ich auch das arg belaftete Wort R e a l ausgefchieden, wenn fleh mir nur ein paffender Erfat) dargeboten hätte. Allgemein bemerke ich noch: Da es nicht angeht, Kunftausdrücke zu wählen, die aus dem Rahmen der hiftorifchen philofophifchen Sprache ganz herausfallen, und vor allem, da philofophifche Grundbegriffe nicht definitorifch zu fixieren find durch fefte, auf Grund unmittelbar zugänglicher Anfdbauungen jederzeit zu identifizierende Begriffe; da vielmehr ihren endgültigen Klärungen und Beftimmungen im allgemeinen lange Unterfuchungen vorangehen müffen: fo find öfters kombinierte Redeweifen unerläßlich, die m e h r e r e in ungefähr gleichem Sinne gebräuchliche Ausdrücke der allgemeinen Rede, unter terminologifcher Auszeichnung einzelner, zufammenordnen. In der Philofophie kann man nicht definieren wie in der Mathematik; jede Nachahmung des mathematifchen Verfahrens ift in diefer Hinücht nicht nur unfruchtbar, fondern verkehrt und von fchädlichften Folgen. Im übrigen follen die obigen terminologifchen Ausdrücke in den ausführenden Überlegungen durch beftimmte, in fich evidente Aufweifungen ihren feften Sinn erhalten, während auf umftändliche kritifche Vergleichungen mit der philofophifchen Tradition in diefer Hinficht wie überhaupt - fchon wegen des Umfanges diefer Arbeit verzichtet werden muß.

Evftes Buch. ALLGEMEINE EINFÜHRUNG IN DIE REINE PHÄNOMENOLOGIE. Erfter flbfAnitt. WESEN UND WESENSERKENNTNIS. Erltes Kapitel

Tatfache und Weien. § 1. N a t ü r l i c h e E r k e n n t n i s u n d

Erfahrung.

Natürliche Erkenntnis hebt an mit der Erfahrung und verbleibt in der Erfahrung. In der theoretifchen Einftetlung, die wir die » n a t ü r l i c h e « nennen, ift aUo der Geiamthorizont möglicher For· fchungen mit e i n e m Worte bezeichnet: es 1ft die W e11. Die Wiffen· fchaften diefer urfprünglichen 1 Einteilung find demnach insgefamt Wiffenfcbaften von der Welt, und folange fie die ausfcbließlicb herrfcberide ift, decken fich die Begriffe »wahrhaftes Sein«, »wirkliches Sein«, d. i. reales Sein, und - da alles Reale fich zur Einheit der Welt zufammenfchließt - »Sein in der Welt«. Jeder Wiffenfchaft entfpricbt ein Gegenftandsgebiet als Domäne ihrer Forfchungen, und allen ihren Erkenntniffen, d. b. hier richtigen flusfagen, entfprechen als Urquellen der rechtausweifenden Begrün« dung gewiffe Hnfchauüngen, in denen Gegenftände des Gebietes zur Selbftgegebenheit und mindeftens partiell zu o r i g i n ä r e r G e g e b e n h e i t kommen. Die g e b e n d e Hnfcbauung der erften, »natürlid)en« Erkenntnisfphäre und aller ihrer Wiffenfcbaften ift die natürliche Erfahrung, und die o r i g i n ä r gebende Erfahrung ift die W a h r n e h m u n g , das Wort in dem gewöhnlichen Sinne vet· 1) Es werden biet keine Gefchicbten erzählt. Weder an pfychologtfcb· kaufate, noch an entwidrünglicbkeit gedacht werden. Welcher fonftige Sinn gemeint ift, das wird erft fpäter zu reflektiver und wiffenfchaftlicher Klarheit kommen. Von vornherein fühlt aber jeder, daß das Früberfein der empirifcb* konkreten Tatfacbenerkenntnis vor jeder anderen, ζ. B. jeder matbematifch·idealen Er· kenntnis keinen objektiven zeitlichen Sinn haben müffe.

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Edmund Hufferl,

ftanden. Ein Reales originär gegeben haben, es fcblicht anfcbauend »gewahren« und »wahrnehmen« ift einerlei. Originäre Erfahrung haben wir von den phyfifchen Dingen in der »äußeren Wahrnehmung«, aber nicht mehr in der Erinnerung oder vorblickenden Er= Wartung; originäre Erfahrung haben wir von uns felbft und unferen Bewußtfeinszuftänden in der fog. inneren oder Selbftwahrnehmung, nicht aber von Finderen und von deren Erlebniiien in der »Einfühlung«. Wir »fehen den anderen ihre Erlebniffe an« auf Grund der Wahrnehmung ihrer leiblichen Äußerungen. Diefes flnfehen der Einfühlung ift zwar ein anfcbauender, gebender, jedoch nicht mehr o r i g i n ä r gebender Akt. Der andere und fein Seelenleben ift zwar bewußt als »felbft da« und in eins mit feinem Leibe da, aber nicht wie diefer bewußt als originär gegeben. Die Welt ift der Gefamtinbegriff von Gegenftänden möglicher Erfahrung und Evfahtungserkenntnis, von Gegenftänden, die auf Grund aktueller Erfahrungen in richtigem theoretifcben Denken erkennbar find. Wie erfahrungswiiienfchaftliche Methode des näheren ausfieht, wie fie ihr Recht begründet über den engen Rahmen direkter Erfahrungsgegebenheit hinauszugehen, das zu erörtern ift hier nicht der Ort. Wiffenfchaften von der Welt, alfo Wiffenfchaften der natürlichen Einftellung find alle im engeren und weiteren Sinne fog. N a t u r w i f f e n f c h a f t e n , die Wiffenfchaften von der m a t e r i e l l e n Natur, aber auch diejenigen von den animalifchen Wefen mit ihrer p f y c h o p b y f i f c b e n N a t u r , alfo auch Phyiiologie, Pfychologie ufw. Ebenfo gehören hierher alle fog. G e i f t e s w i f f e n * f c h a f t e n , die Gefchichte, die Kulturwiffenfchaften, die foziologifchen Difziplinen jeder Art, wobei wir es vorläufig offen laffen können, ob fie den Naturwiffenichaften gleichzuftellen oder ihnen gegenüberzuftellen find, ob fie felbft als Naturwiffenichaften oder als Wiffenfchaften eines wefentlich neuen Typus zu gelten haben. §2. T a t f a c b e . U n t r e n n b a r k e i t v o n T a t f a c h e u n d Wefen. Erfahrungswiffenfchaften find » T a t f a c b e η « w i f f e n f c h a f t e n . Die fundierenden Erkenntnisakte des Erfahrene fetjen Reales i n d i v i d u e l l , fie fetjen es als räumlich-zeitlich Dafeiendes, als etwas, das an d i e f e r Zeitfteile ift, diefe feine Dauer hat und einen Realitätsgehalt, der feinem Wefen nach ebenfogut an jeder anderen Zeitftelle hätte fein können; wiederum als etwas, das an diefem Orte in diefer phyfifchen Geftalt ift (bzw. mit Leiblichem diefer Geftalt in eins gegeben ift), wo doch dasfelbe Reale, feinem eigenen Wefen nach betrachtet, an jedem beliebigen Ort, mit jeder belie-

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofopbie.

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bigen Geftalt ebenfogut (ein könnte, desgleichen ficb ändern könnte, während es faktifch ungeändert ift, oder iich in anderer Weife ändern könnte, als wie es (ich faktifch verändert. Individuelles Sein jeder Art ift, ganz allgemein gefprochen, » z u f ä l l i g « . Es ist fo, es könnte feinem Wefen nach anders fein. Mögen auch beftimmte Naturgefetje gelten, vermöge deren, wenn die und die realen Um· ftände faktifch find, die und die beftimmten Folgen faktifch fein müffen: folche Gefetje drücken doch nur faktifche Regelungen aus, die felbft ganz anders lauten könnten und die fcbon vorausfetjen, als zum W e f e n von Gegenftänden möglicher Erfahrung von vornherein gehörig, daß dergleichen von ihnen geregelte Gegenftände an fich felbft betrachtet zufällig find. Aber der Sinn diefer Zufälligkeit, die da Tatfächlichkeit beißt, begrenzt fich darin, daß fie korrelativ bezogen ift auf eine N o t w e n d i g k e i t , die nicht den bloßen faktifchen Beftand einer geltenden Regel der Zufammenordnung räumlich »zeitlicher Tatfacben betagt, fondern den Charakter der W e f e n s - N o t w e n d i g k e i t und damit Beziehung auf W e f e n s - H l l g e m e i n h e i t bat. Sagten wir: jede Tatfache könnte »ihrem eigenen Wefen nach« anders fein, fo drückten wir damit fcbon aus, d a ß e s z u m S i n n j e d e s Z u f ä l l i g e n g e h ö r t , e b e n ein W e f e n , u n d f o m i t ein r e i n z u f a f f e n d e s Ei d o s z u h a b e n , und diefes fteht nun unter Wefens =Wabrheiten verfcbiedener Hllgemeinheitsf t u f e . Ein individueller Gegenftand ift nicht bloß überhaupt ein individueller, ein Dies da!, ein einmaliger, er hat als » i n fich f e I b ft« fo und fo befchaffener feine E i g e n a r t , feinen Beftand an w e f e n t l i c h e n Prädikabilien, die ihm zukommen müffen (als »Seiendem, wie et in fich felbft ift«), damit ihm andere, fekundäre, relative Beftimmungen zukommen können. So hat ζ. B. jeder Ton an und für fich ein Wefen und zu oberft das allgemeine Wefen Ton überhaupt oder vielmehr fikuftifches überhaupt - rein verftan* den als das aus dem individuellen Ton (einzeln, oder durch Vergleichung mit anderen als »Gemeinfames«) berauszufcbauende Moment. Ebenfo bat jedes materielle Ding feine eigene Wefensartung und zu oberft die allgemeine Hrtung »materielles Ding überhaupt«, mit Zeitbeftimmung - überhaupt, Dauer-, Figur=, Materialität-überhaupt. R l l e s z u m W e f e n d e s I n d i v i d u u m G e h ö r i g e k a n n a u c h e i n a n d e r e s I n d i v i d u u m h a b e n , und o b e r f t e Wefensallgemeinbeiten der Fürt, wie wir fie eben an den Beifpielen angedeutet haben, umgrenzen - R e g i o n e n « oder » K a t e g o r i e n « von Individuen.

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Edmund Huflerl,

§ 3. W e t e n f erfch a u u n g u n d i n d i v i d u e l l e flnfchauung. Z u n ä c b i t bezeichnete »Wefen« das im felbfteigenen Sein eines Individuum als fein W a s Vorfindlithe. Jedes folches Was kann aber . i n I d e e g c f c t j t « werden. E r f a h r e n d e oder i n d i v i d u e l l e A n f c h a u u n g kann in W e f e n s f c h a u u n g ( I d e a t i o n ) umgewandelt werden — eine Möglichkeit, die felbft nicht als empirifche, fondern als Wefensmöglichkeit zu verfteben ift. Das Erichaute ift dann das entfprecbende r e i n e Wefen oder Eidos, fei es die oberfte Kategorie, fei es eine Befonderung derfelben, bis herab zur vollen Konkretion. Diefe das Wefen g e b e n d e , ev. o r i g i n ä r g e b e n d e Er· fchauung kann eine a d ä q u a t e fein, wie wir fie uns z.B. vom Wefen Ton leicht verfcbaffen können; fie kann aber auch eine mehr oder minder unvollkommene, » i n a d ä q u a t e « fein, und das nicht nur in Hinficht auf größere oder geringere K l a r h e i t und D e u t l i ch k e i t. Es gehört zur eigenen Artung gewiffer Wefenskategorien, daß ihnen zugehörige Wefen nur » e i n f e i t i g « , im Nacheinander »mehrfeitig« und doch nie «allfeitig« gegeben fein k ö n n e n ; kor· relativ können alfo die ihnen entfprechenden individuellen Vereinzelungen nur in inadäquaten »einfeitigen«, empirifchen Anfchauungen erfahren und vorftellig werden. Das gilt für jedes auf D i n g « l i ch e s bezogene Wefen, und zwar nach allen Wefenskomponenten der Extenfion, bzw. Materialität; ja es gilt, näher befehen (die fpäter folgenden Analyfen werden es evident machen), für a l l e R e a l i t ä t e n überhaupt, wobei freilich die vagen Ausdrücke Einfeitigkeit und Mehrfeitigkeit beftimmte Bedeutungen annehmen und verfchiedene Arten der Inadäquatheit fleh trennen werden. Vorläufig genügt der Hinweis darauf, daß fchon die Raumgeftalt des phyfifchen Dinges prinzipiell nur in bloßen einfeitigen Abfchattungen zu geben ift; daß auch, abgefehen von diefer im beliebigen Fortgang kontinuierlicher Hnfchauungen immerfort und trotj allen Gewinnes verbleibenden Inadäquatheit, jede phyfifche Eigenfchaft uns in Unendlichkeiten der Erfahrung hineinzieht, daß jede noch fo weitgefpannte Erfahrungsmannigfaltigkeit noch nähere und neue Dingbeftimmungen offen läßt; und fo in infinitum. Welcher Art immer die individuelle Anfcbauung ift, ob adäquat oder nicht, fie kann die Wendung in Wefensfchauung nehmen, und letjtere hat, mag fie nun in entfpcechender Weife adäquat fein oder nicht, den Charakter eines g e b e n d e n Aktes. Darin liegt aber: D a s W e f e n (Eidos) ift e i n n e u a r t i g e r G e g e n f t a n d . So w i e d a s G e g e b e n e d e r i n d i v i d u e l l e n o d e r e r f a h -

Ideen zu einet reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofopbie.

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t e n d e n Hnfchauung ein i n d i v i d u e l l e r Gegenftand i f t , fo d a s G e g e b e n e d e r W e i e n s a n i c b a u u n g ein r e i n e s Wefen. Hier liegt nicht eine bloß äußerliche Analogie vor, fondern radikale Gemeinfamkeit. Ruch W e l e n s e r i c b a u u n g i i t e b e n flnfchauung, wie eidetifcher Gegenftand eben Gegenftand ift. Die Verallgemeinerung der korrelativ zufammengebörigen Begriffe »Hnfchauung« und »Gegenftand« ift nicht ein beliebiger Einfalt, fondern durch die Natur der Sachen zwingend gefordert. 1 Empirifche flnfchauung, fpeziell Erfahrung, ift Bewußtfein von einem individuellen Gegenftand, und als anfchauendes »bringt fie ihn zur Gegebenheit«, als Wahrnehmung zu originärer Gegebenheit, zum Bewußtfein, den Gegenftand »originär«, in feiner » l e i b h a f t i g e n « Selbftheit zu erfaffen. Ganz ebenfo ift die Wefensanfchauung Bewußtfein von etwas, einem »Gegenftand«, einem Etwas, worauf ihr Blick fid> richtet, und was in ihr »felbft gegeben« ift; was dann aber auch in anderen Akten »vorgeftellt«, vage oder deutlich gedacht, zum Subjekt von wahren und falfchen Prädikationen gemacht werden kann - wie eben jeder » G e g e n f t a n d « i n d e m n o t w e n d i g w e i t e n S i n n e d e r f o r m a l e n L o g i k , Jeder mögliche Gegenftand, logifch gefprochen: » j e d e s S u b j e k t m ö g l i c h e r w a h r e r P r ä d i k a t i o n e n « hat eben f e i n e Weifen, vor allem prädikativen Denken, in einen vorftellenden, anfchauenden, ihn ev. in feinet »leibhaftigen Selbftheit« treffenden, ihn »erfaffenden« Blick zu treten. Wefenserfchauung i f t alfo Hnfchauung, und ift fie Erfchauung im prägnanten Sinn und nicht eine bloße und vielleicht vage Vergegenwärtigung, fo ift fie eine o r i g i n ä r gebende Hnfchauung, das Wefen in feiner »leibhaften« Selbftheit erfaffend.2 Hndererfeits ift fie aber eine Hnfchauung von prinzipiell e i g e n e r und n e u e r Η r t , näm1) Wie fcftwer es In unterer Zeit den pfycbologifchen Forfchern ift, fid> diefe einfache und ganz fundamentale Einficht zuzueignen, zeigt exemplarifd) die befremdliche Polemik 0 . Külpes gegen meine Lehre von der kategorialen Hnfchauung in dem mir eben zukommenden Werke «Die Realifierung« I (1912), S. 127. Ich bedauere es, von dem ausgezeichneten Gelehrten mißverftanden zu fein. Eine kritifcbe Antwort wird aber unmöglich, wo das Mißverftändnis ein fo vollkommenes ift, daß vom S i n n e der eigenen Feftftellungen nichts mehr übrig bleibt. 2) In den »Log. Unt.« pflegte ich das Wort Ideation für die originär« gebende Wefenserfchauung zu gebrauchen und zumeift fogar für adäquate. Dod> bedarf es offenbar eines freieren Begriffs, der jedes fchlicht und direkt auf ein Wefen gerichtete und es faffende, fetjende Bewußtfein umfpannt, dar· unter auch jedes »dunkle«, alfo nicht mehr anfchauende.

Edmund Hufferl,

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lieb gegenüber den flnfehauungsarten, die den Gegenftändlicbkeiten anderer Kategorien korrelativ zugehören und fpeziell gegenüber der flnfehauung im gewöhnlichen engeren Sinne, d. i. der individuellen Hnfchauung. Gewiß Hegt es in der Eigenart der Wefensanfchauung, daß ein Hauptftück individueller Hnfchauung, nämlich ein Ericheinen, ein Sichtigfein von Individuellem ihr zugrunde liegt, obfehon freilich keine Erfaiiung desfelben und keinerlei Setjung als Wirklichkeit; gewiß ift, daß infolge davon keine Wefensanfchauung möglich ift ohne die freie Möglichkeit der Blickwendung auf ein »entfprechendes« Individuelle und der Bildung eines exemplarifchen Bewußtfeins — wie auch umgekehrt keine individuelle flnfebauung möglich ift ohne die freie Möglichkeit des Vollzugs einer Ideation und in ihr der Blickrichtung auf die entfprechenden, iich im individuell Sichtigen exemptifizirenden Wefen; aber das ändert nichts daran, daß b e i d e r l e i Η η f ch a u u η g s a r t e n p r i n z i p i e l l u n t e r f c h i e d e n find, und in Sätjen, derart wie wir fie foeben ausgefprochen haben, bekunden fich nur ihre Wefensbeziehungen. Den Wefensunterfchieden der flnfebauungen korrefpondieren die Wefensbeziehungen zwifchen »Exiftenz« (hier offenbar im Sinne von individuell Dafeiendem) und »Effenz«, zwifchen T a t f a c h e und E i d o s . Solchen Zufammenhängen nachgehend, erfaffen wir e i η f i ch t i g die diefen Terminis zugehörigen und von nun an feft zugeordneten begrifflichen Wefen, und damit bleiben a l l e , fich zumal an die Begriffe Eidos (Idee), Wefen anheftenden, ζ. T. m y ft if che η G e danken reinlich ausgefchieden.1 §4

Wefenserfcbauung und Phantafie. unabhängig

von

aller

Wefenserkenntnis

Tatfacbenerkenntnis.

Das Eidos, das r e i n e W e f e n , kann fich intuitiv in Erfahrungsgegebenbeiten, in folchen der Wahrnehmung, Erinnerung ufw. exemplifizieren, ebenfogut aber auch i n b l o ß e n P h a n t a f i e « gegebenbeiten. Demgemäß können wir, ein Wefen felbft und o r i g i n ä r zu erfaffen, von entfprechenden erfahrenden Hnfchauungen ausgehen, e b e n f o w o h l a b e r auch v o n n i c h t - e r f a h renden, nicht-dafeinerfaffenden, vielmehr »bloß einbildenden« finfehauungen. Erzeugen wir in der freien Phantafie irgendwelche Raumgeftal· tungen, Melodien, foziale Vorgänge u. dgl., oder fingieren wir Akte 1) Vgl. meinen Artikel im »Logos« I, S. 315.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofopbie.

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des Erfahrens, des Gefallens oder Mißfallens, des Wollens u. dgl., ίο können wir daran durch »Ideation« mannigfache reine Weien originär erichauen und ev. fogar adäquat: fei es die Weien von räumlicher öeftalt, von Melodie, fozialem Vorgang ufw. ü b e r h a u p t , iei es von Geftalt, Melodie ufw. des betreffenden befonderen T y p u s . Es ift dabei gleichgültig, ob Derartiges je in aktueller Erfahrung gegeben war oder nicht. Würde die freie Fiktion, durch welche piychologifche Wunder auch immer, zur Einbildung von prinzipiell neuartigen, ζ. B . finnlichen Daten führen, die in keiner Erfahrung je vorkamen, noch je vorkommen werden, fo würde das an der originären Gegebenheit der entfprechenden Weien nichts ändern: obfchon eingebildete Data nie und nimmer wirkliche Data find. Damit hängt wefentlich zufammen, S e t j u n g und zunächft anfchauende Erfaffung v o n W e f e n i m p l i z i e r t n i c h t das mindefte von Setjung i r g e n d e i n e s individuellen Dafeins; reine Wefens Wahrheiten enthalten nicht d i e m i n d e f t e B e h a u p t u n g ü b e r T a t f a c h e n , alfo ift auch aus ihnen a l l e i n nicht die geringfügigfte Tatfachenwahrheit zu erfchließen. So wie jedes Tatfacben denken, -ausfagen zu feiner Begründung der Erfahrung bedarf (fofern das W e f e n d e r T r i f t i g k e i t folchen Denkens fie n o t w e n d i g fordert), fo bedarf das Denken über reine Wefen — das ungemifchte, nicht Tatfachen und Wefen verknüpfende - als b e g r ü n d e n d e Unterlagen der Wefenserfchauung. § 5. U r t e i l e ü b e r W e f e n u n d U r t e i l e v o n e i d e t i f c b e r flltgemeingültigkeit.

Dod) nun ift folgendes zu beachten. Urteilen ü b e r Wefen und Wefensverhalte und eidetifches Urteilen überhaupt ift, bei der Weite, die wir dem letjten Begriff geben müffen, nicht dasfelbe; e i d e t i f c h e E r k e n n t n i s h a t n i c h t in a l l e n i h r e n S ä t j e n W e f e n z u » G e g e n f t ä n d e n - w o r ü b e r « ; und was damit nahe zufammenhängt: Wefensanfchauung - genommen wie bisher - als ein der Erfahrung, der Dafeinserfaffung analoges Bewußtfein, in welchem ein Wefen g e g e n f t ä n d l i c h erfaßt wird, fo wie in der Erfahrung ein Individuelles, ift nicht das einzige Bewußtfein, das unter flusfcbluß jeder D a f e i n s fetyung Wefen in fich birgt. Wefen können intuitiv bewußt, in gewiffer Weife auch erfaßt fein, ohne daß fie doch zu »Gegenftänden-worüber« werden. Gehen wir von den Urteilen aus. Genauer gefprochen handelt es fich um den Unterfchied zwifchen Urteilen ü b e r Wefen und

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Edmund Huffed,

Urteilen, die in unbeftimmt allgemeiner Weife und unvermifcht mit Setjungen von Individuellem, doch ü b e r I n d i v i d u e l l e s , a b e r r e i n a l s E i n z e l h e i t d e r W e f e n im Modus des Ü b e r h a u p t urteilen. So urteilen w i r in der reinen Geometrie in der Regel nicht über das Eidos Gerade, Winkel, Dreieck, Kegelfchnitt u. dgt., fondern über Gerade und Winkel überhaupt oder »als folche«, über individuelle Dreiecke überhaupt, Kegelfcbnittc überhaupt. Solche univeriellen Urteile haben den Charakter der W e f e n s a l l g e m e i n h e i t , der »reinen«, oder wie man auch tagt, der » i t r e n g e n « , ichlechthin » u n b e d i n g t e n « Allgemeinheit. Der Einfachheit halber nehmen wir an, daß es fich um »Axiome«, um unmittelbar evidente Urteile handelt, auf welche ja alle übrigen Urteile in mittelbarer Begründung zurückführen. Solche Urteile — wofern fie, wie hier vorausgefetjt, in der angegebenen Weife über individuelle Einzelheiten urteilen - bedürfen zu ihrer noetifchen Begründung, d. i. ihrer Einfichtigmachung, einer gewiffen Wefensfchauung, die man (in m o d i f i z i e r t e m Sinne) auch als Wefenserfaffung bezeichnen könnte; und auch diefe, fowie die gegenftändlichmachende Wefensanfchauung, beruht auf einem Sichtighaben individueller Einzelheiten der Wefen, aber nicht auf ihrer Erfahrung. Ruch für fie genügen bloße Phantafievorftellungen oder vielmehr Phantafiefichtigkeiten; das Sichtige ift als folches bewußt, es »er» fcheint«, ift aber nicht als dafeiend erfaßt. Wenn wir ζ. B. in Wefens« allgemeinheit (»unbedingter«, »reiner« Allgemeinheit) urteilen »eine Farbe überhaupt ift verfchieden von einem Ton überhaupt«, fo ift das ioeben Gefagte daran zu betätigen. Ein Einzelnes vom Wefen Farbe und ein Einzelnes vom Wefen Ton ift intuitiv »vorftellig«, md zwar a l s Einzelnes feineis Wefens; es ift zugleich und in ge» wiffer Hrt Phantafieanfchauung (ohne Dafeinsfetjung) und Wefensanfchauung vorhanden, letztere aber nicht als eine das Wefen zum G e g e n f t a n d e machende Hnfchauung. Zum Wefen der Sachlage gehört es aber, daß uns die Wendung zur entfprechenden objektivierenden Einftellung jederzeit freifteht, daß fie eben eine Wefensmöglichkeit ift. Gemäß der geänderten Einftellung würde fich auch das Urteil ändern, es lautete dann: Das Wefen (die »Gattung«) Farbe ift ein anderes als das Wefen (die Gattung) Ton. Und fo überall Umgekehrt l e n t in e i n Einzelheiten werden. In (rein eidetifche

kann j e d e s U r t e i l ü b e r W e f e n äquivaunbedingt allgemeines Urteil über d i e f e r W e f e n als folche u m g e w e n d e t diefer Weife gehören r e i n e Wefensurteile Urteile), w e l c h e r l o g i i c b e n F o r m immer

Ideen zu einet reinen Phänomenologie u. pbänomenot PbilofopM«.

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fle fein mögen, z u ί a m m e n . Ihr Gemeiniames ift, daß fie kein individuelles Sein fe^en, auch wenn Üe über Individuelles - eben in reiner Wefensallgemeinheit - urteilen. §6. E i n i g e G r u n d b e g r i f f e . A l l g e m e i n h e i t und Notwendigkeit. In erfichtlicher Weife gehören nun zufammen die Ideen: eidetifches Urteileη, eidetifches U r t e i l oder eidetifd)er S a f c , eidetifche W a h r h e i t (oder wahrer Sa&); als Korrelat der letjteren Idee: der eidetifd>e S a c h v e r h a l t fchlechthin (als das in eidetifcher Wahrheit Beftehende); endlich als Korrelat der erfteren Ideen: der eidetifche S a c h v e r h a l t in dem m o d i f i z i e r t e n Sinn der bloßen V e r m e i n t h e i t , in dem Sinn des Geurteilten als folchen, das beftehend oder auch nicht beftehend fein kann. Jede eidetifche Befonderung und Vereinzelung eines eidetifdi allgemeinen Sachverhalts heißt, f o f e r n Ge das ift, eine W e f e n s notwendigkeit. Wefensallgemeinheit und Wefensn o t w e n d i g k e i t f i n d a l f o K o r r e l a t e . Doch fchwankt die Rede von Notwendigkeit, den zufammengehörigen Korrelationen nachfolgend: auch die entfprechenden Urteile heißen notwendige. Es ift aber wichtig, die Sonderungen zu beachten, und vor allem nicht Wefensallgemeinheit (wie man es gewöhnlich tut) felbft als Notwendigkeit zu bezeichnen. Das Bewußtfein einer Notwendigkeit, näher, ein Urteilsbewußtfein, in dem ein Sachverhalt als Befonderung einer eidetifchen Allgemeinheit bewußt ift, heißt ein a p o · d i k t i f c h e s , das Urteil felbft, der Sat), a p o d i k t i f c h e (auch apodiktifch'»notwendige«) F o l g e des allgemeinen, auf den er be· zogen ift. Die ausgefprochenen Sätye über die Verhältniffe zwifchen Allgemeinheit, Notwendigkeit, flpodiktizität können auch allge· meiner gefaßt werden, fo daß fie für beliebige und nicht nur für rein eidetifche Sphären gelten. Offenbar gewinnen üe aber in der eidetifchen Begrenzung einen ausgezeichneten und befonders wichtigen Sinn. Sehr widbtig ift auch die Verbindung eidetifd>en Urteilens über Individuelles überhaupt mit D a f e i n s f e $ u n g von Individuellem. Die Wefensallgemeinheit wird auf ein als dafeiend gefegtes Individuelles oder auf eine unbeftimmt allgemeine Sphäre von Individuen (die ihre Thefis als dafeiende erfährt) übertragen. Jede »Hinwendung« von geometrifchen Wahrheiten auf Fälle der (als wirklich gefegten) Natur gehört hierher. Der als wirklich gefetjte Sachverhalt ift dann T a t f a c h e , fofern er individueller Wirklichkeitsverhatt

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Edmund Huffetl,

lit, er ift aber e i d e t i f c h e N o t w e n d i g k e i t , fofern er Vereinzelung einer Weiensallgemeinheit ift. Nicht verwechfeln darf man die u n b e f c h r ä n k t e A 1 1 g e» m e i n b e i t d e r N a t u r g e f e t j e mit der W e f e n s a l l g e m e i n b e i t. Der Sat) »alle Körper find fcbwer« fetjt freilich keine beftimmte Dinglichkeit innerhalb der Allnatur als dafeiend. Trot)dem bat er nicht die unbedingte Allgemeinheit der eidetifch-allgemeinen Sätje, fofern er, feinem Sinne gemäß als Naturgefet), immer noch eine Dafeinsfe^ung mit fleh führt, nämlich die der Natur felbft, der räumlich-zeitlichen Wirklichkeit: Alle Körper - i n d e r N a t u r , alle »wirklichen« Körper - find fchwer. Demgegenüber bat der Saer Wiffenfcbaft jede E i n b e z i e h u n g von Erkenntnisergebniffen e m p i r i f c h e r W i f f e η f d> a f t e η prinzip i e l l a u s fehl i e ß t . Die Wirklicbkeitsthefen, die in den unmittelbaren Feftftellungen diefer Wiffenfchaften auftreten, gehen ja durch alle mittelbaren hindurch. Hus Tatfachen folgen immer nur Tatfachen. Ift nun alle eidetifche Wiffenfchaft prinzipiell von aller Tat· fachenwiffenfchaft unabhängig, fo gilt andererseits das Umgekehrte hinfichtlich der Τ a t f a c h e n w i ff e n f ch a f t . Es gibt k e i n e , die a l s W i f f e n f c b a f t v o l l e n t w i c k e l t , rein fein könnte von eidetifchen Erkenntniffen und fomit u n a b h ä n g i g f e i n k ö n n t e v o n d e n , f e i es f o r m a l e n o d e r m a t e r i a l e n e i d e t i f c h e n W i f f e n f c h a f t e n . Denn fürs E r f t e ift es felbftverftändlicb, daß eine Erfahrungswiffenfehaft, wo immer üe mittelbare Begründungen von Urteilen vollzieht, den f o r m a l e n Prinzipien gemäß verfahren muß, die die formale Logik behandelt. Oberhaupt muß fie, da fie wie jede Wiffenfchaft auf Gegenftände gerichtet ift, an die Gefetje gebunden fein, die zum Wefen der G e g e n ft ä n d l i c h k e i t ü b e r h a u p t gehören. Damit tritt üe zu dem Komplex f o r m a l - o n t o l o g i f c h e r Difziplinen in Beziehung, die neben der formalen Logik im engeren Sinne die fonftigen Difziplinen der formalen » m a t h e s i s u n i v e r s a l i s « (alfo aucf> die Arithmetik, reine Hnalyfis, Mannigfaltigkeitslebre) umfpannt. Dazu kommt fürs Z w e i t e , daß jede Tatfache einen m a t e r i a l e n Wefensbeftand einfcbließt und jede zu den darin befcbloffenen reinen Wefen gehörige eidetifche Wahrheit ein Gefetj abgeben muß, an das die gegebene faktifche Einzelheit, wie jede mögliche überhaupt, gebunden ift. 1) VgL dazu weiter unten flbfcfcnitt III, Kap. 1, § 70.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. phänomenol. Pbilofophie.

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§9. R e g i o n und r e g i o n a l e E i d e t i k . Jede konkrete empirifcbe Gegenftändlichkeit ordnet fich mit ihrem materialen Wefen einer o b e r i t e n materialen Gattung, einer » R e g i o n « von empiriicben Gegenftänden ein. Dem reinen regionalen Wefen entipricbt dann eine r e g i o n a l e e i d e t i f c f r e W i f f e n f c h a f t oder, wie wir auch fagen können, eine r e g i o n a l e O n t o t o g i e . Wir nehmen dabei an, daß im regionalen Wefen, bzw. in den verfchiedenen es komponierenden Gattungen fo reichhaltige und vielverzweigte Erkenntniffe gründen, daß es fidb hinfichtlicb ihrer fyftematifchen Entfaltung überhaupt lohnt, von einer Wiffenfchaft zu fprechen, bzw. von einem ganzen Komplex ontologifcher Difziplinen, den einzelnen Gatttingskomponenten der Region entfprechend. In wie großem Umfange diefe Vorausfetjung tatfächlich erfüllt ift, davon werden wir uns reichlich überzeugen können. Demnach wird alfo jede fich dem Umfange einer Region einordnende empirifche Wiffenfchaft, wie auf die formalen, fo auf die regionalen ontologifchen Difziplinen wefentlich bezogen fein. Wir können das auch fo ausdrücken: J e d e T a t f a c h e n w i f f e n f c h a f t (Erfahrungswiffenfchaft) h a t w e f e n t l i c h e t h e o r e t i f A e F u n d a m e n t e in e i d e t i f c h e n O n t o t o g i e n . Denn es ift (falls die gemachte Einnahme zutrifft) ganz felbftverftändlich, daß der reiche Beftand an Erkenntniffen, die fich in reiner, u n b e d i n g t gültiger Weife auf alle möglichen Gegenftände der Region beziehen - fofern fie teils zur leeren Form von Gegenftändlichkeit überhaupt gehören, teils zum Eidos der Region, welches gleichfam eine n o t w e n d i g e m a t e r i a l e F o r m aller regionalen Gegenftände dar« ftellt — für die Erforfchung der empirifchen Fakta nicht bedeutungslos fein kann. In diefer firt entfpricht ζ. B. allen naturwiffenfchaftlichen Difziplinen die eidetifdbe Wiffenfchaft von der phyöfchen Natur überhaupt (die O n t o t o g i e d e r N a t u r ) , fofern der faktifchen Natur ein rein faßbares Eidos, das »Wefen« N a t u r ü b e r h a u p t mit einer unendlichen Fülle d^rin befchtoffener Wefensverfrelte entfpricht. Bilden wir die I d e e e i n e r v o l l k o m m e n e n r a t i o n a l i f i e r t e n E r f a h r u n g s w i f f e n f c h a f t von der Natur, d. i. einer folchen, die in der Theoretifierung foweit fortgefchritten ift, daß alles in die» felbe einbezogene Befondere auf feine allgemeinften und prinzipiell« ften Gründe zurückgeführt ift, dann ift es klar, d a ß d i e R e a l i « f i e r u n g d i e f e r Idee wefentlich a b h ä n g i g ift von der Ausbildung der entfprechenden eidetifchen Wiffenf c h a f t e n ; alfo neben der auf alle Wiffenfchaften überhaupt fn 2*

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Edmund Hufflerl,

gleicher Wejfe bezogenen f o r m a l e n M a t h e i i s insbefondere von der Ausbildung der m a t e r i a l O n t o l o g i f c h e n D i f z i p l i n e n , die das W e f e n der Natur, und fomit auch alle Wefensartungen von Naturgegenftändlichkeiten als folchen, in rationaler Reinheit, d. i. eben eidetifdb auseinanderlegen. Und das gilt felbitverftändlid) für jede beliebige Region. fluch e r k e n n t n i s p r a k t i f c h i f t von vornherein zu erwarten, daß je mehr eine Erfahrungswiffenfchaft fich der »rationalen« Stufe nähert, der Stufe der »exakten«, nomologifcften Wiffenichaft, alio in je höherem Grade fie über ausgebildete eidetifche Difziplinen als Grundlagen verfügt und von ihnen für ihre Begründungen Nutjen zieht, fie auch deftö mehr nach Umfang und Kraft erkenntnispraktifcher Leiftungen zunehmen werde. Das beftätigt die Entwicklung der rationellen Naturwiffenfchaften, der pbyiikalifchen. Ihre große Epoche beginnt ja in der Neuzeit eben damit, daß die fchon im Altertum (und im wefentlichen in der Piatoni· fchen Schule) als reine Eidetik hoch ausgebildete Geometrie mit einem Male und in großem Stile fruchtbar gemacht wird für die phyßkalifche Methode. Man macht fich klar, daß es das W e f e n des materiellen Dinges fei, res extensa zu fein, daß fomit die G e o m e t r i e d i e a u f ein W e f e n s m o m e n t folcher Dinglichkeit, die R a u m · f o r m , b e z o g e n e o n t o l o g i f c h e D i f z i p l i n f e i . Man macht fich aber auch ferner klar, daß das allgemeine (in unterer Rede· weife regionale) Wefen des Dinges viel weiter reiche. Das zeigt fich darin, daß die Entwicklung zugleich die Richtung verfolgt, e i n e R e i h e n e u e r , der Geometrie zu koordinierender und ζ u gleicher Funktion der Rationalifierung des Em» p i r i f c h e n b e r u f e n e r D i f z i p l i n e n auszubilden. Die herrliche Blüte der formalen und materialen mathematifchen Wiffenfchaften entfpringt aus diefer Tendenz. Mit leidenfchaftlichem Eiter werden fie als r e i n »rationale« Wiffenfchaften (in unferem Sinne als e i d e t i f c h e O n t o l o g i e n ) ausgebildet, bzw. neu gebildet, und zwar (in den Anfängen der Neuzeit und noch lange bin) nicht um ihrer ielbft, fondern um der empirifchen Wiffenfchaften willen. Sie trugen denn auch reichlich die erhofften Früchte in der parallelen Entwicklung der vielbewunderten rationellen Phyfik. § 10. R e g i o n

und

Kategorie.

und ihre

Die

analytifcbe

Region

Kategorien.

Verfetjen wir uns in irgendeine eidetifche Wiffenichaft hinein, ζ . B. in die Ontologie der Natur, fo finden wir uns (das ift ja das

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenoL Pbüofopbie.

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Normale) nicht auf Wefen als Gegenstände gerichtet, fondern auf Gegenftände der Wefen, die in unierem Beifpiel der Region Natur untergeordnet find. Dabei beobachten wir aber, daß » G e g e n · f t a n d « ein Titel ift für mancherlei, aber zufammengebörige 6 e · Haltungen, z.B. »Ding«, »Eigenfchaft«, »Relation«, »Sachverhalt«, »Menge«, »Ordnung« ufw., die einander offenbar nid>t gleichftehen, fondern jeweils auf eine Art Gegenftändlichkeit, die fozufagen den Vorzug der U r g e g e n f t ä n d l i c b k e i t hat, zurüdkweifen, hinficht· lieh welcher fich alle anderen gewiffermaßen als bloße Hbwandlungen ausgeben. In unterem Beifpiel hat diefen Vorzug natürlich das D i n g f e l b f t , gegenüber der dinglichen Eigenfchaft, Relation ufw. Eben dies ift aber ein Stüde jener formalen Verfaffung, ohne deffen Klärung, wie die Rede von Gegenftand fo die von Gegen· ftandsregion, in Verworrenheit bliebe. Hus diefer Klärung, der wir die folgenden Betrachtungen widmen, wird fich auch von felbft der wichtige auf den Begriff der Region bezogene B e g r i f f d e r K a t e g o r i e ergeben. Kategorie ift ein Wort, das einerfeits in der Verbindung » K a t e g o r i e e i n e r R e g i o n « eben auf die betreffende Region, ζ. B. die Region pbyfifche Natur zurückweift; andererfeits aber die jeweilig beftimmte m a t e r i a l e R e g i o n in Beziehung fetjt zur F o r m d e r R e g i o n ü b e r h a u p t , oder was gleichwertig ift, zum f o r · m a t e n W e f e n G e g e n f t a n d ü b e r h a u p t und den zu ihm gehörigen » f o r m a l e n K a t e g o r i e n « . Vorerft eine nicht unwichtige Bemerkung. Die formale Ontotogie fcheint zunächft mit den materialen Ontologien in einer Reihe zu fteben, fofern das formale Wefen eines Gegenftandes überhaupt und die regionalen Wefen beiderfeits die gleiche Rolle zu fpielen icheinen. Man wird daher geneigt fein, ftatt wie bisher von Regionen fchlechthin, vielmehr von materialen Regionen zu fprechen, und ihnen nun die » f o r m a l e R e g i o n « anzureiben. Wenn wir diefe Redeweife annehmen, fo bedarf es doch einiger Vorficht. Huf der einen Seite fteben m a t e r i a l e , und das find in gewiffem Sinne die » e i g e n t l i c h e n « W e f e n . Huf der anderen Seite aber fteht zwar ein Eidetifcbes, aber doch grundwefentlich Verfchiedenes: eine b l o ß e W e f e n s f o r m , die zwar ein Wefen, aber ein völlig » l e e r e s « Ift, ein Wefen, das in d e r W e i f e e i n e r L e e r f o r m a u f a l l e m ö g l i c h e n W e f e n p a ß t , das in feiner formalen Allgemeinheit alte, auch die höchften materialen Allgemeinheiten unter fich hat und ihnen durch die ihr zugehörigen formalen Wahrheiten G e f e tj e vorfchreibt. Die fog. » f o r m a l e R e g i o n « ift alfo doch nicht etwas

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Edmund Hufierl,

den materialen Regionen (den Regionen fcblechtbin) Koordiniertes, iie ift e i g e n t l i c h nicht R e g i o n , f o n d e r n l e e r e F o r m v o n R e g i o n ü b e r h a u p t , iie bat alle Regionen mit allen ihren fachhaltigen Wefensbefonderungen ftatt neben fich, vielmehr (wenn auch nur formaliter) u n t e r (ich. Diefe Unterordnung des Mate· rialen unter das Formale bekundet fich nun darin, daß d i e f o r m a l e O n t o l o g i e zugleich die F o r m e n a l l e r mög» l i e h e n O n t o t o g i e n ü b e r h a u p t (sc. aller »eigentlichen«, »materialen«) i n f i d ) b i r g t , daß fie den materialen Ontotogien eine ihnen allen gemeinfame formale Verfaffung v o t f e h r e i b t - darin befchloffen auch diejenige, die wir jetjt binfichtlich der Unterfcheidung zwifeben Region und Kategorie zu ftudieren haben. Gehen wir von der formalen Ontologie (immer als der reinen Logik der vollen Extension bis zur mathesis universalis) aus, ίο ift fie, wie wir wiffen, eidetifche Wiffenfchaft vom Gegenftande überhaupt. Gegenftand ift in ihrem Sinne alles und jedes, und dafür können eben unendlich mannigfaltige, fich in die vielen Difziplinen der Mathefis verteilende Wahrheiten ftatuiert werden. Sie führen aber insgefamt zurück auf einen kleinen Beftand unmittelbarer oder »Grund«Wahrheiten, welche in den rein logifchen Difziplinen als »Η χ i ο m e« fungieren. Wir definieren nun als l ο g i f ch e K a t e g o r i e n oder K a t e g o r i e n d e r l o g i f c h e n R e g i o n G e g e n f t a n d - ü b e r h a u p t die in diefen Axiomen auftretenden r e i n l o g i f c h e n G r u n d b e g r i f f e — Begriffe, durch welche fich im Gefamtfyftem der Axiome das logifche Wefen von Gegenftand-überhaupt beftimmt, oder welche die unbedingt notwendigen und konftitutiven Beftimmungen eines Gegenftandes als folchen, eines irgend Etwas - fofern es überhaupt foil Etwas fein können ausdrücken. Da das rein Logifche in unterem abfolut exakt umgrenzten Sinne den philofophifch allein wichtigen (und allerdings grundwichtigen) Begriff des » A n a l y t i f c h e n 1 « gegenüber dem » S y n t b e t i f c h e n « beftimmt, bezeichnen wir diefe Kategorien wohl auch als a η a I y t i f cb e. Beifpiele logifeber Kategorien find alfo Begriffe wie Eigenfchaft, relative Befcbaffenheit, Sachverhalt, Relation, Identität, Gleichheit, Menge (Kollektion), Anzahl, Ganzes und Teil, Gattung und Art ufw. Aber auch die » B e d e u t u n g s k a t e g o r i e n « , die zum Wefen des Satzes (Apopbanfis) gehörigen Grundbegriffe verfthiedener Arten 1) Vgl. »Log. Unter f.« II. Bd , 3. Unr., § 11 f.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofopble.

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von Sätjen, Satzgliedern und Sagformen gehören hierher, und das, gemäß unferer Definition, mit Rücklicht auf die Wefenswahrheiten, welche »Gegenftand-überhaupt« und »Bedeutung«überhaupt« mit· einander verknüpfen, und zudem ίο verknüpfen, daß reine Bedeutungswahrheiten iich in reine Gegenftandswahrheiten umwenden laffen. Eben darum ift die » a p o p h a n t i f c h e L o g i k « , auch wenn fie ausfchließlich über Bedeutungen ausfagt, doch mitgehörig zur formalen Ontotogie im vollumfaifenden Sinne. Immerhin muß man die Bedeutungskategorien als eine eigene Gruppe für fich abfondern und ihnen die übrigen, als die f o r m a l e n g e g e n f t a n d · l i e h e n K a t e g o r i e n im p r ä g n a n t e n Sinne, gegenüberftellen. 1 Wir merken hier noch an, daß wir unter Kategorien einerfeits die Begriffe im Sinne von Bedeutungen verftehen können, anderer« feits aber auch und noch beffer die formalen Wefen felbft, die in diefen Bedeutungen ihren Ausdruck finden. Ζ. B. »Kategorie« Sachverhalt, Vielheit u. dgl. befagt im letjteren Sinne das formale Eidos Sachverhalt überhaupt, Vielheit überhaupt u. dgl. Die fiquivokation ift nur fo lange gefährlich, als man nicht reinlich zu febeiden gelernt hat, was hier überall gefchieden werden muß: »Bedeutung« und das, was d u r c h Bedeutung »Ausdruck« erfahren kann; und wiederum: Bedeutung und bedeutete Gegenftändlichkeit. Terminologifch kann man ausdrücklich zwifchen k a t e g o r i a l e n B e g r i f f e n (als Bedeutungen) und k a t e g o r i a l e n W e f e n unterfcheiden. § II.

S y n t a k t i f e b e G e g e η f t ä η d l i cb k e i t e n u n d Subftrate. Syntaktifcbe Kategorien.

le^te

Es bedarf jetjt einer wichtigen Unterfcheidung im Gebiete der Gegenftändlichkeiten überhaupt, welche fich innerhalb der Formenlehre der Bedeutungen widerfpiegelt in der (»rein-grammatifchen«) Unterfcheidung zwifchen »fyntaktifchen Formen« und »fyntaktifchen Subftraten« oder »Stoffen«. Damit zeigt fich eine Sonderung der formal·ontologifchen Kategorien in f y n t a k t i f c h e K a t e g o r i e n 1) Vgl. über die Unterfcheidung der togifchen Kategorien in Bedeutungskategorien und format-on tologifche Kategorien »Log. Unter f.« I. Bd., § 67. Speziell auf die Kategorien Ganzes und Teil bezieht iieb die ganze 3. Unterfuchung des II. Bandes. — Den aus biftorifeben Gründen anftößigen Ausdruck Ontotogie habe ich damals noch nicht aufzunehmen gewagt, ich bezeichnete diefe Unterfucbung (a. a. O. S. 222 der erften Huflage) als Stück einer - a p r i orifchen T h e o r i e d e r Gegenit'ände a l s folcher«, was fl. v. Meinong in das Wort «Gegenftandstbeorie« zufammengezogen hat. Demgegenüber halte ich es jetjt, der geänderten Zeitlage entfpreebend, für richtiger, den alten Ausdruck Ontotogie wieder zur Geltung zu bringen.

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Edmund Hufferl,

und S u b f t r a t k a t e g o r i e n an, die jetjt des näheren erörtert werden foil. Unter f y n t a k t i f c h e n G e g e n f t ä n d l i c b k e i t e n verftehen wir folche, die aus anderen Gegenftändlicbkeiten durch » f y n t a k » t i f c h e F o r m e n « abgeleitet find. Die dieien Formen entfprechenden Kategorien nennen wir f y n t a k t i f d > e K a t e g o r i e n . Dahin gehören beifpielsweife die Kategorien Sachverhalt, Relation, Befchaffenheit, Einheit, Vielheit, finzabl, Ordnung, Ordinalzahl ufw. Wir können die hier ftatthabende Wefenslage in folgender Weife befchreiben: Jeder Gegenftand, iofern er explizierbar, auf andere Gegenftände beziehbar, kurzum logifcb beftimmbar ift, nimmt ver» fchiedene fyntaktifche Formen an; es konitituieren fleh als Korrelate des beftimmenden Denkens Gegenftändlicbkeiten höherer Stufe: Befchaffenheiten und befchaffenheitlich beftimmte Gegenftände, Relationen zwifeben irgendwelchen Gegenftänden, Vielheiten von Einheiten, Glieder von Ordnungen, Gegenftände als Träger von Ordinalzaihlbeftimmungen ufw. Ift das Denken ein prädikatives, fo erwachten fchrittweife Ausdrücke und zugehörige apophantifche Bedeutungsgebilde, welche die fyntaktifchen Gegenftändlicbkeiten nad> all ihren Gliederungen und Formen in genau entfprechenden Bedeutungsfyntaxen fpiegeln. Alle diefe »kategorialen Gegenftändlicbkeiten« 1 können, wie Gegenftändlicbkeiten überhaupt, abermals als Subftrate kategorialer Gebilde fungieren, diefe wieder, ufw. Umgekehrt weift jedes folche Gebilde evidenterweife auf l e t j t e S u b f t r a t e zurück, auf Gegenftände erfter oder unterfter Stufe; alfo auf Gegenftände, d i e n i d > t m e h r i y n t a k t i f d j - k a t e g o r i a l e G e b i l d e find, die in fid) felbft nichts mehr von jenen ontologifchen Formen enthalten, welche bloße Korrelate der Denkfunktionen (Zufprechen, flbfprechen, Beziehen, Verknüpfen, Zählen ufw.) find. Danach teilt fich die formale Region Gegenftändlichkeit-überhaupt in letjte Subftrate und fyntaktifAe Gegenftändlicbkeiten. Die letzteren nennen wir f y n t a k t i f c h e A b l e i t u n g e n der entfprechenden Subftrate, zu welchen auch, wie wir gleich hören werden, alle »Individuen« gehören. Sprechen wir von individueller Eigenfcftaft, individueller Relation ufw., fo beißen diefe Hbleitungsgegenftände natürlich fo um der Subftrate willen, von denen fie abgeleitet find. Es fei noch folgendes bemerkt. Zu den letjten fyntaktifebformlofen Subftraten gelangt man auch von feiten der Formenlehre der Bedeutungen: Jeder Sat) und jedes mögliche Satzglied enthält 1) Vgl. -Log. Unterf.« II. Bd., 6. Unterf.., 2. flbfehnitt, bef. § 46f.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofopbie.

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als Subftrate feiner apophantifeften Formen die fog. »Termini«. Dieie können in bloß relativem Sinne Termini fein, nämlich felbft wieder Formen enthalten (ζ. B. die Pluralform, flttributionen u. dgl.). In jedem Falle kommen wir aber, und notwendig, auf l e t z t e T e r m i n i , auf letjte Subftrate zurück, die nichts mehr von fyntaktifeber Formung in fid) enthalten.1 § 12. G a t t u n g u n d R r t . Es bedarf jet)t einer neuen zur Gefamtfphäre det Wefen ge· hörigen Gruppe kategorialer UnterfAeidungen. Jedes Wefen, ob ein fachhaltiges oder leeres (alfo reinlogifches) Wefen, ordnet fieb in eine Stufenreibe von Wefen, in eine Stufenreihe der G e n e r a l i t ä t und S p e z i a l i t ä t ein. Zu ihr gehören notwendig zwei nie zu· fammenfallende Grenzen. Herunterfteigend gelangen wir zu den n i e d e r f t e n f p e z i f i f d b e n D i f f e r e n z e n oder, wie wir auch fagen, den e i d e t i f c h e n S i n g u l a r i t ä t e n ; emporfteigend durch die flri· und Gattungswefen zu einer o b e r f t e n G a t t u n g . Eidetifche Singularitäten find Wefen, die zwar notwendig über fich »allgemeinere« Wefen haben als ihre Gattungen, aber nicht mehr unter fich Befonderungen, in Beziehung auf welche fie felbft Hrten (näAfte Arten oder mittelbare, höhere Gattungen) wären. Ebenfo ift diejenige Gattung die oberfte, welche über fich keine Gattung mehr hat. In diefem Sinn ift im reinlogifchen Gebiete der Bedeutungen »Bedeutung überhaupt« oberfte Gattung, jede beftimmte Satjform, jede beftimmte Satjgliedform eine eidetifche Singularität; Sat) überhaupt eine vermittelnde Gattung. Ebenfo ift finzabl überhaupt eine oberfte Gattung. Zwei, Drei ufw. find deren niederfte Differenzen oder eidetifche Singularitäten. In der fachhaltigen Sphäre find ζ. B. Ding überhaupt, finnliche Qualität, Raumgeftalt, Erlebnis überhaupt oberfte Gattungen; die zu den beftimmten Dingen, beftimmten finnlichen Qualitäten, Raumgeftalten, Erlebniffen als folchen gehörigen Wefensbeftände eidetifche und dabei facbhaltige Singularitäten. Zu d i e f e η durch Gattung und Art bezeichneten Wefensverhältniffen (nicht Klaffen-, d. i. Mengenverhältniffen) gehört es, daß im 1) Die

näheren

Ausführungen

der

für

die

Formenlehre

tungen — diefes Grundftückes einer »aptiorifeben Grammatik tigen Theorie d e r »fyntaktifchen Formen«

der

Bedeu-

— febr wich-

und »fyntaktifchen Stoffe«

ich gelegentlich der Veröffentlichung meiner vieljäbrigen V o r l e f u n g e n reine Logik mitteilen. Aufgaben 4. Unterf.

einer

Über

Formenlehre

die

»reine«

Grammatil

und

die

werde über

allgemeinen

der Bedeutungen vgl. » L o g . Unterf.« II. B d ,

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Edmund Hufferl,

befonderen Wefen das allgemeinere »unmittelbar oder mittelbar e n t h a l t e n « ift — in einem beftimmten, in der eidetifdben In· tuition feiner Eigenart nach zu er faffenden Sinne. Eben darum führen manche Forfcber das Verhältnis eidetifcher Gattung und Art zur eidetifchen Befonderung unter den Verhältniüen von »Teil« zum »Ganzen« auf. »Ganzes« und »Teil« haben dabei eben den weiteften Begriff von »Enthaltendem« und »Enthaltenem«, wovon das eide· tifcbe flrtverhältnis eine Befonderheit ift. Das eidetifcb Singulare impliziert alfo die fämtlichen über ihm liegenden Allgemeinheiten, die ihrerfeits ftufenweife »ineinander liegen«, das Höhere immer im Niederen. § 13. G e n e r a t i f i e r u n g u n d F o t m a l i f i e r u n g . Scharf unterfcheiden muß man die Verhältniffe der GeneraliQerung und Spezialißerung von den wefentlich andersartigen der V e r a l l g e m e i n e r u n g v o n S a c h h a l t i g e m in d a s r e i n l o g i f c h F o r m a l e , bzw. umgekehrt, der V e r f a c h l i c h u n g eines logifch Formalen. Mit anderen Worten: Generalifierung ift etwas total anderes als F o r m a l i f i e r u n g , wie fie ζ. B. in der mathematifchen Analyfis eine fo große Rolle fpielt; und Spezialifierung etwas total anderes als E n t f o r m a l i f i e r u n g , als »Ausfüllung« einer logifch» mathematifchen Leerform, bzw. einer formalen Wahrheit. Demgemäß darf nicht verwechfelt werden das Unterftehen eines W e f e η s unter der formalen Allgemeinheit eines r e i η l ο g i f ch e η Wefens mit dem Unterftehen eines Wefens unter feine höheren W e f e n s g a t t u n g e n . So ift ζ. B. das Wefen Dreieck untergeordnet unter die oberfte Gattung Raumgefta.lt, das Wefen Rot unter die oberfte Gattung finnliche Qualität, findererfeits ift Rot, Dreieck und find fo alle homogenen, wie heterogenen Wefen untergeordnet dem kategorialen Titel »Wefen«, welcher für tie alle keinesweas den Charakter einer Wefensgattung hat, vielmehr ihn hinfichtlich k e i n e r von ihnen hat. »Wefen« als Gattung fachhaltiger Wefen anzufehen, ware ebenfo verkehrt, wie Gegenftand überhaupt (das leere Etwas) als Gattung für jederlei Gegenftände und dann natürlich fchlechthin als die eine und einzige oberfte Gattung, als Gattung aller Gattungen zu mißdeuten. Man wird vielmehr alle formal* ontologifcben Kategorien als eidetifche Singularitäten bezeichnen müffen, die ihre oberfte Gattung im Wefen » formal-ontologifche Kategorie-überhaupt« haben. Desgleichen ift es klar, daß jeder beftimmte Schluß, etwa ein der Phyfik dienender, Vereinzelung einer beftimmten relnlogifcben

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofopbie.

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Schlußform ift, j,eder beftimmte pbyfikalifche Sat) Vereinzelung einer Saljform u. dgl. Die reinen Formen find aber nicht Gattungen zu den fachbattigen Sätjen oder Schlüffen, fondern felbft n u r niederfte Differenzen, nämlich der reinlogifchen Gattungen Satj, Schluß, die, wie alle ähnlichen Gattungen, ihre fcblechtbin oberfte Gattung »Bedeutung« überhaupt« haben. Die Rusfüllung von logifchen Leerformen (und anderes als Leerformen gibt es in der mathesis universalis nicht) ift alio eine total verfchiedene »Operation« gegenüber der editen Speziali· fierung bis zur legten Differenzierung. Das ift überall zu konftatieren; fo ift ζ. B. der .Ubergang vom Räume zur »Euklidifdien Mannigfaltigkeit« keine Generaliiierung, fondern eine »formale« Verallgemeinerung. Es ift für die Bewährung diefer radikalen Sonderung wie in allen folchen Fällen auf die Wefensintuition zurückzugehen, die uns fofort lehrt, daß logifche Formwefen (ζ. B. die Kategorien) nicht in den fachhaltigen Vereinzelungen fo »liegen«, wie das allgemeine Rot in den verfchiedenen Rotnuancen, oder wie »Farbe« in Rot oder Blau, und daß fie in ihnen überhaupt nicht in dem eigentlichen Sinne »darin« find, der mit einem Teilverhältnis im gewöhnlichen engen Sinne genug Gemeinfamkeit hätte, um die Rede von einem E n t h a l t e n f e i n zu rechtfertigen. Keiner ausführlichen Erörterung bedarf der Hinweis, daß auch die S u b f u m p t i o n eines Individuellen, überhaupt eines Dies-da, unter ein Wefen (die einen verfchiedenen Charakter hat, je nachdem es fleh um eine niederfte Differenz oder eine Gattung handelt) nicht mit der S u b o r d i n a t i o n eines Wefens unter feine höheren Spezies oder eine Gattung zu verwechfeln ift. Ebenfo fei nur eben angedeutet die wecbfclnde und insbefondere auf die Funktion der Wefen im umverteilen Urteile bezogene Rede von U m f a n g e n , die fich offenbar mit den erörterten Verfchiedenbeiten differenzieren muß. Jedes Wefen, das keine niederfte Differenz ift, hat einen e i d e t i f c h e n U m f a n g , einen Umfang von Spezialitäten und zuletat jedenfalls von eidetifchen Singularitäten. Jedes formale Wefen bat andererfeits feinen formalen oder » m a t h e m a t i f c h e n « U m f a n g . Ferner hat jedes Wefen überhaupt feinen Umfang von i n d i v i d u e l l e n Vereinzelungen, einen ideellen Gefamtinbegriff von möglichen Diesheiten, auf die es im eidetifch-univerfellen Denken bezogen fein kann. Die Rede von e m p i r i f c h e m U m f a n g e befagt mehr: die Einfchränkung auf eine D a f e i n s f p h ä r e vermöge einer mitverflochtenen, die r e i n e Hllgemeinheit aufhebenden Dafeinsfetjung. Das alles überträgt fieb natürlich von den Wefen auf »Begriffe« als Bedeutungen.

Edmund Hufferl,

28 §14.

S u b f t r a t kateg otien. Das S u b f t r a t w e f e n u n d d a s τ öS ε τ ι.

Wir beachten f e m e r die Unterfcheidung zwifchen »vollen«, » f a c h · b n l t i g e n « S u b f t r a t e n , mit den entfprechend »vollen«, »fachhal· tigen« fyntaktifchen Gegenftändlichkeiten und den L e e r f u b it r a t e n , mit den aus ihnen gebildeten syntaktifchen Gegenftändlichkeiten, den Abwandlungen des leeren Etwas. Die letztere Klaffe ift keineswegs felbft eine leere oder armielige; fie beftimmt fich nämlich als die Gefamtheit dec zum Beftande der reinen Logik als mathesis univerfalis gehörigen Sachverhalte mit all den kategorialen GegenftändUchkeiten, aus denen fich diefelben aufbauen, filfo jeder Sachverhalt, den irgendein syllogiftifches oder arithmetifches Axiom oder Theorem ausfpricht, jede Schlußform, jede numerifche Zahl, jedes Zahlengebilde, jede Funktion der reinen finalyfis, jede in ihr wohldefinierte Eukli· difche oder Nichteuklidifche Mannigfaltigkeit gehört hierher. Bevorzugen wir nun die Klaffe der fachhaltigen Gegen ftändlid)· keiten, fo kommen wir auf l e t j t e f a c h h a l t i g e S u b f t r a t e als Kerne aller fyntaktifchen Bildungen. Zu diefen Kernen gehören die S u b f t r a t k a t e g o r i e n , welche fich unter die beiden disjunkten Haupttitel ordnen: » S a c h h a l t i g e s l e t j t e s W e f e n « und » D i e s d a ! « oder pure, fyntaktifch formlofe individuelle Einzelheit. Der fich aufdrängende Terminus Individuum ift hier darum unpaffend, weil gerade die wie immer zu beftimmende Unteilbarkeit, die das Wort mitausdrückt, in den Begriff nicht aufgenommen werden darf, viel« m e h r für den befonderen und ganz unentbehrlichen Begriff Individuum vorbehalten bleiben muß. Wir übernehmen daher den firiftotelifchen Ausdruck τάδε τι, der mindeftens dem Wortlaute nach diefen Sinn nicht mitbefchließt. Wir haben das formlofe letzte Wefen und das Dies* da gegen« übergeftellt; wir müffen nun den zwifchen ihnen obwaltenden Wefenszufammenhang feftftellen, darin beftehend, daß jedes Dies-da f e i n e n fachhaltigen Wefensbeftand hat, der den Charakter eines im ange· gebenen Sinne formlofen Subftratwefens hat. §15.

S e l b f t ä h d i g e u n d u η fe l b f t ä η d i g e G e g e n f t ä n d e . K o n k r e t u m und Individuum.

Wir benötigen noch eine weitere Grundunterfcheidung, diejenige zwifchen f e l b f t ä n d i g e n und u n f e l b f t ä n d i g e n G e g e n ft ä n d e n . Unfelbftändig ift ζ. B . eine kategoriale F o r m , fofern üe notwendig zurückweift auf ein Subftrat, deffen F o r m fie ift. Subftrat und F o r m find aufeinander angewiefen, »ohne einander« nicht

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Philofophie.

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denkbare Wefen. In diefem weiteften Sinne ift alfo die reinlogifcbe Form, ζ. B. die kategoriale Form Gegenftand binficbtlich aller Gegen« ftandsmaterien, die Kategorie Wefen binßcfttlicb aller beftimmten Wefen u. dgl. unfelbftändig. Sehen wir von diefen Unfelbftändig· keiten ab, und bezieben wir einen prägnanten Begriff von Urifelbftändigkeit, bzw Selbständigkeit, auf eigentlich »inhaltliche« Zufammen· hänge, auf Verbältniffe des » E n t h a l t e n f e i n s « , E i n s f e i n s und ev. V e r k n ü p f t f e i n s in einem eigentlicheren Sinne. Speziell interefßert uns hier die Sachlage bei den legten Subftraten und, noch enger gefaßt, bei den fachhaltigen Subftratwefen. Es beftehen für fle die beiden Möglichkeiten, daß ein folches Wefen mit einem anderen Einheit e i n e s Wefens begründet, oder daß es das nid)t tut. Im erfteren Falle ergeben fich näher zu befchrei« bende Verbältniffe ev. einfeitiger oder wechfelfeitiger Unfelbftändigkeit, und binfichtlid) der unter die geeinigten Wefen fallenden eidetifchen und individuellen Einzelheiten ergibt fich die apodiktifch notwendige Folge, daß Einzelheiten des einen Wefens nicht fein können, es fei denn als beftimmt durch Wefen, die mit dem anderen Wefen mindeftens Gattungsgemeinfchaft haben.1 Ζ. B. finnliche Qualität weift notwendig auf irgendeine Differenz von Ausbreitung hin, Ausbreitung wieder ift notwendig Ausbreitung irgendeiner mit ihr einigen, fie »überdeckenden« Qualität. Ein Moment »Steigerung«, etwa der Kategorie Intenfität, ift nur möglich als einem qualitativen Inhalt immanent, und ein Inhalt folcher Gattung wieder ift nicht denkbar ohne irgendeinen Steigerungsgrad. Ein Erfcheinen als Erlebnis gewiffer Gattungsbeftimmtbeit ift unmöglich, es fei denn als Erfcheinen eines »Erfcbeinenden als folchen«, und ebenfo umgekehrt. Ufw. Daraus ergeben fich nun wichtige Beftimmungen der formalkategorialen Begriffe Individuum, Konkretum und Abftraktum. Ein unfelbftändiges Wefen beißt ein H b f t r a k t u m , ein abfolut felbftändiges ein K o n k r e t u m . Ein Dies - da, deffen fachbaltiges Wefen ein Konkretum ift, beißt ein I n d i v i d u u m . Faffen wir die »Operation« der Generalifierung unter den nun erweiterten Begriff der logifcben »Abwandlung«, fo können wir fagen: das Individuum ift der reinlogifch geforderte Urgegenftand, das logifcb Abfolute, auf das alle logifcben Abwandlungen zurückweifen. I) Vgl. die ausführlichen flnalyfen »Log. Untetf.« II, Unterf. 3, befonders in der etwas verbefferten Darftellung der Neuauflage (1913).

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Edmund Hufferl,

Ein Konkretum ift felbftverftändlicb eine eidetifcbe Singularität, da Artungen und Gattungen (fiusdrückc, die üblicherweife die nie» derften Differenzen ausschließen) prinzipiell unfelbftändig find. Die e i d e t i f c h e n S i n g u l a r i t ä t e n zerfallen demnach in a b f t r a k t e und k o n k r e t e . Disjunkt in einem Konkretum enthaltene eidetifcbe Singularitäten find notwendig »heterogen«, mit Rückficht auf das formalontologifche Gefetj, daß zwei eidetifche Singularitäten einer und derfelben Gattung nicht in der Einheit e i n e s Wefens verbunden fein können, oder wie man auch fagt: Niederfte Differenzen eines Genus find miteinander »unverträglich«. Demnach führt jede einem Konkretum eingeordnete Singularität, als Differenz betrachtet, zu einem getrennten Syftem von Arten und Gattungen, alio auch zu getrennten oberften 'Gattungen. Ζ. B. in der Einheit eines phänomenalen Dinges führt die beftimmte Geftalt zur oberften Gattung Raumgeftalt überhaupt, die beftimmte Farbe zu vifueller Qualität überhaupt. Indeffen können niederfte Differenzen im Konkretum ftatt disjunkte auch übergreifende fein; wie ζ. B. phyfikalifche Eigenfchaften räumliche Beftimmungen vorausfetjen und in fich befchließen. Dann find auch die oberften Gattungen nicht disjunkt. In weiterer Folge fcheiden fich in charakteriftifcher und fundamentaler Weife die Gattungen in folche, die unter fich Konkreta, und in folche, die unter fich Hbftrakta haben. Wir fprechen bequemerweife von k o n k r e t e n und a b f t r a k t e n G a t t u n g e n » trot) des Doppelfinnes, den nun die Hdjektiva annehmen. Denn auf den Einfalt kann niemand kommen, konkrete Gattungen selbft für Konkreta im urfprünglichen Sinne zu halten. Wo Genauigkeit es erfordert, muß aber der fcbwerfällige Ausdruck Gattungen von Konkretis beziehungsweife von Rbftraktis gebraucht werden. Beifpiele für konkrete Gattungen find reales Ding, vifuelles Phantom (finnlich erfüllt ericheinende vifuelle Geftalt), Erlebnis u. dgl. Demgegenüber find Raumgeftalt, vifuelle Qualität u. dgl. Beifpiele für abftrakte Gattungen. §10.

R e g i o n u n d K a t e g o r i e in d e r f a c b b a l t i g e n Syntbetifcfie Erkenntniffe a priori.

Sphäre.

Mit den Begriffen Individuum und Konkretum ift auch der wiffenfchaftstheoretifche Fundamentalbegriff der R e g i o n ftreng »analytifA« definiert. Region ift nichts anderes als die g e f a m t e zu e i n e m K o n k r e t u m g e h ö r i g e o b e r f t e G a t t u n g s e i n h e i t , alio die wefenseinbeitliche Verknüpfung der oberften

Ideen zu einet reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofopbie.

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Gattungen, die den niederften Differenzen innerhalb des Konkretums zugeböten. Der eidetifche Umfang der Region befaßt - die ideale Gefamtheit konkret vereinheitlichter Komplexe von Differenzen dielet Gattungen, der individuelle Umfang die ideale Gefamtbeit möglicher Individuen iolcher konkreter Wefen. Jedes regionale Wefen beftimmt » f y n t h e t i f c h e « W e f e n s w a h r b e i t e n , d. b. i o l t b e , w e l c h e i n i h m a l s d i e f e m G a t t u n g s w e f e n g r ü n d e n , nicht a b e r b l o ß e B e f o n d e r u n g e n f o r m a l » o n t o l o g i f c h e r W a h r h e i t e n f i n d . Der regionale Begriff und feine regionalen Abartungen find alfo in diefen fynthetifAen Wahrheiten nicht frei variierbar, die Erfetjung der bezüglichen beftimmten Termini durch Unbeftimmte ergibt kein formal-logifches Gefet), wie dergleichen in charakteriftifcher Weife ftatthat bei allen »analytifchen« Notwendigkeiten. Der Inbegriff der im regionalen Weien gründenden fynthetifchen Wahrheiten macht den Inhalt der regionalen Ontotogie aus. Der Gefamtinbegriff der G r u n d w a h r h e i t e n unter ihnen, der r e g i o n a l e n A x i o m e , umgrenzt - und d e f i n i e r t uns — den I n b e g r i f f d e r r e g i o n a l e n K a t e g o r i e n . Diele Begriffe drücken nicht bloß, wie Begriffe überhaupt, Befonderungen reinlogifcher Kategorien aus, fondern find dadurch ausgezeichnet, daß fie, vermöge der regionalen Axiome, dem regionalen Wefen e i g e n t ü m l i c h Zugehöriges ausdrücken, bzw. in e i d e t i f c h e r A l l g e m e i n h e i t a u s d r ü c k e n , was einem individuellen Gegenftand der Region » U p r i o r i « u n d » f y n t h e t i f d ) « z u k o m m e n m u ß . Die Anwendung iolcher (niAt reinlogifcher) Begriffe auf gegebene Individuen ift eine apodiktifch und unbedingt notwendige, und übrigens geregelt durch die regionalen (fynthetifchen) Axiome. Will man die Anklänge an Kants Vernunftkritik (trot) erheblicher Differenzen in den Grundauffaffungen, die aber eine innere Verwandtfcbaft nicht ausfchließen) fefthalten, fo bätie man alfo unter f y n t b e t i f d > e n E r k e n n t n i f f e n a p r i o r i zu verfteben die r e g i o n a l e n A x i o m e , und wir hätten foviel irreduktible Klaffen iolcher Erkenntniffe als Regionen. Die » f y n t h e t i f c h e n G r u n d b e g r i f f e « oder K a t e g o r i e n wären die regionalen Grundbegriffe (wefentlich auf die beftimmte Region und ihre fynthetifchen Grundlage bezogen), und wir hätten foviel u n t e r f c h i e d e n e G r u p p e n v o n K a t e g o r i e n , a l s R e g i o n e n zu unterfcheiden find. Dabei tritt ä u ß e r l i c h die f o r m a l e O n t o l o g i e in eine Reihe mit den regionalen (den eigentlichen » m a t e r i a l e n « , » f y n t b e t i f c h e n « ) Ontotogien. Ihr regionaler Begriff »Gegenftand«

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Edmund Hufietl,

beftimmt (vgl. oben § 10) das formale flxiomenfyftem und dadurch den Inbegriff formaler (»analytifcber«) Kategorien. Darin liegt in der Tat eine Rechtfertigung der Parallelifierung, trotj all der hervörgehobenen wefentlidben Unterfchiede. §17. ScfoluOder l o g i f c h e n

Betrachtungen.

Unfere ganze Betrachtung war eine rein logifche, fie bewegte fich in keiner »materialen« Sphäre, oder, wie wir gleichwertig fagen, in keiner b e f t i m m t e n Region, fie fpradb allgemein von Regionen und Kategorien, und diefe Allgemeinheit war, dem Sinne der aufeinander gebauten Definitionen gemäß, eine rein logifche. Es war eben a u f d e m B o d e n d e r r e i n e n L o g i k e i n S c h e m a zu zeichnen, a l s S t ü c k d e r v o n i h r a u s g e h e n d e n G r u n d v e r f a f f u n g a l l e r m ö g l i c h e n E r k e n n t n i s , bzw. E r · k e n n t n i s g e g e n f t ä n d l i c h k e i ten, welchem g e m ä ß Individuen unter »fyntbetifchen Prinzipien a priori«, nach B e g r i f f e n und G e f e t j e n , b e f t i m m b a r fein m ü f f e n , oder welchem gemäß a l l e e m p i r i f c h e n W i f f e n f d b a f t e n fich gründen müffen auf ihnen z u g e h ö r i g e regionale O n t o l o g i e n und nicht bloß auf die allen Wiffenfchaften gemeinfame reine Logik. Zugleich erwächft von hier aus die I d e e e i n e r H u f g a b e : Im Umkreife unferer individuellen Hnfchauungen die o b e r f t e n G a t t u n g e n v o n K o n k r e t i o n e n zu beftimmen, und auf diefe Weife eine A u s t e i l u n g a l l e s a n f c h a u l i c h e n i n d i v i d u e l l e n S e i n s nach S e i n s r e g i o n e n zu vollziehen, d e r e n j e d e e i n e p r i n z i p i e l l , weil aus radikalften Wefensgründen u n t e r f c h i e d e n e eidetifche und empirifche Wiffenf c h a f t (bzw. Wiffenfchaftsgruppe) b e z e i c h n e t . Die radikale Unterfcheidung fchließt übrigens keineswegs Verflechtung und partielle Überfchiebung aus. So find ζ. B. »materielles Ding« und »Seele« verfchiedene Seinsregionen, und doch iit die letjtere in der erfteren fundiert und daraus erwächft die Fundierung der Seelenlehre in der Leibeslehre. Das Problem einer radikalen »Klaffifikation« der Wiffenfchaften ift in der Hauptfache das Problem der Scheidung der Regionen, und dazu wieder bedarf es vorgängig rein logifcher Unterfuchungen der Art, wie fie hier in einigen Linien geführt wurden. Andererfeits bedarf es freilich auch der Phänomenologie — von der wir bisher noch nichts wiffen.

Ideen zu einer reinere Phänomenologie u. pbänomenol. Philofophie.

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Zweites Kapitel.

Ν a t u r a l i f ti fch e § 18. E i n l e i t u n g

Mißdeutungen.

in d i e k r i t i f c b e n

Diskuffionen.

Die allgemeinen Ausführungen, die wir über Wefen und Wefenswiffenfchaft im Gegenfat} zu Tatfache und Tatfacbenwiffenfd)aft vor» angeftellt haben, behandelten wefentliche Grundlagen für unteren Aufbau der Idee einer reinen Phänomenologie (die ja nach der Einleitung eine Wefenswiffenfchaft werden foil) und für das Verftändnis ihrer Stellung zu allen empirifchen Wiffenfchaften, alfo auch zur Pfychologie. Alle prinzipiellen Beftimmungen müffen aber, da« von hängt viel ab, in richtigem Sinne verftanden werden. Wir haben in ihnen, das fei fcharf betont, nicht von einem vorgegebenen philofophifdben Standpunkte aus doziert, wir haben nicht überkommene und fei es felbft altgemein anerkannte philofophifche Lehren benutjt, fondern einige, im ftrengften Sinne p r i n z i p i e l l e H u f w e i f u n g e n vollzogen, d. h. wir haben nur Unterfchiede zu getreuem Ausdruck gebracht, die uns in der A n f c h a u u n g direkt gegeben find. Wir haben fie genau fo genommen, wie He fleh da geben, ohne jede hypothetifche oder interpretierende Auslegung, ohne Hineindeutung von folchem, was uns durch überlieferte Theorien alter und neuer Zeit fuggeriert fein mag. Feftftellungen, die fo vollzogen find, find wirkliche »Anfänge«; und find fie, wie die unteren, von einer auf die umfaffenden Seinsregionen bezogenen Allgemeinheit, fo find fie ficherlich im philofophifchen Sinne prinzipielle und felbft zur Philofophie gehörig. Aber auch dies Letjtere brauchen wir nicht vorauszufetjen, unfere bisherigen Betrachtungen find, wie alle weiteren es fein follen, von jeder Abhängigkeitsbeziehung zu einer fo ftrittigen und verdächtigen »Wiffenfchaft«, wie es die Philofophie ift, frei. In unferen Grundfeftftellungen haben wir nichts, auch nicht den Begriff der Philofophie vorausgefetjt, und fo wollen wir es auch fernerhin halten. Die p h i l o f o p h i f c h e ε π ο χ ή , die wir uns vornehmen, foil, ausdrücklich formuliert, darin beftehen, daß wir uns h i n f i c h t l i c h d e s Lehrgehaltes aller vorgegebenen Philofophie vollkommen des U r t e i l s enthalten und alle u n f e r e Nach w e i f u n g e n i m R a h m e n d i e f e r E n t h a l t u n g v o l l ziehen. Andererfeits brauchen wir es darum nicht zu vermeiden (und wir können es gar nicht vermeiden), überhaupt von Philofophie zu fprechen, von Philofophie als hiftorifchem Faktum, von faktifchen philofophifchen Richtungen, die, wie in gutem, fo 3

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Edmund HufTetl,

öfters aucb in fcblechtem Sinne die allgemeinen wiffenfchaftlichen Überzeugungen der Menfchbeit beftimmt haben, und das ganz be· fonders auch binßchtlicb der behandelten Grundpunkte. Gerade in diefer Beziehung müffen wir uns mit dem Empirie· mus in einen Streit einladen, einen Streit, den wir innerhalb unterer εποχή fehr wohl ausfechten können, da es fich hier um Punkte handelt, die einer unmittelbaren Feftiiellung unterliegen. Hat überhaupt Philofophie einen Beftand an »prinzipiellen« Grund· lagen in dem echten Sinne, die alfo ihrem Wefen nach nur durch unmittelbar gebende ftnfchauung begründet werden können, ίο ift ein Streit, der diefe betrifft, in feiner Entfcheidung unabhängig von aller philofophifchen W i f f e n f e h a f t , von dem Befit) ihrer Idee und ihres angeblich begründeten Lehrgehaltes. Die Sachlage, die uns den Streit aufzwingt, ift die, daß »Ideen«, »Wefen«, »Wefens· erkenntniffe« vom Empirismus geleugnet werden. Es ift hier nicht der Ort, die hiftorifchen Gründe zu entwickeln, warum gerade das flegreiche Vordringen der Naturwiffenfchaften, wie fehr tie auch als »matbematifebe« ihr hohes wiffenfchaftliches Niveau eidetiieher Fun· damentierung verdanken, den philofophifchen Empirismus gefördert und zur vorberrfchenden Uberzeugung, ja in den Kreifen der Erfahrungsforfcher faft zur alleinherrfchenden gemacht hat. Jedenfalls lebt in diefen Kreifen, und fomit auch bei den Pfychologen, eine Ideenfeindfchaft, die fcbließlicb dem Fortfehritt der Erfahrung«* wiffenfehaften felbft gefährlich werden muß; das aber aus dem Grunde, weil hierdurch die keineswegs fchon abgefcbloffene eidetifche Fundamentierung diefer Wiffenfehaften, die ev. notwendige Kon» ftituierung neuer, für ihren Fortfehritt unentbehrlicher Wefenswiffenfebaften, gehemmt wird. Wie fich fpäter klar herausftellen wird, betrifft das Gefagte gerade die Phänomenologie, die das wefentliche eidetitche Fundament der Pfychologie und der Geiftes· wiiienfehaften ausmacht. Es bedarf alfo einiger Ausführungen zur Verteidigung unferer Feftftellungen. § 19. D i e e m p i r i f t i f c f » e I d e n t i f i k a t i o n v o n E r f a h r u n g o r i g i n ä r g e b e n d e m Akte.

und

Der empiriftifche Naturalismus entfpringt, wie wir anerkennen müffen, böchft febätjenswerten Motiven. Er ift ein erkenntnispraktifdjer Radikalismus, der gegenüber allen »Idolen«, gegenüber den Mächten der Tradition und Superftition, der rohen und verfeinerten Vorurteile jeder Rrt, das Recht der autonomen Vernunft, als der einzigen Hutorität in Fragen der Wahrheit, zur Geltung

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. phlnomenol. Pbilofopble.

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brinqen will. Vernünftig oder wiiienichaftlich über Sachen urteilen, das beißt aber, iich nach den S a c h e n i e l b f t richten, bzw. von den Reden und Meinungen auf die Sachen ielbft zurückgeben, fle in ihrer Selbftgegebenbeit befragen und alle iachfremden Vorurteile beiieitetun. N u r e i n e a n d e r e flusdrucksweiie für eben« dasfelbe fei - ί ο m e i n t d e r E m p i r i f t - daß alle Wiifenfchaft von der E r f a h r u n g ausgeben, ihre mittelbare Erkenntnis in unmittelbarer Erfahrung g r ü n d e n müffe. fllio echte Wifienfchaft und Etfahrungswiiienichaft gilt dem Empiriften einerlei. »Ideen«, »Wefen« gegenüber Tatiachen - was wären die anderes als fcholaftifche Entitäten, als metaphyiiiche Gefpenfter? Die Menichheit von dergleichen philofophifchem Spuk erlöft zu haben, fei gerade das Hauptverdienft der neuzeitlichen Natutwiffenfchaft. Nur mit der erfahrbaren, realen Wirklichkeit habe es alle Wiifenfchaft zu tun. Was nicht Wirklichkeit ift, ift Einbildung, und eine Wifienfchaft aus Einbildungen ift eben eingebildete Wiiienichaft. Einbildungen als piychifche Fakta wird man natürlich gelten laffen, fie gehören zur Pfychologie. Daß aber - wie im vorigen Kapitel verfucht worden ift darzulegen — aus Einbildungen durch eine darauf gegründete fog. Wefensichauung neue Gegebenheiten, »eidetiiche«, entquellen follen, Gegenftände, die irreal find, das ift — ίο wird der Empirift ichließen — eben »ideologiiche Verftiegenheit«, eine »Rückwendung zur Scbolaftik« oder zu jener Sorte von »ipekulativen Konitruktionen a priori«, durch welche der naturwiiienichaftsfremde Idealismus in der erften Hälfte des 19. Jahrhunderts die echte Wiiienichaft io iebr gehemmt habe. Indefien alles, was der Empirift da lagt, beruht auf Miß» veritändnitten und Vorurteilen — io wohlgemeint und gut das ihn uriprünglich leitende Motiv ift. Der prinzipielle Fehler der em« piriftifchen Argumentation liegt darin, daß die Grundforderung eines Rückganges auf die »Sachen felbit« mit der Forderung aller Erkenntnisbegründung durch E r f a h r u n g identifiziert, bzw. verwechfelt wird. Ohne weiteres gilt ihm, bei der begreiflichen naturaliftiichen Einichränkung des Rahmens erkennbarer »Sachen«, Erfahrung als der einzige Sachen felbit gebende Hkt. Hber S a ch e η find ηi cht ohne weiteres N a t u r t a c h e n , Wirklichkeit im gewöhnlichen Sinne nicht ohne weiteres Wirklichkeit überhaupt, und n u r a u f N a t u r w i r k l i c h k e i t bezieht fleh derjenige originär gebende Hkt, den wir E r f a h r u n g nennen. Hier Identifikationen vollziehen und als vermeinte Selbftveritändlichkeiten behandeln, das heißt, in klarfter Einficht zu gebende Unterfchiede unbeiehen beiieite3*

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Edmund Hufferl,

fchieben. Es fragt fich alio, auf w e l c h e r Seite die Vorurteile find. Die echte Vorurteilslofigkeit fordert nicht fchled>thin Ablehnung von »erfahrungsfremden Urteilen«, fondem nur dann, wenn der e i g e n e S i n n der Urteile Erfahrungsbegründung f o r d e r t . Geradehin zu b e h a u p t e n , daß a l l e Urteile Erfahrungsbegründung zulaffen, ja fogar fordern, ohne vorher das Wefen der Urteile nach ihren grundverfchiedenen Ortungen einem S t u d i u m unterzogen und dabei erwogen zu haben, ob diefe Behauptung nicht am Ende eine w i d e r f i n n i g e fei: das ift eine »fpekulative Konftruktion a priori«, die darum nicht beffer wird, weil fie diesmal von empiriftifcher Seite ausgebt. Echte Wiffenfchaft und die ihr eigene echte Vorurteilslofigkeit fordert als Unterlage aller Beweife unmittelbar gültige Urteile als folche, die ihre Geltung direkt aus originär gebenden flnfchauungen ziehen. Diefe find aber fo geartet, wie es der S i n n diefer Urteile, bzw. d a s e i g e n e W e f e n d e r G e g e n f t ä n d e u n d U r t e i l s v e r h a l t e vorfdhreibt. Die fundamentalen Regionen von Gegenftänden und korrelativ die regionalen Typen gebender Hnichauungen, die zugehörigen Urteilstypen und endlich die noetifchen Normen, welche für die Begründung von Urteilen folcher Typen jeweils gerade diefe und keine andere flnfchauungsart f o r d e r n — all das kann man nicht von obenher poftulieren oder dekretieren; man kann es nur einfichtig feftftellen, und das beißt felbft wieder: durch originär gebende flnfchauung aufweifen, und es durch Urteile, die (ich dem in ihr Gegebenen getreu anpaffen, fixieren. Es will uns fcheinen, daß fo und nicht anders das wirklich vorurteilsfreie oder rein fachliche Verfahren ausfähe. Das u n m i t t e l b a r e » S e h e n « , nicht bloß das finnliche, erfahrende Sehen, fondern das S e h e n ü b e r h a u p t a l s o r i g i n ä r g e b e n d e s B e w u ß t f e i n w e l c h e r H r t i m m e r , ift die letjte Rechtsquelle aller vernünftigen Behauptungen. Rechtgebende Funktion bat fie nur, weil und foweit fie originär gebende ift. Sehen wir einen Gegenftand in voller Klarheit, haben wir rein auf Grund des Sehens und im Rahmen des wirklich fehend Erfaßten Explikation und begriffliche Faffung vollzogen, feben wir dann (als eine neue Weife des »Sehens«), wie befchaffen der Gegenftand ift, dann bat die getreue ausdrückende flusfage ihr Recht. Für die Frage nad> ihrem Warum dem »ich fehe es« keinen Wert beimeffen, wäre Widerfinn - wie wir abermals einfehen. Das fchließt übrigens nicht aus, wie hier, um möglichen Mißdeutungen vorzubeugen, beigefügt fei, daß unter Umftänden doch ein Sehen mit einem anderen Sehen

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofopbie.

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ftreiten kann und ebenfo eine r e c h t m ä ß i g e Behauptung mit einer anderen. Denn darin liegt nicht etwa, daß Sehen kein Rethtsgrund fei, fo wenig das Überwiegen einer Kraft durch eine andere befagt, daß fle keine Kraft fei. Fiber wohl fagt es, daß vielleicht in einer gewiffen Kategorie von Hnfchauungen (und das trifft gerade die finnlich erfahrenden) das Sehen feinem Wefen nach »unvollkommen« ift, daß es prinzipiell bekräftigt oder entkräftet werden kann, daß fomit eine Behauptung, die unmittelbaren und fomit echten Rechts« grund in der Erfahrung hat, doch im Fortgang der Erfahrung vermöge ihres überwiegenden und aufhebenden Gegenrechts preis· gegeben werden muß. § 20. Der E m p i r i s m u s a t s S k e p t i z i s m u s . fllfo der Erfahrung fubftituieren wir das Allgemeinere »ftnfchauung«, und fomit lehnen wir die Identifikation von Wiffenfchaft überhaupt und Erfahrungswiffenfchaft ab. Man erkennt übrigens leicht, daß für diefe Identifikation eintreten und die Geltung des rein eidetifchen Denkens beftreiten, zu einem Skeptizismus führt, der als echter Skeptizismus fich durch Widerfinn aufhebt. 1 Man braucht den Empiriften nur nach der Quelle der Geltung feiner allgemeinen Thefen (ζ. B. »alles gültige Denken gründet auf Erfahrung als der einzig gebenden flnfchauung«) zu fragen, und er verwickelt fich in nachweisbaren Widerfinn. Direkte Erfahrung gibt doch nur finguläre Einzelheiten und keine Allgemeinheiten, alio genügt fie nicht. Huf Wefenseinficht kann er fich nicht berufen, denn die leugnet er; alfo doch wohl auf Induktion, und fo überhaupt auf den Komplex mittelbarer Schlußweifen, durch welche die Erfahrungswiffenfchaft ihre allgemeinen Sätje gewinnt. Wie fteht es nun, fragen wir, mit der Wahrheit der mittelbaren Schlüffe, mögen fie nun deduktive oder induktive fein? Ift diefe W a h r h e i t (ja ift, könnten wir fogar fragen, fchon die eines fingulären Urteils) felbft etwas Erfahrbares und zuletjt alfo Wahrnehmbares? Und wie fteht es mit den P r i n z i p i e n der Schlußweifen, auf die man fich im Streit= oder Zweifelsfalle beruft, wie ζ. B. mit den fyllogiftifchen Prinzipien, dem Satje von der »Drittengleichheit« ufw., auf die hier doch, als auf letjte Quellen, die Rechtfertigung aller Schlußweifen zurückführt? Sind das felbft wieder empirifche Verallgemeinerungen, oder fchließt eine folche fiuffaffung nicht radikalften Widerfinn in fich? I) Vgl. über den cbarakteriftifcben Begriff des Skeptizismus die »Prolegomena ζ. r. Logik«, »Log. Unterf.« I, § 32.

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Edmund Hufierl,

Ohne uns hier in längere Huaeinanderfetjungen einzuleiten, wobei an anderen Stellen Gefagtes nur zu wiederholen wäre \ dürfte mindestens doch (o viel erficbtlich geworden fein, daß die Grundthefen des Empirismus allererft einer genaueren Huseinanderlegung, Klärung, Begründung bedürften, und daß diefe Begründung felbft den Normen gemäß fein müßte, die die Theten ausfprechen. Zugleich i(t es aber auch offenbar, daß hier mindeftens' ein ernfter Verdacht beftcht, ob nicht in diefer Rückbeziehung Widerflnn verborgen fei während doch von einem emftlich ausgeführten Verfuch, in diefen Beziehungen wirkliche Klarheit und wiffenfchaftliche Begründung zu fchaffen, in der empiriftifchen Literatur kaum ein Hnfatj zu finden ift. Wiffenfchaftliche empirifche Begründung würde hier wie fonft fordern: flusgang von thcoretifch ftreng fixierten Einzelfällen und Fortgang zu allgemeinen Theten nach ftrengen, von prinzipieller Einficht durchleuchteten Methoden. Die Empiriften fcheinen überfehen zu haben, daß die wiffenfchaftlichen Anforderungen, die fie in ihren Thefen an alle Erkenntnis ftellen, an ihre Theten felbft mit adreffiert feien. Während fie als echte Standpunktsphilofophen und, in offenbarem Widerfpruch mit ihrem Prinzip der Vorurteilsfreiheit, von ungeklärten und unbegründeten Vormeinungen ausgehen, nehmen wir unteren Flusgang von dem, was v o r allen Standpunkten liegt: von dem Gefamtbereich des anfchaulich und noch vor allem theoretifierenden Denken felbft Geqebenen, von alledem, was man unmittelbar fehen und erfaffen kann — wenn man fich eben nicht durch Vorurteile blenden und davon abhalten läßt, ganze Klaffen von echten Gegebenheiten in Beachtung zu ziehen. Sagt » P o f i t i v i s m u s « foviel wie abfolut vorurteilsfreie Gründung aller Wiffenfchaften auf das »Pofitive«, d. i. originär zu Erfaffende, dann ünd w i r die echten Pofitiviften. Wir laffen uns in der Tat durch k e i n e Autorität das Recht verkümmern, alle flnfchauungsarten als gleichwertige Rechtsquellen der Erkenntnis anzuerkennen — auch nicht durch die Autorität der »modernen Naturwiffenfchaft«. Wenn wirklich die Naturwiffenfchaft fpricht, hören wir gerne und als Jünger. Aber nicht immer fpricht die Naturwiffenfcbaft, wenn die Naturforfcber fprecben; und ücberlkh n i c h t , wenn fie über »Naturphilofophie« und »natur· wiffenfchaftliche Erkenntnistheorie« fprechen. Und fo vor allem nicht, wenn fie uns glauben machen wollen, daß die generellen Selbft· verftändlichkeiten, wie folche alle Axiome ausdrücken (Sätje wie daß 1) VflL «Log. Unterf.« I, bef. Kap. 4 u. 5.

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a + l = l - f a ift, daß ein Urteil nicht farbig fein kann, daß von je zwei qualitativ vermiedenen Tönen einer der tiefere und der andere der höhere ift, daß eine Wahrnehmung i n fich Wahrnehmung von etwas ift u. dgl.), Ausdrücke von Erfahrungstatiachen feien, während wir doch in v o l l e r E i n f i c h t erkennen, daß dergleichen Sä^e Gegebenheiten eidetifcher Intuition zum explikativen Ausdruck bringen. Eben damit ift es uns aber klar, daß die »Pofitiviften« bald die kardinalen Unterfcbiede der Hnfchauungsarten vermengen, und bald fle zwar kontraftiert fehen, aber durd> ihre Vorurteile gebunden nur eine einzige von ihnen als gültig oder gar nur vorhanden anerkennen w o l l e n . § 21. U n k l a r h e i t e n auf i d e a l i f t i f e f c e r S e i t e . Unklarheit herrfcht hier freilich auch auf der Gegenfeite. Man nimmt zwar ein reines Denken, ein »apriorifches« an und lehnt fomit die empiriftifche Thefe ab; man bringt fich aber nicht reflektiv zu klarem Bewußtfein, daß es fo etwas wie reines Hnfchauen gibt, als eine Gegebenheitsart, in der Wefen als Gegenftände originär gegeben find, ganz fo wie in der erfahrenden Hnfchauung individuelle Realitäten; man erkennt nicht, daß a u c h j e d e s u r t e i l e n d e Ε i η f e h e η , wie insbefondere das unbedingt a l l g e m e i n e r Wahrheiten, u n t e r d e n B e g r i f f g e b e n d e r I n t u i t i o n f ä l l t , d e r e b e n v i e l e r l e i D i f f e r e n z i e r u n g e n , v o r allem d e n l o g i f c h e n K a t e g o r i e n p a r a l l e l l a u f e n d e , hat. 1 Zwar fpricht man von Evidenz, aber anftatt fle als Einfehen mit dem gewöhnlichen Sehen i n W e f e n s b e z i e h u n g e n zu bringen, fpricht man von einem » E v i d e n z g e f ü h l « , das als ein myftifcher Index veri dem Urteil eine Gefühlsfärbung verleihe. Solche Huffaifungen Ond nur folange möglich, als man es nicht gelernt hat, Bewußtfeins« arten rein fchauend und wefensmäßig zu analyfieren, ftatt über fle von oben her Theorien zu machen, Diefe angeblichen Gefühle der Evidenz, der Denknotwendigkeit, und wie Tie fonft genannt fein mögen, flnd nichts weiter als t h e c r e t l i c h e r f u n d e n e G e f ü h l e . 2 Das wird jedermann anerkennen, der irgendeinen Fall von Evidenz fich zu wirklid) fchauender Gegebenheit gebracht und mit einem Fall von Nichtevidenz desfelben Urteilsinhaltes verglichen hat. Man merkt dann fogleich, daß die ftillfchwöigende Vorausfe^ung der ge1) Vgl. »Log. Unterf.« II, 6. Unterf., §45 ff. Desgleichen oben § 3. 2) Oarftellungen, wie fie ζ. Β Elfenhans in dem eben erfchienenen Lehrbuch der Pfycbologie, S. 289ff. gibt, find m. E. pfychologifche Fiktionen ohne das mindefte Fundament in den Phänomenen.

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Edmund Hufferl,

fühlvollen Evidenztheorie, nämlich daß ein dem übrigen pfychologifchen Wefen nach gleiches Urteilen einmal gefühlsmäßig gefärbt und das andere Mal ungefärbt fei, grundirrig ift, daß vielmehr eine gleiche Oberfcbicht, die des gleichen flusfagens als bloßen b e d e u t u n g s m ä ß i g e n flusdrückens, das eine Mal Schritt für Schritt angepaßt ift einer »klar einfehenden« Sachverhaltsintuition, während das andere Mal als Unterfchicht ein ganz anderes Phänomen, ein nicht intuitives, ev. ganz verworrenes und ungegliedertes Sachver· haltsbewußtfein fungiert. Mit d e m f e l b e n Rechte könnte man alio in der Erfahrungsfphäre den Unterfchied zwifchen dem klaren und getreuen Wahmehmungsurteil und einem beliebigen vagen Urteil desfelben Sachverhalts bloß dahin faffen, daß das erftere mit einem » K l a r h e i t s g e f ü h l « begabt fei, das andere nid>t. §22.

Der V o r w u r f des Platonifcben Wefen und Begriff.

Realismus.

Befonderen flnftoß erregte es immer wieder, daß wir als »platoniiierende Realiften« Ideen oder Wefen als Gegenftände bin· ffellen und ihnen, wie anderen Gegenftänden, wirkliches (wahrhaftes) Sein zufprechen, ίο wie, korrelativ damit, Erfaßbarkeit durch Intuition — nicht anders wie bei den Realitäten, flbgefehen fei hier von jener, leider febr häufigen Sorte flüchtiger Lefer, die dem Hutor ihre eigenen, ihm ganz fremden Begriffe unterlegen und es dann nicht eben fchwer haben, aus feinen Darftellungen flbfurditäten herauszulefen. 1 Befagt G e g e n f t a n d und R e a l e s , W i r k l i d ) k e i t und r e a l e W i r k l i c h k e i t ein und dasfelbe> dann ift die Huffaffung von Ideen als Gegenftänden und Wirklichkeiten allerdings verkehrte »Platonifche Hypoftafierung«. Wird aber, wie es in den »Logifchen Unterfuchungen« gefchehen ift, beides fcbarf getrennt, wird Gegenftand definiert als irgend etwas, alio ζ. Β. als Subjekt einer wahren (kategorifcben, affirmativen) Husfage, welcher Hnftoß kann dann übrig bleiben - es fei denn ein folcher, der aus dunklen Vorurteilen herftammt? Den allgemeinen Gegenftandsbegriff habe ich ja aud> nicht erfunden, fondern nur den von allen rein logifchen Sä$en geforderten reftituiert und zugleich darauf hingewiefen, daß er ein prinzipiell unentbehrlicher und daher auch die allgemeine wiffenfcbaftlicbe Rede beftimmender ift. Und in diefem Sinne i f t eben 1) Die Polemik gegen die »Logifchen Unterfuchungen« und meinen Logos· artikel, auch die woblwollende, bewegt fid» zum größten Teile leider auf diefem Niveau.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofopbie.

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die Tonqualität c, die in der Tonreihe ein numerifcb einziges Glied ift, oder i f t die Zahl 2 in der Hnzablenreibe, die Figur Kreis in der Idealwelt geometrifcher Gebilde, ein beliebiger Sat) in der »Welt« der Sät>e — kurzum vielerlei Ideales ein »Gegenftand«. Die Ideenblindbeit ift eine Hrt Seelenblindbeit, man ift durch Vorurteile unfähig geworden, was man in feinem Hnfchauungsfelde hat, in das Urteilsfeld zu bringen. In Wahrheit fehen alle und fozufagen immerfort »Ideen«, »Wefen«, fie operieren mit ihnen im Denken, vollziehen auch Wefensurteile — nur daß fie diefelben von ihrem erkenntnistheoretifcben »Standpunkte« aus wegdeuten. Evidente Gegebenheiten find geduldig, fie laffen die Theorien über fich binwegreden, bleiben aber, was fie find. Es ift Sache der Theorien, fich nach den Gegebenheiten zu richten, und Sache der Erkenntnistheorien , Grundarten folcher zu unterfcheiden und nach ihren Eigenwefen zu befchreiben. Vorurteile machen in theoretifcher Hinficht merkwürdig genügfam. Wefen, alfo auch Wefensanfcbauung (Ideation) k a n n es nicht geben, alfo m u ß es fich, wo die allgemeine Rede dem widerfpricht, um » g r a m m a t i f d > e H y p o f t a f i e r u n g e n « handeln, durch die man fich ja nicht zu » m e t a p b y f i f c b e n « forttreiben laffen darf. Was faktifch vorliegt, das können nur reale pfychifche Vorkommniffe der » f i b f t r a k t i o n « fein, die fich an reale Erfahrungen oder Vorftellungen anknüpfen. Demnach werden nun eifrig »Hbftraktionstheorien« konfluiert und die erfahrungsftolze Pfychologie hier, w i e in a l l e n i n t e n t i o n a l e n S p h ä r e n (die doch wohl Haupttbemen der Pfychologie ausmachen) mit e r f u n d e n e n P h ä n o m e n e n , mit p f y c h o l o g i f c h e n R n a l y f e n , d i e k e i n e R n a l y f e n f i n d , bereichert. Ideen oder Wefen find alfo, beißt es, » B e g r i f f e « und Begriffe find » p f y c h i f c h e G e b i l d e « , »Produkte der flbftraktion«, und als folche fpielen fie freilich in unterem Denken eine große Rolle. »Wefen«, »Idee« oder »Eidos«, das find nur vornehme »philofophifche« Namen für »nüchterne pfychologifche Fakta«. Gefährliche Namen, um der metapbyfifcben Suggeftionen willen. Wir antworten: Gewiß find Wefen »Begriffe« — wenn man unter Begriffen, was das vieldeutige Wort geftattet, eben Wefen verfteht. Nur mache man fid> klar, daß die Rede von pfycbifcben Produkten d a n n ein nonsens ift, und desgleichen die Rede von B e g r i f f s b i l d u n g , wofern fie als ftrenge und eigentliche verftanden fein foil. Gelegentlich lieft man in einer Abhandlung, die Anzahlenreibe fei eine Reihe von Begriffen, und dann eine Strecke weiter:

Edmund Huflerl,

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Begriffe feien Gebilde des Denkens. Zuerft alfo waren die Anzahlen ielbft, die Wefen, ab Begriffe bezeichnet. Sind aber, fragen wir, die Anzahlen nicht, was ße find, ob wir fie »bilden« oder nicht bilden? Gewiß, mein Zählen vollziehe ich, ich bilde meine Zahl· vorftellungen im »Eins und Eins«. Diefe Zahlvorftellungen find jetjt die und find, wenn ich fie auch als gleiche ein andermal bilde, andere. In diefem Sinne gibt es zeitweife keine, zeitweife viele, beliebig viele Zahlvorftellungen von einer und derfelben Zahl. Aber eben damit haben wir ja (und wie könnten wir das vermeiden) unterfchieden; Zahlvorftellung ift nicht Zahl ielbft, ift nicht die Zwei, diefes einzige Glied der Zahlenreihe, das, wie alle folche Glieder, ein unzeitliches Sein ift. Sie als pfychifches Gebilde zu bezeichnen, ift alfo Widerfinn, ein Verftoß gegen den völlig klaren, jederzeit als gültig einfehbaren, alfo v o r allen Theorien liegenden Sinn der arithmetifchen Rede. Sind Begriffe pfyd)if(he Gebilde, dann find dergleichen Sachen, wie reine Zahlen, keine Begriffe. Sind fie aber Begriffe, dann find Begriffe keine pfychifchen Gebilde. Man b r a u c h t alfo, eben um fiquivokationen von diefer Gefährlichkeit zu löfen, neue Termini. § 23. S p o n t a n e i t ä t

dec I d e a t i o n , Wefen und

Fiktum.

Ift es aber, wird man einwenden, nicht doch wahr und evident, daß Begriffe, oder, wenn man will, Wefen, wie Rot, Haus usw., durch flbftcaktion aus individuellen flnfen Hnatyfen der fpäteren flbfehnitte diefer Arbeit.

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Edmund Huffert,

k e n , i n d e n e n e s f i d ) d a g i b t , kann uns keine erdenkliche Theorie irre machen. Sehen wir doch ein, daß eine jede ihre Wahr· beit felbft wieder nur aus den originären Gegebenheiten fchöpfen könnte. Jede Husfage, die nichts weiter tut, als folcben Gegebenheiten durch bloße Explikation und genau (ich anmeffende Bedeutungen Ausdruck zu verleihen, ift alio wirklich, wie wir es in den einführenden Worten diefes Kapitels gefagt haben, ein a b f o l u t e r H n f a n g , im echten Sinne zur Grundlegung berufen, p r i n c i p i u m . Das aber gilt in befonderem Maße von den generellen Weienserkenntniffen diefer ftrt, auf welche das Wort Prinzip gewöhnlich befchränkt wird. In diefem Sinne bat der N a t u r f o r f c b e r vollkommen recht, dem »Prinzip« zu folgen: daß für jede auf Tatfachen der Natur bezügliche Behauptung nach den Erfahrungen zu fragen fei, die fie begründen. Denn das i f t ein Prinzip, es ift eine aus genereller Einficht unmittelbar gefchöpfte Behauptung, wie wir uns jederzeit überzeugen können, indem wir uns den Sinn der im Prinzip gebrauchten Ausdrücke zur vollkommenen Klarheit und die ihnen zugehörigen Wefen zur reinen Gegebenheit bringen. In gleichem Sinne hat aber der W e f e n s f o r f d i e r , und wer immer generelle Sätje benütjt und ausfpriebt, einem parallelen Prinzip zu folgen; und es muß ein folebes geben, da ja fdbon das foeben zugeftandene Prinzip der Begründung aller Tatfachenerkenntnis durch Erfahrung nicht felbft erfabrungseinfiebtig ift — wie eben jedes Prinzip und jede Wefens» erkenntnis überhaupt. § 25. D e r P o f i t i v i f t i n d e r P r a x i s a l s N a t u r f o r f c b e r , d e r N a t u r f o r f c b e r in d e r R e f l e x i o n a l s P o f i t i v i f t .

De facto verwirft der Pofitivift Wefenserkenntniffe nur, wo er »pbilofopbifcb« reflektiert und fieb durch die Sophismen empiriftifeber Pbilofopben täufeben läßt, nicht aber, wo er als Naturforfcber in der normalen naturwiffenfchaftlicben Einftellung denkt und begründet. Denn da läßt er fieb offenbar in febr weitem Maße von Wefensein« fichten leiten. Bekanntlich find ja die rein mathematifeben Difziplinen, die materialen wie die Geometrie oder Pboronomie, die formalen (rein logifchen) wie die Arithmetik, finalyfis ufw. die Grundmittel nafur« wiffenfcbaftlicber Tbeoretifierung. Daß diefe Difziplinen nicht empirifcb verfahren, nicht durch Beobachtungen und Verfucbe an erfahrenen Figuren, Bewegungen ufw. begründet werden, ift ofFenflchtlicb. Der Empirismus will es freilich nicht feben. Aber foil man fein Hrgument emft nehmen: es fehle an gründenden Erfahrungen fo

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wenig, daß vielmehr Unendlichkeiten von Erfahrungen zu Gebote ftän« den? In der gefamten Erfahrung aller Menichengefchlechter, ja felbft vorangegangener Tiergefchlechter, habe fich ein ungeheurer Schatj an geometrifchen und arithmetifchen Eindrücken gefammelt und in Form von fluffaffungsgewohnheiten integriert, und aus diefem Fond fchöpfen nun uniere geometrifd>en Einfichten. — Fiber woher weiß man denn von diefen angeblich gefammelten Schäden, wenn niemand fie wiffenfchaftlich beobachtet und getreu dokumentiert hat? Seit wann find längft vergeffene und völlig hypothetifche Erfahrungen anftatt wirklicher und in ihrer eigentlich erfahrenden Funktion und Tragweite aufs forgfältigfte geprüfter, die Gründe einer Wiffenichaft - und dazu der exakteiten Wiffenichaft? Der Phyfiker beobachtet und experimentiert und begnügt fich mit gutem Grunde nicht mit vorwiffen« fchaftlichen Erfahrungen, geichweige denn mit inftinktiven fluffaffungen und Hypothefen über angeblich ererbte Erfahrungen. Oder foil man fagen, wie man von anderen Seiten in der Tat gefagt hat, wir verdankten die geometrifchen Einfichten der »P h a n « t a f i e e r f a h r u n g « , wir vollzögen fie als I n d u k t i o n e n a u s Pbantaiieexperimenten? Aber warum, fo lautet unfere Gegenfrage, macht denn der Phyfiker von folcher wunderbaren Phantafieerfahrung keinen Gebrauch? Doch wohl darum, weil Experimente in der Einbildung eingebildete Experimente wären, ebenio wie Figuren, Bewegungen, Mengen in der Phantafie eben nicht wirkliche, fondern eingebildete find. Am korrekteften weifen wir aber gegenüber all folchen Ausdeutungen, anftatt uns argumentierend auf ihren Boden zu ftellen, auf den e i g e n e n S i n n mathematifcher Behauptungen hin. Um zu wiffen und zweifellos zu wiffen, was ein mathematifches Axiom ausfagt, haben wir uns nicht an den empiriftifchen Philofophen, fondern an das Bewußtfein zu wenden, in dem wir matbematifierend die axiomatifchen Sadv verhalte in voller Einficht er fatten* Halten wir uns rein an diefe Im tuition, fo unterliegt es gar keinem Zweifel, daß irt den Axiomen reine Wefenszufammenhänge ohne die leifefte Mittelung von Erfahrungstatfachen zum Ausdruck kommen. Man muß nicht über geometrifches Denken und Anfchauen von außen her philofophieren und pfychologifieren, ftatt es lebendig zu vollziehen und auf Grund direkter Analyfe feinen immanenten Sinn zu beftimmen. Mag fein, daß wir von den Erkenntnifien vergangener Generationen Erkenntnisdispofitionen geerbt haben; aber für die Frage nach Sinn und Wert unterer Erkenntniffe find die Gefliehten diefer Erbfchaften ebenfo gleichgültig, wie es für den Wertgebalt unteres Goldes die Gefchichte der feinen ift.

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Edmund Huffert,

§ 26. W i f f e n f c h a f t e n d e r d o g m a t i f c h e n u n d W i f f e n f c h a f t e n der pbitofophifchen Einftellung.

Die Natur for [eher r e d e n alfo von der Mathematik und allem Eidetifchen f k e ρ t i f ch, v e r f a h r e n aber in ihrer eidetifchen Methodik d o g m a t i f d ) . Zu ihrem Glück. Groß ift die Naturwiffenfchaft dadurch geworden, daß (ie den üppig wuchernden antiken Skeptizismus kurzerhand beifeite gefd>oben und auf feine Überwindung v e r z i c h t e t hat. Statt fich mit den abfonderlichen Vexierfragen abzumühen, wie Erkenntnis einer »äußeren« Natur überhaupt möglich fei, wie all die Schwierigkeiten zu löfen wären, die fchon die Alten in diefer Möglichkeit fanden, mühte fie fich lieber mit der Frage der r e c h t e n M e t h o d e wirklich auszuführender und möglichft vollkommener Naturerkenntnis, der Erkenntnis in Form e x a k t e r Naturwiffenfchaft. Sie hat diefe Wendung, durch die fie freie Bahn f ü r ihre f a c h l i c h e Forfchung gewann, aber h a l b w i e d e r z u r ü c k g e m a c h t dadurch, d a ß f i e v o n n e u e m f k e p t i f c h e n R e f l e x i o n e n R a u m g i b t u n d fich v o n f k e p t i f c h e n T e n d e n z e n i n i h r e n Fi r b e i t s m δ g l i chk e i t e n b e g r e n z e n l ä ß t . Der Skeptizismus bleibt nun, infolge der Hingabe an die empiriftifchen Vorurteile, außer Spiel gefetjt nur in Hinficht auf die E r f a h r u n g s f p h ä r e , aber nicht mehr inHinficht auf die W e f e n s f ρ h ä r e. Denn es reicht für fie nicht hin, das Eidetifche nur unter der falfchen empiriftifchen Flagge in ihren Forfchungskreis zu ziehen. Solche Umwertungen laffen fich nur altbegründete und durch Gewohnheitsrechte unanfechtbare eidetifche Difziplinen gefatlen, wie es die mathematifchen find, während (wie wir es fchon andeuteten) hinfichtlich der Begründung neuer die empiriftifchen Vorurteile als vollwirkfame Hemmungen fungieren müffen. D i e r e c h t e S t e l l u n g in der in einem guten Sinne d o g m a t i f c h e n , das ift ν ο r ρ h i l ο f o p h i f c h e n F o r f c h u n g s f p h ä r e , der alle Erfahrungswiffenfchaften (aber nicht nur fie) angehören, i f t d i e . d a ß m a n v o l l · bewußt allen Skeptizismus mitfamt aller »Natur· philofophie« und » E r k e n n t n i s t h e o r i e « beifeite f ch i e b t und Erkenntnisgegenftändlichkeiten nimmt, wo man fie wirklich vorfindet - welche Schwierigkeiten immer h i n t e r h e r eine erkenntnistbeoretifche Reflexion an der Möglichkeit folcher Oegenftändlichkeiten aufzeigen mag. Es ift eben eine unvermeidliche und wichtige Scheidung im Reiche wiffenfchaftlicher Forfchungen zu vollziehen. Huf der einen Seite ftehen die Wi f f e n f c h a f t e n d e r d o g m a t i f d b e n E i n f t e l l u n g , den Sachen zugewendet, um alle erkenntnistbeoretifche

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oder fkeptifcbe Problematik unbekümmert. Von der originären Gegebenheit ihrer Sachen gehen fie aus (und in der Prüfung ihrer Erkenntniffe auf diefe immer wieder zurück) und fragen, als was ficf) die Sachen unmittelbar geben, und was auf Grund deffen für diefe und für Sachen des Gebietes überhaupt mittelbar erfcbloffen werden kann. Huf der anderen Seite flehen die wiffenfcbaftlicben Forfchungen der erkenntnistheoretifchen, der f p e z i f i i c h p h i l o · f o p b i f c b e n E i n i t e l l u n g , welche den fkeptifchen Problemen der Erkenntnismöglichkeit nachgehen, fie zunächft in prinzipieller Allgemeinheit löfen, um dann in Anwendung der gewonnenen Lotungen die Konfequenzen zu ziehen für die Beutteilung des end· gültigen Sinnes und Erkenntniswertes der Ergebniffe der dogmati· fd>en Wiffenfchaften. Es ift mindeftens b e i d e r g e g e n w ä r t i g e n Z e i t l a g e , und fotange es überhaupt an einer hochausgebildeten, zu vollkommener Strenge und Klarheit gediehenen Erkenntniskritik fehlt, r i c h t i g , d i e G r e n z e n d e r d o g m a t i f c h e n F o r i c h u n g g e g e n ü b e r » k r i t i zi i t i f c h e n « F r a g e f t e l l u n g e n a b z u f c h l i e ß e n . Mit anderen Worten, es ericheint uns zurzeit als das Richtige, dafür Sorge zu tragen, daß erkenntnis* theoretifche (und in der Regel fkeptifcbe) Vorurteile, über deren Recht und Unrecht die pbilofopbifdbe Wiffenfcbaft zu entfd>eiden bat, die aber den dogmatifchen Forfcber nicht za bekümmern brauchen, den Gang feiner Forfchungen nicht hemmen. Es ift aber gerade die Art der Skeptizismen, daß üe zu derart ungünftigen Hemmungen disponieren. Eben damit ift zugleich die eigentümliche Sachlage bezeichnet, um derentwillen die Erkenntnistheorie als Wiffenfcbaft einer eigenen Dimenfion notwendig wird. Wie befriedigt die rein fachlich gerichtete und von Einficht getragene Erkenntnis fein mag, es erfcbeint, fowie die Erkenntnis ficb reftektiv auf fich felbft zurückwendet, die Möglichkeit der Geltung aller Erkenntnisarten und darunter fogar der Hnfcbauungen und Einficbten mit verwirrenden Unklarheiten, mit fchier unlöslichen Schwierigkeiten behaftet, und das insbefondere mit Rückficht auf die Tranfzendenz, welche Erkenntnis O b j e k t e der Erkenntnis gegenüber beanfprucben. Eben darum gibt es S k e p t i z i s m e n , die aller Intuition, aller Erfahrung und Einficht zu· trotje fleh geltend machten und in weiterer Folge fleh auch als H e m m u n g e n im p r a k t i f e b e n W i f f e η f c h a f t s b e t r i e b auswirken können. Wir fchalten diefe Hemmungen in Form der natürlichen » d o g m » t i f c h e n « W i f f e n f c b a f t (ein Terminus, der hier alfo durchaus keine Geringwertung ausdrücken foil) d a d u r c h a u s ,

Edmund Hufferl,

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daß w i r uns nur das a l l g e m e i n f t e P r i n z i p aller Metbode, das des urfprünglicben Rechtes aller 0e> g e b e n b e i t e n , k l a r m a c h e n und es lebendig im Sinne halten, während wir die inhaltlichen und vielgestaltigen Probleme der Möglichkeit der verfdbiedenen Erkenntnisarten und Erkenntniskorrelationen ignorieren.

Zweiter fibfcftnitt. DIE PHÄNOMENOLOGISCHE FUNDflMENTflLBETRHCHTUNG. Erftes Kapitel

Die Tbeiis der natürlichen E i n f t e l l u n g und ihre flusfcbaltung. §27.

Die Welt der natürlichen E i n f t e t t u n g : und meine Umwelt.

Ich

Wir beginnen unfere Betrachtungen als Menfcben des natürlichen Lebens, vorftellend, urteilend, fühlend, wollend » i n n a t ü r l i c h e r Einftellung«. Was das betagt, machen wir uns in einfachen Meditationen klar, die wir am beften in der Ichrede durchführen. Id) bin mir einer Welt bewußt, endlos ausgebreitet im Raum, endlos werdend und geworden in der Zeit. Ich bin mir ihrer bewußt, das fagt vor allem: ich finde fie unmittelbar anfchaulicb vor, id) erfahre iie. Durch Sehen, Taften, Hören ufw., in den ver« fchiedenen Weifen finnlicher Wahrnehmung find körperliche Dinge in irgendeiner räumlichen Verteilung f ü r mich e i n f a d ) d a , im wörtlichen oder bildlichen Sinne » v o r h a n d e n « , ob ich auf fie befonders achtfam und mit ihnen betrachtend, denkend, fühlend, wollend befchäftigt bin oder nicht, fluch animalifche Wefen, etwa Menfcben, find unmittelbar für mich da; ich blicke auf, id) fehe fie, ich höre ihr Herankommen, ich faffe iie bei der Hand, mit ihnen fprechend, verftebe ich unmittelbar, was fie vorftellen und denken, was für Gefühle ficb in ihnen regen, was fie wünCchen oder wollen, fluch fie find in meinem flnfcbauungsfeld als Wirklichkeiten vorhanden, felbft wenn ich nicht auf fie achte. Es ift aber rieht nötig, daß fie, und ebenfd fonftige Gegenftände, ficb gerade in meinem W a h r n e h m u n g s f e l d e befinden. Für mid) da find wirkliche Objekte, als beftimmte, mehr oder minder bekannte, in eins mit den aktuell wahrgenommenen, ohne daß fie felbft wahrgenommen, ja felbft anfchaulicb gegenwärtig find. Ich kann meine flufmerk-

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famkeit wandern laffen von dem eben geiebenen und beachteten Scbreibtifcb aus durch die ungefebenen Teile des Z i m m e r s hinter meinem Rüder bewußt im fynthetifchen Bewußtfein, das die neue Wahrnehmung mit der Erinnerung verknüpft. Das wahrgenommene Ding kann fein, ohne wahrgenommen, ohne auch nur potentiell bewußt zu fein (in der Weife der früher 1 b e t r i e b e n e n Inaktualität); und es kann fein, ohne fkb zu verändern. Die Wahrnehmung felbft ift aber, was fle ift, im beftändigen Fluß des Bewußtfeins und felbft ein beftändiger Fluß: immerfort wandelt fich das Wahrnehmungs-Jetjt in das fid) anfchließende Bewußtfein des Soeben > Vergangenen, und zugleid) leuchtet ein neues Jetjt auf ufw. Wie das wahrgenommene Ding überhaupt, fo ift auch alles und jedes, was diefem an Teilen, Seiten, Momenten zukommt, aus überall gleichen Gründen der Wahrnehmung notwendig transfzendent, heiße es nun primäre oder fekundäre Qualität. Die Farbe des gefehenen Dinges ift prinzipiell kein reelles Moment des Bewußtfeins von Farbe, fle erfcbeint, aber während fie erfchfcint, kann und m u ß bei ausweifender Erfahrung die Erfcbeinung fich konti« nuierlid) verändern. D i e f e l b e Farbe erfcbeint »in« kontinuierlichen Mannigfaltigkeiten von F a r b e n a b f c h a t t u n g e n . Ahnliches gilt für jede finnliche Qualität und ebenfo für jede räumliche Geftalt. Die eine und felbe Geftalt ( a l s diefelbe leibhaft gegeben) erfcbeint kontinuierlich immer wieder »in anderer Weife«, in immer anderen Geftaltabfchattungen. Das ift eine notwendige Sachlage und offenbar von allgemeinerer Geltung. Denn nur der Einfachheit halber haben wir am Falle eines in der Wahrnehmung unverändert ericheinenden Dinges exemplifiziert. Die Übertragung auf beliebige Veränderungen liegt auf der Hand. I n W e f e n s n o t w e n d i g k e i t g e h ö r t z u e i n e m »all» f e i t i g e n « , k o n t i n u i e r l i c h e i n h e i t l i c h fich in fich f e l b f t b e f t ä t i g e η d e η Ε r f a h r u η g sb e w u ß t f e i η v o m f e l b e n Ding ein v i e l f ä l t i g e s Syftem von k o n t i n u i e r l i c h e n Ε rf ch e i η u η g s- und λ b ich a 11 u n g s m a η η i g f a l t i g k e i t e n, in d e n e n a l l e in d i e W a h r n e h m u n g m i t d e m C h a 1) Vgl. o b e n § 35, bef. S. 63.

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rakter der leibhaften Selbftgegebenheit fallenden g e g e n f t ä n d l i c b e n M o m e n t e f i cb i n b e f t i m m t e n K o n t i n u i t ä t e n d a r f t e l l e n b z w . a b f e b a t t e n . Jede Beftimmtheit hat i h r flbfcbattungsfyftem, und für jede gilt, wie für das ganz£ Ding, daß fie für das erfaffende, Erinnerung und neue Wahrnehmung fyntbetifcb vereinende Bewußtfein als diefelbe dafteht trotj einer Unterbrechung im Hblauf der Kontinuität aktueller Wahrnehmung. Wir fehen nun zugleich, was zum reellen Beftande der konkreten intentionalen Erlebniife, di^ da Ding Wahrnehmungen heißen, wirklich und zweifellos gehört. Während das Ding die intentionale Einheit ift, das identifdveinbeitlicb Bewußte im kontinuierlich geregelten Hbfluß der ineinander übergehenden Wahrnehmungsmannigfaltigkeiten, haben diefe felbft immerfort ihren b e f t i m m t e n d e s k r i p t i v e n B e i t a n d , der w e f e n s m ä ß i g zugeordnet ift jener Einheit. Zu jeder Wahrnehmungsphafe gehört ζ. B. notwendig ein beftimmter Gehalt an Farbenabfchattungen, Geftaltabfcbattungen ufw. S i e rechnen zu den » E m p f i n d u n g s d a t e n « , Daten einer eigenen Region mit beftimmten Gattungen, die fich innerhalb je einer folchen Gattung zu konkreten Erlebniseinbeiten sui generis (den Ε m ρ f i n d u n g s - » F e l d e r n « ) zufammenfchließen; die f e r n e r , in hier nicht näher zu b e t r e i b e n d e r Weife, in der konkreten Einheit der Wahrnehmung durch » f t u f f a f f u n g e n « befeelt find, und in diefer Befeelung die >· d a r f t e i l e n d e F u n k t i o n « üben, bzw. in eins mit ihr das ausmachen, was wir » E r f c b e i n e n von« F a r b e , Geftalt ufw. nennen. Das macht, noch mit weiteren Charakteren fich verflechtend, den reellen Beftand der Wahrnehmung aus, die Bewußtfein von dem einen und felben Dinge ift, vermöge des im W e f e n jener Huffaifungen begründeten Zufammenfchluffes zu einer H u f f a i f u n g s e i n h e i t , und wieder v e r m ö g t der im W e f e n verfebiedener folcber Einheiten gründenden Möglichkeit zu Syntbefen der Identifikation. Scharf ift im iluge zu behalten, daß die Empfindungsdaten, die die Funktion der Farbenabfchattung, Glätteabfcbattung, Geftalt· abfehattung ufw. üben (die Funktion der »Darftellung«), ganz prinzipiell unterfebieden find von Farbe fchlechthin, Glätte fcblecbtbin, Geftalt fcblecbtbin, kurzum von allen Arten d i n g l i c h e r Momente. Die flbfehattung, obfebon gleich b e n a n n t , ift p r i n z i p i e l l nicht von d e r f e l b e n G a t t u n g w i e fibgefebatt e t e s. Hbfcbattung ift Erlebnis. Erlebnis aber ift nur als Erlebnis möglich und nicht als Räumliches. Das Flbgefcbattete ift aber prinzipiell nur möglich als Räumliches (es ift eben im Wefen räumlich),

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Edmund Huffert,

aber nicht möglich als Erlebnis. Es ift fpeziell auch ein Widerfinn, die Geftaltabfchattung (ζ. B. die eines Dreieckes) für etwas Räumliches und im Räume Mögliches zu halten, und wer das tut, verwechfelt iie mit der abgefchatteten, d. i. ericheinenden Geftalt. Wie nun weiter die verfchiedenen reellen Momente der Wahrnehmung als cogitatio (gegenüber den Momenten des ihr tranfzendenten cogitatum) in iyftematifcher Vollftändigkeit zu fcheiden und nach ihren zum Teil fehr fchwierigen Sonderungen zu charakterifieren find, das ift ein Thema für große Unterfuchungen. § 42. S e i n a l s B e w u ß t f e i n u n d S e i n a l s R e a l i t ä t . Prinzipieller Unterfcbied der flnfcbauungsweifen.

flus den durchgeführten Überlegungen ergab fleh die Trans» fzendenz des Dinges gegenüber feiner Wahrnehmung und in weiterer Folge gegenüber jedem auf dasfelbe bezüglichen Bewußtfein überhaupt; nicht bloß in dem Sinne, daß das Ding faktifch als reelles Beftandftück des Bewußtfeins nicht zu finden ift, vielmehr ift die ganze Sachlage eine eidetifch einfichtige: in f c h l e c h t h i n u n b e d i n g t e r Allgemeinheit, bzw. Notwendigkeit kann ein Ding in keiner möglichen Wahrnehmung, in keinem möglichen Bewußtfein überhaupt, als reell immanentes gegeben fein. Ein grundwefentlicher Unterfchied tritt alfo hervor zwifchen S e i n a l s E r l e b n i s und S e i n a l s D i n g . Prinzipiell gehört es zum regionalen Wefen Erlebnis (fpeziel'. zur regionalen Befonderung cogitatio), daß es in immanenter Wahrnehmung wahrnehmbar ift, zum Wefen eines Raumdinglichen aber, daß es das nicht ift. Wenn es, wie eine tiefere finalyfe lehrt, zum Wefen jeder dinggebenden Rnfchauung gehört, daß in eins mit dem Dinggegebenen andere dinganaloge Gegebenheiten bei entfprechender Blickwendung zu erfaffen find, in der Weife ev. ablösbarer Schichten und Unterftufen in der Konftitution des dinglich Erfcheinenden — als wie ζ. B. die » S e h d i n g e « in ihren verfchiedenen Befonderungen - fo gilt von ihnen genau dasfelbe: fie find prinzipielle Tranfzendenzen. Ehe wir diefem Gegenfatj von Immanenz und Tranfzendenz etwas weiter nachgehen, fei folgende Bemerkung eingefügt. Sehen wir von der Wahrnehmung ab, fo finden wir vielerlei intentionale Erlebniffe, die ihrem Wefen nach die reelle Immanenz ihrer intentionalen Objekte ausfchließen, was für Objekte immer es im übrigen fein mögen. Das gilt ζ. B. von jeder Vergegenwärtigung: von jeder Erinnerung, vom einfühlenden Erfaffen fremden Bewußtfeins ufw. Wir dürfen diefe Tranfzendenz natürlich nicht vermengen

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mit derjenigen, die uns hier befcbäftigt. Zum Dinge als folcbem, zu jeder Realität in dem echten, von uns noch aufzuklärenden und zu fixierenden Sinn, gehört weiensmäßig und ganz »prinzipiell« 1 die Unfähigkeit, immanent wahrnehmbar und fomit überhaupt im Erlebniszufammenhang vorfindtich zu fein. So beißt das Ding felbft und fchlecbthin tranfzendent. Darin bekundet fich eben die prinzipielle Unterfchiedenheit der Seinsweifen, die kardinalfte, die es überhaupt gibt, die zwifchen B e w u ß t f e i n und R e a l i t ä t . Zu diefem Gegenfatj zwifchen Immanenz und Tranfzendenz gehört, wie in unterer Darftellung ferner hervorgetreten ift, ein p r i n z i p i e l l e r U n t e r f c h i e d d e r G e g e b e η h e i t s a r t . Immanente und tranfzendente Wahrnehmung unterscheiden fich nicht nur überhaupt darin, daß der intentionale Gegenftand, der im Charakter des leibhaftigen Selbft daftehende, einmal dem Wahrnehmen reell immanent ift, das andere Mal nicht: vielmehr durch eine Gegebenheitsweife, die in ihrer wefenhaften Unterfchiedenheit in alle Vergegenwärtigungsmodifikationen der Wahrnehmung, in die parallelen Erinnerungsanfchauungen und Phantafieanfchauungen mutatis mutandis übergeht. Das Ding nehmen wir dadurch wahr, daß es fich »abfcbattet« nach allen gegebenenfalls »wirklich« und eigentlich in die Wahrnehmung »fallenden« Beftimmtheiten. E i n E r l e b n i s f c h a t t e t (ich n i c h t ab. Es ift nicht ein zufälliger Eigentinn des Dinges oder eine Zufälligkeit »unferer menfchlichen Konftitution«, daß »unfere« Wahrnehmung an die Dijage felbft nur herankommen kann durch bloße Hbfchattungen derfelben. Vielmehr ift es evident und aus dem Wefen der Raumdinglidbkeit zu entnehmen (fogar im weiteften, die »Sehdinge« umipannenden Sinne), daß fo geartetes Sein prinzipiell in Wahrnehmungen nur durch flbfchattung zu geben ift; ebenfo aus dem Wefen der cogi· tationes, der Erlebniffe überhaupt, daß fie dergleichen ausschließen. Für Seiendes ihrer Region gibt mit anderen Worten fo etwas wie »Erfcheinen«, wie fich Darfteilen durch Hbfchattung gar keinen Sinn. Wo kein räumliches Sein, da hat eben die Rede von einem Sehen von verfchiedenen Standpunkten aus, in einer wechfelnden Otientierung, nach verfchiedenen, fich dabei darbietenden Seiten, nad> verfchiedenen Perfpektiven, Erfcheinungen, flbichattungen keinen Sinn. Hndererfeits ift es eine Wefensnotwendigkeit, als folche in apodiktifcher Einiicht zu erfaifen, daß räumliches Sein überhaupt für ein Ich (für jedes mögliche I) Wir gebrauchen hier, wie in diefer Schrift überhaupt, das Wort »prinzipiell« in einem ftrengen Sinne, mit Beziehung auf höchfte und daher radikalfte Wefensallgemeinheiten, bzw. Wefensnotwendigkeiten.

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Edmund Huffcrt,

Ich) nur in der bezeichneten Gegebenheitsart wahrnehmbar ift. Es 4entbeorie iubftituiert. fiber die eine wie die andere ift nicht nur unrichtig, fondern widerfinnig. Das Raumding, das wir fehen, ift bei all feiner Tranfzendenz Wahrgenommenes , in feiner L e i b h a f t i g k e i t bewußtieinsmäßig Gegebenes. Es ift η i d> t ftatt feiner ein Bild oder ein Zeichen gegeben. Man unterfchiebe nicht dem Wahrnehmen ein Zeichen- oder Bildbewußtfein. Zwifchen W a h r n e h m u n g einerfeits und b i l d l i c h - f y m b o 1 i f ch e r oder f i g n i t i v - f y m b o l i f c h e r V o r ft e i l u n g andererfeits ift ein unüberbrückbarer Wefensunterfcbied. Bei diefen Vorftellungsarten fchauen wir etwas an im Bewußtfein, daß es ein anderes abbilde oder iignitiv andeute; das eine im finfcbauungsfeld habend, find wir nicht darauf, fondern durch das Medium eines fundierten fiuffaffens auf das andere, das Abgebildete, Bezeichnete gerichtet. In der Wahrnehmung ift von dergleichen keine Rede, ebeniowenig wie in der fchlichten Erinnerung oder ichlichten Pbantafie. In den unmittelbar anfchauenden fikten fchauen wir ein »Selbft« an; es bauen iich auf ihren fiuffaffungen nicht fiuffaffungen höherer Stufe, es ift alfo nichts bewußt, w o f ü r das flngefcbaute als »Zeichen« oder »Bild« fungieren könnte. Und eben darum beißt es unmittelbar angefchaut als «felbft«. In der Wahrnehmung ift dasfelbe noch eigentümlich cbarakterifiert als »leibhaftiges« gegenüber dem modifizierten Charakter »vorfchwebendes«, »vergegenwärtigtes« in der Erinnerung oder freien Pbantafie. 1 Man gerät in Widerfinn, wenn man dfefe wefentlich verfcbieden gebauten Vorftellungsweifen und demgemäß korrelativ die ihnen entfprechenden Gegebenheiten in der üblichen Weife durcbeinanderwirft: alfo fcblicbte Vergegenwärtigung mit Symbolifierung (ob nun mit verbildlichender oder fighifikativer) und erft recht fcblicbte Wahrnehmung mit allen beiden. Die DingWahrnehmung vergegenwärtigt nicht ein Nichtgegenwärtiges, als wäre fie eine Erinnerung oder Pbantafie; fie gegenwärtigt, fie erfaßt ein Selbft in feiner leibhaftigen Gegenwart. Das tut fie ihrem 1) In meinen Göttinger Vorlefungen babe icb (und zwar feit dem S . ' S . 1904) die unzureichende Darftellung, die ich (noch zu febr beftimmt durch die fiuffaffungen der berrfcbenden Pfycbologie) in den »Logifcben Unterfucbungen« binficbtlicb der Verbältniffe zwifchen diefen fchlichten und fundierten flnfchauungen gegeben hatte, durch eine verbeiferte erfet}t und über meine weiterführenden Forfcbungen eingebende Mitteilungen gemacht — welche übrigens inzwifchen terminologifcb und fachlich literarifebe Wirkungen geübt haben. In den näcbften Bänden des »Jahrbuches« hoffe icb diefe, wie andere in Vorlefungen längft verwertete Unterfuchungen zur Veröffentlichung bringen zu können.

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e i g e n e n S i n n e gemäß, und ihr anderes zumuten, das beißt eben wider ihren Sinn verftoßen. Handelt es ficb zudem, wie hier, um die Dingwahrnebmung, dann gehört es zu ihrem Weien, ab· fcbattende Wahrnehmung zu fein; und korrelativ, gehört es zum Sinne ihres intentionalen Gegenftandes, des Dinges a l s in ihr gegebenen, prinzipiell nur durch fo geartete, alio durch abfcbattende Wahrnehmungen wahrnehmbar zu fein. §44.

Bloß p h ä n o m e n a l e s Sein des T t a n f z e n d e n t e n , abfolutes Sein des Immanenten.

Zur Dingwahrnebmung gehört ferner, und auch das ift eine Weiensnotwendigiceit, eine gewiffe I n a d ä q u a t h e i t . Ein Ding kann prinzipiell nur »einfeitig« gegeben fein, und das fagt nicht nur unvollftändig, nicht nur unvollkommen in einem beliebigen Sinne, fondern eben das, was die Darfteilung durch flbfchattung vorfcbreibt. Ein Ding ift notwendig in bloßen » E r f c b e i n u n g s w e i f e n « gegeben , notwendig ift dabei ein K e r n v o n » w i r k l i c h D a r « g e f t e l l t e m « auffaffungsmäßig umgeben von einem H o r i z o n t u n e i g e n t l i c b e r » M i t g e g e b e n b e i t « und mehr oder minder vager U n b e f t i m m t b e i t . Und der Sinn diefer Unbeftimmtbeit ift abermals vorgezeichnet durch den allgemeinen Sinn des Dingwahrgenommenen überhaupt und als folcben, bzw. durch das allgemeine Wefen diefes Wabrnebmungstypus, den wir Dingwahrnebmung nennen. Die Unbeftimmtbeit bedeutet ja notwendig B e · f t i m m b a r k e i t e i n e s f e i t v o r g e f c h r i e b e n e n S t i l s . Sie d e u t e t v o r auf mögliche Wabrnebmungsmannigfaltigkeiten, die, kontinuierlich ineinander übergebend, ficb zur Einheit einer Wahr« nebmung zufammenfchließen, in welcher das kontinuierlich dauernde Ding in immer neuen flbfchattungsreiben immer wieder neue (oder rückkebrend die alten) »Seiten« zeigt. Dabei kommen allmählich die uneigentlicb miterfaßten dinglichen Momente zu wirklicher Dar· ftellung, aUo wirklicher Gegebenheit, die Unbeftimmtbeiten beftimmen ficb näher, um ficb dann felbft in klare Gegebenheiten zu verwandeln; in umgekehrter Richtung gebt freilich das Klare wieder in Unklares, das Dargeftellte in Nicbtdargeftelltes über ufw. In d i e f e r W e i f e in i n f i n i t u m u n v o l l k o m m e n zu f e i n , g e h ö r t zum u n a u f b e b b a r e n Wefen der K o r r e l a t i o n Ding u n d D i n g w a h r n e b m u n g . Beftimmt iich der Sinn von Ding durch die Gegebenheiten der Dingwahrnebmung (und was könnte fonft den Sinn beftimmen?), dann fordert er folche Unvollkommen« beit, verweift uns notwendig auf kontinuierlid) einheitliche. Zu-

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fammenhänge möglicher Wahrnehmungen, die von irgendeiner voll« zogenen aus fich nach unendlich vielen Richtungen in f y f t e m a t i f d ) f e f t g e r e g e l t e r Weife erftrecken, und zwar nach Jeder ins End· loie, immerfort von einer Einheit des Sinnes durchberrfcht. Prinzipiell bleibt immer ein Horizont beftimmbarer Unbeftimmtbeit, wir mögen in der Erfahrung noch fo weit fortfcbreiten, noch fo große Kontinuen aktueller Wahrnehmungen von demfelben Dinge durch» laufen haben. Kein Gott kann daran etwas ändern, fo wenig wie daran, daß 1 + 2 = 3 ift, oder daran, daß irgendeine fonftige Wefenswahrbeit beftebt. Allgemein ift fchon zu fehen, daß tranfzendentes Sein überhaupt, welcher Gattung es fein mag, verbanden als Sein f ü r ein Ich, nur zur Gegebenheit kommen kann in analoger Weife wie ein Ding, alfo nur durch Erfcbeinungen. Sonft wäre es eben ein Sein, das auch immanent werden könnte; was aber immanent wahrnehmbar ift, ift b l o ß immanent wahrnehmbar. Nur wenn man die oben bezeichneten und nun aufgeklärten Verwechflungen begeht, kann man es für möglich halten, daß ein und dasfelbe einmal durch Erfcheinung, in Form tranfzendenter Wahrnehmung, das andere Mal durch immanente Wahrnehmung gegeben fein könnte. Doch führen wir zunächft den Kontraft fpeziell zwifchen Ding und Erlebnis noch nach der anderen Seite durch. Das E r l e b n i s ftellt fich, fagten wir, nicht dar. Darin liegt, die Erlebniswabrnebmung ift fchlichtes Ericbauen von etwas, das i n d e r W a h r n e h m u n g a l s » f l b f o l u t e s « g e g e b e n (bzw. zu geben) ift und nicht als Identifches von Erfcbeinungsweifen durch Hbfchattung. Alles, was wir von der Dinggegebenbeit ausgeführt haben, verliert hier feinen Sinn, und das muß man Qch im einzelnen zur völligen Klarheit bringen. Ein Gefüblserlebnis fchattet fich nicht ab. Blicke ich darauf bin, fo habe ich ein flbfolutes, es hat keine Seiten, die fich bald fo, bald fo darftellen könnten. Denkend kann ich Wahres und FaUcbes darüber denken, aber das, was im fchauenden Blick da* ftebt, ift abfolut da mit feinen Qualitäten, feiner Intenfität ufw. Ein Geigenton dagegen mit feiner objektiven Identität ift durch flbfcbat» tung gegeben, er bat feine wechfelnden Erfcbeinungsweifen. Sie find andere, je nachdem ich mich der Geiqe nähere oder von ihr entferne, je nachdem ich im Konzertfaal felbft bin oder durch die gefchloffenen Türen hindurch höre ufw. Keine Erfcbeinungsweife bat den Rnfpruch als die abfolut gebende zu gelten, wiewohl eine gewiffe im Rahmen meiner praktifcben Intereffen als normale einen gewiffen Vorzug bat: im Konzertfaale, an der »richtigen« Stelle höre 6

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ich den Ton »felbft«, wie er »wirklieb« klingt. Ebenfo fagen wir von jedem Dinglichen in vifueller Beziehung, es habe ein normales flusfeben; wir iagen von der Farbe, Geftalt, vom ganzen Ding, das wir bei normalem Tageslicht feben und in der normalen Orientierimg zu uns, fo febe das Ding wirklieb aus, die Farbe fei die wirkliebe u. dgl. flber das deutet nur auf e i n e A r t f e k u n d ä r e r O b j e k t i v i e r u n g im Rabmen der getarnten Dingobjektivierung hin; wie man Och leicht überzeugen kann. Es ift ja klar, febnitten wir unter ausfchließlicber Feftbaltung der ^normalen« Erfcheinungsweife die übrigen Erfcheinungsmannigfaltigkeiten und die wefentliche Be· Ziehung zu ihnen durch, fo bliebe vom Sinn der Dinggegebenbeit nichts mehr übrig. Wir halten aljo feft: Während es zum Wefen der Gegebenheit durch Erfcbeimingen gehört, daß keine die Sache als »Absolutes« gibt, ftatt in einfeitiger Darfteilung, gehört es zum Wefen der immanenten Gegebenheit, eben ein flbfolutes zu geben, das fieb gar nicht in Seiten darftellen und abfebatten kann. Es ift ja auch evident, daß die abfehattenden Empfindungsinbalte felbft, die zum Erlebnis der Dingwabrnebmung reell gehören, zwar als flbfebattungen für anderes fungieren, aber nicht felbft wieder durch Hbfebattung gegeben find. Man achte noch auf folgenden Unterfchied. fluch ein Erlebnis ift nicht, und niemals, vollftändig wahrgenommen, in feiner vollen Einheit ift es adäquat nicht faßbar. Es ift feinem Wefen nach ein Fluß, dem wir, den reflektiven Blick darauf richtend, von dem Jetjtpunkte aus nachfchwimmen können, während die zurückliegenden Strecken für die Wahrnehmung verloren find. Nur in Form der Retention haben wir ein Bewußtfein des unmittelbar flbgefloffenen, bzw. in Form der rückblickenden Wiedererinnerung. Und fcbließlicb ift mein ganzer Erlebnisftrom eine Einheit des Erlebniffes, von der prinzipiell eine vollftändig »mitfeb wimmende« Wahrnebmungserfaffung unmöglich ift. flber d i e f e Unvollftändigkeit, bzw. »Un Vollkommenheit«, die zum Wefen der ErlebnisWahrnehmung gehört, ift eine prinzipiell andere als diejenige, welche im Wefen der »tranfzendenten« Wahrnehmung liegt, der Wahrnebmung durch abfehattende Darftellung, durch fo etwas wie Erfcheinung. Alle Gegebenheitsweifen und Unterfchiede zwifchen folchen, die wir in der Wabrnebmungsfpbäre finden, gehen in die r e p r o d u k t i v e n M o d i f i k a t i o n e n , aber in modifizierter Weife ein. Dingliche Vergegenwärtigungen vergegenwärtigen dutch Darftel-

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lungen, wobei die flbfchattungen felbft, die Huffaffungen und fo die ganzen Phänomene d u r c h u n d d u r c h , reproduktiv modifiziert find. Ruch von Erlebniffen haben wir Reproduktionen und Akte reproduktiver Hnfchauung, in der Weife der Vergegenwärtigung und der Reflexion in der Vergegenwärtigung. Natürlich finden wir hier nichts von reproduktiven Rbfchattungen. Wir knüpfen nun noch folgende Kontraftierung an. Zum Wefen der Vergegenwärtigungen gehören graduelle Unterfchiede relativer Klarheit, bzw. Dunkelheit. Offenbar hat auch diefer Vollkommen· heitsunterfchied mit dem auf Gegebenheit durch abfchattende Erfcheinungen bezüglichen nichts zu tun. Eine mehr oder minder klare Vorftellung fchattet fleh durch die graduelle Klarheit nicht ab, nämlich in dem für unfere Terminologie beftimmenden Sinne, dem gemäß eine räumliche Geftalt, jede fie bedeckende Qualität und fo das ganze »erfcheinende Ding als folches« (ich mannigfaltig ab· fchattet — ob die Vorftellung nun eine klare oder dunkle ift. Eine reproduktive. Dingvorftellung hat ihre verfchiedenen möglichen Klarheitsgrade, und zwar für eine jede fibfehattungsweife. Man fleht, es handelt Och um Unterfchiede, die in verfchiedenen Dirnen· fionen liegen. Es ift auch offenbar, daß die Unterfchiede, die wir in der Wahrnehmungsfphäre felbft unter den Titeln klares und unklares, deutliches und undeutliches Sehen machen, zwar eine ge· wiffe Hnalogie zeigen mit den eben befprochenen Klarheitsunter· fchieden, fofern es fich beiderfeits um graduelle Zunahme und Abnahme in der Gegebenheitsfülle des Vorzeitigen bandelt, daß aber auch diefe Unterfchiede verfchiedenen Dimenfionen angehören. § 45. U n w a b t g e n o m m e n e s E r l e b n i s , u η w a h r g e n o m m e n e Realität. Vertieft man fleh in diefe Sachlagen, fo veefteht man auch folgenden Wefensunterfchied in der Weife, wie Erlebniffe und Dinge in Hinficht auf ihre Wahrnehmbarkeit zueinander ftehen. Zur Seinsart des Erlebniffes gehört es, daß fich auf jedes wirkliche, als originäre Gegenwart lebendige Erlebnis ganz unmittelbar ein Blid« ericbauender Wahrnehmung richten kann. Das gefebieht in Form der » R e f l e x i o n « , die das merkwürdig Eigene hat, daß das in ihr wabmehmungsmäßig Erfaßte Geb prinzipiell charakteriflert als etwas, das nicht nur ift und innerhalb des wahrnehmenden Blickes dauert, iondem ich ο η w a r , e h e diefer Blick Och ihm zuwendete. »Alle Erlebniffe find bewußt«, das fagt alfo fpezielt hinfichtlich der intentionalen Erlebniffe, fie find nicht nur Bewußtfein 6*

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von etwas und als das nicht nur vorbanden, wenn fle felbft Objekte eines reflektierenden Bewußtfeins find, fondern ße find fcbon unreflektiert als »Hintergrund« da und fomit prinzipiell w a h r n e b · m u n g s b e r e i t in einem zunäcbft analogen Sinne, wie unbeachtete Dinge in unferem äußeren Blickfelde. Diefe können nur bereit fein, fofern fle fchon als unbeachtete in gewiffer Weife bewußt find, und das heißt bei ihnen, wenn fie ericheinen. N i c h t a l l e Dinge erfüllen diefe Bedingung: mein Blickfeld der Hufmerkfamkeit, das alles Erfcbeinende umfpannt, ift nicht unendlich. Rndererfeits niuß auch das unreflektierte Erlebnis gewiffe Bedingungen der Bereit· fchaft erfüllen, obzwar in ganz anderer und feinem Wefen gemäßer Weife. »Ericbeinen« kann es ja nicht. Jedenfalls erfüllt es fie allzeit durch die bloße Weife feines Dafeins, und zwar für dasjenige Ich, dem es zugehört, deffen reiner Ichblick ev. »in« ihm lebt. Nur weil Reflexion und Erlebnis diefe hier bloß angedeuteten W e f e η s eigentümlichkeiten haben, können wir etwas von unreflektierten Erlebniffen wiffen, alfo auch von den Reflexionen felbft. Daß die reproduktiven (und retentionalen) Modifikationen der Erlebniffe die parallele, nur entfprechend modifizierte Befchaffenheit haben, ift felbftverftändlich. Führen wir die Kontrahierung weiter durch. Wir feben: D i e S e i n s a r t d e s E r l e b n i f f e s i f t e s , in d e r W e i f e der R e f l e x i o n p r i n z i p i e l l w a h r n e h m b a r z u f e i n . Prinzipiell W a h r n e h m b a r e s ift auch das Ding, und erfaßt wird es in der Wahrnehmung als Ding meiner Umwelt. Es gehört diefer Welt auch an, ohne wahrgenommen zu fein, es ift alfo auch d a n n f ü r d a s Ich da. Aber im allgemeinen doch nicht fo, daß ein Blick fcblicbter Beachtung ficb darauf richten könnte. Das Hintergrundsfeld, verftanden als Feld fcblicbter Betrachtbarkeit, befaßt ja nur ein kleines Stück meiner Umwelt. Das »es ift da« betagt vielmehr, es führen von aktuellen Wahrnehmungen mit dem wirklich erfcbeinendenHintergrundsfelde mögliche, und zwar kontinuierlich»einftimmig m o t i v i e r t e Wabrnebmungsreiben mit immec neuen Dingfeldem (als unbeachteten Hintergründen) weiter bis zu denjenigen Wahr» nebmungszufammenhängen, in denen eben das betreffende Ding zur Erfcbeinung und Erfaffung käme. Prinzipiell ändert ficb darin nichts Wefentlicbes, wenn wir ftatt eines einzelnen leb eine Ichmebrbeit berüdkiiehtigen. Nur durch die Beziehung möglicher Weihfelverftän' digung ift meine Erfahrungswelt mit der anderer zu identifizieren und zugleich durch ihre Erfahrungsüberfchüffe zu bereichern. Eine Tranfzendenz, die alfo der beschriebenen Anknüpfung durch ein·

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ftimmige Motivationszuiammenbänge mit meiner jeweiligen Sphäre aktueller Wahrnehmung entbehrte, wäre eine völlig grundlofe Annahme; eine Tranizendenz, die folcher p r i n z i p i e l l entbehrte, ein Ν o n f e l i s . Dieter Art ift alfo das Vorhandenfein des aktuell nicht Wahrgenommenen der Dingwelt, fie ift eine wefentlich verfchiedene gegenüber dem prinzipiell bewußten Sein der Erlebniffe. §46. Z w e i f e l l o f i g k e i t d e r i m m a n e n t e n , Z w e i f e 1 • baftiflkeit der t r a n f z e n d e n t e n W a h r n e h m u n g .

Aus all dem ergeben fich wichtige Folgen. Jede immanente Wahrnehmung verbürgt notwendig die Exiftenz ihres Gegenftandes. Richtet fich das reflektierende Erfaffen auf mein Erlebnis, fo habe ich ein abfolutes Selbft erfaßt, deffen Dafein prinzipiell nicht negierbar ift, d. h. die Einficht, daß es nicht fei, ift prinzipiell unmöglich; es wäre ein Widerfinn, es für möglich zu halten, daß ein f ο g e g e b e n e s Erlebnis in Wahrheit n i c h t fei. Der Ertebnisftrom, der mein, des Denkenden, Ertebnisftrom ift, mag in noch fo weitem Umfang unbegriffen, nach den abgelaufenen und künftigen Stromgebieten unbekannt fein, fowie ich auf das ftrömende Leben in feiner wirklichen Gegenwart hinblidte und mich felbft dabei als das reine Subjekt diefes Lebens faffe (was das meint, foil uns fpäter eigens befchäftigen), fage ich fchlechthin und notwendig: Ich b i n , diefes Leben ift, Ich leber cogito. Zu jedem Erlebnisftrom und Ich als folchem gehört die prinzipielle Möglichkeit, diefe Evidenz zu gewinnen, jeder trägt die Bürgfchaft feines abfoluten Dafeins als prinzipielle Möglichkeit in fich felbft. Aber ift es nicht denkbar, möchte man fragen, daß ein Id> in feinem Erlebnisftrome nur Phantafien hätte, daß diefer aus nichts anderem, denn aus fingierenden Anfchauungen beftände? Ein folches Ich fände alfo nur Fiktionen von cogitationes vor, feine Reflexionen wären, bei der Natur diefes Erlebnismediums, ausfchließlich Reflexionen in der Einbildung. - Aber das ift offenbarer Widerfinn. Das Vorfchwebende mag ein bloßes Fiktum fein, das Vorfchweben felbft, das fingierende Bewußtfein ift r.icht felbft fingiertes, und zu feinem Wefen gehört, wie zu jedem Erlebnis, die Möglichkeit wahrnehmender und das abfolute Dafein erfaffender Reflexion. Kein Widerfinn liegt in der Möglichkeit, daß alles fremde Bewußtfein, das ich in einfühlender Erfahrung fejje, nicht fei. Aber m e i n Einfühlen und m e i n Bewußtfein überhaupt ift originär und abfolut gegeben, nicht nur nach Effenz, fondern nach Exiftenz. Nur für Id> und Erlebnisftrom in Beziehung auf fich felbft befteht diefe aus·

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gezeichnete Sachlage, nur hier gibt es eben fo etwas wie immanente Wahrnehmung, und muß es das geben. Demgegenüber gehört es, wie wir wiffen, zum Wefen der Dingwelt, daß keine noch fo vollkommene Wahrnehmung in ihrem Bereiche ein Hbfolutes gibt, und damit hängt wefentlicb zufammen, daß Jede noch fo weitreichende Erfahrung die Möglichkeit offen läßt, daß das Gegebene, trot) des beftändigen Bewußtfeins von feiner leibhaftigen Selbftgegenwart, nicht exiftiert. Wefensgefetjlich gilt: D i n g l i c h e E x i f t e n z i f t n i e e i n e durch die G e g e b e n h e i t a l s n o t w e n d i g g e f o r d e r t e , fondern in gewiffer Hrt immer z u f ä l l i g e . Das meint: Immer kann es fein, daß der weitere Verlauf der Erfahrung das fchon m i t e r f a h r u n g s m ä ß i g e m Recht Gefegte preiszugeben nötigt. Es war, heißt es nachher, bloße Illufion, Halluzination, bloßer zufammenhängender Traum u. dgl. Dazu kommt, daß es in diefem Gegebenheitskreife als beftändig offene Möglichkeit fo etwas gibt wie Ruffaffungsänderung, Umfchlagen einer Erfcheinung in eine mit ihr einftimmig nicht zu vereinende und damit einen Einfhiß der fpäteren Erfahrungsfetjungen auf frühere, wodurch die intentionalen Gegenftände diefer früheren hinterher fozufagen eine Umbildung erleiden - lauter Vorkommniffe, die in der Erlebnisfphäre wefensmäßig ausgefchloffen find. In der abfoluten Sphäre hat Widerftreit, Schein, Hndersfein keinen Raum. Es ift eine Sphäre abfoluter Pofition. So ift denn in jeder Weife klar, daß alles, was in dfer Dingwelt für mich da ift, prinzipiell n u r p r ä f u m p t i v e W i r k l i c h k e i t ift; daß hingegen Ich f e l b f t , für den fie da ift (unter flus» fchluß deffen, was »von mir« der Dingwelt zurechnet), bzw. daß meine Erlebnisaktualität a b f o l u t e Wirklichkeit ift, durch eine unbedingte, fchlechthin unaufhebliche Setjung gegeben. Der T b e f i s der Welt, die eine » z u f ä l l i g e « i f t , f t e h t a l i o g e g e n ü b e r d i e T b e f i s m e i n e s r e i n e n Ich u n d I c h l e b e n s , d i e e i n e » n o t w e n d i g e « , fchlechthin zweifellofe ift. Hlles l e i b h a f t g e g e b e n e D i n g l i c h e k a n n auch n i c h t f e i n , k e i n l e i b h a f t g e g e b e n e s E r l e b n i s k a n n auch nicht f e i n : das ift das Wefensgefet), das diefe Notwendigkeit und jene Zufälligkeit definiert. Offenbar ift die Seinsnotwendiqkeit des jeweiligen aktuellen Er« lebniffes darum doch keine pure Wefensnotwendigkeit, d. i. keine rein eidetifebe Befonderung eines Wefensgefetjes; es ift die Notwendigkeit eines Faktums, die fo heißt, weil ein Wefensgefet) am Faktum, und zwar hier an feinem Dafein als folchem, beteiligt ift.

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Im Wefen eines reinen leb ü b e r h a u p t und eines Erlebniffes ü b e r h a u p t gründet die ideale Möglichkeit einer Reflexion, die den Wefenscbarakter einer evident unaufbeblicben D a f e i n s t h e f l s bat. 1 Die foeben durchgeführte Überlegung macht es auch klar, daß keine aus der Erfahrungsbetrachtung der Welt gefeböpften Beweife erdenklich Qnd, die uns mit abtoluter Sicherheit der Weltexiftenz vergewifferten. Die Welt ift nicht zweifelhaft in dem Sinne, als ob Vernunftmotive vorlägen, die gegen die ungeheure Kraft der einftimmigen Erfahrungen in Betracht kämen, aber in dem Sinne, daß ein Zweifel d e n k b a r ift, und das ift er, weil die Möglichkeit des Nicbtfeins, als prinzipielle, niemals ausgefchloffen ift. Jede noch fo große Erfahrungskraft kann allmählich aufgewogen und überwogen werden, flm abfoluten Sein der Erlebniffe ift dadurch nichts geändert, ja ße bleiben immer zu all dem vorausgefetjt. Untere Betrachtung ift damit zu einem Höbepunkt gediehen. Wir haben die Erkenntniffe gewonnen, deren wir bedürfen. In den Wefenszufammenhängen, die öd) uns ericbloffen haben, liegen fchon die wichtigften Ptämiffen befchloffen für die Folgerungen, die wir auf die prinzipielle Rblösbarkeil der gefamten natürlichen Welt von der Domäne des Bewußtieins, der Seinsipbäre der Erlebnitte, ziehen wollen; Folgerungen, in denen, wie wir uns überzeugen können, ein bloß nicht zu reiner FSuswirkung gelangter Kern der (auf ganz andere Ziele gerichteten) Meditationen des Descartes endlich zu feinem Rechte kommt. Freilich wird es nachträglich noch einiger, übrigens leicht erbringlicber Ergänzungen bedürfen, um unfere legten Ziele zu erreichen. Vorläufig ziehen wir untere Koniequenzen in einem Rahmen befebränkter Geltung.

Drittes Kapitel

Die Region des r e i n e n

Bewußtieins.

§47. D i e n a t ü r l i c h e W e l t a l s B e w u ß t f e i n s k o r r e l a t .

In Anknüpfung an die Ergebniffe des legten Kapitels (teilen wir folgende Überlegung an. Der tatsächliche Gang unterer menfcblichen Erfahrungen ift ein folcher, daß er untere Vernunft zwingt, über die anfehaulieb gegebenen Dinge (die der Cartefianifchen imaginatio) 1) Ee handelt fleh alio um einen ganz a u s g e z e i c h n e t e n Fall der empirifchen Notwendigkeiten, die im § 6 am SAluife des zweiten Hbfa^es, S. 15 d. Abb., erwähnt find. Vgl. dazu auch die 3. Unterf. des II. Bd. in der Neuauflage der »Log. Unterf.«.

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Edmund Hufferl,

hinauszugehen und ihnen eine »phyfikalitcbe Wahrheit« unterzulegen. Er könnte aber aud> ein anderer fein. Nicht nur fo, wie wenn die menfchlicbe Entwicklung nie über die vorwitfenfchaftliche Stufe hinaus· geführt hätte und je hinausführen würde, derart, daß zwar die phyfi· katifche Welt ihre Wahrheit hätte, wir aber davon nichts wüßten. Hucft nicht fo, daß die pbyükalifcbe Welt eine andere wäre, mit anderen Gefetjesordnungen, als welche faktifch gelten. Vielmehr ift es auch denkbar, daß untere anfcbauliche Welt die letzte wäre, »hinter« der es eine phyfikalifcbe überhaupt nicht gäbe, d. h. daß die Wahr^ nehmungsdinge mathematifcher, phyfikalifcher Beftimmbarkeit ent» behrten, daß die Gegebenheiten der Erfahrung jederlei Phyßk nach Art der unteren ausfchlöffen. Die Erfahrungszufammenhänge wären dann eben entiprechend andere und typifcb andere, als fie faktifch find, fofern die Erfahrungsmotivationen fortfielen, welche für die phyfikalifcbe Begriffs· und Urteilsbildung gründende find. Aber im großen und ganzen könnten fich uns im Rahmen der gebenden A n f c h a u u n g e n , die wir unter dem Titel fcblicbte Erfahrung« befaffen (Wahrnehmung, Wiedererinnerung ufw.), »Dinge« darbieten ähnlich wie jetjt, fid) in Erfcheinungsmannigfaltigkeiten kontinuierlich durchhaltend als intentionale Einheiten. Wir können in diefer Richtung aber auch weitergeben; in der gedanklichen Deftruktion der dinglichen Objektivität - als Korre· lats des Erfahrungsfeewußtfeins - hemmen uns keine Schranken. Es ift hier immer zu beachten: W a s d i e D i n g e f i n d , die Dinge, von denen wir allein flusfagen machen, über deren Sein oder Nichtfein, Sofein oder Anderstem wir allein ftreiten und uns vernünftig entfcheiden können, das f i n d t i e a l s D i n g e d e r E r f a h r u n g . Sie allein ift es, die ihnen ihren S i n n vorfchreibt und zwar, da es fich um faktifche Dinge handelt, die aktuelle Erfahrung in ihren beftimmt geordneten Erfahrungszufammenhängen. Können wir aber die Erlebnisarten der Erfahrung und insbefoncere das Grunderlebnis der Dingwahrnehmung einer e i d e t i f c h e n Betrachtung unter· ziehen, ihnen Wefensnotwendigkeiten und Wefensmöglichkeiten ab· fehen (wie wir es offenbar können), demnach auch die wefensmög· liehen Abwandlungen motivierter Erfahrungszufammenhänge eidetifch verfolgen: dann ergibt fid) das Korrelat unterer faktifchen Erfahrung, genannt » d i e w i r k l i c h e W e l t « , als S p e z i a l f a l l m a n n i g · f a l t i g e r m ö g l i c h e r W e l t e n u n d U r w e l t e n , die ihrer· feits nichts anderes find als K o r r e l a t e w e f e n s m o g l i c h e r A b w a n d l u n g e n der I d e e » e r f a h r e n d a b B e w u ß t f e i n « mit mehr oder minder geordneten Erfahrungszufammenhängen.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbitofopbie.

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Man darf fld> alio durch die Rede von der Transzendenz des Dinges gegenüber dem Bewußtfein oder von feinem »fln-fich-fein« nicht täufchen laffen. Der echte Begriff der Tranfzendenz des Dinglichen, der das Maß aller vernünftigen fiusfagen über Tranfzendenz ift, ift doch felbft nirgendwoher zu fchöpfen, es fei denn aus dem eigenen Wefensgehalte der Wahrnehmung, bzw. der beftimmt g e a r t e t e n Zufammenbänge, die wir ausweifende Erfahrung nennen. Die Idee diefer Tranfzendenz ift alfo das eidetifche Korrelat der reinen Idee diefer ausweifenden Erfahrung. Das gilt für jede erdenkliche firt von Tranfzendenz, die als Wirklichkeit oder Möglichkeit foil behandelt werden können. N i e » m a l s i f t e i n an fich f e i e n d e r O e g e n f t a n d e i n f o l c h e r , den B e w u ß t f e i n und B e w u ß t f e i n s - I c h n i c h t s a n g i n g e . Das Ding ift Ding der U m w e l t , auch das nicht gefehene, auch das real mögliche, nicht erfahrene, fondern erfahrbare, bzw. vielleicht erfahrbare. D i e E r f a h r b a r k e i t b e t a g t n i e e i n e l e e r e l o g i f c h e M ö g l i c h k e i t , fondern eine im Erfahrungszufammenhange m o t i v i e r t e . Diefer felbft ift durch und durch ein Zufammenhang der » M o t i v a t i o n « 1 , immer neue Motivationen aufnehmend und fchon gebildete umbildend. Die Motivationen find ihrem fiuffaffungs· bzw. Beftimmungsgehalte nach verfchiedene, reicher oder minder reich, inhaltlich mehr oder minder begrenzte oder vage, je nachdem es lieh um fchon »bekannte« Dinge oder »völlig unbekannte«, noch »unentdeckte« handelt, bzw. bei dem gcfehenen Ding um das von ihm Bekannte oder noch Unbekannte, fiusfchließlich auf die Wefensgeftaltungen folther Zufammenhänge, die nach allen Möglichkeiten einer rein eidetifchen Erforfchung unterliegen, kommt es an. Im Wefen liegt es, daß, was auch immer realiter ift, aber nod) nicht aktuell erfahren ift, zur Gegebenheit kommen kann, und daß das dann befagt, es gehöre zum unbeftimmten, aber b e f t i m m · b a r e n Horizont meiner jeweiligen Erfahrungsaktualität. Diefer Horizont aber ift das Korrelat der an den Dingerfahrungen felbft 1) Es ift zu beachten, daß diefer phänomenologische Grundbegriff der Motivation, der (ich mir mit der in den »Log. Unterfuchungen« vollzogenen Rbfonderung der rein pbänomenologifchen Sphäre alsbald ergab (und als Kontraft zum Begriffe der auf die tranfzendente Realitätsfpbäre bezogenen Kaufalität), eine V e r a l l g e m e i n e r u n g desjenigen Begriffes der Motivation ift, dem gemäß wir ζ. B. vom Wollen des Zweckes fagen können, daß es das Wollen der Mittel motiviere. Im übrigen erfährt der Begriff der Motivation aus wefentlichen Gründen verfchiedene Wendungen, die zugehörigen Aqui· vokationen werden ungefährlich und erfcheinen fogar als notwendig, fowie die pbänomenologifchen Sachlagen geklärt find.

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Edmund Hufferl,

wefensmäßig hängenden Unbeftimmtbeitskomponenten, und dieie lallen - immer wefensmäßig - Erfüllungsmöglichkeiten offen, die keineswegs beliebige, fondern n a c h i h r e m We f e n s t y p u s v o r * g e z e i c h n e t e , motivierte find, Alle aktuelle Erfahrung weift über fich hinaus auf mögliche Erfahrungen, die felbft wieder auf neue mögliche weifen, und fo in infinitum. Und all das vollzieht fid) nach wefensmäßig beftimmten, an a p r i o r i f c h e Typen gebundenen Arten und Regelformen. jeder hypothetifche Anfat) des praktifchen Lebens und der E r · fabrungswiffenfchaft bezieht fich auf diefen wandelbaren, aber immer mitgefetjten Horizont, durch den die Thefis der Welt ihren wefentliehen Sinn erhält. §48.

Logifche Möglichkeit und fachlicher W i d e r f i n n e i n e r Welt a u ß e r h a l b u n f e r e r Welt.

»Logifch« möglich ift freilich die hypothetifche Annahme eines Realen außerhalb diefer Welt, ein formaler Widerfpruch liegt darin offenbar nicht. Fragen wir aber nach den Wefensbedingungen ihrer Geltung, nach der durch ihren Sinn geforderten Art der Ausweitung, fragen wir nach der Art der Ausweitung überhaupt, die prinzipiell durch die Thefis eines Tranfzendenten - wie immer wir fein Wefen rechtmäßig verallgemeinern mögen - beftimmt ift, fo erkennen wir, daß es notwendig e r f a h r b a r fein müffe und nicht bloß für ein durch eine leere logifche Möglichkeit erdachtes, fondern für irgendein a k t u e l l e s Ich, als ausweisbare Einheit feiner Erfahrungszufammenhänge. Man kann aber einfehen (wir find hier freilich noch nicht weit genug, um es bis ins einzelne begründen zu können, wofür erft die fpäter folgenden Analyfen alle Prämiffen liefern werden), daß, was für e i η Id) erkennbar ift, p r i n z i p i e l l für j e d e s erkennbar fein muß. Wenn auch f a k t i f c h nicht jedes mit jedem im Verhältnis der »Einfühlung«, des Einverftändniffes ftebt und ftehen kann, wie ζ. B. wir nicht mit den in fernfien Sternenwelten vielleicht lebenden Geiftern, fo beftehen doch, prinzipiell betrachtet, W e f e n s m ö g l i c h k e i t e n d e r H e r f t e l l u n g e i n e s E i n v e r f t ä n d n i f f e s , alfo auch Möglichkeiten dafür, daß die faktifch gefonderten Erfahrungswelten fich durch Zufammenhänge aktueller Erfahrung zufammenfd)löffen zu einer einzigen interfubjektiven Welt, dem Korrelat der einheitlichen Geifterwelt (der univerfellen Erweiterung der Menfchengemeinfcbaft)- Erwägt man das, fo etweift fich die formal-logifche Möglichkeit von Realitäten außerhalb der Weit, der e i n e n räumlich-zeitlichen Welt, die durch untere a k t u e l l e

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Erfahrung f i χ i e r t ift, fachlich als Widerflnn. Gibt es überhaupt Welten, reale Dinge, ίο müffen die fie konftituierenden Erfahrungsmotivationen in meine und in eines jeden Ich Erfahrung hineinreichen k ö n n e n in der oben allgemein charakterißerten Weife. Dinge und Dingwelten, die fleh in keiner m e n f c h l i c h e n Erfanrung beftimmt ausweifen laffen, gibt es felbftverftändlich, aber das hat bloß faktifche Gründe in den faktifchen Grenzen diefer Erfahrung. §49.

Das abfolute Bewußtfein als Refiduum der Vernichtung.

Welt·

Hndererfeits ift mit alledem nicht gefagt, daß es überhaupt eine Welt, irgendein Ding geben m u ß . Exiftenz einer Welt ift das Korrelat gewiffer, durch gewiffe Wefensgeftaltungen ausgezeichneter E r · fahrungsmannig faltigkeiten. Es ift aber n i c h t einzufehen, daß aktuelle Erfahrungen η u r in folchen Zufammenhangsformen verlaufen können; rein aus dem Wefen von Wahrnehmung überhaupt und der anderen mitbeteiligten Hrten erfahrender Hnfchauungen ift dergleichen nicht zu entnehmen. Vielmehr ift es fehr wohl denkbar, daß nicht nur im einzelnen fleh Erfahrung durch Widerftreit in Schein auflöft, und daß nicht, wie de facto, jeder Schein eine tiefere Wahrheit bekundet und jeder Widerftreit an feiner Stelle gerade das durch weiterumfaffende Zufammenhänge für die Erhaltung der gefamten Einftimmigkeit Geforderte ift; es ift denkbar, daß es im Erfahren von unausgleichbaren und nicht nur für uns, fondem an fich unausgleichbaren Widerftreiten wimmelt, daß die Erfahrung mit einem Male fleh gegen die Zumutung, ihre Dingfe^ungen einftimmig durchzuhalten, widerfpenftig zeigt, daß ihr Zufammenhang die feften Regelordnungen der flbfehattungen, fluffaffungen, Erfcheinungen einbüßt — daß es keine Welt mehr gibt. Es mag dabei fein, daß doch in einigem Umfange rohe Einheitsbildungen zur Konftitution kämen, vorübergehende Haltepunkte für die Hnfchauungen, die bloße Analoga von Dinganfehauungen wären, weil gänzlich unfähig, konfervative »Realitäten«, Dauereinheiten, die »an fleh exiftieren, ob fie wahrgenommen find oder nicht«, zu konstituieren. Nehmen wir nun die Ergebniffe hinzu, die wir am Schluffe des legten Kapitels gewonnen haben, denken wir alfo an die im Wefen jeder dinglichen Tranfzendenz liegende Möglichkeit des Nichtfeins: dann leuchtet es ein, d a ß d a s S e i n d e s B e w u ß t f e i n s , jedes Erlebnisftromes überhaupt, d u r c h eine V e r n i c h t u n g der D i n g w e i t z w a r n o t w e n d i g m o d i f i z i e r t , a b e r in f e i n e r e i g e n e n E x i f t e n z n i c h t b e r ü h r t w ü r d e , fllfo modifiziert

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Edmund HufTecl,

allerdings. Denn Vernichtung der Welt betagt korrelativ nid)ts an· deres, als daß in jedem Erlebnisftrom (dem voll, alfo beiderfeitig endlos genommenen Gefamtftrom der Erlebniffe eines Ich) gewifle geordnete Erfabrungszufammenbänge und demgemäß auch nach ihnen fleh orientierende Zufammenbänge tbeoretiöerender Vernunft ausgefcbloffen wären. Darin liegt aber nicht, daß andere Erlebniffe und Erlebniszufatftmenbänge ausgefcbloffen wären. A l t o k e i n r e a l e s S e i n , kein folebes, das ficb bewußtfeinsmäßig durch Erfcheinungen darfteilt und ausweift, if-t f ü r d a s S e i n d e s B e w u ß t f e i n s f e l b f t (im weiteften Sinne des Erlebnisftromes) n o t w e n d i g . D a s i m m a n e n t e S e i n i f t a l i o z w e i f e l l o s in d e m S i n n e a b f o l u t e s S e i n , daß es p r i n z i p i e l l n u l l a »te« i n d i g e t ad e x i f t e n d u m . f i n d e t e r f ei t s i f t d i e W e l t d e r t r a n f z e n d e n t e n » r e s « d u r c h a u s auf B e w u ß t f e i n , u n d z w a r nicht auf logifch e r d a c h t e s , f o n d e r n a k t u e l l e s a n g e w i e f e n . Das ift fchon aus den obigen Ausführungen (im vorhergehenden Paragraphen) dem flllgemeinften nach klar geworden. G e g e b e n ift ein Tranfzendentes durch gewiffe Erfabrungszufammenbänge. Direkt und in fteigender Vollkommenheit gegeben in einftimmigficberweifenden Wahrnebmungskontinuen, in gewiffen metbodifchen Formen auf Erfahrung gegründeten Denkens, kommt es mehr und minder mittelbar zu einücbtiger und immer weiter fortfehreitender theoretifcher Beftimmung. Nehmen wir an, Bewußtfein fei mit feinem E r l e b n i s g e h a l t und V e r l a u f wirklich in ficb fo geartet, daß das Be· wußtfeinsfubjekt im freien theoretifchen Verhalten des Erfahrens und Etfabrungsdenkens all folche Zufammenbänge vollziehen k ö n n t e (wobei wir den Sukkurs der Wechfelverftändigung mit anderen leben und Erlebnisftrömen mit in Rechnung zu ziehen hätten); nehmen wir femer an, daß die zugehörigen Bewußtfeinsregelungen wirklich beftänden, daß auf feiten der Bewußtfeinsverläufe überhaupt nichts fehlte, was zur Erfcheinuug einer einheitlichen Welt und zur ver« nünftiejen theoretifchen Erkenntnis derfelben irgend erforderlich wäre. Wir fragen nun, ift es, das alles vorausgefetjt, noch d e n k b a r und nicht vielmehr widerfinnig, daß die entfprechende tranfzendente Welt n i c h t fei? Wir fehen alfo, daß Bewußtfein (Erlebnis) und reales Sein nichte weniger als gleichgeordnete Seinsarten find, die friedlich nebenein· ander wohnen, fid> gelegentlich aufeinander »bezieben« oder miteinander »verknüpfen«. Im wahren Sinne ficb verknüpfen, ein Ganzes bilden, kann nur, was wefensmäßig verwandt ift, was eins

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wie das andere ein eigenes Wefen im gleichen Sinne bat. Immanentes oder abfolutes Sein und tranfzendentes Sein beißt zwar beides »feiend«, »Gegenftand«, und bat zwar beides feinen gegenftändlicben Beftimmungsgebalt: evident ift aber, daß, was da beiderfeits Gegenftand und gegenftändlit auf »pfycbophyfifche« Zufammenbänge - daß trot) alledem Bewußtfein, in » R e i n h e i t « betrachtet, als ein f ü r ficb g e f c b l o f f e n e r S e i n s z u f a m m e n h a n g zu gel· ten hat, als ein Zufammenhang a b f o l u t e n S e i n s , in den nichts bineindringen und aus dem nichts entfchlüpfen kann; der kein räumlich'Zeitliches Draußen bat und in keinem räumlich·zeitlichen Zu· fammenhange darinnen fein kann, der von keinem Dinge Kaufalität erfahren und auf kein Ding Kaufalität üben kann — vorausgefetjt, daß Kaufalität den normalen Sinn natürlicher Kaufalität hat, als einer flbhängigkeitsbeziehung zwifchen Realitäten. flndererfeits ift die ganze r ä u m l i c h - z e i t l i c h e W e l t , der ficb MenM> und menfcbliches Ich als untergeordnete Einzelrealitäten zurechnen, i h r e m S i n n e nach b l o ß e s i n t e n t i o n a l e s S e i n , alfo ein folches* das den bloßen fekundären, relativen Sinn eines Seins f ü r ein Bewußtfein bat. Es ift ein Sein, das das Bewußtfein in feinen Erfahrungen ietjt, das prinzipiell nur als Identifcbes von einftimmig motivierten Erft leuchtet es ein, daß in der Tat gegenüber der natürlichen theoretifchen Einftellung, deren Korrelat die Welt ift, eine neue Einftellung möglich fein muß, welche troft der Husfchaltung diefer pfychophyfifcben Allnatur etwas übrig behält - das ganze Feld des abfoluten Bewußtfeins. Hnftatt alfo in der Erfahrung naiv zu leben und das Erfahrene, die tranfzendente Natur, tbeoretifch zu erforfchen, vollziehen wir die »phänomenologifche Reduktion«. Mit anderen Worten: Hnftatt die zum naturkonftituierenden Bewußtfein gehörigen Akte mit ihren tranfzendenten Theten in naiver Weife zu v o l l z i e h e n und uns durch die in ihnen liegenden Motivationen zu hnmer neuen tranfzendenten Thefen beftimmen zu laffen — fetjen wir all diefe Thefen »außer Aktion«, wir machen fle nicht mit; unferen erfaffenden und theoretifch forfchenden Blick richten wir auf das r e i n e B e w u ß t f e i n i n f e i n e m a b f o l u t e n E i g e n f e i n , fllfo das ift es, was als das gefuchte » p h ä n o m e n o l o g i f c h e R e f i d u u m « übrig bleibt, übrig, trotjdem wir die ganze Welt mit allen Dingen, Lebewefen, Menfchen, uns felbi't Inbegriffen, »aus» gefcbaltet« haben. Wir haben eigentlich nichts verloren, aber das gefamte abfolute Sein gewonnen, das, recht verftanden, alle weltlichen Tranfzendenzen in fleh birgt, fie in fich »konftituiert«. Machen wir uns das im einzelnen klar. In der natürlichen Einftellung v o l l z i e h e n wir fchlechthin all die Hkte, durch welche die Welt für uns da ift. Wir leben naiv im Wahrnehmen und Erfahren, in diefen thetifchen Akten, in denen uns Dingeinbeiten erfcheinen, und nicht nur erfcheinen, fondern im Charakter des »vorhanden«, des »wirklich« gegeben find. Naturwiffenfchaft treibend, v o l l z i e h e n wir erfahrungslogifch geordnete Denkakte, in denen diefe, wie gegebenen, fo hingenommenen Wirklichkeiten denkmäßig beftimmt werden, in denen auch auf Grund folcher direkt erfahrenen und beftimmten Tranfzendenzen auf neue gefchloffen wird. In der phänomenologifchen Einftellung u n t e r b i n d e n wir in prinzipieller Allgemeinheit den V o l l z u g aller folcher kogitativen Thefen, d.h. die vollzogenen »klammern wir e ; n«, für die neuen Forfchungen »machen wir diefe Thefen nicht mit«; ftatt i n ihnen zu leben, f i e

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zu vollziehen, vollziehen wir auf fie gerichtete Akte der R e f l e x i o n , und wir erfaffen ße felbft als das a b f o l u t e Sein, das fie find. Wir leben jetjt durchaus in fotchen Akten zweiter Stufe, deren Gegebenes das unendliche Feld abfoluter Erlebniffe ift - das Orundfeld der Phänomenologie. § 51. D i e B e d e u t u n g d e r t r a n f z e n d e n t a l e n betracbtungen.

Vor·

Reflexion kann freilich jeder vollziehen und im Bewußtfein in (einen erfaffenden Blick bringen; aber damit ift noch nicht p h ä n o m e n o l o g i f c h e Reflexion vollzogen und das erfaßte Bewußtfein nicht reines Bewußtfein. Radikale Betrachtungen, derart wie wir fie durchgeführt haben, find alfo notwendig, um zur Erkenntnis durchzudringen, daß es fo etwas wie das Feld reinen Bewußtfeins überhaupt glbt^ ja geben kann, das nicht Beftandftück der Natur ift; und es fo wenig ift, daß Natur nur als eine in ihm durch immanente Zufammenhänge motivierte intentionale Einheit möglich ift. Sie find notwendig, um weiter zu erkennen, daß folch eine Einheit in einer ganz anderen Einftellung gegeben und theoretifch zu erforichen ift, als es diejenige ift, in welcher das diefe Einheit »konftituierende« Bewußtfein und fo alles und jedes abfolute Bewußtfein überhaupt zu erforfchen ift. Sie find notwendig, damit endlich angefichts des philofophifchen Elends, in dem wir uns unter dem fchönen Namen naturwiffenfchaftlich fundierter Weltanfchauung vergeblich abmühen, klar werde, daß tranfzendentale Bewußtfeinsforfchung nicht Naturforfchung bedeuten oder diefe als Prämiffe vorausfegen kann, weil in ihrer tranfzendentalen Einftellung Natur prinzipiell eingeklammert ift. Sie. find notwendig, um zu erkennen, daß unfer Hbfeben von der ganzen Welt in Form phänomenologifcher Reduktion etwas total anderes ift, als eine bloße flbftraktlon von Komponenten um· faffender Zufammenhänge, fei es notwendiger oder faktifcher. Wenn Bewußtfeinserlebniffe in d e r Art nicht denkbar wären ohne Verflechtung mit Natur, wie Farben nicht denkbar find ohne Ausbreitung, dann könnten wir Bewußtfein nicht als eine abfolut eigene Region für fid) anfehen in dem Sinne, wie wir es tun müffen. Man muß aber einfehen, daß durch folche »Hbftraktion« aus Natur nur Natürliches gewonnen wird, nie aber das tranfzendental reine Bewußtfein. Und wieder betagt die phänomenologifche Reduktion nicht eine bloße Urteilseinfchränkung auf ein zufammenhängendes Stück des gefamten wirklichen Seins. In allen befonderen Wirklichkeitswiftenfchaften fchränkt fich das theoretifcbe Intereffe auf befon-

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dere Gebiete der Hllwirklichkeit ein, die übrigen bleiben außer Betracht, ioweit nicht reale Beziehungen, die hinüber und herüber laufen, zu vermittelnden Forfcbungen zwingen. In diefem Sinne »abftrabiert« die Mechanik von optifchen Vorkommniffen, die Phytlk überhaupt und im weiteften Sinne vom Piychologifchen. Darum ift doch, wie jeder Naturforfcher weiß, kein Wirklichkeitsgebiet ifoliert, die ganze Welt ill fchließHch eine einzige »Natur«, und alle Natur· wiffenid>aften Gliederungen Einer Naturwiiienfcbaft. Grundwefentllch anders verhält es Qch mit der Domäne der Erlebniffe als abfoluter Wefenheiten. Sie ift in fidb feft abgefchloffen und doch ohne Grenzen, die iie von anderen Regionen fcheiden könnten. Denn, was fie begrenzen würde, müßte mit ihr noch Wefensgemeinfchaft teilen. Sie ift aber das flll des abfoluten Seins in dem beftimmten Sinne, den untere Hnalyfen hervortreten ließen. Sie ift ihrem W e f e n nach von allem weltlichen, naturhaften Sein independent, und fie bedarf desfelben auch nicht für ihre E x i f t e n z . Exiftenz einer Natur k a n n Exiftenz von Bewußtfein nicht bedingen, da fie Qch ja felbft als Bewußtfeinskorrelat herausftellt; fie i f t nur, als fich in geregelten Bewußtfeinszufammenhängen k o n f l u i e r e n d . Anmerkung.

Im Vorbeigehen bemerken wir hier folgendes, und es fei ge« fagt, um nicht Mißverftändniffe aufkommen zu laffen: Gibt die Faktizität in der gegebenen Ordnung des Bewußtfeinslaufes in feinen Sonderungen nach Individuen und die ihnen immanente T e l e o l ο g i e begründeten flnlaß zur Frage nach dem Grunde gerade diefer Ordnung,- fo kann das vernunftgemäß etwa zu fupponierende t h e o l o g i f c h e P r i n z i p dann aus Wefensgründen n i c h t a l s e i n e T r a n f z e n d e n z i m S i n n e d e r W e l t angenommen werden; denn das wäre, wie Geh aus unferen Feftftellungen im voraus mit Evidenz ergibt, ein widerfinniger Zirkel. Im Abfoluten felbft und in rein abfoluter Betrachtung muß das ordnende Prinzip des Hb» foluten gefunden werden. Mit anderen Worten, da ein mundaner Gott evident unmöglich ift, und da andererfeits die Immanenz Gottes im abfoluten Bewußtfein nicht als Immanenz im Sinne des Seins als Erlebnis gefaßt werden kann (was nicht minder widerfinnig wäre), fo muß es im abfoluten Bewußtfeinsftrom und feinen Unendlichkeiten andere Weifen der Bekundung von Tranfzendenzen geben, als es die Konftitution von dinglichen Realitäten als Einheiten einftimmiger Erfcheinungen ift; und es müffen fchließlich auch intuitive Bekundungen fein, denen fich theoretifd>es Denken anpaffen,

Ideen zu einet reinen Phänomenologie u. pbinomenol. Philofophie.

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und dem vernunftgemäß folgend, es einheitliches Walten des fup· ponierten theologifcben Prinzips zum Verftändnis bringen könnte. Evident ift dann auch, daß fleh diefes Walten nicht würde als kau· tales fatten laffen, im Sinne des Naturbegriffs von Kaufalität, der auf Realitäten und auf die zu ihrem befonderen Wefen gehörigen funktionellen Zufammenhänge abgeftimmt ift. Doch das alles geht uns hfcr nicht weiter an. Unfer unmittelbares flbfeben geht nicht auf Theologie, fondern auf Phänomenologie, mag diefe für jene mittelbar noch fo viel bedeuten. Der Phäno« menologie aber dienten die vollzogenen Fundamentalbetrachtungen, fofern fie unerläßlich waren, die abfolute Sphäre als das ihr eigentümliche Forfchungsgebiet zu erfchließen. §52.

E r g ä n z u n g e n . Das pbyfikalifcbe Ding und » u n b e k a n n t e Urfacbe der Erfcf>einungen«.

die

Doch nun zu den notwendigen Ergänzungen. Wir führten die letzte Rfeihe unferer Überlegungen hauptfächlich am Ding der Amtlichen imaginatio durch und nahmen keine rechte Rückficht auf das pbyfikalifche Ding, für welches das finnlich erfcheinende (das wahrnehmungsgegebene) Ding als »bloße Erfcheinung« fungieren foil, etwa gar als etwas »bloß Subjektives«. Indeffen liegt es fchon im Sinne unferer früheren Ausführungen, daß diefe bloße Subjektivität nicht (wie ίο häufig) verwechfelt werden darf mit einet Erlebnisfubjektivität, als ob die wahrgenommenen Dinge in ihren Wahrnebmungsqualitäten und als ob diefe felbft Erlebniffe wären. fluch das kann nicht die wahre Meinung der Naturforfcher fein (zumal wenn wir uns nicht an ihre Äußerungen, fondern an den Sinn ihrer Methode halten), daß das erfcheinende Ding ein Schein oder ein fehlerhaftes B i l d des »wahren« phyiikalifen Dinges fei. Desgleichen ift die Rede, daß die Erfcheinungsbeftimmtheiten » Z e i c h e n « für die wahren Beftimmtheiten feien, irreführend.1 Dürfen wir nun gar im Sinne des fo fehr verbreiteten » R e a l i s m u s « fagen: Das wirklich Wahrgenommene (und im erften Sinne Erfcheinende) fei feinerfeits als Erfcheinung, bzw. als inftinktive Subftruktion eines Findern, ihm innerlich Fremden und von ihm Getrennten anzufehen? Theoretifch betrachtet habe diefes letztere zu gelten als eine zu Zwecken der Erklärung des Laufes der Erfcheinungserlebniife hypothetifch anzunehmende und völlig 1) Vgl. die Ausführungen über die Bilder- und Zeicbentbeorie im § 43 S. 78ff. 7

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unbekannte Realität, als eine verborgene, nur indirekt und analogifch durch matbematifcbe Begriffe zu charakteriiierende U r f a c b e diefer Erfcbeinungen? Schon auf Grund unterer allgemeinen Darftellungen (die ficf» durch unfere weiteren Hnalyfen noch febr vertiefen und beftändige Beltätigung erfahren werden) leuchtet es ein, daß derartige Theo-, rien nur fo lange möglich find, als man es vermeidet, den im eigenen W e f e n der Erfahrung liegenden Sinn von Dinggegebenem und iomit von »Ding überhaupt« ernftlicb ins Huge zu fatten und wiffenfchaftlicb zu ergründen - den Sinn, der die abfolute Norm aller vernünftigen Rede über Dinge ausmacht. Was gegen diefen Sinn veriteßt, ift eben widerfinnig im ftrengften Verftande 1 , und das gilt zweifellos von allen erkenntnistheoretifcben Lehren des bezeichneten Typus. Es ließe fleh ja leicht nachweifen, daß, wenn die unbekannte angebliche Urfache überhaupt i f t , fie p r i n z i p i e l l wahrnehmbar und erfahrbar fein müßte, wenn nicht für uns, fo für andere beffer und weiter fchauende Iche. Dabei handelt es ficf) nicht etwa um eine leere, bloß logifd>e Möglichkeit, fondern um eine inhaltreiche und mit diefem Inhalt gültige Wefensmöglichkeit. Des weiteren wäre zu zeigen, daß die mögliche Wahrnehmung felbft wieder, und mit Wefensnotwendigkeit, eine Wahrnehmung durch Erfcbeinungen fein müßte, und daß wir fomit in einen unvermeidlichen Regreffus in infinitum gerieten. Es wäre ferner darauf hinzuweifen, daß eine Erklärung der wabmebmungsmäßig gegebenen Vorgänge durch hypothetifcb angenommene Urfachrealitäten, durch unbekannte Dinglichkeiten (wie ζ. B. die Erklärung gewiffer planetarifcher Störungen durch die Annahme eines noch unbekannten neuen Planeten Neptun) etwas prinzipiell anderes fei, als eine Erklärung im Sinne phyfikalifcher Be· ftimmung der erfahrenen Dinge und durch pbyfikalifcbe Erklärungsmittel nach Art der Atome, Ionen u. dgl. Und fo wäre in ähnlichem Sinne noch vielerlei auszuführen. Wir dürfen hier nicht in eine fyftematifcb erfeböpfende Erörterung all foleber Verhältniffe eingeben. Für unfere Zwecke genügt es, einige Hauptpunkte zu deutlicher Abhebung zu bringen. 1) Widerfinn ift ϊη diefer Schrift ein k e i n e außetlogifche Gefühlswertung aus. gelegentlich in Widerlinn verfallen, und Pflicht ift, das auszufprechen, fo wird das Abbruch tun.

logifcfiet Terminus und drückt fludb die größten ForfAer find wenn es unfere wiffenfchaftlicbe unterer Verehrung für üe keinen

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenoL Pbilofopbie.

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Zur Anknüpfung nehmen wir die leicht nachzuprüfende Feit· ftellung, daß in der phyfikalifchenMethode das w a h r g e n o m m e n e D i n g f e l b f t , immer und prinzipiell, g e n a u d a s D i n g i f t , d a s d e r P h y f i k e r e r f o r ich t u n d w i f f e n f c h a f t l i c h b e · ftimmt. Diefer Sat) fcheint den früher ausgefprochenen1 Sä^en zu wideriprechen, in welchen wir uns den Sinn gemeinüblicher Reden der Phyfiker, bzw. den Sinn der traditionellen Scheidung zwifchen primären und fekundären Qualitäten, näher zu beftimmen fuchten. Nach Husfcheidung offenbarer Mißdeutungen fagten wir, das »eigentlich erfahrene Ding« gebe uns das »bloße Dies«, ein »leeres x«, das zum Träger der exakten phyfikalifchen Beftimmungen werde, die felbft nicht in die eigentliche Erfahrung fallen. Das »phyfikalifch wahre« Sein fei alfo ein »prinzipiell anders beftimmtes« als das in der Wahrnehmung felbft »leibhaft« gegebene. Diefes ftehe mit lauter finnlichen Beftimmtheiten da, die eben nicht phyfikalifche find. Indeifen vertragen fid> die beiden Darftellungen fehr wohl, und wir brauchen gegen jene Interpretation der phyfikalifchen Huffaffung nicht emftlich zu ftreiten. Wir müffen fle nur richtig verftehen. Keineswegs dürfen wir in die prinzipiell verkehrten Bilder- und Zeichentheorien verfallen, die wir früher, ohne befondere Rückficht· nähme auf das phyfikalifche Ding, erwogen und gleich in radikaler Allgemeinheit widerlegt haben.2 Ein Bild oder Zeichen weift auf ein außer ihm Liegendes hin, das durch Ubergang in eine andere Vorftellungsweife, in die der gebenden ftnfcbauung, »felbft« erfaßbar wäre. Ein Zeichen und Bild »bekundet« in feinem Selbft nicht das bezeichnete (bzW. abgebildete) Selbft. Das phyfikalifche Ding aber ift kein dem finnlich-leibhaft Erfcheinenden Fremdes, fondern fid) in ihm, und zwar a priori (aus unaufheblichen Wefensgründen) n u r in ihm originär Bekundendes. Dabei ift auch der finnliche Beftim· mungsgehalt des x, das als Träger der phyfikalifchen Beftimmungen fungiert, keine diefen letzteren fremde und fie verhüllende Umkleidung: vielmehr, nur infoweit das χ Subjekt der finnlichen Beftimmungen ift, ift es auch Subjekt der phyfikalifchen, die fich ihrerfeits i η den finnlichen b e k u n d e n . Prinzipiell kann ein Ding, und genau das Ding, von dem der Phyfiker redet, nach dem ausführlich Dargelegten nur finnlich, in finnlichen »Erfcheinungsweifen« gegeben fein, und das Identifche, das in der wechfelnden Kontinuität diefer 1) Vgl. oben S, 72, § 40. 2) Vgl. oben § 43, S. 79. 7*

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Edmund Huflerl,

Erfcheinungsweifen eriefteint, ift es, das der Pbyflker in Beziehung auf alle erfahrbaren (aUo wahrgenommenen oder wahrnehmbaren) Zufammenhänge, welche als »llmftände« in Betracht kommen können, einer kaufaten Hnalyfe, einer Erforfchung nach realen Notwendig· keitszufammenhängen unterwirft. Das Ding, das er beobad)tet, mit dem er experimentiert, das er beftändig fleht, zur Hand nimmt, auf die Wagfchale legt, in den Schmelzofen bringt: diefes und kein anderes Ding wird zum Subjekt der phyflkalifchen Prädikate, als da find Gewicht, Maffe, Temperatur, elektrifcher Widerftand ufw. Ebenfo find es die wahrgenommenen Vorgänge und Zufammenhänge felbft, die durch Begriffe, wie Kraft, Befchleunigung, Energie, Rtom, Ion ufw. beftimmt werden. Das finnlid) erfdbeinende Ding, das die fitm· Uchen Oeftalten, Farben Oetuchs· und Oefchmadtseigenfchaften hat, ift alio nichts weniget als ein Zeichen für ein a n d e r e s , fondern gewiffermaßen Zeichen f a r (ich f e l b f t . Nur foviei kann man tagen: Das mit den und den finnlichen Befcbaffenbeiten unter den gegebenen phänomenalen Umftänden er· icheinende Ding ift f ü r d e n P h y f i k e r , der a l l g e m e i n für folche Dinge überhaupt, in Erfcheinungszufammenhängen der betreffenden Art, fchon d i e p h y f i k a l i f c h e B e f t i m m u n g g e l e i f t e t h a t , Anzeichen für eine Fülle kaufaler Eigenfchaften diefes felben Dinges, die als folche fleh eben in artmäßig wohlbekannten Erfcheinungsabhängigkeiten bekunden. Was fid> da bekundet, ift offenbar - eben als fleh in intentionalen Einheiten von Bewußt· feinserlebniffen bekundend - prinzipiell tranfzendent. Nach alledem ift es klar, daß auch d i e h ö h e r e T r a n s · f z e n d e n z des phyfikalifchen Dinges kein Hinaus· r e i c h e n ü b e r d i e W e l t f ü r d a s B e w u ß t f e i n , bzw. für Jedes (einzetn oder im EinfÜhtungszufammenhang) als Erkenntnis· fubiekt fungierende Ich bedeutet. Die Sachlage ift, allgemein angedeutet, die, daß fleh auf dem Untergrunde dee natürlichen Erfahrens (bzw. der natürlichen Thefen, die es vollzieht) das phyfikalifche Denken etabliert, welches d e n V e r n u n f t m o t i v e n f o l g e n d , die ihrn die Zufammen· hänge der Erfahrung darbieten, genötigt ift, gewiffe Huffaffungsweifen, gewiffe intentionale Konstruktionen als vernünftig geforderte zu vollziehen, und fie zu vollziehen zur t h e o r e t i s c h e n B e · f t i m m u η g derfinnlicherfahrenen Dinge. Eben dadurch entfpringt der Gegenfatj zwifchen dem Ding der ichlichten finnlichen imaginativ und dem Ding der phyflkalifchen intellectie und für die letztere Seite erwachfen all die ideellen ontologifd>en Denkgebilde, die fid)

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenot. Pbilofopfoie. 101 in den phyflkaliichen Begriffen ausdrücken und ihren Sinn ausichließlicb aus der naturwiffenfd>aftlid>en Methode fcböpfen und fdböpfen dürfen. Arbeitet fo die erfahrungslogiiche Vernunft unter dem Titel Phyiik ein intentionates Korrelat höherer Stufe heraus - a u s der fchlicbt erichemenden Natur die phyßkalifche Natur - ίο heißt es Mythologie treiben, wenn man diefe e i η f i ch t i g e Vernunft« gegebenheit, die doch nichts weiter ift, als die e r f a h r u n g s · lo gif che B e f t i m m u n g der fchlicbt-anfchaulich gegebenen Natur, wie eine u n b e k a n n t e Welt von Dingrealitäten an fid> hinftellt, die hypothetifcb fubftruiert fei zu Zwecken der k a u f a l e n Erklärung der Erfcheinungen. Widerfinnigerweife verknüpft man alio Sinnendinge und phyflkalifche Dinge durch K a u f a l i t ä t . Dabei verwechfelt man aber im gewöhnlichen Realismus die finnlichen Erfcheinungen, d. i. die ericheinenden Gegenftände als folche (die felbft fchon Transfzen· denzen find), vermöge ihrer »bloßen. Subjektivität« mit den Qe konftituierenden abfoluten Erlebniffen des Erfcheinens, des erfah· renden Bewußtfeins überhaupt. Mindeftens in d e r . Form begeht man überall die Verwed)flung, daß man fo fpricht, als ob die objektive Pbyfik nicht die »Dingerfcheinungen« im Sinne der ericheinenden Dinge, fondern im Sinne der konftituierenden E r l e b n i f f e des erfahrenden Bewußtfeins zu erklären befchäftigt fei. Die Kau· falität, die prinzipiell in den Zufammenhang der konftituierten inten» tionalen Welt hineingehört und nur in ihr einen Sinn hat, macht man nun nicht bloß zu einem mythüchen Bande zwifchen dem »objektiven« phyiikaliichen Sein und dem »iubjektiven«, in der un» mittelbaren Erfahrung ericheinenden Sein — dem »bloß fubjek» tiven« Sinnendinge mit den »fekundären Qualitäten« — fondern durch den unberechtigten Übergang von dem letjteren zu dem es konftituierenden Bewußtfein macht man Kaufalität zu einem Band zwifchen dem phyfikalifchen Sein und dem abfoluten Bewußtfein, und fpeziell den reinen Erlebniffen des Erfahrens. Dabei unterfchiebt man dem phyfikalifchen Sein eine mythifche abfolute Realität, während man das wahrhaft fibfolute, das reine Bewußtfein als folches gar nicht fieht. Man merkt aUo ni(ht die flbfurdität, die darin liegt, daß man die phyfikatifche Natur, diefes intentionale Korrelat des logifch beftimmenden Denkens, verabiolutiert; des· gleichen daß man diefe, die direkt anichauliche Dingwelt erfahrungs· logifch beftimmende und in diefer Funktion völlig b e k a n n t e Natur (hinter der etwas zu fuchen keinen Sinn gibt) zu einer un»

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Edmund Huffert,

bekannten, fid) nur geheimnisvoll anzeigenden Realität macht, die f e l b f t nie und nach keiner Eigenbeftimmtheit zu faffen fei, und der man nun gar die Rolle einer U r ί arealität in Beziehung auf die Verläufe fubjektiver Erfcheinungen und erfahrender Erlebniffe zumutet. Einen nicht geringen Einfluß bei dieien Mißdeuhmgen übt ficberlich der Umftand, daß man der f i n n l i c h e n U n e n ^ f c h a u l i c h k e i t , die alten kategorialen Oenkeinheiten, in befonders auffälligem Maße natürlich den fehr mittelbar gebildeten eignet, und daß man der erkenntnispraktifch nützlichen Neigung, dielen Denk· einbetten finnliche Bilder, »Modelle« unterzulegen, die falfche Deutung gibt: es fei das finnlidb Unanfchauliche ein f y m b o l i f d ) e r R e p r ä f e n t a n t für ein Verborgenes, das bei befferer intellektueller Organifation zu fchlid>ter finnlicher flnfchauung zu bringen wäre; und es dienten die Modelle als anfcbaulidie fchematifche Bilder für diefes Verborgene, fie hätten alfo eine ähnliche Funktion wie die hypothetifchen Zeichnungen, die der Paläontologe von dahingegangenen Lebewelten auf Grund dürftiger Data entwerfe. Man beachtet nicht den e i n f i c h t i g e n Sinn der konduktiven Denkeinheiten a l s f o l c h e n , und überüeht, daß das Hypothetifcbe hier an die Sphäre der Denkfynthefis gebunden ift. fluch eine göttliche Phyflk kann aus kategorialen Denkbeftimmungen von Realitäten keine fchlicht anfchaulichen machen, fowenig göttliche Omnipotenz es machen kann, daß man eltiptifche Funktionen malt oder auf der Geige fpielt. Wie fehr diefe Ausführungen der Vertiefung bedürfen, wie empfindlich uns durch fie das Bedürfnis nach einer vollen Klärung aller einfchlägigen Verhältniffe fein mag: evident ift uns geworden, was wir für unfere Zwecke brauchen, daß, dem Prinzipiellen nach, die Tranfzendenz des phyfikalifchen Dinges Tranfzendenz eines fich im Bewußtfein konstituierenden, an Bewußtfein gebundenen Seins ift, und daß die Rückfichtnahme auf die mathematifche Naturwiffenfchaft (fo viele befondere Rätfei in ihrer Erkenntnis liegen mögen) an unteren Ergebniffen nichts ändert. Es bedarf keiner befonderen Ausführung, daß alles, was wir uns hinficbtlidb der Naturobjektivitäten als »bloßer Sachen« klargemacht haben, gelten muß für alle in ihnen fundierten a x i o l o g i fd>eη und p r a k t i f c h e n Objektivitäten, äfthetifchen Gegenftänden, Kulturgebilden ufw. Und ebenfo fchtießlich für alle fich bewußtfeinsmäßig konftituierenden Tranfzendenzen überhaupt.

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§53. D i e H n i m a l i e n u n d d a s pf y»cb ο t ο g i fch e B e w u ß t f e i n .

Sehr wichtig ift eine andere Erweiterung der Schranken unterer Betrachtungen. Die gefamte materielle Natur, die finnlid) erfcheinende und die in ihr als höhere Erkenntnisftufe fundierte phyflkalifche Natur haben wir in den Kreis unterer Feftftellungen gezogen. Wie fteht es aber mit den a n i m a l i f c h e n R e a l i t ä t e n , den Mentchen und Tieren? Wie mit denfelben hinfichtlich ihrer Seelen und t e e l i f c h e n E r l e b n i t i e ? Die volle Welt ift ja nicht bloß pbyflfche, iondern pfychophyfifche. Ihr tollen — wer kann es leugnen - alle mit den befeelten Leibern verbundenen Bewußtteinsftröme angehören. Alio e i n e r t e i t s t o l l d a s B e w u ß t · f e i n d a s A b f o l u t e f e i n , in dem fich alles Tranfzendente, alfo fdbließlich doch die ganze pfychophyflfche Welt konttituiert, und a n d e r e r f e i t s foil das Bewußtfein e i n u n t e r g e o r d n e t e s r e a l e s V o r k o m m n i s i n n e r h a l b d i e f e r W e l t fein. Wie reimt fich das zufammen? Machen wir uns klar, wie Bewußtfein fozufagen in die reale Welt hineinkommen, wie das an fleh Abfolute feine Immanenz preisgeben und den Charakter der Tranfzendenz annehmen kann. Wir fehen fogleich, daß es das nur kann durch eine gewiffe Teilnahme an der Tranfzendenz im erften, originären Sinn, und das ift offenbar die Tranfzendenz der materiellen Natur. Nur durch die Erfahrungsbeziehung zum Leibe wird Bewußtfein zum real menfd>licben und tierifchen, und nur dadurch gewinnt es Stellung im Räume der Natur und in der Zeit der Natur - der Zeit, die phyfifcb gemeffen wird. Wir erinnern uns auch daran, daß nur durch die Verknüpfung von Bewußtfein und Leib zu einer naturalen, empirifch - anfchaulichen Einheit fo etwas wie Wechfelverftändnis zwifchen den zu einer Welt gehörigen animalifchen Wefen möglich ift, und daß nur dadurch jedes erkennende Subjekt die volle Welt mit fich und anderen Subjekten vorfinden und fie zugleich als diefelbe, fich und allen anderen Subjekten gemeinfam zugehörige Umwelt erkennen kann. Eine e i g e n e A u f f a f f u n g ? · b z w . E r f a h r u n g s a r t , eine eigene Art der » A p p e r z e p t i o n « vollzieht die Leiftung diefer fogenannten »Anknüpfung«, diefer Realifierung des Bewußt« feins. Worin immer diefe Apperzeption befteht, welche befondere Art der Ausweitungen fie fotdern mag: foviel ift ganz offenbar, daß das Bewußtfein felbft in diefen apperzeptiven Verflechtungen, bzw. in diefer pfychophyfifchen Beziehung auf Körperliches nichts von feinem eigenen Wefen einbüßt, nichts feinem Wefen Fremdes

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Edmund Hufferl,

In fleh aufnehmen kann; was ja ein Widetflnn wäre. Das körper· liehe Sein ift prinzipielt erfcheinendes, fleh durch ßnntiche flbfAatlungen darfteilendes. Das naturhaft apperzipierte Bewußtfein, der Strom der Erlebniffe, der als menfchlicher und tierifcher gegeben, atfo in Verknüpfung mit Körperlichkeit erfahren ift, wird durch diefe Apperzeption natürlich nicht felbft zu einem durch Rbfcbattung Erfcheinenden. Und doch ift es zu einem finderen geworden, zum Beftandftüdk der Natur. In fleh felbft ift es, was es ift, von abfolutem Wefen. Hber es ift nicht in diefem Wefen, in feiner fließenden Diesheit, erfaßt, fondern »als etwas aufgefaßt«; und in diefer eigen· artigen fiuffaffung konstituiert fich eine eigenartige T r a n f z e n · d e η ζ : es erfcheint nun eine Bewußtfeins z u f t ä n d l i c h k e i t eines identifchen r e a l e n Ichfubjektes, das in ihr feine i n d i v i d u e l l e n r e a l e n E i g e n f c h a f t e n bekundet und nun - a l s diefe Einheit fleh in Zuftänden bekundender Eigenfchaften - bewußt ift als einig mit dem erfcheinenden Leibe. E r f c h e i n u n g s m ä ß i g konftituiert fleh fo die pfyehopbyflfcbe Natureinheit Menfeh oder Tier als eine leiblich f u n d i e r t e Einheit, der Fundierung der Hpperzeption entfprechend. Wie bei · jeder tranfzendierenden Apperzeption ift auch hier eine d o p p e l t e E i n t e i l u n g - wefensmäßig zu vollziehen. In der e i n e n geht der erfaffende Blick auf den apperzipierten Gegenftand gleichfam durch die tranfzendierende Huffaffung hindurch, in der a n d e r e n reflektlv auf das reine auffaffende Bewußtfein. Darnach haben wir in unterem Falle einerfeits die p f y c h o i o g i f c h e Ein·* f t e i l u n g , in welcher der natürlich eingeftellte Blick auf die Er· lebnifie, z.B. auf ein Erlebnis der Freude, als Erlebnis ζ u f t ä η d · l i eh k e i t des Menfchen, bzw. Tieres geht. Hndererfeits haben wir die als WefcitsmögUehkeit mitverflochtene p h ä n o m e n o l o g i f c h e E i n f t e l l n n g , welche reflektierend und die tranfzendenten Setjungen ausfehaltend, fleh dem abfoluten reinen Bewußtfein zuwendet und nun die Zuft&ndlichkeitsapperzeption eines abfoluten Erlebniffes vor· findet: fo im obigen Beifpiel das Gefühlserlebnis der Freude als ab· folutes phänomenologifches Datum, aber im Medium einer es befeelenden Huffaffungsfunktion, eben-der, efne mit dem erfcheinenden Leibe verknüpfte Zuftändlichkeit einefe menfchlichen Ichfubjektes zu »bekunden«, Das »reine« Erlebnis »liegt« in gewiflem Sinne im pfy; chotogKch Apperzipierten, in dem Erlebnis als menfchlichem Zuftand; mit feinem eigenen Wefen nimmt es die Form der Zuftändlichkeit und damit die intentionale Beziehung auf Menidien-Ich und Menfchen·

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Leiblichkeit an. Verliert das betreffende Erlebnis, in unterem Bei· fpiel das Gefühl der Freude, diefe intentionale Form (und das ift doch denkbar), fo erleidet es fretyich eine Änderung, aber nur die, daß es fleh im r e i n e n B e w u ß t f e i n vereinfacht, daß es keine Naturbedeutung mehr bat. § 54. F o r t f e ^ u n g . D a s t r a n f z e n d e n t e p f y c h o l o g i f c b e E r lebnis zufällig und relativ, das t r a n f z e n d e n t a l e Er· lebnis notwendig und abfolut.

Denken wir uns, wir vollzögen naturbafte Apperzeptionen, aber beftändig ungültige, fie ließen keine einftimmigen Zufammen· hänge zu, in denen fleh uns Erfahrungseinheiten konfluieren könnten; mit anderen Worten, denken wir uns im Sinne der obigen Husführungen1 die ganze Natur, zunächft die phyflfche, »vernichtet«: dann gäbe es keine Leiber mehr und fomit keine Menfd>en. Id) als Menfch wäre nicht mehr, und erft recht wären nicht für mid) Nebenmenfchen. Aber mein Bewußtfein, fo fehr feine Erlebnis· beftände geändert wären, bliebe ein abfoluter Erlebnisftrom mit feinem eigenen Wefen. Wäre noch etwas übrig, was die Erlebniffe als »Zuftände« eines perfönlichen Ich faffen ließe, in deren Wechfel fleh identifche perfönliche Eigenschaften bekundeten, fo könnten wir auch diefe fluffaffungen auflöten, die intentionalen Formen, die fie konstituieren, abtun und auf die reinen Erlebniffe reduzieren. Huch pfychifche Z u f t ä n d e weifen auf Regelungen abfoluter Erlebniffe zurück, in denen fie fleh konftituieren, in denen fie die inten· tionale und in ihrer Art t r a n f z e n d e n t e Form » Z u f t a n d « annehmen. Sicherlich ift ein leiblofes und, fo paradox es klingt, wohl auch ein feelenlofes, nicht pertonales Bewußtfein denkbar, d. h. ein Er· lebnisftrom, in dem fich nicht die intentionalen Erfahrungseinheiten Leib, Seele, empirifches Ichfubjekt konftituierten, in dem all diefe Erfahrungsbegriffe, und fomit auch der des E r l e b n i f f e s im p f y c h o l o g i f c b e n S i n n (als Erlebniffes einer Perfon, eines animalifchen Ich), keinen Anhalt und jedenfalls keine Geltung hätten. Π l i e empirifchen Einheiten und fo auch die pfychologifchen Erleb· niffe find I n d i c e s f ü r a b f o l u t e E r t e b n i s z u f a m m e n h ä n g e von ausgezeichneter Wefensgeftaltung, neben welchen eben noch andere Oeftaltungen denkbar find; alle find in gleichem Sinne tranfzendent, bloß relativ, zufällig. Man muß fleh davon über· l) Vgl. $ 49, S. 91.

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Edmund Huffed,

zeugen, daß die Selbftverftändlichkeit, mit der jedes eigene und fremde Erlebnis erfahrungsmäßig als- pfychologifche und pfvdbophyfifche Zuftändlicbkeit animalifdber Subjekte gilt, und in voller Red)tmäßigkeit gilt, in der bezeichneten HinQcht ihre Grenzen hat; daß dem empirifchen Erlebnis gegenübersteht, a l s V o r a u s · f e $ u n g f e i n e s S i n n e s , das a b f o l u t e Erlebnis; daß diefes nicht eine metaphyfifche Konftruktion, fondern durch entfpreAende Einftellungsänderung in feiner" Hbfolutheit zweifellos flufweisbares, in direkter finfchauung zu Gebendes ift. Man muß fid) davon überzeugen, daß P f y c h i f c h e s ü b e r h a u p t i m S i n n e d e r P f y c h o l o g i e , daß pfychifche Perfönlikeiten, pfycbifcbe Eigen· fchaften, Erlebniffe oder Zuftände e m p i r i f c b e Einheiten find, daß He alfo wie Realitäten jeder Fürt und Stufe-, bloße Einheiten inten· tionafler »Konftitution« find —in ihrem Sinne wahrhaft feiend; an· z^ifd>auen, zu erfahren, auf Grund der Erfahrung wiffenfchaftUd) zu beftimmen — und dod> »bloß intentional« und fomit bloß »relativ«. Sie als im abfoluten Sinne feiend anfeilen, ift alfo Widerfinn. § 55.

Schluß.

A l l e R e a l i t ä t f e i e n d durch » S i n n g e b u n g « . Kein »fubjektiver Idealismus«.

In gewiffer Art und mit einiger Vorficht im Wortgebrauche kann man auch fagen: » A l l e r e a l e n E i n h e i t e n f i n d » E i n h e i t e n d e s S i n n e s « . Sinneseinheiten fetjen (ich betone wieder· holt: nid>t weil wir aus irgendwelchen metaphyfifchen Poftulaten deduzieren, fondern weil wir es in intuitivem, völlig zweifellofem Verfahren aufweifen können) f i n n g e b e n d e s Bewußtfein voraus, das feinerfeits abfolut und nicht felbft wieder durd) Sinngebung ift. Zieht man den Begriff der Realität aus den n a t ü r l i c h e n Realitäten, den Einheiten möglicher Erfahrung, dann ift •Weltall«, »flllnatur« freilich foviel wie HU der Realitäten; es aber mit dem fill des S e i n s zu identifizieren, und es damit felbft zu verabfolutieren, ift Widerfinn. Eine a b f o l u t e R e a l i t ä t g i l t g e n a u fo v i e l w i e e i n r u n d e s V i e r e dt. Realität und Welt find biet eben Titel für gewiffe gültige S i n n e s e i n h e i t e n , nämlich Einheiten des »Sinnes«, bezogen auf gewiffe ihrem W e f e n nach gerade fo und nicht anders finngebende und Sinnes· gültigkeit ausweifende Zufammenhänge des abfoluten, reinen Bewußtfeins. Wer angefichts unterer Erörterungen einwendet, das hieße alle Welt in fubjektiven Schein verwandeln und fid> einem »Berkeley· icben Idealismus« in die Hrme werfen, dem können wir nur er-

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbiloiopbie.

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widern, daß er den S i n n diefer Erörterungen nicht erfaßt hat. Dem vollgültigen Sein der Welt, als dem Hll der Realitäten, ift fo wenig etwas abgezogen, als dem vollgültigen geometrifchen Sein des Vierecks dadurch, daß man (was in diefem Falle freilich eine plane Selbftverftändlichkeit ift) leugnet, daß es rund ift. Nicht ift die reale Wirklichkeit »umgedeutet« oder gar geleugnet, fondern eine widerQnnige Deutung derfelben, die alfo ihrem e i g e n e n , einüchtig geklärten Sinne widerfpricht, ift befeitigt. Sie ftammt aus einer p h i l o f o p h i f c h e n Verabfolutierung der Welt, die der natürlichen Weltbetrachtung durchaus fremd ift. Diefe ift eben natürlich, fie lebt naiv im Vollzug der von uns befcbriebenen Oeneralthefis, Üe kann alfo nie widerfinnig werden. Der Widerfinn erwächft erft, wenn man philofophiert und, über den Sinn der Welt legte Auskunft fuchend, gar nicht merkt, daß die Welt felbft ihr ganzes Sein als einen gewiffen »Sinn« hat, der abfolutes Bewußtfein, als Feld der Sinngebung, vorausfeljt; 1 und wenn man in eins damit nicht merkt, daß diefes Feld, diefe S e i n s f p h ä r e a b f o l u t c r Ur« f p r ü n g e , ein d e r f c h a u e n d e n F o r f c h u n g z u g ä n g l i c h e s ift, mit einer unendlichen Fülle von einfichtigen Erkenntniffen höchfter wiffenfchaftticher Dignität. Das letztere allerdings haben wir noch nicht gezeigt, das wird erft im Fortgange diefer Unterfuchungen zur Klarheit kommen. Es fei fchließlich noch bemerkt, daß die Allgemeinheit, mit der in den eben durchgeführten Erwägungen über die Konftitution der natürlichen Welt im abfoluten Bewußtfein gefprochen wurde, nicht Hnftoß erregen darf. Daß wir nicht von oben her philofophifche Einfalle gewagt, fondern auf Grund fyftematifcher Fundamentalarbeit in diefem Felde vorfichtig gewonnene Erkenntniffe in allgemein gehaltene Befchreibungen konzentriert haben, wird der wiffenfchaftlich erfahrene Leier aus der begrifflichen Beftimmtbeit der Darftellungen entnehmen können. Bedürfniffe nach näheren Ausführungen und nach Ausfüllung offen gelaffener Lücken mögen empfindlich fein, und-Be follen es fein. Die weiteren Darftellungen werden erhebliche Beiträge zur konkreteren Ausgeftaltung der bis* herigen Um'riffe liefern. Zu beachten ift aber, daß unfer Ziel hier nicht darin lag, eine ausführende Theorie folcher tranfzendentaler Konftitution zu geben und damit eine neue »Erkenntnistheorie« hin?

1) leb geftatte mir hier vorübergebend zu Zwedt zu bringen, die für die Gewinnung der Idee des tranfzendental reinen Bewußtfeins hilfreich fein können. Das Wefentliche ift für uns die Evidenz r daß die phänomenologifche Reduktion als Husfchaltung der natürlichen Einteilung, bzw. ihrer generalen Tbefls, möglich ift, und daß nad> ihrem Vollzuge das abfolute oder tranfzendental reine Bewußtfein als Reflduum verbleibt, dem noen Einteilung bedürfen.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofopble. §57.

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D i e F r a g e d e r H u s f r f > a l t u n g d e s r e i n e n I .

Schwierigkeiten ergeben fleh an einem Orenzpunkte. Der Menfth als Naturwefen und als Perfon im perfonalen Verbände, in dem der »Gefellfchaft«, ift ausgefchaltet; ebenfo jedes animalifche Wefen. Wie fteht es aber mit dem r e i n e n Id>? Ift durch die phftnomenologifche Reduktion auch das vorfindende phänomenologifchtf Ich zu einem tranfzendentalen Nichts geworden? Reduzieren wir auf den Strom des reinen Bewußtfeins. In der Reflexion nimmt jede vollzogene cogitatio die explizite Form cogito an. Verliert es diefe Form, wenn wir tranfzendentale Reduktion üben? Klar ift von vornherein fo viel, daß wir nach Durchführung diefer Reduktion in dem Fluffe mannigfacher Erlebniffe, der als tranfzendentales Reflduum übrig bleibt, nirgends auf das reine Id> flößen werden, als ein Erlebnis unter anderen Erlebniffen, auch nicht als ein eigentliches Erlebnisftück, mit dem Erlebnis, deffen Stück es wäre, entftehend und wieder verfchwindend. Das Ich icheint beftändig, ja notwendig da zu fein, und diefe Befländigkeit ift offenbar nicht die eines ftupide verharrenden Erlebniffes, einer »fixen Idee«. Vielmehr gehört es zu jedem kommenden und verftrömenden Erlebnis, fein »Blick •< geht »durch« jedes aktuelle cogito auf das Gegenständliche. Diefer Blickftrahl ift ein mit jedem cogito wed)felnder, mit dem neuen neu hervorfchießend und mit ihm ver· ichwindend. Das Ich aber ift ein Identifches. Mindeftens, prinzipiell betrachtet, k a n n jede cogitatio wechfeln, kommen und gehen, wenn man es auch bezweifeln mag, ob jede ein n o t w e n d i g Vergängliches fei und nicht bloß, wie wir es vorfinden, ein f a k t i f c h Vergängliches. Demgegenüber fcheint aber das reine Ich ein prin· zipiell N o t w e n d i g e s zu fein, und als ein bei allem wirklichen und möglichen Wechfel der Erlebniffe abfolut Identifches, kann es i η k e i n e m S i n n a l s r e e l l e s S t ü c k o d e r M o m e n t der Erlebniffe felbft gelten. In jedem aktuellen cogito lebt es fld> in befonderem Sinn aus, aber auch alle Hintergrundserlebniffe gehören zu ihm und es zu ihnen, fie alte, als zu dem e i n e n Erlebnisftrom gehörig, der der meine ift, m ü f f e n fleh in aktuelle cogitationes verwandeln oder in folche immanent einbeziehen laffen; in KantifAer Sprache: »Das ,Ich d e n k e * m u ß a l l e m e i n e V o r f t e l l u n g e n b e gleiten können.« Verbleibt uns als Reflduum der phänomenologifchen Rusfchal· tung der Welt und der ihr zugehörigen empirifchen Subjektivität ein reines Ich (und dann für jeden Erlebnisftrom ein prinzipiell

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Edmund Hufferl,

verfchiedenes), dann bietet fid> mit ihm eine e i g e n a r t i g e — nicht konftituierte — Tranfzendenz, eine T r a n f z e n d e n z i n d e r I m m a n e n z dar. Bei der unmittelbar wefentliehen Rolle, die diefe Tranfzendenz bei jeder cogitatio fpielt, werden wir fie einer Rusfchaltung nicht unterziehen dürfen, obfchon für viele Unterfuchungen die Fragen des reinen Ich in suspenso bleiben können. Rber nur foweit, wie die unmittelbare evident feitftellbare Wefenseigentümliebkeit und Mitgegebenheit mit dem reinen Bewußtfein reicht, wollen wir das reine Id> als phänomenologifches Datum rechnen, während atle Lehren über dasfelbe, welche über diefen Rahmen hinausreichen, der flusfchaltung verfallen follen. Wir werden übrigens flnlaß finden, „den fchwierigen Fragen des reinen Ich und dabei auch der Sicherung der vorläufigen Stellungnahme, die wir hier vollzogen haben, im zweiten Buche diefer Schrift ein eigenes Kapitel zu widmen. 1 § 58. D i e T r a n f z e n d e n z

Gottes

auegefchaltet.

Nach der Preisgabe der natürlichen Welt ftoßen wir noch auf eine andere Tranfzendenz, die nicht wie das reine Ich unmittelbar in eins mit dem reduzierten Bewußtfein gegeben ift, fondern fehr mittelbar zur Erkenntnis kommt, der Tranfzendenz der Welt gleich« fam polar gegenüberftehend. Wir meinen die Tranfzendenz Gottes. Die Reduktion der natürlichen Welt auf das Bewußtfeinsabfolute ergibt f a k t i f ch e Zufammenhänge von Bewußtfeinserlebniffen ge> wiffer Artungen mit ausgezeichneten Regelordnungen, in denen fich, als intentionales Korrelat, eine in der Sphäre der empirifchen fln« fchauung m o r p h o l o g i f c h g e o r d n e t e Welt konftituiert, d. i. eine Welt, für die es klaffifizierende und befchreibende Wiffenfchaften geben kann. Eben diefe Welt läßt Qcb zugleich, was die materielle Unterftufe anlangt, im theorehfehen Denken der mathematifchen Naturwiffenfchaften als »Erfcheinung« einer unter exakten Natur· gefetjen ftehenden p h y f i k a l i f c h e n N a t u r beftimmen. In all dem liegt, da d i e R a t i o n a l i t ä t , welche das Faktum verwirklicht, keine folche ift, die das Wefen fordert, eine wunderbare Teleologie. . 1) In den »Log. Unterf.« vertrat ich in der Frage des reinen leb eine Skepfis, die ich im Fortfehritte meiner Studien nicht feftbalten konnte. Die Kritik, die ich gegen Natorps gedankenvolle »Einleitung in die Pfycbologie '« richtete (II S. 340 f.), ift alfo in einem Hauptpunkte nicht triftig. (Die jiingft erfebienene Neubearbeitung des Natorpfcben Werkes babe id> leider nicht mebr lefen und bertickficbtigcn können.)

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofopbie.

111

Ferner: Die fyftematifche Erforfchung aller Teteologien, die in der empirifchen Welt felbft zu finden find, ζ. B. die faktiicbe Entwicklung der Reihe der Organismen bis zum Menfchen hin, in der Menfd>heitsentwicklung das Erwachfen der Kultur mit ihren Schäden des Geiftes ufw. ift mit den naturwiffenfchaftlithen Erklärungen all folcher Gebilde aus den gegebenen faktifchen Umftänden und nad> den Naturgefetjen nicht erledigt. Vtelmehr führt der Obergang in das reine Bewußtfein durch die Methode der transzendentalen Reduktion notwendig zur Frage nach dem Grunde für die nun fid> ergebende Faktizität des entfprechenden konftituierenden Bewußtfeins. Nicht das Faktum überhaupt, fondern das Faktum als Quelle fleh ins Unendliche fteigernder Wertmöglichkeiten und Wertwirklichkeiten zwingt die Frage nach dem »Grunde« auf - der natürlich nicht den Sinn einer dinglich-kaufalen Urfache hat. Wir übergehen, was fonit nod>, vort feiten des religiöfen Bewußtfeins, auf dasfelbe Prinzip, und zwar in der Weife eines vernünftig grün· denden Motivs hinzuführen vermag. Was uns hier angeht, ift, nach bloßer Pindeutung verfefciedener Gruppen folcher Vernunftgründe für die Exiftenz eines aeßerweltlichen »göttlichen« Seins, daß diefes nicht bloß der Welt, fondern offenbar auch dem »abfoluten« Bewußtfein tranfzendent wäre. Es wäre alio ein » H b f o l u t e s « i n einem total a n d e r e n Sinne als das H b f o l u t e des B e w u ß t f e i n s , wie es andererfeits ein T r a n f z e n d e n t e s i n t o t a l a n d e r e m S i n n e wäre gegenüber dem Tranfzendenten im Sinne der Welt. Huf diefes »Hbfolute« und »Tranfzendent«« erftredien wir natürlich die phänomenologtfehe Reduktion. Es foil aus dem neu zu feftaffenden Forfd>ungsfelde ausgefchaltet bleiben, fofern diefes ein Feld des reinen Bewußtfeins felbft fein foil. § 59. D i e T t a n f z e n d e n z d e s E i d e t i f c b e n . Rusfchaltung der r e i n e n Logik als m a t b e s i s u n i v e r s a l i s .

Wie individuelle Realitäten in jedem Sinne, fo verfuchen wir nun auch alle anderen Arten von »Tranfzendenzen« auszufchalten. Das betrifft die Reibe der »allgemeinen« Gegenftände, der Wefen. fluch fle lind ja dem reinen Bewußtfein in gewiffer Weife »tranfzendent«, in ihm nicht reell vorfindlich. Indeffen ins Schrankenlofe können wir Tranfztndenzen nicht ausfchalten, tranfzendentale Reinigung kann nicht Husfchaltung a l l e r Tranfzendenzen befagen, da fonft zwar ein reines Bewußtfein, aber keine Möglichkeit für eine Wiffenfchaft vom reinen Bewußtfein übrig bliebe.

112

Edmund Huffert,

Das wollen wir uns klar machen. Verfucben wir es mit einev möglichft weitgehenden Rusfchaltung des Eidetifchen und daher mit einer folchen aller eidetifchen Wiffenfchaften. Zu jeder regional ab· fchHeßbaren Sphäre individuellen Seins, im weiteften logifchen Sinne, gehört eine Ontotogie, ζ. B. zur phyfifchen Natur eine Ontotogie der Natur, zur Rnimalität eine Ontologie der ftnimalität - all diefe ob fchon ausgebildeten oder allererft poftulierten Difziplinen verfallen der Reduktion. Den materialen Ontologien fteht gegenüber die »formale« Ontotogie (in eins mit der formalen Logik der Denk· bedeutungen), ihr zugehörig die Quafi· Region »Gegenftand überhaupt«. Verfucben wir, auch Qe auszufcbalten, fo kommen uns Be· denken, die zugleich die Möglichkeit fchrankenlofer Rusfchaltung des Eidetifchen betreffen werden. Folgende Oedankenreihe drängt fich auf. Jedem Seinegebiet müffen wir, zu Zwecken der Wiffenfchaft, gewiffe eidetifche Sphären adjungieren, nicht gerade als Forfchungsgebiete, fondern als Stätten von Wefenserkenntniffen, in die der Forfcher des betreffenden Gebiets jederzeit muß hineingreifen dürfen, wo immer es die in der Wefenseigenbeit diefes Gebietes zufammenhängenden theoretifchen Motive ihm nahelegen. Vor allem auf die formale Logik (bzw. formale Ontologie) muß fich doch jeder Forfcher frei berufen können. Denn was immer er erforfcht, immer find es Gegenstände, und was formaliter für Gegenftände überhaupt (Eigenfchaften, Sachverhalte überhaupt u. dgl.) gilt, das ift auch fein eigen. Und wie immer er Begriffe und Säge faßt, Schlüffe zieht ufw., was die formale Logik über dergleichen Bedeutungen und Bedeutungsgattungen in formaler flflgemeinbeit feftftellt» geht auch ihn, wie jedenSpezialforfcher in gleicher Weife an. Somit auch den Phänomenologen. Dem logifch weiteften Sinn von Gegenftand ordnet fich auch jedes reine Erlebnis unter. Die formale Logik und Ontologie können wir alfo - fcheint es - nicht ausfchalten. Und ebenfo nicht, aus offenbar gleichen Gründen, die allgemeine Noetik, welche Wefenseinficbten über Ver· nünftigkeit und Unvernünftigkeit des urteilenden Denkens über· haupt, deffen Bedeutungsgehalt nur in formaler Allgemeinheit be» ftimmt ift, ausfpricht. Überlegen wir aber näher, fo ergibt fich unter gewiffen Voraus· fegungen eine Möglichkeit, die formale Logik und damit alle Difzi· pUnen der formalen Matbefis (Hlgebra, Zahlentheorie, Mannigfaltigkeitsiebte ufw.) in »Klammer« zu fegen. Vorausgefegt nämlich, dafi fich die reine Bewußtfeinsforfchung der Phänomenologie keine anderen Hufgaben ftellt und zu ftellen hat, als folche defkriptiver flnalyle,

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbllofopbie.

113

die in reiner Intuition zu löfen flnd: dann können ihr die Theorien· formen der mathematifchen Difziplinen und all ihre mittelbaren LehrBtye nichts nütjen. Wo Begriffs· und lirteilsbildung nicht konftruierend verfährt, wo keine Syfteme mittelbarer Deduktion gebaut werden, kann die Formentehre deduktiver Syfteme überhaupt, wie fie in der Mathematik vorliegt, nicht als Inftrument materialer Forfchung fungieren. Die Phänomenologie ift nun in der Tat eine r e i n d e f k r i p · t i ν e , das Feld des tranfzendental reinen Bewußtfeins in der p u r e n I n t u i t i o n durchforfchende Diiziplin. Die logifchen Sätje, auf die fleh zu berufen Qe je flnlaß finden könnte, wären alio durchaus logifche A x i o m e , wie der Sat) vom Widerfprud), deren allgemeine und abfolute Geltung fie aber an ihren eigenen Gegebenheiten exemplarifch einfichtig machen könnte. Die formale Logik und die ganze Mathefis überhaupt können wir alfo in die ausdrücklich aus· {(haltende εποχή einbeziehen und in diefer Hinficht der Rechtmäßigkeit der N o r m gewiß fein, der wir als Phänomenologen folgen wollen: Nichts in flnfprudb zu n e h m e n , als was w i r am B e · w u ß t f e i n f e l b f t , in reiner Immanenz u n s w e f e n s m ä ß i g einfichtig machen können. Wir bringen uns damit zugleich zu expliziter Erkenntnis, daß eine defkriptive Phänomenologie von all jenen Difziplinen prinzipiell unabhängig ift. Mit Beziehung auf die philofophifche Auswertung der Phänomenologie ift diefe Fcftftellung nicht ohne Wichtigkeit, und es ift daher nützlich, fie bei diefer Gelegenheit fogleich zu notieren. §60.

Die

ftusfcbaltung

material-eidetifcfter

Difziplinen.

Was nun die materialen eidetifchen Sphären anbelangt, fo ift für uns e i n e in folcher Weife ausgezeichnet, daß felbftverftändlich an ihre Husfchaltung nicht gedacht werden kann: das ift die Wefensfphäre des phänomenologifch gereinigten Bewußtfeins felbft. Ruch wenn wir uns das Ziel ftellten, das reine Bewußtiein in feinen fingulären Befonderungen, alfo tatfachenwiffenfchaftlich aber doch nicht empirifch-pfychologifch (denn wir bewegen uns im Bannkreis der phänomenologifchen Husfchaltung der Welt), zu ftudieren, könnten wir das flpriori des Bewußtfeins nicht entbehren. Tatfachenwiffen· fchaft kann fien als Subjekten der Geicbicbte, als Kulturträgern, aber auch von den Kulturgeftaltungen felbft uiw. ausgeicbaltet haben, ίο fchalten wir nun auch die dieien Gegenftändlichkeiten entfprecbenden eidetiichen Wiffenicbaften aus. Wir tun es im voraus und in der Idee; denn bisher find, wie allbekannt, dieie eidetifcben Wiffenicbaften (ζ. B. die rationale Pfychologie Soziologie) zu keiner oder zu keiner reinen und einwandfreien Begründung gekommen. Mit Rückficht auf die philofopbifchen Funktionen, die die Phäno· menologie zu übernehmen berufen ift, ift es auch hier wieder gut zum Ausdrucke zu bringen, daß in den gegebenen Ausführungen zugleich die a b f en Einftellung ergeben, wie etwa das geometrifche Gebiet im Husgange vom empirifch Räumlichen: dann bedürfte es keiner umftändlicheu Reduktionen mit zugehörigen fchwierigen Erwägungen. Es bedürfte auch nicht der Sorgfalt in der Scheidung der einzelnen Schritte, wenn nicht beftändige Verfudbungen zur fehlerhaften Metabafls, insbefondere auch bei der Interpretation der Gegenftändlichkeiten der eidetifchen Diiziplinen, beftänden. Es find fo ftarke Verfuchungen, daß iie felbft den bedrohen, der fid) in einzelnen Gebieten von den allgemeinen Mißdeutungen be· freit hat. fln erfter Stelle kommt hier die außerordentlich weitverbreitete Neigung unterer Zeit, das E i d e t i f d b e z u p f y c h o l o g i f i e r e n . Ihr unterliegen auch viele, die Geh Idealiften nennen, wie denn über· haupt die Wirkfamkeit empiriftifcher Auffaffungen auf idealiftifcher Seite eine ftarke ift. Wer Ideen, Wefen für »pfychiid>e Gebilde« anfleht, wer mit Rückficht auf die Bewußtfeinsoperationen, in welchen auf Grund exemplarifcher flnfebauungen von Dingen, mit dinglichen Farben, Geftalten uiw. die »Begriffe« von Farbe, Geftalt gewonnen werden, das jeweilig remitierende Bewußtfein von diefen Wefen Farbe, Geftalt mit diefen Wefen felbft verwechfelt, fchreibt dem Be» wußtfeinsfiuß als reelles Beftandftück zu, was ihm prinzipiell transizendent ift. Das ift aber einerfeits ein Verderbnis der Pfychologäe, denn es betrifft fchon das empirifche Bewußtfein, andererfeits (was uns hier angebt) ein Verderbnis der Phänomenologie. Es kommt alfo fehr viel darauf an, wenn die geiuehte Region wirklich gefunden werden foil, daß in diefer HinGcht Klarheit gefchaffen werde. Dies aber gefchieht naturgemäß auf unterem Wege, zunäcbft in einer allgemeinen Rechtfertigung des Eidetifchen überhaupt und dann, im Zufammenhange der Lehre von der phänomenologifchen Reduktion, fpeziell als Husfchaltung des Eidetifchen. Nun mußte diefe freilich eingefchränkt werden auf die Eidetik der tranfzendenten individuellen Gegenftändlichkeiten in jedem Sinne. Hier kommt ein neues fundamentales Moment in Betracht. Haben wir uns fchon von der Neigung zur Pfychologiflerung des Wefens und der Wefensvechalte befreit, fo ift es ein neuer großer Schritt, der fleh keineswegs fo ohne weiteres mit dem erften ergibt, daß man die folgenreiche Scheidung erkennt und überall "konfequent berückfichtigt, die wir kurzweg als diejenige von i m m a n e n t e n und t r a n f z e n d e n t e n W e f e n bezeichnet haben, Huf der einen Seite Wefen von Geftaltungen des Bewußtieins felbft, auf der anderen

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenoi Pbilofopbie.

117

Wefen von bewußtSeinstranSzendenten individuellen Vorkommniffen, alfo Wefen von Solchem, was ficb in BewußtfeinsgeStaltungen nur »bekundet«, fleh ζ. B. durch finnliche Erscheinungen bewußtfeinsmäßig »konftituiert«. Mir wenigftens ift der zweite Schrirt noch nach dem erften recht fdbwer geworden. Das kann jetjt einem aufmerkfamen Leier der »Logifchen Unterfuchungen« nicht entgehen. In voller Entschiedenheit wird dort der erfte Schritt vollzogen, das Eigenrecht des Eidetifchen gegen deffen Pfychologifierung wird ausführlich begründet — iehr gegen den Sinn der Zeit, die gegen den »Piatonismus« und »Logizismus« fo lebhaft reagierte. Was aber den zweiten Schritt anlangt, fo wird er in einigen Theorien, wie in denen über die logifch-kategorialen Gegenständlichkeiten und über das gebende B e · wußtfein v o n ihnen entschieden getan, während in anderen Ausführungen desfelben Bandes das Schwanken offenbar iSt, nämlich insofern der Begriff des logifchen Satjes bald auf die logiSch-kategoriale Gegenständlichkeit und bald auf das entsprechende, dem urteilenden Denken immanente Wefen bezogen wird. E s ift eben für den Anfänger in der Phänomenologie Schwierig, in der Reflexion die verschiedenen Bewußtfeinseinftellungen mit ihren verschiedenen gegenständlichen Korrelaten beherrschen zu lernen. Das aber gilt für alle WeSensSphären, die nicht zur Immanenz des Bewußtfeins SelbSt gehören. Man muß nicht nur hinsichtlich der formallogiSchen, bzw. ontologiSchen WeSen und WeSensverhalte (alSo für Wefen wie »Sat)«, »Schluß« u. dgl., aber auch »Zahl«, »Ordnung«, »Mannigfaltigkeit« uSw.) diefe Einfleht gewinnen, fondern auch hinsichtlich der Wefen, die entnommen Sind der Sphäre der natürlichen Welt (wie »Ding«, »körperliche GeStalt« »MenSch«, »PerSon« uSw.). Ein Index dieSer Einficht ift die erweiterte phänomenologische Reduktion. Das uns in ihrer Folge beherrschende praktische Bewußtfein, daß, wie die Sphäre der natürlichen Welt, So auch all diefe eidetifchen Sphären prinzipiell für den Phänomenologen binflchtlich ihres wahrhaften Seins nicht als gegeben gelten dürfen; daß Sie für die Sicherung der Reinheit Seiner ForSchungsregion urteilsmäßig eingeklammert werden müSSen; daß all den bezüglichen WiSSenSchaften kein einziger Lehrfatj, ja nicht einmal ein Hxiom entnommen und als PrämifSe für phänomenologische Zwecke zugelaffen werden darf — wird nun von großer methodologifcher Bedeutung. Eben dadurch Schüfen wir uns methodisch vor jenen Vermengungen, die zu tief in uns, als geborenen Dogmatiften, verwurzelt Sind, als daß wir fie SonSt vermeiden könnten.

118

Edmund Hufferl, § 62.

Erkenntnistbeoretifche

» D ο g m a t i fcbe*

und

Vordeutungen.

pbänomenologifche

Einftellung.

Ich gebrauchte ioeben das Wort »Dogmatift«. Es wird fid) noch zeigen, daß hier kein bloß analogiicher Gebrauch desfelben ftattbat, fondern daß der Anklang an Erkenntnistheoretifches aus dem eigenen Wefen der Sachen entfpringt. Es hat guten Grund, hier des erkenntnistheoretiichen Gegenfatjes zwifchen Dogmatismus und Kriti· zismus zu gedenken, und alle der Reduktion verfallenden Wiffen(chatten als d o g m a t i f c h e zu bezeichnen. Denn aus wefentlichen Quellen ift einzufehen, dab die einbezogenen Wiffenfchaften wirklich gerade diejenigen und alle diejenigen find, welche der » K r i t i k « bedürfen, und zwar einer Kritik, die fie felbft prinzipiell nicht zu leiften vermögen, und daß andererfeits die Wiffenfchaft, welche die einzigartige Funktion hat, für alle anderen und zugleich für fich felbft die Kritik zu leiften, keine andere als die Phänomenologie ift.1 Genauer gefprochen: Es ift die auszeichnende Eigenheit der Phänomenologie, im Umfange ihrer eidetifchen Allgemeinheit alle Erkenntniffe und Wiffenfchaften zu umfpannen, und zwar in Hinficht all deffen, was an ihnen u n m i t t e l b a r e i n f i c h t i g ift, oder zum mindeften es fein müßte, wenn fie echte Erkenntniffe wären. Sinn und Recht aller möglichen unmittelbaren Ausgangspunkte und aller unmittelbaren Schritte in möglicher Methode gehört in ihren Bannkreis. Somit liegen in der Phänomenologie alle eidetifchen (alio unbedingt allgemein gültigen) Erkenntniffe befchloffen, mit denen fich die auf beliebig vorzugebende Erkenntniffe und Wiffenfchaften bezogenen Radikalprobleme der »Möglichkeit« beantworten. Als angewandte Phänomenologie leiftet fie alfo an jeder prinzipiell eigenartigen Wiffenfchatt die letjtauswertende Kritik und damit insbefondere die letzte Sinnesbeftimmung des »Seins« ihrer Gegenftände und die prinzipielle Klärung ihrer Methodik. So begreift es fid), daß die Phänomenologie gleichfam die geheime Sehnfucht der ganzen neuzeitlichen Philofophie ift. Zu ihr drängt es febon in der wunderbar tieffinnigen Cartefianifchen Fundamentalbetrachtung bin; dann wieder im Pfychologismus der Lockefchen Schule, Hume betritt faft febon ihre Domäne, aber mit geblendeten Augen. Und erft recht erfchaut fie Kant, deffen größte Intuitionen uns erft ganz verftändlid) werden, wenn wir uns das Eigentümliche des phänomenologifchen Gebietes zur vollbewußten Klarheit erarbeitet haben. Es wird uns 1) Vgl. dazu oben § 26 S. 46 f.

Huf die Phänomenologie gründen fid>

dann natürlich die a. a. 0. fog. fpezififd) pbilofopbifcben Wiffenfchaften.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenoL Pbitofopbie.

119

dann evident, daß Kants Geiftesblick auf diefem Felde r u h t e , obfehon e r es fleh noch nicht zuzueignen und es als Hrbeitsfeld einer eigenen ftrengen Weienswiifenfchaft nicht zu erkennen vermochte. w e g t fid> ζ. Β . die tranfzendentale Deduktion

So

be-

der erften Huflage

d e r Kritik d e r reinen Vernunft eigentlich fchon auf pbänomenologifebem B o d e n ;

aber Kant

mißdeutet

denfelben

als

pfychologifchen

u n d gibt ihn daher felbft wieder preis. Indeffen w i r greifen damit künftigen Darftellungen (denen des dritten Buches diefer Arbeit) v o r .

Hier diene das vordeutend Ge-

fagte zur Rechtfertigung, w a r u m wir den Komplex d e r d e r Reduk· tion verfallenden Wiffenfchaften als dogmatifchen bezeichnen und ihn d e r Phänomenologie, als einer Wiffenfchaft völlig a n d e r e r Dimenflon, gegenüberftellen. m a tifche

und

Zugleich kontrahieren w i r parallel damit phänomenologifche

Einftellung,

dogwobei

offenbar die natürliche Einftellung fleh d e r dogmatifchen als Befonderheit u n t e r o r d n e t . Anmerkung. Der Umftand, daß die fpezififcb pbänomenologifeben Husfchaltungen, die wir gelehrt haben, unabhängig find von der eidetifeben flusfcbaltung individueller Exiftenz, legt die Frage nahe, ob denn nicht auch im Rahmen jener flusfchaltungen eine Tatfacbenwiffenfcbaft von den tranfzendental reduzierten Erlebniffen möglich fei. Diefe Frage kann, wie jede prinzipielle Möglid)keitsfrage, nur auf dem Boden der eidetifeben Phänomenologie entfchieden werden. Sie beantwortet fleh in einer Weife, daß es verftändlirf) wird, warum jeder Verfucb, naiv mit einer pbänomenologifeben Tatfachen· wiffenfchaft anzuheben, v o r Ausführung der pbänomenologifeben Wefenslehre, ein nonsens wäre. Es zeigt fieb nämlich, daß es n e b e n den außerpbänomenologifeben Tatfacbenwiffenfcbaften eine ihnen parallele und gleichgeordnete phänomenologifche Tatfachen wiffenfchaft nicht geben kann, und zwar aus dem Grunde, weil die letjte Auswertung aller Tatfacbenwiffenfcbaften zu einer einheitlichen Verknüpfung der ihnen allen entfprechen· den faktifchen und als faktifebe Möglichkeiten motivierten pbänomenologifeben Zufammenbänge führt, welche verknüpfte Einheit nichts anderes ift, als das Feld dei vermißten pbänomenologifeben Tatfacbenwiffenfchaft. Einem Hauptteil nach ift diefe Wiffenfchaft alfo die durch die eidetifche Phänomenologie ermöglichte »phänomenologifche Umwendung« der gewöhnlichen Tatfacbenwiffenfcbaften, und es bleibt nur die Frage übrig, inwiefern von da aus ein Weiteres zu teilten wäre.

120

Edmund Hhffcri,

Dritter Hbfdmitt. ZUR METHODIK UND PROBLEMATIK DER REINEN PHÄNOMENOLOGIE. Etiles Kapitel.

Methodifd>e

Vorerwägungen.

§ 63. D i e b e f o n d e r e B e d e u t u n g m e t h o d i f c b e r für die P h ä n o m e n o l o g i e .

Erwägungen

Beachten wir die Normen, welche uns die phänomenologifcben Reduktionen vorschreiben, ichalten wir genau, wie fie es fordern, alle Tranfzendenzen aus, nehmen wir die Erlebniffe alfo rein nad> ihrem eigenen Wefen, ίο eröffnet fleh uns nath allem Dargelegten ein Feld eldetifchet Erkenntniffe. Es ftellt fich, wenn man die Schwierigkeiten der Anfänge überwunden hat, als ein allfeitig unendliches dar. Die Mannigfaltigkeit der Erlebnisarten und -formen mit ihren reellen und intentionalen Weiensbeftänden ift eben eine unerfd?öpfliche, demgemäß auch die Mannigfaltigkeit in ihnen gründender Wefenszufammenhänge und apodiktifch notwendiger Wahrheiten. Alto diefes unendliche Feld des Bewußtfeinsapriori, das in feiner Eigenheit nie zu feinem Rechte gekommen, ja eigentlich nie gefehen worden ift, gilt es urbar zu machen und aus ihm vollwertige Früchte zu ziehen. Aber wie den richtigen Anfang finden? In der Tat, der Rnfang ift hier das Schwierigfte und die Situation eine ungewöhnliche. Nicht liegt das neue Feld fo ausgebreitet vor unterem Blicke mit Füllen abgehobener Gegebenheiten, daß wir einfach zugreifen und der Möglichkeit fleher fein könnten, fie zu Objekten einer Wiffenfeftaft zu machen, gefchweige denn iicher der Methode, nach der hierbei vorzugehen wäre. Es ift nicht fo wie bei den Gegebenheiten der natürlichen Einftellung, insbefondere bei den Objekten der Natur, die uns durch beftändige Erfahrung und durch die Denkübung von Jahrtaufenden wohlvertraut find, nach mannigfaltigen Eigenheiten, nach Elementen und Gefetjen, wenn wir felbfttätig forfchend ihre Erkenntnis weiterzufördern verfuchen. Alles Unbekannte ift dabei Horizont eines Bekannten. Alle methodifche Bemühung knüpft an Gegebenes an, alle Fortbildung der Methode an fchon vorhandene Methode; im allgemeinen handelt es fid) um bloße Entwicklung von Spezialmethoden, die fich dem vorgegebenen und feiten Stil einer bewährten wiffenfchafttichen Methodik überhaupt einfügen und in ihrer Erfindung an diefem Stil die Leitung haben.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofopbie.

121

Wie anders in der Phänomenologie. Nicht nur daß es v o r aller facbbeftimmenden Methode fchon einer Methode bedarf, nämlieh um überhaupt das Sachfeld des tranfzendental reinen Bewußtfeins in den erfaffenden Blick zu bringen; nicht nur daß es dabei einer mühfamen Blickabwendung von den immerfort bewußten, alio mit den neu intendierten gleichfam verflochtenen natürlichen Gegebenheiten bedarf, und fo immer die Gefahr droht, die einen und anderen zu verwechfeln: es fehlt auch all das, was uns für die natürliche Gegenftandsfpbäre zugute kommt, die Vertrautheit durch eingeübte Hnfchauung, die Gunft ererbter Theoretiflerungen und fachgemäßer Methoden. Selbftverftändlich fehlt es auch f ü r die fchon ausgebildete Methodik an dem entgegenkommenden Vertrauen, welches Nahrung ziehen könnte aus mannigfachen erfolgreichen und bewährten Anwendungen in den anerkannten Wiffenfcfoaften und der Praxis des Lebens. Die neuauftretende Phänomenologie hat alio mit einer Grundftimmung der Skepfis zu rechnen. Sie hat nicht bloß die Methode zu entwickeln, den neuartigen Sachen neuartige Brkenntnhfe abzugewinnen, fie hat über Sinn und Geltung der Methode vollkommenfte Klarheit zu febaffen, in der fie allen ernftlichen Einwänden ftandzuhalten vermag. Dazu kommt - und das ift, weil auf Prinzipielles bezogen, fehr viel wichtiger - daß die Phänomenologie ihrem Wefen nach den fln« fprud> erbeben muß, »erfte« Pbilofopbie zu fein und aller zu leiften» den Vernunftkritik die Mittel zu bieten; daß fie daher die vollkommenste Vorausfetjungslofigkeit und in Beziehung auf fich felbft abfolute reflektive Einficht fordert. Ihr eigenes Wefen ift es, vollkommenfte Klarheit über ihr eigenes Wefen zu realifieren und fomit auch über die Prinzipien ihrer Methode. flus diefen Gründen haben die forgfamen Bemühungen um die Einficht in die Grundftücke der Methode, alfo in das, was f ü r die neue Wiffenfcbaft gleich von Anfang an und beftändig in ihrem Fortgange metbodifch beftimmend ift, für die Phänomenologie eine ganz andere Bedeutung, als analoge Bemühungen für andere Wiffenfcbaften fie je haben könnten. §64. D i e S e l b f t - f l u s f c b a l t u n g d e s P b ä n o m e n o l o g e n . Zunächft fei ein metbodifebes Bedenken erwähnt, das gleich die erften Schritte hemmen könnte. Die gefamte natürliche Welt und alle tranfzendent-eidetifchen Sphären fchalten wir aus und follen dadurch ein »reines« Bewußt-

122

Edmund Huflerl,

fein gewinnen. Aber Tagten wit nicht foeben, » w i r « fAalten aus, k ö n n e n wir Pbänomenologen u n s f e l b f t , die wir doch auch Glieder der natürlichen Welt find, außer Spiel fetjen? Man überzeugt Geh bald, daß das gar keine Schwierigkeit hat, wofern wir nur den Sinn des »flusfcftaltens« nicht verfchoben haben. Wir können fogar ruhig fortfahren zu fprechen, wie wir als natürliche Menfchen zu fprechen haben; denn als Pbänomenologen follen wir nicht aufhören, natürliche Menfchen zu fein und uns auch in der Rede als das zu fetten. Aber als Stüdk der Methode, für die Feftftellungen, die in das neu anzulegende Grundbuch der Phänomenologie einzutragen find, geben wir uns die Norm phänomenologifcber Reduktion, die fleh auf unfer empirifches D a f e i η mitbezieht, und die es uns verwehrt, einen Sat) einzutragen, der explizite oder implizite derartige natürliche Setjungen enthält. Soweit es fich um individuelles Dafein handelt, verfährt der Phänomenologe nicht anders als jeder Eidetiker, ζ. B. dec Geometer. In ihren wiffenfchaftlicheii Abhandlungen fprechen die Geometer nicht feiten von fich und ihrem Forfchen; aber das mathematifierende Subjekt gehört nicht mit in den eidetifchen Gehalt der mathematifchen Sätje felbft. §65. Die R f i c k b e z i e h u n g d e r P h ä n o m e n o l o g i e a u f fieb f e l b f t . Wieder könnte man daran flnftoß nehmen, daß wir in der phänomenologifdben Einteilung den Blick auf irgendwelche reinen Erlebniffe richten, fie zu erforfchen, daß aber die Erlebniffe diefer Forfchung felbft, diefer Einftellung und Blickrichtung, in phänomenologifcher Reinheit genommen, zugleich zum Gebiete des zu Erforfchenden gehören follen. fluch das ift keine Schwierigkeit. Genau fo verhält es fich ja in der Pfychologie und desgleichen in der logifchen Noetik. Das Denken des Pfychologen ift felbft etwas Pfychologifches, das Denken des Logikers ein Logifches, nämlich felbft mit in den Umfang der logifchen Normen" gehörig. Diefe Rückbezogenheit auf fich felbft wäre nur beforglich, wenn von der phänomenologifchen, pfychologifchen und logifchen Erkenntnis des jeweiligen Denkens des jeweiligen Denkers die Erkenntnis aller übrigen Sachen in den bezüglichen Forfchungsgebieten abhinge, was eine fichtlich widerfinnige Vorausfetjung ift. Eine gewiffe Schwierigkeit liegt freilich bei allen auf fich felbft zurückbezogenen Difziplinen darin, daß die erfte Einführung, wie

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofopbie. 123 auch das erfte focfchende Eindringen in fle, mit methodifchen Hilfsmittein operieren muß, die fie hinterher erft wiffenfchaftlich endgültig zu formen haben. Ohne vorläufige und vorbereitende fachliche und methodifche Erwägung kommt kein Entwurf neuer Wiffenfchaft zuftande. Die Begriffe aber und die fonftigen methodifchen Elemente, mit denen anfangende Pfychologie, Phänomenologie ufw. in folchen vorbereitenden Arbeiten operiert, find felbft pfychologifche, phänomenologifche ufw. und gewinnen ihre wiffenfchaftliche Prägung erft im Syftem der fchon begründeten Wiffenfchaft. In diefer Richtung liegen offenbar keine ernftlichen Bedenken, welche der wirklichen Ausführung folcher Wiffenfchaften und insbefondere der Phänomenologie hinderlich fein könnten. Will fie nun gar eine Wiffenfchaft im R a h m e n b l o ß e r u n m i t t e l b a r e r I n t u i t i o n fein, eine rein » d e f k r i p t i v e « Wefenswiffenfchaft, fo ift das allgemeine ihres Verfahrens vorgegeben als ein ganz Selbftverftändliches. Sie hat fleh reine Bewußtfeinsvorkommniffe exemplarifch vor Augen zu ftellen, fie zu vollkommener Klarheit zu bringen, an ihnen innerhalb diefer Klarheit Hnalyfe und Wejenserfaffung zu üben, den einfichtigen Wefenszufammenhängen nachzugehen, das jeweils Gefchaute in getreu begriffliche Ausdrücke zu faffen, die fich ihren Sinn rein durch das Gefchaute, bzw. generell Eingefehene vorfthreiben laffen ufw. Dient diefes Verfahren, naiv betätigt, vorerft nur dazu, fich im neuen Gebiete umzutun, das Sehen, Erfaffen, Analyfieren in ihm im allgemeinen einzuüben und mit feinen Gegebenheiten ein wenig bekannt zu werden, fo übernimmt nun wiffenfchaftliche Reflexion über das Wefen des Verfahrens felbft, über das Wefen der in ihm fpielenden Gegebenheitsarten, über Wefen, Leiftung, Bedingungen vollkommener Klarheit und Einficht, fowie vollkommen getreuen und feiten begrifflichen Ausdrucks, und was dergleichen mehr, die Funktion einer generellen und logifch ftrengen Begründung der Methode. Bewußt befolgt, nimmt fle nun den Charakter und Rang wiffenfchaftlicher Methode an, die im gegebenen Falle, in Anwendung der ftreng formulierten methodifchen Normen, begrenzende und beffernde Kritik zu üben geftattet. Die wefentliche Bezogenheit der Phänomenologie auf fich felbft zeigt fich hier darin, daß, was da in der methodifchen Reflexion unter den Titeln Klarheit, Einficht, Ausdruck u. dgl. erwogen und feftgeftellt wird, feinerfeits felbft zur phänomenologifchen Domäne gehört, daß all die reflexiven Analyfen phänomenologifche Wefensanalyfen find und die gewonnenen methodologifchen Einfichten hinfichtlich ihrer Feftftellung felbft unter den Normen ftehen, die fie

Edmund Huffect,

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formulieren. In neuen Reflexionen muß man fich davon alfo jeder* zeit überzeugen können, daß die in den methodologischen ftusfagen ausgefegten Sachverhalte in vollkommener Klarheit zu geben feien, daß die benutzten Begriffe fid> dem Gegebenen wirklich treu an· paffen ufw. Das Gefagte gilt offenbar für alle auf die Phänomenologie be· züglichen methodologifchenllnterfuchungen, wie weit wir ihren Rahmen auch fpannen mögen, und fo verfteht es fich, daß diefe ganze Schrift, die der Phänomenologie den Weg bereiten will, ihrem Inhalte nad> felbft durch und durch Phänomenologie ift. § 66.

G e t r e u e r Fl u s d r u d< k l a r e r G e g e b e n h e i t e n . Eindeutige Termini.

Verfolgen wir die allerallgemeinften methodologifchen Gedanken, die im vorigen Paragraphen hervorgetreten find, fogleich ein Stück weiter. In der Phänomenologie, die nichts anderes als Wefcnslehre innerhalb reiner Intuition fein will, vollziehen wir alfo an exem« plarifchen Gegebenheiten tranfzendental reinen Bewußtfeins unmittelbare Weiensetidiauungen und fixieren fie b e g r i f f l i e f ) , bzw. terminologifch. Die benutzten Worte mögen aus der allgemeinen Sprache ftammen, vieldeutig, ihrem wechfelnden Sinne nach vage fein. Sowie fie fich in der Weife aktuellen Ausdrucks mit dem intuitiv Gegebenen »decken«, nehmen fie einen beftimmten, als ihren hic et nunc aktuellen und klaren Sinn an; und von hier aus können fie wiffenfchaftlich fixiert werden. Mit dem bloßen Vollzuge dev Anwendung des Wortes in getreuer Hnpaffung an das intuitiv erfaßte Wefen ift ja nicht alles getan - aud> wenn auf feiten diefer intuiven Erfaffung das Nötige voll geleiftet ift. Wiffenfchaft ift nur möglich, wo die Denkrefultate aufbewahrbat find in Form des Wittens und für weiteres Denken verwendbar in Form eines Syftems von Husfageiätjen, die dem logifchen Sinne nach deutlid) find, aber ohne Klarheit der Vor· ftellungsunterlagen, alfo ohne Einficht verftanden, bzw. urteilsmäßig aktualifiert werden können. Freilich fordert fie zugleich fubjektive und objektive Vorkehrungen für die beliebige (und zwar interfubjektive) Herftellung der zugehörigen Begründungen und aktuellen Einrichten. Zu all dem gehört nun auch, daß diefelben Worte und Sätje eindeutige Zuordnung erhalten zu gewiffen intuitiv faßbaren Wefen, die ihren »erfüllenden Sinn« ausmachen. Ruf Grund der Intuition und wohleingeübter exemplarifcher Einzelanfchauungen werden fie

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenoL Pbilofopbie. 125 alfo mit deutlichen und- einzigen Bedeutungen ausgeftattet (gleichfam unter »Durchftreichung« der gewohnheitsmäßig unter Umftänden fleh aufdrängenden anderen Bedeutungen) derart, daß fie in allen mög· lieben Zufammenhängen aktuellen Denkens ihre Denkbegriffe feit· halten und die finpaffungsfäbigkeit an andere intuitive Gegebenheiten mit anderen erfüllenden Wefen verlieren. Immerfort bedarf es, da aus guten Gründen in den allgemein geltenden Sprachen fremde Kunftworte möglichft vermieden werden, gegenüber den beftehenden Vieldeutigkeiten des gemeinen Wortgebrauchs der Vorfleht und der öfteren Nachprüfung, ob das im früheren Zufammenhange Fixierte im neuen wirklich in gleichem Sinn angewendet fei. Doch es ift hiev nicht der Ort, auf diefe und ähnliche Regeln (ζ. B. auch auf folche, die zur Wiffenfchaft als einem Gebilde interfubjektiver Zufammenarbeit Beziehung haben) näher einzugehen. §67. M e t b o d e d e r K l ä r u n g . » G e g c b e n b e i t s n ä b e « u n d »Gegebenbeitsferne«. Von größerem Intereffe find für uns methodifche Erwägungen, die fleh ftatt auf den Ausdruck, auf die durch ihn auszudrückenden und vordem zu erfaffenden Wefen und Wefenszufammenhänge beziehen. Richtet fleh der forfchende Blick auf Erlebniffe, fo werden fie fleh im allgemeinen in einer L e e r h e i t und v a g e n F e r n e darbieten, die fie weder zu einer fingutären, noch zu einer eide» tifchen Feftftellung verwendbar macht. Finders verhielte es fleh, wenn wir, ftatt für fie felbft vielmehr für ihre Gegebenheitsweife intereffiert, das Wefen der Leere und Vagheit felbft erforfchen wollten, die ihrerfeits hierbei nicht vage, fondern in vollfter Klarheit zur Gegebenheit kommen. Soll aber das vage Bewußte felbft, etwa das unklar Vorfchwebende der Erinnerung oder Phäntafie feine eigenen Wefen hergeben, fo kann das, was es hergibt, nur ein Unvollkommenes fein; d. h. wo die der Wefenserfaffung zugrunde liegenden E i n z e l a n f c h a u u n g e n von niederer Klarheitsftufe find, da find es auch die Wef e n s e r f af f u n g en , und korrelativ ift das E r f a ß t e in feinem Sinn » u n k l a r « , es hat feine Verfchwommenheiten, feine äußeren und inneren Unqefehiedenheiten. Es wird unmöglich oder »nur im rohen« möglich zu entfeheiden, ob das hier und dort Erfaßte dasfelbe (bzw. dasfelbe Wefen) fei oder ein verfchiedenes; es kann nicht feftgeftellt werden, was wirklich an Komponenten darin liegt, und was die ev. fchon in vager Abhebung fleh zeigenden, fleh ichwankend andeutenden Komponenten »eigentlich find«.

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Edmund Hufferl,

Es gilt alio, was jeweils in fließender Unklarheit, in größerer oder geringerer Hnfchauungsferne vorfchwebt, zur normalen Nähe, zur v o l l k o m m e n e n K l a r h e i t h e r a n z u b r i n g e n , um an ihm entfprecbend wertvolle Wefensintuitionen zu üben, in denen die intendierten Wefen und Wefensverhältniffe zu vollkommener Gegebenheit gelangen. Die Wefenserfaffung hat demnach felbft ihre K l a r h e i t s f t u f e n , ίο wie das voricbwebende Einzelne. Es gibt aber f ü r |edes Wefen, ebenfo wie für das ihm entfprechende Moment am Individuellen, fozufagen eine a b f o l u t e N ä h e , in der feine Gegebenheit eine in Hinficht auf diefe Stufenreibe abfolute ift, d. h. v e i n e Selbftgegebenheit. Das Gegenftändliche ift nicht nur über· haupt als »felbft« vor dem Blicke ftehend und als »gegeben« bewußt, fondem als r e i n gegebenes Selbft, g a n z u n d g a r , w i e e s i n iid> f e l b f t i f t . Soweit noch ein Reft von Unklarheit verbleibt, foweit verfAattet er in dem »felbft« Gegebenen Momente, die fomit in den Lichtkreis des Reingegebenen nicht hineinreichen. Im Falle der v o l l e n U n k l a r h e i t , dem Gegenpol der vollen Klarheit, ift gar nichts zu einer Gegebenheit gekommen, das Be« wußtfein ift ein » d u n k l e s « , g a r nicht m e h r a η f ch a u e n d e s , im eigentlichen Sinne überhaupt nicht mehr »gebendes«. Wir haben darnach zu fagen: G e b e n d e s B e w u ß t f e i n i m p r ä g n a n t e n S i n n e und a n f c b a u l i c b e s , gegenüber u n a n f c h a u l i c h e m , k l a r e s gegenüber d u n k l e m , das deckt fich. Desgleichen: S t u f e n d e r G e g e b e n h e i t , der H n f c b a u l i c h k e i t , der K l a r h e i t . Die Nullgrenze ift die Dunkelheit, die Einsgrenze ift die volle Klarheit, flnfchaulichkeit, Gegebenheit. Dabei ift aber Gegebenheit nicht zu verftehen als originäre Gegebenheit, fomit nicht als wahrnehmungsmäßige. Das » f e l b f t g e g e b e n « identifizieren wir nicht mit dem » o r i g i n ä r - g e » g e b e n « , dem »leibhaft«. In dem beftimmt bezeichneten Sinne »gegeben« und »felbftgegeben« ift einerlei, und die Verwendung des überfüllten Ausdrucks foil uns nur dazu dienen, um die G e g e b e n h e i t im w e i t e r e n S i n n e , in dem fchließlich von jedem Vorftelligen gefagt wird, es fei in der Vorftellung (aber etwa »in leerer Weife«) gegeben, auszufcbließen. Untere Beftimmungen gelten ferner, wie ohne weiteres fichtlich ift, f ü r b e l i e b i g e H n f c h a u u n g e n , bzw. Leervorftellungen, alio auch o h n e E i n f d b r ä n k u n g h i n f i c h t l i c h der G e g e n · i t ä n d l i c f t k e i t e n , obfchon wir hier nur fntereffiert find für Ge-

Ideen zu einet reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofopbie.

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gebenbeitsweifen von Erlebniffen und ihren pbänomenologifeben (reellen und intentionalen) Beftänden. Mit Rückficbt auf künftige Hnalyfen ift aber aueb zu beachten, daß das Wefentlichfte der Sachlage erhalten bleibt, ob der Blick des reinen Ich durch das betreffende Bewußtfeinserlebnis hindurchgeht, deutlicher gefprochen, ob fich das reine Ich einem »Gegebenen« » z u w e n d e t « und es ev. » e r f a ß t« oder nicht, fllfo kann ζ. B. »wahrnebmungsmäßig gegeben« — anftatt fo viel wie »wahrgenommen« im eigentlichen und normalen Sinne der Seinserfaffung diefes Gegebenen - auch bloß beiagen »wahrnebmungsbereit«; ebenfo brauchte »phantaßemäßig gegeben« noch nicht zu befagen »pbantafierend erfaßt«, und fo überhaupt, und zwar auch in Hinficht auf alle Klarbeits-, bzw. Dunkelheitsftufen. Es fei im voraus auf die fpäter näher zu befpreebende »Bereitfchaft« hingewiefen, aber zugleich bemerkt, daß wir unter dem Titel Gegebenheit, wo nichts Gegenteiliges beigefügt oder im Zufammenhange felbftverftändlich ift, d i e E r f a ß t b e i t , und bei der Wefensgegebenbeit die originäre Erfaßtbeit m i t v e r f t e b e n . §68.

Ecbte u n d u n e c h t e K l a t b e i t s f t u f e n . der n o r m a l e n Klärung.

DasWefen

Es bedarf aber noch der Fortführung unferer Befrbreibungen. Sprechen wir von Gegebenbeits- oder Klarbeitsftufen, fo müffen wir unterfcheiden zwifeben e cb t e η graduellen Stufen der Klarheit, denen man auch g r a d u e l l e S t u f e n i n n e r h a l b d e r D u n k e l h e i t anreihen darf; und u n e c h t e n K l a r b e i t s f t u f e n , nämlich extenfiven E r w e i t e r u n g e n des U m f a n g e s der Klarh e i t , ev. unter gleichzeitiger intenfiver Klarbeitsfteigerung. Ein fchon gegebenes, fchon wirklich angefchautes Moment kann in größerer oder geringerer Klarheit gegeben fein, ζ. B. ein Ton, eine Farbe. Schließen wir alle über das anfdiaulich Gegebene binausreichenden Huffaffungen aus. Dann haben wir es mit graduellen flbftufungen zu tun, die fid> in dem Rahmen bewegen, in dem das Hnfehauliche eben wirklich anfchaulich Ift; die Hnfcbaulicbkeit als folche läßt unter dem Titel Klarheit kontinuierliche intenfitätsartige Unterfchiede zu, wie Intenfitäten mit Null anbebend, aber nach oben mit einer feften Grenze abfcbließend. Huf diefe weifen, möchte man lagen, die niederen Stufen in gewiffer Art bin; in einem Modus unvollkommener Klarheit eine Farbe anfehauend, »meinen« wir die Farbe, wie fie »an fleh felbit« ift, das ift eben die in vollkommener Klarheit gegebene. Indeffen darf man fich durch das Bild vom Hin-

Edmund Hufferl,

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weifen nicht irreführen laffen - als ob eine Sache Zeichen für eine andere wäre - und ebenfowenig darf man hier (wir erinnern an fcbon früher einmal Bemerktes 1 ) von einer Darfteilung des klaren »flnflchfelbft« durch das Unklare fprechen: etwa fo, wie fleh eine dingliche Eigenfchaft in der Hnfcbauung durch ein Empfindungsmoment »darfteilt«, nämlich abfehattet. D i e g r a d u e l t e n K l a r h e i t s u n t e r fchiede fihd durchaus e i g e n a r t i g e d e r Gegebenheitsweife. Ganz anders fteht es nun, wo eine über das anfchaulich Gegebene h i n a u s reichende fluffaffung mit der wirklich anfchaulichen fluff affung Leerauffaffungen verwebt und nun quasi-graduell immer m e h r von dem Leervorftelligen anfchaulich, bzw. von dem fchon Anfchaulichen leer - vor ftelllg werden kann. D a s S i c h - k l a r - m a c h e n befteht alfo hier in zweierlei miteinander fleh verbindenden Prozeffen: in P r o z e f f e n der V e r a n f c h a u l i c h u n g und in folchen der S t e i g e r u n g d e r K l a r h e i t d e s fchon flnfchaulichen. Damit ift aber das W e f e n d e r n o r m a l e n K l ä r u n g beichrieben. Denn das ift die Regel, dafi keine puren flnfehauungen vorliegen, bzw. pure Leervorftellungen in pure flnfehauungen übergehen; vielmehr fpielen, ev. als Zwifchenftufen, die u n r e i n e n flnfehauungen eine Hauptrolle, die ihr Gegenständliches nach gewiffen Seiten oder Momenten zur flnfehauung bringen, nach anderen bloß leer vorftellen. §69.

Die Methode vollkommen klarer

Wefenserfaffung.

Die v o l l k o m m e n k l a r e E r f a f f u n g hat den Vorzug, daß fie ihrem Wefen nach abfolut zweifellofe Identifizierung und Unterfcheidung, Explizierung, Beziehung ufw. geftattet, alfo den »ein· fichtigen« Vollzug aller »logifchen« Akte. Dahin gehören auch die flkte d e r W e f e n s e r f a f f u n g , auf deren gegenftändliche Korrelate fieb, wie oben fchon gefagt, die jet)t näher geklärten Klarheitsunterfchiede übertragen, wie fleh andererfeits auf die Erzielung vollkommener Wefensgegebenheit unfere foeben gewonnenen methodologifchen Erkenntniffe übertragen. Im allgemeinen erfordert alfo die Methode, die ein G r u n d ftück d e r M e t h o d e eidetifcher Wiffenfchaft ü b e r h a u p t ift, ein fchrittweifes Vorgeben. Die der Wefenserfaffung dienenden Einzelanfchauungen mögen foweit fchon klar fein, um ein Wefensallgemeines völlig klar zu gewinnen, das aber nicht foweit 1) Vgl. oben § 44, S. 63.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u pbänomenol. Pbüofophie.

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reicht als die leitende Intention; es fehlt Klarheit auf feiten der näheren Beftimmungen der mitverflochtenen Wefen, es bedarf aUo eines Näherbringens der exemplarifchen Einzelheiten oder einer Neubefchaffung better paffender, an denen die in Verworrenheit und Dunkelheit intendierten Einzelzüge ficb abheben und dann zu klarfter Gegebenheit gebracht werden können. Ein Näherbringen vollzieht ficb hier überall auch fcbon i η d e r D u n k e l h e i t s f p h ä r e . Das dunkelVorftellige tritt uns in eigener Weife näher, es klopft fchließlicb an der Pforte der flnfchauung an, es braucht fie darum nicht zu überfchreiten (und kann es vielleicht nicht »vermöge pfychologifcher Hemmungen«), Zu erwähnen ift ferner, daß d a s j e w e i l i g G e g e b e n e z u m e i f t u m r i n g t ift von e i n e m Hof von u n b e f t i m m « t e r B e f t i m m b a r k e i t , der feine Weife der » e n t f a l t e n « d e n « Näherbringung im fluseinandergeben in Vorftellungsreihen hat, zunäcbft etwa wiederum im Dunkel, dann von neuem in der Sphäre der Gegebenheit, bis das Intendierte in den fcbarf erhellten Kreis der vollkommenen Gegebenheit tritt. Es fei noch darauf aufmerkfam gemacht, daß es wohl z u v i e l g e f a g t w ä r e , daß alle E v i d e n z der W e f e n s e r f a f · fung v o l l e K l a r h e i t der u n t e r l i e g e n d e n Einzel· h e i t e n in i h r e r K o n k r e t i o n e r f o r d e r e , fillgemeinfte Wefensunterfcbiede, wie die zwifcben Farbe und Ton, zwifcben Wahrnehmung und Wille, zu er faffen, genügt es wohl, die Exempel in niederer Klarheitsftufe gegeben zu haben. Es ift, als ob an ihnen fcbon das flllgemeinfte, die Gattung (Farbe überhaupt, Ton überhaupt) v o l l gegeben wäre, aber noch nicht die Differenz. Das ift eine anftößige Rede, aber ich wüßte fie nicht zu vermeiden. Man vergegenwärtige ficb die Sachlage in lebendiger Intuition. § 70. D i e R o l l e d e r Wefensklärung.

W a h r n e h m u n g in d e r M e t h o d e d e r D i e Vo r z u g s f t e l l u n g d e r f r e i e n Pb a n t a f i e .

Heben wir noch einige befonders wichtige Züge der Metbode der Wefenserfaffung hervor. Es gehört zum allgemeinen Wefen der unmittelbar intuitiven Wefenserfaffung, daß fie (wir haben darauf fcbon Gewicht gelegt 1 ) auf Grund b l o ß e r V e r g e g e n w ä r t i g u n g von exemplarifchen Einzelheiten vollzogen werden kann. Vergegenwärtigung, ζ. B. Pbantafie, kann aber, wie wir foeben ausgeführt haben, fo voll1) Vgl. § 4, S. 12f. H u f f e r l , Jahrbuch f. Philosophie I

9

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Edmund Hufferl,

kommen klar fein, daß fle vollkommene Wefenserfaffungen und Wefenseinfichten ermöglicht. Im allgemeinen hat die o r i g i n ä r » g e b e n d e W a h r n e h m u n g ihre Vorzüge gegenüber allen Arten von Vergegenwärtigungen; insbefondere natürlich die äußere Wahrnehmung. Das aber nicht bloß als erfahrender Hkt für Daieinsfeftftellungen, die hier ja nicht in Frage kommen, fondern als Unterlage für phänomenologiiche Wefensfeftftellungen. Äußere Wahrnehmung hat ihre vollkommene Klarheit für alle gegenftändlichen Momente, die wirklich in ihr im Modus der Originarität zur Gegebenheit gekommen find. Sie bietet aber auch, ev. unter Mitwirkung der auf fie zurückbezogenen Reflexion, klare und ftandhaltende Vereinzelungen für allgemeine Wefensanalyien phänomenologifcher Hrt, des näheren f o g i r für flktanalyfen. Der Zorn mag durch Reflexion verrauchen, iich inhaltlich fchnell modifizieren. Er ift auch nicht immer bereit wie die Wahrnehmung, nicht durch bequeme experimentelle Veranftaltungen jederzeit zu erzeugen. Ihn in feiner Originarität reflektiv ftudieren, beißt einen verrauchenden Zorn ftudieren; was zwar keineswegs bedeutungslos ift, aber vielleicht nicht das, was ftudiert werden follte. Die äußere Wahrnehmung hingegen, die fo viel zugänglichere, »verraucht« nicht durch Reflexion, ihr allgemeines Wefen und das Weien der ihr allgemein zugehörigen Komponenten und Wefenskorrelate können wir im Rahmen der Originarität ftudieren ohne befondere Bemühungen um Herftellung der Klarheit. Sagt man, daß auch Wahrnehmungen ihre Klarheitsunterfchiede haben, nämlich mit Beziehung auf die Fälle der Wahrnehmung im Dunkel, im Nebel ufw., fo wollen wir uns hier nicht in nähere Erwägungen einlaffen, ob diefe Unterfchiede ίο ganz gleich zu ftellen wären den vorhin befprochenen. Es genügt, daß Wahrnehmung nicht normalerweiie umnebelt ift, und klare Wahrnehmung, wie folche benötigt wird, uns jederzeit zu Gebote fteht. Wären nun die Vorzüge der Originarität methodifch fehr wichtig, fo hätten wir jet)t Erwägungen anzuftellen, wo und wie und in welchem Umfange fie in den vermiedenen Erlebnisarten realifierbar fei; welche der Erlebnisarten dem fo fehr bevorzugten Gebiete der finnlichen Wahrnehmung in diefer Hinficht befonders nahe kommen, und was dergleichen mehr. Indeffen von all dem können wir abfehen. Es gibt Gründe, um derentwillen in der Phänomenologie, wie in allen eidetifchen Wifienfchaften, Vergegenwärtigungen und, genauer gefprochen, f r e i e P h a n t a f i e n eine Vorzugs· f t e l l u n g g e g e n ü b e r d e n W a h r n e h m u n g e n gewinnen, und das f o g a r i n d e r P h ä n o m e n o l o g i e d e r W a b r n e b -

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbitofopbie. 131 mung felbft, die der E m p f i n d u n g s d a t e n freilich ausgefchloffen. Der Geometer operiert in feinem forfchenden Denken unvergleichlich mehr in der Phantafie, als in der Wahrnehmung an der Figur oder dem Modell; und zwar auch der »reine« Geometer, nämlich derjenige, der auf die algebraifcbe Methodik verzichtet. In der Phantafie muß er fich freilich um klare Rnfchauungen bemühen, defien ihn die Zeichnung und das Modell enthebt. Aber in wirklichem Zeichnen und Modellieren ift er gebunden, in der Phantafie hat er die unvergleichliche Freiheit in der willkürlichen Umgeftaltung der fingierten Figuren, in der Durchlaufung kontinuierlich modifizierter möglicher Geftaltungen, alfo in der Erzeugung einer Unzahl neuer Gebilde; eine Freiheit, die ihm den Zugang in die Weiten der Wefensmöglichkeiten mit ihren unendlichen Horizonten von Wefenserkenntnifien allererft eröffnet. Die Zeichnungen folgen daher normalerweife den Phantafiekonftruktionen und dem auf ihrem Grunde fich vollziehenden eidetifch reinen Denken n a c h und dienen hauptfächlich dazu, Etappen des vordem fchon vollzogenen Prozeffes zu fixieren, und ihn dadurch leichter wieder zu vergegenwärtigen. Ruch wo im Hinblick auf die Figur »nachgedacht« wird, find die neu fich anknüpfenden Denkprozeffe ihrer finnlicben Unterlage nach Phantafieprozeffe, deren Refultate die neuen Linien an der Figur fixieren. Für den Phänomenologen, der es mit reduzierten Erlebniffen und wefensmäßig zugehörigen Korrelaten zu tun hat, liegt die Sache dem flllgemeinften nach nicht anders. Ruch der phänomenologifchen Wefensgeftaltungen find unendlich viele. Von dem Hilfsmittel orl· ginärer Gegebenheit kann auch er nur einen befchränkten Gebrauch machen. Zu freiem Gebote ftehen ihm zwar in originärer Gegebenheit alle Haupttypen von Wahrnehmungen und Vergegenwärtigungen, nämlich als perzeptive Exemplifizierungen für eine Phänomenologie der Wahrnehmung, der Phantafie, Erinnerung ufw. Ebenfo verfügt er in der Sphäre der Originarität für das FUlgemeinfte über Exempel für Urteile, Vermutungen, Gefühle, Wollungen. Rber felbftverftändlich nicht für alle möglichen befonderen Geftaltungen, ebenfowenig, wie der Geometer über Zeichnungen und Modelle für die unendlich vielen Rrten von Körpern verfügt. Jedenfalls fordert auch hier die Freiheit der Wefensforfchung notwendig das Operieren in der Phantafie. Hndererfeits gilt es natürlich (und wieder wie in der Geometrie, die neuerdings nicht umfonft auf Modellfammlungen u. dgl. 9*

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Edmund Hufferl,

großen Wert legt), die Pbantafie reicblid) zu üben in der hier er« forderten vollkommenen Klärung, in der freien Umgeftattung der Phantafiegegebenheiten, vordem aber Qe auch zu befruchten durch möglid>ft reiche und gute Beobachtungen in der originären flnfchauung: wobei diefe Befruchtung natürlich nid>t betagt, daß Erfahrung als folche eine Geltung begründende Funktion habe. Außerordentlich viel Nutjen ift zu ziehen aus den Darbietungen der Gefchichte, in noch reicherem Maße aus denen der Kunft und insbefondere der Dichtung, die zwar Einbildungen find, aber hinfichtlich der Originalität der Neugeftaltungen, der Fülle der Einzetzüge, der Lüdientofigkeit der Motivation über die Leiftungen unferer eigenen Phantaüe hoch emporragen und zudem durch die fuggeftive Kraft künftlerifcher Darftellungsmittel (ich bei verftehendem fluffaffen mit befonderer Leichtigkeit in vollkommen klare Phantafien umfetjen. So kann man denn wirklich, wenn man paradoxe Reden liebt, lagen und, wenn man den vieldeutigen Sinn wohl verfteht, in ftrikter Wahrheit tagen, daß die » F i k t i o n « d a s L e b e n s e l e m e n t der P h ä n o m e n o l o g i e , w i e a l l e r e i d e t i f c h e n W i f f e n f c h a f t , a u s m a c h t , daß Fiktion die Quelle ift, aus der die Erkenntnis der »ewigen Wahrheiten« ihre Nahrung zieht.1 §71. D a s P r o b l e m d e r M ö g l i c h k e i t e i n e r Eidetik der Erlebnifie.

defkriptiven

Wiederholt haben wir im Vorangegangenen die Phänomene· logie geradezu als eine deikriptive Wiffenfchaft bezeichnet. Da erhebt (ich wieder eine methodifche Grundfrage und ein Bedenken, das uns, begierig in das neue Gebiet einzudringen, hemmt. I f t es r i c h t i g , d e r P h ä n o m e n o l o g i e die Z i e l e b l o ß e r D e f k r i p t i o n z u f t e c k e n ? Eine d e i k r i p t i v e E i d e t i k - ift das nicht ü b e r h a u p t e t w a s V e r k e h r t e s ? Die Motive zu folchen Fragen liegen uns allen nahe genug. Wer fich in unferer Weife in eine neue Eidetik fozufagen hineintaftet, fragend, was hier für Forfchungen möglich, welche Rusgänge zu nehmen, welche Methoden zu befolgen feien, blickt unwillkürlich auf die alten, bochentwickelten eidetifchen Difziplinen bin, alfo auf die mathematischen, insbefondere auf Geometrie und Hritbmetik. Wir merken aber fogleich, daß diefe Difziplinen in unferem Falle nicht zur Leitung berufen fein können, daß in ihnen die Verhält1) Ein Sat), der Cef» als Zitat befonders eignen dürfte, die eidetifd>e Erkenntnisweife naturaliftifd) zu verhöhnen.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. phänomenol. Pbilofopbie.

133

niffe wefentlich anders liegen müffen. Für denjenigen, der noch kein Stück echter phänomenologischer Wefensanalyfe kennen gelernt bat, liegt hier einige Gefahr, an der Möglichkeit einer Phänomenologie irre zu werden. Da die mathematischen Difziplinen die einzigen find, die zur Zeit in wirkfamer Weife die Idee wiffenfchaftlicher Eidetik vertreten können, fo bleibt zunächft der Gedanke fern, es könne noch andersartige eidetifcbe Diiziplinen geben, nicbt-mathematifche, ihrem ganzen theoretifchen Typus nach grundverfchieden von den bekannten. Hat man fleh alfo durch allgemeine Erwägungen für das Poftulat einer phänomenologifchen Eidetik gewinnen laffen, fo wird der fofort mißratende Verfuch, fo etwas wie eine Mathe· matik der Phänomene zu etablieren, zu einer Preisgabe der Idee einer Phänomenologie verleiten können. Das aber wäre erft recht verkehrt. Machen wir uns d a s E i g e n t ü m l i c h e m a t h e m a t i f c h e r D i f z i p l i n e n i m G e g e n f a t z zu d e m e i n e r W e f e n s l e h r e d e r E r l e b n i f f e dem flllgemeinften nach klar und damit klar, was für Ziele und Methoden es eigentlich find, die in der Erlebnis· fphäre prinzipiell unangemeffen fein follen. § 72. K o n k r e t e , a b f t r a k t e , » m a t b e m a t i f e b e « Wefenswiffenfcbaften.

Wir nehmen den Husgang von der Unterfcheidung der Wefen und Wefenswiffenfcbaften in materiale und formale. Die formalen und damit den ganzen Inbegriff der formalen mathematifchen Difziplinen können wir ausfeheiden, da die Phänomenologie offenbar zu den materialen eidetifchen Wiffenfchaften gehört. Kann die fina· logie überhaupt methodifcb leitend fein, fo wird Tie am kräftigften wirken, wenn wir auf materiale mathematifebe Difziplinen, wie ζ. B. die Geometrie, uns befebränken, und daher fpezieller fragen, ob eine Phänomenologie als eine » G e o m e t r i e « d e r E r l e b n i f f e konfHtuiert werden müffe, bzw. konftituiert werden könne. Um hier die erwünfehte Einficht zu gewinnen, ift es notwendig, einige wichtige Beftimmungen aus der allgemeinen Wiffenfchafts· theorie vor Rügen zu haben. 1 Jede theoretifche Wiffenfcbaft verknüpft eine ideell gefchloffene Gefamtheit durch Beziehung auf ein Erkenntnisgebiet, das feinerfeits beftimmt ift durch eine obere Gattung. Eine radikale Einheit ge» 1) Vgl. zu den weiteren Ausführungen das 1. Kapitel des I. Hbfcbnittes, befonders §§ 12, 15 und 16.

134

Edmund Hufferl,

Winnen wir erft durch Rückgang auf die fchlechthin oberfte Gattung, atfo auf die jeweilige Region und die regionalen Gattungskomponenten, d. i. auf die in der regionalen Gattung Geh einigenden und fleh ev. aufeinander gründenden oberften Gattungen. Der Bau der oberften konkreten Gattung (der Region) aus teils disjunkten, teils ineinander fundierten (und in diefer Weife einander umfchließenden) oberften Gattungen entfpricht dem Bau der zugehörigen Konkreta aus teils disjunkten, teils ineinander fundierten niederften Differenzen; ζ. B . bei dem Dinge zeitliche, räumliche und materielle Beftimmtheit. J e d e r Region entfpricht eine regionale Ontologie mit einer Reihe felbftändig gefchloffener, ev. aufeinander ruhender regionaler Wiffenfchaften, eben den oberften Gattungen entfprechend, die in der Region ihre Einheit haben. Untergeordneten Gattungen entfprechen bloße Difziplinen oder fog Theorien, ζ. B. der Gattung Kegelfchnitt die Difziplin von den Kegelfchnitten. Eine folche Difziplin hat begreiflicherweife keine volle Selbftändigkeit, fofern fie naturgemäß in ihren Erkenntniffen und Erkenntnisbegründungen über das getarnte Fundament von Wefenserkenntniffen wird verfügen müifen, das in der oberften Gattung feine Einheit bat. J e nachdem oberfte Gattungen regionale (konkrete) find oder bloß Komponenten folcher Gattungen, find die W i f f e n f c h a f t e n k o n k r e t e oder a b f t r a k t e . Die Scheidung korrefpondiert offenbar derjenigen zwifchen konkreten und abftrakten Gattungen überhaupt. 1 Dem Gebiete gehören darnach einmal konkrete Gegenftände an, wie in der Eidetik der Natur, das andere Mal abftrakte, wie Raumgeftalten, Zeit- und Bewegungsgeftalten. Die Wefensbeziehung aller abftrakten Gattungen auf konkrete und zulegt auf regionale gibt allen abftrakten Difziplinen und vollen Wiffenfchaften Wefensbeziehung zu konkreten, den regionalen. Dec Scheidung der eidetifchen Wiffenfchaften läuft übrigens genau parallel eine folche der Erfahrungswiffenfchaften. Sie fondern fich wieder nach den Regionen. Wir haben ζ. B. e i n e phyfifche Naturwiffenfchaft und alle einzelnen Naturwiffenfchaften find eigentlich bloße Difziplinen: der mächtige Beftand nicht nur an eidetifchen, fondern auch empirifchen Gefetjen, welche zur phyiifchen Natur überhaupt, vor aller Sonderung in Naturfphären, gehören, gibt ihnen Einheit. Im übrigen können auch verfchiedene Regionen durch empirifche Regelungen fich verknüpft erweifen, fo ζ. B. die Region des Phyiifchen und die des Pfychitchen. 1) Vgl. oben § 15, S. 30.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofopbie. 135 Blicken wir nun auf die bekannten eidetifcben Wiffenfchaften hin, fo fällt es uns auf, daß fie n i c h t b e i c b r e i b e n d vorgehen, daß ζ. B. die Geometrie nicht die niederften eidetifchen Differenzen, aUo die unzähligen in den Raum zu zeichnenden Raumgeftalten in Einzelintuitionen erfaßt, befchreibt und klaffifizierend ordnet, wie es die defkriptiven Naturwiffenfchaften hiniicbtlich der empirifchen Naturgeftaltungen tun. Die Geometrie fixiert vielmehr einige wenige Arten von Grundgebilden, die Ideen Körper, Fläche, Punkt, Winkel u. dgl., diefelben, die in den »Axiomen« die beftimmende Rolle fpielen. Mit Hilfe der Axiome, d. i. der primitiven Wefensgefege, ift fie nun in der Lage, a l l e im Räume »exiftierenden«, d. i. ideal möglichen Raumgeftalten und alle zu ihnen gehörigen Wefensverhältniffe rein deduktiv abzuleiten, in Form exakt beftimmender Begriffe, welche die unferer Intuition im allgemeinen fremd bleiben« den Wefen vertreten. So geartet ift das gattungsmäßige Wefen des geometrifchen Gebietes, bzw. fo das reine Wefen des Raumes, daß Geometrie deffen völlig gewiß fein kann, nach ihrer Methode wirklich alle Möglichkeiten und exakt zu beherrfchen. Mit anderen Worten, die Mannigfaltigkeit der Raumgeftaltungen überhaupt bat eine merkwürdige logifche Fundamentaleigenfchaft, für die wir den Namen » d e f i n i t e « M a n n i g f a l t i g k e i t oder » m a t h e m a t i f c h e M a n n i g f a l t i g k e i t i m p r ä g n a n t e n S i n n e « einführen. Sie ift dadurch charakterifiert, daß eine e n d l i c h e A n z a h l , gegebenenfalls aus dem Wefen des jeweiligen Gebietes zu fd)öpfender B e g r i f f e u n d S ä t z e die G e t a m t h e i t aller möglichen G e f t a l t u n g e n des G e b i e t e s in d e r W e i f e r e i n a n a l y tifcher N o t w e n d i g k e i t v o l l f t ä n d i g und e i n d e u t i g b e f t i m m t , fo daß alfo in ihm p r i n z i p i e l l n i c h t s m e h r o f f e n bleibt. Wir können dafür auch fagen: eine folche Mannigfaltigkeit habe die ausgezeichnete Eigenfchaft » m a t h e m a t i f c h e r f c h ö p f e n d d e f i n i e r b a r « zu fein. Die »Definition« Hegt im Syftem der axiomatifchen Begriffe und Axiome, und das »mathematifch-erfchöpfende« darin, daß die definitorifchen Behauptungen in Beziehung auf die Mannigfaltigkeit das denkbar größte Präjudiz implizieren — es bleibt nichts mehr unbeftimmt. Ein Äquivalent des Begriffes einer definiten Mannigfaltigkeit liegt auch in folgenden Sätjen: Jeder aus den ausgezeichneten axiomatifchen Begriffen, nach welchen logifchen Formen immer zu bildende Sat) ift entweder eine

136

Edmund Hufferl,

puce formallogifche Folge der Axiome, oder eine ebenfolche Wider· folge, d. b. den Axiomen formal widerfprecbend; fo daß dann das kontradiktorifche Gegenteil eine formallogifche Folge der Axiome wäre. In e i n e r m a t h e m a t i f c b - d e f i n i t e n M a n n i g f a l t i g keit find die B e g r i f f e » w a h r « und » f o r m a l l o g i f c h e F o l g e d e r A x i o m e « ä q u i v a l e n t , und ebenfo die Begriffe »falfch« und »formallogifche Widerfolge der Axiome«. Ein Axiomenfyftem, das in rein analytifcber Weife eine Mannigfaltigkeit in der bezeichneten Weife »erfcböpfend definiert«, nenne id> auch ein d e f i n i t e s A x i o m e n f y f t e m ; jede deduktive Difziplin, die auf einem folchen ruht, ift eine d e f i n i t e D i f z i p l i n oder eine i m p r ä g n a n t e n S i n n e m a t b e m a t i f c h e . Die Definitionen bleiben insgefamt befteben, wenn wir die materiale Befonderung der Mannigfaltigkeit völlig unbeftimmt werden laffen, alio die formalifierende Verallgemeinerung vornehmen. Das Axiomenfyftem verwandelt fich dann in ein Syftem von Axiomenformen, die Mannigfaltigkeit in eine Mannigfaltigkeitsform, die auf die Mannigfaltigkeit bezügliche Difziplin in eine Difziplinform.1 § 73.

A n w e n d u n g auf das P r o b l e m der P h ä n o m e n o l o g i e . Βefchteibung und e x a k t e Beftimmung.

Wie ftebt es nun mit der P h ä n o m e n o l o g i e im Vergleich zur Geometrie, als Repräfentantin einer materialen Mathematik überhaupt? Es ift klar daß fie zu den konkret-eidetifchen Difziplinen gehört. Ihren Umfang bilden E r l e b n i s w e f e n , das find nicht Abftrakta, fondern Konkreta. Diefe haben als folche mancherlei abftrakte Momente, und die Frage ift nun: Bilden auch hier die zu diefen abftrakten Momenten gehörigen oberften Gattungen Gebiete für definite Difziplinen, für »matbematifche« Difziplinen nach Art der 1) Vgl. dazu »Log. Unteri.« 12, § 69 u. 70. - Die bier eingeführten Begriffe dienten mir fchon zu Hnfang der 90er Jahre (in den als Fortfetjung meiner »Pbilofopbie der Arithmetik« gedachten »Unterfucbungen zur Theorie der formal-mathematifcben Difziplinen«), und zwar hauptfächlich zu dem Zwecke, für das Problem des Imaginären eine prinzipielle Löfung zu finden (vgl den kurzen Hinweis »Log Unter f.« Ii, S. 250). In Vorlefungen und Übungen habe ich feitdem oft Gelegenheit gehabt, die bezüglichen Begriffe und Tbeotien, ζ. T. in voller Ausführlichkeit zu entwickeln, und im W 'S 1900,01 behandelte ich diefelben in einem Doppelvortrag in der Göttinger »Mathematifcben Gefellfchaft«. Einzelnes aus diefem Gedankenkreis ift in die Literatur gedrungen, ohne daß die Urfprungsquelle genannt worden wäre. — Die nahe Beziehung des Begriffes der Definitbeit zu dem von D. Hilbert für die Grundlegung der Arithmetik eingeführten »Vollftändig· keitsaxiom« wird jedem Mathematiker ohne weiteres einleuchten.

Ideen zu einet reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbitofophie. 137 Geometrie? Haben wir alio aud) hier nach einem definiten Axiomenfyftem zu fuchen und darauf deduktive Theorien zu bauen? Beziehungsweife, haben wir aud) hier »Grundgebilde« zu fuchen und aus ihnen alle anderen Wefensgeftaltungen des Gebietes und ihre Wefensbeftimmungen konftruierend, d. i. deduktiv unter konfequenter Anwendung der Hxiome, herzuleiten? Zum Wefen folchen Herleitens aber gehört es, und auch das ift zu beachten, ein mittelbares logift zu erwägende Frage ift aber die nach der möglichen »Tragweite« der fraglichen Erkenntnis, alfo die Frage, wie wir uns vor Flusfagen zu hüten haben, die über das jeweils wirklich Gegebene und eidetifd) zu Faffende hinausgehen; und wieder eine andere ift die Frage der e m p i r i f c h e n Methodik: wie wir Menfchen, etwa als PfyAologen, unter den gegebenen pfychophyfifAen Umftänden zu verfahren haben, um unferen menfchlichen Erkenntniffen eine möglichft höhe Dignität zu verleiben. Im übrigen ift zu betonen, daß unfer wiederholter Rekurs auf die Einficht (Evidenz, bzw. Intuition) hier wie überall nicht eine Phrafe ift, fondern, im Sinne des einleitenden Rbfchnittes, den Rückgang auf das in aller Erkenntnis Letjte befagt, genau fo wie in der Rede von Einficht bei den primitivften logifchen und arithmetifcben Hxiomen. 2 Wer aber das in der Bewußtfeinsfphäre Ge1) Wir fpielen hier den Streit nicht etwa hinüber in die Domäne der Theologie: Die Idee Gott ift ein notwendiger Grenzbegriff in erkenntnistbeo· retifcben Erwägungen, bzw. ein unentbehrlicher Index für die Konftruktion gewiffer Grenzbegriffe, deren aud> der pbilofopbierende fltbeift nicht ent· raten könnte. 2) Während des Druckes lefe ich in der foeben erfchienenen »Erkenntnistheorie auf pfycbopbyfiologifcber und pbyfikalifcber Grundlage« von Tb. Ziehen eine charakteriftifche Äußerung über »jene verdächtige fog. Intuition oder Evidenz..., die zwei Haupteigenfcbaften hat, Tie wecbfelt evftens von Pbiloiopb zu Philofopb, bzw. von Philofopbenfchule zu Pbilofopbenfcbule, und zweitens ftellt fie fid) namentlich dann gerne ein, wenn der Verfaffer g e r a d e e i n e n i e h r z w e i f e l h a f t e n P u n k t f e i n e r L e b r e v o r t r ä g t , wir Tollen dann d u r c h e i n e n B l u f f v o r Z w e i f e l n b e w a h r t w e r d e n . « Es bandelt ficb in diefer Kritik, wie aus dem Zufammenbang hervorgeht, um die in den »Log. Unterf.« durchgeführte Lehre von den »allgemeinen Gegenftänden« oder »Wefen« und von der Weiensanfchauung. So beißt es denn bei Ziehen weiter: »Um diefe überempirifcben Begriffe von dem ge-

Edmund Huffert,

158 gebene

einfichtig

zu

fafien

gelernt

hat,

wird

nur

mit

Staunen

Sätje wie den fchon oben zitierten lefen können: »Man kann keine Vermutungen darüber anftellen, w i e man zur Erkenntnis des unmittelbaren Erlebens kommt«; daraus ift nur zu entnehmen,

wie

fremd der modernen Pfycbologie die immanente Wefensanalyie noch ift, obfchon fie doch die einzig mögliche Methode f ü r die Fixierung der Begriffe bildet, welche in aller immanenten pfychologiichen Defkription als beftimmende zu fungieren haben. 1 '

2

Es macht Och in diefen hier verhandelten Problemen der Reflexion

der

innige Zufammenhang

Pfychologie beionders fühlbar.

zwifchen Phänomenologie

Jede auf Erlebnisarten

und

bezügliche

Wefensbeichreibung drückt eine unbedingt gültige N o r m f ü r mögliches empirifches Dafein aus.

Insbefondere betrifft das natürlich auch all

die Erlebnisarten, die felbft f ü r die pfychologifche Methode konftitutiv find, w i e das f ü r alle Modi der inneren Erfahrung gilt.

Rlfo

meinen Pack der gewöhnlichen Begriffe zu unterf^heiden, bat man ihnen dann oft auch noch eine befondere Allgemeinheit, abfolute Exaktheit ufw. zuge· fchrieben. Ich hatte dies alles für menfd>liche Anmaßungen« (a. a, O. S. 413). Nicht minder charakteriftifcb für diefe Erkenntnistheorie ift die auf die intuitive Erfaffung des Ich bezogene (aber im Sinne des Autors wohl allgemeiner gültige) Äußerung S. 441: »Ich könnte mir nur eine wirkliche Beglaubigung für eine folche primäre Intuition denken, die ilbereinffiminung aller empfindenden und denkenden Individuen in dem Konftatieren folcher Intuition.« — Daß übrigens mit der Berufung auf »Intuition« öfters Unfug getrieben worden ift, foil natürlich nicht geleugnet werden. Es ift nur die Frage, ob diefer Unfug mit einer a n g e b l i c h e n Intuition anders aufgedeckt werden könnte als durch w i r k l i ch e Intuition, fluch in der Erfabrungsfphäre wird mit der Berufung auf Erfahrung fehr viel Unfug getrieben, und es ftände fchlimm, wenn man darum Erfahrung überhaupt als Bluff« bezeichnen und ihre »Beglaubigung« von der »Ubereinftimmung aller empfindenden und denkenden Individuen in dem Konftatieren folcher .Erfahrung'« abhängig machen wollte. Vgl. dazu das zweite Kap. des 1. flbfchn. d. S. 1) Vgl. meinen Auffatj im »Logos« I, S. 302-322. 2) Die beiden ebenfalls während des Druckes mir zukommenden fluffs tje von λ. Meffer und J. Cohn (im erften Bande der »Jahrbücher der Philofopbie«, bcrausg. von Frifcbeifen·Köhler) zeigen von neuem, wie wenig es auch gründlichen Forfchern gelingen will, Geb vom Banne der herrfchenden Vorurteile zu befreien und, bei aller Sympathie für die phänomenologifchen Beftrebungen, die Eigenart der Phänomenologie als einer » W e f e n s l e b r e « zu erfaffen. Beide haben, und befonders Meffer (aud> in feinen früheren kritifchen Mußerungen im »Archiv f. d. gef. Pfychol.« XXII), den S i n n meiner Darftellungen mißverftanden, und das fo fehr, daß die Lehren, die da als die meinen bekämpft werden, durchaus nicht d i e m e i n e n find. Ich hoffe, die ausführlicheren Darftellungen der vorliegenden Arbeit werden Mißver* ftändniffe folcher Art nicht mehr aufkommen laffen.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofopbie. 159 die Phänomenologie ift die Inftanz für die metbodologifchen Grundfragen der Pfycbologie. Was fle generell feftgeftellt hat, muß der Psychologe als Bedingung der Möglichkeit all feiner weiteren Mefhodik anerkennen und gegebenenfalls in flnfprucb nehmen. Was damit ftreitet, kennzeichnet den p r i n z i p i e l l e n p f y c h o l o g i f c h e n W i d e r ! i n n , genau ίο, wie in der phyfifchen Sphäre jeder Wider« ftreit gegen die geometrifcben Wahrheiten und die Wahrheiten· der Ontotogie der Natur überhaupt das Charakteristikum des p r i n z i p i e l l e n n a t u r w i i i e n i c h a f t l i c h e n W i d e r f i n n s ift. Ein folcher prinzipieller Widerfinn drückt fich darnach in der HofFnung aus, die fkeptifchen Bedenken gegen die Möglichkeit der Selbftbeobachtung durch p f y c h o l o g i f c h e I n d u k t i o n auf den Wegen der experimentellen Pfycbologie zu überwinden. Es verhält fich damit wieder ebenfo, wie wenn man im Gebiete der phyfifchen Naturerkenntnis die parallele Skepfis, ob nicht am Ende jede äußere Wahrnehmung trüge (da doch wirklich jede, vereinzelt genommen, trügen könnte) durch experimentelle Phyfik überwinden wollte, die ja das Recht der äußeren Wahrnehmung in jedem Schritte vorausfeijt. Im übrigen foil, was hier im allgemeinen gefagt ift, durch alles Weitete, insbefondere durch die Hufklärungen über den Umfang der reflektiven Wefenseinfichten an Kraft gewinnen. Hucb die hier geftreiften Beziehungen zwifchen der Phänomenologie (bzw zwifcben der hier von ihr vorläufig noch nicht gefchiedenen, und jedenfalls mit ihr innig verbundenen eidetifcben Pfycbologie) und der erfahrungswiffenfcbaftlicben Pfycbologie follen, mit all den zugehörigen tiefen Problemen im zweiten Buche d. S. einer Klärung zugeführt werden. Ich bin deffen fither, daß in nicht allzuferner Zeit die Überzeugung Gemeingut fein wird, daß die Phänomenologie (bzw. die eidetifcbe Pfycbologie) für die empirifcbe Pfycbologie im felben Sinne die metbodologifcb grunalegende Wiffenfchaft ift, wie die facbbaltigen matbematifcben Difziplinen (ζ. B. die Geometrie und Pboronomie) grundlegend find für die Phyfik. Die alte ontologifcbe Lehre, d a ß d i e E r k e n n t n i s d e r »Möglichkeiten« der der Wirklichkeiten vorherg e b e n m ü f f e , ift m. E., wofern fie recht verftanden und in rechter Weife nutzbar gemacht wird, eine große Wahrheit. §80. D i e B e z i e h u n g d e r E r l e b n i f f e a u f d a s r e i n e leb.

Unter den allgemeinen Wefenseigentümlicbkeiten des tranfzendental gereinigten Erlebnisgebietes gebührt eigentlich die erfte Stelle der Beziehung jedes Erlebniffes auf das »reine« Ich. Jedes »cogito«,·

160

Edmund Hufferl,

jeder A k t in einem ausgezeichneten S i n n e ift charakteriflert als A k t d e s Ich, er »geht aus d e m Ich h e r v o r « , es »lebt« in ihm »aktuell«. W i r haben d a r ü b e r fchon gefprochen u n d e r i n n e r n an das f r ü h e r A u s g e f ü h r t e in w e n i g e n Sätjen. Beobachtend n e h m e id> e t w a s w a h r , in gleicher Weife bin i c h in d e r E r i n n e r u n g ö f t e r s mit e t w a s »befchäftigt«, quasi beobachtend v e r f o l g e i ch in d e r fingierenden Phantafie das T r e i b e n in d e r phantafierten Welt. O d e r ich d e n k e nach, ich z i e h e Schlüffe; ich n e h m e ein Urteil zurück, ev. mich ü b e r h a u p t d e s Urteils »enthaltend«. Ich vollziehe ein Gefallen oder Mißfallen, ich f r e u e mich oder bin b e t r ü b t , ich w ü n f c h e , oder ich w i l l u n d t u e ; o d e r auch, ich »enthalte« mich d e r F r e u d e , des Wunfehes, d e r Wollung u n d Handlung. Bei all foleben A k t e n bin ich d a b e i , a k t u e l l dabei. Reflektierend faffe ich mich dabei auf als d e n Menfchen. V o l l z i e h e ich a b e r die phänomenologifche εποχή, verfällt, w i e die g a n z e W e l t d e r natürlichen T h e f i s , fo »Ich, d e r Menfch« d e r fiusfchaltung, d a n n verbleibt das r e i n e Hkterlebnis mit feinem eigenen W e f e n zurück. Ich fehe aber auch, d a ß die Huffaffung desfelben als menfchlichen Erlebniffes, a b g e f e h e n v o n d e r Dafeinsthefis, allerlei h e r e i n b r i n g t , w a s nicht n o t w e n d i g mit dabei fein .muß, u n d daß a n d e r e r f e i t s kein Husfchalten die F o r m des c ο g i t ο a u f h e b e n u n d das »reine« S u b j e k t d e s A k t e s herausftreichen k a n n : D a s »Oarichtetfein a u f « , »Befchäftigtfein mit«, »Stellungnehmen z u « , »Erfahren, L e i d e n von« b i r g t n o t w e n d i g in feinem W e f e n dies, daß es e b e n ein »von d e m Ich dahin« oder im u m g e k e h r t e n Richtungsftrahl »zum Ich hin« ift — u n d diefes Ich ift das r e i n e , ihm k a n n keine Reduktion e t w a s anhaben. Wir fprachen bisher v o n Erlebniffen des b e f o n d e r e n T y p u s »cogito«. D i e ü b r i g e n Erlebniffe, die f ü r die Ichaktualität das all· g e m e i n e Milieu bilden, entbehren freilich der ausgezeichneten Ichb e z o g e n h e i t , die w i r foeben befprochen haben. Und doch haben auch fie i h r e n Hnteil a m reinen Ι Λ u n d diefes an ihnen. S i e »gehören« z u ihm als »die feinen«, fie find f e i n Bewußtfeinshinter« g r u n d , f e i n F e l d der Freiheit. Bei diefen eigentümlichen Verflochtenheiten mit allen »feinen« Erlebniffen ift doch das erlebende Ich nichts, w a s f ü r f i ch gen o m m e n u n d z u einem e i g e n e n Unterfuchungsobjekt gemacht w e r d e n k ö n n t e . V o n feinen »Beziehungsweifen« o d e r »Verhaltungsw e i f e n « a b g e f e h e n , ift es völlig l e e r an W e f e n s k o m p o n e n t e n , es bat g a r keinen explikabeln Inhalt, es ift an u n d f ü r fich unbefchreiblid): r e i n e s Ich u n d nichts w e i t e r .

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofophie.

161

Darum gibt es doch Hnlaß zu einer Mannigfaltigkeit wichtiger Befchreibungen, eben binQd>tlid> der befonderen Weifen, w i e es in den jeweiligen Erlebnisarten oder Erlebnismodis erlebendes Ich ift. Dabei unterfcheidet fi keine wirkliche Trennung) entfpricht, die einen nad> der reinen Subjektivität orientiert, die anderen nach dem, was zur »Konftitution« der Objektivität f ü r die Subjektivität gehört. Wir werden von der »intentionalen Beziehung« von Erlebniffen (bzw. des reinen erlebenden Ich) auf Objekte und von mancherlei Erlebniskomponenten und »intentionalen Korrelaten«, die damit zufammenhängen, vieles zu fagen haben. Dergleichen kann aber in umfaffenden Unterfudmngen analytifd) oder fyntbetifch erforfcht und befchrieben werden, ohne daß man fleh mit dem reinen Ich und feinen Weifen der Beteiligung dabei irgend tiefergehend be· fchäftigt. öfters berühren muß man es freilich, fofern es eben ein notwendiges Dabei ift. Die Meditationen, die wir weiterhin in diefem flbfehnitt zu voll· ziehen gedenken, follen vorzugsweife der objektiv Orientierten Seite gelten, als der im Husgang von der natürlichen Einftellung fich zu· erft darbietenden. Ruf fie weifen fchon die im einleitenden Paragraphen d. A. angedeuteten Probleme hin. $ 8 1 . D i e p b f t n o m e n o l o g i f d i e Z e i t und das Z e i t b e w u ß t f e l n .

Eine eigene Befprechung erfordert die phänomenologifche Zeit ab allgemeine Eigentümlichkeit aller Erlebniffe. Wohl zu beachten ift der Unterfchied diefer p h ä n o m e n o l o g i f c h e n Z e i t , diefer einheitlichen Form aller Erlebniffe in e i n e m Erlebnisftrome (dem e i n e s reinen Ich) und der » o b j e k t i v e n « , d. i. der k o s m i f c h e n Z e i t . 11

162

Edmund Huffed,

Durch die pbänomenotogifche Reduktion bat das Bewußtfein nicht nur feine apperzeptive »Anknüpfung« (was freilich ein Bild ift) an die materielle Realität und feine, wenn auch fekundäre Ein· beziehung in den Raum eingebüßt, fondern auch feine Einordnung in die kosmifche Zeit. Diejenige Zeit, die wefensmäßig zum Erlebnis als folchem gehört, mit ihren Gegebenbeitsmodis des Jetjt, Vorher, Nachher, des durd) fie modal beftimmten Zugleich, Nacheinander ufw., ift durch keinen Sonnenftand, durch keine Uhr, durch keine phyfl· fchen Mittel zu meffen und überhaupt nicht zu meffen. Die kosmifche Zeit verhält fleh zur pbänomenologifchen Zeit in gewiffer Weife analog, wie fleh die zum immanenten W e f e n eines konkreten Empfindungsinbaltes (etwa eines vifuellen im Felde der vifuellen Empfindungsdaten) gehörige »Ausbreitung« zur objek· tiven räumlichen »Ausdehnung« verhält, nämlich der des erfebeinenden und fleh in diefem Empflndungsdatum vifuell »abfehattenden« pbyflfcben Objektes. So wie es widerfinnig wäre, ein Empfindungsmoment , wie Farbe oder Ausbreitung mit dem fich dadurch ab· febattenden dinglichen Moment, wie Dingfarbe und dingliche Aus· dehnung, unter diefelbe Wefensgattung zubringen: fo auch hinficht· lieh des pbänomenologifchen Zeitlichen und des Weltzeitlicben. Im Erlebnis und feinen Erlebnismomenten kann fleh tranfzendente Zeit erf(heinungsmäßig darfteilen; aber prinzipiell bat es hier wie fonft keinen Sinn, zwifchen Darfteilung und Dargeftelltem bildliche Ähnlichkeit zu fupponieren, die als Ähnlichkeit Wefenseinigkeit vorausfetjen würde. Im übrigen foil nicht etwa gefagt werden, daß die Art, wie kosmifche Zeit fleh in der pbänomenologifchen bekundet, genau diefelbe fei, wie diejenige, in welcher andere, fachliche Wefensmomente der Welt fich pbänomenologifcb darftellen. Sicher ift das Sicbdarftellen von Farben und fonftigen finnlichen Dingqualitäten (in entfprechenden Sinnesdaten der Sinnesfelder) wefentlicb andersartig, und wieder andersartig das Siebabfebatten dinglicher Raumgeftalten in den Ausbreitungsformen innerhalb der Empfindungsdaten. Aber in dem oben Ausgeführten beftebt überall Gemeinfamkeit. Zeit ift übrigens, wie aus den fpäter nachfolgenden Unterfucbungen hervorgehen wird, ein Titel für eine völlig a b g e f c h l o f f e n e P r o b l e m f p b ä r e und eine folche von ausnehmender Schwierigkeit. Es wird fich zeigen, daß unfere bisherige Darftellung ge· wiffermaßen eine ganze Dimenfion verfchwiegen bat und notwendig verfcbweigen mußte, um unverwirrt zu erhalten, was zunäcbft allein in phänomenologifcher Einteilung richtig ift, und was unangefehen

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. phinomenoL Pbiloiopbie. 163 der neuen Dimenflon ein gefchloffenes Unterfuchungsgebiet ausmacht. Das tranfzendentale »Hbfolute«, das wir uns durch die Reduktionen berauspräpariert haben, ift in Wahrheit nicht das Letjte, es ift etwas, das ßch felbft in einem gewiffen tiefliegenden und völlig eigen· artigen Sinn konftituiert und feine Urquelle in einem legten und wahrhaft Rbfoluten hat. Zum Glück können wir die Rätfei des Zeitbewußtfeins 1 in unteren vorbereitenden Hnalyfen außer Spiel laffen, ohne ihre Strenge zu gefährden. Nur eben rühren wir daran in folgenden Sätzen: Die Wefenseigenfchaft, die der Titel Zeitlichkeit für Erlebniffe überhaupt ausdrückt, bezeichnet nicht nur ein allgemein zu jedem einzelnen Erlebnis Gehöriges, fondern eine E r l e b n i f f e m i t E r » l e b n i f f e n v e r b i n d e n d e n o t w e n d i g e F o r m . Jedes wirkliche Erlebnis (wir vollziehen diefe Evidenz 3uf Grund der klaren Intuition einer Erlebniswirklichkeit) ift notwendig ein dauerndes; und tnit diefer Dauer ordnet es fid) einem endlofen Kontinuum von Dauern ein — einem e r f ü l l t e n Kontinuum. Es bat notwen· dig einen allfeitig unendlichen erfüllten Zeithorizont. Das fagt zu· gleich: es gehört e i n e m unendlichen » E r l e b n i s f t r o m « an. Jedes einzelne Erlebnis kann, wie anfangen, fo enden und damit leine Dauer abfchließen, ζ. B. ein Erlebnis der Freude. Aber der Erlebnisftrom kann nicht anfangen und enden. Jedes Erlebnis, als zeitliches Sein, ift Erlebnis feines reinen Ich. Notwendig gehört dazu die Möglichkeit (die, wie wir wiffen, keine leere logifcbe Möglichkeit ift), daß das Ich auf diefes Erlebnis feinen reinen Ichblick richtet und es erfaßt als wirklich feiend, bzw. als dauernd in der phänomenologifchen Zeit. Wiederum gehört aber zum W e f e n der Sachlage die Möglichk e i t , daß das Ich den Blick auf die temporale G e g e b e n b e i t s » w e i f e richtet und mit Evidenz erkennt (wie wir alle, das Befchriebene in der Intuition nachlebend, diefe Evidenz in der Tat gewinnen), daß kein dauerndes Erlebnis möglich ift, es fei denn, daß es ficb in einem kontinuierlichen Fluß von Gegebenbeitsmodis als Einheitliches des.Vorganges, bzw. der Dauer konftituiert; ferner daß diefe Gegebenbeitsweife v o n dem zeitlichen Erlebnis felbft wieder ein Erlebnis ift, obfchon von neuer Hrt und DimenQon. 1) Die darauf bezüglichen und langebin vergeblichen Bemühungen des Vf. find im Jahre f"905 im wefentlichen zum fibfcbluß gekommen und ihre Ergebnifte in Göttinger Univerfitätsvorlefungen mitgeteilt worden. 11·

164

Edmund Hufferl,

Ζ. Β. die Freude, die anfängt und endet und inzwifd>en dauert, kann ich zuerlt ielbft im reinen Blick haben, ich gehe mit ihren zeitlichen Phafen mit. Id> kann aber auch auf ihre Gegebenheitsweife achten: auf den jeweiligen Modus des »Jetjt« und darauf, daß an diefes Je&t, und prinzipiell an jedes, in notwendiger Kontinuität fich ein neues und ftetig neues anfchließt, daß in eins damit jedes aktuelle Jetjt Qd> wandelt in ein Soeben, das Soeben abermals und kon· tinuierlich in immer neue Soeben von Soeben ufw. So für jedes neu angefchtoffene Jetjt. Das aktuelle J e t) t ift notwendig und verbleibt ein Punktuelles, eine v e r h a r r e n d e F o r m f ü r i m m e r n e u e M a t e · r i e . Ebenfo verhält es Cd) mit der Kontinuität der » S o e b e n « ; es ift eine K o n t i n u i t ä t v o n F o r m e n immer neuen Inhalts. Das fagt zugleich: Das dauernde Erlebnis der Freude ift »bewußt· feinsmäßig« gegeben in einem Bewußtfeinskontinuum der kon· ftanten F o r m : Eine Phafe Impreffion als Grenzphafe einer Kon« tinuität von Retentionen, die aber nicht gleid>ftehende, fondern k o n t i n u i e r l i d ) · i n t e n t i o n a l a u f e i n a n d e r zu b e z i e h e η d e find — ein kontinuierliches Ineinander von Retentionen von Retentionen. Die Form erhält immer neuen Inhalt, alfo kontinuierUd> »fügt fleh« an jede Impreffion, in der das Erlebnis-Je^t gegeben ift, eine neue, einem kontinuierlich neuen Punkte der Dauer entfprechcnde an; kontinuierlid) wandelt fich die Impreffion in Retention, diefe kontinuierlich fn modifizierte Retention ufw. Dazu kommt aber die Gegenrichtung der kontinuierlichen Wandlungen: dem Vorher entfpricht das Nachher, dem Kontinuum der Retentionen ein folches der Protentionen. §82. F o r t f e t ) u n g . D e r d r e i f a c h e E r l e b n i s b o r i z o n t , zugleich alt Horizont der E r l e b n i e r e f l e x i o n .

Wir erkennen dabei aber auch mehr. J e d e s Erlebnisjetjt, fei es auch das der Einfafephafe eines neu auftretenden Erlebniffes, hat notwendig feinen H o r i z o n t d e s V o r h i n . Das kann aber prinzipiell kein leeres Vorhin fein, eine leere Form ohne Inhalt, ein Nonfens. Notwendig hat es die Bedeutung eines vergangenen Jetjt, das in diefer Form ein vergangenes Etwas, ein vergangenes E r l e b n i s faßt. Notwendig find jedem neu anfangenden Erlebnis Erlebniffe zeitlich vorhergegangen, die Erlebnisvergangenheit ift kontinuierlich erfüllt. Jedes Erlebnisjetjt hat aber auch feinen notwendigen H o r i z o n t d e s N a c h h e r , und auch das ift kein leerer Horizont; notwendig wandelt fich jedes Erlebnisjetjt, fei es auch das

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. phänomenol. Pbilofopbie. 165 der Endphafe der Dauer eines aufhörenden Erlebniffes. in ein neues Jet)t, und das ift notwendig ein erfülltes. Man kann dazu auch tagen: Notwendig knüpft fid) an das Be· wußtfein des Jetjt das des foeben Vergangen, welches Bewußtfein felbft wieder ein Jetjt ift. K e i n E r l e b n i s k a n n a u f h ö r e n ohne Bewußtfein des H u f h ö r e n s und H u f g e h ö r t · h a b e n s , und das ift ein neues ausgefülltes Jetjt. Der Erlebnis· ftrom ift eine unendliche Einheit, und die S t r o m f o r m ift eirte a l l e E r l e b n i f f e e i n e s r e i n e n Ich n o t w e n d i g um· f p a n n e n d e Form - mit mancherlei Formenfyftemen. Die nähere Husgeftaltung diefer Einfichten und den Nachweis ihrer großen metaphyfifchen Konfequenzen behalten wir den an· gekündigten künftigen Darftellungen vor. Die (oeben behandelte allgemeine Eigentümlichkeit der Erleb· niffe, als möglicher Gegebenheiten der reflektierenden (immanenten) Wahrnehmung, ift Beftandftück einer noch umfaffenderen, die fid) in dem W e f e n s g e f e i j ausfpricht, daß jedes Erlebnis nicht nur unter dem Gefichtspunkt der zeitlichen F o l g e in einem wefentlich in fich gefchloffenen Erlebniszufammenhang fteht, fondern auch unter dem Gefichtspunkt der G l e i c h z e i t i g k e i t . Das fagt, daß jedes Erlebnis j e t j t einen Horizont von Erlebniffen hat, die eben auch die Originaritätsform des »Je§t« haben, und als folche den e i n e n O r i g i n a r i t ä t s h o r i z o n t d e s r e i n e n Ich ausmachen, fein getarntes originäres Bewußtfeins · J e tj t. Einheitlich geht diefer Horizont in die Vergangenheitsmodi ein. Jedes Vorhin, als modifiziertes Jetjt, impliziert zu jedem ins Huge gefaßfen Erlebnis, deffen Vorhin es ift, einen endlofen Horizont, all das umfpannend, was zu demfelben modifizierten Jetjt gehört, kurzum feinen Horizont des »gleichzeitig Gewefen«. Die vorfvn gegebenen Beitreibungen find alfo durch eine neue Dimenfion zu ergänzen, und erft wenn wir das tun, haben wir das g a n z e phänomenologifche Zeitfeld des reinen Ich, das es von einem beliebigen »feiner« Erlebniffe nach den d r e i Dimenfionen des Vorher, Nachher, Gleichzeitig durchmeffen kann; oder haben wir den g a n z e n , f e i n e m W e f e n nach e i n h e i t l i c h e n und in fich ftreng abgefchloffenen S t r o m zeitlicher Erlebniseinheiten. E i n reines Ich - e i n nach allen drei Dimenfionen erfüllter, in diefer Erfüllung wefentlich zufammenhängender, Geh in feiner inhaltlichen Kontinuität fordernder Erlebnisftrom: find notwendige Korrelate.

166

Edmund Hufferl,

§ 83. E r f a f f u n g d e s e i n h e i t l i c h e n E r l e b n i s f t r o m s a l s »Idee«. Mit diefer U r f o r m d e s B e w u ß t f e i n s fteht wefensgefetj· lieb folgendes in Beziehung. Trifft der reine Ichblid< reflektierend, und zwar perzeptiv et» fallend, irgendein Erlebnis, fo befteht die apriorifche Möglichkeit, den Blick auf andere Erlebniffe, f o w e i t diefer Zufammenbang reicht, hinzuwenden. Prinzipiell ift aber diefer g a n z e Zufammenbang η i e ein durd) einen einzigen reinen Blick Gegebenes oder zu Gebendes. Trotjdem ift auch er in g e w i f f e r Weife, obfehon in prinzipiell andersartiger, intuitiv erfaßbar, nämlich in der Hrt der » G r e n z e n l o N g k e i t im F o r t g a n g « d e r i m m a n e n t e n finfebauungen, vom fixierten Erlebnis zu neuen Erlebniffen feines Erlebnishorizontes, von deren Fixation zu derjenigen ihrer Horizonte ufw. Die Rede vom E r l e b n i s b o r i z o n t befagt hier aber nicht nur den Horizont phänomenologischer ZeiHidbkeit nach feinen befchriebenen Dimenfionen, fondern Unterfdbiede n e u a r t i g e r Gegebenheitsmodi. Darnach hat ein Erlebnis, das zum Objekt eines Ichblickes geworden ift, alfo den Modus des Erblickten hat, feinen Horizont nichterblickter Erlebniffe; das in. einem Modus der »flufmerkfamkeit« und ev. in fteigender Klarheit Erfaßte, einen Horizont hintergründlicher Unaufmerkfamkeit mit relativen Unter» fchieden der Klarheil und Dunkelheit, fowie der Hbgehobenheit und Unabgehobenheit. Darin wurzeln eidetifche Möglichkeiten: das Un» erblickte in den reinen Blick zu bringen, das nebenbei Bemerkte zum primär Bemerkten, das Unabgehobene zum Abgehobenen, das Dunkle zum Klaren und immer Klareren zu machen. 1 Im kontinuierlichen Fortgang von Erfaffung zu Erfaffung er» faffen wir nun, fagte id), in gewiffer Weile auch den E r l e b n i s » f t r o m a l s E i n h e i t . Wir erfaffen ihn nicht wie ein Qnguläres Erlebnis, aber in der Weife einer I d e e i m K a n t i f c h e n S i n n e . Er ift nichts aufs geratewohl Gefetjtes und Behauptetes, fondern ein abfolut zweifellos Gegebenes - in einem entfprechend weiten Sinne des Wortes Gegebenheit. Diefe Zweifellofigkeit, obfehon auch auf Intuition gegründet, hat eine ganz andere Quelle als diejenige, die für das Sein von Erlebniffen befteht, die alfo in immanenter Wahrnehmung zu reiner Gegebenheit kommen. Es ift eben das Eigentümliche der eine Kantifche »Idee« erfebauenden Ideation, die darum nicht etwa die Einfichtigkeit einbüßt, daß die adäquate Be· 1) »Horizont« gilt bier alfo foviel wie in § 35, S. 62, die Rede von einem

»Hof« und »Hintergrund«.

Ideen zu einet reinen Phänomenologie u. pbänomenol Pbilofopbie. 167 ftimmung ihres Inhaltes, hier des Erlebnisftromes unerreichbar ift. Wir ieben zugleich, daß zum Erlebnisftrom und feinen Komponenten als iolchen eine Reihe von unterfcbeidbaren Oegebenheitsmodis ge« hört, deren fyftematifche Erforfchung eine Hauptaufgabe der allgemeinen Phänomenologie wird bilden müden. Aus unferen Betrachtungen können wir auch den eidetifch gültigen und evidenten Sat) ziehen, daß k e i n k o n k r e t e s E r · l e b n i s a l s e i n i m v o l l e n S i n n e S e l b f t ä n d i g e s gelten kann. Jedes ift »ergänzungsbedürftig« hinfichtlich eines, feiner firt und Form nach nicht beliebigen, fondern gebundenen Zufammen« hanges. Ζ. B.: Betrachten wir irgendeine äußere Wahrnehmung, fagen wir dlefe beftimmte Hauswahrnehmung, in konkreter Fülle genommen, dann gehört zu ihr, als ein notwendiges Beftimmungsftück, die Erlebnisumgebung; aber freilich ift es ein eigenartiges, notwendiges und doch » a u ß e r w e f e n t l i c h e s « Beftimmungsftück, nämlich ein fotcbes, deffen Änderung für den e i g e n e n Wefensgehalt des Er« lebniffes nichts ändert. J e nach d e r Ä n d e r u n g d e r Um« g e b u n g s b e f t i m m t h e i t ä n d e r t fich a l f p d i e W a h r n e h m u n g f e l b f t , während die niederfte Differenz der Gattung Wahrnehmung, ihre innere Eigenheit, identifd) gedacht werden kann. Daß zwei in diefer Eigenheit wefensidentifche Wahrnehmungen auch identifcb find hinfichtlich der Umgebungsbeftimmtheit, ift prinzipiell unmöglich, fie wären individuell e i n e Wahrnehmung. Man kann fich das jedenfalls zur Einficht bringen hinfichtlich zweier Wahrnehmungen und fo zweier Erlebniffe überhaupt, die zu e i n e m Erlebnisftrom gehören. Jedes Erlebnis beeinflußt den (hellen oder dunkeln) Hof der weiteren Erlebniffe. Eine nähere Betrachtung würde zudem zeigen, daß zwei E r « l e b n i s f t r ö m e (Bewußtfeinsfphären für zwei reine Ich) v o n i d e n t i f c h e m W e f e n s g e h a l t u n d e n k b a r find, wie auch, was fchon aus dem Bisherigen zu erfehen ift, daß kein v o l l · b e f t i m m t e s Erlebnis des einen je zum anderen gehören könnte; nur Erlebniffe von identifcher innerer Artung können ihnen gemein fein (obfchon nicht individuell Identifcb gemeinfam), nie aber zwei Erlebniffe, die zudem einen abfolut gleichen »Hof« haben. §84. D i e I n t e n t i o n a l i t ä t a l s p b ä n o m e n o l o g l f c b e s Haupttbema.

Wir gehen nun zu einer Eigentümlichkeit der Erlebniffe über, die man geradezu als das Oeneralthema der »objektiv« orientierten

168

Edmund Huffetl,

Phänomenologie bezeichnen kann, zur Intentionalität. Sie ift in« fofem eine Wefenseigentümlichkeit der Erlebnisfphäre überhaupt, als alle Erlebniife in irgendeiner Weife an der Intentionalität Hnteil haben, wenn wir gleichwohl nicht von j e d e m Erlebnis im felben Sinne fagen können, es habe Intentionalität, wie wir z.B. von jedem, in den Blick möglicher Reflexion als Objekt eintretenden Erlebnis, und fei es auch ein abftraktes Erlebnismoment, fagen können, es fei ein zeitliches. Die Intentionalität ift es, die B e w u ß t f e i n im prägnanten Sinne charakteriflert, und die es rechtfertigt, zugteich den ganzen Erlebnisftrom als Bewußtfeinsftrom und als Einheit e i n e s Bewußtfeins zu bezeichnen. In den vorbereitenden Wefensanalyfen des zweiten Hbfchnittes über das Bewußtfein überhaupt mußten wir (noch vor dem Eingangs· toi der Phänomenologie und fpeziell zu dem Zwecke, es durch die Methode der Reduktion zu gewinnen) bereits eine Reihe von allgemeinften Beftimmungen über die Intentionalität überhaupt und über die Ruszeichnung des »Aktes«, der »cogitatio« herausarbeiten. 1 Von denfelben haben wir weiterhin Gebrauch gemacht, und wir durften es, obfchon die urfprüngüchen Hnalyfen noch nicht unter der ausdrücklichen Norm der phänomenologifchen Reduktion voll' zogen waren. Denn ße gingen das reine Eigenwefen der Erlebniffe an, folglich konnten fie durch Husfchaltung der pfychologifcben Apperzeption und Seinsfetjung nicht betroffen werden. Da es fleh jetjt darum handelt, die I n t e n t i o n a l i t ä t als e i n e n u m f a f f e n d e n Titel d u r c h g e h e n d e r phänomenologifcher Strukt u r e n zu erörtern, und die auf diefe Strukturen wefentlich bezogene Problematik (foweit dergleichen in einer allgemeinen Einleitung möglich ift) zu entwerfen, rekapitulieren wir das früher Gefagte, aber in einer Husgeftaltung, in der wir es zur Förderung unterer jetjigen wefentlich anders gerichteten Ziele bedürfen. Wir verftanden unter Intentionalität die Eigenheit von Erleb· niffen, »Bewußtfein v o n etwas zu fein«. Zunächft trat uns diefe wunderbare Eigenheit, auf die alle vernunfttheoretifchen und metaphyfifchen Rätfei zurückführen, entgegen im expliziten c ο g i t ο : ein Wahrnehmen ift Wahrnehmen von etwas, etwa einem Dinge; ein Urteilen Kt Urteilen von einem Sachverhalt; ein Werten von einem Wertverhalt; ein Wünfchen von einem Wunichverhalt ufw. Handeln gebt auf Handlung, Tun auf Tat, Lieben auf Geliebtes, fich Freuen auf Erfreuliches ufw. In jedem aktuellen cogito richtet fich ein von 1) Vgl. oben § 3 6 - 3 8 , S. 64-69.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol Phtlofopbie. 169 dem reinen ld> ausfttahlender »Blick« auf den »Gegenftand« des jeweiligen Bewußtteinskorrelats, auf das Ding, den Sachverhalt ufw. und vollzieht das fehr verfchiedenartige Bewußtfein v o n ihm. Nun lehrte aber die phänomenologifche Reflexion, daß nicht in jedem Erlebnis diefe vorftellende, denkende, wertende, . . . Ichzuwendung zu finden ift, diefes a k t u e l l e Sich-mit-dem-Korrelatgegenftand-zufchaffen-machen, Zu-ihm-hin-gerichtet-fein (oder auch von ihm weg - und doch mit dem Blicke darauf), während es doch Intentionalität in fich bergen kann. So ift es ζ. B. klar, daß der gegenftändliche Hintergrund, aus dem fich der cogitativ wahrgenommene Gegenftand dadurch heraishebt, daß ihm die auszeichnende Ichzuwendung zuteil wird, wirklich erlebnismäßig ein g e g e n f t a n d l i ch e r Hintergrund ift. D. h. während wir jetjt dem reinen Gegenftand in dem modus »cogito« zugewendet find, »erfcheinen« doch vielerlei Gegenftände, fie find anfchaulich »bewußt«, fließen zu der anfchaulichen Einheit eines bewußten Gegenftandsfeldes zufammen. Es ift ein p o t e n t i e l l e s W a h r n e h m u n g s f e l d in dem Sinne, daß fich jedem fo Ericheinenden ein befonderes Wahrnehmen (ein gewahrendes cogito) zuwenden kann; aber nicht in dem Sinne, als ob die erlebnismäßig vorhandenen Empfindungsabfchattungen, ζ. B. die vifuellen und in der Einheit des vifuellen Empfindungsfeldes ausgebreiteten, jeder gegenftändlichen Fiuffaffung entbehrten und mit der Blickzuwendung fich überhaupt crft anfchautiche Er« fcheinungen von Gegenftänden konftituierten. Hierher gehören ferner Erlebniffe des Hktualitätshintergrundes der Art wie G e f a l l e n s » r e g u n g e n « , Urteilsregungen, Wunfehregungen ufw in verfchiedenen Stufen der Hintergrundsferne, oder wie wir auch fagen können, der I ch f e r η e und I ch η ä h e , da das aktuelle, in jeweiligen cogitationes lebende reine Ich der Beziehungspunkt ift. Ein Gefallen, ein Wünfchen, ein Urteilen u. dgl. kann im fpezififchen Sinne » v o l l z o g e n « fein, nämlich vom Ich, das in diefem Vollzuge fich »lebendig betätigt« (od?r, wie im »Vollzug« der Trauer, aktuell »leidet«); es können aber folche Bewußtfeinsweifen fich fchon » r e g e n « , im »Hintergrunde« auftauchen, ohne fo »vollzogen« zu fein. Ihrem eigenen Wefen nach find diefe naktualitäteh gleichwohl fchon »Bewußtfein von etwas«. Wir befaßten darnach in das Wefen der Intentionalität nicht mit das Spezififche des cogito, den »Blick-auf«, bzw. die (übrigens noch mehrfach zu verftehende und phänomenologifch zu erforfchende) Ichzuwendung; 1 vielmehr galt 1) Vgl. oben § 37, S. 65 ff.

Edmund Huffed,

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uns diefes Cogitative als eine befondere Modalität des Allgemeinen, das wir Intentionalität nennen. Zur

Terminologie.

In den »Logifchen Unterfuchungen« wird eben diefes filigemeine als »Aktcharakter« und jedes konkrete Erlebnis diefes Charakters als »Akt« bezeichnet. Die beftändigen Mißdeutungen, die diefer Aktbegriff erfahren bat, beftimmen mid) (bier wie in meinen Vorlefungen fchon feit einer Reihe von Jahren), die Terminologie etwas vorQd>tiger zu umgrenzen und die Ausdrücke Akt und intentionales Erlebnis nicht mehr ohne Vorforgen als gleichwertig zu gebrauchen. E s wird fleh im weiteren berausftellen, daß mein urfprünglicher Aktbegriff durchaus unentbehrlich ift, daß es aber nötig ift, dem modalen Unterfchiede zwifthen vollzogenen und unvollzogenen Akten beftändig Rechnung zu tragen. Wo kein Beifafc ftebt und fchlechthin von Akten die Rede ift, follen ausfchließlich die eigentlichen, die fozufagen aktuellen, vollzogenen Akte gemeint fein. Im übrigen ift ganz allgemein zu bemerken, daß in der an« fangenden Phänomenologie alle Begriffe, bzw. Termini, in gewiffer Weife in Fluß bleiben müffen, immerfort auf dem Sprunge, fleh gemäß den Fortfchritten der Bewußtfeinsanalyfe und der Erkenntnis neuer phänomenologifcher Schichtungen innerhalb des zunächft in ungefchiedcner Einheit Erfchauten zu differenzieren. Alle gewählten Termini haben ihre Zufammenhangstendenzen, öe weifen auf Beziehungsrichtungen hin, von denen fich hinterher oft herausftellt, daß fle nicht nur in e i n e r WefensfchiAt ihre Quelle haben; womit fich zugleid) ergibt, daß die Terminologie beffer zu befchränken oder fonft zu modifizieren fei. Es ift alfo erft auf einer fehr weit fortgefchrittenen Entwicklungshilfe der Wiffenfchaft auf endgültige Terminologien zu rechnen. Irreführend und grundverkehrt ift es, an allererft fich emporarbeitende wiffenfchaftliche Darftellungen äußerlichformale Maßftäbe einer Logik der Terminologie zu legen und in den Anfängen Terminologien zu fordern von einer Art, in der fleh allererft die abfchließenden Ergebniffe großer wiffenfd)aftli bindenden Deikription pfychologifcher Phänomene. Der Begriff der Intentionalität, in der unbeftimmten Weite ge» faßt, wie wir ihn gefaßt haben, ift ein zu Hnfang der Phänomenologie ganz unentbehrlicher fiusgangs- und Grundbegriff. Das Allgemeine , das er bezeichnet, mag vor näherer Unterfuchung ein noch fo Vages fein; es mag in einer noch fo großen Vielheit wefentlich verichiedener Geftaltungen auftreten; es mag noch fo fchwierig fein, in ftrenger und klarer Hnalyfe herauszuftellen, was das pure Wefen der Intentionalität eigentlich ausmache, welche Komponenten der konkreten Geftaltungen dasfelbe eigentlich in fich tragen, und welchen es innerlich fremd fei — jedenfalls find Erlebniffe unter einem beftimmten und höchft wichtigen Gefichtspunkt betrachtet, wenn wir fie als intentionale erkennen und von ihnen ausfagen, daß Qe Bewußtfein von Etwas find. Es ift uns bei folcher flusfage übrigens gleich, ob es fich um konkrete Erlebniffe oder abltrakte Erlebnisfdrichten handle: denn auch folche können die fragliche Eigentümlichkeit zeigen. §85. S e n f u e l l e Sl η, i n t e n t i o n a t e ^o^rpj. Wir deuteten oben fchon an (als wir den Erlebnisftrom als eine Einheit des Bewußtfeins bezeichneten), daß die Intentionalität, abgefehen von ihren rätfelvoüen Formen und Stufen, auch einem univerfellen Medium gleiche, das fchließlich alle Erlebniffe, auch die felbft nicht als intentionale cbarakterifiert find, in fleh trägt. Ruf der Betrachtungsftufe, an die wir bis auf weiteres gebunden find, die es untecläßt, in die dunklen Tiefen des letjten, alle Erlebniszeitlichkeit konftituierenden Bewußtfeins binabzufteigen, vielmehr die Erlebniffe hinnimmt, wie fie fich als einheitliche zeitliche Vorgänge in der immanenten Reflexion darbieten, tnüffen wir aber prinzipiell unterfdieiden:

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Edmund HufTerl,

1. all die Erlebniffe, welche in den »Logif&en Unterfuchungen« als »pcimäre Inhalte« bezeichnet w a r e n 1 ; 2. die Erlebniffe, bzw. Erlebnismomente, die das Spezififche der Intentionalität in fleh tragen. Zu den erfteren gehören gewiffe, der oberften Gattung nad) einheitliche » f e n f u e l l e « Erlebniffe, » E m p f i n d u n g s i n h a l t e « wie Farbendaten, Taftdaten, Tondaten u. dgl., die wir nicht mehr mit ericheinenden dinglichen Momenten, Farbigkeit, Rauhigkeit ufw. verwechfeln werden, welche vielmehr mittels ihrer fich erlebnismäßig »darfteilen«. Desgleichen die fenfuellen Luft·, Schmerz·, Ktyelempfindungen ufw., und wohl auch fenfuelle Momente der Sphäre der »Triebe«. Wir finden dergleichen konkrete Erlebnisdaten als Komponenten in umfaffenderen konkreten Erlebniifen, die als Ganze intentionale find, und zwar fo, daß über jenen fenfuellen Momenten eine gleichfam »befeelende«, f i m i g e b e n d e (bzw Sinngebung weientlich implizierende) Schicht liegt, eine Schicht, durd? die aus dem S e n f u e l l e n , d a s i n fich n i c h t s v o n i n t e n t i o n a t i t ä t h a t , eben das konkrete intentionale Erlebnis zuftande kommt. Ob iolche fenfuellen Erlebniffe im Erlebnisftrom überall und notwendig irgendwelche »befeelende Huffaffung« tragen (mit alledem, was diefe wieder an Charakteren fordert und ermöglicht), oder, wie wir auch fagen, ob fie immer in i n t e n t i o n a l e n F u n k t i o n e n ftehen, ift hier nicht zu entfeheiden. Hndererfeits laffen wir zunächft auch dahingeftellt, ob die die Intentionatität wefentlich beriteilenden Charaktere Konkretion haben können ohne fenfuelle Untertagen. Jedenfalls fpielt im ganzen phänomenologifd>en Gebiet (im ganzen - innerhalb der beftändig feilzuhaltenden Stufe konftituierter Zeitlichkeit) diefe merkwürdige Doppelheit und Einheit von f e n f u e l l e r V λ η u n d i n t e n t i o n a l e r μορφή eine beherrfchende Rolle, in der Tat drängen fich uns diefe Begriffe von Stoff und Form geradezu auf, wenn wir uns irgendwelche klare flnfehauungen oder klar vollzogene Wertungen, Gefallensakte, Wollungen u. dgl. vergegenwärtigen. Die intentionalen Erlebniffe ftehen da als Einheiten durch Sinngebung lin einem fehr erweiterten Sinne). Sinnliche Data geben fleh als Stoffe für intentionale Formungen oder Sinngebungen verfchiedener Stufe, für fchlichte und eigenartig fun« 1) II ' , 6. Unterf., § 58, S. 652; der Begriff des primären Inhalts findet fieb übrigens febon in meiner »Pbilofopbie der Arithmetik« 1891, S. 72 u. ö.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. phänomenol. Pbilofopbie.

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dierte; wie wir noch näher befprecben werden. Wie fehr dieie Reden paffen, wird die Lehre von den »Korrelaten« noch von einer anderen Seite her beitätigen. Was die oben offen gelaifenen Möglichkeiten anlangt, fo wären Üe alio zu betiteln als f o r m l o f e S t o f f e und i t o f f l o i e F o r m e n . In terminologifcher Hinficht fei folgendes beigefügt. Der Ausdruck primärer Inhalt erfcheint und nicht mehr bezeichnend genug. Hndererfeits ift der Ausdruck {innliches Erlebnis für denfelben Begriff unbrauchbar, da dem die allgemeine Rede von finnlichen Wahrnehmungen, finnlichen Anfchauungen überhaupt, finnlicher Freude u. dgl. im Wege fteht, wobei nicht bloße hyletifche, fondem intentionale Erlebniife als finnliche bezeichnet werden; offenbar würde auch die Rede von »bloßen« oder »reinen« Amtlichen Erlebniffen vermöge ihrer neuen Vieldeutigkeiten die Sache nicht verbeffem. Dazu kommen die eigenen Vieldeutigkeiten, die zum Worte »finnlich« gehören, und die in der phänomenologifchen Reduktion erhalten bleiben, Abgefehen von dem Doppelfinn, der im Kontraft von »finngebend« und »finnlicb« hervortritt, und der, ίο ftörend er gelegentlich ift, kaum mehr vermieden werden kann, wäre folgendes zu erwähnen: Sinnlichkeit in einem engeren Sinne bezeichnet das phänomenologifche Refiduum des in der normalen äußeren Wahrnehmung durd> die »Sinne« Vermittelten. Es zeigt fich, nach der Reduktion, eine Wefensverwandtfdiaft der betreffenden »finnlichen« Daten der äußeren Anfchauungen, und ihr entfpricht ein eigenes Gattungswefen, bzw. ein Grundbegriff der Phänomenologie. Im weiteren und im Wefen einheitlichen Sinne befaßt Sinnlichkeit aber auch die finnlichen Gefühle und Triebe, die ihre eigene Gattungseinheit haben und andererfeits wohl auch eine Wefensverwandtfehaft allgemeiner Art mit jenen Sinnlichkeiten im engeren Sinne - das alles abgefehen von der Gemeinfchaft, die zudem der f u n k t i o n a t e Begriff der Hyle ausdrückt. Beides zufammen erzwang die alte Übertragung der urfprünglich engeren Rede von Sinnlichkeit auf die Gemüts· und Willensfphäre, nämlich auf die intentionalen Erlebniffe, in welchen finnliche Data der bezeichneten Sphären als funktionierende »Stoffe« auftreten. Wir bedürfen alio jedenfalls eines neuen Terminus, der die ganze Gruppe durch die Einheit der Funktion und den Kontraft zu den formenden Charakteren ausdrückt, und wählen dafür den Ausdruck h y l e t i f c h e oder f t o f f l i c h e D a t a , auch fchlechthin S t o f f e . Wo es gilt, die Erinnerung an die alten, in ihrer Hrt unvermeidlichen Ausdrücke zu wecken, fagen wir f e n f u e l l e , wohl auch f i n n l i c h e S t o f f e .

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Edmund Huffed,

W a s die Stoffe zu intentionalen Erlebniffen f o r m t und das Spezififche der Intentionalität h e r e i n b r i n g t , ift eben dasfelbe wie d a s , w a s d e r R e d e vom Bewußtfein feinen fpezififcben S i n n g i b t : wonach e b e n Bewußtfeiri eo ipso a u f e t w a s hindeutet, wovon e s Bewußtfein ift. Da nun dfe Rede von B e w u ß t f e i n s m o m e n t e n , B e wußtheiten u n d alten ähnlichen B i l d u n g e n , und desgleichen die R e d e von intentionalen Momenten durch vielfältige und im w e i t e r e n deutlich h e r v o r t r e t e n d e Rquivokationen ganz unbrauchbar ift, führen w i r den Tertninus n o e t i f c h e s M o m e n t oder, k ü r z e r gefaßt, Ν ο e f e ein. Diefe Noefen machen das Spezififche des Ν u s i m w e i t e f t e n . S i n n e des W o r t e s aus, der uns nach allen feinen aktuellen L e b e n s f o r m e n auf cogitationes und dann a u f intentional« Erlebniffe überhaupt zurückführt und fomit all das umfpannt (und i m wefentlichen n u r das), was e i d e t i f c h e Vorausfetzung d e r I d e e d e r F o r m ift. Zugleich ift es nicht unwillkommen, daß das W o r t Nus an eine feiner ausgezeichneten B e d e u t u n g e n , nämlich eben an » S i n n « e r i n n e r t , obfchon die »Sinngebung«, die in den noetifchen Momenten fich vollzieht, vielerlei umfaßt und n u r als F u n d a m e n t eine dem p r ä g n a n t e n B e g r i f f e von S i n n fich an« fchließende »Sinngebung«. E s hätte auch guten G r u n d , diefe noetifche S e i t e der Erlebniffe als die p f y c h i f c h e zu bezeichnen. D e n n auf das, w a s die Intentionalität h e r e i n b r i n g t , w a r bei der R e d e von ψνχή und Pfycbifchem d e r Blick der philofophifchen Pfychologen mit einem gewiffen V o r zuge gerichtet, während die finnlichen Momente dem Leibe und feinen Sinnestätigkeiten zugefprochen wurden. Diefe alte Tendenz findet i h r e neuefte Ausprägung in B r e n t a n o s Scheidung der »pfycbi» fchen« u n d »phyfifchen P h ä n o m e n e « S i e ift befonders bedeutfam, weil fie f ü r die Entwicklung der Phänomenologie bahnbrechend w u r d e — obfchon B r e n t a n o felbft dem pbänomenologifchen B o d e n noch ferngeblieben ift, und obfchon e r mit feiner Scheidung nicht diejenige t r a f , die e r eigentlich fuchte: nämlich die Scheidung d e r E r f a h r u n g s g e b i e t e der phyfifchen Natutwiffenfchaften und der Pfychologie. Was uns davon hier befonders a n g e h t , ift n u r folgendes: B r e n t a n o fand zwar den B e g r i f f des ftoffticben Momentes noch nicht - und das lag d a r a n , daß e r d e r prinzipiellen Scheidung zwifchen den »phyfifchen Phänomenen« als ftofflichen Momenten (Empfindungsdaten) und den »pbyfifcben P h ä n o m e n e n « als den in der noetifchen Faffung der erfteren erfcheinenden gegenftändlichen M o m e n t e n (dingliche F a r b e , dingliche Geftalt u. dgl.) nicht Rechnung trug - dagegen bat e r auf der a n d e r e n S e i t e den B e -

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbitofopble. 175 griff des »pfychifchen Phänomens«, in der einen feiner abgrenzenden Beftimmungen, durch die Eigentümlichkeit der Intentionalität cbarakterifiert. Eben damit brachte er das »Piychifche« in jenem ausgezeichneten Sinne, der in der hiftorifchen Bedeutung des Wortes eine gewiffe Betonung wenn auch keine Rbhebung hatte, in den Geficbtskreis unferer Zeit. Was aber gegen den Gebrauch des Wortes als Äquivalent für Intentionalität fpricfrt, ift der Umftand, daß es zweifellos nicht angebt, das Piychifche in diefeir Sinne und das Piychifche im Sinne des Pfychologifchen (alio deifen, was das eigentümliche Objekt der Pfycho» logie ift) in gleicher Weife zu bezeichnen. Zudem haben wir auch hinQchtlich diefes leiteten Begriffes einen unliebfamen Doppelfinn, de»· feine Quelle in der bekannten Tendenz auf eine »Pfychologie ohne Seele« hat. Mit ihr hängt es zufammen, daß man unter dem Titel des Pfychifchen — zumal des aktuell Piychifchen, im Gegenfat) zu den entfprechenden »pfychifchen Dispofitionen« - mit Vorliebe an die Erlebniffe in der Einheit des empirifch gefegten Erlebnisftromes denkt. Nun ift es aber unvermeidlich, die realen Träger diefes Piychifchen, die animalifchen Wefen, bzw. ihre »Seelen·« und ihre feelifch-realen Eigenfchaften, auch als pfychifcb, bzw. als Ob' jekte der Pfychologie zu bezeichnen. Die »Pfychologie ohne Seele« verwechfelt, wie uns fcheinen möchte, die Husfchaltung der Seelenentität im Sinne irgendwelcher nebulöfen Seelenmetaphyfik mit der Husfchaltung der Seele überhaupt, d. i. der in der Empirie faktifch gegebenen pfychifchen Realität, deren Z u f t ä n d e die Erlebniffe find. Dtefe Realität ift keineswegs der bloße Erlebnisftrom, gebunden an den Leib und in gewiffen Weifen empirifch geregelt, für welche Regelungen die DispofitionsbegrifFe bloße Indices find. Doch wie immer, die vorhandenen Mehrdeutigkeiten und vor allem der Umftand, daß die vorhergehenden Begriffe vom Pfychifchen nicht auf das fpezififch Intentionale geben, machen d#s Wort für uns unbrauchbar. Wir bleiben alio bei dem Wort n o e t i f c h und fagen: D e r S t r o m d e s p h ä n o m e n o l o g i fchen S e i n s h a t e i n e f t o f f l i e h e u n d e i n e n o e t i f c h e Schicht. Phänomenologifche Betrachtungen und Hnalyfen, die fpeziell auf das Stoffliche gehen, können h y l e t i f c h « p h ä n o m e n o l o gif che genannt werden, wie andererfeits die auf noetifche Momente bezüglichen n o e t i f c h = p h ä n o m e n o l o g i f c h e . Die unvergleichlich wichtigeren und reicheren Hnalyfen liegen auf feiten des Noetifchen.

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Edmund Huffetl,

§86. Die f u n k t i o n e l l e n P r o b l e m e . Doch die allergrößten Probleme find die f u n k t i o n e l l e n P r o b l e m e , bzw. die der » K o n f t i t u t i o n d e r B e w u ß t · feinsgegenftändlichkeiten«. Sie betreffen die Hirt, wie ζ. B. biniicbtlicb der Natur, Noefen, das Stoffliche befeelend und fitf) zu mannigfaltig-einheitlichen Kontinuen und Syntbefen verflechtend, Bewußtfein von Etwas fo zuftande bringen, daß objektive Einheit der Gegenständlichkeit fleh darin einftimmig »bekunden«, »ausweifen« und »vernünftig« beftimmen laffen kann. » F u n k t i o n « in diefem Sinn (einem total verschiedenen gegenüber dem der Mathematik) ift etwas ganz Einzigartiges, im reinen W e f e n der Noefen Gründendes. Bewußtfein ift eben Be· wußtfein »von« etwas, es ift fein Wefen, »Sinn«, fozufagen die Quintefienz von »Seele«, »Geift«, »Vernunft« in fleh zu bergen. Bewußtfein ift nicht ein Titel für »pfychifche Komplexe«, für zu· fammengefchmolzene »Inhalte«, für »Bündel« oder Ströme von »Emp· findungen«, die, in fich finnlos, auch in beliebigem Gemenge keinen »Sinn« hergeben könnten, fondern es ift durch und durch »Bewußtfein«, Quelle aller Vernunft und Unvernunft, alles Rechtes und Un· rechtes, aller Realität und Fiktion, alles Wertes und Unwertes, aller Tat und Untat. Bewußtfein ift alfo toto coelo verfchieden von dem, was der Sensualismus allein (eben will, von dem in der Tat an fid) finnlofenP irrationalen — aber freilich der Rationalifierung zugänglichen — Stoffe. Was diefe Rationalifierung betagt; werden wir bald noch beffer verfteben lernen. Der Gefichtspunkt der Funktion ift der zentrale der Phinomeno· logie, die von ihm ausstrahlenden Untersuchungen umfpannen fo ziem« Ud) die ganze phänomenologische Sphäre, und ichließlich treten a l l e phänomenologifchen Rnalyfen irgendwie in ihren Dienft als Beftand· Stücke oder Unterstufen. Hh die Stetle der an den einzelnen Erleb· niffen haftenden Hnalyfe und Vergleicbung, Defkription und Klaffifika· tion, tritt die Betrachtung der Einzelheiten unter dem »teleologischen« Gefichtspunkt ihrer Funktion, »fynthetifche Einheit« möglich zu machen. Die Betrachtung wendet fich den wefensmäßig in den Erlebniffen feljjft, in ihren Sinngebungen, in ihren Noefen überhaupt gleichfam v o r · g e z e i c h n e t e n , gleichfam aus ihnen herauszuholenden Bewußt· feinsmannigfaltigkeiten zu: fo ζ. B. in der Sphäre der Erfahrung und des Erfahrungsdenkens den vielgeftaltigen Bewußtfeinskontinuen und abgefegten Verknüpfungen von Bewußtfeinserlebniffen, die in fich durch Sinneszufammengebörigkeit verknüpft find, durch das einheitlich umfpannende Bewußtfein v o n dem einen und felben, bald

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in der, bald in jener Weife erfcheinenden, ficb anfchaulich gebenden, bzw. ficb denkmäßig beftimmenden Objektiven. Sie fucbt zu erforfchen, wie Selbiges, wie objektive, nicht reell immanente Einheiten jeder Art »bewußte«, »vermeinte« find, wie zur Identität des Vermeinten Bewußtfeinsgeftaltungen febr verfcbiedenen und doch wefensmäßig geforderten Baues gehören, und wie diefe Geitaltungen methodifch ftreng zu befchreiben wären. Und weiter fucht fie zu erforfchen, wie dem Doppeltitel »Vernunft« und »Unvernunft« entfprechend, Einheit der Gegenftändlichkeit einer jeden gegenftändlichen Region und Kategorie ficb bewußtfeinsmäßig »ausweifen« und »abweifen«, fich in den Formen des Denkbewußtfeins beftimmen, »näher« beftimmen oder »anders« beftimmen, oder ganz und gar als »nichtigen« »Schein« verwerfen laffen kann und muß. In Zufammenhang damit ftehen all die Scheidungen unter den trivialen und doch ίο rätfelvollen Titeln: »Wirklichkeit« und »Schein«, »wahre« Realität, »Scheinrealität«, »wahre« Werte, »Schein- und Unwerte« uiw., deren phänomenologifche Aufklärung fich hier anfchließt. In umfaifendfter Allgemeinheit gilt es alfo zu erforfchen, wie fid) objektive Einheiten jeder Region und Kategorie »bewußtfeinsmäßig konftituieren«. Es gilt fyftematifch zu zeigen, wie durch ihr W e f e n all die Zufammenhänge wirklichen und möglichen Bewußtfeins von ihnen — eben als Wefensmöglichkeiten — vorgezeichnet find: die intentional auf fie bezogenen fchlichten oder fundierten Anfchauungen, die Denkgeftaltungen niederer und höherer Stufe, die verworrenen oder klaren, die ausdrücklichen oder nichtausdcücklichen, die vor» wiffenfchaftlichen und wiffenfchaftlichen, bis hinauf zu den höchften Geffaltungen der ftrengen theoretifthen Wiffenfchaft. Alle Grundarten möglichen Bewußtfeins und die wefensmäßig zu ihnen gehörigen Abwandlungen, Verfchmelzungen, Synthefen gilt es fyftematifch in eidetifcher Allgemeinheit und phänomenologifcher Reinheit zu ftudieren und einfichtig zu machen; wie fie durch ihr e i g e n e s Wefen alle Seinsmöglichkeiten (und Seinsunmöglichkeiten) vorzeichnen, wie nach abfolut fetten Wefensgefetjen feiender Gegenftand Korrelat ift für Bewußtfeinszufammenhänge ganz beftimmten Wefensgehaltes, fowie umgekehrt das Sein fo gearteter Zufammenhänge gleichwertig ift mit feiendem Gegenftand; und das immer bezogen auf alle Seinsregionen und alle Stufen der Allgemeinheit bis herab zur Seinskonkretion. In ihrer rein eidetifchen, jederlei Tranfzendenzen »ausfhaltenden« Einftellung kommt die Phänomenologie auf ihrem eigenen 12

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Edmund Hufferl,

Boden reinen Bewußtfeins notwendig zu diefem ganzen Komplex der i m f p e z i f i f c h e n S i n n e t r a n f z e n d e n t a l e n P r o b l e m e , und d a h e r verdient fie den Namen t r a n f z e n d e n · t a l e r P h ä n o m e n o l o g i e . Huf ihrem eigenen Boden muß fie dazu kommen, die Erlebniffe nicht wie beliebige tote Sachen, wie »Inhaltskomplexe«, die bloß find aber nichts bedeuten, nichts meinen, nach Elementen, Komplexbildungen, nach Klaffen und Unterklaffen zu betrachten, fondern fich der p r i n z i p i e l l e i g e n a r t i g e n P r o b l e m a t i k zu bemächtigen, die fie als i n t e n t i o n a l e Erlebniffe darbieten und r e i n d u r c h i h r e i d e t i f c h e s W e f e n darbieten, als » B e w u ß t f e i n - v o n « . Natürlich ordnet fich die r e i n e H y l e t i k der Phänomenologie des tranfzendentalen Bewußtfeins unter. Sie hat übrigens den Charakter einer in fich gefchloffenen Difziplin, hat als folche ihren Wert in fich, andererfeits aber vom funktionellen Gefichtspunkte Bedeutung dadurch, daß fie mögliche Einfchläge in das intentionale Gewebe liefert, mögliche Stoffe für intentionale Formungen. Nicht nur was die Schwierigkeit, fondern auch was die Rangftufe der Probleme vom Standpunkte der Idee einer abfoluten Erkenntnis anlangt, fteht fie offenbar tief unter der noetifchen und funktionellen Phänomenologie (was beides übrigens nicht eigentlich zu trennen ift). Wir gehen nun an nähere Ausführungen in einer Reihe von Kapiteln. Anmerkung.

Das Wort Funktion in der Verbindung «pfychifche Funktion« gebraucht Stumpf in feinen wichtigen Berliner fikademieabhandlungen 1 im Gegenfafj zu dem, was er »Erfcheinung« nennt. Ge» meint ift die Scheidung als eine pfychologifche und trifft dann mit unterem (nur eben ins Pfychologifche gewendeten) Gegenfatje von »Akten« und »primären Inhalten« zufammen. Es ift zu beachten, daß die fraglichen Termini in unferen Darftellungen eine völlig andere Bedeutung haben als bei dem verehrten Forfcher. Oberflächlichen Lefern der beiderfeitigen Schriften ift es fdbon mehrfach paffiert, daß fie Stumpfs Begriff der Phänomenologie (als Lehre von den »Erfcheinungen«) mit dem unferen zufammenwarfen. Stumpfs Phänomenologie würde dem entfprecben, was oben als Hyletik be» ftimmt wurde, nur daß unfere Beftimmung in ihrem methodifchen 1) C. Stumpf, »Erfcheinungen und pfychifche Funktionen« (S. 4.ff.) und •Zur Einteilung der Wiffenfcfcaften«: beide in den »flbb. d. Kgl. Preuß. Akademie d. Wiffenfch.« vom Jahre 1906.

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Sinne wefentlich bedingt ift durch den umfaifenden Rahmen der tranizendentalen Phänomenologie. Hndererfeits überträgt iicb die Idee der Hyletik eo ipso von der Phänomenologie aus auf den Boden einer eidetiichen Pfychologie, der iicb nad> unferer Huffaffung die Stumpfidbe »Phänomenologie« einordnen würde. Drittes Kapitel.

Noefis §87.

und

Noema.

Vorbemerkungen.

Die Eigentümlichkeit des intentionalen Erlebniffes ift in feiner Allgemeinheit leicht bezeichnet; wir verftehen alle den Ausdruck »Bewußtfein von etwas«, insbefondere an den beliebigen Exemplifizierungen. Defto fchwerer find die ihm entfprechenden phänomenologifchen Wefenseigentümlichkeiten rein und richtig zu erfaffen. Daß diefer Titel ein großes Feld mühfeliger Feftftellungen, und zwar eidetifcher Feftftellungen umgrenzt, das fcheint der Mehrheit der Philofophen und Pfychologen (wenn wir nach der Literarur urteilen dürfen) auch beute noch etwas Fremdes zu fein. Denn damit ift fo gut wie nichts getan, daß man tagt und einfieht, jedes Vorftellen beziehe fich auf Vorgeftelltes, jedes Urteilen auf Geurteiltes ufw. Oder daß man außerdem auf die Logik, Erkenntnislehre, Ethik hinweift mit ihren vielen Evidenzen, und diefe nun als zum Wefen der Intentionalität gehörig b e ζ e i ch n e t . Das ift zugleich eine fehr einfache Art, die phänomenologifche Wefenslehre als etwas Uraltes, als einen neuen Namen für die alte Logik und die ihr allenfalls gleichzuftellenden Difziplinen in Anfpruch zu nehmen. Denn ohne die Eigenheit tranfzendentaler Einftellung erfaßt und den rein pbänomenologifchen Boden fich wirklich zugeeignet zu haben, mag man zwar das Wort Phänomenologie gebrauchen, die Sache bat man nicht. Überdies genügt nicht etwa die bloße Änderung der Einftellung, bzw. die bloße Ausführung der phänomenologifchen Reduktion, um aus der reinen Logik fo etwas wie Phänomenologie zu machen. Denn inwiefern logiiche und in gleicher Weife rein ontologifche, rein ethifche und fonft welche apriorifchen Sätje, die man da zitieren mag, wirklich Pbänomenologifcbes ausdrücken, und welchen phänomenologifchen Schichten dasfelbe jeweilig zugehören mag, das ift keineswegs auf der Hand liegend. Es birgt im Gegenteil die allerfchwierigften Probleme, deren Sinn allen denen natürlich verborgen ift, die von den maßgebenden Grundunterfcheidungen noch keine Ahnung haben. In der Tat ift es (wenn ich mir aus 12*

ISO

Edmund Huflerl,

eigener Erfahrung ein Urteil erlauben darf) ein langer und dorniger Weg, der von den rein logifcben Einfichten, von bedeutungstbeore· tifchen, ontologifchen und noetifchen EinQd>ten, desgleichen von der gewöhnlichen normativen und pfychologifchen Erkenntnislehre aus zur Erfaffung von in echtem Sinn immanent «pfychologifchen und dann phänomenologifchen Gegebenheiten führt und fchließlich zu all den Wefenszufammenhängen, die uns die tranfzendentalen Beziehungen a priori vCrftändlicb machen. Ahnliches gilt, wo immer wir anfetjen mögen, um von gegenftändlichen Einflehten aus den Weg zu den wefentlich zugehörigen phänomenologifchen zu gewinnen. fllfo »Bewußtfein von etwas« ift ein fehr Selbftverftändlicbes und doch zugleich höchft Unverftändliches. Die labyrinthifthen Irrwege, in welche die erften Reflexionen führen, erzeugen leicht eine Skepfis, welche die ganze unbequeme Problemfpbäre negiert. Nicht wenige verfperren fich den Eingang fchon dadurch, daß fie es nid)t über fich gewinnen können, das intentionale Erlebnis, ζ. B. das Wahrnehmungserlebnis, mit dem ihm als folebem eigenen Wefen zu erfaffen. Sie bringen es nicht dazu, anftatt in der Wahrnehmung lebend, dem Wahrgenommenen betrachtend und theoretifierend zugewendet zu fein, den Blick vielmehr auf das Wahrnehmen zu rid)· ten, bzw. auf die Eigenheiten der Gegebenheitsw e i f e des Wahrgenommenen, und das, was in immanenter Wefensanalyfe fich darbietet, fo zu nehmen, wie es fleh gibt. Hat man die rechte Einftellung gewonnen und durch Übung befeftigt, vor allem aber, hat man den Mut gewonnen, in radikaler Vorurteilsloßgkeit, um alle umlaufenden und angelernten Theorien unbekümmert, den klaren Wefensgegebenheiten Folge zu leiften, fo ergeben Qch alsbald fefte Refultate, und bei allen gleich Eingeteilten die gleichen; es ergeben fich fefte Möglichkeiten, das felbft Geiebene anderen zu vermitteln, ihre Defkriptionen nachzuprüfen, die unbemerkten Einmengungen von leeren Wortmeinungen zur Abhebung zu bringen, Irrtümer, die auch hier, wie in jeder Geltungsfphäre möglich find, durch Nachmeffung an der Intuition kenntlich zu machen und auszumerzen. Doch nun zu den Sachen. §88. R e e l l e

und i n t e n t i o n a t e E r l e b n i s k o m p o n e n t e n . Das Noema.

Geben wir, wie in den gegenwärtigen Überlegungen überhaupt, auf allgemeinfte Unterfcheidungen aus, die fozufagen gleich an der Schwelle der Phänomenologie faßbar und für alles weitere methodiiehe Vorgeben beftimmend find, fo ftoßen wir binfichtlich der

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofopbie. 181 Intentionalität fofort auf eine ganz fundamentale, nämlich auf die Unterfcbeidung zwifcben e i g e n f l i e h e n K o m p o n e n t e n der intentionalen Erlebniffe und ihren i n t e n t i o n a l e n K o r r e l a t e n , bzw. deren Komponenten. Schon in den eidetifeben Vorerwägungen des zweiten flbfehnittes rührten wir an diefe Unterfcbeidung.1 Sie diente uns dazu, im Übergang von der natürlichen Einftellung zur phänomenologifchen das Eigenfein der phänomenologifchen Sphäre klar zu machen. Daß fle aber innerhalb diefer Sphäre felbft, alfo im Rahmen der tranfzendentalen Reduktion eine radikale Bedeutung gewinne, die ganze Problematik der Phänomenologie bedingend, davon konnte dort keine Rede fein. Huf der einen Seite haben wir atfo die Teile und Momente zu unterfcheiden, die wir durd) eine r e e l l e flnalyfe des Erlebniffes finden, wobei wir das Erlebnis als Gegenftand behandeln wie irgendeinen anderen, nach feinen Stücken oder unfelbftändigen, ihn reell aufbauenden Momenten fragend. Hndererfeits ift aber das intentionale Erlebnis Bewußtfein von etwas, und ift es feinem Wefen nach, ζ. B. als Erinnerung, als Urteil, als Wille ufw.; und fo können wir fragen, was nach feiten diefes »von etwas« wefensmäßig auszufegen ift. Jedes intentionale Erlebnis ift, dank feiner noetifchen Momente, eben noetifches; es ift fein Wefen, fo etwas wie einen »Sinn« und ev. mehrfältigen Sinn in fich zu bergen, auf Grund diefer Sinngebungen und in eins damit weitere Leiftungen zu vollziehen, die durch fie eben »finnvolle« werden. Solche noetifchen Momente find ζ. B.: Blickrichtungen des reinen Ich auf den von ihm vermöge der Sinngebung »gemeinten« Gegenftand, auf den, der ihm »im Sinne liegt«; ferner Erfaffung diefes Gegenftandes, Fefthaltung, während der Blick fid) anderen Gegenftänden, die in das »Vermeinen« ge< treten find, zugewendet hat; desgleichen Leiftungen des Explizier ens, des Beziehens, des Zufammengreifens, der mannigfachen Stellungnahmen des Glaubens, Vermutens, des Wertens ufw. Das alles ift in den betreffenden, wie immer verfchieden gebauten und in fid> wandelbaren Erlebniffen zu finden. Wie fehr nun diefe Reibe von exemplarifchen Momenten auf reelle Komponenten der Erlebniffe binweift, fo weift fie doch auch, nämlich durch den Titel Sinn, auf nicht r e e l l e . Überall entfpricht den mannigfaltigen Daten des reellen, noetifchen Gehaltes eine Mannigfaltigkeit in wirklich reiner Intuition a n weisbarer Daten in einem korrelativen » n o e m a t i f e b e n G e 1) Vgl. § 41, S. 73 ff.

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Edmund Hufferl,

h a l t « , oder kurzweg im » N o e m a « — Termini, die wir von nun ab beftändig gebrauchen werden. Die Wahrnehmung ζ. B. hat ihr Noema, zu unterft ihren Wahrnebmungsfinn, 1 d. h. das W a h r g e n o m m e n e a l s f o l c b e s . Ebenfo hat die jeweilige Erinnerung ihr E r i n n e r t e s a l s f o l d ) e s eben als das ihre genau wie es in ihr »Gemeintes«, »Bewußtes« ift; wieder das Urteilen das G e u r t e i l t e a l s folcbes, das Gefallen das Gefallende als folcbes ufw. Überall ift das noematifche Korrelat, das hier (in fehr erweiterter Bedeutung) »Sinn« heißt, g e n a u f o zu nehmen, wie es im Erlebnis der Wahrnehmung des Urteils, des Gefallens ufw. »«immanent« liegt, d. b. wie es, w e n n w i r r e i n d i e f e s E r l e b n i s f e l b f t b e f r a g e n , uns von ihm dargeboten wird. Wie wir all das verftehen, wird zu voller Klarheit durch Ausführung einer exemplarifcben finalyfe (die wir in reiner Intuition vollziehen wollen) kommen. Angenommen, wir blicken mit Wohlgefallen in einen Garten auf einen blühenden Hpfelbaum, auf das jugendfrifche Grün des Rafens ufw. Offenbar ift die Wahrnehmung und das begleitende Wohlgefallen nicht das zugleich Wahrgenommene und Gefällige. In der natürlichen Einftellung ift uns der Hpfelbaum ein Dafeiendes in der tranfzendenten Raumwirklichkeit, und die Wahrnehmung, fowie das Wohlgefallen ein uns, den realen Menfcben zugehöriger pfycbifcber Zuftand. Zwifcben dem einen und anderen Realen, dem realen Menfcben, bzw. der realen Wahrnehmung, und dem realen Hpfelbaum befteben reale Verhältniffe. In gewiffen Fällen beißt es in folcber Erlebnisfltuation: die Wahrnehmung fei »bloße Halluzination«, das Wahrgenommene, diefer Hpfelbaum vor uns exiftiere in der »wirklieben« Realität niebt. Jetjt ift das reale Verhältnis, das vordem als wirklieb beftehendes gemeint w a r , geftört. Die Wahrnehmung ift allein übrig, es ift nichts W i r k l i c h e s da, auf das Tie fich bezieht. Nun gehen wir in die phänomenologifche Einftellung über. Die tranfzendente Welt erhält ihre »Klammer«, wir üben in Beziehung auf ihr Wirklichfein εποχή. Wir fragen n u n , was im Komplex noe« tifeber Erlebniffe der Wahrnehmung und gefallenden Wertung wefensmäßig vorzufinden ift. Mit der ganzen pbyfifcben und pfycbifcben 1) Vgl. Sinn« ( d a z u das Weitere 6. Unterf., §

»Log. Unterf.« II 1. Unterf., § 14, S. 50 über den »erfüllenden 6. Unterf., § 55, S. 6·ί2 ü b e t » W a b r n e b m u n g s f i n n « ) ; ferner für die 5. Unterf., § 20f. über »Materie« eines Aktes; desgleichen 25 bis 29 u. ö.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofopbie.

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Welt ift das wirkliche Befteben des realen Verbältniffes zwifdien Wahrnehmung und Wahrgenommenem ausgefchaltet; und doch ift offenbar ein Verhältnis zwifcben Wahrnehmung und Wahrgenommenem (wie ebenfo zwifcben Gefallen und Gefallendem) übrig geblieben, ein Verhältnis, das zur Wefensgegebenheit in »reiner Immanenz« kommt, nämlich rein auf Grund des phänomenologifcb reduzierten Wabrnebmungs» und Gefallenserlebniffes, fo wie es flcb dem tranfzendentalen Erlebnisftrom einordnet. Eben diefe Sachlage foil uns jetjt befchäftigen, die rein phänomenologifche. Es mag fein, daß die Phänomenologie auch binficbtlicb der Halluzinationen, Illufionen, überhaupt der Trugwabrnebmungen etwas zu fagen bat, und vielleicht febr viel: evident ift aber, daß diefelben hier, in der Rolle, die fie in der natürlichen Einftellung fpielten, der pbänomenologifchen Husfcbaltung verfallen. Hier haben wir an die Wahrnehmung und auch an einen beliebig fortgebenden Wahrnebmungszufammenhang (wie wenn wir ambulando den blühenden Baum betrachten) keine Frage der Art zu ftellen, ob ihm in » d e r « Wirklichkeit etwas entfpricbt. Diefe tbetifcbe Wirklichkeit ift ja urteilsmäßig für uns nicht da. Und doch bleibt fozufagen alles beim alten, fluch das phänomenologifcb reduzierte Wabrnebmungserlebnis ift Wahrnehmung v o n »diefem blühenden flpfelbaum, in diefem Garten ufw.«, und ebenfo das reduzierte Wohlgefallen Wohlgefallen an diefem felben. Der Baum bat von all den Momenten, Qualitäten, Charakteren, m i t w e l c h e n er in d i e f e r W a h r n e h m u n g ericheinender, » i n « d i e f e m G e f a l l e n » f c h ö n e r « , » r e i z e n d e r « u. dgl. war, nicht die leifefte Nuance eingebüßt. In unterer pbänomenologifchen Einftellung können und müffen wir die Wefensfrage ftellen: w a s d a s »Wahrgenommene a l s f o l c h e s « f e i , w e l c h e W e f e n s m o m e n t e e s in fich f e l b f t , als d i e f e s W a b r n e b m u n g s • N o e m a , berge. Wir erhalten die Antwort in reiner Hingabe an das wefensmäßig G e g e b e n e , wir können das »Erfcbeinende als folches« getreu, in vollkommener Evidenz befchreiben. Nur ein anderer Ausdruck dafür ift: »die Wahrnehmung in noematifcher Hinficht befchreiben«, §89.

Noematifcbe Das

Noema

flusfagen in

der

und

Wirklicbkeitsausfa

pfycbologifcben

gen.

Sphäre.

Es iit klar, daß alle d i e f e befchreibenden Husfagen, trotjdem fie mit Wirklichkeitsausfagen gleichlauten können, eine r a d i k a l e Sinnesmodifikation erfahren haben; ebenfo wie das Befchriebene felbft, obfcbon es fich als »genau dasfelbe« gibt, doch ein radikal

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Edmund Hufferl,

anderes ift, fozufagen vermöge einer umkehrenden Vorzeichenänderung »In« der reduzierten Wahrnehmung (im phänomeno« logifd) reinen Erlebnis) finden wir, als zu ihrem Wefen unaufhebbar gehörig, das Wahrgenommene als folches, auszudrücken als »mate· rielles Ding« »Pflanze« »Baum«, »blühend« ufw. Die finf ü h r u n g s z e i d b e n find offenbar bedeutfam, fie drücken jene Vorzeichenänderung, die entfprechende radikale Bedeutungsmodifikation der Worte aus. Der B a u m fehl echt h i n , das Ding in der Natur, ift nichts weniger als diefes B a u m w a h r g e n o m m e n e a l s f o l c h e s , das als Wahrnehmungsfinn zur Wahrnehmung und unabtrennbar gehört. Der Baum fchlechtbin kann abbrennen, fich in feine chemifchen Elemente auflöfen ufw. Der Sinn aber — Sinn d i e f e r Wahrnehmung, ein notwendig zu ihrem Wefen Gehöriges - kann nicht abbrennen, er hat keine chemifchen Elemente, keine Kräfte, keine realen Eigenfchaften. mies, was dem Erlebnis rein immanent und reduziert eigentümlich ift, was von ihm, fo wie es in fleh ift, nicht weggedacht werden kann und in eidetifcher Einteilung eo ipso in das Eidos übergeht, ift von aller Natur und Phyfik und nicht minder von aller Pfychologie durch Hbgründe getrennt — und felbft diefes Bild, als naturaliftifches, ift nicht ftark genug, den Unterfcbied anzudeuten. Der Wahmehmungsiinn gehört felbftverftändlicb a u ch zur phänomenologifch unreduzierten Wahrnehmung (der Wahrnehmung im Sinne der Pfychologie). Man kann fich hier alfo zugleich klarmachen, wie die phänomenologifche Reduktion für den Pfychologen die nütjliche methodifche Funktion gewinnen kann, den noematifchen Sinn im fcharfen Unterfcbied zum Gegenftand fchlechtbin zu fixieren und als ein dem pfychologifchen Wefen des — alsdann real aufgefaßten — intentionalen Erlebniffes in unabtrennbarer Weife Zugehöriges zu erkennen. Beiderfeits, in pfychologifcher wie phänomenologifcher Ein» ftellung, ift dabei fcharf im Rüge zu behalten, daß das »Wahrgenommene« als Sinn, nichts in fich fchließt (alfo ihm auch nichts auf Grund »indirekter Kenntniffe« zugemutet werden darf), als was in dem wahrnehmungsmäßig Erfcheinenden gegebenenfalls »wirklich erfcheint«, und genau in dem Modus, in der Gegebenheitsweife, in der es eben in der Wahrnehmung Bewußtes Ift. Huf diefen Sinn, wie er der Wahrnehmung immanent ift, kann fich eine e i g e n a r t i g e R e f l e x i o n jederzeit richten, und nur dem in ihr Erfaßten hat fich das phänomenologifche Urteil in treuem Husdtuck anzupaffen.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenot. Pbilofopbie. §90.

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Der »noematifcbe Sinn« und die Unterfcheidung v o n » i m m a n e n t e n « u n d *w i r k Ii ch e η O b j e k t e n « .

Ähnlich wie die Wahrnehmung hat j e d e s intentionate Erlebnis eben das mad)t das Grundftüd< der Intentionalität aus — fein »intentionales Objekt«, d. i. feinen gegenftändlichen Sinn. Nur in anderen Worten: Sinn zu haben, bzw. etwas »im Sinne zu haben«, ift der 6rundd>arakter alles Bewußtfeins, das darum nicht nur überhaupt Erlebnis, fondern finnhabendes, »noetifches« ift. Freilich erfchöpft, was in unterer Beifpielsanalyfe als »Sinn« ßcb abgehoben hat, nicht das volle Noetna; dementfprechend befteht die noetifche Seite des intentionalen Erlebniffes nicht bloß aus dem Moment der eigentlichen »Sinngebung«, dem fpeziell der »Sinn« als Korrelat zugehört. Es wird fleh bald zeigen, daß das volle Noema in einem Komplex noematifcher Momente befteht, daß darin das fpezififche Sinnesmoment nur eine Art notwendiger K e r n « fcbicht bildet, in der weitere Momente wefentlich fundiert find, die wir nur darum ebenfalls, aber in extendiertem Sinn, als Sinnesmomente bezeichnen dürften. Doch bleiben wir zunächft bei dem ftehen, was allein klar hervorgetreten ift. Das intentionale Erlebnis ift, zeigten wir, zweifellos fo geartet, daß ihm bei paffender Blickftellung ein »Sinn« zu entnehmen ift. Die uns diefen Sinn definierende Sachlage, nämlich der Umftand, daß die Nichtexiftenz (bzw. die Überzeugung von der Nichtexiftenz) des vorgeftellten oder gedachten Objektes-fchlechthin der betreffenden Vorftellung (und fo dem jeweiligen intentionalen Erlebnis überhaupt) ihr Vorgeftelltes als folches nicht rauben kann, daß alfo zwifchen beiden unterfchieden werden muß, konnte nicht verborgen bleiben. Der Unterfchied, als ein fo auffälliger, mußte fleh literarifch ausprägen. In der Tat weift auf ihn die fcholaftifche "Unterfcheidung zwifchen » m e n t a l e m « , »intentionalem« oder » i m m a n e n t e m « O b j e k t einerfeits und « w i r k l i c h e m « O b j e k t andererfeits zurück. Indeffen von einer erften Erfaffung eines Bewußtfeinsunterfchiedes bis zu feiner richtigen, phänomenologifch reinen Fixierung und korrekten Bewertung ift ein gewaltiger Schritt — und eben diefer für eine einftimmige, fruchtbare Phänomenologie entfeheidende Schritt ift nicht vollzogen worden. Das Entfcheidende liegt vor allem in der abfotut getreuen Befchreibung deffen, was in der phänomenologifchen Reinheit wirklich vorliegt und in der Fernhaltung aller das Gegebene tranfzendierenden Deutungen. Benennungen bekunden hier fchon Deutungen und oft fehr falfche. Solche verraten fleh hier in Ausdrücken wie »mentales«,

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Edmund Huffetl,

»immanentes« Objekt und werden zum minderten gefördert durch den Plusdruck »intentionales« Objekt. Es liegt gar zu nahe zu fagen: Im Erlebnis gegeben fei die Intention mit ihrem intentionalen Objekt, das als iolcbes ihr unabtrennbar zugehöre, alio ihr felbft r e e l l einwohne. Es fei und bleibe ja ihr vermeintes, vorftelliges u. dgl. ob das entfprechende »wirkliche Objekt« eben in der Wirklichkeit fei oder nicht fei, inzwifchen vernichtet worden fei uiw. Veriucben wir aber in d i e f e r Art wirkliches Objekt (im Falle der äußeren Wahrnehmung das wahrgenommene Ding der Natur) und intentionales Objekt zu trennen, let)teres, als »immanentes« der Wahrnehmung, dem Erlebnis reell einzulegen, fo geraten wir in die Schwierigkeit, daß nun z w e i Realitäten einander gegenüberftehen follen, während doch nur e i n e vorfindlich und möglich ift. Das Ding, das Naturobjekt nehme ich wahr, den Baum dort im Garten; das und nichts anderes ift das wirkliche Objekt der wahrnehmenden »Intention«. Ein zweiter immanenter Baum oder auch ein »inneres Bild« des wirklichen, dort draußen vor mir ftehenden Baumes ift doch in keiner Weife gegeben, und dergleichen hypothetifch zu fupponieren, führt nur auf Widerfinn. Das Abbild als reelles Stück in der pfychologifch·realen Wahrnehmung wäre wieder ein Reales - ein Reales, das für ein anderes als Bild f u n g i e r t e . Das könnte es aber nur vermöge eines Fibbildungsbewußtieins, in welchem erft einmal etwas erfchiene - womit wir eine erfte Intentionalität hätten - und diefes wieder bewußtfeinsmäßig als »Bildobjekt« für ein anderes fungierte - wozu eine zweite, in der erften fundierte Intentionalität notwendig wäre. Nicht minder evident ift aber, daß jede einzelne diefer Bewußtfeinsweifen fchon die Unterfcheidung zwifchen immanentem und wirklichem Objekt fordert, alfo dasfelbe Problem in fieb befchließt, das durch die Konftruktion gelöft werden follte. Zum Überfluß unterliegt die Konftruktion für die Wahrnehmung dem Einwände, den wir früher erörtert haben 1 : der Wahrnehmung von Phyfifchcm Rbbildungsfunktionen einlegen, heißt ihr ein Bild» bewußtfein unterfchieben, das defkriptiv betrachtet ein wefentlich andersartig konfluiertes ift. Doch die Hauptfache ift hier, daß der Wahrnehmung und konfequenterweife dann jedem intentionalen Erlebnis eine flbbildungsfunktion zumuten, unausweichlich (wie aus unterer Kritik ohne weiteres erfichtlich ift) einen unendlichen Regreß mit fich führt. 1) Vgl. oben § 43, S. 78 ff.

Ideen zu einet reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofopbie.

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Gegenüber folchen Verirrungen haben wir uns an das im reinen Erlebnis Gegebene zu halten und es im Rahmen der Klarheit genau fo zu nehmen, wie es fieb gibt. Das »wirkliche« Objekt ift dann »einzuklammern«. Überlegen wir, was das fagt: Beginnen wir als natürlich eingeteilte Menfchen, ίο ift das wirkliche Objekt das Ding dort draußen. Wir fehen e s , wir ftehen davor, wir haben die Flügen fixierend darauf gerichtet, und fo wie wir es da als unfer Gegenüber im Räume finden, befebreiben wir es und machen darüber unfere Rusfagen. Desgleichen nehmen wir dazu Stellung im Werten;, diefes Gegenüber, das wir im Räume fehen, gefällt uns, oder es beftimmt uns zum Handeln; was fich da gibt, faTen wir an, bearbeiten es ufw. Vollziehen wir nun die phänomenologifche Reduktion, fo erhält jede tranfzendente Setjung, alio vor allem die in der Wahrnehmung felbft liegende, ihre ausfchaltende Klammer, und diefe geht auf all die fundierten Akte ü b e r , auf jedes Wahrnehmungsurteil, auf die darin gründende Wertfetjung und das ev. Werturteil ufw. Darin liegt: Wir laffen es nur zu, all diefe Wahrnehmungen, Urteile ufw. als die Wefenheiten, die fie in fich felbft find, zu betrachten, zu befchreiben, was irgend an oder in ihnen evident gegeben ift, feftzulegen; wir geftatten aber kein Urteil, das von der Thefis des »wirklichen« Dinges, wie der ganzen »tranfzendenten« Natur Gebrauch macht, fie »mitmacht«. Fils P h ä n o m e n o l o g e n enthalten wir uns all folcher Setjungen. Wir werfen fie darum nicht weg, wenn wir uns »nicht auf ihren Boden ftellen«, fie »nicht mitmachen«. Sie find ja da, gehören wefentlich mit zum Phänomen. Vielmehr wir fehen fie uns an; ftatt fie mitzumachen, machen wir fie zu Objekten, wir nehmen fie als Beftandftücke des Phänomens, die Thefis der Wahrnehmung eben als ihre Komponente. Und fo fragen *nt denn überhaupt, diefe Rusfchaltungen in ihrem klaren Sinn innehaltend, was in dem ganzen »reduzierten« Phänomen evidenterweife »liegt«. Nun dann liegt eben in der Wahrnehmung auch dies, daß fie ihren noematifchen Sinn, ihr »Wahrgenommenes als folches« hat, »diefen blühenden Baum dort im Räume« — mit den Anführungszeichen verftanden - eben das zum Wefen der phänomenologifch reduzierten Wahrnehmung gehörige Korrelat. Im Bilde gefprochen: Die »Einklammerung«, die die Wahrnehmung erfahren hat, verhindert jedes Urteil über die wahrgenommene Wirklichkeit (d. i. jedes, das in der unmodifizierten Wahrnehmung gründet, alfo ihre Thefis in fich aufnimmt). Sie hindert aber kein Urteil darüber, daß die Wahrnehmung Bewußt-

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Edmund Hufterl,

fein v o n einer Wirklichkeit ift (deren Theßs nun aber nicht mit »vollzogen« werden darf); und fie hindert keine Befchreibung diefer wahrnehmungsmäßig erfcheinenden »Wirklichkeit als folcher« mit den befonderen Weifen, in der diefe hierbei, ζ. B. gerade als wahrgenommene, nur »einfeitig«, in der oder jener Orientierung ufw. erfcheinende bewußt ift. Mit minutiöfer Sorgfalt" müffen wir nun darauf achten, daß wir nichts anderes, denn als wirklich im Wefen Befchloffenes dem Erlebnis einlegen, und es genau fo »einlegen«, wie es eben darin »liegt«. §91. Ü b e r t r a g u n g a u f d i e w e i t e f t e S p h ä r e der I n t e n t i o n a l i t ä t .

Was bisher unter Bevorzugung der Wahrnehmung näher ausgeführt worden ift, gilt nun wirklich von a l l e n fir t e n i n t e n t i o n a l e r E r l e b n i f f e . In der Erinnerimg finden wir nach der Reduktion das Erinnerte als folches, in der Erwartung das Erwartete als folches, in der fingierenden PhantaQe das Phantafierte als folches. Jedem diefer Erlebniffe »wohnt« ein noematifcher Sinn »ein« und wie immer diefer in verfchiedenen Erlebniffen verwandt, ja ev. einem Kernbeftande nach wefensgleich fein mag, er ift jedenfalls in artverfchiedenen Erlebniffen ein verfchiedenartiger, das gegebenenfalls öemeinfame ift zum mindeften anders charakterifiert, und das in Notwendigkeit. Es mag fich überall um einen blühenden Baum handeln, und überall mag diefer Baum in folcher Weife erfcheinen, daß die getreue Befchreibung des Erfcheinenden als folchen notwendig mit denfelben Ausdrücken erfolgt, fiber die noematifchen Korrelate find darum doch wefentlich verfchiedene für Wahrnehmung, Phantafie, bildliche Vergegenwärtigung, Erinnerung ufw. Einmal ift das-Erfcheinende charakterifiert als »leibhafte Wirklichkeit«, das andere Mal als Fiktum, dann wieder als Erinnerungsvergegenwärtigung ufw. Das find Charaktere, die wir a m Wahrgenommenen, Phantafierten, Erinnerten ufw. als folchem - a m W a h r n e h m u n g s f i n n , a m P h a n t a f i e f i n n , E r i n n e r u n g s f i n n - alsein Unabtrennbares v o r f i n d e n , und als n o t w e n d i g Z u g e h ö r i g e s in K o r r e l a t i o n zu d e n b e t r e f f e n d e n firten noetifcher Erlebniffe. Wo es alfo gilt, die intentionalen Korrelate getreu und vollftändig zu befchreiben, da müffen wir alle folchen nie zufälligen, fondern wefensgefetjlich geregelten Charaktere mitfaffen und in ftrengen Begriffen fixieren.

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Wir merken hierdurch, daß wir innerhalb des v o l l e n Noema (in der Tat, wie wir es im voraus angekündigt hatten) w e f e n t lich v e r f c h i e d e n e S c h i c h t e n fondern müffen, die Och um einen z e n t r a l e n »Kern«, um den puren » g e g e n f t ä n d l i c h e n S i n n « gruppieren - um das, was in unteren Beifpielen überall ein mit lauter identifchen objektiven Ausdrücken Befchreibbares, weil in den parallelen artvetichiedenen Erlebniffen ein Identifches fein konnte. Wir fehen zugleich, daß parallel, wenn wir die an den Thefen vollzogenen Einklammerungen wieder befeitigen, den verfchiedenen Begriffen von Sinn entfprechend, verfchiedene Be« griffe von u n m o d i f i z i e r t e n O b j e k t i v i t ä t e n unterfcheidbar fein müffen, von denen der »Gegenftand fchlechthin«, nämlich das Identifche, das einmal wahrgenommen, das andere Mal direkt ver· gegenwärtige das dritte Mal in einem Gemälde bildlich dargeftellt ift u. dgl., nur e i n e n zentralen Begriff andeutet. Indeffen vorläufig genüge uns diefe Andeutung. Wir blicken uns in der Bewußtfeinsfphäre noch etwas weiter um und verfuchen, an den hauptfächlichften Bewußtfeinsweifen die noetifen Strukturen kennen zu lernen. In der wirklichen Nachweifung verflAern wir uns zugleich fchrittweife der d u r c h g ä n g i g e n Geltung der fundamentalen Korrelation zwifchen Noeßs und Noema. §92. Die a t t e n t i o n a l e n W a n d l u n g e n in n o e t i f c b e r u n d n o e m a t i f c f c e r Hinficbt. Wir haben in unferen vorbereitenden Kapiteln fchon mehrfach von einer Art merkwürdiger Bewußtfeinswandlungen gefprochen, die üd) mit allen anderen Arten intentionaler Vorkommniffe kreuzen und fomit eine ganz allgemeine Bewußtfeinsftruktur eigener Dirnen» fion ausmachen: Wir fprechen im Gleichnis vom »geiftigen Blick« oder »Blidtftrahl« des reinen Ich, von feinen Zuwendungen und Abwendungen. Die zugehörigen Phänomene kamen uns zu einheitlicher, vollkommen klarer und deutlicher Abhebung. Sie fpielen, wo immer von »Aufmerkfamkeit« die Rede ift, die Hauptrolle, ohne phänomenologifd>e Abfonderung von anderen Phänomenen, und mit diefen vermengt werden fie als Modi der Hufmerkfamkeit bezeid>net. Wir unfererfeits wollen das Wort fefthalten und zudem von a t t e n t i o n a l e n W a n d l u n g e n fprechen, aber ausfchließlich mit Beziehung auf die von u n s deutlich abgefchiedenen Vorkommniffe, fowie auf die im weiteren noch näher zu befchreibenden Gruppen zufammengeböriger phänomenaler Wandlungen.

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Edmund Huffetl,

Es handelt iicf> hierbei um eine Serie von idealitev möglichen Wandlungen, die einen noetifchen Kern und ihm notwendig zu» ftändige cbarakterifierende Momente vericbiedener Gattung fcbon vorausfetjen, von fich aus die zugehörigen noematifchen Leiftungen nicht verändern, und die doch Abwandlungen des g a n z e n Erleb« niffes nach feiner noetifchen wie noematifchen Seite darftellen. Der Blickftrahl des reinen Ich geht bald durch diefe, bald durch jene noetifdbe Schicht oder (wie ζ. B. bei Erinnerungen in Erinnerungen) durch diefe oder jene Schachtelungsftufe hindurch, bald geradeaus, bald reflektierend. Innerhalb des gegebenen Gefamtfeldes potentieller Noefen, bzw. noetifcher Objekte, blicken wir bald auf ein Ganzes bin, den Baum etwa, der perzeptiv gegenwärtig ift, bald auf diefe oder jene Teile und Momente desfelben; dann wieder auf ein nebenftehendes Ding oder auf einen vielgeftaltigen Zufammen bang und Vorgang. Plötjlicb wenden wir den Blick einem uns »einfallenden« Erinnerungsobjekt zu: Statt durch die Wabtnefv mungsnoefe, welche in kontinuierlich einheitlicher Weife, obfchon mannigfach gegliedert, uns die beftändig erfcbeinende Dingwelt konf l u i e r t , gebt der Blick durch eine Erinnerungsnoefe in eine Erinnerungswelt hinein, bewegt fich wandernd in diefer, gebt in Erinnerungen anderer Stufen über oder in Phantafiewelten ufw. Bleiben wir der Einfachheit halber in e i n e r intentionalen Schicht, in der Wabrnebmungswelt, die in fchlichter Gewißheit dafteht. Fixieren wir in der Idee ein wabrnehmungsmäßig bewußtes Ding oder einen dinglichen Vorgang hinfichtlich feines noematifchen Gebalts, ebenfo wie wir das ganze konkrete Bewußtfein von ibm in dem entfprecbenden Rbfchnitt der phänomenologifchen Dauer, dem vollen immanenten Wefen nach, fixieren. Dann gehört zu diefer Idee auch die Fixierung des attentionalen Strahles in feiner zugehörigen b e f t i m m t e n Wanderung. Denn auch er ift ein Erlebnismoment. Es ift dann evident, daß Snderungsweifen des fixierten Erlebniffes möglich find, die wir eben unter dem Titel »bloße Änderungen in der Verteilung der Hufmerkfamkeit und ihrer Modi« bezeichnen. Es ift klar, daß dabei der n o e m a t i f c h e Beftand des Erlebniffes infoweit derfelbe bleibt, daß es nun überall beißen kann: es fei diefelbe Gegenftändlicbkeit immerfort als leibhaftig dafeiend charakterifiert, fich in denfelben Erfcbeinungsweifen, denfelben Orientierungen, erfcheinenden Merkmalen darfteilend; von ihr fei in denfelben Modis unbeftimmter Andeutung und unanfcbaulicber Mitgegenwärtigung der und der Inbaltsbeftand bewußt ufw. Die Änderung beftehe, fo tagen wir, parallele noematifdbe Be·

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ftände heraushebend und vergleichend, b l o ß darin, daß im einen Vergleichsfalle diefes, im anderen jenes gegenftändliche Moment »bevorzugt« fei, oder daß ein und dasfelbe einmal »primär aufgemerktes«, das andere Mal nur fekundär, oder nur »noch eben mitbemerktes« fei, wo nicht gar »völlig unbemerktes«, obfehon immer nod) ericheinendes. Es gibt eben verfchiedene fpeziell zur Hufmerkfamkeit als folcher gehörige Modi. Dabei icheidet fich die Gruppe der H k t u a l i t ä t s m o d i von dem Modus der I η a k t u a I i t a t ; von dem, was wir ichlechthin Unaufmerkfamkeit nennen, dem Modus des fozufagen toten Bewußthabens. Hndererfeits ift es klar, daß diefe Modifikationen nicht nur folche des Erlebniffes felbft in feinem noetifchen Beftande find, fondern daß fie auch feine N o e m e n angreifen, daß fie auf noematifcher Seite - unbefchadet des identifchen noematifchen Kerns - eine eigene Gattung von Charakterifierungen darfteilen. Man pflegt die Hufmerkfamkeit mit einem erhellenden Lichte zu vergleichen. Das im fpezififchen Sinn Hufgemerkte befindet fich in dem mehr oder minder hellen Lichtkegel, es kann aber auch in den Halbfchatten und in das volle Dunkel rücken. So wenig ausreichend das Bild ift, um alle phänomenologifcb zu fixierenden Modi unterfchiedlich auszuprägen, ίο ift es doch fo weit bezeichnend, als es Änderungen am Ericbeinenden als folchen anzeigt. Diefer Beleuchtungswechfel ändert nicht das Erfcbeinende nach feinem eigenen S i n n e s beftand, aber Helligkeit und Dunkelheit modifizieren feine Erfcheinungsweife, in der Blickrichtung auf das noematifebe Objekt find fie vorfindlich und zu befchreiben. Offenbar find dabei die Modifikationen im Noema nicht derart, daß zu einem identifch Verbleibenden bloße äußerliche Hnnexe hinzutreten, vielmehr wandeln fich die konkreten Noemen durch und durch, es handelt fich um notwendige Modi der Gegebenheitsweife des Identifchen. Näher befehen, ift nun gleichwohl die Sachlage nicht die, daß der g e f a m t e in dem jeweiligen Modus attentional charakterifierte noematifebe Inhalt (fozufagen der a t t e n t i o n a l e K e r n ) ein konftant zu Erhaltendes ift gegenüber beliebigen attentionalen Modifikationen. Vielmehr zeigt es fidb, von der noetifchen Seite aue angefehen, daß gewiffe Noefen, fei es notwendig oder ihrer beftimmten Mög= liebkeit nad) bedingt find durch Modi der Hufmerkfamkeit, und insbefondere durch die pofitive Hufmerkfamkeit im auszeichnenden Sinne. Hlle »Hktvollzüge«, die »aktuellen Stellungnahmen«, ζ. B. der »Vollzug« einer Zweifelsentfcheidung, einer Hblehnung, einer

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Edmund Huffed,

Subjektietjung und prädizierenden Darauffetjung, der Vollzug einer Wertung und einer Wertung »um eines anderen willen«, der· jenigen einer Wahl ufw. — all das iet)t pofitive Aufmerkiamkeit auf das voraus, wozu das leb Stellung nimmt, fiber das ändert nichts daran, daß diefe Funktion des wandernden, Geh hinfichtlich des Spannraums erweiternden und verengernden Blickes e i n e e i g e n a r t i g e Dimenfion von k o r r e l a t i v e n noetifchen und n o e m a t i f c h e n Modifikationen bedeutet, deren fyftematifche Wefenserforfchung zu den Grundaufgaben der allgemeinen Phänomenologie gehört. Die attentionalen Geftaltungen haben in ihren Hktualitätsmodis in ausgezeichneter Weife den C h a r a k t e r d e r S u b j e k t i v i t ä t , und diefen felben gewinnen dann alle die Funktionen, die durch diefe Modi eben modalifiert werden, bzw. die fie ihrer firtung nach vorausfetjen. Der aufmerkende Strahl gibt fich als vom reinen Ich ausftrahlend und im Gegenitändlichen terminierend, zu ihm hingerichtet oder von ihm fich ablenkend. Der Strahl trennt ßcb nicht vom Ich, iondern ift ielbft und bleibt Ichftrahl. Das »Objekt« ift betroffen, Zielpunkt, nur zum Ich (und von ihm ielbft) in Beziehung gefegt aber nicht ielbft »tubjektiv«. Eine Stellungnahme, die den Ichftrahl in fich trägt, ift dadurch Akt des Ichs felbft, das Ich tut oder leidet, ift trei oder bedingt. Das Ich, fo drückten wir uns auch aus, »lebt« in iolchen Akten. Diefes Leben bedeutet nicht das Sein von irgendwelchen »Inhalten« in einem Inhaltsftrome, iondern eine Mannigfaltigkeit von befchreibbaren Weifen, wie das reine Ich in gewiffen intentionalen Erlebniüen, die den allgemeinen Modus des cogito haben, als das »freie Weien«, das es ift, darinnen lebt. Der Ausdruck »als freies Weien« betagt aber nichts anderes als iolche Lebensmodi des Aus -fich -frei- her ausgehens oder In - iich - zurück« gehens, des ipontanen Tuns, des von den Objekten etwas Erfahrene, Leidens ufw. Was außerhalb des Ichftrahls, bzw. des cogito im Erlebnisitrome vonftatten geht, das ift wetentlich anders charakterifiert, es liegt außerhalb der Ichaktua'ität und bat doch, wie wir früher fchon angedeutet haben, Ichzugehörigkeit iniofern, als es das Feld der Potentialität für freie Akte des Ich ift. Soviel zur allgemeinen Charakteriitik der noetiieh-noematiiehen Themata, die in der Phänomenologie der Aufmerkiamkeit in iyftematifcher Gründlichkeit behandelt werden müüen. 1 1) Die flufmerkfamkeit ift ein Hauptthema der modernen Pfychologie. Nirgends zeigt fich der vorberrfdbend fenfualiftifche Charakter der letzteren auffälliger als in der Behandlung diefes Themas, denn nicht einmal der

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Philofopftie. $93.

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Ü b e r g a n g zu d e n n o e t i f c h - n o e m a t i f c h e n S t r u k t u r e n der höheren Bewußtfeinsfpbäre.

Wir wollen in der näcbften Folge von Betradhtungen Strukturen der »höheren« Bewußtfeinsfpbäre in Erwägung ziehen, bei welchen in d e r E i n h e i t e i n e s k o n k r e t e n E r l e b n i f f e s m e h r fache N o e f e n ü b e r e i n a n d e r g e b a u t und demgemäß die n o e m a t i f c b e n K o r r e l a t e ebenfalls f u n d i e r t e find. Denn k e i n n o e t i f c h e s M o m e n t o h n e e i n i h m f p e z i f i f c h zu« g e h ö r i g e s n o e m a t i f c h e s M o m e n t , fo lautet das fleh über· all bewährende Wefensgefet). fluch bei den - in konkreter Vollftändigkeit genommenen — Noefen höherer Stufe tritt im noematifchen Beftand ein zunächft vorwiegend fi die Hrtung, und was durch die differenzierenden Befonderungen. Die Bindung gebt aber hindurch, in der Wefens« iphäre gibt es keine Zufälle, alles ift durch Wefensbeziehungen verknüpft, ίο insbeiondere Noefis und Noema. § 94. N o e f i s u n d N o e m a im U r t e i l s g e b i e t e .

Betrachten wir als Beifpiel aus diefer Sphäre fundierter Weien das p r ä d i z i e r e n d e Urteil. Das Noema des U r t e i l e n s , d. i. des konkreten Urteilserlebniffes, ift das »Geurteilte als folches«, das aber ift nichts anderes, oder mindeftens feinem hauptfächlichen Kern nach nichts anderes, als was wir gewöhnlich einfach d a s U r t e i l nennen. Es muß hier, um das volle Noema zu erfaffen, wirklich in der vollen noematifchen Konkretion genommen werden, in der es im konkreten Urteilen bewußtes ift. Das Geurteilte ift nicht zu ver« wechfeln mit dem Beurteilten. Wenn das Urteilen ßch auf Grund eines Wahrnehmens oder eines fonftigen fchlictot »fegenden« Vorftellens aufbaut, fo geht das Noema des Vorftellens in die volle Konkretion des Urteilens ein (fowie eben die. vorftellende Noefis zum Wefensbeftandftück der konkreten Urteilsnoefe wird) und nimmt in ihm gewiiie Formen an. Das Vorgeftellte (als folches) erhält die Form des apophantifchen Subjektes oder Objektes u. dgl. Der Einfachheit halber fehen wir dabei von der höheren Schicht des verbalen »Husdrudts« ab. Diefe »Gegenftände worüber«, insbefondere die Subjektgegenftände, find die beurteilten. Das aus ihnen geformte Ganze, d a s g e f a m t e g e u r t e i l t e W a s und zudem genau fo genommen, mit der C h a r a k t e r i f i e r u n g , in der G e g e b e n h e i t s w e i f e , in der es im Erlebnis »Bewußtes« ift, bildet das v o l l e n o e m a t i f c h e K o r r e l a t , den ( w e i t e f t ver·^ ftandenen) » S i n n « des Urteilserlebniffes. Prägnanter gefprochen, ift es der »Sinn im Wie feiner Gegebenheitsweife«, foweit diefe an ihm als Charakter vorfindlid» ift. Dabei aber ift die phänomenologifche Reduktion nid>t zu über* fehen, die von uns fordert, wofern wir eben das pure Noema unferes Urteilserlebniffes gewinnen wollen, die Urteilsfällung »einzuklammern«. Tun wir fo, dann ftehen Öd> in phänomenologifdier Reinheit gegenüber das volle konkrete Wefen des Urteilserlebniffes, oder, wie wie es jetjt ausdrücken, d i e k o n k r e t a l s W e f e n ge» f a ß t e U r t e i l s n o e f i s und das zugehörige und notwendig mit ihm einige U r t e i l s n o e m a , d. i. das » g e f ä l l t e U r t e i l « a l s Ε i d ο s , und wieder in phänomenologifcher Reinheit.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. phänomenot. Pbltofopbie. 195 Die Pfychologiften werden hier überall flnftoß nehmen, fle find ichon nicht geneigt, zwiicben Urteilen als empirifchem Erlebnis und Urteil als »Idee«, als Wefen, zu unterfcbeiden. Diefe Unterfcheidung bedarf für uns keiner Begründung mehr, fiber auch wer fie an· nimmt, wird betroffen fein. Denn es ift von ihm gefordert, anzu· erkennen, daß mit diefer einen Unterfcheidung keineswegs ein Auslangen ift, und daß es der Fixirung mehrerer Ideen bedarf, die im Wefen der Urteilsintentionalität nach zwei verfcbiedenen Seiten liegen. Es muß vor allem erkannt werden, daß hier, wie bei allen inten· tionalen Erlebniffen, die beiden Seiten, Noeüs und Noema, prinzipiell unterfchieden werden müffen. Kritifch ift hier zu bemerken, daß die in den »Logifchen Unterfuchungen« feftgeftellten Begriffe des » i n t e n t i o n a l e n « und »er« k e n n t n i s m ä ß i g e n « W e f e n s 1 zwar korrekt, aber noch einer zweiten Deutung fähig find, fofern fie prinzipiell als flusdrüdte nicht nur noetiicher, fondern auch noeipatifcher Wefen verftanden werden können, und daß die noetifche fiuffaffung, wie fie dort einfeitig durchgeführt wurde, für die Konzeption des reinlogifchen Urteils· begriffes (alfo des Begriffs, den die reine Logik im Sinne der reinen Mathefls fordert, im Gegenfat) zum noetifchen Urteilsbegriffe der normativen logifchen Noetik) gerade nicht die in Betracht kommende ift. Der fchon in der gewöhnlichen Rede Geh durchlebende Unterfchied zwifchen dem F ä l l e n e i n e s U r t e i l s und dem g e f ä l l t e n U r t e i l kann auf das Richtige hindeuten, nämlich darauf, daß dem Urteilserlebnis k o r r e l a t i v zugehört d a s Urteil fchlechthin als Noema. Eben diefes wäre dann zu verftehen als das »Urteil«, bzw. der S a t z im r e i n l o g i f c h e n S i n n e - nur daß die reine Logik nicht für das Noema in feinem vollen Beftand intereffiert ift, fondern für dasfelbe, fofern es ausfchließlich beftimmt gedacht wird durch ein e n g e r e s Wefen, zu deffen näherer Beftimmung der oben erwähnte Sd>eidungsverfuch der »Logifchen Unterfuchungen« den Weg gezeigt hat. Wollen wir, von einem beftimmten Urteilserlebnis ausgehend, das volle Noema gewinnen, fo müifen wir, wie oben getagt wurde, »das« Urteil genau fo nehmen, wie es eben in diefem Erlebnis bewußtes ift, während in den formal-logifchen Betrachtungen die Identität »des« Urteils viel weiter reicht. Ein evidentes Urteil S ift Ρ und »dasfelbe« blinde Urteil find noematifch verfchieden, aber einem Sinneskern nach identifch, der für die formal -logiicbe 1) Vgt. »Log. Unterf.« II

5. Unter f., §21, S. 321 f. 13*

196

Edmund Huffetl,

Betrachtung allein beftimmend wird. Es ift ein ähnlicher Unterfchied wie der fchon berührte zwifchen dem Noema einer Wahrnehmung und demjenigen einer parallelen Vergegenwärtigung, die denfelben Gegenstand in genau gleichem Beftimmungsgehalt, in derfelben Charakterisierung (als »gewiß feiend«, »zweifelhaft feiend« u. dgl.) vorftellig hat. Die Rktarten flnd verfchieden, und es bleibt fonft noch ein großer Spielraum für phänomenologifche Unterfchiede aber das noematifche Was ift identifch. Wir fügen noch hinzu, daß der foeben charakteriüerten Urteilsidee, welche den Grundbegriff der formalen Logik (der auf prädikative Bedeutungen bezogenen Difziplin der mathesis universalis) ausmacht, korrelativ gegenübersteht die noetifche Idee: »das Urteil« in einem zweiten Sinne, nämlich verftanden als Urteilen überhaupt, in eidetifcher und rein durch die Form beftimmter Hllgemeinheit. Es ift der Grundbegriff der formalen noetifcben Rechtstehre des Urteilens.1 RH das, was wir foeben atisgeführt haben, gilt auch für andere noetifche Erlebniffe, ζ. B. felbftverftändlich für alle, die mit den Urteilen als prädikativen Gewißheiten wefensverwandt find: fo die entfprechenden Hnmutungen, Vermutungen, Zweifel, auch Ablehnungen; wobei die Ubereinftimmung fo weit gehen kann, daß im Noema ein überall identifchec Sinnesgehalt auftritt, der nur mit 1) Was den Bolzanofd>en Begriff des »Urteiles an fleh·, »Satzes an fid)« anbelangt, fo ift aus den Darftelluitgen der »Wiffenfcbaftslebre« zu erfeben. daß Bolzano über den eigentlichen Sinn feiner bahnbrechenden Konzeption nicht zur Klarheit gekommen ift. Daß hier z w e i prinzipiell mögliche Interpretationen vorliegen, die beide als »Urteil an fieb« zu bezeichnen wären: das Spezi fifefce des Ucteilserlebniffes (die n o e t i f c h e Idee) und die ihr korrelative n o e m a t i f c h e Idee, hat Bolzano nie gefehen. Seine B e t r e i bungen und Erläuterungen find zweideutig. Im Huge hatte er — obfehon eine gelegentliche Wendung (vgl. a. a. Ο. I, S. 85 das beifällige Zitat aus Mehmels Denklehre) dagegen zu fprechen fcheint — als objektiv gerichteter Mathematiker jedenfalls den noematifeben Begriff. Er hatte ihn im Huge, genau fo wie der flritbmetiker die Zahl im Huge hat — auf Zahlenoperationen eingeteilt, aber nicht auf phänomenologifche Probleme der Beziehung von Zahl und Zablbewußtfein. Die Phänomenologie war hier in der logifeben Sphäre, wie überhaupt, dem großen Logiker etwas v ö l l i g F r e m d e s . Das muß jedem klar fein, der die leider fo feiten gewordene »Wiffenfcbaftslebre« Bolzanos wirklieb ftudiert hat und zudem nicht geneigt ift, jede Herausarbeitung fundamentaler eidetifcher Begriffe — die phänomenologifch naive Leiftung — mit einer pbänomenologifchen zu vetwechfeln. Man müßte dann febon fo konfequent fein, jeden begriffsfchöpferifchen Mathematiker; etwa einen 6 . Cantor binflehtlich feiner genialen Konzeption der Grundbegriffe der Mengenlehre, als Pbäno* menologen zu bezeichnen und im gleichen fchließlich auch den unbekannten Schöpfer der geometrifchen Grundbegriffe im grauen Hltertum.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofopbie. 197 verfchiedenen »Charakteriüerungen« ausgeftattet ift. D a s f e l b e »S ift P«, als n o e m a t i f c h e r K e r n , kann » I n h a l t « einer 0e» wißheit, eines fich als möglich Anmutens oder eines Vermutens ufw. fein. Im Noema fteht das »S ift P« nicht allein; fondern, fo wie es da als Inhalt herausgedacht wird, ift es ein Unfelbftändiges; es ift jeweils in wechfelnden Charakteriflerungen bewußt, die das volle Noema nicht entbehren kann: es ift bewußt im Charakter des »gewiß« oder des »möglich«, des »wahrfcheinlich«, des »nichtig« u. dgl., Charaktere, zu denen fämtlich das modifizierende Anführungszeichen gehört, und die als Korrelate fpeziell zugeordnet find den noetifchen Erlebnismomenten des Für - möglich · haltens, für Wahrfcheinlich·, für Nichtig «haltens u. dgl. Es fcheiden Och hiermit, wie man zugleich fieht, zwei fundamentale Begriffe von » U r t e i l s i n h a l t « und ebenfo von Vermutungsinhalt, Frageinhalt ufw. ab. Nicht feiten gebrauchen die Logiker die Rede von Urteilsinhalt fo, daß offenbar (wenn auch ohne die fo nötige Unterfcheidung) der noetifche oder noematifch· logifche Begriff Urteil gemeint ift, die beiden Begriffe, die wir vorhin charakterifiert haben. Ihnen laufen parallel, und felbftverftändlieh ohne ie mit Ihnen und miteinander zufammenzufallen, die entfprechenden Begriffspaare bei den Vermutungen, Fragen, Zweifeln ufw. H i e r aber ergibt fleh ein zweiter Sinn von Urteilsinhalt — als ein »Inhalt«, den das Urteil mit einer Vermutung (bzw. einem Vermuten), mit einer Frage (bzw. einem Fragen) und anderen Aktnoemen, bzw. Noefen, identifch g e m e i n haben kann.. §95.

Die a n a l o g e n U n t e r i c b e i d u n g e n in d e r und Willensfpbäre.

6emüts>

Analoge Ausführungen gelten dann, wie man fich leicht überzeugt, für die Gemüts- und Willensfphäre, für Erlebniffe des Gefallens und Mißfallens, des Wertens in jedem Sinne, des Wünfchens, fich Entfchließens, Handelns; das alles find Erlebniffe, die mehrfache und oft vielfache intentionale Schichtungen enthalten, noetifche und dementfprechend auch noematifche. Dabei find die Schichtungen, altgemein gefprochen, fo, daß oberfte Schichten des Geiamtphänomens fortfallen können, ohne daß das Übrige aufhörte, ein konkret volUtändiges intentionales Erlebnis zu fein, und daß auch umgekehrt ein konkretes Erlebnis eine neue noetifche Gefamtfchicht annehmen kann; wie wenn z. B. fid) auf eine konkrete Vorftellung ein unfelbftändiges Moment »Werten« auffchichtet, bzw. umgekehrt wieder fortfällt.

198

Edmund Hufferl,

Wenn in diefer Hrt ein Wahrnehmen, Pbantafieren, Urteilen u. dgL eine es ganz überdeckende Schicht des Wertens fundiert, fo haben wir in dem F u n d i ^ r u n g s g a n z e n , nach der böcbften Stufe bezeichnet als konkretes Wertungserlebnis, v e t i c h i e d e n e N o e m a t a , b z w . S i n n e . Das Wahrgenommene als folches gehört, als Sinn, fpeziell zum Wahrnehmen, es gebt aber in den Sinn des konkreten Wertens mit ein, d e i i e n Sinn fundierend. Wir müden dementfprecbend untericbeiden: die Gegenftände, Dinge, Be» fcbaffenbeiten, Sachverhalte, die im Werten als werte daftehen, bzw. die entfpreAenden Noemata der Vorftellungen, Urteile u. dgl., welche das Wertbewußtfein fundieren; andererieits die Wertgegenftände felbft, die Wertverbalte felbft, bzw. die ihnen entfprechenden noe« matifcben Modifikationen, und dann überhaupt die dem konkreten Wertbewußtfein zugehörigen vollftändigen Noemen. Zur Erläuterung fei zunächft bemerkt, daß wir der größeren Deutlichkeit halber gut tun (hier und in allen analogen Fällen), unterfcbeidende relative Termini einzuführen, um werten Gegenftand und Wertgegenftand, werten Sachverbalt und Wertfachverbalt, werte Eigenfcbaft und Werteigenfchaft (was felbft noch einmal doppelfinnig ift) beffer gefcbieden zu erhalten. Wir fprechen von der bloßen »Sache«, die werte ift, die Wertcharakter, W e r t b e i t bat; dem« gegenüber vom k o n k r e t e n W e r t e felbft oder der W e r t « o b j e k t i t ä t . Ebenfo parallel vom b l o ß e n S a c h v e r h a l t , bzw. der b l o ß e n S a c h l a g e , und dem W e r t v e r b a l t , bzw. der W e r t l a g e , nämlich wo das Werten ein SaAverhaltsbewußtfein als fundierende Unterlage hat. Die Wertobjektität impliziert ihre Sache, fie bringt als neue objektive Schicht berein die W e r t b e i t . Der Wertverhalt birgt in ficb den ihm zugehörigen bloßen Sachverbalt, die Werteigenfchaft, ebenfo die Sacheigenfchaft und darüber hinaus die Wertbeit. Es ift ferner auch hier zu untericbeiden zwifcben der Wert« objektität fcblecbtbin und der W e r t o b j e k t i t ä t in Rn* f ü h r u n g s z e i c b e n , die i m N o e m a liegt. Wie dem Wahrnehmen das Wahrgenommene als folches gegenüberftebt in einem Sinne, der die Frage nach dem Wabrbaftfein des Wahrgenommenen ausfcbließt, fo dem Werten das Gewertete als folches und wieder fo, daß das Sein des Wertes (des gewerteten Dinges u n d deffen wahrhaft Wertfein) außer Frage bleibt. Η lie aktuellen Segungen find für die Erfaffung des Noema auszufchalten. Und wieder ift wohl zu beachten, daß zum v o l l e n »Sinn« des Wertens das Was desfelben mit der ganzen Fülle, in der es in dem betreffenden

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. phänomenot. Pbilofopbie. 199 Werterlebnis bewußtes ift, gehört, und daß die Wertobjektität in Anführungszeichen nicht ohne weiteres das volle Noema ift. Ebenfo führen iicb die vollzogenen UnterfAeidungen in der W i l l e n s f p b ä r e durch. Auf der einen Seite haben wir das E n t f c h l i e ß e n , das wir jeweilig vollziehen, mit all den Erlebniffen, die es als Untergrund fordert, und die es, in Konkretion genommen, in fich fchließt. Zu ihm gehören vielerlei noetifche Momente. Den Willensfetjungen liegen zugrunde wertende Setjungen, Dingfetjungen u. dgl. Huf der anderen Seite finden wir den E n t f c h l u ß als eine eigene Hrt zum Willens* gebiet fpezififch gehöriger Objektität, und es ift eine offenbar in anderen ebenfolchen noematifchen Objektitäten fundierte. Schalten wir als Phänomenologen alle untere Setjungen aus, fo bleibt wieder dem Willensphänomen, als phänomenologifch reinem intentionalen Erlebnis, fein » G e w o l l t e s a l s f o l c h e s « , als ein dem Wollen e i g e n e s N o e m a : d i e » W i l l e n s m e i n u n g « , und genau fo, wie fie in diefem Willen (in dem vollen Wefen) »Meinung« ift, und mit alledem, was und »worauf da hinaus« gewollt ift. Wir fagten eben »Meinung«. Diefes Wort drängt fich hier überall auf, ebenfo wie die Worte »Sinn« und »Bedeutung«. Dem M e i n e n oder Vermeinen entfpricht dann die M e i n u n g , dem B e d e u t e n die B e d e u t u n g . Indeffen find diefe Worte insgefamt mit fo vielen fiquivokationen durch Übertragung behaftet - und nicht zum minderten auch mit folchen, die aus dem Übergleiten in diefe korrelativen Schichten herftammen, deren wiffen» fchaftliche Trennung ftreng durchgeführt werden foil — daß in Beziehung auf fie größte Vorficht am Platje ift. Untere Betrachtungen bewegen fich jetjt in dem weiteften Umfange der Wefensgattung »intentionalcs Erlebnis«. Die Rede vom »Meinen« aber befchränkt fich normalerweife auf engere Sphären, die aber zugleich als Unterrichten der Phänomene der weiteren fungieren. His Terminus wird das Wort (und werden die ihm verfchwifterten Ausdrücke) darum nur für diefe engeren Sphären in Betracht kommen können. Für die Allgemeinheiten leiften uns ficherlich untere neuen Termini und die beigegebenen Beifpielsanalyfen beffere Dienfte. §96. Ü b e r l e i t u n g zu d e n w e i t e r e n K a p i t e l n . Scblußbemcrkungen. Wir haben der allgemeinen Herausarbeitung des Unterfchiedes zwifchen Noeiis (d. i. dem konkret vollftändigen intentionalen Erlebnis, bezeichnet unter Betonung feiner noetifchen Komponenten)

200

Edmund Hufferl,

und Noema ίο große Sorgfalt arigedeiben laffen, weil feine Erfaffung und Beberrfcbung für die Phänomenologie von größter Tragweite, ja für ihre rechte Begründung geradezu entfcheidend ift. Im erften Augenblick fcheint es fich um Selbftverftändlicbes zu handeln: Jedes Bewußtfein ift Bewußtfein von etwas, und die Bewußtfeins« weifen find fehr verfcbieden. Bei näherem Herantreten empfanden wir aber die großen Schwierigkeiten. Sie betreffen das Verftändnis der Seinsweife des Noema, die Art, wie es im Erlebnis »liegen«, in ihm »bewußt« fein foil. Sie betreffen ganz befonders die rein« liebe Scheidung zwifeben dem, was in der Weife reeller Beftandftücke Sache des Erlebniffes felbft und Sache des Noema fein, diefem als eigen zugemeffen werden foil. Fluch die richtige Gliederung im parallelen Bau von Noefis und Noema macht nachher noch genug Schwierigkeiten. Selbft wenn wir fchon Hauptftücke bierbergeböriger Scheidungen an den Vorftellungen und Urteilen glücklich vollzogen haben, bei denen fie fich zuerft darbieten, und für welche die Logik wertvolle aber nicht entfernt zureichende Vorarbeit liefert, braucht es einiger Mühe und Selbftüberwindung, um die parallelen Unterfcheidungen bei den Gemütsakten nicht nur zu poftulieren und zu behaupten, fondern wirklich zu klarer Gegebenheit zu bringen. Es kann hier im Zufammenhang unterer bloß emporleitenden Meditationen nicht die Aufgabe fein, Stücke der Phänomenologie fyftematifch auszuführen. Immerhin erfordern es untere Ziele, tiefer als bisher in die Sachen einzugeben und Anfänge folcher Unterfuchungen zu entwerfen. Das ift notwendig, um die noetifcb» noematifchen Strukturen fo weit zur Klarheit zu bringen, daß ihre Bedeutung für die Problematik und Methodik der Phänomenologie verftändlich werden könne. Eine inbaltreiche Vorftellung von der Fruchtbarkeit der Phänomenologie, der Größe ihrer Probleme, der Art ihres Vorgebens kann nur gewonnen werden, wenn Gebiete um Gebiete wirklich betreten und die zu ihnen gehörigen Problemweiten fid>tlich gemacht werden. Wirklich betreten aber wird jedes folche Gebiet und empfindbar als ein fefter Arbeitsboden nur durch Ausführung pbänomenologifcher Ausfcbeidungen und Klärungen, mit denen auch der Sinn der hier zu löfenden Probleme erft verftändlich werden kann. Streng an diefen Stil follen fich unfere weiterfolgenden Analyfen und Problemnacbweifungen binden, wie das ζ. T. fchon die bisherigen getan haben. Wir halten uns, fo vielifeftaltig die bebandelten Materien dem Neuling auch erfebeinen mögen, doch nur in befchränkten Sphären. Naturgemäß bevorzugen wir, was den Eingängen in die Phänomenologie relativ nahe liegt,

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänömenol. Pbilofopbie.

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und was unbedingt nötig ift, um durchgebende fyftematifcbe Haupt« linien verfolgen zu können. Schwierig ift a l1 e s , es erfordert mühfame Konzentration auf die Gegebenheiten der ipezififch-phänomenologifcben WefensanfAauung. Einen »Königsweg« in die Phänomenologie und fomit auch in die Philofophie gibt es nicht. Es gibt nur den e i n e n , den ihr eigenes Wefen vorzeichnet. Endlich fei noch folgende Bemerkung verftattet. Die Phänomeno· togie gibt ficb in unteren Darftellungen als a n f a n g e n d e Wiffenfcbaft. Wieviel von den Ergebniffen der hier verfuchten Analyfen endgültig ift, kann erft die Zukunft lehren. Sicherlich wird manches von dent, was wir befdjrieben haben, sub specie aeterni anders zu befcbreiben fein. Aber eins dürfen und müffen wir anftreben, daß wir in jedem Schritte getreu befcbreiben, was wir von unferem Augenpunkte au» und nad> ernfteftem Studium wirklich feben. Unfer Verfahren ift das eines For· fcbungsreifenden in einem unbekannten Weltteile, der forgfam befchreibt, was fich ihm auf feinen ungebahnten Wegen, die nicht immer die kür· zeften fein werden, darbietet, ihn darf das fiebere Bewußtfein erfülten, zur Ausfage zu bringen, was nach Zeit und Umftänden ausgefagt wer· den m u ß t e und was, weil es treuer Ausdruck von Gefehenem ift, immerfort feinen Wert behält — wenn auch neue Forfchungen neue Befcbreibungen mit vielfachen Befferur.gen erfordern werden. In gleicher Geiinnung wollen wir im weiteren getreue Darfteller der phänomeno· logifchen Geftaltungen fein und uns im übrigen den Habitus innerer Freiheit auch gegen unfere eigenen Befchreibungen wahren.

Viertes Kapitel. Zur

Problematik der noetifcfr-noematifchen Strukturen.

§97. D i e b y l e t i f c h e n u n d n o e t i f e b e n M o m e n t e a l s r e e l l e , die noematifchen als n i c b t r e e l l e E r l e b n i s m o m e n t e . Wir gebrauchten im vorigen Kapitel bei der Einführung des Unterfchiedes zwifchen Noetifchem und Noematifchem die Rede von r e e l l e r und i n t e n t i o n a l e r flnalyfe. Knüpfen wir hier an. Ein phänomenologifch reines Erlebnis hat feine reellen Komponenten. Befchränken wir uns der Einfachheit halber auf noetifche Erlebniffe unterfter Stufe, fomit auf iolche, die nicht durch mehrfach übereinander gebaute noetifche Schichten in ihrer Intentionalität komplex find, wie wir dergleichen bei den Denkakten, den Gemüts- und Willensakten konftatierten. Uns diene als Beifpiel etwa eine finnliche Wahrnehmung, die fchlichte Baumwahrnehmung, die wir, foeben in den Garten hinaus-

202

Edmund Huffert,

blickend, haben, wenn wir in einer Einheit des Bewußtfeins diefen Baum dort betrachten, der jetjt ruhig dafteht, dann vom Winde bewegt erfcheint, und der fich auch infofern in fehr verfcbiedenen Erfcheinungsweifen darbietet, als wir während unferer (tetigen Betrachtung unfere räumliche Stellung zu ihm weAfeln, etwa ans Fenfter herantretend, oder bloß die Kopf· oder fiugenftellung ver« ändernd, zugleich etwa die Akkomodation entfpannend und wieder anfpannend ufw. Die Einheit e i n e r Wahrnehmung kann in diefer Ort eine große Mannigfaltigkeit von Modifikationen in fich befaffen, die wir, als natürlich eingeftellte Betrachter, bald dem wirklichen Objekte als f e i n e Veränderungen zufchreiben, bald einem realen und wirklichen Verhältnis zu unferer realen pfychophyüfchen Subjektivität, und endlich diefer felbft. Es gilt jetjt aber zu be» fchreiben, was davon als phänomenologifches Refiduum verbleibt, wenn wir auf die »reine Immanenz« reduzieren, und w a s d a b e i als r e e l l e s B e f t a n d f t ü c k des r e i n e n Erlebniffes g e l t e n d ü r f e , und was nicht. Und da heißt es fich völlig klarmachen, daß zwar zum Wefen des Wahrnehmungserlebniffes in fich felbft der »wahrgenommene Baum als folcher« gehört, bzw. das volle Noema, das durch die Husfchaltung der Wirklichkeit des Baumes felbft und der ganzen Welt nicht berührt wird; daß aber andererfeits diefes N o e m a mit feinem »Baum« in Anführungszeichen e b e n f o w e n i g i n d e r W a h r n e h m u n g r e e l l e n t halten ift, wie der Baum der Wirklichkeit. Was finden wir reell in ihr als purem Erlebnis, in ihr fo enthalten, wie im Ganzen feine Teile, feine Stücke und unabftückbaren Momente? Wir haben folche echten, reellen Beftandteile fchon gelegentlich hervorgehoben unter den Titeln f t o f f l i c h e r und n o e t i f c h e r Beftandteile. Kontraftieren wir fie mit den noematifchen Beftänden. Die Farbe des Baumftammes, rein als die wahrnehmungsmäßig bewußte, ift genau »diefelbe« wie diejenige, die wir vor der phänomenologifchen Reduktion als die des wirklichen Baumes nahmen (mindeftens als »natürlid>e« Menichen und vor dem Einmengen phyfikalifcher Kenntniffe). D i e f e Farbe nun, in die Klammer gefetjt, gehört zum Noema. Nicht aber gehört fie als reelles Beftandftück zum Wahrnehmungserlebnis, obfehon wir auch in ihm »fo etwas wie Farbe« finden: nämlich die »Empfindungsfarbe«, das hyletifche Moment des konkreten Erlebniffes, in welchem fich die noematifche, bzw. »objektive« Farbe »abfdiattet«. Dabei fchattet fich aber die eine und felbe noematifche Farbe, die alfo in der kontinuierlichen Einheit eines wandelbaren Wahr-

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenoL PWlofopbie· 203 nebmungsbewußtfeins a t s eine identifcbe, in fleh unveränderte be« wußt ift, in einer kontinuierlichen Mannigfaltigheit von Empfindungs· färben ab. Wir feben einen der Farbe nad> — feiner, der Baum· färbe nach — unveränderten Baum, während die Hugenftellungen, die relativen Orientierungen vielfach wechfeln, der Blick unaufhörlich über den Stamm, die Zweige wandert, während wir zugleich näher herantreten und fo in verfchiedener Weife das Wahrnehmungserlebnis in Fluß bringen. Vollziehen wir die Empfindungsreflexion, die auf die Rbfchattungen: fo erfaffen wir fie als evidente Gegebenheiten, und in vollkommener Evidenz können wir, in der Einteilung und Rufmerkfamkeitsrichtung abwechfelnd, fie und die entfprechenden gegenftändlichen Momente auch in Beziehung fetjen, fie als entfprechende erkennen und dabei auch ohne weiteres fehen, daß ζ. B. die zu irgendeiner fixierten Dingfarbe gehörigen Fib· fchattungsfarben üch verhalten wie »Einheit« zu kontinuierlicher » Mannigfaltigkeit«. Wir gewinnen fogar, im Vollzuge der phänomenologifchen Reduktion, die generelle Wefenseinficht, daß der Gegenftand Baum in einer Wahrnehmung ü b e r h a u p t als o b j e k t i v fo beftimmter, wie er in ihr erfcheint, n u r d a n n erfcheinen kann, wenn die hytetifcben Momente (oder falls es eine kontinuierliche Wahrnehmung»reibe ift - wenn die kontinuierlichen hyletifchen Wandlungen) gerade die find und keine anderen. Darin liegt alfo, daß jede Änderung des hyletifchen Gehaltes der Wahrnehmung, wenn fie nicht geradezu das Wahrnehmungsbewußtfein aufbebt, zum mindeften den Erfolg haben muß, daß das Ericheinende zu einem objektiv »anderen« wird, fei es in fich felbft, fei es in der zu feiner Erfcheinung gehörigen Weife der Orientierung u. dgl. Mit alledem ift auch abfolut zweifellos, daß hier »Einheit« und »Mannigfaltigkeit« t o t a l v e r f c h i e d e n e n D i m e n f i o n e n angehören , und zwar gehört a l l e s H y l e t i f c h e in das konkrete Erlebnis als r e e l l e s Beftandftück, dagegen das fich in ihm als Mannigfaltigem »Darftellende«, »flbfchattende« ins N o e m a . Die Stoffe aber find, fagten wir fchon früher, »befeelt« von noetifchen Momenten, fie erfahren (während das Ith nicht ihnen, fondern dem Gegenftande zugewendet ift) »Huffaffungen«, »Sinngebungen«, die wir in der Reflexion eben an und mit den Stoffen erfaffen. Es ergibt fich in Hinficht darauf fogleich: nicht nur die hyletifchen Momente (die Empfindungsfarben, «töne ufw.), fondern auch die fie befeelenden Huffaffungen — alfo b e i d e s i n e i n s : auch das E r f c h e i n e n von der Farbe, dem Tone und fo jedweder

204

Edmund Huffert,

Qualität des Gegenftandes — gehört z u m »reellen« Beftande d e s Erlebniffes. Es gilt nun überhaupt: In ficf> felbft ift die Wahrnehmung Wahrnehmung von i h r e m Gegenftande, und jeder Komponente, die die »objektiv« gerichtete B e i t r e i b u n g an dem Gegenftande heraushebt, entfpricht eine reelle Komponente der Wahrnehmung: aber w o h l g e m e r k t , nur foweit die B e i t r e i b u n g Od» getreu an den Gegenftand hält, ί ο w i e er in d i e f e r Wahrnehmung felbft »da« fteht«. All diefe noetifchen Komponenten können w i r auch nur fo bezeichnen , daß w i r auf das noematifcbe Objekt und feine Momente rekurrieren; alio etwa fagen: Bewußtfein, näher Wahrnehmungsbewußtfein v o n einem Baumftamme, von der Farbe des Stammes ufw. flndererfeits zeigte doch untere Überlegung, daß die reelle Erlebniseinheit von hyletifchen und noetifchen Beftandftücken eine total andere ift als die »in ihr bewußte« der Beftandftücke des Noema; und wieder als die Einheit, die all jene reellen Erlebnisbeftände mit dem vereinigt, w a s als Noema durch fie und in ihnen z u m Bewußtfein kommt. Das »auf Grund« der ftofflichen Erlebniffe »durch« die noetifchen Funktionen » t r a n f z e n d e n t a l Kon« f t i t u i e r t e « ift z w a r ein »Gegebenes« und, wenn w i r in reiner Intuition das Erlebnis und fein noematifch Bewußtes treulich be· fchreiben, ein e v i d e n t Gegebenes; aber es gehört eben in eioem völlig anderen Sinne dem Erlebnis an, als die reellen und fomit eigentlichen Konftituentien desfelben. Die Bezeichnung der phänomenologifchen Reduktion und im gleichen der reinen Ertebnisfphäre als »tranfzendentaler« beruht gerade darauf, daß w i r in diefer Reduktion eine abfolute Sphäre von Stoffen und noetifchen Formen finden, z u deren beftimmt gearteten Verflechtungen n a c h i m m a n e n t e r W e f e n s n o t w e n d i g k e i t diefes wunderbare Bewußthaben eines fo und fo gegebenen Beftimmten oder Beftimmbaren gehört, das dem Bewußtfein felbft ein Gegenüber, ein prinzipiell Anderes, Irreelles, Trans· fzendentes ift, und daß hier die Urquelle ift f ü r die einzig denkbare Löfung der tiefiten Erkenntnisprobleme, welche Wefen und Möglichkeit objektiv gültiger Erkenntnis von Tranfzendentem betreffen. Die »tranfzendentate« Reduktion übt εποχή binfichtlich der Wirklichkeit: aber z u dem, was fie von diefer übrig behält, gehören die Noemen mit der in ihnen felbft liegenden noematifchen Einheit, und damit die Hrt, wie Reales im Bewußtfein felbft eben bewußt und fpeziell gegeben ift. Die Erkenntnis, daß es Üd> hier durchaus um e i d e t i f d > e , alfo unbedingt notwendige Zufammen-

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofopbie.

205

hänge handelt, eröffnet für die Forfdmng ein großes Feld, das der Wefensbeziehungen zwifchen Noetifchem und Noematifchem, zwifchen Bewußtieinserlebnis und Bewußtfeinskorrelat. Der letjtere Wefenstitel fchließt aber ein: Bewußtieinsgegenftändlichkeit als folche und zugleid) die Formen des noematifchen Wie der Gemeintheit, bzw. Gegebenheit. In unterer Beifpielsfphäre erwächft zunächft die allgemeine Evidenz, daß Wahrnehmung nicht ein leeres Gegen· wärtighaben des Gegenstandes ift, fondern daß es (»a priori«) zum eigenen Wefen der Wahrnehmung gehört, »ihren« Gegenstand zu haben und ihn als Einheit eines g e w i f f e n noematifchen Beftandes zu haben, der für andere Wahrnehmungen vom »felben« Gegen· ftande immer wieder ein anderer, aber immer ein wefensmäßig vorgezeichneter ift; bzw. daß es zum Wefen des jeweiligen, objektiv fo und fo beftimmten Gegenftandes gehört, gerade in Wahrnehmungen folcher defkriptiven Artung noematifcher zu fein und nur in ihnen es fein zu können ufw. §93.

S e i n s w e i f e des Noema. F o r m e n l e h r e der Noefen. F o r m e n l e h r e der Noemata.

Es bedarf aber noch wien Inhalte, etwa die abfdbattenden Farbeninhalte, im Wahrnehmungserlebnis ebenfo vorhanden find, wie fie es im analyfierenden Erlebnis find. Dort waren fie, um nur eines zu erwähnen, enthalten als reelle Momente, aber üe waren darin nicht wahrgenommen, nicht gegenftändlich erfaßt. Im analyfierenden Erlebnis find fie aber gegenftändlich, Zielpunkte noetifcher Funktionen, die früher nicht vorhanden waren. Obfcbon diefe Stoffe nod) weiter mit ihren Darftellungsfunktionen behaftet find, fo haben doch auch diefe eine weientlicbe Veränderung (freilich eine folche von anderer Dimenfion) erfahren. Das wird fpäter nod) befprochen werden. Offenbar kommt diefer Unterfchied für die phänomeno» logifcfoe Methode wefentlich in Betracht. Nach diefer Bemerkung lenken wir unfere Hufmerkfamkeit auf folgehde zu unferem befonderen Thema gehörigen Punkte. Zu=

206

Edmund Hufferl,

näcbft, jedes Erlebnis ift ίο geartet, daß die prinzipielle Möglichkeit beftebt, ihm und feinen reellen Komponenten den Blick zuzuwenden und ebenio in der Gegenrichtung dem Noema, etwa dem gefebenen Baum als folcbem. Das in diefer Blickftellung Gegebene ift nun zwar felbft, logifch gefprocben, ein Gegenftand, aber ein durchaus u n · f e l b f t ä n d i g e r . Sein e s s e beftebt ausschließlich in feinem » p e r c i p i « — nur daß diefer Sat) nichts weniger als im Berkeleyfchen Sinne gilt, da das percipi das esse hier ja nicht als reelles Beftandftück enthält. Das überträgt fleh natürlich in die eidetifche Betrachtungsweife: das Eidos des Noema weift auf das Eidos des noetifchen Bewußt· feins hin, beide gehören e i d e t i f c h zufammen. Das Intentionale als folches ift, was es ift, als Intentionales des fo und fo g e a r t e · t e n Bewußtfeins, das Bewußtfein von ihm ift. Trot) diefer Unfelbftändigkeit läßt fleh aber das Noema für fich betrachten, mit anderen Noemen vergleichen, nach feinen möglichen Umgeftaltungen etfotfeben ufw. Man kann eine a l l g e m e i n e u n d reine F o r m e n l e h r e d e r N o e m a t a entwerfen, welcher k o r r e l a t i v gegenüberftehen würde eine allgemeine und nicht minder reine F o r m e n l e h r e d e r k o n k r e t e n n o e t i f c h e n E r l e b n i f f e mit ihren h y l e t i f c h e n und f p e z i f i f c h n o e t i f c h e n Komponenten. Natürlich würden fich diefe beiden Formenlehren k e i n e s « w e g s fozufagen wie S p i e g e l b i l d e r zueinander verhalten oder wie durch eine bloße Vorzeichenänderung ineinander übergehen; etwa fo, daß wir jedem Noema Ν fubftituierten »Bewußtfein von N«. Das gebt ja febon aus dem hervor, was wir oben in HinQcht auf die Zufammengebörigkeit von einheitlichen Qualitäten im Ding· n o e m a und ihren hyletifchen fibfchattungsmannigfaltigkeiten in den möglichen Dingwabrnebmungen ausgeführt haben. Es möchte nun fcheinen, daß dasfelbe auch hinfichtlich der fpezififch n o e t i f c h e n Momente gelten müffe. Man könnte insbefondere auf diejenigen Momente hinweifen, welche es machen, daß eine komplexe Mannigfaltigkeit byletifcher Daten, etwa Farben· daten, Taftdaten ufw., die Funktion einer mannigfaltigen flbfehattung eines und desfelben objektiven Dinges gewinnt. Es braucht ja nur daran erinnert zu werden, daß in den Stoffen felbft, ihrem Wefen nach, die Beziehung auf die objektive Einheit nicht eindeutig vor· gezeichnet ift, vielmehr derfelbe ftoffliche Komplex mehrfache, diskret ineinander überfpringende ftuffaffungen erfahren kann, denen gemäß v e r f c h i e d e n e Gegenftändtichkeitenbewußt werden. Wird

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. phBnomenoL Pbltofdpbie. 207 es damit nicht fcbon klar, daß in d e n b e f e e l e n d e n fiuffaff a n g e n f e l b f t als Erlebnismomenten w e f e n t l i c h e U n t e r · f c h i e d e liegen und fich mit den Rbfchattungen, denen fie folgen, und durch deren Befeelung fie »Sinn« konftituieren, differenzieren? Somit möchte man den Schluß ziehen: Ein P a r a l l e l i s m u s zwifchen Noefis und Noema ift zwar vorhanden, aber fo, daß die Gestaltungen b e i d e r f e i t s und in ihrem wefensmäßigen Sich-ent· Sprechen befchrieben werden müffen. Das Noematifche fei das Feld der Einheiten, das Noetifche das der »konfluierenden-« Mannigfaltigkeiten. Das Mannigfaltiges »funktionell« einigende und zu« gleich Einheit konftituierende Bewußtfein zeigt in der Tat n i e m a l s Identität, wo im noematifchen Korrelat Identität des »Gegenftandes« gegeben ift. Wo ζ. B. verfchiedene Hbfchnitte eines dauernden, Dingeinheit konftituierenden Wahrnehmens ein Identifches, diefen einen, im Sinne diefes Wabrnebtnens unveränderten Baum zeigen — Geh jetjt in diefer Orientierung gebend, dann in jener, jeijt von der Vorderfeite, dann von der Rückfeite, hinfichtlich der vifuell erfaßten BefchafFenheiten irgendeiner Stelle zuerft undeutlich und unbestimmt, dann deutlich und beftimmt u. dgl. — da ift der im Noema vorfindliche Oegenftand bewußt als ein identifcher im wörtlichen Sinne, das Bewußtfein von ihm ift aber in den verfchiedenen HbSchnitten feiner immanenten Dauer ein nichtidentifches, ein nur verbundenes, kontinuierlich einiges. Wieviel Richtiges in alledem auch gefagt ift, fo find die gezogenen Schliiffe doch nicht ganz korrekt, wie denn überhaupt in diefen diffizilen Fragen die größte Vorficht geboten ift. Die hier beftehenden Parallelismen — und es find deren m e h r e r e , die fich nur zu leicht durcheinandermengen — find mit großen und noch fehr klärungsbedürftigen Schwierigkeiten behaftet. Sorgfam im Rüge behalten müffen wir den Unterfchied zwifchen konkreten noetifchen Erlebniffen, den Erlebniffen mitfamt ihren hyletifchen Momenten, und den puren Noefen, als bloßen Komplexen noetifcher Momente. Wieder müffen wir unterfchieden erhalten: das volle Noema und ζ. B. im Falle der Wahrnehmung den »erfd>einenden Gegenftand als folchen«. Nehmen wir dielen »Gegenftand« und all feine gegenständlichen »Prädikate« - die noematifchen Modifikationen der in der normalen Wahrnehmung fchlechthin als wirklich gefegten Prädikate des wahrgenommenen Dinges — fo ift er und find diefe Prädikate freilich Einheiten gegenüber Mannigfaltigkeiten konstituierender Bewußtfeinserlebniffe (konkreter Noefen). Aber fie find auch Einheiten von n o e m a t i f c h e n Mannigfaltigkeiten. Wir er-

208

Edmund Huff erI,

kennen das, fobald wir die noematifAen Chatakteriflerungen des noematifcben »Gegenstandes« (und feiner »Prädikate«), die wir bisher arg vernaAläffigten, in den Kreis der Beaeinende Farbe eine Einheit gegenüber n o · e t i f d ) e n Mannigfaltigkeiten und fpezielt von folAen noetifAer HuffafTungsAaraktere. Nähere Unterfuchung zeigt aber, daß allen Wandlungen diefer Charaktere, wenn auch nicht in der »Farbe felbft«, die da immerfort erfcheint, fo doch in ihrer wed>felnden »Ge· gebenheitsweife«, ζ. B. in ihret erfAeinenden »Orientierung zu mir« n o e m a t i f c h e Parallelen entfprechen. So fpiegeln Och denn über· haupt in noematifen »Chatakteriflerungen« noetifche. W i e das der Fall ift, das wird nun, und niAt bloß für die hier exemplarisch bevorzugte Wahrnehmungsfphäre, ein Thema umfallender Hnalyfen fein müffen. Wir werden die verfAiedenen Bewußtfeinsarten mit ihren vielfältigen noetifchen Charakteren der Reihe nach analyfleren und fle nach den noetifA-noematifAen Parallelen durAforfAen. Einprägen müffen wir uns aber im voraus, daß der P a r a l l e · l i s m u s zwifchen der E i n h e i t d e s n o e m a t i f A fo u n d fo » v e r m e i n t e n « G e g e n f t a n d e s , des Gegenftandes im »Sinne«, und der k o n f t i t u i e r e n d e n B e w u ß t i e i n s g e f t a l t u n g e n (»ordo et connexio return - ordo et connexio idearum«) nicht v e r w e c h f e l t w e r d e n d a r f m i t dem P a r a l l e l i s m u s von N o e f i s u n d N o e m a , insbefondere verftanden als Parallelismus noetifcher und entfpred>ender noematifd)er Charaktere. Diefem lectern Parallelismus gelten die jetjt folgenden Betracb· tungen. §99. D e r n o e m a t i f c f o e K e r n u n d f e i n e C h a r a k t e r e in d e r S p h ä r e d e r G e g e n w ä r t i g u n g e n und V e r g e g e n w ä r t i g u n g e n .

Es ift alfo untere Aufgabe, den Kreis deffen, was in den beiden parallelen Reihen noetifAer und noematifAer Vorkommniffe aufgewiefen worden ift, erheblich zu erweitern, um das volle Noema und die volle Noefe zu erreichen. Was wir bisher vorzüglich im Huge hatten, freilich no Α ohne Ahnung, welAe großen Probleme darin befAloffen find, ift eben nur ein zentraler Kern und dazu nicht einmal ein eindeutig begrenzter. Wir erinnern zunäAft an jenen »gegenftändliAen Sinn«, der fid> uns oben 1 durA VergleiAung von Noemen verfAieden a r t i g e r 1) VgL oben § 91, S. 188 f.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbitofopbie.

209

Vorftellungen, von W a h r n e h m u n g e n , Erinnerungen,' Bildvorfteüungen u. dgl. e r g a b , als ein mit lauter objektiven Ausdrücken zu Befcbreibendes und fogar wedbfelfeitig mit identifeben in d e m günftig gewählten Grenzfalle, daß ein völlig gleicher, gleich o r i e n t i e r t e r , jeder Hinficbt gleich aufgefaßter Oegenftand, wahrnehmungsmäßig,

erinnerungsmäßig,

Gegenüber d e m identifeben

ζ. B . ein B a u m ,

bildmäßig

»erfebeinenden B a u m

ufw.

in lieh

daritellt.

als foleben«

mit

dem identifeben »objektiven« Wie des Ericbeinens verbleiben die von Hnfcbauungsart zu

finfebauungsart

und nad) fonftiger Vorftellungs=

art wecbfelnden Unterfcbiedc der G e g e b e η b e i t s w e i f e . Jenes Identifdie ift einmal » o r i g i n ä r « Mal

»erinnerungsmäßig

mäßig«

ufw.

Damit

»erfebeinenden

aber

Baum

bewußt, bezeichnen als

bewußt,

dann

das andere

wieder

»bi ld-

iieb C h a r a k t e r e

foleben«,

vorfindlich

am

in

der

Blickrichtung auf das noematifebe Κοι-relat und nicht in derjenigen auf das Erlebnis und feinen reellen Beitand. nicht

»Weiten

des

Bewußtfeins«

m e n t e aus, fondern W e i f e n ,

in d e n e n

und

fits

als

folcbes

fich gibt,

E s drücken fich damit

im Sinne noetifeber Modas B e w u ß t e

felbft

Charaktere a m fozufagen »Ide-

ellen« find fie felbft »ideell« und nicht reell. Bei g e n a u e r e r

Onalyfe m e r k t m a n ,

nannten Charaktere nicht e i n e r

daß die cxemplarifcb

Einerfeits haben wir die lchlichte r e p r o d u k t i v e die fdrticbte Wefen, ren

Vergegenwärtigung,

die

fich i n

Die

Vergegenwärtigung

weift

Modifikation,

ihrem

merkwürdig g e n u g , als M o d i f i k a t i o n

gibt.

ge-

Reibe angehören.

zurück

eigenen

eines auf

ande-

Wahrneh-

m u n g in ihrem eigenen pbänomenologifeben Wefen: ζ. B. das Sid>erinnern an Vergangenes impliziert, wie wir febon f r ü h e r bemerkt haben, das » W a b r g e n o m m e n b a b e n « ;

alio in gewiffer Weife ift die

»entfprecbende« W a h r n e h m u n g (Wahrnehmung

von demfelben Sin»

neskern) in der E r i n n e r u n g bewußt, a b e r doch nicht wirklich in ihr enthalten. fikation

Die E r i n n e r u n g ift eben in i h r e m eigenen Wefen »Modi-

von« W a h r n e h m u n g .

Korrelativ

gibt fich das als ver-

gangen Charakterifierte in fl felbft als »gegenwärtig gewefen«, alfo als eine Modifikation des »gegenwärtig«, welches als Unmodifiziertes eben

das

»originär«,

das

»leibhaftig gegenwärtig«

der

Wahrneh-

mung ift. findererfeits anderen »Bilde«.

gehört die v e r b i l d l i c h e n d e

Modifikationsreibe

an.

Sie

Modifikation einer

vergegenwärtigt

»in«

einem

Das Bild kann aber ein originär Ericbeinendcs fein, ζ, B .

das »gemalte« Bild (nicht e t w a das D i n g Gemälde, dasjenige, von 14

210

Edmund Hufferl,

dem es ζ. Β. heißt, daß es an der Wand hängt 1 ), welches wir perzep· tiv erfaffen. Das Bild kann aber auch ein reproduktiv Erfcheinen· des fein, wie wenn wir in der Erinnerung oder freien Phantafie Bildvorfteltungen haben. Zugleich beobachtet man, daß die Charaktere dieter neuen Reihe nicht nur auf die der erften zurückbezogen find, fondern auch Komplexionen vorausfetjen. Letzteres mit Rückficht auf die zum Wefen des Bewußtfeins noematifch gehörige Unterfcheidung zwifchen »Bild« und »Abgebildetem«. Man fieht daran auch, daß hier das Noema je ein P a a r aufeinander weifender, obfd>on zu verfchiedenen Vor« ftellungsobjekten als folchen gehöriger Charaktere in fich birgt. Endlich einen nahe verwandten und doch neuen Typus von modifizierenden noematifchen Charakteren (denen, wie überall, parallele noetifehe entfprechen) bieten uns die Z e i c h e n v o r » f t e l l u n g e n mit dem analogen Gegenüber von Ζ e i c h e η und B e z e i c h n e t e m ; wobei alfo wieder Vorftellungskomplexe und, als Korrelate ihrer eigentümlichen Einheit als Zeichenvorftellungen, P a a r e von noematifch zufammengehörigen Charakteriiierungen an noematifchen Objektpaaren auftreten. Man bemerkt auch, daß wie das »Bild« in fich, gemäß feinem Sinne als Bild, fich als Modifikation v o n etwas gibt, was ohne diefe Modifikation eben als leibhaftes oder vergegenwärtigtes Selbft daftände, genau fc das »Zeichen« aber in feiner Wejfe ebenfalls als Modifikation von etwas. §100.

W e ft· η s g e (e t z l i cb e S t u f e n b i l d u n g e n V o r f t e l l u n g e n in N o e f i s u n d N o e m a .

der

Alle bisher behandelten Typen von Vorftellungsmodifikationen find immer neuer Stufenbildung zugänglich, derart, daß fich die Intentionalitäten in Noefis und Noema f t u f e n a r t i g aufeinander« bauen oder vielmehr in einer einzigartigen Weife i n e i n a n d e r · f cha d> t e I n . Es gibt fchlichte V e r g e g e n w ä r t i g u n g e n , fchlichte Modifikationen von Wahrnehmungen. Es gibt aber auch V e r g e g e n w ä r t i g u n g e n z w e i t e r , d r i t t e r u n d w e f e n s m ä ß i g von b e l i e b i g e r S t u f e . His Beifpiel können uns Erinnerungen »in« Erinnerungen dienen. In dec Erinnerung lebend »vollziehen« wir einen Erlebniszufammenhang im Modus der Vergegenwärtigung. Davon überzeugen wir uns dadurch, daß wir »in« der Erinnerung reflektieren (was feinerfeits eine Vergegenwärtigungsmodifikation 1) Vgl. Uber diefen Unterfdried weiter unten § 111, S. 226.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. phlnomenol. Pbilofopbie.

211

eines originären Reflektierens ift), und dann finden wir den Er· lebniszufammenbang charaktertfiert als erinnerungsmäßiges »erlebt gewefen«. Unter den fo charakterifierten Erlebniffen, mögen wir auf fie reflektieren oder nicht. können nun felbft Erinnerungen auftreten, cbarakterifiert als »erlebt gewefene Erinnerungen«, und der Blick kann durch fie hindurch auf das Erinnerte zweiter Stufe ge· richtet (ein. In dem fekundär modifizierten Erlebniszufammenhange können abermals Erinnerungen auftreten, una ίο idealiter in inf. Eine bloße Vorzeichenänderung (deren Eigenart wir noch verlieben lernen werden) überfetjt alle dieie Vorkommniife in den Typus f r e i e P h a n t a f i e , es ergeben lieh PhantaDen in Phantafien, und fo in beliebiger Schachtelungsftufe. Desgleichen dann weiter M i i c h u n g e n . Nicht nur, daß jede Vergegenwärtigung ihrem Weien nach hinfichtlid> ihrer nächft unteren Stufe Vergegenwärtigungsmodifikationen von W a h r n e h m u n g e n in fich birgt, die durch die wunderbare Reflexion in der Vergegenwärtigung in den erfaffendjen Blick treten; wir können in der Einheit eines Vergegenwärtigungsohänomens n e b e n Vergegenwärtigungen von Wahrnehmungen zugleich folche von Erinnerungen, Erwartungen, Phantafien ufw. finden, wobei die betreffenden Vergegenwärtigungen felbft vort jedem die (er Typen fein können. Und all das in verfchiedenen Stufen. Das gilt auch von den komplexen Typen a b b i l d l i c h e Vor» ftellung und Z e i d b e n v o r f t e l l u n g . Nehmen wir ein Beifpiel mit fehr verwickelten und doch leicht verständlichen Vorftellungsbildungen aus Vorftellungen höherer Stufe. Ein Name erinnert uns nennend an die Dresdner Galerie und an unferen legten Befuch derfelben: wir wandeln durch die Säle, ftehen vor einem Teniersfcben .Bilde, das eine Bildergalerie darftellt. Nehmen wir etwa hinzu, Bilder der letzteren würden wieder Bilder darftellen, die ibrerfeits lesbare Infchriften darfteilten ufw., fo ermeffen wir, welches Ineinander von Vorftellungen und welche Mittelbarkeiten binfichtlich der erfaßbaren Gegenftändlichkeiten wirklich bestellbar find. Als Exempel f f i r W e f e n s e i n f i c h t e n , insbefondere für die Einfidbt in die ideale Möglichkeit beliebiger Fortführung der Ineinanderfchachtelungen bedarf es fo febr komplizierter Falte aber nicht. § 101. S t u f e n c b a r a k t e r i f t i k e n . V e r f c b i e d e n a r t i g e »Reflexionen«.

In allen derartigen Stufengebilden, die in ihren Gliederungen iterierte Vergegenwärtigungsmodifikationen enthalten, konftituieren

212

Edmund Hufferl,

OA offenbar Ν ο e m e n e n t f p r e c h e n d e r S t u f e n b i l d u n g . Im Hbbildungsbewußtfein zweiter Stufe ift ein »Bild« an iich felbft als Bild zweiter Stufe, als Bild eines Bildes diarakterifiert. Erinnern wir uns, wie wir geftern uns eines Jugenderlebniffes erinnerten, fo hat das Noema »Jugenderlebnis« an fich felbft eine Cbarakterifierung als Erinnertes zweiter Stufe. So überall: Jeder noematifcben Stufe gebort eine S t u f e n c h a r a k t e r i f t i k zu, als eine Ort Index, mit dem jedes Cbarakterifierte fich als zu feiner Stufe gehörig bekundet — mag es übrigens primäres oder in irgendeiner reflektiven Blickrichtung gelegenes Objekt fein. Denn zu j e d e r S t u f e g e h ö r e n ja m ö g l i c h e R e f l e x i o n e n in i h r , ίο ζ. B. binfichtlich der in der zweiten Erinnerungsftufe erinnerten Dinge Reflexionen auf die derfelben Stufe angehörigen (alfo in zweiter Stufe vergegenwärtigten) Wahrnehmungen von eben diefen Dingen. Ferner: Jede noematifche Stufe ift »Vorftellung« »von« den Gegebenheiten der folgenden. » V o r f t e l l u n g « befagt hier aber nicht Vorftellungserlebnis, und das »von« drückt hier nicht die Beziehung von Bewußtfein und Bewußtfeinsobjekt aus. Es lit gleichfam eine n o e m a t i f c h e I n t e n t i o n a l i t ä t g e g e n ü b e r d e r n o e t i f c h e n . Die letztere trägt die erftere als Bewußtfeinskorrelat in fich, und ihre Intentionalität gebt in gewiffer Weife durch die Linie der noematifcben hindurch. Das wird deutlicher, wenn wir einen aufmerkenden Ichblick auf das Bewußtfeinsgegenftändliche gerichtet fein laffen. Diefer geht dann d u r c h die Noemen der Stufenfolge hindurch — bis zum O b j e k t d e r l e t z t e n , durch welches er nicht hindurchgeht, fondem das er fixiert. Der Blick kann aber auch v o n S t u f e z u S t u f e wandern, und ftatt durch fie alle hindurch vielmehr auf die Gegebenheiten einer jeden fixierend gerichtet werden, und das entweder in » g e r a d e r « B l i c k r i c h t u n g oder in r e f l e k tierender. Im obigen Beifpiele: Der Blick kann in der Stufe Dresdner Galerie bleiben: wir gehen »in der Erinnerung« in Dresden und der Galerie fpazieren. Wir können dann, wieder innerhalb der Etinnerung, in der Bilderbetrachtung leben und befinden uns nun in den Bildwelten. Dann im Bildbewußtfein zweiter Stufe der gemalten Bildergalerie zugewendet, betrachten wir die gemalten Bilder derfelben; oder wir reflektieren ftufenweife auf die Noefen ufw. Diefe Mannigfaltigkeit der möglichen Blickrichtungen gehört wefetrtUch zur Mannigfaltigkeit aufeinander bezogener und iriein-

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofopbie.

213

ander fundierter Intentionati täten, und wo immer wir analoge Fundierungen finden - und im folgenden werden wir nod) manche ganz andersartige kennen lernen - (teilen fieb analoge Μ ö g l i d) · k e i t e n w e c h f e i n d e r R e f l e x i o n heraus. Es braucht nicht gefagt zu werden, wie febr diefe Verbältniife wiffenicbaftlicb eingebender Wefenserforfcbung bedürfen. §102.

Ü b e r g a n g zu n e u e n D i m e n f i o n e n Cbarakterifierungen.

Hinficbtlicb a l l der eigenartigen Cbarakterifierungen, die uns in dem vielgeftaltigen Gebiete der Modifikation durch Vergegenwärtigung begegnet find, m u f f e n wir offenbar und aus dem fd>on angegebenen Grunde zwifchen Noetifcbem und Noematifcbem unterfebeiden. Die noematifeben »Gegenftände« - das Bildobjekt oder abgebildete Objekt, das als Zeichen fungierende und das bezeichnete, unter H b f e b u n g von den ihnen zugehörigen Cbarakterifierungen »Bild für«, »abgebildet«, »Zeichen für«, »bezeichnet« — find evidenterweife im Erlebnis bewußte aber ihm tranfzendente Einheiten. Ift dem aber fo, dann können Charaktere, die a n ihnen bewußtfeinsmäßig auftreten und in der Blickeinftellung auf fie als i h r e Eigenheiten erfaßt werden, unmöglich als reelle Erlebnismomente angefeben werden. Wie beides, das, was reeller Erlebnisbeftand ift, und das, was in ihm als Nicbtreelles bewußt ift, zueinander fteben, mag noch fo febwierige Probleme mit fieb führen, die Scheidung müffen wir überall machen, und zwar fowobl hinficbtlicb des noematifeben Kerns, des »intentionalen Gegenftandes als fo leben« (und genommen in feiner »objektiven« Gegebenbeitsweife), der als jeweiliger Träger der noematifeben »Charaktere« auftritt, als aud) hinficbtlicb der Charaktere felbft. Solcher immer am noematifeben Kern haftenden Charaktere gibt es aber noch ganz andere, und der Orten, wie fie ihm zugebören, febr verfebiedene. Sie ordnen fieb g r u n d v e r f e b i e d e n e n G a t t u n g e n ein, fozufagen grundverfebiedenen D i m e n f i o n e n der Cbarakterifierung. Dabei fei von vornherein darauf bingewiefen, daß a l l e hier anzudeutenden oder febon angedeuteten Charaktere (lauter Titel für notwendige analytifeb-defkriptive Forfebungen) v o n u n i v e r f e l l e r p b ä n o m e n o l o g i f e b e r T r a g w e i t e find. Wenn wir fie zunächft auch unter Bevorzugung der relativ einfaebft gebauten intentionalen Erlebniffe bebandeln, die ein beftimmter und fundamentaler Begriff von » V o r f t e l l u n g « zufammenfäßt, und die für alle anderen intentionalen Erlebniffe not-

214

Edmund Hufferl,

wendige Unterlagen ausmachen, fo finden ficb diefelben Grundgattungen und Differenzen von Charakteren doch auch bei all diefen fundierten und fomit b e i a l l e n i n t e n t i o n a l e n Ε c l e b η i f f e η überhaupt. Dabei ift die Sachlage die, daß allzeit und notwendig ein noematifcher Kern, ein »Gegenftandsnoema«, bewußt Iii, das irgendwie cbarakterifiert fein m u ß , und zwar nach diefen oder jenen (fich ihrerfeits ausichließenden) Differenzen aus j e d e r Gattung. §103.

GI a u b c n a c b a r a k t e r e u n d

S e i η s d> a r a k t e r e.

Sehen wir uns nun nach neuen Charakteren um, fo werden wir zunächft darauf aufmerkfam, daß fich mit den vorhin behandelten Gruppen von Charakteren die offenbar total andersartigen S e i n s » C h a r a k t e r e verbinden. Noetifche, auf Seinsmodi korrelativ bezügliche Charaktere — »doxifche« oder » G l a u b e n s c h a r a k t e c e « - find bei den anfchaulichen Vorftellungen ζ. Β der in der normalen Wahrnehmung als »Gewährung« reell befchloffene Wahrnehmungsglaube und, des näheren, etwa die Wahrnehmungsgewißheit; ihr entfpricht als noematifches Korrelat am erfcheinenden »Objekt« der Seinscharakter, der des » w i r k l i c h « . Denfelben noetifchen, bzw. noematifchen Charakter' zeigt die »gewilfe« Wiedervergegenwärtigung, die » f i c h e r e « Erinnerung jeder Hrt an Gewefenes, an jetjt Seiendes, an künftig fein Werdendes (fo in der vorerinnernden Erwartung). Es find S e i n s - » f e t ) e n d e « Akte, » t h e t i f c b e « . Doch ift bei diefem Ausdrucke zu achten, daß, wenn er auch auf einen Rktus, auf eine Stellungnahme in einem befonderen Sinne, bin weift, eben dies außer Betracht bleiben foil. Das wahrnehmungsmäßig oder erinnerungsmäßig Erfcheinende hatte in der bisher betrachteten Sphäre den Charakter des »wirklich? feienden fdblechthin - des »gewiß« feienden, wie wir im Kontraft zu anderen Seinscharakteren auch fagen. Denn diefer Charakter kann fich modifizieren, ev. am felben Phänomen durch aktuelle Modifikationen fich umwandeln. Die Weife des » g e w i f f e n « G l a u b e n s kann übergehen in diejenige bloßer H n m u t u n g oder V e r m u t u n g oder der F r a g e und des Z w e i f e l s ; und jenachdem hat nun das Erfcheinende (und hinfichtlich jener erften Dimenfion von Charakterifierungen als »originär«, »reproduktiv« u. dgl. charakterifiertes) die S e i n s m o d a l i t ä t e n des » m ö g l i c h « , des » w a h r f c h e i n l i c h « , des » f r a g l i c h « , des » z w e i f e l h a f t « angenommen. Zum Beifpiel: ein wahrgenommener Gegenftand fteht zunächft in fchlidbter Selbftverftandlichkeit da, in Gewißheit. Plötzlich werden

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wit zweifelhaft, ob wir nicht einer bloßen »Illufion« zum Opfer gefallen find, ob das Gefehene, Gehörte u.dgl. nicht »bloßer Schein« fei. Oder das Erfcheinende behält feine Seinsgewißheit, aber wir iind hiniichtlicb irgendeines Befchaffenheitskomplexes unlieber. Das Ding »mutet ficb< als Menfch »an«. Dann ftellt fich eine Gegenanmutung ein, es könnte ein bewegter Baum fein, der im Waldesdunkcl ähnlich wie ein fich bewegender Menfch ausfieht. Aber nun wird das »Gewicht« der einen »Möglichkeit« erheblich größer, wir entfebeiden uns für iie etwa in der Weife, daß wir beftimmt vermuten: »es war jedenfalls doch ein Baum«. Ebenfo wechfeln, und noch viel häufiger, die Seinsmodalitäten in der Erinnerung, und zwar fo, daß fie fich in großem Maße rein im Rahmen der Hnfchauungen, bzw. dunkler Vorftellungen etablieren und austaufchen, ohne Mitbeteiligung irgendwelchen »Denkens« im fpezififchen Sinn, ohne »Begriff« und prädikatives Urteil. Man fieht zugleich, daß die zugehörigen Phänomene noch vieler» lei Studien nabelegen, daß noch mancherlei Charaktere hier auftreten (wie das » e n t f e h i e d e n « , die » G e w i c h t e « der Möglichkeiten u. dgl.), und daß insbefondere audi die Frage nach den wefentüchen Unterlagen der jeweiligen Charaktere, nach dem ganzen wefensgefetjlich geregelten Brtu ier Noernen und Nceiert tiefere Unterfuchungen fordert. Uns ift es hier, wie fonft, genug, die P r o b l e m g r u p p e n herausgeftellt zu haben. § 104. D i e d o x i f e f t e n M o d a l i t ä t e n a l s

Modifikationen.

Hiniichtlicb der fpeziell uns befchäftigenden Reihe der Glaubensmodalitäten fei aber noch darauf hingewiefen, daß in ihr wiederum der ausgezeichnete, f p e z i f i f c h i n t e n t i o n a l e S i n n der R e d e v o n M o d i f i k a t i o n zur Geltung kommt, den wir ttns in der flnalyfe der vorigen Reiben von noetifchen, bzw. noematifchen Charakteren deutlich gemacht haben. In der jetjigen Reihe fpielt offenbar die Glaubensgewißheit die Rolle der unmodifizierten, oder, wie wir hier zu fagen hätten, der » u n m o d a l i f i e r t e n « U r f o r m d e r G l a u b e n s w e i f e . Dementiprechend im Korrelat: der S e i n s c h a r a k t e r i c h l e c h t b i n (das noematiiebe »gewiß« oder »wirklich« feiend) fungiert als die U r f o r m a l l e r S e i n s · mo4alitäten. In der Tat haben alle aus ihr entquellenden Seinsdiaraktere, die f p e z i f i f c h fo zu nennenden Seinsmodalitäten, in ihrem eigenen Sinne Rüdtbeziebung auf die Urform. Das »möglich« betagt i n fich f e l b f t fo viel, wie »möglich feiend«, das

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Edmund Hufferl,

»wabrfcbeinlicb«, »zweifelhaft«, »fraglich« fo viel wie »wabrfcfceinlid) feiend«, »zweifelhaft und fraglich feiend«. Die IntentionaHtät der Noefen fpiegelt fich in diefen noematifchen Beziehungen, ttnd man fühlt fich wieder gedrängt, geradezu von einer » n o e m a t i f c h e n I n t e n t i o n a l i t ä t « a l s » P a r a l l e l e « d e r n o e t i f c h e n und eigentlich fo genannten zu fpreeben. Das überträgt fich dann auf die vollen » S ä t j e « , d. i. auf die Einheiten von Sinneskern und Seinscharakter. 1 Es ift übrigens bequem, den Terminus Seinsmodalität für die ganze Reihe diefer Seinscharaktere zu verwenden, alfo auch das unmodifizierte »Sein«, wo immer es a l s G l i e d d i e f e r R e i h e betraditet werden foil, damit zu befaffen; etwa ähnlich wie der flritbmetiker unter dem Namen Zahl ernch die Eins befaßt. In gleichem Sinne verallgemeinern wir den Sinn der Rede von den doxiteben Modalitäten, worunter wir, zudem öfters in bewußter Doppeldeutigkeit, die noetifchen und noematifchen Parallelen zu· fammenfaffen werden. Es ift ferner bei der Bezeichnung des unmodalifierten Seins als »gewiß fein« auf die fiquivokationen des Wortes »gewiß« zu aditen, und nicht nur in der Hinficht, daß es bald das noetifebe, bald das noematifche »gewiß fein« betagt. Es dient ζ. B. auch dazu (und das ift hier fehr beirrend), das Korrelat der Bejahung, das »ja- als Gegenftück zum »nein« und »nicht« auszudrücken. Das muß hier ftreng ausgefchloffen bleiben. Wortbedeutungen ver» fchieben fidi beftändig im Rahmen der logifch-unmittelbaren ftqui* valenz. Untere Sache ift es aber, die Äquivalenzen überall heraus· zuftellen, und was an wefensverfchiedenen Phänomenen hinter den äquivalenten Begriffen liegt, fcharf zu fondern. Glaubensgewißbeit ift Glaube fchlechtbin, in prägnantem Sinne. Sie bat nach unteren flnalyfen in der Tat eine böcbft merkwürdige Sonderftellung in der Mannigfaltigkeit von rikten, die alle unter dem Titel Glaube - oder »Urteil«, wie vielfach aber in feht un· paffender Weife getagt wird - begriffen werden. Es bedarf eines eigenen Ausdrucks, der diefer Sonderftellung Rechnung trägt und iede Erinnerung an die übliche Gleichftellung der Gewißbeit und der anderen Glaubensmodi auslöfcht. Wir führen den Terminus U r g l a u b e oder U r d o x a ein, womit fieb die von uns heraus* geftellte intentionale Rückbezogenheit aller »Glaubensmodalitäten« 1) Näheres über den Begriff des »Satjes« in unferem außerordentlich erweiterten Sinne wird das I.Kapitel des 4. ftbfcbnittes bringen, S. 265 ff.

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angetneffen ausprägt. Wir fügen noch bei, daß wir diefen leiteten ftusdruck (bzw. »doxifche Modalität«) für a l l e im Wefen der Ur· doxa gründenden intentionalen Abwandlungen gebrauchen werden, auch für die in den folgenden An aly ten n e u herauszuftellenden. — Die grundfaUche Lehre, wonach eine Gattung »Glaube« (oder »Urteil«) fich in der Gewißbeit, Vermutung ufw. nur differenziert, als ob es fich dabei um eine Reibe gleichgeordneter Arten handelte (wo immer man die Reibe abbrechen mag), fo wie in der Gattung Sinnesqualität Farbe, Ton ufw. koordinierte Arten find, bedarf für uns kaum noch einer Kritik. Zudem müffen wir es uns hier wie fonft veriagen, den Konfequenzcn unierer pbänomenologifchen Feftftellungen nachzugeben. §105.

Glaubensmodalität

als Glaube,

als. S e i n .

S e i n s m.o d a I i t ä t

Sprechen wir binfichtlich der oben befchriebenen, höchft merk· würdigen Sachlagen von einer Intentionalität, mit welcher die fe» kundären Modi fich auf die Urdoxa zurückbeziehen, fo fordert der Sinn diefer Rede die Möglichkeit einer mehrfachen Blickrichtung von einer Art, welche überhaupt zum Wefen der Intentionalitäten höherer Stufe gehört. Diefe Möglichkeit beftebt in der Tat. Wir können e i n e r f e i t s , ζ. B. im Wabrfcbemlichkeitsbewußtfein (im Vermuten) lebend, auf das, w a s wabrfcheiolich ift, binfehen; a n · d e r e r f e i t s aber auf die Wabrfchelnlichkeit felbft und als folche, das ift auf das noematifche Objekt i η dem Charakter, den die Vermutungsnoefe ihm zuerteilte. Das »Objekt« mit feinem Sinnes· beftande und m i t diefem Wahrfcheinlichkeitscharakter ift aber in d e r z w e i t e n B l i d k f t e l l u n g g e g e b e n a l s f e i e n d : in Beziehung auf dasfelbe ift darnach das Bewußtfein fchlichter Glaube in unmodifiziertem Sinne. Ebenfo können wir im Möglichkeitsbewußt· fein (in der »Anmutung«), oder im Fragen und Zweifeln leben, den Blick gerichtet auf das, w a s ans da als möglich, fraglich, zweifelhaft bewußt ift. Wir können aber auch auf die Möglichkeiten, Fraglichkeiten, ZweLfelhaftigkeiten als folche binfehen und ev. explizierend an dem Sinnesobjekt das Möglichfein, Fraglichfein, Zwei· felhaftigfein erfaffen und prädizieren: es ift dann gegeben als f e i e n d im unmodifizierten Sinne. So werden wir überhaupt die höchft merkwürdige Wefenseigentümlichkeit konftatieren können, daß j e d e s E r l e b n i s i n B e z i e h u n g auf all die noematifchen M o m e n t e , welche fich d u r c h f e i n e N o e f e n a m » i n t e n t i o n a l e n O b j e k t

Edmund Hufferl,

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a l s f o l c h e m « k o n f t i t u i e v e n , als G l a u b e n s b e w u ß t f e i n i m S i n n e d e r U r d o x a f u n g i e r t ; oder wie wir auch fagen können: Jedes Hinzutreten neuer noetifcber Charaktere, bzw. jede Modifikation alter, konftituiert nicht nur neue noematifcbe Charaktere, fondern es konftituieren fich damit eo ipso für das Bewußtiein n e u e S e i n s o b j e k t e ; den rtoematifchen Charakteren entiprechen prädikable Charaktere an dem Sinnesobjekt, als wirkliche und nicht bloß noematiföb modifizierte Pcädikabilien. Diefe Sätje werden noch an Klarheit gewinnen, wenn wir uns mit neuen noematifeben Sphären vertraut gemacht haben. § 106.

B e j a h u n g und V e r n e i n u n g nebft noematifeben Korrelaten.

ihren

Wieder eine neue rückbezügliche Modifikation, und zwar eine folche von ev. höherer Stufe vermöge ihrer wefentlichen intentionalen Rückbeziehung auf jederlei Glaubensmodalitäten, ift die A b l e h n u n g , iowie die ihr analoge Z u f t i m m u n g . Spezieller ausgedrückt , V e r n e i n u n g und B e j a h u n g . Jede Verneinung ift Verneinung von etwas und diefes Etwas weift uns auf irgendeine Glaubensmodalität zurück. Noetifch ift alfo die Negation »Modifikation« irgendeiner »Pofition«; das fagt nicht einer Affirmation, fondern einer »Setjung« im erweiterten Sinn irgendwelcher Glaubensmodalität. Ihre neue n o e m a t i f c b e Leiftung ift die » D u r c h f t r e i · c h u n g « des enttprechenden pofitionalen Charakters, ihr fpezififches Korrelat ift der Durchftreichungscharakter, der des » n i c h t « . Ihr Negationsftrich gebt durch ein Poiitionales, konkreter gefprochen, durch einen »S a tj« hindurch, und zwar vermöge der Durchftreichung feines fpezififchen S a t j d i a r a k t e ' r s , d. i. feiner Seinsmodalität. Eben damit ftebt diefer Charakter und der Sat) felbft als » M o d i f i k a t i o n « e i n ^ s a n d e r e n da. Unterfchiedlich gefprochen: Durch Umwandlung des fcblichten Seinsbewußtfeins in das entfprechende Negationsbewußtfein wird im Noema aus dem fcblichten Charakter »feiend« das » n i e b t f e i e n d « . Analog wird aus dem »möglich«, »wahrfAeinlich«, »fraglich«, das »unmöglich«, »unwahrfcbeinlich«, »unfraglich«. Und damit modifiziert fich das ganze Noema, der ganze » S a t j « , in konkreter noematifcher Fülle genommen. Ebenfo wie die Negation, bildlich gefprochen, durchftreicht, fo » u n t e r f t r e i e b t « die Affirmation, üe » b e i t ä t i g t « » z u i t i m ·

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m e n d « e i n e P o f i t i o n , ftatt fie wie die Negation »aufzuheben«. Auch das gibt eine Reibe von noematifeben Modifikationen, in Parallele zu den Duccbftreicbungsmodifikationen; was hier nicht weiter verfolgt werden kann. Wir iahen bisher von dem Eigentümlichen der »Stellungnahme« des reinen leb ab, das fieb in der Ablehnung, fpeziell hier der negierenden, g e g e n das Abgelehnte, das zu durebftreiebende Sein » r i c h t e t « , fo wie es fich in der Bejahung dem Bejahten z u n e i g t , fieb a u f es zu richtet, Auch diefe deskriptive Seite der Sachlage darf nicht überleben werden, und fie bedarf eigener Analyfen. Ebenfo ift wiederum dem Umftande Rechnung zu tragen, daß, dem Ineinander der Intentionalitäten gemäß, jeweils verfebiedene Blickrichtungen möglich find. Wir können im negierenden Bewußtfein leben, mit anderen Worten, die Negation »vollziehen«: der Blick des Ich ift dann gerichtet auf das, was Durcbftreichung erfährt. Wir können den Blick aber auch als erfaffenden auf das Durchftrichene als folebes,. auf das m i t d e m S t r i c h V e r f e b e n e richten: dann ftebt diefes a l s e i n n e u e s » O b j e k t « da, und zwar da i m f c h l i c b t e n d o x i f e b e n U r m o d u s . » f e i e n d « . Die neue Einteilung erzeugt nicht däs neue Seinsobjekt, auch im »Vollzug« der Ablehnung ift das Abgelehnte im Charakter der Durcbftricbenheit bewußt; aber erft in der neuen Einteilung wird der Charakter z u r p r ä d i k a b e l n B e i t i m m u n g des noematifeben Sinneskerns. Ebenfo natürlich für die Affirmation. Aud» in diefer Richtung liegen alfo Hufgaben pbänomenologifeber Wefensanalyfe. 1 §107.

Iterierte

Modifikationen.

Was wir uns von Anfängen foleber Analyfe fchon zugeeignet haben, reicht bin, um fogleicb folgenden Fortfehritt der Einficbt zu vollziehen: Da jedes Negat und Affirmat felbft ein Seinsobjekt ift, kann es, wie alles, in einem Seinsmodus Bewußte, affirmiert oder negiert werden. Es ergibt (ich alfo i n f o l g e der in jedem Schritte neu fich vollziehenden Seinskonftitution eine i d e a l i t e r u n e n d l i c h e Kette iterierter Modifikationen, So in der. erften Stufe 1) E s w ä r e lehrreich, die fcharffinnige Abhandlung von H. Reinach, »Zur Theorie des negativen Urteils« ((Münchner Pbilof. Abhandlungen, 19J1), auf Grund der in den vorliegenden Kapiteln verfuchten flutkTärungen über das Wefen der doxifchen Vorkommniffe zu überdenken und ihre Problematik in unfere Beleuchtung zu rücken.

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Edmund Huffert,

das »nicht-nichtfeiend«, das »nicht-unmöglich«·, »nicbt-unfraglich«-, »nicht»unwabrfcbeinlicb - feiend « ufw. Das gleiche gilt, wie unmittelbar zu überfehen ist, für alle früher befprochenen Seinsmodifikationen. Daß etwas möglich, wahrscheinlich, fraglich ufw. ift, kann felbft wieder im Modus der Möglichkeit, Wahrfcheinlichkeit, Fraglichkeit bewußt fein, den noetifchen Bildungen entfprechen die noematifchen Seinsbildungen: Es ift möglich, daß es möglich, daß es wahrfcheinlich, fraglich ift; es ift wahrfcbeinlicb, daß es möglich, daß es wahrfcheinlich ift; und fo in allen Komplikationen. Den höherftufigen Bildungen entfprechen dann wiederum Hffirmate und Negate, die abermals modifizierbar find, und fo geht es, ideal gefprochen, in infinitum. Es handelt fleh hierbei um nichts weniger als um bloße verbale Wiederholungen. Es fei nur an die Wahrfcheinlichkeitslehre und an ihre Rnwendungen erinnert, wo Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten beftändig erwogen, geleugnet, bezweifelt, vermutet, erfragt, feitgeftellt werden ufw. Immer aber ift zu beachten, daß die Rede von Modifikationen hier einerfeits auf eine mögliche Umwandlung der Phänomene, alio auf eine mögliche aktuelle Operation, andererfeits auf die viel intereffantere Wefenseigentümlichkeit von Noefen, bzw. Noemen Beziehung bat, in ihrem eigenen Wefen und ohne jede Mitberückfichtigung der Entftebung, auf ein Anderes, Unmodifiziertes zurückzudeuten. Fiber in beiderlei Hinficht fteben wir auf rein phänomenologifchem Boden. Denn die Rede von Umwandlung und Entftebung bezieht fieb hier auf pbänomenologifche Wefensvorkommniffe und befagt nicht das mindefte von empirifeben Erlebniffen als Naturtatfachen. § 108.

Die

noematifchen Charaktere keine beftimmtbeiten.

»Reflexions«·

Es ift notwendig, daß wir uns bei jeder neuen Gruppe von Noefen und Noemen, die wir uns zu klarem Bewußtfein gebracht haben, auch von neuem der fundamentalen Erkenntnis verfiebern, die den pfycbologiftifchen Denkgewobnbeiten fo febr zuwider ift: daß eben zwifeben Noefis und Noema wirklich und korrekt unterfchieden werden muß, genau fo, wie getreue Defkription es fordert. Hat man fieb febon in die rein immanente Wefensdefkription hineingefunden (was fo vielen, die fonft die Defkription preifen, nicht gelingen will) und fieb dazu verftanden, jedem Bewußtfein ein intentionales Objekt, als ein ihm zugehöriges und immanent Befchreib·

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baces, zuzuerkennen: ίο ift nod) die Verluchung groß, die noematiicben Charaktere, und ganz befonders die zulegt behandelten, a l s bloße »Reflexionsbeftimmtbeiten« aufzufaffen. Wir verftehen, in Erinnerung an den gemeinüblicben engen BegrifF von Reflexion, was das betagt: Beftimmtheiten, welche den intentionalen Objekten dadurch zuwachfen, daß diefe a u f d i e B e w u ß t f e i n s w e i f e n zurückbezogen werden, in denen fie eben Bewußtfeins» Objekte find. fllfo das Negat, das ftffirmat u. dgl. foil fleh dadurch ergeben, daß der »Urteils «gegenftand in beziehender Reflexion auf das Negieren als negierter, in Reflexion auf das flffirmieren als affirmierter, ebenfo in Reflexion auf das Vermuten als wahrfcheinlicher charakterifiert ift, und fo überall. Das ift bloße Konftruktion \ die lieh in ihrer Verkehrtheit fchon darin bekundet, daß, wenn diefe Prädikate wirklich nur beziehende Reflexionsprädikate wären, fie eben nur im aktuellen Reflektieren auf die flktfeite und im Beziehen auf fie g e g e b e n fein könnten. Evidenterweife find fie aber η i ch t durch folche Reflexion gegeben. Wir erfaffen, was eigene Sache des Korrelats ift, direkt in der Blickrichtung eben auf das Korretat. flm erfcheinenden Gegenftand als folchem erfaffen wir die Negate, λffirmate, das Möglich und Fraglich ufw. Wir blicken dabei in keiner Weife auf den Akt zurück. Umgekehrt haben die durch folche Reflexion erwaebfenden noetifchen Prädikate nichts weniger als den gleichen Sinn wie die fraglichen noematifchen Prädikate. Damit hängt zufammen, daß auch vom Standpunkte der W a h r h e i t Nichtfein offenbar nur äquivalent und nicht identifch ift mit »gültig Negiertfein«, Möglichfein mit »in gültiger Weife für Möglich-gehalten fein« u. dgl. fluch die natürliche, durch keine pfycbologifcben Vorurteile beirrte Rede gibt hier, wenn wir deffen noch bedürften, für uns Zeugnis. Ins Stereofkop blickend, fagen wir, diefe erfcheinende Pyramide ift »nichts«, ift bloßer »Schein«: Das Erfcheinende als folebes ift das offenbare Subjekt der Prädikation und ihm (das ein Dingnoema aber nichts weniger als ein Ding ift) fchreiben wir das zu, was wir an ihm felbft als Charakter vorfinden: eben die Nichtigkeit. Man muß hier nur wie überall in der Phänomenologie den Mut haben, das im Phänomen wirklich zu Erfchauende, ftatt es umzudeuten, eben hinzunehmen, wie es fich felbft gibt, und es e h r lich zu befchreiben. Alle Theorien haben fich darnach zu richten. 1) Vgl. »Log. Unteri.« II», 6.Unteri., §44, S.611 ff.

Edmund Hufferl,

222 § 109. D i e

Neutratitätsmodifikation.

Unter den auf die Glaubensfpbäre zu beziehenden Modifikationen haben wie nod) eine hoch ft wichtige zu bezeichnen, die eine völlig ifolierte Stellung einnimmt, alio keineswegs mit den oben befproebe* nen in eine Reibe geftellt werden darf. Die eigentümliche firi, wie fie (ich zu den Glaubensfetyungen verhält, und der Umftand, da ß Tie erft bei tieferer Unteriuchung ßcb in ihrer Eigentümlichkeit herausftellt - als eine gar nicht fpeziell zur Glaubensfpbäre gehörige, vielmehr als eine böchft bedeutfame a l l g e m e i n e Bewußtfeinsmodifikation - rechtfertigt es, wenn wir ihr an diefer Stelle eine ausführlichere Betrachtung widmen. Wir werden dabei auch Ge= legenheit finden, eine Art uns noch fehlender echter Glaubensmodi· fikation, mit der die fragliche neue leicht vermengt wird, zur Be· fprechung zu bringen: die der Annahmen. Es handelt fich uns jetjt um eine Modifikation, die jede doxifche Modalität, auf die fie bezogen wird, in gewiffer Weife völlig aufhebt, völlig entkräftet — aber in total anderem Sinne wie die Negation, die zudem, wie wir fahen, im Negat ihre pofitive Leiftung bat, ein Nichtfein, das ielbft wieder Sein ift. Sie durchftreicbt nicht, fie »leiftet« nichts, fie ift das bewußtfeinsmäßige Gegenftück alles Leiftens: deffen N e u t r a l i f i e r u n g . Sie liegt beichloifen in jedem fich · des • Leiftens - enthalten, es»außer - Aktion * ietjen, es»»einklammem«, »dahingeftellt» fein «laifen« und nun »dabingeftellt* - haben, fich · in · das » Leiften • »bineindenken«, bzw. das Öeleiftete »bloß denken«, ohne »mitzutun«. Da diefe Modifikation wiffenfchaftlich nie berausgeftellt und demnach auch nicht terminologifch fixiert worden ift (man bat fie, wo man fie berührte, immer mit anderen Modifikationen vermengt), und da es für fie auch in der allgemeinen Sprache an einem eindeutigen Namen fehlt, fo können wir nur zirkumfkriptiv und febrittweife durch Ausfcbeidungen an fie herankommen. Denn alle zur vorläufigen Andeutung foeben zufammengeftellten Ausdrücke enthalten im Sinne überfebüfiiges. Überall ift ein willkürliches Tun mitbezeichnet, während es darauf gar nicht ankommen foil. Wit fcheiden es alfo aus. Das Refultat diefes Tuns hat jedenfalls einen eigentümlichen Gebalt, der fich unter fibiefnmg davon, daß er ihm »entftammt« (was natürlich auch ein pbänomenologifches Datum wäre), an fich betrachtet werden kann, wie er denn auch ohne folche Willkür im Erlebniszufammenbange möglich ift und vorkommt. Schalten wir fo aus dem Dabingeftellt- fein - laifen alles Willentliche aus, verfteben wir es aber auch nicht im Sinn eines Zweifelhaften

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oder Hypotbetifcben, ίο verbleibt ein gewifies »Dabingeftellt«· haben, oder better noch, ein »Daftebend«·haben von etwas, das nicht »wirklich« als daftebend bewußt ift. Der Setjungsebarakter ift kraftlos geworden. Der Glaube ift nun ernftlich kein Glaube mehr, das Vermuten nicht ernftlicf) Vermuten, das Negieren nicht ernftlich Negieren ufw. Es ift » n e u t r a l i f i e r t e s « Glauben, Vermuten, Negieren u. dgl., deffen Korrelate diejenigen der unmodifizierten Erlebniffe wiederholen, aber in radikal modifizierter Weife: das Seiend fchlechthin, das Möglich-, Wabrfcheinlich«, Fraglich-feiend, ebenfo das Nicht· feiend und jedes der fonftigen Negate und Hffirmate — ift bewußtfeinsmäßig da, aber nicht in der Weife des »wirklich«, fondern als »bloß Gedachtes«, als »bloßer Gedanke«, fllles bat die modifizierende »Klammer«, derjenigen nahe verwandt, von der wir früher foviel gefprochen haben, und die für die Wegbereitung zur Phänomenologie fo wichtig ift. Die Setjungen fchlechthin, die niebtneutratifierten Setjungen haben zu Korrelatergebniffen »Sätje«, welche insgefamt cbarakteriiiert find als »Seiendes«. Die Möglichkeit, Wabrfcbeinlicbkeit, Fraglichkeit, das Nicbtfein und das Jafein - all das ift felbft etwas »Seiendes«: nämlich als folches im Korrelat cbarakterifiert, als das im Bewußtfein »vermeint«. Die neutralifierten Setjungen unterfcheiden fich aber wefentlicb dadurch, daß i h r e K o r r e l a t e n i c h t s S e t j b a c e s , n i c h t s w i r k l i c h P r ä d i k a b l e s enthalten, das neutrale Bewußtfein fpielt in keiner Hinfid>t für fein Bewußtes die Rolle eines »Glaubens«. §110. Ν e u t r a Ii f i e r t e s B e w u ß t f e i n u n d R e c h t f p r e c h u n g der Vernunft. Das Annehmen.

Daß hier wirklich eine unvergleichliche Eigentümlichkeit des Bewußtfeins vortiegt, zeigt fi-denkens) der unbedingt freien Willkür. Aber flnfetjen ift- wiederum fo etwas wie Setjen, der H n f a $ wiederum eine Hrt »S a t)«, nur daß es eine ganz eigene, der oben bebandelten Hauptreibe gegenüber und feitab ftebende Modifikation der Glaubensfetjung ift. Sie kann in die Einheit vernunftmäßig zu beurteilender Setjungen als Glied (ihr flnfatj als bypotbetifcher »Vorderfatj« oder Nachtat}) eintreten und damit felbft der Vernunftwertung unterzogen werden. Nicht von einem bloß dabinftebenden Gedanken, aber wohl von einem bypotbetifcben Hnfatj kann es heißen, er fei ein richtiger oder nicht. Es ift ein fundamentaler Irrtum, das eine und andere zu vermengen, und die in der Rede vom bloßen Sich-denken, bzw. vom bloßen Gedanken liegende ftquivokation zu überfehen. Dazu kommt die ebenfalls beirrende ftquivokation, die im Worte denken infofern liegt, als es bald auf die ausgezeichnete Sphäre des explizierenden, begreifenden und ausdrückenden Denkens bezogen ift, auf das logifche Denken in einem fpezififcben Sinn, und bald auf das Pofltionale als folcbes, das, wie wir es hier gerade im Huge hatten, rtach keinem Explizieren und begreifenden Prädizieren fragt. HU die befprochenen Vorkommniiie finden wir in der von uns zunächft bevorzugten. Sphäre der bloßen finnlid>en Hnfchauungen und ihrer Abwandlungen in dunkle Vorfteltungen. §111.

Ν eu t r al i t ä t s m ο di f i k a t i ο η u n d

Pbantafie.

Aber noch eine gefährliche ftquivokation des Ausdruckes »{ichbloß-denken« kommt in Frage, bzw. einer iebr nabeliegenden Verwechflung ift zu wehren, nämlich der zwifchen N e u t r a l i t ä t s m o d i f i k a t i o n und P b a n t a f i e . Das Verwirrende und wirklich nicht leicht Huseinanderzuwirrende liegt hier darin, daö die Pbantafie felbft in der Tat eine Neutralitätsmodifikation ift, daß fie trot) der Befonderbeit ihres Typus von univerfeller Bedeutung ift, anwendbar auf a l l e Erlebnifte, daß fie bei den meiften Geftaltungen des Sicb-denkens auch ihre Rolle fpielt und dabei doch von der allgemeinen Neutralitätsmodifikation mit ihren mannigfaltigen, allen Setjungsarten folgenden Geftaltungen unterfcbieden werden muß. Näher ausgeführt, ift das P b a n t a f i e r e n überhaupt die N e u t r a l i t ä t e n ! o d i f i k a t i o n der » f e g e n d e n « V e r g e g e n w ä r t i g u n g , alio der Erinnerung im denkbar weiteften Sinne.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofopbie.

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Es ift hier zu beachten, daß in der gewöhnlichen Rede V e r g e g e n w ä r t i g u n g (Reproduktion) und P h a n t a f i e durcheinandergeben. Wir gebrauchen die Ausdrücke fo, daß wir, unferen flnalyfen Rechnung tragend, das allgemeine Wort Vergegenwärtigung ohne Rndeutung laffen in der Hinficht, ob die zugehörige »Setjung« eigentliche oder neutralifierte fei. Dann fcheiden fich Vergegenwärtigungen überhaupt in die zwei Gruppen: E r i n n e r u n g e n jeder Art und in i h r e Neutralitätsmodifikationen. Daß diefe Scheidung gleichwohl als keine echte Klaffifikation gelten kann, wird (ich im weiteren zeigen. 1 Flndererfeits ift jedes Erlebnis überhaupt (jedes fozufagen wirklich lebendige) »gegenwärtig feiendes« Erlebnis. Zu feinem Wefen gehört die. Möglichkeit der Reflexion auf dasfelbe, in welcher es notwendig als gewiß und gegenwärtig f e i e n d charakterifiert ift. Demgemäß entfpricbt jedem Erlebnis, wie jedem originär bewußten individuellen Sein, eine Serie von ideal möglichen Erinnerungsmodifikationen. Dem E r l e b e n , als o r i g i n ä r e m B e w u ß t i e i n v o m E r l e b n i s , entfprechen als mögliche Parallelen Erinnerungen von ihm, fomit auch als deren Neutralitätsmodifikationen P h a n t a f i e n . So für jedes Erlebuiö, und wie immer es mit der Blickrichtung des reinen Ich beftellt fein mag. Zur Erläuterung diene folgendes: So oft wir irgendwelche öegenftände vergegenwärtigt haben - nehmen wir gleich a n , es fei eine bloße Phantafiewelt, und wir feien ihr aufmerkfam zugewendet - dann gilt es als zum Wefen des phantafierenden Bewußtfeins gehörig, daß nicht nur diefe Welt, fondern auch zugleich das fie »gebende« Wahrnehmen phantafiert ift. Ihr find wir zugewendet, dem »Wahrnehmen in der Phantafie« (d. i. der Neutralitätsmodifikation der Erinnerung) aber nur dann, wenn w u , wie früher befprochen worden, »in der Phantafie reflektieren«. Es ift aber von fundamentaler Bedeutung, d i e f e idealiter jederzeit mögliche Modifikation, die jedes Erlebnis, auch das phantafierende felbft, in die genau entfprechende b l o ß e P h a n t a f i e oder, was d a s f e l b e , in die n e u t r a l i f i e r t e Eri n n e r u n g überführen würde, nicht zu verwechfeln mit derjenigen Neutralitätsmodifikation, die wir jedem » f e g e n d e n « Erlebnis gegenüberftellen können. In diefer Hinficht ift die £ rinne' rung ein ganz fpezielles fegendes Erlebnis. Ein anderes ift die normale Wahrnehmung, wieder ein anderes das perzeptive oder 1) Vgl. die Nacbweife über Wefen und Gegen »Wefen S. 233. 15

226

Edmund Huffert,

reproduktive Möglichkeits - , Wabricbeinlichkeits •, FragliAkeitsbewußtfein, das Bewußtfein des Zweifels, der Negation, Affirmation, Hnfetjung uiw. Wir können uns zum Beifpiel davon überzeugen, daß die N e u t r a l i t ä t s m o d i f i k a t i o n d e r n o r m a l e n , in unmodifizierter Gewißbeit fegenden W a h r n e h m u n g d a s n e u t r a l e B i l d o b j e k t b e w u ß t i e i n ift, das wir im normalen Betrachten einer perzCptiv dargeftellten abbildlicben Welt als Komponente finden. Verhieben wir uns das klarzumachen: Es fei etwa der Dürerfcbe Kupferfticb »Ritter, Tod und Teufel« betrachtet. Wir unterfcheiden hier fürs Erfte die normale Wahrnehmung, deren Korrelat das D i n g » K u p f e r f t l c b b l a t t « ift, diefes Blatt in der Mappe. Fürs Zweite das perzeptive Bewußtfein, in dem uns in den fchwarzen Linien farblofe Figürcben »Ritter auf dem Pferde«, »Tod« und »Teufel« ericheinen. Diefen find wir in der äftbetifeben Betrachtung nicht als Objekten zugewendet; zugewendet find wir den »im B i l d e « dargeftellten, genauer, den » a b g e b i l d e t e n « Realitäten, dem Ritter aus Fleifcb und Blut ufw. Das die Abbildung vermittelnde und ermöglichende Bewußt= fein von dem »Bilde« (den kleinen grauen Figürcben, in denen fieb vermöge der fuifdierten Noefen ein anderes durch Ähnlichkeit »abbildlich darfteilt«) ift nun ein Beifpiel für die Neutralitätsmodifl· kation der Wahrnehmung. Diefes a b b i l d e n d e B i l d o b j e k t ftebt w e d e r a l s f e i e n d , noch a l s n i c h t f e i e n d , noch in: irgendeiner f o n f t i g e n S e t z u n g s m o d a l i t ä t vor uns; oder vielmehr, es ift bewußt als feiend, aber als gleichfam-feiend in der Neutralitätsmodifikation des Seins. Ebenfo aber auch das A b g e b i l d e t e , wenn wir uns r e i n ä f t b e t i f c h verhalten und dasfelbe wieder als »bloßes Bild« nehmen, ohne ihm den Stempel des Seins oder Nichtfeins, des Möglich· oder Vermutlicbfeins u. dgl. zu erteilen. Das befagt aber, wie erfkhttich, keine Privation, fondern eine Modifikation, eben die der N c u t r a l i f i e r u n g . Wir dürfen fie uns nur nicht vorftellen als eine an eine vorgängige Setjung angefchloffene umbildende Operation. Das kann fie gelegentlich auch fein. Das muß fle aber nicht fein. §112.

J t er i e r b a r k ei t d e r Ρ b a η t a f i e m ο d i f i k a t i ο η, Nicht» i t e r i er b ar k ei t d e r N e u t r a l i t ä t s m o d i f i k a t i o n .

Der radikale Unterfcbied zwifchen Phantafie, im Sinne neutraUfle render Vergegenwärtigung und neutralifierender Modifikation.

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überhaupt, zeigt ficf) — um noch diefen entfcheidenden Differenz« punkt fcharf hervorzuheben — darin, daß die P h a n t a f i e m o d i f i k a t i o n als Vergegenwärtigung i t e r i e r b a r ift (es gibt Phantaßen beliebiger Stufe: Phantafien »in« Phantafien), während die W i e d e r h o l u n g der » O p e r a t i o n « der Ν e u t r a l i ί i e r u n g w e f e n s m ä ß i g a u s g e f c h l o f f e n ift. Unfere Behauptung der Möglichkeit iterierter reproduktiver (fowie abbildender) Modifikationen dürfte auf ziemlich allgemeinen Widerfprucb ftoßen. Das wird ficf) erft ändern, wenn Übung in der echten phänomenologifchen Finalyfe verbreiteter fein wird, als es zurzeit noch der Fall ift. So lange man Erlebniffe als »Inhalte« behandelt oder als pfychifche »Elemente«, die trot) aller modifdben Be* ftreitung der atomifierenden und verdinglichenden Pfychologie eben doch als eine Fürt Sächelchen angefehen werden; folange man dem° gemäß den Unterfchied zwifchen »Empfindungsinhalten« und entfprechenden »Phantafieinhalten« nur in fachlichen Merkmalen der »Intenfität«, »Fülle« u. dgl. finden zu können glaubt, kann es nicht befier werden. Man müßte eben erft fefoen lernen, daß es lieh hier um einen Β e w u ß t f e i η s unterfchied handelt, daß atfo das Phantasma nicht ein bloßes bleichfüchtiges Empfindungsdatum ift, fondern feinem Wefen nach Phantafie v o n dem entfprechenden Empfindungsdatum; ferner, daß diefes »von« durch keine noch fo ausgiebige Verdünnung der Intenfität, der Inhaltsfülle ufw. des betreffenden Empfinaungsdatums hereinkommen kann. Wer in Bewußtfeinsreflexionen geübt ift (und vordem überhaupt die Gegebenheiten der Intentionalität zu fehen gelernt hat), wird die Bewußtfeinsftufen, welche bei den Phantafien in Phanta« fien, bzw. den Erinnerungen in Erinnerungen oder in Phantafien, vorliegen, eben ohne weiteres f e h e n . E r wird dann auch fehen, was in der Wefensartung diefer Stufenbildungen liegt: nämlich, daß j e d e P h a n t a f i e h ö h e r e r S t u f e frei in eine d i r e k t e P h a n t a f i e des in jener mittelbar Phantafierten übergeführt werden kann, während diefe freie Möglichkeit im Übergang von der P h a n t a f i e zu der e n t f p r e c h e n d e n P e r z e p t i o n nicht ftatthat. Hier ift für die Spontaneität eine Kluft, die das reine Ich nur in der wefentlirf) neuen Form des realifierenden Handelns und Schaffens (wohin auch das willkürliche Halluzinieren zu rechnen ift) überfteigen kann. 1 1) HinfiAtlich der bisher bebandelten Punkte aus der Lebre von der Neutralitätsmodifikatiön find fchon die »Log. Unterf.« in der Hauptfache, ins· 15*

228

Edmund Hufferl, §113.

Aktuelle

und

potentielle

Setzungen.

Untere Betrachtungen über Neutralitätsmodifikation und Setjung drängen zu wichtigen Fortführungen. Wir haben die Rede von »fegendem« Bewußtfein in einem weiten Sinne gebraucht, der notwendig einer Differenzierung bedarf. Scheiden wir a k t u e l l e und p o t e n t i e l l e S e t z u n g , und verwenden wir als den allgemeinen Titel, den wir trotjdem nicht entbehren können, » p o f i t i o n a l e s B e w u ß t f e i n « . Der Unterfcbied zwifdben Aktualität und Potentialität der S e § u η g fteht in naher Beziehung zu den früher befprochenen 1 Aktualitätsunterfcbieden der Aufmerkfamkeit und Unaufmerkfamkeit, fällt aber mit ihnen keineswegs zufammen. Durch Rückflchtnahme auf die Neutralitätsmodifikation kommt in die allgemeine UnterfAeidung zwifchen Aktualität und Inaktualität der attentionalen Ichzuwendung eine Doppelheit hinein, bzw. in den Begriff der Rede von Aktualität eine Doppeldeutigkeit, deren Wefen wir klären müifen. Die Neutralitätsmodifikation trat uns im Kontraft des w i r k l i c h e n Glaubens, Vermutens ufw. mit dem eigentümlich modi» fizierten Bewußtfein des fich in ein Glauben, Vetmuten ufw. »bloß Hineindenkens« entgegen; korrelativ gefprochen, im Kontraft des das Seiende, Wahrfcheinlichfeiende ufw. » w i r k l i c h « vor-fichhaben oder »wirklich gefetjt« - haben und es in der Weife eines bloß »Dahinftehenden« η i di t wirklich gefetjt - haben. Von vornherein deuteten wir aber auch das wefentlich verfchiedene Verhalten eines nicht-neutralen und neutralen Bewußtfeins hinfldbtlid» der Potentialität von Setjungen an. Aus jedem »wirklichen« Bewußtfein befondere w a s das Verhältnis zur Pbantafie anbelangt, zur richtigen Auf» faffung durcbgedrungen. Vgl. a. a. 0 . die 5. Unterf., insbefondere im § 39 die Gegenüberftellung von »qualitativer« und »imaginativer Modifikation«, w o bei die erftere den Sinn der h i e r befprochenen Neutralitätsmodifikation hatte. — Da Meinongs Buch »Übet Annahmen« (1902) in ausführlicher Weife über Fragen gehandelt hat, die mit den im vorliegenden Kapitel erörterten nabe v e r w a n d t find, muß ich erklären, warum ich nur an meine alten Schriften und nicht an fein Buch anknüpfen konnte. Meines Erachtens bat diefes Buch, das hier w i e fonft fo weitgehende Deckungen mit den parallelen Abfchnitten der »Log. Unterf.« — nach Materie und tbeoretifchen Gedanken - aufweift, über meine Verfuche hinaus wirkliche Fortichritte nicht gebracht, weder fachlich noch methodifch. Viele Gedankenmotive, auf die ich nach wie vor glaube Gewicht legen zu dürfen, find dort nicht beachtet, fpeziell auch nicht hinfiebt» lieh der oben behandelten Punkte. Die in unferen letjten Ausführungen klargelegten Vermengungen machen geradezu den Hauptkern der Meinongfcben Auffaffung v o n den Annahmen aus. 1) Vgl. § 35, S. 61 f., § 37, S. 651,

§ 92, S. 189ff.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. phänomenol. Pbilofopbie.

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taften fich mancherlei in ihm potentiell befchloffena Setjungen ziehen, und diefe find dann w i r k 1 i cb e Setjungen; in jedem wirklich thetifch Vermeinten ftecken wirkliche Prädikabilien. Ein neutrales Bewußtfein aber »enthält« in Geh keinerlei »wirkliche« Prädikabilien. Die Entfaltung durch attentionale Aktualitäten, durch Zuwendungen zu den verfchiedenen Prädikaten des bewußten Gegenftändlichen, ergibt lauter neutrale Akte, bzw. lauter modifizierte Prädikate. Diefe verfchiedenartige Potentialität bei dem neutralen und nicht· neutralen Be wußtfein, diefe Merkwürdigkeit, daß die allgemeine Potentialität der attentionalen Zuwendungen fich alfo in eine doppelte fpaltet, bedarf jetjt einer tieferen Unterfuchung. In den Betrachtungen des vorlebten Paragraphen ftellte es fich heraus, daß jedes wirkliche Erlebnis, als gegenwärtig feiendes oder, wie wir auch fagen können, als die im phänomenologifchen Zeitbewußtfein konftituierte zeitliche Einheit — feinen Seinscharakter in gewiffer Weife mit fich führt, ä h n l i c h w i e e i n W a h r g e n o m m e n e s . Jeder aktuellen Erlebnisgegenwart korrefpondiert ideell eine Neutralitätsmodifikation, nämlich eine mögliche und ihr inhaltlich genau entfprechende Phantafie« Erlebnisgegenwart. Jedes fotehe Phantafieerlebnis ift nicht als wirklich gegenwärtig feiend, fondern als »gleichfam« gegenwärtig feiend charakterifiert. Es verhält fich damit in der Tat alfo ganz ähnlich, wie im Vergleich der noemarifchen Gegebenheiten einer beliebigen Wahrnehmung mit denen einer ihr ideell genau entfprechenden Phantafierung (Phantafiebetrachtung): "Jedes Wahrgenommene ift charakterifiert als »wirklich gegenwärtiges Sein«, jedes parallele Phantafierte als inhaltlich dasfelbe, aber als »bloße Phantafie«, als »gleichfam« gegenwärtiges Sein, fllfo: D a s u r f ρ r ü n g Ii ch e Z e i t b e w u ß t f e i n f e l b f t f u n g i e r t w i e e i n W a h r n e h m u n g s b e w u ß t f e i n und bat fein Gegenftück in einem entfprechenden Phantafiebewußtfein. Diefes allumfpannende Zeitbewußtfein ift aber felbftverftändlich k e i n k o n t i n u i e r l i c h e s i m m a n e n t e s W a h r n e h m e n im p r ä g n a n t e n Sinne, d. i. in dem eines a k t u e l l f et} e n d e n Wahrnehmens, welches ja felbft ein Erlebnis in unferem Sinne, ein in der immanenten Zeit Liegendes, gegenwärtig Dauerndes, im Zeitbewußtfein Konftituiertes ift. Mit anderen Worten, es ift felbftverftändlid) nicht ein kontinuierliches inneres Reflektieren, in dem die Erlebniffe im fpezififchen Sinne g e f e t z t e , aktuell a l s f e i e n d e r f a ß t e gegenftänalich würden. Unter den Erlebniffen gibt es ausgezeichnete, genannt immanente Reflexionen, fpezieller immanente Wahrnehmungen, die auf

230

Edmund Hufferl,

ihre Gegenftände aktuell feinscr faffend, feinsfetjend gerichtet Qnd. Daneben gibt es unter denfelben auch tranfzendent gerichtete, in gleichem Sinne feinsfetjende Wahrnehmungen, die iog. äußeren. » W a h r n e h m u n g « im normalen Wortfinne betagt nicht nur überhaupt, daß irgendein Ding dem Ich i n l e i b h a f t e r G e g e n w a r t e r f c h e i n e , fondetn daß das Ich des ericheinenden Dinges ge» w a h r werde, es als wirklich dafeiend erfaffe, fetje. Diefe Aktualität der Dafeinsfetjung ift,. nach dem früher Ausgeführten, neutralities im perzeptiven Bildbewußtfein. Zugewendet dem »Bilde« (nicht dem Abgebildeten), erfaffen wir als Gegenftand kein Wirkliches, fondern eben ein Bild, ein Fiktum. Die »Erfaifung« hat die Aktualität der Zuwendung, aber fie ift nicht »wirkliche« Erfaffung, fondetn bloße Erfaiiung in der Modifikation des » g l e i er neutraler »Scbattenfetjungen«. Und wieder: fo geartet ift B e w u ß t f e i n ü b e r h a u p t , daß es von einem doppelten Typus ift: Urbild und Schatten, p o f i t i o η a l e s Bewußtfein und n e u t r a l e s . Das eine cbarakterifiert dadurch, daß feine doxifcbe Potentialität auf wirklieb fetjende doxifcbe Akte führt, das andere dadurch, daß es nur Schattenbilder folcber 1) Vgl. oben die Sätje am Scbluß des § 105, S. 217 f. 2) Vgl. weiter unten § 117, S. 244, erfter flbfat).

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbüofopbie. 235 Akte, nur Neutralitätsmodifikationen von folchen aus fich hervor· gehen läßt; m. a. W. daß es in feinem noematifd>en Beftand gar nichts doxifch Faßbares enthält, oder was wieder gleichwertig ift, daß es kein »wirkliches« Noema, fondern nur ein Gegenbild eines folcben enthält. Bloß e i n e doxifche Setjbarkeit verbleibt auch den neutralen Erlebniffen: die zu ihnen als Daten des immanenten Zeit' bewußtfeins gehörige, fie eben als modifiziertes Bewußtfein von einem modifizierten Noema beftimmend. Die Ausdrücke » p o f i t i o n a l « und » n e u t r a l « follen uns von nun an terminologiich dienen. Jedes Erlebnis, ob es die Form des cogito hat, ob es in irgendeinem befonderen Sinn Akt ift oder niAt, fällt unter diefen Gegenfatj. P o f i t i o n a l i t ä t betagt alfo nicht Vorhandenfein oder Vollzug einer wirklichen Pofition, es drückt nur eine gewiffe Potentialität für den Vollzug aktuell fegender doxifcher Akte aus. Doch befaffen wir den Fall, daß ein Erlebnis von vornherein vollzogene Pofition ift, mit in den Begriff des pofitionalen Erlebniffes, was um fo weniger anftöß'g ift, als wefens» gefetjlich zu jeder vollzogenen Setjung eine Mehrheit potentieller Setjungen gehört. Der Unterfchied zwifchen P o f i t i o n a l i t ä t und N e u t r a l i t ä t drückt, wie fid) beftätigt hat, keine btoße auf Glaubensfetjungen bezügliche Eigenheit, keine bloße Art von Glaubensmodifikationen aus, fo etwa wie Vermuten, Fragen u. dgl., oder in anderen Rieh· tungen Annehmen, Negieren, Affirmieren es find, alfo nicht intentionale Abwandlungen eines Urmodus, des Glaubens im prägnanten Sinne. Es ift in der Tat, wie wir es vorausgefagt hatten, ein u n i v e r f e l l e r B e w u ß t f e i n s u n t e r f c h i e d , der aber aus gutem Grunde in unterem analytifchen Gange angeknüpft erfd>eint an den in der engen Sphäre des doxifchen cogito fpeziell auf· gewiefenen Unterfchied zwifchen pofitionalem (d. i. aktuellem, wirklichem) Glauben und feinem neutralen Gegenftück (dem bloßen »fich denken«). Es traten eben höchft merkwürdige und tiefliegende Wefensverflechtungen zwifchen Aktcharakteren des Glaubens und allen anderen Arten von Aktcharakteren, und fomit allen Bewußfc feinsarten überhaupt, hervor. §115.

Anwendungen. flktvollzüge

Der e r w e i t e r t e und flktregungen.

flktbegriff.

Es ift noch wichtig einige frühere Bemerkungen in Rechnung zu ziehen. 1 Das cogito überhaupt ift die explizite Intentionalität. 1) Vgl. oben § 84, S. 168 f.

236

Edmund Hufferl,

Der Begriff des intentionalen Erlebniffes überhaupt fetjt infofern fcbon den Gegenfa^ von Potentialität und Aktualität und zwar in der allgemeinen Bedeutung voraus, als wir nur im Übergang zum expliziten cogito und in der R e f l e x i o n auf das nicht explizierte Erlebnis und feine noetifch-noematifchen Beftände zu erkennen vermögen, daß es Intentionalitäten in ficb berge, bzw. Noemen, die ihm zu eigen find. So ζ. B. biniicbtlicb des Bewußtfeins vom unbeachteten aber nachträglich beachtbaren Hintergrund bei der Wahrnehmung, Erinnerung ufw. Das explizite intentionale Erlebnis ift ein »vollzogenes« »Ich denke«. Dasfelbe kann aber auch auf dem Wege attentionaler Wandlungen in ein »unvollzogenes« übergehen. Das Erlebnis einex vollzogenen Wahrnehmung, eines vollzogenen Urteils, Gefühls, Willens verfchwindet nicht, wenn die fiufmerkfamkeit (ich »auöfchließlich« einem Neuen zuwendet; worin liegt, daß das Ich in einem neuen cogito ausfchließlich »lebt«. Das frühere cogito »klingt ab«, finkt ins »Dunkel«, es hat aber noch immer ein, wenn fcbon modifiziertes Erlebnisdafein. Ebenfo drängen fich cogitationes im Erlebnishintergrunde empor, bald erinnerungsmäßig oder neutral modifizierte, bald auch unmodifizierte. Ζ. B. ein Glaube, ein wirklicher Glaube »regt« fich; wir glauben fchon, »ehe wir es wiffen«. Ebenfo find unter Umftänden Gefallens- odes Mißf aliens· fetjungen, Begebtungen, auch Entfchlüffe bereits lebendig, ehe wir »in« ihnen kleben«, ehe wir das eigentliche ccgito vollziehen, ehe das Ich urteilend, gefallend, begehrend, wollend »fich betätigt«. Das cogito bezeichnet alfo in der Tat (und fo haben wir den Begriff von vornherein eingeführt) den e i g e n t l i c h e n Akt des Wahrnehmens, Urteilens, Gefallens ufw. flndererfeits ift aber der ganze Bau des Erlebniffes in den befcbriebenen Fällen, mit all feinen Theten und noematifchen Charakteren, derfelbe, wenn ihm diefe Aktualität fehlt. Infofetn fcheiden wir deutlicher v o l l z o g e n e H k t e und n i c h t v o l l z o g e n e ; die letjteren find entweder »außer Vollzug geratene« Akte oder H k t r e g u n g e n . Das letjtere Wort können wir ganz wohl auch allgemein für nicht vollzogene Akte überhaupt verwenden. Solche fiktregungen find mit all ihren Intentionalitäten erlebt, aber das Ich lebt in ihnen nicht als » v o l l z i e h e n d e s S u b j e k t « . Damit erweitert fich der flktbegriff in einem beftimmten und ganz unentbehrlichen Sinne. Die vollzogenen Hkte, oder wie es in gewiffer Hinficht (nämlich in Hinficht darauf, daß es fich um Vorgänge bandelt) beffer heißt, die H k t V o l l z i e h u n g e n machen die » S t e l l u n g n a h m e n « i m w e i t e i t e n S i n n e aus, während die Rede von Stellungnahmen im prägnanten

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Sinne auf fundierte Akte zurückweift, der Art, die wir fpäter näher erörtern werden: ζ. B. auf Stellungnahmen des Haifes, bzw. des Haftenden zum Gebaßten, das feinerfeits für das Bewußtfein in Noefen unterer Stufe febon konftituiert ift als dafeiende Perfon oder Sache; ebenfo würden hierher gehören Stellungnahmen der Negation oder Affirmation zu Seinsprätentionen u. dgl. Es ift nun klar, daß die Akte im weiteren Sinne genau fo wie die fpezififchen cogitationes die Unterfcbiede der Neutralität und Pofitionalität in fieb tragen, daß fie febon vor der Umwandlung in cogitationes noematifeb und tbetifcb leiftende find, nur daß wir ihre Leiftungen erft durch Akte im engeren Sinne, durch cogitationes, zu Geficbte bekommen. Die Setjungen, bzw. die Setjungen im Modus des »gleiebfam« find febon in ihnen wirklich vorbanden mit den ganzen Noefen, zu denen diefe Setjungen gehören: den Ideal* fall vorausgefeljt, daß fie fich in eins mit der Umwandlung nicht auch intentional bereichern und fonftwie verändern. Jedenfalls können wir diefe Veränderungen (und befonders auch die alsbald nach der Umwandlung im Erlebnisfluffe eintretenden intentionalen Bereicherungen und Neubildungen) ausfcbließen. Bevorzugt waren in unteren ganzen Erörterungen zum Titel Neutralität die doxifeben Setjungen. Die Neutralität hatte ihren Index in der Potentialität. Hlles beruhte darauf, d a ß j e d e r t b e t i f e b e A k t c b a r a k t e r ü b e r h a u p t (jede Akt»intention«, ζ. B. die Gefallensintention, die wertende, wollende Intention, der fpezififebe Charakter der Gefallens-, Willensfetjung) i n f e i n e m W e f e n e i n e n fich m i t i h m i n g e w i f f e n Weifen »deckenden« C h a r a k t e r der Gattung doxifche T b e f i s i n fich b i r g t . J e nachdem die betreffende Aktintention nichtneutralifierte oder neutralifierte ift, ift es auch die in ihr befcbloffene doxifche Tbefe - die hier als U r t b e f e gedacht war. Diefe Bevorzugung der doxifeben Urthefen wird in den weiteren Analyten eine Einfcbränkung erfahren. Es wird erfichtlicb werden, daß die von uns berausgeftellte Wefensgefetjlicbkeit eine genauere Beftimmung fordert, fofern vorerft und allgemeiner die d o x i f e b e n M o d a l i t ä t e n (in dem fpezififchen, auch die Annahmen umfpannenden Sinne) an Stelle der doxifeben Urthefen als die in allen Theten befcbloffenen »doxifeben Theten« gelten, bzw. für diefe eintreten müffen. Innerbalb diefes allgemeinen Vorzugs doxifeber Modalitäten überhaupt bat dann aber die doxifche Urtbefis; die Glaubensgewißbeit, den ganz befonderen Vorzug, daß diefe Modalitäten felbft in Glaubenstbefen umzuwandeln find, fo daß nun wieder

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Edmund Hufferl,

alle Neutralität an der doxifcben Potentialität in dem ausgezeichneten, auf die Urtbefis zurückbezogenen Sinne ihren Index bat. Hierbei wird die Ort der »Deckung« des Doxifcben überhaupt mit dem Tbetifcben jeder firt ihre nähere Beftimmung erfahren. 1 Nun bedürfen, die (obfchon mit einigen Deftderaten) fofort in weitefter Rllgemeinbeit bingeftellten, aber nur in [peziellen Rktfpbären einQcbtig gemachten Sätje einer breiteren Begründungsbaiis. Den Parallelismus von Noefis und Noema haben wir ja noch nicht in allen intentionalen Gebieten eingebend erörtert. Eben diefes Hauptthema unferes flbfcbnittes drängt auch von ficb aus zur Erweiterung der Rnalyfe. Im Vollzüge diefer Erweiterung werden lieh aber unfere allgemeinen flufftetlungen über die Neutralitätsmodifikation zugleich beftätigen und ergänzen. §116.

Ü b e r g a n g zu n e u e n flnalyfen. Noefen und ibre noematifeben

Die f u n d i e r t e n Korrelate.

Wir haben bisher eine Reibe allgemeiner Vorkommniffe im Bau der Noefen und Noemen innerhalb eines großen und doch febr befebränkten Rahmens ftudiert — ftudiert freilich nur in febr befcheidenem Maße, nur foweit ibre beftimmte Abhebung es erforderte und unter leitender Zweck, uns eine allgemeine und doch inhaltreiebe Vorftellung von den Problemgruppen zu verfebaffen, die das univerfale Doppeltbema Noefis und Noema mit ficb führt. Unfere Studien bezogen ficb, fo vielfältige Komplikationen fie auch hereinzogen, auf eine bloße Unterfcbicbt des Erlebnisftroms, zu der immer noch relativ einfach gebaute Intentionalitäten gehören. Wir bevor· zugten (abgefehen von den legten vorblickenden Betrachtungen) die finnlichen Rnfcbauungen, insbefondere die von erfebeinenden Realitäten, fowie die aus ihnen durch die Verdunkelung hervorgehenden und felbftverftändlicb mit ihnen durch Gattungsgemein· fchaft vereinigten finnlicben V o r i t e l l u n g e n . Der letjtere Ausdruck bezeichnete zugleich die Gattung. Wir zogen dabei allerdings mit in Betracht alle wefentlicb zu ihnen gehörigen Phänomene, fo die reflektiven Rnfcbauungen und Vorftellungen überhaupt, deren Gegenftände nicht mehr Sinnendinge find.2 Die Rllgemeinbeit der 1) Vgl. weiter unten S. 243 f. 2) Die fefte und wefentlicbe Umgrenzung des weiteften von den bezeichneten Sphären ausgebenden V c r f t e l l u n g s b e g r i f f e s ift natürlich eine wichtige Aufgabe für die iyftemntifebe pbänomenologifcbe Forfcbung. Für alle ielcbe Fragen fei auf die in Husficbt gefreuten Publikationen bingewiefen, aus deren tbeoretifebem Gebalt die in den vorliegenden Unter iuebungen kurz angedeuteten Feftftellungen gefeböpft find.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofopbie.

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Geltung unterer Ergebniffe drängt fich, bei der Art, wie wir die Unterfuchung geführt und alles, was an das untere Gebiet binden könnte, als nebenfächlich fühlbar gemacht haben, alsbald auf, fowie wir den Rahmen der Forfchung erweitern. Wir fehen dann, daß all die Unterfchiede zwifchen zentralem Sinneskern (der freilich fehr der weiteren flnalyfe bedarf) und den iicb um ihn herum grup· pierenden thetifchen Charakteren wiederkehren und ebenfo alle Modifikationen, welche — wie die der Vergegenwärtigung, der Rufmerkfamkeit, der Neutralifierung — auch den Sinneskern in eigenen Weifen angreifen, ihm trotjdem fein »Identifches« belaffend. Wir können nun nach z w e i verfchiedenen Richtungen fortgeben, beiderfeits zu Intentionalitäten führend, die in den Vorfiellungen fundiert lind: entweder in Richtung auf die noetifchen S y η t h e f e n oder in derjenigen, die uns zu neuartigen,, aber f u n d i e r t e n » S e t ) u n g s « a t t e n emporführt. Schlagen wir die letztere Richtung ein, fo ftoßen wir auf die (zunächft möglichft fchlichten, d. i. von Synthefen in unterer oder höherer Stufe freien) f ü h l e n d e n , b e g e h r e n d e n , w o l l e n d e n N o e f e n , die in »Vorftellungen«, in Wahrnehmungen, Erinnerungen, Zeichenvorftellungen ufw. fundiert find und in ihrem Rufbau offenbare Unterfchiede imfenweiier Fundierung zeigen. Wir bevorzugen jetjt überall füc die Geiamtakte die poßtionalen Formen (was aber nicht neutrale Unterftufen ausfchließen darf), da was von ihnen zu fagen ift, fich paffend modifiziert in die entfprechenden Neutralifierungen überträgt. Beifpielsweife ift etwa ein äfthetifches Gefallen fundiert in einem Neutralitätsbewußtfein perzeptiven oder reproduktiven Gebaltes, eine Freude oder Trauer in einem (nicht -neutralifierten) Glauben oder einer Glaubensmodalität, ein Wollen oder Widerwollen desgleichen, aber bezogen auf ein als angenehm, fchön u. dgl. Bewertetes ufw. Was uns hier, vor allem Eingehen in die Arten diefes Baues, intereffiert. ift, daß mit den neuen noetifchen Momenten auch in den Korrelaten n e u e n o e m a t i f c h e M o m e n t e auftreten. Einer« feits find es neue Charaktere, die den G l a u b e n s m o d i s a n a l o g find, aber zugleich f e l b f t , in ihrem neuen Gehalt,· doxologifche Set)· barkeit befitjen; andererfeits verbinden fich mit den neuartigen Momenten auch n e u a r t i g e » f l u f f a f f u n g e n « , es konftituiert fich ein n e u e r S i n n , d e r i n d e m d e r u n t e r l i e g e n d e n N o e f e f u n d i e r t i f t , ihn zugleich umfchließend. Der neue Sinn bringt eine total n e u e S i n n e s d i m e n f i o n herein, mit ihm konftituieren fleh keine neuen Beftimmungsftücke der bloßen » S a ch e η «, fondern

240

Edmund Hufferl,

W e r t e d e r S a c b e n , Wertheiten, bzw. konkrete Wertobjektitäten: Schönheit und Häßlicbkeit, 6üte und Schlechtigkeit; das Gebraucbsobjekt, das Kunftwerk, die Mafchine, das Buch, die Handlung, die Tat ufw. Im übrigen zeigt auch jedes volle Erlebnis der höheren Stufe in feinem vollen Korrelat einen ähnlichen Hufbau, wie wir ihn auf der unteriten Stufe von Noefen ericbaut haben. I m Ν ο e m a der h ö h e r e n S t u f e ift etwa das G e w e r t e t e als folches ein S i n n e s k e r n , u m g e b e n von n e u e n t h e · t i f c h e n C h a r a k t e r e n . Das »wert«, das »gefällig«, »erfreulich« ufw. fungiert ähnlich wie das »möglich«, »vermutlich«, oder ev. wieder: wie »nichtig« oder »ja wirklich« - obfchon es verkehrt wäre, es in diefe Reiben zu fetten. Dabei ift das Bewußtfein binficbtlicb diefes neuen Charakters abermals ein p o f i t i o n a l e s Bewußtfein: das »wert« ift doxifcb fetjbar als wert feiend. Das zum »wert« als f e i n e Cbarakterifierung gehörige »feiend« kann ferner auch m o d a t i f i e r t gedacht· werden, wie jedes »feiend« oder »gewiß«: das Bewußtfein ift dann Bewußtfein von m ö g l i c h e m W e r t e die »Sache« mutet ficb nur als wert an; oder auch, fie ift bewußt als v e r m u t l i c h w e r t , als η i ch t - w e r t (was aber nicht foviel heißt wie »wertlos«, wie fcblecbt, bäßlicb u. dgl.; einfach die Dutcbftreicbung des »wert« ift im nicht»wert ausgedrückt). Hll folcbe Modifikationen greifen das Wertbewußtfein, die wertenden Noefen nicht bloß äußerlich, fondern innerlich an, fowie entfprecbend die Noemen. (Vgl. S. 243.) Wieder ergibt ficb eine Mannigfaltigkeit tiefgebender Veränderungen in Form der attentionalen Modifikationen, je nachdem gemäß den vervielfältigten Wefensmöglicbkeiten der aufmerkende Blick d u r c h die verfcfriedenen intentionalen Schichten hindurchgeht auf die »Sache« und die fachlichen Momente - was ein zufammengeböriges Syftem von Modifikationen ergibt, das wir als untere Stufe fcbon kennen - dann aber auch auf die Werte, auf die konftituierten Beftimmtbeiten höherer Stufe, durch die fie konftituierenden fluffaffungen hindurch; wieder auf. die Noemen als folcbe, auf ihre Charaktere, oder in der anderen Reflexion auf die Noefen - und all das in den vermiedenen fpezififcben Modis des flufmerkens, Nebenbei'Bemerkens, Nicht-Bemerkens u. dgl. Überaus fcbwierige Unterfucbungen find zu führen, um diefe komplizierten Strukturen reinlich auseinanderzufalten und zu voller Klarheit zu bringen, wie ζ. B. die »Wertauffaffungen« ficb zu den Sacbauffaffungen, wie die neuen- noematifcben Cbarakterifierungen

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofopbie.

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(gut, fchön ufw.) ficb zu den Glaubensmodalitäten verhalten, wie iie ficb fyftematifcb in Reihen und Ortungen ordnen, und was dergleichen mehr. §117. D i e f u n d i e r t e n T b e f e n u n d d e r flbfchluß d e r L e h r e v o n d e r Ν e u t r a I i f i e r u η g s m ο d i f i k a t i ο η. Der a l l g e m e i n e B e g r i f f der Tbefis.

Wir erwägen jetjt noch das Verhältnis der neuen noetifcben und noematifchen Bewußtfeinsfchichten zur Neutraliiierung. Wir bezogen dieie Modifikation auf die doxifebe Poiitionalität. Diefe fpielt, wie wir uns leicht überzeugen, in den jetjt zur Abhebung gekommenen Schichten in der Tat die Rolle, die wir ihr im voraus in der weiteften flktfphäre zugefprochen und in derjenigen der Urteilsmodalitäten fpeziell erörtert hatten. Im Vermutungsbewußtfein »liegt.' das »vermutlich«, »wabcfcbeinlicb«, poiitional befcbloffen, ebenfo abec auch im Gefallensbewußtfein das »gefällig«, im Freudebewußtfein das »erfreulich« ufw. Es liegt darin, d. h. es ift der doxifeben Setjung zugänglich, und darum ift es prädikabel. Demnach fällt jedes Gemütsbewußtfein mit feinen neuartigen fundierten Gemütsnoefen unter den Begriff des pofitionalen Bewußtfeins, fo wie wir uns diefen Begriff - mit Beziehung auf doxifebe Pofitionalitäten und zuletjt auf pofitionale Gewißheiten — zurechtgelegt hatten. Genauer befehen, werden wir aber doch fagen müffen, daß die Beziehung der Neutralitätsmodifikation auf die doxifebe Poiitionalität, fo wichtige Einrichten ihr zugrunde liegen, in gewiffer Weife doch ein Umweg ift. Machen wir uns zunächft klar, daß Gefallensakte (ob »vollzogen« oder nicht), ebenfo Gemüts- und Willensakte ieder Art eben »Hkte«, »intentionale Erlebniffe« find, und daß dazu jeweils die »intentio«, die »Stellungnahme« gehört; oder anders ausgedrückt: es find in einem weiteften, aber wefentlich einheitlichen Sinne » S e t j u n g e n « , n u r eben nicht doxifebe. Im Vorbeigehen fagten wir oben ganz korrekt, fiktebaraktere überhaupt feien » T h e f e n « - Tbefen im erweiterten Sinn und nur im befonderen Glaubenstbefen oder Modalitäten von fDieben. Die wefentlicbe Analogie der ipezififeben Gefallensnoefen mit den Glaubensfetjungen ift offenbar, ebenfo der Wunfcbnoefen, WiUensnoefen ufw. fluch im Werten, Wünfcben, Wollen ift etwas »gefetjt«, abgefeben von der doxifeben Poiitionalität, die in ihnen »liegt«. Das ift ja auch die Quelle aller Parallelifierungen der verfchiedenen Bewußtfeinsarten und aller Klaffifikationen derfelben: man klaffifizierte eigentlich die Setjungsarten. 16

242

Edmund Huffed,

Zum Weien jedes intentionalen Etlebnifies, was immer fonft in feinem konkreten Beftande vorfindlicft fein mag, gehört es, mindeftens einen, in der Reget aber mehrere, in der Weife der Fundierung verbundene »Setjungscharaktere«, »Thefen« zu haben; in diefer Mehrheit ift dann notwendig eine die fozufagen a r c h o n t i f cb e , alle anderen in Qch vereinigend und fie durchherrfchend. Die oberfte Gattungseinheit, die all diefe fpezififchen »RktCharaktere«, die Charaktere der »Setjung« verbindet, fchließt nicht wefentlkhe und gattungsmäßige Unterfchiedenheiten aus. So find denn die Gemütsfetjungen mit den doxifchen als Setjungen verwandt, aber keineswegs fo zufammengehörig wie alle Modalitäten des Glaubens. Mit der gattungsmäßigen Wefensgemeinfd>aft aller Setjungscbaraktere ift diejenige ihrer noematifcben Setjungskorrelate (der »thetifchen Charaktere im noematifdhen Sinn«), und wenn wir die letjteren mit ihren weiteren noematifchen Unterlagen nehmen, die Wefensgemeinfchaft aller »Sätje« eo ipso gegeben. Darin aber gründen letjtlicb die allzeit empfundenen Analogien zwifcben allgemeiner Logik, allgemeiner Wertelehre und Ethik, die, in ihre letjten Tiefen verfolgt, zur Konftitution von allgemeinen f o r m a l e n Paralleldifziplinen hinleiten, der formalen Logik, der formalen Axiologie und Praktik. 1 Wir werden alfo zurückgeführt auf den v e r a l l g e m e i n e r t e n Titel » Τ h e f i s «, auf den wir nun den Satj beziehen: J e d e s B e w u ß t f e i n ift e n t w e d e r a k t u e l l oder pot e n t i e l l » t h e t i f c h e s « . Der frühere Begriff » d e r a k t u e l l e n S e tj u η g « und mit ihm der der P o f i t i o n a l i t ä t erfährt dabei eine entfprechende Erweiterung. Darin liegt: Unfere Lehre von der Neutralifierung und ihrer Beziehung auf die Pofitionalität überträgt fich auf den erweiterten Begriff der Thefis. Alio dem thetifchen Bewußtfein überhaupt, ob es nun vollzogenes ift oder nicht, gehört zu aie allgemeine Modifikation, die wir die neutralitierende nennen, und zwar d i r e k t in folgender Weife. Huf der einen Seite haben wir die pofitionalen Thefen dadurch efrarakterifiert, daß fie entweder aktuelle Thefen find oder in aktuelle überzuführen find; daß fie demgemäß »wirklich« fetjbare Noemata haben — aktuell fetjbar im erweiterten Sinne. Dem ftehen gegenüber die uneigentlichen, die »gleichfam«-Thefen, die kraftlofen Spiegelungen, unfähig irgendwelche aktuell-thetifchen Vollziehungen hinfichtlich ihrer, eben neutra1) Vgl., darüber weiter unten 4. fibfehnitt, 3. Kapitel.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofopbie.

243

tifierten Noemata in ficb aufzunehmen. Der Unterfcbied zwiieben Neutralität und Pofitionalität ift ein paralleler noetifcber und noematifcber, er betrifft, wie er hier gefaßt wird, alle Sorten von tbetifchen Charakteren direkt, ohne den Umweg über die »Pott» tionen«, im engen und allein üblichen Wortfinn der doxifeben Urfetjungen - an denen er fich doch allein ausweifen kann. Das fagt aber, daß die Bevorzugung diefer fpeziellen doxifeben Setjungen ihr tiefes Fundament in den Sachen bat. Gemäß unferen finalyfen haben eben die doxifeben Modalitäten und darunter in befonderer Weife die doxifebe Urtbefis, die der Glaubensgewißbeit, den einzigartigen Vorzug, daß ihre pofitionale Potentialität die ganze Bewußtfeinsfpbäre übergreift. Wefensgefetjlieb kann jede Tbefis, welcher Gattung immer, vermöge der zu ihrem Wefen unaufbebbar gehörigen doxifeben Cbarakterifierungen in aktuelle doxifebe Setjung umgewandelt werden. Ein pofitionaler Hkt fetjt, aber in welcher »Qualität« immer er fetjt, er fetjt auch doxifcb; was immer durch ihn in anderen Modis gefetjt ift, ift auch als feiend gefetjt: nur nicht aktuelt. Die Hktualität kann aber wefensmäßig erzeugt werden, in der Weife einer prinzipiell möglichen »Operation«. Jeder »Sa§«, ζ. B. jeder Wunfcbfat), kann daher in einen doxifeben Sat) umgewandelt werden, und er ift dann in gewiffer Weife doch beides in eins: zugleich doxifeber Sat) und Wunfcbfat}. Dabei ift die Wefensgefetjmäßigkeit, wie wir oben febon angedeutet hatten, zunäcbft die, daß der V o r z u g d e s D o x i f e b e n e i g e n t l i c h in a l l g e m e i n e r W e i f e d o x i f e b e Modalitäten betrifft. Denn jedes Gemütserlebnis, jedes Werten, Wünfcben, Wollen ift i n ficb entweder cbarakterifiert als Gewißfein oder als Rngemutetfein oder als vermutendes, zweifelndes Werten, Wünfcben, Wollen. 1 Dabei ift ζ. B. der Wert, wenn wir nicht auf die doxifeben Setjungsmodalitäten eingeftellt find, eben nicht in feinem doxifeben Charakter aktuell gefetjt. Der Wert ift im Werten bewußt, das Gefällige im Gefallen, das Erfreuliche im Sicb-freuen, aber mitunter fo, daß wir im Werten nur nicht ganz »fieber« find; oder fo, daß die Sache ficb nur als werte anmutet, als vielleicht werte, während wir noch nicht für fie im Werten Partei ergreifen. In folchen Modifikationen des wertenden Bewußtfeins lebend, brauchen wir nicht auf das Doxifebe eingeftellt zu fein. Wir können es aber werden, wenn wir etwa in der Rnmutungstbefis leben und dann in die entfpreebende Glaubenstbefis übergeben, die prädikativ gefaßt 1) Vgl. oben S. 240. 16*

244

Edmund Hufferl,

nun die F o r m erhält: »die Sache dürfte eine werte fein«, oder bei einer Wendung zur noetifchen Seite und zum wertenden Ich: »fie mutet fid) mir als werte (vielleicht werte) an«. Ebenfo für andere Modalitäten. I n a l l e n t b e t i i c h e n C h a r a k t e r e n i t e c k e n in d i e f e r A r t d o x i f c h e M o d a l i t ä t e n und, wenn der Modus der der Gewißbeit ift, doxifche Urtbefen, ficb mit den tbetiichen Charakteren dem noematifcben Sinne nach d e ck e η d. Da dies aber auch für die doxifcben Abwandlungen gilt, fo liegen (nun nicht mehr in noematifcher Deckung) auch doxifche U r t b e f e n in jedem Akte. Wir können darnach auch fagen: J e d e r A k t , b z w . j e d e s H k t k o r r e l a t b i r g t i n ficb e i n » L o g i f c b e s « , e x p l i z i t e oder implizite. E r ift immer logifcb zu explizieren, nämlich vermöge der wefensmäßigen Allgemeinheit, mit der die noetifcbe Schicht des »Ausdrückens« ficb allem Noetifchen (bzw. die des Ausdruckes ficb allem Noematifcben) anfcbmiegen läßt. Dabei ift es evident, daß mit dem Übergang in die Neutralitätsmodifikation auch das Ausdrücken felbft und fein Ausgedrücktes als folcbes ficb neutralifiert. Nach all dem ergibt es ficb, d a ß a l l e A k t e ü b e r h a u p t auch d i e G e m ü t s - u n d W i l l e n s a k t e »objektivierende« find, G e g e n f t ä n d e urfprünglicb »konf t i t u i e r e n d « , notwendige Quellen verfcbiedener Seinsregionet. und damit auch zugehöriger Ontotogien. Zum Beifpiel: Das wertende Bewußtfein konftituiert die gegenüber der bloßen Sachenweit neuartige »axiologifcbe« Gegenftändlicbkeit, ein »Seiendes« neuer Region, fofern eben durch das Wefen des wertenden Bewußtfeins überhaupt, aktuelle doxifche Theten als ideale Möglichkeiten vorgezeicbnet find, welche Gegenftändlicbkeiten eines neuartigen Gehalte* — Werte — als im wertenden Bewußtfein »vermeinte« zur Herausbebung bringen. Im Gemütsakte find fie gemütsmäßig vermeint, fie kommen durch Aktualifierung des doxifcben Gehaltes diefer Akte zu doxifcbem und weiter zu logifcb-ausdrücklicbem Gemeintfein. Jedes nicht-doxifcb vollzogene Aktbewußtfein ift in diefer Art p o t e n t i e l l objektivierend, d a s d o x i f c h e c o g i t o allein vollzieht aktuelle Objektivierung. Hier liegt die tieffte der Quellen, aus denen die U n i v e r f a l i t ä t d e s L o g i f c h e n , zulegt die des prädikativen Urteils aufzuklären ift (wobei wir die noch nit näher bebandelte Schicht des bedeutungsmäßigen Ausdrückens hinzunehmen), und von da aus

Ideen zu einet reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofopble.

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verftebt (ich auch der letjte Grund der Univerfalität der Herrfcbaic der Logik felbft. In weiterer Folge begreift ficb die Möglichkeit, ja Notwendigkeit auf die Gemüts- und Willensintentionalität wefentliA bezogener formaler und materialer noecifcber, bzw. noematifcber und ontologifcber Diiziplinen. Wir werden diefes Thema ipäter aufnehmen, bis wir uns einiger ergänzender Erkenntniife verfichert haben. 1 §118.

Bewußtfeinsfyntbefen.

S y η t a k t i f cb e

Formen.

Lenken wir jet)t unfer Augenmerk in die zweite der oben 2 angezeigten Richtungen, auf die Formen des f y n t h e t i f c h e n Be» wußtfeins, fo treten in unteren Horizont mannigfache Bildungsweifen von Erlebniffen durch intentionale Verknüpfung, die als Wefensmöglichkeiten teils zu allen intentionalen Erlebniffen überhaupt, teils zu den Eigentümlichkeiten befonderer Gattungen derfelben gehören. Bewußtfein und Bewußtfein bindet ficb nicht nur überhaupt zufammen, es verbindet ficb zu e i n e m Bewußtfein, deffen Korrelat e i n Noema ift, das feinerfeits in den Noemen der verbundenen Noefen fundiert ift. Wir haben es hier nicht auf die E i n h e i t d e s i m m a n e n t e n Z e i t b e w u ß t f e i n s abgefeben, obfcbon auch an fie, als die allumfaffende Einheit für alle Erlebniffe eines Erlebnisftromes, und zwar als eine Einheit Bewußtfein mit Bewußtfein verbindenden B e w u ß t f e i n s , erinnert werden muß. Nehmen wir irgendein einzelnes Erlebnis, fo konftituiert es ficb als eine in der pbänomenologifcben Zeit ausgebreitete Einheit im kontinuierlichen »uvfprünglicben« Zeitbewußtfein. Wir können, bei paffender reflektivec Einteilung, auf die bewußtfeinsmäßige Gegebenheitsweife der zu verfchiedenen Hbfcbnitten der Erlebnisdauer gehörigen Erlebnis» ftrecken achten und darnach fagen, daß ficb das ganze, diefe Dauereinbeit konftituierende Bewußtfein aus Hbfcbnitten kontinuierlich komponiert, in welchen ficb die Erlebnisabfchnitte der Dauer konftituieren; und daß fomit die Noefen ficb nicht nur verbinden, fondern e i n e Noefe mit e i n e m Noema (der erfüllten Erlebnisdauer) konftituieren, weiches in den Noemen der verbundenen Noefen fundiert ift. Dasfelbe, was von einem einzelnen Erlebnis gilt, gilt für den ganzen Erlebnisftrom. Wie fremd Erlebniffe einander im Wefen auch fein können: fie konftituieren ficb insgefamt als e i n Zeitftrom, als Glieder in der e i n e n phänomenologifcben Zeit. 1) Vgl. weiter unten das Scblußkapitel des 4. flbfcfonittes S. 303 ff. 2) Vgl. S. 239.

Edmund Huifert,

246

Indefien diefe Urfyntbefe des urfprünglicben Zeitbewußtfeins (die nicht als eine aktive und diskrete Synthefe zu denken ift) haben wir ausdrücklich mit der ihr zugehörigen Problematik ausgefdbieden. Wir wollen jetjt alio von Syntbefen nicht im Rahmen diefes Zeit· b e w u ß t l e i n s , fondern im Rahmen der Z e i t f e l b f t fprechen, der konkret erfüllten pbänomenologifeben Zeit, oder was dasfelbe, von Syntbefen der Erlebniffe fcblecbtbin, genommen, wie wir fie bisher immer nahmen, als dauernde Einheiten, als ablaufende Vorgänge im Erlebnisftrome, der felbft nichts anderes ift als die erfüllte pbänomenologifche Zeit. Andererfeits geben wir auch nicht auf die allerdings febr wichtigen k o n t i n u i e r l i c h e n S y n t b e f e n ein, wie folebe ζ. B. wefentlicb zu allem Raumdinglicbkeit konftituierenden Bewußtfein gehören. Wir werden fpäter ausreichende Gelegenheit finden, diefe Syntbefen genauer kennen zu lernen, linier Intereffe wenden wir vielmehr den g e g l i e d e r t e n S y n t b e f e n zu, alfo den eigentümlichen Weifen, wie diskret abgefegte Akte fieb zu einer gegliederten Einheit, zu der eines fyntbetifAen Aktes höherer Stufenordnung verbinden. Bei einer kontinuierlichen Synthefe fprechen wir nicht von einem »Akte höherer O r d n u n g « v i e l mehr gebort die Einheit (noetifcb, wie noematifcb und gegenftändlich) derfelben Ordnungsftufe zu wie das Geeinigte. Im übrigen ift leicht zu feben, daß fo manches Allgemeine, das wir im folgenden ausführen werden, in gleicher Weife für kontinuierliche, wie für gegliederte — p o l y t b e t i f e b e — Syntbefen zutrifft. Bcifpiele von fyntbetifchen Akten höherer Stufe bietet uns in der Willensfpbäre das b e z i e h e n d e W o l l e n »um eines anderen willen«, ebenfo im Kreife der G e f ü b l s a k t e das b e z i e h e n d e G e f a l l e n , das Sich«freuen » m i t R ü c k f i c b t a u f « , oder, wie wir ebenfalls fagen, »um eines anderen willen«. Und fo alle ähn* liehen Aktvorkommniffe bei den verfebiedenen Aktgattungen. Offen* bar gehören auch alle A k t e d e r B e v o r z u g u n g hierher. Der näheren Betrachtung wollen wir eine andere, in gewiffer Art univerfale Gruppe von Syntbefen unterziehen. Sie umfaßt k o l l i g i e r e n d e (zufammennebmende), d i s j u n g i e r e n d e (auf das »dies oder das«'gebende), e x p l i z i e r e n d e , b e z i e h e n d e Syntbefen, überhaupt die ganze Reibe von Syntbefen, die nach den reinen Formen der fich in ihnen konftitnierenden fyntbetifchen Gegenftändlicbkeiten die formal-ontolcgifcben Formen beftimmen, und andererfeits binficbtlicb des Baues der noematifeben Gebilde 1) Vgl.

P h i l o f o p b i e d. A r i t h m e t i k « , S. SO u. ö.

Ideen zu einet reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofopbie.

247

ficb in den apophantifchen B e d e u t u n g s f o r m e n d e r form a l e n L o g i k (der durchaus noematifch gerichteten Logik der Sätje) widerfpiegeln. Die Beziehung auf die f o r m a l e Ontotogie und Logik deutet fdion an, daß es ficb da um eine wefensmäßig abgefchloffene Gruppe von Synthefen bandelt, denen eine unbedingte Allgemeinheit möglicher Anwendung zukommt binficbtlicb der Arten zu verbindender Erlebniffe, die ibrerfeits alfo auch beliebig komplexe noetifcbe Einheiten fein dürfen. § 119. U m w a n d l u n g p o l y t b e t i f c h e r A k t e i n m o n o t b e t i f c b e . Zunäcbft ift für a l l e Arten von gegliederten Synthefen, von polytbetifcben Akten, folgendes zu beachten: Jedes fyntbetifcb-einbeitliche Bewußtfein, wie viele befondere Theten und Synthefen ihm eingeordnet fein mögen, befitjt den ihm, als fyntbetifch-einheitlichem Bewußtfein, zugehörigen Gefamtgegenftand. Gefamtgegenftand heißt er gegenüber den Gegenftänden, die zu den fyntbetifcben Gliedern niederer oder höherer Stufe intentional gehören, fofern fie alle auch in der Weife der Fundierung zu ihm beitragen und ficb ihm einordnen. Jede eigenartige fid) abgrenzende Noefe, mag fie auch ein? unfelbftändige Schicht fein, trägt das ihre zur Konftitution des Gefamtgegenftandes bei; wie ζ. B. das Moment des Wertens, das unfelbftändig ift, da es in einem Sacbbewußtfein notwendig fundiert ift, die gegenftändliche Wert· fchicbt, die der »Wertbeit« konftituiert. Solche neuen Schichten find auch die fpezififcb fyntbetifcben der vorbin bezeichneten univerfellften Bewußtfeinsfyntbefen, d. b. all die Formen, die fpeziell aus dem fyntbetifcben Bewußtfein als folcbem ftammen, alfo die Verbindungsformen und die an den Gliedern felbft (infofern fie in die Syntbefe einbezogene find) haftenden fyntbetifcben Formen. Im fyntbetifcben Bewußtfein, fagten wir, konftituiert fleh ein fyntbetifcher Gefamtgegenftand. Er ift aber darin in ganz anderem Sinne »gegenftändlich« als das Konftituierte einer fchlichten Thefe. Das fyntbetifche Bewußtfein, bzw. das reine Ich »in« ihm, richtet ficb v i e l f t r a b l i g auf das Gegenftändliche, das fcblicht tbetifebe Bewußtfein in e i n e m Strahl. So ift das fyntbetifche Kolligieren ein »plurales« Bewußtfein, es wird eins und eins und eins zufammen» genommen. Ebenfo konftituiert ficb in einem primitiven beziehenden Bewußtfein die Beziehung in einem zwiefachen Setjen. Und ähnlich überall.

248

Edmund Hufferl,

Zu jeder folchen vielftrabligen (polythetiicben) Konftitution fyntbetifeber Gegenftändlicbkeiten - die ihrem Wefen nach » u r f p r ü n g l i ch« n u r fynthetifch bewußt werden können - gehört die wefensgefetjliche Möglichkeit, das v i e l f t r a h l i g B e w u ß t e i n e i n ichlicht in e i n e m S t r a h l B e w u ß t e s zu v e r w a n d e l n , das im erfteren fynthetifch Konftituierte fich in einem » m o n o · t b e t i f c h e n « Akte i m f p e z i f i f e b e n S i n n e » g e g e n f t ä n d » lieh z u m a c h e n « . So wird die fynthetifch konftituierte Kollektion im ausgezeichneten Sinne gegenftändlicb, fie wird zum Gegenftänd einer fchlichten doxifchen Thefis in der Rückbeziehung einer fchlichten Thefis auf die foeben urfprünglicb konftituierte Kollektion, alfo in einer eigentümlichen noetifchen Anknüpfung einer Thefis an die Synthefls. Mit anderen Worten: D a s p l u r a l e B e w u ß t f e i n k a n n w e f e n s · m ä ß i g ü b e r g e f ü h r t w e r d e n i n e i n f i n g u l a r e s , das aus ihm die Vielheit als e i n e n Gegenftänd, als Einzelnes entnimmt; die Vielheit kann nun ihrerfeits mit anderen Vielheiten und fonftigen Gegenftänden verknüpft, zu ihnen in Beziehung gefetjt werden ufw. Die Sachlage ift offenbar diefelbe für das dem kolligierenden Bewußtfein ganz analog gebaute d i s j u n g i e r e n d e und feine ontifchen, bzw. noematifchen Korrelate. Ebenfo kann aus dem b e z i e h e n d e n Bewußtfein die fynthetifch »urfprünglicb konftituierte B e z i e h u n g in einer angeknüpften fcblicbten Thefe entnommen und zum Gegenftänd im ausgezeichneten Sinne gemacht, und als foleber mit anderen Beziehungen verglichen, überhaupt zum Subjekt von Prädikaten verwendet werden. Dabei ift aber zu völliger Evidenz zu bringen, daß das fcblicbt Vergegenftändlicbte und das fynthetifch Einheitliche wirklieb dasfelbe ift, und daß die nachkommende Thefis, bzw. Herausnebmung, dem fyntbetifchen Bewußtfein nichts andichtet, fondern erfaßt, was diefes gibt. Evident ift freilich auch die wefentlicb ver« fchiedene Gegebenbeitsweife. In der Logik bekundet fich diefe Gefetjmäßigkeit im G e f e t ) d e r » N o m i n a l i f i e r u n g « , wonach jedem Sat) und jeder im Satj unterfebeidbaren Partialform ein Nominale entfpriebt: dem Satje felbft, fagen wir »S ift p«, der n o m i n a l e D a ß f a t j ; ζ. B. an Subjektftelle neuer Sätje dem »ift p« das P-fein, der Relationsform »ähnlich« die flbnli e b k e i t , der Pluralform die M e h r h e i t ufw.1 1) Vgl. die erften Verfuche darüber in den »Log. Unterf.· II, 5. Unterf. § 34 bis 36, ferner § 49 d. 6. Unterf. und überhaupt zur Lehre von der Syn· tbefis den 2. flbfebnitt diefer Unterfucbung.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbanomenol. Pbilofopbie.

249

Die aus den »Nominalifieiungen« entsprungenen Begriffe, aus» fchließlich durch die reinen Formen beftimmt gedacht, bilden f o r · m a l - k a t e g o r i a l e Fib W a n d l u n g e n d e r I d e e d e r G e g e n · C t ä n d l i c b k e i t ü b e r h a u p t und liefern das fundamentale Begriffsmaterial der formalen Ontologie und darin befchloiien alle formal - matbematifchen Difziplinen. Diefer Öat) ift für das Verftändnis des Verbältniifes der formalen Logik als Logik der Apo» phanfis und der univerfellen formalen Ovttologie von entfcbeidender Bedeutung. §120.

Pofitionalität

und

Neutralität

in

der

Spbäi-ε

der

Synthefen. Alle eigentlichen Synthefen, und folche hatten wir beftändig im Huge, bauen fich auf fchlichte Thefen, das Wort in Jenem allgemeinen Sinn verftanden, den wir oben fixiert haben, der alle »Intentionen«, alle »Aktcharaktere« umfaßt; und f i e f e l b f t find Theten, Thefen höherer Stufe. 1 Alle unfere Feftftellungen über Aktualität und Inaktualität, über Neutralität und Pofitionalität übertragen fich darnach, wie keiner Ausführung bedarf, auf die Synthefen. Eine nähere Unterfuchung würde hier dagegen nötig fein, um feftzuftellen, in welchen verfchiedenen Weifen ficb die Pofitionalität und Neutralität der fundierenden Thefen zu derjenigen der fundierten Thefen verhält. Allgemein und nicht nur für die fpeziellen fundierten Akte, die wir Synthefen nennen, ift es klar, daß man nicht ohne weiteres fagen kann, es fe^e eine pofitionale Thefis höherer Stufe lauter pofi5 tionale Thefen in den niederen Stufen voraus. S o ift ja eine aktuelle Wefenserfchauung ein pofitionaler und nicht ein neutralifierter Akt, der in irgendwelchem exemptarifch anfchauenden Bewußtfein fundiert ift, das feinerfeits fehr wohl ein neutrales, ein Phantafiebewußtfein fein kann. Ähnliches gilt von einem äfthetifchen Gefallen hiniichtlich des erfcheinenden Gefallen^objekts, von einem pofitionalen Abbildungsbewußtfein hinfidrtlich des abbildenden »Bildes«. Betrachten wir nun die uns intereffierende Gruppe von Synthefen, fo erkennen wir fogleici», daß i n i h r ; e d e S y n t h e f e nach i h r e m p o f i t i o n a l e n C h a r a k t e r a b h ä n g i g ift v o n d e m d e r f u n d i e r e n d e n N o e f e n ; genauer, daß fie pofitional 1) Übrigens hat der Begriff der Synthefe eine kaum fchädliche Doppeldeutigkeit, indem er bald das volle iyntbetifebe Phänomen und bald den bloßen fyntbetifeben »flktcbaraktec«, die oberfte Thefe des Phänomens, bezeichnet.

250

Edmund Hufferl,

ift (und es nur fein kann), wenn die {amtlichen Untertbeien pofitionale find, und neutral, wenn iie es nicht find. Ein Kolligieren ζ. B. ift entweder wirklich Kolligieren oder Kolligieren im Modus des »gleicbfam«, es ift wirklich oder neutralifiert thetifch. Im einen Falle find die fämtlichen auf die einzelnen Kollektionsglieder bezogenen Akte wirkliche Tbefen, im anderen Falle nicht. Ebenfo verhält es iicb mit allen übrigen Syntbefen der iicb in den logifchen Syntaxen widerfpiegelnden Klaffe. Reine Neutralität kann für pofitionale Syntbefen nie fungieren, fie muß zum minderten die Umwandlung in »Rnfätje« erfahren, etwa in bypotbetifdbe Vorderfätye oder Nachtäte, in bypotbetifch an· gefegte Nominalien, wie ζ. B. »der Pfeudo-Dionyfius«, und was dergleichen mehr. §121. D i e d o x i f c b e n S y n t a x e n i n d e r G e m ü t s · Willensfpbäre.

und

Fragen wir nun, wie die Syntbefen diefer Gruppe dazu kommen, ficb in den fyntaktifcben Formen der flusfagefätje auszudrücken, welche die loqifcbe Formenlehre der Sätje fyftematifch entwickelt, fo liegt die Antwort auf der Hand. Es find eben, fo wird man fagen, d o x i f c b e S y n t b e f e n , oder wie wir in Erinnerung an die logifcbgrammatifchen Syntaxen, in denen fie ficb ausprägen, auch fagen: doxifcbe Syntaxen. Zum fpezififcben Wefen der doxifcben R k t e gehören diefe Syntaxen des »und«, bzw. die Pluralformen, die Syntaxen des »oder«, der beziehenden Setjung eines Prädikats auf dem Untergründe einer Subjektfetjung ufw. Daß »Glaube« und »Urteil« im logifchen Sinne nahe zufammengebören (wenn man fie nicht geradezu identifizieren will), daß Glaubensfyntbefen ihren »flusdrudt« finden in den Formen der ftusfagefätje, das wird ja niemand bezweifeln. S o richtig das auch ift, fo ift doch einzufeben, daß die bezeichnete Ruffaffung nicht die ganze Wahrheit in iicb begreift. Diefe Syntbefen des »und«, des »oder«, des »wenn« bzw. »weil« und »fo«, kurz, die ficb zunäcbft als doxifcb gebenden Syntbefen, find gar nicht b l o ß doxifcbe. Es ift eine Grundtatfacbe 1 , daß foldbe Syntbefen auch zum eigenen Wefen der nicht-doxifcben Tbefen gehören, und zwar in folgendem Sinne. 1) Huf diefelbe fließ der Vf. (Tcbon vor mehr als einem J a h r z e h n t ) bei dem Verfucbe, die Idee einer formalen Axiologie und P r a k t i k als R n a t o g o n der formalen Logik zu rc;ilifieren.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofopbie. 251 Es gibt unzweifelhaft fo etwas wie kollektive Freude, kollek· tives Gefallen, kollektives Wollen ufw. Oder wie icf> es auszudrücken pflege, es gibt neben dem doxifchen »und« (dem logifcben) auch ein axiologifches und praktifches »und«. Das gleiche gilt von dem »oder« und allen hierbergehörigen Synthefen. Zum Beifpiel: die Mutter, die liebend auf ihre Kindericbar blickt, umfaßt in e i n e m Akte der Liebe jedes Kind einzeln und alle zufammen. Die Einheit eines kollektiven Hktes der Liebe ift nicht eine Liebe und ein kollektives Vorftelten dazu, fei es auch als notwendige Unterlage der Liebe zugeordnet. Sondern das Lieben felbft ift kollektives, es ift ebenfo vielftrablig wie das ihm »unterliegende« Vorftellen und ev. plurale Urteilen. Wir dürfen geradezu von einem pluralen Lieben fprechen, genau in dem Sinne, wie von einem pluralen Vorftellen, bzw. Urteilen. Die fyntaktifchen Formen gehen in das Wefen der Gemütsakte felbft ein, nämlich in die ihnen ipezififch eigentümliche thetifche Schicht. Das kann hier nicht für alle Synthefen durchgeführt werden, es genüge zur Andeutung das gegebene Beifpiel. Nun erinnern wir uns aber der oben unterfuchten Wefensverfchwifterung von doxifchen Thefen und Thefen überhaupt. In jeder Thefis überhaupt liegt, nach dem, was fie ζ. B. als diefe Liebesintention noematifch leiftet, eine parallele doxifche verborgen. Offen» bar ift der Patallelismus zwifchen den zur Sphäre der doxifchen Thefe gehörigen Syntaxen und den zu allen anderen Thefen ge» hörigen (der Parallelismus des doxifchen »und«, »oder* ufw. mit dem wertlichen und willentlichen) ein befonderer Fall derfelben Wefensverfchwifterung. Denn die fynthetifchen Gemütsakte — nämlich fynthetifch hinfichtlich der hier erörterten fyntaktifchen Formen - konfluieren f y n t b e t i f c h e Gemütsgegenftändlidikeiten, die durch entfprechende doxifche Akte zu expliziter Objektivierung kommen. Die geliebte Kinderfchar als L i e b e s o b j e k t ift ein Kollektivum; das fagt, in korrelativer Wendung des oben Husgeführten, nicht nur ein fachliches Kollektivum und d a z u eine Liebe, fondern ein L i e b e s k o l l e k t i v u m . Wie in noetifcher Hinficht ein vom Ich ausgehender Liebesftrahl fich in ein Bündel von Strahlen zerteilt, deren jeder auf ein Einzelobjekt geht, fo verteilen fich auf das Liebeskollektivum als folches fo viele η ο e m a t i f c h e L i e b e s c h a r a k t e r e , als jeweils Gegenftände kolli» giert find, und es find ebenfo viel pofitionale Charaktere, die ficii zur noematifd^en Einheit eines pofitionalen Charakters fynthetifch verbinden.

252

Edmund Hufferl,

Wir fehen, daß all diefe iyntaktifchen Formen Parallelformen find, d. b„ daß fie fowohl den Gemütsakten felbft mit ihren fpezififchen öemütskomponenten und Gemütsfynthefen zugebören, als auch den ihnen parallelen und mit ihnen wefenseinigen doxifchen Pofitionalitäten, welche aus ihnen durch paffende Blickwendungen auf die jeweiligen Unterftufen und Oberftufen herauszuholen find. Natürlich überträgt fidb das von der noetifcben auf die noematifche Sphäre. Das axiologifche »und« birgt wefentlich ein doxifches in ficb, jede axiologifche fyntaktifche Form der hier betrachteten Gruppe eine logifche: ganz ίο wie jedes fchlichte noematifche Korrelat ein »feiend« oder eine andere Seinsmodalitat und als ihr Subftrat die Form des »etwas« und die fonft ihr zugehörigen Formen in fid> fchließt. Jederzeit ift es Sache befonderer, wefensmöglicher Blickwendungen und mitbefchloffener thetifcher oder fyn· thetHcb-doxifcher Prozeduren, aus einem Gemütsakte, in dem wir iozuiagen nur gemütvoll leben, alfo ohne die doxifchen Potentiellsten zu aktualifieren — einen neuen Akt zu geftalten, in welchem die vorerft nur potentielle Gemütsgegenftändlicbkeit fid> in eine aktuelle, doxifch und ev. ausdrücklich explizierte verwandelt. Es ift dabei möglich und im empirifchen Leben fehr gewöhnlich, daß wir ζ. B . auf mehrere anfchaulid>e Gegenftände hinfehen, fie doxifch fetjend; daß wir dabei zugleich einen fynthetifchen Gemütsakt vollziehen; etwa eine Einheit kollektiven Gefallens, oder die eines heraus· wählenden Gemütsaktes, eines bevorzugenden Gefallens, eines hinten· fegenden Mißfallens; während wir gar nicht dazu übergehen, das ganze Phänomen doxifch zu wenden. Wir tun es aber, wenn wir eine Husfage machen, ζ. B . über unfer Gefallen an der Mehrheit oder an Einem aus der Mehrheit, über die Vorzüglichkeit des einen gegenüber den anderen u. dgl. E s braucht nicht betont zu werden, wie wichtig die forgfältige Durchführung folcher Hnalyfen für die Erkenntnis des Wefens axiologifcher und praktifcher Gegenftändlicfrkeiten, Bedeutungen und Bewußtfeinsweifen ift, alfo für die Probleme des »Urfprungs« der ethifchen, äfthetifchen und der ihnen fonft wefensverwandten Begriffe und Erkenntniffe. Da es hier eigentlich nicht unfere Aufgabe ift, phänomenologifche Probleme zu löfen, fondern die Hauptprobleme der Pbäno· menologie wiffenfchaftlich herauszuarbeiten, bzw. die mit ihnen zuiammenhängenden Unterfucbungsrichtungen vorzuzeichnen, muß es für uns genug fein, die Sachen foweit geführt zu haben.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofopbie. §122. V o t l z u g s m o d i

der a r t i k u l i e r t e n »Thema«.

253

Syntbefen.

Zum Reiche der Thefen und Syntbefen gehört eine wichtige Gruppe von allgemeinen Modifikationen, deren kurz andeutende Be« fprechung wir am beften hier gleich anfchließen. Eine Synthefe kann Schritt für Schritt v o l l z o g e n fein, Oe wird, fie entfteht in u r i p r ü n g l i c h e r P r o d u k t i o n . Diefe Originarität des Werdens im Bewußtfeinsftrom ift eine ganz eigentümliche. Die Tbefe und Synthefe wird, indem das reine Ich den Schritt und jeden neuen Schritt aktuell tut; es felbft lebt in dem Schritte und »tritt« mit ihm »auf«. Das Setjen, Daraufhinie'tjen, Voraus« und Nacbfetjen ufw. ift feine f r e i e S p o n t a n e i t ä t u n d A k t i v i t ä t ; es lebt in den Thefen nidbt als paffives Darinnenfein, fondern fie find Ausftrablungen aus ihm als einer Urquelle von Erzeugungen. Jede Thefis beginnt mit einem E i n f a t z p u n k t , mit einer punktuellen U r f p r u n g s f e t z u n g ; fodie erfte Thefis, wie jede weitere im Zufammenhange der Synthefis, Diefes »Einfetjen« gehört eben zur Thefis als folcher, als ein merkwürdiger Modus urfprünglichet Aktualität. Es ift fo etwas wie das f i a t , wie der Einfatjpunkt des Wollens und Handelns. Doch darf man Allgemeines und Befonderes nicht verwechfeln. Das fpontane Sich-entfcbließen, das willentliche, ausführende Tun Ift e i n Akt neben anderen Akten; feine Syntbefen find befondere Syntbefen unter anderen. Aber j e d e r Akt, welcher Art immer, kann in diefem S p o n t a n e i t ä t s m o d u s d e s fozufagen f c h ö p f e r i f c h e n A n f a n g s anheben, in dem das reine Ich feinen Auftritt als Subjekt der Spontaneität hat. Diefer Modus des Einfetjens gebt fofort und nach einer Wefensnotwendigkeit in einen anderen Modus über. Zum Beifpiel das wahrnehmende E r f a f f e n , E r g r e i f e n wandelt fich alsbald und bruchlos in das » i m G r i f f h a b e n « . Eine abermals neue modale Änderung fcbließt fich an, wenn die Thefis bloßer Schritt für eine Synthefis war, wenn das reine Ich einen neuen Schritt vollzieht, und wenn es nun in der durchgehenden Einheit des fyntbetifcben Bewußtfeins, was es foeben im Griffe hatte, »noch« i m G r i f f e » b e h ä l t « : das neue tbematifche Objekt erfaffend, oder vielmehr ein neues Glied des Gefamttbemas als primäres Thema erfaffend, aber das vorher gefaßte Glied, als zum felben Gefamttbema gehörig, noch haltend. Zum Beifpiel kolligierend laffe ich das foeben wahrnehmend Erfaßte nicht fahren, indem ich den erfaffenden Blick dem neuen Objekte zuwende. Einen

254

E d m u n d Hufferl,

Beweis vollziehend, durchlaufe ich die Prämiffengedanken in Schritten; keinen fynthetifchen Schritt gebe ich preis, was ich gewonnen habe, verliere id) nicht aus dem Griff, aber der Aktualitätsmodus bat fich mit dem Vollzuge der neuen thematifchen Uraktualität wefentlich geändert. Es bandelt fich dabei zwar a u cb, doch keineswegs b l o ß um Verdunkelungen. Vielmehr ftellen die Unterfd>iede, die wir foeben zu befchreiben verfuchten, gegenüber den Unterfchieden der Klarheit und Unklarheit eine völlig neue Dimeniion dar, obfchon beidedei Unterfchiede fich ίο eng verflechten. Wir beachten ferner, daß diefe neuen Unterfchiede, nicht minder als die der Klarheit und als alle fonftigen intentionalen Unterfchiede, unter dem Gefet) der Korrelation von Noefis und Noema ftehen. Wieder entfprechen alfo den noetifchen Aktualitätsmodifikationen der hierher gehörigen Art noematifche. D. h. die Gegebenheitsweife des in den Wandlungen der Thefis, bzw. den Schritten der Syntheßs »Vermeinten als folchen« ändert fich, und man kann diefe finde« rungen an dem jeweiligen noematifcben Gehalt felbft aufweifen und an ihm als eine eigene Schicht zur Abhebung bringen. Wenn fich in diefer Weife der Hktualitätsmodus (noematifch ge» fprochen, der Gegebenheits»modus) — von den fließend-kontinuierliehen Änderungen abgefehen - nach gewiffen d i s k r e t e n T y p e n notwendig wandelt, fo verbleibt doch immerfort durch die Wandlungen hindurch ein wefentlich Gemeinfames. Noematifch bleibt ein Was als identifcher S i n n erhalten; auf noetifcher Seite das Korrelat diefes Sinnes, ferner die ganze Form der Artikulation nach Thefen und Syntbefen. Nun ergibt fich aber eine neue Wefensmodifikation. Das reine Ich kann fich aus den Theten ganz z u r ü c k z i e h e n , es e n t l ä ß t die thetifchen Korrelate a u s f e i n e m » G r i f f « : es » w e n d e t (ich e i n e m a n d e r e n T h e m a z u « . Was foeben noch fein Thema (tbeoretifches, axiologifches ufw.) war mit all feinen, wenn auch mehr oder minder verdunkelten Artikulationen, ift nicht aus dem Bewußtfein verfchwunden, es ift noch bewußt, aber nicht mehr im thematifchen Griff. Das gilt aud) für vereinzelte Theten, wie für Glieder von Syntbefen. Ich denke foeben nach, ein Pfiff von der Straße her lenkt mich momentan von meinem Thema (hier einem Denkthema) ab. Ein Augenblick der Zuwendung zum Schall, aber alsbald Rückkehr zum alten Thema. Die Schallerfaffung ift nicht ausgelöfcht, der Pfiff ift noch modifiziert bewußt, aber nicht mehr im geiftigen Griff. Er gehört nicht zum Thema — auch nicht zu einem parallelen Thema.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pfoänomenol. Pbilofophie. 255 Man bemerkt, daß diefe Möglichkeit gleichzeitiger, fid) ev. d u r c h l e b e n d e r u n d » i t ö t e n d e r « T h e m a t a und tbematifcher Synthefen noch auf weitere mögliche Modifikationen hinweift; wie denn der Titel » T h e m a « , bezogen auf alle Grundarten von Akten und Aktfynthefen, ein wichtiges Thema phänomen logifcher Analyfen ausmacht. §123. V e r w o r r e n h e i t u n d D e u t l i c h k e i t a l s V o l l z u g s m o d i f y n t h e t i f c h e r Akte. Betrachten wir nun noch Modalitäten des Vollzuges, die fozufagen in umgekehrter Richtung vom bevorzugten Modus urquellender Aktualität liegen. Ein Gedanke, einfach oder mit mannigfaltigen Tbefen ausgeftattet, kann als » v e r w o r r e n e r « Oedanke auftauchen. Er gibt fidb dabei wie eine fchlichte Vorftellung ohne jede aktuell-thetifche Artikulation. Wir erinnern uns etwa eines Beweifes, einer Theorie, eines Gefpräches — es »fällt uns ein«. Dabei find wir ihm zunächft gar nicht zugewendet, es taucht im »Hintergrund« auf. Dann richtet fjch ein Ichblick einftrahlig darauf, in einem ungegliederten Griff die betreffende noematifche Gegenftändlichkeit erfaffend. Nun kann ein neuer Prozeß anfetjen, die verworrene Wiedererinnerung geht in d e u t l i c h e und klare über: Schritt für Schritt erinnern wir uns des Beweisganges, wir erzeugen die Beweistbefen und Synthefen »wieder«, wir durchlaufen die Stadien des geftrigen Gefprächs »wieder« u. dgl. Natürlich ift folche Reproduktion in der Weife der Wiedererinnerung, der Wiedererzeugung der »früheren« originären Erzeugungen etwas Außerwefentliches. Wir haben etwa einen n e u e n tbeoretifchen Einfall für die Durchführung einer komplizierten Theorie erft verworreneinheitlich, dann in freitätig vollzogenen Schritten zur Entfaltung gebracht und in fynthetifcbe Aktualitäten verwandelt. All das Angedeutete ift felbftverftändlich in gleicher Weife auf alle Aktarten zu beziehen. Diefer wichtige Unterfchied zwifchen V e r w o r r e n h e i t und D e u t l i c h k e i t fpielt in der Phänomenologie der weiterhin zu befprechenden »Ausdrücke«, ausdrücklichen Vorftellungen, Urteile, Gemütsakte ufw. eine wichtige Rolle. Man denke nur an die Art, wie wir die immer fchon febr komplexen fyntbetifcben Gebilde, die den »Gedankeninbalt« unterer jeweiligen Lektüre ausmachen, zu erfaffen pflegen und überlege, was im Verftändnis des Gelefenen biniicbtlicb diefer fog. gedanklichen Unterlage der Ausdrücke zu wirklich originärer Aktualifierung kommt.

256

Edmund Huiferl, §124.

Die

n o e t i f c b - n o e m a t i f c b e Scbicbt d e s B e d e u t e n und B e d e u t u n g .

»Logos«.

Mit allen bisher betrachteten Akten verweben fich die ausdrückenden, die in dem fpezififcben Sinne »logifcben« Aktfcbid>ten, bei denen nicht minder der Paralielismus von Noeiis und Noema einleuchtend zu machen ift. Die allgemeine und unvermeidliche Zweideutigkeit der Redeweifen, welche durch diefen Paratlelismus bedingt ift und fich überall wirkfam zeigt, wo die einfchlägigen Verhältniife zur Sprache kommen, tut es natürlich auch in der Rede von Ausdruck und Bedeutung. Die Zweideutigkeit ift nur gefährlich, folange man fie nicht als folche erkennt, bzw. die parallelen Strukturen nicht gefondert hat. Ift das aber gefchehen, fo haben wir nur dafür Sorge zu tragen, daß es jeweils außer Zweifel ift, auf welche der Strukturen die Reden bezo auf den Grund zu kommen fuebt, zu pbänomenologifchen Wefens· forid>ungen hindrängen. 1 Man wird von da aus zu den Fragen geführt, wie das »Ausdrücken« von »Ausgedrücktem« zu verfteben fei, wie ausdrückliche Erlebniffe zu nicht ausdrücklichen ftehen, und was die letjteren im hinzutretenden Ausdrücken erfahren: man wird fieb auf deren »Intentionalitat« verwiefen finden, auf den ihnen •immanenten Sinn«, auf »Materie« und Qualität (d. i. Aktcharakter der Tbefis); auf die Unterfcbeidung diefes Sinnes und diefer Wefens» momente, die im Vor »Ausdrücklichen liegen, von der Bedeutung des ausdrückenden Phänomens felbft und den ihr eigenen Momenten ufw. Man erfiebt noch vielfach aus der beutigen Literatur, wie wenig die großen Probleme, die hier angedeutet find, nach ihrem vollen tiefliegenden Sinn gewürdigt zu werden pflegen. Die Schicht des Ausdruckes ift - das macht ihre Eigentümlichkeit aus - abgefehen davon, daß fie allen anderen Intentionalien eben Ausdruck verleiht, nicht produktiv. Oder wenn man will: I h r e P r o d u k t i v i t ä t , i h r e η ο e m a ti f ch e L eif t u n g , e r f e b ö p f t fieb i m A u s d r ü c k e n und der mit diefem neu hereinkommenden Form des Begrifflichen. Dabei ift die ausdrückende Schicht mit der Ausdruck erfahrenden dem tbetifchen Charakter nach vollkommen wefenseinig, und fie nimmt in der Deckung fo febr deren Wefen in fieb auf, daß wir das ausdrückliche Vorftellen eben felbft Vorftellen, das ausdrückliche Glauben, Vermuten, Zweifeln felbft und als Ganzes Glauben, Vermuten, Zweifeln nennen; desgleichen das ausdrückliche Wünfcben oder Wollen, eben Wünfcben, Wollen. Daß auch der llnterfcbied 1) Wie man aus dem II. Bande der »Log. Unterf.« erfiebt, in dem fie ein Haupttbema bilden. 2) In der Tat war das der Weg, auf dem die »Log. Unterf.« in die Phänomenologie einzudringen ftrebten. Ein zweiter Weg von der Gegen» teile her, nämlich vonfeiten der Erfahrung und der finnlicben Gegebenheiten, den dev Vf. feit Anfang der 90er Jahre ebenfalls verfolgte, kam in jenem Werke nicht zu vollem Ausdrucke.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofopbie.

259

zwifd)en Pofitionalität und Neutralität in das Ausdrüdcliche über« gebt, ift einleuchtend, und wir haben es oben fd>on erwähnt. Die a u s d r ü c k e n d e Schicht k a n n nicht e i n e a n d e r s q u a l i · f i z i e r t e p o f i t i o n a l e o d e r n e u t r a l e T h e i i s h a b e n als d i e H u s d r u d < e r f a h r e n d e , und in der Deckung finden wie nicht zwei zu fcheidende Theten, fondern n u r e i n e T h e f i s . Die volle Aufklärung der hierhergehörigen Strukturen macht erhebliche Schwierigkeiten. Schon die Anerkenntnis, daß wirklich nach Abftraktion von der finnlichen Wortlautichicht noch eine Schichtung der Art vorliege, die wir hier vor ausgefegt, alio in jedem Falle — felbft in dem eines noch fo unklaren, leeren, bloß verbalen Denkens - eine Schicht ausdrückenden Bedeutens und eine Unterfchicht von Ausgedrücktem, ift nicht leicht und erft recht nicht das Verftändnis der Wefenszufammenhänge diefer Schichtungen. Denn dem Bild von einer Schichtung darf nicht zuviel zugemutet werden, der Ausdruck ift nicht fo etwas wie ein übergelagerter Lack, oder wie ein darübergezogenes Kleid; er ift eine geiftige Formung, die an der intentionalen Unterfchicht neue intentionale Funktionen übt und von ihr korrelativ intentionale Funktionen erfahrt. Was diefes neue Bild wieder befagt, das muß an den Phänomenen felbft und an allen ihren wefenrlichen Modifikationen ftudiert werden. Insbefondere wichtig ift das Verftändnis der verfchiedenen Sorten von »Allgemeinheit« die da auftreten: einerfeits diejenige, die zu jedem Ausdruck und Ausdrucksmoment, auch zum unfelbftändigen »ift«, »nicht«, »und«, «wenn« ufw. gehört; andererfeits die Allgemeinheit der »allgemeinen Namen« wie »Menfch«, gegenüber den Eigennamen wie »Bruno«; wieder diejenige, die zu einem in fleh fyntaktifch formlofen Wefen gehört im Vergleich mit den eben berührten und verfchiedenen Allgemeinheiten der Bedeutung. § 125. D i e V ο U z u g s m ο d al i t ä t e η i n d e r l ο g i f ch · a u s d r ü ck· liehen S p h ä r e und die M e t h o d e der Klärung.

Offenbar ift für die Aufklärung der angedeuteten Schwierigkeiten befondere Rückücbt zu nehmen auf die oben 1 behandelten Unterfchiede der Aktualitätsmodi: der Modalitäten des Aktvollzuges, die wie alle Thefen und Synthefen, fo auch die ausdrücklichen angehen. Dies aber in d o p p e l t e r Weife. Einerfeits betreffen fie die Bedeutungsfchicht, die fpezififch logifche felbft, andererfeits die fundierenden Unterfchichten. 1) Vgl. oben § 122, S. 253 f. 17·

260

Edmund Hufferl,

Bei einer Lektüre können wir jede Bedeutung artikuliert und freitätig vollziehen, können dabei in der vorgezeichneten flirt Be· deutungen mit Bedeutungen tynthetifch verknüpfen. Wir gewinnen in diefem V o l l z u g e d e r B e d e u t u n g s a k t e i m M o d u s e i g e n t l i c h e r E r z e u g u n g vollkommene D e u t l i c h k e i t d e s »logifchen« V e r f t ä n d n i f f e s . Diefe Deutlichkeit kann in Verworrenheiten all der oben befchriebenen Modi übergehen: Der foeben. gelefene Sat) linkt ins Dunkel, verliert feine lebendige Artikulation, er hört auf unter »Thema«, »noch im Griff« zu fein. Solche Deutlichkeit und Verworrenheit ift aber zu fd>eiden von derjenigen, welche die ausgedrückten Unterfchichten angeht. Ein deutliches Wort- und Satjverftändnis (bzw. ein deutlicher, artikulierter Vollzug der Akte des Austagens) verträgt fich mit der V e r w o r r e n h e i t d e r U n t e r l a g e n . Diefe Verworrenheit be· fagt nicht bloß Unklarheit, obfchon fie das auch betagt. Die Unter· fchicht kann ein verworren Einheitliches fein (und ift es zumeift), das feine Hrtikulation nicht in fich felbft aktuell trägt, fondern der bloßen Anpaffung der wirklich artikuliert und in urfprünglicher Aktualität vollzogenen Schicht des logifchen Ausdruckes verdankt. Das hat eine böchft widrtige methodologifche Bedeutung. Wir werden darauf aufmerkfam, daß untere früheren Erörterungen über die M e t h o d e d e r K l ä r u n g 1 mit Rüdene, ift diejenige, die zum Wefen des Ausdrucks als folchen gehört, nämlich zu feiner A l l g e m e i n h e i t . Das »möge« drückt allgemein den Wunfeh, die Befehlsform den Befehl, das »dürfte« die Vermutung, bzw. das Vermutliche als folches aus uiw. Alles näher Be» ftimmende in der Einheit des Ausdrucks ift felbft wieder allgemein ausgedrückt. Im Sinne der zum Wefen des Ausdrückens gehörigen Allgemeinheit liegt es, daß nie alle Befonderungen des Ausgedrückten 1} Vgl. »Log. Unterf.«, Bd. II, 4. Unterf., §6ff.

Edmund Hufferl,

262

fid) im Ausdruck reflektieren können. Die Schicht des Bedeutens ift nicht, und prinzipiell nicht, eine Art Reduplikation der Unterfchicht. Ganze Dimenfionen der Variabilität in der letzteren treten überhaupt nicht in das ausdrückende Bedeuten ein, Tie, bzw. ihre Korrelate »drücken fid)« ja überhaupt nicht »aus«: fo die Modifikationen der relativen Klarheit und Deutlichkeit, die attentionalen Modifikationen ufw. Aber auch in dem, was der befondere Sinn der Rede von Ausdrudt andeutet, beftehen wefentliche UnterfAiede, ίο hiniichtlich der Art, wie die fynthetifchen Formen und die fynthetifchen Stoffe Ausdruck finden. Hinzuweifen ift hier auch auf die »Unfelbftändigkeit« aller Formbedeutungen und aller »fynkategorematifchen« Bedeutungen überhaupt. Das vereinzelte »und«, »wenn«, der vereinzelte Genitiv »des Himmels« ift verftändlich, und doch unfelbftändig, ergänzungsbedürftig. Es ift hier die Frage, was diefe Ergänzungsbedürftigkeit befagt, was iie hiniichtlich der beiden Schichten und mit Rückficht auf die Möglichkeiten unvollftändigen Bedeutens befagt. 1 §127. A u s d r u c k der

der U r t e i l e und Gemütsnoemen.

Ausdruck

In all diefen Punkten muß Klarheit fein, wenn eines der älteften und fchwierigften Probleme der Bedeutungsfphäre gelöft werden foil, das bisher, eben in Ermangelung der erforderlichen phänomeno» logifchen Einfichten, ohne Löfung verblieben ift: das Problem, w i e fich d a s A u s l a g e n a l s A u s d r u c k d e s U r t e i l e n s z u d e n Ausdrücken fonftiger Akte verhalte. Wir haben ausdrückliche Prädikationen, in denen ein »So ift es!« zum Ausdrucke kommt. Wir haben ausdrückliche Vermutungen, Fragen, Zweifel, ausdrückliche Wünfche, Befehle ufw. Sprachlich bieten fich hier zum Teil eigentümlich gebaute, aber zweideutig zu interpretierende Sätjeförmen dar: den Ausfagefätjen reihen fich Fragefätje, Vermutungsfätje, Wunfeh-, Befehlsfätje ufw. an. Der urfprüngliche Streit bezog fich darauf, ob es fich dabei, vom grammatifchen Wortlaut und feinen hiftorifchen Formen abgefehen, um gleichgeordnete Bedeutungsarten handle, oder ob nicht all diefe Sätje ihrer Bedeutung nach in Wahrheit Ausfagefätje find. Im letzteren Falle würden iomit alle zugehörigen Aktgebilde, ζ. B. folche der Gemütsfphäre, die in fid> felbft keine Urteitsakte find, nur auf dem Umwege über ein in ihnen fundiertes Urteilen zum »Ausdruck« kommen können. 1) Vgl. a. a. 0 . § 5, S. 296 bis 307.

Ideen zu einer teinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbllofopbie. 263 Doch ift die ganze Beziehung des Problems auf die Α k t e , die Noefen, unzureichend, und das beftändige Überfehen der Noemata, auf die gerade bei folchen Bedeutungsreflexionen der Blick gerichtet ift, dem Verftändnis der Sachen hinderlich. Überhaupt bedarf es, um hier nur zu den korrekten ProblemfteUungen durch· dringen zu können, der Rückfid>tnabme auf die verichiedenen von uns aufgewiefenen Strukturen: der allgemeinen Erkenntnis der noetiichen und noematifchen Korrelation als einer durch alle Intentionalien, durch alle thetifchen und iynthetifchen Schichten hindurchgehenden; desgleichen der Scheidung der logifchen Bedeutungsfchicht von der durch fie auszudrückenden UnterfdMcht; ferner der Einficht in die hier, wie fonft in der intentionalen Sphäre, wefensmöglichen Reflexionsrichtungen und Richtungen von Modifikationen; fpeziell aber bedarf es der Einficht in die Arten, wie jedes Bewußt· fein in ein Urteilsbewußtfein überzuführen ift, wie aus jedem Be» wußtfein S a c h v e r h a l t e noetifcher und noematifcher Art herauszuholen find. Das R a d i k a l p r o b l e m , auf das wir fchließlich zurückgeführt werden, ift, wie aus dem Zufammenhang der ganzen legten Reiben von Problemanalyfen hervorgeht, fo zu faffen: Ift d a s M e d i u m d e s a u s d r ü c k e n d e n B e d e u t e n s , diefes eigentümliche Medium des Logos, e i n f p e z i f i f c b d o x i · f c h e s ? D e d t t e s f i c h i n der Anpaffung des Bedeutens an das Bedeutete n i c h t m i t d e m i n a l l e r P o f i t i o n a l i t a t f e l b f t liegenden Doxifchen? Natürlich würde das nicht ausfchließen, daß es mehrerlei Weifen des Ausdrucks, fagen wir von Gemütserlebniffen, gäbe. Eine einzige davon wäre die direkte, nämlidb fchlichter Ausdruck des Erlebniffes (bzw. für den korrelativen Sinn der Rede von Ausdruck: feines Noema) durch unmittelbare Anpaffung eines gegliederten Ausdrucks an das gegliederte Gemütserlebnis, wobei Doxifches fich mit Doxifchem deckte. Die dem Gemütserlebnis nach allen Komponenten innewohnende d o x i f che Form würde es alio fein, welche die Anpaßbarkeit des Ausdrucks, als eines ausfchließlich doxothetifchen Erlebniffes, an das Gemütserlebnis ermöglichte, das als (olches und nach allen feinen Gliedern mehrfach thetifch, darunter aber notwendig auch doxothetifch ift. Genauer gefprochen, käme diefer d i r e k t e Ausdruck, wenn er treuer und vollftändiger fein foil, nur den d o x i f c h n i c h t m o d a l i f i e r t e η Erlebniffen zu. Bin ich im Wünfchen nicht gewiß, dann ift es nicht korrekt, wenn ich in direkter Anpaffung fage: Möge S ρ fein. Denn alles Ausdrucken ift im Sinne der zugrunde gelegten

264

Edmund Huflerl,.

Auffaffung ein doxifcher Akt im prägnanten Sinne, d.i. eine Glaubens* cjewißheit. 1 E r kann alio nur Gewißbeiten (ζ. B . Wunich-, Willensgewißheiten) ausdrücken. Der Ausdruck ift in derartigen Fällen nur indirekt als getreuer zu leiften, etwa in der Form: »Vielleicht möge S ρ fein«. Sowie Modalitäten auftreten, ift auf die in ihnen fozufagen verborgen liegenden doxifcben Theten mit geänderter tbetifcher Materie zu rekurrieren, um einen möglidbft angepaßten Ausdruck zu gewinnen. Laffen wir diefe Auffaffung als richtige gelten, fo wäre er> gänzend noch auszuführen: Allzeit gibt es m e h r f a c h e M ö g l i c h k e i t e n indirek· t e r A u s d r ü c k e mit »Umwegen«. Zum Wefen jeder Gegenftänd· liebkeit als folcher, mag fie durch welche Akte immer, ichlichte oder vielfach und fynthetifch fundierte, konftituiert fein, gehören vielerlei Möglichkeiten der beziehenden Explikation; alfo können fich an jeden Akt, ζ. B. einen Wunfehakt, verfchiedene auf ihn, auf feine noematifche Gegenftändlichkeit, auf fein getarntes Noema bezogenen Akte anfchließen, Zufammenhänge von Subjektthefen, daraufgefetjten Prädikatthefen, in denen etwa das im urfprünglichen Akte Wunfchvermeinte urteilsmäßig entfaltet und dementfprechend ausgedrückt wird. Der Ausdruck ift dann n i c h t d e m u r f p r ü n g l i c h e n P h ä n o m e n , fondern dem aus ihm h e r g e l e i t e t e n prädikativen d i r e k t angepaßt. Dabei ift immer zu beachten, daß e x p l i k a t i v e oder a n a l y t i f c h e S y n t h e f i s (Urteil v o r dem begrifflich-bedeutungsmäßigen Ausdruck), andererfeits Ausfage oder U r t e i l i m g e w ö h n l i c h e n S i n n und fchließlich D o x a (belief) wohl zu fondernde Sachen find. Was man »Urteilstheorie« nennt, ift ein arg Vieldeutiges. Wefensklärung der Idee der Doxa ift etwas anderes als diejenige der Ausfage oder der Explikationen. 2 1) Man darf nicht tagen, ein Ausdrücken d r ü c k e einen doxifcf>en Akt a u s : wenn m a n , wie wir es bier überall tun, unter dem Ausdrücken das Bedeuten felbft verftebt. Bezieht man aber die Rede vom Ausdrücken auf den Wortlaut, fo könnte man in der fraglichen Weife febr wohl fpreeben, doch der Sinn wäre dann völlig geändert. 2) Man vgl. zu diefem ganzen Paragraphen das Schlußkapitel der 6. Unterf., »Log Unterf.« II. Man fiebt, daß der Vf. inzwifchen nid)t fteben· geblieben ift, daß fieb aber trot) manchem Anfechtbaren und Unausgereiften die dortigen Hnalyfen in der fortfchritttichen Richtung bewegen. Diefelben find mebrfach beftritten worden, jedoch ohne wirkliches Eingeben auf die neuen Gedankenmotive und Problemfaffungen, die dort verfuebt worden find.

Vierter flbfehnitt. VERNUNFT UND WIRKLICHKEIT. Erftes Kapitel.

Der rioematifcbe Sinn und die B e z i e h u n g auf Gegenftand. § 128.

den

Einleitung.

Die phänomenologifeben Wanderungen des legten Kapitels haben uns fo ziemlich in alle intentionalen Sphären geführt. Überall ftießen wir, geleitet von dem radikalen Geficbtspunkte der Scheidung nad> reeller und intentionaler, nach noetifcher und noematifdier flnalyfe, auf immer wieder neu Od) verzweigende Strukturen. Wir können uns der Einficht nicht mehr verfd)ließen, daß es iich bei diefer Scheidung in der Tat um eine durch alle intentionalen Strukturen hindurchgehende Fundamentalftruktur handelt, die (omit ein be· heerfebendes Leitmotiv der phänomenologifchen Methodik bilden und den Gang aller auf die Probleme der Intentionalität bezüglichen Forfchungen beftimmen muß. Zugleich ift es klar, daß mit diefer Scheidung eo ipso eine folche zweier radikal gegenfätjlicber und doch wefensmäßig aufeinander bezogener Seinsregionen zur Abhebung gekommen ift. Wir haben früher betont, daß Bewußtfein überhaupt als eine eigene Seinsregion zu gelten habe. Wir erkannten dann aber, daß die Wefensdefkription dös Bewußtfeins auf diejenige des in ihm Bewußten zurückführe, daß Bewußtfeinskorrelat von Bewußtfein unabtrennbar und doch nicht reell in ihm enthalten fei. So febied fich das Noematifche als eine dem Bewußtfein zugehörige und doch e i g e n · a r t i g e G e g e n f t ä n d l i c h k e i t . Wir bemerken dabei: Während die Gegenftände fchlechthin (in unmodifiziertem Sinne verbanden) unter grundverfchiedenen oberften Gattungen ftehen, find alle Gegenftandsfinne und alle vollftändig genommenen Noemen, wie verfchieden iie fonft fein mögen, prinzipiell von einer einzigen oberften Gattung. Es gilt dann aber auch, daß die Wefen Noema und Noefis voneinander unabtrennbar find: Jede niederfte Differenz auf der noematifdben Seite weift eidetiieh zurück auf niederfte Differenzen der noetifchen. Das überträgt fich natürlich auf alle Gattungs· und Artbildungen. Die Erkenntnis der wefentlicben Doppelfeitigkeit der Intentio* nalität nach Noefis und Noema bat die Folge, daß eine fyftematifche Phänomenologie nidrt einfeitig ihr fibfeben auf eine reelle flnalyfe

266

Edmund Huffed,

der Erlebniife und fpeziell der intentionalen richten darf. Die Verfucbung dazu ift aber am Hnfang fehr groß, weil der hiftorifche und natürliche Gang von der Piycbologie zur Phänomenologie es mit fich bringt, daß man das immanente Studium der reinen Er« lebniffe, das Studium ihres Eigenwefens wie felbttverftändlich als ein folches ihrer reellen Komponenten verfteht. 1 In Wahrheit eröffnen fich nach beiden Seiten große Gebiete der eidetifchen Forfchung, die beftändig aufeinander bezogen und doch, wie fich herausftellt, nach weiten Strecken gefondevt find. In großem Maße ift das, was man für flktanalyfe, für noetifcbe, gehalten bat, durchaus in der Blickrichtung auf das »Vermeinte als folches« gewonnen, und fo waren es noematifdbe Strukturen, die man dabei befchrieb. Wir wollen in unteren nächften Betrachtungen das Augenmerk auf den allgemeinen Bau des Noema lenken unter einem Geücbtspunkte, der bisher oft genannt, aber doch nicht für die noematifcbe flnalyfe der leitende war: Das p h ä n o m e n o l o g i f c h e P r o b l e m der B e z i e h u n g des B e w u ß t f e i n s auf e i n e Gegenf t ä n d l i c h k e i t hat vor allem feine noematifcbe Seite. Das Noema in fich felbft hat gegenftändliche Beziehung, und zwar durch den ihm eigenen »Sinn«. Fragen wir dann, wie der Bewußtfeins-»Sinn« an den »Gegenftand«, der der feine ift, und der in mannigfachen Akten fehr verfcbiedenen noematifchen Gehalts »derfelbe« fein kann, herankomme, wie wir das dem Sinn anfeben — fo ergeben fich neue Strukturen, deren außerordentliche Bedeutung einleuchtend ift. Denn in diefer Richtung fortfcbreitend und andererfeits auf die parallelen Noefen reflektierend, ftoßen wir fchließlich auf die Frage, was die »Prätention« des Bewußtfeins, fich wirklich auf ein Gegenftändliches zu »beziehen«, »triftiges« zu fein, eigentlich befage, wie Geh »gültige« und »ungültige« gegenftändliche Beziehung phänomenologifch nach Noeiis und Noema aufkläre: und damit fteben wir vor den großen P r o b l e m e n d e r V e r n u n f t , deren Klarlegung auf dem transfzendentalen Boden, deren Formulierung als p h ä n o m e n o l o g i f ch e Probleme in diefem flbfebnitte unter Ziel fein wird. §129.

»Inhalt«

und

»Gegenftand«;

der

Inhalt

als

»Sinn·.

In unteren bisherigen Hnalyfen fpielte eine univerfelle noematifcbe Struktur ihre beftändige Rolle, bezeichnet durch die Hbfcbei1) Dies ift noch die Einftellung der »Log. Unterf.« In wie erheblichem Maße auch die Natur der Sachen dafelbft eine Ausführung noematifcher Ana· lyfen erzwingt, fo werden diefe doch mehr als Indices für die parallelen noetifchen Strukturen angefeben; der wefensmäßige Paralleüsmus der beiden Strukturen iit dort noch nicht zur Klarheit gekommen.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofopbie. dung eines gewiffen n o e m a t i f c h e n ihm zugehörigen Konkretion

in

»Kerns«

»Charakteren«,

mit

den Fluß verfcbiedenartiger

gezogen erfcheint.

von den wechfelnd

denen

die

noematifche

Modifikationen

Zu feinem wiffenidbaftlichen Rechte w a r

K e r n noch nicht gekommen.

267

hineindiefer

E r hob fich intuitiv a b , einheitlich u n d

infoweit klar, daß wir uns auf ihn im allgemeinen beziehen konnten. Nun ift es an der Zeit, ihn näher zu betrachten und in den Mittelpunkt phänomenologifcher Rnalyfe zu ftellen.

Sowie m a n das tut,

beben ficb univerfell bedeutfame, durch alle Hktgattungen hindurchlaufende Unterfchiede h e r a u s ,

die für g r o ß e Unterfuchungsgruppen

leitend find. Wir knüpfen an die übliche äquivoke Rede von inhalt an.

Bewußtfeins»

His Inhalt faffen w i r den »Sinn«, von d e m w i r

fagen,

daß ficb in ihm oder durch ihn das Bewußtfein a u f ein Gegenftand« liches als das »feine« bezieht.

Sozufagen als Titel u n d Ziel u n t e r e r

E r ö r t e r u n g nehmen w i r den Satj: Jedes Noema hat einen » I n h a l t « , bezieht ficb durch ihn auf »feinen«

nämlich feinen »Sinn«, und

Gegenftand.

In neuerer Zeit bört man es oft als einen großen Fortieftritt preifen, daß nun endlich die grundlegend? Unterfchefdung zwifchen Akt, Inhalt und Gegenftand gewonnen fei. Die drei Worte in diefer Zufammenftellung find nachgerade zu Schlagworten geworden, insbefondere feit der fchönen Abhandlung Twardowskis. 1 Indeffen fo groß und zweifellos das Ver· dienft diefes Autors war, gewiffe allgemein übliche Vermengungen fdoarf' flnnig erörtert und ihre Fehler evident gemacht zu haben, fo muß dod» gefagt werden, daß ec (was ihm nicht etwa als Tadel anzurechnen ift) in der Klärung der zugehörigen begrifflichen Wefen nicht erbeblich dar* über hinausgekommen ift, was den Pbilofopben der früheren Genera· tionen (trot) ihrer unvorfiebtigen Vermengungen) woblbekannt war. Ein radikaler Fortichritt war eben vor einer fyftematifcben Phänomenologie des Bewußtfeins gar nicht möglich. Mit phänomenologifch ungeklärten Begriffen wie »Akt», Inhalt«, »Gegenftand« der »Vorftellungen« ift uns nicht geholfen. Was kann nicht alles Akt und zumal was nicht alles Inhalt einet Vorftellung uhd Vorftellung felbft beißen. Und was fo beißen kann, gilt es felbft wiffenfcbaftlich zu erkennen. In diefer Hinficbt war ein erfter und, wie mir febeinen möchte, not« wendiger Schritt verfuebt worden durch die phänomenologifebe Abhebung von »Materie« und »Qualität«, durch die Idee des »intentionalen Weiens« in feiner Scheidung vom 'erkenntnismäßigen Wefen«. Die Einfeitigkeit der noetifchen Blickrichtung, in dec diefe Unterfcheidungen vollzogen und ge« 1) K. Twardowski, »Zur Lehre vom Inhalt und Gegenftand der Vor· ftellungen«, Wien 1894

268

Edmund Hutferl,

meint waren, tiberwindet ßd> leicht durch die Rückfitnabme auf die noe· matifchen Parallelen. Wir können die Begriffe alfo noematifch verfteben; die »Qualität· (Urteilsqualität, Wunfchqualität ufw.) ift nichts anderes als das, was wir bisher als »Setjungs·Charakter, ·tbetifcben« Charakter im weiteften Sinne, behandelt haben. Der Husdruden Pfychologie (der Brentanoid>en) ftammend, erfd>eint mir jet)t wenig paffend; jede eigenartige Tbefis hat ihre Qualität, fie ift aber nicht felbft als Qualität zu bezeichnen. Offenbar entfpricht nun die »Materie«, die jeweils das »Was« ift, das von der »Qualität· die Setjungscharakteriftik erfährt, dem »noematifAen Kern·. Die konfequente Ausbildung diefes Anfanges, die tiefere Klärung, die weitere Zerlegung diefer Begriffe und ihre korrekte Durchführung durd) alle noetifd>»noematifchen Gebiete ift nun die Hufgabe, jeder wirklich gelingende Fortfehritt in diefer Richtung muß für die Phänomenologie von ausnehmender Bedeutung fein. Es handelt ßcb ja nicht um feitabftebende Spezialitäten, fondern um Wefensmomente, die zum zentralen Aufbau eines jeden intentionalen Erlebniffes gehören.

Knüpfen wir, um den Sachen etwas näher zu kommen, folgende Überlegung an. Das intentionale Erlebnis hat, fo pflegt man zu fagen, » B e z i e h u n g a u f G e g e n f t ä n d l i d > e s « ; man fagt aber auch, es fei » B e w u ß t i e i n v o n e t w a s « , ζ. B. Bewußtiein von einem blühenden Hpfelbaum dem hier in diefem Garten. Wir werden es zunächft nicht für nötig halten, angefichts folcher Beifpiele die beiden Redeweifen auseinanderzubalten. Erinnern wir uns an untere vor· ausgegangenen flnalyfen, fo finden wir die volle Noefis bezogen auf das volle Noema, als ihr intentionales und volles Was. Es ift dann aber klar, daß diefe Beziehung nicht diejenige fein kann, welche in der Rede von der Beziehung des Bewußtfeins auf fein intentional Gegenftändliches gemeint ift; denn jedem noetifchen Moment, fpeziell jedem thetifcb·noetifchen, entfpricht ein Moment im Nbema, und in diefem fcheidet fich gegenüber dem Komplex tbetifcher Charaktere der durch fie charakteriüerte noematifdbe Kern. Erinnern wir uns ferner an den »Blick auf«, der unter Umftänden durch die Noefe hindurchgeht (durch das aktuelle cogito), der die fpezififch tbetifcben Momente in Strahlen der Setjungsaktualität des Ich verwandelt, und achten wir genau darauf, wie diefes Ich fich nun mit ihnen als feinserfaffendes, oder vermutendes, wünfehendes ufw. auf Gegenftändliches »richtet«, wie fein Blick durch den noematifchen Kern hindurchgeht — fo werden wir darauf aufmerkfam, daß wir mit der Rede von der Beziehung (und fpeziell »Richtung«) des Bewußtfeins auf fein Gegenftändliches vetwiefen werden auf ein i n n e r f t e s

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Philofopbie. 269 Moment des Noema. Es ift nicht der eben bezeichnete Kern felbft, fondern etwas, das fozufagen den notwendigen Zentralpunkt des Kerns ausmacht und als »Träger« f ü r ihm fpezietl zugehörige noematifcbe Eigenheiten fungiert, nämlich f ü r die noematifch modifizierten Eigenfchaften des »Vermeinten als folchen«. Sowie wir darauf genauer eingeben, werden wir deffen inne, daß in der Tat nicht nur f ü r das »Bewußtfein«, für das intentionale Erlebnis, fondern auch f ü r das N o e m a i n fid> g e n o m m e n der Unterichied zwifchen »Inhalt« und »Gegenftand« zu machen ift. Alfo auch das Noema bezieht (ich auf einen Gegenftand und befitjt einen »Inhalt«, »mittels« deffen es fich auf den Gegenftand bezieht: wobei der Gegenftand derfelbe ift wie d e r der Noefe; wie denn der »Parallelismus« wieder durchgängig fich bewährt. § 130. U m g r e n z u n g d e s W e f e n s » n o e m a t i f e b e r S i n n « . Bringen wir uns diefe merkwürdigen Strukturen näher. Wir vereinfachen die Überlegung dadurch, daß wir die attentionalen Modifikationen außer Betracht laffen; daß wir uns f e m e r auf poß« tionale Akte befchränken, in deren Theten wir leben, ev. je nach der Stufenfolge der Fundierungen bald in der einen, bald in der anderen Partialthefe vornehmlich, während die übrigen zwar im Vollzug, aber in fekundärer Funktion find. Daß unfere Analyfen durch folche Vereinfachungen nicht im mindeften hinfichtlich der Allgemeinheit ihrer Geltung leiden, ift nachträglich und ohne weiteres einleuchtend zu machen. Es handelt fich uns gerade um ein Wefen. das gegen folche Modifikationen unempfindlich ift. Verfemen wir uns also in ein lebendiges cogito, fo hat es feinem Wefen gemäß in ausgezeichnetem Sinne »Richtung« auf eine Gegenftändlichkeit. Mit anderen Worten zu feinem Noema gehört eine »Gegenftändli in demfelben immer wieder »anders gibt«; es fei » d a s f e l b e « , es fei nur in anderen Prädikaten, mit einem anderen Beftimmungsgehalt gegeben, »es« zeige ficb nur von verfchiedenen Seiten, wobei Geh die unbeftimmt gebliebenen Prädikate näher beftimmt hätten; oder »das« Objekt fei in diefer Strecke der Gegebenheit unverändert geblieben, nun aber ändere -es«, das Identifcbe, fleh, es nehme durch diefe Veränderung an Schönheit zu, es büße an Nutjwert ein ufw. Wird dies immerfort als n o e m a t i f c h e B e i t r e i b u n g des jeweilig Vermeinten als folcben verftanden, und ift diefe Beitreibung, wie es jederzeit möglich ift, in reiner Hdäquation vollzogen, dann febeidet ficb evident der identifcbe intentionale »Gegenftand« von den wed>felnden und veränderlichen »Prädikaten«. Es febeidet ficb a l s z e n t r a l e s n o e m a t i f e b e s M o m e n t aus: der » G e g e n f t a n d « , das »Objekt«, das » I d e n t i f d > e « , das »beftimmbare Subjekt feiner möglichen Prädikate« - d a s p u r e X i n H b f t r a k t i o n v o n a l l e n P r ä d i k a t e n — und es febeidet ficb ab ν ο η dieien Prädikaten, oder genauer, von den Prädikatnoemen. Dem e i n e n Objekt ordnen wir mannigfaltige Bewußtieins· weiten, Akte, bzw. Hktnoemen zu. Offenbar ift dies nichts Zufälliges; keines ift denkbar, ohne daß auch mannigfaltige intentionale Erlebnifie denkbar wären, verknüpft in kontinuierlicher oder in eigentlich fynthetifeber (polytbetifeber) Einheit, in denen »es«, das Objekt, als identiiehes und doch in noematifch verfebiedener Weife bewußt ift: derart, daß der cbarakterifierte Kern ein wandet« barer und der »Gegenftand«, das pure Subjekt der Prädikate, eben ein identifebes ift. Es ift klar, daß wir febon jede Teilftrecke aus der immanenten Dauer eines fiktes als einen »Hkt« und den Gefamtakt als eine gewiffe einftimmige Einheit der kontinuierlich verbundenen Akte anfeben können. Wir können dann fagen: Mehrere flkfnoemata haben hier überall v e r f e b i e d e n e K e r n e , jedoch fo, daß fie ficb trofjdem z u r I d e n t i t ä t s e i n h e i t z u f a m m e n » f c b l i e ß e n , zu einer Einheit, in der das »Etwas«, das Beftimmbare, das in jedem Kerne liegt, als identifebes bewußt ift. Ebenfo können aber g e t r e n n t e Hkte, wie ζ. B. zwei Wahrnehmungen oder eine Wahrnehmung und eine Erinnerung, ficb zu einer »einftimmJgen« Einheit zufammenicbließen, und vermöge der Eigenart dieies Zuiammenfcblufies, der dem Wefen der zufammen-

272

Edmund Hufferl,

gefcbloffenen Hkte offenbar nicht fremd ift, ift nun das ev. einmal fo und das andere Mal anders beftimmte Etwas der zur.achft g e t r e n n t e n K e r n e bewußt als dasielbe Etwas, oder als ein» ftimmig derfelbe »Gegenftand«. So liegt alfo in jedem Noema folcb ein pures Gegenftandsetwas als Einbeitspunkt, und^ zugleich feben wir, wie in noematifcher Hinficbt zweierlei Gegenftandsbegriffe zu unterfcbeiden find: diefer pure Einbeitspunkt, diefer n o e m a t i f c h e » G e g e n f t a n d fchlecbtb i n « und der » Ö e g e n f t a n d im W i e f e i n e r B e f t i m m t b e i - t e n « — hinzugerechnet die jeweiligen »offen bleibenden« und in diefem Modus mitvermeinten Unbeftimmtbeiten. Dabei ift diefes »Wie« genau als das zu nehmen, das der jeweilige fikt votfcbreibt, als welches es alfo wirklich zu feinem Noema gehört. Der » S i n n « , von dem wir wiederholt fpracben, i f t d i e f e r n o e m a t i f c h e » Ö e g e n f t a n d i m W i e « mit all dem, was die o b e n c h a r a k · t e r i f i e r t e B e i t r e i b u n g an ihm evident yorzufinden und begrifflich auszudrücken vermag. Man beachte, daß wir jetjt vorficbtig »Sinn«, nicht »Kern« fagten. Denn es wird fich herausftelten, daß wir, um den wirk· liehen, konkret vollftändigen Kern des Noema zu gewinnen, noch eine Dimenfion von Unterfcbieden in Rechnung ziehen müffen, die in der charakteriflerten und für uns den Sinn definierenden Be· fchreibung keine Ausprägung findet. Halten wir uns hier zunächft rein an das, was fie faßt, fo ift alfo der »Sinn« ein Grundftück des Noema. Er ift von Noema zu Noema im allgemeinen ein wechfelnder, unter Umftänden aber ein abfolut gleicher und ev. fogar cbarakteriflert als »identifeber«; wofern eben der »Gegenftand im Wie der Beftimmtheiten« beiderfeits als derfelbe und abfolut gleich zu betreibende daftebt. In keinem Noema kann er fehlen und kann fein notwendiges Zentrum, der Einheitspunkt, das pure beftimmbare X fehlen. Kein »Sinn« ohne das » e t w a s « und wieder ohne » b e f t i m m e n d e n I n h a l t « . Dabei ift es evident, daß dergleichen nicht erft die nachkommende Hnalyfe und Beitreibung einlegt, fondern daß es, als Bedingung der Möglichkeit der evidenten Beitreibung und vor ihr, wirklieb im Bewußtfeinskorrelat liegt. Durch den zum Sinn gehörigen Sinnesträger (als leeres X) und die im Wefen der Sinne gründende M ö g l i c h k e i t e i n f t i m m i g e r V e r b i n d u n g zu S i n n e s e i n b e i t e n b e l i e b i g e r S t u f e hat nicht nur jeder Sinn feinen »Gegenftand», fondern verfebiedene Sinne bezieben fleh auf d e n f e l b e n Gegenftand, eben fofern fie

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Philofophie. 273 in Sinneseinheiten einzuordnen find, in welchen die b e f t i m m · baren X der geeinigten Sinne miteinander und mit dem X des Getamtiinnes der jeweiligen Sinnes» e i n h e i t z u r D e c k u n g kommen. liniere Ausführung überträgt fleh von den monothetifeben Akten auf die i y n t b e t i f e b e n , oder deutlicher, auf die polythetifchen. In einem thetifcb gegliederten Bewußtfein hat jedes Glied den be· fchriebenen noemätifchen Bau; jedes bat fein X mit feinem »beftim· menden Inhalt«; aber zudem hat das Noema des fyntbetifeben Gefamtaktes, mit Beziehung auf die »arebontifebe«1 Tbefis, das iynthetifebe X und f e i n e n beltimmenden Inhalt. Im Hktvollzuge geht der Blickftrabl des reinen Ich, fleb in eine Vielheit von Strahlen teilend, auf die zur fyntbetifeben Einheit kommenden X. Bei der Umwandlung der Nominalifierung modifiziert lief) das fynthetifche Geiamtphänomen und fo, daß ein Hktualitätsftrabl auf das oberfte fyntbetifche X gebt. § 132, D e r K e r n a l s S i n n im M o d u s f e i n e r

Fülle.

Der Sinn, fo wie wir ihn beftimmt haben, ift n i c h t e i n k o n k r e t e s W e f e n im Gefamtbeftande des Noema, fondern eine flirt Ihm einwohnender abftrakter F o r m . Halten wir nämlich den Sinn feft, alfo das »Vermeinte« genau mit dem Beftimmungsgebalt, in dem es Vermeintes ift, fo ergibt fieb kläclich ein z w e i t e r Begriff vom »Gegenftand im Wie« - i m W i e f e i n e r G e g e b e n b e i t s w e i f e n . Sehen wir dabei von den attentionalen Modifikationen ab, von allen Unterfcbieden der Art, wie es die der Vollzugsmodi find, fo kommen - immerfort in der bevorzugten Sphäre der Poiitionalität - in Betracht die Unterfiede der Klarbeitsfülle, welche erkenntnismäßig fo fehr beftimmend find. Ein dunkel Bewußtes als folebes und dasfelbe klar Bewußte find hinflcbtlicb ihrer noema· tifeben Konkretion febr verichieden, fo gut die ganzen Erlebniffe es find. Hber nichts ftebt im Wege, daß der Beftimmungsgebalt, mit dem das dunkel Bewußte Vermeint ift, abfolut identifcb fei mit dem· jenigen des klar Bewußten. Die Beitreibungen würden fieb decken, und es könnte ein fyntbetifebes Einbeitsbewußtfein das beiderleitige Bewußtfein fo umgreifen, daß es fieb wirklich um dasfelbe Vermeinte bandelte. His v o l l e n K e r n werden wir darnach eben die volle Konkretion des betreffenden noemätifchen Beftandftüden Korrelate diefer Modalitäten zum Rusdruck (»S dürfte ρ fein«, »Ift S p«? u. dgl.), und tun wir dasfelbe auch für das ichlichte prädikative Urteil felbft, wie wir auch Bejahung und Verneinung ausdrücken, (z.B. »S ift nicht p«, »S ift doch p«, »S ift gewiß, wirklich p«) - fo e r w e i t e r t fich d a m i t d e r B e g r i f f d e r F o r m und die Idee der Formenlehre der Sätje. Die Form ift nun 1 mehr· fach beftimmt, teils durch die eigentlich fyntaktifchen Formen, teils durch die doxifchen Modalitäten. Jederzeit bleibt dabei zum Gefamtfat) eine Gefamtthefis gehörig, und in ihr befchloffen eine doxifche Thefis. Zugleich läßt fich jeder folche Saty und der ihm direkt angepaßte begriffliche »Ausdruck« durch eine Sinnesexplikation und Prädikation, welche die modale Charakteriftik in ein Prädikat verwandelt, in einen Rusfagefat) überführen, in ein Urteil, welches ü b e r die Modalität eines Inhalts der und der Form urteilt (ζ. B. »Es ift gewiß, es ift möglich, wahrfcheinlich, daß S ρ ift«). In ähnlicher Weife wie mit den Urteilsmodalitäten verhält es fleh mit f u n d i e r t e n T h e t e n , bzw. Sinnen und Sätjen der G e m ü t s « u n d W i l l e n s f p h ä r e , mit den fpezififch zu ihnen gehörigen Synthefen und den entfprechenden Rusdrucksweifen. Es bezeichnet fich dann leicht das Ziel der neuen Formenlehren von Sätzen und fpeziell fynthetifchen Sätjen. Dabei fieht man zugleich, d a ß fich in e i n e r p a f f e n d e r w e i t e r t e n F o r m e n l e h r e d e r d o x i f c h e n S ä i j e - wenn wir eben in gleicher Art wie die Seinsmodalitäten, auch die Sollens· modalitäten (falls die analogifierende Rede geftattet ift) in die Urteilsmaterie übernehmen - d i e F o r m e n l e h r e a l l e r S ä t) e fpiegelt. Was diefe Übernahme meint, bedarf wohl keiner langen Erörterung, fondern böchftens der Illuftrierung an Exempeln: Wir fagen etwa anftatt »S möge ρ fein«: daß S ρ fei, das möge fein, es ift erwünfebt (nicht gewünfeht); ftatt »S foil ρ fein«: daß S ρ fei, das foil fein, es ift ein Gefülltes ufw. Die Phänomenologie felbft fieht ihre Rufgabe nicht in der fyftematifchen Ausbildung diefer Formenlehren, in welchen, wie das an der apophantifchen Formenlehre zu lernen ift, aus primitiven axio« 1) Im Sinne der Ausführungen oben § 127, S. 262ff., auch § 105f., S. 217ff.

278

Edmund Huffed,

matifchen Grundgeftaltungen deduktiv die fyftematifchen Möglichkeiten alter weiteren Geftaltungen abgeleitet werden; ihr Feld ift die flnalyfe des in u n m i t t e l b a r e r Intuition aufweisbaren Hpriori, die Fixierung unmittelbar einQcbtiger Wefen und Wefenszufammenhänge und ihre defkriptive Erkenntnis in dem fyitematifchen Verbände aller Schichten im tranfzendental reinen Bewußtfein. Was der theoreti» flerende Logiker in der formalen Bedeutungslehre ifoliert, vermöge feiner einfeitigen Intereffenrichtung wie etwas für fich behandelt, ohne Beachtung und Verftändnis der noematifchen und noetifchen Zufammenhänge, in die es phänomenologifch verflochten ift — das nimmt der Phänomenotoge in feinem vollen Zufammenhange. Den phänomenologifchen Wefensverfleditungen a l l f e i t i g nachzugehen, ift feine große Hufgabe. Jede fcblichte axiömatifche fiufweifung eines logifchen Grundbegriffes wird zu einem Titel für phänomenologifche Unterfuchungen. Schon was da in weitefter logifcher fill· gemeinheit fchlicht herausgeftellt wird als »Satj« (Urteilsfat)), als kategorifcher oder hypothetifcher Salj, als attributive Beftimmung, nominalifiertes fldjektivum oder Relativum u. dgl., ergibt, fowie es zurüd die Mannigfaltigkeiten »voller Kerne«, oder, was hier dasielbe beiagt, aller möglichen »iubjektiven Ericheinungsweifen«, in denen es als identifies noematifch konftituiert iein kann. Dieie Konftitution bezieht fleh aber zunächft auf ein weiensmögliches individuelles Bewußtiein, dann auch auf ein mögliches Gemeinichaftsbewußtfein, d. i. auf eine weiensmöglicbe Mehrheit von in »Verkehr« ftehenden Bewußtieins·leben und Bewußtfeinsftrömen, für welche e i n Ding als dasielbe objektiv Wirkliche interiubjektiv zu geben und zu identifizieren ift. Immer zu beachten ift, daß untere ganzen Husführungen, alio auch die vorliegenden, im Sinne der phänomenologiichen Reduktionen und in eidetiieher Allgemeinheit zu verftehen ünd. Huf der anderen Seite entiprechen jedem Ding und fchließticb der ganzen Dingwelt mit dem einen Raum und der einen Zeit die Mannigfaltigkeiten möglicher noetifcher Vorkommniife, der möglichen auf fie bezüglichen Erlebniiie der flngulären Individuen und Ge» meinichaftsindividuen, Erlebniiie, die als Parallelen der vorhin betrachteten noematiiehen Mannigfaltigkeiten in ihrem Wefen felbft die Eigenheit haben, fleh nach Sinn und Sat) auf dieie Dingwelt zu beziehen. In ihnen kommen alio die betreffenden Mannigfaltigkeiten hyletifcher Daten vor mit den zugehörigen »fluffaffungen«, thetiichen flktcharakteren ufw., welche in ihrer verbundenen Einheit eben das ausmachen, was wir Ε r f a h r u n g s b e w u ß t i e i η von dieter Dtnglicbkeit nennen. Der Einheit des Dinges fteht gegenüber eine unendliche ideale Mannigfaltigkeit noetifcher Erlebniiie eines ganz beftimmten und trot) der Unendlichkeit überfehbaren Weiensgehaltes, alle darin einig, Bewußtiein von »demielben« zu fein. Dieie Einigkeit kommt in der Bewußtieinsiphäre felbft zur Gegebenheit, in Erleb« niiien, die ihrerieits wieder zu der Gruppe mitgehören, die wir hier abgegrenzt haben. Denn die Beichränkung auf das erfahrende Bewußtiein war nur exemplariich gemeint, ebenio wie diejenige auf die »Dinge« 0 Vgl. § 76, S. 142.

280

Edmund Hufletl,

der »Welt«. Riles und jedes ift, ίο weit wir den Rahmen auch fpannen, und in weichet Allgemeinbeits- und Befonderbeitsftufe wir uns aucf> bewegen - bis herab zu den niederften Konkretionen — wefensmäßig vorgezeichnet. So ftreng gefetjlich ift die Erlebnisfpbäre nach ihrem tranizendentalen Wefensbau, fo feft ift jede mögliche Wefensgeftaltung nach Noefis und Noema in ihr beftimmt, wie irgend durch das Wefen des Raumes beftimmt ift jede mögliche in ihn einzuzeichnende Figur — nach unbedingt gültigen Gefetjlicbkeiten. Was hier beiderfeits Möglichkeit (eidetifche Exiftenz) heißt, ift alio abfolut notwendige Möglichkeit, abfolut feftes Glied in einem ab· folut feiten Gefüge eines eidetifchen Syftems. Seine wiffenfchaftliche Erkenntnis ift das Ziel, d. i. feine tbeoretifche Ausprägung und Beherrfcbung in einem Syftem aus reiner Wefensintuition entquellen« der Begriffe und Gefetjesausfagen. AUe fundamentalen Scheidungen, welche die formale Ontologie und die ficb ihr anfchließende Kate· gorienlebre macht - die Lehre von der Austeilung der Seinsregionen und ihren Seinskategorien, fowie von der Konftitution ihnen angemeffener facftbaltiger Ontologien — find, wie wir im weiteren Fortichreiten bis ins einzelne verfteben werden, Haupttitel für pbänomenologifche Unterfuchungen. Ihnen entfprechen notwendig noetifcb-noematifcbe Wefenszufammenhänge, die ficb fyftematifcb befchreiben, nach Möglichkeiten und Notwendigkeiten beftimmen laffen müffen. Überlegen wir genauer, was die in der vorftebenden Betrachtung gekennzeichneten Wefenszufammenhänge zwifcben Gegenftand und Bewußtfein befagen oder befagen mußten, fo wird uns eine Doppeldeutigkeit fühlbar, und wir merken ihr nachgehend, daß wir vor einem großen Wendepunkt unferer Unterfuchungen ftehen. Wir ordnen einem Gegenftand Mannigfaltigkeiten von »Sätjen«, bzw. von Erlebniffen eines gewiffen noematifchen Gebaltes zu, und zwar fo, daß durch ihn Syntbefen der Identifikation a priori möglich werden, vermöge deren der Gegenftand als derfelbe daftehen kann und muß. Das X in den verfchiedenen Akten, bzw. Aktnoemen mit verfcbiedenem »Beftimmungsgebalt« auSgeftattet, ift notwendig bewußt als dasfelbe. Aber i f t es w i r k l i c h d a s f e l b e ? Und i f t d e r G e g e n f t a n d f e l b f t » w i r k l i c h « ? Könnte er nicht unwirklich fein, während doch die mannigfaltigen einftimmigen und fogar anfchauungserfüllten Sätje - Sätze von welchem Wefensgehalt auch immer - bewußtfeinsmäßig abliefen? Uns intereffieren nicht die Faktizitäten des Bewußtfeins und feiner Abläufe, aber wohl die Wefensprobleme, die hier zu formu·

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. phänomenot Pbilofopbie.

281

Heren wären. Das Bewußtfein, bzw. Bewußtfeinsfubjekt felbft, u r t e i l t über Wirklichkeit, fragt nach ihr, vermutet, bezweifelt fie, entscheidet den Zweifel und vollzieht dabei » R e c h t f p r e c h u n g e n d e r V e r n u n f t « . Muß fleh nicht im Wefenszufammenhang des tranizendentalen Bewußtfeins, alfo rein phänomenologifch, das Wefen diefes Rechtes und korrelativ das Wefen der »Wirklichkeit« — bezogen auf alle Arten von Gegenftänden, nach allen formalen und regionalen Kategorien — zur Klarheit bringen laffen? In unterer Rede von der noetifch-noematifchen »Konstitution« von Gegenständlichkeiten, z. B. Dinggegenftändlichkeiten, lag alfo eine Zweideutigkeit. Vorzüglich dachten wir bei ihr jedenfalls an »wirkliche« Gegenstände, an Dinge der »wirklichen Welt« oder mindeftens »einer« wirklichen Welt überhaupt. Was befagt dann aber diefes »wirklich« für Gegenftände, die bewußtfeinsmäßig doch nur durch Sinne und Sätje gegeben find? Was befagt es für diefe Säfce felbft, für die Wefensartung diefer Noemen, bzw. der paral· lelen Noefen? Was befagt es für die befonderen Weifen ihres Baues nach Form und Fülle? Wie befondert fleh diefer Bau nach den befonderen Gegenftandsregionen? Die Frage ift alfo, wie in phänomenologifcher Wiffenfcbaftlicbkeit all die Bewußtfeinszufammenhänge noetifch, bzw. noematifch zu befchreiben find, die einen Gegenstand fchlechthin (was im Sinne der gewöhnlichen Rede immer einen w i r k l i c h e n Gegenftand befagt), eben in feiner Wirklichkeit notwendig machen. Im w e i t e r e n Sinne aber »konftituiert« fleh ein Gegenftand — »ob er wirklicher ift oder nicht« — in gewiffen Be« wußtfeinszufammenhängen, die in fich eine einfehbare Einheit tragen, fofern fie wefensmäßig das Bewußtfein eines identifchen X mit fleh führen. In der Tat betrifft das Ausgeführte nicht bloß Wirklichkeiten in irgendeinem prägnanten Sinne. Wirklichkeitsfragen Stedten in a l l e n Erkenntniffen als folchen, auch in unteren phänomenologifchen, auf mögliche Konftitution von Gegenftänden bezogenen Erkenntniffen: Alle haben ja ihre Korrelate in »Gegenftänden«, die als »wirklich-feiende« gemeint find. Wann ift, kann überall gefragt werden, die noematifch »vermeinte« Identität des X »wirkliche Identität« ftatt »bloß« vermeinter, und was fcefagt überall diefes »bloß vermeint«? Den Problemen der Wirklichkeit und den korrelativen des fie in fleh ausweifenden Vemunftbewußtfeins müffen wir alfo neue Überlegungen widmen.

282

Edmund Hufferl, Zweites Kapitel.

Phänomenologie

der

Vernunft.

Spricht man von Gegenitänden icblechtweg, ίο meint man nor materweife wirkliche, wahrhaft feiende Gegenftände der jeweiligen Seinskategorie. Was immer man dann von den Gegenitänden ausfpricbt - fpricht man vernünftig - fo muß fleh das dabei wie Gemeinte ίο Ausgefegte » b e g r ü n d e n « , » a u s w e i f e n « , direkt » f e h e n « oder m i t t e l b a r » e i n f e h e n « laffen. P r i n z i p i e l l it ehe η in der logifchen Sphäre, in derjenigen der fiusfage, » w a h r · h a f t · « oder »wirklich-iein« und » v e r n ü n f t i g ausw e i s b a r - f e i n « i n K o r r e l a t i o n ; und das für alle doxifchen Seins· bzw. Setjungsmodalitäten. Selbftverftändlich ift die hier in Rede ftehende Möglichkeit vernünftiger Ausweitung nicht als em· pirifche, fondern als »ideale«, als Wefensmöglichkeit verftanden. § 136. D i e e r f t e G r u n d f o r m d e s V e r n u n f t b e w u f i t f e i n s : das originär gebende »Sehen«.

Fragen wir nun, was vernünftige Ausweifung heißt, d. i. worin das V e r n u n f t b e w u ß t f e i n befteht, ίο bietet uns die in. tuitive Vergegenwärtigung von Beifpielen und der Anfang an ihnen vollzogener Wefensanaiyfe fogleich mehrere Unterfchiede dar: Fürs E c f t e den Unterfchied zwifchen pofitionalen Erlebniffen, in denen das Gefegte z u o r i g i n ä r e r G e g e b e n h e i t kommt, und folchen, in denen es n i c h t zu folcher Gegebenheit kommt: alfo zwifchen » w a h r n e h m e n d e n « , » f e h e n d e n « A k t e n - i n e i n e m w e i t e f t e n S i n n e - und n i c h t » w a h r n e h m e n den«. So ift ein Erinnerungsbewußtfein, etwa das von einer Landft mehr. Diefe Untcrfchicde gehen nicht den puren Sinn, bzw. Sat) an; denn diefer ift in den Gliedern jedes fold>en Beifpielspaares ein identifcber und auch bewußtfeinsmäßig als identifcher jederzeit er· fchaubar. Der Unterfchied betrifft d i e W e i f e , w i e d e r b l o ß e S i n n , b z w . S a t ) , welcher als bloßes Hbftraktum in der Konkretion des Bewußtfeinsnoema ein Plus an ergänzenden Momenten fordert, e r f ü l l t e r o d e r n i c h t e r f ü l l t e r S i n n u n d S a t j ift. Fülle des Sinnes macht es allein nicht aus, es kommt auch auf das W i e der Erfüllung an. Eine Erlebnisweife des Sinnes ift die » i n t u i t i v e « , wobei der »vermeinte Gegenftand als folcher« anfchaulich bewußter ift, und ein befonders ausgezeichneter Fall ift dabei der, daß die Hnfchauungsweife eben die o r i g i n ä r g e b e n d e ift. Der Sinn in der Wahrnehmung der Landfchaft ift perzeptiv erfüllt, der wahrgenommene Gegenftand mit feinen Fart en, Formen ufw. (foweit fie »in die Wahrnehmung fallen«) ift in der Weife des »leibhaft« bewußt. Ähnliche fiuszeichnungen finden wir in allen flktfphären. Die Sachlage ift wieder eine im Sinne des Parallelis· mus doppelfeitige, eine noetifche und noematifche. In der Ein· ftellung auf das Noema finden wir den Charakter der Leibhaftig· keit (als originäre Erfülltheit) mit dem puren Sinne verfchmolzen, und d e r S i n n m i t d i e f e . m C h a r a k t e r f u n g i e r t n u n a l s U n t e r l a g e des n o e m a t i f c h e n S e t j u n g s c f r a r a k t e r s , oder was hier dasfelbe fagt: des Seinscharakters. Das Parallele gilt in der Einteilung auf die Noefe. Ein fpezififcher V e r n u n f t c h a r a k t e r ift a b e r dem S e t j u n g s c b a r a k t e r z u e i g e n als eine A u s z e i c h n u n g , die ihm w e f e n s m ä ß i g d a n n u n d n u r d a n n zukommt, wenn er Setzung auf Grund eines erfüllten, originär gebenden Sinnes und nicht nur überhaupt eines Sinnes ift. Hier und in jeder Hrt von Vemunftbewußtfein nimmt die Rede vom Zugehören eine eigene Bedeutung an. Zum Beifpiel: Zu jedem Leibhaft· Ericheinen eines Dinges g e h ö r t die Set)ung, fie ift nicht nur überhaupt mit diefem Ericheinen eins (etwa gar als bloßes allgemeines Faktum - das hier außer Frage ift), fie ift mit ihm eigenartig eins, fie ift durch es » m o t i v i e r t « , und doch wieder nicht bloß überhaupt, iondern » v e r n ü n f t i g m o t i v i e r t « . Das·

284

Edmund Huffert,

felbe befagt: Die Setzung bat in der originären Gegebenheit ihren urfprünglidben Rechtsgrund. In anderen Gegebenheitsweifen braucht der Rechtsgrund nicht etwa zu fehlen, es fehlt aber der Vorzug des u r f p r ü n g l i c h e n Grundes, der in der relativen Schätzung der Rechtsgründe feine ausgezeichnete Rolle fpielt. Ebenfo »gehört« die Setjung des in der W e f e n s e r f c h a u u n g »originär« gegebenen Wefens oder Wefensverhaltes eben zu feiner Setjungs»materie«, dem »Sinn« in feiner Gegebenheitsweife. Sie ift vernünftige und als G l a u b e n s g e w i ß h e i t urfprünglich motivierte Setjung; tie hat den fpezififchen Charakter der » e i n f e h e n d e n « . Ift die Setjung eine b l i n d e , find die Wortbedeutungen vollzogen auf Grund eines dunkeln und verworren bewußten Aktuntergrundes, fo fehlt notwendig der Vernunftcharakter der Einfleht, er ift mit folcher Gegebenheitsweife (wenn man diefes Wort hier noch gebrauchen will) des Sachverhaltes, bzw. folcher noematifchen Ausftattung des Sinneskernes w e f e n s m ä ß i g u n v e r t r ä g l i c h . Andererfeits fchließt das nicht einen fekundären Vernunftcharakter aus, wie das Beifpiel unvollkommener Wiedecvergegenwätrtigung von Wefenserkenntniffen zeigt. Einfleht, überhaupt Ε ν i d e η ζ ift alfo ein ganz ausgezeichnetes Vorkommnis; dem »Kerne« nach ift es die E i n h e i t e i n e r V e r n u n f t f e t j u n g mit dem fie w e f e n s m ä ß i g M o t i v i e r e n d e n , wobei diefe ganze Sachlage noetifch, aber auch noematifch verftanden werden kann. Vorzüglich paßt die Rede von Motivation auf die Beziehimg zwifchen dem (noetifchen) Setjen und dem noematifchen Satj i n f e i n e r W e i f e d e r E r f ü l l t h e i t . Unmittelbar verftändlicb ift der Ausdruck » e v i d e n t e r S a t j « in feiner noematifchen Bedeutung. Der Doppelfinn des Wortes Evidenz in feiner Anwendung bald auf noetifche Charaktere, bzw. volle Akte (ζ. B. Evidenz des Urteilens), bald auf noematifche Säfte (ζ. B. evidentes logifches Urteil, evidenter Ausfagefatj) ift ein Fall der allgemeinen und notwendigen Doppeldeutigkeiten der auf Momente der Korrelation zwifchen Noefis und Noema bezogenen Ausdrücke. Die phänomenologifche Nachweifung ihrer Quelle macht fie unfchädlich und läßt fogar ihre Unentbehrlichkeit erkennen. Es ift noch zu bemerken, daß die Rede von der E r f ü l l u n g noch einen in ganz anderer Richtung liegenden Doppelfinn hat: Einmal ift es » E r f ü l l u n g d e r I n t e n t i o n « , als ein Charakter, den die aktuette T h e f i s durch den befonderen Modus des Sinnes annimmt; das andere Mal ift es eben die Eigenheit diefes Modus felbft, bzw.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol Pbilofopbie. 285 die Eigenheit des betreffenden Sinnes, eine »Fülle« in ficf> zu bergen, die vernünftig motiviert. § 137. E v i d e n z u n d E i n l i e f t t . » O r i g i n ä r e « u n d » r e i n e « , affertorifebe und apodiktifebe Evidenz.

Die oben benutzen Beifpielspaare illuftrieren zugleich einen z w e i t e n und d r i t t e n wefentlicben Untericbied. Was wir gewöhnlich Evidenz und E i n f i c h t ( b z w . E i n f e h e n ) nennen, das ift ein pofitionales doxifches und dabei a d ä q u a t gebendes Bewußt« fein, welches »flndersfein ausfchließt«; die Thefis ift durch die adäquate Gegebenheit in ganz ausnehmender Weife motiviert und im höchften Sinne Akt der »Vernunft«. Das illuftriert uns das aritbmetifebe Beifpiel. In jenem von der Landfchaft haben wir zwar ein Sehen, aber nicht eine Evidenz im gewöhnlichen prägnanten Wortfinn, ein »Einfehen«. Genauer betrachtet, merken wir an den kontraftierten Beifpielen eine d o p p e l t e D i f f e r e n z : Im einen Beifpiel handelt es fich um W e f e n , im anderen um I n d i v i « d u e 11 e s ; zweitens ift die originäre Gegebenheit im eidetifchen Beifpiel eine a d ä q u a t e , im Beifpiel aus der Erfahrungsfphäre eine i n a d ä q u a t e . Beide fich unter Umftänden kreuzenden Differenzen werden fich hinfiebtlirf) der Art det Evidenz als bedeutfam erweifen. Was die erftere Differenz anbelangt, fo ift phänomenologisch zu konftatieren, daß fich das fozufagen » a f f e r t o r i f e b e « S e h e n e i n e s I n d i v i d u e l l e n » ζ. B. das »Gewahren« eines Dinges oder eines individuellen Sachverhaltes, in feinem Vernunftcharakter wefentlich unterfcheidet von einem » a p o d i k t i f c h e n « S e h e n , vom Einfehen eines Wefens oder W e f e n s v e r h a l t e s ; desgleichen aber auch von der Modifikation diefes Einfehens, welche fld» ev. durch Mifchung von beidem vollzieht, nämlich im Falle der Anwendung einer Efnficbt auf ein affertorifcb Gefehenes und überhaupt in der E r k e n n t n i s d e r N o t w e n d i g k e i t d e s S o f e i n s eines gefegten Einzelnen. Evidenz und Einficht werden, im gewöhnlichen prägnanten Sinne, gleichbedeutend verftanden: als apodiktifches Einfehen. Wir wollen die beiden Worte terminologifch trennen. Wir braud>en durchaus ein allgemeineres Wort, das in feiner Bedeutung das affertorifebe Sehen und das apodiktifebe Einfehen umfpannt. Es ift als eine phänomenologifebe Erkenntnis von größter Wichtigkeit zu betrachten, daß beide wirklich von e i n e r Wefensgattung find und daß, noch allgemeiner gefaßt, V e r n u n f t b e w u ß t i e i n ü b e r haupt eine o b e r f t e Gattung von thetifchen Moda-

286

Edmund Hufferl,

I i t ä t e n bezeichnet, in der eben das auf originäre Gegebenheit bezogene »Sehen« (im extrem erweiterten Sinne) eine feftbegrenzte Artung ausmacht. Man bat nun, die oberfte Gattung zu benennen, die Wahl, entweder (wie foeben, aber noch viel weitergebend) die Bedeutung des Wortes Sehen, oder die der Worte »Einleben«, »Evidenz« auszudehnen. Da dürfte es am paffendften fein, für den allgemeinen Begriff das Wort E v i d e n z zu wählen; für jede durch eine Motivationsbeziehung auf Originarität der Gegebenheit charakterifierte Vernunfttbefis böte fid) dann der Husdruck ο r i g i» n ä r e E v i d e n z dar. Es wäre ferner zwifchen a f f e r t o r i f c b e r und a p o d i k t i f c h e r E v i d e n z zu unterfcheiden und dem Wort Ε i η f i c h t die befondere Bezeichnung diefer flpodiktizität zu belaffen. In weiterer Folge wäre r e i n e Einficht und u n r e i n e (ζ. B. Erkenntnis der Notwendigkeit eines Faktifcben, deffen Sein felbft nicht einmal evident zu fein braücht) gegenüberzuftellen; und ebenfo ganz allgemein r e i n e u n d u n r e i n e E v i d e n z . Ruch weitere Unterfchiede ergeben ficb, wenn man in der Forfchung tieferdringt, Unterfchiede der motivierenden Unterlagen, die den Evidenzcharakter affizieren. Zum Beifpiel der Unterfchied der r e i n f o r m a l e n (»analytifchen«, »logifchen«) und m a t e r i a l e n (fynthetifch-apriorifchen) Evidenz. Doch dürfen wir hier nicht über erfte Linien hinausgehen. § 138.

Hdäquate

und i n a d ä q u a t e

Evidenz.

Nehmen wir jetjt auf den zweiten oben angezeigten Unterfchied der Evidenz Rückficht, der mit jenem von adäquater und inadäquater Gegebenheit zufammenbängt und uns zugleich einen ausgezeichneten Typus »unreiner« Evidenz zu befchreiben Hnlaß gibt. Die Setjung auf Grund der leibhaftigen Erfcheinung des D i n g e s ift zwar eine vernünftige, aber die Erfcheinung ift immer nur eine einfeitige, »unvollkommene« Erfcheinung; als leibhaft bewußt ftebt nicht nur das »eigentlich« Ericheinende da, fondern einfach diefes Ding felbft, das Ganze gemäß dem gesamten, obfchon nur einfeitig anfchaulichen und zudem vielfältig unbeftimmten Sinn. Hierbei ift das »eigentlich« Ericheinende vom Dinge nicht etwa als ein Ding für ficb abzutrennen; es bildet fein Sinneskorrelat im vollen Ding> Anne einen u n f e l b f t ä n d i g e n Teil, welcher Sinneseinheit und -felbftändigkeit nur haben kann in einem Ganzen, das n o t w e n d i g Leerkomponenten und Unbeftimmtheitskomponenten in ficb birgt. Prinzipien kann ein Dingreales, ein Sein folchen Sinnes in einer abgefcbloffenen Erfcheinung nur » i n a d ä q u a t « erfcheinen. Damit

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Philofopbie. 287 hängt wefensmäßig tsufammen, daß k e i n e a u f f o l d ) e i n e r i n a d ä q u a t g e b e n d e n E r f c h e i n u n g b e r u h e n d e Ver« n u n f t f e t j u n g » e n d g ü l t i g « , keine »unüberwindlich« fein kann; daß keine in ihrer Vereinzelung gleichwertig ift mit dem fchlecht« hinigen: »Das Ding ift wirklich«, fondern nur gleichwertig ift mit dem: »Es ift wirklich« - vorausgefetjt, daß der Fottgang der Erfahrung nicht »ftärkere Vernunftmotive« berbeibringt, welche die urfprüngliche Setjung als eine in dem weiteren Zufammenhang »durcbzuftreichende« herausftellen. Vernünftig motiviert ift die Setjung dabei nur durch die Erfcheinung (den unvollkommen erfüllten Wahrnehmungsfinn) an und für fich, in ihrer Vereinzelung betrachtet. Die Phänomenologie der Vernunft in der Sphäre der prinzipiell nur inadäquat zu gebenden Seinsarten (der T r a n f z e n d e n z e n im Sinne von Realitäten) bat alfo die verfchiedenen in diefer Sphäre a priori vorgezeichneten Vorkommniffe zu ftudieren. Sie bat zur Klarheit zu bringen, wie das inadäquate Gegebenbeitsbewußtfein, wie das einfeitige Erfcheinen in kontinuierlichem Fortgange zu immer neuen, kontinuierlich ineinander übergehenden Erfcheinungen mit einem und demfelben beftimmbaren X fich verhält, weldbe Wefensmöglichkeiten fich hier ergeben; wie hier einerfeits ein Fortgang der Erfahrungen möglich und immerfort durch die kontinuierlich voranliegenden Vernunftfetjungen vernünftig motiviert ift: eben der Erfabrungsgang, in welchem die Leerfteilen der vorangegangenen Erfcheinungen fleh ausfüllen, die Unbeftimmtheiten fich näher beftimmen, und fo immerfort in der Weife d u r c h g ä n g i g e i n f t i m m i g e r E r f ü l l u n g m i t i h r e r f t e t i g fich f t e i g e r n d e n V e r n u n f t k r a f t , findererfeits find die entgegengefegten Möglichkeiten klarzulegen, die F ä l l e v o n V e r f c h m e l zungen oder poly thetifchen S y n t b e f e n der Unf t i m m i g k e i t , der » R n d e r s b e f t i m m u n g « des immerfort als dasfelbe bewußten X - anders als es der urfprünglichen Sinngebung entfprach. Dabei ift zu zeigen, wie Setjungskomponenten des früheren Wabrnebmungsablaufs mitfamt ihrem Sinne D u r c h » i t r e i c h u n g erleiden; wie unter Umftänden die ganze Wahrnehmung fozufagen e x p l o d i e r t und in » w i d e r f t r e i t e n d e D i n g a u f f a f f u n g e n « , D i n g a n f ä t j e zerfällt; wie die Thefen diefer flnfätje fich aufbeben und in diefer Aufhebung eigenartig modifiziert werden; oder wie die eine Thefis, unmodifiziert verbleibend, die Durchftreichung der,»Gegenthefe« »bedingt«; und was dergleichen Vorkommniffe mehr.

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Edmund Hufferl,

Des näheren find auch zu ftudieren die eigentümlichen Modifikationen, welche die uriprünglichen Vernunftfetjungen dadurch erfahren, daß iie im Fortgang einftimmiger Erfüllung eine p o i i « t i v e p h ä n o m e n o l o g i f c h e S t e i g e r u n g in Hinficht auf ihre m o t i v i e r e n d e » K r a f t « erfahren, daß fie beftändig an »G e · w i c h t « gewinnen, alio zwar immerfort und wefentlich Gewicht, aber ein g r a d u e l l verfchiedenes, enthalten. Es find ferner die anderen Möglichkeiten daraufhin zu analyfieren, wie das Gewicht von Setjungen durch » G e g e n m o t i v e « leidet, wie fie im Z w e i f e l (ich gegenfeitig die » W a g e h a l t e n « , wie eine Setjung Im Konkurs mit einer von »ftärkerem« Gewicht » ü b e r w o g e n « , » p r e i s g e g e b e n « wird uiw. Zu alledem find natürlich die für die Änderungen in den Setjungscharakteren wefensmäßig beftimmenden Vorkommniffe in dem Sinn, als der zugehörigen S e t z u n g s m a t e r i e , einer um· faffenden Wefensanalyfe zu unterziehen (ζ. B. die Vorkommniffe des »Widerftreits« bzw. »Wettftreits« von Erfcheinungen). Denn hier wie überall in der phänomenologifchen Sphäre gibt es keine Zufälle, keine Faktizitäten, alles ift wefensmäßig beftimmt motiviert. — In gleicher Weife wäre im Zufammenhang einer allgemeinen Phänomenologie der noetifchen und noematifchen Gegebenheiten die W e i e n s e r f o r f c b u n g a l l e r Birten u n m i t t e l b a r e r Vern u n f t a k t e durchzuführen. J e d e r R e g i o n u n d K a t e g o r i e prätendierter Gegenftände entfpriiht phänomenologifch nicht nur eine G r u n d a r t von S i n n e n , bzw. S ä ^ e n , fondern auch eine G r u n d a r t v o n o r i g i n ä r g e b e n d e m B e w u ß t i e i n iolcher Sinne und ihr zugehörig ein G r u n d t y p u s o r i g i n ä r e r E v i d e n z , die wefensmäßig durch fo geartete originäre Gegebenheit motiviert ift. Eine jede folche Evidenz - das Wort in unferem erweiterten Sinne verftanden - ift entweder a d ä q u a t e , prinzipiell nicht mehr zu »bekräftigende« oder zu »entkräftende«, alfo o h n e G r a d u a l i t ä t e i n e s G e w i c h t s ; oder fie ift i n a d ä q u a t e und damit f t e i g e r u n g s - u n d m i n d e r u n g s f ä h i g e . Ob in einer Sphäre diefe oder jene Evidenzart möglich ift, hängt von ihrem Gattungstypus ab; fie ift alfo a priori vorgebildet, und die Vollkommenheit, die in einer Sphäre (ζ. B. derjenigen der Wefensbeziehungen) zur Evidenz gehört, in anderen Sphären, die fie wefensmäßig aus« fchließen, zu verlangen, ift Widerfinn. Zu bemerken ift noch, daß wir die urfprüngliche, auf die Gegebenheitsweife bezogene Bedeutung der Begriffe »adäquat« und »in-

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofophie.

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adäquat« auf die durch iie fundierten Wefenseigentümlichkeiten der Vernunftfetjungen felbft, eben vermöge diefes Zufammenhangs, übertragen dürfen - eine jener unvermeidlichen fiquivokationen durch Übertragung, die unfcbädlicb find, fowie man iie als folche erkannt, das ürfprüngliche und Abgeleitete vollbewußt unterfebieden hat. 6 139. V e r f l e c h t u n g e n a l l e r V e r n u n f t a r t e n . Theo cetifcbe, axiologifebe und praktifebe Wahrheit.

Eine Setjung, welcher Qualität auch immer, hat nach dem bisher Ausgeführten als Setjung ihres Sinnes ihr Recht, wenn iie vernünftig ift; der Vernunftcbarakter ift eben felbft der Charakter der Red>tbeit, der ihr wefensmäßig, alio nicht als zufälliges Faktum unter den zufälligen Umftänden eines faktifch fegenden Ich, »zukommt«. Korrelativ heißt auch der S a t j berechtigt: im Vernunftbewußtfein fteht er mit dem noematifchen Rechtscharakter ausgeftattet da, der abermals wefensmäßig zu dem Satje als der fo qualifizierten noematifchen Thefis und diefer Sinnesmaterie gehört. Genauer ge· iproeben, »gehört« zu ihm eine fo geartete Fülle, die ibrerieits die Vernunftauszeicbnung der Thefis begründet. Der Sat) bat hier fein Recht an iieb felbft. Es kann aber auch » f ü r e i n e n S a t j e t w a s f p r e c h e n « , er kann ohne »felbft« vernünftig zu fein, an der Vernunft doch Anteil haben. Wir erinnern uns, um in der doxifeben Sphäre zu bleiben, an den eigentümlichen Zufammenbang der doxifeben Modalitäten mit der Urdoxa 1 : auf fie weifen fie alle zurück. Betrachren wir andererfeits die zu diefen Modalitäten gehörigen Vernunftcbaraktere, fo drängt fieb von vornherein der Gedanke auf, daß fie alle, wie verfebieden fonft die Materien und Motivationslagen fein mögen, fozufagen auf einen Ur* vernunftcbarakter zurückweifen, der zur Domäne des Urglaubens gehört: auf den Fall der originären und fcbließlicb vollkommenen Evidenz. Es wird merklieb, daß zwifeben diefen beiden Arten der Zurückweifung tiefliegende Wefenszufammenbänge befteben. Um nur folgendes anzudeuten: Eine Vermutung kann in fieb als vernünftig cbarakterifiert fein. Folgen wir der in ihr liegenden Rückweifung auf den entfpreebenden Urglauben, und machen wir uns diefen in der Form eines »Anfetjens« zu eigen, io »ipricht für diefen etwas«. Nicht der Glaube felbft, fcblecbtbin, ift als vernünftig cbarakterifiert, obfebon er an der Vernunft Anteil bat. Wir feben, es find hier weitere vernunfttbeoretifche Scheidungen und auf fie bel) Vgl. § 104, S. 215. 19

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Edmund Hufferl,

zogen? Fotfcbungen nötig. Wefenszufammenhänge heben fich ab zwifcben den v e r f c h i e d e n e n Qualitäten mit den ihnen eigentümlichen Vernunftcharakteren, und zwar w e c h f e l f e i t i g e ; und fcbließlich l a u f e n alle L i n i e n z u r ü d t z u m U r g l a u b e n und feiner U r v e r n u n f t , bzw. zur » W a h r h e i t « . W a h r h e i t ift offenbar das Korrelat des vollkommenen Vernunftcharakters der Urdoxa, der Glaubensgewißheit. Die Rusdrücke: »Ein urdoxiicher Sat), etwa ein Flusfageiat}, ift wahr« und: »Dem entfprechenden Glauben, Urteilen kommt der vollkommene Vernunftcharakter zu« - find äquivalente Korrelate. Natürlich ift da keine Rede vom Faktum eines Erlebniffes und eines Urteilenden, obfchon es eidetifch felbftverftändlich ift, daß die Wahrheit aktuell gegeben nur fein kann in einem aktuellen Evidenzbewußtfein und fomit auch die Wahrheit diefer Selbftverftändlichkeit felbft, die der vorhin bezeichneten Äquivalenz ufw. Fehlt uns die urdoxifche Evidenz, die der Glaubensgewißheit, fo kann, fagen wir, für ihren Sinnesgehalt »S ift p« eine doxifche Modalität evident fein, etwa die Vermutung »S dürfte ρ fein«, Diefe modale Evidenz ift offenbar äquivalent und notwendig verknüpft mit einer urdoxifchen Evidenz geänderten Sinnes, nämlich mit der Evidenz, bzw. mit der Wahrheit:'»Daß S ρ ift, ift vermutlich (wahrfcheinlich)«; andererfeits auch mit der Wahrheit: »Dafür, daß S ρ ift, fpricht etwas«; und wieder: »Dafür, daß S ρ wahr ift, fpridht etwas« ufw. Mit alledem zeigen fich Wefenszufammenhänge an, die phänomerlologifcher Urfprungsforfchungen bedürfen. Evidenz ift aber keineswegs ein bloßer Titel für derartige Vernunftvorkommniffe in der Glaubensfphäre (und gar nur in der des prädikativen Urteils), fondern f ü r a l l e t b e t i f c h e n S p h ä r e n und insbesondere auch für die bedeuttamen z w i f c h e n ihnen verlaufenden Vernunftbeziehungen. Das betrifft alfo die höchft fchwierigen und weitumfaffenden Problemgruppen der Vernunft in der Sphäre der Gemüts- und Willensthefen 1 , fowie die Verflechtungen derfelben mit der »theoretifchen«, d i. doxifchen Vernunft. Die »theoretifche« oder » d o x o l o g i f c h e W a h r h e i t « , b z w . E v i d e n z hat ihre Parallele in der » a x i o l o g i f c h e n -und p r a k t i f c h e n W a h r h e i t , b z w . E v i d e n z « , wobei die »Wahrheiten« der leiteten Titel in doxologifdben Wahrheiten, nämlich in fpezifiich logifchen (apophantifchen) zum Hus1) Einen erften Vorftoß in diefer Richtung bat Brentanos geniale Schrift Vom Urfptung der fittlicben Erkenntnis« (1889) getan, eine Schrift, der ich mid) zu größtem Danke verpflichtet fühle.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenoL Pbilofopble.

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drud< und zur Erkenntnis kommen. 1 Es braucht nicht gefagt zu werden, daß für die Behandlung diefer Probleme Unterfucbungen der Rrt grundlegend fein müffen, wie wir fie oben in Angriff zu nehmen verfocht haben: die Wefensbeziehungen betreffend, welche die doxifchen Tbefen mit allen anderen Setjungsarten, denen des Gemütes und Willens verknüpfen, und wieder diejenigen, welche alle doxifchen Modalitäten auf die Urdoxa zurückleiten. Eben dadurch ift es auch aus letjten Gründen verftändlich zu machen, warum die Glaubensgewiüheit und dementfprechend die Wahrheit eine fo lehr vorhergehende Rolle in aller Vernunft fpielt; eine Rolle, die es übrigens zugleich ielbftverftändlich macht, daß die Probleme der Vernunft in der doxifchen Sphäre binfichtlich der Löfung denjenigen der axiologifchen und praktifchen Vernunft vorhergehen müffen. §140. B e f t ä t i g u n g . B e r e c h t i g u n g o h n e E v i d e n z . Äquivalenz der p o f i t i o n a l e n und n e u t r a l e n Einficht.

Weitere Studien find erforderlich hinfichtlich der Probleme, die uns die V e r b i n d u n g e n d e r » D e c k u n g · , welche (um nur einen ausgezeichneten Fall zu nennen) z w i f c h e n fikten des· felben S i n n e s und S a t z e s , a b e r von v e r f c h i e d e n e m V e r n u n f t w e r t e ihrem Wefen na-h herzuftellen find, darbieten. Es kann ζ. B. ein evidenter Akt und ein nicht evidenter zur Dedtung kommen, wobei im Übergange von letjterem zu eriterem diefer den Charakter des ausweifenden, jener des fich ausweifenden an« nimmt. Die einfichtige Setjung des einen fungiert als »beftätigend« für die uneinflebtige des anderen. Der »Satj« »bewährt« oder auch »beftätigt« fich, die unvollkommene Gegebenbeitsweife verwandelt fich in die vollkommene. Wie diefer Prozeß ausfieht, ausfehen kann, ift durch das Wefen der betreffenden Setjungsarten vorgezeichnet, bzw. durch das Wefen der jeweiligen Sätje in ihrer vollkommenen Erfüllung. Für jede Gattung von Sätjen müffen die Formen prinzipiell möglicher Bewährung phänomenologifch klargelegt werden, Ift die Setjung nicht unvernünftig, fo find aus ihrem Wefen motivierte Möglichkeiten dafür zu entnehmen, daß und wie fie in eine fie bewährende aktuelle Vernunftfetzung übergeführt werden könne. Es ift einzufehen, daß nicht jede unvollkommene Evidenz hierbei einen Erfüllungsgang vorfchreibt, der in einer e n t · 1) Erkenntnis ift meift ein Name für logifebe Wahrheit: bezeichnet vom Standpunkt des Subjekts, als Korrelat feines evidenten Urteilens; aber auch ein Name für jederlei evidentes Urteilen felbft und fchließlich für jeden doxifchen Vernunftakt. 19*

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Edmund Htiffetl,

[ p t e d i e n d e n originären Evidenz, in einer folchen desielbenSinnes, terminiert; im Gegenteil ift durch gewiffe Evidenzarten eine folche fpzufagen originäre Bewährung prinzipiell ausgefcbloffen. Das gilt ζ. B. für die Rücker inn erung und in gewiffer Weife für jede Erinnerung überhaupt und ebenio wefensmäßig für die Einfühlung, der wir im nächften Buch eine Grundart der Evidenz zuordnen (und die wir dort näher unterfucben werden). Jedenfalls find damit iehr wichtige pbänomenologifcbe Themen bezeichnet. Es ift noch zu beachten, daß ficb die motivierte Möglichkeit, von der oben die Rede war, von der leeren Möglichkeit fcbarf unterfcheidet 1 : fie ift beftimmt motiviert durch das, was der Sat), ίο erfüllt wie er gegeben ift, in ficb fchließt. Eine leere Möglichkeit ift es, daß diefer Schreibtifch hier, auf der jetjt unfichtigen Unterfeite zehn Füße hat, ftatt wie in Wirklichkeit deren vier. Eine motivierte Möglichkeit ift diefe Vierzahl hingegen für die beftimmte Wahrnehmung, die ich gerade vollziehe. Motiviert ift es für jede Wahrnehmung überhaupt, daß die Wabrnebmungs-»Upiftände« ficb in gewiffen Weifen verändern k ö n n e n , daß »infolge« davon die Wahrnehmung in entfprechenden Weifen in Wahrnehmungsreiben übergeben k a n n , in beftimmt geartete, die durch den Sinn meiner Wahrnehmung vorgezeichnet find, und die fie erfüllen, ihre Setjung beftätigen. Übrigens find binfichtlicb der »leeren« oder »bloßen« Möglichkeit der Flusweifung weiter zwei Fälle zu unterfcbeiden: Entweder d i e M ö g l i c h k e i t d e c k t ficb m i t d e r W i r k l i c b k e i t , nämlich fo, daß das Einfehen der Möglichkeit eo ipso das o r i g i n ä r e Gegebenbeitsbewußtfein und Vernunftbewußtfein mit ficb führt; oder aber das ift nicht der Fall. Letzteres gilt in dem foeben benutzten Beifpiel. W i r k l i c h e E r f a h r u n g und nicht bloß ein Durchlaufen »möglicher« Wahrnehmungen in der Vergegenwärtigung liefert eine wirkliche F i u s w e i f u n g v o n S e t z u n g e n , d i e a u f R e a l e s g e b e n , etwa von Dafeinsfetjungen von Naturvorgängen. Dagegen 1) Das ift eine der wefentlicbften ftquivokationen des Wortes Möglichkeit, zu der noch andere (die formaMogifche Möglichkeit, die mathematifdv formale Widerfpruchslofigkeit) hinzutreten. Es ift von prinzipieller Wichtigkeit, daß die Möglichkeit, welche in der Lehre von den Wabrfcbeinlichkeiten die Rolle fpielt, und daß demnach das Möglichkeitsbewußtfein (das Angemutetfein), von dem wir in der Lehre von den doxifcben Modalitäten als einet Parallele zum Vermutungsbewußtfein fprachen, m o t i v i e r t e Möglichkeiten als Korrelate bat. Aus unmotivierten Möglichkeiten baut ficb nie eine Wabr· fcbeinlicbkeit auf, nur motivierte haben »Gewichte« ufw.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. phänomenot. Philofopbie.

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ift in jedem Falle einer W e f e n s f e t j u n g , bzw. eines Wefensfatjes die a n f c f t a u l i c b e Vergegenwärtigung ihrer vollkommenen Erfüllung gleichwertig mit der Erf ü l l u n g f e l b f t , fo wie a priori die anfchaulicbe Vergegenwärtigung, ja die bloße Phantafle eines Wefenszufammenhanges und die Einficht in denfelben »gleichwertig« find, d. h. die eine geht in die andere durch bloße Einftellungsänderung über, und die Mög= liebkeit diefer wecbfelfeitigen Überführung ift keine zufällige, fondern eine wefensnotwendige. §141.

U n m i t t e l b a r e und m i t t e l b a r e V e r n u n f t f e ^ u n g . Mittelbare Evidenz.

Bekanntlich leitet alle mittelbare Begründung auf unmittelbare zurück. Die U r q u e l l e a l l e s R e c h t e s liegt binfichtlich aller Gegenftandsgebiete und auf tie bezogener Seijungen in der unmittelbaren, und enger begrenzt, in der o r i g i n ä r e n E v i d e n z , bzw. in der fie motivierenden originären Gegebenheit. Plus diefer Quelle kann aber in verfchiedener Weife indirekt gefchöpft, aus ihr der Vernunftwert einer Setjung, die in fich felbft keine Evidenz hat, abgeleitet oder, wenn fie unmittelbar ift, bekräftigt und betätigt werden. Betrachten wir den leiteten Fall. Deuten wir in einem Beifpiel die fchwierigen Probleme an, welche die B e z i e h u n g d e r nichtevidenten unmittelbaren Vernunftfetjungen z u r o r i g i n ä r e n E v i d e n z (in unferem auf Originarität der Gegebenheit bezogenen Sinne) betreffen. In g e w i f f e r Weife urfprüngliches, unmittelbares Recht bat jede klare E r i n n e r u n g : fln und für fich betrachtet »wiegt« f}e etwas, ob viel oder wenig, fie bat ein »Gewicht«. Sie bat aber nur ein relatives und -unvollkommenes Recht. Hinfichtlich deffen, was fie vergegenwärtigt, fagen wir eines Vergangenen, liegt in ihr eine Beziehung zur aktuellen Gegenwart. Sie fetjt das Vergangene und fet>t notwendig einen Horizont mit, wenn auch in vager, dunkler, unbeftimmter Weife; zur Klarheit und tbetifdhen Deutlichkeit gebracht, müßte diefer fich in einem Zufammenbang tbetifch vollzogener Erinnerungen explizieren laffen, welcher i η a k t u e l l e n W a h r n e h m u n g e n , i m a k t u e l l e n b i c e t n u n c , terminieren würde. Dasfelbe gilt für jederlei Erinnerungen in unferem w e i t e ft e η , auf alle Zeitmodi bezogenen Sinne. Unverkennbar fpreeben fich in foleben Sätjen Wefenseinfichten aus. Sie deuten auf die Wefenszufammenbänge bin, mit deren

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Edmund Hufferl,

Aufwertung der Sinn und die Art der Bewährung, welcher jede Erinnerung fähig und »bedürftig« ift, fid) aufklären würde. Mit jedem Fortfehritt von Erinnerung zu Erinnerung in den verdeutlichenden Erinnerungszufammenhang hinein, deffen letztes Ende in die Wahrnehmungsgegenwart hineinreicht, bekräftigt fieb die Erinnerung. Die Bekräftigung ift gewiffermaßen eine wechfelfeitige, die Erinnerungsgewichte find funktionell voneinander abhängig, jede Erinnerung im Zufammenhang hat eine wachfende Kraft mit der Erweiterung desfelben, eine größere als iie im engeren Zufammenhange oder vereinzelt haben würde. Ift aber die Explikation bis zum a k t u e l l e n J e t j t durchgeführt, f o f t r a h l t e t w a s v o m Licht d e r W a h r n e h m u n g u n d i h r e r E v i d e n z a u f die g a n z e R e i h e zurück. Man könnte fogar fagen: I m V e r b o r g e n e n e n t i p r i n g e die V e r n ü n f t i g k e i t , der Rechtscharakter der E r i n n e r u n g aus der durch alle Verworrenheit und Dunkelheit hindurch wirkfamen K r a f t d e r W a h r n e h m u n g , fei diefe auch »außer Vollzug«. Jedenfalls aber b e d a r f es folcher Bewährung, damit klar hervortrete, w a s da eigentlich den mittelbaren Abglanz des Wahrnehmungsrechtes trage. Die Erinnerung hat ihre e i g e n e A r t d e r I n a d ä q u a t h e i t darin, daß fleh mit »wirklich Erinnertem« Nichterinnertes vermengen kann, oder daß fieb verfchiedene Erinnerungen durchfetjen und als Einheit einer Erinnerung ausgeben können, während bei der aktualifierenden Entfaltung ihres Horizonts die zugehörigen Erinnerungsreiben Geh trennen und zwar fo, daß das einheitliche Erinnerungsbild »explodiert«, in eine Mehrheit miteinander unverträglicher Erinnerungsanfchauungen auseinandergeht: wobei ähnliche Vorkommniife zu befchreiben wären, als welche wir (in offenbar fehr verallgemeinerungsfähiger Weife) für Wahrnehmungen gelegentlich angedeutet haben. 1 Dies alles diene zur exemplarifchen Andeutung großer und wichtiger Problemgruppen der » B e k r ä f t i g u n g « u n d » B e w ä h r u n g « u n m i t t e l b a r e r V e r n u n f t f e t j u n g e n (wie auch zur Illuftrierung der Scheidung der Vernunftfetjungen in reine und unreine, unvermifchte und vermochte); vor allem aber erfaßt man hier e i n e n Sinn, in dem der Sat) gilt, daß alle mittelbare Ver· nunftfetjung, und in weiterer Folge alle prädikative und begriffliche Vernunfterkenntnis auf E v i d e n z zurückführt. Wohlver· 1) Vgl. oben § 138, S. 287f.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbitofopbie.

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ftanden ift nur die originäre Evidenz »urfprüngliche« Rechtsquelle, und ift ζ. B. die Vernunftfetjung der Erinnerung und to aller reproduktiven Akte, darunter auch der Einfühlung, nicht urfprünglidb und in gewiffen Arten »abgeleitet«. Es kann aber auch in ganz anderen Formen aus der Quelle der originären Gegebenheit gefchöpft werden. Eine folche Form kam gelegentlich fchon zur Andeutung: die Hbfcbwäcbung der Vernunftwerte im ftetigen Übergang von der lebendigen Evidenz zur Nkhtevidenz. Es fei jetjt aber auf eine wefentlich andere Gruppe von Fällen hingewiefen, w o ein Sat) m i t t e l b a r in einem in allen Schritten e v i d e n t e n s y n t h e i i f c h e n Z u f a m m e n h a n g e auf unmittelbar evidente Gründe bezogen ift. Es erwäcfttt damit ein neuer allgemeiner Typus, von Vernunftfetjungen, phänomenologifch von anderem Vernunft Charakter als die unmittelbare Evidenz. So haben w i r auch hier eine Art abgeleiteter, » m i t t e l b a r e r E v i d e n z « — diejenige, auf die üblicherweife mit dem Ausdrucke ausfchließlich abgezielt ift. Seinem Wefen nach kann diefer abgeleitete Evidenzcharakter nur im Endglied eines von unmittelbaren Evidenzen ausgehenden, in verfchiedenen Formen verlaufenden und in allen weiteren Schritten von Evidenzen getragenen Setjungszufammenhanges auftreten; wobei diefe Evidenzen teils unmittelbare, teils fchon abgeleitete find; teils einÜchtige, teils uneinfichtige, originäre oder nicht-originäre. Damit ift ein neues Feld der phänomenologifchen Vernunftlehre bezeichnet. Es ift hier die Aufgabe in noetifcher und noematifcher Hinficht, die generellen wie die fpeziellen Wefensvorkommniife der V e r n u n f t i m m i t t e l b a r e n B e g r ü n d e n , A u s w e i t e n jeder Art und Form und in allen thetifchen Sphären zu ftudieren, die verfchiedenen »Prinzipien« folcher Ausweitung, die ζ. B. wefentlich andersartige find, je nachdem es fich um immanente oder transfzendente, adäquat oder inadäquat zu gebende Gegenftändlicbkeiten handelt, auf ihre phänomenologifchen Urfprünge zurückzuführen und aus diefen unter Rüdern ift. Jede Gegenftandskategorie (bzw. jede Region und jede Kategorie in unferem engeren, prägnanten Sinne) ift ein allgemeines Wefen, das felbft prinzipiell zu adäquater Gegebenheit zu bringen ift. I n i h r e r a d ä q u a t e n G e g e b e n h e i t fchreibt fie eine e i n f i c h t i g e g e n e r e l l e R e g e l v o r für jeden befonderen, in Mannigfaltigkeiten konkreter Erlebniffe bewußt werdenden Gegenftand (welche Erlebniffe hier natürlich nicht als individuelle Singularitäten, fondern als Wefen, als niederfte Konkreta zu nehmen find). Sie fchreibt die Regel vor für die Art, wie ein ihr untergehender Gegenftand nach Sinn und Gegebenheitsweife zu voller

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Beftimmtbeit, zu adäquater originärer Gegebenheit zu bringen wäre; durcf) welche vereinzelten oder kontinuierlich fortlaufenden Bewußt· feinszufammenbänge und durch welche konkrete Wefensausftattung diefer Zufammenhänge. Wieviel in dieien kurzen Sätzen liegt, wird in den näheren Ausführungen im Schlußkapitel (von § 149 ab) verftändlich werden. Hier genüge efne kurze exemplarifche Andeutung: Die ungeiehenen Beftimmtheiten eines Dinges find, das wiffen wir in apodiktifcher Evidenz, wie Dingbeftimmtbeiten überhaupt, notwendig räumliche: das gibt eine gefetjmäßige Regel für mögliche räumliche Ergänzungsweifen der unficbtigen Seiten des ericheinenden Dinges; eine Regel, die, voll entfaltet, reine Geometrie beißt. Weitere dingliche Beftimmtheiten find zeitliche, find materielle: Zu ihnen gehören neue Regeln für mögliche (alfo nicht frei • beliebige) Sinnesergänzungen und in weiterer Folge für mögliche tbetifche Hnfcbauungen, bzw. Erfcheinungen. Von welchem Wefensgebalt dieie fein können, unter welchen Normen ihre Stoffe, ihre möglichen noema· tifcben (bzw. noetifcben) ftuffaffungscbaraktere fteben, auch das ift a priori vorgezeicbnet. §143.

Adäquate Dinggegebenbeit Kantifcben Sinne.

als

Idee

im

Doch ehe wir daran anknüpfen, bedarf es einer Beifügung, um den Schein des Widerfpruchs mit unferer früheren Darftellung (S. 286) zu befeitigen. Es gibt, fagten wir, prinzipiell nur inadäquat erfcheinende (alfo auch nur inadäquat wahrnehmbare) Gegenftände. Jedoch ift der einfchränkende Zufat) nicht zu überfeben, den wir machten. Wir fagten, inadäquat wahrnehmbar i n a b g e f c b l o f f e n e r E r f c h e i n u n g . Es gibt Gegenftände — und alle tranfzendenten Gegenftände, alle » R e a l i t ä t e n « , die der Titel Natur oder Welt umfpannt, gehören hierher - die in keinem abgefchloffenen Be· wußtfein in vollftändiger Beftimmtbeit und in ebenfo vollftändiger Hnfcbaulichkeit gegeben fein können. Hber a l s » I d e e « (im Kantifcben Sinn) i f t g l e i c h w o h l d i e v o l l k o m m e n e G e g e b e n h e i t v o r g e z e i c b n e t — als ein in feinem Wefenstypus abfolut beftimmtes Syftem endlofer Prozeffe kontinuierlichen Erfcbeinens, bzw. als Feld diefer Prozeffe ein a priori beftimmtes K o n t i n u u m v o n E r f c h e i n u n g e n mit verfcbiedenen aber beftimmten Dimenfionen, durcbberrfcbt von fettet Wefensgefeijlicbkeit. Diefes Kontinuum beftimmt ficb näher als allfeitig unendliches, in allen feinen Phafen aus Erfcheinungen desfelben beftimmbaren X

298

Edmund Hufferi,

beftebend, derart zufammenbängend geordnet und dem Weiensgebalt nach beftimmt, daß jede beliebige L i n i e desielben in der (tetigen Durcblaüfung einen einftimmigen Erfcbeinungszufammenbang ergibt (der felbft als eine Einheit beweglicher Erfcbeinung zu bezeich· nen ift), in welchem das eine und felbe immerfort gegebene X Geh kontinuierlich-einftimmig »näher« und niemals »anders« beftimmt. Ift nun eine abgefcbloffene Einheit der Durcblaufung, alio ein endlicher, nur beweglicher Akt, vermöge der allfeitigen Unendlichkeit des Kontinuums nicht denkbar (das ergäbe eine widerßnnige endliche Unendlichkeit): fo liegt doch die Idee diefes Kontinuums und die Idee der durch dasfelbe vorgebildeten vollkommenen Gegebenheit e i n f i c h t i g vor - einfiebtig wie eben eine »Idee« einfiebtig fein kann, durch ihr Wefen einen e i g e n e n E i n f i c b t s t y p u s bezeichnend. Die Idee einer wefensmäßig motivierten Unendlichkeit ift nicht felbft eine Unendlichkeit; die Einficht, daß diefe Unendlichkeit prinzipiell nicht gegeben fein kann, fcbließt nicht aus, fondern fordert vielmehr die einfiebtige Gegebenheit der I d e e diefer Unendlichkeit. §144.

Wirklichkeit und flbfcbließende

originär gebendes Β e f t i m m u η g e n.

Bewußtfein:

Es bleibt alfo dabei, daß das Eidos Wahrhaft-fein korrelativ gleichwertig ift mit dem Eidos Adäquat·gegeben- und Evident-fe^barfein — das aber entweder im Sinn endlicher Gegebenheit oder Gegebenheit in Form einer Idee. In einem Falle ift das Sein »immanentes« Sein, Sein als abgefcbloffenes Erlebnis oder noematlfches Erlebniskorrelat; im anderen Falle tranfzendentes Sein, d. i. Sein, deffen »Tranfzendenz« eben in der Unendlichkeit des noematifeben Korrelats, das es als Seins»materie« fordert, gelegen ift. Wo eine gebende flnfebauung a d ä q u a t und i m m a n e n t ift, da fällt zwar nicht Sinn und Gegenftand, aber originär erfüllter Sinn und Gegenftand zufammen. Der Gegenftand ift eben das, was in der adäquaten flnfebauung als originäres Selbft erfaßt, gefetjt ift, vermöge der Originarität einfichtig, vermöge der Sinnesvollftändigkeit und vollftändigen originären Sinneserfüllung abfolut einfichtig. Wo die gebende Hnrcbauung eine t r a n f z e n d i e r e n d e Ift, da kann das Gegenftändliche nicht zu adäquater Gegebenheit kommen; gegeben fein kann nur die I d e e eines folchen Gegenftändlieben, bzw. feines Sinnes und feines »erkenntnismäßigen Wefens« und damit eine apriorifebe Regel für die eben gefetjmäßigen Unendlichkeiten inadäquater Erfahrungen.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenot. Pbilofopbie.

299

Huf Grund der jeweilig vollzogenen Erfahrungen und diefer Regel (bzw. des mannigfaltigen Regelfyftems, das fie befchließt) kann freilich nicht eindeutig entnommen werden, wie der weitere Erfahrungsverlauf Od) abfpielen muß. Im Gegenteil bleiben unendlich viele Möglichkeiten offen, die aber durch die iehr inhaltreiche apri* oriicbe Regelung dem Typus nach vorgebildet find. Das Regelfyftem der Geometrie beftimmt abfolut feft alle möglichen Bewegungsgeftalten, die das Stück hier und jetjt beobachteter Bewegung ergänzen könnten, aber keinen einzigen wirklichen Bewegungsverlauf des fich wirklich Bewegenden zeichnet iie aus. Wie das auf Er« fahrung fich gründende empirifche Denken da weiterhilft; wie ίο etwas wie wiffenfchaftliche Beftimmung von Dinglichkeiten als er« fahrungsmäßig gefegten Einheiten, die doch unendliche Vieldeutig* keiten einfchließen, möglich wird; wie innerhalb der Theßs der Natur das Ziel eindeutiger Beftimmung gemäß der I d e e des Naturobjekts, des Naturvorganges ufw. (die als Idee eines individuell Einzigen vollbeftimmte ift) erreicht werden kann: das gehört in eine neue Forfchungsfd)id)t. Es gehört in die Phänomenologie der fpezififch erfahrenden, und im befonderen der phyfikalifchen, pfychologifchen, überhaupt naturwiffenfcfraftlichen Vernunft, welche die ontologifchen und noetifdhen Regeln, die zur Erfahrungswiifenfcftaft als folcher gehören, auf ihre phänomenologifchen Quellen zurückführt. Das fagt aber, daß fie die phänomenologifchen Schichten, die noetifchen und noematifcben, in die ücb der Inhalt diefer Regeln einbettet, auf« fud)t und eidetifch erforfcht. §145. K r i t i f c h e s z u r P h ä n o m e n o l o g i e d e r

Evidenz.

flus den durchgeführten Betrachtungen ift klar, daß die P h ä n o m e n o l o g i e d e r V e r n u n f t , d i e N o e t i k in e i n e m p r ä g n a n t e r · S i n n e , welche nicht das Bewußtfein überhaupt, fondern das Vernunftbewußtfein einer intuitiven Erforfchung unterziehen will, durchaus die allgemeine Phänomenologie vorausfetjt. Daß 1 — im Reiche der Pofitionalität - t h e t i f c h e s B e w u ß t f e i n j e d e r G a t t u n g u n t e r N o r m e n fteht, ift felbft eine phänomenologifche Tatfache; die Normen find nichts anderes als Wefensgefetje, die fich auf gewiffe, ihrer Hrt und Form nach ftreng zu analyfierende und zu bei eftreibende noetifch-noematifche Zufammen« 1) In die Sphäre der Phantafie und Neutralität übertragen fich alle tbetifeften Vorkommniffe »gefpicgelt« und »kraftlos«; fo auch alle Vorkomme niffe der Vernunft. Neutrale Tbefen find nicht zu beftätigen, aber »quasi< zu beftätigen, fie find nicht evident, fondern »gleicbfam« evident ufw.

300

Edmund Hufferl,

hänge beziehen. Natürlich ift dabei auch die » U n v e r n u n f t « als negatives Gegenftück der Vernunft überall zu berückfiibtigen, ebenfo wie die Phänomenologie der Evidenz die ihres Gegenftückes, der H b i u r d r t ä t , in fich begreift. 1 Die a l l g e m e i n e W e f e n s l e h r e v o n d e r E v i d e n z mit ihren auf die allgemeinften Wefens· unterfcheidungen bezogenen Analyfen bildet ein relativ kleines, obfchon fundamentales Stück der Phänomenologie der Vernunft. Es beftätigt iich dabei - und das vollkommen einzufehen, genügen fchon die foeben durchgeführten Überlegungen — was zu Anfang diefes Buches 1 ' gegen die verkehrten Interpretationen der Evidenz kurz geltend gemacht wurde. Evidenz ift in der Tat nicht itgendein Bewußtfeinsindex, der an ein Urteil (und gewöhnlich fpricht man nur bei einem folchen von Evidenz) angeheftet, uns wie eine myftifche Stimme aus einer befferen Welt zuruft: Hier ift die Wahrheit!, als ob folch eine Stimme uns freien Geiftern etwas zu fagen und ihren Rechtstitel nicht auszuweiten hätte. Wir brauchen uns mit Skeptizismen nicht mehr auseinanderzufetjen und Bedenken des alten Typus zu erwägen, die keine Index- und Gefühlstheorie der Evidenz überwinden kann: ob nicht ein Lügengeift (der Cartefianifchen Fiktion) oder eine fatale Änderung des faktifchen Weltverlaufs es bewirken könnte, daß gerade jedes falfche Urteil mit diefem Index, diefem Gefühl der Denknotwendigkeit, des tranfzendenten Sollens u. dgl. ausgeftattet wäre. Gebt man an das Studium der hierhergehörigen Phänomene ielbft heran und im Rahmen phänomenologifcher Reduktion, fo erkennt man in vollfter Klarheit, daß es fich hier um einen eigentümlichen Setjungsmodus bandelt (alio nichts weniger denn um einen dem Akte irgendwie angehängten Inhalt, um ein Beigefügtes welcher Art immer), der zu eidetifdb beftimmten Wefenskonftitutionen des Noema gehört (ζ. B. der Modus urfprüngliche Einiichtigkeit zur noematifchen BefchafFenheit »oricnriär« gebende Wefenserfchauung). Man erkennt dann \veiter, daß abermals Wefensgefetje die Beziehung derjenigen poiitionalen Akte, die diefe ausgezeichnete Konftitution nicht haben, auf folche, die iie haben, regeln; daß es ζ. B. fo etwas wie Bewußtfein der » E r f ü l l u n g d e r I n t e n t i o n « , der fpezififch auf die thetifchen Charaktere bezogenen Berechtigung und Bekräftigung gibt, ebenfo wie die 1) Vgl. »Log. Unterf.« II, 6. Unterf., § 39, S. 594ff., bef. S. 598 Überhaupt bietet die ganze 6. Unterfucbung pbänomenologifebe Vorarbeiten für die Behandlung der im vorliegenden Kapitel erörterten Vernunftprobleme. 2) Vgl. oben das 2. Kapitel des 1. flbfebnittes, insbef. § 21, S. 39f.

Ideen zu einet reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofopbie.

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entfprechenden G e g e n c h a r a k t e r e der E n t r e c h t u n g , E n t k r ä f t i g u n g . Man erkennt in weiterer Folge, daß die logifchen Prinzipien eine tiefe pbänomenologifche Hufklärung fordern, und daß ζ. B. der Sat) vom Widerfprucb uns auf Wefenszufammenhänge möglicher Bewährung und möglicher Entkräftigung (bzw. vernünftiger Durcbftreicbung) zurückführt.1 Überhaupt gewinnt man die Einiicbt, daß es ficb hier überall nicht um zufällige Fakta, fondern um eidetifche Vorkommniffe handelt, die in ihrem eidetifchen Zufammenbang ftehen, und daß alio, was im Eidos ftattbat, für das Faktum als abfolut unüberfteiglicbe Norm fungiert. Man macht iicb in diefem pbänomenologifchen Kapitel auch klar, daß nicht jedes pofitionale Erlebnis (ζ. B. jedes beliebige Urteilserlebnis) in derfelben Weife, und fpeziell, daß nicht jedes unmittelbar evident werden kann; ferner daß alle Weifen der Vernunftfetjung; alle Typen unmittelbarer oder mittelbarer Evidenz in pbänomenologifchen Zufammenhängen wurzeln, in denen ficb die grundverfchiedenen Gegenftandsregionen noetifch-noematifch auseinanderlegen. Es kommt insbefondere darauf an, die kontinuierlichen Identitätseinigungen und die fynthetifchen Identifizierungen in allen Gebieten fyftematifch nach ihrer pbänomenologifchen Konftitution zu ftudieren. Hat man zunächft, was ein Erftes ift, das not tut, den inneren Bau der intentionalen Erlebniffe nach allen allgemeinen Strukturen kennen gelernt, den Parallelismus diefer Strukturen, die Schichtungen im Noema, wie Sinn, Sinnesfubjekt, thetifche Charaktere, Fülle: fo gilt es bei allen fynthetifchen Einigungen völlig klarzumachen, wie mit ihnen nicht bloß überhaupt FVktverbindungen ftattbaben, fondern Verbindung zur Einheit e i n e s Hktes. Insbefondere, wie identifizierende Einigungen möglich find, wie da und dort das beftimmbare X zur Deckung kommt, wie fich dabei 1) Vgl. »Log. Unterf.« II, 6. Unterf., § 3 4 , 5 . 583ff. - Bedauerlicberweife urteilt W. W u η d t bier, wie über die getarnte Phänomenologie ganz anders. Die Forfchung, die doch nicbt im leifeften übet die Sphäre rein anfcbaulicber Gegebenheiten hinausgeht, interpretiert er als »Scbolaftik«. Die Unterfcbei» dung zwifcben finngebendem und finnerfüllendem Akt bezeichnet er (Kleine Schriften I, S. 613) als ein von uns »gewähltes formales Schema«, und das Ergebnis der finalyfen fei die »primitivfte« »Wortwiederbolung«: »Evidenz ift Evidenz, flbftraktion ift flbftraktion«. Er leitet den flbfcbluß feiner Kritik mit den Worten ein, die ich mir noch zu zitieren geftatte: »Hufferls mehr tbeoretifd) als praktifcb gerichtete Grundlegung einer neuen Logik endet bei jeder feiner Begriffsanalyfen, foweit diefe einen pofitiven Inhalt befitjen, mit der Verficberung, daß wirklieb fl = fl, und daß es nichts anderes fei« (a. a. 0 . S. 613 - 614).

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Edmund Hufferl,

die Sinnesbeftimmungen und ihre Leerftellen, das beißt hier ihre Unbeftimmtbeitsmomente, verhalten; desgleichen wie die Füllen, wie damit die Formen der Bekräftigung, der Ausweitung, der fort« fcbreitenden Erkenntnis in niederer und höherer Bewußtfeinsftufe zur Klarheit und analytifcben Einfleht kommen. Diefe und alle parallelen Vernunftftudien werden aber durchgeführt in der »tranfzendentalen«, der phänomenologifchen Einteilung. Kein Urteil, das da gefällt wird, ift ein natürliches Urteil, das die Tbefls der natürlichen Wirklichkeit als Hintergrund vorausietjte, und felbft da nicht, wo Phänomenologie des Wirklicbkeits» bewußtfeins, der Naturerkenntnis, der naturbezogenen Werterfcbauung und Werteinficbt betiieben wird. Überall geben wir den Geitaltungen der Noefen und Noemata nach, wir entwerfen eine fyftematifche und eidetifche Morphologie, beben überall Wefensnotwendigkeiten und Wefensmöglicbkeiten hervor: l e i t e t e als notwendige Möglichkeiten, d. i. Einigungsformen der Verträglichkeit, die in den We Ten vorgefchrieben und von Wefensgefetjen umgrenzt find. »Gegenftand« ift für uns überall ein Titel für Wefenszuiammenbänge des Bewußtfeins; er tritt zunäcbft auf als noematifches X , als Sinnes{ubjekt verfchiedener Wefenstypen von Sinnen und Sätzen. E r tritt ferner auf als Titel »wirklicher Gegenftand« und ift dann Titel für gewiiie eidetifcb betrachtete Vernunftzuiammenbänge, in denen das in ihnen {inngemäß einheitliche X feine vernunftmäßige Setjung erhält. Ebenfolcbe Titel für beftimmte, eidetifcb umgrenzte und in Wefensforfcbung zu fixierende Gruppen »teleologifch« zufammengeböriger Bewußtieinsgeftaltungen find die Ausdrücke »möglicher Gegenftand«, »wabrfcbeinlicber«, »zweifelhafter« ufw. Immer wieder find da die .Zufammenhänge andere, in ihrer Flndersbeit ftreng zu befchreibende: fo z . B . ift leicht einzufeben, daß M ö g l i c h k e i t des ίο und fo beftimmten X fieb nicht bloß ausweift durch originäre Gegebenheit diefes X in feinem Sinnesbeftande, alfo durch Nachweis der Wirklichkeit, fondern daß auch bloße reproduktiv fundierte finmutungen im einftimmigen Zufammenfchluffe fleh wecbfeUeitig bekräftigen können; ebenfo daß Z w e i f e l b a f t i g k e i t fleh ausweift in Widerftreitpbänomenen zwifchen modalifierten flnfehauungen gewifier defkriptiver Artung ufw. Damit verbinden fid> die Vernunft« tbeor etlichen Unterfuchungen, welche {ich auf die Unterfcheidung von Sachen, Werten, praktiiehen Gegenftändlichkeiten beziehen, und welche den (ich für diefelben konftituierenden Bewußtfeinsgebilden nachgehen. So umfpannt die Phänomenologie wirklich die ganze

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natürliche Welt und alle die idealen Welten, die fie ausfchaltet: fle umfpannt fie als »Weltfinn« durch die Wefensgefetjlichkeiten, welche Gegenftandsfinn und Noema überhaupt mit dem gefchloffenen Syftem der Noefen verknüpfen, und ipeziell durch die vernunftgefetjlichen Wefenszufammenhänge, deren Korrelat »wirklicher Gegenftand« ift, welcher alio feinerfeits jeweils einen Index für ganz beftimmte 6yfteme teleologifch einheitlicher Bewußtfeinsgeftaltungen darfteilt. Drittes Kapitel.

Allgemeinheitsftufen der vernunfttheoretlichen Problematik. Untere Meditationen zur Problematik einer Phänomenologie der Vernunft bewegten fich bisher in einer Höhe der Allgemeinheit, welche die weientlichen Verzweigungen der Probleme und ihre Zufammgnbänge mit den formalen und regionalen Ontotogien nicht hervortreten ließ. In diefer Hinficht müffen wir näher zu kommen verfuchen; erft damit wird fich uns der volle Sinn der phänomenologifchen Eidetik der Vernunft und der ganze Reichtum ihrer Probleme erichließen. §146.

Die a l l g e m e i n f t e n

Probleme.

Gehen wir auf die Quellen der Vernunftproblematik zurück und verfolgen wir fie möglichft iyftematifch in ihre Verzweigungen. Der Problemtitel, der die ganze Phänomenologie umfpannt, heißt Intentionalität. Er drückt eben die Grundeigenfchaft des Bewußtfeins aus, alle phänomenologifchen Probleme, felbft die byletifchen, ordnen fich ihm ein. Somit beginnt die Phänomenologie mit Problemen der Intentionalität; aber zunächft in Allgemeinheit und ohne die Fragen des Wirklich« (Wahrhaft·) feins des im Bewußtfem Bewußten in ihren Kreis zu ziehen. Daß fcofitionales Bewußtfein mit feinen thetiichen Charakteren im allgemeinften Sinn als ein »Vermeinen« bezeichnet werden kann und als folches notwendig unter dem Vernunftgegenfatje der Gültigkeit und Ungültigkeit fteht, bleibt außer Betracht. An diefe Probleme konnten wir nun in den letjten Kapiteln, mit Rückficht auf die uns inzwifchen verftändlich gewordenen Hauptftrukturen des Bewußtfeins, herantreten. Da es fld) um eidetifche Anfänge handelt, vollzogen wir die Analyfen naturgemäß In möglichfter Allgemeinheit. In allen eidetifchen Sphären geht der fyftematifche Weg von höherer zu niederer Allgemeinheit, mag aud) die aufipürende Analyfe an Beionderes anknüpfen. Wir

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Edmund Hufferl,

fpracben von Vernunft und Vernunftthefls überhaupt, von originärer und abgeleiteter, von adäquater und inadäquater Evidenz, von Wefens· einficht und individueller Evidenz u. dgl. Die Befcbreibungen, die wir entwarfen, festen fcbon eine große pbänomenologifcbe Bafis voraus, eine ganze Reihe ichwieriger Unterfcbeidungen, die wir uns in den Kapiteln über die allgemeinften Bewußtfeinsftrukturen herausgearbeitet hatten. Ohne die Begriffe Sinn, Sat), erfüllter Sal3 (erkenntnismäßiges Wefen in der Rede der »Logifchcn Unterfuchungen«) ift ja gar nicht an die radikale Formulierung irgendeines vernunfttheoretifchen Problems heranzukommen. Diefe Begriffe festen wieder ändert und die ihnen entfprechenden Wefensfcheidungen voraus: die Unterfcbiede der Pofitionalität und Neutralität, die der tbetifchen Charaktere und ihrer Materien, die flusfonderung der eigentümlichen Wefensmodifikationen, die nicht in das Eidos Sat) eintreten, wie ζ. B. der attentionalen Modifikationen ufw. Wir betonen zugleich, damit der Umfang notwendiger flnalyfen in der allgemeinften Vernunfttheoretifchen Schicht, von der wir hier fprechen, nicht unferfchätjt werde, daß die Weiensdefkriptionen des legten Kapitels als bloße Anfänge gelten follen. Wie überall, ίο führten wir auch hier nur die methodifche flbüd)t durch, uns für jede prinzipiell neue Schicht, die als ein Feld phänomenologifcher Forfchungen gefchildert werden follte, ίο viel feiten Boden zu erarbeiten, daß wir uns ihrer verfichern, die auf iie bezüglichen ausgangs- und Orundprobleme formulieren und uns in dem iie umgebenden Problemhorizont freie Blicke werfen konnten. §147.

Ρ r ο b 1 e m ν e r ζ w e i g u η g e n. D i e f o r m a l e R x i o l o g i e und Praktik.

Logik,

Die allgemeine Phänomenologie der Vernunft verzweigt iich, wenn wir auf weitere ftrukturelle Unterfcbiede Rücklicht nehmen, welche für die Vernunftdbaraktere beftimmend find: auf die VerfAiedenbeiten nach Grundarten der Thefen, auf die Unterfcbiede fcblichter und fundierter Thefen und auf die damit iich kreuzenden Unterfcbiede von eingliedrigen Theten und Syntbefen. Hauptgruppen von Vernunftproblemen (Evidenzproblemen) bezieben fieb auf die Hauptgattungen von Thefen und die von ihnen wefensmäßig geforderten Setjungsmaterien. Hn erfter Stelle fteben natürlich die Urdoxa, die doxifchen Modalitäten mit den ihnen entfprechenden Seinsmodalitäten. In der Verfolgung folcher vernunfttbeoretifeben Ziele gelangt man notwendig zu den P r o b l e m e n d e r v e r n u n f t t h e o r e t i -

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenoL Pbilofophie.

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fchen A u f k l ä r u n g d e r f o r m a l e n L o g i k und der ihr parallelen Difziplinen, die ich f o r m a l e A x i o l o g i e und P r a k t i k genannt habe. Es fei zunächft auf die früheren Ausführungen1 über die reinen Formenlehren der Sätje und fpeziell der f y n t h e t i i e h e n Sätje verwiefen, bezogen auf die prädikative doxifebe Synthefis, fowie auf die zu den doxifchen Modalitäten, ferner zu den Gemüts· und Willensakten gehörigen iyntbetifchen Formen. (So ζ. B. die Formen der Bevorzugung, die des Wertens und Wollens »um eines anderen willen«, die Formen des axiologifchen »und« und -oder«). In diefen Formenlehren ift noematifch von fynthetifchen Sätjen ihrer reinen Form nach die Rede, ohne daß Vernunftgeltung oder Ungeltung in Frage wäre. Sie gehören alio noch nicht zur Schicht der Vernunftlehre. Aber fowie wir diefe Frage, und zwar für Sätje überhaupt fofern iie ausfchließlich durch die reinen Formen beftimmt gedacht werden aufwerfen, ftehen wir in der formalen Logik und in den oben genannten formalen Paralleldifziplinen, die ihrem Wefen nach auf den entfprechenden Formenlehren, als ihren Untecftufen, aufgebaut find. I n d e n f y n t h e t i i e h e n F o r m e n — die als folche von Theten, bzw. Sätjen der betreffenden S ä t j e k a t e g o r i e offenbar vielerlei vorausfetjen aber es in feiner Befonderheit unbeftimmt laffen - l i e g e n a p r i o r i f c h e B e d i n g u n g e n möglicher G ü l t i g k e i t , w e l c h e in d e n W e f e n s g e f e t j e n d e r f r a g lichen D i f z i p l i n e n zum Ausdruck k o m m e n . Speziell liegen in den reinen Formen der p r ä d i k a t i v e n (analytifchen) Synthefis apriorifche Bedingungen der Möglichkeit d o x i f c h e r V e r n u n f t g e w i ß h e i t , noematifch gefpröchen, m ö g l i c h e r W a h r h e i t . Ihre objektive Herausfteilung vollzieht die formale Logik im en&iten Sinne: die f o r m a l e A p o p h a n t i k (die formale Logik der »Urteile«), die alfo ihr Fundament in der Formenlehre diefer »Urteile« hat. Ähnliches gilt für die zur Gemüts· und Willensfphäre gehörigen Synthefen und ihre noematifchen Korrelate, alfo für ihre Arten fynthetifcher »Sätje«, deren fyftematifche Formenlehre wieder den Untergrund abgeben muß für den Bau der formalen Geltungslehren. Es liegen eben wirklich in den puren fynthetifchen F o r m e n diefer Sphären (wie ζ. B. in den Zufammenhängen von Zwecken und Mitteln) B e d i n g u n g e n d e r M ö g l i c h k e i t a χ i ο I ο g i f ch e r u n d 1) Vgl. § 133f., S. 273-278.

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Edmund Hufferl,

praktifcher »Wahrheit«. Dabei wendet fich vermöge der »Objektivierung«, die fid) ζ. Β. auch in den Gemütsakten vollzieht, alle axiologifche und praktifche V e r n ü n f t i g k e i t in der uns ver· ftändlichen Weife um in doxifche Vernünftigkeit und noematifch in W a h r h e i t , gegenftändlich in W i r k l i c h k e i t : wir fprechen von wahren oder wirklichen Zwecken, Mitteln, Vorzüglichkeiten ufu?. Huf alle diefe Zufammenhänge beziehen fich felbftverftändlich eigene und höchft wichtige phänomenologifche Unterfudhungen. Schon die Hrl der foeben gegebenen Charakteriftik der formalen Difziplinen ift phänomenologifch und fetjt vieles aus unteren Hna· lyfen voraus. Der Forfcher in der »dogmatifch« behandelten r e i n e n L o g i k erfaßt abftraktiv die apophantifchen Formen (»Satz überhaupt« oder »Urteil«, kategorifches, hypothetifches, konjunktives, disjunktives Urteil ufw.) und fixiert für fie Rxiome formaler Wahrheit. Von analytifcher Synthefis, von noetifch - noematifchen Wefensbeziehungen, von der Einordnung der von ihm herausgefaßten und begrifflich fixierten Wefen in die Wefenskomplexe des reinen Bewußtfeins weiß er nichts; er erforfcht ifoliert, was nur in diefem vollen Wefenszufammenhange fein volles Verftändnis finden kann. Erft die Phänomenologie macht uns durch Rückgang auf die Quellen der Intuition im tranfzendental gereinigten Bewußtfein klar, was darin eigentlich liegt, wenn wir bald von formalen Bedingungen der Wahrheit und bald von folcben der Erkenntnis fprechen. Allgemein klärt fie uns auf über W e f e n u n d W e f e n s · v e r h ä l t n i f f e , die den Begriffen Erkenntnis, Evidenz, Wahrheit, Sein (Gegenftand, Sachverhalt ufw.) zugehören·; fie lehrt uns den Rufbau des Urteilens und des Urteiles verftehen, die Weife wie die Struktur des Noema erkenntnisbeftimmend ift, wie der »Satj« dabei feine befondere Rolle fpielt und wieder die verfchiedene Mög* Hchkeit feiner erkenntnismäßigen »Fülle«. Sie zeigt, welche Erfüllungsweifen Wefensbedingungen für den Vernunftcharakter der Evidenz, welche Hrten von Evidenz jeweils in Frage find ufw. Insbefondere läßt fie es uns verftehen, daß es fich bei den a p r i o · r i f c h e n W a h r h e i t e n d e r L o g i k um Wefenszufammenhänge handelt zwifchen der M ö g l i c h k e i t i n t u i t i v e r E r f ü l l u n g des Satzes (wodurch der entfprechende Sachverhalt zu fyntbetifcher Hnfchauung kommt) und der r e i n e n f y n t h e t i f A e n F o r m des Satjes (der reinlogifchen Form), und daß zugleich jene Möglichkeit Bedingung der möglichen Geltung fei. Sie zeigt auch, daß, genau befehen, hier Doppeltes zu unter« fcheiden ift, der Korrelation von Noefis und Noema entfprechend.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofopbie:

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In der formalen Hpophantik (ζ. B. in der Syllogiftik) ift die Rede von Urteilen, als noematifcherv Sätjen, und ihrer »formalen Wahrheit«. Die Einteilung ift durchaus noematifch. flndererfeits in der f o r m a l e n a p o p h a n t i f c h e n Ν ο e t i k ift die Einftellung noetifch, es ift die Rede von der Vernünftigkeit, Richtigkeit des Urteilens, e s werden N o r m e n diefer Richtigkeit ausgefprochen, und zwar mit Beziehung auf die Formen der Sätje. Ζ. B. einen Wideriprucb kann man nicht für wahr halten; wer gemäß den Prämiffenformen der gültigen Schlußmodi urteilt, »muß« Folgen der entfprechenden Formen ziehen ufw. Im phänomenologifchen Zufammenhang werden diefe Parallelen ohne weiteres verftändlich. Die Vorkommniffe, die das Urteilen, die Noefe betreffen, ebenfo die wefensmäßig entfprechenden im Noema, der flpophanfis, werden gerade in ihrer notwendigen Hufeinanderbeziehung und in der vollen BewußtfeinsVerflechtung erforfcht. Dasfelbe gilt natürlich von den übrigen formalen Difziplinen hinficbtlich des Parallelismus noetifcber und noematifcher Regelungen. § 148. V e r n u n f t t b e o r e t i f c b e P r o b l e m e Ontotogie.

der

formalen

Von diefen Difziplinen führt uns eine Wendung zu den entfprechenden O n t o l o g i e n . Der Zufammenhang ift phänomenologifch fchon durch die allgemein möglichen Blickwendungen gegeben, die innerhalb jedes Aktes vollzogen werden können, wobei die Beftände, die fie in den Blid« bringen, wechfelfeitig durch mancherlei Weiens· gefetje miteinander verflochten find. Die primäre Einftellung ift die auf das Gegenftändliche, die noematifch^ Reflexion führt auf die noematifchen, die noetifche auf die noetifchen Beftände. flus diefen Beftänden faffen die uns hier intereffierenden Difziplinen abftraktiv reine Formen heraus, und zwar die formale flpopbantik noematifche, die parallele Noetik noetifche Formen. Wie diefe Formen miteinander, fo find beide mit ontifchen Formen wefensgefe^licb verknüpft, die durch Rückwendung des Blickes auf ontifche Beftände erfaßbar find. Jedes formal-logifche Gefet) ift äquivalent umzuwenden in ein formal-ontologifches. Statt über Urteile wird jetjt über Sachverhalte, ftatt über Urteilsglieder (ζ. B . nominale Bedeutungen) über Gegen» ftände, ftatt über Prädikatbedeutungen über Merkmale geurteilt ufw. Die Rede ift auch nicht mehr von der Wahrheit, Gültigkeit der Ur» teilsfätye, fondern vom Beftände der Sachverhalte, vom Sein der Gegenftände ufw. 20'

308

Edmund Huffett,

Selbftverftändlid) ift aucf> der phänomenologifche Gehalt diefer Wendung durch Rückgang auf denjenigen der maßgeblichen Begriffe zu klären. Die formale Ontotogie gebt übrigens fehr weit hinaus über die Sphäre folcher bloßen Umwendungen der formalen apophantifchen Wahrheiten. Große Difziplinen wachten ihr durch jene »Nominal!· fierungen« zu, von denen wir früher gefprochen haben. Im pluralen Urteilen tritt der Plural als plurale Thefis auf. Durch die nominalifierende Wendung wird er zum Gegenftand Menge, und fo erwächft der Grundbegriff der M e n g e n l e h r e . In diefer wird ü b e r Mengen als Gegenftände geurteilt, die ihre eigentümlichen Arten von Eigenfchaften, Relationen ufw. haben. Dasfelbe gilt für die Begriffe Relation, Anzahl ufw., als Grundbegriffe m a t h e m a « tifcher Difziplinen. Wieder haben wir, wie bei den bloßen Formenlehren der Sätje zu fagen, daß es nicht die Aufgabe der Phäno· menologie ift, diefe Difziplinen zu entwickeln, alfo Mathematik, Syl« logiftik ufw. zu treiben. Nur die Axiome intereffieren fie und deren begrifflicher Beitand, als Titel für phänomenologifche Analyfen. Das Gefagte überträgt fidb von felbft auf die f o r m a l e Α χ i ο • l o g i e u n d P r a k t i k , fowie auf die als theoretifAe Defiderate ihnen beizuordnenden f o r m a l e n O n t o l o g i e n d e r W e r t e (in einem fehr erweiterten Sinne), der Güter — kurz der ganzen ontifchen Sphären, die Korrelate des Gemüts» und Willensbewußtfeins find. Man bemerkt, d a ß d e r B e g r i f f d e r » f o r m a l e n O n totogie« in d i e f e n B e t r a c h t u n g e n fich erweitert b a t . Die Werte, die praktifchen Gegenftändlichkeiten, ordnen fich dem formalen Titel Gegenftand«, »Etwas überhaupt« unter. Sie find alfo vom Standpunkte der umverteilen analytifcben Ontologie material beftimmte Gegenftände, die ihnen zugehörigen »formalen« Ontologien der Werte und praktifchen Gegenftändlichkeiten materiale Difziplinen. Andererteits haben die Analogien, die in dem Parallelismus der thetifchen Gattungen (Glaube, bzw. Glaubensmodalität, Werten, Wollen) und der ihnen fpezififch zugeordneten Synthefen und fyntaktifchen Formungen gründen., ihre Kraft, und eine fo wirk· fame, daß Kant geradezu das Verhältnis vom Wollen des Zweckes und Wollen der Mittel als »analytifches« bezeichnet und dadurch 1) Vgl. § 119, S. 247f. 2) Vgl. Grundlegung zur Metapbyfik der Sitten (fl 417): »Wer den Zweck will, will . . . aueb das dazu unentbehrlich notwendige Mittel, das in feiner Gewalt ift. D i e f e r S a t ) i f t , w a s d a s W o l l e n b e t r i f f t , analytifch«.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofopbie. 309 freilief) Analogie mit Identität verwecbfelt. Das eigentlich Analytifche, das zur prädikativen Syntbefis der Doxa geberige, darf nicht vermengt werden mit feinem formalen Analogon, das bezogen ift auf die Syntbefen der Gemüts- und Willenstbefen. Tiefliegende und wichtige Probleme der Phänomenologie der Vernunft knüpfen Od» an die radikale Aufklärung diefer Analogien und Parallelen. §149. D i e v e r n u n f t t b e o r e t i / c b e n P r o b l e m e d e r r e g i o n a l e n O n t o l c g i e n . Das P r o b l e m der p b ä n o m e n o · l o g i f e b e n Κ ο η f t i t u t i ο η.

Nachdem wir die vernunfttbeoretifchen Probleme erörtert haben, welche uns die formalen Difziplinen ftellen, wäre der Übergang zu den m a t e r i a l e n zu vollziehen und zunächff zu den r e g i o n a l e n Ontotogien. lede gegenftändliche Region konftituiert Qcb bewußtfeinsmäßig. Ein durch die regionale Gattung beftimmter Gegeriftand hat als iolcher, fofern er wirklicher ift, feine a priori vorgezeichneten Weifen, wahrnehmbar, überhaupt klar oder dunkel vorftellbar, denk bav, ausweisbar zu fein. Wir kommen alio wieder binficbtlicb des die Vernünftigkeit Fundierenden auf die Sinne, Sätje, erkenntnismäßigen Wefen zurück; aber jetjt nicht auf die bloßen Formen, fondern, da wit die materiale Allgemeinheit des regionalen und kategorialen Wefens im Auge haben, auf Sätje, deren Beitimmungs· gehalt in feiner r e g i o n a l e n Beftimmtheit genommen ift. J e d e Region bietet hier den L e i t f a d e n f ü r eine eigene gefchloffene Unterfuchung-sgruppe. Wir nehmen etwa die Region materielles Ding als Leitfaden Verfteben wir recht, was diefe Leitung befagt, fo erfaffen wir damit zugteich ein allgemeines Problem, das für eine große und relativ abgefcbloffene phänomenologifd/e Difziplin maßgebend ift: das Problem der allgemeinen »Konftitution« der G e g e n f t ä n d l i c h k e i t e n d e r R e g i o n D i n g im t r a n s f z e n d e n t a l e n B e w u ß t f e i n , oder kürzer ausgedrückt, »der pbänomenologifchen Konftitution des Dinges überhaupt«. In eins damit lernen wir auch die diefem Leitproblem zugeordnete Unter» fuebungsmetbode kennen. Ebendasfelbe gilt dann für j e d e Region und jede auf ihre pbänomenologifebe Konftitution bezügliche Difziplin. Es bandelt fieb um folgendes. Die Idee des Dinges, um bei dieler Region zu verbleiben, ift, wenn wir jetjt von ihr fprechen, bewußtfeinsmäßig vertreten aureb den begrifflichen Gedanken »Ding« mit einem gewiffen noematiicben Beftand. Jedem Noema entfpriebt

310

Edmund Hufferl,

wefensmäßig eine ideal abgefchloffene Gruppe von möglichen Noemen, die ihre Einheit darin haben, daß fie einer fynthetifchen Vereinheitlichung durch Deckung fähig find. Ift das Noema, wie hier, ein einftimmiges, fo finden fich in der Gruppe auch anfchauliche und insbefondere originär gebende Noemen, in denen fid) alle andersartigen der Gruppe in der identifizierenden Deckung erfüllen, aus ihnen in dem Falle der Pofitionalität Beftätigung, Fülle der Vernunftkraft fchöpfend. Wir geben alfo von der verbalen, vielleicht ganz dunkeln Vorftellung Ding aus, wie wir fie gerade haben. In Freiheit erzeugen wir anfchauliche Voritellungen von demielben »Ding«-überhaupt und machen uns den vagen Sinn des Wortes klar. Da es fich um eine »allgemeine Vorftellung« handelt, fo müffen wir exemplariich vorgehen. Wir erzeugen beliebige Pbantafieanfchauungen von Dingen, etwa freie flnfehauungen von Flügelpferden, weißen Raben, Goldbergen u. dgl.; auch das wären ja Dinge, und Vorftellungen von ihnen dienen alfo zur Exemplifikation ebenfogut wie Vorftellungen von Dingen wirklicher Erfahrung. Daran erfaffen wir, Ideation vollziehend, in intuitiver Klarheit das Wefen »Ding« als Subjekt allgemein umgrenzter noematifcher Beftimmungen. Nun ift zu beachten (in Erinnerung an früher fchon Feit' geftelltes'), daß hierbei zwar das Wefen »Ding« originär gegeben ift, daß aber diefe Gegebenheit prinzipiell keine adäquate fein kann. Zur adäquaten Gegebenheit können wir uns das Noema oder den Ding-Sinn bringen; aber die mannigfaltigen Dingfinne, auch in ihrer Fülle genommen, enthalten nicht als einen ihnen immanenten originär -anfchaulichen Beftand das regionale Wefen »Ding«, ebenfowenig wie die mannigfaltigen auf ein und dasielbe individuelle Ding bezogenen Sinne das Individualwefen diefes Dinges enthalten. Mit anderen Worten, ob es fich um das Wefen eines Dingindividuums handelt oder um das regionale Wefen Ding überhaupt, keinesfalls langt eine einzelne Dinganfchauung oder eine endlich abgefchloffene Kontinuität oder Kollektion von Dinganfchauungen zu, um in a d ä q u a t e r Weife das gewünfehte Wefen in der ganzen Fülle feiner Wefensbeftimmtheiten zu gewinnen. Zu einer i n a d ä q u a t e n Wefens» erfchauung langt aber jede zu; gegenüber einer leeren Wefenserfaffung, wie eine folche auf dem exemplarifchen Untergrunde einer dunkeln Vorftellung zu etablieren ift, bat fie immerhin den großen Vorzug, das Wefen originär gegeben zu haben. 1) Vgl. § 143, S. 297.

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofophle.

311

Das gilt für alle Stufen der Wefensallgemeinbeit, vom Indivividualwefen bis hinauf zur Region Ding. Nun ift es aber eine generelle Wefenseinficht, daß j e d e u n v o l l k o m m e n e G e g e b e n h e i t (jedes inadäquat gebendeNoema) e i n e R e g e l i n fich b i r g t f ü r d i e i d e a l e M ö g l i c h k e i t ihrer Vervollkommnung. Zum Wefen der Kentaurerfcheinung, die ich jetjt habe - einer das Weien des Kentauren bloß »ein« feitig« gebenden Ericheinung - gehört es, daß ich den verfchiedenen Seiten des Dinges nachgehen, das zunächft unbeftimmt und offen Gebliebene mir frei phäntafierend beftimmt und anfchaulich machen kann. Im Fortgang dieics immer vollkommener veranfchaulichenden und näher beftimmenden Phantafieprozeffes find wir in weitem Maße f r e i ; wir können ja dem phantafierten Kentauren nach Belieben näher beftimmende Eigenfchaften und Eigenfchaftsveränderungen anfchaulich zumeifen; aber v ö l l i g f r e i f i n d w i r n i c h t , wofern wir im Sinne eines e i n f t i m m i g e n Hnfchauungsganges fortfchreiten follen, in dem das beftimmbare Subjekt identifch dasfelbe ift und immerfort als einftimmig beftimmbar verbleiben k a n n . Wir find ζ. B. durch einen gefetjlichen R a u m gebunden als einen Rahmen, den uns die Idee eines möglichen Dinges überhaupt feit vorfchteibt. Wie willkürlich wir das Phartafierte deformieren mögen, es geben Raumgeftalten wieder in Raumgeftalten über. Was befagt nun phänomenologifch diefe Rede von Regel oder Gefet)? Was liegt darin daß die inadäquat gegebene R e g i o n » D i n g « f ü r d e n G a n g m ö g l i c h e r H n f c h a u u n g e n — und das beißt offenbar gleichviel wie möglicher Wahrnehmungen — Regeln vorfchreibt? Darauf lautet die Antwort: Zum Wefen eines folchen Dingnoema gehören, und abiolut einfichtig, ideale Möglichkeiten der » G r e n z e n · l o f i g k e i t im F o r t g a n g e « 1 e i n i t i m m i g e r Hnfchau· u η g e η , und zwar nach typifch beftimmt vorgezeichneten Richtungen (alfo auch parallele Grenzenlofigkeiten in den kontinuierlichen Hn· einanderreihungen entfprechender Noefen). Wir erinnern uns hier acc früheren Ausführungen über die einfichtige Gewinnung der allgemeinen »Idee« Ding überhaupt, welche gültig bleiben für jede niedere Stufe der Allgemeinheit bis herab zur niederften Konkretion des individuell beftimmten Dinges. Seine Tranfzendenz drückt fich in jenen Grenzenlofigkeiten im Fortgang der Rnfchauungen von ihm aus. Immer wieder find die Hnfchauungen in Hnfchauungskontinuen 1) Vgl. Kants »Kritik d. χ. V.', das 5. Raumargument (fl 25).

312

Edmund Hufferl,

überzuführen und die vorgegebenen Kontinuen zu erweitern. Keine Wahrnehmung des Dinges ift letjtabgefchloffene, immer bleibt Raum für neue Wahrnehmungen, die Unbeftimmtheiten näher beftimmen, Unerfülltheiten erfüllen würden. Mit jedem Fortgange bereichert fid) der Beftimmungsgehalt des Dingnoemas, das ftetig zu demfelben Dinge X gehört. Es ift eine Wefenseinficht, daß j e d e Wahrnehmung und Wahrnehmungsmannigfaltigkeit erweiterungsfähig, der Prozeß alfo ein endlofer ift; demgemäß kann keine intuitive Erfaffung des Dingwefens fo vollftändig fein, daß eine weitere Wahrnehmung ihr nicht noematifch Neues beifügen könnte. flndererfeits erfaffen wir doch mit Evidenz und adäquat die »Idee« Ding. Wir erfaffen fie im f r e i e n Prozeß des Durchlaufens, im Bewußtfein der Grenzenlofigkeit des Fortganges der einftimmigen flnfchauungen. Wir erfaffen fo zunächft die unerfüllte Idee des Dinges, und diefes individuellen Dinges, als etwas, das »fo weit« gegeben ift, als die einftimmige flnfchauung eben »reicht«, aber dabei » i n i n f i n i t u m « beftimmbar bleibt. Das » u f w « ift ein einfichtigcs und abfolut unentbehrliches Moment im Dingnoema. Huf Grund des exemplarifchen Bewußtfeins diefer Grenzenlofigkeit erfaffen wir ferner die »Idee« der beftimmten Unendlichkeitsrichtungen und zwar für jede der Richtungen des anfcbaulichen Ablaufs, die wir durchlaufen. Wieder erfaffen wir d i e r e g i o n a l e » I d e e « d e s D i n g e s ü b e r h a u p t als des Identifchen, fich in ίο g e a r t e t e n beftimmten Unendlichkeiten des Ablaufs durchhaltend und in den zugehörigen beftimmter gearteten Unendlicbkeitsteihen von Noemen fich bekundend. Wie das Ding, fo ift dann jede feinem Wefensgehalt zugehörige B e f c h a f f e n h e i t und vor allem jede k o n f t i t u t i v e » F o r m « eine Idee, und das gilt von der regionalen Allgemeinheit an bis zur nicderften Befondevheit. Näher ausgeführt: Das Ding gibt fich in feinem idealen Wefen als r e s t e m p o r a l i s , in der n o t w e n d i g e n » F o r m « d e r Z e i t . Die intuitive Ideation« (die als »Idee«erfchauung hier ganz befonders ihren Namen verdient) lehrt uns das Ding kennen als notwendig dauernd, als prinzipiell hinfichtlich feiner Dauer endlos extendierbar. Wir erfaffen in » r e i n e r flnfchauung« (denn diefe Ideation ift der phänomenologifch geklärte Begriff von Kants reiner finfchauung) die »Idee« der Zeitlichkeit und aller in ihr befchloffenen Wefensmomente. Das Ding ift feiner Idee gemäß ferner r e s e x t e n s a , es ift ζ. B. in räumlicher Hinficht unendlich mannigfaltiger Formverwand*

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbilofopbie.

313

lungert und, bei identifcb feftgebaltener Geftalt und Geftaltverände« rung, unendlich mannigfaltiger Veränderungen der Lage fähig, es iit in infinitum »beweglich«. Wir erfaffen die » I d e e ' d e s R a u m e s und die ihr eingeordneten Ideen. Das Ding ift endlich r e s m a t e v i a l i s , e s i f t f u b f t a n t i e l l e Einheit, als folche Einheit von K a u f a l i t ä t e n und der Möglichkeit nach von unendlich vielgeftaltigen. fluch mit diefen fpezififch realen Eigenfchaften ftoßen wir auf Ideen. So find a l l e Komponenten der Dingidee felbft Ideen, eine j e d e i m p l i z i e r t d a s » u n d f o w e i t e r « »unendlicher« Möglichkeiten. Was wir da ausführen, ift nicht Theorie«, »Metapbyfik«. Es bandelt fich um Wefensnotwendigkeiten, im Dingnoema und korrelativ im dinggebenden Bewußtfein unaufhebbar befchloifen, durchaus einiicbtig zu erfaffen und fyftematifch zu erforfchen. § 150. F o r f e t j u n g .

Die R e g i o n Ding als Leitfaden.

tranfzendentaler

Nachdem wir uns dem allerallgemeinften nach die Unendlichkeiten verftändlich gemacht haben, die die Dinganfchauung als folche (nad) Noefis und Noema) in fich birgt - oder wie wir auch fagen können: die Idee des Dinges und w i s fie an Dimenfionen der Unendlichkeit in fich birgt - werden wir auch bald verfteben können, inwiefern d i e R e g i o n D i n g a l s L e i t f a d e n pbänomenologifcher Unterfuchungen dienen könne. Ein individuelles Ding anfcbauend, feinen Bewegungen, feinen Annäherungen und Entfernungen, feinen Drehungen und Wendungen, feinen Form· und Qualitätsänderungen, feinen kaufalen Verhaltungsweifen in der flnfcbauung nachgebend, v o l l z i e h e n wir Kontinuen des flnfcbauens, fich fo und fo deckend, zum Einbeitsbewußtfein fld> zufammenfchließend: der Blick ift dabei auf das Identifche, auf das X des Sinnes gerichtet (bzw. des pofitionalen oder neutralifierten Satjes), auf das eine und felbe, das fich verändert, dreht ufw. So auch, wenn wir in f r e i e r flnfcbauung die endlos möglichen Modifikationen nach den vermiedenen Grundrichtungen verfolgen, im Bewußtfein der Grenzenlofigkeit im Fortgange diefes flnfchauungsprozeffes. Und wieder ebenfo, wenn wir zur Einftellung der Ideation übergehen und etwa die regionale Idee des Dinges zur Klarheit bringen: dabei alfo verfahrend wie der Geometer in der Freiheit una Reinheit feiner geometrifchen flnfcbauung. Mit alledem wiffen wir aber nichts von den Prozeffen der flnfcbauung felbft und den i b r zugehörigen Wefen und Wefensunend-

Edmund Huffed,

314

lichkeiten, nichts von ihren Stoffen und noetifchen Momenten, nichts von ihren noematifchen Beftänden, von den beiderieits unterfchcidbaren

und eidetifch faßbaren Schichten.

( b z w . in fehen es

der

wir

bedarf

Phantafiemodifikation

nicht.

der

Was w i r aktuell erleben

unreflektiert

bewußt

haben),

Es bedarf alfo der Änderung der Einftellung,

verfchiedenen

hyletifchen,

noetifchen,

noematifchen

»Reflexionen« (fämtlich rechtmäßig fo genannt, weil fie Rblenkungen von

d e r . urfprünglichen,

»geraden«

Blickrichtung auf das X find).

Diefe Reflexionen find es, die uns nun ein großes, in fich zufammenhängendes Forfchungsfeld eröffnen, b z w . eine mächtige, unter der Idee Dingregion ftehende Problematik. Es erhebt fich nämlich die Frage: Wie

find

[teilenden Noemen

die

zur

Einheit

D ingbewußtfeins

fyftematifch

zu

des

anfdiaulich

gehörigen

vor-

Noefen

und

befchreiben?

Halten w i r uns an die noematifche Sphäre, fo ift die

Frage:

W i e fehen die mannigfaltigen fetjenden flnfchauungen, die fchauungsfä^e« gebenheit kommt

»Hn«

aus, in denen ein »wirkliches« Ding zur und

anfchauungsmäßig,

in

urfprünglicher

Ge»Er-

f ahrung« feine W i r k l i ch k e i t ausweift ? W i e fehen, um von der doxifchen Thefis zu abftrahieren, die bloßen — noematifch verftandenen

-

Erfcheinungen

aus, die

in fich, rein eidetifch betrachtet, ein und dasfelbe Ding, das jeweilig ganz beftimmte Ding »zur Erfcheinung bringen«, das zu diefer fln» fchauungs· bzw. Erfcheinungsmannigfaltigkeit Korrelat gehört?

als

notwendiges

Die Phänomenologie bleibt prinzipiell bei keinen

vagen Reden, bei keinen dunkeln Allgemeinheiten ftehen, fie fordert fyftematifch beftimmte, in die Wefenszufammenhänge und bis in die letjterreichbaren Befonderungen derfelben eindringende Klärung, flnalyfe

und B e i t r e i b u n g : fie fordert erledigende

Die dem

regionale

beftimmenden

Idee

des Dinges,

Sinnesgehalt,

Mannigfaltigkeiten

Arbeit.

fein identifches X

als feiend gefetjt

von Erfcheinungen

mit

— ich r e i b t

Regeln

vor.

Das tagt: es find nicht überhaupt Mannigfaltigkeiten, zufällig zu» fammenkoitimende, wie ja fchon daraus hervorgeht, daß fie in fich felbft, rein wefensmäßig, Beziehung auf das Ding, das beftimmte Ding,

haben.

Die Idee der Region

ichreibt ganz beftimmte,

be-

ftimmt geordnete, in infinitum fortfchreitende, als ideale Gefamtheit genommen feft abgefchloffene Etfcheinungsreihen vor, eine beftimmte innere Organifation ihrer Verläufe, die wefensmäßig und erforfch» bar

zufammenhängt mit den Partialideen,

die in der

regionalen

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. phänomenol. Pbilofopbie.

315

Dingidee als ihre Komponenten allgemein gezeichnet find. Es zeigt iicb ζ. B. - als ein Stück diefer Organifation - daß die Einheit einer bloßen res extensa denkbar ift ohne die Einheit, welche die Idee der res materielle normiert: obfcbon keine res materialis denkb a r ift, die nicht res extensa wäre. Es ftellt fich nämlich heraus (immer in eidetifch«phänomenologifcher Intuition), daß iede Ding» erfcfreinung notwendig in fich eine Schicht birgt, die wir das D i n g f c h e m a nennen: es ift die bloß mit »finnlicben« Qualitäten erfüllte Raumgeftalt - ohne jede Beftimmtbeit der »Subftanzialität« und »Kaufalität« (sc. in Rnfübrungszeicben, noematifch modifiziert verftanden). Schon die zugehörige Idee einer b l o ß e n res extensa ift Titel f ü r eine Fülle phänomenologifcher Probleme. Was wir phänomenologifch Naiven für bloße Fakta nehmen: daß »uns Menfchen« ein Raumding immer in gewiffer »Orientierung« erfcheim, ζ. B. im vifuellen Gefichtsfeld orientiert nach oben und unten, nach rechts und links, nach nah und fern; daß wir ein Ding nur in einer gewiffen »Tiefe«, »Entfernung« feben können; daß alle wechfelnden Entfernungen, in denen es zu fehen ift, bezogen find auf ein unficfttbares aber als idealer Grenzpunkt uns wohlvertrautes Zentrum aller Tiefenorientierungen von uns »lokalifiert« im Kopfe - alle diefe angeblichen Faktizitäten, alfo Zufälligkeiten der Raum» anfchauung, die dem »wahren«, »objektiven« Raum fremd find, erweifen fid) bis auf geringe empirifche Befonderungen als Wefensnotwendigkeiten. Es zeigt fich alfo, daß fo etwas wie Raumding« liebes nicht bloß für uns Menfchen, fondern auch für Gott — als den idealen Repräfentanten der abfolutert Erkenntnis - n u r anfebaubar iit durch Erfcheinungen, in denen es »perfpektivifch« in mannigfaltigen aber beftimmten Wöifen wecbfelnd und dabei in wecbfelnden »Orientierungen« gegeben ift und gegeben fein muß. Es gilt nun, dies nicht nur als allgemeine Tbefe zu begründen, fondern nach allen Einzelgeftaltungen zu verfolgen. Das Problem vom » U r f p r u n g d e r R a u m v o r f t e l l u n g « , deffen tiefiter, phänomenologifcher Sinn nie erfaßt worden ift, reduziert fich auf die phänomenologifebe W e f e n s analyfe all der noematifchen (bzw. noetifchen) Phänomene, in denen fich Raum anicbaulitf) darftellt und fich als Einheit der Erfcheinungen, der defkriptiven Darftellungs· weifen Räumliches »konftituiert«. Das P r o b l e m d e r K o n f t i t u t i o n betagt dabei klärlich nichts anderes, als daß die geregelten und zur Einheit eines Er« fcheinenden n o t w e n d i o zufammengehörigen Erfcheinungsreihen intuitiv überfchaut u r d tr-eoretiieb gefaßt werden können - trot)

Edmund Hufferl,

316

ihrer (im beftimmten »und ίο weiter« eben eindeutig beherrfchbaren) Unendlichkeiten - daß fie in ihrer e i d e t i f c b e n Eigenheit analyfierbar und befchreibbar find, und daß die g e f e t) l i cb e Leiftung der Korrelation zwifchen dem b e f t i m m t e n E r f d j e i n e n d e n als E i n h e i t u n d den b e f t i m m t e n u n · e n d l i c h e n M a n n i g f a l t i g k e i t e n d e r E r ich e i n u n g e n voll eingefehen und fo aller Rätfei entkleidet werden kann. Das gilt wie für die Einheit, die in der res extensa (auch res temporalis) liegt, fo auch nicht minder für die höheren Einheiten, die fundierten, die der Husdruck » m a t e r i e l l e s Ding«, d. i. f u b f t a n z i a l - k a u f a l e s , anzeigt, Alle diefe Einheiten kon· ftituieren fleh auf der Stufe der erfahrenden flnfehauung in »Mannigfaltigkeiten«, und überall müffen die beiderfeitigen Wefenszufammenhänge vollftändig, bis in alle Schichten durchleuchtet werden, nach Sinn und Sinnesfülle, nach den thetifchen Funktionen ufw. Schließlich muß die vollkommene Einficht davon erwachten, w a s im p h ä n o m e n o l o g i f c h t e i n e n B e w u ß t f e i n die I d e e d e s w i r k l i c h e n D i n g e s r e p r ä f e . n t i e r t , wie es abfolut notwendiges Korrelat eines ftrukturell erforfebten und wefensmäßig befchriebenen noetifch-noematifchen Zufammenhanges ift. § 151.

Schichten

der t r a n f z e n d e n t a t e n K o n f t i t u t i o n Dinges. Ergänzungen.

des

Diefe Unterfuchungen find wefentlich beftimmt durch die verfchiedenen S t u f e n u n d S c h i c h t e n d e r D i n g k o n f t i t u t i o n im R a h m e n d e s o r i g i n ä r e r f a h r e n d e n B e w u ß H e i n s . Jede Stufe und jede Schicht in der Stufe ift dadurch charakterifiert, daß fie e i n e e i g e n e E i n h e i t k o n f t i t u i e r t , die ihrerfeits n o t w e n d i g e s M i t t e l g l i e d ift für die volle Konftitution des Dinges. Nehmen wir etwa die Stufe der fcblicbt perzeptiven Dingkonftitution, deren Korrelat das mit den finnlichen Qualitäten aus« geftattete Sinnending ift, fo beziehen wir uns auf einen einzigen Bewußtfeinsftrom, auf die möglichen Wahrnehmungen eines einzigen wahrnehmenden Ichfubjektes. Wir finden hier mancherlei Einheitsfchichten, die f e n f u e i l e n S c h e m a t a , die » S e h d i n g e « höherer und niederer Ordnung, die in diefer Ordnung vollkommen herausgeftellt und nach ihrer noetifch-noematifchen Konftitution, fowohl einzeln als im Zufammenhang, ftudiert werden müffen. Zu o b e r ft fteht in den Schichten diefer Stufe das f u b f t a n z i a l - k a u f a l e D i n g , fchon eine Realität im fpezififchen Sinne, aber, immer noch

Ideen zu einer reinen Phänomenologie u. pbänomenol. Pbllofopbie

317

konftitutiv gebunden an e i η erfahrendes Subjekt und feine idealen Wahrnebmungsmannigfaltigkeiten. Die n ä c h f t b ö h e r e S t u f e ift dann das i n t e r f u b j e k t i v i d e η t i f ch e D i n g , eine konftitutive Einheit höherer Ordnung. Ihre Konftitution ift bezogen auf eine offene Mehrheit im Verhältnis des »Einverftändniffes« ftebender Subjekte. Die interfubjektive Welt Ift das Korrelat der interfubjektiven, d. i. der durch » E i n f ü h l u n g « vermittelten Erfahrung. Somit werden wir verwiefen auf die mannigfaltigen, von den vielen Subjekten fchon individuell konftituierten Sinnendingeinbeiten; in weiterer Folge auf die entfprecbenden, alfo zu verfcbiedenen Icbfubjekten und Bewußtfeinsftrömen gehörigen Wahrnebmungsmannigfaltigkeiten; vor allem aber auf das Neue der Einfühlung und die F r a g e , wie tie in der »objektiven« Erfahrung eine konftituierende Rolle fpielt und jenen getrennten Mannigfaltigkeiten Einheit gibt. Dabei müffen alle Unteriudnmgen in der durch das Wefen der Sachen geforderten Vollftändigkeit und Hllfeitigkeit geführt werden. S o haben wir oben, dem Zwecke der Einführung gemäß, bloß ein erftes, ein Grundfyftem k o n f l u i e r e n d e r Erfcheinungsm nnigfaltigkeiten ins Rüge gefaßt, nämlich dasjenige, in welchem ein und dasfelbe Ding immerfort einftimmig erfcheint. Die Wahrnehmungen kommen in dem grenzenlofen Fortgange nach allen iyftematifchen Linien zur puren Deckung, die Theten erfahren immerfort Bekräftigung. Ks gibt hier nur Näherbeftimmung, nie Rndersbeftimmung. Keine durch den vorangegangenen Erfabrungsverlauf (innerhalb diefes ideell gefchloffenen Syftems) zur Setzung gekommene Dingbeftimmung erfährt »Durchftreichung« und »Erfat)« durch andere Beftimmungen der gleichen Befchaffenbeitskategorie, die durd> das regionale Wefen formal vorgezeichnet ift. Es gibt keine Störungen der Einftimmigkeit und keine Vorkommniffe des Wieder« ausgleiche der Störung, gefchweige denn jenes »Explodieren« der Einftimmigkeit, mit welcher das gefegte Ding ganz und gar zur Durchftreichung kommt. Nun find aber diefe Gegenfälle phänomenologifch nicht minder in Rechnung zu ziehen, da auch fie im Zufammenhange möglicher Konftitution einer Erfahrungswirklichkeit ihre Rolle fpielen oder fpielcn können. Der Weg der faktifchen, wie ideal möglichen Erkenntnis führt durch Irrtümer, fo fchon auf der niederften Etkenntnisftufe, derjenigen der anfchauenden Wirklichkeitserfaff ng. Es find alfo die Wabrnebmungsverläufe, in denen partielle Brüche der Einftimmigkeit auftreten und die Einftimmigkeit nur durch »Korrekturen« zu erhalten ift, fyftematifcf) nach den

318

Edmund Huffecl,

noetifchen und noematifcben Wefensbeftänden zu cbarakterifieren: die fluffaffungsänderungen, die eigenartigen thetifchen Vorkommniffe, die Umwertungen und Entwertungen des früher fiufgefaßten ζ. B . als »Schein«, »Illufion«, das Übergehen in einen ftreckenweife unausgeglichenen »Widerftreit« ufw. Gegenüber der kontinuierlichen Synthefls der Einftimmigkeit müifen die Synthefen des Widerftreits, der Umdeutung und flndersbeftimmung, und wie fie fonft heißen mögen, zu ihrem Rechte kommen: für eine Phänomenologie der »wahren Wirklichkeit« ift aud> die P h ä n o m e n o l o g i e des » n i c h t i g e n S c h e i n s « ganz unentbehrlich. §152.

Ü b e r t r a g u n g des P r o b l e m s der t r a n f z e n d e n t a l e n Konftitution auf andere Regionen.

Man fleht ohne weiteres, daß, was hier exemplarifch für die Konftitution des materiellen D i n g s gefagt wurde — und zwar in Hinfleht auf die Konftitution im Syftem der Mannigfaltigkeiten der v o r allem »Denken« liegenden Erfahrung - fleh übertragen muß auf a l l e G e g e n i t a n d s r e g i o n e n , nach Problem und nach Methode. F ü r »finnliche Wahrnehmungen« treten jetot natürlich die den betreffenden Regionen wefenemäßig zugeordneten Arten originär gebender Akte ein, die vorher die phänomenologifche Anatyfe her· ausftellen und erforfchen muß. S e h r fchwierige Probleme haften an der V e r f l o c h t e n h e i l der verfchiedenen Regionen. Sie bedingen Verflechtungen in den k o n f l u i e r e n d e n Bewußtfeinsgeftaltungen. Das D i n g Kt nichts Kotiertes gegenüber dem erfahrenden Subjekt, wie fchon aus den obigen Andeutungen über die interfubjektive Konftitution der »objektiven« Dingwelt merklich geworden ift. Nun ift aber diefes erfahrende Subjekt felbft in der Erfahrung als Reales, als M e n f c h oder T i e r konftituiert, ebenfo wie die i n t e r f u b j e k » t i v e n G e m e i n f c h a f t e n als animalifche Gemeinfchaften. Diefe Gemeinfchaften, obfehon wefentlich fundiert in pfychifchen Realitäten, die ihrerfeits in phyfifchen fundiert find, erweifen fleh als neuartige G e g e n f t ä n d l i c h k c i t e n h ö h e r e r O r d n u n g . Überhaupt zeigt es fich, daß es vielartige Gegenftändlichkeiten gibt, die allen pfychologiftifchen und naturalrftifchen Umdeutungen trotjen. S o alle Hrten von W e r t o b j e k t e n und p r a k t i f c h e n Objekten, alle konkreten Kulturgebilde, die unfer aktuelles Leben als harte Wirklichkeiten beftimmen, wie ζ. B. S t a a t , R e c h t , Sitte, K i r c h e ufw. Alle diefe Objektitäten müffen fo, wie fie zur Gegebenheit kommen, nach Grundarten und in ihren Stufenordnungen

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befchrieben und für fie d i e P r o b l e m e d e t K o n f t i t u t i o n geftellt und gelöft werden. Ihre Konftitution führt ganz felbftverftändlich auch zurück auf diejenige der Raumdinglichkeiten und der pfychifchen Subjekte: fie find eben in folcben Realitäten fundiert. His unterfte Stufe liegt icbließlicb die materielle Realität allen anderen Realitäten zugrunde, und fomit kommt ficherlicb der P h ä n o m e n o l o g i e d e r m a t e r i e l l e n N a t u r e i n e a u s g e z e i c h n e t e S t e l l u n g z u . Aber vorurteilsfrei angetehen und phänomenologifch auf feine Quellen zurückgeführt, find die fundierten Einheiten eben fundierte und n e u a r t i g e ; das Neue, das fich mit ihnen konftituiert, kann, wie die Wefensintuition lehrt, nie und nimmer auf bloße Summen von anderen Realitäten reduziert werden. So führt in der Tat j e d e r e i g e n t ü m l i c h e T y p u s folcher W i r k l i c h k e i t e n feine e i g e n e k o n f t i t u t i v e P h ä n o m e n o l o g i e , und damit eine n e u e k o n k r e t e V e r n u n f t l e h r e mit fich. Überall ift die Aufgabe dem Prinzipiellen nach diefelbe: Es gilt, das vollftändige Syftem der die originäre Gegebenheit aller folcben Objektitäten konfluierenden Bewußtfeinsgeftaltungen nach allen Stufen und Schichten zur Erkenntnis zu bringen, und damit das Bewußtfeinsäquivalent der betreffenden Art »Wirklichkeit« verftändlich zu machen, fluch alles, was hier wahrheitsmäßig zu fagen ift, um die vielen und nabeliegenden Mißverftändniffe auszufchließen, welche die Korrelation von Sein und Bewußtfein betreffen (wie ζ. B. daß alle Wirklichkeit »fich in Pfychifches auflöfe«), kann nur gefagt werden auf dem Grunde der in phänomenologiicher Einftellung und im Lichte der Intuition erfaßten Wefenszufammenhänge der konftitutiven Gruppen. §153. D i e v o l l e E x t e n f i o n d e s t r a n f z e n d e n t a l e n Problems. Gliederung der Unterfucbungen.

Von der gewaltigen Ausdehnung der foeben als möglich erkannten und geforderten Fotfcbungen kann eine fo allgemein gehaltene Erörterung, wie fie bisher nur möglich war, eine irgend ausreichende Vorftellung nicht erwecken. Dazu bedürfte es mindeftens für die Haupttypen von Wirklichkeiten Stücke ausführender Unterfuchungen; es bedürfte alfo eines Vorgehens, wie wir es hinfichtlich der Problematik der allgemeinen Bewußtfeinsftrukturen befolgten. Indeffen wird uns im nächften Buche die Erörterung der die Gegenwart fo viel befchäftigenden Streitfragen nach dem wechfeU feitigen Verhältnis der großen Wiffenfchaftsgruppen, welche die Titel

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Edmund Huffetl,

Naturwiffenfchaft, Pfycbologie und Geifteswiffenfchaft bezeichnen, und zumal nach ihrem Verhältnis zur Phänomenologie, Gelegenheit geben, zugleich die Konftitutionsprobleme in eine greifbarere Nähe zu rücken. Soviel wird aber fchon hier klar geworden fein, daß es fich bei ihnen wirklich um ernfte Probleme handelt, und daß (ich Unterfuchungsgebiete eröffnen, die a l l e s i m e c h t e n S i n n e P r i n z i p i e l l e a l l e r f a c h h a l t i g e n W i f f e n i c h a f t e n angehen. Das »Prinzipielle« ift ja gar nichts anaeres, als das, was fich um die regionalen Ideen nach Grundbegriffen und Grunderkenntniffen gruppiert, und was in entfprechenden regionalen Ontologien feine fyftematifche Entfaltung findet, bzw linden müßte. Das Gefagte überträgt fich von der fachhaltigen auf die f ο t * m a l e Sphäre und auf die i h r zugeeigneten o n t o l o g i f c h e n D i f z i p l i n e n , alio auf alle Prinzipien und Prinzipienwiifenfchaften überhaupt, wofern wir die Idee der Konftitution paffend erweitern. Dabei erweitert fich freilich der Rahmen konftitutiver Forfchungen derart, daß er fchließlich die ganze Phänomenologie zu umfaffen vermag. Dies wird fich von felbft aufdrängen, wenn wir folgende ergänzende Erwägungen anftellen: In erfter Linie find die Probleme der Gegenftandskonftitution bezogen auf die Mannigfaltigkeiten möglichen o r i g i n ä r g e b e n d e n Bewußtfeins. fllfo ζ. B. für die Dinge auf die Gefamtheit möglicher E r f a h r u n g e n , ja Wahrnehmungen von einem und demfelben Dinge. Daran fcbließt fich die ergänzende Berückfichtigung der reproduktiven pofitionalen Bewußtfeinsarten und die Erforfchung ihrer konftitutiven Vernunftleiffung, oder was auf dasfelbe hinauskommt, ihrer Leiftung für die fchlicbtanfchauende Erkenntnis; desgleichen die Berückfichtigung des dunkel vorftellenden (aber fchlichten) Bewußtfeins und der auf dasfelbe bezüglichen Vernunft- und Wirklichkeitsprobleme. Kurzum, wir bewegen uns zunächft in der b l o ß e n S p h ä r e d e r » V ο r ί t e I I u n g «. Damit verbinden fich aber die entfprechenden Forfchungen, bezogen auf die Leiftungen der h ö h e r e n , im e n g e r e n Sinne fog. » V e r f t a n d e s - « o d e r » V e r n u n f t s f p h ä r e « , mit ihren explizierenden, beziehenden und fonftigen »logifchen« (dann auch axiologifchen und praktifchen) Synthefen, mit ihren »begrifflichen« Operationen, ihren flusfagen, ihren neuen, mittelbaren Begründungsformen. Gegenftändlichkeiten, die zunächft in m o n o t b e t i f e b e n R k t e n , etwa in bloßen Erfahrungen gegeben (oder in der Idee als gegeben gedacht) waren, kann man alfo dem Spiel der f y n t h e t i f d i e n O p e r a t i o n e n unterwerfen und durch fiefynthetifche

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Gegenftändlichkeiten immer höherer Stufe konftituieren, die in der Einheit der gefamten Thefls mehrfache Theten und in der Einheit ihrer Geiamtmaterie mehrfache, fid» abgliedernde Materien enthalten. Man kann kolligieren, Kollektive (Mengen) verichiedener Stufenordnung (Mengen von Mengen) »bilden«, man kann »Teile« aus dem »Ganzen«, Eigenfchaften, Prädikate an ihrem Subjekte »heraus«' bzw. »abheben«, Gegenftände zu Gegenftänden »in Beziehung fetjen«, nadv Belieben diefen zum Referenten, jenen zum Relatgegenftande »machen« ufw. Solche Synthefen kann man »wirklich«, »eigentlich«, d . i . in der f y n t h e t i f c h e n O r i g i n a r i t ä t voll· ziehen; dann hat die fynthetifche Gegenftändlichkeit ihrer fynthetifchen Form nach den Charakter der originär gegebenen (ζ. B. der wirklich gegebenen Kollektion, Subjektion, Beziehung ufw.), und üe hat den vollen Charakter der Originarität, wenn die Theten ihn haben, wenn alfo die thetifchen flktcharaktere originär als vernünftig motiviert find. Man kann auch freie Phantafien heranziehen, originär Gegebenes und quasi Gegebenes in Beziehung fetjen, oder die Synthefen durchaus in der Modifikation vollziehen, das fo Bewußte in einen »finfatj« verwandeln, Hypothefen »bilden«, daraus »Folgen ableiten«; oder aber Vergleichungen und Unterfcheidungen vollziehen, die in ihnen gegebenen Gleichheiten oder Unterfcbiede feibft wieder fynthetifchen Operationen unterwerfen, mit all dem Ideationen, Wefensfetjungen oder -anfetjungen verbinden, und fo in infinitum. Den Operationen liegen dabei teils anfchauliche, teils unnnfchau* liehe, ev. ganz verworrene Akte niederer oder höherer Stufe der Objektivierung zugrunde. Im Falle der Dunkelheit oder Verworrenheit kann man darauf ausgehen, die fynthetifchen »Gebilde« zu klären, die Frage ihrer Möglichkeit, ihrer EinlÖfung durch »fynthe* tifche Hnfchauung« aufwerfen; oder auch die ihrer Wirklichkeit«, die ihrer Einlösbarkeit durch explizite und originär gebende iynthetifche Akte, ev. auf den Wegen mittelbarer »Schlüffe« oder »Be= weife«. Phänomenologifch find alle diefe Typen von Synthefen in Korrelation zu den in ihnen »konftituierten« fynthetifchen Gegenftändlicbkeiten einer Unterfuchung zu unterziehen, die verfchiedenen Ge= gebenheitsmodi und ihre Bedeutung für »wirkliches Sein« folcher Gegenftändlicbkeiten oder für w a h r h a f t Möglichfein, für w i r k lich Wahricheinlichfein derfelben aufzuklären und fo nach allen Vernunft- und Wahrheits- bzw. Wirklichkeitsfragen. Wir haben a l i o auch h i e r » K o n f t i t u t i o n s p r o b l e m e « . Nun find die logifchen Synthefen zwar auf unterfte Thefen mit fchlichten Materien (Sinnen) gegründet, aber in einer Weife, daß die 21

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Edmund Hufferl,

Wefensgefetjmäßigkeiten dec fynthetifchen Stufe, und fpeziell die Vernunftgefetje — in einer fehr weiten, beftimmt umgrenzten »formalen« Sphäre — von den befonderen Materien der fynthetifchen G l i e d e r unabhängig find. Eben dadurch wird ja eine a l l g e m e i n e und f o r m a l e L o g i k möglich, die von der »Materie« der logifchen Erkenntnis abftrahiert und fie in unbeftimmter frei variabler Allgemeinheit (als »irgendetwas«) denkt. D e m g e m ä ß i c b e i d e n fich auch d.ie a u f K o n f t i t u t i o n b e z ü g l i c h e n U n t e r f u c h u n g e n in folche, welche fich an die f o r m a l e n Grundbegriffe anfchließen und nur f i e als »Leitfäden« der Vernunftprobleme, bzw. Wirklichkeits- und Wahrheitsprobleme nehmen, andererieits in die vorhin gefchilderten, die fich an die r e g i o n a l e n Grundbegriffe und zunäcbft an den Begriff der R e g i o n f e l b f t anfchließen, und zwar mit der Frage, w i e ein Individuelles folcher Region zur Gegebenheit gelangt. Mit den r e g i o n a l e n K a t e g o r i e n und den durch fie vorgezeichneten Unterfuchungen kommt die b e f o n d c r e B e f t i m m u n g , w e l c h e d i e f y n t h e t i f c h e F o r m d u r c h d i e r e g i o n a l e M a t e r i e erfährt, zu ihrem Rechte und desgleicher der Einfluß, den die b e f o n d e r e n B i n d u n g e n (wie folche in den regionalen Axiomen ihren Ausdruck finden) a u f d i e r e g i o n a l e W i r k l i c h k e i t ü b e n . Das Ausgeführte überträgt fich offenbar auf alle Akt- und Gegenftandsfphären, alfo auch a u f d i e G e g e n f t ä n d l i c b » k e i t e n , f ü r d e r e n K o n f t i t u t i o n G e m ü t s a k t e mit i h r e n fpezififchen T h e t e n und M a t e r i e n a p r i o r i a u f z u k o m m e n h a b e n , und in einer Weife, die wieder nach Form und materialer Befonderheit aufzuklären, die große, kauni geahnte, gefchweige denn angegriffene Aufgabe der entfprechenden konftitutiven Phänomenologie ift. Damit wird auch die innige Beziehung der konftitutiven Phäno= menologien zu den apriorifchen Ontotogien und fchließlich zu a l l e n eidetifchen Diiziplinen evident (die Phänomenologie felbft nehmen wir hier aus). Die S t u f e n f o l g e d e r f o r m a l e n u n d m a t e r i a l e η W e f e n s l e h r e n zeichnet in gewiffer Weife die S t u f e n f o l g e d e r k o n f t i t u t i v e n P h ä n o m e n o l o g i e n vor, beftimmt ihre Allgemeinheitsftufen und gibt ihnen in den ontologifchen und material eidetifchen Grundbegriffen und Grundfätjen die » L e i t f ä d e n « . Beifpielsweife und Grundbegriffe der Ontotogie der Natur, wie Zeit, Raum, Materie und ihre nächften Ableitungen Indizes für Schichten des konftituierenden Bewußtfeins von materieller Dinglichkeit, fowie die zugehörigen Grundfätje Indizes für Wefens-

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zuiammenhänge in und zwifchen den Schichten. Die phänomenologifche Hufklärung des Reinlogiicben macht es dann verftändtid», daß und warum auch alle m i t t e l b a r e n Sätje der reinen Zeitlehre, der Geometrie und fo aller ontologifchen Difziplinen Indizes find für Wefensgefetjlichkeiten des tranfzendentalen Bewußtfeins und (eine konftituierenden Mannigfaltigkeiten. Ausdrücklich muß aber bemerkt werden, daß in diefen Zufammenbängen zwifchen konftitutiven Phänomenologien und den ent« fpvechenden formalen und materialen Ontotogien n i c h t s v o n e i n e r B e g r ü n d u n g d e r e r f t e r e n durch die letzteren liegt. D e r P h ä n o m e n o l o g e u r t e i l t n i c h t o n t o l o g i f c h , wenn er einen ontologifchen Begriff oder Sat) als Index f ü r konftitutive Wefenszufammenhänge erkennt, wenn er in ihm einen Leitfaden fieht für intuitive ftufweifungen, die ihr Recht und ihre Geltung rein in (ich felbft tragen. Diefe allgemeine Feftftellung wird Geh uns noch fpäter in gründlicheren Ausführungen bewähren, die vermöge der Wichtigkeit diefer Sachlage allerdings gefordert find. Eine allfeitige, in gleicher Weife die noetifchen und noematifeben Bewußtfeinsfchichten berückfichtigende Löfung der Konftitutionsprobleme wäre offenbar gleichwertig mit einer volUtändigen Phänomenologie der Vernunft nach allen ihren formalen und materialen Geftaltungen und zugleich nach ihren anomalen (negativ-vernünftigen), ebenfowohl wie ihren normalen (den pofitiv» vernünftigen). Weiter aber drängt es fich auf, daß eine fo vollftändige Phänomenologie der Vernunft mit der Phänomenologie überhaupt zur Deckung käme, daß eine fyftematifche Ausführung aller Bewußtfeinsdefkriptionen, die durch den Gefamttitel Gegenftandskonftitution gefordert find, alle Bewußtfeinsdefkriptionen überhaupt in fich befaffen müßte.

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