Ich und die anderen: Zu den intersubjektiven Bedingungen von Selbstbewusstsein 9783110228410, 9783110228403, 2010051844

Whoever has thoughts, feelings, perceptions, wishes or impressions also knows that he himself has these states. This ass

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Ich und die anderen: Zu den intersubjektiven Bedingungen von Selbstbewusstsein
 9783110228410, 9783110228403, 2010051844

Table of contents :
Danksagung
Inhalt
Einleitung
I. Die Eigenschaften von Selbstbewusstsein
1. Infallibilität und Gewissheit
2. Transparenz und direktes Wissen
3. Meinigkeit und Reflexivität
II. Ein Argument für intersubjektive Bedingungen
1. Selbstbewusstsein als Begriff von sich selbst
2. Meads Theorie des Selbst
III. Intersubjektivität, sprachliche Bedeutung und die Autorität der Ersten Person
1. Zwillingserde und linguistische Arbeitsteilung (Putnam)
2. Sozialer Externalismus und grundlegendes Selbstwissen (Burge)
3. Die Autorität der ersten Person (Davidson)
IV. Schlussbetrachtung
Verzeichnis der zitierten Literatur
Personenregister
Sachregister

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Andrea Lailach-Hennrich Ich und die anderen

Quellen und Studien zur Philosophie Herausgegeben von Jens Halfwassen, Dominik Perler, Michael Quante

Band 101

De Gruyter

Ich und die anderen Zu den intersubjektiven Bedingungen von Selbstbewusstsein von Andrea Lailach-Hennrich

De Gruyter

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein.

ISBN 978-3-11-022840-3 e-ISBN 978-3-11-022841-0 ISSN 0344-8142 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data: Lailach-Hennrich, Andrea. Ich und die anderen : zu den intersubjektiven Bedingungen von Selbstbewusstsein / von Andrea Lailach-Hennrich. p. cm. -- (Quellen und Studien zur Philosophie ; Bd. 101) Includes bibliographical references and index. ISBN 978-3-11-022840-3 (hardcover : alk. paper) 1. Self-consciousness (Awareness) 2. Intersubjectivity. I. Title. BD438.5.L35 2011 126--dc22 2010051844 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2011 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/Boston Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen f Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Meinem Vater

Danksagung Das vorliegende Buch ist eine leicht überarbeitet Fassung meiner Dissertationsschrift, die ich an der Humboldt-Universität zu Berlin im Wintersemester 2009 eingereicht habe. Es wurde gedruckt mit Hilfe der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein. Bei seiner Enstehung haben mich verschiedene Personen gefördert und unterstützt, denen ich an dieser Stelle meinen Dank aussprechen möchte. Herbert Schnädelbach und Dominik Perler standen mir als geduldige Betreuer und Gesprächspartner mit fachlichem Rat zur Seite, Ihnen gilt mein Dank in erster Linie. Die intensiven Diskussionen mit Dina Emundts haben diese Arbeit entscheidend beinflusst; ihr möchte ich dafür und für ihre freundschaftliche Anteilnahme herzlich danken. Reinhard Peckskamp danke ich für seine anhaltende Begleitung und Georg Papadopolous für die Hilfe bei der Herstellung des Typoskripts und, natürlich, für sein Verständnis. Für finanzielle Förderung während der Promotion danke ich der Nachwuchsförderung des Landes Berlin. Norbert Anwander danke ich für eine spezielle Art der Ermutigung. Er wies mich darauf hin, dass es außer den perfekten Büchern nur noch eine weitere Art von Büchern gebe: jene, die erscheinen. Berlin im Juli 2011 Andrea Lailach-Hennrich

Inhalt Einleitung

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I. Die Eigenschaften von Selbstbewusstsein ............................................. 11 1. Infallibilität und Gewissheit ................................................................ 13 2. Transparenz und direktes Wissen ....................................................... 52 3. Meinigkeit und Reflexivität ................................................................ 85 II. Ein Argument für intersubjektive Bedingungen ................................. 121 1. Selbstbewusstsein als Begriff von sich selbst ................................... 123 2. Meads Theorie des Selbst ................................................................. 128 III. Intersubjektivität, sprachliche Bedeutung und die Autorität der Ersten Person .................................................................................... 161 1. Zwillingserde und linguistische Arbeitsteilung (Putnam)................. 162 2. Sozialer Externalismus und grundlegendes Selbstwissen (Burge) ... 171 3. Die Autorität der ersten Person (Davidson) ...................................... 183 IV. Schlussbetrachtung ............................................................................ 233 Verzeichnis der zitierten Literatur ........................................................... 239 Personenregister ...................................................................................... 249 Sachregister ........................................................................................... 251

Einleitung Es ist falsch, wenn einer sagt: Ich denke. Man sollte sagen: Es denkt mich.(Entschuldigen Sie das Wortspiel.) Ich ist ein anderer.1

I Aus philosophischer Sicht ist der Tatsache, dass Subjekte sich ihrer selbst bewusst werden können, einiges zugedacht worden. So glaubte man etwa, dass Selbstbewusstsein eine in systematischer Hinsicht zentrale Rolle zu spielen habe, weil es sich aufgrund seiner Struktur und Funktion als ein geeignetes Fundament in der Begründungshierarchie genereller Wissensansprüche darstellte. Es sind natürlich die dem Selbstbewusstsein zugeschriebenen Eigenschaften, die es als eine besondere Form des Wissens auszeichnen sollen und die es erlauben, Selbstbewusstsein mit den genannten theoretischen Aufgaben auszustatten. Im Gegensatz zur Fehlbarkeit des Wissens von den Dingen der Außenwelt und der Möglichkeit, sich hinsichtlich der psychischen Zustände anderer Menschen zu irren, gilt das Selbstwissen etwa als immun gegen Revisionen und Irrtümer. Es ist unter anderem diese Unfehlbarkeit, aufgrund derer Selbstbewusstsein sich von anderen Formen des Wissens unterscheiden soll, und sie ist es auch, die die Behauptung zu rechtfertigen scheint, dass Selbstbewusstsein mit Recht den grundlegenden Platz in der epistemischen Hierarchie einnimmt. Die genannten Fundierungsansprüche werden allerdings in dem Moment obsolet, in dem das Bedürfnis nach philosophischen Theorien, die die Wirklichkeit allein mit dem Mittel des Begriffs in systematischer Weise zu erfassen suchen, im Schwinden begriffen ist. An ihre Stelle treten Naturalisierungsbestrebungen, die aus der Philosophie der Subjektivität zunächst eine Philosophie des Geistes machten, und durch die eher das Phänomen des Selbstbewusstseins als sein Begriff in den Fokus philosophischen Nachdenkens rückte. Doch damit ergibt sich ein neues Problem. Sind nicht die empiri-

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A. Rimbaud an Georges Izambard (erster Seher-Brief). Das zu entschuldigende Wortspiel bezieht sich höchstwahrscheinlich auf Lichtenbergs Bemerkung: „Es denkt, sollte man sagen, so wie man sagt: es blitzt. Zu sagen cogito, ist schon zu viel, sobald man es durch Ich denke übersetzt. Das Ich anzunehmen, zu postulieren, ist praktisches Bedürfnis“. G. C. Lichtenberg, Briefe (K76).

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Einleitung

schen Einzelwissenschaften, etwa die empirische Psychologie, die Psychoanalyse oder die Kognitionswissenschaft, viel besser in der Lage, das Phänomen des Selbstbewusstseins zu erfassen? Welchen Beitrag können philosophische Überlegungen und Theorien überhaupt leisten, wenn es um die Aufklärung der Verfasstheit von Selbstbewusstsein geht? Die Antwort darauf ist einfach. Auch die empirischen Wissenschaften benötigen klare und eindeutige Begriffe, um die Daten ihrer Untersuchungen angemessen interpretieren zu können. Mit der vorliegenden Arbeit soll daher ein genereller Beitrag zur Explikation des Begriffs „Selbstbewusstseins“ geleistet und die Frage beantwortet werden, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, um einem Subjekt Selbstbewusstsein zuschreiben zu können. Die dafür zu leistende philosophische Analyse soll uns letztlich sagen können, welche Wissensansprüche mit der Zuschreibung von Selbstbewusstsein berechtigterweise verbunden werden können oder, anders ausgedrückt, was die Natur von Selbstbewusstsein ist. Allgemein enthält eine Darstellung der Natur eines Begriffs diejenigen Bedingungen, die notwendig und hinreichend für seine Anwendung sind. Man kann also von der philosophischen Tradition nicht einfach durch den Hinweis auf deren unzeitgemäße Fundierungsansprüche absehen, weil nach wie vor die Frage nach den begrifflichen Bedingungen der epistemischen Bezugnahme auf die eigenen mentalen Zustände einer Klärung bedarf, die eben nur mit den Mitteln der philosophischen Analyse gegeben werden kann. Das Hauptaugenmerk der nachfolgenden Untersuchung liegt auf der Behauptung, dass Selbstbewusstsein intersubjektive Bedingungen habe. Die Bezugnahme auf andere Subjekte, so lautet die These, muss als ein konstitutiver Bestandteil des Bewusstseins von sich selbst anerkannt werden. Vernachlässigt man die soziale Dimension, dann ist sowohl die Beschreibung des Phänomens als auch die Analyse des Begriffs „Selbstbewusstsein“ unvollständig. Mead hat dies einmal so beschrieben: „Es ist absurd, Geist einfach aus der Sicht des einzelnen menschlichen Organismus zu sehen. Denn obwohl dort sein Sitz ist, handelt es sich um ein wesentlich gesellschaftliches Phänomen (…).“2 Wolle man, so schreibt Mead weiter, den Geist umfassend erklären, dann könne dies „nur dann geschehen, wenn die gesellschaftliche Natur des Geistes anerkannt wird.“3 Dieser Aufforderung wird in jüngster Zeit insbesondere in den Kognitionswissenschaften nachgekommen. Die Erforschung solcher Phänomenen wie etwa der Joint Attention verleiht der Frage nach den intersubjektiven Be-

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G. H. Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, (aus der Sicht des Sozialbehaviorismus), hg. und eingel. von C. W. Morris, Frankfurt/Main 1995. Ebd.

Einleitung

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dingungen von Selbstbewusstsein eine erneute Aktualität.4 Und eben weil dies so ist, ist es nicht nur sinnvoll auf jene philosophischen Debatten zurückzugreifen, in denen das Problem der Intersubjektivität schon einmal ausführlich behandelt und diskutiert wurde, sondern durch eine systematische Sichtung und Argumentation die begriffliche Grundlage für die in der aktuellen empirischen Forschung unternommenen Untersuchungen bereit zu stellen.

II Die Annahme, dass Intersubjektivität ein konstitutiver Bestandteil wissender Selbstbezugnahmen sei, hat in der Philosophiegeschichte eine längere Tradition. Schon Fichte und Hegel wollten die epistemische Selbstaufklärung nicht ausschließlich dem solitären Subjekt allein aufbürden, sondern diese zugleich als eine Reaktion auf die Aufforderung durch den Anderen verstanden wissen. Die Motivation für die Inanspruchnahme anderer Subjekte lag dabei in einer Einsicht, die eine bestimmte Auffassung von der Struktur des Selbstbewusstseins betraf. Versteht man Selbstbewusstsein nämlich als einen Akt der Reflexion eines Subjekts auf sich als Objekt der Erkenntnis, dann muss die Bestimmung von Selbstbewusstsein in einen Zirkel geraten. Der Zirkel entsteht, weil das Subjekt, das sich als Objekt erkennen soll, schon wissen muss, dass es selbst das zu erkennende Objekt ist. Es ist aber dieses Wissen, das in der Reflexion erst konstituiert werden soll. Will man diesen Zirkel umgehen, kann man auf zwei Strategien zurückgreifen. Die erste besteht darin, ein präreflexives Wissen von sich selbst anzunehmen, durch das garantiert ist, dass ein Subjekt vor jeder Reflexion schon Kenntnis von sich selbst hat. Diesen Weg sind sowohl Sartre mit der Behauptung eines präreflexiven Cogitos, Henrich mit der Annahme einer grundlegenden wissenden Selbstbeziehung als auch Frank mit der Postulierung der Selbstvertrautheit gegangen. Zu zeigen, wie und warum diese Strategie scheitert, ist Teil der vorliegenden Arbeit. Die zweite, erfolgreiche Strategie ist dann diejenige, die in der vorliegenden Arbeit eingeschlagen wird. Um den Zirkels aufzulösen, genügt die Annahme, dass die Aufforderung zur Vergewisserung der eigenen Subjektivität von einem anderen Subjekt ausgehen muss. Dies geschieht dadurch, dass die Reflexion auf sich selbst als eine Reaktion auf einen äußeren Anstoß verstanden wird, der durch ein anderes Subjekt erfolgt. Es ist eine Besonderheit der intersubjektiven Strategie, dass nur Subjekte in der Lage sind, diese Art der Aufforderung zu leisten. Der Grund dafür liegt darin, dass eben nur Sub-

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Für einen guten Überblick siehe: N. Eilan et al. (Hrsg.), Joint Attention: Communication and Other Minds, Oxford 2005.

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Einleitung

jekte jene Eigenschaften aufweisen, auf die das einzelne Individuum auch tatsächlich mit einer Vergewisserung der eigenen Subjektivität reagieren kann. Welche Eigenschaften das sind, wird durch die einzelnen Proponenten von Intersubjektivitätstheorien sehr unterschiedlich bestimmt. Für Fichte etwa kann die Aufforderung nur von einer Entität ausgehen, die der „freien Selbstbestimmung zur Wirksamkeit“5 fähig ist, weil er die Reflexion auf sich als Tätigkeit denkt, die nur durch eine tätige Entität angestoßen werden kann. Für Hegel hingegen muss es ein Wesen sein, das zu gegenseitiger Anerkennung in der Lage und zudem bereit ist, den Kampf auf Leben und Tod zu wagen. Voraussetzung für beides ist die Fähigkeit zur Selbstnegation, ohne die es Hegel zufolge gegenseitige Anerkennung nicht geben würde. Mead andererseits nimmt an, dass die Aufforderung nur von Wesen ausgehen kann, die zu kommunikativen Handlungen fähig sind. Klarerweise ist das eine stark vereinfachende Darstellung der genannten Positionen. Sie unterstützt aber die Behauptung, dass alle Intersubjektivitätstheoretiker einig sind in der Annahme, dass die Aufforderung zur Vergewisserung der eigenen Subjektivität allein von anderen Subjekten ausgehen kann. Man kann also zu recht davon sprechen, dass es sich dabei um eines der Hauptmerkmale intersubjektivitätstheoretischer Auffassungen von Selbstbewusstsein handelt, das zudem, wie die Diskussion der Theorie des Selbst von Mead zeigen wird, nur scheinbar trivial ist. Natürlich gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen Fichte und Hegel auf der einen und Mead auf der anderen Seite, der keineswegs vernachlässigt werden sollte. Für die ersten beiden – und das gilt mit Einschränkung auch für Sartre – kommen die intersubjektiven Bedingungen von Selbstbewusstsein erst dann in den Blick, wenn die kognitive Selbstbeziehung in ein praktisches Selbstverhältnis übergeht. Für den grundlegenden, Selbstbewusstsein allererst konstituierenden Selbstbezug hingegen bleibt die solitäre Kognitionsbeziehung des Subjekts auf sich eine zunächst nicht hintergehbare Voraussetzung.6 Im Gegensatz dazu behauptet Mead, dass ein Subjekt Bewusstsein von sich selbst gar nicht erst entwickeln könnte, gäbe es nicht mindestens ein zweites Subjekt, das das erste zur Selbstbewusstwerdung aufforderte. In diesem Sinne sind

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Siehe J. G. Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre, Berlin 1971, 33; siehe dazu auch A. Honneth, „Die Transzendentale Notwendigkeit von Intersubjektivität“, in: J.-C. Merle (Hrsg.), Johann Gottlieb Fichte: Grundlage des Naturrechts, Berlin 2001, 63–80. Diese Behauptung stellt natürlich eine grobe Vereinfachung dar. Zumindest für Hegel könnte man ihren Wahrheitsgehalt auch durchaus anzweifeln, und zwar abhängig davon, wie man das Selbstbewusstseinskapitel der Phänomenologie des Geistes hinsichtlich seiner erkenntnistheoretischen Ansprüche interpretiert.

Einleitung

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intersubjektive Bedingungen in der Tat als Konstitutionsbedingungen für grundlegendes Selbstbewusstsein zu verstehen. Wie aber sehen die Argumente genau aus, die dafür sprechen, dass schon die kognitive Beziehung eines Subjekts auf sich selbst, genauer: auf die eigenen mentalen Zustände, intersubjektive Bedingungen hat? Überzeugen sie? Und wenn ja, müssen diese als notwendige Bedingungen verstanden werden? Dies sind die Fragen, die weite Teile der Untersuchung leiten werden.

III In der philosophischen Literatur werden mehrere Termini verwendet, wenn vom Selbstbewusstsein die Rede ist: „Selbstwissen“, „Selbsterkenntnis“, „Selbstbewusstsein“ oder „Erste-Person-Perspektive“. Nicht immer werden dabei die begrifflichen Abgrenzungen deutlich. Um Missverständnisse schon am Beginn der Untersuchung auszuschließen, sollen vorab einige begriffliche Klarstellungen erfolgen. Unter „Selbstbewusstsein“ wird in der vorliegenden Arbeit die kognitive Beziehung eines Subjekts auf bestimmte ihm selbst zugehörige Eigenschaften verstanden. In diesem Sinn hat ein Subjekt Selbstbewusstsein, wenn es sich selbst im Skopus eines epistemischen Operators mentale und andere Prädikate zuschreibt, die bestimmte Eigenschaften des Subjekts bezeichnen. Zwei Typen von Prädikaten sind hier zu unterscheiden. Einmal kann sich das Subjekt mentale Eigenschaften oder Zustände unter Verwendung psychologischer Prädikate zuschreiben. Diese Prädikate werden im Weiteren „φ-Prädikate“ genannt werden. Ein Subjekt kann sich aber auch andere, nicht-mentale Eigenschaften zuschreiben mithilfe von Prädikaten, die hier „σ-Prädikate“ genannt werden sollen. Freut man sich beispielsweise auf einen Opernbesuch, dann schreibt man sich das φ-Prädikat „sich freuen“ zu. Glaubt man hingegen, dass man in Berlin geboren ist, dann schreibt man sich das σ-Prädikat „in Berlin geboren“ zu. Beide Prädikate benennen bestimmte Eigenschaften eines Subjekts und in beiden Fällen liegt auch Selbstbewusstsein vor, sofern die Selbstzuschreibung absichtlich erfolgt. Die Tatsache, dass sich das Individuum selbst als Subjekt der Zuschreibung begreift, wird durch die Verwendung des Personalpronomens der ersten Person Singular ausgedrückt. In diesem Sinne kann man sagen, dass ein Subjekt Selbstbewusstsein hat, wenn es folgendem Satz zustimmen würde: „Ich glaube/weiß, dass ich selbst φ (oder σ)“. „Selbstbewusstsein“ wird demnach als der weitere Begriff verstanden, von dem die Begriffe „Selbsterkenntnis“ und des „Selbstwissen“ unterschieden werden müssen. Selbstwissen (und auch Selbsterkenntnis) hat ein Subjekt dann, wenn es dem Satz „Ich weiß, dass ich selbst φ (oder σ)“ zustimmte. In diesem Fall macht das Subjekt deutlich, dass die Selbstzuschreibung mit einem Wahrheitsanspruch auftritt, der auch begründet wer-

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Einleitung

den kann. Der Terminus „Erste-Person-Perspektive“ wird verwendet, wenn zum Ausdruck gebracht werden soll, dass Subjekte die Erfahrungen, die sie selbst betreffen, aus einer speziellen Perspektive heraus machen: der subjektiven Perspektive der ersten Person. Diese Erfahrungen können, müssen aber nicht, zu Selbstbewusstsein führen. Oder anders gesagt, das Vorliegen erstperspektivischer Erfahrungen und Erlebnisse ist nicht schon hinreichend für die Zuschreibung von Selbstbewusstsein, möglicherweise aber notwendig. Mit dem Gebrauch des Ausdrucks „Erste-Person-Perspektive“ soll dieser Unterschied jedenfalls begrifflich erfasst werden. In dem Zusammenhang ist wichtig, dass der Terminus „Erste-Person-Perspektive“ eine allgemeine Erfahrungsperspektive kennzeichnet, die von den individuell unterschiedlich ausgeprägten sensitiven und kognitiven Fähigkeiten absieht, auf deren Grundlage jedes einzelne Individuum seine eigenen Erfahrungen macht. Der letzte Ausdruck, der in diesem Kontext erwähnt werden sollte, ist der Ausdruck „Begriff von sich selbst“. Damit ist gemeint, dass ein Subjekt genau dann über einen Begriff von sich selbst verfügt, wenn es sich auch als Träger der selbstzugeschriebenen Eigenschaften versteht. Das Verhältnis von Selbstbewusstsein und dem Verfügen über einen Begriff von sich selbst sieht dann folgendermaßen aus: Sofern ein Subjekt über einen Begriff von sich selbst verfügt, ist es auch selbstbewusst. Die Verwendung des Ausdrucks „Begriff von sich selbst“ geschieht in der Absicht, die hohen epistemischen Reflexionsansprüche zu umgehen, die mit dem Gebrauch des Ausdrucks „Selbstbewusstsein“ in traditioneller Weise verbunden sind. Durch die Verwendung des Selbstbegriffs zur Kennzeichnung von Selbstbewusstsein lässt sich von einem Subjekt sagen, es sei selbstbewusst, ohne zugleich zu implizieren, dass sein Selbstbewusstsein das Resultat einer epistemischen Reflexion auf sich selbst sein muss. Der zweite Begriff, der in dieser Arbeit eine tragende Rolle spielt, ist der Begriff der Intersubjektivität. „Intersubjektivität“ ist ein zwar häufig gebrauchter aber selten explizierter Begriff. Selbst in der Entwicklungspsychologie, wo man sogar zwischen „primärer“ und „sekundärer“ Intersubjektivität unterscheidet, wird eigentlich nie ganz deutlich, welche Kriterien für die Anwendung des Begriffs gelten sollen.7 Dabei versteht sich der Begriff keineswegs von selbst. Welches sind also die Kriterien, die zu seiner Anwendung berechtigen? Oder anders gefragt: Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit eine Beziehung als intersubjektive Beziehung verstanden werden kann? Nachfolgend wird der Begriff „Intersub-

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Vgl. dazu den Sammelband von U. Neisser (Hrsg.), The Perceived Self: Ecological and Interpersonal Sources of Self-Knowledge, Cambridge 1993.

Einleitung

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jektivität“ dann verwendet, wenn drei Bedingungen erfüllt sind. Erstens: Es muss sich um eine Beziehung zwischen Subjekten handeln. Diese Bedingung erscheint zunächst trivial, weil sie im Begriff „Intersubjektivität“ schon enthalten ist. Durch diese Bedingung wird aber unter anderem ausgeschlossen, dass es intersubjektive Beziehungen zwischen Gehirnen im Tank oder Geistern geben könnte. Zweitens: Eine intersubjektive Beziehung setzt voraus, dass die Subjekte zu einer intentionalen Bezugnahme fähig sind. Subjekte, die keine intentionalen mentalen Zustände haben, können auch keine intersubjektive Beziehung zu anderen Subjekten eingehen. Klarerweise sind daher bestimmte Formen tierischer Kooperation und Kommunikation wie der Informationsaustausch bei staatenbildenden Insekten oder in Schwärmen kein Fall einer intersubjektiven Beziehung. Außerdem sind nicht alle interaktiven Beziehungen zwischen Individuen immer auch intersubjektive Beziehungen, nämlich dann nicht, wenn sie auf instinktiven Verhaltensabläufen basieren. Hier ist eine Unterscheidung zwischen den Begriffen „Interaktion“ und „Intersubjektivität“ gefordert. Eine Beziehung ist genau dann interaktiv, wenn die Kooperation der Erfüllung unmittelbarer Wünsche oder dem Erreichen gemeinsamer Ziele dient, ohne dass dabei ein wechselseitiges Engagement von Nöten wäre. Beispiele für derartige soziale Verhaltensweisen sind etwa das gemeinsame Jagen oder auch die Fellpflege bei Primaten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass interaktive Beziehungen auf der Basis einer intentionalen Bezugnahme erfolgen, aber es wird nicht vorausgesetzt. Interaktion ist sicher ein wesentlicher Bestandteil intersubjektiver Beziehungen. Bei Wesen – wie Gehirnen im Tank oder Geistern –, die nicht interagieren können, liegt eben nicht nur zufälligerweise keine Intersubjektivität vor. Warum die Begriffe „Interaktion“ und „Intersubjektivität“ dennoch nicht synonym sind, wird durch die dritte Bedingung deutlich. Denn eine Beziehung zwischen Subjekten, die sich intentional aufeinander beziehen können, ist erst dann eine intersubjektive Beziehung, wenn die Bezugnahme wechselseitig erfolgt. Das bedeutet, dass das einzelne Subjekt sich sowohl als Adressat einer Bezugnahme verstehen als auch auf diese Bezugnahme reagieren kann. Alle drei genannten Bedingungen sind notwendige Bedingungen für die Anwendung des Begriffs „Intersubjektivität“. Die Bedingung der Reziprozität sollte zudem als hinreichende Bedingung für das Vorliegen einer intersubjektiven Beziehung verstanden werden. Die Fähigkeit, eine Sprache zu sprechen, ist dagegen zwar eine hinreichende aber keine notwendige Bedingung für Intersubjektivität. Es wird sich jedoch zeigen, dass die dritte

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Einleitung

Bedingung – Reziprozität – nur dort auch tatsächlich erfüllt ist, wo Subjekte miteinander kommunizieren.8

IV Die These, für die in der Arbeit argumentiert werden soll, kann in einem kurzen Satz präsentiert werden: Selbstbewusstsein hat intersubjektive Bedingungen. Das bedeutet, dass eine intersubjektive Beziehung zwischen mindestens zwei Personen eine notwendige Voraussetzung dafür ist, dass ein Subjekt Selbstbewusstsein haben kann. Ohne ein solches intersubjektives Verhältnis, könnte ein einzelnes Subjekt keinen Begriff von sich selbst entwickeln, es wäre nicht selbstbewusst. Trotzdem ist das Vorliegen einer intersubjektiven Beziehung keine hinreichende Bedingung für Selbstbewusstsein. Dies vor allem deshalb nicht, weil die drei genannten Bedingungen nicht notwendigerweise ausschließen, dass sich auch nichtselbstbewusste oder noch nicht-selbstbewusste Subjekte in intersubjektiven Verhältnissen befinden könnten. Für die These wird in drei Schritten argumentiert. Im ersten Kapitel wird gezeigt, dass die Eigenschaften, die dem Selbstbewusstsein gewöhnlich zugesprochen werden, die Behauptung intersubjektiver Bedingungen nicht ausschließen. Drei Eigenschaften werden untersucht: die Eigenschaft der Infallibilität, der Transparenz und der Meinigkeit. Alle drei Eigenschaften charakterisieren Selbstbewusstsein auf eine bestimmte Weise, aber keine der Eigenschaft muss so zu beschrieben werden, dass die Annahme intersubjektiver Bedingungen unmöglich oder unsinnig wird. Im zweiten Kapitel wird dann ein Argument vorgestellt und diskutiert, das für intersubjektive Bedingungen von Selbstbewusstsein spricht. Das Argument besagt, dass ein Subjekt nur dann Selbstbewusstsein haben kann, wenn es wechselseitige Interaktionen mit anderen Subjekten hat oder

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Der einzige Versuch einer Analyse des Begriffs „Intersubjektivität“, den ich kenne, stammt von M. Kettner und A. Øfsti. Sie nennen vier notwendige Bedingungen für Intersubjektivität: Interpersonalität, Sprachvermitteltheit, Performativität und Reziprozität. Problematisch sind hier insbesondere die erste und die zweite Bedingung. Die Annahme, dass eine intersubjektive Beziehung nur zwischen Personen bestehen soll, ist angesichts des umstrittenen Extensionsbereichs des Begriffs „Person“ fragwürdig. Und das Sprechen einer Sprache ist keine notwendige sondern nur eine hinreichende Bedingung für Intersubjektivität. Auch die Bedingung der Performativität ist nicht unproblematisch. Wenn unter „Performativität“ ausschließlich Sprechhandlungen verstanden werden, dann kann auch diese Bedingung nur als hinreichend angesehen werden. M. Kettner, A. Øfsti, „‚Intersubjektivität‘ – einige Analyseschritte“, in: G. Meggle (Hrsg.), Analyomen. Proceedings of the 2nd Conference: „Perspectives in Analytical Philosophy“, Berlin/New York 1997, 468–477.

Einleitung

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hatte. Die Hauptlast der Verteidigung des Arguments trägt die Diskussion von Meads Theorie des Selbst. Mead nimmt an, dass ein Subjekt nur dann über einen Begriff von sich selbst verfügen kann, wenn es mit anderen Subjekten interagiert. Die einzigen Interaktionen, denen Mead jedoch zugesteht, das sie tatsächlich zu einer Vergewisserung der eigenen Subjektivität führen, sind kommunikative Interaktionen. Sowohl für Selbstbewusstsein als auch für Sprache ist dabei die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme eine notwendige Bedingung. Im Gegensatz zu seinen intersubjektivitätstheoretischen Vorgängern – wie Hegel und Fichte – interessiert sich Mead zunächst deshalb für die intersubjektive Struktur des Selbstbewusstseins, weil er das Subjektive pragmatisieren will. In seiner Theorie des Selbst bildet deshalb die empirische Person in ihren sozialen Bezügen den zu untersuchenden Gegenstand. Dabei lehnt er den Anspruch, mit dem Selbstbewusstsein sei ein Sachverhalt benannt, der als Fundierung allgemeiner Wissensansprüche gelten kann, ausdrücklich ab. Erst wenn man Selbstbewusstsein als „natürliches, nicht als transzendentales Phänomen“9 verstünde, könne man es im Rahmen interaktiver Handlungs- und Kommunikationsprozesse aufklären. Auf diese Weise führt Mead die Frage nach der intersubjektiven Struktur von Selbstbewusstsein direkt zu der Erforschung der intersubjektiven Struktur von Kommunikation. Den umgekehrten Weg – von den Bedingungen der Kommunikation zu den Bedingungen von Selbstbewusstsein – sind all jene gegangen, die im Kontext bedeutungstheoretischer Analysen zu der Überzeugung gelangten, dass Selbstbewusstsein schon deshalb nicht über die Explikation seiner subjektiven Struktur verstanden werden kann, weil sprachliche Bedeutung nicht ausschließlich subjektiv sein kann. Die Frage nach den intersubjektiven Bedingungen von Selbstbewusstsein als Konsequenz der intersubjektiven Verfasstheit sprachlicher Bedeutung taucht im Schlepptau der Theorien des semantischen Externalismus auf. Eine grundsätzliche Überlegung des semantischen Externalismus besagt nämlich, dass der einzelne, solitäre Sprecher die Inhalte seiner Gedanken und Überzeugungen nicht unabhängig von seiner jeweiligen Umgebung bestimmen kann, weil der kausale Kontakt mit der Umgebung von entscheidender Relevanz für die Bedeutung bestimmter Ausdrücke ist. Zu einer Theorie über die intersubjektiven Bedingungen von Bedeutung wird der Externalismus allerdings erst dadurch, dass er die Sprechergemeinschaft in die Pflicht nimmt, wenn es darum geht, die externen Faktoren zu bestimmen, die die Bedeutung von Sätzen und Ausdrücken festlegen. Wäre sprachliche Bedeutung intersubjektiv verfasst, müsste es, so kann man diesen Punkt zusammenfassen,

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Mead, 1995, 49.

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Einleitung

mindestens eine zweite Person geben, ohne die kein Satz und keine Äußerung überhaupt Bedeutung hätte. In diesem Fall wäre die zweite Person eine notwendige Bedingung für die Bedeutung jedes einzelnen Satzes. Nimmt man nun zusätzlich an, dass die Selbstzuschreibung von mentalen Zuständen oder Gedanken durch Sätze, Ich-Sätze zum Beispiel, erfolgt, dann muss eben auch für diese Sätze gelten, dass die zweite Person eine notwendige Bedingung für deren Bedeutung ist. Diskutiert werden drei Vertreter des Externalismus: Putnam, Burge und Davidson. Es wird sich jedoch zeigen, dass nur Davidsons Theorie tatsächlich einen Vorschlag zu den intersubjektiven Bedingungen von Bedeutung macht, weil nur in seiner Theorie die für das Vorliegen einer intersubjektiven Beziehung notwendige Bedingung der Reziprozität erfüllt wird. Putnam und Burge behaupten zwar auch, dass Bedeutung auf sozialen Faktoren beruht, deren Analyse wesentlich für unser Verständnis von Bedeutung sei; diese genügen aber nicht der Definition von Intersubjektivität, von der hier ausgegangen wird. Am Ende werden die zusammengetragenen Argumente und Analysen klar ergeben, dass ein Subjekt nur dann über einen Begriff von sich selbst verfügt, wenn es kommunikative Interaktionen mit anderen Subjekten hatte. Ohne ein anderes Individuum könnte das solitäre Subjekt keinen Begriff von sich selbst entwickeln, es hätte folglich auch kein Selbstbewusstsein. Selbstbewusstsein hat also in der Tat intersubjektive Bedingungen.

I. Die Eigenschaften von Selbstbewusstsein Sagt man von einem Subjekt, es sei seiner selbst bewusst, dann unterstellt man zum einen, dass es wisse, was es denke, aber auch, dass es wisse, wie es ist, eine bestimmte Empfindung oder Wahrnehmung zu haben. Das Wissen des Selbstbewusstseins umfasst aber nicht nur die eigenen geistigen Zustände und deren Inhalte, es betrifft auch das Subjekt als Träger dieser Zustände: Sofern es etwas denkt, wahrnimmt oder empfindet, weiß es auch, dass es selbst das Subjekt ist, das denkt, wahrnimmt oder empfindet. Hinzu kommt, dass das Subjekt mentale Zustände und Gedanken nicht einfach nur erlebt, es erfährt sie insbesondere als seine eigenen Zustände und Gedanken. All diese Annahmen ergeben zusammen das, was man das Wissen des Selbstbewusstseins nennen kann. Selbstbewusstsein in diesem Sinne hat also eine explizit epistemische Konnotation; es geht um Selbstzuschreibungen, die mit einem Geltungsanspruch auftreten. Konkret können drei Eigenschaften unterschieden werden, die Selbstbewusstsein kennzeichnen. Das ist erstens die Eigenschaft der Infallibilität. Diese Eigenschaft lässt sich folgendermaßen beschreiben: In dem Moment, in dem sich ein Subjekt einen geistigen Zustand zuschreibt, kann es sich nicht darüber irren, dass es selbst Subjekt dieser Zuschreibung ist. Selbst in dem Fall, in dem sich alle Selbstzuschreibungen als falsch herausstellen sollten, macht es immer noch eine wahre Aussage. Man kann zwar, wie Descartes sagte, an allem zweifeln, aber nicht daran, dass man selbst derjenige ist, der zweifelt. Die Eigenschaft der Infallibilität betrifft also das Wissen um das Subjekt des Selbstbewusstseins. Die zweite Eigenschaft ist eine, die nachfolgend Transparenz genannt werden soll. Sie betrifft das Wissen von den eigenen geistigen Zuständen: Sobald ein Subjekt glaubt, dass es sich in einem bestimmten mentalen Zustand befindet, weiß es auch, dass es sich in diesem Zustand befindet, weil alles, was zur Rechtfertigung dieses Wissens benötigt wird, dem Subjekt in dem Moment gegeben ist, in dem ihm ein bestimmter mentaler Zustand bewusst ist. Die dritte Eigenschaft ist dann die der Meinigkeit; sie vervollständigt die Charakterisierung von Selbstbewusstsein. Erst wenn man weiß, dass die mentalen Zustände, die man sich zuschreibt, die eigenen Zustände sind, weil man selbst jenes Subjekt ist, dass diese Zustände erlebt, verfügt man über einen Begriff von sich selbst. Selbstbewusstsein liegt also dann vor, wenn ein Subjekt sich selbst als dasjenige Wesen versteht, das sich bestimmte Zustände zu-

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Die Eigenschaften von Selbstbewusstsein

schreibt und es diese außerdem als seine eigenen Zustände bestimmen kann. Die drei genannten Eigenschaften sind für das Vorliegen von Selbstbewusstsein oder für die Anwendung des Begriffs „Selbstbewusstsein“ konstitutiv. Das bedeutet, dass man einem Subjekt nur dann Selbstbewusstsein in dem genannten Sinne zuschreiben kann, wenn alle angeführten Anwendungskriterien auch erfüllt sind.1 Nun werden allerdings alle Eigenschaften in einer Weise beschrieben, die es zunächst unmöglich erscheinen lässt, dass Selbstbewusstsein intersubjektive Bedingungen haben könnte. In diesem ersten Kapitel wird daher zunächst untersucht, ob sich diese Eigenschaften tatsächlich aus prinzipiellen Gründen der Behauptung intersubjektiver Bedingungen verschließen. Die durch die nachfolgende Untersuchung zu verteidigenden These lautet dann wie folgt: Zwar charakterisieren die genannten Eigenschaften Selbstbewusstsein tatsächlich in konstitutiver Weise, zugleich aber ist ihre Beschreibung mit einer Theorie des Selbstbewusstseins kompatibel, die intersubjektive Bedingungen für Selbstbewusstsein ausweist. 1

Für viele Philosophen sind die hier genannten Anwendungsbedingungen für den Begriff des Selbstbewusstseins zu stark, und zwar aus verschiedenen Gründen: 1. Nicht alle Philosophen nehmen an, dass Selbstbewusstsein notwendigerweise mit Wissen einhergeht. Spricht man lediglich von Selbstzuschreibungen, die ein Subjekt vornimmt, dann scheint man den hohen epistemischen Anforderungen aus dem Weg gehen zu können, die mit dem von mir vertretenen Begriff von Selbstbewusstsein zunächst verbunden sind. Allerdings werden natürlich auch Selbstzuschreibungen daraufhin untersucht, ob sie wahr oder falsch sind. 2. Andere nehmen an, dass es für die Anwendung des Begriffs „Selbstbewusstsein“ schon genügt, wenn Formen nicht-sprachlicher Selbstreferenz vorliegen. Diese Annahme geht häufig mit einem Stufenmodell von Selbstbewusstsein einher. (Newen/Fiebich, Bermúdez) 3. Einige Philosophen behaupten, dass es für die Zuschreibung von Selbstbewusstsein genügt, wenn das Subjekt bestimmte Eigenschaften als seine eigenen erlebt; die Fähigkeit sich diese selbst zu zuschreiben ist in diesem Modell keine Bedingung. (Zahavi) Obwohl auch ich davon ausgehe, dass es verschiedene Formen von Selbstbezugnahme gibt, die nicht alle mit Geltungsansprüchen versehen sind, denke ich, dass der Begriff des Selbstbewusstseins einen klaren Anwendungsbereich haben sollte, weshalb ich annehme, dass nicht-begriffliche Formen der Selbstreferenz oder perspektivische Erlebnisse nicht hinreichend sind für die Zuschreibung von Selbstbewusstsein. Vgl. zu den hier genannten Positionen: A. Newen/A. Fiebich, „A Developmental Theory of Self-Models: IndividualCognitive and Social-Cognitive Dimensions of Self-Consciousness“, in: W. Mack/G. Reuter (Hrsg.), Social Roots of Self-Consciousness. Psychological and Philosophical Contributions, Berlin 2009, 161–186; J. L. Bermúdez, „Sources of Self-Consciousness“, in: Proceedings of the Aristotelian Society 102, 2002, 87– 107; ders., „What is at Stake in the Debate About Non-Conceptual Content?“, in: Philosophical Perspectives 21, 2007, 55–72 und D. Zahavi, Subjectivity and Selfhood: Investigating the First-Person Perspective, Cambridge 2005.

Infallibilität und Gewissheit

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1. Infallibilität und Gewissheit Seit Descartes scheint das Wissen, das mit dem Gedanken „ich denke“ verbunden ist, mit Gewissheit behauptet werden zu können. Diese Gewissheit kommt ihm in einer die zweite Person prima facie ausschließenden Weise zu, denn sie gilt nur für Individuen, die den Gedanken „ich denke“ auch tatsächlich haben (oder haben könnten), und das auch nur, solange dieser Gedanke aktuell besteht. Während jedes andere Wissen grundsätzlich fallibel ist, gilt dies nicht für das Wissen, das ein Subjekt von sich selbst als Träger seiner eigenen Gedanken und mentalen Zustände hat. Wie sieht das Verhältnis von Wissen und Gewissheit nun aber konkret aus? Allgemein gilt, dass ein Sachverhalt genau dann für eine Person gewiss ist, wenn sie glaubt, dass er besteht und sie zudem nicht in sinnvoller Weise an ihm zweifeln kann. Diese generelle Bestimmung des Ausdrucks „Gewissheit“ als Abwesenheit von Zweifel lässt allerdings zwei Interpretationen zu. Einmal kann ein Sachverhalt für eine Person genau dann gewiss sein, wenn sie der festen Überzeugung ist, dass der Sachverhalt besteht, ohne diese Überzeugung jedoch in jedem Fall rechtfertigen zu können. Beispiele dafür sind Sätze, deren Wahrheit angenommen werden muss, weil sie einem bestimmten System von Überzeugungen zugrunde liegen oder sich für das Handeln als unabdingbar erweisen, weshalb sie vom Zweifel ausgenommen sind. In solchen Fällen kann man – mit Wittgenstein – von subjektiver Gewissheit sprechen. Im Gegensatz dazu spricht man von objektiver Gewissheit, wenn man nicht nur fest überzeugt ist, dass ein bestimmter Sachverhalt vorliegt, sondern die Möglichkeit zu zweifeln zudem logisch ausgeschlossen ist. In diesem Fall wäre es unsinnig oder töricht, weiter zu zweifeln.2 Die Kennzeichnung einer Überzeugung als objektiv gewiss muss allerdings argumentativ ausgewiesen werden, indem ein Grund für die Unmöglichkeit zu zweifeln angegeben wird. Subjektive Gewissheit unterscheidet sich somit von objektiver Gewissheit dadurch, dass die Gründe für die Abwesenheit des Zweifels jeweils verschieden bestimmt werden. Für subjektive Gewissheit können letztlich auch pragmatische Gründe geltend gemacht werden, sofern sie zu einer subjektiv gewissen Überzeugung führen. Ist ein Sachverhalt hingegen objektiv gewiss, das heißt, ist Irrtum aus

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Dazu Wittgenstein in „Über Gewißheit“: „Mit dem Wort ‚gewiß‘ drücken wir die völlige Überzeugung, die Abwesenheit jedes Zweifels aus, und wir suchen damit den Andern zu überzeugen. Das ist subjektive Gewissheit. Wann aber ist etwas objektiv gewiß? – Wenn ein Irrtum nicht möglich ist. Aber was für eine Möglichkeit ist das? Muß der Irrtum nicht logisch ausgeschlossen sein?“ L. Wittgenstein, Über Gewißheit [ÜG], Frankfurt/Main 1984, § 194.

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logischen Gründen unmöglich, dann ist die Frage des Überzeugtseins nicht wirklich von Belang. Weder subjektive noch objektive Gewissheit implizieren jedoch notwendigerweise Wissen. Überzeugungen, die subjektiv gewiss sind, können durchaus falsch sein. Während Überzeugungen, die objektiv gewiss sind, dies ganz unabhängig davon sein können, ob man hinsichtlich der betreffenden Sachverhalte tatsächlich Wissen hat oder nicht. Die Fragen, wann eine Überzeugung gewiss ist und wann eine Überzeugung Wissen ist, erfordern schlicht unterschiedliche Antworten.3 In analytisch orientierten Theorien des Selbstbewusstseins wird nun die Gewissheit des „ich denke“ als eine spezielle Art der Unfehlbarkeit beschrieben, die – vermittelt über den Indikator „ich“ – denjenigen Sätzen zukommt, mit denen Selbstbewusstsein ausgedrückt wird. Ein Grund dafür ist, dass die Eigenschaft der Unfehlbarkeit oder Infallibilität die Gewissheitsforderung zu erfüllen scheint. Es ist in der Tat schwierig sich einen Fall möglichen Irrtums vorzustellen, sobald man sich unter Verwendung des Wortes „ich“ jeweils auf sich selbst bezieht. Stellen wir uns die Person A vor, die nach einem Unfall im Krankenhaus erwacht und keinerlei Erinnerung mehr an die Zeit vor ihrem Unfall hat, einschließlich aller Überzeugungen, die sie selbst betreffen. Trotz ihrer beträchtlichen Amnesie kann es keinen Zweifel darüber geben, dass A weiß, dass sie diejenige ist, die Schokolade möchte, wenn sie den Satz „Ich möchte gern Schokolade“ äußert. Sogar in Situationen, in denen einem fast keine Überzeugungen über sich selbst mehr zur Verfügung stehen, kann man also, verwendet man das Pronomen der ersten Person Singular, noch wahre Aussagen über sich selbst machen (oder Gedanken über sich selbst haben). Mit dem Gebrauch von „ich“ scheint somit eine Form epistemischer Gewissheit einher zu gehen, die darin besteht, dass einige Selbstzuschreibungen durch ein unfehlbares Wissen begründet sind, das man von sich selbst hat. Im folgenden Abschnitt geht es mir darum, das Verhältnis von Infallibilität und objektiver Gewissheit in Hinblick auf die Grammatik des Wortes „ich“ zu beleuchten. Ich werde zeigen, dass durch die Verwendung des Pronomens der ersten Person Singular keine Wissensansprüche geltend gemacht werden können. Die Gewissheit des „ich denke“ ergibt sich nicht aus der Behauptung eines infalliblen Wissens von sich selbst, sondern, im Gegenteil, aus der schlichten Tatsache, dass dort, wo nichts gewusst wird, auch nicht gezweifelt werden kann. Die behauptete epistemische Gewiss-

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Natürlich gibt es hier Überschneidungen. So sind „sichere“ Gründe auch objektiv gewiss. „Sichere“ Gründe liegen vor, wenn mithilfe dieser Gründe eine Überzeugung derart gerechtfertigt werden kann, dass jeder Zweifel ausgeschlossen ist.

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heit erweist sich damit als ein Mythos. In diesem Fall muss es jedoch einen anderen Grund geben, der erklärt, weshalb der Gebrauch des Ausdrucks „ich“ trotzdem zu objektiv gewissen Überzeugungen führt, bei denen ein Zweifel aus logischen Gründen ausgeschlossen ist. Ich werde argumentieren, dass der Grund für die objektive Gewissheit in der grammatikalischen Besonderheit liegt, die das Personalpronomen „ich“ als indexikalischen Ausdruck konstituiert: Wendet ein Sprecher oder Denker den Ausdruck „ich“ in kompetenter Weise an, um sich damit auf sich selbst zu beziehen, kann er in seiner Referenz nicht fehlgehen. Diese Überlegung hat natürlich Konsequenzen für die Frage nach den intersubjektiven Bedingungen von Selbstwissen. Wenn der Nachweis gelingt, dass die dem Selbstbewusstsein zugesprochene objektive Gewissheit nicht auf einem unfehlbaren, anderen Subjekten prinzipiell nicht zugänglichem Wissen von sich selbst beruht, sondern durch die grammatische Struktur des Personalpronomens „ich“ erklärt werden kann, dann steht einer intersubjektivitätstheoretischen Analyse von Selbstbewusstsein in Hinsicht auf das Merkmal der Infallibilität nichts mehr im Wege. Die Argumentation soll nun anhand zweier Thesen ausgeführt werden, die beide für sich beanspruchen, die Eigenschaft der Infallibilität zu exemplifizieren. Die erste These geht auf eine Formulierung von Shoemaker zurück. Sie lautet: (iIFi): Sätze, mit denen sich eine Person unter Verwendung des Ausdrucks „ich“ mentale Prädikate zuschreibt, sind „gegen einen Irrtum immun, der darauf zurückzuführen ist, daß man die falsche Person identifiziert hat, oder – wie ich besser sagen sollte – sie sind gegen einen Irrtum durch Fehlidentifizierung bezüglich der Pronomina der ersten Person immun.“4 Die (iIFi)-These besagt, dass sich A, wenn sie zum Beispiel den Satz „Ich möchte gern Schokolade“ äußert oder denkt, nicht darüber irren kann, wer Schokolade möchte, weil sie unmöglich einem anderen Subjekt als sich selbst den Wunsch zuschreiben kann, Schokolade zu wollen. Mit der Zu-

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S. Shoemaker, „Selbstbezug und Selbstbewußtsein“, in: M. Frank (Hrsg.), Analytische Theorien des Selbstbewußtseins, Frankfurt/Main 1994, 43–59, 45, hervorgehoben von mir. Für die engl. Version siehe S. Shoemaker, „Self-Reference and Self-Awareness“, in: The First-Person Perspective and Other Essays, Cambridge 1996, 6–18, 7. Das Kürzel „iIFi“ steht für „immun gegen Irrtum durch Fehlidentifizierung“ in Analogie zu der in englischen Texten verwendeten Abkürzung „IEM“ (Immunity to Error through Misidentification).

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schreibung bestimmt sich A als identisch mit dem Subjekt, das den Wunsch nach Schokolade hat, und dies geschieht immer irrtumsfrei. Die These, dass es Überzeugungen gibt, die immun gegen den Irrtum durch Fehlidentifizierung (iIFi) sind, muss allerdings von einer anderen These unterschieden werden. Diese zweite These (iIFr) behauptet, dass es Überzeugungen gibt, die deshalb immun sind, weil sie keinem Irrtum durch Fehlreferenz unterliegen. Dabei handelt es sich um Überzeugungen, die durch den Gebrauch des Pronomens „ich“ gekennzeichnet sind. Mit beiden Thesen wird jeweils Verschiedenes behauptet, wobei die letzte These als eine Korrektur der ersten verstanden werden muss. Erst mit der zweiten These gelingt es jedoch, die geltend gemachte Immunität tatsächlich zu erklären.5 (iIFr): Sätze, mit denen sich eine Person unter Verwendung des Wortes „ich“ bestimmte Prädikate zuschreibt, sind gegen einen Irrtum immun, der darauf zurückzuführen ist, dass der Sachbezug des Ausdrucks „ich“ fehlgehen kann. Sie sind mithin gegen einen Irrtum durch Fehlreferenz immun. Der Unterschied zwischen der (iIFi)-These und der (iIFr)-These besteht darin, dass nur mit der ersten These behauptet wird, dass ein Subjekt sich zweifelsfrei selbst identifiziert, wenn es sich eine bestimmte Überzeugung zuschreibt. Bei der (iIFr)-These ist hingegen von einer Identifizierung keine Rede. Stattdessen wird behauptet, dass die Referenz des Ausdrucks „ich“ bei jeder Verwendung garantiert ist, weshalb das Subjekt sich mit „ich“ immer auf sich selbst bezieht, mag das, was es von sich glaubt, wahr oder falsch sein. Shoemaker spricht davon, dass in bestimmten Fällen der Gebrauch des Wortes „ich“ eine „Referenz ohne Identifizierung“6 enthält und es sind diese Fälle, auf die sich die (iIFr)-These bezieht. Wenn A also ihren Wunsch nach Schokolade durch den genannten „ich“-Satz ausdrückt, dann kann sie sich hinsichtlich vieler Dinge irren, aber sie greift irrtumsfrei diejenige Person (oder besser, weil vorerst theoretisch neutraler: denjenigen Referenten) heraus, die (der) diesen Wunsch hat. Der Unterschied zwi-

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Dass die These der Immunität gegen Fehlidentifizierung von der These der Immunität gegen Fehlreferenz unterschieden werden muss, weil mit ihnen jeweils verschiedene Behauptungen aufgestellt werden, hat Keil deutlich gemacht. Vgl. G. Keil, „Indexikalität und Infallibilität“, in: A. Øfsti et. al. (Hrsg.), Indexicality and Idealism: The Self in Philosophical Perspektive, Paderborn 2000, 25–52, 25 f. Shoemaker, 1994, 46/engl., 1996, 9. Akzeptiert man den Vorschlag, dass es sich hier um zwei Thesen handelt, die jeweils andere Behauptungen aufstellen, dann ist Shoemaker eher als Vertreter der (iIFr)- denn der (iIFi)-These zu verstehen.

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schen beiden Thesen kann noch von einer anderen Seite her präzisiert werden. Etwas mit etwas zu identifizieren bedeutet, eine Identität zwischen zwei Sachverhalten oder Ereignissen herzustellen. Die (iIFi)-These behauptet nun, dass genau diese Identifikationsleistung im Selbstbewusstsein erbracht wird, wodurch sich dessen Eigenschaft erklären ließe, infallibel zu sein. Im Gegensatz dazu tritt die (iIFr)-These epistemisch bescheidener auf. Denn mit ihr wird lediglich behauptet, dass der Sachbezug des Ausdrucks „ich“ garantiert ist, sobald man ihn für die Zuschreibung bestimmter Prädikate auf sich selbst verwendet. Beide Thesen haben jedoch eines gemeinsam. Sie sollen erklären, aufgrund welcher Annahmen ich weiß, dass ich diejenige Person bin, die denkt, wahrnimmt oder empfindet. Beide sind deshalb keine Thesen darüber, dass Selbstzuschreibungen einer bestimmten Art infallibel sind. Bisher war davon die Rede, dass all jene Sätze und Gedanken irrtumsimmun sind, mit denen sich eine Person unter der Verwendung des Ausdrucks „ich“ bestimmte Überzeugungen oder bestimmte Prädikate zuschreibt. Tatsächlich scheint die Infallibilitätsthese aber zunächst auf die Zuschreibung mentaler Prädikate eingeschränkt. Wittgenstein, auf den sich Shoemaker mit seiner Formulierung der Immunitätsthese bezieht, hatte zwei Verwendungsweisen von „ich“ unterschieden: Für „ich“ im Subjektgebrauch, so Wittgenstein, gelte die Infallibilitätsthese, für „ich“ im Objektgebrauch indes bleibt die „Möglichkeit des Irrtums vorgesehen“.7 Man könnte Wittgensteins Unterscheidung nun so interpretieren, dass der Subjektgebrauch von „ich“ immer dann gegeben ist, wenn sich ein Subjekt psychologische Prädikate zuschreibt. Allerdings zeichnen Wittgensteins Beispiele, auf die sich auch Shoemaker bezieht („Ich sehe so und so“, „Ich habe Zahnschmerzen“, „Ich versuche meinen Arm zu heben“), ein anderes Bild. Evans hat dann im Anschluss an Shoemaker dafür argumentiert, dass nicht nur Selbstzuschreibungen mentaler sondern auch bestimmter körperlicher (i.e. propriozeptiver) Prädikate immun gegen den Irrtum durch Fehlidentifizierung sind.8 Man kann der Diskussion um die Reichweite des Subjektgebrauchs von „ich“, und damit der Frage, welche Selbstzuschreibungen dem genannten Irrtum unterliegen und welche nicht, jedoch durch eine allgemeinere Formulierung aus dem Weg gehen. Demnach gibt es mindestens eine Klasse von Prädikaten, deren Zuschreibung genau dann als irrtumsimmun betrachtet wird, wenn sich ein Sprecher diese Prädikate in der

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Beispiele für den Objektgebrauch sind: „Der Wind zerweht meine Haare“, „Ich habe eine Beule auf der Stirn“ und „Mein Arm ist gebrochen“. L. Wittgenstein, „Das Blaue Buch“, in: Das Blaue Buch, Eine Philosophische Betrachtung (Das Braune Buch) [BB], Frankfurt/Main 1984, 106. G. Evans, Varieties of Referenz, Oxford/New York, 1982.

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ersten Person Singular selbst zuschreibt. Das impliziert, dass die Perspektive der Zuschreibung – d. i. die Erste-Person-Perspektive – ein wesentlicher Bestandteil der Wahrheitsbedingungen derjenigen Sätze ist, die solche Prädikate enthalten. Dieses Kriterium wird von Selbstzuschreibungen mentaler Prädikate in jedem Fall erfüllt. Daraus folgt allerdings nicht, dass die in Frage stehende Immunität aufgrund der zugeschriebenen Prädikate besteht. Für unsere Zwecke zunächst besser geeignet als die von Wittgenstein vorgeschlagene Unterscheidung zwischen einem Subjekt- und einem Objektgebrauch von „ich“ ist die Unterscheidung zwischen unmittelbarem und mittelbarem Selbstbewusstsein, wie sie Tugendhat vorgenommen hat.9 Unmittelbares Selbstbewusstsein hat ein Subjekt dann, wenn die Weise Wissen über sich zu erwerben, einem Anderen nicht auf die prinzipiell gleiche Art zugänglich ist wie dem Subjekt selbst. Mittelbares Selbstbewusstsein hat das Subjekt hingegen, wenn es selbst und Andere auf generell gleiche Weise zu diesem Wissen gelangen können. Auch für Tugendhats Unterscheidung gilt demnach, dass die Erste-Person-Perspektive ein entscheidender Bestandteil der Wahrheitsbedingungen jener Sätze ist, mit denen sich das Subjekt unmittelbares Wissen von den eigenen bewussten Zuständen zuschreibt. Tugendhat hat dann jene Sätze, die das beschriebene Kriterium erfüllen, „ich φ“-Sätze genannt;10 im Weiteren wird diese Redeweise beibehalten. Natürlich ist auch durch die Unterscheidung zwischen unmittelbarem und mittelbarem Selbstbewusstsein nicht kategorisch ausgeschlossen, dass propriozeptive Zustände unmittelbar gewusst werden können. Der Vorteil der Unterscheidung besteht aber darin, dass mit ihr klarerweise von einer epistemischen Beziehung des Subjekts auf sich selbst ausgegangen wird. Bei Wittgenstein hingegen kommt die epistemische Dimension allein über die Verwendung des Begriffs „Irrtum“ ins Spiel.11

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E. Tugendhat, Selbstbewußtsein und Selbstbestimmung [SuS], Frankfurt/Main 1979, 27f. 10 [SuS], 50. 11 Wittgensteins Rede von den verschiedenen Arten, den Ausdruck „ich“ zu gebrauchen, könnte vor dem Hintergrund seiner Gebrauchstheorie der Bedeutung auch als semantische Unterscheidung verstanden werden. Tugendhat hingegen ist hauptsächlich an einer Aufklärung des epistemischen Selbstbewusstseins interessiert. Aus diesem Grund ermöglicht die von Tugendhat vorgeschlagene Unterscheidung auch die Frage, ob die Infallibilitätsthese tatsächlich auf die Verwendung von „ich“ eingeschränkt ist, oder ob nicht auch andere Ausdrücke die behauptete Infallibilität aufweisen, die das Subjekt in der erstpersonalen Perspektive auf eine bestimmte Weise kennzeichnen. Man denke an den Pluralis Majestatis oder an bestimmte Wendungen, die oberflächlich dem Objektgebrauch von „ich“ zuzuordnen sind, aber dennoch für die Zuschreibung mentaler Zustände stehen. Etwa: „Mir

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Obwohl hier also zunächst argumentativ offen bleibt, ob auch die Selbstzuschreibungen propriozeptiver Prädikate immun gegen den zu untersuchenden Irrtum sind, wird die Unfehlbarkeitsbehauptung im folgenden nur hinsichtlich der Selbstzuschreibung mentaler Prädikate untersucht. Der entscheidende Punkt, der von dieser Einschränkung allerdings gar nicht berührt wird, ist ohnehin, dass die Infallibilitätsannahme das Wissen um das Subjekt der Selbstzuschreibung betrifft und nicht die dabei zugeschriebenen Prädikate. 1.1 Immunität gegen Irrtum durch Fehlidentifizierung Beginnen wir die Untersuchung zum Merkmal der Infallibilität mit der (iIFi)-These. So, wie die These hier eingeführt wurde, wird mit ihr folgendes behauptet: Es ist nicht möglich, dass man sich bei der Zuschreibung mentaler Prädikate hinsichtlich der Identität der Person irrt, der man diese Prädikate zuschreibt, sobald die Zuschreibung erstpersonal erfolgt. Generell gilt, dass bei einem Irrtum durch Fehlidentifizierung Folgendes möglich sein muss. Ich urteile „a ist F“, weil ich glaube, dass F eine bestimmte Eigenschaft ist, die a zukommt. Mein Urteil ist falsch, wenn F nicht a sondern b zukommt.12 In diesem Fall habe ich mich darüber geirrt, von welcher Entität die Eigenschaft F ausgesagt wird. Die (iIFi)-These behauptet nun, dass bei einem Satz wie „Ich möchte Schokolade“ ein solcher Irrtum nicht möglich ist, weil ich nicht urteilen kann „Ich möchte Schokolade“, und mich zugleich darüber irren, wer diejenige Person ist, die Schokolade möchte. Die Erklärung dafür lautet, dass die Eigenschaft F für a in epistemischer Hinsicht konstitutiv ist. Sofern man weiß, dass die Eigenschaft F instanziiert ist, muss man auch wissen, dass sie in a instanziiert ist. Der (iIFi)-These zufolge ist also das Besondere an „ich φ“-Sätzen, dass das Subjekt des Satzes immer auch weiß, dass es selbst Gegenstand der Zuschreibung ist. Die Erkenntnisleistung, die durch die Identifizierung erbracht wird, ist also in jedem Fall erfolgreich. Damit ist eine epistemische Behauptung über „ich φ“-Sätze aufgestellt, die besagt, dass Urteile, die in Form von „ich φ“-Sätzen auftreten immer wahr sind, denn das, was durch den „ich φ“-Satz ausgedrückt wird, kann man wissen, ohne daran zweifeln zu können.

graust vor Dir“ oder „Mich stört dies nicht“, „Mir schwant so einiges“ etc. Vgl. K. Saporiti, „Ich-Gedanken“, in: U. Haas-Spohn (Hrsg.), Intentionalität zwischen Subjektivität und Weltbezug, Paderborn 2003, 369–396, 372f. 12 Das Urteil wäre natürlich auch dann falsch, wenn F weder a noch b zukäme.

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Es gibt zwei mögliche Begründungen für die Gültigkeit der (iIFi)These. Eine Begründung geht davon aus, dass die (iIFi)-These aufgrund einer besonderen Eigenschaft von Selbstbewusstsein gilt. Die andere geht den Weg einer Trivialisierung der mit der Irrtumsimmunität verbundenen Behauptung, indem nachgewiesen wird, dass das, was mit der (iIFi)-These behauptet wird, zwar wahr ist, aber nur in trivialer Weise. Diese zweite Begründungsstrategie ist das Ergebnis einer Kritik an der ersten. Unsere erste Frage lautet daher, worin die besondere Eigenschaft von Selbstbewusstsein bestehen soll, die als Erklärung für die behauptete Infallibilität dienen könnte. Ein Vorschlag, wie diese spezielle Eigenschaft aussehen könnte, lautet: Selbstbewusstsein zeichnet sich durch eine Identität von Wissendem und Gewusstem aus. Henrich hat diese These im Anschluss an Fichte ausgearbeitet. Sein Gedanke ist, dass man Selbstbewusstsein als den einzigen Fall von Wissen auffassen sollte, bei dem „der Akt des Denkens und das was gedacht wird (die Intention und das Intendierte), nicht voneinander unterschieden sind.“13 Den Schwierigkeiten, die mit der Auffassung von Selbstbewusstsein als einer reflexiven Beziehung eines wissenden Subjektes auf sich selbst verbunden sind, versucht er dadurch aus dem Weg zu gehen, dass er die wissende Selbstbeziehung14 als eine beschreibt, die jeder Verwendung von „ich“ vorausgeht. Sie gilt sogar als Bedingung dafür, dass mit „ich“-Sätzen überhaupt Geltung beansprucht werden kann. „Ohne ein solches Wissen“, schreibt Henrich, „wäre die „ich“–Äußerung ein bloßes Verlauten.“15 Die angenommene Identität „zwischen dem, der eine Kenntnis (von sich) hat, und dem, von dem diese Kenntnis (von sich selbst) besteht“16, muss als der entscheidende Grund für

13 D. Henrich, „Fichtes Ich“, in: Selbstverhältnisse, Stuttgart 1993, 57–82, 61. 14 Den Terminus „wissende Selbstbeziehung“ führt Henrich ein, um die genannte Eigenschaft (Identität von Wissendem und Gewusstem) zu kennzeichnen. Die wissende Selbstbeziehung zeichnet sich durch ihre Selbstgenügsamkeit (Sui-suffizienz) aus, und diese ist wie folgt charakterisiert: 1. Zentralität - es ist möglich, von der wissenden Selbstbeziehung ausgehend anderes Wissen entweder zu rechtfertigen oder zu erklären. Das Umgekehrte gilt jedoch nicht. 2. Die Genese oder Verfasstheit der Selbstbeziehung muss sich aus ihr selbst heraus erklären lassen, d. h. ohne Rückgriff auf Wissen oder Tatsachen, die nicht selbst wieder in der wissenden Selbstbeziehung präsentiert werden können. Insofern widerspricht die Behauptung, Selbstbewusstsein habe intersubjektive Bedingungen, die man auch explizit machen können, entschieden Henrichs Annahme, dass sich die wissende Selbstbeziehung durch das Merkmal der Selbstgenügsamkeit auszeichne. Vgl. D. Henrich, „Noch einmal in Zirkeln. Eine Kritik von Ernst Tugendhats semantischer Erklärung von Selbstbewußtsein“, in: C. Bellut/U. Müller-Scholl (Hrsg.), Mensch und Moderne, Würzburg 1989, 93–132, 96. 15 Henrich, 1989, 107. 16 A. a. O., 94.

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die Immunität gegen Irrtum durch Fehlidentifikation angesehen werden. Ein solcher Irrtum ist gerade deshalb nicht möglich, weil im Moment der Selbstzuschreibung eines mentalen Prädikates dem Subjekt die Identität bereits bewusst sein muss. Tugendhat hat diese Begründung als ein Ineinanderschieben von Identitäts- und Wissensrelation problematisiert. Aber vollständig sinnwidrig ist es zu sagen, in dem Satz ‚ich = ich‘ hat das ‚=‘ den Sinn von Wissen. Das ‚=‘ kann immer nur in den propositionalen Gehalt des von jemandem Gewußten gehören; das Wissen kann nicht in diesen selbst gewissermaßen hineinkriechen.17

Wie ist die Kritik zu verstehen? Die hier fragliche Identität ist die der beiden Vorkommnisse von „ich“ in dem Satz „Ich weiß, dass ich φ“. Wenn die wissende Selbstbeziehung als eine Bedingung der Zuschreibung von mentalen Prädikate verstanden werden soll (dieser also logisch vorhergeht), erweist sich das „φ“ jedoch als eingeschmuggelt. Richtigerweise müsste der Satz „Ich weiß, dass ich“ lauten, und das ergibt natürlich keinen Sinn. Da es zumindest im Deutschen keine andere Möglichkeit gibt, die Entsprechung der Relata von Wissensrelation und Identitätsrelation darzustellen, wäre die syntaktisch korrekte Version „Ich weiß mich“ am besten geeignet, das Gemeinte auszudrücken. Die Idee ist nun, dass dieser Satz sowohl die Wissens- als auch die Identitätsrelation exemplifiziert, die für unmittelbares Selbstbewusstsein behauptet wird. Tugendhat formuliert einen komplexen Einwand gegen den hier skizzierten Vorschlag, wie die Identifikationsimmunität begründet werden könnte. Der Übersichtlichkeit halber soll der Einwand in zwei Schritten dargestellt werden. Zunächst macht er geltend, dass die Wissensrelation auf das „φ“ schlichtweg nicht verzichten kann. Daraus folgt, dass die Identitätsrelation der Selbstzuschreibung mentaler Prädikate nicht vorhergehen kann, da sie ja als eine Relation des Wissens beschrieben wird. An diese Kritik schließt sich dann im zweiten Schritt die Frage an, welche Erkenntnisleistung mit dem Satz „Ich weiß mich“ überhaupt erbracht werden kann. 1. Die Identität von Sprecher und Angesprochenem, also die Identität der beiden Vorkommnisse von „ich“, wird, so Tugendhat, doch nur dann fraglich, wenn „das Erkennen des Zutreffens eines φ-Prädikates auf mich in der Weise zustandekommt, daß ich zuerst erkenne, daß etwas φ ist und dann zweitens feststellen muß, daß dieses etwas identisch ist mit mir.“18 Ein Beispiel soll diesen Punkt kurz illustrieren. Erinnern wir uns an die oben beschriebene Amnesie von A, die alle Überzeugungen umfasste, die sie selbst

17 Tugendhat, [SuS], 58. 18 Tugendhat, [SuS], 59, hervorgehoben von mir.

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betreffen. Was A aufgrund ihrer Erinnerungslücken nicht weiß, ist, dass sie die Kognitionswissenschaftlerin Anna Kellermann ist. Stellen wir uns nun vor, dass Anna eine Ankündigung liest, der zufolge die Kognitionswissenschaftlerin Anna Kellermann den für den Abend angekündigten Vortrag nicht halten wird. Annas Überzeugung kann folgendermaßen wiedergegeben werden: Ü1) „Anna Kellermann glaubt von Anna Kellermann, dass sie nicht den für den Abend angekündigten Vortrag halten wird.“ Anna erkennt in diesem Szenario tatsächlich, dass ein bestimmtes Prädikat auf eine Person (nämlich Anna Kellermann) zutrifft, sie weiß sich aber nicht mit ihr identisch. Erst durch die zusätzliche Erkenntnisleistung, die in dem Satz Ü2) „Aber ich bin Anna Kellermann“ zum Ausdruck kommt, ist sie in der Lage, auch folgende Überzeugung zu haben: Ü3) „Ich (Anna Kellermann) werde heute Abend nicht den angekündigten Vortrag halten.“ Was die Geschichte zeigen soll, ist Folgendes: Das Wissen um die Identität kann nur über den Umweg der Zuschreibung von Prädikaten erlangt werden. Denn erst dadurch, dass man erkennt, dass ein Prädikat tatsächlich auf ein und dieselbe Person zutrifft, ist es möglich, die Identität dieser Person festzustellen. Ginge man diesen Umweg nicht, erschiene die Identität der jeweiligen Person gar nicht erst fraglich. Es gilt also: Sofern man die Identifikation zweier Sachverhalte als eine Erkenntnisleistung behaupten will, muss auch die Möglichkeit eingeräumt werden, dass beide Sachverhalte voneinander unterschieden sind. Für die Identität der beiden Vorkommnisse des Satzes „Ich weiß mich“ bedeutet dies, dass „ich“ auf irgendeine Weise von „mich“ abgegrenzt werden muss, bevor sie als identisch erkannt werden können. Eben diese Abgrenzung wird durch die Feststellung gewährleistet, dass bestimmte Prädikate auf einen selbst zutreffen oder nicht zutreffen. Nimmt man jedoch wie Henrich an, dass die wissende Selbstbeziehung der Zuschreibung von Prädikaten immer schon zugrunde liegt, dann entgeht einem die Möglichkeit, die Identität der beiden Sachverhalte als eine solche zu erkennen. Wenn das richtig ist, dann folgt, dass die Identitätsbeziehung ohne die Zuschreibung von Prädikaten schlicht und einfach nicht bestimmbar wäre.19 Schaut man sich das Beispiel jedoch noch einmal genauer an, dann wird schnell klar, dass es sich bei den im Beispiel verwendeten Prädikaten nicht um mentale Prädikate handelt. Das bedeutet, dass weder Ü2) noch

19 Man könnte hier einwenden, dass die Identität auch ohne Identifikation besteht und schon deshalb das hier vorgetragene Argument gegen Henrich scheitert. Dieser Einwand übersieht aber, dass Henrich eben nicht nur die Identität der beiden „ich“ Vorkommnisse behauptet, sondern zugleich annimmt, dass es sich dabei um eine Erkenntnisleistung handelt. Identifikation ist aber nichts anderes als die Erkenntnisleistung, die die Identität feststellt.

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Ü3) Fälle des Subjektgebrauchs von „ich“ sind. Das unmittelbare Selbstbewusstsein ist hier also gar nicht angesprochen. Bei beiden Überzeugungen handelt es sich um das, was Tugendhat mittelbares epistemisches Selbstbewusstsein nannte – ein Bewusstsein von die eigene Person betreffenden nicht-mentalen Eigenschaften.20 Für mittelbares Selbstbewusstsein ist die Infallibilitätsbehauptung aber gar nicht geltend gemacht worden. Henrich könnte den Tugendhat-Punkt dann auch durchaus zugestehen und behaupten, die Identität von Wissendem und Gewusstem gelte eben nur im Fall des unmittelbaren Selbstbewusstseins; ja sie sei geradezu der exemplarische Fall dieses Selbstbewusstseins. Henrich hat zudem die Möglichkeit, sein Argument von einer anderen Seite her zu untermauern. Denn selbst wenn er einräumte, dass die Zuschreibung von Prädikaten eine Bedingung für das Wissen um die Identität darstellte, kann er immer noch fragen, woher A eigentlich weiß, dass sie selbst diejenige ist, auf die die Prädikate zutreffen. Und genau dieses Wissen, so könnte Henrich argumentieren, ist das Wissen um die Identität von „ich“ und „mich“ und zugleich die Grundlage für Ü2). Denn es ist die Bedingung für eine Überzeugung, ohne die Anna Kellermann nicht wüsste, dass sie den angekündigten abendlichen Vortrag nicht hält. Tugendhats erster Einwand geht also zunächst am Kern von Henrichs Vorschlag vorbei. 2. Wie also kann die Identität von „ich“ und „mich“ verstanden werden, wenn damit einerseits eine Erkenntnisleistung erbracht werden soll, andererseits aber eine Identifikation über die Zuschreibung von Prädikaten mit dem Argument verneint wird, dass die hier gemeinte Identität jeder Prädikation vorausgehe? Generell gibt es zwei Möglichkeiten die Identität eines Sprechers mit sich selbst festzustellen. a) Die Identität einer Person mit sich selbst ist eine Erkenntnisleistung. Genau das traf auf Anna Kellermann zu, als sie aufgrund der Erkenntnis „Ich = Anna Kellermann“ von der Überzeugung Ü1) zu der Überzeugung Ü3) überging. Die erbrachte Erkenntnis kann mit dem Satz „Ich = a“ veranschaulicht werden. Diese Erkenntnisleistung ist jedoch nur deshalb möglich, weil eben bestimmte Prädikate als ein und derselben Person zugeschrieben gedacht werden. „Etwas mit sich selbst identifizieren“, so beschreibt Shoemaker diese Art der Identifizierung, sollte mindestens einschließen, dass „man etwas auf diesen Gegenstand Zutreffendes vorfindet, von dem man unabhängig weiß, daß es auf einen selbst zutrifft, d. h. etwas, wodurch dieser Gegenstand als man

20 Unter mittelbarem Selbstbewusstsein sind Selbstzuschreibungen von Charaktereigenschaften, bestimmten körperlichen Eigenschaften oder auch von bestimmten Verhaltensweisen und anderen die Person betreffenden Eigenschaften zu verstehen. Beispiele für unmittelbares Selbstbewusstsein wären etwa: „Ich weiß, dass ich manchmal unpünktlich bin“ oder „Ich weiß, dass ich in Berlin geboren bin“.

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selbst identifiziert wird“.21 Der Umweg über die Zuschreibung von Prädikaten ist also für die Feststellung der Identität unabdingbar. b) Die von Henrich verteidigte Möglichkeit, wie sich eine Person mit sich selbst identisch weiß, lautet demgegenüber: Die Identität wird nicht über den Umweg der Prädikation erkannt. Ist das der Fall, dann kann es sich aber nur um eine tautologische Identitätsaussage handeln, wie sie durch den Satz „ich = ich“ ausgedrückt wird. Damit entsteht jedoch das Problem, dass mit der tautologischen Aussage „ich = ich“ zwar zweifelsohne eine Identität behauptet, aber keine Erkenntnisleistung erbracht wird.22 Tugendhat meint daher, dass es „vollständig sinnwidrig ist (…) zu sagen, in dem Satz ‚ich = ich‘ hat das ‚=‘ den Sinn von Wissen“.23 Nimmt man dies trotzdem an, muss man sich erstens dem Problem stellen, dass dieses Wissen keine Erkenntnis im epistemischen Sinne ist, sondern nur eine, die auf die logische Korrektheit der Aussageform zurückzuführen ist. Damit wird jedoch das, was mit Selbstbewusstsein als Kenntnis der eigenen mentalen Zustände gemeint ist, klar verfehlt. Zweitens muss man anerkennen, dass dieses Wissen die prädikative Struktur negiert, weshalb man einen Vorschlag haben sollte, wie die Probleme zu lösen sind, die eine solche Negation mit sich bringt. Nach dem kritischen Durchgang der vorgebrachten Einwände sieht man sich somit folgendem Dilemma ausgesetzt. Auf der einen Seite bedarf es für die Feststellung der Identität den Umweg über die Zuschreibung von Prädikaten, weil nur so erklärt werden kann, weshalb die Identität von Zuschreiber und Subjekt der Zuschreibung überhaupt in den Fokus des Interesses rückt. Andererseits scheint dieser Umweg aber eine Sackgasse zu sein, denn er vermag nicht zu erklären, weshalb das Subjekt Prädikate als auf sich selbst zutreffend erkennt. Hinzu kommt, dass die Identifizierung eines Subjekt als sich selbst, sobald sie über Prädikate und damit über ein

21 Shoemaker, 1994, 51/engl., 1996, 12. 22 Ein Punkt, den übrigens schon Hegel gegen Fichte ins Feld führte: „Es ist als Selbstbewußtsein Bewegung, aber indem es nur sich selbst als sich selbst von sich unterscheidet, so ist ihm der Unterschied unmittelbar als ein Anderssein aufgehoben; der Unterschied ist nicht, und es nur die bewegungslose Tautologie des: Ich bin Ich; indem ihm der Unterschied nicht auch die Gestalt des Seins hat, ist es nicht Selbstbewußtsein.“ Gemeint ist damit, dass Selbstbewusstsein genau dann zu einer bewegungslosen Tautologie verkommt, wenn nicht deutlich gemacht werden kann, worin der Unterschied zwischen dem „Ich“ auf der einen Seite und dem „Ich“ auf der anderen Seite besteht. Das kann man aber nur zeigen, indem man beiden „Ichs“ jeweils bestimmte Eigenschaften zuspricht, um dann darzulegen, dass sie in ihren Eigenschaften übereinstimmen. G. W. F Hegel, Phänomenologie des Geistes, Werke: 3. Bd., Frankfurt/Main 1970, 138. 23 Tugendhat, [SuS], 59.

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bestimmtes identifizierendes Merkmal verläuft, von dem man Wissen haben muss, nicht nur die Möglichkeit der Fehlidentifizierung einschließt, sie führt auch entweder in einen unendlichen Regress oder in einen Zirkel. Und es war genau diese dialektische Situation, die Henrich ursprünglich veranlasst hatte, eine Identität zu behaupten, die jeder Form der Selbstidentifizierung über Prädikate zugrunde liegt. Tugendhats Vorschlag, wie diesem Dilemma zu entkommen sei, besteht im Wesentlichen darin, die Identitäts- von der Wissensbeziehung zu trennen. Das hat Konsequenzen sowohl für den Wissens- als auch für den Identitätsaspekt der Selbstbezugnahme. Hinsichtlich des Wissensaspekts bedeutet die Trennung Folgendes: Selbstbewusstsein wird als eine Form von Wissen verstanden, bei der sich ein Subjekt unter Verwendung eines φ-Prädikates einen bestimmten mentalen Zustand zuschreibt. Die Zuschreibung von φ-Prädikaten unterliegt dabei konkreten Wahrheitsbedingungen. Diese können unabhängig von der Identität zwischen Zuschreiber und dem Subjekt der Zuschreibung ermittelt werden. Damit ist natürlich noch nichts darüber gesagt, wie diese Wahrheitsbedingungen grundsätzlich bestimmt werden, sondern nur darüber, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit sie bestimmt werden können. Man kann aber mit Blick auf die Wissensrelation erst einmal festhalten, dass für Selbstzuschreibungen mentaler (und dann auch anderer) Prädikate eine vorgängige oder zugrunde liegende Identität nicht behauptet werden muss. Für den Identitätsaspekt schlägt Tugendhat dann vor, generell auf die Annahme einer Verbindung zwischen Identifikation und Selbstbewusstsein zu verzichten. Sein Argument, das diesen Verzicht begründen soll, lautet: Mit dem Wort „ich“ ist zwar eine „einzelne identifizierbare Person gemeint“24 derart, dass sich andere Personen auf sie mit „sie/er“, einem Namen oder einer Kennzeichnung beziehen können. Ansonsten aber wird mit „ich“ nicht identifiziert, ebenso wenig wie mit der bloßen Verwendung von „hier“ oder „jetzt“ ein Ort oder ein Moment identifiziert wird. Der Grund dafür ist, dass „ich“, genau wie „hier“ und „jetzt“, ein indexikalischer Ausdruck ist, zu dessen grammatischer Struktur es gehört, dass ohne den Bezug zu einer Kennzeichnung, einem Namen oder einem anderen Pronomen eine Identifizierung nicht möglich ist. Indexikalischen Ausdrücken allein fehlt schlicht und einfach die Kraft zur Identifizierung. Wenn, wie Keil betont, „etwas zu identifizieren bedeutet, es als etwas Bestimmtes (wieder)zuerkennen“,25 dann hilft eben die bloße Verwendung von „ich“ nicht weiter.

24 Tugendhat, [SuS], 83. 25 Keil, 2000, 31.

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Damit gibt es ein vorläufiges Ergebnis. Die Immunität gegen Irrtum durch Fehlidentifikation kann nicht auf eine besondere Eigenschaft von Selbstwissen zu zurückgeführt werden. Stattdessen haben „ich φ“-Sätze den Anschein von Unfehlbarkeit, weil mit ihnen gerade nicht identifiziert wird. Man sollte daher, wie Keil vorschlägt, statt von Irrtumsimmunität gegen Fehlidentifikation besser von „Immunität aufgrund fehlender Identifikation“26 sprechen, oder wie Shoemaker davon ausgehen, dass eben „nicht jede Selbstzuschreibung darauf gegründet werden kann, daß man sich selbst (…) identifiziert.27 Diese Überlegung hat natürlich Folgen bezüglich des Verhältnisses von Infallibilität und Gewissheit. Trivialerweise gilt, dass dort, wo eine Identifizierung nicht fehlgehen kann, weil gar nicht identifiziert wird, die Rede vom Irrtum auch nicht angebracht ist.28 Die objektive Gewissheit, die mit dem Gebrauch von „ich“ einhergehen soll, ist nicht durch ein infallibles Wissen von sich selbst zu begründen. Leider helfen die Bemühungen, mit der Trennung des Identitäts- vom Wissensaspekt zugleich auch die Schwierigkeiten zu entwirren, die sich mit der Behauptung einer besonderen Eigenschaft von Selbstbewusstsein ergeben hatten, nicht bei der Auflösung des oben beschriebenen Dilemmas. Obwohl sich auf diese Weise sicher der Regress hinsichtlich der Bestimmung identifizierender Merkmale vermeiden lässt, bleibt doch das Problem bestehen, weshalb man Prädikate überhaupt als auf sich selbst zutreffend akzeptieren sollte. Hierin liegt die Motivation für Frank, den Erklärungsversuch von Henrich noch einmal zu plausibilisieren. Er fragt sich nämlich, ob nicht „die Motive fürs Ineinanderschieben der Wissens- und Identitätsrelation ein fundamentum in re besitzen“?29 Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist ein Zweifel. Dieser richtet sich auf die hier verteidigte Behauptung, dass das Subjekt, welches im Selbstbewusstsein angesprochen ist, „nur in Verbindung mit seiner Charakterisierung durch ein φ-Prädikat identifiziert werden kann.“30 Demgegenüber behauptet Frank:

26 Ebd. 27 Shoemaker, 1994, 51/engl., 1996, 12. 28 In diesem Sinne lässt sich auch Wittgensteins Bemerkung im Blauen Buch verstehen: „Die Frage ‚Bist du sicher, daß du es bist der Schmerzen hat?‘ wäre unsinnig. Wenn nun in diesem Fall Irrtum unmöglich ist, dann deswegen, weil der Zug, den wir als einen Irrtum, einen ‚schlechten Zug‘ ansehen würden, überhaupt kein Zug in dem Spiel wäre.“ Wittgenstein, [BB], 107. 29 M. Frank, „Hat Selbstbewußtsein einen Gegenstand?“, in: ders., Selbstbewußtsein und Selbsterkenntnis, Stuttgart 1991b, 252–409, 259. 30 M. Frank, Die Unhintergehbarkeit von Individualität, Frankfurt/Main 1986, 79.

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Wenn ich mich in einem psychischen Zustand befinde, so ist mir das bekannt, welches auch immer das Prädikat oder die Proposition sein mögen, die zu seiner Benennung antreten. Und diese Bekanntschaft ist von allen solchen Beschreibungen unabhängig: sie stellt sich auch dann ein, wenn mir gar keine Beschreibung zuhanden ist und ich buchstäblich nicht weiß, wie ich meinen Bewußtseinszustand klassifizieren soll.31

Sein entscheidendes Argument gegen die Selbstidentifizierung eines selbstbewussten Subjekts über die Zuschreibung mentaler Prädikate lautet dann, dass keine „noch so vollständige Beschreibung einer Empfindung mich lehren (kann), daß es meine ist.“32 Frank zufolge hat die Annahme, mit Selbstbewusstsein würde eine besondere Form von Wissen angesprochen, bei der Aufklärung dieser Frage einen entscheidenden explikativen Vorteil. Denn erst durch diese besondere Eigenschaft sei sichergestellt, dass das Subjekt sich selbst als dasjenige begreifen kann, dem das mentale Prädikat zugesprochen wird. Der drohende Zirkel wäre damit durchbrochen. Franks terminus technicus für die spezielle Eigenschaft, die das leisten soll, ist Selbstvertrautheit. Genau wie Henrich von der wissenden Selbstbeziehung behauptet Frank von der Selbstvertrautheit, dass sie als Bedingung für jede Form von Selbstzuschreibung verstanden werden muss. So scheint Selbstidentifizierbarkeit von (epistemischer) Selbstvertrautheit abzuhängen oder mit ihr funktional verbunden zu sein.33

Nun scheint man prima facie mit der Behauptung einer Selbstvertrautheit Tugendhats Einwänden nicht wirklich entgehen zu können. Denn was anderes kann Selbstvertrautheit hier bedeuten als das, was mit dem Satz „Ich bin vertraut mit mir“ benannt wird. Es liegt also nichts anderes vor als die Zuschreibung des φ-Prädikates „mit-sich-vertraut-sein“. Und diese kann im Sinne von Tugendhat aufgelöst werden. Mit „ich“ wird nicht identifiziert und damit ist die Wahrheitsbedingung des entsprechenden „ich φ“Satzes von der vermeintlichen Identität, die sich im „ich“ ausdrücken soll, unabhängig. Frank versucht derartigen Einwänden dadurch zu entgehen, dass er Selbstvertrautheit als nicht-identifikatorisch beschreibt. Sie soll 31 Frank, 1991b, 408. 32 Frank, 1986, 94. Dieser Einwand betrifft nicht nur die Zuschreibung von Empfindungen, sondern auch die aller anderen mentalen Zustände. Daraus folgt für Frank, dass dem kompetenten Gebrauch von „ich“ „seinerseits ein vorsprachliches Wissen von sich zugrunde liegt (auch wenn dieses nicht in jedem Falle aktuell und explizit präsent sein muss). Gäbe es dieses unmittelbare Selbstverständnis nicht, so würde kein Sprechersubjekt je einen Teilsatz mit einem φ-Prädikat als ihm zugeschrieben verstehen können (…).“ Frank, 1991b, 446. 33 Frank, 1986, 94.

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zugleich nicht-egologisches, nicht-relationales und nicht-begriffliches Bewusstsein sein. Und zwar in dem Sinne, dass in ihr keine Bezugnahme eines Subjektes auf sich selbst als etwas von sich Unterschiedenes vorkommt (nicht-egologisch), dass sie nicht als Relation eines Bewusstseins auf einen bestimmten bewussten Zustand (nicht-relational) und auch nicht über die Als-Struktur (nicht-begrifflich) charakterisiert werden kann. In der Selbstvertrautheit werde stattdessen „ein Seiendes, dessen Seinsart die Subjektivität ist“ 34 angesprochen. Frank kann damit Tugendhat durchaus in der Annahme recht geben, dass die Identitätsrelation für die (iIFi)-These keine Rolle spielt, und zwar aus genau demselben Grund, den Tugendhat reklamiert: Es wird nicht identifiziert. Allerdings mit dem Unterschied, dass das, was identifiziert werden soll, immer schon als identisch gedacht werden muss.35 Sobald man es aber mit einem nicht-begrifflichen und nichtrelationalem Bewusstsein zu tun hat, stellt sich natürlich sofort die Frage, auf welche Weise über die Vertrautheit mit sich epistemisch noch verfügt werden kann. Anders gefragt: Wie soll hier Wissen möglich sein?36 Franks Vorstellung ist in etwa Folgende: Dass man mit sich selbst vertraut ist, ist eine Tatsache, die nicht explizit gegeben ist, vielmehr findet man sie implizit vor als etwas, das immer schon da war.

34 Ebd. 35 Vgl. „Das Wissen von mir als von mir beruht nicht auf Klassifikation. Es beruht aber auch nicht auf Identifikation – denn wie sollte ich einen Gegenstand identifizieren, der gar kein anderer sein könnte als je ich selbst?“ Frank, 1991, 408. 36 Das hier vorgetragene Argument gegen Franks Begriff der Selbstvertrautheit ist keines, das sich generell auf all jene Theorien übertragen ließe, die die Möglichkeit nicht-begrifflichen Selbstbewusstseins behaupten. Ein Beispiel für eine derartige Theorie ist etwa Zahavis Behauptung eines „minimal self“, das immer dann vorliegt, wenn ein Subjekt bestimmte Zustände als seine eigenen erlebt. Dieses „minimal self“ wird zwar von Zahavi als hinreichend für die Zuschreibung von Selbstbewusstsein angesehen, zugleich wird es aber als präreflexiv, also der Zuschreibung vorhergehend, verstanden. Die hier beschriebenen Probleme mit der Selbstvertrautheit entstehen aber erst dann, wenn man annimmt, dass Selbstbewusstsein zugleich nicht-begrifflich, nicht-relational ist und gewusst werden kann. Die Behauptung eines „minimal self“ ist in meinen Augen trotzdem alles andere als unproblematisch. Einige Einwände gegen die Annahme eines solchen „minimal self“ finden sich auf S. 116, Fn. 164. Vgl. D. Zahavi, „Self and Other: The Limits of Narrative Understanding“, in: D. D. Hutto (Hrsg.), Narrative and Understanding Persons, Cambridge 2007, 179–201.

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Wenn es wahr ist, daß wir reflexive Erkenntnis über unsere Subjektivität erlangen können, so ist eben dadurch schon sichergestellt, daß das gefundene Bewußtsein – von der Reflexion explizit gemacht – implicite mit sich bereits vertraut war: wir finden Vertrautheit, und nicht Unvertrautheit.37

Erst in der Reflexion, also in der bewussten und begrifflichen Bezugnahme auf sich selbst (und an dieser Stelle kann man dann durchaus ergänzen: vermittelt über die Selbstzuschreibung mentaler Prädikate) soll das erscheinen, was Frank mit „Selbstvertrautheit“ meint. Ist nun die Selbstvertrautheit, die allen Selbstzuschreibungen, auch denen des unmittelbaren Selbstbewusstseins, vorausgeht, eine Erklärung für die mit der (iIFi)-These behauptete Gewissheit des Selbstbewusstseins, wie Frank glaubt? Das scheint auf den ersten Blick tatsächlich der Fall zu sein, denn in der Bestimmung dessen, was gewiss sein kann, war deutlich geworden, dass ein Sachverhalt genau dann für eine Person gewiss ist, wenn sie glaubt, dass er besteht und sie zudem nicht in sinnvoller Weise an ihm zweifeln kann. Das Problem liegt daher auch nicht in der Behauptung, Selbstvertrautheit garantiere Gewissheit, sondern in der Annahme, dass Selbstvertrautheit zugleich ein Gegenstand reflexiver Erkenntnis sein könne. Wenn Selbstvertrautheit sowohl nicht-begrifflich als auch nicht-relational sein soll, dann fällt es schwer, zu sehen, auf welche Weise sie überhaupt gewusst werden könnte. Und zwar aus folgendem Grund: Erscheint Selbstvertrautheit dem Subjekt erst einmal in der Reflexion, dann kann sie schon nicht mehr die Merkmale haben, die ihr laut Frank zukommen sollen. Denn sie ist in diesem Moment zumindest auf das Subjekt der Reflexion bezogen und hat auch prädikativen Charakter. Wenn man davon ausgeht, dass Wissen eine prädikative und relationale Struktur hat, dann muss die nicht-begriffliche, nicht-relationale und nicht-egologische Vertrautheit mit sich selbst notwendigerweise dem epistemischen Zugang entzogen bleiben. Die nichtidentifikatorische Selbstvertrautheit bleibt also in epistemischer Hinsicht ein nicht einholbares Postulat. Frank ist daher mit Blick auf die Selbstvertrautheit zwar durchaus dazu berechtigt, von Gewissheit zu sprechen; Wissen liegt hier allerdings nicht vor. Dass Frank dennoch von Wissen spricht, liegt daran, dass er den Begriff des Wissens äquivok verwendet. So schließe ich: alles Wissen (von etwas) ist propositional, außer demjenigen, das im Selbstbewußtsein vorliegt. Sein Gegenstand ist kein ‚etwas‘, weder im Sinne einer nominalistischen Proposition ‚daß φ‘ noch als ein ‚Gegenstand‘ im objektiven Sinne eines Wahrgenommen- oder Vorgestellt-Seins.38

37 Frank, 1986, 43. 38 Frank, 1991b, 408.

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Frank ist somit zu der Annahme eines epistemischen Dualismus genötigt, wenn er die Selbstvertrautheit als etwas auffassen will, das Gegenstand von Wissen sein kann. Er muss zwei Wissensformen annehmen, die jeweils verschiedenen Kriterien unterliegen, zum einen das nichtpropositionale Wissen des Selbstbewusstseins, und zum anderen das propositionale, durch die Zuschreibung mentaler Prädikate charakterisierte Wissen von sich selbst. In diesem Fall drängt sich natürlich die Frage auf, welche Gründe jetzt noch dafür sprechen, dass das im „selbstvertrauten“ Selbstbewusstsein Gewusste mit dem Wissen, das sich in der Selbstzuschreibung von „ich φ“-Sätzen ausdrückt, übereinstimmen sollte. Für eine derartige Übereinstimmung müsste eigentlich zusätzlich argumentiert werden – mit dem Ziel, zu begründen, weshalb der Gegenstand des „selbstvertrauten“ Selbstbewusstsein mit dem des Selbstbewusstseins, das sich in „ich φ“-Sätzen ausdrückt, identisch sein sollte. Eine solche Begründung bleibt Frank jedoch schuldig. Auf diese Weise löst sich der eingangs behauptete explanatorische Vorteil seiner Konzeption aber schnell wieder in Luft auf. Denn Selbstwissen, das durch die Verwendung von „ich φ“Sätzen zum Ausdruck kommt, hat sicher den Vorzug, dass es die Möglichkeit einschließt, in intersubjektiver und nicht nur in subjektiver Hinsicht gewusst zu werden. Es unterliegt nämlich genau denselben Kriterien wie jede andere Form von Wissen auch. Damit gibt es ein erstes echtes Ergebnis hinsichtlich der Frage, wie sich Infallibilität als Eigenschaft von Selbstbewusstsein und Gewissheit zueinander verhalten. Zunächst gilt, dass man genau dann eine objektiv gewisse Überzeugung hat, wenn die Möglichkeit des Zweifels prinzipiell ausgeschlossen ist, wobei der Grund für die Unmöglichkeit zu zweifeln argumentativ ausgewiesen sein muss. Hinsichtlich der Identität der beiden Vorkommnisse von „ich“ in dem Satz „Ich weiß, dass ich φ“ ist ein solcher Grund jetzt auch gefunden. Durch die Verwendung des Ausdrucks „ich“ in dem genannten Satz wird keine Identifikationsleistung erbracht, woraus folgt, dass die Identifikation derjenigen Person, die sich mit „ich“ jeweils auf sich selbst bezieht, nicht deshalb irrtumsimmun ist, weil in jedem einzelnen Fall richtig identifiziert wird, sondern deshalb, weil gar nicht identifiziert wird. Das soll nicht heißen, dass es keine Identität zwischen den beiden Vorkommnissen von „ich“ gibt. Aber diese ist weder Gegenstand noch Grundlage der mit dem Satz ausgedrückten Wissensrelation. Trotzdem ist die Möglichkeit eines Irrtums natürlich ausgeschlossen, wenn auch aus einem anderen Grund als ursprünglich angenommen. Die Gewissheit, die sich im „ich denke“ hinsichtlich der Selbstidentifikation des denkenden Subjektes ausdrückt, wird nicht, wie die (iIFi)-These behauptet, durch die Annahme eines infalliblen Wissens begründet, sondern im Gegenteil durch dessen Abwesenheit. Insofern ist zwar die Rede von einer Irrtumsimmuni-

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tät an dieser Stelle fehl am Platz, denn irren kann man sich nur dort, wo man auch Wissen haben kann, aber die Berechtigung, von objektiver Gewissheit zu sprechen, bleibt bestehen. Mit diesem Resultat hat sich die These von der Immunität gegen Irrtum durch Fehlidentifikation allerdings als untauglich für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung erwiesen, denn gefragt war ja nach einer Erklärung für die als Eigenschaft von Selbstbewusstsein behauptete Infallibilität. Wenn jedoch gilt, dass Infallibilität eine Eigenschaft von Wissen ist, dann erweist sich die mit der (iIFi)-These behauptete Infallibilität als bloß scheinbare, da sie eine Immunität gegen Irrtum an einem Punkt unterstellt, an dem gar keine Erkenntnisleistung erbracht wird. Bleibt die Frage, wie sich dann das Phänomen erklären lässt, das allererst zu der Behauptung der (iIFi)-These geführt hatte, nämlich die Tatsache, dass man mit dem Satz „Ich möchte gern Schokolade“ auch dann noch eine wahre Aussage machen kann, wenn man keine weiteren Überzeugungen über sich selbst hat. Die (iIFr)-These macht hier einen anderen Klärungsvorschlag. Sie bringt die Infallibilität von „ich φ“-Sätzen mit der Behauptung in Verbindung, dass der Ausdruck „ich“ in seiner Referenz niemals fehlgehen kann. 1.2 Immunität gegen Irrtum durch Fehlreferenz Die These von der Immunität gegen Irrtum durch Fehlreferenz lautet: (iIFr): Sätze, mit denen sich eine Person unter Verwendung des Wortes „ich“ (mentale) Prädikate zuschreibt, sind gegen einen Irrtum immun, der darauf zurückzuführen ist, dass der Sachbezug des Ausdrucks „ich“ fehlerhaft ist. Sie sind mithin gegen Irrtum durch Fehlreferenz immun. Die Verwendung des Ausdrucks „ich“ weist, so die These, eine Referenzgarantie auf, welche in der Lage sein sollte, die in Frage stehende Infallibilität zu erklären. Will jemand in Erfahrung bringen, wer die Person A ist, die sich nicht an sich selbst erinnern kann, dann kann er Fehler bei der Identifizierung machen. Vielleicht glaubt er, dass A eigentlich C wäre, weshalb er annimmt, dass C mit Amnesie im Krankenhaus liegt, während er von A glaubt, dass sie irgendwo anders sein müsste. In diesem Fall irrt er sich darüber, welche Person das Referenzobjekt von „A“ ist. Im Gegensatz dazu greift A selbst jedoch immer die richtige Person heraus, wenn sie sich mit dem Ausdruck „ich“ auf sich selbst bezieht und zwar unabhängig davon, ob die Eigenschaften, die sie sich dabei zuschreibt, wahr sind oder nicht. Die Idee ist hier, dass empirische Urteile, in denen das Wort „ich“ vorkommt, selbst dann ein Körnchen Wahrheit aufweisen, wenn die Prädi-

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kation fehlgeht, und dieses Körnchen ist der Gegenstandbezug. Wie ist das zu verstehen? Es gibt offensichtlich zwei Möglichkeiten, Wahrheit und Referenzgarantie zusammenzubringen. 1. Der Gegenstandsbezug, der mithilfe des Indikators „ich“ vorgenommen wird, garantiert, dass der fragliche Gegenstand existiert. Man macht also immer eine wahre Aussage über die Existenz des Gegenstandes. 2. Der Gegenstandsbezug selbst kann nicht falsch sein. Allein dadurch, dass man sich mit „ich“ auf ein Referenzobjekt bezieht, greift man auch das richtige Objekt heraus. Als Grund dafür könnte gelten, dass der Gegenstandbezug immer in der vom Sprecher intendierten Weise erfolgt und das Referenzobjekt daher in jedem Fall auch das mit dem indexikalischen Ausdruck Gemeinte ist.39 Im folgenden Abschnitt soll nun gezeigt werden, dass der Gegenstandsbezug lediglich in einem metaphorischen Sinne nicht „falsch“ sein kann, weil der Sachbezug bei der Verwendung des indexikalischen Ausdrucks „ich“ quasi automatisch erfolgt. Präziser formuliert: Für die Frage, ob der Gegenstandsbezug erfolgreich ist oder nicht, spielt weder die referentielle Absicht des Sprechers eine Rolle, noch entsteht durch die erfolgreiche Bezugnahme ein infallibles Wissen von sich selbst. Deshalb ist die Rede von „Falschheit“ und „Irrtum“ an dieser Stelle letztlich ebenso irreführend wie bei der (iIFi)-These. Die mit dem Gegenstandsbezug verbundene Existenzgarantie des Referenten ist im Fall des Indikators „ich“ allerdings tatsächlich gegeben. Aus dem verbürgten Sachbezug kann aber trotz der aus ihm folgenden Existenzgarantie kein infallibles Wissen von sich selbst abgeleitet werden, weil der Sachbezug nur auf der Kenntnis der richtigen Anwendung bestimmter Ausdrücke beruht und kein Fall von Wissen in dem gesuchten Sinne ist. Woher kommt nun die angenommene Unfehlbarkeit von Sätzen, die den Ausdruck „ich“ enthalten? Die Antwort auf diese Frage lautet vorerst ganz allgemein: Sie hat etwas mit der Grammatik indexikalischer Ausdrücke zu tun.40 Zu den indexikalischen Ausdrücken gehören, neben „ich“,

39 Ob das Objekt auch das Gemeinte ist, kann natürlich nicht unabhängig von der Prädikation (d. i. von der Zuschreibung bestimmter Eigenschaften) in Erfahrung gebracht werden. Schon deshalb nicht, weil zur Identifikation eben auch die Möglichkeit des Vergleichens (von Eigenschaften) gehört. Insofern kann man Keil hier zustimmen, wenn er bemerkt, dass eine Konzeption, die den garantierten Gegenstandsbezug von Indikatoren in Absehung aller Eigenschaften erklären will, offensichtlich davon ausgehen muss, dass „das (indexikalische) Referieren dem Urteilen vorausgeht, statt ein Moment des Urteilens zu sein. Nur dann erscheint es möglich, auf einen Gegenstand, der keine der ihm zugeschrieben Eigenschaften hat, gleichwohl erfolgreich Bezug zu nehmen.“ Keil, 2000, 33. 40 Leider gestattet es die Konzentration auf die Frage, wodurch die Unfehlbarkeit von Selbstzuschreibungen, die den indexikalischen Ausdruck „ich“ enthalten, zustande

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auch alle anderen Personalpronomen, die Ort- und Zeitadverbien (hier, jetzt, morgen, bald, dort), hinweisende und demonstrative Pronomina (dies, das, jenes) und nicht zuletzt die Tempusformen der Verben (bin, war, werde sein etc.). Indikatoren können als Ausdrücke definiert werden, deren Referenz sich in Abhängigkeit vom Kontext der Äußerung oder den Umständen ihres Gebrauchs ändert. Es gibt jedoch einen Unterschied zwischen solchen Indikatoren wie „hier“ und „jetzt“ und deiktischen Ausdrücken wie „dies“ oder „jenes“. Die Differenz besteht darin, dass „dies“ nur durch einen weiteren Hinweis verständlich wird, wie etwa eine Geste, Blicke oder andere nicht-sprachliche und auch sprachliche Hinweise (etwa nachfolgende oder vorhergehende Sätze). „Ich“ hingegen, genau „hier“ und „jetzt“, gehört zu denjenigen Indikatoren, zu deren Referenzfestlegung zusätzliche Hinweise nicht notwendig sind, weil der fragliche Sachbezug allein durch das Vorkommnis des speziellen indexikalischen Ausdrucks in einem Äußerungskontext bestimmt ist. Ausdrücke, für die gilt, dass sie ihren Sachbezug allein und unabhängig von jeder weiteren Kontextspezifizierung festlegen, hat Kaplan „pure indexicals“ genannt, während Perry von „essential indexicals“ sprach. Erneut kann hier ein Beispiel helfen, den genannten Unterschied deutlich zu machen. Sofern ich den Satz „Ich möchte Schokolade“ äußere, ist klar, dass Andrea Lailach der Sachbezug des Ausdrucks „ich“ ist. Wenn jedoch Anna Kellermann den gleichen Satz äußert, dann ist ebenso klar, dass „ich“ in diesem Fall auf Anna Kellermann referiert. Für die Festlegung der Referenz bedarf es also nur der Äußerung eines Sprechers oder eines Denkers des Gedankens, weiter nichts. Bei der Äußerung „Dies ist eine schwarz-weiße Katze“, bleibt die Referenz hingegen so lange unbestimmt, bis ein weiterer Hinweis, etwa eine Zeigegeste, das Referenzobjekt – die Katze in der Ecke – genau festgelegt.41 kommt, nicht, den Verzweigungen dieses sehr komplexen Themas weiter nachzugehen. Die nachfolgende Beschäftigung mit der Rolle, die indexikalische Äußerungen ganz allgemein für unseren epistemischen Zugang zur Welt spielen, kann also nur oberflächlichen Charakter haben. Wichtige Differenzierungen und Problematisierungen müssen an dieser Stelle unterbleiben mit der Folge, dass auch die aktuelle philosophische Diskussion nur am Rande gestreift werden kann. 41 Künne spricht aus diesem Grund von sowohl „hinweisunabhängigen als auch hinweisabhängigen Indikatoren“. Diese Unterscheidung soll hier als Motivation für eine weitere terminologische Klarstellung dienen. Die Vielzahl der unternommenen Versuche, das Wesentliche der Indikatoren zu bestimmen, hat zu einer stattlichen Anzahl von Termini geführt. Kaplan etwa spricht von „demonstratives“, Perry von „indexicals“, Reichenbach von „token-reflexive words“ und Castañeda von „indicators“. Ich werde im Verlauf des Textes von indexikalischen Ausdrücken und Indikatoren sprechen, sobald ich mich ganz allgemein auf Indexikalia beziehe, aber auch dann, wenn ich hinweisunabhängige Indikatoren meine. Die Termini deiktische Ausdrücke und Demonstrativa verwende ich hingegen ausschließ-

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Zugleich kann dieses Beispiel noch etwas anderes verdeutlichen. Obwohl es zur Definition der grammatischen Struktur indexikalischer Äußerungen gehört, dass der Sachbezug sich mit jeder neuen Verwendung ändern kann, bleibt der sprachliche Sinn konstant. Denn obwohl das Wort „ich“ durch den jeweiligen „ich“-Benutzer auf eine andere Person verweist, ändert sich mit dem neuen Gebrauch nicht zugleich auch die allgemeine Bedeutung (oder eben der sprachlichen Sinn) des Ausdrucks, die festgelegt, dass der Sprecher mit „ich“ jeweils auf diejenige Person Bezug nimmt, die es verwendet. Nachdem also deutlich geworden ist, wie die grammatische Struktur von indexikalischen Ausdrücken generell aussieht, soll nun spezifiziert werden, auf welche Weise die Referenzgarantie auf die Wahrheit von „ich“-Sätzen durchschlägt, in der Hoffnung, so eine Erklärung für die dem Selbstbewusstsein zugesprochene Eigenschaft der Infallibilität zu erlangen. Schauen wir uns zu diesem Zweck verschiedene Vorschläge hinsichtlich der Frage an, welche Verbindung Referenzgarantie und Infallibilität miteinander eingehen könnten. Von drei nachfolgend vorgestellten Thesen, die hier zu unterscheiden sind, sollen zwei Thesen im Anschluss ausführlicher diskutiert werden. 1. These von der nicht vorhandenen Referenz: Diese These behauptete, dass „ich“ ein Indikator ist, dessen wesentliche Eigenschaft darin besteht, nicht zu referieren. Die Infallibilität, die sich in „ich“-Sätzen ausdrückt, kann damit durch die Abwesenheit des Referenten des indexikalischen Ausdrucks „ich“ erklärt werden. Diese These wird vertreten von Anscombe und Wittgenstein. 2. These von verschiedenen Referenzkategorien: Die These von den verschiedenen „aufeinander nicht zurückführbaren Referenz-Kategorien“42 soll hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt werden, ohne an dieser Stelle Anlass zu einer weiteren Diskussion zu sein. Ich werde jedoch im Kontext meiner Überlegungen zur Eigenschaft der Meinigkeit auf sie zurückkommen.43 An dieser Stelle deshalb nur so viel: Nimmt man wie Frank und Henrich an, dass sich das Subjekt des Selbstbewusstseins von der Person unterscheidet, der man auf intersubjektivem Wege Prädikate zuschreibt, dann muss sich diese Differenz auch in der Art und Weise wider-

lich, um mich auf hinweisabhängige Indexikalia zu beziehen. W. Künne, „Deixis und Selbstbezug“, in: M. Dascal et al. (Hrsg.), Sprachphilosophie, 2. Halbbd., Berlin/New York 1996, 1152–1174, 1154. 42 Frank, 1991b, 279. 43 Siehe Kapitel I, Abschnitt 3.1.

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spiegeln, wie auf das Subjekt Bezug genommen wird.44 Eine mögliche Erklärung des Unterschieds wäre, dass die Referenzgarantie nur für die Bezugnahme auf das Subjekt des Selbstbewusstseins gilt, nicht jedoch für die Person. Allerdings ergibt sich dann sofort folgende Schwierigkeit: Man muss erklären können, wie man sich mithilfe des Indikators „ich“ sowohl auf jenes Subjekt beziehen kann, das im Selbstbewusstsein angesprochen wird, als auch auf jene Entität, die als Person in Raum und Zeit Gegenstand intersubjektiver Zuschreibungen ist. Als Vertreter dieser These können Henrich, Frank und Nagel gelten. 3a. These von der direkten Referenz: Die These von der direkten Referenz indexikalischer Ausdrücke tritt in zweifacher Gestalt auf. Einmal wird mit ihr behauptet, dass das Pronomen der ersten Person Singular tatsächlich direkt auf die Person oder den Sprecher Bezug nimmt und eine Vermittlung über Begriffe oder Kennzeichnungen für die Referenzfestlegung nicht notwendig ist.45 Die Behauptung der ersten Version der direkten Referenzthese ist daher mit einer Kritik an der von Frege vertretenen Auffassung verbunden, der zufolge der Sachbezug bestimmter Satzelemente immer intensional vermittelt sein sollte. Evans, Strawson und Tugendhat sind Vertreter dieser These. 3b. These von der direkten-perspektivischen Referenz: Die zweite Variante der direkten Referenz-These erweitert dann die erste Version in einer wesentlichen Hinsicht. Die Annahme, dass der Ausdruck „ich“ seinen Referenzgegenstand (die Person) direkt herausgreift und daher in gewisser

44 Vgl. H.-D. Heckmann, „Wer (oder was) bin ich? Zur Deutung des intentionalen Selbstbezuges aus der Perspektive der ersten Person singularis“, in: B. Kienzle/H. Pape (Hrsg.), Dimensionen des Selbst, Frankfurt/Main 1991, 64–83, 69f. Heckmann kommt allerdings zu der Überzeugung, dass die subjektive Bezugnahme, die sich wesentlich von der Bezugnahme auf ein Subjekt, das zugleich Gegenstand in Raum und Zeit und damit intersubjektiv zugänglich ist, unterscheidet, letztlich auf einen Gegenstand verzichten sein muss: „Dasjenige etwas, auf das ich und ich allein in ich-indexikalisch-subjektiver Weise Bezug nehmen kann, ist überhaupt kein Gegenständliches mehr.“ Heckmann, 1991, 72. 45 Die These von der direkten Referenz wird für indexikalische Ausdrücke generell behauptet. Das heißt, der Gegenstand der direkten Referenz ist natürlich abhängig vom jeweiligen Ausdruck. Was für „ich“ die Person ist, ist für „hier“ der Ort, für „jetzt“ der Moment etc. Die Frage, wie Orte oder Zeiten zu identifizieren sind, hat natürlich ganz andere Implikationen als die Frage nach der Individuierung von Personen. Vgl. A. F. Koch, „Subjektivität als Individuationsprinzip raumzeitlicher Einzeldinge“, in: U. Haas-Spohn (Hrsg.), Intentionalität zwischen Subjektivität und Weltbezug, Paderborn 2003, 179–195; G. Keil, „Nullpunkt der Orientierung“, in: A. Øfsti et. al. (Hrsg.), Indexicality and Idealism II: The Self in Philosophical Perspective, Paderborn 2002, 9–29; T. Wyller, Indexikalische Gedanken. Über den Gegenstandsbezug in der raumzeitlichen Erkenntnis, Freiburg/München 1994.

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Weise autonom gegenüber den vom Sprecher mitgebrachten Beschreibungen ist, erklärt nicht, weshalb Überzeugungen, die pure indexicals enthalten, einen anderen Einfluss auf das Verhalten haben als Überzeugungen, die ohne derartige Indikatoren die gleiche Proposition ausdrücken. Dieser Unterschied wird besonders in intensionalen Kontexten deutlich. Es ist etwas anderes, ob Anna Kellermann Ü4) „Die Kognitionswissenschaftlerin, die den heutigen Vortrag nicht halten konnte, wird von einem Berglöwen angegriffen“ für wahr hält oder ob sie Ü5) „Ich werde von einem Berglöwen angegriffen“ für wahr hält. Warum? Nun, wenn Anna Kellermann von Ü5) überzeugt ist, dann wird sie wahrscheinlich unmittelbar den Versuch unternehmen, sich in Sicherheit zu bringen. Das ist bei Überzeugung Ü4) nicht notwendigerweise der Fall, denn Anna Kellermann könnte – wie in unserem ersten Beispiel – nicht wissen, dass die Kennzeichnung „die Kognitionswissenschaftlerin, die den heutigen Vortrag nicht halten konnte“ auf sie selbst zutrifft. Nimmt man also mittels Kennzeichnungen auf einen Gegenstand (hier auf die Person, die man selbst ist) Bezug, kann die Möglichkeit einer Fehlreferenz nicht ausgeschlossen werden. Wenn es aber einen derartigen Unterschied zwischen einem Satz mit reinem Indexwort und einem deskriptiven Satz gibt, obwohl doch beide die gleiche Proposition ausdrücken und vom Sprecher zudem für wahr gehalten werden, dann muss es auch eine Begründung für diesen Unterschied geben. Diese Begründung sollte unabhängig davon sein, ob der Sprecher die mit dem Satz ausgedrückte Proposition kennt und ob er sie für wahr hält. Die zweite Version der These von der direkten Referenz – die These von der direkten aber perspektivischen Referenz – will für die beschriebene Differenz eine Erklärung geben. Hauptvertreter dieser These sind Kaplan und Perry. Die These von der direkten aber perspektivischen Referenz wird allerdings nicht an dieser Stelle diskutiert. Dafür gibt es einen inhaltlichen Grund. Denn mit der Konkretisierung der direkten Referenz-These wird nicht in erster Linie auf Unstimmigkeiten dieser These reagiert; vielmehr wird versucht, im Rahmen einer Analyse indexikalischer Äußerungen das Problem der Meinigkeit zu lösen. Der Gedanke, gegen den sich die These von der direkten-perspektivischen Referenz wendet, ist nämlich folgender: Überzeugungen, die man sich selbst mithilfe des Indikators „ich“ zuschreibt, sind in einer Weise subjektiv, die dem begrifflichen Zugriff anderer Personen widersteht. Die diesen Überzeugungen zukommende Subjektivität könnte daher als Erklärung für die Differenz im Verhalten einer Person gelten. Demgegenüber argumentiert insbesondere Perry, dass die Zuschreibungsperspektive durch eine besondere Art der Einstellung erklärt werden kann, durch die Überzeugungen de se charakterisiert sind. Habe man erst einmal verstanden, worin das Besondere dieser Einstellung be-

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steht, dann sei man auch in der Lage, das Problem der Meinigkeit zu klären.46 Nachdem die Thesen kurz vorgestellt sind, sollen jetzt zwei Thesen (1 und 3a) ausführlicher diskutiert werden. 1.2.1 These von der nicht vorhandenen Referenz Die These, dass „ich“ ein nichtreferierender Ausdruck sei, ist in prominenter Weise von Anscombe vertreten worden47. Ihr Argument lässt sich so zusammenfassen: Da der Ausdruck „ich“ hinsichtlich der Referenzfestlegung weder wie ein Eigenname noch wie ein Demonstrativum funktioniert, gibt es für die garantierte Referenz keine andere Erklärung als anzunehmen, dass „ich“ ein nichtreferierender Ausdruck sei. Zunächst spricht für die Annahme, dass „ich“ ein Eigenname sei, dass es als Pronomen syntaktisch an die Stelle von Eigennamen treten kann. Es wäre zwar, so Anscombe, ein besonderer Eigenname, da jeder ihn verwendet, um sich auf die Person zu beziehen, die er selbst ist; aber das allein spräche noch nicht gegen die Annahme. Das entscheidende Argument dagegen ist stattdessen, dass sich kein Begriff finden lässt, durch welchen „ich“ als Name auf ein Objekt bezogen wäre. Ein solcher Begriff ist aber erforderlich, wenn gelten soll, dass der Ausdruck je nach Anwendung unterschiedliche Referenzobjekte haben kann. Was Anscombe hier „Begriff“ nennt, kann auch „Kennzeichnung“ genannt werden, denn seine funktionale Rolle besteht darin, als eine Art Vermittler das Referenzobjekt eindeutig festzulegen. Anders ausgedrückt: Erfolgt die Referenzfestlegung von „ich“ vermittelt durch einen Begriff, dann könnte der gesuchte Begriff die Referenz bei verschiedenen Referenzobjekten garantieren. Drei Begriffe werden von Anscombe diskutiert und anschließend verworfen. 1. Ein Begriff, auf den sich ein Sprecher durch die Verwendung des Ausdrucks „ich“ jeweils beziehen könnte, wäre etwa „dieser Körper“. Der Referenzgegenstand von „ich“ wäre in diesem Fall jeweils der Körper der Person, die den Ausdruck gebraucht. Anscombes naheliegender Einwand

46 Ausführlich dazu Kapitel I, Abschnitt 3.3. 47 Auch Wittgenstein kann als Vertreter dieser These gelten. Dafür spricht folgende Stelle in den Philosophische Untersuchungen: „‚Wenn ich sage ‚ich habe Schmerzen‘, weise ich nicht auf eine Person, die die Schmerzen hat, da ich in gewissem Sinne gar nicht weiß, wer sie hat‘. Und das läßt sich rechtfertigen. Denn vor allem: Ich sage ja nicht, die und die Person habe Schmerzen, sondern ‚ich habe (…)‘. Nun, damit meine ich ja keine Person.“ L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchung-en [PU], § 404, § 410 und [BB], 107.

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gegen diesen Vorschlag besagt, dass selbst in Fällen sensorischer Deprivation mithilfe des Pronomens der ersten Person Singular noch fehlerfrei denotiert werden könne, obwohl es aus der Perspektive des Subjekts selbst nichts geben kann, worauf der „Gedanke „dieses Objekt“ oder „dieser Körper“ (…) einschnappen (to latch on to) könnte.“48 Was Anscombe mit diesem Einwand zu meinen scheint, ist, dass Fehlreferenzen nicht ausgeschlossen werden können, wenn dem Sprecher das nicht gegenwärtig ist, worauf er sich mit dem Ausdruck „ich“ bezieht. Warum das Gegenwärtigsein des Referenzobjektes eine Bedingung für garantierte Referenz sein sollte, sagt Anscombe allerdings nicht. 2. Das Problem des Nicht-Gegenwärtigseins entsteht jedenfalls nicht, wenn der Begriff des Selbst jener Begriff ist, durch den man sich mit dem Namen „ich“ auf sich selbst bezieht. Allerdings stellt sich hier die Frage, was genau mit „diesem Selbst“ gemeint sein könnte, denn grammatisch gesehen ist es zunächst nicht mehr als ein substantiviertes Reflexivpronomen. Wäre „ich“ aber der Eigenname für das Selbst eines Sprechers, so argumentiert Anscombe, müsste „ein wiederholter Gebrauch von „ich“ in Verbindung mit demselben Selbst eine Reidentifikation dieses Selbst einschließen.“49 Das aber sei „kein Bestandteil der Rolle von „ich“.“50 Man kann dieses Argument durch die Erkenntnis aus dem vorigen Abschnitt unterstützen, wonach Reidentifikation schon deshalb kein Bestandteil der Rolle von „ich“ sein kann, weil auch Identifikation kein Bestandteil seiner Rolle ist. 3. Wenn aber weder „dieser Körper“ noch das „Selbst“ des „ich“Sprechers als Begriffe dienen können, über die das Referenzobjekt garantiert fesgelegt wird, welcher Begriff käme dann in Frage? „Nun welcher andere Begriff“, so Anscombe, „kann vorgeschlagen werden, als der des Denkens, des Denkens von Ich-Gedanken, der diese Garantie gegen FehlReferenzen verbürgt?“51 Die cartesianisch anmutende Idee, dass „ich“ der Name für das Denken eines Ich-Gedankens sei, hat zunächst viele Vorteile. Sie erklärt nämlich nicht nur, weshalb die Referenz und Existenz des Referenzgegenstandes garantiert ist, sondern auch, dass das Referenzobjekt dem Sprecher aktuell gegenwärtig sein muss. Das einzige Problem, das Anscombe mit dem cartesianischen „cogito“ trotzdem noch hat, ist, dass die Referenz nicht singulär sein muss. Wie könnte man, so fragt sie, die

48 G. E. M. Anscombe, „Die erste Person“, in: M. Frank (Hrsg.), Analytische Theorien des Selbstbewußtseins, Frankfurt/Main 1994, 84–109, 104 [DeP]/engl., G. E. M. Anscombe, „The First Person“, in: S. Guttenplan (Hrsg.), Mind and Language: Wolfson College Lectures 1974, Oxford 1975, 45–65, 61. 49 Anscombe, [DeP], 93/engl., 1975, 52. 50 Ebd. 51 Anscombe, [DeP], 96/engl., 1975, 55.

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Annahme rechtfertigen, „daß es genau ein Denken gibt, das dieses Denken dieses Gedankens ist, den ich gerade denke – will sagen, genau einen Denker gibt?“52 Gibt es eine solche Rechtfertigung nicht (und das scheint Anscombe anzunehmen), dann kann „ich“ auch kein Eigenname sein. Fassen wir die Überlegung zusammen: Eigennamen sind singuläre Termini, die sich dadurch auszeichnen, dass sie sich auf einen einzelnen Gegenstand beziehen. Da sich jeder Sprecher aber mit „ich“ auf sich selbst bezieht, es somit eine Vielzahl möglicher Referenzobjekte gibt, ist der Bezug auf den einzelnen Gegenstand per definitionem ausgeschlossen. Nachdem kein Begriff gefunden werden konnte, über den auf die jeweils verschiedenen Referenzgegenstände in singulärer Weise Bezug genommen werden könnte, folgt, dass „ich“ kein Eigenname sein kann.53 Wenn „ich“ also kein Eigenname sein kann, bleibt die Möglichkeit, den Ausdruck in semantischer und syntaktischer Hinsicht wie ein Demonstrativpronomen (also wie einen hinweisabhängigen Indikator) zu behandeln. Demonstrativa haben die Eigenschaft, logisch wie Namen zu funktionieren, ohne Namen zu sein. Ihr Vorteil besteht darin, dass sie im Rahmen einer konkreten Äußerungssituation, also kontextabhängig, ihren Referenten direkt bezeichnen. Findet sich auf diese Weise eine Erklärung für die behauptete Referenzgarantie von „ich“? Tatsächlich muss diese Erwartung jedoch enttäuscht werden. Denn hinweisabhängige Indikatoren beinhalten eine besondere Form von Referenzunsicherheit. Sie können nämlich insbesondere dann fehlschlagen, wenn der Bezugsgegenstand nicht anwesend ist. Anscombe macht diese Referenzunsicherheit an folgendem Beispiel deutlich: Jemand kommt mit einer Urne und sagt: „Dies ist alles, was vom armen Jones übriggeblieben ist.“ Auf Nachfrage, was „dieses“ genau sei, sagt er: „dieses Häufchen Asche“. Was der Sprecher jedoch nicht weiß, ist: Die Urne ist leer. Ganz egal, wie konkret der Hinweis auch sein möge, er ist trotzallem nicht eindeutig und lässt für Fehlreferenzen immer noch zu viel Spielraum. Dies insbesondere deshalb, weil in dem Hinweis keinerlei Information darüber enthalten ist, auf welchen Gegenstandstyp mit dem Demonstrativum Bezug 52 Anscombe, [DeP], 101/engl., 1975, 58. 53 Natürlich kann man sich fragen, ob es eine nicht andere Möglichkeit gibt, den Ausdruck „ich“ als Eigennamen zu analysieren. Man könnte etwa behaupten, dass „ich“ wie ein starrer Designator funktioniere und in allen möglichen Welten und unabhängig von allen Beschreibungen immer auf genau diejenige Person zutreffe, die auch der Referenzgegenstand des Ausdrucks wäre. Allerdings widerspricht diese Annahme zunächst der oben genannten allgemeinen Bedeutungsregel für „ich“, der zufolge der Sachbezug mit dem jeweiligen Gebrauch wechselt. Es müsste also ein zusätzliches Argument geben, das zeigt, wie diese Invarianz im Rahmen einer Theorie starrer Designatoren zu erklären wäre.

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genommen werden soll. Es bliebe zwar noch die Möglichkeit, Referenz generell als unterbestimmt zu erklären, aber dann wären Demonstrativa in ihrem Weltbezug nicht mehr privilegiert und der Grund für die Analogisierung mit ihnen – die Referenzgarantie – würde entfallen. Shoemaker führt das mögliche Fehlgehen der Bezugnahme bei Demonstrativa übrigens darauf zurück, dass zwischen dem deiktischen Ausdruck und dem Referenzgegenstand die Absicht des Sprechers Platz hat, genau diesen einen Gegenstand herauszugreifen. Bei der Verwendung von „ich“ hingegen gebe es für die Sprecherabsicht keinen Raum, weshalb die Referenz des Indikators in „jeder möglichen Verwendungssituation (allemal) bestimmt“54 sei, und zwar unabhängig davon, was der Sprecher selbst beabsichtigt. Perry spricht im selben Zusammenhang davon, dass Wörter wie „ich“ „automatisch“55 referierten. Und dort, wo eine Prozedur automatisch abläuft, hat eine Absicht in der Tat keinen Platz. Allerdings ist dieser Punkt nicht ganz so eindeutig, wie er auf den ersten Blick erscheint, denn auch der Verwendung von „ich“ liegt ja die Absicht zugrunde, sich in einer bestimmten Hinsicht kenntlich oder interpretierbar zu machen, sei es für einen Interpreten, sei es für sich selbst als Subjekt der zugeschriebenen Prädikate. Es muss sich also um eine spezielle Absicht handeln, deren Fehlen für „ich“ charakteristisch ist. Ich werde auf diesen Punkt gleich genauer zurückkommen; zunächst muss der Verweis auf die Abhängigkeit bzw. Unabhängigkeit von Hinweisen ausreichen, um die Differenz zwischen „dies“ und „ich“ deutlich zu machen. Anscombes bisherige Überlegungen ergeben nun folgendes Bild: „ich“ ist weder ein Eigenname noch ein Ausdruck, der in Analogie zu hinweisabhängigen Demonstrativa verstanden werden kann. Beide Erklärungsversuche können die Referenzgarantie nicht verständlich machen, die mit der Verwendung des Ausdrucks „ich“ gegeben ist. Wäre „ich“ ein Demonstrativum, ließe sich eine garantierte Referenz gar nicht erst behaupten, und insbesondere die mit der Bezugnahme verbundene Existenzbehauptung fiele unter den Tisch. Wäre „ich“ ein Eigenname, dann sollte auch angeben werden können, was „der auf den vermeintlichen Namen ‚ich‘ bezogene Begriff“56 ist. Wenn das nicht gelingt und andere Erklärungen nicht zur Verfügung stehen, dann, so schlussfolgert Anscombe, muss „ich“ ein Aus-

54 Shoemaker, 1994, 48/engl., 1996, 9. 55 Vgl. J. Perry, „What are Indexicals?“, in: ders., The Problem of the Essential Indexicals and Other Essays [PEI], Standford, 2000, 313–324, 317. 56 Anscombe, [DeP], 92/engl., 1975, 51f.

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druck sein, der rein performativ verwendet wird und nicht referiert.57 Durch die Annahme, dass „ich“ ein nichtreferierender Ausdruck sei, lässt sich in jedem Fall die Irrtumsimmunität und Gewissheit von „ich φ“Sätzen erklären. In Analogie zur (iIFi)-These könnte man hier nämlich sagen, dass „ich φ“-Sätze nicht deshalb irrtumsimmun sind, weil der Ausdruck „ich“ immer auf den richtigen Gegenstand referiert, sondern deshalb, weil er gar nicht referiert. Anscombes Schlussfolgerung unterliegt allerdings einem klaren Einwand. Dieser hält daran fest, dass es natürlich einen Bezugsgegenstand geben muss, auf den das Pronomen „ich“ referiert, und das ist die Person, die den Ausdruck verwendet. Dies schon deshalb, weil Sprecher im Allgemeinen in der Lage sind, das System der Personalpronomina anzuwenden und sich mit „du“ oder „sie“ etc. auf genau diejenige Entität zu beziehen, die sich durch „ich“ selbst kenntlich gemacht hat. Allein auf diese Weise kann das Zutreffen bestimmter sich selbst zugeschriebener Prädikate intersubjektiv bestätigt werden. Es würde daher zu einer in semantischer Hinsicht absurden Situation führen, müsste die durch das System der Pronomina strukturierte wechselseitige Bezugnahme ausschließlich auf der performativen Ebene entwickelt werden. 1.2.2 These von der direkten Referenz Die Auseinandersetzung mit Anscombe hat Folgendes deutlich gemacht: Geht man davon aus, dass die Bezugnahme auf einen Gegenstand begrifflich vermittelt sein muss, dann bereitet die Erklärung der garantierten Referenz einige Schwierigkeiten. Die These von der direkten Referenz verneint deshalb schon Anscombes Prämisse, wonach der Sachbezug begrifflich vermittelt sein muss. Stattdessen wird behauptet, dass es die raumzeitliche und mit körperlichen wie auch mentalen Eigenschaften ausgestattete Person selbst sei, auf die der Ausdruck „ich“ direkt referiert.58 Paradigmatisch ist hier Strawsons Urteil: 57 „Bei Namen oder anzeigenden Ausdrücken (in Russells Sinne) gibt es zweierlei zu begreifen: die Art des Gebrauchs und das, worauf sie von Zeit zu Zeit anzuwenden sind. Bei „ich“ gibt es nur den Gebrauch.“ Anscombe, [DeP], 101/engl., 1975, 58. 58 Anscombe kann sich im Gegensatz zu Strawson und den anderen Vertretern der These von der direkten Referenz nicht auf die empirische Person berufen, weil sie daran festhält, dass die Referenz begrifflich vermittelt sein muss. Unterstellt man probehalber, der Begriff auf den sich der Ausdruck „ich“ bezieht, wäre der einer Person, der sowohl körperliche als auch mentale Prädikate zukommen, dann entstünden letztlich genau dieselben Probleme, wie sie Anscombe für den Begriff des Selbst und den des Körpers diskutiert hat. Es geht daher nicht darum, einen an-

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Das Wort ‚ich‘ bezieht sich also niemals auf dieses reine Subjekt. Das bedeutet aber nicht, daß sich das Wort ‚ich‘ in gewissen Fällen überhaupt auf nichts beziehe, wie die Theorie des ‚Nicht-Besitzens‘ anzunehmen gezwungen ist. Es bezieht sich auf etwas, weil ich eine Person unter anderen Personen bin; und die Prädikate, die per impossible dem reinen Subjekt zukämen, falls man von einem solchen sprechen könnte, kommen eben der Person zu, auf welche das ‚ich‘ sich bezieht.59

Die These von der direkten Referenz besagt also zunächst, dass das Referenzobjekt stets selbst Teil der ausgedrückten Proposition ist. Die Wahrheitsbedingung eines Satzes mit einem indexikalischen Satzelement ist daher singulär, sie besteht in dem durch den Indikator bezeichneten Gegenstand. Im Fall des Indikators „ich“ wäre das eben die Person, die einen „ich“-Satz äußert oder einen „ich“-Gedanken denkt. Die allgemeine Regel, die den Sachbezug für „ich“ gemäß der These der direkten Referenz festlegt, lautet daher: Mit „ich“ referiert jeder auf genau diejenige Person P, die er selbst ist und die „ich“ äußert bzw. denkt. Man kann die Behauptung, indexikalische Ausdrücke wären direkt referierend, als Reaktion auf die Schwierigkeiten verstehen, die Freges Semantik damit hat, die Unterscheidung zwischen Sinn (Intension) und Bedeutung (Sachbezug) auf die Bedeutung von Indikatoren anzuwenden. Frege gelingt es nämlich nicht, die Kontextabhängigkeit von Indikatoren im Rahmen der Sinn/Bedeutung-Unterscheidung zu erklären, weshalb es naheliegt, auf den intensionalen Bestandteil zu verzichten. Zwei konkrete Kritikpunkte sollen diesen Punkt verdeutlichen. 1. Für den Satz S1): „Ich bin in Berlin geboren“, gilt zum Beispiel, dass abhängig davon, wer diesen Satz äußert, er entweder wahr oder falsch sein kann. Äußere ich (Andrea Lailach) den Satz, dann ist er wahr, äußert ihn hingegen Tugendhat, ist er falsch.60 Das steht jedoch zu der Annahme im Widerspruch, dass Aussagen, die denselben Sinn haben, sich nicht hinsichtlich ihres Wahrheitswertes unterscheiden können. Dies deshalb, weil Frege zufolge „der Gedanke (…) der Sinn eines Satzes“ ist und der Gedanke dasjenige, „bei dem überhaupt Wahrheit in Frage kommt“.61 Differieren Gedanken bezüglich ihres Wahrheitswertes, dann müssten es eigentlich deren, besseren Begriff zu finden, auf den sich der Ausdruck „ich“ beziehen ließe, sondern schlicht und einfach darum, die begriffliche Vermittlung generell aufzugeben. 59 P. F. Strawson, Einzelding und logisches Subjekt (Individuals), Stuttgart 1972, 132/engl., P. F. Strawson, Individuals. An Essay in Descriptive Metaphysics, London/New York 1959, 103. 60 Tugendhat ist, wie er in [SuS] in einem ganz ähnlich gelagertem Beispiel gesteht, in Brünn geboren. [SuS], 60. 61 G. Frege, „Der Gedanke“, in: ders., Logische Untersuchungen, (hg. von G. Patzig) Göttingen 1966, 40–66, 32.

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verschiedene Gedanken sein. Der Widerspruch, der hier zu Tage tritt (ein und derselbe Sinn evoziert unterschiedliche Gedanken), entsteht aber dadurch, dass die für indexikalische Ausdrücke wesentliche Gebrauchsoder Kontextabhängigkeit nicht mithilfe des fregeschen Sinn-Begriffs erfasst werden kann. 2. Das Problem von einer anderen Seite betrachtet: Beide Sätze S1) „Ich bin in Berlin geboren“ und S2) „Du bist in Berlin geboren“ haben denselben Wahrheitswert. Er kann spezifiziert werden durch S3) „Andrea Lailach ist in Berlin geboren“. S1) und S2) drücken somit ein und denselben Gedanken aus, woraus eigentlich folgen müsste, dass „ich-Sätze“ und „du-Sätze“ jeweils denselben Sinn haben. Es ist aber ganz offensichtlich, dass dies nicht der Fall sein kann, einfach deshalb, weil beide Pronomen auf unbestimmt viele Personen angewendet werden können und auch zutreffen. Auch hier gilt daher wieder, dass die Kontextabhängigkeit sich nicht durch den Sinn-Begriff verdeutlichen lässt. Die These von der direkten Referenz verzichtet deshalb – grob gesprochen – auf den Umweg über den fregeschen Sinn und nimmt an, dass es bei der Bedeutung indexikalischer Ausdrücke hauptsächlich auf die Referenz ankommt. Nicht die Unterscheidung zwischen Sinn und Bedeutung selbst wird hier als problematisch angesehen, sondern die Annahme, dass der Sachbezug eines Ausdrucks nur durch einen Sinn hindurch festgelegt werden könne. Wie wir gesehen haben, gerät man damit aber bei indexikalischen Satzelementen in die genannten Schwierigkeiten. Die These von der direkten Referenz reagiert auf das Problem, indem sie die Differenzlokalisierung verschiebt. Während Frege den Unterschied, der durch die Kontextabhängigkeit ins Spiel kommt, in die jeweiligen Gedanken selbst verlegte und dadurch in Erklärungsnot gerät, verorten die Vertreter der direkten Referenz-These den Unterschied ausschließlich auf Seiten des Bezugsgegenstands selbst. Der Grund dafür, dass ein Satz wie S1) „Ich bin in Berlin geboren“ verschiedene Wahrheitswerte haben kann, liegt demnach darin, dass die Wahrheitsbedingung des Satzes jeweils von dem durch den Indikator bezeichneten Gegenstand erfüllt wird. In diesem Fall die Person, auf die „ich“ referiert. Bleibt die Frage, ob die These von der direkten Referenz tatsächlich ganz und gar ohne ein deskriptives Moment auskommt. Einen Vorschlag, wie der fregesche Sinn-Begriff prinzipiell verstanden werden könnte, hat Perry gemacht. Der Sinn einer Äußerung bestehe, so behauptet er, in dem „what we know when we understand it, and what we know when we understand it is something like an ideal procedure for determining its refer-

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ence“.62 Stimmt man Perry hier zu, dann kann man argumentieren, dass der gesuchte Sinn indexikalischer Ausdrücke durchaus so etwas sein kann, wie die schon genannte Regel zur Referenzfestlegung. Dieser Vorschlag hat allerdings nicht mehr viel mit der Sinn/Bedeutung-Unterscheidung Freges zu tun. Zwar legt hier tatsächlich der Sinn den Sachbezug fest, aber er ist nicht mehr – und das ist der entscheidende Punkt – Teil des propositionalen Inhalts des fraglichen Gedankens. Perry und Kaplan haben deshalb eine Unterscheidung vorgeschlagen, die in der Lage ist, die Kontextabhängigkeit indexikalischer Ausdrücke aufzugreifen und die zugleich die fregesche Sinn/Bedeutung-Differenz umschifft. Man müsse in der Tat davon ausgehen, dass indexikalische Ausdrücke immer zwei Aspekte haben: einerseits den sprachlichen Sinn (von Perry „role“ genannt) und andererseits den situationsabhängigen Sachbezug.63 Kaplan hat diese Unterscheidung durch das Begriffspaar „character“ und „content“ wiedergegeben.64 Das bedeutet natürlich, dass die These der direkten Referenz auf ein deskriptives Moment nicht vollständig verzichten kann. Ohne den sprachlichen Sinn, der angibt, auf welche Weise der durch den Indikator bezeichnete Gegenstand herausgegriffen und von anderen Gegenständen unterschieden werden soll, lässt sich gar nicht verstehen, wie man sich durch indexikalische Ausdrücke überhaupt auf die Welt bezieht. Das Ergebnis der Überlegungen lautet demnach: Gemäß der direkten Referenzthese können Sprecher mittels indexikalischer Ausdrücke den fraglichen Gegenstand zwar tatsächlich direkt – d. i. ohne den Umweg über die Intension – herausgreifen, sie tun dies aber getreu eines bestimmten sprachlichen Sinns, der in die grammatische Struktur der Ausdrücke mit eingeht.

62 J. Perry, „Frege on Demonstratives“, in: [PEI], 1–26, 2; Perry bezieht sich hier auf M. Dummett, Frege, London 1973, 293. 63 Bevorzugt man das mehr technische Idiom, dann kann man auch sagen, die allgemeine Bedeutung von Indikatoren ist eine Funktion, die die Elemente des Gebrauchskontextes auf den Bezugsgegenstand des jeweiligen Ausdrucks abbildet. 64 Es gibt natürlich einen Unterschied zwischen Kaplan und Perry, der Perry auch zu der von Kaplan abweichenden Begrifflichkeit motivierte. Perry wirft Kaplan nämlich vor, in der Distanzierung von Freges Semantik, wenn vielleicht auch nicht unbedingt der Sache nach, so doch zumindest in begrifflicher Hinsicht, nicht konsequent genug gewesen zu sein. Dazu sagt Perry selbst: „Kaplan’s characters are functions from contexts to contents, and so start off very much like roles. The important difference comes when we got to the contents. Kaplan’s contents are intensions. They are explications of, or at least descendants of, Frege´s absolute senses. Thus for Kaplan ‚I‘ takes us from a context with me as speaker to a constant individual concept of me, an intension that takes me as extension in each possible world. A role, however, takes us directly to me, with no intervention of an intension“. J. Perry, „A Problem About Continued Belief“, in: [PEI], 57–76, 60.

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Vorausgesetzt, dass die Rekonstruktion der These soweit überzeugend ist, liegt es jetzt nahe, die (iIFr)-These im Kontext dieser zuletzt genannten grammatischen Struktur zu untersuchen. Wir hatten festgestellt, dass der sprachliche Sinn durchaus als folgende Regel65 zur Referenzfestlegung beschrieben werden kann: Mit „ich“ nimmt jeder auf genau diejenige Person P Bezug, die er selbst ist und die „ich“ äußert bzw. denkt. An dieser Regel gibt es zwei Aspekte, die für die (iIFr)-These interessant sind. Das sind zum einen die Reflexivität, der zufolge jeder Sprecher mit „ich“ auf sich selbst Bezug nimmt und zum anderen die Spezifizierung des Kontextes als Gebrauchs- oder Verwendungskontext. Beginnen wir mit der Reflexivität. Sofern jemand den Ausdruck „ich“ gebraucht, muss es auch jemanden geben, auf den er angewendet wird, und das ist eben jene Person, die den Ausdruck verwendet. Dies ist nicht nur aufgrund des genannten sprachlichen Sinns der Fall, sondern schon deshalb, weil es schlicht eine Tatsache ist, dass zu jeder Verwendung immer auch ein Verwender gehört. Der sprachliche Sinn macht diese Tatsache lediglich explizit. Das Entscheidende an der hier diskutierten These der direkten Referenz ist nun, dass der Verwender immer schon bestimmt ist, nämlich als die Person, die „ich“ äußert bzw. denkt.66 Das hat den Vorteil, dass der Indikator „ich“ bereits bestimmte Informationen zu genau dem Gegenstandtyp enthält, auf den er sich bezieht. So führt er als Personalpronomen den „zugehörigen Sortalbegriff schon versteckt mit sich“.67 Ein Sprecher, der kompetent Personalpronomina verwendet, sollte also keine Probleme damit haben, eine Person von einer anderen abzugrenzen oder

65 Ganz ähnlich auch Perry: „A role is a rule that takes us from a context to a reference“. [PEI], 60. 66 Einen anderen Vorschlag hat Reichenbach gemacht. Er bezog die Reflexivität der Indikatoren direkt auf das Äußerungsvorkommnis: „The word ‚I‘ for instance, means the same as ‚the person who utters this token‘; ‚now‘ means the same as ‚the time at which this token is uttered‘“. (zitiert nach Künne, 1996, 1156f). Demzufolge nannte er Indikatoren „token-reflexiv words“. Reichenbachs Vorschlag unterliegt jedoch stichhaltigen Einwänden. Erstens beruht der Vorschlag auf der Möglichkeit einer Reduktion, die hier schon ausgeschlossen wurde: die Reduktion des Ausdrucks „ich“ auf „dieses Äußerungsvorkommnis (token)“. Da deiktische Ausdrücke, wie „dies“ oder „jenes“, gerade nicht die zu erklärende Referenzgarantie aufweisen, trägt eine Reduktion auf sie zur Erklärung der Irrtumsimmunität nichts bei. Zweitens ist die Beschränkung auf Äußerungsvorkommnisse problematisch, weil aus ihr folgt, dass in bestimmten Fällen die Substitution von „ich“ durch „die Person, die dieses token äußert“ zu widersprüchlichen Aussagen führt. Probleme, denen man aus dem Weg gehen kann, wenn man sich eben nicht auf das Äußerungsvorkommnis selbst bezieht, sondern auf die Person, die „ich“ äußert oder denkt. 67 Keil, 2000, 43.

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den Unterschied zwischen einer und mehreren Personen zu erkennen. Damit sind einige der Zweifelszenarien eliminiert, die sich noch bei dem Versuch ergeben hatten, den Ausdruck „ich“ in Analogie zu Eigennamen zu bestimmen, wie etwa Anscombes Frage, ob der Referenzgegenstand nicht doch ein „cartesisches Ego“ sei, und wenn ja, woher man dann wisse, dass „‚ich‘ nicht zehn unisono denkende Denker ist“?68 Hinzu kommt ein weiterer Punkt. Durch die Tatsache, dass jede Verwendung von „ich“ stets reflexiv auf die verwendende Person verweist,69 kann ausgeschlossen werden, dass der Gegenstand, auf den durch den Gebrauch des Ausdrucks „ich“ referiert wird, nicht existiert. Die Reflexivität, die in der Verwendung des Indikators „ich“ enthalten ist, also die Tatsache, dass es eine Verwendung ohne Verwender nicht gibt und dieser Verwender eben jene Person ist, die „ich“ äußert oder denkt, erklärt, weshalb der Indikator „ich“ eine eingebaute Referenzgarantie hat. Diese Referenzgarantie lässt sich jetzt auch bestimmen als eine, die sich auf die Existenz derjenigen Person richtet, die der Bezugsgegenstand des Indikators „ich“ ist. Allerdings lässt sich das Ergebnis nicht generalisieren. Denn der Satz „Ich existiere“ ist der einzige Fall, für den gilt, dass die in die grammatische Struktur des Indikators eingebaute Bezugsgarantie zu einer wahren empirischen Aussage führt.70

68 Anscombe, [DeP], 101/engl., 1975, 58. 69 Keil weist auf folgendes hin: Statt zu behaupten, der Ausdruck „ich“ beziehe sich immer auf eine Person, könnte man sagen, „daß, wer ‚ich‘ gebraucht, immer eine Person ist, die etwas über sich selbst sagt.“ Auf diese Weise könnte man vielleicht auch Anscombes Zustimmung einholen. A. a. O., 25. 70 In dieser Hinsicht unterscheidet sich der Ausdruck „ich“ von den anderen reinen Indexwörtern – „hier“ und „jetzt“. Denn der Bezug zur Existenz der mit diesen Ausdrücken bezeichneten Gegenstände ist längst nicht so eindeutig. Alles steht und fällt hier mit der Beantwortung der (kategorialen) Frage, ob Raum- und Zeitstellen tatsächlich existieren. Diese Differenz ist dann m.E. auch der Grund für die Debatte um die Frage, inwieweit „ich“ nicht doch der fundamentale Indikator ist, der dann auch ontologisch privilegiert verwendet würde. Auch Tugendhat meint, dass der genannte Unterschied ein Hinweis darauf sei, dass zwischen „hier“ und „jetzt“ einerseits und „ich“ andererseits „gar keine echte Analogie“ bestehe. Der Ausdruck „ich“ – so Tugendhat – stehe, sofern er sinnvoll verwendet wird, „im Unterschied zu ‚hier‘ und ‚jetzt‘ durchaus für eine in Raum und Zeit existierende Entität, und da ich bei mir selbst nicht zweifeln kann, daß ich das Wort ‚ich‘ sinnvoll verwende, ergibt sich hier die Evidenz, von der Descartes ausgegangen war: cogito (loquor) ergo sum, nur freilich nicht als immaterielle, nichträumliche Existenz.“ [SuS], 79. Man kann natürlich darauf hinweisen, dass die Reflexivität indexikalischer Ausdrücke sich ohnehin immer auf die Person, die den Ausdruck verwendet, richtet. So gilt für „hier“: Der Ausdruck bezeichnet genau jene Stelle, die der Sprecher selbst einnimmt. Ähnliches gilt für „jetzt“. Das ermöglicht es, die Untersuchung

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Das ist jedoch noch nicht alles, was aus der im sprachlichen Sinn enthaltenden Reflexivität abgeleitet werden kann. Hat der Sprecher erst einmal verstanden, wie Personalpronomina anzuwenden sind, dann sollte er auch wissen, dass „ich“ nur unter der Bedingung referiert, dass der Verwender den Indikator kompetent anwendet. Kompetenter Sprachgebrauch enthält aber in jedem Fall die Absicht, verstanden zu werden. Einem in dieser Hinsicht absichtslosen Individuum (etwa einem Computer oder der batteriebetriebenen Sprechpuppe) würde man gar nicht erst zuschreiben, dass es sich mit „ich“ auf sich selbst bezieht. Selbst dann nicht, wenn es „ich“ korrekt verwendete. Nun hatten wir im Vorfeld gesehen, dass laut Shoemaker das Fehlen der Absicht bei der Verwendung von „ich“ als Kriterium zur Abgrenzung gegenüber den Demonstrativa verwendet werden kann. Offensichtlich sind hier aber zwei Begriffe von Absicht im Spiel, die genauer spezifiziert werden müssen. Zum einen gibt es die grundlegende Absicht des Sprechers, interpretierbar zu sein. Dazu gehört, dass der Sprecher beabsichtigt, die Wörter gemäß ihrer jeweiligen sprachlichen Regel zu gebrauchen. Das gilt für den Gebrauch von Demonstrativa ebenso wie für die Verwendung reiner Indexwörter. Genau diese grundlegende Absicht muss dem Computer oder der Sprechpuppe aber abgesprochen werden. Absichtslosigkeit in diesem Sinne schließt den Sprecher generell aus dem Sprachspiel aus. Shoemaker hat also offensichtlich einen spezielleren Absichtsbegriff im Blick, wenn er sagt, dass die Regeln, die den Gebrauch von „ich“ anleiten, seine Referenz für jede mögliche Verwendungssituation bestimmen, nämlich dass „ich“ sich auf den Sprecher bezieht. Die Verwendungsregeln für „ich“ ließen, so Shoemaker, „den Absichten des Sprechers keinen Spielraum, über seine Referenz zu bestimmen.“71 Perry hat diese Überlegung weiter spezifiziert. Er betont, dass es auf der einen Seite automatic indexicals gebe, deren „designation“ tatsächlich automatisch erfolge, und für die „no further intention, than that of using the words with their ordinary meaning“72 benötigt werde, während es andererseits Indexikalia gäbe, für deren Referenzfestlegung die Absicht des Sprechers nach wie vor relevant bleibt. Die von Shoemaker und Perry ausgemachte spezielle referentielle Absicht führt auf diese Weise zu der Annahme, dass es zwei verschiedene Regeln darüber gibt, wie indexikalische Ausdrücke gebraucht werden sollten. Für die Verwendung von Demonstrativa gilt, dass

der Reflexivität neutral gegenüber der Existenzbehauptung von Raum-Zeitstellen zu halten. 71 Shoemaker, 1994, 48/engl., 1996, 9. Natürlich könne man sich, so Shoemaker, „entscheiden, das Wort ‚ich‘ zu verwenden oder nicht“. (ebd.) Diese Entscheidung wäre dann Teil der grundlegenden Absicht, sich verständlich zu machen. 72 Perry, [PEI], 317, hervorgehoben von mir.

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sie ihr jeweiliges Referenzobjekt nur durch einen weiteren Hinweis bestimmen können, weshalb hier die referentielle Absicht ein notwendiger Bestandteil des Referierens ist. Bei der Verwendung von „ich“ hingegen ist ein solcher Hinweis schlicht überflüssig, weshalb die referentielle Absicht für die Referenz von „ich“ keine Rolle spielt. Die Umstände unter denen die Reflexivität des Ausdrucks „ich“ seine Referenz garantiert, können damit konkretisiert werden. Nur der Sprecher, der indexikalische Ausdrücke mit der grundlegenden Absicht verwendet verstanden zu werden, bezieht sich mit „ich“ in jedem Fall auf sich selbst. Denn in diesem Fall gilt tatsächlich, dass „ich“ automatisch referiert. Im Fall des „ich“-sagenden Computers stellt die Reflexivität zwar sicher, dass der Sprecher existiert, das Referenzobjekt kann aber nicht das mit dem indexikalischen Ausdruck Gemeinte sein, weil der Computer nichts meinen kann. Wie der Computerfall zeigt, ist es auch hinsichtlich der grundlegenden Absicht nicht sinnvoll zu behaupten, dass der Gegenstandbezug immer in der vom Sprecher intendierten Weise erfolgt. Diese Überlegungen führen uns nun auf direktem Wege zum zweiten Aspekt des sprachlichen Sinns, der für die (iIFr)-These interessant war: die Kontextspezifizierung über den Gebrauch. Wenn man davon ausgeht, dass ein Satz oder ein Gedanke mit indexikalischen Ausdrücken erst dann vollständig ist, wenn der Kontext, in dem er gebraucht wird, tatsächlich spezifiziert ist, dann stellt sich natürlich die Frage, wie die Kontextbestimmung im Fall der Verwendung von „ich“ zu beschreiben ist. Bei einem Ausdruck wie „dies“ oder „jenes“ benötigt man dazu einen weiteren Hinweis. Bei „ich“ hingegen genügt die Verwendung des Ausdrucks, weil der Sprecher oder Denker von „ich“ in jedem Verwendungskontext zugleich auch als Bezugsgegenstand des Indikators fungiert. In diesem Sinn referiert „ich“ automatisch. Der Sprecher kann sich mit „ich“ quasi hinter seinem Rücken auf sich selbst beziehen, ohne dass eine spezielle referentielle Absicht, eine Vorstellung oder anderes dazwischen tritt. Er muss weder explizit etwas über die Regeln der Verwendung von „ich“ wissen, noch muss er ein theoretisches Konzept der Person haben. Alles, was er wissen muss, ist das, was im sprachlichen Sinn indexikalischer Ausdrücke enthalten ist, nämlich, dass der Indikator „ich“ sich jeweils auf die Person bezieht, die den Ausdruck in kompetenter Weise verwendet. Dieses Wissen ist allerdings notwendig, um den Ausdruck anwenden zu können. Wäre dem Sprecher nicht bewusst, dass jeder Sprecher sich mit „ich“ jeweils auf sich selbst bezieht, würde er schlicht nicht verstehen, wie „ich“ gebraucht wird. Damit sind die Argumente für die Überprüfung der mit der (iIFr)These aufgestellte Behauptung beisammen. Sind also Sätze, mit denen sich eine Person unter Verwendung des Wortes „ich“ mentale Prädikate zuschreibt, gegen einen Irrtum durch Fehlreferenz immun?

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Zunächst gilt, dass die im sprachlichen Sinn des Ausdrucks „ich“ implementierte Reflexivität bestimmt, dass die kompetente Verwendung des Indikators hinreichend dafür ist, dass das den Ausdruck verwendende Subjekt anwesend ist. Das schließt einerseits die Existenz des Sprechers ein, während andererseits die Behauptung anderer möglicher Referenzgegenstände, wie ein cartesisches Ego oder ein substantiviertes Ich, ausgeschlossen wird. Weiter gilt, dass jeder, der „ich“ in einer absichtsvollen Weise verwendet, automatisch auf sich selbst referiert. Unabhängig von den speziellen referentiellen Sprecherabsichten wird jeweils die Person als Referenzgegenstand herausgegriffen, die tatsächlich auch der Bezugsgegenstand des Indikators ist. Dies deshalb, weil reine Indexwörter den für die Festlegung des tatsächlichen Referenzgegenstandes notwendigen Kontext allein über den Gebrauch des speziellen Indikators spezifizieren. Kienzle hat aus diesem Grund Sätze, die „alles zu ihrer Wahrheit Erforderliche unmittelbar im Kontext ihres Gebrauchs finden“73, gebrauchsgültig genannt. Reicht also die hier beschriebene Referenzgarantie für die Verteidigung der Behauptung aus, dass „ich φ“-Sätze infallibel sind, wenn man Infallibilität so versteht, dass damit ein epistemischer Anspruch erhoben wird, also ein infallibles Wissen von sich selbst ausgedrückt wäre? Ich denke, dass es gute Gründe gibt, den mit der (iIFr)-These behaupteten epistemischen Anspruch abzuweisen. Alles, was dem Sprecher in epistemischer Hinsicht zur Verfügung steht, ist das Wissen um die grammatische Struktur des Ausdrucks „ich“. Dabei handelt es sich aber nicht um ein Wissen, das wahr oder falsch sein kann, in dem Sinne, dass man seinen Anspruch auf Wahrheit rechtfertigen könnte. Was hier in Anspruch genommen wird, ist eher die Kenntnis der Verwendungsweise von „ich“, die im sprachlichen Sinn zum Ausdruck kommt, und diese Kenntnis gehört nicht zu der Art von Wissen, bei dem Zweifel sinnvoll wäre. Betrachtet man die (iIFr)-These als eine, die nach dem Scheitern der (iIFi)-These, eine Erklärung dafür liefern soll, dass in „ich φ“-Sätzen ein infallibles Wissen von sich selbst zum Ausdruck kommt, muss dieser Anspruch also entschieden zurückgewiesen werden. Zwar stimmt es, dass sich „ich φ“-Sätze durch eine garantierte Referenz auszeichnen; der Grund dafür liegt aber in der grammatischen Struktur des Indikators „ich“ und nicht in einem besonderen irrtumsimmunen Wissen von sich selbst.

73 B. Kienzle, „Indexikalität und Gewißheit“, in: Zeitschrift für Philosophische Forschung 1, 2005, 358–381, 367.

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1.3 Infallibilität und Intersubjektivität Sowohl die mit der (iIFi)-These als auch die mit der (iIFr)-These aufgestellte Behauptung, Selbstbewusstsein sei ein infallibles Wissen von sich selbst, kann also nicht aufrechterhalten werden. Zwar können beide Thesen sinnvollerweise behauptet werden, aber die für ihre Verteidigung vorzubringenden Gründe sind andere als zunächst gedacht. Die (iIFi)-These behauptete, dass ein Irrtum bei der Identifizierung der mit dem Ausdruck „ich“ bezeichnet Person ausgeschlossen sei. Der Grund dafür ist aber nicht in einer besonderen Eigenschaft von Selbstwissen zu sehen sondern in der Tatsache, dass mit „ich“ gar nicht identifiziert wird. Ähnliches gilt auch für die (iIFr)-These. Hier traf die Behauptung zu, dass „ich“ als indexikalischer Ausdruck eine Form der Referenzgarantie aufweist. Aber diese gründet in der grammatischen Struktur des Indikators und gerade nicht in einem unfehlbaren Wissen von sich selbst. Diese Resultate haben jedoch keine negativen Konsequenzen für die anfängliche Annahme, dass die mit dem Satz „Ich weiß, dass ich φ“ intendierte Bezugnahme auf das Subjekt der Selbstzuschreibung objektiv gewiss ist. Man muss allerdings sehen, dass es nicht das unfehlbare Wissen von sich selbst ist, das die Gewissheit hier begründet, sondern die Tatsache, dass Zweifel sowohl hinsichtlich der Selbstidentifikation als auch bezüglich der Referenz von „ich“ schlicht und einfach nicht sinnvoll sind. Wenn jedoch die Behauptung verteidigt werden kann, dass „ich φ“-Sätze objektiv gewiss sind, ohne zugleich ein irrtumsimmunes Wissen von sich selbst zu unterstellen, dann ist eine intersubjektivitätstheoretische Analyse von Selbstbewusstsein an dieser Stelle nicht prinzipiell auszuschließen. Man muss sich somit nur noch fragen, wo die intersubjektive Beschreibung konkret ansetzen könnte. In der Diskussion der (iIFi)-These ist die Behauptung verteidigt worden, dass sich eine Person, sofern sie den Ausdruck „ich“ für die Selbstzuschreibung mentaler Prädikate verwendet, nicht selbst identifiziert, dafür aber identifizierbar macht. Was heißt das nun für die zu beschreibende Intersubjektivität? In erster Linie schafft die jeweilige Person den Raum für andere Personen, sich ebenfalls auf das mit einem „ich φ“-Satz zugeschriebene Prädikat zu beziehen. Das ist dann die Voraussetzung dafür, dass die Wahrheitsbedingungen für „ich φ“-Sätze intersubjektiv zugänglich sind. Außerdem kann nun auch argumentativ ausgeschlossen werden, dass dasjenige Referenzobjekt, auf das man sich mit „ich“ bezieht, etwas anderes sein könnte, als die durch andere Subjekte identifizierbare Person; damit bleibt auch das Referenzobjekt des Ausdrucks „ich“ intersubjektiv zugänglich.

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Die Frage, wie sich die notwendigen intersubjektiven Bedingungen konkret bestimmen lassen, führt noch einmal zu Tugendhats Analyse indexikalischer Ausdrücke zurück. Für die Grammatik der Personalpronomina ist unter anderem wesentlich, dass die Person, die durch ein Pronomen bezeichnet wird, prinzipiell auch von anderen Pronomen desselben Typs erfasst werden kann, und zwar aus einer anderen Perspektive. Wer sich mit „ich“ auf sich selbst bezieht, kann von jemand anderem mit „du“ oder „sie/er“ angesprochen werden. Gleiches gilt auch für „dies/jenes“, „hier/dort“ und „heute/morgen“, um nur einige Beispiele zu nennen. Tugendhat nimmt an, dass dieses systematische Aufeinander-Bezogensein zur grundlegenden Struktur indexikalischer Ausdrücke gehört. Zwei Gründe führt er für diese Behauptung an. Zum einen könne etwa „hier“ nicht als singulärer Terminus fungieren, wenn es nicht die Möglichkeit gebe, mit „dort“ den jeweiligen Gegenstand der Bezugnahme aus einer Vielzahl von möglichen Gegenständen herauszugreifen, und das muss auch für den Ausdruck „ich“ gelten.74 Zum anderen ermögliche erst der systematische Zusammenhang die notwendige Kontextspezifizierung, also „das Bezeichnete bei veränderter Sprechsituation als Identisches festzuhalten“.75 Daraus zieht Tugendhat den Schluss, dass, „wer „ich“ sagt, erstens weiß, daß dieselbe Person von anderen Sprechern mit „du“ angesprochen werden und mit „sie“/“er“ bezeichnet werden kann, und zweitens, daß er damit eine einzelne Person von anderen, die er mit „sie“ bezeichnen kann, heraushebt.“76 Tugendhat zufolge gehört es „konstitutiv zur Verwendung von ‚ich‘“, über dieses Wissen verfügen zu können. Doch was bedeutet es, dass dieses Wissen für den Gebrauch von „ich“ konstitutiv sein soll? Bei der Analyse der Bedeutung des Indikators „ich“ war deutlich geworden, dass erstens allein durch die Verwendung des Personalpronomens der durch „ich“ bezeichnete Gegenstand festgelegt wird, und dass zweitens der Kontext durch den Gebrauch spezifiziert wird. Der systematische Bezug zu anderen Personalpronomen als einer notwendigen Bedingung für die erfolgreiche Verwendung von „ich“ hatte sich an keiner Stelle ergeben. Obwohl es für denjenigen, der nicht weiß, dass „ich“ durch „sie/er“ oder „du“ ersetzt werden kann, sicher schwierig ist, den Indikator „ich“ immer korrekt zu verwenden, ist es doch nicht generell ausgeschlossen. Für die Bedeutung des Ausdrucks ist der Verweisungszusammenhang der Personalpronomina lediglich eine kontingente aber keine notwendige Bedingung.

74 Tugendhat, [SuS], 74. Siehe dazu auch E. Tugendhat, Vorlesungen zur Einführung in die sprachanalytische Philosophie, Frankfurt/Main 1976, 433f. 75 Ebd. 76 Ebd.

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Der Verlockung Intersubjektivität schon an dieser Stelle als notwendige Bedingung auszuweisen, muss also zunächst widerstanden werden. Man kommt der Bedingung der Intersubjektivität aber auf die Spur, wenn man den Fokus etwas anders ausgerichtet. Nicht das System der Pronomina verpflichtet auf die Intersubjektivität, sondern vielmehr das, was Sprecher mit dessen Hilfe tun: sich selbst und anderen Prädikate zuschreiben. Wenn nämlich gilt, dass ein Sprecher sich durch den Gebrauch des Pronomens lediglich identifizierbar macht, dann wird die zweite Person für die tatsächliche Identifizierung zu einer notwendigen Bedingung. Denn die Identifizierung erfolgt dadurch, dass andere Sprecher sich auf die Selbstzuschreibungen des Sprechers beziehen und sie bestätigen.

2. Transparenz und direktes Wissen Die zweite Eigenschaft von Selbstbewusstsein, die nun untersucht werden soll, ist die Eigenschaft der Transparenz. „The states and operations of a mind“, schreibt Ryle, „are states and operations of which it is necessarily aware, in some sense of ‚aware‘, and this awareness is incapable of being delusive. The things that a mind does or experience are self-intimating, and this is supposed to be a feature which characterizes these acts and feelings not just sometimes but always“.77 Die Tatsache, dass die Zustände und Aktivitäten des Geistes für diesen „self-intimating“ sind, sei, so Ryle, „part of the definition of their being mental“.78 Und weiter: „If I think, hope, remember, will, regret, hear a noise, or feel a pain, I must, ipso facto, know that I do“.79 Das Wissen von den eigenen geistigen Zuständen und Tätigkeiten zeichnet sich folglich durch eine besondere Eigenschaft aus, denn „I may doubt the evidence of my senses but not the deliverances of consciousness or introspection“.80 Ryle skizziert hier ein Bild, das präzise die mit der Eigenschaft der Transparenz aufgestellten Behauptungen wiedergibt. Alles, was im Geiste einer Person vorgeht, ist ihr jederzeit bewusst; der eigene Geist ist demnach ein völlig transparentes Medium für das selbstbewusste Subjekt, das auf ihn reflektiert.81 Und obwohl Ryle selbst die

77 78 79 80 81

G. Ryle, Concept of Mind, Chicago 2000, 158. Ebd. Ebd. A. a. O., 154. Das hier untersuchte Merkmal der Transparenz von Selbstbewusstsein ist nicht zu Verwechseln mit der These, dass Wahrnehmung transparent sei. Diese These behauptet, dass die Modi der Wahrnehmung für jede Wahrnehmung transparent sind, d. h. die Eigenschaften der Wahrnehmung sind nicht selbst Teil der Wahr-

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Annahme, Selbstbewusstsein sei in irgendeiner Hinsicht transparent, absurd findet und seine eingehende Beschreibung zu einem großen Teil von einer Entlarvungsabsicht getragen ist, ist die Eigenschaft der Transparenz nach wie vor ein wesentlicher Bestandteil der Beschreibung des Phänomens und der Analyse des Begriffs „Selbstbewusstsein“. Nimmt man also an, dass es immer ein Subjekt und kein Geist ist, das auf seine eigenen mentalen Zustände und geistigen Tätigkeiten reflektiert, dann wird mit der Eigenschaft der Transparenz Folgendes behauptet: Transparenz: Bei bestimmten geistigen Zuständen und Tätigkeiten kann man sich nicht vorstellen, dass man sie hat, ohne zugleich zu wissen oder dessen gewahr zu sein, dass man sie hat. Sofern diese Zustände und Tätigkeiten vorliegen, ist man sich ihrer vollständig bewusst. Die mentalen Vorgänge eines selbstbewussten Subjekts sind für dieses aufgrund ihrer Transparenzeigenschaft im wahrsten Sinne des Wortes selbstenthüllend, oder, um erneut Ryle zu zitieren, „mentale processes are phosphorescent, like tropical sea-water, which makes itself visible by the light which itself emits“.82 Die Transparenzthese enthält eine Immunitätsbehauptung, die für sie konstitutiv ist. Diese Behauptung kann in zweifacher Gestalt auftreten. Einmal kann behauptet werden, dass mentale Zustände selbstevident seien.83 In diesem Fall gilt, dass eine Täuschung darüber ausgeschlossen ist, dass man sich in einem bestimmten mentalen Zustand befindet, sobald man glaubt, dass man sich in ihm befinde. Selbstevidenz (SE): Ein mentaler Zustand Zφ ist für ein Subjekt S genau dann selbstevident, wenn notwendigerweise gilt, dass S in dem Moment, in dem es gewahr wird, dass es sich in Zφ befindet, sich auch tatsächlich in Zφ befindet.

nehmung: Man sieht, hört, fühlt Objekte und nicht die Modi der Wahrnehmung. Vgl. http://plato.stanford.edu/entries/perception-problem/. 82 Ryle, 2000, 159. Vgl. zur Transparenzthese auch A. Beckermann, Analytische Einführung in die Philosophie des Geistes, Berlin/New York 1999, 9f, 370; J. Kim, Philosophie des Geistes, Wien/New York 1998, S 20/engl., Philosophy of Mind, Boulder Colo. 1996, 17. 83 Der Ausdruck „selbstevident“ wird hier in der Bedeutung des von Ryle gebrauchten Ausdrucks „self-intimating“ verwendet, obwohl die Übersetzung durch „selbstvertraut sein“ näher liegend wäre. Diese brächte den Ausdruck allerdings zu sehr in die Nähe des im letzten Abschnitt kritisierten Begriffs der Selbstvertrautheit.

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Einschlägige Beispiele für (SE) sind Schmerzerlebnisse. Schmerzen können einem nicht verborgen bleiben, obwohl man sich das wohl oft wünschte. Sobald man gewahr wird, dass man Schmerzen hat, hat man auch Schmerzen. Nimmt man keine Schmerzen wahr, hat man auch keine. Die Behauptung, dass mentale Zustände in diesem Sinne selbstevident sind, ist eine Behauptung über eine Eigenschaft dieser Zustände. Sie enthält die Annahme, dass die Zustände dem Subjekt, das sie hat, stets unverborgen sind. Die zweite mit der Transparenzthese aufgestellte Immunitätsbehauptung ist dann eine über das Wissen, das ein Subjekt von den eigenen mentalen Zuständen haben kann. Sobald man glaubt, dass man Schmerzen hat, weiß man auch, dass man Schmerzen hat. Es ist nicht möglich, dass die eigenen Überzeugungen über bestimmte mentale Zustände falsch sind. Dieser Aspekt der Transparenzthese wird auch als Unfehlbarkeit oder Unkorrigierbarkeit beschrieben.84 Unkorrigierbarkeit (UK): Glaubt ein Subjekt S, dass es sich im Zustand Zφ befindet, dann weiß S auch, dass Zφ der Fall ist, und es ist ausgeschlossen, dass andere Subjekte Gründe dafür angeben können, dass nicht-Zφ der Fall ist. In diesem Sinne unkorrigierbar sind epistemische Selbstzuschreibungen mentaler Zustände. Es gibt, so hatte Rorty die Unkorrigierbarkeit eingeführt, keine Kriterien, um Berichte aus der Erste-Person-Perspektive über die eigenen geistigen Zustände für falsch zu erklären, während für Berichte über anderes derartige Kriterien durchaus zur Verfügung stehen.85 Die Immunitätsbehauptung für diesen Aspekt der Transparenzthese besagt daher, dass man, wann immer man sich selbst einen bestimmten mentalen Zustand zuschreibt, eine wahre Aussage macht. Erklärt wird diese Besonderheit von Selbstbewusstsein dadurch, dass man von den eigenen geistigen

84 Ich verwende im Weiteren ausschließlich den Ausdruck „Unkorrigierbarkeit“, um dadurch eine begriffliche Abgrenzung von der im vorhergehenden Abschnitt diskutierten Behauptung der Infallibilität deutlich zu machen. Denn die Frage, woher ich weiß, dass ich diejenige Person bin, die sich mentale Zustände zuschreibt, ist nicht mit der Frage identisch ist, welchen epistemischen Status diese Zustände haben. Bei der ersten Behauptung handelt es sich um die Infallibilität gegen Irrtum durch Fehlidentifizierung bzw. Fehlreferenz. Bei der zweiten dann um die Annahme, dass es einer anderen Person aus prinzipiellen Gründen nicht gelingen kann, Selbstzuschreibungen mentaler Zustände zu berichtigen. 85 Vgl. R. Rorty, „Unkorrigierbarkeit als das Merkmal des Mentalen“, in: P. Bieri (Hrsg.), Analytische Philosophie des Geistes, Bodenheim 1993, 243–260/engl., „Incorrigibility as the Mark of the Mental“, in: Journal of Philosophy 67, 1970, 399–424.

Transparenz und direktes Wissen

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Zuständen auf direktem Wege Wissen erwirbt. „Direkt“ heißt dann, dass keine Schlussfolgerungen notwendig sind, um das Wissen zu rechtfertigen, weil die Evidenzen für die Überzeugungen dem Subjekt unmittelbar vorliegen und vollständig bekannt sind. Aufgrund der vollständigen Bekanntschaft sind Irrtümer ausgeschlossen. Damit sind die mit der Transparenzthese aufgestellten Behauptungen umrissen. Beide Aussagen stehen in einem bestimmten Verhältnis zueinander. So kann Selbstevidenz als Bedingung für Selbstwissen angesehen werden, sie allein erklärt jedoch nicht, weshalb einige Selbstzuschreibungen als unkorrigierbar gelten. Dafür muss zusätzlich argumentiert werden, und dies geschieht im Rahmen der These vom direkten Wissen. Je nach dem, wie die einzelnen Behauptungen plausibilisiert werden, kann dann zwischen einer schwachen und einer starken Transparenzthese unterschieden werden. Mit der schwachen These wird behauptet, dass die Eigenschaft der Selbstevidenz zwar eine notwendige aber keine hinreichende Bedingung für Selbstwissen ist. Mentale Zustände sind zwar selbstevident, daraus folgt jedoch weder, dass sie deshalb gewusst werden müssen, noch, dass ihre Selbstzuschreibung unkorrigierbar ist. Die starke These verteidigt hingegen die Annahme, dass die Selbstzuschreibung selbstevidenter Zustände zu unkorrigierbaren Aussagen führt. Der folgende Abschnitt ist daher in zwei Teile untergliedert. Im ersten Teil werde ich der Frage nachgehen, ob tatsächlich alle mentalen Zustände über die Eigenschaft der Selbstevidenz verfügen. Im zweiten Teil werde ich mich dann mit der These vom direkten Wissen auseinandersetzen. Für die Frage nach den intersubjektiven Bedingungen von Selbstbewusstsein stellt die zweite These eine besondere Herausforderung dar, denn sie impliziert die Annahme, dass die Kriterien für Selbstwissen auf eine Weise direkt sind, die andere Personen prinzipiell ausschließt. Sie schließt nämlich aus, dass eine zweite Person grundsätzlich beurteilen kann, ob die Gründe dafür, einer anderen Person Selbstbewusstsein zuzuschreiben, gegeben sind oder nicht. Ich werde jedoch zeigen, dass die These vom direkten Wissen nicht verteidigt werden kann, mit dem Ergebnis, dass sich Selbstzuschreibungen mentaler Zustände als durchaus korrigierbar erweisen werden. Die Gründe für Selbstwissen sind also nicht derart subjektiv, dass sie keine intersubjektive Korrektur zuließen. Zwar wird sich die These von der Unkorrigierbarkeit als falsch erweisen, ich werde aber für eine schwache Version der Transparenzthese argumentieren, die es erlaubt einerseits unsere alltagspsychologischen Intuitionen hinsichtlich der Transparenz mentaler Zustände zu rechtfertigen, ohne sich jedoch andererseits auf die These vom Selbstbewusstsein als eines direkten Wissens und dem damit einhergehenden epistemischen Dualismus zu verpflichten. Die

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schwache Version der Transparenzthese ist dann mit einer intersubjektivitätstheoretischen Analyse von Selbstbewusstsein kompatibel. 2.1 Wie selbstevident sind geistige Zustände? Die Annahme, dass ein Subjekt seiner eigenen mentalen Zustände immer dann gewahr wird, wenn es sich in diesen befindet, impliziert, dass diese Zustände unverborgen sind. Das Kriterium der Unverborgenheit wird aber nicht von allen psychischen Zuständen erfüllt. So wird von Seiten der Psychoanalyse und der kognitiven Psychologie die Existenz unbewusster oder vorbewusster Zustände behauptet, von denen gelten soll, dass sie für das Bewusstsein nicht in der geforderten Weise offensichtlich sind. Es gibt, so die Annahme, Wünsche, Absichten und Überzeugungen, die das Verhalten eines Subjekts beeinflussen oder sogar steuern können, ohne dass sie diesem zugleich bewusst wären. Die Annahme unbewusster Zustände steht damit zunächst im Widerspruch zur These der Selbstevidenz. Man kann die These jedoch hinlänglich verteidigen, wenn man die Klasse der selbstevidenten Zustände als Teil der Klasse bewusster Zustände definiert, so dass Folgendes gilt: Ist ein Zustand Zφ selbstevident, dann ist er auch bewusst. Der Einwand, die Existenz unbewusster Zustände würde die These der Selbstevidenz ad absurdum führen, hätte ohnedies nur dann Erfolg, wenn die Eigenschaft der Selbstevidenz generell als ein Merkmal des Geistigen oder des Mentalen behauptet würde. Die Transparenzthese des Selbstbewusstseins grenzt sich jedoch in dieser Hinsicht explizit von der Transparenzthese des Bewusstseins ab, mit dem Argument, dass nur jene Zustände Gegenstand von Selbstbewusstsein sind, auf die sich ein Individuum reflexiv bezieht.86 Die Annahme unbewusster Zustände stellt somit für die Transparenzthese des Selbstbewusstseins trivialerweise keine Gefahr dar, denn in dem Moment, in dem ein geistiger Zustand zum Gegenstand reflexiver Aufmerksamkeit wird, ist er schon nicht mehr unbewusst. Auf ähnliche Weise kann auch einem anderen möglichen Einwand begegnet werden. Dieser besagt, dass neben den unbewussten auch funktionale Zustände nicht die Eigenschaft der Selbstevidenz aufweisen. Unter funktionalen Zuständen werden informationsverarbeitende Zustände des Gehirns verstanden, die in neurophysiologischer oder kognitionswissenschaftlicher Terminologie beschrieben werden. Diese Gehirnzustände ver-

86 Vgl. dazu u. a., T. Metzinger, „Phänomenale Transparenz und kognitive Selbstbezugnahme“, in: U. Haas-Spohn (Hrsg.), Intentionalität und Weltbezug, Paderborn 2003, 411–459, insb. 418f.

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fügen deshalb nicht über die Eigenschaft der Selbstevidenz, weil sie dem Subjekt nicht ohne weiteres zugänglich sind. Wenn man Kopfschmerzen hat, dann ist man sich zwar bewusst, dass der Kopf weh tut, nicht jedoch des kausal-funktionalen Kopfschmerz-Zustandes (wie auch immer der konkret zu bestimmen wäre). Solange man allerdings nicht behauptet, dass die Eigenschaft der Selbstevidenz ein grundlegendes Merkmal aller mentalen Zustände einschließlich ihrer kausal-funktionalen Rollen ist, findet dieser Einwand keine Angriffsfläche. Würde man allerdings annehmen, dass die Selbstevidenz allen mentalen Zuständen prima facie zukäme, dann müsste im Rahmen einer Identitätstheorie tatsächlich erläutert werden, ob und wie diese Eigenschaft auf der funktionalen Ebene eine Erklärung finden könnte. Sowohl unbewusste als auch funktionale Zustände verfügen also nicht über die Eigenschaft der Selbstevidenz. Selbstevidente Zustände sind zugleich bewusste Zustände, ohne dass umgekehrt gelten muss, dass alle bewussten Zustände auch selbstevident sind. Ryles eingangs zitiertes Bild ist also in einigen Punkten zu korrigieren. Nicht von allen mentalen Zuständen muss notwendigerweise behauptet werden, dass sie selbstevident sind, damit die Transparenzthese Geltung beanspruchen kann. Es genügt durchaus, einer bestimmten Menge mentaler und bewusster Zustände die Eigenschaft der Selbstevidenz zuzusprechen, um Selbstbewusstsein mit der Eigenschaft der Transparenz auszustatten. Allerdings hat diese Einschränkung dann Folgen für ein anderes theoretisches Projekt, denn Selbstevidenz ist nun nicht mehr als Kriterium für die Differenzierung des Bereichs des Mentalen von dem des Nicht-Mentalen geeignet. Mit anderen Worten: Die Eigenschaft selbstevident zu sein, kann im Gegensatz zu Ryles anfänglicher Behauptung nicht als „part of the definition of their being mental“ betrachtet werden. Was mit der Eigenschaft der Selbstevidenz nun konkret behauptet wird und auf welche Weise die schwache Transparenzthese verteidigt werden kann, soll an einer Gruppe spezieller mentaler Zustände erläutert werden: den Erinnerungen. Erinnerungen an Wahrnehmungen, Emotionen und Empfindungen gelten von vornherein als prinzipiell fehlbar, weil man sich zwar in proustscher Manier an den Genuss einer bestimmten Schokolade seiner Kindheit erinnern kann, ob das erinnerte Geschmackserlebnis aber tatsächlich in qualitativer Hinsicht dasselbe ist, wie das damals erlebte, bleibt fraglich. Erinnerungen scheinen somit grundsätzlich opaker Natur, und für das Subjekt, das sie hat, keineswegs transparent zu sein. Nun war die Eigenschaft der Selbstevidenz allerdings so definiert worden, dass sie zunächst lediglich forderte, dass ein Subjekt, das sich in einem selbstevidenten Zustand befindet, auch gewahr wird, dass es sich in dem entsprechenden Zustand befindet. Es wurde damit keine Aussage über den Inhalt

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des Zustandes getroffen. Die Selbstevidenz eines Erinnerungszustandes besteht deshalb darin, dass man sich überhaupt erinnert, nicht darin, dass man sich richtig erinnert. Selbstevidenz als Eigenschaft mentaler Zustände garantiert folglich nicht, dass das Wissen von den Inhalten dieser Zustände unfehlbar ist, sondern nur, dass man sich über die Präsenz der fraglichen Zustände nicht täuschen kann. Ihr Gehalt muss keineswegs gegen Irrtum immun sein. Und das gilt sowohl für Erinnerungen an Fahrpläne als auch für Erinnerungen an Geschmackserlebnisse.87 Was Erinnerungen an dieser Stelle exemplarisch zeigen, ist, dass mit der schwachen Transparenzthese keine Geltungsansprüche erhoben werden. Geltungsansprüche kommen erst dann ins Spiel, wenn die Zustände als bestimmte Zustände identifiziert werden sollen. Die schwache Transparenzthese kann somit wie folgt konkretisiert werden: Wenn sich ein Subjekt in einem selbstevidenten mentalen Zustand Zφ befindet, kann es sich nicht darüber täuschen, dass es sich in diesem Zustand befindet. Es ist dadurch auch in der Position zu glauben, dass der vorliegende Zustand der Zustand Zφ ist. Wie diese Glaubenseinstellung dann aber zu bewerten ist, darüber wird mit der schwachen Transparenzthese keine Aussage gemacht. Aus der Annahme, dass mentale Zustände selbstevident sind, folgt also nicht, dass erstpersonale Berichte über diese Zustände unkorrigierbar seien.88 Das Konzept der Selbstevidenz ist somit prinzipiell offen für die Annahme, dass auch nicht-sprachliche, empfindungsfähige Subjekte sich auf ihre eigenen mentalen Zustände beziehen können, weil diese Bezugnahme eben nicht notwendigerweise epistemisch sein muss. Die für die schwache Transparenzthese konstitutive Immunitätsbehauptung, der zufolge man sich nicht darüber täuschen kann, dass man sich in einem mentalen Zustand befindet, wenn man sich in einem selbstevidenten mentalen Zustand befindet, ist also vereinbar mit einer intersubjektivitätstheoretischen Analyse von Selbstbewusstsein. Man könnte hier natürlich einwenden, dass die so verstandene Transparenz keine echte Eigen-

87 Wittgenstein hatte im Kontext seiner Argumentation gegen die Möglichkeit einer Privatsprache das Beispiel eines erinnerten Fahrplans gebracht, um deutlich zu machen, dass subjektive Rechtfertigung generell nicht die Richtigkeit eines behaupteten Sachverhaltes garantieren kann. Das Bild eines Fahrplans, das man sich in Erinnerung ruft, um die Abfahrzeit des Zuges zu überprüfen, muss nicht mit dem realen Fahrplan übereinstimmen, weshalb eine Erinnerung (ein erinnertes Bild) nicht als Kontrollinstanz für eine andere Erinnerung aufgerufen werden kann. Vgl. [PU], § 265. 88 Vgl. zu einer ganz ähnlichen Interpretation der Transparenzthese im Ausgang der Kritik von Malebranche an Descartes D. Perler, „Die Obskurität des Geistes. Zum Problem der Selbsterkenntnis bei Malebranche“, in: U. Meixner/A. Newen (Hrsg.), Seele, Denken, Bewusstsein, Berlin/New York 2003, 197–231.

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schaft von Selbstbewusstsein mehr sein kann, wenn Selbstbewusstsein als eine epistemische Einstellung zu den eigenen mentalen Zuständen verstanden wird. Ich denke, dass dieser Einwand in der Tat berechtigt ist. Andererseits erodieren jene Theoretiker, die annehmen, dass schon das Vorliegen selbstevidenter Bewusstseinszustände hinreichend für die Zuschreibung von Selbstbewusstsein sei, nur unnötig die Anwendungskriterien für den Begriff „Selbstbewusstsein“. 2.2 Ist Unkorrigierbarkeit ein Fall von direktem Wissen? Die These von der Selbstevidenz mentaler Zustände ist eine über eine Eigenschaft bewusster Zustände, die eine notwendige Bedingung dafür darstellt, dass sich ein Subjekt ihrer bewusst werden kann. Im Gegensatz dazu ist die These vom direkten Wissen eine These über die Struktur des Wissens, das ein Subjekt hinsichtlich dieser Zustände haben kann. Dieses Wissen soll sich, so die Annahme, von anderen Formen des Wissens in bestimmten Hinsichten unterscheiden, weil nur so erklärt werden könne, weshalb Berichte über die eigenen mentalen Zustände unkorrigierbar sind. Die Frage, die sich im Rahmen der vorliegenden Untersuchung anschließt, lautet demnach: Kann die These von einem direkten Wissen plausibilisiert werden? Wäre das der Fall, dann wäre damit die starke Transparenzthese verteidigt, der zufolge man immer eine wahre Aussage macht, wenn man sich selbst bestimmte mentale Zustände zuschreibt. Dies hätte natürlich vernichtende Auswirkungen auf das Ziel der vorliegenden Untersuchung, nämlich die Behauptung zu verteidigen, dass Selbstbewusstsein intersubjektiv bedingt sei. Denn ein so verstandenes „direktes“ Wissen schließt es in der Tat aus, dass andere Subjekte Gründe für Zuschreibung mentaler Zustände liefern könnten. Fragt man sich jedoch zunächst ganz allgemein, woher die Annahme stammt, dass Selbstzuschreibungen mentaler Zustände unkorrigierbar seien, dann ist es gar nicht so leicht, darauf eine schnelle Antwort zu geben. Im Gegenteil, aus dem eigenen Alltagserleben weiß man, wie schwer es oft ist, sich selbst bestimmte Empfindungen oder Emotionen zuzuschreiben. Bin ich tatsächlich wütend oder ärgere ich mich? Ist diese Empfindung ein Empfinden großer Hitze oder großer Kälte? Empfinde ich Bedauern oder eher Reue, bin ich eifersüchtig, neidisch oder nur gekränkt? Weshalb also werden solche Selbstzuschreibungen als unkorrigierbar beschrieben? Shoemaker weist darauf hin, dass die Unkorrigierbarkeitsbehauptung als ein

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Produkt der „compelling force of Descartes ‚Cogito Argument‘“89 verstanden werden könnte. Allerdings, so Shoemaker, wird die Unkorrigierbarkeit von Descartes in der zweiten Meditation zunächst nur mit Bezug auf die Äußerungen „ich denke“ und „ich existiere“ behauptet, nicht jedoch generell für die Zuschreibungen mentaler Zustände. Natürlich könnte der Grund für die Erweiterung des Geltungsbereichs der Unkorrigierbarkeitsthese auf andere geistige Zustände sein, dass die Unfehlbarkeit des „ich denke“ als Paradigma für die Selbstzuschreibung weiterer mentaler Zustände anerkannt wird, gestützt durch die Annahme, dass damit eine Eigenschaft von Selbstbewusstsein benannt wird. Aus der Erkenntnis, dass die Unfehlbarkeit für die Äußerungen „ich denke“ und „ich existiere“ zutrifft, ließe sich schlussfolgern, dass sie ein generelles Merkmal von Selbstzuschreibungen mentaler Zustände sei. Und dies rechtfertigte dann die Annahme, dass die Unkorrigierbarkeit für alle Selbstzuschreibungen mentaler Zustände gilt. Descartes scheint zumindest dieser Meinung zu sein, nimmt er doch an, dass jeder geistige Akt zugleich auch ein Akt des Denkens sei.90 Nun ist jedoch im letzten Abschnitt (S. 49) deutlich geworden, dass die Unfehlbarkeit der genannten Äußerungen darauf zurückzuführen ist, dass beide Sätze gebrauchsgültig sind. Das bedeutet, sie finden alles, was für ihre Wahrheit notwendig ist, im Kontext ihres Gebrauchs und das für ihre Wahrheit Notwendige ist die Person, die den Satz jeweils denkt oder äußert. Dazu schreibt Shoemaker: ‚I think‘, like ‚I exist‘,is necessarily self-verifying, in the sense that it is a necessary condition of its being asserted, or even entertained in thought, that it be true. But it is obvious that attributions to oneself of particular thoughts, such as ‚I think that I am breathing‘,and also attributions to oneself of perceptual states, such as ‚It seems to me that I feel heat‘, do not have this status. The truth of these is not a necessary condition of their being asserted or entertained.91

89 S. Shoemaker, „First-Person Access“, in: ders., The First-Person Perspective and Other Essays, Cambridge, 1996, 50–73, 52. 90 Die Annahme, dass alle mentalen Zustände Denkakte seien, ist natürliche ein epistemisches Erfordernis des Substanzendualismus. In der zweiten Meditation heißt es daher auch: „Was aber bin ich demnach? Ein denkendes Ding! Und was heißt das? Nun – ein Ding, das zweifelt, einsieht, bejaht, verneint, will, nicht will und das auch Einbildung und Empfindung hat.“ R. Descartes, Meditationen über die Grundlagen der Philosophie mit sämtlichen Einwänden und Erwiderung, übers. von A. Buchenau, Hamburg 1915 (Nachdruck 1975), 28. Perler meint deshalb, dass als Prämisse für das Cogito-Argument ebenso „Ich will“ oder „Ich empfinde“ taugen würden, denn für „das Argument spielt es keine Rolle, welche Art von Denkakt in der Prämisse gewählt wird.“ D. Perler, René Descartes, München 1998, 140. 91 Shoemaker, 1996b, 53.

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Was an dieser Stelle deutlich wird, ist zweierlei. Zum einen ist zu beachten, dass die Behauptung, Äußerungen wie „ich denke“ oder „ich existiere“ seien infallibel (oder in der hier verwendeten Terminologie objektiv gewiss), nicht identisch ist mit der Behauptung, dass Selbstzuschreibungen unkorrigierbar sind. Zweitens, die Unkorrigierbarkeit kann daher auch nicht aus der Gebrauchsgültigkeit der Sätze gefolgert werden. Die Gebrauchsgültigkeit bestimmter Sätze ergibt sich aufgrund ihrer indexikalischen Form, die sie durch den Indikator „ich“ erhalten, und die aus ihr abgeleitete Immunität gegen Irrtum betrifft das Subjekt der Zuschreibung. Die Unkorrigierbarkeitsbehauptung hingegen betrifft die Zuschreibung mentaler Zustände durch psychologische Prädikate. Es gibt also keinen Grund anzunehmen, dass die Zugkraft des cartesianischen Cogito-Argumentes überhaupt etwas zur Frage der Unkorrigierbarkeit von Selbstzuschreibungen beitragen könnte. Und das ist letztlich keine Frage der Erweiterung des Geltungsbereichs der Infallibilitätsthese auf andere Selbstzuschreibungen geistiger Zustände. Stattdessen sind hier einfach zwei verschiedene Fragen thematisch. Man benötigt folglich andere Argumente, die für die Unkorrigierbarkeit von Selbstzuschreibungen mentaler Zustände sprechen. Zunächst fällt jedoch auf, dass die Rede von unkorrigierbarem Selbstwissen tautologisch ist, denn Wissen verstanden als wahre Meinung ist ja in der Tat nicht weiter zu berichtigen. Die Behauptung, dass Selbstzuschreibungen von „ich φ“-Sätzen unkorrigierbar seien, kann daher nur als eine kategoriale Aussage über das Wissen des Selbstbewusstseins verstanden werden, die besagt, dass die Möglichkeit des Irrtums in diesem Fall prinzipiell ausgeschlossen ist. Mit der These, dass Selbstbewusstsein direktes Wissen sei, wird daher letztlich dafür argumentiert, dass Überzeugungen über die eigenen mentalen Zustände deshalb wahre Überzeugungen sein müssen, weil die Rechtfertigungsbedingungen von der Art sind, dass sie jeden Irrtum ausschließen.92 Wodurch also ist Selbstbewusstsein, verstanden als direktes Wissen, charakterisiert? Die Haupteigenschaft von direktem Wissen ist, dass es inferentiell ungebunden ist. Will man angeben, woher man weiß, dass ein bestimmter „ich φ“-Satz wahr ist, ergibt es keinen Sinn, auf andere evidentielle Tatsachen als jene zu verweisen, die schon durch den „ich φ“-Satz präsentiert werden. Um zu wissen, dass man Schmerzen hat, muss man weder das eigene Verhalten beobachten noch Schlussfolgerungen aus bestimmten physiologischen Gegebenheiten ziehen. Man weiß auf direktem

92 Vgl. dazu: S. Shoemaker, „On Knowing One’s Own Mind“, in: ders., The FirstPerson Perspective and Other Essays, Cambridge, 1996, 25–49, 25f.

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Wege, dass man Schmerzen hat. Für die inferentielle Ungebundenheit von Selbstbewusstsein stehen zwei mögliche Erklärungen zur Verfügung. 1. Die Gründe für die Zuschreibung mentaler Zustände haben einen subjektiven Status. Das bedeutet zum einen, dass die Gründe, die für die Wahrheit der Selbstzuschreibungen angeführt werden können, dem Subjekt der Zuschreibung vollständig bekannt sind. Es bedeutet zweitens, dass sie auch nur diesem Subjekt zugänglich sind. Wenn also ein Subjekt S glaubt, dass φ, dann ist es ausgeschlossen, dass andere Subjekte Gründe angeben könnten, die zu der Behauptung berechtigten, dass nicht-φ. 2. Der Unterschied zwischen bloßem Für-wahr-halten und Wahr-sein ist für Selbstbewusstsein aufgehoben. Aus der Tatsache, dass ich glaube, dass φ, folgt unmittelbar, dass φ auch der Fall ist. Die Anwendungsbedingungen von „glauben“ und „wissen“ sind in diesem Fall identisch. Beide Erklärungen stehen jedoch in einem gewissen Spannungsverhältnis zueinander. Jemand, der annimmt, dass der Unterschied zwischen Für-wahr-halten und Wahr-sein im Fall des Selbstbewusstseins aufgehoben ist, könnte argumentieren, dass die Dimension der Rechtfertigung für Selbstbewusstsein einfach keine Rolle spiele. Die Unkorrigierbarkeit erklärte sich somit nicht dadurch, dass die Gründe subjektiv sind, sondern dadurch, dass Gründe bei Selbstzuschreibungen von mentalen Zuständen überhaupt keine Rolle spielen. Bleibt man dann dabei, dass Rechtfertigung eine notwendige Bedingung für Wissen ist,93 dann liegt es nahe, den Wissensstatus von Selbstzuschreibungen mentaler Zustände generell in Frage zu stellen. Dort, wo Gründe keine Rolle spielen, liegt auch kein Wissen vor. Selbstbewusstsein wäre also nicht deshalb unkorrigierbar, weil es sich um ein Wissen handelt, bei dem jeder Irrtum ausgeschlossen ist. Vielmehr wären Selbstzuschreibungen mentaler Zustände schlicht gar kein Fall von Wissen, egal ob direkt oder vermittelt. Ich werde im Folgenden zeigen, dass sich beide hier skizzierten Erklärungen der Unkorrigierbarkeit nicht verteidigen lassen. Die Schlussfolgerungen, die sich aus ihrem Scheitern zieht lassen, sind folgende: Selbstbewusstsein kann nicht als direktes Wissen interpretiert werden und die These von der Unkorrigierbarkeit der Selbstzuschreibungen mentaler Zustände muss aufgeben werden. Damit ist die starke Transparenzthese vom Tisch

93 Dass Rechtfertigung eine notwendige Bedingung von Wissen ist, ist kein common sense. Tatsächlich wird deren Notwendigkeit in der aktuellen Debatte zum Wissensbegriff durchaus in Frage gestellt. Vgl. dazu A. Beckermann „Zur Inkohärenz und Irrelevanz des Wissensbegriffs. Plädoyer für eine neue Agenda in der Erkenntnistheorie“, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 55, 2001, 571–593; J. Hawthorne, Knowledge and Lotteries, Oxford 2005. In der hier vorliegenden Untersuchung wird die klassische Wissensdefinition jedoch nicht in Frage gestellt.

Transparenz und direktes Wissen

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und der Weg für die Angabe intersubjektiver Bedingungen für Selbstbewusstsein ist frei. 2.2.1 Subjektive Gründe Eine Möglichkeit, die Behauptung subjektiver Gründe zu plausibilisieren, besteht darin, mentale Objekte wie Vorstellungen, Gedanken und Eindrücke als Evidenzen für Selbstwissen anzusehen. Der Geschmack von Schokolade, der Geruch reifer Äpfel, das Fühlen eines Schmerzes – all das können mentale Objekte sein. Die Rede von mentalen Gegenständen ist natürlich notorisch vage. Für die nachfolgende Argumentation soll es genügen anzunehmen, dass mentale Objekte Repräsentationen im weitesten Sinne sind. Sie sind dem Subjekt, das sie repräsentiert, vollständig bekannt, weil ihm alle Tatsachen, die das mentale Objekt identifizieren können, allein aufgrund der Repräsentation bekannt sind. Ein Irrtum ist daher ausgeschlossen, weil es keine weitere Tatsache geben kann, die hier einen Zweifel rechtfertigen könnte. Kenntnis von mentalen Objekten erlangt man durch Introspektion. Der erste Einwand, der gegen die Behauptung subjektiver Gründe formuliert werden soll, betrifft aber zunächst die Methode der Introspektion. Diese kann nicht als eine Art innerer Wahrnehmung erklärt werden, weil für eine Innenschau schlicht und einfach die physiologische Basis fehlt. Die Rede von einem „inneren Sinn“ kann also nur metaphorisch sein. Was in der Introspektion erfahren wird, kann nicht als etwas verstanden werden, das dem Inhalt eines Sinneseindrucks analog wäre. Nun kann man natürlich argumentieren, dass „Introspektion“ nicht notwendigerweise buchstäblich als eine Art Innenschau verstanden werden muss; es genügt möglicherweise anzunehmen, dass das Subjekt sich in bestimmten mentalen Zuständen befindet. Was es von diesen Zuständen dann repräsentiert, ist kein mentales Objekt, sondern die höherstufige Eigenschaft des „wie es sich anfühlt“ („what it is like“) in diesen Zuständen zu sein.94 Gegen diesen Vorschlag lässt sich aber einwenden, dass mentale Zustände die Welt in einer bestimmten Weise repräsentieren. Erst die relationalen Eigenschaften von Eindrücken, Erinnerungen oder Meinungen bestimmen deren Inhalt, woraus folgt, dass die subjektunabhängigen Relata für die Identifizierung der Zustände wesentlich sind. Gesteht man die Relevanz der relationalen

94 Vgl. für eine Erklärung von Selbstbewusstsein im Rahmen einer Theorie höherstufiger Überzeugungen den Sammelband N. Block et al. (Hrsg.), A Theory of Consciousness, Cambridge/Mass. 1997.

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Eigenschaften mentaler Zustände für deren Identifizierung erst einmal zu, dann sind Irrtümer und Fehler aber nicht mehr kategorisch auszuschließen. Denn dem Subjekt müssen nicht alle relationalen Eigenschaften eines mentalen Zustandes auch bekannt sein. Damit wird die für die Unkorrigierbarkeitsbehauptung konstitutive Immunitätsbedingung hier nicht erfüllt. Dieser Einwand kann auch auf die Annahme erweitert werden, dass man in der Introspektion Kenntnis von mentalen Objekten hat, denn auch mentale Objekte werden über ihre relationalen Eigenschaften identifiziert. Es ist daher plausibler anzunehmen, dass ein Subjekt in der Introspektion sich zwar seiner eigenen mentalen Zustände im Modus des „wie es sich anfühlt“ gewahr wird, und dass es dadurch auch in der Position ist zu glauben, dass es sich in dem und dem mentalen Zustand befindet. Ob diese Überzeugung dann aber tatsächlich gerechtfertigt ist oder nicht, hängt aber von der Identifizierung des fraglichen Zustandes ab und für diese sind die relationalen Eigenschaften des Zustandes unverzichtbar. Der zweite Kritikpunkt ist dann begrifflicher Natur und er betrifft die Annahme mentaler Objekte selbst. Dieser Einwand fragt danach, ob der Begriff des Gegenstandes bei mentalen Objekten überhaupt in sinnvoller Weise angewendet werden kann. Wenn man davon ausgeht, dass die Anwendungsbedingungen für den Begriff eines Gegenstandes implizieren, dass auf das fragliche Objekt mittels einer hinweisenden Geste oder eines Demonstrativum, wie etwa „dies“ oder „jenes“, Bezug genommen werden kann und diese Form der Bezugnahme zugleich eine Bedingung dafür ist, dass der Gegenstand identifiziert werden kann, dann können mentale Objekte keine Gegenstände in dem genannten Sinne sein. Denn es gibt schlicht und einfach keine Anwendung von „dies“ oder „jenes“, die dazu führen könnte, dass ein mentales Objekt auf diese Art identifiziert würde.95 Die Rede von „mentalen Objekten“ scheint daher schon aus begrifflichen Gründen nicht sinnvoll. Man kann an dieser Stelle natürlich einwenden, dass der Begriff mentaler Objekte nicht per se sinnlos sein muss, wenn man etwa zugesteht, dass mentale Objekte auf andere als die demonstrative Weise identifiziert werden können. Strawson glaubt zum Beispiel, dass mentale Objekte zwar durchaus Objekte (d. i. Einzeldinge) sein können, ihre Identifizierung aber in jedem Fall in Abhängigkeit von anderen Einzeldingen erfolgt, deren Identifizierung dann allerdings demonstrativ zu

95 Ein Einwand, den auch Wittgenstein formuliert: „Ich habe gesehen, wie jemand in einer Diskussion über diesen Gegenstand sich an die Brust schlug und sagte: ‚Aber der Andre kann doch nicht DIESEN Schmerz haben!‘ – Die Antwort darauf ist, daß man durch das emphatische Betonen des Wortes ‚dieses‘ kein Kriterium der Identität definiert.“ [PU], § 253.

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erfolgen habe.96 Würde man den Begriff „mentales Objekt“ jedoch auf diese Weise verteidigen wollen, dann könnten mentale Objekte keine subjektiven Gründe mehr sein. Denn mentale Objekte waren ja deshalb als besonders erfolgreiche Kandidaten für subjektive Gründe angesehen, weil alles, was zu ihrer Identifizierung beitragen kann, dem Subjekt, das sie repräsentiert, unabhängig von jedem öffentlich zugänglichen Kriterium bekannt sein sollte. Stimmt man den genannten Einwänden zu, dann stellt sich natürlich die Frage, was genau φ-Prädikate eigentlich klassifizieren, wenn nicht mentale Objekte. Ein naheliegender Vorschlag ist hier folgender: Klassifiziert werden die Gegenstände, die bestimmte Empfindungen in einem selbst auslösen, nicht die Empfindungen selbst. Mit anderen Worten, nicht der Geschmack wird klassifiziert, sondern der Wein, der für den Geschmack verantwortlich ist; nicht das mentale Objekt der Röte wird klassifiziert, sondern die rote Tomate etc. Auf diese Weise vermeidet man die Anerkennung mentaler Objekte, kann aber trotzdem erklären, wie φPrädikate zu ihrer Bedeutung kommen. Die Beschreibung eines bestimmten Geruches oder Geschmacks erfolgt dann immer durch Bezugnahme auf diejenigen Gegenstände der Anschauung, die diesen Geruch oder Geschmack aufweisen. Wie aber ist das bei psychologischen Zuständen wie Melancholie, Freude, Trauer? Welche Gegenstände der Anschauung werden hier diskriminiert? Die Antwort lautet: Klassifiziert wird das Subjekt, das Melancholie, Trauer oder Freude empfindet. Klassifikationsausdrücke sind Ausdrücke, mit denen etwas charakterisiert, diskriminiert und auf diese Weise wiedererkannt wird. Schreibt sich ein Subjekt ein φ-Prädikat zu, dann charakterisiert es sich als dasjenige Subjekt, dem ein bestimmter mentaler Zustand zukommt. Die Tatsache, dass man sich in solchen Zustände befindet, stellt zwar eine notwendige Bedingung für die Zuschreibung dar. Die Zustände selbst sind aber keine Evidenz dafür, dass man sie in dieser bestimmten Weise hat. Allein das Erleben berechtigt also nicht zur Klassifizierung des erlebten Zustandes. Ob der mentale Zustand, in dem man sich befindet, tatsächlich ein Zustand der Trauer oder doch eher einer der Melancholie ist, hängt von vielen weiteren Kriterien ab, die nicht rein subjektiver Natur sind. Somit sind die Klassifikationskriterien einerseits intersubjektiv zugänglich, andererseits unterliegen sie aber der Möglichkeit des Irrtums.

96 Einzeldinge, die auf demonstrative Weise identifiziert werden, nennt Strawson „grundlegende Einzeldinge“. Mentale Objekte sind keine grundlegenden Einzeldinge, eben weil sie abhängig identifiziert werden müssen. Allein materielle Körper (unter ihnen auch Personen) sind in diesem Sinne grundlegend. Vgl. Strawson 1972, 51–55/engl., 1959, 41–43.

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Die Behauptung, Selbstbewusstsein sei unkorrigierbares Wissen von sich selbst, weil die Gründe, die es rechtfertigen, subjektiver Natur sind, kann also nicht verteidigt werden. Ist man zur Identifizierung der psychischen Zustände, die man sich selbst zuschreibt, auf nicht-subjektive Kriterien angewiesen, dann können die Gründe nicht mehr nur subjektiv sein. Nicht-subjektive Gründe sind aber nicht per se irrtumsimmun. Gleiches gilt für die Annahme mentaler Objekte, denn auch sie werden nicht einfach dadurch identifiziert, dass man sie repräsentiert. Damit wird aber die Interpretation von Selbstbewusstsein als direktes Wissen generell in Frage gestellt, weil nun nicht mehr unterstellt werden kann, dass die mentalen Objekte dem Subjekt aufgrund ihrer bloßen Repräsentation vollständig bekannt sind. Die These von der Unkorrigierbarkeit lässt sich aber auch dann nicht verteidigen, wenn man auf die Annahme mentaler Objekte verzichtet und stattdessen behauptet, in der Introspektion werde auf eine höherstufige Eigenschaft mentaler Zustände Bezug genommen. Denn in diesem Fall können gar nicht erst Geltungsansprüche erhoben werden, weshalb die Rede vom „Wissen“ von den eigenen psychischen Zuständen auch nicht angebracht ist. Es gibt aber noch einen weiteren Einwand, der gegen die Behauptung subjektiver Gründe spricht. Dieser Einwand hängt nicht davon ab, ob und auf welche Weise subjektive Gründe plausibilisiert werden könnten. Nimmt man nämlich an, dass das Wissen des Selbstbewusstseins durch die Subjektivität der Gründe erklärt werden kann, dann ist man auf einen äquivoken Wissensbegriff verpflichtet. Denn man muss unterstellen, dass das Subjekt von seinen eigenen Gedanken, Empfindungen und Emotionen auf eine direkte Weise weiß, die durch die Subjektivität der Gründe bestimmt ist. Von äußeren Gegenständen und den Emotionen und Gedanken anderer Individuen hingegen kann es nur auf indirekte Weise wissen. Hier fänden subjektive Gründe keine Anwendung. Beide Wissensbegriffe unterliegen somit jeweils verschiedenen Anwendungsbedingungen. Weshalb die Verpflichtung auf einen solchen epistemischen Dualismus problematisch ist, wird im Anschluss an Wittgensteins Auffassung von Selbstwissen ausführlicher dargestellt. An dieser Stelle soll zunächst nur darauf hingewiesen werden, dass eine Konzeption, die Selbstbewusstsein als direktes Wissen expliziert, auf diesen epistemischen Dualismus festgelegt ist. 2.2.2 Die deflationäre Verwendung des Wissensbegriffs (Wittgenstein) Die Behauptung, dass Selbstbewusstsein, verstanden als direktes Wissen, deshalb unkorrigierbar sei, weil die Gründe, die zu seiner Rechtfertigung angeführt werden können, einen subjektiven Status haben, ist als eine kate-

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goriale Aussage über die Struktur des Selbstwissens interpretiert worden, die dieses von anderen Formen des Wissens unterscheidet. Mit dem nächsten Vorschlag, der nachfolgend untersucht werden soll, wird nun jedoch behauptet, dass Selbstbewusstsein gar kein Fall von Wissen sei. Die Anwendung des Wissensbegriffs auf Selbstzuschreibungen mentaler Zustände erwiese sich somit als sinnlos. Insbesondere Wittgenstein hat dafür argumentiert, den Begriff des Wissens in der Diskussion um die Selbstzuschreibung von Empfindungen und anderen geistigen Zuständen nicht mehr zu verwenden. Von mir kann man überhaupt nicht sagen (außer etwa im Spaß), ich wisse, daß ich Schmerzen habe. Was soll es denn heißen – außer etwa, daß ich sie habe.97

Wittgenstein entwickelt zwei Argumentationslinien für die Begründung dieser Behauptung, eine negative und eine positive. Die Argumentation mit dem negativen Ziel fragt zuerst nach den Verwendungskriterien für den Begriff des Wissens, um dann zu zeigen, dass diese beim Selbstwissen nicht erfüllt sind. Der Gebrauch von „ich weiß“, sagt Wittgenstein an einer Stelle, sei eben „sehr spezialisiert“,98 und diese Spezialisierung schließe Selbstzuschreibungen mentaler Zustände aus dem Bereich aus, in dem der Wissensbegriff eine sinnvolle Verwendung findet. Die positive Argumentation stellt dann eine Konzeption vor, die zeigen soll, wie Selbstzuschreibungen mentaler Zustände ohne Rückgriff auf den Begriff des Wissens erklärt werden können. Sie stützt sich dabei auf den expressiven Charakter jener Äußerungen, durch die mentale Zustände unmittelbar ausgedrückt werden können. Zunächst soll Wittgensteins negative Argumentation untersucht werden. Weshalb also glaubt Wittgenstein, dass Aussagen über die eigenen mentalen Zustände kein Fall von Wissen sind? In „Über Gewißheit“ heißt es: „Ich weiß (…)“ sagt man, wenn man bereit ist, zwingende Gründe zu geben. „Ich weiß“ bezieht sich auf eine Möglichkeit des Dartuns der Wahrheit. Ob einer etwas weiß, läßt sich zeigen, angenommen, daß er davon überzeugt ist. Ist aber was er glaubt von solcher Art, daß die Gründe, die er geben kann, nicht sicherer sind als seine Behauptungen, so kann er nicht sagen, er wisse, was er glaubt.99

Die Kriterien für die Anwendung des Wissensbegriffs sind damit benannt und sie sind aus der klassischen Definition des Begriffs auch bekannt. Spricht man davon, dass jemand weiß, dass p, dann hat er eine wahre Mei-

97 Wittgenstein, [PU], § 246. 98 Wittgenstein, [ÜG], § 11. 99 Wittgenstein, [ÜG], § 243.

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nung und ist zudem in der Lage diese zu rechtfertigen. Die Angabe der Gründe macht aus einer wahren Meinung erst Wissen und sie kennzeichnet zugleich die Differenz zwischen einer bloßen Glaubenseinstellung und der Einstellung des Wissens. Die Frage nach der Rechtfertigung ist daher immer eine Frage nach dem Woher, nach den Gründen für das Wissen.100 Allerdings, so Wittgenstein, gibt es eine Bedingung, die erfüllt sein muss, damit überhaupt nach Gründen gefragt werden kann. Diese Bedingung besteht darin, dass die „Möglichkeit des Dartuns der Wahrheit“101 eingeräumt werden muss. Diese Möglichkeit ist genau dann gegeben, wenn sich andere Individuen von den Gründen ebenso überzeugen können, wie das Individuum, das sie anführt. Rechtfertigung ist für Wittgenstein somit intrinsisch intersubjektiv. Diese (transzendentale) Bedingung kann als das Wie des Wissens bezeichnet werden, denn eine beliebig andere Person muss sich grundsätzlich vorstellen können, wie sie wissen kann, was ein beliebiges anderes Subjekt weiß.102 Das Problem beim Selbstwissen liegt nun darin, dass weder das Wie noch das Woher ihre angestammte, von anderen Wissensformen her vertraute Rolle spielen. Für das Woher gilt, dass die Gründe, die zur Rechtfertigung eines „ich φ“-Satzes herangezogen werden können, genau von der Art sind, die Wittgenstein in dem oben genannten Zitat ausgeschlossen hatte, d. i. Gründe, die nicht sicherer sind als die Behauptung selbst. Bei einer Antwort auf die Frage „Woher weißt du, dass Du Schmerzen hast?“ würde man zur Begründung auf die eigenen Schmerzen verweisen. Es gibt keinen Grund, der über diese Behauptung hinausginge. Das ist dann auch die Rechtfertigung für die Annahme, dass Selbstwissen ein Bereich des Wissens ist, in dem die Differenz zwischen Glauben und Wissen aufgehoben ist. Sollte das tatsächlich der Fall sein, dann wäre auch die Dimension der Rechtfertigung für Selbstwissen eliminiert. Bleibt man jedoch dabei, dass Rechtfertigung ein entscheidender Faktor für Wissen ist, weil nur gerechtfertigte wahre Überzeugungen auch gewusst werden, dann folgt hier, dass man von den eigenen mentalen Zuständen kein Wissen in dem defi-

100 Natürlich kann man auch wahre Meinungen haben, die nicht gerechtfertigt sind. Etwa wenn man richtig rät. In diesem Fall dürfte man aber nicht von Wissen sprechen, sondern müsste eher darauf verweisen, dass der andere nicht wirklich weiß, was er zu wissen vorgibt, weil im Fall des richtigen Ratens die Frage nach den Gründen für die Überzeugung eben nicht beantwortet werden kann. 101 Wittgenstein, [ÜG], § 243, hervorgehoben von mir. 102 In [ÜG] heißt es: „‚Ich weiß es‘ heißt oft: ich habe die richtigen Gründe für meine Aussage. Wenn also der andere das Sprachspiel kennt, so würde er zugeben, daß ich das weiß. Der Andere muß sich, wenn er das Sprachspiel kennt, vorstellen können, wie man so etwas wissen kann.“ Wittgenstein, [ÜG], § 18.

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nierten Sinne haben kann. Ein weiteres Argument unterstützt diese Überlegung zunächst. Rechtfertigung und die Möglichkeit zu zweifeln gehen Hand in Hand, denn der Zwang zur Rechtfertigung entsteht, weil Überzeugungen anzweifelbar sind. Die Möglichkeit des Zweifels sollte daher bei allen Überzeugungen, die man wissen kann, eingeräumt werden.103 Aussagen über die eigenen mentalen Zustände können jedoch – gemäß der Unkorrigierbarkeitsthese – gar nicht erst angezweifelt werden. Entfällt die Möglichkeit zu zweifeln, dann entfällt auch die Dimension der Rechtfertigung. Wenn Rechtfertigung nicht mehr benötigt wird, weil sinnvoller Zweifel gar nicht erst möglich ist, dann sind die Kriterien nicht erfüllt, die die Anwendung des Wissensbegriffs gestatten und man kommt erneut zu dem Ergebnis, dass der Satz „Ich weiß, dass ich Schmerzen habe“ kein sinnvoller Satz ist. Für das Wie gilt dann, dass die Möglichkeit nicht gegeben ist, andere Personen von der Wahrheit der Zuschreibung des entsprechenden mentalen Zustandes zu überzeugen. Denn auf die Frage „Wie kannst Du wissen, dass du Schmerzen hast?“ kann der Befragte zur Begründung nur erneut darauf verweisen, dass er eben Schmerzen hat, und vielleicht noch darauf, dass er an dem entsprechenden Sprachspiel teilnimmt. Zumindest der erste Grund ist jedoch nicht intersubjektiv zugänglich, weshalb dem Anderen die „Möglichkeit des Sichüberzeugens“104 genommen ist. Man könnte natürlich den zweiten Grund genauer ausführen und argumentieren, dass die Teilnahme an einem bestimmten Sprachspiel für die erforderliche Begründung hinreichend sei. Dann müsste man sich allerdings dem Zombieproblem stellen, weil in diesem Fall die Tatsache, dass man sich überhaupt in einem mentalen Zustand befindet, keine Bedingung für Selbstwissen mehr darstellte. Doch stellen wir diesen Gedanken vorerst beiseite. Der entscheidende Punkt ist hier ohnehin ein anderer. Wenn die Möglichkeit des Sich-überzeugens nicht gegeben ist, dann ist schon die Bedingung dafür nicht erfüllt, dass Rechtfertigung den ihr im Rahmen der Wissensdefinition zukommenden Stellenwert hat. Sowohl das Woher als auch das Wie betreffend bildet das Wissen von den eigenen mentalen Zustände also eine Ausnahme. Wittgenstein schlussfolgert daraus, dass Wissen hier einfach nicht vorliegt. Die Unkorrigierbarkeitsbehauptung, die für die starke Transparenzthese konstitutiv ist, wird von der deflationären Auffassung als sinnlos abgelehnt, denn dort, wo kein Wissen möglich ist, ist es nicht sinnvoll, von Irrtum zu sprechen. 103 Das gilt auch für notwendig wahre Aussagen wie mathematische oder logische Aussagen. Sobald eine Aussage bewiesen werden muss, um sie als wahr anerkennen zu können, kann sie auch angezweifelt werden. 104 Wittgenstein, [ÜG], § 3.

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Man könnte Wittgenstein an dieser Stelle sicher entgegenhalten, dass es auch Wissen ohne Rechtfertigung gibt, weshalb die genannten Kriterien für die Anwendung des Begriffs möglicherweise zu eng sind. Allerdings war eine der Ausgangsbedingungen, dass hier die herkömmliche Definition gelten soll, und diese schließt Rechtfertigung ein. Eine andere Strategie wäre, darauf hinzuweisen, dass Wittgenstein von „sicheren“ Gründen spricht und damit seine Überlegungen eher zu einer Aussage über die Gewissheit von Selbstwissen werden und nicht zu einer darüber, wie das Wissen von den eigenen mentalen Zuständen überhaupt möglich ist. Dieser Einwand ließe sich durchaus mit einer Überlegung aus dem letzten Abschnitt (siehe S. 14) verteidigen, wonach die Fragen, wann eine Überzeugung gewiss ist und wann eine Überzeugung Wissen ist, jeweils unterschiedliche Antworten erfordern. Allerdings könnte Wittgensteins Argument auch dann überzeugen, wenn man auf das Attribut „sicher“ verzichten würde. Hat Wittgenstein also Recht? Haben Selbstzuschreibungen mentaler Zustände tatsächlich keinen epistemischen Charakter? Erhebt man wirklich keinen Anspruch auf Geltung, wenn man sich selbst einen bestimmten Gedanken oder eine Empfindung zuschreibt? Tatsächlich muss man sich mit diesem Ergebnis keineswegs zufrieden geben, aus den folgenden Gründen: Erstens, selbst, wenn man Wittgenstein prinzipiell darin zustimmt, dass die Gründe für Selbstzuschreibungen mentaler Zustände nicht subjektiver Natur sein können, weil dann die Möglichkeit des Dartuns der Wahrheit nicht gegeben ist, kann man immer noch die Behauptung ablehnen, dass es die mentalen Zustände selbst sind, die hier als Evidenz angeführt werden sollten. Für diese Argumentation kann man die hier entwickelte Unterscheidung zwischen selbstevidenten mentalen Zuständen und Selbstzuschreibungen mit epistemischem Anspruch anführen und behaupten, dass als Grund dafür, dass man berechtigterweise sagen kann „Ich weiß, dass ich φ“, der Verweis auf den mentalen Zustand keineswegs hinreichend ist. Damit ist aber offen, welchen Status die Gründe haben, die für Selbstwissen sprechen, weil bisher noch nichts darüber gesagt wurde, welche Gründe als Gründe für Selbstwissen hinreichend sein könnten. Damit kann dann zweitens auch das Argument entkräftet werden, dass es keine Begründung gäbe, die über die Behauptung, dass man sich eben in diesem mentalen Zustand befinde, hinausgehe. Denn der Verweis auf den jeweiligen mentalen Zustand liefert überhaupt keine hinreichende Begründung dafür, dass man von diesem Zustand Wissen hat. Deshalb stellt sich die Frage erst gar nicht, inwiefern die mit der Behauptung „Ich weiß, dass ich Schmerzen habe“ angeführten Gründe „sicher“ oder „nicht sicher“ sind. Drittens kann man gegen Wittgenstein einwenden, dass Selbstwissen natürlich fallibel ist. Man kann sich sehr wohl hinsichtlich der Zuschreibung bestimmter

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Zustände irren. Wenn mentale Zustände über ihre relationalen Eigenschaften identifiziert werden, dann ist die Möglichkeit des Irrtums nicht mehr kategorisch auszuschließen. Zwar gilt auch in diesem Fall, dass man sich nicht darüber täuschen kann, dass man sich in einem bestimmten Zustand befindet, sofern dieser die Eigenschaft der Selbstevidenz aufweist. Wie dieser Zustand jedoch genau aussieht und was man konkret von ihm weiß, hängt von vielen weiteren Faktoren ab – zum einen von den schon genannten relationalen Eigenschaften mentaler Zustände, zum anderen aber auch von der eigenen Sprachkompetenz. Denn ob man seinen eigenen Zustand als Trauer, Melancholie, Weltschmerz oder depressive Verstimmung charakterisiert, ist eben auch durch das eigene sprachliche Diskriminierungsvermögen bestimmt. Wittgensteins Analyse geht folglich von zwei falschen Voraussetzungen aus – zum einen von der Annahme, dass der mentale Zustand selbst als hinreichender Grund für Selbstwissen betrachtet werden sollte, und zum anderen von der Voraussetzung, dass Selbstzuschreibungen unkorrigierbar seien. Damit entstehen für Wittgenstein die Probleme allererst mit der Annahme der starken Transparenzthese. Verteidigt man hingegen Behauptung, dass mit der schwachen Transparenzthese alles über Transparenz gesagt ist, was darüber gesagt werden kann, dann ist man nicht mehr gezwungen, Selbstzuschreibungen psychischer Zustände ihren epistemischen Charakter aus den von Wittgenstein genannten Gründen abzusprechen. Denn die schwache Transparenzthese behauptet ja gerade nicht, dass Selbstzuschreibungen unkorrigierbar sind. Sie lässt vielmehr die Möglichkeit offen, Selbstwissen wie jedes andere Wissen zu analysieren. 2.3 Konsequenzen des epistemischen Dualismus Beide hier vorgestellten Versuche, die Unkorrigierbarkeit von Selbstbewusstsein verständlich zu machen, haben eine Gemeinsamkeit. Sie sind Varianten eines epistemischen Dualismus. Sowohl die These, dass die Unkorrigierbarkeit auf die Subjektivität der Gründe für Selbstzuschreibungen mentaler Zustände zurückzuführen sei, als auch Wittgensteins deflationäre Theorie sind im Ergebnis auf folgende Annahme verpflichtet: Selbstwissen unterscheidet sich kategorial von anderem Wissen, denn es unterliegt gänzlich anderen Rechtfertigungskriterien. Nun könnte man natürlich argumentieren, dass die Annahme eines epistemischen Dualismus nicht per se problematisch ist. Denn auf den ersten Blick scheint damit eine Theorie vorzuliegen, die die Besonderheit des Selbstwissens erklärt. Auf den zweiten Blick sind die weiteren Behauptungen, die aus der Annahme eines epistemischen Dualismus folgen, allerdings alles andere als unproblematisch.

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Der epistemische Dualismus kann durch folgende grundlegende Annahme charakterisiert werden: Bei Zuschreibungen psychischer Zustände aus der drittpersonalen Perspektive ist man auf Belege angewiesen. Man beobachtet das Verhalten der Person, der man einen bestimmten Zustand zuschreibt, man bewertet ihre Äußerungen, bezieht die jeweilige Handlungssituation mit ein und stimmt die unterschiedlichen Aspekte aufeinander ab. Im Falle der Selbstzuschreibungen mentaler Zustände sind derartige Belege nicht erforderlich. Denn hier soll gelten, dass es genügt zu glauben, dass man sich in einem bestimmten Zustand befindet, um auch zu wissen, dass dieser Zustand tatsächlich vorliegt. Aus der Überlegung, dass bei Selbstzuschreibungen keine weiteren Belege benötigt werden, resultiert das Hauptmerkmal direkten Wissens: die inferentielle Ungebundenheit. Die evidentiellen Tatsachen für Selbstzuschreibungen liegen dem Individuum quasi immer schon vor und müssen nicht erst aus anderen Tatsachen erschlossen werden. Obwohl die These von der Subjektivität der Gründe und Wittgensteins deflationäre Theorie des Selbstbewusstseins diesen Punkt sehr unterschiedlich bewerten – die erste These wertet ihn positiv als Erklärung der Unkorrigierbarkeit, Wittgenstein hingegen versteht ihn negativ als Ausschlusskriterium für die Anwendung des Wissensbegriffs – stellen beide Theorien die angenommene Belegunabhängigkeit der Selbstzuschreibungen nicht in Frage. Sie legen sich somit auf die Behauptung einer kategorialen Verschiedenheit fest: Die Rechtfertigung ist bei Selbstzuschreibungen jeweils eine andere als bei Fremdzuschreibungen mentaler Zustände. Der entscheidende Einwand gegen diese Behauptung ist von Davidson formuliert worden und er rückt die Konsequenzen für die Bedeutung der φPrädikate, mit denen man mentale Zustände zuschreibt, ins Zentrum der Überlegung. Wenn also das, was offensichtlich derselbe Ausdruck ist, manchmal korrekt auf der Grundlage von Anhaltspunkten gebraucht wird, die zu einem bestimmten Bereich gehören, und manchmal auf der Grundlage von Anhaltspunkten, die zu einem anderen Bereich gehören, dann wäre die offensichtliche Schlußfolgerung, wie es scheint, die, daß der Ausdruck doppeldeutig ist.105

Das bleibt nicht ohne Konsequenzen für den Gebrauch der φ-Prädikate. Denn diese Prädikate werden ja nicht nur dazu verwendet, sich jeweils selbst psychische Zustände zuzuschreiben. Sie werden auch für die Zuschreibung mentaler Zustände an andere Personen gebraucht. Stimmt man

105 D. Davidson, „Seine eigenen Gedanken kennen“, in: M. Frank (Hrsg.), Analytische Theorien des Selbstbewußtseins, Frankfurt/Main 1994, 650–680, 652/engl., „Knowing One Own‘s Mind“, in: D. Davidson, Subjective, Intersubjective, Objective, Oxford 2001, 15–38, 16.

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jedoch einer der genannten Varianten des epistemischen Dualismus zu, dann wäre ein Prädikat wie „S glaubt (…)“ ein äquivoker Ausdruck, zum einen für Bewusstseinszustände, die sich auf jeden Sprecher selbst beziehen, und zum anderen für solche, die sich auf andere Sprecher oder Personen beziehen. Man muss sich dann allerdings fragen, welche Gründe dafür sprechen, dass sich beide Prädikate auf ein und denselben Sachverhalt beziehen. Und das, wie Davidson zu bedenken gibt, ohne dass zuvor geklärt wäre, weshalb Prädikate, die nicht durch Anhaltspunkte gestützt sind, „generell zuverlässiger und glaubwürdiger sein sollten als solche, die durch Anhaltspunkte gestützt werden.“106 Man könnte diese Frage natürlich mit einem Verweis darauf beantworten, dass sich dort, wo Beobachtungen äußerer Gegenstände und Ereignisse und darauf basierende Schlussfolgerungen nicht in Betracht kommen, auch keine Fehler einschleichen können. Will man dieses Argument allerdings plausibilisieren, muss man die Konzeption einer vollständigen Bekanntschaft mit den Objekten des Geistes verteidigen. Für Davidson lässt sich dieser Überlegung allerdings kein Sinn abgewinnen, weil sie dem „Mythos des Subjektiven“ verpflichtet ist, d. h. der Idee, dass es auch mit Blick auf die eigenen mentalen Zustände epistemischer Vermittler bedarf. Er plädiert dafür, diese Idee generell zugunsten der Annahme von Überzeugungen, die zwar wahr oder falsch sein können, aber nichts repräsentieren, aufzugeben. Diese These wird später noch ausführlich diskutiert (S. 186f.). Hier soll sie lediglich zeigen, weshalb die Vorstellung für Davidson gänzlich ohne Überzeugungskraft ist, dass Zuschreibungen, die nicht durch Anhaltspunkte gestützt sind, glaubwürdiger sein sollen, als solche, die von Belegen untermauert werden. Belege haben im Rahmen seiner Konzeption schlicht keine Rechtfertigungsfunktion, was die Annahme, durch Belege gestützte Zuschreibungen seien prinzipiell anfälliger für Irrtum als von Belegen unabhängige Zuschreibungen, einfach sinnlos macht. Doch selbst wenn man Davidsons Theorie hier nicht folgen möchte, der Einwand gegen die äquivoke Verwendung der φ-Prädikate und die sich daraus ergebenden Folgen bleiben trotzdem gültig. Wenn in die Bedeutung bestimmter Ausdrücke die Kriterien für ihre Verwendung (oder die Methode ihrer Verifikation) mit eingehen, dann ändert sich ihre Bedeutung in Abhängigkeit von eben diesen Kriterien. Im Fall der Anwendung von φPrädikaten ändert sich deren Bedeutung in Abhängigkeit von der Frage, ob die zugeschriebenen Prädikate durch Belege gestützt werden oder nicht. Im Fall der Zuschreibung von mentalen Zuständen allgemein ändern sich die

106 Ebd.

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Rechtfertigungsbedingungen in Abhängigkeit von der Perspektive der Zuschreibung. Diesem Einwand unterliegt zunächst auch Wittgensteins deflationäre Auffassung, und zwar auch dann, wenn man zu seinen Gunsten argumentierte, dass die von ihm vertretene Variante des epistemischen Dualismus nur eine abgeschwächte Form ist, weil sie für Selbstzuschreibung mentaler Zustände jeden epistemischen Anspruch zurückweist. Im eingangs zitierten § 246 der Philosophischen Untersuchungen heißt es aber: Man kann nicht sagen, die Anderen lernen meine Empfindungen nur durch mein Benehmen, – denn von mir kann man nicht sagen, ich lernte sie. Ich habe sie. Das ist richtig: es hat Sinn, von Andern zu sagen, sie seien im Zweifel darüber ob ich Schmerzen habe; aber nicht, es von mir zu sagen. 107

Was Wittgenstein demnach nicht bestreitet, ist, dass die Zuschreibung mentaler Zustände in Abhängigkeit von der jeweiligen Zuschreibungsperspektive verschiedenen Kriterien unterliegt. Einmal werden sie „gelernt“, das andere Mal nicht. Einmal ist die Zuschreibung dem Zweifel ausgesetzt, das andere Mal nicht. Damit sieht sich zunächst auch Wittgenstein vor das Problem der äquivoken Verwendung bestimmter φ-Prädikate gestellt. Will man diese Konsequenz vermeiden, dann muss man eine Konzeption entwickeln, die die Bedeutung der entsprechenden Prädikate sowohl für Zuschreibungen aus der erstpersonalen Perspektive als auch aus der drittpersonalen Perspektive eindeutig festlegt. 2.4 Die Strawson-Evans-Bedingung Ich habe gegen die Behauptung eines epistemischen Dualismus argumentiert, weil er Konsequenzen aufweist, die vermieden werden sollten. Prädikate, die ihre Bedeutung jeweils in Abhängigkeit von der Perspektive der Zuschreibung bzw. des Zuschreibers ändern, haben mehrere Nachteile. Ein entscheidender Nachteil ist sicher der, dass das Verhalten anderer Individuen nicht mehr interpretiert werden kann, zumindest dann nicht, wenn psychologische Prädikate im Spiel sind. Damit gerät natürlich auch das Verstehen im Allgemeinen ins Wanken, denn auch „beabsichtigen“, „meinen“ und „glauben“ sind ja psychologische Prädikate. Ein weiterer Nachteil ist, dass die mentalen Zustände nicht mehr eindeutig identifiziert werden können, weil man über kein Kriterium der Identität verfügt, das für alle Individuen gleichermaßen und zudem für jeden nachvollziehbar gilt, einschließlich unserer selbst. Das Gleiche gilt auch, wenn man die Nachteile

107 Wittgenstein, [PU], § 246.

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des epistemischen Dualismus nicht direkt über die Bedeutung von φPrädikaten deutlich macht. Ändern sich die Rechtfertigungsbedingungen von Zuschreibungen mentaler Zustände in Abhängigkeit von der Zuschreibungsperspektive, dann klafft in epistemischer Hinsicht eine große Lücke zwischen den eigenen subjektiven Erlebnissen und denen der anderen. Und man kann nie sicher sein, ob man in einer Welt möglicher Zombies lebt oder selbst einer ist. Will man diesen Konsequenzen aus dem Weg gehen, dann muss folgende Bedingung erfüllt sein, deren Formulierung hier von Strawson übernommen wird: Eine notwendige Bedingung dafür, sich selbst in der gewohnten Art Bewußtseinszustände und Erlebnisse zuzuschreiben, ist, daß man sie ebenso anderen zuschreibt oder bereit ist, sie ihnen zuzuschreiben.108

Was damit zunächst als Bedingung angenommen wird, ist, dass alle Prädikate, mit denen mentale Zustände zugeschrieben werden, ein und dieselbe Bedeutung haben müssen. So argumentiert auch Strawson. Das bedeutet nicht weniger, als es sagt. Es bedeutet zum Beispiel, daß die zuschreibenden Ausdrücke genau in demselben Sinn verwendet werden, wenn das Subjekt jemand anderes ist, wie wenn man es selbst ist.109

Der entscheidende Punkt ist allerdings folgender: Damit die genannte Bedingung überhaupt erfüllt werden kann, muss es, so Strawson, eine Korre-

108 Strawson, 1972, 127/ engl., 1959, 99. 109 Ebd. Strawson weist in einer Fußnote darauf hin, dass die Formulierung der Bedingung eine starke und eine schwache Lesart zulässt. Die starke Lesart behauptet, dass die Bedingung ausnahmslos für alle φ-Prädikate gilt, was bedeutet, dass es kein φ-Prädikat geben kann, das von einem Individuum einzig und allein auf sich selbst angewendet werden kann. Die schwache Lesart geht demgegenüber davon aus, dass diese Bedingung zwar im Allgemeinen gilt, dass der Fall eines φ-Prädikats, das ein Individuum einzig und allein auf sich selbst, und nur auf sich selbst, anwenden kann, aber nicht notwendigerweise ausgeschlossen sein muss. Für das hier vorgestellte Argument kommt es jedoch nicht darauf an, sich auf die starke Lesart festzulegen. Es genügt, soweit ich sehen kann, zu behaupten, dass die Bedingung generell gilt. Es ist also nicht notwendigerweise ausgeschlossen, dass es ein Prädikat gibt, das nur einem einzigen Individuum zukommt. Man kann sich etwa einen Fall vorstellen, bei dem das Verhalten eines Individuums am besten durch die Anwendung des φ-Prädikats „xy“ erklären können. Auch dieses Prädikat muss natürlich die strawsonsche Bedingung erfüllen, das heißt auf mehrere Individuen anwendbar sein. De facto gibt es aber nur eine Person, bei der die Anwendung auch für die Erklärung ihres Verhaltens sinnvoll ist. In diesem Fall wäre die von Strawson aufgestellte Bedingung erfüllt, obwohl das Prädikat nur auf ein Individuum zutrifft. Es ist für diese Überlegung nicht wesentlich, dass das Individuum, dem als einziges das Prädikat „xy“ zukommt, man selbst ist. Strawson, 1972, 127, Fn. 6/engl., 1959, 99, n.1.

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lation geben „zwischen der Idee eines Prädikats und der Idee einer Reihe von unterscheidbaren Individuen, denen das Prädikat sinnvoll zugeordnet werden kann, wenn es auch nicht notwendig auf sie zutrifft.“110 Evans hat den von Strawson behaupteten Zusammenhang zwischen der Idee eines Prädikats und der Idee einer Reihe von unterscheidbaren Individuen unter dem Begriff der Generality Constraint genauer spezifiziert. Unsere Gedanken über uns selbst gehorchen der Allgemeinheitsklausel (Generality Constraint).111 Das heißt: „jeder, der über den Begriff, F zu sein, verfügt, (muss) verstehen können, was es heißt, daß eine beliebige Aussage der Form ‚a ist F‘ wahr ist (wobei a eine Vorstellung ist, die er vom Gegenstand besitzt). Nach der Allgemeinheitsklausel müssen wir erkennen, daß der Gedanke, a ist F, auf dem Schnittpunkt zweier Gedanken liegt: der Gedankenreihe a ist F, a ist G, a ist H, (…); einerseits, und der Gedankenreihe a ist F, b ist F, c ist F, (…), andererseits.112

Was es heißt, sich selbst unter Zuschreibung verschiedener Prädikate als die Person zu identifizieren, die Gegenstand der Zuschreibung ist, ist im letzten Abschnitt zur Eigenschaft der Infallibilität gezeigt worden. Im vorliegenden Fall geht es um die zweite von Evans genannte Gedankenreihe. Man kann nur dann über den Begriff, selbst F zu sein, verfügen, wenn man zugleich weiß, was es heißt, dass andere Personen F sind. Auf diese Weise wird deutlich, wie die von Strawson eingeforderte Korrelation zu verstehen ist. Die Annahme einer „Reihe unterscheidbarer Individuen“ ist eine notwendige Bedingung für die sinnvolle Anwendung von φ-Prädikaten. Denn nur aufgrund der Zuschreibbarkeit der Prädikate zu verschiedenen Personen ist die Bedingung der allgemeinen Anwendbarkeit erfüllt. Die allgemeine Anwendbarkeit wiederum ist notwendig, um die Bedeutung von φ-Prädikaten bestimmen zu können, da sie dafür garantiert, dass die Prädikate nicht mit jeder Zuschreibung ihre Bedeutung verändern. Wenn nun zudem gilt, dass sich ein Subjekt mentale Zustände nur durch die Verwendung von psychologischen Prädikaten zuschreiben kann, dann findet sich hier das erste positive Argument für intersubjektive Bedingungen von Selbstbewusstsein. Denn in diesen Fall ist für die Selbstzuschreibung mentaler Zustände die Annahme einer Reihe von unterscheidbaren Individuen eine notwendige Bedingung. Die von Strawson formulierte Bedingung gilt zunächst nur für die Zuschreibung mentaler Prädikate und wird erst dann auch zu einer Bedingung über die Zuschreibung mentaler Zustände, wenn man unterstellt, dass psychologische Zuschreibungen die Fähigkeit zur Anwendung psychologi110 Ebd. 111 G. Evans, 1994, 504/engl., 1982, 209. 112 A. a. O., 505/engl., 1982, 209.

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scher Prädikate voraussetzen. Gegenteiliger Meinung ist hier Bermúdez. Er glaubt zwar, dass die Strawson-Evans-Bedingung erfüllt sein sollte und Selbstwahrnehmung tatsächlich in konstitutiver Weise mit der Wahrnehmung anderer psychologischer Subjekte („other minds“) verbunden ist, zugleich bestreitet er jedoch, dass dafür mehr notwendig sei, als die Fähigkeit, Typen psychologischer Zustände zu diskriminieren. Bisher wurde nicht-begriffliches Selbstbewusstsein als ein Gewahrwerden der eigenen Zustände beschrieben, das ohne Geltungsansprüche auftritt, weshalb es, wie Schnädelbach fordert, „nicht in epistemischen Termini wie ‚wissen‘, ‚kennen‘ oder ‚vertraut sein mit (…)‘“113 beschrieben werden sollte. Wenn Bermúdez jedoch Recht damit hat, dass für die Diskriminierung der eigenen mentalen Zustände andere psychologische Subjekte auch dann eine notwendige Voraussetzung sind, wenn das Verfügen über Begriffe keine ist, dann gebe es hier einen Weg intersubjektive Bedingungen schon im Rahmen der schwachen Transparenzthese zu behaupten. Obwohl ich denke, dass Bermúdez Behauptung eines nicht-begrifflichen Selbstbewusstseins nicht verteidigt werden kann,114 nehme ich doch an, dass intersubjektive Bedingungen nicht erst dort zu behaupten sind, wo Selbstzuschreibungen mit Geltungsansprüchen auftreten, sondern schon dort, wo ein Subjekt lernt, psychologische Prädikate auf die eigenen mentalen Zustände anzuwenden, um sie auf diese Weise zu diskriminieren. 2.5 Wittgensteins These von den expressiven, natürlichen Ausdrücken Nachdem Wittgenstein dafür argumentiert hat, dass Selbstzuschreibungen kein Fall von Wissen sein können, macht er einen Vorschlag, der erklären soll, wie psychologische Prädikate zu ihrer Bedeutung kommen. Dieser Vorschlag ist deshalb für die vorliegende Untersuchung interessant, weil er von der Ablehnung einer dualen Semantik ausgeht, der zufolge φ-Prädikate einmal eine private und ein anderes Mal eine intersubjektive Bedeutung haben. Grund seiner Ablehnung ist, dass die Möglichkeit einer privaten Sprache115 nicht eingeräumt werden kann, weshalb eben auch mentale Prädikate eine perspektivenübergreifende allgemeine Bedeutung haben müs-

113 H. Schnädelbach, „Satz und Sachverhalt“, Analytische und Postanalytische Philosophie. Vorträge und Abhandlungen 4, Frankfurt/Main 2004, 220–241, 221. 114 Siehe ausführlich dazu: Kapitel II, Abschnitt 1. 115 Was eine Privatsprache sei, sagt Wittgenstein in § 243 der [PU]: „Die Wörter dieser Sprache sollen sich auf das beziehen, wovon nur der Sprecher wissen kann; auf seine unmittelbaren, privaten, Empfindungen. Ein anderer kann diese Sprache also nicht verstehen.“

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sen. Gelänge es Wittgenstein, hier eine Theorie vorzulegen, die erklären könnte, wie die perspektivenübergreifende Bedeutung von φ-Prädikaten etabliert werden kann, so dass die Strawson-Evans-Bedingung erfüllt ist, dann wären damit zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Wittgenstein könnte einerseits auf seiner speziellen Variante des epistemischen Dualismus beharren, der zufolge Selbstzuschreibungen mentaler Zustände generell ohne epistemischen Anspruch auftreten, womit auch deren Un- oder, richtig ausgedrückt, Nichtkorrigierbarkeit erklärt wäre. Andererseits wäre das Problem der äquivoken Verwendung mentaler Prädikate gelöst. Zudem wäre damit eine positive Theorie mentaler Selbstzuschreibungen vorgelegt, die aufgrund der als erfüllt unterstellten Strawson-Evans-Bedingung für intersubjektive Bedingungen von Selbstbewusstsein einsteht. Wittgensteins Überlegungen zu der Frage, wie die Bedeutung von φPrädikaten in einem die Perspektiven übergreifenden Kontext bestimmt werden kann, sind folgende. Wenn man annimmt, dass die Bedeutung mentaler Prädikate für jedes Individuum gleichermaßen gelten und zudem für jeden nachvollziehbar sein sollte, dann liegt es nahe, sowohl das Verhalten als auch die natürlichen Äußerungen der Individuen zur Bestimmung der Bedeutung heranzuziehen. Beide Verhaltensweisen haben den Vorteil, dass sie auch aus anderen Perspektiven wahrnehmbar und nicht auf die erstpersonale Perspektive eingeschränkt sind. Die Ausgangsannahme besagt demnach, dass es eine kriterielle Beziehung zwischen dem beobachtbaren Verhalten und den natürlichen Äußerungen auf der einen Seite und der Bedeutung der φ-Prädikate auf der anderen Seite geben muss. Wie könnte diese Beziehung aussehen? Wenn jemand Schmerzen hat, dann hat er verschiedene Möglichkeiten, diese zu äußern. Er kann sagen „Ich habe Schmerzen“, er kann „Aua!“ oder „Autsch!“ rufen, er kann aber auch schreien, stöhnen oder weinen. Das Schreien oder Stöhnen ist laut Wittgenstein der „ursprüngliche, natürliche Ausdruck“,116 durch den eine Person kundgibt, dass sie sich im Zustand des Schmerzes befindet. Wittgensteins Gedanke ist nun der, dass der „ich φ“-Satz „Ich habe Schmerzen“ als Ersetzung des ursprünglichen Ausdrucks des Schreiens oder Stöhnens verstanden werden sollte. Das bedeutet, dass der „ich φ“-Satz die prädikative Form einer ursprünglich expressiven Äußerung ist.117 Wittgenstein besteht

116 Wittgenstein, [PU], § 244. 117 Die relevante Stelle für diese Interpretation ist natürlich [PU], § 244: „Es werden Worten mit dem ursprünglichen, natürlichen Ausdruck der Empfindung verbunden und an dessen Stelle gesetzt. Ein Kind hat sich verletzt, es schreit; und nun sprechen ihm die Erwachsenen zu und bringen ihm Ausrufe und später Sätze bei. Sie lehren das Kind ein neues Schmerzbenehmen. –‚So sagst du also, daß das Wort

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darauf, dass die expressive Äußerung nicht als Bedeutung des Empfindungsausdrucks missverstanden werden darf. Stattdessen hat der ursprüngliche Ausdruck hier zwei Funktionen. Zum einen dient er als Anzeichen dafür, dass sich das Individuum in einem bestimmten mentalen Zustand befindet. Zum anderen ermöglicht der ursprüngliche Ausdruck anderen Individuen, auf ihn mit der Zuschreibung mentaler Prädikate zu reagieren. Damit besteht die bedeutungsstiftende Relation nicht mehr zwischen einer Empfindung des Individuums und dem entsprechenden mentalen Prädikat, mit dem es sich diese Empfindung selbst zuschreibt. Vielmehr hat die bedeutungsstiftende Relation etwas mit dem wechselseitig aufeinander bezogenen Verhalten von Individuen zu tun. Die Bedeutung der φ-Prädikate wird im Kontext dieses Verhaltens sowohl aus der erstpersonalen wie auch aus der drittpersonalen Perspektive eindeutig und für jeden nachvollziehbar festgelegt. So verstanden hat Wittgensteins Konzeption einige Vorteile. Tatsächlich gelingt es ihm, die Behauptung mentaler Objekte zu vermeiden, weil, wie er selbst sagt, „die Grammatik des Ausdrucks der Empfindungen“ gerade nicht nach dem „Muster von ‚Gegenstand und Bezeichnung‘ konstruiert“ werden muss.118 Er vermeidet zudem eine Verpflichtung auf eine behavioristische Position, denn die Bedeutungsfestlegung findet zwar im Kontext wechselseitigen Verhaltens statt, das Verhalten selbst gilt aber nicht als Grund für die Bestimmung der Bedeutung. Folgende Überlegung mag das verdeutlichen: Durch die Einführung des „ursprünglichen, natürlichen Ausdrucks“ wird impliziert, dass zwischen der Empfindung und ihrem natürlichen Ausdruck kein Platz für Beobachtung bleibt. Deshalb spricht Wittgenstein von „Ersetzung“. Für die erstpersonale Perspektive bedeutet dies, dass die Ersetzung durch einen „ich φ“-Satz weder aufgrund der Beobachtung innerer Entitäten noch aufgrund der Beobachtung des eigenen Verhaltens erfolgt. Sie wird von anderen Subjekten vorgenommen, die schon über mentale Prädikate verfügen. Für die drittpersonale Perspektive bedeutet dies, dass für die Zuschreibung eines mentalen Prädikates nicht zuerst das Verhalten (etwa das Schmerzverhalten) beobachtet und interpretiert werden muss, damit dann unter Berücksichtigung bestimmter Kriterien das mentale Prädikat zugeschrieben werden kann. Der „ich φ“Satz wird einfach an die Stelle der expressiven Äußerung gesetzt. Demnach bildet die expressive Äußerung die Grundlage für die Zuschreibung mentaler Prädikate. Und sie ist zugleich das, worauf sich jeder beziehen

‚Schmerz‘ eigentlich das Schreien bedeute?‘ – Im Gegenteil; der Wortausdruck des Schmerzes ersetzt das Schreien und beschreibt es nicht.“ Vgl. auch [PU], § 317. 118 Wittgenstein, [PU], § 293.

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kann, sowohl „die leidende Person (…), welche Schmerz äußert“,119 als auch die zweite Person, die den entsprechenden psychologischen Ausdruck darauf anwendet. Auf den ersten Blick sieht es also so aus, als käme man hier in der Tat den intersubjektiven Bedingungen von Selbstzuschreibungen mentaler Prädikate auf die Spur. Denn die zweite Person hat prima facie den Status einer notwendigen Bedingung für die Bedeutung von φ-Prädikaten. Sie nimmt den natürlichen, expressiven Ausdruck auf und interpretiert ihn im Rahmen des Systems von Empfindungsausdrücken, das ihr zur Verfügung steht. Zugleich scheint damit auch die Strawson-Evans-Bedingung erfüllt zu sein, denn zum einen ist die Perspektive, aus der die Zuschreibung des φ-Prädikates vorgenommen wird, kein relevantes Kriterium für seine Bedeutung. Zum anderen können mentale Prädikate nur in einem intersubjektiven Kontext zugeschrieben werden, was deren perspektivenübergreifende Anwendbarkeit impliziert. Das Problem der äquivoken Verwendung mentaler Prädikate scheint also tatsächlich umgangen. Die Nachteile dieser Konzeption sind allerdings ganz erheblich. So bleibt völlig unklar, welche Rolle der mentale Zustand selbst für die Bedeutung psychologischer Prädikate noch spielen könnte. In [PU] § 304 heißt es: ‚Und doch gelangst Du immer wieder zum Ergebnis, die Empfindung selbst sei ein Nichts.‘ – Nicht doch. Sie ist kein Etwas, aber auch kein Nichts! Das Ergebnis war nur, daß ein Nichts die gleichen Dienste täte, wie ein Etwas, worüber sich nichts aussagen läßt. Wir verwarfen nur die Grammatik, die sich hier aufdrängen will. 120

Die Grammatik, die sich aufdrängen will, ist natürlich die von Gegenstand und Bezeichnung, die uns, so Wittgenstein, überhaupt erst zu der Annahme mentaler Entitäten zwingt.121 Doch warum sollte mit der Kritik an dieser Form der Bedeutungstheorie der mentale Zustand selbst aus den Überlegungen herausfallen? Nimmt man Wittgensteins Vorschlag der Ersetzung natürlicher Ausdrücke durch „φ“-Sätze ernst, dann steht man nämlich vor folgendem Dilemma. Entweder ist man dem Zombieproblem ausgeliefert, das sich ergibt, weil man sich durchaus vorstellen kann, dass jemand psychologische Prädikate in korrekter Weise verwendet, ohne selbst über entsprechende mentale Zustände zu verfügen. Da Wittgenstein keine Aussage darüber macht, in welcher Relation der mentale Zustand zum natürlichen

119 Wittgenstein, [PU], § 302. 120 Wittgenstein, [PU], § 304. 121 Vgl. Wittgenstein, [PU], § 305–308 und natürlich § 293.

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Ausdruck steht, ist dieses Szenario durchaus möglich.122 Will man diese Möglichkeit vermeiden, dann muss man annehmen, dass es für jeden mentalen Zustand einen entsprechenden natürlichen Ausdruck gibt, der anzeigt, dass sich das Individuum in einem bestimmten psychischen Zustand befindet. Tatsächlich dürfte es sich jedoch bei der Vielzahl möglicher psychologischer Zustände als sehr schwierig erweisen, jedem Zustand einen entsprechenden natürlichen Ausdruck zuzuweisen. Gelingt dies nicht, dann tritt erneut das Zombieproblem auf den Plan. Das Dilemma ergibt sich also direkt aus der Annahme, dass die Festlegung der Bedeutung mentaler Prädikate allein auf den expressiven Ausdruck angewiesen ist, ohne dass der mentale Zustand zugleich als Bedingung für die natürliche Äußerung behauptet wird. Dem ersten Horn des Dilemmas, dem Zombieproblem, kann man zunächst aus dem Weg gehen, indem man darauf besteht, dass es 1. ohne natürliche Ausdrücke schlicht keine bedeutungsvollen mentalen Prädikate geben kann und dass 2. der natürliche Ausdruck ein Indiz dafür ist, dass sich das betroffene Individuum auch tatsächlich in einem mentalen Zustand befindet. In diesem Fall hätte der mentale Zustand den Status einer notwendigen Bedingung für die Zuschreibung und damit für die Bedeutung von φ-Prädikaten. Diese Lösung des Zombieproblems beantwortet die Frage damit durchaus im Sinne Wittgensteins. Sie unterstellt nur zusätzlich, dass es eine Relation zwischen dem „expressiven, natürlichen Ausdruck“ und einem bestimmten psychologischen Zustand geben muss, derart, dass der Ausdruck in jedem Fall als Anzeichen für das Vorliegen eines Zustand verstanden werden sollte. Diese Relation ist jedoch keine des Wissens, weshalb die Behauptung, mentale Zustände seien eine notwendige Bedingung für die Bedeutung mentaler Prädikate, nicht auf die Annahme mentaler Entitäten verpflichtet. Folglich wird die interne Vorstellung der Empfindung als Vermittler zwischen Empfindung und Empfindungsausdruck mit diesem Vorschlag nicht erneut ins Recht gesetzt. Das Kriterium für die Anwendung psychologischer Prädikate bleibt die expressive Äußerung und nicht der mentale Zustand. Auf die Frage, woher man zu wissen glaubt, dass jemand anderes Schmerzen gefühlt hat oder nicht, lässt sich dann einfach entgegnen: „Er hat geschrien.“ Das zweite Horn des Dilemmas ist weniger einfach aufzulösen. Wenn gelten soll, dass allein der expressive Ausdruck als Grundlage der Bedeutungsfestlegung mentaler Prädikate zur Verfügung steht, muss dann nicht

122 In [PU] § 315 stellt sich Wittgenstein die Frage, ob jemand das Wort „Schmerz“ auch dann versteht, wenn er „nie Schmerz gefühlt hat?“ Würde er auf diese Frage mit „ja“ antworten, dann sähe er sich vor das Zombieproblem gestellt.

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tatsächlich für jeden mentalen Zustand ein entsprechender natürlicher Ausdruck angenommen werden? Natürlich könnte man hier argumentieren, dass dies keineswegs der Fall ist, weil es lediglich darauf ankommt, das Paradigma der Verwendung mentaler Prädikate zu erlernen. Hat man die Anwendungsbedingungen mentaler Prädikate erst einmal anhand einiger Beispiele gelernt, dann weiß man auch, was die jeweiligen φ-Prädikate bedeuten. Genauer: Man weiß prinzipiell, wie sich feststellen lässt, ob die Anwendung eines mentalen Prädikates in einem bestimmten Fall korrekt bzw. nicht korrekt ist. Trotzdem könnte man immer noch argumentieren, dass ein solches Szenarium nicht die Annahme einer Art von Teilzombies ausschließt. Teilzombies wären Subjekte, die etwa schreien und stöhnen, wenn sie Kopfschmerzen haben, nicht aber, wenn sie Zahnschmerzen haben. Will man die Möglichkeit von Teilzombies ausschließen, dann ist man in der Tat gezwungen, jedem mentalen Zustand auch eine natürliche, expressive Äußerung zuzuordnen. Die Vielzahl mentaler Prädikate, über die ein kompetenter Sprecher verfügt, macht allerdings schnell deutlich, dass dies selbst dann kein gangbarer Weg ist, wenn man unter natürliche Äußerungen zusätzlich bestimmte unmittelbare Gesten und eine entsprechende Mimik zählt. Im Ergebnis lässt sich somit Folgendes sagen: Wittgensteins ursprünglicher Vorschlag, wie mentale Prädikate in einem intersubjektiven Kontext Bedeutung erlangen, geht zu Lasten der Transparenz mentaler Zustände. Denn je nachdem wie man Wittgenstein hier versteht, spielen die mentalen Zustände für die Bedeutung psychologischer Prädikate entweder gar keine Rolle oder sie sind nur als expressive Äußerung gegeben. Dies jedoch, ohne dass deutlich wird, wie die Beziehung zwischen Äußerung und Zustand bestimmt ist. Man kann die Beziehung von mentalem Zustand und expressivem Ausdruck aber durchaus in der vorgeschlagenen Weise reaktivieren und annehmen, dass das Vorliegen eines mentalen Zustandes eine notwendige Bedingung für die natürliche Äußerung ist. In diesem Sinne wäre der mentale Zustand dann tatsächlich kein Nichts, weil sein Vorliegen bei jeder natürlichen Äußerung unterstellt werden muss. Er wäre aber auch kein Etwas, weil er keine bedeutungsfestlegende Funktion hätte. Aus den Überlegungen zur Beziehung von mentalem Zustand und natürlichem Ausdruck ergibt sich jedoch noch ein weiteres Problem, das mit dem semantischen Status von „ich φ“-Sätzen zu tun hat. Wenn es Anwendungsbedingungen für mentale Prädikate gibt, dann impliziert dies, dass es sowohl richtige als auch falsche Anwendungen der Prädikate geben kann. Was könnte nun aber die richtige bzw. falsche Anwendung bei expressiven Äußerungen sein? Wenn der expressive Ausdruck als bloßes Anzeichen für das Vorliegen eines mentalen Zustandes verstanden werden soll, dann kann es hier keine richtige oder falsche Anwendung geben. Denn zwischen den

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psychischen Zustand und den ursprünglichen, natürlichen Ausdruck passt weder die Selbstbeobachtung noch die Überlegung, nach welchen Kriterien der expressive Ausdruck angewendet werden sollte. Eine solche Überlegung würde den Begriff „expressiver, natürlicher Ausdruck“ schlicht ad absurdum führen. Hinzu kommt, dass der mentale Zustand selbst ja gerade nicht als Kriterium für die richtige Anwendung gelten soll. Wird der „ich φ“-Satz als reine Ersetzung der expressiven Äußerung verstanden, dann muss daraus folgen, dass er auch deren semantisches Verhalten erbt. Ist das der Fall, dann wird mit der prädikativen Form des „ich φ“-Satzes nur vorgetäuscht, dass es sich hier um eine Aussage handelt, mit der sich ein Individuum selbst ein bestimmtes mentales Prädikat aufgrund bestimmter Kriterien zuschreibt. Man kann also nicht sagen, dass „ich φ“-Sätze wahr oder falsch sind. Sie sind, wie Tugendhat dies genannt hat, expressive, nicht-kognitive Sätze.123 Wittgenstein hat somit auf der semantischen Ebene seine Überlegungen zur Frage, was man weiß, wenn man Selbstbewusstsein hat, untermauert. Der nicht-kognitive Charakter jener Sätze, mit denen man sich selbst mentale Prädikate zuschreibt, unterstützt seine These, wonach Selbstbewusstsein keine Form von Wissen ist. Tugendhat hat zwar einen Vorschlag gemacht, wie Wittgenstein an dieser Stelle so plausibilisiert werden könnte, dass der epistemische Charakter von Selbstzuschreibungen doch noch zu retten wäre, aber leider überzeugt sein Plausibilisierungsversuch nicht. Es gibt, so Tugendhat, Wissen, das sich nicht auf einen Erkenntnisakt zu stützen braucht. Selbstbewusstsein, ausgedrückt durch „ich φ“-Sätze, wäre ein solches Wissen. Warum? Zunächst behauptet Tugendhat, dass mit der Ersetzung des natürlichen Ausdrucks durch einen „ich φ“-Satz die nicht-kognitive, expressive Äußerung einem kognitiven Satz angeglichen wird. Die Angleichung geschähe dadurch, dass der „ich φ“-Satz den natürlichen Ausdruck nicht nur ersetze, sondern ihn zugleich um den indexikalischen Ausdruck „ich“ ergänze. Aufgrund dieser Ergänzung werde es dann möglich, den „ich φ“Satz als einen assertorischen Satz zu verstehen, der wahr oder falsch sein kann, der aber gleichwohl nicht-kognitiv ist. Als Grund dafür, dass nichtkognitive Sätze durch den Ausdruck „ich“ plötzlich zu Sätzen werden, die wahr oder falsch sein können, führt Tugendhat die grammatische Struktur von „ich“ an. Da „ich“ als singulärer Terminus nur im Verbund mit ande-

123 Tugendhat gibt auch eine Definition für den Begriff des kognitiven Satzes: „Unter einem kognitiven Satz ist ein Satz der Form ‚a ist F‘ zu verstehen, bei dem mittels ‚a‘ ein Gegenstand so identifiziert wird, daß dann festgestellt werden kann, daß das Prädikat ‚F‘ auf Grund der für es geltenden Kriterien auf den so identifizierten Gegenstand zutrifft: so erkennen wir, daß a F ist.“ [SuS], 123.

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ren Personalpronomina fungieren können soll, weil nur auf diese Weise, die Person, die „ich“ gebraucht, auch identifiziert werden kann, komme die Unterscheidung von Wahrheit und Falschheit mit der Möglichkeit fehlgehender Identifizierungen ins Spiel. Deshalb folge hier, dass „ich φ“-Sätze gewusst werden könnten, auch wenn keine Erkenntnis der Form „a ist F“ vorliege. Das Problem ist jedoch, dass Tugendhats Versuch, „ich φ“Sätzen auf diese Weise ihren epistemischen Anspruch zu sichern, ausschließlich von dem Zugeständnis abhängt, dass „ich“ nur im Verbund mit anderen Personalpronomina seine Arbeit als singulärer Terminus verrichten kann. Tatsächlich ist aber, wie ich argumentiert habe (S. 51f.), der systematische Bezug zu anderen Personalpronomina keine notwendige Bedingung für die erfolgreiche Verwendung von „ich“. Ist das richtig, dann wird Tugendhats Argument aber jegliche Grundlage entzogen. Das einzige Wissen ohne Erkenntnis, dass bei „ich φ“-Sätzen in Anspruch genommen werden kann, ist das Wissen, dass derjenige, der „ich φ“-Sätze verwendet, damit immer etwas über sich selbst sagt. Aber dieses Wissen ist das grammatische Wissen um die Verwendungsweise des Ausdrucks „ich“ und kein Selbstwissen im eigentlichen Sinne und schon gar kein unmittelbares Wissen von sich selbst, wie Tugendhat glaubt. Wittgensteins Darlegungen, auf welche Weise die zweite Person für Selbstzuschreibungen mentaler Zustände konstitutiv sein könnte, verpflichtet also in jeder Hinsicht auf die Annahme, dass Geltungsansprüche für sie nicht erhoben werden können. „Ich φ“-Sätze haben, wenn sie über die Ersetzung von natürlichen expressiven Ausdrücken eingeführt werden, nur einen nicht-kognitiven Status. Sie können weder wahr noch falsch sein. Das führt zu der Frage, ob man tatsächlich bereit sein sollte auf Geltungsansprüche bei Selbstzuschreibungen mentaler Zustände zu verzichten. Für Wittgenstein scheint dies unausweichlich, wenn man den mentalen Zuständen selbst keine Evidenzkraft beimessen will. Die beste Möglichkeit, die man an dieser Stelle hat, ist den mentalen Zuständen die evidentielle Kraft generell abzusprechen. Sie können dann zwar nicht mehr zur Rechtfertigung von „ich φ“-Sätzen angeführt werden, aber es lässt sich immer noch behaupten, dass sie, sofern sie über die Eigenschaft der Selbstevidenz verfügen, dem Subjekt, das sie hat, unmittelbar präsent sind. Es gelangt auf diesem Weg nur nicht zu einem Wissen von ihnen. 2.6 Transparenz und Intersubjektivität Die dem Selbstbewusstsein zugesprochene Eigenschaft der Transparenz war für eine intersubjektivitätstheoretische Analyse als besondere Herausforderung erschienen, weil sie unter anderem als These über die Unkorri-

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gierbarkeit von Berichten über die eigenen mentalen Zustände auftrat. Die Argumente, die für diese These angeführt werden konnten, haben sich jedoch als falsch erwiesen. Selbstzuschreibungen sind kein Fall von direktem und daher unkorrigierbarem Wissen, weil es keine subjektiven Gründe in der dazu erforderlichen Art gibt. Wittgensteins Überzeugung, wonach Selbstbewusstsein kein Fall von Wissen ist, weshalb die behauptete Unkorrigierbarkeit auf einer Art Kategorienfehler beruht, hat zwar eine gewisse Plausibilität, aber sie widerspricht der Tatsache, dass natürlich auch Selbstzuschreibungen mit Geltungsansprüchen auftreten. Aus all dem Gesagten lässt sich folgender Schluss ziehen: Selbstwissen ist ein Wissen wie jedes andere Wissen auch und es kann prinzipiell angezweifelt werden. Man kann wahre oder falsche Aussagen über die eigenen mentalen Zustände machen, wobei jedoch gilt, dass diese durch Gründe gerechtfertigt werden, die auch anderen Individuen prinzipiell zugänglich sind. Trotzdem hat jedes Individuum einen privilegierten Zugang zu der Art und Weise, in der ihm die eigenen mentalen Zustände präsent sind. Dieses Privileg bleibt allerdings ohne epistemische Konsequenzen.124 Mit der Transparenz ist also keine Eigenschaft von Selbstbewusstsein benannt, aufgrund derer die Annahme intersubjektiver Bedingungen von Selbstbewusstsein prinzipiell ausgeschlossen wäre.

3. Meinigkeit und Reflexivität Die dritte und letzte Eigenschaft, die Selbstbewusstsein zugesprochen wird, ist die der Meinigkeit. Selbstbewusstsein ist neben den schon diskutierten Eigenschaften insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass das Wis-

124 Williamson ist mit seinem Anti-Luminosity Argument gegen eine allgemeine Version der hier diskutierten Transparenzthese aufgetreten (siehe S. 53). „It is not perfectly true“, so Williamson, „that whenever one is in pain, one is in a position to know that one is in pain“. Sein Argument soll zeigen, dass es für die epistemische Zuschreibung eines mentalen Zustandes nicht hinreicht, sich in diesem Zustand zu befinden, weil die dieser Annahme zugrundeliegende Behauptung, bestimmte mentale Zuständen seien transparent (luminous), nicht verteidigt werden kann. Williamsons Argument unterstützt also die hier vorgelegte Argumentation, auch wenn sie andere Wege geht. Allerdings ist nicht klar, ob Williamson bereit wäre, die hier verteidigte schwache Transparenzthese zu akzeptieren, der zufolge man sich nicht darüber täuschen kann, das man sich in einem bestimmten mentalen Zustand befindet, auch wenn dies nicht zur Zuschreibung von Wissen berechtigt. Siehe T. Williamson, Knowledge and its Limits, Oxford 2000, 93–113, 106; siehe auch M. Steup, „Are Mental States Luminous?“, in: P. Greenough/D. Pritchard (Hrsg.), Williamson on Knowledge, Oxford 2009, 217-236.

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sen, welches mit ihm ausgedrückt wird, an eine besondere Perspektive gebunden ist: die Erste-Person-Perspektive. Alle psychischen Zustände, die man sich selbst zuschreibt, sind immer die eigenen Zustände. Ausgedrückt in der ersten Person heißt das, dass alle psychischen Zustände, die ich mir selbst zuschreibe, immer meine Zustände sind. Was diese Perspektivität nun zu einer Eigenschaft von Selbstbewusstsein macht, ist die Annahme, dass die Erste-Person-Perspektive für ihre Charakterisierung wesentlich ist. Mentale Zustände werden nicht einfach nur erlebt, sie werden als je eigene Zustände erlebt. Schreibe ich mir selbst einen bestimmten psychischen Zustand zu, dann kann ich mich vielleicht darüber irren, welchen repräsentationalen Gehalt er hat, aber die Tatsache, dass er mein Zustand ist, wird von diesem Irrtum nicht berührt. Ebenso kann man sagen, dass zwar der Gebrauch von „ich“ eine Antwort auf die Frage gibt, weshalb man keine Fehler macht, wenn man sich mit „ich“ jeweils auf sich selbst bezieht, aber das schließt keine Antwort auf die Frage ein, woher ich weiß, dass ich selbst es bin, auf den ich mich mittels „ich“ beziehe. Genauer: Wenn man davon ausgeht, das mit dem Gebrauch von „ich“ keine Identifizierungsleistung erbracht wird, dann stellt sich die Frage erneut, woher ich weiß, dass der psychische Zustand, den ich mir selbst zuschreibe, mein Zustand ist. Was also bisher über die Offenheit gegenüber einer intersubjektivitätstheoretischen Analyse gesagt wurde, betrifft zunächst nicht die dritte Eigenschaft von Selbstbewusstsein, die Meinigkeit.125 Meinigkeit: Mit Meinigkeit ist diejenige Eigenschaft benannt, die Selbstbewusstsein als ein Bewusstsein charakterisiert, das jedes Subjekt von sich selbst als sich selbst hat. Ein Fall von Selbstbewusstsein liegt also erst dann vor, wenn das Subjekt zum einen weiß, dass es selbst die Person ist, die sich bestimmte Zustände zuschreibt und wenn es zum anderen diese Zustände als seine eigenen Zustände bestimmen kann. Um sich seiner selbst bewusst zu sein, genügt weder ein Bewusstsein von der Person, die man ist, noch ist ein Bewusstsein von den mentalen Zu125 Der Ausdruck „Meinigkeit“ hat sich in der Debatte eingebürgert, ist aber sicher zunächst durch Metzingers Verwendung beeinflusst. In Abgrenzung zu Metzinger wird hier jedoch nicht unterstellt, dass Meinigkeit ausschließlich eine höherstufige phänomenale Eigenschaft einzelner Formen phänomenalen Bewusstseins sei. Näher an dem hier gebrauchten Begriff ist daher der im englischen gebräuchliche Ausdruck „Mineness“, der zudem seine Herkunft von Heideggers „Jemeinigkeit“ anzeigt. Vgl. T. Metzinger, „Schimpansen, Spiegelbilder, Selbstmodelle und Subjekte“, in: S. Krämer (Hrsg.), Geist-Gehirn-Künstliche Intelligenz, Berlin/NY 1994, 41–70; ders., Being No One. The Self-Modell Theorie of Subjectivity, Cambridge/Mass. 2003; Zahavi, 2005.

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ständen, in denen man sich befindet, dafür hinreichend. Es ist nicht schwer zu sehen, welche Probleme sich prima facie aus der Behauptung dieser Eigenschaft für eine Intersubjektivitätstheorie des Selbstbewusstseins ergeben können. Gehört zur vollständigen Charakterisierung von Selbstbewusstsein auch die Tatsache und das Wissen darüber, dass die mentalen Zustände, die ich mir zuschreibe, meine Zustände sind, weil ich selbst jene Person bin, die diese Zustände erlebt, dann ist dieses Wissen oder diese Tatsache anderen Individuen in der Tat nicht in derselben Weise zugänglich wie mir. Denn es gibt jeweils nur ein Subjekt, das bestimmte mentale Zustände als seine erleben kann. Und es gibt auch jeweils nur ein Subjekt, das diese bestimmte Person ist. Man muss übrigens kein Vertreter der starken Transparenzthese sein, wenn man annimmt, dass die Eigenschaft der Meinigkeit auf einem privilegierten Zugang beruht, denn dieser betrifft nur die subjektive Perspektive und nicht das Wissen von den zugeschriebenen Zuständen. Auch wenn man annimmt, dass Subjekte kein unkorrigierbares Wissen von ihren eigenen mentalen Zuständen haben, kann man behaupten, dass die subjektive Perspektive, aus der heraus sich das Subjekt seiner eigenen Zustände bewusst wird, privilegiert zugänglich ist. Betrachten wir zunächst ein Beispiel für Meinigkeit. Anna Kellermann, die Kognitionswissenschaftlerin, ist auf einem Empfang an der Universität und hört eine Unterhaltung mehrerer Personen an, die sich verärgert darüber äußern, dass die Preisverleihung wegen der Abwesenheit der Preisträgerin an das Ende des Semesters verschoben wurde. Obwohl Anna Kellermann nicht wissen kann, ob sie die gemeinte Preisträgerin ist, weil nicht gesagt wurde, um welchen Preis und welche Preisträgerin es sich handelt, steigt ihr die Hitze in den Kopf. Sie wird sich bewusst, dass jemand errötet. Aber weiß sie auch, wer das ist? Weiß sie, dass sie selbst diejenige ist, die errötet? Nehmen wir ein anderes Beispiel. Obwohl die Überzeugungen Ü6) „Anna Kellermann hat am ganzen Körper rote Flecken“ und Ü7) „Ich (Anna Kellermann) habe am ganzen Körper rote Flecken“, jeweils dieselbe Proposition ausdrücken und auch denselben Wahrheitswert haben, kann sich Anna, je nach dem welche Überzeugung sie hat, unterschiedlich verhalten. Die Differenz in ihrem Verhalten entsteht, weil Anna sich die Überzeugung Ü6) sowohl erstpersonal als auch drittpersonal zuschreiben kann. Und bei der Zuschreibung aus der drittpersonalen Perspektive besteht die Möglichkeit, dass Anna nicht weiß, dass sie selbst Anna Kellermann ist. In diesem Fall könnten Anna die roten Flecken zunächst verborgen bleiben und ihr Verhalten wäre ein anderes als jenes, das sie an den Tag legte, wüsste sie um die roten Flecken an ihrem Körper. Beide hier aufgeführten Beispiele legen das Gewicht somit auf die subjektive Perspektive und sie können beide für folgende Überlegung herangezogen werden: In der Erste-Person-Perspektive kommt etwas zum Ausdruck, das

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nicht vollständig in die Dritte-Person-Perspektive überführt werden kann. Zwar ist den Überzeugungen Ü6) und Ü7) gemeinsam, dass es sich in beiden Fällen um Überzeugungen handelt, die sich das Subjekt selbst zuschreibt und die sich auch auf das Subjekt – genauer: auf bestimmte Eigenschaften von ihm – beziehen, für unsere Fragestellung ist jedoch der Unterschied zwischen ihnen entscheidend. Denn Anna hat nur mit Ü7) eine Überzeugung von sich selbst als sich selbst, sie hat eine Überzeugung de se. Überzeugungen de se sind aber weder auf Überzeugungen de re noch auf Überzeugungen de dicto zu reduzieren,126 wie das Beispiel von Anna zeigt. Egal wie viel Informationen Anna über Anna Kellermann bekommt, solange sie nicht weiß, dass sie selbst Anna Kellermann ist, weiß sie auch nicht, dass sie selbst rote Flecken am Körper hat. Überzeugungen de se sind somit Überzeugungen über sich selbst, die durch Meinigkeit charakterisiert sind. Sie sind zudem selbstbewusste Überzeugungen, weil das Individuum, das derartige Überzeugungen hat, etwas über sich selbst als sich selbst weiß. Die subjektive Perspektive der Zuschreibung wird auf diese Weise zu einem wesentlichen Bestandteil der Charakterisierung der Überzeugung. Mit anderen Worten: Schreibt man sich selbst in der ErstePerson-Perspektive eine bestimmte Eigenschaft zu, dann ist die Tatsache, dass diese Eigenschaft die eigene Eigenschaft ist, Gegenstand des Wissens von sich selbst. Hinzu kommt, dass man sich jene Eigenschaft als eigene Eigenschaft nur dann zuschreiben kann, wenn man weiß, dass man selbst die Person ist, auf die die Zuschreibung zutrifft. Aus diesem Grund erscheint die Frage, wer jetzt eigentlich errötet, sinnlos. Und aus dem gleichen Grund nehmen wir an, dass die Verwendung des Indikators „ich“ in jedem Fall ersichtlich machen sollte, dass Anna weiß, dass sie selbst diejenige mit den roten Flecken ist. 126 Insbesondere Castañeda hat in zahlreichen Aufsätzen die Auffassung verteidigt, dass in der Perspektive der Ersten Person eine Subjektivität zum Ausdruck kommt, die nicht auf andere Überzeugungen (de dicto, de re) reduziert werden kann. Vgl. H.-N. Castañeda, „‚He‘: A Study on the Logic of Self-Consciousness“, in: Ratio 8, 1966, 130–157; ders., „Indicators and Quasi-Indicators“, in: American Philosophical Quaterly 4, 1967, 85–100; ders., „The Logic of Selfknowledge“, in: Noûs 1, 1967, 9–22 und ders., „Reply to John Perry: Meaning, Belief, and Reference“, in: Tomberlin (Hrsg.), Agent, Language, and Structure of the World: Essays Presented to Hector-Neri Castañeda with his Replies, Indianapolis 1983, 313–327; vgl. dazu J. Perry, „Castañeda on He and I“, in: Tomberlin 1983, 15–39. Siehe generell zu der Debatte um die Reduzierbarkeit von de se Überzeugungen D. Lewis, „Attitudes De Dicto und De Se“, in: The Philosophical Review 88, No. 4, 1979, 513-543, R. Chisholm, The First Person, Minneapolis 1981, S. E. Boer/W. E. Lycan, „Who, Me?“, in: The Philosophical Review 89, No. 3, 1980, 427–466. Nicht nur aufgrund ihrer Komplexität werde ich diese Debatte allerdings nicht für die nachfolgenden Argumentationen heranziehen.

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Zusätzlich wird durch die genannten Beispiele offenkundig, dass, im Gegensatz zu den Eigenschaften der Infallibilität und der Transparenz, die Eigenschaft der Meinigkeit nicht auf die Zuschreibung mentaler Prädikate eingeschränkt ist. Die in den Beispielen aufgeführten Prädikate sind solche, die sich auf verschiedene und nicht nur mentale Eigenschaften der Person beziehen. Die Ausweitung kommt deshalb zustande, weil Überzeugungen über sich selbst als sich selbst eben auch die Überzeugung umfassen, dass man eine bestimmte Person ist, und diese Person kann über sehr unterschiedliche Eigenschaften charakterisiert werden. Meinigkeit ist somit eine Eigenschaft von Selbstbewusstsein, die sowohl die Zuschreibung von φ- als auch von σ-Prädikaten betrifft. Wie schon bei den ersten beiden Eigenschaften gibt es auch hier unterschiedliche Vorschläge, wie die Eigenschaft der Meinigkeit verständlich zu machen sei. Der erste Vorschlag wurde schon im Kontext der Diskussion um den Begriff der Selbstvertrautheit angesprochen. Meinigkeit wird als ein spezielles Wissen verstanden, das sowohl allen anderen Wissensbereichen als auch dem Gebrauch des Personalpronomens „ich“ immer schon zugrunde liegt. Henrich bringt diesen Gedanken auf den Punkt: Im Selbstbewußtsein besteht aber eine ganz andere Art von Wissen (…): Wissen in Beziehung auf sich. Ohne solches Wissen lässt sich kein Fall als ‚mein‘ Fall auffassen. Und nur der, der aus seiner eigenen Perspektive heraus etwas als sich selbst auffassen kann, so daß er das, was wir von ihm unter der Wendung ‚sich selbst‘ denken, gemäß der Wendung ‚mich‘ auffaßt, ist des sinnvollen Gebrauchs von ‚ich‘ fähig.127

In den vorhergehenden Diskussionen zu den ersten beiden Eigenschaften ist gezeigt worden, dass die Annahme eines Wissens, das jedem anderen Wissen sowie der Zuschreibung von Prädikaten zugrunde liegt, in einen epistemischen Dualismus führt, der letztlich seinen eigenen Anspruch nicht einlösen kann, nämlich zu erläutern, weshalb man sicheres Wissen von sich haben kann. Wie ich im Anschluss darlegen werde, kann auch Meinigkeit nicht als eine besondere Art von Wissen expliziert werden. Der Grund dafür ist folgender: Eine begriffliche Voraussetzung dafür, dass ein Individuum weiß, dass es selbst dasjenige Subjekt ist, auf das eine bestimmte Zuschreibung zutrifft, ist, dass es über einen Begriff von sich selbst verfügt. Wird das Wissen, das man von sich selbst als sich selbst hat, als eine spezielle, intersubjektiv nicht zugängliche Form von Wissen verstanden, dann betrifft dies ebenso den Begriff von sich selbst. Ich werde argumentieren, dass das Spezifische der Meinigkeit durch die Annahme eines subjektiven Begriffs von sich selbst gerade nicht verständlich ge-

127 Henrich, 1989, 124.

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macht werden kann. Eine alternative Erklärung besagt, dass das mit der Eigenschaft der Meinigkeit Behauptete nur durch die Inanspruchnahme einer subjektiven Tatsache verständlich gemacht werden könne. Wie sich jedoch zeigen wird, scheitert auch dieser Versuch, das Spezifische von Überzeugungen de se zu erklären. Im Anschluss an Perry werde ich dann eine dritte Erklärung favorisieren und argumentieren, dass Meinigkeit in der Tat wesentlich für Selbstbewusstsein ist, weil mit ihr das reflexive Moment zu der Bestimmung von Selbstbewusstsein hinzukommt. Und Reflexivität ist für Selbstbewusstsein konstitutiv. Perry spricht von den “reflexive methods”,128 die man anwenden muss, um Informationen über sich selbst zu erwerben. In welcher Weise die subjektive Perspektive für die Charakterisierung von Überzeugungen de se wesentlich ist, wird über die Anwendung dieser „reflexiven Methoden“ erklärt. Damit kann einerseits gezeigt werden, worin der Unterschied zwischen den Überzeugungen Ü6) und Ü7) besteht, und andererseits gelangt man auf diese Weise zu einer Erklärung der Meinigkeit, die einen weder auf eine besondere Form von Wissen noch auf die Behauptung einer subjektiven Tatsache verpflichtet. 3.1 Ist Meinigkeit ein spezielles Wissen? (Henrich) Der Frage, ob es sich bei der Eigenschaft der Meinigkeit um ein spezielles Wissen handelt, soll im Zusammenhang mit Henrichs Kritik an Tugendhats Erklärung des Selbstbewusstseins nachgegangen werden, weil sich vor allem Henrichs Position aus der Abgrenzung gegen diese Erklärung verdeutlichen lässt. Henrichs Kritik zielt darauf ab, dass es insbesondere die Meinigkeit ist, die mit Tugendhats Erklärung des Selbstbewusstseins im Rahmen der Analyse von „ich φ“-Sätzen nicht erklärt werden kann. Entweder, so Henrich, kann Tugendhat nicht deutlich machen, weshalb man bestimmte Prädikate als auf sich selbst zutreffend anerkennen soll, oder er geht von nicht explizierten Voraussetzungen aus, die aber implizit in Anspruch genommen werden. Im ersten Fall bliebe eine wesentliche Eigenschaft von Selbstbewusstsein schlicht und einfach unerklärt. Im zweiten Fall scheint es zunächst zu genügen, die Voraussetzungen explizit zu machen. Diese seien dann aber von der Art, dass sie Tugendhats Erklärung in einen Zirkel führen müssen. Die einzige Möglichkeit, wie dieser Zirkel umgangen werden könne, besteht laut Henrich darin, Tugendhats Theorie einer intersubjektiven Verfasstheit von Selbstbewusstsein als gescheitert

128 Vgl. J. Perry, „Myself and I“, in: [PEI], 325–340, 334.

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anzusehen und stattdessen eine Theorie konsequent aus der Perspektive des „ich“-Sprechers zu entwickeln. Schauen wir uns also zuerst an, weshalb Henrich glaubt, dass Tugendhats semantische Analyse von Selbstbewusstsein die Eigenschaft der Meinigkeit unexpliziert lässt. Tugendhat entwickelt seine Überlegungen zu den intersubjektiven Bedingungen von Selbstbewusstsein im Kontext der Frage nach den Wahrheitsbedingungen von „ich φ“-Sätzen. Da er die Annahme eines direkten Wissens ablehnt und glaubt, dass die Wahrheitsbedingungen für die Selbstzuschreibung mentaler Prädikate intersubjektiv überprüfbar sein müssen, behauptet er das Prinzip der veritativen Symmetrie für „ich φ“-Sätze. Das Prinzip lautet: (PVS): Der Satz ‚ich φ‘, wenn er von mir geäußert wird, ist wahr genau dann, wenn der Satz ‚er φ‘, wenn er von jemand anderem geäußert wird, der mit ‚er‘ mich meint, wahr ist.129 Das (PVS) ermöglicht es, die Wahrheitsbedingungen für „ich φ“-Sätze anzugeben, ohne sich auf einen Sachverhalt beziehen zu müssen, der ausschließlich dem „ich“-Sprecher zugänglich ist. Tugendhat spezifiziert somit die Strawson-Evans-Bedingung, indem er sie auf ganze „ich φ“-Sätze anwendet. Wenn Anna sagt: „Ich befürchte, dass ich erröte“, dann ist ihre Überzeugung genau dann wahr, wenn jemand anderes sagt: „Sie befürchtet, dass sie errötet“ und mit „sie“ Anna meint. Beide Sprecher beziehen sich damit auf ein und denselben Sachverhalt: Annas Befürchtung zu erröten. Allerdings ist das Prinzip der veritativen Symmetrie nicht speziell auf Zuscheibungen aus der Erste-Person-Perspektive ausgerichtet. Es besagt zunächst nicht mehr, als dass man sich mit einem „ich φ“-Satz auf eben jene Person bezieht, auf die sich andere mit einem „sie/er φ“-Satz beziehen können. Nach wie vor sind wir jedoch auf der Suche nach einer Erklärung für Meinigkeit. Und um diese zu verstehen, benötigt man eine Aussage darüber, woher eine Person, die sich durch die Verwendung eines „ich φ“Satzes bestimmte mentale Zustände zuschreibt, überhaupt wissen kann, dass sie selbst diejenige Person ist, die andere mit einem Personalpronomen der zweiten oder dritten Person meinen. Tugendhat scheint anzunehmen, dass sich dieser subjektive und für das Verständnis der Meinigkeit wesentliche Aspekt des Prinzips der veritativen Symmetrie aus der Bedeutung des Personalpronomens „ich“ verständlich machen lässt. Er sagt:

129 Tugendhat, [SuS], 88f.

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Wir haben gesehen, daß die Erklärung und damit die Bedeutung des Wortes ‚ich‘ impliziert, daß derjenige, der ‚ich‘ sagt, weiß, daß auf denselben, auf den er mit ‚ich‘ bezugnimmt, andere Personen mit ‚er‘ oder ‚dieser Mensch‘ bezugnehmen können.130

Wisse man erst einmal, wie „ich“ gebraucht werde, dann wisse man auch, dass sich andere Personen mit „sie/er“ auf einen selbst beziehen können. Die Kenntnis darüber, dass man selbst die von ihnen gemeinte Person ist, erwerbe man zusammen mit der Bedeutung des Wortes „ich“. Henrich hat nun genau mit dieser Erklärung Probleme. Wie soll ein Sprecher aus den semantischen Zusammenhängen der Personalpronomina und insbesondere aus der Bedeutung des Wortes „ich“ zu einem Wissen darüber gelangen können, dass es seine Äußerung ist, auf die oder auf deren Inhalt sich der andere Sprecher bezieht, wenn er nicht schon Selbstbewusstsein hat? Müsste er nicht schon wissen, dass er selbst derjenige ist, der mit dem Pronomen „sie/er“ gemeint ist? Dazu schreibt Henrich: Der Gehalt dieses Wissens, aus der ‚ich‘-Perspektive und somit in der ersten Person formuliert, ist demnach der folgende: es wird mir (aus einer ‚er‘-Perspektive) ein Wissen zugeschrieben von der Weise, in der meine ‚ich‘-Äußerung aus der ‚er‘-Perspektive aufgenommen werden kann. Dieser Wissensgehalt ist nun so beschaffen; daß nicht zu sehen ist, wie er soll gedacht werden können, ohne daß innerhalb seiner zugleich auch Selbstbewußtsein besteht und sogar thematisch ist. Denn der ‚ich‘-Sprecher weiß von einem Wissen, daß er in Beziehung auf die Aufnahme seiner Äußerung hat. Niemand kann aber von einer Äußerung, die seine ist, als von einer solchen wissen, ohne daß ihm wissendes Selbstverhältnis und also Selbstbewußtsein zugeschrieben werden muß.131

Henrichs Kritik richtet sich also gegen die Behauptung, dass in der Kenntnis der Verwendungsweise des Ausdrucks „ich“ das Wissen impliziert ist, dass man selbst die jeweils gemeinte Person ist. Selbstbewusstsein sei auf diese Weise aber gerade nicht zu erklären. Tatsächlich hat Henrich Recht, wenn er annimmt, dass aus der Kenntnis der Bedeutung von „ich“ Selbstbewusstsein nicht hervorgehen kann. Jedoch ist das Argument, das dagegen spricht, ein anderes als Henrich glaubt. Das wird deutlich, wenn man sich noch einmal vergegenwärtigt, wie die Bedeutung des Ausdrucks „ich“ in der Diskussion zur Infallibilität charakterisiert wurde (siehe S. 51f.). Dort habe ich argumentiert, dass für eine erfolgreiche Verwendung von „ich“ die semantisch-systematische Verbundenheit mit anderen Personalpronomen keine Bedingung ist, weil die Verwendung des Ausdrucks genügt, um den durch „ich“ bezeichneten Gegenstand (die Person) in referentieller Hinsicht festzulegen. Auch die für indexikalische Ausdrücke not-

130 Tugendhat, [SuS], 87. 131 Henrich, 1989, 113.

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wendige Kontextspezifizierung erfolgt im Fall des Ausdrucks „ich“ allein über seinen Gebrauch. Die Dritte-Person-Perspektive ist daher für die Bedeutung des Ausdrucks „ich“ nicht konstitutiv.132 Daraus folgt, dass man selbst dann, wenn man die Bedeutung des Wortes „ich“ kennt, nicht zugleich wissen muss, dass sich eine andere Person auf einen selbst mit „sie/er“ beziehen kann. Wenn Henrich gegen Tugendhat argumentiert, dass in dem Wissen um die Verwendungsregeln der Personalpronomina und insbesondere um den Gebrauch des Ausdrucks „ich“ kein Wissen von der Art enthalten ist, die Tugendhat reklamiert, dann ist ihm darin zuzustimmen. Der Grund ist jedoch nicht der, dass hier immer schon Selbstbewusstsein thematisch wäre, sondern der, dass die Bedeutung von „ich“ nicht den von Tugendhat behaupteten systematischen Zusammenhang zu anderen Personalpronomina aufweist. Die Tatsache, dass man sich selbst als jene Person versteht, auf die bestimmte Prädikate zutreffen, kann nicht aus dem semantisch-systematischen Zusammenhang der Personalpronomina verständlich gemacht werden. Selbst wenn man zugesteht, dass das Prinzip der veritativen Symmetrie die Wahrheitsbedingungen von „ich φ“-Sätzen angibt, wird eben allein dadurch noch nicht verständlich, weshalb man weiß, dass man sich auf sich selbst bezieht, wenn man einen solchen Satz äußert. Henrich belässt es jedoch nicht bei diesem Einwand. Sein zweiter Kritikpunkt, der dann auch die Grundlage für seine eigene positive Argumentation bildet, lautet: Das Prinzip der veritativen Symmetrie ist nicht auf alle „ich φ“-Sätze anwendbar. Es gibt mindestens eine Überzeugung, die nicht dem (PVS) unterliegt, und das ist die Überzeugung: „Ich weiß, dass ich mich im Gebrauch des Ausdrucks „ich“ auf mich selbst beziehe“. Für diese Überzeugung ist die Unterscheidung in eine „ich“- und eine „sie/er“Perspektive nicht mehr praktikabel, weil es schlicht keine andere Perspektive gibt, aus der heraus man Wissen darüber erlangen könnte, dass man selbst die gemeinte Person ist. Was also vorausgesetzt werden muss, um die so entstandene explikative Lücke zu füllen, ist das wissende Selbstverhältnis, nämlich das Wissen darüber, dass man selbst jenes Subjekt ist, dem die Zuschreibung gilt. Damit wird Tugendhats Erklärung jedoch zirkulär. Denn es sieht so aus, als müsste, um Selbstbewusstsein gemäß dem Prinzip

132 Natürlichen lernt man den Gebrauch des Ausdrucks „ich“ in Verbindung mit anderen Personalpronomen. Dies ist allerdings eine empirische und keine semantische Tatsache. Wenn jedoch gilt, dass man weiß, wie der Ausdruck „ich“ verwendet wird, sobald man seine Bedeutung kennt, dann gilt auch, dass man eben nicht notwendigerweise wissen muss, wie die jeweils anderen Personalpronomen verwendet werden; denn dieses Wissen ist nicht in der Bedeutung des Ausdrucks „ich“ impliziert.

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der veritativen Symmetrie erklären zu können, immer schon angenommen werden, dass man sich als jene Person weiß, die mit „sie/er“ angesprochen wird. Unterbleibt diese Annahme, dann ließe sich zwar behaupten, dass man sich mit einem „ich φ“-Satz auf jene Person beziehe, auf die sich jemand anderes mit einem „er φ“-Satz bezieht; die Möglichkeit aber, dass man nicht wissen könnte, dass man selbst jene Person ist, kann nicht ausgeschlossen werden. Henrich kommt daher auch hier zu dem Schluss, dass die Weise des Wissens, aus der sich der Gebrauch von „ich“ als sinnvoll versteht, „in irgendeiner Weise selbstbezüglich werden (muss), wenn Selbstbewusstsein soll erreicht werden können“.133 Durch das Prinzip der veritativen Symmetrie wird diese Weise allerdings nicht expliziert. Nun nimmt Tugendhat zu dem Prinzip der veritativen Symmetrie eine Ergänzung vor. Er behauptet nämlich, dass die veritative Symmetrie zwar ganz im Sinne von Strawson und Evans sicherstellt, dass der „ich“Sprecher und der „er“-Sprecher jeweils den gleichen Sachverhalt meinen, dass aber nur derjenige, der sich selbst ein φ-Prädikat zuspricht, auch ein unmittelbares Wissen von dem mentalen Zustand habe, der mit dem φPrädikat zugeschrieben wird, während derselbe Sachverhalt aus der „er“Perspektive nur durch Beobachtung – also mittelbar – festgestellt werden kann. Zwischen „ich φ“-Sätzen und „er φ“-Sätzen besteht daher, so Tugendhat, epistemische Asymmetrie.134 Der Begriff der epistemischen Asymmetrie soll so die Perspektivendifferenz erläutern. Was also kann die Behauptung einer derartigen Asymmetrie zur Klärung der Meinigkeit beitragen? Aus zwei Gründen denke ich, dass sie nichts dazu beitragen kann: 1. Wenn die epistemische Asymmetrie dadurch begründet wird, dass man von den eigenen mentalen Zuständen ein unmittelbares Wissen habe, dann muss nachgefragt werden, in welcher Weise dieses Wissen denn selbstbezüglich sein sollte. Will man die Selbstbezüglichkeit des unmittelbaren Wissens erläutern, indem man annimmt, dass der Selbstzuschreibung mentaler Zustände die Erfahrung dieser Zustände zugrunde liegt, dann muss man immer noch begründen, warum in den Gehalt dieses Wissens eingehen sollte, dass die Zustände meine Zustände sind. Entfällt hier die Begründung, dann ist Tugendhats Argumentation an dieser Stelle in der Tat zirkulär. Denn im unmittelbaren Wissen wäre lediglich unterstellt, was eigentlich erklärt werden sollte: die mit der Eigenschaft der Meinigkeit benannte Selbstbezüglichkeit des Wissens von sich selbst. 2. Mit der Annahme einer epistemischen Asymmetrie wird die Reichweite der Meinigkeit nicht abgedeckt. Es ist ja schon festgestellt worden,

133 Henrich, 1989, 118. 134 Vgl. Tugendhat, [SuS], 89.

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dass eine Überzeugung de se nicht nur von mentalen Zuständen sondern auch von anderen Eigenschaften der Person handeln kann, zum Beispiel vom Erröten. Die epistemische Asymmetrie ist aber auf die Zuschreibung mentaler Prädikate eingeschränkt, denn nur von mentalen Zuständen hat man laut Tugendhat ein unmittelbares Wissen. Worin sich also Überzeugungen de se von Überzeugungen über sich selbst, die keine Überzeugungen de se sind, unterscheiden, wird durch die epistemische Asymmetrie nicht verständlich. Henrichs Einwand, dass Tugendhats Erklärung von Selbstbewusstsein die Eigenschaft der Meinigkeit unerläutert lässt, ist also auch dann gerechtfertigt, wenn man die epistemische Asymmetrie als Ergänzung zum Prinzip der veritativen Symmetrie in die Überlegungen mit einbezieht.135 Henrich glaubt daher, dass die einzige Weise, in der Selbstbewusstsein einschließlich der Eigenschaft der Meinigkeit zirkelfrei expliziert werden kann, in der Annahme eines wissenden Selbstverhältnisses besteht, das sowohl dem sinnvollen Gebrauch von „ich“ zugrunde liegt als auch der Fähigkeit, eine Zuschreibung aus der „er“-Perspektive so aufzunehmen, dass der jeweils Angesprochene weiß, dass er selbst die gemeinte Person ist. Der sinnvolle Gebrauch von ‚ich‘ schließt ein, daß einer von sich denkt, er sei ein solcher, dessen Identität nicht im ‚ich‘-Gebrauch als solchem, sondern nur durch eine Identifikation festgestellt werden kann, die aus einer anderen Perspektive als der zu erfolgen hat, die im ‚ich‘-Gebrauch selbst schon besteht. Sofern er aber solches denkt, hat er zugleich ein Wissen von sich – und zwar in dem Sinne, daß er sich selbst im sinnvollen ‚ich‘-Gebrauch als einer versteht, der solchen Gebrauchs fähig ist.136

Die Ähnlichkeit zu der im ersten Abschnitt diskutierten Immunität gegen Irrtum durch Fehlidentifikation ist nicht zufällig. Denn die Einführung des

135 Tugendhat hat sich später gegen Henrichs „Unterstellung“, er würde mit der veritativen Symmetrie das Phänomen des Selbstbewusstsein erklären wollen, verwahrt. Tatsächlich habe er gar keine Erklärung von Selbstbewusstsein gegeben, sondern nur „einen phänomenalen Bestand deskriptiv festzustellen versucht“. Dagegen lässt sich sagen, dass natürlich auch die Meinigkeit zum phänomenalen Bestand gehört. Wenn also das Merkmal der Meinigkeit unexpliziert bleibt, dann ist das Phänomen Selbstbewusstsein nicht vollständig erfasst. Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es daher, eine Beschreibung von Selbstbewusstsein zu liefern, in der sowohl das Prinzip der veritativen Symmetrie Geltung beansprucht als auch das Merkmal der Meinigkeit erläutert wird. E. Tugendhat, „Über Selbstbewusstsein: Einige Missverständnisse“, in: T. Grundmann et al. (Hrsg.), Anatomie der Subjektivität, Frankfurt/Main 2005, 247–254, 249. 136 Henrich, 1989, 120.

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Terminus „wissende Selbstbeziehung“137 erfüllt zwei Funktionen zugleich. Einmal soll sie sicherstellen, dass ein Identifikationsirrtum hinsichtlich des Subjekts, das sich selbst mentale Zustände zuspricht, ausgeschlossen ist. Zum anderen soll sie aber auch erklären können, weshalb man diese Zuschreibung als auf sich selbst zutreffend verstehen kann. Bezogen auf die zweite, hier interessierende Funktion der wissenden Selbstbeziehung lässt sich Henrich dann folgendermaßen interpretieren: Man müsse zwischen einem Selbstwissen unterscheiden, das intersubjektiv durch die Aufnahme der „sie/er“-Perspektive strukturiert ist, und einem diesem zugrunde liegenden Wissen von sich selbst, das sich jedoch einer intersubjektiven Analyse entzieht.138 Mit dieser Unterscheidung geht auch eine Unterscheidung der Begriffe einher, die jeder von sich selbst hat. Im Rahmen des intersubjektiven Selbstwissens handelt es sich dabei um den Begriff der Person, die Gegenstand der Zuschreibung mentaler und anderer Prädikate ist. Diesem Verständnis einer Person im intersubjektiven Raum liegt aber in der wissenden Selbstbeziehung ein privater Begriff von sich selbst zugrunde, der es erst ermöglicht, die jeweilige Zuschreibung als auf sich selbst zutreffend zu verstehen. Wie lässt sich ein solcher Begriff explizieren? Eine Möglichkeit wäre, anzunehmen, dass ein Subjekt einen Begriff von sich selbst entwickelt, indem es sich das Prädikat „identisch mit mir selbst“ zuschreibt. Von der Überzeugung „Ich bin identisch mit mir selbst“ soll Henrich zufolge ja gelten, dass sie nicht dem Prinzip der veritativen Symmetrie unterliegt, weil es nur eine Perspektive gibt, aus der heraus man zu einem Wissen über die eigene Identität gelangen kann.139 Der auf diese Art und Weise entwickelte private Begriff von sich selbst könnte somit als Erklärung dafür gelten, dass man eine Überzeugung de se hat. Allerdings muss dann auch angenommen werden, dass sich das Prädikat „identisch mit mir“ jeweils nur eine Person in ihrem je eigenen Fall zuschreiben kann. Man müsste also zusätzlich zeigen können, dass die Annahme von Prädi-

137 Die Termini „wissendes Selbstverhältnis“ und „wissende Selbstbeziehung“ werden im Weiteren synonym gebraucht. 138 Zwar spricht Henrich an einigen Stellen zunächst nur von einem „gedoppelten Wissen“ und man könnte annehmen, dass es sich lediglich um zwei Aspekte ein und desselben Selbstwissens handelt. Dem steht aber seine Charakterisierung der wissenden Selbstbeziehung als selbstgenügsamer Grundtatsache entgegen. Vgl. Henrich, 1989, 96 und S. 20, Fn. 14 in dieser Arbeit. 139 Die Überzeugung „Ich bin identisch mit mir selbst“ bildet dann die Grundlage für die oben genannte Überzeugung „Ich weiß, dass ich mich im Gebrauch des Ausdrucks ‚ich‘ auf mich selbst beziehe“. Woraus gemäß modus ponens folgt, dass auch die letztgenannte Überzeugung nicht dem Prinzip der veritativen Symmetrie unterliegt.

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katen, die nur eine Person sich selbst wahrheitsgemäß zuschreiben kann, überhaupt eine sinnvolle Annahme ist. Geht man jedoch weiterhin davon aus, dass für die Zuschreibung von Prädikaten die Strawson-EvansBedingung gilt, dann ist ausgeschlossen, dass dies gelingen kann. Henrich macht deshalb einen anderen Vorschlag. Das Subjekt verfügt über einen Begriff von sich selbst, der nicht erst durch die Zuschreibung von Prädikaten, auch nicht des Prädikates „identisch mit mir selbst“, entwickelt werden muss. Sofern eine „Person sich selbst als Subjekt von der Entität, als die sie in der Welt existiert und an die sie sich auch in ihrem Begriff gebunden weiß, (…) unterscheidet“,140 hat sie immer schon einen Begriff von sich selbst. Während die Entität, als die das Subjekt in der Welt existiert – die Person –, jene ist, die Gegenstand der intersubjektiven Zuschreibung von Prädikaten ist, weiß das Subjekt von sich ohne jede Zuschreibung. Meinigkeit wird von Henrich also über die Behauptung einer ontologischen Verschiedenheit zwischen der Person und dem Subjekt erklärt, die sich als Konsequenz aus der Annahme der wissenden Selbstbeziehung ergibt. Das Subjekt ist im Weiteren dadurch charakterisiert, dass es über einen privaten Begriff von sich selbst verfügt, zu dem es in einer privilegierten Weise Zugang hat. Wenn das so ist, dann kann man Folgendes sagen: Überzeugungen de se beruhen jeweils auf einer privaten Überzeugung, die wiederum den jeweils privaten Begriff von sich selbst enthält. Der Unterschied zwischen Überzeugungen de se und anderen Überzeugungen besteht also darin, dass bei Überzeugungen de se das Subjekt und nicht die Person thematisch ist. Nach wie vor ist nicht klar, was mit „wissen“ gemeint sein könnte, wenn die Zuschreibung von Prädikaten keine Rolle spielen soll. Gleichermaßen ist jedoch zweifelhaft, ob durch dieses theoretische Manöver das Spezifische von Überzeugungen de se überhaupt erfasst werden kann. Denn wie sollten verschiedene Überzeugungen als Überzeugungen de se kenntlich gemacht werden, wenn der erklärende Begriff von sich selbst, der diesen Überzeugungen zugrunde liegt, anderen Individuen gar nicht zugänglich ist? Zunächst verhindert die private Zugänglichkeit des Begriffs von sich selbst, dass man durch einen Vergleich der jeweiligen privaten Selbst-Begriffe in Erfahrung bringen könnte, ob ein Subjekt, das nicht man selbst ist, eine Überzeugung de se hat oder nicht. Wenn ein solcher Vergleich aber nicht möglich ist, dann bleibt man bei der Zuschreibung von Überzeugungen de se an andere Subjekte auf die geäußerten „ich“-Sätze und ein entsprechendes Verhalten angewiesen. Ist das der Fall, dann ist die Annahme eines privaten Begriffs von sich selbst eigentlich entbehrlich.

140 Henrich, 1989, 128, hervorgehoben von mir.

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Denn alles, was man zur Charakterisierung von Überzeugungen de se tatsächlich sagen kann, ist, dass sich jemand mittels eines „ich“-Satzes eine bestimmte Überzeugung zuschreibt und zudem durch sein Verhalten oder weitere Sätze anzeigt, dass diese Überzeugung eine Überzeugung de se ist. Man könnte hier natürlich einwenden, dass die Kritik am privaten Begriff von sich selbst zunächst nur für die Zuschreibung von Überzeugungen de se an andere Subjekte gilt, während es Henrich ja gerade darauf ankommt, dass jedes Individuum jeweils von sich selbst weiß, dass bestimmte mentale Zustände und Erlebnisse die eigenen sind. Geht man jedoch davon aus, dass mit der Einführung des privaten Begriffs von sich selbst erklärt werden soll, worin sich Überzeugungen de se von anderen Überzeugungen über sich selbst unterscheiden, dann impliziert dies auch eine Aussage darüber, wie Überzeugungen de se generell zu identifizieren sind. Und das bedeutet, dass der private Begriff von sich selbst auch als Identifizierungskriterium für die Zuschreibung von Überzeugungen de se an andere gelten können muss. Kann dieser Geltungsanspruch nicht begründet werden, dann ist der private Begriff von sich selbst auch für die Erste-Person-Perspektive diskreditiert. Er bleibt ein theoretisches Konstrukt, das bei der Identifizierung von Überzeugungen de se keine Rolle spielen kann. Über die Annahme eines besonderen Wissens von sich selbst gelangt man also nicht zu einer befriedigenden Erklärung jener Besonderheit von Selbstbewusstsein, die mit dem Merkmal der Meinigkeit benannt ist. Der entscheidende Grund dafür ist, dass ein solches Wissen nur über die Annahme eines subjektiven, also privaten Begriffs von sich selbst expliziert werden kann. Der private Begriff von sich selbst kann aber nicht als Kriterium zur Identifizierung von Überzeugungen de se herangezogen werden, weil er per definitionem intersubjektiv unzugänglich ist. Damit entgeht einem die Möglichkeit zwei Überzeugungen hinsichtlich des zugrunde liegenden privaten Begriffs von sich selbst zu vergleichen und somit auch die Möglichkeit Überzeugungen als Überzeugungen de se zu charakterisieren. 3.2 Ist man auf die Annahme subjektiver Tatsachen verpflichtet, um Meinigkeit erklären zu können? (Nagel) Nachdem gezeigt wurde, dass die Eigenschaft der Meinigkeit nicht durch die Annahme eines besonderen Wissens erklärt werden kann, soll jetzt der Vorschlag untersucht werden, demzufolge Meinigkeit nur dann verständlich gemacht werden kann, wenn man sich auf die Annahme subjektiver Tatsachen verpflichtet. Insbesondere Nagel aber auch Schmitz haben in

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diese Richtung argumentiert.141 Die Einwände, die nachfolgend gegen Nagels Konzeption vorgebracht werden, lassen sich daher auch auf Schmitz Vorschlag adaptieren. Ausgangspunkt von Nagels Überlegungen war zunächst nicht die Entwicklung einer Theorie des Selbstbewusstseins, sondern die Frage, vor welche Schwierigkeiten sich der Physikalismus gestellt sieht, wenn er behauptet, dass alle Tatsachen mithilfe eines physikalistischen Beschreibungsinstrumentariums zu erfassen sind. Während Nagel annimmt, dass objektive Tatsachen für den Physikalismus in dieser Hinsicht kein Problem darstellen, weil sie in Begriffen erfasst werden können, die keine spezielle Erfahrungsperspektive erfordern, stellt die subjektive Erlebnisperspektive des einzelnen Individuums für den Physikalismus eine ernsthafte Herausforderung dar. Nagel beschreibt die subjektive Perspektive als eine, deren Erfahrungstatsachen nur durch subjektive Begriffe erfasst werden können.142 Die subjektive Perspektive eines erlebenden Ich scheint sich daher der objektiven, physikalistischen Darstellung zu entziehen. Legt man jedoch auf eine vollständige Beschreibung der Welt Wert, kann auf die individuelle Erfahrungsperspektive nicht verzichtet werden. Sofern man den Physikalismus verteidigen will, muss man dieser Herausforderung irgendwie begegnen, zum Beispiel indem man zeigt, wie subjektive, an die Perspektive des Einzelnen gebundene Erfahrungsphänomene in der Terminologie physikalistischer Begriffe erklärt werden können.143

141 Subjektiv ist für Schmitz ein Sachverhalt genau dann, „wenn höchstens einer, und zwar nur in seinem eigenen Namen, ihn aussagen kann, während die Anderen zwar mit eindeutiger Kennzeichnung darüber sprechen, aber das Gemeinte nicht aussagen können.“ In diesem Sinne subjektiv sind für ihn insbesondere die „Sachverhalte des affektiven Betroffenseins“. In der Definition der subjektiven Tatsache stimmt Schmitz mit Nagel also weitesgehend überein. Vgl. H. Schmitz, „Leibliche und personale Konkurrenz im Selbstbewußtsein“, in: Dimensionen des Selbst. Selbstbewußtsein, Reflexivität und die Bedingungen von Kommunikation, Frankfurt/Main 1991, 152–168, 154. 142 In dem Aufsatz „Wie es ist eine Fledermaus zu sein“ charakterisiert Nagel die subjektiven Erfahrungstatsachen durch den Terminus „what it is like“ (wie es sich anfühlt) in einem bestimmten mentalen Zustand zu sein oder eine bestimmte Wahrnehmung zu haben. Subjektiv werden diese Tatsachen allerdings erst dadurch, dass es sich immer nur für jemanden auf eine bestimmte Weise anfühlen kann, diese oder jene Wahrnehmung bzw. diese oder jenes mentales Erlebnis zu haben. T. Nagel, „Wie ist es eine Fledermaus zu sein“, in: P. Bieri (Hrsg.), Analytische Philosophie des Geistes, Bodenheim 1993, 261–275/engl., T. Nagel, „What Is It Like to Be a Bat“, in: The Philosophical Review 83, No. 4. (1974), 435–450. 143 Vgl. Nagel, 1993, 269, wo er sagt: „Es wäre ein Fehler zu schließen, daß der Physikalismus falsch sein muß. Nichts ist durch die Unangemessenheit der physikalistischen Hypothesen bewiesen, die eine fehlerhafte objektive Analyse des Men-

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Ausgehend von dieser Überlegung ergibt sich für Nagel nun ein weiteres Problem, das im Zusammenhang mit der Eigenschaft der Meinigkeit besonders interessant ist. Denn durch das in spezieller Weise an die ErstePerson-Perspektive gebundene phänomenale Erleben wird nur ein Problem deutlich, das letztlich alle perspektivisch gebundenen Eigenschaften betrifft. Wenn man sich selbst ein mentales Erlebnis zuschreibt und zugleich behauptet, dass dieses Erlebnis das eigene Erlebnis ist, dann entsteht folgendes Problem: Die Tatsache, dass man selbst diejenige Person ist, die sich einen bestimmten mentalen Zustand als den ihren zuschreibt, kann in objektiven Begriffen nicht vollständig erfasst werden. Jede noch so lückenlose objektive Beschreibung der Person kann doch nichts darüber aussagen, ob man selbst diese Person ist oder nicht. Nagels Vorschlag, wie diesem Dilemma zu entkommen sei, lautet daher: Will man die subjektive Perspektive in die Beschreibung der Wirklichkeit integrieren, dann ist man auf die Annahme subjektiver Tatsachen verpflichtet; subjektive Tatsachen sind solche, die nur mit subjektiven Begriffen zu erfassen sind. In Bezug auf die Eigenschaft der Meinigkeit bedeutet dies Folgendes: Wenn man annimmt, dass „ich zu sein“ eine bestimmte Eigenschaft einer Person ist, dann muss sich diese Eigenschaft in der Beschreibung der Welt, die auch eine Beschreibung aller in dieser Welt vorkommenden Personen enthält, wiederfinden. Nehmen wir an, dass AK für Anna Kellermann steht und AK eine von jenen Personen ist, die in der Beschreibung der Welt enthalten sind, dann gilt, dass eine objektive, physikalistische Wirklichkeitsauffassung auch alle Tatsachen über AK enthalten sollte. Die objektive Auffassung der Welt ist aber laut Nagel per definitionem eine, die keinen bestimmten Standpunkt bzw. keine bestimmte Perspektive einschließt. Nagel spricht aus diesem Grund auch von einer „zentrumslosen Auffassung der Welt“.144 Wenn Anna also weiß, dass sie selbst AK ist, dann scheint sie ein Wissen von etwas zu haben, das nicht in der objektiven Beschreibung der Welt enthalten ist. Zum einen deshalb, weil dieses Wissen ausschließlich an Annas Perspektive gebunden zu sein scheint, und zum anderen, weil Anna, obwohl ihr alle objektiven Tatsachen AK betreffend bekannt sein können, doch entgehen könnte, dass sie selbst AK ist. Lernt sie also eine neue, subjektive Tatsache kennen, wenn sie erfährt, dass sie selbst AK ist? Für Nagel ist Meinigkeit also wie folgt bestimmt:

talen voraussetzen. Es wäre richtiger zu sagen, daß der Physikalismus eine Position ist, die wir nicht verstehen können, weil wir keine gegenwärtige Konzeption davon haben, wie er war sein könnte.“ Im engl. Original, 1974, 443. 144 T. Nagel, „Das objektive Selbst“, in: L. Siep (Hrsg.), Identität der Person, Basel/Stuttgart 1983, 46–67, 54/engl., T. Nagel, „The Objective Self“, in C. Ginet and S. Shoemaker (Hrsg.), Knowledge and Mind, Oxford 1983, 211-232, 219.

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MeinigkeitN: Ein Subjekt, das weiß, dass es selbst die Person ist, die sich bestimmte Zustände zuschreibt und das diese Zustände als seine eigenen Zustände bestimmen kann, hat Wissen von einer subjektiven Tatsache. Meinigkeit ist in Nagels Augen also keine spezielle Eigenschaft des Wissens von sich selbst, sondern das Wissen einer subjektiven Tatsache, die auch nur in subjektiven Begriffen zu erfassen ist. Nagel argumentiert nun, dass sich der Schluss auf die Behauptung einer subjektiven Tatsache notwendigerweise ergibt, weil alle anderen Versuche, die Überzeugung „Ich bin XY“ als einen Teil der objektiven Beschreibung der Welt zu explizieren, scheitern. Er diskutiert drei solcher Versuche, die er die semantische, die epistemische und die referentielle Antwort nennt. Zwei der genannten Versuche – die semantische und die epistemische Antwort – sollen hier genauer untersucht werden, um zu zeigen, dass die Gründe nicht überzeugen können, die Nagel zu deren Ablehnung führen.145 Daraus folgt dann, dass seine Schlussfolgerung nicht gerechtfertigt ist, nur durch die Annahme einer subjektiven Tatsache sei eine vollständige Beschreibung der Welt (inklusive der Tatsache, dass ich selbst XY bin) möglich.146 1. Die semantische Argumentation gegen die Behauptung subjektiver Tatsachen zur Erklärung der Meinigkeit ist aus dem Abschnitt über die Infallibilität im Wesentlichen schon bekannt (siehe insb. S. 45f.). Annas Aussage „Ich bin AK“ drückt keine besondere Tatsache aus, stellt aber eine Aussage mit besonderen Wahrheitsbedingungen dar. Da „ich“ zu den indexikalischen Ausdrücken gehört und mithilfe solcher Ausdrücke Aussagen gebildet werden, deren Wahrheitswert vom Kontext ihrer Äußerung abhängt, kann der Perspektivenunterschied zwischen erst- und drittpersonaler Perspektive durch die semantische Eigenart indexikalischer Ausdrü-

145 Auf die dritte, referentielle Antwort werde ich zum einen deshalb nicht eingehen, weil sie die Frage nach der Identität von Subjekten thematisiert, und die Identitätsfrage betrifft alle Einzeldinge und nicht nur Personen. Sie ist also nicht speziell auf die Frage nach der Bestimmung des Merkmals der Meinigkeit ausgerichtet. Zum anderen sollte es genügen, wenn eine der drei Antworten erfolgreich ist, um Nagels Schlussfolgerung zu widerlegen. 146 Man kann Nagels Argument natürlich noch von einer anderen Seite her angreifen. Nagels Problem entsteht ja allererst durch die Annahme, dass die objektive Auffassung der Welt eine reine Tatsachenauffassung sein muss, die jede Perspektivität prinzipiell ausschließt. Dagegen kann man natürlich Einwände geltend machen (möglicherweise unter Zuhilfenahme bestimmter Erklärungen von Subjektivität, wie sie in den Kognitionswissenschaften präsentiert werden) und in der Folge die Perspektive des erkennenden Subjekts als Teil der objektiven Auffassung behaupten. In diesem Fall entstünde Nagels spezielles Problem gar nicht erst. Vgl. aber dazu T. Nagel, The View from Nowhere, Oxford 1986, 25–28.

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cke aufgeklärt werden. Alles, was die Erste-Person-Perspektive betrifft, findet also in einer objektiven Beschreibung der Welt Platz und die Annahme unreduzierbarer subjektiver Tatsachen erweist sich als überflüssig. Nagel glaubt allerdings, dass die semantische Analyse das Problem – woher eine bestimmte Person weiß, dass sie selbst XY ist – nicht beseitigt, weil der Gedanke „Ich bin AK“, gedacht oder geäußert von Anna Kellermann, ein zusätzlicher Gedanke mit einem zusätzlichen Inhalt sei. Gegen Nagels Vorbehalt kann man jedoch in zweifacher Weise argumentieren. Erstens lässt sich Nagels Darstellung der semantischen Antwort angreifen. Er versteht diese so, dass „alles, was die Verwendung der ersten Person betrifft, analysiert werden (kann), ohne die erste Person zu verwenden“.147 Nun hatte ich hingegen in der Diskussion zur Bedeutung des Ausdrucks „ich“ argumentiert, dass gerade die Perspektivität der „ich“-Äußerungen wesentlich ist, um zu verstehen, weshalb Aussagen in der ersten Person Singular immun gegen den Irrtum durch Fehlreferenz sind. Denn der Gebrauchskontext, der es allererst ermöglicht, die mit „ich“ gemeinte Person ohne einen weiteren referentiellen Hinweis zu bestimmen, ist der der ErstePerson-Perspektive. Für andere indexikalische Ausdrücke gilt dies nicht. Nagel hat also Unrecht, wenn er annimmt, dass die Erste-PersonPerspektive bei der Erläuterung dessen, was die Verwendung von „ich“ ausmacht, keine Rolle spiele. Im Gegenteil sie macht allererst verständlich, weshalb sich Sprecher mit dem Ausdruck „ich“ auf diese besondere, objektiv gewisse Weise auf sich selbst beziehen. Nagel beharrt zweitens darauf, dass Annas Gedanke „Ich bin AK“ einen zusätzlichen Inhalt haben muss, weil allein die semantische Regel, dass sich jeder Sprecher mit „ich“ auf sich selbst bezieht, nicht klären kann, weshalb es wahr ist, dass Anna von sich selbst denken kann „Ich bin AK“. Nun kann man Nagel an dieser Stelle zunächst durchaus Recht geben. Denn in der Tat wird durch eine Analyse der Verwendungsweisen des Personalpronomens der ersten Person Singular die Eigenschaft der Meinigkeit nicht erklärt. Aber das ist auch gar nicht intendiert. Was die Analyse der Verwendungsweisen stattdessen tatsächlich zeigen kann, ist, weshalb der Gebrauch von „ich“ in zweifacher Hinsicht irrtumsimmun zu sein scheint, einmal immun gegen den Irrtum durch Fehlreferenz und ein anderes Mal immun gegen den Irrtum durch Fehlidentifikation. Die Frage, woher man weiß, dass man selbst diejenige Person ist, auf die man sich mit „ich“ bezieht, also die Frage nach dem, was Überzeugungen über sich selbst zu Überzeugungen de se macht, wird dadurch jedoch nicht beantwortet. Aus diesem Grund wird Meinigkeit hier ja auch als selbstständige Eigenschaft behandelt. Nagels Ablehnung der

147 Nagel, 1983, 50, hervorgehoben von mir/engl., 1974, 215.

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semantischen Antwort erfolgt somit zwar aus den falschen Gründen, das Ergebnis ist allerdings richtig.148 Was das Besondere an Überzeugungen de se ist, wird nicht dadurch kenntlich, dass man weiß, wie der Ausdruck „ich“ verwendet wird. 2. Unter der epistemischen Antwort versteht Nagel den Versuch, die subjektive Perspektive als eine spezielle Art der Erkenntnis zu erklären. Damit ist nicht gemeint, dass es sich um eine besondere Form von Wissen handelt, sondern um eine besondere Art der Einstellung zu Überzeugungen, die die Person selbst betreffen, und diese Art der Einstellung macht aus einer Überzeugung von sich selbst eine Überzeugung de se. Zur Verdeutlichung sei hier an eines der anfänglichen Beispiele erinnert. Für Anna Kellermann macht es einen großen Unterschied, ob sie Ü6) „Anna Kellermann hat am ganzen Körper rote Flecken“ oder Ü7) „Ich (Anna Kellermann) habe am ganzen Körper rote Flecken“ glaubt. Während sie im zweiten Fall wahrscheinlich einen Arzt aufsucht, um die Ursache der roten Flecken zu erfahren, besteht im ersten Fall die Möglichkeit, dass Anna nicht weiß, dass sie selbst Anna Kellermann ist. Solange Anna nicht zu der Überzeugung gelangt, dass sie selbst Anna Kellermann ist, wird sie wahrscheinlich nicht auf die Idee kommen, einen Arzt aufzusuchen. Überzeugungen de se spielen somit eine völlig andere Rolle bei der Steuerung des Verhaltens als Überzeugungen, die einen selbst zwar zum Gegenstand haben, aber diesen Gegenstand (sich selbst) auf eine andere Weise beschreiben. Hat man verstanden, dass und wie diese spezielle Art der Einstellung den Unterschied zwischen beiden Überzeugungen charakterisiert, dann kennt man auch den Grund dafür, wie aus einer Überzeugung über sich selbst eine Überzeugung de se wird. Für die Erklärung der Meinigkeit ist es also nicht erforderlich, eine zusätzliche subjektive Tatsache anzunehmen. Alles, was tatsächlich erklärt werden muss, ist, wie diese besondere Art der Einstellung zu verstehen ist. Nagel stimmt diesen Überlegungen im Großen und Ganzen zu, glaubt aber, dass damit das Problem nicht gelöst wird, wie Anna Kellermanns Gedanke, dass sie selbst AK ist, in eine objektive Beschreibung der Welt integriert werden kann. Denn selbst wenn man annehme, dass Annas Verhalten daraus resultierte, dass sie eine besondere Einstellung habe, bleibt

148 Gegenteiliger Meinung scheint hier zunächst Stalnaker zu sein, der annimmt, dass die von Nagel behauptete Unvollständigkeit durch die semantische Diagnose erklärt und behoben werden könne, eben weil sie „the irreducibility of indexical or subjectice information“ betone. Allerdings ist die von Stalnaker favorisierte Lesart von der Unvollständigkeit der objektiven Weltauffassung keine mehr, die sich dem de se Problem stellte. R. Stalnaker, „On Thomas Nagel’s Objective Self“, in: Ways a World Might Be, Oxford 2003, 253–275, 264.

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doch die Frage virulent, auf welchen Inhalt sich diese Einstellung bezieht. Zwar könne das Verhalten eines Individuums mit objektiven Begriffen beschrieben werden, weil es perspektivenunabhängig zugänglich sei. Auf diese Weise aber werde die Frage nach dem speziellen Inhalt der Gedanken, die durch die Aussage „Ich bin XY“ ausgedrückt werden, nicht geklärt. Nagel liefert also kein Argument gegen die epistemische Antwort, sondern beharrt stattdessen darauf, dass Annas Gedanke, dass sie selbst AK ist, einen eigenen Inhalt haben müsse. Und dieser Inhalt könne nichts anderes als eine subjektive Tatsache sein. Die Frage, ‚Was für eine Tatsache ist es, dass ich TN bin?‘, ist deswegen so schwierig zu vertreiben, weil der Gedanke, dass ich TN bin, ein Gedanke über etwas zu sein scheint.149

Nagels eigener Vorschlag, wie diese subjektive Tatsache zu verstehen ist, ähnelt auf den ersten Blick dem Henrichs. Allerdings unterscheidet Nagel zwischen der Person und einem objektiven Selbst und nicht zwischen der Person und dem Subjekt mit einem privaten Begriff von sich selbst. Jeder von uns ist (…) nicht nur eine gewöhnliche Person, sondern zusätzlich ein bestimmtes objektives Selbst.150

Die Tatsache, dass man jeweils selbst ein objektives Selbst ist, wird durch den Gedanken „Ich bin XY“ ausgedrückt. Durch diese Tatsache ist sichergestellt, dass die aus einer subjektiven Perspektive vorgenommene objektive Betrachtung der Welt um eben diese Perspektive erweitert werden kann. Konsequenterweise unterscheidet Nagel zudem zwischen einem gewöhnlichen Gebrauch und einem philosophischen Gebrauch von „ich“, wobei der letztere die Bezugnahme auf das objektive Selbst ermöglichen soll. Die Einwände, die gegen die Theorie eines privaten Begriffs von sich selbst vorgebracht wurden, sind auch gegen Nagels Theorie vom objektiven Selbst zu erheben. Allerdings ist Nagels objektives Selbst begrifflich durch die Verwendung des Eigennamens strukturiert, während Henrich annimmt, dass das Verfügen über den Begriff von sich selbst eine Voraussetzung ist, und zwar sowohl für die Verwendung des Ausdrucks „ich“ als auch für die Verwendung des eigenen Namens, sofern man sich damit wissentlich auf sich selbst bezieht. Henrich hat damit Nagel gegenüber zunächst einen theoretischen Vorteil. Denn er unterliegt nicht dem naheliegenden Einwand, dass der Eigenname schwerlich als Ausdruck für einen privaten Begriff von sich selbst dienen kann, weil er einem jeweils kontingenterweise zu-

149 Nagel, 1983, 55/engl., 1974, 220. Da Nagel diese Frage in angemessener Weise aus der erstpersonalen Perspektive stellt, verwendet er auch seine eigenen Initialen „TN“ für Thomas Nagel. 150 Nagel, 1983, 61/engl., 1974, 226.

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kommt und seine spezielle Rolle in dem eigenen Verständnis davon abhängt, dass man gelernt hat „XY“ zu sein. Auch wenn diese Kritik Nagels Begriff vom objektiven Selbst von Beginn an diskreditiert, ist der entscheidende Einwand gegen ihn ein anderer. Eine Konsequenz aus der Annahme eines objektiven Selbst ist nämlich, dass die Strawson-EvansBedingung nicht erfüllt werden kann. Angewendet auf den Begriff des objektiven Selbst lautet sie: Eine Bedingung dafür, dass die dem objektiven Selbst zugeschriebenen Prädikate ihre Bedeutung nicht in Abhängigkeit der Zuschreibungsperspektive verändern, ist, dass man nur dann wissen kann, was es heißt, ein objektives Selbst zu sein, wenn man auch weiß, was es heißt, dass andere Personen ein objektives Selbst sind. Zwar behauptet Nagel, dass alle Personen auch ein objektives Selbst haben, wissen kann man das aber nur für den eigenen Fall. Denn die Unterscheidung in ein objektives Selbst und eine öffentliche, identifizierbare Person hat ja zur Folge, dass einem zwar die öffentliche Person der Anderen epistemisch zugänglich ist nicht aber deren objektives Selbst. Diese Konsequenz ergibt sich, weil der Begriff des objektiven Selbst ein subjektiver Begriff ist, dessen Erwerb an die eigene subjektive Perspektive geknüpft ist. Nun könnte man natürlich argumentieren, dass Nagel subjektive Tatsachen und subjektive Begriffe aus genau dem Grund einführt, weil er deutlich machen will, dass man gerade nicht wisse, wie es für ein von einem selbst verschiedenes Individuum ist, eine bestimmte Person zu sein. Wenn das so ist, dann trägt der Begriff des objektiven Selbst jedoch nichts zur Klärung des Unterschieds zwischen Überzeugungen de se und Überzeugungen von sich selbst, die keine Überzeugungen de se sind, bei. Denn wie soll man in Erfahrung bringen, welche Rolle das objektive Selbst tatsächlich bei Zuschreibung von Überzeugungen de se spielt, wenn sowohl das Verhalten als auch die Äußerungen eines Individuums nur Auskünfte über die öffentliche Person erlauben, während das objektive Selbst dem epistemischen Zugang entzogen bleibt? Solange Nagel nicht verständlich machen kann, wie andere Individuen wissen können, ob jemand von sich selbst glaubt, dass er ein objektives Selbst ist oder nicht, kann der Begriff des objektiven Selbst auch nicht zur Identifizierung von Überzeugungen de se herangezogen werden. Dieses Problem stellt sich jedoch nicht nur interpersonal, sondern auch intrapersonal. Angenommen, Nagel kann tatsächlich zeigen, dass es einen Unterschied zwischen dem gewöhnlichen und einem philosophischen Gebrauch von „ich“ gibt, dann würde dies einen Vorschlag dahingehend einschließen, wie die Referenz des Ausdrucks „ich“ im Fall des objektiven Selbst festgelegt werden soll. Da die beiden genannten Verwendungen von „ich“ durch ihre jeweils verschiedenen Referenzobjekte definiert sind – einmal bezieht sich „ich“ auf die öffentliche Person, das andere Mal auf

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das objektive Selbst – muss Nagel, will er die These vom objektiven Selbst konsistent vertreten, an dieser Stelle zeigen, nach welchen Kriterien ein und derselbe Ausdruck – „ich“ – auf derart unterschiedliche Entitäten angewandt werden kann. Während dieses Problem bei der gewöhnlichen interpersonalen Verwendung von „ich“ dadurch gelöst wird, dass die Person, die „ich“ äußert, mit ihrer Äußerung auch den Kontext der Verwendung von „ich“ spezifiziert, ist dieser Weg nicht gangbar, wenn es darum geht, sich auf das objektive Selbst zu beziehen. Insbesondere deshalb nicht, weil das objektive Selbst ja derselben Person zukommen soll, die sich schon durch den gewöhnlichen Gebrauch von „ich“ identifizierbar gemacht hat. Die Kontextspezifizierung kann auch nicht einfach von der Person zum objektiven Selbst weitergereicht werden, da auf diese Weise die Unterscheidung zwischen der Tatsache, dass man selbst diese oder jene Person ist, und der Tatsache, dass man selbst dieses objektive Selbst ist, als ontologisch eigenständige Tatsachen verwischt wird. Damit bleibt die Frage virulent, wie die subjektive Tatsache, dass man selbst dieses bestimmte objektive Selbst ist, überhaupt identifiziert werden kann. Es ist nicht zu sehen, wie Nagel dieses Problem lösen könnte. Nagels Behauptung, dass die spezielle Art der Einstellung, die Überzeugungen de se charakterisiert, auf eine besondere Tatsache hinweise, kann also vor allem deshalb nicht verteidigt werden, weil die subjektive Tatsache, dass jedes Subjekt ein bestimmtes objektives Selbst ist, letztlich nicht identifiziert werden kann. Hinzu kommt aber außerdem, dass Nagel nicht deutlich machen kann, welche Rolle die fragliche Tatsache bei der Identifizierung von Überzeugungen de se überhaupt spielen könnte. Wenn jedoch die von Nagel behauptete subjektive Tatsache bei der Identifizierung von Überzeugungen de se gar nicht erst ins Spiel kommt, dann ist es durchaus gerechtfertigt, sich von der Idee einer subjektiven Tatsache ganz und gar zu verabschieden und sich stattdessen jene besondere Art der Einstellung genauer anzuschauen, die möglicherweise eine Erklärung der Meinigkeit liefert. 3.3 Reflexive Methoden. Meinigkeit als spezielle Art der Einstellung (Perry) Weder die Behauptung einer besonderen Form des Wissens noch die Annahme einer subjektiven Tatsache haben bisher die dritte Eigenschaft von Selbstbewusstsein erklären können. Ein weiterer Vorschlag, wie Meinigkeit verstanden werden könnte, stammt von Perry. Er fordert uns auf, unsere Aufmerksamkeit nicht auf das zu richten, was man glaubt, sondern darauf, wie man es glaubt. Überzeugungen de se, so Perry, unterscheiden sich

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nämlich von anderen Überzeugungen über sich selbst durch die Methoden, mit deren Hilfe man sie sich selbst zuschreibt. Gelänge es, diese Methoden genauer zu spezifizieren, dann gelänge es auch Meinigkeit zu erklären, ohne dass man sich zugleich auf die Behauptung eines speziellen subjektiven Wissens oder subjektiver Tatsachen verpflichten müsste. Eine entscheidende Voraussetzung für Perrys Gedankengang ist die Idee, dass Überzeugungen in ihren Gehalt und einen bestimmten Überzeugungszustand (belief state) unterschieden werden können. Wieder kann Anna Kellermann hier als Beispiel für die Erläuterung der Unterscheidung dienen. Wenn Anna glaubt, dass sie selbst am ganzen Körper rote Flecken hat, und ihr Institutskollege Bertram ebenfalls glaubt, dass Anna Kellermann am ganzen Körper rote Flecken hat, dann haben beide genau dann eine wahre Überzeugung, wenn Annas Körper tatsächlich jene Flecken aufweist. In diesem Fall ist zudem der Gehalt ihrer Überzeugungen derselbe, nämlich „Anna Kellermann hat rote Flecken am Körper“. Anders sieht die Sache hingegen aus, wenn sowohl Anna als auch ihr Kollege die Überzeugung Ü7) haben: „Ich habe am ganzen Körper rote Flecken“. Denn in diesen Fall hat Anna eine wahre Überzeugung, ihr Kollege hingegen nicht. Obwohl beide scheinbar dasselbe denken, unterscheidet sich Annas Überzeugung von Bertrams, da durch die Verwendung des indexikalischen Ausdrucks „ich“ die Wahrheitsbedingungen beider Überzeugungen verschieden sind. Und obwohl Anna etwas anderes glaubt als Bertram, werden beide wahrscheinlich ähnlich reagieren. Vermutlich werden sie in einen Spiegel schauen, um die Flecken zu begutachten und anschließend einen Arzt aufsuchen. Wie lässt sich diese Gemeinsamkeit im Verhalten bei unterschiedlichen Überzeugungen beschreiben? Laut Perry haben beide zwar in der Tat nicht dieselbe Überzeugung, sie befinden sich aber im selben Überzeugungszustand.151 Nehmen wir jetzt den Fall hinzu, dass Anna von Anna Kellermann glaubt, dass sie am ganzen Körper rote Flecken hat, aber nicht weiß, dass sie selbst Anna Kellermann ist. Anna hat in diesem Fall eine Überzeugung von sich selbst, aber keine Überzeugung de se. Bezogen auf Perrys Unterscheidung zwischen Überzeugungsgehalt und Überzeugungszustand kann man nun Folgendes sagen: Anna hat zwar eine Überzeugung mit dem gleichen Gehalt wie in Ü7), aber sie befindet sich nicht im selben Überzeugungszustand. Der Unterschied zwischen Überzeugungen von sich selbst und Überzeugungen de se lässt sich also als ein Unterschied in den Überzeugungszuständen beschreiben. Perrys Vorschlag kann demnach in folgende Form gebracht werden:

151 J. Perry, „The Problem of the Essential Indexicals“, in: [PEI], 27–44, 39.

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MeinigkeitP: Ein Subjekt, das weiß, dass es selbst die Person ist, die sich bestimmte Zustände zuschreibt, und das diese Zustände als seine eigenen Zustände bestimmen kann, befindet sich in einem bestimmten Überzeugungszustand. Der Überzeugungszustand kennzeichnet den Unterschied zwischen Überzeugungen de se und Überzeugungen von sich selbst, die keine Überzeugungen de se sind. Er ist vom Gehalt der Überzeugung zu unterscheiden, weil er nicht dadurch bestimmt werden kann, dass man den Gehalt der Überzeugung angibt. Die Differenz zu den Erklärungen von Henrich und Nagel sollte deutlich geworden sein. Es geht Perry nicht darum, dass das Subjekt etwas Außergewöhnliches weiß (eine spezielle Tatsache kennt, ein besonderes Wissen hat), sondern darum, dass es sich das, was es weiß, auf eine besondere Art und Weise zuschreibt. Will man also verstehen, wie Meinigkeit genauer bestimmt wird, muss man sich nur noch fragen, worin das Charakteristikum jener Überzeugungszustände besteht. Diese Frage lässt sich am besten klären, wenn man veranschaulicht, wie Überzeugungszustände identifiziert werden. Da Anna und ihr Institutskollege sich trotz ihrer jeweils unterschiedlichen Überzeugungsgehalte ähnlich verhalten, liegt es nahe, Überzeugungszustände als Verhaltensdispositionen zu verstehen. I take belief states to be dispositions to do various things, including use various sentences in various ways, and so this is a case of identifying a multiply manifested disposition by one of its upshots. Thus belief states are identified by a behavior they cause in articulate adults in suitable circumstances.152

Dieser Vorschlag unterliegt zunächst jedoch folgendem Einwand: Verhaltensdispositionen sind nicht spezifisch genug, um Überzeugungszustände von Überzeugungen de se im Unterschied zu anderen Überzeugungen zu identifizieren. Denn nicht nur Überzeugungen de se sondern auch andere Überzeugungen wirken sich auf das Verhalten aus. Wenn Anna erfährt, dass Anna Kellermann am ganzen Körper rote Flecken hat, kann das ihr Verhalten auch dann verändern, wenn sie nicht weiß, dass sie selbst Anna Kellermann ist, und daher auch nicht weiß, dass sie selbst jene Flecken aufweist. Möglicherweise ist sie hypochondrisch veranlagt, befürchtet eine schreckliche Epidemie und sucht deshalb noch am selben Tag den Arzt auf. Um Verhaltensdispositionen zur Identifizierung von Überzeugungszuständen bei Überzeugungen de se heranziehen zu können, benötigt man daher ein Kriterium, das die Verhaltensveränderungen so definiert, dass sie in spezifischer Weise auf die Überzeugung bezogen sind, die das Individu152 J. Perry, „Perception, Action, and Structure of Believing“, in: [PEI], 101–124, 107.

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um von sich selbst als sich selbst hat. Damit würde die Erklärung aber zirkulär, denn das Kriterium wäre in diesem Fall schon eines, das Meinigkeit beanspruchte. Perry kann diesem Einwand allerdings mit nachfolgender Konkretisierung der in Anspruch genommenen Verhaltensdispositionen entgehen: Diejenige Verhaltensdisposition, die laut Perry am besten geeignet ist, einen Überzeugungszustand zu identifizieren, ist die „disposition to accept a sentence“. Welchen Satz man akzeptiert, gibt nämlich einer anderen Person genaue Auskunft darüber, in welchem Überzeugungszustand man sich selbst befindet und weshalb man sich in entsprechender Weise verhält. Würde Anna den Satz „Ich habe am ganzen Körper rote Flecken“ akzeptieren, dann erklärte dies ihren Arztbesuch am nächsten Tag. Die hypochondrische Anna hingegen, die nicht weiß, dass sie selbst Anna Kellermann ist, würde diesen Satz (zumindest vor ihrem Arztbesuch) auch nicht akzeptieren. Dabei gilt jedoch, dass die Akzeptanz eines Satzes nicht davon abhängt, ob der Satz eine wahre oder falsche Überzeugung ausdrückt. Einen Satz zu akzeptieren, identifiziert den Überzeugungszustand einer Person zu einer bestimmten Zeit, ohne dass der Gehalt der Überzeugung an der Identifizierung selbst einen Anteil hat.153 Für Perry ist dabei wichtig, dass die Akzeptanz eines Satzes nicht selbst Teil des Überzeugungszustandes ist, sondern nur zu seiner Charakterisierung herangezogen wird. Weder muss das Subjekt, dessen Überzeugungszustand identifiziert werden soll, dem Satz selbst zustimmen, noch muss es überhaupt eine Sprache sprechen. Alles, was zugestanden werden muss, ist, dass das Individuum den entsprechenden Satz als Ausdruck seiner ureigenen Überzeugung akzeptieren würde, wenn es ein kompetenter Sprecher jener Sprache wäre, in der der Satz ausgedrückt ist. Auch die Kenntnis der Bedeutung des Ausdrucks „ich“ sei, so Perry, keine notwendige Bedingung dafür, dass man sich in einem bestimmten Überzeugungszustand befindet. Sowohl nichtsprachliche Wesen als auch sprachlich noch nicht entwickelte Kleinkinder könnten sich demnach in Überzeugungszuständen befinden, die über die Akzeptanz eines Satzes und ein mit dieser Akzeptanz verbundenes Verhalten bestimmt werden können. Der für unsere Argumentation entscheidende Aspekt der Akzeptanz ist jedoch ihre Perspektivität und Kontextgebundenheit. Die Akzeptanz ist nämlich in einer signifikanten Art und Weise an die Perspektive derjenigen Person gebunden, die den Satz akzeptiert. Gleiches gilt für die Zeit, zu der, und (unter bestimmten Umständen) auch für den Ort, an dem der Satz ak-

153 „Accepting it (the sentence A.L.) is not thinking that it is true, but being in a certain kind of state identifiable by it“. Perry, a. a. O., 107.

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zeptiert wird.154 Den Satz S „Ich bin jetzt hungrig“ kann man zu t1 akzeptieren, muss ihn aber nicht zu dem späteren Zeitpunkt t2 akzeptieren. Perry argumentiert, dass das, was mithilfe des Begriffs der Akzeptanz eines Satzes S bestimmt wird, weder vollständig dadurch erklärt werden kann, dass man S glaubt noch dadurch, dass man die Bedeutung von S kennt. Die Abgrenzung von Akzeptanz und Glauben ist leicht verständlich zu machen. Man kann auch an t2 immer noch den mit dem Satz S ausgedrückten Sachverhalt glauben, muss ihn jedoch nicht akzeptieren, insofern für einen selbst gilt, dass „jetzt“ eben nicht den Zeitpunkt t2 bezeichnet. Um S an t2 glauben zu können, muss man nur den indexikalischen Ausdruck „jetzt“ durch eine andere Zeitangabe ersetzen, um so die Kontextgebundenheit zu neutralisieren. Dass man zudem auch die Bedeutung von S nicht kennen muss, um S akzeptieren zu können, liegt schlicht daran, dass das Verfügen über eine Sprache, laut Perry, keine notwendige Bedingung dafür ist, dass Überzeugungszustände durch die Akzeptanz eines Satzes identifiziert werden können. Wie können Perrys Überlegungen nun bei der Klärung der Meinigkeit helfen? Mithilfe der Unterscheidung zwischen Überzeugungsgehalten und Überzeugungszuständen, die über die Akzeptanz von Sätzen identifiziert werden, lässt sich zunächst verdeutlichen, worin der Unterschied zwischen Überzeugungen von sich selbst und Überzeugungen de se besteht. In beiden Fällen müsste man nämlich jeweils einen je anderen Satz akzeptieren, da man sich ja in verschiedenen Überzeugungszuständen befindet. So kann Anna den Satz „Anna Kellermann hat am ganzen Körper Flecken“ auch dann akzeptieren, wenn sie nicht weiß, dass sie selbst Anna Kellermann ist. Den Satz „Ich habe Flecken am ganzen Körper“ würde sie in diesem Fall nicht akzeptieren. Im ersten Fall hat sie eine Überzeugung über sich selbst und nur im zweiten hat sie auch eine Überzeugung de se. Ein Satz, dessen Akzeptanz die Überzeugungszustände von Überzeugungen de se identifiziert, enthält folglich den Indikator „ich“. Da gelten soll, dass die Akzeptanz selbst kein Teil der fraglichen Überzeugung ist, findet der Indikator auch dort Verwendung, wo das Individuum, dessen Überzeugungszustand bestimmt werden soll, nicht über die Bedeutung von „ich“ verfügt. Man kann somit generell sagen, dass Überzeugungszustände von Überzeugungen de se durch die Akzeptanz von „ich“-Sätzen gekennzeichnet sind. An diesem Punkt sollte deutlich werden, wie dem auf S. 108 genannten Einwand zu entkommen ist. In der Tat sind allgemeine Verhaltensdisposi-

154 „Acceptance is a relation a person has to a sentence at a time. The person is the person who accepts, the time is the time that he does the accepting“. J. Perry, „Belief and Acceptance“, in: [PEI], 45–56, 49.

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tionen nicht spezifisch genug sind, um Überzeugungszustände von Überzeugungen de se im Unterschied zu anderen Überzeugungen zu identifizieren. Ganz anders sieht dies allerdings aus, wenn wir annehmen, dass Überzeugungszustände von Überzeugungen de se durch die Akzeptanz von „ich“-Sätzen identifiziert werden. Wird nun außerdem angenommen, dass mit der Akzeptanz von Sätzen die typische Verhaltensdisposition bestimmt ist, dann ist das gesuchte spezifische Kriterium gefunden: Dasjenige Wesen, das einen entsprechenden „ich“-Satz akzeptieren würde, bezieht sich mit der im Satz vorgenommenen Zuschreibung in jedem Fall auf sich. Dies wird allein schon durch die Bedeutung des Ausdrucks „ich“ garantiert.155 Auf diese Weise ist die “disposition to accept a sentence” im Fall der Überzeugungen de se eindeutig auf genau diejenige Person bezogen, die eine Überzeugung von sich selbst als sich selbst hat. Der befürchtete Zirkel stellt sich an dieser Stelle nicht ein, denn derjenige, dessen Überzeugungszustand identifiziert werden soll, muss weder über ein Konzept von sich selbst verfügen noch muss ihm die Kenntnis der Verwendungsregeln von „ich“ unterstellt werden. Damit ist die Meinigkeit allerdings immer noch nicht vollständig aufgeklärt. Man kann sich nämlich weiterhin fragen, weshalb man überhaupt bereit sein sollte, bestimmte Verhaltensdispositionen so zu interpretieren, als könnten sie durch die Akzeptanz eines „ich“-Satzes identifiziert werden. Würde der Regenwurm (angenommen er spräche Deutsch) den Satz „Ich will nicht ertrinken“ akzeptieren, wenn er bei Regen an die Erdoberfläche kriecht? Welches Verhalten berechtigt es, der Katze, die vor dem Napf sitzt und maunzt, einen Überzeugungszustand zuzuschreiben, der durch die Akzeptanz des Satzes „Ich bin hungrig“ identifiziert werden kann? Wo liegt die Grenze bei der Identifizierung von Überzeugungszuständen? Da Perry ausdrücklich betont, dass sich auch nicht-sprachliche Subjekte in Überzeugungszuständen befinden können, die durch die Akzeptanz bestimmter Sätze identifiziert werden können, lässt sich die Grenze nicht bei der Disposition zum Sprechen einer Sprache ziehen. Baker hat in diesem Zusammenhang einen interessanten Vorschlag gemacht, der Perrys Vorschlag etwas genauer konturieren kann. Sie unterscheidet zwei Stufen von Ich-Phänomenen: schwache und starke Ich-

155 „The importance of the word ‚I‘ is not that everyone who has a belief about himself must use it, or an indexical like it, to think of himself. Rather, it is that because its role in thinking is tied to its meaning, it can be used to characterize that cognitive role in a general way. To accept ‚I‘ am so-and-so’ a person need not to understand the word ‚I‘, but only be in a state that, were he to understand ‚I‘, would lead him to use ‚I am so-and-so‘“. Perry, a. a. O., 53.

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Die Eigenschaften von Selbstbewusstsein

Phänomene.156 Schwache Ich-Phänomene schreiben wir Subjekten zu, die problemlösendes Verhalten zeigen und deren Verhalten durch perspektivisch verstandene Einstellungen erklärbar ist. Wesen mit schwachen IchPhänomenen handeln von einem „ichzentrierten“ Standpunkt aus.157 Sie erleben die Dinge aus ihrer eigenen Perspektive, ohne dass sie dabei über einen Begriff von sich selbst verfügten oder die Fähigkeit hätten, sich selbst als sich selbst wiederzuerkennen. Für starke Ich-Phänomene hingegen gilt, dass das Subjekt nicht nur zwischen der erstpersonalen und drittpersonalen Perspektive unterscheiden kann, es muss sie auch konzeptualisieren können. Das bedeutet, es muss sich selbst als Träger von IchPhänomenen, mithin als jemand mit einer subjektiven Perspektive begreifen können.158 Die Unterscheidung zwischen starken und schwachen IchPhänomenen schlägt sich Baker zufolge auch in der Grammatik von „ich“Sätzen nieder. Grammatikalisch können wir zwischen einfachen Ich-Sätzen unterscheiden, in denen jemand mit ‚ich‘ auf sich Bezug nimmt (etwa wenn Smith sagt: ‚Ich bin groß‘), und solchen, in denen jemandem zugeschrieben wird, mit ‚ich‘ auf sich Bezug zu nehmen (etwa wenn Smith sagt: ‚Jones wünscht sich, daß sie groß wäre‘). Im zweiten Fall schreibt Smith Jones einen Wunsch zu, den Jones mit dem Satz ‚Ich wünschte, daß ich groß wäre‘ ausdrücken würde.159

156 Vgl. L. R. Baker, „Die Perspektive der ersten Person: Ein Test für den Naturalismus“, in: G. Keil/H. Schnädelbach (Hrsg.), Naturalismus, Frankfurt/Main 2000, 252f. (Eine erweiterte Fassung des Aufsatzes findet sich in L. R. Baker, „The First-Person Perspektive: A Test for Naturalism“, in: American Philosophical Quaterly, 35, 1998, 327–346.) 157 Baker, 2000, 253, engl., 1998, 329, im engl. Original: „egocentric perspective“. 158 Baker artikuliert hier eine Einsicht, die schon Plessner kannte: Im Gegensatz zum Tier, dem die volle Reflexivität noch verwehrt bleibt, weil es sich nur „im Vollzug seiner Lebendigkeit“ auf sich (genauer: seinen Körper) beziehen kann, habe der Mensch die Möglichkeit seine eigene „Zentralität“ in den Blick zu nehmen. Erst durch die damit gegebene Distanz zum bloßen Vollzug des Lebens werde, so Plessner, die „totale Reflexivität des Lebenssystems“ erreicht. Plessner Beschreibung dieser spezifisch humanen Verfasstheit könnte auch eine Beschreibung starker Ich-Phänomene sein: „Sein Leben (des Menschen, A.L.-H.) kommt aus der Mitte in Beziehung zu ihm, der rückbezügliche Charakter des zentral repräsentierten Körpers ist ihm selbst gegeben. Obwohl auch auf dieser Stufe das Lebewesen im Hier-Jetzt aufgeht, aus der Mitte lebt, so ist ihm doch die Zentralität seiner Existenz bewußt geworden. Es hat sich selbst, es weiß um sich, es ist sich selber bemerkbar und darin ist es Ich (…)“. H. Plessner, Die Stufen des Organischen und der Mensch (1928), Berlin/NewYork 1975, 290. 159 Baker, 2000, 255/ engl., 1998, 332. Die Unterscheidung, die Baker hier trifft, ist die zwischen „making a first-person reference“ und „attributing first-person reference“.

Meinigkeit und Reflexivität

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Wer wie Jones denkt „Ich wünschte, daß ich groß wäre“, der bezieht sich mit „ich“ nicht nur auf sich selbst („makes a first-person reference“), er schreibt sich zudem einen Selbstbezug zu („attributes first-person reference to oneself“). Die Fähigkeit, so Baker, sich selbst in indirekter Rede einen Selbstbezug zuzuschreiben („Ich wünschte, daß ich groß wäre“), ist ein Kennzeichen starker Ich-Phänomene. Zwei Punkte sind hier wesentlich. Erstens, Baker nimmt an, dass die Grundlage für starke IchPhänomene in einer Fähigkeit besteht – der Fähigkeit sich als sich selbst zu begreifen. Diese Fähigkeit ist laut Baker sowohl notwendig als auch hinreichend für starke Ich-Phänomene. Zweitens, jemand, von dem man berechtigterweise behaupten könnte, er sei selbstbewusst, bezieht sich nicht nur auf sich selbst, er ist zudem in der Lage, an sich selbst als sich selbst zu denken und seine Gedanken als seine eigenen Gedanken zu verstehen. Bei Kindern und nicht-sprachlichen Wesen, die (noch) nicht über einen Begriff von sich selbst verfügen, kennzeichnet „ich“ lediglich die Perspektive, von der aus ihr Verhalten erklärt werden kann. Gegen Perry wendet Baker nun ein, dass Handlungen, die durch indexikalisch verstandene Überzeugungszustände erklärt würden, nur zeigten, wie diese Zustände den Akteur perspektivisch in seiner Umwelt situieren. Auf diese Weise gelange man vielleicht zu einer Erklärung schwacher Ich-Phänomene, nicht jedoch zu einer Erklärung starker Ich-Phänomene. Da letztere aber das Verfügen über einen Begriff von sich selbst schon einschließen würde, genüge die Identifizierung eines Überzeugungszustandes nicht für dessen Erklärung. Bakers Punkt scheint hier folgender zu sein: Weil Überzeugungszustände über die Akzeptanz von Sätzen identifiziert werden und die Akzeptanz durch ihre Kontextabhängigkeit und Perspektivität gekennzeichnet ist, können Überzeugungszustände nicht perspektivenübergreifend expliziert werden. Nun sind aber laut Baker starke Ich-Phänomene durch das begriffliche Verfügen über den eigenen subjektiven Standpunkt charakterisiert. Das bedeutet, dass die Kenntnis des eigenen Standpunktes Teil des Ich-Phänomens ist. Mit anderen Worten: Im Begriff von sich selbst ist die Perspektivität neutralisiert. Sollte Baker mit ihrer Kritik an Perry recht haben, dann hätte Perry keine Erklärung für Überzeugungen de se geliefert. Wenn man den Überzeugungszustand der Katze dadurch identifiziert, dass man unterstellt, sie akzeptiere – spräche sie deutsch – den Satz „Ich bin hungrig“, dann schreibt man ihr damit keine Überzeugung de se zu sondern nur eine egozentrierte Handlungsperspektive. Perry besteht jedoch die Herausforderung, vor die er durch Bakers Präzisierung der bei der Identifizierung von Überzeugungszuständen in Anspruch genommenen Ich-Phänomene gestellt wird. Er tut dies, indem er eine Erklärung für die Fähigkeit anbietet, die laut Baker jedes Subjekt besitzen muss, das eine Überzeugung von sich selbst als sich selbst hat. Stellt

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Die Eigenschaften von Selbstbewusstsein

man sich nämlich die Frage, in Bezug auf welche Verhaltensdispositionen man überhaupt bereit ist, sie durch die Akzeptanz eines „ich“-Satzes zu identifizieren, dann ist man an die Methoden verwiesen, die den Weg nachzeichnen, der überhaupt erst zu der Akzeptanz von „ich“-Sätzen führt. Laut Perry lassen sich für jeden Gegenstand, über den man eine Überzeugung hat, bestimmte epistemische und pragmatische Methoden benennen, die beschreiben, wie man zu dieser Überzeugung gelangt ist. So erwirbt man einige Informationen über einen Gegenstand nur durch direkten Kontakt mit ihm, andere hingegen durch mediale oder andere Vermittlung. All jene Informationen, die man zu einem bestimmten Objekt aufgrund dieser Methoden erwirbt, bilden den Begriff („notion“) von diesem Objekt. Der so gebildete Begriff dient auch als Motivator von Handlungen, die auf die Natur des entsprechenden Objektes gerichtet sind. Dabei kann das Objekt in Bezug auf denjenigen, der einen Begriff von ihm bildet, unterschiedliche Rollen spielen. Einige Objekte sind beispielsweise sehr flüchtig, andere relativ stabil. Das Stück Schokolade vor mir wird seine Rolle als Objekt, von dem ich Informationen erwerben kann, nur eine kurze Zeit spielen und eine interessante Information wird dabei sein, wie es schmeckt. Der Planet Erde, auf dem ich lebe, wird hingegen eine relativ stabile Rolle spielen als ein Objekt, über das ich Informationen erwerben kann. Hat man den Begriff eines Objektes erst einmal gebildet, dann gehen alle weiteren Informationen, die mit dem Begriff verknüpft werden können, in eine Datei („file“) über dieses Objekt ein.160 Perry wendet diese allgemeinen Überlegungen nun auf den Begriff an, den man von sich selbst erwerben kann. Hier gilt, dass die epistemischen und pragmatischen Methoden, die man anwenden muss, um etwas über sich selbst in Erfahrung zu bringen, reflexiv sind. Dass ich Hunger habe, erfahre ich dadurch, dass mein Bauch rumort; dass ich Lust auf Schokolade habe, vielleicht dadurch, dass ich immerzu an Schokolade denken muss. Oder denken wir an Anna. Die Methoden, aufgrund derer Anna in Erfahrung bringt, dass sie selbst errötet, sind andere als jene, durch die ihr Kollege Bertram sich Informationen darüber beschafft, dass Anna errötet. Anna ist sich ihres Errötens unter anderem dadurch bewusst, dass sie fühlt, wie ihr die Hitze in den Kopf steigt, weil sie auch diejenige ist, die sich im entsprechenden körperlichen Zustand befindet. Diese reflexive Methode steht Bertram nicht zur Verfügung. Insofern kann man mit Blick auf die Reflexivität der Methoden sagen, dass eine Asymmetrie zwischen Anna und Bertram besteht hinsichtlich der Möglichkeit, reflexive Methoden anzuwenden. Allerdings ist diese Asymmetrie keine epistemische. Denn das Wissen, dass Anna von ihrem Erröten

160 Perry, [PEI], 70f.

Meinigkeit und Reflexivität

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hat, ist nicht dadurch privilegiert, dass die Methoden, die sie anwendet, zuverlässiger sind, als die Methoden anderer Personen. Eine Mutter kann durchaus sehr zuverlässige Methoden haben, um zu erfahren, ob ihr Kind beispielsweise Hunger hat. In vielen Fällen sind diese Methoden sogar zuverlässiger als jene, die das Kind selbst anwenden kann. So the point isn’t, that our reflexive methods of knowing about ourselves are always infallible or superior to any other methods. It is that only we can use them.161

Was man mithilfe der reflexiven Methoden herausfindet, ist anderen ebenso zugänglich wie einem selbst, allerdings unter Anwendung anderer, nicht-reflexiver Methoden. Während die Methoden, die man selbst anwendet, um den Gehalt einer Überzeugung zu bestimmen, sowohl reflexive als auch nicht-reflexive sein können, ist der Überzeugungszustand, in dem man sich befindet, wenn man eine Überzeugung de se hat, ausschließlich durch die Anwendung reflexiver Methoden charakterisiert. Ergänzt werden die epistemischen und pragmatischen Methoden der Informationsgewinnung zudem durch reflexive Handlungsweisen. Was ich tun muss, um mir selbst ein Stück Schokolade in den Mund zu schieben, ist etwas anderes als das, was eine andere Person tun müsste, wollte sie mir ein Stück Schokolade in den Mund stecken. Man kann daher sagen, dass jemand nur dann Überzeugungen de se haben kann, wenn er bereit und in der Lage ist, reflexive epistemische und pragmatische Methoden anzuwenden und in reflexiver Weise zu handeln. Der Regenwurm kann aber weder epistemische noch pragmatische Methoden der Informationsgewinnung anwenden, die Katze hingegen kann wahrscheinlich das zweite, ist aber mit Sicherheit nicht in der Lage in reflexiver Weise zu handeln und zu Informationen über sich selbst durch reflexive Methoden zu gelangen. Sie erlebt, wie Baker sagt, die Dinge nur von ihrer „eigenen ich-zentrierten Perspektive“162 aus. Schreibt man der Katze einen Überzeugungszustand zu, indem man annimmt, dass sie den Satz „Ich bin hungrig“ akzeptierte, dann mag sie sich vielleicht tatsächlich in dem entsprechenden Überzeugungszustand befinden (immer unter der Voraussetzung, dass man überhaupt bereit ist, Katzen Überzeugungen zuzuschreiben). Sie befindet sich aber nicht in einem Überzeugungszustand einer Überzeugung de se. Mit Bezug auf Bakers Unterscheidung von starken und schwachen Ich-Phänomenen lässt sich daher Folgendes festhalten. Schwache Ich-Phänomene zeichnen sich dadurch aus, dass sie 1. bei „empfindungsfähigen Organismen (auftreten), die mittels perspektivischer Einstellung Probleme lösen“.163 2. Diese We-

161 Perry, [PEI], 334. 162 Baker, 2000, 253, engl., 1998, 330. 163 Ebd.

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Die Eigenschaften von Selbstbewusstsein

sen verfügen nicht über einen Begriff von sich selbst. 3. Sie sind nicht in der Lage reflexive Methoden zur Informationsgewinnung anzuwenden und reflexiv zu handeln. Individuen, die starke Ich-Phänomene zeigen, verfügen demgegenüber über einen Begriff von sich selbst. Die Grundlage dafür bildet ihre Fähigkeit, reflexive Methoden anzuwenden und in reflexiver Weise zu handeln. Allein die Akzeptanz von „ich“-Sätzen führt also nicht notwendigerweise zu der Identifizierung eines Überzeugungszustandes einer Überzeugung de se. Wendet man die Akzeptanz jedoch auf Überzeugungen an, die durch reflexive Methoden erworben wurden oder sich in reflexiven Handlungsweisen ausdrücken, dann identifiziert man in der Tat Überzeugungszustände von Überzeugungen de se.164 Informationen, die man in reflexiver Weise erwirbt, bilden letztlich den eigenen Selbst-Begriff („self-notion“). Dieser Begriff ist, wurde er erst einmal erworben, stabil. Hat man einmal den richtigen Selbst-Begriff gebildet, dann wird dies auch der richtige Begriff bleiben. Das bedeutet jedoch nicht, dass sich der Selbst-Begriff nicht verändern kann. Man könnte

164 An dieser Stelle ist ein Wort zu der von phänomenologischer Seite behaupteten These angebracht, der zufolge Meinigkeit als die erstpersonale Weise des Gegebenseins von Erfahrungen verstanden werden sollte. Meinigkeit in diesem Sinne soll sowohl präreflexiv als auch vorsprachlich sein. Liegt diese Form der erstpersonalen Gegebenheitsweise vor, dann ist, so die Behauptung, die Zuschreibung von Selbstbewusstsein berechtigt. (Vor allem: Zahavi 2005, 2007, aber auch Kriegel und Williford 2006) Vor dem Hintergrund der eben erfolgten Argumentation lassen sich nun Einwände gegen diese These skizzieren. 1. Wird Meinigkeit als ein bloß gegebenes, aber nicht zu erklärendes Faktum verstanden, dass jeder Form von Selbstbewusstsein zugrunde liegt, dann muss man, wie schon bei Nagel, fragen, warum wir zu der Annahme einer solchen nichterklärbaren Tatsache genötigt werden, wenn andere Erklärungen, wie die von Perry und Baker, zur Verfügung stehen. Nicht zu erklären wäre Meinigkeit in diesem Fall übrigens, weil jede Erklärung in einen Zirkel führen muss. Sobald ich bestimmte Erfahrungen als meine eigenen erlebe, muss ich schon eine Konzeption davon haben, was es heißt, dass es meine Erfahrungen sind. 2. Phänomenales Erleben der eigenen mentalen und körperlichen Zustände berechtigt, wie gezeigt wurde, lediglich zur Zuschreibung schwacher Ich-Phänomene. Für die Zuschreibung starker Ich-Phänomene also Selbstbewusstsein ist das phänomenale Erleben allein nicht hinreichend. Erst wenn ein Subjekt Überzeugungen de se hat, ist die Zuschreibung von Selbstbewusstsein berechtigt. Und für diese ist neben den genannten Bedingungen, wie die Akzeptanz von „ich“-Sätzen, auch die Fähigkeit Voraussetzung, auf reflexive Weise Informationen zu erwerben und reflexiv zu handeln. Nun könnte man natürlich sagen, dass das, was hier unter präreflexivem, vor-sprachlichen, mit der Eigenschaft der Meinigkeit ausgestatteten „minimal self“ verstanden wird, nichts anderes sei als eben diese Fähigkeit. Und obwohl ich denke, dass dieser Vorschlag der Rede von einem „minimal self“ zumindest einen plausiblen Sinn verleiht, könnte man die Phänomenologen damit sicher nicht überzeugen, denn diese Fähigkeit wird ja nicht „besonderer“ Weise erlebt.

Meinigkeit und Reflexivität

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beispielsweise sein Leben lang in dem Glauben gelassen worden sein, eigentlich jemand ganz anderes zu sein. Erfährt man dann, wer man wirklich ist, geht diese Information in den Selbst-Begriff mit ein und verändert diesen. Was sich aber nicht ändert, ist, dass die Person, auf die sich der SelbstBegriff bezieht, identisch ist mit der Person, die für einen selbst die Rolle des Objekts spielt, über das man durch die Anwendung reflexiver epistemischer und pragmatischer Methoden Informationen erwerben kann.165 The notion that is the repository of information gained via those methods, and the motivator of actions associated with that relation, is our self-notion. The person this notion is of, is the person we take ourselves to be.166

Alle Informationen, die den Selbst-Begriff und bestimmte Eigenschaften, die man sich zu einer Zeit zuschreibt, betreffen, gehen dann in die Datei ein. Wenn Anna glaubt, dass sie am ganzen Körper rote Flecken hat, dann geht diese Information in ihre Datei über sich selbst (ihre Ich-Datei167) ein. Sie gleicht ihre frühere Ich-Datei mit den neuen Informationen ab. Nimmt Anna hingegen an, dass Anna Kellermann Flecken am Körper hat, ohne zu wissen, dass sie selbst Anna Kellermann ist, dann hat sie zwei Dateien über sich selbst angelegt, die aber nicht miteinander verknüpft sind. Anna käme also gar nicht auf die Idee reflexive Methoden anzuwenden, wenn sie Genaueres über die Beschaffenheit der roten Flecken erfahren wollte. Und man würde ihr in diesem Fall eben auch keine Überzeugung de se zuschreiben. Mit der Einführung der Begriffe „Selbst-Begriff“ und „Ich-Datei“ ist nun das nötige theoretische Rüstzeug beisammen, um zu erklären, was das

165 Perry will über diese Argumentation meiner Ansicht nach den Zirkel vermeiden, in den man sich begibt, wenn man, wie Henrich, annimmt, dass in den Selbst-Begriff das Wissen darüber eingeht, dass ich mit mir identisch bin. Er sagt: „The view I advocate is simply that identity is a basic relation, and that our idea of self (“being me“) is the idea of the agent-relativ role, is identical. This is the role we each play in our own lives“. Perry, [PEI], 334. So, wie die Erde eine relativ stabile Rolle als Objekt spielt, in Bezug auf das ich Informationen erwerben kann, ist auch die Rolle, die die Person spielt, die ich bin, stabil. Sowohl die Rolle „Planet auf dem wir leben“ als auch die Rolle „Person, mit der ich identisch bin“ gehören der Kategorie „sich nicht verändernder Rollen“ an. Wobei jedoch gelten soll, dass die Verlässlichkeit im Fall der Rolle „Person, mit der ich identisch bin“ nicht kontingent ist. Auf diese Weise wurde aus der Relation der Identität das „mich“ entfernt: „It is not the idea, person identical with me that I need, but only the role-idea, person identical. My idea of me is not a part of this idea“. Ebd. 166 Ebd. 167 Der Ausdruck „Ich-Datei“ stammt von Rosefeldt. Perry selbst verwendet nur den Ausdruck „file“. Vgl. T. Rosefeldt, „Sich setzen, oder Was ist eigentlich das Besondere an Selbstbewußtsein?“, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 54, 2000, 425–444, 442.

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Die Eigenschaften von Selbstbewusstsein

Besondere an Überzeugungen de se ist und worin sie sich von anderen Überzeugungen über sich selbst unterscheiden. Die Datei, die man anlegt und die direkt auf den eigenen Selbst-Begriff bezogen ist, besitzt ihre Informationen, weil man in der Lage ist, reflexive Methoden der Erkenntnisgewinnung anzuwenden und in reflexiver Weise zu handeln. Das ist die Ich-Datei. Davon unabhängig ist es jedoch möglich, dass Informationen, die einen selbst als Person betreffen, in einer anderen Datei gespeichert werden, die nicht auf den eigenen Selbst-Begriff bezogen ist. In diesem Fall schreibt man sich jene Eigenschaften, die den Inhalt dieser Datei ausmachen, nicht in der Weise zu, dass man sie als seine Eigenschaften verstehen kann. Die Informationen, die in diese zweite Datei eingehen, sind durch die genannten reflexiven Methoden weder erworben noch durch diese überprüft worden. Gelingt es jedoch, eine Verbindung zwischen beiden Dateien herzustellen, dann weiß man auch, auf welche reflexive Weise man zu den Informationen gelangen könnte, die den Inhalt der zweiten Datei ausmachen. Denken wir noch einmal an unser Beispiel. Erkennt Anna erst einmal, dass sie selbst Anna Kellermann ist, dann braucht sie nur ihren eigenen Körper untersuchen, wenn sie etwas über die Beschaffenheit der ominösen roten Flecken erfahren will. Konsequenterweise überträgt sie in diesem Fall die Informationen der zweiten Datei in ihre Ich-Datei. Während also die Dateien, in denen die Eigenschaften gespeichert sind, die man sich selbst zuschreibt, ständig verändert werden können, bleibt der SelbstBegriff davon unberührt. Aus dieser Überlegung ergibt sich übrigens eine interessante Antwort auf Henrichs Forderung, dass das Wissen, dass ich diejenige Person bin, die sich mittels des Ausdrucks „ich“ auf sich selbst bezieht, „in irgendeiner Weise selbstbezüglich werden (muss), wenn Selbstbewusstsein erreicht werden können“168 soll. Mithilfe von Perrys Terminologie lässt sich nämlich jetzt behaupten, dass Selbstbezüglichkeit genau dadurch erreicht wird, dass man in der Lage ist, reflexive Methoden zur Informationsgewinnung anzuwenden und diese Informationen in der eigenen Ich-Datei zu speichern. Der Unterschied zwischen einer Überzeugung de se und einer Überzeugung von sich selbst, die keine Überzeugung de se ist, kann somit festgestellt werden, ohne dass man dabei eine besondere Form von Wissen annehmen oder sich auf die Annahme einer subjektiven Tatsache verpflichten müsste. Im Gegenteil das Besondere an Überzeugungen de se findet sich gerade nicht in ihrem Gehalt. Zwei Überzeugungen können in ihrem Gehalt identisch sein, sich aber in der Art und Weise unterscheiden, wie der Gehalt der jeweiligen Überzeugung auf den Selbst-Begriff bezogen

168 Henrich, 1989, 118.

Meinigkeit und Reflexivität

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ist. Alles, was zur Kennzeichnung der Differenz benötigt wird, ist die Annahme, dass es typische Methoden gibt, aufgrund derer man Überzeugungen de se erwerben kann. Und das entscheidende Charakteristikum dieser typischen Methoden ist ihre Reflexivität. 3.4 Meinigkeit und Intersubjektivität Meinigkeit lässt sich auf eine Weise beschreiben, die mit einer intersubjektivitätstheoretischen Analyse von Selbstbewusstsein vereinbar ist. Wie die Untersuchung gezeigt hat, gibt es in der Tat eine Asymmetrie zwischen Selbstzuschreibungen und Zuschreibungen mentaler Zustände aus anderen Perspektiven. Diese darf jedoch nicht als epistemische Asymmetrie missverstanden werden, die nur erneut das Problem des epistemischen Dualismus aufwerfen würde. Stattdessen resultiert die Asymmetrie aus der Anwendung reflexiver Methoden zur Informationsgewinnung. Der Unterschied in den Weisen der Informationsgewinnung rechtfertigt aber weder die Annahme, dass das Wissen des Selbstbewusstseins aufgrund der Zuverlässigkeit seiner Methoden zustande kommt, noch die Behauptung, dass es in irgendeiner Form epistemisch privilegiert sei. Die Analyse der Eigenschaften, die Selbstbewusstsein zugeschrieben werden, hat also ergeben, dass es keine prinzipiellen Einwände gegen die These gibt, dass Selbstbewusstsein intersubjektive Bedingungen habe. Zwei der drei Eigenschaften haben sich zudem als konstitutiv für Selbstbewusstsein erwiesen. Dies jedoch nicht in dem Sinne, dass damit Eigenschaften des Wissens des Selbstbewusstseins benannt sind, die es als ein spezielles, von anderen Formen unterschiedenes Wissen charakterisieren. Vielmehr ist deutlich geworden, dass Selbstbewusstseins durch die speziellen Methoden und Praktiken bestimmt ist, aufgrund derer man zu einem Begriff von sich selbst gelangt. So konnte zwar die erste dem Selbstbewusstsein zugesprochene Eigenschaft, die Eigenschaft der Infallibilität, nicht verteidigt werden, gleichwohl gibt es aber gute Gründe für die Annahme, dass Selbstzuschreibungen objektiv gewiss sind, sobald es um das Subjekt der Zuschreibung geht. Auch für die Eigenschaft der Meinigkeit hat sich erwiesen, dass zwar nicht die Idee eines besonderen Wissens oder des Wissens einer besonderen Tatsache verteidigt werden konnte, dass sich Überzeugungen de se aber trotzdem von anderen Überzeugungen unterscheiden, weil sie auf reflexive Weise zugeschrieben werden. Lediglich die Eigenschaft der Transparenz konnte nicht auf eine Weise verteidigt werden, die sie als Merkmal des Begriffs von sich selbst ausweist. Denn mit der schwachen Transparenzthese ist nur unterstellt, dass mentale Zustände für das Subjekt, das sie hat, präsent sind, nicht jedoch, dass das Subjekt sie

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Die Eigenschaften von Selbstbewusstsein

sich selbst auch als präsent zuschreiben muss, weshalb Subjekte ihrer eigenen mentalen Zustände gewahr werden können, ohne dass ihnen deshalb schon Selbstbewusstsein im Sinne eines Begriffs von sich selbst zugesprochen werden müsste. Dieses Ergebnis hat nun allerdings Konsequenzen für den Begriff des Selbstbewusstseins. Denn jetzt kann nicht mehr behauptet werden, dass mit Selbstbewusstsein in jedem Fall ein Wissen thematisch ist, das in besonderer Weise subjektiv wäre. Wenn Selbstbewusstsein aber nicht so verstanden werden kann, dass ihm notwendigerweise ein Wissen von sich selbst zugrunde liegt, dann sind die Begriffe „Selbstwissen“ und „Selbstbewusstsein“ auch nicht mehr als identisch zu betrachten. Der Begriff „Selbstbewusstsein“ sollte daher nur dann verwendet werden, wenn man damit zum Ausdruck bringen will, dass ein Subjekt über einen Begriff von sich selbst verfügt. Die Art und Weise, wie der Begriff erworben wird, unterliegt dann allerdings intersubjektiven Bedingungen. Welche das sind, wird im nächsten Abschnitt gezeigt. Der Begriff „Selbstwissen“ hingegen sollte nur dann verwendet werden, wenn die Selbstzuschreibungen mentaler und anderer Eigenschaften mit bestimmten Geltungsansprüchen erhoben werden, die in intersubjektiven Handlungs- und Zuschreibungskontexten gerechtfertigt werden können. Sobald Selbstbewusstsein aber nicht mehr als ein besonderes Wissen interpretiert werden kann, entfällt natürlich auch die Berechtigung für die Fundierungsansprüche, die Selbstbewusstsein zugesprochen wurden. Selbstbewusstsein ist kein unbezweifelbares und damit fundamentales Wissen, auf dessen Schultern sich andere Wissensansprüche Geltung verschaffen könnten. Andererseits ist die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit des Wissens von sich selbst damit auch von allen Fundierungsansprüchen entlastet und man kann den Blick in freier Weise auf die Klärung des Begriffs „Selbstbewusstsein“ richten.

II. Ein Argument für intersubjektive Bedingungen Die Ausgangsannahme lautet, dass ein Subjekt Selbstbewusstsein hat, wenn es über einen Begriff von sich selbst verfügt. Der Begriff von sich selbst beruht nicht auf einem speziellen Wissen von sich, und zwar weder von sich als Subjekt noch von den eigenen mentalen Zuständen. Im Folgenden soll nun ein Argument vorgestellt und diskutiert werden, das die intersubjektiven Bedingungen des Begriffs von sich selbst explizit macht. Gelingt der Nachweis, dass andere Personen notwendig dafür sind, dass man über einen Begriff von sich selbst verfügt, dann ist gezeigt, was hier gezeigt werden soll, nämlich, dass Selbstbewusstsein intersubjektive Bedingungen hat. Das Argument lautet: (SBIN): 1.

Ein Subjekt (S) hat genau dann Selbstbewusstsein, wenn S an sich als an sich selbst denken kann. 2. S kann nur dann an sich als an sich selbst denken, wenn S sowohl Begriffe hat, die auf von S verschiedene Dinge zutreffen können, als auch über Begriffe verfügt, die auf von S verschiedene Subjekte zutreffen können. 3. S hat nur dann Begriffe, die auf von S verschiedene Dinge und Subjekte zutreffen können, wenn S Umgang mit von S verschiedenen Dingen und wechselseitige Interaktionen mit von S verschiedenen Subjekten hatte. Ergo: 4.

Wenn S Selbstbewusstsein hat, dann hat S Umgang mit von S verschiedenen Dingen und wechselseitige Interaktionen mit von S unterschiedenen Subjekten gehabt.

Da das Argument logisch gültig ist, hängt seine Überzeugungskraft von der Plausibilität der einzelnen Prämissen ab. Bevor diese jedoch genauer untersucht werden, sollen zwei Lesarten des Arguments unterschieden werden. Die erste Lesart weist das Argument als eines aus, das gegen eine egozentrische Perspektive argumentiert. In dieser Variante zeigt das Argument, dass der Begriff von sich selbst ein relationaler Begriff sein muss.

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Ein Argument für intersubjektive Bedingungen

Man kann nicht an sich selbst als sich selbst denken, ohne zugleich Begriffe von irgendetwas anderem zu haben. Nur auf diesem Weg kann die für Selbstbewusstsein grundlegende Unterscheidung zwischen mir selbst und anderen getroffen werden. In dieser Form findet sich das Argument bei Baker, die schreibt: (…) the first person perspective is relational in a certain sense. One cannot think of oneself as oneself* without concepts of other things by means of which to distinguish things as being different from oneself (…). It is only over and against other things in the world that one stands as a subject with a first-person-perspective.1

Für die relationale Lesart ist eine weitere Differenzierung zwischen „von S verschiedenen Dingen“ und „von S unterschiedenen Subjekten“ nicht notwendig, weil die Betonung auf der Ablehnung der egozentrischen Position liegt. Die zweite Lesart, die aus dem Argument dann eines für intersubjektive Bedingungen von Selbstbewusstsein macht, unterstellt allerdings die weitere Differenzierung zwischen „von S verschiedenen Dingen“ und „von S unterschiedenen Subjekten“ als notwendig. Dies geschieht aus zwei Gründen: Zum einen ist S nur dann in der Lage an sich selbst im Unterschied zu anderen Subjekten zu denken, wenn S über den Begriff eines psychologischen Wesens verfügt – neben jenen Begriffen, die auf von S verschiedene Dinge zutreffen. In das Argument müssen daher auch solche Begriffe eingehen, die sich auf psychologische Zustände und psychologische Subjekte beziehen. Dies ist übrigens eine Einsicht, die die meisten Intersubjektivitätstheoretiker – von Hegel über Löwith bis Sartre – teilen und die daher als konstitutiv für Intersubjektivitätstheorien anzusehen ist. Der zweite Grund ist dann ein definitorischer. Es soll gemäß der Bestimmung des Begriffs „Intersubjektivität“ gelten, dass Selbstbewusstsein genau dann intersubjektive Bedingungen hat, wenn gezeigt werden kann, dass wechselseitige Interaktionen mit anderen Subjekten für Selbstbewusstsein notwendig sind. Das in Richtung auf die intersubjektiven Bedingungen modifizierte Argument lautet demnach: (SBIN*)) 1.

Ein Subjekt (S) hat genau dann Selbstbewusstsein, wenn S an sich als an sich selbst denken kann. 2. S kann nur dann an sich als an sich selbst denken, wenn S über Begriffe verfügt, die auf von S verschiedene Subjekte zutreffen können.

1

Baker, 2000, 72.

Selbstbewusstsein als Begriff von sich selbst

3.

123

S hat nur dann Begriffe, die auf von S verschiedene Subjekte zutreffen können, wenn S wechselseitige Interaktionen mit anderen Subjekten hatte.

Ergo: 4. Wenn S Selbstbewusstsein hat, dann hatte S wechselseitige Interaktionen mit anderen Subjekten. Man kann das Verhältnis von erster und zweiter Lesart des Arguments auch als eines von notwendiger und hinreichender Bedingung beschreiben. Der relationale Charakter des Begriffs von sich selbst ist eine notwendige Bedingung der Argumentation für intersubjektive Bedingungen von Selbstbewusstsein. Die Ausweisung dieser Beziehung als einer zwischen Subjekten ist hingegen eine hinreichende Bedingung für die Behauptung intersubjektiver Bedingungen.

1. Selbstbewusstsein als Begriff von sich selbst Die erste Prämisse beinhaltet zunächst die Definition für den Begriff des Selbstbewusstseins, die in dem Argument vorausgesetzt sein soll. Ein selbstbewusstes Individuum kann sich auf sich selbst als sich selbst beziehen; es hat einen Begriff von sich. Die Redeweise des „sich auf sich als sich selbst beziehen“ soll deutlich machen, dass das Subjekt grundlegend in der Lage ist, bestimmte mentale Zustände als seine eigenen zu begreifen und sich selbst als Träger dieser mentalen Zustände zu verstehen. Auf diese Weise können Castañedafälle ausgeschlossen werden, die immer dann gegeben sind, wenn ein Subjekt Überzeugungen über sich hat, die keine Überzeugungen de se sind.2 Ein Subjekt hat somit Selbstbewusstsein, wenn es dem Satz „Ich glaube/weiß, dass ich selbst φ“ zustimmen würde. Gegen das Verständnis von Selbstbewusstsein als das Verfügen über einen Begriff von sich selbst ist von den Verteidigern eines nichtbegrifflichen Selbstbewusstseins argumentiert worden. Sie nehmen an, dass Selbstbewusstsein auch schon dann vorliege, wenn ein Subjekt über eine eigene Erfahrungsperspektive verfügt. Sofern man bereit sei zuzugestehen, dass jedes phänomenale Erleben durch eine subjektive Erlebnisperspektive gekennzeichnet ist, dass es folglich immer ein erlebendes Ich gibt, das Empfindungen, Emotionen und Wahrnehmungen auf eine bestimmte Art und Weise als die eigenen erlebt, spräche nichts dagegen, diese subjektive Erlebnisperspektive als eine Form von Selbstbewusstsein zu charakte-

2

Vgl. S. 88, Fn. 126 in dieser Arbeit.

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Ein Argument für intersubjektive Bedingungen

risieren. Dafür aber sei das Verfügen über einen Begriff von sich selbst gar nicht notwendig.3 Die hauptsächliche Schwierigkeit, mit der diese Theorien zu kämpfen haben, besteht darin, eine Erklärung für die Reflexivität der Selbstbezugnahme anzubieten, und zwar ohne dabei auf begriffliche Kompetenzen seitens des Individuums zurückzugreifen. Sie müssen nämlich zeigen können, dass es Überzeugungen de se geben kann, die nicht an die Als-Struktur gebunden sind. Zunächst gibt es die Möglichkeit nicht-begriffliches Selbstbewusstsein zu behaupten, indem man sich auf die Annahme eines unmittelbaren, identifikationsfreien Selbstbezugs verpflichtet, als besondere Art und Weise, in der sich ein Individuum selbst gegeben ist.4 Dieser Selbstbezug muss identifikationsfrei sein, weil Identifikation durch Prädikation erfolgt, was jedoch entsprechend den Voraussetzungen für nicht-begriffliches Selbstbewusstsein ausgeschlossen sein soll. Prinzipiell ist gegen die Annahme eines solchen Selbstbezugs, der ohne vorherige Selbstidentifikation auskommt und deshalb nicht erworben oder erlernt werden muss, nichts einzuwenden. Denn natürlich reagieren, wie Schnädelbach bemerkt, „nicht nur Menschenkinder, sondern offenbar alle Lebewesen mit einem zentralen Nervensystem auf ihre Schmerzen“, weil das Vermögen der Selbstreferenz „ursprünglich somatisch bedingt ist“.5 Die Frage ist nur, welchen epistemischen Stellenwert ein solcher Selbstbezug einnehmen sollte. Deklariert man schon das Vermögen zur Selbstreferenz als Selbstbewusstsein, dann trivialisiert man den Begriff. Tatsächlich umfasst der Begriff „Selbstbewusstsein“ aber weit mehr als das bloße Vermögen der Selbstreferenz, nämlich die Fähigkeit sich auf sich selbst in bewusster Weise zu beziehen. Wenn das jedoch so ist, dann sollte man zeigen können, wie das Vorliegen eines identifikationsfreien Selbstbezugs bestimmt werden kann, wenn zugleich ausgeschlossen sein soll, dass der Selbstbezug über die Zuschreibung von Überzeugungen de se identifiziert wird. Will man sich nicht den Einwänden aussetzen, die sowohl gegen Henrichs „wissende Selbstbeziehung“ als auch gegen Franks „Selbstvertrautheit“ vorgebracht wurden, dann muss man ein spezifisches Verhalten ausweisen können, das als hinreichender Grund für die Zuschreibung von Selbstbewusstsein angesehen

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Einen Überblick über die Debatte geben: U. Kriegel/K. Williford Self-Representational Approaches to Consciousness, Cambridge/Mass. 2006; J. L. Bermúdez et al. (Hrsg.), The Body and the Self, Cambridge/Mass. 1995; vgl. auch S. Hurley, Consciousness in Action, Cambridge/Mass. 1998. Siehe dazu A. Newen, „Selbst und Selbstbewußtsein aus philosophischer und kognitionswissenschaftlicher Perspektive“, in: A. Newen/K. Vogeley (Hrsg.), Selbst und Gehirn, Paderborn 2000, 19–55; Zahavi, 2005. Schnädelbach, 2004, 221.

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werden kann. Diesen Weg geht Bermúdez, indem er behauptet, dass es für die Annahme eines nicht-begrifflichen Selbstbewusstseins genüge, „Verhaltensweisen bei vor- oder nichtsprachlichen Lebewesen zu identifizieren, bei denen der Schluss auf die beste Erklärung die Zuschreibung von Zuständen mit nichtbegrifflichen Erste-Person-Inhalt erforderlich macht.“6 Welche Verhaltensweisen kommen hier in Frage? Bermúdez zufolge sind es solche, die anzeigen, dass 1. das Individuum aufgrund von propriozeptiven Informationen agiert, dass es 2. eine Grenze zwischen Selbst und Nicht-Selbst ziehen kann und sich 3. als Träger reaktiver Einstellungen erlebt. Identifizierbar sollen derartige selbstbewusste Verhaltensweisen dann im Bereich sozialer Interaktionen sein, an denen vorsprachliche und nichtsprachliche Subjekte beteiligt sind. Innerhalb solcher sozialen Interaktionen mache der Schluss auf die beste Erklärung die Annahme erforderlich, „dass solche Subjekte die relevanten psychologischen Kategorien auf sich selbst und andere anwenden“.7 Zunächst klingt Bermúdez Vorschlag interessant, weil er eine Theorie vorlegt, die davon ausgeht, dass soziale Interaktionen zwischen Subjekten zu den notwendigen Bedingungen von Selbstbewusstsein gehören, nur mit dem Unterschied, dass die sozialen Interaktionen nicht notwendigerweise zu einem begrifflich strukturierten Bewusstsein von sich selbst führen. An dieser Stelle ist es wichtig zwischen einer „intersubjektiven Interaktion“ und bloßer „Kooperation“ zu unterscheiden. Im Gegensatz zu Kooperationen sind intersubjektive Interaktionen dadurch bestimmt, dass sich Subjekte wechselseitig und intentional aufeinander beziehen.8 Mit Mead könnte man daher argumentieren, dass das einzige soziale Verhalten, das tatsächlich in dem geforderten, d. i. intersubjektivem Sinne interaktiv ist, die Kommunikation zwischen mindestens zwei Subjekten ist, weil nur Kommunikation Wechselseitigkeit garantiert.9 „Wechselseitigkeit“ heißt in diesem Zusammenhang, dass ein Subjekt sowohl absichtsvoll agieren als auch die Reaktionen der angesprochenen Individuen auf seine eigene Aktion zurückbeziehen kann. Man kann Bermúdez allerdings nicht vorwerfen, dass er den Unterschied zwischen „intersubjektiver Interaktion“ und bloßer

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J. L. Bermúdes, „Nichtbegriffliche Selbsterfahrung und das Paradox des Selbstbewusstseins“, in: A. Newen/K. Vogeley (Hrsg.), Selbst und Gehirn, Paderborn 2000, 79–99, 83. A. a. O., 91. Siehe zu einer ähnlich geführten Unterscheidung R. Bogdan, Minding Minds, Cambridge/Mass. 2000, 25. Bogdan unterscheidet zwischen interaktiv und intersubjektiv agierenden Wesen, wobei die Bedingung der Wechselseitigkeit nur von intersubjektiv handelnden Wesen erfüllt wird. Siehe dazu insbesondere die Seiten 145–153 in dieser Arbeit.

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„Kooperation“ einebnete, denn er bezieht sich in der Tat auf kommunikative Interaktionen: die Interaktion zwischen Eltern und ihren Kindern in den ersten Lebensmonaten. In dieser Zeit entwickeln Kinder in der Interaktion mit ihren Bezugspersonen die Kategorie eines psychologischen Subjekts, die Bermúdez wie folgt definiert: I offer the following as a core of the notion of a self-aware psychological subject: Psychological subjects with a perspective on the world are aware of themselves as perceivers, agents, and as having reactive psychological states.10

Im Anschluss an Trevarthens Untersuchung zur Mutter-Kind-Kommunikation11 glaubt Bermúdez dann zeigen zu können, dass die, in dieser frühkindlichen Kommunikation erworbenen Fähigkeiten, die Zuschreibung einer frühen Form von Selbstbewusstsein erfordern, weil das Kind die Kategorie eines psychologischen Subjekts erfüllt. Tatsächlich gibt es jedoch keinen Grund, der dafür spricht, dass die Kommunikation mit der Bezugsperson zu einem Bewusstsein von sich selbst führt, das nicht-begrifflich ist. Im Gegenteil alle Beschreibungen, die Bermúdez dafür findet, dass das Kind sich selbst als ein Subjekt erfährt, das wahrnimmt, handelt und emotionale Einstellungen hat, haben eine propositionale Struktur. Zum Beispiel erkennt das Kind: „Mutter will von mir, dass ich dorthin schaue, wo sie hinschaut“ oder „Mutter will, dass ich ihr den Ball gebe“ oder „Mutter ist wie ich; sie reagiert in gleicher Weise auf Ereignisse wie ich“. Die Annahme, dass es sich trotzdem um eine nicht-begriffliche Form von Selbstbewusstsein handelt, stützt Bermúdez durch eine Argumentation dafür, dass man über Begriffe nur innerhalb einer Sprache verfügen kann.12 Die Frage ist nur, ob dies auch tatsächlich der Fall ist. Meiner Ansicht nach, gibt es gute Gründe anzunehmen, dass die Grenzlinie nicht zwischen begrifflich und nicht-begrifflich sondern zwischen sprachlich im Sinne der uns geläufigen Wortsprache und nicht-sprachlich aber kommunikativ verläuft. Auch nicht- oder vorsprachliche Wesen können über einfache Begrif-

10 J. L. Bermúdez, The Paradox of Self-Consciousness, Cambridge/Mass. 1998, 247. 11 C. Trevarthen, „The Self Born in Intersubjectivity: The Psychology of an Infant Communicating“, in: U. Neisser (Hrsg.), The Perceived Self: Ecological and Interpersonal Sources of Self-Knowledge, Cambridge 1993, 121–173. 12 Vgl. Bermúdes, 2000, 82, wo er sagt: „Da Begriffe sprachabhängig sind und es gute Gründe gibt, nichtsprachlichen Lebewesen Gedankeninhalte zuzuschreiben, müssen wir die Existenz von nichtbegrifflichen Inhalten akzeptieren. Ein nicht-begrifflicher Inhalt ist ein Inhalt, der einem Denker zugeschrieben werden kann, ohne daß der Denker über die Begriffe verfügen muß, die nötig sind, um den Inhalt zu spezifizieren. Ich verteidige die Behauptung (die ich das Prioritätsprinzip nenne), daß Begriffe nur von Sprachbenutzern beherrscht werden können. Nicht-sprachliche Gedanken können nur Gedanken mit nichtbegrifflichem Inhalt sein, weil Begriffe wesentlich sprachliche Phänomene sind“.

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fe verfügen, sofern sie diese innerhalb der Kommunikation mit anderen Wesen erwerben.13 In der Tat erwirbt das Kind in den ersten Lebensmonaten einen Begriff von sich selbst und zwar in der Kommunikation mit seinen Bezugspersonen. Es verfügt über diesen Begriff aber erst dann, wenn es ihn im Zuge des Spracherwerbs artikulieren kann, indem es Überzeugungen de se zum Ausdruck bringt. Solange es dies noch nicht in der zu erlernenden natürlichen Sprache tun kann, ist man aber durchaus berechtigt ihm bestimmte Überzeugungszustände im Sinne Perrys zuzuschreiben. Denn genau dazu gibt die soziale Interaktion zwischen Kind und Bezugsperson Anlass: Sie bringt die Beobachter (die Bezugsperson) dazu, dem Kind Überzeugungszustände der oben genannten Art auch dann zu unterstellen, wenn es sie nicht formulieren kann. Der Grund, der zu dieser Zuschreibung berechtigt, liegt in den sozialen Verhaltensweisen, durch die das Kind auf kommunikative und reflexive Weise Informationen über sich selbst erwirbt und aufgrund derer es den Begriff von sich selbst bildet. Die Annahme eines nicht-begrifflichen Selbstbewusstseins muss also keinesfalls als Schluss auf die beste Erklärung gewertet werden. Sobald sich das Kind durch seine Verhaltensweisen in sozialen Interaktionen als ein psychologisches Subjekt ausweist,14 können ihm durchaus Überzeugungszustände von Überzeugungen de se unterstellt werden, die eine Sachverhaltsstruktur haben. Und zwar auch dann, wenn es noch nicht über eine Sprache verfügt. Natürlich hängt für das Argument (SBIN*)) letztlich nichts von der Plausibilität und Überzeugungskraft der hier geführten Gegenargumentation ab. Man kann an dieser Stelle nämlich genauso gut einfach eine begriffliche Entscheidung treffen, die besagt, dass Selbstbewusstsein eben nur dann vorliegt, wenn ein Subjekt Überzeugungen de se hat. Alle Fälle, bei denen der Selbstbezug nur als das Vermögen zur Selbstreferenz verstanden werden kann, wären demnach schlicht keine Fälle von Selbstbewusstsein. Damit ist die erste Prämisse von (SBIN*)) hinreichend verteidigt. Die zweite Prämisse beinhaltet dann die Strawson-Evans-Bedingung, der zufolge ein psychologisches Prädikat nur dann sinnvoll auf einen selbst angewendet werden kann, wenn es zugleich für die Zuschreibung psychologischer Prädikate an andere Subjekte verwendet werden kann. Nur wenn diese Bedingung erfüllt ist, ist auch garantiert, dass psychologische Prädi-

13 Ich werde auf diese Diskussion im nächsten „Kapitel ausführlich zurückkommen. Siehe insbesondere die Seiten 225–228. 14 Bermúdez nennt drei Verhaltensweise, die hier eine Rolle spielen: „joint visual attention“, „coordinated joint engagement“ und „social referencing“. Vgl. Bermúdez, 1998, 258f. Ich werde auf die genannten drei Merkmale sozialen Verhaltens zurückkommen.

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Ein Argument für intersubjektive Bedingungen

kate eine perspektivenübergreifende Bedeutung haben und mentale Zustände identifiziert werden können. Für die zweite Prämisse ist schon an anderer Stelle argumentiert worden, weshalb ihre Geltung hier als plausibilisiert unterstellt werden kann.15

2. Meads Theorie des Selbst Der für das Argument entscheidende Schritt wird mit der dritten Prämisse vollzogen. Mit ihr wird behauptet, dass ein Subjekt nur dann Selbstbewusstsein haben kann, wenn es mit anderen Subjekten interagiert. Gelänge eine überzeugende Begründung dieser Behauptung, dann wäre gezeigt, dass Interaktionen mit anderen Subjekten für die Zuschreibung von Selbstbewusstsein tatsächlich notwendig sind. Können diese Interaktionen zudem als reziproke Interaktionen beschrieben werden, dann wäre zugleich das entscheidende Kriterium für das Vorliegen einer intersubjektiven Beziehung erfüllt: die wechselseitige Interaktion mit anderen Subjekten. Zur Begründung der mit dem dritten Argumentationsschritt aufgestellten Behauptung soll die Theorie des Selbst von Mead diskutiert werden. Meads Theorie des Selbst kann in ihrer Gesamtheit nicht nur als eine Argumentation für den dritten Schritt von (SBIN*)) betrachtet werden; sie ist zugleich die erste Intersubjektivitätstheorie, die das Selbstbewusstsein des empirischen Subjekts, genauer dessen kognitive Bezugnahme auf die eigenen mentalen Zustände zum Gegenstand hat. In dieser Hinsicht unterscheidet sie sich wesentlich von den Intersubjektivitätstheorien Fichte und Hegels, die ja Selbstbewusstsein in erster Linie unter dem Aspekt der Fundierung von Wissen betrachtet haben. Die generelle These, die Mead begründen will, besagt dann, dass ein Subjekt nur dann einen Begriff von sich selbst entwickeln und somit über Selbstbewusstsein verfügen kann, wenn es mit anderen Subjekten interagiert. Diejenige Interaktionsform, die Mead als die einzige gelten lässt, die tatsächlich Selbstbezüglichkeit begründen kann und die zugleich die für das Vorliegen einer intersubjektiven Beziehung notwendige und hinreichende Bedingung der Reziprozität erfüllt, ist die der Kommunikation zwischen Subjekten. Meads Argumentationsweise ist nicht immer klar und deutlich. Deshalb ist die Darstellung seiner Theorie des Selbst zugleich eine Rekonstruktion. Diese Rekonstruktion der argumentativen Grundzüge seiner Theorie ist aber trotz der genannten Schwierigkeiten lohnend, weil Mead in ihr die für Intersubjektivitätstheorien grundlegenden Begriffe prägt.

15 Siehe Kapitel I, Abschnitt 2.4.

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2.1 Naturalisierung durch Pragmatisierung: Die Definition des Psychischen Mead gewinnt die Prämissen seiner Theorie zunächst über eine grundlagentheoretische Diskussion des spezifischen Gegenstandsbereichs, der die Psychologie als eigenständige und zugleich empirische Wissenschaft definieren soll. Er fragt sich, wie das Psychische so definiert werden muss, dass es als Gegenstand einer wissenschaftlichen Psychologie fungieren kann. Der allgemeine Begriff „das Psychische“ umfasst dabei alle mentalen Zustände eines Subjekts, die ihm in der Erste-Person-Perspektive zugänglich sind. Um eine klare Abgrenzung des Gegenstandes einer empirisch ausgerichteten Psychologie von dem Selbstbewusstseins- oder IchBegriff der philosophischen Tradition im Ausgang von Kant, Fichte und Hegel zu ermöglichen, formuliert Mead drei Bedingungen, die für eine Bestimmung des Psychischen im geforderten Sinne erfüllt sein sollten. 1. Es gilt, ein Kriterium zu formulieren, das psychische Zustände in Abgrenzung von „physiologischen und physikalischen Prozessen“16 definiert, da das Merkmal der Eigenständigkeit nur dann gegeben ist, wenn die Psychologie als Wissenschaft auch einen eigenen Forschungsgegenstand beanspruchen kann. 2. Sofern sich die Psychologie als eine Wissenschaft versteht, deren Forschungsgegenstand die psychischen Zustände eines Individuums sind, müssen diese mit den begrifflichen Mitteln der Naturwissenschaften erfasst werden können. Eine Voraussetzung dafür sei aber, so Mead, dass „das Bewußtsein des Individuums im Sinne naturwissenschaftlicher Gegenstände als gegeben anzusehen“ ist.17 3. Die Definition des Psychischen sollte nicht reduktionistisch sein. Sie sollte sowohl Daten von mentalen Zuständen und Ereignissen umfassen, als auch solche, die das Verhalten und bestimmte körperliche Zustände des Individuums betreffen. Nur wenn diese drei Bedingungen erfüllt sind, lässt sich nach Mead das Vorhaben einer wissenschaftlichen Psychologie auch in die Tat umsetzen. Wie anhand der aufgestellten Bedingungen deutlich wird, ist die von Mead angewandte Methode die einer begrifflichen Untersuchung. Es geht ihm um die Klärung des Begriffs „das Psychische“ und nicht um eine Beschreibung des Phänomens oder um eine Diskussion der experimentellen Mittel zu dessen Erfassung.

16 G. H. Mead, „Die Genesis der Identität und die soziale Kontrolle“, in: ders.: Gesammelte Aufsätze, hg. von H. Joas, Frankfurt/Main, Bd. I [GA I], 299–328, 301/engl., „The Genesis of the Self and Social Control“, in: ders., Selected Writings, ed. by A. J. Reck, Chicago and London 1964, [SW], 267–293, 269. 17 Ebd., hervorgehoben von mir.

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In der Diskussion der Mead vorliegenden Bestimmungsversuche stellt sich für ihn schnell heraus, dass vor allem die zweite Bedingung zu unerwünschten Konsequenzen führt. Denn der Anspruch auf naturwissenschaftliche Objektivität scheint mit der ersten Bedingung, dem Psychischen als Untersuchungsgegenstand einen eigenständigen Wert zuzusprechen, in Widerstreit zu geraten. Besonders deutlich wird das bei den beiden zu seiner Zeit vorherrschenden psychologischen Theorien, dem psychophysischen Parallelismus und dem psychologischen Behaviorismus. Beiden Positionen ist gemeinsam, dass sie das Psychische zunächst durchaus als einen Gegenstand empirischer Forschung ernst nehmen, sich dann aber hauptsächlich auf Daten berufen, die der physischen Welt entstammen. Dieses Problem, so glaubt Mead, lässt sich nur lösen, wenn man den Begriff des Psychischen neu bestimmt. 2.1.1 Meads Kritik am Parallelismus und am Behaviorismus Der psychophysische Parallelismus scheint die von Mead aufgestellten Bedingungen zunächst problemlos zu erfüllen.18 Einerseits gesteht er der Psychologie das Recht der Eigenständigkeit zu, indem er den Bereich des Psychischen als einen gleichberechtigten Forschungsbereich neben den der physischen Erscheinungen stellt; andererseits ist er nichtreduktionistisch, weil die psychischen Zustände in Relation zu körperlichen Zuständen untersucht werden. In einer allgemeinen Formulierung lautet die Hauptthese des Parallelismus: Parallel zu jedem psychischen Ereignis gibt es ein physisches Ereignis, das in naturwissenschaftlicher Terminologie beschrieben werden kann.19 Ursache und Wirkung von psychischen Sachverhalten können aufgrund der angenommenen strikten Parallelität durch Rückgriff auf physische Kausalität verständlich gemacht werden. Der Psychologe verfügt somit in jedem Fall über wissenschaftlich verwertbare Daten, die durch Beobachtung erworben wurden und intersubjektiv zugänglich sind. „Eine

18 Die nachfolgende Rekonstruktion der beiden psychologischen Theorien soll als eine Art Folie dienen, vor deren Hintergrund sich Meads eigene Position herausarbeiten lässt. Sie ist deshalb an Meads Blick auf die jeweilige Theorie orientiert und erhebt keinesfalls den Anspruch eine angemessene, ausgewogene und faire Wiedergabe der entsprechenden psychologischen Theorie zu geben. 19 Mead nennt als Vertreter des psychophysischen Parallelismus: O. Külpe, Grundriß der Psychologie, Leipzig 1893; W. Wundt, Grundzüge der physiologischen Psychologie, Leipzig 1874; ders., Logik – Eine Untersuchung der Erkenntnis und der Methoden wissenschaftlicher Forschung, Bd. 1–3, Stuttgart 1908; ders., System der Philosophie, Leipzig 1889; H. Münsterberg, Grundzüge der Psychologie, Leipzig 1900.

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derartige Darstellung“, so stellt Mead daher auch fest, „bietet den Vorzug, im landläufigen Sinne ohne jeden Zweifel wissenschaftlich zu sein. Sie findet bestimmte Daten vor, die sie einfach als gegeben behandelt.“20 Der genannte Vorteil reicht jedoch nicht aus, um die Nachteile auszugleichen. Denn entgegen seiner eigenen Behauptung bleibt der Parallelismus auf Aussagen über physische Sachverhalte beschränkt, weshalb alle Aussagen über psychische Sachverhalte letztlich als unbegründet zurückgewiesen werden müssen. Der Grund dafür ist folgender: Gemäß den Annahmen des psychophysischen Parallelismus besteht zwischen psychischen und physischen Zuständen keine kausale Beziehung. Die Zustände werden zwar als parallel aber nicht als kausal verbunden gedacht. Damit ist die Relation der Parallelität zwischen den physischen Daten und den psychischen Ereignissen zunächst nichts anderes als eine Hypothese innerhalb einer bestimmten psychologischen Theorie, die es aber erst noch zu beweisen gilt. Solange es jedoch keinen unabhängigen Beweis dafür gibt, dass psychische und physische Ereignisse tatsächlich in einer strikten Parallelität ablaufen, sind die einzigen Daten, auf die sich der psychophysische Parallelismus begründet berufen kann, die der physischen Welt. Der zunächst unterstellte Vorteil der parallelistischen Psychologie, den Bereich des Psychischen gleichberechtigt neben den der physischen Erscheinungen stellen zu können, verkehrt sich in sein genaues Gegenteil. Das Psychische ist derjenige Teil der Relation, der völlig unbestimmt bleibt. Wie Mead klar sieht, ist der Grund für diese Konsequenz die Aufspaltung der Erfahrung in zwei Bereiche, die dann jeweils unterschiedlichen Erkenntniskriterien unterliegen.21 Auf diese Weise trenne der Parallelismus das psychische Bewusst-

20 G. H. Mead, „Die Definition des Psychischen“, in: [GA I], 83–148, 90/engl., „The Definition of the Psychical“, in: [SW], 25–59, die angegebene Stelle findet sich im engl. Text nicht, weil der Aufsatz nur unvollständig veröffentlicht ist. 21 Besonders deutlich wird der von Mead kritisierte Dualismus in der „Theorie der doppelten Erfahrung“ von Wilhelm Wundt. Wundt unterscheidet zwischen einer Sphäre unmittelbarer Subjektivität, zu der er den Willen und die Emotionen rechnet, und einer Sphäre mittelbarer Subjektivität, zu der all jene psychischen Zustände zu rechnen sind, die auf Objekte bezogen sind. Im zweiten Fall ist das Psychische das, was vom Objekt der Wahrnehmung abgezogen ist, nachdem diese einer erkenntnistheoretischen Reflexion unterzogen worden ist. Wundt denkt dabei in erster Linie an Vorstellungen, deren objektive Bezugspunkte – nach der Reflexion – nicht mehr die Gegenstände selbst sondern begriffliche Objekte bilden. Meads Einwand gegen Wundt lautet daher, dass mit dieser Verdoppelung der Erfahrungsgegenstände die von Wundt zunächst intendierte Überwindung des Dualismus lediglich in den Bereich des Psychischen verschoben wurde. (Vgl. insb. [GA I], 115f/engl., [SW], 30.) Wir haben es nun zwar nicht mehr mit unterschiedlichen Erfahrungsbereichen zu tun, dafür aber mit unterschiedlichen Arten von

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sein vom physischen Körper, wie die Metaphysik „den metaphysischen Körper von der metaphysischen Seele aufgrund ihrer entgegengesetzten Qualitäten getrennt“22 habe. Meads Schlussfolgerung lautet dementsprechend, dass der nicht hinreichend reflektierte Dualismus letzten Endes verhindere, dass das psychische Bewusstsein als ein „besonderes Entwicklungsstadium der Wirklichkeit“23 dargestellt werden kann. Damit verfehlt aber der Parallelismus genau jene Bedingung, die für die Etablierung der Psychologie als Wissenschaft notwendig ist: die Annahme, dass das Psychische im Sinne naturwissenschaftlicher Gegenstände gegeben ist. Die behavioristische Psychologie scheint im Gegensatz zum psychophysischen Parallelismus nicht auf eine dualistische Position festgelegt zu sein. Ihre Untersuchungsdaten – das Verhalten und die Reaktionen des Individuums – sind intersubjektiv zugänglich und somit prinzipiell mit dem Beschreibungsinstrumentarium der Naturwissenschaften zu erfassen. Einen zusätzlichen Vorteil der Erklärung psychischer Zustände mithilfe von Verhaltensbegriffen sieht Mead darin, dass Bewusstsein als ein dynamischer Prozess verstanden werden kann und nicht mehr als ein bloß passives Aufnehmen von Eindrücken. Für Mead ist dies in zweifacher Hinsicht wichtig. Zum einen lassen sich damit die durch das Subjekt-Objekt-Modell des Selbstbewusstseins induzierten Zirkel und Regresse umgehen, weil man nicht mehr auf die Behauptung mentaler Objekte verpflichtet ist: Wenn das Subjekt ein Ding ist, dann können wir von ihm als demjenigen sprechen, das versucht, sich selbst zu analysieren, und stets scheitern muss. Wenn das Subjekt ein Stadium in einem Prozeß ist, dann ist die ganze Schwierigkeit verschwunden. Es versucht dann nicht, sich selbst wie ein Ding zu analysieren. Seine Analyse ist nur ein Moment in der Bewegung des Bewußtseins.24

psychischen Inhalten: jenen, die unmittelbar psychisch sind und jenen, die erst aufgrund einer Abstraktionsleistung psychisch werden. Vgl. [GA I], 88f. 22 G. H. Mead, „Welche sozialen Objekte muß die Psychologie voraussetzen?“, in: [GA I], 222–231, 222/engl., „What Social Objects Must Psychology Presuppose?“, in: [SW], 105–112, 105. 23 [GA I], 223/engl., [SW], 106. 24 G. H. Mead, „Zur Frage der Gültigkeit einer neuen Kritik des Hegelianismus“, in: [GA I], 49–59, 59. Anknüpfungspunkt für Mead ist hier u. a. James Konzeption des Bewusstseins als „stream that flows“. Im Unterschied zu James wird Bewusstsein von Mead aber nicht als fundierende Dimension betrachtet. Mead beruft sich zwar mitunter auf die Konzeption des Bewusstseinsstroms, aber nur soweit sie seine eigene Position veranschaulichen kann. Den impliziten Dualismus der jamesschen Bewusstseinstheorie lehnt er jedoch entschieden ab. Vgl. insb. [GA I], 105–113, 128f, siehe auch G. H. Mead, „Mind Approached through Behavior – Can its Study Be made Scientific“, in: On Social Psychology. Selected Papers (ed. and with an Introduction by A. Strauss), Chicago 1964, 65–82, 66.

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Zweitens passt die Konzeption eines dynamischen Bewusstseins zu der von Mead vertretenen Wahrnehmungstheorie. Wahrnehmung, so behauptet Mead nämlich, „sei ein Prozeß der bewußten Vermittlung innerhalb einer Handlung“.25 Mead nimmt an, dass gegenständliche Objekte als Objekte mit bestimmten Eigenschaften erst in der Wahrnehmung konstituiert werden. Er unterscheidet zwischen den sogenannten Distanzsinnen – die visuellen, olfaktorischen und auditiven Sinne – und den Kontaktsinnen. Letztere ermöglichen Erfahrungen, die man nur machen kann, wenn man Objekte handhabt und sie manipuliert. Die eigentliche Wahrnehmung findet dann erst durch Vermittlung der verschiedenen Erfahrungsgehalte innerhalb einer Handlung statt. Während die Distanzsinne „feine“ Unterscheidungen an den Objekten ermöglichen, stellen die Kontakterfahrungen den referentiellen Bezug der Wahrnehmung sicher. Wahrnehmung wird somit von Mead als Teil eines umfänglichen Handlungszusammenhangs verstanden.26 Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass es für den passiven Vorgang bloßer Reizverarbeitung in diesem Konzept einer aktiven Wahrnehmung kein Platz gibt. Es ist daher auch nicht sinnvoll anzunehmen, dass ein Individuum Selbstbewusstsein dadurch entwickelt, dass es für sich selbst zum Objekt wird. Die Vorstellung einer handlungsimmanenten Objektkonstitution ist also ein weiterer Grund, der dafür spricht, nach Alternativen zum Subjekt-Objekt-Modell der klassischen Bewusstseinsphilosophie zu suchen. Trotz der genannten Vorzüge sind die Nachteile des psychologischen Behaviorismus erheblich.27 Der hauptsächliche Nachteil liegt darin, dass es insbesondere die subjektive Erfahrung ist, die nicht mit der behavioristischen Terminologie bedingter Reflexe zu erfassen ist.28 Während Watson

25 G. H. Mead, „Über tierische Wahrnehmung“, in: [GA I], 149–158, 158/engl., „Concerning Animal Perception“, in: [SW], 73–81, 81. 26 Wahrnehmung hat für Mead also in jedem Fall eine begriffliche Struktur, da Objekte immer als so-und-so-seiend wahrgenommen werden. Es kann, so sagt Mead an einer Stelle, „keine absolut verbindliche Trennlinie zwischen einem solchen wahrnehmenden Bewußtsein und den abstrakten Vorgängen des sogenannten Verstandesgebrauchs gezogen werden“. Ebd. 27 Mead bezieht sich in seiner Kritik am Behaviorismus vor allem auf Watson. Siehe J. Watson, Behaviorismus. Erg. durch den Aufsatz Psychologie, wie sie der Behaviorist sieht, Frankfurt/Main 1997/engl., Psychology from the Standpoint of a Behaviorist, London 1980. 28 Mead macht deutlich, dass das Problem des Behavoirismus seine unreflektierte Herkunft aus der Tierpsychologie ist: „It is a type of psychology which was developed first of all in the study of animals. There you are necessarily shut off from any so-called field of consciousness. You cannot deal with the consciousness of the animal; you have to study his actions, his conduct. And these psychologists

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zur Vermeidung explanatorischer Konflikte von vornherein auf Begriffe wie „Geist“ und „Bewusstsein“ verzichtet und behauptet, alle geistigen Phänomene seien auf bedingte Reflexe und ähnliche physiologische Mechanismen zu reduzieren, beharrt Mead darauf, dass die angestrebte Definition des Psychischen ausdrücklich die subjektiven Erfahrungen erklären können muss. Gegen eine Reduktion auf bedingte Reflexe spricht in Meads Augen daher vor allem, dass der psychologische Behaviorismus mit seiner Verpflichtung auf das Reiz-Reaktion-Modell nicht erklären kann, weshalb wir uns selbst eine Autorität über die eigenen mentalen Zustände zusprechen. Dabei, so Mead, ist die Autorität der ersten Person über bestimmte psychische Zustände schlicht nicht bestreitbar: But there is something definitely private. Take a man’s intentions, for example. We do not know what he is going to do. He has an advantage over us on that account.29

Die behavioristische Definition des Psychischen, die auf alltagspsychologische Begriffe verzichtet, hat jedoch keine begrifflichen Möglichkeiten, die Autorität der ersten Person zu erklären. Sie verfehlt also schlichtweg ihren eigenen Explikationsanspruch. Dabei ist man, so glaubt Mead, durch die Behauptung, dass der Weg zu einer Erklärung des Psychischen über das Verhalten führt, keineswegs darauf festgelegt, die subjektiven Erfahrungen zu leugnen. Der Zwang zur Leugnung entstehe erst dadurch, dass die behavioristische Psychologie „Geist oder Bewußtsein auf rein behavioristische Begriffe reduziert“, statt sie „im Rahmen dieser Begriffe zu erklären, ohne sie dabei wegzuerklären oder ihre Existenz zu bestreiten.“30 Ein zusätzlicher Grund, der gegen eine Reduktion auf bedingte Reflexe und andere physiologische Mechanismen spricht, ist folgender: Will man Verhaltensgesetze formulieren, dann benötigt man empirische Prinzipien, die vergangenes mit zukünftigem Verhalten in Beziehung setzt. Dabei kommt man nicht mit Prinzipien aus, die das fragliche Verhalten ausschließlich durch eine kausale Geschichte von Reiz und Reaktion erläutern. Einerseits ist es schwierig, zukünftiges Verhalten zu prognostizieren, ohne sich dabei auf propositionale Einstellungen wie Absichten, Wünsche und Überzeugungen zu beziehen. Andererseits sind die äußeren Reize, die die Grundlage für eine derartige Vorhersage bilden sollen, zu unterbestimmt,

carried over the method of animal psychology into human psychology“. Mead, 1964, 69. 29 Mead, 1964, 79. 30 G. H. Mead, Geist, Identität und Gesellschaft (aus der Sicht des Sozialbehaviorismus), Frankfurt/Main 1995 [GIG], 48/engl., Mind, Self, & Society (from the Standpoint of a Social Behaviorist), ed. and with an Introduction by Charles W. Morris, Chicago 1934 [MSS], 10.

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um spezifisches Verhalten erklären zu können. Laut Dewey ist es ohnehin prinzipiell fraglich, wie ein einzelner feststehender kausaler Reiz für die Erklärung einer bestimmten Reaktion angeführt werden kann.31 Ohne auf den Charakter der gesamten Handlung vorauszugreifen, in welcher Reiz und Reaktion miteinander verknüpft werden, argumentiert Dewey, könne gar nicht angegeben werden, welcher Reiz als Ursache einer bestimmten Reaktion anzusehen ist, da der einzelne äußere Reiz erst durch die ausgelöste Reaktion als Ursache derselben interpretiert wird. Der Behaviorist verfahre also in jedem Fall zirkelhaft, wenn er behauptet, dass die Erfassung kausaler Beziehungen zwischen Reiz und Reaktion den Gegenstand des Psychischen ausreichend erkläre. Dewey greift die behavioristische Methode zwar zunächst nicht grundsätzlich an, aber seine Argumentation gegen die Bestimmung von Reiz und Reaktion, als zwei distinkten, selbstständigen Einheiten einer Handlung, führt in der Folge doch zu einer generellen Kritik am Behaviorismus. Will man dem Bestimmungszirkel entkommen, so argumentiert Dewey nämlich weiter, dann dürfen Reiz und Reaktion nicht mehr als klar voneinander abgegrenzte Einheiten betrachtet werden. Sie sollten vielmehr als funktionale Unterscheidungen akzeptiert werden, die erst während des Verlaufs einer Handlung zu Tage treten. Anders ausgedrückt, die kausale und die explanative Bestimmung müssen auseinandertreten, wenn der Zirkel vermieden werden soll. Mit Blick auf die Explikation gilt dann, dass der Reiz erst interpretiert wird, wenn die Handlung erfolgreich zu ihrem Ende gekommen ist, vorher kann nicht behauptet werden, dass es sich überhaupt um einen bestimmten Reiz handelt. In kausaler Hinsicht bleibt der Reiz jedoch die die Reaktion auslösende Ursache. Mit dieser Überlegung ist dann allerdings das methodische Programm des Behaviorismus generell diskreditiert, denn kausale Relationen haben in diesem Bild keine explanative Kraft mehr. Deweys funktionalistische Psychologie bleibt dem Behaviorismus somit nur noch in Form der methodischen Konzentration auf die Handlung als Gegenstand der Psychologie verpflichtet. Der Gegensatz zum Behaviorismus wird zusätzlich dadurch deutlich, dass nun die Handlung als Ganzes zum grundlegenden Datum psychologischer Untersuchungen wird, weil nur in ihr Reiz und Reaktion eine spezifische Qualität haben. Eine Handlung ergibt sich nicht mehr additiv aus den zwei vermeintlich selbstständigen Einheiten Reiz und Reaktion, sondern wird selbst als basale Einheit verstanden. Die Frage, wann beide Unterscheidungen dem Handelnden als einzelne Glieder einer ansonsten einheitlichen Handlung ins Bewusstsein treten, führt Dewey zu

31 J. Dewey, „The Reflex Arc Concept in Psychology“, in: Early Works: 1882–1898, Vol. 5: 1895–1898, Carbondale 1975, 96–109, 99f.

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einem insbesondere für Meads Konzeption wesentlichen Gedanken. Damit Reiz und Reaktion als zwei Phasen einer Handlung auseinandertreten können, muss der Handlungsvollzug gestört oder gehemmt werden. Solange eine Handlung erfolgreich ist, bleiben beide unbestimmt. Erst in der Rekonstruktion und erneuten Koordination der gestörten Handlung, in der Reiz und Reaktion dann tatsächlich interpretiert werden, werden sie dem einzelnen Subjekt als bestimmte und voneinander unterschiedene Momente bewusst. 32 In Deweys funktionalistischer Psychologie findet Mead vorerst den gesuchten methodischen Ausgangspunkt, der eine Definition des Psychischen, gemäß den aufgestellten Bedingungen ermöglichen könnte. Anerkennt man die Handlung als grundlegendes Datum zur Bestimmung psychischer Zustände, dann ist man auf das handelnde Individuum als Gegenstand der wissenschaftlichen Psychologie verwiesen und nicht mehr ausschließlich auf die psychischen Zustände oder ihren Verhaltensausdruck. Zugleich wird eine objektive Beschreibung im naturwissenschaftlichen Sinne möglich, die die subjektiven Erfahrungen einschließt, denn die Beschreibung der einheitlichen Handlung erfordert sowohl die Anwendung physiologischer als auch psychologischer Begriffe. Die funktionalistische Psychologie kann folglich als nicht-reduktionistisch betrachtet werden, denn sie akzeptiert „im Gegensatz zum Behaviorismus Watsons auch jene Teile der Handlung, die der Beobachtung von außen nicht zugänglich sind, und betont die Handlung des menschlichen Wesens innerhalb seiner natürlichen gesellschaftlichen Situation.“33 Durch die Vermeidung des Dualis-

32 „It is the temporary disintegration and need of reconstruction which occasions, which affords the genesis of the conscious distinction into sensory stimulus on one side and motor response on the other. (…) They are therefore strictly correlative and contemporaneous. The stimulus is something to be discovered; to be made out; if the activity affords its own adequate stimulation, there is no stimulus saved in the objective sense already referred to. As soon as it is adequately determined, then and then only is the response complete. To attain either, means that the coordination has completed itself.“ Dewey, 1972, 109. Dewey zufolge begeht jeder Beobachter einen „psychological fallacy“, der schon dort Bewusstsein annimmt, wo lediglich erfolgreiche Handlungen zu beschreiben wären. In diesem Fall lassen sich Reiz und Reaktion schlicht nicht bestimmen, weil sie nicht als getrennt auftreten; es kann demzufolge dort auch nicht in begründeter Weise von Bewusstsein gesprochen werden. 33 [GIG], 46/engl., [MSS], 8. Interessant ist hier, dass Mead nicht erkennt, dass Deweys Kritik die behavioristische Methode grundlegend diskreditiert hat. Nur so erklärt sich, weshalb er trotz seiner Kritik an Watson von sich selbst behauptet, er wende die behavioristische Methode an. Was er damit jedoch meint, ist nichts anderes, als dass er die Handlung als grundlegendes Datum der Psychologie akzeptiert: „Behaviorismus in

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mus der Erfahrungsbereiche (innere Erfahrung und Erfahrung äußerer Gegenstände) scheint die funktionalistische Psychologie also durchaus in der Lage zu sein die, wie Mead dies nennt, „metaphysischen Komplikationen abzuschütteln, die in der Gegenüberstellung des Psychischen und der Welt, des Geistes und des Körpers, des Bewußtseins und der Materie gründen.“34 Bewusstsein, so Mead, ist eine Funktion der Handlung und gehört auf diese Weise in die Welt. 2.1.2 Handlung als Paradigma psychologischer Bestimmungen Meads eigene Definition des Psychischen lautet dann: Gegenstandsbereich der funktionalistischen Psychologie ist jenes Stadium der Erfahrung, innerhalb dessen wir ein unmittelbares Bewußtsein konfligierender Handlungsantriebe haben, die dem Objekt seinen Charakter als Objekt nehmen und uns insofern in einer Haltung der Subjektivität zurücklassen, während derer aber aufgrund unserer rekonstruktiven Tätigkeit, die zum Begriff des Subjekts ‚Ich‘ (…) gehört, ein neues Reiz-Objekt entsteht.35

Meads Idee ist hier folgende: Ein psychischer Zustand wird dem einzelnen Subjekt genau dann bewusst, wenn eine Handlung nicht erfolgreich zu ihrem Ende geführt werden kann, sondern aufgrund miteinander im Widerstreit liegender Handlungsantriebe gehemmt und unterbrochen wird. In diesem Moment richtet sich die Aufmerksamkeit des Individuums auf die eigene die Handlung ursprünglich auslösende Motivation und der entsprechende psychische Zustand wird ihm bewusst. Mentale Zustände, die hier in Frage kommen, sind propositionale Einstellungen wie Absichten, Wünsche und Überzeugungen. Die gehemmte Handlung ist somit ein externer, vom Subjekt unabhängiger Auslöser für die Bewusstwerdung des eigenen mentalen Zustandes. Wenn die Rekonstruktion des Gedankengangs soweit richtig ist, dann stellt sich allerdings die Frage, aus welchen Gründen ein Individuum bei Problemen, die bei einer objektbezogenen Handlung auftreten, seine Aufmerksamkeit auf die eigenen subjektiven Einstellungen richten sollte und nicht auf das Objekt selbst? Mead begründet dies zunächst dadurch, dass ein Objekt im Moment einer gehemmten, scheiternden Handlung sowohl seine Geltung als auch seine Organisation als Ob-

diesem allgemeineren Sinn ist einfach eine Methode, die Erfahrung des Individuums vom Standpunkt seines Verhaltens aus zu untersuchen, insbesondere, jedoch nicht ausschließlich jenes Verhalten, das von anderen beobachtet werden kann.“ [GIG], 40/engl., [MSS], 2. 34 [GIG], 145/engl., [MSS], 105. 35 [GA I], 143/engl., [SW], 55.

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jekt verliert. Es ist nicht nur zweifelhaft, dass wahr ist, was ein Subjekt hinsichtlich eines bestimmten Objektes glaubt, es ist zudem fragwürdig, ob es sich überhaupt um ein Objekt handelt. Diese Überlegung wird deutlicher, wenn wir sie auf die Kritik am Reiz-Reaktions-Modell zurückbeziehen. Ebenso wie der Reiz, der erst durch die Reaktion bestimmt wird, wird auch das Objekt als ein bestimmtes Objekt erst im Vollzug der Handlung konstituiert. In Abgrenzung zu Wundt, der annahm, dass zwar die Geltung eines Objektes im Anschluss an die kritische Reflexion suspendiert werde, der Inhalt aber als begrifflicher psychisch – nämlich eine Vorstellung mit begrifflichem Gehalt – wird, geht Mead davon aus, dass das Individuum bei einer nicht zu Ende geführten Handlung schlicht und einfach keine Vorstellung vom Objekt als so und so seiend haben kann.36 Nun reicht dieses Argument natürlich nicht hin, um zu erklären, weshalb irgendein mentaler Zustand im Moment einer gestörten objektbezogenen Handlung bewusst werden sollte. Mead verweist daher zusätzlich auf eine Eigenheit des psychischen Zustandes, die er wie folgt charakterisiert: Die Eigentümlichkeit eines psychischen Zustands besteht darin, daß er in unserem Leben absolut sui generis ist. Er verfügt über Elemente unmittelbarer Gegenwart, welche ihn gegenüber jedem anderen Zustand auszeichnen (…). Von all diesen Eigentümlichkeiten abstrahieren wir mit Notwendigkeit in unserer objektiven Erkenntnis. Wenn jedoch diese objektive Erkenntnis in die Irre geht und wir gezwungen sind, sie zu korrigieren und uns zu etwas Neuem vorzutasten, dann verspüren wir lebhaft die eigentümlichen Kennzeichen der unmittelbaren Erfahrung und sind mit dem konfrontiert, was psychisch ist.37

Der Begriff der unmittelbaren Erfahrung wird von Mead als Kontrastbegriff zum Begriff der Erfahrung durch Abstraktion verstanden.38 Auf diese Weise will er einerseits dem von ihm selbst gegen Wundt vorgebrachten Einwand begegnen, dass psychische Inhalte nichts anderes als begriffliche Gehalte sind, die nach der Abstraktion (von den Objekten der Wahrnehmung) auf der subjektiven Seite übrig bleiben. Andererseits glaubt er, durch das Beharren auf der Unmittelbarkeit der Erfahrung ein Argument gegen philosophische Theorien des Selbst zu haben, die dieses ausschließlich in seinem systematischen Stellenwert als notwendige Bedingung des Denkens betrachten. Denn die Erfahrung, die das Subjekt mit sich selbst im Moment gehemmter Handlungsantriebe macht, ist notwendigerweise

36 Vgl. [GA I], 126/engl., [SW], 40, vgl. auch H. Joas, Praktische Intersubjektivität. Zur Entwicklung des Werkes von G. H. Mead, Frankfurt/Main 1989, 72f. 37 G. H. Mead, „Vorschläge zu einer Theorie der philosophischen Disziplinen“, in: [GA I], 60–80, 71/engl., „Suggestions Towards a Theory of the Philosophical Disciplines“, in: [SW], 6–24, 15f. 38 Vgl. vor allem [GA I], 100f.

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die erstpersonale Erfahrung eines empirischen Subjekts und nicht die Erfahrung eines transzendentalen Ichs. Gleichzeitig will Mead jedoch nicht auf den Begriff der Reflexion verzichten. Aus diesem Grund behauptet er, dass die unmittelbare Erfahrung ein wesentlicher Bestandteil des Reflexionsprozesses selbst sei. Wie lässt sich das verstehen? Gemeinhin wird unmittelbare Erfahrung doch gerade durch die Abwesenheit reflektierender Tätigkeiten bestimmt? Der abweichende Gebrauch des Begriffs der unmittelbaren Erfahrung kommt hier dadurch zustande, dass Mead den Begriff der Reflexion in pragmatistischer Weise verwendet, also im Sinne einer Überlegung, die – durch einen Zweifel hervorgerufen – zu einer neuen Überzeugung bzw. Handlung führt. Mead versteht unter „Reflexion“ genau jenes Stadium der Erfahrung, in dem das Individuum von der Geltung der ihm in der problematischen Situation begegnenden Objekte absieht und sich auf seine Subjektivität zurückgeworfen selbst erfährt. Um die unterbrochene Handlung fortführen, und das in Frage gestellte Objekt rekonstruieren zu können, muss das Subjekt seine Situation analysieren und neu bewerten. Dazu muss es natürlich seine Absichten und Überzeugungen in die Bewertung integrieren. Und dies gelingt ihm deshalb, weil die eigenen Absichten und Überzeugungen ihm im Moment der unterbrochenen Handlung unmittelbar bewusst werden. Sowohl die Reflexion als auch die unmittelbare Erfahrung haben in Meads Konzept somit keinen eigenständigen Wert, sie sind vielmehr funktionale Bestandteile des Handlungszusammenhanges; aber aus der genauen Beschreibung ihres Verhältnisses ergibt sich schließlich, dass die Suspendierung der Geltung und der Konstitution der im gehemmten Handlungsversuch fraglich gewordenen Objekte als Bedingung für das Bewusstwerden der eigenen Subjektivität verstanden werden muss, weil diese wiederum eine Bedingung der rekonstruktiven Tätigkeit ist. Bleibt die Frage, ob Meads Übertragung der pragmatistischen Analyse auf den Bereich des Psychischen tatsächlich zu einer befriedigenden Darstellung der Konstitutionsbedingungen des Selbst als Bewusstwerden der eigenen psychischen Zustände führt. Im Unterschied zu Peirce und Dewey fragt Mead ja nicht nach der rechtfertigenden Funktion von Erfahrung generell sondern nach der besonderen Stellung des Subjekts in ihr, um so die Selbstbewusstwerdung als einen funktionalen Bestandteil des Erfahrungsprozesses ausweisen zu können. Während jedoch die Rolle von gehemmten und gestörten Handlungen bei der Rekonstruktion von objektbezogenen Geltungsansprüchen durchaus plausibel gemacht werden kann, reichen die Argumente nicht, um eine Bestimmung der eigenen mentalen Zustände aus dieser Situation abzuleiten. Sicher werden Absichten und Überzeugungen in einer problematisch gewordenen Situation abgewogen und neu bewertet, und insofern werden sie dem einzelnen Subjekt tatsächlich auch bewusst.

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Aber dies ist höchstens eine Minimalbedingung für Selbstbewusstsein. Für eine Erläuterung der selbstbewussten Beziehung eines Subjekts auf die eigenen mentalen Zustände genügt es nicht. Ist es nicht ohnehin näher liegend anzunehmen, dass sich das Subjekt eher auf die Neubestimmung des Objektes konzentriert als auf die Bestimmung der eigenen psychischen Erfahrungl, insbesondere dann, wenn, wie Mead annimmt, die gesamte Objektkonstitution im Fall einer gehemmten Handlung fraglich wird? Schließlich hängt es von der erfolgreichen Neuorganisation des in die Handlungssituation eingebetteten Objektes ab, ob die Handlung diesmal zu einem Ende geführt werden kann oder nicht. Zusätzlich stellt sich natürlich die Frage, wie jene Handlungshemmnisse zu charakterisieren wären, aufgrund derer sich ein Subjekt als traurig, froh oder melancholisch erlebt. Ist doch in diesen Zuständen – im Unterschied zu den meisten Absichten und Überzeugungen – das Subjekt selbst thematisch, ohne vordergründig auf einen anderen Gegenstand als sich selbst bezogen zu sein. Neben diesen generellen Einwänden, die Meads gesamtes Projekt – das Psychische im Rahmen einer pragmatistischen Reflexion auf die rechtfertigenden Bedingungen von Erfahrung zu definieren – betreffen, gibt es mindestens zwei weitere Einwände gegen einzelne Aspekte seiner Argumentation. 1. Mead behauptet, dass „der gesamte Inhalt des Bewusstseins auf der unreflektierten Stufe subjektiv und objektiv zugleich“39 sei. Erst in dem Moment, in dem der Handlungsvollzug gestört wird und die Reflexion einsetzt, sollen dem Subjekt die der Handlung zugrunde liegenden subjektiven Bedingungen im Modus der unmittelbaren Erfahrung bewusst werden. Mead versäumt es dabei jedoch ein Kriterium zu formulieren, mit dem die einzelnen psychischen Zustände identifiziert werden könnten. Da er annimmt, dass das Bewusstsein von den eigenen Zuständen erst im Moment der gestörten Handlung entsteht, kann das Subjekt nicht schon im Vorfeld über ein derartiges Identifizierungskriterium verfügen; es müsste vielmehr in der unmittelbaren Erfahrung selbst aufweisbar sein. Und tatsächlich soll Mead zufolge in der unmittelbaren Erfahrung ein beliebiger psychischer Zustand von einem anderen – gelenkt durch die mit der Reflexion verbundene Aufmerksamkeit – abgegrenzt werden können. Nicht die völlige Übereinstimmung eines Zustandes mit einem Individuum macht einen Zustand psychisch, sondern psychisch wird er dadurch, daß ein Individuum ihn als seinen eigenen anerkennt und seine Aufmerksamkeit auf jene Besonderheit richtet, welche diesen Zustand nicht nur vom Bewußtsein irgendeines anderen abgrenzen, sondern auch von irgendeinem anderen Zustand seines eigenen Lebens. 40

39 [GA I], 115/engl., [SW], 30. 40 [GA I], 72/engl., [SW], 17.

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Die Aufmerksamkeit eines Individuums auf „jene Besonderheit“, welche diesen bestimmten Zustand von anderen abgrenzt, kann selbst aber nicht als das gesuchte Kriterium gelten, wenn Wittgensteins Argument richtig ist, dass die Verwendung des Ausdrucks „dieses“ noch lange kein Kriterium der Identität mentaler Zustände liefert.41 In der unmittelbaren Erfahrung findet sich demzufolge kein Kriterium, das hilft, die fraglichen psychischen Zustände als diese oder jene zu qualifizieren und sie so von anderen abzugrenzen. Wenn dies soweit richtig ist und Mead keinen anderen Vorschlag hinsichtlich eines Identifizierungskriteriums machen kann, dann hat er nicht gezeigt, wie ein Subjekt Bewusstsein davon haben kann, in welchem Zustand es sich gerade befindet. 2. Der augenblicksgebundene Charakter der Subjektivität, der durch die Betonung der Aufmerksamkeit ins Spiel kommt, wirft die Frage auf, ob menschliches Handeln außerhalb der Bewusstwerdungsphasen überhaupt als bewusstes Handeln qualifiziert werden kann.42 Sollte das behauptet werden, müsste Mead darlegen, wie sich Verhalten, das der Bewusstwerdung der eigenen Subjektivität zugrunde liegt, von bloß problemlösendem Verhalten differenzieren ließe. Doch auch hier präsentiert Mead kein Kriterium, das eine solche Unterscheidung ermöglichte. Solange ein solches Kriterium aber fehlt, müsste die Klasse der selbstbewussten Individuen mit der der problemlösenden Kreaturen als deckungsgleich betrachtet werden. An dieser Stelle sei an Bakers Unterscheidung zwischen starken und schwachen Ich-Phänomenen erinnert. Individuen, denen wir schwache IchPhänomene zuschreiben, würden zwar, so hatte Baker argumentiert, problemlösendes Verhalten zeigen, und dieses sei auch durch die Annahme perspektivischer Einstellungen erklärbar, aber im Gegensatz zu Individuen, die Träger starker Ich-Phänomene sind, verfügten sie nicht über einen Begriff von sich selbst. Sie erleben die Welt zwar aus ihrer eigenen Perspektive, können diese aber nicht konzeptualisieren. Wenn die von Baker vorgeschlagene Unterscheidung tatsächlich eine phänomenal aufweisbare Differenz möglicher Selbstbezugnahmen benennt (und davon soll hier ausgegangen werden), dann muss man Mead vorhalten, genau diese Differenz vernachlässigt zu haben. Problemlösendes Verhalten ist zwar in der Tat eine notwendige Bedingung für Selbstbewusstsein, aber für eine umfassende Definition des Psychischen als Bezugnahme auf die eigenen mentalen Zustände reicht der bloße Verweis auf die Fähigkeit zu problemlösendem Handeln nicht aus.

41 Vgl. [PU], § 253. 42 Vgl. Joas, 1989, 88.

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Meads Definition des Psychischen hat nicht die Ressourcen, den genannten Einwänden zu begegnen. Sein Definitionsversuch scheitert im Wesentlichen an einer Forderung, die uns von Henrich her schon vertraut ist: Die Weisen des Wissens, aufgrund derer ein Subjekt sich selbst bewusst wird, müssen „in irgendeiner Weise selbstbezüglich werden, wenn Selbstbewusstsein soll erreicht werden können“.43 Mead kann jedoch weder überzeugend darlegen, weshalb ein Individuum im Fall einer gestörten Handlung überhaupt für sich selbst thematisch werden sollte, noch kann er den unterstellten Selbstbezug als epistemisch gehaltvollen charakterisieren. Obwohl also Meads Definition an dieser Stelle fehlschlägt, gelangt er doch zu einigen Bestimmungen, die für die Frage nach den intersubjektiven Bedingungen von Selbstbewusstsein von Bedeutung sind. So argumentiert er gegen eine essentiell interne Form der Selbstbeziehung. Denn für die Bewusstwerdung eines mentalen Zustandes bedarf es eines externen Auslösers, der zunächst durch die gehemmte und gestörte Handlung gegeben ist. Der die Störung der Handlung auslösende Umgang mit Objekten ist in dieser Darstellung eine notwendige Bedingung für den epistemischen Selbstbezug. Der Begriff des Selbst muss demnach als ein relationaler Begriff verstanden werden. Den Schritt in Richtung auf die intersubjektiven Bedingungen und damit den Übergang von Argument (SBIN) zu (SBIN*)) ermöglicht dann jedoch erst die Einsicht, dass Objekte allein die Funktion des externen Anstoßes nicht erfüllen können. Dies ist in der Tat eine Einsicht, die alle Intersubjektivitätstheoretiker (einschließlich Fichte und Hegel) teilen und die Löwith mit folgender Bemerkung auf den Punkt bringt: Zu sich selbst zurück kehrt der Mensch aber zumeist nicht von ‚Objekten‘, sondern von Subjekten, d. h. von Seinesgleichen; denn die ‚Welt‘, an die er sich vorzüglich kehrt, ist die ihm entsprechende Mitwelt.44

2.2 Vom Objekt zum (Inter-)Subjekt Im Kontext der funktionalistischen Psychologie ist es zunächst egal, ob der Reiz, der die Reaktion bestimmt, ein sozialer Reiz ist oder nicht. Dort geht es vornehmlich darum, eine stimmige Erklärung des Reiz-ReaktionVerhältnisses zu finden. Meads funktionalistische Analyse der Bedingungen subjektiver Erfahrung scheitert daher, wie ich gezeigt habe, vor allem an der Annahme, dass ausschließlich Reiz-Objekte als externe Auslöser für

43 Henrich, 1989, 118. 44 K. Löwith, „Das Individuum in der Rolle des Mitmenschen“, in: Sämtliche Schriften: Bd. 1 Mensch und Menschenwelt: Beiträge zur Anthropologie, hg. von K. Stichweh, Stuttgart 1981, 31.

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die Bewusstwerdung der eigenen Subjektivität angesehen werden. Tatsächlich gelangt Mead im Verlaufe der Entwicklung des Konzepts der symbolvermittelten Interaktion letztlich selbst zu der Einsicht, dass auf diese Weise der subjektive Aspekt der Erfahrung gar nicht erst ins Bild kommt.45 Für ihn folgt aus diesem Scheitern der Definition des Psychischen, dass der gesuchte externe Reiz, der die Bewusstwerdung der eigenen Überzeugungen, Absichten, Wünsche und Neigungen auslöst, einer sein muss, auf den das Individuum gar nicht anders reagieren kann, als mit einer Reflexion auf die subjektiven Bedingungen seiner Erfahrung. Dieser Reiz, so glaubt Mead, kann nur ein sozialer, genauer: ein kommunikativer Reiz sein.46 Der soziale Reiz hat zunächst den Vorteil, dass er wechselseitig wirkt; er beeinflusst, anders als Reize, die von Objekten ausgehen, sowohl den Adressaten als auch denjenigen, von dem der Reiz ausgeht. Diese wechselseitige Beeinflussung beschreibt Mead folgendermaßen: Während des gesamten Vorgangs einer Interaktion mit anderen analysieren wir ihre Handlungsansätze durch unsere instinktiven Reaktionen auf die Veränderungen ihrer Körperhaltungen und auf andere Anzeichen sich entwickelnder sozialer Handlungen. Wir haben gesehen, daß der Grund hierfür in der Tatsache liegt, daß soziales Verhalten, nachdem es bereit begonnen worden ist, einer fortwährenden Neuorientierung unterliegen muß, weil die Individuen, auf deren Verhalten unser eigenes Verhalten antwortet, ihrerseits ständig ihr Verhalten in dem Maße verändern, in dem unsere Reaktionen zutage treten. Unsere Orientierung an ihren wechselseitigen Reaktionen findet daher durch einen Prozeß der Analyse unserer Reaktionen auf ihre Reize statt. In diesen sozialen Situationen treten nicht nur miteinander in Konflikt liegende Handlungen auf, sondern auch ein Bewußtsein der eigenen Handlung als einer Interpretation der Bedeutung eines sozialen Reizes. Wir sind uns unserer Einstellungen bewusst, weil sie für Veränderungen im Verhalten anderer Individuen verantwortlich sind.47

Dieses längere Zitat soll deutlich machen, wo die Intersubjektivitätstheorie von Mead ursprünglich anzusiedeln ist. Der soziale Reiz fordert nicht nur zu seiner Bestimmung heraus, diese Bestimmung muss auch wechselseitig sein; sie muss die eigene Reaktion auf den zu bestimmenden Reiz in die Interpretation einbeziehen. Durch den Zwang zu einer Analyse der reziproken Verhaltensanpassung entsteht dann der Zwang zur Bewusstwerdung der eigenen Einstellungen und Überzeugungen. Mit anderen Worten: Die

45 Vgl. vor allem G. H. Mead, „Soziales Bewußtsein und das Bewußtsein von Bedeutungen“, in: [GA I], 215–218/engl., „Social Consciousness and the Consciousness of Meaning“, in: [SW], 127–130. 46 Mit dieser Überlegung und der sich anschließenden Analyse sozialer Handlungen und kommunikativer Interaktionen überschreitet Mead dann allerdings die Grenzen der funktionalistischen Psychologie. 47 [GA I], 219/engl., [SW], 131.

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Notwendigkeit zur Bewusstwerdung der subjektiven Erfahrung ist überall dort gegeben, wo Individuen sich in Handlungskontexten wechselseitig aufeinander beziehen. Allerdings muss hier gleich eine Konkretisierung erfolgen, die durch die Unterscheidung von Kooperation und intersubjektiver Interaktion notwendig wird, da nicht jede Kooperation zugleich ein intersubjektives Verhältnis ist. „Intersubjektive Interaktion“ war als wechselseitige intentionale Bezugnahmen zwischen Subjekten bestimmt worden, während Kooperation (oder kooperative Interaktion) auch schon dann vorliegt, wenn Verhaltensabläufe auf instinktiver Grundlage organisiert sind. So kann tierisches Sozialverhalten komplexe Kooperationsformen aufweisen, ohne dass für deren Erklärung Intentionalität angenommen werden muss. Es sollte also ein bestimmtes soziales Verhalten identifiziert werden, dessen Charakteristika es als intersubjektiv interaktives und nicht bloß kooperatives Verhalten auszeichnen. Mead findet dieses Verhalten im Austausch von Gesten – „der conversation of gestures“.48 An dieser Stelle verzahnt Mead die Darstellung seiner Theorie des Selbst mit der Entwicklung einer pragmatistischen Bedeutungstheorie. Wie gezeigt wurde, greift Mead insbesondere deshalb auf den sozialen Reiz zurück, weil er glaubt, dass sich nur im Austausch sozialer Reize die für Selbstbewusstsein konstitutive Selbstbezüglichkeit herausbildet. Dazu ist jedoch eine Analyse desjenigen sozialen Verhaltens notwendig, das diese Selbstbezüglichkeit garantieren können soll, und mit dem Austausch von Gesten scheint das gesuchte Verhalten auch gefunden. Nun gewinnen aber Gesten ihre ursprüngliche Bedeutung zunächst in artspezifischen Umwelten und zwar aus ihrem funktionalen Stellenwert für die Interaktion heraus. Die Reaktion des einen an der Interaktion beteiligten Individuums interpretiert die Geste des anderen, die daraufhin im Kontext der Handlung eine funktionale Bedeutung hat. Mead nennt hier solche Gesten wie das Fletschen der Zähne oder wildes Flügelschlagen, die als Drohungen interpretiert werden können, die auf einen Angriff hinweisen. Gesten, so Mead, seien deshalb signifikant, weil „sie Reize für ausgeführte Reaktionen darstellen, noch bevor sie Zeichen im Sinne bewußter Bedeutungen sind.“49 Tatsächlich muss nämlich dem einzelnen Individuum die funktionale Bedeutung gar nicht zur Verfügung stehen, ebenso wenig, wie die Tatsache, dass es seine eigene Reaktion ist, die die Geste allererst interpretiert.50

48 [MSS], 43, dt., [GIG], 82. 49 [GA I], 228/ engl., [SW], 110. 50 Tomasello kennt diese Form der Geste auch; er nennt sie „Intention-movements“ und ebenso wie Mead nimmt er an, dass ihre Bedeutung dem einzelnen Wesen nicht zur Verfügung stehen muss, sondern Teil der bedeutungsvollen sozialen Interaktion selbst ist („the ‚meaning‘ comes built in“): „(…) these gestures are only

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Mead stellt sich deshalb zwei Fragen. Was ist die Bedingung dafür, dass Subjekte die Grenze der funktionalen Interpretation überschreiten und Symbole mit einer universellen Bedeutung verwenden können? Und was ist die Bedingung dafür, dass sich das Subjekt als Teil des reziproken Interpretationsprozesses erfahren und so einen Begriff von sich selbst als intentionales, über Bedeutung verfügendes Wesen entwickeln kann? Seine Antwort lautet: Es ist zum einen die Lautgebärde, die in kommunikativer Absicht verwendet wird, und zum anderen der Mechanismus der Perspektivenübernahme – „taking the attitudes of other individuals“.51 Beide Bedingungen gelten sowohl für universelle Bedeutung als auch für den Begriff des Selbst. Es ist wichtig zu sehen, dass Mead dafür argumentiert, dass die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme und der Gebrauch der Lautgebärde notwendige Voraussetzungen seien und zwar sowohl für Sprache im Sinne einer zunächst symbolisch im Weiteren dann propositional strukturierten Kommunikation als auch für Selbstbewusstsein. Selbstbewusstsein hat also in Meads Augen nicht deshalb eine intersubjektive Struktur, weil man sich nur in einer Sprache seiner selbst bewusst werden kann und Sprache als ein soziales und intersubjektives System verstanden werden muss, sondern beidem – Selbstbewusstsein und Sprache – liegen intersubjektive Mechanismen zugrunde. Betrachten wir zur Verdeutlichung dieses Punktes seine Argumentation zur intersubjektiven Struktur von Sprache und Selbstbewusstsein getrennt voneinander. Die funktionale Interpretation einer Gebärde kann vielfältig sein. Knurren kann zum Beispiel bei einem Lebewesen Unterwerfung, bei einem anderen Flucht und bei einem dritten einen Angriff provozieren. Eine Gebärde wäre auf dreifache Weise interpretiert und hätte folglich drei verschiedene Bedeutungen. Die Möglichkeit unterschiedlicher Interpretationen einer Gebärde stellt jedoch solange kein Problem dar, solange die Bedeutung nur innerhalb eines okkasionellen Handlungszusammenhanges relevant bleibt. Das Ziel einer Bedeutungstheorie aber muss es sein, Bedeutung in ihrer universalen Struktur zu erläutern, denn nur, wenn Symbole und Ausdrücke eine für jedes Individuum gemeinsame Bedeutung haben, scheint auch sprachliche Verständigung möglich zu sein. Sprache, so Mead, „scheint aus einer Reihe von Symbolen zu bestehen, die einem be-

‚one-way‘ (not bidirectional) communicative devices in the sense that the communicator and recipient each learn it in terms of their own role only – without knowing the role of the other (so that the communicator would not recognize the gesture as ‚the same‘ as his own if someone directed it at him)“. M. Tomasello, Origins of Human Communication, Cambridge/Mass. 2008, 26. Zur Definition von „Intention-movements“ siehe a. a. O., 22. 51 [MSS], 138.

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stimmten Inhalt entsprechen, der in der Erfahrung verschiedener Personen nachweisbar identisch ist. Soll Kommunikation möglich sein, so muss das Symbol für alle beteiligten Individuen das Gleiche bedeutet“.52 Mit „identischer Bedeutung“ ist also gemeint, dass Ausdrücke von jedem Sprecher einer Sprache prinzipiell verstehbar sein sollten, damit sie überhaupt Bedeutung haben. Das schließt die Möglichkeit einer privaten Sprache aus. Was ermöglicht aber eine identische Bedeutung für alle an der Kommunikation beteiligten Individuen? Zunächst ist es die Lautgebärde – „vocal gesture“, die dem Individuum die Möglichkeit gibt, auf den eigenen Stimulus so zu reagieren, wie es andere tun. Bedeutung kann daher als gemeinsame Reaktion der am Gebärdenaustausch teilhabenden Wesen verstanden werden. Deutlich wird dies für Mead vor allem bei imperativen Sprechakten. Bittet man jemanden einen Stuhl zu holen, dann löse man bei sich selbst die gleiche Reaktionstendenz aus wie bei dem angesprochenen Individuum. Genau das sei typisch für signifikante Symbole, dass „der Einzelne auf die von ihm ausgelösten Reize so reagiert wie andere Menschen“; erst dann „wird der Reiz signifikant, dann sagt man etwas aus.“53 Gesten werden also dann zu Symbolen, wenn die funktionale Bedeutung, die sie für das einzelne Wesen in der Interpretation durch die eigene Handlung haben, in eine Bedeutung verwandelt wird, die für beide (alle) beteiligten Wesen identisch ist. Was für symbolische Bedeutung somit hinzukommen muss, ist eine Bedingung, die es beiden Individuen ermöglicht, die kommunikative Absicht zu verstehen, die mit der Geste verbunden ist. Die Interpretation muss zudem wechselseitig sein, da das eigene Verhalten daran ausgerichtet werden soll. Die Lautgebärde allein kann diese Wechselseitigkeit aber nur bedingt garantieren, denn durch sie ist nicht sichergestellt, dass die Interpretation beiden Subjekten auf dieselbe Weise bewusst wird. Dies ist ein Punkt, auf den auch Habermas hinweist, wenn er sagt, dass die übereinstimmende Interpretation des Reizes, den die Lautgebärde darstellt, ein Sachverhalt sei, „der an sich, aber nicht für sie existiert.“54 Erst mit der Fähigkeit der Perspektivenübernahme kommt die gesuchte Bedingung ins Spiel, die die Wechselseitigkeit der Interpretationserwartungen und damit eine identische Bedeutung der Symbole möglich macht. Habermas unterscheidet dann drei Einstellungsübernahmen. Da ist zum einen die Einstellungsübernahme, die durch die eigene Reaktionstendenz gekennzeichnet ist. Mit ihr lernten die Interaktionsteilnehmer „einen Ausschnitt aus der 52 [GIG], 94, leicht geänderte Übersetzung, Hervorhebungen von mir/engl., [MSS], 54. 53 [GIG], 107/engl., [MSS], 67. 54 J. Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Frankfurt/Main 1988, Bd. 2, 25.

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objektiven Sinnstruktur so weit zu verinnerlichen, dass beide mit derselben Geste, indem jeder von ihnen implizit oder explizit in gleicher Weise darauf reagiert, übereinstimmende Reaktionen verbinden können.“55 Diese erste Einstellungsübernahme ist durch die Lautgebärde bedingt, aber noch nicht durch Reziprozität gekennzeichnet. Insofern bleibt die Frage offen, ob es sich dabei tatsächlich um eine echte Einstellungsübernahme handelt. Denn die unterschiedlichen Reaktionen auf die Geste müssen den Individuen, wie wir gesehen haben, nicht notwendigerweise bewusst sein. Erst mit der zweiten Einstellungsübernahme kommt dann die Reziprozität ins Spiel. Bedeutung, so Mead, konstituiere sich aufgrund der „gemeinsamen Reaktion von einem selbst ebenso wie von der anderen Person, die aber wiederum zum Reiz für das eigene Selbst wird“.56 Diese Einstellungsübernahme wird von Habermas als eine von Sprecher und Hörer interpretiert. Mit ihr lernten die Individuen „eine Geste in kommunikativer Absicht zu verwenden“.57 In der zweiten Einstellungsübernahme könnten, so Habermas, „die Beteiligten zwischen dem sozialen Objekt in der Rolle des Sprechers oder Hörers und dem anderen als Objekt äußerer Einwirkung differenzieren.“58 Gemeint ist damit, dass dem Individuum bewusst wird, dass der Reiz, auf den es reagiert, ein sozialer Reiz ist. Genau das ist auch der Reiz, der die Selbstbezüglichkeit ermöglichen soll. Die zweite Einstellungsübernahme ist zudem reziprok, weil die Geste vom ersten Individuum

55 56 57 58

Habermas, 1988, 28. [GIG], 113/ engl., [MSS], 73f, Übersetzung geändert, Hervorhebung von mir. Habermas, 1988, 28. Ebd. Für Mead avanciert der Begriff des sozialen Objektes zu einem terminus technicus, der es ihm ermöglicht terminologisch im Bereich der behavioristischen Psychologie zu bleiben. Soziale Objekte sind dann zum einen all jene Objekte, die soziale Reize aussenden, auf die das Wesen reagieren kann. Im Wesentlichen sind das natürlich andere Subjekte und in diesem Sinn wären soziale Objekte Subjekte, denen Intentionen zugesprochen werden müssen. Mead verwendet den Begriff „soziales Objekt“ aber noch in einer weiteren Bedeutung. In dieser verweist das soziale Objekt nicht auf soziale Reize aussendende Subjekte, sondern ist ein Kriterium dafür, dass ein Individuum über den Begriff eines psychologischen Subjekts verfügt. Auf diesen Aspekt werde ich zurückkommen. Eine etwas andere Interpretation für den Ausdruck „soziales Objekt“ bietet Wenzel an, wenn er sagt: „Soziale Objekte sind zunächst durch die Bindung an soziale Instinkte und Antriebe gegeben. Der gemeinsame Kampf gegen einen Aggressor von außen, die sexuelle Reproduktion, die elterliche Fürsorge für die Nachgeborenen: all dies sind Beispiele für instinktgebundene soziale Handlungen, für soziale Objekte“. Allerdings verwischt diese Interpretation nicht nur den ontologischen Unterschied zwischen sozialen Handlungen und sozialen Objekten, sie ist auch auf den Begriff eines nichtgegenständlichen Objektes verpflichtet, dessen Individuierung problematisch ist. H. Wenzel, George Herbert Mead. Zur Einführung, Hamburg 1990, 64.

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schon in der Erwartung ihrer Interpretation durch das zweite Wesen und also in kommunikativer Absicht verwendet wird. Ist die Interpretation erfolgreich, wird also die Geste vom anderen Individuum entsprechend der eigenen Absicht verstanden, dann hat sie Auswirkungen auf das eigene Verhalten. Geschieht dies vice versa, haben beide Individuen aufgrund ihrer Fähigkeit zur Perspektivenübernahme Zugang zu derselben Bedeutung, weshalb Mead zufolge die Bedingung für identische Bedeutung an dieser Stelle erfüllt ist. Habermas bezweifelt allerdings, dass die zweite Einstellungsübernahme hinreichend für identische Bedeutung ist. Diese, so argumentiert er, liege eigentlich erst dann vor, „wenn Ego weiß, wie Alter auf eine signifikante Geste reagieren müßte; es genügt nicht zu erwarten, daß Alter in einer bestimmten Weise reagieren wird.“59 Deshalb könne identische Bedeutung „nur durch die intersubjektive Geltung einer Regel, die die Bedeutung eines Zeichens ‚konventionell‘ festlegt, gesichert werden“.60 Für Habermas scheint klar, dass nur auf der Stufe einer symbolisch vermittelten Interaktion, bei der die Symbolverwendung durch Bedeutungskonventionen regulär festgelegt ist, die wechselseitigen semantischen Erwartungen enttäuscht oder erfüllt werden können. Die Interaktionsteilnehmer bringen symbolische Äußerungen regelgeleitet, also implizit der Erwartungen hervor, daß sie von anderen als regelkonforme Äußerungen anerkannt werden können.61

Was Habermas auf diese Weise sichern will, ist nicht nur die identische Bedeutung der Symbole, sondern auch deren allgemeine Geltung; die IchDu-Intersubjektivität der Einstellungsübernahme, wie sie Mead beschreibt, werde erst durch die Allgemeinheit der Regel zu einer Ich-WirIntersubjektivität. Dadurch verschenkt Habermas allerdings eine wesentliche intersubjektive Einsicht, die darin besteht, dass identische Bedeutung aus den wechselseitigen Interpretationserwartungen und den sich anschließenden Modifizierungen der Ausgangsinterpretation des Sprechers entwickelt werden kann. Und warum sollte Ego nur dann wissen, wie Alter reagieren müsste, wenn er dabei auf eine implizite Regel rekurrieren kann? Warum genügt es nicht anzunehmen, dass Ego entsprechend seiner eigenen Interpretation der in kommunikativer Absicht gebrauchten Geste weiß, wie Alter reagieren sollte? Für Mead zumindest besitzt eine Geste ihre identische Bedeutung gerade aufgrund dieser reaktiven Anpassung, und diese wiederum wird dadurch möglich, dass der Sprecher sich in die Perspektive

59 Habermas, 1988, 28. 60 A. a. O., 31. 61 A. a. O., 39.

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des Hörers versetzen und so seine Interpretation antizipieren kann. Um über Bedeutung zu verfügen, so heißt es bei ihm, „müssen wir notwendigerweise in der Lage sein, uns dabei zu betrachten, wie wir diese Haltung einer reaktiven Anpassung einnehmen.“62 Und weiter: Erst durch die Fähigkeit, zur gleichen Zeit man selbst und ein anderer zu sein, wird das Symbol signifikant oder bedeutungsvoll.63

Es ist also nicht weiter verwunderlich, dass Mead, wie Habermas meint, die dritte Kategorie von Einstellungsübernahmen „nicht scharf“64 herausarbeitet. Das bedeutet jedoch nicht, dass sich Mead dem Problem der Universalität nicht stellen würde. Er tut dies eben nur nicht dadurch, dass er das Allgemeine erst durch die Anwendung von Regeln konstituiert sieht. Stattdessen glaubt er, dass sich Allgemeinheit schon dann herstellt, wenn die Bedingung der Wechselseitigkeit erfüllt ist. Das signifikante oder bedeutungsvolle Symbol ist daher die Gebärde, das Zeichen, das Wort, das an das eigene Selbst gerichtet ist, wenn es an ein anderes Individuum gerichtet wird, und das an einen anderen (der Form nach an alle anderen) gerichtet ist, wenn es an das eigene Selbst gerichtet wird.65

Nun könnte man Habermas natürlich zugute halten, dass sich ohne die behauptete Normativität keine Semantik aus dem pragmatisch verstandenen Umgang mit der Welt und den in ihr lebenden Individuen entwickeln ließe. Insofern wäre die dritte Einstellungsübernahme ein Erfordernis, das mit dem Projekt einer pragmatistischen Bedeutungstheorie auf den Plan tritt. Tatsächlich verpflichten sich pragmatistische Bedeutungstheorien häufig auf intentionale Semantiken66 und damit auch darauf, nachweisen zu müs-

62 G. H. Mead, „Eine behavioristische Erklärung des signifikanten Symbols“, in: [GA I], 290–298, 295/engl., „A Behavioristic Account of the Significant Symbol“, in: [SW], 240–247, 244. 63 Ebd. 64 Habermas, 1988, 29. Siehe zur Kritik an Habermas auch H. Joas, „Neuere Beiträge zum Werk George Herbert Meads“, in: ders., Das Problem der Intersubjektivität. Neuere Beiträge zum Werk George Herbert Meads, Frankfurt/Main 1985, 7–25. 65 [GA I], 296f/engl., [SW], 246. 66 Hier wären insbesondere Morris, Grice und Meggle zu nennen: C. W. Morris, Signs, Language, Behavior, 1946; ders., Signification and Significance, 1964; H. P. Grice, „Utterer’s Meaning and Intention“, in: Philosophical Review 78, 1969, 147–177; ders., „Utterer’s Meaning, Sentence-Meaning and Word-Meaning“, in: Foundations of Language 4, 1968, 225–242; G. Meggle, „Intentionalistische Semantiken. Ein paar grundsätzliche Mißverständnisse und einige Klärungen“, in: Forum für Philosophie Bad Homburg (Hrsg.), Intentionalität und Verstehen, Frankfurt/Main 1990, 109–126, siehe auch G. Meggle (Hrsg.), Handlung, Kommunikation, Bedeutung, Frankfurt/Main 1993 und J. Greve, Kommunikation und Bedeutung, Würzburg 2003.

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sen, dass die die Semantik allererst konstituierenden Intentionen nicht immer schon semantische Intentionen sind. Genau dieses Problem will Habermas mit der Behauptung einer normativ gehaltvollen Einstellungsübernahme offensichtlich umgehen.67 Doch selbst wenn das so ist, entlastet dies nicht von dem Vorwurf, dass mit der Engführung von Perspektivenübernahme und Regelfolgen-Verhalten eine wichtige intersubjektive Einsicht verloren geht. Denn wenn die Bedeutung eines Ausdrucks letztlich davon abhängt, dass er so gebraucht wird, wie er entsprechend der festgelegten Konventionen gebraucht werden sollte, dann sind die wechselseitigen Ansprüche und Erwartungen keine konstitutiven Bestandteile von Bedeutung mehr. Die Reziprozität wäre zugunsten der normativen Verpflichtung aufgehoben.68 Dafür, dass dies in der Tat eine Konsequenz von Bedeutungstheorien ist, die Bedeutung von gemeinschaftlich akzeptierten Konventionen des Gebrauchs abhängig machen, wird ausführlicher im nächsten Kapitel der Arbeit (insb. Abschnitt 3.3.) argumentiert. Hier soll zunächst nur darauf aufmerksam gemacht werden, dass mit der Aufhebung der Reziprozität als konstitutiver Bedingung von Bedeutung zugleich das hinreichende Kriterium für Intersubjektivität suspendiert wäre. Für Habermas‘ eigenes Vorhaben stellt dieser Kritikpunkt allerdings kein Problem dar. Ihm geht es um die Konstituenten einer Theorie kommunikativen Handelns und nicht um die Bestimmung der intersubjektiven

67 Siehe dazu auch J. Habermas, „Intentionen, Konventionen und sprachliche Interaktionen“, in: Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handelns, Frankfurt/Main 1984, 307–331; ders., „Intentionalistische Semantiken“, a. a. O., 332–350. 68 Das ist ein Vorwurf, den man auch Brandom machen kann. Brandom verfolgt ja das Projekt, eine Semantik aus der Pragmatik zu entwickeln. Die sozialen Praktiken, auf die er sich dabei stützt sind allerdings ganz im Sinne von Habermas immer schon normative soziale Praktiken. Um einem Sprecher überhaupt propositional gehaltvolle Behauptungen zuweisen zu können, so Brandom, müsse man unterstellen, dass dieser den deontischen Status der gemachten Behauptungen anerkennt. Die Signifikanz der propositionalen Gehalte hänge dann von dieser normativen Struktur ab. Reziprozität wird zwar von Brandom in Anspruch genommen, aber sogleich reduziert auf die Struktur eines wechselseitigen Anerkennens von Verantwortung, d. i. „of holding and being held responsible“. Die von Mead noch in konstitutiver Hinsicht behauptete Reziprozität hat bei Brandom also nur noch die Form einer allgemeinen Verantwortlichkeit gegenüber der Norm, die in den sozialen Praktiken immer schon implizit enthalten sein soll. R. Brandom, Making It Explicit, Cambridge/Mass. 1998, 275. Kritisch dazu: H. Schnädelbach, „Sozialpragmatischer Idealismus. Bemerkungen zu Robert B. Brandoms „Expressive Vernunft“, in: ders., Analytische und postanalytische Philosophie. Vorträge und Abhandlungen 4, Frankfurt/Main, 2005, 179–197, 183.

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Bedingungen von Selbstbewusstsein.69 Insofern prallt auch der Einwand an ihm ab, dass Regelfolgen gerade nicht das von Mead gesuchte selbstbezügliche Verhalten ist. Andererseits wird durch die Rekonstruktion der dritten Einstellungsübernahme als Übernahme normativer Erwartungen klar vorgeführt, woran Meads Bedeutungstheorie letztlich scheitert. Sie kann nicht erklären, weshalb Wörter und Sätze das bedeuten, was sie bedeuten. Allein durch die Perspektivenübernahme und ohne weitere Erläuterungen dazu, welche Rolle Wahrheit oder Normativität für die Semantik spielen sollten, lässt sich identische Bedeutung nicht sichern. Was für identische Bedeutung also fehlt, sind zusätzliche Angaben darüber, wie der Zusammenhang von Äußerung und Reaktion genau verstanden werden muss. Welche Reaktion auf einen Ausruf wie beispielsweise „Das Haus brennt!“ gibt denn dessen Bedeutung in einer für alle Sprecher verbindlichen Weise an? Ist es die des Feuerwehrmannes, der herbeieilt, um das Feuer zu löschen, die des Hauseigentümers, der versucht sich und sein Hab und Gut zu retten oder die des Beobachters, der dem Spektakel unfreiwillig fasziniert zuschaut? Und welche Reaktionen könnten die Bedeutung assertorischer Sätze bestimmen? Die Tatsache, dass Mead auf diese Fragen keine befriedigenden Antworten zu geben vermag, sollte jedoch nicht den Blick dafür versperren, dass er mit der Perspektivenübernahme eine Bedingung für Bedeutung formuliert hat, die klar für die dritte Prämisse des hier verteidigten Arguments für intersubjektive Bedingungen von Selbstbewusstsein (SBIN*)) spricht. Die dritte Prämisse in der intersubjektiven Lesart besagte ja, dass ein Subjekt (S) nur dann überhaupt über Begriffe verfügt, die auf von S verschiedene Subjekte anwendbar sind, wenn S Interaktionen mit von S verschiedenen Subjekten hatte. Wenn aber für die Verwendung von Ausdrücken mit einer identischen Bedeutung die Reflexion, im Sinne einer Rückbeziehung der (in diesem Fall semantischen) Erwartungen anderer Individuen auf den eigenen durch die Verwendung einer signifikanten Geste gemachten Interpretationsvorschlag, eine Bedingung darstellt und diese Erwartungen Teil der wechselseitigen Interaktionen sind, dann sind diese Interaktionen tatsächlich eine unabdingbare Voraussetzung für das Verfügen über Begriffe. Und ohne die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme könnten die semantischen Erwartungen anderer Subjekte keine korrigierende und modifizierende Rolle bei der Festlegung der Bedeutung der eigenen Geste spielen. Sprecher verfügen also tatsächlich erst dann über die

69 Das wird unter anderem deutlich, wenn er schreibt: „Wenn wir Meads These so ausführen, wie ich angedeutet habe, kann sie als eine genetische Erklärung von Wittgensteins Konzept der Regel verstanden werden; und zwar zunächst der Verwendungsregeln für Symbole, die Bedeutungen konventionell festlegen und damit die Identität von Bedeutungen sichern.“ Habermas, 1988, 39.

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Bedeutung ihrer eigenen Gesten, wenn sie zur Perspektivenübernahme fähig sind. Wenn diese Überlegungen soweit richtig sind, dann hat Mead zudem ein zusätzliches Argument für die Geltung der zweiten Prämisse des Arguments (SBIN*)) geliefert. Reflexivität und Perspektivenübernahme setzen nämlich die Anerkennung anderer Individuen voraus; und Anerkennung ist hier nicht in einem normativen Sinne zu verstehen, sondern eher im Sinne Strawsons: Es muss eine Reihe unterscheidbarer Individuen geben „als Voraussetzung der Bedeutung der eigenen Einstellung.“70 Am Beginn der Untersuchung der intersubjektiven Struktur von Bedeutung bei Mead habe ich darauf hingewiesen, dass Meads Theorie des Selbst zwar mit seiner Bedeutungstheorie korreliert, dass dies aber nicht im Sinne eines Deduktionsverhältnisses zu verstehen sei. Sein Argument lautet gerade nicht, dass Selbstbewusstsein nur deshalb intersubjektive Bedingungen habe, weil das Verfügen über einen Begriff von sich selbst Sprache voraussetze und Sprache eine intersubjektive Struktur habe, weshalb das ebenso für Selbstbewusstsein gelten muss. Aus diesem Grund ist seine Argumentation auch nicht mit dem Nachweis abgeschlossen, dass schon für das Verfügen über Bedeutung wechselseitige Interaktionen notwendig sind. Vielmehr behauptet er, dass die Korrelation von Sprache und Selbstbewusstsein dadurch begründet ist, dass nur der Austausch von vokalen Gesten als dasjenige soziale Verhalten in Frage kommt, das die gesuchte Selbstbezüglichkeit ermöglichen kann. Basierend auf dieser Annahme argumentiert er dann für intersubjektive Bedingungen von Selbstbewusstsein, die zwar nicht unabhängig vom Verfügen über Bedeutungen zu beschreiben sind, die aber auch nicht einfach aus diesem Verfügen abgeleitet werden können. Insofern hat Meads Argumentation für die dritte Prämisse von (SBIN*)) eine ganz andere Kraft. Denn wenn sie erfolgreich ist, dann hat er nicht nur gezeigt, dass sie generell gilt, er hat zudem speziell für den Begriff von sich selbst gezeigt, dass man nur dann über ihn verfügt, wenn man kommunikative Interaktionen mit anderen Individuen hatte. Meads Argumentation geht dann wie folgt: Gesteht man zu, dass der Austausch von Lautgebärden Selbstbezüglichkeit ermöglicht, dann sieht man sich mit dem Problem konfrontiert, dass es eine ganze Reihe von Wesen gibt, die sich durch Lautgebärden verständigen, ohne dass ihnen deshalb schon Selbstbewusstsein zugesprochen werden müsste. Der Austausch von Lautgebärden kann also nur als Bedingung und nicht schon selbst als das gesuchte selbstbezügliche Verhalten betrachtet werden. Was für Selbstbezüglichkeit deshalb hinzukommen muss, ist die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme. Nun scheint diese Überlegung zwar für die Bestim-

70 [GA I], 230/engl., [SW], 111.

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mung allgemeiner Bedeutung plausibel zu sein, weshalb aber sollte das gesuchte selbstbezügliche Verhalten ausgerechnet durch den Mechanismus der Perspektivenübernahme bedingt sein? Zur Beantwortung dieser Frage sei noch einmal an Meads frühere Bestimmung des Begriffs der Reflexion erinnert. Wir hatten gesehen, dass Mead unter „Reflexion“ ein bestimmtes Erfahrungsstadium versteht, in welchem das Individuum, auf seine Subjektivität zurückgeworfen, sich selbst erfährt. Bedingung für das reflexive Stadium der Erfahrung war, dass eine eigentlich habitualisierte Handlung unterbrochen und die Geltung der in dieser Situation begegnenden Objekte vakant wurde. Die anschließend einsetzende Analyse der subjektiven Erfahrung sollte das Subjekt dann in den Stand setzen, die unterbrochene Handlung fortzusetzen und die Geltung der in Frage gestellten Objekte erneut herzustellen. Mit der Einsicht, dass der Anstoß zur Analyse der subjektiven Erfahrungen nicht vom Objekt ausgehen kann, weil die Neubestimmung von Objektgeltungen nicht automatisch auch zu einer Bestimmung dieser Erfahrungen führt, verändern sich aber die Koordinaten für den Begriff der Reflexion. Erst einmal gilt es festzuhalten, dass unter „Reflexion“ hier weder eine erkenntnistheoretische Reflexion im Sinne Wundts – eine begriffliche Abstraktion von den Erfahrungen – zu verstehen ist noch die Reflexion, die der Festlegung einer Überzeugung vorhergeht. Vielmehr geht es um das, was beide Formen der Reflexion voraussetzen – die Reflexivität auf die eigenen Einstellungen derart, dass sie dem einzelnen Wesen als seine eigenen Einstellungen bewusst werden. Was also erforderlich ist, ist eine Beschreibung reflexiver Bezugnahmen auf die eigene Erfahrung im Kontext sozialer Interaktion, die letztlich zu einem Begriff von sich selbst führen. Was also sind die Bedingungen für Überzeugungen de se, die nur durch soziale Interaktionen bereitgestellt werden können? Mead beantworte die Frage so: Innerhalb des sozialen Verhaltens werden, mit einem Wort, die Gefühle der eigenen Reaktionen zu natürlichen Objekten der Aufmerksamkeit, da sie zunächst und vor allem die Einstellungen der anderen interpretieren, durch die sie hervorgerufen sind. In zweiter Linie werden sie zu Objekten der Aufmerksamkeit, weil sie das Material abgeben, anhand dessen jemand seine eigene Reizwirkung auf das Verhalten anderer feststellen kann. Wir finden hier also Gelegenheit und Mittel, unsere Reaktionen und Verhaltensgewohnheiten (als unterschieden von den Reizen, die sie hervorbringen) zu analysieren und uns zu Bewußtsein zu bringen.71

Das Mittel ist die Kommunikation, die die Reziprozität sicherstellt; die Gelegenheit ist die Bestimmung des Verhaltens Anderer durch die eigene Reaktion. In der Interaktion begegnen dem einzelnen Individuum die Anderen vor allem durch ihre Ansprüche und Erwartungen. Diese sind natür71 [GA I], 220/engl., [SW], 132.

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lich unterschiedlich komplex. Doch schon gegenüber dem menschlichen Säugling treten die Eltern mit dem interpretativen Anspruch auf seine Reaktionen zu verstehen, um entsprechend auf seine Bedürfnisse reagieren zu können. Im Laufe der Entwicklung lernt das Kleinkind dann einerseits seine eigenen Reaktionen von denen der Eltern zu unterscheiden und es lernt andererseits, dass es seine eigenen Reaktionen sind, die die Eltern zu einem bestimmten Verhalten veranlassen. Natürlich hat diese grundlegende Perspektivenübernahme noch keine begriffliche Struktur in dem Sinne, dass sich der Säugling oder das Kleinkind ihrer eigenen Intentionen und denen der Anderen bewusst wäre. Im Sinne Meads ist dies erst dann gegeben, wenn das Individuum die Einstellungen der Anderen antizipieren kann und aufgrund dieser Antizipation seine eigenen Reaktionen modifiziert. Dafür ist allerdings eine allgemeine, perspektivenübergreifende Bedeutung notwendig und in diesem Fall wäre dann auch eine Zuschreibung von starken Ich-Phänomenen berechtigt. Die jüngere empirische Forschung unterscheidet hier deshalb zwischen einer primären und einer sekundären Intersubjektivität.72 Unter primärer Intersubjektivität wird die grundlegende Fähigkeit zur face-to-face-Interaktion verstanden. Die sekundäre Intersubjektivität ist dann Tomasello zufolge durch drei Merkmale gekennzeichnet: 73 74 „joint attention“, „social referencing“ und „imitation learning“. Unter „joint attention“ wird die Fähigkeit zu einer gemeinsamen Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Objekt verstanden; unter „social referencing“ die Fähigkeit die Gefühle zu erkennen, die Erwachsene gegenüber einer Person oder einem Objekt zeigen und unter „imitation learning“ die Fähigkeit das Verhalten der Erwachsenen gegenüber einem Objekt zu imitieren. Die sekundäre Intersubjektivität ist Kennzeichen eines komplexen Verhaltens, das Tomasello „cultural learning“ nennt. In cultural learning, learners do not just direct their attention to an individual and its behavior, their actually attempt to see the world the way other individual sees it – from inside the others perspective, as it were. Learning in this case is social in a

72 Vgl. dazu den Sammelband von U. Neisser, (Hrsg.), The Perceived Self: Ecological and Interpersonal Sources of Self-Knowledge, Cambridge 1993. 73 Dass die Fähigkeit zur joint attention eine nicht zu unterschätzdene Rolle spielt sowohl bei der Entwicklung psychologischer Konzepte als auch beim Erlernen der Sprache, scheint in jüngster Zeit common sense zu sein. Einen Ein- und Überblick über den Stand der Überlegungen gibt: N. Eilan et al. (Hrsg.) Joint Attention: Communication and Other Minds, Oxford 2005. 74 M. Tomasello, „On the Interpersonal Origins of Self-Concept“, in: U. Neisser (Hrsg.), The Perceived Self: Ecological and Interpersonal Sources of SelfKnowledge, Cambridge 1993, 174–184, 174. Das sind im Übrigen genau die Merkmale, auf die sich auch Bermúdez bezieht, bei seinem Versuch nicht-begriffliches Selbstbewusstsein anhand sozialer Verhaltensweisen zu identifizieren.

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way that individual learning enabled or supported by the social environment is not. It is learning in which the learner is attempting to learn not from another but through another.75

Eine Voraussetzung für kulturelles Lernen ist also die Fähigkeit Intentionen zu teilen, indem man die Perspektive des anderen einnimmt.76 Und Tomasello bestätigt aus der Sicht des Empirikers Meads Behauptung, dass der Prozess des kulturellen Lernens mit dem Spracherwerb zusammenfällt. Während die primäre, face-to-face-Interaktion nicht wirklich intersubjektiv ist, mindestens nicht in dem hier behaupteten Sinne, setzt die sekundäre Intersubjektivität wechselseitige Perspektivenübernahme voraus, die wiederum Voraussetzung dafür ist, dass ein Kleinkind psychologische Prädikate bilden und auf sich selbst und andere anwenden kann. In diesem Sinne argumentiert Tomasello: When the child is simulating and culturally learning from the adults attention to herself, she may then use her developing abilities of categorization to begin forming a true self-concept.77

Meads Überlegung, dass der Einzelne sich seiner eigenen subjektiven Erfahrungen nur bewusst wird, wenn er sich in interaktiven Handlungs- und Kommunikationskontexten mit anderen Subjekten befindet, findet also Unterstützung in der aktuellen empirischen Forschung.78 Nicht nur für die Herausbildung eines umfangreichen Selbstkonzepts sondern schon für die Bildung psychologischer Prädikate, die gemäß der Strawson-EvansBedingung die Unterscheidung von sich selbst und anderen voraussetzen, ist die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme in Interaktionen also eine notwendige Prämisse. Das ist dann auch ein Grund dafür, dass sich Spracherwerb und der Erwerb eines Begriffs von sich selbst so schwer voneinander trennen lassen, weil beiden die gleiche Fähigkeit – die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme – zugrunde liegt, ohne die sich weder das eine noch das andere entwickeln würde. Mead selbst kann diesen Prozess allerdings

75 A. a. O., 175. 76 Später stellen Tomasello und Carpenter dann fest, dass Schimpansen diese Fähigkeit zur Perspektivenübernahme vermissen lassen: „We found that chimpanzees were very similar to human infants on the more individually based social-cognitive skills such as gaze-following, intention reading, and so forth. But when it came to sharing attention, we saw virtually no relevant behavior in the chimpanzees“. M. Tomasello/M. Carpenter, „Shared intentionality“, in: Developmental Science 10, Oxford 2007, 121–125, 122. 77 Tomasello, 1993, 177. 78 Siehe auch P. Rochat, Others in Mind. Social Origins of Self-Consciousness, Cambridge 2009 und M. Tomasello, The Cultural Origins of Human Cognition, Cambridge /Mass. 2000.

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nur in der Terminologie der Beziehung eines Subjekts auf ein Objekt beschreiben. Für das Selbst ist es notwendig, dass die Person auf sich selbst reagiert und es ist diese soziale Handlungsweise (this sort of social conduct), die zu dem Verhalten führt, in dem das Selbst auftritt. Ich kenne außer dem sprachlichen kein Verhalten, in dem das Individuum sich selbst Objekt ist, und soweit ich sehen kann, ist das Individuum solange kein Selbst im reflektiven Sinne, als es nicht sich selbst Objekt ist. Es ist diese Tatsache, die der Kommunikation ihr entscheidendes Gewicht verleiht, da sie eine Verhaltensweise darstellt, bei der das Individuum in dieser Weise auf sich selbst reagiert.79

Mead führt den Terminus des sozialen Objekts ein, um deutlich zu machen, inwiefern ein Subjekt Selbstbewusstsein in dem behaupteten reflexiven Sinne haben kann. Die prozessuale und pragmatische Struktur der reflexiven Selbstbeziehung, so wie Mead sie im Kontext kommunikativer Handlungsprozesse beschreibt, widerspricht aber erst einmal der klassischen Auffassung, wonach ein Individuum Selbstbewusstsein hat, wenn es sich auf sich selbst als Objekt bezieht. Tatsächlich wird das soziale Objekt von Mead auch nicht als Entität eingeführt, auf die man sich in irgendeiner Weise zu beziehen habe, um selbstbewusst zu sein. Stattdessen ist Mead nach wie vor auf die Behauptung verpflichtet, dass das Subjekt sich selbst gerade nicht „wie ein Ding“ zu analysieren versuche, sondern dass die Analyse, die zum Selbstbewusstsein führt, „ein Moment in der Bewegung des Bewußtseins“ sei.80 Das mit dem Terminus „soziales Objekt“ Gemeinte ist daher eher als der Begriff eines psychologischen Subjektes zu verstehen, über den man verfügen muss, um Überzeugungen de se haben zu können. Das wird deutlich, wenn Mead behauptet, dass das „bloße Vorhandensein der Erfahrungen von Lust und Schmerz in Verbindung mit organismischen Empfindungen erst dann dazu dienen (kann), ein Objekt herauszubilden, wenn das Material unter das Schema eines Objekts fallen kann“.81 Selbstbewusstsein liegt also vor, wenn man über den Begriff eines soziales Objekt verfügt oder wenn man, wie Mead auch formuliert, „in sein Verhalten die Form eines sozialen Objektes (einfügt), aus dem ein „Mich“ entstehen kann, auf das sogenannte subjektive Erfahrungen bezogen werden können“.82 Interpretiert man den Begriff des sozialen Objektes in dem vorgeschlagenen Sinne als Begriff eines psychologischen Subjekts, den ein

79 [GIG], 184/[MSS], 142, Übersetzung geändert. 80 [GA I], 59. Vgl. S. 133f in dieser Arbeit zu einer genaueren Begründung dieser Aussage. 81 G. H. Mead, „Der Mechanismus des sozialen Bewußtseins“, in: [GA I], 232–240, 237/engl., „The Mechanism of Social Consciousness“, in: [SW], 134–141, 139. 82 Mead, [GA I], 238/engl., [SW], 139.

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Individuum gebildet haben muss, damit es sich selbst Überzeugungen und mentale Zustände als seine eigenen zuschreiben kann, dann erlangt Meads Rede vom sozialen Objekt als Kernbestimmung für Selbstbewusstsein neue Plausibilität. Der Zirkel, wonach ein Subjekt doch immer schon wissen muss, dass es selbst das Objekt ist, auf das es sich bezieht, kann auf diese Weise umgangen werden, denn zum Begriff eines psychologischen Subjekts gehört das Bewusstsein, dass Subjekte mentale Prädikate auf sich selbst genauso anwenden können wie auf andere. Hat das Kleinkind erst einmal gelernt, was es heißt, ein psychologisches Subjekt zu sein, dann weiß es auch, dass es selbst eines ist. Dies geschieht natürlich nicht so, dass es erst den Begriff des psychologischen Subjekts in Ansehung anderer lernt und dann auf sich selbst anwendet. Damit wäre der Zirkel nur neu formuliert. Der Zirkel kann hier aber deshalb nicht entstehen, weil der Begriff des psychologischen Subjekts nur in kommunikativen Interaktionen entwickelt werden kann, wobei gilt, dass Kommunikation auf Lautgebärden basiert, die durch die Perspektivenübernahme zu einer sprachlichen Kommunikation mit identischer Bedeutung erweitert werden. Und die Lautgebärde war dadurch gekennzeichnet, dass durch sie „ein Individuum seinerseits ebenso angeregt und affiziert werden kann, wie sie andere anregt und affiziert, und die daher bei ihm selbst in der Weise eine Reaktion hervorrufen kann, wie sie es sonst bei anderen macht“.83 Genau das ist der tiefere Sinn des kulturellen Lernens. Man lernt die Anwendung des Begriffs des psychologischen Subjekts nicht von Anderen sondern durch sie, indem man mit ihnen kommuniziert. Selbstbezüglichkeit wird also in kommunikativen Interaktionen mit Anderen erreicht, wobei die kommunikativen Interaktionen die Fähigkeit zur reziproken Perspektivenübernahme voraussetzen, weil sich nur hier, wie Mead sagt, sowohl Mittel und Gelegenheit für den reflexiven Bezug auf sich selbst finden. Warum die Kommunikation das Mittel ist, sollte deutlich geworden sein. Die Gelegenheit besteht in der Bestimmung der eigenen Einstellungen durch die Interpretation der Einstellungen der Anderen, die auf die eigenen Einstellungen bezogen so sind, dass der Anstoß zur Interpretation der eigenen subjektiven Erfahrung nur in Interaktionen mit Anderen gegeben ist. Der Zirkel wird demnach mit einem Argument durchbrochen, das die intersubjektive Struktur des Selbstbezugs in den Blick nimmt.84 Selbstbewusstsein liegt also genau dann vor, wenn ein Individuum sich selbst als psychologisches Subjekt begreift, wobei gilt, dass der Begriff des 83 Mead, [GA I], 239/engl., [SW],140. 84 Die Annahme eines nicht-begrifflichen Selbstbewusstseins ist also tatsächlich nicht notwendig, um das „Paradox des Selbstbewusstseins“ zu lösen, wie Bermúdez glaubt. Vgl. Bermúdez, 1998.

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psychologischen Subjekts nur im kommunikativen und damit interpretativem Umgang mit anderen Individuen erworben werden kann. Aus diesem Grund kann Mead auch sagen, dass es kein anderes als das sprachliche Verhalten gibt, in welchem das Individuum ein Objekt für sich selbst ist, ohne damit zugleich zu behaupten, dass Selbstbezüglichkeit aus der Sprache deduktiv abgeleitet wäre. Denn in der hier verteidigten Interpretation bedeutet dies lediglich, dass es eben kein anderes als das kommunikative durch Perspektivenübernahme charakterisierte Verhalten gibt, in dem ein Individuum den Begriff eines psychologischen Subjekts bilden kann. An dieser Stelle ergibt sich dann eine interessante Antwort auf Bermúdez. Bermúdez war ja davon ausgegangen, dass man über Begriffe nur innerhalb einer Sprache verfügen kann, weshalb er sich zu der Annahme nicht-begrifflicher Ich-Gedanken genötigt sah, weil er glaubt, dass es genügend Gründe dafür gibt, auch nicht-sprachlichen Wesen Ich-Gedanken zuzusprechen. Die Verhaltensweisen, die er dann aber als jene benennt, die zu einer Zuschreibung von nicht-begrifflichen Ich-Gedanken berechtigen, sind jedoch nichts anderes als kommunikative Weisen des Verhaltens, die die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme voraussetzen. Wenn aber die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme als eine interpretative Fähigkeit verstanden werden muss, was nicht zuletzt auch die Beschreibung derjenigen Verhaltensweisen nahelegt, die zugestandenermaßen die Grundlage für die Entwicklung eines Begriffs von sich selbst bilden (also „joint attention“, „social referencing“ und „imitation learning“), dann sehe ich keinen Grund, weshalb diese Verhaltensweisen als „nicht-begrifflich“ zu qualifizieren wären. Es ist in diesem Zusammenhang viel näher liegend zu behaupten, dass die Kommunikation zwischen Subjekten durchaus eine begriffliche Struktur habe, sobald sie die genannten Merkmale aufweist, auch wenn sie noch nicht zur Zuschreibung einer vollausgebildeten natürlichen Sprache berechtigt. Offen bleibt hier zunächst noch eine Erklärung dafür, was unter einer derartigen begrifflichen, gleichwohl nicht-sprachlichen Struktur zu verstehen wäre. Ich gehe aber davon aus, dass der Erwerb einer Sprache ein gradueller Prozess ist, durch den ein Sprecher die Kompetenz erwirbt, sich in einer natürlichen Sprache verständlich zu machen. Das schließt bestimmte grammatische, syntaktische und lexikalische Kompetenzen ein. Die hier genannten kommunikativen Verhaltensweisen können dann als solche beschrieben werden, die derartige Kompetenzen (noch) vermissen lassen. Im Gegensatz zu Bermúdez nehme ich aber an, dass Subjekte, die über solche Fähigkeiten wie „joint attention“, „social referencing“ und „imitation learning“ verfügen, in der Lage sind begrifflich strukturierte Urteile zu fällen. Für derartige Urteile genügt es zunächst, dass das Subjekt über einfache Begriffe verfügt, also Gegenstände nach bestimmten Merkmalen klassifizieren kann. Beispiele für begrifflich struk-

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turierte aber dennoch nicht-sprachliche Urteile sind etwa demonstrative Urteile wie „Das ist ein Ball“, die einem Kind bei der Ausübung des „social referencing“ zugesprochen werden müssen. Weiter sollte es Gebärden verwenden können, die einen symbolischen Gehalt haben, also für etwas stehen. Es sollte dies mit der Absicht tun, verstanden zu werden und es sollte sich korrigieren können, wenn es nicht verstanden wird. Die eben genannten Merkmale kennzeichnen die kommunikativen Verhaltensweisen, die ein Subjekt im Prozess des kulturellen Lernens an den Tag legt, und zwar auch dann, wenn es noch kein kompetenter Sprecher einer natürlichen Sprache ist. Mead ergänzt im Anschluss an die grundlegenden Ausführungen zu den intersubjektiven Bedingungen seine Theorie des Selbstbewusstseins dadurch, dass er die wechselseitige Perspektivenübernahme zu einer Rollenübernahme erweitert. Dazu übernimmt er von James85 die Unterscheidung zwischen „I“ und „Me“, die die Herausbildung eines vollen Begriffs von sich selbst, inklusive der von der Gemeinschaft an das Subjekt herangetragenen Erwartungen, explizieren soll. Das „I“ steht für den aktiven Teil des Selbst, der dem Subjekt erst retrospektiv bewusst wird, weil, wie Mead sagt, wir „uns keine Reaktion vergegenwärtigen (können), während wir reagieren“.86 Das „Me“ steht demgegenüber für den Teil des Selbst, der durch die Reaktion auf die Erwartungen anderer und durch die Bewertung und Einschätzung der eigenen Handlungen charakterisiert ist. Mit der Unterscheidung von „I“ und „Me“ verlagert Mead den dialogischen und kommunikativen Aspekt in das Subjekt selbst und schafft so den Raum für eine Konzeption eines Selbstbegriffs, die die normativen Erwartungen der Anderen in den Begriff von sich selbst integriert. Für das hier diskutierte Argument sind allerdings Meads Ausführungen zur dialogischen Binnenstruktur des Begriffs von sich selbst nicht relevant, weshalb auf eine weitere Diskussion der Unterscheidung von „I“ und „Me“ verzichtet wird.87 Wesentlich für das hier vorgestellte Argument (SBIN*)) ist hingegen, dass die dritte Prämisse erfolgreich verteidigt werden konnte. Die kommu-

85 Vgl. W. James, The Principles of Psychology, Vol. 1, New York 1950, 291–296. 86 [GA I], 239/engl., [SW],140, vgl. auch G. H. Mead, „Die soziale Identität“, in: [GA I], 241–249/engl., „The Social Self“, in: [SW], 142–149. 87 Siehe dazu jedoch D. L. Miller, Self, Language and the World, Chicago/London 1973; D. L. Lewis, „A Social Behaviorist Interpretation of Meadian ‚I‘“, in: M. Aboulafia (Hrsg.), Philosophy, Social Theory, and the Thought of George Herbert Mead, Albany/New York 1991, 109–133; J. M. Gustafsson, „G.H. Mead and Martin Buber on Interpersonal Self“, in: U. Neisser (Hrsg.), The Perceived Self: Ecological and Interpersonal Sources of Self-Knowledge, Cambridge 1993, 280–289 und D. Jopling, „Self-Knowledge and the Self“, New York 2000.

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Ein Argument für intersubjektive Bedingungen

nikativen Interaktionen zwischen Individuen sind sowohl eine Bedingung für die perspektivenübergreifende Bedeutung von Prädikaten als auch dafür, dass ein Subjekt überhaupt Begriffe und insbesondere einen Begriff von sich selbst haben kann. Wenn an der logischen Gültigkeit des Arguments kein Zweifel besteht, dann folgt aus der Plausibilisierung der Prämissen eindeutig, dass ein Subjekt nur dann Selbstbewusstsein im Sinne eines Begriffs von sich selbst haben kann, wenn es wechselseitige kommunikative Interaktionen mit anderen Subjekten hatte. Damit ist tatsächlich nachgewiesen, dass Selbstbewusstsein intersubjektive Bedingungen hat. Das Argument kann aber noch von einer anderen Seite her unterstützt werden. Ich habe im vorliegenden Kapitel argumentiert, dass Subjekte, die einen Begriff von sich selbst entwickeln, nicht notwendigerweise kompetente Sprecher einer Sprache im Sinne der natürlichen Wortsprache sein müssen, dass sie aber nur dann über einen Begriff von sich selbst auch verfügen, wenn sie Überzeugungen de se haben, die sie durch „ich φ“-Sätze ausdrücken können. Im folgenden Kapitel soll nun der Frage nachgegangen werden, ob sprachliche Bedeutung intersubjektive Bedingungen hat. Wäre das der Fall, dann wäre damit zusätzlich gezeigt, dass nicht nur kommunikative Interaktionen mit anderen Subjekten eine Bedingung für den Begriff von sich selbst sind, sondern dass jede einzelne Selbstzuschreibung, sofern sie durch einen bedeutungsvollen Satz erfolgt, intersubjektive Bedingungen hat.

III. Intersubjektivität, sprachliche Bedeutung und die Autorität der Ersten Person Nachdem im letzten Kapitel dafür argumentiert wurde, dass Subjekte den Begriff von sich selbst in kommunikativen Interaktionen erwerben, soll in diesem Kapitel dafür argumentiert werden, dass auch sprachliche Bedeutung intrinsisch intersubjektiv ist. Gelänge der Nachweis, dass eine wechselseitige Beziehung mit einer zweiten Person für sprachliche Bedeutung konstitutiv ist, dann wäre das Argument für intersubjektive Bedingungen von Selbstbewusstsein auch von der Bedeutungsseite her abgesichert. Denn in diesem Fall würde gelten, dass die zweite Person eine notwendige Bedingung für die Bedeutung jedes einzelnen Satzes darstellte, mit dem eine Selbstzuschreibung erfolgt, sei es die eines Gedankens oder die eines anderen mentalen Zustands. Die zweite Person wäre also nicht nur eine notwendige Bedingung in dem Sinne, den die Strawson-Evans-Bedingung unterstellt, nämlich eine Bedingung dafür, dass psychologische Prädikate eine perspektivenübergreifende Bedeutung haben. Sie wäre vielmehr eine notwendige Bedingung für sprachliche Bedeutung generell. Die Frage, ob und inwiefern Bedeutung intersubjektiv ist, wurde zunächst im Kontext des semantischen Externalismus gestellt. Das gemeinsame Element, auf das sich alle Vertreter des semantischen Externalismus verpflichten, ist die Überzeugung, dass „Bedeutungen nicht im Kopf“ sind, sondern aufgrund externer Faktoren bestimmt werden. Zu intersubjektiven Faktoren werden diese, wenn eine reziproke Beziehung zwischen mindestens zwei Sprechern grundlegend für die Bedeutung von Ausdrücken ist. Die These, dass sprachliche Bedeutung durch externe Faktoren bedingt sei, führt allerdings zu einer problematischen Konsequenz. Denn durch sie eröffnet sich die Möglichkeit, dass ein Subjekt nicht wissen könnte, was es glaubt, weil es die externen Faktoren nicht kennt, die die Bedeutung der von ihm verwendeten Ausdrücke und Sätze festlegt. Wenn es richtig ist, dass die Inhalte von Überzeugungen und propositionalen Einstellungen durch sprachliche Ausdrücke und Sätze identifiziert werden, dann besteht die Gefahr, dass Selbstzuschreibungen dem Subjekt keine garantierte Kenntnis darüber erlauben, in welchem mentalen Zustand es sich befindet oder welchen Gedanken es gerade denkt. Dieses Problem ist unter dem Stichwort der Gefährdung der Autorität der Ersten Person diskutiert wor-

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Intersubjektivität, sprachliche Bedeutung und die Autorität der Ersten Person

den, und eine Theorie, die behauptet, dass Bedeutung intersubjektive Bedingungen habe, muss sich dem Problem stellen. Im nun folgenden Kapitel werden die Positionen Putnams (linguistische Arbeitsteilung), Burges (sozialer Externalismus) und Davidsons (Autorität der Ersten Person als konstitutiver Bestandteil der Interpretation) untersucht. Allen drei Positionen ist die Annahme gemeinsam, dass Bedeutungen im Umgang mit anderen Sprechern festgelegt werden. Ich werde aber zeigen, dass diese Annahme allein nicht genügt, um die genannten Positionen auch tatsächlich als intersubjektive Bedeutungstheorien zu klassifizieren. Da hier davon ausgegangen wird, dass Wechselseitigkeit ein wesentlicher begrifflicher Bestandteil von Intersubjektivität ist, müssen die einzelnen Theorien daraufhin untersucht werden, ob die behauptete soziale Komponente die für Intersubjektivität geforderte Reziprozität aufweist. Genau das wird in diesem Kapitel geschehen. Die zweite schon erwähnte Frage, die nachfolgend im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, lautet: Wie gehen diese Theorien mit dem Problem der Gefährdung der Autorität der Ersten Person um? Nur wenn das Autoritätsproblem gelöst werden kann, unterstützt die Behauptung, dass Bedeutung intersubjektive Bedingungen habe, auch die Argumentation für intersubjektive Bedingungen von Selbstbewusstsein. Andernfalls wäre die hier verteidigte Konzeption gefährdet, der zufolge ein Subjekt Selbstbewusstsein hat, sobald es über einen Begriff von sich selbst verfügt. Denn über diesen Begriff verfügt es genau dann, wenn es sich selbst Überzeugungen de se zuschreiben kann, die es in Sätzen einer natürlichen Sprache ausdrückt. Die Diskussion zu den relevanten Erfordernissen, die eine externalistische Bedeutungstheorie mit sich bringt, sowie zu den damit verbundenen Problemen wird allerdings nur insoweit berücksichtigt, als sie der zentralen Fragestellung dieser Arbeit dient.1

1. Zwillingserde und linguistische Arbeitsteilung (Putnam) Die durch den semantischen Externalismus gestellte Frage nach der Individuierung der Inhalte propositionaler Einstellungen führte zu einer erstaunlichen Erkenntnis: Was eine Person glaubt, wünscht oder befürchtet, ist nicht allein von dem abhängig, was in ihrem Kopf vorgeht, entscheidender

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Siehe aber für einen Überblick der Diskussion S. C. Goldberg (Hrsg.), Internalism and Externalism in Semantics and Epistemology, Oxford 2007; R. Schantz (Hrsg.), Current Issues in Theoretical Philosophy: The Externalist Challenge, Bd. 2, Berlin/New York 2004; S. Nuccetelli (Hrsg.), New Essays on Semantic Externalism and Self-Knowledge, Cambridge/Mass. 2003.

Zwillingserde und linguistische Arbeitsteilung (Putnam)

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sind vielmehr ihre Beziehungen sowohl zur physischen Umgebung, in der sie lebt, als auch zur Sprachgemeinschaft, der sie angehört. Das von Putnam in „The Meaning of Meaning“2 entwickelte Gedankenexperiment soll diese Konsequenz verdeutlichen. Angenommen, es gebe eine Zwillingserde, die mit der uns bekannten in fast allen Hinsichten identisch ist bis auf eine einzige Ausnahme: der molekularen Struktur von Wasser. Während Wasser auf der Erde die chemische Struktur H2O hat, hat Zwasser auf Zwillingserde die molekulare Struktur XYZ. Folglich gilt: Bezieht sich ein Sprecher auf der Erde (AdamE) mit dem Satz „Hier ist Wasser“ auf Wasser, dann bezieht sich sein Zwillingssprecher auf Zwillingserde (AdamZ) – der AdamE ansonsten in seiner gesamten neurophysiologischen und molekularen Struktur gleicht3 – mit genau demselben Satz auf Zwasser. Obwohl sich beide Sprecher tatsächlich im gleichen Verstehenszustand befinden, da beide glauben, sich mit dem Satz „Wasser ist nass“ auf Wasser und nichts anderes zu beziehen, haben sie dennoch, zieht man die für ihre Überzeugungen kausal relevanten Relationen in Betracht, unterschiedliche Glaubenszustände.4 Die sich aus dem Gedankenexperiment ergebenen Schlussfolgerungen betreffen nun zum einen den Begriff der Bedeutung und zum anderen unser Verständnis propositionaler Einstellungen. Konsequenzen für den Begriff der Bedeutung hat das Gedankenexperiment in dem Fall, in dem die Bedeutung eines Ausdrucks als eine verstanden wird, die sowohl die Intension als auch die Extension umfasst, wobei die Intension des Ausdrucks seine Extension bestimmt.5 Ein Ergebnis des Gedankenexperiments besteht

2 3

4

5

H. Putnam, „Meaning of Meaning“, in: ders., Mind, Language and Reality. Philosophical Papers, Vol. 2, Cambridge/Mass. 1975, 215–271. Der Zusatz ist notwendig, um die Bedingungen stabil zu halten, unter denen das Experiment funktioniert. Würde man hier beispielsweise einen neuro-physiologischen Unterschied zulassen, könnte das Ergebnis anders interpretiert werden. Der extensionale Unterschied, auf den es hier ja ankommt, wäre kein notwendiges Ergebnis mehr. Zur Unterscheidung der mentalen Zustände hat sich das Begriffspaar „narrow“versus „wide-content“-Zustand eingebürgert. Zustände mit einem narrow-content sind solche, die nicht von externen Kriterien abhängen. Ihre Bestimmung erfolgt allein auf der Grundlage dessen, was eine Person glaubt. Die Bestimmung von wide-content-Zuständen hingegen erfolgt aufgrund externer Kriterien. Sie können also nicht unabhängig von der jeweiligen physikalischen und sozialen Umgebung der betreffenden Person bestimmt werden. Siehe dazu unter anderen D. Chalmers, „The Nature of Narrow Content”, in: Philosophical Issues 13, 2003, 46–66, F. Recanati, „How Narrow is Narrow Content“, in: Dialectica 48, 1994, 209–229. Frege hatte die Unterscheidung zwischen Extension (Bedeutung) und Intension (Sinn) eingeführt, um so bestimmen zu können, was einzelne Personen für wahr halten. Ihm zufolge legt die Extension den Sachbezug fest, während die Intension

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nun darin, dass der Stellenwert der Intension als notwendige und hinreichende Bedingung für die Festlegung der Extension fraglich wird. Gesteht man nämlich zu, dass für die Bedeutung eines Ausdrucks seine kausale Geschichte ausschlaggebend ist, dann wird die Extension zum entscheidenden Bestandteil der Bedeutung. Denn wie das Gedankenexperiment zeigt, ist es eben der extensionale Unterschied zwischen dem Ausdruck „Wasser“, wie er auf der Erde gebraucht wird, und demselben auf der Zwillingserde gebrauchten Ausdruck, der den Bedeutungsunterschied ausmacht. Was also ein Sprecher hinsichtlich der Bedeutung eines Ausdrucks glaubt, in welchem narrow-content-Zustand er sich befindet, hat keine maßgebliche Auswirkung auf die tatsächliche Bedeutung des fraglichen Ausdrucks. Dieses Ergebnis bleibt natürlich nicht ohne Konsequenzen für die propositionalen Einstellungen. Zunächst folgt, dass der einzelne Sprecher nicht mehr in der Lage ist anzugeben, worauf sich seine Ausdrücke beziehen, jedenfalls nicht dadurch, dass er seinen eigenen Glaubenszustand kenntlich macht. Die Kompetenzen des individuellen Sprechers werden aber nicht nur für die Bedeutungsfestlegung bestimmter Ausdrücke eingeschränkt; die Einschränkung führt auch zu der paradoxen Situation, dass der Sprecher, vermag er auf der Grundlage dessen, was er glaubt, nicht mehr anzugeben, was seine Worte bedeuten, keinen unabhängigen Zugang zu den Inhalten seiner Gedanken mehr hat. Denn die Identifizierung der Gedankeninhalte hängt ja von der Bedeutung der verwendeten Ausdrücke ab. Damit gerät aber die Autorität der ersten Person ernsthaft in Gefahr. Stimmt man den Überlegungen zu den möglichen Schlussfolgerungen des Gedankenexperiments soweit zu, dann schließt sich unmittelbar die Frage an, wie die Referenz eines Ausdrucks bestimmt werden soll, wenn dafür die individuelle Sprecherkompetenz nicht mehr zur Verfügung steht. Putnams Antwort auf diese Frage hat zwei Aspekte: Zum einen ist die Extension im allgemeinen sozial bestimmt, sprachliche Arbeit wird ebenso geteilt wie handfeste Arbeit; und zum anderen ist die Extension, partiell wenigstens, indexikalisch bestimmt.6

Beginnen wir zunächst mit dem zuletzt genannten Aspekt: der Indexikalität. Putnam zufolge sind Ausdrücke, die natürliche Arten bezeichnen, durch eine partielle Indexikalität gekennzeichnet. „Indexikalität“ meint in diesem Zusammenhang, dass Ausdrücke für natürliche Arten mittels Os-

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die Weise bestimmt, in der der Ausdruck verstanden wird. Dabei wird der Sachbezug jeweils über die Intension vermittelt. Vgl. G. Frege, „Über Sinn und Bedeutung“, in: ders., Funktion, Begriff und Bedeutung, (hrsg. u. eingeleitet von G. Patzig), Göttingen 1962, 40–65, 46f. H. Putnam, Die Bedeutung von Bedeutung, Frankfurt/Main 1990, 62/engl., 1975, 245.

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tension definiert werden und ihre Bedeutung daher durch die Bezugnahme auf ein konkretes Vorkommnis der jeweiligen natürlichen Art in der relevanten Umgebung der Sprecher bestimmt wird. Für den im Gedankenexperiment verwendeten Ausdruck „Wasser“ lautet die Definition beispielsweise: Für alle Welten Wn und für jedes Objekt x in der Welt gilt: x ist genau dann Wasser, wenn x aus derselben Flüssigkeit besteht, wie der Gegenstand, der in unserer wirklichen Welt W1 durch „Dies da“ bezeichnet wird.7

Der indexikalische Term „dies“ legt die Extension des Ausdrucks in Abhängigkeit vom Kontext der Verwendung fest. Und dieser Kontext muss zugleich als Einführungs- und damit auch Definitionskontext des Ausdrucks verstanden werden. Die behauptete Indexikalität unterstützt aufgrund der implizierten Ostension Putnams Argumentation, wonach Bedeutungen keine mentalen Entitäten sein können. Ferner ist sie ein Grund dafür, dass das Gedankenexperiment überhaupt funktioniert. Denn nur dadurch, dass die Bedeutung des Ausdrucks „Wasser“ in allen Welten an die in W1 mit „Wasser“ bezeichnete Flüssigkeit H2O gebunden ist, gerät die Bedeutung von Wasser auf der Zwillingserde überhaupt erst ins Wanken. Der erste Aspekt des Vorschlags, wie der Sachbezug eines Terms unter den durch das Gedankenexperiment gestellten Konditionen festgelegt werden könnte, führt dann direkt zu den sozialen Bedingungen von Bedeutung. „Extension“ sei, so Putnam, „im allgemeinen sozial bestimmt“ und diese soziale Bestimmtheit findet ihren Ausdruck in der linguistischen Arbeitsteilung. Wenn der einzelne individuelle Sprecher die Extension eines Ausdrucks nicht mehr dadurch bestimmen kann, dass er sich in einem bestimmten Glaubenszustand befindet, dann muss die Sprachgemeinschaft als ganze diese Aufgabe übernehmen. Die gemeinsame Praxis der linguistischen Arbeitsteilung soll garantieren, dass der Zustand der Welt und nicht individuelle mentale Ereignisse den Maßstab für die Bedeutung der Wörter bilden. „Kooperation“, schreibt Putnam in diesem Zusammenhang, „ist nicht Vagheit“.8 Putnam stellt sich die linguistische Arbeitsteilung als eine vor, die auf der allgemeinen Arbeitsteilung beruht. Nur einige Wissenschaftler und wenige Experten könnten beispielsweise angeben, worauf sich die Ausdrücke „Schwarzes Loch“ oder „Weißer Zwerg“ beziehen. Allein jene Experten, die über das entsprechende Wissen verfügen, hätten aber die Kompetenz, die Extension der fraglichen Ausdrücke auch tatsäch-

7 8

Vgl. Putnam, 1990, 43/engl., 1975, 231. Putnam, 1990, 89/engl., 1975, 265.

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lich festzulegen; alle anderen Sprecher müssten auf diese Festlegung vertrauen. Jede Sprachgemeinschaft weist die eben beschriebene Art von sprachlicher Arbeitsteilung auf, das heißt, sie verwendet wenigstens einige Ausdrücke, für die gilt: Die mit diesen Ausdrücken verknüpften Kriterien kennt jeweils nur eine Teilmenge der Menge aller Sprecher, die diesen Ausdruck beherrschen, und ihre Verwendung durch andere Sprecher beruht auf einer spezifischen Kooperation zwischen diesen und den Sprechern aus den jeweiligen Teilmengen.9

Ein naheliegender Einwand gegen die These von der linguistischen Arbeitsteilung ist zunächst, dass der einzelne Sprecher, der ohne Expertenkompetenz unter Umständen nicht so genau weiß, worauf sich die von ihm verwendeten Ausdrücke beziehen, trotz allem verstanden wird. Er muss also offensichtlich Bezeichnungen verwenden, die etwas bedeuten. Wird jedoch die Extension als ein wesentliches Element von Bedeutung verstanden, dann ist gerade diese Annahme fraglich. Putnam versucht die Lücke, die sich hier zwischen der Sprecherkompetenz des einzelnen Sprechers und der Referenzfestlegung durch die Experten ergibt, durch eine Theorie der Stereotypen zu schließen. Nicht allein die Extension einer Bezeichnung trägt dieser Theorie zufolge zu der Bedeutung eines beliebigen Ausdrucks bei. Hinzu kommt das, was ein Sprecher über den Gegenstand der Bezeichnung zusätzlich wissen sollte.10 Unter „Stereotypen“ versteht Putnam jene „konventional verwurzelten Meinungen“11 einer Sprachgemeinschaft, die Auskunft darüber geben, was ein Sprecher hinsichtlich eines Ausdrucks für natürliche Arten wissen sollte. Was alles zu einem Stereotyp gehört, wird von der Sprachgemeinschaft festgelegt und die Kenntnis darüber ist für den jeweiligen Sprecher obligatorisch.12 Zum Stereotyp „Tiger“ soll beispielsweise all das gehören, was ein charakteristisches Exemplar ausmacht: das Katzenartige, das Gestreiftsein etc. Stereotypen stehen laut Putnam für das „Typische“ am bezeichneten Exemplar; ihre Festlegung erfolgt über die Benennung paradigmatischer Eigenschaften der natürlichen Art, die sie bezeichnen sollen. Obwohl Stereotypen durchaus auch mal

9 Putnam, 1990, 39//engl., 1975, 228. 10 Genau genommen gehören für Putnam neben der Extension und dem Stereotyp zur Bedeutung noch syntaktische und semantische Marker. Diese Marker übernehmen die Aufgabe, diejenigen Merkmale eines Stereotyps auszuzeichnen, die besonders falsifikationsresistent sind. So gehören zu den syntaktischen Markern etwa „Nomen“, „Adjektiv“ oder „Sortale“ etc. und als semantische Marker gelten zum Beispiel „Lebewesen“, „Artefakt“, „natürliche Art“, „Flüssigkeit“ usw. 11 Putnam, 1990, 68/engl., 1975, 249. 12 Vgl. „Ich muss keine Experimente anstellen, um zu wissen, dass ich diese Mitteilungen für obligatorisch halte, und ich bin sicher, dass andere Sprecher ungefähr dasselbe für obligatorisch halten.“ Putnam, 1990, 71/engl., 1975, 252.

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schiefliegen können, seien sie jedoch „soweit ganz in Ordnung“.13 Mithilfe der Stereotypen soll folglich sichergestellt werden, dass Sprecher auch dann erfolgreich miteinander kommunizieren können, wenn die Extension unbestimmt ist. Sprecher werden also verstanden, sobald sie Stereotypen verwenden. Tatsächlich gelingt es Putnam jedoch nicht, durch die Einführung der Stereotypen die Lücke zwischen der individuellen Sprecherkompetenz und der Festlegungskompetenz der Experten zu schließen, und zwar aus folgenden Gründen: Putnam behauptet, dass das, was zu einem bestimmten Stereotyp – etwa „Tiger“ – gehört, als verpflichtende Kenntnis für jemanden gelten soll, dem der richtige Gebrauch von „Tiger“ zugeschrieben werden kann. Meine These ist, dass von einem Sprecher verlangt wird, etwas über Tiger, Ulmen etc. (oder jedenfalls über das jeweilige Stereotyp) zu wissen, damit man ihm zugestehen kann, er habe ‚Tiger‘, ‚Ulme‘ etc. erworben.14

Zugleich lässt er jedoch zu, dass es auf Seiten des jeweiligen Sprechers hinsichtlich der Kenntnis eines Stereotyps unterschiedliche Grade der Kompetenz geben kann. Zwar sollte man als kompetenter Sprecher des Deutschen „Leoparden“ von „Tigern“ unterscheiden können, aber man muss sich nicht sicher sein, was die stereotypische Differenzierung von „Ulmen“ und „Buchen“ betrifft.15 Die Kriterien, nach denen hier die für den individuellen Sprecher relevanten „typischen“ Merkmale der einzelnen Stereotypen festgelegt werden, scheinen allerdings völlig willkürlich zu sein. Gleichzeitig sollen die Stereotypen aber eine normative Komponente enthalten, da – wie unter anderem durch die Verwendung des Begriffs „obligatorisch“ („linguistic obligation“) nahelegt wird – von einem Sprecher verlangt wird, dass er sich, um verstanden zu werden, an diese Stereotypen zu halten habe. Putnam liefert aber weder ein Argument dafür, wie die Reichweite der einzelnen Stereotypen mit Hinblick auf das Bedeutungsverstehen eines individuellen Sprechers genau zu bestimmen ist, noch erläutert er, wie die der Stereotypenverwendung unterstellte normative Komponente überhaupt begründet werden könnte. Eine solche Begründung müsste etwa deutlich machen, dass die behauptete Normativität für Bedeutung tatsächlich konstitutiv ist. Solange die Stereotypen jedoch nicht hinreichend bestimmt sind und auch die ihnen innewohnende normative Kraft nicht begründet ist, ist fraglich, wie die Stereotypen dem individuellen Sprecher konkret dabei helfen könnten, mit seinen Ausdrücken etwas Be-

13 Putnam, 1990, 69/engl., 1975, 251. 14 Putnam, 1990, 66/engl., 1975, 248. 15 Vgl. Putnam, 1990, 67/engl., 1975, 249.

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stimmtes zu meinen. Die Stereotypen heben die Vagheit also keineswegs auf. Der entscheidende Einwand gegen die Theorie der Stereotypen ist allerdings ein anderer. Wird die Stereotypentheorie als ein Versuch verstanden, die Lücke zu schließen zwischen dem individuellem Verstehen eines Ausdrucks und der Extension, die die Bedeutung festlegt, dann erfüllt sie letztlich keine andere Funktion, als die der von Putnam für die Bedeutung eigentlich schon aufgegebenen Sprecherintension. Der Unterschied zwischen den Stereotypen und der ursprünglichen Intension besteht lediglich darin, dass bei Putnam die Intension nicht mehr den Glauben eines individuellen Sprechers kenntlich macht, sondern – vermittelt über die normative Komponente – den Glauben einer ganzen Sprachgemeinschaft. Trotzdem gilt nach wie vor, dass mithilfe der Stereotypen einerseits deutlich werden soll, was ein Sprecher hinsichtlich der Bedeutung eines bestimmten Ausdrucks glaubt, während sie andererseits festlegen sollen, was als Extension eines Ausdrucks zu gelten hat. Auf diese Weise rehabilitiert die Stereotypentheorie die Sprecherintension – wenn auch in einem sozialen und normativen Gewand – und attackiert so Putnams anfängliches Bestreben, die Extension als den wesentlichen Bestandteil von Bedeutung auszuweisen. In einem späteren Aufsatz nimmt Putnam zu diesem Problem Stellung. The mistake I made in ‚The Meaning of Meaning‘ was to try for too much definiteness in the notion of a ‚stereotype‘. Even if we agree (…) that tigers are stereotypically striped and leopards stereotypically spotted, it does not follow that there is any such thing as ‚the‘ stereotype of a tiger, leopard, or for that matter, of a house cat; it does not follow that there is some fixed invariant object (the same for every speaker who is competent in the use of the word) present in the mind/brain of speakers who know the word, or any word with ‚the same meaning‘.16

Die bescheidene Korrektur der Stereotypentheorie scheint tatsächlich der Einsicht zu entspringen, dass die wenn auch versteckte Rehabilitierung der Sprecherintension zu jenen nicht gewollten mentalistischen Konsequenzen führt, deren Vermeidung eigentlich das Ziel des Ganzen war. Sie sieht sich jedoch sofort mit einem neuen Einwand konfrontiert. Wenn es nicht mehr nur einen Stereotyp gibt, an den sich der individuelle Sprecher halten kann, warum sollte er dann überhaupt an ein bestimmtes Stereotyp halten, um verstanden zu werden? Ist er dazu aber nicht mehr gezwungen, dann wird die für die Stereotypen behauptete Normativität schlicht und einfach obsolet. Putnam kontextualisiert daher die Bedingungen, gemäß denen die Stereotypen zur Anwendung kommen, und versucht auf diese Weise die Stereotypentheorie zu retten.

16 H. Putnam, „Meaning Holism and Epistemic Holism“, in: K. Cramer et al. (Hrsg.), Theorie der Subjektivität, Frankfurt/Main 1990, 252–277, 273.

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(…) when we consider factors beyond the extension, we do consider stereotypes (…), but what we are concerned with is not the identity of stereotype (however that might be defined) but sufficient similarity. And there is no rule for deciding when two stereotypes are sufficiently similar; it depends on a particular context, including the reasons why someone wants to know what a word means and what he is going to do with the answer.17

Damit umgeht er jedoch keineswegs den Einwand, dass mit der Stereotypentheorie ein spannungsvolles Verhältnis zwischen Extension und rehabilitierter Sprecherintension aufgebaut wird, zu dessen Auflösung das Gedankenexperiment eigentlich entwickelt wurde. Vor allem in problematischen Verständigungssituationen, also wenn zwei Sprecher sich mittels verschiedener Stereotypen auf ein und dieselbe natürliche Art beziehen, rückt nach wie vor die Extension in den Fokus der Aufmerksamkeit. Denn in diesem Fall bleibt für die Festlegung der Bedeutung eines vom Sprecher verwendeten Ausdrucks nur “to ignore differences in belief, attitude, stereotype, on the part of the speakers or writers in question.”18 Wenn aber die Extension nach wie vor die Hauptarbeit bei der Festlegung der Bedeutung natürlicher Ausdrücke leistet, was könnte die Stereotypentheorie dem noch hinzufügen, außer der nicht begründeten Normativitätsbehauptung? Besteht Putnam auf der Schlussfolgerung, dass die Bedeutung bestimmter Ausdrücke mit ihrer Extension identisch ist, kann er nicht zugleich behaupten, dass für das Verständnis des einzelnen Sprechers intensionale Komponenten herangezogen werden müssen. Mit anderen Worten: Hielte Putnam an der Theorie der Stereotypen fest, würde er das Resultat des vorgestellten Gedankenexperiments schlicht konterkarieren. Aus diesen Überlegungen folgt letztlich: Mithilfe der Stereotypentheorie kann die Lücke zwischen der Sprachkompetenz des individuellen Sprechers und der Festlegungskompetenz der Experten nicht geschlossen werden. Dieses Resultat hat natürlich Auswirkungen auf die Autorität der Ersten Person. Die um die Stereotypentheorie erweiterte linguistische Arbeitsteilung sollte ja erläutern, wie die Extensionsfestlegung eines Ausdrucks funktioniert, wenn die individuelle Sprecherkompetenz für diese Aufgabe nicht mehr zur Verfügung steht, zugleich der Sprecher aber auch dann bedeutungsvolle Ausdrücke verwendet, wenn die Extension für ihn unbestimmt ist. Mit dem Scheitern der Stereotypentheorie wird aber die These von der linguistischen Arbeitsteilung in der Tat zu einer Bedrohung der Autorität der Ersten Person. Wenn die Extension die Bedeutung eines Ausdrucks festlegt und nicht der vom Sprecher gebrauchte Stereotyp, dann folgt, dass der einzelne Sprecher nicht mit Bestimmtheit sagen kann, was

17 Putnam, 1990a, 276. 18 Putnam, 1990a, 276.

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er denkt (zumindest was natürliche Arten betrifft), ohne seine Umgebung genauer zu untersuchen. Der Zugang zu seinen Überzeugungen und Gedanken ist also nicht notwendigerweise exklusiv. Andere Sprecher – sofern sie über das entsprechende Expertenwissen verfügen – wissen oft besser, was der Einzelne denkt, als er selbst. Die von Putnam als Bedingung für Bedeutungsfestlegung behauptete soziale Kooperation führt im Ergebnis also zu einer Gefährdung der Autorität der ersten Person. Der individuelle Sprecher hat offenbar weder eine Autorität über das, was er mit seinen Worten meint, noch darüber, was er hinsichtlich seiner eigenen mentalen Zustände glaubt. Zudem ist die Konzeption der linguistischen Arbeitsteilung keine, die auf einer intersubjektiven Beziehung zwischen mindestens zwei Sprechern basiert. Vielmehr ist die Beziehung zwischen dem einzelnen Sprecher und dem Experten einseitig auf die normative Bedeutungsfestlegung durch den Experten ausgerichtet und keinesfalls reziprok. Warum das so ist, dafür soll später genauer argumentiert werden (S.182). Hier muss die Anmerkung genügen, dass eine normative Festlegung der Bedeutung nicht immer auch ein intersubjektives Verhältnis impliziert, weshalb der Verweis auf die soziale Dimension von Bedeutung in Gestalt der konventionell gebundenen linguistischen Arbeitsteilung Putnams Theorie noch nicht zu einer intersubjektiven Theorie der Bedeutung macht. Die hier formulierte skeptische Konsequenz hinsichtlich der Autorität der ersten Person umfasst allerdings nur Überzeugungen über natürliche Arten. Putnam weist zwar darauf hin, dass alles, was für Terme natürlicher Arten gilt, auch für viele andere Ausdrücke gelten muss, unterliegen Sätze wie „Ich weiß, dass ich traurig bin“ oder „Ich weiß, dass Schreiben Konzentration verlangt“ zunächst nicht der linguistischen Arbeitsteilung. Hier setzt Burges Kritik an. Nicht nur die Bedeutung bestimmter Wörter – wie die für natürliche Arten – sei, so argumentiert er, an externe Faktoren gebunden, dies gilt generell für die Festlegung der Bedeutung eines Ausdrucks. Die Frage, die sich im Rahmen unserer Untersuchungen daher an dieser Stelle anschließt, lautet: Gelingt es Burge die intersubjektiven Bedingungen von Bedeutung anzugeben und so die intersubjektiven Bedingungen der Individuierung mentaler Ereignisse zu formulieren? Wäre das der Fall, dann bliebe nur noch zu klären, wie im Rahmen eines solchen Externalismus Selbstbewusstsein zu beschreiben ist.

Sozialer Externalismus und grundlegendes Selbstwissen (Burge)

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2. Sozialer Externalismus und grundlegendes Selbstwissen (Burge) Burge entwickelt seinen eigenen Vorschlag zu den externen Bedingungen der Individuierung von Inhalten propositionaler Einstellungen in einer Art Radikalisierung der externalistischen Position Putnams. Zunächst kritisiert er an Putnams Darstellung des Gedankenexperiments, dass die entscheidende Schlussfolgerung von Putnam nicht gezogen wurde. Es seien vor allem die Inhalte unserer Gedanken und propositionalen Einstellungen, die von einer extensionalen Festlegung der Bedeutung betroffen sind. And, as Putnam does not note, the differences affect oblique occurrences in thatclauses that provide the contents of their mental states and events. Adam hopes that there is some water (oblique occurrence) within twenty miles. AdamTE hopes that there is some twater within twenty miles.19

Das Argument ist hier folgendes: Nimmt man erst einmal an, dass die Extension die Bedeutung eines Ausdrucks festlegt, und glaubt zudem, dass die Inhalte mentaler Zustände durch die sie ausdrückenden Sätze individuiert werden, dann liegt eigentlich kein Grund für die Behauptung vor, die Zwillingssprecher seien in ihren psychischen Zuständen tatsächlich identisch. AdamE und AdamZ glauben gerade nicht dasselbe, wenn sie ihre Überzeugung mit dem Satz „Wasser ist nass“ ausdrücken. Die Unterscheidung zwischen narrow- und wide-content-Zuständen erweist sich bei näherer Betrachtung als sinnlos. Since mental acts and states are individuated (partly) in terms of their contents, the differences between Earth and Twin-Earth include differences in the mental acts and states of their inhabitants.20

Burge stützt sein Argument vornehmlich auf die Zurückweisung der Behauptung, die Bedeutung von Termen, die natürliche Arten bezeichneten, enthielte eine interne indexikalische Komponente. Ausschlaggebend für die Bedeutungsänderung sei aber, so argumentiert er, nicht die jeweils verschiedene physikalische Umgebung der Zwillingssprecher sondern die veränderte Sprachgemeinschaft.

19 T. Burge, „Other Bodies“, in: A. Woodfield (Hrsg.), Thought and Object, Oxford 1982, 97–119, 101, Hervorhebungen von mir. In Individualism and Mental charakterisiert Burge den Begriff „oblique occurrence“ wie folgt: „When an expression like ‚water‘ functions in a content clause so that it is not freely exchangeable with all extensionally equivalent expressions, we shall say that it has oblique occurrence.“ T. Burge, „Individualism and the Mental“, in: P. French et al. (Hrsg.), Midwest Studies in Philosophy, Minneapolis 1979, 73–121, 76. 20 Burge, 1982, 107.

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Intersubjektivität, sprachliche Bedeutung und die Autorität der Ersten Person

The fact, that the Twin-Earthian apply ‚water‘ to XYZ is not a reflection of a shift in extension of an indexical expression with a fixed linguistic meaning, but of a shift in meaning between one language, and linguistic community, and another. 21

Der Unterschied in den Überzeugungen der Sprecher ist nicht darauf zurückzuführen, dass die die Überzeugungen ausdrückenden Sätze und die in ihnen enthaltenen Terme mit einer impliziten indexikalischen Bedeutungskomponente ausgestattet sind, sondern darauf, dass die Sprecher sich in verschiedenen Sprachgemeinschaften befinden. Was Putnam hier als Indexikalität interpretiert, sollte eher als soziale Kontextabhängigkeit verstanden werden. Tatsächlich kann sich jeder kompetente Sprecher durchaus Situationen vorstellen, in denen ein Begriff in einer fremden Sprachgemeinschaft anders verwendet wird, als in der vertrauten; dazu müssen nicht einmal die Welten dupliziert werden. Ist der Kontext, der die Bedeutung der von den Sprechern verwendeten Ausdrücke und Sätze festlegt, aber als ein sozialer Kontext zu verstehen, dann kann auf die von Putnam behauptete Indexikalität letztlich verzichtet werden.22 Denn diese hat keine andere Funktion als den Einführungskontext für bestimmte Terme zu etablieren. Mit dem Verzicht auf die Indexikalität als Teil der Bedeutung eines Ausdrucks entfällt aber zugleich der Grund für die Annahme, dass sich die Bedeutung eines Satzes vom Inhalt der durch ihn ausgedrückten Überzeugung unterscheidet. Wenn die Bedeutung eines Ausdrucks nicht mehr dadurch definiert wird, dass er in allen Welten an die in W1 bezeichnete Entität gebunden ist, und zugleich gilt, dass die Extension die Bedeutung festlegt, dann können zwei Sprecher mit unterschiedlichen extensionalen Bezügen auch nicht die gleiche Überzeugung haben.23 Die Inhalte der Gedanken und

21 Burge, 1982, 105. 22 Burge führt weitere Gründe dafür ins Feld, dass Putnams Behauptung, Terme natürlicher Arten seien indexikalisch, nichts zu der angestrebten Erklärung beiträgt. So argumentiert er, dass Putnam die indexikalische Feststellung mit dem dadurch Festgestellten verwechselte. „The problem is that although ‚here’ shifts it’s extension with context, ‚water‘ does not.“ Burge, 1982, 105. Eine ebensolche Verwechslung sieht er auch hinsichtlich des Einführungs- und Bedeutungskontextes. Sowohl bei der Festlegung der Referenz von Begriffen für natürliche Arten als auch bei de re Überzeugungen spielen Demonstrativa eine entscheidende Rolle. Das berechtigt jedoch weder zu der Annahme, dass Terme für natürliche Arten aufgrund ihres Einführungskontextes selbst indexikalisch seien, noch zu der Behauptung, alle de re Überzeugungen, die indexikalisch eingeführt werden, seien ihrerseits indexikalisch. Siehe Burge, 1982, 106. 23 Vgl. „Non-indexical words must have different translational meanings, and express different concepts, if their referents are different.“ T. Burge, „Wherein is Language social?“, in: A. George (Hrsg.), Reflection on Chomsky, Oxford 1989, 175–191, 186.

Sozialer Externalismus und grundlegendes Selbstwissen (Burge)

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propositionalen Einstellungen sind somit, so schlussfolgert Burge, von den relevanten externen Faktoren direkt abhängig. Adam and AdamTE differ as regards the content their attitudes. This suffices to show that their mental states, ordinarily so-called, as well as the extensions of their terms differ. 24

Die Unterscheidung zwischen narrow- versus wide-content-Zuständen verliert auf diese Weise ihren Sinn. Wenn sich bei einer Änderung der bedeutungsrelevanten Umstände auch die Überzeugungen der jeweiligen Sprecher ändern, dann entfällt nämlich genau dasjenige Kriterium, aufgrund dessen narrow-content-Zustände von wide-content-Zuständen unterschieden werden sollen: die Ab- bzw. Unabhängigkeit von externen Faktoren.25 Zur Erläuterung der Frage, worin denn nun die relevanten externen Faktoren bestehen, von denen die Inhalte unserer Meinungen und propositionalen Einstellungen dann abhängen, stellt Burge ein eigenes Gedankenexperiment vor: Ein Sprecher S einer Sprache glaubt in Bezug auf bestimmte Schmerzen in seinem Oberschenkel, dass es sich bei der die Schmerzen auslösenden Krankheit um Arthritis handelt. Nun wird Arthritis in seiner Sprachgemeinschaft allerdings als eine Krankheit definiert, die nur in Gelenken auftreten kann, nicht jedoch in oder an Knochen. Der Sprecher gibt zwar seine eigene Überzeugung korrekt wieder, wenn er sagt „Ich glaube, ich habe Arthritis im Oberschenkel“; gemäß der durch die Mitglieder seiner Sprachgemeinschaft konventionell festgelegten Bedeutung aber hat er hinsichtlich der Ursache seiner Schmerzen eine falsche Überzeugung. Wechselt der Sprecher in eine andere, kontrafaktische Sprachgemeinschaft, in welcher der Ausdruck „Arthritis“ tatsächlich so gebraucht wird, dass er auch auf andere rheumatische Beschwerden (inklusive solcher im Oberschenkel) angewandt wird, dann hat sich seine Überzeugung verändert. Im Gegensatz zur vorherigen Sprachgemeinschaft hat er jetzt eine wahre Überzeugung. Allerdings meint „Arthritis“ in der kontrafaktischen Sprachgemeinschaft nicht mehr Arthritis (d.i. Gelenkentzündungen) sondern Zwarthritis (das sind Gelenkentzündungen und bestimmte

24 Burge, 1982, 111. „AdamZ“ ist natürlich die Übersetzung von „AdamTE“, wobei „TE“ für „twin-earth“ steht. 25 Für Burge macht es übrigens keinen Unterschied, ob es sich dabei um de re oder de dicto Einstellungen handelt. Um zu wissen was eine Person de dicto glaubt, muss man wissen, was sie de re glaubt. Nur so kann man den Inhalt ihrer Einstellung angeben. Folglich setzen beide Einstellungen die Existenz externer Kriterien voraus. Vgl. dazu Burge, 1982, 114f.

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Intersubjektivität, sprachliche Bedeutung und die Autorität der Ersten Person

krankhafte Veränderungen an den Knochen).26 Wenn S aber in der einen Sprachgemeinschaft eine falsche Überzeugung hat, in der anderen jedoch genau dieselbe Überzeugung wahr ist, obwohl er weder einen neuen Begriff erworben noch sich irgendetwas an den kausalen Bezügen geändert hat, dann muss die Änderung der Überzeugung direkt auf den Wechsel der Sprachgemeinschaft zurückzuführen sein. Der Unterschied zu Putnams Externalismus besteht also im Wesentlichen darin, dass Burge Bedeutung nicht mit Extension identifiziert, weshalb es auch nicht die kausalen Relationen sind, die die Bedeutungsunterschiede bewirken.27 Was Burges Konzeption trotzdem zu einer externalistischen macht, ist die soziale Natur der Bedeutung, also ihre Abhängigkeit von den in einer Sprachgemeinschaft anerkannten lexikalischen und semantischen Konventionen. Für die Frage nach der Individuierung mentaler Zustände folgt daraus, dass das, was ein Sprecher vom Inhalt seiner Gedanken und propositionalen Einstellungen wissen kann, von den geltenden Bedeutungskonventionen derjenigen Sprachgemeinschaft abhängt, in der er den Begriff verwendet. Sowohl für AdamE und AdamZ wie für den Sprecher, der Schwierigkeiten mit dem Begriff „Arthritis“ hat, gilt daher: Their uses of a term are embedded in different communal usages and scientific traditions that give the term different constant, conventional meaning. (…) In doing so, they express different notions and different thoughts with these words.28

Daraus folgt nun einerseits, dass der Sprecher den Inhalt seiner Gedanken und propositionalen Einstellungen nur kenntlich machen kann, wenn er weiß, welche Bedeutung die seine propositionalen Einstellungen ausdrückenden Sätze und Wörter in der Sprachgemeinschaft haben, in der er sich aktuell befindet. Daraus folgt dann zweitens: Others are sometimes better placed than we are to judge the fit between our proposed lexical entries, or our conceptual explications, and the examples to wich our words or concepts reply. Thus we may see others as sometimes understanding our own idiolects better then we do. 29

Ist das der Fall, dann sind andere Sprecher auch besser in der Lage, die mentalen Zustände eines einzelnen Sprechers zu identifizieren, als der Sprecher selbst. Burges sozialer Externalismus verschärft damit zunächst

26 Vgl. „The word ‚arthritis‘ in the counterfactual community does not mean arthritis. ‚Arthritis‘ in the counterfactual situation differs both in dictionary definition and in extension from ‚arthritis‘ as we use it.“ Burge, 1979, 79. 27 Vgl. T. Burge, „Replys from Tyler Burge“, in: M. J. Frápolli/E. Romero (Hrsg.), Meaning, Basic Self-Knowledge, and Mind. Essays on Tyler Burge, Stanford Calif. 2003, 243–296, 270f. 28 Burge, 1982, 110. 29 Burge, 1989, 184.

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die Bedrohung, die der semantische Externalismus für die Autorität der ersten Person darstellt. Putnam hatte argumentiert, dass das für die Bedeutung entscheidende Element die Extension sei, weshalb die eigenen Gedankeninhalte nicht allein über die individuellen Glaubenszustände des einzelnen Sprechers individuiert werden könnten. Allerdings war diese These auf solche Ausdrücke eingeschränkt, deren Extension einen indexikalischen Einführungskontext impliziert: Terme natürlicher Arten. Burge glaubt nun, dass der indexikalische Einführungskontext nicht die von Putnam behauptete Rolle spielt, da die Sprachgemeinschaft als sozialer Kontext diese Funktion übernimmt und daraus folgt für ihn dann, dass der Sprecher als Einzelner aus prinzipiellen Gründen nicht in der Lage ist anzugeben, welchen Gedanken er selbst gerade denkt. Mit anderen Worten: Die Ersetzung des indexikalischen Einführungskontextes durch eine soziale Kontextabhängigkeit erweitert die Klasse derjenigen Überzeugungen, die aufgrund externer Kriterien individuiert werden. Deshalb gilt nun: Um zu entscheiden, ob sein aktueller Gedanke ein Arthritisgedanke ist oder nicht, muss der Sprecher wissen, wie der Ausdruck „Arthritis“ in der Sprachgemeinschaft bestimmt ist, in der er sich gerade befindet. Ohne die konventionell-semantische Anbindung an die Sprachgemeinschaft fehlen ihm schlicht die Mittel, seine eigenen Gedankeninhalte zu bestimmen. Damit steht Burges Konzeption der Individuierung von Gedankeninhalten tatsächlich in einer signifikanten Spannung zu der Annahme einer epistemisch privilegierten Autorität der ersten Person.30 Für die hier untersuchte Frage nach den intersubjektiven Bedingungen von Bedeutung ist wichtig zu bemerken, dass die Schlussfolgerung gar

30 Tatsächlich entsteht die behauptete Spannung vor allem dadurch, dass der einzelne Sprecher die Inhalte seiner Gedanken und propositionalen Einstellungen nicht mehr durch einfache Reflexion auf die Gedanken selbst identifizieren kann. Siehe insb. Boghossian, 1989. Im Anschluss an das von Boghossian vorgestellte SlowSwitching Argument hat sich dann eine Diskussion zu den Fragen entwickelt, inwieweit eine externalistische Bedeutungstheorie mit autoritativem Selbstwissen vereinbar ist und was ein Externalist a priori wissen kann. Dazu: P. Ludlow/N. Martin (Hrsg.), Externalism and Self-Knowledge, Stanford 1998. Zu den Verteidigern der Kompatibilität von Selbstwissen und Externalismus gehören: A. Brueckner, „What an Anti-Individualist Knows A Priori“, in: Analysis 51, 1991, 111–118; ders., „Is Scepticism About Self-Knowledge Incoherent?“, in: Analysis 57.4, 287–290; T. A. Warfield, „Priviledge Self-Knowledge and Externalism are Compatible“, in: Analysis 51, 1991, 232–237; B. Brewer, „Self-Knowledge and Externalism“, in: J. M. Larrazabal/L. A. Pérez Miranda (Hrsg.), Language, Knowledge and Representation, Netherlands 2004; zu ihren Kritikern: M. McKinsey, „Anti-Individualism and Privileged Access“, in: Analysis 51, 1991, 9–16; P. A. Boghossian, „What the Externalist Can Know A Priori“, in: C. Wright et al. (Hrsg.), Knowing Our Own Minds, Oxford 1989, 271–284.

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nicht notwendig ist, dass ein Sprecher nur dann wisse, welches die Inhalte seiner eigenen Gedanken sind, wenn er zugleich weiß, was die Worte in der jeweiligen Sprachgemeinschaft bedeuten. Angreifbar ist hier vor allem die Annahme, dass der soziale Kontext als einer von semantischen Konventionen und Normen verstanden werden muss. Selbst wenn man zugesteht, dass sich die Inhalte propositionaler Einstellungen ändern, sobald sich die Bedeutung der sie ausdrückenden Worte und Sätze ändert, ist man dadurch nicht automatisch auf die Behauptung verpflichtet, ein Sprecher kenne die Inhalte seiner Gedanken nur dann, wenn er auch die entsprechenden semantischen Konventionen der Sprachgemeinschaft kennt. Dies deshalb, weil es immer noch individualistische also antikonventionalistische Alternativen gibt.31 Diese Überlegung hat zwei Konsequenzen. Auch wenn die externen Faktoren als soziale Faktoren expliziert werden, werden damit die skeptischen Schlussfolgerungen, die eine externalisierte Bedeutungstheorie für die Autorität der ersten Person offenbar mit sich bringt, nicht automatisch vermieden. Es scheint zusätzlich darauf anzukommen, wie die sozialen Faktoren konkret bestimmt werden. Zweitens, allein der Verweis auf die soziale Dimension reicht nicht, um von intersubjektiven Bedingungen für Bedeutung zu sprechen. Es sollte genau spezifiziert werden, ob in dem jeweiligen Fall tatsächlich eine intersubjektive Beziehung vorliegt oder nicht. Der Vorwurf, seine Version des sozialen Externalismus unterminiere die Autorität der ersten Person, veranlasste Burge zur Ausarbeitung eines Vorschlags, demzufolge autoritative Urteile über die Inhalte der eigenen mentalen Zustände auch dann möglich sind, wenn erstens gilt, dass mentale Zustände über die sie ausdrückenden Begriffe und Prädikate individuiert werden, und zweitens angenommen wird, dass deren Bedeutung nur im Rahmen eines sozialen Externalismus verständlich zu machen ist. Die These, die unter dem Namen „Inclusion Theory“ bekannt ist, soll hier kurz vorgestellt und diskutiert werden. Selbstwissen, so glaubt Burge, unterscheidet sich in drei wesentlichen Eigenschaften von anderen Wissensformen. Die drei Eigenschaften sind: Direktheit, Unkorrigierbarkeit und Autorität. Burge glaubt nun, dass nur eine bestimmte Form von Selbstwissen diese Eigenschaften auch tatsächlich aufweist; diese nennt er „basic Self-Knowledge/grundlegendes Selbstwissen“.32 Als ein Fall von grundlegendem Selbstwissen können Urteile

31 Eine solche Alternative stellt etwa Davidsons anti-konventionalistische Interpretationstheorie dar. Dazu mehr ab S. 203. 32 T. Burge, „Individualismus und Selbstwissen“, in: M. Frank (Hrsg.), Analytische Theorien des Selbstbewußtseins, Frankfurt/Main 1994, 690–709, 691/engl., „Indi-

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gelten, die aus der erstpersonalen Perspektive gefällt werden und die die eigenen mentalen Zustände zum Inhalt haben. Alle „ich φ“-Sätze wären also auch Fälle grundlegenden Selbstwissens. Zuschreibungen von grundlegendem Selbstwissen, sind dann in zwei Stufen darstellbar. Stufe zwei (II.) ist der autoritative Gedanke (das autoritative Urteil), mit dem sich ein Subjekt den Gedanken erster Stufe „Ich denke, dass p“ selbst zuschreibt. Stufe eins (I.) ist der Gedanke selbst: II. Ich weiß: Ich denke, dass p (Schreiben Konzentration verlangt). I. Ich denke, dass p (Schreiben Konzentration verlangt). Burge behauptet nun, dass Gedanken zweiter Stufe, also Gedanken, die Fälle von grundlegendem Selbstwissen sind, jeweils den Gehalt des Gedankens erster Stufe erben. Selbstwissen liegt also vor, wenn man einen komplexen Gedanken zweiter Stufe hat, der den Gehalt des Gedankens erster Stufe einschließt.33 Empirische Mittel sind nötig, um die Gehalte der Gedanken erster Stufe festzulegen. Für den komplexen Gedanken zweiter Stufe gilt stattdessen, dass die empirischen Bedingungen der Gehaltfestlegung nur vorausgesetzt werden müssen. Sie müssen von dem Subjekt selbst jedoch nicht gewusst werden. Daraus ergibt sich ein wesentlicher Unterschied: Für den Inhalt des Gedankens erster Stufe sind die externen (sozialen oder kausalen) Relationen zur Umgebung des Sprechers bestimmend. Für den Gedanken zweiter Stufe gilt dies nicht. Und trotzdem sollen die Bedingungen, die für den Gedanken erster Stufe gelten, auch für den Gedanken zweiter Stufe verbindlich sein, weil „der Inhalt des Urteils zweiter Stufe logisch an den Inhalt erster Stufe angeschlossen“34 ist. Burge nimmt also offenbar an, dass die externen Bedingungen – aufgrund der Vererbung des Gehaltes – für beide Stufen gleich notwendig sind, bestreitet aber, dass dies auch für Rechtfertigungsbedingungen gilt. Genau das wird deutlich, wenn er sagt, dass die Gedanken zweiter Stufe im Gegensatz zu denen erster Stufe selbst-verifizierend seien: Der kognitive Inhalt, über den ich ein Urteil fälle, wenn ich urteile: Ich denke gerade, daß Schreiben Konzentration erfordert, wird auf selbstreferentielle Weise durch das Urteil selbst fixiert; und das Urteil ist selbst-verifizierend.35

vidualism and Self-Knowledge“, in: Journal of Philosophy 85, 1988, 649–663, 649. 33 Daher der Name „Inclusion Theory“; vgl. S. Bernecker, P. Ludlow/N. Martin (Hrsg.), „Self-Knowledge and Closure“, in: Externalism and Self-Knowledge, Stanford 1998, 333–349. 34 Burge, 1994, 704/engl., 1988, 659f. 35 Burge, 1994, 702/engl., 1988, 658.

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Die Rechtfertigung des Inhalts ergibt sich offenbar aus der Spezifik des Urteils zweiter Stufe. Von hier wird deutlich, wie sich die oben genannten Eigenschaften des grundlegenden Selbstwissens aus dieser besonderen Rechtfertigungssituation ergeben. 1. Gedanken zweiter Stufe sind direkt, weil sie nicht aus den Gedanken erster Stufe abgeleitet werden müssen. Grundlegendes Selbstwissen ist nicht-inferentiell. Genau aus diesem Grund muss das selbstbewusste Subjekt auch nicht wissen, welches die externen (sozialen und kausalen) Bedingungen sind, die dem Gedanken zweiter Stufe zugrunde liegen. Unser Wissen von unseren eigenen Gedanken ist, grob gesprochen, unmittelbar, nicht diskursiv. (…) Grundlegendes Selbst-Wissen benötigt zu seiner Rechtfertigung in keiner Weise eine Ergänzung durch diskursive Untersuchungen oder Vergleiche.36

2. Grundlegendes Selbstwissen ist unkorrigierbar, weil es aufgrund der Selbst-verifizierbarkeit keine Rechtfertigungslücke zwischen den Gedanken erster und zweiter Stufe geben kann. Sobald ein Gedanke zweiter Stufe gedacht wird, ist er notwendigerweise wahr. Burge erweist sich hier also als ein Vertreter der These vom direkten Wissen, der zufolge die Anwendungsbedingungen von „glauben“ und „wissen“ im Fall von Selbstbewusstsein identisch sind. 3. Grundlegendes Selbstwissen ist autoritativ, weil es, wie Burge sagt, seinem Wesen nach persönlich ist. Das bedeutet, dass die Perspektive der Zuschreibung, also die Erste-Person-Perspektive, als wesentlicher Bestandteil der Wahrheitsbedingungen des grundlegenden Selbstwissens angesehen werden muss. Der besondere epistemische Status dieser Fälle hängt davon ab, daß das Urteil gleichzeitig vom Standpunkt der ersten Person aus erfolgt und von diesem Standpunkt handelt. (…) Wenn ich urteile: Ich denke gerade, daß Schreiben Konzentration erfordert, dann sind der Zeitpunkt des Urteils und der des Gedankens, über den geurteilt wird, identisch; und die Identität des Pronomens der ersten Person signalisiert eine Identität des Standpunktes des Urteilenden mit demjenigen Gedanken über den geurteilt wird.37

Damit ist Burges Vorschlag skizziert, wie Selbstwissen, das autoritativ, direkt und unkorrigierbar ist, mit einer an externe Faktoren gebundenen Individuierung von Gedankeninhalten vereint werden kann. Doch was genau ist damit gezeigt? Worauf beziehen sich die Gedanken zweiter Stufe und woher kommt die selbstverifizierende Kraft, die für diese Beziehung behauptet wird? Eine mögliche Interpretation ist hier, dass sich Burge auf die Annahme mentaler Objekte verpflichtet. An einer Stelle heißt es: „Denkt man einen Gedanken auf reflexive Weise dann ist er ein Objekt der 36 Burge, 1994, 700/engl., 1988, 656. 37 Burge, 1994, 703/engl., 1988, 658.

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Bezugnahme.“38 Dieses Gedankenobjekt unterscheidet sich nun von anderen Objekten der Bezugnahme (etwa denen der Wahrnehmung) in zwei Punkten: 1. Der Gegenstand selbstbewusster Gedanken zweiter Stufe ist in nicht-kontingenter Weise mit dem reflexiven Gedanken verbunden. 2. Dem selbstbewussten Subjekt ist das Objekt der Bezugnahme (der Gedanke erster Stufe) privilegiert zugänglich. Insbesondere mit der letzten Annahme ist ja ein wesentliches Merkmal mentaler Objekte benannt. Unterstützt wird diese Interpretation zusätzlich durch Burges Behauptung, Gedanken zweiter Stufe seien irrtumsimmun, weil ein „Irrtum, der auf einer Lücke zwischen den eigenen Gedanken und ihren Gegenständen beruht, einfach nicht möglich ist“.39 Um den richtigen Gedanken zu erwischen, muss man ihn einfach in der relevanten reflexiven Weise denken.40

Man kann Burge hier so verstehen, dass der Gedanke erster Stufe im Moment der Selbstzuschreibung als eine Art meinongsches Objekt zu betrachten ist, das dem selbstbewussten Subjekt vermittelt durch die privilegierte Zugänglichkeit vollständig bekannt ist. Aufgrund dieser unmittelbaren und vollständigen Bekanntschaft sind Zweifel und damit Irrtum nicht möglich. Trifft diese Überlegung zu, dann stellt sich hier natürlich sofort die Frage, wie ein derartiges Bewusstseinsobjekt individuiert werden könnte. Die Antwort, auf die Burge mit der These einer externen Individuierung von Gedankeninhalten festgelegt ist und an der er ja auch im Rahmen der Inclusion Theory festhalten will, muss lauten: über seine externen Relationen. Ist das aber der Fall, dann kann Burge nicht behaupten, dass „wir unsere Gedanken (individuieren) oder sie von anderen Gedanken (unterscheiden), indem wir sie und nicht die anderen auf selbstzuschreibende Weise denken“.41 Richtig ist, wir individuieren unsere Gedanken oder unterscheiden sie von anderen Gedanken mithilfe der Individuationskriterien, und diese werden durch externe Faktoren bestimmt. Das bedeutet aber, dass Burge an dieser Stelle dem Einwand nicht entgeht, demzufolge zwei Gedanken, die aufgrund relationaler (sozialer und kausaler) Faktoren individuiert werden, von dem einzelnen Sprecher gerade nicht durch bloße Reflexion auf den Gedankeninhalt unterschieden werden können. Nun behauptet Burge allerdings, dass man weder ein Kriterium, noch einen Test, noch ein Verfahren bräuchte, um den Gedanken zu individuieren, den man gerade denkt. Genau darin bestünde das Kennzeichen der

38 39 40 41

Burge, 1994, 707/engl., 1988, 662. Burge, 1994, 702/engl., 1988, 658. Burge, 1994, 700/engl., 1988, 656. Ebd.

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Intersubjektivität, sprachliche Bedeutung und die Autorität der Ersten Person

Selbst-Verifikation; der Gedanke ist dadurch gerechtfertigt, dass er gedacht wird. Doch welche Idee von Rechtfertigung liegt dieser Behauptung zugrunde? Zwei mögliche Interpretationen bieten sich hier an. Zum einen kann man argumentieren, dass Burge ähnlich wie Wittgenstein annimmt, dass Rechtfertigung nicht notwendig ist, weil Zweifel prinzipiell ausgeschlossen ist.42 Ist diese Interpretation richtig, dann vertritt Burge eine deflationäre Auffassung von Selbstwissen und muss ebenso wie Wittgenstein auf den Anspruch verzichten, dass es sich beim grundlegenden Selbstwissen tatsächlich um eine Form von Wissen handelt. Er hätte dann jedoch kein Argument mehr, das für eine Kompatibilität von Selbstwissen und externer Individuierung spräche. Die zweite Möglichkeit Selbst-Verifikation zu bestimmen, besteht darin, anzugeben, worin genau hier die Unterschiede der Rechtfertigung liegen. Das ist die Möglichkeit, die beispielsweise Henrich nutzt, wenn er behauptet, dass Selbstwissen eine spezielle Eigenschaft aufweise, die als Identität des Denkaktes mit dem, was gedacht wird, zu beschreiben ist, weshalb die Rechtfertigung in diesem Fall keine Bezugnahme auf unabhängige Gründe erfordert. Tatsächlich fordert Burge explizit, dass man „‚wissen, welches die eigenen Gedanken sind‘ im Sinne des grundlegenden Selbst-Wissens“ unterscheiden solle von „‚wissen, welches die eigenen Gedanken sind‘ im Sinne der Fähigkeit zu ihrer korrekten Explikation“.43 Aber die Begründung dieses Unterschieds bleibt vage. Einen Hinweis darauf, wie Selbstverifikation im Gegensatz zu gewöhnlicher Rechtfertigung verstanden werden könnte, gibt Burge dennoch, wenn er behauptet, dass „der Zeitpunkt des Urteils und der des Gedankens, über den geurteilt wird, identisch“ seien und „die Identität des Pronomens der ersten Person eine Identität des Standpunktes des Urteilenden mit demjenigen Gedanken über den geurteilt wird“ signalisiere.44 Dieser Vorschlag korrespondiert zunächst durchaus mit Burges Überzeugung, dass der eigene Standpunkt ein konstitutiver Bestandteil des Wissens von den eigenen Gedanken sein sollte. Boghossian hat allerdings dagegen eingewandt, dass man auf diese Weise nicht zu genuinem Selbstwissen gelange, weil das Kriterium (die Identität des Zeitpunktes des Urteils mit dem Gedanken, über den geurteilt wird) alle zeitlich andauernden und zurückliegenden Zustände – wie etwa

42 „In strikten Cogito-Urteilen sind überhaupt keine Irrtümer möglich, solche Urteile sind selbst-verifizierend.“ Burge, 1994, 702/engl., 1988, 658. 43 Burge, 1994, 708/engl., 1988, 662. 44 Burge, 1994, 703/engl., 1988, 658. An dieser Stelle kommt Burge dem Gedanken Henrichs sehr nahe, dass Selbstwissen in der Identität von Wissendem und Gewusstem bestehe, weshalb auch alle Einwände auf Burge anzuwenden sind, die gegen Henrich vorgebracht wurden. Siehe die Seiten 20–25 in dieser Arbeit.

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Erinnerungen – aus dem Bereich des grundlegenden Selbstwissens ausschließe.45 Warum aber sollte man sich hinsichtlich der Konstitution von Selbstwissen mit einem Kriterium begnügen, mit dessen Hilfe man zwar jetzt weiß, dass man die Überzeugung „dass p“ hat, dieses Wissen aber schon im nächsten Moment wieder fallibel sein kann? Henrichs Vorschlag weist dieses Problem nicht auf, weil die Identität hier nicht vom Standpunkt des Urteilenden abhängig ist, sondern eine Voraussetzung für derartige Urteile bildet. Doch ganz egal für welche der beiden Möglichkeiten, die Selbstverifikation näher zu bestimmen, sich Burge hier auch entscheidet, sie laufen notwendigerweise auf den schon diskutierten epistemischen Dualismus hinaus, da in beiden Fällen die Kriterien für grundlegendes Selbstwissen andere sind als die für andere Wissensformen. Wenn gilt, dass Selbstzuschreibungen von Gedanken erster Stufe anders gerechtfertigt werden als Fremdzuschreibungen, dann wird zwar deutlich, weshalb es zwischen beiden Zuschreibungsarten eine epistemische Asymmetrie gibt. Zugleich bleibt aber unklar, wie garantiert werden könnte, dass sich beide Zuschreibungen auf ein und denselben Sachverhalt – in diesem Fall den Gedanken erster Stufe – beziehen. Die Lücke zwischen den Gedanken erster Stufe und den selbstverifizierenden Gedanken zweiter Stufe wird somit nicht wirklich geschlossen, sie klafft nur an einer anderen Stelle: zwischen der Zuschreibung aus der erstpersonalen Perspektive und der Zuschreibung aus anderen Perspektiven. Burges Vorschlag, wonach durch die Vererbung von Gedankeninhalten Selbstwissen mit einer externen Individuierung derselben vereinbar sei, ist also alles andere als überzeugend. Zwei Gründen sprechen gegen ihn: Dass sich Urteile über die eigenen Gedanken und mentalen Zustände durch eine besondere Form der Rechtfertigung auszeichnen, kann ohne eine gleichzeitige Verpflichtung auf einen epistemischen Dualismus nicht plausibilisiert werden. Burge müsste also zusätzlich zeigen, wie die Konsequenzen vermieden werden können, die sich aus einem derartigen Dualismus ergeben. Grundsätzlich versucht Burge das Kompatibilitätsproblem zwischen direktem Selbstwissen und der Individuierung von Gedankeninhalten aufgrund externer (sozialer) Kriterien dadurch zu lösen, dass er die Rechtfertigungsbedingungen für Selbstwissen modifiziert. Der richtige Weg wäre aber, die andere Seite zu modifizieren, d.i. die sozialen Bedingungen genauer zu charakterisieren, die die Inhalte individuieren. Burges Inclusion Theory 45 P. A. Boghossian, „Content and Selfknowledge“, in: Philosophical Topics 17, 1989, 5–26, 21, vgl. auch K. J. Kraay, „Externalism, Memory, and SelfKnowledge. A Discussion of Tyler Burges Influential Inclusion Theory of SelfKnowledge“, Erkenntnis 56, 3, 297–317.

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scheitert zweitens, weil er an der These eines direkten und unkorrigierbaren Selbstwissens festhält. Nur so scheint sich Burge die Autorität der ersten Person und die damit implizierte Asymmetrie zwischen den Zuschreibungsperspektiven überhaupt erklären zu können. Sobald die Autorität aber als direktes Wissen expliziert wird, gerät sie in Widerspruch mit den externalistischen Annahmen. Kommen wir an dieser Stelle zurück zu der Frage, wie die sozialen Bedingungen für Bedeutung aussehen können und ob entweder Putnams oder Burges Theorie intersubjektive Bedingungen für Bedeutung angibt. Übereinstimmend nehmen beide an, dass Gedankeninhalte aufgrund externer Faktoren individuiert werden. Die externen Faktoren werden zudem von beiden als mehr oder weniger soziale Faktoren verstanden; gleichzeitig fehlt in beiden Theorien aber der für Intersubjektivität wesentliche Aspekt der Reziprozität. Wie erklärt sich das? Und stimmt das überhaupt? Ich hatte mit Bezug auf Putnam gesagt, dass eine Explikation der sozialen als einer normativen Dimension nicht zu einer intersubjektiven Bedeutungstheorie führt. Gleiches gilt für Burge. Wird die für Bedeutung konstitutive Sozialität als in sprachlichen Konventionen verkörpert verstanden, ist das Merkmal der Reziprozität nicht instantiiert. Konventionen und Normen implizieren zwar eine einseitige Verpflichtung, aber eben keine wechselseitige Beziehung zwischen Sprechern. Nun könnte man natürlich einwenden, dass auch das Befolgen sprachlicher Normen einen Aspekt von Reziprozität aufweise, nämlich immer dann, wenn die Verletzung einer Norm den Sprecher oder Hörer zu einer Korrektur seiner Aussagen veranlasst. Sprecher und Hörer müssen die Normen kennen und befolgen und, wenn sie Normverletzungen begehen, diese erkennen und korrigieren wollen. Ob es sich um eine Normverletzung handelt, wird aber möglicherweise erst dann deutlich, wenn andere Sprecher eine Korrektur einfordern. Warum sollte hier also keine Wechselseitigkeit im Spiel sein? Darauf lässt sich folgendes sagen: Für die Bedeutung eines Satzes bleibt in dem genannten Szenario allein die sprachliche Norm ausschlaggebend. Denn entscheidend für das Verständnis eines Satzes ist, dass der einzelne Sprecher die Norm befolgt, nicht jedoch die wechselseitige Interpretation der semantischen Absichten. Für das Gelten der Norm selbst ist die Wechselseitigkeit nicht von Belang. Wenn nun angenommen wird, dass Sätze und Ausdrücke nur deshalb Bedeutung haben, weil sie normativ gebunden sind, dann folgt hier, dass Wechselseitigkeit für Bedeutung nicht von Belang ist. Sie ist lediglich ein kontingentes Zubrot. Anders gesagt, die zweite Person ist in einem solchen normenbasierten Szenario kein konstitutiver Bestandteil von Bedeutung in dem Sinne, dass durch das wechselseitige Verstehen der semantischen Absichten der Sprecher die Bedeutung des Gesagten festgelegt würde. Das Merkmal der Reziprozität ist erst dann erfüllt, wenn es die Be-

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ziehung zwischen den Sprechern ist, die den sozialen Rahmen bildet, und nicht die konventionelle Sprache. Der Verweis auf die in einer Sprachgemeinschaft konventionell akzeptierte Bedeutung genügt also nicht für die Behauptung, dass Bedeutung intersubjektive Bedingungen habe. Eine Theorie, die demgegenüber die wechselseitigen Beziehungen zwischen Sprechern wirklich in den Blick nimmt, hat Davidson vorgestellt. Er nimmt ebenso wie Burge und Putnam an, dass Bedeutung externen Kriterien unterliegt. Für die hier interessierende Frage ist an Davidson Vorschlag jedoch besonderes bemerkenswert, dass diese externen Kriterien in Form einer zweiten Person, dem Interpreten, bereitgestellt werden. Und während Putnam und Burge keine überzeugende Lösung für die Gefährdung der Autorität der ersten Person anbieten können, bindet Davidson die Erklärung der Autorität direkt in den Interpretationsprozess ein. Das ermöglicht ihm einerseits, zu zeigen, welchen modalen Stellenwert die zweite Person im Rahmen einer Theorie der Bedeutung tatsächlich hat. Andererseits kann er auch zeigen – und das ist für die vorliegende Untersuchung von besonderem Interesse –, dass die Autorität der ersten Person überhaupt nur dann zu verstehen ist, wenn ihre intersubjektiven Bedingungen explizit gemacht werden.

3. Die Autorität der ersten Person (Davidson) Davidson behauptet, dass „die Autorität der ersten Person im Gegensatz zu dem, was oft angenommen wird, ohne Widerspruch auf Zustände angewendet werden kann, die im Regelfall durch ihre Beziehungen zu Ereignissen und Objekten außerhalb der Person identifiziert werden“.46 Der Zusatz „ohne Widerspruch“ verweist auf die Annahme, dass es zwischen der Identifizierung von Überzeugungsinhalten aufgrund externer Kriterien und der Autorität des individuellen Sprechers über das, was er denkt, keine Diskrepanz geben muss. Es gibt, so Davidson, keinen Grund, weshalb man bereit sein sollte, die Autorität der ersten Person aufzugeben. Und das gilt auch dann, wenn man anerkennt, dass Überzeugungsinhalte extern individuiert werden. Zwei erläuternde Fragen sind hier denkbar: 1. Wie kann eine externe Identifizierung von Überzeugungsinhalten so verstanden werden, dass sie nicht mit der Autorität in Widerstreit gerät? 2. Wie ist die Autorität

46 D. Davidson, „Seine eigenen Gedanken kennen“, in: M. Frank (Hrsg.), Analytische Theorien des Selbstbewußtseins, Frankfurt/Main 1994b, 650–680, 657/engl., „Knowing One’s Own Mind“, in: ders., Subjective, Intersubjective, Objective, Oxford 2001 [SIO], 15–38, 20.

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Intersubjektivität, sprachliche Bedeutung und die Autorität der Ersten Person

der ersten Person überhaupt bestimmt? Ist sie tatsächlich nur dadurch zu erklären, dass ein direktes, unfehlbares Wissen von sich selbst behauptet wird, wie Burge glaubt? Davidson verfolgt beide Fragen. Im nachfolgenden Abschnitt wird es daher darum gehen, die Reichweite des Konzepts der ersten Person Autorität zu bestimmen und die Gründe zu diskutieren, die Davidson dafür anführen kann, dass eine externe Individuierung von Überzeugungsgehalten die Autorität nicht gefährdet. Dazu wird es sich als notwendig erweisen, Davidsons (vereinigte) Erkenntnis- und Bedeutungstheorie genauer zu betrachten, denn erst in ihrem Zusammenhang wird deutlich, welche Gründe Davidson für die Kompatibilität von Autorität und Externalismus vorbringt. Dass diese Gründe gleichzeitig Argumente für eine intersubjektive Bedingtheit von Selbstbewusstsein liefern können, kann durch folgende Bemerkung deutlich werden: Wenn ich recht habe, liegt die Basis unserer propositionalen Erkenntnis nicht im Unpersönlichen, sondern im Interpersonellen. Wenn wir die natürliche Welt, die wir mit anderen teilen, betrachten, verlieren wir nicht den Kontakt mit uns selbst, sondern wir bestätigen unsere Zugehörigkeit zu einer Gesellschaft von Geistwesen. Wüßte ich nicht, was andere denken, hätte ich keine eigenen Gedanken und wüßte also nicht, was ich denke.47

Davidson behauptet hier nicht nur, dass die Identifizierung von Gedankeninhalten externen Kriterien unterliegt, die als intersubjektive interpretiert werden können, er behauptet zudem, dass intersubjektive Verhältnisse generell die Grundlage für unsere propositionale Erkenntnis bilden – einschließlich des Wissens von den eigenen mentalen Zuständen. Konkret lassen sich zwei Argumentationslinien unterscheiden, die jede für sich für die intersubjektive Bedingtheit von Selbstbewusstsein argumentiert, die aber trotzdem nicht völlig unabhängig voneinander betrachtet werden können. Zum einen ist das Davidsons Theorie der radikalen Interpretation, die sowohl als Bedeutungstheorie als auch als Theorie der Individuierung von Überzeugungsinhalten verstanden werden muss, und zum anderen ist das die Triangulation. Mit „Triangulation“ wird jene grundlegende Situation bezeichnet, in die sich Davidson zufolge jedes Subjekt gestellt sieht, von dem gerechtfertigterweise behauptet werden kann, es verfüge sowohl über eine Sprache als auch über Gedanken, die wahr oder falsch sein können. Beide Argumentationslinien bedingen einander: Die Triangulation sorgt dafür, dass die Interpretation eines Sprechers durch einen Interpreten kausal in der Welt verankert ist und die Überzeugungen des zu interpretierenden Sprechers einen empirischen Gehalte haben. Zu-

47 D. Davidson, „Subjektiv, Intersubjektiv, Objektiv“, in: ders., Dialektik und Dialog, (mit einer Laudation von H. F. Fulda), Frankfurt/Main 1993, 64–94, 94/engl., „Three Varieties of Knowledge“, in: [SIO], 205–220, 219f.

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gleich gilt jedoch, dass die Triangulation diese Funktion nur dann erfüllen kann, wenn sich zwei Sprecher auch tatsächlich in einem Interpretationsverhältnis befinden. Beide Argumentationslinien werden im Folgenden auf ihr intersubjektives Kapital hin überprüft. 3.1 Die Autorität der ersten Person: Eine asymmetrische Angelegenheit Eine entscheidende Prämisse für Davidsons Theorie der ersten Person lautet: Die epistemische Autorität über die eigenen mentalen Zustände ist nur im Rahmen der Interpretation sprachlicher Äußerungen gegeben. Genauer: Das Verhältnis zwischen den Überzeugungen über die eigenen mentalen Zustände und der Interpretation sprachlicher Äußerungen ist durch eine wechselseitige Abhängigkeit gekennzeichnet, denn die Autorität der ersten Person erweise sich als „unvermeidbare Präsumption“, eingebaut in die „Natur der Interpretation“.48 Daraus folgt, dass, will man verstehen, worin die Autorität der ersten Person konkret besteht, man begreifen muss, wie sprachliche Äußerungen verstanden und interpretiert werden. Hintergrund dieser Prämisse sind zwei Annahmen. 1. Es ist Davidsons Überzeugung, dass „in fast allen, wenn nicht gar in allen Beispielen die Autorität der ersten Person wenigstens teilweise auf der Überzeugungskomponente beruht“.49 Grund für diese Überzeugung ist der von ihm vertretene Holismus des Mentalen, der unter anderem besagt, dass sowohl Überzeugungen von propositionalen Einstellungen als auch propositionale Einstellungen von Überzeugungen wechselseitig abhängig sind.50 Diese wechselseitige Abhängigkeit hat zur Folge, dass einzelne propositionale Einstellungen nicht selbstständig identifiziert werden können, sondern ihre Identifizierung nur auf der Grundlage einer Reihe anderer propositionaler Einstellungen und Überzeugungen erfolgen kann.

48 D. Davidson, „Die Autorität der ersten Person“, in: M. Frank (Hrsg.), Analytische Theorien des Selbstbewußtseins, Frankfurt/Main 1994a, 635–649, 649/engl., „First Person Authority“, in: [SIO], 3–14, 14. 49 Davidson, 1994a, 636/engl., [SIO], 4. 50 Siehe D. Davidson, „Die Entstehung des Denkens“, in: ders., Subjektiv, Intersubjektiv, Objektiv, Frankfurt/Main 2004 [Sio], 211–229, 212f/engl., „The Emergence of Thought“, in: [SIO], 123–134, 124f.

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Es ist nicht nur so, daß jede Überzeugung, um Inhalt und Identität zu erlangen, eine Fülle weiterer Überzeugungen voraussetzt, sondern auch jede andere propositionale Einstellung, was ihre Besonderheit anbelangt, von einer ähnlichen Fülle von Überzeugungen abhängig ist.51

Betrachten wir ein Beispiel: Anna Kellermann fürchtet sich davor, von einem Tiger angegriffen zu werden. Damit ihre Furcht auch als „Furcht vor einem Tigerangriff“ interpretiert werden kann, müssen Anna zumindest einige Überzeugungen zugeschrieben werden, die Tiger betreffen, etwa die Überzeugung, dass Tiger Menschen angreifen, oder die Überzeugung, dass sich in der Umgebung Tiger aufhalten etc. Ohne einen solchen Hintergrund an Überzeugungen ließen sich propositionale Einstellungen wie „sich vor einem Tiger fürchten“ schlicht und einfach nicht identifizieren. Wenn es jedoch, wie Davidson behauptet, ohne Überzeugungen keine sonstigen propositionalen Einstellungen gibt, dann hat das Auswirkungen auf die Reichweite der Autorität der Ersten Person. Denn hier folgt, dass ausschließlich jene Individuen, die Überzeugungen haben, auch über die Autorität der Ersten Person verfügen. Für Überzeugungen aber soll zudem gelten, dass sie nicht unabhängig von der Interpretation sprachlicher Ausdrücke zu individuieren seien, weil es zwischen sprachlicher Bedeutung und Überzeugungen eine unhintergehbare Interdependenz gäbe. Weder ließen sich Überzeugungen auf Bedeutung noch Bedeutung auf Überzeugungen explanatorisch reduzieren, eine Konsequenz, die sich laut Davidson aus der Ablehnung einer privaten Sprache ergibt. Diese wechselseitige Abhängigkeit hat aber zur Folge, dass Präferenzen hinsichtlich der Bedeutung eines Ausdrucks oder hinsichtlich einer bestimmten Überzeugung nur simultan über die Interpretation der Äußerungen und Handlungen eines Individuums bestimmbar sind. Wenn ein Sprecher in einer bestimmten Situation einen Satz für wahr hält, so liegt das zum Teil an dem, was er unter einer Äußerung dieses Satz versteht oder verstehen würde, und zum Teil an dem, was er glaubt. Wenn wir uns an nichts weiter halten können als die Tatsache der aufrichtigen Äußerung, können wir die Überzeugungen nicht erschließen ohne die Bedeutung zu kennen, und es besteht keine Aussicht, die Bedeutung zu erschließen, ohne zu wissen, was der Sprecher glaubt.52

51 D. Davidson, „Vernünftige Tiere“, in: [Sio], 167–185, 173/engl., „Rational Animals“, in: [SIO], 95–105, 98. 52 D. Davidson, „Der Begriff des Glaubens und die Grundlage der Bedeutung“, in: ders., Wahrheit und Interpretation, Frankfurt/Main 1986 [WuI], 204–223, 206/engl., „Belief and Basis of Meaning“, in: ders., Inquiries into Truth and Interpretation, Oxford 2001 [ITI], 141–154, 142.

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Wie sprachliche Bedeutung und Überzeugungsgehalte dann konkret – d.i. simultan – zu bestimmen sind, zeigt die Interpretationstheorie. Hier wird deutlich, aus welchem Grund Davidson annimmt, dass die Autorität der ersten Person nur dort gegeben ist, wo Subjekte miteinander sprechen und sich gegenseitig interpretieren. Denn die Interpretationstheorie ist sowohl eine Theorie der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke als auch eine Theorie des Glaubens, da Überzeugungszustände aufgrund der holistischen Struktur der Theorie den gleichen Identifikationskriterien unterliegen, wie die Bedeutung der verwendeten Ausdrücke. 2. Davidson lehnt den so genannten Mythos des Subjektiven aus zwei Gründen entschieden ab. Erstens, Theorien, die dem Mythos des Subjektiven verpflichtet sind, können nicht verständlich machen, wie die notwendige epistemische Relation zwischen den Objekten des Geistes und den externen Gegenständen, auf die die Objekte des Geistes inhaltlich bezogen sind, etabliert werden sollte. Dieses Problem lässt sich auch dann nicht umgehen, wenn man statt Vorstellungen, Eindrücken oder Sinnesdaten Propositionen als diejenigen Objekte identifiziert, die vom Geist erfasst werden. Die meisten von uns haben schon vor langer Zeit die Vorstellung aufgegeben, dass Perzeptionen, Sinnesdaten, Erlebnisse des Bewußtseinsstroms Dinge sind, die dem Geist ‚gegeben‘ sind; wir sollten mit propositionalen Objekten genauso verfahren. Natürlich haben Menschen Überzeugungen, Wünsche, Zweifel usw.; aber dies zuzugestehen heißt nicht, vorzuschlagen, dass Überzeugungen, Wünsche Zweifel, Entitäten im oder vor dem Geist sind oder dass in solchen Zuständen zu sein erfordert, dass es entsprechende mentale Objekte gibt.53

Der hier auch schon diskutierte Grund für die Ablehnung mentaler Objekte,54 die in subjektiver Weise gegeben sind und einen besonderen epistemischen Status haben sollen, ist, dass Transparenz oder unmittelbare Bekanntschaft als Kriterium für die Identifizierung mentaler Objekte nicht hinreichend sein können, wenn zugleich behauptet wird, dass mentale Objekte externe Gegenstände oder Ereignisse repräsentieren. Die Kriterien, aufgrund derer mentale Objekte identifiziert werden, können nicht rein subjektiv sein, wenn die Objekte selbst einen relationalen Charakter haben. Die Annahme mentaler Objekte erklärt daher weder, weshalb Subjekte eine besondere Autorität über ihre eigenen Gedanken haben, noch weshalb Selbstzuschreibungen propositionaler Einstellungen einen besonderen epistemischen Status (zum Beispiel infallibel zu sein) haben sollten. Zu diesem ganz konkreten Grund kommt aber zweitens noch hinzu, dass Davidson die

53 Davidson, 1994b, 677/engl., [SIO], 35f. 54 Siehe S. 64f.

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Intersubjektivität, sprachliche Bedeutung und die Autorität der Ersten Person

Annahme eines nicht-interpretierten Gegebenen grundsätzlich ablehnt.55 Die Ablehnung des Mythos des Subjektiven gründet in einer Ablehnung des Mythos des Gegebenen. Für die Rechtfertigung von Überzeugungen seien, so argumentiert er, weder Sinnesdaten noch andere Vermittler von Bedeutung, die eine epistemische Verbindung zwischen Geist und Welt herstellen könnten. Überzeugungen werden durch andere Überzeugungen gerechtfertigt, weil es nur zwischen propositionalen Gehalten Relationen der Rechtfertigung geben kann, und nicht zwischen Tatsachen und Überzeugungen: „empirische Erkenntnis (hat) keine empirische Grundlage und (braucht) auch keine“.56 Empirische Tatsachen sind zwar in kausaler Hinsicht als Ursachen von Überzeugungen relevant, spielen bei ihrer Rechtfertigung aber keine Rolle. Hintergrund für diese Überlegung ist Davidsons Ablehnung des dritten Dogmas des Empirismus: die Dichotomie von Begriffsschema und empirischen, nicht-interpretiertem Inhalt.57 Alle Versuche, dieser Unterscheidung Sinn zu verleihen, führten bloß, so Davidson, in einen Relativismus bezüglich der Möglichkeit alternativer Schemata. Und dem Relativismus folgt der Skeptizismus auf dem Fuße. Wird hingegen die Idee von „Gegenständen des Bewusstseins“ zugunsten der Annahme von Überzeugungen aufgegeben, die zwar wahr oder falsch sein können, aber nichts repräsentieren, dann, so Davidson, entstünden derartige Probleme gar nicht erst.58 Die grundsätzliche Ablehnung epistemischer 55 Vgl. D. Davidson, „Was ist eigentlich ein Begriffsschema“, in: [WuI], 261– 282/engl., „On the Very Idea of a Conceptual Scheme“, in: [ITI], 183–198; ders., „Eine Kohärenztheorie der Wahrheit und der Erkenntnis“, in: [SIO], 233– 269/engl., „A Coherence Theory of Truth and Knowledge“, in: [SIO], 137–153; „Was ist dem Bewußtsein gegenwärtig“, in: ders., Der Mythos des Subjektiven, Stuttgart 1993 [MS], 16–39/engl., „What is Present to the Mind“, in: [SIO], 53–67. 56 D. Davidson „Mythos des Subjektiven“, in: [MS], 84–107, 97/engl., „The Myth of Subjective“, in: [SIO], 39–52, 46. 57 Vgl. D. Davidson, „Bedeutung, Wahrheit und Belege“, in: [MS], 40–64/engl., Meaning, Truth and Evidence“, in: Truth, Language and History, Oxford 2005 [TLH], 47–62. 58 Die Idee ist hier, dass mit der Aufgabe des dritten Dogmas nicht nur relativistische Folgerungen vermieden werden können, sondern auch ein Argument gegen den globalen Skeptizismus formuliert werden kann. Davidson liefert zwei allgemeine Argumente: Im Rahmen der Interpretationstheorie gilt die Wahrheitsunterstellung für die Gesamtheit der Überzeugungen. Deshalb kann Davidson argumentieren: „The general presumption in favor of the truth of belief serves to rescue us from standard form of scepticism by showing why it is impossible for all our beliefs to be false together“. D. Davidson, „The Structure of Content and Truth. The Dewey Lectures 1989“, in: Journal of Philosophy 87, 1990, 279–328, 328. Da der Interpret zu dieser Unterstellung gezwungen ist, um überhaupt interpretieren zu können, kann er nicht zugleich annehmen, dass der Sprecher ein vollständig falsches Bild von der Welt hat. Auf diese Weise wird der globale Skeptizismus

Die Autorität der ersten Person (Davidson)

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Vermittler macht also zusätzlich verständlich, weshalb Davidson für die Erklärung des Selbstwissens auf mentale Objekte verzichten will. Denn auch Überzeugungen über die eigenen mentalen Zustände werden nicht dadurch gerechtfertigt, dass es irgendetwas gibt, das sie wahr macht. Es sind also letztlich drei Annahmen, die verständlich machen, weshalb Davidson zufolge die Autorität der ersten Person nur im Kontext der Interpretation sprachlicher Äußerungen Geltung beanspruchen kann: die Ablehnung des Mythos des Subjektiven, die Behauptung einer Interdependenz von sprachlicher Bedeutung und Überzeugungen und die Annahme, dass propositionale Einstellungen und Überzeugungen wechselseitig abhängig seien. Bermúdez Behauptung, dass es eine Form von nichtbegrifflichem Selbstbewusstsein geben könnte, muss für Davidson schlicht unverständlich sein. Überzeugungen über sich selbst, welcher Art diese auch immer sein mögen, setzen nach Davidson in jedem Fall Sprache voraus. Wenn aber – aufgrund der Ablehnung des Mythos des Subjektiven – mentale Objekte als Kriterien der Rechtfertigung von Überzeugungen über die eigenen mentalen Zustände, nicht mehr zur Verfügung stehen, wie können derartige Überzeugungen dann überhaupt gerechtfertigt werden? Davidson beantwortet diese Frage nicht geradeheraus. Er beginnt seine Überlegungen nicht mit einer Charakterisierung von Selbstwissen – etwa durch die Merkmale Infallibilität und Transparenz –, um dann zu fragen, wie dieses Wissen mit einer externen Individuierung der Inhalte zu vereinbaren sei. Stattdessen fragt er danach, über was ein Subjekt genau genommen Autorität habe, wenn ihm eine Autorität der ersten Person zugestanden wird. Konkret gefragt: Worin besteht hier eigentlich die Autorität? Seine These lautet in Kurzform: ausgeschlossen. Das zweite Argument betrifft dann die kausale Anbindung von Überzeugungen: „What stands in the way of global scepticism of senses is, in my view, the fact that we must, in the plainest and methodologically most basic cases, take the objects of a belief to be the causes of that belief. And what we, as interpreters, must take them to be is what they in fact are. Communication begins where causes converge: your utterance means what mine does if belief in its truth is systematically caused by the same events and objects“. A. a. O., 326. Die Annahme, dass Überzeugungen bei verschiedenen Sprechern systematisch und nicht-kontingent durch dieselben Gegenstände und Ereignisse verursacht werden, ist eine notwendige Bedingung für die Möglichkeit der Interpretation. Zwar spielt Verursachung keine rechtfertigende Rolle, aber ihr systematischer Aspekt soll trotzdem den globalen Skeptizismus ausschließen. Der Auflösung des skeptischen Problems stehen kritisch gegenüber: M. Williams, „Realismus und Skeptizismus“, in: T. Grundmann/K. Stüber (Hrsg.), Philosophie der Skepsis, Paderborn 1996, 144–179/engl., „Realism and Scepticism“, in: J. Haldane/C. Wright (Hrsg.), Reality, Representation, and Projection, Oxford 1993, 193–214.

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Intersubjektivität, sprachliche Bedeutung und die Autorität der Ersten Person

Autorität der ersten Person: Der Sprecher weiß, was er glaubt, und zwar genau dann, wenn er weiß, dass er einen bestimmten Satz für wahr hält.59 Damit ist allerdings noch nichts über Rechtfertigung gesagt, denn die These beinhaltet keine Aussagen darüber, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit ein Sprecher weiß, dass er einen bestimmten Satz für wahr hält. Stattdessen impliziert die unterstellte Autorität zunächst lediglich eine Asymmetrie der Zuschreibungen: Der Sprecher weiß autoritativ, was er glaubt, während der Interpret dem Sprecher in der Interpretation einen bestimmten Glauben nicht-autoritativ zuschreibt. Erst durch die Erläuterung der Frage, worin die Asymmetrie hier genau besteht, wird deutlich, worauf sich die Autorität der ersten Person bezieht und wie sie konkret bestimmt werden kann. Wie ist die Asymmetrie der Zuschreibungen also zu explizieren? Zwei Möglichkeiten liegen auf der Hand. Zum einen kann die Asymmetrie über die Behauptung eines epistemischen Dualismus erläutert werden. Dieser liegt – wie schon gezeigt wurde – immer dann vor, wenn sich Selbstwissen aufgrund seiner Rechtfertigungskriterien von anderen Wissensformen unterscheidet. Dies ist einmal dadurch gegeben, dass Selbstwissen als direktes Wissen verstanden wird. Die zweite Möglichkeit besteht dann darin, den Wissensanspruch für Überzeugungen über die eigenen mentalen Zustände generell zu negieren. Das ist die wittgensteinsche Version des epistemischen Dualismus. Davidson vertritt allerdings weder die eine noch die andere Variante. Die erste Varainte – Selbstwissen als direktes Wissen – ist schon durch die Kritik am Mythos des Subjektiven ausgeschlossen. Wenn es keine mentalen Objekte gibt, die eine Überzeugung wahrmachen können, dann können diese Objekte auch nicht auf eine spezielle, d. i. direkte Weise gewusst werden. Die zweite Variante schließt Davidson aus, weil er gerade nicht vom Wissensanspruch absehen möchte. Im Gegenteil, die Autorität der ersten Person soll eine Autorität in Bezug auf epistemische Tatsachen bleiben.60 Wie Davidsons Lösung des Problems aussieht, kommt im folgenden Zitat zum Ausdruck: Obwohl Überzeugungen und anderen propositionalen Einstellungen die Autorität der ersten Person zukommt, ist Irrtum möglich (…). Daher haben wir nicht immer unbezweifelbares oder sicheres Wissen von unseren eigenen Einstellungen. Noch

59 Davidson, 1994a, 649/engl., [SIO], 14. 60 „Ich nehme deshalb an, daß wir, wenn wir die Autorität der ersten Person in der Rede erklären können, viel, wenn nicht alles, getan haben, was getan werden muß, um die epistemologischen Tatsachen zu beschreiben und zu erklären.“ Davidson, 1994a, 635/engl., [SIO], 3.

Die Autorität der ersten Person (Davidson)

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sind unsere Behauptungen über unsere eigenen Einstellungen unkorrigierbar. Es ist durchaus möglich, dass unsere Selbsturteile durch Anhaltspunkte und Indizien, die anderen verfügbar sind, umgestürzt werden. 61

Damit wird der Argumentation Wittgensteins, der zufolge Selbstwissen gerade kein Wissen im eigentlichen Sinne sein kann, weil Zweifel nicht möglich ist, eine der Prämissen entzogen. Die Erklärung der von Davidson in Anspruch genommenen Asymmetrie kann sich folglich nicht auf die Behauptung eines epistemischen Dualismus stützen. Die zweite Möglichkeit, die Asymmetrie zu erläutern, besteht darin einen semantischen Dualismus zu behaupten. Semantischer Dualismus liegt vor, wenn die Differenz zwischen Selbst- und Fremdzuschreibungen darauf zurückgeführt wird, dass die Prädikate, mit denen mentale Zustände zugeschrieben werden, jeweils unterschiedlichen Verwendungskriterien unterliegen. Das wäre der Fall, wenn behauptet würde, ein und dasselbe mentale Prädikat werde einmal (Selbstzuschreibung) ohne Rückgriff auf bestimmte Belege, wie etwa Verhaltensdaten, angewendet, während es ein anderes Mal (Fremdzuschreibung) nur aufgrund derartiger Belege angewendet werden kann. Auf einen semantischen Dualismus kann man sich verpflichten, wenn man die Differenz zwischen Selbst- und Fremdzuschreibung beibehalten, sie aber nicht als Differenz der Rechtfertigung verstehen will. Als Vertreter eines solchen semantischen Dualismus kann etwa Rorty angesehen werden. Er behauptet, dass Selbstzuschreibungen als bloße Konventionen eines bestimmten Sprachgebrauchs zu betrachten sind, da allein die konventionelle Sprachpraxis der Zuschreibung festlege, dass Gedanken und Empfindungen sui generis in dem für das Selbstwissen behaupteten Sinne seien. Erste-Person-Berichte über die eigenen mentalen Zustände (Rorty schränkt seine These allerdings auf Gedanken und Empfindungen ein) seien unkorrigierbar, weil die Berichte „nie aus dem Grund verworfen (werden), daß Verhalten oder Umgebung der berichtenden Person zu dem Verdacht Anlaß (geben), sie hätte einen anderen Gedanken oder eine andere Empfindung als den (die) von ihr berichtete(n) gehabt“.62 Die Unkorrigierbarkeit ist Rorty zufolge zwar keine Eigenschaft, die mentale Zustände „sozusagen durch sich selbst haben“, es ist aber „eine Eigenschaft, die ihnen aufgrund der Praxis der Sprachgemeinschaft zukommt“.63 Damit wird die Differenz zwischen Selbst- und Fremdzuschreibungen mentaler Zustände als Teil der sprachlichen Praxis beschrieben und diese

61 Davidson, 1994a, 637/engl., [SIO], 4. 62 Rorty, 1993, 252/engl., 1970, 416. 63 Rorty, 1993, 257/engl., 1970, 42. Für Rorty bildet die Unterscheidung zwischen korrigierbaren und unkorrigierbaren Berichten die Grundlage dafür, die Unkorrigierbarkeit als das Merkmal des Mentalen auszuweisen.

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Intersubjektivität, sprachliche Bedeutung und die Autorität der Ersten Person

nimmt schließlich Einfluss auf die Grammatik der verwendeten Ausdrücke. Ein klarer Einwand gegen den semantischen Dualismus ist allerdings, dass in dessen Fall die Strawson-Evans-Bedingung nicht erfüllt ist, weshalb nicht deutlich wird, wie die Prädikate überhaupt zu ihrer Bedeutung kommen. Für Davidson kommt, wie wir gesehen haben, ein weiterer Einwand hinzu: Die Behauptung, dass nicht durch Anhaltspunkte gestützt Prädikate generell zuverlässiger und glaubwürdiger sein sollten als solche, die durch Anhaltspunkte gestützt werden, ist schlicht sinnlos, weil Belegen im Rahmen der von ihm vertretenen Erkenntnis- und Bedeutungstheorie weder eine Rechtfertigungsfunktion noch eine Funktion in der Bedeutungsfestlegung zukommen. Damit wird aber zugleich die Unterscheidung zwischen Begriffen, die durch Belege gestützt sind, und solchen, die es nicht sind, sinnlos. Wie ist die Asymmetrie aber dann zu erläutern, wenn weder der epistemische noch der semantische Dualismus für ihre Erklärung in Anspruch genommen werden können? Zunächst lassen sich ganz allgemein zwei Formen der Asymmetrie unterscheiden: 1. Die grundlegende Asymmetrie der Perspektiven: Bei Selbst- und Fremdzuschreibungen wird aus verschiedenen Perspektiven auf eine bestimmte mentale Einstellung einer Person Bezug genommen. Die Äußerung des Sprechers „Ich glaube, dass p“ unterscheidet sich von der Äußerung einer anderen Person „S glaubt, dass p“ zunächst dadurch, dass die Zuschreibung einmal aus der erstpersonalen Perspektive und das andere Mal aus der drittpersonalen Perspektive vorgenommen wird. Die Fähigkeit zwischen den Perspektiven zu unterscheiden ist auf jeden Fall eine Bedingung für Selbstbewusstsein. Allerdings folgt allein aus dieser Unterscheidung noch nichts Gehaltvolles für die Erklärung von Selbstbewusstsein. Deshalb ist die für die Analyse des Selbstwissens scheinbar interessantere Asymmetrie die folgende: 2. Asymmetrie hinsichtlich der Rechtfertigung der Zuschreibung: Die Berechtigung, die der Sprecher (S) selbst hat, mit dem Satz „Ich glaube, dass p“ etwas Wahres zu behaupten, unterscheidet sich von der Berechtigung, die eine andere Person hat, wenn sie mit dem Satz „S glaubt, dass p“ ebenfalls etwas Wahres behaupten will. Es ist eingedenk des schon Gesagten nicht weiter erstaunlich, dass Davidson glaubt, die zweite Asymmetrie sei keine echte Asymmetrie, weil alle Anstrengungen, die unternommen werden müssten, um Rechtfertigung für Selbstzuschreibungen anders zu bestimmen als für Fremdzuschreibungen, letztlich nicht zum Erfolg führen. Die Gründe dafür sind schon bekannt: Eine Differenz in der Rechtfertigung führt in den epistemischen Dualismus mit den diskutierten Konsequenzen. Die für Davidson entscheidende Konsequenz aus der Behauptung eines epistemischen Dualismus ist

Die Autorität der ersten Person (Davidson)

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allerdings nach wie vor, dass die Frage nicht zufrieden stellend beantwortet werden kann, wie „Paare von Äußerungen so verbunden sind, daß garantiert ist, daß die Behauptungen ‚denselben Inhalt‘ haben“.64 Um zu garantieren, dass die beiden aus unterschiedlichen Perspektiven gegebenen Behauptungen – „Ich glaube, dass p“ und „S glaubt, dass p“ – tatsächlich auf ein und denselben Sachverhalt bezogen sind, müssen die Behauptungen daher miteinander verschränkt werden. Für Davidson ist folglich nicht die Frage interessant, worin sich die einzelnen Behauptungen in Hinblick auf ihre Rechtfertigungsbedingungen jeweils unterscheiden, sondern wie die Struktur ihrer Verbindung aussieht. Denn, so Davidson, die Berechtigung der fremdzuschreibenden Person PI zu der Meinung, dass der Sprecher S von sich selbst glaubt, er sage die Wahrheit, hängt eng mit der Berechtigung zusammen, die PI hinsichtlich ihrer eigenen Überzeugung hat, dass sie selbst die Wahrheit sagt, wenn sie behauptet: „S glaubt, dass p“.65 Weshalb das so ist und wie aus dieser Konstellation eine Erklärung der Asymmetrie und in ihrer Folge eine Erklärung der Autorität der ersten Person erwachsen kann, wird im Zusammenhang mit der von Davidson vertretenen Theorie der Interpretation deutlich. Die Ausgangsfrage von Davidsons Interpretationstheorie lautet: Wie kann es einem Interpreten gelingen, den Sprecher einer fremden Sprache zu verstehen, unter der Voraussetzung, dass der Interpret selbst über eine eigene Sprache und damit über angemessene Mittel für die Interpretation verfügt? Ohne die Details der Interpretationstheorie vollständig darstellen zu können, lässt sich doch so viel sagen: Um den Äußerungen eines Sprechers (S) einen bestimmten Aussagegehalt zusprechen zu können, ordnet der Interpret den jeweiligen Sätzen des Sprechers, die dieser zu einer bestimmten Zeit und in einer bestimmten Situation äußert, seine eigenen Sätze zu. Er geht dabei davon aus, dass der Sprecher die geäußerten Sätze für wahr hält. Gelingt die Zuordnung der Sätze, dann liefern die eigenen Sätze des Interpreten die Wahrheitsbedingungen für die Sätze des Sprechers und bilden zugleich die Basis für die Interpretation aller anderen Äußerungen des Sprechers.66 Die für die Interpretationstheorie relevanten Belege – das

64 Davidson, 1994a, 646/engl., [SIO], 11. 65 Vgl. Davidson, ebd. 66 Davidson hat seine Theorie der radikalen Interpretation in zahlreichen Aufsätzen dargestellt. Mehr als eine oberflächliche Darstellung kann hier also nicht geleistet werden. Daher in aller Kürze: Der Interpret ist bestrebt, ein Übersetzungsmanual in Form einer Wahrheitstheorie für die Äußerungen des zu interpretierenden Sprechers zu erstellen. Dabei bedient er sich Gelegenheitssätzen, die vom Sprecher in einer bestimmten Situationen für wahr gehalten werden, was dieser durch Zustimmung oder Ablehnung zu dem geäußerten Satz kundgibt. Der Interpret ordnet die-

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Intersubjektivität, sprachliche Bedeutung und die Autorität der Ersten Person

sind das beobachtbare Sprachverhalten des Sprechers zu einem bestimmten Zeitpunkt und die mit den Äußerungen korrelierten äußeren Umstände – sind extern und öffentlich zugänglich. Nun besteht allerdings immer die Möglichkeit, dass der Interpret sich darüber irrt, welchen Satz ein zu interpretierender Sprecher tatsächlich für wahr hält. Denn alles, woran sich der Interpret halten kann, sind die Gelegenheitssätze und die mit ihnen korrelierten Objekte oder Ereignisse. Damit die Interpretation nicht schon an dieser Stelle scheitert, führt Davidson das Principle of Charity oder das Prinzip der wohlwollenden Interpretation ein. Das Principle of Charity, das als eine „notwendige Bedingung der Möglichkeit von Interpretation“67 verstanden werden muss, besteht aus verschiedenen Maximen, die eine erfolgreiche Interpretation ermöglichen sollen. Dazu gehören sowohl das Kohärenz- als auch das Korrespondenzprinzip. Das Kohärenzprinzip fordert den Interpreten auf, im Denken des Sprechers einen gewissen Grad an logischer Konsistenz zu unterstellen (etwa die Anwendung der zweiwertigen Logik) und anzunehmen, dass er so wenig widersprüchliche Überzeugungen wie möglich hat. Auf diese Weise optimiert der Interpret die Selbstkonsistenz des Sprechers. Das Korrespondenzprinzip veranlasst den Interpreten dann zu der Annahme, dass sowohl der Sprecher als auch der Interpret auf eine ähnliche Weise und unter ähnlichen Umständen auf Gegenstände oder Ereignisse in der Welt reagieren. Sowohl das Kohärenz- als auch das Korrespondenzprinzip schließen somit aus, dass Sprecher und Interpret bizarr voneinander unterschiedene Dispositionen haben, wobei das Kohärenzprinzip die Überzeugungsseite und das Korrespondenzprinzip den Zugang zur Welt absichert.68

sen okkasionellen Sätzen der Objektsprache des Sprechers bestimmte Sätze seiner metasprachlich formulierten Theorie zu. Ein solcher Satz hat folgende Form (am Beispiel des Satzes „Schnee ist weiß“): (W) Für alle Sprecher des Deutschen S, für alle Zeitpunkte t gilt: Der Satz „Schnee ist weiß“ ist wahr genau dann, wenn Schnee weiß ist. Der Interpret stellt nun in Form von W-Sätzen oder W-Äquivalenzen Hypothesen darüber auf, welche Sätze der Sprecher in bestimmten Situationen und zu bestimmten Zeiten für wahr hält. Das Resultat seiner Bemühungen sollte eine Interpretationstheorie sein, die es ihm ermöglicht anzugeben, welche Sätze der Sprecher für wahr hält und welche nicht. Bei einer solchen Interpretationstheorie handelt es sich um eine empirische Theorie, denn die W-Theoreme sind überprüfbare Hypothesen, die es dem Interpreten erlauben, bestimmte Vorhersagen in Bezug auf die Äußerungen des Sprechers zu treffen. Aus diesem Grund unterliegen sie der Unbestimmtheit. Hier – im Gegensatz zu Quine – der Unbestimmtheit der Interpretation. Denn es ist prinzipiell möglich, für die Sätze eines Sprechers jeweils empirisch äquivalente W-Theorien zu entwickeln. 67 K. Glüer, Donald Davidson zur Einführung, Hamburg 1993, 43. 68 Davidson glaubt, dass der Begriff der Wahrheit weder auf der Grundlage einer Korrespondenztheorie noch auf der einer Kohärenztheorie definiert werden kann.

Die Autorität der ersten Person (Davidson)

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Der wesentliche Aspekt des Principle of Charity ist allerdings das Prinzip der Wahrheitsunterstellung. Für eine erfolgreiche Interpretation muss der Interpret annehmen, dass der Sprecher im Allgemeinen das für wahr hält, was auch tatsächlich der Fall – also wahr – ist. Das Prinzip der Wahrheitsunterstellung wird dem Interpreten dadurch aufgezwungen, dass mit der Interpretation zugleich die Wahrheitsbedingungen der zu interpretierenden Äußerungen geliefert werden sollen. Nur wenn der Interpret glaubt, dass der vom Sprecher geäußerte Satz S auch tatsächlich wahr ist, ist er motiviert, ihn mit einem entsprechenden Satz S‘ in seiner Sprache zu korrelieren. Zusätzlich plausibel wird diese Unterstellung durch die Erwägung, dass Fehler und Irrtümer überhaupt erst dann feststellbar sind, wenn angenommen wird, dass der Sprecher eine relativ große Anzahl richtiger Überzeugungen hat. Zwar ist es immer möglich, dass jede einzelne Überzeugung eines Sprechers falsch sein kann; diese Annahme gilt jedoch nicht für die Gesamtheit seiner Überzeugungen. Und zwar aus dem schlichten Grund, dass eine Interpretation in diesem Fall nicht mehr möglich wäre. Aus dem bisher Gesagten geht hervor, dass als Voraussetzung für eine erfolgreiche Interpretation Folgendes gelten muss: Sprecher und Interpret wissen, dass der Sprecher den geäußerten Satz für wahr hält. Zunächst spricht hier aber weder etwas für eine Asymmetrie der Zuschreibungen noch für eine besondere Autorität des Sprechers. Denn beide – Sprecher und Interpret – wissen dasselbe auf dieselbe Weise. Wie kommt also die Asymmetrie ins Spiel, wenn zugleich ausgeschlossen ist, dass sie mit Berufung auf die jeweils unterschiedliche Rechtfertigung des Wissens bestimmt werden kann? Die Antwort lautet: Die Asymmetrie kommt über die Frage ins Spiel, wie vom Für-wahr-halten auf den Glauben eines Sprechers geschlossen werden kann. Genau dafür fehlt aber noch eine Prämisse. Wolfgang Künne formuliert diesen Punkt so: Aus der Prämisse ‚S bedeutet, dass p‘ und ‚A akzeptiert S als wahr‘ folgt nicht: ‚A glaubt, daß p‘. Diese Konklusion ergibt sich erst, wenn wir die Zusatzannahme machen: ‚A weiß, was S bedeutet‘.69

Stattdessen nimmt er an, dass der Begriff der Wahrheit nicht weiter analysierbar ist, er muss für jede Interpretationstheorie vorausgesetzt werden. „Wahrheit ist einer der klarsten und grundlegendsten Begriff, die wir haben, also ist es fruchtlos, davon zu träumen, ihn zugunsten von etwas Einfacherem oder Fundamentalerem zu eliminieren.“ D. Davidson, „Struktur und Gehalt des Wahrheitsbegriffs”, in: M. Sandbothe (Hrsg.), D. Davidson und R. Rorty: Wozu Wahrheit? Eine Debatte, Frankfurt/Main 2005, 140–209, 188/engl., „The Structure of Content and Truth. The Dewey Lectures 1989“, in: Journal of Philosophy 87, 1990, 279–328, 314. 69 W. Künne, „Prinzipien der wohlwollenden Interpretation“, in: Forum für Philosophie Bad Homburg (Hrsg.), Intentionalität und Verstehen, Frankfurt/Main 1990, 212–236, 220.

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Intersubjektivität, sprachliche Bedeutung und die Autorität der Ersten Person

Nun kennt der Interpret in der radikalen Interpretation die Bedeutung der vom Sprecher geäußerten Sätze natürlich nicht: Sie sollen ja erst interpretiert werden. Aufgrund der unhintergehbaren Interdependenz zwischen den Überzeugungen eines Sprechers und der Bedeutung der von ihm geäußerten Sätze, kann der Interpret aber so lange nicht wissen, was der Sprecher glaubt, so lange er die Bedeutung der verwendeten Sätze nicht kennt. Wir können wissen, daß der Sprecher einen Satz für wahr hält, ohne zu wissen, was er damit meint oder welche Überzeugungen er nach seiner Ansicht zum Ausdruck bringt. Doch wenn wir wissen, daß er den Satz für wahr hält und wissen, wie er zu interpretieren ist, dann können wir eine zutreffende Glaubenszuschreibung vornehmen.70

Erst wenn der Sprecher interpretiert ist und der Interpret die Bedeutung der vom Sprecher geäußerten Sätze auch tatsächlich kennt, weiß der Interpret, was der Sprecher glaubt. Die Asymmetrie zwischen Sprecher und Interpret entsteht folglich, weil zwar der Sprecher weiß, was er glaubt, da er auch weiß, was seine Worte bedeuten, der Interpret hingegen den Glauben des Sprechers erst über die Interpretation der verwendeten Sätze in Erfahrung bringen kann. In Davidsons Worten: Die Asymmetrie, die die Autorität erläutern soll, beruht auf „der Tatsache, daß die Annahme, dass ich weiß, was ich meine, notwendigerweise mir, aber nicht dir, Kenntnis darüber gibt, welchen Glauben ich durch meine Äußerung ausgedrückt habe“.71 Die gesuchte Asymmetrie ist also folgende: 3. Die Asymmetrie der Interpretation: Es gibt einen Unterschied zwischen Sprecher und Interpret dahingehend, dass der Sprecher weiß, was er mit seinen Worten meint, weshalb er notwendigerweise auch weiß, welche Überzeugung er mit seiner Äußerung ausgedrückt hat. Der Interpret hingegen kann die Überzeugungen des Sprechers erst durch die Interpretation seiner Äußerungen in Erfahrung bringen. An dieser Stelle wird nicht nur deutlich, wie die Asymmetrie zwischen Sprecher und Interpret aus der Situation der radikalen Interpretation heraus zu erklären ist, sondern auch, weshalb die Autorität der ersten Person als „unvermeidbare Präsumption“ verstanden werden muss, die in die „Natur der Interpretation“ eingebaut ist.72 Denn um den Sprecher erfolgreich interpretieren zu können, muss der Interpret ihm unterstellen, dass er weiß, was er glaubt, wenn er weiß, dass er einen bestimmten Satz für wahr hält, und er muss ihm zudem unterstellen, dass er weiß, was seine Worte bedeu-

70 D. Davidson, „Denken und Reden“, in: [WuI], 224–246, 234/engl., „Thought and Talk“, in: [ITI], 155–170, 162. 71 Davidson, 1994a, 647/engl., [SIO], 12. 72 Davidson, 1994a, 649/engl., [SIO], 14.

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ten. Die Autorität, die durch Asymmetrie der Interpretationsperspektiven erläutert wird, lautet daher: Autorität der ersten Person*): Der Sprecher weiß, was er meint und deshalb besteht die Präsumption, dass er, wenn er weiß, dass er einen bestimmten Satz für wahr hält, dann auch weiß, was er glaubt. Durch die Behauptung, dass die Autorität, so wie sie hier charakterisiert wurde, eine Voraussetzung für die Interpretation darstellt, derart, dass ohne ihre Unterstellung Interpretation gar nicht erst möglich wäre, vermeidet Davidson eine Erklärung von Selbstwissen, die danach fragt, wie ein Subjekt von den eigenen mentalen Zuständen Wissen haben kann und wie dieses Wissen gerechtfertigt ist. Auf diese Weise tappt er weder in die Falle des epistemischen noch in die des semantischen Dualismus. Zugleich stellt sich jedoch die Frage, inwieweit diese Autorität überhaupt noch als epistemische Autorität verstanden werden kann. Denn genau betrachtet besteht die Asymmetrie zwischen Sprecher und Interpret hier darin, dass der Sprecher einen direkten Zugang zu seinen eigenen Überzeugungen hat, weil er weiß, was seine Worte bedeuten. Und „direkt“ meint dann: nicht durch die Interpretation vermittelt. Der Sprecher muss sich nicht selbst interpretieren, um zu wissen, was er glaubt. Das hieße aber, die Autorität der ersten Person bestünde letztlich in nichts anderem als in der privilegierten Kenntnis der Bedeutung der vom Sprecher verwendeten Sätze. Wird auf diese Weise aus der epistemischen Autorität nicht doch eine semantische Autorität? Tatsächlich lässt sich aus dieser Überlegung nur dann ein Einwand gegen Davidson ableiten, wenn man die Interdependenz von Überzeugung und Bedeutung aufbricht. Für Davidson gibt es jedoch keinen Ausweg aus dem Bedeutungs-Überzeugungs-Zirkel. Denn jeder Versuch, Glaubenszuschreibungen auf eine andere Art und Weise als im Rahmen der Interpretation zu individuieren, führt unweigerlich dazu, die Dichotomie von Begriffsschema und Inhalt wieder ins Recht zu setzen. Die Autorität der ersten Person, so wie Davidson sie hier bestimmt, kann also durchaus als eine epistemische verstanden werden, wenn auch als eine, die auf Unterstellung beruht und nicht auf einer besonderen Rechtfertigungssituation. 3.2 Selbstzuschreibungen Die Bestimmung der Autorität über die asymmetrische Interpretationssituation umgeht also zunächst das Problem einer solitären Rechtfertigung des Wissens von den eigenen mentalen Zuständen durch das einzelne Subjekt. Das bringt allerdings auch die Konsequenz mit sich, dass die Frage,

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wie denn Selbstzuschreibungen nun eigentlich zu analysieren sind, vorerst unbeantwortet bleibt. Davidson macht diesbezüglich dann folgenden Vorschlag: Eine Äußerung, mit der ein Interpret einem Sprecher eine bestimmte Einstellung zuschreibt, hat die Form: Der Sprecher S glaubt das(s). Arthritis ist schmerzhaft. Beide Äußerungen sind logisch voneinander unabhängig und der Ausdruck „das(s)/that“ fungiert als Demonstrativum.73 Gelingt die Interpretation, dann liefern die eigenen Sätze des Interpreten die Wahrheitsbedingungen für die Glaubenszuschreibung an den Sprecher. Wie sieht dies nun bei Selbstzuschreibungen aus? Eine Selbstzuschreibung hat – im Gegensatz zur Fremdzuschreibung – die Form: Ich glaube das(s). Arthritis ist schmerzhaft. Der Unterschied zwischen beiden Zuschreibungsarten zeigt sich darin, dass die letzte Äußerung nicht interpretiert werden muss, weil der Sprecher gar nicht in der Position ist, sich zu fragen, ob er seine Worte richtig versteht. Seinen eigenen Worten und Sätzen verleiht er einfach dadurch Bedeutung, dass er sie in bestimmten Situationen so und nicht anders verwendet. Und laut Davidson kann nichts „als Fall zählen, in dem jemand seine eigenen Worte regelmäßig falsch anwendet“,74 weil auch in diesem Fall eine Interpretation nicht mehr möglich wäre. Hinzu kommt, dass jede Form der Selbstinterpretation schlicht trivial wäre, denn bei einer Selbstinterpretation sind Sprecher und Interpret identisch und die Wahrheitsbedingungen für die relevante Äußerung werden aus ein und derselben Perspektive geliefert. Der entsprechende W-Satz für das genannte Beispiel müsste folglich lauten: „Meine eigene Sprecheräußerung, dass Arthritis schmerzhaft ist, ist dann und nur dann wahr, wenn Arthritis schmerzhaft ist“. Und da der Sprecher – genau wie der Interpret – Überzeugungen nur durch andere Überzeugungen rechtfertigen kann, weil er aufgrund der Aufgabe des dritten empiristischen Dogmas nicht einfach anhand bestimmter Tatsachen (inklusive mentaler Objekte) überprüfen kann, was richtig oder falsch ist, liefert die Selbstinterpretation trivialerweise immer eine richtige Bestimmung des Inhalts der selbstinterpretierten Überzeugung. Wenn jedoch der Sprecher

73 Vgl. D. Davidson, „Sagen, daß“, in: [WuI], 141–162/engl., „On Saying That“, in: [ITI], 93–108. 74 Davidson, 1994b, 680/engl., [SIO], 38. Davidson bezieht diese Bemerkung in der Tat direkt auf die Autorität der ersten Person, sofern diese als Bedingung der Interpretation verstanden wird: „Wenn nicht die Präsumption in Kraft wäre, daß der Sprecher weiß, was er meint, das heißt, daß er seine Sprache richtig gebraucht, gäbe es für einen Interpreten nichts zu interpretieren“. Ebd.

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trivialerweise weiß, was er denkt und zugleich weiß, was seine Worte bedeuten, dann, so scheint es, kann es hier keine Lücke für Irrtum geben. Die Autorität der ersten Person liefert also tatsächlich infallibles Wissen über die eigenen mentalen Zustände, und zwar ohne den Umweg über die Annahme eines epistemischen Dualismus. Nun steht dieses Ergebnis allerdings im Widerspruch zu der eingangs aufgestellten Behauptung, der zufolge die Autorität der ersten Person zwar für Überzeugungen und andere propositionale Einstellungen gilt, Irrtum aber gleichwohl jederzeit möglich ist. Im Gegensatz zu Burge und Wittgenstein, die beide von der Infallibilität als ein zu erklärendes Merkmal von Selbstwissen ausgehen, nimmt Davidson ja an, dass eine Revision einmal gefällter Selbsturteile aufgrund von Evidenzen, die anderen Individuen zur Verfügung stehen, durchaus möglich sein sollte.75 Wenn die Autorität jedoch, wie gerade dargestellt, zu infalliblem Wissen führt, dann scheint es für Irrtum gerade keinen Platz zu geben. Wie lässt sich dieser Widerspruch auflösen? Wir hatten gesehen, dass der Interpret für eine erfolgreiche Interpretation unterstellen muss, dass der Sprecher weiß, was er glaubt und was seine Äußerungen bedeuten. Nun ergeht an den Sprecher aber zugleich die Forderung zur Selbstkonsistenz. So muss der Sprecher, will er verstanden werden, beabsichtigen, seine Äußerungen auf bestimmte Art und Weise interpretieren zu lassen. Das Beste, was ein Sprecher tun kann, ist: interpretierbar zu sein, das heißt, einen endlichen Vorrat unterscheidbarer Laute zu benutzen, die konsistent auf Situationen und Objekte angewendet werden, von denen er glaubt, daß sie für seinen Hörer offenbar sind.76

Gemäß den Maximen der Interpretation kann der Interpret nur auf das zurückgreifen, was der Sprecher ihm an Evidenzen liefert: Sätze, die der Sprecher selbst für wahr hält. Nun kann die Interpretation aber „von Zeit zu Zeit scheitern“, und dies ist genau dann der Fall, wenn der Sprecher dem Interpreten nicht die für die Interpretation notwendigen Anhaltspunkte zur Verfügung gestellt hat und die Korrelation der Sätze von Sprecher und Interpret misslingt. In diesem Fall, so Davidson, „können wir, wenn wir wollen, sagen, dass er (der Sprecher) nicht weiß, was seine Worte bedeuten“77 und entsprechend der These von der Autorität der ersten Person, sollten wir dann auch sagen, dass der Sprecher nicht weiß, was er glaubt. Trotz der Selbstkonsistenz des Sprechers und der Konsistenz- und Wahr-

75 Vgl. das Zitat auf S. 190. 76 Davidson, 1994a, 649/engl., [SIO], 13. 77 Davidson, 1994a, 648/engl., [SIO], 12.

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heitsunterstellung durch den Interpreten ist also Irrtum an dieser Stelle möglich. Das Fehlgehen der Interpretation ist somit ein Grund für die Behauptung, dass „die Autorität der Ersten Person nicht unfehlbar ist“ ist.78 Und somit gilt, dass Selbstzuschreibungen mentaler Zustände nicht unfehlbar sind und der Sprecher sich darüber irren kann, was er selbst glaubt. Die Auflösung des Widerspruchs nimmt also die Asymmetrie der Interpretationsperspektiven in Anspruch: Aus der erstpersonalen Perspektive gilt die Autorität uneingeschränkt. Der Sprecher weiß, was er glaubt und was seine Worte bedeuten. Jede Selbstinterpretation kann dies nur bestätigen und für jede Interpretation durch einen Interpreten erweist sich die Autorität als notwendige Unterstellung. Nur wenn der Sprecher selbst davon überzeugt ist, dass das, was er glaubt, auch wahr ist, und dass seine Worte genau das bedeuten, was sie seiner Meinung nach bedeuten, stellt er dem Interpreten jene für wahr gehaltenen Sätze zur Verfügung, die Gegenstand der Interpretation sind. Anders sieht dies hingegen für die Perspektive des Interpreten aus. Zwar wird hier die Autorität des Sprechers unterstellt; ob der Sprecher aber tatsächlich weiß, was er glaubt, zeigt sich erst, wenn die Interpretation zu einem Ende gekommen ist. Und hier können sich Überzeugungen als falsch und Prädikate als nicht korrekt angewendet erweisen. Es ist somit die Asymmetrie der Interpretationsperspektiven, die verständlich werden lässt, weshalb die Autorität des Sprechers über seine eigenen Überzeugungen und propositionalen Einstellungen zwar einerseits als unfehlbar erscheint, andererseits sich diese Überzeugungen und propositionalen Einstellungen jedoch jederzeit als falsch erweisen können. Die Erläuterung der Autorität der ersten Person über das asymmetrische Interpretationsverhältnis wirft ein helles Licht auf die Frage nach den intersubjektiven Bedingungen von Selbstbewusstsein; denn die Besonderheit der Autorität der ersten Person wird von Davidson ja auf der Grundlage einer interpersonellen Beziehung bestimmt: der Beziehung zwischen Sprecher und Interpret. Ohne einen Interpreten hätten zum einen die Überzeugungen und propositionalen Einstellungen eines einzelnen Sprechers keinen bestimmbaren Gehalt, da ihre Wahrheitsbedingungen durch den Interpreten geliefert werden, und das gilt auch für die Überzeugungen, die im Rahmen des Selbstwissens zugeschrieben werden. Zum anderen würde die Autorität und die mit ihr behauptete Unfehlbarkeit gar nicht erst verständlich, würde sie nicht durch das asymmetrische Interpretationsverhältnis erläutert. Im Gegensatz zu jenen Positionen, die die Besonderheit von Selbstwissen über eine spezielle Art der Rechtfertigung erklären wollen, leitet Davidson diese Besonderheit also direkt aus einem intersubjektiven

78 Davidson, 1994a, 648/engl., [SIO], 13. Übersetzung von mir geändert.

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Verhältnis ab. Auf diese Weise umgeht er zunächst die Probleme, die sich im letzteren Fall ergeben hatten, und verortet zugleich die intersubjektiven Bedingungen von Selbstbewusstsein. Allerdings ist die Rede von einer „Infallibilität“ der Selbstzuschreibungen hier nicht ganz korrekt. Wie wir gesehen haben, ist der Sprecher ja schlicht und einfach nicht in der Position, seine eigene Überzeugung anzuzweifeln, weil die Interpretation ohne die Wahrheits- und Aufrichtigkeitsunterstellung gar nicht erst beginnen würde. Und genau darin besteht ja der große Vorteil von Davidsons Konzeption, dass die Besonderheit von Selbstzuschreibungen aus den Erfordernissen der Interpretation heraus und nicht über ihre Rechtfertigungsbedingungen erklärt wird. Nun kann man natürlich sagen, dass Davidson an dieser Stelle durchaus einen Grund für die Unmöglichkeit (oder besser: die Sinnlosigkeit) des Zweifels liefert, weshalb man auch berechtigt ist von objektiv gewissen Überzeugungen zu sprechen. Es stellt sich aber die Frage, ob sein Beharren darauf, dass die Autorität der ersten Person eine Autorität in Bezug auf epistemologische Tatsachen sei, nicht letztlich irreführend ist. Zunächst heißt es dazu bei ihm: Denn wenn man mit besonderer Autorität sprechen kann, dann muß die Rechtfertigung des eigenen Wissens sich irgendwie damit im Einklang befinden; und wenn das eigene Wissen eine systematische Differenzierung aufweist, dann müssen Wissensäußerungen diese Differenz widerspiegeln.79

Die Differenz hat Davidson – wie wir gesehen haben – als die zwischen Sprecher und Interpret erläutert. Aber gerade deshalb, weil er die Autorität der ersten Person in die Interpretation einbindet, und sie nicht über eine Differenz der Rechtfertigungsbedingungen erklärt, muss man sich fragen, von welcher Art Rechtfertigung hier überhaupt die Rede sein kann. Die Frage kann an dieser Stelle natürlich nicht beantwortet werden, weil dies bedeuten würde, Davidson vereinigte Erkenntnis- und Bedeutungstheorie generell zu hinterfragen. Man kann ihr allerdings aus dem Weg gehen, indem man darauf insistiert, dass Selbstbewusstsein gerade nicht über ein zugrunde liegendes Wissen von sich sondern als Verfügen über einen Begriff von sich selbst verstanden werden muss. In diesem Fall muss man allerdings auch zugestehen, dass das eigene Wissen gerade keine „systematische Differenz“ aufweist. Aus der Definition der Autorität der ersten Person sollte das Verb „wissen“ dann entfernt werden. Es könnte aber ohne weiteres durch „ist sich gewiss“ ersetzt werden. In diesem Fall bliebe die Autorität der ersten Person erhalten, sie wäre eben nur keine mehr, die in Bezug auf epistemologische Tatsachen gelten würde.

79 Davidson, 1994a, 635/engl., [SIO], 4.

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3.3 Intersubjektive Bedingungen in Form reziproker Absichten Davidsons Überzeugung, dass die Basis der propositionalen Erkenntnis im Interpersonellen liegt und man keine eigenen Gedanken hätte, wüsste man nicht, was andere Personen denken, legt also den Schluss nahe, dass Selbstbewusstsein tatsächlich intersubjektiven Bedingungen unterliegt. Es bleibt somit nur noch die Frage zu klären, ob das interpersonelle Verhältnis zwischen Sprecher und Interpret auch ein intersubjektives Verhältnis gemäß jenen Kriterien ist, die für den Begriff „Intersubjektivität“ im Vorfeld aufgestellt wurden. Genauer gefragt: Ist das Verhältnis von Sprecher und Interpret als ein reziprokes zu beschreiben? Für die Positionen von Putnam und Burge hatte sich herausgestellt, dass die vermeintlich intersubjektiven Bedingungen das Kriterium der Reziprozität nicht erfüllten, da die zweite Person für die Selbstzuschreibung nur vermittelt über sprachliche Konventionen und Normen relevant war. Und das Befolgen von Konventionen und Normen involviert keine Reziprozität sondern lediglich eine einseitige Verpflichtung. Nun hat Davidson gegen die Vorstellung, Sprache sei im Wesentlichen über die in ihr geltenden Konventionen und Normen zu verstehen, entschieden Stellung bezogen.80 Im Kontext der Verteidigung einer antikonventionalistischen Auffassung geteilter Bedeutung macht er daher einen Vorschlag, der die wechselseitigen Absichten und Erwartungen von Sprecher und Interpret zur Grundlage für geteilte Bedeutung erklärt. Mit diesem Vorschlag argumentiert Davidson zum einen gegen die Ansicht, für das richtige Verständnis der sozialen Aspekte der Sprache genüge es, auf die für alle Sprecher geltenden Konventionen und Normen zu verweisen. Zugleich aber qualifiziert er das interpersonelle Verhältnis zwischen Sprecher und Interpret als ein echtes intersubjektives, nämlich reziprokes Verhältnis. Unstrittig ist zwischen den Vertretern einer konventionalistischen Sprachauffassung und Davidson zunächst, dass Sprache bzw. sprachliche Bedeutung wesentlich sozial ist: As Ludwig Wittgenstein, not to mention Dewey, G.H. Mead, Quine and many others have insisted, language is intrisically social. (…) That meanings are decipherable is not a matter of luck; public availability is a constitutive aspect of language. 81

80 Vgl. insbesondere D. Davidson, „Kommunikation und Konvention“, in: [WuI], 372–393/engl., „Communication and Convention“, in: [ITI], 265–280; ders., „Eine hübsche Unordnung von Epitaphen“, a. a. O., 203–227/engl., „A Nice Derangement of Epitaphs“, in: [ITI], 183–198; ders.; „Die zweite Person“, in: [Sio], 186– 210/engl., „The Second Person“, in: [SIO], 107–121. 81 Davidson, 2005, 189/engl., 1990, 314.

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Geht man mit Wittgenstein davon aus, dass es keine private Sprache geben kann und die Unterscheidung zwischen einer korrekten und einer unkorrekten Anwendung eines Ausdrucks externer, genauer: sozialer Kriterien bedarf, dann muss Öffentlichkeit als notwendige Bedingung für Sprache angesehen werden. Mit dieser Behauptung ist jedoch noch keine Aussage darüber getroffen, welche Struktur für diese Öffentlichkeit bindend ist, damit sie ihre konstitutive Funktion auch erfüllen kann. Der Streit zwischen Davidson und seinen konventionalistischen Opponenten – Davidson richtet sich insbesondere gegen Dummett, aber auch gegen Putnam und Burge – hat daher die Frage zum Gegenstand, wie der soziale Aspekt der Sprache konkret zu bestimmen ist und welche sozialen Strukturen tatsächlich notwendig und hinreichend dafür sind, dass zwei Sprecher eine Sprache sprechen und einander verstehen. Eine der Ausgangsüberlegungen, auf die sich Konventionalisten Davidson zufolge verpflichten müssen, lautet, dass der soziale Aspekt der Sprache als geteilte Praxis mit normativer Kraft verstanden werden muss. Konventionen sind Regeln des Gebrauchs sprachlicher Ausdrücke, die konstitutiv für die Bedeutung dieser Ausdrücke sind. Ein Beispiel für eine solche Position ist die schon diskutierte These von der linguistischen Arbeitsteilung. Putnam zufolge legen einzelne, besonders kompetente Sprecher (Putnams Experten) fest, was bestimmte Ausdrücke bedeuten. Alle anderen Sprecher sind dann verpflichtet, diese Ausdrücke entsprechend ihrer festgelegten Bedeutung zu gebrauchen. Beispiele für Konventionen im Sinne Putnams wären etwa, dass sich der Ausdruck „Tiger“ auf Exemplare der natürlichen Art Tiger beziehen muss und der Ausdruck „Wasser“ auf alle Flüssigkeiten mit der chemischen Formel H2O. Eine gemeinsame Sprache sprechen zwei Sprecher daher genau dann, wenn sie sich an die gleichen sprachlichen Konventionen halten, und nur im Kontext dieser Sprache kann der einzelne Sprecher mit seinen Worten auch etwas meinen. Da an den Sprecher der Imperativ ergeht: „Wenn Du verstanden werden willst, spreche so, wie es die Konventionen verlangen!“, wird die geteilte Praxis, die diesem Verständnis einer gemeinsamen Sprache zugrunde liegt, als normative Praxis verstanden. Der Vorteil dieser Überlegung liegt zunächst natürlich darin, dass die behaupteten Konventionen als Kriterien gelten können, aufgrund derer der richtige vom falschen Gebrauch eines Ausdrucks unterschieden werden kann. Davidson argumentiert nun gegen diese konventionalistische Auffassung in zweifacher Hinsicht. Zum einen wehrt er sich gegen die Behauptung, die soziale Praxis müsse als normative Praxis verstanden werden. Auf die im Begriff der geteilten Praxis implizierte Normativität kann genau dann verzichtet werden, wenn sich deutlich machen lässt, wie auch ohne Bezug auf Konventionen entschieden werden kann, ob ein Ausdruck rich-

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tig angewendet wird oder nicht. Zusammen mit der Normativität stellt Davidson dann den Gedanken der geteilten Praxis selbst zur Diskussion. Kommt der Normativität die von den Konventionalisten behauptete Rolle für die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke gar nicht erst zu, gibt es gute Gründe, auch an der Notwendigkeit einer geteilten Praxis zu zweifeln. Doch wie sieht die soziale Praxis in einem solchen Fall aus? Davidsons Vorschlag lautet: Die für Bedeutung einzig ausschlaggebende Praxis ist diejenige, der der Sprecher selbst folgt. Was diese dann tatsächlich zu einer sozialen Praxis macht und wie hier intersubjektive Beziehungen in Anspruch genommen werden, soll im Folgenden gezeigt werden. Davidson entwickelt seinen ersten Einwand gegen die Normativität, die dem Verstehen und dem Sprechen einer Sprache zugrunde liegen soll, in Auseinandersetzung mit der skeptischen Lösung des Problems des Regelfolgens, die Kripke Wittgenstein zuschreibt.82 Das Regelfolgenproblem besagt zunächst Folgendes: Nichts, was jemand tut, der behauptet, er würde einer bestimmten Regel folgen, kann als Fehler der Regelanwendung gewertet werden. Denn für jede Regel besteht immer die Möglichkeit, eine abweichende Anwendung mit der Formulierung der Regel in Übereinstimmung zu bringen. Die Regelformulierung steht somit in einer kontingenten Relation zu ihrer Anwendung und daraus folgt, dass durch die Angabe einer spezifischen Regel nicht bestimmt werden kann, was eine korrekte Anwendung der Regel wäre und was nicht. Es fehlt folglich ein Kriterium dafür, wie die korrekte von der nicht korrekten Anwendung unterschieden werden kann. Kripkes Punkt ist nun der, dass die Entscheidung darüber, ob ein einzelnes Individuum einer Regel folgt oder nicht, nicht davon abhängen kann, was dieses Individuum selbst glaubt. Denn es gibt keine internen oder subjektiven Tatsachen, die hier als Kriterien gelten könnten. Stattdessen sollte die Frage der richtigen Anwendung einer Regel durch die soziale Praxis bestimmt werden, die jeweils angibt, wie der Sprecher fortfahren sollte. Die für Kripke entscheidenden Stichwörter der entsprechenden Bemerkungen Wittgensteins sind deshalb „Übereinstimmung“ und „Gemeinsamkeit der Lebensform“. „Übereinstimmung“ bestimmt er über die Gemeinsamkeit der Praktiken und Reaktionen innerhalb einer Gemeinschaft. Die „gemeinsame Lebensform“ charakterisiert er dann als „Klasse der Reaktionen, in denen wir übereinstimmen, und die Art ihrer

82 Kripke präsentiert seine Überlegungen und vor allem die skeptische Lösung als Erläuterung der Aussagen Wittgensteins mit dem Anspruch das von Wittgenstein Gemeinte lediglich explizit zu machen. Trotzdem wird hier davon ausgegangen, dass Kripke eine eigene Interpretation liefert und nicht nur ein Sprachrohr Wittgensteins ist. Siehe S. Kripke, Wittgenstein über Regeln und Privatsprache, Frankfurt/Main 1987/engl., Wittgenstein on Rules and Private Language, Cambridge/Mass. 1982.

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Verflechtung mit unseren Handlungen“.83 Der Unterschied zwischen „einer Regel folgen und einer Regel zu folgen glauben“ wird also erst vor dem Hintergrund der Übereinstimmung eines einzelnen Sprechers mit den allen Sprechern gemeinsamen Praktiken deutlich. Übertragen auf sprachliche Bedeutung ergibt das genau jenes konventionalistische Bild, das eingangs beschrieben wurde. Konventionen sind solche Präskriptionen, die für den Einzelnen angeben, wie ein Ausdruck gebraucht werden sollte, damit er Bedeutung hat. Der Unterschied zwischen „Wörter korrekt gebrauchen und bloß denken, dass man sie korrekt gebraucht“84 kann folglich nur mit Blick auf die gemeinsame normative Praxis angegeben werden. Ob jemand einen Ausdruck richtig gebraucht oder nicht, hängt von jenen Gebrauchsregeln ab, auf die sich die Sprecher einer Sprache festgelegt haben. Wenn man sich also fragt, ob jemand einer bestimmten Regel folgt oder einen Ausdruck korrekt gebraucht, dann ist das entscheidende Kriterium gemäß der skeptischen Lösung, dass dieser jemand sich auf dieselbe Art und Weise verhält wie andere Sprecher. Für das Befolgen einer Regel bedeutet das konkret, dass das Individuum hinsichtlich jeder möglichen Regelanwendung genauso fortfährt wie andere Regelbefolger. Für die Bedeutung von Ausdrücken bedeutet dies, dass der Sprecher sie auf dieselbe Art und Weise gebraucht wie andere Sprecher. Die Anderen werden hier relevant, weil nur sie überprüfen können, ob der Einzelne sich an die Verpflichtung hält oder nicht. In Bezug auf den korrekten Gebrauch sprachlicher Ausdrücke findet die Überprüfung allerdings implizit statt, indem der Sprecher von anderen Sprechern verstanden wird.85 Das Problem mit der skeptischen Lösung ist jedoch folgendes: Damit sie als Lösung auch überzeugen kann, sollte zuvor geklärt werden, was genau unter „sich auf dieselbe Art und Weise verhalten wie andere“86 zu verstehen ist. Der Versuch einer solchen Klärung offenbart dann aber erstens einen Zirkel und lässt zweitens deutlich werden, dass die skeptische Lösung ihren eigenen Anspruch, nämlich das Paradox des Regelfolgens zu lösen, nicht einlöst. Der

83 Kripke, 1987, 121/engl., 1982, 96. 84 D. Davidson, „The Social Aspect of Language“, in: [TLH], 109–126, 119, eigene Übersetzung, im Original: „(…) using words correctly and merely thinking that one is using them correctly“. 85 Hinsichtlich der Regelbefolgung beschreibt Kripke die Überprüfung dann so: „Diese (die skeptische) Lösung beruht auf der Vorstellung, daß jeder, der einer Regel zu folgen behauptet, der Kontrolle durch andere ausgesetzt ist. Andere Angehörige der Gemeinschaft können überprüfen, ob der vermeintlich der Regel Folgende Reaktionen an den Tag legt, die sie billigen und die mit ihren eigenen übereinstimmen.“ Kripke, 1987, 127/engl., 1982, 101. 86 Das Verb „verhalten“ steht hier als Platzhalter für „fortfahren“ im Regelfall und „sprechen“ im Fall der Gebrauchsregeln sprachlicher Ausdrücke.

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Zirkel droht, wenn behauptet wird, dass die Art und Weise, in der ein Sprecher fortzufahren hat, durch die soziale Praxis bestimmt wird, während die soziale Praxis wiederum darüber definiert ist, dass der Sprecher auf dieselbe Weise fortfährt, in der es andere Sprecher tun. Genau in diesen Zirkel begibt sich Kripke, wenn er die soziale Praxis als Übereinstimmung mit den Reaktionen der Gemeinschaft charakterisiert. Denn auf die Frage, worin sich die Übereinstimmung zeige, antwortet er lediglich, dass die Mitglieder dieser Gemeinschaft eben ihr eigenes Verfahren der Regelanwendung als „das einzig verständliche erachten“.87 Was die Sprecher als verständlich erachten, kann aber nur durch die Übereinstimmung expliziert werden. Doch selbst wenn man diesen Zirkel umgehen könnte, bleibt nach wie vor der Einwand bestehen, dass die skeptische Lösung ihren eigenen Anspruch nicht einlöst. Und zwar deshalb nicht, weil die spezifische Problematik des Regelfolgens nur auf die soziale Ebene verschoben, dort aber nicht gelöst wird. Denn das Problem tritt hinsichtlich der Definition von „sich auf dieselbe Art und Weise verhalten“ schlicht erneut auf. Für jede Bestimmung von „sich auf dieselbe Art und Weise verhalten“ gibt es nämlich die Möglichkeit, dass eine abweichende Verhaltensweise mit der jeweiligen Formulierung von „sich auf dieselbe Art und Weise verhalten“ in Übereinstimmung gebracht werden kann. Denkbar wären etwa verstecke Konditionale: Die vermeintlich falsche Art und Weise fortzufahren entspräche einer tatsächlich anerkannten Definition von „sich auf dieselbe Art und Weise verhalten“; hinzu kommt jedoch eine zusätzliche, aber nicht bekannte Bedingung. Das Vertrauen in die Sozialität löst zwar zunächst das Problem mit Bezug auf die Behauptung subjektiver Tatsachen, da die Wahrheits- oder Rechtfertigungsbedingungen für das Befolgen einer Regel öffentlich und nicht mehr subjektiv sind. Aber der eigentliche Anspruch, nämlich ein Kriterium zu formulieren, welches das richtige vom falschen Befolgen einer Regel abgrenzt, wird nicht erfüllt. Nun spricht dieser Einwand nicht grundsätzlich gegen die Idee einer normativen, geteilten Praxis, die dem Verstehen und Sprechen einer Sprache zugrunde liegt. Er zeigt zunächst einmal nur, dass der Begriff der Übereinstimmung verstanden als „sich auf dieselbe Art und Weise verhalten wie andere“ erklärungsbedürftig ist. Davidsons Kritikpunkt ist daher auch ein anderer. Die Verpflichtung auf Gebrauchsregeln kann schon deshalb keine notwendige Bedingung für Sprache oder sprachliche Bedeutung sein, weil Sprecher auch dann verstanden werden, wenn sie sich nicht an Konventionen halten. Konzeptionen, die sprachliche Bedeutung über Gebrauchsregeln bestimmten, könnten aber keine Antwort auf die Frage ge-

87 Kripke, 1987, 121/engl., 1982, 96.

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ben, weshalb jemand, der sich nicht an diese Regeln hält, verstanden wird. Malapropismen und freudsche Fehler88 zeigten jedoch deutlich, dass für eine erfolgreiche Interpretation der Äußerungen eines Sprechers das Befolgen von Konventionen und sprachlichen Regeln nicht notwendig ist. Zwar erleichtern grammatische, syntaktische und lexikalische Regeln die Interpretation, sie haben deshalb aber noch lange nicht den Status einer konstitutiven Voraussetzung bzw. einer notwendigen Bedingung. Der denkbare Einwand, dass die im Falle der genannten Malapropismen und freudschen Fehler falsch verwendeten Ausdrücke nur aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit den richtigen Ausdrücken verstanden werden, ist für Davidsons Kritikpunkt nicht stichhaltig. Denn es kommt für das Argument nicht darauf an, wie weit die falsch gebrauchten Worte vom korrekten Gebrauch abweichen, sondern nur darauf, dass der Sprecher trotz der Abweichung verstanden wird. Davidsons antikonventionalistische Strategie lautet dann: Der grundlegende Begriff für sprachliche Bedeutung ist der des Verstehens. Verstehen aber hängt von erfolgreicher Kommunikation ab und diese kommt ohne den Bezug auf Konventionen und Regeln aus. Any obligation we owe to conformity is contingent on the desire to be understood. If we can make ourselves understood while deviating from a social norm, any further obligation has nothing to do with meaning or successful communication.89

Die argumentative Strategie, die diese Behauptung stützen soll, kann dann in drei Züge unterteilt werden. 1. Zunächst fasst Davidson Übereinstimmung anders auf als Kripke. Zwar bleibt die Übereinstimmung zwischen den Sprechern für Verstehen notwendig, aber sie zeigt sich nicht darin, dass ein Sprecher auf dieselbe Art und Weise fortfährt oder einen Ausdruck so gebraucht wie andere. Das, worin Sprecher und Interpret übereinstimmen müssen, sind diejenigen Sätze, die der Interpret verwendet, um die Wahrheitsbedingungen für die Äußerung des Sprechers anzugeben. Und dies sind dann auch die Sätze, die der Interpret nach Ansicht des Sprechers verwenden sollte. Die Interpretation ist somit genau dann erfolg-

88 Der Ausdruck „Malapropismus“ steht für verfehlte „mal á propos“ oder in unpassender Weise verwendete Ausdrücke. Beispiele für Malapropismen sind etwa: „dem Tod ein Schnäppchen schlagen“ für „dem Tod ein Schnippchen schlagen“ oder „die Lichtshow war wirklich spekulativ“ für „die Lichtshow war wirklich spektakulär“. Die Bezeichnung „Malapropismus“ ist dem Stück „The Rivals“ von R. B. Sheridan entlehnt, wo eine Mrs. Malaprop immer wieder schwierige Wörter mit Wörtern, die ihnen ähnlich klingen, verwechselt. Freudsche Fehler sind dann ebenfalls verfehlte Wortverwendungen, die aber, so die These, etwas unterbewusst Gewünschtes explizit machen. 89 Davidson, [TLH], 118.

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reich, wenn der Interpret den Sprecher so interpretiert wie der Sprecher beabsichtigte interpretiert zu werden. Gelingende Kommunikation beruht also auf einem interaktiven Verhältnis zwischen mindestens zwei Individuen: Sprecher und Interpret. 2. Die einzige normative Verpflichtung, die in diesem Verhältnis geltend gemacht wird, ergeht an den Sprecher. Dieser sollte nämlich alles Notwendige dafür tun, dass er entsprechend seiner Absicht interpretiert wird. Dieses Notwendige besteht aber nicht darin, so zu sprechen wie andere, sondern so, dass der Sprecher selbst glaubt, die von ihm verwendeten Ausdrücke drücken seine Überzeugung so aus, dass der Interpret sie auch in seinem Sinne versteht. (…) if a speaker reasonably believes he will be interpreted in a certain way, and speaks with the intention of being understood, we may choose to say he means what (in primary sense) he would have meant if he had been understood as he expected and intended.90

Die Forderung an den Sprecher, seine Worte so zu wählen, dass die Absicht, in bestimmter Weise interpretiert zu werden, für den Interpreten offenkundig wird, ist für Davidson somit die einzige Verpflichtung, die für erfolgreiche Kommunikation konstitutiv ist. Dennoch können wir sagen, daß es auf seiten des Sprechers diese Absichten geben muß, wenn die Kommunikation gelingt, und daß diese Absichten für Meinen und Bedeutung wesentlich sind, sofern erfolgreiches Kommunizieren für Meinen und Bedeutung wesentlich ist.91

Für die Bestimmung des sozialen Aspekts sprachlicher Bedeutung hat diese Überlegung dann jedoch weitreichende Konsequenzen. Denn die einzige Praxis, die als notwendige Bedingung für Kommunikation angesehen werden muss, ist „a practice of one‘s own, a practice that can be understood by others“.92 Zweifellos hat Davidsons Individualismus93 einerseits den Vorteil, dass jeder Sprecher genauso verstanden wird, wie er beabsichtigt, egal, ob er den Konventionen folgt oder nicht. Wenn Frau Stöhr in Thomas Manns „Zauberberg“ „desinfiszieren“ statt „desinfizieren“ sagt und den Assistenten Krokowski einen „Fomulus“ statt einen „Famulus“ nennt, dann sorgt dies zwar für Erheiterung aber nicht für Missverstehen.94 Frau Stöhr,

90 Davidson, [TLH], 121. 91 D. Davidson, „Die zweite Person“, in: [Sio], 186–210, 194/engl., „The Second Person“, in: [SIO], 107–121, 112. 92 Davidson, [TLH], 125. 93 „Individualismus“ steht hier für die Position, nach der der einzelne Sprecher die Bedeutung der Ausdrücke und Sätze selbst festlegt. 94 Die ganze Stelle lautet: „Eine Dame sitze mit ihm am Tische, namens Frau Stöhr, ziemlich krank übrigens, eine Musikergattin aus Cannstadt, – die sei das Ungebildetste, was ihm jemals vorgekommen. ‚Desinfiszieren‘, sage sie, – aber in vol-

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so könnte man sagen, weiß es eben in der ihr zugeschriebenen Ungebildetheit nicht besser. Trotzdem hat sie das aus ihrer Sicht Notwendige getan, um entsprechend ihrer Absicht interpretiert zu werden. Andererseits scheint Davidson aber durch den Verzicht auf die geteilte Praxis zugunsten einer Praxis, der jeder für sich selbst folgt, gar keine intersubjektivitätstheoretische Position mehr zu vertreten. Wo also könnten hier die intersubjektiven Bedingungen liegen? Tatsächlich kommen die intersubjektiven Bedingungen überhaupt erst dadurch in den Blick, dass jeder Sprecher die Bedeutung der von ihm verwendeten Sätze zunächst selbst festlegt. Denn an die Stelle der einseitig verpflichtenden Konventionen wird hier ein echtes reziprokes Verhältnis zwischen Individuen gesetzt. Dieses reziproke Verhältnis besteht zwischen Sprecher und Interpret und bildet die Grundlage für erfolgreiches Kommunizieren. Der Interpret weiß um die Absicht des Sprechers, dass er selbst (der Interpret) den Äußerungen des Sprechers bestimmte Wahrheitsbedingungen zuschreibt. Der Sprecher hingegen beabsichtigt auf eine bestimmte Weise interpretiert zu werden und erwartet daher, dass der Interpret die richtigen Wahrheitsbedingungen dadurch findet, dass er die spezifischen semantischen Absichten des Sprechers erkennt. Die wechselseitigen Absichten und Erwartungen und nicht Konventionen und Gebrauchsregeln stellen hier also sicher, dass der Interpret den Sprecher versteht und der Sprecher mit seinen Worten auch tatsächlich etwas meint. Damit ist das für das Vorliegen einer echten intersubjektiven Beziehung geforderte Kriterium der Reziprozität gefunden. Im Gegensatz zu Mead, und die an ihn anschließenden semantischen Intentionalisten, legt Davidson jedoch keine Bedeutungstheorie vor, bei der Bedeutung über semantische Intentionen erläutert wird. Denn Davidson behauptet nur, dass die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke von den Sprecherabsichten nicht unabhängig sein kann. Das heißt jedoch nicht, dass sie sich deshalb schon auf diese Weise schon erklären ließe. Der Einwand einer petitio principii, der gegen intentionalistische Semantik vorgebracht wurde, greift an dieser Stelle also nicht.95 Denn die bloße Intention, so Davidson, gibt einem Satz

lstem Ernst. Und den Assistenten Krokowski nenne sie den ‚Fomulus‘“. T. Mann, Der Zauberberg, Frankfurt/Main 1993, 25. 95 Der Einwand gegen intentionalistische Semantiken besagt, dass die Sprecherintention, durch die der Hörer veranlasst wird, der Äußerung eine entsprechende sprachliche Bedeutung zuzusprechen, schon eine semantische Intention sein muss. „Das Etwas-mit-etwas-Meinen“, kritisiert etwa Schnädelbach, ist nicht so zu verstehen, „daß wir (…) erst etwas meinen und diese Intentionen dann nachträglich dem sprachlichen Etwas ‚verleihen‘, mit dem man in kommunikativer Absicht etwas meint. Verleihen kann man nur, was man schon hat, d. h., auch in der bloßen Bedeutungsintention müssen wir schon etwas mit etwas meinen (…)“.

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nicht seine Bedeutung, „doch wenn er mit der Intention geäußert wird, einen Satz mit eben dieser Bedeutung zu äußern, ohne dass der Satz die Bedeutung tatsächlich hat, dann hat er gar keine sprachliche Bedeutung“, weil der Interpret ihn eben nicht in dem vom Sprecher beabsichtigten Sinne interpretieren würde.96 3. Die Öffentlichkeit, die der wittgensteinschen Forderung zufolge eine notwendige Bedingung von Sprache sein muss, hat also eine intersubjektive Struktur. Nun hatte Wittgenstein Öffentlichkeit eben deshalb zur Bedingung gemacht, weil sie die Kriterien bereitstellen können soll, aufgrund derer der korrekte vom unkorrekten Gebrauch eines Ausdrucks unterschieden werden kann. Wie aber lassen sich irrtümliche Verwendungen und ein fehlerhafter Gebrauch von Ausdrücken bestimmen, wenn die normativen Standards der Sprachgemeinschaft nicht als Maßstab gelten können und der Weg in den Internalismus durch die Anerkennung der Öffentlichkeitsforderung versperrt ist? Davidson meint, dass sich die Unterscheidung „zwischen ‚glauben, man meine etwas‘ und ‚es wirklich meinen‘ auch treffen (lässt), indem man darauf abhebt, ob die Absicht des Sprechers, in einer bestimmten Weise interpretiert zu werde, in Erfüllung gegangen ist“.97 Jede Interpretation ist ein laufender Prozess, dem zahlreiche erfolgreiche Interpretationen bereits vorausgegangen sind. Der Interpret agiert nicht in einem bedeutungstheoretisch luftleeren Raum, sondern er bringt immer schon eine bestimmte Theorie darüber mit, was er vom Sprecher zu erwarten hat. Davidson nennt diese „Ausgangstheorie“ („prior“ bzw. „entering theory“). Werden die Ausgangserwartungen enttäuscht, etwa durch die Verwendung eines fehlerhaften Ausdrucks, modifiziert der Interpret seine Ausgangstheorie. Resultat der Modifikation ist eine Übergangstheorie („passing theory“) und sie entspricht der tatsächlichen Interpretation der Äußerung durch den Interpreten. Auch der Sprecher nimmt an, dass der Interpret eine bestimmte Ausgangstheorie hat. Da er verstanden werden will, stellt er dem Interpreten weitere Anhaltspunkte zur Verfügung, die diesen zu einer Übergangstheorie führen, die den tatsächlichen Absichten des Sprechers entspricht. Eine Übereinstimmung der Kommunikationspartner stellt sich genau dann her, wenn ihre Übergangstheorien konvergieren. Der Sprecher kann also nicht auf Humpty Dumpty-Art98 mit

H. Schnädelbach, „‚(…) daß p‘. Über Intentionalität und Sprache“, in: ders., Philosophie in der modernen Kultur, Frankfurt/Main 2000, 204–229, 230. 96 Davidson, [WuI], 381/engl., [ITI], 271. 97 Davidson, [Sio], 202/engl., [SIO], 117. 98 Humpty-Dumpty ist eine Figur aus Carolls „Alice hinter den Spiegeln“, die Vertreter einer sehr individualistischen Bedeutungstheorie ist: „‚Wenn ich ein Wort verwende‘, erwiderte Humpty-Dumpty ziemlich geringschätzig, ‚dann bedeutet es genau, was ich es bedeuten lasse, und nichts anderes‘. ‚Die Frage ist doch‘, sagte

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seinen Worten einfach meinen, was er will. Das wird durch die einzige bedeutungskonstitutive Norm verhindert, die Davidson gelten lässt: Der Sprecher sollte alles Notwendige dafür tun, entsprechend seiner Absicht interpretiert zu werden. Es ist diese Norm und das daraus resultierende Spiel der wechselseitigen Anpassung der Erwartungen, die den Unterschied zwischen denken, dass man etwas meint, und es tatsächlich meinen, bestimmt. Das intersubjektive Verhältnis zwischen den Kommunikationspartnern erweist sich somit auch an dieser Stelle als wesentliche Bedingung. Denn ohne die wechselseitige Anpassung der Interpretationserwartungen und -absichten gäbe es schlicht keine Möglichkeit festzustellen, was ein Sprecher meint. Fälle von erfolgreicher Kommunikation sind somit solche, in denen ein Sprecher so verstanden wird, wie er verstanden werden wollte, wenn zugleich der Interpret glaubt, dass dies auch die Weise ist, in der der Sprecher korrekterweise verstanden werden sollte. Der Umweg über die Diskussion der Struktur des sozialen Aspektes war nötig, um zu zeigen, dass das Verhältnis zwischen Sprecher und Interpret tatsächlich ein reziprokes und damit intersubjektives Verhältnis ist. Die Interpretation setzt nicht nur zwei Sprecher voraus, sie ist vor allem als wechselseitige Beziehung zu beschreiben, aufgrund derer Ausdrücke und Äußerungen überhaupt erst Bedeutung haben. Davidsons Interpretationstheorie löst somit das Versprechen ein, das Mead nicht einlösen konnte: den Nachweis zu erbringen, dass die zweite Person in der Tat eine notwendige Bedingung ist, um über Bedeutung und damit über Begriffe verfügen zu können. Und obwohl die zweite Person den genannten modalen Stellenwert in der Bedeutungstheorie hat, wird die Autorität der ersten Person nicht gefährdet. Im Gegenteil, die intersubjektive Beziehung zwischen Sprecher und Interpret ermöglicht die Autorität erst, die eben nicht aufgrund verschiedener Rechtfertigungsbedingungen für die Zuschreibung von mentalen Zuständen inklusive Überzeugungen besteht sondern aufgrund der unterschiedlichen Positionen von Sprecher und Interpret während der Interpretation. Damit ist das Beweisziel eigentlich schon erreicht. Doch Davidson liefert noch ein weiteres Argument, das für die intersubjektive Bedingtheit von Überzeugungen spricht: das Triangulationsargument. Dieses Argument soll zeigen, dass ein Individuum weder Überzeugungen noch überhaupt eine Sprache hätte, gäbe es nicht die Interaktion mit einer zweiten Person. Jede Überzeugung hat intersubjektive Bedingungen, sowohl ÜberAlice, ‚ob du den Worten einfach so viele verschiedene Bedeutungen geben kannst‘. ‚Die Frage ist‘, sagte Humpty Dumpty, ‚wer die Macht hat – und das ist alles (…)‘.“ L. Caroll, Alice hinter den Spiegeln, übers. von C. Enzensberger, mit Illustrationen von J. Tenniel, Frankfurt/Main 2008, 72.

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zeugungen über die Welt als auch Überzeugungen, die jedes Subjekt von sich selbst hat. Das Argument hat also eine ganz andere modale Kraft und deshalb soll es hier auch vorgestellt und diskutiert werden. 3.3 Triangulation Mit der Triangulation verfolgt Davidson zwei Ziele gleichzeitig. Zum einen soll durch sie nachgewiesen werden, dass „Sprache etwas wesentliches Öffentliches“ sei“99, indem gezeigt wird, dass eine Privatsprache aus prinzipiellen Gründen unmöglich ist. Unter einer Privatsprache versteht Davidson eine Sprache, die nur von einem Subjekt verstanden wird, die also nicht schon durch eine zweite Person interpretiert ist.100 In diesem Sinne soll das Triangulationsargument eine Begründung der von Wittgenstein aufgestellten Öffentlichkeitsforderung geben, indem die Bedingungen vorgestellt werden, die erfüllt sein müssen, damit Subjekte überhaupt eine Sprache haben. Zweitens verfolgt Davidson eine erkenntnistheoretische Absicht. Eine Konsequenz der Ablehnung des dritten empiristischen Dogmas scheint zu sein, dass Überzeugungen nur innerhalb eines Verbundes von weiteren Überzeugungen gerechtfertigt werden können. Das evoziert natürlich die Frage, auf welche Weise Überzeugungen dann überhaupt noch in der Welt verankert sind. Muss man sich mit dem Gedanken abfinden, dass sie „reibungslos im luftleeren Raum kreiseln“, wie McDowell formuliert?101 Davidsons Vorschlag, wie einer klassischen Kohärenztheorie im Stile Rorty zu entkommen ist,102 nimmt die schon genannte Trennung von Verursachung und Rechtfertigung von Überzeugungen in Anspruch. Die kausale Relation stellt zwar die Verbindung zwischen den Überzeugungen und dem wovon sie handeln her, rechtfertigt die Überzeugung aber nicht. Trotzdem sorgt sie dafür, dass die Welt nicht im subjektiven Für-wahr-halten verloren geht. Mit der Triangulation will Davidson also eine Art Mittelweg zwischen Kohärenz- und Korrespondenztheorien der Rechtfertigung von Überzeugungen einschlagen und diesen argumentativ begründen. Die Triangulation soll zeigen, wie die Kernthesen beider

99 Davidson, [Sio], 202f/engl., [SIO], 117. 100 „Diese Argumentation zeigt, daß die erste Sprache einer Person nicht privat sein kann, d. h. es kann sich nicht um eine Sprache handeln, die nur von einem Lebewesen verstanden wird.” Davidson, [Sio], 209/engl., [SIO], 121. 101 J. McDowell, Geist und Welt, Frankfurt/Main 2001, 35/engl., Mind and World, Cambridge/Mass. 1994, 11. 102 Siehe dazu die Diskussion zwischen Davidson und Rorty: M. Sandbothe (Hrsg.), D. Davidson und R. Rorty: Wozu Wahrheit. Eine Debatte, Frankfurt/Main 2005.

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Rechtfertigungstheorien in Übereinstimmung gebracht werden können: die Kernthese der Kohärenztheorie, wonach Überzeugungen ausschließlich durch weitere Überzeugungen gerechtfertigt werden, mit der Kernthese der Korrespondenztheorie, wonach die Tatsachen der Welt für die Wahrheit von Überzeugungen in Anspruch genommen werden müssen.103 Um diesen Mittelweg zu plausibilisieren, fragt Davidsons zum einen danach, wie Überzeugungen zu einem bestimmten empirischen Gehalt kommen und zum anderen, welches die notwendigen Bedingungen sind, die erfüllt sein müssen, damit man überhaupt von einer Überzeugung sprechen kann.104 Um eine Überzeugung zu haben, muss man, so Davidson, etwas „mit dem von Überzeugungen vorausgesetzten Gegensatz zwischen dem, was man glaubt, und dem, was der Fall ist“105 anfangen können. Daraus schlussfolgert Davidson, dass man keine Überzeugung haben kann, ohne zugleich

103 Die schwierige Ehe, die Korrespondenz- und Kohärenzannahmen in Davidsons Theorie eingehen, wird an dieser Stelle deutlich. In „Eine Kohärenztheorie der Wahrheit und der Erkenntnis“ sagt er: „Sofern eine Kohärenztheorie akzeptabel ist, muß sie also mit einer Korrespondenztheorie verträglich sein“. Und weiter: „Daher muß eine Kohärenztheorie der Erkenntnis, sofern sie akzeptabel ist, mit einer solchen Form von Realismus verträglich sein“. Gemeint ist eine „nichtrelativierte, nichtinterne Form von Realismus“. (Davidson, [Sio], 238/engl., [SIO], 140, Übersetzung leicht geändert.) Später hat Davidson die Unterscheidung von Realismus und Anti-Realismus als eine für seine Konzeption sinnlose zurückgewiesen, weil sie auf bestimmten Annahmen beruht, die er selbst entschieden ablehnt. Während er die realistische Position als eine Spielart einer durch und durch nicht-epistemischen Wahrheitsauffassung beschreibt, auf die alle Korrespondenztheorien seiner Meinung nach verpflichtet seien, charakterisiert er den Antirealismus als eine durch und durch epistemische Theorie der Wahrheit. Seine eigene Position kennzeichnet er demgegenüber als eine, die dieser Dichotomie nicht unterliegt, weil er weder glaubt, dass Wahrheit epistemisch sei, noch dass sie in der Übereinstimmung mit der Realität bestünde. Das letztere, indem er behauptet, dass es nichts Interessantes gäbe, womit wahre Sätze tatsächlich übereinstimmen könnten. Das erste, weil diese Auffassung Wahrheit direkt mit dem Geglaubten verknüpft. Die hier kurz angedeutete Charakterisierung epistemischer Wahrheitstheorien veranlasst ihn dann auch, Kohärenztheorien (die er für Theorien hält, die auf einen solchen epistemischen Wahrheitsbegriff verpflichtet sind), als nicht hinreichend abzulehnen. Eine Motivation für diese Ablehnung ist u.a. ein deutlicher anti-skeptischer Impuls. Die Triangulation stellt dann den Versuch dar, sich einerseits genau zwischen diesen Unterscheidungen (epistemisch-nichtepistemisch, Kohärenz-Korrespondenz, Antirealismus-Realismus) zu positionieren und andererseits dem antiskeptischen Impuls nachzukommen. 104 „Es gibt nämlich zwei Aspekte des Denkens, die ohne das Dreieck nicht erklärt werden können. Diese beiden Aspekte sind zum einen die Objektivität des Denkens und zum anderen der empirische Inhalt der Gedanken über die Außenwelt.“ Davidson, [Sio], 220/engl., [SIO], 129. 105 Davidson, [Sio], 183/engl., [SIO], 105.

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über den Begriff der objektiven Wahrheit zu verfügen. Die Triangulation hat hier also auch die Aufgabe, den Unterschied zwischen einer wahren und einer bloß gerechtfertigten Überzeugung zu etablieren und das Individuum auf diese Weise mit dem „full grasp of the concepts of objectivity and truth“ auszustatten.106 Das Triangulationsargument wird dann in zwei Schritten durchgeführt. Im ersten Schritt werden die notwendigen Bedingungen für das Bestehen des Unterschieds zwischen einer wahren und einer bloß für wahr gehaltenen Überzeugung dargestellt, im zweiten Schritt werden dann die Bedingungen aufgeführt, die notwendig sind, damit das Subjekt über diesen Unterschied auch verfügen kann. 3.3.1 Das Argument Die trianguläre Situation kann man sich als eine Art Dreieck vorstellen, bei welchem die jeweiligen Scheitelpunkte durch 1. einen empirischen Gegenstand, 2. einen Sprecher und 3. einen Interpreten eingenommen werden. Zwischen den einzelnen Punkten bestehen sowohl kausale und als auch kommunikative Beziehungen. In der unten abgebildeten Grafik steht (RK) für die kausalen und (RSP) für die sprachlichen Relationen. Gegenstand RK

Interpret

RK

RSP/RK

Sprecher

Natürlich findet sich die trianguläre Anordnung – zwei Subjekte reagieren auf ein und dasselbe Objekt – auch bei Lebewesen, die weder eine Sprache sprechen noch Überzeugungen haben.107 Was für Sprache und Überzeugungen zu der basalen triangulären Situation hinzu kommen muss, ist, dass die Subjekte nicht nur auf bestimmte Reize reagieren, sondern gleichzeitig mit dem jeweils anderen Individuum interagieren, um so ihre Reaktionen miteinander in Beziehung zu setzen. Eine Interpretation der vom Gegenstand ausgehenden Reize kann erst dann erfolgen, wenn es diese Interakti-

106 D. Davidson, „The Third Man“, in: [TLH], 159–166, 161. 107 Siehe D. Davidson, „Seeing Through Language“, in: [TLH], 127–142, 140.

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on zwischen den beiden Individuen gibt. Nur durch die Interaktion wird sichergestellt, dass beide auf das gleiche Objekt reagieren, bzw. ihre Reaktionen die gleiche Ursache haben.108 Notwendige Teilbedingungen sind hier bestimmte Ähnlichkeitsmuster, die für Sprecher und Interpret angenommen werden müssen. Die Subjekte reagieren auf ähnliche Gegenstände, sie reagieren aber auch in ähnlicher Weise. Davidson unterscheidet drei (angeborene) Ähnlichkeitsmuster. 1. Der Sprecher findet bestimmte Gegenstände an sich ähnlich. Im Vergleich findet er Kühe und Kühe jeweils untereinander ähnlich. Er sieht aber keine Ähnlichkeiten zwischen Kühen und Kaninchen. 2. Der Interpret findet diese Objekte in derselben Hinsicht ähnlich. Ebenso wie der Sprecher ordnet auch er Kühe zu Kühen und Kaninchen zu Kaninchen. 3. Die Reaktionen von Sprecher und Interpret auf diese Objekte sind ähnlich. Sie können vom Interpreten damit auch als ähnlich bewertet werden. Eine wesentliche Voraussetzung für die Triangulation ist die Anerkennung distaler Stimuli. Im Gegensatz zur Annahme proximaler Stimuli109 hat die von Davidson favorisierte distale Theorie den Vorteil, dass die Ähnlichkeitsrelation zwischen den Reaktionen der an der Triangulation beteiligten Individuen behauptet wird. Das bedeutet, dass auch die relevanten Ursachen nicht mehr im oder am Subjekt sondern öffentlich und intersubjektiv zugänglich sind. Allerdings ist allein aus den Reaktionen noch nicht zu erkennen, welche der Ursachen, entlang einer Kette möglicher Ursachen, die jeweilige Reaktion hervorgerufen hat. An dieser Stelle bringt

108 „Ohne ein Lebewesen, welches das andere beobachten kann, könnte die Triangulation, durch die den betreffenden Gegenständen ihr Ort in einem öffentlichen Raum zugewiesen wird, nicht stattfinden. Damit meine ich nicht, daß das eine oder andere Wesen durch den Vorgang der wechselseitigen Beobachtung mit dem Begriff der Objektivität ausgerüstet wird; das Vorhandensein von ein oder zwei miteinander und mit einer gemeinsamen Umwelt interagierenden Lebewesen ist bestenfalls eine notwendige Bedingung für einen solchen Begriff.“ D. Davidson „Externalisierte Erkenntnistheorie“, in: [MS], 65–83, 81/engl., „Epistemology Externalized“, in: [SIO], 193–204, 202. 109 Theorien, die proximale Reize anerkennen, behaupten, dass die Ursachen von Überzeugungen und Ausdrücken bestimmte Reizmuster etwa Nervenreizungen sind. Für Theorien, die distale Reize anerkennen, stellen hingegen die Ereignisse und Gegenstände selbst die Ursache von Überzeugungen oder Ausdrücken dar. Ein klassisches Beispiel, das den Unterschied erläutern kann, ist folgendes: Ursache für die Äußerung des Wortes „Kaninchen“ kann, je nachdem welcher Theorie man den Vorzug gibt, sowohl das vorbeilaufende Kaninchen selbst sein, als auch bestimmte Nervenreizungen, die durch das Kaninchen hervorgerufen werden. Davidson ordnet Quine den Vertretern der proximalen Theorie zu. Quine bestreitet die Richtigkeit dieser Zuordnung allerdings. Siehe W. v. O. Quine, „In Praise of Observation Sentences“, in: Journal of Philosophy 90, 1993, 107–116.

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Davidson daher die zweite Person als notwendige Bedingung ins Spiel. Es muss ein zweites, dem ersten in hinreichender Weise ähnliches Individuum geben, das die entsprechende Ursache bestimmt und auf diese Weise als relevante Ursache bestätigt. Damit diese Bestätigung jedoch erfolgen kann, müssen die Individuen miteinander in Kontakt treten, sie müssen interagieren. Dies deshalb, weil beide Individuen in Erfahrung bringen müssen, ob der jeweils Andere „denselben Gegenstand im Sinn hat“110 wie sie selbst. Das bedeutet auch, dass der distale Reiz erst durch die Korrelation der Reaktionen111 in der Interaktion zu einer Ursache wird, die daher immer eine gemeinsame Ursache ist. Folglich wird erst durch die Triangulation festgelegt, welcher Reiz als Ursache für eine bestimmte Überzeugung zu gelten hat und worauf sich die Äußerungen des Sprechers beziehen. Damit ist der erste Schritt des Arguments beschrieben. Die nächste Bedingung, die dann erfüllt sein sollte, lautet: Damit die an der Triangulation beteiligten Sprecher ihre eigenen Reaktionen mit den Reaktionen des jeweils Anderen nach dem Kriterium der Ähnlichkeit vergleichen können, müssen sie sich auf die Interaktion selbst beziehen. Weshalb das eine notwendige Bedingung ist, wird deutlich, wenn man sich fragt, wie die Subjekte in Erfahrung bringen könnten, dass der jeweils Andere „denselben Gegenstand im Sinn hat“ wie sie selbst. Dafür, so Davidson, müssen sie ein Bewusstsein von der intersubjektiven Situation haben. Sie sollten wissen, dass sie sich in einer triangulären Situation befinden und selbst ein Teil des Dreiecks sind. Sofern man von den betreffenden Wesen nicht sagen kann, sie reagierten auf die Interaktion, besteht keine Möglichkeit, wie sie sich für ihre Erkenntnisse die dreifältige Beziehung zunutze machen können, durch die unserer Vorstellung Inhalt verliehen wird, daß sie auf einen bestimmten Gegenstand reagieren und nicht auf einen anderen.112

Erst mit dem zweiten Schritt in der Triangulation kommt also der bewusste Gegenstandsbezug ins Bild. Damit man sagen kann, dass ein Lebewesen

110 D. Davidson, „Voraussetzungen für Gedanken“, in: [MS], 5–15, 14/engl., “The Conditions of Thought”, in: J. Brandl/W. L. Gombocz (Hrsg.), The Mind of Donald Davidson, Amsterdam (Grazer Philosophische Studien 36) 1989, 193–200. 111 Welche Reaktionen könnten hier gemeint sein? Naheliegend sind Reaktionen der Zustimmung und Ablehnung. Dabei sollte es sich jedoch nicht um sprachliche Reaktionen wie Zustimmungs- bzw. Ablehnungsäußerungen handeln, sonst liefe die Argumentation in einen Zirkel. Ungerechtfertigtes semantisches Vokabular kann sich aber gar nicht erst einschleichen, wenn festgelegt wird, dass es sich auf dieser Stufe der Triangulation nur um komplexe Verhaltensreaktionen handeln kann, die anzeigen, dass der Interpret die Reaktionen des Sprechers ähnlich findet. Alle Formen von „social referencing“ wären gute Kandidaten für derartiges Verhalten. 112 Davidson, [Sio], 207/engl., [SIO], 120.

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auf einen bestimmten Gegenstand reagiert und auch diesen Gegenstand „im Sinn“ hat, muss es nicht nur mit einem anderen Wesen interagieren, es muss die Interaktion selbst zum Thema machen können. An dieser Stelle folgt dann der entscheidende Schritt der Argumentation: Damit die relevante Ursache tatsächlich „zum gemeinsamen Thema von Sprecher und Interpret“113 werden kann, müssen die Individuen miteinander kommunizieren. Damit zwei Personen voneinander wissen können, daß sie – daß ihre Gedanken – in einer solchen triangulären Beziehung zueinander stehen, ist es erforderlich, daß es zwischen ihnen zur Kommunikation kommt. Jede dieser beiden Personen muß mit der jeweils anderen reden und von der anderen verstanden werden.114

Kommunikation wird von Davidson hier als sprachliche Kommunikation verstanden. Ohne Sprache hätten, so Davidson, „die Akteure keine Möglichkeit, die Dreieckssituation auszunutzen, um Urteile über die Welt zu bilden. Erst wenn eine Sprache gegeben ist, können Lebewesen etwas mit dem Begriff der objektiven Wahrheit anfangen“. 115 Im Ergebnis zeige die Triangulation also Folgendes: Ohne die Verständigung mit einem Anderen gäbe es keine Grundlage für die Idee, man hätte recht oder unrecht mit dem, was man denkt. Es gäbe auch keine Sprache mit empirischen Gehalten, denn ohne die Festlegung auf eine gemeinsame Ursache könnte nichts begrifflich erfasst werden. Eine Sprache, die nur von einem Individuum verstanden wird, kann es also schon deshalb nicht geben, weil, erstens, die für die Festlegung des begrifflichen Gehalts notwendige Bedingung – die Interaktion mit einem anderen Individuum – nicht erfüllt wäre und, zweitens, das Individuum aus den gleichen Gründen nicht über den für eine Sprache konstitutiven Unterschied zwischen „etwas meinen“ und „etwas zu meinen glauben“ verfügen würde. Das Subjekt als Einzelnes, so lautet die Schlussfolgerung, kann weder Überzeugungen haben, noch eine Sprache sprechen, die die Welt begrifflich erfasst. Wenn die Rekonstruktion des Argumentes soweit richtig ist, dann wird eines schnell deutlich: Davidson präsentiert mit der Triangulation kein Argument im Sinne einer Schlussfolgerung aus bestimmten Prämissen. Vielmehr werden durch die Darstellung der triangulären Situation lediglich die Bedingungen zusammengetragen, die sowohl für das Sprechen einer Sprache als auch für das Haben von Überzeugungen gelten sollen. Diese Bedingungen führen jedoch nicht zu einer Erklärung sondern direkt in einen

113 D. Davidson, „Bedeutung, Wahrheit und Belege“, in: [MS], 40–64, 59/engl., „Meaning, Truth and Evidence“, in: [TLH], 47–62, 61. 114. Davidson, [Sio], 209/engl., [SIO], 121. 115 Davidson, [Sio], 223/engl., [SIO], 130.

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Zirkel. Davidson zufolge ist dieser Zirkel aber unvermeidlich, weil er Ausdruck der Interdependenz von Sprache und Denken ist. Neither thought nor language, according to this account, can come first, for each requires the other. This presents no puzzle about priorities: the abilities to speak, perceive and think develop together gradually. 116

Hier ergibt sich dann allerdings unmittelbar eines der gravierendsten Probleme, die mit der Triangulation verbunden sind. Davidson argumentiert nämlich überhaupt nicht für die Interdependenz von Sprache und Denken. Er behauptet lediglich, dass “we grasp the concept of truth only when we can communicate the contents – the propositional contents – of shared experience, and this requires langague”.117 Offensichtlich nimmt er an, dass die in der Triangulation zusammengeführten Bedingungen gar keine andere Schlussfolgerung zulassen. Doch warum sollte das der Fall sein? Wenn die behauptete wechselseitige Abhängigkeit von Sprache und Denken nicht weiter begründet wird, dann ist doch argumentativ gar nicht ausgeschlossen, dass Subjekte auch dann über den Unterschied zwischen einer wahren und einer falschen Überzeugung verfügen können, wenn sie keine Sprache sprechen. Nicht-sprachliche Kommunikation ist für das Verfügen über diese Unterscheidung möglicherweise schon hinreichend. Wenn es überzeugende Argumente entweder für nicht-sprachliche Kommunikation oder für Überzeugungen ohne Sprache gibt, dann kann sich Davidson nicht einfach darauf verlassen, dass die in der Triangulation vorgestellten Bedingungen in evidenter Weise zu der von ihm vertretenen Schlussfolgerung führen.118 Außerdem hätte Davidson in diesem Fall auch nicht gezeigt, dass es keine private Sprache geben kann, zumindest dann nicht, wenn das Argument gegen die Möglichkeit einer privaten Sprache von der begründeten Interdependenz von Sprache und Denken abhängt. Scheitert das Triangulationsargument also in seinen Ansprüchen? Ich denke, dass das Argument nicht auf der ganzen Linie scheitert. Das, was die zusammengeführten Bedingungen zweifellos zeigen können, ist, dass die zweite Person als notwendige Bedingung sowohl für Überzeugungen als auch für das Sprechen einer Sprache anzusehen ist. In den nachfolgenden Abschnitten soll daher gezeigt werden, weshalb durch die Triangulation in der Tat der Nachweis erbracht wird, dass die zweite Person eine nicht abzuweisende notwendige Bedingung ist, und zwar sowohl für Sprache als auch für Überzeugungen.

116 Davidson, [TLH], 141. 117 Ebd. 118 Das scheint auch dann zu gelten, wenn man die Triangulation als ein transzendentales Argument betrachtet.

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3.3.2 Triangulation und Sprache Eines der Ziele, die mit der Triangulation erreicht werden sollten, war der Nachweis, dass eine Privatsprache unmöglich ist. Das Triangulationsargument sollte zeigen, dass es keine Sprache geben kann, die nur von einem Sprecher verstanden werden kann, weshalb Sprache etwas wesentlich Öffentliches sein muss. Um die nachfolgenden Einwände gegen die Triangulation besser verstehen zu können, soll der auf die Sprache bezogene Aspekt noch einmal gesondert betrachtet werden. Für Sprache, so Davidson, ist die Unterscheidung zwischen wahr und falsch konstitutiv; der Begriff der objektiven Wahrheit ist für das Sprechen einer Sprache unabdingbar. Dies deshalb, weil nur ein Sprecher, der etwas mit der Idee des Irrtums anfangen kann, auch weiß, was es heißt, einen Ausdruck richtig oder falsch zu gebrauchen. Aus dieser Überlegung leitet sich auch Wittgensteins Öffentlichkeitsforderung her, die Davidson mit der Triangulation ja begründen will.119 Die Möglichkeit des Irrtums ist Davidson zufolge aber erst im Rahmen der Triangulation gegeben, denn nur durch die Interaktion mit einem anderen Individuum kann das einzelne Subjekt Fehler erkennen.120 Zugleich soll gelten, dass der Begriff der objektiven Wahrheit dem Individuum nur innerhalb einer Sprache verfügbar ist. Und genau das ist auch der Grund sein, der laut Davidson für die Interdependenz von Sprache und Denken spricht. A grasp of the concept of truth, of the distinction between thinking something is so and its being so, depends on the norm that can provide only by interpersonal communication; and of course interpersonal communication, and, indeed, the possession of any propositional attitude, depends on a grasp of the concept of objective truth.121

Wenn Davidson für die Interdependenz nun aber gar keine Begründung liefert, dann hat er an dieser Stelle auch kein Argument vorgestellt, das gegen die Möglichkeit einer Privatsprache spricht. Denn die Intersubjektivität der Sprache ergibt sich hier aus der Forderung nach dem bewussten Gegenstandsbezug, für den laut Davidson das Verfügen über den Begriff der objektiven Wahrheit vorausgesetzt werden muss. Wenn jedoch auf-

119 Vgl. Wittgenstein, [PU] § 258 und § 261. 120 „The interactions of the triangle do not themselves automatically generate this appreciation (of the distinction between belief and truth), as we seen from the example of simple animals, but the triangle does make room for the concept of error (and hence truth) in situations in which the correlation of reactions that have been repeatedly shared can be seen by the sharers to break down.“ Davidson, [TLH], 141. 121 Davidson, [TLH], 124.

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grund des Scheiterns der Interdependenzbegründung noch gar nicht ausgewiesen ist, dass Individuen tatsächlich eine Sprache brauchen, damit ihnen die Unterscheidung zwischen bloßer Überzeugung und dem, was tatsächlich der Fall ist, bewusst wird, dann folgt die Intersubjektivität der Sprache nicht aus dem Verfügen über den Begriff der objektiven Wahrheit. Die Argumentation für die Unmöglichkeit einer Privatsprache steht also noch aus. Aus diesem Ergebnis folgt jedoch nicht, dass sich das gesuchte Argument im Rahmen der Triangulation nicht findet. Meiner Ansicht nach genügt hierfür der erste Schritt der Triangulation, der noch nicht den bewussten Gegenstandsbezug zur Bedingung macht. Was die Triangulation nämlich unstreitig zeigen kann, ist, dass ohne ein zweites Lebewesen, welches die Reaktionen des ersten nach dem Kriterium der Ähnlichkeit mit seinen eigenen vergleicht, die Bestimmung der Referenzgegenstände nicht gegeben wäre. Die Ausdrücke und Begriffe, die ein Individuum im solitären Fall verwendete, hätten schlicht und einfach keinen empirischen Gehalt. Die zweite Person erweist sich damit tatsächlich als notwendig für das Sprechen einer Sprache, sofern die Sprache die Welt begrifflich erfassen soll. Glüer hat gegen diese Überlegung allerdings eingewandt, dass auf der Stufe der Triangulation, auf der lediglich die Reaktionen von Sprecher und Interpret hinsichtlich des Gegenstandsbezugs verglichen werden, die wechselseitige Interaktion noch keine notwendige Bedingung ist.122 Denn auf dieser Stufe vergleicht allein der Interpret die Reaktionen, nicht jedoch der Sprecher.123 Erst mit dem zweiten Schritt und auf der Stufe des bewussten Gegenstandsbezugs komme dann die reziproke Interaktion ins Spiel, weil dort beide Individuen wechselseitig in Erfahrung bringen müssen, welchen Gegenstand sie jeweils im Sinn haben. Für Glüer ist damit der Weg frei hin zu einer lediglich interpretierbaren, aber nicht immer schon interpretierten Sprache. Ist dieser Einwand berechtigt, dann hat das natürlich Auswirkungen auf den hier geforderten Nachweis von Intersubjektivität. Zwar gilt,

122 Vgl. K. Glüer, Sprache und Regeln. Zur Normativität von Bedeutung, Berlin 1999, 75ff. 123 Das gilt allerdings nur im Fall des Spracherwerbs, im Fall der radikalen Interpretation gilt dieser Einwand nicht. Da Davidson aber beide Fälle durch die Triangulation abgedeckt sieht, hat der Einwand durchaus seine Berechtigung. Vgl. „The triangle models the primitive situation in which we take the first step into language, or begin decoding a totally alien language. It is easiest to think of its operation where there is a teacher (or informant) and a learner (or student), but it must apply also to origins of language and to the most ordinary conversations.“ D. Davidson, „Locating Literary Language“, in: [TLH], 167–181, 177, Hervorhebung von mir.

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dass auch eine interpretierbare Sprache die zweite Person zur Bedingung hat, weil sich der Sprecher ja mit Blick auf die zweite ihn interpretierende Person verstehbar machen muss, aber die Reziprozität des Verhältnisses wäre nicht erwiesen. Man müsste also zugestehen, dass dieser Aspekt der Triangulation kein erfolgreiches Argument für ein dem Sprechen einer Sprache zugrunde liegendes intersubjektives Verhältnis liefert, sofern Intersubjektivität eine reziproke Beziehung impliziert. Doch selbst wenn man das zugesteht, folgt daraus nicht, dass der Vorwurf gerechtfertigt ist, mit der Triangulation könne die Unmöglichkeit einer privaten Sprache nicht gezeigt werden. Im Gegenteil: Wenn eine private Sprache als Sprache definiert wird, die nur von einem Individuum verstanden werden kann, dann zeigt die Triangulation fraglos, dass es eine solche Sprache nicht geben kann. Denn interpretierbar ist ein Sprecher nur dann, wenn die Existenz eines Interpreten, der ihn verstehen könnte, als möglich unterstellt wird. Und auch eine nur mögliche zweite Person kann natürlich eine notwendige Bedingung sein. 3.3.3 Triangulation und Objektivität Das zweite mit der Triangulation verbundene Ziel ist es dann, eine Begründung für die These zu liefern, derzufolge nur die Verständigung mit einem anderen Individuum eine Grundlage für die Idee bildet, man hätte recht oder unrecht mit dem, was man denkt, weil allein die Interaktion mit einem anderen Individuum das Erkennen von Fehler ermöglicht. Die einzige für Davidson in Frage kommende Interaktion, die es einem Subjekt aber ermöglichen können soll, sich des Unterschieds zwischen richtig und falsch bewusst zu werden, ist die sprachliche Kommunikation. Der Grund dafür ist schlicht der, dass nur innerhalb einer Sprache einem Subjekt dieser Unterschied auch zu Verfügung steht, weil es nur innerhalb einer Sprache über den Begriff der objektiven Wahrheit verfügen kann. It is with concepts and judgments that we can be said to have the idea of the objective world, a world that is independent of our sensations and experiences. 124

Voraussetzung ist hier natürlich, dass man Begriffe und Urteile nur in einer Sprache haben respektive fällen kann. Das konkrete Argument, das durch die Triangulation hinsichtlich des Objektivitätsaspekts geliefert werden soll, geht dann folgendermaßen: Ein Subjekt verfügt genau dann über den Begriff der objektiven Wahrheit, wenn es sich etwaiger fehlerhafter Bezugnahmen bewusst ist. Die geforderte Bewusstwerdung impliziert, dass es

124 Davidson, [TLH], 160.

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den Gegensatzes zwischen für wahr halten und wahr sein für sich selbst repräsentieren können muss. Es genügt jedenfalls nicht, dass mögliche Beobachter den Unterschied als vorliegend konstatieren, etwa weil das Verhalten des Individuums zu einer solchen Interpretation herausfordert. Um den genannten Gegensatz aber für sich selbst repräsentieren zu können, muss das Subjekt ihn konzeptualisieren können und das schließt wiederum ein, dass ihm die Anwendungskriterien für solche allgemeinen Begriffe wie den des Fehlers oder den der Überzeugung bekannt sein müssen.125 Letztlich soll deshalb gelten: Erstens (..), um eine Überzeugung zu haben, (ist es) nötig, über den Begriff der Überzeugung zu verfügen. Zweitens (..), um den Begriff einer Überzeugung zu haben, (muss) man eine Sprache können.126

Was die Triangulation also zeigen soll, ist, dass jeder bewusste Gegenstandsbezug Sprache erfordert, weil er impliziert, dass man über den Begriff einer Überzeugung verfügen muss, der aber nur in einer Sprache zur Verfügung steht. Die behauptete Intersubjektivität käme an dieser Stelle also aus der Sprache. Da eine private Sprache nicht möglich ist, und der für das Haben von Überzeugungen notwendige Begriff der objektiven Wahrheit dem Individuum nur innerhalb einer Sprache zur Verfügung steht, ist die zweite Person auch eine notwendige Bedingung für das Haben von Überzeugungen. Nun sollte eigentlich im Fall des Begriffs der Objektivität ebenso gelten, dass mit dem Scheitern der Interdependenzbegründung nicht nachgewiesen ist, dass für das Verfügen über den Unterschied zwischen wahr und falsch (oder wahr und für wahr gehalten) tatsächlich das Sprechen einer Sprache erforderlich ist. Aber ganz so einfach ist die Sachlage hier nicht. Denn die Schlagkraft, die Davidson dem Triangulationsargument für den Aspekt der Objektivität unterstellt, beruht auf dem Gedanken, dass man Überzeugungen nur dann haben kann, wenn man auch über den Begriff der Überzeugung verfügt. Und da Davidson annimmt, dass propositionale Einstellungen in holistischer Weise von weiteren Überzeugungen abhängig sind, soll außerdem gelten, dass für alle propositionale Einstellungen das Verfügen über die entsprechenden allgemeinen Begriffe vorausgesetzt werden muss. So soll beispielsweise ein Individuum erst dann Fehler erkennen und Wünsche haben können, wenn es auch über den Begriff des

125 „To have a concept is to classify objects or properties or events or situations while understanding that what has been classified may not belong in the assigned class. The infant may never say „Mama“ except when its mother is present, but this does not prove conceptualization has taken place, even on a primitive level unless a mistake would recognized as a mistake.“ Davidson, [TLH], 139. 126 Davidson, [Sio], 179/engl., [SIO], 102. Hervorhebungen von mir.

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Fehlers bzw. des Wunsches verfügt.127 Es ist also nicht das Triangulationsargument allein, das hier zeigen soll, wie Sprache und Objektivität zusammenhängen; es ist vor allem Davidsons Definition davon, was es heißt, eine Überzeugung zu haben. Will man zeigen, was am Triangulationsargument möglicherweise nicht stimmt, dann muss man deutlich machen, weshalb Davidsons Überzeugungsbegriff nicht richtig sein kann. Denn erst in diesem Fall schlägt das Triangulationsargument tatsächlich fehl. Gegen Davidsons Bestimmung der notwendigen und hinreichenden Bedingungen für Überzeugungen sind natürlich diverse Einwände vorgebracht worden. Ganz allgemein lassen sich zwei Hauptkritikpunkte unterscheiden. 1. Der erste allgemeine Einwand beruht auf der Annahme, dass es propositionale Einstellungen mit einem nicht-begrifflichen Gehalt geben muss. Erwiese sich dieser Einwand als richtig, dann könnte eine der Voraussetzungen für die Triangulation nicht aufrechterhalten werden: die wechselseitige Abhängigkeit von propositionalen Einstellungen und Überzeugungen. Vor allem Wahrnehmungen, so wird entgegnet, können als Beispiel für nicht-begriffliche propositionale Einstellungen gelten.128 Hier gibt es wiederum verschiedene Möglichkeiten der Argumentation. Zum einen kann man annehmen, dass Klassifikation als Bedingung für Überzeugungen nicht notwendigerweise Konzeptualisierung voraussetzen muss. In diesem Fall könnte man behaupten, es gäbe Überzeugungen, deren Gehalt nicht-begrifflich ist, weil er nicht der klassischen Begriffsdefinition unterliegt, der zufolge ein Subjekt S genau dann den Begriff F hat, wenn es F als F repräsentieren kann. Stattdessen reicht möglicherweise diskriminierendes Verhalten aus, das anzeigt, dass S in der Lage ist, Dinge, die F sind, von Dingen, die nicht-F sind, zu unterscheiden.129 Ein klarer Einwand wäre hier allerdings, dass Klassifizierung im Rahmen dieser Konzeption lediglich eine referentielle Angelegenheit wäre, ohne die Möglichkeit „feine Unterschiede“ zu konstatieren. Ein wichtiges Kriterium für Überzeu-

127 Am Beispiel der Überraschung: „Überraschung setzt voraus, daß mir ein Gegensatz zwischen der früheren und der späteren Überzeugung bewußt ist. Diese Art von Bewußtsein ist jedoch eine Überzeugung über eine Überzeugung: Wenn ich überrascht bin, gelange ich unter anderem zu der Überzeugung, daß etwas, das ursprünglich geglaubt hatte, falsch ist.“ Davidson, [Sio], 182/engl., [SIO], 104. 128 Für einen allgemeinen Überblick über die These vom nicht-begrifflichen Gehalt siehe den Eintrag „Nonconceptual Mental Content“ in der Online-Version der Stanford Encyclopedia of Philosophy: http://plato.stanford.edu/entries/contentnonconceptual. 129 Vgl. J. Dupré, Humans and other animals, Oxford 2002,J. L. Bermúdez, Thinking without words, Oxford 2003, C. Peacock, A Study of Concepts, Cambridge/Mass. 1992.

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gungen sei aber, so Davidson, dass ein Subjekt solche „feinen Unterscheidungen“ treffen können muss, damit ihm überhaupt eine entsprechende Überzeugung zugeschrieben werden kann: Es fällt schwer, der Intensionalität, auf die wir bei der Zuschreibung von Gedanken große Stücke halten, viel Gewicht beizumessen, wenn die Sprache fehlt. Wir sagen, der Hund wisse, daß sein Herr zu Hause ist. Weiß er jedoch, daß Herr Schmitz (der sein Herr ist) zu Hause ist oder daß der Bankdirektor (der ebenfalls kein anderer ist als sein Herr)zu Hause ist?130

Mit anderen Worten: In intensionalen Kontexten muss sowohl die Substitution bezugsgleicher Termini als auch die Unterscheidung von Gedankenformen (z.B. konditionale von assertorischen Gedanken etc.) prinzipiell möglich sein, sonst sind es eben keine intensionalen Kontexte. Eine andere Möglichkeit, die Idee eines nicht-begrifflichen Gehalts zu plausibilisieren, besteht dann darin, generell zu bestreiten, dass Wahrnehmungen Überzeugungen sind. In diesem Fall könnte man behaupten, dass zwar sowohl Wahrnehmungen als auch Überzeugungen einen propositionalen Gehalt haben, Wahrnehmungen aber trotz ihrer propositionalen Struktur ohne begrifflichen Inhalt sind.131 Dieser Vorschlag verpflichtet seine Vertreter allerdings auf die Idee der mentalen Repräsentation; eine Idee, deren Plausibilität Davidson, wie wir gesehen haben, grundsätzlich bestreitet.132 Der erste Einwand gegen Davidsons Bestimmung der notwendigen Bedingungen für Überzeugungen ist also eher grundsätzlicher Natur; er richtet sich gegen Davidsons Verständnis des Verhältnisses von Geist und Welt. Im Gegensatz zu Davidson müssen die Vertreter eines nicht-begrifflichen Inhalts nämlich annehmen, dass kausale Beziehungen zu einem wie auch immer näher zu spezifizierenden epistemischen Gehalt führen, dass Ursachen also zu Gründen werden können. Searle bringt das auf den Punkt, wenn er sagt: Bezeichnenderweise legt Wahrnehmung bei Tieren wie bei Menschen Überzeugungen fest, und gemeinsam mit Wünschen bestimmen Überzeugungen den Verlauf einer Handlung.133

130 Davidson [WuI] 236/engl., [ITI], 163. „Gedanken“ steht hier für propositionale Einstellungen und Überzeugungen, ganz im Sinne Descartes. 131 Siehe dazu E. Sosa/M. Steup (Hrsg.), Contemporary Debates in Epistemology, Oxford 2005. 132 Siehe die Seiten 186ff. in dieser Arbeit. 133 J. R. Searle, „Der Geist der Tiere“, in: D. Perler/M. Wild (Hrsg.), Der Geist der Tiere, Frankfurt/Main 2005, 132–152, 141/engl., „Animal Mind“, in: Midwest Studies in Philosophy 19, 1994, 206–219, 213.

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Ähnlich, aber präziser in der Beantwortung der Frage, wie nichtbegriffliche Wahrnehmungen zu begrifflichen Überzeugungen führen, argumentiert Crane: Wenn eine Wahrnehmung, dass p, die Überzeugung, dass p, verursacht, dann ist der Gesamtgehalt dieser beiden Zustände vom selben Typ, nämlich p. Die (kausale) Beziehung zwischen Wahrnehmungen und Überzeugungen findet auf der Ebene von Gesamtgehalten statt. Auf der Ebene der Wahrnehmung setzen sich diese Gehalte nicht aus Begriffen zusammen. Begriffe spielen erst dann eine Rolle, wenn das Subjekt die aufgrund von Wahrnehmungen gebildeten Überzeugungen und die Wünsche, die es hat, zum Nachdenken verwendet – die Überzeugung erst ‚verbegrifflicht‘ sozusagen den Wahrnehmungsgehalt.134

Unter dieser Voraussetzung gibt es natürlich keine Schwierigkeiten mit der Position, dass wahre von falschen Überzeugungen und befriedigte von unbefriedigten Wünschen auch ohne das Verfügen über solche Begriffe wie „Wahrheit“, „Falschheit“, „Befriedigung“, „Wunsch“ und „Überzeugung“ unterschieden werden können. Die Prädikate wahr und falsch, so argumentiert Searle weiter, würden nicht als metasprachliche Prädikate verwendet, sondern „um Erfolg und Versagen von Repräsentationen im Erreichen von Übereinstimmung der Geist-auf-Welt-Ausrichtung einzuschätzen“.135 Weshalb laut Searle hier folgen muss, dass ein Lebewesen für die Unterscheidung von wahren und falschen Überzeugungen „genauso wenig eine Sprache (braucht), wie es sie braucht, um befriedigte von unbefriedigten Wünschen zu unterscheiden“.136 Davidson lehnt diese Annahme jedoch aus zwei zum Teil schon diskutierten Gründen ab. So verweist er zum einen auf die generellen Schwierigkeiten, die mit dem Mythos des Gegebenen zusammenhängen, und die das Verhältnis von nicht-interpretierter Erfahrung und Begriffsschema betreffen.137 Zum anderen glaubt er, dass sich Wahrnehmungen schon aus holistischen Gründen nicht „verbegrifflichen“ lassen. Denn um einem Individuum nur eine einzige propositionale Einstellung zuschreiben zu können, muss man, so Davidson, bereit sein, ihm eine „Fülle weiterer Überzeugungen“ zuzuschreiben, da nur „im Rahmen eines dichten Netzes (dense network) verwandter Überzeugungen“138 sich

134 T. Crane, „Der nicht-begriffliche Gehalt der Erfahrung“, in: ders., Intentionalität als Merkmal des Geistigen, Frankfurt/Main 2007, 90–119, 117/engl., „The NonConceptual Content of Experience“, in: T. Crane (Hrsg.), The Contents of Experience, Cambridge 1992, 136–157, 155. 135 Searle, 2005, a. a. O., 141/engl., a. a. O, 213. 136 A. a. O., 142/engl., a. a. O., 124. 137 Siehe S. 212, Fn. 103. 138 Davidson, [Sio], 172/engl., [SIO], 98.

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propositionale Einstellungen und Überzeugungen überhaupt auseinanderhalten und identifizieren lassen. 2. Der andere Einwand gegen Davidsons Überzeugungsbegriff nimmt hingegen die Kritik am Mythos des Gegebenen ernst und greift ihn nicht in seinem grundsätzlichen Verständnis der Geist-Welt-Beziehung an. Dieser Einwand besagt stattdessen, dass die angeführte Prämisse zwar nicht falsch aber doch zu stark sei, weil für Überzeugungen der Besitz einfacher Begriffe hinreichend ist. Daraus folge dann, dass es keine notwendige Bedingung für Überzeugungen sei, dass Subjekte über allgemeine, sprachlich manifestierbare Begriffe, wie den der Überzeugung oder den des Fehlers, verfügen müssen. Als Vertreter einer solchen Position soll hier Glock genannt werden. Gegen die Annahme einfacher Begriffe spräche genau dann nichts, so argumentiert er, wenn man zum einen von einem holodoxastischen im Gegensatz zu dem von Davidson favorisierten holophrastischen Ansatz ausgehe und zum anderen bestimmte Kriterien annehme, die für erfolgreiche Klassifizierung erfüllt sein müssen.139 Der holodoxastische Ansatz schreibt Lebewesen Überzeugungen nicht nur aufgrund ihrer Zustimmung zu ganzen Sätzen (holophrastisch) zu sondern auch dann, wenn sie durch komplexes Verhalten anzeigen, dass sie sich hinsichtlich bestimmter Sachverhalte irren und bestimmte Absichten und Wünsche haben, ohne dies jedoch sprachlich äußern zu können. Glocks Vorschlag lässt sich mit dem hier schon diskutierten Gedanken Perrys von der Akzeptanz von Sätzen weiter konturieren. Zur Erinnerung: Perry ging davon aus, dass die Akzeptanz von Sätzen ein probates Mittel zur Identifizierung von Überzeugungen, genauer: Überzeugungszuständen, darstellt, wobei gelten soll, dass die Akzeptanz des entsprechenden Satzes nicht selbst Teil des Überzeugungszustandes ist. Das Individuum muss also dem Satz, der seinen Überzeugungszustand identifizieren kann, nicht selbst zustimmen oder zustimmen können. Damit können auch nicht-sprachlichen Wesen und sprachlich noch nicht entwickelten Kleinkindern Überzeugungszustände zugesprochen werden, die über die Akzeptanz eines Satzes insofern bestimmt sind, als dass ihr Verhalten anzeigt, dass sie dem entsprechenden Satz zustimmen würden, sprächen sie eine Sprache. Der so präzisierte holodoxastische Ansatz140 ermöglicht eine Zuschreibung von Überzeugungen

139 H.-J. Glock, „Begriffliche Problem und das Problem des Begrifflichen“, in: D. Perler/M. Wild (Hrsg.), Der Geist der Tiere, Frankfurt/Main 2005, 153–187, 171. 140 Durch die hier vorgenommene Präzisierung sollte deutlich geworden sein, dass auch der holodoxastische Ansatz nicht auf Sätze verzichten kann, die Überzeugungen identifizieren. Der Unterschied zum holophrastischen Modell besteht

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bei gleichzeitigem Verzicht auf die Zuschreibung von Sprache (und möglichweise sogar auf Begriffe). Da das holodoxastische Modell das Verhalten der Lebewesen gegenüber ihrer natürlichen Umgebung als Beleg für die Überzeugungszuschreibung in Anspruch nimmt, ist es allerdings „auf einfache Überzeugungen beschränkt, nämlich über Phänomene, die das Subjekt wahrnehmen kann“.141 Wichtig ist an dieser Stelle, dass die Rede von „Verhaltensbelegen“ den befürchteten Mythos des Gegebenen nicht wieder ins Recht setzt. Denn die Belege fungieren nicht als Rechtfertigung für die Zuschreibung von Überzeugungen. Überzeugungen werden nach wie vor durch Sätze identifiziert und sie erfahren ihre Rechtfertigung durch weitere Überzeugungen. Das holodoxastische Modell ist allerdings mit einer Einschränkung des holistischen Netzes verbunden. Auf diese Weise entsteht keine harte Trennlinie zwischen einem Begriff der Überzeugung, der nur deren referentiellen Aspekt abdeckt und einem anderen Begriff der Überzeugung, der auch die Möglichkeit zulässt, „feine Unterschiede“ zu konstatieren. Glock schreibt dazu: Es gibt größere und kleinere Netze. Welche Art von Netz notwendig ist, hängt von der Überzeugung und vom Subjekt ab. Aus der Tatsache, dass Tiere unser Netz von Überzeugungen und unsere Begriffe nicht teilen, folgt keineswegs, dass ihnen jegliche Überzeugungen oder Begriffe abgehen.142

Doch welche Begriffe kämen hier in Frage? Glock schlägt drei Kriterien vor, die erfüllt sein sollten, wenn Begriffsbildung über die Fähigkeit zur Klassifikation erläutert wird: Normativität, Absichtlichkeit und Flexibilität. Normativität ist dann gegeben, wenn ein Subjekt einer Regel folgen kann und nicht nur in Übereinstimmung mit ihr handelt. Das Kriterium der Regelbefolgung ist für die Unterscheidung von begrifflichen im Gegensatz zu bloß selektiven Verhalten notwendig, glaubt Glock, weil das Prinzip, welches Fs von nicht-Fs unterscheidet, Teil der Gründe sein muss, die das Individuum für diese Unterscheidung hat. Wenn ein Subjekt Dinge klassifizieren kann, muss es prinzipiell auch möglich sein, dass es einen Fehler macht und diesen zugesteht, etwa durch die Korrektur seines Verhaltens. Glock betont nun, dass ohne die Absicht sich in bestimmter Art und Weise zu verhalten, Fehler nicht als solche zu bestimmen wären, da nur gegenüber absichtlichem Verhalten der Vorwurf einer Fehlklassifikation auch sinnvoll ist. Aus diesem Grund ist auch Absichtlichkeit ein notwendiges Kriterium. Laut dem dritten Kriterium – Flexibilität oder Freiwilligkeit – nur darin, dass die Individuen die Sätze nicht selbst verwenden können müssen, um ihre Zustimmung zur Identifizierung der Überzeugung zu geben. 141 Glock, 2005, 172. 142 Glock, 2005, 185.

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sollte ein Subjekt über Möglichkeiten eines alternativen Verhaltens verfügen können, also anders handeln können, damit ihm der Besitz einfacher Begriffe zugesprochen werden kann. Sobald die genannten Kriterien jedoch als erfüllt unterstellt werden können, spräche, so Glock, im Prinzip nichts gegen „die Möglichkeit nicht-sprachlicher Begriffsbildung und damit nicht-sprachlicher begrifflicher Gedanken“.143 Schnädelbach erweitert die Kriterien für die Bildung einfacher Begriffe dann um ein wesentliches Kriterium: den Sinn für Negativität. Der Sinn für Negation, so Schnädelbach, sei konstitutiv dafür, dass etwas als etwas identifiziert werden kann, denn erst durch das „negative Absehen von (…)“ könnten Sachverhalte spezifiziert werden. Die Fähigkeit zur Negation sei eine aktive kognitive Leistung eines Lebewesens; sie kann nicht als bloß instinktive Reizselektion verstanden werden. Schnädelbach argumentiert nun, dass die Negation zwar ihrer Struktur nach propositional ist und als eine „an Zeichen gebundene Leistung des Denkens im weitesten Sinne“144 verstanden werden muss, dass sie aber nicht das Sprechen einer Sprache voraussetze. Stattdessen genüge die Fähigkeit zum Symbolgebrauch. Dieser sei dann aber eine notwendige Bedingung für Negation, da es keine negativen Sachverhalte geben könne, sondern nur sie betreffende Behauptungen. Wenn Schnädelbach hier zuzustimmen ist, dann stellt sich die Frage, welche Symbole an dieser Stelle in Frage kämen. Die Bandbreite ist groß. Möglich sind Anzeichen, Indizes oder Symptome wie Rauch bei Feuer, Blut bei Wunden oder auch ein Laut, der Gefahr anzeigt. Wichtig ist dabei zum einen, dass bestimmte Merkmale erkannt werden, die für den Gegenstand stehen oder diesen charakterisieren und zum anderen, dass der Symbolgebrauch die Sachverhaltsstruktur wiederspiegelt. In diesem Sinne wären einfache Begriffe dann solche, durch die ein Lebewesen einen Gegenstand aufgrund bestimmter Merkmale erkennt, wobei dieses Erkennen einerseits eine Sachverhaltsstruktur hat und andererseits den Gebrauch von Symbolen (etwa Lautgebärden) impliziert. Wenn diese Überlegung richtig ist, dann folgt hier, dass symbolische Repräsentation für Klassifikation ausreichend ist, weshalb Begriffe nicht notwendigerweise sprachlich sein müssen im Sinne einer komplexen natürlichen Sprache. Die Diskussion darüber, ob die genannten Kriterien tatsächlich alle für den Besitz einfacher Begriffe notwendig sind, kann an dieser Stelle nicht geführt werden. Für den Einwand gegen den von Davidson verteidigten Überzeugungsbegriffs ist zunächst nur wichtig, dass es durchaus plausible Argumente gibt, die dafür sprechen, dass das Verfügen über allgemeine Begriffe keine notwendige

143 Glock, 2005, 182. 144 Schnädelbach, 2004, 232.

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Bedingung für das haben von Überzeugungen sein muss. Wenn aus der Konzeption einfacher Begriffe folgt, dass ein Lebewesen auch dann Überzeugungen haben kann, wenn es nicht über den Begriff der Überzeugung verfügt, und die Konzeption so aufgefasst ist, dass sie auch nicht den Mythos des Gegebenen zum Leben erweckt und zugleich dem Holismus Rechnung trägt, dann spricht eigentlich nichts wirklich für Davidsons starken Überzeugungsbegriff. Beide hier diskutierten Einwände können somit Eines deutlich machen: Es gibt gute Gründe, an der Richtigkeit von Davidsons Definition einer Überzeugung zu zweifeln. Vor allem der letzte Einwand zeigt, dass aus der Ablehnung des Mythos des Gegebenen und der Verpflichtung auf den Holismus nicht notwendigerweise folgen muss, dass das Verfügen über allgemeine Begriffe eine Bedingung für Überzeugungen darstellt. Das ist nämlich genau dann nicht der Fall, wenn man zum einen an der propositionalen oder begrifflichen Struktur festhält und zum anderen auf einen moderaten Holismus ausweicht. Um einem Lebewesen Überzeugungen zuschreiben zu können, muss dieses nicht notwendigerweise eine komplexe natürliche Sprache sprechen. Damit ist aber zugleich der Versuch fehlgeschlagen, das Scheitern der Interdependenzbehauptung im Rahmen der Triangulation von anderer Seite her aufzufangen. Und wir kommen zu folgendem Ergebnis: Weder ist es so, dass die mit der Triangulation zusammengetragenen Bedingungen ohne weiteres zu der Behauptung führen, dass Sprache und Denken wechselseitig voneinander abhängen, noch weist die von Davidson verteidigte Definition des Überzeugungsbegriffs zweifelsfrei nach, dass diese Interdependenz besteht. 3.3.4 Triangulation und zweite Person Was bedeutet das Resultat des vorhergehenden Abschnitts nun für die Frage nach der zweiten Person als einer notwendigen Bedingung für Überzeugungen? Ist das Triangulationsargument auch in dieser Hinsicht gescheitert? Ich denke, dass es Gründe gibt, an an der Triangulation als Argument für intersubjektive Bedingungen festzuhalten. Welche das sind, kann in der Diskussion eines Einwandes deutlich werden, den McDowell gegen Davidson vorgebracht hat. McDowell anerkennt, dass der Dualismus von Begriffsschema und Begriffsinhalt zu der mit dem Mythos des Gegebenen kritisierten Spannung führt und er betont, dass diese Spannung aufgelöst werden sollte. Zugleich verteidigt er aber die Idee einer externen Kontrolle, ein Gedanke, der, wie er glaubt, zu verschwinden drohe, wenn sich Kohärenztheorien als wahr erweisen sollten. Auch Davidson glaubt, dass Kohärenztheorien nicht

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wahr sein können. Der Unterschied zwischen Davidson und McDowell besteht allerdings darin, dass Davidson ganz auf Erfahrung als Rechtfertigungsbasis verzichten will, während McDowell glaubt, es käme auf eine Neubestimmung der Erfahrung an, die dann doch die erforderliche externe Kontrolle ausüben könnte. McDowells Vorwurf gegen Davidson lautet somit: Davidsons Bild stellt unser Denken so dar, als sei es gar keiner äußeren Kontrolle ausgesetzt, sondern nur einem äußeren kausalen Einfluß. Das führt aber gerade zu der besorgniserregenden Frage, ob das Bild den Platz für die Art von Realitätsbezug hat, den der empirische Inhalt erfordert, und das ist gerade die Art von Sorge, die es notwendig erscheinen lassen kann, sich auf das Gegebene zu berufen. Und Davidsons tut nichts, um unsere Ängste zu lindern.145

Tatsächlich wird aber mit dem Triangulationsargument die von McDowell geforderte externe Kontrolle bereitstellt. Hier finden wir also Linderung für unsere Ängste. McDowell kritisiert zunächst, dass Davidsons Argument, wonach im Rahmen der Interpretation unterstellt werden muss, dass die Mehrzahl der Überzeugungen des zu interpretierenden Sprechers wahr seien, zu spät ansetze, um nicht bestimmten kohärentistischen Konsequenzen zu unterliegen (etwa der, dass sowohl Sprecher als auch Interpret Gehirne im Tank seien). Die einzige Möglichkeit, diese Konsequenzen zu vermeiden, und Überzeugungen mit einem empirischen Inhalt zu versehen, besteht seiner Meinung nach darin eine äußere rationale Kontrolle als notwendig anzusehen. Diese Kontrolle schreibt McDowell der Erfahrung selbst zu, die als schon begrifflich strukturiert angesehen werden muss.146 In dem Moment, in dem Subjekte eine Erfahrung machen, die veridisch ist, erfassen sie, dass „die Dinge so und so sind“147 und dass die Dinge so und so sind, macht sowohl den Inhalt der Erfahrung als auch den Inhalt des entsprechenden Urteils aus. Mit dem Triangulationsargument lässt sich nun aber zeigen, dass diese Kontrolle nicht der Erfahrung inhärent ist, sondern von der zweiten Person ausgeht, die die Erfahrung des einzelnen Individuums bestätigt und so allererst als die Erfahrung ausweist, dass die Dinge so und so sind. Das geschieht dadurch, dass überhaupt erst durch die zweite Person ein bestimmter Reiz als Ursache einer Überzeugung bestätigt wer-

145 McDowell, 2001, 38/engl., McDowell, 1994, 14. 146 „In meiner Konzeption wird dem Bedürfnis nach äußerer Kontrolle durch die Tatsache entsprochen, daß Erfahrungen tätige Rezeptionen sind. Das raubt den Erfahrungen jedoch nicht die Fähigkeit, eine Rolle bei der Rechtfertigung zu spielen, wie das der entsprechende Gedanke im Mythos des Gegebenen tut, weil behauptet wird, daß Erfahrungen bereits selbst über begrifflichen Inhalt verfügen“ McDowell, 2001, 50f/engl., 1994, 25f. 147 A. a. O., 51/engl., a. a. O., 26.

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den kann. Für diese Bestätigung ist jedoch, anders als Davidson selbst glaubt, der bewusste Gegenstandsbezug, der das Verfügen über allgemeine Begriffe erfordert, noch nicht notwendig. Die rationale Kontrolle durch ein zweites Individuum setzt folglich längst nicht so spät an, wie McDowell kritisiert, sondern schon dort, wo bestimmte Reize, aufgrund der erfolgten Bestätigung, als Ursachen interpretiert und Überzeugungen auf diese Weise mit einem empirischen Inhalt ausgestattet werden. Doch selbst wenn man der Meinung ist, dass rationale Kontrolle immer mit einem bewussten Gegenstandbezug einhergehen muss, ist nach den vorherigen Überlegungen nicht ausgemacht, dass dafür allgemeine Begriffe erforderlich sind. Was allerdings tatsächlich notwendig ist, ist die Kommunikation zwischen den Individuen, denn nur durch Kommunikation kann die Bestätigung auch erfolgen, die dann den entsprechenden Reiz als Ursache festlegt. Diese Kommunikation kann aber durchaus im Bereich der symbolvermittelten Verständigung bleiben, sie muss nicht sprachlich sein. Ein Beispiel aus der Literatur über die Frage, ob Tiere Überzeugungen haben, mag das verdeutlichen. Junge Meerkatzen, die einen Adler-Alarmruf ausstoßen, werden durch ältere Meerkatzen nur dann durch eine Wiederholung des Rufes bestätigt, wenn auch tatsächlich ein Adler naht. Bleibt der Bestätigungsruf aus, hat sich das Junge in der Referenz seines Rufes und geirrt.148 Für die Korrektur der Überzeugung „Es naht ein Adler“ in die Überzeugung „Es naht kein Adler“ ist die kommunikative Interaktion zwischen den jungen und den älteren Affen daher eine notwendige Bedingung. Erst dadurch, dass es diese Form der Bestätigung gibt, kann das einzelne Individuum die Erfahrung machen, dass die Dinge „so und so“ sind und dafür ist symbolvermittelten Kommunikation mit einem zweiten Individuum – wie die genannte Signalsprache – eine notwendige Bedingung. Symbolische Repräsentation ist also in einem diskursiven Verständigungskontext zu verorten. Die von McDowell eingeforderte äußere rationale Kontrolle muss folglich als Bestandteil der Kommunikation mindestens zweier Individuen angesehen werden; sie ist kein Teil der Erfahrung eines solitären Subjektes. Man kann daher auf Davidsons Befürchtung, dass „concept formation not a way station between mere dispositions, no matter how complex or learned, and judgment“ 149 sei, folgendermaßen reagieren: Es ist das Interagieren zweier Subjekte, welches aus bloßen Dispositionen begrifflich bewertbare Reaktionen macht, welche Wahrnehmungen verbegrifflicht. Insofern zeigt die

148 Vgl. dazu D. L. Cheney/R. M. Seyfarth, „Vocal Development in Vervet Monkeys“, in: Animal Behavior 34, 1986, 1640–1658; T. M. Caro/M. D. Hauser, „Is There Teaching in Nonhuman Animal?“, in: Quarterly Review of Biology 67, 1992, 151– 174. 149 Davidson, [TLH], 139.

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Triangulation in der Tat, dass ein Subjekt nur dann eine Überzeugung mit einem bestimmten Inhalt haben kann, wenn es mindestens ein anderes Wesen gibt, mit dem das erste kommuniziert. Zugleich bildet die zweite Person die Klammer zwischen der Annahme, dass Überzeugungen nur durch weitere Überzeugungen gerechtfertigt werden können und der Annahme, dass Ereignisse und Gegenstände der Außenwelt dafür verantwortlich sind, dass wir bestimmte Dinge über eben diese Objekte glauben und mit unseren Äußerungen auf sie bezug nehmen können. Die trianguläre Situation beschreibt also in der Tat das Muster, das jeder einzelnen Überzeugung und dem Sprechen einer empirisch gehaltvollen Sprache zugrunde liegt. Und auch wenn die Triangulation weder die Ansprüche erfüllt, die Davidson ihr zuschreibt, noch als ein Argument im eigentlichen Sinne verstanden werden kann, zeigt sie doch, dass die zweite Person eine notwendige Bedingung dafür ist, dass ein Subjekt Überzeugungen und eine Sprache haben kann. Insofern wird zwar mit der Triangulation nicht auf direkte Weise für intersubjektive Bedingungen von Selbstbewusstsein argumentiert, gleichwohl aber dafür, dass Begriffe generell in der Kommunikation mit anderen Subjekten erworben werden. Und das gilt auch für den Begriff, den ein selbstbewusstes Subjekt von sich selbst hat.

IV. Schlussbetrachtung Die Argumente, die für eine intersubjektive Bedingtheit von Selbstbewusstsein sprechen, sind vielfältig und vielschichtig. Das müssen sie auch sein, denn zunächst scheint es ja, als würde eine Theorie von Selbstbewusstsein, die Intersubjektivität zu dessen notwendigen Bedingungen zählt, unseren epistemischen Intuitionen deutlich widersprechen. Wieso sollte irgendeine Beziehung zu anderen Subjekten eine notwendige Bedingung dafür sein, dass ich weiß, was ich denke? Schließlich bin nur ich selbst in der Position mich in reflexiver Weise auf meine eigenen mentalen Zustände zu beziehen. Ich kenne meine eigenen Gedanken und Wünsche wie kein zweiter. Welche Rolle sollte der Andere hier also spielen können? Doch auch wenn uns diese Intuitionen zunächst klar zu sagen scheinen, dass mit jenen Selbstbewusstseinstheorien, die das einzelne Subjekt in einer solitären Erkenntnissituation in den Blick nehmen, eigentlich alles in Ordnung sein müsste, ist dies eben nicht der Fall. Mit der Zirkularität und der Verpflichtung auf den epistemischen Dualismus sind zwei der Probleme benannt, die eine Erklärung von Selbstbewusstsein im Rahmen solcher Theorien schwierig macht. Und beide Probleme erfordern es, in der Bestimmung von Selbstbewusstsein neue Wege zu gehen. Der Dualismus, der aus dem Versuch resultiert, Selbstbewusstsein als ein infallibles oder unkorrigierbares, auf jeden Fall aber privilegiertes Wissen von sich selbst zu verstehen, verdunkelt die Erklärung eher als sie zu erhellen. Wenn sich die Kriterien der Identifizierung mentaler Zustände in Abhängigkeit von der Zuschreibungsperspektive ändern, dann hat das nicht nur Konsequenzen für die Bedeutung psychologischer Prädikate sondern auch für die Identifizierung der Zustände selbst. Für letztere lässt sich schlicht kein subjektives Identifizierungskriterium finden, das den einen mentalen Zustand im Unterschied zu anderen möglichen Zuständen qualifiziert, und psychologische Prädikate hätten erst gar keine Bedeutung, wenn sie nicht unterschiedlichen Subjekten perspektivenunabhängig zugeschrieben werden könnten. Und das Zirkelproblem taucht in unterschiedlicher Gestalt – als Selbstvertrautheit oder Meinigkeit – überall dort auf, wo man ihm eigentlich durch die Annahme eines zugrunde liegenden Wissens (von sich selbst) aus dem Weg gehen wollte. Es sind diese Erklärungslücken, die letztlich zu der Behauptung führen, dass „Selbstbewusstsein“ als Phäno-

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Schlussbetrachtung

men und als Begriff nur dann vollständig erläutert werden kann, wenn man die für es geltenden intersubjektiven Bedingungen aufklärt. Auf die Frage, was genau die intersubjektiven Bedingungen von Selbstbewusstsein sind, habe ich eine zweifache Antwort gegeben. Selbstbewusstsein hat einmal deshalb intersubjektive Bedingungen, weil es eine nicht abzuweisende Bedingung für den Erwerb des Selbstbegriffs ist, dass ein Individuum in kommunikativen Interaktionen mit anderen Subjekten steht. Es hat andererseits aber auch deshalb intersubjektive Bedingungen, weil Selbstzuschreibungen durch „ich“-Sätze, den gleichen Bedingungen unterliegen, die für alle Sätze einer Sprache gelten: Sie müssen, um Bedeutung zu haben von mindestens einer weiteren Person verstanden werden. Zunächst zum Begriff des Selbst. Den Selbstbegriff für das grundlegende Datum zu nehmen, ergibt sich als Erfordernis für Theorien, die mit dem Begriff auch das natürliche Phänomen „Selbstbewusstsein“ erklären wollen. Selbstbewusste Subjekte, die über einen Selbstbegriff verfügen, verstehen sich als Träger psychologischer Zustände, durch die sie sich als einzelne und besondere Subjekte im Unterschied zu Anderen bestimmen. Dafür ist es natürlich notwendig, dass sie sich selbst psychologische Zustände zusprechen, und dies geschieht im kommunikativen Umgang mit anderen Subjekten. Dass die Kommunikation mit Anderen die entscheidende Voraussetzung für die Entwicklung von Selbstbewusstsein ist, liegt daran, dass sowohl die Bestimmung der eigenen Einstellungen als auch der Anstoß, der zu dieser auffordert, interpretativer Natur ist. Denn nur in der Interaktion begegnen die Anderen dem einzelnen Subjekt mit Ansprüchen und Erwartungen, auf die es nur dann entsprechend reagieren kann, wenn es sich seine eigenen Einstellungen bewusst macht. Und dafür muss das Subjekt die Ansprüche und Erwartungen der Anderen verstehen. Ohne die Ansprache anderer und die Fähigkeit darauf mit der Bestimmung der eigenen Einstellungen zu reagieren, könnte ein einzelnes Subjekt keinen Selbstbegriff entwickeln. Die Aufforderung zur Vergewisserung der eigenen Subjektivität ist dabei jedoch nicht so zu verstehen, dass durch sie ein Vermögen zur Selbsterkenntnis in Gang gesetzt wird, dem ein subjektiver, der Reflexion vorgängiger Selbstbegriff immer schon zugrunde liegt. Vielmehr wird das einzelne Subjekt erst durch die kommunikativen Interaktionen mit anderen Subjekten überhaupt in die Lage versetzt, einen Begriff von sich selbst zu herauszubilden. Die Tatsache, dass diese interpretative Beziehung eine reziproke Struktur hat, berechtigt uns dann, von ihr als einer intersubjektiven Beziehung zu sprechen. Die kommunikative, durch die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme bedingte Beziehung zu anderen Subjekten kann somit als das grundlegende intersubjektive Verhältnis angesehen werden, ohne das es kein Selbstbewusstsein geben kann. Lebewesen, die weder über die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme verfügen,

Schlussbetrachtung

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noch miteinander kommunizieren, können demzufolge keine selbstbewussten Lebewesen sein. Gestützt wird diese Überlegung durch zwei weitere grundlegende Annahmen: Die erste Annahme geht davon aus, dass mentale Zustände selbst keinen Evidenzcharakter haben, sondern lediglich die Ursache für die Selbstzuschreibung darstellen. Das ist auch der Grund für die Behauptung, dass die Wahrheit der Zuschreibung nicht davon abhängt, ob ein Subjekt selbst glaubt, traurig, melancholisch oder depressiv zu sein, sondern davon, dass seine Überzeugung durch andere Subjekte bestätigt wird. Die zweite Annahme macht dann geltend, dass ein Individuum nur dann psychologische Prädikate auf sich selbst anwenden kann, wenn es diese auch auf andere Subjekte kompetent anwenden kann. Gerechtfertigt wird diese Behauptung im Wesentlichen durch ein semantisches Argument: Psychologische Prädikate haben nur unter der Bedingung Bedeutung, dass sie perspektivenübergreifend auf verschiedene Individuen angewendet werden können. Auch aus diesem Grund ist die Fähigkeit, die Perspektive anderer Subjekte einzunehmen, eine wesentliche Voraussetzung für den Erwerb des Begriffs von sich selbst. Selbstzuschreibungen mentaler Zustände, die mit einem epistemischen Anspruch einhergehen, sind allerdings erst in dem Moment möglich, in dem das Subjekt Sprecher einer Sprache ist. In diesem Zusammenhang ist all das relevant, was über die Funktion des Ausdrucks „ich“ bei Selbstbezugnahmen gesagt wurde. Mit der Sprache rückt zudem eine weitere Form von Intersubjektivität ins Blickfeld der Analyse. Selbstzuschreibungen mentaler Zustände, die durch Sätze erfolgen, sind nämlich aus zwei Gründen intersubjektiv. Die verwendeten Ausdrücke hätten, erstens, keinen empirischen Gehalt, gäbe es nicht mindestens eine zweite Person, mit deren Hilfe die Referenzgegenstände der Ausdrücke festlegt werden. Und, zweitens, würde ein solitäres Subjekt gar keine bedeutungsvolle Sprache sprechen, gäbe es nicht eine zweite Person, die es interpretiert. Die zweite Person ist also auch notwendig dafür, dass das einzelne Subjekt überhaupt eine Sprache spricht, die zudem die Welt begrifflich erfasst. Das Verhältnis von Selbstbewusstsein und Sprache kann demnach so beschrieben werden, dass die intersubjektiven Bedingungen von Sprache überall dort auch für Selbstbewusstsein von Bedeutung sind, wo Selbstzuschreibungen durch „ich“-Sätze erfolgen. Sprache und Selbstbewusstsein stehen allerdings nicht in einer deduktiven Beziehung zueinander, der zufolge Selbstbewusstsein allein deshalb intersubjektive Bedingungen habe, weil mentale Zustände und andere selbstbezügliche Eigenschaften nur in Form von Sätzen im Rahmen einer intersubjektiv strukturierten Sprache zugeschrieben werden können. Stattdessen gilt, dass sowohl dem Verfügen über einen Begriff von sich selbst als auch dem Sprechen einer Sprache die gleichen

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Schlussbetrachtung

intersubjektiven Bedingungen zugrunde liegen: die Fähigkeit, die Perspektive anderer Subjekte einzunehmen und der interaktive und kommunikative Umgang mit ihnen. Die Wissensansprüche, die dann mit psychologischen Selbstzuschreibungen berechtigterweise erhoben werden, haben allerdings keinen besonderen epistemischen Status. Im Gegenteil. Überzeugungen über die eigenen mentalen Zustände unterliegen ebensolchen objektiven Identifizierungskriterien wie Überzeugungen über die Welt und die psychologischen Zustände anderer Subjekte. Natürlich weisen Selbstzuschreibungen mentaler Zustände und anderer selbstbezüglicher Eigenschaften trotz allem spezifische Besonderheiten auf. So ist durch die grammatische Struktur des indexikalischen Ausdrucks „ich“ garantiert, dass man nicht fehlgehen kann, wenn man sich mit dem Personalpronomen „ich“ jeweils auf sich selbst bezieht, weil die Verwendung des Ausdrucks „ich“ genügt, um die durch „ich“ bezeichnete Person in referentieller Hinsicht festzulegen – zumindest in dem Fall, in dem sich ein Subjekt selbst mentale Eigenschaften zuspricht. Auch die Methoden, die man anwenden muss, um zu Informationen über die eigenen Zustände und Eigenschaften zu gelangen, unterscheiden sich durch ihre Reflexivität von den Methoden, die andere Subjekte anwenden müssen, wenn sie über dieselben Informationen verfügen wollen. Es sind diese Eigenschaften, die den epistemischen Bezug auf die eigenen mentalen Zustände und Eigenschaften von Bezugnahmen auf andere Inhalte auch dann unterscheiden, wenn mit ihm keine exklusiven Erkenntnisansprüche erhoben werden können. Die Perspektive der ersten Person bleibt also für die Selbstsituierung von Subjekten in der Welt unersetzlich. Und keinesfalls ist man durch die Angabe der intersubjektiven Bedingungen auf einen „apriorischen Intersubjektivismus“1 festgelegt, der die Perspektive der ersten Person ersetzt würde. Allerdings können die hohen epistemischen Ansprüche, mit denen Selbstbewusstsein in klassischen Theorien ausgestattet wurde, nicht gerechtfertigt werden. Damit entfällt aber zugleich die Berechtigung, dem Selbstbewusstsein einen exklusiven Platz im Rahmen der Begründungshierarchie von Geltungsansprüchen zuzuweisen. Das Wissen von den eigenen mentalen Zuständen ist wie jedes andere Wissen auch durch Gründe korrigierbar, die anderen Subjekten zugänglich sind. In der Einleitung hatte ich davon gesprochen, dass die vorliegende Untersuchung etwas zur Natur des Begriffs Selbstbewusstsein sagen würde.

1

M. Frank: „Wider den apriorischen Intersubjektivismus. Gegenvorschläge aus Sartrescher Inspiration“, in: M. Brumlik/H. Brunkhorst (Hrsg.), Gemeinschaft und Gerechtigkeit, Frankfurt/Main 1993, 273–287, 273.

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Nach Abschluss der Untersuchung ergibt sich nun ein konkretes Bild der notwendigen und hinreichenden Bedingungen für den Begriff „Selbstbewusstsein“. Eine hinreichende Bedingung von Selbstbewusstsein ist, dass ein Subjekt sich mittels eines Sprechaktes auf ihm selbst zukommende Eigenschaften bezieht. Notwendige Bedingungen sind dann, dass ein Subjekt intentionale Zustände hat, dass es sich auf diese Zustände beziehen kann und dass es sich in intersubjektiven Verhältnissen befunden haben muss. Die Bedingung der Intersubjektivität kann nun so verstanden werden, dass sie die beiden genannten notwendigen Bedingungen impliziert. Einerseits setzt die intersubjektive Beziehung selbst voraus, dass das Subjekt intentionale Zustände hat. Andererseits werden die mit der Bezugnahme auf die eigenen mentalen Zustände berechtigterweise verbundenen Geltungsansprüche erst dann deutlich, wenn man seine intersubjektive Struktur in den Blick nimmt. Dass Intersubjektivität trotzdem keine hinreichende Bedingung ist, ergibt sich daraus, dass ein Subjekt den Selbstbegriff zwar in der Kommunikation erwirbt. Es verfügt über ihn aber erst dann, wenn es sich selbst Überzeugungen de se zuschreiben kann. Die Selbstzuschreibung von Überzeugungen de se erfolgt jedoch in einer Sprache. Denken wir an Kleinkinder in den ersten Lebensmonaten. Sie begreifen sich selbst noch nicht als Subjekte mentaler Zustände und sie können auch noch keine Selbstzuschreibungen in Form sprachlich artikulierter Überzeugungen de se vornehmen und das, obwohl der Umgang mit ihren Bezugspersonen kommunikativer und intersubjektiver Natur ist. Sie verfügen also noch über keinen Selbstbegriff, befinden sich aber trotzdem in intersubjektiven Interpretationverhältnissen. Insofern ist das Vorliegen intersubjektiver Verhältnisse zwar notwendig aber eben nicht hinreichend für Selbstbewusstsein. Gegenstand der vorliegenden Untersuchung war der Aspekt von Selbstbewusstsein, der als kognitive Beziehung zu den eigenen mentalen Zuständen und Eigenschaften beschrieben werden kann. Damit ist natürlich nur ein enger Bedeutungsaspekt des Begriffs „Selbstbewusstsein“ angesprochen. Subjekte, denen wir Selbstbewusstsein zusprechen, schreiben wir noch viele andere Eigenschaften und Fähigkeiten zu, so zum Beispiel die Fähigkeit sich selbst als moralische und soziale Person mit einer unverwechselbaren Geschichte zu verstehen. Auch der Prozess der Selbsterkenntnis ist nicht nur auf den kleinen Bereich der kognitiven Bezugnahme eingeschränkt, zu ihm gehört auch die Erkenntnis, welches Leben man leben will und welche Person man sein möchte. Für diese Form von Selbstbewusstsein spielen die Anderen gleichfalls eine maßgebliche Rolle, indem sie einen etwa als die Person, die man sein möchte, anerkennen. Das Nachdenken über die intersubjektiven Bedingungen von Selbstbewusstsein

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Schlussbetrachtung

kann also nicht mit der Untersuchung der kognitiven Selbstbeziehung abgeschlossen sein. Als Motto der Arbeit habe ich eine Bemerkung Rimbauds gewählt: „Es ist falsch, wenn einer sagt: Ich denke. Man sollte sagen: Es denkt mich. (Entschuldigen Sie das Wortspiel.) Ich ist ein anderer.“ Viele Interpretationen sind hier vorstellbar. Ich möchte Rimbaud aber gerne so verstehen, dass es ohne den Anderen nicht möglich wäre überhaupt „Ich denke“ zu sagen, weil es ohne Anderen kein „Ich“ im Sinne des grundlegenden Selbstbewusstseins gäbe.

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Personenregister Anscombe, G. E. M. 34, 37–41, 46 Baker, Lynne Rudder 112–116, 122, 141 Bermúdez, José Louis 12, 77, 124– 127, 154, 158–159, 189 Bogdan, Radu 125 Boghossian, Paul 175, 180–181 Brandom, Robert 150 Burge, Tyler 10, 162, 170, 171–183, 184, 199, 202–203 Castañeda, Héctor-Neri 33, 88, 123 Crane, Tim 53, 225 Davidson, Donald 10, 72–73, 162, 176, 183–232 Descartes, René 11, 13, 46, 60, 224 Dewey, John 135–136, 139, 202 Dummett, Michael 203 Fichte, Johann Gottlieb 3, 4, 9, 20, 24, 128, 129, 142 Frank, Manfred 3, 26–30, 34, 35, 124, 236 Frege, Gottlob 35, 42–43, 44, 163 Glock, Hans-Johann 226–228 Glüer, Kathrin 194, 220 Grice, Paul 149 Habermas, Jürgen 146–151 Heckmann, Heinz-Dieter 35 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 3, 4, 9, 24, 122, 128, 129, 142 Henrich, Dieter 3, 20, 22–26, 27, 34, 35, 89, 90–98, 104, 108, 118, 124, 142, 180–181 Kaplan, Davis 33, 36, 44 Keil, Geert 16, 25, 26, 32, 45, 46 Kienzle, Bertram 49

Kripke, Saul 204–206, 207 Künne, Wolfgang 33, 195 Mann, Thomas 208–209 McDowell, John 212, 229–231 Mead, George Herbert 2, 4, 9, 125, 128–160, 202, 209, 211 Meggle, Georg 149 Metzinger, Thomas 56, 86 Morris, Charles W. 149 Nagel, Thomas 35, 98–106, 108 Perler, Dominik 58, 60 Perry, John 33, 36, 40, 43–45, 47, 90, 106–118, 127, 226 Plessner, Helmut 112 Putnam, Hilary 10, 162–175, 182– 183, 202–203 Quine, Willard van Orman 194, 202, 215 Rorty, Richard 54, 191, 212, Rosefeldt, Tobias 117 Ryle, Gilbert 52–53, 57 Tomasello, Michael 144–145, 154– 155, Trevarthen, Colwyn 126 Tugendhat, Ernst 18, 21–27, 28, 35, 42, 46, 51, 83–84, 90–95 Watson, John. B. 133, 136 Wenzel, Harald 147 Williamson, Timothy 85 Wittgenstein, Ludwig 13, 17–18, 26, 34, 37, 58, 64, 66–74, 77–85, 141, 151, 180, 191, 202–204, 210, 212, 219 Wundt, Wilhelm 131, 138, 153 Zahavi, Dan 12, 28, 86, 116

Sachregister Absicht 227 – kommunikative 145–148, 159 – referentielle 32, 40, 47–49 – semantische 182––183, 209 – reziproke 199, 202, 208–211 Akzeptanz eines Satzes 109–116, 226 Arbeitsteilung, linguistische 162, 165, 169–170, 203. Asymmetrie 115, 190–197 – der Interpretationsperspektiven 196, 197, 200 – der Zuschreibung 119, 182, 190, 195 – epistemische 94–95, 119, 181 Ausdrücke, expressive/natürliche 67, 77–84 Auslöser, externer 137, 142 Autorität der ersten Person 134 – Erklärung der 176, 182, 184– 187, 189–190, 193, 196–197, 199–201 – Gefährdung der 161–162, 164, 169–170, 175, 176, 183–185, 211 → Erste-Person-Perspektive

Begriff – des Selbstbewusstseins 2, 5, 12, 53, 59, 120, 123–124 – des Wissens (Wittgenstein) 66– 67, 69, 72 – der Intersubjektivität 6–7, 8, 122, 202 – privater 89–90, 96–98, 104–105 – subjektiver 99–101, 105 – von sich selbst 6, 8–10, 11, 89– 90, 96–98, 104–105, 112–113, 114, 116, 119–120, 121, 123– 124, 127, 128, 145, 152–153, 155, 158–160, 161–162, 201, 232, 234–235 → Selbst-Begriff Behaviorismus 130, 133–136

Bedeutung 9–10, 42–44, 161–170, 172, 174, 176, 182–183, 186– 187, 196 – funktionale 144–146 – identische 146–152, 154, 157 – von φ–Prädikaten 65, 72–82 – von „ich“ 34, 51, 92–93, 102, 109 → Extension → Intension → Referenz

Einstellungsübernahme 146–149, 151 → Perspektivenübernahme Erfahrung – subjektive 133–134, 136, 142, 144, 153, 156–157 – unmittelbare 138–140 Erinnerung 57–58, 63, 180 Extension 8, 163–169, 171–174 → Bedeutung → Intension → Referenz

Demonstrativa 33, 39–40, 47, 64, 172, 198 → Indikatoren/Indexikalia Dualismus 60, 131, 132, 229 – epistemischer 30, 55, 66, 71–75, 78, 89, 119, 181, 190, 192, 199, 233 – semantischer 191–192, 197

252

Sachregister

Externalismus 9–10, 161, 173, 184 – sozialer 162, 170, 174, 176 Gebrauchsgültig 49, 60–61 Gehalt einer Überzeugung 107–110, 116, 119, 186 → Überzeugungszustand Gesten 33, 64, 82, 144, 146–148, 151–152 → Lautgebärde Gewissheit 13, 26, 29–30, 41, 50, 70 – subjektive 13 – objektive 13–15, 26, 31 – epistemische 14 Gründe – subjektive 54–55, 59, 62, 63, 65–66, 70, 71, 72, 85 – sichere 14, 67, 68, 70 Handlung – gehemmte/gestörte 135–140, 142 – habitualisierte 153 – kommunikative 4 Holismus des Mentalen 185 Ich – als indexikalischer Ausdruck 14–15, 25, 32–36, 42–50, 61, 83, 92, 102, 107, 236 – als Eigenname 37–41, 46 – gewöhnlicher Gebrauch vs. philosophischer Gebrauch von 105–106 „ich φ“-Sätze 18–20, 26, 28, 30, 31, 41, 49, 50, 61, 72–75, 83–84, 90–94, 160, 177 Ich-Datei 117–118 Ich-Phänomen – starkes 112–116, 141, 154 – schwaches 112–116, 141 Identifikation 17, 22, 23, 25, 28, 30, 32, 38, 95, 124 → Identität Identität mit sich selbst 17, 19–26, 28, 30, 96, 101, 117 → Identifikation

Immunität, These der – gegen Irrtum durch Fehlidentifizierung (iIFi) 15–21, 26, 28– 32, 41, 49, 50, 95 – gegen Irrtum durch Fehlreferenz (iIFr) 16–18, 31, 41, 45, 48–50 Inclusion Theory 176–182 Indexikalia/Indikatoren 25, 32–36, 42–48, 51, 102, 110 – hinweisunabhängige 33, 40, 48, 102 – hinweisabhängige 33–34, 39–40 → Demonstrativa Infallibilität 8, 11, 13–20, 23, 26, 30–31, 34, 49, 50, 54, 61, 76, 89, 92, 101, 119, 189, 199, 201 →unfehlbares Wissen Intension 35, 36, 42, 44, 163–164, 168–169, 224 → Bedeutung → Extension → Referenz Interaktion 7–8, 153–155, 211, 214– 219 – wechselseitige 121–123, 128, 151–152, 220–221 – kommunikative 9–10, 126, 143, 152, 157, 160–161, 231, 234 – intersubjektive 125, 144 – soziale 125, 127, 144, 153 Intersubjektivität – primäre 6, 154–155 – sekundäre 6, 154–155 → Begriff der Intersubjektivität → Interaktion Introspektion 63–64, 66 Irrtumsimmunität 16–18, 31, 41, 45, 53–54, 58, 61, 64 → Immunität joint attention 2, 127, 154, 158 Kontextspezifizierung 33, 45, 48, 51, 93, 106

Sachregister

Kooperation 7, 125, 144, 165–166, 170 → Intersubjektivität Lautgebärde 145–147, 152, 157, 228 → Geste Lernen, kulturelles 155, 157, 159 Meinigkeit 8, 11, 34, 36, 37, 85–85, 87–88, 233 – als spezielles Wissen 89, 90–98 – als subjektive Tatsache 90, 98– 106 – als Unterschied von Überzeugungszuständen 106–119 Methoden, reflexive 90, 106, 107, 114–119, 236 Mythos des Gegebenen 188, 225– 226, 228–230 Mythos des Subjektiven 73, 187– 190 Objekt – mentales 63–66, 73, 79 – soziales 147, 156–157 Normativität der Bedeutung – spachliche Normen, Konventionen 148, 150, 174, 176, 182, 191, 202–208 – normative vs. soziale Praxis 165, 191, 203–205, 208 → Problem des Regelfolgens 150, 151, 204–207, 227 Parallelismus, psychophysischer 130–132 Perspektive – der ersten Person/Erste–Person– Perspektive 5–6, 18, 54, 74, 78, 79, 86–88, 91, 98, 100, 102, 104, 112, 176, 178, 181, 192, 236 – der dritten Person/Dritte– Person–Perspektive 72, 74, 79, 87–88, 93, 112, 129, 192 Perspektivenübernahme 8, 145–146, 148–155, 157–159, 234 Physikalismus, Problem des 99–100

253

Prinzip der veritativen Symmetrie (PVS) 91, 93–96 Privatsprache 58, 77, 212, 219–220 Psychischen, die Definition des 129, 130–131, 134, 136–137, 140– 143 Referenz – Referenzgarantie 16, 31–32, 34–35, 39–41, 46, 48–50 – automatische 48 – direkte 35–36, 41–45 – direkt–perspektivische 35–35 – nicht vorhandene 34, 37–40 → Extension → Intension Reiz – distal 215 – Reiz-Reaktion-Modell 134–136, 138, 142 – sozialer/kommunikativer 142– 147 Reziprozität/reziprok 7–8, 10, 128, 145, 147, 150, 153, 157, 161, 162, 170, 182, 202, 209, 211, 220–221, 234 → Wechselseitigkeit Sachverhalt, subjektiver→ subjektive Tatsachen Selbst, objektives 104–106 Selbst–Begriff (notion) 117–119 Selbstbewusstsein – nicht-begriffliches 12, 28–29, 77, 123–127, 157–158, 189 – mittelbares 18, 23 – unmittelbares 18, 21, 23, 29, 84, 94, 95, 124, 178 – Subjekt-Objekt-Modell des 132–133 Selbstbeziehung, wissende 3, 20–23, 27, 92–93, 95–97, 180 Selbstbezüglichkeit 94, 118 Selbstevidenz 53–59, 71, 84 → selbstevidente Zustände Selbstverifikation 179–181 Selbstvertrautheit 3, 27–30, 53, 77, 89, 124, 233

254 Selbstwissen – deflationäre Auffassung von 66–71, 72, 74, 179 – grundlegendes 170, 176–182 – Argument vom Wechsel der Sprachgemeinschaft 171–175 Stereotypentheorie 166–170 Strawson-Evans Bedingung 74–78, 80, 91, 94, 97, 105, 127, 155, 161, 191, Symbole, signifikante 146, 149 Tatsachen, subjektive 72, 90, 98– 107, 118, 119, 204, 206 → subjektiver Sachverhalt Transparenz, These der 52–59, 84 – schwache 55, 57–58, 71, 85, 119 – starke 55, 59, 62, 69, 71, 77, 87 Triangulation 184-185, 211–231 Überzeugungen – de se 36, 88, 90, 95–98, 103, 105, 106, 107–111, 114–116, 118, 119, 120, 123, 124, 127, 153, 156, 160, 162, 327 – holodoxastische 226–227 Überzeugungszustand 107–116, 127, 186, 226 → Gehalt einer Überzeugung

Sachregister

Unfehlbarkeit 1, 14, 19, 26, 32, 54, 60, 200 → Infallibilität Unkorrigierbarkeit 54–55, 58, 59– 62, 66, 69, 71–72, 85, 176, 191 Wechselseitigkeit 7, 8, 41, 79, 123 125, 128, 143, 144, 146, 148– 152, 155, 159–160, 162, 182– 183, 185–186, 189, 209–211, 215, 218, 220, 223, 229 → Reziprozität Wissen – direktes 52, 55, 59, 62, 66, 72, 85, 91, 176, 178, 181, 183, 190 – indirektes 66 – unfehlbares 15, 50, 58, 183, 233 – unkorrigerierbar 66, 85, 87, 178, 190, 233 Zombieproblem 69, 75, 80–82 Zustände – narrow content 164, 171, 173 – propriozeptive 18, 19 – selbstevidente 53–59, 70 – unbewusste 56–57 – wide content 163–164, 171, 173 Zwillingserdenargument 163–165