»Ich wäre ein Judenfeind?«: Zum Antijudaismus in Friedrich Schleiermachers Theologie und Pädagogik 9783412213305, 9783412206000

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»Ich wäre ein Judenfeind?«: Zum Antijudaismus in Friedrich Schleiermachers Theologie und Pädagogik
 9783412213305, 9783412206000

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Beiträge zur Historischen Bildungsforschung Begründet von Rudolf W. Keck Herausgegeben von Klaus Peter Horn, Rudolf W. Keck, Elke Kleinau, Michael Klöcker und Karin Priem Band 42

Matthias Blum

»Ich wäre ein Judenfeind?« Zum Antijudaismus in Friedrich Schleiermachers Theologie und Pädagogik

2010

Böhlau Verlag Köln Weimar Wien

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, evang. Theologe und Philosoph, Stahlstich von F. Lehmann (um 1850) nach Zeichnung von Franz Krüger (um 1820) © akg-images

© 2010 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Druck und Bindung: TZ-Verlag & Print, Roßdorf Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-412-20600-0

Inhalt

Vorwort ........................................................................................................................ IX

I EINLEITUNG .......................................................................................................1 II SCHLEIERMACHER UND „DIE JUDEN“ ............................................... 10 II.1 II.1.1 II.1.1.1 II.1.1.2 II.1.1.2.1 II.1.1.2.2 II.1.1.2.3 II.1.1.2.4

II.2 II.2.1 II.2.2 II.2.3

II.3 II.4

Der Diskurs über das Judentum auf der theologischen Ebene ........................................................... Schleiermachers Schrift „Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern“ ......................................... Entstehung, Aufbau und Bedeutung der „Reden“ ...................... Das Judentum in der fünften Rede ................................................. Der Gegensatz von Christentum und Judentum ......................... Der „Judaismus“: eine „todte Religion“ ........................................ Die jüdische Religion: die Religion der Vergeltung ..................... Die erhabene christliche Religion: die Religion der Religionen .............................................................. Der Diskurs über das Judentum auf der politischen Ebene ................................................................. Die Problematik der Judenemanzipation im ausgehenden 18. Jahrhundert ..................................................... Die Aphorismen 200-211: Gedanken zur Judenemanzipation ..................................................................... Die „Briefe bei Gelegenheit“: eine Flugschrift zur Frage der Judenemanzipation ...................................................

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Schleiermachers Verhalten auf der gesellschaftlichen Ebene: die Brogi-Klaatsch-Affäre ................................................... 76 Schleiermachers Position zum Judentum im Spiegel seiner weiteren Veröffentlichungen ................................................ 80

VI

Inhalt

II.5 II.5.1 II.5.2

Die Bewertung der Position Schleiermachers zum Judentum im aktuellen Diskurs ....................................................... 88 Die apologetische Relativierung ...................................................... 89 Die zeitgeschichtliche Relativierung ............................................... 92

II.6

Resümee .............................................................................................. 95

III SCHLEIERMACHER UND DIE „MENSCHENBILDUNG“ ............... 98 III.1

Schleiermachers Bildungsgang ....................................................... 100

III.2

Zur Interdependenz von Theologie und Pädagogik: Das Verständnis einer säkularisierten Pädagogik ....................... 104

Exkurs:

Die Quellenlage ................................................................................ 112

III.3

Die Theorie Schleiermachers zwischen religiöser und allgemeiner Bildung und Erziehung ..................................... III.3.1 Von der „Bildung zur Religion“ .................................................... III.3.2 Der pädagogische Diskurs Schleiermachers ............................... III.3.2.1 Erziehung als Einwirkung und Gegenwirkung ........................... III.3.2.2 Erziehung zwischen individueller und öffentlicher Erziehung ............................................................ III.3.3 Religiöse und theologische Grundlagen und Bezüge im pädagogischen Diskurs ....................................... III.3.3.1 Die Anmerkungen zur Strafe und zur Lesefertigkeit als zwei Beispiele der Grundlagen christlicher Anthropologie und protestantischer Theologie für die Pädagogik Schleiermachers ................................................................................ III.3.3.1.1 Die Strafe .......................................................................................... III.3.3.1.2 Die Lesefertigkeit ............................................................................. III.3.3.2 Religiöse Erziehung im pädagogischen Diskurs Schleiermachers ................................................................. III.3.3.3 Der Religionsunterricht in der Schule .......................................... III.3.3.4 Die Kirche als verfasste Glaubensgemeinschaft der Christen ......................................................................................

114 116 128 129 140 149

155 155 158 161 176 190

Inhalt

Exkurs:

VII Nationalliebe und Kirche ............................................................... 199

IV ERTRAG UND AUSBLICK .......................................................................... 209 IV.1

Ertrag ................................................................................................. 209

IV.2

Ausblick ............................................................................................. 223

Bibliographie ............................................................................................................. 230 1.

Quellen .............................................................................................. 230

2.

Sonstige Literatur ............................................................................. 235

Vorwort

Die vorliegende Arbeit geht auf meine Habilitationsschrift zurück, die im Frühjahr 2008 unter dem Titel „Die Antijudaismusfrage in der Pädagogik vor dem Hintergrund der Erziehungstheorie Friedrich Schleiermachers“ am Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie der Freien Universität Berlin eingereicht und im Folgejahr angenommen wurde. Ich möchte zunächst ganz herzlich Herrn Gerd R. Hoff danken, der die Arbeit nicht nur in seiner Eigenschaft als Dekan des Fachbereiches Erziehungswissenschaft und Psychologie der Freien Universität hilfreich begleitet und unterstützt hat. Ferner möchte ich Frau Ingrid Lohmann, Universität Hamburg, sowie Herrn Werner Bergmann, Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin, und Herrn Rainer Kampling, Seminar für Katholische Theologie der Freien Universität Berlin, für ihre Mühe, ein Gutachten zu erstellen, danken. Frau Lohmann verdanke ich zudem Anregungen für die Erarbeitung der Druckvorlage, Herrn Bergmann bin ich für manchen Hinweis während der Schreibphase verbunden. Den Herausgeber/-innen der Reihe „Beiträge zur Historischen Bildungsforschung“, insbesondere Frau Elke Kleinau, Universität zu Köln, gebührt mein Dank für die Aufnahme der vorliegenden Arbeit.

I Einleitung

„Nichts ist geeigneter, uns den rechten Weg zu weisen, als die Kenntnis der Vergangenheit.“ (Polybios, 2. Jh. v. Chr., Weltgeschichte I,1)

Die Frage, ob und inwieweit Antisemitismus bzw. Antijudaismus1 die Theorien von Erziehung und Bildung beeinflusst hat, wird in der pädagogischen Wissenschaft gemeinhin erst für die Zeit des Nationalsozialismus gestellt. Dass diese Fragestellung in der erziehungswissenschaftlichen Forschung in Hinblick auf die Zeit vor 1933 nicht ausführlich thematisiert wird, ist darauf zurückzuführen, dass der Antisemitismus im eigentlichen Sinne nicht bildungstheoretisch begründet wurde und es dementsprechend keine antisemitische pädagogische Theoriebildung gab.2 Dennoch haben antisemitische Kulturkritiken am vermeintlichen deutschen Bildungsverfall nicht unerheblich den Reform-Diskurs der Pädagogik im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert beeinflusst.3 Zudem zeigen die Landschulheim- und Jugendbewegung, wie selbstverständlich es scheinbar war, den pädagogischen Diskurs um antisemitische Stereotype anzureichern – nicht nur in Bezug auf eine modernisierte Nationalbildung. In der Erziehungswissenschaft findet dementsprechend die Auseinandersetzung über die pädagogische Theoriebildung sowie die pädagogische Praxis in den Diskursen über die deutsche Pädagogik vor und nach 1933 sowie 1

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Die Erklärung der Begrifflichkeiten und damit der notwendigen Unterscheidung zwischen Antijudaismus und Antisemitismus erfolgt am Ende der Einleitung. Vgl. auch die von Werner Bergmann und Mona Körte herausgegebene Publikation „Antisemitismusforschung in den Wissenschaften“, Berlin 2004, die keinen eigenen Beitrag zur Pädagogik bietet. Das Fehlen eines solchen Beitrages geht nicht auf eine bewusste Intention der Herausgeber zurück, sondern spiegelt vielmehr eine erziehungswissenschaftliche Leerstelle wider und weist damit bereits auf ein Desiderat hin. Sogenannte kulturkritische Schriften wie Julius Langbehns (1851-1907) Schrift „Rembrandt als Erzieher“ von 1890, die mit 49 Auflagen zwischen 1890 und 1909 zum sogenannten Kultbuch der Jugendbewegung avancierte, sind als radikal-antisemitische Schmähschriften nicht der pädagogischen Theoriebildung zuzuordnen. Vgl. auch Bernd Behrendt, August Julius Langbehn, der „Rembrandtdeutsche“, in: Uwe Puschner u. a. (Hg.), Handbuch zur „Völkischen Bewegung“ 1871-1918, München 1996, 94-113.

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Einleitung

nach 1945 statt, indem entsprechende Kontinuitäten und Diskontinuitäten untersucht werden – unabhängig von der Frage, ob es eine genuine NSPädagogik überhaupt gegeben hat.4 Schwerpunkte der historischen Reflexion sind unzweifelhaft die „Deutsche Jugend unter dem Hakenkreuz“5 sowie einschlägige Erziehungswissenschaftler und -praktiker wie Ernst Krieck,6 Herman Nohl,7 Hermann Lietz,8 Eduard Spranger,9 aber auch Peter Peter-

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Vgl. Zeitschrift für Pädagogik, 22. Beiheft (1988): Pädagogik und Nationalsozialismus, hg. v. Ulrich Herrmann u. Jürgen Oelkers; darin insbesondere die Einführung von Ulrich Herrmann und Jürgen Oelkers: Zur Einführung in die Thematik „Pädagogik und Nationalsozialismus“, in: Zeitschrift für Pädagogik, 22. Beiheft (1988), 9-17; vgl. zur Frage „nationalsozialistischer Pädagogik“ Giesela Miller-Kipp, Die ausgebeutete Tradition, die ideologische Revolution und der pädagogische Mythos, in: Zeitschrift für Pädagogik, 22. Beiheft (1988), 21-37; und zur Logik der Erziehung im Nationalsozialismus Heinz-Elmar Tenorth, Pädagogik der Gewalt. Zur Logik der Erziehung im Nationalsozialismus, in: Jahrbuch für historische Bildungsforschung 9 (2003), 7-36; vgl. zu den Desiderata der Forschung Heinz-Elmar Tenorth, Wissenschaftliche Pädagogik im nationalsozialistischen Deutschland. Zum Stand ihrer Forschung, in: Zeitschrift für Pädagogik, 22. Beiheft (1988), 53-84; vgl. zur deutschen Bildungsgeschichte 1918-1945 Heinz-Elmar Tenorth, Zur deutschen Bildungsgeschichte 1918-1945: Probleme, Analysen und politischpädagogische Perspektiven, Köln u. a. 1985. Vgl. die Anmerkungen zur Literatur von Heinz Schreckenberg, Erziehung, Lebenswelt und Kriegseinsatz der deutschen Jugend unter Hitler: Anmerkungen zur Literatur (Geschichte der Jugend; 25), Münster 2001. Vgl. Hermann Giesecke, Hitlers Pädagogen. Theorie und Praxis nationalsozialistischer Erziehung, Weinheim 2. Aufl. 1999. Vgl. Herman Nohl, Die pädagogische Bewegung in Deutschland und ihre Theorie, Frankfurt am Main 2. Aufl. 1935; Hasko Zimmer, Die Hypothek der Nationalpädagogik. Herman Nohl, der Nationalsozialismus und die Pädagogik nach Auschwitz, in: Jahrbuch für Pädagogik (1995), 87-114; ders., Von der Volksbildung zur Rassenhygiene: Herman Nohl, in: Tobias Rülcker/Jürgen Oelkers (Hg.), Politische Reformpädagogik, Bern 1998, 515-540. Vgl. Hermann Lietz, Die Deutsche Nationalschule. Beiträge zur Schulreform aus den Deutschen Landerziehungsheimen, Leipzig 1911; Klaus Himmelstein, Die Juden müssen „aufhören, Juden sein zu wollen“ – Antisemitismus bei Pädagogen vor 1933, in: Jahrbuch für Pädagogik (2003): Erinnern – Bildung – Identität, 81-103, 88-91: Hermann Lietz: Erziehung des deutsch-christlichen Charakters; Matthias Blum, Eine „volkstümliche“ Schulbibel in „reiner Gestalt“? Die Bedeutung christlicher und säkularer Judenfeindschaft in der Auseinandersetzung der Reformpädagogik mit der Religion und „dem Religiösen“ um 1900, in: Michael Wermke (Hg.), Brüche, Kontinuitäten, Neuanfänge – Religionspädagogik und Reformpädagogik (Arbeiten zur Historischen Religionspädagogik; 8), Jena 2010, 177-194.

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sen.10 Reflexionen zur Erziehungswissenschaft an einzelnen Hochschulen schließen sich an.11 Ausgehend von Person und Werk Peter Petersens stellt sich die grundsätzliche Frage nach Bedeutung und Stellenwert der Reformpädagogik vor und nach 1933.12 In Hinblick auf die deutsche Waldorfschulbewegung in der Zeit des Nationalsozialismus finden sich bereits einschlägi-

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Vgl. Eduard Spranger, Volk – Staat – Erziehung, Leipzig 1932; Klaus Himmelstein, Die Konstruktion des Deutschen gegen das Jüdische im Diskurs Eduard Sprangers, in: Gerhard Meyer-Willner (Hg.), Eduard Spranger. Aspekte seines Werkes aus heutiger Sicht, Bad Heilbrunn/Obb. 2001, 53-72; ders., Die Juden müssen „aufhören, Juden sein zu wollen“ – Antisemitismus bei Pädagogen vor 1933, 91-97: Eduard Spranger: Deutschheit und Staatlichkeit als Bildungsideal. Jürgen Oelkers, Petersen und der Nationalsozialismus, in: Werner Keil (Hg.), Pädagogische Bezugspunkte – Exemplarische Anregungen, Regensburg 1989, 99-130; Tobias Rülcker, Erziehung für die Volksgemeinschaft. Die Funktion von Petersens völkischrealistischer Erziehungswissenschaft in der NS-Zeit, in: Tobias Rülcker/Peter Kaßner (Hg.), Peter Petersen: Antimoderne als Fortschritt? Erziehungswissenschaftliche Theorie und pädagogische Praxis vor den Herausforderungen ihrer Zeit, Frankfurt am Main 1992, 193-246; Peter Kaßner, Peter Petersen und sein Bild vom Nationalsozialismus, in: Tobias Rülcker/Peter Kaßner (Hg.), Peter Petersen: Antimoderne als Fortschritt? Erziehungswissenschaftliche Theorie und pädagogische Praxis vor den Herausforderungen ihrer Zeit, Frankfurt am Main 1992, 247-284; Karl Christoph Lingelbach, Verdrängung politischer Wirklichkeit aus dem pädagogischen Denken. Peter Petersens „Pädagogischer Realismus“ in den erziehungstheoretischen Kontroversen unter der NS-Herrschaft, in: Tobias Rülcker/Peter Kaßner (Hg.), Peter Petersen: Antimoderne als Fortschritt? Erziehungswissenschaftliche Theorie und pädagogische Praxis vor den Herausforderungen ihrer Zeit, Frankfurt am Main 1992, 285-317. Vgl. ferner auch Benjamin Ortmeyer, Mythos und Pathos statt Logos und Ethos. Zu den Publikationen führender Erziehungswissenschaftler in der NS-Zeit: Eduard Spranger, Herman Nohl, Erich Weniger und Peter Petersen, Weinheim und Basel 2009. Vgl. Micha Brumlik, NS-Pädagogik in Forschung und Lehre – Dissertationen und Lehrveranstaltungen an der Universität Heidelberg 1934-1943. Ein Bericht über das Wirken von Ernst Krieck, in: Hans-Uwe Otto/Heinz Sünker (Hg.), Soziale Arbeit und Faschismus, Bielefeld 1986, 55-87; Heinz Scheuerl, Zur Geschichte des Seminars für Erziehungswissenschaft, in: Eckart Krause u. a. (Hg.), Hochschulalltag im „Dritten Reich“. Die Hamburger Universität 1933-1945; Teil II: Philosophische Fakultät, Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, Berlin/Hamburg 1991, 519-535. Vgl. bezüglich der Jenaplan-Pädagogik Tobias Rülcker, Zur erziehungswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Peter Petersen und seinem Werk, in: Inge HansenSchaberg/Bruno Schonig (Hg.), Jenaplan-Pädagogik, Baltmannsweiler 2002, 131-165.

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ge Diskussionen13, ebenso über die Geschichte der Landerziehungsheime im Nationalsozialismus14 und über antisemitische Momente der deutschen Jugendbewegung15. Des Weiteren erfolgt die Auseinandersetzung über die Shoa in der erziehungswissenschaftlichen Reflexion vor allen Dingen in Zusammenhang mit den pädagogischen Grundbegriffen „Erziehung“ und „Sozialisation“. Unter dem Stichwort „Sozialisation“ finden sich Ausführungen, die der Persönlichkeitscharakterisierung der Täter gewidmet sind,16 ebenso wie solche Einlassungen, die sich demgegenüber einer antiautoritären Persönlichkeitsentwicklung zuwenden.17 Obwohl der Antisemitismus keine eigene bildungstheoretische Begründung in der pädagogischen Theoriebildung erfahren hat, machen die angeführten Themenfelder und die entsprechenden Literaturhinweise doch auch deutlich, dass der Antisemitismus im ausgehenden 19. Jahrhundert bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein nicht nur an der Konzeption einer modernisierten Nationalbildung partizipiert, sondern auch durch seine Stereotype die pädagogischen und bildungstheoretischen Diskurse beeinflusst hat. Damit stellt sich die Frage, ob und inwieweit Antisemitismus und Antijudaismus bzw. ihre stereotypen Denkmuster bereits in der Konzeption moderner Erziehungs- und Bildungstheorien des ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhunderts eine Rolle spielen.18 Diese Frage ist nicht nur in bil13

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Vgl. Detlef Hardorp, Die deutsche Waldorfschulbewegung in der Zeit des Nationalsozialismus, in: Inge Hansen-Schaberg/Bruno Schonig (Hg.), Waldorf-Pädagogik, Baltmannsweiler 2002, 132-141, mit Literaturverweisen; Hans-Jürgen Bader, Rassenideale sind der Niedergang der Menschheit. Anthroposophie und der Antisemitismusvorwurf, Stuttgart 2001. Vgl. Karlheinz König, Nur angepaßt oder überzeugter Nationalsozialist? Alfred Andreesen und die Landerziehungsheime im Nationalsozialismus. Zur Revision eines pädagogischen Mythos, in: Jahrbuch für historische Bildungsforschung 7 (2001), 61-88. Vgl. Andreas Winnecken, Ein Fall von Antisemitismus. Zur Geschichte und Pathogenese der deutschen Jugendbewegung vor dem Ersten Weltkrieg, Köln 1991; Christian Niemeyer, Jugendbewegung und Antisemitismus. Über vergessene Zusammenhänge angesichts aktueller Probleme, in: Neue Sammlung 41 (2001), 463-485. Vgl. Hans-Jochen Gamm, Rudolf Höß – Kommandant von Auschwitz. Eine deutsche Erziehungsminiatur, Jahrbuch für Pädagogik (1995), 19-38. Vgl. etwa Heide Berndt, Zu den politischen Motiven bei der Gründung antiautoritärer Kinderläden, in: Jahrbuch für Pädagogik (1995), 231-250. Vgl. auch Klaus Himmelstein, Die Juden müssen „aufhören, Juden sein zu wollen“ – Antisemitismus bei Pädagogen vor 1933, 83 f., der anmerkt, dass „die Frage nach dem

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dungshistorischer Perspektive und damit in Hinblick auf Kontinuitäten und Diskontinuitäten, die antijüdische Denkmuster möglicherweise in den pädagogischen Diskursen erfahren haben, von Interesse, sondern nicht zuletzt auch aufgrund des Erziehungsdiskurses der Judenemanzipation selbst. Denn die mit dem säkularisierten Staatsdenken der Aufklärung verbundene Trennung von Staat und Religion sowie der von der Formbarkeit des Individuums ausgehende Erziehungsgedanke zielten entgegen der gängigen Judenfeindschaft auf die Anerkennung der bürgerlichen Gleichberechtigung der Juden. Damit ist der Rekurs auf jene als klassisch erachtete Epoche der Entwicklung pädagogischen Denkens aber auch um die Frage zu ergänzen, welche Rolle die jüdische Minderheit in der deutschen Bildungsgeschichte spielt.19 Die aufgeworfene Fragestellung soll im Folgenden nun anhand von Leben und Werk Friedrich Daniel Ernst Schleiermachers (1768-1834) untersucht werden, da sich Schleiermacher als Klassiker der Pädagogik und Theologie, deren judenfeindliche Tradition auch die gesellschaftliche Ausgrenzung der Juden mitbestimmte, paradigmatisch für eine solche Auseinandersetzung anbietet. Zum einen eignet sich Schleiermacher deshalb, weil er bereits 1799 als Theologe in seinen berühmten Reden „Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern“ explizit das Judentum berücksichtigt und im gleichen Jahr in einer weniger bekannten Flugschrift „Briefe bei Gelegenheit der politisch-theologischen Aufgabe und des Sendschreibens jüdischer Hausväter“ anonym Stellung zu Fragen der Judenemanzipation bezieht sowie dann 13 Jahre später im Jahr 1812 in seinem Amt als Professor und Dekan an der neu gegründeten Berliner Universität in die Auseinandersetzung um die Reglementierung eines jüdischen Stu-

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Antisemitismus in der Pädagogik vor 1933 bisher wissenschaftlich nicht ausreichend beantwortet werden [kann]“. Vgl. auch Ingrid Lohmann, Die Juden als Repräsentanten des Universellen. Zur gesellschaftlichen Ambivalenz klassischer Bildungstheorie, in: Ingrid Gogolin u. a. (Hg.), Pluralität und Bildung, Opladen 1998, 153-178, 154, die darauf aufmerksam macht, „daß der Rekurs auf jene aus der Sicht heutiger Erziehungswissenschaft als klassisch erachtete Epoche der Entwicklung pädagogischen Denkens blinde Flecke enthält, solange die Rolle der jüdischen Minderheit in der deutschen Bildungsgeschichte außer Betracht gelassen wird“.

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denten eingreift.20 Zum anderen gilt Schleiermacher als einer der Begründer der modernen Pädagogik, der das neuzeitliche Prinzip der Subjektivität in seiner Erziehungstheorie grundlegend berücksichtigt.21 Schleiermacher ist zudem als Vertreter eines explizit kritischen Bildungsverständnisses ausgewiesen.22 Dementsprechend sind seine pädagogischen Ausführungen in die geisteswissenschaftliche Pädagogik zu Beginn des 20. Jahrhunderts eingegangen (Herman Nohl, Wilhelm Flitner, Erich Weniger)23 und später innerhalb eines kritisch-emanzipatorischen Ansatzes in den sechziger und siebziger Jahren aufgenommen worden (Wolfgang Klafki, Klaus Mollenhauer)24. Schleiermacher gilt nicht nur in der Pädagogik, sondern auch in der

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Vgl. für einen ersten thematischen Zugang nur Micha Brumlik, Deutscher Geist und Judenhaß. Das Verhältnis des philosophischen Idealismus zum Judentum, München 2002, 132-195: III. Schleiermacher – ein Glaube und eine Freundin. Bezüglich Friedrich Fröbels liegt bereits eine entsprechende Publikation vor, die den Versuch unternimmt, die Einstellung Fröbels zum Judentum zwischen den beiden Extremen „früher Antisemitismus“ und „früher Philosemitismus“ zu rekonstruieren. Vgl. Michael Gebel, Friedrich Fröbel und die Juden, Hildesheim 1999. Vgl. etwa Michael Winkler, Geschichte und Identität. Versuch über den Zusammenhang von Gesellschaft, Erziehung und Individualität in der „Theorie der Erziehung“ Friedrich Daniel Ernst Schleiermachers (Erlanger pädagogische Studien), Bad Heilbrunn/Obb. 1979, 181, der von der „Zentralstellung des Subjekts“ spricht. Vgl. auch Wolfgang Klafki, Grundzüge eines neuen Allgemeinbildungskonzepts. Im Zentrum: Epochaltypische Schlüsselprobleme, in: ders., Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Zeitgemäße Allgemeinbildung und kritisch-konstruktive Didaktik, Weinheim 3. Aufl. 1993, 43-81, 45 f. Vgl. etwa Herman Nohl, Die pädagogische Bewegung in Deutschland und ihre Theorie, 161: „[S]eit Schleiermacher bewegt sich die Pädagogik bewußt in dieser Spannung [Individuum – Gemeinschaft; M. B.], und wir werden sehen, wie diese Polarität nun alle einzelnen pädagogischen Verhältnisse und Leistungen durchdringt. Es bleibt aber dabei, daß das individuelle Moment, wie Schleiermacher das nennt, gegenüber dem universalen für den Erzieher den entscheidenden Ton zu tragen hat: Er ist verantwortlich für das Subjekt.“ Vgl. etwa Wolfgang Klafki, Die Bedeutung der klassischen Bildungstheorien für ein zeitgemäßes Konzept allgemeiner Bildung, in: ders., Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Zeitgemäße Allgemeinbildung und kritisch-konstruktive Didaktik, Weinheim 3. Aufl. 1993, 15-41, 38: „Schleiermacher ist unter allen Denkern der philosophischpädagogischen Klassik derjenige, der den widersprüchlichen Zusammenhang von sozialer Ungleichheit einerseits und humanitären Entwicklungsmöglichkeiten bzw. ‚Bildung‘ andererseits in seiner pädagogischen Theorie am nachhaltigsten betont und die utopische Intention des substantiellen Gleichheitspostulats der Französischen Revolution auch

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protestantischen Theologie als Wegbereiter einer sich den Bedingungen der Moderne aussetzenden Theorie. Seine wissenschaftliche Gegenwartsbedeutung ist, wie Wilhelm Gräb 2009 am Vorabend des 175. Todestages Friedrich Schleiermachers herausstellt, „über jeden Zweifel erhaben“25. Wenn Schleiermachers Reflexionen in diesem Sinne grundlegend und wegbereitend geworden sind, stellt sich die Frage, wie seine Position und seine Einlassungen zum Judentum vor diesem Hintergrund zu verstehen sind. Mit anderen Worten: Wie ist es zu erklären und zu verstehen, dass Schleiermacher als einer der Begründer der modernen Pädagogik vor dem Hintergrund eines kritischen Bildungsverständnisses und des neuzeitlichen Prinzips der Subjektivität dezidiert judenfeindliche Positionen vertritt und damit quasi den Juden wiederum ihre Subjektivität bzw. Eigentümlichkeit abspricht? Denn sollte nicht gerade Bildung den klassischen Außenseitern den Eintritt in die bürgerliche Gesellschaft ermöglichen?26 Die Frage nach der Bedeutung und Rolle von Antisemitismus und Antijudaismus bzw. ihrer stereotypen Denkmuster in der Konzeption moderner Erziehungs- und Bildungstheorien des ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhunderts kann nicht losgelöst vom christlichen – dem christlicher Theologie oftmals inhärenten – Antijudaismus betrachtet werden, da Stellung und Bedeutung christlicher Theologie und Kirchen nicht zuletzt aufgrund der fehlenden Trennung von Staat und Religion nicht zu unterschätzen sind und auch die Säkularisierungsbestrebungen im Erziehungswesen und in den pädagogischen Diskursen nicht einfach per se christliche Motive dispensie-

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über die Enttäuschungen angesichts des faktischen Revolutionsverlaufes hinweg festgehalten hat.“ Vgl. Wilhelm Gräb, Grußwort, in: Jan Rohls, Schleiermacher und die wissenschaftliche Kultur des Christentums. Festvortrag am Vorabend der 175. Wiederkehr von Schleiermachers Todestag am 11. Februar 2009 an der Humboldt Universität zu Berlin, Berlin 2009, 3-11, 4. Vgl. auch Shulamit Volkov, The Ambivalence of Bildung. Jews and other Germans, in: Klaus J. Berghahn (Hg.), The German-Jewish dialogue reconsidered: a symposium in honor of George L. Mosse (German life and civilization; vol. 20), New York 1996, 81-97, 82: “In its radical, most comprehensive version, Bildung even allowed the entry of traditional outsiders into society, such as the Jews, though naturally on a strictly individual basis. It left the door open, so its claim, to all who were ready to commit themselves to the process of self-formation and cultural refinement and could prove they were worthy of it.”

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ren.27 Wenn etwa Eduard Spranger im frühen 20. Jahrhundert in einer Rezension des zu ebendieser Zeit populären Buches von Otto Weininger über „Geschlecht und Charakter“ dessen Parallelisierung „des Weibes“ und „des Juden“ bekräftigt, so kann er damit nahtlos an die Parallelisierung von Gynophobie und Judeophobie bzw. Frauenfeindlichkeit und Judenfeindlichkeit der Alten Kirche anknüpfen.28 Die antijudaistische christliche Tradition, die von der Alten Kirche bis in die Gegenwart Schleiermachers überliefert ist, hat an der Stigmatisierung der Juden, der „Feinde der Christen“, einen gravierenden Anteil. Damit stellt sich die Frage, inwieweit Schleiermacher als Theologe an dieser judenfeindlichen Tradition des Christentums partizipiert und inwieweit diese dann wiederum in seine Theologie und pädagogischen Diskurse einfließt. Grundsätzlich ist damit aber auch die Säkularisierungsfrage berührt. Das heißt, wird in einer als säkular verstandenen Pädagogik auf christliche Antijudaismen zurückgegriffen, so zeigt dieses wiederum, dass eine der Säkularisierung verpflichtete Pädagogik eben doch nicht frei von christlichen Traditionen ist – auch wenn diese eindeutig Negativ-Traditionen darstellen. Dieser Arbeit wird die von Gavin I. Langmuir vorgegebene Begriffsbestimmung von Antijudaismus zugrunde gelegt, nach welcher Antijudaismus als „eine gänzliche oder teilweise Opposition gegen das Judentum – und gegen Juden als dessen Anhänger – von Menschen, die ein konkur27

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Vgl. auch Karin Priem, Säkularisierung und Emanzipation durch Lernen. Vom Pietismus zum Weltbürgertum, in: Jürgen Oelkers/Daniel Tröhler (Hg.), Die Leidenschaft der Aufklärung. Studien über Zusammenhänge von bürgerlicher Gesellschaft und Bildung, Weinheim 1999, 139-153. Vgl. Eduard Spranger, Rezension. Allgemeine Didaktik des 18./19. Jahrhunderts. Didaktik, in: Jahresberichte für Neuere Deutsche Literaturgeschichte 14 (1906), 709-733, 728 f.: „[W]ie dieses [das Weib; M. B.] ist er amoralisch, ohne Verhältnis zum Wert, von innerer Vieldeutigkeit, unkeusch und absolut unfromm.“ Otto Weininger, Geschlecht und Charakter, München 1997 (1903). Vgl. etwa für die Alte Kirche Origenes (185-253/254) und Johannes Chrysostomus (350-407), die wie Eduard Spranger Juden und Frauen als amoralisch und ohne innere Werte herausstellen. So vergleicht Origenes in seiner 5. Homilie zum Buch Genesis in recht drastischer Weise einige Frauen mit Tieren, die ohne jede Zurückhaltung unaufhörlich der Begierde nachgeben würden; Origène, Homélies sur la Genèse (Sources Chrétiennes; 7bis), Paris 1976, 174: „Nonnullae uero mulieres […] quae sicut animalia absque ulla discretione indesinenter libidini seruiunt.“ Ferner Johannes Chrysostomus, Acht Reden gegen die Juden. Eingeleitet und erläutert von Rudolf Brändle. Übersetzt von Verena Jegher-Bucher (Bibliothek der griechischen Literatur; 41), Stuttgart 1995.

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rierendes System von Glaubensinhalten und Praktiken haben und bestimmte genuine jüdische Glaubensinhalte und Praktiken als minderwertig erachten“, verstanden.29 Antijudaismus ist vom Antisemitismus aufgrund der den Begriffen zugrunde liegenden zeitlichen Abfolge zu unterscheiden, da der Begriff „Antisemitismus“ erst im 19. Jahrhundert entstanden ist und für die Konstruierung eines rassischen Systems in Anschlag gebracht wurde, indem schon im Wort der rassisch konstruierte Gegensatz zwischen „Semiten“ und anderen angezeigt werden sollte.30 Der Antijudaismus-Begriff wird in dieser Arbeit dem Antisemitismus-Begriff dann vorgezogen, wenn die zeitliche Einordnung der verhandelten Judenfeindschaft dieses eindeutig rechtfertigt, ohne deshalb jedoch inhaltliche Kontinuitäten in Abrede stellen zu wollen. Die bewusst intendierte Unterscheidung von Antijudaismus und Antisemitismus erfolgt aufgrund der zeitlichen Abfolge, weil bei einer Unterscheidung von einem theologischen Antijudaismus und einem säkularen Antisemitismus in parallelem historischem Verlauf unbeachtet bleibt, dass nicht jede, nicht christlich gebundene, antike und mittelalterliche Judenfeindschaft als Antisemitismus bezeichnet und ihr Handeln nicht ohne Berücksichtigung der Ideologie zum Merkmal des Antisemitismus gemacht werden kann.31 Dass die vormodernen Formen der Judenfeindschaft und insbesondere die christliche Judenfeindschaft nicht mehr unabhängig vom modernen Antisemitismus und der Shoa betrachtet werden können, ist selbstverständlich. Denn eine Stigmatisierung hat der anderen den Boden bereitet, und die Juden sind ein „Stein des Anstoßes“ geblieben.

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Vgl. Gavin I. Langmuir, Toward a Definition of Antisemitism, Berkeley 1990, 57: “AntiJudaism I take to be a total or partial opposition to Judaism – and to Jews as adherents of it – by people who accept a competing system of beliefs and practices and consider certain genuine Judaic beliefs and practices as inferior.” Vgl. Johannes Heil, „Antijudaismus“ und „Antisemitismus“ – Begriffe als Bedeutungsträger, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 6 (1997), 92-114; Werner Bergmann, Geschichte des Antisemitismus, München 3. Aufl. 2006, 6-8: Zum Begriff des Antisemitismus. Vgl. auch Matthias Blum, Antijudaismus im lukanischen Doppelwerk?, in: Rainer Kampling (Hg.), „Nun steht aber diese Sache im Evangelium...“ Zur Frage nach den Anfängen des christlichen Antijudaismus, Paderborn 2. Aufl. 2003 (1999), 107-149, 109 f. Vgl. Johannes Heil, „Antijudaismus“ und „Antisemitismus“ – Begriffe als Bedeutungsträger, 104; ferner auch Christoph Nonn, Antisemitismus, Darmstadt 2008, 14 f.

II SCHLEIERMACHER UND „DIE JUDEN“

„Nein, so von Ihnen mißverstanden zu werden, das hätte ich nicht erwartet. Ich wäre ein Judenfeind?“ 1 (Friedrich Schleiermacher)

Der Titel „Schleiermacher und ‚die Juden“ wird bewusst gewählt, um den für Schleiermachers Denken einschlägigen Antagonismus zwischen Christentum und Judentum bereits in der Überschrift anzuzeigen. Die stereotype Wendung „die Juden“ ist schon für das Johannesevangelium belegt und wird seitdem von christlicher Seite gemeinhin abwertend und judenfeindlich konnotiert.2 Indem „die Juden“ „den Christen“ gegenübergestellt werden, wird christliche Identität in bewusster Opposition zum Judentum profiliert. Für die Notwendigkeit dieser Gegenüberstellung und damit auch weiterhin der rechtmäßigen Übersetzung der stereotypen Wendung „die Juden“ im Johannesevangelium plädiert nach wie vor der Neutestamentler und Bischof i. R. des Sprengels Holstein-Lübeck in der Nordelbischen Evangelischen Kirche, Ulrich Wilckens, in seinem 2007 veröffentlichten theologischen Gutachten zur „Bibel in gerechter Sprache“.3 Die gleiche Titulatur findet sich bereits in einem Aufsatz von Hermann Dembrowski, der jedoch die Stereotypisierung dieser Wendung unhinter-

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Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit der politisch-theologischen Aufgabe und des Sendschreibens jüdischer Hausväter. Von einem Prediger außerhalb Berlin, (Faksimileausgabe) neu hg. v. Kurt Nowak, Berlin 1984 (1. Aufl. 1799), 44. Vgl. etwa Micha Brumlik, Johannes: das judenfeindlichste Evangelium, in: Kirche und Israel 4 (1989), 102-113; Klaus Scholtissek, Antijudaismus im Johannesevangelium? Ein Gesprächsbeitrag, in: Rainer Kampling (Hg.), „Nun steht aber diese Sache im Evangelium …“ Zur Frage nach den Anfängen des christlichen Antijudaismus, Paderborn 2. Aufl. 2003 (1999), 151-181; Klaus Wengst, Das Johannesevangelium (Theologischer Kommentar zum Neuen Testament; 4,1 u. 2), Stuttgart 2004. Vgl. Ulrich Wilckens, Theologisches Gutachten zur „Bibel in gerechter Sprache“, 15. Februar 2007, http://www.bigs-gutachten.de/bigs-theol-gutachten.pdf (Zugriff vom 10. September 2007).

Schleiermacher und „die Juden“

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fragt übernimmt.4 Entsprechend ist der Duktus seiner Ausführungen von diesem Oppositionsmodell geleitet, so dass dem Autor eine kritische Reflexion der judenfeindlichen Positionen Schleiermachers fern liegt. Damit steht er jedoch in der Schleiermacher-Interpretation keinesfalls singulär dar, sondern repräsentiert vielmehr eine Haltung, wie sie in der theologischen Schleiermacher-Forschung konsensuell vertreten wird: Die judenfeindlichen Ausführungen und Einstellungen Schleiermachers werden gemeinhin theologisch und zeitgeschichtlich relativiert und damit letztendlich in ihrer Tragweite nivelliert. Dem entspricht, dass die Auseinandersetzung Schleiermachers mit dem Judentum in der (deutschsprachigen) SchleiermacherAuslegung und -Forschung nur ein Randthema bildet. Von vereinzelten Ausnahmen abgesehen setzte eine einschlägige Beschäftigung überhaupt erst in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts ein.5 Und noch 1999 wird auf einem Kongress zum Thema „200 Jahre ‚Reden über die Religion‘“ Schleiermachers Stellung zum Judentum in dieser seiner wohl bekanntesten Schrift keiner eigenen diskursiven Auseinandersetzung für wert befunden.6 4

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Vgl. Hermann Dembrowski, Schleiermacher und die Juden in: Klaus Wengst/Gerhard Saß (Hg.), Ja und Nein: Christliche Theologie im Angesicht Israels (FS Wolfgang Schrage), Neukirchen-Vluyn 1998, 319-329. Vgl. etwa Hermann Bleek, Die Grundlagen der Christologie Schleiermachers, Freiburg 1898 (151-155: eine Zusammenfassung der „Briefe“); Franz Jacobi, Schleiermacher’s Stellung zu den Juden, in: Deutsch-Evangelische Blätter 10 (1885), 793-805; und bezeichnenderweise erst im Jahr 1971 die Dissertation von David Charles Smith, Protestant Attitudes toward Jewish Emancipation, Yale 1971. Vgl. Ulrich Barth/Claus-Diether Osthövener (Hg.), 200 Jahre „Reden über die Religion“. Akten des 1. Internationalen Kongresses der Schleiermacher-Gesellschaft in Halle, 14.17. März 1999, (Schleiermacher-Archiv; 19), Berlin 2000. Dass in dem über 900 Seiten umfassenden Tagungsband die Auseinandersetzung Schleiermachers mit dem Judentum nur in einer Anmerkung Erwähnung findet – noch dazu in einem Aufsatz über die Pluralität der Religionen in Schleiermachers „Reden“ –, spricht für sich. Vgl. Markus Schröder, Das „unendliche Chaos“ der Religion. Die Pluralität der Religionen in Schleiermachers ‚Reden‘, ebd., 585-608, 607. Auf dem Kongress der Internationalen SchleiermacherGesellschaft im März 2006 geht dann allerdings Jan Rohls in seinem Beitrag über „Das Christentum – die Religion der Religionen?“ auch auf Schleiermachers Auseinandersetzung mit dem Judentum in den „Reden“ ein, jedoch nur referierend in dem Duktus, Schleiermachers These vom Christentum als der Religion der Religionen als Anstoß zur Ausbildung einer die positiven Religionen vergleichenden Religionsphilosophie herauszustellen; vgl. Jan Rohls, Das Christentum – die Religion der Religionen?, in: Andreas Arndt u. a. (Hg.), Christentum – Staat – Kultur. Akten des Kongresses der Internationalen Schleiermacher-Gesellschaft in Berlin, März 2006 (Schleiermacher-Archiv; 22), Berlin

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Schleiermacher und „die Juden“

Auch in der biographischen Sekundärliteratur wird Schleiermachers Auseinandersetzung mit dem Judentum in der Regel ausgeblendet.7 Und erst 2009 widmet sich der Internationale Schleiermacher-Kongress dem Thema „Christentum und Judentum“ (Halle an der Saale, 15.-18. März).8 Die theologische Auseinandersetzung konzentrierte sich zunächst auf Schleiermachers Stellung zum Alten Testament.9 Auch wenn Klaus Beckmann im Jahr 2002 teilweise zu Recht anmerkt, dass die Stellung, die Friedrich Schleiermacher zum Alten Testament und zu dem neben der Kirche existierenden Judentum einnimmt, kein Thema sei, das die Forschung bisher im Übermaß beschäftigt hätte,10 gilt doch in Hinblick auf das Alte Testament festzuhalten, dass hier überhaupt erst einmal eine Anzahl von Publikationen über die diesbezügliche Auseinandersetzung Schleiermachers vorliegt, die für eine entsprechende Sensibilisierung sprechen könnte. Diese allmählich einsetzende Sensibilisierung führte ebenso wie die grundsätzliche theologische Auseinandersetzung mit der Problematik und verhängnisvollen Tradition christlicher Judenfeindschaft dazu, dass Schlei-

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2008, 41-89, 64 f. Auch Gunther Wenz geht in seinem einführenden Beitrag nicht auf Schleiermachers Darstellung des Judentums ein, obwohl er ausführlich Schleiermachers „Reden“ referiert und diskutiert; vgl. Gunther Wenz, Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher. Sinn und Geschmack fürs Unendliche, in: Peter Neuner/Gunther Wenz (Hg.), Theologen des 19. Jahrhunderts. Eine Einführung, Darmstadt 2002, 21-38, 25. Vgl. etwa Hermann Fischer, Art. Schleiermacher, in: Theologische Realenzyklopädie, 30 (1999), 143-189; Ulrich Schwab, Art. Schleiermacher, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon IX (1995), 253-270. Anders allerdings Kurt Nowak, Schleiermacher. Leben, Werk und Wirkung, Göttingen 2. Aufl. 2002. Der für 2010 angekündigte Kongressband lag bei der Fertigstellung des Manuskriptes noch nicht vor. Vgl. exemplarisch Horst-Dietrich Preuß, Vom Verlust des Alten Testaments und seinen Folgen (dargestellt anhand der Theologie und Predigt F. D. E. Schleiermachers), in: ders., Lebendiger Umgang mit Schrift und Bekenntnis. Theologische Beiträge zur Beziehung von Schrift und Bekenntnis und zu ihrer Bedeutung für das Leben der Kirche, Stuttgart 1980, 127-160; Rudolf Smend, Schleiermachers Kritik am Alten Testament, in: ders., Epochen der Bibelkritik. Gesammelte Studien Band 3 (Beiträge zur evangelischen Theologie; 109), München 1991, 128-144; ferner unkritisch, aber mit Quelleninformationen: Wolfgang Trillhass, Schleiermachers Predigten über alttestamentliche Texte, in: Günter Meckenstock (Hg.), Schleiermacher und die wissenschaftliche Kultur des Christentums (Theologische Bibliothek Töpelmann; 51), Berlin 1991, 279-289. Vgl. Klaus Beckmann, Die fremde Wurzel. Altes Testament und Judentum in der evangelischen Theologie des 19. Jahrhunderts (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte; 85), Göttingen 2002, 31.

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ermachers einschlägige Position über eine selektive Betrachtung hinaus inzwischen auch in monographischen Arbeiten Berücksichtigung gefunden hat. Während Klaus Beckmann in seiner 2002 veröffentlichten Arbeit über „Altes Testament und Judentum in der evangelischen Theologie des 19. Jahrhunderts“ ausführlich zu Schleiermachers Stellung zum Judentum Position bezieht, widmen Matthias Wolfes in seinem zweibändigen Werk von 2004 über Schleiermachers politische Wirksamkeit und Anders Gerdmar in seinem 2009 erschienenen Werk über die Wurzeln des theologischen Antisemitismus ebendieser Thematik jeweils ein eigenes Kapitel.11 In der erziehungswissenschaftlichen Literatur wird die Auseinandersetzung Schleiermachers mit dem Judentum nahezu ausgeblendet.12 Dies hat seinen Grund nicht zuletzt darin, dass Schleiermacher in der Erziehungswissenschaft als Begründer der modernen, d. h. säkularen Pädagogik gilt, der seine pädagogischen Reflexionen scheinbar unabhängig von seiner Theologie entwickelt. Findet die Auseinandersetzung Schleiermachers mit dem Judentum in der erziehungswissenschaftlichen Literatur jedoch Erwähnung, so erfolgt dies, ohne in den weiteren Kontext des christlichen Antijudaismus gestellt und damit auch kritisch diskutiert zu werden.13 Des Weiteren fällt auf, dass nicht selten selbst antijüdische Stereotype unhinterfragt übernommen werden.14 Insgesamt bleibt es auffällig, dass eine kritische Untersuchung und 11

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Vgl. Klaus Beckmann, Die fremde Wurzel. Altes Testament und Judentum in der evangelischen Theologie des 19. Jahrhunderts; Matthias Wolfes, Öffentlichkeit und Bürgergesellschaft. Friedrich Schleiermachers politische Wirksamkeit, 2 Bde. (Arbeiten zur Kirchengeschichte; 85/I u. II), Berlin 2004; Anders Gerdmar, Roots of Theological AntiSemitism. German Biblical Interpretation and the Jews, from Herder and Semler to Kittel and Bultmann (Studies in Jewish History and Culture; 20), Leiden Boston 2009. Eine Ausnahme bildet hier allerdings Ingrid Lohmann, Die Juden als Repräsentanten des Universellen. Zur gesellschaftlichen Ambivalenz klassischer Bildungstheorie, in: Ingrid Gogolin u. a. (Hg.), Pluralität und Bildung, Opladen 1998, 153-178; dies., Vom Ausschluß der hebräischen Rede aus dem Diskurs der Aufklärung. Preußische Minderheitenpolitik im frühen 19. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Pädagogik 1996, 123-136. Vgl. etwa Christiane Ehrhardt, Religion, Bildung und Erziehung bei Schleiermacher. Eine Analyse der Beziehungen und des Widerstreits zwischen den „Reden über die Religion“ und den „Monologen“, Göttingen 2005, 52 f. Vgl. Jens Brachmann, Friedrich Schleiermacher: Ein pädagogisches Porträt, Weinheim 2002, 79 ff., der das lange vorherrschende und ausschließliche Verständnis von Erziehung als mitunter auch tödlich endende Gegenwirkung unter Hinweis auf die Zucht durch die Rute, wie sie in den „alttestamentlichen Proverbien“ empfohlen werde (Spr

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Schleiermacher und „die Juden“

Bewertung der Stellung Schleiermachers zum Judentum, wie sie Micha Brumlik und Martin Friedrich vorlegen, die Ausnahme bilden.15 Da die judenfeindlichen Aussagen Schleiermachers in der einschlägigen Literatur und Schleiermacher-Forschung gemeinhin relativiert werden, bedürfen sie deshalb im Duktus dieser Haltung scheinbar auch keiner intensiveren Auseinandersetzung und weiteren Beachtung in Hinblick auf ihre theologische und soziale Bedeutung. In auffälligem Widerspruch zu dieser Relativierung und scheinbaren theologischen und sozialen Bedeutungslosigkeit der antijüdischen Ausführungen Schleiermachers steht jedoch eine – davon zu unterscheidende – Wirkungsgeschichte, die eine einschlägige antijüdische Rezeption Schleiermachers bis in die Zeit des Nationalsozialismus hinein und darüber hinaus widerspiegelt.16 Für Schleiermacher ist die religiöse Idee des Judentums

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13,24; 22,15), erläutert. Demgegenüber habe Schleiermacher „eine Lanze für eine humanere Erziehungspraxis“ gebrochen. Indem Brachmann gerade die Stellen des Leitbegriffs alttestamentlichen Erziehungsdenkens, „musar“, herausgreift, die explizit im Sinne körperlicher Züchtigung zu verstehen sind, suggeriert er ein Verständnis alttestamentlicher Erziehungsvorstellungen, das ausschließlich auf körperliche Züchtigung ausgerichtet ist. Dem ist aber gerade nicht so, betrachtet man nur allein den Befund im Buch der Sprichwörter (über ein Drittel aller atl. Belege): Die weiteren Stellen, Spr. 1,2.3; 1,7.8; 4,1.13; 6,23 f.; 8,10.33; 15,32.33; 19,20.27; 23,12, legen ein anderes Verständnis nahe, das auch schon die Übersetzungsvarianten der zuletzt revidierten Lutherübersetzung andeuten: Unterweisung, Mahnung, Vermahnung. Damit stellt sich die Frage, ob hier nicht die alttestamentliche Erziehungsvorstellung bewusst auf eine rückständige Auffassung von Erziehung als körperlicher Züchtigung reduziert werden soll, um sich deutlich von ihr abgrenzen zu können. Vgl. Micha Brumlik, Deutscher Geist und Judenhaß. Das Verhältnis des philosophischen Idealismus zum Judentum, München 2002, 132 ff.: Schleiermacher – Ein Glaube und eine Freundin; Martin Friedrich, Vom christlichen Antijudaismus zum modernen Antisemitismus. Die Auseinandersetzung um Assimilation, Emanzipation und Mission der Juden um die Wende zum 19. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 102 (1991), 319-347. Vgl. Anders Gerdmar, Roots of Theological Anti-Semitism. German Biblical Interpretation and the Jews, from Herder and Semler to Kittel and Bultmann, 62: “Schleiermacher’s contribution to the picture of Jews and Judaism cannot be overestimated.” Vgl. ferner Jan Rohls, Das Christentum – die Religion der Religionen?, 67 ff., der expliziert, welch nachhaltige Wirkung die „Reden“ mit ihrer These von der Überlegenheit des Christentums bereits bei Novalis ausüben. Und vgl. auch ebd., 87 f.: „Mit seiner These vom Christentum als der Religion der Religionen hat Schleiermacher eine Diskussion im Kreis der Frühromantik und des Frühidealismus entfacht, die schließlich zu Hegels Auffassung führte, daß das Christentum die vollendete oder absolute Religion sei.“

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signifikant durch den Vergeltungsgedanken gekennzeichnet: Gott belohnt den Menschen, oder er züchtigt ihn.17 Damit ist für Schleiermacher das Defizit des Judentums gegenüber dem Christentum offensichtlich. Diese Sichtweise, die Schleiermacher Zeit seines Lebens beibehalten hat, hat in ihrer Argumentationsfigur die Bewertung des Judentums in der historischkritischen Bibelwissenschaft nachhaltig und nahezu ausnahmslos beeinflusst. Ebenso wurde im 19. Jahrhundert Schleiermachers Charakterisierung des nachbiblischen Judentums als einer „todten Religion“ und „unverweslichen Mumie“ breit rezipiert.18 Die Bagatellisierung der antijüdischen Argumentationsfiguren Schleiermachers in der (Schleiermacher-)Forschung steht somit in einem eklatanten Gegensatz zur Wirkungsgeschichte eben dieser Argumentationsfiguren. Dieser Sachverhalt ist umso bemerkenswerter, als dass Schleiermacher der wirkmächtigste Theologe des 19. Jahrhunderts ist und die Rezeptionsgeschichte seines Werkes „eine Geschichte der neueren evangelischen Theologie in nuce darstellen [würde]“19. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher hat eine Vielzahl von Veröffentlichungen hinterlassen. Sein Verhältnis zum Judentum erschließt sich einerseits aus seinen theologischen Ausführungen und andererseits aus seiner Stellungnahme zur Emanzipation der jüdischen Einwohner, mit der er sich an der politischen Diskussion über die Rechtsstellung der jüdischen Mitbewohner am Ende des 18. Jahrhunderts beteiligt. Beide Bereiche sind letztlich nicht voneinander zu trennen, da Schleiermachers theologische Position ebenfalls seine politische bestimmt, wobei ihn seine Teilnahme am politischen Diskurs über die Judenemanzipation wiederum auch zur theologischen Reflexion angeregt haben dürfte. Daneben greift Schleiermacher in seiner Eigenschaft als Professor und Dekan an der theologischen Fakultät 17

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Vgl. Friedrich Schleiermacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern [1. Aufl.], in: Ders., Schriften aus der Berliner Zeit 1796-1799 (Kritische Gesamtausgabe; I.2), hg. v. Günter Meckenstock, Berlin 1984, 185-326, 314. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 315. Vgl. auch – mit zahlreichen Belegen – Hans-Günther Waubke, Die Pharisäer in der protestantischen Bibelwissenschaft des 19. Jahrhunderts (Beiträge zur historischen Theologie; 107), Tübingen 1998, 42-43; ferner Edward Parish Sanders, Paulus und das palästinische Judentum. Ein Vergleich zweier Religionsstrukturen, Göttingen 1985, 27-54, 524-530; Dieter Sänger, Die Verkündigung des Gekreuzigten und Israel. Studien zum Verhältnis von Kirche und Israel bei Paulus und im frühen Christentum (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament; 75), Tübingen 1994, 20 f. Hermann Fischer, Art. Schleiermacher, 175.

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der neu gegründeten Berliner Universität 1812 auch aktiv in die Auseinandersetzung um die Reglementierung eines jüdischen Studenten ein, dessen Jude-Sein den eigentlichen Hintergrund dieser Affäre bildet. Schleiermacher steht im 31. Lebensjahr, als er 1799 die beiden einschlägigen Schriften verfasst, in denen er seine theologische Position zum Judentum darlegt und seine Einschätzung der Judenemanzipation kundtut. Dabei handelt es sich um die in den ersten vier Monaten des Jahres 1799 verfasste Schrift „Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern“ und die darauf im Juli 1799 veröffentlichte Schrift „Briefe bei Gelegenheit der politisch theologischen Aufgabe und des Sendschreibens jüdischer Hausväter“, welche mit dem Zusatz einer Verfasserangabe versehen ist: „Von einem Prediger außerhalb Berlin“. Die „Reden“ gelten als Schleiermachers berühmteste Schrift und können deshalb als allgemein bekannt vorausgesetzt werden, während die „Briefe“ weitaus weniger bekannt sind und aufgrund der unmittelbaren zeitlichen Abfolge vielmehr im Schatten der „Reden“ stehen.20 Beide Schriften sind für Schleiermachers Verständnis des Judentums grundlegend.

II.1

Der Diskurs über das Judentum auf der theologischen Ebene

II.1.1

Schleiermachers Schrift „Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern“

II.1.1.1

Entstehung, Aufbau und Bedeutung der „Reden“

In der 1799 anonym veröffentlichten Schrift „Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern“21 erklärt Schleiermacher zunächst sein neues Religionsverständnis und legt darin dann auch die ihm eigene 20

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Vgl. auch Kurt Nowak, Nachwort: Schleiermacher und die Emanzipation des Judentums am Ende des 18. Jahrhunderts in Preußen, in: Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit der politisch-theologischen Aufgabe und des Sendschreibens jüdischer Hausväter. Von einem Prediger außerhalb Berlin, (Faksimileausgabe) neu herausgegeben v. Kurt Nowak, Berlin 1984 (1. Aufl. 1799), 65-86, 67. Diese Druckschrift erschien zuerst beim Verleger Johann Friedrich Unger im Oktavformat von 11,5 cm Breite und 19,7 cm Höhe mit einem Umfang von 312 Textseiten.

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Sichtweise der jüdischen Religion offen. Nachdem sich Schleiermacher noch im Herbst 1798 mit einem Aufsatz zur Geselligkeit beschäftigt hat, widmet er sich im Anschluss daran dem Thema der Religion. In diesem Zeitraum, d. h. ab Mitte Februar 1799, versieht Schleiermacher vertretungsweise die Hofpredigerstelle in Potsdam. Die Entstehungsgeschichte dieser Schrift wird durch eine Vielzahl von Briefzeugnissen erhellt, insbesondere durch die beinahe tägliche Korrespondenz mit Henriette Herz, die einen der Berliner Salons führt und weiterhin in Berlin weilt. Die rege Korrespondenz belegt nicht nur den Fortgang der Arbeit, sondern zeugt auch von einem kritischen Diskurs zwischen den Korrespondenten, in dessen Folge manche Überarbeitung erfolgt. So heißt es in dem vom 25. Februar datierten Brief an Henriette Herz: „Sie sehen, ich sehe alles mit Religion an, aber ich schreibe noch keine, wie wird das werden! Die dritte Rede liegt mir noch gar nicht fertig im Kopf, es fehlt mir noch eine Inspiration, und ehe die nicht kommt, kann ich nichts anfangen.“22 Schleiermachers enge Freundschaft mit Henriette Herz gilt somit als eine der „Quellen“ zu diesem Werk.23 Die „Reden“ erscheinen bereits zu Schleiermachers Lebzeiten in drei weiteren Auflagen, die von umfangreichen Überarbeitungen zeugen.24 Während die vierte Auflage der „Reden“ maßgeblich die Rezeptionsgeschichte des 19. Jahrhunderts bestimmt hat, werden die „Reden“ im 20. Jahrhundert nach der überaus erfolgreichen, 1899 von Rudolf Otto aus Anlass der Hundert-Jahr-Feier der „Reden“ neu herausgegebenen ersten Auflage zitiert.25 22

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Friedrich Schleiermacher, An Henriette Herz vom 25. Februar 1799 aus Potsdam, in: Ludwig Jonas/Wilhelm Dilthey (Hg.), Aus Schleiermacher’s Leben. In Briefen, Bde. 1-2, Berlin 1860, Bde. 3-4, Berlin 1861-1863 (Nachdruck Berlin 1974), 200 (Bd. 1). Vgl. auch Micha Brumlik, Deutscher Geist und Judenhaß. Das Verhältnis des philosophischen Idealismus zum Judentum, 146. Vgl. Günter Meckenstock, Historische Einführung A. Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, in: Friedrich Schleiermacher, Über die Religion (2.-) 4. Auflage, Monologen (2.-) 4. Auflage (Kritische Gesamtausgabe; I.12), hg. v. Günter Meckenstock, Berlin 1995, VIII-LXIII, X: „Das Schwergewicht der Bearbeitung liegt in der zweiten Ausgabe auf der zweiten Rede, in der dritten Ausgabe auf der vierten Rede: In der zweiten Ausgabe steht der Religionsbegriff im Vordergrund, in der dritten Ausgabe der Kirchenbegriff. Die fünfte Rede ist sowohl in der zweiten als auch in der dritten Ausgabe stärker geändert.“ Vgl. Friedrich Schleiermacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, Zum Hundertjahr-Gedächtnis ihres ersten Erscheinens in ihrer ursprünglichen Gestalt neu hg. v. Rudolf Otto, Göttingen 1899, (6. Aufl. 1967). Vgl. ferner Günter

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Schleiermacher und „die Juden“

Da die Schleiermacher-Rezeption und -Interpretation in der pädagogischen und theologischen Wissenschaft im 20. Jahrhundert in der Regel die erste Auflage der „Reden“ zitiert, soll diese Auflage den weiteren Ausführungen zugrunde gelegt werden, wobei Änderungen in der 4. Auflage ebenfalls berücksichtigt werden.26 In seinen „Reden“ geht es Schleiermacher um ein neues Verständnis von Religion. Entsprechend setzt er sich mit den religiösen und religionsphilosophischen Intentionen der Aufklärung auseinander. Schleiermachers „Reden“ gelten gemeinhin als romantischer Gegenentwurf zu dem grundlegenden religionsphilosophischen Werk der Aufklärung von Immanuel Kant „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“.27 Die Religion gehört nun nach Schleiermacher nicht mehr in die Sphäre des Wissens oder Handelns, sondern ihr kommt eine „eigne Provinz im Gemüth“, in Gefühl und Anschauung zu. „Wo sie ist und wirkt“, schreibt Schleiermacher in seiner ersten mit „Apologie“ überschriebenen Rede über die Religion, „muß sie sich so offenbaren, daß sie auf eine eigenthümliche Art das Gemüth bewegt, alle Funktionen der menschlichen Seele vermischt oder vielmehr entfernt, und alle Thätigkeit in ein staunendes Anschauen des Unendlichen auflöset“.28 Schleiermacher setzt sich von einer natürlichen Religion ebenso ab wie von einer Vernunftreligion und knüpft damit an das Desinteresse und die Kritik der Gebildeten an der (aufgeklärten) Religion an. Demgegenüber macht er die Religion an einer bestimmten, individuellen Anschauung fest. Schleiermacher geht es um eine Religion der Empfindung, des Herzens und des Gefühls. Religion ist positive, bestimmte Religion oder sie ist keine Religion, wobei die individuellen religiösen Anschauungen Anschauungen des Universums darstellen. „Ihr Wesen ist weder Denken noch Handeln, sondern Anschauung und Gefühl. Anschauen will sie das Universum, in seinen eigenen Darstellungen und Handlungen will sie es andächtig belau-

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Meckenstock, Einleitung des Bandherausgebers I.11. Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, in: Friedrich Schleiermacher, Schriften aus der Berliner Zeit 1796-1799 (Kritische Gesamtausgabe; I.2), hg. v. Günter Meckenstock, Berlin 1984, LXXVIII-LXXXV, LXXVIII; Inken Mädler, Friedrich Schleiermacher: Sinn und Geschmack fürs Unendliche, in: Volker Drehsen/Wilhelm Gräb (Hg.), Kompendium Religionstheorie, Göttingen 2005, 15-26, 24. In der kritischen Gesamtausgabe werden die 2.-4. Auflage der „Reden“ in Band 12 der I. Abteilung veröffentlicht (1995), wobei der Text der vierten Auflage zugrunde gelegt wird. Vgl. auch Hermann Fischer, Art. Schleiermacher, 154. Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 200.

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schen, von seinen unmittelbaren Einflüßen will sie sich in kindlicher Paßivität ergreifen und erfüllen laßen.“29 In kritischer Abgrenzung gegen die Erziehungsideale der Aufklärung entwickelt Schleiermacher in seiner dritten Rede „Über die Bildung zur Religion“ Grundzüge einer religiösen Bildungslehre. Die Anschauung dient dabei der Pflege und Kultivierung der „religiösen Anlage“, mit der jeder Mensch geboren werde.30 Die „Reden“ galten im Freundes- und Bekanntenkreis Schleiermachers für längere Zeit als ein Werk, „das immer wieder als exemplarische Darstellung der neuen romantischen Religionsauffassung diskutiert und gewürdigt wurde“31. Den „Rang einer literarischen Sensation mit reißendem Buchabsatz“ hatten sie jedoch nicht.32 Die besondere Größe dieser Frühschrift Schleiermachers wird im Allgemeinen darin gesehen, dass Schleiermacher die Eigenständigkeit der Religion gegenüber Funktionalisierungsversuchen für Metaphysik und Moral zu sichern suchte und die Bedeutung der Religion für die humane Selbstbildung herausstellte. Diese pointierte Abgrenzung der Religion gegenüber Metaphysik und Moral wurde Schleiermacher jedoch auch von Anfang an vorgeworfen; ebenso trug ihm seine Bestimmung der Religion als staunende Anschauung des Universums den Vorwurf des Atheismus und Determinismus ein. Davon zeugt bereits 1801 die erste Rezension von Jacob Christoph Rudolf Eckermann in der von Friedrich Nicolai herausgegebenen Zeitschrift „Neue allgemeine deutsche Bibliothek“.33

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Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 211. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 252. Günter Meckenstock, Einleitung des Bandherausgebers I.11. Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern [Reden 1. Aufl.], LXI. Vgl. Günter Meckenstock, Historische Einführung A. Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern [Religion 2.-4. Aufl.], XXVII: „Für manche waren sie ein sehr künstlich komponiertes Erbauungsbuch, für manche die Programmschrift einer neuen Theologiekonzeption.“ Vgl. Jacob Christoph Rudolf Eckermann, Rezension von F. Schleiermachers Reden „Über die Religion“, in: Neue allgemeine deutsche Bibliothek, Berlin/Stettin 56 (1801), 44-52.

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II.1.1.2

Das Judentum in der fünften Rede

In seiner fünften Rede „Über die Religion“ geht Schleiermacher vor dem Hintergrund seines Verständnisses vom „Wesen der Religion“ auf die existenten positiven Religionen Judentum und Christentum ein. Schleiermachers Darstellung des Judentums und der jüdischen Religion sowie seine entsprechende Auseinandersetzung weisen dabei eine Reihe von Antijudaismen auf. II.1.1.2.1 Der Gegensatz von Christentum und Judentum Für Schleiermacher stehen Judentum und Christentum in einem Gegensatz zueinander, in dessen Folge die christliche Auseinandersetzung mit dem Judentum bewusst von „Polemik“ getragen ist. Schleiermacher erläutert diesen von Polemik bestimmten Gegensatz unter Verweis auf den „Stifter“ des Christentums, indem er eine Stelle aus dem Johannesevangelium paraphrasierend kommentiert (Joh 9,2 f.)34: „Als die Jünger einmal Christum fragten: Wer hat gesündiget, diese oder ihre Väter? Und er ihnen antwortete: meint ihr, daß diese mehr gesündigt haben als Andere. - Das war der religiöse Geist des Judenthums in seiner schneidendsten Gestalt, und das war seine Polemik dagegen.“35 Den „religiösen Geist dieses Judenthums“ sieht Schleiermacher durch den Vergeltungsgedanken bestimmt, da in der zugrunde liegenden Textstelle die Krankheit vermeintlich als Folge der Sünde verstanden wird.36 Bereits der „Stifter“ des Christentums wird von Schleier34

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Vgl. Joh 9,1-3: „Und Jesus ging vorüber und sah einen Menschen, der blind geboren war. Und seine Jünger fragten ihn und sprachen: Meister, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, daß er blind geboren ist? Jesus antwortete: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Worte Gottes offenbar werden an ihm.“ Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 315. Und vgl. ebd., 318: „Polemisch ist aber auch das Christenthum, und das eben so scharf und schneidend, innerhalb seiner eignen Grenzen, und in seiner innersten Gemeinschaft der Heiligen.“ Dass diese antijüdische Auslegung nichts an „Aktualität“ eingebüßt hat, zeigt etwa der Kommentar von Johannes Schneider zur Stelle: „Dabei bewegt sie eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung. Es handelt sich um das im Judentum viel erörterte Problem des Zusammenhanges von Krankheit und Sünde. Für die Rabbinen stand fest, daß kein Tod ohne Sünde und keine Züchtigung ohne Schuld ist. War ein Mensch vom Mutterleibe an blind, so mußte die Sünde bei seinen Eltern oder bei ihm selbst – und das konnte dann nur bedeuten: in seiner vorgeburtlichen Existenz – gesucht werden. Ein völlig absurder Gedanke, der sich aber als letzte Konsequenz der radikalen Vergeltungstheorie ergab. Jesus lehnt diese Auffassung ab.“ (Johannes Schneider, Das Evangelium nach Johannes

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macher jedoch seines Jude-Seins und seiner jüdisch-religiösen Welt enthoben und überwindet für Schleiermacher nun in seiner Polemik das Judentum. Hier deutet sich bereits an, dass Schleiermacher jeglichen historischen und theologischen Zusammenhang von Judentum und Christentum nicht nur zurückstellt, sondern sogar ausblendet und stattdessen ein antagonistisches Denkmodell bevorzugt. Seinem ahistorischen Zugang entsprechend überbietet Schleiermacher also selbst noch klassische Antijudaismen wie den, dass das Judentum die Vorläuferreligion des Christentums sei, wenn er schreibt: „[I]ch haße in der Religion diese Art von historischen Beziehungen.“37 Für Schleiermacher hat jede Religion vielmehr ihre eigene und ewige Notwendigkeit, wobei er ihren Anfang immer als „ursprünglich“ bezeichnet.38 In dieser Linie der ahistorischen Betrachtung des Christentums kann Schleiermacher dann auch von Christus als dem „Stifter“ des Christentums sprechen, so, als habe dieser eine vollkommen neue Religion gegründet, die mit der alten Religion keinerlei Zusammenhänge mehr aufweist. Christus habe der „alten Idee seines Volkes“ durch die Erfüllung derselben die „Vernichtung“ gebracht.39 Die Vorstellung von Jesus als dem Urheber des Christentums erklärt sich nicht zuletzt aus den in Deutschland vorherrschenden Anschauungen der Romantik über geistiges Eigentum, wie Susannah Heschel herausstellt: „Aus Sicht der Romantiker wurden die Ideen nicht so sehr von intellektuellen Entwicklungen oder gesellschaftlichen Bewegungen, sondern von außergewöhnlichen Individuen hervorgebracht. Die Theologen übernahmen die Vorstellung, bedeutende Ideen stammten von ‚originellen Genies‘ und stellten das Christentum, statt es als Folge breiter religiöser Tendenzen innerhalb des Judentums zur Zeit des Zweiten Tempels oder der Rivalitäten der apostolischen Zeit zu verstehen, als Erzeugnis des originellen religiösen Genies Jesu dar.“40

Jesu besonderes religiöses Bewusstsein wird so zum Ausgangspunkt des Christentums und in der Folge Christus zu einem Antipode des Judentums,

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[Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament; Sonderband], Berlin 4. Aufl. 1988, 188.) Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 314. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 314. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 321. Susannah Heschel, Der jüdische Jesus und das Christentum. Abraham Geigers Herausforderung an die christliche Theologie, Berlin 2001, 216.

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während die historische Perspektive, insbesondere das Judesein Jesu, gänzlich in den Hintergrund tritt.41 Das von Schleiermacher zugrunde gelegte antagonistische und darin ahistorische Modell, das Judentum und Christentum einander gegenüberstellt, ist für ihn jedoch nicht ohne christliche Polemik vorstellbar. Denn die ureigenste Aufgabe des Christentums, immer und überall gegen „irreligiöse“ Tendenzen vorzugehen, bedingt nach Schleiermacher notwendigerweise die christliche Polemik, denn dazu müsse es „polemisch“ sein.42 Deshalb sind seine Ausführungen in der Folge von einer Abwertung des Judentums und einer Aufwertung des Christentums bestimmt. Damit reiht sich Schleiermacher mit seinen Überlegungen selbst in diese von ihm ausgemachte und für das Christentum scheinbar notwendige Polemik ein. II.1.1.2.2 Der „Judaismus“: eine „todte Religion“ Der „Judaismus“ ist nach Schleiermacher „schon lange eine todte Religion, und diejenigen, welche jetzt noch seine Farbe tragen, sitzen eigentlich klagend bei der unverweslichen Mumie, und weinen über sein Hinscheiden und seine traurige Verlaßenschaft“.43 Die Verwendung des Begriffs „Judaismus“ ist im damaligen Sprachgebrauch Oberbegriff für die alttestamentliche Religion und das nachbiblische Judentum.44 Das in diesem Begriff verwendete Suffix „-ismus“ unterstreicht bereits seinen abstrakten Gebrauch, der keinerlei Verbindung zum lebendigen Judentum in Schleiermachers Gegenwart 41

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Das bedeutet nicht, dass Schleiermacher darin den historischen Kontext grundsätzlich in Abrede stellen will. So kann er an anderer Stelle durchaus darauf verweisen, wenn er etwa in seinen Pädagogik-Vorlesungen von 1826 die äußeren Einwirkungen der älteren Generation auf die jüngere am Beispiel des Judentums betont und ausführt: „Wir wollen auf zwei Völker zurücksehen, die uns sehr nahe stehen, das eine in religiöser, das andere in wissenschaftlicher Hinsicht, auf das jüdische, innerhalb dessen das Christentum entstanden ist, auf das griechische, auf dessen Kultur die unsrige gebaut ist.“ Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 10. Doch dieser Kontext hat für Schleiermacher in religiöser Hinsicht keinerlei Bedeutung, vielmehr sind ihm „diese Art von historischen Beziehungen“ verhasst. Vgl. das oben angeführte Zitat in Verbindung mit Fußnote 37. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 319. Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 314. Vgl. etwa Pierer’s Universal-Lexikon (1857), Art. „Judaīsmus“; Herders ConversationsLexikon (1854), Art. „Judaismus“; Meyers Großes Konversations-Lexikon (1905), Art. „Judäismus“.

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mehr erkennen lässt. Für Schleiermacher sind die jüdischen Gläubigen seines Zeitalters nur noch Anhänger einer längst abgestorbenen Religion. Schleiermacher bemüht dafür das Bild eines unverweslichen Leichnams. Auch wenn die jüdische Religion für ihn längst abgestorben ist, ist sie gleich einer äußeren Hülle immer noch gegenwärtig.45 Dass Schleiermacher dann in der 3. und 4. Auflage der „Reden“ statt „Judaismus“ „Judenthum“ schreibt,46 zeugt nicht etwa von einem Gesinnungswandel, sondern dürfte dem Umstand geschuldet sein, dass sich der Begriff „Judaismus“ im frühen Protestantismus vor allem als Vorwurf gegenüber Gegnern, die man des Judaisierens bezichtigte, einer großen Beliebtheit erfreute.47 In den dann im Anschluss an die „Reden“ veröffentlichten „Briefen“ bringt Schleiermacher selbst diesen Vorwurf des Judaisierens in die Emanzipationsdebatte ein allerdings nicht wie christlicherseits gemeinhin üblich gegenüber vermeintlich abtrünnigen Christen, sondern gegenüber jüdischen Mitbürgern, denen Schleiermacher unterstellt, um ihrer bürgerlichen Gleichberechtigung willen als Juden nun ein „judaisirendes Christenthum“ verkörpern zu wollen.48 Für Schleiermacher ist die eigentliche jüdische Religion in dem Moment abgestorben, als ihre biblische Geschichte zu Ende erzählt wurde. „Sie starb, als ihre heiligen Bücher geschloßen wurden, da wurde das Gespräch des Jehova mit seinem Volk als beendigt angesehen, die politische Verbindung, welche an sie geknüpft war, schleppte noch länger ein sieches Dasein, und ihr Äußeres hat sich noch weit später erhalten, die unangenehme Erscheinung einer mechanischen Bewegung, nachdem Leben und Geist längst gewichen ist.“49

Dass der jüdischen Religion nur eine kurze Dauer gewährt gewesen sei, entspricht nach Schleiermacher ihrem eingeschränkten religiösen Gehalt. Nach dem Ende der jüdischen Religion kann Schleiermacher also nur noch das Verbleiben ihres Äußeren konstatieren. Und die Art und Weise dieses Verbleibens schildert Schleiermacher nicht nur sehr plakativ, sondern auch 45

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48 49

Vgl. auch Amy Newman, The Death of Judaism in German Protestant Thought from Luther to Hegel, in: Journal of the American Academy of Religion 61 (1993), 455-484, 456 ff. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Reden [4. Aufl.], 282. Vgl. auch Róbert Dán, „Judaizare“ – The Career of a Term, in: Ders. (Hg.), Antitrinitarism in the Second Half of the 16th Century (Studia Humanitas; 5), Budapest 1982, 25-34. Vgl. dazu ausführlicher das Kapitel über Schleiermachers „Briefe“. Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 316.

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ausschließlich negativ, wenn er von einem „sieche(n) Dasein“ und der „unangenehme(n) Erscheinung einer mechanischen Bewegung“ schreibt. Dieser Charakterisierung der jüdischen Religion als einer äußeren Erscheinung, der jegliche Lebendigkeit und jeglicher Geist abhandengekommen ist, entspricht das andere von ihm gewählte Attribut einer „unverweslichen Mumie“. Die jüdische Religion gleicht nach Schleiermacher einer äußeren, aber eben nach wie vor existierenden Hülle. Diese immer noch währende Existenz erklärt sich für Schleiermacher durch die „politische Verbindung“ der Religion. So habe es schon immer ein besonderes Kennzeichen der jüdischen Religion dargestellt, von politischen und moralischen Normen bestimmt gewesen zu sein. Weil aber die jüdische Religion stets mit einer politischen Ordnung verbunden gewesen sei, sei ihre Geschichte letztendlich von „Corruption“ gekennzeichnet.50 Diese vermeintliche Synthese von Religion und politischer Ordnung entbehrt aber für Schleiermacher jeglicher Authentizität und ist deshalb zu verwerfen. Bereits das biblische Judentum kann Schleiermacher deshalb als „alte verderbte Religion“ bezeichnen. 51 Während nach Schleiermacher der religiöse Kern also nicht mehr vorhanden ist, existiert jedoch weiterhin eine Hülle der jüdischen Religion, die gleichsam von einer politisch-moralischen Normen-Struktur mumifiziert werde. Wenn Schleiermacher nun diesem Bild der mumifizierten Hülle noch das Bild der klagenden und weinenden Anhänger hinzufügt, so erinnert das zum einen an das Motiv der weinenden Judäa, wie es auf Münzen zu finden ist,52 und zum anderen an das in der Mitte des 9. Jahrhunderts in Westfrankreich entstandene Bildmotiv „Ecclesia und Synagoga“, welches den Gegensatz zwischen der triumphierenden Kirche und der herabgewürdigten Synagoge zum Ausdruck bringt.53 50 51 52

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Vgl. Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 315. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 322. Vgl. etwa den Denar des Vespasian aus dem Jahr 70 n. Chr. aus Anlass der Niederwerfung Judäas; Vorderseite: Kaiser mit Legende (IM CAES VESP AVG PM), Rückseite: Trophäe, davor weinende Judäa, im Abschnitt IUDEA. Abbildung in: Aldo Colombi/ Therese Bütler/James Perret, Die Münzausstellung im historischen Museum Luzern: eine Geschichte, eine Münzgeschichte, Löhne und Preise, Norderstedt 2004, 34. Vgl. etwa Bernhard Blumenkranz, Juden und Judentum in der mittelalterlichen Kunst (Franz-Delitzsch-Vorlesungen 1963), Stuttgart 1965; Herbert Jochum (Hg.), Ecclesia und Synagoga. Ausstellungskatalog Alte Synagoge Essen, Saarbrücken 1993; Alfred Raddatz, Zur Geschichte eines christlichen Bildmotivs: Ecclesia und Synagoge, in: Jüdisches Mu-

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II.1.1.2.3 Die jüdische Religion: die Religion der Vergeltung Die kurze Dauer der jüdischen Religion als Religion erklärt sich für Schleiermacher auch durch ihren beschränkten Gehalt,54 dem der Vergeltungsgedanke zugrunde liege. Das „eigentlich Religiöse“, die „überall hindurch schimmernde Idee“ der jüdischen Religion sei, so betont Schleiermacher, „die allgemeine, unmittelbare Vergeltung […] alle andere Eigenschaften Gottes, welche auch angeschaut werden, äußern sich nach dieser Regel, und werden immer in der Beziehung auf diese gesehen“. Entsprechend zeige die Geschichte der jüdischen Religion Gott „belohnend, strafend, züchtigend“55. Nach Schleiermacher ist der Geist des Judentums ein Geist des Aufrechnens. Dieser Überlegung Schleiermachers liegt die Vorstellung eines Tun-Ergehen-Zusammenhangs zugrunde, der die religiöse Erfahrung des Menschen ausschließlich bestimme. Da der Mensch Gott nur als „belohnend, strafend [oder] züchtigend“ erfahre, bedarf es also ob dieser göttlichen Reaktionen eines vorausgegangenen moralischen Handelns. Schleiermacher nennt dieses Modell „dialogisch“. „Die ganze Geschichte, so wie sie ein fortdauernder Wechsel zwischen diesem Reiz und dieser Gegenwirkung ist, wird sie vorgestellt als ein Gespräch zwischen Gott und den Menschen in Wort und That, und alles was vereinigt ist, ist es nur durch die Gleichheit dieser Behandlung.“56 Indem Schleiermacher die jüdische Religion ihrem Wesen nach ausschließlich durch den Vergeltungsgedanken bestimmt sieht, wird er einerseits Wegbereiter eines sich im ausgehenden 19. Jahrhundert manifestierenden christlichen Vorurteils, nach dem sich der jüdische Gläubige sein Heil erst verdienen müsse, und erinnert andererseits an jenen christlichen Antijudaismus, der den Gott des Alten Testaments als „Gott der Rache“ dem Gott des Neuen Testaments als „Gott der Liebe“ gegenüberstellt. Der der jüdischen Religion von christlicher Seite unterstellte Verdienstgedanke geht auf jenes Modell zurück, das Gesetz und Evangelium einander gegenüberstellt. Danach ist die jüdische Religion eine legalistische Religion, in deren Mittelpunkt die strikte Einhaltung einzelner religiöser Vorschriften

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seum der Stadt Wien (Hg.), Die Macht der Bilder. Antisemitische Vorurteile und Mythen, Wien 1995, 53-59. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 316. Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 315; die vierte Auflage bringt „Bewußtsein“ statt „Idee“; vgl. Friedrich Schleiermacher, Reden [4. Aufl.], 283. Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 315.

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und Gesetze stehe, welche wiederum zum Ziel habe, der Heilszusage Gottes nicht verlustig zu gehen. Weil sich also der jüdische Gläubige sein Heil erst durch fromme Werke verdienen müsse, wird christlicherseits die jüdische Religion als Verdienstreligion bezeichnet, deren charakteristisches Merkmal die sogenannte „Werkgerechtigkeit“ sei. Dieses Verdikt gesetzlicher Werkgerechtigkeit trifft insbesondere die rabbinische Religion, nach der angeblich nur derjenige gerettet werde, der mehr Gebote erfülle, als er Übertretungen begehe. Die in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts einsetzende neue Perspektive der Paulusforschung hat hingegen gezeigt, dass diese Annahmen keinerlei Anhalt an der jüdischen Religion selbst haben, sondern vielmehr durch eine antijüdische Auslegung der paulinischen Briefe bestimmt sind.57 Damit ist offensichtlich, dass diese Karikatur der jüdischen Religion einzig der Profilierung des christlichen Glaubens geschuldet ist. Keinesfalls glaubten die Rabbiner an eine Theorie strikter Vergeltung entsprechend den Werken und damit an eine Abhängigkeit des Heils von den Werken.58 Vielmehr dominiert im palästinischen Judentum der Bundesgedanke, von dem her Heil immer nur Erweis göttlicher Gnade, nicht aber Ergebnis menschlicher Verdienste ist. Gemeint ist damit die gemeinjüdische „Vorstellung, daß der Platz eines jeden Menschen im Plane Gottes durch den Bund begründet wird und daß der Bund als geziemende Antwort des Menschen dessen Befolgung der Gebote verlangt, während er bei Übertretungen Sühnemittel bereitstellt“59. Die barmherzige Erwählung Gottes sichert also den Zugang zum Heil und eben nicht die Tora, der eine regulative Funktion innerhalb des durch die Erwählung konstituierten Bundesverhältnisses zwischen Gott und Israel zukommt und die deshalb auch nicht als „Heilsweg“ missverstanden werden sollte. Damit wird aber auch die sogenannte Rechtfertigungslehre des Apostels nicht länger als Antipode gegen ein angeblich „werkgerechtes“ und „legalistisches“ Judentum gelesen. Denn die Aussagen zur Rechtfertigung haben 57

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Der Paradigmenwechsel in der jüngeren Paulusforschung ist maßgeblich durch diese sogenannte „neue Perspektive“ bestimmt, wie sie exemplarisch James D. G. Dunn aufgezeigt hat; vgl. James D. G. Dunn, The New Perspective on Paul, in: Bulletin of the John Rylands Library 65 (1983), 95-122; ders., The Justice of God. A Renewed Perspective on Justification by Faith, in: Journal of Theological Studies 43 (1992), 1-22. Vgl. auch Edward Parish Sanders, Paulus und das palästinische Judentum. Ein Vergleich zweier Religionsstrukturen, 219 f. Edward Parish Sanders, Paulus und das palästinische Judentum. Ein Vergleich zweier Religionsstrukturen, 70.

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eine apologetische Funktion und nicht eine polemische. Es war der schwedische Exeget und spätere Bischof von Stockholm, Krister Stendahl, der bereits in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts die Wirkungsgeschichte der paulinischen Rechtfertigungslehre als Geschichte einer massiven Entstellung des paulinischen Grundanliegens aufdeckte. Denn Stendahl machte deutlich, dass es Paulus vielmehr um die Klärung der Beziehung zwischen Juden und Heiden vor dem Hintergrund des erwählungsgeschichtlichen Einschlusses der Heiden ins Heil Israels ging. Und dieser Klärung sei die Lehre von der Rechtfertigung aus Glauben zugeordnet, die dem begrenzten Zweck diene, „die Rechte der heidnischen Konvertiten sicherzustellen, ganz und wahrhaft Erben der Verheißungen Gottes an Israel zu sein“60. Dass „Heiden Teil des Gottesvolkes werden, ohne durch das Gesetz hindurch gehen zu müssen“61, dürfe aber nicht als Angriff auf die Tora und das Judentum verstanden werden. Wenn der „Redner über die Religion […] in völlig selbständiger Gestalt die woanders nicht mehr lebendig verstandene radikale Bestimmung Luthers, daß nicht die Werke den Lebensgrund des Menschen bilden, sondern der Glaube“, aufgreift, wie Hermann Peiter konstatiert,62 dann nimmt Schleiermacher darin aber den klassischen Antijudaismus der Gegenüberstellung „Werke versus Glauben“ auf und macht ihn nicht nur zur Grundlage seines Denkens, sondern auch erneut zur Grundlage der ihm nachfolgenden Theologie. Indem Schleiermacher den Vergeltungsgedanken als zentrales Moment der jüdischen Religion herausstellte, hat er bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert das Klischee der jüdischen Werkgerechtigkeit vorbereitet, welches dann im ausgehenden 19. Jahrhundert in der 1897 veröffentlichten Darstellung der jüdischen Theologie durch Ferdinand Weber voll entfaltet wurde und im angehenden 20. Jahrhundert von dem bedeutenden protestantischen

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Krister Stendahl, Der Jude Paulus und wir Heiden. Anfragen an das abendländische Christentum, München 1978, 11. Krister Stendahl, Der Jude Paulus und wir Heiden. Anfragen an das abendländische Christentum, 20. Vgl. Hermann Peiter, Friedrich Schleiermacher, in: Heinrich Fries/Georg Kretschmar (Hg.), Klassiker der Theologie, Bd. 2, München 1983, 74-88, 84. Peiter fährt ebd. fort: „Der Glaube ist kein Werk. Damit wird nicht nur ein ‚praktisches‘ Mißverständnis der Religion abgewiesen.“

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neutestamentlichen Bibelwissenschaftler Rudolf Bultmann bereitwillig rezipiert wurde.63 In das weitere Umfeld dieser Verzeichnung der jüdischen Religion gehört ebenfalls die christliche Gegenüberstellung des alttestamentlichen „Gottes der Rache“ und des neutestamentlichen „Gottes der Liebe“. Das alttestamentliche Gottesbild wird in dieser Gegenüberstellung als eindeutig minderwertig gegenüber dem neutestamentlichen Gottesbild herausgestellt. Diese Gegenüberstellung lässt jedoch nicht nur außer Acht, dass der Gott des Alten Testaments ebenso der Gott des Neuen Testaments ist, sondern sie wird auch dem Textbefund in keiner Weise gerecht.64 Diese von christlicher Seite vorgelegte Charakterisierung des alttestamentlichen Gottes als eines gewalttätigen und rachsüchtigen Gottes ist vielmehr „die ‚antialttestamentliche‘ und ‚antijüdische‘ Stereotype“ schlechthin.65 II.1.1.2.4 Die erhabene christliche Religion: die Religion der Religionen Nach der abwertenden Darstellung und Betrachtung der jüdischen Religion kann Schleiermacher umso mehr die gehobene Position und positive Rolle des Christentums herausstellen. „Herrlicher, erhabener, der erwachsenen Menschheit würdiger, tiefer eindringend in den Geist der systematischen Religion, weiter sich verbreitend über das ganze Universum ist die ursprüngliche Anschauung des Christenthums.“66 Dem entspricht, dass Christus „der erhabene Urheber des Herrlichsten ist, was es bis jezt giebt in der Religion“67. 63

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Vgl. Ferdinand Weber, Jüdische Theologie auf Grund des Talmud und verwandter Schriften, Leipzig 2. Aufl. 1897; Rudolf Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 9. Aufl. 1984. Vgl. auch Matthias Blum, Juden und Christen beten den gleichen Gott an [Kommentar christlich], in: Rainer Kampling/Michael Weinrich (Hg.), Dabru emet, redet Wahrheit. Eine jüdische Herausforderung zum Dialog mit den Christen, Gütersloh 2003, 58-66, 59 f.; Jürgen Ebach, Der Gott des Alten Testaments – ein Gott der Rache? Versuch der Klärung einer gerade von Christen immer wieder gestellten Frage, in: Junge Kirche 3 (1994), 130-139. Vgl. Erich Zenger, Das Erste Testament: die jüdische Bibel und die Christen, Düsseldorf 3. Aufl. 1993, 48. Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 316. Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 321.

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Schleiermacher geht es darum, das Christentum als „die Religion der Religionen“ herauszustellen, denn letztendlich ist nur noch von „Einer [Religion; M. B.]“ zu reden.68 Dem entspricht, dass der „Judaismus“ für ihn lediglich noch als eine „todte Religion“ bezeichnet werden kann. Der konstatierten Höherwertigkeit des Christentums entsprechend bezeichnet Schleiermacher das Christentum als eine „höhere Potenz“ der Religion.69 Es ist ferner bemerkenswert, dass Schleiermacher in den „Reden über die Religion“ in der weiteren Entfaltung seiner Gegenüberstellung von Judentum und Christentum, der Religion der „Vergeltung“ und der Religion der „Erlösung“, auf pädagogische Begrifflichkeiten und Erklärungen zurückgreift. Die christliche Religion sei „der erwachsenen Menschheit würdiger“, während der „Judaismus“ einen „so schön kindlichen Charakter“ habe.70 Vor dem Hintergrund der Gegenüberstellung von „erwachsen“ und „kindlich“ charakterisiert Schleiermacher den als „kindlich“ bezeichneten „Judaismus“ als „weniger entwickelt“ und „unmündig“. Dem entspricht das zugrunde gelegte Vergeltungsmodell. Gott reagiere auf das Verhalten der Menschen „belohnend, strafend, züchtigend“. Nach den Theorien religiöser Urteilsbegründung entspricht dieses Muster einer kindlichen Gottesvorstellung.71 Dem steht nach Schleiermacher das christliche Ideal des aktiven, religiös mündigen Menschen gegenüber. Damit verwendet er entwicklungsbezogene Begriffe, um die Rückständigkeit und Unzulänglichkeit der jüdischen Religion hervorzuheben. Ein Entwicklungsgedanke, den diese Begrifflichkeiten ebenfalls nahelegen könnten, liegt Schleiermacher jedoch fern.72 Weil das nachbiblische Judentum für ihn nur noch eine tote Religion ist, erübrigt sich die Frage einer potentiellen Entwicklung. 68 69

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Vgl. Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 325, 314. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 317: „Dieses, daß das Christenthum in seiner eigentlichsten Grundanschauung am meisten und liebsten das Universum in der Religion und ihrer Geschichte anschaut, daß es die Religion selbst als Stoff für die Religion verarbeitet, und so gleichsam eine höhere Potenz derselben ist, das macht das unterscheidenste seines Charakters, das bestimmt seine ganze Form.“ Vgl. Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 314. Vgl. etwa Fritz Oser/Paul Gmünder, Der Mensch – Stufen seiner religiösen Entwicklung. Ein strukturgenetischer Ansatz, Gütersloh 1982. Diese Theorien enthalten sich allerdings bewusst einer Wertung, auch wenn es ihnen um die Entwicklung religiöser Autonomie geht. Vgl. Joseph W. Pickle, Schleiermacher on Judaism, in: The Journal of Religion 60 (1980), 115-137, 119: “The contrast between Judaism and Christianity is phrased in terms of the contrast between ‚childlike’ and ‚mature’. But this is not the relative contrast of stages of

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Die Verwendung des Begriffspaares „kindlich/erwachsen“ legt in der Auseinandersetzung mit dem „Judaismus“ einen grundsätzlichen Bezug Schleiermachers auf Gotthold Ephraim Lessings Erziehungsschrift „Die Erziehung des Menschengeschlechts“ von 1777/1780 nahe,73 auch wenn Schleiermacher im Gegensatz zu Lessing die Annahme von der sogenannten „Vorläuferrolle“ des Judentums gerade nicht übernimmt. Insofern steigert Schleiermacher noch die Abwertung des Judentums. Seine ahistorische Perspektive, in deren Folge er vom Ende des nachbiblischen Judentums schreibt, lässt einen Entwicklungsgedanken, wie er etwa mit dem Erziehungsgedanken der Aufklärung korrespondieren würde, gar nicht erst aufkommen. Schleiermacher tradiert in den „Reden“ wie selbstverständlich die klassischen christlichen antijüdischen Stereotype. Während im Judentum der Vergeltungsgedanke im Mittelpunkt stehe, sei für das Christentum der Gedanke der Versöhnung zentral. Während das nachbiblische Judentum als Religion des Buchstabengehorsams eine starre und tote Religion sei, begegne im Christentum der lebendigmachende Geist der Versöhnung. Der bewussten nahezu vollständigen Negierung eines historischen Zusammenhangs von Christentum und Judentum sowie der Annahme vom Ende des nachbiblischen Judentums korrespondiert die spätere Abwertung und schlussendliche „Abwehr“ des Alten Testaments.74

II.2

Der Diskurs über das Judentum auf der politischen Ebene

II.2.1

Die Problematik der Judenemanzipation im ausgehenden 18. Jahrhundert

Die Rechtslage der Juden war am Ende des 18. Jahrhunderts im Deutschen Reich von Territorium zu Territorium unterschiedlich geregelt. Im ausgehenden 18. Jahrhundert hatten die Aufklärung und die Französische Revolu-

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development of one entity usually suggested by such terms. Rather, it is the contrast between the naïve personality and the sophisticated personality.” Vgl. Gotthold Ephraim Lessing, Die Erziehung des Menschengeschlechts, in: ders., Werke, Bd. III, hg. v. Kurt Wölfel, Frankfurt a. M. 1967, 544-563. Vgl. Erhard Lucas, Die Zuordnung von Judentum und Christentum von Schleiermacher bis Legarde, in: Evangelische Theologie 23 (1963), 590-607.

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tion ein Umdenken in diesem Bereich veranlasst. In Preußen setzte nach dem Regierungsantritt von Friedrich Wilhelm II. 1786 zunächst ein Reformprozess ein, der einige Verbesserungen für die Juden mit sich brachte wie die Abschaffung des Leibzolls und die Wahl von jüdischen Gemeindevertretern (1787). 1792 fanden die Reformbemühungen jedoch ihr Ende, als Preußen gegen das revolutionäre Frankreich in den Krieg trat.75 David Friedländer (1750-1834), der ein Schüler Moses Mendelssohns war und seit dessen Tod an der Spitze der jüdische Reformbewegung stand, appellierte nach seiner Ernennung zum Generaldeputierten der preußischen Judenheit 1783 immer wieder, allerdings erfolglos, an die preußische Regierung, die bürgerliche Gleichstellung der Juden einzurichten.76 Der führende Kopf unter den jüdischen Vorkämpfern der preußischen Judenemanzipation gehörte der privilegierten Schicht der preußischen Juden an und war entsprechend gebildet.77 Die reiche jüdische Oberschicht, die sich in Berlin in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gebildet hatte, glich sich

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Vgl. Albert A. Bruer, Geschichte der Juden in Preußen (1750-1820), Frankfurt am Main 1991; Ismar Freund, Die Emanzipation der Juden in Preußen Bd. 1 u. 2, Berlin 1912; ferner Wilhelm Kreutz, Aufbruch und/oder Krise? Zur jüdischen Identitätsfindung zwischen Aufklärung und Restauration, in: Aschkenas – Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden 9 (1999), 309-325; Andreas Gotzmann, Geschichte in Abkehr von der Vergangenheit. Zur Problematik historischer Identität im deutschen Judentum der Emanzipationszeit, in: Aschkenas – Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden 9 (1999), 327-351. Grundsätzlich ist zu bedenken, dass man sich in Preußen gerade nicht am französischen Modell einer revolutionären Judenemanzipation orientierte; vgl. Tobias Schenk, Der preußische Weg der Judenemanzipation. Zur Judenpolitik des „aufgeklärten Absolutismus“, in: Zeitschrift für historische Forschung 35 (2008), 449-482. Vgl. allerdings auch hinsichtlich einer kritischen Lesart einer diesbezüglichen ideengeschichtlichen These „einer Dichotomie zwischen westeuropäischer Aufklärung und ihrem Ausbleiben rechts des Rheins“ Christoph Nonn, Antisemitismus, Darmstadt 2008, 35 f. Vgl. auch Ismar Freund, David Friedländer und die politische Emanzipation der Juden in Preußen, in: Zeitschrift für die Geschichte der Juden in Deutschland 6 (1936), 77-92. Vgl. zur Vita Friedländers Ernst Fraenkel, David Friedländer und seine Zeit, in: Zeitschrift für die Geschichte der Juden in Deutschland 6 (1936), 65-77; Michael A. Meyer, Von Moses Mendelssohn zu Leopold Zunz. Jüdische Identität in Deutschland 17491824, München 1994, 66-98. Friedländer widmete sich u. a. auch den Bestrebungen zur Gründung einer jüdischen Freischule, deren Organisator er dann auch über 20 Jahre lang wurde. Vgl. Ernst Fraenkel, David Friedländer und seine Zeit, 73.

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in ihrer Lebensweise der christlichen Oberschicht an.78 Im Gegensatz zu dieser Entwicklung stand die bürgerlich-rechtliche Situation der aufgeklärten preußischen Juden, „die sich einer speziellen demütigenden Gesetzgebung unterworfen sahen“79. Das Emanzipationsproblem betraf jedoch nicht nur die Gleichstellung der der Akkulturation aufgeschlossenen jüdischen Oberschicht, sondern vor allem die bürgerliche Anerkennung der breiten Masse armer Juden, d. h. der unzünftigen Handwerker, Hausierer, Kleingewerbetreibenden, Lehrer und Rabbiner.80 Da die ersten Reformbemühungen gescheitert waren, verblieb den Juden nur noch eine Möglichkeit, die Staatsbürgerechte zu gewinnen – nämlich die Taufe. Dieser Weg wurde christlicherseits jedoch nur so lange als relativ unproblematisch angesehen, wie er bloß von wenigen gebildeten Juden gewählt wurde. „[D]aß auch einmal einige verständige und gebildete Juden das Christenthum als Mittel brauchen wollen, um in die bürgerliche Gesellschaft einzutreten“81, scheint selbst für Schleiermacher zunächst „gewöhnlich“ zu sein. Die Enttäuschung über die Stagnation des Emanzipationsprozesses wie auch die dadurch ausgelöste verstärkte Taufbewegung haben David Friedländer im April 1799 dazu veranlasst, sein anonymes „Sendschreiben an seine Hochwürden, Herrn Oberkonsistorialrath und Probst Teller zu Berlin von einigen Hausvätern jüdischer Religion“ zu verfassen, um die Möglichkeiten eines Übertritts aufgeklärter Juden zur protestantischen Kirche zu erörtern.82 Der der theologischen Aufklärung verbundene Berliner Propst 78

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Vgl. Ellen Littmann, David Friedländers Sendschreiben an Propst Teller und sein Echo, in: Zeitschrift für die Geschichte der Juden in Deutschland 6 (1936,) 92-112, 102; ferner auch Deborah Hertz, Jewish High Society in Old Regime Berlin, New Haven 1988. Michael A. Meyer, Von Moses Mendelssohn zu Leopold Zunz. Jüdische Identität in Deutschland 1749-1824, 71. Schätzungen gehen davon aus, dass gegen Ende des 18. Jahrhunderts 80 Prozent der in Deutschland lebenden Juden der untersten Schicht zuzurechen sind. Vgl. auch Shulamit Volkov, Die Verbürgerlichung der Juden in Deutschland, in: dies., Antisemitismus als kultureller Code, München 2. Aufl. 2000, 111-130, 111 f.; vgl. ferner Richard Crouter, Introduction, in: A Debate on Jewish Emancipation and Christian Theology in Old Berlin. David Friedländer, Friedrich Schleiermacher, Wilhelm Abraham Teller, hg. u. übers. v. ders./Julie Klassen, Cambridge 2004, 1-29, mit weiteren einschlägigen Literaturverweisen. Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 10. David Friedländer, Sendschreiben an Seine Hochwürden, Herrn Oberkonsistorialrath und Probst Teller zu Berlin, von einigen Hausvätern jüdischer Religion (Berlin, bei August Mylius. 1799), in: Friedrich Schleiermacher, Schriften aus der Berliner Zeit 1796-

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Wilhelm Abraham Teller (1734-1804) empfahl sich als Adressat des Sendschreibens, da er als ein Befürworter der rechtlichen Gleichstellung der Juden galt. Obwohl Friedländer das Sendschreiben anonym verfasste, hat man sowohl im christlichen als auch im jüdischen Lager unmittelbar im Anschluss an die Veröffentlichung Friedländer als Verfasser vermutet. 1819 bekannte sich Friedländer öffentlich zum Sendschreiben. Das „Sendschreiben“ spiegelt insgesamt die Resignation darüber wider, dass die Gewährung der Bürgerrechte weiterhin vom Übertritt der Juden zum Christentum abhängig sein sollte. Friedländer stellt nun allerdings die Taufe als Voraussetzung der bürgerlich-rechtlichen Gleichstellung nicht mehr grundsätzlich in Frage, sondern fragt den aufgeklärten christlichen Theologen Teller vielmehr nach den Bedingungen für die Aufnahme eines aufgeklärten Juden in ein aufgeklärtes Christentum. Friedländer geht es dabei um die Klärung der Frage, ob der aufgeklärte Jude, ohne sich verstellen zu müssen, nicht ein christliches Taufbekenntnis im Sinne der Vernunftreligion ablegen könnte. Da die Vernunftreligion im Verständnis der aufgeklärten Juden dem Kern der jüdischen Religion entspricht, wäre ein solches Bekenntnis für Friedländer akzeptabel. Dementsprechend ist in Hinblick auf die Taufe zu beachten, dass Friedländer diese Zeremonie lediglich dann als Aufnahmeritual zu vollziehen bereit ist, wenn diese nur beurkunde, „daß das aufgenommene Mitglied die ewigen Wahrheiten aus Ueberzeugung angenommen, und sich den daraus fließenden Pflichten als Mensch und Staatsbürger unterwirft“; die Taufzeremonie könne aber nicht akzeptiert werden „als Zeichen, daß derjenige, der sie vollzieht, stillschweigend eingesteht, er nehme die Dogmen der Kirche dieser Gesellschaft gläubig an“.83 Friedländers Sendschreiben zeugt insgesamt nicht nur von der Verzweiflung über die rechtlich-soziale Diskriminierung der Juden, sondern auch von der Verzweiflung der sich der Aufklärung öffnenden Juden.84

83

84

1799 (Kritische Gesamtausgabe; I.2), hg. v. Günter Meckenstock, Berlin 1984, 381-413. Vgl. hinsichtlich der Motivation Friedländers auch Ellen Littmann, David Friedländers Sendschreiben an Probst Teller und sein Echo, 102 f.; Martin Friedrich, Vom christlichen Antijudaismus zum modernen Antisemitismus. Die Auseinandersetzung um Assimilation, Emanzipation und Mission der Juden um die Wende zum 19. Jahrhundert, 325-327. David Friedländer, Sendschreiben an Seine Hochwürden, Herrn Oberkonsistorialrath und Probst Teller zu Berlin, von einigen Hausvätern jüdischer Religion, 412 f. Vgl. Tobias Schenk, Der preußische Weg der Judenemanzipation. Zur Judenpolitik des „aufgeklärten Absolutismus“, 479.

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Das Sendschreiben hat in christlichen wie in jüdischen Kreisen starkes Aufsehen erregt. Im Anschluss an das Sendschreiben sind eine Reihe von Flugschriften, Aufsätzen und Besprechungen erschienen. Auf jüdischer Seite ist der Übertritt der Juden zum Christentum in der Form, wie ihn Friedländer vorschlägt, beinahe überall auf Ablehnung gestoßen.85 Und noch 1936 kommentiert Ernst Fraenkel den Vorschlag Friedländers äußerst kritisch: „Das Sendschreiben an den Probst Teller war mehr als ein Fehlschlag, es war Ausdruck einer Krisis innerhalb des Judentums dieser Zeit oder besser: einer gewissen Schicht innerhalb dieses Judentums; es wirft einen Schatten auf die Gestalt Friedländers, daß er diese Krisis nicht erkannte oder, wenn er sie erkannte, das verkehrteste Mittel wählte, um ihr entgegenzutreten.“86

Auch auf christlicher Seite überwog die Ablehnung. Friedländers Sendschreiben war schon im März 1799 der im „Berlinischen Archiv der Zeit und ihres Geschmacks“ anonym erschienene Aufsatz „Politisch-theologische Aufgabe über die Behandlung der jüdischen Täuflinge“ vorausgegangen.87 Dieser Aufsatz wendet sich allerdings in einem stark ironisierenden Ton gegen die vorherrschende Praxis in Preußen, die Gewährung der Bürgerrechte vom Übertritt der Juden zum Christentum abhängig zu machen. Der Aufsatz ist ebenso wie das ihm folgende Sendschreiben Ausdruck einer tiefen Verzweifelung und Enttäuschung über die Stagnation des Reformprozesses.

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86 87

Vgl. auch Ellen Littmann, die die Beurteilung innerhalb der jüdischen Geschichtsliteratur zusammenfasst: „Vom Versuch einer Eingliederung in den Geist der Aufklärung über eine Beschönigung und Verherrlichung bis zur schärfsten sachlichen, aber auch bösartig persönlichen Ablehnung Friedländers und seiner Schrift ist alles bei den einzelnen Historikern der Neuzeit zu finden.“ (Ellen Littmann, David Friedländers Sendschreiben an Propst Teller und sein Echo, 112) Ernst Freankel, David Friedländer und seine Zeit, 75. Vgl. Anonym, Politisch-theologische Aufgabe über die Behandlung der jüdischen Täuflinge, (Berlinisches Archiv der Zeit und ihres Geschmacks 5, Teilbd. 1, Berlin 1799), in: Friedrich Schleiermacher, Schriften aus der Berliner Zeit 1796-1799 (Kritische Gesamtausgabe; I.2), hg. v. Günter Meckenstock, Berlin 1984, 373-380.

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II.2.2

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Die Aphorismen 200-211: Gedanken zur Judenemanzipation

Das Thema der Judenemanzipation hat Schleiermacher bereits während der Abfassung der Reden „Über die Religion“ beschäftigt. So gehen seiner anonymen Veröffentlichung der „Briefe bei Gelegenheit der politisch-theologischen Aufgabe und des Sendschreibens jüdischer Hausväter“ bereits einige Gedanken voraus, die Schleiermacher in seinem ersten Aphorismen-Heft (Gedanken I) festgehalten hat. Die Aufzeichnungen dieser Einfälle reichen vom September 1796 bis zum Mai 1799.88 Die Aphorismen mit den Nummern 200-211, die sich am Ende des Heftes befinden, stellen Schleiermachers erste Überlegungen zur Diskussion um die Judenemanzipation dar. Da Schleiermachers „Gedanken“ zeigen, dass ihm die beiden 1799 von jüdischer Seite anonym veröffentlichten Schriften zur Emanzipationsproblematik, die „politische theologische Aufgabe“ und das „Sendschreiben“, bekannt waren, hat er diese „Gedanken“ erst 1799 festgehalten. Bereits der erste Aphorismus (Nr. 200) macht Schleiermachers ablehnende Haltung gegenüber der Judenemanzipation deutlich. Darin bezieht er sich auf den im März 1799 veröffentlichten Aufsatz „Politisch-theologische Aufgabe über die Behandlung der jüdischen Täuflinge“, deren Verfasser dem Staat für die zum Christentum übergetretenen Juden – allerdings nur scheinbar, weil doch wohl stark ironisiert! – eine sechsjährige Bildungszeit vorschlagen, um die Ernsthaftigkeit ihrer Absichten zu überprüfen: „Wäre es nicht von jedem christlichen Staate vortheilhafter, weiser und klüger gehandelt, wenn er mit seiner Spendung bürgerlicher Wohlthaten gegen Täuflinge haushältrischer verführe? und zwar: 1) Jedem Mitgliede der jüdischen Nation ohne alle Schwierigkeit die freie Annahme der christlichen Religion bewilligte; aber 2) ihn eine Zeitlang als unmündig, als einen Zögling in den Jahren der Bildung betrachtete; der Bildung, nicht etwa in den Sätzen und Lehren des Christenthums, die bei einer mittelmäßigen Fassungskraft in einigen Tagen zum Hersagen erlernt werden können; sondern der Bildung des Gemüths, der Gesinnungen, der Denkungsart und aller der Eigenschaften, die des Antheils an den bürgerlichen Rechten und Freiheiten würdig machen, von denen der Neuling eben wegen Mangel jener bisher ausgeschlossen war. Diese Bildung, welche in einer gänzlichen Umschaffung des innern Menschen besteht, ist keine so leicht erlernbare Sache: sie wird nur

88

Vgl. Günter Meckenstock, Einleitung des Bandherausgebers I.1. Vermischte Gedanken und Einfälle (Gedanken I), in: Friedrich Schleiermacher, Schriften aus der Berliner Zeit 1796-1799 (Kritische Gesamtausgabe; I.2), hg. v. Günter Meckenstock, Berlin 1984, XVIII-XXII.

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Von einer solchen „Bildungszeit“ verspricht sich Schleiermacher jedoch gar nichts: „Der Aufgeber glaubt doch an die Kraft des Christenthums in 6 Jahren; ich glaube gar nicht daran.“90 Unabhängig davon, ob Schleiermacher den ironisierenden Unterton dieser Schrift berücksichtigt oder nicht, geht er nicht davon aus, dass eine entsprechende Bildung die Konversion erleichtern und unterstützen könne. Damit wird bereits deutlich, dass Schleiermacher nicht zu denen gehört, die eine bestimmte Erziehungs- und Bildungszeit zur Voraussetzung und Begleitung der Emanzipation der Juden machen wollen. Ein solches Postulat war aber gemeinhin üblich. Die Zuerteilung der Rechte sollte sich im Rahmen eines schrittweisen „Erziehungsprozesses“ der Juden vollziehen, wie die bekannten Überlegungen des preußischen Beamten und Kriegsrates Christian Wilhelm Dohm (1751-1820) „Über die bürgerliche Verbesserung der Juden“ (1781) deutlich machen.91 Dem Staat 89

90

91

Anonym, Politisch-theologische Aufgabe über die Behandlung der jüdischen Täuflinge, 378. Vgl. dazu auch den Kommentar von Bernd Oberdorfer, Sind nur Christen gute Bürger? Ein Streit um die Einbürgerung der Juden am Ende des 18. Jahrhunderts: Verheißungsvoller Ansatz für ein friedliches Zusammenleben oder erster Schritt zu den Nürnberger Gesetzen?, in: Kerygma und Dogma 44 (1998), 290-309, 301: „Der tief verbitterte Sarkasmus dieser Zeilen erschließt sich nur, wenn man unterstellt, daß aufgeklärte Juden ihre Urheber sind. Es gab durchaus Zeitgenossen, die das für ernstgemeinte Vorschläge aus nichtjüdischer Feder hielten – so geschickt hatten die Verfasser den aufgeklärtpaternalistischen Ton getroffen.“ Friedrich Schleiermacher, Vermischte Gedanken und Einfälle (Gedanken I) (1796-1799), in: ders., Schriften aus der Berliner Zeit 1796-1799 (Kritische Gesamtausgabe; I.2), hg. v. Günter Meckenstock, Berlin 1984, 1-49, 45 (Nr. 200). Vgl. Christian Wilhelm Dohm, Über die bürgerliche Verbesserung der Juden, Teil I, Berlin 1781. Bereits 1783 veröffentlichte Dohm eine überarbeitete Fassung, die ebenfalls die Stellungnahmen enthält, die er bis dahin erhalten hatte; vgl. Christian Wilhelm Dohm, Über die bürgerliche Verbesserung der Juden, Teil II, Berlin 1783. Vgl. auch Horst Möller, Aufklärung, Judenemanzipation und Staat. Ursprung und Wirkung von Dohms Schrift über die bürgerliche Verbesserung der Juden, in: Walter Grab (Hg.), Deutsche Aufklärung und Judenemanzipation. Internationales Symposium anläßlich der 250. Geburtstage Lessings und Mendelssohns Dezember 1979 (Jahrbuch des Instituts für Deutsche Geschichte; 3), Tel Aviv 1980, 119-149.

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sollte es deshalb obliegen, die für die „sittliche Bildung“ der Juden notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Die allmähliche Erteilung von Rechten, die von dem Grad der „Besserung der Juden“ abhängig gemacht wurde, war deshalb bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts hinein in vielen deutschen Territorien in eine besondere „Erziehungspolitik“ eingebunden. Dass auch Schleiermacher die allgemeine Bedeutung der Erziehung für die Gewährung bürgerlicher Rechte bewusst ist, belegt der Aphorismus Nr. 202, in dem Schleiermacher auf die für den Erhalt des Naturalisationspatents der Familie Friedländer notwendige „Versicherung wegen der Erziehung“ verweist. In diesem Aphorismus führt er die für den Erhalt eines Patents erforderlichen „Beweise“ der betroffenen Juden an, „nemlich daß sie nie in einer feierlichen Untersuchung, einem Wucher oder BankerottProceß gewesen, und in allen CivilProceßen gesiegt haben, ein Attest über den Umgang mit Christen, eine Fürsprache von angesehnen Männern und eine Versicherung wegen der Erziehung“92. Der von Amts wegen in einem „Naturalisationspatent“ bestätigte Status beinhaltete allerdings keine tatsächliche Einbürgerung, sondern nur Zugeständnisse innerhalb des Aufenthaltsrechts. Erst mit dem Emanzipationsedikt des Preußischen Staates von 1812 wurden die mit General-Privilegien, Naturalisationspatenten und Konzessionen versehenen Juden zu Einländern und preußischen Staatsbürgern. Des Weiteren deutet sich in dem bereits zitierten Aphorismus Nr. 200 jene Position Schleiermachers an, die von einem antagonistischen „Verhältnis“ der jüdischen und christlichen Religion ausgeht, das auch nicht durch eine Konversion überwunden werden könne. Und diese Position findet Schleiermacher noch bestätigt, wenn er das Ansinnen des Sendschreibens, das im Kern auf eine Vernunftreligion zielt, bedenkt (Aphorismus Nr. 204): „Im Sendschreiben liegt noch immer die Tendenz ein Volk Gottes zu sein erstlich indem sie ihre natürliche Religion noch immer von Mose deduciren wollen zweitens indem sie der Last überhoben sein wollen an Christum zu glauben. Sie können nichts beabsichtigt haben als daß sie hintennach sagen wollen: auch der aufgeklärteste Christ bleibt doch ein Christ. Man kann aber auch gleich von ihnen sagen: auch der aufgeklärteste Jude bleibt doch immer ein Jude.“93

92 93

Vgl. Friedrich Schleiermacher, Gedanken I, 46 (Nr. 202). Vgl. Friedrich Schleiermacher, Gedanken I, 46 (Nr. 204).

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Während sich also nach Schleiermachers bereits in den Reden „Über die Religion“ dargelegten Überzeugung, dass Judentum und Christentum in einem Gegensatz zueinander stehen, der Gedanke an eine Konversion schon grundsätzlich deshalb nicht stellt, weil dieser Gegensatz nicht überwunden werden kann und der Konvertit immer der Herkunftsreligion verbunden bleiben würde, sind für ihn außerdem die von jüdischer Seite zur Diskussion gestellten Konversionsmodalitäten völlig unzureichend. Darüber hinaus macht Schleiermacher aber die tatsächliche Akkulturationsbereitschaft der Juden von ihrer Aneignung des Christentums abhängig, wenn er sie mit den nicht Deutsch sprechenden Franzosen vergleicht (Nr. 209): „Juden die sich nicht ums Christenthum bekümmern sind Franzosen die nicht deutsch lernen wollen.“94 Obwohl Schleiermacher sich grundsätzlich dagegen ausspricht, dass Juden zum Christentum übertreten, moniert er aber auch auf der allgemeinen gesellschaftlichen Ebene das Desinteresse der Juden am Christentum. Dieser Vorwurf erklärt sich daraus, dass das Christentum für Schleiermacher den gesellschaftlichen Rahmen vorgibt, der alles Weitere bestimmt. Auch wenn die jüdischen Mitbürger nicht zum Christentum konvertieren sollen, sollten sie sich doch für das Allgemeine interessieren, das nach Schleiermacher aber ausschließlich christlich bestimmt ist. Hier deutet sich bereits eine Position Schleiermachers an, die er im weiteren Verlauf seiner Stellungnahmen und Veröffentlichungen immer wieder herausstellt. So wirft er schlussendlich den Juden ihr Jude-Sein vor und fordert die Aufgabe wesentlicher Glaubensinhalte, deren Befolgung dann allerdings die Juden ihrer jüdischen Identität vollkommen berauben würde. Neben dem im Aphorismus Nr. 204 gegenüber den Juden erhobenen Vorwurf, den Bezug zur eigenen Religion tatsächlich gar nicht aufgeben zu wollen, moniert Schleiermacher den Ausspruch der Juden, eine eigene Nation zu sein (Aphorismus Nr. 203), so, als ob dieser der Treue zum preußischen Staat widersprechen würde. „Friedländer in den Acten lehnt sich immer dagegen auf daß die Juden nicht sollen als Fremde angesehn werden, und doch nennt er sie selbst bisweilen unsere Nation.“95 Damit spielt Schleiermacher auf ein antijüdisches Vorurteil an, das die Ausgrenzung der Juden durch ihre quasi selbstverschuldete Absonderung erklärt. Entsprechend kann er dann im Aphorismus Nr. 207 fragen: „Ob man durch die bloße Geburt einem Staate angehört und Anspruch drauf machen kann ein activer Bürger zu sein? Die Römer glaubten das sclavische verlöre 94 95

Friedrich Schleiermacher, Gedanken I, 47 (Nr. 209). Friedrich Schleiermacher, Gedanken I, 46 (Nr. 203).

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sich erst in der dritten Generation.“96 Schleiermacher stellt durch seine Frage nicht nur heraus, dass ihm der Gleichheitsgedanke der Französischen Revolution suspekt ist, sondern deutet durch seinen Hinweis auf die Römer auch an, dass die von ihm monierte Fremdheit der Juden keinesfalls durch eine Einbürgerung aufgehoben wird. Schleiermacher unterstreicht seine Vorbehalte gegenüber der Judenemanzipation nicht zuletzt dadurch, dass er auf klassische Antijudaismen zurückgreift, wenn er auf das für die Juden vermeintlich charakteristische betrügerische Verhalten hinweist (Nr. 206). „Wie betrüglich zur Reform Zeit die aufgeklärten Juden gegen die Andern zu Werke gegangen sind. Recht jüdisch wollten sie sie um ihr Judenthum bringen.“97 Schleiermacher spielt dabei auf das Ansinnen aufgeklärter Juden an, im Zuge der Gewinnung bürgerlicher Rechte auf Essentials ihres Glaubens verzichten zu wollen. Dass er dafür „jüdisch“ und „betrügerisch“ in eins setzt, macht deutlich, wie vorurteilsbestimmt sich Schleiermacher in die Emanzipationsdebatte einbringt. Schleiermacher benötigt die „Fremdheit“ der Juden, um gegen diese polemisieren zu können, während er gleichzeitig gegenüber den Juden fordert, diese Fremdheit in weiten Teilen aufzugeben. Der Aphorismus Nr. 211 lässt dann bereits Schleiermachers polemischen Ton anklingen, den er anschließend für die „Briefe bei Gelegenheit“ wählen wird, wenn er den Verfasser des Sendschreibens „gewissermaßen schon“ als Christen bezeichnet mit der Begründung: „denn er ist ein Crypto Jesuit“98. Schleiermachers Vorbehalte gegenüber einer Konversion der Juden finden in den Gedanken einen überaus ironischen Abschluss. Scheinbar ist der Verfasser des Sendschreibens ja schon ein Christ, aber eben nur scheinbar. Indem Schleiermacher hier den häufig gegenüber Protestanten erhobenen Vorwurf des „Crypto Jesuiten“,99 der den Betroffenen desavouieren sollte, 96 97

98 99

Friedrich Schleiermacher, Gedanken I, 47 (Nr. 207). Friedrich Schleiermacher, Gedanken I, 47 (Nr. 206). Vgl. auch ebd., Nr. 208: „Zur Zeit der Reform machten die Juden noch gemeinschaftliche Ansprüche; jetzt nicht mehr, weil die Gebildeteren entschlossen sind ihre ungebildeten Mitbrüder sizen zu laßen.“ Friedrich Schleiermacher, Gedanken I, 48 (Nr. 211). Vgl. etwa Johann August Starck, Über Krypto-Katholizismus, Proselytenmacherey, Jesuitismus, geheime Gesellschaften. T. 1. Und besonders die ihm selbst von den Verfassern der Berliner Monatszeitschrift gemachten Beschuldigungen mit Acten-Stücken belegt, Leipzig 1787; Friedrich Gedike/Johann Erich Biester (Hg.), Proceß über den Verdacht des heimlichen Katholicismus. Zwischen dem Darmstädtischen Oberhofprediger D. Starck als Kläger, und den Herausgebern der Berlinischen Monatszeitschrift, Oberkonsis-

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auf den Verfasser des Sendschreibens überträgt, zeigt er einmal mehr, dass er den Intentionen der Juden keinerlei Ernsthaftigkeit unterstellen möchte, sondern diese für ihn vielmehr Anlass zum Spott sind. II.2.3

Die „Briefe bei Gelegenheit“: eine Flugschrift zur Frage der Judenemanzipation

Schleiermacher setzt sich auf der politischen Ebene in der anonymen Veröffentlichung der „Briefe bei Gelegenheit der politisch-theologischen Aufgabe und des Sendschreibens jüdischer Hausväter. Von einem Prediger außerhalb Berlin“ ausführlich mit der Emanzipationsfrage der Juden auseinander.100 Darin bezieht er letztendlich gegen eine vermeintliche Konvertierung der Juden zum Christentum Stellung. Im Gegensatz zu der überaus bekannten Schrift der „Reden über die Religion“ ist über die Entstehungsgeschichte der „Briefe bei Gelegenheit“ und ihre direkte Wirkungsgeschichte relativ wenig bekannt. Das – gleichwohl fiktive – Datum des ersten Briefes vom 17. April 1799 gibt Aufschluss darüber, dass Schleiermacher diese Schrift wohl nach der Fertigstellung der Reden „Über die Religion“, d. h. nach dem 15. April 1799, in Angriff genommen hat.101 Der Titel der Schrift „Briefe bei Gelegenheit der politisch-theologischen Aufgabe und des Sendschreibens jüdischer Hausväter. Von einem Prediger außerhalb Berlin“ erklärt sich durch die Bezugnahme der Titulatur auf die beiden zuvor erschienenen Schriften aus den Kreisen der jüdischen Emanzipationsbewegung.102

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torialrath Gedike und Bibliothekar D. Biester als Beklagten, vollständig nebst der Sentenz aus den Acten herausgegeben von den loßgesprochenen Beklagten, Berlin 1787. 1799 erschienen bei dem Verleger Friedrich Franke in Berlin (64 Druckseiten im Oktavformat von 11 cm Breite und 19 cm Höhe), neu herausgegeben als Faksimileausgabe von Kurt Nowak 1984; die Faksimileausgabe wurde nach dem einzigen noch vorhandenen Original in der Bibliothek Rostock erstellt; im Folgenden wird nach dieser Ausgabe zitiert. Vgl. auch Günter Meckenstock, Einleitung des Bandherausgebers I.12. Briefe bei Gelegenheit der politisch theologischen Aufgabe und des Sendschreibens jüdischer Hausväter, in: Friedrich Schleiermacher, Schriften aus der Berliner Zeit 1796-1799 (Kritische Gesamtausgabe; I.2), hg. v. Günter Meckenstock, Berlin 1984, LIII-LXXVIII, LXXXII. Dabei handelt es sich 1. um den anonym verfassten Aufsatz „Politisch-theologische Aufgabe über die Behandlung der jüdischen Täuflinge“ und 2. um das anonym von David Friedländer verfasste „Sendschreiben an seine Hochwürden, Herrn Oberkonsistorialrath

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Schleiermacher nimmt darauf in sechs Briefen Bezug, indem er sich sowohl hinter einem anonymen Herausgeber verbirgt als auch hinter dem ebenfalls anonymen außerhalb Berlins lebenden Briefschreiber,103 der mit dem Herausgeber über die beiden Schreiben aus den Kreisen der jüdischen Emanzipationsbewegung korrespondiert. Schleiermacher wurde bald als Verfasser dieser anonym erschienenen Schrift bekannt, die auch mit dem Vorwort eines Anonymus versehen war: der „Vorerinnerung des Herausgebers“. Hier zeigt Schleiermacher bereits an, warum die Flugschrift anonym herausgegeben wird, wenn er den Herausgeber vorerinnern lässt: „Den Verfaßer dieser Briefe kann ich nicht nennen, da sie so gut als ohne sein Wißen abgedrukt werden. Ebenso wenig mich selbst; auch wäre es um so unschiklicher, da sich in dieser ganzen Sache fast Niemand genannt hat.“104 Da die Emanzipationsdebatte anonym geführt wird, schließt Schleiermacher sich diesem Vorgehen an, einer für die damaligen literarischen Auseinandersetzungen üblichen Gepflogenheit. Allerdings erschließt sich schon aus dem Duktus seiner Ausführungen im ersten Brief, dass Schleiermacher davon ausgeht, dass David Friedländer der Verfasser des „Sendschreibens“ ist. Damit wird aber bereits deutlich, dass Schleiermacher nicht so sehr selbst als „unschicklich“ erscheinen will, wie dies die „Vorerinnerung“ nahelegt, sondern vielmehr indirekt dem Verfasser des Sendschreibens einen solchen Vorwurf macht. So schließt sich Schleiermacher zwar vordergründig den literarischen Gepflogenheiten seiner Zeit an, aber die seinen „Briefen“ zugrunde liegende angebliche Anonymität und Korrespondenz mit dem fiktiven Herausgeber erlauben ihm ebenfalls, das Thema der Judenemanzipation stärker zu profilieren und im vermeintlichen Diskurs stärker zu polemisieren. Gleich zu Beginn seines ersten Briefes dankt Schleiermacher dem als Freund bezeichneten Herausgeber für die Übersendung des „Sendschreibens“, da er die „politisch-theologische Aufgabe“ gerade erst gelesen habe.105 Er kann die fiktive Korrespondenz also ganz zwanglos zum Anlass nehmen, um in die Emanzipationsdebatte einzugreifen.

103

104 105

und Probst Teller zu Berlin, von einigen Hausvätern jüdischer Religion“; s. o. das Kapitel „Die Problematik der Judenemanzipation im ausgehenden 18. Jahrhundert“. Für die sechs Briefe findet sich die Annotation aus „P…“ (für Potsdam); die Briefe reichen vom 17. April bis 30. Mai 1799. Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 2. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 5.

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Während Schleiermacher in den ersten drei Briefen das Sendschreiben kritisiert, stellt er im vierten und fünften Brief seine Position dar, um dann im letzten Brief Positionen der Berliner Geistlichkeit zu kommentieren. Schleiermacher tritt zunächst scheinbar für die Emanzipation der Juden ein, um zu verhindern, dass sich die Juden nur um der bürgerlichen Gleichberechtigung willen taufen lassen und somit zu Scheinchristen würden. Dabei ist vorauszuschicken, dass es Schleiermacher bei seinem Tauf-Vorbehalt grundsätzlich nicht um den Übertritt einiger weniger gebildeter Juden zum Christentum geht, den er als üblichen Weg zur Erlangung der bürgerlichen Rechte einiger weniger zunächst auch nicht moniert, sondern um das Gros der jüdischen Mitbürger. „Sehen Sie, so sehr ich mich freue, daß ich ein Bürger mit seinen gebührenden Rechten bin, und weder mehr noch weniger, so sehr verdrießt es mich doch, und stört mich oft in meinem Genuß, daß ich nicht wissen soll, warum gerade ich so viele haben und sein soll. Und das soll mir wirklich nicht gegönnt sein: denn wenn ich einsähe, warum ich es sein kann, so müßte ich auch verstehen, aus welchem Grunde es die Juden nicht sein können, und das sollen wir armen Laien in der Staatskunst ja nicht beurtheilen können.“106

Schleiermacher argumentiert hier allerdings nur vorgeblich im Duktus einer aufgeklärten Idee einer staatsbürgerlichen Gleichberechtigung. In ihrer Überheblichkeit würden „Politiker“ und „Staatsmänner“ „Laien“ wie Schleiermacher Inkompetenz in der Emanzipationsdebatte unterstellen. Tatsächlich wird Schleiermacher aber im Verlauf der „Briefe“ herausstellen, dass er derjenige ist, der über die eigentliche Urteilskompetenz in der Sache verfügt. Und Schleiermacher wird seine Kompetenz nicht nur deshalb betonen können, weil er in seiner Eigenschaft als Theologe den potentiellen Übertritt der Juden zum Christentum beurteilen kann, sondern weil er zeigen kann, dass er das, was er scheinbar nicht versteht, doch versteht und zudem auch noch begründen kann, nämlich „aus welchem Grunde, es [Bürger mit bürgerlichen Rechten; M. B.] nicht sein können“. Denn Schleiermacher wird unabhängig von seinen Konversionsvorbehalten mehrfach hervorheben, dass die Juden im Grunde alle wesentlichen Teile ihres Glaubens aufgeben sollten, um als Bürger anerkannt zu werden. Die Ausführungen Schleiermachers sind dabei grundsätzlich von seiner theologischen Position bestimmt. So schreibt er auch im Vorfeld der Briefe am 16. März 1799 in

106

Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 6 f.

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einem Brief an seine jüdische Freundin Henriette Herz: „Über die theologische Frage etwas zu schreiben, ist mir gar nicht so unangenehm als Sie denken [...] Was ich sagen werde, wird sehr aus meiner Überzeugung kommen und ihm [dem Ehemann Marcus Herz; M. B.] doch gewiß nicht unangenehm sein.“107 Die distanzierte Haltung Schleiermachers zum Sendschreiben wird bereits in dem ersten Brief deutlich: „Inzwischen kann ich nicht sagen, daß das Sendschreiben mich diesem Zweke von meinem End’ und Ziel beträchtlich näher gebracht hätte: es hat weder meinem Wohlwollen angenehmere Aussichten eröffnet, noch meine Gedanken in eine schnellere oder neue Bewegung gesezt, weder vorwärts noch in die Runde – kurz ich muß Ihnen gestehen, daß ich über die große Wichtigkeit desselben nicht Ihrer Meinung sein kann. Wir gehen diesmal weit auseinander [...]“108

Schleiermacher stellt das Sendschreiben nicht nur der Form nach, sondern auch hinsichtlich der Autorität seines/seiner Verfasser(s) in Frage, dem bzw. denen er damit unterstellt, letztendlich ohne Vollmacht gehandelt zu haben.109 Bar jeglicher Bedeutung für die Emanzipationsdebatte kann Schleiermacher doch nur, wenn überhaupt, eine gewisse literarische Bedeutung anerkennen, wenn er schreibt: „Schön geschrieben ist das Sendschreiben allerdings, wer wird das leugnen wollen? und Sie wißen, wie große Freude ich über alles haben kann, was der ältern Schule unserer Litteratur Ehre macht.“110 Schleiermachers Polemik gegen das Sendschreiben ist nicht von direkter Art, sondern von feinem Spott und Ironie getragen. Da er weder einen inhaltlichen Gehalt noch eine Verfasserautorität konstatieren könne, bliebe ihm angeblich nur noch die vermeintliche Würdigung der literarischen Art. Das Schreiben der „Hausväter“ könne, wenn überhaupt, nur als „literarisches Faktum“ angesehen werden und ihr Ansinnen als eine „Quasi107

108 109 110

Friedrich Schleiermacher, An Henriette Herz vom 16. März 1799 aus Potsdam, in: Ludwig Jonas/Wilhelm Dilthey (Hg.), Aus Schleiermacher’s Leben. In Briefen, Bde. 1-2, Berlin 1860, Bde. 3-4, Berlin 1861-1863 (Nachdruck Berlin 1974), 106-107 (Bd. 3), 106 f. Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 7. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 10. Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 8. Vgl. ferner ebd., 9: „Ich habe in der That nicht verstehen können, was Sie damit meinen, daß dieses doch nicht bloß etwas Gesprochenes sei, wie die Aufgabe; sondern daß wirklich etwas geschehen solle. Was soll denn geschehen? Halten Sie einen Schriftwechsel mit Herrn Teller noch in einem andern Sinn für ein Factum, als im literarischen?“

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Bekehrung“, so dass Schleiermacher die eigentliche Gattung des Sendschreibens in ihr Gegenteil kehrt und es im Duktus seiner vermeintlichen literarischen Qualität „die Fabel des Drama“111 nennt. Der Hinweis auf das Drama erschließt sich jedoch nicht etwa dadurch, dass Schleiermacher sich der tragischen Situation der Juden ob des stagnierenden Emanzipationsprozesses bewusst wäre, sondern vielmehr daraus, dass das Sendschreiben die „bürgerliche Verbesserung“ der Juden nun durch den Übertritt zum Christentum zu erreichen sucht, „den man nur so leicht als möglich müße zu veranstalten suchen“ und nicht mehr, wie bisher üblich, auf dem rein rechtlichen Weg.112 Das Mittel der Taufe ist jedoch nicht nur aus der Perspektive Schleiermachers, d. h. aus der christlichen Perspektive, der falsche Weg, sondern insbesondere auch aus der Perspektive der Juden, wie er betont: „Jene braven Männer, welche im verfloßenen Jahrzehend so eifrig an der bürgerlichen Verbeßerung ihrer Nation auf einem andern Wege arbeiteten, wie gekränkt müssen sie sich fühlen, daß Einer, und zwar unstreitig Einer der Vorzüglichsten unter ihren unterrichteten Mitbrüdern, auf eine so bedeutende Art öffentlich äußert, sie seien damals auf einem ganz falschen Wege gewesen, und die Nation müßte nur alle Hoffnung aufgeben, auf diesem Wege weiter zu kommen! Wie tief verwundert muß besonders der treffliche Friedländer sein! Ich bin begierig darauf, ob er nicht aufstehen wird, um seine Stimme zu erheben gegen diesen Verrath der beßeren Sache.“113

Da Schleiermacher die als Verfasser des „Sendschreibens“ angegebenen „Hausväter“ für eine „Fiction“ hält,114 ist offensichtlich, dass er Friedländer als den tatsächlichen Verfasser ausgemacht hat. Und indem er diese „Fiction“ zunächst nur als eine potentielle zu erörtern scheint, unterstreicht er einmal mehr das fehlgeleitete Interesse des Sendschreibens. Weil diese Fiktionalität aber letztendlich offensichtlich ist, wird das Ansinnen des Sendschreibens zur Karikatur ernsthafter Emanzipationsbemühungen, wobei der darin von Schleiermacher zum Ausdruck gebrachte Spott Friedländer doppelt getroffen haben dürfte. Zum einen zeigt Schleiermacher auf, dass der

111 112 113 114

Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 10. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 11. Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 11 f. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 11: „Sind aber die Hausväter gar eine Fiction, so verstekt diese Form dem Publicum den rechten Gesichtspunkt zur Beurtheilung der Schrift.“

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Inhalt des Sendschreibens keiner gewichtigen Erörterung bedarf, zum anderen wird Friedländer als eigentlicher Verfasser der Lächerlichkeit preisgegeben, indem Schleiermacher dessen Vortrefflichkeit für unvereinbar mit dem Inhalt des „Sendschreibens“ erklärt. Hier deutet sich bereits an, dass Schleiermacher ganz offensichtlich seine eigenen literarischen Qualitäten herauszustellen trachtet. Die Ironie und der versteckte Spott seiner Äußerungen stehen dabei in einem auffälligen Gegensatz zu der Ratlosigkeit und Verzweifelung vieler Juden angesichts des stagnierenden Reformprozesses. Schleiermacher stellt grundsätzlich jedoch nicht in Frage, dass die Emanzipationsproblematik einer Behandlung und Lösung bedarf. „Die Vernunft fordert, daß Alle Bürger sein sollen, aber sie weiß nichts davon, daß Alle Christen sein müßen, und es muß also auf vielerlei Art möglich sein, Bürger, und Nichtchrist zu sein.“115 Diese Anmerkung Schleiermachers legt zunächst eine Anlehnung an die moderne Idee bürgerlicher Gleichheit nahe, und tatsächlich geht es Schleiermacher im Kern darum, die Gewährung bürgerlicher Rechte unabhängig vom Übertritt der Juden zum Christentum zu diskutieren. In der Konsequenz dieses Anliegens fordert Schleiermacher dann jedoch nicht einfach die voraussetzungslose Einbürgerung ein, sondern zeigt vielmehr in den folgenden Briefen ausführlich auf, auf welche Art es möglich sein könnte, „Bürger und Nichtchrist zu sein“. Die Betonung dieser Anmerkung liegt hier also ganz auf dem abschließenden Satz und nicht auf dem ersten Satz, der nicht absolut im Sinne einer voraussetzungslosen Gewährung bürgerlicher Gleichberechtigung zu verstehen ist, sondern nur hinführenden Charakter aufweist. Im abschließenden Teil des ersten Briefes macht Schleiermacher deutlich, dass ihm die Debatten um das Für und Wider der Gewährung bürgerlicher Rechte ebenso bekannt sind wie die Zustände in den Nachbarländern. „[D]as armselige Urtheil, der Staat betreibe die Sache nur darum so läßig, um das Schuzgeld nicht zu verlieren“, wird von Schleiermacher nicht geteilt.116 Die scheinbar äußeren Gründe, die gegen eine gelingende Einbürgerung zu sprechen scheinen, bezeichnet Schleiermacher als „faule Vernunft“117, die sich wiederum hinter dem „Dogma von einer innern Verderbniß der Juden“ verstecke, von der angeblich eine Gefahr im Falle

115 116 117

Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 12 f. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 14. Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 13.

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der Einbürgerung ausgehen würde.118 Schleiermacher verweist hier auf ein klassisches christliches Vorurteil: die Verderbtheit der Juden. Wenn er auch die daraus in der Emanzipationsdebatte folgende Konsequenz vordergründig nicht zu teilen scheint, so teilt er aber doch die Zuschreibung, die er in seinen Reden „Über die Religion“ selbst gebraucht.119 Dass diese sogenannte „Verdorbenheit“ der Juden im Emanzipationsprozess immer wieder eine Rolle spielt, zeigt nicht zuletzt die Schrift von Christian Wilhelm Dohm.120 Schleiermacher desavouiert im ersten Brief zwar die Form, den Inhalt und den Verfasser des Sendschreibens, aber nicht die eigentliche Intention. Das grundsätzliche Begehren der Einbürgerung wird von Schleiermacher nicht zurückgewiesen. Vielmehr wird er, der „Laie“ in Staatsangelegenheiten, die Voraussetzungen einer Einbürgerung aufzeigen, die nicht an eine Konversion gebunden sind. Dabei fällt auf, dass es Schleiermacher in der Hauptsache jedoch darum geht, dass Konversionsansinnen vieler Juden angesichts des stagnierendem Reformprozesses zurückzuweisen. Dementsprechend legt er im zweiten und dritten Brief seine Vorbehalte gegenüber der Konversion der Juden zum Christentum dar. „Es ist also nicht eine bloße rhetorische Fiction, eine Weissagung, sondern ein Factum, daß man die Religion nach dem Curs wechselt. Es hat allen Anschein, daß das noch mehr ins Große getrieben werden soll, da es Juden giebt, die Lust haben, ihre Kinder zugleich beschneiden und taufen zu lassen. Es gibt jetzt schon Amphibien, deren Natur schwer zu bestimmen sein möchte.“121

Indem Schleiermacher die jüdischen Konvertiten mit Amphibien vergleicht, macht er unmissverständlich klar, dass das Konversionsansinnen nicht ernsthaft verhandelt werden kann. Denn so wie die Natur der Amphibien schwer zu bestimmen ist, ist die Religion des Konvertiten schwer zu berechnen. Damit deutet Schleiermacher schon an, dass für ihn eine Konversion grundsätzlich nicht vorstellbar erscheint, da der Konvertit immer auch 118 119 120

121

Vgl. Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 15. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 322. Dohms Postulat, den Juden die gleichen bürgerlichen Rechte wie den übrigen Untertanen zu erteilen, um so aus ihnen „glücklichere, bessere Menschen, nützlichere Glieder der Gesellschaft“ zu machen, geht davon aus, dass die einmal „vorausgesetzte größre Verdorbenheit der Juden eine nothwendige und natürliche Folge der drückenden Verfassung ist, in der sie sich seit so vielen Jahrhunderten befinden“. Vgl. Christian Wilhelm Dohm, Über die bürgerliche Verbesserung der Juden, Teil I, 130; 34. Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 20.

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der Herkunftsreligion verbunden bleiben würde, und das noch umso mehr, wenn die Konversion nur Mittel zum Zweck ist. In seinem zweiten Brief kommt er somit dann auch nach der Rekapitulation des Sendschreibens zu dem Schluss, „daß es dem Verfaßer gar nicht ernst ist, auch nur auf die halbe Art, wie er es vorschlägt, zum Christenthum überzugehen“122. Schleiermachers „Besorgnis“ gilt jedoch gerade nicht nur den mit unlauterer Absicht betriebenen Konversionen, sondern insbesondere auch den Konversionen vermeintlich rechter Art, wie er seinen dritten Brief einleitend kundtut. „Ich fürchte, daß wenn das Sendschreiben, wie ich es als nothwendig und allgemein bekannt vorausseze, auf die Lage der Juden im gemeinen Wesen gar nichts wirkt, und dieses von dem gethanen Vorschlag gar keine, oder nicht die erwünschte Notiz nimmt, so wird die bisherige Praxis immer weiter einreißen; einzelne Individuen und ganze Familien werden immer häufiger auf dem gewöhnlichen Wege zum Christenthum übergehn, und dies ist es, was ich im vollen Ernst für das schlimmste halte, was sich ereignen kann.“123

Während die Auswirkungen des Sendschreibens eher als geringfügig einzustufen sind, ist für Schleiermacher die zunehmende Konversionspraxis umso bedenklicher. Schleiermacher ist durchaus bereit, zwischen den Konvertiten selbst zu differenzieren. So verweist er einerseits mit Bezug auf die Vergangenheit auf die sogenannten „schlechten Subjecte, deren sich die jüdischen Gemeinen gar zu gern entledigten“ und welche nur um ihres persönlichen Vorteils willen konvertieren wollten, und andererseits mit Bezug auf die Gegenwart auf jene „gebildeten Wohlhabenden“, welche bereits Rechte erworben haben und deren Einbürgerungsgesuch deshalb auch nachvollziehbar ist.124 Er konstatiert jedoch, dass dies, auch wenn es dem Staat nicht so sehr zu schaden scheine, umso mehr der Kirche und dem Christentum schade.125 Schleiermacher hält eine Konversion der wohlhabenden Juden sogar für so gefährlich, dass er dadurch den Untergang der Religionsgesellschaft befürchtet. „Aber nicht nur irreligiös würden die meisten unserer neuerworbenen

122 123 124 125

Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 26. Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 30 f. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 32 f. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 33.

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Mitglieder sein, sondern alle auf irgend eine Art antichristlich.“126 Damit macht Schleiermacher wiederum deutlich, dass seine Sorge ausschließlich dem Christentum und der Kirche gilt und die Diskussion um die Einbürgerung vielmehr ein Anlass ist, vor potentiellen Beschädigungen der eigenen Religion unmissverständlich zu warnen. Dabei gilt Schleiermachers Sorge nicht etwa vermeintlichen Defiziten und Unzulänglichkeiten der zum Christentum übergetretenen Konvertiten, sondern die ihm eigene Annahme eines Antagonismus zwischen Judentum und Christentum lässt die Frage einer gelungenen Konversion gar nicht erst aufkommen, da der jüdische Konvertit auch nach seinem Übertritt zum Christentum „antichristlich“ bliebe. Auch die eigene Bildung kann das Werk der religiösen Erziehung nicht „vernichten“.127 Hatte Schleiermacher bereits in den „Gedanken“ den vermeintlichen Vorschlag der „Politisch-theologischen Aufgabe“ einer sechsjährigen Bildungszeit zurückgewiesen (Aphorismus Nr. 200), so weist er nun in seinem dritten Brief erneut und in aller Deutlichkeit den Gedanken an jedwede „Prüfungsjahre“ zurück. Selbst zwanzig Jahre vermögen in dieser Hinsicht nichts auszurichten.128 Deshalb hält Schleiermacher eine Konversion auch grundsätzlich für unmöglich. Dass der Übertritt eines Juden zum Christentum erfolgreich sein könnte, ist für Schleiermacher vollkommen ausgeschlossen. „Es ist unmöglich, daß Jemand, der Eine Religion wirklich gehabt hat, eine andere annehmen sollte; und wenn alle Juden die vortrefflichsten Staatsbürger würden, so würde doch kein einziger ein guter Christ; aber recht viel eigenthümlich Jüdisches brächten sie in ihren religiösen Grundsätzen und Gesinnungen mit, welches eben um deswillen nothwendig antichristlich ist. – Ja! ein judaisirendes Christenthum das wäre die rechte Krankheit, die wir uns noch inokuliren sollten! Sie sind nicht so sehr Laie in der Kirchengeschichte, daß Sie Sich nicht daran erinnern könnten, wie alles Unheil in den alten und neuen Zeiten des Christenthums gänzlich aus dieser Quelle entsprungen ist, die immer noch fortrieselte, wenn man glaubte, sie sei längst abgegraben, Unheil, von dem wir uns nur mit der größten Mühe und auf eine gewaltsame Weise, und doch immer noch nicht vollkommen los gemacht haben.“129

126 127 128 129

Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 35. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 36. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 36. Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 36 f.

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Hatte Schleiermacher bereits in seinen Gedanken „jüdisch“ und „betrügerisch“ gleichgesetzt (Aphorismus Nr. 206), so bezeichnet er nun das den Juden eigene „eigenthümlich Jüdische“ als „antichristlich“. Während Schleiermacher in den „Gedanken“ noch den aufgeklärten Juden vorgeworfen hat, andere Juden um der eigenen Einbürgerung willen betrügen zu wollen, so erhebt er nun denselben Vorwurf, nur dass es jetzt das Christentum betrifft, das durch unehrenhafte Konversionen quasi um seine eigene Identität betrogen werden soll. Weil das „eigenthümlich Jüdische“ auch nach erfolgter Konversion zum Christentum weiterhin existiert, stellen potentielle Konversionen für Schleiermacher eine Bedrohung des Christentums dar und sind deshalb auch „antichristlich“. So verwundert es nicht, dass Schleiermacher im weiteren Verlauf der Argumentation in Anlehnung an Johannes Chrysostomus (gest. 407) vor einem „judaisirenden Christenthum“ warnt, welches er näherhin als „rechte Krankheit“ charakterisiert.130 Der theologische Antijudaismus, den Schleiermacher hier entfaltet, ist offensichtlich. Er gipfelt darin, dass er an dem Phänomen des „judaisirenden Christenthums“ die „Unheilsgeschichte“, die dem Christentum widerfahren ist, festmacht. Der Antijudaismus wird mit einer antichristlichen Haltung der jüdischen Seite begründet. Dabei bezeichnet Schleiermacher jenes Phänomen, dass Christen sich sogar gewaltsam von Juden abgrenzten, nicht etwa als Unheilsgeschichte des Judentums, sondern vielmehr als Unheil des Christentums. Damit kehrt Schleiermacher die geschichtlichen Verhältnisse gleichsam um. In diesem Duktus ist die tatsächliche Unheilsgeschichte des Judentums eigentlich die Unheilsgeschichte des Christentums, das fortwährend unter dem Einfluss des Judentums zu leiden habe wie unter einer lang anhaltenden Krankheit. Diese fortdauernde Tragödie der Nähe unterstreicht Schleiermacher eindrücklich, wenn er von „fortrieseln“ etc. schreibt.131 Die auffällige Anleh130

131

Vgl. auch Klaus Beckmann, Die fremde Wurzel. Altes Testament und Judentum in der evangelischen Theologie des 19. Jahrhunderts, 118: „Er drückt die Erwartung aus, die ‚immer noch nicht vollkommen‘ gebannte ‚Krankheit‘ des jüdischen Einflusses in der Kirche werde schließlich völlig besiegt werden.“ Ob man in der zitierten Passage Schleiermachers einen indirekten Rekurs auf das paulinische Ölbaumgleichnis findet, bleibt zu diskutieren. So aber Klaus Beckmann, Die fremde Wurzel. Altes Testament und Judentum in der evangelischen Theologie des 19. Jahrhunderts, 118: „Bemerkenswert ist der indirekte polemische Rekurs auf das paulinische Ölbaumgleichnis (‚inokulieren‘). Hierin wie auch in dem Moment der Dauerhaftigkeit, das

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nung in der Formulierung „judaisirendes Christenthum“ an Johannes Chrysostomus überrascht deshalb, weil Johannes die gleiche Terminologie zur Warnung vor dem umgekehrten Phänomen verwendet, nämlich vor dem Judaisieren der Christen, d. h. der Hinwendung der Christen im ausgehenden vierten Jahrhundert zu jüdischen Riten und zum jüdischen Glauben. Johannes geht es um die Zurückdrängung jüdischen Einflusses auf die christliche Gemeinde in Antiocheia, da sich nicht wenige Christen zu den religiösen Riten der Juden hingezogen fühlten und entsprechend an jüdischen Festen teilnahmen und die Synagoge besuchten.132 So fragt Johannes in der vierten der acht Reden gegen die Juden: „Jeden einzelnen, der an dieser Krankheit leidet, werde ich fragen: ‚Bist du ein Christ? Warum machst du dann so eifrig bei den Juden mit? So bist du Jude? Warum belästigst du dann die Kirche? [...] Besteht denn wirklich nur ein kleiner Unterschied zwischen uns und den Juden? Geht denn wirklich unser Streit nur um Bagatellen, so dass du glaubst, es sei ein und dasselbe? Wie vermischest du Unvermischbares? Jene haben Christus gekreuzigt, den du anbetest. Siehst du, wie groß der Unterschied ist? Was läufst du denn zu jenen, den Mördern, der du sagst, du betest den Gekreuzigten an?“133

Johannes bezeichnet nicht nur das christliche Interesse am jüdischen Glauben als Krankheit; auch das übermäßige Interesse an Zirkusspielen ist für ihn Symptom einer Krankheit, Synagoge und Theater setzt er gleich. Und ebenso wie Johannes das christliche Interesse an der jüdischen Religion als Krankheit zu verunglimpfen sucht, schreibt Schleiermacher in Hinblick auf das existierende Judentum und seine potentiellen Konversionsabsichten von einer noch nicht gebannten Krankheit. Damit ist beiden Autoren gemeinsam, dass sie das ihnen jeweils gegenwärtige Judentum als krankheitsverursachend bezeichnen und auf diese Weise unmissverständlich abwerten.

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die Metapher ‚fortrieseln‘ enthält, kann man die biblische Vorstellung der bleibenden Bezogenheit der Kirche auf den ersten Gottesbund als bekannt vorausgesetzt sehen. Schleiermacher lehnt den traditionellen kirchlichen Rekurs auf diesen Gedanken ab.“ Vgl. Johannes Chrysostomus, Adversus Judaeos orationes, Patrologia Greaca 48, 843942; dt. Acht Reden gegen die Juden (Acht Reden gegen die Juden. Eingeleitet und erläutert von Rudolf Brändle. Übersetzt von Verena Jegher-Bucher [Bibliothek der griechischen Literatur; 41], Stuttgart 1995); vermutlich in den Jahren 386 und 387 gehalten. Der Titel wäre jedoch inhaltlich treffender mit „Gegen das Judaisieren“ wiedergegeben; vgl. auch Heinz Schreckenberg, Die christlichen Adversus-Judaeos-Texte und ihr literarisches und historisches Umfeld (1.-11. Jh.), Frankfurt am Main 4. Aufl. 1999, 328. Johannes Chrysostomus, Acht Reden gegen die Juden, 129.

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„Die pastorale Sorge um das Judaisieren der Christen äußert sich so“, wie Heinz Schreckenberg in Hinblick auf Johannes konstatiert, „daß ein Klima gefördert wird, in dem Synagogenverbrennungen möglich waren, daß andererseits aber auch der Antisemitismus der Neuzeit hier eine bequeme Rechtfertigung seiner Verjudungshysterie finden konnte, ein Antisemitismus, der vom Juden als ‚Schädling’ sprach, der ‚unser Unglück’ ist“134. In dieser Hinsicht stellt sich die Frage, ob sich nicht auch Schleiermacher mit der Wahl seiner Terminologie und dem Duktus seiner Ausführung in das weitere Umfeld dieses Fazits einordnen lässt. Die Frage hat auch dann noch ihre Berechtigung, wenn man wie Peter Foley davon ausgeht, dass es sich mit der Warnung vor einem „judaisirenden Christenthum“ um eine „typisch sarkastisch-geistreiche Bemerkung“, um einen „Scherz“ zu Ehren von Marcus Herz handeln würde.135 Denn die Formulierung ist und bleibt eindeutig pejorativ und steht darüber hinaus auch noch in einer verhängnisvollen Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte. Die Schleiermacher’sche Warnung vor einem „judaisirenden Christenthum“ als „rechter Krankheit“, vor deren „Inokulation“ er warnen möchte, ist in den Kontext jener Metaphorik einzuordnen, in der das Jüdische als ansteckende Krankheit verstanden wird, und erinnert damit an die mittelalterlichen Legenden, nach denen die Juden als Brunnenvergifter die Pest verursacht hätten. Dass die epidemischen Krankheiten zur Zeit Schleiermachers nach wie vor eine Bedrohung darstellten, unterstreicht vielmehr noch die Polemik seiner „Warnung“. Ferner wird man den satirischen Charakter der „Politisch-theologischen Aufgabe über die Behandlung jüdischer Täuflinge“, die natürlich eine Art Persiflage auf ihre gegenwärtige Lage darstellte, kaum mit Schleiermachers 134

135

Heinz Schreckenberg, Die christlichen Adversus-Judaeos-Texte und ihr literarisches und historisches Umfeld (1.-11. Jh.), 328. Vgl. Peter Foley, Der Jude als moralisch zurechnungsfähiger Bürger. Schleiermachers philosophische Erwiderung auf die Frage der Bürgerrechte für die Juden, in: Theologische Literaturzeitung 126 (2001), 721-734, 731: „Zu Ehren von Marcus Herz gestattet sich Schleiermacher eine typisch sarkastisch-geistreiche Bemerkung, wenn er von dem Christentum spricht, das die vermeintlichen Konvertiten an den Tag legen werden: ‚Ja! ein judaisierendes Christentum, das wäre die rechte Krankheit, die wir uns inokulieren sollten!‘ Marcus Herz war für seine polemischen Ansichten über die Praxis der Impfung bekannt und bietet daher einen klaren Bezugspunkt für diesen Scherz. Indem Schleiermacher diese jüdisch-christliche Sekte für eine widerwärtige Krankheit erklärt, verbündet er sich mit Herz, der deutlich gegen Impfung war.“

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Briefen vergleichen können, wenn man allein den tiefen Sarkasmus ihrer aufgeklärten jüdischen Urheber bedenkt. Im Gegenteil dürfte vielmehr der in weiten Teilen ironische Ton Schleiermachers von den jüdischen Emanzipationsbefürwortern verletzend und beschämend empfunden worden sein.136 Schleiermacher fürchtet wie Johannes Chrysostomus einen jüdischen Einfluss auf das Christentum. Die Bedrohung der Kirche und des Christentums durch die Juden sieht Schleiermacher in den tatsächlichen und beabsichtigten Konversionen gegeben, wobei diese Bedrohungsvorstellung ihren Anhalt nicht zuletzt an einer Vorstellung von einer religiösen Gemeinschaft hat, die bereits originär nur rein christlich gedacht werden kann. Nicht von ungefähr beschreibt Wilhelm Dantine diese Furcht als „Furcht vor der zersetzenden Wirkung einer in das Christentum eingepflanzten jüdischen Gruppe“137. Sieht man einmal von dem unhinterfragten, jedoch einschlägig bekannten Gebrauch des Wortes „zersetzend“ ab, bleibt es bezeichnend, dass der Duktus der Ausführungen Schleiermachers ein solches Verständnis und damit auch eine solche Wirkung nahegelegt hat. Ob ferner der frühe Vorwurf des Judaisierens an die Adresse der Reformierten in der Kontroverstheologie anderer Konfessionen in Schleiermachers Überlegungen grundsätzlich eine Rolle spielte, dürfte fraglich sein.138 Im Gegensatz zu Chrysostomus ist Schleiermacher in seinem Judaisierungsvorwurf jedoch nicht von der herausfordernden Nähe des Christentums zum Judentum bestimmt, sondern von der Annahme eines absoluten Gegensatzes zwischen den beiden Religionen, dessen Aufhebung das Christentum gefährdet. In der Befürchtung dieser Gefährdung stimmt er mit Chrysostomus wieder überein. 136

137

138

So auch in Hinblick auf eine andere Briefstelle Michael A. Meyer, Von Moses Mendelssohn zu Leopold Zunz. Jüdische Identität in Deutschland 1749-1824, 90. Wilhelm Dantine, Protestantismus vom Aufkommen des Pietismus bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts: C. Frühromantik – Romantik – Idealismus, in: Karl Heinrich Rengstorf/ Siegfried von Kortzfleisch (Hg.), Kirche und Synagoge. Handbuch zur Geschichte von Christen und Juden. Darstellung mit Quellen, Bd. 2, München 1988, 177-221, 200. Der Vorwurf des Judaisierens an die Adresse der Reformierten in der Kontroverstheologie anderer Konfessionen erklärt sich dadurch, dass Reformierte und Puritaner von Anfang an ihre Kontinuität zum Judentum entdeckt hatten. Vgl. dazu Ludwig Borinski, Antijüdische Phänomene in der Aufklärung, in: Vorstand der Lessing-Akademie (Hg.), Judentum im Zeitalter der Aufklärung (Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung; IV), Wolfenbüttel 1977, 103-117.

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Schleiermacher konstatiert im weiteren Verlauf des dritten Briefes, „daß die Juden mehr und mehr an der Bildung des Zeitalters einen verhältnismäßig gleichen Antheil nehmen, als die Christen, daß sie von dem Ausländischen in ihren Sitten und ihrem Betragen immer mehr fahren laßen“ und dass deshalb die Rechtmäßigkeit eines bürgerlichen Unterschiedes letztlich vorgeblich sei, man also diesbezüglich von grundloser Parteilichkeit ausgehen könne.139 Berücksichtige man ferner, dass gerade die nichtchristlichen Staaten die Einbürgerung schnell und problemlos vollzögen, dränge sich nun der Eindruck auf, dass sich die Staatsdiener im eigenen Land aufgrund ihrer christlichen Konfession gegenteilig verhielten. Dieser Eindruck müsse nach Schleiermacher ausdrücklich vermieden werden und die Kirche müsse gegenüber dem Staat erklären, „daß sie ihn bäte, dieser für sie so drükenden Handlungsweise ein Ende zu machen; daß sie ihn bei seiner Liebe zum Christenthum, dem er ja zugethan zu sein versichert, beschwöre, alles aus dem Wege zu räumen, was die Juden veranlaßen kann, aus unreinen und fremdartigen Bewegungsgründen zum Christenthum überzugehen“140. Nach Schleiermacher habe die Kirche vielmehr klarzustellen, dass von ihrer Seite keinerlei Einwände gegenüber der bürgerlichen Freiheit der Juden bestünden. Und Schleiermacher betont sogar, dass man von kirchlicher Seite dem Staat keinerlei Vorgaben machen könne. Vordergründig spricht sich Schleiermacher scheinbar wiederum nur gegen Konversionen als Mittel zum Zweck der Einbürgerung aus. Dass von kirchlicher Seite keinerlei Einwände gegen eine Einbürgerung zu erheben seien, heißt aber nicht, dass die rechtliche Gleichstellung ohne Bringschuld der Juden erfolgen könne, wie Schleiermacher in dem folgenden vierten Brief herausstellt. Seine positiv bewertete Anmerkung, dass die Juden von dem Ausländischen in ihren Sitten und ihrem Betragen immer mehr fahren lassen würden, macht bereits deutlich, dass für Schleiermacher die rechtliche Gleichstellung doch nicht bedingungslos gedacht werden kann. Im vierten Brief setzt Schleiermacher sich nun detailliert mit den einzelnen Anforderungen an die Juden auseinander, die für ihn als Voraussetzung der Gewährung bürgerlicher Rechte unabdingbar sind. Dass Schleiermacher den Brief mit dem fiktiven Vorwurf der Judenfeindschaft durch den anonymen Herausgeber einleitet, zeigt, dass ihm die judenfeindlichen Tendenzen seiner Äußerungen durchaus bewusst sind, auch wenn es ihm scheinbar 139 140

Vgl. Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 38 f. Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 40.

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doch nur um die Verwehrung des Übertritts der Juden zum Christentum geht: „Nein, so von Ihnen mißverstanden zu werden, das hätte ich nicht erwartet. Ich wäre ein Judenfeind? Ich glaubte heimlich vielleicht, ohne es selbst zu wißen, auch an ihre moralische Erniedrigung? Und das bloß deswegen, weil ich sie nicht in die christliche Kirche hinein haben will!“141 Der hier von Schleiermacher selbst fiktiv angeführte und in eine Frage gekleidete Vorwurf ist nicht zuletzt aufgrund der polemisch geführten Auseinandersetzung berechtigt, und ebenso lassen seine Ausführungen den Schluss zu, dass er – wohl wissentlich – von einer moralischen Erniedrigung eines großen Teils der Juden ausgeht. Schleiermacher nimmt vielmehr das seiner Meinung nach ehrenwerte Argument, dass, gegen eine unlautere Konversion vorzugehen, wohl niemand ernsthaft hinterfragen kann, zum Anlass, die Beschwerlichkeit seiner eigenen Aufgabe zum Ausdruck zu bringen: „So geht es mir, weil ich das Unglük habe ein Christ zu sein!“142 Schleiermacher leitet mit dem fiktiven Vorwurf und dem Hinweis auf die Beschwerlichkeit der von ihm übernommenen Aufgabe in den vierten Brief ein, um daran seine Vorstellungen für die Möglichkeiten einer Einbürgerung darzulegen. Schleiermacher ist bereit einzuräumen, dass mit dem Zeremonialgesetz ein politisches Hindernis für die Einbürgerung vorliege. „Kurz ich verlange, daß die Juden, denen es ein Ernst ist, Bürger zu werden, das Ceremonialgesez – nicht durchaus ablegen, sondern nur den Gesezen des Staats unterordnen, so daß sie sich erklären, sie wollten sich keiner bürgerlichen Pflicht unter dem Vorwande entziehen, daß sie dem Ceremonialgesez zuwider laufe, und es sollte von Religions wegen niemanden verboten werden, irgend etwas zu thun oder zu unternehmen, was von Staats wegen erlaubt ist. Ich verlange ferner, daß sie der Hofnung auf einen Meßias förmlich und öffentlich entsagen; ich glaube, daß dies ein wichtiger Punkt ist, den ihnen der Staat nicht nachlaßen kann.“143

Dem Zeremonialgesetz wird gemeinhin das Sittengesetz gegenübergestellt. Während die Beschneidungsforderung, die Speisegebote und die Bestimmungen zur Festtagsobservanz, zu den Waschungen, zur Bekleidung (und zum Tempel- und Opferdienst) dem sogenannten Zeremonialgesetz zugerechnet werden, wird der Dekalog dem sogenannten Moralgesetz zugeord141 142 143

Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 44. Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 44. Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 46 f.

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net. Diese Gegenüberstellung von „Ritual-“ und „Moralgesetz“ bzw. „Zeremonial-“ und „Sittengesetz“ spiegelt jedoch nicht unbedingt das Selbstverständnis antiker Kulttheologien wider, sondern vielmehr eine nicht nur bis in Schleiermachers Gegenwart herrschende (christlich-)theologische Auffassung, nach der das „Ritual-“ bzw. „Zeremonialgesetz“ jenen Teil des (alttestamentlichen) Gesetzes bezeichne, der durch das Neue Testament als „überwunden“ gilt. Diese Unterscheidung zwischen Ritual- bzw. Zeremonial- und Moralgesetz ist dem (traditionellen) Judentum an sich fremd und findet sich zunächst bei den Kirchenschriftstellern Justin (gest. 165), Irenäus (gest. 200) und Tertullian (gest. 223). Mit der Einführung dieser Unterscheidung durch die frühchristliche Theologie geht eine Relativierung des sogenannten Ritual- bzw. Zeremonialgesetzes einher, die zu einer Abwertung des Judentums führt und die daher als antijudaistisch motiviert gelten kann. Dabei ist es bemerkenswert, dass die Kategorien dieser Unterscheidung nicht aus den einschlägigen Quellen selbst gewonnen, sondern von außen an die Texte herangetragen werden.144 Diese Gegenüberstellung von sogenanntem „Zeremonialgesetz“ und „Sittengesetz“ wird von der jüdischen Aufklärungs- und Reformbewegung wieder aufgegriffen. So berichtet etwa David Friedländer in dem „Sendschreiben“ von persönlichen Entfremdungserfahrungen in Bezug auf das sogenannte Zeremonialgesetz: „Die Ceremonial-Gesetze wurden in dem väterlichen Hause mit der ängstlichsten Pünktlichkeit beobachtet. Diese verfremdeten uns in dem Zirkel des gewöhnlichen Lebens; sie brachten, als leere Gebräuche, ohne allen Einfluß auf unsere anderen Beschäftigungen, keine anderen Wirkungen hervor, als daß deren Beobachtung in Gegenwart fremder Religionsverwandten, selbst der Dienstboten, uns scheu, verlegen und oft unruhig machte.“145

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Vgl. Matthias Blum, Ritual oder Moral? Zur Unterscheidung zwischen Ritualgesetz und Moralgesetz in der antiken jüdisch-christlichen Kontroverse, in: Carola MetznerNebelsick (Hg.), Rituale in der Vorgeschichte, Antike und Gegenwart. Studien zur Vorderasiatischen, Prähistorischen und Klassischen Archäologie, Ägyptologie, Alten Geschichte, Theologie und Religionswissenschaft. Interdisziplinäre Tagung vom 1.-2. Februar 2002 an der Freien Universität Berlin (Internationale Archäologie: Arbeitsgemeinschaft, Symposium, Tagung, Kongress; 4), Rhaden/Westfalen 2003, 183-190. David Friedländer, Sendschreiben an Seine Hochwürden, Herrn Oberkonsistorialrat und Propst Teller zu Berlin, von einigen Hausvätern jüdischer Religion, 382.

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Für das Reformjudentum des 19. Jahrhunderts steht demgegenüber ein den Propheten zugeschriebenes Sittengesetz im Vordergrund, welches sich durch Bildung und im Glauben an die Macht der fortschrittsfähigen menschlichen Vernunft durchsetzen soll. Der „ethische Monotheismus“ des liberalen Judentums bildet dabei das Fundament für den Glauben an den moralischen Fortschritt der Menschheit.146 Die Ablehnung von Teilen des sogenannten Zeremonialgesetzes in Kreisen aufgeklärter Juden ist jedoch von der protestantischen Kritik des rabbinisch-pharisäischen Gesetzesgehorsams grundsätzlich zu unterscheiden, da jeweils unterschiedliche Motive zugrunde liegen, und kann deshalb auch nicht etwa im Sinne Schleiermachers angeführt werden. Ein Teil der aufgeklärten Juden kann dem Zeremonialgesetz keinen gemeinschaftsbildenden Sinn mehr zuschreiben, während es Schleiermacher um die Unterordnung des Religionsgesetzes unter das Staatsgesetz geht.147 Von christlicher Seite führt(e) diese Ablehnung immer zu einer antijudaistisch motivierten Abwertung des Judentums, wie auch Schleiermachers Ausführungen zeigen. Die Gewährung bürgerlicher Freiheit kann von Schleiermacher nicht vorbehaltlos und voraussetzungslos gedacht werden, sondern ist an die Beschränkung des sogenannten Zeremonialgesetzes zu binden. Schleiermacher postuliert schlussendlich ein verändertes Judentum, eine „Reformsekte“ nach christlichen Vorstellungen. Die Juden würde dieser Vorschlag zwangsläufig in ein Dilemma führen. Die Beibehaltung des Zeremonialgesetzes will Schleiermacher ihnen nicht zugestehen, die Konversion zum Christentum aufgrund der Gefährdung des christlichen Glaubens aber erst recht nicht. „Schleiermacher wollte ein Judentum“, wie Micha Brumlik konstatiert, „das durch ein partielles Beibehalten des Zeremonialgesetztes jüdisch genug blieb, um vom Christentum unterschieden zu sein“.148 Neben der Modifizierung des „Zeremonialgesetzes“ beinhaltete dieses veränderte Judentum auch die Aufgabe „der Hofnung auf einen Meßias“,

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Vgl. auch Johann Maier, Torah und Pentateuch, Gesetz und Moral. Beobachtungen zum jüdischen und christlichen Befund, in: Angelo Vivian (Hg.), Biblische und judaistische Studien (FS Paolo Sacchi), Frankfurt am Main 1990, 1-50, 41 ff.: Das aufgeklärte Judentum. Vgl. auch Ellen Littmann, David Friedländers Sendschreiben an Propst Teller und sein Echo, 102. Micha Brumlik, Deutscher Geist und Judenhaß. Das Verhältnis des philosophischen Idealismus zum Judentum, 161.

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die Schleiermacher postulierte.149 Bedenkt man die zwischen Juden- und Christentum strittige Frage, ob Jesus nun der Messias sei oder nicht, so impliziert das Postulat Schleiermachers in dieser Sache letztendlich die Selbstaufgabe des jüdischen Glaubens.150 Die vermeintliche Konkurrenzposition spiegelt sich auch in diesem Postulat wider. Dass Jesus von Nazaret der Messias sei, wurde von Anfang an nicht zuletzt von jüdischer Seite immer wieder bestritten und stellte somit den christlichen Glauben selbst infrage. Diese Identitätsdiffusion „löst“ Schleiermacher nun dadurch, dass er seinerseits verlangt, die Juden sollten einen zentralen Aspekt ihres Glaubens und damit ihren Glauben selbst aufgeben. Dies entspricht einer alten Forderung in der antijüdischen Literatur der Kirchenväter und Kirchenschriftsteller – abgesehen von der Konversionsforderung, die Schleiermacher nun gerade nicht teilt. Schleiermacher ist auch in diesem Punkt ganz von seinen theologischen Überzeugungen bestimmt und nicht etwa von politischen Erwägungen geleitet. Ob man deshalb überhaupt noch von dem Postulat „einer jüdisch-aufklärerischen Sonderkonfession“ schreiben kann, wie Klaus Beckmann dies tut,151 bleibt fraglich. Denn letztendlich wären die jüdischen Gläubigen ihrer wesentlichen Glaubensinhalte und -ausdrücke beraubt. Ein weiteres Hindernis für die Einbürgerung macht Schleiermacher in dem vermeintlichen Festhalten der Juden an der eigenen Nation fest, welches das Verhältnis zum Staat auf eine ganz eigentümliche Art bestimme. Dieses Festhalten verhindere ein Anerkenntnis des aufenthältlichen Staates als Vaterland und sei ganz auf den eigenen Vorteil bedacht. „Soll irgend etwas Wahres an Allem sein, was man von den politischen Gebrechen der Juden sagt, so ist es aus dieser Quelle abzuleiten. Nur deswegen hängen sie zum Nachtheil der Staatsgeseze an ihren Ceremonien, weil diese die Geseze ihres eigentlichen Vaterlandes sind; nur deswegen kann man mit einigem Scheine die niedrige Klaße unter ihnen einer größern Neigung zum Betruge beschuldigen, weil die Gerechtigkeit aller ungebildeten Menschen nur juristisch und nicht moralisch ist, und also gegen denjenigen nicht so

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Vgl. Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 47. Vgl. auch Micha Brumlik, Die Duldung des Vernichteten. Schleiermacher zu Toleranz, Religion und Geselligkeit – eine Fallstudie zur Dialektik der Anerkennung, in: Rolf Kloepfer/Burckhardt Dücker (Hg.), Kritik und Geschichte der Intoleranz, Heidelberg 2000, 41-56, 43, der diese Forderung als „die Forderung nach einer theologischen Kapitulation des Judentums“ bezeichnet. Vgl. Klaus Beckmann, Die fremde Wurzel. Altes Testament und Judentum in der evangelischen Theologie des 19. Jahrhunderts, 122.

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Schleiermacher und „die Juden“ rein sein kann, mit dem sie nur auf eine kurze Zeit in Gemeinschaft zu stehen glauben, und nur ungern darin stehen.“152

Schleiermacher bekennt sich mit dieser Aussage ganz offen zu der Berechtigung des Gebrauchs antijüdischer Vorurteile, wenn er „politische Gebrechen“ der Juden meint benennen zu können und von den betrügerischen Absichten ihrer niederen Klasse schreibt. Der eingangs fiktiv zitierte Vorwurf der Judenfeindschaft findet sich einmal mehr bestätigt. Letztendlich fordert Schleiermacher zur Sicherheit des Staates, der sich auf seine Mitbürger verlassen muss, expressis verbis das, was er bereits in zentralen Punkten umrissen hat, nämlich ein „verändertes Judentum“. „Der Staat muß sicher sein, daß mit den Vortheilen, welche er verleiht, die Religionsveränderung, welche er für nothwendig erklärt hat, auch immer verbunden bleibe.“153 Schlussendlich möchte sich Schleiermacher selbst als derjenige erweisen, der die eigentliche Intention des „Sendschreibens“ aufgreift, benennt und einer machbaren Lösung zuführt. Den Vorwurf, er setze das Sendschreiben herab und polemisiere dagegen, weist Schleiermacher deshalb auch zurück. Letztlich habe er nur das gefordert, was auch der Verfasser des Sendschreibens dem Geiste nach beabsichtige. Und daher kann Schleiermacher das Sendschreiben durchaus würdigen, wenn man es denn gewisser falscher Bestandteile entledige. So erkenne der Verfasser des Sendschreibens die Notwendigkeit einer Religionsgesellschaft, „weil sonst ‚die ewigen Wahrheiten‘ sich nicht erhalten, sieht eben deshalb diese ewigen Wahrheiten als aus dem Judenthum, einer positiven Religion hergenommen und ihr angehörig an; er denkt sich zwar diese Religionsgesellschaft als ein ‚Mittelding zwischen Juden und Christen‘, aber nach seinen eignen Ideen mit Unrecht; denn wenn man das Gesez um des Ewigen willen nach dem Gesez zerstören muß, so bleibt man doch unter dem Gesez, das heißt im Judenthum; er stellt endlich den Glauben an den Meßias als eine zufällige und eigentlich nur aus Mißverstand hervorgegangene Lehre vor, und so enthält das Sendschreiben, sobald man nur jenen falschen Bestandtheil gänzlich ausscheidet, alles, was der Staat nur von den Juden fordern kann, und ist der wahre Coder eines neuen, der politischen Existenz in jeder Rücksicht fähigen und würdigen Judenthums“154.

152 153 154

Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 49. Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 50. Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 52 f.

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Tatsächlich verkehrt Schleiermacher jedoch die im „Sendschreiben“ angezeigten Vorschläge des aufgeklärten Judentums in ihr Gegenteil. Denn das darin angezeigte und postulierte Konstrukt eines gleichwertigen wahren Kerns aller monotheistischen Religionen teilt er gerade nicht, weil für ihn nur das Christentum die einzig erhabene und damit akzeptable Religion darstellt. Nicht der aufgeklärte Glaube an eine Vernunftreligion ist für ihn deshalb Anlass zur Forderung, Teile des Zeremonialgesetzes zurückzustellen, sondern die vermeintlich notwendige Unterordnung des Religionsgesetzes unter das Staatsgesetz, wobei das dadurch dann sehr beschränkte Judentum jüdisch genug bleiben muss, um als eine eben solche Reformsekte noch erkannt werden zu können. Dass Schleiermacher als theologischen Grund für die Unmöglichkeit einer gelungenen Konversion anführt, dass man „doch unter dem Gesez, das heißt im Judenthum [bleibt]“, selbst „wenn man das Gesez um des Ewigen willen nach dem Gesez zerstören muß“,155 steht zwar im Gegensatz zur antijüdischen christlichen Tradition, ist aber seinem antagonistischen Denken geschuldet. Die sogenannte Aufhebung des Gesetzes mündet hier nicht in den Glauben an Jesus Christus bzw. gründet in ihm, wie christliche Theologen im Anschluss an den Galaterbrief des Paulus und an den bekannten Vers aus dem Römerbrief „Christus ist das Ende/Ziel des Gesetzes“ (Röm 10,4; gr. telos) oftmals ausführen, sondern führt in dieser Hinsicht zu eben keiner Veränderung, vielmehr bleiben die Juden Juden, wie Schleiermacher konstatiert. Damit stellt sich jedoch die Frage, ob Gleiches nicht ebenso für die Christen bzw. die ersten Christusgläubigen, die zunächst eine Gruppe innerhalb des Verbandes des Judentums (der Judentümer) bildeten, gegolten haben müsste. Nach dem Argumentationsgang Schleiermachers hätten sie ebenfalls im Judentum verbleiben müssen, bedingte doch die sogenannte Aufhebung des Gesetztes auch nach Schleiermachers eigener Ausführung keineswegs das Ausscheiden aus dem Verband des Judentums. Damit trägt Schleiermacher aber nicht zu einer Klärung der christlichen Identitätsdiffusion bei, die er unbedingt vermeiden will, sondern unterstreicht diese vielmehr. Schleiermacher dürfte die Kehrseite seiner Argumentation nicht bewusst gewesen sein, da die Verwurzelung des Christentums im Judentum für ihn keine Rolle spielt. Umso mehr unterstreicht er darin aber das Dilemma der christlichen Identität, dass nicht nur darin besteht, sich von der jüdischen Religion unterscheiden zu müssen, sondern diese Unterscheidung 155

Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 52.

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auch notwendig rechtfertigen zu müssen – die Schwierigkeit, „sich von sich zu unterscheiden“.156 Dass sich daraus zwangsläufig Konkurrenzpositionen ergeben, spiegelt sich auch noch in den Ausführungen Schleiermachers wider. So weist er einen vermeintlichen Höherwertigkeitsanspruch des Judentums strikt zurück. „Erinnern Sie Sich“, so Schleiermacher in seinem Vorbehalt gegenüber dem „Sendschreiben“, „[...] daß das Judenthum, wie billig, durchaus in Opposition mit dem Christenthume gesezt wird; daß der Verfasser die Grundwahrheiten seiner Religion aus dem Judenthume mitbringt, und eben daher auch seine Bedenklichkeiten gegen das Christenthum [...] daß er aus den Propheten und Psalmen dennoch eine Moral, troz der unsrigen, herausziehen will, ordentlich als Edukt, so sehr auch diese große historische Andeutung dagegen streitet, daß das Anhängen der Christen an den Grundwahrheiten, nur als ein Glaube, das ihrige hingegen als eine innere Ueberzeugung vorgestellt und die gewaltsamste Exegese, die sich nur unsere ausschweifendsten Neologen jemals erlaubt haben, hier angewendet wird, um das Judenthum überall zu verteidigen“157.

Von den ersten nachchristlichen Jahrhunderten an – seit der sogenannten Entstehung des Christentums bis in die Zeit Schleiermachers hinein – bleibt es auffällig, dass das Verhältnis von jüdischer und christlicher Religion durch eine Nähe gekennzeichnet ist, die ihre Unterscheidung immer wieder schwierig erscheinen lässt und ihre Anhänger deshalb auch grenzüberschreitende, d. h. „vermischte“ (engl. „mingled“) Identitäten annehmen lässt.158 Während eine solche vermischte Identität für Schleiermacher jedoch 156

157 158

Ekkehard W. Stegemann, Von der Schwierigkeit, sich von sich zu unterscheiden. Zum Umgang mit der Judenfeindschaft in der Theologie, in: Werner Bergmann/Mona Körte (Hg.), Antisemitismusforschung in den Wissenschaften, Berlin 2004, 47-66. Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 24 f. Von der „Tragödie der Nähe“ spricht Ekkehard W. Stegemann; vgl. Ekkehard W. Stegemann, Die Tragödie der Nähe. Zu den judenfeindlichen Aussagen des Johannesevangeliums, in: Kirche und Israel 4 (1989), 114-122; zum Auseinandergehen der Wege/parting of the ways und dem Wandel in der wissenschaftlichen Diskussion vgl. im Einzelnen Alan F. Segal, Rebecca’s Children. Judaism und Christianity in the Roman World, Cambridge 1986; Daniel Boyarin, Dying for God. Martyrdom and the Making of Christianity and Judaism, Stanford 1999; ders., Border lines: the Partition of JudaeoChristianity, Philadelphia 2004; Adam H. Becker/Annette Y. Reed (Hg.), The Ways that never parted. Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (Texts and Studies in Ancient Judaism; 95), Tübingen 2003; Ekkehard W. Stegemann/Wolfgang Stegemann, Lief am Anfang etwas falsch? Einige Thesen zur Entstehung des Christen-

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nicht nur unmöglich erscheint, sondern auch etwas Bedrohliches aufweist, ist sie für sein jüdisches Gegenüber vor dem Hintergrund einer aufgeklärten Vernunftreligion nur allzu selbstverständlich. Diese „Bedrohlichkeit“ gewinnt für Schleiermacher noch dadurch an Gewicht, dass die Bereitschaft der Juden zu konvertieren keineswegs nur Mittel zum Zweck war, in die christliche Gesellschaft einzutreten, sondern vielmehr von einem ernsthaften Bekenntnis zu ebendieser Aufklärungsreligion getragen wurde, einer Religion der reinen Vernunft, deren „überkommene“ Riten es nun abzustreifen gilt. Was das Verhältnis der beiden Religionen Judentum und Christentum betrifft, so greift Schleiermacher scheinbar eine Befürchtung auf, die seit dem Entstehungsprozess des Christentums immer wieder ihre Vertreter umtreibt – die Befürchtung, dass die eigene Religion gegenüber der sogenannten jüdischen Mutter- bzw. Schwesterreligion nicht klar und deutlich genug als eine eigenständige wahrgenommen wird und deshalb sogar mit ihr verwechselt werden kann. „In meiner Einfalt könnte ich sagen“, so Schleiermacher im fünften Brief, „ich dächte er wäre mehr gegen eine neue Christen-Sekte, als gegen eine Jüdische“.159 Schleiermacher geht jedoch grundsätzlich von einem Gegensatz von Judentum und Christentum aus. Dass das Christentum seine Wurzeln im Judentum hat, weist, wie auch in den „Reden“ mehr als deutlich wird, für Schleiermacher keinerlei Bedeutung auf. Vor diesem Hintergrund ist deshalb seine Einstellung gegen eine Konversion der Juden zum Christentum zu verstehen. Schleiermacher geht es deshalb auch nur vordergründig um die Klärung der Zuständigkeitsbereiche von Staat und Kirche und um die Klarstellung, dass die bürgerliche Gleichstellung der Juden nicht durch eine Konversion zum Christentum zu erreichen ist, sondern dies vielmehr eine Aufgabe des Staates darstellt, die unabhängig von der Religionszugehörigkeit zu lösen ist. „Will der Staat nicht hören, wollen die Juden nichts anderm die Hand bieten – was auch leicht möglich ist – so gehe es wie der Himmel will, und wir Christen können, wenigstens unsre Hände in Unschuld waschen.“160 Während Schleiermacher auf der politischen Ebene, d. h. das Verhältnis von

159 160

tums, in: Kirche und Israel 20 (2005), 144-155; Zur Frage grenzüberschreitender bzw. vermischter Identitäten vgl. David Ruderman (Hg.), Cultural intermediaries. Jewish intellectuals in early modern Italy, Philadelphia 2004. Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 54. Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 42 f.

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Staat und Kirche betreffend, zunächst noch zurückhaltend argumentiert, sind die Konversionsvorbehalte jedoch letztendlich originär religiös begründet. Aufgrund des Gegensatzes zwischen Judentum und Christentum ist für Schleiermacher bereits die Möglichkeit einer „gelungenen“ Konversion ausgeschlossen. Denn die Juden blieben einerseits trotz Konversion Juden und andererseits würden sie keine guten Christen werden. Und auch ein „Mittelding zwischen Juden und Christen“, wie von dem Verfasser des „Sendschreibens“ favorisiert, sei eben nicht möglich.161 Die klassische Position des christlichen Antijudaismus, dass die christliche Religion die jüdische „vollende“ bzw. substituiere, findet sich bei Schleiermacher jedoch ebenso wenig wie das klassische antijudaistische Postulat einer Konversion der Juden, welches selbstverständlich davon ausging, dass die Juden erst nach einer Konversion (Taufe) zum Christentum (im religiösen Sinne) gerettet werden könnten. In diesem Sinn entbehrte es auch nicht der historischen Konsequenz, dass andere aufgeklärte Christen aufgeklärte Juden zur Konversion aufforderten. „Für Schleiermacher geht nach dem Verschwinden der heidnischen Religion“, wie Wolf-Daniel Hartwich betont, „nur noch vom Judentum eine Gefährdung des normativen christlichen Glaubens aus. Die jüdische Konversion erscheint hier nicht als positive Entwicklung, sondern als Denaturierung des Christentums.“162 Schleiermacher steht damit in jener Tradition, nach der die Juden als heuchlerische Konvertiten bezeichnet wurden. Einerseits wurden die Juden – quasi „selbstverständlich“ – wie zur Zeit des ersten Kreuzzuges vor die Alternative Tod oder Taufe gestellt,163 andererseits wurden viele Juden trotz 161 162

163

Vgl. Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 52. Wolf-Dieter Hartwich, Romantischer Antisemitismus. Von Klopstock bis Richard Wagner, Göttingen 2005, 117. Als vermeintliche Feinde Christi, deren Vorväter Christus ermordet hätten, wurden die Juden durch die Kreuzfahrer vor diese Alternative gestellt. Vgl. etwa Eva Haverkamp (Hg.), Hebräische Berichte über die Judenverfolgungen während des ersten Kreuzzugs (Monumenta Germaniae Historica, Hebräische Texte aus dem mittelalterlichen Deutschland; 1), Hannover 2005, 252: „Es geschah, als sie durch die Städte kamen, wo Juden waren, da sprachen sie zueinander: ‚Wohlan, wir haben uns auf den weiten Weg gemacht, das Haus der Schmach aufzusuchen und unsere Rache an den Ismaeliten zu vollziehen, dabei sind es doch die Juden, die unter uns wohnen, deren Väter ihn grundlos getötet und ans Kreuz geschlagen haben. Wir wollen zuerst an ihnen Rache üben und sie vertilgen unter den Völkern, daß des Namens Israel nicht mehr gedacht werde, es sei denn, sie werden wie wir und bekennen sich zum Sohn der Menstruierenden.‘“ (Kap. 1A. Prolog, [Chronik I])

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des erklärten christlichen Ziels der Bekehrung zum christlichen Glauben verdächtigt, nur aus wirtschaftlichen Gründen die Konversion vollziehen zu wollen. Insgeheim würden sie aber weiterhin ihrem alten Glauben nach leben wie etwa die spanischen Marranen. Hierbei ist auch zu beachten, dass die unter Zwang vollzogene Taufe von jüdischer Seite zur Zeit des ersten Kreuzzuges als Verstänkerung bzw. Verschmutzung bezeichnet wurde.164 Das Stereotyp vom heuchlerischen Konvertiten ist besonders drastisch dargestellt bei Erasmus von Rotterdam in seinem Urteil über den 1504 durch Taufe zum Christentum übergetretenen Johannes Pfefferkorn (14691521/22), einen „gänzlich stümperhaften Menschen […] den man nicht als Halbjuden [semiiudaei] bezeichnen müsste, würde er sich nicht selbst durch seine Taten deutlich als 150prozentiger Jude zu erkennen geben […] Ich will gänzlich zugrunde gehen, wenn jener sich mit einer anderen Absicht hat taufen lassen, als mit umso größerem Verderben gegen die Christen vorzugehen und durch seine Beimischung bei uns die gesamte Christenheit mit seinem jüdischen Gift zu infizieren.“165

Martin Luther hat immer an der Möglichkeit der Bekehrung der Juden festgehalten. Jedoch hatte er ebenso erhebliche Vorbehalte gegenüber getauften Juden, dass diese sich schlussendlich doch nicht änderten.166 So schreibt er 164

165

166

Vgl. Eva Haverkamp (Hg.), Hebräische Berichte über die Judenverfolgungen während des ersten Kreuzzugs, 262: „In jenem Jahr fiel das Passa-Fest auf Donnerstag und der Neumond des Ijar auf Freitag und Sabbat. Und am achten Ijar, einem Sabbat, erhoben sich die Feinde wider die Gemeinde von Speyer und töteten von ihnen zehn heilige Seelen, die ihren Schöpfer geheiligt hatten am heiligen Sabbat, da sie nicht bereit waren, sich mit ihrem Gestank verstänkern zu lassen. Dort war eine fromme Frau, die schlachtete sich selbst zur Heiligung des Namens. Sie war die erste der Schlachtenden und Geschlachteten in sämtlichen Gemeinden, und die übrigen wurden durch den Bischof ohne Verstänkerung gerettet.“ (Kap. 2A. Speyer, [Chronik II]) Die Chronik II verwendet hier die Formen „Gestank, verstänkern“ für „Taufwasser, taufen“. An anderer Stelle steht „beschmutzen“ für denselben Vorgang. Erasmus von Rotterdam, Opus Epistolarum III, 1517-1519, hg. v. Percy S. Allen, Oxford 1992: 117,35.37-43; 117,5-118,56. Vgl. ferner zu Pfefferkorn Hans-Martin Kirn, Das Bild vom Juden in Deutschland des frühen 16. Jahrhunderts, dargestellt an den Schriften Johannes Pfefferkorns, Tübingen 1989. Vgl. zu Luther in grundsätzlicher Hinsicht Walther Bienert, Martin Luther und die Juden. Ein Quellenbuch mit zeitgenössischen Illustrationen, mit Einführungen und Erläuterungen, Frankfurt am Main 1982; Ernst Ludwig Ehrlich, Luther und die Juden, in: Heinz Kremers (Hg.), Die Juden und Martin Luther – Martin Luther und die Juden. Geschichte

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in einem Brief vom 9. Juli 1530 an den Pfarrer Heinrich Gnesius aus Ichtershausen über die Taufe eines jüdischen Mädchens: „Allerdings sieh zu, dass jenes Mädchen den Glauben an Christus nicht vortäuscht, denn diese Art Menschen täuscht Außerordentliches vor. Nicht dass ich bezweifeln würde, dass ein Rest Abrahams übrig sei, der zu Christus gehört, sondern dass Juden bis jetzt auf vielerlei Art ihr Spiel mit unserem Glauben getrieben haben.“167 Die Verdächtigung, es letztendlich doch nicht ernst mit der Konversion zu meinen, war, wie Peter von der Osten-Sacken herausstellt, „die ewige crux der Konvertiten. Die Behauptung, jemand sei ein aus dem Judentum stammender Christ, vermochte bereits im Mittelalter polemische Dienste zu leisten und war im Kontext der Zeit ähnlich diskriminierend wie der in späterer Zeit belegte Passeintrag ‚getaufter Jude.‘ Beide verrieten bleibendes Misstrauen […]“168 Schleiermacher konnte somit also problemlos an diese mittelalterlichen Vorbehalte und ihre Polemik anknüpfen. Das bei Viktor von Carben ca. 1510 überlieferte Sprichwort „Ein alter Jude wird selten [ein] guter Christ“ ist bruchlos in Schleiermachers Ausführungen eingegangen.169 Zudem übernimmt er ebenfalls die Motive der Konversionsvorbehalte. Eine individuelle Note gewinnen Schleiermachers antijüdische Ressentiments dann in seiner Begründung der Religion aus der individuellen Erfahrung. Da Schleiermacher die reine religiöse Originalität und Individualität als eine Urform der Religion idealisiert, will er in der Konsequenz dafür Sorge tragen, dass diese Form nicht durch Konversion, Transformation oder auch Synkretismus zerstört wird. In Schleiermachers Gegenüberstellung von Judentum und Christentum wird zudem die jüdische Religion grundsätzlich als minderwertig angesehen, während die christliche einen höherwertigen Platz einnimmt. Die noch in der Alten Kirche ausgemachte Bedrohung in der Nähe des Judentums zum

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– Wirkungsgeschichte – Herausforderung, Neukirchen-Vluyn 2. Aufl. 1987, 72-88; Peter von der Osten-Sacken, Martin Luther und die Juden: Neu untersucht anhand Anton Margarithas „Der ganze Jüdisch Glaub“ (1530/31), Stuttgart 2002. Martin Luther, Weimarer Ausgabe Briefwechsel 5, 452,21-27. Peter von der Osten-Sacken, Martin Luther und die Juden, 216. Vgl. hinsichtlich der Bekehrungsversuche Manfred Agethen, Bekehrungsversuche an Juden und Judentaufen in der frühen Neuzeit, in: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden 1 (1991), 65-94. Victor von Carben, Hierinne wird gelesen, wie Her Victor von Carben, Welicher eyn Rabi der Iude gewest ist zu Cristlichem glawbn komen [= Juden Buechlein], zitiert nach Peter von der Osten-Sacken, Martin Luther und die Juden, 216, Fußnote 40.

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Christentum, welche in der Weiterexistenz des Judentums immer auch eine Infragestellung des Christentums sah, wird bei Schleiermacher mit der Konversionsabsicht der Juden virulent.170 Die Würdigung einzelner jüdischer Mitbürger/-innen steht bei Schleiermacher ebenfalls im Zeichen der Konversionsvermeidung. Dem korrespondiert, dass er von der vorzüglichen Erziehung der jüdischen Kinder durch die Großeltern zu sprechen weiß.171 Denn nicht zuletzt aufgrund dieser vorzüglichen Erziehung der jüdischen Kinder sollten nach Schleiermacher doch auch noch der vierten Generation von Proselyten die entsprechenden bürgerlichen Rechte vorenthalten werden, um „unsäglichen Schaden“ von der Religionsgemeinschaft fernzuhalten. Andererseits kann Schleiermacher aber auch über seinen theologischen Antijudaismus hinaus auf klassische antijüdische Stereotype zurückgreifen. Er greift nicht nur das Wort von den „politischen Gebrechen der Juden“ auf, sondern erläutert auch ausführlich die ihrer bürgerlicher Gleichberechtigung entgegenstehende vermeintliche Absonderung der Juden. „Nur deswegen sondern sie sich von den andern Mitbürgern ab, um wenn die Zeit des Aufbruchs kommt, so wenig als möglich verkettet, und dagegen unter einander aufs genaueste verbunden zu sein. Selbst die den Juden vorgeworfene ausschließliche Vorliebe für den Handel, und sobald er erfunden war für den Geldhandel, und die Leichtigkeit mit der sie sich es so lange haben gefallen laßen in diesen Schranken durch die Geseze fest gehalten zu werden, läßt sich darauf zurückführen; da diese Beschäftigungen am wenigsten an den Boden feßeln, und die schnelle Verpflanzung des ganzen Eigenthums in entfernte Gegenden ganz vorzüglich erleichtern.“172

Schleiermacher erläutert das alte, seit Tacitus geläufige Vorurteil von der jüdischen Absonderung dadurch, dass die Juden in der noch zu erwartenden Zeit des Aufbruchs so wenig wie möglich an den Boden gefesselt sein wollten. Der theologische Antijudaismus Schleiermachers wird hier um antisemi170

171 172

Vgl. auch Gunter Scholtz, Friedrich Schleiermacher über das Sendschreiben jüdischer Hausväter, in: Vorstand der Lessing-Akademie (Hg.), Judentum im Zeitalter der Aufklärung (Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung; IV), Wolfenbüttel 1977, 297-351, 325: „Oder hatte er in anderem Sinne nur zu gut verstanden, lag – entgegen seiner Theorie – gerade in seiner Polemik eine faktische Anerkenntnis und Bestätigung der Lebendigkeit und des fortdauernden Wahrheitsanspruches des Judentums, da er ja andererseits einer toten Religion hätte überall tolerant und verstehend begegnen können?“ Vgl. Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 41 f. Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 49.

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tische Ressentiments bereichert. Auffällig bleibt darin die offensichtliche Nähe zu Tacitus in den Parallelen zu dessen Juden-Exkurs.173 Schon Tacitus benutzt das sogenannte Absonderungsmotiv, um die Juden zu „definieren“: ihre Sitten seien denen aller übrigen Sterblichen „konträr“/„contrarii“ (hist. 5,4,1). Wie bei Tacitus das Judentum das „contra“ zu der hellenistischen, römischen, ägyptischen Kultur ist, ist es bei Schleiermacher das „contra“ zum Christentum. Weder Tacitus noch Schleiermacher argumentieren biologisch mit „Rasse“, wohl aber mit „Krankheit“, weder argumentieren sie – wie der klassische christliche Antijudaismus – mit dem Vorwurf des Gottesmordes, wohl aber mit dem tiefgehenden Unterschied in Kult und Gottesbild. Wie bei Tacitus werden die judenfeindlichen Äußerungen „gefiltert“: Auf allzu Grobes wird verzichtet, Lobendes wird eingestreut. Ein Verbot der jüdischen Religion als Religion haben weder Tacitus noch Schleiermacher erwogen. Aber so wenig wie Tacitus’ Exkurs „weniger ein politisches Pamphlet als eine düster-dramatische Komposition“ ist,174 sind Schleiermachers Briefe vom ernsthaften Eintreten für die jüdische Emanzipation bestimmt. Vielmehr ist Schleiermacher wegen des „Sendschreibens“, wie Heinrich Graetz herausstellt, „ein prinzipieller Gegner des Judentums“,175 dessen theologischer Antijudaismus noch um soziale Vorurteile ergänzt wird. Die an Tacitus angelehnten Vorurteile werden zudem noch durch einen sozialen Antisemitismus angereichert, der in der Akkulturation der Reichen und Gebildeten eine besondere Gefahr ausmachte: „Je mehr gewiße Handelszweige von den christlich gewordenen Juden gegen andere Gewerbe vertauscht werden dürften, desto mehr werden sie sich in jenen

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Der wohl bedeutendste römische Geschichtsschreiber und gewesene Consul Publius Cornelius Tacitus verfasst am Anfang des fünften Buches der „Historiae“ einen Exkurs über Judea, seine Bewohner und ihre Geschichte (de origine et moribus Judaeorum). Die acht Kapitel des Exkurses behandeln den Ursprung (origo) und die Sitten (ritus, mores) der Juden, die geographische Lage (situs) ihre Landes und ihre Geschichte (historia). Vgl. René S. Bloch, Antike Vorstellungen vom Judentum. Der Judenexkurs des Tacitus im Rahmen der griechisch-römischen Ethnographie, Stuttgart 2002, 173. Heinrich Graetz, Geschichte der Juden vom Beginn der Mendelssohnschen Zeit (1750) bis in die neueste Zeit (1848), Leipzig 2. Aufl. 1900 (1. Aufl. 1870), (Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart, aus dem Quellen neu bearbeitet; XI), Darmstadt 1998 (Reprint), 206.

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concentriren, und des Reichthums, der in Verbindung mit der Unkultur steht, wird immer mehr, was unleugbar ein großes Uebel ist.“176 Es bleibt also grundsätzlich zu konstatieren, dass Schleiermachers Auseinandersetzung nur vordergründig politisch ist und letztendlich von der theologischen Argumentation um eine Konversionsvermeidung bestimmt ist, welche wiederum in weiten Teilen von einem theologischen und sozialen Antijudaismus getragen wird. Dieser in den „Briefen“ postulierten Konversionsvermeidung korrespondiert die Ausgangsposition in den ebenfalls 1799 erschienenen „Reden über die Religion“, dass die „Bildung zur Religion“ nicht zu dem Bestreben führen darf, „Proselyten machen zu wollen“177. „Die Vorstellung einer jüdischen Unterwanderung der protestantischen Kirche durch Konvertiten entspricht Verschwörungstheorien“, wie WolfDaniel Hartwich betont, „die den schädlichen Einfluß des Judentums in den unterschiedlichsten Maskierung[en] vermuten und noch in der ostentativen Aufgabe der religiösen Identität eine bloße Taktik erkennen wollen“.178 Die durch die Konversionsfrage ausgelöste augenscheinliche Bedrohung des Christentums durch das Judentum gilt es gleich einer Krankheit, deren Bild Schleiermacher hier die Problematik illustrierend bemüht, zu bannen – in diesem Fall durch die Konversionsverweigerung sowie durch die Einschränkung wesentlicher Glaubensinhalte und -formen der jüdischen Religion. Dies darf jedoch nicht zu einer Auflösung des Judentums führen, sondern zielt auf eine in ihren wesentlichen Glaubenspunkten stark eingeschränkte Reformsekte, von der keine Bedrohung für das Christentum mehr zu erwarten ist. Die gleich zu Beginn der ‚Briefe‘ bekundete Parteinahme zugunsten der bürgerlichen Gleichstellung der Juden ist deshalb auch rein rhetorischer Art und keinesfalls von grundlegender Bedeutung für die Bewertung von Schleiermachers Stellung in der Emanzipationsdebatte, wie etwa Kurt Nowak anmerkt.179 Denn die für Schleiermacher so bedeutsamen religiösen Bedingungen und Voraussetzungen der jüdischen Emanzipation werden an dieser Stelle noch gar nicht benannt. Dass Schleiermacher seine 176

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Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 57. Vgl. auch Micha Brumlik, Deutscher Geist und Judenhaß. Das Verhältnis des philosophischen Idealismus zum Judentum, 160. Friedrich Schleiermacher, Über die Religion [1. Aufl.], 248. Wolf-Dieter Hartwich, Romantischer Antisemitismus. Von Klopstock bis Richard Wagner, 110. Vgl. Kurt Nowak, Nachwort: Schleiermacher und die Emanzipation des Judentums am Ende des 18. Jahrhunderts in Preußen, 76.

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theologischen Darlegungen als Eintreten für die jüdische Sache verstand, wie Kurt Nowak ferner anmerkt, kehrt Schleiermachers Intention vielmehr ins Gegenteil. Denn Schleiermacher nimmt die Debatte um die bürgerliche Gleichstellung der Juden vielmehr zum Anlass, seine theologischen Überlegungen hinsichtlich der Konversionsvorbehalte und der Einschränkungen der jüdischen Religion in Theologie und Praxis darzulegen und zu begründen. Schleiermacher geht es nicht um die Entwicklung einer aufgeklärten Position, die Stellung gegenüber einer falsch verstandenen Assimilierung bezieht,180 sondern letztendlich um die grundsätzliche Ausgrenzung eines Großteils der jüdischen Mitbürger/-innen aufgrund ihrer Religion. Dass beides nicht voneinander zu trennen ist, merkt zwar Kurt Nowak an: „Schleiermachers Verhältnis zum Judentum ist ein vielschichtiger, partiell auch widersprüchlicher Komplex, vor dem moderne Urteilsmaßstäbe zu versagen oder doch in die Irre zu führen drohen. Das Engagement für die Emanzipation der Juden verschränkt sich mit kritischen Urteilen über die ‚jüdische Religion‘ aus dem Geist des frühromantischen Christentums mit seinen johanneischen Akzentsetzungen, späterhin mit der auch dogmatisch begründeten Betonung des Unterschieds zwischen jüdischer und christlicher Glaubensweise.“181

Aber Nowaks Ausführungen sind dahingehend zu präzisieren, dass Schleiermachers religiös-theologischer Argumentationskreis in weiten Teilen von einem über „kritische Urteile“ hinausgehenden theologischen christlich motivierten Antijudaismus getragen wird, der in den Identitätsfragen des Christentums auch den politischen Argumentationskreis bestimmt (Konversion). Und deshalb ist die vermeintlich politische Zurückhaltung im Sinne eines konservativen Lutheraners, die Schleiermacher der Kirche in Fragen des Eintretens für die bürgerliche Gleichberechtigung der Juden empfiehlt,

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So aber David Charles Smith, Protestant Anti-Judaism in the German Emancipation Era, in: Jewish Social Studies 36 (1974), 203-219, 213 f. Kurt Nowak, Nachwort: Schleiermacher und die Emanzipation des Judentums am Ende des 18. Jahrhunderts in Preußen, 68. Nowaks Würdigung ist auf den folgenden Seiten durchaus positiv; vgl. ebd., 78 f.; ähnlich Peter von der Osten-Sacken, Christen und Juden in Berlin, in: Gerhard Besier/Christoph Gestrich (Hg.), 450 Jahre Evangelische Theologie in Berlin, Göttingen 1989, 547-599, 567. Gänzlich unkritisch Hermann Dembrowski, Schleiermacher und die Juden, 325: „Schleiermachers Eintreten für die Juden beeindruckt.“

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bestenfalls taktischen Überlegungen der Konversionsvermeidung geschuldet, keinesfalls jedoch einer aufgeklärten Gesinnung. Den Standpunkt Schleiermachers als „ambivalent“ zu bezeichnen, wie Matthias Wolfes dies konstatiert, ist daher auch nur vordergründig zutreffend. Letztendlich determiniert der theologische Fokus die politische Argumentation Schleiermachers – und dieser ist bestimmt von einem theologischen Antijudaismus. Hier nur, wie Wolfes dies tut, von „negativen Affekten“ und einer „politischen Engführung“ zu schreiben, greift zu kurz. Deshalb ist das Fazit Wolfes’, an Schleiermachers Bejahung des Emanzipationsprogramms bestünden keine Zweifel, nicht stimmig. Dass Wolfes letztendlich seine eigenen, durchaus kritischen Aussagen über Schleiermachers Stellung zum Judentum relativiert, dürfte seiner Hauptthese geschuldet sein, dass sich nämlich Schleiermachers politisches Programm als eine frühe Version des liberalen Konzeptes der Staatsbürgernation verstehen lässt.182 Demgegenüber offenbart Schleiermachers Beitrag zur Judenemanzipation vielmehr, dass er zwar zunächst einer Ausdifferenzierung von Staat und Religion das Wort redet, um dann aber schlussendlich selbst diese beiden Bereiche wieder miteinander zu verschränken, wenn er die religiösen Vorgaben für die Judenemanzipation benennt. Letztendlich macht die Forderung nach einer jüdischen Reformsekte mit den entsprechenden Einschränkungen und Auflagen jedoch mehr als deutlich, dass Schleiermacher nicht ernsthaft an einer Emanzipation der jüdischen Bewohner interessiert ist, wenn er darin gleichsam die Selbstaufgabe ihrer Religion fordert bzw. diese quasi zu ihrer Bedingung macht. Schleiermacher bejaht die Frage der Judenemanzipation nicht, sondern macht sie schlussendlich obsolet. Denn wenn die Juden einen großen Teil ihres Glaubens aufgeben sollen, stellt sich die Frage ihrer Emanzipation im eigentlichen Sinn nicht mehr. Wie Hermann Dembrowski deshalb zu dem Fazit 182

Vgl. Matthias Wolfes, Schleiermacher und das Judentum. Aspekte der antijudaistischen Motivgeschichte im deutschen Kulturprotestantismus, in: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden 14 (2004), 485-510, 509; 486. Ähnlich schon ders., Öffentlichkeit und Bürgergesellschaft. Friedrich Schleiermachers politische Wirksamkeit, Bd. II, 389: Kein Zweifel könne an Schleiermachers Bejahung des Emanzipationsprogrammes bestehen; ferner ders., Schleiermacher and Judaism. On the Relationship Between Protestant Theology and Emancipation Politics in the Late Eighteenth and Early Nineteenth Centuries, in: Hans Dierkes (Hg.), Schleiermacher, romanticism, and the critical arts. A Festschrift in honor of Hermann Patsch (New Athenaeum 8 [2007/08]), Lewiston 2007, 305-326, 325.

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kommen kann, dass Schleiermacher eine Lösung vorschlägt, nach der der Jude als Bürger weiterhin seinem Judentum entsprechend leben kann, bleibt mehr als fraglich.183 Dass vor allem die jüdische Religion als Integrationshindernis angesehen wird und entsprechend den Widerstand gegen die Judenemanzipation begründet,184 wird in der Position Schleiermachers mehr als deutlich. Schleiermachers Interesse und seine Besorgnis gelten nicht dem Judentum, sondern dem Christentum. Dass „[d]ie historische Bedeutung von Schleiermachers Argumentation […] in der Sicherung eines freien Raumes für das Judentum gegen den Bekehrungsdruck des christlichen Staates und der Kirchen [lag]“185, wie Kurt Nowak herausstellt, ist schon allein daher nicht nachzuvollziehen. Zudem wäre zu überprüfen, ob 1799 überhaupt von einem „Bekehrungsdruck“ die Rede sein kann, da es grundsätzlich doch um die Stagnation des Reformprozesses geht. Die gemeinhin in der theologischen Schleiermacher-Forschung geteilte Annahme, dass Schleiermacher über die Vorschläge seiner Zeit weit hinausgehe, indem er fordere, „die Verleihung der bürgerlichen Rechte vom christlichen Bekenntnis unabhängig zu machen“186, trifft deshalb auch nicht zu. Zwar geht es Schleiermacher auch um die Unabhängigkeit des christlichen Bekenntnisses, aber in der Emanzipationsfrage geht es ihm schlussendlich um die Dezimierung der jüdischen Religion, d. h. des jüdischen Bekenntnisses. Die das Judentum abwertende und ablehnende Haltung Schleiermachers hat letztendlich auch seine Stellung zur Emanzipationsfrage einschlägig bestimmt, so dass er deshalb auch nicht vorbehaltlos der Judenemanzipation zugestimmt hat bzw. von seinem theologischen Standpunkt aus zustimmen konnte. Sein theologisches Programm von der Bedeutungslosigkeit der jüdischen Religion, die nur noch eine tote Religion sei, gewinnt Gestalt in den von ihm postulierten Bedingungen für eine Emanzipation der Juden. Indem Schleiermacher die grundsätzliche Modifikation zentraler Glaubensinhalte des Judentums fordert, welche schlussendlich aber ihre tatsächliche Aufgabe

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Hermann Dembrowski, Schleiermacher und die Juden, 327. Vgl. auch Werner Bergmann, Geschichte des Antisemitismus, München 3. Aufl. 2006, 18. Kurt Nowak, Nachwort: Schleiermacher und die Emanzipation des Judentums am Ende des 18. Jahrhunderts in Preußen, 78. Hans-Joachim Birkner, Friedrich Schleiermacher [1985], in: ders., Schleiermacher-Studien (Schleiermacher-Archiv; 16), Berlin 1996, 251-284, 259.

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zur Folge hätte, postuliert er letztendlich das, was seinem theologischen Verständnis nach die jüdische Religion kennzeichnet, nämlich eine tote Religion zu sein. Insofern steigert Schleiermacher darin auch noch die gemeinhin erhobene Forderung im Rahmen der Judenemanzipation, dass die Juden nicht mehr Juden sein, sondern in „vollkommener Verschmelzung“ Christen werden sollten,187 indem er zwar die Aufgabe des Jude-Seins postuliert, aber eben nicht die religiöse Konversion. Wenn nun in der Schleiermacher-Forschung immer wieder herausgestellt wird, dass das historische Verdienst Schleiermachers gerade darin bestünde, „das bis 1812 rechtswirksame Junktim von Emanzipation und Religionswechsel – und damit die Basis der zeitgenössischen Judenpolitik – für obsolet erklärt zu haben“, mit der Konsequenz, Regelungen für die Emanzipation im politischen und nicht im religiösen Bereich zu finden,188 so bleibt dabei jedoch vollkommen unbeachtet, dass gerade Schleiermacher als Voraussetzung der Emanzipation einschneidende Veränderungen im religiösen Bereich anführt. Dabei ist grundsätzlich zu beachten, dass Schleiermachers Konversionsvorbehalte allerdings nur zum Teil seiner antagonistischen Religionsvorstellung geschuldet sind, dass Christentum und Judentum in einem unüberbrückbaren Gegensatz zueinander stehen. Schleiermacher betrachtet das gegenwärtige Judentum wie eine Krankheit, dessen Einfluss gleich einer immer noch virulenten Krankheit zu bannen ist. Schleiermacher benutzt dieses Bild, um die Bedrohlichkeit des Judentums zu unterstreichen. Es ist erst dann nicht mehr bedrohlich, wenn es seiner wesentlichen Merkmale beraubt ist. Das Bild unterstreicht in seiner Betonung der vom Judentum ausgehenden Bedrohlichkeit eindringlich die Notwendigkeit einer aktiven Zurückdrängung des jüdischen Einflusses. Hier findet das Postulat der „Re-

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Vgl. auch Werner Bergmann, Geschichte des Antisemitismus, 20 f.: „Rechtliche Besserstellung konnte so nur ein Anfang sein, Ziel war die vollkommene Verschmelzung, zu der, wie es ein Beamter der preußischen Regierung 1809 formulierte, ‚nichts Geringeres als Austilgung des alten innern National-Prinzips erforderlich ist. Die jüdische Nation beruht auf ihrem Glauben, und sie wird nicht eher unter den Christen sich völlig nationalisieren, als bis sie aufhöret jüdisch zu sein, d. h. als bis die Juden Christen werden‘.“ Vgl. exemplarisch Matthias Wolfes, Öffentlichkeit und Bürgergesellschaft. Friedrich Schleiermachers politische Wirksamkeit, Bd. II, 390; ferner Kurt Nowak, Nachwort: Schleiermacher und die Emanzipation des Judentums am Ende des 18. Jahrhunderts in Preußen, 79.

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den“, gegen „irreligiöse Tendenzen“ vorzugehen, seine zeitgemäße Entsprechung. Auch wenn Schleiermacher nicht zur Bekehrung und Entrechtung der Juden aufruft, so erachtet er doch das Judentum als eine minderwertige Religion, deren eigentliche Existenzberechtigung damit letztendlich infrage gestellt wird. Dem steht das überlegene Christentum gegenüber, das sich „als etwas schlechthin Allgemeines“189 empfiehlt und das die gesellschaftlichen und kulturellen Vorstellungen Schleiermachers entscheidend beeinflusst. Dass zu den Besonderheiten christlicher Judenfeindschaft nicht nur die negative Reaktion auf Einzelheiten des jüdischen Glaubens gehört, sondern auch die Disqualifizierung zentraler religiöser Identitätsmerkmale, zeigt sich auch bei Schleiermacher. Christliche Theologie bringt sich auch nach Schleiermacher wiederum in einen ausschließenden Gegensatz zum Judentum. Das antagonistische Verhältnis von Judentum und Christentum unterstreicht und ergänzt Schleiermacher noch durch den Hinweis auf die entsprechende Differenz „orientalisch (jüdisch)“ versus „europäisch (christlich)“.190 Schleiermacher lehnt sich dabei an Herders Vorstellung der eigentümlichen „Nationalreligion“ an, indem er den Gegensatz „jüdisch/christlich“ durch die jeweils entsprechende Analogie „orientalisch/europäisch“ verstärkt und damit erneut die Fremdheit des Jüdischen betont. In der Charakterisierung des Christentums als einer europäischen Größe wird aber noch einmal mehr das schlechthin Allgemeine des Christentums deutlich, das mit dem Judentum als einer orientalischen Größe unvereinbar ist. Mit dieser Annahme korrespondiert wiederum die Vorstellung der Romantik von der Eigengesetzlichkeit und der geistig-kulturellen Eigenart eines jeden Volkes. Dem theologischen und sozialen Antijudaismus Schleiermachers und seinen Emanzipationsvorbehalten steht im ausgehenden 18. Jahrhundert ein gutes persönliches Verhältnis zu einzelnen Jüdinnen und Juden gegenüber. Dass beides durchaus nebeneinander stehen kann, zeigt sich eindrucksvoll

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Vgl. Gunter Scholtz, Friedrich Schleiermacher über das Sendschreiben jüdischer Hausväter, 324. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit, 27 f.: „Sagen Sie mir doch, wißen denn alle aufgeklärte und gelehrte Juden – die uns doch zumuthen, vom Judentume etwas zu wißen, und an chaldäischer Weißheit und Schönheit, so sehr sie auch unserm europäischen Geiste zuwider ist, Geschmak zu finden, wie ich in gedrukten Aufsäzen öfters gefunden habe – wißen sie Alle so blutwenig vom Christenthum?“

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in der Persönlichkeit Schleiermachers. Es hat seine Entsprechung in dem Missverhältnis, in dem die Stagnation des politischen Reformprozesses und die „geistige Emanzipation“ der Berliner Juden zueinander stehen. Für Gunter Scholtz kulminiert dies in der rhetorischen Frage: „Hatte sich sein Christus gleichsam nicht weit genug heruntergelassen, sozusagen nicht bis zur Eigentümlichkeit des Ghettos, sondern nur bis zum Salon?“191 Schleiermacher ist nicht nur bekannt mit David Friedländer, Rahel Varnhagen und Dorothea Veit, sondern auch ein enger Freund von Henriette Herz, die mit dem Kant-Schüler und Arzt Marcus Herz verheiratet ist. Henriette Herz führt einen der Salons, in welchem auch Schleiermacher verkehrt.192 Diese Salons basieren, wie Micha Brumlik so treffend hervorhebt, „auf Traditionslosigkeit und einer geistvollen Konversation, die sich deshalb frei entfalten konnte, weil sie ohne Beteiligung des damals entstehenden Bürgertums auskam. Hier trafen sich vor allem adlige Beamte des preußischen Hofes und von Beruf her bürgerliche, ihrer Herkunft nach jedoch weder zünftige noch ständische Juden.“193

Deshalb kann aber auch von einer gesellschaftlichen bzw. bürgerlichen Verwurzelung der deutschen Juden überhaupt keine Rede sein, wie Hannah Arendt anmerkt. Denn weil „die Juden außerhalb der Gesellschaft standen, wurden sie für kurze Zeit eine Art neutralen Bodens, auf dem sich die Gebildeten trafen“194. 191

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Gunter Scholtz, Friedrich Schleiermacher über das Sendschreiben jüdischer Hausväter, 325. Vgl. auch Ingrid Lohmann, Über die Anfänge bürgerlicher Gesprächskultur – Moses Mendelssohn (1729-1786) und die Berliner Aufklärung, Pädagogische Rundschau 46 (1992), 35-49, 35: „Vermutlich nicht zufällig wurden sie von Jüdinnen geleitet, die bedeutendsten unter ihnen Henriette Herz und Rahel Levin.“ Micha Brumlik, Deutscher Geist und Judenhaß. Das Verhältnis des philosophischen Idealismus zum Judentum, 145. Vgl. ferner Christoph Markschies, Art. Geselligkeit, in: Der Tagesspiegel Nr. 19493, 19. März 2007, 18: „Der engste ‚Seelenfreund‘ der Herz war freilich Schleiermacher, der 1799 den ‚Versuch einer Theorie des geselligen Betragens‘ vorgelegt hat. Gegen Knigges sorgfältig nach Ständen und Geschlecht differenziertes Handbuch ‚Über den Umgang mit Menschen’ warb Schleiermacher für den freien Umgang vernünftiger, sich untereinander bildender Menschen, für das harmonische Ineinander von Bildung und Unterhaltung.“ Vgl. zur Geschichte der Berliner Salons Petra Wilhelmy, Der Berliner Salon im 19. Jahrhundert (1780-1914), Berlin 1989, 33-49. Hannah Arendt, Rahel Varnhagen. Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der Romantik, München 10. Aufl. 1998, 72. Arendt macht darauf aufmerksam, dass Rahel Varnhagen ständig über ihre Verhältnisse lebt, indem sie ihren berühmten Salon finan-

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Aber auch der intellektuelle Austausch erfordert schlussendlich die Selbstaufgabe und die Sublimation der Sexualität, wie insbesondere das Verhältnis von Henriette Herz zu Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher zeigt. Und darin dürfte somit ebenfalls die von Johanna Hopfner herausgestellte „auf intellektueller Gleichwertigkeit beruhende Beziehung, in der sich die Partner durchaus wechselseitig ergänzen“195, zwischen den beiden ihre Grenzen gefunden haben.196 So konvertiert Henriette Herz – von Schleiermacher goutiert – 1817 nach dem Tod ihrer Mutter zum Protestantismus. Während Schleiermacher gegenüber den Hausvätern und das heißt in der Emanzipationsdebatte grundsätzlich die Differenz der Religionen behauptet und ihre Aufrechterhaltung deshalb als notwendige Konsequenz erachtet, empfiehlt er gegenüber den Salondamen jedoch umgekehrt die Homogenität des Christentums. „Alle Rede von freier Individualität zum Trotz musste die Anerkennung von Alterität scheitern“197, wie Micha Brumlik dementsprechend herausstellen kann. Dass viele Juden an Schleiermachers Grab geweint haben sollen,198 ist kein Anhalt dafür, Schleiermachers theologischen und sozialen Antijudaismus zu nivellieren. Es wäre vielmehr überraschend, wenn Schleiermacher von der jahrhundertealten christlich-theologischen Negativ-Tradi-

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ziert und ausgiebige und kostspielige Reisen unternimmt. Als ihr Vermögen nach dem Tod ihrer Mutter aufgebraucht ist und sie deshalb fortan ausschließlich auf den jüdischen Kreis ihrer Brüder verwiesen ist, muss das für sie eine große Enttäuschung und Schmach gewesen sein. Vgl. auch Werner Bergmann, Geschichte des Antisemitismus, 30: „Was das Zusammenleben von Juden und Christen jenseits der politisch-ideologischen Kämpfe anging, so blieben die jüdischen Salons des späten 18. Jahrhunderts, in denen sich ein kleiner Kreis gebildeter Männer und Frauen traf, eine Episode. Die Bemühungen akkulturierter Juden, Eintritt in die Kreise gleichgesinnter Deutscher zu finden, verliefen meist erfolglos, überkommene Vorurteile erschwerten den Zugang.“ Johanna Hopfner, Zwischen Kanzel und Salon: Friedrich Schleiermacher und Henriette Herz, in: Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Pädagogik 76 (2000), 532-544, 534. Eine Einführung in die Thematik „Schleiermacher und die Frauen“ bietet unter Berücksichtigung des Forschungsstandes Wolfgang Virmond, Liebe Freundschaft, Faublastät – der frühe Schleiermacher und die Frauen, in: Andreas Arndt (Hg.), Wissenschaft und Geselligkeit. Friedrich Schleiermacher in Berlin 1796-1802, Berlin New York 2009, 43-65. Micha Brumlik, Die Duldung des Vernichteten. Schleiermacher zu Toleranz, Religion und Geselligkeit – eine Fallstudie zur Dialektik der Anerkennung, in: Rolf Kloepfer/Burckhardt Dücker (Hg.), Kritik und Geschichte der Intoleranz, Heidelberg 2000, 41-56, 56. Vgl. Friedrich Wilhelm Graf, Moderne Religion deuten, in: ders., Die Wiederkehr der Götter. Religion in der modernen Kultur, Bonn 2004, 15-67, 45.

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tion unberührt geblieben wäre. Insofern sprechen Schleiermachers Freundschaften mit Juden ihre eigene Sprache,199 obgleich diese insgesamt nicht überbewertet werden dürfen.200 Denn diese persönlichen Beziehungen Schleiermachers sind letztendlich für die Beurteilung seiner Stellung zum Judentum nicht weiter von Bedeutung. Dass Schleiermacher sich selbst möglicherweise nicht als Judenfeind sieht bzw. seine persönlichen Beziehungen zu Jüdinnen und Juden einer persönlichen Judenfeindschaft zu widersprechen scheinen, obwohl sein theologischer Argumentationskreis in weiten Teilen von einem christlichen Antijudaismus getragen wird, der in den Identitätsfragen des Christentums auch den politischen Argumentationskreis bestimmt (Konversion), ist für einige Vertreter des deutschen Protestantismus beispielgebend geworden. Exemplarisch sei hierfür auf einen der bekanntesten protestantischen Neutestamentler des 20. Jahrhunderts verwiesen: Rudolf Bultmann (1884-1976). So beklagt Bultmann bereits kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten die einsetzende Diffamierung der Juden und setzt sich für den befreundeten jüdischen Altphilologen Paul Friedländer (1882-1968) ein, als dieser 1938 verhaftet wird. Gleichwohl ist er in seiner neutestamentlichen Theologie von dem traditionellen christlichen Antijudaismus der jüdischen Werkgerechtigkeit als dem falschen Heilsweg, der in der Sünde scheitert, bestimmt.201 Entsprechend geht Wolfgang Stegemann von einem theologischen Antijudaismus bei Bultmann aus, ohne dessen persönliche Integrität in Abrede stellen zu wollen.202 Und in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts ist es der Neutestamentler Ulrich Wilkens, der auf die wesentliche Bedeutung der urchristlichen Judenpolemik „auch für das gegenwärtige Christentum“ verweist.203 Dabei verwahrt sich Wilckens jedoch gegenüber 199

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Anders Hermann Dembrowski, Schleiermacher und die Juden, 329, der eben mit dieser Aussage an die positive Stellung Schleiermachers zum Judentum erinnern möchte. So etwa Joseph W. Pickle, Schleiermacher on Judaism, The Journal of Religion 60 (1980), 115-137, 136: “His defence of his personal friendship with Jews is private and low key.” Vgl. Peter von der Osten-Sacken, Rückzug ins Wesen und aus der Geschichte. Antijudaismus bei Adolf von Harnack und Rudolf Bultmann?, in: Wissenschaft und Praxis in Kirche und Gesellschaft 67 (1978), 106-122. Wolfgang Stegemann, Das Verhältnis Rudolf Bultmanns zum Judentum: ein Beitrag zur Pathologie des strukturellen theologischen Antijudaismus, in: Kirche und Israel 5 (1990), 26-44. Vgl. Ulrich Wilckens, Das Neue Testament und die Juden, in: Evangelische Theologie 34 (1974), 602-611, 609.

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jeder religiösen Diffamierung des Judentums, denn er möchte nur auf die Profilierung des eigenen Glaubens verweisen.204 Damit stellt sich wiederum die Frage, ob Schleiermacher nicht auch hier traditionsbildend gewirkt hat.

II.3

Schleiermachers Verhalten auf der gesellschaftlichen Ebene: die Brogi-Klaatsch-Affäre

Die Brogi-Klaatsch-Affäre ereignet sich im Jahr 1812 und bezieht sich auf Vorgänge um die Misshandlungen des jüdischen Medizinstudenten Josef Leyser Brogi durch einige Kommilitonen.205 Die Studenten Ernst Friedrich Melzer und August Klaatsch erklären den jüdischen Studenten, da er sich nicht schlagen wolle, für nicht „satisfaktionsfähig“; er gehöre nicht unter „honorige Studenten“. Im Laufe der vorausgegangenen Auseinandersetzungen ist der Student Brogi verprügelt und öffentlich mit der Hetzpeitsche gezüchtigt worden. Brogi hat daraufhin die Angreifer jeweils beim Rektor angezeigt bzw. verklagt. In den sich anschließenden Disziplinarverfahren vertreten Schleiermacher und Fichte konträre Positionen. Beide haben eine Professur an der Berliner Universität inne, Fichte ist gewählter Rektor der Universität. Fichte, der das Verhalten der Angreifer als „Pennalismus“ rügt, setzt sich für den Studenten Brogi ein; dessen Verhalten widerspricht jedoch augenscheinlich dem studentischen Kodex, den wiederum Schleiermacher noch rechtfertigt. Als der Akademische Senat Brogi in gleicher Weise bestrafen will wie die beiden Angreifer und darüber hinaus noch von der Universität verweisen möchte, ist Fichte nicht bereit, dieses Urteil mitzutragen, und ersucht des-

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Vgl. Ulrich Wilckens, Das Neue Testament und die Juden, 611. Vgl. Max Lenz, Geschichte der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, 1. Bd.: Gründung und Ausbau, Halle an der Saale 1910, 410-431; Hans-Joachim Becker, Fichtes Idee der Nation und das Judentum. Den vergessenen Generationen der jüdischen Fichte-Rezeption (Fichte-Studien; Supplementa 14), Amsterdam 2000, 223-231: „Fichtes Rücktritt als Rektor der Berliner Universität“; Erich Fuchs, Fichtes Stellung zum Judentum, in: Fichte-Studien, Bd. 2: Kosmopolitismus und Nationalidee, Amsterdam 1990, 160-177; Paul R. Sweet, Fichte and the Jews: A Case of Tension between Civil Rights and Human Rights, in: German Studies Review 16 (1993), 37-48.

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halb das Department für Kultus und öffentlichen Unterricht um Annahme eines Rücktritts vom Rektorenamt.206 Im Laufe der Auseinandersetzungen unter den Studierenden wird deutlich, dass die Aktionen gegen Brogi einen judenfeindlichen Hintergrund aufweisen und vor diesem Hintergrund auch entsprechend verstanden werden.207 So schreibt Fichte zur Stellungnahme des Senats: „Der eigentliche Anstoß, den er giebt, liegt vielleicht darin, daß er ein Jude ist.“208 Entsprechend kommentiert Max Lenz in seiner Geschichte der Universität Berlin den ersten Vorfall zwischen Melzer und Brogi, dass Fichte in seiner Parteinahme für Brogi auf den Widerstand bei seinem Kollegen im Amt gestoßen sei, dem neuen Syndikus Johann Albrecht Friedrich Eichhorn, „der in dem Vorfall kein so todeswürdiges Verbrechen sehen wollte, vielleicht auch mit dem germanischen Raufbold [Melzer; M. B.] immer noch mehr sympathisierte als mit dem Judenjüngling [Brogi; M. B.]“209. Unabhängig von der Beurteilung, wie sich Fichtes Einstellung zum Judentum in seinem Verhalten in diesem Vorfall widerspiegelt,210 ist es auffällig, dass Schleiermacher den Syndikus Eichhorn hier von Anfang an gegen 206

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Vgl. auch Jan Rohls, Schleiermacher und die wissenschaftliche Kultur des Christentums. Festvortrag am Vorabend der 175. Wiederkehr von Schleiermachers Todestag am 11. Februar 2009 an der Humboldt Universität zu Berlin, Berlin 2009, 44. Vgl. etwa auch Edward L. Schaub, J. G. Fichte and Anti-Semitism, The Philosophical Review 49 (1940) 37-52, 46: „[…] an attack by Aryan students upon a Jewish student by the name of Brogi.“ Erich Fuchs (Hg.), J. G. Fichte im Gespräch. Berichte der Zeitgenossen, Stuttgart 1987, IV, 440. Vgl. Günther Meckenstock, Schleiermachers Auseinandersetzung mit Fichte, in: Sergio Sorrentino (Hg.), Schleiermacher’s Philosophy and the Philosophical Tradition, New York 1992, 27-46, 32. Max Lenz, Geschichte der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, 1. Bd., 411. Die entsprechenden Senatsprotokolle sind teilweise verloren. Fichtes Verhalten zeugt für einen Teil der Fichte-Forschung von seinem Gesinnungswandel in seiner Haltung zum Judentum. Vgl. etwa Hans-Joachim Becker, Fichtes Idee der Nation und das Judentum. Den vergessenen Generationen der jüdischen FichteRezeption, 223-231: „Fichtes Rücktritt als Rektor der Berliner Universität“. Anders urteilt Paul Lawrence Rose, Revolutionary Antisemitism in Germany: From Kant to Wagner, Princeton 1990, 122f.: „When Fichte moved against Brogi’s tormentor, however, he did so not out of any pro-Jewish feeling or even a belief in justice, but rather because of his own aversion to duelling as a form of student disorder […] Fichte’s support of justice for the Jews was in this case somewhat peculiar.” Kritisch wiederum dazu Paul R. Sweet, Fichte and the Jews: A Case of Tension between Civil Rights and Human Rights, 39 ff.

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Fichte unterstützt, so dass sich die Frage stellt, ob antijüdische Ressentiments auch bei Schleiermacher in dieser „Ehrensache“ eine Rolle spielen. Schleiermachers ablehnende Haltung gegenüber dem jüdischen Studenten zeigt sich bereits, als er als einziger Professor – neben den fünf beisitzenden Studenten und dem Syndikus – in der ersten Auseinandersetzung um die Bestrafung Brogis im Rahmen des Ehrengerichts für den „höchsten Grad, 14 Tage Karzer“, votiert.211 Im weiteren Verlauf der Auseinandersetzungen leitet Fichte eine den Studenten Brogi unterstützende Eingabe von Studenten an das Department für Kultus und öffentlichen Unterricht weiter, was eine Reihe von Senatsmitgliedern wiederum empört. Schließlich werden alle Mitglieder des Senats vom Department um eine schriftliche Stellungnahme gebeten, so auch Schleiermacher. Vor dem Hintergrund des im März 1812 verkündeten preußischen Emanzipationsediktes sind die antijüdischen Ressentiments der Stellungnahmen nicht zu übersehen.212 Schleiermacher spricht sich in seinem Votum gegen das Vorgehen Fichtes aus und erklärt die Bestrafung Brogis für angemessen.213 Es ist auffällig, dass Schleiermacher die Vorfälle gänzlich vor dem Hintergrund des studentischen Ehrenkodex betrachtet und der von Fichte deutlich kritisierte „Pennalismus“ keinerlei Berücksichtigung findet. So geht Schleiermacher von einer bereits bestehenden Gemeinschaft aus, der sich Brogi habe aufdrängen wollen und deren Zurückweisung er somit selbst zu verantworten habe. Brogi wird von Schleiermacher als „feige“ bzw. „rachsüchtig“ charakterisiert, als ein Student, dem keinerlei „rechtliche Ge-

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Vgl. Max Lenz, Geschichte der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, 1. Bd., 411. Vgl. Werner Bergmann, Geschichte des Antisemitismus, 26 f.: „In Preußen kam es 1812 verbunden mit den Hardenbergschen Reformen zu einem von den Juden enthusiastisch begrüßten Edikt, das sie zu ‚Einländern und preußischen Staatsbürgern‘ machte. Dies bedeutete gleiche Steuern, Freizügigkeit, freie Berufswahl, Landbesitz und Zulassung zum Militärdienst, andererseits den Verlust bestimmter korporativer Gemeinderechte. Dieses Edikt wirkte sich vor allem positiv auf die Beteiligung der Juden an der Wirtschaft aus, während die politische Gleichstellung, vor allem nach der restaurativen Wende ab 1815 hinterher hinkte und die Diskriminierung auf Grund der überkommenen Vorwürfe kaum nachließ.“ Vgl. Schleiermachers am 1. April 1812 abgegebenes Votum, in: Max Lenz, Geschichte der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, 4. Bd.: Urkunden, Akten und Briefe, Halle an der Saale 1910, 174-178.

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sinnung“ zugesprochen werden könne.214 „Der Brogy erscheint allgemein als ein durch Zudringlichkeit zu Händeln reizender Mensch, zugleich von derjenigen gemeinen Gesinnung, welche sich aus der Strafe nichts macht, wenn nur der Gegner ebenfalls, und zwar härter bestraft wird.“215 Der gemeinen Gesinnung Brogis stellt Schleiermacher die Gesinnung der anderen Studierenden gegenüber, die Brogi verletzt habe, weshalb er wiederum seine Beleidigung auch selbst provoziert hätte. Dass Schleiermacher nun noch im weiteren Verlauf seines Votums die Bestrafungen der Angreifer bedauert und das angegriffene Opfer selbst zum Verursacher der Handgreiflichkeiten stilisiert, verdeutlicht Schleiermachers offensichtliche Sympathie mit den gegen den jüdischen Kommilitonen vorgehenden Angreifern. Brogi ist der „elende Mensch“, der tüchtig abzuschrecken sei, seine Angreifer demgegenüber seien Studierende „von dem besten Gehalt“, die bedauerlicherweise durch die harten Karzerstrafen nur in ihrem Studium gehemmt würden. Die antijüdischen Vorbehalte sind offensichtlich. Denn dem jüdischen Studenten ist und bleibt die unter der „Majorität der Studirenden stattfindende Gemeinschaft der Gesinnung“ letztendlich fremd.216 Schleiermacher überträgt hier ganz offensichtlich seine Annahme von dem antagonistischen Verhältnis von Judentum und Christentum in den gesellschaftlichen Raum der Universität und macht sie zur Grundlage seiner Stellungnahme und seines persönlichen Verhaltens in der Sache. Damit wird für Schleiermacher die Religionszugehörigkeit des jüdischen Studenten Brogi zum ausschließlichen und darin dann zum ausschließenden Fokus, um dessen Verhalten als Angegriffener (!) zu beurteilen. Dass diese Bezugnahme ebenfalls noch um antijüdische Vorurteile angereichert wird, ist die logische Konsequenz einer Annahme von der Differenz der Religionen, die darin das Christentum als höherwertig und das Judentum als minderwertig erachtet. Erneut wäre mit Gunter Scholtz rhetorisch zugespitzt zu fragen: „Hatte sich sein Christus gleichsam nicht weit genug heruntergelassen, sozusagen nicht bis zur Eigentümlichkeit des Ghettos, sondern nur bis zum Salon?“217 Die vermeintlich 214

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Vgl. Schleiermachers Votum, in: Max Lenz, Geschichte der Königlichen FriedrichWilhelms-Universität zu Berlin, 4. Bd., 175 f. Schleiermachers Votum, in: Max Lenz, Geschichte der Königlichen Friedrich-WilhelmsUniversität zu Berlin, 4. Bd., 176. Vgl. Schleiermachers Votum, in: Max Lenz, Geschichte der Königlichen FriedrichWilhelms-Universität zu Berlin, 4. Bd., 176. Gunter Scholtz, Friedrich Schleiermacher über das Sendschreiben jüdischer Hausväter, 325.

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persönliche Integrität Schleiermachers, wie sie im ausgehenden 18. Jahrhundert in seinen Beziehungen zu den aufgeklärten Jüdinnen und Juden der Berliner Salons zutage tritt, findet ihr Ende in seinem antijüdischen Verhalten gegenüber einem angegriffenen jüdischen Studenten der neu gegründeten Berliner Universität.

II.4

Schleiermachers Position zum Judentum im Spiegel seiner weiteren Veröffentlichungen

Die das Judentum abwertenden und disqualifizierenden Urteile der „Reden“ bestimmen im Wesentlichen die Argumentation der „Briefe“. Der fundamentale Gegensatz zwischen Judentum und Christentum ist für Schleiermacher unüberbrückbar. Eine erfolgreiche Konversion ist deshalb ausgeschlossen. Diese Annahme führt bei Schleiermacher jedoch nicht zum Desinteresse am Judentum als einer in diesem Sinne zu vernachlässigenden Religion. Schleiermacher stuft vielmehr den geschichtlichen Einfluss des „Jüdischen“ auf die Kirche als bedrohlich und gefährlich für das „eigentümlich Christliche“ ein. Dementsprechend insistiert Schleiermacher darauf, den jüdischen Einfluss in der Kirche zurückzudrängen. Schleiermacher hat seine das Judentum abwertenden Positionen trotz aller Nuancierungen bis zu seinem Lebensende grundsätzlich beibehalten. Die dem Entwicklungsdenken angelehnte Vorstellung der kindlichen und darin unreifen Religion greift er 1821 in seiner Glaubenslehre „Der christliche Glaube“ wieder auf, wenn er von der „Unreife“ des Judentums schreibt. Denn die religiöse Tätigkeit des Judentums erfolge „mehr unter der Form von Strafe und Belohnung, als unter der von Aufforderungen und Bildungsmitteln“.218 Das Alte Testament sollte nach der Veröffentlichung der „Reden“ für Schleiermacher keine kirchliche und theologische Bedeutung mehr haben, „das alte Band zwischen der hebräischen Bibel und dem sogenannten Neuen Testament war für ihn völlig zerrissen“, wie der führende

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Vgl. Friedrich Schleiermacher, Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt (1821/22) (Kritische Gesamtausgabe; I.7,1/2), hg. v. Hermann Peiter, Berlin 1980, 57 (Bd. 1).

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jüdische Theologe und Historiker Abraham Geiger bereits 1869 betonte.219 Dass Schleiermacher Altes Testament und jüdische Religion gleichsetzt, unterstützt dabei noch seine Annahme von der Bedeutungslosigkeit der jüdischen Religion an sich und für das Christentum. Dies macht Schleiermacher 1829 im Vorgriff auf die Neubearbeitung seiner Glaubenslehre in seinem in der Zeitschrift „Theologische Studien und Kritiken“ publizierten „Sendschreiben“ noch einmal deutlich: „Diese Ueberzeugung, daß das lebendige Christenthum in seinem Fortgange gar keines Stützpunctes aus dem Judenthum bedürfe, ist mir so alt als mein religiöses Bewußtsein überhaupt.“220 Dem entspricht an anderer Stelle Schleiermachers „Glaubensbekenntniß“, „dass das Christenthum mit Christo anfängt; keine Fortsetzung des Judenthums, kein gleichstehendes mit heidnischen Anfängen“.221 Dass Christentum und christliche Theologie nicht ohne das Judentum gedacht werden können, wird von Schleiermacher verneint. Vielmehr stellt er das Judentum auf die gleiche Stufe wie das Heidentum. „Das Christenthum ist ohnerachtet seines geschichtlichen Zusammenhanges mit dem Judenthum doch nicht als eine Fortsezung oder Erneuerung desselben anzusehen; vielmehr steht es, was seine Eigenthümlichkeit betrifft, mit dem Judenthum in keinem anderen Verhältniß als mit dem Heidenthum.“222 Die historische Beziehung des Christentums mit dem Judentum wird grundsätzlich relativiert und ist ohne Bedeutung. Dem entspricht, dass in der Glaubenslehre unter den Heiligen Schriften nur das Neue Testament verstanden wird.223 „Unter heiliger Schrift verstehe ich zunächst immer nur die neutestamentischen Bücher und zwar in dem Umfang als die protestantische 219

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222 223

Abraham Geiger, Die Schleiermacher-Feier und die Juden, in: Jüdische Zeitschrift für Wissenschaft und Leben 7 (1869), 211-215, 213. Abraham Geiger, der zu den bedeutendsten Wissenschaftlern seiner Zeit zählt, war seit 1863 Rabbiner in Frankfurt am Main und 1870 Mitbegründer der reformorientierten Hochschule für die Wissenschaft des Judentums. Friedrich Schleiermacher, Über die Glaubenslehre. Zwei Sendschreiben an Lücke (1829), in: ders., Theologisch-dogmatische Abhandlungen und Gelegenheitsschriften (Kritische Gesamtausgabe; I.10), hg. v. Hans-Friedrich Traulsen unter Mitwirkung v. Martin Ohst, Berlin 1990, 309-394, 354. Friedrich Schleiermacher, Aphorismen zur Kirchengeschichte, in: ders. Geschichte der christlichen Kirche. Aus Schleiermacher’s handschriftlichem Nachlasse und nachgeschriebenen Vorlesungen, hg. v. Eduard Bonnell (Sämmtliche Werke; Bd. I/11), Berlin 1840, 632-637, 633. Friedrich Schleiermacher, Der christliche Glaube (1821/22), 88 (Bd. 1). Vgl. Friedrich Schleiermacher, Der christliche Glaube (1821/22), 218 f. (Bd. 2).

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Kirche sie anerkennt; die alttestamentischen aber nur soweit sich nachweisen läßt, daß sich direct oder indirect im neuen Testament auf sie bezogen wird.“224 Bemerkenswerterweise dient nach Schleiermacher die Bezeichnung „apokryph“ der Kennzeichnung stark judaisierend geprägter Schriften.225 Der Abwertung und „Entkanonisierung“ des Alten Testaments entspricht in der „Praktischen Theologie“ der Hinweis darauf, dass das Alte Testament zur Bildung christlicher Frömmigkeit ungeeignet sei und wenn überhaupt nur zur Darstellung des allgemein Religiösen tauge wie überhaupt das Heidentum auch. „Soll man nicht das gemeinsam religiöse durch das A. T. begründen und die Mittel dazu im A.T. aufsuchen: so muß man sagen Ja, aber nur in demjenigen im A. T. was am wenigsten jüdisch ist. Sowie das eigenthümlich jüdische hineintritt, ist etwas dem Christenthum relativ entgegengeseztes aufgenommen.“226 Die Berücksichtigung des Alten Testaments im Religionsunterricht sei deshalb auch nur insofern zu beachten, inwieweit dieses im Neuen Testament zitiert werde. Des Weiteren genüge die Kenntnis des Alten Testaments als Hilfsmittel für den Exegeten des Neuen Testaments.227 Schleiermacher geht es dabei aber nicht nur darum, das Neue Testament zu Lasten des Alten Testaments zu profilieren, sondern vor allem darum, um der christlichen Identität, d. h. ihrer religiösen Eigenart willen, die Abgrenzung zum Alten Testament mehr als deutlich zu machen. Dafür hat sich Schleiermacher sogar ausdrücklich auf Marcion (85-144) berufen.228 Marcions Lehren finden sich in fragmentarisch überlieferten „Antithesen“. Diese „Antithesen“ berufen sich auf den Gegensatz von Altem und Neuem Testament, wobei das Alte Testament verworfen wird, weil es einen zürnenden, gerechten, letztlich „bösen“ Gott (den Schöpfergott, Demiurgen) verkünde. Davon sei der neutestamentliche Gott der Liebe zu unter224 225 226

227 228

Friedrich Schleiermacher, Der christliche Glaube (1821/22), 103 (Bd. 1). Vgl. Friedrich Schleiermacher, Der christliche Glaube (1821/22), 220 f. (Bd. 2). Friedrich Schleiermacher, Die praktische Theologie nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, Aus Schleiermacher’s handschriftlichem Nachlasse und nachgeschriebenen Vorlesungen, hg. v. Jacob Frerichs, in: Friedrich Schleiermacher’s sämmtliche Werke, 1. Abteilung, Zur Theologie, 13. Bd., Berlin 1850, 100. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Praktische Theologie, 391. Vgl. Schleiermachers Brief an F. Bleek vom 23. April 1830, in: Ludwig Jonas/Wilhelm Dilthey (Hg.), Aus Schleiermacher’s Leben. In Briefen, Bde. 1-2, Berlin 1860, Bde. 3-4, Berlin 1861-1863 (Nachdruck Berlin 1974), 396 (Bd. 4).

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scheiden. Diese Ablehnung des Alten Testamentes führte in der Folge dazu, das Neue Testament von allen jüdischen Bezügen zu befreien.229 Der Bezug auf Marcion unterstreicht einmal mehr die Haltung Schleiermachers, das Alte Testament in Gänze abzulehnen. Das Alte Testament hat für Schleiermacher keinerlei systematisch-theologische Relevanz mehr.230 Schleiermacher legt somit den Grund für die Vernachlässigung des Alten Testaments, wie ebenfalls Abraham Geiger 1869 betont: „Von ihm her datirt sich die Vernachlässigung jener [der hebräischen Bibel; M.B.] unter den Christen, indem sie nur der starren Orthodoxie, die sie noch verehrte, überlassen blieb, während die Neugläubigen unbekümmert an ihr vorübergingen; wohl konnten sie nun zwar unbefangener an sie herangehen, als an blos alte geschichtliche und literarische Werke, allein die Glaubensseligkeit, in der sie schwelgten, erfüllte sie so ganz, daß ihr enger Geist keinen Raum hatte für solche wissenschaftliche Vertiefung. Sein Einfluß war auch in dieser Beziehung höchst verderblich, so daß selbst die ihn bekämpfende kritische (Tübinger) Schule kein Verständnis und keine Gerechtigkeit für das jüdische Alterthum gewann. Die Heroen auf diesem Gebiete müssen noch geboren werden.“231

Dass durch Schleiermacher die kirchliche Haltung gegenüber dem Alten Testament „in eine Krise eingetreten“ ist, wie Rudolf Smend konstatiert,232 belegt nicht zuletzt das bekannte sich auf Schleiermacher berufende Diktum Adolf von Harnacks, das die Abwertung des Alten Testaments aufgreift und pointiert zum Ausdruck bringt: „Das AT im 2. Jahrhundert zu verwerfen, war ein Fehler, den die große Kirche mit Recht abgelehnt hat; es im 16. Jahrhundert beizubehalten, war ein Schicksal, dem sich die Reformation noch nicht zu entziehen vermochte; es aber seit dem 19. Jahrhundert als kanonische Urkunde des Protestantismus noch zu konservieren, ist die Folge einer religiösen und kirchlichen Lähmung.“233 Damit wird das klassische christliche Vorurteil, dass das Alte Testament ausnahmslos nach typologischer und allegorischer Deutung auf Christus 229

230

231 232

233

Vgl. Adolf von Harnack, Marcion. Das Evangelium vom fremden Gott, Leipzig 2. Aufl. 1924 (256-313: Die Antithesen M.s nach Zitaten und Referaten). Vgl. auch Martin Stiewe, Das Alte Testament im theologischen Denken Schleiermachers, in: Peter Mommer (Hg.), Altes Testament – Forschung und Wirkung: Festschrift für Henning Graf Reventlow, Frankfurt am Main 1994, 329-336, 325. Abraham Geiger, Die Schleiermacher-Feier und die Juden, 213 f. Vgl. Rudolf Smend, Wilhelm Martin Leberecht de Wettes Arbeit am Alten und Neuen Testament, Basel 1958, 122. Adolf von Harnack, Marcion. Das Evangelium vom fremden Gott, 217.

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und die Kirche, d. h. auf das christliche Heilsgeschehen vorausweise, durch Schleiermacher und fatalerweise durch die Schleiermacher-Rezeption noch überboten. Das damit einhergehende Vorurteil von der sogenannten „Blindheit der Juden“, die ihre eigenen Schriften nicht verstünden, weil sie statt des geistlichen Sinnes nur den Wortsinn der Texte erfassten, erübrigte sich damit quasi für Schleiermacher.234 Das Postulat der „Reden“, gegen „irreligiöse“ Tendenzen vorzugehen, behält Schleiermacher auch in der Glaubenslehre (1821) bei, nach der das Christentum sich außerhalb und innerhalb seiner verfassten Grenzen der „veralteten [und] unvollkommnen Religionsformen“ zu erwehren habe.235 Schleiermacher hat als erster deutscher Theologieprofessor öffentliche Vorlesungen über das Leben Jesu durchgeführt. In dieser Vorlesung zum „Leben Jesu“, die er zwischen 1819 und 1832 viermal gehalten hat und die erst 1864 veröffentlicht wurde,236 findet sich in der Zusammenfassung der 42. Vorlesungsstunde das Wort „antijüdisch“. Dabei geht es um die Lehre Jesu, dass Gott „Vater“ sei. Jesu Lehre sei insofern antijüdisch, als sie Gott nicht mehr mit der Staatsterminologie als „Herr“ bezeichne, sondern mit der Hausterminologie als „Vater“.237 Das Unterscheidungsmerkmal zwischen Jesus und dem Judentum ist die „Polemik gegen jenes sinnliche und fleischliche Element in dem jüdischen Kultus“238. Schleiermacher erachtet demgegenüber grundsätzlich Jesu Religiosität als einzigartig und sucht ihm vor diesem Hintergrund alles Jüdische abzusprechen. Diese subjektive Perspektive, das heißt die Subjektivität Jesu in seiner einzigartigen Religiosität zu verstehen, „ermöglicht“ Schleiermacher die vollständige Außerachtlassung der historischen Analyse und damit auch der Berücksichtigung des Jude-Sein Jesu. Obwohl Jesus ein jüdisches Leben gelebt und sich in der Sprache des jüdischen Glaubens ausgedrückt haben mochte, ist sein einzigartiges Gottesbewusstsein doch als eine die Geschichte transzendierende Erscheinung zu verstehen. Es zeichnet Jesu außergewöhnliches Wesen nach 234

235 236

237

238

Vgl. dazu Matthias Blum, „Kann man etwas denn etwa ganz einfach so verstehen, wie es gesagt ist?“ Zur Selbstverständlichkeit antijüdischer Lesarten des Alten und Neuen Testaments, in: Evangelische Aspekte 14 (2004), 27-30. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Der christliche Glaube (1821/22), 313 f. (Bd. 2). Die letzte Vorlesung wurde 1864 aufgrund seiner „handschriftlichen Nachlasse und Nachschriften seiner Zuhörer“ herausgegeben. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Das Leben Jesu (1832), hg. v. K. A. Rütenik, Schleiermacher’s sämmtliche Werke 1.6, Berlin 1864, 295. Friedrich Schleiermacher, Das Leben Jesu, 299.

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Schleiermacher aus, dass es etwas vollkommen Eigenes ist, was von der ihn umgebenden jüdischen Kultur absolut unbeeinflusst ist. Entsprechend kann Schleiermacher Jesus in seiner Abhandlung „Der christliche Glaube“ wegen seines einzigartigen religiösen Bewusstseins als Begründer der neuen christlichen Religion darstellen. „Was aber den Erlöser als solchen konstituirt kann demzufolge nichts anders sein als eine solche vollkomne Einwohnung des höchsten Wesens im Bewußtsein, welche als die reine Thätigkeit Gottes in der menschlichen Natur angesehen werden, und vermöge deren man vom Erlöser sagen muß, daß Gott in ihm war in dem höchsten Sinne, in welchem überall Gott in Einem sein kann.“239

Für Schleiermacher ist, wie Abraham Geiger 1869 schreibt, „mit Jesus eine neue Menschheit entstanden“240. Dem entspricht die absolute Würdigung des Neuen Testaments vor dem Hintergrund seiner religionshistorischen und literargeschichtlichen Dekontextualisierung. Die nach Schleiermacher antijüdische Implikation der Gottesanrede Jesu mit „Vater“ hat dann im 20. Jahrhundert in der neutestamentlichen Wissenschaft zu der Annahme eines durch Jesus neu verkündeten Gottesverhältnisses geführt, welches wiederum „für jüdisches Empfinden unehrerbietig und darum undenkbar gewesen“ wäre.241 Im Hintergrund steht die Behauptung neutestamentlicher Wissenschaftler, dass das von Jesus gebrauchte aramäische Lallwort der Kindersprache für „Papa“, „Abba“, seine einzigartige, kindlich-vertrauliche Gottesanrede bezeugt – ungeachtet des Sachverhaltes, dass dieses Lallwort in neutestamentlicher Zeit nicht mehr auf die Kleinkindersprache beschränkt war.242 Aufgrund dieser Annahme des besonderen Gottesverhältnisses in der Beziehung Jesu zu Gott-Vater wurde dann ein Gegensatz zwischen Jesus und dem Judentum im Gottesbild aufgebaut und in das traditionelle Schema „Jesus versus Judentum“ integriert: „Jesu Abba-Vater-Gott versus jüdischer König-, Weltenlenker-Gott, Nähe

239 240 241

242

Friedrich Schleiermacher, Der christliche Glaube, 29 (Bd. 2). Abraham Geiger, Die Schleiermacher-Feier und die Juden, 213. Vgl. Joachim Jeremias, Abba, in: ders., Abba. Studien zur neutestamentlichen Theologie und Zeitgeschichte, Göttingen 1966, 15-67, 63. Vgl. für einen kritischen Diskurs dieser Annahme Matthias Blum, Juden und Christen beten den gleichen Gott an [Kommentar christlich], in: Rainer Kampling/Michael Weinrich (Hg.), Dabru emet, redet Wahrheit. Eine jüdische Herausforderung zum Dialog mit den Christen, Gütersloh 2003, 58-66.

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versus Distanz, Hingabe versus Verdienstdenken, Innigkeit versus Ritualisierung.“243 Die Intention Schleiermachers, „seinen Jesus möglichst alles Jüdischen [zu] entkleiden“,244 wie es Abraham Geiger einmal formulierte, ist von den ihm nachfolgenden christlichen Theologen breitwillig aufgenommen worden. Schleiermacher hat, wie Abraham Geiger 1869 in der von ihm herausgegebenen vergleichsweise säkular ausgerichteten „Jüdischen Zeitschrift für Wissenschaft und Leben“ schreibt, „durchaus Nichts für Juden und Judenthum geleistet [und hatte] für dieselben durchaus keine Sympathie“245. Schleiermacher kann das Christentum mangels Aufweises einer historischen Kontinuität vollkommen vom Judentum trennen und vor dem Hintergrund der Idee des Ursprünglichen separat betrachten. Für ihn brachte das Christentum den Tod des Judentums. Damit ist für Schleiermacher das Christentum gegenüber dem Judentum aber auch etwas vollkommen Neues und Eigenes. Während das Alte durch Christus vergangen ist, verfügen nun die Christen über das Neue, wofür sie eben nicht mehr auf das Alte zurückgreifen dürfen. Als wirkungsmächtigster protestantischer Theologe des 19. Jahrhunderts hat er auch in seinen antijüdischen Ausführungen den sogenannten deutschen Kulturprotestantismus nachhaltig beeinflusst.246 Auch wenn Abraham Geiger 1869 in seinem Aufsatz über Feiern des Geburtstags Schleiermachers in deutschen Kirchen mit ironischem Unterton diese Schleiermacher-Feier als ein „trauriges Armuths-Zeugniß“ ihrer Zeit ausweist, deutet er damit aber bereits an, welches Ansehen Schleiermacher nicht nur in der protestantischen Öffentlichkeit genossen und welche Wirkung er gehabt hat.

243

244 245 246

Martina S. Gnadt, „ABBA ISN’T DADDY“. Aspekte einer feministisch-befreiungstheologischen Revision des ‚Abba Jesu‘, in: Luise Schottroff/Marie-Theres Wacker (Hg.), Von der Wurzel getragen. Christlich-feministische Exegese in Auseinandersetzung mit Antijudaismus, Leiden 1996, 115-131, 119. Abraham Geiger, Die Schleiermacher-Feier und die Juden, 214. Abraham Gieger, Die Schleiermacher-Feier und die Juden, 214. Vgl. Amy Newman, The Death of Judaism in German Protestant Thought from Luther to Hegel, 455: “Schleiermacher’s pronouncement of the death of Judaism is a typical expression of one of the fundamental myths of nineteenth-century German Protestantism. The remarkable persistence of this particular myth in spite of seemingly incontrovertible evidence to the contrary – that is, the continued existence of thriving European Jewish communities – points to a deep problematic in this tradition: an apparent discrepancy between Protestant discourse and historical reality.”

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„Fast ist es ein trauriges Armuths-Zeugniß, das die Zeit sich selbst über ihren Stillstand oder gar ihre rückläufige Bewegung ausstellt, wenn sie nach einem Jahrhundert nochmals an die Wiege eines damals geborenen Heroen hintritt, um als altersschwacher Greis an seiner jugendlichen Kraft sich zu ermannen. Im Grunde bietet uns die SchleiermacherFeier […] ein solches Bild unserer Zeit, wenigstens des religiösen Lebens und noch richtiger der theologischen Wissenschaft und Praxis in ihr.“247

Dass seine theologische Position zum Judentum seine politische Stellungnahme grundlegend bestimmte, macht exemplarisch deutlich, wie die Theologie mit und nach Schleiermacher die Öffentlichkeit zu beeinflussen suchte. Entsprechend resümiert bereits 1870 Heinrich Graetz (1817-1891) in dem seine Gesamtdarstellung der Juden abschließenden Band: „Schleiermacher impfte den gebildeten Kreisen Deutschlands von neuem eine eigene, kaum bezeichenbare Antipathie gegen das Judentum ein. Er war keineswegs, was man so nennt, ein Judenfeind, er wehrte sich vielmehr dagegen, wenn er als solcher bezeichnet wurde. Aber es waltete in ihm ein dunkles, unangenehmes Gefühl gegen das jüdische Wesen, dessen er sich nicht erwehren konnte […] Die Schleiermachersche Schule, welche tonangebend in Deutschland wurde, hat diese vornehme Verachtung des Judentums zum Stichwort und zum Ausgangspunkt ihrer Gläubigkeit gemacht.“248 Und mit dieser Antipathie gegen das Judentum hat Schleiermacher nicht unwesentlich zu ihrer kulturellen Verankerung im 20. Jahrhundert beigetragen.249 Dass die einschlägigen Überlegungen Schleiermachers auch im Hintergrund jener gegenwärtigen historischen Forschungen stehen, die die Juden als „Randgruppe“ und „Gegengesellschaft“ einstufen, ist zu vermuten.250 Dass das Alte Testament nach der Veröffentlichung der „Reden“ für Schleiermacher keine kirchliche und theologische Bedeutung mehr haben sollte, verschärfte den traditionellen christlichen Antijudaismus der minderen Bedeutung des Alten Testaments gegenüber dem Neuen Testament 247 248

249

250

Abraham Geiger, Die Schleiermacher-Feier und die Juden, 211. Heinrich Graetz, Geschichte der Juden vom Beginn der Mendelssohnschen Zeit (1750) bis in die neueste Zeit (1848) (Bd. 11), 172; 173 f. Vgl. auch Matthias Wolfes, Öffentlichkeit und Bürgergesellschaft. Friedrich Schleiermachers politische Wirksamkeit, Bd. II, 389. Vgl. bezüglich der teilweise fragwürdigen Begriffs-Diskurse und Zuschreibungen Gerd Mentgen, „Die Juden waren stets eine Randgruppe“. Über eine fragwürdige Prämisse der aktuellen Judenforschung, in: Friedhelm Burgard (Hg.), Liber amicorum necnon et amicarum für Alfred Heit: Beiträge zur mittelalterlichen Geschichte und geschichtlichen Landeskunde (Trierer historische Forschungen; 28), Trier 1996, 393-411, 394-400.

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noch. Zwar relativierte die christliche Lesart das Alte Testament dahingehend, dass diesem einerseits nur noch eine Vorläuferrolle zugeschrieben wurde und dass andererseits lediglich das Moralgesetz von universeller Bedeutung sei, während das Ritualgesetz nur noch für Juden verpflichtend sei, aber das Alte Testament als solches wurde dadurch jedoch nicht grundsätzlich infrage gestellt. Diese grundsätzlich „neue“ Infragestellung des Alten Testaments durch Schleiermacher konnte dann jedoch die völkischtheologische Rezeption ebenso „vereinfachen“251, wie seine „Herauslösung“ Jesu aus dem Judentum die Herausbildung eines völkischen Christusbildes ermöglichte. „Sollte […] der Graben“, wie Karl Heinrich Rengstorf und Siegfried von Kortzfleisch in ihrem „Handbuch zur Geschichte von Christen und Juden“ fragen, „den ein so einflußreicher theologischer Lehrer und Kanzelredner wie Schleiermacher zu Beginn des 19. Jahrhunderts zwischen der Kirche und dem Alten Testament bzw. zwischen dem Christentum und dem Judentum aufgerissen hat, neben anderen Faktoren, vor allem solchen gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Art, zu verhängnisvoller Auswirkung gekommen sein?“252

II.5

Die Bewertung der Position Schleiermachers zum Judentum im aktuellen Diskurs

Schleiermachers Stellung zum Judentum wird gemeinhin als polemisch charakterisiert. Die explizite Benennung der antijüdischen Ressentiments Schleiermachers als theologischer und sozialer Antijudaismus bleibt trotz ihrer signifikanten Eindeutigkeit die Ausnahme. Allein durch diese Charakterisierung wird aber bereits eine Relativierung vorgenommen, da Polemik immer auch als ein rhetorisches Stilmittel verstanden werden kann, während 251

252

Vgl. hinsichtlich einer völkisch-orientierten Schleiermacher-Interpretation, mit der die „völkische“ Tradition der evangelischen Theologie begründet werden sollte, exemplarisch Adolf Heger, Evangelische Verkündigung und deutsches Nationalbewusstsein. Zur Geschichte der Predigt von 1806 bis 1848, Berlin 1939; und bereits in diesem Duktus 1893: Ernst Katzer, Das Judenchristentum in der religiösen Volkserziehung des deutschen Protestantismus. Von einem christlichen Theologen, Leipzig 1893. Karl Heinrich Rengstorf/Siegfried von Kortzfleisch, Nachwort, in: dies. (Hg.), Kirche und Synagoge. Handbuch zur Geschichte von Christen und Juden. Darstellung mit Quellen, Bd. 2, München 1988, 706-715, 713 f.

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mit dem Begriff Antijudaismus eindeutig eine judenfeindliche Einstellung und Haltung benannt wird. Dementsprechend finden sich in der theologischen Bewertung von Schleiermachers Position in der Regel zwei Relativierungen. Einerseits wird die Polemik dahingehend relativiert, dass sie als Apologie verstanden wird, deren implizite Notwendigkeit nicht in Abrede gestellt wird. Andererseits wird die Polemik relativiert, indem sie als der Zeit Schleiermachers entsprechend eingeordnet und darin im Vergleich mit anderen sogar noch als maßvoll eingestuft wird. Dass Schleiermachers ablehnende und negative Haltung zum Judentum nicht immer als solche verstanden und sogar noch unkritisch wertgeschätzt wird, zeigt beispielsweise der theologische Diskurs um Schleiermachers Stellung zum Alten Testament. Das ist umso auffälliger, als dass Schleiermacher mit der eindeutigen Ablehnung des Alten Testaments eben nicht an christliche Traditionen der Judenfeindschaft anknüpft, sondern vielmehr eine neue zugrunde legt. So ordnet etwa Wolfgang Trillhaas in seiner Auseinandersetzung über „Schleiermachers Predigten über alttestamentliche Texte“ Schleiermachers Ablehnung des Alten Testaments als „Zurückhaltung“ ein, die entsprechend zu würdigen sei: „Wohl aber darf mit einem abschließenden Satz hervorgehoben werden, wie sehr die Vorsicht Schleiermachers im Umgang mit biblischen Texten geeignet ist, die Wahrheit dieser Worte des Lebens zum Leuchten zu bringen.“253

II.5.1

Die apologetische Relativierung

In dem theologischen Diskurs über das Werk Schleiermachers findet sich die Einschätzung, sein gesamtes theologisches Wirken als Apologetik und ihn selbst damit in erster Linie als Apologeten zu verstehen.254 Entsprechend erfolgt auch die Bewertung der Darstellung des Judentums in den „Reden“ unter Verweis auf den apologetischen Charakter des Textes. „Die 253

254

Wolfgang Trillhaas, Schleiermachers Predigten über alttestamentliche Texte, 289. Und vgl. ebd.: „Wie sehr die Anfechtung des Judentums in unserer Jahrhundertgeschichte die apologetische Aufwertung des Alten Testaments für den kirchlichen Gebrauch überdies gesteigert hat […] bedarf in diesem Zusammenhang keiner Darstellung.“ Vgl. auch Martin Stiewe, Das Alte Testament im theologischen Denken Schleiermachers, 335.

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‚Reden‘ sind gemeint als Werbung nicht für Religion allgemein, sondern für das Christentum.“255 Exemplarisch sei hier auf diese Auseinandersetzung Klaus Beckmanns verwiesen, der sich durchaus kritisch mit Schleiermacher auseinanderzusetzen weiß, aber letztendlich die antijüdischen Ressentiments Schleiermachers in den Dienst der christlichen Identitätsprofilierung gestellt wissen will. So habe Schleiermacher das Judentum „als negatives Gegenbild“ für die Darstellung des Christentums „komparativisch funktionalisiert“. „Daher muß Schleiermacher zugute gehalten werden, daß er die Herabsetzung des Judentums so wenig primär gewollt haben dürfte wie die Herabsetzung der Engländer und Franzosen in jener Passage der ersten Rede […] Das Judentum oder die jüdischen Menschen verächtlich zu machen, ist nicht Schleiermachers Absicht. Daß er vorhandene Negativvorstellungen dennoch bedient und verstärkt, bleibt kritisch festzuhalten gegenüber einem Verständnis des Christentums, dem ein abwertendes, das Gegenüber verzerrendes Bild fremder Religiosität angebracht erscheint. Dabei sollte man allerdings nicht übersehen, daß Schleiermachers Polemik gegen das Judentum im zeitgenössischen Diskurs keineswegs singulär dasteht, ja daß die Ablehnung der jüdischen Religion bei ihm sogar ausgesprochen maßvoll formuliert wird.“256

Beckmann relativiert Schleiermachers judenfeindliche Äußerungen in dreifacher Weise, als „Funktionalisierung“, als der persönlichen Integrität Schleiermachers widersprechend und als Form einer eben zeitgemäßen Polemik. Beckmann übersieht dabei allerdings, dass antijüdische Äußerungen, selbst wenn sie scheinbar nur funktionalisierend gebraucht werden, auch immer noch antijüdische Äußerungen bleiben. Ferner wird dabei die Frage vollkommen außer Acht gelassen, ob es überhaupt wünschenswert ist, das eigene religiöse Profil in Abgrenzung von einem anderen religiösen Profil zu gewinnen. Muss sich christliche Identität notwendigerweise auf Kosten der jüdischen Religion und in abwertender Abgrenzung zu ihr profilieren?257 Des Weiteren bleibt nicht nur bei Beckmann der performative Akt der sprachlichen Äußerungen Schleiermachers gänzlich unberücksichtigt. 255

256

257

Klaus Beckmann, Die fremde Wurzel. Altes Testament und Judentum in der evangelischen Theologie des 19. Jahrhunderts, 51. Klaus Beckmann, Die fremde Wurzel. Altes Testament und Judentum in der evangelischen Theologie des 19. Jahrhunderts, 52. Vgl. auch Rainer Kampling, Im Angesicht Israels: Studien zum historischen und theologischen Verhältnis von Kirche und Israel (Stuttgarter Biblische Beiträge; 47), hg. v. Matthias Blum, Stuttgart 2002.

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Schleiermacher legt eben nicht nur seine Einstellung zum Judentum dar, um die Konturen des Christentums deutlicher werden zu lassen, sondern handelt darin eindeutig diffamierend. Und nicht zuletzt ist es diese antijüdische Diffamierung gewesen, mit der Schleiermacher bezeichnenderweise breit rezipiert wurde. Die weitere Argumentation Beckmanns, dass Schleiermacher die „Herabsetzung des Judentums“ nicht „primär gewollt haben dürfte“, wirft allein schon methodische Rückfragen auf. Denn wie sollte die Absicht eines Autors nachvollziehbar zu bestimmen sein, wenn diese – noch dazu Jahrhunderte nach der Textproduktion – nur aus dem Text selbst erhoben werden kann? Entsprechend ist es auch das Verdienst rezeptionsästhetischer Überlegungen, die reine Werk- und Textzentriertheit um eine umfassende Rezeptions- bzw. Leserperspektive erweitert zu haben.258 Und es ist insbesondere die Rezeptionsperspektive, in der in Hinblick auf die entsprechende Rezeptionsgeschichte deutlich wird, dass Schleiermachers Stellungnahmen zum Judentum gleichwohl als „Herabsetzung“ desselben verstanden worden sind und verstanden werden. Unter Verweis auf Hans-Georg Gadamer ist deshalb zu konstatieren, dass in den theologischen und pädagogischen Diskursen der Schleiermacher-Forschung ein entsprechendes „wirkungsgeschichtliches Bewußtsein“, das sich der hermeneutischen Situation und damit auch der Wirkung dieser Rezeptionsgeschichte bewusst wäre, vielmehr fehlt.259 Ferner bleibt bei einer solchen auf die persönliche Integrität Schleiermachers abhebenden Argumentation, wie sie Beckmann vorlegt, unbeachtet, dass Schleiermacher in seiner Eigenschaft als Professor an der neu gegründeten Berliner Universität ja über die reine Textproduktion hinaus tatsäch258

259

Vgl. für den Paradigmenwechsel von der Werk- zur Rezeptionsästhetik exemplarisch Wolfgang Iser, Der Akt des Lesens, München 1990; ders., Die Appellstruktur der Texte, in: Rainer Warning (Hg.), Rezeptionsästhetik, München 1988, 228-252. Vgl. Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, Tübingen 5. Aufl. 1986, 306 f. Im eigentlichen Sinn ist der Begriff der Rezeptionsgeschichte dem Begriff der Wirkungsgeschichte vorzuziehen, da der Rezeptionsvorgang nicht ohne die Rezipienten vollzogen wird; das heißt, die sogenannte Wirkung von Texten vollzieht sich erst im Zuge der Rezeption durch die Leser/-innen, wobei diese natürlich wiederum durch die Geschichte der Rezeption – bewusst oder unbewusst – beeinflusst sind. Dennoch hat sich der Begriff der Wirkungsgeschichte eingebürgert und wird deshalb auch in dieser Arbeit verwandt. Vgl. auch Matthias Blum, „… denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Zur Rezeption der Fürbitte Jesu am Kreuz (Lk 23,34a) in der antiken jüdisch-christlichen Kontroverse (Neutestamentliche Abhandlungen, Neue Folge; 46), Münster 2004, 3-11: Auslegungsgeschichte und Wirkungsgeschichte.

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lich gegenüber dem jüdischen Studenten Brogi ein herabsetzendes Verhalten an den Tag legt. Für Beckmann ist die apologetische Intention Schleiermachers Grund genug, Schleiermachers Antijudaismus zu bagatellisieren und darin letztendlich zu entschuldigen. Der christliche Antijudaismus erfährt in einer solchen Bewertung und vermeintlichen zeitgeschichtlichen Relativierung nicht nur grundsätzlich eine Bagatellisierung, sondern sogar eine Nivellierung. Dass Schleiermacher das Repertoire des christlichen Antijudaismus nicht nur bedient, sondern auch noch steigert und darin die unheilvolle Tradition des christlichen Antijudaismus fortschreibt, bleibt bei einer solchen Bewertung gänzlich unbeachtet, die nur Schleiermachers „primär apologetische Zielsetzung“ im Blick hat und nicht die daran anschließende SchleiermacherRezeption. Die Versuche, Schleiermachers antijüdische Ressentiments als Apologie zu erklären und damit gleichsam zu bagatellisieren, rechtfertigen damit jedoch gleichsam den christlichen Antijudaismus um der eigenen Identität willen. Denn der Verweis auf das rein apologetische Interesse Schleiermachers verkennt, dass die christliche Apologetik seit dem 2. Jahrhundert nach Christus zu einem großen Teil antijüdisch bestimmt ist, wie die umfangreiche christliche Adversus-Iudaeos-Literatur, das heißt die Traktate Contra Iudaeos und Adversus Iudaeos, zweifelsohne bezeugt.

II.5.2

Die zeitgeschichtliche Relativierung

Die zeitgeschichtliche Relativierung der antijüdischen Äußerungen Schleiermachers ordnet diese Äußerungen nicht nur als Polemik ein, sondern versteht Schleiermacher darin als „Kind seiner Zeit“.260 Diese zeitgeschichtliche Einordnung wird dann noch ergänzt um den Hinweis, dass das aufgeklärte Judentum zur Zeit Schleiermachers selbst der eigenen Religion kritisch gegenübersteht. 260

Vgl. Christiane Ehrhardt, Religion, Bildung und Erziehung bei Schleiermacher. Eine Analyse der Beziehungen und des Widerstreits zwischen den „Reden über die Religion“ und den „Monologen“, 57: „Sieht man Schleiermachers exemplarische Polemik gegen das Judentum, auf der er die herausragende Stellung des Christentums aufbaut, in ihrem historischen Kontext, so erweist sich sein Denken zum einen gerade in diesem Ansatz als Kind seiner Zeit.“ Ehrhardt schreibt nur von Polemik, nicht von Antijudaismus.

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Diese Einschätzung, dass „selbst Schleiermachers Freunde in Berlin […] seiner Einschätzung, dass die jüdische Religion längst gestorben sei, vermutlich nicht widersprochen [hätten]“261, ist jedoch differenzierter darzulegen, wenn nicht gar in ihrer antijüdischen Attitüde ganz zurückzuweisen. Denn es bleibt ein Unterschied, ob sich Anhänger/-innen des aufgeklärten Judentums kritisch mit ihrer eigenen Religion auseinandersetzen oder ob diese Auseinandersetzung von außen erfolgt und von herabsetzender Polemik getragen ist. Dabei ist auch zu bedenken, dass die Rezeption der Äußerungen Schleiermachers im Protestantismus einen viel größeren Verbreitungsund Wirkungsgrad aufweist als die Rezeption innerjüdischer Diskurse. Auch wenn Schleiermachers Polemik im zeitgenössischen Diskurs keineswegs singulär dasteht, wie Beckmann betont, bedeutet dies eben nicht, dass der Diskurs gegenüber dem Judentum in seiner Zeit zwangsläufig von Polemik geprägt war. Der Hinweis Dembrowskis, Schleiermachers geschichtliche Urteile seien dabei auf der Höhe der Forschung seiner Zeit, nicht der unsrigen,262 ist deshalb insofern zu relativieren, als dass bereits eine der ersten theologischen Rezensionen der „Reden“ Kritik an Schleiermachers Darstellung des Judentums (und des Christentums) übt. So relativiert Jacob Christoph Rudolf Eckermann 1801 in seiner Rezension Schleiermachers Darstellung des Judentums, wenn er schreibt: „Vielmehr, daß dies Volk einen einzigen Gott, außer dem kein Anderer Gott sey, als den Schöpfer und Herrn des Weltalls, und als einen Gott, dem nur das Gute, und nichts Böses wohlgefalle, verehren sollte, und daß dadurch der wahre Religionsglaube als ein festes Fundament zum Grunde gelegt wurde, daß nur der Gute Glückseligkeit, der Böse aber früher oder später verschuldetes Verderben und Elend zu erwarten habe; das, das ist das Characteristische dieser Religion, die niemals untergehen wird, weil sie im Wesen der Dinge und des vernünftigen Geistes des Menschen gegründet ist.“263

Ebenfalls kritisch äußert sich zur dritten Auflage der „Reden“ Karl Heinrich Sack im September 1822 in der Zeitschrift „Heidelberger Jahrbücher der

261

262 263

Christiane Ehrhardt, Religion, Bildung und Erziehung bei Schleiermacher. Eine Analyse der Beziehungen und des Widerstreits zwischen den „Reden über die Religion“ und den „Monologen“, 57. Vgl. Hermann Dembrowski, Schleiermacher und die Juden, 328. Jacob Christoph Rudolf Eckermann, Rezension von F. Schleiermachers Reden „Über die Religion“, in: Neue allgemeine deutsche Bibliothek, Berlin/Stettin, 56 (1801), 44-52, 51 [Rezension der 1. Aufl.].

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Literatur“. Sack kritisiert vor allem die völlige Subjektivierung der Religion bei Schleiermacher, wonach die Religion das höhere Gefühl sei.264 Weiterhin müsse ebenfalls das Verhältnis zum Judentum anders bestimmt werden. „Dieselbe Ansicht, die uns eine objective Einheit der Religion im Christenthum und in den Formen der Alten zeigte, führt uns noch viel bestimmter zur Anerkennung des Einen göttlichen Wortes im Judenthum und Christenthum.“265 Auch die an der vierten Auflage der „Reden“ orientierte Rezension, die 1834 in Schleiermachers Todesjahr in der Zeitschrift „Kritische Prediger-Bibliothek“ erschienen ist, kritisiert Schleiermachers Verständnis von Judentum und Christentum, wie es in der fünften, „der in sich schwächsten Rede“266, vorgetragen werde.267 Die abwertende Darstellung des Judentums durch Schleiermacher kann deshalb keineswegs als selbstverständlich vor dem Hintergrund ihrer Zeit bezeichnet werden. Auch wenn andere zeitgenössische Darstellungen nicht frei von antijüdischen Stereotypen sind, verfallen sie doch nicht zwangsläufig in diese absolute Polemik, wie etwa die Rezensionen der „Reden“ zeigen. Das Fazit Beckmanns, dass „eine theologische Kritik Schleiermachers auf dem Hintergrund der politischen und kirchlichen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts […] sich der Gefahr bewußt sein [muß], anachronistisch zu argumentieren“268, ist deshalb auch nicht angemessen und relativiert Schleiermachers Antijudaismus. Anachronistisch ist vielmehr der Versuch, Schleiermachers Polemik als zeitbedingt zu relativieren, da Schleiermacher als wirkmächtigster Theologe des 19. Jahrhunderts letztendlich ein Vorreiter und Wegbereiter jener christlichen Theologie geworden ist, die meinte, auf

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268

Vgl. Karl Heinrich Sack, Rezension von F. Schleiermachers Reden „Über die Religion, 3. Ausgabe“, in: Heidelberger Jahrbücher der Literatur 15 (1822,) 833-848; 849 [H. 9, Nr. 53 u. 54], 837 [Rezension der 3. Aufl.]. Karl Heinrich Sack, Rezension von F. Schleiermachers Reden „Über die Religion, 3. Ausgabe“, 845 [Rezension der 3. Aufl.]. Johann Friedrich Röhr, Rezension von F. Schleiermachers Reden „Über die Religion“, 1.-4. Aufl., in: Kritische Prediger-Bibliothek, Neustadt an der Orla, 15 (1884) 957-1009, 994 [Rezension der 4. Aufl.]. Vgl. Johann Friedrich Röhr, Rezension von F. Schleiermachers Reden „Über die Religion“, 1.-4. Aufl., insbesondere 996-998 [Rezension der 4. Aufl.]. Die Rezension, die mit keinem Namen oder Kürzel versehen ist, wurde wahrscheinlich vom Herausgeber der Zeitschrift Johann Friedrich Röhr verfasst. Klaus Beckmann, Die fremde Wurzel. Altes Testament und Judentum in der evangelischen Theologie des 19. Jahrhunderts, 134.

Schleiermacher und „die Juden“

95

das Alte Testament gänzlich verzichten zu können, und die die Religion des Judentums als minderwertige Verdienstreligion abqualifizierte. Die apologetischen Versuche, Schleiermachers Polemik zu relativieren, indem sie ihn als „Kind seiner Zeit“ auszuweisen versuchen, verkennen, dass Schleiermacher in seiner Polemik weniger „Kind seiner Zeit“ gewesen ist, als vielmehr seine und die ihm nachfolgende Zeit maßgeblich geprägt hat. Obwohl seine Leben-Jesu-Vorlesung erst lange nach seinem Tod 1864 veröffentlicht wurde, war sie doch den Protestanten und Theologen in ihren Grundlinien ebenso bekannt wie die Abhandlung „Der christliche Glaube“ (1821/22). Schleiermacher hat hier in weiten Teilen grundlegend gewirkt. Bezeichnenderweise kann die antijüdische Position Schleiermachers auch nicht einfach auf ein Bildungsdefizit zurückgeführt werden, wie es noch Wilhelm Dilthey in Bezug auf Schleiermachers ablehnende Haltung gegenüber dem Alten Testament versuchte.269 „Es blieb der in mehrfacher Beziehung verhängnisvolle Mangel in Schleiermachers theologischer Bildung, daß er in Halle dieser großartigen theologischen Bewegung, die sich von Göttingen her ausbreitete, fernstand und so später für seine kritischen Arbeiten des wahren historischen Gesichtspunktes und des breiten Fundaments der orientalischen Sprachen entbehrte, was dann für seine allgemeine Stellung zu dem Fortgang der Theologie in unserem Jahrhundert entscheidende Folgen hatte.“270

Denn das von Dilthey hier beklagte Defizit ist keines der Bildung, sondern vielmehr ein Defizit an Toleranz und Offenheit, welches allerdings von Schleiermacher auch bewusst so in Kauf genommen wurde. Sein unbedingtes Interesse gilt dem Christentum und der Ausschaltung seiner vermeintlichen Bedrohung.

II.6

Resümee

Schleiermachers Sorge gilt der Kirche und dem Christentum, ihm geht es ausschließlich um die Wahrnehmung und Bewahrung der seiner Meinung nach fragilen christlichen Identität. Diese Identitätserhaltung erfolgt als christliche Profilierung aber stets nur in Abgrenzung vom Alten Testament, 269 270

Vgl. auch Rudolf Smend, Schleiermachers Kritik am Alten Testament, 138 f. Wilhelm Dilthey, Leben Schleiermachers, 40 (Bd. 1).

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Schleiermacher und „die Juden“

in der Abgrenzung Jesu von seiner Umwelt sowie in der Abgrenzung der christlichen „Gemeinschaft der Gesinnung“ gegenüber dem jüdischen Studenten Brogi. Dabei geht Schleiermacher, wie sein Verhalten in der BrogiAffäre zeigt, über theologische Antijudaismen hinaus, wenn er als Vertreter der christlichen Majorität quasi sozialpsychologisch argumentierend die Juden als „Fremde“ betrachtet und zurückweist bzw. an alte sozialpsychologisch begründete Vorurteile wie dem seit Tacitus bekannten Vorurteil von der Absonderung der Juden („Briefe“) anknüpft. Besonders fatal wirkt sich dabei aus, dass Schleiermacher eine eindeutig pejorative Metaphorik verwendet. Während er in den „Briefen“ vor einer „Infektion“ durch jüdische Konvertiten warnt, warnt er in seiner Abhandlung „Der christliche Glaube“ vor „Kontaminierung“ und postuliert demgegenüber die „Purifikation“. Schleiermacher stellt die „Judenfrage“ als solche nicht, aber seine Position hinsichtlich der theologischen Bedeutung des Judentums sowie der Emanzipation und Akkulturation der Juden ist eindeutig von einem theologischen und sozialen Antijudaismus bestimmt. Auch wenn die sogenannte „Judenfrage“ erst Mitte des 19. Jahrhunderts ein feststehender Begriff geworden ist,271 so nimmt Schleichermacher doch ihre wesentlichen Inhalte vorweg und beteiligt sich damit an ihrer Konstruktion, indem er nicht nur sein politisches, kulturelles und ökonomisches Unbehagen zum Ausdruck bringt, sondern eindeutig Existenzängste bezüglich des Christentums und Überfremdungsängste bezüglich des Judentums artikuliert. Fatalerweise führt die romantische Individualisierung der Religion bei Schleiermacher weder zu einem toleranten Verständnis gegenüber der jüdischen Religion noch zu einer dialogorientierten Theologie der Religionen.272 Umso erstaunlicher ist es, wie von theologischer Seite nach wie vor vollkommen unkritisch das Verdienst Schleiermachers für die Individualisierung von Religion im Sinne einer religiösen Autonomie und eines religiösen Pluralismus herausgestellt werden kann.273 Schleiermacher stellt sich vielmehr in 271

272

273

Vgl. etwa Wolfgang Benz, Was ist Antisemitismus?, Bonn 2004, 83 ff.: Die Konstruktion der „Judenfrage“. Um so auffälliger ist es, dass eben dieses Konzept Schleiermachers der romantischen Individualisierung der Religion, d. h. der Betonung des inneren Glaubens des Individuums, letztendlich auch von den Juden übernommen wurde, um den Anforderungen ihrer Verbürgerlichung zu entsprechen. So etwa Wilhelm Gräb, Der kulturelle Umbruch zur Moderne und Schleiermachers Neubestimmung des Begriffs der christlichen Religion, in: Ulrich Barth/Claus-Diether

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97

die Tradition des christlichen Antijudaismus und generiert darin zudem neue antijüdische Vorurteile, welche wiederum eine breite Rezeption noch über den deutschen Kulturprotestantismus hinaus in der bürgerlichen Gesellschaft erfahren. Wenn aber weder der Bekehrungs- noch der Erziehungsgedanke in Schleiermachers Überlegungen zur Judenemanzipation eine tragende Rolle spielt, vielmehr die Existenzberichtigung des Judentums sogar infrage gestellt wird, während das Christentum sich „als das schlechthin Allgemeine“ empfiehlt, so ist zu fragen, inwieweit diese von antijudaistischen Vorstellungsmustern getragenen Überlegungen die pädagogischen Ausführungen Schleiermachers bestimmen. Welche Rolle spielt der theologische und soziale Antijudaismus Schleiermachers in seinen pädagogischen Reflexionen über jene neue Lebensweise, in der Familie und Erziehung im Zentrum stehen und die darin selbst Teil einer neuen bürgerlichen Religion wird?

Osthövener, (Hg.), 200 Jahre „Reden über die Religion“. Akten des 1. Internationalen Kongresses der Schleiermacher-Gesellschaft in Halle, 14.-17. März 1999 (Schleiermacher-Archiv; 19), Berlin 2000, 167-177, 175 f.: „Schleiermachers Argumentation für die Ursprünglichkeit religiöser Erfahrung, ihre Vorordnung vor die überlieferten Glaubenszeugnisse und theologischen Lehrsätze war ein Plädoyer für die religiöse Autonomie, für die Befreiung der Religion aus jeder Form von Autoritätsglauben und religiösem Doktrinismus. […] Ob einer religiös ist, entscheidet sich nicht mehr daran, ob er bestimmte Dogmen oder Glaubensbekenntnisse anerkennt. […] Eine solche religiöse Gemeinschaft, die nicht dogmatisch und hierarchisch verhärtet ist, duldet deshalb im ökumenischen Geist immer auch andere religiöse Gemeinschaften neben sich. Sie empfindet Vielfalt und Differenz nicht als Bedrohung, somit auch nicht als zu Überwindendes, sondern als Gewinn für das religiöse Leben […]“ Eine solche Einlassung kann letztendlich nur vor dem Hintergrund einer innerprotestantischen Ökumene verstanden werden, die die einzige tatsächlich große ökumenische Frage, die von der Beziehung zum Judentum bestimmt ist (Karl Barth), vollkommen ausblendet. Vgl. Manuel Goldmann, „Die große ökumenische Frage ...“: Zur Strukturverschiedenheit christlicher und jüdischer Tradition mit ihrer Relevanz für die Begegnung der Kirche mit Israel (Neukirchener Beiträge zur systematischen Theologie; 22), Neukirchen-Vluyn 1997, 1.

III

SCHLEIERMACHER UND DIE „MENSCHENBILDUNG“

„Menschenbildung ist aber auch eine Kunst.“1 (Friedrich Schleiermacher)

Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher ist in der pädagogischen Disziplin ein Klassiker, der nicht nur die moderne Erziehungstheorie mitbegründet hat,2 sondern auch durch seine Beiträge zur Reform des preußischen Bildungswesens hervorsticht.3 Schleiermachers in seinen pädagogischen Vorlesungen vorgetragene Theorie der Erziehung zählt neben der Johann Friedrich Herbarts zu den ersten Entwürfen einer wissenschaftlichen Pädagogik, da er neben der systematischen Behandlung auch den wissenschaftstheoretischen Status reflektiert.4 „Herbart und Schleiermacher wollten“, wie Jürgen Oelkers herausstellt, „wiederum jeder auf seine Weise, das Dilemma zwischen ‚Empirie’ und ‚Spekulation’ oder eben das Erbe Kants überwinden und so die Pädagogik auf eine eindeutig wissenschaftliche Grundlage stellen. Damit kam eine Konturierung des Wissenschaftsproblems 1

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4

Friedrich Schleiermacher, Auszüge aus den Vorlesungen im Wintersemester 1820/21, in: Ders., Texte zur Pädagogik. Kommentierte Studienausgabe, Bd. 1, hg. v. Michael Winkler/ Jens Brachmann, Frankfurt am Main 2000, 290-380, 309. Vgl. dazu die Einleitung von Michael Winkler mit ihren kritischen Anmerkungen: Einleitung, in: Friedrich Schleiermacher, Texte zur Pädagogik. Kommentierte Studienausgabe, Bd. 1, hg. v. Michael Winkler/Jens Brachmann, Frankfurt am Main 2000,VII-LXXXIV; Christph Lüth, Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher. Zur Grundlegung der modernen Pädagogik in: Klaus-Peter Horn, Heidemarie Kemnitz (Hg.): Pädagogik Unter den Linden. Von der Gründung der Berliner Universität im Jahre 1810 bis zum Ende des 20. Jahrhunderts. Stuttgart 2002, 37-62, 59 ff.; Jens Brachmann, „Tradition […] ist nur Anregung“ [?] – Anmerkungen zu Schleiermachers Kanonisierung in der pädagogischen Theoriegeschichte, in: Johanna Hopfner (Hg.), Schleiermacher in der Pädagogik, Würzburg 2001, 97-109. Vgl. auch Ingrid Lohmann, Über den Beginn der Etablierung allgemeiner Bildung. Friedrich Schleiermacher als Direktor der Berliner wissenschaftlichen Deputation, in: Zeitschrift für Pädagogik 30 (1984), 749-773. Vgl. auch Wolfgang Sünkel, Friedrich Schleiermachers Begründung der Pädagogik als Wissenschaft, Ratingen 1964.

Schleiermacher und die „Menschenbildung“

99

in Gang, das nicht auf empirische Forschung, sondern auf die Gestalt einer TheoriePraxis-Disziplin geführt wurde“5.

Schleiermacher ist jedoch, wie Manfred Frank betont, „von Haus aus, wie man zu sagen pflegt, Theologe“6. Der „Kirchenvater des 19. Jahrhunderts“7 hat maßgeblich die evangelische Theologie geprägt und ist zu den wirkmächtigsten Theologen des 19. Jahrhunderts zu rechnen. Das Bildungsverständnis Schleiermachers wird von theologischer Seite nach wie vor als christlich bestimmt charakterisiert. Im Gegensatz zur erziehungswissenschaftlichen Schleiermacher-Forschung wird somit die Zusammengehörigkeit von allgemeiner und religiöser Bildung unhinterfragt vorausgesetzt.8 Zudem wird die Gegenwartsrelevanz von Schleiermachers Bildungsbegriff entsprechend als alternativlos gültig herausgestellt, an ihm sollte, so der Tenor der evangelischen Theologie, das christliche Bildungsverständnis und die ihm folgende christliche Bildungspraxis auch heute festhalten.9 Mit diesem eindeutigen Rekurs auf Schleiermacher ist jedoch weiterhin eine dezidierte Abgrenzung von „nichtchristlichen Gestalten menschlichen Gebildetseins verbunden“, die als mangelhaft eingestuft wer5

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Jürgen Oelkers, Die große Aspiration. Zur Herausbildung der Erziehungswissenschaft im 19. Jahrhundert, Darmstadt 1989, 10. Vgl. ferner Ralf Koerrenz, Schleiermacher oder: Die Dignität der Theorie, in: Der Evangelische Erzieher 48 (1996), 306-309. Manfred Frank, Einleitung in: Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Hermeneutik und Kritik, hg. u. eingel. v. Manfred Frank, Frankfurt am Main 1997, 7-67, 8. So bereits der Titel der Publikation von Christian Lülmann, Schleiermacher, der Kirchenvater des 19. Jahrhunderts (Sammlung gemeinverständlicher Vorträge und Schriften aus dem Gebiet der Theologie und Religionsgeschichte; 48), Tübingen 1907. Diese Bezeichnung findet sich bereits bei: Rulemann Friedrich Eylert, Character-Züge und historische Fragmente aus dem Leben des Königs von Preußen Friedrich Wilhelm III., Dritter Theil, Zweite Abtheilung, Magdeburg 1846, 111. Vgl. ferner auch Gunther Wenz, Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher. Sinn und Geschmack fürs Unendliche, in: Peter Neuner/Gunther Wenz (Hg.), Theologen des 19. Jahrhunderts. Eine Einführung, Darmstadt 2002, 21-38, 21: „Kirchenvater des 19. Jahrhunderts.“ Vgl. ferner Karl Barth, Die Protestantische Theologie im 19. Jahrhundert. Ihre Vorgeschichte und ihre Geschichte, Zürich 2. Aufl. 1952, 379: „An die Spitze einer Geschichte der Theologie der neusten Zeit gehört und wird für alle Zeiten gehören der Name Schleiermacher und keiner neben ihm.“ Vgl. etwa Gerhard Ebeling, Frömmigkeit und Glaube, in: ders., Wort und Glaube, Bd. 3, Tübingen 1975, 60-95. Vgl. Eilert Herms, Schleiermachers Bildungsbegriff und seine Gegenwartsrelevanz, in: Joachim Ochel (Hg.), Bildung in evangelischer Verantwortung auf dem Hintergrund des Bildungsverständnisses von F. D. E. Schleiermacher, Göttingen 2001, 151-176, 170.

100

Schleiermacher und die „Menschenbildung“

den.10 Somit ist zu fragen, inwieweit hier von christlicher Seite nach wie vor ein Anspruch erhoben und zugrunde gelegt wird, der andere Religionen, insbesondere die jüdische, ausgrenzt und darin abwertet. Dass dieser Anspruch in seinem absoluten Sinn begründet auf Schleiermacher selbst zurückgeführt werden kann, ist offenkundig, wenn man sich Schleiermachers theologischen und sozialen Antijudaismus vor Augen führt. Im Gegensatz zu aktuellen Positionen evangelischer Theologie geht Schleiermacher allerdings nicht davon aus, dass dieser vermeintliche Mangel auf Seiten der jüdischen Religion behoben werden könnte.

III.1

Schleiermachers Bildungsgang

Schleiermacher erfährt sowohl als evangelischer Theologe als auch als Wegbereiter der modernen Pädagogik eine hohe Wertschätzung. Die Vielschichtigkeit seines dieser Wertschätzung zugrunde liegenden Werkes spiegelt sich in seiner Biographie, deren Kenntnis deshalb für das Verständnis seiner Werke nicht unerheblich ist.11 Schleiermacher wird am 21. November 1768 in Breslau geboren.12 Er entstammt väterlicherseits und mütterlicherseits einer reformierten Pastorenfamilie. Sein Vater ist Feldgeistlicher im Heer Friedrichs II. Schleiermacher verbringt die ersten zehn Jahre seines Lebens in Breslau und besucht dort die Friedrichsschule. Dann siedelt die Familie nach Pleß und Anhalt um und Schleiermacher verbringt nun zwei Jahre ohne Schulbesuch im Kreise der Familie. Er wird vom Vater unterrichtet, wenn dieser nicht auf

10 11

12

Vgl. Eilert Herms, Schleiermachers Bildungsbegriff und seine Gegenwartsrelevanz, 174. Vgl. auch den bekannten Anfang der Schleiermacher-Biographie Wilhelm Diltheys: „Die Philosophie Kants kann völlig verstanden werden ohne nähere Beschäftigung mit seiner Person und seinem Leben; Schleiermachers Bedeutung, seine Weltansicht und seine Werke bedürfen zu ihrem gründlichen Verständnis biographischer Darstellung.“ (Leben Schleiermachers, 1. Bd.: vermehrt um Stücke der Fortsetzung, aus dem Nachlasse des Verfassers hg. v. Hermann Mulert, Berlin 1922, XXXIII). Vgl. für die Biographie: Kurt Nowak, Schleiermacher. Leben, Werk und Wirkung, Göttingen 2. Aufl. 2002; Hermann Fischer, Art. Schleiermacher, Theologische Realenzyklopädie, 30 (1999), 143-189; Ulrich Schwab, Art. Schleiermacher, Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon IX (1995), 253-270.

Schleiermacher und die „Menschenbildung“

101

Reisen ist. Dann erhält er zwei Jahre Unterricht in Pleß, vor allen Dingen in den alten Sprachen. Der Vater ist 50 Jahre alt, als er beginnt, sich für die herrnhutische Frömmigkeit zu interessieren, ohne der Brüdergemeine jedoch beizutreten.13 Für Schleiermachers weiteren Bildungsweg bleibt das nicht ohne Auswirkung. Denn das Interesse des Vaters führt dazu, dass Schleiermacher 1783 einer herrnhutischen Erziehungseinrichtung anvertraut wird, dem nordwestlich von Görlitz gelegenen Pädagogium zu Niesky. Schleiermacher ist vierzehneinhalb Jahre alt, als er in das Internat eintritt. Seine Eltern sollte er nicht wiedersehen. Die Mutter stirbt nur wenige Monate später. Auch den Vater sieht er in dessen elf verbleibenden Jahren nicht wieder. Nach zwei Jahren in Niesky wechselt Schleiermacher 1785 für weitere zwei Jahre an das südöstlich von Magdeburg gelegene Seminar in Barby an der Elbe. Die Einrichtung ist eine Lehrer- und Predigerschule der Brüdergemeine. Lehrer und Geistlicher in der Gemeine will auch Schleiermacher zunächst werden. Doch dann bricht er mit diesem ursprünglichen Ziel, hatten ihn doch die Erfahrungen im Seminar in eine Krise geführt. Zwischen Zöglingen und Lehrern gibt es Spannungen. Die „Studenten-Idee“ ist unter den Dozenten verpönt; „[h]inzu kam das intellektuelle Ungenügen an den Darbietungen im Seminar. Die Dozenten waren keine Wissenschaftler. Die Studien schienen sich im Kreis zu drehen.“14 Erwartet werden jedoch eine krisenfeste Frömmigkeit und ein erbaulicher „Umgang mit Jesus“. So kommt es, dass Schleiermacher im Januar 1787 „dem Vater ‚mit zitternder Hand und mit Thränen’ [offenbart], er könne nicht länger Herrnhuter sein, 13

14

Herrnhut wird 1722 gegründet. Der Name Brüderunität (lat. Unitas Fratrum), oft auch Brüdergemeine oder Herrnhuter Brüdergemeine genannt, unterstreicht die geschichtliche Herleitung wie auch ein wesentliches Anliegen dieser Gemeinschaftsbewegung („brüderisches“ Gemeinschaftsbild ohne innerkonfessionelle Abgrenzungen). Im Hintergrund steht die alte Brüderunität der Böhmischen Brüder, die 1457 in Böhmen entstand und sich auf den Reformer Jan Hus beruft, der 1415 in Konstanz als Ketzer verbrannt wurde. Der Gründer der erneuten Brüderunität ist Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf (1700-1760), einer der maßgeblichsten Vertreter des deutschen Pietismus. Auf seine Veranlassung hin siedelten sich ab 1722 märische Exulanten, Nachfolger der böhmischen Brüder, auf seinem Gut Berthelsdorf in der Oberlausitz an. Dort gründeten sie den Ort Herrnhut, in der Regel gedeutet als „Unter des Herrn Hut“. Es folgten Gemeindegründungen nach dem Vorbild von Herrnhut. 1742 erhielt die Gemeine in Preußen die Anerkennung als eigene Gemeinschaft, 1748 in England. Es gibt kein Sonderbekenntnis; für den freikirchlichen Charakter stehen vielmehr die Strukturen des Gemeindeaufbaus. Kurt Nowak, Schleiermacher. Leben, Werk und Wirkung, 28.

102

Schleiermacher und die „Menschenbildung“

er wolle an die Universität“15. Der Abschied von der Herrnhuter Ausbildungsstätte bedeutet für Schleiermacher jedoch nicht den grundsätzlichen Bruch mit der Herrnhuter Frömmigkeit. Die Erfahrung der „mystischen Anlage“ sollte bleibend wirken: „Herrnhut verschwand nicht sang- und klanglos aus Schleiermachers Leben. In den tieferen Schichten seiner Theologie lebte Herrnhutisches weiter: im Verständnis der Offenbarung als lebendiges Geschehen, im Zutrauen in den Menschen als Gottes Ebenbild, in der Wahrnehmung der Eigenart eines jeden Menschen. Erbe Herrnhuts ist auch Schleiermachers Anschauung vom geselligen und gemeinschaftlichen Charakter der Kirche.“16 Am 16. April 1787 verlässt Schleiermacher das Seminarium und geht zum Theologiestudium nach Halle. Dort studiert er vier Semester, von 1787 bis 1789, mit besonderem Interesse an philosophischen und philologischen Fragestellungen. Zu den zentralen Themen Schleiermachers gehört die Bildung. Dieses Thema begleitet Schleiermacher von den ersten beruflichen und literarischen Anfängen an bis zu den Vorlesungen der späteren Jahre; dabei taucht es auch im Zusammenhang konkreter Aufgaben auf.17 Als Hauslehrer in Schlobitten südöstlich von Elbing in Ostpreußen in den Jahren 1790 bis 1793 im Dienst des Reichsgrafen zu Dohna gewinnt Schleiermacher erste praktische Erfahrungen auf diesem Gebiet. Als er 1793 eine kleine Studie „Über den Geschichtsunterricht“ schreibt, ist er Kandidat für das Lehramt am Seminar für gelehrte Schulen von Friedrich Gedike und erteilt für einige Monate Religionsunterricht am Kornmesserschen Waisenhaus und unterrichtet am Friedrichwerderschen Gymnasium zu Berlin. Dem Thema „Bildung“ kommt in den beiden frühen Werken „Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern“ (1799) und „Monologen“ (1800) eine große Bedeutung zu; dies gilt letztendlich auch für den Fragment gebliebenen Essay „Versuch einer Theorie des geselligen Betragens“ von 1799. Als Schleiermacher 1804 Universitätslehrer in Halle wird und dort bis 1806 15 16 17

Kurt Nowak, Schleiermacher. Leben, Werk und Wirkung, 30. Kurt Nowak, Schleiermacher. Leben, Werk und Wirkung, 32. Vgl. nur die jeweiligen bibliographischen Anmerkungen von Jens Brachmann, Auswahlbibliographie und Bibliographie zur Pädagogik Friedrich Schleiermachers, in: Friedrich Schleiermacher, Texte zur Pädagogik. Kommentierte Studienausgabe, Bd. 2, hg. v. Michael Winkler/Jens Brachmann, Frankfurt a. M. 2000, 439-454; Kurt Nowak, Schleiermacher Leben, Werk und Wirkung.

Schleiermacher und die „Menschenbildung“

103

lehrt, beginnt er auch, sich mit aktuellen pädagogischen Theorien auseinanderzusetzen. Hiervon zeugt die Rezension über Johann Friedrich Zöllners Schrift „Ideen über Nationalerziehung“ (1805). In der folgenden Zeit ist Schleiermacher an den Plänen zur Neugründung der Berliner Universität beteiligt; 1808 veröffentlicht er seine Schrift „Gelegentliche Gedanken über Universitäten in deutschem Sinn. Nebst einem Anhang über eine neu zu errichtende“, in der er über die Abhandlung universitärer Bildung hinaus auch die Themen Schule und Akademie berücksichtigt. 1810 wird Schleiermacher durch den Leiter der Sektion für Kultus und Unterricht, Wilhelm von Humboldt, zunächst zum Direktor der wissenschaftlichen Deputation für den öffentlichen Unterricht berufen, ehe er alsbald Staatsrat und ordentliches Mitglied dieser Sektion wird.18 In dieser Zeit verfasst er mehrere Gutachten zur Reorganisation des preußischen Schulwesens, u. a. einen „Allgemeinen Entwurf zum Religionsunterricht auf gelehrte Schulen“.19 Schleiermacher wird am 8. September 1810 der erste Dekan der theologischen Fakultät der neu gegründeten Berliner Universität, die am 29. Oktober 1810 erstmalig ihren Vorlesungsbetrieb aufnimmt.20 Im Wintersemester 1815/16 bekleidet Schleiermacher zudem das Rektorenamt der Universität. Mit dem Ruf auf den Lehrstuhl für Theologie und der gleichzeitigen Ernennung zum Mitglied der philosophischen Klasse der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften erhält Schleiermacher auch das Recht, philosophische Kollegien anzubieten. Neben den klassischen theologischen Fächern bietet er daher auch Vorlesungen zur Pädagogik an. Im Wintersemester 1813/14 bzw. 1820/21 sowie im Sommersemester 1826 hält Schleiermacher Vorlesungen über „Gründsätze“ oder „Grundzüge der Erziehungskunst“. Das Thema der Bildung findet darüber hinaus noch in weiteren Vorlesungen („Dialektik“; „Christliche Sitte“) sowie in Vorträgen („Über den Beruf des Staates zur Erziehung“) Berücksichtigung.

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19

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Vgl. auch Ingrid Lohmann, Über den Beginn der Etablierung allgemeiner Bildung. Friedrich Schleiermacher als Direktor der Berliner wissenschaftlichen Deputation. Vgl. nur Franz Kade, Schleiermachers Anteil an der Entwicklung des preußischen Bildungswesens von 1808-1818, Leipzig 1925. Vgl. auch Jan Rohls, Schleiermacher und die wissenschaftliche Kultur des Christentums. Festvortrag am Vorabend der 175. Wiederkehr von Schleiermachers Todestag am 11. Februar 2009 an der Humboldt Universität zu Berlin, Berlin 2009.

104

III.2

Schleiermacher und die „Menschenbildung“

Zur Interdependenz von Theologie und Pädagogik: Das Verständnis einer säkularisierten Pädagogik

Die Frage nach dem Verhältnis von allgemeiner und religiöser Erziehung bei Schleiermacher stellt sich von religionspädagogischer Seite ebenso wie von allgemeinpädagogischer.21 Während von theologischer Seite der Einfluss seiner Theologie auf seine pädagogischen Überlegungen unhinterfragt vorausgesetzt wird, ziehen die meisten Erziehungswissenschaftler/-innen eine klare Trennungslinie zwischen Schleiermachers Theologie und seiner Pädagogik, wobei sie dann Letztere als im Großen und Ganzen unbeeinflusst von der Ersteren ansehen. So bemerkt etwa Johannes Schurr, „daß Schleiermacher sich in seinen pädagogischen Vorlesungen hinsichtlich theologischer Aussagen größte Zurückhaltung auferlegt hat, was um so mehr verwunderlich ist, als er – selbst Theologe – vor überwiegend Theologie studierendem Publikum sprach, vor allem wenn man bedenkt, wie wenig seine Amtskollegen in Halle und Heidelberg, Niemeyer und Schwarz, sich solcher Zurückhaltung befleißigten und wie theologisiert seit Comenius und Francke die Pädagogik überhaupt war“22.

Für diese klare Trennung spricht zunächst, dass sich Schleiermacher selbst für eine Autonomisierung der Pädagogik einsetzt, indem er sie sowohl von der Theologie als auch von der Ethik abgrenzt.23 Und ein erster allgemeiner Überblick über die Pädagogik-Vorlesungen zeigt, dass Aussagen über religiöse Erziehung und Religionsunterricht nicht im Vordergrund stehen und hinter Fragen der allgemeinen Pädagogik zurücktreten.

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Vgl. Henning Schröer, Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768-1834), in: ders./Dietrich Zilleßen (Hg.), Klassiker der Religionspädagogik, Frankfurt am Main 1989, 115-135; Wolfgang Sommer, Der Zusammenhang von Pädagogik und Praktischer Theologie in Schleiermachers Religionspädagogik, in: Der Evangelische Erzieher 30 (1978), 321-341. Das Attribut „allgemein“ wird in Abgrenzung zu „religiös“ verwendet, keineswegs in dem Sinn einer als allgemein gültig verstandenen Pädagogik. Johannes Schurr, Schleiermachers Theorie der Erziehung. Interpretationen zur Pädagogikvorlesung von 1826, Düsseldorf 1975, 506, Anmerkung 46. Interessant ist auch die Anmerkung, dass die Adressaten seiner Pädagogik-Vorlesungen vor allem Studenten der Theologie waren. Vgl. bereits Georg Geißler, Die Autonomie der Pädagogik bei Schleiermacher (1929), in: Berthold Germer (Hg.), Schleiermacher. Interpretation und Kritik. München 1971, 49-57.

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Dass christliche Theologie und Pädagogik auch im 19. Jahrhundert das pädagogische Denken beeinflusst haben, wird in der Erziehungswissenschaft inzwischen zunehmend wieder thematisiert und dabei auch kontrovers diskutiert.24 Die Kontroverse bezieht sich dabei auf die Bedeutung, die dem religiösen und theologischen Denken für die Entwicklung und Konzeption einer allgemeinen Bildungstheorie, insbesondere aber für die Herausbildung der Erziehungswissenschaft im 19. Jahrhundert, noch beigemessen werden kann. In Hinblick auf die Säkularisierung der Schule in Deutschland wird bereits für das 17. Jahrhundert die Bedeutung von christlicher Religion und ihren Gemeinschaften für das Erziehungswesen unterschiedlich eingeschätzt.25 Dabei wird unter Säkularisierung eine „Relativierung der Ansprüche des Christentums“ verstanden bzw. die „Abkehr von christlichen Glaubensinhalten und Glaubenspraktiken“,26 deren Tragweite dann anhand der curricular-inhaltlichen und organisatorischen Prozesse im Erziehungswesen untersucht wird. Die klassische Annahme, dass die Säkularisierung des höheren Schulwesens in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begonnen und sich vom protestantischen Norden Deutschlands in den Süden verbreitet habe, um dann 1917 in Preußen mit der Abschaffung der Lehr-

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Vgl. etwa Jürgen Oelkers, Die große Aspiration. Zur Herausbildung der Erziehungswissenschaft im 19. Jahrhundert, 10: „Die christliche Pädagogik schließlich beeinflußte die Diskussionen des 19. Jahrhunderts weit mehr als alle ‚wissenschaftlichen‘ Ansätze […]“ Ferner ders., Vollendung: Theologische Spuren im pädagogischen Denken, in: Niklas Luhmann u. a. (Hg.), Zwischen Anfang und Ende. Fragen an die Pädagogik, Frankfurt am Main 1990, 24-72. Vgl. Wolfgang Neugebauer, Das Bildungswesen in Preußen seit Mitte des 17. Jahrhunderts, in: Otto Büsch (Hg.), Handbuch der Preußischen Geschichte, Bd. 2, Berlin 1992, 605-798, 612 f.; Wolfgang Neugebauer, Niedere Schulen und Realschulen, in: Notker Hammerstein/Ulrich Herrmann (Hg.), Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 2, München 2005, 219-224; vgl. auch Hans-Ulrich Musolff, Stichwort: Säkularisierung der Schule in Deutschland, in: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 9 (2006), 155-170. Vgl. diesbezüglich die entsprechenden Publikationen von Hartmut Lehmann: Zur Bedeutung von Religion und Religiosität im Barockzeitalter, in: Hartmut Lehmann, Religion und Religiosität in der Neuzeit, Göttingen 1996, 19; Zur Einführung: Aspekte der Säkularisierung, in: Hartmut Lehmann, Protestantisches Christentum im Prozeß der Säkularisierung, Göttingen 2001, 8.

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amtsprüfung in Religion zu einem Abschluss zu gelangen,27 wird nicht mehr unhinterfragt geteilt.28 Ihr steht nun vielmehr die Annahme von einem auch für das Erziehungswesen bedeutsamen, sich durchhaltenden Grundwiderspruch zwischen Säkularisierung und Rechristianisierung gegenüber.29 Bei diesen Annahmen bleibt jedoch grundsätzlich unbeachtet, dass die Begriffe „Säkularisierung“ und auch „Rechristianisierung“ relativ statisch und absolut gebraucht werden und damit die Lebenswirklichkeit der Betreffenden nur bedingt widerspiegeln. Natürlich kann man Säkularisierungstendenzen anhand von staatlich durchgeführter Schulaufsicht und anhand einer Vielzahl von Oberstufen-Curricula nachweisen. Doch sagt dies noch nichts über die Religiosität der die Schulaufsicht führenden Personen, der Lehrer, der Schüler sowie ihrer Eltern aus. Das heißt, auch weitestgehend säkular bestimmte Curricula bedingen nicht zwangsläufig ein säkulares Weltbild der Schüler. Mindestens ebenso bedeutsam scheinen hier die kulturelle Lebenswelt und das sogenannte protestantische oder katholische Milieu zu sein. Das heißt, der Prozess der Individualisierung im deutschen Katholizismus und Protestantismus, der ebenfalls eine Ethisierung beinhaltet, muss in Fragen der Säkularisierung und Rechristianisierung stets mitberücksichtigt werden. Und umgekehrt gilt, dass der Erfolg der katholischen höheren Töchterschulen in Berlin des späten 19. Jahrhunderts nicht notwendigerweise einen Nachweis für die Verbreitung religiöser Bildung darstellt.30 Denn da diese höheren 27

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So etwa Christoph Führ, Gelehrter Schulmann – Oberlehrer – Studienrat, in: Werner Conze/Jürgen Kocka (Hg.), Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert, Bd. 1, Stuttgart 1985. Vgl. die kritische Diskussion bei Hans-Ulrich Musolff, Stichwort: Säkularisierung der Schule in Deutschland, 156 ff. Vgl. Hartmut Lehmann, Zur Erforschung der Religiosität im 17. Jahrhundert, in: Hartmut Lehmann, Religion und Religiosität in der Neuzeit, Göttingen 1996, 35. Diesen Erfolg belegt Werner Simon, Katholische Schulen, Religionsunterricht und Katechese in Berlin im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, in: Kaspar Elm/Hans-Dietrich Loock (Hg.), Seelsorge und Diakonie in Berlin, Berlin 1990, 341-384. Vgl. allerdings auch Juliane Jacobi, Zwischen antiaufklärerischem Konfessionalismus und demokratischem Liberalismus: Frauenbild und Frauenbildung im Kontext der Revolution von 1848, in: Jürgen Oelkers/Daniel Tröhler (Hg.), Die Leidenschaft der Aufklärung. Studien über Zusammenhänge von bürgerlicher Gesellschaft und Bildung, Weinheim 1999, 235-250, 242: „Für Entwicklung der Bildung und der qualifizierten Erwerbstätigkeit bürgerlicher und kleinbürgerlicher Frauen im 19. Jahrhundert jenseits dieser kirchlich konservativen Gruppen waren es in Deutschland besonders Pädagogen, die prägend wirkten, namentlich Johann Heinrich Pestalozzi und sein romantischer Schüler, der Kin-

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Töchterschulen überhaupt erst eine höhere Mädchenbildung ermöglichten, ist durchaus vorstellbar, dass eben darin auch das primäre Interesse der Eltern lag und dies den Ausschlag für den Schulbesuch gegeben hat, während Fragen religiöser Bildung eher in den Hintergrund traten. Exemplarisch wäre hier ebenfalls auf die durch Mendelssohn veranlasste und dann von David Friedländer durchgeführte Gründung der jüdischen Freischule im Jahr 1778 in Berlin zu verweisen, in der die Söhne seiner weniger gut bemittelten Glaubensgenossen die deutsche Sprache und weltliches Grundwissen erlernen sollten.31 Dass dabei die religiöse Bildung hinter die sogenannte weltliche Bildung zurücktrat, bedeutet aber weder, dass sie vollständig aufgegeben wurde, noch dass die entsprechenden Schülerinnen und Schüler sowie ihre Eltern in keinerlei Weise mehr religiös gewesen wären. Ebenso ist zu berücksichtigen, dass die vorschnell als Assimilation missverstandenen Reformideen der aufgeklärten Juden nur unzureichend durch den Säkularisierungsbegriff erfasst werden und orthodoxe Formen jüdischer Religiosität oftmals vor einem antijüdischen Hintergrund als minderwertig verurteilt wurden. Hier besteht vielmehr die Gefahr, dass zeitgenössische Säkularisierungspostulate antijudaistisch motiviert sind. Insofern tragen die Begriffe „Säkularisierung“ und „Rechristianisierung“ nur bedingt zur Klärung jenes Diskurses bei, der sich mit der Bedeutung der Religion für die Bildung und der Bildung für die Religion beschäftigt. Nachvollziehbarer scheinen deshalb jene Annahmen zu sein, die eine geradlinig verlaufende Säkularisierung ablehnen, wie es etwa Juliane Jacobi tut, die auf eine säkularisierende Dialektik des Halleschen Pietismus hinweist. Nach Juliane Jacobi zeigt sich im Halleschen Pietismus „der letzte Versuch innerhalb des deutschen Protestantismus, das gesamte Leben unter christlichem Anspruch neu zu organisieren“, wobei dieser Versuch „gleichzeitig für die

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dergartenbegründer Friedrich Fröbel.“ Ferner dies., „Entzauberung der Welt“ oder „Rettung der Welt“. Mädchen- und Frauenbildung im 19. Jahrhundert in Deutschland, in: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 9 (2006), 171-186, 180 f.: Liberale Mädchen- und Frauenbildung. Ähnliche Einrichtungen wurden in Frankfurt, Breslau, Dessau und Hamburg gegründet, obgleich sie nicht das karitative Moment beinhalteten. Die Kinder des aufstrebenden jüdischen Bürgertums sollten hier auf das Leben in der bürgerlichen Gesellschaft vorbereitet werden. Vgl. Mordechai Eliav, Jüdische Erziehung in Deutschland im Zeitalter der Aufklärung und Emanzipation, Münster 2000; Simone Lässig, Jüdische Wege ins Bürgertum. Kulturelles Kapital und sozialer Aufstieg im 19. Jahrhundert, Göttingen 2004, 101242: „Sozio-ökonomischer Aufstieg durch Bildung?“

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Pädagogik die Funktion gehabt hat, Gedanken und Organisationsformen von Erziehung zu entwickeln, die zu deren Loslösung von Theologie und Kirche führten“.32 Und darüber hinaus wäre es aber auch einmal Aufgabe gerade dieses Säkularisierungsdiskurses, die Koalitionen und Kollisionen der obrigkeitsstaatlichen, mittelständischen und kirchlichen Interessen vor dem Hintergrund der konfessionellen Organisation der Volksschulen, die entgegen der allgemeinen Säkularisierung nicht abgebaut wurden, zu klären.33 Hinsichtlich der pädagogischen Theoriebildung ist grundsätzlich zu beachten, dass die durch Rousseau und Pestalozzi begründete klassische Pädagogik gegenüber dem Wissenschaftsanspruch der Aufklärung keineswegs eindeutig gewesen ist. „Sie wollte die Vervollkommnung des Menschengeschlechts befördern und dokumentierte dies in allen ihren Begründungsschriften; aber sie orientierte sich nicht am Vorbild der Naturwissenschaft, sondern blieb einer Anthropologie verpflichtet, die sich aus der christlichen Metaphysik ableitete. Die damit verbundene pädagogische Aspiration konnte nie selbständig begründet werden, sondern musste immer mit Stütztheorien arbeiten, zunächst solchen der Geschichtsphilosophie und Anthropologie und später der Psychologie und Ethik.“34

Noch im 18. Jahrhundert ist unter Pädagogik hauptsächlich eine christliche Pädagogik zu verstehen. Dem wird im erziehungswissenschaftlichen Diskurs eine als „modern“ charakterisierte Pädagogik gegenübergestellt, die sich an einer säkularen Praxis orientierte und sich von christlich-theologischen Fundierungen löste. Benennt man mit Schleiermacher einen Begründer der modernen Pädagogik, so bleibt also zu klären, inwieweit und ob überhaupt Schleiermachers pädagogische Aspiration unabhängig von seiner christlichen Anthropologie und Theologie zu erklären ist. Sollte das Religiöse aus seiner allgemeinen Pädagogik verschwunden sein und damit ebenso die Fundierung der traditionellen Wertegeltung? Der Bejahung dieser Frage

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Juliane Jacobi, Pietismus und Pädagogik, in: Zeitschrift für pädagogische Historiographie 8 (2002), 49-53, 53. Vgl. auch Ludwig von Friedeburg, Bildungsreform in Deutschland. Geschichte und gesellschaftlicher Widerspruch, Frankfurt am Main 1989. Jürgen Oelkers, Die große Aspiration. Zur Herausbildung der Erziehungswissenschaft im 19. Jahrhundert, 8.

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scheinen allein schon Schleiermachers Biographie und sein umfangreiches theologisches Werk zu widersprechen. Wilhelm Dilthey verweist bereits auf die Bedeutung von Schleiermachers Religionsverständnis für dessen philosophische Grundposition.35 Johannes Schurr legt in seinem für die pädagogische Schleiermacher-Forschung bedeutenden Werk die Annahme zugrunde, dass Schleiermachers Konzeption von Bildung vor dem Hintergrund seines philosophischen Denkens zu verstehen sei, welches wiederum in Zusammenhang mit seiner Religionsphilosophie und Theologie stehe.36 Ihm geht es um die Rekonstruktion der spekulativen Begründung der Erziehungstheorie Schleiermachers. Obwohl er allerdings den theologischen Bezug der Pädagogik Schleiermachers als „weitgehend erschöpft und dargestellt“ ansieht,37 ist die Frage nach der Bedeutung der religiösen Dimension in Schleiermachers Erziehungs- und Bildungsdenken noch nicht abschließend geklärt. So zeigt etwa Ursula Frost die strukturbildende Bedeutung der Theologie für die Pädagogik Schleiermachers auf.38 Auch wenn Schleiermachers Pädagogik keineswegs durch religiös-theologische Inhalte bestimmt sei, wie Ursula Frost herausstellt, nimmt sie doch „Bezug auf die Darlegung der menschlichen Grundverfaßt-

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Vgl. Wilhelm Dilthey, Leben Schleiermachers. 2. Bde.: Schleiermachers System als Philosophie und Theologie; aus dem Nachlass von Wilhelm Dilthey, hg. v. Martin Redeker, Berlin 1966; Bd. 2,1: Schleiermachers System als Philosophie; Bd. 2,2: Schleiermachers System als Theologie. Vgl. Johannes Schurr, Schleiermachers Theorie der Erziehung. Interpretationen zur Pädagogikvorlesung von 1826. Vgl. Johannes Schurr, Schleiermachers Theorie der Erziehung. Interpretationen zur Pädagogikvorlesung von 1826, 24. Dafür verweist er auf die Arbeiten von Horst Friebel, Die Bedeutung des Bösen für die Entwicklung der Pädagogik Schleiermachers, Ratingen 1961; Bruno Laist, Das Problem der Abhängigkeit in Schleiermachers Anthropologie und Bildungslehre, Ratingen 1965; Hans-Ulrich Wintsch, Religiosität und Bildung. Der anthropologische und bildungsphilosophische Ansatz in Schleiermachers Reden über die Religion, Zürich 1967. Vgl. auch Ursula Frost, Einigung des geistigen Lebens. Zur Theorie religiöser und allgemeiner Bildung bei Friedrich Schleiermacher, Paderborn 1991, 24: „Die Zurückhaltung der pädagogischen Schleiermacherforschung, was die religiösen Aspekte seines Bildungsdenkens und die Bezüge von Theologie und Pädagogik anbelangt, sind wohl nicht unbeeinflußt von Wilhelm Dilthey, der zwar wohl die grundlegende Bedeutung von Religion und Theologie für das gesamte Denken Schleiermachers im Ansatz erfasst, aber in seinem eigenen Bestreben nicht geteilt hat.“ Vgl. Ursula Frost, Einigung des geistigen Lebens. Zur Theorie religiöser und allgemeiner Bildung bei Friedrich Schleiermacher.

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heit im Spannungsfeld von Vernunft und Religion“39. Die Annahme Michael Winklers, dass viel jedoch dafür spreche, „daß Schleiermacher von vornherein einem genuinen Interesse an Pädagogik gehorcht, diesem auch eher unbefangen folgt, gleichwohl seine Denkmittel aus den von ihm traktierten gegenständlichen Zusammenhängen gewinnen muß“40, bedarf somit der weiteren Diskussion und vor allem der Präzisierung. Eindeutiger bezieht hier wiederum die theologische Schleiermacher-Forschung Position, wenn sie dem religiösen Aspekt in Schleiermachers Denken bleibende Bedeutung beimisst. „Dieses Urgesetz des natürlichen und des geistigen Lebens ist nach Schleiermacher religiös begründet, und man muss diesen religiösen Aspekt ständig, auch für den Bildungsbegriff, im Blick behalten, selbst wenn er nicht immer ausdrücklich gemacht wird oder wenn er in Zusammenhängen auftaucht, die seine fundamentale Bedeutung zu relativieren scheinen.“41 Die Frage, inwieweit Schleiermachers Theologie ebenfalls seine pädagogischen Reflexionen beeinflusst hat, wird durch die 2008 herausgegebene „Theorie der Erziehung von 1820/21“ in einer Nachschrift erneut aufgeworfen,42 denn diese „Berliner Nachschrift gibt der pädagogischen Forschung die Aufgabe“, wie Christiane Ehrhardt und Wolfgang Virmond herausstellen, „die Religion in ihren Diskurs einzubinden, wenn sie die dargelegte Theorie der Erziehung am Ende dem Bewusstsein des Menschen von Gott unterordnet“.43 Letztendlich sollte auch nicht unbeachtet bleiben, dass für 39

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Ursula Frost, Die Wahrheit des Strebens. Grundlagen und Voraussetzungen der Pädagogik Friedrich Schleiermachers, in: Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Pädagogik 69 (1993), 466-489, 480. Michael Winkler, Einleitung, XXX. Hermann Fischer, Schleiermachers Theorie der Bildung, in: Joachim Ochel (Hg.), Bildung in evangelischer Verantwortung auf dem Hintergrund des Bildungsverständnisses von F. D. E. Schleiermacher, Göttingen 2001, 129-150, 133. Und vgl. ferner ders., Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (Beck’sche Reihe – Denker; 563), München 2001, 90: „Für das Bildungsverständnis seinerseits ist der Gedanke der Polarität leitend. Leben vollzieht sich in der Polarität von Gegensätzen, und das gilt auch für den Bildungsprozeß. In den Reden beschreibt Schleiermacher dieses Urgesetz des Lebens als ein beständiges Aneignen und Abstoßen, als Ansichziehen und als lebendiges Sichverbreiten und führt es auf seine religiöse Wurzel zurück.“ Vgl. Friedrich Schleiermacher, Pädagogik. Die Theorie der Erziehung von 1820/21 in einer Nachschrift, herausgegeben von Christiane Ehrhardt und Wolfgang Virmond, Berlin New York 2008. Christiane Ehrhardt/Wolfgang Virmond, Schleiermachers Pädagogik-Vorlesung von 1820/21. Ein Aschenputtel in neuem Licht, in: Vierteljahresschrift für wissenschaftliche

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Schleiermacher bei aller Zurückhaltung gegenüber einer vermeintlich planbaren religiösen Bildung als bestimmter Form der Erziehung ein religiöses Gemeinleben ohne Erziehung und vor allen Dingen ohne eine entsprechende Theorie der Erziehung nicht vorstellbar ist.44 Es bleibt also weiterhin zu überprüfen, inwieweit der religiöse Aspekt in Schleiermachers pädagogischen Reflexionen eine Rolle spielt und entsprechend zu berücksichtigen ist. Sollte Schleiermachers Intention in den „Reden“, religiöse Bindung und moderne Bildung als miteinander vereinbar zu erweisen, in seinen späteren pädagogischen Überlegungen keine Spuren hinterlassen haben und keine Bedeutung mehr gehabt haben? Darüber hinaus ist grundsätzlich zu beachten, dass Pädagogik und Theologie nirgendwo sonst in der Geschichte durch ein gemeinsames Gegenstandsfeld so eng aufeinander bezogen sind wie durch den pädagogischen Zentralbegriff der Bildung.45

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Pädagogik 83 (2007), 345-359, 354. Zu Recht verweisen die Autorin und der Autor ebd. auf den potentiellen Einfluss von Schleiermachers Werk „Der christliche Glaube“, das in demselben Zeitraum verfasst wurde. Deshalb verwundert es nicht, dass Wolfgang Hinrichs vor diesem Hintergrund „nach Wurzelgleichheit zwischen Schleiermachers Glaubenslehre und seiner (philosophischen) Pädagogik“ sucht. Vgl. Wolfgang Hinirchs, Philosophische Gedanken zu Schleiermachers Theologie und Pädagogik. Ausgehend von seiner Glaubenslehre 1830/31, in: Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Pädagogik 83 (2007), 448-469, 448. Hinrichs bezieht sich dafür auf die 2., 1830/31 erschienene Auflage von Schleiermachers Werk „Der christliche Glaube“. Vgl. ferner Christiane Ehrhardt/Wolfgang Virmond, Einleitung der Herausgeber, in: Friedrich Schleiermacher, Pädagogik. Die Theorie der Erziehung von 1820/21 in einer Nachschrift, 34. Vgl. nur Friedrich Schleiermacher, Pädagogik. Die Theorie der Erziehung von 1820/21 in einer Nachschrift, 59: „Wenn nun also der Mensch zur Stütze des bürgerlichen und zum Werkzeuge des religiösen Lebens gebildet werden soll, so ist der Verfall von Pädagogik stets ein schlimmes Zeichen für die Vernachlässigung des bürgerlichen Lebens oder des wissenschaftlichen Bewusstseins. Es würde keine Entschuldigung sein, wenn man sagte, die Erziehung könne doch vortrefflich sein, wenngleich die Theorie derselben vernachlässigt werde. […] Ist das religiöse Element in einem Volke vorzüglich mächtig, so kann eine religiöse Erziehung dem Glaubens des Volkes gemäß ohne Theorie vortrefflich da sein. Aber fragen wir ein Geschlecht, wie leicht sich das Gefühl verirrt und wie dann, wenn beide Elemente, das politische und religiöse, nicht zusammentreffen, das Ziel erreicht werden kann, so ist nichts nötiger, als dass eine Theorie das getrübte Gefühl reinige.“ Nach Karl Ernst Nipkow, Zur Rekonstruktion der Bildungstheorie in Religion und Kirche, in: Otto Hansmann/Winfried Marotzki (Hg.), Diskurs Bildungstheorie I: Systematische Markierungen, Weinheim 1988, 441-463, 454, verdanken sich „die Rekonstruk-

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Exkurs: Die Quellenlage „Das Auslegen kann nach der allgemeinen Übersicht oft lange ruhig fortgehen, ohne eigentlich kunstlos zu sein, weil doch alles an das allgemeine Bild gehalten wird. Sobald aber eine Schwierigkeit im einzelnen entsteht, entsteht auch der Zweifel, ob die Schuld am Verfasser liegt oder an uns.“46 (Friedrich Schleiermacher)

Weder Schleiermacher noch andere haben zu seinen Lebzeiten die Vorlesungen zur Erziehungskunst für den Druck bearbeitet.47 Erst 1849 wird Schleiermachers „Erziehungslehre“ von Carl Platz auf der Grundlage von Schleiermacher-Manuskripten und Hörernachschriften zusammengestellt: „Erziehungslehre. Aus Schleiermacher’s handschriftlichem Nachlasse und nachgeschriebenen Vorlesungen herausgegeben von C. Platz. Berlin, gedruckt bei G. Reimer, 1849.“48 Aufgrund des Quellenverlustes wurde diese Ausgabe dann Grundlage für alle weiteren Editionen. Michael Winkler und Jens Brachmann haben nun im Jahr 2000 eine mit dem Titel „Texte zur Pädagogik“ überschriebene kommentierte Studienausgabe herausgegeben,

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tion der allgemeinen Bildungstheorie und die einer religionspädagogischen Bildungstheorie mit dem Bildungsbegriff einem gemeinsamen pädagogischen Grundkriterium“. Vgl. auch Matthias Blum, Bildung zwischen Macht und Ohnmacht. Zur Neufassung des Bildungsbegriffs in religionspädagogischer Perspektive, in: Matthias Blum/Andreas Hölscher (Hg.), Die Kunst der Glaubensvermittlung. Perspektiven zeitgemäßer Religionspädagogik, Berlin 2002, 229-252. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Hermeneutik und Kritik, hg. u. eingel. v. Manfred Frank, Frankfurt am Main 1997, 104 (= Friedrich Schleiermacher, Hermeneutik und Kritik mit besonderer Beziehung auf das Neue Testament. Aus Schleiermacher’s handschriftlichem Nachlasse und nachgeschriebenen Vorlesungen hg. von Dr. Friedrich Lücke, Berlin 1838 [Sämmtliche Werke, I. Abteilung; 7], 46). Vgl. Jens Brachmann, Kommentar: Schleiermachers Vorlesungen zur Pädagogik, in: Friedrich Schleiermacher, Texte zur Pädagogik. Kommentierte Studienausgabe, Bd. 1, hg. v. Michael Winkler/Jens Brachmann, Frankfurt am Main 2000, 431-444; ders., Kommentar: Vorlesungen 1826: Friedrich Schleiermacher, Texte zur Pädagogik. Kommentierte Studienausgabe, Bd. 2, hg. v. Michael Winkler/Jens Brachmann, Frankfurt am Main 2000, 406-411. In: Friedrich Schleiermacher’s sämmtliche Werke. Dritte Abteilung. Zur Philosophie, Bd. 9, Berlin 1849.

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die eine Anordnung der relevanten Texte in chronologischer Form bietet.49 Die erstmalig 1849 herausgegebene „Erziehungslehre“ erscheint 1871 in der im Verlag Hermann Beyer (Langensalza) herausgegebenen „Bibliothek Pädagogischer Classiker“ (Band 5). Aufgrund der Herausgabe in dieser Reihe entwickelt sich Schleiermacher zu einem Klassiker des Erziehungsdenkens.50 Damit ist aber bei allen textkritischen Diskussionen und „Infragestellungen“ der von Platz herausgegebenen „Erziehungslehre“ zu bedenken, dass die Rezeption ebendieser Ausgabe Schleiermacher zu einem Klassiker der Pädagogik gemacht hat. Das heißt, Schleiermachers Bedeutung als Begründer der modernen Pädagogik geht nicht zuletzt auf die Wirkungsgeschichte dieser Ausgabe zurück, so dass später entdeckten weiteren Nachschriften zunächst nur philologisches Interesse zukommt, weil die Rezeptionsgeschichte davon unberührt blieb und das Gesamtbild von Schleiermachers Pädagogik bereits eindeutig geprägt hat. Die Diskussion um die vermeintliche Originalität Schleiermachers unter Verweis auf neue Nachschriften trägt somit nicht weit,51 weil die Autorperspektive in diesem Fall längst hinter die 49

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Vgl. Friedrich Schleiermacher, Texte zur Pädagogik. Kommentierte Studienausgabe, Bde. 1/2, hg. v. Michael Winkler/Jens Brachmann, Frankfurt am Main 2000. Vgl. dazu Michael Winkler, Einleitung, LXXXIV: „Darin liegt durchaus die Ambition, den Vorrang der Vorlesung von 1826 für die Interpretation zurückzunehmen, wobei sich zugleich doch eine höhere Konsistenz im pädagogischen Denken Schleiermachers ergibt, als bisher angenommen wurde. Zugleich zeichnet sich ab, daß beispielsweise für die Vorlesung von 1820/21 in Zukunft eine deutlich besser abgesicherte Textgrundlage erstellt werden kann. So wurden im Rahmen des mit der Textausgabe verbundenen Forschungsprojekts zwei neue Nachschriften gefunden (zur Vorlesung 1820/21 bzw. 1826), die insbesondere helfen können, den Zusammenhang zwischen Psychologie und Pädagogik Schleiermachers zu klären. Diese Texte sind im Kommentar der vorliegenden Studienausgabe berücksichtigt worden. Neben textkritischen Hinweisen, begrifflichen und sachlichen Erklärungen versucht dieser, den Stand der Forschung zu präsentieren, um eine zuverlässige für Studien- und Forschungszwecke hilfreiche Textausgabe der Pädagogik Schleiermachers zu erreichen.“ Diese zweibändige Studienausgabe folgt in der Wiedergabe Schleiermachers – abgesehen von den Anhängen im Kommentar – den Regeln der zum Zeitpunkt ihrer Herausgabe aktuellen deutschen Rechtschreibung. Vgl. auch Jens Brachmann, Kommentar: Schleiermachers Vorlesungen zur Pädagogik, 439 f. Ob man in Hinblick auf Neufunde einer Vorlesungsmitschrift überhaupt von einem authentischen Textzeugnis zur Vorlesung sprechen kann, das eine dementsprechende Textkritik des bis dato veröffentlichen Kollegs erlauben würde, sei dahingestellt, denn eine Mitschrift ist auch eine nicht vom angegebenen Autor selbst verfasste und autorisierte

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Leserperspektive und Rezeptionsperspektive zurückgetreten ist. Das Postulat nach einer erneuten Diskussion der grundsätzlichen Bedeutung der Pädagogik-Vorlesung Schleiermachers von 1820/21 im Rahmen seiner Pädagogik-Vorlesungen, das die 2008 von Christiane Ehrhardt und Wolfgang Virmond herausgegebene „Theorie der Erziehung von 1820/21 in einer Nachschrift“ aufwirft,52 bleibt davon unbenommen.

III.3

Die Theorie Schleiermachers zwischen religiöser und allgemeiner Bildung und Erziehung

Im Mittelpunkt der weiteren Untersuchung stehen Schleiermachers Texte zur Pädagogik, die auf antijüdische Implikationen und Explikationen hin untersucht werden sollen. Während eine Vielzahl seiner theologischen Schriften sowie die Ausführungen zur Frage der Judenemanzipation eindeu-

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Verschriftlichung des Gehörten. So aber Jens Brachmann in seinem Kommentar zur Vorlesung von 1826 mit Bezug auf den Zürcher Codex: Kommentar: Vorlesungen 1826, 411. Im eigentlichen rezeptionsästhetischen Sinn ist eine Rezeptionsgeschichte – entgegen Brachmann ebd. – auch nicht zu „korrigieren“, sondern vielmehr in Hinblick auf ein nachvollziehbares Textverständnis kritisch zu diskutieren. Vgl. auch Jens Brachmann, Die Nachschrift zu Schleiermachers „Grundzügen der Erziehungskunst“ vom Sommersemester 1826 im Besitz der Bibliothek des Hermeneutischen Instituts der Universität Zürich, in: THEOLOGICA 1998, Zürich 1998, 45-48; Stefan Kratochwil, Einige Anmerkungen zu einer neu gefundenen Mitschrift der Pädagogik-Vorlesungen Schleiermachers von 1826, in: Johanna Hopfner (Hg.), Schleiermacher in der Pädagogik, Würzburg 2001, 111-120. Friedrich Schleiermacher, Pädagogik. Die Theorie der Erziehung von 1820/21 in einer Nachschrift, herausgegeben von Christiane Ehrhardt und Wolfgang Virmond, Berlin New York 2008. Vgl. Christiane Ehrhardt/Wolfgang Virmond, Schleiermachers Pädagogik-Vorlesung von 1820/21. Ein Aschenputtel in neuem Licht, 354: „Schleiermachers Vorlesung von 1820/21 – das Stiefkind der bisherigen Edition und Forschung – erscheint durch die jüngst aufgefundenen Nachschriften in neuem Licht.“ Dass die inhaltliche Gewichtung der Vorlesung keineswegs auf dem Themenkomplex Strafe und Zucht liege, wie Ehrhardt und Virmond vor dem Hintergrund dieser Nachschrift herausstellen (ebd., 345, 354), wurde bereits ebenfalls von Jens Brachmann unter Verweis auf eine andere Nachschrift, den Codex Frensdorff, angemerkt. Vgl. Jens Brachmann, Kommentar: Vorlesungen 1820/21, in: Friedrich Schleiermacher, Texte zur Pädagogik. Kommentierte Studienausgabe, Bd. 1, hg. v. Michael Winkler/Jens Brachmann, Frankfurt am Main 2000, 448-456, 450 f.

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tig christliche Antijudaismen aufweisen, gilt dies für seine genuin pädagogischen Reflexionen, wie sie in den Vorlesungen zur Pädagogik dokumentiert sind, dem ersten Eindruck nach nicht. Da Schleiermachers Antijudaismus im Wesentlichen christlich motiviert ist, greift diese Untersuchung damit erneut die Frage nach dem Gehalt und der Bedeutung christlicher Religion und Theologie für seine allgemeine Pädagogik auf. Ob und inwieweit Schleiermachers antijüdische Vorstellungsmuster in seine pädagogischen Reflexionen eingegangen sind, dürfte also zu einem großen Teil auch davon abhängen, wie sehr sein christliches Denken das pädagogische beeinflusst hat. Zum einen stellt sich damit nicht nur erneut die Frage, welchen Stellenwert Schleiermacher religiöser Bildung an sich beimisst, sondern darüber hinaus vor allen Dingen die Frage, welche Bedeutung der christlichen Anthropologie und dem christlich bestimmten Allgemeinen in den Pädagogik-Vorlesungen zukommt. Die Antijudaismusfrage in Hinblick auf Schleiermachers Pädagogik zu stellen, bedeutet damit darüber hinaus aber auch, den Säkularisierungsdiskurs einmal aus einer anderen Perspektive zu führen. Daneben kann die „Antijudaismusfrage“ nicht losgelöst von der Wissenschaftsproblematik der Schleiermacher’schen Pädagogik gestellt werden, die ihrerseits wiederum nicht im Rahmen empirischer Forschung gelöst wird, sondern in der Gestaltung einer Theorie-Praxis-Disziplin eine Lösung erfährt. Weil sich Erziehung als sozialer Sachverhalt nicht empirisch erschließt, sondern nur über das Verständnis von Kultur, ist das historisch gewachsene kulturelle Verständnis religiöser Systeme und Lebenswelten wiederum nicht unerheblich für das Verständnis von Erziehung und der Deutung ihrer Verhältnisse. Ausgangspunkt der weiteren Auseinandersetzung sollen allerdings wiederum die „Reden“ sein.53 Denn in dieser Frühschrift tritt der Antijudaismus Schleiermachers ebenso offensichtlich zutage wie seine frühe Bildungskonzeption.

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Vgl. auch Wilhelm Gräb, Der kulturelle Umbruch zur Moderne und Schleiermachers Neubestimmung des Begriffs der christlichen Religion, in: Ulrich Barth/Claus-Diether Osthövener (Hg.), 200 Jahre „Reden über die Religion“. Akten des 1. Internationalen Kongresses der Schleiermacher-Gesellschaft in Halle, 14.-17. März 1999 (Schleiermacher-Archiv; 19), Berlin 2000, 167-177, 167, der neben der bleibenden Aktualität auf die vielfältige Anschlussfähigkeit von Schleiermachers Reden „Über die Religion“ verweist.

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Schleiermachers „Reden“, insbesondere die dritte Rede über die „Bildung zur Religion“, sind Ausgangspunkt und Grundlage seiner weiteren Überlegungen.54 Dies gilt umso mehr, wenn man bedenkt, dass die Konsolidierung der wissenschaftlichen Grundposition Schleiermachers nach Wilhelm Dilthey bereits 1800 erfolgt. „Mithin kann von einem kontinuierlichen Interessenzusammenhang im Werk Schleiermachers ausgegangen werden, was sich insbesondere in bezug auf die religiöse Thematik belegen läßt. Das schließt keineswegs Entwicklungen und Modifiktionen aus, begreift diese aber als Stufen zur besseren Erfassung desselben Ansatzes. Diesem Standpunkt folgend muß die Explikation des religiösen Fundaments von Schleiermachers Bildungsdenken im Zusammenhang mit seinem Gesamtwerk nicht nur legitim, sondern erforderlich erscheinen.“55

III.3.1

Von der „Bildung zur Religion“

In der dritten seiner „Reden“, „Über die Bildung zur Religion“, verneint Schleiermacher die Frage, ob Religion zu lehren, ob darin zu unterrichten sei – wobei er mit Religion grundsätzlich die christliche Religion meint. Der Unterricht in Religion sei eben nur der Schatten der menschlichen Anschauungen: „Anschauen können wir sie nicht lehren, wir können nicht aus uns in sie übertragen die Kraft und Fertigkeit, vor welchen Gegenständen wir uns auch befinden dennoch überall das ursprüngliche Licht des Universums aus ihnen einzusaugen in unser Organ; das mimische Talent ihrer Fantasie können wir vielleicht so weit aufregen, daß es ihnen leicht wird, wenn Anschauungen der Religion ihnen mit starken Farben vorgemalt werden, einige Regungen in sich hervorzubringen die dem von ferne gleichen, wovon sie unsre Seele erfüllt sehen: aber durchdringt das ihr Wesen, ist das Religion?“56

54

55

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Vgl. Ursula Frost, Die Wahrheit des Strebens. Grundlagen und Voraussetzungen der Pädagogik Friedrich Schleiermachers, 466: „Bei aller Abwandlung der theoretischen Ausführungen im einzelnen kann man die Reden ‚Über die Religion‘ als diejenige Frühschrift Schleiermachers bezeichnen, in der alle Hauptaufgaben seines Denkens programmatisch vorgezeichnet sind.“ Ursula Frost, Einigung des geistigen Lebens. Zur Theorie religiöser und allgemeiner Bildung bei Friedrich Schleiermacher, 28. Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 250.

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Nach Schleiermacher wird der Mensch mit „der religiösen Anlage“ geboren, wohingegen es die „Verständigen und praktischen Menschen“ seien, die das dieser Anlage entsprechende „Gedeihen der Religion“ verhinderten.57 Denn dem „Standpunkt des bürgerlichen Lebens“ zufolge muss „Absicht und Zwek […] in Allem sein“, während eine „ruhige, hingebende Beschauung“ eben nicht vorgesehen sei.58 Es ist in diesem Kontext besonders auffällig, dass Schleiermacher in seiner Kritik an diesem bürgerlichen Standpunkt die ausschließliche Fixierung auf die Zweckgerichtetheit allen Tuns moniert. Zwar geht es ihm der Sache nach um die „ruhige, hingebende Beschauung“, letztendlich spricht er sich damit aber auch für eine zweckfreie Bildung an sich aus. Die Bildung zur Religion geht somit einher mit einer Bildung zur Bildung. Eine entsprechende Analogie findet sich in seinen späteren pädagogischen Überlegungen, denen zufolge die verdingende Erwerbstätigkeit zugunsten der Bildung – wo möglich – zurücktreten sollte, wie er in seinem Votum zu Süverns Gesamtinstruktion darlegt. „[W]ie kann sich die Liberalität, die die erste schöne Folge des Wohlstandes sein soll, besser und an einem wichtigeren Gegenstande äußern als dadurch, daß nicht geeilt wird, die Jugend in den wirklichen Erwerb einzuspannen. Nur auf diesem Wege können wir uns jener allgemeinen Verbreitung intellektueller Kultur nähern, durch welche sich England auszeichnet.“59

Damit stellt sich die grundsätzliche Frage, ob Schleiermacher nicht in seiner frühen Schrift von 1799, den „Reden“, ein Bildungsverständnis entwickelt, welches zunächst in der Bezugnahme auf die Bildsamkeit zur christlichen Religion entsteht, dann aber für alle weiteren Überlegungen zugrunde gelegt wird. Das auf den christlichen Religionsbegriff bezogene Bildungsverständnis geht von den Grenzen pädagogischer Einwirkung aus, weil Schleiermacher es für unmöglich erachtet, Religiosität in einem anderen Menschen bewusst zu entwickeln. Dem korrespondiert das grundsätzliche Verständnis von einer absichtslosen zweckfreien, d. h. nicht technisch verstandenen, nicht zweckgerichteten Bildung. Wie Schleiermacher in den „Reden“ von der „religiösen Anlage“ eines jeden Menschen ausgeht, geht er in seinen 57 58 59

Vgl. Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 252. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 253 f. Friedrich Schleiermacher, Votum zu Süverns Gesamtinstruktion, in: ders., Texte zur Pädagogik. Kommentierte Studienausgabe, Bd. 1, hg. v. Michael Winkler/Jens Brachmann, Frankfurt am Main 2000, 185-201, 187.

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pädagogischen Reflexionen grundsätzlich von einer Anlage zur Bildung eines jeden Menschen aus. „Der Mensch wird mit der religiösen Anlage geboren, wie mit jeder andern.“60 Aber so wenig die Entwicklung der „religiösen Anlage“ „einzuimpfen“ oder „anzubilden“ sei,61 so wenig könne man – um seine Reflexionen zur Bildung einmal zu resümieren – Bildung einimpfen oder lehren. Die Religion sollte sich nach Schleiermacher frei äußern.62 Analoges könnte man auch seiner Bildungsauffassung zusprechen, denn Bildung soll sich ja frei entwickeln. Wenn Schleiermacher in Bezug auf die Religion ausführt, dass „[wir] unsere Meinungen und Lehrsäze Andern wohl mittheilen [können]“, aber „daß das nur die Schatten unserer Anschauungen und Gefühle sind“,63 so zeigt er damit die defizitäre Seite eines Religionsverständnisses und die Unzulänglichkeit eines solchen Vermittlungskonzeptes von Religion auf. Diese Aussage lässt sich nun ebenfalls auf die Vorstellung von Bildung übertragen, denn auch Bildung entsteht nicht durch Mitteilung von Meinungen und Lehrsätzen, die – so könnte man noch ergänzen – bloß mechanisch reproduziert würden. Bloße Vermittlungs- und Anbildungstätigkeiten treffen weder das Wesen der Religion noch das Wesen der Bildung. So wenig sich Schleiermacher „anheischig machen [will], auch Religion zu lehren“64, so wenig dürfte er sich „anheischig“ machen, Bildung im technischen Sinne lehren zu wollen. Die Analogie zwischen religiöser und allgemeiner Bildsamkeit geht stellenweise so weit, dass man das Wort „Religion“ durch das Wort „Bildung“ in Schleiermachers Ausführungen ersetzen könnte.65 Wenn er schreibt: „Wer durch die Äußerungen seiner eignen Religion sie in Andern aufgeregt hat, der hat nun diese nicht mehr in seiner Gewalt, sie bei sich festzuhalten: frei ist auch ihre Religion sobald sie lebt und geht ihres eignen Weges.“66 Ebenso würde es Schleiermachers Bildungsverständnis entsprechen, para60 61 62 63 64 65

66

Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 252 (Original nicht kursiv). Vgl. Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 249. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 248. Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 250. Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 251. Vgl. dazu im weiteren Sinne auch Terry H. Foreman, Schleiermacher’s “Natural History of Religion”: Science and the Interpretation of Culture in the “Speeches”, in: The Journal of Religion 58 (1978), 91-107, 98; ders., Religion as a Heart of Humanistic Culture: Schleiermacher as Exponent of Bildung in the Speeches on Religion of 1799, Ann Arbor 1975. Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 251 (im Original nicht kursiv).

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phrasierend zu sagen: „Wer durch die Äußerungen seiner eigenen Bildung sie in anderen aufgeregt hat, der hat nun diese nicht mehr in seiner Gewalt, sie bei sich festzuhalten: frei ist auch ihre Bildung, sobald sie lebt und geht ihres eigenen Weges.“ Und wenn dann die „Verständigen und praktischen Menschen“ und eben nicht die Skeptiker und Zweifler das „Gegengewicht gegen die Religion“ bildeten, d. h. sich ihrem Gedeihen entgegenstellten,67 so könnte man dies ebenfalls in Bezug auf die Bildung behaupten.68 Denn Schleiermacher spricht sich insbesondere gegen eine reine Praxisausrichtung der Bildung unter pragmatischen Gesichtspunkten aus; nichts liegt ihm ferner als reiner Bildungspragmatismus. „Von der zarten Kindheit an mishandeln sie [die praktischen Menschen; M. B.] den Menschen und unterdrüken sein Streben nach dem Höheren.“69 Was Schleiermacher hier in Bezug auf die Religion bzw. Religiosität konstatiert, könnte er ohne weiteres auch hinsichtlich der Bildung sagen. So verallgemeinert er diese Überlegung dann auch in seinen weiteren Ausführungen über die „Bildung zur Religion“, wenn er schreibt: „Um den Sinn einigermaßen gegen die Anmaßungen der andern Vermögen zu schüzen, ist jedem Menschen ein eigner Trieb eingepflanzt, bisweilen jede andere Thätigkeit ruhen zu laßen, und nur alle Organe zu öffnen, um sich von allen Eindrüken durchdringen zu laßen; und durch eine geheime, höchst wolthätige Sympathie ist dieser Trieb gerade am stärksten, wenn sich das allgmeine Leben in der eignen Brust und in der umgebenden Welt am vernehmlichsten offenbart: aber daß es ihnen nur nicht vergönnet wäre, diesem Triebe in behaglicher unthätiger Ruhe nachzuhängen; denn aus dem Standpunkt des bürgerlichen Lebens ist dies Trägheit und Müßiggang. Absicht und Zwek muß in Allem sein, sie müßen immer etwas verrichten, und wenn der Geist nicht mehr dienen kann, mögen sie den Leib üben; Arbeit und Spiel, nur keine ruhige, hingegebene Beschauung.“70

Könnte man diesen Trieb nicht auch als Bildungstrieb bezeichnen, der nur allzu oft deshalb unterdrückt wird, weil er nicht zweckgerichtet ist, keine „zwekmäßige Thätigkeit“, sondern vielmehr zweckfrei? „Daher ist reine

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Vgl. Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 252. Vgl. dazu auch den Ansatz von Hans-Ulrich Wintsch, Religiosität und Bildung. Der anthropologische und bildungsphilosophische Ansatz in Schleiermachers Reden über die Religion, Zürich 1967, 111 ff., der den phänomenalen Zusammenhang von Bildung und Religiosität in den „Reden über die Religion“ herausstellt. Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 252. Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 253.

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Liebe zur Dichtung und zur Kunst“, so Schleiermacher weiter, „eine Ausschweifung, die man nur duldet, weil sie nicht ganz so arg ist als andere“.71 Auch wenn „Religion und Bildung […] von Schleiermacher“, wie Christiane Ehrhardt in Bezug auf die dritte Rede über die „Bildung zur Religion“ anmerkt, „in ein Verhältnis gesetzt [werden], welches beide voneinander unterscheidet und eine eigenständige Begründung von Religion und Bildung anstrebt“,72 ist doch gerade die Analogie zwischen religiöser Bildsamkeit und allgemeiner Bildsamkeit das Auffällige. Denn diese Analogie eröffnet den Gebildeten nach Schleiermacher letztendlich die Möglichkeit, zur Religion zurückzukehren. Ob sich allerdings „von diesen praktischen und verständigen Menschen […] die wahrhaft Gebildeten nur durch eine explizite Bezugnahme auf Religion begründet abgrenzen [können]“73, wie Christiane Ehrhardt Schleiermacher interpretierend feststellt, sei deshalb dahingestellt. Vielmehr kann die Offenheit des Bildungsprozesses auch zu einer Offenheit gegenüber der Religion und dem Unendlichen führen bzw. diese nahelegen; eine Übernahme der Religion erfolgt daraus aber nicht zwangsläufig, auch wenn dies aus einer religiösen Perspektive wiederum naheliegend sein mag. Darauf weist bereits 1822 Karl Heinrich Sack in seiner Kritik an Schleiermachers Subjektivierung der Religion hin.74 Schleiermacher geht es um die grundsätzliche Möglichkeit bzw. Voraussetzung, für deren Erschließung und Beibehaltung er sich ja so stark macht. Dass es für ihn jedoch naheliegend ist, dass gerade der wahrhaft Gebildete auch für die Anschauung des Universums offen ist und damit letztendlich für eine „Bildung zur Religion“, macht das Besondere in Schleiermachers Argumentation aus. Schleiermachers vordringliche Intention, die Entwicklung der Religion unabhängig von aller inhaltlichen Unterweisung „aufzuregen“, indem die religiöse Grundbeziehung bewusst gemacht wird, hat somit eine Ent-

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Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 255. Christiane Ehrhardt, Religion, Bildung und Erziehung bei Schleiermacher. Eine Analyse der Beziehungen und des Widerstreits zwischen den „Reden über die Religion“ und den „Monologen“, Göttingen 2005, 67. Christiane Ehrhardt, Religion, Bildung und Erziehung bei Schleiermacher. Eine Analyse der Beziehungen und des Widerstreits zwischen den „Reden über die Religion“ und den „Monologen“, 68. Vgl. Karl Heinrich Sack, Rezension von F. Schleiermachers Reden „Über die Religion“, 3. Ausgabe, in: Heidelberger Jahrbücher der Literatur 15 (1822), 833-848, 839 f.

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sprechung in der Entwicklung von Bildung, bei der es um die Bewusstwerdung der menschlichen Grundverfasstheit geht. Schleiermachers Religions- und Bildungsverständnis sperrt sich gegenüber einer praktischen Notwendigkeit75 und betont demgegenüber eine grundsätzliche Offenheit gegenüber dem Unendlichen sowie dem SichBilden – eine Offenheit, die nicht mit einem Abschluss rechnet, sondern deren Hauptmerkmal auf dem Prozesshaften liegt. Deshalb prognostiziert Schleiermacher auch, dass die Gebildeten zu einer „Palingenesie der Religion“76 beitragen könnten. Während die Analogie also in der Ablehnung eines Postulats praktischer Notwendigkeit besteht, hört sie allerdings an dem Punkt auf, an dem es um die Auseinandersetzung mit dem Unendlichen geht, die die Gebildeten gar nicht erst aufzunehmen suchen. Schleiermacher wirft den Gebildeten vielmehr eine „Wuth des Verstehens“ vor, die den Sinn gar nicht aufkommen lasse.77 „Die Hauptsache aber ist die, daß sie Alles verstehen sollen, und mit dem Verstehen werden sie völlig betrogen um ihren Sinn.“78 Und anstatt die erste Regung der Religion überhaupt zuzulassen, würde dann ein Surrogat geboten in Form von „Dichtungen von überirdischen Wesen“ und entsprechenden „moralischen Geschichten“. „So werden die armen Seelen, die nach ganz etwas anderem dursten, mit moralischen Geschichten gelangweilt und lernen, wie schön und nützlich es ist, fein artig und verständig zu sein; sie bekommen Begriffe von gemeinen Dingen, und ohne Rüksicht auf das zu nehmen, was ihnen fehlt, reicht man ihnen noch immer mehr von dem, wovon sie schon zu viel haben.“79

Damit spielt Schleiermacher nicht zuletzt auf die Vertreter einer aufgeklärten und vernünftigen Religion an, die diese aufgrund ihrer moralischen Nützlichkeit wertschätzen, aber alles Unendliche als quasi Übernatürliches

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Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 252. Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 260. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 252. Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 253. Und entsprechend heißt es dann in der Nachschrift zur Theorie der Erziehung von 1820/21: „Auch für den Menschen im Zustande seiner Vollendung hat das Religiöse nicht dadurch seinen Wert, was wir eigentlich Verstehen nennen, sondern es knüpft sich mehr an das Gebiet der Empfindung an.“ Vgl. Friedrich Schleiermacher, Pädagogik. Die Theorie der Erziehung von 1820/21 in einer Nachschrift, 208. Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 253.

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ablehnen. Dass er sich mit einer solchen Auffassung von Religion kritisch auseinandersetzt, belegen seine „Briefe“. Schleiermacher entwirft in seinen Überlegungen ein Verständnis von Bildung zur Religion, welches sich ohne weiteres verallgemeinern lässt und darin einen offenen Bildungsbegriff impliziert, nach dem Bildung nicht durch Lehren und Unterricht evoziert werden kann, und das bedeutet auch, nicht organisiert werden kann.80 Dieses Bildungsverständnis wird später Theodor W. Adorno aufgreifen, wenn er in seinem Aufsatz über die „Theorie der Halbbildung“ schreibt: „Bildung läßt sich, dem Spruch aus dem Faust entgegen, überhaupt nicht erwerben, Erwerb und schlechter Besitz wären eines.“81 Schleiermachers in der zweiten Rede geäußerte Grundsatz, „die religiösen Gefühle sollen wie eine heilige Musik alles Thun des Menschen begleiten; er soll alles mit Religion thun, nichts aus Religion“82, bringt für viele Schleiermacher-Rezipienten eine nichthierarchische und nichtteleologische Verhältnisbestimmung zum Ausdruck. „Nimmt man sie ernst, erlaubt sie Rückschlüsse nicht nur auf das Verhältnis von Religion und Moral – in diesem Zusammenhang wurde sie formuliert –, sondern auch auf das Verhältnis von Religion und Bildung. Religion ist demnach als Begleiterin von Bildung zu verstehen, nicht als ihre ‚Dienerin‘, was umgekehrt genauso Bildung von jedweder Abhängigkeit lossagt […] Schleiermacher hat mit seinen Reden über die Religion gezeigt,

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Vgl. auch Michael Winkler, Schleiermachers Beitrag zur preußischen Erziehungsreform, in: Andreas Arndt u. a. (Hg.), Christentum – Staat – Kultur. Akten des Kongresses der Internationalen Schleiermacher-Gesellschaft in Berlin, März 2006 (SchleiermacherArchiv; 22), Berlin 2008, 497-516, 516: „Bildung bleibt hingegen ein Vorgang, der eben nicht zu gestalten, nicht zu organisieren, nicht nützlich zu machen ist, sondern subjektiv, eigenartig und einmalig bleibt, um zu ermöglichen, dass das Individuum sich in seiner Besonderheit frei organisiert und ausspricht. Das ist Bildung, wenigstens in einem modernen, freiheitlichen und bürgerlichen Verständnis, wie es denn gegen seine Verächter ausgesprochen werden muss, die doch an allen Ecken und Enden moderner Gesellschaften lauern.“ Theodor W. Adorno, Theorie der Halbbildung, in: Sociologica II. Reden und Vorträge (Frankfurter Beiträge zur Soziologie; 10), Frankfurt am Main 1962, 168-192, 179. Vgl. auch Max Horkheimer, Begriff der Bildung, in: ders., Sozialphilosophische Studien. Aufsätze, Reden und Vorträge 1930-1972. Mit einem Anhang über Universität und Studium, hg. v. Werner Brede, Frankfurt am Main 1981, 163-172, 163 f. Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 219.

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dass das religiöse Gefühl alles begleiten kann und nicht Totalhorizont des Handelns sein soll“,83

wie Christiane Ehrhardt herausstellt. Ob man mit der Nicht-Hierarchiezität auch eine Nicht-Teleologie konstatieren kann, bleibt jedoch fraglich. Und auch wenn die Religion nicht Totalhorizont des Handelns sein sollte, bleibt sie doch das bestimmende Moment, weil immer genannt. Die Vorstellung eines bloßen absichtslosen Nebeneinanders von Religion und Bildung bleibt letztendlich idealistisch, denn ein solches Nebeneinander ohne Beeinflussung gibt es nicht. Der Mensch „soll alles mit Religion thun, nichts aus Religion“. Die Interdependenzen zwischen Bildung und Religion müssen also vielmehr Anlass sein, Schleiermachers pädagogische Reflexionen daraufhin erneut zu untersuchen und zu fragen, wie sich sein Religionsverständnis auf sein Bildungsverständnis auswirkt. Nach den „Reden“ soll die grundsätzliche Offenheit des Menschen nicht beschränkt werden, sondern vielmehr dazu führen, auch das Unendliche erfahrbar zu machen. Das Gefühl der Abhängigkeit vom Unendlichen soll erfahrbar bleiben und nicht verhindert werden, die religiösen Gefühle sollen dann entsprechend das „Thun“ des Menschen begleiten. Wenn der Gebildete das Unendliche im Endlichen wahrnimmt und sich seine Anschauung dann in einer konkreten historischen Religion widerspiegelt, so kann damit nur das Christentum gemeint sein, denn nach den „Reden“ ist das Christentum die Religion der Religionen und eine Religion höherer Potenz als die anderen Religionen. Das bedeutet, dass Schleiermacher auch hier wieder ganz als christlicher Theologe denkt. Der Aussage in den „Reden“, dass Religion nicht zu lehren sei, entspricht wiederum in der anderen frühen Schrift aus dem Jahr 1799, den „Monologen“, ein Bildungsverständnis, das sich ebenfalls von einem an Äußerlichkeiten orientierten Kenntniserwerb absetzt. Denn Schleiermacher geht es in den „Monologen“ grundsätzlich um „Thätigkeiten des Geistes“, nicht um äußere Dinge, entsprechend also um das „innere Werk der Bildung“ und nicht um ein „wolgefüllte[s] Magazin der Kenntniße“.84 „Erwerb und schlechter Besitz wären eines“, so könnte man auch hier erneut mit 83

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Christiane Ehrhardt, Religion, Bildung und Erziehung bei Schleiermacher. Eine Analyse der Beziehungen und des Widerstreits zwischen den „Reden über die Religion“ und den „Monologen“, 77 f. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Monologen, Leipzig 1902, 11.

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Theodor W. Adorno kommentieren. Diesem „innere[n] Werk der Bildung“ entspricht die Aussage Schleiermachers in den „Monologen“: „Bis ans Ende will ich stärker werden und lebendiger durch jedes Handeln, und liebender durch jedes Bilden an mir selbst.“85 Die auch in den „Monologen“ thematisierte „Eigenthümlichkeit“ bleibt ein Postulat, wie die Vorlesungen zur Theorie der Erziehung von 1826 zeigen: „Das Ende der Erziehung ist die Darstellung einer persönlichen Eigentümlichkeit des einzelnen.“86 Wenn Johannes Schurr nun vor dem Hintergrund der „Monologen“ behauptet, dass „die pädagogische Reflexion der Pädagogikvorlesungen von 1813, 1820 und der anspruchvollsten von 1826 […] jene spekulative Durchdringung des Problems der Eigentümlichkeit des Menschen nicht mehr erreicht [hat], auch nicht sämtliche Entwürfe zur Ethik und Psychologie“87, so stellt sich damit die Frage, ob das überhaupt in der Intention Schleiermachers gelegen hat, denn pädagogische Reflexionen müssen neben der Eigentümlichkeit des Edukanten immer auch die allgemeine Seite thematisieren und beides zueinander in Beziehung zu setzen versuchen. Und genau darum geht es Schleiermacher nicht zuletzt in seinen Pädagogik-Vorlesungen. Der Abgrenzung Schleiermachers in den „Monologen“ gegenüber einem rein äußerlich verstandenen Bildungsbegriff entspricht die Abgrenzung von der „Erziehung Sklaverei“, die der Selbstentfaltung des Zöglings keinen Raum lässt, weil die Gemeinschaft keine „Hülfe […] zur eigenen Bildung“ gewähre. „[S]tatt freien Spielraum zu gewinnen, und Welt und Menschheit in ihrem ganzen Umfang zu erbliken, [wird] schon der junge Geist nach fremden Gedanken beschränkt und früh zur langen Sklaverei des Lebens gewöhnt.“88 Auffällig ist hier die stark negativ akzentuierte Rolle der Gemeinschaft, die die freie Entfaltung innerer Bildung nur verhindert. Möglicherweise spielen bei dieser Sichtweise biographische Einflüsse eine größere Rolle. Denn das, was Schleiermacher hier kritisiert, hat er in der Herrnhuter Brüdergemeine selbst erlebt. Für eine freie innere Entfaltung der Persön-

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Friedrich Schleiermacher, Monologen, 146. Friedrich Schleiermacher, Grundzüge der Erziehungskunst (Vorlesungen 1826), in: ders., Texte zur Pädagogik. Kommentierte Studienausgabe, Bd. 2, hg. v. Michael Winkler/Jens Brachmann, Frankfurt am Main 2000, 7-404, 38. Johannes Schurr, Schleiermachers Theorie der Erziehung. Interpretationen zur Pädagogikvorlesung von 1826, 306. Friedrich Schleiermacher, Monologen, 86.

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lichkeit hat es keinen Raum gegeben, vielmehr wurde eine Anpassung nach äußerlichen Vorgaben verlangt. Schleiermacher entwickelt in den „Monologen“ allerdings noch kein dialogisches Bildungsverständnis, da er bei der „Eigenthümlichkeit“ des Einzelnen stehen bleibt.89 Dass die jeweilige „Eigenthümlichkeit“ letztlich auf eine wechselseitige Anerkennung von Alterität hinausläuft, ist bei ihm noch nicht in den Blick genommen. So wie in den „Monologen“ „die Vermittlung von individuellem und allgemeinem Ethos letztendlich keine befriedigende Antwort [findet]“90, verhält es sich letztendlich auch mit dem Bildungsprozess des Einzelnen im Verhältnis zu seiner Eingliederung in die Gemeinschaft. Der Bildungsprozess des Einzelnen soll nach den „Monologen“ durch die geistige Gemeinschaft bereichert werden, sie ist ihm „Hülfe und Ergänzung der Kraft zur eignen Bildung […] Gewinn an neuem innerm Leben“91. „Der in diesen Lebensformen begegnende andere Mensch wird allerdings nur in seiner Bildungsfunktion“, wie Hermann Fischer herausstellt, und „nicht in seiner Wirklichkeit als kantiges Gegenüber wahrgenommen. So wie Schleiermacher die schicksalhaften Züge in den menschlichen Beziehungsverhältnissen wegzudialektisieren vermag, so verliert sich auch der Fremdcharakter des Anderen in der je eigenen Geschichte und Biographie.“92 Damit bleibt die Frage offen, ob Schleiermacher damit nicht zunächst ein Bildungsverständnis evoziert, das in seiner Beschränkung auf das einzelne Subjekt grundlegend für die deutsche Bildungsgeschichte werden sollte. Schleiermachers Beitrag zur Entwicklung des deutschen Bildungsbegriffs wäre somit durch seine theologischen Überlegungen angestoßen und darin zugrunde gelegt. Während sich nach Schleiermachers erstem Werk, den „Reden“, die wahrhaft Gebildeten gegenüber den praktischen Menschen durch eine explizite Bezugnahme auf die Religion unterscheiden könnten, könnte nach dem zweiten Frühwerk, den „Monologen“, die Bildung des Selbst auch grundsätzlich offen sein für die Anschauung des Universums. Damit kann Bildung nach beiden Frühwerken die „Bildung zur Religion“ beinhalten. 89

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Vgl. allerdings hinsichtlich seiner späteren Theorie des Gesprächs und der Anbindung von Bildung an dasselbe Birgitta Fuchs, Schleiermachers Theorie des Gesprächs, in: Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Pädagogik 84 (2008), 386-400. Hermann Fischer, Art. Schleiermacher, 158. Friedrich Schleiermacher, Monologen, 85. Hermann Fischer, Art. Schleiermacher, 158.

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Dass Schleiermacher in den „Reden“ letztendlich ein Bildungsverständnis entwirft, welches sich ohne weiteres verallgemeinern lässt, dürfte nicht zuletzt auch in der von ihm angenommenen unbeschränkten Bildungskraft seinen Grund haben. So heißt es im Anhang zu den Vorlesungen von 1820/21: „Die Kraft der Bildung überhaupt ist nicht beschränkt. Betrachten wir die Sache aus dem Gesichtspunkte des Christenthums: so sezt dies eine gemeinsame Empfänglichkeit in allen Menschen voraus. Als bildende Kraft will es überall hin verbreitet werden. Wenn aber die einzelnen und die Gesammtheiten für das Christenthum empfänglich und durch dasselbe bildsam gedacht werden: dann sezt dies auch Empfänglichkeit und Bildsamkeit in Beziehung auf das Geistige überhaupt voraus; und so angesehen ist die Annahme von einer absichtlichen Nichtausbildung der niederen Klassen eine unchristliche.“93

Vor dem Hintergrund christlicher Anthropologie geht Schleiermacher von einer unbeschränkten Kraft der Bildung aus. Die grundsätzliche Möglichkeit der Bildsamkeit für das Christentum impliziert die Möglichkeit und Gegebenheit zur Bildsamkeit überhaupt. Bildung und Bildsamkeit sind damit per se möglich. Wenn Schleiermacher nun die absichtliche „Nichtausbildung der niederen Klassen“ für unchristlich erklärt, so bedeutet das, dass umgekehrt die grundsätzliche Möglichkeit zur Bildung und Bildsamkeit auch tatsächlich für alle und von allen in Anspruch genommen werden sollte. Schleiermacher denkt auf dieser Ebene also durchaus egalitär. Allerdings bezieht sich diese Egalität nur darauf, dass die grundsätzliche Möglichkeit zur Bildsamkeit niemandem verwehrt werden sollte. Und dabei sind für Schleiermacher die grundsätzliche Empfänglichkeit und Bildsamkeit für das Christentum immer mitzudenken. Denn Schleiermacher geht es primär darum, niemanden an der Anschauung der Religion zu hindern. Weil jeder Mensch mit der religiösen Anlage geboren wird, sollte die Ausbildung dieser Anlage im weiteren Lebensverlauf gefördert, zumindest aber nicht gehindert werden. Unter „Anschauung der Religion“ und „Bildung zur Religion“ versteht Schleiermacher aber immer nur Anschauung der christlichen Religion und Bildung zur christlichen Religion. Die postulierte Egalität seiner christlichen Anth93

Friedrich Schleiermacher, Anhang zu Vorlesung 1820/21, in: ders., Texte zur Pädagogik. Kommentierte Studienausgabe, Bd. 1, hg. v. Michael Winkler/Jens Brachmann, Frankfurt am Main 2000, 456-474, 458. Vgl. auch Friedrich Schleiermacher, Pädagogik. Die Theorie der Erziehung von 1820/21 in einer Nachschrift, herausgegeben von Christiane Ehrhardt und Wolfgang Virmond, Berlin New York 2008, 89.

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ropologie bezieht sich zwar auf die grundsätzliche Möglichkeit zur Bildsamkeit, die niemandem verwehrt werden sollte, aber sie wird und kann letztlich nur in einem christlichen Horizont gedacht werden. Die grundsätzliche Empfänglichkeit für das Christentum führt Schleiermacher zu einem egalitären Verständnis von Bildung, deren Egalität aber wiederum auf das Christentum beschränkt ist, d. h. auf die Möglichkeit, sich innerhalb eines christlich bestimmten Allgemeinen zu bilden. Die in den „Reden“ und auch in den „Monologen“ angezeigte Offenheit eines jeden Bildungsprozesses, religiöser und allgemeiner Art, impliziert in religiöser Hinsicht nur die grundsätzliche Offenheit gegenüber dem Christentum und der Bildung zur christlichen Religion und nicht die grundsätzliche Offenheit gegenüber jedweder Religion und der Bildung zu irgendeiner Religion. Die Individualisierung der Religiosität, die nach Schleiermacher darin ihren Ausdruck findet, dass jeder Mensch mit der religiösen Anlage geboren werde und ihm deshalb auch die Anschauung der Religion nicht verwehrt werden sollte, enthält zwar in ihrer anthropologischen Grundannahme diesen individualistischen und darin auch egalitären Zug, ist aber von vornherein auf das Christentum beschränkt. Die Vorstellung, dass eine solch gedachte Individualisierung konsequenterweise zu einer Offenheit gegenüber auch nichtchristlichen Religionen führen müsste, rückt bei Schleiermacher gar nicht in den Blick. Die christlich fundierte anthropologische Grundannahme der „Reden“ von der gemeinsamen Empfänglichkeit aller Menschen für das Christentum bedingt ein egalitäres Bildungsverständnis allgemeiner Art, dessen grundsätzliche Offenheit aber wiederum in der Bezogenheit und Verwiesenheit auf das Christentum seine Grenzen findet. Insofern strebt Schleiermacher eine eigenständige Begründung von Bildung darin auch gar nicht an,94 denn Ausgangs- und Referenzpunkt ist und bleibt die christliche Anthropologie. Damit wird aber zum einen eine christliche Bildung noch einmal anthropologisch zugrunde gelegt und zum anderen die allgemeine Bildung in den Horizont eines christlich bestimmten Allgemeinen gerückt. Die individuelle Seite der religiösen und allgemeinen Bildung steht in den beiden Frühwerken, den „Reden“ und den „Monologen“, im Vordergrund, während die allgemeine Erziehung noch keine Berücksichtigung findet. In einem solchen Zusammenhang diskutiert Schleiermacher die Fragen von 94

So aber Christiane Ehrhardt, Religion, Bildung und Erziehung bei Schleiermacher. Eine Analyse der Beziehungen und des Widerstreits zwischen den „Reden über die Religion“ und den „Monologen“, 67.

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Bildung, Religion und Erziehung erst in den Pädagogik-Vorlesungen (insbesondere in der Vorlesung von 1826), indem er die beiden Seiten der Erziehung, die individuelle und die allgemeine, aufzeigt. Denn einerseits zielt die Erziehung, wie es dann in der Vorlesung von 1826 heißt, auf die „Darstellung einer persönlichen Eigentümlichkeit des einzelnen“, andererseits soll sie „den einzelnen ausbilden in der Ähnlichkeit mit dem größeren moralischen Ganzen, dem er angehört“.95

III.3.2

Der pädagogische Diskurs Schleiermachers „Heilung für die Gebrechen aller Sphären kommt freilich nur durch die Erziehung.“96 (Friedrich Schleiermacher)

Schleiermacher spricht der Erziehung ein großes Gewicht zu, wie das diesem Kapitel vorangestellte Zitat zeigt. Erziehung erfolgt nicht unbewusst und nicht zweckfrei, sondern ist vielmehr ein sinnreiches Tun, dessen Bezugsgrößen Schleiermacher folgendermaßen bestimmt: „Erziehung nach den vier Hauptgegenden des höchsten Gutes hin: religiöse, wissenschaftliche, bürgerliche, Welt-Erziehung; jedes zweifach, in der Familie und in den Vorverbindungen.“97 Er konstatiert demgemäß ein Bedürfnis nach Erziehung und fordert deshalb von der erziehenden Generation, ein entsprechendes Gefühl für dieses Bedürfnis zu entwickeln.98 Prinzipiell folgt Schleiermacher in seiner Erziehungslehre dem Grundgedanken seiner „Dialektik“, das Sein als ein Ausdifferenzieren von polaren Kräften und als ein Auseinandertreten von Gegensätzen zu verstehen.99 Die

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Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 38. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, in: ders., Texte zur Pädagogik. Kommentierte Studienausgabe, Bd. 1, hg. v. Michael Winkler/Jens Brachmann, Frankfurt am Main 2000, 211-272, 216. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Aphorismen zur Pädagogik in: ders., Texte zur Pädagogik. Kommentierte Studienausgabe, Bd. 1, hg. v. Michael Winkler/Jens Brachmann, Frankfurt am Main 2000, 202-211, 202. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 216. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Dialektik (1811), hg. v. Andreas Arndt (Philosophische Bibliothek; 386), Hamburg 1986; Dialektik (1814/15). Einleitung zur Dialektik (1833),

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Analogie zum Diskurs über die Religionen Christentum und Judentum ist damit nicht nur offensichtlich, sondern deutet bereits an, dass Schleiermachers Bevorzugung begrifflicher Oppositionspaare nicht nur seiner Methodik geschuldet ist. „Was wir Theorie zu nennen pflegen, bezieht sich immer auf eine Praxis“, heißt es in den Vorlesungen von 1820/21.100 Nach Schleiermacher soll die Theorie nicht über die Anwendung entscheiden, „sonst wäre sie Mechanismus“. Die Theorie „soll ein Maßstab zur Beurteilung für denjenigen sein, der Lust und Liebe und Fähigkeit zur Erziehung hat“101. Dem Praxis-Bezug der Schleiermacher’schen Theorie folgend sollen seine pädagogischen Reflexionen einmal in Hinblick auf die Praxis seines jüdisch-christlichen Diskurses gelesen werden, ohne in eine mechanische Anwendung zu verfallen. So soll sein allgemein pädagogischer Diskurs daraufhin untersucht werden, wie sich Schleiermachers einschlägige judenfeindliche Äußerungen und Einstellungen zu ebendiesem Diskurs in Beziehung setzen lassen bzw. wie eine entsprechende Umsetzung der judenfeindlichen Postulate vor dem Hintergrund seiner pädagogischen Ausführungen vorstellbar wäre und umgekehrt. Insofern wird hier das klassische ideengeschichtliche Paradigma der historischen Bildungsforschung um das sozialgeschichtliche Paradigma erweitert, indem nach dem Modus gefragt wird, in dem die Ideen Realität gewinnen.102 Wie ist es zu erklären, dass sich Schleiermacher so vehement für die Ausbildung der „Eigenthümlichkeit des Menschen“ ausspricht, gleichzeitig aber den jüdischen Bewohnern Preußens das Existenzrecht einer solchen „Eigenthümlichkeit“ abspricht? III.3.2.1 Erziehung als Einwirkung und Gegenwirkung Erziehung bildet für Schleiermacher ein Wechselspiel von Einwirkung und Gegenwirkung. Unter Erziehung als Einwirkung versteht er die Einwirkung

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hg. von Andreas Arndt (Philosophische Bibliothek; 387), Hamburg 1988. Vgl. auch Gunter Scholtz, Die Philosophie Schleiermachers, Darmstadt 1984, 64 ff. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Auszüge aus den Vorlesungen im Wintersemester 1820/21, in: ders., Texte zur Pädagogik. Kommentierte Studienausgabe, Bd. 1, hg. v. Michael Winkler/Jens Brachmann, Frankfurt am Main 2000, 290-380, 309. Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 310. Vgl. auch Heinz-Elmar Tenorth, Historische Bildungsforschung, in: Rudolf Tippelt (Hg.), Handbuch Bildungsforschung, Opladen 2002, 123-139, 127.

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Einzelner auf den Entwicklungsprozess. „Erziehung ist die Einleitung und Fortführung des Entwicklungsprozesses des einzelnen durch äußere Einwirkung“, wobei der Fokus auf der Einwirkung Einzelner liegt, die bis zum Beginn bürgerlicher Selbstständigkeit erfolgen soll.103 Erziehung erfolgt vor dem Hintergrund des Ausbildens der Natur und des Hineinbildens in das sittliche Leben.104 Als konkrete Inhalte – „worauf die Einwirkung gerichtet werden soll“ – benennt Schleiermacher zunächst „die populären Begriffe von Tugend, sittlicher und intellektueller Vollkommenheit“.105 Damit orientiert sich die Theorie der erzieherischen Einwirkung an der Sittenlehre. Mit dem Hinweis auf diese populären Begriffe deutet Schleiermacher bereits den Zusammenhang von Pädagogik und Ethik an, von dem er in den Aphorismen sagt, dass sich die Pädagogik „wohl eigentlich besonders an die Tugendlehre anschließen [muß]“106. In seiner Auseinandersetzung über den Zusammenhang von Ethik und Pädagogik zeigt Schleiermacher dann, dass die Pädagogik durchhaus ein eigenständiges wissenschaftliches Fach darstellt, das gleichberechtigt neben der Ethik steht und somit auch nicht „aus dem akademischen Zyklus“ auszuschließen ist.107 Denn neben dem konkreten Bezug auf die Praxis, der eine wissenschaftstheoretische Verordnung allein noch nicht rechtfertigen würde, verweist er noch auf einen weiteren Punkt: „Sie ist eine von der Sittenlehre ausgehende Disziplin, von dieser abhängig auf der einen Seite, ihre Realität selbst begründend auf den anderen. Denn wenn die großen sittlichen

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Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 212. Und er fährt ebd. fort: „Auf diese Weise würde aber auch der Staat als solcher erziehen, und jeder gute Freund, und der Mensch würde bis ans Ende seines Lebens erzogen. Als bestimmter durch Einwirkung einzelner (nicht ganzer Massen) und bis zur bürgerlichen Selbständigkeit.“ Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 217. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 212. Friedrich Schleiermacher, Aphorismen zur Pädagogik, 204. Schleiermacher bezieht sich in seiner „Ethik“ nicht etwa auf eine klassische Morallehre, sondern sucht den spekulativen Bezug zur Geschichtsphilosophie, indem er herausstellt, dass die Ethik „Darstellung des endlichen Seins unter der Potenz der Vernunft [ist]“. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Ethik mit späteren Fassungen der Einleitung, Güterlehre und Pflichtenlehre. Auf der Grundlage der Ausgabe v. Otto Braun hg. u. eingel. v. HansJoachim Birkner (Philosophische Bibliothek; 335), Hamburg 2. Aufl. 1990, 8. Eine allgemein gültige Ethik kann es nach Schleiermacher allerdings nicht geben, weil der Gegenstand der Sittenlehre permanenten Veränderungen ausgesetzt ist. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre, Berlin 1803.

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Formen sich nicht von einer Generation auf die andere in ihrem Wesen erhielten, so wäre das in der Sittenlehre Dargestellte nichts in sich selbst Reales. Nun läßt sich aber zeigen, daß der einzelne Mensch durch sich allein, aus dem lebendigen Zusammenhange mit anderen herausgerissen, auf das Niveau mit ihnen nicht käme, also Staat etc. verfielen. Es zeigt die Erfahrung, daß er durch die Einwirkung anderer dahin kommt. Diese Einwirkung als dieses leistend muß aber als eine zugleich gesetzmäßige und natürliche nachgewiesen werden, und das ist das Objekt der Pädagogik. Sie als eine aus der Ethik hervorgehende Disziplin muß sie die Ethik voraussetzen. In meinem System der Ethik läßt sich ihr Ort nachweisen und damit zugleich die wesentlichsten Formeln zur Lösung ihrer Aufgabe.“108

Damit weist Schleiermacher die Pädagogik nicht nur als Erziehungskunst, sondern auch als Erziehungslehre aus, welche die Erziehungskunst zu reflektieren in der Lage ist und dies auch tun muss.109 Ausgehend von der Realität einer erzieherischen Praxis entwickelt Schleiermacher eine eigenständige Theorie der erzieherischen Einwirkung. Dass Schleiermacher im Rahmen seiner pädagogischen Theoriebildung den Rekurs auf die Ethik voranstellt, ergibt sich aus dem Bezug auf den Erhalt der „großen sittlichen Formen“ Staat, Kirche, Wissenschaft, geselliger Verkehr.110 Beide Disziplinen, Pädagogik und Ethik, beziehen sich auf die Güter des Sittlichen. Die zunächst abstrakte Idee der Sittlichkeit erfährt allerdings auch nach Schleiermacher eine Konkretisierung in der Geschichte, wenn es darum geht, bestimmte Handlungsoptionen real werden zu lassen. Die Realisierung der Sittlichkeit vermittelt sich in der Kultur. Dafür verweist Schleiermacher immer wieder auf die „Idee des Guten“111. Nach der „ethischen Formel“ sollte „die Erziehung den Menschen

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Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 211 f. Vgl. für die wissenschaftstheoretische Fundierung der Pädagogik Schleiermachers weiterhin Wolfgang Sünkel, Friedrich Schleiermachers Begründung der Pädagogik als Wissenschaft; ferner Birgitta Fuchs, Schleiermachers dialektische Begründung der Pädagogik als Wissenschaft, in: Winfried Böhm (Hg.), Erziehungswissenschaft oder Pädagogik?, Würzburg 1998, 131-144. Vgl. Birgitta Fuchs, Das Verhältnis von Ethik und Politik nach Schleiermacher, in: Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Pädagogik 83 (2007), 26-35, 27: „Auf diese Weise sind alle politischen, wissenschaftlichen, geselligen, religiösen und ästhetischen Kulturleistungen in einer ethischen Gesamttheorie verbunden.“ Vgl. auch Jürgen Oelkers, Die Erziehung zum Guten. Legitimationspotentiale Allgemeiner Pädagogik, in: Zeitschrift für Pädagogik 42 (1996), 235-254, 235-236.

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der Idee des Guten entsprechend ausbilden“.112 Auch wenn nach Schleiermacher für die Anwendung dieser Formel der jeweilige Zustand, in welchen der Erzogene hineintreten soll, zunächst überhaupt erst einmal einer näheren Bestimmung bedarf, setzt er doch die „Idee des Guten“ als leitend voraus. Die Platon’sche Formel von der „Idee des Guten“ ist bei Schleiermacher schlussendlich christlich gewendet.113 Damit ist dann aber die grundsätzliche, in die Pädagogik einleitende Frage nach der Allmacht der Erziehung beantwortet: „Die […] Frage: Darf die Pädagogik lehren, alles aus dem Menschen zu machen, was man etwa will, geht zurück auf den Unterschied zwischen dem Guten und Bösen, und kann nur mit Rücksicht auf die Ethik, auf die Idee des Guten, beantwortet werden. Setzen wir den Unterschied zwischen dem Guten und Bösen und die Idee des Guten als bekannt voraus, so hätten wir die begrenzende Antwort gefunden.“114

Schleiermacher weiß allerdings auch darum, dass mit dem Rekurs auf die Ethik die Entwicklungsbedingungen und -möglichkeiten als solche noch nicht geklärt sind.115 Dabei geht es nicht nur um die Frage, welche Möglichkeiten, den Menschen zu bilden, überhaupt gegeben sind und ob diese begrenzt sind, sondern auch darum, ob von den gegebenen Möglichkeiten überhaupt Gebrauch gemacht werden soll. Damit hängt ferner ebenfalls die grundsätzliche Klärung einer weiteren Frage ab, „ob beim Lebensanfang alle Menschen in Beziehung auf ihre Entwicklung völlig gleich seien, oder ob der einzelne immer eine Bestimmtheit mitbringe“116 112 113

Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 24. Vgl. auch Andrea Follak, Der „Aufblick zur Idee“. Eine vergleichende Studie zur Platonischen Pädagogik bei Friedrich Schleiermacher, Paul Natorp und Werner Jaeger, Göttingen 2005, 26, die auf die tiefgreifende Einschränkung Schleiermachers hinweist, die dieser am Platon’schen Modell vornehme: „Er versucht die Idee des Guten mit dem Christentum kompatibel zu machen.“ Ob sich Schleiermacher jedoch überhaupt einer

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Transformation des Platon’schen Denkens in die eigene Theorie geöffnet habe, bleibt zu diskutieren; vgl. nur Christoph Asmuth, Interpretation – Transformation. Das Platonbild bei Fichte, Schelling, Hegel, Schleiermacher und Schopenhauer und das Legitimationsproblem der Philosophiegeschichte, Göttingen 2006, 187 f. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 17. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 212: „Aber auch so fehlt uns noch, wenn wir auf den Begriff der Entwicklung zurückgehen, ob aus jedem alles soll und kann entwickelt werden, oder ob und in welchem Verhältnis nur einiges.“ Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 19.

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Die Frage nach dem Verhältnis der Möglichkeiten pädagogischer Einwirkungen, ihrer Allmacht, auf der einen Seite und der Beschränktheit der Erziehung, ihrer Grenzen, auf der anderen Seite hatte Schleiermacher bereits in seiner ersten Predigt „Über die christliche Kinderzucht“ gestellt.117 Dort kommt er zu dem Schluss, dass man als Christ anders reden müsse, zum einen darauf bedacht sein sollte, sich „nach Gottes Willen zu betragen gegen [die] Kinder“. Zum anderen entgegnet er denen, die von einer allmächtigen Erziehung ausgehen: „[S]o viel ihr auch meint ausrichten zu können, eben wenn ihr glaubt alles in eurer Hand zu haben, werdet ihr doch nicht meinen, es sei alles an sich gleichgültig und eurer Willkür anheim gestellt, sondern es gäbe einen Willen Gottes, den ihr müßt zu treffen suchen.“118 Die in Hinblick auf den Lebensanfang zu stellende Frage nach den gleichen Voraussetzungen für die Bildung der Menschen führt nach Schleiermacher allerdings auch in den Vorlesungen von 1826 auf das „Gebiet des Transzendenten“119. Schleiermacher geht ebenfalls von einer „Gegenwirkung“ durch Erziehung aus.120 Zu beachten ist in diesem Kontext auch, dass Schleiermacher „Gegenwirkung gegen das Böse“ und „Wirkung auf das Gute“ nicht trennt,

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Vgl. Friedrich Schleiermacher, Über die christliche Kinderzucht [drei Predigten], in: Schleiermachers Pädagogische Schriften. Mit einer Darstellung seines Lebens, hg. v. Carl Platz, Langensalsa 3. Aufl. 1902, 591-628, 592 (1. Predigt): „Denn wenn freilich einige glauben, der Mensch sei so ganz ein Werk der Erziehung, daß, wenn man es nur gehörig darauf anlege, recht kunstreich alles berechne und ineinander füge, man aus jedem Kinde alles machen könne, was man wolle, jede Naturgabe aus demselben herauslocken durch Übung und ebenso jede Einsicht, jede Fertigkeit in dasselbe hineinbilden; und wenn andere hingegen, vielleicht ebenso träge und nachlässig, als jene hoffärtig sind und vielgeschäftig, die Meinung aufstellen, wir vermöchten mit all unserer Mühe und Kunst am Ende doch nichts gegen die Gewalt der Natur; was wir mühsam gebaut in langer Zeit, das stürze oft der Zögling, wenn er anfange mehr sich selbst überlassen zu sein und seine innere Natur sich frei entwickeln könne, durch einen einzigen Entschluß nieder [...]“ Vgl. des Weiteren Friedrich Schleiermacher, Pädagogik. Die Theorie der Erziehung von 1820/21 in einer Nachschrift, herausgegeben von Christiane Ehrhardt und Wolfgang Virmond, Berlin New York 2008, 66. Friedrich Schleiermacher, Über die christliche Kinderzucht (1. Predigt), 592. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 19. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 219: „Beschleunigt die Erziehung nur, was auch ohne sie geschähe, oder tut sie auch Gegenwirkung dem, was trotz ihr geschieht? Offenbar das letzte.“

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wie er schon in den Vorlesungen von 1813/14 betont.121 „Aber gewöhnlich weiß man nicht recht“, heißt es dann in den Vorlesungen von 1820/21, „wie man sich diese ursprüngliche Gleichheit des Guten und Bösen vorstellen solle; und offenbar sind größtenteils die Ansichten von der menschlichen Natur nur nach einer oder der anderen einseitigen Theorie konstruiert. Einige sagen – und zwar nicht bloß Christen –, das Böse sei dem Menschen angeboren; andere meinen, der Mensch würde ganz gut sein, wenn er nicht durch die Gesellschaft verdorben würde; so Rousseau.“122

Nach Schleiermacher liegt das Böse nicht in der menschlichen Natur, sondern nur im Verhältnis. „Nichts aber, was sich selbst entwickelt, kann ursprünglich böse sein.“123 Das Böse zeichnet sich nicht durch eine der menschlichen Natur einwohnende Disposition aus, sondern durch ein Missverhältnis bzw. eine Unausgewogenheit der Entwicklungsverläufe infolge äußerer Einflüsse und Prägungen. Damit folgt er in seinen Ausführungen schließlich einem Traditionszusammenhang frühchristlicher Pädagogik, wie er sich bei Johannes Chrysostomus findet: „Steckte nämlich von Natur aus die Schlechtigkeit in den Menschen, so könnte man zu Recht seine Zuflucht zur Entschuldigung nehmen. Da wir aber vorsätzlich schlecht oder gut werden, welchen plausiblen Grund könnte da wohl jemand vorbringen, der es zuläßt, daß derjenige, den er am innigsten liebt, verdorben wird und auf die schiefe Bahn kommt?“124

Schleiermacher behandelt dieses Thema der Ein- und Gegenwirkung dann in grundsätzlicher Hinsicht in den Vorlesungen von 1820/21: „Bei der Erziehung des Menschen erfolgen Einwirkungen, die nicht abzuwenden sind, teils mit der Erziehung übereinstimmend, teils ihr widerstreitend. Die ganze 121

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Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 220: „Da nun ferner unmöglich ist, daß die Gegenwirkung gegen das Böse und die Wirkung auf das Gute realiter können getrennt sein [...]“ Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 308 f. Vgl. auch Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 59 f. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 230. Und vgl. ebd.: „Auch zu allen Lastern ist das Elementarische, worauf man zuletzt zurückkommt, nicht böse; nicht Geschlechtstrieb, nicht Erhaltungstrieb, werde widerstehender (Zorn), noch attraktiver (Geiz).“ Johannes Chrysostomus, Über Kindererziehung [Theodoros Daphnopates, Ekloge aus Johannes Chrysostomus], besorgt und ins Deutsche übertragen von J. Glagla, Paderborn 1968, 38.

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Erziehung können wir betrachten als ein Verhältnis des erziehenden Willens (der gewollten Einwirkungen) zu den Einwirkungen auf den Zögling, die von selbst entstehen.“125 Damit ist grundsätzlich die Erziehungsfrage berührt: „Besteht das Wesen der Erziehung darin, daß nur die mit der Erziehung übereinstimmenden Einwirkungen durch sie zusammengefaßt und gehalten oder beschleunigt werden; oder darin, daß die Erziehung diejenigen Einwirkungen aufzuheben sucht, die ihrer Tendenz widerstreiten; oder endlich, ist sie aus diesen beiden, der Beschleunigung und Gegenwirkung gemischt?“126

Schleiermacher entscheidet sich für die „gemischte Theorie“, deren Wahrheit nicht darin liege, die einseitigen Theorien zu verbinden, sondern darin, „daß die entgegengesetzten Ansichten nur relativ voneinander getrennt sind, und daß sie identisch sind, jede notwendig die andere herbeiziehend und jede nur wahr in Verbindung mit der anderen. Es ist nicht möglich, daß die Erziehung eine ihren Zweck begünstigende Einwirkung unterstützen könne, ohne zugleich einer hemmenden Potenz entgegenzuwirken; und wiederum umgekehrt, es ist nicht möglich, daß die Erziehung einem ihren Zweck hemmenden Zustand entgegentrete, ohne zugleich positiv zu wirken. Beide Seiten, die positive und die negative, müssen immer miteinander verschmolzen sein, und die einzelne Tätigkeit kann man nur von der anderen unterscheiden a parte potiori.“127

Unterstützende und gegenwirkende Tätigkeiten sind nicht voneinander verschiedene Momente der Erziehung, „denn das Wesen der Erziehung ist in dem Ineinander beider Fähigkeiten; unterstützen und gegenwirken müssen zusammen sein“128.

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Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 306. Entsprechend kann er konstatieren: „Nichts kann aufgestellt werden, was spezifisch als ausschließliche Folge der Erziehung anzusehen wäre. Erziehung steht nur als absichtliche Einwirkung auf den in der Entwicklung begriffenen Menschen den unabsichtlichen Einwirkungen gegenüber.“ (Ebd.) Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 306. Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 313. Vgl. ferner ebd.: „Wir müssen ja voraussetzen, daß der Gegensatz zwischen Strafe und Zucht, und der Gegensatz zwischen Erziehung als Gegenwirkung und als Unterstützung als ein notwendiger wird anerkannt und gebilligt werden, dass die Strafe die Zucht, die Gegenwirkung die Unterstützung gefördert habe.“ Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 60.

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Diese Position, die Schleiermacher schließlich einnimmt und die beide Seiten berücksichtigt, führt dazu, weder „in dem Charakter der Gemeinschaften, der bürgerlichen Gesellschaft, der des Erkennens, und der Religiosität“ nur ein Werk der Erziehung zu sehen noch den Menschen rein willkürlich, da keine Anlage vorausgesetzt, bilden zu können.129 Das fügt sich zu der Annahme, dass dem Einzelnen der Staat, die Religion, „die Liebe zu den Gemeinschaften“130 angeboren sei. In der Konsequenz führt diese „gemischte Theorie“ zu der Notwendigkeit, „den schädlichen Einwirkungen und demjenigen entgegenzuarbeiten, was in dem einzelnen dem allgemeinen Typus einer Gemeinschaft widerspricht“131. Was Schleiermacher darunter versteht, zeigt er in der Erläuterung der Annahme, dass bei der Hineinbildung in die Gemeinschaft die negative Wirkungsart die Oberhand hat, während bei der Entwicklung der persönlichen Eigentümlichkeit die positive Wirkungsart überwiegt.132 Bei der Entwicklung für die Gemeinschaft habe sich die Erziehung darum zu bemühen, „das in der Entwicklung der Persönlichkeit dem Hineinbilden in die Gemeinschaft Feindselige zurückzudrängen. Dieses wird aber nichts anderes sein als dasjenige, was für sich maßlos entwickelt auch der persönlichen Eigentümlichkeit das Gepräge des Unsittlichen gibt, nämlich das Egoistische, Launenhafte, Willkürliche, Desultorische.“133 129 130 131 132 133

Vgl. Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 311 f. Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 312. Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 313. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 314. Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 315. Vgl. ferner ders. Vorlesungen 1826, 62 f.: „Wie die beiden Formen der pädagogischen Tätigkeit, Unterstützung und Gegenwirkung, sich zu diesen beiden Aufgaben der universellen und individuellen Richtung der Erziehung verhalten? Wir müssen voraussetzen, daß in der persönlichen Eigentümlichkeit das Böse nicht könne gesetzt sein. In dieser kann an und für sich nichts sein, was eine Gegenwirkung notwendig macht […] Die Anlagen eines jeden zur Eigentümlichkeit des Daseins bedürfen gar keiner Gegenwirkung, sie verlangen nur unterstützende Tätigkeit; entgegenwirkend dürfte die Erziehung nur sein gegen das, was die Entwicklung der Eigentümlichkeit hemmt. Dagegen in dem anderen Gebiete der Erziehung, der Ausbildung des Menschen für die großen Lebensgemeinschaften, findet die Duplizität statt, und zwar vorzüglich die Gegenwirkung. In den großen Gemeinschaften finden wir überall, auch in Beziehung auf die nicht mehr zu Erziehenden, Anstalten, welche Gegenwirkung gegen das Böse einschließen […] Dasselbe gilt von der Kirche in Beziehung auf alles, was Reue und Buße erwecken soll; und ebenso finden wir in Beziehung auf das allgemeine gesellige Leben allgemeine Prinzipien des Lobes und Tadels, der Billigung und Mißbilligung. Jede Mißbilligung, welche den einzelnen trifft, weist zurück auf die Zeit der

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Schleiermacher stellt hier zunächst dem der Gemeinschaft Feindlichen nur das individuell Egoistische gegenüber,134 die der Idee des gemeinsamen Lebens widerstreitende Selbstsucht.135 Dabei bleibt jedoch zu fragen, ob er nicht gegenüber der ausschließlich christlich geprägten Gesellschaft auch das „Jüdische“ als das der Gemeinschaft Feindliche annimmt, insbesondere, wenn es dabei um unabsichtliche Einwirkungen geht. Hier liegt nämlich die Analogie nahe, auch die religiöse Erziehung betreffende Auffassung von der negativen Erziehung in dem Sinne zu verstehen, die nachteiligen Einwirkungen eben einer jüdischen Erziehung aufzuheben bzw. ihnen entgegenzuwirken. Denn aus den beiden Hauptaufgaben der Erziehung, also auch aus der negativen, ergeben sich, wie Schleiermacher betont, „die Gründe zur Bestimmung des Inhalts oder des Materials der Erziehung“136. Ein antijüdisches Programm liegt deshalb nahe. Bedenkt man ferner die negativen Äußerungen Schleiermachers bezüglich des Einflusses der jüdischen Erziehung in den „Briefen“, so liegt die Übertragung der antijüdischen Einstellung auf die Pädagogik nicht fern, da er den jüdischen Einfluss zweifelsohne als Negation in geistiger Beziehung ansieht.137 „Die größte Verschiedenheit“, so heißt in den Vorlesungen von 1826, „wird immer stattfinden zwischen der Erziehung derer, die in einem Staate leben und für denselbigen erzogen werden sollen, und solchen Menschen, die noch nicht zu einem Staate zusammengewachsen sind. Daß aber für den Staat erzogen werden soll, darüber ist die Theorie nicht schwankend.“138 Da Schleiermacher in seinen „Briefen“ über die Emanzipationsfrage den Juden unterstellt, durch ihre Konversionsabsichten den christlichen Staat als sol-

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Erziehung, während welcher alles, was später störend sein könnte, gehemmt werden mußte. Die Erziehung hat daher diese Gegenwirkung auszuüben, damit, wenn der Zögling in das Leben eintritt, nicht das Gesetz erst ihn zügele.“ Vgl. ebenfalls Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 353: „Das gemeinsame Leben, dem die Jugend angehört, muß demnach so konstruiert werden, daß den Einseitigkeiten vorgebeugt wird. In dem Maße der Widerstand gegen das gemeinsame Leben bei der Jugend gewachsen ist, so daß die Neigung zur Extravaganz hervortritt, in dem Maß muß auch die Zucht wieder eintreten.“ Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 76. Friedrich Schleiermacher, Anhang zur Vorlesung 1820/21, 460. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 28: „Sobald die Beschaffenheit des Menschen so ist, daß in geistiger Beziehung eine Negation in ihm ist, so muß dem entgegengewirkt werden.“ Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 31.

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chen zu gefährden, dürfte er hier auch hinsichtlich der christlichen und jüdischen Bewohner differenzierend gedacht haben. Schleiermacher geht davon aus, dass Gegenwirkung in der Erziehung dann nicht erforderlich ist, wenn sich die Organisation der großen Lebensgemeinschaften in Harmonie mit den einzelnen Gliedern befindet. „Je größer die Vollkommenheit des Gesamtzustandes ist, desto weniger ist erforderlich, daß die Unterstützung absichtlich und methodisch sei, weil wo die großen Lebensgemeinschaften vollkommen sittlich gestaltet sind, eine Harmonie sein muß zwischen ihnen, also zwischen Staat, Kirche, dem geselligen Leben und dem Gebiete des Wissens. Alles ist eine Sitte geworden […] Die Vollkommenheit dieser menschlichen Gemeinschaft besteht aus zwei Momenten, deren einer die Vollkommenheit der Form an sich, der Verfassung, der Einrichtung ist; der andere die Angemessenheit des einzelnen zum Ganzen.“139

Dem entgegengesetzt unterstellt Schleiermacher aber dem jüdischen Emanzipationsgesuch disharmonische Folgen für die Gemeinschaft(en). Entsprechend erforderlich ist nach Schleiermacher die Gegenwirkung durch Erziehung: „Das Mißverhältnis zwischen den einzelnen und der Einrichtung des Ganzen macht eine Erziehung unter der Form einer geregelten Gegenwirkung erforderlich.“140 In seinen Vorlesungen von 1826 macht Schleiermacher in der Gegenwirkung gegenüber dem Bösen den ethischen Referenzpunkt aus und bezeichnet jene Erziehung als vollkommen, die bereits den ersten Keim des Bösen unterdrückt: „[A]lles, was ethisch angesehen eine Unvollkommenheit, eine negative Größe ist, dem muß entgegengewirkt werden, sobald es sich zeigt.“141 Auf sittlichem Gebiet sind es das Unrichtige und das Unschöne, welche nach Schleiermacher eine Gegenwirkung notwendig erscheinen lassen, wobei das Unrichtige bestimmten Gesetzen widerspreche. „Es wird wohl wenig Beobachtung dazu gehören, um sich zu sagen, daß das Unrichtige auf jedem Gebiet gebraucht werden könne, um das Richtige, d. h. die Regel, der es widerspricht, zu erläutern; ja daß es nicht möglich sei, die bestimmte Regel anzuschauen, ohne zugleich den Widerschein, das Gegenteil, das Unrichtige zu schauen.“142

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Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 64 f. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 65. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 29. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 78.

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Diese postulierte Zusammengehörigkeit von zugleich richtigen und unrichtigen Fällen legt die Übertragung auf die beiden Religionen Christentum und Judentum nahe, da Schleiermacher sie nach analogem Muster abhandelt. Das Christentum ist die Religion der Religionen, während das Judentum als „todte Religion“ all das Unrichtige verkörpert, das dem Richtigen, eben dem Christentum, gegenübersteht. Schleiermachers Denken ist von antagonistischen Grundannahmen bestimmt, die sowohl auf den Bereich der Religionen als auch auf den Bereich der Erziehung übertragen werden. In Hinblick auf das Verhältnis der Gegenwirkung zur Gesinnung merkt Schleiermacher an, dass auf die Gesinnung durch Gegenwirkung gar nichts ausgerichtet werden könne.143 Denn die Gesinnung entziehe sich aller pädagogischen Gegenwirkung. „Auf allen Gebieten, wo von Gesinnung die Rede sein kann, werden wir auf das Dilemma einer positiven oder negativen Ansicht kommen, und die letztere wird überall nur unterstützende Tätigkeit voraussetzen können, die erstere aber gegenwirkende verlangen und doch keine auffinden. Wir werden nicht nur sagen müssen, daß jede Mißbilligung keine reine Wirkung auf die Gesinnung mehr ist, sondern auch behaupten, daß diese Äußerung der Mißbilligung an und für sich selbst ihren Ort nicht in der pädagogischen Tätigkeit habe; sie ist eine notwendige ethische Reaktion, zunächst etwas vollkommen Unwillkürliches. Sobald wir etwas Unsittliches sehen, empfinden wir Mißbilligung, und die Äußerung derselben erfolgt von selbst. Wenn die Äußerung der Mißbilligung in der Erziehung einen anderen Charakter hat als in dem Gebiete des Lebens überhaupt, so könnte dies doch keine verstärkte Wirkung auf die Gesinnung hervorbringen, sondern eher würde das Gegenteil eintreten.“144

Schleiermacher kann jedoch der Gegenwirkung in Beziehung auf die einzelnen Willensakte dann eine gewisse sittliche Berechtigung einräumen, „insofern sie Vorbeugung gegen die Fertigkeit ist“. „Denn die sittliche Verbesserung muß zwar rein von innen durch die Gesinnung entstehen, aber sie wird

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Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 95. Vgl. ferner ebd.: „Die Gesinnung, als die höchste Äußerung der Intelligenz, setzt die Kontinuität des intelligenten Lebens voraus, und diese tritt erst später ein: Die Entwicklung der Fertigkeit kann schon in die Zeit des bewußtlosen Lebens fallen. So wie jene das am meisten Freie ist, so diese das am meisten Mechanische.“ Unter Gesinnung ist gemeinhin das moralphilosophisch anthropologische Menschenbild zu verstehen. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 96 f.

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doch erleichtert, je weniger entgegengesetzte Fertigkeiten zu überwinden sind.“145 In Bezug auf die sogenannte jüdische und christliche Gesinnung, die Schleiermacher in Hinblick auf das Judentum negativ und in Hinblick auf das Christentum positiv konnotiert, hat die Annahme, dass die Gegenwirkung keinerlei Einfluss auf die Gesinnung habe, zur Folge, von einer Gegenwirkung auf die jüdische Gesinnung abzusehen und die jüdische Gesinnung als solche vielmehr einschränken zu wollen, wie Schleichermacher in den „Briefen“ zeigt. Indem Schleiermacher vor dem Hintergrund der Emanzipationsdebatte die Aufgabe wesentlicher Punkte des jüdischen Glaubens und damit im weitesten Sinn auch ihrer Gesinnung fordert, zeigt er, wie eine „Umsetzung“ seiner pädagogischen Reflexionen aussehen könnte. Die unterstützende Tätigkeit, die Schleiermacher explizit in Reaktion auf die negative Gesinnung vorsieht, entfaltet sich in diesem Fall so, dass die Gesinnungsträger ihre eigene Gesinnung in wesentlichen Punkten einschränken sollen. Der mangelnden Effizienz der Gegenwirkung entspricht in diesem Fall zudem die von Schleiermacher in den Briefen konstatierte Nachhaltigkeit der jüdischen Erziehung, die entsprechend „resistent“ gegenüber einer Gegenwirkung wäre. III.3.2.2 Erziehung zwischen individueller und öffentlicher Erziehung Schleiermacher benennt und reflektiert in allen Vorlesungen zur Pädagogik die beiden Seiten der Erziehung, von denen die eine Seite der Persönlichkeitsentwicklung des Individuums zugetan ist, während die andere Seite den öffentlichen Anspruch der Gemeinschaft(en) an der Ausbildung der individuellen Persönlichkeit aufzeigt. Entsprechend zeigt Schleiermacher als Handlungsbereiche für das pädagogische Tun stets die vier Hauptsphären des sozialen Lebens auf: Staat, Kirche, Wissenschaft und geselliger Verkehr. Bereits in den ersten Vorlesungen von 1813/14 unterscheidet er dementsprechend zwei Gesichtspunkte: „das Ausbilden der Natur, und das Hineinbilden in das sittliche Leben.“146 Und in den Vorlesungen von 1820/21 führt Schleiermacher diese beiden Seiten als die beiden klassischen Hauptaufgaben der Erziehung an: „den Menschen tüchtig zu machen für 145 146

Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 98. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 217.

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die Gemeinschaften, in die er treten soll, und seine eigentümliche Natur zu entwickeln.“147 Die Aufgabe der Individualisierung des Menschen, der zunächst nur universell sei, ist für Schleiermacher eine Kernaufgabe der Erziehung. „Erst am Ende ihrer Bemühungen stellt sie ihn als einen individuellen hin, und dies ist ihr höchster Triumph.“148 Das „Erzogenwerden“ des Zöglings schließt mit der Gewinnung der Selbstständigkeit ab. „Was zunächst dem Anfangspunkt [der Erziehung; M. B.] liegt, unterscheidet sich, charakterisiert durch die von dem Erzieher negierte Selbständigkeit des Zöglings, von dem am Endpunkt, charakterisiert dadurch, daß der Erzieher die Ansprüche des Zöglings auf Selbständigkeit bald ganz anerkennen zu müssen einräumt.“149 Die Erziehung des Zöglings sei erst vollendet, „wenn er in ein bürgerliches Verhältnis eintritt und also eine Familie selbst stiften kann“150. Vor dem Hintergrund der Bildung der individuellen Persönlichkeit und der persönlichen Eigentümlichkeit eines Menschen lehnt Schleiermacher das Ansinnen einer „allgemeingültigen Pädagogik“, einer durch ein allgemeines Prinzip begründeten Pädagogik, ebenso ab151 wie allgemeine Gebote oder Verbote.152 Denn eine solche Form von Allgemeingültigkeit verträgt sich nicht mit der jeweiligen Eigentümlichkeit der Menschen. Und wenn es um die persönliche Eigentümlichkeit eines Menschen geht, haben deshalb auch „allgemeine Verfahrensregeln“ zurückzutreten. „Die persönliche Eigentümlichkeit eines Menschen bestimmt sich aus der Mannigfaltigkeit der Verbindung des Daseins und Mangels der verschiedenen Anlagen und Talente. Sie selbst, die Eigentümlichkeit, muß immer erst erkannt sein, ehe man pädagogisch in bezug auf sie wirken kann; und deshalb ist es nicht genug, die allgemeinen Verfahrensregeln aufzustellen, die Eigentümlichkeit zu behandeln, sondern es ist auch Aufgabe der Pädagogik zu lehren, wie man sie erkenne [...] Wir werden also jeden Gegenstand der Er-

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Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 310. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 217. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 247. Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 298. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 213. In Bezug auf die Sittlichkeit zeigt Schleiermacher ebenfalls in seiner Vorlesung von 1826 die Grenzen einer allgemeingültigen Pädagogik auf: „Die Erziehung ist gut und sittlich, wenn sie dem sittlichen Standpunkt der Gesellschaft entspricht.“ (Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 31.) Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 267: „Das Leben ist zu mannigfaltig, und im Hause viel schwerer, ein Allgemeines richtig aufzustellen.“

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Schleiermacher und die „Menschenbildung“

ziehung in dieser Hinsicht ins Auge fassen müssen, und die Richtigkeit der Erziehung wird von der richtigen Erkenntnis der Eigentümlichkeit abhängen.“153

In Hinblick auf die Erziehungsaufgaben und -ziele unterscheidet Schleiermacher also immer, „ob man den Menschen als für sich oder als organisches Glied einer Gesamtheit betrachtet“154. Bei dieser Unterscheidung zwischen Privaterziehung und öffentlicher Erziehung ist jedoch stets zu beachten, dass als Agent der öffentlichen Erziehung nicht nur der Staat genannt wird, sondern selbstverständlich immer auch die Kirche. „In der Privaterziehung wird deshalb die Tendenz auf Entwicklung der Individualität das Dominierende sein. Zwar wird man keine Differenz gerade veranlassen, keine Besonderheit hervorlocken, aber jene Richtung auf das Allgemeine wird doch zurücktreten. Bei der öffentlichen Erziehung dagegen wird die Sorge für die persönliche Eigentümlichkeit zurücktreten und das Interesse, den Menschen für die Gemeinschaft zu bilden, überwiegen. Daher finden wir geschichtlich fast immer die Erziehung in diese beiden Zweige geteilt; selten ist sie ganz dem häuslichen Leben überlassen, selten bemächtigen sich Staat und Kirche ganz der Erziehung.“155 Dass nur eine der beiden Seiten tätig wird, ist für Schleiermacher ebenfalls vorstellbar: die ausschließliche Privaterziehung bei vollkommener Übereinstimmung aller Familien als Träger dieser Erziehung mit dem Ganzen oder die ausschließliche öffentliche Erziehung im Fall der Auflösung des häuslichen Lebens. „Wo ein vollkommenes Vertrauen des Staates, der Kirche auf das Hauswesen nicht vorhanden ist, oder umgekehrt: da werden sich immer, wenn die Privaterziehung dominiert, die Kirche und der Staat dieses oder jenes vorbehalten; oder wenn die öffentliche Erziehung dominiert, ebenso die Familie. Nach Maßgabe der Verhältnisse wird das eine über das andere ein Übergewicht haben.“156

Damit schließt sich bereits an dieser Stelle die Frage an, welchen Stellenwert und Einfluss die Kirche im Rahmen der öffentlichen Erziehung hat und in welchen Bereich eigentlich die religiöse Erziehung einzuordnen ist, da diese

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Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 295 f. Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 296. Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 304. Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 305 f.

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doch sowohl in den häuslichen Bereich, d. h. in die Privaterziehung, gehört als auch Teil der Kirche ist. In dem weiteren Kontext der Ausführungen Schleiermachers über private und öffentliche Erziehung rückt nun die Problematik divergierender Interessen öffentlicher Erziehung einerseits und privater Erziehung andererseits in den Mittelpunkt. Auch wenn die Erziehung ursprünglich dem Hauswesen zuzurechnen ist, gehöre die Familie doch auch „einem geselligen Verkehr, einem bürgerlichen Vereine, einer religiösen Gemeinschaft“157an. Damit sind aber potentielle Dilemmata vorhersehbar: „Wenn auch die künftige Generation der Familie zunächst angehört, also in ihr geboren, so könne der Staat doch sagen, sie wird für mich geboren, und also muß ich bestimmen, ob und inwieweit die Eltern die Erziehung leiten sollen. – Ist nun ein Zwiespalt zwischen den einzelnen und der Idee des ganzen, so können die Eltern selbst in diesem Zwiespalt befangen sein, und in diesem Falle würden sie die gehörige Gegenwirkung zu leisten außerstande sein. Der Staat könnte die Eltern nur immer soweit in die Erziehung eingreifen lassen, als sie das Bessere erkennen und in ihnen der Zwiespalt nicht ist. – Dasselbe würde gelten in Beziehung auf die religiöse Gemeinschaft.“158

Schleiermacher löst diese Problematik zunächst so auf, dass er von zwei verschiedenen Perioden ausgeht. Während in der ersten Periode die Erziehung dem Hauswesen zuzurechnen ist, tritt in der zweiten Periode der Staat hinzu. „In der zweiten Periode entsteht eine neue Aufgabe; es treten Bedürfnisse ein, wodurch Hilfe postuliert wird. Die Eltern allein können die Aufgabe nicht lösen und die Bedürfnisse nicht befriedigen. Es würde auf diesem Punkt der Anteil des Staates an der Erziehung angehen, und der Staat mit der erforderlichen Unterstützung hinzutreten; ihm liegt es dann ob, entweder das Minimum, diejenigen zu bezeichnen, die den Eltern die Aufgabe lösen helfen; oder das Maximum, den Eltern die Erziehung in der zweiten Periode ganz abzunehmen.“159 Da jedoch die absolute Vollkommenheit der religiösen, d. h. christlichen und politischen Gemeinschaft nicht der Regelfall sein dürfte, hat die Erziehung eine entsprechende Vorarbeit zu leisten.

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Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 66. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 66. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 67. Vgl. auch Christoph Lüth, Die Bestimmung des Verhältnisses von Staat und Erziehung in den pädagogischen Abhandlungen Schleiermachers, in: Paedagogica Historica 21 (1981), 121-136.

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Grundsätzlich sind in diesem Kontext auch die Überlegungen zum Verhältnis zwischen dem inneren Entwicklungsprinzip und den äußeren Einwirkungen zu berücksichtigen, wobei Schleiermacher im Anfang des Lebens den äußeren Einwirkungen ein Übergewicht einräumt.160 Diese äußeren Einwirkungen sind Einwirkungen der älteren Generation auf die jüngere, denen Schleiermacher grundsätzlich eine große Bedeutung beimisst.161 In der Diskussion um die „Bändigung des Willens“ geht Schleiermacher noch einmal auf das Verhältnis des Einzelnen zur Gemeinschaft ein.162 Er spricht sich hier jedoch nicht für eine grundsätzliche Beugung des Willens zugunsten der Einordnung in die Gemeinschaft aus, sondern vielmehr für eine wandelbare Gemeinschaft, auf die der Einzelne wiederum Einfluss nehmen soll. Letztendlich ist dies auch eine politische Frage. „Die Maximen für die Bändigung des Willens sind nämlich verschieden nach Verhältnis des politischen Zustandes. Wo die Neigung ist, alle Änderungen im Gemeinwesen zu scheuen, da ist die pädagogische Strenge natürlich. In dem Maß dagegen, als man einsieht, daß das Verhältnis der persönlichen Freiheit zum Gemeinwesen ein anderes wer-

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Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 10 f. Vgl. hierzu Schleiermachers geschichtlichen Rückblick, indem er die äußeren Einwirkungen der älteren Generation auf die jüngere betont; ders., Vorlesungen 1826, 10 f.: „Wir wollen auf zwei Völker zurücksehen, die uns sehr nahe stehen, das eine in religiöser, das andere in wissenschaftlicher Hinsicht, auf das jüdische, innerhalb dessen das Christentum entstanden ist, auf das griechische, auf dessen Kultur die unsrige gebaut ist. Das jüdische Volk war zur Zeit seiner Blüte ein in sich selbst gegründetes und hatte einen gewissen Grad von Bildung erreicht. Öffentliche Erziehungsanstalten hatte es nur in sehr beschränktem Sinn, und die Erziehung, scheint es, war fast ganz dem Familienkreise anheimgefallen. Daß sie dennoch einem sehr bestimmten Typus folgte, ist nicht zu bezweifeln; aber von einer Theorie derselben war noch gar nicht die Rede. [...] Großes Gewicht also wurde bei diesen Völkern auf die äußeren Einwirkungen gelegt, und wenn die Theorie auch erst später entstand, so fehlte der erziehenden Tätigkeit doch nicht der Charakter der Kunst.“ Vgl. auch Friedhelm Brüggen, Die Entdeckung des Generationenverhältnisses – Schleiermacher im Kontext, in: Neue Sammlung 38 (1998), 265-279. Dieser geschichtliche Rückblick Schleiermachers bedeutet nicht etwa, dass er nun eine gegenüber den Reden „Über die Religion“ neue Position vertritt, in der er darauf verweist, dass das Christentum innerhalb des Judentums entstanden ist. Die demgegenüber in religiöser Hinsicht für Schleiermacher charakteristische ahistorische Herangehensweise ist vielmehr weiterhin gültig. Dass Schleiermacher bewusst den historischen Zusammenhang von Judentum und Christentum ausblendet, bedeutet nicht, dass er diesen grundsätzlich negiert. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 350 ff.

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145

den muß, wird auch die Erziehung freier werden. Es entsteht dann auch zugleich ein Konflikt zwischen der Pädagogik und der bürgerlichen Gewalt.“163

In der Debatte um die Judenemanzipation will Schleiermacher diesen Konflikt jedoch eindeutig durch die „bürgerliche Gewalt“ gelöst wissen, während er einen Wandel durch Erziehung in den „Briefen“ ausdrücklich ablehnt. Denn einen gesellschaftlichen Wandel weist er gerade in diesem Punkt zurück. Es bleibt die Frage, ob die Einordnung in die Gemeinschaft nicht letztendlich immer Vorrang hat. Schleiermacher löst die hier gegebenen potentiellen Dilemmata nicht auf. Andererseits kann er sich wiederum dann für eine gewisse Öffnung gegenüber dem Fremden aussprechen, wenn der Staat entsprechend gefestigt ist: „Wenn aber ein gemeinsames Leben zur Blüte gekommen ist und der Charakter fest geworden, so offenbart sich das am schönsten darin, daß sich das Abstoßen des Fremden verliert; es öffnet sich der Sinn für das Fremde. Das Abstoßen des Fremden ist ein Zeichen von Unsicherheit und Furcht; Liebe zum Fremden dagegen ein Zeichen der Schwäche und des Verfalls, weil nun deutlich geworden daß man den eigenen Charakter nicht mehr behaupten kann. Wir stehen jetzt auf dem Punkt, daß uns der Sinn für das Fremde geöffnet ist; der Liebe zu dem Fremden sind wir in vieler Rücksicht schon los geworden. Dies ist ein Symptom vom Steigen. So können wir hoffen, daß auch der Wechsel im Erziehungswesen sich wieder verlieren und die Erziehung eine festere Gestalt gewinnen werde.“164

Schleiermacher legt hier wiederum ein gegensätzliches Verhältnis zugrunde, indem er in Hinblick auf das Fremde zunächst nur zwischen Abstoßung und Liebe unterscheidet. Beides lehnt er jedoch für die Erziehung ab, weil es von Unsicherheit und Schwäche zeugt. Schleiermacher erläutert jedoch nicht näherhin, was er unter „Sinn für das Fremde“ versteht. Auch wenn sich die Kategorie „fremd“ nicht einfach auf die Juden übertragen lässt, legt die entsprechende Position Schleiermachers eine solche Übertragung doch nahe. Schleiermacher betrachtet die Juden seiner Zeit und das Judentum als etwas Fremdes. Entgegen seiner pädagogischen Reflexion öffnet er jedoch in diesem Fall nicht seinen Sinn für das ihm Fremde, sondern spricht sich letztlich aufgrund der eigenen Unsicherheit und Furcht für die „Abstoßung“ 163

164

Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 351. Vgl. auch ebd., 353: „Die Erziehung hat die Aufgabe den Willen zu entwickeln; die Nachahmung wirkt ihr entgegen.“ Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 357.

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aus. Damit offenbart er aber auch, dass er die Gesellschaft nicht für gefestigt genug hält, um sich gegenüber dem „Fremden“ öffnen zu können. In den Diskurs über private und öffentliche Erziehung gehört auch die Auseinandersetzung mit Platons Erziehungsdiskurs, in der Schleiermacher fragt, was Platon dazu bewogen habe, „dem Staat die Erziehung nicht nur ganz in die Hand zu geben, sondern sie auch zum stärksten Motiv für denselben zu machen, in einem Grade, wie es ein pädagogisches Regale nie gegeben hat und nie geben kann“165. In seinen beispielhaften Überlegungen über zwei Gemeinheiten (siegende und unterworfene Horde) skizziert er das Szenario einer eifersüchtigen Regierung, die „jede Neigung der Überwundenen, sich in die Sitten der Sieger einzuschleichen und ihre Erziehung nachahmend ihnen ihre höheren Vorzüge zu entwenden“, bewachen werde. Dabei müsse die Erziehung dann Sache des Staates werden, wenn sich der unterworfene Stamm allmählich dem herrschenden genähert habe und zu besorgen stehe, „er werde bald an Sitte und Bildung von diesem nicht mehr zu unterscheiden sein, in diesen Fällen wird der Staat in die Erziehung dieses Stammes gewalttätig, aber zerstörend eingreifen; er wird dessen Sitte auflösen und die Erziehung unter das Gesetz stellen, wodurch schon großenteils das innere Leben verloren geht und mit beschleunigter Geschwindigkeit die Neigung wächst, sich bei einer mechanischen Behandlung zu beruhigen“166. Schleiermacher entwirft hier ein Programm, das er letztendlich selbst in seinen Briefen in Hinblick auf das Judentum diskutiert. Ganz konkret hegt er in den Briefen die Befürchtung, die Juden würden sich in Sitte und Bildung von der des Staates nicht mehr unterscheiden Entsprechend ist er für die Auflösung ihrer religiösen Sitte („Zeremonialgesetz“, Messiasglaube). Die „Erziehung unter das Gesetz“ zu stellen, hieße in diesem Fall die Belange jüdischer Schüler im Religionsunterricht zurückzuweisen bzw. die grundsätzliche Frage nach einem jüdischen Religionsunterricht gar nicht erst zuzulassen. Damit geht dann aber auch, wie von ihm vorausgesagt, „das innere Leben verloren“, d. h., nach seinen Vorstellungen und Forderungen wären die jüdische Religion und Kultur letztendlich ihrer Substanz beraubt.

165

166

Friedrich Schleiermacher, Über den Beruf des Staates zur Erziehung, in: ders., Texte zur Pädagogik. Kommentierte Studienausgabe, Bd. 1, hg. v. Michael Winkler/Jens Brachmann, Frankfurt am Main 2000, 272-290, 281. Friedrich Schleiermacher, Über den Beruf des Staates zur Erziehung, 282.

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„Ich möchte noch hinzufügen, hat die Regierung in diesem Sinne einmal angefangen zu erziehen: so darf sie auch nicht eher aufhören, bis jener Zustand einer Einheit der Sitte und einer gleichnamigen Bildungsstufe dem Wesen nach beide Stände miteinander vereint, sonst möchte sie das Volk in einem Zustande von Verwirrung und Ratlosigkeit sich selbst überlassen.“167

Dieses Postulat Schleiermachers würde in der Realisierung letztendlich zu einer vollkommenen Nivellierung des Judentums führen. Der Einheitszustand der Sitte setzt nämlich die vollkommene Anpassung des Judentums und damit schlussendlich die Aufgabe ihrer eigenen Kultur und Religion voraus. Das Modell einer wechselseitigen Befruchtung hingegen ist Schleiermacher vollkommen fremd. Die Rechtfertigung des Staates, an der Erziehung des Volkes Anteil zu nehmen, begründet Schleiermacher mit einem quasi nationalen Auftrag der Bildung einer wahren, höheren geistigen Einheit, nämlich dem Vaterland, hinter den selbst die Erziehung der Kirche zurückzutreten hat.168 Damit führt aber die – dem Staat bzw. seiner Regierung zugestandene – Erziehung des Volkes zu einer Delegitimierung des Judentums. Während Schleiermacher in der Frage der Judenemanzipation die Offenheit und Wandelbarkeit des Staates ausdrücklich zurückweist, spricht er sich im pädagogischen Diskurs grundsätzlich für die Veränderung des Staates aus, indem er dessen Unvollkommenheit herausstellt. Der Annahme Schleiermachers, dass Heilung für die Gebrechen aller Sphären freilich nur durch die Erziehung komme,169 korrespondiert die Annahme von der Unvollkommenheit des Staates, für welche die zu Erziehenden ein Gefühl entwickeln sollen. Schleiermacher bringt das auf die Formel „von der unbewußten Billigung des Gegebenen und von der gefühlten positiven Mißbilligung desselben. Hierin liegt die Aufgabe, dem Zögling soviel Kraft und Freiheit anzuerziehen, daß er dies aufheben könne.“170 Möglicherweise sollen seine jüdischen Zeitgenossen auch deshalb nicht zu Einwohnern Preußens werden, damit Schleiermacher ihnen nicht die „Kraft und Freiheit“ zusprechen muss, die diese wiederum für einen Wandel des Staates einsetzen könnten. Die Bildung der „Eigenthümlichkeit“ seiner jüdischen Zeitgenossen ist für

167 168 169 170

Vgl. Friedrich Schleiermacher, Über den Beruf des Staates zur Erziehung, 284. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Über den Beruf des Staates zur Erziehung, 286. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 216. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 216.

148

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Schleiermacher in Hinblick auf ihre Rolle im christlich geprägten Staat nur negativ besetzt und demgemäß auch in ihrem Einfluss zu begrenzen und zurückzudrängen. Die im pädagogischen Kontext grundsätzlich positiv konnotierte und deshalb auch erstrebenswerte „Eigenthümlichkeit“ des Menschen kehrt sich in dem politischen Kontext der Judenemanzipation in ihr Gegenteil und wird für Schleiermacher damit sogar zu einer absoluten Bedrohung. Wenn Schleiermacher schreibt, die Erziehung solle den Menschen für die eigentümliche Beschaffenheit der verschiedenen großen Lebensgemeinschaften bilden,171 stellt sich zwangsläufig sowohl die Frage der Interdependenz der Gemeinschaften als auch die Frage, inwieweit die damit implizit postulierte religiöse Bildung auch auf die anderen Bereiche übergreift und vor allem die allgemeine Bildung tangiert. Schleiermacher stellt in seiner Theorie der Erziehung immer wieder heraus, dass es in der Erziehung nie ausschließlich nur um die Regulation der primären Lebensbedürfnisse der Heranwachsenden gehen kann, sondern dass die Bildung von Sittlichkeit immer auch an der Erzeugung kultureller Güter partizipiert. Als eine Funktion von Sittlichkeit materialisiert sich Erziehung – und darin unterscheidet sie sich von den anderen Einwirkungen der Menschen – in ihrem Abhängigkeitsverhältnis von den menschlichen Formen. Dass nach Schleiermacher die Gemeinschaft den Bestand ihrer sittlichen Formen Staat, Kirche, Wissenschaft und geselliger Verkehr nur vor dem Hintergrund der Exklusion der Juden sichern kann, zeigt die Grenzen seiner Erziehungslehre auf. Denn die erzieherische Einwirkung ist in erster Linie von der Gemeinschaft abhängig und hat erst in zweiter Linie ein die Gemeinschaft konstituierendes Moment inne. Damit ist aber die Entwicklung des Einzelnen vor dem Hintergrund der auf ihn zielenden Einwirkungen nicht mehr per se als angeleitete Ausdifferenzierung des Humanen deutbar.

171

Vgl. Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 301: „Die Erziehung soll den Menschen bilden für die eigentümliche Beschaffenheit der verschiedenen großen Lebensgemeinschaften, aber zugleich die Kraft und die Freiheit in dem Zögling entwickeln, um den Unvollkommenheiten entgegenzuarbeiten.“

Schleiermacher und die „Menschenbildung“

III.3.3

149

Religiöse und theologische Grundlagen und Bezüge im pädagogischen Diskurs „Was aber auch die Pädagogik aufstellen mag, immer ist dabei zu berücksichtigen, daß das Wesentliche der Anwendung nur beruht auf der Anschauung und nur in einer sittlichen Seele sein kann, die mit Liebe in das Göttliche dringt.“172 (Friedrich Schleiermacher)

Die christliche Religion findet auch in Schleiermachers pädagogischen Ausführungen geradezu selbstverständlich Berücksichtigung. Seine pädagogischen Reflexionen über die Strafe und die Lesefertigkeit erfolgen ausdrücklich auf der Grundlage christlicher Anthropologie und protestantischer Theologie. Das Christentum ist auf der religiösen Ebene die unhinterfragte Bezugsgröße auch in Schleiermachers pädagogischem Denken. Wenn er in der „Rezension Schelling“, dessen Darstellung er „im Ganzen vortrefflich“ nennt,173 die Annahme vom Christentum als höherer Ansicht der Geschichte referiert,174 hebt er damit das Christentum als absolute Größe hervor und steht damit ganz im Duktus seiner Reden „Über die Religion“. Während Schleiermacher in den „Reden“ herausstellt, dass jeder Mensch mit einer religiösen Anlage geboren werde, geht er in den Vorlesungen von 1813/14 ebenfalls davon aus, dass der Mensch, ja jeder Mensch, eine religiöse Seite hat. „Das Religiöse ist das unmittelbare Gegebensein des absolut Inneren und Äußeren im unmittelbaren Selbstbewußtsein.“175 Schon dem Kind sei es ganz natürlich, „seine Gedanken auf das Religiöse hinzurichten“176. Indem Schleiermacher von einem angeborenen universellen religiösen Stil ausgeht, der noch der Individualisierung durch Erziehung bedürfe,177 wird 172 173

174 175 176 177

Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 355. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Rezension Schelling, in: ders., Texte zur Pädagogik. Kommentierte Studienausgabe, Bd. 1, hg. v. Michael Winkler/Jens Brachmann, Frankfurt am Main 2000, 64-79, 71. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Rezension Schelling, 69. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 244. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 249. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 216 f.: „Daß Religion im allgemeinen dem Menschen angeboren ist, wird niemand leugnen; schwer wird man gestehen, daß ihm z. B. das Christentum angeboren sei. Geht man aber nur auf das Wesen, auf die bestimmte Modifikation des menschlichen Gefühls, so bewährt sich’s doch. Kein Hei-

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deutlich, dass das religiöse und damit für Schleiermacher das christliche Moment konstitutiv in und für den Erziehungsprozess ist und aus diesem und damit auch aus seinem Reflexionsprozess, der Pädagogik, nicht mehr auszuschließen ist. Damit ist die dem Bildungsdiskurs Schleiermachers zugrunde liegende Anthropologie eindeutig als religiös, das heißt christlich, ausgewiesen. Ähnlich verhält es sich mit dem Spekulativen, das Schleiermacher dem Religiösen zuordnet. Gegenüber dem Spekulativen hat das Religiöse aber noch einmal einen höheren Stellenwert, da es – nun wiederum anders als das Spekulative – grundsätzlich vorausgesetzt wird. „Ist also einer nicht spekulativ, so kann man ihn nicht dazu machen; es ist seine natürliche Unvollkommenheit. Ist aber einer nicht religiös, so ist es eine Verkehrtheit, denn er müßte in einer beständigen Skepsis sein; ist er dies nicht, so ist er von einem bloß in seiner Besonderheit liegenden Grunde geleitet, und das ist böse.“178 Da nun schwer zu erkennen sei, ob einer spekulativ werden könne, müsse die Erziehung allen die Möglichkeit sichern; der spekulative Standpunkt ist innerhalb der Bildungsstufen ein besonderer.179 „Die Erziehung muß also sein eine stufenweise Herauskehrung der kontemplativen Seite der Gegenstände, wodurch jeder seinen intensiven Entwicklungsprozeß, wenn er will, von jedem Punkt, auf dem er steht, weiter fördern kann bis zum höchs-

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179

dentum wird unseren Kindern lebendig; keine Mythologie wird ihnen religiös. Aber unsern religiösen Stil haben sie oft angenommen ohne alles Zutun. In alle diesem aber ist der Mensch ursprünglich nur universell, und es ist die Aufgabe der Erziehung, ihn zu individualisieren.“ Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 244. Entsprechend schreibt Schleiermacher dann über die „Verhinderung des Irreligiösen“ ebd., 245: „Da hier ein absoluter Mangel nicht in der Tat, sondern nur durch Mißverstand sein kann, so ist nur die Rede von dem relativen, der sich in dem Bösen als Gottlosen ausdrückt. Dieses, haben wir schon gesehen, ist nur in der Ungleichförmigkeit der Rezeptivität und Spontaneität, im Zurückbleiben der ersten als Trägheit, im Zurückbleiben der anderen als Untugend oder Laster. Die Maxime ist also im allgemeinen eine Gleichförmigkeit des intensiven Entwicklungsprozesses auch der Rezeptivität und Spontaneität zu erhalten. Dies ist wesentlich nicht etwa Zurückhalten des einen bis das andere nach ist. Dann wäre es besser, den Zögling den Weg durch das Böse, dem es doch nicht ganz entgeht, durchmachen zu lassen.“ Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 248.

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ten.“180 Darunter fällt neben dem Spekulativen auch das Religiöse. Darüber hinaus stellt Schleiermacher aber auch den hohen Stellenwert spekulativer Bildung für die Leitungsträger der öffentlichen Angelegenheiten heraus. „Der Anteil an der Leitung der öffentlichen Angelegenheiten setzt eine tiefere spekulative Bildung voraus. Denn um die Zukunft aus der Gegenwart zu konstruieren und diese aus der Vergangenheit, muß man die richtige Idee des Guten und Wahren an und für sich haben; dies ist die spekulative Seite.“181 In „vollkommener Analogie mit den Erscheinungen auf dem politischen Gebiete“ geht Schleiermacher wiederum davon aus, dass die religiösen Gemeinschaften ebenfalls dem Menschen angeboren seien.182 Schleiermacher stellt heraus, dass dem Festhalten an der religiösen Gemeinschaft eine innere Zustimmung zugrunde liege, und er schreibt, dass doch auch die „wissenschaftlich Überzeugten“ in der anerzogenen Religionsgemeinschaft blieben, also eine „direkte und in der Natur der Sache liegende Übereinstimmung“ nicht zu verkennen sei.183 Einen möglichen historischen Einwand, „einen geschichtlichen Beweis“ dagegen, „daß auf diesem Felde etwas Angeborenes sei“, kann er zunächst zwar gelten lassen, stellt im Anschluss daran dann aber doch die Analogie mit der politischen Gemeinschaft heraus.184 180

181 182 183 184

Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 245. Vgl. ferner ebd., 246: „Das Spekulativste ist die Idee Gottes, in welcher alle Mannigfaltigkeit der Gegenstände verschwindet.“ Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 349. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 302 f. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 302 f. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 303: „Das Christentum und der Muhamedanismus z. B. sind als neue Formen auf einem kleinen Gebiete entstanden, und haben dann sich über eine große Menge von Völkern verbreitet, denen vorher andere Religionen anerzogen waren. Also können sie selbst nichts Angeborenes sein; und ebenso wenig kann etwas Angeborenes in jenen Formen gewesen sein, die ausgetrieben wurden […] Uns bleibt nichts übrig, als daß wir versuchen darzustellen, was die Analogie mit der politischen Gemeinschaft ergibt. Auch die Formen dieser in einem und demselben Volke sind veränderlich, und dennoch sagen wir, daß sie Resultat der Volkstümlichkeit also angeboren seien.“ Mit seinem historischen Rekurs widerspricht Schleiermacher nicht seiner Auffassung von 1813/14 über das grundsätzliche Angeborensein der christlichen Religion (vgl. Fußnote 177), wie seine Analogie verdeutlicht. Dementsprechend heißt es auch in der umfangreicheren Nachschrift zur Theorie der Erziehung von 1820/21: „Wir finden also doch die Analogie des Angeborenen, und der Unterschied auf dem religiösen und politischen Felde nötigt uns nicht, diesen Teil des geselligen Lebens aus einem ganz anderen Gesichtspunkte zu betrachten als jenen. Wir werden also genö-

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Schleiermacher erklärt die Analogie anhand der jeweiligen Entwicklungsstufen und – darüber hinaus – der inneren Verschiedenheit. „Die Religionsformen, von welchen die Völker abgefallen sind, waren auch nur einer niederen Entwicklungsstufe angemessen; sie hätten sich doch nicht halten können.“185 Obgleich Schleiermacher hier keinen expliziten Bezug zur jüdischen Religion herstellt, dürfte er diese Religion doch ebenso wie andere Religionen als überholt ansehen, weil sie auf einer niederen Entwicklungsstufe angesiedelt und durch innere Verschiedenheit unterschieden ist. Entsprechend hat Schleiermacher die jüdische Religion bereits in den „Reden“ als „todte Religion“ klassifiziert. Sie hätte sich aufgrund ihrer niederen Entwicklungsstufe auch „nicht halten können“. Schleiermacher verwendet auch außerhalb der theologischen Diskurse ganz selbstverständlich religiöse und theologische Begriffe, und entsprechend selbstverständlich sind seine Überlegungen in sprachlicher, aber zum großen Teil auch in inhaltlicher Hinsicht religiös konnotiert. So spricht er etwa von einem „Katechismus der Vernunft für edle Frauen“186. Dieser „Katechismus“ steht exemplarisch für die grundsätzlich christliche, letztendlich alles bestimmende Perspektive, die wiederum Emanzipation und Bildung nur teilweise und beschränkt zulassen kann. Der wohl unter dem Einfluß der Beziehung mit Herz und angesichts des offenen ehebrecherischen Verhältnisses von Dorothea Veit und Friedrich Schlegel gleichzeitig entstandene ‚Katechismus der Vernunft für edle Frauen‘ gießt dann problematische Erfahrungen in eine Reihe von Normen, die sich gegen ein kokettes Spiel mit der Liebe verwahren [...] Lust aber soll sublimiert werden [...] Bildung, Liebe und eine sublimierte Erotik schließen sich so zum Programm einer individuellen, einer individualistischen Emanzipation zusammen, in der sich Menschen als Individuen jenseits aller konventionellen Beschränkungen, einschließlich der ihres Geschlechts, wiederfinden. Ein Liebesverbot als Preis der Freiheit.“187

185 186

187

tigt, die Angeborenheit der Menschen an Gesellschaftsformen anzunehmen.“ Friedrich Schleiermacher, Pädagogik. Die Theorie der Erziehung von 1820/21 in einer Nachschrift, 83. Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 303. Vgl. etwa Friedrich Schleiermacher, Athenaeumsfragmente, 13 f.: „Katechismus der Vernunft für edle Frauen“, „Sabbath deines Herzens“; Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 219: „Frage über die Erbsünde“. Micha Brumlik, Die Duldung der Vernichteten. Schleiermacher zu Toleranz, Religion und Geselligkeit – eine Fallstudie zur Dialektik der Anerkennung, in: Rolf Kloep-

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Die Emanzipation ist, wie Micha Brumlik anmerkt, nur individualistisch zu begreifen. Das heißt aber auch, um Brumlik zu ergänzen, sie ist weder religiös noch politisch zu verstehen, sondern sie bleibt letztendlich auf einen künstlichen Raum, den Salon, beschränkt. Religiöse Gesinnung und religiöse Erziehung haben einen selbstverständlichen Platz in Schleiermachers Erziehungsdiskurs. So kommt es nicht von ungefähr, dass Schleiermacher in seinen bildungspolitischen Überlegungen über die Universität neben der wissenschaftlichen Gesinnung auch die religiöse Gesinnung erwähnt, auch wenn diese ohne Bezug zum Kontext ist.188 Sittliches und religiöses Gefühl werden selbstverständlich nebeneinander genannt.189 Im Rahmen seiner Ausführungen über die Volksbildung thematisiert Schleiermacher die Notwendigkeit von Kenntnissen der Geschichte, die über den rein pragmatischen Gebrauch hinausgehen. Der Religion räumt er dabei einen zentralen Stellenwert innerhalb der Diskussion ein und weist so die Annahme zurück, dass der Gegenstand der Geschichte nach dem Übergang in das gewerbliche Leben überflüssig würde. „Die Volksjugend tritt bei diesem Übergange zugleich in eine engere Beziehung zur Kirche. Vom Standpunkt der Kirche aus müssen wir sagen. Wenn die Jugend irgend auf selbständige Weise in die Gemeinschaft der Kirche aufgenommen werden und einen Kreis von bestimmten religiösen Vorstellungen haben soll, so ist davon das Geschichtliche nicht auszuschließen […] Es fragt sich nur, ob das Volk diese religiöse Geschichte allein lebendig aufgefaßt haben kann, wenn ihm das ganze übrige Gebiet derselben chaotisch ist, und wenn es nichts hat als die Urgeschichte des Christentums und daneben bloß die Vorstellung einer verflossenen Zeit.“190

188

189 190

fer/Burckhardt Dücker (Hg.), Kritik und Geschichte der Intoleranz, Heidelberg 2000, 41-56, 52. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Gelegentliche Gedanken über Universitäten in deutschem Sinn, in: ders., Texte zur Pädagogik. Kommentierte Studienausgabe, Bd. 1, hg. v. Michael Winkler/Jens Brachmann, Frankfurt am Main 2000, 101-165, 128: „Jede Gesinnung, die wissenschaftliche wie die religiöse, bildet und vervollkommnet sich nur im Leben, in der Gemeinschaft mehrerer.“ Vgl. Friedrich Schleiermacher, Über den Beruf des Staates zur Erziehung, 279. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 273.

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Schleiermacher kommt dann zu dem Schluss, dass es „die Stiftung des Christentums und die Reformation“ sei, von denen das Volk die geschichtlichen Zusammenhänge kennen müsse. „Das älteste wäre die Geschichte des Urchristentums, von der wir sagten, daß sie nicht um der Geschichte willen gegeben werde, sondern um das Christenthum einzupflanzen; daß daraus also Gemütsleitung entstehe. Der nächste eigentlich geschichtliche Punkt war die Kirchenverbesserung, durch welche zur Gestaltung der gegenwärtigen religiösen Verhältnisse der Grund gelegt wurde. Das hat als Geschichtliches an sich schon einen Wert, weil es die Quelle ist zum Verständnis der Gegenwart. Der dritte Punkt wären die neuesten historischen Momente, aus denen sich die Gegenwart gestaltet hat und durch welche die allgemeine Weltlage bedingt ist.“191

Damit wird auch hier wieder die Interdependenz zwischen profanen und religiösen Kenntnissen deutlich und damit offensichtlich, dass die religiöse Erziehung als solche nicht isoliert betrachtet werden kann, selbst wenn nach Schleiermacher das Geschichtliche in Beziehung auf die religiöse Gemütsrichtung vermittelt werden sollte. Bereits in der Vorlesung von 1820/21 wird das Christentum als „großes geschichtliches Motiv“ ausgewiesen, wie die 2008 veröffentlichte Nachschrift zeigt.192 Denn für Schleiermacher ist offensichtlich, dass zunächst die Gegenwart selbst auf die geschichtliche Weise gefasst werden müsse und da seien „die gegenwärtigen christlichen Staaten als eins betrachtet die erste Einheit und das Zentrum“. Der Rückverweis auf das „asiatische Altertum […], wo der Monotheismus herrschte“, spart jedoch die Herkunft des Christentums aus dem Judentum aus.193 Darin zeigt sich erneut, dass für Schleiermacher die Kenntnis des antiken Judentums für das Verständnis des Christentums und damit auch für den Geschichtsunterricht irrelevant ist.

191 192

193

Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 275 f. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Pädagogik. Die Theorie der Erziehung von 1820/21 in einer Nachschrift, 252. Vgl. ebd.

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III.3.3.1 Die Anmerkungen zur Strafe und zur Lesefertigkeit als zwei Beispiele der Grundlagen christlicher Anthropologie und protestantischer Theologie für die Pädagogik Schleiermachers III.3.3.1.1 Die Strafe Während sich Schleiermacher in dem „Votum zu Süverns Gesamtinstruktion“ zur Prügelstrafe äußert, finden sich grundsätzliche Ausführungen zur Strafe in den Vorlesungen von 1820/21. In diesem Votum unterscheidet Schleiermacher bezüglich der Prügelstrafe zwischen Gymnasium und Stadtschule. Vom Hunger als Strafe sei zunächst abzusehen. Während gemäß dem Anliegen der Eltern die Schläge am Gymnasium abzuschaffen wären, gilt dies nicht für die Stadtschule.194 In den Vorlesungen von 1820/21 heißt es: „Unsere Strafen vertrauen auf das religiöse Element in Ansehung der Besserung.“195 Für Schleiermacher sind Strafen „nichts Pädagogisches“; er hält sie für bedenklich, wenn auch nicht gänzlich für unvermeidlich.196 An anderer Stelle, in den Vorlesungen von 1813/14, betont Schleiermacher, dass es keine eigentlichen Strafen im pädagogischen Sinne geben könne, weil diese „wesentlich nur Gegenwirkung gegen das Böse“ seien.197 „Die eigentlichen Strafen müssen abnehmen, denn sie liegen ursprünglich nicht auf dem Boden der Erziehung; sie sind nur geduldet und haben ihr Fundament im gemeinsamen Leben.“198 Schleiermacher versteht unter Strafen zunächst körperliche Züchtigungen und dann auch solche, die das Ehrgefühl beschämen. Eine gesteigerte Anwendung führe bei beiden Formen aber nur zu Widerstand und Ver194

195 196 197 198

Vgl. Friedrich Schleiermacher, Votum zu Süverns Gesamtinstruktion, in: ders., Texte zur Pädagogik. Kommentierte Studienausgabe, Bd. 1, hg. v. Michael Winkler/Jens Brachmann, Frankfurt am Main 2000, 185-201, 197: „Es sollte wenigstens angedeutet werden, daß auf Gymnasien man dahin arbeiten müsse, die Schläge abzuschaffen. Ja, es müßte den Eltern freistehen, sich die Schläge zu verbitten, nur müssen sie sich gefallen lassen, daß man ihnen dann die Kinder zurückschicke in Fällen, wo man es sonst nicht tut. Von der allgemeinen Stadtschule gilt dies aber nicht. Der Hunger als eigentliche Strafe ist zwar zu verwerfen. Dies ist aber wohl nicht so streng zu nehmen [...] Entfernung und Relegation dürfen auf der allgemeinen Stadtschule weit weniger angewendet werden, weil der Unterricht nicht leicht auf andere Art zu beschaffen ist.“ Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 330. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 324 ff. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 220. Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 329.

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stockung. Hinzu komme, dass körperliche Strafen etwas auslösen, was die Jugend eigentlich ertragen sollte, und somit in einen Widerspruch führen. „Strafen machen die Jugend weichlich und feige; dies ist dem Hauptzweck der Erziehung zuwider. Verachtet die Jugend körperliche Schmerzen, so ist es nicht weise, sie als Strafe anzuwenden.“199 Letztendlich müsse es darum gehen, die Strafe überflüssig zu machen, indem das Sinnliche der Schmerz erregenden Strafe mit dem Sittlichen verbunden wird. Schleiermacher geht davon aus, dass sich die Strafe immer mehr erübrigt, sobald der sittliche Faktor zunimmt, es also zur Erregung eines sittlichen Gefühls kommt. Ein Übermaß an Strafe spiegelt demgegenüber vielmehr die Unvollkommenheit der Erziehung wider, die Strafe bleibt eine Notsache. Denn eine solch verstandene Strafe bessert an und für sich nicht. Schleiermacher geht es jedoch grundsätzlich um Besserung. Während auch im Altertum die Strafen nicht von der Tendenz zur Besserung ausgegangen seien, vertrauten, so Schleiermacher, „unsere Strafen […] auf das religiöse Element in Ansehung der Besserung“200. Dass es der pädagogischen Praxis um Besserung gehen sollte, begründet Schleiermacher also vor dem Hintergrund nicht etwa einer allgemeinen, sondern vielmehr einer christlichen Anthropologie. Es geht um eine christlich begründete Besserung des Menschen, die aber primär nicht durch Strafen erreicht werden kann, da diese dauerhaft nur Widerstand, Gleichgültigkeit und Verstockung hervorrufen. Damit steht Schleiermacher in der Tradition frühchristlicher und spätantiker christlicher Autoren, die eine damals weit verbreitete Prügelpädagogik ebenfalls ablehnten.201 Bereits in seiner ersten 199

200 201

Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 329. Ferner heißt es ebd.: „Will man eine Stufe höher steigen und sagen, das gelte alles nur dann, wenn man dem Leibe unmittelbar Schmerzen zufüge; es sei nicht so sehr diese rein körperliche Strafe in Anwendung zu bringen, sondern die Sinnlichkeit oder irgendein Zweig derselben anderweitig zu hemmen, z. B. durch Entbehrung: so läßt sich entgegnen, daß auch alle derartigen Strafen eigentlich körperlich sind, Schmerz bereitend, und daß der Mensch auch lernen müsse, diese Schmerzen zu ertragen, sowie es ja dem pädagogischen Zweck widerstreiten würde, wenn der Zögling nicht imstande wäre, Entbehrungen zu verachten.“ Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 330. Vgl. etwa Johannes Chrysostomus, Über Hoffart und Kindererziehung, besorgt und ins Deutsche übertragen von J. Glagla, Paderborn 1968, 15,30: „Aber schlag’ ihn [deinen Sohn; M. B.] nicht dauernd und gewöhne ihn nicht daran, so erzogen zu werden. Wenn er nämlich gemerkt hat, daß er dauernd geschlagen wird, wird er auch die Schläge verachten lernen; hat er sie aber verachten gelernt, so hat er deine ganzen Erziehungsmaßnah-

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Predigt „Über die christliche Kinderzucht“ wendet sich Schleiermacher gegen den „rauen Weg der Gewalt“, durch den gar nicht erzogen werden kann.202 Schleiermacher bezeichnet gegenüber der Strafe nur die Zucht als ein „unmittelbar pädagogisches Element“203. Die Zucht ist zwar auch Gegenwirkung, „aber ihre Absicht ist, das innere Verhältnis im Zögling selbst zu ändern, d. h. die der Erziehung entgegenwirkenden Potenzen nicht eben zu schwächen, sondern den höheren zu unterwerfen. In dieser Hinsicht bildet die Zucht den Übergang zwischen der reinen Gegenwirkung, wie sie in den Strafen konstruiert ist, und den unterstützenden Tätigkeiten der Erziehung.“204 In den Predigten „Über die christliche Kinderzucht“ stellt Schleiermacher bereits Zucht und Strafe einander gegenüber. „Zucht […] ist nicht etwa […] dasselbe wie Strafe, sondern ganz etwas anderes. Denn die Strafe folgt auf den Ungehorsam, die Zucht aber setzt den Gehorsam voraus; die Strafe giebt den Kindern nur zu leiden, die Zucht aber zu thun; die Strafe verknüpft bald mehr bald minder willkürlich mit dem Unrechten und Tadelnswerten etwas Unangenehmes und Bitteres; die Zucht aber legt Gewicht auf eine löbliche Anstrengung der Kräfte zum Leisten oder zum Entbehren, aus welcher von selbst eine innere Freude hervorgeht.“205 In dieser zweiten Predigt „Über die christliche Kinderzucht“ wird bereits das pädagogische Element der Zucht deutlich hervorgehoben. Es ist auffällig, dass Schleier-

202

203 204 205

men auf den Kopf gestellt.“ Gegen eine Prügelpädagogik wendet sich allerdings auch schon Pseudo-Plutarch in der Abhandlung „Über Kinderzucht“. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Über die christliche Kinderzucht (1. Predigt), 597: „O ein gefährlicher Weg! wie wenig durch Gewalt auf Menschen gewirkt werden kann, das sehen wir genugsam in andern menschlichen Verhältnissen, und finden uns wie durch einen geheimen Zauber immer im Bunde gegen die rohe Gewalt und ihr Werk. Und mit Recht. Denn je weniger ein Mensch der Gewalt weicht, um desto deutlicher zeigt er, daß kein knechtischer Sinn in ihm lebt, daß er sich des Edeln, über die Gewalt Erhabenen in seiner Natur bewußt ist; und je mehr einer strebt, durch Gewalt auf andre zu wirken, um desto deutlicher zeigt er, daß er Vernunft und Liebe, wodurch allein der Mensch gelenkt werden soll, nicht in sich trägt oder nicht anzuwenden versteht. Und wir sollten die Gewalt einführen in das friedliche Heiligtum unserer Häuser, und sie anwenden bei unsern Kindern, in einem Alter, wo sie der Einwirkung der Vernunft und der Liebe schon fähig sind?“ Vgl. Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 324. Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 344. Friedrich Schleiermacher, Über christliche Kinderzucht (2. Predigt), 606.

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macher dann unmittelbar mit einer Analogie zwischen der Strafe und dem „Gesetz“ einerseits und der Zucht und der Liebe andererseits fortfährt. „Und wie aus dem Gesetz nie etwas Besseres hervorgehen kann als die Erkenntnis der Sünde, nicht aber die Kraft zum Guten; so kann auch aus der Strafe, deren Kraft auf der Furcht ruht oder auf der bitteren Erfahrung, nie etwas anderes entstehen, als ein äußeres Verhüten der Sünde, nicht aber eine Abwendung des Herzens vom Bösen. Denn das Herz zum Guten hinzuneigen, das kann nur die Liebe bewirken, welche alle Furcht und mit ihr alle Kraft der Strafe austreiben soll.“206

Die Analogie legt nahe, dass Schleiermacher hier auf das alttestamentliche Gesetz anspielt. Die entsprechend negativen Konnotationen, dass das „Gesetz“ nur zur Erkenntnis der Sünde führen könne und zu ihrem äußeren Verhüten und dass die Menschen in der Furcht des Gesetzes lebten, entsprechen der christlichen Abwertung des alttestamentlichen Gesetzes in der bekannten Opposition von Gesetz und Evangelium.207 Die christlichen Antijudaismen werden somit in den pädagogischen Kontext übertragen. Der Unzulänglichkeit des „Gesetzes“ entspricht die Unzulänglichkeit der Strafe, welche wie das Gesetz bestenfalls nur rein äußerlich die Sünde bzw. das unerwünschte Verhalten verhüten kann. Dem steht das pädagogische Element der Zucht gegenüber, das erst durch die Liebe von der Furcht vor der Strafe befreien kann. III.3.3.1.2 Die Lesefertigkeit In den Vorlesungen von 1813/14 zeigt Schleiermacher eine bürgerliche und eine religiöse Notwendigkeit einer Lese- und Schreibfertigkeit auf.208 „Wer die Gesetzte selbst kennen will, muß lesen; wer einen höheren Kredit genießen und irgendeine politische Rolle spielen will, auch nur die eines Dorfschulzen, muß schreiben; und dazu muß jeder instand gesetzt werden, wenn man nicht wieder das Landvolk zu einer spezifisch untergeordneten Kaste 206 207

208

Friedrich Schleiermacher, Über die christliche Kinderzucht (2. Predigt), 606. Vgl. ferner auch zur „Last des Gesetzes“, von der Christus befreit, Friedrich Schleiermacher, Über die christliche (2. Predigt), 615: „Wie sollte ihr nicht, sobald sie [die Jugend; M.B.] anfängt die Last des Gesetzes zu fühlen und die Knechtschaft der Sünde zu ahnden, zum Trost und zur Ermunterung derjenige gezeigt werden können, der allein vermag, sie von beiden frei zu machen.“ Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 272.

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will hinabsinken lassen. Es ist auch vorhanden eine religiöse Notwendigkeit in der protestantischen Kirche. Die Bibel ist Norm; jeder soll selbst schöpfen können; die mittelbaren Mitteilungen durch das Gedächtnis würden immer Verfälschungen sein können.“209 Beide Primärqualifikationen gehören also zu den Voraussetzungen eines funktionierenden Staatswesens. Es ist dabei jedoch grundsätzlich zu berücksichtigen, dass Schleiermacher durch das Vermögen dieser Tätigkeiten die Differenz der Stände noch nicht aufgehoben sieht, wie er in den Vorlesungen von 1820/21 anmerkt, da er Lesen und Schreiben als rein mechanische Tätigkeiten bestimmt.210 So ist sich Schleiermacher durchaus der Unzulänglichkeit dieser Qualifikationsvermittlung gegenüber gemeinen Kindern bewusst: „Die Art, den gemeinen Kindern Kenntnisse durch Bücher beizubringen, macht, daß diese hernach wieder sterben; das Bücherwesen kann ihnen nicht lebendig bleiben, die Fertigkeiten selbst kommen ihnen aus Mangel an Übung wieder abhanden.“211 Eine demokratische Attitüde ist in den ersten Vorlesungen von 1813/14 zunächst noch nicht erkennbar, sondern wird erst ersichtlich, wenn er auf die religiöse Notwendigkeit der Lesefertigkeit für die Bibellektüre in der protestantischen Kirche verweist. Jeder sollte in der Bibel lesen können, die als „Norm“ herausgestellt wird. Ebenso äußert sich Schleiermacher in den Vorlesungen von 1820/21, wenn er die Notwendigkeit des Lesen- und Schreiben-Lernens ausschließlich mit dem Hinweis auf den Protestantismus begründet: „Nur vom Standpunkt des Protestantismus aus möchte es nötig sein, auf das Lesenlernen zu dringen, aber auch nur um der Bibel willen.“212 Hier werden letztlich pädagogische Vorbehalte und religiöse Normen zueinander in Beziehung gesetzt, wobei der religiösen Norm dann der Vorzug 209 210

211 212

Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 272. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 371: „Das Volk bringt es ja bei den obwaltenden Umständen doch nie so weit, eine zusammenhängende Rede zu verfolgen, und für die wahrhaft intellektuelle Ausbildung ist Lesen und Schreiben doch nur Nebensache, und nur der hat ein Recht zum Lesen und Schreiben, welcher eine Leichtigkeit im Gebrauch der Sprache überhaupt sich erworben hat […] Wo Annäherung der Stände sein soll, da muß man das lebendige Verkehren in der Sprache hervorbringen, das Übrige findet sich von selbst. Wo man dagegen die Annäherung der Volksklassen verhindern will, braucht man nur das lebendige Verkehren in der Sprache zu hindern, und kann immerhin dabei lesen und schreiben lassen.“ Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 272. Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 371.

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gegeben wird. In der Konsequenz wären dann die pädagogischen Einwände auszuräumen. Analog verfährt Schleiermacher in seiner „Praktischen Theologie“, wenn er auf aliterale Kinder zu sprechen kommt. So stellt Schleiermacher in der „Praktischen Theologie“ heraus, dass es in der protestantischen Kirche gegenüber der katholischen Kirche darum ginge, das Verständnis für das Wort zu öffnen. Dies schließt für Schleiermacher aber auch ein, Kinder, die nicht lesen können, an dem Religionsunterricht der Gemeinde teilnehmen zu lassen und nicht etwa wie üblich auszuschließen.213 Auch in der „Praktische Theologie“ geht Schleiermacher von der normativen Setzung der Bibel aus, um dann pädagogische Überlegungen daran anzuschließen. Erst in den Vorlesungen von 1826 deutet sich die Forderung nach Gleichberechtigung auf diesem Gebiet an, wenn Schleiermacher vor dem Hintergrund der Schulbildung ebenfalls auf das Lesen- und SchreibenLernen zu sprechen kommt, das für ihn Voraussetzung der Selbstständigkeit ist. Denn jeder, der nicht lesen und schreiben könne, bedürfe im bürgerlichen Verkehr immer eines Vormundes. „Es ist seit längerer Zeit schon ein Thermometer, die Bildung des Volkes zu schätzen nach dem, wieviel lesen und schreiben können.“214 Auch hier sind es jedoch nicht politische und darin demokratische Ansichten, die Schleiermacher motivieren, sondern vielmehr pragmatische Überlegungen. Lesen und Schreiben seien ja an und für sich nichts, „nur mechanische Hilfsmittel“, und damit aber auch die „conditio sine qua non für die Ausbildung des praktischen Verstandes“.215 Schleiermacher weist darauf hin, dass diese elementaren Fähigkeiten die Grundlage menschlichen Verkehrs bilden. „Es ist kein Recht da, irgendeinem Individuum diese Fähigkeit vorzuenthalten. Lesen und Schreiben muß daher als Unterrichtsgegenstand in die Volksschule aufgenommen werden.“216 Nach Schleiermacher sei an sich auch nichts gegen die Übungen im mechanischen Auffassen einzuwenden, nur dürften diese nicht für sich blei-

213

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Vgl. Friedrich Schleiermacher, Die Praktische Theologie nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, aus Schleiermacher’s handschriftlichem Nachlasse und nachgeschriebenen Vorlesungen, hg. v. Jacob Frerichs, in: Friedrich Schleiermacher’s sämmtliche Werke, 1. Abtheilung, Zur Theologie, Bd. 13, Berlin 1850, 349; 356. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 271. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 271. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 271.

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ben, sondern bedürften der Ergänzung. „Wir müssen jenen mechanischen Übungen solche zugesellen, in welchen ein wirkliches Verstehen ist. In der bloß mechanischen Auffassung liegt gar keine Fortschreitungsregel, in der organischen aber liegt eine natürliche Fortschreitung; jene ist willkürlich, diese an sich geordnet.“217 III.3.3.2 Religiöse Erziehung im pädagogischen Diskurs Schleiermachers „Was ist denn bei der Erziehung der Kinder in Gott gethan?“218 „Was soll aus dem Menschen werden?“219 (Friedrich Schleiermacher)

Zur Erziehung gehört nach Schleiermacher selbstverständlich auch religiöse Erziehung. So heißt es bereits im ersten Aphorismus zur Pädagogik: „Erziehung nach den vier Hauptgegenden des höchsten Gutes hin: religiöse, wissenschaftliche, bürgerliche, Welt-Erziehung; jedes zweifach, in der Familie und in den Vorverbindungen.“220 Wenn Schleiermacher in seinen Vorlesungen zur Pädagogik (1813/14) explizit die Bildung zur Religion (40. Stunde) vor der Bildung für den Staat (41. Stunde) thematisiert, so stehen die Ausführungen über die Bildung zur Religion an erster Stelle und unterstreichen so ihren prononcierten Charakter. Die Bedeutung der religiösen Erziehung und Bildung in den schulischen Gutachten und den Pädagogik-Vorlesungen, also in der allgemeinen Erziehungstheorie Schleiermachers, erschließt sich jedoch erst vor dem Hintergrund einiger grundsätzlicher Überlegungen Schleiermachers auf diesem Feld. So unterscheidet Schleiermacher zwischen der religiösen Gesinnung, deren Bedeutung er immer wieder hervorhebt und deren Entwicklung er postuliert, welche er jedoch im eigentlichen Sinn für nicht lehrbar bzw. vermittelbar hält, und anderen – etwa im Religionsunterricht – durchaus vermittelbaren Dingen. „Denn der Religionsunterricht ist nicht unmittelbar religiöse Bildung.“221 Deshalb dürfen diese Ausführungen sowie andere der Pädagogik-Vorlesungen nicht zu der Annahme führen, Schleiermacher hätte 217 218 219 220 221

Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 380. Friedrich Schleiermacher, Über die christliche Kinderzucht (1. Predigt), 593. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 213. Friedrich Schleiermacher, Aphorismen zur Pädagogik, 202. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 268.

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den (schulischen) Religionsunterricht grundsätzlich abgelehnt.222 Da das Religiöse im Staat am meisten zurücktritt, bedarf es vielmehr eines Surrogats.223 Prinzipiell ist in Bezug auf die Vermittelbarkeit religiöser Gesinnung Schleiermachers Unterscheidung zwischen positiver und negativer (Gegenwirkung) Erziehung zu berücksichtigen, wobei der religiösen Erziehung ein negativer Charakter zukommt, „d. h. die nachtheiligen Einwirkungen auf[zu]heben“224. „Die religiöse Gesinnung kann nicht auf kunstmäßige Weise entwickelt werden; hier kommt es auf das Gesamtleben an. Alles Erziehen nimmt nur den negativen Charakter an. Die Erziehung in bezug auf das bürgerliche Leben liegt zwischen diesen Extremen in der Mitte. Etwas darin geht rein von der Gesinnung aus, es knüpft an die religiöse Gesinnung an, ist überwiegend religiös; anderes läßt eine Technik zu; beides aber wird durch die Sitte verbunden, die ein Äußeres und Inneres zugleich ist. Lebt ein Mensch ganz in der vaterländischen Sitte durch Gewöhnung, so ist das eben nicht wertvoll; geht dies aber aus seiner inneren Gesinnung hervor, so ist es würdig.“225

Grundsätzlich geht es um eine angemessene Entwicklung des spekulativen und religiösen Gemeingefühls, um der Jugend nicht zu zeitig ein rein sittliches und absolut religiöses Gefühl aufzudrängen mit der Folge, dass diese gleichgültig dagegen wird.226 Auch hier bilden wieder religiöse Überlegungen, diesmal die einer angemessenen „religiösen Entwicklung“, den Ausgangspunkt für Schleiermachers erziehungswissenschaftliche Reflexionen. Analog verhält es sich mit der Entwicklung der Liebe, deren absolute Form nach Schleiermacher das „göttliche Bewußtein“ sei. „Das Leben selbst besteht aus konzentrischen Kreisen von Liebe; alle sind zugleich gegeben. Der Erziehung liegt aber ob, den Zögling nur allmählich hineintreten zu 222

223 224 225 226

Eine solche Ablehnung konstatieren etwa Rudolf Fischer, Religionspädagogik unter den Bedingungen der Aufklärung. Studien zum Verhältnisproblem von Theologie und Pädagogik bei Schleiermacher, Palmer und Diesterweg, Heidelberg 1973, 52; Martina Kumlehn, Symbolisierendes Handeln. Schleiermachers Theorie religiöser Kommunikation und ihre Bedeutung für die gegenwärtige Religionspädagogik, Gütersloh 1999, 118. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 268. Friedrich Schleiermacher, Anhang zur Vorlesung 1820/21, 460. Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 358. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 246: „Man sieht täglich, welchen Schaden es tut, wenn man der Jugend zu zeitig das rein sittliche und das absolut religiöse Gefühl aufdrängt.“

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lassen, damit kein Mißverständnis sei zwischen seiner Entwicklungsstufe und dem Leben, in welchem er steht.“227 Dem korrespondiert in den Vorlesungen von 1826 die Grundannahme Schleiermachers, „dass nämlich jede pädagogische Tätigkeit von dem Verhältnis der Liebe ausgehen müsse“228. Auch hier zeigen sich Anklänge an Traditionen frühchristlicher Pädagogik.229 Die religiöse Erziehung findet ebenso wie die allgemeine Erziehung zunächst in der Familie, dann in der Schule statt. Entsprechend bezeichnet Schleiermacher in den Vorlesungen von 1820/21 das häusliche Leben und das Leben in der Schule als die zwei Hauptformen des Lebens der Kinder. Während das häusliche Leben jedoch eine unmittelbare Naturgewalt habe, fehle diese dem künstlichen Institut der Schule.230 Diese Unterscheidung spiegelt sich in seinen Ausführungen über die religiöse Erziehung in der Familie und den Religionsunterricht in der Schule wider. Die erste Instanz der Erziehung ist die Familie.231 Am Anfang dieses naturgewaltlichen Zustands in der Familie könne es, wie Schleiermacher im Rahmen der Vorlesungen von 1820/21 anmerkt, „noch im eigentlichen Sinne weder religiöse noch bürgerliche Erziehung geben. Aber doch entwikkelt sich das religiöse Bewußtsein, wenn es in der Familie regiert; und je mehr sich in dieser der Volkscharakter durch die Sitte spiegelt, leben sich auch die Kinder hinein

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Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 247. Vgl. ferner Friedrich Schleiermacher, Über die christliche Kinderzucht (2. Predigt), 617: „Mehr aber als alle Worte muß unser ganzes Leben mit ihnen in wahrer und treuer Liebe geführt die kräftigste Ermahnung zum Herrn sein, so gewiß als Gott die Liebe, und eben deshalb auch Liebe die allgemeinste, vornehmlichste Offenbarung des ewigen Wesens ist.“ Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 207. Auch die Liebe ist ein Aspekt der Gesinnung, durch sie prägt sich die Vernunft der Natur ein; vgl. Friedrich Schleiermacher, Ethik mit späteren Fassungen der Einleitung, Güterlehre und Pflichtenlehre. Auf der Grundlage der Ausgabe v. Otto Braun, 146. Vgl. etwa Johannes Chrysostomus, Über Kindererziehung, 40: „Zum Vater macht denn auch nicht das Zeugen allein, sondern auch die Liebe nach dem Zeugen.“ Vgl. Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 332. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Aphorismen zur Pädagogik, 204 (Nr. 24): „Auf der ersten Stufe muß das Kind seine Existenz ganz in der Familie haben. Die Ansprüche aller anderen Sphären gehen nur durch die Familie auf das Kind.“ Vgl. auch Hans van Crombrugge, Schleiermacher über Familie und Erziehung, in: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Pädagogik 72 (1996), 495-509.

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nur unbewußt.“232 Damit erachtet Schleiermacher letztendlich eine frühkindliche religiöse Prägung als selbstverständlich, wobei eine religiöse Frömmigkeit der Familie immer mitgedacht wird. Die Bedeutung der religiösen Familienfrömmigkeit für die unbewusste Entwicklung des religiösen kindlichen Bewusstseins wird noch durch seine Annahme unterstützt, dass die Pädagogik grundsätzlich nicht über die Art und Weise der Familienerziehung verfügen könne, ob etwa ein strenges Wesen oder ein heiterer Charakter zu befolgen sei. Dies sei vielmehr Sache der Ethik.233 Auch wenn dieser Aussage Schleiermachers eine kategoriale Unterscheidung zwischen Pädagogik und Ethik zugrunde liegt und er damit zunächst eine allgemeine Ethik meint, ist diese Ethik doch schlussendlich vor dem Hintergrund eines christlich bestimmten Allgemeinen zu verorten. Wenn nun aber die Pädagogik nicht über die Art und Weise der Familienerziehung verfügen könne, sondern dies Sache der Ethik sei, so dürfte diese doch zweifelsohne christlich bestimmt sein und in der Folge dann ebenso das Hauswesen. Da Schleiermacher grundsätzlich die religiöse Frömmigkeit in der Familie voraussetzt, ist zunächst auch nicht mit einem Widerspruch zwischen der Familienerziehung und den Interessen der Kirche, die eine der vier Hauptsphären des sozialen Lebens bildet, zu erwarten. Dazu fügt sich Schleiermachers Grundannahme, dass die Erziehung an sich nichts anzufangen, sondern nur unterstützenden Charakter habe. Das bedeutet, „daß die Anfänge schon da sein müssen in der Naturanlage und dem gemeinsamen Leben. Die Erziehung soll also nachsehen und nachhelfen, wo etwas ins Stocken gerät; sie muß den Gang beobachten, den die Entwicklung selbst nimmt.“234 Da Schleiermacher in den „Reden“ konstatiert, dass jeder Mensch mit der religiösen Anlage geboren werde, kann er davon ausgehen, dass die Erziehung im Hauswesen bei der „Bildung zur Religion“ nur unterstützend tätig zu werden braucht.

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Friedrich Schleiermacher, Anhang zur Vorlesung 1820/21, 463. Die Herausgeber merken zu dieser Stelle im Anhang an, ebd.: „Eigenhändig von Schleiermacher auf einem Zettel.“ Vgl. Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 343: „Wie das Hauswesen recht einzurichten sei, kann die Pädagogik nicht bestimmen. Darüber entscheidet die Ethik.“ Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 359.

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Schleiermacher thematisiert die religiöse Erziehung innerhalb der Familie dann ausführlich in seinen Vorlesungen von 1826 im Rahmen der Ausführungen zu den drei Perioden in der Erziehung.235 Dabei geht er grundsätzlich von zwei Voraussetzungen aus: zum einen, dass die Vorstellung des höchsten Wesens immer mit der Vorstellung der Welt zusammenhänge, und zum anderen, dass die Frömmigkeit in der Regel ein konstantes Element innerhalb der Familie und damit auch ihrer Erziehung darstelle.236 Mit der ersten Feststellung deutet Schleiermacher bereits eine Analogie zwischen der religiösen und der allgemein menschlichen Entwicklung an, die er im Folgenden noch entfalten wird. Während die Kinder also zunächst noch keine Vorstellung eines höchsten Wesens haben, da ihnen die Vorstellung der Welt noch fehlt, kommen sie jedoch innerhalb der Familie zunächst mit der Frömmigkeit in Berührung. Darüber hinaus konstatiert Schleiermacher: „Ja es mag in einer Familie die Frömmigkeit herrschen oder nicht, der religiöse Zustand der ganzen Gesellschaft und die religiöse Gesinnung derjenigen, die mit der Familie in Berührung kommen, influieren doch auf die Familie, und jedenfalls kommen innerhalb jeder Familie darüber Reflexionen vor.“237 Wenn nach Schleiermacher einerseits die Frömmigkeit das zentrale Moment ist, das auf alle anderen Bereiche „ausstrahlt“, und andererseits die Hemmung der „Entwicklung der Frömmigkeit“ auch alles andere lähmen würde,238 wird deutlich, warum er den Einfluss jüdischer Erziehung in seinen „Briefen“ als bedrohlich über Generationen hinweg erachtet. Denn damit würde die jüdische Frömmigkeit auch Einfluss auf andere Bereiche ausüben – eine Entwicklung, die nach Schleiermacher gerade verhindert werden sollte. Schleiermacher stützt somit letztendlich das alte Vorurteil von der jüdischen Einflussnahme und der davon ausgehenden Bedrohung mit pädagogischen Argumenten. Weil die religiöse Erziehung in der ersten Periode, der Erziehung in der Familie, auch auf andere Bereiche übergreift, wird sie im Fall jüdischer Erziehung als bedrohlich erachtet und sei deshalb

235

236 237 238

Dass die religiöse Erziehung zunächst in der Familie zu erfolgen hat, betont Schleiermacher bereits 1818 in seiner ersten Predigt über die christliche Kinderzucht. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Über die christliche Kinderzucht, 599 f. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 243 ff. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 244. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 245.

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zu unterbinden. Diese „Bedrohlichkeit“ dürfte noch durch die Annahme der unbewussten frühkindlichen religiösen Prägung gestützt werden. Die erste Voraussetzung führt Schleiermacher zu der Frage, inwiefern Kinder überhaupt schon religiösem Leben ausgesetzt sein sollen, wenn sie die religiösen Vorstellungen noch gar nicht fassen können. Bereits in den 1813/14 gehaltenen Vorlesungen kann die Bildung zur Religion nach Schleiermacher der „alten superstitiösen Zeit“ entsprechend entweder durch Gewöhnung erfolgen, d. h. hier ist die Annahme grundlegend, dass Religiosität aus Gewöhnung entsteht, oder – entgegen diesem Gewöhnungsprinzip – dem „neuen Libertinismus“ folgend die Kinder von aller Religion fernhalten, bis diese verständlich wird.239 Schleiermacher unterscheidet dabei „die Entwicklung der Religion als inneres Prinzip im Leben überhaupt, und das Heraustreten desselben für sich allein. - In der ersten Form ist die Religion dem Menschen angeboren und die Bedingung alles anderen menschlichen Erkennens und Handelns. Sie ist das positive Bewusstsein von der Relativität des Gegensatzes zwischen einem einzelnen Leben und der Totalität.“240

Bezüglich dieser zuerst genannten Form kann Schleiermacher dann schlussfolgern: „Wenn das Kind sein Wohlsein nur in seiner Übereinstimmung mit dem Ganzen findet, welche ja bei ihm nur Gehorsam sein kann, so ist es fromm. Hierzu kann nun dem Charakter dieser Periode gemäß, durch technische Bemühung wenig geschehen; alles geht aus dem Leben hervor.“241 Die andere Form bezeichnet er als ein „wesentliches Element der vollendeten menschlichen Bildung; die Begriffe sind darin, da sie immer inadäquat bleiben, nicht die Hauptsache, sondern nur Mittel. Zweck ist die gegenseitige Mitteilung und Anregung, welche statthaben kann trotz des irrationalen Elements in den Begriffen“242. Entsprechend dem bereits 1813/14 geäußer239

240 241 242

Vgl. dazu allerdings Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 263: „Allein, wenn das Nichtverstehen ausschließen sollte, so bliebe am Ende niemand in der Kirche als die spekulativen Menschen, und was sie trieben, wäre doch etwas anderes, als was in der Kirche getrieben werden soll.“ Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 263 f. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 264. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 264. Letzteres aber eben wohl auch nicht ohne die Begriffe; vgl. ebd.: „Allein, da die religiösen Begriffe nur in bezug auf Erregung und Mitteilung da sind, so muß man mit jenen auch diese anfangen.“ Religiöse Begriffe sieht Schleiermacher in Beziehung auf den Kultus gegeben.

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ten Vorbehalt gegenüber einem „technischen Bemühen“ sieht Schleiermacher dann 1826 in den Vorlesungen einerseits nicht nur die Gefahr, dass religiöse Handlungen wie etwa Gebete lediglich rein mechanisch begangen würden, sondern dass in der Reduktion auf den Mechanismus die Entwicklung religiöser Gesinnung vielmehr noch gehemmt würde.243 Diese Problematisierung findet sich bereits bei Johannes Chrysostomus, der ebenfalls über eine kindgerechte Religiosität nachdenkt.244 Schleiermacher sieht bereits in seinen Ausführungen über die Einwirkung auf die Gesinnung die Gefahr gegeben, dass es zu einem Übergewicht der rein methodischen, mechanischen Tätigkeit kommt, da die Beziehung auf die Gesinnung noch gar nicht gegeben ist. „Die sittliche Gesinnung kennen wir auch im Zusammenhange mit der religiösen; Erbauung ist nichts anderes, als Belebung der religiösen und der in ihr eingehüllten sittlichen Gesinnung. Diese angewendet im Gottesdienst auf diejenigen, in denen Gesinnung schon entwickelt ist, tut ihre Wirkung; aber freilich nur deswegen, weil in jedem die Gesinnung schon mitgesetzt ist. Denken wir uns aber einen häuslichen Gottesdienst, der seine besondere Tendenz auf die Kinder hat, und an dem sie teilnehmen, ehe die fromme Gesinnung in ihnen lebendig geworden ist, so ist offenbar, daß sie keinen Eindruck davon bekommen als den eines bestimmten Mechanismus; der Mechanismus in der Frömmigkeit hat größtenteils seinen Grund in dieser früheren Operation. Läßt man die Kinder gar nicht teilnehmen, bis auf dem Wege der freien Einwirkung im Leben das Element in ihnen rege ist, und sie selbst in sich den Treib entwickelt haben zu einer solchen Teilnahme, dann wird die Wirkung auch die entgegengesetzte sein, und es ist das Rechte, sie teilnehmen zu lassen; es ist aber das zweite, und die freie Einwirkung im Leben das erste.“245

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245

Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 244 f.: „Ein ganz anderes Bedenken ist dieses, daß den Kindern das Religiöse leicht könnte mechanisiert werden, sofern sie an Formeln festgehalten werden, die für sie keine Realität haben und also etwas Totes sind. Das aber würde den größten Nachteil hervorrufen, wenn dasjenige, was in dem Leben des Menschen das Lebendigste sein soll, von Anfang an als ein Totes mitgeteilt würde. Dagegen müßte auf das allerbestimmteste gewarnt werden.“ Vgl. Johannes Chrysostomus, Über Hoffart und Kindererziehung, 31,80: „Er [der Sohn; M. B.] soll lernen, mit Eifer und tiefer Reue zu beten. Und sage mir nicht, daß ein Kind dies wohl niemals mit Überzeugung tun könnte. Gerade das Kind würde dies wohl mit Überzeugung tun, wenn es einen scharfen Blick hat und sehr aufgeweckt ist […] Wir wollen daher nicht die Hoffnung aufgeben. Wenn nämlich jemand zu unreif ist, bringt er dafür kein Verständnis auf, aber nicht deswegen, weil er noch zu jung an Jahren ist.“ Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 115.

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Anderseits sollte aber der natürliche Prozess religiösen Lebens innerhalb der Familien auch nicht künstlich unterdrückt werden. „Wenn nun das religiöse Element in der Familie ein herrschendes ist, so müßte man ja die ganze religiöse Darstellung zurückhalten, wenn jenes nicht zur Wahrnehmung des Kindes kommen dürfte, und man würde die religiöse Entwicklung des Kindes selbst aufhalten, wenn das religiöse Prinzip nicht allmählich zuerst von der Mutter, dann von der Familie überhaupt in das Kind übergehen sollte. Ein ganz unnatürlicher Zustand würde als auf diese Weise gesetzt, und nicht nur das eine, die Entwicklung der Frömmigkeit, sondern alles andere gelähmt: denn die Religion ist in allem und tritt weniger als etwas Besonderes hervor. Betrachten wir die Sache von der entgegengesetzten Seite, die Maxime anwendend, daß man den Kindern nicht einen bloßen Schein geben solle, ohne eine Realität, Worte ohne Vorstellung, so ist es richtig, wenn man die Vorstellung für sich nimmt, daß die Kinder in diesem Alter einer Vorstellung von Gott noch nicht fähig sind. Wollte man aber nur deshalb die Entwicklung des religiösen Prinzips so lange aussetzten bis die Vorstellungen von Gott Realität haben, dann könnte man nie anfangen; denn immer liegt etwas Unangemessenes in jeder Vorstellung.“246

Die religiöse Erregung ist also im unmittelbaren Leben zu belassen und nicht etwa durch Vorschriften und Regeln zu mechanisieren. Erneut stellt Schleiermacher ein zentrales in seinen pädagogischen Ausführungen immer wiederkehrendes Argument heraus, dass die Religion in allem sei. „Von welchen Prinzipien man auch ausgehen mag“, so konstatiert Schleiermacher, „die Vorstellung des höchsten Wesens hängt immer zusammen mit der Vorstellung der Welt“.247 Diese anthropologische Grundkonstante bestimmt nicht nur seine erziehungswissenschaftlichen Ausführungen, sondern in ihren Ableitungen auch seine antijüdischen Einlässe bzw. gibt entsprechende Anstöße. Auch wenn die Kinder nun nach Schleiermacher zu den religiösen Vorstellungen des erwachsenen Geschlechts erst allmählich gelangten, sollte man sie aber weder – entsprechend dem Gang des ganzen menschlichen Geschlechts – „erst Heiden sein“ lassen noch sie sich vorübergehend unter den „gesetzlichen Monotheismus“ stellen lassen, um dann erst Christen zu werden.

246 247

Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 245. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 244.

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„Noch schlimmer aber wäre, sie in den gesetzlichen Monotheismus hineinzuführen und durch dessen Belohnungen und Strafen zu locken und zu schrecken: dann würden sie aus dem geistigen, religiösen Element gehoben und in das eigennützige, sinnlich hineingetaucht. Vielmehr ist die Sache so zu stellen: Wenn in demselben Maß, in welchem das religiöse Leben in der Familie herrscht, dasselbe sich auch in den Kindern manifestieren muß, so haben wir nur in Beziehung auf die religiöse Entwicklung die allgemeine Regel anzuwenden, nichts in den Kindern zu hemmen, was aus der inneren Entwicklung natürlich hervorgeht. Wir müssten ja der Mutterliebe Gewalt antun, wenn sich die frommen Gemütszustände den Kindern nicht mitteilen sollten.“248

Ohne eine Religion explizit zu erwähnen, ist offensichtlich, dass Schleiermacher mit dem Verweis auf den „gesetzlichen Monotheismus“ nur die jüdische Religion meinen kann.249 Das von Schleiermacher in diesem Zusammenhang erwähnte Prinzip des Belohnens und Bestrafens unterstützt nicht nur diese Annahme, da es sich dabei um ein von christlicher Seite der jüdischen Religion unterstelltes Klischee handelt, sondern macht auch deutlich, dass Schleiermachers Ausführungen zur religiösen Erziehung nicht frei von gängigen Antijudaismen sind. Schleiermacher greift auf diese christlichen Antijudaismen zurück, um die die religiöse Entwicklung hemmenden Faktoren herauszustellen. Diese hemmenden Faktoren sind aber nicht nur religiös konnotiert, sondern greifen bereits in den allgemeinen Entwicklungsbereich über. 248

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Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 246. Vgl. dazu bereits die grundlegenden Überlegungen Schleiermachers in der Vorlesung 1820/21, wie sie die 2008 veröffentlichte Nachschrift präsentiert: Friedrich Schleiermacher, Pädagogik. Die Theorie der Erziehung von 1820/21 in einer Nachschrift, 207-209, 260-262. Vgl. hinsichtlich der Formulierung auch Julius Wellhausen, Israelitische und jüdische Geschichte, Berlin 10. Aufl. 2004, 175, der 1894 in der ersten Auflage seines Klassikers schreibt: „Die Organisation, die Fassung und Abschließung des Judentums, war die nächste und dringendste Aufgabe der Zeit. Ihr diente der Tempel und das Priestertum, ihr diente die Disziplin, durch welche die Laien zusammengehalten und abgesondert wurden, ihr diente überhaupt die Heiligung des Äußerlichen. Die prophetischen Ideen ergaben nicht die Mittel zur Gründung einer Gemeinde; im Gegenteil bedurften sie selber einer Verschalung, um nicht der Welt verloren zu gehn. Der gesetzliche Kultus lieferte diese Verschalung; aus ursprünglich heidnischem Material wurde ein Panzer des Monotheismus geschmiedet. Der Widerspruch, daß der Gott der Propheten sich jetzt in einer kleinlichen Heils- und Zuchtanstalt verpuppte und statt einer für alle Welt giltigen Norm der Gerechtigkeit ein streng jüdisches Ritualgesetz aufstellte, der Bund, wodurch der allmächtige Schöpfer Himmels und der Erden ein Sonderverhältnis mit den Juden einging, war für diese Zeit praktisch gerechtfertigt.“

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„Belohnungen und Strafen“ sind ebenso wie „eigennützig“ und „sinnlich“ zunächst Attribute aus dem Kanon christlicher Vorurteile zur signifikanten Kennzeichnung der jüdischen Religion, die diese herabsetzen. Entsprechend bezeichnet Schleiermacher in seinen „Reden“ die jüdische Religion als eine Religion der „Vergeltung“, nach der der Mensch Gott nur als „belohnend, strafend [oder] züchtigend“ erfährt. Diese Attribute werden nun von Schleiermacher zur Kennzeichnung einer negativen Erziehung herangezogen. Darüber hinaus werden damit aber auch die die allgemeine Entwicklung des Kindes hemmenden Faktoren aufgezeigt. Dadurch deutet Schleiermacher bereits eine Analogie zwischen religiöser Entwicklung und allgemeiner Entwicklung an, wenn er die entsprechenden hemmenden Faktoren aufzeigt. Dem stellt er mit dem „geistigen, religiösen Element“ ein genuin christliches Element gegenüber, das positiv konnotiert ist. Wenn Schleiermacher nun anmerkt, dass man ja „der Mutterliebe Gewalt antun müsste, wenn sich die frommen Gemütszustände den Kindern nicht mitteilen sollten“, so laufen aber seine in den „Briefen“ geäußerten Befürchtungen vor dem bleibenden Einfluss jüdischer Erziehung gerade darauf hinaus. Da dieses aber schlechthin unmöglich ist, kann er letztendlich nicht umhin, die jüdische Religion ihres Fundamentes berauben zu wollen. Denn was in der Logik dieses Gedankenganges durch Mutter und Familie gar nicht erst zugrunde gelegt wird, kann auch keinen schädlichen Einfluss ausüben. Das heißt in der Konsequenz aber auch, dass die – in diesem Fall jüdische – Religion grundsätzlich ob ihrer „schädlichen“ Inhalte entschärft werden muss, sollte die Entwicklung einer als „schädlich“ erachteten religiösen Gesinnung in der Familie nicht verhindert werden können. Eine Entsprechung dieser Überlegung findet sich bereits in Schleiermachers zweiter Predigt „Über die christliche Kinderzucht“, wenn er vor einer vermeintlichen Zurückhaltung gegenüber einer zu frühen Vermahnung der Jugend zum Herrn warnt. Schleiermacher verweist dabei auf die Entstehung des Christentums, welche nicht so erfolgreich verlaufen wäre, wenn man auf eine frühkindliche religiöse Unterweisung verzichtet hätte. Denn andernfalls hätten andere Einflüsse heidnischer und jüdischer Art die religiöse Entwicklung der frühen Christen maßgeblich beeinflusst. „Denn in jenen ersten Anfängen der christlichen Welt, wo sie nicht nur überall ganz dicht vom heidnischen und jüdischen Wesen umgeben, sondern auch deren Widerspruch und Gegenwirken ausgesetzt war, hätte es oft geschehen müssen, wenn man die Ver-

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mahnung zum Herrn bis auf jene Zeit verschoben hätte, daß das junge Gemüt schon vorher tief in das unchristliche Wesen wäre verflochten worden.“250

Das historische Argument hat für Schleiermacher aber dann auch einen über die Geschichte hinausweisenden Charakter, der ebenso für die Gegenwart zu beachten ist: „Aber gilt nicht dasselbe nur unter einer andern Gestalt von jeder Zeit, solange es überhaupt noch einen Kampf giebt zwischen Licht und Finsternis? Umgiebt uns nicht ungöttliches Wesen aller Art dicht genug von allen Seiten, und sucht Raum zu gewinnen und die heiligen Ordnungen der christlichen Gemeinschaft zu stören? Ist der Feind eingeschlafen, welcher wachsam genug ist, um, während wir schlafen, Unkraut unter den Weizen zu säen?“251

Dass Schleiermacher eine Störung der christlich verfassten Gemeinschaft, in der er lebt, ausmacht, lassen die „Briefe“ mehr als deutlich erkennen. Entsprechend seinen pädagogischen Ausführungen wäre einer nichtchristlichen frühkindlichen Beeinflussung wiederum selbst entgegenzuwirken. Auch in diesem Punkt erklären sich die Einwände gegenüber einer jüdischen Erziehung und der damit letztendlich einhergehende Antijudaismus aus den pädagogischen Erwägungen, die der frühkindlichen Entwicklung eine große Bedeutung beimessen. Dass Schleiermacher die religiöse Entwicklung in Analogie zur allgemeinen menschlichen Entwicklung setzt, bringt er dann selbst explizit im direkten Anschluss an das zuletzt angeführte Zitat aus den Vorlesungen von 1826 zum Ausdruck: „Aber was kann das Kind davon wirklich lebendig auffassen? Das, was am nächsten liegt, ist die Analogie zwischen dem allgemeinen menschlichen Zustand in Beziehung auf das höchste Wesen und dem Zustande des Kindes im Verhältnis zu den Eltern. Dieses Gepräge tragen die Erzählungen, in denen das höchste Wesen als Vater dargestellt wird; die Vorstellung von Gott als dem Vater ist dem Kinde eine lebendige; es hat eine Analogie, woran es das, was ihm als Religiöses gegeben wird, sich veranschaulicht; und auf anderem Wege entstehen überhaupt diese Vorstellungen nicht. Warum soll man also diese Entwicklung hemmen? Es ist ja die rein naturgemäße Weise.“252

250 251 252

Friedrich Schleiermacher, Über die christliche Kinderzucht (2. Predigt), 612. Friedrich Schleiermacher, Über die christliche Kinderzucht (2. Predigt), 612 f. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 246 f.

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Mit dieser Analogie unterstreicht Schleiermacher zudem, dass die Entwicklung einem natürlichen Prinzip folgt – in „rein naturgemäße[r] Weise“. Schleiermacher geht es damit um eine „auf dem natürlichen Entwicklungsgang beruhende Art und Weise des pädagogischen Verfahrens“253. Indem Schleiermacher im Anschluss an diese Analogie zwischen der religiösen und allgemein menschlichen Entwicklung an anderer Stelle die christlichen Antijudaismen auch zur Beschreibung der entwicklungshemmenden Charakteristika der allgemeinen Entwicklung verwendet, macht er deutlich, wie konstitutiv die christlichen antijüdischen Stereotype sein Denken bestimmen. Eine positive Entwicklung wird in Anlehnung an christliche Attribute wie „geistig“ aufgezeigt, eine negative Entwicklung in Anlehnung an Attribute, die der jüdischen Religion bzw. dem Judentum unterstellt werden: „Belohnung“ und „Strafe“, „Eigennutz“ und „Sinnlichkeit“. Unter Beachtung dieser Überlegung, die die religiöse Entwicklung als einen natürlichen Prozess versteht, der in Analogie zur allgemein menschlichen Entwicklung steht, ist es verständlich, warum Schleiermacher in den „Briefen“ so vehement vor dem bleibenden Einfluss jüdischer Erziehung warnt. Eine „auf dem natürlichen Entwicklungsgang beruhende Art und Weise des pädagogischen Verfahrens“ wird somit die christlich konnotierten Attribute immer zu fördern und die jüdisch konnotierten Attribute stets zu verhindern suchen. Der christliche Antijudaismus bestimmt damit letztendlich die Theorie der Bildung ebenso wie die Praxis der Erziehung. Entsprechend der aufgezeigten Analogie versucht Schleiermacher dann den Nutzen der christlichen Erziehung für die sittliche Bildung aufzuzeigen: „Nehmen wir dies nun alles zusammen, so gewinnt das Kind auf natürlichem Wege die höchsten Ideen, es ist ihm die Realität des höchsten Wesens unmittelbar gewiß, es bezeichnet Gott als den Vater, es ahnet seine Allwissenheit. Und gerade dies ist für das Kindesalter von dem höchsten Wert für die Entwicklung des Sittlichen. In dieser Beziehung hängt doch alles ab von dem Sinn für die Wahrheit, und wo irgendwie dieser verunreinigt ist, kann die sittliche Entwicklung nicht gedeihen […] Welch besseren Leiter könnte aber die Entwicklung des Sinnes für die Wahrheit haben als die lebendige Vorstellung von dem höchsten Wesen? […] Nichts aber kann diese Entwicklung mehr begünstigen als das Eintreten des religiösen Elements. Sobald die Vorstellung von der absoluten Wahrheit des höchsten Wesens sich in ihnen entwickelt, so tritt auch der Gegensatz

253

Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 249.

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hervor, und mit dem Bewußtsein von Gott entsteht in ihnen die Erkenntnis und Liebe zur Wahrheit; je stärker die Analogie hervortritt zwischen dem Verhältnis, des Kindes zu den Eltern und des Menschen zum höchsten Wesen, desto leichter wird sich dies rückwärts übertragen, daß es etwas Unmögliches sei, wenigstens nicht lange Andauerndes, die Eltern zu täuschen; es fällt auf diese ein Widerschein von der absoluten Wahrheit und Allwissenheit, und dies erhöht ihre Autorität. Es wird eine ziemlich allgemeine Erfahrung sein, daß kindliche Frömmigkeit und die sich entwickelnde Wahrheitsliebe überall parallel gehen.“254

Mit dieser Parallelität von kindlicher Frömmigkeit und sich entwickelnder Wahrheitsliebe unterstreicht Schleiermacher aber nicht nur die Strukturanalogie von religiöser und allgemeiner Bildung, sondern auch, dass letztendlich die Theologie materialiter die Bildungstheorie bzw. die christliche Religion materialiter die Erziehung bestimmt. Dass der Erziehung in der Familie ein ganz besonderes Gewicht zufällt, zeigen ebenfalls Schleiermachers Ausführungen zur Strafe. Da die Strafe weder Erziehungsmittel sei noch von ihr eine Besserung ausgehen könne, muß die fördernde Tätigkeit der Erziehenden möglichst früh eintreten. „Man kann es als Kanon aufstellen, daß alle rektifizierende Tätigkeit vermieden werden kann, wenn die unterstützende Tätigkeit zur rechten Zeit geübt ist.“255 Somit hat auch die Einwirkung auf die Gesinnung früh einzusetzen, um einen späteren Mangel zu vermeiden, auf welchen dann nur noch mit der Strafe reagiert werden könne. Die Grenzen der Einwirkung auf die religiöse Entwicklung zeigt Schleiermacher bereits in den Predigten „Über die christliche Kinderzucht“ auf, wenn er die Eltern auf ihre beschränkten Einflussmöglichkeiten hinweist.256 Dem Kontext entsprechend selbstverständlich, aber doch auffällig bleibt die genuin religiöse Begründung für die Grenzen der Einflussnahme. Einerseits sollte im Rahmen der christlichen Erziehung der Jugend alles zur Zucht gereichen, andererseits weist Schleiermacher auf die Begrenztheit menschlicher Einwirkung hin, wenn er die rhetorische Frage stellt: „Können wir dazu überhaupt etwas beitragen? Sagt der Herr nicht selbst, der Geist wehe, wo er wolle, und wir könnten nicht einmal erkennen, geschweige denn gebieten, wohin er gehen solle?“257 Entsprechend äußert sich Schleier254 255 256 257

Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 247 f. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 263. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Über die christliche Kinderzucht (1. Predigt), 592. Friedrich Schleiermacher, Über die christliche Kinderzucht (2. Predigt), 611.

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macher in seinen Ausführungen über die Praktische Theologie hinsichtlich der Einflussnahme und Möglichkeit pädagogischer Einwirkung des Geistlichen: „Den Glauben kann der Geistliche nicht mittheilen, sein Entstehen ist das Werk des göttlichen Geistes.“258 Der Aussage, dass die religiöse Gesinnung nicht „auf kunstgemäße Weise“ entwickelt werden könne, entspricht in Hinblick auf die allgemeine menschliche Entwicklung die Zurückhaltung gegenüber allem Absichtlichen und rein Technischen. So wendet sich Schleiermacher gegen ein rein technisches Verständnis des Pädagogischen,259 entsprechend sollte die Theorie auch nicht rein mechanisch, das heißt anwendungsorientiert sein.260 Weder die religiöse noch die menschliche Bildung ist technisch voranzutreiben. Obwohl also das religiöse Bewusstsein im Erziehungsprozess über eine direkte Einwirkung nicht angeregt werden kann, ist die Anregung über das Historische möglich. Wenn aber die individuelle Ausbildung der Religiosität über das Historische erfolgt, weil der Einzelne durch das historische Gegebensein bestimmt ist, dann wird darin allerdings der antagonistische Gegensatz von einem höherwertigen Christentum und einem minderwertigen Judentum implizit vorausgesetzt. In Hinblick auf die zweite Periode diskutiert Schleiermacher die Entwicklung religiöser Gesinnung vor dem Hintergrund des Verhältnisses von Familie und Schule. Während der Schule die Verpflichtung zukomme, die Gesinnung in Bezug auf das öffentliche Leben zu entwickeln, habe die Familie die Aufgabe, die religiöse und ethische Gesinnung weiterzuentwickeln. „Die Teilung geschieht auf diese Weise, daß der Familie das Niedrigste und das Höchste vorbehalten bleibt, die mittlere Region fällt der Schule anheim.“261 Damit wird schon deutlich, dass die Schule die Familie in der Entwicklung der Gesinnung nicht grundsätzlich ablösen oder ersetzen kann. Dass die Entwicklung und Fortbildung der Gesinnung aus dem religiösen und allgemein ethischen Standpunkt nur in der Familie erfolgen kann, begründet Schleiermacher auch damit, dass lediglich in der Familie der Einzelne in seiner Totalität angesehen werden kann, was wiederum die Schule nicht zu leisten in der Lage ist. „Die Einwirkung auf die religiöse Gesinnung 258

259 260 261

Friedrich Schleiermacher, Praktische Theologie, 349. Auch hier hält Schleiermacher daran fest, dass die religiöse Erziehung zunächst Sache der Familie ist. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 247. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 310. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 259.

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beruht auf der Lebensmanifestation in dem Verhältnis des einzelnen zum einzelnen.“262 Gegenüber allem „rein Technischen“ dringt Schleiermacher auch hier auf eine lebendige Erregung und Entwicklung des religiösen Prinzips, welche insbesondere durch die Familie gewährleistet werde. „Die Einwirkungen innerhalb der Familie sind gebunden an die darstellende Mitteilung, nur das in den einzelnen Familienmitgliedern lebendige und die ganze Familie durchdringende religiöse Prinzip selber, wenn es sich unmittelbar darstellt, aus dem Innersten heraus der Jugend sich offenbarend, dann aber auch von dieser aufgenommen wird, kann wirksam sein. Der Erfolg der Einwirkungen hängt also ab von dem Eindruck der Wahrheit und der Unmittelbarkeit der Sache, von der Kräftigkeit der Darstellung und der Empfänglichkeit des Individuums. Wo aber in der Familie ein religiöser Geist ist, da wird er auch seinen Ausdruck finden.“263

Damit wird wiederum deutlich, warum Schleiermacher in seinen Ausführungen zur Judenemanzipation den Einfluss der Familie auf die Entwicklung der jüdischen religiösen Gesinnung so herausstellt und entsprechend verhindert wissen will. Schleiermacher räumt der Familie im Erziehungsund Bildungsprozess grundsätzlich einen hohen Stellenwert ein. Dass Schleiermacher der Familie im Prozess der Sittlichwerdung der Heranwachsenden eine bedeutende Stellung zuspricht, begründet sich nicht zuletzt auch darin, dass sie ihnen einen Schonraum gegenüber den Ansprüchen der vier Gemeinschaften Kirche, Staat, Wissenschaft und geselliger Verkehr bietet. Jedoch ist Schleiermacher auch bewusst, dass die sittlichen Normen über die Familie bereits im Zustand des Kindseins prägend wirken, da die Familie selbst am sozialen Leben der Gemeinschaften partizipiert und zudem die Heranwachsenden auf die Teilnahme am Gesamtleben vorbereiten soll. Dabei erfolgt die religiöse Prägung selbstverständlich im Interesse der Kirche, auch wenn Schleiermacher die Familie keineswegs als „bloße Erziehungsanstalt“ im Auftrag der Gemeinschaft(en) versteht. Die Vorrangstellung einer eigenständigen Familienerziehung betont Schleiermacher ebenfalls gegenüber der Schule. „Eigentliche Familienerziehung außerhalb des Schullebens ist jedenfalls vorzuziehen.“264 262 263 264

Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 261. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 371. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 338. Wenn Schleiermacher ebd. über die Notwendigkeit der zeitweiligen Entfernung aus dem Familienkreis schreibt, stellt sich die Frage, ob seine eigenen Internatserfahrungen hier ebenfalls eingeflossen sind. Wenn die

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Obgleich Schleiermacher einem religiösen Supplement der Schulen infolgedessen skeptisch gegenübersteht, bleibt der Religionsunterricht dennoch ein notwendiges „Supplement der Familienerziehung“265. Denn die Entwicklung der religiösen Gesinnung in den Familien bedarf in der Regel der Ergänzung, da Versäumnisse nur im Idealfall ausgeschlossen werden können. Grundsätzlich hängt der Charakter des Religionsunterrichts damit auch vom Verbreitungsgrad der christlichen Gesinnung und der entsprechenden geschichtlichen Bildung ab.266 Damit ist christliche Bildung bei Schleiermacher immer vorausgesetzt, entweder als selbstverständlicher Teil allgemeiner Bildung oder in entsprechender Kompensation als religiöse Bildung. III.3.3.3 Der Religionsunterricht in der Schule Der hohe Stellenwert der Familienerziehung und die Vorbehalte gegenüber einer technischen Einflussnahme gerade in Hinblick auf die religiöse Erziehung und Entwicklung erklären Schleiermachers grundsätzliche Zurückhaltung gegenüber einem schulischen Religionsunterricht. Überflüssig wird der Religionsunterricht deshalb aber noch nicht. Bereits in der „Rezension Zöllner“ (1805) merkt Schleiermacher an, dass die gesellige Gesinnung, auf die es dem Staat am meisten ankäme, nur wenig durch den Unterricht zu erzielen sei; entsprechend stößt der Religionsunterricht nach Schleiermacher hier an seine Grenzen: „Was den Religionsunterricht anbelangt: so kann allerdings auch die gesellige Gesinnung, auf welche es dem Staate am meisten ankommt, nicht hoch genug angeknüpft werden. Allein, auch hierin ist mit dem Unterricht das wenigste getan, und auf die Gesinnung möchte die öffentliche Erziehung schwerlich anders als in Verbindung mit der häuslichen

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Verhältnisse ein solches gebieten, so frage man sich „nicht mehr, was das beste sei; sondern wie das, was das Notwendigste ist, am zweckmäßigsten eingerichtet werden könne“. Ebd., 339. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 129: „Denn wenn auch das Vertrauen der Gemeinschaft auf die einzelnen Glieder vollkommen wäre, so ist es doch natürlich, daß bei einer vollständigen Organisation der religiösen Gemeinschaft, ehe die Jugend definitiv in die kirchliche Gemeinschaft aufgenommen wird, erklärt wird, daß die Familie das Vertrauen gerechtfertigt habe. Darin liegt aber auch die Möglichkeit, daß ein Supplement der Familienerziehung notwendig wird.“ Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 130.

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und mit der Kraft eines ebenso öffentlich erscheinenden religiösen Geistes wirken können.“267

Auch hier legt Schleiermacher wieder ein besonderes Gewicht auf den religiösen Geist, auf welchen es im eigentlichen Sinne ankomme: „Eigentlich sollte aber wohl auch ohne besonderen Religionsunterricht dennoch durch die vielfältige Einwirkung der Theologen ein religiöser Geist in die Anstalten des öffentlichen Unterrichts kommen, welcher dann mehr wert wäre als der immer nur spekulative Unterricht.“268 Schleiermacher abstrahiert hier sogar noch vom Religionsunterricht, wenn er vom „öffentlichen Unterricht“ spricht, der vom „religiösen Geist“ bestimmt sein könnte. Wieder ist seine Perspektive in universaler Hinsicht durch den religiösen und das heißt durch den christlichen Geist geprägt. Dabei ist zu beachten, dass die Relativierung des Religionsunterrichts nicht mit einer Abwertung desselben einhergeht, sondern vielmehr mit einer postulierten Universalisierung des religiösen Geistes, welche zweifelsohne nicht durch die Grenzen des Religionsunterrichts beschränkt werden soll. Dem entspricht das Postulat in der zweiten Predigt „Über die christliche Kinderzucht“, dass alle Vermahnung, d. h. nicht nur die auf das Göttliche beschränkte, eine Vermahnung zum Herrn sein sollte.269 Es sind der religiöse Geist und die religiöse Gesinnung, deren herausragende Bedeutung Schleiermacher immer wieder hervorhebt. Auch wenn die religiöse Gesinnung im eigentlichen Sinn nicht, d. h. auch nicht im Religionsunterricht, vermittelbar ist, geht es Schleiermacher um die Entwicklung der Gesinnung, auf welche letztendlich das Lehren der Lehranstalten auszurichten ist.270 Schleiermacher konkretisiert dies 1810 in seinem ersten Entwurf zum Religionsunterricht (in der Schule): „Bei dem Religionsunterricht ist nach der gewöhnlichen Ansicht das Lernen, das Erwerben von Kenntnissen, nur die Nebensache, nur ein notwendiges Mittel; das Wesentliche, der eigentliche Zweck ist die Belebung der Gesinnung, das wahre, lebendige Sichanschließen an die Gemeinde. Auf die Gesinnung zu wirken, kann aber niemals ein unmittelbares Objekt für die Schule sein, sondern nur fragmentarisch, gelegentlich kann ein

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Friedrich Schleiermacher, Rezension Zöllner, 91. Friedrich Schleiermacher, Rezension Zöllner, 91 f. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Über die christliche Kinderzucht (2. Predigt), 616. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Allgemeiner Entwurf zum Religionsunterricht auf gelehrten Schulen, in: ders., Texte zur Pädagogik. Kommentierte Studienausgabe, Bd. 1, hg. v. Michael Winkler/Jens Brachmann, Frankfurt am Main 2000, 168-172, 168.

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selbst innerlich lebendiger Lehrer darauf wirken. Dem Staat muß allerdings daran gelegen sein, dass seine Bürger religiös seien; es muß ihm ebenso sehr daran liegen, dass sie vaterlandsliebend seien [...] Überdies, wenn auch der Wille da wäre und gut, so scheint das Unternehmen sehr schwierig. Bei der gegenwärtigen Lage der Sache ist ein religiöser Schulmann etwas sehr Seltenes, und den Unterricht einem Geistlichen und außerordentlichen Lehrer zu übertragen, heißt nur, etwas nicht sehr natürlich in die Schule verpflanzen, was außer der Schule ohnehin geschieht. Dies sind die Gründe, welche gegen den Religionsunterricht auf Schulen sprechen.“271

Die Grenzen der Vermittelbarkeit sprechen nach Schleiermacher nur vorderhand gegen einen schulischen Religionsunterricht. Als Gründe für den Religionsunterricht führt er die Notwendigkeit religiös gebildeter Staatsdiener an, „welche dereinst die Kirche als eine vom Staat adoptierte und benutzte Anstalt leiten sollen“272. Ihnen soll der Staat „Einsicht in die Religionssachen auf seinen Bildungsanstalten“ vermitteln. Für und Wider eines schulischen Religionsunterrichts (auf gelehrten Schulen) schließen einander nach Schleiermacher jedoch letztendlich nicht aus. So erklärt er die „Einsicht“ als Hauptsache und die „Belebung der Gesinnung“ folgerichtig als Nebensache, wobei er unter Einsicht „die allgemeine historische Darstellung der christlichen Lehre und Kirche“ versteht.273 Dem entspricht das Postulat Schleiermachers in der Praktischen Theologie, sich gegenüber dem gemeindlichen Religionsunterricht im schulischen Religionsunterricht auf das Historische zu beschränken. „Daher ist es sehr zwekkmäßig den Religionsunterricht in der Schule ganz historisch zu betreiben und durch zwekkmäßiges Bibellesen auszufüllen.“274 Analog zur christlich ausgerichteten Gesinnung geht es Schleiermacher um einen Religionsunterricht, in dessen Mittelpunkt selbstverständlich das Christentum steht: „Hierzu gibt es keinen anderen Gegenstand als das Christentum, inwiefern es lehrbar ist. Denn der Mittelpunkt aller Gesinnung ist Religiosität, und der Staat, von welchem die Einrichtung der öffentlichen Erziehungsanstalten ausgeht, erkennt das Christentum für 271

272 273

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Friedrich Schleiermacher, Erster Entwurf Schleiermachers zum Religionsunterricht, in: ders., Texte zur Pädagogik. Kommentierte Studienausgabe, Bd. 1, hg. v. Michael Winkler/Jens Brachmann, Frankfurt am Main 2000, 171-172, 171. Friedrich Schleiermacher, Erster Entwurf Schleiermachers zum Religionsunterricht, 171. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Erster Entwurf Schleiermachers zum Religionsunterricht, 171. Friedrich Schleiermacher, Praktische Theologie, 357.

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die unter seinen Bürgern allgemein verbreitete und gültige Form der Religion an, welches er durch die Anordnung des Religionsunterrichts auf Schulen aufs neue zu erkennen gibt. Zugleich legt er dadurch eine faktische Protestation gegen die Ansicht ein, als ob Religion unter der positiven Form des Christentums und wissenschaftliche Bildung einander ausschlössen.“275

Schleiermacher macht zweierlei deutlich. Erstens betont er noch einmal unmissverständlich die für die Gesellschaft selbstverständliche grundlegende Rolle des Christentums. Zweitens stellt er in der Ausführung zum Religionsunterricht aber auch indirekt heraus, dass zur Bildung ebenfalls das Christentum gehört. Beide Punkte führen für Schleiermacher zur Abgrenzung gegenüber jüdischen Mitbürgern: „Es ist daher eine falsche und allem übrigen Verfahren des Staates nicht analoge Tendenz, wenn man um der etwaigen jüdischen Zöglinge willen dem Religionsunterricht das Christliche benehmen und ihn in das Gebiet einer sogenannten allgemeinen Religion hinüberspielen würde, die überdies weder eine bestimmte äußere Form noch eine anerkannte Doktrin hat, welche als sie repräsentierender Lehrgegenstand auftreten könnte. Der Unterricht muß vielmehr christlich sein [...]“276

Schleiermacher bezieht hier eindeutig Position gegenüber der Auffassung einer von Konfessionen unabhängigen allgemeinen Vernunftreligion, wie sie etwa von David Friedländer postuliert wurde.277 Ihren Vertretern, die meinten, nur eine solche allgemeine Vernunftreligion sei mit Bildung zu vereinbaren, erteilt er eine klare Absage. Entsprechend konstatiert Schleiermacher auch in den Vorlesungen zur Pädagogik von 1813/14, dass die Unvollkommenheit der individuellen Religion oder des individuellen Staates nicht dadurch aufzuheben ist, dass man sich ihrer/seiner Individualität erledigt, im Sinne einer allgemeinen Religion oder eines allgemeinen Staates, welche für ihn nur „Chimären“ wären.278 Es zeigt sich, dass die grundsätzlich aufge275

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Friedrich Schleiermacher, Allgemeiner Entwurf zum Religionsunterricht auf gelehrten Schulen, 168. Friedrich Schleiermacher, Allgemeiner Entwurf zum Religionsunterricht auf gelehrten Schulen, 169. Vgl. David Friedländer, Sendschreiben an Seine Hochwürden, Herrn Oberkonsistorialrat und Propst Teller zu Berlin, von einigen Hausvätern jüdischer Religion, (Berlin, bei August Mylius. 1799). Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 216: „Nur muß man niemals das Unvollkommene mit dem Individuellen verwechseln. Eine allgemeine Religion und eine

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schlossene und moderne pädagogische Position, die dem Zögling durch Erziehung Kraft und Freiheit zukommen lassen will, bereits in ihrer ideologischen Ausrichtung festgelegt ist. Diese Position Schleiermachers hat bis jetzt nichts an Aktualität verloren. Christliche Vertreter verweisen auch heute noch mit den gleichen Argumenten auf die unabdingbare Notwendigkeit eines konfessionell ausgerichteten Religionsunterrichts; so könne nur dieser eine dem Religionsunterricht entsprechende „äußere Form“ gewährleisten und eine „anerkannte Doktrin“ vorweisen. Indem Schleiermacher den Religionsunterricht nicht nur als kirchlichen Unterricht innerhalb der „Praktischen Theologie“ thematisiert, sondern auch in seinen Pädagogik-Vorlesungen sowie Gutachten zum gymnasialen Unterricht erörtert, verweist er, ebenso wie die ihm bis in die Gegenwart hinein nachfolgenden Befürworter eines schulischen Religionsunterrichts, vom Gedanken der allgemeinen menschlichen Bildung her auf die bleibende Bedeutung des Christentums für die öffentliche Kultur. Die Betonung des notwendigerweise konfessionellen Charakters eines schulischen Religionsunterrichts führt Schleiermacher jedoch nicht etwa zu einer pluralistischen Auffassung, welche konsequenterweise neben dem christlichen bzw. evangelischen Religionsunterricht auch einen jüdischen Religionsunterricht vorsähe. Dass ein solcher Pluralismus zumindest innerchristlich vorstellbar war, zeigt sich am Postulat Schleiermachers, der Religionsunterricht solle danach streben, „sich von der Polemik der einzelnen christlichen Parteien gegeneinander freizuhalten“279. An anderer Stelle ist sich Schleiermacher ebenfalls der Notwendigkeit „religiöser Freiheit“ durchaus bewusst,280 doch versteht er diese auch hier nicht in einem religionspluralistischen Sinn, sondern nur vor einem innerkonfessionellen christlichen Hintergrund. Demgegenüber führt die ausschließliche Ausrichtung auf das Christentum zu einer bewussten Herabsetzung der jüdischen Religion. Dem ent-

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von aller Nationalität entblößte Sitte sind eben solche Chimären, wie eine allgemeine Sprache und ein allgemeiner Staat.“ Es ist auffällig, dass Religion hier an erster Stelle genannt wird. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Allgemeiner Entwurf zum Religionsunterricht auf gelehrten Schulen, 169. So spricht er sich aus diesem Grund dagegen aus, den Seminaristen (Volksschullehrern) für ihren Privatgebrauch ein Erbauungsbuch vorzuschreiben; Votum zum Entwurf Natorps, 182.

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spricht, dass die Erteilung jüdischen Religionsunterrichts an staatlichen Schulen im 19. Jahrhundert gesetzlich nicht zulässig war, während ein entsprechender Religionsunterricht an einigen jüdischen Schulen wohl das einzige Kennzeichen darstellte, das den Unterschied zur staatlichen Schule ausmachte.281 Möglicherweise kommt deshalb die Frage eines eigenen jüdischen Religionsunterrichts an staatlichen Schulen für Schleiermacher gar nicht erst auf. Die Tendenz des Staates ist christlich, und dies ausschließlich, entsprechend haben die analogen Tendenzen zu sein. Schleiermacher verbleibt hier in einer „Binnenperspektive“, die charakteristisch für ihn ist.282 Dass ferner die Notwendigkeit religiös gebildeter Staatsdiener für Schleiermacher ein weiteres Argument für einen schulischen Religionsunterricht ist, schließt in seiner Konsequenz die Juden von leitenden Staatsämtern aus. Die Ausführungen Schleiermachers zur Religiosität und religiösen Gesinnung spiegeln auf den ersten Blick eine moderne Position hinsichtlich seiner Pädagogik insofern wider, als dass er Erziehung und Unterricht nicht rein zweckgerichtet auf Vermittelbarkeit ausgerichtet, d. h. in einem technischen Sinne versteht. Doch ist dies nur die Kehrseite bzw. Konsequenz eines Verständnisses, das eben darum weiß, dass Religiosität und Gesinnung im eigentlichen Sinne nicht vermittelbar, nicht lehrbar sind. Im Mittelpunkt stehen Religiosität und religiöse Gesinnung. Die Ausführungen zur Pädagogik sind dem nachgeordnet. Stellt man also Schleiermacher anhand seiner genannten Ausführungen als Vorreiter der modernen Pädagogik dar, sollte man dies stets beachten. Daneben bleibt die Frage im Raum stehen, was es für die Pädagogik, für Erziehung und Unterricht heißt, dass Religiosität und religiöse Gesinnung einen so prononcierten Stellenwert haben. Schleiermachers Gedanken zum Religionsunterricht variieren zwar in den einzelnen Stellungnahmen, bleiben aber in den Grundaussagen konstant. So zeigt er sich auch 1812 in einem Brief an August Twesten erst einmal zurückhaltend skeptisch gegenüber dem Religionsunterricht. Schleiermacher geht es zunächst um die Ausbildung einer mythischen Vorstellung 281

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Vgl. Zwi E. Kurzweil, Hauptströmungen jüdischer Pädagogik in Deutschland von der Aufklärung bis zum Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 1987, 70. Vgl. auch Friedrich Schleiermacher, Votum über den Entwurf einer Instruktion der städtischen Schul-Kommissionen, in: ders., Texte zur Pädagogik. Kommentierte Studienausgabe, Bd. 1, hg. v. Michael Winkler/Jens Brachmann, Frankfurt am Main 2000, 174175, 174 f.

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der Idee des höchsten Wesens als Basis, die er angelegt sehen will und auf die dann erst der Religionsunterricht aufbauen kann. Wenn diese gefestigt sei, könne wohl die mythische Form im Unterricht hinterfragt werden, die Idee als solche würde dann aber bestehen bleiben.283 Schleiermacher argumentiert hier ganz im Sinne einer religiösen Entwicklungstheorie, die von der Entwicklung einer frühkindlichen anthropomorphen Gottesvorstellung hin zu einem abstrakten Gottesbegriff ausgeht.284 Hinsichtlich des Religionsunterrichts unterscheidet Schleiermacher dann zwischen dem eigentlichen Unterricht, der „gleich mit Christo und rein christlich anfangen“ müsse, und einer vorbereitenden Beschäftigung mit dem Alten Testament.285 Dem Alten Testament kommt somit aber nur eine Vorreiterrolle in Hinblick auf das christliche Neue Testament zu. Wenn Schleiermacher dabei auf die „schönen bildlichen Darstellungen der alttestamentlichen Geschichte“ verweist, so betont er damit noch den Vorläufercharakter des Alten Testaments gegenüber dem Neuen Testament analog zu einer religiösen Entwicklungstheorie. Die bildlichen Darstellungen entsprechen einer kindlichen Entwicklungsstufe, die später von einer abstrakteren abgelöst wird. Das Wissen um die Begrenztheit des Religionsunterrichts in Hinblick auf die Vermittelbarkeit schmälert für Schleiermacher jedoch nicht den Stellenwert des Religionsunterrichts an sich. „In die Bildung zur Wissenschaft

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Vgl. Friedrich Schleiermacher, Brief an August Twesten, in: ders., Texte zur Pädagogik. Kommentierte Studienausgabe, Bd. 1, hg. v. Michael Winkler/Jens Brachmann, Frankfurt am Main 2000, 172: „Die Hauptfrage, die Sie mir darin vorlegen, vom Religionsunterrichte der Kinder, scheint mir zu den schwierigsten zu gehören, und allgemein weiß ich nichts darüber zu sagen als nur negativ. Ich meine nämlich nicht, daß die Idee des höchsten Wesens durch den Unterricht zuerst soll aufgeregt werden, sondern sie muß irgendwie im Leben kommen und zuerst mit dem sittlichen Gefühle in Verbindung gebracht werden. Auf dieser Basis kann hernach die mythische Vorstellung ganz sicher ruhen. Daß diese im Kindesalter allein dominieren muß und daß man sie unter jener Voraussetzung ganz ruhig gewähren lasse ohne Furcht, daß hernach mit der mythischen Form auch die Idee selbst werde abgeworfen werden, ist meine sichere Überzeugung.“ Vgl. etwa Fritz Oser/Paul Gmünder, Der Mensch – Stufen seiner religiösen Entwicklung. Ein strukturgenetischer Ansatz, Gütersloh 1982. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Brief an August Twesten, 172: „Am wünschenswertesten scheint es mir, wenn man im Besitz schöner bildlicher Darstellungen der alttestamentlichen Geschichte ist und bei Anschauung und Erklärung derselben gleich die einzelnen Geschichten in der Bibel lesen läßt, für welche sich die Kinder am meisten interessieren.“

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gehört auch der Religionsunterricht [...] Die Religiosität wird erst durch ihn fixiert; es entsteht ein geschichtliches Bewusstsein desselben.“286 Für den Ablauf des Religionsunterrichts veranschlagt Schleiermacher in seinem „Allgemeinen Entwurf zum Religionsunterricht auf gelehrten Schulen“ drei Stufen. Der besondere Stellenwert des schulischen Religionsunterrichts wird betont, wenn Schleiermacher diesem auf der obersten Stufe eine korrigierende Funktion gegenüber dem kirchlichen Religionsunterricht zuweist. „Auf der obersten Stufe endlich muß die Absicht vorzüglich dahin gehen, durch eine gehaltvolle Darstellung der Mängel, welche der kirchliche Religionsunterricht für den gebildeten Verstand der Jünglinge nicht selten gehabt haben wird, abzuhelfen [...]“287 Grundsätzlich gilt, dass die Stufen dieselben seien wie in allem anderen Wissen.288 In seinen Vorlesungen von 1826 scheint sich Schleiermacher dem ersten Eindruck nach allerdings dann doch unter einem bestimmten Gesichtspunkt auch gegen den Religionsunterricht an Schulen auszusprechen, da dieser Sache der Familien bzw. Gemeinden und ansonsten der Konfirmationsunterricht ja unzulänglich sei. „Was nun den Religionsunterricht, der in öffentlichen Anstalten erteilt wird, betrifft, so bin ich der Meinung, daß dieser ganz erspart werden kann. Es ist dieser Unterricht nur ein Rest aus früherer Zeit, in der diese Anstalten, kirchlichen Ursprungs, der Kirche untergeordnet waren. Jetzt sind sie nicht mehr kirchliche Anstalten; die Jugend wird als Bestandteil der Gemeinde betrachtet, und die Kirche nimmt ihr Interesse an der Jugend dadurch wahr, daß diese in der Familie an die Geistlichen der Gemeinden gewiesen wird. Es scheint ein Vorwurf der Unzulänglichkeit des Konfirmandenunterrichts darin zu liegen, wenn man nicht nur einen vorbereitenden, sondern einen jenem parallel laufenden und nachfolgenden Unterricht in den öffentlichen Anstalten für notwendig hält. Der Unterricht in Schulen wird seinen paränetischen Charakter verlieren, und namentlich in den Gymnasien wird die Katechese aufhören, dies zu sein, und statt das religiöse Prinzip zu beleben und zu entwickeln, lehrt man dann eigentlich schon Theologie. So gewinnt der Religionsunterricht ganz das Ansehen einer Vorübung für den künftigen Beruf; dann müßte er aber auch nur für Theologen sein und nicht ein allgemeiner. Die Erfahrung be286

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Friedrich Schleiermacher, Aphorismen zur Pädagogik, 203 (Nr. 11). Schleiermacher wendet sich hier gegen eine angebliche Ansicht Arndts, den Unterricht in der Landesreligion zu sehr als Äußeres und Nebensache zu betrachten. Vgl. E. M. Arndt, Fragmente, 165. Friedrich Schleiermacher, Allgemeiner Entwurf zum Religionsunterricht auf gelehrten Schulen, 170. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Aphorismen zur Pädagogik, 203 (Nr. 11).

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stätigt nur, daß der Gymnasialunterricht in der Religion nur wenig Gewinn bringt, und daß, wenn er nicht in das Theologische übergehen, sondern den katechetischen Charakter beibehalten will, etwas Trockenes und Totes, etwas Schwankendes und Unsicheres hineinkommt. Das aber leidet keinen Zweifel, wenn die öffentlichen Anstalten zugleich Erziehungsanstalten sind, dann müssen sie auch hierin die Stelle der Familie vertreten, und zur Erregung und Entwicklung des religiösen Prinzips in dem Grade und in der Art beitragen, wie dies die Aufgabe der Familie ist.“289

Das Zitat macht hingegen deutlich, dass Schleiermacher somit nicht etwa den schulischen Religionsunterricht abgeschafft wissen will,290 sondern es ihm vielmehr darum geht zu zeigen, dass sich die Bedingungen und Umstände für einen schulischen Religionsunterricht geändert haben und dass dem Rechnung getragen werden muss. Es handelt sich beim schulischen Religionsunterricht allerdings nicht nur um Vor- und Nachbereitung des Konfirmandenunterrichts, und letztendlich soll dieser auch nicht ausfallen.291 Ob Schleiermacher aus „dem Dilemma, Schule zwar als ‚Supplement‘ zur religiösen Familienerziehung verstehen zu wollen, ihr dann aber für einen Religionsunterricht in ihrer Mitte wenig Spezifisches zusagen zu können, […] zumindest in den Pädagogik-Vorlesungen nicht heraus [kommt]“, wie Christiane Ehrhardt meint,292 bleibt deshalb zu diskutieren. Denn letztendlich zeigt Schleiermacher in Bezug auf den schulischen Religionsunterricht exemplarisch auf, was vermittelt werden kann und wo die Grenzen der Vermittlung und damit auch des Unterrichts liegen. Schon in der dezidierten Thematisierung religiöser Erziehung in der ersten (Familie) und zweiten Periode (Schule) zeigt sich bei Schleiermacher die Interdependenz von allgemeiner und religiöser Bildung. Dass sich religiöse 289 290

291

292

Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 372. Vgl. Christiane Ehrhardt, Religion, Bildung und Erziehung bei Schleiermacher. Eine Analyse der Beziehungen und des Widerstreits zwischen den „Reden über die Religion“ und den „Monologen“, 275: „Die Formulierung [‚bin ich der Meinung, daß dieser ganz erspart werden kann‘; M. B.], von der man nicht weiß, ob Schleiermacher selbst sie tatsächlich so verwendet hat, ist hier zurückhaltend sachlich, nicht kategorisch: Der Religionsunterricht kann ganz erspart werden, heißt es, nicht etwa, er muss wegfallen.“ Anders das Fazit von Christiane Ehrhardt, Religion, Bildung und Erziehung bei Schleiermacher. Eine Analyse der Beziehungen und des Widerstreits zwischen den „Reden über die Religion“ und den „Monologen“, 284. Christiane Ehrhardt, Religion, Bildung und Erziehung bei Schleiermacher. Eine Analyse der Beziehungen und des Widerstreits zwischen den „Reden über die Religion“ und den „Monologen“, 276.

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Bildung und allgemeine Bildung verschränken, wird ebenfalls in Schleiermachers Anmerkungen zum Gesangsunterricht in der Volksschule deutlich. „Die Gesanglehre ist überwiegend von dem religiösen Interesse aus in die Volksschule aufgenommen worden […] Die Musik ist für das Volk auch ein wesentliches Element des Genusses; sie kommt bei allen Erholungen und Festen vor in Verbindung mit dem Tanz. Aber das ist nicht der Punkt, woran die pädagogische Wertschätzung sich geknüpft hat, sondern die Verknüpfung des Gesanges mit der häuslichen und kirchlichen Andacht.“293

Die Interdependenz wird hier mehr als deutlich, da die pädagogische Wertschätzung des Gesangs in seiner Verbindung mit religiösen Gebräuchen gründet. Damit steht aber die Religion im Mittelpunkt, während ihr die Erziehung nachgeordnet wird. Analoges gilt ebenfalls für den Geschichtsunterricht, auch wenn Schleiermacher diesen in Hinblick auf die verschiedenen Schultypen unterschiedlich ausgerichtet sehen will. „Das Allgemeinste ist wohl, die neuere Geschichte mit der christlichen Zeit zu beginnen.“294 Die gleiche Interdependenz zeigt sich hinsichtlich der postulierten Lesefertigkeit anhand eines populären vaterländischen Geschichtsbuches und der Bibel. Einerseits solle die Jugend, zumindest die protestantische, mit der Bibel bekannt gemacht werden, andererseits die Gesetze lesen können. Nach der geläufigen Abgrenzung vom Alten Testament295 fordert Schleiermacher jedoch nicht eine vorbehaltlose Lektüre der Bibel, sondern warnt vielmehr vor einer unvorbereiteten Lektüre, die letztlich nur zu Unverständnis führen könne. „Was kommt da anderes heraus, als daß der Jugend die heilige Schrift zum todten Buchstaben wird. Wenn man sagt, der Religionsunterricht müsse dann dies beleben, so kann doch dies gar nicht im Verhältnis stehen mit diesem Mechanismus; und schwerlich ist der

293

294 295

Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 286. Vgl. auch Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 270, hinsichtlich der Gymnastik der Sinne: „[D]ie des Ohres ist die Gesanglehre, sie hängt ebenso am Arithmetischen als jene [die des Auges; M. B.] am Geometrischen, und ist von einer unmittelbar psychischen religiösen Wirksamkeit […]“ Und ebd., 271, heißt es die Ausführungen zur Gymnastik abschließend: „Das häusliche Leben wird aber dann ganz religiös.“ Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 332. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 304: „Zunächst das Alte Testament liegt sehr weit wohl von der Absicht, welche die evangelische Kirche beim Gebrauch der Bibel hat, entfernt.“

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Nachteil aufzuheben, der daraus notwendig hervorgeht, wenn Unverstandenes immerfort gelesen wird. Die Opposition gegen den Gebrauch der Bibel in der Schule zum Lesen ist nicht einem neoterischen Prinzip zuzuschreiben, sondern gerade die Ehrfurcht vor diesem Buche muß gegen diesen Gebrauch einnehmen.“296

Nach Schleiermacher sollten behandelte Geschichten und Erzählungen aus der Bibel ausgewählt werden, um die Jugend in ihrem Standpunkt zu bestärken. Ferner warnt Schleiermacher erneut vor „Mechanismus“ und „toten Buchstaben“. Damit wird aber wiederum zweierlei deutlich: einerseits die Verschränkung von religiöser und allgemeiner Bildung. Das Postulat einer lebendigen Bildung entfaltet Schleiermacher nicht zuletzt an der postulierten Bibellektüre. Ohne weitere Kenntnisse bleibt diese bloß mechanisch, was wiederum der Konzeption von Bildung überhaupt widerspricht. Andererseits zeigt sich neben der üblichen Abgrenzung von der Hebräischen Bibel, dem christlichen Alten Testament, wiederum, warum Schleiermacher sich so vehement an anderer Stelle gegen eine jüdische Erziehung ausspricht – weil diese im Rahmen lebendiger Bildung natürlich bleibenden Charakter hätte, der dann in Konkurrenz zur christlichen Bildung träte. Die nachhaltige Wirkung von Erziehung und lebendiger Bildung lässt Schleiermacher schlussendlich den christlichen Antijudaismus beibehalten. Ginge es bloß um rein mechanisches Lernen, so wäre die von Schleiermacher befürchtete Gefahr einer jüdischen Bildung und Erziehung auch nicht so gravierend und wohl zu vernachlässigen. Fatalerweise führt insbesondere die moderne Konzeption einer lebendigen Bildung zu einem bleibenden Antijudaismus, um gegenüber potentiellen Bildungsträgern jüdischer Identität die christliche Superiorität zu wahren. Die Vorbehalte gegenüber der jüdischen Religion und den Juden seiner Zeit sind fatalerweise in der Furcht vor einer nachhaltigen Bildung der Jüdinnen und Juden begründet, die Schleiermacher auf der allgemeinen pädagogischen Ebene ja postuliert, aber wegen der Verschränkung von allgemeiner und religiöser Ebene hinsichtlich der religiösen Bildung aufgrund der diagnostizierten Gefährdung des Christentums nach der eigenen Logik ablehnen muss. Die Verschränkung von allgemeiner und religiöser Bildung zeigt sich auch in Schleiermachers Plädoyer für eine philosophische Grundbildung an 296

Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 304.

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den Universitäten. Aus dem spekulativen Interesse heraus lässt sich erst ein höherer Gemeingeist verfolgen, andernfalls bliebe alles nicht nur dem „Gebiete des Mechanischen“ verhaftet, sondern es würde auch eine „wahrhaft allgemein menschliche Gesinnung“ fehlen.297 „Die wahrhaft sittliche Gemeinschaft, welche nie ohne die richtige Gesinnung sich entwickeln kann, wird nimmermehr zustande kommen, wenn die alles leitenden Prinzipien nicht gegeben sind. Nun wird zwar die Gesinnung nicht unmittelbar von der Wissenschaft, sondern von der Religion ausgebildet; allein die Verwandtschaft von Philosophie und Religion, nicht in Beziehung auf die Form, also als Erscheinung angesehen, sondern in Beziehung auf das zum Grunde liegende Prinzip, ist so groß, daß wenn nur das eine zuerst sich entwickelt, auch das andere sich ausbilden muß. Es ist an sich klar, daß das spekulative Prinzip allgemein verbreitet eine treffliche Stütze wird für das religiöse. Freilich dem nur auf das Praktische gerichteten Blick entzieht sich dieser Zusammenhang oft ganz und gar, aber dem Wesen des Protestantismus liegt die Ansicht zum Grunde, daß das eine nicht bestehen kann ohne das andere.“298

Damit ist die Interdependenz mehr als offensichtlich. Ferner ist ebenso deutlich, dass das Wesen des Protestantismus auch für Schleiermachers pädagogische Ausführungen eine grundlegende Kategorie darstellt. Die Interdependenz von allgemeiner und religiöser Bildung stellt Schleiermacher auch in Hinblick auf die Dauer der Beschulung in der Volksschule heraus. „Da aber die Entlassung aus der Volksschule zum Teil wenigstens in vielen Ländern damit zusammenhängt, daß die Jugend auch in Beziehung auf das, was in kirchlicher Hinsicht gefordert wird, dem Unterricht entwachsen sei, so kann die Kirche hier der Schule sehr zur Hilfe kommen, oder der Staat beiden.“299 Nach der Praktischen Theologie besteht das Wesen des Religionsunterrichts darin, zur Teilnahme am Kultus zu befähigen.300 Wenn Beginn und Ende religiöser Erziehung dem Beginn und Ende allgemeiner Erziehung entsprechen, stellt sich die Frage, ob seine allgemeinpädagogischen Überlegungen nicht an die Überlegungen der Praktischen Theologie anschließen. Auffällig bleibt, dass immer wieder der Bezug zur Reformation in der Bildungsfrage hergestellt wird. „Es ist ein in den evangelischen Ländern 297 298 299 300

Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 399 f. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 401 f. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 314. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Praktische Theologie, 350.

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besonders fest gewordener Typus, dem dies zum Grunde lag, daß man dasjenige als allgemeine menschliche Bildung aufstellen wollte, woraus die Reformation ihren ersten Ursprung genommen hat.“301 In seinen „Ausführungen zur Praktischen Theologie“ hebt Schleiermacher den Unterschied zwischen der evangelischen und katholischen Konfession in Hinblick auf das Verstehen hervor. Während bei den Katholiken mehr der symbolische Gebrauch vorherrsche und das Verstehen für den Laien – im Gegensatz zum Klerus – nicht notwendig sei, gehe es in der protestantische Kirche um ein „helles Verständnis“ des Wortes, „das Verständniß für das Wort zu öffnen und das religiöse Gefühl an die Worte zu gewöhnen und sie in ihnen zu gestalten“.302 Dazu gehört es dann auch, entgegen der üblichen Regel, Kinder, die nicht lesen können, in den Religionsunterricht der Gemeinde aufzunehmen. „Also müssen auch die Kinder in die Schrift eingeleitet werden können; aber das Lesenkönnen ist dazu nicht nöthig, sondern sie müssen sich das, was für den katechetischen Unterricht aus der Schrift nöthig ist, eigen machen. Dies kann aber durch das Gedächtniß eben so gut geschehen.“303 Da sich Schleiermacher der unterschiedlichen Sprachfähigkeiten der Kinder, die ja aus verschiedenen Ständen zusammen kommen, bewusst ist, sucht er nach anderen methodischen Ansätzen als den herkömmlichen wie etwa dem reinen Auswendiglernen und Abfragen. Schleiermacher will die Jugend durch das Gespräch „selbstthätiger“ werden lassen. Der Lehrer solle sich dafür auf die Ebene der Schüler begeben, ohne dabei aber seine Führung aufzugeben. „Es ist daher im einzelnen unmöglich sich für jede katechetische Unterredung ein bestimmtes Ziel zu stekken, weil es dabei auf die Schüler zu sehr ankommt.“304 Schleiermacher stellt der alten katechetischen Unterweisung, die das Memorieren des Stoffes verlangte, die „dialogische Form“ (des Gesprächs) gegenüber. „[D]ie dialogische Form, wenn sie ihren Gegenstand in seiner innersten Tiefe ergreift, hat durch diesen schon den erregenden Character in sich, und darf hier also auch nie fehlen, und wenn er nicht paränetisch und äußerlich hervortritt, so geht er doch immer innerlich und im Stillen mit.“305 Wenn Schleiermacher im Zuge dieser Überlegun301

302 303 304 305

Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 318. Hinsichtlich der Bedeutung der Reformation für die Entwicklung der Muttersprache vgl. ebd., 328 f. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Praktische Theologie, 349. Friedrich Schleiermacher, Praktische Theologie, 356. Friedrich Schleiermacher, Praktische Theologie, 367. Friedrich Schleiermacher, Praktische Theologie, 369.

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gen nun die Selbsttätigkeit für Kinder und Geistliche gegenüber dem „Vorherrschen der Katechismen“ fordert, die die intendierte Lebendigkeit des Unterrichts gerade verhinderten, so scheint dies seinen pädagogischen Überlegungen geschuldet zu sein. Doch im Hintergrund dürften vielmehr die Gedanken über die „Bildung zur Religion“ stehen, die ja gerade von allem rein technischen und absichtsvollen Abstand nehmen wollen, so dass die Frage bestehen bleibt, ob nicht vielmehr seine theologischen Gedanken den Anstoß für die pädagogischen Überlegungen gegeben haben. Die Kritik in der Praktischen Theologie an dem durch die Katechismen begünstigten Auswendiglernen bezieht sich darin auch auf das übergroße Gewicht, das auf den „Buchstaben“ gelegt werde.306 Ebenso gibt Schleiermacher in seinen Vorlesungen von 1826 zu bedenken, dass Andachtsübungen in keiner Weise „zu einem toten Buchstabendienst und Mechanismus“ hinabsinken sollten.307 Auch wenn Schleiermacher die Lesefertigkeit der Kinder in der „Praktischen Theologie“ nicht zur Voraussetzung für die Teilnahme am gemeindlichen Religionsunterricht macht, impliziert die intendierte Erziehung zur Selbsttätigkeit doch gerade einen eigenständigen Umgang mit der Bibel, weshalb der Religionsunterricht dem Einzelnen eine „Einleitung in den Privatgebrauch der Schrift“ zu geben habe.308 Dem entspricht dann in der „Praktischen Theologie“ die Erziehung zu einer religiösen Mündigkeit, die sich der Offenheit des religiösen Bildungsprozesses stets bewusst ist. „Diese Regel ist allerdings auch unbestimmt und das Maß läßt sich nicht in strengen Formeln aufstellen, sondern beruht wie alles Individuelle mehr auf dem Gefühl. Der Geistliche muß sich bei jedem Katechumenen durch den Eindrukk leiten lassen, den er auf ihn macht in Beziehung seiner religiösen Mündigkeit.“309

Die pädagogische Einwirkung hört dann mit der Mündigkeit des Menschen auf, „d. h. wenn die jüngere Generation, auf selbständige Weise zur Erfüllung der sittlichen Aufgabe mitwirkend, der älteren Generation gleichsteht“310. Die Parallelen zur abschließenden Entwicklung allgemeiner Bildung, wie Schleiermacher sie bereits in der Einleitung der Vorlesungen von 306 307 308 309 310

Vgl. Friedrich Schleiermacher, Praktische Theologie, 411. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 371. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Praktische Theologie, 392. Friedrich Schleiermacher, Praktische Theologie, 396. Friedrich Schleiermacher, Praktische Theologie, 396.

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1826 aufzeigt, sind offensichtlich. Es bleibt die Frage bestehen, ob die pädagogischen Reflexionen auf den religiös-kirchlichen Bereich übertragen werden oder ob es nicht vielmehr umgekehrt ist, dass ihm seine Gedanken zur religiösen Bildung Anlass sind, diese in den pädagogischen Bereich zu übertragen. III.3.3.4 Die Kirche als verfasste Glaubensgemeinschaft der Christen „Die Religion, insofern sie als ein relativ für sich Bestehendes anzusehen ist, ist das Prinzip einer Gemeinschaft, die wir Kirche nennen.“311 (Friedrich Schleiermacher)

Die Kirche findet als Ort der Sozialisation neben Staat und Familie stets Erwähnung im Erziehungsdiskurs,312 wobei das Hauswesen das gemeinschaftliche Element der bürgerlichen und kirchlichen Gemeinschaft bildet.313 Schleiermacher versteht „Kirche“ im Sinne eines formalen Begriffs für alle Frömmigkeitsgemeinschaften,314 wobei im Hintergrund die geschichtlich gewordene und bestimmte, d. h. die christliche Religion steht. Staat und Kirche liegen nach Schleiermacher selbstverständlich nebeneinander. „Unsere Zeit, die christliche, kennt außer dem gemeinsamen Leben im Staate noch das Leben in der Kirche. Eins kann dem anderen nicht subordiniert werden; beides muß nebeneinander bestehen.“315 Die Folgen für die pädagogische Theorie ergeben sich daraus zwangsläufig: „Es ist auch ein Teil unserer sittlichen Aufgabe, dass das Gesamtleben in der Kirche ebenso von einem Geschlecht auf das andere fort und fort erhalten werde, wie das Gesamtleben in dem Staate. Unsere Theorie muß sich gleichmäßig auf beides beziehen.“316 Ziel der Erziehung ist es immer auch, den Menschen für die Kirche „abzuliefern“: Auf sie bereitet die Erziehung genauso selbstver-

311 312 313 314

315 316

Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 128. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14: 5., 6., 7., 8., 9., 13. Stunde etc. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 16. Vgl. auch Henning Schröer, Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768-1834), in: ders./Dietrich Zilleßen (Hg.), Klassiker der Religionspädagogik, Frankfurt am Main 1989, 115-135, 127. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 13. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 13.

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ständlich vor wie auf den Staat und das Privatleben.317 „Die Erziehung muß gerichtet sein auf eine vollkommene Organisation des Staates, der Kirche, des Wissens, des geselligen Lebens, als einen allgemeinen Staat u.s.w. zu verlangen.“318 Aufgrund deren Verschiedenheit könne es nach Schleiermacher deshalb aber keine „allgemeingültige“ Pädagogik geben, „denn anders muß der Mensch für diesen, anders für einen andern Staat und Kirche erzogen werden“.319 Damit ist und wird Erziehung aber auch Sache der Kirche: „Erst ist sie [die Erziehung; M. B.] ganz in der Familie, dann wird sie auch Sache des Staats und der Kirche.“320 Hierbei ist grundsätzlich von einer grenzüberschreitenden Beeinflussung auszugehen, d. h., auch in der Familie und Schule ist der Mensch den Einflüssen des Staates und der Kirche ausgesetzt.321 Und wenn Schleiermacher an anderer Stelle den offensichtlichen Sachverhalt herausstellt, dass jeder Mensch ein Glied einer bestimmten menschlichen Gesellschaft sei, in der er gewisse Verrichtungen zu übernehmen habe,322 so dürfte er selbstredend davon ausgehen, dass die angesprochene Gemeinschaft eine christlich verfasste ist. Was den Einfluss des Staates betrifft, vertieft Schleiermacher diese in einer eigenen Auseinandersetzung „Über den Beruf des Staates zur Erziehung“323. 317

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Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 220; ferner ders., Über den Beruf des Staates, 289: „Hineinbilden des Menschen in den Staat und die Kirche“; ders., Pädagogik. Die Theorie der Erziehung von 1820/21 in einer Nachschrift, herausgegeben von Christiane Ehrhardt und Wolfgang Virmond, Berlin New York 2008, 110. Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 300; vgl. ferner Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 31: „Die Erziehung – im engeren Sinn beendet, wenn der Zeitpunkt eintritt, dass die Selbsttätigkeit der Einwirkung anderer übergeordnet wird – soll den Menschen abliefern als ihr Werk an das Gesamtleben im Staate, in der Kirche, im allgemeinen freien geselligen Verkehr, und im Erkennen oder Wissen.“ Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 215f . Vgl. ferner Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 299: „Da aber die Gestaltung dieser verschiedenen Gebiete [Staat, Kirche etc.; M.B.] überall auch eine verschiedene ist, so leuchtet wohl ein, daß die Pädagogik nicht als eine allgemeingültige aufgestellt werden kann.“ Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 217. Und weiter heißt es ebd.: „Doch trifft dies nicht mit der Mannbarkeit zusammen, sondern weit früher. Staat, Wissenschaft und Kirche mischen sich schon früher, damit nicht bis dahin zuviel versäumt werde.“ Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 226 f. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 297. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Über den Beruf des Staates zur Erziehung, 274: „Denn bekannt ist die platonische Theorie, nach welcher die Kinder schon von Geburt an Kinder des Staates sind und die persönliche Beziehung ganz in Schatten gestellt, ja möglichst ignoriert und verborgen gehalten wird, so daß eigentlich alle Mütter nur Ammen und

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Jedoch, auch wenn es keine allgemeingültige Pädagogik geben kann, geht Schleiermacher doch von einer Zusammengehörigkeit und Interdependenz dieser verschiedenen Lebensbereiche aus324 und überträgt diesen Gedanken explizit in den Raum der Schule. Nicht nur das Wissen, sondern eben auch das Gesellige, das Bürgerliche und das Religiöse sind für die Schule konstitutiv: Erst die Totalität aller zeichne eine gute Schule aus. „Ohne Schule in diesem Sinne ist für uns keine Erziehung.“325 Und weil Erziehung für Schleiermacher nur ganzheitlich, nicht fragmentarisch vorstellbar ist, muss das Interesse an ihr auch gemeinschaftlicher Art sein. Entsprechend setzt Schleiermacher ein gemeinsames Interesse von Staat und Kirche voraus, aufgrund dessen sie zusammengehören und verbunden sind.326 Die Interdependenz der Bereiche spiegelt sich ebenfalls in den Aufgaben des Hauswesens wider, welches ja die Zöglinge auf die Ablieferung an die bürgerliche Gemeinschaft (Staat) und die religiöse Gemeinschaft (Kirche) gleichzeitig vorbereitet. „Da nun jedes Hauswesen ebensogut ein organisches Element des Staates wie der Kirche ist, so muß es auch gleich geschickt sein, die christliche Gesinnung zu entwickeln, wie den Gemeingeist.“327 Schleiermacher betont sogar, dass die Kirche gar nicht bestehen könnte, „wenn die Familien nicht in Übereinstimmung mit ihren Prinzipien wären und Harmonie mit der Kirche wollten und erstrebten“328. In der Familie haben der

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328

Kinderfrauen und alle Väter nur Vormünder und Versorger sind. Und schön und lachend, ja man kann sagen das festeste Bollwerk der persönlichen Freiheit und der individuellen Entwicklung, ist auf der anderen Seite die Theorie, daß das Haus nicht freilich als Werkstatt, aber als Sitz der Familie, das Heiligthum ist, in welches die öffentliche Gewalt unter keinem Vorwande unaufgefordert eindringen darf.“ Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 241: „Im Gefühl hat es auch der ungebildete Mensch, daß geselliges und religiöses, bürgerliches (Leben) und Wissen zusammenhängen.“ Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 242. Vgl. ferner ebd. 241 f.: „[...] und wie sehr die Schule der Idee entspricht, das zeigt sich vorzüglich daran, ob jeder Fortschritt in dem einen durch den in dem anderen bedingt ist, und ob die Ehre einseitig auf eines oder auf die Totalität aller gerichtet ist. Durch dies beides nun fühlt einer wohl eingerichteten Schule der Zögling diesen Zusammenhang, und anders ist er ihm nicht zu geben.“ Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 249. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826,116. Bemerkenswerterweise nennt Schleiermacher auch jenen geselligen Verkehr schlecht, dem das Prinzip des religiösen Lebens fehle (Ebd., 117). Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 128.

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religiöse Geist und der bürgerliche Gemeingeist ihre Stätte. Damit ist wiederum deutlich, dass es eine vollständig separate religiöse Erziehung nicht geben kann. Hinzu kommt, dass dem Hauswesen der überwiegende Teil der Einwirkung auf die Gesinnung anheimfällt.329 Die Ansprüche des Staates und der Kirche an die Erziehung bedürften nach Schleiermacher dann des Supplements und der Korrektion, wenn die häusliche Erziehung ihnen nicht Genüge tut. „Staat und Kirche können nun entweder gewisse Punkte und Formen vorschreiben, denen die Eltern selbst Folge zu leisten haben, indem sie Bezug nehmen auf das gemeinsame Leben in Staat und Kirche, und vollständig im Sinne dieser Gemeinschaften handeln. Oder Staat und Kirche wählen andere zu ihren Organen, und das ist das gewöhnlichste; es entsteht aber auch daraus eine andere Form der pädagogischen Einwirkungen.“330

An anderer Stelle schreibt Schleiermacher dann, dass auch das religiöse Gemeingefühl durch die Organisation eines gemeinsamen Lebens für die Jugend in seiner Entwicklung gefördert werden muss. Die in der Familie als etwas Natürliches wahrgenommene Frömmigkeit bedarf so der weiteren Unterstützung.331 Dass die Jugend um der Bildung des gemeinsamen Lebens willen aus der Familie heraustritt, hat zur notwendigen Folge, dass auch der Erziehung außerhalb der Familie Raum eingeräumt werden muss. „In der zweiten Periode tritt der Zögling in ein gemeinsames Leben ein, und die 329

330 331

Vgl. auch Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 168: „Der Keim der religiösen Gesinnung ist in der ersten Periode schon in der Entfaltung, aber er liegt in dem Verhältnis der Kinder zu den Eltern, wie ja die Sprache dies auch mehr oder weniger bezeichnet; man denke nur an der Römer pietas und an den im Leben gewöhnlichen Ausspruch, ein frommes Kind, womit gesagt sein soll, daß das Abhängigkeitsverhältnis von den Eltern in einem Kinde dominiere. Aber daß die religiöse Gesinnung selbst am Ende dieser Periode könnte auf bestimmte Weise entwickelt sein, ist eigentlich nicht vorauszusetzen, weil es noch an der Handhabe dazu fehlt. Während dieser Periode ist das Kind damit beschäftigt, so viel als möglich von der Welt durch die Sinne aufzunehmen; da muß das Übersinnliche zurückstehen, außer soviel in jenem Grundverhältnis schon liegt.“ Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 120 f. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 157: „Wenn wir die Jugend in der Zeit ihrer Entwicklung betrachten, und bedenken, daß die Gesinnung stets das Prinzip des gemeinsamen Lebens ist, so muß uns einleuchtend werden, daß ohne pädagogische Tätigkeit bloß in der Familie, also auf dem natürlichen Wege, die Gesinnung in dieser Weise nicht erweckt werden kann.“.

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Erziehung bekommt partiell wenigstens, durch das Hinzutreten des Einflusses der bürgerlichen und kirchlichen Gemeinschaft, einen öffentlichen Charakter.“332 Damit dürfte auch die Entwicklung religiösen Gemeingefühls zu einem noch näher zu bestimmenden Teil öffentlicher Erziehung werden, so dass sich erneut die Frage nach der Tradierung christlichen Glaubensgutes im Rahmen öffentlicher Erziehung stellt. Schleiermacher hebt insbesondere die Rolle der christlich religiösen Gemeinschaft als Förderin des Gemeingeistes heraus: „Wenn es aber richtig ist, daß die Gesinnung sich immer in der Form des Gemeingeistes entwickeln soll, so müssen wir auch eine Gemeinschaft aufsuchen, in der dies Prinzip sich am besten entwickelt; und das ist die religiöse Gemeinschaft, wenigstens die christlich religiöse Gemeinschaft […] Im Christentum […] wird die gehörig entwickelte religiöse Gemeinschaft das innere Maß geben für die religiöse Entwicklung der Individuen, die religiöse Gesinnung, gehörig entwickelt, wird dem Gemeingeist das Maß geben, damit alles, was in einzelnen Richtungen auseinandergeht, zusammenstimme; ebenso das rechte Maß für das Verhältnis des Einzelnen zum Ganzen. Es muß gemeinsames Interesse sein, daß am Ende der zweiten Periode die religiöse Gesinnung soweit entwickelt sei, daß sie Prinzip sein könne, die Selbständigkeit zu leiten.“333

Dazu kommt, dass nach Schleiermacher die in allen gleich stark entwickelte religiöse Gesinnung auch belebend auf die Gesinnung anderer einwirken sollte.334 In Hinblick auf seine Einteilung der Erziehung in drei Perioden sieht Schleiermacher die Entwicklung der religiösen Gesinnung also bereits mit der zweiten Periode abgeschlossen. „Während die Jugend in religiöser Hinsicht schon vollständig selbständig ist, wird in allen anderen Beziehungen die Selbständigkeit erst unter Leitung der erziehenden Generation entwickelt. Nach unserer christlichen Anschauungsweise erscheint uns nun aber die religiöse Gesinnung als Lebensprinzip als das Höchste. In der höchsten Beziehung also wäre die Jugend selbständig, in der untergeordneten aber abhängig.“335 Schleiermacher sieht darin auch keinen Widerspruch, sondern vielmehr „nur eine Annäherung an den Zustand, in welchem nach vollendeter Beziehung jeder sich befindet. Denn auch da, wo die größte persönliche Freiheit herrscht, bleibt doch die Unterordnung des einzelnen 332 333 334 335

Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 169. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 171 f. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 161. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 181.

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unter den allgemeinen Willen, also der Gehorsam: und neben dieser Unterordnung die vollkommene Selbständigkeit in religiöser Beziehung, denn auch die religiöse Gemeinschaft ist nur wahrhaft religiös als vollständiges Zusammenstimmen, als freie Gemeinschaft ohne äußeren Zwang; daher muß auch die religiöse Gemeinschaft sich nicht enge Grenzen stecken. So besteht auch in der dritten Periode schon nebeneinander diese Freiheit und jene Gebundenheit.“336 Dass die religiöse Gesinnung das höchste Lebensprinzip darstellt, ist für Schleiermacher ebenso evident wie die daraus resultierenden Folgen für die anderen Bereiche. Da die religiöse Gesinnung keines äußeren Impulses bedürfe, zeige sie sich damit in ihrer ganzen Reinheit und die Selbstständigkeit in ihrem ganzen Umfang. „Je fester aber die religiöse Überzeugung ist, je selbständiger der einzelne in diesem Höchsten, desto mehr wird dadurch das Hervortreten der Selbständigkeit auch in den anderen Gebieten begünstigt und die Selbstbestimmung in schwierigen Fällen erleichtert werden; Nachteil wird um so weniger zu fürchten sein und die Selbständigkeit nicht in Willkür umschlagen, da das Christentum zugleich das Prinzip der Demut ist. Aus der religiösen Selbständigkeit wird in allen anderen Beziehungen doch nur folgen, daß das Sichfügen unter die Autorität, sei diese eine persönliche oder gesetzliche, ein freier Entschluß ist, hervorgehend aus dem richtigen Gefühl von dem Verhältnis des Einzelnen zum Ganzen.“337

Aber was heißt es nun für die Antijudaismusfrage, wenn die Erziehung selbstverständlich auch auf die Kirche vorbereite und Sache der Kirche sei? Und zudem, wenn die religiöse Gesinnung als das Höchste bezeichnet werde? Damit wird nicht nur nicht die Interdependenz der Bereiche Staat und Kirche hervorgehoben, sondern auch noch einmal der christlich religiösen Gesinnung der ausschlaggebende Platz eingeräumt, die zudem einen positiven Einfluss auf die anderen Bereiche ausübe. Die christliche Judenfeindschaft wird somit selbstverständlich tradiert, während bereits in der häuslichen Erziehung der Grund dieser judenfeindlichen Ausrichtung gelegt wird. Die Erziehung hat nach Schleiermacher den Zögling ebenso selbstverständlich an die Kirche wie an den Staat abzuliefern. Beide, Staat und Kirche, stehen hier gleichwertig nebeneinander. Den Einwand, dass dies der Kirche nicht allgemein zugestanden werden könne und dass der vollkom336 337

Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 181. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 182.

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men in sich selbst gebildete Mensch der Kirche nicht bedürfe, führt Schleiermacher auf „Einseitigkeit“ und „eingebildete Vollkommenheit“ zurück. „Es ist dies [diese Annahme; M.B.] eigentlich eine Unvollkommenheit; denn der Mensch ist ein geselliges Wesen: alles in ihm soll gesellig werden. Der Mensch strebt auch in religiöser Hinsicht nach Gemeinschaft. Hat die Religion in dem Menschen die gehörige Vollkommenheit erlangt, so wird sie von selbst gesellig werden; wenn sie nicht gesellig ist, dann ist sie auch nicht ausgebildet. – Jedes Hauswesen ist ebenso das organische Element der Kirche wie des Staates. Solange der Mensch erzogen wird, ist er ebenso wohl ein Annex der Familie in Beziehung auf die Kirche wie auf den Staat. Ist seine Erziehung vollendet, so tritt er in ein besonderes persönliches Verhältnis zu beiden. Beides spricht sich auf eine so gleichmäßige Weise aus, dass wir Staat und Kirche parallel stellen müssen.“338

Diese anthropologische Voraussetzung, dass der Mensch nicht für sich allein bestehen kann, lässt aber wiederum in ihrer Konsequenz, nämlich der Ablieferung an eine geistliche Gemeinschaft, eine – vorab – christliche Erziehung mehr als notwendig erscheinen; das Erziehungsmittel ist, wie Schleiermacher an anderer Stelle schreibt, der (entsprechenden) Gemeinschaft entlehnt.339 Der bei Schleiermacher so bedeutende Aspekt der Geselligkeit erfährt in diesem Fall in der Gemeinschaft der Kirche seine Realisierung. Wenn Schleiermacher nicht nur davon ausgeht, dass jeder Mensch mit der religiösen Anlage geboren wird, sondern auch betont, dass die Erziehung – neben dem Staat – ausgeht von der dem Menschen angeborenen Kirche, so unterstreicht er damit auch noch einmal ihre Bedeutung im Erziehungskontext. Er hebt dabei aber nicht nur die Religion als solche hervor, sondern – ausschließlich – das Christentum, da er unter Religion ja grundsätzlich das Prinzip der kirchlichen Gemeinschaft versteht. Ganz selbstverständlich geht Schleiermacher wieder von einer – universell ausgerichteten – religiösen – und darin christlichen – Grundhaltung aus, die es dann noch persönlich zu entfalten, eben zu individualisieren gelte. Und eben dies ist Aufgabe der Erziehung.340 Gegenüber der gebotenen „Individualisierung“

338 339 340

Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 298. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 300. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 216 f.

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verweist Schleiermacher jedoch auch auf die allgemeine Pflicht gegenüber Staat und Kirche, die Menschen entsprechend abzuliefern.341 „Ist nämlich die Erziehung vollendet, so wird der Mensch abgeliefert an den Staat als dessen Bürger, das heißt, er soll tüchtig sein, als lebendiger organischer Bestandteil des Ganzen zu handeln und irgendeine bestimmte Stelle in demselben einzunehmen. Der Staat aber, um als christlicher Bürger eines christlichen Staates zu reden, verlangte bis noch vor kurzem wenigstens, daß zuvor die christliche Kirche ihn als ihr Mitglied sollte angenommen haben, und der Erzieher musste auch dies prästieren.“342

Neben der Ablieferung an den christlichen Staat kommt der Erziehung nach Schleiermacher die Aufgabe der Eingliederung in die christliche Kirche zu, auf „dieses beides“ komme es an. Damit wird aber noch einmal der christliche Kontext und Rahmen auch der allgemeinen Erziehung mehr als deutlich. Wenn die Erziehung den Zögling auch an die Kirche abzuliefern habe, wie Schleiermacher immer wieder betont, dann erfordert dies nach Schleiermacher ausdrücklich schon vorab Berücksichtigung in der Erziehung. „Wenn die Erziehung des Menschen vollendet ist, müssen wir ihn doch irgendwohin stellen; dieser sein künftiger Standpunkt mußte schon bei der Erziehung berücksichtigt werden.“343 Der Standpunkt der „Stellung“, in diesem Fall die Kirche, ist so gesehen zwar ein zukünftiger, aber er findet als christlicher Standpunkt bereits in der Erziehung Berücksichtigung. Die Ablieferung des Zöglings an die Kirche durch die Erziehung erfordert also nach Schleiermacher ausdrücklich auch schon vorab einen christlichen Standpunkt und das heißt eine christliche Erziehung. Gegenüber dem bürgerlichen Leben und den Gebieten der Erkenntnis und des freien geselligen Verkehrs ist das Verhältnis der Weckung der Gesinnung durch die pädagogische Tätigkeit einerseits und der Entwicklung individueller Fertigkeiten andererseits im Bereich der religiösen Gemeinschaft, d. h. der Kirche, ein besonderes. 341

342 343

Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 221: „Nun ist aber die Beförderung des Wohlseins oder der Naturentwicklung und Darstellung eines jeden Menschen in Gemäßheit mit den Ansprüchen des Staates, der Kirche etc. allgemeine Pflicht, und alles pädagogische Verfahren trete also unter den allgemeinen Pflichtbegriff zurück und scheine sich als besondere Kunstlehre aufzulösen.“ Friedrich Schleiermacher, Über den Beruf des Staates, 288. Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 297.

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„Die Kirche neben dem Staat in dem Leben, wie es uns vorliegt, als die religiöse Gemeinschaft fordert überwiegend von jedem einzelnen die religiöse Gesinnung, und zwar die bestimmte Gesinnung der christlichen Frömmigkeit. Da nun jedes Hauswesen ebensogut ein organisches Element des Staates wie der Kirche ist, so muß es auch gleich geschickt sein, die christliche Gesinnung zu entwickeln, wie den Gemeingeist. Fertigkeit als solche fordert die Kirche im eigentlichen Sinne nicht; sie setzt voraus, daß, wenn nur der Wille recht stark ist, die Fertigkeit von selbst sich anschließen werde. Wenn wir nun gleich im allgemeinen dies nicht zugeben können, so ist es doch besonders in Beziehung auf die Kirche anwendbar. Denn die Fertigkeiten, welche die religiöse Gemeinschaft zu fordern berechtigt ist, damit ihr gemeinsames Leben sich äußere, sind nur solche, die auf anderen Gebieten angeeignet werden; und sie setzt voraus, daß jeder, der ihr angehört, auch für die anderen Lebensformen tüchtig gemacht sei.“344

Es geht der Kirche also in erster Linie um die Weckung der Gesinnung, der die anderen Fertigkeiten als Mittel nachgeordnet sind. Die Kirche ist dabei einerseits als das religiöse Prinzip der Gemeinschaft auf die religiöse Erziehung in den Familien angewiesen und andererseits als ein großes historisches Ganzes auf die Darstellung ihres historischen Lebens in geeigneten Bildungsanstalten. Diese können theologischer Art sein und gegebenenfalls sogar vom Staat als Repräsentanten der Kirche gegründet werden, könnten aber auch allgemeine Anstalten geschichtlicher Bildung darstellen. „[Es ist] natürlich, daß die Anstalten für Erhaltung der geschichtlichen Tradition von der kirchlichen Gemeinschaft ausgehen. Wenn die geschichtliche Bildung bei allen in der Gesamtheit allgemein ist, so werden auch solche Anstalten nicht nötig sein, angesehen das unmittelbare Bedürfnis; aber sie werden infolge der Vereinigung der Kräfte zur Erleichterung der Fortentwicklung gegründet werden.“345

Damit unterstreicht Schleiermacher erneut die Selbstverständlichkeit christlicher Bildung. Es ist die religiöse Bildung, die die historische Tradition im Gemeinleben sicherstellt. Neben den theologischen Bildungsanstalten, respektive dem Religionsunterricht als Supplement der Familienerziehung, verweist Schleiermacher ebenfalls auf die teilweise analoge Funktion des christlichen Gottesdienstes: „Im christlichen Gottesdienst als Darstellung des religiösen Gesamtlebens ist das Zurückgehen auf die Schrift unerläßlich: so muß die Schrift, wenn sie nicht allen verständlich ist, verständlich gemacht werden; ebenso die geschichtliche Entwicklung des Christentums, 344 345

Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 116. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 129.

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199

wenigstens mit Beziehung auf die Hauptpunkte. Aus diesen beiden Elementen muß der Anteil der Kirche an der Erziehung konstruiert werden.“346 Daneben betont Schleiermacher, dass der reformatorische Charakter der evangelischen Kirchen und die damit einhergehende Modifikation der Gesinnung ein besonderes Interesse der Kirchen an der Erziehung hervorgerufen hat,347 wobei dies jedoch keine Veranlassung zu einer Sonderung, d. h. Differenz der Pädagogik, gebe, nicht zuletzt habe auch der Staat wegen der nationalen Einheit kein Interesse an einer solchen Differenz.348

Exkurs: Nationalliebe und Kirche „Religiöse Reden an preußische Patrioten“ (Johannes Bauer über Schleiermachers patriotische Predigten)349

Nicht von ungefähr wird Schleiermacher in Heinrich von Treitschkes „Deutscher Geschichte“, deren erster Band 1879 erscheint, ein entsprechender Ehrenplatz als der „politische Lehrer der gebildeten Berliner Ge346 347 348

349

Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 129. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 130. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 138: „Ebenso denken wir uns den Gegensatz zwischen Katholizismus und Protestantismus, als den bestimmten Formen der im Volk verbreiteten Religiosität, in seiner ganzen Schärfe und zugleich in seiner nationalen Sonderung, so kann man sagen, es müsse für ein durch und durch katholisches Volk eine andere Pädagogik geben als für ein durch und durch evangelisches, wenn sich beide in ihrem Charakter erhalten wollen und beide aufeinander wirken. Wenn aber der Gegensatz zwar da ist, aber so, daß man nicht entscheiden kann, ob er sich noch weiter entwickeln wird, überdies wenn die nationale Sonderung nicht mehr vorhanden ist, sondern in allen bedeutenden Volksmassen schon Zusammensetzung und in allen Volksklassen schon Glieder der beiden Gegensätze gemischt, dann wird eine solche Differenz der Pädagogik nicht mehr nötig sein, sondern es wird eine natürliche Polemik entstehen zwischen dem religiösen und dem politischen Interesse; von jenem, dem religiösen Interesse aus eine Polemik gegen die politische Einwirkung, welche, um die nationale Einheit zu vermehren, die Differenz in der Erziehung schwächen will; von dem politischen Interesse aus gegen die religiöse Einwirkung, welche diese Differenz steigert.“ Johannes Bauer, Schleiermacher als patriotischer Prediger. Ein Beitrag zur Geschichte der nationalen Erhebung vor hundert Jahren, Gießen 1908, 197. Nach Johannes Bauer stünden Schleiermachers patriotische Predigten mindesten gleichrangig neben Fichtes „Reden an die deutsche Nation“.

200

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sellschaft“ eingeräumt.350 Er wird neben Jahn, Arndt und Fichte zu den Gründungsvätern der deutschen Nationalbewegung gezählt.351 Schleiermacher zeichnet sich auch in seinen pädagogischen Texten durch eine nationale Bezogenheit auf das Vaterland aus, welche sich oftmals in der postulierten „Liebe zum Vaterland“ äußert.352 Zu den beiden notwendigen Momenten in der Pädagogik zählt Schleiermacher neben der allgemeinen Richtung die nationale Richtung.353 Ein „fremdartiger Einfluß“ müsse notfalls verhindert werden.354 Entsprechend geht es nach Schleiermacher in der Erziehung um die Repräsentation der Einflüsse „der Totalität des Nationallebens“, seine Kritik richtet sich gegen einen deutschen „Mangel an Einheit im Nationalleben“: „Unsere Kultur und Gesinnung ist auf Fremdes gepfropft.“355 Auch wenn Schleiermacher an dieser Stelle nicht die jüdische Kultur und Religion meint, sind diese für ihn letztendlich doch etwas Fremdes. Es ist auffälig, dass er in diesem Kontext vom „Aufpfropfen“ schreibt, tut dies doch auch der Apostel Paulus bereits im Römerbrief (11,17 ff.): „Wenn aber nun einige von den Zweigen ausgebrochen wurden und du, der du ein wilder Ölzweig warst, in den Ölbaum eingepfropft worden bist und teilbekommen hast an der Wurzel und an dem Saft des Ölbaums, so rühme dich nicht gegenüber den Zwei350

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Vgl. Heinrich von Treitschke, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Erster Teil: Bis zum Zweiten Pariser Frieden, Leipzig 9. Aufl. 1913, 301 f. Vgl. auch Christian Nottmeier, Zwischen Preußen und Deutschland. Nation und Nationalstaat bei Friedrich Schleiermacher, in: Andreas Arndt u. a. (Hg.), Christentum – Staat – Kultur. Akten des Kongresses der Internationalen Schleiermacher-Gesellschaft in Berlin, März 2006 (Schleiermacher-Archiv; 22), Berlin 2008, 337-354. Vgl. etwa Friedrich Schleiermacher, Über den Geschichtsunterricht in: ders., Texte zur Pädagogik. Kommentierte Studienausgabe, Bd. 1, hg. v. Michael Winkler/Jens Brachmann, Frankfurt am Main2000, 3-10, 10; ders., Ahtenaeumsfragmente, 14: „Liebe zum Vaterlande“. Vgl. zu der frühen Skizze Schleiermachers „Über den Geschichtsunterricht“ Jens Brachmann, Schleiermachers Kritik an der Aufklärungspädagogik, in: Andreas Arndt u. a. (Hg.), Christentum – Staat – Kultur. Akten des Kongresses der Internationalen Schleiermacher-Gesellschaft in Berlin, März 2006 (Schleiermacher-Archiv; 22), Berlin 2008, 459-474, 470-473. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Aphorismen zur Pädagogik, 203 (Nr. 14). Vgl. Friedrich Schleiermacher, Aphorismen zur Pädagogik, 206 (Nr. 45): „Zur Entwicklung der Nationalität darf nichts besonders geschehen, wenn sie in der alten Generation da ist, außer insofern fremdartiger Einfluß abgewehrt werden müßte.“ Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 240. Der Ausdruck des Aus- bzw. Einpropfens findet sich in diesem Kontext des Öfteren bei Schleiermacher; vgl. zum „Einpropfen irgendeines Fremden“, ders., Über den Beruf des Staates, 283.

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201

gen. Rühmst du dich aber, so sollst du wissen, daß nicht du die Wurzel trägst, sondern die Wurzel trägt dich.“

Schleiermachers bewusste oder unbewusste Anspielung verkehrt somit die Aussage des Paulus ins Gegenteil: Die bekannte Wurzel, die jüdische Religion, ist nun zum Fremden geworden. „Willkür in der Erziehung“ wäre durch eine „Nationalsitte“ zu beheben.356 Dazu passt der postulierte Gehorsam. „Gehorsam ist Basis des bürgerlichen Zustandes. Auch der beste Mensch im besten Staat muß bisweilen rein gehorchen.“357 Soll der Staat sich in die Erziehung einmischen, so geht es um eine nationale Erziehung in Hinblick auf eine „wahre Einheit“, um die Stiftung „eine[r] höhere[n] Potenz der Gemeinschaft und des Bewusstseins derselben“.358 „Aber früher oder später wird eine Zeit kommen, wo sie [die Regierung des Staates; M. B.] es fühlen wird, daß es notwendig ist, die Vielheit in eine wahre Einheit umzuprägen, jedem organischen Teile das Gefühl des Ganzen lebendig einzubilden und diesem Gefühl das des eigentümlichen Daseins unterzuordnen, damit nicht die Liebe zum Stamm und zum Gaue der Liebe zum Vaterlande entgegenstrebe.“359

Diese „wahre Einheit“ ist die „Nationaleinheit“, deren Bildung auch die Erziehung der Kirchen unterzuordnen ist.360 Dem fügen sich natürlich gut Schleiermachers antijüdische Einlassungen ein, da sie sich gegen ein Aufbrechen der Nationaleinheit durch die jüdische Religion wenden. Auf der anderen Seite kann er aber auch betonen, dass es in der Erziehungskunst liegen müsste, „die künftige Generation so zu bilden, daß die Anhänglichkeit an die Nationalität nicht zugleich Feindschaftlichkeit gegen alles außer derselben wäre“361. Gleichwohl müsse die nationale Gemeinschaft durch ein natürliches Band gehalten werden und dürfe nicht der Zerstreuung anheimgestellt werden. Damit ist und bleibt die Pädagogik weiterhin an einer bestimmten Nationalität orientiert.362 356 357 358 359 360 361 362

Vgl. etwa Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 265 f. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 267. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Über den Beruf des Staates zur Erziehung, 286. Friedrich Schleiermacher, Über den Beruf des Staates, 285. Friedrich Schleiermacher, Über den Beruf des Staates, 286. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 25. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 26.

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Nach Schleiermacher ist es ferner offenbar, „daß dem Menschen der eigentümliche Volkscharakter angeboren wird“363. Diese Annahme von der „Angehörigkeit an eine bestimmte Volkstümlichkeit durch die Geburt“ wirft die Frage nach der Reichweite und dem Einfluss von Erziehung auf – insbesondere auch deshalb, weil Schleiermacher in diesem Kontext betont, „daß die Natur immer wiederkehre“.364 Wenn es dann in den Vorlesungen von 1826 heißt, dass „jede Erziehungslehre, sobald sie anwendbar sein soll, sich nur in dem Gebiet einer Nationalität festsetzen könne“365, unterstreicht dies nur noch einmal den Nationalbezug in der Erziehung. Den üblicherweise als notwendig erachteten Bezug auf die eigene Nation gibt Schleiermacher scheinbar auf, wenn es um Kenntnis und Erwerb der alten Sprachen (gemeint sind wohl Latein und Griechisch) geht. Ihre bildende Kraft wird von Schleiermacher sehr hoch und über die eigene Nationalität hinausgehend eingeschätzt. Das klassische Altertum bildet für Schleiermacher – ganz im Gegensatz zur jüdischen Herkunftsreligion des eigenen Glaubens – das Fundament der eigenen Kultur.366 So überwiegt hier letztendlich der historisierende Aspekt, d. h. die Wertschätzung für die (griechische) Antike, und nicht so sehr der Gegenwartsbezug,367 obgleich er die römische und griechische Literatur für das gegenwärtige öffentliche Leben als bedeutsamer erachtet als die altdeutsche Literatur.368 Man könne eben

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Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 301: „Er liegt schon in der ganzen körperlichen Konstitution, in der Gestalt, in den Gesichtszügen; also selbst in den festen Teilen der Körperbildung, nicht nur in den Bewegungen und Übungen des Körpers, aus welchen man freilich am leichtesten die Landsmannschaft des Menschen erkennen kann, von denen man aber sagen könnte, daß sie aus der Erziehung hervorgegangen.“ Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 302. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 25. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 350. Die alten klassischen Sprachen bildeten das historische Fundament der Bildung. Die semitischen Sprachen seien von wesentlicher Differenz. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Votum zu Süverns Gesamtinstruktion, 186: „Die Kenntnis der alten Sprachen in einem solchen Umfange, in welchem allein sie wahre, durchgreifende Bildungsmittel sind, gehört nach meiner Überzeugung für alle diejenigen wesentlich, welche in einem gewissen Sine über der Nationalität stehen, also die gesamte Bildung des Volkes in seinem Zusammensein mit anderen und in seiner Abhängigkeit von früheren Zeitaltern auffassen und verstehen sollen.“ Vgl. ebenfalls ebd., 192 (zu § 19). Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 351.

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nicht gleichzeitig Deutscher und Grieche sein.369 Gegenüber der bildenden Kraft dieser alten Sprachen bleiben die von Schleiermacher angemahnten Kenntnisse des Hebräischen rein formal auf das Erlernen der Sprache als solcher beschränkt,370 „viel Heilsames“ kann Schleiermacher der Unterrichtssprache Hebräisch nicht abgewinnen. „Die hebräische Sprache als spezieller Gegenstand des Unterrichts gehört nicht in den Kreis der allgemeinen Bildung, sondern in ein technisches Gebiet.“371 Von einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Judentum ist nicht die Rede, der kulturgeschichtliche Aspekt wird hier vollkommen ausgeblendet, diese Bildung der Sprachkenntnis bleibt deshalb ganz äußerlich. Dem entspricht, dass in dem „Votum zum Entwurf Natorps über Volksschullehrerseminare“ unter dem Punkt „Realienkenntnisse“ die Notwendigkeit einer besonderen Kenntnis biblischer Geographie des Seminaristen bestritten wird.372 Die Wertschätzung der Antike bei gleichzeitiger Geringschätzung des Judentums spiegelt sich ebenfalls in den „Kollegs zur Hermeneutik“ wider. Schleiermacher subsumiert hier die neutestamentliche Sprache, die er in die „Periode des Verfalls“ einreiht, unter die Totalität der griechischen Sprache. Dieser Wertschätzung der klassischen Antike stellt er wiederum die mangelnden Fähigkeiten „der Juden“ gegenüber. „Die Fertigkeit aber, sich viele Sprachen kunstgemäß anzueignen, indem an dem allgemeinen Bilde der Sprache die Muttersprache und die fremde verglichen werden, ist ein Talent. Dieses Talent ist unter den Juden niemals bedeutend gewesen.“373 Der Wertschätzung der alten Sprachen entspricht die Wertschätzung der antiken Gymnastik, also der Jugend des Altertums, insbesondere der in den hellenis-

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370 371 372

373

Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 229: „Wenngleich Nachahmung des klassischen Altertums auch auf Verfall deutet, weil einer nicht zugleich kann ein Deutscher und ein Grieche sein, so erlauben wird doch in dieser Hinsicht manches, was wir gegen das koexistierende Fremde nicht erlauben. Dies kann seinen Grund nicht haben in einer größeren Vortrefflichkeit, sonder nur im geschichtlichen Zusammenhange, weil unsere Kultur auf jene gegründet ist.“ Vgl. Friedrich Schleiermacher, Votum zu Süverns Gesamtinstruktion, 189 f. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 351. Friedrich Schleiermacher, Votum zum Entwurf Natorps über Volksschullehrerseminare, in: ders., Texte zur Pädagogik. Kommentierte Studienausgabe, Bd. 1, hg. v. Michael Winkler/Jens Brachmann, Frankfurt am Main 2000, 180-184, versieht dies mit dem Kommentar, dass man ebenso gut auch jüdische Altertümer nötig finden könnte (181). Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Hermeneutik, 111 f. Vgl. ferner ebd., 87, zur Abwertung der kabbalistischen Auslegung.

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tischen Stadtstaaten.374 Während Schleiermacher die Vorzüge der klassischen Antike immer wieder hervorzuheben weiß, straft er das antike Judentum mit Nichtbeachtung bzw. Geringschätzung. Dies führt in den „Reden über die Religion“ dazu, dass er in der dritten Rede sogar die griechische Naturreligion lobend herausstellen kann,375 während er in der fünften Rede mit dem Judentum (und seiner Religion) scharf ins Gericht geht. Ferner hält Schleiermachers Wertschätzung der Antike ihn auch nicht vor unverhohlener Abqualifizierung Anderer zurück, wenn er auf die Disharmonie zu sprechen kommt, die von der „Volkserziehung“ hervorgerufen wird: „[D]ie Bildung auf der einen Seite wird uns vollkommen verleidet durch die Stumpfsinnigkeit auf der anderen Seite. Je mehr man sich den Gegenden nähert, wo es noch einen gewissen Einfluß der antiken Tradition geben kann, z. B. den südlichen Gebirgsländern, desto weniger finden wir diesen Kontrast; es ist da im Volke noch ein Sinn für schöne Formen geweckt und lebendig. Aber je mehr nach den sassischen und slavischen Gegenden hin, desto mehr verschwindet dieser Sinn.“376

Ebenso kann er an anderer Stelle die „Nationalliebe“ als beschränkt charakterisieren, wenn es um die entgrenzende allgemeine Liebe in der Kirche geht. „Die Nationalliebe ist aber eine beschränkte, ganz auf dem historischen Standpunkt. Die allgemeine ist in keinem Gesamtleben als nur in der Kirche; in dieser ist sie indirekt als Aufhebung der Nationalbeschränktheit, direkt als unbegrenztes Verbreitungsstreben eingesetzt. Die Art, wie der Zögling zuerst in die Kirche tritt, ist auch Ausfüllung der Lücke, denn sie schließt sich auch zunächst an das persönliche Bedürfnis an und erscheint als erweiterte Familie, sie fordert aber je länger je mehr auf, das Höhere in ihr zu finden, und nicht ohne Verschuldung bleibt es verborgen.“377

Unter der hier genannten Lücke versteht Schleiermacher den Raum zwischen der Familie und dem Staat, der zunächst durch die Schule ausgefüllt 374 375

376 377

Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 289. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Reden [1. Aufl.], 262: „So wurde durch die älteren Weisen und Dichter der Griechen die Naturreligion in eine schönere und fröhlichere Gestalt umgewandelt, und so erhob ihr göttliche Plato die heiligste Mystik auf den höchsten Gipfel der Göttlichkeit und der Menschlichkeit.“ Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 287. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1813/14, 247.

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wird, als eine Art „erweiterte Familie“. Dass Schleiermacher dann die Rolle der Kirche ebenfalls als „erweiterte Familie“ beschreibt und sie über die Nation stellt und von dieser absetzt, zeugt noch einmal mehr von der einzigartigen Bedeutung ihrer selbst. Wenn die Kirche so absolut gesetzt und noch über den Staat gestellt wird, dann muss das auch einschlägige Folgen für Schleiermachers Verständnis von Bildung haben. Wenn die Kirche neben der Schule als „erweiterte Familie“ verstanden wird, so wird damit auch ihr Bildungsauftrag hervorgehoben. Als unbestimmtes „Supplement“ zu Staat und Kirche betrachtet Schleiermacher das „gesellige Leben, das Gebiet der unmittelbaren persönlichen Einwirkungen, in dem es jeder mit jedem zu tun hat“.378 In seiner Unbestimmtheit verspricht dieses Gebiet grundsätzlich eine gewisse Offenheit. „Jeder, mag er sich zu den anderen Gebieten so oder anders verhalten, kann in dieses Gebiet hineingezogen werden, selbst auch der Fremde; denn die Fremden aus dem Verkehr auszuschließen ist Rohheit und Barbarei.“379 Auch wenn der Fremde zunächst als solcher nicht ausgeschlossen werden soll, bleibt dies doch in der Folge seine „fremde“ Ansicht, wie Schleiermacher an anderen Stellen immer wieder betont. Schleiermacher kann zwar in der „Theorie des geselligen Betragens“ an einer Stelle von der grundsätzlichen Möglichkeit eines freien Spiels intellektueller Tätigkeit sprechen,380 aber letztendlich bleibt sein Denken doch im christlichen Rahmen verhaftet. Die Toleranz bleibt auf die Form der Geselligkeit beschränkt und endet letztendlich beim Inhalt bzw. ohne veränderungsbedingte Konsequenzen für die beiden anderen Gebiete Staat und Gesellschaft. In den Vorlesungen von 1826 thematisiert Schleiermacher dann die Frage nach potentiellen Widersprüchen zwischen den verschiedenen Gemeinschaften: „Es kommt darauf an, daß zwischen diesen Anforderungen für den Staat, die Kirche, das gesellige Leben und das Erkennen zu erziehen, nicht ein Widerspruch stattfinde. Wie oft aber tritt uns das nicht entgegen, daß zwischen den verschiedenen Gemeinschaften eine wirkliche oder scheinbare Disharmonie obwaltet. Denn so wie die Gemeinschaften Staat

378 379 380

Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 299. Friedrich Schleiermacher, Auszüge Vorlesungen 1820/21, 299. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Theorie des geselligen Betragens, in: ders., Texte zur Pädagogik. Kommentierte Studienausgabe, Bd. 1, hg. v. Michael Winkler/Jens Brachmann, Frankfurt am Main 2000, 15-35, 26.

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und Kirche in ein Verhältnis des Misstrauens zueinander treten, so dass der Staat glaubt, was in der Kirche geschieht gereiche ihm zum Schaden oder umgekehrt.“381

Schleiermacher führt diese „Widersprüche zwischen den einzelnen Gemeinschaften“ auf „unvollkommene Zustände derselben“ zurück. Er verweist auf die Aufgabe der wissenschaftlichen Ethik, Auskunft über die verschiedenen sittlichen Lebensgebiete und ihr Verhältnis zueinander zu geben, um dann auf ihr Desiderat zu kommen: „Was der wissenschaftlichen Darstellung fehlt, muß der Glaube supplieren, der aber auch hier nichts anderes ist, als das lebendige innere Bewußtsein von der Wahrheit des Strebens, die sittlichen Gemeinschaften zu gestalten, der Idee des Guten gemäß.“382 Dabei geht Schleiermacher davon aus, dass ein Ausgleich aller Differenz möglich sei. „Die verschiedenen Gebiete menschlicher Gemeinschaft würden übereinstimmend sein, wenn sie ihrer Idee entsprächen.“383 Unter Bezugnahme auf Platon stellt Schleiermacher wie bereits in seiner Abhandlung „Über den Beruf des Staates die Erziehung“ als Hauptsache heraus und nennt infolgedessen die Theorie der Erziehung das Prinzip, „wovon die Realisierung aller sittlichen Vervollkommnung ausgehen muß. Für das menschliche Leben, für die gesamte menschliche Bildung gibt es nichts Bedeutenderes als Vollkommenheit der Erziehung. Die Fehler in der Erziehung bestärken die menschlichen Unvollkommenheiten. Würde man in der Erziehung nicht mehr den richtigen Weg verfehlen, so würden alle Schwierigkeiten, die sich in allen Gebieten der menschlichen Gemeinschaften so leicht einfinden, verschwinden.“384

Schleiermacher weiß jedoch durchaus auch um die unterschiedlichen Bestrebungen von Staat und Kirche auf der politischen Ebene. Der Staat hat um der nationalen Einheit willen kein Interesse an einer ihn schwächenden Differenz der Pädagogik, die in den konfessionellen Differenzen begründet ist, während sich das religiöse Interesse wiederum gegen eine solche politische Einwirkung wendet.385 Schleiermacher sieht das Verhältnis zwischen den großen Lebensgemeinschaften insbesondere dann getrübt, wenn der Staat mit Hilfe der religiösen Gesinnung die politische zu unterstützen 381 382 383 384 385

Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 32. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 33. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 33. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 36. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 138.

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trachtet: „Wo aber die Regierung die religiöse Gesinnung in Anspruch nimmt, um die politische zu unterstützen, da werden auf mannigfache Weise die Verhältnisse getrübt, jene Indifferenz hört auf, ein Zwiespalt tritt ein, nicht nur zwischen den Familien und dem Staate, ja auch zwischen Kirche und Staat in ihrem Einfluß auf die Erziehung.“386 In diesem Punkt stellt sich aber die Frage, ob nicht dies genau – nun im umgekehrten Sinne – auch von Schleiermacher hinsichtlich der Emanzipationsforderung der Juden intendiert wird, indem religiöse Motive zur Abwehr eines letztlich politischen Gesuches angeführt werden. Nach Schleiermacher soll die religiöse Gemeinschaft frei handeln können, ohne dass hier eine fremde Bedingung irgendwie mitbestimmend wäre. „In dieser Beziehung ist es bei uns noch nicht, wie es sein sollte; es sind bei uns in bezug auf den Eintritt in die religiöse Gemeinschaft noch fremdartige Bedingungen. Der Staat verlangt erfolgte Aufnahme in die religiöse Gemeinschaft, wenn der einzelne im bürgerlichen Leben diese oder jene Stellung einnehmen will […] Solange es nun bei uns so steht, wie es steht, daß wir an jene fremdartigen Bedingungen gebunden sind, kann von der Erziehung aus nichts anderes geschehen, als daß sie ihren Einfluß möglichst verstärkt, damit in der Jugend religiöse Gesinnung entwickelt und jene Gleichgültigkeit gegen die religiöse Gemeinschaft verhütet werde.“387

Einerseits räumt Schleiermacher der religiösen Gemeinschaft die Priorität ein und verwehrt sich gegen eine staatliche Einmischung. Wie die „Briefe“ zeigen, ist er zudem aus antijüdischen Gründen gegen eine Konversion der Juden. Andererseits ist für Schleiermacher das oben genannte Postulat des Staates aber auch Grund genug, die religiöse Erziehung intensivieren zu wollen. Dass der Staat für bestimmte Berufe und Ämter die christliche Konfession voraussetzt, führt bei Schleiermacher folglich nur dazu, die christliche Erziehung der Jugend forcieren zu wollen, nicht aber diese für die Juden und damit in Hinblick auf ihre potentielle Konversion öffnen zu wollen. Vor diesem Hintergrund der insbesondere antijüdischen Einlassungen Schleiermachers wird somit verständlich, warum er in der nationalen Bewegung aufgehen konnte.388 Seine Ausführungen zeigen, dass dem Nationalis386 387 388

Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 142. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 173. Vgl. auch Otto Dann, Schleiermacher und die nationale Bewegung, in: Kurt-Victor Selge (Hg.), Internationaler Schleiermacher-Kongreß Berlin 1984 (Schleiermacher-Archiv; 1,1/1,2), Berlin 1985, 1107-1120, 1107: „Es ist nach dem Erleben des deutschen Natio-

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Schleiermacher und die „Menschenbildung“

mus als einem zentralen Definitionsmerkmal von Bürgerlichkeit auch in Bezug auf die Juden eine große Bedeutung zukommt. Fatalerweise manifestiert sich dann in den Nationalerziehungsplänen das politische Bewusstsein des sich emanzipierenden Bürgertums, das die notwendigen Voraussetzungen für die angestrebte nationalstaatliche Entwicklung durch Bildung und Erziehung schaffen will.389

389

nalismus im 20. Jahrhundert nicht ohne weiteres nachzuvollziehen, wie ein noch heute geachteter Gebildeter dermaßen in der nationalen Bewegung aufgehen konnte. Noch schwieriger wird dies, wenn man den Umstand hinzunimmt, daß Schleiermacher sein Engagement als protestantischer Theologe einging und es auf Engste mit seinem religiösen Selbstverständnis verband, so daß seine Hinwendung zum Nationalismus offensichtlich nicht mit einer Abwendung vom Christentum verbunden war, nicht als ein Akt der Säkularisierung verstanden werden kann.“ Vgl. auch Heinz Stübing, Nationalbildung und Nationalerziehung. Zur politischen Funktion nationalpädagogischer Programme in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Karl Neumann/Reinhard Uhle (Hg.), Pädagogik zwischen Reform und Restauration, Weinheim 2001, 55-70, 67.

IV

ERTRAG UND AUSBLICK

IV.1 Ertrag „Wir haben es mit der christlichen Welt zu tun.“1 (Friedrich Schleiermacher)

Die Unzulänglichkeit des nach Schleiermachers „Reden“ für die jüdische Religion konstitutiven „Reiz und Gegenwirkung“-Schemas2, und d. h. auch der Strafe, spiegelt sich in seinen Ausführungen über Erziehung und Bildung wider. In der Glaubenslehre werden die für die jüdische Religion charakteristischen Tätigkeiten „Belohnung und Strafe“ den „Bildungsmitteln“ gegenübergestellt. Es ist mehr als auffällig, dass die negativen zur Charakterisierung des „Judaismus“ herangezogenen Attribute die gleichen Attribute sind, die Schleiermacher verwendet, um unzulängliche Erziehungsvorstellungen zu beschreiben. Die positiven Attribute, die er zur Erläuterung des Christentums anführt, wie Lebendigkeit, Tiefe etc., finden sich demgegenüber in der Beschreibung idealer Bildungsprozesse wieder. Dass Schleiermacher hier in entsprechenden Analogien denkt, wird offensichtlich, wenn er entwicklungsbezogene und damit dem Kontext der Pädagogik entlehnte Begriffe direkt auf die einander gegenübergestellten Religionen überträgt. Während sich gemeinhin ein Kind entwickeln soll und es sich auch nach den Theorien religiöser Entwicklung bzw. religiöser Urteilsbegründung 1 2

Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 162. Vgl. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern [1. Aufl.], 315. Dem Wechselspiel von „Reiz- und Gegenwirkung“ entsprechend ist die von Schleiermacher hervorgehobene „dialogische“ Komponente in diesem Zusammenhang auch nicht positiv zu verstehen. Diese entspricht vielmehr dem unterstellten Tun-Ergehen-Zusammenhang, nach dem Gott auf das Verhalten des Menschen „belohnend, strafend, züchtigend“ erscheine. Dass hier „paradoxerweise avant la lettre einer dialogischen, kommunikationstheoretischen Fassung des Glaubens jeglicher Boden entzogen [wird]“, merkt Micha Brumlik an. „Die eigentümliche Gleichsetzung von ‚Vergeltung‘ und ‚Dialog‘ stellt nicht nur den Schöpfungsglauben in Frage, sondern auch die Personalität Gottes.“ Micha Brumlik, Deutscher Geist und Judenhaß. Das Verhältnis des philosophischen Idealismus zum Judentum, 149.

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darum handelt, zur Autonomie zu erziehen, geht es Schleiermacher in seiner Charakterisierung – ganz im Gegenteil – nur um die Bewertung und das heißt schlussendlich um die Abwertung des „Judaismus“. Judentum und schlechte Erziehung erfahren in den entsprechenden Analogien somit eine negative Konnotation. Der Antijudaismus Schleiermachers ist auch in seine pädagogischen Reflexionen eingegangen, indem er die Grundmuster seines Denkens und seiner begrifflichen Anlage beeinflusste. Einerseits spiegelt sich das für Schleiermachers Antijudaismus typische antagonistische Denken in seinen Ausführungen über Erziehung und Bildung wider, andererseits tritt der theologische und soziale Antijudaismus ganz offensichtlich zutage, wenn Schleiermacher etwa eindeutig eine vermeintliche Rücksichtnahme auf „etwaige jüdische Zöglinge“ im Religionsunterricht zurückweist. Bedenkt man Schleiermachers Funktionen in der Bildungsverwaltung,3 ist seine Position zum Religionsunterricht nicht nur bedeutend, sondern auch maßgeblich.4 Indem Schleiermacher sich eindeutig für einen ausschließlichen christlichen Religionsunterricht ausspricht, trägt er nicht nur zur Beendigung der Diskussion darüber bei, ob es überhaupt einen schulischen Religionsunterricht geben müsse oder ob die religiöse Erziehung der Familie oder Kirche überlassen bleiben müsse, sondern auch wesentlich zur Etablierung eines christlich bestimmten schulischen Religionsunterrichts. Bekanntlich hat dieser Diskurs über den Religionsunterricht nichts an Aktualität eingebüßt. Allerdings ist der zentrale Widerspruch der durch Schleiermacher etablierten Position, dass nämlich eine sich öffentlich und allgemeinbildend verstehende Schule ausschließlich auf einen christlich bestimmten Religionsunterricht festgelegt und darin beschränkt wird, zu Schleiermachers Lebzeiten gar nicht erst thematisiert worden. Insofern ist Schleiermachers Pädagogik, die sich nicht nur durch Verselbstständigung, sondern auch durch die Forderung nach einer Verstärkung der realwissenschaftlichen Fächer im Gymnasium auszeichnet, allerdings nur eingeschränkt modern im Sinn der pädagogischen

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Vgl. auch Ingrid Lohmann, Über den Beginn der Etablierung allgemeiner Bildung. Friedrich Schleiermacher als Direktor der Berliner wissenschaftlichen Deputation. Vgl. auch die umfangreichen Studien Franz Kades zum Einfluss Schleiermachers auf das preußische Bildungswesen: Franz Kade, Schleiermachers Anteil an der Entwicklung des preußischen Bildungswesens von 1808-1818, 46 ff.

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Historiographie zu nennen.5 Ebenso bleibt fraglich, ob Schleiermachers Theorieangebot somit noch eine „überraschende Aktualität“ auszeichnet, wie dies Michael Winkler in Hinblick auf Schleiermachers Beitrag zur preußischen Erziehungsreform konstatiert.6 Jüdische Religion und jüdische Erziehung haben nach Schleiermachers Überlegungen keine genuin eigene Existenzberechtigung. Diese Position Schleiermachers wird von den ihm nachfolgenden Generationen dann in selbstverständlicher Weise vertreten, und etwa 100 Jahre später ist es der an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität lehrende Philosophie- und Pädagogik-Professor Friedrich Paulsen (1846-1908), der als adäquate Reaktion auf den Antisemitismus auf die Notwendigkeit einer „vollständige[n] Assimilierung der Juden“ verweist, denn die Juden könnten nur dann gleichberechtigte Bürger werden, wenn sie „aufhören, Juden sein zu wollen“.7 Obwohl Schleiermacher auch der jüdischen Erziehung als solcher in seinen „Briefen bei Gelegenheit“ eine große, weil prägende Bedeutung beimisst, teilt er in Bezug auf die Judenemanzipation gerade nicht den Erziehungsoptimismus seiner Zeit. Das ist auf den ersten Blick umso erstaunlicher, da Schleiermacher der Erziehung eine derart gewichtige Bedeutung einräumt, dass ihr gegenüber die Politik im Prozess der Liberalisierung und Demokratisierung des Gemeinwesens nur einen subsidiären Dienst leisten kann.8 Zudem akzeptieren auch die meisten Aufklärer wie Schleiermacher die Juden nicht als Juden, sondern verlangen vielmehr ihr gänzliches Aufgehen in der christlichen Gesellschaft. Schleiermachers Haltung wird verständlich vor dem Hintergrund seines antagonistischen Denkens, das Christentum und Judentum ausschließlich in einen Gegensatz zueinander stellt. Schleiermacher spricht sich gegen eine Konversion der Juden zum Christen5

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Das bleibt unberücksichtigt bei Christoph Lüth, Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher. Zur Grundlegung der modernen Pädagogik, 61. Vgl. Michael Winkler, Schleiermachers Beitrag zur preußischen Erziehungsreform, 497. Vgl. Friedrich Paulsen, System der Ethik mit einem Umriß der Staats- und Gesellschaftslehre, 2 Bde., Stuttgart 1921, 558; 561. Vgl. auch Brigitta Fuchs, Das Verhältnis von Staat und Erziehung nach Schleiermacher, in: Andreas Arndt u. a. (Hg.), Christentum – Staat – Kultur. Akten des Kongresses der Internationalen Schleiermacher-Gesellschaft in Berlin, März 2006 (SchleiermacherArchiv; 22), Berlin 2008, 475-494, 482: „Schleiermacher lässt keinen Zweifel darüber aufkommen, dass er seine Hoffnung auf die Realisierung der demokratischen Prinzipien von Freiheit und Gleichheit an eine grundlegende Reform des Erziehungs- und Bildungswesens knüpft.“

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tum aus, weil er infolgedessen ein judaisierendes Christentum befürchtet. Und weil er den bleibenden Einfluss der jüdischen Erziehung auch noch über Generationen hinweg befürchtet („Briefe bei Gelegenheit“), wendet er sich schlussendlich ebenfalls gegen eine Akkulturation der Juden. Er steigert somit seine Bedrohungs- und Überfremdungsängste vor einem judaisierenden Christentum noch, indem er eine grundsätzliche Überfremdung durch die Juden zu befürchten scheint. Die darin zum Ausdruck kommende Wertschätzung der jüdischen Erziehung, die letztendlich auch vor dem Hintergrund der von ihm herausgestellten Bedeutung der Familie für die Erziehung und des Verhältnisses der älteren zur jüngeren Generation für das pädagogische Grundverhältnis erfolgt, kann von Schleiermacher aufgrund seines antagonistischen Denkens letztendlich nicht positiv verortet werden. Schleiermachers Würdigung der jüdischen Erziehung als solcher mündet fatalerweise nicht in ein Plädoyer individueller Akkulturation durch Bildung, welche auch in kritischer Distanz zur eigenen Religions- und Weltanschauung erfolgen könnte. Nach Schleiermacher ist die Thematisierung von Erziehung nicht auf diese als solche zu beschränken, sondern hat immer auch in Hinblick auf das Gesamtleben von Staat, Kirche, geselligem Verkehr und Wissenschaft zu erfolgen. Indem er den gesellschaftlichen wie auch den geschichtlichen Aspekt von Erziehung berücksichtigt, überwindet er das ahistorisch gedachte Erzieher-Zögling-Modell. Die klassische pädagogische Annahme, dass die Erziehung ihre Ziele der Ethik zu entnehmen hat und die pädagogische Einwirkung als zielorientiertes sittliches Tun zu verstehen ist, teilt Schleiermacher nicht mehr, da er weder von einer allgemeingültigen Ethik noch von einer allgemeingültigen Anthropologie ausgeht. Eine Theorie der Erziehung hat vielmehr zu berücksichtigen, dass die anthropologischen Voraussetzungen in Hinblick auf Gleichheit und Verschiedenheit nicht eindeutig zu benennen sind. Anstelle einer allgemeingültigen Ethik tritt nun die Orientierung am sittlichen Leben, welches durch die die Gesellschaft konstituierenden Gemeinschaften angezeigt wird. Da die Pädagogik auf der Einsicht des sittlichen Lebens beruht, legitimiert sich Erziehung dann als ethisches Handeln, wenn sich in ihr der sittliche Standpunkt der Gesellschaft widerspiegelt. In Schleiermachers pädagogischen Reflexionen tritt also der Individualitätsbildung bzw. der „Herausbildung der Eigenthümlichkeit“ als des einen zentralen Moments des Erziehungsgeschehens die „Hineinbildung in das

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gemeinsame Leben“ als das andere zentrale Moment an die Seite.9 Wenn nun die „Herausbildung der Eigenthümlichkeit“ auf die „Hineinbildung in das gemeinsame Leben“ bezogen bleibt, so ist der Einzelne jeweils in Hinblick auf sein Eingebundensein in die sittlichen Formen zu berücksichtigen. Dabei ist zu bedenken, dass die von Schleiermacher immer wieder genannten Gemeinschaften des Staates, der Kirche, des geselligen Verkehrs und des wissenschaftlichen Vereins, die die Gesellschaft konstituieren, nicht einfach nebeneinander stehen, sondern sich vielmehr als sittliche Formen gegenseitig bestimmen, wobei das christlich bestimmte Allgemeine den Horizont des Möglichen aufzeigt und vor allen Dingen begrenzt. Auch wenn Schleiermacher weder eine allgemeingültige Ethik noch eine allgemeingültige Anthropologie voraussetzt, bestimmen sich die sittlichen Formen in ihrer Sittlichkeit immer und ausschließlich in der Perspektive einer christlichen Anthropologie und das heißt, dass jene Sittlichkeit, die vor einem christlich bestimmten Allgemeinen nicht bestehen kann, als unakzeptabel ausgeschlossen bzw. aufgrund dessen überhaupt gar nicht erst als Sittlichkeit anerkannt wird. Es sind nicht zuletzt Schleiermachers Ausführungen zum Judentum, die zeigen, dass die „Herausbildung der Eigenthümlichkeit“ eben nicht die „Hineinbildung in das gemeinsame Leben“ fundiert, sondern vielmehr durch diese ihre Begrenzung und ggf. auch ihre Einschränkung erfährt. Die Exklusion der Juden in Schleiermachers politischen Einlassungen und theoretischen Reflexionen zeigt vielmehr, dass die gemeinhin in der Erziehungswissenschaft vertretene Auffassung von Schleiermachers wissenschaftlich-dialektischer Grundhaltung und damit seiner entschiedenen Zurückhaltung gegenüber der Praxis in sämtlichen ethischen, politischen und nicht zuletzt in pädagogischen Fragen nicht mehr uneingeschränkt geteilt werden kann,10 sondern vielmehr einer Problematisierung bedarf.

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Dass eine pädagogische Handlungstheorie in ihren Fragestellungen nach wie vor sowohl die Grundbegriffe der individuellen Seite pädagogischen Handelns als auch die Grundbegriffe der gesellschaftlichen Seite pädagogischer Interaktionen zu berücksichtigen hat, stellt Dietrich Benner heraus. Vgl. Dietrich Benner, Allgemeine Pädagogik, Weinheim 4. Aufl. 2001, 128; ders., Über die Unmöglichkeit, Erziehung allein vom Grundbegriff der „Aufforderung zur Selbsttätigkeit“ her zu begreifen. Eine Erwiderung auf Alfred Langewand, in: Zeitschrift für Pädagogik 49 (2003), 290-304, 302. Vgl. etwa Johanna Hopfner, Das Subjekt im neuzeitlichen Erziehungsdenken. Ansätze zur Überwindung grundlegender Dichotomien bei Herbart und Schleiermacher, Weinheim 1999, 211.

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So mag ein allgemeiner Überblick über die Pädagogik-Vorlesungen zwar ergeben, dass Aussagen über religiöse Erziehung und Religionsunterricht nicht im Vordergrund stehen und hinter Fragen der allgemeinen Pädagogik zurücktreten,11 aber diese Feststellung verbleibt auf der rein quantitativen Ebene, während auf der qualitativen Ebene die Fragen der allgemeinen Pädagogik durchaus vor dem Hintergrund eines christlich bestimmten Allgemeinen verhandelt werden. Wenn es ferner die nahezu ausschließliche Aufgabe einer der vier sittlichen Formen, nämlich der Kirche, ist, auf die Gesinnung einzuwirken, so zeigt sich daran die Ambivalenz des Schleiermacher’schen Gesinnungsaspekts. Das Bildungsmittel, anhand dessen die Entwicklung der Gesinnung aufgezeigt wird, ist für Schleiermacher die Religion und in Bezug auf die Schule der Religionsunterricht.12 Dass Schleiermacher nicht nur als führender protestantischer Theologe, sondern auch als Mitglied der preußischen Bildungsverwaltung die Religion als ein wesentliches Moment in die klassische moderne Bildungsauffassung einführt, impliziert fatalerweise die Exklusion der Juden. Denn Schleiermacher geht es nicht etwa um eine allgemeine Vernunftreligion, sondern ausdrücklich um die christliche Religion, auf welche die Entwicklung der Gesinnung innerhalb der Bildungsprozesse auszurichten ist. Diese nicht nur allein von Schleiermacher eindrücklich vertretene Auffassung, die Gesinnungsbildung ausschließlich an das Christentum zu binden, führt von Anfang an zur Diskriminierung der Juden in der sich neu konstituierenden bürgerlichen Gesellschaft. Deshalb sind jene Bestrebungen auf jüdischer Seite, ein gesinnungsbildendes Allgemeines bzw. eine „Eigenkultur“ von der jüdischen Religion bestimmten zu lassen, auch nicht mit dem christlichen Ansinnen vergleichbar, da diese Versuche keinen diskriminierenden Charakter aufweisen. Weil die religiöse Gesinnung der Juden als minderwertig erachtet wird, wird ihnen der Zugang zu bestimmten Staatsämtern und dem öffentlichen

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So das Fazit Christiane Ehrhardts, Religion, Bildung und Erziehung bei Schleiermacher. Eine Analyse der Beziehungen und des Widerstreits zwischen den „Reden über die Religion“ und den „Monologen“, 274. Vgl. auch Michael Winkler, Geschichte und Identität. Versuch über den Zusammenhang von Gesellschaft, Erziehung und Individualität in der „Theorie der Erziehung“ Friedrich Daniel Ernst Schleiermachers (Erlanger pädagogische Studien), Bad Heilbrunn/Obb. 1979, 122: „Wenn der Erzieher nur mehr Repräsentant des gesellschaftlichen Ganzen ist, dann beruht die pädagogische Wirkung wesentlich auf den sozialen Mechanismen selbst.“

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Lehramt verwehrt.13 Damit exemplifiziert sich darin Schleiermachers Auffassung, dass die strikte Egalität der Menschen, die sich im protestantischen Christentum als kirchliches Organisationsprinzip zur Geltung gebracht hat, ihre politische Auswirkungen zeigt, auf eine ganz eigene Art und Weise. Dass Schleiermachers Denken von Antagonismen, Gegensätzen und Polaritäten bestimmt ist, lässt die grundsätzliche Problematik dieses Denkens deutlich werden, nicht nur in theologischer, sondern auch in erziehungswissenschaftlicher Hinsicht. Denn das Verdienst Schleiermachers, dass er versucht, in seiner Erziehungstheorie dem neuzeitlichen Prinzip der Subjektivität gerecht zu werden, hat seine Kehrseite darin, dass diese Subjektivität in ihrem Bezug auf die „Hineinbildung in das gemeinsame Leben“ doch nur vor dem Hintergrund einer ihr letztendlich gegenübergestellten Gemeinschaft verstanden werden kann, die in Bezug auf Sittlichkeit und Gesinnung Interessen vertritt, welche gegenüber der Eigentümlichkeit des Menschen divergieren können und so die Subjektivität in ihrer Eigentümlichkeit letztendlich wieder konterkarieren. Denn wenn die individuelle Selbstwerdung nur durch den Prozess der eigenen Lebensgeschichte und die Vergewisserung des individuellen Selbst lediglich im Blick auf diese Geschichte möglich ist, so führt eine Beschränkung der Lebensgeschichte zur Einschränkung und schlimmstenfalls zur Verhinderung der individuellen Selbstwerdung.14 Wenn Schleiermacher die erzieherische Einwirkung auf den Einzelnen vor dem Hintergrund seiner zu realisierenden Vergesellschaftung expliziert und Erziehung für die Gemeinschaft nur in Gemeinschaft möglich ist, dann stellt sich zudem die Frage, wie nach einer solchen Erziehungstheorie über13

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Vgl. darüber hinaus auch Barbara Strenge, Juden im preußischen Justizdienst 1812-1918. Der Zugang zu den juristischen Berufen als Indikator der gesellschaftlichen Emanzipation (Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin; Bd. 81), München 1996. Vgl. auch Ursula Frost, Das Bildungsverständnis Schleiermachers und Humboldts im Kontext der Frühromantik, in: Ulrich Barth/Claus-Diether Osthövener (Hg.), 200 Jahre „Reden über die Religion“. Akten des 1. Internationalen Kongresses der SchleiermacherGesellschaft in Halle, 14.-17. März 1999 (Schleiermacher-Archiv; 19), Berlin 2000, 859877, 873: „Von einem entelechischen Bildungsmodell wie bei Humboldt kann bei Schleiermacher nicht die Rede sein. Die Geschichte leistet vielmehr einen konstitutiven Beitrag zum Individualisierungsprozeß. Das zeigt sich letztlich auch daran, daß die Bildung nicht bloß nach einem Mehr oder Weniger der Verwirklichung einer Anlage zu bemessen ist, sondern daß der Bildungsprozeß als solcher riskant ist, weil dabei ein sinnvolles Selbstseinkönnen überhaupt auf dem Spiel steht.“

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haupt eine auf Mündigkeit zielende Erziehung vorstellbar wäre von Menschen, die per se aus der bürgerlichen Gemeinschaft ausgeschlossen sind. In der Erziehungswissenschaft werden diese systematischen Grenzen der Erziehungstheorie Schleiermachers zwar durchaus kritisch diskutiert, allerdings ist dabei nicht zu übersehen, dass der Blick auf das Judentum ausgespart bleibt.15 Das ist umso erstaunlicher, als in der historischen Bildungsforschung die nationale Fixierung der theoretischen Reflexion über Bildung und Kultur ebenso wenig zu übersehen ist wie die Konzentration der historischen Forschung auf die preußisch-deutschen Verhältnisse.16 Es ist deshalb auch nicht erst die radikale Pluralisierung ethischer Grundsätze im postmodernen Diskurs, die die Grenze der pädagogischen Theorie Schleiermachers aufzeigt,17 sondern vielmehr die vor dem Hintergrund seines antagonistischen Denkens erfolgte ideologiepolitische Exklusion der Juden aus der sozialen Gemeinschaft. Diese Exklusion zeigt, dass der Universalitätsanspruch der klassischen Bildungstheorie nie eingelöst wurde, sondern sich darin vielmehr ein Grundprinzip der bürgerlichen Subjektivität, die Kälte, widerspiegelt.18 Der Diskurs über die Ambivalenzen des klassischen Bildungsverständnisses19 wäre deshalb um die Problematisierung dieser Exklusion zu erweitern.

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Vgl. etwa Jens Brachmann, Friedrich Schleiermacher. Ein pädagogisches Portrait, 114 f.: „Weil Schleiermacher nämlich auf die symbolisierende und organisierende Tätigkeit des Vernunfthandelns vertraut, ist ihm der je aktuelle gesellschaftliche Status quo durch den bisherigen Geschichtsverlauf verbürgt und als der beste aller Zustände des ursprünglich chaotischen Gesamtlebens legitimiert. Weil nach dieser Überzeugung nur jeder an dem ihm gemäßen Platz zum ‚Werden des Sittlichen‘ beitragen kann, gefährdete eine überzogene [sic! M. B.] Berücksichtigung der Interessen der Frauen und unterprivilegierten Stände die Existenz der Gemeinschaft insgesamt, zumindest aber das schon Erreichte.“ Dabei ist auch zu beachten, dass der Ausschluss von Juden auf einem anderen Grundprinzip beruhte als die Nichtzulassung von Frauen. Vgl. auch Shulamit Volkov, Die Verbürgerlichung der Juden in Deutschland, 127. Vgl. auch Heinz-Elmar Tenorth, Historische Bildungsforschung, in: Rudolf Tippelt (Hg.), Handbuch Bildungsforschung, Opladen 2002, 123-139, 132. So Christoph Lüth, Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher. Zur Grundlegung der modernen Pädagogik, 62. Vgl. auch Theodor W. Adorno, Negative Dialektik, Frankfurt am Main 5. Aufl. 1988, 355 f. Vgl. dazu etwa Peter Drewek u. a. (Hg.), Ambivalenzen der Pädagogik. Zur Bildungsgeschichte der Aufklärung und des 20. Jahrhunderts, Weinheim 1995.

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Schleiermachers Anmerkungen zur Strafe und zur Lesefertigkeit zeigen, dass diese im Wesentlichen durch seine theologischen bzw. religionspädagogischen Positionen bestimmt sind. Dabei folgen die Einwände gegenüber der Strafe nicht einem Humanisierungsgedanken, sondern reinen Nützlichkeitserwägungen. Denn wenn wiederholtes Strafen nur zu Widerstand und Verstockung führt, erfüllt die Strafe letztendlich nicht mehr ihren Zweck. Darüber hinaus geht es Schleiermacher auch gar nicht darum, Einwände gegen das Aushalten körperlicher Schmerzen vorzutragen. Da er ein solches Ertragen der Jugend vielmehr nahelegt, während er Weichheit und Feigheit als unzweckmäßig abtut, ist es jedoch mehr als fraglich, ob Schleiermacher, eine „Lanze für eine humanere Erziehungspraxis“ bricht,20 indem er die erzieherische Einflussnahme nicht mit einer Gegenwirkung gleichzusetzen trachtet. Die Notwendigkeit der Lese- und Schreibfertigkeit folgt ebenfalls genuinen Nützlichkeitserwägungen. Dass nach Schleiermacher des Lesens unkundige Kinder dennoch am gemeindlichen Religionsunterricht teilnehmen, dass Kinder nicht körperlich bestraft werden sollten und dass die religiöse Bildsamkeit nicht verwehrt werden sollte, zeigt aber auch, dass Schleiermachers vielgestaltige Anregung, das Leben unter christlichem Anspruch neu zu organisieren, wie es Juliane Jacobi – allerdings in Bezug auf den Halleschen Pietismus – betont, „gleichzeitig für die Pädagogik die Funktion gehabt hat, Gedanken und Organisationsformen von Erziehung zu entwickeln, die zu deren Loslösung von Theologie und Kirche führten“21. Schleiermacher entfaltet auch seine pädagogischen Reflexionen vor dem Hintergrund einer christlichen Anthropologie. Vor diesem Hintergrund kann aber nicht nur gezeigt werden, wie sich Schleiermacher auf das neuzeitliche Prinzip der Subjektivität bezieht, sondern auch eindeutig nachgewiesen werden, dass dieser Rekurs auf das neuzeitliche Subjektivitätsprinzip nicht zwangsläufig die moderne Gleichheitsidee impliziert. Denn Schleiermacher geht es primär darum zu zeigen, dass alle Menschen für die Empfänglichkeit des Christentums offen sind und ihre Subjektivität deshalb der entsprechenden Bildsamkeit bedarf. Umgekehrt kann er deshalb auch sagen, dass Verweigerung und Beschränkung dieser Bildsamkeit unchristlich sind.22 20 21

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So aber Jens Brachmann, Friedrich Schleiermacher. Ein pädagogisches Portrait, 80 f. Juliane Jacobi, Pietismus und Pädagogik, in: Zeitschrift für pädagogische Historiographie 8 (2002), 49-53, 53. Vgl. auch Friedrich Schleiermacher, Pädagogik. Die Theorie der Erziehung von 1820/21 in einer Nachschrift, herausgegeben von Christiane Ehrhardt und Wolfgang Virmond,

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Damit steht aber die christliche Bildsamkeit und nicht die allgemeine Subjektivität im Mittelpunkt und ist jeweils Ausgangs- und Bezugspunkt weiterer Überlegungen. Dem Postulat einer gegenüber dem Christentum empfänglichen Bildsamkeit entspricht die Erklärung Schleiermachers, dass die Mündigkeit des jungen Menschen durch die Religionsmündigkeit bestimmt wird.23 Damit werden Anfang und Ende der Bildung zur Subjektivität zunächst ausschließlich aus christlicher Perspektive bestimmt. Allerdings bedingt die Annahme Schleiermachers, dass alle Menschen in gleicher Weise für die Empfänglichkeit des Christentums offen sind, eine Idee von Gleichheit, die eine Übertragung in andere Bereiche nahelegt. Bedenkt man den sozialen und theologischen Antijudaismus Schleiermachers einerseits und das vor dem Hintergrund christlicher Anthropologie entwickelte eingeschränkte Verständnis von Gleichheit andererseits, so kann auch nicht mehr uneingeschränkt von der Gleichheitsidee im Erziehungsdenken Friedrich Schleiermachers gesprochen werden.24 Und ob Schleiermacher zum Vorläufer der modernen Demokratien westlichen Zuschnitts geworden ist,25 bleibt deshalb diskussionsbedürftig. Friedhelm Jacobs betont zwar zu Recht, „wie sehr sich pädagogische und gesellschaftlich-politische

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Berlin New York 2008, 89. Schleiermacher verweist hier auf die bildende Kraft des Christentums und hält deshalb „jene Annahme von einer absichtlichen Nichtausbildung der niederen Klasse“ für „unchristlich“. Vgl. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 381: „Die Selbstbestimmung beginnt schon von dem Augenblick, wo die Kirche die Mündigkeit ausgesprochen hat.“ Vgl. auch Friedrich Schleiermacher, Pädagogik. Die Theorie der Erziehung von 1820/21 in einer Nachschrift, herausgegeben von Christiane Ehrhardt und Wolfgang Virmond, Berlin New York 2008, 64: „Als Mitglied der Kirche ist die Konfirmation der Punkt, wo die Kirche den Menschen Selbständigkeit zuschreibt, und hier musste die Erziehung im engeren Sinn aufhören.“ So aber Friedhelm Jacobs, Die Gleichheitsidee im Erziehungsdenken Friedrich Schleiermachers, in: Kurt-Ingo Flessau/Friedhelm Jacobs (Hg.), Erziehungsdenken im Bannkreis der französischen Revolution, Bochum 1988, 97-127, der auch im Blick auf die Gegenwart von der bleibenden Aktualität der Position Schleiermachers ausgeht. Der Einwand bleibt ebenfalls unberücksichtigt bei Arnulf von Scheliha, Religion, Gemeinschaft und Politik bei Schleiermacher, in: Andreas Arndt u. a. (Hg.), Christentum – Staat – Kultur. Akten des Kongresses der Internationalen Schleiermacher-Gesellschaft in Berlin, März 2006 (Schleiermacher-Archiv; 22), Berlin 2008, 317-336, 332 ff., der die Aktualität von Schleiermachers Politikverständnis diskutiert. Vgl. etwa Christian Nottmeier, Zwischen Preußen und Deutschland. Nation und Nationalstaat bei Friedrich Schleiermacher, 353.

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Zielvorstellungen bei Schleiermacher gegenseitig durchdringen“, geht aber zu unkritisch von einer „geschichtsphilosophisch fundierte[n] kritische[n] Theorie der Gesellschaft“ Schleiermachers aus: „Gegenüber dem bestehenden gesellschaftlichen Status quo ergibt sich daraus die politische Hinorientierung auf Demokratisierung, Aufhebung feudaler Privilegien und Annäherung der sozialen Klassen. In pädagogischer Hinsicht verbindet sich hiermit die Forderung nach gleichen Bildungschancen in einem durchlässig zu gestaltenden dreigliedrigen Bildungssystem sowie nach einer Erziehung zu ‚Gemeinsinn‘ und einer allgemeinen Bildung, die den Edukanden zu gleichberechtigter Partizipation im gesellschaftlichpolitischen Raum allererst befähigt.“26

In Hinblick auf Schleiermachers Position bezüglich der Judenemanzipation lässt sich jedoch gerade nicht wie Friedhelm Jacobs davon sprechen, dass sich der Gleichheitsgedanke für Schleiermacher „als Gleichheit vor dem Gesetz“ und „als Gleichheit der Befähigung zur gesellschaftlich-politischen Partizipation“ konkretisiert.27 Und das Postulat einer Erziehung zum Gemeinsinn ist nur dann hinreichend verstanden, wenn bedacht wird, dass es dabei schlussendlich immer um eine Erziehung zum christlichen Gemeinsinn geht, da das Allgemeine stets, d. h. auch, wenn es nicht explizit erwähnt wird, als christlich bestimmt mitgedacht werden muss. Dass Jacobs hier den Gleichheitsgedanken Schleiermachers offenkundig unkritisch diskutiert, indem er Schleiermachers Position zum Judentum und zur Judenemanzipation unberücksichtigt lässt, überrascht umso mehr, als er in diesem Zusammenhang durchaus darauf verweist, dass „religiöse Prägungen und ein spezi-

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Friedhelm Jacobs, Die Gleichheitsidee im Erziehungsdenken Friedrich Schleiermachers, 120. Eine ähnliche Einschätzung findet sich ebenfalls bei Birgitta Fuchs, Das Verhältnis von Ethik und Politik nach Schleiermacher, in: Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Pädagogik 83 (2007), 26-35, 30: „Vor dem Hintergrund der Ereignisse der Französischen Revolution und der durch sie initiierten Transformation einer spätfeudal-ständischen Gesellschaftsordnung in ein republikanisches Staatswesen kommt der Bildung im Verständnis Schleiermachers sogar die entscheidende Rolle zu. […] Das sich eine solche Pädagogik für gleiche Bildungsmöglichkeiten aller verwenden muss, bedarf in diesem Zusammenhang keiner weiteren Erläuterung.“ Vgl. auch Friedhelm Jacobs, Die Gleichheitsidee im Erziehungsdenken Friedrich Schleiermachers, 126.

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fische Verhältnis von Theologie jenen ‚context of discovery and motivation‘ [bildeten]“28. Weil Schleiermacher vor dem Hintergrund der christlichen Anthropologie ein gewisses Gleichheitsdenken erkennen lässt, welches auf die potentielle christliche Bildsamkeit aller abzielt, kann er ein entsprechendes gleichmachendes Prinzip der Erziehung in den sozialen Kontext stellen: „Die Hauptsache ist, daß die Erziehung ein gleichmachendes Prinzip ist, und also gegenwirkend gegen die fortwährend sich entwickelnde Ungleichheit. Gleichmachend ist sie aber nur, insofern sie erhebend ist, die niedere Klasse der höheren nähernd.“29 Und dementsprechend solle wenigstens ein Übergang aus der Volksschule in die höheren Bildungsstufen möglich sein: „Wenn ein solcher Übergang nicht stattfinden kann, und die Volksschule ganz abgeschlossen ist, so liegt in der öffentlichen Erziehung ein die weitere Entwicklung hemmendes Prinzip, und es sollte doch ein förderndes sein.“30 Wenn die Erziehung nach Schleiermacher also in keinem Fall dazu beitragen dürfe, dass gesellschaftlich bedingte Ungleichheit verfestigt werde, so konterkariert er seine eigene Prämisse doch auch wieder, wenn es um die Erziehungs- und Emanzipationsfrage der Juden geht. Der Anspruch einer allgemeinen Bildung für alle wird somit nicht eingelöst. Das ist nicht nur darin begründet, dass Schleiermacher aus dem Allgemeinbildungsanspruch noch nicht den Schluss gezogen habe, wie dies jedoch Wolfgang Klafki betont, „Erziehung müsse nun auch als ‚politische Bildung‘ in dem Sinne gestaltet werden, daß den Aufwachsenden im Bildungsprozeß zur Einsicht in die Ursachen gesellschaftlicher Ungleichheit verholfen und daß in ihnen die Einstellung wachgerufen sowie ihnen Fähigkeiten vermittelt werden müßten, am Abbau gesellschaftlicher Ungleichheit aktiv mitzuwirken.“31 28

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Vgl. Friedhelm Jacobs, Die Gleichheitsidee im Erziehungsdenken Friedrich Schleiermachers, 126. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 306. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 307. Wolfgang Klafki, Die Bedeutung der klassischen Bildungstheorien für ein zeitgemäßes Konzept allgemeiner Bildung, in: ders., Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Zeitgemäße Allgemeinbildung und kritisch-konstruktive Didaktik, Weinheim 3. Aufl. 1993, 15-41, 38 f. Vgl. auch ders., Gleichheit, Ungleichheit und Erziehung – ein Zentralproblem der Erziehungstheorie Schleiermachers, in: Friedhelm Zubke (Hg.), Politische Pädagogik. Beiträge zur Humanisierung der Gesellschaft (Hans-Jochen Gamm zur Vollendung des 65. Lebensjahres gewidmet), Weinheim 1990, 17-38. Vgl. ferner auch Wolfdietrich Schmied-Kowarzik, Bildung, Emanzipation und Sittlichkeit. Philosophische und

Ertrag und Ausblick

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Denn in Schleiermachers dialektischer Wechselbeziehung von der „Ausbildung der Eigenthümlichkeit“ des Einzelnen und dem „Hineinbilden in die Gemeinschaft“ ist ja an sich eine Einflussnahme des Einzelnen auf den Wandel in der Gemeinschaft berücksichtigt. Wenn Klafki nun als einen der Gründe für dieses von ihm aufgezeigte Defizit anführt, dass Schleiermacher eine insgesamt optimistische Geschichtsphilosophie des Fortschritts der Humanität vertrete,32 so bleibt auch in dieser Einlassung unberücksichtigt, dass Schleiermacher den Juden im Prozess der Humanisierung erst gar keinen Platz einräumt. Das heißt, es ist nicht allein der weitere Verlauf der Geschichte, der Schleiermachers Geschichtsoptimismus relativiert, sondern vielmehr sein vor dem Anspruch eines christlich bestimmten Allgemeinen eingeschränkter Humanisierungsgedanke, der den Allgemeinbildungsanspruch bereits von vornherein reglementiert. Ebenso kann sich Schleiermacher in seiner Universitätsschrift (1808) hinsichtlich Freiheit, Gleichheit und Demokratie scheinbar richtungweisend äußern, wenn er sich etwa gegen die Maßregel einer wissenschaftlichen Sperre und für die studentische Freiheit ausspricht.33 Und in den Vorlesungen von 1826 plädiert Schleiermacher in Bezug auf die Kirche ebenso wie in Bezug auf den Staat für eine freie Wissenschaft. Wenn die Kirche der Wissenschaft bedürfe, „dann muß sie die Wissenschaft frei lassen. Die Kirche entwickelt ja die religiöse Gesinnung, dieser muß sie vertrauen und darauf bauend die Wissenschaft sich frei entwickeln lassen, damit sie nicht eine Opposition dieser gegen sich selbst hervorrufe.“34 Schleiermacher setzt dabei allerdings voraus, dass eine entsprechende religiöse Gesinnung einen Interessenkonflikt zwischen Wissenschaft und Kirche gar nicht erst aufkommen lässt. Weiterhin ist es auffällig, dass Schleiermacher sich nachdrücklich für die Freiheit der Studierenden ausspricht, sich von fast allen

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pädagogische Klärungsversuche, Weinheim 1993, 96, der bedauert, dass Schleiermacher darauf verzichtet habe, „die Erziehung auf eine radikale Verbesserung des gesellschaftlichen Zusammenlebens hinzuorientieren und stattdessen eine Pragmatik der kleinen Schritte“ anempfehle. Vgl. ebd., 39. Vgl. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Gelegentliche Gedanken über Universitäten in deutschem Sinn, in: ders., Texte zur Pädagogik. Kommentierte Studienausgabe, Bd. 1, hg. v. Michael Winkler/Jens Brachmann, Frankfurt am Main 2000, 101-165, 108; 152 ff. Vgl. auch Helmut Schelsky, Einsamkeit und Freiheit. Idee und Gestalt der deutschen Universität und ihrer Reformen, Düsseldorf 2. Aufl. 1971. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Vorlesungen 1826, 145 f.

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Ertrag und Ausblick

gesellschaftlichen Konventionen freihalten zu können und auf der Universität die verschiedensten Sitten und Lebensweisen frei entfalten zu können,35 während er das Verhalten des jüdischen Studenten Brogi, der anstatt sich zu duellieren, die nichtjüdischen Schläger lieber anzeigt, vor einem judenfeindlichen Hintergrund als unsittlich abqualifiziert. Dieser augenscheinliche Widerspruch löst sich jedoch dann auf, wenn man bedenkt, dass Schleiermacher gemäß seinen eigenen Ausführungen der Universitätsschrift Brogi jenen Studierenden zurechnen dürfte, die ihrer Würde verlustig gingen und gar nicht erst auf die Universität gehörten und deren verderbte Sittlichkeit nur „ein erzwungenes Werk äußerer Zucht und Gewöhnung“ sei.36 Denn genau dies charakterisiert nach Schleiermacher ja die religiöse Sittlichkeit des Judentums, ein – noch dazu erzwungenes – Werk äußerer Zucht und Gewöhnung zu sein. Schleiermachers Wegbereitung einer modernen Pädagogik, nach der die Individualitätsbildung auf die Hineinbildung in das Gesamtleben von Staat, Kirche, geselligem Verkehr und wissenschaftlichem Verein bezogen bleibt, ist nur vor dem Hintergrund eines christlich bestimmten Allgemeinen vor35

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Vgl. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Gelegentliche Gedanken über Universitäten in deutschem Sinn, 153 f.: „Auf der Straße leben und wohnen auf antike Art; sie mit Musik und Gesang, oft ziemlich rohem, erfüllen, wie die Südländer; schlemmen wie der Reichste, solange es gehen kann, oder einer Menge von gewohnten Bequemlichkeiten bis zu zynischer Unordnung entsagen wie der Ärmste, ohne eines von beiden zu sein; die Kleidung aufs sorgloseste vernachlässigen oder mit zierkünstlerischer Aufmerksamkeit eigentümlich daran schnörkeln […] Darum eben sorgt man, sie aus der Familie zu entfernen, damit nicht das Gemeinsame derselben die persönliche Eigentümlichkeit zu überwältigen scheine; darum hält man sie noch zurück von der Verbindung mit dem Staate, damit sie dieser großen Gewalt nicht eher anheimfallen, bis sie ihr eigentümliches Dasein, so wie es einem Erkennendem geziemt, festgestellt haben. Dies alles aber würde umsonst sein, wenn sie sich nicht eine Zeit lang in einer Lage befänden, wo sie ganz ihrem eigenen sittlichen Gefühl überlassen sind, wo nichts bloß Äußeres, wie eine in der Gesellschaft, welcher sie noch nicht angehören, gebildete Schicklichkeit für sie allerdings wäre, ihre Neigungen zurückhält, wo sie jede Weise und Ordnung des Lebens versuchen und sehen können, wie mächtig jede Lust und Liebe in ihnen zu werden vermag.“ Vgl. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Gelegentliche Gedanken über Universitäten in deutschem Sinn, 154 f.: „Die durch diese Freiheit hier zu weit geführt werden, die ihr eignes sittliches Gefühl nicht in solchen Schranken hält, daß sie ihrer Würde nicht verlustig gehen, das sind offenbar auch die, welche gar nicht auf die Universität gehörten, welche diese Würde, deren sie so leichtsinnig verlustig gehen, nie besessen haben, und deren, wie man meint, hier erst verderbte Sittlichkeit nichts gewesen ist als ein erzwungenes Werk äußerer Zucht und Gewöhnung.“

Ertrag und Ausblick

223

stellbar, wie seine Ausführungen zu allen vier Gemeinschaften des Gesamtlebens, seine Position zum Judentum und zur Judenemanzipation (Staat, Kirche), seine Konversionsabsichten gegenüber den jüdischen Salondamen (geselliger Verkehr) und sein Verhalten in der Brogi-Klaatsch-Affäre (wissenschaftlicher Verein) zeigen. Schleiermachers Pädagogik unterscheidet sich zwar fundamental von dem großen Entwurf einer „Evangelischen Pädagogik“ Christian Palmers (1853), aber die selbstverständliche Annahme Palmers, dass Pädagogik als Lehre der Erziehung des Menschen als Menschen und zum Menschen erst auf christlichem Boden möglich ist,37 hat bereits Schleiermacher uneingeschränkt geteilt, da sie stets im Hintergrund seiner Ausführungen steht und diese bestimmt.

IV.2

Ausblick „[…] bis man überall aufhört, sich das Christentum auf der untergeordneten Stufe des Gegensatzes zum Judentum zu denken.“38 (Wilhelm von Humboldt) „Die Geschichte trägt der Aufklärung die Fackel vor.“39 (Friedrich Nicolai)

Schleiermacher rekurriert zwar in seiner Erziehungstheorie auf die neuzeitlichen Bedingungen der Subjektivität, lässt aber darin die von ihm als bedeutend herausgestellte Eigentümlichkeit des Menschen hinter Sittlichkeit und Gesinnung zurücktreten, die wiederum nur im Horizont eines christlich bestimmten Allgemeinen verstanden werden können. Der Rekurs auf Sittlichkeit und Gesinnung vor dem Hintergrund einer christlichen Anthropo-

37 38

39

Vgl. Christian David Friedrich Palmer, Evangelische Pädagogik, Tübingen 1852, 9. Wilhelm von Humboldt, Über den Entwurf zu einer neuen Konstitution für die Juden (1809), in: ders., Werke, Bd. IV, hg. v. Andreas Flitner u. Klaus Giel, Stuttgart 1964, 95112, 96. Friedrich Nicolai, Einige Bemerkungen über den Ursprung und die Geschichte der Rosenkreuzer und Freymaurer, veranlaßt durch die sogenannte historisch-kritische Untersuchung des Herrn Hofraths Buhle über diesen Gegenstand, Berlin 1806, 27.

224

Ertrag und Ausblick

logie schränkt jedoch die Eigentümlichkeit des Einzelnen derart ein, dass sie mitunter gar nicht mehr wahrgenommen werden kann. So gibt der theologische und soziale Antijudaismus Schleiermachers ein eindrucksvolles Beispiel davon, wie Schleiermacher selbst das von ihm zugrunde gelegte Prinzip der neuzeitlichen Subjektivität konterkariert. Die vor dem Hintergrund seiner pädagogischen Reflexionen bestimmend gewordene Auffassung, dass neben der unterrichtlichen Kenntnisvermittlung eine erzieherische Bildung der Gesinnung zu erfolgen hat, führt in ihrer praktischen Konsequenz zur Vermittlung christlich bestimmter kultureller Normen und Wertvorstellungen, die wiederum eine Berücksichtigung der kulturell-religiösen Praxis des Judentums gar nicht erst zulässt. Schleiermacher schließt sich dem romantischen Zeitgeist mit seiner Betonung von Volksgeist und Nation an und verstärkt im Vergleich zur weltbürgerlichen Aufklärung noch die kulturelle Ausgrenzung der Juden. Der Erziehungsdiskurs der Aufklärung betont zwar die wirkmächtige Rolle von Erziehung, aber gleichzeitig ist damit eine Assimilationsforderung verbunden, die letztendlich auf die Auflösung des Judentums hinausläuft. Selbst Wilhelm von Humboldt, der allerdings ausdrücklich betont, dass der Staat kein Erziehungs-, sondern ein Rechtsinstitut sei,40 geht davon aus, dass die Gewährung der bürgerlichen Rechte die Juden, für die er im Gegensatz zu Schleiermacher vorbehaltlos eintritt,41 zur Anerkennung der höherwertigen christlichen Religion führen würde. „Die Individuen werden gewahr werden, dass sie nur ein Cärimonial-Gesetz und eigentlich keine Religion hatten, und werden, getrieben von dem angeborenen menschlichen Bedürfnis nach einem höhern Glauben, sich von selbst zu der christlichen wen-

40

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Vgl. Wilhelm von Humboldt, Über den Entwurf zu einer neuen Konstitution für die Juden (1809), 98. Vgl. Wilhelm von Humboldt, Über den Entwurf zu einer neuen Konstitution für die Juden (1809), 96: „[Es] ist wohl nicht zu bestreiten, dass nur eine plötzliche Gleichstellung aller Rechte gerecht, politisch und consequent ist. Gerecht; denn es lässt sich kein möglicher Rechtsgrund denken, warum der Jude, der alle Pflichten des Christen erfüllen will, nicht auch der Rechte theilhaftig sein soll?“ Vgl. auch Stefi Jersch-Wenzel, Rechtslage und Emanzipation, in: Michael Brenner/Stefi Jersch-Wenzel/Michael A. Meyer, Deutsch-Jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 2 1780-1871, München 2000, 15-56, 34: „Die progressivste Stellungnahme kam aus der Sektion für Kultus und öffentlichen Unterricht im Ministerium des Innern […] Humboldt und seine Mitarbeiter plädierten für eine sofortige und vollkommene staatsbürgerliche Gleichstellung der Juden.“

Ertrag und Ausblick

225

den.“42 Diese Annahme Wilhelm von Humboldts macht deutlich, dass man gemeinhin von der Minderwertigkeit der jüdischen Religion ausgegangen ist. Dennoch finden sich gerade in dem Entwurf Humboldts jene Punkte, die im Gegensatz zu Schleiermacher ein Anknüpfen an das neuzeitliche Prinzip von Subjektivität rechtfertigen. Denn nach Humboldt ist der Mensch nach seinen eigentümlichen Eigenschaften und nicht nach seiner Abstammung und Religion zu beurteilen.43 So ist Humboldt auch bewusst, dass ein antagonistisches Denken, wie es für Schleiermacher charakteristisch ist, überwunden werden muss: „bis man überall aufhört, sich das Christentum auf der untergeordneten Stufe des Gegensatzes zum Judentum zu denken.“44 Der Entwurf Humboldts enthält wegweisende Momente über seine Zeit hinaus, wenn er dafür plädiert, dass es nicht um Achtung gegenüber einer Gruppe von Menschen gehen könne, sondern nur um Achtung und Beurteilung der Eigentümlichkeit des einzelnen Menschen. Darin ist ein Moment angezeigt, an dem es Schleiermachers Begründung von Subjektivität eindeutig mangelt: der Anerkennung von Alterität und damit der produktiven Verarbeitung von kultureller Differenz. Auch bei Schleiermacher wird dem Eigenen, d. h. der eigenen Person und der eigenen Kultur, jeweils immer das Fremde gegenübergestellt, das in ebendieser Charakterisierung und Erfahrung als „fremd“ bzw. „Fremdes“ potentiell als ein bedrohliches Gegenüber verstanden wird. Die Kategorie der Alterität ist in einem solchen nicht selten ausschließlich antagonistisch geprägten Denken gar nicht erst vorgesehen. Anders-Sein muss jedoch nicht zwangsläufig antagonistisch verstanden

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Wilhelm von Humboldt, Über den Entwurf zu einer neuen Konstitution für die Juden (1809), 104. Vgl. Wilhelm von Humboldt, Über den Entwurf zu einer neuen Konstitution für die Juden (1809), 97: „Mag das Volk auch noch so viele gut geartete Juden sehen; es wird nie leicht dadurch zu andern Meinungen über die Juden, als solche, selbst kommen, sondern die Einzelnen immer nur als Ausnahmen betrachten. Auch soll der Staat nicht gerade die Juden zu achten lehren, aber die inhumane und vorurtheilsvolle Denkungsart soll er aufheben, die einen Menschen nicht nach seinen eigenthümlichen Eigenschaften, sondern nach seiner Abstammung und Religion beurtheilt und ihn, gegen allen wahren Begriff von Menschenwürde, nicht wie ein Individuum, sondern wie zu einer Race gehörig und gewisse Eigenschaften gleichsam nothwendig mit ihr theilend ansieht. Dies aber kann der Staat nur, indem er laut und deutlich erklärt, dass er keinen Unterschied zwischen Juden und Christen mehr anerkennt.“ Wilhelm von Humboldt, Über den Entwurf zu einer neuen Konstitution für die Juden (1809), 96.

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Ertrag und Ausblick

werden, vielmehr impliziert die Berücksichtigung neuzeitlicher Subjektivität sogar die Anerkennung von Alterität. Denn Subjektivität zeichnet sich qua Begrifflichkeit als etwas Singuläres aus und ist darin dem Gegenüber etwas Anderes, nicht jedoch automatisch etwas Fremdes und Bedrohliches. Will man diese „Beschränktheit“ der Erziehungstheorie Schleiermachers überwinden, so sind die für die Erziehungs- und Bildungsprozesse relevanten Grundkategorien stets daraufhin zu überprüfen, ob sie eine Konzeption von Bildung und Erziehung zulassen, die die Wahrnehmung und Anerkennung Anderer in ihren jeweiligen Bildungsprozessen implizit immer berücksichtigt und darin eine Verarbeitung von kultureller Differenz zulässt, ohne die Alterität aufheben noch sie im Sinn des Erziehungsgedankens der Aufklärung „verschmelzen“ zu wollen. Das Nebeneinander, die Nähe des Anderen, ist vielmehr unbedingt und bedingungslos aufrechtzuerhalten – „[e]ine Nähe“, so schreibt Emmanuel Lévinas über den Anderen bei Proust, „die, anstatt weniger zu bedeuten als Identifikation, genau den Horizont des sozialen Daseins eröffnet […] und dem Definitiven unserer identischen Existenz alle Möglichkeiten des Nichtdefinitiven beilegt“.45 Konkret wäre damit die durch Schleiermacher – trotz seines Allgemeinbildungsanspruchs – zugrunde gelegte Beschränkung auf den christlichen Religionsunterricht aufzuheben. Denn bereits Christian Wilhelm Dohm betont, dass keine Religionsgesellschaft das Recht habe, für sich Freiheiten zu fordern, die sie anderen verwehre.46 Für die gegenwärtig immer wieder gestellte Frage, ob die Ausbildung eines demokratischen Bewusstseins nicht ein reflektiertes Verhältnis zur eigenen Nation erfordere, bieten Schleiermachers Ausführungen keinerlei Anhalt.47 Während die Erziehungstheorie Schleiermachers in dieser Hinsicht ihre Unzulänglichkeiten und Widersprüche offenbart, steht im ausgehenden

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46

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Emmanuel Lévinas, Der Andere bei Proust, in: ders., Eigennamen. Meditationen über Sprache und Literatur, München 1988, 93-100. Und vgl. ebd: „[W]enn die Kommunikation so von Scheitern oder Unechtheit gekennzeichnet ist, liegt es daran, daß man sie als Verschmelzung versteht. Man geht von der Vorstellung aus, die Dualität müsse sich in Einheit verwandeln, die soziale Beziehung sich in Kommunion vollenden.“ Vgl. Christian Wilhelm Dohm, Über die bürgerliche Verbesserung der Juden, Teil I, Berlin 1781, 149. Vgl. auch Micha Brumlik, Nationale Erziehung oder weltbürgerliche Bildung? Moralischer Universalismus als pädagogisch-praktische Kategorie, in: Zeitschrift für Pädagogik, 29. Beiheft 1992, 45-57, 49 f.: Zur Theorie der demokratischen Nation.

Ertrag und Ausblick

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20. Jahrhundert der Bildungsbegriff selbst zur Disposition.48 Wenn die Pädagogik als Handlungs- und Humanwissenschaft damit dementiert wäre,49 bleibt die Frage offen, wie diese Erkenntnisse der historischen Bildungsforschung zur Erziehung vor Auschwitz überhaupt erziehungswissenschaftlich und bildungstheoretisch im Sinne einer „Erziehung nach Auschwitz“ als pädagogischer Kategorie über das Postulat einer unbedingten Anerkennung von Alterität hinaus zu verorten wären.50 Allerdings impliziert das Postulat einer prinzipiellen Anerkennung von Alterität bereits, dass in der durch Kommunikation ständig reproduzierten Alternative von Konformität oder Abweichung, Anpassung oder Widerstand, wie Niklas Luhmann betont, die Abweichung die größeren Individualisierungschancen biete.51 Die Auseinandersetzung mit dem theologischen und sozialen Antijudaismus Schleiermachers vor dem Hintergrund seiner Erziehungstheorie macht grundsätzlich deutlich, dass die Geschichte der Pädagogik und damit 48

49

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Vgl. auch Dieter Lenzen, Lösen die Begriffe Selbstorganisation, Autopoiesis und Emergenz den Bildungsbegriff ab?, in: Zeitschrift für Pädagogik 43 (1997); 949-968. Vgl. Micha Brumlik, Bildung und Glück. Versuch einer Theorie der Tugenden, 2002, 128 ff.: Humanontogenese und der Sinn des Lebens. Vgl. auch Helmut Peukert, „Erziehung nach Auschwitz“ – eine überholte Situationsdefinition?, in: Neue Sammlung 30 (1990), 345-354; ders., Unbedingte Verantwortung für den Anderen. Der Holocaust und das Denken von Emmanuel Lévinas, in: Helmut Schreier/Matthias Heyl (Hg.), „Daß Auschwitz nicht noch einmal sei...“ Zur Erziehung nach Auschwitz, Hamburg 1995, 233-246. Die pädagogische Kategorie „Erziehung nach Auschwitz“ geht zurück auf den programmatischen Beitrag von Theodor W. Adorno, Erziehung nach Auschwitz (1966), in: ders., Erziehung zur Mündigkeit, Frankfurt am Main 1971, 88-104; vgl. auch ders., Negative Dialektik, 358: „Hitler hat den Menschen im Stande ihrer Unfreiheit einen neuen kategorischen Imperativ aufgezwungen: ihr Denken und Handeln so einzurichten, daß Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe. Dieser Imperativ ist so widerspenstig gegen seine Begründung, wie einst die Gegebenheit des Kantischen. Ihn diskursiv zu behandeln, wäre Frevel: an ihm läßt leibhaft das Moment des Hinzutretenden am Sittlichen [sic! M. B.] sich fühlen.“ Vgl. Niklas Luhmann, Soziologische Aufklärung 4: Beiträge zur funktionalen Differenzierung der Gesellschaft, Opladen 1987, 181. Vgl. auch Dieter Lenzen, Reflexive Erziehungswissenschaft am Ausgang des postmodernen Jahrzehnts oder Why should anybody be afraid of red, yellow and blue?, in: Zeitschrift für Pädagogik, 29. Beiheft 1992, 75-91, 83: „Vor diesem Hintergrund dürfte die Aufgabe von Erziehung weniger darin liegen, von den Menschen etwas Bestimmtes zu wollen, als vielmehr zuzulassen, daß sie, als selbstorganisierende Organismen gedacht, Autopoiese durch eine Teilhabe an der Fülle der Wirklichkeit vollziehen können und so den Raum der Individualisierungsmöglichkeiten zu erweitern.“

228

Ertrag und Ausblick

die Erziehung vor Auschwitz einerseits weiterhin auf Beispiele bildungspolitischen Umgangs mit Minderheiten hin untersucht werden sollte.52 Damit tritt die historische Bildungsforschung auch in den je aktuellen gesellschaftlichen Diskurs über Bildung.53 Die Historiographie der Pädagogik ist insbesondere dann, wenn sie vor dem Hintergrund christlicher Pädagogik erfolgte, neu zu überarbeiten, da der Antijudaismus in Geschichtswerken der Pädagogik und darin wiederum insbesondere in der Darstellung der Erziehung im Judentum unübersehbar ist.54 52

53

54

Vgl. auch Ingrid Lohmann, Vom Ausschluß der hebräischen Rede aus dem Diskurs der Aufklärung. Preußische Minderheitenpolitik im frühen 19. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Pädagogik 1996, 123-136; Ingrid Lohmann, Tora als Vernunft. Erneuerung der Religion als Medium der Verbürgerlichung in der jüdischen Aufklärung, in: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 9 (2006), 203-218, 204: „Die Erforschung von Minoritäten fristet in der pädagogischen Historiographie bisher ein Schattendasein. Dies gilt auch für die jüdische Bevölkerungsminderheit, so dass, blickte man allein auf die Fragestellungen und Ergebnisse unseres Faches, fast der Anschein entstehen könnte, als hätte es Juden in Deutschland vor der NS-Zeit nicht gegeben […] Diese Forschungsdesiderate zu beheben und die Geschichte von Minderheiten als Gegenstand Historischer Bildungsforschung zu erschließen, ist nicht allein eine Angelegenheit von Wissensvermehrung. Vielmehr geht es um die Erweiterung unseres Horizonts für gegenwärtige und zukünftiges Zusammenleben.“ Vgl. auch Martin Kintzinger, Bildungsgeschichte in der Wissenschaftsgesellschaft? Historische Forschung zur Geschichte der Bildung und des Wissens im Mittelalter, in: Jahrbuch für Historische Bildungsforschung 6 (2000), 299-316, 299. So ist Werner Jentsch mit seinem 1951 erschienenen Buch, Urchristliches Erziehungsdenken: die Paideia Kyriu im Rahmen der hellenistisch-jüdischen Umwelt, „gegenwärtig wohl immer noch der am meisten zitierte Autor zur frühchristlichen Pädagogik“, wie Bernhard Schwenk, Geschichte der Bildung und Erziehung von der Antike bis zum Mittelalter, aus dem Nachlaß hg. v. Peter Drewek u. Achim Leschinsky, Weinheim 1996, 183, herausstellt. Jentsch folgt in seinen Ausführungen der vorherrschenden christlichen antijudaistischen Annahme, dass die jüdische Religion durch das Bestreben der eifrigen Gesetzeserfüllung gekennzeichnet sei – dem korrespondiere auf der pädagogischen Ebene bei Nicht-Erfüllung die Strafe. Nach Jentsch fehle es dem alttestamentlichen Erziehungsdenken zunächst an einer planmäßigen Erziehungsveranstaltung, so dass er die jüdische Erziehung als funktional und darin als primitiv bezeichnet (vgl. ebd., 109 ff.). Auch Karl Erlinghagen, Katholische Bildung im Barock (Das Bildungsproblem in der Geschichte des europäischen Erziehungsdenkens; IV,2), Hannover u. a. 1972, 14, charakterisiert zwar zunächst das jüdische Volk aufgrund der „engen Bindung an die heiligen Literardokumente“ als „hochgebildetes Volk“, um dann jedoch zu konstatieren: „Wenn dieses Volk trotzdem nicht zu einem weltweiten Kulturträger im humanistischen Sinne werden konnte, weil es seinen Motivhorizont religiös und völkisch eng und starr begrenz-

Ertrag und Ausblick

229

Historische Bildungsforschung hat andererseits in ihren unterschiedlichen Paradigmen der ideengeschichtlichen, sozialgeschichtlichen und historisch-vergleichenden Perspektive55 gegenüber einer abwertenden Darstellung des Judentums aber auch die Rolle der reichhaltigen jüdischen Traditionen in Bezug auf Erziehungs- und Bildungsprozesse herauszustellen. Die Würdigung der jüdischen Erziehung durch Schleiermacher, die sich in ihrer nachhaltigen Bedeutung in seinen „Briefen bei Gelegenheit“ allerdings zu einer Bedrohung auswächst, wäre somit vielmehr in Hinblick auf ihre positiven Konnotationen weiterhin zu untersuchen.56

55

56

te, so ist gerade dies eine historisch ‚pädagogische‘ Tatsache, die noch bedeutsamer ist als die frühe Alphabetisierung des jüdischen Volkes.“ Bernhard Schwenk, Geschichte der Bildung und Erziehung von der Antike bis zum Mittelalter, gebührt das Verdienst, überhaupt die jüdische Erziehung darzustellen und auf ihre Bedeutung – neben der griechisch-römischen Antike – für die sogenannten abendländisch-europäischen Traditionen im Erziehungsbereich hinzuweisen. Grundsätzlich fällt jedoch auf, dass Schwenk, ebd., 152, 154, 161, 168, 172 f., christlich negativ konnotierte Wendungen und Stereotype wie „spätjüdisch/Spätjudentum“ und „Gesetzeskasuistik“ unhinterfragt übernimmt. Das macht deutlich, wie selbstverständlich die christliche Perspektive leitend und bestimmend ist, ohne dass der Autor hier hätte bewusst antijüdisch argumentieren wollen. Das Gegenteil dürfte man wohl unterstellen. Vgl. auch Heinz-Elmar Tenorth, Historische Bildungsforschung, in: Rudolf Tippelt (Hg.), Handbuch Bildungsforschung, Opladen 2002, 123-139, 126 ff. Vgl. auch Ingrid Lohmann, Über die Anfänge bürgerlicher Gesprächskultur – Moses Mendelssohn (1729-1786) und die Berliner Aufklärung, in: Pädagogische Rundschau 46 (1992), 35-49.

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