Ich fand den Weißen Gott 33797302932

Erweiterte neue Ausgabe: Als die Spanier im Jahre 1519 an der Küste Mexikos gelandet waren, brachten Schnellläufer dem

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Ich fand den Weißen Gott
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Pierre Honoré

Ich fand den weißen Gott Erweiterte neue Ausgabe

Als die Spanier im Jahre 1519 an der Küste Mexikos gelandet waren, brachten Schnelläufer dem Azteken­ herrscher Montezuma in die hochge­ legene Hauptstadt Zeichnungen mit Darstellungen ihrer Schiffe, der bär­ tigen weißen Männer und ihrer selt­ samen Ausrüstung. Kein Zweifel: der Weiße Gott Quetzalcoatl war wie­ dergekehrt, um seine Herrschaft an­ zutreten, wie es vorausgesagt worden war. Der Mythos vom Weißen Gott war nicht nur den Azteken geläufig. In irgendeiner Gestalt findet sich die­ se archaische Legende auch in den anderen Indiokulturen. Und dieser Weiße Gott ist eine historische Wirk­ lichkeit gewesen. Noch heute erzäh­ len halbwilde Indianerstämme die al­ te Indio-Mythe von weißen Män­ nern, die vom Osten her kamen und den primitiven Völkern alle Kulturen und auch die Schrift brachten. Kann man glauben, daß es sich dabei um nichts mehr als um alte Legenden handelt? Mit kriminalistischem Spür­ sinn begabt, gelingt es dem Autor, aus alten Chroniken, aus dem Ergeb­ nis der Ausgrabungen, den Resten der gewaltigen Bauten in Mexiko, Yucatan, Bolivien, Peru und Kolum­ bien ein Bild der längst verschollenen Geschehnisse zu rekonstruieren, so wie sie sich wahrscheinlich vollzogen haben müssen. Das Buch vermittelt das Entstehen einer neuen Wissenschaft, der Ameri­ kanistik, der es gelungen ist, aus ge­ ringen Fragmenten die Kenntnis der alten Kulturen zu größter Vollen­ dung zu führen.

Societäts - Verlag

Pierre Honoré

Ich fand den Weißen Gott

SOCIETÄTS-VERLAG

Geschrieben 1960/61/1976 unter Mitarbeit von Hans-Joachim Heinrich

Gänzlich neu bearbeitete Ausgabe Alle Rechte vorbehalten Societäts-Verlag • Frankfurt/Main © 1976 Frankfurter Societäts-Druckerei GmbH Gesetzt aus der Borgis Janson Antiqua Gedruckt bei May & Co, Darmstadt Printed in Germany, 1976 ISBN 3 37973 0293 2

Inhalt

Der Mythos vom Weißen Gott.................................................... 11 Der Weiße Gott ist unsterblich - Die Konquista von Mexiko Im Herzen des Reiches Eine Welt ging unter......................................................................... 23 Zepter, Thron und Sänfte — Die Indios kannten weiße Men­ schen - Kulissen der Macht und Würde — Pyramiden in der Neuen Welt - Ein Märchenmarkt - Löffel und Teller auf dem kaiserlichen Tisch - Kannten die Indios die Bibel? - Vier Ele­ mente ■ Himmel und Hölle — Pizarro zog nach Süden — Straßen wie bei den Römern - Weder Nadel noch Haar - Babylonische Mathematik bei den Inka - Die Statue des heiligen Bartholo­ mäus — Als die Neue Welt unterging — Sogar die Erinnerung wurde ausgelöscht

Der überlebende Mythos..................................................................... 61 Es fehlte die Geschichte - Die alten Chroniken - Was die Enkel der Inka erzählen — Der Gott, der wiederkehrte - Das Reich der Azteken - Der Weiße Gott und die Chroniken

Eine neue Welt ersteht ..................................................................... 75 Forscher in der Neuen Welt - Geburt einer Wissenschaft - Ein altes Volk und die Schalenpyramiden-Bingham findet die »Stadt der Treue« Das Reich des Weißen Gottes Kukulkan......................................... 86 Ein unglaublicher Dschungel — Das Volk des Stucks — Ein Hauptmann als Archäologe - Ein geheimnisvolles Grab - Die Mayawanderung - Das neue Reich - Daten aus der Maya­ geschichte

Der beste Kalender der Welt........................................................... 106 Drei Männer und die geheimnisvollen Zeichen der Maya - Der alte Kalender der Maya - Unsere Zeitrechnung und der Maya­ kalender

Der Weiße Gott schrieb kretisch................................................... 118 Die Schrift der Neuen Welt — Der Weiße Gott schrieb kretisch - Wann kam die kretische Schrift nach dem Westen?

Die alten Märchen wurden wahr................................................... 125 Das Wunder vom Monte Alban - Eine alte Tempelstadt Die Säulen von Mitla - Der große Tajin - Tzintzuntzan - Wo man zum Gotte wird - Die Sintflut von Zacatenco - Ein india­ nisches Pompeji Das größte Rätsel Mexikos............................................................... 142 Das alte Märchen von Olman - La Venta, die Stadt im Sumpf Die heiligen Beile Kretas und Chaldäas Asphalt - Kautschuk und Jaguarmanie - Die grünen Steine Kretas - Alle Hochkultur Mexikos stammt von den Olmeken

Die Reiche des Weißen Gottes Quetzalcoatl............................... 154 Der Weiße König von Tula-Die Legende vom zweiten Reich Eine Pyramide für zwei Weiße Götter - Das Grab des Weißen Gottes - Der heilige Brunnen und die Menschenopfer - Mönche und Händler Ostasiens ... vor Kolumbus — Der Weiße Gott von Chichen Itza Das Reich Wotans................................................................................180 Im Land der Pyramiden — Der Große Chimu — Spanische Schatz­ sucher - Chan Chan, die Stadt der Schlangen - Pizarro machte eine Reise - Ein Orakel von Delphi — Ägyptische Mumien Gerichtstag in Cuzco - Die Kulturen von Nazca, Ica und Para­ cas - Der Obolus für Charon - »Er machte, daß die Baumwolle gleich farbig wuchs in seinen Reichen« - Das Märchen vom Mais - Purpur, Alaunbeize und Indigo

Das Reich des Weißen Gottes Kon Tiki lllac Viracocha. . . 204 Das Land des Schweigens — Eine Inkalegende - Ein goldener Palast - Der Thronsaal des Weißen Gottes - Was ein Mann retten konnte - Ein Besuch in der Wüste - Die Stadt der weißen Riesen - Der helle, leuchtende König - 400 Indios graben auf einem Berg einen See - Stammen auch die Pyramiden der Indios aus der Alten Welt? - Das geheime Grab unter der Pyramide von Tiahuanaco - Der lebende Gott von Puma Punku — Der

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Sonnenfinger und das große Reich - Die alten Götter reden Ein Tor steht in Tiahuanaco - Greife, Tritonen, Nereiden und Sirenen - Ein fünfzehiges Lama: eines der großen Rätsel der Archäologie - Die kretische Spirale - Die wilden Erben

Die Wunder im Reid) von Chavin............................................... 245 Ein indianischer Gelehrter - Zur Zeit des großen Tutmosis Gorgonen und Schlangen - Die alte Erdmutter Kretas - Der Stein des Antonio Raimondi - Die alten Götter leben noch Die Söhne der Sonne - Eine Selbstverständlichkeit

Der goldene Strom............................................................................... 258 Goldene Fische - Eldorado war das alte Reich der Chibcha Die Kunst der Granulation - Die Straße des Goldes - Der gol­ dene Raub - Der Schatz Montezumas - Der Schatz von Grab Sieben Die ersten Menschen Amerikas....................................................... 274 Die Wanderung über die Beringstraße - Die Invasion aus dem pazifischen Raum

Rekonstruktion der indianischen Geschichte............................... 280 Der Einfluß Ostasiens - Die Pontische Wanderung

Die Weißen Götter in der Neuen Welt........................................... 287 Die Bilder des Weißen Gottes - Die Weißen Götter mußten unsterblich sein Ein alter Gummisammler schrieb ein Buch................................... 293 Phönizier im Urwald? Das Geheimnis der Grünen Hölle................................................... 297 Versunkene Städte

Ich fand die Spur des Weißen Gottes........................................... 303 Nur alle zehn Jahre enthüllt der Fluß sein Geheimnis Der weiße Gott - Neue Spuren, neue Erkenntnisse / Die For­ schungen Alexander vonWuthenaus / Die frühen Atlantikbezwin­ ger

Karten: Die wichtigsten Fundstätten in Mittel- und Südamerika

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Die deutsche Aussprache der indianischen Namen Ahuitzotl Axayacatl Ce-acatl Cempoala Chalco Chati Chan Chavin Chicama Chichitneken Chimu Chincha Cholula Colla Cuitlahuac Huaca Ilhuicamina Itzquintli Ixtlilxochid Jequetepeque Maxtlaton Mazatl Miquitzli Mixteken Moche Nazca Occlotl Ozotnatli Pachacamac Palenque Quauhtemoc Quechua Quetzpalin Quiauitl Quinantzin Teotihuacan Tiahuanaco Tonanpohualli Tzintzuntzan Tzolkin Viracocha Xóchitl Xocoyotzin Zapoteken

Awitzotl Aschayakatl Se-akatl Sempoala Tschalco Tschan Tschan Tschavin Tschikama Tschitschimeken Tschimu Tschintscha Tscholula Rolla Kuitlauac Waka Ilwikamina Itzkintli Ischtlilschotschitl Cheketepeke Maschtlaton Masad Mikitzli Mischteken Motsche Naska Oselod Osotnatli Patschakamak Palenke Cuauhte’moc Ketschwa Ketzpalin Kiauid Kinantzin Teotiwakan Tiawanako Tonanpowalli Tsintsuntsan Tsolkin Wirakotscha Sótschid Schokojotsin Sapoteken

Bei der Vielfalt der indianischen Sprachen ist es nicht möglich, eine verbindliche Tabelle der Aussprache zu geben. Die angeführten Beispiele sollen daher nur ein Hinweis sein.

Der Mythos vom Weißen Gott »Menu Boten erzählen, sie hätten nach einem Marsch von 12 Meilen ein Dorf gefunden, das wohl gegen tausend Einwohner haben könne. Die Eingeborenen hätten sie sehr feierlich empfangen, man habe sie in den schönsten Häusern untergebracht, sie auf den Armen getragen, ihnen Hände und Füße geküßt, kurz, versucht, ihnen auf jede Weise klarzumachen, man wisse, die weißen Männer seien von den Göttern gekommen. Gegen fünfzig Männer und Frauen hätten sie gebeten, mit ihnen in den Himmel der ewigen Götter zurückreisen zu dürfen.«

Kolumbus am 6. November 1492 »Sie konnten sozusagen alles; nichts schien für sie schwierig, sie schnitten den Grünstein, sie schmolzen Gold, und all dies stammte von Quetzalcoatl, Künste und Kenntnisse.« Fray Bernardino de Sahagun

Der Weiße Gott ist unsterblich

In grauer Vorzeit sind an den Küsten der Neuen Welt einst weiße, bär­ tige Männer gelandet. Sie sind zu den Indios gekommen und haben ihnen alle Wissenschaft und Technik, weise Gesetze und alle höhere Kultur ge­ bracht. So erzählen die alten Legenden der Indios. Die vom Meer her Gekom­ menen wurden die Weißen Götter der indianischen Reiche. In allen alten Kulturvölkern der Neuen Welt war die Überlieferung vom Weißen Gott lebendig, bis zu unseren Tagen. Bei den Inka hieß er Kon Tiki Illac Viracocha, bei den Maya war es Kukulkan, bei den Tolteken und den Azteken hieß er Quetzalcoatl. Bei den Chibcha war es Bochica, der »Weiße Mantel des Lichtes«. Einst kam zu dem Volk der Maya, so erzählen die alten Sagen, ein weißer Mann, der dem Volk alle Gesetze und auch die Schrift brachte und der vom ganzen Volk wie ein Gott verehrt wurde. Die Weißen Götter, so sagen die Mythen, sind einst in grauer Vorzeit aus dem Osten gekommen. Fremde, riesige Schiffe mit Schwanenflügeln kamen über das Meer auf die Küste zu; es sah aus, als kröchen riesige Schlangen über das Wasser, so hell glänzten die Seiten der Schiffe. Als sie die Küste erreichten, entstiegen den Schiffen fremde Männer, blond, weißhäutig und blauäugig; sie trugen Gewänder aus grobem schwarzem Tuch, am Hals rund ausgeschnitten, mit kurzen, breiten

Ärmeln; die Gewänder waren vorn offen. Um die Stirn trugen die Frem­ den einen Schmuck in Form einer Schlange. Weiß und erschreckend häßlich - weil er einen langen Bart trug - war auch der große Weiße Gott Mexikos, Quetzalcoatl. So schildern ihn die alten Berichte der Chroniken, so stellen ihn die erhaltenen Reliefs und Statuen dar, zum Unterschied von den Indios, die im allgemeinen kein Bartschmuck ziert. Quetzalcoatl war ein Titel für den höchsten Priester der Tolteken; er trug diesen Titel nicht allein, sondern auch seine Nachfolger im Amt haben ihn getragen. Unter diesem Titel wurde er der Gott der Indios. Sein eigentlicher Name war Ce-acatl oder Nactitl. Nach der Legende war er der Sohn des Himmelsgottes Mixcoatl (Wolkenschlange) und der Erd­ göttin Chimalman (Liegender Schild), die ihn unbefleckt empfangen haben soll. Quetzalcoatl wurde im Jahre 977 n. Chr. vom Volk von Tollan als König eingesetzt. Damit begann die goldene Zeit der Tolteken. Er kam aus einem Lande der aufgehenden Sonne und trug ein langes Gewand. In Tollan aber lebte er als Herr des Landes verborgen in einem Palast. Sein Reichtum übertraf alles, seine Häuser strotzten vor Gold, Edelsteinen, Schmuck und kostbaren Federn. Er ist keine Legendengestalt, sondern eine geschichtliche Persönlichkeit. Es ist der fünfte Toitekenkönig, der von 947 bis 999 n. Chr. lebte. Er lehrte die Menschen alle Wissenschaft, alle Sitten, er gab ihnen weise Gesetze, er unterwies sie in der Landwirtschaft; in seinem Reich wuchs der Mais mannshoch, und die Baumwolle stand farbig auf den Feldern. Quetzalcoatl verbot das Menschenopfer und predigte den Frieden. Die Menschen sollten keine Tiere mehr töten, nicht einmal zur Nahrung, sie sollten nur noch von Früchten leben. Es war eine goldene Zeit. Aber sie währte nur kurz, denn ein Dämon stürzte ihn in Sünde, verführte ihn zu Eitelkeit und Trunksucht und zu den niedrigsten Ausschweifungen und machte, daß er seine religiösen Pflichten vernachlässigte. Er war aber voller Scham und Trauer über seine Fehltritte. Und er ver­ ließ, zusammen mit seinen Dienern, das Land, nachdem er seine Schätze vergraben hatte. Er ließ, ehe er ging, die Tropenvögel davonfliegen und verwandelte die Bäume in Dornakazien. Von seinem Volke weg wanderte er an die südliche Küste des Golfes. Nach anderen Legenden soll er in Cholula zwanzig Jahre lang geblieben sein. Ihm zu Ehren bauten die Menschen dort die große Pyramide. Als

die zwanzig Jahre vorüber waren, zog er zur Küste weiter. Er sprach noch einmal zum Volk, dann ging er an den Strand des Meeres und verbrannte sich selbst. Sein Herz wurde zum Morgenstern, den die Azteken ebenfalls Ce-acatl nannten. Wieder andere Legenden berichten, er habe an der Küste ein Schiff be­ stiegen, das mit ihm davonfuhr, in das Land, aus dem er einst gekommen war. Aber vor seiner Abfahrt habe er versprochen wiederzukommen. Nach Cieza de Leon, dem alten Chronisten Perus, ist ein weißer, bär­ tiger Mann lange vor den Inka am Titicacasee erschienen. Er war eine große, gewaltige Persönlichkeit und unterrichtete die Einwohner in allen Dingen der Kultur und Gesittung; er war der Schöpfer aller Dinge und befahl den Menschen, gut zueinander zu sein und ohne Gewalttätigkeit zu leben. Es war Tiki-Viracocha oder Tuapaca oder Arunau, wie er auch genannt wurde. Der »Weiße Gott«, der bärtig war und »weiß wie wir«, sagt der Chro­ nist, baute eine gewaltige Stadt, in deren Tempeln viele Statuen von ihm standen, wie auch in allen anderen Tempeln des Landes. Er ging aber später von seinem Volk weg in die Fremde und ermahnte vor seinem Abschied noch einmal die Menschen, seine Lehren zu befol­ gen. Er sei den Wassern des Titicacasees entstiegen, und, so sagt Juan de Betanzos, von dort sei er mit seinen Begleitern nach Tiahuanaco gezogen. Er schuf Sonne und Sterne, denn es war Dunkelheit über der Erde. Dann machte er aus großen Steinen Menschen und Tiere, Männer und Frauen und gab den Menschen einen König. Nach Ondegarde und nach Sarmiento, ebenfalls alten Chronisten Perus, sind weiße, bärtige Männer an den Ufern des Titicacasees erschienen, haben sich eine große Stadt erbaut und die Einwohner zu höherer Gesit­ tung erzogen. So groß sei die Stadt gewesen und so gewaltig, daß die In­ dios erzählen, es seien weiße Riesen gekommen, die sie aufgetürmt hät­ ten - tausend Jahre vor den Zeiten der Inka. So haben es die Chronisten überliefert. Der Weiße Gott soll dann später mit dem Häuptling Cari von Coquimba Krieg geführt haben, der ihn besiegte und alle seine Mannen niedermachte. Seine Stadt wurde zerstört, und nur die Frauen und Kinder blieben am Leben. Dem Weißen Gott Viracocha sei es aber gelungen, mit einigen seiner Anhänger zu entkommen; er sei zum Meer gegangen und auf einem von den Wogen getragenen Zaubermantel davongefahren, nachdem er versprochen hätte, wiederzukehren. Viracocha ist für die Anden und Peru, für den ganzen Kontinent des

Südens dasselbe, was Quetzalcoatl für Mexiko wurde: der vergöttlichte Kulturheros, der vom Meer oder aus dem Wasser kam und der alle Dinge und weise Gesetze schuf. Hyustus nannten die Aymara ihren Weißen Gott, und sie erzählen noch heute von ihm, daß er blond und blauäugig war. Viracocha heißt wörtlich übersetzt: Meerschaum. Die Wissenschaft nimmt davon Abstand, diesen Namen zu benutzen, da er ohne Sinn ist, wie man sagt. Ganz abwegig ist er aber nicht, denn noch für die Colla im heutigen Bolivien ist Viracocha der Gott des Windes; wenn ein Sturm die Wellen des Titicacasees zu Schaum peitscht, so sagen die Alten: !>Viracocha kommt!« Kon Tiki Viracocha hieß er dann später, Kon Tiki Illac Viracocha zu­ letzt. Kon, das heißt Sonne, war der Gott der Chimu. Tiki ist in der Aymara­ sprache »Sonne«, und Tiki ist auch ein Gott Polynesiens. Illac aber ist der Blitz. »Er ist die Sonne der Sonne, er ist der Schöpfer der Welt«, heißt es in einem Inkagebet. Überall in den indianischen Reichen der Neuen Welt ist diese Legende vom Weißen Gott bekannt, und überall ist das Ende der Geschichte die Erzählung, daß der »Weiße Gott« sein Volk verlassen, aber fest ver­ sprochen habe, einst wiederzukehren. Überall ist heute noch die Legende von der Wiederkehr des Weißen Gottes lebendig, bei den Maya, in Mexiko wie in Peru und Bolivien. Diese Legende aber wurde - wie wir Heutigen wissen - einer der Hauptgründe für den schnellen Untergang der indianischen Reiche. So fest stand nämlich das Bild ihres Weißen Gottes den Indios immer noch vor Augen, daß sie - ohne eine Sekunde zu zögern - die spanischen Er­ oberer als die wiedergekehrten »Weißen Götter« ansahen und empfingen. Die Priester der Azteken hatten ausgerechnet, daß ihr Weißer Gott, der sie im Jahre Ce-acatI (Eins Rohr) verlassen hatte, auch einmal im Jahre Ce-acatl wiederkommen würde. Im aztekischen Kalender kehrt alle zweiundfünfzig Jahre dieses Jahr Ce-acatl (Eins Rohr) wieder. Jeder Wiederkehr ging eine sorgfältige Be­ obachtung der Gestirne und anderer Erscheinungen voraus, und jedesmal sprachen die Priester eine Weissagung, ob der Weiße Gott zum nächsten Neujahrsfeste zurückkommen werde. Es war eine der seltsamsten Fügungen des Schicksals, daß kurz vor Be­ ginn eines solchen Jahres unter den Azteken sich die Kunde verbreitete, vor ihren Küsten kreuzten »Wasserhäuser mit Schwanenflügeln«. Als

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So sahen die Indios die Ankunft der Weißen Götter. Zeidmung von Guaman Poma aus einer Inka-Chronik

dann das neue Jahr »Eins Rohr« wirklich anbrach, landete der Spanier Cortez an der Küste von Mexiko. Sogar das Datum, der Tag der Wieder­ kehr des Weißen Gottes, stimmte genau mit dem überein, das die Priester aus alten Quellen errechnet hatten. Es sollte im Jahre »Eins Rohr« am Tag »Neun Wind« sein, an dem der Weiße Gott zurückkommen würde. Der Tag »Neun Wind« im Jahre »Eins Rohr« war nach unserer Zeit­ rechnung der 22. April 1519, der Gründonnerstag dieses Jahres. An die­ sem Tage betrat Cortez den Boden Mexikos. Der Weiße Gott, der einst, vor langer Zeit, zu den Indios gekommen war, hatte ein schwarzes Barett getragen und ein schwarzes Gewand-wie Cortez, als er an Land ging, und zwar fast an derselben Stelle, wo der Weiße Gott sich einst von seinem Volke mit dem Versprechen wieder­ zukommen verabschiedet hatte. Konnten die Indios da noch zweifeln, daß Cortez dieser Weiße Gott war, der versprochen hatte, einst wieder­ zukehren?

Diese neuen Weißen Götter aber kamen mit Feuer und Schwert. Wohl waren sie weiß und bärtig, aber es waren zusammengewürfelte Haufen von Landsknechten und goldgierigen Abenteurern, denen ein Le­ ben nichts galt. Die Indios taumelten gläubig in ihr Verderben. In Blut und Rauch gin­ gen ihre Hochkulturen unter. Was die Spanier ihnen antaten, empfanden sie als Strafgericht des Weißen Gottes, der wiedergekommen war, sein altes Reich neu zu errichten. Ihr fanatischer Glaube gab einer Handvoll Abenteurer die Möglichkeit, die Kultur eines Kontinents restlos auszu­ rotten. Als die Indios dann endlich erwachten, war es zu spät. Von den alten indianischen Kulturen lebte nichts mehr. Nur die Sprachen haben Untergang und Jahrhunderte überdauert. Mehr als zwei Millionen Indios sprechen heute noch Maya, über eine halbe Million spricht aztekisch, fast eine Million Indios spricht noch die Sprachen der Otomi und Zapoteken, der Mixteken und der Tarasken. Einige Millionen sprechen Aymara, Quechua und Mochica. Als 1940 in Peru eine Volkszählung durchgeführt wurde, ergab sich, daß noch 40 Pro­ zent der Schulkinder das Quechua, die älteste Inkasprache, oder Aymara sprechen und mehr als ein Drittel nicht Spanisch versteht. Wenn man auf dem Hochland von Peru das Volk studiert, so ist es, als würden die alten Statuen und die Gesichtskrüge wieder lebendig, denn die Menschen, die heute dort in den Bergen leben, zeigen noch den glei­ chen Typ, wie er auf jenen Statuen und Krügen festgehalten ist. Und eines hat sich auch noch über viele Jahrhunderte hinweg erhalten: Der Gruß der Indios für die Fremden, wenn sie Vertrauen zu ihnen haben, lautet heute noch wie einst: » Viracocha« - »Weißer Gott« ... Ob man heute eine Indianerhütte im Dschungel Yucatans betritt, ob man auf der eisigen Hochebene Boliviens mit den Alten ums Feuer sitzt, ob man in der Grünen Hölle des Amazonas auf Indios trifft - überall er­ zählt man sich noch heute die Legende von weißen, bärtigen Männern, die einst in grauer Vorzeit zu den Indios kamen und Götter der Neuen Welt wurden. Der Weiße Gott der Indios ist unsterblich.

Die Konquista von Mexiko Am 12. Oktober 1492 landete Kolumbus auf einer kleinen Insel der Bahama-Gruppe, die er San Salvador nannte. Dieses Ereignis gilt als der Tag der Entdeckung Amerikas. Und an diesem Tage begegneten ein­ ander zum erstenmal Spanier und Indianer. Zwanzig Jahre später hatten andere Entdecker die Küste Südamerikas bis zum Rio de la Plata hin erforscht, von Norden her war Sebastian Cabot bis Florida gekommen, und Balboa hatte die Landenge von Panama überschritten und am Wasser des Stillen Ozeans Spaniens Banner aufge­ pflanzt. Noch aber fehlte die strahlendste Entdeckung. Gänzlich unbe­ kannt waren jenseits des weiten Golfes Mexikos Städte und Reiche ge­ blieben. Nur auf den vorgelagerten Inseln hatten die Spanier festen Fuß gefaßt und bereits eine Verwaltung errichtet. Als Isabella von Kastilien, des Kolumbus große Gönnerin, 1504 starb, gab es auf vielen Inseln »Westindiens« spanische Siedlungen, von denen vor allem Farbhölzer, Metalle und Zuckerrohr nach Spanien exportiert wurden. Auf Kuba residierte ein spanischer Statthalter, Veläzquez. Als er von einem der abenteuernden Seefahrer, der einmal auf das Festland ver­ schlagen worden war, hörte, es gebe dort sogar reiche indianische Städte, rüstete er 1518 einige Schiffe aus, die schließlich die Küste Mittelamerikas erreichten. Weiter im Westen, so hörte Veläzquez die primitiven Indios auf den Inseln erzählen, sollte das Goldland liegen, von dem die Spanier schon lange geträumt hatten. Veläzquez wollte dieses Dorado finden. Er beschloß, eine Expedition auszurüsten, und ließ Freiwillige dafür anwerben. Am 18. Februar 1519 verließ eine Flotte von elf Schiffen mit 110 See­ leuten, 553 Soldaten und 200 Indios, mit zehn schweren und vier leichten Geschützen und sechzehn Pferden die Insel Kuba, um das sagenhafte Goldland zu suchen. Der Anführer dieser Streitmacht war Hernando Cortez, ein spanischer Edler von dreiunddreißig Jahren, der, seit 1511 auf Kuba angesiedelt, dort durch Landbesitz und Goldwäscherei ein Vermögen erworben hatte. Er zog aus, das Land der Azteken zu suchen, ein Reich von Millionen Indios, die mit harter Hand über die von ihnen unterworfenen Völker herrschten. Ihr Kaiser hatte mit drei Nachbarstaaten ein Bündnis ge­ schlossen, das die unterjochten Indiovölker zur Lieferung von Tributen, von Opfersklaven und zur Duldung von Besatzungen zwang. Doch davon wußte Cortez damals nichts.

Der Konquistador, wie die Geschichte die Eroberer des Kontinents be­ titelt, segelte die Küste Yucatans entlang bis zur Mündung des Rio Tabasco, wo er von kampfbereiten indianischen Kriegern empfangen wurde. In der Ebene von Ceutla - nicht weit von den später so bekannt gewordenen Ruinen von Palenque - kam es zum Kampf, in dem die über­ legenen Waffen der Spanier siegten. Sie besetzten die Stadt Tabasco, und die indianischen Häuptlinge mußten sich ergeben. Sie brachten Versöh­ nungsgeschenke, zu denen auch zwanzig junge indianische Frauen ge­ hörten. Unter ihnen war eine junge Sklavin, die die Sprache Mexikos wie auch die der Maya sprach. Doña Marina, diese junge Sklavin, klug, treu und zuverlässig, wurde des Cortez Dolmetscherin. Sie wurde auch seine Ge­ liebte und begleitete ihn auf allen Fahrten. Sie stammte aus der Gegend von Acayuean und war die Tochter eines indianischen Kaziken. Nach dem Tode ihres Vaters war sie von ihrem Stiefvater, vielleicht mit Wissen ihrer Mutter, in die Sklaverei nach Mexiko verkauft worden, um sie aus der Erbfolge auszuschalten. Doña Marina hat später noch zweimal geheiratet, beide Male einen höheren spanischen Offizier. Cortez selbst hatte sie einen Sohn geboren, Don Martin Cortez, der später ein unglückliches Ende fand. Sie soll, sagen die Chronisten, eine Frau von ungewöhnlichen Reizen und von edlem Gemüt gewesen sein. »Sie vermochte die Indianer völlig nach ihrem Willen zu lenken, und dadurch wurde sie von höchster Wichtig­ keit für uns.« Sie war die Schlüsselfigur des nun beginnenden Abenteuers, eines der einschneidenden Ereignisse der Weltgeschichte. In den Sagen und Liedern der Indios ist sie bis auf den heutigen Tag lebendig geblieben. Montezuma, der Kaiser der Azteken, längst von der Landung der Spa­ nier unterrichtet, schickte Gesandte mit Geschenken an Cortez, aber auch mit der Aufforderung, die Fremden möchten das Land wieder verlassen. Cortez dachte nicht an Umkehr. Die erste große Stadt der Neuen Welt, die die Spanier betraten, war Cempoala, die Hauptstadt der Totonaken. Hier lebten andere Menschen als jene schlichten Halbwilden auf den Inseln, Menschen mit reich be­ stickter Kleidung, die sich Häuser, Tempel und Paläste aus Lehm und Stein gebaut hatten. In dieser Stadt, die an die 30 000 Einwohner gehabt haben soll, hörte Cortez zum erstenmal von dem tiefen Haß gegen die Azteken. Er hörte, daß das Land der Totonaken, mit seinen dreißig Städten und Dörfern, den Azteken Tribute zahlen mußte, die rücksichts­

los eingetrieben wurden. Und wenn diese Leistungen nicht rechtzeitig genug erfolgten, schleppten aztekische Krieger Jünglinge und Mädchen zum Tod auf dem Opferstein nach Tenochtitlan, der Hauptstadt auf der Hochfläche. Von Cempoala aus, wo die Indios Cortez und sein Gefolge in ihren glänzenden Rüstungen, mit ihren unheimlichen Wesen aus Mensch und Tier, den Reitern, ehrfurchtsvoll angestaunt hatten, kehrte Cortez noch einmal an die Küste, nach Veracruz, zurück, und hier schrieb er einen Brief an Kaiser Karl V., in dem er die Aussichten auf die Eroberung eines großen Reiches in den glänzendsten Farben schilderte. Noch ehe das Schiff mit diesem Brief nach Spanien abging, deckte Cortez eine Ver­ schwörung der Anhänger des Velazquez gegen sich, den selbstherrlichen und rücksichtslosen Anführer, auf. Die Häupter dieser Verschwörung bestrafte er mit dem Tod. Dann ließ er seine Schiffe zerstören, um jede Verbindung zur Außenwelt abzuschneiden und seinen Soldaten die Rück­ kehr unmöglich zu machen. Vor ihm lag das Reich Montezumas, ihm keineswegs freundlich ge­ sinnt, vor ihm standen Zehntausende von wilden Kriegern. Die kleine Schar marschierte mutig weiter von der Küste nach Westen. Durch eine Bergwildnis erreichten sie nach Tagen das Land der Tlaxcalaner, die sie feindlich empfingen. Es kam zu Kämpfen und schließlich sogar zu einer regelrechten Schlacht, die mit so hohen Verlusten für die Indios endete, daß sie um Frieden baten und sich den Spaniern unterwarfen. Hier in Tlaxcala, einer Stadt, so großzügig angelegt und so schön, daß Cortez sie mit Granada verglich, erschien wiederum eine Gesandtschaft des Kaisers, mit neuen reichen Geschenken und - diesmal mit der Er­ laubnis, ihn in seiner Residenz Tenochtitlan zu besuchen. Er bat die Spanier nur, den Weg über Cholula zu nehmen. Die Tlaxcalaner, nun Verbündete der Weißen, rieten dringend von die­ ser Route ab: Es sei eine Falle. Montezuma wolle sie in Cholula in einen Hinterhalt locken. Cortez zögerte, entschloß sich dann aber doch für den Weg über Cholula, als diese Stadt ihm eine Einladung schickte. Cholula war eine Falle. Hier warteten 20000 Mann auf die fremden Eroberer. Aber Cortez’ Reiter, seine Kanonen und seine neuen Bundes­ genossen waren stärker als die Übermacht. Die Indios flohen. Stürzende Häuser, brennende Balken, lodernde Flam­ men, Mord und Greuel bezeichneten das Ende von Cholula. Die Priester, die sich in den großen Tempeln verschanzt hatten, stürzten sich in die Tiefe, als sie sahen, daß der Kampf verloren war. Als die Waffen schwie­

gen, war Cholula zum großen Teil zerstört. In den Straßen lagen sechs­ tausend Tote. Für die Indios war diese furchtbare Niederlage das Straf­ gericht der Weißen Götter. Viele der benachbarten Städte schickten Ge­ sandtschaften, die Unterwerfung anzubieten. Cortez war nicht mehr aufzuhalten. Mit seinem kleinen Heer überwand er die Hindernisse der Sierra und marschierte an der Grenze des ewigen Schnees gegen die Hauptstadt.

Im Herzen des Reiches

Am 8. November 1519 hielt Hernando Cortez mit 400 spanischen Sol­ daten, einem Dutzend Berittener und ein paar Kanonen seinen Einzug in Tenochtitlan, der Hauptstadt eines Millionenvolkes. Vor ihnen lag im See von Tetzcoco, in einer malerischen Umgebung, die große Stadt mit ihren Pyramiden und den hochragenden Tempeln. Fern über dem weiten Tal ragte der königliche Berg Chapultepec auf. Am Hof von Tenochtitlan aber herrschte Todesstimmung. Montezumas Abgesandte brachten vier Lasten Gold, sie versprachen eine jährliche Abgabe: wenn nur die Spanier wieder abrücken wollten. Der Bruder des Kaisers wollte zwar augenblicklich ein Heer sammeln, die Fremden zu vernichten, aber der Herrscher entschied sich für einen friedlichen Empfang. »Was kann Widerstand nutzen, wenn die Götter sich gegen uns erklärt haben«, sprach er verzweifelt. Fünf Dämme, von Brücken unterbrochen, führten über den See zu den Inseln, die gleich einem mexikanischen Venedig die Hauptstadt bildeten. Über einen dieser Dämme marschierte das kleine Heer ein und nahm Wohnung im Palast des Vaters des Montezuma, einer weiträumigen, festungsartigen Anlage inmitten der Stadt. Der Kaiser hatte sich groß­ zügig erwiesen, und es fehlte den Eroberern an nichts. Aber ihre Bewe­ gungsfreiheit in der volkreichen Stadt war recht beengt, vor allem im Hinblick auf die kostbaren Pferde, die bei den Kämpfen jedesmal mit den Ausschlag gegeben hatten. Bald wurde es deutlich, daß man die Fremden nur widerwillig als Gäste betrachtete. Zweifel an ihrer Göttlichkeit hatten sich bei den aztekischen Bundesgenossen schon bald geregt. Ihr anmaßendes Verhalten trug dazu bei, eine kritische Lage zu schaffen. Es kam zu Zwistigkeiten, als die Ein­ dringlinge sich näher über die Ausmaße der Menschenopfer unterrich­

teten. Auch die neuen Verbündeten, die von den Azteken unterworfenen Hilfstruppen, stachelten die Spanier an. Jeden Tag konnte der Aufstand losbrechen. Die verwegenen Abenteurer waren dann auf einer schwer zu verteidigenden Insel mitten in einem See eingeschlossen. Ihre Waffen­ überlegenheit war nun fragwürdig geworden. Sie hatten sich in eine Falle locken lassen. Da entschloß sich Cortez zu einem kühnen Schlag. Er nahm den Kaiser in seinem Palast unter nichtigen Vorwänden gefangen. Nun hatte er eine Geisel gewonnen, die er klug einzusetzen gedachte. Seine Rechnung er­ wies sich als richtig. Fassungslos sahen die aztekischen Edlen, die Begleiter und Diener des Kaisers, was geschah. Aus der ersten heimlichen Bewunderung für die Weißen Götter war finsterer Haß geworden. Der Adel faßte Pläne zur Befreiung ... Doch das Schicksal griff ein. Anstelle der erhofften Verstärkung aus Spanien landete an der Küste eine von Velazquez entsandte Flotte von achtzehn Schiffen mit 900 Soldaten, 85 Reitern und zwölf Kanonen unter dem Befehl des Panfilo Narvaez, der den Rebellen Cortez in Ketten nach Kuba bringen und an dessen Stelle die Eroberungen fortsetzen sollte. Dieser erkannte die tödliche Gefahr. Er ließ 140 Mann zur Bewachung des Kaisers und der Hauptstadt zurück und zog mit dem Rest der Truppe dem feindlichen Landsmann entgegen. Die Besatzung von Veracruz schloß sich ihm an, sogar ein Teil der feindlichen spanischen Söldner ging zu ihm über. Cortez überfiel seinen Gegner Narvaez und nahm ihn nach kurzem Gefecht in der Nähe von Cempoala gefangen, jener Stadt, in der die Weißen zum erstenmal der indianischen Kultur begegnet waren. Wiederum hatte sich das Blatt gewendet. Aus dem armseligen Heer­ haufen, der von den früheren Kämpfen arg dezimiert war, war nun eine ansehnliche Truppe mit respektabler, schwerbewaffneter Kavallerie ge­ worden. Sie und ihr Anführer waren entschlossen, das Äußerste zu wagen. Unverzüglich wurde der Rückmarsch in die Hauptstadt angetreten. Hier war inzwischen eine ernste Lage entstanden. Cortez’ Stellvertreter hatte durch übertriebene Strenge und durch die Hinrichtung vornehmer Azteken eine erbitterte Gegenpartei geschaffen. Nun brach der Kampf los, kaum daß die Entsatztruppe wieder die Stadt erreicht hatte. Der Pa­ last wurde belagert. Ein gewaltiges Heer war dafür aufgeboten worden. Hagel von Pfeilen und Wurfgeschossen überschütteten die Spanier, wo sie sich sehen ließen. Die tapferen Ausfälle der Belagerten konnten nichts abwenden.

In der Nacht zum i. Juli 1520 mußte Cortez den gefährlichen Rückzug über den schmalen Damm durch den See von Tetzcoco antreten. Er ver­ lor dabei alle Geschütze und alles Pulver, fast alle Pferde und den größten Teil des unermeßlich großen Schatzes, den er gesammelt hatte. Kaum die Hälfte seiner Mannschaft konnte er über den Damm zurüdcführen. Es war die »noche triste«, die schreckliche Nacht, in der Cortez und die an­ deren Überlebenden gerade noch das nackte Leben retten konnten. Hinter sich sahen die entkommenen Spanier die Opferfeuer von Tenoch­ titlan, sie hörten das Schreien ihrer Kameraden, die nun hingeschlachtet wurden. Vor der Stadt fanden sie die Rückzugsstraßen versperrt. Das aztekische Volk war wie ein Mann aufgestanden. Von einer Übermacht verfolgt, zog der Konquistador den See entlang. Seine Lage schien verzweifelt, von Tag zu Tag wuchs das Heer des neuen Herrschers Quauhtemoc, der alle Reserven gegen diesen gefährlichen Feind einzusetzen gewillt war. Auf der spanischen Seite war kaum einer der Soldaten ohne Verwundung, auch Cortez blutete aus mehreren Wunden. Schließlich kam es am 8. Juli 1520 bei dem Ort Otumba zur Entschei­ dungsschlacht. Der Kampf schien schon verloren, da rief Cortez im letzten Augenblick zu einer verzweifelten Attacke auf. Und noch einmal wurde das Schicksal der stark dezimierten Truppe durch die abergläubische Furcht der Indios vor den als Doppelwesen angesehenen Reitern ge­ wendet. Der Angriff gelang. Entsetzt flohen die Mexikaner, den Rest besorgten die indianischen Hilfstruppen. Als das Feldzeichen des Feld­ herrn Cihuaca neben der Lanze des Konquistadors aufstieg, war das Reich der Azteken untergegangen. Ein paar Wochen später zog Cortez von neuem gegen die Hauptstadt Tenochtitlan. Die Azteken, unter ihrem neuen Kaiser Quauhtemoc, wehrten sich tapfer und verzweifelt. Aber diesmal eroberten knapp tau­ send Spanier die brennenden Inseln. Weit über 100 000 Tote lagen in den Straßen der großen Stadt, die nur noch aus rauchenden Ruinen, aus Trümmern eingestürzter Tempel und Paläste bestand. Die Azteken, eben noch die Herren ihres Großreiches, wurden zu Skla­ ven. Sie mußten selber ihre alte Hauptstadt planieren. Die Kaiserstadt der Azteken wurde, in ihrer Blüte ausgelöscht.

Eine Welt ging unter •Freunde, laßt uns dem Kreuze folgen, und unter diesem Zeichen, wenn wir gläubig sind, werden wir siegen.«

Goldene Inschrift des Cortez auf der schwarzsamtenen Fahne mit rotem Kreuz •Alles liegt am Boden zerstreut, und kein Ding steht mehr aufrecht.«

Bemal Diaz über die Zerstörung der aztekischen Städte •Ich bin gekommen, um mir Geld zu schaffen, nicht, um wie ein Bauer den Acker zu pflügen.«

Cortez bei seiner Ankunft in der Neuen Welt

Zepter, Thron und Sänfte Jedes Buch über die großen Entdeckungen vermerkt, es sei Kolumbus, der als erster Amerika fand. Er, und nach ihm die Spanier, seien, so wird angegeben, die ersten weißen Menschen in der Neuen Welt gewesen. Daß diese Ansicht falsch ist, dafür gibt es Zeugen: die Spanier selbst! Denn in Wirklichkeit hörten die Eroberer von den Indios nicht nur die Legende vom Weißen Gott, sondern sie selbst trafen weiße Menschen und sprachen mit ihnen, Menschen, die vom asiatischen Typ der Indios völlig verschieden waren. Sie trafen Menschen, die fast so aussahen wie ihre eigenen Landsleute in Spanien oder gar wie Nordländer. Die Berichte über weiße Indios sind so alt wie die Neue Welt selbst. Schon Kolumbus berichtet zweimal davon, daß die primitiven Indios von Guanahani (Watlingsinsel) ihn als Gott und Sohn des Himmels begrüßt hätten und daß er häufig Indianer gesehen habe »fast so weiß wie Spanier«. Besonders starken europäischen Einfluß aber zeigten die Inka in Peru. Pedro Pizarro sagt von ihnen: „Die herrschende Klasse im Königreich von Peru war hellhäutig und dunkelblond, etwa von der Farbe reifen Weizens. Die großen Herren und Damen sahen vorwiegend weiß aus wie Spanier. Ich traf in diesem Land eine indianische Frau mit ihrem Kind, so hellhäutig, daß sie sich von blonden, weißen Menschen kaum unter­ schieden. Man sagt dort von ihnen, es seien >Kinder der Götter Phi - vaw - wotan

Die Tabelle verzeichnet zuerst den Namen der Buchstaben im griechi­ schen Alphabet, dann den entsprechenden des phönizischen Alphabets und an dritter Stelle den Namen der Mayaglyphe für einige ihrer zwan­ zig Götter oder Tage, jeweils einem der Dialekte entnommen, jedoch so, daß die Stellung in der Reihenfolge der Zeichen von oben nach unten in allen drei »Alphabeten« dieselbe ist. Die Übereinstimmung geht noch weiter: In vielen Fällen besteht auch eine erstaunliche Ähnlichkeit der Schriftzeichen für dieselben Buchstaben bei den Maya und bei den Phöniziern. Diese Parallelen gehen in manchen Fällen sogar bis zur Bedeutung der dargestellten Symbole, die einige phönizische Buchstaben mit den Mayazeichen gemeinsam haben. Es ist ganz ausgeschlossen, daß die Maya nicht nur ihre Namen, sondern auch die Reihenfolge zufällig gefunden haben sollten, eben dieselben Namen und dieselbe Reihenfolge wie im phönizischen Alphabet ... Es scheint also doch so gewesen zu sein, daß die Schrift von den Phöniziern zu den Maya gekommen ist. Vieles spricht dafür. Aber es spricht auch manches dagegen. Die phönizischen Symbole nämlich sind so einfache Zeichen, daß es schwierig erscheint, einen Zusammenhang mit den kom­ plizierten Tageszeichen der Maya herauszulesen. Die Ähnlichkeit der 120

Mayanamen mit dem phöni­ zischen Alphabet, die nicht zu leugnen ist, dürfte auf eine an­ dere Art zu erklären sein. Die Mayaschrift hat sich eben nicht aus der phönizischen entwickelt, sondern beide Schriften müssen eine gemeinsame Wurzel haben. Es muß eine ältere Schrift gege­ ben haben als die phönizische, eben jene, aus der sich sowohl diese wie auch die Mayaschrift entwickelt haben. Jene alte Schrift muß aber eine Bilderschrift gewesen sein. Die Mayazeichen stehen nämlich ei­ ner Bilderschrift erheblich näher als die phönizischen Buchsta­ ben. Wenn man die Schriftzei­ chen der Maya mit den Bilder­ schriften der Alten Welt und den aus ihnen hervorgegange­ nen vereinfachten Schriften ver­ gleicht, so lassen sich einige Tat­ sachen feststellen: Die Mayazei­ chen sind von den sumerischen Bildschriften und von der Keil­ schrift so verschieden, daß eine Übertragung ausscheidet. Ein Vergleich der Mayaglyphen mit den ägyptischen Hieroglyphen zeigt zwar, daß die Mayaschrift der ägyptischen im Prinzip viel nähersteht als etwa der sumeri­ schen, aber auch, daß eine Über­ tragung der ägyptischen Zei­ chen unwahrscheinlich ist. Denn diese beruhen auf ganz anderen Die Glyphen de Landas und die altkretisdien Sdsriftzeichen

zeichen mit denen der Maya zu vergleichen, obwohl so viele Indizien aus den indianischen Kulturen nach Kreta hinweisen. Das Ergebnis ist eindeutig: Die Mayaschrift gebraucht die kretischen Symbole. In vielen Fällen ist die Übereinstimmung der kretischen Bilder­ schriftzeichen mit den Mayaglyphen so eindeutig, daß gesagt werden darf: Die Schrift der Maya ist die alte Schrift Kretas gewesen. Sie ist von Kreta zu den Maya gekommen. Eine andere Erklärung ist nicht denkbar. Denn daß eine Schrift mit so komplizierten Schriftzeichen an zwei so weit voneinander entfernten Stellen der Erde völlig unabhängig voneinander erfunden sein kann, ist so gut wie ausgeschlossen. Beschränkte sich die Identität der kretischen Schriftzeichen mit denen der Maya nur auf einfache Zeichen wie Kreis, Kreuz, Hand, Auge und ähnliches, wäre das noch kein Anlaß, eine Übertragung anzunehmen. Beide Schriftsysteme enthalten indessen außer den konkreten Bildzeichen auch so abstrakte Symbole, daß man nicht mehr sehen kann, von welchem Bild sie ausgegangen sind. Aber diese Zeichen sind in den beiden Schriften genau gleichartig. Das aber ist ohne die Annahme einer Übertragung nicht vorstellbar. Von großer Bedeutung wäre es, den gleichen Lautwert beider Zeichen nachzuweisen. Hier läßt uns die Forschung freilich noch im Stich. Wäh­ rend wir den Lautwert der kretischen Linearschrift B weitgehend wissen, fehlt er uns für die ältere Schriftform (Linear A). Ebenso ist es bei den Mayaglyphen. Bemerkenswert aber ist, daß in den wenigen Fällen, in denen wir den Lautwert sowohl der kretischen wie der Mayasymbole kennen (z. B. das glottalisierte p und das t = ta), dieser Lautwert über­ einstimmt. Damit können wir feststellen: Der Weiße Gott der Maya, von dem die Legenden sagen, er sei einst zum Mayavolk gekommen und habe ihm alle technischen Errungenschaften gebracht, alle Kultur und auch die Schrift - dieser Weiße Gott, der alte Kukulkan, schrieb kretisch.

Wann kam die kretische Schrift nach dem Westen? Selbst der Lautwert stimmt in den wenigen uns bekannten Fällen überein

Grundlagen als die Symbole der Mayasdirift. Außer den ägyptischen und den sumerischen Hieroglyphen gab es in den Reichen der Alten Welt noch eine weitere Schrift: die kretische. Es ist bisher noch nie versucht worden, die alten kretischen Schrift­

Wann die kretische Schrift in die Neue Welt gebracht wurde, läßt sich ungefähr feststellen, und zwar aus den Wandlungen, die die kretische Schrift selbst durchgemacht hat. Die Schrift der Kreter hat sich vom Bild aus entwickelt. Erst um 1700 v. Chr. wandelte sie sich zu einfacheren Zeichen, die gegen 1450 v. Chr.

noch weiter vereinfacht wurden. Man unterscheidet auf Kreta dabei drei verschiedene, zeitlich aufeinanderfolgende Schriften. Die älteste ist eine Bilderschrift, die man nicht entziffern kann. Es folgte eine Schrift mit vereinfachten Zeichen, die man Linear A nennt. Sie ist nicht lesbar, aber etwa die Hälfte ihrer Zeichen findet sich auch in der jüngsten Schrift Kretas, der Linear B, die einfache, aus den ursprünglichen Hieroglyphen entwickelte Symbole zeigt. Von den 80 Symbolen der Linearschrift B sind heute bereits 65 ent­ ziffert. Die große Überraschung bei der Entzifferung war die, daß es sich um eine Schrift der griechischen Sprache handelt. Wahrscheinlich wurde die Linear A zu der Linear B umgewandelt, um griechische Wörter schreiben zu können. Denn um diese Zeit (1425 v. Chr) ist die Zerstörung des Palastes von Knossos auf Kreta anzusetzen, die man vielleicht griechi­ schen Eroberern zuschreiben kann. Die Linearschrift B ist eine Silbenschrift. Gold heißt da »Ku-ru-so« (das griechische %Qvo6g), der König ist »Wa-na-ka« (das griechische &va|), A-ta-na-po-ti-ni-ja heißt ’Aörjvä norvia (oder Herrin Athene), Po-se-da-o ist Poseidon, Di-wo-nu-si-jo ist Dionysos. Die beiden Linearschriften A und B gingen auf Kreta etwa um 1400 v. Chr. verloren. Die Linear B hielt sich bis gegen 1100 v. Chr. noch in Griechenland. Dann wurde auch sie vergessen. Die eigentliche griechische Schrift ist erst um 800 v. Chr. festzustellen. Vergleicht man die Mayaglyphen mit den kretischen Zeichen, so ergibt sich eine sehr bemerkenswerte Tatsache: Ihre Übereinstimmung mit den alten kretischen Hieroglyphen und der Linear A ist stärker als mit der jüngeren Linear B. Die Maya können also ihre Zeichen nur aus den ältesten kretischen Schriften übernommen haben und nicht aus der jüngeren. Das ermöglicht eine Zeitfixierung, die bisher noch fehlte: Die kretischen Bilderschriften, die zu den Maya gelangt sind, wurden etwa um 1700 v. Chr. zu den viel einfacheren linearen Schriften umgewandelt. Die Übereinstimmung der späteren, der vereinfachten kretischen Zeichen mit den phönizischen ist so auffällig, daß man annehmen kann, die phönizische Schrift habe sich auch aus den kretischen Zeichen entwickelt und die Namen dafür über­ nommen. Dadurch wäre wahrscheinlich auch die Ähnlichkeit der Namen der Mayabuchstaben mit denen der phönizischen Buchstaben erklärt. Folglich müßte diese Übertragung der alten kretischen Bilderschrift in die Neue Welt um die Mitte des zweiten Jahrtausends vor Beginn un­ serer Zeitrechnung erfolgt sein. 124

Die alten Märchen wurden wahr •Die Trümmerstadt lag vor uns, gleich einer inmitten des Meeres zerschellten Barke, ihre Masten sind verloren, ihr Name verschwunden, ihre Bemannungen untergegangen, und keiner weiß zu sagen, woher sie kam, wem sie gehörte, wie lange sie auf ihrer Reise, was der Anlaß ihres Unterganges war.«

Stephens angesichts Copans •Es war traurig, Zeuge von ihrer Zerstörung zu sein, aber sie gehörte zu unse­ rem Plane, und es blieb uns keine Wahl.«

Cortez über die Zerstörung Tenochtitlans

Das Wunder vom Monte Alban

In den Jahrzehnten, als das Reich der Maya unter dem Spaten der Archäologen wieder auferstand, wurden überall in der Neuen Welt die frühen Kulturen gesucht, gefunden und ausgegraben, von denen die Chronisten berichtet hatten. Was bei den Grabungen zutage kam, be­ stätigte die Angaben der Chroniken Wort für Wort. Was man bis dahin nur für Märchen gehalten hatte, wurde jetzt wahr, wurde gelebte Ver­ gangenheit. Man holte, um nichts zu versäumen, auch die alten Tagebücher der Feldherren wieder hervor. Bei Hernando Cortez stieß man da auf einen Bericht, in dem die schweren Kämpfe mit einem Volk geschildert werden, dessen Männer vor allem wegen ihrer riesigen Lanzen gefürchtet waren. Es waren die Zapoteken. Der König der Zapoteken hatte Cortez zwar nach seinem Sieg über die Azteken gehuldigt, aber die Bergzapoteken hatten, wie es in dem Bericht hieß, erbitterten Widerstand geleistet. Die harten Kämpfe gegen dieses Bergvolk hatten fast ein Jahrhundert angedauert. Als die Spanier über Tenochtitlan gesiegt hatten, wurde der Eroberer zum »Marques de Valle« ernannt, zum Markgrafen des Tales. Damit war das Tal Oaxaca ge­ meint, jenes Tal zwischen den Gebirgen, aus denen das meiste Gold und Silber gewonnen wurde. In diese Gegend, in die Ebene im Nordosten von Oaxaca, waren die Zapoteken zu Beginn unserer Zeitrechnung ein­

gewandert. Später sind sie nach Südosten, bis zum Pazifischen Ozean vorgedrungen; ihr Gebiet reichte vom Isthmus von Tehuantepec bis zum Pazifik. Als kurz vor der spanischen Konquista die Chichimeken in das Tal von Oaxaca einwanderten, verloren die Zapoteken Teile ihres Rei­ ches. Sie wurden von den Azteken zwar unterworfen, aber nie völlig unterdrückt; eine aztekische Besatzung in ihrer Stadt Oaxaca mußten sie jedoch erdulden. Chroniken berichteten von Städten und Tempeln und Palästen im großen Zapotekenreich- Aber sie mußten schon längst un­ tergegangen sein, als die Spanier in Mexiko landeten. Sie trafen dort nur noch Reste des alten Volkes, Menschen, deren Kleidung schöner und kostbarer war als die anderer Indianer; sie trugen bis zu den Füßen reichende, über und über bestickte Gewänder und als Kopfschmuck eine Federkrone. Nur die alten Chroniken wußten vom »Ort der Nahrung«, vom »Ort der Toten« im alten Zapotekenreich und von der Stadt der großen alten Priester. Waren diese alten Städte spurlos untergegangen?

Eine alte Tempelstadt

Vierhundert Jahre später fand man von ihnen endlich eine Spur. Ganz dicht bei der Stadt Oaxaca liegt ein Bergrücken, der 400 Meter aus dem Tal emporsteigt. 1931 setzte der mexikanische Archäologe Al­ fonso Caso an diesem Bergrücken den Spaten an. Unter Buschwerk und Erde kamen Stufen und Terrassen zum Vorschein, die zu einer großen, ebenen Plattform hinaufführten. Auf dieser Plattform, 700 mal 250 Meter groß, standen die Überreste der alten Tempelstadt Monte Alban, die großen Pyramiden mit einer Grundfläche von 250 mal 200 Metern, wurden Reste von monumentalen Bauten gefunden, die mit Reliefs ge­ schmückt und mit Schriftzeichen versehen sind. Diese große Tempelstadt der Zapoteken wurde ungefähr zur Zeit um Christi Geburt gegründet, zu derselben Zeit, als auch die Maya zu einer höheren Kultur aufstiegen und die ersten alten Mayastädte entstanden. Zwischen dieser Tempelstadt Monte Alban und den Maya haben sogar enge Beziehungen bestanden. Das zeigen Bauten, Skulpturen, die Schrift und der Kalender. Auch mit einem anderen alten Volk, mit dem von Teotihuacan, hat ein starker Kulturaustausch stattgefunden. In der Tempelstadt auf dem Monte Alban hat man bei den Ausgrabun­

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gen neben Ruinen von Bauten und Resten der indianischen Kultur auch ein Kunstwerk gefunden, das man in Amerika nicht erwartet hatte: einen »echten Ägypter«. Es ist die Statue eines nackten Mannes in Hockstellung, der mit seinem Turban so stark an ägyptische Statuen erinnert wie kaum ein anderes Kunstdenkmal aus einer fremden Kultur. Auch etwas Ähnliches wie die Ballspielplätze vom Monte Alban gab es einst in der Alten Welt. Die gleichen Treppenstufen fassen Plätze ein, auf denen augenscheinlich früher ebenfalls Spiele abgehalten wurden. Die europäischen Ausgräber haben sie Schautreppen genannt. Nach neuen Radiocarbondatierungen stammt der Monte Alban aus dem Jahre 650 v. Chr. Schutt und dichtes Gebüsch haben die Ruinen der Tempelstadt und jene interessante Statue jahrhundertelang vor den Augen der Nachwelt verborgen gehalten. Wann diese Stadt untergegangen ist, wissen wir heute noch nicht. Sie wurde vom Volk der Zapoteken verlassen, als es seine zweite große Stadt, Mitla, baute.

Die Säulen von Mitla

Die Ruinen dieser Stadt Mitla haben schon die Spanier gesehen, als sie das unterworfene Land kurz nach der Eroberung bereisten. In der Nähe der Stadt Tlacolula fanden sie die Reste großer, alter Bauten, darunter einen Palast mit vier oberirdischen und vier unterirdischen Gemächern, die eine Gruft und mehrere Gräber enthielten. 1805 wurde Mitla nochmals entdeckt. Forscher legten, neben anderen Palästen und Bauwerken, einen »Säulenpalast«, bestehend aus drei Höfen und einem allseitig umbauten Innenhof, frei. Alle drei Höfe sind mit steinhartem Mörtel ausgelegt und von langgestreckten Hallen umgeben, von denen drei Türen auf die Höfe gehen; die Türen sind mit mächtigen Steinbalken eingerahmt. Die Wandverkleidung besteht aus einer großen Zahl von Steinplatten, in die Muster eingemeißelt sind, so daß die ganze Wand ein Mosaik ist. Die Muster werden von geometrischen Linien und Formen bestimmt. In diesem Säulenpalast von Mitla ist die Säulenhalle am imposantesten, die 37 mal 6 Meter mißt. Sechs riesige, runde Stein­ säulen trugen das Dach. Von dieser Halle führt der Weg durch Gänge in den allseitig von Mauern umgebenen Innenhof, dessen Kammern wahr­ scheinlich die Wohnung von Uija-tao, dem großen Seher, gewesen sind.

Er muß in einem Säulenpalast gewohnt haben wie die Herrscher in der Alten Welt. Solche Säulenhallen wie im Palast von Mitla gab es auch im Palasthof der Burg von Tiryns und im Treppenhaus der Wohnräume in Knossos auf Kreta. Sie ähneln den Kolonnaden von Chichen Itza und der Halle in den Palästen Mitlas. Mitla ist die zweite Stadt der Zapoteken gewesen. Forscher haben nach­ gewiesen, daß Mitla gegründet wurde, nachdem die Zapoteken ihre alte Tempelstadt auf dem Monte Alban verlassen hatten. In diese alte Stadt wanderte später ein neues Volk ein. Der Stil der Zapoteken wurde im 15. oder schon im 14. Jahrhundert auf dem Monte Alban, in Mitla, in Xoco und in Cuilapan von einem völlig anderen Stil abgelöst. Ein junges, kriegerisches Volk ergriff von dem Vorgefundenen Besitz: die Mixteken. Sie räumten auf dem Monte Alban die Totengrüfte der Zapoteken ein­ fach aus und setzten in den Kammern ihre eigenen Könige bei. Sie schmückten die übernommenen Grabkammem, die Türbalken, die Wände in Krypten und Palästen in ihrem Stil neu aus. Es waren Malereien, die »Bilderhandschriften in Fresko« genannt werden. Nach diesen Bilder­ handschriften hat die Geschichte der Mixteken, 692 n. Chr. begonnen und bis 1519, wahrscheinlich sogar bis zum Jahr 1642, angedauert.

Der große Tajin

Neben den alten Städten der Maya und dem Monte Alban der Zapo­ teken hat es schon zu Beginn unserer Zeitrechnung in Mexiko andere große Siedlungen gegeben, Städte derTotonaken. Von einer dieser Städte war schon einmal die Rede, von Cempoala, das bei den Kämpfen mit den Spaniern völlig zerstört wurde. Aber Cempoala war, wie die alten Chronisten zu berichten wußten, eine junge Totonakenstadt. Lange vorher hatten die Totonaken eine viel grö­ ßere Stadt bewohnt; sie soll in ihrer Blütezeit eine der größten in Mexiko gewesen sein. Ihr Name sei, so ist überliefert, »Tajin« gewesen, und Tajin bedeute »der Blitz«. Niemand hatte sich je um diesen alten Bericht gekümmert, wahrschein­ lich hat ihn überhaupt niemand gelesen, obwohl darin von einer großen, alten Pyramide gesprochen wurde, die im Dschungel der Urwälder lag und die die Eingeborenen »Tajin« nannten. Im Jahre 1785 hatte einmal ein Reisender diesen Tajin gesehen, aber

dann vergingen hundertfünfzig Jahre, bis man sich zum erstenmal für diese seltsame Pyramide interessierte; Forscher kamen, um sie zu suchen und auszugraben. 1935 bahnte sich eine kleine Expedition, geführt von Garcia Payon, mit der Machete einen Weg durch die schweigende, unberührte Dschungel­ wildnis auf dem Hügelland in der Nähe der Stadt Papantla. Wild wuchernde Schlingpflanzen, Bambusdickichte und die Ranken der Dom­ palmen machten jeden Schritt zu einem mühseligen Kampf gegen die Natur. Luftwurzeln hingen in grotesken Gebilden von den Ästen her­ unter, die Kronen der Urwaldriesen waren so dicht, daß nur selten ein Lichtstrahl bis zum Boden drang. Auf den Ästen aber, die noch ein wenig Sonnenlicht erreichte, wucherten Bromelien und Orchideen in dicken Pol­ stern. Die Vanille streckte ihre Ranken von Ast zu Ast, von Baum zu Baum und spann alles ein. Tagelang kämpften sich Payons Leute vor­ wärts. Sie sahen durch dichtes Urwaldgrün einen großen Berg im Dunkel liegen, der unter Buschwerk, Palmen und Vanillegespinst die Formen einer Pyramide ahnen ließ. Es war der Tajin, die große Pyramide. Sie wurde in mühsamer Arbeit vorsichtig freigelegt, denn das Bauwerk hatte unter der Moderluft des Urwaldes und unter der sprengenden Wirkung der dicken Wurzeln stark gelitten. Der große Tajin war mit 35 Meter Basislänge, 25 Meter Höhe und seinen sieben Absätzen keine gewöhnliche Pyramide. Er war anders ge­ baut als alle übrigen, die man vorher gesehen hatte. Es ist eine Nischen­ pyramide. In die Wände der Absätze sind kleine, quadratische Nischen eingelassen. Als der ganze Platz, auf dem die große Pyramide stand, freigelegt war, sahen die Forscher, daß er einst auf allen Seiten von Bauten eingerahmt gewesen war. Im Norden und Süden hatten Ballspielplätze gelegen, deren Wände mit Omamentbändem geschmückt waren. Auf einem kleinen Hügel wurde eine zweite Pyramide entdeckt, der sogenannte kleine Tajin, und dicht dabei stieß man auf die Ruinen des größten Baues in der alten Stadt Tajin, auf den Säulenbau. Alle diese Bauwerke haben offensichtlich ein verschiedenes Alter. Die große Pyramide war zweifellos die ältere, ihre Entstehung und ihre Blüte­ zeit liegt zwischen 600 und 1000 n. Chr., der kleine Tajin und der Säulenbau sind wohl zwischen 1000 und 1200 errichtet worden. Wie die Entstehungszeit, so ließ sich auch noch etwas anderes mit Sicherheit fest­ stellen: Die große Pyramide von Tajin ist von Ostasien beeinflußt. Der

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Tajin stimmt nicht nur in seinem Unterbau, sondern auch in der Deko­ ration durch die Nischen völlig mit den Pagoden der birmanischen Ruinen­ stadt Pagan überein. Die Ornamentik des Tajinstils - besonders auf Tongefäßen - zeigt eine so starke Übereinstimmung mit dem späten Chou-Stil Chinas, daß das Ornament der Indios fast nicht von einem chinesischen Kolonialstil unter­ schieden werden kann. Auf beiden Seiten des Pazifischen Ozeans finden sich die für den späten Chou-Stil charakteristischen, ineinander verschlun­ genen Drachen mit den kurzen sichelförmigen Flügeln, wie sie in China im 5. oder 4. Jahrhundert v. Chr. den Stil prägten. In der Tajinkultur kam auch der Rundspiegel Chinas zutage, hier allerdings aus Pyrit, während er in China aus Bronze war. Die Beziehungen zwischen den Totonaken und den Chou Chinas nahmen erst ein Ende, als die Han-Dynastie Chinas unterging. Als oben über das Reich der Maya und Chichen Itza gesprochen wurde, konnten die Kulturbeziehungen gezeigt werden, die einst von 200 bis 1200 n. Chr. zwischen den alten Reichen Hinterindiens und Indonesiens und der Neuen Welt bestanden haben. Hier bei den Totonaken findet sich eine noch viel ältere: Sie datiert bis vier- oder fünfhundert Jahre vor Christi Geburt. Damals schon also haben Menschen des Fernen Ostens den Weg über den Pazifik in die Neue Welt gefunden. Gewöhnlich datiert man die Tajinkultur (in der Gegend um Veracruz) auf 300—1000 n. Chr., also viel jünger als die nachweisbaren Übertragun­ gen. Die Diskrepanz kann aber darin liegen, daß entweder diese Datie­ rung falsch ist oder daß uns von der Kultur der ältesten Totonaken, auf die jene Übertragung einst stattfand, keinerlei Funde vorliegen, da sie möglicherweise in Holz gearbeitet haben. Der Wiener Forscher HeineGeldern (vgl. S. 280, 311) neigt allerdings zu der ersten Auffassung.

Tzintzuntzan Die Chroniken wissen auch von einem alten Volk zu berichten, von den Michuaque, den »Leuten, die Fische haben«. Sie sollen in Michoacan ge­ lebt haben, an den Ufern des in 2400 Meter Höhe gelegenen, fischreichen Sees von Patzcuaro. Christobai de Olid, ein alter Chronist, hat geschrieben, diese Menschen, die große Gebiete rings um den See herum erobert und dort ihre Städte 130

gebaut haben, seien ganz hervorragende Goldschmiede und wahre Künst­ ler in der Herstellung von Federschmuck gewesen; noch in spanischer Zeit habe die Kirche Priesterornate aus Federn bei ihnen bezogen. Die Spanier nannten sie Tarasken. Durch einen Städtedreibund von Tzintzuntzan, Ihuatzie und Patzcuaro erlebte ihr Reich unter dem Großneffen seines Gründers, des legendären ersten Königs Tariacuri, den Höhepunkt seiner Geschichte. In siegreichen Kämpfen gegen die Azteken dehnten sie das Reich aus. Damals waren sie den Azteken ebenbürtig. Unter dem Sohn dieses großen Herrschers aber, Tangaxoan Tzintzicha, ging das Reich unter. Der letzte König mußte nach dem Fall von Tenoch­ titlan dem spanischen Eroberer Cortez huldigen und endete 1532 auf dem Scheiterhaufen, weil er seinen Staatsschatz nicht ausliefern konnte, den ihm ein Jahr zuvor Christobai de Olid, ein Offizier von Cortez, aus den Schatzkammern in Ihuatzie geraubt hatte. Was die Menschen jenes Volkes über alle anderen Völker erhob, war ihre große Kunstfertigkeit als Zimmerer und Holzschnitzer, als Stein­ schneider, als Meister des Obsidians, als Meister der Metallverarbeitung, als Maler, Weber, Künstler auf dem Gebiete der Feder- und Nadel­ arbeiten. Bei dem kleinen Dorf Paricuti in Mexiko lagen einst ihre seltsamen Bauwerke: große, steile Terrassen, auf denen die Tempel dieses Volkes standen. Es waren Tempelterrassen mit fünf Yacatas, den teils runden, teils quadratischen Bauten. Das alles stand noch bis zum Februar 1943, leidlich gut erhalten. Am 20. März 1943 pflügte hier ein Bauer sein Feld, um neuen Mais säen zu können. Zuerst wollte er seinen Augen nicht trauen: Unter der Pflugschar quoll Rauch aus der Erde. Je weiter er pflügte, um so dichter wurde der Rauch. Der Bauer floh in panischer Furcht, halb gelähmt vor Entsetzen, in sein Dorf. Als er sich, zu Tode geängstigt, noch einmal um­ wandte, sah er den roten Feuerschein hinter sich, sah, wie die glühenden Lavamassen aus der Erde quollen und seinen Acker überströmten. Von den Tempelterrassen, den Yacatas, sah er nichts mehr. Eine graue, zähflüssige Masse hatte sie schon überdeckt. Nach zehn Tagen hatte der Vulkan eine Höhe von 300 Metern erreicht, ein glühender Berg, der alles unter sich begrub, auch den großen Tempelbau. Nun, wo das Unheil geschehen war, fanden es die Archäologen doch endlich an der Zeit, sich um die Bauwerke zu kümmern, die der Vulkan übriggelassen hatte. Sie begannen in dem waldreichen Gebirgs-, Hügel­

und Seenland Michoacans nach den Resten der Tarasken zu suchen. Man fand sie in den heute noch existierenden mehr als zwanzig Dörfern taras­ kischer Fischer, am See von Patzcuaro, der 2400 Meter hoch liegt. Jetzt wird, was Erde und Wald verborgen gehalten haben, wieder ausgegra­ ben: Die alte große Stadt der Tarasken - Tzintzuntzan. Am Ufer dieses Sees von Patzcuaro wurden bei der Ausgrabung der Ruinenstadt eigenartige Reste von Stufenpyramiden gefunden, die so steil waren, daß die Stufen wie eine Wand in die Höhe führten, ihre Ab­ sätze so klein, daß sie kaum sichtbar hervortraten. Sehr eigenartig waren auch die großen Plattformen und auf ihnen die sogenannten Yacatas, Bauwerke aus einem runden und einem viereckigen Teil. Sie sind mit einer Schale aus vulkanischem Gestein verkleidet. Der größte Bau von Tzintzuntzan war eine hohe Terrasse mit steilen Wän­ den. Sie war über eine hundert Meter breite Treppe zu erreichen. Auf der Plattform standen fünf Yacatas. Die große Erdterrasse hatte eine Seitenlänge von 425 mal 250 Meter. Am Fuß einer der Yacatas wurde ein Fürstengrab freigelegt, und als man die Grabbeilagen ans Licht brachte, erlebte man wieder einmal eine Überraschung. Diese Grabbeigaben übertrafen in der Metallbearbeitung noch die große Kunstfertigkeit der Zapoteken. Kupferne, vergoldete Halbmonde, Schellen in Schildkrötenform und Filigranarbeiten aus zu­ sammengelöteten feinen Drähten wurden geborgen. Es war Schmuck, der in seiner Schönheit bis heute kaum wieder übertroffen wurde. Da­ neben wurden Meisterwerke aus Obsidian geborgen, aus dem harten Stein, den man den »Stahl der Steinzeit« genannt hat. Aber man machte hier auch noch einen grausigen Fund: Das Grab des Fürsten war von anderen Gräbern umgeben, deren Reste nur den einen Schluß zuließen, daß man hier einem Gottkönig Menschenopfer darge­ bracht hatte. Freiwillig oder unter Zwang war das Gefolge des Königs seinem Herm in den Tod gefolgt.

Wo man zum Gotte wird Die alte Taraskenstadt Tzintzuntzan und auch die alten Städte der Maya, Monte Alban und Mitla der Zapoteken und auch die Totonakenstadt Tajin waren in früherer Zeit bei weitem noch nicht die größten Städte in Mesoamerika. Ihr Ruhm wurde von einer großen, gewaltigen

Stadt überstrahlt, von Teotihuacan, der »Stätte, wo man zum Gotte wird«. Diese Stadt soll einst so gewaltig gewesen sein, daß nicht Menschen, sondern nur Riesen sie erbaut haben können - so erzählen es die alten Mythen. Es sei eine Stadt der mächtigen Priester gewesen; zuerst hätten die Tolteken, zuletzt noch die Azteken sie bewohnt. Und die aztekischen Chro­ nisten wußten zu berichten, daß einst eine breite Straße mitten durch die Stadt gegangen sei, daß hier eine gewaltige Sonnenpyramide gestanden habe und eine fast ebenso große, die dem Mond geweiht war. Am 7. Juli 1520 ist das Heer von Cortez, auf der Flucht aus Tenochtit­ lan, an dieser alten Stadt Teotihuacan vorübergezogen. Sie war damals schon eine Ruinenstadt. Diese Ruinen hat niemals ein Urwald verschlun­ gen wie die Mayastädte, deren Auffindung so mühsam war. Die Arbeit der Archäologen in den alten indianischen Reichen war un­ vergleichlich schwieriger, als es beispielsweise die Ausgrabungen in Grie­ chenland waren. Wochen-, monatelang mußten die Forscher sich durch Dschungel und Sumpf kämpfen, immer umlauert von Gefahren, in Glut­ hitze, wehrlos den Myriaden von Moskitos ausgesetzt, vom Fieber und von feindlichen Indianern bedroht. Einer hat es leichter gehabt als diese Forscher, leichter sogar als die Archäologen Griechenlands: Als Manuel Gamio in den Jahren 1917 bis 1922 das alte Teotihuacan ausgrub, als er die Sonnenpyramide durchtunnelte und die Zitadelle unter der Erde hervorholte, da brauchte er sich nicht erst mühsam einen schmalen Pfad durch den Urwald zu hauen. Teotihuacan liegt so nahe bei Mexico City, nur sechzig Kilometer nörd­ lich der Hauptstadt, daß er jeden Morgen mit dem Auto zu seiner Gra­ bungsstelle fahren konnte und an jedem Abend wieder nach Hause. Er brauchte täglich nur vierzig Minuten zur Fahrt in eine Kultur, die vor Jahrhunderten untergegangen war. Heute sind die gewaltigen Pyramiden wiedererrichtet und bilden einen Anziehungspunkt für zahlreiche Besucher. Leopold Batres hat sie 1905 aufgesucht und an dem Bau gegraben, den die Indios die Sonnenpyramide nannten. Bis dahin hatte die riesige Ruinenstätte Jahrhunderte auf der baum­ losen Ebene Mexikos geschlafen, eine Ruinenstadt von siebzehn Quadrat­ kilometer Ausdehnung. Der kleine Fluß, der die Ebene durchzieht, floß seit Jahrhunderten; die Berge, die die Hochebene am Horizont säumen, stehen heute wie damals, als in der alten Stadt das Leben blühte, in einer Stadt, die so alt war, daß viele sie für die älteste von Mexiko halten. *33

Quer durch die Stadt führt, wie die alten Chroniken es geschildert hat­ ten, eine 1,7 Kilometer lange Straße, in leicht ansteigendem Gelände häu­ fig durch Stufen unterbrochen. Zu beiden Seiten liegen die Tempel, und die »Visa sacra« oder der Todesweg, wie die Straße in der Literatur ge­ nannt wird, mündet am Fuß der Mondpyramide auf einen freien, quadra­ tischen Platz. An der Ostseite der Straße liegt die kleinere Pyramide, an der Westseite ragt die Riesenpyramide der Sonne auf. Sie wurde frei­ gelegt. Sie hat, mit 225 mal 220 Meter Seitenlänge, dieselbe Basis wie die Cheopspyramide in Ägypten; mit 63 Metern ist sie aber nur halb so hoch. Sie ist aus luftgetrockneten Lehmziegeln gebaut und mit einem dicken Mantel aus Steinen und Mörtel umgeben. Auch die Mondpyra­ mide ist wieder erstanden. Sie ist kleiner, ihre Seiten messen 120 und 150 Meter, und sie ist nur 43 Meter hoch. Von einem besonders großen Bauwerk in Teotihuacan wußten selt­ samerweise die alten Berichte nichts zu erzählen: von der Zitadelle. Auch sie ist inzwischen ausgegraben worden, eine Pyramide von sechs Stufen, aus einem älteren Kem und einem späteren Überbau bestehend. Sie er­ hebt sich auf einer großen Plattform, auf der neben ihr noch fünfzehn kleine Pyramiden gestanden haben. An einer Seite ist die Fassade des alten Baues, der heute zu den berühm­ testen Bauwerken der Stadt zählt, erhalten. Der Sockel und auch der Fries sind mit fortlaufenden Reliefs der gefiederten Schlange geschmückt, die in stark vorspringenden, rundplastischen Schlangenköpfen enden. Zwi­ schen ihnen ist in regelmäßigen Abständen ein anderes Götterbild ange­ bracht, der mythische Schmetterling. Als Evans den Palast von Knossos auf Kreta ausgrub, da fand er ganz merkwürdige tönerne Gegenstände, die man bisher nicht hat deuten kön­ nen. Sie gleichen fast einem modernen Schlips mit Knoten. Man hat sie »Kultschleifen« genannt und meinte, sie seien bei Kulthandlungen benutzt worden, nm die Priesterinnen als Gott zu symbolisieren. Auch wurden sie als Symbol des Schmetterlings aufgefaßt, der auf Kreta mit der Seele der Toten in Zusammenhang gebracht wurde. Teotihuacan - und auch alle anderen altindianischen Kulturen bis zu den Azteken hin - kannte diesen Schmetterling sehr gut. In Teotihuacan sind die Symbole des alten Schmetterlingsgottes der Indios an der Fassade des älteren Baues des Zentraltempels der Zitadelle als gewaltige Stein­ skulpturen ausgehauen. Auf einem Tongefäß aus Teotihuacan findet sich der Schmetterling, und seine Symbole sind im Codex Borbonicus beim Totentanz um den Mastbaum, an dessen Spitze das Mumienbündel (ge­ i34

schmückt mit den Schmetterlingssymbolen) des Gottes Xolotl hängt, zu sehen. Einst hatte die alte Pyramide 366 Schlangen und Götterköpfe enthalten; sie waren bunt bemalt, als Augen waren ihnen Obsidiansteine eingesetzt es muß im ganzen ein phantastischer Anblick gewesen sein ... Die Ausgrabung der gewaltigen alten Stadt ist immer noch nicht völlig vollendet. Im Laufe vieler Jahre hat man außer den großen Bauten auch einen Wohnhauskomplex ausgegraben (Sigvald Linné, 1932 bis 1935); später (1942-1945) fand Pedro Armilias Gräber, Waffen, Schmuck, Werkzeuge, Keramik und wunderbar erhaltene Wandgemälde. Aus all diesen Funden konnte das Bild einer alten Kultur wieder vor unseren Augen auferstehen. Man hat aber auch etwas anderes gefunden, was zwar weniger imponie­ rend ist, dafür aber historisch sehr bedeutend: rauchgeschwärzte Wände und verkohlte Balken. Aus ihnen ließ sich herauslesen, daß die alte Stadt schon im Jahre 856 nach unserer Zeitrechnung durch einenBrand zerstört wurde. Teotihuacan war gewaltsam untergegangen. Was dort an Bauwerken, an Architektur und Plastik, an Schmuck, an Geräten und an Schriftzeichen gefunden wurde, das ließ sich, Steinchen für Steinchen, zu einem Mosaik zusammenfügen. Es ergab ein Bild der Geschichte dieser Stadt, das Bild einer der ältesten Kulturen der Indios Mesoamerikas. Die Stadt wurde zu einer Zeit erbaut, als südlich davon, im Tal von Mexico, noch eine archaische Kultur (Cuernavaca) bestand. Auch dort, wo Teotihuacan steht, lag einst eine archaische Siedlung. Aber auf die frühen Anfänge einer Kultur, die da zu finden waren, ist ohne Übergang der Stil von Teotihuacan gefolgt, und zwar so plötzlich, daß man anneh­ men muß, es hätte sich hier ein anderes Volk niedergelassen. Fünfhundert bis sechshundert Jahre hat die Stadt Teotihuacan gestan­ den. Der Beginn ihres Werdens reicht bis in die Zeit zwischen 100 und 300 n. Chr. zurück. Neueste Radiocarbondatierungen ergeben sogar 1475 v. Chr. Ihre großen Bauten, die Sonnen- und die Mondpyramide, sind in der ersten Epoche der Stadt errichtet worden, und ihre Blütezeit fällt in das fünfte bis sechste nachchristliche Jahrhundert. Teotihuacan wurde im Jahre 856 n. Chr. (durch die Tolteken?) zer­ stört. Die innere Zerrüttung seiner Dynastie hatte wohl die militärische Niederlage herbeigeführt. Nach dem Untergang der Stadt flüchteten ihre Bewohner nach Azcapotzalco an der Westseite des Sees von Tetzcoco, und dort hat die alte Kultur neue Blüten getrieben.

Mehr als tausend Jahre später begann die Stadt aus Trümmern und Ruinen neu zu leben. Was der Spaten dort freigelegt hatte, wurde mit den Bauten und den Kunstschöpfungen anderer Völker verglichen, und bei diesem Vergleich erkannte man, daß Teotihuacan einmal ein bedeu­ tendes Kulturzentrum gewesen sein muß. Seine Technik, seine Muster, seine Ornamente haben weithin ausgestrahlt über ganz Mittelamerika; sogar die zapotekischen Schriftzeichen finden sich in ihrer ältesten Form schon in Teotihuacan. Die festesten und engsten Bande haben zwischen Teotihuacan und den Maya bestanden. Diese Stadt hat die Maya bis in alle Einzelheiten der Kultur und Kunst beeinflußt. Das ist so weit ge­ gangen, daß man meinen möchte, das Volk von Teotihuacan habe dort auf dem Hochland von Guatemala eine Ansiedlung, eine Art Kolonie ge­ habt. Vielleicht ist es tatsächlich so gewesen. Auch die Zapoteken haben stark unter dem Einfluß der Kultur dieser Stadt gestanden. In ihrer Tempelstadt auf dem Monte Alban ist ihr Regen­ gott in ganz ähnlicher Gestalt wie in Teotihuacan dargestellt. Bei ihren Helmmasken und auf zapotekischen Gefäßen kehrt auch der mythische Schmetterling wieder. Außerdem haben die beiden Kulturen den Mais­ gott gemeinsam. Die Totonaken haben das gleiche verschlungene und verschnörkelte Bandornament, wie es für Teotihuacan typisch ist, und der mythische Schmetterling findet sich auch auf ihren Steinjochen wieder. Es waren erstaunliche, frappierende Übereinstimmungen, die diese Ver­ gleiche der Kultur von Teotihuacan mit anderen Kulturen ergaben. Sie schienen so eindeutig, daß man glaubte, daraus schließen zu dürfen, alle Kultur der indianischen Reiche Mesoamerikas habe in Teotihuacan ihren Ursprung gehabt, alle Völker Mexikos und Yucatans hätten die Impulse ihrer höheren Kultur von dem Volk von Teotihuacan empfangen. Als die Forschung diesen an sich logischen und durch Beispiele bekräf­ tigten wissenschaftlichen Standpunkt einnehmen wollte, wurden Ent­ deckungen bekannt, welche die Entstehung der Kulturen in Mexiko und in Yucatan in einem ganz neuen Licht erscheinen ließen.

Die Sintflut von Zacatenco

Der Spaten des Archäologen kommt erst dann zur Ruhe, wenn er auf Schichten stößt, die archäologisch »steril« sind. Eine eiserne Regel der Archäologen der Alten Welt gebietet, eine Grabung erst dann abzuschlie­

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ßen, wenn man gewiß sein darf, nichts mehr zu finden. Nach dieser alten Regel wurde in den Jahren nach 1928 auch in Mexiko gegraben. Schutthügel und Gräber wurden durchforscht. Bei Zacatenco und El Arbobillo, am Nordufer des Sees von Tetzcoco, stieß man auf Abfall­ haufen von sieben bis vierzehn Meter Dicke. Als man sie abtrug, hatte man drei Kulturperioden freigelegt: eine älteste, ganz unten, eine mitt­ lere, in der allem Anschein nach die Bevölkerung gewechselt haben mußte, und eine jüngere obenauf, deren Kultur schon mit jener Hochkultur von Teotihuacan parallel läuft. Andere Schutthügel am See von Tetzcoco förderten Reste einer azteki­ schen Kultur zutage, dann eine vier Meter dicke Schicht der Kultur von Teotihuacan und als letzte, ganz unten, eine eineinhalb Meter dicke Schicht der Archaiker, im Beginn einer Kultur. Die archaischen Kulturen im Tal von Mexiko werden nach zwei Fund­ stätten am ehemaligen Nordufer des Sees von Tetzcoco unterschieden, und zwar ist es die Zacatenco-Kultur und die Ticoman-Kultur. Dabei lassen sich mindestens zwei Entwicklungsstufen feststellen. Die archaische Kultur hat schätzungsweise in der Zeit zwischen 3000 und 1000 v. Chr. bestanden, also, rund gesagt, ungefähr um 2000 vor un­ serer Zeitrechnung. Aus Tonwaren, die man dort, als die bedeutendste Hinterlassenschaft dieser Epoche, gefunden hat, konnte man schließen, daß die Zacatenco-Kultur ungefähr doppelt so lange angedauert haben muß wie die Ticoman-Kultur. Sie ist von jener so verschieden, daß man diesen Unterschied nur mit der Einwanderung eines neuen Volkes er­ klären kann. Werkzeuge, die dort ausgegraben wurden, einfache Geräte, Gefäße und Schmuck deuten darauf hin, daß bestimmte Dinge, zum Beispiel zu Schmuck verarbeitete Muscheln, von der pazifischen und auch von der atlantischen Küste eingeführt worden sein müssen. Es mußte also auch Hande! mit den Völkern im Süden getrieben worden sein. Das geht schon aus dem Vorkommen von Jade hervor. Besonderes Aufsehen erregten die Keramikfunde. Die Ticoman-PIastiken aus Ton wiesen eine in Mexiko nie wieder erreichte Lebensnähe auf. Es handelt sich um primitiv geformte menschliche Gestalten mit einer überschlanken Taille, deren Glieder nur als Stummel ausgebildet sind. Ihren Höhepunkt erreichte die Plastik in der Kunst von Tlatilco, in der Darstellung üppiger Frauenkörper mit prallen Brüsten und feistem Hin­ terteil. Daneben findet sich das, was die Literatur »fine lady« genannt hat: sorgfältig frisierte Frauengestalten, kokette Tänzerinnen, sitzende Mütter *37

mit Kindern oder Frauen mit einem Hündchen im Schoß. Unter den männlichen Figuren zeigen die Plastiken Ballspieler, maskierte Gestalten, Bucklige und auch Männer mit einem Kinnbart. Die Schöpfungen dieser frühen Völker sind alle noch recht primitiv, aber sie zeugen schon von einer gewissen Kulturstufe. So primitiv diese alten Funde im Tal von Mexico waren, so groß war die Sensation, die das Archaikum für die Ausgrabenden bereithielt. Der Spaten der Forscher stieß auf eine dicke Schicht aus feinem Schlemmton. In dieser Tonschicht fand man Tongefäße, Werkzeuge, Statuen und Ge­ bilde aus Keramik. Zelia Nuttall, die Erforscherin mancher altamerikanischer Kulturen, die in Zacatenco um 1900 herum gegraben hat, fand diese Lehmschicht. Deuten konnte man sie erst viel später, als Woolley in Ur auf eine ganz ähnliche Schicht gestoßen war. Was Woolley dort in Babylonien angetroffen hatte, war ein Zeugnis dafür, daß einmal eine große Flut gekommen war, die alle Ansiedlungen der Menschen überschwemmt hatte: die Sintflut, von der die Mythen be­ richteten. Die Spuren der indianischen Sintflut fand Zelia Nuttall am See von Zacatenco. Wir können heute gleich einer Vision das Bild dieser Landschaft erkennen, wie es in grauer Vorzeit einmal ausgesehen haben mag, vielleicht tausend Jahre vor unserer Zeitrechnung: Da lag ein großer See, und an seinem Ufer standen die kleinen, einfachen Hütten. Es regnete, tagelang, wochenlang. Es war ein Wolkenbruch ohne Ende. Der Spie­ gel des Sees von Tetzcoco stieg, die Hütten am Ufer wurden über­ schwemmt, die Menschen flüchteten in die Berge. Diese Flucht wurde ihre Rettung, denn der Regen hielt an. Täglich stieg der Wasserspiegel des Sees, täglich mußten die Menschen höher in die Berge hinaufsteigen, um nur das nackte Leben zu retten. Wer im Tal blieb, war verloren. Der Regen ließ nicht nach. Von den Bergen flossen zuerst kleine Rinn­ sale, dann wurden es Flüsse, Ströme aus Wasser, Schlamm, Lehm und Steinen. Die Menschen waren völlig verängstigt und verkrochen sich in armselige Blätterhütten. Die Tiere suchten bei ihnen Unterschlupf. Was die Menschen besessen hatten, ihre Hütten, ihre Geräte, hatten sie am Ufer des Sees zurückgelassen. Ihr Besitz lag nun auf dem Grunde des Sees, der um zwanzig Meter gestiegen war und das ganze Tal von Mexico ausfüllte. Die Menschen verließen diesen Ort des Grauens. Sie erzählten von der großen Flut, der sie und ihre Tiere nur entkamen, weil sie recht­ zeitig flüchteten. Auch die Menschen, die in Copilco am Westufer des Sees gewohnt hatten, mußten vor dem unaufhörlichen Regen und der 138

ständig steigenden Flut die Flucht ergreifen. Ihre Tongefäße waren es, die man 3000 Jahre später aus der Lehmschicht wieder hervorholte. Die Sage von der großen Flut ging in die Mythen der indianischen Völ­ ker ein. Die Archaiker brachten sie nach Peru, als sie die Nordküste er­ oberten und dort ihre kleinen Königreiche gründeten. Noch die Azteken erzählten von der großen Flut, und in ihrer Legende ging in dieser Sint­ flut das dritte Weltalter unter. Die Sage von der Sintflut gibt es auch in der Alten Welt: das Gilgamesch-Epos Mesopotamiens und der Sumerer, die Legende, die noch die Griechen in ihrer Sage von der Deukalionischen Flut übernommen haben, der nur Deukalion entkam. Dieser Deukalion war Noah, den wir hier schon als den gottesfürchtigen Tapi der Indiosage wiedergefunden haben. Beide Sagen, das Gilgamesch-Epos und auch die indianische Legende, gehen auf Naturkatastrophen zurück, die keine Legende sind, sondern die tatsächlich einmal über die Erde hereingebrochen sind. Das hat die Forschung längst klargemacht. Diese Sintflut war die erste große Katastrophe, die jene primitiven Kul­ turen der Indios vernichtete.

Ein indianisches Pompeji Tausend Jahre gingen wieder über das Tal von Mexico hin. Dann brach die zweite Katastrophe herein. Die Menschen, die vor der großen Flut geflüchtet waren, waren zurück­ gekommen, und die Alten unter ihnen erzählten von dieser Flut, als hät­ ten sie sie selbst noch erlebt. Es hatte 500 Jahre gedauert, bis die Wasser wieder gesunken waren und der Wasserspiegel des Sees von Tetzcoco seinen früheren Stand erreicht hatte. Nun lebten wieder Menschen in den Siedlungen am See. Sie bestellten ihren Acker und fischten im See. Aber sie lebten in ständiger Furcht, weil die Erde unter ihnen nicht zur Ruhe kam. Die Erde bebte oft. Der große Vulkan Xitli spie Dampf, Rauch und Feuer. Der Rauchpilz über dem Krater wurde immer höher und größer. Flammen schlugen gen Himmel, und eines Tages barst der Vulkan. Ein Strom glühender Lava quoll den Berg Xitli herunter. Der heiße Brei er­ reichte das Tal und floß weiter, stündlich wachsend, langsam sich vor­ schiebend, alles versengend und verbrennend. *39

Die Menschen flüchteten vor dem glühenden Strom durch das Dunkel der Nacht, durch die schwarzen Wolken des Aschenregens, der am Tage die Sonne verfinsterte. Über ihre Wohnstätten wie San Angel, Azcapotzalco oder Cuicuilco, über Felder und die Gräber ihrer Toten wälzte sich der Lavastrom. Er begrub alles unter sich. Die Lava verschonte auch ihr Heiligtum nicht, die Pyramide von Cuicuilco. Aber die Pyramide war zu hoch, um ganz in den Lavamassen zu versinken. Der glühende Strom um­ floß sie nur. Heute ragen noch zwei Drittel dieser Pyramide aus dem er­ starrten Lavameer heraus. Achtzig Quadratkilometer Land waren zu Stein erstarrt, als sich der Ausbruch des Xitli erschöpft hatte und die Lava abgekühlt war. Unter einer sechs bis acht Meter dicken steinernen Decke verbargen sich im Süd­ westen des Tales von Mexico die Reste einer Kultur. Viele Jahrhunderte gingen über diesen erstarrten Landstrich hinweg, bis in unserer Zeit Forscher in das Tal kamen und unter die Lavaschicht, das Pedregal, wie sie genannt wird, Stollen gruben. Sie fanden unter die­ ser steinernen Decke Spuren menschlichen Lebens, Reste einer Kultur, der »subpedregalen« Kultur. Die Pyramide von Cuicuilco, die am Süd­ rand der Stadt Mexico liegt, wurde von ihrer steinernen Hülle befreit. Es ist ein Rundbau, 20 Meter hoch und 135 Meter im Durchmesser. Ihr äußerer Mantel besteht aus gestampftem Lehm, der an der Basis mit schützenden Steinen abgedeckt ist, unbehauen, ohne Mörtel zusammenge­ fügt. Auf der Plattform, zu der eine Treppe hinaufführt, steht ein recht­ eckiger Altar, rings um die Pyramide liegen, radial angeordnet, Gräber. Man hatte wiederum Reste einer frühen Kultur gefunden. Aber wie alt sie war, wußte man nicht, und darüber entbrannte ein Streit. Die Geo­ logen, die man zu Hilfe rief, erklärten, diese Lava sei 8000 Jahre alt. An­ dere Wissenschaftler behaupteten, der Ausbruch des Xitli sei um das Jahr 3000 v. Chr. erfolgt. Tausend Jahre vor unserer Zeitrechnung habe die Lava die Pyramide umflossen, meinten schließlich die übrigen. Die neueste Radiocarbondatierung ergab für den Ausbruch des Xitli 500 v. Chr. Der Streit um das Alter der Pyramide von Cuicuilco und die Zeit des Xitli-Ausbruchs bewegte die Gemüter der Archäologen und anderer Wissenschaftler, aber wichtiger als dieser Streit waren die Funde aus einer Epoche mitten im Archaikum. Es sind Figuren, Statuen und Gefäße, deren Entstehung man beim besten Willen nicht in das Archaikum ver­ legen konnte. Sie gehören dort nicht hin, sie müssen von außen her in diese Epoche gekommen sein. Diese Fundstücke waren so alt, daß sie keinem der Völker Mittelameri­

kas zugeschrieben werden konnten, deren Geschichte in unendlich mühe­ voller Arbeit bis zurück ungefähr zur Zeit um 300 n. Chr. erforscht war, der Azteken, der Tolteken, der Chimicheken, der Maya, der Totonaken, der Zapoteken. Diese Funde verrieten eine Kunst, die nur aus einer Hoch­ kultur stammen konnte. Sollte man eine indianische Hochkultur übersehen haben? War es mög­ lich, daß die Indios eine Hochkultur gehabt hatten, die älter war als alles, was man kannte? Jahrelang blieb diese Frage das größte Rätsel Mexikos.

Bauelemente aus Ostasien finden sich oft in der MayaArchitektur und gehen bis zur vollständigen Übereinstim­ mung in Details. Oben Tempelfassade aus Kambodscha, unten Detail vom Mayatempel von Xlapac

Das größte Rätsel Mexikos »Es war mein Türkis, ich bekam ibn von Lea, als ich noch Junggeselle war. Ich hätte ibn nicht für einen Wald von Affen weggeben.«

Shylodc in Shakespeares »Kaufmann von Venedig«

Das alte Märchen von Olman Das Märchen von dem uralten Land, vom ältesten Reich der Indios, kehrt ausnahmslos bei den Chronisten wieder. Alles, was groß war, geschah einmal in Olman. Alle Erfindungen, alle Kultur kamen einmal von Olman. Dieses Land war nach den Schilderun­ gen der Chronisten (Sahagun) das Paradies, in dem Kakao und Kautschuk wuchsen, in dem seltene Vögel, der Quetzalvogel, Kotinga, Trupial und der Löffelreiher, umherflogen. Jade und Türkise, Gold und Silber gab es in diesem Land im Überfluß. Die Menschen trugen prächtigen Schmude, Sandalen aus Leder und Kautschuk. In Olman verehrten die Menschen, wie die Chronisten erzählen, eine Erd- und eine Mondgöttin. Sie kannten geheime Wissenschaften und hatten einen Zauberer als König. Aus Ol­ man, so hieß es, war jede hohe Kultur gekommen, und die Bewohner die­ ses Reiches, die Olmeken, seien diejenigen gewesen, die alle höhere Kul­ tur zu den Indios gebracht hätten. Sahagun, der sich in einem besonderen ethnologischen Kapitel mit den Bewohnern Olmans befaßt, gibt bekannt, daß sie im Besitz geheimer Wis­ senschaften waren und einen Zauberer zum König hatten. Solche und noch wunderbarere Geschichten wußten die alten Chroni­ sten vom Paradies von Olman zu erzählen, Geschichten, die man in ihrer Übertreibung nur für Märchen hielt. Erst in unseren Tagen zeigte sich dann, daß diese Märchen einst Wirklichkeit gewesen waren. 142

La Venta, die Stadt im Sumpf Um die Jahrhundertwende hatte man ein wundervolles Mosaik der in­ dianischen Kulturen Mexikos und Yucatans zusammensetzen können, aus kleinen und kleinsten Steinchen und Funden, aus Chroniken und Indizien, die sich alle zu dem Bild von den alten Kulturen der Indios ergänzten. Nur einige kleine Steine wollten nicht in dieses Bild passen. Die Gelehr­ ten hielten, als sie das Mosaik zusammengefügt hatten, immer noch einige kleine Figuren in der Hand, die sich beim besten Willen nicht einfügen ließen. Und aus diesen kleinen Figuren und Statuen zogen sie einen küh­ nen Schluß: Es müsse in Mesoamerika eine noch viel ältere Kultur ge­ geben haben als alle, die man bisher kannte. Es müsse eine Hochkultur schon zur Zeit des Archaikums bestanden haben. Gab es aber eine Hoffnung, diese alte indianische Kultur jemals aufzu­ spüren? Was bisher aus den alten Reichen gefunden worden war, konnte gut eingeordnet werden. Man hatte Stilkunde getrieben, und die Funde ließen sich fast immer den Völkern zuordnen, die sie hergestellt hatten. Da berichtete Alfredo Chavero 1884, er habe an der Golfküste Funde gesehen, die so fremdartig seien, daß sie zu keiner der bekannten Kul­ turen gehören könnten. Sie seien so eigenartig, daß er sie nur durch die Einwanderung von Menschen aus einem anderen Kulturkreis der Alten Welt erklären könne. Es seien kolossale Menschenköpfe aus Stein und Axtklingen, die Menschengesichter trügen. Ihre Gesichter aber stellten eine Mischung aus Mensch und Jaguar dar. Wiederum kamen einige selt­ same Funde an den Tag. Noguera fand in Michoacan eine kleine Grün­ steinfigur, die überhaupt nicht einzuordnen war. Vaillant fand eine Ton­ figur gleichen Typs in Gualapita. In Tres Zapotes hatte man bereits vor vielen Jahren einen großen Sarkophag aus Stein gefunden, dessen Stil den neuen Funden entsprechen konnte. Die Wissenschaft begann sich für diese Dinge näher zu interessieren, als man eines Tages auf einen Fund stieß, der mit einem Schlage alles in einem anderen Licht erscheinen ließ: Vor etwa 50 Jahren wurde westlich von La Venta bei San Andres Tuxtla eine kleine Jadestatuette gefunden. Sie war im Stil so fremd wie alle anderen Funde, die nicht einzuordnen waren. Aber an dieser Statuette fand sich etwas ganz Besonderes: Sie trug nämlich ein eingraviertes Datum. Es konnte durch seine nahe Verwandt­ schaft mit den Mayazeichen, die man inzwischen kannte, entziffert wer­ den. In unsere Zeitrechnung umgerechnet, war darauf das Jahr 161 n. Chr. zu lesen. Das war eine Sensation. Es bedeutete nicht nur, daß man das

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bisher älteste Datum Mexikos und Yucatans gefunden hatte; nicht nur, daß man alle die ähnlichen Funde nun ordnen und einem ganz alten Volk zuschreiben konnte; es war jetzt auch erwiesen, daß dieses Volk bereits im Besitz der Schrift gewesen ist. Da wagten sich die Forscher noch weiter mit den Hypothesen. Sie er­ klärten, man habe nun die Reste des alten Volkes der Olmeken gefunden, die einst alle hohe Kultur nach Mexiko gebracht hatten und von denen die Technik und Wissenschaft der Indiovölker stammte, das Lehrmeister aller frühen Völker Mexikos gewesen sein muß. Die Menschen aus dem Paradies Olman hatten endang der Golfküste gelebt, zwischen der Alvarada-Lagune im Süden von Veracruz und der Terminos-Lagune an der Grenze der Halbinsel Yucatan und im heutigen Distrikt Tuxtla. Aber auch in Morelos, in Guerrero, Puebla, Oaxaca und Chiapas wurden ihre Spuren gefunden. Irgendwo in dem ungeheuren Sumpfgebiet an der adantischen Küste Mexikos mußte die Hauptstadt der Olmeken liegen. Es war eine der größten Aufgaben der Archäologen, diese Stadt zu finden, deren Lage kein Mensch angeberi konnte. Expeditionen auf Expeditionen durchstreiften dieses Gebiet, aber sie kehrten alle zurück, ohne wesendiche Funde gemacht zu haben. Die Stadt fand keine. Dann kam, zu Beginn der dreißiger Jahre, ein Amerikaner namens Stirling in dieses Sumpfland. Er ging ganz systematisch vor, studierte alle Bodenerhebungen, die vielleicht auf verschüttete Bauwerke hindeuten konnten, befragte Eingeborene, um einen Fingerzeig zu erhalten, wo er suchen, wo er den Spaten ansetzen sollte, um nun endlich dieses alte Ge­ heimnis Mexikos lüften zu können. Auch die Eingeborenen wußten nichts von dieser Stadt, sie kannten nicht einmal den Namen der alten Haupt­ stadt der Olmeken. Wochenlang streifte der Amerikaner kreuz und quer durch Sumpf und Savanne. Er fand nichts. Mitten im Sumpf sah er eines Tages eine bewaldete Erhebung aufragen. Es mußte früher einmal eine Insel in einem großen See gewesen sein, ehe das Wasser, in langen Zeitläufen, verdunstete und versickerte und der See zum Sumpf wurde. Wieder fragte er die Eingeborenen aus. Was das für eine Insel sei. Wie sie heiße. Sie nannten die Insel »La Venta«. Das war alles, was er erfahren konnte. Aber ein sicheres Gefühl sagte ihm, mit dieser Insel müsse es eine besondere Bewandtnis haben. Er beschloß, sie und die Geheimnisse, die sie vielleicht barg, zu erforschen. Hier in diesem Sumpf, in dieser Mangrovenwildnis, sollte einmal eine alte Stadt gelegen haben? Als Stirling mit seinen Begleitern Weiant und 144

Drucker den Platz erreichte, erlebten sie dasselbe, was Stephens einst in Copan widerfahren war: Sie sahen Mauern durch das fast undurchdring­ liche Laubwerk schimmern und standen plötzlich vor einem hohe« Bau­ werk. Seine Form zeigte, daß es einmal eine Pyramide gewesen war, der Mittelpunkt eines Komplexes von Bauten mit Plätzen, um die größere und kleinere Erdpyramiden gruppiert waren. Es war wirklich das alte Zentrum der Olmeken: La Venta.

Die heiligen Beile Kretas und Chaldäas Asphalt Als Matthew W. Stirling den Spaten in dem alten La Venta ansetzte, stieß er auf eine Stadt der Rätsel. Auf dem Platz im Norden der Pyramide von La Venta fand er in sieben Meter Tiefe ein Mosaik aus Serpentinplättchen; auf diesem Mosaik lagen 37 kreuzförmig angeordnete Axtklingen aus Serpentin. Als er das Mosaik näher untersuchte, stand er vor einem neuen Rätsel: Die einzelnen Be­ standteile und Plättchen waren sorgfältig in Asphalt eingebettet. Dieses Einbetten in Asphalt ist in der Alten Welt seit 5000 Jahren be­ kannt. Die Heimat des Asphalts ist Chaldäa, die Heimat Abrahams. Asphalt oder Erdpech war ein Handelsartikel des erdölreichen Landes zwischen Euphrat und Tigris, und von dort aus gelangte es in alle Kul­ turen der Alten Welt. Auch die kretische Inkrustier- und Intarsienkunst beruht auf der Verwendung von Asphalt. Man brauchte ihn, um die vie­ len einzelnen Bestandteile einer Einlegearbeit aneinander und auf der Unterlage zu befestigen. Auf dem bekannten, fast einen Quadratmeter großen Spielbrett aus Kreta sind Elfenbeinplättchen, Bergkristall, Gold und Silber zusammen­ gefügt. Kreise aus Bergkristall liegen auf Goldfolien. Die Augen der kre­ tischen Stiertritone (Trinkbecher in Gestalt eines Rinderkopfes) bestehen aus Bergkristall mit scharlachroter Pupille und Umrahmungen mit Jaspis. Alle diese Bestandteile sind sorgfältig in Asphalt gebettet. Als Evans auf Kreta den ersten Spatenstich tat, war auch er in eine Insel der Rätsel eingedrungen. Er hatte die Grabung begonnen, die bis heute andauert, und es ist noch gar nicht lange her, als man in die alten Kult­ höhlen Kretas eindrang und seltsame Werkzeuge zutage brachte. Man fand in diesen alten Kultstätten der Kreter Dutzende der heiligen Zeremonialbeile aus Bronze oder Gold. Sie lagen oder hingen in Haufen bei

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den freigelegten Altären, genauso, wie sie auch Stirling in La Venta fand ... 37 Stück auf dem in Asphalt gebetteten Mosaik. Die Ausbeute in La Venta war reich und lohnte alle Mühen. Man fand riesige Altäre, aus großen, kubischen Steinblöcken so zugehauen, daß sie oben wie eine Tischplatte vorspringen, und alle Seiten sind mit Reliefs bedeckt. Das Jaguarmotiv nimmt dabei die Hauptrolle ein. In den Nischen eines Altars finden sich rundplastische Figuren mit gekreuzten Beinen. Sie halten an einem Strick zwei gefesselte Menschen, die an den Seiten­ wänden als Flachrelief wiedergegeben sind. Die Hauptfigur in der Nische eines zweiten Altars hält die Gestalt eines Zwerges im Schoß. Diese Zwerge, die von Erwachsenen im Arm getragen werden, kehren auf den Seitenwänden noch viermal wieder. Sie zeigen auf den Reliefs das un­ gebärdige Wesen von Kindern, in Technik und Auffassung den Danzantesreliefs (Tänzer in merkwürdiger Haltung) vom Monte Alban so verwandt, daß man annimmt, derselbe Meister habe sie geschaffen. Gewaltige Steinblöcke sind die Altäre, 20 bis 50 Tonnen schwer. Der dafür verwendete Stein entstammt denTuxtla-Vulkanen und mußte über eine Entfernung von 130 Kilometer Luftlinie über den ehemaligen See auf diese Insel geschafft werden. Noch heute ist es ein Rätsel, wie die Olmeken diese Arbeit bewältigen konnten. Als Stirling und seine Mitarbeiter die Ruinen von La Venta freilegten, stießen sie auf gewaltige Steine. Ein riesiger steinerner Menschenkopf stand vor ihnen, ein Kopf, der die Verkörperung aller Rätsel Mexikos zu sein schien. Beim Weitergraben fanden sie fast ein halbes Dutzend solcher Stein­ häupter. Eines der kleineren unter ihnen mißt einen Meter und 80 Zenti­ meter Höhe bei einem Umfang von 5,50 Meter, andere erreichen zwei­ einhalb Meter Höhe. Als die Ausgräber vor diesen riesigen Steinköpfen standen, mußten sie zuerst annehmen, es seien Riesenstatuen, von denen nur der Kopf aus der Erde ragte. Die Köpfe mußten Figuren von der Höhe eines zehnstöckigen Hauses entsprechen. Aber bald fand man, daß zu den Köpfen keine Kör­ per gehörten und daß sie nur auf einem Steinuntersatz standen- Aber man fand auch übergroße menschliche Figuren. Eine dieser Statuen von La Venta hält eine Schale in den Händen, und auf dem Kopf trägt sie einen Haarkamm. Am Kraterrand der Tuxtla-Vulkane hat einmal eine riesige Figur gestanden, deren Kopfaufsatz eine Maske in Form eines Jaguargesichtes war. Was uns heute an diesen Figuren besonders überrascht, ist die auch 146

später kaum jemals erreichte Lebensnähe der Darstellung, die für alle Hochkulturen Mesoamerikas Vorbild wurde. Sicherlich, hat die hohe Kunst der Menschendarstellung der Maya hier ihre Wurzeln. Die Stein­ plastik der mesoamerikanischen Reiche geht auf das Vorbild der Olmeken zurück. Das Erstaunliche an all diesen Statuen der Olmeken ist jedoch nicht nur ihre Größe und ihre Lebensnähe, sondern der Umstand, daß die dar­ gestellten Menschen keine Indios sind. Es sind Menschen mit allen ge­ meinsamen Merkmalen einer bestimmten Rasse, nicht aber der indiani­ schen.

Kautschuk und Jaguarmanie

In der Alten Welt sind die heiligen Beile ein Zeichen der Kultur der Megalither - jener Menschen, die einst die Sonnenreligion verbreitet haben. An allen Küsten Europas hatten sie ihre riesigen Steingräber ge­ baut; man fand sie ebenso in Afrika wie in Indien und Japan. In diesen Gräbern entdeckten die Forscher die heiligen Beile. Oft waren sie aufrecht nebeneinandergestellt; die Schneiden zeigten nach oben. Die gewaltigen Steinquadern der Olmeken sind nichts anderes als ein Aus­ druck dieser alten Megalithkultur. Die Chronisten berichten, daß die Olmeken aus Olman gekommen seien. Olman aber wird mit »Kautschukland« übersetzt. Die Olmeken trugen Sandalen aus Gummi, sagen die Chronisten. Sind sie auch die Erfinder des Gummiballs? Die allerältesten umfriedeten Plätze sind in ihren Städten gefunden worden, Plätze, wie sie später auch die nachfol­ genden Kulturen besaßen. Sind die Olmeken auch die Erfinder dieser Ballspielplätze und des religiösen Spiels mit dem Ball? Sie haben auch das Jaguarmotiv mitgebracht. Es ging von ihnen zu den Maya nach Uaxac­ tun, nach Teotihuacan, zu den Tolteken und zu den Azteken. Nie aber hat es eine Kultur so sehr beherrscht wie die der Olmeken. Dem Jaguar ordneten die Olmeken ihre Kunst in einem Ausmaß unter, daß man von einer Jaguarmanie gesprochen hat. Sie formten Menschengesichter, de­ ren Mund- und Nasendarstellung dem Jaguarmaul ähnelt. Wir begegnen allen Typen und den verschiedensten Stufen, die es zwischen Mensch und Tier gibt. Sollen es Menschen mit tierischen Zügen - oder Tiere mit menschlichen Zügen gewesen sein? >47

Den Jaguarmenschen der Obneken zeigen ihre Vo­ tiväxte und ihre Jadefiguren. Sie waren Meister in der Bearbeitung des grü­ nen Steines — wie die Kre­ ter. (Nach Kridteberg)

Auch in der Alten Welt hat es ein Volk gegeben, bei dem wir von einer ähnlichen Manie sprechen können. Hier wurde jedoch nicht das Gesicht des Jaguars zum Vorbild genommen, sondern das des Löwen. Es sind die vielen Löwenmasken unserer alten abendländischen Kulturen, die wir seit frühen Zeiten kennen. Sie entsprechen im Prinzip den amerikanischen Jaguarmasken. Sie sind ein Merkmal Kretas.

Kretische Löwenmasken

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Die grünen Steine Kretas Auch etwas anderes, das man wieder in La Venta fand, war ein Merk­ mal Kretas: kleine grüne Amulette. Bei allen Völkern der Indios gab es einen Schatz, den sie höher stellten als Gold, Silber und Edelsteine. Heute noch ist dieser Schatz bei allen Indianerstämmen, die durch die Grüne Hölle ziehen, das einzige, von dem sich der Besitzer niemals trennt. Er war in den alten Kulturen, nächst dem eigenen Leben, das höchste Geschenk für die Götter. Es ist der Jade. Die ungeheure Wertschätzung der milchweißen, blaugrünen oder smaragd­ grünen Steine geht durch alle Kulturen der Neuen Welt. Meister in der Bearbeitung des Jade waren die Olmeken. In ihrem Ge­ biet wurden die größten Jadefunde gemacht. Die Kunst der Jadebearbei­ tung wanderte von ihnen zu allen Kulturen Mittelamerikas bis zu den Azteken, in deren Tributlisten noch der Jade als Zahlungsmittel aufgeführt wird. Aus einem Grab in La Venta wurde ein wahrer Schatz an Stücken aus Jade geborgen, Ohrringe, Tierfiguren, Äxte. Sehr viele Stücke tragen nur leichte Ritzzeichen, um die funkelnde, glatte, halb durchsichtige Oberfläche des Steins zu erhalten. In Cerro de Las Mesas wurden an einer Stelle 782 Jadefiguren gefunden, darunter ein trog­ förmiger Einbaum mit Ruderern und die Figur eines weinenden Zwerges. Auch über diesem kostbaren Stein liegt ein Geheimnis; seine Herkunft ist ein Rätsel. Die ganze Alte Welt hat ebenfalls den Jade gekannt, jenen grünen Stein, den Konfuzius als den Stein der Tugend bezeichnete und der in China hochgeschätzt wurde. Auch die Phönizier waren Meister der Jadearbeit. Sie verbreiteten den Stein über die ganze damalige Welt. Jadevasen und Jadeschmuck der kretisch-mykenischen Kultur kamen um 1500 v. Chr. auch an den Hof Thutmosis’ III. Es waren Phönizier, die die Jadearbeiten brachten und die dafür Elfenbein aus Afrika nach Kreta holten. Aus Ägypten kennen wir die Göttin dieser Steine, die Göttin der Tür­ kise, die kuhköpfige Hathor. Einer ihrer Tempel stand in Sinai. Eine besondere Stellung aber nahm der grüne Jade in der kretischen Kultur ein. Amulette aus Jade waren der Schmuck der kretischen Frau. Und noch heute tragen die Bäuerinnen Kretas durchlochte minoische Sie­ gelsteine aus Jade an einem Band um den Hals, und es ist aussichtslos diese Steine erwerben zu wollen. Am Amazonas tragen die Häuptlinge der wilden Indianerstämme heute 149

noch dieselben grünen Steine aus Jade, oft in genau derselben Form, an einem Band um den Hals. Es ist das einzige, was sie nicht eintauschen. Sollte die Suche nach diesem Stein des Konfuzius, nach dem begehrten grünen Jade, eine der Ursachen sein, daß einst Menschen aus Ostasien die Neue Welt besuchten? Der Wiener Gelehrte Robert Heine-Geldern vermutet es. (Vgl. S. 280 ff.) Eine ähnliche Parallele läßt sich vielleicht auch bei einem anderen Schmuckmaterial feststellen: In fast allen indianischen Kulturen hat man Schmuck aus Bernstein gefunden. Auch aus dem heiligen Brunnen in Chichen Itza brachte der Bagger Bernstein ans Licht. Woher dieser Bern­ stein stammt, ist heute noch eine Frage. In der Alten Welt handelten nur die Phönizier mit Bernstein. Sie holten ihn von der Ostsee, denn nur an dieser einzigen Stelle der Alten Welt wird Bernstein gefunden. Schon lange vorher aber war er der Schmuck der Kreter. Ihre Schiffe brachten ihn aus den Ostseeländem ins Mittelmeer. Stammt der Bernstein der Indios auch aus der Alten Welt? Lange vor den Phöniziern — zur Zeit der Megalithkultur - kam der Bernstein aus dem Norden zu den Hochkulturen des Mittelmeeres. Wir finden ihn nicht nur im Norden und Westen Europas in den Riesengräbem auch in den Gräbern der Pharaonen Ägyptens ist er anzutreffen. Die Seefahrer im dritten und zweiten Jahrtausend vor Christi suchten auch den Bern­ stein, das nordische Gold. Bei den Ausgrabungen auf dem Tajin fand man eigenartige, meisterhaft gearbeitete Steinskulpturen der Totonaken, die Steinjoche und die soge­ nannten Palmas, die die Totonaken von den Olmeken übernahmen. Diese Joche aus Basalt, Andesit, Diorit oder Serpentin haben Hufeisen­ form. Sie zeigen Tiere, Kröten und Vögel, manchmal auch Menschen, oft mit einer Maske dieser Tiere. Der Kopf liegt dabei im Scheitelpunkt, Arme und Beine an den seitlichen Schenkeln. Über die Bedeutung dieser alten olmekischen Steinjoche in Hufeisen­ form ist viel gerätselt worden, aber man ist bisher zu keinem Ergebnis gekommen. Nur so viel ist bekannt, daß die Joche mit dem Totenkult zu­ sammenhingen, denn man fand zwischen den Schenkeln der Joche Toten­ beigaben. Daraus wurde gefolgert, das steinerne Joch habe dazu dienen sollen, den Toten an die Erde zu bannen. Es gibt auch eine Reihe der steinernen olmekischen Joche, bei denen die beiden Schenkel des Hufeisens durch einen Querbalken verbunden sind. Und diese Form ist auch von alten ägyptischen Abbildungen her be­ kannt. Auch hier ist sie ein Bestandteil des Totenkults. Die Ägypter 150

Hufeisenförmiges Steinjod) der To­ tonaken, für Kultund Bestattungszere ­ monien benutzt. Es entspricht in der

Ankh, dem Zeichen für »Leben« bei den Ägyptern

nannten dieses alte Zeichen »Ankh«. Es ist das ägyptische Zeichen für das Weiterleben nach dem Tode. In der Hinterlassenschaft der Olmeken und der Totonaken wurden außer den Zeremonialbeilen noch völlig andere Formen gefunden: Äxte mit durchlöcherter Klinge und in diese Schneideöffnung hineingearbeitet, der Biegung wunderbar angepaßt, Menschen oder Tierfiguren, Akro­ baten - genauso wie im alten Ägypten. Wir kennen so ein Beil aus Ägyp­ ten, bei dem nur die Umrisse der Klinge stehen und in dessen Rahmen Tierfiguren so kunstvoll der Biegung und dem Raum angepaßt sind wie bei den Beilen der alten Indios. Auf den Palmas der Totonaken, dreikantigen, prismatischen Steinsäulen mit einer Ausschneidung an der Basis, erscheinen Vögel oder auch ste-

Prunkbeil aus Ägypten (links) und Zeremonialbeil der Olmeken (rechts). Beide zeigen durchbohrte Schneiden

hende oder kniende Menschen, oft mit geschlossenen Augen, etwa in Vogelgestalt, als Schlange oder als Schmetterling. Die Komposition der Figuren und die Aufteilung der Fläche sind meisterhaft. Die Vorbilder dieser steinernen Skulpturen, die sich fast nur in der Gegend von Jalapa, an der Südwestgrenze des Totonakenreiches, finden, gehen auf die Ol­ meken zurück, von denen, wie die Chroniken sagen, alle anderen Völker einst ihre hohe Kultur übernommen haben.

Alle Hochkultur Mexikos stammt von den Olmeken

Als die Stilformen aller im Laufe der letzten Jahrzehnte wiedererstan­ denen Kulturen miteinander verglichen wurden, die Ornamente und die Steintechnik, drängte sich die Überzeugung auf, daß alle Steintechnik der indianischen Reiche Mesoamerikas hier, bei den Olmeken, ihre Wurzel hat. Auch die Stele trat ihren Weg durch die Kulturen Mesoamerikas von den Olmeken aus an. Die Olmeken sind die »Erfinder« der Stelen Meso­ amerikas, und sie haben sie so meisterhaft geschaffen, daß sie allen spä­ teren Völkern als Vorbild dienten. Die Kunst der olmekischen Stele läßt sich durch ein ganzes Jahrtausend fast lückenlos verfolgen. Auch die Kunst der Maya, die Kunst der Zapoteken und die Stelen von Chiapas und Guatemala an der pazifischen Küste, die Kunst des Reliefs, der Stein­ rundplastik, der Sarkophage haben ihren Ursprung bei den Olmeken; alle hohe Kunst der Steinbearbeitung späterer oder gleichzeitiger meso­ amerikanischer Kulturen stammt von dort. Von den Olmeken kommt die Pyramide, die Schrift der indianischen Reiche Mesoamerikas, alle bautechnischen Fertigkeiten, die Kenntnis des Asphalts und der Zusammensetzung des Mörtels, wie sie ihn beim Bau ihrer Pyramiden verwendeten, von ihnen kommen die Sarkophage, die großen steinernen Altäre und wahrscheinlich auch die Federarbeiten und der Kautschukball. Die Maya übernahmen von den Olmeken Stele und Stuck. Die Ausstrahlungen von La Venta sind so stark gewesen wie kaum in einer anderen Kultur der Erde, obwohl La Venta nur kurze Zeit be­ standen hat. Als es gewaltsam vernichtet wurde, wanderte die olmekische Kultur zu ihren Nachbarn, den ältesten Maya und den Zapoteken auf dem Monte Alban. Die Olmeken erbauten Teotihuacan, die Totonaken

und Tarasken übernahmen von ihnen ihre Bauten und Bauteile, ihre Steintedinik und andere Errungenschaften. Der Einfluß der Olmeken, auch auf die jüngeren Völker, geht durch alle Kulturen hindurch bis zu den Azteken. Die Olmeken haben auch das große Cholula im Hochland von Puebla gebaut, das noch im zweiten Drittel des 12. Jahrhunderts n. Chr. in voller Blüte stand, als die Tolteken dieses Land erreichten. Wann es war, als in Mexiko eine kleine Gruppe von Menschen ein­ wanderte, die wir hier als Olmeken kennengelemt haben, wissen wir nicht. Sie waren die Träger einer Kultur, die jene der primitiven Stämme ihrer neuen Heimat weit überragte. Sie bauten sich ihre Städte La Venta und Tres Zapotes. Zu welcher Zeit das geschah, das läßt sich aus zwei Inschriften auf Fun­ den in der Stadt Tres Zapotes feststellen, die man lesen kann. Die Jade­ statue, eine plumpe Figur mit Vogelflügeln und einem Menschengesicht mit Entenschnabel - von ihr war schon die Rede -, trägt eine Zeitangabe, die unserem Jahr 162 n. Chr. entspricht. Auf dem Fragment einer Stele, die auf der Rückseite mit einer Jaguarmaske verziert ist, liest man das Jahr 31 n. Chr. Die älteste bisher bekannte indianische Schrift ist die olmekische. Sie ist nur auf einigen wenigen Stelen erhalten, die ganz im Mayastil gestaltet sind. Die Olmeken, die Schrift und Zahlenzeichen kannten, haben vermutlich auch die Schrift zu den Maya gebracht. Die Schriftzeichen der Maya waren jedoch, wie schon ausführlich dargestellt wurde, kretische Sym­ bole. Die Olmeken müssen also die kretische Schrift gekannt haben. Das klingt zunächst überraschend. Es ist jedoch weit weniger unwahr­ scheinlich, wenn man den Anteil Kretas an der Ausbreitung der Mega­ lithkultur kennt. Als die Sonnenreligion an die Küsten der Alten Welt getragen wurde, waren kretische Schiffe die Mittler; sie brachten kre­ tische Symbole in alle Länder Europas. Die Schiffe der Megalither sind zwischen 4000 und 1500 v. Chr. in Spa­ nien gewesen, in Frankreich und Portugal, in England, auf den Orkney­ inseln, in Dänemark und in Schweden. Sie sind ungezählte Male an Gi­ braltar vorbei in den Atlantik hineingesegelt. Warum sollte ein solches Schiff nicht einmal in einen Sturm geraten und so weit abgetrieben wor­ den sein, daß es über Passat und Strömung den Golf von Mexiko er­ reichte? Das könnte sogar wiederholt geschehen sein. Sollte die IndioLegende vom Weißen Gott aus dem Westen weit in das zweite vor­ christliche Jahrtausend zurückreichen? »53

Die Reiche des Weißen Gottes Quetzalcoatl »In Tollan, ach, stand der hölzerne Tempel. Noch ragen dort die Sdtlangensäulen. In die Ferne zog unser Fürst Nactitl.«

Trauergesang des Toitekenfürsten »Zehn Blume« nach dem Auszug des Weißen Gottes aus Tula

Der Weiße König von Tula Es war — den Legenden zufolge - mehr als 2000 Jahre später, als ein anderer »Weißer Gott« die Neue Welt fand; zu jener Zeit, als halb Europa bereits christianisiert war. Im späten siebten und frühen achten Jahrhundert wurden die frühen Kulturen Mexikos, die wir kennengelemt haben, durch eine Völker­ wanderung aus Nordamerika überrannt. Barbarische Jägerstämme der Nahua drangen nach Mexiko vor. 674 v. Chr. standen die ersten An­ kömmlinge - die Tolteken-vor der Hauptstadt der Otomi, Mem-hen-hi; die Stadt ging in Flammen auf. Die Tolteken übernahmen die Kultur ihrer Vorgänger und bauten an derselben Stelle Tula - das Tollan der Legenden. Es gibt keine Chronik Mexikos, die diese Stadt nicht nennt; auch keine Beschreibung einer Stadt, die so märchenhaft wäre wie die von Tula in den Chroniken von Fray Bernardino de Sahagun oder von Juan de Torquemada oder von Mendieta. Sie schildern das Land der Tolteken, Tollan, als Paradies, in dem die Maiskolben zu solcher Größe wuchsen, daß man sie nicht tragen, sondern nur rollen konnte; in dem das Gemüse so hoch wie Palmen wuchs und »die Baumwolle farbig« war. Das Märchen von der Stadt Tula hatte auch der indianische Prinz Ixtlilxochitl erzählt: Von der reichen Stadt Tollan, die einst in grauer Vorzeit gegründet worden war. Von den Tempeln hatte er berichtet,

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von Sonnen- und Mondpyramiden, von Schrift und Kalender und davon, daß die Religion frei gewesen sei von Greueln. Vom sagenhaften Xolotl hören wir und vom Ansturm der Chichimeken, die das große Tula zer­ störten. In der Geschichte der Könige werden zehn Toitekenherrscher ange­ führt. Sie beginnt 856 n. Chr. und endet 1168 mit Huamac, der 1174 Selbstmord beging. Der fünfte Toitekenkönig aber war jener Quetzalcoatl, der von 947 bis 999 lebte und der schließlich sein Volk verlassen hat. Eben dieser König trug viel dazu bei, daß die Berichte über Tula für Märchen gehalten wurden, denn der fünfte Toitekenkönig war der weiße bärtige Mann auf dem Thron, der Weiße König und Gott von Tula. »Es ist die Geschichte dieses Königs unter den Einwohnern wie die des Königs Artus unter den Engländern. Diese Stadt wurde zerstört und dieser König vertrieben. Sie sagen, daß er nach dem Osten abfuhr, und sie sagen, daß er lebt und wiederkommen wird, neu zu erbauen und zu regieren die alte Stadt. Und als Don Hernando Cortez kam, dachten sie, er sei es —«: So steht es geschrieben in der Chronik von Sahagun. Zum Verwechseln ähnlich dem weißen Mann war dieser fünfte König der Tolteken. Die (später aufgezeichneten) Chroniken (der Spanier) verzeichnen, wie es damals war, als er eintraf: »Einige Jahre nach der Besiedlung der Pro­ vinz Tollan kamen aus nördlichen Gegenden gewisse Völkerstämme, die im Gebiet von Panuco landeten. Das waren gutgekleidete Leute, die lange Gewänder nach Art der Türken oder solche aus schwarzem Sack­ tuch, ähnlich den Soutanen der Geistlichen, trugen. Die Gewänder waren vorn offen, ohne Kapuzen, am Hals rund ausgeschnitten und mit breiten kurzen Ärmeln versehen, die nicht einmal bis zum Ellbogen reichten. Als sie im Lauf der Zeit bis nach Tollan gekommen waren, wurden sie dort freundlich aufgenommen, denn es waren sehr erfahrene und geschickte Leute von großer Erfindungsgabe. Sie verstanden sich auf die Bearbei­ tung von Gold und Silber und waren Meister jeglicher Kunst ... Kurz­ um, ihr treffliches Benehmen, ihre Betriebsamkeit und ihre Geschicklich­ keit machten sie so beliebt, daß man sie - wohin sie auch kamen - hoch­ achtete und ihnen große Ehren erwies« (Sahagun). Woher diese Menschen gekommen waren - das vermuteten die Chro­ nisten nur. Einige halten sie für Abkömmlinge von Römern, die durch Stürme über den Ozean getrieben worden waren. Andere meinen, es seien Iren gewesen, die dorthin verschlagen worden waren. Sahagun

selbst war der Ansicht, sie wären aus Florida herübergekommen. »Als aber jene Schar nach Tula kam, hatte sie eine sehr vornehme Persönlich­ keit bei sich, die ihr Führer [Caudillo] war und der sie beherrschte. Man nennt ihn Quetzalcoatl, und die von Cholula verehrten ihn nachmals als Gott. Es gilt als ausgemacht, daß er von angenehmem Äußeren war, weiß, blondhaarig, bärtig und wohlgestaltet« (Sahagun). »Er war von lichter Erscheinung, guter und vornehmer Statur, hatte große Augen und reichen Haarwuchs, sein Bart war groß und rund- geschnitten. In seinem Leben war er milde und ehrenhaft« (Veitia). Als dieser Mann nach Tula kam — so erzählen die Chroniken —, wurde er König der Tolteken, und es begann das Goldene Zeitalter. Er baute die großen Tempel und Paläste. Tollan wird zum Schlaraffenland und zum Paradies. »Und der große Quetzalcoatl hatte allen Reichtum der Welt an Gold und Silber und Steinen und anderen Kostbarkeiten« (Sa­ hagun). Diese goldene Zeit dauerte aber nur kurz: Ein Unglück kam über Tollan. Regen, Hagelschauer und eine Dürre vernichteten die Ernten; unheimliche, unheilkündende Dinge ereigneten sich. Am schlimmsten aber war es, daß der Weiße König krank wurde. »Man sagt, daß er immer in Decken gehüllt dalag. Und man sagt, daß er sehr häßlich war. Sein Ge­ sicht war wie ein grober Klotz, ohne menschliche Bildung, und sein Bart war sehr lang und groß« (Sahagun). Quetzalcoatl ergab sich dem Trunk. In tiefer Niedergeschlagenheit über seine Verfehlungen faßte er den Ent­ schluß, Tula zu verlassen. Er wanderte mit seinen Getreuen fort. »Dar­ auf blickte er zurück nach Tula, und da weinte er. Wirr und schluchzend weinte er, zwei Hagelschauer waren seine Tränen, über das Gesicht leg­ ten sich seine Tränen ... Er wanderte zum Meer, und als er dort ange­ kommen war, machte er die Schlangenbahre. Nachdem sie fertig war, setzte er sich darauf, und das galt nun gleichsam als sein Schiff. Dann wurde er auf dem Wasser fortgeführt, und niemand weiß, wie er nach Tlapallan gelangte« (Sahagun). Anderen Chroniken zufolge ist der Weiße König von Tula nach Cho­ lula gegangen, wo zu seinen Ehren die große Pyramide gebaut wurde und wo er zwanzig Jahre blieb. Wieder andere Chronisten berichten, daß er - am Meere angekommen — sich selbst verbrannte und daß sein Herz mm Himmel aufstieg und dort zum Morgenstern wurde. In Tollan aber brach eine Zeit der Kriege und Menschenopfer an die unter dem zehnten König Huamac (1098-1174) ihren Höhepunkt er­ reichten. Huamac wurde verjagt, und das Volk von Tollan soll dann die 156

alte Stadt verlassen haben, um Cholula von den Olmeken zu erobern und in Colhuacan eine neue Heimat zu finden. Als 1520 die Spanier kamen, hörten sie nur noch die Sage von Tula, von der großen alten Stadt, in der einst ein Weißer Gott und König ge­ wesen sein sollte. Wo das alte Tula gestanden, das wußte keiner mehr. Jahrhundertelang suchte man es nicht einmal. Jenes Schlaraffenland der Legenden, konnte es denn Wirklichkeit gewesen sein? »Die ganze Geschichte von den Tolteken ist nichts als ein Mythos, und die Tolteken sind genauso reine Phantasiegebilde wie die Riesen der Romantik«, schrieb Brinton über den Inhalt der Chroniken. »Die Chro­ niken lügen, wenn sie von Tula sprechen. Tula ist das Schlaraffenland der Tolteken. Wir könnten ebensogut die Zeit damit vergeuden, nach unserem eigenen Schlaraffenland zu suchen wie nach dem indianischen Tula« - so meinten andere. Es sei Wahnsinn, nach dem alten Tula zu forschen. In langen Abhandlungen bewiesen die Stubengelehrten, daß es eine Stadt Tula niemals gegeben habe. Der »Kampf um Tula« ist eines der dramatischsten Ausgrabungskapitel, die es überhaupt gegeben hat. Es begann mit Funden einer ganz bestimm­ ten Keramik, der Mazzapankeramik. Seltsamerweise fand man sie immer an jenen Orten, die in den Chroniken als Sitze der Tolteken genannt wurden. Jiminez Moreno wies dann auf alten Karten nach, daß tatsäch­ lich alle Orte der Tolteken, die in den Chroniken erwähnt wurden, vor­ handen sind - nur Tula nicht. Dann platzte die erste Bombe. Tula wurde gefunden - man meinte, es gefunden zu haben. Zehn Jahre grub man an der Stelle, wo das ver­ sunkene Tula sein sollte. Man fand Mazzapankeramik in Mengen. Ein Zweifel, daß es wirklich Tula sei, schien demnach unmöglich. Vaillant und Linné stellten 1931/32 fest, daß die Mazzapankeramiken im soge­ nannten Tula stets nur in den Gräbern vorhanden seien - es konnte nicht Tula sein, wo man grub. Der Platz, an dem man grub, wurde dann als das alte Teotihuacan identifiziert, das wir bereits kennengelemt haben. In den Ruinen von Teotihuacan hatten die Tolteken später ihre Toten bei­ gesetzt. Wo aber lag das richtige Tula? Nördlich von Mexico City erhebt sich ein eigenartig geformter Hügel, der über und über mit Buschwerk, mit Kakteen und Agaven bewachsen ist. Kein Mensch hatte sich je um diesen Hügel gekümmert. Nur einem einzigen war er aufgefallen, einem jungen mexikanischen Archäologen: Jorge R. Acosta. Er hatte das sichere Gefühl, daß dieser Hügel mit seiner

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seltsamen Gestalt nicht von der Natur geformt worden war. Von den Indios, die in der Umgebung lebten, erfuhr er, daß sie diesen Hügel »Cerro de Tesoro« nannten - »Schatzhügel« ... Dieser verlockende Name brauchte keine besondere Bedeutung zu ha­ ben. Die Phantasie der einfachen Indios hat einen weiten Spielraum. Vielleicht war es auch nur eine der vielen Bodenerhebungen, die sich über dieser wellenförmigen Wüstenlandschaft erstrecken, ohne alle Schätze der Alten, die ihre Urenkel überall so gerne finden möchten. So hatten auch alle anderen Archäologen gedacht. Aber Acosta ließ der Ge­ danke nicht los, unter diesem Hügel könnte etwas Besonderes verborgen sein. 1940 begann er zu graben, und er fand unter diesem Hügel das alte Tula. Als Acosta den Spaten ansetzte, sah er, daß diese Stadt einmal - wir wissen heute, daß es 1168 n. Chr. war - vom Feuer vernichtet worden war. So vollständig, daß sich die frühere Hauptpyramide den Ausgrä­ bern nur noch als formlose Masse zeigte. Sie konnte nicht mehr rekon­ struiert werden. Als die Archäologen weitergruben, fanden sie eine fünfstöckige Pyra­ mide von 43 Meter Basislänge: den Morgenstemtempel von Tula. Auf der Plattform hatte einst der Tempel gestanden: ein Kolonnadenbau. In der Cella des Tempels stand ein steinerner Altartisch, dessen Füße kleine menschliche Figuren bildeten. In der Alten Welt kennt man diese Figuren längst, die ein Dach oder eine schwere Tischplatte tragen; man hat sie Atlanten genannt. Sie sind auch in Ostindien bekannt. Die Forscher fanden aber auch in Tula den Fries am Morgensterntempel, auf dem schreitende Jaguare als Relief dargestellt sind. Der Fries ähnelt dem des Tempels von Prinias auf Kreta, mit dem Unterschied, daß hier keine Jaguare dargestellt sind, sondern Löwen. Der Morgensterntempel von Tula war systematisch zerstört worden. Die hohen Steinsäulen, die einst das Dach des Tempels getragen hatten, konnte man wieder auf der Plattform errichten. Die vier vorderen sind Kolossalfiguren toltekischer Krieger in Rüstung. Farbstoffspuren be­ weisen, daß die Reliefs und Plastiken bemalt waren. Auch die wunder­ vollen Reliefs an zwei langen Mauern, die - von Zinnen gekrönt - den Tempel einrahmten, waren einst farbig. Vor der Südseite des Tempels lag eine 54 Meter lange Säulenhalle, an der die Treppe zum Tempel be­ gann. Nur ein Abglanz ist von der gewaltigen Stadt des Weißen Königs 158

übriggeblieben. Aber noch in den Resten zeigt sich die unerhörte Pracht, mit der dieser Mann seine Hauptstadt baute. Und noch eines konnten die Ausgräber feststellen: daß Tula 856 n. Chr. erbaut worden war, als die Tolteken, ein Nomadenstamm aus dem Nord­ westen, nach Mexiko einwanderten. Die Chroniken hatten wieder einmal recht behalten: Tula war Wirklichkeit gewesen. Wirklichkeit war auch der Weiße Gott von Tula. Als Jorge Acosta Tula ausgegraben hatte, fand er den Weißen Gott selbst, den großen Staatsmann, Priester und Organisator der Tolteken: die Jadeplakette, die sich heute in Paris befindet. Sie zeigt den Weißen König als Mensch mit langem Bart und der toltekischen Krone, den Mann, der später der Gott Quetzalcoatl wurde. Sollte auch die andere Sage vom Weißen Gott Wirklichkeit sein?

Die Legende vom zweiten Reids Als der Weiße Gott Tula verließ - so erzählen wieder andere Chro­ niken sei er nicht ganz aus freiem Willen gegangen. Der alte König Tulas, der regiert hatte, bevor der Weiße Gott da war, lehnte sich auf und sammelte ein Heer gegen ihn. Vierzig Tage dauerte der mörderische Kampf um Tula, den der Weiße Gott verlor. Mit seinen Anhängern, mit Frauen und Kindern der Tolteken, mußte der Weiße König fliehen. Er ging nach Yucatan ins neue Reich der Maya, das er unterwarf und wo er Chichen Itza zu seiner zweiten Hauptstadt machte. Dies soll zwischen 960 und 977 n. Chr. gewesen sein. Sollte sich das alles einst wirklich zu­ getragen haben? Als 1533 Chichen Itza von den Spaniern besetzt wurde, lernten die Eroberer eigendich zum erstenmal das Volk der Maya kennen: Es dau­ erte dreizehn Jahre, bis Francisco de Montejo 1546 Yucatan erobert hatte. Was damals noch an Mayastädten stand, ging in den Kriegen un­ ter, die bis 1697 dauerten, als es endlich den Eroberern gelang, die letzte Mayastadt, Tayasal, zu unterwerfen. Allein einundzwanzig Tempel, so wird in den Chroniken berichtet, seien bei der Einnahme der Stadt Taya­ sal zerstört worden. Was die Spanier in Chichen Itza fanden, waren Ruinen. Als sie die Stadt verließen, waren noch mehr Ruinen hinzugekommen. Erst vor fünfundsiebzig Jahren begann die Wissenschaft sich für Chichen Itza zu

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interessieren. 1925 begannen dann die Ausgrabungen unter der Leitung von Sylvanus Griswold Morley. Schon bald nach Beginn der Grabung erkannten die Forscher: Hier lagen die Reste einer Stadt, die einmal sehr groß gewesen sein mußte. Es sah aus, als seien die gewaltigen Ruinen von Chichen Itza die Ku­ lissen für einen Hollywoodfilm, als Sylvanus Griswold Morley mit der Ausgrabung dieser großen Stadt begann. Filmkameras standen vor den Bauten, und Tausende von Metern Film wurden verdreht, um alles, was dort einst gewesen war, was jetzt noch von der einstigen Pracht und Größe stand, aufzunehmen: ein wissenschaftlicher Dokumentarfilm, mit dem größten Aufwand gedreht, der je für eine solche Arbeit zur Ver­ fügung stand. Morley konnte über die Millionensummen des CarnegieInstituts in Washington disponieren. Er führte die bestausgerüstete Expedition, die jemals in den alten indianischen Reichen forschend ge­ arbeitet hat. In Chichen Itza wurde nach amerikanischen Maßstäben ge­ arbeitet, und dabei wurde, wenn man so sagen darf, auch ein Weltrekord der Archäologie aufgestellt: Siebzehn Jahre lang arbeitete Morley an einem einzigen Platz. Dabei kamen nicht nur Tausende von Aufnahmen zustande, es wurde auch jede Kleinigkeit untersucht und registriert. Mor­ ley war der Mann, der für eine solche Arbeit geschaffen war: ein nüchter­ ner Wissenschaftler, der mit vollendeter Genauigkeit arbeitete. Er nahm Stein für Stein in die Hand, grub Scherbe für Scherbe aus, legte sie mit dem Haarpinsel frei, um sie nicht zu beschädigen. Einer seiner Mitarbei­ ter, Morris, hat die siebzehn Jahre über nur an der Freilegung und Un­ tersuchung des Kriegertempels von Chichen Itza gearbeitet. Aber die­ ser Tempel enthielt 320 große Reliefs, und sie waren untereinander alle verschieden. Die jahrelange Kleinarbeit, der Riesenaufwand an Zeit und Geld, haben sich gelohnt. Aus Ruinen und Trümmern ist die größte Stadt der Mayawelt wiedererstanden. Heute wandelt die nicht abreißende Schar von meist nordamerikanischen Besuchern auf gepflegten Rasen­ flächen zwischen den gewaltigen Bauten. Sie sind nicht nur als Trümmer aus der Erde hervorgeholt worden, sondern wurden zum größten Teil wieder so vollkommen aufgebaut, wie sie ehemals hier gestanden hatten. Die Stadt umfaßt fünf Quadratkilometer Fläche; eine weite Terrasse bedeckt allein 18 Hektar; auf ihr stehen riesige Tempel, Kolonnaden Säulenhallen, ein gewaltiger Ballspielplatz, ein Marktplatz und weitere Plattformen. Der Besucher wandert zum Tempel der Krieger, einer Pyramide von vierzig Meter Seitenlänge und elf Meter Höhe. Schlangensäulen erheben

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sich oben auf der Plattform am Eingang zum Tempel. Vor der Pyramide liegt eine Halle mit 60 gewaltigen Säulen, die auf allen Seiten Reliefs tra­ gen: 320 allein an diesem einen Bau. Ein Wald von Säulen bildet die Reste des Tausendsäulenkomplexes langer, offener Hallen von einhun­ dertdreißig Meter Länge. Über den grünen Rasen des Ballspielplatzes kann man heute am Jaguar­ tempel vorbei, mit der kleinen Kapelle auf der Rückseite, zum Nordtem­ pel gehen. Zum Tempel der kleinen Wandtafeln wandert man, zum Tempel des Hohenpriesters, zur großen Pyramide des Kukulkan und zum Caracol: dem gewaltigen astronomischen Observatorium des Wei­ ßen Gottes. Chichen Itza ist wiedererstanden. Was die Chroniken erzählen, waren keine Sagen: Hier, mitten im Reiche der Maya von Yucatan, hat einmal eine Stadt der Tolteken gelegen, die noch größer und noch prächtiger war als selbst das alte Tula. Unter und zwischen den Bauten der Tolteken fand man auch die alten Bauten der Maya. Denn Chichen Itza, so hatten die alten Berichte gesagt, sei eine Stadt der Maya gewesen. Der Weiße König der Tolteken habe sie erobert und dann zu seiner Residenz gemacht. Der Weiße Gottkönig der Tolteken hat diese Stadt Chichen Itza bei seiner Eroberung sogar geschont, wie heute noch gut zu erkennen ist. Ein Beispiel dafür ist das Caracol, dessen Grund ein altes Observatorium der Maya war, das von den Tolteken umgebaut wurde. Es war einer der ersten Bauten, die nach der Eroberung entstanden. Der Weiße König war so klug, daß er den Maya ihre Götter ließ. Er war politisch so weise, daß er den Gottesdienst der Mayapriester, den Dienst in Itzamal, dem Sitz ihres höchsten Gottes Itzamna, und des Sonnengottes Kakmo weiter gestattete, ebenso den Kult der Mondgöttin Ixchel auf der Insel Cozumel. Selbst in Chichen Itza durften die Maya den Kult ihres Gottes Chae, des Regengottes, dem der Cenote, der heilige Brunnen, geweiht war und der Menschenopfer forderte, beibehalten. Chichen Itza ist, wie die Grabungen bestätigten, damals, als der Weiße König kam, nur eine kleine, bescheidene Stadt gewesen. Sie wurde erst später die gewaltige Stadt, als die wir sie heute kennen. Zweihundert Jahre lang haben die Tolteken hier ihre großartigen Bauten errichtet. Zu den jüngsten Bauwerken gehört der Kukulkan-Tempel, der ungefähr gleichzeitig mit dem Ballspielplatz und dem Jaguartempel entstanden ist.

Eine Pyramide für zwei Weiße Götter

Der höchste Bau von Chichen Itza, eine gewaltige Pyramide, war frei­ gelegt worden. Man meinte, auf Grund der Chroniken, in der großen Pyramide von neun Stufen und 24 Meter Höhe den Tempel des Kukulkans gefunden zu haben. Außen führte von allen Seiten eine Treppe mit insgesamt 364 Stufen auf die Plattform. Hier oben erhob sich der Tempel. Den Vorraum und die Cella konnte man durch ein Portal betreten, das von zwei großen Schlangensäulen flankiert war. Nachdem dieser Bau freigelegt war, ließ man ihn stehen, ohne sich weiter mit ihm zu beschäftigen. Als dann aber die Forscher bei den wei­ teren Ausgrabungen zu datieren lernten, als sie wußten, wie man ältere Bauten von denen jüngeren Datums unterscheiden kann, da stutzten sie. Da zeigte sich nämlich, daß diese große Pyramide einer der jüngsten Bau­ ten der Stadt sein mußte. Die Chroniken hatten klar und deutlich von einem großen Tempel des Kukulkan in der Mayastadt gesprochen. In der Zwischenzeit hatte man nun gelernt, den Worten der Chronisten mehr Glauben zu schenken als zuvor, und danach hätte dieser Tempel ein alter Mayabau sein müssen, erbaut lange bevor die Tolteken kamen. Diesmal schien es, als hätten die Chroniken nicht recht, denn der große Bau, den man da freigelegt hatte, hätte ja ein Tempel des Kukulkan sein müssen. Er war es aber nicht. Es war einwandfrei ein Bauwerk der Tol­ teken. Wo aber stand dann die Pyramide Kukulkans? Existierte sie über­ haupt nicht? Daran wollte man nicht glauben. Schließlich entsann man sich der Schalenbauten, jener Pyramiden, die schalenförmig übereinander errichtet waren. Man machte einen Versuch, brach das Mauerwerk auf und - fand tatsächlich unter der äußeren Mauer ein älteres Mauerwerk im Inneren. Man fand unter der neuen großen Kukulkan-Pyramide wirklich die gesuchte kleine Pyramide des Kukul­ kan, den Mayabau, der viel älter als alle anderen war. Das allein war schon ein Ereignis für die Forscher. Aber die eigentliche Sensation war die Tatsache, daß diese alte Mayapyramide, die man da gefunden hatte, vollkommen unversehrt unter der äußeren Schale lag. Man hatte die alte Pyramide mit ihren Tempeln, Altären und der Platt­ form, so, wie alles einst gewesen war, einfach überbaut. Als die mexikanischen Archäologen in die Cella des alten KukulkanTempels kamen, standen sie vor einem rotbemalten Jaguarthron, einem lebensgroßen, aus Stein gemeißelten Jaguar, dessen Fell und Augen aus 80 großen, funkelnden Jadescheiben zusammengesetzt waren und auf des­ 162

sen flachem Rücken das Bild der Sonne lag, eine Holzscheibe mit Türkis­ inkrustationen. Darauf lagen noch die letzten Opfergaben, Schmuck und Perlen aus Jade. Fast tausend Jahre vor unserer Zeit hatten die Menschen hier diese Gaben den Göttern dargebracht.

Das Grab des Weißen Gottes Es war eine ausgefallene, eine beinahe verrückte Idee, als der amerika­ nische Forscher E. H. Thompson die alten Maya mit dem sagenhaften, versunkenen Atlantis in Verbindung brachte. Thompson kannte von Fundstücken aus seiner Heimat Neuengland ein wenig von der früheren Kultur der alten Indianer. Als er dann einen Be­ richt über die großartigen Bauten der Maya und über ihre Kunst las, wurde er plötzlich nachdenklich. Er sah die Indianer seiner Zeit vor sich, diese bedürfnislosen, einfachen Menschen, die in ärmlichen Behausungen wohnten - und der Vergleich dieser Primitiven mit den Maya und ihrer hohen, anspruchsvollen Kultur drängte sich ihm auf. Sollten diese Rot­ häute wirklich nahe mit ihnen verwandt sein? Thompson glaubte nicht daran. Für ihn war es sicher, daß die Maya einst aus einem anderen Lande gekommen waren, und er stellte die Be­ hauptung auf, sie stammten von Atlantis und hätten von dort ihre Kul­ tur mitgebracht. Er glaubte an die Sage von Atlantis, dieser großen Insel, die einst, im Atlantischen Ozean gelegen, in einer Nacht untergegangen sein soll. Man nahm diese Theorie des jungen Mannes zwar nicht sonderlich ernst, aber sie hatte immerhin ihr Gutes: Man wurde auf Thompson aufmerk­ sam und schickte ihn nach Yucatan, damit er sich dort mit der Mayakultur vertraut machen sollte. Er wurde zum amerikanischen Konsul in Yucatan ernannt und zog dann, in doppelter Mission, in den Dschungel. Das war 1885. Von da an lebte er nahezu ein Menschenalter lang fast nur noch unter Indianern, ritt von einer der Mayastädte zur anderen und machte dort einige der aufsehenerregendsten archäologischen Entdeckungen. Es war 1896, als Edward Thompson in Chichen Itza nördlich von der großen Terrasse eine kleine Pyramide fand. Die alte Ruinenstadt war schon länger bekannt gewesen, doch vor 65 Jahren wurde hier in Chichen Itza ein Fund gemacht, der eigentlich die Ausgräber in Scharen hätte an­ locken müssen. 163

Unter der Pyramide fand Thompson ein seltsames Grab

Thompsons kleine Pyramide schien zunächst nicht sonderlich interessant und bemerkenswert zu sein. Aber als man die Plattform freigelegt hatte, wo sich früher die Cella befand, stieß er auf einen Schacht. Hier mußte einmal der Boden ausgehoben worden sein. Thompson vermutete mit sei­ nem kriminalistischen Spürsinn, daß derartige scheinbar unbedeutende Spuren ein Indiz für irgend etwas Besonderes sein müßten. Ohne Grund macht sich niemand die Mühe, Erde auszuheben ... Er grub nun an dieser Stelle. Und tatsächlich kam ein Schacht zum Vor­ schein, der mit Steinen und mit Erde angefüllt war. Und - mit Gebeinen. Immer tiefer ging es in den Schacht hinunter. Immer mehr Gebeine kamen ans Licht, und als man schließlich die Knochen geordnet hatte, erhielt man Skelette von sieben Menschen. Aber dann kam schon die nächste Überraschung: Der Schacht führte noch tiefer. Unterhalb des Erdniveaus erweiterte er sich zu einer ansehn­ lichen Höhle, die eine Grabkammer beherbergte. Und da ging wieder der alte Abenteurer mit dem Archäologen Thompson durch - er verkündete, daß er das Grab des Mannes, der einst die ganze Mayakultur hervorge­ bracht hatte, gefunden habe: das Grab des Weißen Gottes Kukulkan. War dieser kühne Schluß so abwegig? Thompson war der erste, der solch ein Pyramidengrab fand. Damals war dieser Fund eine erstaunliche Entdeckung. Auf die Überraschung folgte zunächst einmal eine Enttäuschung: Man fand nämlich nicht, wie man vermutet oder zumindest gehofft hatte, einen Sarkophag, sondern nur einen Haufen halbverkohlter Knochen und da­ neben einige Grabbeilagen. 164

I Diadem aus hochkarätigem Goldblech, vielleicht Ritual­ schmuck eines Priesters. Feinste Goldschmiedearbeit aus La Tolita, Provinz Esmeralda, Nord-Ekua­ dor. Foto Gottfried Hirtz. (Museo del Banco Central del Ecuador, Quito)

II Priester in Gebetshaltung, wie sie auch im christlichen Ritus bekannt ist: Chichen Itza.

III Kopf der gefiederten Schlange vom Jaguartempel in Chichen Itza.

IV Tempelanlage vom Monte Alban, süd­ westlich von Oaxaca, Mexiko. Zu der großzü­ gigen Anlage an zwei großen Plattformen ge­ hört ein kleiner Palastkomplex, doch auch weite Ballspielplätze, wie sie sich auf Kreta genauso finden. (Seite 125ff) V Fassade des „Gouverneurspalastes“ von Uxmal, Mexiko, mit ihrem aus rund 20 000 behauenen Steinen zusammengefügten Mo­ saikschmuck. Im Hintergrund das „Haus des Magiers“, eine Pyramide des Neuen Reiches der Maya, die als Grabstätte von Königen galt. (S. 103ff)

VI Der Morgensterntempel von Tula mit den vier großen Kriegerfiguren der Tolteken auf der Plattform. Im Vordergrund monumentale Steinplastik. (S. 158)

VII Steinplastik (sogenannter Chacmool) ei­ nes Menschen oder Gottes von Tula, der bei zur Seite gewendetem Kopf eine Schale auf dem Leib trägt. Solche Plastiken finden sich auch in Chichen Itza, Mexiko und Tlaxcala. (S. 158)

VIII „Haus des Magiers“ in Uxmal. (S. 103)

IX Eingang zum Kukulkan-Tem­ pel auf der großen Pyramide von Chichen Itza zwischen zwei Schlangensäulen. (S. 159)

X Kleiner Tempel von Palenque mit dem gleichen falschen Gewöl­ be, wie wir es von der Baukunst Kambodschas aus dem 8.—10. Jahrhundert kennen. (S. lOOff)

XI „Tempel des Kreuzes“ in Pa­ lenque. Als die großen Tempelbau­ ten von Palenque errichtet wurden (um 650), predigte Willibrord den heidnischen Friesen, Mohammed war gerade gestorben, und die Ara­ ber rüsteten sich zu ihrem Sieges­ zug nach dem Westen. (S. 100)

XII Gewölbebogenansatz eines Tempelbaues in Palenque mit den Resten der Bemalung.

XIII Alt-Chichen-Itza liegt noch mitten im Urwaldgebiet. 200 Jahre lang haben die Tolteken hier ihre gewaltigen Bauten errichtet, zu denen auch ein Observatorium gehörte. (S. 160ff)

XIV Gran-Pajaten wird freigelegt. Diese erst in jüng­ ster Zeit entdeckte Terras­ sensiedlung im östlichen Andengebiet von Peru weist große Rundbauten auf. Flache Steinplatten in die ganze Mauertiefe eingebun­ den, bilden figürliche Mu­ ster. (S. 336 ff)

XV Kunstvoll sind die Köpfe der Tier- und Menschendarstellungen von Gran Pajaten (auch Abiseo genannt). Aus weichem, rötlichem Sandstein haben die Steinmetze Augen, Nasen und Münder plastisch herausgearbeitet. (S. 336)

XVI Die letzte bisher freigelegte Urwaldstadt der Inka stammt aus der späten Phase des Imperiums, als die Urwaldrandbereiche besie­ delt wurden. Gerätschaften und Keramikfragmente zeigen inkaische Stileinflüsse. (Alle Fotos: Wolf­ gang Wurster)

XVII Kolumbische Goldfigur: Guß in verlorener Form; Quimbaya-StiL Solche Figuren gelten öfters als Abbilder indianischer Fürsten aus dem CaucaTal. (Museo de America, Madrid.) XVIII Großer Krug mit plasti­ schem Gesicht und vielfarbig be­ malten Einzelbildern. Der Krug wurde mit zwölf anderen im oberer. Ocona-Tal, Dep. Arequipa, Peru, in einer runden Ummauerung ge­ funden. (Foto: H. D. Disselhoff)

Die Forscher haben dieses Grab das des Hohenpriesters genannt. Ob das richtig ist, darüber läßt sich nichts Rechtes sagen. Aber sicher ist das eine: Es handelt sich hier um das Grab einer besonders hochgestellten Persönlichkeit. Das beweist schon dieser Bestattungsplatz. Hier wollten die Menschen einen ihrer Großen noch im Tode ehren. Sicher ist auch, daß das Grab geheim und der Zugang sorgfältig zugeschüttet worden war. Aber es gibt auch Fragen, die sich an dieser Begräbnisstätte stellen: Wa­ ren die sieben Toten - die, deren Gebeine man im Schacht fand - auch Priester? Oder sind es die Überreste von Gefolgschaftsleuten, von Die­ nern vielleicht, die ihrem toten Herm freiwillig in den Tod folgten oder die ihm folgen mußten? Die Gefolgschaftsopfer sind auch unserer Welt bekannt, aus den Grä­ bern von Ur. Sollte bei den Maya ein ähnlicher Brauch geherrscht haben?

Der heilige Brunnen und die Menschenopfer Dieses Grab des Hohenpriesters von Chichen Itza war nicht die einzige Sensation, die diese Stadt bekannt gemacht hat. Schon lange vorher hatten die Tempel und Pyramiden, überwuchert von Gras und Buschwerk, die Baumwipfel überragt. Chichen Itza war nie ganz untergegangen wie viele andere große Städte der Neuen Welt. Fast ein Dutzend Bauten hatte der Dschungel niemals verschlungen. Über die Spitzen der Pyramiden und über die Wipfel der ewigen Wäl­ der blickte der Mann hin, der in der Pyramide das Grab des Hohenprie­ sters gefunden hatte. Er stand auf der großen Pyramide und sah hinab auf einen schmalen Pfad, der durch den Dschungel führte und am heiligen Cenote in der Feme endete. Dieser Mann, Edward Thompson, hatte in Chichen Itza eigentlich et­ was ganz anderes gesucht als Pyramiden und Gräber von Priestern. Er wollte den heiligen Brunnen von Chichen Itza erforschen, von dem die alten Chroniken berichteten. Dieser Bericht war so grausig, so unheim­ lich, daß niemand ihn wirklich für wahr gehalten hatte. Aber Edward Thompson glaubte ihn wortwörtlich, so, wie einst Schliemann an die Er­ zählungen Homers geglaubt hatte. Und wie damals Schliemann mit der Ilias ausgezogen war, um Troja zu finden, so zog Thompson mit dem 165

Bericht der Chronisten aus, um in Chichen Itza den heiligen Brunnen zu finden, den heiligen Cenote von Chichen Itza, von dem die Chronisten grausige Märchen erzählen. Bei Dürre zog das Volk von Chichen Itza, so stand es in diesen Chro­ niken geschrieben, mit Musik und Lärm durch die Straßen, Volk und Priester im Festgewande. Festlich geschmückt waren die Jungfrauen, die als Opfer für den Regengott ausersehen waren. Langsam schritt die bunte Prozession zum heiligen Cenote, dem Brunnen des Regengottes. Hier stürzten die Priester die Opfer in das tiefe Wasserloch hinab. Die dem Gott geweihten Jungfrauen schlugen klatschend ins dunkle, schlammige Wasser. Und das Volk zog feierlich am Brunnen vorbei und warf reiche Gaben in den heiligen Brunnen hinein, Schmuck, Gold, Silber, Edelsteine. Die alten Chronisten hatten geschrieben: Sollte das Land noch Gold enthalten, so müsse es in diesem Wasserloch liegen. So stand es im Buch des Diego de Landa. Im Jahr 1579 hatte auch Diego Sarmiento de Figueroa über den heiligen Brunnen berichtet. »Der Adel und die Vornehmen des Landes übten die Sitte, nach 60 Tagen der Abstinenz und des Fastens bei Tagesanbruch an die Öffnung des Brunnens zu treten und indianische Frauen, die diesen Adligen und Vornehmen selbst angehörten, in die dunklen Gründe hinab­ zuwerfen. Gleichzeitig sagten sie ihnen, sie sollten für ihren Herm ein günstiges, seinen Wünschen entsprechendes Jahr erbitten ... Am späten Nachmittag schrien die, welche das noch konnten, laut auf, und Seile wurden zu ihnen hinuntergelassen. Nachdem die Frauen halbtot herauf­ gekommen waren, wurden Feuerstellen um sie herum aufgebaut und Ko­ palharz vor ihnen verbrannt. Wenn sie wieder zu Sinnen kamen, berich­ teten sie, daß unten viele ihres Volkes seien ...« Wenn sie versucht hätten, ihren Kopf zu heben, hätten sie schwere Schläge auf den Kopf bekommen. Wenn sie ihre Köpfe nach unten ge­ neigt hätten, wären unter dem Wasser viele Höhen und Tiefen zu sehen gewesen. Das Brunnenvolk hätte ihre Frage nach dem guten und schlech­ ten Jahr, das ihrem Herm bestimmt war, beantwortet. Die ganze Welt hielt diese Berichte der alten Chronisten für Märchen, für Schauermärchen. Nur einer nicht: Edward Thompson. Mittellos, wie er war, hatte er sich von seinen Freunden Geld geborgt, um den heiligen Brunnen der Maya zu erforschen. Jahre später stand er wieder vor dem Brunnenloch von Chichen Itza. Inzwischen hatte er sich als Taucher aus­ bilden lassen, und er hatte noch einen griechischen Taucher mitgebracht. Seine Ausrüstung bestand - seltsam genug für einen Archäologen - aus 166

Floß, Flachkahn, Taudieranzügen, Pumpen und Telefon, einem Bagger, einer Winde, Flaschenzügen und Hebebaum. Thompson und seine Hel­ fer standen vor dem düsteren Ort, einem Wasserloch im Fels, 40 bis 50 Meter im Durchmesser; die steilen Felswände fielen 20 Meter tief bis auf den Wasserspiegel ab. Rot lag die ruhige Wasserfläche vor ihnen, als der Bagger zum erstenmal ausschwenkte und den Greifkorb ins Wasser fal­ len ließ. Eine Ladung nach der anderen holte er dann nach oben, Zweige, Baumstämme, Laub, Schlamm, sonst nichts. Und so ging es tagelang wei­ ter - ein Unternehmen, das kaum noch Hoffnung ließ. Aber dann brachte der Bagger mit dem Schlamm zwei kleine harzartige Klumpen ans Licht. Thompson wußte sofort, daß es nur Räucherharz sein konnte, wie die Mayapriester es bei ihren religiösen Festen verbrannten. Und nun zog der Bagger Tag für Tag Schmuckstücke, Werkzeuge, Vasen, Lanzenspitzen, Schalen aus Jade und Messer aus Obsidian aus dem Brunnenschlamm heraus. Schließlich ein Menschenskelett: das eines jungen Mädchens. Die alten Chroniken schienen doch recht zu haben ... Dann war für den Bagger nichts mehr zu holen. Der Boden des Sees war mit schweren Steinen gefüllt, zwischen denen der Greifer nichts mehr fassen konnte. Da blieb nur noch eins: Tauchen. Eine trübe, einmal grün, einmal blutrot schimmernde Brühe war der See, auf den nun das Flach­ boot niedergelassen wurde. Und da sah Thompson vom Boot aus auf dem Wasser die Spiegelbilder seiner Arbeiter, die an den Rändern des Lochs standen und herabschau­ ten, da hörte er ihre Stimmen, die auf das Wasser fielen und seltsam re­ flektiert wurden, und da war die alte Mär von »dem vielen Volk, das hier unten sei und das die Fragen beantwortet hatte«, ganz natürlich erklärt. Auch die großen »Höhen und viele Tiefen« sah Thompson vom Boot aus; es waren die Spiegelungen der Steilwände auf der dunklen Wasser­ fläche. Dann kam der Moment des Tauchens. Sie zogen ihre Ausrüstung an, »Anzüge aus wasserdichtem Stoff mit großen Kupferhelmen, mit gläser­ nen Glotzaugen und Luftventilen nahe den Ohren und am Hals mit Blei­ ketten, die beinahe halb so schwer wie die Helme waren. Dazu kamen Segeltuchschuhe mit dicken schmiedeeisernen Sohlen.« Als Thompson dann auf der ersten Sprosse der Leiter stand, kamen seine treuen Mitarbeiter, jeder der Indios, der Reihe nach und schüttelten ihm die Hand. Sie gaben ein letztes Lebewohl, denn sie erwarteten nicht, ihn lebend wiederzusehen. 167

Als Thompson von der Leiter abstieß, sank er wie ein Stück Blei, eine Kette silbriger Blasen hinter sich lassend. Dann war auch Nicolas, der griechische Taucher, unten angelangt. Zehn Meter tief war eine Schlamm­ ablagerung auf dem Boden des Brunnenloches, genügend stark, um Zweige und Äste zu tragen, und darin eingebettet lagen Felsen »wie Rosinen im Plumpudding«, sagt Thompson. Immer wieder stürzten Felsblöcke, durch das in Bewegung geratene Wasser losgelöst, auf die Taucher nieder, aber die Druckwelle erreichte sie vor den Steinen, so daß sie sich in Sicherheit bringen konnten. Dann traf sie der Druck dennoch wie ein riesiges weiches Kissen und riß sie um. Mit den Beinen nach oben und mit dem Kopf nach unten, »balancierend und zitternd wie Eiweiß in einem Glas Wasser«, kamen sie wieder auf die Füße und suchten weiter. Und sie fanden, was sie suchten: all den Schmuck aus Jade, Gold und Legierungen, getriebene und gegossene Arbeiten, Becher, Goldscheiben, Schellen aus Kupfer, Schnitzereien aus Knochen. Die Verzierungen und die Reliefs auf diesen Arbeiten deuteten darauf hin, daß ein Teil aus dem südlichen Guatemala stammte, ein anderer aus Oaxaca und dem Hochland von Westmexiko, aus Costa Rica und Panama. Es waren Jadearbeiten aus der klassischen Mayazeit darunter, hölzerne Speerschleudem, Opfermes­ ser, goldene Tassen mit Untersätzen, Armspangen und Fingerringe, wal­ nußgroße goldene Schellen und vor allem Goldschcibcn. Sie stammten aus frühtoltekiscfaer Zeit; sie zeigen toltekische Motive, Kampfszenen, vielleicht sogar Erlebnisse des Weißen Gottes Quetzalcoatl. Die Treibarbeit ist aber Mayaarbeit, und Mayaglyphen bilden das Randomament. Toltekisch ist das Himmelssymbol, die Schlange, aus deren Rachen der Sonnengott blickt. Das Symbol der Erde aber ist für die Maya charakteristisch: der Drachenkopf oder der zweiköpfige Drachen. Durch sein Leben mit den Indios in Chichen Itza hatte Thompson auch die Scheu erfahren, die die heutigen Indios vor dem heiligen Cenote haben. Große Schlangen und Monsterwesen wollten sie im tiefen Wasser­ loch gesehen haben - in jenem Wasserloch, in dem die Taucher nun ar­ beiteten. Thompson dachte an diese Erzählungen, als er in tiefster Dun­ kelheit ein unheimliches Erlebnis hatte: »Plötzlich«, so schreibt er, »fühlte ich etwas über mir, etwas Gewaltiges, das mit unheimlich gleitenden Be­ wegungen mich herunterpreßte. Irgend etwas Glattes und Schleimiges drückte mich unabwendbar in den Schlamm. Einen Augenblick lang ge­ rann mein Blut. Dann fühlte ich den Griechen neben mir an dem Gegen­ stand zerren, und ich half ihm, bis wir uns befreit hatten. Es war ein 168

modernder Baumstamm, der vom Schlammufer angetrieben und beim Sinken auf meinen hingekauerten Körper getroffen war.« Schlimmer war ein anderes gefährliches Erlebnis Thompsons im heili­ gen Brunnen. Er saß eines Tages auf dem Grund des Wassers auf einem Felsblock, um eine Glocke zu befühlen, die er gerade geborgen hatte, und vergaß dabei, die Luftventile zu öffnen. Als er sich erhob, um den Fund in die Tasche zu stecken, wurde er wie eine Luftblase nach oben getrieben und mit dem Kopf gegen den Boden des Pontons gedrückt. Halb betäubt krabbelte er darunter hervor und kam an Deck. Er mußte seine Unvor­ sichtigkeit lebenslang mit einem verminderten Gehör bezahlen. Unter den Funden waren Stücke aus reinem Gold. Aber meist waren es nur noch Fragmente, Stücke, die vor der Opferung gewaltsam zer­ brochen worden waren, wahrscheinlich um sie zu »töten«. Alles in allem war es ein Goldfund, wie er in unserem Jahrhundert nur durch die Funde im Grab des Tut-ench-Amun übertroffen wurde. So harmlos, wie heutige Nachkommen behaupten, scheinen die Opfe­ rungen der alten Maya nicht gewesen zu sein. Einer der goldenen Teller zeigt Darstellungen von Opferszenen, so realistisch, daß man daraus ge­ nau den Ablauf einer Menschenopferung ersehen kann. Sie geht durch alle indianischen Kulturen. In Teotihuacan hat man die Reste blutiger Riten gefunden, bei denen Kinder und Jünglinge dem Regengott dar­ gebracht wurden. Später gab man den Göttern das Wertvollste, was man außer dem Leben besaß: Kautschuk, Jade und Quetzalfedem. Die Zapoteken opferten Menschen nur in gewissen Grenzen. Bei ihnen wurden Kinder dem Regengott geopfert. Die Totonaken bereiteten eine Paste aus Kinderblut und Sämereien, die sie dem Volk zu essen gaben, wenn die Regengötter zürnten. Die Wissenschaft brauchte Beweise für die Menschenopfer der Tolteken nicht mühsam mit Bagger und Taucher zu suchen. In Chichen Itza sind an den Friesen Adler dargestellt, die mit den Herzen geopferter Men­ schen die erdnahe Sonne ernähren; sie halten die Menschenherzen in ihren Fängen. Das Schädelgerüst von Chichen Itza zeigt die Vielzahl der Opfer. Dieses kriegerische Volk hatte einen grausam-kriegerischen Kult. Herren dieses Volkes waren nicht die Priester, sondern die Krieger, die allein die Unzahl an Gefangenen herbeischaffen konnten, nach denen die hungrigen Götter verlangten. Bei den Azteken brauchten die Wissenschaftler jene Opferszenen nicht einmal aus steinernen Reliefs herauszulesen. Die Spanier haben diesen Kult selbst noch erlebt. Als sie die Tempel von Tenochtitlan betraten,

sahen sie die Wände über und über von Blut starren. Die Altäre trieften von Menschenblut, und die auf ihnen liegenden Menschenherzen waren erst vor kurzer Zeit als Opfer dargebracht worden.

Eine Opferszene

Wenn die Tribute von den besiegten Völkern nicht rechtzeitig ein­ trafen, führten die Azteken deren junge Männer und Jungfrauen fort und opferten sie in Tenochtitlan den Göttern. Jeder Gefangene endete auf dem Opferstein. Das Schädelgerüst in Tenochtitlan hatte die Spanier vom Ausmaß der Opfer unterrichtet. In Südamerika war es nicht anders. Wenn Trockenheit, Dürre oder Hungersnot an der Küste von Peru herrschte, riefen die Priester zum Opferfest auf. Dann strömte das ganze Volk festlich gekleidet zusammen und umlagerte die Tempel, wie das Heiligtum Sin-An, das Haus des Mondes in Pacasmayo. Um die Götter zu versöhnen, wurden Kinder und Maisbier geopfert. Singend und tanzend zog das Volk an einemTage im Jahr einen kleinen, mit Blumen bestreuten Pfad in die Berge hinauf, singend und tanzend kamen auch die Eltern mit dem Opfer, dem schönsten Mädchen des Stammes, das sich dann unter dem Freudengeheul der Menge von der Klippe in den Abgrund stürzte als Opfer für den Gott der Fruchtbarkeit. Wenn es in die Schlacht ging, wenn der Inka krank war, wurden Kinder und junge Männer als Opfer für die Götter ausgewählt. Sie wurden mit großen Dosen Coca benebelt, in die Tempel geführt und dort wie Vieh abgestochen. Nackt wurde ein unterworfener Herrscher, auf einer Sänfte liegend, im Triumphzug des Inka dem Volke von Cuzco gezeigt - umgeben von Pauken, die aus der Haut seiner engsten Verwandten hergestellt waren. 170

»Die Haut abgezogen und mit Luft gefüllt, was ihren ehemaligen Be­ sitzer eindrucksvoll darstellte«, sagt ein Chronist. Die späteren Inka haben von den Menschenopfern abgelassen und dafür das Opfer des Lamas eingeführt, das nun den Platz des Menschen ein­ nahm. An jedem Morgen bei Sonnenaufgang wurde im Tempel von Cuzco ein Lama getötet und verbrannt. In Pachacamac war man aber den alten Sitten treu geblieben. Als man hier die Gräberfelder öffnete und immer mehr Skelette junger Mädchen reihenweise nebeneinander geordnet fand, wurden die Erzählungen der Chronisten vom Opfertod junger Mädchen wieder lebendig, die, mit Schmuck behängt, in den Tod gehen mußten. Bei den Skeletten fand man auch den goldenen Schmuck, den sie auf ihrem letzten Weg getragen hatten. Diese Menschenopfer, diese entsetzlichen Grausamkeiten müßten eigent­ lich - so scheint es doch - der beste Beweis dafür sein, daß es einen Weißen Gott in der Neuen Welt nicht gegeben haben kann. Hätten Weiße Götter, falls sie den Indios wirklich die höhere Kultur gebracht haben, nicht zuerst darauf gesehen, diese grausigen, unmenschlichen Sitten abzuschaffen? Indes: Auch die Hochkulturen der Alten Welt kannten das Menschenopfer. Die Inder und auch noch die Römer haben zu Zeiten des Vollmondes in ganz ähnlicher Weise Menschen geopfert. Die Ägypter braditem dem Gott Busiris rothaarige Menschen als Opfer dar. Noch in Griechenland, während der Perserkriege, opferte Xerxes seine Neffen den Göttern. Bei den Germanen wurden die Kriegsgefangenen dem Gott Ziu als Opfer dargebracht, und Wotan, dem Totengott, wurden selbst die eigenen Kinder geopfert. Bereits 3911 vor unserer Zeitrechnung opferten die alten Ägypter dem Nil jährlich ein junges Mädchen. 2550 v. Chr. waren in Ur Gefolgschaftsopfer in den Gräbern der Könige voll­ zogen worden, und um 1550 v. Chr. kennt auch die Shangkultur Chinas das Menschenopfer. Besonders blutig sind diese Opferungen in Kanaan bis zum Ende der Phönizier gewesen, sie wurden sogar viel länger als bei den anderen Völ­ kern beibehalten. Hier wurde vor allem die Opferung neugeborener Kin­ der verlangt. Vor den Toren von Jerusalem hat man einen Friedhof mit zahlreichen Gräbern geopferter Kinder frcigclcgt. Erst durch Josua, den Nachfolger Mosis, wurden diese Menschenopfer verboten. Auch Minos von Kreta forderte Menschenopfer, alle neun Jahre allein aus Athen sieben Jünglinge und sieben Jungfrauen. Bei Karthago fand man Tausende von tönernen Urnen mit den Resten von Kindern, mit

Grabbeigaben. Die Kinderopfer dauerten in Karthago bis zu seinem Untergang an. Noch 409 v. Chr. opferte ein Feldherr Karthagos 3000 römische Kriegsgefangene auf einmal. Selbst die Etrusker haben im Jahre 307 v. Chr. noch römische Gefangene geopfert. Wenn also in ganz früher Zeit Weiße Götter zu den indianischen Völ­ kern gekommen sind, so ist ihnen das Menschenopfer nicht unbekannt gewesen. Es war ein Bestandteil der Kultur, aus der sie gekommen sein können, und — vielleicht haben sie diese grausamen Sitten sogar in einer bescheideneren Form in der Neuen Welt eingeführt, als wir sie bei den theokratischen Kulturen kennen. Vom Weißen Gott von Tula und Chichen Itza (der viel später gelebt hat) wissen wir, daß er Menschenopfer verbot. Nicht einmal Tiere sollten geopfert werden: nur noch Blumen. Wir wissen auch, daß es in Tula nach seiner Vertreibung wieder zu Menschenopfern kam. Als er Chichen Itza verließ und als dort das Neue Reich der Maya unter seinen Nach­ folgern in blutigen Bürgerkriegen unterging, war man auch da wieder zu den alten Bräuchen zurückgekehrt. Sie hielten sich bis zur Ankunft der Spanier.

Mönche und Händler Ostasiens ... vor Kolumbus Als man die Bauten in Chichen Itza bis ins kleinste Detail, Stein für Stein, untersuchte und studierte, da fand man Spuren, die nach Ostasien führten. Menschen aus Ostasien haben einst die indianische Kultur und Kunst von Chichen Itza beeinflußt, wie wir es schon in Copan, in Palen­ que und im Neuen Reich der Maya vermuteten. In Chichen Itza gibt es nämlich ein in der Kunst dargestelltes Motiv einer Pflanze, das auch, genau übereinstimmend bis in die letzte Kleinig­ keit, in der Kunst Ostasiens verbreitet ist. Es ist die Lotosblume. Lotosblüten und -blätter sind hier in Chichen Itza dargestellt, auch die ganze Lotospflanze, oft mit dem unterirdischen Rhizom als Dekoration. Im unteren Raum des Jaguartempels ist das Lotosmotiv, mit dem stilisier­ ten Rhizom, als Fries gestaltet. In Indien dient das Lotosmotiv häufig als Begrenzung einer imaginären Landschaft, als Rahmen eines Motivs oder einer Darstellung von Men­ schen. Dasselbe ist auch in Chichen Itza der Fall. Selbst die Bewegung und die Haltung der Menschen gleichen denen in Indien, nur die Trach­

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ten sind verschieden. Der toltekische Seerosenfries in Chichen Itza stimmt bis in Einzelheiten mit dem Seerosen-Omament der Tempelstadt Amarävati an der Ostküste Südindiens überein. Das Motiv ist im zweiten Jahrhundert n. Chr. entstanden und hat sich von Hinterindien aus nach der malaiischen Halbinsel, nach Indochina und Indonesien ausgebreitet. Die Tolteken Chichen Itzas haben es von den älteren Maya übernommen. Der Lotosthron, das Lotoszepter und das Lotosmotiv ganz allgemein halten sich in der Kunst Indiens und Südostasiens bis in die späteren Perioden, wenn auch im Laufe der Zeit mehr ins rein Dekorative ge­ wandelt. Oft werden sie mit einem anderen Motiv kombiniert, zum Bei­ spiel mit einem dämonischen Tigergesicht, wie in der Kunst der GuptaZeit und in Südostasien, wie in Kambodscha in der Zeit des 9. bis 11. Jahrhunderts n. Chr. Häufig ist dort das Lotosrhizom mit ornamentalen Blättern dargestellt, das aus dem Rachen eines dämonischen Gesichts entspringt. In Chichen Itza befindet sich ein Lotosrhizom, das zu beiden Seiten eines Dämonengesichts herausspringt. Es ist den Darstellungen aus Südostasien völlig gleich, ein Beweis dafür, daß Verbindungen zu Süd­ ostasien auch in späterer Zeit bestanden haben müssen. In Hinterindien und Indonesien gibt es Darstellungen der Lotospflanze, die aus dem Ra­ chen eines Makaras, eines mythischen Seeungeheuers mit Fischleib und Elefantenrüssel, herauswächst. Genau die gleiche Darstellung eines stili­ sierten Fischwesens mit einem Schuppenleib an beiden Enden eines Lotos­ motivs findet sich in Chichen Itza; die Fabelwesen sind hier sogar in der­ selben Stellung wiedergegeben wie in Indien. Sollte diese Ähnlichkeit, diese oft vollkommene Gleichheit der Motive und der Formen, hier in Chichen Itza und dort in Indien wirklich nur reiner Zufall sein? Es kann nicht so sein. Derartige Zufälle sind bei einem solchen Symbol gar nicht denkbar. Es kann nur ein Beweis dafür sein, daß einst aus Ost­ asien Menschen auch zu den Indios gekommen sind und Kunstmotive ihrer Heimat in die Neue Welt mitgebracht haben. Nicht nur den Lotos, nicht nur jene mythischen Fabelwesen, auch andere Elemente der bilden­ den Kunst, die falschen Gewölbe, die man in den Tempeln Kambodschas und auch bei den Maya antrifft. In Südostasien waren sie vor allem vom 8. bis 10. Jahrhundert n. Chr. bekannt, auch die Bogenkonstruktionen, die kreuzförmigen heiligen Bogen, die gefiederte Schlange, in der indiani­ schen Kunst das Symbol des Nachthimmels, die das Mondkaninchen ver­ schlingt. In China gibt es Keramiken aus der früheren Bronzezeit mit den gleichen Darstellungen.

(a) Makara aus Amaravati (Indien) und (b) aus Chidten Itza, (c) Lotosranken-Motiv aus Anu­ rivati und (d) aus Chicken Itza, Figur aus einem Manuskript von Bali (e) und Stele von Tapezuntla (f)

Diese Menschen aus Ostasien müssen auch Elemente der Ikonographie aus ihrer Heimat mitgebracht haben. Im zweiten nachchristlichen Jahr­ hundert entstanden dort jene Götterdarstellungen, die auf kauernden Menschenfiguren stehen, Götter, die auf Tigern und Jaguaren stehen oder sitzen. Und was dort in der hindu-buddhistischen Kunst entstand, das finden wir wieder als genaue Kopie bei den Maya, vor allem in Pa­ lenque. In Java gab es den Himmelsbaum mit einem Dämonengesicht. In Pa­ lenque fand man das «Kreuz von Palenque«, den Himmelsbaum auf dem Gipfel des Berges Meru, mit einem Dämonengesicht zwischen den Ästen. Es ist dieselbe Schöpfung. Die Sonnenscheibe als Diskus, die Muschelschale mit Pflanze, die Figuren des Wischnu, sie sind auf beiden Seiten des Pazifiks vollkommen gleich, oder sie ähneln sich so stark, daß sie nicht unabhängig voneinander und nicht zufällig in der gleichen Art entstanden sein können. Sie müssen übertragen worden sein. Oder wie sollte sonst zu erklären sein, daß die alten Maya den Sonnenschirm als Zeichen der Würde und als Symbol des Ranges kannten? Der Sonnenschirm stammt aus Südostasien. Schon im dritten Jahrtausend v. Chr. war er dort bekannt. Auf den Fresken von *74

Gott auf dem Hgerthron' (Indien) links und Jaguartbron der Maya (redits)

Chacmultun in Yucatan sind zwei Sonnenschirm-Typen zu sehen, wie sie heute noch in Indien und Südostasien in Gebrauch sind. Auch der Ge­ brauch von Fächer und Sänfte, sowohl in den indianischen wie in den Kulturen der Alten Welt, kann gar nicht anders erklärt werden. Nicht nur in der Kunst - das zeigen die eben angeführten Beispiele sind indisch-südostasiatische Einflüsse nachweisbar, sondern auch in reli­ giösen Vorstellungen (Gut und Böse, Himmel und Hölle, vier Weltalter und die dazugehörigen vier Weltfarben), in der Verwaltung (vier höchste Minister, Einteilung des Hofes, Rangabzeichen), sogar in den Spielen (Patolli-Pachisi) können wir die Spur Ostasiens mühelos verfolgen. Das Lotosmotiv ist in der Periode der größten Expansion Indiens be­ sonders stark ausgeprägt. Das ist die Zeit in den ersten 600 Jahren un­ serer Zeitrechnung. In dieser Zeit ist es nach Südostasien übergegangen und von dort aus vielleicht nach Mittelamerika. Noch wahrscheinlicher ist, daß es die Neue Welt erst im 3. bis 5. Jahrhundert n. Chr. erreichte. Der Anfang der Kontakte zwischen den Kulturen zu beiden Seiten des Stillen Ozeans muß ungefähr in die Mitte der klassischen Mayazeit fallen; er muß zu Beginn des Neuen Reiches der Maya besonders intensiv gewesen sein. Das Lotosmotiv von Chichen Itza mit den Menschenfiguren und den mythischen Seeungeheuem stammt etwa aus der Zeit um 500 n. Chr. Damals war die Schule von Amarävati gerade in der Periode ihrer größten Ausdehnung begriffen. Aber: Lotosblume und Dämonen, diese Kombination beweist, daß die Kontakte auch noch viel später, im 9. bis 12. Jahrhundert, bestanden haben müssen. Das beweist auch der Puuc*75

Stil der Maya mit Halbsäulen als Fassadendekoration und Türeinrah­ mungen, die so aussehen, als seien sie gedrechselt, als schienen sie aus mehreren Spulen zusammengesetzt. Sie sind ein Merkmal der KhmerKunst und stammen aus dem Kambodscha des io. Jahrhunderts n. Chr. Erst um 1200 n. Chr. hören auch diese Einflüsse Kambodschas in der indianischen Kunst auf, als das Reich Khmer Ende des 12. Jahrhunderts unterging und die Kontakte abbrachen. Wie sind diese Menschen Südostasiens einst zu den Indios gelangt? Sie können nur über den Pazifik gekommen sein. Die Entfernung zwischen Ostasien und Mittelamerika beträgt Tausende von Kilometern, die Erd­ teile sind durch ein unbekanntes Meer voller Gefahren getrennt. Trotz­ dem sind einst Menschen von der einen Seite des Pazifiks zur anderen gekommen. Wie sie herübergekommen sind, das wissen wir nicht. Wir können es nur vermuten. Sie waren ausgezeichnete Seeleute und hatten große, seetüchtige Schiffe, wie wir aus alten Überlieferungen wissen. Ptolemäus beschrieb, daß im zweiten nachchristlichen Jahrhundert indische Schiffe über den Indischen Ozean nach Malaya und Indonesien gesegelt sind. Bekannt ist auch, daß im dritten Jahrhundert unserer Zeitrechnung ein Transport von Pferden nach Malaya und Indochina gelangt ist - ein Zeichen dafür, daß die Inder damals nicht nur mit kleinen Schiffen die See befuhren. Der chinesische Mönch Fa-hien, so wurde überliefert, ist um 400 n. Chr. auf einem Schiff mit 200 Mann Besatzung von Ceylon direkt nach Malaya gesegelt und dann mit einem ähnlichen Schiff bis nach Nordchina ge­ kommen. Das unterstreicht auch Walter Kridceberg, einer der bedeutend­ sten Amerikanisten unserer Zeit. Diese Schiffe mit an die zweihundert Mann Besatzung waren schon damals größer als die Segelschiffe des Ko­ lumbus. Wahrscheinlich segelten die Menschen Ostasiens damals an der Küste entlang nordwärts, dann über die Kurilen und die Aleuten zur Nordwestküste des amerikanischen Kontinents, dann südwärts die ameri­ kanische Küste entlang bis nach Mexiko. Aber sie können auch einen anderen Weg genommen haben, etwa nördlich um Hawaii und dann bis an die kalifornische Küste und von dort südwärts. Vergessen wir nicht daß auch sehr viel kleinere Schiffe zu Hunderten den Pazifik überquert haben, wie die vielen chinesischen Dschunken beweisen, die unfreiwillig im 18. und 19. Jahrhundert über den Pazifik an die Küste Amerikas ge­ worfen wurden. Jahrhundertelang haben Menschen aus Südostasien diese Fahrten gemacht. Erst nach dem Untergang Kambodschas werden die Kontakte unterbrochen. 176

Es waren sicher Händler, in ihrer Begleitung wohl auch Mönche, die in die Neue Welt segelten, wie Robert Heine-Geldern annimmt. Das können wir daraus schließen, daß sie nur ganz bestimmte Elemente der Kultur mit herüberbrachten: Elemente ihrer Kunst, gewisse Religionsvorstellun­ gen, Zeremonialbauten, auch Regierungsformen und Elemente ihrer Kos­ mologie, der Mythologie und der Ikonographie. Aber eines haben sie den indianischen Völkern merkwürdigerweise nicht gebracht: technische Er­ rungenschaften, das praktische Wissen. Händler, Künstler und Astronomen segeln nicht aus purer Abenteuer­ lust oder Entdeckungssehnsucht über riesige Entfernungen ins Blaue hin­ ein, ohne ein Ziel zu haben. Wenn sie in diesem Falle trotzdem von der einen Seite des Pazifiks zur anderen fuhren, so dürften sich diese Reisen nur nach einem Plan vollzogen haben. Sie sind sicher auch in beiden Rich­ tungen unternommen worden, von Südostasien nach Amerika und von Amerika wieder zurück. Auch die Wissenschaft nimmt heute an, daß Menschen aus Ostasien lange Zeit vor Kolumbus die Neue Welt gefunden haben. Das heißt, daß Amerika mindestens viermal nacheinander entdeckt worden ist. Zum erstenmal fanden und besiedelten wandernde Menschenhorden den neuen Kontinent, nachdem sie vor mehr als 20000 Jahren die Beringstraße durchquert hatten. Das zweitemal fanden die buddhistischen Händler aus Südostasien den Weg über den Pazifik und brachten ihre Kultur den mittelamerikanischen Völkern-, das ist zwischen 300 und 1200 n. Chr. ge­ wesen. Als dritte entdeckten Wikinger von Island und Grönland aus Nordamerika und gründeten in Vinland ihre Kolonie. Und zum letzten Male wurde Amerika von Kolumbus entdeckt. Kolumbus war also nicht der erste, wie es heute noch in den Schulbüchern steht, sondern der letzte. Viermal wurde Amerika entdeckt ... Vielleicht auch fünfmal? Wenn Menschen aus Südostasien in den ersten Jahrhunderten nach unserer Zeitrechnung über den Pazifik zu den indianischen Völkern Mittel­ amerikas gekommen sind, warum können nicht andere Menschen hin­ übergekommen sein, und zwar nicht über den Pazifik, sondern über den Atlantik? Ist diese Annahme so absurd? Die Strecke über den Atlantik ist unvergleichlich viel kürzer als die über den Pazifik. Sie führt über ein Meer, auf dem Passat und Drift den Segler ständig auf die indianischen Küsten hintreiben, ganz im Gegensatz zum Pazifik, wo Wind und Strö­ mungsverhältnisse ungünstiger liegen. Amerika und Asien trennen sechzehntausend Kilometer, der Passat weht von Amerika nach Asien hinüber. Aber nur zweitausendfünfhundert *77

Kilometer trennen Amerika von den Kanarischen Inseln, zweitausend­ fünfhundert Kilometer mit Passat und Drift in Richtung Amerika. Wie, wenn auf diesem um so vieles günstigeren und bequemeren Wege die Weißen Götter einst über den Atlantik gesegelt sind?

Der Weiße Gott von Chichen Itza

Ein weißer Mann war König der Tolteken. Er residierte in ihrer großen Stadt Tula. Nadi einem Jahrzehnt verließ er das große Tula und er­ oberte das neue Reich der Maya und machte Chichen Itza zu seiner Hauptstadt. Tula und Chichen Itza, wo er nach alten Berichten zwischen 967 und 987 erschien, liegen, in der Luftlinie gemessen, 1220 Kilometer auseinander. Der weiße Mann ist aus der Gegend von Chakanputan, südlich von Campeche, gekommen, und von Tobasco aus ist er über den Golf an die Küste von Yucatan gesegelt. Er und seine Tolteken wurden »Fremdsprachige« oder »Küstenleute« genannt. Sie trugen den alten Federschmuck der Olmeken, die Feder­ krone. Chichen Itza wurde seine neue Residenz, wie es vordem Tula gegewesen war, und dieser Stadt prägte er in allen ihren Bauten seinen persönlichen Stempel auf. Er war Architekt und Künstler. Er war ein kluger Politiker und Organisator, er war ein Eroberer, der viele Jahre lang Kriege mit den Maya führte, die in Erzählungen und in Bildern überliefert sind. Er war Wissenschaftler und Astronom, aber auch ein guter Kaufmann, der den Handel mit Baumwolle und Kakao in seinem Reich organisierte, dem größten, das es in Mittelamerika je gegeben hat. Man weiß, daß er auch Chichen Itza wieder verließ und 990 n. Chr. in Mexiko gestorben ist. Er war durchaus keine mythische, sondern eine historische Gestalt, und zwar die größte der indianischen Reiche. Dieser Weiße König hieß Quetzalcoatl. An sein Leben und sein Wirken knüpfen sich viele Legenden, aber er ist höchstwahrscheinlich eine ge­ schichtliche Persönlichkeit gewesen. Im Nordtempel von Chichen Itza, der vor allem durch seine Reliefs am Deckengewölbe bekannt wurde - auf dem Priester und auch Krieger in langen Reihen um einen Jaguarthron herumstehen oder auf Kissen sit­ zen -, befindet sich unter den sitzenden Priestern einer, ein einziger, mit einem langen Bart. Ist das der Weiße Gott von Chichen Itza? Er ist weißhäutig und bärtig. 178

Die Reliefs des Weißen Gottes von Chichen Itza zeigen einen gänzlich unindia­ nischen Typus

Es gibt in Chichen Itza andere Reliefs, die denselben alten Mann mit langem Bart zeigen. Dieser Mann ist keineswegs der Typ des indianischen Menschen. Es ist ein Mensch mit unverkennbar europäischen Zügen. Quetzalcoatl heißt: »Die Schlange, welche mit den Federn des Quetzal­ vogels bedeckt ist« oder die gefiederte Schlange. Kukulkan (wie der Weiße Gott in Chiapas heißt) bedeutet »die Schlange, die im Wasser schwimmt«, und Kukumatz (wie der Gott bei einigen Mayastämmen hieß) ist das »Herz des Meeres«. Als gefiederte Schlange wird dieser Gott dargestellt, oft als Fabelwesen mit Schlangenleib und Krokodil­ maul. Sehen wir ihn in Menschengestalt, dann schwebt über seinem Haupt eine Krone in Form eines herabstoßenden Quetzalvogels, und vor dem Gesicht befindet sich eine Maske aus Schlangenwindungen. Einem Weißen Gott diese Namen und Symbole zu geben erscheint zunächst so seltsam, daß wir uns mit diesem Titel hier befassen müssen. Die gefiederte Schlange war ein ganz altes Symbol der Indios für den Regengott. Vom Regen war in diesem Lande alles abhängig, der Regen war Herr aller Naturkräfte, des Meeres, des Wassers, des Himmels und der Wolken und Blitze, der ganzen Vegetation und der Tierwelt. Der höchste Regengott wird durch den Quetzalvogel symbolisiert und durch die Schlange. Oft sind seine Priester auf den Reliefs von einem Fries von gefiederten Schlangen umgeben, die die irdischen Gewässer versinnbildlichen sollen. Die gefiederte Schlange ist das Symbol für Was­ ser, Regen und Vegetation, für alles das, »was aufsprießen macht«. Weil er die Vegetation »aufsprießen macht«, trägt der zapotekische Gott Xipe auch das Symbol der gefiederten Schlange. Der Weiße Gott war aber bei allen alten indianischen Kulturen der Kulturheros, der alle Kultur gebracht hatte und den man vergleichen konnte mit der Wirkung des Regens auf die Vegetation.

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Das Reich Wotans » Wenn du den Halys überschreitest, so wird ein großes Reich untergehen ...«

Antwort des Orakels an Krösus »Eine Reihe erhabener Erdhügel, von denen einer bi pyramidaler Form die an­ deren überragte, begrenzte diese Ebene im Osten.«

Austen Henry Layard über die Ebene am Tigris

Im Land der Pyramiden Die Küstengebiete von Peru sind heute eine dürre, sandige Landschaft, fast Wüsten. Hier gibt es keine üppig wuchernde Vegetation, die, wie es in anderen Gebieten Mesoamerikas geschah, in wenigen Jahrzehnten große Bauten, ganze Städte einfach verschlingen kann. Hier gibt es keinen Dschungel, der die alte Kultur unter seinem undurchdringlichen grünen Gewirr begraben konnte. Die steinernen Zeugen großer Vergangenheit liegen hier frei unter dem heißen Himmel von Peru. Wenn man heute mit dem Flugzeug von Trujillo aus über der pazifi­ schen Küste entlangfliegt, sieht man auf dem schmalen Sandstreifen der Ebene von Peru eine Pyramide neben der anderen unter sich auftauchen. Zehn, zwanzig, dreißig, hundert, Hunderte von Pyramiden stehen auf dem schmalen, fünfzig Kilometer breiten Landstreifen, der sich 1500 Kilometer entlang der Küste hinzieht. In den Ruinen nahe der Mündung des Jequetepequ'e, in der Ruinen­ stadt, die wohl das alte Pacatnamu ist, erkennt man aus der Luft mehr als 70 Pyramiden. Dutzende von Pyramiden sieht man vom Flugzeug aus wenn man über die Ruinen der großen, alten Stadt fliegt, die einmal Chan Chan hieß. Im Chirastal steht eine Pyramide mit einer Seitenlänge von 90 mal 90 bis 120 Metern, die dreistufig war. Es ist die aus Lehmziegeln gebaute Huaca de Chira in der Nähe von Sujo. 180

Im Tal von Casma liegen die Trümmer einer Pyramide, die einst alle anderen im Tal an Höhe überragt haben muß, die Tempelpyramide von Mojeke. Sie ist heute nur noch ein wüster Erdhaufen. Auch der Tempel des Gottes Pachacamac, einst der Stolz der Fürsten von Guismancu, und die unzähligen kleinen Pyramiden, die in den Städten des Reiches einst­ mals zu Ehren dieses Gottes errichtet worden waren, der größer war als alle anderen Götter, sind verfallen. Vergangen ist auch der Tempel des Gottes von Rimac. Das sind nur einige wenige von den zahllosen Pyramiden in diesem Ge­ biet. Sie unterscheiden sich von denen aus Mesoamerika, von denen bisher die Rede war. Alle wurden sie aus Adoben gebaut, aus Lehmziegeln, die man an der Sonne trocknete. Genauso wurden die Pyramiden von Hauwara und Illahun am Nil errichtet ... Es sind Stufenpyramiden. Eine Treppe, die außen verläuft, führt zu der Plattform empor, die den Tem­ pel trug. Die meisten dieser alten Ruinen stehen heute immer noch so wie da­ mals, als die ersten Spanier das Land betraten. In Peru kann man auch heute noch geradewegs in die Archäologie hineinmarschieren. Hier in diesem Lande gab es keine Legenden und keine Märchen von verschwun­ denen Städten, von denen nicht einmal mehr ein Rest zu sehen war, wie in Mexiko, wo die Legenden jahrhundertelang die einzigen Zeugen ver­ sunkenen Lebens blieben. Die Geschichte der Archäologie in Peru ist deshalb auch ganz anders verlaufen als in Mexiko. Peru wurde das Land der »Reisenden in Archäo­ logie«. Hier mußte man sich nicht unendlich mühsam Schritt für Schritt durch den dichten Urwald, durch das Dickicht des Buschwerks, über sumpfigen Boden und durch feuchtheiße, erstickende Luft mit ihren Myriadenschwärmen von Moskitos hindurchkämpfen. Hier war es nicht schwer, Ruinen aufzufinden, weil es so viele gab, weil sie vollkommen frei dastanden. Hier brauchte man nichts weiter als einen Spaten, wenn man nicht gerade den Ehrgeiz hatte, in die Anden einzudringen. Die Archäologen kamen in dieses Land, das ihnen die Arbeit so leicht machte. Sie durchstreiften es, kratzten hier und dort und fanden überall etwas. Es wurde geradezu Mode, kurze Entdeckungsreisen nach Peru zu machen. Viele von denen, die kamen, trieb nur die Neugier nach Peru. Es kam aber auch die ernsthafte Forschung. Sie leistete, wie überall, mühevolle wissenschafdiche Kleinarbeit, die sich über Jahre hinzog und unendlich viel zur Kenntnis der alten Kulturen beigetragen hat. Vor allem in den Gräberfeldern an der Küste arbeiteten die Gelehrten mit dem schönsten

Erfolg. Die Arbeit der Forscher konnte aus unendlich vielen kleinen Ein­ zelbildern das Bild eines anderen alten indianischen Volkes zusammen fügen: das Bild vom Reich der Chimu.

Der Große Chimu Die Chimu hatten einst an der Küste von Peru ihr großes Reich ge­ schaffen. Sie hatten es durch den Zusammenschluß vieler kleiner Tal­ herrschaften, der sogenannten kleinen Königreiche, gebildet. Das haben die alten Chroniken überliefert. Diese kleinen Reiche, wie das der Könige von Lambayeque, das der Herrscher vom Chirastal, von Quito, waren von Menschen gegründet worden, die auf Flößen von der pazifischen Küste Mexikos gekommen waren. Sie hatten sich in Südamerika etwa um die Zeit von Christi Geburt angesiedelt. Es waren Menschen aus dem Archaikum Mexikos. Sie brachten aus ihrer Heimat die Legende von der großen Flut mit, und vermutlich hatten sie ihre alte Heimat eben wegen dieser Flut verlassen. Diese Menschen, die sich an der Küste des heutigen Peru ansiedelten und dort ihre kleinen Königreiche gründeten, lebten in dem Gebiet, das später das Land der Chimu wurde. Man teilt, archäologisch gesehen, diese alten Küstenkulturen Perus ein in Salinarkultur, Gallinazokultur, Mochica oder Proto-Chimu (etwa 400 v. Chr.) und in die späteren Chimu. Diese Chimu waren ursprünglich auch kleine Könige oder Gaufürsten, die in ihren Festungen und Tempeln am Mochefluß entlang siedelten. Ihre Sprache war das Mochica, das später die Sprache dieses Küsten­ streifens wurde. Mochica war auch der Name ihres Volkes, bevor es den Namen Chimu annahm. Im Laufe der Jahrhunderte hatte dieses Volk alle seine Nachbarn unterworfen; es beherrschte die ganze Küstenebene von Peru. Einer der größten Herrscher ist diesem Volk am Ende des fünften oder zu Beginn des sechsten nachchristlichen Jahrhunderts erstanden, sagen die alten Chroniken. Es war der König, der als der »Große Chimu« bekannt wurde und sein Reich gewaltig ausdehnte. Chimu bedeutet nichts anderes als »großer Herrscher«. Der Name ging später auf das ganze Volk über, als es alle Reiche an der Küste beherrschte. Jahrhunderte hindurch hatten die Chimu immer mehr Macht - und immer mehr Gold zusammengehäuft; ihr Reich war das goldene Reich, 182

Das große Reid} der Chimu, das von den Inka unterworfen wurde

das größte Reich, ehe die Inka kamen. Die Inka haben es zerstört, zu der Zeit, als Chimo Capac König der Chimu war. So erzählen die Chronisten. Zu Anfang des 15. Jahrhunderts verlor das Heer des Chimo Capac eine Schlacht gegen den Inka Tupac Yupanqui. Damit hörte das Chimu-Reich 183

auf zu bestehen. Seine Kultur und seine Kunst aber lebten noch lange weiter. Sie sind erst in spanischer Zeit allmählich untergegangen. Das Reich der Chimu hat fast fünfzehn Jahrhunderte lang bestanden. Seine Geschichte kann man in drei große Abschnitte einteilen: die ar­ chaische Periode zur Zeit der Einwanderung und der Landnahme; sie dauerte ungefähr bis um 500 n. Chr. Dann folgte die Blütezeit unter den großen Chimu, vom Ende des fünften bis etwa ins neunte Jahrhundert, und schließlich die Spätzeit, ungefähr vom Jahr 1000 an bis zur Eroberung durch die Inka um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts. Daß das Reich unterging, war wohl nicht nur die Folge einer militärischen Nie­ derlage. Schuld daran waren, wie auch in anderen indianischen Reichen, Vorgänge im Inneren: Aufstände des Volkes gegen die Fron, gegen die zahlenmäßig kleine herrschende Klasse. Was die Männer der Konquista hier antrafen, das berichten die Chroniken.

Spanische Schatzsucher Die ersten »Reisenden«, die durch die Küstenebenen von Peru zogen, in denen das alte Reich der Chimu bestanden hatte, waren Spanier. Es war im Jahre 1602, als in jenen Landstrichen rauhe spanische Krieger unter ihrem Anführer Montaiva auftauchten - nicht, um die Landschaft kennenzulemen oder sich am Anblick der alten Bauwerke zu erfreuen, sondern aus keinem anderen Grunde als dem, Gold zu suchen. Als sie in die Nähe der heutigen Stadt Trujillo kamen, erkannten sie die Silhouetten hoher Pyramiden. Ein Bau ragte besonders hoch auf: Auf einer 20 Meter hohen, großen und breiten Plattform erhob sich eine Pyramide, wiederum 20 Meter hoch. Dieses riesige, feste Bauwerk zog die Spanier an. Als sie davorstanden, sahen sie, daß der Bau ganz aus Lehmziegeln er­ richtet war. Die Spanier wußten, daß es harte Arbeit bedeuten würde, das Bauwerk aufzubrechen, um dort nach verborgenen Schätzen zu suchen. Kurz entschlossen leiteten sie den nahen Mochefluß gegen die Pyramide und überließen ihm die Arbeit. Und die Spanier - oder vielmehr der Fluß - hatten Erfolg: Die Mauern stürzten zusammen. Ein Schatz kam unter ihren Trümmern ans Licht - und verschwand in den Taschen der spanischen Krieger. Sie fanden und raubten silbernes Geschirr und Platten aus einer Legie­ 184

rung von Gold und Kupfer. Sie fanden eine Figur aus reinem Gold, die, nach dem Chronisten La Calancha, »vom Gürtel eine Elle hoch und von Gestalt eines Bischofs« war. Was danach von dieser ausgeraubten Pyramide übrigblieb, war ein un­ förmiger Erdhaufen. Die Wände sind durch starke Regenfälle völlig aus­ einandergefallen. So stehen diese Ruinen heute noch da. Besonders reiche Beute machten die spanischen Sieger in der Huaca de Toledo, dem alten Königsgrab der Chimu. Goldene Trinkbecher, Schalen, Figuren und ein Fisch aus massivem Gold fielen ihnen in die Hände, Schätze, die allein einen Metallwert von neun Millionen Mark hatten. Im Tempel von Moche raubten die Spanier Gold und Silber im Werte von 300000 Goldpeseten. Aus einem anderen Tempel entwendeten Escobar Corchuelo und seine Kumpane Gold und Kupfer im Wert von 600000 Peseten — »ohne das, was sie verschwiegen«, sagte ein Chronist. Die kleinere Pyramide neben der großen, die sogenannte Mond-Pyra­ mide, hat die spanischen Krieger nicht gereizt. Sie schien ihnen zu neben­ sächlich, um sie aufzubrechen. Sie glaubten, es sei nicht der Mühe wert. Aber gerade diese kleine Pyramide barg einen Schatz, den Hunderte von Jahren später die Ausgräber unversehrt bergen konnten. Viel mehr als dieser Schatz konnte geborgen werden.

Chan Chan, die Stadt der Schlangen Was die räuberischen spanischen Krieger zurückgelassen hatten, fanden die Reisenden der folgenden Jahrhunderte. Sie entdeckten, was die spa­ nischen Soldaten offenbar nicht interessiert hatte: die Hauptstadt der Könige der Chimu, das alte Chan Chan. Diese Stadt war fünfzehn Quadratkilometer groß. Zwischen Trujillo und der Pazifikküste, etwa acht Kilometer nördlich von Rio de Moche gelegen, war sie einst eine Hafenstadt. Durch Verlandung und Boden­ hebung liegt sie heute nicht mehr am Meer. In den Ruinen fand man die Umrisse von zwei sehr großen mauerumschlossenen Palästen. Der sogenannte »große Palast« war ein Riesen­ bau von 400 mal 500 Meter Seitenlänge. Er enthielt ein großes Wasser­ reservoir. Davor stand ein Gebäude mit vielen kleinen Räumen. Man hielt diese Räume zunächst für Gefängniszellen und nannte den Bau des­ halb das Gefängnis. 185

Der zweite Palast war kleiner und lag näher am Meer. Audi er war, wie der große, von einer Doppelmauer mit Wehrgang umgeben. Und auch hier fand man die Reste eines Gebäudes mit vielen kleinen Gängen und Zellen. Zu den Palästen von Chan Chan gehörten Höfe, Säle, Wohnungen und Gartenanlagen. Bekannt geworden ist die sogenannte Halle der Arabesken mit ihren Reliefmustern, schachbrettartigen und rhombenartigen Verzie­ rungen in streng hieratischen Stil. Die Kammern in den beiden Gebäuden waren aus behauenen Steinen gebaut worden. Hier wurden Reste von Kleiderstoffen, Mumien, Figuren von Menschen und Tieren, Reste von hölzernen Götterbildern und Perlmuttmuscheln gefunden. Die Kammern konnten also keine Gefängniszellen gewesen sein. Die großen Bauten mit den vielen kleinen Abteilen müssen kultischen Zwecken gedient haben. Hier wurden Schlangen gehalten: lebende Götter. Wurden hier im Schlangenpalast von Chan Chan auch die Gottesurteile vollstreckt, die wir aus indianischen Reichen so gut kennen? Wurden hier lebende Men­ schen den Schlangen, den wilden Tieren und Skorpionen vorgeworfen? So war es jedenfalls noch bei den Inka. Zwei Tage mußten sie aushar­ ren - wenn sie bis dahin noch am Leben waren. Erst wenn die Tiere sie zwei Tage verschonten, war ihre Unschuld erwiesen. Und es war sehr leicht, bei den Indios vor ein Gottesurteil zu kommen. Schon ein wenig Leugnen genügte, vor allem dann, wenn die nächst mildere Form der Befragung (die wir unter dem Namen Tortur kennen) ergebnislos blieb. Haben unsere eigenen alten Kulturen hierin eigentlich den Indios etwas voraus? Haben wir nicht auch die Berichte über die Gottesurteile früherer Zeiten gelesen? Sogar ein deutscher Kaiser ließ seine Frau barfuß über glühende Eisenplatten gehen, als es galt, ihre eheliche Treue festzustellen. Ob unter den Indios, die das Gottesurteil überstanden, auch einer war, der sich so schlau verhielt wie einst Daniel in der Löwengrube? Im Alten Testament (Daniel, Kapitel 6, Vers 1-24) ist zu lesen, wie der König Darius aus Medien einen seiner drei Landesfürsten (durch Intrigen seiner anderen beiden Kollegen) zum Gottesurteil bestimmte. »Da befahl der König, daß man Daniel herbrächte, und sie warfen ihn zu den Löwen in den Graben. Der König aber sprach zu Daniel: Dein Gott, dem du ohne Unterlaß dienst, der helfe dir!« »Des Morgens früh, da der Tag anbrach«, stand der König auf und ging zum Graben. Er wunderte sich, daß er Daniel lebend vorfand, und Daniel sprach: »Mein Gott hat seinen Engel gesandt, der den Löwen den Rachen zugehalten hat, daß sie mir kein Leid getan haben.« 186

Chan-Chan, nach dem Plan von E. Gonzalez, 196;

Die Legende erzählt es etwas anders. Danach soll sich Daniel (bevor man ihn in die Grube warf) mit Pech und Haaren versehen haben, aus denen er Küchlein formte, die er den wilden Tieren vorwarf. Die Tiere verschlangen die Küchlein in der Meinung, es wären lebende Küken. Das hat offenbar ihre Verdauung gestört und ihnen den Appetit verschlagen. Leider fehlen die Berichte über einen indianischen Daniel. Die Schlange aber, das Tier des Wassers und der Unterwelt, blickt in Chan Chan von allen Wänden herab. Und wenn man diese unendliche Häufung von Darstellungen sieht, dann kann man keinen Augenblick darüber im Zwei­ fel sein: Chan Chan ist die Stadt des Schlangenkultes gewesen. Diesen Kult der Chimu offenbart die Stadt Chan Chan schon in ihrem Namen. Chan war die mexikanische Bezeichnung für Schlange; Na Chan hieß »Haus der Schlangen«. »Na« war aber auch in der Sprache der Chimu ein Wort für Haus. Der Kult der Chimu war ein Wasserkult. Ihr Leben lang waren diese Menschen aufs engste mit dem Meer verbunden. Das Wasser war ihr Element, und seine Symbole waren der Fisch und die Schlange, die in den Darstellungen häufig als Abbild für das Spiel der Wellen dienten. Einen ganz ähnlichen Kult gab es übrigens auch in der Alten Welt: in Ägypten. Audi die alte ägyptische Göttin von Buto war eine Schlange, die lebend in Tempeln gehalten wurde.

Pizarro machte eine Reise Einer der ersten Reisenden im Reiche der Chimu war ein spanischer Feldherr: Hernando Pizarro. Als er mit 25 Begleitern auf dem Wege nach Pachacamac war, sah er im Süden des heutigen Peru, am Rio de la Fortelaza, auf einem 50 Meter hohen Hügel eine Festung, wie er sie vor­ her nur in seiner Heimat Spanien gesehen hatte. Der Burgberg war von Ringmauern umschlossen. Den Eingang büdete ein Fort, die anderen drei Eckpunkte der Festung waren zu Außenforts von 40 Meter Seitenlange ausgebaut. Pizarro sah diese Festung Paramonga mit ihrer reichen Bemalung an Wällen und Wänden noch voll­ kommen unversehrt. Und wie diese, so standen damals im Lande der Chimu noch viele andere Festungswerke, die nicht weniger gewaltig waren. Sie waren stumme Zeugen für die Größe und die militärische Macht eines alten Volkes. Heute liegen diese Städte der Chimu in Trümmern. Ihre Befestigungen sind zerstört, ihre Tempel vernichtet. Eines aber ist von ihnen geblieben: die hohe Kunst der Keramik, die bis auf den heutigen Tag eine der voll­ endetsten der ganzen Erde ist. Die keramischen Erzeugnisse, die man aus der Gräbern der Chimu barg, finden sich heute in fast allen Museen; sie sind künstlerisch so bedeutend wie ihre Goldarbeiten. Auf den Gesichts­ krügen sind die Gesichter von Menschen aus dem Volk dargestellt, von Frauen und Kindern, und aus diesen Gefäßen sprechen die harten, ent­ schlossenen Gesichter der Könige noch heute zu uns. Diese Gesichtskrüge gehen durch alle indianischen Kulturen. Es sind Krüge in Form eines Kopfes, mit plastischen Darstellungen von Nase und Gesicht. Teilweise sind auch kleine Arme und Beine vorhanden oder sogar der ganze Körper eines Menschen. Wir finden sie in unserer eigenen alten Welt auch in Troja, bei den Etruskern und in Mykenae. Besonders beliebt war bei den Chimu eine ganz eigenartige Keramik: Doppelkrüge, die mit einem Rohr verbunden sind und die nur einen Ausguß haben. Sie gleichen den Doppelkrügen der alten Mittelmeer­ kulturen. Auch die keramischen Urnen der Chimu in Form eines Hauses sind ganz die gleichen wie die Hausurnen der alten Mittelmeerkulturen, die aus Kreta und von den Etruskern bekannt sind. Sollten diese besonderen keramischen Formen - die Gesichtskrüge, die Doppelkrüge und die Hausurnen - unabhängig voneinander zweimal in der Welt entstanden sein? Ist es nicht näherliegend, hier an eine Über­ tragung zu denken? 188

Wir kennen - heute wieder - die Machtmenschen der Chimu, deren Gesichter von alten Tonkrügen zu uns reden. Ihre Härte spricht von Macht und Größe. Diese Könige herrschten einst im Reiche Wotans. Pedro Corzo, ein Lotse, der vier Jahre lang die Küste von Peru befuhr, hat berichtet, überall in den Tempeln auf den Höhen hätten Götterbilder aus Holz oder aus Stein gestanden. Der Gott, den sie darstellten, hieße hier Guatan. Dieser Name bedeutet Wirbelwind, eine Parallele zur ger­ manischen Bezeichnung Wotans, des alten Sturmgottes. Es ist der alte Gott der Maya, der hier an der Peruküste verehrt wurde. Die Maya nannten ihn Votan. Auf einem Tonkrug von Ratinlixul in Guatemala fand sich eine Dar­ stellung der Mondgottheit als König der Nacht und der Finsternis, mit der Glyphe »Ahau« gleich »Herr und König« und der Glyphe »Votan« gleich »Erdinneres«. Die Azteken nannten diesen Gott, der auch von den Mixteken und Zapoteken verehrt wurde, »Tepeyollotli«. Bei den Maya nahm er einen besonders hohen Rang ein, weil er die Gabe des Orakels besaß.

Ein Orakel von Delphi Auch die Menschen des 20. Jahrhunderts sind noch neugierig zu er­ fahren, was ihnen der nächste Tag, die nächste Woche oder der nächste Monat bringen wird. Sie suchen und finden ihr Schicksal, nach Tagen, Wochen oder Dekaden berechnet, nach den alten babylonischen Tier­ kreisen geordnet und vorbestimmt, in fast allen Zeitungen. Und Millionen Menschen glauben an diese modernen Orakel. Schon die alten Ägypter glaubten daran, vor allem aber auch die Grie­ chen. Beide Völker hatten diese neue Methode zur Befriedigung der Neu­ gier des Volkes gefunden. In geheimnisvollen, dunklen Tempelnischen oder anderen heiligen Räumen konnten sie die Zukunft erfragen und er­ fahren. Diese alten Orakel stimmten immer: Es kam nur darauf an, wie man sie verstand oder wie man sie auslegte. Krösus hatte einst vor dem Über­ gang über den Halys in Kleinasien das Orakel nach dem Erfolg seiner Unternehmung befragt: »Du wirst ein großes Reich zerstören«, hatte die Antwort gelautet. Daß es sein eigenes war, merkte er zu spät. 189

Delphi war das berühmteste Orakel in der Alten Welt. In der Neuen Welt war es Rimac. Es lag einen kleinen Tagesmarsch von Pachacamac entfernt, in der Umgebung des heutigen Lima. Die Chronisten berichten, daß die Bewohner dieses Tales einen Gott in menschlicher Gestalt an­ beteten, der, wenn sie ihn fragten, die Zukunft wie das Orakel zu Delphi enthüllte. Weißgekleidete Priester, die keusch und ohne Gebrauch von Salz und Pfeffer lebten, übten seinen Kult. Das Orakel von Rimac war bis an die Kodilleren hin bekannt. Könige und Fürsten holten sich, wenn es galt, einen Kriegszug oder auch nur eine Jagd zu unternehmen, aus den Prophezeiungen Rat. Fast ebenso berühmt war das Orakel von Pachacamac; der Stadt der Fürsten von Guismancu, einem kleinen Reich südlich vom Reich der Chimu an der Küste von Peru. Von dieser Stadt berichten die Chronisten, sie sei größer als das alte Rom gewesen, und ein schwarzer Teufel habe in ihrem Tempel zum Volk gesprochen. In den Tempeln von Guismancu, die zu den Wallfahrtsorten des Landes wurden, weissagten die Priester hinter goldenen Masken. Der Name des Gottes, der hier verehrt wurde, ist nicht bekannt. So berühmt waren die Orakel an der Peruküste, daß einst der Inka Pachacutec ein Heer von 40000 Mann in Marsch setzte, um sie seinem Reich einzuverleiben. Er holte sich den Gott Pachacamac nach Cuzco. Aus einem Tempel nahmen die Sieger nur einige Idole mit, einen gol­ denen Hund und einen goldenen Fisch, sonst rührten sie nichts an. Die Pilgerscharen zogen weiter zum alten Heiligtum, und erst in spanischer Zeit ebbte der Strom ab. Das alte Heiligtum von Pachacamac stand noch, als die Spanier kamen. Der erste Reisende aus der Alten Welt, der es sah, war wiederum Her­ nando Pizarro. »Es war eine Stadt von ansehnlicher Bevölkerung«, schrieb er, »und viele ihrer Häuser waren fest gebaut. Der Tempel ihrer Schutz­ gottheit bestand aus einer Reihe von Gebäuden, die, rings um einen kegelförmigen Berg gelegen, eher das Aussehen einer Festung als einer religiösen Stätte hatten.« Als Pizarro von den Priestern der Zugang verweigert wurde, drang er gewaltsam ein. »Gefolgt von seinen Leuten«, heißt es in dem Bericht seines Sekretärs, »wand er sich durch den Gang, der zu dem offenen Platz an der Spitze des Berges führte. Auf einer Seite des Berges stand eine Art von Kapelle. Sie war die heilige Stätte der gefürchteten Gott­ heit. Die Türen waren mit kristallenem Zierat, mit Türkisen und kleinen Korallen belegt.« Als die Indianer Pizarro den Eintritt in das Aller­ 190

heiligste versperren wollten, erschütterte ein Erdbeben die Stadt, und die Indianer flohen in panischem Schrecken vor den Weißen Göttern. Pizarro riß die Tür zu dem geheiligten Ort auf und trat mit seinen Leuten ein. Aber sie fanden nicht, was sie vermutet hatten: keine Halle mit Gold und Edelsteinen, den Gaben der Anbeter des Gottes Pachacamacs. Sie fanden nur einen kleinen dunklen Raum, eine Höhle, den Opferplatz. In der Finsternis erkannten sie im entferntesten Winkel das Bild der Gottheit, ein aus Holz gestaltetes scheußliches Ungeheuer, dessen Kopf dem eines Menschen ähnelte. Die erbitterten Spanier, die Gold erwartet hatten und nur ein hölzernes Bild fanden, zerrten das Götzenbild aus seinem Versteck, schleppten es ins Freie und zerschlugen es in kleine Stücke. Dann reinigten sie den Platz und errichteten an derselben Stelle ein großes Kreuz aus Stein und Mörtel. Die reichen Goldschätze hatten die Priester von Pachacamac vor Pizarro zum größten Teil in Sicherheit gebracht. Den Weißen Göttern der Konquista fiel nur ein Teil davon, im Wert von 80000 Castellanos, in die räuberischen Hände. Noch in spanischer Zeit hat der Tempel fortbestanden; die Gläubigen zogen weiter zu ihrem alten Heiligtum, aber nicht mehr lange. Die Kult­ stätte war den spanischen Priestern ein Dorn im Auge. Deshalb ebbte der Strom der Pilger langsam ab, und das Heiligtum von Pachacamac war zum Untergang verurteilt. Heute stehen von dieser Stadt mit ihren Straßen, Plätzen, Palästen und Tempeln und den Tausenden von Grä­ bern nur noch Ruinen. Alle Bauten hatten eines gemeinsam: Sie waren nicht aus Steinen, sondern aus lufttrockenen Lehmziegeln gebaut. Die große Pyramide bildet heute nur noch einen unförmigen Erdhaufen. Sie ist tot, sie spricht nicht mehr von der Vergangenheit. Was jedoch heute noch von dem alten Reich Kunde gibt, das sind seine Gräber. In diesen Gräbern fand man etwas, was zu einer der größten Überraschun­ gen für die Archäologen wurde.

Ägyptische Mumien

Es war im Jahre 1531, als die Spanier nach dem goldenen Reich der Inka suchten, damals, als Hernando Pizarro die Küsten Perus entlangzog, um große Schätze zu finden. Er fand Gold, aber auch noch etwas, was kein Spanier erwartet hatte.

Als seine Männer am Tempel von Cuzco den goldenen Fries herunter­ gerissen hatten und in die Halle des großen Baues stürmten, da sahen sie an den Wänden seltsame Pakete aufgestellt. Es waren Mumien, in kost­ bare Stoffe gehüllt. Sie trugen vor dem Gesicht Masken aus Gold, Silber, Holz oder Ton. Es waren die Inkaherrscher. Diese Staatsmumien wurden von Priestern betreut; sie wurden bei allen Feiern durch die Straßen getragen. Nicht nur in den Tempeln standen Mumien, auch in allen Häusern der großen Familien gab es einen großen Kultraum, ein Toten- und ein Feiergemach, an dessen Wänden die Mumien der Vorfahren aufgestellt waren. Die toten Ahnen hatten an allen wichtigen Entscheidungen und Feiern teilzunehmen, denn alles, was von ihnen kam, waren Eingebungen übernatürlicher Mächte. Für die Mumien, die nicht in den großen Tempeln oder in den Häusern beigesetzt waren, wurden Grabkammem aus Lehmziegeln oder Stein­ kammern gebaut, die mit einer schweren Steinplatte verschlossen wurden. Oder man stülpte der Mumie einfach einen großen Tohkrug über den Kopf oder überbaute sie mit Schutzdächern aus Holz und Rohr. Bisweilen waren Mumien zu ganzen Bündeln zusammengebunden. Vielleicht hatte Krankheit viele Menschen zur gleichen Zeit dahingerafft? Oder waren es Diener gewesen, die ihrem toten Herm ins Jenseits folgen mußten? Die Toten wurden gewöhnlich nach fünf Tagen beigesetzt, wie der Chronist La Calancha berichtet. Man wusch sie und zog ihnen die Knie unter das Kinn. Bekleidet waren sie mit einer gewöhnlichen Tracht, aber darüber trugen sie Hüllen aus Rohr oder Flechtwerk, aus Gewän­ dern und Tüchern oder aus Tierfellen und Matten. Darin wurde der Leichnam eingenäht. Ballen aus Gras oder Tang, die um das Bündel ge­ hüllt wurden, verhinderten, daß es auf dem Transport zum Tempel be­ schädigt wurde. Über die Methoden der Mumifizierung in Peru ist nichts bekannt. Ge­ wiß ist nur, daß die Eingeweide entfernt wurden. Natron-, Harz- und Salbölbäder, wie sie in Ägypten üblich waren, haben die peruanischen Kulturen nicht gekannt, weil das Klima von Peru eine natürliche Mumi­ fizierung begünstigte. Trockenes Klima und salzhaltiger Boden allein können schon zur Mumifizierung führen, wenn der Körper des Toten mit der Erde in Berührung kommt. Bei den Staatsmumien war das aber nicht der Fall. Mumien waren nicht nur bei den Inka und in Peru bekannt, sondern auch in Kolumbien. In Ganchavita fanden Forscher, als sie eine Höhle

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öffneten, Mumien, die alle eine kleine goldene Krone trugen. Um sie herum lagen Grabbeigaben: Kleiderstoffe, goldene Figuren, Schmuck und Smaragde. Daß in Kolumbien Mumien gefunden wurden, ist verwunderlich, denn hier herrschte schon damals ein Klima, das die Erhaltung keineswegs günstig beeinflußte. Ein natürlicher Prozeß der Mumifizierung war hier auf keinen Fall möglich. Und Analysen haben ergeben, daß hier Harze und öle für die Mumifizierung verwendet wurden. Hier wurde also fast genau auf die gleiche Art mumifiziert, wie es auch im alten Ägypten üblich war.

Gerichtstag in Cuzco

Noch viele Generationen nach seinem Tode spielte der Mensch eine große Rolle im Leben der Indios. Das haben vor allem die spanischen Richter in dem eroberten Land erfahren. Es war schon schwer für sie, während der Verhandlungen die Sprach­ schwierigkeiten zu überwinden, besonders in den ersten Jahren, als die Spanier die indianischen Sprachen noch nicht genügend kannten und die Indios noch kaum Spanisch verstanden. Aber es gab anderes, das den Richtern noch viel mehr Ärger bereitete. Um dieses fast unglaubliche Ärgernis aus der Welt zu schaffen, mußten strenge Verbote erlassen werden, die beinahe zum Zusammenbruch der ganzen spanischen Ge­ richtsbarkeit im eroberten Lande führten. Was da in den Gerichtssälen vor sich ging, bemerkten die spanischen Richter zunächst nur verwundert und befremdet: Die Gerichtssäle, nach spanischem Muster eingerichtet, waren immer bis auf den letzten Platz von Indios besetzt. Wer eine Klage oder einen Prozeß laufen hatte, der brachte seine ganze Verwandtschaft mit in die Hauptstadt. Wenn die spanischen Richter von ihrem Podium aus genauer in die Menge der Zuschauer sahen, dann bemerkten sie viele ganz uralte Leute, die zusammengekauert, mit einem Schleier oder einer Maske vor dem Gesicht, auf ihren Plätzen hockten. Wenn dann das Urteil verkündet war, legten die umsitzenden Indios sich diese uralten Menschen wie Bündel auf die Schultern und strebten dem Ausgang zu. Jeden Morgen, wenn in Cuzco Gerichtstag war, tauchten in aller Frühe, aus dem Nebel der Berge, Scharen von Indios auf und eilten mit diesen Lasten dem Gericht zu, um >93

sich und den uralten Menschen auf ihren Schultern einen Platz im Ge­ richtssaal zu sichern. Als die Richter schließlich dahinterkamen, was für eine seltsame Bewandtnis es mit diesen »uralten Menschen« hatte, die da zum Gericht geschleppt wurden, waren sie fassungslos. Diese uralten Menschen waren Tote - Familienmumien der Indios, die stets dabeisein mußten, wenn eine für die Familie wichtige Entscheidung zu treffen oder zu erwarten war. Das war ein tief eingewurzelter indianischer Brauch, und die spanischen Richter haben ihn erst nach langer Zeit beseitigen können. Noch jahre­ lang nach der Konquista hat so mancher Richter seinen Urteilsspruch angesichts einer Versammlung verlesen müssen, von der kein einziger lesen und schreiben und von der die eine Hälfte nicht einmal hören und sehen konnte. Die erzürnten Richter haben damals nicht selten ihrem Grimm über die Versammlung von Mumien in Berichten Luft gemacht, die sie nach Spa­ nien schickten und die, erfreulicherweise, heute noch erhalten sind.

Die Kulturen von Nazca, Ica und Paracas Im Tal von Chincha an der Küste von Peru stehen einige Ruinen, wie die Festung La Centinela. Sie ist in der Inkazeit überbaut worden, aber ihre Ostanlage aus Lehmziegeln ist viel älter. Diese Ruinen von Tempeln und Festungen sind die Zeugen eines alten Küstenvolkes, der »Kultur von Nazca, Ica und Paracas«. Zu Zeiten der Inka war das Land durch seine riesigen Bewässerungs­ anlagen berühmt. Sie sind von einem Volk gebaut worden, das sicherlich wie die Chimu ursprünglich aus Mesoamerika an die Peruküste eingewan­ dert war, hier aber ein härteres Leben führen mußte als die Chimu. Sie mußten sich mit den wilden Stämmen aus den Bergen herumschlagen und wurden ein kampfbereites Volk. Als solches haben auch noch die Spanier sie kennengelemt. Später haben sie nie die Sonnenreligion angenommen, sondern sie blieben auch, nachdem sie längst von den Inka unterworfen waren, ihrem Mond- und Wasserkult treu. Was wir heute von diesem Volk wissen, hat der Spaten wieder ans Licht gebracht, nicht in großen Ruinenstädten, sondern auf den Gräberfeldern an der Küste. Dort grub der Spaten wahre Wunder der Kunstfertigkeit aus. Und auch hier waren wieder Mumien beigesetzt worden. 194

An der Küste, auf dem Gräberfeld von Ancon, wurden die Toten, oft übereinander, in gewöhnlichen Erdlöchem bestattet. Die sterblichen Reste in diesen Gräbern sind längst zerfallen, aber die Grabbeilagen, Waffen, Schmuck, die Keramik und die Stoffe blieben erhalten. Sie füllen heute die Sammlungen vieler Museen der Erde. In den Gräbern von Nazca gehen die Funde bis auf die Zeit vor Beginn unserer Zeitrechnung zu­ rück, in den oberen Gräbern bis in die Zeit der Inka. Ganze Totenstädte mit Höhlengräbem sind in Paracas erhalten geblie­ ben. Die aus älterer Zeit stammenden Höhlen bargen oft 50 Skelette, die größeren Nekropolen, sechs Meter tief in die Erde hinein in den Stein gehauen, nahmen an die 400 Tote auf. Dort hocken sie in Zellen; sie sind in dicke Lagen von Stoff eingehüllt, und die Grabbeilagen sind hier be­ sonders reichhaltig. Auf den Gefäßen und Geweben dieser frühen Kultur erscheinen selt­ same, fremdartige Geschöpfe, katzenartige, hundeartige Wesen, aufein­ andersitzende Häupter, die an den Raimondi-Stein von Chavin erinnern, Katzenköpfe und Schlangenleiber, von Blitzen umgeben, verschlungene Schlangenleiber, Papageien, Eulen, Fische, Frösche als Symbole, Men­ schen mit Pumamasken und Menschenköpfe mit Schlangen. (Vgl. S. 279) Die Menschen jener Zeit haben weinende Gottheiten nachgebildet, denen Tränen über das Gesicht rinnen. Die Figuren tragen abgeschlagene Köpfe, Trophäen, in den Händen. Bei den Katzenwesen sind auch die Vollbärte dargestellt. Dann fand man wieder etwas ganz Seltsames: die ineinander verschlundenen Drachen mit den kurzen, sichelförmigen Flügeln aus dem ChouStil Chinas. Sie sind vor allem in der Salinar-Kultur anzutreffen und ge­ hen ins 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. zurück. Ein Beweis dafür, daß Menschen aus dem Femen Osten auch die peruanischen Küstenreiche ge­ funden und mit ihrer Kultur beeinflußt haben müssen. Haben die Chinesen auch das Kupfer in die Neue Welt gebracht? Man fand es zum ersten Mal in Amerika in der Gallinazo-Kultur, und man konnte den Fund auf etwa 500 oder 400 Jahre v. Chr. datieren. Der da­ malige chinesische Staat Wu, der 473 v. Chr. von Yüeh erobert wurde, war ein Staat des Kupfers, so daß eine Übertragung nicht ausgeschlossen erscheint. Auch bei den Mochica oder den Proto-Chimu lassen sich Ein­ flüsse Chinas nachweisen. Sie hören auf, als 333 v. Chr. die Yüeh von den Ch’u vernichtet wurden. Wir haben jetzt also schon hinreichend Beweise dafür vorliegen, daß Menschen aus dem Femen Osten die Neue Welt erreichten. Wir fanden sie »95

Links der ägyptische Totengott, in der Hand das »Ankh«, rechts Xolotl mit dem Hundekopf

aus Südostasien kommend, bei den Maya (in Palenque, im Puucstil des neuen Reiches und in Chichen Itza), bei den Totonaken in Tajin und nun auch in den Küstenkulturen Südamerikas. Wir werden aber auch noch den chinesischen Kormoran in der indianischen Kunst wiederfinden. Neben diesen Einflüssen aus dem Fernen Osten deuten aber auch viele Funde aus der Hinterlassenschaft der peruanischen Küste nicht nach dem Femen Osten, sondern - ganz eindeutig - in das alte Mittelmeergebiet. Es sind besonders die indianischen Webarbeiten. Die Gräber von Para­ cas sind berühmt wegen ihrer Gewebereste. In den Gräbern, sechs Meter tief unter der Erde, aus rotem Porphyr ausgehauen, fand man Mumien, die mit zwanzig und mehr Meter Stoff umwickelt waren, außerdem Ton­ gefäße, Waffen und Goldschmuck. Im Nationalmuseum in Lima sind sie heute zu sehen: die märchenhaft schönen altindianischen Totentücher von Paracas, oft meterlange Baum­ wollstoffe, deren Muster sich rhythmisch wiederholen, mit den Bildern zweiköpfiger Männer mit viereckigen Gesichtem, mit Bildern von Pumas mit Menschenköpfen und Füßen aus Schlangen gebildet, mit stilisierten Vögeln und mythischen Wesen. Hunderte, Tausende von Mumien wur­ den dort gefunden, mit Masken aus Holz, Kupfer, Silber oder Gold, in Stoff und Federgewebe gehüllt und mit Gold und Edelsteinen geschmückt. Die Federn auf gewebtem Grund waren oft zu vielen Tausenden zu einem wahren Farbenteppich zusammengefügt. 196

Diese Stoffe aus Wolle und Baumwolle gehören zu den hohen Leistun­ gen des indianischen Kunstschaffens. Die eingewebten Menschen- und Tierszenen wirken auf dem Stoff wie gemalte Bilder. Zum erstenmal ist auf diesen Bildern die weltliche Kunst der Menschendarstellung festzu­ stellen, die nun nicht mehr den Gott, sondern den Menschen in den Vor­ dergrund stellt. Die Nazca-Kultur dürfte in der Zeit der ersten sieben nachchristlichen Jahrhunderte entstanden sein. Ihre letzten Ausläufer rei­ chen noch bis um 1400 n. Chr. Die Gewänder, die Stoffe, die man bei den Mumien dieser Kultur entdeckt hat, sind etwas Einzigartiges. Der Forscher Nevermann hat in verschiedenen Abhandlungen zu der Technik der indianischen Webereien Stellung genommen. Er kam zu dem Ergebnis, daß die indianischen Kulturen etwas so Merkwürdiges wie die Ikat-Technik kannten: Dieses eigenartige Verfahren zur Musterung von Geweben beruht darauf, daß vor dem Webeprozeß Stellen der Kette oder der Schußfäden mit Bast, Blattstreifen oder Wachsfäden umwickelt wer­ den, um sie farbfrei zu halten. Die so gemusterten Flächen werden danach verwebt. Wir kennen diese Methode von süd- und ostasiatischen Völ­ kern ebenso wie aus dem Mittelmeerraum. Die Indios kannten und verwendeten aber auch die Batik-Technik bei der Weberei. Als Batik bezeichnet man das Einfärbeverfahren von Baum­ wollgeweben, bei dem auf dem Stoff die Zeichnung zunächst mit Wachs ahgedeckt wird. Hier dringt die Farbe also nicht in den Stoff ein, bis das Wachs abgekratzt oder in heißem Wasser abgeschmolzen wird, wobei sich durch die Bruchlinien im Wachs ein feines Geäder bildet. Diese bei­ den Techniken der indianischen Weberei sind zweifellos - Importe. Sie stammen aus der Alten Welt, wo von jeher vor allem Batik und Ikat in hoher Gunst standen.

Der Obolus für Charon

Nicht nur diese komplizierten Techniken der Alten Welt sind Spuren des Weißen Gottes. Aus den griechischen Sagen kennen wir den Cerberus, den dreiköpfigen, schlangenhäutigen Hund, der die Unterwelt bewacht, wenn die Toten den Fluß der Unterwelt, den Styx, überschreiten mußten. Aus den griechischen Mythen ist auch die Sage von der Unterwelt be­ kannt, die von einem neunfachen Strom umflossen wurde. Der greise Fährmann Charon hatte die Abgeschiedenen des alten Hellas überzu­ *97

setzen. Als Fährgeld steckten die Griechen den Toten einen Obolus in den Mund, eine kleine griechische Scheidemünze. Eine alte Legende der Azteken erzählt vom hundeköpfigen Gott Xolod, der die Toten in die Unterwelt brachte, die von dem neunfach fließenden Strom, dem Chicunauictlan, umflossen wurde. Bei den Azteken hatte die untergehende Sonne einen Begleiter, eben jenen Hundeköpfigen. Und dieser war eine der Gestalten des Weißen Gottes Quetzalcoatl, der ins Reich der Toten untertauchte und dann als Xolotl wiederkehrte. Lange Zeit hindurch hat man diese alten Mythen für eine nachspanische Erfindung gehalten, bis die Wissenschaft bei der Erforschung der Mu­ mien an der peruanischen Küste eines Besseren belehrt wurde. Man wickelte diese Mumien aus ihren Geweben und fand jene wunder­ baren Totentücher der indianischen Kulturen, die in allen Museen der Welt die hohe Kunst der alten Völker zeigen. Als eine genaue medizi­ nische Untersuchung vorgenommen wurde, entdeckten die Forscher et­ was, das wie eine Sensation wirkte. Man fand im Mund der Mumien ein kleines, dünnes Kupferblättchen, den »Obolus für Charon«, den Fährmann der Unterwelt. Wir finden aber nicht nur diesen Obolus für Charon. Wir finden in der indianischen Kunst auch Darstellungen des Totengottes mit dem Hunde­ kopf. Auch in Ägypten ist der Todesgott mit einem Hundekopf dar­ gestellt. Xolotl, der aztekische Todesgott, trägt ebenfalls einen Hundekopf, wo­ bei aus dem schlanken Wolfskopf der Ägypter eher ein Mopskopf ge­ worden ist. Man barg aus den Gräbern auch seltsame Vasen mit Zeich­ nungen eines Kormorans, den man zum Fischfang abgerichtet hatte. Das wiederum war ein alter Brauch in China, wo seit frühesten Zeiten die Dressur des Kormorans zum Fischfang bekannt gewesen ist. Schließlich wurde noch ein seltsamer Fund gemacht: Vasen mit Zeich­ nungen von Menschen, die Fische »pflanzen«. Die Menschen gehen über ein Feld und bohren mit dem Pflanzstock Löcher in die Erde, und in diese Löcher stecken sie zusammen mit einem Maiskorn Fische. Das ist die Dar­ stellung des uralten Kultes der »Fischdüngung«, der so alt ist, daß er sonst nur noch aus babylonischen Darstellungen überliefert ist. Als all diese Parallelen zur Alten Welt hergestellt waren, wurden die Tier­ mumien gefunden. Wir kennen aus Ägypten die heiligen Gräber der Apis-Stiere, die Kat­ zengräber von Bubastis, die der heiligen Krokodile von Ombos, die Ibis­ gräber von Aschmunen und die Widdergräber von Elephantine. In die­ 198

sen Gräbern ruhen in Prunksarkophagen Tiere, die die Ägypter als lebende Gottheiten in den Tempeln gehalten hatten. In Chan Chan wurde jener Bau der Chimu mit den vielen kleinen Zel­ len freigelegt. Er konnte als das Haus gedeutet werden, in dem einmal der lebende Gott der Chimu gehalten wurde - die Schlange. In den Gräbern an der Peruküste fand man Mumien von Tieren. Es waren vor allem Hunde, Papageien und Meerschweinchen. Sie liegen heute noch in den Museen und schlafen, wie sie zweitausend Jahre lang in ihren Gräbern geruht haben. Spuren des Weißen Gottes - das sind all diese Parallelen zwischen den indianischen Kulturen der Peruküste und der Alten Welt. Es gibt aber noch eine Spur, die so deutlich ist, daß man sie einfach nicht übersehen kann. Es ist mehr als eine Spur, es ist ein Beweis für die Anwesenheit weißer Menschen in der Neuen Welt, schon in den frühen Zeiten der Küstenkulturen Perus - ein Beweis aus dem Gebiet der Naturwissen­ schaft. Es ist die Baumwolle.

»Er machte, daß die Baumwolle gleich farbig wuchs in seinen Reichen« Daß dieser Beweis zwingend ist, ergibt sich schlüssig aus einem ehernen Naturgesetz, dem der Vererbung: Jedes Lebewesen, auch die Pflanze, entsteht aus einer Zelle, die sich bei der Vereinigung der männlichen Samen- und der weiblichen Eizelle bildet. Bei der Vereinigung der beiden Samenzellen entsteht eine neue Zelle, die in ihrem Kem Chromosomen aus je einem halben Satz der Chromosomen des Vaters und einem halben Satz jener der Mutter hat. Diese beiden fügen sich zusammen. Alle Zellen des neuen Organismus enthalten also diesen neuen Satz Chromosomen, die zur Hälfte vom Vater, zur anderen Hälfte von der Mutter kommen. Es gibt aber auch eine andere Form der Vererbung, bei der nicht nur die Hälfte eines Chromosoms auf die Kindszelle übergeht, sondern bei der die neue Zelle einen oder mehrere ganze Sätze Chromosomen von der Mutter und vom Vater erhält. Diese neue Zelle ist zweifach, diploid oder vierfach, tetraploid. Diese polyploiden Zellen sind namentlich bei Kreuzungen von Pflanzen von besonderer Bedeutung, und sie wirken sich vor allem in der Blüte aus. Viele gärtnerische Versuche zielen dahin, aus bekannten Pflanzen be­ sonders großblütige polyploide Pflanzen herauszuzüchten. Oft sieht man 199

an den polyploiden Pflanzen keinen äußerlichen Unterschied zu den nor­ malen. Der Zellkern aber zeigt deutlich die Kreuzung an. Solch ein Fall liegt bei der Baumwolle der Indios vor. Sie ist tetraploid. Sie hat einen doppelten Chromosomensatz aus 52 Chromosomen, von denen 26 groß und die anderen 26 auffallend klein sind. Sie ist also eine Kreuzung und muß von Eltern stammen, von denen der eine Teil große Chromosomen hatte, der andere auffallend kleine. Den einen Eltemteil der indianischen Baumwolle fand man in der Neuen Welt. Es ist die wildwachsende Baumwolle Amerikas, die 26 kleine Chromosomen hat. Den anderen Eltemteil gibt es aber nicht in Amerika. Dieser andere Eltemteil muß importiert sein. Er stammt aus Europa, wo die Baumwolle immer 26 große Chromosomen im Zellkern aufweist. Die Baumwolle der indianischen Kulturen ist also eine Kreuzung aus der europäischen und aus der wildwachsenden amerikanischen Baum­ wolle. Sie ist ein tetraploider Züchtungsbastard. Als die Forscher auch die Baumwolle Melanesiens, Mikronesiens, Austra­ liens, Neuguineas und Polynesiens studierten, stellten sie fest, daß diese wie die indianische 52 Chromosomen hatte, 26 kleine und 26 große. Sie muß deshalb von Amerika aus in diese Gebiete gelangt sein, denn aus der Alten Welt hätten die Bewohner dieser pazifischen Gebiete nur die Baumwolle mit 26 großen Chromosomen erhalten können. Die Baum­ wolle kann gar keinen anderen Weg gegangen sein. Sie muß aus der Alten Welt nach Amerika und von da aus in den pazifischen Raum übertragen worden sein. Woher aber hatten die Indios die Baumwollsamen der Alten Welt, um sie mit ihrer eigenen, wildwachsenden Baumwolle kreuzen zu können? Bei der Wanderung von Menschen aus Asien über die Beringstraße kann die Baumwolle nicht mitgebracht worden sein, denn diese Wande­ rung erstreckte sich über Jahrtausende. Da die Baumwolle nicht in ark­ tischen oder kalten Gegenden leben kann, muß sie auf einem anderen Wege aus der Alten in die Neue Welt gelangt sein, und zwar gleich dort­ hin, wo sie ihre richtigen Lebensbedingungen vorfand: nach Mittel- und Südamerika, und nicht etwa über das heutige Alaska und Kanada. Durdi den Ozean kann sie nicht übertragen worden sein. Seewasser vernichtet die Keimkraft ihrer Samen. Auch Vögel können sie nicht hinübergeführt haben, denn Vögel fressen keine Baumwollsamen. Die Baumwolle muß also von Menschen in die Neue Welt gebracht worden sein. Das erlaubt auch zeitlich weitere Schlüsse: Die untersuchte Baumwolle stammte von den frühen Kulturen der peruanischen Küste, die bis vor Christi Geburt 200

zurückreichen. Schon vor unserer Zeitenwende haben also die Indios die europäische Baumwolle gekannt und sie mit der wildwachsenden ihrer eigenen Welt gekreuzt. Lange vor Christi Geburt müssen deshalb Men­ schen der Alten Welt Amerika gefunden haben... Und — was sagten die alten Legenden über den Weißen Gott? »Er machte, daß die Baumwolle gleich farbig wuchs in seinen Reichen.«

Das Märchen vom Mais

Vom Mais erzählen die Chronisten, und sie erzählen vom Gott Quetzal­ coatl, der ihn im Nahrungsberg stahl und ihn den Menschen brachte. Kam auch der Mais mit Menschen aus anderen Erdteilen in die Neue Welt? In der wissenschaftlichen Literatur ist viel über die Herkunft des Maises geschrieben worden. Während nordamerikanische Autoren seine Her­ kunft aus Asien und dem Vorderen Orient verfechten, sind andere der Meinung, daß der Mais südamerikanischen Ursprungs ist. Andere disku­ tieren seine Herkunft aus Polynesien. Im südlichen Mexiko und in Gua­ temala soll er noch vor dem ersten Archaikum angepflanzt oder aus Wild­ pflanzen gezogen worden sein. Man kann annehmen, daß die Region, in der die meisten Varianten einer Kulturpflanze oder verwandter Spezies gefunden werden, auch die Heimat dieser Pflanze ist. Wenn sich diese These bestätigen sollte, dann muß die Heimat des Maises Brasilien sein, weil er hier in so zahlreichen Varianten auftritt wie in keinem anderen Land. Anderson und Stonor glauben nachweisen zu können, daß es den Mais in Europa schon vor Kolumbus gegeben hat. Sollte er das Gegengeschenk sein, das die Weißen Götter mitbrachten, als sie wieder ihre alte Heimat besuchten? Der Weg der Süßkartoffel, ipomaea batatas, läßt sich besser verfolgen. Sicher ist, daß sie von einer Seite des Pazifiks auf die andere gelangt ist, und zwar längst vor der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus. Wir können vermuten, daß die Süßkartoffel in Südamerika heimisch ist und erst von den Inka in den Pazifik gelangte. Aber auch der andere Weg, von den Inseln nach Peru, ist nicht ausgeschlossen. Der Name Kumura für die Süßkartoffel findet sich im ganzen pazifischen Raum, eine Ablei­ tung davon bei den Azteken und bei den Völkern von Panama und den Kariben. ZOI

Der Weg der Süßkartoffel ist ein Anzeichen dafür, daß auch über den Pazifik hinweg, sei es in dieser oder jener Richtung oder auch in beiden Richtungen, ein Kulturaustausch stattfand, lange bevor Amerika von Ko­ lumbus entdeckt wurde. Welchen Weg die Kokospalme oder der Amarant (eine Körnerfrucht) über den Ozean genommen hat, läßt sich schwer nachweisen. Sie waren in der ganzen Welt verbreitet. Dagegen ist der Flaschenkürbis (lagenaria vulgaris), wie der bedeutende russische Forscher Vavilov vermutet, in Asien heimisch und in frühen Zeiten einmal als Samen durch Ozeanfahrer verschleppt worden und damit zu den Indios gelangt.

Purpur, Alaunbeize und Indigo

»Sie machten, daß die Baumwolle gleich farbig wuchs«, so sagen die alten Chroniken von den Weißen Göttern. Soll das heißen, daß die Weißen Götter die Färbungsmethode bei den Indios einführten? Soll das bedeuten, daß Menschen aus anderen Kulturen zu den Indios kamen und sie auch die Kunst des Färbens lehrten? Die ersten Spanier waren recht erstaunt, daß die Könige, die ihnen ent­ gegentraten, purpurne Gewänder trugen. Der Chronist La Calancha wun­ derte sich über die Farbe der Gewänder der indianischen Könige der Inka. Rot war die Farbe der Inka, und mit einem roten Band wurden die Opfer­ lamas geschmückt, die man jeden Tag in Cuzco der Sonne darbrachte. »Mit der Wolle dieser Farbe«, sagt La Calancha über den roten Purpur, »krönte man den Inka. In der gleichen Weise, wie das Karmesinrot die auserwählte Farbe unserer Päpste und Kardinäle war, galt hier der Pur­ pur als das Zeichen von Majestät und Souveränität.« In der Alten Welt war der Purpur die Farbe der Phönizier. Sie vari­ ierten sie vom hellen Violett bis zum hellen Rosa und Lila. Auch in den phönizischen Kolonien wie Karthago wurde Purpur aus Schnecken ge­ wonnen. Am Strand von Kerkuan finden sich noch heute Haufen von Murexschalen, von denen diese Farbe herrührte. Phönizische Schiffe brachten die Purpurfarbe in den ganzen Mittelmeerraum. Verschiedene Forscher haben die Verbreitung der Purpurschnecke un­ tersucht, und sie sind zu dem Schluß gekommen, daß sie nur aus dem Mittelmeer zu den indianischen Kulturen gekommen sein kann. Andere wieder verweisen darauf, daß auch in den Gewässern des Isthmus von

Mexiko eine Schneckenart vorkommt, die jene Purpurfarbe abgibt. Diese Frage nach dem Woher ist noch nicht entschieden. Aber es bleibt noch eine andere: Warum haben die Indianer gerade die Farbe des Purpurs, jene Farbe unserer Könige, Kaiser und Senatoren der Alten Welt, als Abzeichen auch ihrer höchsten Würden gewählt? Warum denn gerade den Purpur unter den vielen anderen Möglichkeiten, die ihnen zur Ver­ fügung standen? Die alten Reiche der Indios kannten nämlich nicht nur den Purpur. Sie kannten komplizierte Färbetechniken von Geweben, sie kannten auch die Alaunbeize. Das ist erstaunlich, denn die Alaunbeize war ein Geheimnis, das die Phönizier in der Alten Welt sehr lange hüte­ ten und dessen Kenntnis gewisse chemische Erfahrungen voraussetzt. Die Phönizier hatten bereits Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung erkannt, daß bestimmte Stoffe oder Gewebe sich nur schwer färben lassen, weil sie keine Farbe annehmen wollen. Sie kannten schon damals den Prozeß, der da Abhilfe schafft und der auch heute noch in der Färbetech­ nik verbreitet ist. Es ist eine Vorbehandlung der Stoffe mit Alaunlösun­ gen, die die Faser so präpariert, daß sie die gewünschten Farben annimmt. Auch der Indigo und die Cochenille waren den Indios als Farben bekannt. Das aber sind natürliche Farbstoffe, die freilich keine chemischen Kennt­ nisse verlangen. Verschiedene Forscher glauben festgestellt zu haben, daß es an der Peruküste von Natur aus farbig wachsende Baumwolle gegeben hat. Sie soll bräunlich und sogar blau gewachsen sein. Wenn das zutreffen sollte, dann haben die Weißen Götter mehr gekonnt als die moderne Landwirt­ schaft, die es noch nicht fertiggebracht hat, blaue Baumwolle zu ziehen. Purpur und Allaunbeize, Baumwolle und Flaschenkürbis, Totentanz und Panflöte, der Obolus für Charon und der hundeköpfige Gott des Toten­ reiches und die vielen anderen Parallelen, die wir aufzählten ... so viele Funde, so viele Spuren. Sie beweisen einmal, daß Menschen unserer eige­ nen Alten Welt - Menschen aus den alten Mittelmeerkulturen - die Neue fanden, daß aber auch Menschen aus dem Fernen Osten über den Pazifik zu den Indios gelangten. Wo kam er her - der Weiße Gott? Wir wollen seine Spur weiterver­ folgen zu einem anderen, zu einem ganz alten indianischen Volk, das hoch oben auf dem Plateau der Anden lebte.

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Das Reich des Weißen Gottes Kon Tiki Illac Viracocha »Unter anderen Überbleibseln der Mauern ist das Tor zu nennen, auf dem Löwen stehen. Audi diese sind, wie man sagt, Werke der Kyklopen, die für Proitas in Tiryns die Mauer gebaut haben.«

Pausanias Buch n, 16, 6 über Mykaenae um 17 5 n. Chr. »Wohlauf und laßt uns eine Stadt, einen Turm bauen, des Spitze bis an den Himmel reiche, daß wir uns einen Namen machen.« »Er ist die Sonne der Samen.«

Aus einem Inkagebet für den Weißen Gott Kon Tiki

Das Land des Schweigens

Es ist eine völlig andere Welt als an der Küste. So etwa muß eine Mond­ landschaft aussehen-so wild und und so ursprünglich. Von schneebedeck­ ten Vulkankegeln eingerahmt, breitet sich eine gewaltige Hochebene aus. die von niedrigen Gebirgsketten mit bizarren Lavafelsen durchzogen ist. 4000 Meter hoch liegt die Steppe in den Anden. Es wächst kein Baum weit und breit. Es ist ein Land der Einsamkeit und des Schweigens, in dem auf glutheiße Tage eiskalte Nächte folgen. Dieses Land der Felsen und der nackten Berge, von Klüften und Rissen durchzogen, die im Zickzack durch das Gestein verlaufen als Zeugen noch tätiger Vulkane, ist das Land der Aymaras oder Collas, das Land um La Paz, die Hauptstadt des heutigen Bolivien. Hier, in 4000 Meter Höhe, liegt der Titicacasee. »Sierra« heißt das Land, das zwischen den parallel verlaufenden Ge­ birgszügen der Anden liegt, zwischen den beiden hohen Kordilleren, die von Norden nach Süden das Gesicht der südamerikanischen Westküste bestimmen. Tausende von Kilometern lang ist die Sierra. Sie reicht von Ekuador bis nach Argentinien. Schneebedeckte Berge rahmen den »Korri­ dor« ein, der durch Querketten in viele einzelne Becken geteilt ist. Die beiden Kordilleren steigen auf über 7000 Meter an. Am Titicacasee ist dieser Korridor am breitesten, über 900 Kilometer. Weiter nördlich bei Cuzco verengt er sich auf 300 Kilometer und noch weiter im Norden auf 180 Kilometer. Nur wenige Täler liegen in einer Höhe bis 2000 Meter 204

Sie wirken mit ihrer fast tropischen Vegetation wie Oasen in dieser un­ geheuren Einöde von Stein. Am Fuß der Westkordillere, die steil abfällt, beginnt die peruanische Küstenebene. Ein Landstrich der Dürre und des Sandes, so trocken, daß einige Flüsse, die von der Kordillere kommen, versickern, ehe sie das Meer erreichen. Nur ein breiter Fluß, die Santa, fließt in den Pazifik. Der Wall nach Osten, die Ostkordillere, wird von vielen Flüssen durch­ zogen. Hier hat der Amazonas seinen Ursprung und viele seiner großen Nebenflüsse. Auf den Osthang folgt der Urwald mit seiner tropischen Vegetation. Tausende von Kilometern dehnt sich die Grüne Hölle aus. Eingerahmt vom Pazifik im Westen und vom Urwald im Osten, einge­ faßt von den beiden hohen Kordilleren, dehnt sich dieses riesige Land unzugänglich, abweisend kalt, groß und schweigend. Es ist das Land des Kondors, das Land der Sonne. Wenn sie blutrot über der Ostkordillere aufsteigt, verwandelt sie die Steinwüste in ein Märchenland. Leuchtend rot schimmert dann der nackte Fels, dann wieder braun und gelb, schwarz und blau. Unendlich weit sieht man die Konturen in der klaren, reinen Luft, blau stehen die Schneekappen der Vulkane am Horizont. Und nur einige scheinen zu leben. Sie speien Feuer und Lava aus. Erd­ bebenwellen erschüttern das Land des Schweigens. In den Städten La Paz und Cuzco stürzen Häuser ein, die der weiße Mann gebaut hat. Die Häuser und die Bauten, die schon standen, bevor der weiße Mann das Land in Besitz nahm, die Bauten der Inka und die noch älteren aber hal­ ten den Erdbeben stand. Hier, in dieser einsamen Welt, lag auch einmal das Reich des weißen Gottes Viracocha.

Eine Inkalegende Eine Inkalegende aus uralter Zeit hatte sich bestätigt, als der vierte Inka Mayta Capac (erste Hälfte des 13. Jahrhunderts) sein Heer gegen die Aymaras führte. In einem langen Marsch erreichte er von Cuzco aus die 4000 Meter über dem Meeresspiegel liegende Hochebene um den Titi­ cacasee. Dort stieß seine Kolonne auf gewaltige Ruinen. »Tiahuanaco« hießen sie im Volk. Im Südwesten davon standen ebenfalls riesige Bau­ werke, die seine Begleiter »Puma Punka« nannten, und weiter im Nor­ den die von Achuta. Wie eine Vision standen die Trümmer einer großen, alten Stadt vor seinem Heer. 205

Eine Pyramide erhob sich als große, dunkle Silhouette gegen den Abend­ himmel. Ihre durch den Regen ausgewaschenen Seiten ließen deutlich Stufen erkennen, die nach oben zu einer Plattform führten. Der mit Stein umkleidete Sockel war halb in Lehmmassen begraben. Auf der riesigen Fläche dort oben standen nur noch Reste eines Tempels. Davor reckten sich monolithische Säulen mit eingemeißelten Göttergesichtern in den Himmel: die alten Götter von Tiahuanaco, die hier bei den Ruinen Wache hielten. Im heiligen Bezirk, von nebeneinander in den Boden eingelassenen vier­ eckigen Basaltsäulen umgeben, standen auf der Plattform noch Mauer­ reste, aus Granit gehauen, mit Reliefs verziert. Einzelne der aus Stein­ platten geschichteten Mauern standen noch aufrecht, andere waren um­ gestürzt, und die riesigen Steinblöcke lagen verstreut umher. Einsam ragte das monolithische Tor empor, das später das Sonnentor genannt wurde. Eine Treppe zur Plattform des heiligen Bezirks war noch erhalten. Ihren Fuß hatten einst die Wasser des Titicacasees umspült. Boote hatten hier angelegt, um Tribut und Besucher in die Hauptstadt zu bringen, deren Namen man nicht kennt. Ihre Bewohner lebten nicht mehr, als der Inka hier haltmachte. Er ließ die Sänfte niedersetzen und schritt die Treppe zum heiligen Bezirk hinauf. Zwischen gestürzten Säulen und Götterbil­ dern lagen kleine Pyramiden vor ihm. Darunter ruhten in steinernen Kammern die Gebeine derer, die einst hier in Gottähnlichkeit geherrscht hatten: unbekannte Könige eines unbekannten Volkes. Allein mit seinen höchsten Würdenträgern, die ja auch seine nächsten Verwandten waren, wanderte der Inka durch die Ruinen der Stadt, von der die Mythen sagten, daß hier einmal vor mehr als tausend Jahren seine Vorfahren gelebt hatten. Es war, wie man wohl sagen darf, die Begeg­ nung des vierten Inka mit dem »Größten Rätsel der amerikanischen Ar­ chäologie«; und dieses Rätsel ist auch heute, nach weiteren 700 Jahren, noch nicht gelöst. Zyklopisch waren die Trümmer der Stadt, die nach alten Legenden von weißen, bärtigen Männern erbaut worden sein soll. Sie waren plötzlich erschienen und hatten den Indianern alle Errungenschaften einer höheren Kultur gebracht. Es war die Stadt des Weißen Gottes Viracocha, vor der der Inka stand. Erregend und gewaltig war diese Stadt auch noch in ihren Ruinen. Wenn man von zyklopischen Bauten spricht, dann erinnert man sich der einäugigen Riesen, der Kyklopen, die sie nach den Sagen einst auf­ getürmt haben sollen. Diese Bauten sind so gewaltig, daß die Kraft von 206

gewöhnlichen Sterblichen dafür nicht ausgereicht hätte. Sieben rund­ äugige Riesen oder Kyklopen hatte einst König Proitos von Lykien kom­ men lassen, um seine Burg von Tiryns zu bauen. Strabo und auch Pausa­ nias berichten, allein der Fußboden eines Badezimmers habe aus einem einzigen Steinblock mit einem Gewicht von mehr als zwanzig Tonnen bestanden. Noch zyklopischer als alles, was man aus der Alten Welt kennt, baute der Weiße Gott von Tiahuanaco. Als die Spanier das Reich der Inka erobert hatten und Herren in Süd­ amerika waren, zogen ständig Expeditionen aus, um das Land zu erfor­ schen, vor allem nach Gold zu suchen. Einige gelangten auch auf die öde Hochebene am Titicacasee. Sie fanden hier in 4000 Meter Höhe Ruinen und Steinplatten von gewaltigen Ausmaßen. Aber Steine interessierten die Landsknechte nicht. Sie suchten die goldenen Nägel, die sie in den Steinplatten fanden. Es war so leicht, in Tiahuanaco Gold zu finden, daß bald Scharen von Beutegierigen erschienen und rafften, was offen zutage lag. Unter ihnen aber waren auch Männer, die das Gold nicht lockte, Männer, die sich nur die alten Ruinen ansehen wollten. Sie haben später ihre Chroniken ge­ schrieben und darin eindrucksvolle Schilderungen der alten Bauten hinter­ lassen: »Das schönste Bauwerk ist ein von Menschenhand erschaffener Hügel. Durch dieses Werk wollten die Indianer die Natur nachahmen. Um zu vermeiden, daß die Erdmassen zusammenstürzten, hatten sie seine Fundamente mit gut gefügten Steinmauern gesichert. Von einer anderen Seite aus sind zwei steinerne Riesen zu sehen. Sie sind mit langen Ge­ wändern bekleidet und tragen Mützen auf dem Kopf. Viele große Por­ tale sind aus einem einzigen Stein erbaut worden.« So lautet die Beschrei­ bung, die der Inkachronist Garcilaso von den Ruinen Tiahuanacos gibt. Diego D’Alcobaca schreibt: »Inmitten der Gebäude von Chuquiyutu [Name für Tiahuanaco] am Ufer des Sees liegt ein Platz von 24 Meter im Geviert, und an einer Seite dieses Platzes erstreckt sich ein gedeckter Saal von 14 Meter Länge. Platz und Saal bestehen aus einem einzigen Stück. Man hat dieses Meisterwerk in den Felsen gehauen ... Man sieht noch heute viele Statuen hier. Sie stellen Männer und Frauen dar, und sie sind so vollendet, daß man glaubt, die Gestalten leben. Die einen haben die Haltung von Trinkenden, andere scheinen einen Bach überschreiten zu wollen, Frauen reichen ihren Kindern die Brust...« Jiminez de la Espada sagt, ein Gebäude in dieser Stadt sei ein richtiges Weltwunder. Elf Meter lange und viereinhalb Meter breite Steine seien

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Arthur Posnansky hat die Rumen von Tiahuanaco vermessen und Pläne ge­ zeichnet, die uns heute allein noch eine Vorstellung dieser begrabenen Stadt ver­ mitteln. Bei F steht heute das Sonnentor.

ohne Kalk und Mörtel so bearbeitet worden, daß sie, ohne eine Fuge zu bilden, ineinandergreifen. Cieza de Leon beschreibt einen »Patio«, einen Hof mit Dach, hohe Mauern und Portale, die einen überwältigenden Ein­ druck auf ihn machten. Spätere Reisende aus vergangenen Jahrhunderten und aus unserer Zeit haben dazu noch mehr Material beigetragen. Sie alle trafen auf Ruinen einer gigantischen Stadt, die noch in der Zerstörung ein großartiges Bild hinterließen.

Ein goldener Palast Eines dieser großen Bauwerke trägt heute den Namen »Kalasasaya«. Es ist eine niedrige Erdterrasse von vier Meter Höhe und 128 mal Meter Seitenlänge, zu der eine große Treppe führt. Ursprünglich

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dieses Bauwerk — so glaubt man — von großen Steinsäulen umgeben, die fünf Meter auseinander standen und auf einer Mauer ruhten. »Hier ist ein gewaltiges Gebäude«, sagt Cieza de Leon, »dessen Patio 15 Spannen im Quadrat mißt, mit Mauern, die mehr als zwei Mannes­ längen hoch sind. An der einen Seite steht eine Halle von 14 mal 7 Meter, mit einem Dach, das genauso gebaut ist wie die Dächer im Sonnentempel in Cuzco. Dieser Saal hat viele große Portale und Fenster. Die Lagune des Sees umspült die Treppe, die zur Vorhalle führt. Die Eingeborenen sagen, daß der Tempel dem Viracocha, dem Schöpfer der Welt, geweiht ist.« D’Orbigny beschreibt einen großen Bau, dessen westliche Mauern über­ dachte Galerien trugen. Tschudi, der berühmte schweizerische Weltrei­ sende, will in dem Bau eine Festung sehen, die zur Abwehr von Feinden erbaut worden war. Posnansky aber spricht von einem »Gran Palacio«, der nicht fertig geworden ist. Posnansky, dem wir verdanken, daß es Fotografien der Ruinen von Tiahuanaco gibt, sagt, daß auf dem Erdhügel ein Bau von 68 mal 64 Meter Seitenlänge stand, den er Sanctissimum nennt, das »Allerheiligste«. In der Literatur über diesen Bau werden die Steinsäulen als die Reste einer Art Kolonnade beschrieben, die sich um den Sonnentempel hinzog. Wenn man versucht, aus all diesen Angaben ein wirkliches Bild zu ge­ winnen, so scheint es, dieses Kalasasaya sei eine große flache Pyramide gewesen, die nur der Zuflucht vor den Überschwemmungen des Sees ge­ dient habe. Ihre Treppe lag am Wasser. Der Bau enthielt auf der großen Plattform eine Vorhalle mit Portalen zur Treppe hin und einen Langbau, den Palast. Der größte Teil der Plattform war frei. Halle und Palast waren überdacht. Auf der Längsseite des Langbaus stand als Eingang ein Tor, wohl jenes große Tor, das man heute das Sonnentor nennt. Seine Reste zeigen eindeutig, daß es nicht dort gestanden hat, wo es heute steht. Aus seinen Bearbeitungen kann man schließen, daß es einst Bestandteil eines Gebäudes gewesen sein muß. Herrscher oder Priester dieser alten Stadt trennte vom Volk eine Kluft. Ihre Paläste und Hallen müssen einen überwältigenden Eindruck gemacht haben. Sie müssen den Herrschersitzen der Alten Welt, den Palästen der Pharaonen und denen der Könige Babylons ebenbürtig gewesen sein. Damals reichte der Titicacasee wahrscheinlich bis an die Treppe zum heiligen Bezirk, die zum Palast hinaufführte. Und ähnlich, wie das Mittel­ meer die Treppen der Paläste Kretas bespülte, hat hier sicher der Titi­ cacasee die Stufen zu den Bauten Tiahuanacos erreicht. Die Wände und die Nischen der Hallen und Säle waren mit Statuen aus 209

Gold, Kupfer oder Bronze besetzt, die Pfeiler mit Reliefs geschmückt. Goldene Nägel mit breitem Kopf zierten die Wandplatten. Kostbarer Schmuck aus Gold und Bronze hing neben Masken aus Stein oder Ton an den Wänden. Die Löcher für die Goldnägel sind heute noch zu sehen. Die Goldnägel selbst, von denen Tausende verschwunden sind, kann man im boliviani­ schen Museum Posnanskys, des Retters und Bewahrers dieser uralten Hochkultur, sehen, und die Steinmasken hängen heute in La Paz genauso an den Wänden des Museums wie früher in Tiahuanaco. Was in Tiahuanaco an Gold geraubt worden sein muß, ist unvorstell­ bar, denn was heute noch in südamerikanischen Privatsammlungen zu sehen ist, ist einfach großartig: goldene Statuen von Gottheiten im Ge­ wicht von zwei bis drei Kilo, goldene Tiere, Enten aus Gold von drei Kilo Gewicht, goldene Tassen und Teller, goldene Becher und goldene Löffel. Dutzende goldener Löffel mit einer Verzierung am Ansatz und einem spitz auslaufenden Stiel. Ist nicht schon anderwärts von goldenen Tieren die Rede gewesen - von goldenen Enten? Es war die Form des »Talentes« der alten Kulturen un­ serer Welt, das, was wir heute ein Gewicht nennen. Waren die goldenen Enten Tiahuanacos auch »Talente«? Kannten die Menschen Tiahuanacos diese Währungseinheit der Alten Welt, wie sie Tassen, Teller, Löffel und Becher gekannt haben?

Der Thronsaal des Weißen Gottes

Als der Engländer Evans im Jahre 1900 in Kreta mit seinen Ausgrabun­ gen begann, stieß er den Spaten in eine Insel der Rätsel. Er hatte sich seit Jahren mit Hieroglyphen beschäftigt und dabei seltsame Schriftzeichen gefunden, die ihn nach Kreta wiesen. Er ging nach Kreta, sah dort Ruinen und gewaltige Berge von Schutt. Er griff zum Spaten und grub die Kultur der Insel aus, auf der einst Zeus von Rhea, der Erdmutter, geboren wurde. Er durchforschte die Insel des sagenhaften Minos, des Zeus-Sohnes, der einer der mächtigsten unter den Königen der Alten Welt gewesen ist; er hauste in dem Labyrinth, das Dädalos erbaut hatte. Im Laufe von Jahrzehnten grub Evans das Labyrinth von Knossos aus die Reste eines Palastes, der einmal zweieinhalb Hektar bedeckt hatte Um ein gewaltiges Rechteck, um den großen Hof, erhoben sich auf allen 210

Seiten Gebäude, die aus Luftziegeln erbaut waren, die Dächer ruhten auf Säulen. Hallen und Gemächer mußte es in mehreren Stockwerken gege­ ben haben. Weißgekalkte Säulen, stuckverzierte Wände und Wandmale­ reien hatten einst diesen Palast geschmückt. Eines Tages fand Evans auch einen in die Erde versenkten Raum, den man zuerst für ein Bad hielt. Als er weitergrub, sah er, daß es kein Bad gewesen sein konnte, denn dahinter lag ein zweiter Raum, in dem an der einen Schmalseite ein Thron stand, sechs Meter lang und an drei Seiten von steinernen Bänken umgeben. Es war der Thronsaal des Königs­ palastes von Knossos, den Evans gefunden hatte: der Thron des sagen­ haften Königs Minos. Den Thronsaal des sagenhaften Weißen Gottes der Indios fand Posnansky in Tiahuanaco. Es ist ein Bau westlich des Kalasasaya, der merk­ würdigerweise doppelte Mauern hat und in der Literatur als enclosure with double walls (Joyce) oder als El Palacio (Uhle) oder Tribunal de Justitia (Romero) oder Palacio del Inca bezeichnet wird. Seine Grund­ fläche maß 48 mal 39 Meter. Cieza de Leon sagt, daß in der Nähe des Kalasasaya zwei große Statuen standen, in deren Nähe sich ein Bau erhob mit Mauern aus gewaltigen Steinquadern. Der Bau hatte viele Portale und Fenster, und alle waren aus einem einzigen Stein gehauen. Romero schreibt, der Bau habe aus vier Plattformen bestanden und zehn impo­ sante Portale gehabt. Nadaillac gibt an, daß die Außenmauem eine Plattform umschlossen, in deren Mitte ein großer viereckiger Raum ausgehoben war. Die Wände dieser Grube waren aus schweren Steinplatten gefügt, die Reliefs zeigten menschliche Figuren. Aus dem Grundriß der Ruinen läßt sich heute erkennen, daß der Bau von einer Außenmauer umgeben war, die eine große erhöhte Terrasse umschloß. Um die ausgehobene Grube in der Mitte der Terrasse lief ein Umgang von mehreren Metern Breite. In den Außenmauem müssen die vielen Portale und Fenster angebracht gewesen sein, von denen die Chro­ nisten sprechen. Die Bezeichnung »Palacio del Inca« stammt erst aus spa­ nischer Zeit. Posnansky nimmt an, daß der Bau das Kloster der Priester Tiahuanacos gewesen sein muß. Anhaltspunkte hierfür gibt es nicht. Von einem kleineren Bau Tiahuanacos ist noch weniger erhalten als von diesem großen Bauwerk. Es ist der sogenannte Palacio (Posnansky) oder das recinto menor oder small enclosure (Joyce), das östlich von der Treppe steht, die zum Kalasasaya führte. Sein Grundriß mißt 26 mal 30 Meter.

Dieser Bau soll aus Tiahuanacos erster Periode stammen. Seine Mauern umschlossen auch einen in den Erdboden vertieften Raum, dessen Wände viele steinerne Menschengesichter trugen. Meist sind diese Köpfe direkt aus dem Stein gehauen, der in die Wand eingefügt wurde. Eine Treppe, die zu der vertieften Kammer führt, ist nicht erhalten. Sie muß aber allen Anzeichen nach vorhanden gewesen sein. Dieser Bau ist in seiner ganzen Anlage dem sogenannten Palacio da Justitia so ähnlich, daß man an­ nehmen kann, sie haben beide demselben Zweck gedient. Als man sie fand, dachte man zunächst an Bäder, ebenso wie es Evans auf Kreta er­ gangen war. Es sind aber gewiß keine Bäder gewesen, sondern Thron­ säle. Die des Weißen Gottes? Der Thronsaal des sagenhaften Minos von Kreta ist, verglichen mit den Thronsälen des Herrschers von Tiahuanaco, nur eine Kammer. Jenes Badezimmer auf Knossos, das Vorzimmer zum eigentlichen Thronsaal, mißt nur zwei mal drei Meter, der Thronsaal sel­ ber vier mal sechs Meter. Der große Thronsaal Tiahuanacos ist dagegen 48 mal 39 Meter und der kleinere, ältere immer noch 26 mal 30 Meter groß. Was Evans nebenher in Knossos gefunden hatte, war eine »moderne« Kanalisationsanlage. Im Palast von Knossos waren unterirdische Kanäle für den Wasserablauf, für Spülbecken und für die Toilette angelegt, die sich von unseren heutigen nur dadurch unterscheiden, daß das Spülwasser aus einer daneben stehenden Kanne nachgegossen werden mußte. Die Ab­ wässerkanäle waren so groß, daß ein Mann sie durchschreiten konnte, um sie zu reinigen. Das System der Wasserversorgung mit langen Wasserleitungen, die über Land geführt wurden, ist nicht nur aus Kreta bekannt, sondern auch von den hängenden Gärten der Semiramis, wo das Wasser für Brunnen, Springbrunnen und Gärten von weit her in steinernen Rinnen heranfloß. Meister der Kanalisation waren die Kreter. Ebensolche Meister waren aber auch die Menschen, die einst Tiahuanaco erbaut hatten. Die alte Stadt am Titicacasee besaß nicht nur eine Trinkwasserleitung aus steiner­ nen Rohren, die aus den Bergen kam und die Stadt mit sprudelnd frischem Trinkwasser versorgte, sie verfügte sogar über ein ausgebautes Kanalisa­ tionssystem. Die Wasserkanäle, aus Steinplatten gebaut, haben vielleidit auch zur Bewässerung von Gartenanlagen gedient, von denen allerdings keine Spuren hinterlassen sind.

Was ein Mann retten konnte

Tiahuanaco ist nicht einmal untergegangen, sondern zweimal. Und beim zweiten Male ist das, was vor wenigen Jahrzehnten noch vorhanden war, zertrümmert worden. Von der gewaltigen Stadt Tiahuanaco sind nur Reste übriggeblieben. Ohnmächtig stand ein Mann dabei, als die Mauern in Stücke gehauen, als Steine und Standbilder mit Dynamit gesprengt, als die Zeugen einer der größten Kulturen der Menschheit zu Baumaterial gemacht wurden. Dieser Mann hat für die Nachwelt und auch für die Wissenschaft uner­ meßlich viel getan. Die Wissenschaft will ihn zwar kaum anerkennen, sie möchte ihn gern als Außenseiter abstempeln. Aber dennoch ist er der­ jenige, der es ermöglicht hat, das alte Tiahuanaco wenn auch nicht zu retten und zu erhalten, so doch zu rekonstruieren. Arthur Posnansky war ein Außenseiter der Archäologie, kein Wissen­ schaftler von Hause aus, sondern deutscher Ingenieur in La Paz, der Hauptstadt Boliviens, Besitzer einer großen Ziegelei. Als er zum ersten Male nach Tiahuanaco kam, war er von dem Anblick der alten Ruinen gefesselt. Er stand vor den Trümmern einer gewaltigen Kultur, und er wußte, ohne Archäologe zu sein, daß sie nicht ihresgleichen in der Neuen Welt hatte. Was von dieser Stadt noch vorhanden war, das wollte er erhalten. Bergen, retten vor Menschen, die in diesen unschätz­ bar wertvollen Steinen nichts anderes sahen als nur Bruchsteine. Er hatte die Werkstätten gesehen, die ihre Steine, ihr Baumaterial aus den Ruinen heraussprengten. Er sah die zersplitterten Götterstatuen herumliegen, vom Sprengstoff zerfetzt, den grausamen Raubbau an einer Kultur, von der man bis dahin überhaupt noch nichts geahnt hatte. Er wetterte dagegen in Zeitungen und Schriften, jahrelang vergebens, Jahre, in denen immer mehr von der alten Kultur vernichtet wurde. Ohn­ mächtig mußte er zusehen, wie Tiahuanaco in Stücke geschlagen wurde. Er verbrachte seine ganze freie Zeit bei den Überresten der alten Stadt. Und er war, trotz aller Ohnmacht, dennoch nicht müßig. Er fotografierte jeden Stein, jedes Bruchstück, das er finden konnte; er war der erste, der sich die Mühe machte, einen Lageplan der Ruinen zu vermessen und zu zeichnen. Gegen die Ausbeuter konnte er jedoch nicht aufkommen. Aber er fand einen einzigen Weg, um überhaupt noch Reste von dieser alten Kultur zu erhalten: Er setzte es durch, daß die Stadt La Paz ein Freilicht­ museum errichtete. Er hat dieses Museum selbst gebaut, und in ihm hat er dann alles, was er aus Tiahuananco nur bergen konnte, untergebracht.

Posnansky ging selbst daran, in Tiahuanaco auszugraben. Er entlohnte seine Leute, die ihm dabei halfen, die riesigen Blöcke und Statuen weg­ zuschaffen, in Sicherheit zu bringen, aus der eigenen Tasche. Das Museum von La Paz wurde zu einer Stätte, die uns heute wenig­ stens ahnen läßt, wie das alte Tiahuanaco einst ausgesehen haben könnte, und uns wenigstens noch einen Begriff von seiner einstigen Größe und von der Höhe seiner Kultur vermittelt. Doch eben dieses Museum hat

Das Sonnentor von Tiahuanaco hat die Forscher immer wieder beschäftigt. Sogar Bläser finden sich auf seinem Ornament

man Posnansky übelgenommen: Das sei nicht Tiahuanaco, was da gezeigt würde! Und das konnte auch Tiahuanaco nicht sein, so, wie es einst wirk­ lich gewesen ist. Die alte Stadt würde in keinem Museum der Erde Platz haben, so ausgedehnt war sie. Arthur Posnansky konnte nur einzelne Blöcke zeigen, einzelne Stelen, Götterstatuen; nur einige Wände konnte er aufbauen, so, wie sie einst gestanden hatten. Er habe mehr zerstört als erhalten, warf man ihm vor. Nun könne man noch nicht einmal erkennen, wo die einzelnen Stücke gestanden hätten. Aber Arthur Posnansky hatte keinen anderen Weg gesehen, um wenig­ stens noch die Reste zu retten. Hätte er die Mauern und die Götterstatuen stehen lassen sollen, wo sie standen? Es ist widersinnig, ihm das vorzu­ werfen. Denn er war nicht der einzige Ausgräber in Tiahuanaco. Neben ihm und um ihn herum arbeiteten andere »Archäologen«, aber nicht mit der behutsamen Hand des Wissenschaftlers, sondern mit Spitzhacke und Sprengstoff. Diese Männer legten die Blöcke und die Götterbilder frei, wie er auch, aber nicht, um sie zu erhalten, sondern um sie, wenn er auf dem Heimweg war, mit Dynamit zu zersprengen und dann für ihre Bauten wegzuschaffen. Wenn er aus Tiahuanaco heimritt, hörte er, wie hinter ihm die alten Steinzeugen in Trümmer gesprengt wurden.

Ohnmächtig mußte er zusehen, wie dann Expeditionen kamen, mit einer Grabungserlaubnis der Regierung; wie sie in seinen Ruinen wühl­ ten, wie sie mehr zerstörten als retteten und erhielten. Sie gruben die Grundmauern aus, zerschlugen sie und schütteten sie als wüstes Durch­ einander wieder zu. Und er konnte nichts anderes tun, als mit verbissener Wut zusehen und alles fotografieren, was da ans Tageslicht kam - bevor es in Stücke geschlagen wurde. Er konnte es auch nicht verhindern, daß aus seinem Museum ein Gold­ schatz nach dem anderen verschwand, daß goldene Löffel und goldene Teller, die er aus den Ruinen gerettet hatte, gestohlen wurden. Da wurde er verbittert und begnügte sich damit, seine Berichte über die alte Stadt zu schreiben. Er beschrieb die Wunder, die er gefunden hatte. Sie schienen ihm so großartig, daß er die Behauptung aufstellte, hier auf der Hoch­ ebene am Titicacasee habe einst die Wiege der ganzen Menschheit ge­ standen, hier in Tiahuanaco habe er den Ursprung aller Kultur gefunden. Er hatte das Sonnentor genau vermessen und berechnet, daß es ein astronomisches Gerät gewesen sein müsse, ein Kalenderstein, und er da­ tierte ihn auf die Zeit um 16 ooo v. Chr. Das waren nun freilich Daten und Annahmen, die gewiß nicht zutrafen. Sie wurden die schwachen Stellen seines archäologischen Werkes, an denen seine Gegner ihn bloßzustellen suchten. Bei allen Fehlern, die Posnansky gemacht haben mag, darf man dennoch nicht vergessen, was er von den Resten dieser alten Kultur gerettet hat. Wahrscheinlich wäre ohne seine uneigennützige Arbeit unwiederbringlich vergangen und ver­ schwunden, was zu seiner Zeit noch von Tiahuanaco erhalten war. Daß wenigstens ein matter Abglanz von der einstigen Größe dieser Stadt noch weiterleuchten kann, ist allein sein Verdienst. Was er aus dem Dämmer der Vergangenheit für uns und die Nachwelt bewahrt hat, ist vor allem auf seinen Fotografien festgehalten. Sie zeigen die gewaltigen Steinblöcke, an denen noch die Löcher für den Transport zu sehen sind, sie zeigen die großen Steinplatten, über- und nebenein­ ander liegend, Platten mit eingemeißelten Nischen und ausgehauenen toten Fensternischen, wie sie auch auf der Rückseite des Sonnentores an­ gebracht waren; zeigen die Reste der großartigen Kanalisationsanlagen, die aus Steinplatten gemauerten unterirdischen Kammern, sie zeigen, wie die riesigen Kolosse der Götterfiguren ausgegraben und weggeschafft wurden, die Monolithe und Stelen, die Rundplastiken, die Reliefs. Sie geben, wenn auch nur als fotografische Abbilder, noch immer den Ein­ druck des Gewaltigen, das einst hier in Tiahuanaco gestanden hat: jener

indianischen Hochkultur, die denen der Alten Welt ebenbürtig gewesen ist. Arthur Posnansky ist in seiner Begeisterung und seiner Besessenheit mit seinen Thesen über das Ziel hinausgeschossen. Er hat geirrt, wie andere auch geirrt haben. Aber darf das schwerer wiegen als seine Tat? Was Arthur Posnansky für die Wissenschaft getan hat, kann nur der ermessen, der heute von La Paz nach Tiahuanaco fährt, um Ruinen auf­ zusuchen, und er dann, maßlos enttäuscht, dort nichts mehr vom alten Glanz findet.

Ein Besuch in der Wüste Die Kleinbahn von La Paz, Richtung Titicacasee, rüttelt und schüttelt in den Schienen, wie sie es schon tat, als sie im alten Europa zwischen einigen Dörfern hin und her fuhr und schließlich schrottreif wurde. Hier ist sie noch neu, selbst auf ihren alten Schienen. Nur die Lokomotive ist jüngeren Datums, sie wird mit Holz gefeuert, sie faucht, zischt und sprüht tausend glimmende Funken durch den Schornstein. Sie fährt durch eine öde Steppe. Die Indios haben sich die Klappen ihrer Wollmützen heruntergeschlagen und kauern sich unter ihrem Poncho zu­ sammen. Es sind Aymaras, die ihre geringe Ernte in der Hauptstadt zu Geld gemacht haben und nun mit ihren Einkäufen in ihre Dörfer zurück­ kehren. Weit und breit kein Baum. Der Zug leert sich mehr und mehr. Dann hält er - mitten in der Steppe. Ein Schild zeigt an, daß der Platz Tiahua­ naco heißt. Eine kleine Kirche, ein Friedhof, nüchterner als alle Friedhöfe der Erde. Grelles Sonnenlicht darauf. Ein paar armselige Hütten der Indios, ringsumher nackte Hochebene. Dicht am Dorf ein seltsames Bild: Mitten in der Wüste steht ein großes steinernes Tor, daneben liegen einige quadratische Steinsäulen und einige große flache Steine, aus denen sich mit gutem Willen die Reste einer Treppe erkennen lassen. Im Hin­ tergrund ein Berg, der sich von den anderen dadurch unterscheidet, daß er aus Erde besteht. Selbst mit Mühe erkennt man darin nicht mehr die Pyramide, die einst das große, stolze Akabana war.

Stele von Tiahuanaco

Vom heutigen Titicacasee ist nichts zu sehen. Er liegt mehr als 25 Kilo­ meter von Tiahuanaco entfernt, und sein Spiegel sinkt von Jahr zu Jahr weiter ab. Das ehemalige Seeufer markiert sich wie ein flacher Wall, der bis an die Mauern der alten Stadt reicht. Das ist alles, was von Tiahuanaco, einst eine der gewaltigsten Städte der Erde, übrigblieb.

Die Stadt der weißen Riesen Die Menschen vergangener Jahrzehnte erst haben aus dem großen Tia­ huanaco einen Steinbruch gemacht. Sie haben Mauern von Palästen und Tempeln, haben Götterstatuen zerschlagen, um die Steintrümmer als Fundamente ihrer Häuser, für Brücken, Bahndämme, für Schulen, für Straßen zu verwenden. Sie waren blind für diese unersetzlichen Kultur­ werte. Diese Kultur, diese zyklopischen Zeugen des alten Tiahuanaco standen noch, als die Spanier ins Land kamen. Wieviel gnädiger ist das Schicksal mit den Mauern einer anderen Stadt verfahren: Tiryns auf dem Pelo­ ponnes, im südlichen Griechenland. Hier lagen dreitausend Jahre lang (von 1200 v. Chr. bis 1800 n. Chr.) die riesigen Steinblöcke der Mauern, die Homer beschrieben hat, die so mächtig waren, daß Menschenkraft sie nicht wegzuschaffen vermochte. Diese Stadt sollen einst weiße Riesen aufgetürmt haben. Kyklopen scheinen es auch gewesen zu sein, die vor langer Zeit diese Stadt auf dem neuen Kontinent erbaut haben: Auch hier wurden die Bauten aus rie­ sigen Steinblöcken errichtet, die ein Gewicht von hundert, von zwei­ hundert Tonnen hatten. Diese Steinriesen wurden aus einer Entfernung von sechzig Kilometer Luftlinie herbeigeholt, aus den Kjappa-Vulkan­ gebieten. Es ist nahezu unvorstellbar, daß Menschen ohne unsere modernen tech­ nischen Hilfsmittel solche Steinkolosse von der Stelle bewegen konnten. Sie haben diese riesigen Blöcke wahrscheinlich aus dem Felsen gesägt, eine Methode, die auch in der Alten Welt bekannt war. Die Kreter haben gleichfalls Felsblöcke mit Bronzesägen zu Quadern zerschnitten. Die Bauten Tiahuanacos sind durch Tausende von Menschen in Jahr­ hunderten errichtet worden. Wie im Reich des Pharaos muß auch im Reich des Weißen Gottes eine strenge Fron geübt worden sein, als Tau-

So transportierten die Indios in Habuanaco ihre ge­ waltigen Steinblöcke

sende angetrieben wurden, immer größer, immer höher, immer ge­ waltiger zu bauen: für den einen Mann - den Weißen Gott! Wie die Steinblöcke nach Tiahuanaco transportiert wurden, kann man noch an den Löchern sehen, die manche von ihnen zeigen. Wahrscheinlich wurden sie auf Rundhölzer gelegt und langsam weitergeschoben. Auf die gleiche Weise haben auch die Ägypter ihre großen Pyramiden erbaut. Die einzelnen Steinblöcke wurden ohne Fugen aufeinanderge­ türmt, weder Nadel noch Haar konnte man zwischen die einzelnen Steine schieben: so wie in Tiahuanaco. Aber die Bauten in Tiahuanaco weisen eine Eigenart auf, die sie von fast allen anderen Bauten der Alten Welt unterscheidet. Hier sind die Steinblöcke der Mauern mit Bolzen ver­ klammert. In die Steinplatten wurden kleine Löcher gebohrt, und in diese Löcher steckte man kupferne Stangen, die an den beiden Enden platt geschlagen wurden. Auf diese Weise entstand so etwas wie ein Niet. Diese eigenartige Methode, beim Bauen mit Kupfemieten zu arbeiten, ist nur noch an zwei anderen Stellen der Alten Welt bekannt: in Assyrien und bei den Etruskern, eine Parallele, die zu denken geben sollte. Und solcher Parallelen zwischen Tiahuanaco und den Kulturen der Alten Welt gibt es noch andere, nicht nur in der Technik, sondern auch in der Archi­ tektur, in der Anlage der Bauten. Da sind zum Beispiel die in die Erde versenkten Räume, die bei den Indios wohl genauso als Thronsäle gedient haben wie in Knossos auf Kreta. Da ist dieses kleine runde Loch in der Deckplatte der Gräber, das sich, wie in Tiahuanaco, genau so auch in den Grüften der alten Ägypter findet. Es läßt erkennen, daß nicht nur die Form, sondern auch die reli­ giöse Vorstellung dieselbe gewesen ist wie einst in der Alten Welt.

Eine Totenkammer von Tia­ huanaco. Die Deckplatte zeigt das gleiche kleine Loch für den Totenvogel, wie wir es aus dem ägyptischen Gräberkult kennen

Da ist ganz allgemein die Bautechnik: Immer wieder findet sich in allen indianischen Reichen das, was man bautechnisch Verschalung und Füllung nennt. Nach diesem Prinzip sind alle Pyramiden errichtet. Sie enthalten alle, angefangen bei den Pyramiden von Tiahuanaco bis zu den jüngsten Pyramiden der Azteken, eine Anhäufung, einen Kem aus Erde oder Lehm und darüber eine Verschalung aus Stein. Da sind jene doppelten, parallelen Mauern in Tiahuanaco, außen mit großen Steinen verschalt, die Zwischenräume zwischen den beiden Mau­ ern mit Erde ausgefüllt. Auch das hat es in den Kulturen der Alten Welt gegeben, vor allem die Kreter haben nach dieser Methode gearbeitet. Ihre Bauweise kann man heute noch deutlich an einem alten Hafen sehen, den sie einst an der Nilmündung angelegt haben. Hier haben sie eine sechzig Meter breite Mole aus zwei parallelen Mauern behauener Steine gebaut und den ganzen Raum dazwischen mit Bruchsteinen ausgefüllt. Die Menschen von Tiahuanaco waren Meister der Steintechnik. Das läßt sich an jeder Einzelheit feststellen. Alles, was man in Tiahuanaco ge­ funden hat, zeugt davon, daß diese Stadt ein Zentrum des Handwerks und der Handwerkskunst gewesen ist. Zimmerer, Maurer, Steinmetzen, Maler, Töpfer, Schmiede und Weber, Bronzegießer und Metallarbeiter sind dort einst am Werke gewesen und haben etwas geschaffen, dessen Reste die Jahrhunderte uns noch bewahrten. In dieser Stadt muß es neben den Künstlerwerkstätten auch technische Ateliers gegeben haben, die alle Pläne für die Bauten, für Kanalisation und Wasserversorgung ausarbeiteten und durchführten. Auch darin gleichen sich Tiahuanaco und Kreta. Nach den Funden, die man auf Kreta gemacht hat, ist zu schließen, daß 219

es dort schon um 1600 v. Chr. Bronzegießereien, Schmiedewerkstätten, Textilmanufakturen, Werften, Warenlager und Künstlerateliers gegeben hat. Neben Bauern und Viehzüchtern, neben Kriegern und einer mäch­ tigen Flotte hatten die Kreter tüchtige Handwerker, Baumeister und In­ genieure und eine für die damalige Zeit hochentwickelte Technik. Und das, was für Kreta gilt, läßt sich auch für Tiahuanaco rekonstruieren. Kommen auch die Balsas, die Binsenboote des Titicacasees, aus der Alten Welt? Vergleicht man Form und Bauart mit den alten ägyptischen Papyrusbooten, von denen auch die Herstellung aus Reliefs bekannt ist, so ist man betroffen von der Ähnlichkeit der Konstruktion und des Materials.

Der helle, leuchtende König Eines läßt sich aus den Trümmern von Tiahuanaco nicht herauslesen: das Alter dieser Stadt. Zwei Daten aus dieser alten Kultur wurden ge­ nannt: Der vierte Inka Mayta Capac traf die Stadt im 13. Jahrhundert bereits in Ruinen an. Das zweite Datum hat Arthur Posnansky fälschlich mit 16 000 v. Chr. angegeben. Zu dieser frühen Zeit hat es auf der ganzen Erde noch keine Hochkultur gegeben. Es sei denn, Posnanskys Annahme bestünde zu Recht, daß Tiahuanaco der Anfang aller Kultur der ganzen Menschheit, die Wiege des Menschengeschlechts gewesen sei... Der Name »Tiahuanaco« sagt über sein Alter nichts aus. Etwas mehr spricht dafür, den Namen aus dem Wort »tia« abzuleiten, das auch in den Sprachen anderer Kulturen in ähnlicher Form gebräuch­ lich ist; in China heißt es »tien«, in Mexiko »teotl«, in Peru »ticsi«, im Orinokodialekt »theos«,bei denTarasken »thios«, bei den Völkern Nica­ raguas »teot«, im Griechischen »theos«, im Lateinischen »deus« und in Sanskrit »dewan«. In allen Fällen bedeutet dieses Wort »Gott«. »Tiwan« würde also heißen »von Gott stammend«, und »Tiwanaca« würde »dies ist von Gott« sein. Das griechische theos kehrt noch bei den Azteken in ihren Teocallis (den Tempeln) wieder, wir finden es vorher in Teotihuacan, der alten Priesterstadt. Ist es die alte abendländische Bezeichnung für Gott, die in all diesen Namen wiederkehrt? Kam etwa das griechische »theos« mit dem Weißen Gott zu den Indios? Hörten die primitiven Stämme diese Bezeichnung von dem ersten weißen Mann, der einst zu ihnen kam?

Nannten sie ihn gar, so, wie sie es gehört hatten, theos - Gott? Vieles könnte dafür sprechen, daß auch diese frappierende Übereinstimmung durchaus nicht nur zufällig ist. Oder - gibt es doch einen Hinweis auf die wirkliche Bedeutung und Entstehung des Namens Tiahuanaco? »Tia« bedeutet in der Aymara­ sprache das Helle und Große, das Leuchtende, der Horizont. »Wa-na-ka« heißt in der kretischen Linearschrift B »König«. Tia-wa-na-ko könnte also »Gottkönig« bedeuten, der helle oder der leuchtende König. Könnte man sich eine treffendere Bezeichnung für den Weißen Gott dieser Stadt denken? Diese Ausdeutung des Namens Tiahuanaco mag nun zutreffen oder nicht - über das Alter der Stadt sagt auch sie zunächst nichts aus. Wann die Stadt dieses Weißen Gottes erbaut wurde, in welchen Jahrhunderten sie blühte - es muß Jahrhunderte gedauert haben, all diese Bauten, Tem­ pel, Statuen zu errichten-, das wissen wir nicht. Es ist nur eine Annahme, wenn gesagt wird, die Stadt sei etwa zwischen 500 und 100 v. Chr. erbaut worden. Es gab in der Alten Welt eine Epoche, in der sich die gleiche kyklopische Bauweise wie in Tiahuanaco vom Mittelmeerraum ausbrei­ tete. Es war die Zeit der Megalithkultur, die von Nahost ausging, nach Europa, Afrika und Ostasien Übergriff. Die Sonnenreligion der Megalither ging damals um die Welt. Zur Zeit der ägyptischen und kretischen Hochkulturen im zweiten Jahrtausend v. Chr. war sie eine »Wekreligiun«. Zeugen dieser Megalithkultur sind die unzähligen Riesensteingräber Nord- und Westeuropas. Die gewaltigen Tempel der Megalither auf Malta sind genauso kyklopisch, wie es einst die Mauern von Tiahuanaco waren. Vor den Gräbern der alten Megalither und vor ihren Tempeln standen die Menhire; stumme steinerne Zeugen, oft mit einem ausge­ meißelten Menschengesicht. Sie ragten in den Himmel wie die Menhire in Tiahuanaco. Und wie in Tiahuanaco war auch in die Steinplatten der westlichen Megalithgräber ein kleines Loch gebohrt - für den Seelenvogel, damit er Zugang zum Grab finde und damit er sich an der Sonne erwärmen könne. Es kann wohl kein Zweifel sein, daß die Kultur Tiahuanacos auch die der Megalither ist. Damals muß der Sonnengott Tiahuanacos aus der Alten Welt gekommen sein. Er war der Gott der späteren Inka, und er lebte noch, als die Spanier kamen. Er muß die Neue Welt betreten haben, noch ehe man in der Alten Welt von der gigantischen Bauweise wieder abkam, ehe die Pyramidenkultur verfiel. Das war etwa um 1700 v. Chr., als die letzte große Pyramide Ägyptens entstand.

Wenn man die Hinterlassenschaft aus dem großen Reich von Tiahua­ naco nüchtern betrachtet, dann muß man schon aus dem Erhaltungszu­ stand der Ruinen ein sehr hohes Alter folgern. Das ergibt sich bei der Be­ trachtung der fast völlig zusammengestürzten Pyramide von Tiahuanaco und aus der fast verschwundenen von Secchin; das gilt auch für andere Städte, wie Cantagallo und Pucara. Diese Bauten gehören, wie ihr jetziger Zustand zeigt, zu den ältesten von ganz Südamerika. Wann Tiahuanaco untergegangen ist, das läßt sich auch nur ungefähr sagen. Die Angaben schwanken zwischen 100 und 800 nach Christi Geburt. Es ging gewaltsam zugrunde, das können wir aus den Resten sehen. Eines Tages, als Generationen der Weißen Götter vergangen waren, als die Anforderungen an das Volk immer größer, die Anstrengungen immer unmenschlicher wurden, da erkannte das Volk in seinen Herrschern die Götter nicht mehr an. Da sprengte es die Ketten. Tiahuanaco ging unter. Posnansky nimmt an, es sei durch eine Überflutung des Titicacasees ver­ nichtet worden. Dafür fehlen aber alle Hinweise. Wollen wir nicht doch den alten Legenden glauben? Sie berichten, der Weiße Gott von Tiahua­ naco habe mit dem Häuptling Cari von Coquimba einen Krieg begonnen, den er verlor. Die wilden Indios töteten alle Männer der Stadt und ließen nur die Frauen und Kinder am Leben. Dem Weißen Gott von Tiahuanaco aber sei es gelungen, mit einer kleinen Schar Getreuer zu entkommen.

400 Indios graben auf einem Berg einen See

Ein Trupp spanischer Landsknechte fand auf der Goldsuche Tiahuanaco. Vor ihnen auf der Hochebene ragte die größte Pyramide, die sie jemals gesehen hatten, in den Himmel. Die Indios nannten sie Akabana. Als die Spanier von den Indios hörten, daß es die Stadt des Weißen Gottes sei, vor deren Ruinen sie standen, vermuteten sie selbstverständlich dort gol­ dene Schätze und gingen an die Arbeit: 400 Indios wurden angetrieben die Tempelreste in die Tiefe zu stürzen. 400 Arbeiter gruben wochen­ lang einen Krater in den Berg. Die Erdmassen wurden aufgehäuft oder über die Seiten der Pyramide nach unten geschüttet. Ob die Schatzgräber fanden, was sie erhofften, ist unbekannt. Ihre Spuren sind noch heute zu sehen. Es ist der künstliche See in der Mitte der Plattform, wo einst die Tempel gestanden hatten. Der Krater, der

sich im Laufe der Zeit mit Wasser gefüllt hat, nimmt nur einen kleinen Teil der Plattform ein. Er hat 80 Meter Durchmesser, so gewaltig ist das Ausmaß dieser Plattform. Schon die ersten Reisenden, die vor dem Berg der alten Pyramide stan­ den, waren von ihrem Anblick überwältigt. Nadaillac beschrieb sie als Festung aus Erde, fast 50 Meter hoch und von quadratischem Grundriß. Pablo E. Chalon gibt an, sie habe 180 Meter Seitenfläche bei 15 Meter Höhe; sie enthielt drei starke, konzentrische Mauern in ihren Stufen. Große Steine waren, an den Seiten leicht geneigt, gegen den Abhang ge­ lehnt und standen in Abständen von vier bis sechs Metern; die Zwischen­ räume waren durch kleinere Steinblöcke ausgefüllt, so daß die ganze Wand gegen eine Verschiebung gesichert war. Zwischen diesen drei Wänden lagen kleine Plattformen, die um die Pyramide liefen. Romero gibt an, daß die Plattform des Akabana 150 mal 200 Meter groß und etwa 50 Meter hoch war. Die Pyramide bestand nach seinem Bericht aus einigen Stufen, deren Wände aus gewaltigen steinernen Blöcken gemauert waren. Die große Pyramide von Tiahuanaco stieg in drei Stufen an; das läßt sich rekonstruieren. Sie ist heute noch 15 Meter hoch und muß, nach den Erdmassen, die abgerutscht und weggeschwemmt sind, zu urteilen, früher einmal mindestens 30 bis 50 Meter hoch gewesen sein. Sie war im Grund­ riß quadratisch. Bei Ausgrabungen, die erst in ganz geringem Ausmaß durchgeführt wurden, hat man eine Menge von Steinblöcken mit Skulp­ turen gefunden. Von den riesigen Blöcken, aus denen die Stufen gebaut waren, geben Posnanskys Abbildungen einen Eindruck. Auf der Kuppe des heutigen Hügels stehen die Reste von drei Gebäuden, die aus be­ hauenen Steinplatten errichtet waren. Auch unter ihnen hat man Platten mit Reliefs gefunden. Die Blöcke - sie sind inzwischen verschwunden, aber aus den Aufnah­ men Posnanskys bekannt - zeigen die gewaltigen Ausmaße dieses Bau­ werks, das jeden Vergleich mit den späteren mexikanischen Pyramiden aushält. Ihre Bauteile und Schalen waren in den meisten Fällen keines­ wegs aus derartig zyklopischen Blöcken erbaut. Man hat angenommen, daß diese Pyramide eine Festung gewesen ist. Man hat den Berg »Fortaleza« oder »Cerro artificial«, d. h. künstlicher Berg, oder auch »Colina de los sacrificos«, Opferhügel, genannt. Die Aymara aber nennen den Berg Huarmirara, Guarmirara (»VieleFrauen«) oder hake apana. Hake heißt auf Aymara Volk oder Mensch und Kjapana bedeutet regieren.

Vor der Mondpyramide von Puma Punku erhob sich ein Obelisk

Nach den Funden und nach den Berichten der Chronisten kann kein Zweifel bestehen, daß die Pyramide ein großer Tempel gewesen ist. Sie muß nach den geringen Resten, die erhalten sind, aus Steinquadern er­ baut gewesen sein, die den Erdkern als Mantel umgaben und die Stufen sicherten. Nicht nur in dieser Pyramide haben die Soldaten gewühlt. Sie haben etwa tausend Meter südwestlich von Tiahuanaco eine noch größere Pyra­ mide gefunden, die »Puma Punku« (Tor des Puma) oder »Punka Punku« (»Zehn Tore«). Hier standen die größten Steinruinen der ganzen Region. Steine von 40 bis 50 Tonnen Gewicht lagen in Mengen herum; Steinplatten von 100 und sogar 200 Tonnen Gewicht wurden hier gefunden. Es sind die Trüm­ mer der Verschalung oder der Bauten, die einst auf dem Plateau der Pyramide gestanden haben. »In Puma Punku (Tor des Puma)«, sagt Bernabe Cobo, »steht eine große quadratische Erdterrasse in zwei Stufen, deren Seiten mit großen Steinen gesichert sind. In der Höhe der ersten Stufe befindet sich ein Um­ gang von sechs Fuß Breite. Die Terrasse ist zwei Manneslängen hoch, und sie mißt 100 Schritt Seitenlänge. Zur Terrasse führt von Osten her eine Treppe, und oben an der Treppe steht ein steinerner Bau von 24 mal 60 Fuß, der an den Seiten zwei Winkel bildet. Der Bau scheint eine Halle gewesen zu sein. Sie muß in der Mitte des großen Gebäudes, eines Tem­ pels, gestanden haben. Dieser Bau schließt sich an die Halle an. Er ist 154 mal 46 Fuß groß, und seine Mauern sind aus Steinen gefügt, von denen einer allein 32 mal 16 Fuß groß war, und das bei einer Dicke von 6 Fuß. Diese Mauern sind umgestürzt. An einer Seite des Baues steht aber noch ein großes steinernes Tor. An der Südseite ist ein großes Fenster, aus einem Stein gehauen, erhalten.« Puma Punku war eine riesige Stufenpyramide von 160 mal 140 Meter Seitenlänge, mit drei oder vier Stufen, auf deren Terrassen große Ge­ bäude standen, sowie ein Bau von 45 mal 16 Metern, der in viele kleine Räume eingeteilt war. Auf der dritten Plattform wurden die Reste eines großen Tores, des sogenannten Mondtores, gefunden, und auf anderen Plattformen Reste von weiteren vier großen Toren. Eine dritte, ebenfalls sehr große Pyramide, die wie die anderen aus einem Erdkern bestand, dessen Seiten durch große Steinplatten gesichert waren, wurde an der Küste bei Secchin gefunden. Rekonstruiert man aus allen vorhandenen Unterlagen und Beschreibun­ gen, wie die große Pyramide von Puma Punku einst ausgesehen hat, so

fällt die verblüffende Ähnlichkeit des Treppenaufganges mit der Rekon­ struktion der Treppe zum Palast von Knossos auf Kreta auf.

Stammen auch die Pyramiden der Indios aus der Alten Welt? Die ersten ähnlichen Bauwerke der Alten Welt sind die Stufenpyrami­ den des Zweistromlandes zwischen Euphrat und Tigris gewesen. Sie waren ursprünglich Erdanhäufungen, die als »Fluchtberge« bei den häu­ figen Überschwemmungen dienten. Aus ihnen entstand das babylonische Ziggurat, bei dem man mehrere solcher Plattformen, die immer kleiner werden, zu einer Stufenpyramide übereinanderschichtete. Auf der ober­ sten Plattform stand der Tempel. Diese Bauten waren der Ausdruck der Idee vom aufsteigenden Himmelsberg, dem »Meru«, die auch die indisch­ buddhistische Welt beherrschte. Diese Pyramiden waren also keine Grabmäler, sondern Tempel. Auch der Turm von Babel ist eine Treppenpyramide gewesen, mit einem Tem­ pel auf seiner Plattform, der vermutlich einen Altartisch enthielt. Die ägyptischen Pyramiden sind anderen Ursprungs gewesen. Sie hatten weder Plattform noch Tempel und wiesen, jedenfalls in späterer Zeit, glatte Seiten auf. Im Innern bargen sie eine kleine Kammer, in der die Gebeine des Pharaos ruhten, die, umschlossen von Millionen von Kubik­ metern Stein, in alle Ewigkeit unantastbar bleiben sollten. Zu dieser klei­ nen Kammer führte ein niedriger Gang durch das Gestein, der nach der Beisetzung des Herrschers zugeschüttet wurde. Es gab dort keine Treppe, die von außen auf die Spitze führte. Die Pyramide des Djoser von Sakkara auf dem Plateau der Libyschen Wüste entstand um 2600 v. Chr. Sie war der erste bekannte Bau der Welt aus Stein und wie die mesopotamischen Pyramiden eine Stufenmastaba. Bis heute galt die Regel, daß die Pyramiden der Neuen Welt denen des Zweistromlandes nur äußerlich ähneln. Sie zeigen Stufenformen und eine von außen auf die Plattform führende Treppe. Sie tragen auf ihrer Spitze einen Tempel und sind eigentlich nur der Unterbau dafür. Sie sollen aus der Idee eines künstlichen Berges entstanden sein, aus einer Vorstellung von Völkern, die gewohnt waren, ihren Göttern auf den Bergen ihre Opfer zu bringen. Die Pyramide war dieser künstliche Berg. Er wurde in der ersten Zeit aus Erde errichtet und zum Schutze gegen die Witterung und den Druck der Erdmassen mit einer rohen

Schicht von Steinen geschützt. Man hat runde wie viereckige Grund­ formen solcher Pyramiden gefunden. Später baute man diese künstlichen Berge aus Steingeröll oder Lehmziegeln und umgab sie mit einem Mantel aus sorgfältig zugehauenen Steinen, oder man warf eine Stuckschicht aus kalzinierten Muschelschalen und Sand zu ihrer Sicherung auf. Sie ähneln in ihrer Grundform den Pyramiden der Alten Welt. Nur in ihrer Grundform?

Das geheime Grab unter der Pyramide von Tiahuanaco

Wenn die Forscher ein neues Fundstück aus der Erde heben, wissen sie oft noch nicht, was sie gefunden haben. Sie deuten die Dinge, vergleichen, und dabei kommen die verschiedensten Erklärungen für ein und dasselbe Objekt heraus. Als zum Beispiel Schliemann ein Gefäß ausgrub, hielt er es für eine .Alabastervase, später stellte man fest, daß es ein Straußenei war. Und was einem Schliemann unterlief, kann jedem anderen Ausgräber auch widerfahren. Etwas Ähnliches geschah, als man einen Kanal in Tiahuanaco zu deuten versuchte. Man nannte ihn die Cloaca maxima. Diese Cloaca maxima führt, wie die Lageskizze zeigt, zum früheren Mittelpunkt der großen Pyramide. Dort befand sich nach den Beschreibungen Posnanskys einst ein kleines künstliches Wasserbecken, eine kleine Steinkammer. Er schreibt, der große Kanal habe dazu dienen sollen, überschüssiges Wasser abzuleiten. Der Kanal hat nämlich seinen Anfang in dieser Kammer. Wenn man sich aber die Bilder ansieht, die die »Große Kloake« von Tiahuanaco zeigen, so überrascht dabei ihre Größe. Ihr Durchmesser hätte ausgereicht, einen ganzen Fluß abzuleiten. Um den geringen Über­ schuß an Wasser aus dem Becken in der kleinen Steinkammer der Pyra­ mide aufzunehmen, wären solche Ausmaße für einen Kanal absurd gewesen. Wenn schon in dem nicht sehr regenreichen Klima eine Wasserableitung für überschüssiges Regenwasser nötig war, so hätte man es ein­ facher haben können; kleine Rinnen hätten genügt, um das Wasser an der Seite abzuleiten. Die gewaltige Anlage steht also in keinem einleuch­ tenden Verhältnis zu dem Zweck, der ihr unterstellt wird. Das hat auch Posnansky gesehen, denn er spricht davon, die Wasserleitung könnte in Kriegszeiten dazu gedient haben, Spione und Späher ungesehen aus der

Audi die Pyramide von Tiahuanaco enthielt eine Grabkammer (unten), ebenso wie die Cheopspyramide am Nil (oben)

Belagerungszone zu entsenden oder in die Festung einzulassen. Das würde jedoch voraussetzen, den Kanal mindestens so weit entfernt von der Festung münden zu lassen, daß er ohne Feindeinsicht benutzt werden konnte. Gerade das ist nicht der Fall, denn der Kanal endet am Fuß der großen Pyramide, also dort, wo die Feinde bei einer Belagerung gestan­ den haben müßten. Vergleicht man Anlage und Reste des einstigen Baues mit dem, was uns aus den Ländern der Alten Welt bekannt ist, dann kann ohne weiteres angenommen werden, daß die kleine Steinkammer im Berg jenes Grab gewesen ist, über dem die Pyramide errichtet wurde. Damit ist die soge­ nannte Cloaca maxima auch keine Wasserleitung oder ein Gang für Spione gewesen, sondern der Gang, der ins Innere, in die Grabkammer, führte — genau wie bei den Pyramiden Ägyptens. Posnansky sagt, daß sich am Nord- und am Südende der kleinen steiner­ nen Kammer eine enge, quadratische Öffnung befand. Das führt die Idee, es könnte sich hier um ein Wasserreservoir handeln, von vornherein ad 228

absurdum. Wo die südliche enge steinerne Tür liegt, fängt nach Posnansky die Cloaca maxima an. Sie verläuft nicht geradlinig, sondern folgt der Pyramide, einmal fast vertikal, dann wieder horizontal. Heute ist sie restlos zerstört. Nur das Schlußstück ist noch erhalten. Aus indianischen Erzählungen ist bekannt, daß diese Anlage einen Gang gebildet hat. Und noch heute hält sich bei den Indios jener Gegend die Legende, der Gang führte vom Akabana unterirdisch bis nach Cuzco. Das kann zwar nicht so gewesen sein, aber die Legende ist der Rest einer Überlieferung von der tatsächlichen Bestimmung dieses unterirdischen Bauwerks. Trifft es nun wirklich zu, daß die Pyramiden der Neuen Welt nur in ihrer äußeren Form denen der Alten Welt ähnlich sind? War die große Pyramide Akabana nicht doch ein Grab? Vielleicht das Grab des Weißen Gottes von Tiahuanaco? Es spricht wohl viel für diese Deutung, die hier zum ersten Male versucht wird.

Der lebende Gott von Puma Punku

Minos, der König von Knossos, schickte seinen Sohn Androgeus zu den Olympischen Spielen nach Athen. Er war stärker als alle anderen Wett­ kämpfer und wurde Sieger. Der ergrimmte Ägeus, der König von Athen, erschlug ihn vor Neid. Der Vater forderte furchtbare Sühne: Er überfiel mit seiner Flotte Athen und besiegte die Griechen, die fortan alle neun Jahre die Auslese ihrer Jugend, sieben Jünglinge und sieben Jungfrauen, nach Knossos als Opfer für den Minotaurus, das kretische Ungeheuer, entsenden mußten. Als das Opfer zum drittenmal fällig war, segelte des Königs Sohn Theseus selbst nach Knossos. Ariadne, König Minos’ Toch­ ter, sah ihn. Sie gab ihm ein Wollknäuel und ein Schwert zum Kampf mit dem Untier. Er bezwang es und fand mit Hilfe eines Wollfadens den Ausweg. War dieses Ungeheuer, der schreckliche Minotaurus, der Stier des Mi­ nos? War er ein heiliges Tier, das im Palast gehalten wurde, ähnlich wie die heiligen Tiere in den Tempeln Ägyptens? Wie Apis, der heilige Stier von Memphis, dem ein Kult dargebracht wurde wie bisher kaum einem anderen auf dieser Welt? Der heilige Stier lebte im Tempel, und Priester pflegten ihn. Nach dem Tod wurde er unter großen Zeremonien in den Grüften des Serapäums beigesetzt, in denen seit Ramses dem Großen alle heiligen Stiere gemeinsam schlummerten. Starb der heilige Stier, der Obelisk von Pucara «9

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»Diener des Gottes Ptah«, dann trat ein Tier mit denselben Merkmalen an seine Stelle. Nicht nur der Gott Ptah hatte bei den Ägyptern Tiergestalt angenom­ men: Gott Chnum war ein Widder, Gott Horus ein Falke, Gott Thout ein Ibis, Gott Sobek ein Krokodil, die Göttin von Bubastis eine Katze, die von Buto ein Schlange. In allen Tempeln, die diesen Gottheiten be­ stimmt waren, wurde der lebende Gott in Tiergestalt gehalten und ver­ ehrt. Starben die Tiere, so wurden sie in Grabkammem beigesetzt, die Königen und Göttern würdig waren. Tiahuanaco lieferte dazu noch mehr Parallelen. In Puma Punku, auf der alten Pyramide, auf der einst der große Tempel gestanden hat, fand man ein kleines Tor aus Stein. Es war aus einem Block gehauen, seine Öffnung war 61 mal 37 Zentimeter groß. Als Tor war es viel zu klein für einen Menschen. Für einen Puma aber war es groß genug. Es war das Tor für den »Löwen«, das Tor, das einst der Pyramide ihren Namen gegeben hatte. Denn in Puma Punku wurde nicht nur die Gottheit des Puma, des Löwen, angebetet; in Puma Punku wurde der lebende Gott in Tiergestalt, der lebende Puma, gehalten, der durch das Tor in sein Gehege treten konnte. Dort in Puma Punku lebte der Puma als Gott, und seine Abbilder haben einst die große Pyramide ge­ schmückt. Posnansky fand sie, als er durch die alten Ruinen ging. Auf diesen Bildwerken ist der Puma realistisch dargestellt. Später fand man Statuen, die auch einen Puma zeigten, aber nicht nur als Tier, sondern als Abbild eines Pumamenschen. Eine Mischung aus Puma und Mensch: ein vermenschlichtes Tier.

Der Sonnenfinger und das große Reich In fast allen großen Städten Europas stehen, meist auf freien Plätzen oder in den Anlagen, seltsame Monumente, hoch aufragende schmale, viereckige Säulen; ihre Spitze ist eine kleine Pyramide. Diese fast nadel­ spitzen, steinernen Denkmäler, die gar nicht so recht in unsere mittel­ europäische Landschaft hineinpassen wollen, nennen wir Obelisken. Sie stammen aus Ägypten, und diese in den Himmel ragenden »Sonnenfinger« haben vor den ägyptischen Tempeln gestanden. Zwei der größten, die ein mächtiger Pharao errichtet hat, ragten vor dem Tempel in Heliopolis auf Nicht nur vor den Sonnentempeln Ägyptens standen einst diese schlan­ 230

ken Pfeiler, auch auf Kreta waren sie bekannt. Das beweisen Fresken auf dem hier schon zitierten Sarkophag von Hagia Triada, zu dessen Seiten zwei von der Doppelaxt gekrönte Obelisken abgebildet sind. Und diese schmalen steinernen Säulen sind so charakteristisch für ägyptische Bau­ kunst und ägyptische Kulte, daß sie uns fast wie ein »Leitmotiv« Ägyp­ tens erscheinen. Sie sind eine eigene und eigenartige Kunstform der Alten Welt und jenes ägyptischen Kulturkreises. Sie standen auch vor den Tem­ peln in der Stadt Tiahuanaco. Woher hat der Weiße Gott Kon Tiki diese Leitmotive der ägyptischen Kunst gekannt? Im hufeisenförmigen Tempel von Pucara (Peru) hat man 21 mensch­ liche Steinfiguren, 16 Stelen und insgesamt 48 Skulpturen geborgen. Die Statuen sind abgerundeter, als es der kubistischen Kunst Tiahuanacos ent­ spricht, aber sonst zeigen die Stilformen eine völlige Übereinstimmung. Auf der Keramik aus Pucara erscheinen dieselben geflügelten Wesen, diese Mischwesen aus Mensch und Tier, Katzenwesen, Trophäen und Kondorköpfe, Fischköpfe, Lamas wie in Tiahuanaco — ein Beweis dafür, wie stark die Ausstrahlung der großen Metropole Tiahuanaco über das ganze Reich gewesen ist. Auch Cuzco, das vor der Inkazeit entstand, ge­ hörte dazu, wie die Kultur von Chamapata mit ihren Parallelen zu Tia­ huanaco, Chiripa, Pucara und Chavin beweist. Secchin war ein Stück des Reiches von Tiahuanaco. Hier in Secchin stand die zweite Pyramide der Neuen Welt. Ihre Reste sind noch erhalten. Auf der Sonneninsel im Titi­ cacasee stehen die großen Ruinen, bei El Fuerte in der Provinz Chuquitu, am Rio Vinaque, bei Hamanga. Der Chronist Cieza de Leon hat sie be­ schrieben, und er berichtet, daß ihre Wände mit Schriftzeichen bedeckt waren. Östlich des Rio Maranon blieben die alten Ruinen der Chachapoyas er­ halten, sie nannten ihre Hauptstadt Llavantu. Die Ruinen von Cuelap stehen nicht weit davon. In Concon zwischen Lima und Pisco liegen die Ruinen einer weiteren großen Stadt. In den Anden, im Urubambatal, steht das gewaltige Ollontay Tambo-, seine älteste Mauer zeigt größere Vollendung als die späteren Überbauungen der Inka. In der Nähe der Stadt erhebt sich ein Hügel mit den Resten eines alten Observatoriums. Ein Rätsel im Reich von Tiahuanaco sind die Ruinen von zwei großen Städten, die der peruanische Archäologe aus indianischem Blut, Julio Tello, an der Küste bei Pisco ausgrub. Obgleich dicht bei Nazca gelegen, sind diese beiden Städte doch im Gegensatz zu allen anderen Bauten der Küste aus Stein erbaut, ihre Häuser, ihre Tempel und ihre Gräber. Hier muß ein großes Volk gelebt haben-, man nimmt an, daß eine Stadt allein

über 40000 Einwohner gehabt haben muß. Als Forscher die Stilformen Tiahuanacos mit denen der Küste und der Täler verglichen, sahen sie, daß der Einfluß der alten Kunst Tiahuanacos über die Grenzen des Rei­ ches hinausgegangen war. Die Priester des Jaguars hatten vom Hochland zur Küste gedrängt. Überall traf man hier auf die Spur des Jaguars von Tiahuanaco. Schließlich fand man, daß die Kultur von Pachacamac, Chancay und Pacasmayo so stark vom Stil des Hochlandes geprägt ist, daß man annchmen mußte, zu Pachacamac sei einst nach dem Untergang Tiahuanacos dasselbe Volk zu einer zweiten Kulturblüte gelangt.

Die alten Götter reden

In den Tempeln Tiahuanacos standen Götterfiguren als fast einzige Überreste der Stadt. Heute befinden sie sich im Museum von La Paz. Als Arthur Posnansky daranging, die Götterstatuen, die noch zu retten waren, aus Tiahuanaco herauszuholen, war nur noch ein Bruchteil vor­ handen. Was erhalten blieb, sind Riesenstatuen von Göttern, mehrere Meter hoch, über und über mit Reliefs bedeckt, daneben auch Kolossal­ plastiken riesiger Menschenfiguren mit Turbanen auf dem Kopf, die völ­ lig unindianisch sind, Statuen der alten Götter, Nina Inti, des Sonnen­ gottes, der Erdmutter, der Pachamama und des Erhalters der Welt, Pachacama. Der Hauptgott von Tiahuanaco war Nina Inti, der Sonnengott. Er war der Gott Tiahuanacos, tausend Jahre bevor er der oberste Gott der Inka wurde. In Tiahuanaco hatte aber Pachacama oder Pachatata den höchsten Rang unter allen Göttern. Von seiner Statue blieb so wenig er­ halten, daß man ihn nicht mehr rekonstruieren kann. Pachacama war der Gott Tiahuanacos, der später an die Küste kam und zum größten Gott des Landes wurde. Pachacama, der Erhalter der Welt, war so mächtig, daß die Inka ihn später stahlen, um ihn in ihr eigenes Götterreich aufzu­ nehmen. Neben Nina Inti und Pachacama war Pachamama, die Göttin des Sees mit Fischsymbolen und Kondor, Fischköpfen und geflügelten Menschen­ wesen, die Göttin der Stadt. Ihre große Statue mit turbanartiger Kopf­ bedeckung, aus der zweiten Periode Tiahuanacos, ist erhalten. Aus der dritten Epoche der Stadt (nach Posnansky) fand man im kleinen Tempel, östlich der Treppe zum Kalasasaya, eine weitere Statue der Göttin. Auch sie trägt eine turbanähnliche Krone.

Noch eine andere Gottheit Tiahuanacos war weiblich. Es ist die Göttin der Fruchtbarkeit, die Erdmutter. Ihre Statue ist ein über und über mit Reliefs geschmückter großer Monolith. Die Göttin wurde früher mit Turban und Stirnband dargestellt, die aber nicht mehr erhalten sind. Leider sind aus Tiahuanaco nur die alten Statuen der Götter erhalten. Wir können nicht einmal mehr sagen, welcher Gott oder welche Göttin dargestellt ist, und sind ganz auf Vermutungen angewiesen, wenn wir die Religion Tiahuanacos rekonstruieren wollen. Nicht einmal die richtigen Namen der alten Götter kennen wir. Wir müssen sie aus Chroniken holen und den Namen, den die heutigen Indios ihren Göttern geben. Eines aber ist ganz seltsam: Fast alle Götter Tiahuanacos tragen als Kopf­ bedeckung einen Turban. Ob Nina Inti, der Sonnengott, Pachacama, der Erhalter der Welt, Pachamama, die große Göttin der Stadt, die Erd­ mutter oder Göttin der Fruchtbarkeit, sie alle tragen Turban und Krone. Und sie alle tragen nicht nur den semitischen Turban, sie haben auch einen semitischen Namen: Pacha. Noch etwas erweist die Herkunft der Megalithkultur Tiahuanacos: Bei einigen Götterstatuen Tiahuanacos sind die Körper der Götter ausge­ meißelt, die Rippen sind hervorgehoben. In der erst vor wenigen Jahren entdeckten Megalithkultur Sardiniens treffen wir auf dieselben Götter­ gestalten mit den Rippen-Menhiren, mit einem Gesicht und dem phallus­ artig ausgearbeiteten »Turban«. Sollte es wirklich nur ein Zufall sein, daß dieser Gott von Tiahuanaco dem allem so ähnlich ist?

Ein Tor steht in Tiahuanaco In allen wichtigen Ruinenstädten sind die großen Tore unversehrt er­ halten geblieben. Dabei müßte man doch annehmen, daß ein Tor, ein Mauerdurchbruch, die schwächste Stelle der Bauten ist. Aus den alten Kulturen unseres Erdteils kennen wir drei Tore, die erhalten sind oder die wir rekonstruieren können. Alle drei stellen Höhepunkte der Bau­ kunst dar. Es sind das Tor der Ischtar von Babylon, das Löwentor von Mykenae und das von Hattusa. Zwei riesige Türme, zwölf Meter hoch, bildeten das Tor von Babylon; fünfhundertfünfundsiebzig Tiere waren auf blauem Glasgrund in leuch­ tenden Farben am Tor Nebukadnezars dargestellt: Stiere, die heiligen Tiere des Wettergottes Adad, und der Sirrusch, der Drache oder Schlan­ »33

gengreif, das heilige Tier Babylons, das des obersten Gottes Marduk. Es hat vier hohe Beine, die Hinterpfoten sind Vogelkrallen, der Leib ist schuppig, und der lange Hals und der Kopf ist der einer Schlange, zün­ gelnd mit gespaltener Zunge und einem Horn. Über dem Tor von Mykenae stehen zwei Löwen mit erhobenen Kör­ pern, so daß sie ein Dreiedc bilden. Über drei Meter hoch sind die Pfeiler, auf denen der wuchtige Türsturz steht. Bei den Hethitern wurde das Tor in Hattusa - aus Granitblöckcken gebaut - von zwei vollplastischen Lö­ wen flankiert. Das sind drei Tore aus drei verschiedenen Kulturen un­ serer Alten Welt - und der Bauschmuck sind Löwen, Stiere und Fabel­ tiere. Solch ein Tor gibt es auch in Tiahuanaco ... Auf der öden Hochebene steht einsam ein riesiger, monolithischer Torbogen. Er wird jetzt das Son­ nentor genannt. Es ist aus einem einzigen drei Meter hohen und zwei Meter breiten Block herausgehauen. Auf der Frontseite sind die senk­ rechten Wände des Tores glatt, darüber verläuft über die ganze Breite ein Fries. Mitten über dem Bogen thront ein stilisierter Jaguar mit menschlichen Zügen. Er trägt die Symbole von Blitz und Donner in den Händen und einen Strahlenkranz um den Kopf. Jaguar, Kondor und Schlange schmücken das Bildwerk, zu dessen beiden Seiten mehrere Rei­ hen von geflügelten Wesen übereinander angebracht sind. Dieses Sonnen­ tor ist der größte skulptierte Monolith auf der Erde. Und man hat das große Fragment von Tiahuanaco so eingehend studiert, wie selten ein Bildwerk erforscht worden ist. Dabei hat man genau feststellen können, daß diese Kultur einst ein gewaltiges Ausstrahlungszentrum gewesen sein muß. Von hier, von Tiahuanaco aus, haben die bezeichnenden Formen der Ornamentik und der Symbole, die man nach ihr so benennt, ihren Weg in alle anderen indianischen Kulturen genommen. Hier findet sich zum erstenmal die Nasenspirale. Es sind Nasen in Form einer Spirale oder einer Scheibe, und dieses Merkmal geht durch die gesamte indianische Kunst, von Peru über die Kordillere nach Mexiko. In Tiahuanaco ist die Heimat dieses Symbols, das sich auf keramischen Ar­ beiten, auf Messergriffen, auf Stoffen und in Stein gemeißelt von Volk zu Volk nachweisen läßt. Der Gott von Tiahuanaco weint! Die Tränenspur als Symbol des Re­ gens und der Fruchtbarkeit, die von Guayana bis zu den Anden, quer durch den Amazonas, bis nach Argentinien und an die Küste des Pazifiks immer wiederkehrt und die man in allen Kulturen der Neuen Welt fin­ det, ist zum ersten Male auf einer Großplastik in Tiahuanaco dargestellt. *34

Überall in Peru findet sich die weinende Gottheit, in Tränen gebadete Gesichter, die der »leidenden Sonne«, wie sie in Verkennung der india­ nischen Mentalität genannt wurden. Ein anderes Leitmotiv der Kunst von Tiahuanaco ist das »Treppenmotiv«; es taucht in ganz Südamerika auf.

Die Bezeichnung »Sonnentor« für das große monolithische Tor von Tiahuanaco ist geschichtlich neu. Noch vor 1800 hat keiner der Besucher, keiner der Chronisten oder Reisenden ein Sonnentor erwähnt. Erst in einer Beschreibung von d’Orbigny 1839 wird von allegorischen Darstel­ lungen der Sonne und des Kondors gesprochen. Mitre beschreibt 1897 das »Bild der Sonne« am Tor von Tiahuanaco. Auf der großen Pyramide von Puma Punku stand noch eine ganze Reihe weiterer großer Tore, von denen Reste erhalten blieben. Eines war das Mondtor, ein ähnlicher Monolith wie das Sonnentor, mit einem Re­ lieffries, auf dem anstatt des Kondors Fische dargestellt sind. Geflügelte Wesen, wie sie das Sonnentor zeigt, fehlen hier. Dieses Mondtor muß einen überwältigenden Eindrude gemacht haben. Seine Reliefs weisen noch viele kleine Bohrlöcher auf, und zwar besonders in den tiefen Stel­ len; diese Löcher waren dafür bestimmt, Silberplatten zu halten - mit der Farbe des Mondes -, die die tiefen Teile des Reliefs ausfüllten. Puma Punku war der Göttin Pachamama und dem Mond geweiht.

Greife, Tritonen, Nereiden und Sirenen Als Austen Henry Layard in den vierziger Jahren des letzten Jahrhun­ derts den großen Palast Assumasirpals II. von Assyrien (etwa 884-859 v. Chr.) ausgrub, fand er im Hügel von Nimrud nicht weniger als 13 Paare geflügelter Löwen und Riesentiere. Es waren die Riesenstatuen der alten assyrischen Astralgötter Marduk (Flügelstier), Nebo (Mensch), Nergal (Flügellöwe) und Ninurta (Adler), die Götter der vier Weitenden. Im Palast Sargons II. in Khorsabad im Zweistromland sind diese Gottheiten als geflügelte Menschentiere dargestellt. Die Phönizier kannten ähnliche Fabeltiere - Löwen mit Menschenkopf und Adlerflügeln -, die sie Cheru­ bim nannten. Bei den Ägyptern waren diese Fabelwesen, die wir Greif nennen, Löwen mit einem Vogelkopf. Auch Kreta kannte ähnliche We­ sen: Genien, dämonische Tiergestalten, halb Mensch, halb Tier mit Flü­ geln, Ziegen mit Hörnern und Flügeln. Die Etrusker hatten den geflügel-

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Greif Kretas (links) und eine indianische Sphinx von Calle de Trionfo (rechts)

ten, schlangenfüßigen Typhon und andere geflügelte Wesen, wie den geflügelten Geierdämon Tuchulda. In Tiahuanaco ist am Sonnentor ein ähnlicher Greif dargestellt. Es ist, so könnte man ihn nennen, ein Vetter der alten Mittelmeerwesen, ein Fabelwesen mit Menschenkörper, mit Vogelkopf und Flügeln. Darstel­ lungen dieser Wesen finden sich aber auch an anderen Stellen des großen Reiches von Tiahuanaco, auf Vasen und Geweben. Aus der griechischen Sage sind die Tritonen, Nereiden und Sirenen be­ kannt, Menschenfiguren mit Fischleib, mit Schuppen und Schwanz, wie auch der alte Yam, der Phöniziergott, als Mann mit einem Fischschwanz abgebildet wird. Dieselben Mischwesen fand man in Gestalt kleiner Statuen in Tiahua­ naco und dem ganzen Hochland. Sie sind aus Gold und Silber gearbeitet und stellen Frauengestalten dar, die Fischleiber und Schwänze tragen und deren Brüste besonders stark hervortreten. In Argentinien wurden ähn­ liche Statuen ausgegraben, zum Beispiel eine Gottheit ohne Mund und mit Schlangenleib-ein Wesen, das denen ähnelt, die es auch im alten Per­ sien, in Troja und bei den Kelten gegeben hat. Wollen wir annehmen, daß alle diese Wesen der Phantasie ganz ohne Hilfe über den Ozean zu den Indios geflogen kamen? Hieße das nicht die Phantasie noch phantastischer machen?

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Ein fünfzehiges Lama: eines der großen Rätsel der Archäologie Mit Datierungen, für die es keine konkreten Unterlagen gibt, muß man vorsichtig umgehen, will man sich nicht dem Vorwurf unwissenschaft­ licher Spekulation aussetzen. Posnanskys Datierung mit 16000 Jahren vor unserer Zeitrechnung zum Beispiel gilt als bloße Hypothese. Und doch - in der Wissenschaft der Archäologie, die ja oft im wahrsten Sinne des Wortes im dunkeln tappt, ist es mehr als einmal geschehen, daß plötz­ lich wahr wurde, was vorher unfaßbar schien und für unmöglich galt, und daß man abgelehnte oder belächelte Ansichten einzelner Forscher auf einmal als allgemeingültig anerkannte. Als hier, weiter oben, vom Reich Tiahuanacos die Rede war, da wurden auch zwei alte Siedlungen an der peruanischen Küste erwähnt. In diesen alten Städten nun wurde ein selbst in der überraschungsreichen Geschichte der Archäologie einmaliger Fund gemacht. Er ist in seiner Bedeutung noch ungeklärt, eines der ganz großen Rätsel der Archäologie. Diese Entdeckung begann recht harmlos damit, daß der peruanische Professor indianischer Abstammung Julio C. Tello in den Ruinen der großen Küstenstädte Gefäße ausgrub. Er hatte bereits eine beachtliche Sammlung beisammen, als er Krüge fand, auf denen etwas sehr Merk­ würdiges zu sehen war: kunstvolle Darstellungen eines Tieres, eines Lamas. Ein Lama ist nun wahrlich noch keine Sensation, auf künstlerisch gestalteten Gegenständen des Andengebietes ist es oft nachgebildet wor­ den. Die Lamas auf diesen Gefäßen aber hatten nicht zwei Zehen wie die heutigen, sondern zeigten ganz eindeutig fünf Ziehen. Es hat auf der Erde einmal fünfzehige Lamas gegeben, so wie unser Pferd und unser Rind am Anfang ihrer Entwicklungsgeschichte auch ein­ mal fünf Zehen hatten. Die Indios haben diese Tiere also schon in der Frühzeit ihrer Entwicklungsgeschichte gekannt. Oder wenn das zweifel­ haft erscheint, dann wußten sie doch, daß es in früheren, sehr lange zu­ rückliegenden Perioden einmal Lamas mit fünf Zehen gegeben hatte. In unserer Welt wurde das erst bekannt, als Darwin seine Entwicklungs­ geschichte veröffentlicht hatte. Diese allerdings konnten die alten, die ur­ alten Indios noch nicht gelesen haben ... Lamas mit fünf Zehen, dargestellt auf keramischen Gefäßen, die der Professor Julio C. Tello um das Jahr 1920 ausgrub! Die Archäologen horchten auf, als sie das hörten, und sie begannen zu rätseln. Aber diese Abbildungen waren nur ein Zipfel des Rätsels. Das große Raten setzte erst recht ein, als Tello nicht nur Töpfe und Krüge mit

Lamadarstellungen fand, sondern das Objekt selbst: Er fand Lama­ skelette. Und alle diese Lamas hatten fünf Zehen! Diese Feststellung schien fast das Gebäude der Naturwissenschaften ins Wanken zu bringen. Fünfzehige Lamas waren also einmal als heilige Tiere in den Tempeln der Indios gehalten worden. So muß wohl aus den Funden geschlossen werden. Tiahuanaco ist immer ein Geheimnis gewesen. Aber nach diesen Fun­ den wurde es ein komplettes Rätsel. Jetzt stand man fassungslos vor der Frage, wie diese Funde zu datieren waren. Welcher Erdperiode, welcher Zeit sollte man sie zuschreiben? Gewiß war die Kultur von Tiahuanaco sehr alt. Aber so alt wie ein fünfzehiges Lama konnte sie beim besten Willen nicht sein. Gegen diese Annahme sträubte sich mit Recht die ge­ samte Wissenschaft. Als die Lamas mit den fünf Zehen lebten, gab es auf der Erde vielleicht noch Saurier und Riesenechsen, aber noch keine Menschen. Es war nicht wegzuleugnen: Hier hatte man eine Kultur der Indios gefunden, in deren Tempeln fünfzehige Lamas gehalten wurden. Vielleicht haben die Indios in den Anden ein »fossiles«, aber noch lebendes Exemplar von Lama gefangen, das noch die ursprünglichen fünf Zehen bewahrt hatte, ein naturwissenschaftlich unerklärliches Über­ bleibsel aus Urzeiten. Und dieses ob seiner einmaligen Erscheinung von den alten Indios als unbegreifliches Wunder angesehene Wesen haben sie dann im Tempel als heiliges Tier gehalten. Die Wissenschaft hat sich den Kopf über diese Funde bisher vergeblich zerbrochen.

Die kretische Spirale

Als die Spanier bei ihrem Vorstoß ins Reich der Inka auf der Insel Punes gegenüber der Stadt Tumbes landeten, fanden sie zum ersten Male Gegenstände aus Bronze. In den späteren harten Kämpfen mit den Inka haben sie diese bronzenen Gegenstände noch genauer kennengelemt. Die Waffen der Inka waren nämlich aus Bronze hergestellt. Es ist sicher, daß die Inka die Technik der Bronzelegierung nicht selbst erfanden, sondern von einem anderen Volk übernahmen, das sie einst unterworfen hatten, von den Collas oder den Aymaras, denen sdhon Jahrhunderte vor den Inka das Bronzegeheimnis bekannt war. 238

Bronzealtar (oder Brust­ platte) aus Tiahuanaco mit der kretischen Spirale und der für die Kulturen der Alten Welt charakteristi­ schen Anordnung von zwei Tieren zu Seiten eines höhe­ ren Mittelstückes

Auch diese Völker haben die Bronze nicht selbst erfunden, sondern sie von ihren Lehrmeistern übernommen. Sie schufen dann später in Potosi eine regelrechte Metallindustrie. Tag und Nacht leuchteten dort auf den Bergen ihre Schmelzöfen. »Es gab deren eine so große Anzahl, daß das Gebirge wie erleuchtet erschien«, sagt der Chronist Cobo. Diese Lehr­ meister, von denen das Geheimnis der Bronze herrührte, haben einst in Tiahuanaco gelebt. Hier wurde schon zu einer Zeit die Bronze benutzt, als in der ganzen übrigen Neuen Welt noch das Kupfer das einzig herr­ schende Metall war. Doch wurde in Tiahuanaco auch reines Kupfer verarbeitet, freilich nur dort, wo es seiner Natur nach am besten geeignet war: bei den Nägeln, mit denen die einzelnen Steinblöcke der Bauten miteinander verbunden wa­ ren. Nieten würden wir sie heute nennen. Die Enden des weichen Kup­ fers ließen sich ganz besonders leicht breit schlagen. Tiahuanaco war die erste und für lange Zeit die einzige Kultur der Neuen Welt, die die Bronze kannte. Noch tausend Jahre nach seinem Untergang gab es in Mexiko keine Metallverarbeitung. Nicht einmal das Kupfer war bekannt, geschweige denn Bronze. Die Menschen von Tiahuanaco haben das Zeitalter des Kupfers über­ schlagen, diese Epoche, die in der ganzen Welt der Bronzezeit vorausging. Sie sind mit einem Sprung sofort in das Bronzezeitalter gelangt. Von hier *39

aus kam die Bronze zu allen Völkern des Kontinents, zuerst zu den Nach­ barvölkern, dann bis an die Küste von Peru. Tiahuanaco wurde die Stadt der Bronze, weil es in ihrer Nähe das Zinn gab. Darum also haben sich diese Menschen, diese »Weißen Götter« eine so gewaltige Stadt ausgerechnet hier erbaut. Darum sind sie nicht in den fruchtbaren Gefilden in den Tälern geblieben, sondern auf das eisige Plateau der Anden in viertausend Meter Höhe hinaufgestiegen und haben sich dort niedergelassen. Sie haben nicht die Fruchtbarkeit des Bodens gesucht, nicht die Milde des Klimas; sie haben etwas gesucht, was es in den Tälern nicht gab, was es nur an wenigen Stellen der Erde gibt. Tiahuanaco war damals die einzige Stadt der Neuen Welt, wo es Zinn gab. Tiahuanaco besaß das Zinnmonopol der Neuen Welt, so wie heute Bolivien. Aus Kupfer und Zinn wird die Bronze gewonnen. In der Alten Welt gehörte bei den Kretern zur Bronze, zur Verzierung der bronzenen Ge­ genstände ein Ornament, das in der ganzen Bronzezeit Europas untrenn­ bar an dieses Metall gebunden war: die Spirale. Von Kreta aus nahm sie ihren Weg in alle Kulturen Nordeuropas, und sie wurde in allen Ländern nachgeahmt. Wo heute ein Bronzefund auftaucht, da darf man sicher sein, auch diese kretische Spirale zu finden. So stark war dieses Ornament an jene Metallegierung gebunden, die wir Bronze nennen. Ob die Bronze ursprünglich direkt von Kreta gekommen ist, wissen wir nicht. Wir kennen als älteste Arbeiten aus dieser Legierung die Bronze­ plastiken Ägyptens, die frühestens etwa um 2500 v. Chr. entstanden sind. Stilisierte Menschen- und Tierfiguren, die auf Sardinien gefunden wur­ den, werden ungefähr auf die Zeit um 1900 v. Chr. datiert, auf die gleiche Zeit, in der die Bronzezeit in Westeuropa beginnt. Es war auch die Zeit der ersten Hochkultur Kretas. Erst hier wurde die Bronze mit jenem Ornament gekoppelt, das alle späteren Nachahmer, sobald sie in Bronze arbeiteten, ebenfalls verwandten. Das zeigen fast alle Funde aus ganz Europa. Sie tragen nahezu alle die Spirale Kretas. Sie findet sich aber auch auf dem bronzenen Schmuck Tiahuanacos nicht nur auf einem Stück, sondern so allgemein, daß man sagen möchte: Diese kretische Spirale gehört zur Bronze in der Stadt des Weißen Got­ tes - genauso, wie sie zur Bronze Kretas gehört hat. Nicht nur das: Auch die Tierprotome aus dem Kaukasus sind bis ins letzte Detail genau die­ selben wie die aus Tiahuanaco. Auch die Formen der Werkzeuge, die die Menschen in Tiahuanaco einst aus Bronze hergestellt haben, zeigen deutliche Parallelen zur Alten 240

Welt. Ihre bronzenen Äxte gleichen in der Form den wichtigsten Typen bronzener Äxte aus Ägypten. Ähnliche Parallelen zur Alten Welt zeigen sich auch in der Technik der Metallbearbeitung. Die Menschen in Tiahuanaco haben das Metall ge­ schliffen und poliert. Sie haben den Guß in verlorene Formen gekannt, das Löten und Versilbern, das Hämmern und das Treiben, das Ziehen von Draht und eine so einmalige Technik wie die der Damaszierung. Es läßt sich schließen, wann die kretische Bronze übertragen worden sein kann. Es muß zu einer Zeit gewesen sein, als die Bronze noch nicht vom Eisen verdrängt war. In den Mittelmeerkulturen begann die Früh­ eisenzeit die Bronze um 1200 v. Chr. abzulösen. Menschen, die nach 1200 in die Neue Welt gekommen sind, hätten das Eisen schon kennen müssen. Sie würden wahrscheinlich die Kenntnis dieses neuen Metalls eingeführt haben und nicht die der Bronze. Aber die Neue Welt hat nicht einmal bis zum Eintreffen der Spanier vom Eisen gewußt. Diese Datierung würde sich mit anderen Berechnungen decken - mit denen der Pyramiden und der zyklopischen Bauten der Alten Welt, die lange vor 1200 entstanden sind. So könnte es also gewesen sein. Als wir von den Küstenkulturen Perus sprachen, da sahen wir, daß die Salinarkultur um etwa 500-400 v. Chr. von Chinesen erreicht und be­ einflußt worden ist und daß diese Verbindungen etwa um 333 V. Chr. abrissen, als die chinesischen Küstenreiche untergingen. Aber diese Kontakte hörten dennoch nicht gänzlich auf, sondern wur­ den von neuen Völkern des Fernen Ostens übernommen: von der bronze­ zeitlichen Dongsonkultur Tongkings und Annams. Ihr Einfluß läßt sich bereits in der Mochicakultur der peruanischen Küste im 4. Jahrhundert v. Chr. nachweisen und geht bis nach Chile und Argentinien hin. Besonders stark war dieser Einfluß in den Bergen Argentiniens und Boliviens festzustellen, in denen es Zinn gab. Geradezu verblüffend ist die Ähnlichkeit mancher Metallgegenstände aus der Dongsonkultur mit Metallarbeiten Südamerikas. Es kann gar kein Zweifel daran bestehen, daß Menschen des Femen Ostens auch die Kulturen von Tiahuanaco be­ einflußt haben, mindestens aber bis ins 1. Jahrhundert n. Chr., als die Beziehungen abbrachen, weil die Chinesen Tongking und Nordannam eroberten. Brachten die Chinesen also auch die Bronze nach Tiahuanaco? Heine-Geldern glaubt, daß die Bronze aus China stammt. Spätestens zu Beginn unserer Zeitrechnung tritt sie in Tiahuanaco auf. Woher sie auch stammen mag: Ihr Ornament, die Spirale, ist kretischen Ursprungs.

Doppeltierprotome aus dem Kaukasus und aus Tiahuanaco. (A) Kedabeg-Kalakent (Transkaukasien), (B) Luristan, (C) Copacabana und Tiahuanaco, Bolivien. (Nadi Heine-Geldern)

Die wilden Erben

Tiahuanaco war einst eine Stadt der Weißen Götter. Ihre Nachfolger wurden die Aymaras, ein halbwildes Indianervolk. Vielleicht sind sie das Volk gewesen, über das einst die Weißen Götter geherrscht haben, viel­ leicht haben sie dann durch eine Rebellion ihre Herrscher vertrieben und dabei die Stadt zerstört. Wir wissen es nicht. Dieses Volk hat große Gebiete im heutigen Bolivien und um den Titi­ cacasee bewohnt. Sein Reich grenzte bis an die Urwälder und die Gipfel der Anden, im Süden bis an die Bergwerke von Potosi. Es war um 1000 v. Chr., als es sich über die ganze Hochebene des Titicacasees ausbreitete. Erst im fünfzehnten nachchristlichen Jahrhundert wurde es nach harten Kämpfen von den Inka unterworfen. Drei Inkagenerationen mußten gegen dieses Volk von Bauern, Hirten und Meistem der Metallgewinnung Krieg führen. Ihre bronzenen Waffen, den Waffen der Inka weit über­ legen, schlugen dem Feind furchtbare Wunden; an einem einzigen Tag lagen nach einem Gefecht mit den Inka über sechstausend tote Söhne der Sonne auf dem Schlachtfeld. Die Inkaherrschaft ging zu Ende, das Volk aber blieb. Die Aymaras und Collas erzählen auch heute noch die alte Legende vom großen Weißen Gott und seiner Stadt. Sie wohnen noch heute in den Gebieten am Titicacasee, wo einst Tiahuanaco gestanden hat. Und kommt heute 24z Die altsüdamerikanische Pyramidenarchitektur muß auf die Zeitgenossen phan­ tastisch gewirkt haben. (S. 224) Was in Tiahuanaco stand, hatte sein Gegenstück auf Kreta. Rechts Rekonstruktionsversuch des Palastes von Knossos

ein Reisender zu ihnen, so lautet der Gruß für den weißen Mann immer noch »Viracocha« - der Name, den einst der höchste Gott der Indios trug, der weiße, der bärtige Gott. Und sie zeigen dem weißen Besucher, was allein noch von diesem Gott übriggeblieben ist: ein großes Tor auf einer öden Hochebene und dahinter einen gewaltigen künstlichen Berg, dessen verwaschene Formen kaum noch erkennen lassen, daß er einst eine große Pyramide war.

g.

Chronologietabelle der indianischen Reiche Süd- und Mesoamerikas

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Die Wunder im Reich von Chavin »Für Verstand und Wissen konnten sie kein besseres Bild finden als den Kopf des Menschen, für Kraft den Körper des Löwen, für die Allgegenwart die Schwingen des Vogels.«

Layard über die Bildwerke der assyrischen Astralgötter

Ein indianischer Gelehrter

Tausend Kilometer nördlich des Titicacasees liegt in 3200 Meter Höhe, am Fuß des Gebirges, ein Dorf mit einem berühmten Namen: Chavin de Huantar. Nicht weitab davon steht die Ruine eines gewaltigen Tempel­ palastes. Vom nahen Pucchafluß den Hang hinauf führen, terrassenförmig gefügt, zu dieser Ruine breite Stufen. Die Mauern dieses großen Bau­ werkes, die sich wie Wälle nach oben verjüngen, sind aus quadratischen und rechteckigen Steinblöcken zusammengefügt. Die Kranzgesimse tragen Darstellungen von Jaguar, Schlange, Kondor - phantastische Figuren, aus deren Schlangenmäulem dem Fremden spitze Kanidenzähne drohend entgegenstarren. Eine Treppe aus Granit führt zu einer rechteckigen, breit abgestumpf­ ten Pyramide hinauf. Oben auf der Plattform steht in der Cella eine kreisrunde steinerne Opferschale mit vier Füßen. Sie hat wahrscheinlich zum Auffangen des Opferblutes gedient. Von dem Steinaltar führt eine Rinne zu einem behauenen Block, von dem das Opferblut einst über das Gesicht des Gottes, eines Jaguars, hinwegströmte. Ein Teil der Tempelfestung, der heute den Namen eines »Castillo« trägt, war mit Frisdiluftleitungen versehen, die auch den kleinsten Raum des Baues nach einem klug erdachten System mit frischer Luft versorgten. Eine solche Klimaanlage, nach einem ähnlichen System erbaut, ist aus dem Palast von Knossos auf Kreta bekannt. Auch dort gab es viele *45

fensterlose Hallen und Zimmer, denen ständig frische Luft zugeführt wurde. Unter dem Tempel und auch unter dem Palast von Chavin verliefen mannshohe, aus kleinen Quadern gemauerte winklige Gänge. An einigen Stellen erweitern sie sich zu Nischen, deren Decken von steinernen Pfei­ lern getragen werden. Sie erinnern an die viel späteren der Halle zu Mitla und an die im Tempel des Viracocha bei Chacha. Die Chronisten Cieza de Leon (1548) und Antonio Espinozas (1624) haben von dieser Stätte gesagt, sie sei »eine der berühmtesten, wie Rom oder Jerusalem bei uns«. Dieser Tempel hoch oben bei dem Dorf Chavin hat einer Hochkultur der Indios den Namen gegeben. Julio Tello, der diese Welt aus den Trümmern wiedererweckte, prägte ihn. Er hat den Beginn dieser Kultur auf die Zeit zwischen 3000 und 4000 v. Chr. datiert und eine Blütezeit ungefähr um 1500 v. Chr. angenommen. Andere Autoren geben Daten an, die von diesen Zeitangaben stark abweichen; sie verlegen den Beginn um 800 v. Chr. und das Ende auf 300 bis 600 n. Chr. Die neueste Radio­ carbondatierung hat 715 v. Chr. ergeben. Als kurz vor der Jahrhundertwende europäische Forscher nahe bei einem Dorf an der Peruküste ein altes Gräberfeld entdeckten, sah ihnen ein Indioknabe zu, während sie die Totenschädel aus der Erde hoben. Die Männer zeigten dem Knaben die Spuren von Trepanationen, viereckigen Löchern in der Schädeldecke, an deren Rändern eine neugebildete Kno­ chenwulst erwies, daß ihre Träger die schwierige Operation überlebt hatten. Ob die weißen Männer wohl solche Schädelöffnungen ebenfalls durchführen könnten, wollte der Knabe erfahren. Lächelnd mußten die Europäer zugeben, daß sie dazu nicht imstande seien. »Dann konnten also die Indios mehr als ihr«, war die Antwort. Und dieser Stolz auf die Lei­ stungen seiner Vorfahren sollte Julio C. Tello sein Leben lang begleiten und ihn zum Studium der Archäologie hinführen. Über fünfzig Expe­ ditionen hat er durch Peru unternommen oder organisiert und seinem Vaterland sechs Museen für Anthropologie und Frühgeschichte beschert. Noch 1941 leitete er eine letzte Expedition in den Dschungel. 1947 ist er gestorben. Er hatte sich sein Leben lang einer einzigen großen Aufgabe gewidmet: die allerälteste Hochkultur der Indios zu finden. Was dieser Indiogelehrte den anderen Archäologen voraus hatte, war eine feine Spürnase für alte Fährten, für verwischte Spuren, für Zusammenhänge, die andere kaum erahnen konnten. 246

Er hat mit recht geringen Mitteln für die amerikanische Archäologie mehr geleistet, als jeder vor ihm mit demselben Rüstzeug erreicht hätte. Und er hat seine Aufgabe gelöst. Er fand die Kultur, der er auch den Namen gegeben hat, den Namen, der heute noch für diese Kultur ge­ bräuchlich ist: Er fand Chavin. Die Wissenschaft horchte auf, als Tellos Datierung bekannt wurde. Denn seine Zeitangaben bedeuteten nichts weniger, als daß die Indios schon in einer ganz frühen Zeit eine Hochkultur hatten, die denen der Alten Welt zeitlich parallel lief.

Zur Zeit des großen Tutmosis

Die Zeit um 1500 v. Chr. war im Abendland die große Epoche Kretas, die Zeit des Palastes von Knossos, des großen Tutmosis in Ägypten. Es war die Zeit, als ein weiblicher Pharao auf Ägyptens Thron saß, Hatschepsut, die große Expeditionen über das Meer aussandte, die zum ersten Male Schiffe nach dem sagenhaften Lande Punt, um Afrika herum, schickte. 1500 vor Christi Geburt. Das Abendland erlebte die große Zeit der Bronze, des Schmuckomaments der Bronzespirale. Damals war die Epoche der Hethiter, der Steinsarkophage Kretas, der Obelisken, der Stelen und Reliefs in Ägypten noch in ihrer Blüte. Es war auch die Blütezeit von Chavin. Dieses Reich war aber nicht nur die erste Hochkultur der Anden, es hatte auch die weiteste Ausdehnung. Soweit man heute weiß, erstreckte es sich über das gesamte Andengebiet, von den Quellen des Amazonas bis zum Pazifischen Ozean. Seine Kultur reichte vom Urwald bis zur Küste (die Wissenschaft nennt diese Kultur »Küstenchavin«) und noch weiter bis zu den Inseln im Pazifik. Zur Kultur von Chavin gehörte wahrscheinlich auch eine Tempel­ festung im Gebiet von Tantamayo am Oberlauf des Maranon; wahr­ scheinlich stammen auch die Unterbauten von Machu Picchu, mit ihren gewaltigen Ruinen im Urubambatal, aus diesem Reich. Dieses Felsennest, das sich in 2500 Meter Höhe an den Ostabhang der Kordillere schmiegt, ist vielleicht die Residenz eines aus dem Dschungel gekommenen Häupt­ lings gewesen, ehe es die Inka überbauten - bevor sie auf den gewaltigen Mauern ihre Festung errichteten. *47

Hier, am Oberlauf des Maranon, lag das Reich der Chachapoyas, gegen die der Inka Yupanqui einen Krieg verlor. Er stieß auf große Berg­ festungen, die von Männern mit weißer Hautfarbe verteidigt wurden. Sie schleuderten große Steinblöcke gegen die Angreifer. »...Mächtig sind die Götter der Chachapoyas«, sagt der Chronist. Auch die Ruinen am westlichen Ufer des Urubamba, in denen einst, als es noch feste Bauten waren, die Chachapoyas im vierzehnten oder fünf­ zehnten Jahrhundert gegen den Inka Tupac Yupanqui Widerstand lei­ steten, sind sicher älteren Datums; sie zeigen mit ihren Jaguardarstellun­ gen und Sonnenzeichnungen, ihren konischen Grabmälem in Form von Menschengestalten deutlich den Einfluß der Kultur von Chavin. Aus Chavin stammen wahrscheinlich auch die Überreste megalithischer Bau­ werke nördlich von Cuzco, bei Kenko, unter ihnen ein Amphitheater mit Menhiren, behauenen Felsblöcken, mit Dolmen, Steinkammem, und einem in den Stein gehauenen Thron. Auch die alten Kulturen Kolumbiens, besonders aber das Reich der späteren Chibcha, das 1536 von der Expedition des Jimenez de la Quesada unterworfen wurde, gehörten zur Kultur von Chavin. Das Reich der Chibcha umfaßte etwa das heutige Kolumbien, vor allem das Tafelland von Bogota und Funja und die Flußtäler des Magdalena, Cauca, Caquete und Patia. Ein Nebenfluß ist der Guaitara, der alte Angasmayo der Inka. Von der alten indianischen Hochkultur von Chavin ist uns nicht nur der Tempel nahe bei dem Dorf Chavin de Huantar, wenn auch als Ruine, erhalten, sondern außerdem viele andere große Ruinenstätten mit Tem­ peln und anderen Bauten, mit Hunderten von Statuen und Stelen, unter ihnen Kolossalstatuen von vier Meter Höhe, und unzählbare Stücke der Kleinkunst. In Moniquira in Kolumbien fand man die Überreste eines alten Palastes mit großen steinernen, runden oder ovalen Säulen und Obelisken. In Lavapatas (Kolumbien) hat man die sogenannte Piscina, einen in die Erde vertieften Raum mit skulptierten Wänden, den man als einen Baderaum gedeutet hat, gefunden. Unter den Reliefs, die hier noch erhalten sind, fällt vor allem ein Menschengesicht zwischen zwei Hörnern auf. In San Agustin, an der Nordwestecke Südamerikas, im Staat Kolumbien im Quellgebiet des Magdalenenstromes, fanden sich andere Reste der alten Kultur. Es sind Statuen bis zu vier Meter Höhe, menschliche Figu­ ren, die eine Art Mütze tragen, ganz ähnlich denen von Tiahuanaco, Riesenköpfe und große Götterbilder, ganz im Stile der Olmeken, mit dem typischen Stirnband. 248

Lopez kam bei Neyta, ebenfalls in Kolumbien, an ein Grab, vor dessen Eingang eine Kolossalfigur des Jaguars stand; daneben fand er weitere Statuen von Lamas, Affen, Kröten, von einem Mann und einer Frau und eine große, gutpolierte Steinplatte, an der fünfzig Mann zu heben hatten, wie er schreibt. Diese Statuen der Chibcha haben eine verblüffende Ähnlichkeit mit denen von Chavin und von Tiahuanaco. Sie zeigen dieselben Motive, wie sie aus der Keramik von Chimbote, Pachacamac und Tiahuanaco bekannt sind, wie sie auf Kupferarbeiten des Valle de Chicama, auf den Steinen von Chavin und auf den Goldplaketten von Lambayeque erscheinen. Die Kunstwerke der Chavinkultur haben die Forscher genau unter die Lupe genommen. Dabei haben sie festgestellt, daß diese alte Kultur eigentlich schon alle Symbole verwendet hat, die in den jüngeren er­ schienen. Hier, im Reiche von Chavin, wurden schon alle die Symbole ge­ funden, die das Sonnentor von Tiahuanaco zeigt.

Gorgonen und Schlangen Göttergestalten aus Stein sind am häufigsten in dieser alten Kultur ge­ funden worden. Es sind zum Teil riesengroße Statuen oder Köpfe, die auf einer steinernen Unterlage ruhen — so wie die Häupter bei den Olme­ ken. Alle diese Götter von Chavin zeigen Raubtiergebisse. Spitze Zähne hängen ihnen aus dem Mund, ihre Haare sind züngelnde Schlangen, oder sie halten Schlangen in beiden Händen. Unter diesen Statuen ist die des Lanzons von Chavin de Huantar am bemerkenswertesten, die eines stehenden Jaguars aus Stein; seine Haare enden in Schlangenköpfen. Aus seinem Maul stehen spitze Zähne hervor, und über seinem Kopf zeigt sich noch einmal ein Gebiß, wiederum mit spitzen Raubtierzähnen. Diese Jaguarstatue hat man für eine Gorgo gehalten. Gorgonen heißen die Masken aus Kupfer und Gold, Tanz­ masken, Kultmasken, Abwehrzauber, die man in fast allen Kulturen der Welt finden kann, diese Gesichter mit den spitzen Raubtierzähnen und heraushängender Zunge. Solche Masken gab es in der Ägäis, auf Sizilien und bei den Etruskern - wie in China, Japan, Siam, auf Borneo und Java, in Melanesien, Neuseeland und auf Hawaii. Es sind überall die­ selben oder einander sehr ähnliche Masken. Aber der Lanzon von Chavin de Huantar ist eine Steinplastik, das unterscheidet ihn von allen anderen. 249

Die Idee der Darstellung dieses Jaguars kann gewiß auf dieselben Mo­ tive zurückgehen, die auf allen anderen Gorgonenmasken verwendet sind, aber in ihrer Ausführung steht diese Plastik weit über den primi­ tiven Masken. Sie erinnert in ihren Motiven, in der Darstellung von Mund und Haaren und Nase stark an die Gorgo von Syrakus (Haare, Mund und Nase sind fast eine genaue Kopie), daß es sdiwerfällt, zwischen diesen beiden Werken keinen Zusammenhang zu sehen.

Die alte Erdmutter Kretas Auf allen Wänden und Statuen im alten Reich von Chavin kehrt die Schlange wieder. Sie ist geradezu das Leitmotiv aller Kunst von Chavin. Die Schlange war auch ein Leitmotiv der Kunst der alten Mittelmeer­ kulturen. Wie in den indianischen Kulturen der Jaguar, die Schlange und der Adler Götter oder Symbole der Götter waren, so in der Alten Welt Pan­ ther, Adler und Schlange. Der Panther war das Symbol der Artemis, der Herrin der Tiere Kleinasiens. Adler und Schlange bewachten den heiligen Ölbaum der Astarte. Wie in den indianischen Kulturen die Götter oft in abstoßender Ge­ stalt, als schreckenerregende Wesen, als Schlangensymbole dargestellt wurden, als Geschöpfe, die statt Haaren Schlangen tragen, die sich wie ringelnde und züngelnde Leiber um die Götterfiguren schlingen, sich vor ihrem Gesicht winden - so treten uns in den alten Kulturen unserer eige­ nen Welt gleich scheußliche Abbilder der Götter entgegen. Schon die Sumerer kannten eine Erdgöttin oder Erdmutter, die sie als Schlange darstellten. Von Kreta sind Siegel erhalten, auf denen Leiber zu sehen sind, die in Schlangenköpfen enden. Mit einem solchen Aufsatz als Kopfputz ist eine Göttin verziert. Die kretischen Göttinnen tragen in jeder Hand eine Schlange: wie die alten Götter aus dem Reiche von Chavin. Das Symbol der erdgebundenen Schlange findet sich auf Kreta schon um 2500 v. Chr. In Kreta war die Schlange der gute Geist. Ihr, als der Verkörperung des guten Geistes, baute man tönerne Schalen und röhren­ förmige Vasen, die man mit Milch füllte. Auch die etruskische Unterwelt ist von Schlangen und Dämonen be­ lebt. Bei den Etruskern war Charu der Todesgott, der die Seelen auf die

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letzte Fahrt geleitete. Er wurde mit einer Nase dargestellt, die einem Vogelsdinabel ähnlich war, und mit Schlangenhaar. Schlangengestaltig war auch das dämonische Abbild des Judengottes Jaldabaoth. Es gab im Altertum gnostische Sekten, bei denen die vorderasiatisch-chaldäischbabylonischen Vorstellungen von Schlangengottheiten, unter Anlehnung an die alttestamentarische Schlange aus dem Paradies, zu einem SchlangenIcult vereinigt wurden. Dürfen wir in den Schlangen Chavins ein Symbol der Alten Welt sehen?

Der Stein des Antonio Raimondi

In alten Zeiten traf an der Peruküste aus dem Norden eine Flotte von Balsabooten ein, erzählt eine indianische Überlieferung. Ein mächtiger König ging mit seinem Gefolge und Volk an Land, und sie errichteten etwas landeinwärts eine Stadt mit einem Tempel. Das Götterhaus barg eine Bildsäule, die sie Yampallec nannten - Denkmal und Abbild ihres großen Königs Naymlap. Lange regierte Naymlap in Frieden, und als er starb, wurde er unter dem Wohngemach seines Palastes bestattet. Dem Volk aber erzählten die Priester, er sei davongeflogen, und es folgte ihm in der Herrschaft sein Sohn und nach diesem noch elf weitere Könige. Der zwölfte aber faßte den folgenschweren Entschluß, das Standbild aus dem alten Tempel zu entfernen und an einem anderen Ort aufzustellen. Da begann Regen vom Himmel niederzu fallen wie vorher noch niemals, und es kam eine große Hungersnot über das Volk, so daß es sich empörte und unter Anführung seiner Priester den König ins Meer warf, der schuldhaft dieses Unglück über sein Volk gebracht hatte. So endete das Geschlecht der Könige von Lambayeque. Das Reich aber geriet unter die Oberherrschaft der Könige von Chan-Chan und später unter die Macht der Inka. Jene Bildsäule ist uns beschrieben worden: Aus einem Stück sei sie ge­ hauen gewesen und aus grünem Stein. Sie blieb verschwunden. Vor etwa hundert Jahren wurde sie wiedergefunden. Damals, um 1870 herum, durchstreifte ein Reisender namens Antonio Raimondi Peru und kam bis in die fernsten Landstriche. Als er das Tal des Pucchaflusses erreichte, fand er in der alten Tempelfestung von Chavin de Huantar den gewal­ tigen grünen Monolith und brachte ihn nach Lima, dessen National­ museum heute die wunderbaren Schätze der altperuanischen Kulturen

Gorgo von Athen (oben) und Götterkopf aus San Agustin in Kolumbien (B). Unten: Gorgo von Syra­ kus (C) und Lanzon von Chavin de Huantar (D)

birgt. Raimondi wußte nichts von der Legende des Königs Naymlap und erkannte auch die Bedeutung Chavins noch nicht. Erst Hans Leicht machte in unseren Tagen auf den Zusammenhang des Raimondi-Mono­ liths mit dem alten Götterbild vom Lambayeque aufmerksam. (S. 272) Diese Plastik ist eine hohe, schmale Steinplatte, die über und über mit Reliefs geschmückt ist. An ihrem unteren Ende ist ein stehender Jaguar in der Gestalt eines Menschen dargestellt. Diese Tier-Mensch-Gestalt hat statt der Finger Krallen, statt eines Menschen- einen Jaguarkopf mit spitzen Raubtierzähnen. Ist es ein Jaguar? Wie kann es aber ein einfacher Jaguar sein, wenn diese Pantherkatze Hörner trägt? Es sieht aus wie eine Mischung aus Jaguar und Stier, wie ein vermenschlichter Jaguar in Ver­ bindung mit einem Stier. Tiermenschen, vermenschlichte Tiere, sind ein Leitmotiv der Kunst von Chavin. Vermenschlicht ist auch der Jaguar vom Sonnentor in Tiahua­ naco oder vom Mondtor in Puma Punku. Solche Mischwesen aus Mensch

und Tier als Götter gibt es auch in den Kulturen des Abendlandes, zum Beispiel den ägyptischen Totengott mit Krokodilrachen, Löwenleib und Nilpferdhinterteil, den phönizischen Cherub mit Menschenkopf, Löwen­ leib und Adlerflügeln oder die gefiederten Menschentiere aus dem Palast Saigons II. in Khorsabad im Zweistromland. Auch sie waren Fabelwesen wie die alten ägyptischen Götter Anubis, der mit einem Wolfskopf dar­ gestellt ist, und Horus mit einem Falkenkopf (oder auch nur als Falke), wie Hathor in der Gestalt der Kuh oder wie die Verschmelzung von Löwe und Mann im Sphinx. In den Löwenmasken der Kulturen der Alten Welt finden sich, wie in den »Tiger faces« der Olmeken, alle Übergänge zwischen Mensch und Tier. Babylonische Treppenbalustraden zeigen steinerne Stierkolosse mit Menschenköpfen. Zeus nimmt in den Sagen Tiergestalt an, um die Europa zu entführen. Menschliche Wesen mit Stierköpfen sind auf den Siegeln aus Elam in Vorderasien dargestellt. Hier, in Elam, ist es ein aufrecht stehender Stier mit einem Lendenschurz und mit den Schultern und Ar­ men eines Menschen, eine Darstellung aus dem vierten vorchristlichen Jahrtausend. Aber auch in Chavin steht der Jaguar-Stier aufrecht, als Mensch mit Menschenleib und Jaguarkrallen und mit einem Kopf, der aus Stier und Jaguar gemischt ist. Hat er von Kreta aus seinen Weg in die Neue Welt angetreten? Der Stierkult der Alten Welt kam von Elam, nördlich des Persischen Golfes und östlich des Tigris, über Mesopotamien und Kleinasien an die Küste Phöniziens und Kanaans, er kam über den Nil nach Kreta.

Die alten Götter leben noch

Viele der indianischen Kunstwerke, von denen bisher schon gesprochen wurde, kommen uns bekannt oder sogar verwandt vor. Es sind ja die Kunstwerke, die an die Kunst Babylons, Ägyptens und des frühen Grie­ chenlands erinnern. Da war der Blumenprinz, wie man die Darstellung des Frühlingsgottes Xochipilli nennt, der ganz und gar verständlich und menschlich aufgefaßt ist, da waren die jungen Maisgötter wie der der Maya von Copän, der an griechisch-ostasiatische Stilformen erinnert, da waren die alten Maisgötter der Chimu, die uns alle menschlich und ver­ wandt erscheinen.

Aber da waren auch jene Kunstwerke, die in ihrem Sinn und Symbolis­ mus einfach nicht zu fassen sind, die uns wild, fremd, unbeherrscht, bar­ barisch vorkommen, wie die Statuen mit dem gewaltigen Kopfputz, mit Masken vor dem Gesicht, die Götter ohne Kopf, die Götter mit Schlan­ gen, die Jaguare in Menschengestalt, die scheußlichen Ungeheuer wie die Statuen von Chavin, die Vögel in Menschengestalt und andere Wesen, die nicht mehr Mensch und nicht mehr Tier waren, sondern nur noch Symbol. Daneben traten in den Kunstwerken realistische, bis zur Brutalität ge­ steigerte realistische Züge auf, wie bei der Statue eines Menschen, der man eine Menschenhaut übergezogen hat. Man nennt sie den »Xipetotec«, das heißt soviel wie »Unser Herr, der Geschundene« - alles Statuen, die uns fremd und unbegreiflich sind. Das ist aber nichts Ungewöhnliches. Im Gegenteil: Die meisten indiani­ schen Kunstwerke weisen derart gestaltete Züge auf. Sie sind jedoch in jeder Beziehung unseren Auffassungen völlig fremd und unverständlich. Das hat seinen Grund wohl darin, daß die indianische Kunst überwiegend religiös war. Die indianischen Künstler haben fast durchweg nur ihre Göt­ ter dargestellt. Fast alle Statuen, die man gefunden hat und die uns un­ verständlich in ihrer Form und ihrer Symbolik erscheinen, sind Götter­ bilder. Die ältesten von ihnen sind die Vegetationsgötter, Erdgötter, Gottheiten der Fruchtbarkeit, des Wassers, des Regens, Maisgötter, Früh­ lingsgötter und Blumengottheiten. An der Küste tauchen Götter des Mondes auf. Überall aber sind Götter der Sonne zu erkennen. Auch Fischgottheiten, Maisgötter, Götter der Nacht, der Quellen, des Erdinnem und des Krieges. Bei den Maya gab es den Ek Ahau, einen grotesken Kriegsgott, den Ek Chuah, der mit schwarzer Farbe bemalt war, Xaman Ek, den Gott des Nordsterns, der einen Affenkopf hatte; da gab es Ah Bolon, dessen eines Bein eine Schlange ist; Ah Puch, den Todesgott, den die alten Indios mit offenem Brustkasten und einem Totenschädel dargestellt haben. Und je jünger die Kulturen der Indios werden, um so mehr Götter gibt es. Die ganze Welt der Indios scheint aus Göttern zu bestehen. Sie alle tauchen in sämtlichen Kulturen der Indios auf. Die alten Götter der theokratischen Kulturen, der Priesterreiche, wurden von den jungen Völkern übernommen, die als Eroberer kamen; sie wurden neben die eigepen Stammesgötter dieser wilden, kriegerischen Stämme gestellt und lebten auf diese Art weiter. So kommt es, daß das Pantheon der Azteken fast alle Götter der india­ nischen Reiche umfaßt, denn die Azteken haben die Götter der unter­ *54

worfenen Völker übernommen und ihren eigenen zugesellt. Audi die Inka haben zu ihren eigenen Göttern auch alle anderen Südamerikas über­ nommen. Man möchte meinen, wenigstens jene besonders erschreckenden india­ nischen Götterdarstellungen seien eigene Schöpfungen indianischer Kul­ turen gewesen; für sie habe es in der Alten Welt keine Parallelen ge­ geben. Hier sei eine Übertragung aus unseren Kulturen nicht möglich. Aber das ist ein Irrturm. Die Götter der alten Kulturen unserer eigenen Welt waren ebenso zahlreich wie die der Indios. In den beiden Hälften der Erde gab es für tausend Dinge eigene Gottheiten. Auch in der Alten Welt kannte man einen Gott der Erde, des Himmels, des Wassers, der Sonne und des Mon­ des, Götter des Wetters, der Liebe und des Orakels, des Kampfes und der Unterwelt. Das war in Babylon so, bei den Sumerern, in Ägypten und bei den Phöniziern. Es waren, hier wie dort, dieselben Götter. Sie hatten dieselben Funk­ tionen, sie trugen dieselben Symbole, sie wurden in der gleichen Art dar­ gestellt. Mot, der Vater und Schöpfer aller Dinge bei den Semiten. Anu, der Vater und König aller anderen Götter bei den Sumerern. Atum, der Vater aller Dinge bei den Ägyptern. El, der Schöpfer und König der Welt bei den Phöniziern: Sie alle haben ihr Gegenstück in dem Schöpfer aller Dinge der indianischen Religionen. In Tiahuanaco hieß der Schöpfer und Erhalter der Welt Pachacamac; er kam später an die Küste und wurde zum größten Gott. Ptah hieß der Schöpfer der Welt bei den Ägyptern. Die Sumerer kann­ ten eine Erdgöttin oder Erdmutter, die sie als Schlange darstellten, bereits um 3370 vor Christus. Sie war die »große Mutter«. Im Zweistromland hieß sie Innin. Die »große Mutter« gab es auch in den indianischen Religionen. Die Muttergöttin Innin der Sumerer-Assyrer, die Isis der Ägypter, die Ischtar der Phönizier wurde bei den Maya Ixchel oder Ixcumane. Hier wie dort war sie die Gemahlin des Himmelsgottes. Auch die Mondgöttin gab es auf beiden Seiten des Ozeans. Die Chimu hatten ihre Gottheit des Mon­ des Sin An genannt. Sin aber war der alte Mondgott in Ninive. Ist das nur eine zufällige Namensgleichheit für denselben Gott? Oder ist dieser Mondgott über den Ozean nach Südamerika gekommen?

Die Söhne der Sonne In den indianischen Kulturen wurden die Herrscher als Söhne der Göt­ ter, als Söhne der Sonne verehrt. Die gleiche Verehrung war auch in der Alten Welt weitverbreiteter Brauch. In Ägypten zum Beispiel war gegen 2550 v. Chr. der König, der Sohn der Sonne und Sonnengott Re, der oberste Gott. Ähnlich war es in China, wo die Chou-Dynastie etwa 1050 v. Chr. ihre Abkunft von der Sonne herleitete; ähnlich in Assur, wo der König zum göttergleichen Über­ menschen wurde. Und so war es auch auf Kreta; hier genoß der Priester­ könig eine Verehrung, die ihn einem Gotte gleichstellte. Im Jahre 1385 v. Chr. führte Amenophis IV. in Ägypten als einzigen Kult den des Sonnengottes Aton ein und nannte sich selbst Echn-aton. Bei den Inka hat es etwas Ähnliches gegeben. Oberster Gott war die Sonne. Der herrschende Inka war der Sohn der Sonne, seitdem die Sonne sich dem Manco Capac offenbart hatte, ihrem Sohn, dem Gründer der Inkadynastie. Im Reiche der Inka war die Sonnenreligion Staatsreligion. Aus allen Teilen des Landes strömten die Menschen zum Sonnenfest, dem Nationalfeiertag, nach Cuzco. Noch vor Sonnenaufgang begab sich an dem Tag, der von den Priestern festgelegt war, der Inka auf den Hauptplatz von Cuzco, wo die Mitglieder der königlichen Familie, Adel und Volk schon versammelt waren. Die Menge wartete still und un­ beweglich, den Blick nach Osten gerichtet und des großen Augenblicks harrend, in dem über den Gipfeln der Kordillere die ersten rotglühenden Strahlen der Sonne aufleuchteten. Dann sanken sie alle nieder zum Gebet. Nur der Inka allein blieb aufrecht stehen. In jeder Hand hielt er eine goldene Schale. Die Schale in seiner Rechten bot er seinem Vater, der Sonne, dar, dann goß er den Maiswein aus der Schale in die Rinne, die zum Sonnentempel führte. Aus der Schale der Linken trank er selbst, dann reichte er den Rest seinem Gefolge. An der Spitze des großen Zuges schritt der Inka zum Tempel hin und brachte dort die beiden goldenen Schalen der Sonne als Opfer dar. Auf dem Altar leuchtete das Antlitz Viracochas, ihm zu Seiten standen die Abbilder von Sonne und Mond. Zum Abschluß der Feier wurde ein schwarzes Lama geschlachtet; seine Eingeweide wurden den Priestern gereicht, damit sie feststellen konnten, ob die Sonne befriedigt sei. Ein­ geweideschau, dieser eigenartige Kult: Wir kennen ihn aus der Alten Welt bei den Etruskern und, nach ihnen, auch bei den Römern.

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Eine Selbstverständlichkeit

Der Schlangenkult mit seinen schrecklichen Göttergestalten bestimmte zu Zeiten, in denen eine Übertragung möglich erscheint, die herrschen­ den religiösen Vorstellungen der Alten Welt. Wenn Menschen - die diese »Weißen Götter« ja doch gewesen sind aus einer höheren Kultur in eine andere, eine primitivere, kamen, dann war es eigentlich eine Selbstverständlichkeit, daß sie außer allen Errun­ genschaften des Handwerks, der Künste, der Wissenschaft und der Tech­ nik auch ihre religiösen Begriffe und ihre Götter in die Neue Welt brachten. Sie kamen zu Menschen, die im Vergleich zu ihnen selbst noch auf einer recht primitiven Stufe standen, zu Stämmen mit primitiven Glau­ bensvorstellungen. Und sie haben diese einfachen Steinzeitkulte der Indios wohl so angesehen wie später die Spanier, als sie den indianischen Reli­ gionen begegneten. Es ist unmöglich, sich vorzustellen, die Männer der spanischen Konquista etwa hätten ihrem Christentum abgeschworen und den primitiven Glauben der Indios angenommen. So wäre es auch widersinnig, anzu­ nehmen, daß Menschen, die einst aus höheren Kulturen auf Indiovölker trafen, ihren Glauben, ihre religiösen Vorstellungen und ihren Kult ab­ gelegt haben würden, um sich die der primitiven indianischen Stämme zu eigen zu machen. Viel näher liegt die Folgerung, daß sie den Glauben und den Kult ihrer Heimat in die Neue Welt gebracht und dort ein­ gepflanzt haben. Es wäre ein logischer Schluß, anzunehmen, daß nun alle diese alten Götter auch aus der Alten Welt stammten. Viele von ihnen gab es einst auf der ganzen Erde, nicht nur in den mittelmeerischen und vorder­ asiatischen Kulturen. Andere können unabhängig voneinander an den verschiedensten Stellen der Erde entstanden sein, etwa aus dem Tote­ mismus heraus. Wir brauchen durchaus nicht so weit zu gehen, nun für alle indianischen Götter etwa eine Übertragung aus der Alten Welt anzunehmen. Das wäre ganz verfehlt. Aber die Parallelen sind keineswegs zu leugnen.

Der goldene Strom »Es gibt in der Geschichte kein zweites Beispiel einer solchen Beute und noch überdies in der umsetzbarsten Form, gleichsam in barem Golde, die einer so kleinen Schar von Abenteurern, wie es die Eroberer von Peru waren, zuteil ge­ worden ist.* Prescott, 1848, in der »Geschichte der Eroberung

Perus« »Sie lachten über das ganze Gesicht. Wie Aßen griflen sie nach dem Gold, lach­ ten über den Anblick des Götterdrecks. Denn nach Gold dürsten sie sehr, ver­ langen danach, hungern danach, schnüßeln es auf wie Schweine.«

Fray Bernadino de Sahagun »Abgesehen von ihrem bloßen Wert, waren die Neuartigkeit und Ungewöhnlich­ keit der Kostbarkeiten so märchenhaft, daß sie unbezahlbar waren. Auch kann man nicht annehmen, daß irgendein Fürst dieser Erde, von dem wir Kenntnis haben, dergleichen oder ähnlich kostbare Dinge besitze.*

Cortez in seinem Brief an Kaiser Karl V. über den Schatz der Azteken

Goldene Fische

Als der Häuptling Chibcha von Guatavita den Thron bestieg, wurde er mit 01 und Harz gesalbt und mit Goldstaub gepudert, bis er glänzte, als sei er aus purem Golde - El Dorado: »der Vergoldete«. So vergoldet, stieg er vom Floß aus in das geheiligte Wasser des Sees, und das Wasser spülte den Goldstaub wieder ab. Das Volk, das am Ufer stand, warf die Gaben für die Götter in den See: Gold, Edelsteine, Statuen aus Gold. Dann kamen später die Spanier, die von dem Bericht des vergoldeten Königs gehört hatten, und suchten dieses goldene Land »Eldorado«. Sie fanden es, hier bei den Chibcha. Als sie an diesen See kamen, fischten sie nicht nach Fischen, sondern nach Gold. Es war vor vierhundert Jahren, im Jahre 1562, als Jimenez de la Que­ sada den großen Fischzug machte. In seinen Netzen fand er einen A1ligator aus Gold, dreizehn goldene Kröten, viele goldene Fische und drei Affenstatuen aus purem Gold. Alles verschwand in den Taschen der spa­ nischen Landsknechte. Zwei Jahrzehnte später warfen die Spanier wieder ihre Netze im See von Guatavita aus. Auch diesmal taten sie einen guten Fang: goldene Statuen, goldene Figuren. Wiederum ging alles den Weg durch die räu­ berischen Hände in die großen Taschen der Goldsucher. 1818 fischte der 258

Reisende Cochrane erneut in dem goldenen Wasser. Audi er konnte Figuren aus Gold bergen. Eldorado wurde nach Gold abgefisdit wie ein Karpfenteich, und immer noch schwammen goldene Karpfen darin her­ um. Immer neue Expeditionen wurden ausgerüstet, um das Goldland zu finden.

Eldorado war das alte Reid) der Chibdia

Vor etwa 400 Jahren zog eine Truppe der Konquista durch Kolumbien ins Caucatal. Ihr Anführer hieß Pedro de Heredia. Auch er suchte nicht nach alten Bauwerken und Götterstatuen. Sie hatten für ihn nur Wert, wenn sie aus Gold waren. Als die Expedition immer tiefer ins Land vor­ stieß, traf sie auf ein altes indianisches Volk, das von einer Frau regiert wurde. Sie empfing die fremden Gäste wohlwollend und zeigte ihnen ihren Palast und den großen Tempelbezirk, in dem 24 große Götter­ statuen standen, ganz mit Goldblech umkleidet. Im heiligen Hain um den Tempel sahen die Spanier etwas, das ihnen den Atem verschlug: An den großen Bäumen, an jedem Ast, hingen goldene Glocken, die zu­ sammen 683 Kilogramm wogen. So schnöde belohnten die Gäste die Gastfreundschaft, daß sie alle goldenen Glocken samt den Umkleidungen der Statuen mimahmen und noch dazu aus den Gräbern der toten Fürsten 1366 Kilogramm Gold stahlen. Diese Expedition dauerte ungefähr ein Dreivierteljahr, und die Aus­ beute war entsprechend groß: Über 2000 Kilo Gold brachte Heredia zu­ rück. All diese Kunstwerke wanderten in den Schmelztiegel. Am berühmtesten in den indianischen Kulturen war das Gold aus dem Gebiet des Isthmus, vor allem die Goldarbeiten aus dem heutigen Ko­ lumbien und Costa Rica. Das waren Gegenstände aus massivem Gold oder mit einer Vergoldung, die einmal in einer dicken Schicht mit Kupfer aufgetragen, ein andermal hauchdünn war. Es war eine Netztechnik be­ sonderer Art, ein aufgegossenes Filigran, so fein und so kunstvoll, daß es heute noch staunend bewundert wird. Die hohe Technik der Goldarbeiten im Isthmusgebiet war, wie man aus den mexikanischen Funden ablesen kann, schon in den ersten Jahr­ hunderten nach Beginn unserer Zeitrechnung in Blüte und hat sich bis in die letzte Zeit vor der spanischen Konquista gehalten. Unter allen Völkern der Neuen Welt, die das Gold bearbeitet haben, *59

Kopf mit Stirnreif und Nasenschmuck der Chibcha. Rechts: Zeremonialbeil der Chimu mit goldenem Griff. In Chavin findet sich zum ersten Mal das Gold in der Neuen Welt. Später kamen das Kupfer und die Legie­ rungskunst dazu. Doch schon sofort nach ihrem ersten Auftreten lassen sich bereits recht komplizierte Verar­ beitungstechniken nachwei­ sen. Wurden sie aus der Alten Welt hierher über­ tragen?

stellten die Chibcha die Elite der Goldschmiede. Was von ihnen, von ihrer Kunst, erhalten ist, zeigt eine ungewöhnlich hohe Begabung. Es sind Schmucksachen, Tiere aus Gold, Adler, Jaguare, Alligatoren, Frösche oder Menschen mit Tierköpfen. Weibliche Figuren aus Gold wurden be­ sonders häufig angefertigt, und die Konturen ihrer Arme und Beine, ihrer Lippen und ihrer Augen wurden aus feinem Golddraht nachgebildet. Die Chibcha waren wie die Künstler der Alten Welt Meister der Me­ tallbearbeitung. Sie haben die Kunst der Goldbearbeitung schon gekannt und ausgeübt, als alles Handwerk bei ihren primitiven Nachbarn noch in den Anfängen steckte. Dieser Kunstzweig ist jedoch nicht allmählich ent­ wickelt worden, sondern er war gleich ganz vollkommen in Form und Technik vorhanden.

Die Kunst der Granulation Die Chibcha waren nicht die einzigen, welche die Kunst der Goldbe­ arbeitung verstanden und beherrschten. Unter ihren Nachbarn gab es einen indianischen Stamm, der sie ebenfalls übte: Das waren die Manabis an der Küste des nördlichen Ecuador.

Es ist heute noch rätselhaft, wie die Manabis ihre hauchzarten Gold­ arbeiten schufen. Kleine Körnchen, nicht größer als die Hälfte eines Stecknadelknopfes, sind zu Ornamenten zusammengefügt. Man muß sie unter der Lupe betrachten, um ihre Kunst zu erkennen. Sie sind wunder­ voll gearbeitet, oft aus kaum sichtbaren kleinen Teilchen zusammenge­ lötet, oft sogar noch hohl und durchbrochen gestaltet. Auch der geschick­ teste Goldarbeiter unserer Tage würde eine solche Arbeit ohne Lupe nicht zustande bringen. Wie haben die Manabis diese winzigen, kunstvollen Arbeiten ausfüh­ ren können? Sind ihre Augen so viel schärfer gewesen als die der Men­ schen von heute? Oder kannten sie Tricks, die heute verlorengegangen sind? Diese Rätsel lösen sich jedoch zum Teil, wenn wir an eine Arbeitsweise denken, die einst in der Alten Welt angewandt wurde. Es ist eine sehr komplizierte Methode, so schwierig, daß es erst vor einigen Jahren der deutschen Goldschmiedin Treskow gelang, sie wiederzuerkennen und nachzuahmen. Es war die Kunst der Granulation. In Knossos auf Kreta fand man ein Miniaturkunstwerk, einen kleinen goldenen Löwen, nur eineinhalb Zentimeter groß. Er ist aus zwei Halb­ schalen zusammengelötet, und seine Mähne besteht aus vielen kleinsten und genau gleich großen Goldkügelchen, die auf der Unterlage festsitzen. Eine drei Zentimeter große goldene Ente, ebenfalls aus Kreta, zeigt diese Granulation an den Flügeln und den Schwanzfedern. In Alt-Pylos wurde eine zweieinhalb Zentimeter große Kröte gefunden, deren Warzen aus Goldgranulat bestehen, und eine Eule, deren Flügel durch diese winzigen Goldkügelchen angedeutet sind. Auch aus Troja sind einige solcher kunstvollen Goldarbeiten bekannt, goldene Täschchen und Ohrbehänge mit Granulation, ebenso von den Etruskern. Diese ganz besondere Art der Goldverarbeitung stammt aber weder aus Kreta noch aus Troja, sondern vermutlich von den Sumerern. Sie besteht nicht nur einfach in der Kunst, die kleinen Goldkügelchen auf der Grund­ fläche zu befestigen. Wollte man diese winzigen Kugeln, deren Her­ stellung schon eine Kunst für sich ist, einfach nebeneinander auf eine Goldplatte auflöten, dann würden sie unter der Hitze schnell zerfließen und platt werden, das heißt die Kugelgestalt verlieren. Es bedarf eines Tricks: Glüht man diese kleinen Goldkügelchen in Kohlenstaub, so neh­ men die äußeren Schichten Kohlenstoff auf und werden dadurch leichter schmelzbar. Ihre Oberfläche schmilzt also schon bei einer Temperatur, die unter dem Schmelzpunkt des reinen Goldes liegt. Legt man die Kü­

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gelchen dann nebeneinander auf eine Platte, so kleben sie schon bei geringer Hitze aneinander und auf der Grundfläche fest, eben weil ihre Oberfläche so leicht schmelzbar ist. Diese Hitze reicht aber nicht aus, die Kugelform zu verändern. Diese Technik ist so kompliziert und auch keineswegs ohne weiteres zu Anden, daß die Forschung als sicher an­ nimmt, sie könne nicht an zwei Stellen erfunden, müsse vielmehr von einem Volk auf das andere übertragen worden sein. Das ist bei den engen räumlichen und kulturellen Beziehungen jener Völker der Alten Welt auch nicht weiter verwunderlich. Sie haben ja so vieles voneinander übernommen. Daß aber diese Technik der Granu­ lation in so früher Zeit auch in der Neuen Welt schon bekannt war und gepflegt wurde, ist doch recht verwunderlich. Aber es ist nicht zu leug­ nen: Die Granulationstechnik haben die Manabis im alten Reich von Chavin meisterhaft beherrscht. Heinrich Schliemann hat in der Alten Welt, aus den Gräbern in Mykenae, goldene Totenmasken geborgen. Auf der Krim fand man in einem Marmorsarkophag eine etwa um 220 n. Chr. beigesetzte Fürstin, die neben Diadem und Zepter eine Goldmaske trug. In Trebenischte auf der Krim hat man in einem Grab zwei goldene Totenmasken gefunden, die sich auf das Jahr 53 n. Chr. datieren ließen. Ähnliche Totenmasken aus Gold lagen schon in den Gräbern der ägyptischen Pharaonen über dem Antlitz der toten Herrscher. Und diese goldenen Totenmasken der gleichen Art, wie Schliemann sie fand, wie sie auch an jenen anderen Stellen der Alten Welt geborgen wurden, sind auch aus indianischen Gräbern geborgen worden.

Die Straße des Goldes

In der Tempelstadt Chavin war das Gold lange bekannt. Eine goldene Krone, Ringe, Ohrgehänge und Nasenschmuck, kleine Kunstwerke, die man dort gefunden hat, geben Zeugnis von dem großen Können ihrer Goldschmiede. Von Chavin aus kam das Gold nach Tiahuanaco. Dort gab es jene gol­ denen Nägel als Schmude der Wände in den Palästen der Stadt, dort gab es Unmengen an Gold. Was Tiahuanaco in der frühen Zeit war, das gilt in der Zeit der jün­ geren Kulturen Südamerikas für die Chimu. Sie besaßen einen ungeheu­

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ren Reichtum an Gold. Die Chronisten berichten vom großen Chimu, er habe aus den Ländern, die er unterworfen hatte, unermeßliche Tribute an kostbarem Schmuck, an Edelsteinen und Smaragden und an »Chaquiras« erhalten - das sind Kleider, die über und über mit Schmude be­ näht waren und von Edelsteinen und edlen Metallen funkelten. Sechstausend Indianer, so erzählen die Chronisten, hatte der große Chimu in seinen Diensten, die das Gold und Silber, das Kupfer und wertvolle Steine für ihn aus den Bergen brachten. Er hat damit seine Hauptstadt Chan Chan und seine Tempel aufs kostbarste geschmückt. Sein Reichtum war unerhört groß und nahm in dem Maße von einer Generation zur anderen zu, in dem die Macht der Herrscher wuchs. Was die Goldschmiede der Chimu geschaffen haben, waren Wunder­ werke, nicht nur für jene damalige frühe Zeit - kleine goldene Wunder, von denen bei den Ausgrabungen wenigstens einiges noch geborgen werden konnte, goldene Kostbarkeiten, kleine und große Schmuckstücke, die von dem ausgeprägten Formgefühl der Meister sprechen. Heute liegt der größte Teil dieser Kostbarkeiten im Naturhistorischen Museum in New York. Diese Goldschmiedearbeiten der Chimu sind nicht nur außerordent­ lich fein und gleichmäßig, sie sind zum Teil so hauchdünn vergoldet und versilbert, daß die Wissenschaft sehr ernsthaft eine ebenso kühne wie entscheidende Frage diskutieren mußte: Sollten die alten Chimu doch schon eine der Technik der Elektrolyse verwandte Methode gekannt haben? Denn eine so feine und gleichmäßige Vergoldung und Versil­ berung in einer so hauchdünnen Schicht können selbst die künstlerisch und technisch geschickten und erfahrenen Goldschiede unserer Tage ohne Elektrolyse nicht ausführen. Die Metalltechnik muß bei den ältesten Chimu schon sehr hoch ent­ wickelt gewesen sein, wie die nachgelassenen Schmuckstücke, ihre Werk­ zeuge, Äxte und Messer beweisen. Die Chimu verstanden sich bereits darauf, feine goldene, silberne und kupferne Drähte zu ziehen, sie stell­ ten Ringe aus Filigran her, Stimreifen, Armreifen, Stulpen, Gewand­ nadeln, Brustplatten und auch silbernen Kopfschmuck in Form des Halb­ mondes. Als die Inka die früheren Kulturreiche, in denen diese Kunst geübt wurde, später ihrem eigenen Staat einverleibten, eigneten sie sich diese großartige Technik nebst ihren Mustern an. Ihr Reich, das Reich der Inka, war jenes letzte goldene Reich, das die Spanier fanden. Alle Reiche Mittelamerikas waren in der Kenntnis der Metalle weit 263

hinter Südamerika zurück. Erst mehr als tausend Jahre nach den frühen Goldarbeiten Südamerikas finden sie sich auch in Mexiko. Das ganze alte Reich der Maya zum Beispiel hat Gold überhaupt nicht verwendet.

Der goldene Raub

Es war ein großer, denkwürdiger Augenblick, als die Spanier in Cajamarca dem Inka von Peru, Atahualpa, zum ersten Male gegenüberstan­ den. Es war ein Augenblick, der Geschichte gemacht hat. Atahualpa trug auf seinem Haupt ein Diadem aus Federn, Silber und Gold, mit Dia­ manten, Türkisen, Rubinen und Smaragden besetzt. Um den Hals trug der Inka eine Kette aus Smaragden, so groß wie Taubeneier; und von dieser Kette hingen wie Wassertropfen Topase herab, wie sie die Spanier noch nie gesehen hatten. Die spanischen Eroberer nahmen den Inka gefangen, und eben der kostbare Schmuck, den er trug, wurde ihm zum Verhängnis. Er ent­ fachte in den Siegern die brennende Begierde nach dem Gold. Der Inka machte ein Angebot, sich seine Freilassung zu erkaufen: Er wollte das Zimmer, in dem er den Eroberern gegenüberstand, so hoch mit Gold füllen, wie er mit den Armen reichen könne. »Dabei stellte er sich auf die Zehenspitzen und streckte die Hände hoch aus. Alle starrten ihn ver­ wundert an«, so heißt es in dem Bericht des Chronisten. Sie hielten seine Worte für die Prahlerei eines Mannes, der mit allen Mitteln seine Frei­ heit erkaufen wollte. Pizarro war anderer Meinung und ging auf das un­ glaubliche Angebot ein. Er zog entlang der Wand, in der Höhe, die der Inka angedeutet hatte, einen roten Strich, und ließ die Bedingungen durch einen Notar schriftlich niederlegen. Um diesen Raum bis zu der angegebenen Höhe zu füllen, waren, wie man später errechnen konnte, einhundert Kubikmeter Gold nötig. Es war also ein Zimmer in den Abmessungen eines ziemlich großen Wohn­ raumes von heute, mit sechs mal sechs Meter Seitenlänge und einer Höhe von 2,8 Meter. Lange Trägerkolonnen kamen nun von den Bergen herunter, Tag für Tag strömte das Gold nach Cajamarca: Schmuckstücke und Geräte, von denen einige bis zu fünfundzwanzig Pfund wogen. Goldene Lasten wur­ den herangebracht, in einem Gewicht, das ein Mann gerade noch schlep­ pen konnte. Eine Kostbarkeit nach der anderen wurde herangetragen, 264

Als Cortez 1520 auf seiner Flucht aus Mexiko an der untergegangenen Stadt Teotihuacan lag sie in Ruinen. In den Jahren 1917 bis 1922 wurde der Riesenbau der gewal­ tigen Sonnenpyramide von Manuel Gamio ausgegraben und durchtunnelt. (S. 133)

m'rüberzog,

22-24 Die Säulenhalle von Mitla, Mitte: die Kolon­ naden von Knossos, un­ ten: Rekonstruktion des Thronsaales des Weißen Gottes von Chichen It­ za. (Nach Tatjana Proskouriakoff.) Seltsame Übereinstimmungen in der Palastarchitektur der Alten Welt (Mykenae) wie in Mexiko stel­ len die Frage nach wei­ teren Gemeinsamkeiten in der kulturellen Über­ lieferung ihrer Erbauer.

25 Jadekopf aus Tula, Mexiko.

26-27 Die Trapezform findet sich in der Architektur der Alten wie der Neu­ en Welt. Oben eine Türöffnung der Inkastadt Machu Pichu, Peru; rechts: Tür zum Grab des Aga­ memnon, Mykenae. (S. 54, 84, 104, 233, 234)

31 Die Nischenpy­ ramide von Angkor Tom (Kambodscha) erinnert an den Großen Tajin. (S. 128, vgl. Tafel 6)

32 Wie Gäste aus einer fernen Welt ragten einst die Rie­ senköpfe von La Venta aus dem Erdreich empor. (S. 146)

33-34 Bärtige Menschentypen kehren in der Kunst der Indios immer wieder vor. Es finden sich auch Turban, Schleier und andere Bekleidungsformen (S. 39, 45). Links Figur vom Monte Alban, rechts von der Peruküste.

35 Der Tempelhof von Mitla (S. 127, 128) könnte statt in Mexiko (unten) auch am Mittelmeer stehen.

36 Der unheimliche Heilige Brunnen von Chichen Itza. Zwanzig Meter fallen seine Steilwände auf die grünschillernde Wasserfläche ab. (S. 165) 37 Solange die Eroberer nach Vitcos, der Stadt der Treue, auch suchten, es gelang ihnen niemals, sie aufzufinden. Erst 1913 drang der Forscher Bingham in die Wild­ nis über dem Urubambatal ein und stand vor den geheimnisvollen Ruinen. (S 51 54) 38 Aus dem Haus mit den drei Fenstern kam nach der Sage das Inkageschlecht. Ist hier auch der letzte der Inkaherrscher unter°egangen?(S. 84)

39 Auf der wüstenartigen Hochebene Boliviens, wo einst das große Tiahuanaco war, knien drei steinerne Götterbilder. Der Turban findet sich auch hier als Kopfbedeckung. (S. 233) 41 Das Sonnentor von Tiahuanaco ist der letzte Rest der Stadt des Weißen Gottes am Titi­ cacasee. 42 Spärliche Reste eines Sonnentempels auf einer Insel im Titicacasee (rechts) zeugen noch heute von der Ausstrahlung der Kultur von Tiahuanaco. (S. 231)

40 Reisende aus der Mitte des 19. Jahrhunderts fanden in Tiahuanaco noch Steinsetzungen. Sie sind längst verschwunden. (S. 232)

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43 Alle zehn Jahre gibt der Fluß sein Geheimnis preis. Unter äußerst schwierigen Verhältnis­ sen können die Steine im Flußbett betrachtet und aufgenommen wer­ den, die Bernardo da Silva Ramos hier zuerst gefunden hat.

44 Steinmarke von Phaistos (Kreta). Die gleichen Zeichen finden sich auf den Steinen des Rio Urubü im Amazonasge-

um den Raum zu füllen: Becher, Wasserkannen, Vasen in den verschie­ densten Formen und von jeder Größe, Kredenzteller, Schmuck und Ge­ räte aus den Tempeln und den kaiserlichen Palästen, Ziegelplatten, die zur Ausschmückung der öffentlichen Gebäude gedient hatten, goldene Tiere und Pflanzen. Unter diesen waren die goldenen Nachbildungen von indianischem Korn, dem Mais, am schönsten; seine Ähren waren von breiten silbernen Blättern umgeben, aus denen ein reiches Büschel von Fäden, aus dem gleichen kostbaren Metall gezogen, herabhing. Unter die­ sen goldenen Schätzen befand sich auch ein Springbrunnen, der einen funkelnden Wasserstrahl aus Gold emporwarf; goldene Vögel und an­ dere Tiere spielten am Rande des Wassers. Die Eroberer erkannten nicht den ungeheuren Kunstwert dieser Gegen­ stände, sie sahen nur das Gold. Sie schmolzen das meiste ein. Einen Teil sonderten sie aus und schickten ihn an den spanischen Hof, Kunstwerke im Wert von mehreren hunderttausend Golddukaten. Die indianischen Goldschmiede selbst, die diese Kunstwerke geschaffen hatten, wurden Tag und Nacht angetrieben, sie zu zerstören, sie zu Klumpen einzuschmelzen. Von diesen unersetzlichen Kunstschätzen aus Gold wurde ein Betrag von (umgerechnet) dreieinhalb Millionen Pfund Sterling an die Soldaten, die »Sieger«, verteilt. Francisco Pizarro selbst, der Eroberer von Peru und Zerstörer seiner Kultur, heimste 57000 Ducados in Gold ein und dazu den goldenen Thron des Inka, der allein 25 000 Ducados wert war. Die Spanier waren ausgezogen, ein Traumland zu suchen. Nun standen sie in einem Land, in dem ein Strom von Gold an ihnen vorbeifloß, ein Strom, von dem sie nicht einmal geträumt hatten. Als sie diese unermeß­ lichen Reichtümer entdeckt hatten, sagten sie sich, daß in diesem Lande noch viel mehr Gold irgendwo verborgen, vielleicht hinter den Bergen, zu finden sein müßte. Der ihnen im Wege stand, dieses goldene Land hinter den Bergen zu erreichen, war Atahualpa, der Inka von Peru. Wenn sie ihn wieder freilassen würden - wie sie ihm für den Preis jenes großen Raumes voller Gold zugesichert hatten -, dann würde das be­ deuten, in wenigen Tagen das ganze Land gegen sich in Waffen zu haben. Sie brachen ihr Wort. Sie ließen ihn nicht frei. Was galt ein Ehrenwort gegen Gold. Die Eroberer waren angeblich im Namen Gottes ausgezogen, ihm zur Ehre ein Land zu gewinnen. Nun zögerten sie nicht, in seinem Namen den letzten Inka zum Tode zu verurteilen und erdrosseln zu lassen. Der Weg zum Gold war frei.

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Atahualpa sollte zum Christen­ tum bekehrt -werden. Aber zor­ nig schleuderte der Inka das ihm vorgehaltene Neue Testa­ ment beiseite. (Darstellung von Guaman Poma)

»In einer Höhle nahe Cuzco«, schreibt der Chronist Garcilaso, »fanden sie eine Anzahl Gefäße aus reinem Golde, mit Abbildungen von Schlan­ gen, Eidechsen und anderen Tieren reich verziert. Unter dieser Beute befanden sich auch vier goldene Lamas und zehn oder zwölf Bildsäulen von Frauen, einige aus Gold, andere aus Silber, die nur anzusehen schon ein großes Vergnügen gewährte.« Aber die Eroberer gaben sich keineswegs damit zufrieden, die Schätze zu sehen und zu bewundern. Dieses Vergnügen galt ihnen nichts. Ihre einzige Beschäftigung war, alles Gold und Silber, das sie sahen, zu rauben. »In einer Stadt«, sagt der Chronist Garcilaso weiter, »fanden sie zehn Stangen gediegenen Silbers, eine jede zwanzig Fuß lang, einen Fuß breit und zwei Zoll didc.« Auch das bewunderten sie nicht bloß. Sie nahmen es gleich mit. Die Beute von Cuzco soll die von Cajamarca noch übertroffen haben. Der königliche Notar hat lediglich kurz und sachlich verzeichnet, es sei

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(nach damaligem Wert) Gold im Wert von mehr als 500000 Ducados de oro zusammengekommen und 215 000 Mark an Silber. Allein die aus dem Sonnentempel von Cuzco geraubten goldenen Nägel sollen einen Wert von fünf Millionen Mark in Gold ergeben haben. Bis zum Jahre *535 wurden aus dieser Stadt der Könige für über fünfzig Millionen Mark an Gold und Silber fortgeschafft. Man schätzt allein den Raub in Cuzco auf 1100 Kilogramm Gold und 15 000 Kilogramm Silber. Aber das war nur ein kleiner Teil dessen, was dort vorhanden war. Es wurde auch geraubt, ohne daß es »durch die Bücher« ging. Manches fanden die Spa­ nier nicht; noch vierzig Jahre später entdeckte man in Vilcabamba die große goldene Sonnenscheibe aus dem Sonnentempel von Cuzco, die dort versteckt worden war. Die spanischen Sieger waren wirklich in die goldene Stadt gekommen, in jenes Dorado, von dem sie geträumt hatten. Gold und Silber und Edel­ steine funkelten von allen Wänden der Tempel, die innen buchstäblich mit Gold überzogen waren. Mit der Zeit gewöhnten sich die Spanier an den Anblick des Goldes, der bei ihrer Ankunft zuerst so erregend gewesen war. Als sie nach Cuzco kamen, fanden sie etwas, was selbst den Kältesten und Abgebrühtesten unter ihnen den Atem verschlug. Als sie es sahen, glaubten sie, einen Traum, eine Vision zu haben, so unwirklich war der Anblick. Was sie da sahen, war ein Garten, der sich vom Tempel aus in Terrassen zu einem kleinen Fluß hinuntersenkte, ein Garten mit Rasen, mit Gras und Ei­ dechsen, Vögeln und vielen anderen Tieren belebt. Und darinnen standen .Menschen, große Menschenstatuen. Es war ein Garten wie andere auch, aber in einem unterschied er sich von allen anderen Gärten: Er war aus Gold. Nicht nur die Tiere, die Vögel, die Statuen der Menschen waren aus Gold. Aus Gold waren selbst die Sträucher, die Bäume, das Gras. Die Springbrunnen schossen goldene Strahlen in die Luft. In diesem Garten gingen die rauhen spanischen Krieger gerne spazieren. Sie pflückten hier und da eine Blume, rissen eine Pflanze aus, brachen dort die Zweige eines Strauches, bis ein großer Teil des goldenen Gar­ tens in ihre ewig leeren und unermeßlich tiefen Taschen gewandert war. Auch was sie dort geraubt hatten, diese tausend und mehr kleinen Kunst­ werke - alles wanderte in den Schmelztiegel. Von diesem goldenen Garten, der auf der ganzen Erde wohl nicht seinesgleichen gehabt hat, ist nicht ein einziges Stückchen erhalten ge­ blieben, auch nicht das kleinste Teilchen des goldenen Frieses, der sich um

den Sonnentempel herumzog, nichts von den vielen Hunderten von gol­ denen Figuren, die in den Nischen der Innnenhöfe standen. Aber soviel die spanischen Sieger auch raubten - es war doch nur ein kleiner Teil dessen, was in diesem Lande wirklich an Gold vorhanden war. Als die Indios sahen und begriffen, daß die wiedergekehrten Weißen Götter, von denen die Legenden ihnen erzählt hatten, nichts als Räuber waren, da zogen sie in den Nächten in die Berge hinauf, in die Wälder, an die Seen und versteckten für immer die goldenen Schätze ihres Volkes, die bei weitem noch den Raub der Spanier überstiegen. So blieben die größten Werte den Eroberern verborgen. Auch die gol­ dene Kette des Inka Huayana Capac, die in dem Reigen seiner Edlen zur Feier der Geburt des Thronfolgers auf den Tempelplatz von Cuzco ge­ tragen wurde, fanden die Spanier nicht. Es war eine Kette aus faustgroßen Gliedern von purem Gold; sie war so schwer, wie überliefert ist, daß zehn Männer daran zu tragen hatten. Zweihundertfünfzig Träger hatten einst das Gold aus den Caramanca-Bergen für diese Kette herbeigeschafft. Sie soll zweihundert Meter lang gewesen sein. Rund eine Tonne Gold wurde für ihre Herstellung verarbeitet. Diese Kette ist bis heute noch nicht aufgefunden worden. Bei dem Ort Urcos in Peru liegt ein tiefer, kreisrunder See. Hier soll die Kette noch verborgen liegen, wie die Chronisten behaupten. Schon die spanischen Söldner hatten davon gehört. Sie gruben mit vierzig Mann und zweihundert Indios einen Kanal, um das Wasser abzuleiten. Aber sie kamen längst nicht bis auf den Grund. Der See ist so tief, daß kein Kanal sein Wasser jemals aufnehmen könnte. Eines Tages wird man die Kette des Inka vielleicht doch noch finden. Und eines Tages wird dann vielleicht auch der Schatz Atahualpas wieder­ auftauchen, der Cajamarca nie erreicht hat. Siebentausend Träger waren mit diesem Schatz unterwegs; jeder trug an die vierzig Kilogramm Gold — das Gold, das sie ihrem Inka als Lösegeld bringen wollten. Auf dem Wege nach Cajamarca erreichte sie die Kunde vom Verrat Pizarros. Sie gingen in die Berge, in die Anden hinein und versteckten dort den Gold­ schatz an verborgenen, unzugänglichen Stellen. So wird es in alten Be­ richten erzählt. Nach den Schilderungen schätzt man den Wert dieses Schatzes auf etwa siebenhundert Millionen Goldmark. Auch die zwölf großen Statuen der Inka aus purem Gold, die bei Cuzco standen, und den größten Teil des goldenen Gartens konnten die Inka noch rechtzeitig vor dem Zugriff der Räuber in Sicherheit bringen. Wo diese Kunstwerke verborgen sind, auch das weiß man bis heute nicht. 268

Was bei den Inka an Gold gefunden wurde, war ein unermeßlicher Reichtum, aber der künstlerische Wert, die künstlerische Bedeutung der Goldarbeiten reichte dennoch nicht an die goldenen Kunstwerke der Chimu heran. Dem handwerklichen Können der Inka fehlte deren hohe Kunst. Die Inkastämme von Esmeraldas kannten allerdings auch Legierungen, die von Platin und Gold und die von Gold, Silber und Platin. Das Platin wurde in der Gegend des Golfes von Guayaquil gewonnen. Die Legie­ rung hatte die »Farbe des silbernen Mondes«; sie bestand aus siebzig Tei­ len Gold, achtzehn Teilen Silber und zwölf Teilen Platin. Diese Legie­ rung ist das »Weißgold«, das in einer Urkunde erwähnt wird, die nach der Einnahme von Cuzco über die Verteilung der Beute niedergeschrie­ ben wurde. In dieser Urkunde wird von einer »Platte aus Weißgold, die man überhaupt nicht wiegen konnte«, gesprochen. Sie wurde im Mond­ tempel aufbewahrt; acht Meter war sie lang und wog mehr als eine Tonne. Die spanischen Eroberer hatten keine Waage, auf der man die­ ses gewaltige Stüde Edelmetall hätte wiegen können - erst als es einge­ schmolzen war, ließ das Gewicht sich ungefähr errechnen. Wir können den Reichtum der Inka an Gold ermessen, wenn neuere Berechnungen angeben, daß die Spanier allein zwischen 1533 und 1600 über 23 000 Kilogramm Gold aus Peru fortschafften — und das sind nur die offiziellen Transporte. Als einst die Spanier von einem alten Inkageneral wissen wollten, wieviel Gold die Inkas eigentlich besessen hätten, ließ er einen großen Sack Mais kommen. Er nahm eine Handvoll heraus und ließ die Körner auf die Erde fallen. »Das habt ihr geraubt«, sagte er, »und das da [er zeigte auf den Sack] ist das Gold, das ihr nicht gefunden habt. Rechnet euch selbst aus, wieviel Gold die Inka hatten.«

Der Schatz Montezumas

Es war nicht viel, was von dem Goldschatz der Inka später an das Tages­ licht kam. Was von dem Schatz der Azteken übrigblieb, war nicht mehr. Die Spanier waren einige Tage Gäste in Tenochtitlan, im großen Palast des Vaters des Kaisers, als sie um die Erlaubnis baten, sich in einem Raum des Palastes eine Kapelle einrichten zu dürfen. Während sie damit be­ schäftigt waren, entdeckten einige von ihnen an einer Wand einen auf­

fälligen Fleck. Es sah aus, als sei an dieser Stelle eine Tür fristh zugemauert worden. Die Soldaten, als Gäste im Palast, machten sich kein Ge­ wissen daraus, den Mörtel abzuschlagen und die vermauerte Öffnung aufzubrechen. In dem Raum, in den sie dann eindrangen, sahen sie etwas, was außer ihnen wohl kaum jemals ein Sterblicher gesehen hat. Vor ihnen lag der Schatz Montezumas, der in seiner Größe und seinem Wert in der damaligen Welt nicht seinesgleichen hatte und der wohl auch bis heute einmalig geblieben ist. Die Spanier erblickten vor sich eine große Halle, die mit schönen, wert­ vollen Stoffen angefüllt war, mit kunstvollen Gegenständen verschieden­ ster Art, mit Gold und Silber in Barren und in rohem Erz und mit zahl­ losen kostbaren Edelsteinen. In der Mitte lag ein mannshoher Haufen von Gold. »Ich war ein junger Mensch, und es schien mir, als wenn alle Reichtümer der Welt sich in jenem Raum befänden«, schrieb Bemal Diaz, der Begleiter des Cortez. Sein Staunen war berechtigt, denn allein der reine Goldwert wurde auf dreißig Millionen Goldmark geschätzt. Von diesem Aztekenschatz haben die Spanier nur den fünften Teil fort­ schaffen können, gerade so viel, wie sie in der »noche triste« mitnehmen konnten, in jener Nacht, als sie aus Tenochtitlan fliehen mußten. Es war eben jenes Fünftel, das an den spanischen Hof geliefert werden mußte, das Cortez die Gnade des Königs und den Schutz des Hofes gegen seine Feinde sichern konnte. Aber auch dieses Fünftel ist nie in Spanien ange­ kommen. Das Schiff, das die goldenen Schätze über den Ozean bringen sollte, wurde von französischen Piraten aufgebracht, und eines Tages sah der König von Frankreich sich im Besitz des Aztekenschatzes, den zu ge­ winnen die Spanier ausgezogen waren. Was in jener »noche triste« von dem Schatz der Azteken in Tenoch­ titlan zurückblieb, was die Spanier zurücklassen mußten, kam nur zu einem ganz kleinen Teil wieder ans Tageslicht. Als die Spanier später die Hauptstadt eroberten, fanden sie kaum noch Gold vor. Die Indios hatten es inzwischen in sichere Verstecke gebracht. Im Teich des kaiserlichen Gartens wurde nur noch eine große Sonne aus Gold gefunden, wohl ein Kalenderrad, ähnlich denen, wie sie aus Stein erhalten geblieben sind. Unter den Geschenken, die Montezuma dem Eroberer Cortez gemacht hatte, befanden sich, wie es überliefert wurde, zwei »Räder« von über zwei Meter Durchmesser, eines, die Sonne darstellend, aus Gold im Wert von 20 000 Dukaten, das andere, ein Sinnbild des Mondes, aus Sil­ ber. Goldene Halsbänder mit Hunderten von Smaragden und Granaten besetzt, Schilde aus Gold, ein goldenes Zepter, Fische, Schwäne und 20

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goldene Enten, Muscheln und ein Krokodil, alles aus Gold gegossen, Reifen und Spangen aus Gold, Zepter aus Türkisen, Ohrringe aus Türkis und Gold - all das schenkte der Herrscher der Azteken dem Spanier. Das 220 Kilogramm schwere goldene Ziborium in der Kathedrale von Toledo, das aus dem ersten Gold des Christoph Kolumbus hergestellt wurde, ist alles, was von den Schätzen der Indios noch heute nachweisbar erhalten ist.

Der Schatz von Grab Sieben

Aus goldenen Reichen, aus Chavin, von den Chimu und von den Inka, ist das Gold einst auch nach Mexiko gekommen. Als aus dem Süden Volksstämme einwanderten, die mit der Gewinnung des Metalls, seiner Herstellung und Verarbeitung vertraut waren, da übernahmen auch die indianischen Völker Mexikos diese Kenntnisse und begannen selbst gol­ denen Schmuck herzustellen, und sie übertrafen noch ihre Meister. Krieg, Vernichtung und die Jahrhunderte waren dann über dieses Ge­ biet hinweggegangen. Man erwartete keine großen Goldfunde mehr, als Alfonso Caso im Jahre 1931 daranging, die alten Gräber auf dem Monte Alban noch einmal gründlich zu durchsuchen. Bisher hat man über hun­ dert Gräber gefunden, die entweder an den Hängen des Berges oder, als Krypten, unter den Bauten liegen. Dem mexikanischen Gelehrten gelang dabei ein Fund, der in der aben­ teuerlichen Geschichte der Archäologie beider Weltteile wenig Parallelen hat. Er fand unter diesen hundert Gräbern eines, dem die Wissenschaft den Namen »Grab Sieben« gegeben hat. Als Alfonso Caso dieses Grab vom Monte Alban öffnete, fand er weit mehr als die üblichen Beigaben; vor seinen Augen breitete sich der gewaltigste Schatz an Gold und Edel­ steinen aus, der bis dahin durch die Forschung in Amerika ans Tageslicht gekommen war. Dieser Fund aus Grab Sieben ist auch das künstlerisch Wertvollste, was an Goldarbeiten aus allen Kulturen der Indios bisher bekannt geworden ist: Halsketten mit zwanzig Reihen, aus 854 ziselierten goldenen Gliedern, Ohrgehänge und Diademe, geflochtene Goldringe, Armspangen und Broschen, eine Damentasche, aus vergoldeten Blättern gearbeitet, Schmuck edelster Art aus Jade, Türkis, Obsidian, aus Perlen, Korallen und Bern­ stein.

Diese heute in den Vereinigten Staaten verwahrten Kostbarkeiten sind so edel, daß kaum ein Schmuckstück unserer Zeit sie übertrifft. Der Schmuck aus dem Grab Sieben vom Monte Alban gibt uns heute eine kleine Vorstellung von den Kunstwerken, die vor mehr als vier­ hundert Jahren in den Schmelztiegeln der Eroberer vernichtet wurden. Was wir im alten Reich von Chavin an Metallverarbeitung kennen, das umfaßt eigentlich die ganze Skala der Metallkenntnisse auch der Alten Welt. Goldschmiede aus dem Gebiet des heutigen Kolumbien bauten diese Technik weiter aus und führten das Vergolden und Versilbern, das Löten und das Schweißen ein. Sie kannten das Treiben und Hämmern, den Guß in verlorener Form, das Drahtziehen, Ziselieren, Damaszieren, die Fär­ bung der Metalle und, wie wir nun wissen, sogar die Granulation. Dies aber sind so komplizierte Techniken, daß gar nicht an ihrer Einführung von außen her gezweifelt werden kann. Sie ergibt sich auch schon daraus, daß mit dem ersten Auftreten des Kupfers an der Peruküste im 7. bis 8. Jahrhundert v. Chr. auch gleichzeitig der Guß in verlorener Form be­ kannt ist - was kein Zufall sein kann. Manches Motiv der Chavin-Kultur und der darauffolgenden SalinarKultur trägt ausgesprochen chinesischen Charakter. Es sind dieselben Mo­ tive - das Raubtier als Gefäß, Drachenfiguren mit Schuppenschwanz, wie das Drachenmotiv Chavins allgemein -, die der mittlere bis späte ChouStil etwa um 700 v. Chr. in China kannte.

Gefäß in Tierform aus Chavin de Huantar (links) und aus China (rechts)

Der auf diesem Gebiet erfolgreich forschende Gelehrte Robert HeineGeldern nimmt an, sie seien aus den nördlichen Reichen Chinas, aus Wu und Yüeh, etwa um die Zeit von 500 v. Chr. in die Neue Welt gelangt. Später, zwischen 400 v. Chr. und 100 v. Chr., sollen Menschen aus der Dongson-Kultur Chinas die Neue Welt erreicht und besonders die Me­

talltechniken übertragen haben, von denen oben die Rede war. HeineGeldem nimmt daher an, daß diese Reisenden aus dem Femen Osten audi die Kenntnis der Metalle in die Neue Welt brachten und womöglich die Chavin-Kultur erst anregten. Waren die Seefahrer aus China, die den Indios die Metalltechnik brach­ ten, also die Weißen Götter? Oder hat es vor ihnen noch andere gegeben, die einstmals aus dem Abendland kamen und die Völker der amerikani­ schen Steinzeit zur höheren Kultur geführt haben? Der Begriff des Weißen Gottes unterstreicht, daß er in keine Hoch­ kultur kam. Er brachte überhaupt erst eine höhere Kulturstufe, nicht nur Anregungen. Nur von Primitiven der Steinzeit konnte er als Gott angesehen und verehrt werden. Wäre er in eine indianische Hochkultur gekommen, hätte man ihn bestenfalls als gleichberechtigt anerkannt. Die Legende vom Weißen Gott würde dann nie entstanden sein. In keiner indianischen Chronik oder Legende ist ja von den späteren Besuchern aus Südostasien die Rede, da sie damals eben in schon bestehende Hochkulturen kamen.

Links: Stele des Sonnengottes von Mocachi, Titicacasee, rechts: Sonnengottstele des Althiburos von Aiin Barchouch (phönizisch) *73

Die ersten Menschen Amerikas »Es starb zu derselbigen Stunde die ganze Saurierei — Sie kamen zu tief in die Kreide, da war’s natürlich vorbei.«

Victor von Scheffel, Der Ichthyosaurus, 1867

Die Wanderung über die Beringstraße

Wenn man auf einer Karte von Süd- und Mittelamerika die Lage der Hochkulturen in Mittelamerika und Yucatan und der Hochkulturen in den Anden einzeichnet, dann bleibt ein Gebiet vom Zeichenstift unbe­ rührt, ein weitausgedehnter Keil, der sich zwischen diese beiden Zentren der Welt schiebt. Es ist der tote Winkel für die amerikanische Archäolo­ gie, ein Gebiet, das die heutigen Landstriche Amazonas und Para, die drei Guayana, Venezuela und das Hochland von Ecuador und Kolumbien umfaßt. Rund gerechnet ungefähr die Fläche von Europa. Hier fanden die Spanier, als sie vor über vier Jahrhunderten an der pazifischen Küste landeten, kein Gold und keine Edelsteine, sondern nur wilde Indianerstämme, die mit vergifteten Pfeilen schossen: Menschen­ fresser. Die ersten Spanier hatten schon 1499 den Orinoko, den großen Fluß Venezuelas, befahren. Als die spanischen Eroberer dieses Gebiet erreich­ ten, fanden sie es nur von Arawaken und Kariben bewohnt. Sie trafen auf primitive Kulturstufen, sie fanden die Calzadas, kilometerlange Dämme, von Primitiven gegen Überschwemmungen errichtet, sie fanden einfache, kunstlose Felszeichnungen, Tongefäße ohne künstlerische Ge­ stalt, mit einfachen geometrischen und Spiralmustem geschmückt, Amu­ lette aus Muschelschalen und Steinen, meist in Froschform. Anzeichen einer Hochkultur sind den Spaniern hier nicht begegnet, und sie sind auch bis heute nicht gefunden worden. 274

Aber die Konquistadoren, und nach ihnen die Entdeckungsreisenden, hörten in den bevölkerten Flußtälern von den Indios Sagen aus dem Inneren des Landes, auch die Sage von einem großen See. Dieser See er­ scheint deshalb auch auf allen Karten der ersten Reisenden dieser Gebiete. Dieser tote Winkel hat, gerade weil er so unerforscht zu sein schien, die Archäologen neuerdings interessiert. In den letzten Jahren ist hier viel gegraben worden: in Kolumbien, Venezuela, in den drei Guayana, in Ecuador, am Orinoko und am Amazonas, der ungefähr die südliche Be­ grenzung dieses Raumes, dieses weißen archäologischen Fleckes, bildet. Der Spaten stieß hier immer tiefer in die Erde hinein, bis er Schichten erreichte, in denen auch nicht die geringsten Spuren von Menschen mehr zu finden waren. Er hat dennoch sehr wichtige Entdeckungen zutage ge­ fördert: die Erkenntnis, daß die Neue Welt erst um die Zeit von 20 000 bis 15000 v. Chr. besiedelt worden ist. Vorher hat es in Amerika noch keine Menschen gegeben - so, wie die Alte Welt sie viel früher gekannt hat, Europa, Afrika, Indonesien und China. Dort hat nicht nur der Ur­ mensch, sondern schon der Homo sapiens um ein Vielfaches früher ge­ lebt. Die Neue Welt hat also zu einer Zeit, als es in der Alten den Homo sapiens schon seit Jahrtausenden gab, den Menschen überhaupt noch nicht gekannt. Wo keine Menschen gelebt haben, kann auch nichts von menschlichem Dasein hinterlassen sein, keine Knochenreste, auch nicht das einfachste Werkzeug, so, wie es in der Alten Welt zu der primitivsten Unterschich­ tung aller Kulturen gehört. Aber Amerika war von Herden riesiger Tiere bevölkert, vom Mastodon, vom Toxodont, von Riesenschildkröten, Gür­ teltieren und Faultieren. Es war ein Kontinent der Tiere und Pflanzen. Und in dieses Paradies traten zum ersten Male im Frühdämmer der Ge­ schichte, um 12 000 v. Chr., die ersten Menschen, Horden langschädliger, bartloser mongolischer Männer mit vorstehenden Jochbogenknochen und straffem, schwarzem Haar. Sie trugen Steinbeil, Keule und primitive Jagdgeräte. Diese Menschen sind von Asien her über die Beringstraße ge­ wandert und dann in der Neuen Welt von Norden nach Süden vorge­ drungen. Ihre Wanderung nach dem Süden dauerte nicht nur Jahre oder Jahrzehnte, sondern Tausende von Jahren. Auf ihrem Wege übernach­ teten sie in Höhlen. In solchen Höhlen im heutigen Nevada, in Ecuador und Argentinien hat man ihre Reste, ihre Spuren gefunden, oft zusam­ men mit den Knochen der Riesentiere, die sie erlegt hatten. In immer neuen Scharen drängte diese Völkerwanderung aus Asien über die Beringstraße südwärts. Der Strom von Nord nach Süd riß nicht ab. *75

Er erreichte den schmalen Landstreifen von Mittelamerika und ergoß sich von dort aus nach Südamerika. Erst etwa um 3000 v. Chr. kam er zum Stehen-, zu dieser Zeit war ganz Amerika bevölkert.

Die Invasion aus dem pazifischen Raum

Auch Einwanderer aus dem pazifischen Raum, aus Südasien, Australien und Polynesien haben wohl die Neue Welt erreicht, nicht auf dem Land­ wege, sondern als Seefahrer über den Pazifischen Ozean hinweg. Diese Meinung vertritt die französische Schule der Archäologie, und sie stützt sich dabei in erster Linie auf die Ergebnisse der Sprachforschung. Über­ reste dieser Einwanderung aus dem pazifischen Raum wurden in den Höhlen von Santa Lagoa in Brasilien, in Palli Aike in der Nähe der Magellanstraße und in der Grotte von Alangasi in Ecuador gefunden. Eine direkte Invasion in Südamerika, namentlich an der Küste von Peru, durch Völker aus dem pazifischen Raum nimmt die Forschung heute als durchaus möglich an; ihr Weg über den Ozean wird über die Inseln Hawaii, Paumotu, die Marshallinseln und die Osterinsel geführt hauen. Das wichtigste Argument der Forschung für diese Annahme sind die Ergebnisse der Sprachforschungen. Sprachvergleiche des argentinischen Forschers Imbelloni haben eine so auffallende Übereinstimmung der Be­ zeichnungen für bestimmte gleiche Dinge in den Sprachen von Tonga, Samoa, Neuseeland, Tahiti, Mangaia, Paumotu, den Marshallinseln, Melanesien und Polynesien auf der einen Seite und in den Sprachen von Feuerland, der Aymara, von Ecuador und Kolumbien, in der alten Spra­ che von Peru, dem Runasimi, auf der anderen Seite gefunden, daß an einer Besiedlung dieser Gebiete Südamerikas durch die entsprechenden Völker aus dem pazifischen Raum nicht zu zweifeln ist. Viele Ausdrücke für Kleidung, Wasser, Lebensmittel sind auf beiden Seiten des Pazifiks genau gleich und schon in der ältesten Sprache Perus zu finden. Eine Einwanderung aber, die so viele und starke Elemente der Sprache in das neue Land übertragen hat, kann nicht nur auf einige wenige Men­ schen beschränkt gewesen sein. Diese wenigen würden im Laufe der Zei­ ten die Sprache der Menschen angenommen haben, die in diesen Ge­ bieten schon lebten - aber nicht umgekehrt. Es muß sich also um eine Masseinwanderung aus dem pazifischen Raum gehandelt haben. Dieser Völkerzug muß in sehr früher Zeit geschehen sein, denn gerade

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die ältesten peruanischen Sprachen zeigen eine starke Anlehnung an die Sprache Polynesiens. Wann das war, wissen wir noch nicht. Das Ereignis liegt aber so weit zurück, daß von der Vermittlung einer höheren Kultur durch diese Einwanderer nicht die Rede sein kann, wenn von der mög­ lichen Übertragung einiger Kulturpflanzen abgesehen wird. Heute nehmen die Forscher an, daß es sich damals nicht um eine ein­ malige Invasion gehandelt habe. Die Einwanderer müssen lange Zeit hin­ durch eine ständige Verbindung zu ihrer pazifischen Heimat aufrecht­ erhalten haben. Ein anerkannter Beweis für die Richtigkeit der Annahme einer Besie­ delung Südamerikas durch Polynesier liegt auch darin, daß eine ganze Reihe von Kulturelementen gemeinsamer Besitz der Kulturen der Neuen Welt und der Völker Polynesiens ist. Der schwedische Forscher Nordenskjold hat eine Liste von vierundzwanzig solcher gemeinsamer Ele­ mente zusammengestellt; dazu gehören die Panflöte, die Muscheltrom­ pete, der Poncho und der Federschmuck, Angelhaken, Netze und Paddel, die Bierbereitung, Schädeldeformationen, Trepanationen, das Kalender­ system und die Quipu, die altperuanische Knotenschrift. Ob auch die Hängematte über den Pazifik gekommen ist oder ob das nützliche Gerät zweimal und unabhängig voneinander an zwei so weit auseinanderliegenden Stellen der Erde erfunden wurde, in Polynesien und in Südamerika, ist bis heute nicht geklärt. Es steht aber fest, daß Kolumbus sie auf seiner ersten Fahrt bei den Indianern angetroffen hat. Er hat sie ausführlich beschrieben. Die geheimnisumwobene Osterinsel mit indianischen und pazifischen Kulturen in Verbindung zu bringen hat eine gewisse Berechtigung. Auf den zwanzig Holztafeln der Osterinsel-Schrift finden sich nämlich 160 Symbole der protoelemitischen Bilderschrift der drawidischen IndusKultur, die etwa um 2000 v. Chr. bestand. Symbole daraus enthalten auch die Schriften im Gebiet des Amazonas. Der stetig wachsende Druck neuer Einwanderungen aus dem Norden oder an der Küste von Peru hat die Stämme, die dort und in den angren­ zenden Gebieten lebten, in die Urwälder von Guayana und des Amazonas getrieben oder sie von der peruanischen Küste auf die Kordillere ge­ drängt. Wie sie dort, vor allem am Amazonas, gelebt haben, das unter­ scheidet sich kaum von der Lebensweise der heutigen Indianer in diesen Gebieten. Sie wohnten, wie heute ihre Nachkommen, in Blätterhütten, sie jagten das Wild und sammelten, was sie zur Nahrung brauchten. Als sie gelernt hatten, Kanus zu bauen, fuhren sie den großen Strom 277

hinauf, den Bergen zu. Diese Stämme gehörten zum Volk der Arawaken. Ihre heute lebenden Nachfahren streifen immer noch durch die riesigen Wälder des Amazonas, jagen mit vergifteten Pfeilen und fangen ihre Fische mit giftigen Lianen. Einer dieser Stämme, die Urus oder Kotsun, erreichte das Hochplateau am Titicacasee und fand hier in viertausend Meter Höhe am fischreichen See eine neue Heimat. Diese Menschen wurden seßhaft und paßten ihre Technik dem Hochland und seinen besonderen Bedingungen an. Sie bau­ ten Boote aus Binsen und benutzten Binsenmatten als Segel. Sie trock­ neten und räucherten ihren Lebensmittelvorrat, sie fischten schon mit Netzen. Diese Urus, die ersten langköpfigen Bewohner Südamerikas, die die Sprache der Arawaken sprachen, hatten ihre Hütten an den Buchten und auf den Inseln des großen Sees. Ihr Siedlungsgebiet reichte von den Hän­ gen der Anden bis fast an den Pazifik. Die Schilfboote der Urus, die nach Meinung der Wissenschaft aus dem Amazonasgebiet kamen, sind die­ selben, die uns aus den Skulpturen der Osterinsel bekannt sind, und sie sind nach demselben Prinzip gebaut, nach dem die alten Ägypter ihre Papyrusboote herstellten. Nachbar der Urus auf dem Hochland war der Stamm der Quechua — ein kleines Volk, für die spätere Zeit aber von besonderer Bedeutung. Es wurde die Keimzelle des Inkareiches. Aber auch diese Gruppe unter­ schied sich, wie Funde aus jener Frühzeit beweisen, in nichts von den primitiven Völkern. Sie stand damals noch auf der Stufe der Steinzeit. Und nichts, was aus jener Zeit an Resten gefunden wurde, deutet darauf hin, daß auch nur der Beginn einer Entwicklung zu einer Kultur, ge­ schweige denn zu einer höheren Kultur vorhanden war. Die ersten Einwohner von Südamerika sind durchweg Primitive gewe­ sen. Das ergab sich aus ihrer Hinterlassenschaft, aus der die Forscher stei­ nerne Waffen, Schabmesser und primitiven Schmuck bargen. Andere Spu­ ren findet man auf großen Felsen und Steinen eingehauen: unbeholfene Darstellungen von Menschen und Tieren, Umrisse von Vögeln, Schlan­ gen, Eidechsen und Raubtieren, Hände und Köpfe, Schildkröten, Kreise. Sonnen und Kreuze. Trotz ihres primitiven Stadiums aber haben diese Menschen der Neuen Welt auch eine Kultur geschaffen: die der Steinzeit. Sie brachten mit was sie aus ihrer Heimat schon kannten und was sie sich in den Tausenden von Jahren ihrer Wanderung neu angeeignet hatten. So sind Blasrohr und Giftpfeil, Tätowierung, Lippen-, Nasen- und Ohrenschmuck, Schä­ 278

deldeformationen, Maskenzauber, alte Riten und Mythen von einer Seite des Pazifiks auf die andere gelangt. Jahrtausendelang blieben diese pri­ mitiven Völker der Neuen Welt auf ihrem Kulturstand stehen, und es zeigt sich auch nirgends der Ansatz zu einer Hochkultur - bis diese ganz plötzlich aus dem primitiven Vorstadium heraus erscheint: in Chavin.

Stele von Secchin mit Danzantes-Typus

Der Raimondi-Monolith von Chavin

*79

Rekonstruktion der indianischen Geschichte »Dem diese Kultur ist das einzige Beispiel für einen gewaltsamen Tod. Sie ver­ kümmerte nicht, sie wurde nicht unterdrückt oder gehemmt, sondern in der vollen Pracht ihrer Entfaltung gemordet, zerstört wie eine Sonnenblume, der ein Vorübergehender den Kopf abschlägt.«

Oswald Spengler, »Der Untergang des Abendlandes«

Der Einfluß Ostasiens

Es wäre eine geradezu phantastische Annahme, so schwierige Erfindun­ gen wie die Töpferei, die Weberei mit der Ikat- und Batiktechnik, die Legierung von Kupfer und Zinn zu Bronze, die hohe Kunst der Granu­ lation, der Guß in verlorener Form, die Alaunbeize und andere wesent­ liche Errungenschaften der indianischen Kultur könnten in der Neuen Welt noch einmal gemacht worden sein. Alle diese Errungenschaften be­ dingen, jede für sich, eine lange Reihe von Teilprozessen, die von den Indios nicht nur alle neu, sondern dazu auch noch in der richtigen Reihen­ folge erfunden worden sein müßten. Ebenso phantastisch wäre die Annahme, die kosmologischen Vorstel­ lungen der Indios, ihre Vorstellungen über die Weltalter, über Gut und Böse, über Himmel und Hölle, ihre Staatsverfassung mit den vier höch­ sten Ministern, ihre vier Weitenden mit den dazugehörigen vier Welt­ farben, ihr Kalendersystem, ihre Spiele, die alle bis in die kleinsten Einzel­ heiten mit den altweldichen übereinstimmen, seien ganz selbständig in der Neuen Welt noch einmal entstanden. All dies ist einmal von außen her in die Neue Welt gebracht worden. »Soviel auch in den bisherigen Ergebnissen noch hypothetisch sein mag«, schreibt Robert Heine-Geldern 1955, »daß die Hochkulturen Amerikas sich in engem Kontakt mit jenen der Alten Welt entwickelt haben, kön­ nen wir bereits als gesicherte Tatsache ansehen.« 280

Der älteste Einfluß von Asien her kam aus der Chou-Kultur Nord­ chinas, aus den Reichen Wu und Yüeh und beginnt etwa um 700 v. Chr. Er dauerte bis gegen 400 v. Chr., als der Wu-Staat durch die Yüeh er­ obert wurde, die selbst 333V. Chr. den Ch’u erlagen. Die älteste Beeinflussung traf in der Neuen Welt vor allem auf die Kultur von Chavin und die darauffolgende Salinar-Kultur an der peru­ anischen Küste. Was die Menschen aus China einst in die Neue Welt brachten, war vermutlich die Kenntnis des Goldes und seiner Verarbeitung, einschließ­ lich der chinesischen Motive. Es war, wie Heine-Geldern vermutet, wohl auch die Weberei, die zum ersten Male in der Neuen Welt auftritt, die Musterungstechnik des Plangi, Ikat und Batik, es waren die Panflöte und vielleicht sogar die Konstruktion der Balsaboote des Titicacasees, die ähnlich gebaut sind wie die Chinas und Formosas und Ägyptens. Unmittelbar im Anschluß daran folgte eine zweite Welle aus Ostasien, die so starke Einflüsse hinterließ, daß Heine-Geldern sie nur durch eine Niederlassung erklärt wissen will. Sie kam diesmal von einer anderen chinesischen Kultur: der von Dongson, Tongking und Annam. Die Ein­ flüsse begannen etwa 400 v. Chr. und endeten um 100 n. Chr. Vor allem die Küsten der Neuen Welt in Peru, Kolumbien, Panama, Costa Rica und Honduras wurden von ihnen erfaßt, weniger dagegen Mexiko und das Gebiet der Maya. Die Menschen aus dieser Dongson-Kultur sollen nach Heine-Geldern vor allem die Metalltechnik in die Neue Welt gebracht haben, alle jene Errungenschaften der Indios der Neuen Welt, die sich gerade zu der an­ geführten Zeit erstmalig an der Peruküste nachweisen lassen. Als die Dongson-Kultur kurz nach der Zeitwende unterging, sind die Fahrten über den Pazifik fortgesetzt worden, nun von den hindu-bud­ dhistischen Kulturen Hinterindiens und Indonesiens. Diese Menschen trafen auf die Reiche der Maya. Ihre Fahrten müssen bis gegen 1200 n. Chr. angedauert haben, bis zum Untergang der Khmer-Kultur. Was sie in die Neue Welt einführten, waren vor allem religiöse Begriffe, Baustile, Dekorationen und Staatseinrichtungen ihrer Heimat. Die Kulturübertragungen aus Ostasien beginnen um 700 v. Chr. in dec ältesten Kultur der Indios - Chavin - in Südamerika. Sie sind durch alle südamerikanischen Kulturen nachweisbar, werden aber-nach der Zeiten­ wende — besonders deutlich in den mittelamerikanischen Kulturen, wo sie erst 1200 n. Chr. aufhören.

281

Die älteste Kulturübertragung aus den Reichen Wu und Yüeb in Nordchina in die neue Welt Sie erfolgte

Nachweisbar in der Neuen Welt

Herkunft der Menschen

Was sie mitgebracht haben

700 v. Chr.

Chavin

Chinesische Chou-Kultur, 700 v. Chr.

Weberei, Gold, chine­ sische Motive, Goldar-

500 v. Chr.

Salinar, Peru­ küste

Spät-Chou-Kultur Chinas

500 v. Chr.

Mochica oder Proto-Chimu, Peruküste

Chou-Kultur, aufhörend 333 v. Chr. Chou-Kultur

Motive wie verschlun­ gene Schlangendrachen mit sichelförmigen Flü­ geln Motive, Goldarbeiten

Gallinazo, Peru

Gold

v. Chr. Die Übertragung aus der Dongson-Kultur Südchinas

400 v. Chr.

Reiche der peru­ anischen Küste

Dongson

bis 100 n. Chr

Tiahuanaco

Dongson

Kenntnis des Kupfers, Guß in verlorener Form, Granulation, Legierung von Gold und Kupfer, Metallfärbung Kenntnis der Bronze, Bronzemuster?

Die jüngeren Beziehungen zwischen Ostasien und den Indios

n. Chr.

800—1100

n. Chr.

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alte Maya, Yucatan

Indische Kolo­ nialkulturen von Hinterindien und Indonesien, bes. Amarävati

Stilisierte Lotosblume, Seeungeheuer Makara, Weltrichtungen, Welt­ alter, Staatseinrichtun­ gen, Fächer, Sänfte, Pachisi-Spiel

neues Reich der Maya (PuucStil)

Kambodscha, Hinterindien, Khmer-Kultur

Halbsäulen als Türrah­ men, als Fassadenfüllung

Chichen Itza

Khmer-Kultur bis zu deren Untergang kurz nach 1200

An einer Übertragung von vielen Kulturelementen aus Ostasien in die Neue Welt kann also nicht mehr gezweifelt werden. Es kommt dazu noch eine ganze Reihe von weiteren Übertragungen, die Heine-Geldern neuerdings zusammengestellt hat, wie bestimmte For­ men von Doppelspiralkopf-Nadeln, Nadeln mit Tieren als Kopf, mit dop­ peltem Tierkopf, Gürtelschließen, Doppeltier-Protome, die sich bis auf die kleinsten Einzelheiten sowohl in der Neuen Welt (vor allem in Peru und Bolivien) und im Gebiet der Hallstatt-Kultur Europas, im Nord­ kaukasus, in Koban und Luristan finden. Sie können gar nicht anders als durch Übertragung in die Neue Welt gelangt sein. Alle diese Elemente weisen nun ganz eindeutig auf ein Gebiet hin, von dem diese Übertragung ausgegangen sein muß: auf die Kulturen um den Mittelmeerraum. Die meisten der in der Tabelle genannten Beispiele, wie die Technik des Bauens, Ikat, Batik, Granulation, sind Kulturelemente der Alten Welt.

Die Pontische Wanderung Wie aber soll das erklärt werden? Heine-Geldern hat erst vor einigen Jahren nachweisen können, daß viele Errungenschaften des Femen Ostens etwa um 700 v. Chr. durch eine Völkerwanderung, die von dem Raum Kaukasiens ausging und die er die »Pontische Wanderung« nennt, nach China übertragen wurden. Diese Völkerwanderung hat sich beim Erreichen Chinas in drei Ströme gespalten; ein Strom ging ins Ordosgebiet, einer an den Hwangho und den Jangtse und der größte nach Jünnan und Nordost-Hinterindien, wo er die Dongson-Kultur ins Leben rief, die später von Indonesien bis nach Neuguinea reichte. Aus den Elementen, die damals auf China übertragen wurden, läßt sich schließen, daß an dieser Wanderung Illyrer, Thraker, Kimmerer, kauka­ sische Stämme, germanische Stämme und Völker aus dem Raum des öst­ lichen Mittelmeeres teilnahmen. So ist ja z. B. die Ikattechnik Ostasiens eine genaue Kopie des griechischen geometrischen Stils. Aus dem Endbereich dieser Völkerwanderung sind dann später die Be­ rührungen mit der Neuen Welt gekommen (Dongson). Daher findet man ganz genau dieselben Nadeln mit seitlicher Öse in drei Gegenden der Erde, Ärmchenbeile und Tüllenbeile, sternförmige Keulen, S-förmige Doppelspiralen-Pinzetten, Glöckchen-Perlschnurmotive, Schnurmotive 283

Die »Pontische Wanderung« (nach Robert Heine-Geldern)

und Spiegel, alles bis ins kleinste Detail übereinstimmend: nämlich ein­ mal in der Kultur von Hallstatt, vom Kaukasus und bei den Phöniziern, das zweite Mal in Ostasien in der Kultur von Dongson und Chou und das dritte Mal in der Neuen Welt: in Ecuador, Peru, Kolumbien und Panama und besonders in der Kultur der Mochica, der Chiriqui in Pa­ nama und der Chibcha. Auf demselben Weg sind vermutlich auch einige der Techniken der Weberei (Ikat, Batik, Plangi) und der Metallverar­ beitung (Granulation) nach Amerika gelangt. Sie waren von jeher den alten Völkern des Mittelmeerraumes vertraut. Damit aber können wir nun eine ganz erstaunliche Tatsache feststellen: Alle Kulturelemente aus Ostasien, die in die Neue Welt übertragen wur­ den, stammen eigentlich aus demselben Raum wie jene, die wir als über­ tragen aus der Alten Welt ansahen, und zwar aus den Kulturen des Kaukasus und denen um das Mittelmeer, aus den Donauländem und aus Südrußland. Und damit kommt die Kardinalfrage: Sind denn die Kulturübertragun­ gen, die wir in der Neuen Welt feststellen konnten, alle diesen Weg 284

gegangen und tatsächlich nur über Ostasien in die Neue Welt gelangt? Gibt es nicht einen viel näher liegenden Weg vom Mittelmeer in die

Neue Welt als den über China? Sehr viele derjenigen Kulturelemente, die wir als Übertragung aus der Alten Welt ansahen - die zyklopischen Bauten, die Pyramiden, den Obelisken, den Obolus für Charon, den hundeköpfigen Gott, das Dezi­ malsystem, den Asphalt, die Waage, die Mumien, den zwölfmonatigen Kalender -, waren eben nur im Mittelmeerraum bekannt. Wir können heute mit Sicherheit sagen, daß der Weiße Gott der Indios einst aus der Alten Welt kam, nicht aus Ostasien. Er brachte sogar die kretische Schrift in die Neue Welt, und sie kann unmöglich den Weg über Ostasien ge­ nommen haben. Denn damals, als die ersten Chinesen Amerika fanden, war Kreta bereits seit 700 Jahren tot. Der Weiße Gott aus Kreta war auch der erste, der einst Amerika fand. Das muß fast ein Jahrtausend vor der ersten Berührung mit Ostasien gewesen sein. Damals nämlich, als er kam, müssen in seiner Heimat noch die Pyramiden, der Obelisk und die Mumifizierung und alle anderen Dinge lebendig gewesen sein. Und: Hätten denn die primitiven Indios einen Chinesen, wenn er als erster zu ihnen gekommen wäre, als Weißen Gott mit Bart begrüßt? So groß ist auch heute noch nicht der Unterschied zwischen einem Indio und einem Asiaten. Beide gehören sie zu den asiatischen Rassen, die nur einen spärlichen Bartwuchs aufweisen.

Links: GürtelsMieße in Bronze aus Kaukasien, redits: versilberte, K Schmuckstück, Trujillo, Peru (nach Heme.nrlAe^ les Kupf"-

i

285

Für die Kulturen Südamerikas läßt sich heute schon eine einigermaßen

sichere Datierung anführen, die in allen Fällen auf Radiocarbonmessun­ gen beruht.

Südamerikanische Hochkulturen (Auszug) Ab ioo v. Chr.

Ab ioo v. Chr.

Ab 400 n. Chr.

Ab 1050 n. Chr.

Ab 1100 n. Chr.

Ab 1200 n. Chr.

Um 1400 n. Chr.

286

Die Weißen Götter in der Neuen W eit •Da die Götter menschlicher noch waren, waren Menschen göttlicher.«

Friedrich von Schiller

Die Bilder des Weißen Gottes

Menschen einer anderen Rasse, die er nie gesehen hat, kann der phan­ tasiereichste Künstler in seinen Kunstwerken, auf Fresken und in Statuen, nicht darstellen. Jedes Volk bildet deshalb nur die Menschen seiner eige­ nen Art, seiner eigenen Rasse ab. Nur die indianischen Kulturen sind eine Ausnahme von dieser Regel. In den Tausenden von Bildern, die uns hinterlassen wurden, haben sie, neben typisch indianischen Menschen, auch solche dargestellt, die keine Indios waren, sondern Typen der weißen Rasse und auch — Neger. Diese steinernen Bilder finden sich in Mexiko schon bei den Olmeken, hier besonders häufig und klar erkennbar. Die Statuen zeigen so über­ zeugend einen bestimmten Menschentyp, daß schon die ersten Betrachter Menschen aus Ländern außerhalb Amerikas zu sehen meinten. Diese Menschendarstellungen sind plump, häufig korpulent, sie haben breite Schultern, kurze Arme und Beine. Ihre runden Köpfe zeigen eine ge­ wölbte Stirn, der Nacken ist breit und derb, die Nase platt. Die Lid­ spalten sind häufig, aber nicht immer, schräg gezogen. Bei den Maya in Chichen Itza findet sich nicht nur der sitzende alte Priester, den man als den Weißen Gott anspricht, auf einem Relief, son­ dern eine ganze Reihe weiterer bildlicher Darstellungen zeigt den wei­ ßen, bärtigen Mann, der die charakteristischen Züge der kaukasischen Rasse trägt. Noch deutlicher wird das in Tiahuanaco in Peru. Im sogenannten 287

Recinto menor, dem alten Thronsaal, hingen einst steinerne Masken an den Wänden, von denen einige Bart und Turban tragen. Diese Masken sind heute im Museum von La Paz aufbewahrt. Aus einem alten Tempel, der einst zum Reich von Tiahuanaco gehörte, wurde der Steinkopf eines Menschen geborgen, der wohl einen der Wei­ ßen Götter darstellt. Seine Züge sind überzeugend europäisch. Auch im Reiche der Chibcha finden sich Statuen weißer Menschen, de­ ren Typus ganz unindianisch ist. Nirgends trifft man hier auf die Haken­ nase der Azteken und der Maya oder die Augen der Mongolen. Diese Menschen tragen ihr Haar lang. Sie haben gut ausgebildete, gerade oder leicht nach innen gebogene Nasen und enge Nasenlöcher. Ihre Augen sind groß und voll. Es sind die gleichen Typen, die auch die Olmeken dargestellt haben, sogar mit Helm und Ohrenklappen. Die Künstler, die alle diese Abbilder schufen, müssen den weißen Men­ schentyp gekannt haben. Aus der Phantasie oder allein nach Berichten kann kein Künstler etwas der Wirklichkeit entsprechend gestalten, wenn er es nicht selbst gesehen hat. Das klassische Beispiel dafür ist jene ver­ unglückte Zeichnung des Nashorns von - Albrecht Dürer. Die Indios haben in einem ihrer Fresken einen Neger abgebildet. Sie müssen ihn also gekannt, mit eigenen Augen gesehen haben. Von sich aus hätten sie gewiß nicht auf den Gedanken kommen können, daß es Men­ schen mit schwarzer Hautfarbe gibt. Auf einem Fresko in Chichen Itza ist aber deutlich ein Negerkopf mit allen Merkmalen der schwarzen Rasse dargestellt. Kaum anzunehmen, daß dieser Neger aus Ostasien zu den Indios gewandert und gesegelt ist. In Ostasien gab es keine Neger. Ist er einst mit den Weißen Göttern über den Atlantik gefahren?

Die Weißen Götter mußten unsterblich sein

Der Weiße Gott hat sich von seinem Volk abgewandt, er ist fort­ gezogen, aber er hat versprochen, einst wiederzukehren. So erzählen es die indianischen Mythen. Das mag nur eine Fabel sein. Gott ist unsterb­ lich. Sonst wäre er nur Mensch. Auch die Weißen Götter mußten un­ sterblich sein. Als sie dann aber dennoch starben, wurde ihr Tod dem Volke ver­ schwiegen. Die Priester setzten sie heimlich in Prunksarkophagen unter 288

den Pyramiden bei. Dem Volke aber erzählten sie, der Weiße Gott sei über das Meer davongefahren, habe aber versprochen wiederzukehren. Diese Erzählung finden wir immer wieder in den Chroniken, so in der Sage vom König Naymlap. Als er starb, verheimlichten die Priester dem Volk seinen Tod. Er sei gen Himmel gefahren, verkündeten sie, nachdem er sich von ihnen verabschiedet und einen Nachfolger ernannt habe. Seine Gebeine aber wurden heimlich in einem Grab beigesetzt, das unter dem Palast lag, den er zu seinen Lebzeiten bewohnt hatte. So verfuhr man schon bei schlichten Königen. Und wieviel mehr mußte man dem Volk den Tod seiner Weißen Götter verheimlichen! Er ist davongefahren ... Aber er wird einst wiederkehren ... Dieser Mythos von der Wiederkehr der Weißen Götter, ihrer Wohltäter, wurde vom Volk begierig aufgenommen. Die Menschen glaubten daran; sie warteten sehnsüchtig auf die Wiederkehr. Und damit haben die Priester ungewollt den Keim zum Untergang ihrer Reiche gelegt. Die Weißen Götter kehrten wieder. Aber es waren Abenteurer und Söldnerbanden eines kriegerischen europäischen Zeitalters - sehr verschieden von den einstigen Gottkönigen. Das Volk glaubte an das Weiterleben der Weißen Götter. Von ihrem Tod erfuhr es nichts. Ist es da verwunderlich, daß die Grabkammern der Weißen Götter geheim waren? Daß durch die Pyramiden nur ein ver­ borgener Gang zu der kleinen Grabkammer führte, die vor dem Volk geheim bleiben mußte... ? Überall im Abendland ruhen in den Prunksarkophagen die toten Kör­ per der Gottkönige, in schwer zugänglichen Grabkammem verborgen. Nichts deutet darauf hin, daß es in der Neuen Welt anders gewesen ist, daß auch in den Prunksarkophagen der indianischen Reiche die - eben doch - sterblichen Überreste der Gottkönige verborgen ruhen. Von einem einzigen solchen Grab in der Neuen Welt wissen wir genau, wer darin liegt. Es ist das Grab des Vaters des Quetzalcoad. Sein Sohn, der weiße, der bärtige Gott, besuchte, wie die alten Chroniken erzählen, im Jahre 1164 das Grab seines Vaters. Es lag unter einer kleinen Pyra­ mide, aus der im Laufe der Jahrhunderte ein Hügel wurde. Diesen heiligen Hügel fanden siebenhundertfünfzig Jahre später, im Jahre 1910, die beiden Archäologen M. Mervin und A. Tozzer. Den »ersten« Weißen Gott, der aus der Megalithkultur kam, hat man um 1700 v. Chr. bestattet. Vom »zweiten« Weißen Gott, der in christ­ licher Zeit erschien, wissen wir, daß er 999 n. Chr. starb. Dieser »Weiße König« der Tolteken war vielleicht ein irischer Mönch aus jener Kolonie

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der Iren in der Neuen Welt, von deren Existenz man Belege hat. Das sogenannte »Hvritamannaland« wird für etwa 900 n. Chr. in den islän­ dischen Sagas beschrieben. Man vermutet, daß es in Florida lag. Dieser weiße Mann aber konnte von Florida aus Mexiko auch auf dem Land­ weg erreicht haben. Der alte Weiße Gott, der Megalither, hatte einst den viel längeren Weg aus dem Mittelmeer nehmen müssen. Wer daran zweifelt, daß jene kretischen Seefahrer mit ihren hochent­ wickelten technischen Fertigkeiten, ihren Kenntnissen auf vielen Gebieten von den Primitiven der amerikanischen Steinzeit als »Weiße Götter« aufgenommen wurden, sei an eine Geschichte erinnert, die sich vor kaum einem Menschenalter zugetragen hat. Orelio der Erste war der »Weiße Gott« der Araukanier, König von Patagonien und Araukanien, sein Volk ein kriegerischer Indianerstamm im südlichen Chile. Seit alters waren sie Maisbauem wie ihre Nach­ barn in Peru und bewässerten ihre Felder durch ein kunstvolles System. Vom Joch der Inka hatten sie sich freigehalten und leisteten auch den Eroberern der Konquista heftigen Widerstand, als Valdivia ihre Nieder­ werfung betrieb. Als das Pferd in die Steppen des Landes eindrang, wur­ den sie ein kühnes Reitervolk, das sich ständig im Kampf mit den Chi­ lenen befand. Bei diesem Volk erschien in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ein französischer Advokat namens Tounens, der, um 1820 in Chourgnac bei Perigueux geboren, Anlaß hatte, die nähere Bekanntschaft mit den Behörden seiner Heimat zu meiden. Mit Ausdauer und Entschlossenheit gewann er das Vertrauen der Araukanier und wurde ihr König. Auf einer Inspektionsreise durch sein Steppenreich wurde er 1862 bei einem Überfall durch die Chilenen gefangengenommen, die ihn für geistesschwach erklärten und dem französischen Konsul in Conception zur Heimbeförderung übergaben. Sein Volk wählte sich einen neuen König und setzte den Krieg gegen Chile fort, bis es 1870 schließlich un­ terworfen wurde und Frieden schloß. Da griff der tapfere Orelio ein und stieß von Argentinien aus mit einer Schar von Gauchos und Franzosen, einem Abenteurerhaufen, wieder zu den Araukaniern. Der Kampf begann von neuem, und Orelio eilte sogar nach Paris, um Napoleon III. um Beistand für das tapfere Volk in den Weiten Patagoniens zu bitten. Der Deutsch-Französische Krieg setzte seinen Hoffnungen ein Ende. Er beschloß sein Leben in Paris - nicht ohne einige Bücher über seine Abenteuer hinterlassen zu haben. Im 17. Jahrhundert vor der Zeitenwende haben die Minoer von Kreta 290

Bärtige Männer auf einem Goldbecher der kretisdi-minoisdien Kultur

aus ihre Seeherrschaft über das Mittelmeer aufgeriditet, die Phönizier und die Griechen kamen erst wesentlich später hinzu. Diese Zeit, als Kretas Flotte die seebeherrschende Macht der Alten Welt war, entspricht jener, in der der Weiße Gott über den Ozean kam. Lange hat man den alten Völkern diese nautischen Leistungen nicht zu­ erkennen wollen. Erst aus der Zeit der römischen Kaiser, also im zweiten nachchristlichen Jahrhundert, sind große nautische Leistungen genauer überliefert. Zu dieser Zeit gab es bereits einen regelmäßigen Schiffsver­ kehr nach Vorderindien und nach Indochina quer über den Golf von Bengalen. Arabische Seefahrer sind bis an die malaiische Inselwelt und wahrscheinlich bis nach China gelangt. Es gibt keinen Grund zur An­ nahme, daß Kreter und Phönizier ihnen mit ihren Fahrten nach Westen nachgestanden haben. Der deutsche Arzt und Sportsmann Dr. Hannes Lindemann hat durch seine zweimalige Überquerung des Atlantiks in einem Negereinbaum und im Serienfaltboot gezeigt, daß bei gutem seemännischem Können durch Ausnutzung der Passatdrift die Überfahrt in die Neue Welt selbst in Kleinbooten möglich ist. Wie der Monsun den Seefahrern des Indi­ schen Ozeans bekannt gewesen ist, dürfte auch der Passatwind im Atlantik von kühnen und unternehmenden Männern schon früh genutzt worden sein. Seine Drift führt zu den Inseln des westindischen Archipels und von dort aus zu den Küsten des nördlichen Südamerika und Mexikos. Dort sind einmal bärtige Männer an das Land gestiegen - drei Jahrtausende bevor Kolumbus 1492 das große Abenteuer für unser Zeitalter erneuerte. Wenn die alten Seefahrer eine so wunderbare Entdeckung gemacht ha­ ben, als sie die Neue Welt fanden, dann ist es eigentlich auch recht ver­ ständlich, daß sie mit allen Mitteln versuchten, ihre Entdeckung vor der Konkurrenz geheimzuhalten. 291

Die Phönizier jedenfalls, die weit über das heutige Gibraltar hinaus­ gekommen sind, müssen irgend etwas im Atlantik zu verbergen gehabt haben. Denn sie haben lange Zeit hindurch diese Ausfahrt aus dem Mittel­ meer für die griechischen Schiffe gesperrt. Noch Aristoteles gibt an, der Senat von Karthago habe jede Schiffahrt nach der großen unbekannten Insel im Atlantik bei Todesstrafe verboten. Kannten die Phönizier schon die Neue Welt? Ordnen wir nach diesem Gang durch die alten indianischen Kulturen die alten Reiche, so wie sie aufeinander gefolgt sind, so sehen wir eine der eigenartigsten Parallelen in der Geschichte der Welt: Zwei Zentren der Hochkultur gab es in der Neuen Welt, eines in Mesoamerika und eines in Peru. Sie sind durch tausende von Kilometern getrennt und doch ist ihre Geschichte in großen Zügen fast gleich. In beiden Reichen beginnt alle höhere Kultur in einem Zentrum; in Mesoamerika bei den Olmeken, in Südamerika im Reich von Chavin. Aus beiden Anfängen entstehen zwei gewaltige Priesterstädte in Meso­ amerika Teotihuacan und in Südamerika Tiahuanaco, beide so gigantisch, daß die Legenden nur Riesen als Erbauer zu nennen wissen. Beide Priesterreiche gehen unter, junge kriegerische Indianerstämme brechen wie ein Sturmwind über die alten Reiche der Priester herein in Südamerika wie in Mesoamerika. Gaukönige, Kriege, Bürgerkriege, Eroberungen und Niederlagen hier wie da. In geschichtlicher Zeit erfolgt die Vereinigung in zwei großen Rei­ chen, das der Azteken und das der Inka. In beiden Reichen aber lebt der Mythos vom Weißen Gott, der versprach, einst wiederzukehren. In bei­ den Reichen lähmendes Entsetzen, als wirklich die weißen Männer lan­ den. In beiden Reichen die tiefe Tragik des Untergangs der alten Kultu­ ren, dessen Wurzel der Glaube an den Weißen Gott war.

Ornament von Gran Pajatén

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Ein alter Gummisammler schrieb ein Buch »Und Salomo machte auch Schiffe zu Ezeon-geber ... Und Hiram sandte seine Knechte im Schiff, die gute Schiffsleute und auf dem Meer erfahren waren, mit den Knechten Salomos. Und sie kamen gen Ophir und holten daselbst vier­ hundertzwanzig Talente Gold und brachten es dem König Salomo.«

i. Könige 9, 26—28 »Denn die Tharsisschiffe des Königs, die auf dem Meer mit den Schiffen Hirams fuhren, kamen in drei Jahren einmal und brachten Gold, Silber, Elfenbein, Affen und Pfauen.« .

1. Könige 10, 22

Phönizier im Urwald?

In einer der großen Bibliotheken von Sao Paulo steht eines der kuriose­ sten Bücher, die es überhaupt gibt, und eines der seltensten zugleich, obwohl es nur etwa vierzig Jahre alt ist. Es ist nur noch in wenigen Exem­ plaren vorhanden, einfach deshalb, weil die Empfänger, denen es seiner­ zeit zugestellt wurde, es alsbald in den Papierkorb wandern ließen. Die Behauptungen des Verfassers hörten sich allzu phantastisch an. Dieses kuriose Buch hat ein alter Gummisammler geschrieben. Es ist zwar in portugiesischer Sprache verfaßt, trotzdem aber kaum zu lesen, jedenfalls nicht wie sonst ein Buch. Es enthält Zeichnungen von Tieren und von Scherben, ohne jede Erklärung. 1500 Abbildungen, Zeichnungen und Fotografien stehen in einem wüsten Durcheinander, ohne Nummer und Reihenfolge. Im Text wird auf Abbildungen verwiesen, die es über­ haupt nicht gibt. Dennoch ist es ein höchst interessantes Buch. Sein Thema sind die Felszeichnungen und Felsinschriften im Amazonasgebiet. Steine und Felsblöcke sind fotografiert und noch einmal gezeichnet, In­ schriften und Buchstaben, Tiere und Dämonen, Katzenwesen, Götter­ gestalten und mythische Ungeheuer erscheinen auf den Abbildungen. Das wäre noch nicht einmal so seltsam. Viel seltsamer ist, daß jede dieser Zeichnungen und Inschriften über und über mit den Buchstaben des phönizischen Alphabets bedeckt ist, denn der alte Gummisammler »las« diese Zeichnungen, wie wir ein Buch lesen. Die Umrißzeichnung eines Vogels etwa löste er in phönizische *93

Buchstaben auf; der Schnabel wurde zu einem Buchstaben, jede Feder, jede Kralle zu einem anderen. So kam er zu ganzen Texten, die in seinem Buch einmal auf phönizisch und dann in portugiesischer Übersetzung zu finden sind. Und alle diese Texte des alten Gummisammlers lassen er­ kennen, daß die wilden Indios des Amazonas an gar nichts anderes ge­ dacht haben können, als immer wieder den Gott Zeus anzurufen, denn dieser Gott kommt in allen »Lesungen« vor. Das aber ist für wilde Indianer am Amazonas eine Annahme, die ebenso seltsam ist wie der Autor, der einst jenes Buch schrieb. Dieser Mann, Bernardo da Silva Ramos, hat jahrzehntelang den Dschun­ gel durchstreift, ein einfacher Mensch ohne jede höhere Bildung. Er hat seine engen Pfade in die Wildnis geschlagen zu den Gummibäumen, hat ihre Rinde angeschabt und die kleinen Sammelbecher darunter gehängt, um den Gummisaft aufzufangen. Täglich hat er seine Runde zu den Bäu­ men gemacht, um den Saft zu holen. Dann räucherte er in seiner elenden Hütte aus Palmstämmen, mit einem Dach aus Bananenlaub, den Gummi­ saft über offenem Feuer und wanderte jeden Sonntag zur Venda, wo er seine Gummibälle verkaufte. Das hat er jahrzehntelang so gemacht. Er hat geschuftet und gespart, bis er Gummiaufkäufer wurde. Und er hat sich dann als einer der weni­ gen Gummisammler, die die Grüne Hölle überlebt haben, ein beträcht­ liches Vermögen erworben. Jetzt, als wohlhabender Mann, konnte er seinen alten Plan verwirklichen: Er ging unter die Altertumsforscher. Im Dschungel war er immer wieder auf Felskritzeleien und große Steinmäler gestoßen, die vor ihm kein Mensch gesehen hatte. Steine mit seltsamen Zeichnungen, Buchstaben und Inschriften. Er durchstreifte den Dschungel noch einmal. Diesmal aber suchte er nicht nach Gummi, sondern fotografierte und zeichnete, was er an Über­ resten alter Kulturen finden konnte. Noch als weißhaariger Mann stand er oft tagelang im Dschungel bis zum Leib im Schlamm, um die Zeich­ nungen auf den Steinen festzuhalten, die das Wasser verbarg. Die Buch­ staben auf seinen Fotografien und Zeichnungen verglich er mit Inschriften auf alten Münzen der europäischen Welt, und er glaubte Zusammen­ hänge zu erkennen. Als dann der Rabbiner von Manäos eines Tages ebenfalls erklärte, diese Zeichen seien zweifellos phönizische Inschriften, da stand es für den alten Mann fest, es seien die Phönizier gewesen, die einst diese Zeichen in die Felsen gegraben hatten. Von dieser Idee wurde der alte Ramos ganz besessen. Ihr opferte er sein ganzes Vermögen. Und darüber schrieb er jenes kuriose Buch. *94

Steininschriften aus dem Amazonasgebiet. Die Buchstaben wurden von Ramos hinzugefügt

Lange vor Bernardo da Silva Ramos kamen andere brasilianische Rei­ sende und Forscher zum Amazonas und in andere Landschaften Brasiliens. Überall fanden sie auf Felswänden und Steinen alte Inschriften. Sie alle haben über ihre Funde berichtet, so daß heute eine ganze Bibliothek mit ihren Beschreibungen angefüllt ist. Alle diese Forscher aus der Zeit von 1850 bis 1910 waren felsenfest davon überzeugt, daß die Inschriften auf jenen Steinen der Grünen Hölle phönizische Texte seien. Sie sahen es als erwiesen an, daß einst König Salomo (975 bis 935 v. Chr.) den Amazonas mit seinen Schiffen befahren hat. Sie alle glaubten, daß die Goldländer Ophir, Tarschisch und Parvaim gar nicht in der Alten Welt zu suchen seien, sondern hier im Gebiet des Amazonas, am Rio Solimoes, dem »Fluß Salomos«. 295

erika

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en ide crge-

Jene alten Reisenden und Forscher, die den Spuren des alten Gummisammlers nadigingen, wurden freilich meist nicht ernst genommen. Die Deutungen, die sie den Inschriften und den Zeichnungen auf den Steinen am Amazonas gaben, wurden belächelt. Eines aber hat die Wissenschaft der ganzen Welt bis heute übersehen: Als man von der Deutung der alten Autoren (mit Recht) abrückte, da hat man nicht nur die Deutung bei­ seite geschoben, sondern auch die Funde selbst. Ein Stein aber bleibt ein Stein, ein Fundstück bleibt ein Fundstück, wenn seine Deutung auch noch so falsch ist. Und wer die Zeichnungen der alten Forscher und Autoren von diesen Fundstücken her betrachtet, sieht auf den ersten Blick, daß dort eine Schrift der Alten Welt ein­ gegraben ist. Aber es ist nicht die phönizische Schrift. Jetzt ist es über hundert Jahre her, daß die Forscher diese seltsamen, rätselhaften Steine am Amazonas fanden. Der Dschungel hat sie längst wieder überwuchert. Aber es muß gelingen, sie wiederzufinden. Denn diese Steine sind Mäler, die vielleicht über den Weg der Weißen Götter berichten können, weil sie ihre Schrift tragen. Um 1500 v. Chr., als die Kreter die Neue Welt zuerst gefunden haben müssen, war die Durchquerung des riesigen südamerikanischen Konti­ nents so gut wie ausgeschlossen. Aber sie dürften an jenen Stellen ge­ landet sein, wo auch die späteren Entdecker die Neue Welt fanden. Lag hier in dem unermeßlichen Dschungel irgendwo an den gewaltigen Strö­ men des Orinoko oder Amazonas ihre erste Siedlung? Wir wissen es nicht. Keine Spur weist den Weg.

Das Geheimnis der Grünen Hölle »Das alles ist ein Geheimnis, über das die Zeit einen undurchdringlichen Schleier geworfen hat — einen Schleier, den keine sterbliche Hand zu lüften vermag.«

William H. Prescott

i Versunkene Städte

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Als die Männer der spanischen Konquista alles Gold geraubt hatten, das nur zu finden war, suchten sie dennoch nach mehr. Sie hatten von den Indios eine Legende gehört, die ihre Gier immer weiter steigerte: die Sage von einem Dorado, einem Goldland. »Manoa befindet sich auf einer Insel in einem großen Salzsee. Seine Mauern und seine Dächer sind aus Gold und spiegeln sich in einem goldgepflasterten See. Das ganze Geschirr des Palastes, für die Tafeln und für die Küche, war aus purem Gold und Silber, und sogar für die allerunbedeutendsten Dinge verwandte man Kupfer und Silber. In der Mitte der Insel stand ein der Sonne geweihter Tempel. Rund um diesen Tempelbau waren Statuen aus Gold errichtet, welche Riesen darstellten. Es gab auf der Insel auch Bäume aus Gold und Silber. Die Statue eines Fürsten war ganz mit Goldstaub bedeckt...« So beschreibt Francisco Lopez in seiner »Historia General de los Indios« die Hauptstadt von Dorado. Es ist die unbekannte Hauptstadt, die irgendwo im Nordwesten des Amazonas, in den Bergen von Parima liegen sollte. Auch Fernando Denis hat diese Stadt in seiner »Historia de la Guyana« erwähnt. Und Hernando deRibeira hat am 3. März 1545 ein Testament hinterlassen, in dem er schreibt, Eldorado liege auf einer Insel in einem großen See, und auf ihr stehe der Tempel der Sonne. Wer diese alten Berichte einmal gelesen hat, der muß glauben, sie seien

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der Phantasie von Goldjägern entsprungen. Vor fast vierzig Jahren fand der englische Forschungsreisende Oberst Fawcett, einer der besten Ken­ ner der Grünen Hölle und ihrer ausgedehnten Randgebiete, in Rio de Janeiro ein bedeutsames Dokument. Es stammte von einem alten Gold­ sucher, der genau beschreibt, wie er einmal in der Grünen Hölle eine jener Städte erreicht hatte. Fawcett nahm diesen Bericht ernst. Er ist im Jahre 1925 von einer Reise in den Amazonas-Urwald nicht mehr wieder­ gekehrt. Sein Schicksal konnte bis heute nicht geklärt werden, obwohl immer wieder Versuche gemacht wurden, an denen sich schließlich vor einigen Jahren auch der Sohn des Obersten beteiligte. Aber alle Nach­ forschungen blieben ergebnislos. Seine Spur ist ausgelöscht. Fawcett hat die Reste einer alten Stadt in der Grünen Hölle wirklich gefunden. Er schrieb darüber: »Daß diese Städte existieren, weiß ich ... Ich zweifle keinen Augenblick an ihrer Existenz. Wie könnte ich? Habe ich doch selbst einen Teil einer solchen gesehen - und das ist der Grund, weshalb ich mich gezwungen fühle, wieder hinzugehen. Die Überreste schienen ein Vorposten einer der größeren Städte zu sein, von deren Auffindbarkeit, zusammen mit der von weiteren, ich überzeugt bin, wenn eine richtig organisierte Suchaktion durchgeführt wird. Leider ge­ lingt es mir nicht, Wissenschaftler so weit zu bringen, auch nur die bloße Vermutung anzunehmen, es gäbe in Brasilien Spuren einer alten Zivi­ lisation ... Eines ist gewiß«, fuhr er fort, »zwischen die äußere Welt und die Geheimnisse des alten Südamerika hat sich ein Schleier gesenkt. Der Forscher, der diesen Schleier zu durchdringen versucht, muß bereit sein. Härten und Gefahren entgegenzutreten, die seine Ausdauer aufs äußerste anspannen werden. Unter Umständen kommt er nicht durch. Sollte es ihm jedoch gelingen - wenn er Glück hat, das Spießrutenlaufen der Wilden zu überstehen und lebend daraus hervorzugehen -, dann wird er in der Lage sein, unsere historischen Erkenntnisse unermeßlich zu fördern.« Aber noch keiner der weißen Forscher hat diese Mauern durchstoßen können. Keiner hat noch die Schwärme der Moskitos und die Giftpfeile der Indios überstanden, durch die der beschwerliche Weg zu dem Ge­ heimnis führt, das die Grüne Hölle birgt. Der erste Reisende am Amazonas, von dem wir wissen, war der Inka­ hauptmann Apo Carnac mit dem Beinamen Otorongo, d. i. Tiger. Ihm befahl der sechste Inka Roca, in die Urwälder zu ziehen, um Papageien und wilde Tiere für die Gärten des Inka zu holen. Der Otorongo stellte eine Truppe von 10000 Mann auf und begann die Expedition. Er stieg 298

am Rio Paucartambo in die Niederung hinab und begann bald das Aus­ maß seiner Unternehmung zu beklagen. Ohne Rücksicht auf Verluste zog er hinein in die unermeßlichen Wälder. Nach langen Monaten ge­ langten die schwachen Reste der stolzen Armee auf eine Lichtung und trafen auf Menschen vom Stamm der Chaucas, die sie aufnahmen und retteten. Als aber der Rückmarsch angetreten werden sollte, wies der Otorongo seine Leute an, ohne ihn fortzuziehen. Er hatte inzwischen Gefallen an einer Tochter des Volkes der Chauca gefunden und zog es vor, auf Rang und Palast in Cuzco zu verzichten. Gonzalo Ximenes ging 1539 mit 300 Spaniern und 500 Indianern in den Urwald, um die alte Stadt des Goldes zu suchen. Er kam mit fünfzehn Mann zurück. Antonio de Berrio kämpfte sich ein Jahr lang mit 1000 Soldaten und 700 Pferden vorwärts. Mit fünfzig Mann entkam er lebend der Grünen Hölle. Von der Expedition, die Bodadilla 1784 mit 400 Mann wagte, kamen nur fünfundzwanzig wieder zurück. Auch alle modernen Expeditionen scheiterten. Schomburgk (1840), Koch-Grünberg (1908), sogar die Expedition von Hamilton Rice, der 1925 mit Wasserflugzeugen und Motorbarken, mit Funkstationen und Maschinengewehren, mit 70 Trägem und Rüderem einen Vorstoß wagte, sie alle mußten aufgeben. 60 Kilometer vor der Serra Parima mußten sie umkehren. Und nicht besser erging es der Expedition des französischen Forschers Homet vor einigen Jahren. Die Indios der Grünen Hölle müssen diese alten Städte kennen. Der Häuptling der Maku hat Homet, der erst vor wenigen Jahren vom Ama­ zonas zurückkam, eine der alten Städte von der Serra Parima geschildert: Gegenüber dem Felsen auf der rechten Seite des Flußufers liegt eine Art Dorf. Die Häuser waren einst aus Stein, jetzt sind sie aber ganz zer­ fallen. Diese Häuser sind in langen Reihen gebaut und durch breite, regelmäßige Straßen getrennt. Wenn du diesen Ort dann verläßt und direkt in jener Richtung weiterwanderst, in der jeden Tag die Sonne untergeht, kommst du nach zwei weiteren Tagen im Bergland an eine hohe Mauer. Du kannst aber nicht hindurch, sondern mußt ein steinernes Tor unter einem großen Bogen suchen, der in die Erde führt. Dann kommst du zu einer großen Stadt aus Steinen, die aber alle auf die Erde gefallen sind. Die Stadt war in geraden Reihen gebaut. Du kannst diesen Reihen folgen, aber gib acht auf jeden deiner Schritte, denn dort, wo einst Wohnungen waren, sind nur noch große Steinplatten, und viele davon wurden von starken Baumwurzeln gesprengt, die zwischen ihnen 299

hindurchgewachsen sind. Und ganz nahe wirst du eine große Menge Wasser finden, und darin ist viel von diesen gelben Steinen und dem Pulver, das ihr Weißen mit solcher Gier sucht.« Es war schon im Jahre 1743, als Francisco Raposo von dem heutigen Staat Minas Geraes in Brasilien aus zum Rio Xingu aufbrach, um die ver­ lorenen Goldminen von Muribeca zu suchen. Er kam dabei auch auf eine Ebene, die von hohen Felsen eingeschlossen war. Einem Wild folgend, erklomm er in drei Stunden einen Gipfel und sah unter sich eine Stadt liegen. Als er hinunterstieg, kam er zu einem riesigen Tor mit drei Bogen, die aus gewaltigen Steinen gefügt waren. Auf dem mittleren Bogen wa­ ren Schriftzeichen eingehauen. Er fand eine mit großen Steinplatten be­ legte Straße mit steinernen Häusern zu beiden Seiten. Und alles war von Pflanzen überwuchert. Die Eingänge waren mit Säulen geschmückt, die dämonische Tiergestalten trugen. Auf einem großen Platz stand die Statue eines Mannes, von der ein Arm nach Norden zeigte. Auf dem Tor eines Palastes konnte Raposo noch die Reste von Skulp­ turen und das Abbild eines Mannes finden, unter dem Schriftzeichen in den Stein eingegraben waren. Raposo kopierte sie, und sie wurden später als archaisch-griechische Buchstaben gedeutet. In der Nähe der Stadt fand er außerdem einen großen Tempel, und hier entdeckte er ein kleines Goldstück, das auf der einen Seite einen knienden Mann zeigte und auf der anderen einen Bogen, eine Krone und ein Musikinstrument. Als Raposo diese geheimnisvolle Stadt des Urwaldes verließ, begegneten ihm zwei Indios, die vor ihm flohen, als sie ihn sahen. Diese beiden Indios hatten eine weiße Hautfarbe. Auch der verschollene englische Reisende Fawcett traf weiße Indios im Amazonas an, »Menschen mit roten Haaren und blauen Augen, wie ein Gringo sie hat«, und er sagt ausdrücklich: »Es sind keine Albinos.’ Fawcett berichtet über eine Erzählung des Direktors der französischen Gummikolonie Santa Rosa am Rio Abuna, einem Nebenfluß des Rio Madeira, der ihm 1906/07 ihre Existenz bestätigt hatte. »Am Rio Acre gibt es weiße Indianer. Mein Bruder fuhr mit einem Boot den Fluß hin­ auf. Eines Tages wurde ihm weit oben berichtet, es seien weiße Indianer in der Nähe. Er glaubte es nicht und spottete über diese Nachricht, ging aber trotzdem hinaus und fand unverkennbare Spuren von Indianern Die nächste Tatsache war, daß er und seine Leute von großen, gut ge­ wachsenen, schönen Wilden - rein weiß mit rotem Haar und blauen Augen - angegriffen wurden. Sie kämpften wie die Teufel ... Manche 300

Leute behaupten, es gäbe keine weißen Indianer, und beweist man es ihnen, so erklären sie, es handle sich um Mischlinge von Spaniern und Indianern. So reden jene daher, die sie nie gesehen haben; wer sie ge­ sehen hat, ist anderer Meinung.« Die Existenz weißhäutiger Indios ist längst bewiesen. Die Ethnologie erkennt sie als Tatsache an. Auch andere Forscher zweifeln nicht mehr daran. Der Bericht des Raposo dürfte damit an Glaubwürdigkeit gewonnen haben. Der Amazonas ist nicht immer diese menschenfeindliche Grüne Hölle gewesen wie heute. Die Weltabgeschiedenheit, die Einsamkeit des großen Stromes ist geschichtlich jung. Noch die ersten Reisenden schildern den Strom als dicht bevölkert. Hunderte von Dörfern haben damals noch ge­ standen, und die Chronisten berichten, daß »so viele Indios dort leben, daß man keine Stecknadel fallen lassen kann, ohne daß sie nicht auf einen Indio fiele«. Schon wenige Jahre nach der Eroberung setzte das große Sterben ein. Die Indios, gegen die Zivilisationskrankheiten der Alten Welt nicht im­ mun, fielen harmlosesten Infektionen zum Opfer. Die Tuberkulose fraß ganze Stämme. Hundert Jahre nach der Konquista waren von Tausenden blühender Siedlungen nur noch einige wenige armselige Niederlassungen am großen Strom übriggeblieben. Spuren dieser alten Besiedlung des Amazonas hat man am Rande der Grünen Hölle gefunden, wie die zyklopischen Bauten von Viscosa, die inzwischen allerdings als Baumaterial für eine Bahnstrecke zerschlagen und weggeräumt wurden. Aber der Reisende Brandäo hat sie 1911 noch gesehen. Es waren Bauwerke mit sechs Meter hohen und acht Meter lan­ gen Mauern; die gewaltigen Steinblöcke waren fast fugenlos aneinandergesetzt. Auch an anderen Stellen wurden ähnliche Ruinen gefunden. Sampaio machte auf die großen Ruinen von Monte Alto bei Riacho das Pontas am Rio verde grande aufmerksam. Uber tausend Meter lang ziehen sich hier etwa anderthalb Meter hohe Steinmauern entlang. Ein anderer Forscher, Nimuendaju, stieß auf Ruinen im Küstenbereich Brasiliens und am Nord­ amazonas. Noch immer können jeden Tag überraschend andere Reste einer er­ loschenen Frühzeit aus der Umklammerung dieses größten Dschungels der Erde an das Tageslicht treten. Sie systematisch zu suchen ist aller­ dings unmöglich. Denn der Urwald ist so unvorstellbar dicht - finster 301

selbst bei grellem Sonnenschein daß man auch an großen Bauten auf drei Meter vorbeigehen kann, ohne sie zu bemerken. In den letzten zehn Jahren sind an die zwanzig Expeditionen in die Grüne Hölle gezogen, Jagdexpeditionen, Ölsucher, Diamantensucher, Goldsucher, Botaniker, Zoologen. Fünf von diesen zwanzig Expeditionen sind zurüdcgekehrt, dezimiert, zerstochen, krank und erschöpft; die an­ deren hat die Grüne Hölle behalten. Man hat nie wieder etwas von ihnen gehört; sie wurden Opfer der Schlangen und der Jaguare, der Giftpfeile der Indios, des Hungers - und eine Beute der Menschenfresser. Die Grüne Hölle birgt ein Geheimnis: Der Urwald des Amazonas ver­ birgt die Ruinen einer untergegangenen Stromkultur. Wie die Chinesen ihre ersten Reiche an den großen Flüssen Jangtsekiang und Hwangho bauten, wie die Inder ihre Kultur an Indus und Ganges gründeten, wie die Sumerer an Euphrat und Tigris und die Ägypter am Nil ihre Reiche errichteten, so hat einst auch im Umkreis des größten aller Flüsse, des Amazonas, eine alte Frühkultur bestanden. Werden die seltsamen Steine des alten Gummisammlers einst Weg­ weiser zu ihr sein? Irgend einmal muß es gelingen, sie aufzunehmen. Die Deutung der Inschriften als phönizische Schriftzeichen ist sicherlich falsch. Könnten es aber kretische sein?

Reptilmonstrum aus Ostasien, das sieb in ähnlicher Gestalt bei den Bauten vor. Palenque wiederfindet

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Ich fand die Spur des Weißen Gottes Tausend Kilometer von der Küste, mitten in der Grünen Hölle, liegt die alte Gummistadt Manäos, in der Bernardo da Silva Ramos gelebt hat. Hier birgt das Museum alle jene Dinge, die einst der alte Gummisammler aus der Wildnis herbeiholte. Was aber unter den Fundstücken dort zu sehen ist, hat keine Beziehung zu Ramos, kein einziger der von ihm be­ schriebenen Steine findet sich dort. Sollte der alte Gummisammler auch bei diesen Steinen seiner Phantasie freien Lauf gelassen haben? Sollten seine Beschreibungen und Zeichnun­ gen nichts als Fälschungen sein? Sie zu sehen erschien dem Autor dieses Buches unbedingt notwendig, denn diese Steine mit ihren Inschriften konnten ein wichtiges Beweisstück für die Existenz und die Herkunft des Weißen Gottes sein, seine allerälteste Spur in der Neuen Welt. Seitdem der alte Gummisatnmler sie fand und beschrieb, hat keiner sie mehr ge­ sehen. Das heißt: mit mindestens einer Ausnahme! Der Verfasser dieses Buches hat diese Steine wieder aufgefunden — allerdings unter ungünstigen Um­ ständen. Bei einem Besuch der Amazonas-Stadt Manäos gelang es ihm, auf dem Markt die Bekanntschaft von zwei Indios zu machen, denen die­ ser Platz bekannt war. Ja, sie hatten solche Steine schon gesehen, »Steine vom weißen Gott«, meinte der eine. Vier Tage gelte es den Fluß hinaufzurudem, dann in einen Nebenfluß einzubiegen, diesen wiederum zwei Tage hinauf zu verfolgen, und dann wäre es das einfachste, eine Pikade zu schlagen, um den Weg abzukürzen. Die Expedition kam zustande. Der eine der Begleiter stammte aus der Gegend des Apurimac, des Grenzflusses gegen Bolivien, er war den Fluß hinabgekommen und in der Gummistadt Manäos hängengeblieben. Aus dem unmittelbar nach der strapaziösen Reise niedergeschriebenen Bericht sei hier ein Abschnitt zitiert: »Mücken und Moskitos fielen über uns her. Sie drangen in Mund, Nase und Ohren ein. Dornen und Stacheln zerfetzten das Hemd, Gesicht und Arme. Die wehrlose Haut schwoll unter den Stichen der Plagegeister. Wir hatten Tücher unter den Tropenhelm gebunden, um wenigstens den Nacken zu schützen. Seit wir unseren Einbaum in einer stillen Bucht des Stromes festgemacht hatten, mußten wir Meter für Meter, durch Busch und Bambus, einen 303

schmalen Pfad in den Urwald schlagen, eine Pikade. Vor uns stand die grüne Mauer fast undurchdringlich. Tag um Tag kämpften wir gegen die grüne Wand, immer weiter voran in der Richtung, von der die Indios behaupteten, daß dort einige der Steine liegen sollten, die ich suchte. Würden wirklich die Inschriften des Gummisammlers in dieser Wildnis zu finden sein? War es nicht viel wahrscheinlicher, daß die Indios mich zu Steinen mit primitivem Gekritzel führten, wie sie zu Tausenden dort zu finden sind - auf den alten Wegen der amerikanischen Völkerwande­ rungen? Endlich hatten wir das letzte Stück der grünen Mauer durchschlagen. Vor uns lag ein Weg, ein schmaler Pfad, wie die Gummisammler ihn be­

Das Rind auf einer Felszeichnung des Amazonasgebietes, die der alte Gummi­ sammler entdeckte

nutzten. Nach zwei weiteren Stunden erreichten wir das Ufer eines brei­ ten Flußbettes - und da lagen die Steine, die ich suchte, zu Dutzenden. Sie lagen im Wasser, zum größten Teil sogar unter Wasser. Vergessen waren Mühe und Strapazen, vergessen Hunger und Durst. Ich stand stundenlang bis zum Bauch im Uferschlamm und betrachtete Linie für Linie der Zeichnungen auf den Steinen - Seite für Seite eines großen steinernen Bilderbuches, das da aufgeschlagen vor mir lag.«

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Nur alle zehn Jahre enthüllt der Fluß sein Geheimnis In die Steine sind in der Hauptsache Umrißzeichnungen von Tieren ge­ hauen, von Fischen, von Vögeln und vom Jaguar. Mancher Steinblock ist mit einem Gewirr von Linien und Randmustem überzogen, das ohne figürliche Darstellung die ganze Fläche deckt. Bei anderen wiederum sind am Rand Köpfe von Tieren sichtbar. Auf einem der Bilder wirbeln Fische so durcheinander, daß ihre Leiber und Köpfe ein vollendetes Ornament bilden. Auf anderen Steinen sind mehrfach Boote und Schiffe abgebildet, Boote mit einem Kiel, wie die Indios des Amazonas sie nicht gekannt haben. Neben anderen Tieren taucht auch der Kopf eines Rindes mit Hörnern auf. Ein Rinderkopf am Amazonas - das ist ungewöhnlich, weil es nirgends in Amerika vor der Ankunft der Spanier Rinder gegeben hat. Zuweilen fehlt das Ornamentale vollständig, es sind dort nur Tiere, einzeln und in Gruppen, eingemeißelt, und sie sind von einer Lebens­ nahe, wie sie bei anderen Ritzzeichnungen selten zu finden ist: Vögel, im Flug und beim Landen, sogar ein Nashorn ist dargestellt, das im Ama­ zonasgebiet nie gelebt hat. Aus all diesen Zeichnungen spricht das Bestreben der Künstler, die Fläche zu füllen, sei es mit Tierleibem und Tierköpfen oder mit Orna­ menten. Einige Steine sind geradezu eingewebt in Ornamente. Auch Menschen sind auf den Steinen dargestellt, vor allem Gottheiten im Strahlenkranz. Sollte jener Mann mit dem Hörnerhelm den Gott Baal darstellen? Solche Bilder mit Hömerhelmen sind uns aus Mykenae und Kreta bekannt, auch von ägyptischen Stelen und Reliefs. Diese Steinzeichnungen charakterisieren vor allem das Bestreben, mit geringen Mitteln ein Augenblicksbild festzuhalten, mit wenigen Strichen ein naturgetreues Bild eines Tieres zu geben. Das ist aber auch die Eigenheit der Keramik der Chibcha-Kultur. Auch hier waren Meister am Werk, die einen Affen, einen Vogel oder sonst irgendein Tier naturgetreu Wiedergaben. Es führt ein gerader Weg von den Steinzeichnungen des Amazonas zu denen auf den Tonkrügen der Chibcha. In beiden sind Augenblicksbilder von unerhörter Naturwahrheit festgehalten. Diese Darstellungsform entspricht auch dem, was die Literatur über Kreta den »Fliegenden Galopp« genannt hat. Auf kretischen Vasen und Wandbildern sind Tiere im Sprung, im gestreckten Lauf oder im Flug abgebildet, Löwen, Stiere, Eber, Rehe, Greife. Auf einem bemalten Fuß­ boden im El Amama der 18. ägyptischen Dynastie sind aufflattemde

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Wildenten ähnlich erfaßt wie auf den Felszeichnungen des Amazonas. Es kann nur eine Erklärung geben: Hier auf dem Strom, auf dem Was­ serweg, der in das Reich der Weißen Götter führt, sind einst Menschen aus der Alten Welt gewesen. »Als ich vor Jahr und Tag diese Steine fand, lagen sie unter Wasser. Es war unmöglich, sie zu fotografieren. Denn nur alle zehn Jahre fallen die Wasser des Stromes, und dann taucht aus den Fluten das große steinerne Bilderbuch auf, das diese Menschen einst gezeichnet und uns hinterlassen haben. Es umfaßt aber nur einen kleinen Teil der Bildwerke, die Ramos einst fand und beschrieb. Wichtiger und bezeichnender sind andere Steine des Amazonas, die Schriftzeichen enthalten. Auf den Spuren des alten Gummisammlers zog ich mit meinen beiden Indios durch die grüne Wildnis und fand noch vier von den vielen Steinen, die Ramos beschrie­ ben hat. Ich zitterte innerlich vor erwartungsvoller Spannung, als ich den ersten dieser Steine entdeckt hatte und das dichte Buschwerk wegschlug, hinter dem er verborgen war. Ich sah die Schriftzeichen auf diesem Stein. Es waren jene, die Ramos und die Reisenden und Forscher nach ihm für phönizische Inschriften gehalten hatten. Aber diese Schriftzeichen weisen

Doppelbeil auf Felsen des Amazonasgebiets

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eher charakteristische Merkmale der kretischen Schrift auf, wie zum Bei­ spiel das umgekehrte große B unserer lateinischen Schrift oder das Dop­ pelbeil Kretas.« Lesen können wir diese Zeichen nicht. Aber sie sagen uns trotzdem, daß die Legenden von den alten Siedlungen, die unter dem Dschungel verborgen liegen sollen, keineswegs so völlig aus der Luft gegriffen sind, wie es so gern behauptet wird - von Menschen, die sich niemals den Mü­ hen und Strapazen einer Expedition in jene Wildnis unterworfen haben. Als im Stromgebiet des Amazonas oder viel weiter im Westen oder im Norden des großen Kontinents - lassen wir die Frage einmal offen - die Steine zum Bau dieser ersten Stadt des Weißen Gottes zusammengetragen wurden, begann die Geschichte der Hochkulturen auf dem amerikanischen Kontinent. Sie begann, als einst ein Mensch unserer Welt die Neue fand und einen märchenhaften Aufstieg erlebte: vom einfachen Seefahrer zum unsterblich erscheinenden Gott. Viele Spuren deuten darauf hin, daß diese Epoche 3500 Jahre zurückliegt, und viele Indizien sprechen dafür, daß zu dieser Zeit ein Mensch aus unserer Alten Welt die Neue Welt fand und ihre höhere Kultur begründete. Er wurde der Weiße Gott der Indios.

Beflügeltes Fabelwesen aus Ttahuanaco 307

Der weiße Gott — Neue Spuren, neue Erkenntnisse Die Rätsel um die alte und älteste Geschichte der Indios sind noch längst nicht gelöst. An der Frage vor allem, ob es lange vor den bekannten Ent­ deckungen Amerikas Einwanderungen von »Weißen« gegeben hat, ob diese Einwanderer, aus dem mittelmeerischen Raum zum Beispiel, den Indios Zivilisation und Kultur gebracht haben, wird sich der Streit der Gelehrten noch lange entzünden. Die Legenden von den weißen India­ nern erhalten immer wieder neue Nahrung, sei es durch Expeditionen, durch Forschungen oder auch nur Berichte, die irgendwo in einer Zei­ tung erscheinen, ohne daß in jedem Fall eine Nachprüfung möglich wäre. So konnte man zum Beispiel um die Mitte des Jahres 1976 in der in Lima erscheinenden Zeitung »Ultima Hora« - und später als Nachdruck in vielen anderen Zeitungen - lesen, im Nordosten von Peru seien An­ fang des Jahres 1976 Indianer eines Stammes wiederaufgetaucht, die man seit 400 Jahren für verschollen hielt. Es wird von über zwei Meter gro­ ßen Männern berichtet, die dichtes rötliches Haar haben. Eine Gruppe von Jägern war, so heißt es, in ihrem Lager von diesen Indianern über­ fallen worden. Diese Geschichte von den rothaarigen Zwei-MeterMännem mag stimmen oder nicht, sie mag Wahrheit oder Jägerlatein sein. Berichte dieser Art sind nicht dazu angetan, das Dunkel um die Ver­ gangenheit der Indios aufzuhellen. Hin und wieder scheint sich dieses Dunkel aber doch ein wenig zu lichten. Seitdem Pierre Honore seine Darstellung über den Weißen Gott der Indios niedergeschrieben hat, ist eine Reihe von Jahren vergangen. Seine Thesen und Vermutungen, Beispiele und Beweise haben Zustimmung, aber auch Widerspruch aus dem Kreis der gelehrten Amerikanistik ge­ funden. Zwei Auffassungen, zwei Schulen stehen sich gegenüber, die er­ bittert der jeweilig gegnerischen die wissenschaftliche Legitimation be­ streiten. Auf der einen Seite steht der geschlossene Block der traditionel­ len Richtung, die Isolationisten, die davon ausgehen, daß die Entwicklung von der Einwanderung über die asiatisch-amerikanische Landbrücke bis zum Entstehen der mittel- und südamerikanischen Hochkulturen sich ausschließlich auf amerikanischem Boden vollzogen hat. Transpazifische oder transatlantische Kontakte werden bestritten, Ähnlichkeiten in Ri­ ten, Bauten, Schriften, Kleidung und so weiter werden als zufällige ent­ wicklungsbedingte Zivilisierungstendenzen aufgefaßt. Auf der anderen Seite steht die kleine Gruppe der sich in jüngster Zeit mehrenden Diffusionisten, die Einflüsse aus anderen Kontinenten nicht nur für mög-

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lieh, sondern für wahrscheinlich halten. Sie stützen sich dabei auf die zahlreichen Übereinstimmungen der indianischen Kultur mit anderen Kulturkreisen, von denen Pierre Honoré die bemerkenswertesten in diesem Buch hervorgehoben hat. Immerhin ist ein Katalog von 64 sich deckenden Parallelen erarbeitet worden. Die Zweifler vermag das noch nicht zu überzeugen. Selbst ein Thor Heyerdahl findet für seine unter Einsatz seines Lebens unternommenen Erkundungsfahrten noch immer Ablehnungin weiten Kreisen der akademischen Amerikanistik. Doch auch andere Gelehrte haben sich seit langem mit diesen Fragen auseinander­ gesetzt, zahlreiche Fundstücke verglichen und Schlüsse gezogen. Einer von ihnen ist der seit vierzig Jahren in Mexiko lebende siebzigjährige Professor Alexander von Wuthenau. Er hat, heute noch tätig, in mehr als zwanzigjähriger Arbeit zahlreiche bildliche Darstellungen zusammen­ getragen, Porträts aus Stein, Werke von Zeitgenossen. Nach dem Stu­ dium der Physiognomik der mesoamerikanischen Völker und nach sorg­ fältigen Analysen kommt er zu folgenden Schlüssen:

Die Forschungen Alexander von Wuthenaus In prähistorischer Zeit hat es mehrere große Wellen von Einwanderern aus anderen Kontinenten gegeben, die allesamt ihre Spuren hinterlassen haben. (Auf einen dieser Einwanderer könnte sich der Mythos vom Weißen Gott beziehen.) Wuthenau meint, als Urbevölkerung Mittel­ amerikas habe es »den Indianer« überhaupt noch nicht gegeben, vielmehr hätten sich die Indios aus einer Mischung mit anderen, eben eingewan­ derten, Rassen entwickelt. Er hat, auf die Einwanderer bezogen, das Wort vom »homo americanus«, dem amerikanischen Menschen, geprägt. Homo americanus I bezeichnet eine japanische Einwanderung über die Beringstraße die seinerzeit noch feste Landbrücke zwischen Asien und Amerika. Viele Funde, in Stein gearbeitete Porträts zeigen Kopfformen, die sich nur in der japanischen Urbevölkerung und heute noch bei der japanischen Urbevölkerung, den Ainu, in verblüffender Ähnlichkeit wiederfinden, und auch Gesichter mit fast chinesischem Schnitt. Homo americanus II: das ist der negroide Menschentyp, der vielleicht mit einer Einwanderungswelle aus dem Mittelmeerraum nach Zentral­ amerika kam. Die beiden Pharaonen Ramses II. (1290-1224) und Ram­ ses III. (1184-1153) hatten sich heftiger Einfälle von »Seevölkem« und von Libyern zu erwehren. Sind abgesprengte Reste aus diesen Gruppen 309

weiter nach Westen gezogen? Über den Atlantik? Für diese Annahme spricht eine Reihe von eindrucksvollen Übereinstimmungen aus dem Be­ reich der Baukunst. Als Beweis dafür kann gelten, daß mesoamerikani­ sche Kleinplastiken ganz zweifelsfrei negroide Köpfe darstellen, die sogar mit einem schwarzen Lack überzogen waren; es könnten Angehörige nubischer Stämme gewesen sein oder Libyer, die in Ägypten als Soldaten dienten. Wenn diese Hypothese stimmt, dann könnte sie auch eine Lö­ sung des Rätsels der Riesenköpfe aus dem Olmekenreich bedeuten. Denn diese Köpfe von La Venta sind eindeutig nicht das, was man unter »in­ dianisch« versteht; sie haben runde Formen, wie sie in Amerika nirgend­ wo sonst in der Plastik gefunden wurden. Homo americanus III stellt den Typus der Phönizier dar, die nach ihrer Einwanderung sich mit bereits ansässigen Völkern vermischt haben. Die Phönizier waren die besten Seefahrer des Altertums; die Fahrt über den Atlantik müßte ihnen durchaus möglich gewesen sein. Deutlich semitisch anmutende Kopfformen finden sich überall in der Kunst vor allem bei den Zapoteken. Selbst rituelle Darstellungen wie die Beschneidung glaubt Wuthenau auf Steinbildern nachweisen zu können. Im Mai 1976 machte der Forscher ein großes Femsehpublikum mit sei­ nen Thesen bekannt. Er belegte sie mit einer Fülle von Kleinplastiken und Reliefs aus Mexiko und dem Mayagebiet, steinerne Porträts, die vor drei Jahrtausenden von Zeitgenossen angefertigt wurden. Ein paar Jahre nach dem Erscheinen dieses Buches von Pierre Honore hat der norwegische Forschungsreisende Thor Heyerdahl den einwand­ freien Beweis dafür erbracht, daß Wanderbewegungen quer über den Ozean schon den Frühmenschen möglich waren. Die natürlichen Voraus­ setzungen dafür waren, wie Heyerdahl nachwies, gegeben: Winde und Meeresströmungen; auch die technischen Hilfsmittel waren für eine Fahrt über den Ozean durchaus geeignet. An den Küsten des Mittelmeeres und Westafrikas gab es Binsenboote, die durchaus seetüchtig waren und mit der Meeresströmung von der afrikanischen Küste aus die Westindischen Inseln und das dahinter liegende Festland erreichen konnten.

Die frühen Atlantik-Bezwinger Die Isolationisten behaupten, nach der Erstbesiedlung des amerikani­ schen Doppelkontinents vor Jahrtausenden oder Jahrzehntausenden über die Beringstraße habe es keinerlei Kontakte mehr von außen her ge­ 3*o

geben. Heyerdahl hat diese These widerlegt, nicht mit einer Hypothese, sondern mit einem Experiment: 1969 und 1970 hat er in den Papyrusbooten Ra 1 und Ra 2 den Atlantik überquert. Die erste Fahrt scheiterte kurz vor dem Ziel; mit der zweiten Expedition erreichte er nach 52 Ta­ gen von dem alten phönizischen Hafen Safi (Marokko) aus, nach einer Fahrt über 5270 Kilometer, Barbados in der Karibischen See. Heyerdahls Boote waren nach überlieferten ägyptischen Darstellungen gebaut worden, das erste, Ra 1, von Bootsbauem in Afrika, das zweite, Ra 2 von Aymara-Indianern Südamerikas. Diese erwiesen sich, nach lan­ ger Suche gefunden, als die einzigen Binsenboot-Bauer, die noch im­ stande waren, ein Fahrzeug herzustellen, das der längst nicht mehr ge­ bräuchlichen ägyptisch-mesopotamischen Bauweise entsprach. Die Fahrt mit Ra 2 hat bewiesen, daß eine Überquerung des Atlantik auch schon vor Jahrtausenden möglich war -, für sie galten die gleichen Bedingungen wie damals. Daß Menschen aus der Alten Welt, aus dem mittelmeerischen Raum, diese Fahrten auch wirklich unternommen und sich in Mesoamerika angesiedelt haben - dafür führt Heyerdahl diesel­ ben Argumente an wie Professor von Wuthenau: Keramik-Köpfe und -Figurinen von Peru bis Mexiko, die realistische Abbildungen eines oft arabisch-semitischen Rassentyps sind. Plastiken und Reliefs lassen erken­ nen, daß die Olmeken zwei verschiedenen Rassentypen angehören: dem negroiden und einem fast semitischen. Beschränkt der deutsche Gelehrte sich bei seinen Forschungen aus­ schließlich auf die menschliche Physiognomik, so geht Thor Heyerdahl einen Schritt weiter: er stellt frappante Übereinstimmungen zwischen Hunden der Neuen und der Alten Welt fest. Bei allen Indianern, von Alaska bis Südamerika, wird der Hund als Haustier gehalten. Aber die Hunde in Nordamerika sind vom Typ des sibirischen Spitzes oder Hus­ kys. Die domestizierten Hunde von Mexiko und Peru besitzen keinerlei Vorfahren unter der wilden Fauna Amerikas; das veranschaulichen wohl­ erhaltene mumifizierte Hunde, die in Gräbern aus der Vor-Inka-Zeit gefunden wurden. Sie gleichen auffallend den Hunden, die ebenfalls mu­ mifiziert, in Gräbern des alten Ägypten die Jahrtausende überdauert haben. Die Ergebnisse der Forschungen und Expeditionen von Wuthenau und Heyerdahl können zwar auch wissenschaftlicher Kritik standhalten, aber sie sind doch nur Glieder einer Kette, die noch lange nicht geschlossen ist _ Teilantworten auf die Frage, wer die ersten Menschen in Amerika gewesen, woher sie gekommen sind. Daneben verliert die, ebenfalls noch

nicht vollends beantwortete, Frage nach den ersten »Entdeckern« Ame­ rikas fast ein wenig an Bedeutung, die Frage nach den Menschen, die die Neue Welt gefunden haben, als sie längst von den Indios besiedelt war. Kolumbus, der die Küste Amerikas 1493 fand, war mit Sicherheit nicht der erste. Daß der Wikinger Leif Erikson schon ein halbes Jahrtausend früher das nordamerikanische »Vinland« entdeckt hat, ist eine Tatsache. Aber eine neue Entdeckung bringt eine neue Sensation. Der französische Forscher Jacques Mahieu berichtete, er habe sogar viele tausend Kilo­ meter weiter südlich in Cerro Corra, ungefähr 500 Kilometer von Asuncion, der Hauptstadt von Paraguay, entfernt, eine 45 Meter lange und zehn Meter hohe Mauer entdeckt, die nur ein Teil einer von den Wikingern errichteten Festung gewesen sein könne. In der Nähe davon habe er Steine mit Runen-Schriftzeichen gefunden, die denen in Nord­ europa ähnlich seien. Nach Mahieus Meinung erreichten um das Jahr 967 unserer Zeitrechnung Wikinger Südamerika und haben sich teils am Titicaca-See in den Anden, teils im heutigen Paraguay niedergelassen. Die ziemlich weißhäutigen Guayaqui-Indianer, im Grenzgebiet von Paraguay und Brasilien, sind nach Mahieus Ansicht Wikingemachkommen. Das klingt einstweilen zu phantastisch, um hier weiter erörtert werden zu können. Wir werden abwarten müssen, was Mahieu zur Beweisführung seiner These anzubieten hat. Aber Mahieu ist nicht der einzige Forscher, den die amerikanischen Rätsel nicht ruhen lassen. Andere Forscher greifen andere Parallelen auf: Lange vor den Wikingern sollen Kelten die ersten Europäer in Amerika gewesen sein. Auch hier wurden, in New Hampshire und Vermont, im Nordosten der USA, auf Steinen Inschriften gefunden, die nach Ansicht amerikanischer Forscher zu der altkeltischen Ogham-Schrift gehören. Ähnliche Sprachen waren das wichtigste Merkmal keltischer Stämme, die ein Gebiet bewohnten, das vom Süden Deutschlands über Spanien bis zu den Britischen Inseln reichte. Barry Fell, Professor an der HarvardUniversität, meint, jene Zeichen seien in der Zeit zwischen 800 und 300 vor Christus zu datieren; für die Zeit nach dem dritten vorchristlichen Jahrhundert gibt es solche Hinweise nicht mehr. Fell und seine Mitarbei­ ter vermuten, daß die Kelten, die wohl als Fischer gekommen waren sich im Lauf der Zeit durch Heirat mit den Indianern vermischten und damit als eigenständige Gruppe verschwunden sind. Fells Interesse kon­ zentriert sich vor allem auf den »Rätselberg« (Mystery Hill), auf dem sich seltsame steinerne Bauten befinden; möglicherweise war es eine kel­ tische Kultstätte mit einer Art Kalender, der den wechselnden Stand der

Sonne anzeigte. Es will, meint Fell, nicht einleuchten, daß diese Bauten von Siedlern des 17. und 18. Jahrhunderts errichtet sein sollen. Schriftzeichen, sprachliche Symbole sollen auch beweisen, daß Etrusker die ersten Europäer in Amerika waren. Der italienische Sprachforscher Dr. Mario Gattoni-Celli stellte die These auf, sie seien vermutlich im zehnten vorchristlichen Jahrhundert als erste über den Atlantik nach Südamerika gelangt. Die Etrusker lebten vor den Römern in Mittel­ italien. Sie besaßen eine eigene Sprache und eine griechisch beeinflußte Kunst, die auf vorderasiatischen Ursprung hindeutet. Die Sprache dieses von den Römern unterworfenen und weitgehend vernichteten Volkes ist untergegangen. Anderes weist auf eine Herkunft aus Kleinasien hin. Das etruskische Herkunftsproblem ist allerdings umstritten, weil ihre Schrift nicht deutbar ist. Gattoni-Celli stützt seine These vor allem auf religionswissenschaftliche Elemente, die er beim Studium der unter­ gegangenen Kultur der Akawayos in Guayana gefunden hat. Erstaunlich ist für ihn die Ähnlichkeit der Akawayo-Riten mit denen der Etrusker: ihre Priester hätten die gleichen religiösen Symbole benutzt, wie sie auf einem bekannten Etrusker-Sarkophag in Tarquinia (nördlich von Rom) dargestellt sind. Dies sind keine Abenteurer, sondern ernsthafte Forscher, die für ihre Behauptungen freilich erst noch die Beweise zu erbringen haben. Doch auch die Abenteurer wurden fündig. Ein jüngerer amerikanischer Jour­ nalist namens Gene Savoy, den die Reiselust nach Peru verschlagen hatte, war Berichten aus peruanischen Zeitungen nachgegangen, in denen von dem »Geheimnis versunkener Städte im Amazonas-Dschungel« die Rede war. über seine Entdeckungen hat er in einem inzwischen in englischer Sprache erschienenen Buch (Vilcabamba by Gene Savoy, London 1972) berichtet. Im nördlichen Peru, in den östlichen Ausläufern der Anden, verberge der tropische Wald 30 bis 40 Städte und Siedlungsreste aus vorinkaischer Zeit. Das behauptete der Amerikaner als Ergebnis seiner Forschungs­ arbeit entdeckt zu haben. Während mühevoller und gefährlicher Streif­ züge in den dichten, immergrünen Bergwald ist er in 1500 bis 3000 Me­ ter Höhe auf eine Reihe von Ruinenstädten gestoßen. Tatsächlich ist das aber kein Märchen. Der peruanische Archäologe Professor Frederico Kauffmann-Doig, der 1975 an der Universität in Bonn als Gastprofessor tätig war, hat Savoys Entdeckungen unlängst bestätigt. Sein Erfolg ließ den forschungsbesessenen Amerikaner nicht ruhen. Eine andere, zunächst unverbürgte Meldung über die Entdeckung einer

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versunkenen Stadt im östlichen Andenhochland von Peru, auf dem Abfall der Andenterrasse zum Einzugsgebiet des Marafion hin, führte ihn im Sommer 1965 zum erstenmal zu der Ruinenstadt von Abiseo — oder Gran Pajaten, nach einem nahen Indiodorf benannt -, weitab von jeder Zivilisation.

Die Auffindung von Abiseo (Gran Pajaten)

Die Ruinen von Abiseo sind aber weder von ihm noch von einer Forschungs-Expedition entdeckt worden, sondern ganz zufällig von Männern aus dem viele Tagemärsche entfernten Dorf Pataz. Das war im August 1963. Die Männer aus Pataz machten sich, unter Führung ihres Bürgermeisters Torrealba, auf die Suche nach bebaubarem Land, nach­ dem die Erzminen, von deren Ertrag sie bis dahin gelebt hatten, erschöpft waren. Böse Zungen behaupteten, die Patacinos hätten sich nur deshalb so weit in den Dschungel vorgewagt, weil sie nach verborgenen Anbau­ flächen für Marihuana und Koka suchten. Wie dem auch sei - sie haben tagelang die einsame, menschenfeindliche Wildnis durchstreift. In der Nähe eines der Quellflüsse des Amazonas stießen sie unverhofft auf große Steinhaufen, geheimnisvolle Mauern, völlig vom Gestrüpp überwuchert. Ohne gefunden zu haben, was sie ei­ gentlich gesucht hatten, traten die Männer vollkommen erschöpft den qualvollen Rückzug an. Aber der Fund hatte sie neugierig gemacht. Erzählungen der Alten im Dorf, die geradezu Phantastisches über dieses Gebiet zu berichten wuß­ ten, weckten ihre Abenteuerlust. Ein Jahr später kehrten sie noch einmal in den Dschungel zurück, erkämpften sich wieder über die 4000 Meter hohen Anden einen Pfad zu den Steilhängen. Und entdeckten oben auf einer Bergkuppe Ruinen, große Rundbauten mit fremdartigem Schmuck­ werk, steinerne Terrassenanlagen, dazwischen Wege, Straßen. Und ein drittes Mal wagten sie den strapaziösen Marsch durch Urwälder, über Berge und durch Sümpfe, immer bedroht von Jaguaren und äußerst gif­ tigen Schlangen. Wieder ist Torrealba ihr Führer und mit ihnen geht nun Gene Savoy. Seine Zeitungsberichte über die Ruinen in einem völlig entlegenen wilden Gebiet machen die Entdeckung zur Sensation. FreilichSavoy hat zuweilen reichlich stark aufgetragen und manches stellte sich später anders dar als in seinen Berichten. 3*4

Die Ruinen der Siedlung Gran Pajaten

Ein viertes Mal gingen die Männer von Pataz zu den Ruinen. Diesmal, im Herbst 1965, als Führer der ersten offiziellen Expedition, die Victor Pimentei leitete, der oberste Denkmalspfleger Perus. Pimentei ließ einen Teil der von Büschen und Bäumen völlig überwucherten Ruinen frei­ legen, vermessen und fotografieren und eine kleine Fläche für spätere Hubschrauberlandungen roden. Die zweite, große Expedition folgte dann im Jahr darauf. Um Zeit zu sparen und das schwere Gepäck ohne allzu große Mühe zu der 2800 Me­ ter hoch gelegenen Ruinenstadt schaffen zu können, wurde der Luftweg gewählt. In Lima, der Hauptstadt von Peru, startete die Expedition mit dreißig Teilnehmern. Auf einem großen Umweg, mit Flugzeugen und Lastwagen, mit Kanus und endlich mit Hubschraubern, erreichten sie Abiseo, die Bergkuppe mit den Ruinen. Tropische Hitze im Regenwald, Schwärme von Moskitos, Moor und Moder, in dem die Männer im Unterholz oft bis zur Brust einsinken, glühendheiße Tage, eiskalte Nächte - das ist das Gebiet des AbiseoFlusses. Und das ist die Ruinenstadt: Im ganzen Berghang finden sich Terrassen, der ganze Berg ist terrassiert. Nicht wie Architektur, sondern wie ein organisches Gebilde, wie ein Phänomen in den Urwalddschungel, wirken die Terrassen auf den ersten Blick. Wie stumpfe, niedrige Türme stehen die Rundbauten da, kreisrunde Mauerkörper mit Durchmessern bis zu 14 Metern. Alles steht im Einklang mit dem Gelände; den indiani­ schen Baumeistern ist eine vollendete Verschmelzung von Natur und Architektur gelungen. Die Rundbauten sind außen durch ein vorspringendes Kraggesims in einen oberen und einen unteren Bereich gegliedert. Der untere Teil ist innen massiv aufgefüllt und bildet so den Sockel für die aufgehenden

Mauern des oberen Bereiches. Zum Niveau des eigentlichen, erhöhten Fußbodens führt jeweils eine außen an den Rundbau angeschobene Freitreppe aus massivem Steinmauerwerk. Funde im Inneren der Rund­ bauten deuten darauf hin, daß von einem hölzernen Mittelpfosten und den steinernen Außenwänden ein kegelförmiges Sparrendach getragen wurde, dessen Deckung als wasserdichtes Grasgeflecht zu rekonstruieren ist. Die Mauern der Rundbauten stehen nicht lotrecht, sondern sie sind nach außen gebaut. Das Reizvollste an den Bauten ist die Omamentierung der Mauern: flache Steinplatten, die in die ganze Mauertiefe eingebunden sind, bilden figürliche Muster - in Form eines plastischen den Rundbau rings umziehenden Frieses. Die Ornamente sind stilisierte Menschen- und Tierdarstellungen, tanzende Menschenfiguren mit hochgezogenen Knien, erhobenen Händen und federverzierten Kopfschmuck. Zur Gesamtwir­ kung kommt noch die Farbigkeit. Die Köpfe der Tier- und Menschen­ darstellungen sind nicht wie das ganze Mauerwerk aus dunklem Schiefer; die Steinmetze haben sie aus weichem rötlichen Sandstein mit Augen, Nasen und Mündem plastisch herausgearbeitet. Diese relief-plastische Architektur unterscheidet sich von allen übrigen Bauweisen der vorkolumbianischen Anden-Kulturen. Viele Fragen wer­ fen sich auf: Welches Volk hat diese Bauwerke geschaffen? War es ein isolierter, stets dort lebender Stamm? Oder war es eine Gruppe Ver­ folgter auf dem Rückzug, die sich vielleicht vor den erobernden Inkas in die unzugängliche Bergeinsamkeit geflüchtet hat? Und - was ist mit den Erbauern geschehen? Sind sie weiter in den Urwald hineingezogen oder hier allmählich ausgestorben? Die andere Frage: wozu dienten die Bauten dieser Stadt im einzelnen? Waren es nur Wohnungen oder auch Tempelstätten, Grabbauten? Eine Reihe dieser Fragen haben die mit der Erforschung des AbiseoBereiches betrauten Fachleute bereits klären können. Unter der Aufsicht des Expeditionsleiters, des Architekten und Gene­ ralkonservators Victor Pimentei Gurmendi wurden die Bauten vom hochwachsenden Urwald freigelegt, ein Gesamtplan des Bereiches sowie Einzelpläne der Ruinen in Grund- und Aufrissen ausgearbeitet. Die geo­ graphische Lage der Ruine wurde auf 77 Grad und 18 Minuten und 7 Grad 43 Minuten südlicher Breite definiert. Der Archäologe der Ex­ pedition, der peruanische Gelehrte Duccio Bonavia, konnte bereits Fra­ gen der Datierung, der Ikonographie sowie der Querverbindungen zwischen Schmudeformen der Keramik und der Bauten klären. Er hat

Rundbau aus Stein in Abiseo-Gran Pajaten

darüber in einer Monographie (Las ruinas del Abiseo, Lima 1968) und in einem Aufsatz (Bild der Wissenschaft 1969) berichtet. Aus der Aus­ wertung der Keramikfunde gelang Bonavia der Beweis, daß die Bauten Wohnhäuser waren. Die ökonomische Grundlage der entlegenen Urwald­ randsiedlung müssen wir uns im intensiven Ackerbau auf den künstlichen Hangterrassen vorstellen. Aus Berichten spanischer Chronisten, die in der gleichen Gegend Ruinen mit Rundbauten entdeckt und beschrieben haben, ließe sich nach Bonavia die Hypothese ableiten, daß uns hier eine frühe Schilderung von Abiseo vorliegt. Zweifellos wurde der Ruinen-

Der Fundort von Abiseo-Gran Pajatin

bereich in der späten, expansiven Phase des Inkaimperiums angelegt, als vom Hochland der Anden ausgehend, präkolumbische Völkerschaften auch die Urwaldrandbereiche besiedelten. Einzelne, in den Ruinen ge­ fundene Gerätschaften, z. B. bronzene Messer, sog. Turnis, sowie typi­ sche Keramikfragmente, zeigen eindeutig inkaische Stileinflüsse. Jene Steilhangsiedlung hoch über einem bisher namenlosen Flußlauf der wie­ derum in den Fluß Apisoncho oder Abiseo mündet, einen Nebenfluß des Rio Huallaga, hat ihren Namen bisher nach dem Abiseo-Fluß, der histo­ rische Name wird wohl weiterhin unbekannt bleiben. Der verdiente Altmeister der peruanischen Geschichtsforschung, der kürzlich verstorbene Gelehrte H. D. DisselhofF, hatte von dieser Ent­ deckung und von der geplanten Expedition gehört, war aber zu diesem Zeitpunkt nicht von seiner Grabung in Südperu abkömmlich. Kurzer­ hand entschloß er sich, seinen Mitarbeiter, den Architekten Dr. Wolf­ gang Wurster mit auf die Reise zu entsenden. Aber etwa tausend Kilo­ meter Entfernung trennten die beiden Deutschen vom Abflughafen der 3*9

Urwaldexpedition und die Zeit drängte bereits. Schon am nächsten Tag sollte es losgehen in die Wildnis des Andentieflandes. Wolfgang Wurster war bereits von Victor Pimentei für das Erforschungsteam angenom­ men, an dem drei verschiedene peruanische Ministerien beteiligt waren. Diese Chance galt es zu nutzen. Nach einer nächtlichen Fahrt in einem Sammeltaxi gelang es Wurster, den Flughafen gerade noch rechtzeitig zu erreichen. Nach der Überquerung der Anden gelangten die Expeditions­ teilnehmer dann nach einer Kanufahrt über einen reißenden Fluß und einem abenteuerlichen Hubschrauberflug ans Ziel, den Ruinen in 2000 Me­ ter Höhe. Bei der Vermessung der Bauten und Anlagen von Abiseo (oder Gran Pajaten) konnte der deutsche Architekt wertvolle Hilfe leisten. In Disselhoffs Buch Oasenstädte, und Zaubersteine im Lande der Inka (Safari-Verlag, Berlin 1968) hat Wolfgang Wurster sein Expeditions­ erlebnis auf fesselnde Weise beschrieben. Und ihm gelang dort eine Ent­ deckung besonderer Art: er fand seine spätere Ehefrau, die als Mitglied eines mexikanischen Fernsehteams an den Freilegungen teilnahm! Womit an einem Beispiel höchstpersönlicher Natur — und diesmal ganz exakt — nachgewiesen wäre, daß die amerikanistische Forschung immer wieder mit Überraschungen aufzuwarten hat. Während diese Zeilen in den Druck gehen, verbreiten die Nachrichten­ agenturen schon wieder eine neue Meldung: »Versunkene Stadt im Ur­ wald entdeckt! Eine im Urwald versunkene Stadt aus der Vorgeschichte Kolumbiens ist von Anthropologen des Instituts für Menschenkunde in Bogota in der Sierra Nevada des Santa Mara am karibischen Meer ent­ deckt worden. Die Stadt erstreckte sich über 1000 Hektar und umfaßt 500 terrassenartige Anlagen.« Und noch ehe der Druck dieses Buches abgeschlossen werden konnte, melden die Zeitungen, daß die langegesuchte Urwaldresidenz des aus Cuzco von den Spaniern vertriebenen Inkahofes durch den Leiter einer peruanischen Expedition, Edmundo Guillen, aufgefunden werden konnte. Von Vilcabamba aus hatte der geflohene Inka Manco Capac II. noch eini­ ge Jahrzehnte hindurch mit seinen treuen Kriegern eine Art Raubkrieg gegen spanische Reisende und Hofleute führen können, bis er 1544 durch Mörderhand fiel. Edmundo Guillen, der unveröffentlichen Aufzeichnungen spanischer Soldaten gefolgt war, stellte fest, daß Vilcabamba sich über fünf Kilome­ ter Länge und 2,5 Kilometer Breite erstreckt und an die 400 Bauten - Pa­ läste. Tempel und Wohnhäuser - gehabt hatte. Es geht also weiter!

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Verzeichnis der Abbild ungen auf Tafeln A) Farbige Abbildungen

n Priester in Gebetshaltung, wie sie auch im frühen christlichen Ritus bekannt ist; Chichen Itza. in Kopf der gefiederten Schlange vom Jaguartempel in Chichen Itza. IV Tempelanlage vom Monte Alban, südwestlich von Oaxaca, Mexi­ ko. Zu der großzügigen Anlage an zwei großen Plattformen ge­ hört ein kleiner Palastkomplex, doch auch weite Ballspielplätze, wie sie sich auf Kreta genauso finden. V Fassade des »Gouverneurspalastes« von Uxmal, Mexiko, mit ih­ rem aus rund 20000 behauenen Steinen zusammengefügten Mosaikschmuck. Im Hintergrund das »Haus des Magiers«, eine Pyramide des Neuen Reiches der Maya, die als Grabstätte von Königen galt. VI Der Morgenstemtempel von Tula mit den vier großen Krieger­ figuren der Tolteken auf der Plattform. Im Vordergrund monu­ mentale Steinplastik. VII Steinplastik (sogenannter Chacmool) eines Menschen oder Gottes von Tula, der bei zur Seite gewendetem Kopf eine Schale auf dem Leib trägt. Solche Plastiken finden sich auch in Chichen Itza, Mexiko und Tlaxcala. VIII »Haus des Magiers« in Uxmal. IX Eingang zur Kukulkan-Tempel auf der großen Pyramide von Chichen Itza zwischen zwei Schlangensäulen. (S. 159) X Kleiner Tempel von Palenque mit dem gleichen falschen Gewöl­ be, wie wir es von der Baukunst Kambodschas aus dem 8.-10. Jahrhundert kennen. XI »Tempel des Kreuzes« in Palenque. Als die großen Tempelbau­ ten von Palenque errichtet wurden (um 650), predigte Willibrod den heidnischen Friesen, Mohammed war gerade gestorben und die Araber rüsteten sich zu ihrem Siegeszug nach dem Westen.

XII Gewölbebogen-Ansatz eines Tempelbaues in Palenque mit den Resten der Bemalung. XIII Alt-Chichen-Itza liegt noch mitten im Urwaldgebiet, 200 Jahre lang haben die Tolteken hier ihre gewaltigen Bauten errichtet, zu denen auch ein Observatorium gehörte. XIV Gran-Pa jäten wird freigelegt. Diese erst in jüngster Zeit ent­ deckte Terrassensiedlung im östlichen Andengebiet von Peru weist große Rundbauten auf. Flache Steinplatten, in die ganze Mauertiefe eingebunden, bilden figürliche Muster. XV Kunstvoll sind die Köpfe der Tier- und Menschendarstellungen von Gran Pajaten (auch Abiseo genannt). Aus weichem rötlichen Sandstein haben die Steinmetze Augen, Nasen und Münder pla­ stisch herausgearbeitet. XVI Die letzte bisher freigelegte Urwaldstadt der Inka stammt aus der späten Phase des Imperiums, als die Urwaldrandbereiche besie­ delt wurden. Gerätschaften und Keramikfragmente zeigen inkaische Stileinflüsse. (Fotos: Wolfgang Wurster) XVII Kolumbische Goldfigur in Guß in verlorener Form; QuimbayaStil. Solche Figuren gelten öfters als Abbilder indianischer Fürsten aus dem Cauca-Tal. (Museo de America, Madrid) XVIII Großer Krug mit plastischem Gesicht und vielfarbig bemalten Einzelbildern. Der Krug wurde mit zwölf anderen im oberen Ocona-Tal (Dep. Arequipa, Peru) in einer runden Ummauerung gefunden. (Foto: H. D. Disselhoff)

B) Einfarbige Abbildungen

41 Das große Sonnentor von Tiahuanaco. 42 Sonneninsel im Titicacasee mit den Ruinen. 43 Steininschriften im Rio Urubú, Amazonas, Brasilien (nach Ber­ nardo da Silva Ramos, Inscricöes e traducöes na America pre­ histórica, Rio de Janeiro, 1930). 44 Doppelbeilmarke auf einem Stein von Phaistos, Kreta.

Bildnachweis: Abbildung 1, 25: Giraudon, Paris; 3: Völkerkunde­ museum, Wien; 3, 4, 9, 11: nach Lord Kingsborough; 5: Wolf­ gang Cordan; 12, 14, 15, 16, 20, 21, 22, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 35, 38, 44: Roger-Viollet, Paris; 37, 39, 41, 42: R. M. Gerstmann, Santiago de Chile; 17: Gillieron jr. WMF, Geislingen, 6-7, 8, 13, 18, 23, 24, 32, 40, 43: Archiv des Verlages.

Erste Auflage 1961 Zweite, ergänzte Auflage 1965 Dritte, neu bearbeitete und erweiterte Auflage 1976

Namen- und Sachregister Abd-el-Latif 53 Abiseo 313 f. Acamapich 73 Acosta, Jorge R. 157 f. Adoben 83 180 191 286 Aguilar, Jeronimo 92 Ägypten 26 32 f. 41 55 83 87 88 97 121 149 150 171 187 189 192 198 218 228 f. 240 247 253 255 278 Ahpuck 45 Ahuitzotl 73 Akabana 216 222 223 229 Akawayo 313 Alaun 203 Almagro, Diego de 47 52 Amenophis IV. 256 Ancon 195 Angkor Vat (vgl. Kambodscha) 96 Arbobillo 137 Architektur lOOf. 103f. 111 130 152 173 282 286 Armillas, Pedro 135 Arriaga, Pablo José de 59 Asphalt 145f. 152 Assyrien 235 245 Atahualpa 30 48 f. 68 264 268 Axayacatl 37 Aymara 14 16 216 238 242 311 Azcapotzalco 39 135 Azteken 11 14 16 29 41 43 46 60 71 f. 73 76 78 87 105 114 118 125 131 141 198 201 254 270 271 288 292 Balboa, Vasco de 17 46 Bartwuchs 39 95 Batik (-technik) 197 280 281 284 Batres, Leopold 133 Baumwolle 197 199f. 286

Beichte 43 46 Benitez, Fernando 33 Berrio, Antonio de 299 Beschneidung 45 Betanzos, Juan de 13 64 Bibel-Parallelen 41 f. 44 Bingham, Hiram 83—85 Blumenkult 39 253 Bochica 11 74 Bodadilla 299 Bolontiku 45 Bonampak 31 96 Bonavia, Duccio 317 f. Brasseur de Bourbourg, Etienne 107 f.

Cabot, Sebastian 17 Cajamarca 48 50 51 55 Calixtlahuaca 80 Campeche 178 Capac Yupanqui 31 67 Casma 181 Caso, Alfonso 271 Catherwood 87 f. Cauca 248 Ce-acatl (Nactitl) 12 14 Cempoala 18 19 21 58 76 128 Cenote 166f. Ceutla 18 Chachapoyas 231 248 Chacmultun 175 Chalón, Pablo E. 223 Chamapata 231 Chanca Vilca 69 Chancay 232 286 Chan Chan 180-199 251 263 286 Chapultepec 20 38 Charonkult 197 203 Chavero, Alfredo 143 Chavin 195 231 245 f246ff-248-251 254 262 272 273 281 282 292 Chiapas 97 152 Chibcha 11 248 f. 258 f. 260 288 306

Chichen Itza 76 91 128 130 150 159f. 162f. 165 169 172 178 196 282 287 f. Chichimeken 73 82 126 141 155 Chicunauictlan 198 Chilam Balam 65 Chimu 5661 182-199 253 255 262f. 286 Chiras 180 Chiripa 231 Cholula 12 I9f. 33 82f. 153 156 Chou-Stil 130 195 272 281 282 Christl. Riten (vgl. Bibel) Chronisten 13 24 33 45 59f. 63f. 75 85 87 152 155 157 161 166Í. 183Í. Cihuaca 22 Cobo 239 Cochrane 259 Cocom 107 Codex Borbonicus 134 Colhuacan 157 Collas 238 Copan 76 86-89 91 f. 104 f. 145 253 Copilco 139 Coquimba 13 222 Cortez, Hernando 15-22 27-39 58 64 76 82 86f. 125 155 270 Cuernavaca 80 135 Cuicuilco 140 Cuilapan 128 Cuitlahuac 39 73 Cuzco 25 52-54 56 68 f. 83 190 192 204 f. 209 229 231 248 256 266-268 299

D'Alcobaca. Diego 207 Danzantes 146 Denis, Fernando 297 Diaz, Bernai 31 37 59 270

325

Dongson 282 283 f. D’Orbigny 209 Elemente 44 Erikson, Leif 312 Espada, Jiminez de la 207 Espinoza, Antonio 246 Etrusker 172 188 218 235 249 250 256 313 Evans, Arthur 26 32 210

Farbstoffe 202 Fawcett, P. H. 298 Federkrone 27 f. Fell, Barry 312 Fine lady 137 Förstemann 90

Gallinazo 182 282 Gamio, Manuel 133 Garcilaso 24 f. 64 69 f. 207 266 Gattoni-Celli, Mario 313 Gesichtskrug 188 Gewebe 196f. 203 286 Gewebearten 38 f. 283 286 Goldbearbeitung 258 f. 286 Götterkulte 253 Gran Pajatén 313 f. Granulation 260-263 284 Großer Tajin 128 f. Guanahani 23 Guatan 189 Guayana 234 313 Guillen, Edmondo 320

Hagia Triada 26 f. 231 Heine-Geldern, Robert 130 150 177 241 272 f. 280f. 283 Hentze, Carl 45 Heredia, Pedro de 259 Heyerdahl, Thor 309 310 311 Himmelsbaum 45 274 Huaca de Chira 180 Huamac 155 f. Huascar 48 51 68 Huayama Capac 48 68 70 268

Huexotla 80 Huitzilopochtli 35 Humboldt, Alexander v. 76 Hyustus 14

Ihuatzi 131 Ikat (-technik) 197 280 281 283 f. Inka 11 23 30 f. 43 54 ff. 67 68 f. 70 83 f. 171 194 238 242 251 255 264 269 278 286 292 319 Inka Manco 51 Inka Roca 31 67 298 Itzcoatl 73 Ixchel (Ixcumane) 255 Jadearbeiten 142 149 271 f. Jaguar (-kult) 147f. 162 234 249f. 252 260 Jimenez Moreno 157 Juarros 87 Justizwesen 193

Kabah 103 Kalasasaya 208 f. 211 232 Kalender 14 44 45 104 106 f. 215 Kambodscha 101 104 141 173 176 282 Kaminaljuyü 91 Kannibalismus 25 Karl V. 19 30 47 Kartoffel 200 f. Kauffmann-Doig, Feder. 313 Kaukasien 283 f. 285 Kelten 236 312 Khmer 176 281 282 Kingsborough, Edward 77 f. Kleidung 26 f. 38 f. 202 Knossos 26 f. 124 128 134 210ff. 218 229 243 245 247 261 Kolumbien 182 f. 245 248 f. Kolumbus 17 23 25 60 101 176f. 201 312 Kotsun 278

Kreta 26 f. 55 62 96 118f. 123 128 134 145f. 149f. 153 171 209 f. 212 219 220 226 229f. 240 243 245 250 253 261 290 f. 296 302 Krickeberg, Walter 176 Kukulkan 11 86 91 119 161 f. 164 179

Labna 103 LaCalancha 185 192 202 La Centinela 194 La Condamine 76 Lama 237 f. Lambayeque 182 Landa, Diego de 59 106ff. 119 166 Las Casas 28 La Venta 143 ff. 152f. 310 Leguizamo, Mario Sierra de 56 Leicht, Hans 252 Leon, Cieza de 13 53 208 209 231 246 Leon y Gama, Antonio de 76 Lhullier, A. Ruz 98 Linné, Sigvald 135 157 Lloque Yupanqui 67 Löwenmasken 148 Lopez, Francisco 297 Lotosmotiv 172 f. Machu Picchu (Vitcos) 51 52 83 f. 247 Mahieu, Jacques 312 Mais 201 f. Malerei 96 Manco Capac 67 256 Manco Capac II. 320 Masken 260 262 Maudsley, Alfred P. 109f. Maya 11 14 16 18 41 43 45 59 63 65 86 f. 90 f. 96 98 99 ff. 104 ff. 108 113f. 118 f. 128 130 132 137 147 152 159 163 168 f. 189 253 254 264 281 288 310

Mayapan 91 Mayta Capac 67 205 220 Megalithkultur 153 217f. 221 233 241 285 289 290 Mcm-hen-hi 154 Mendieta 154 Menhire 248 Menschenopfer 34 f. 61 165 f. 169f. 186f. 229 245 Mesas, Cerro de las 149 Metallegierung (-bearbeit.) 238f.273f.282 283 284 286 Michoacan 143 Michuaque 130 Mitla 127 f. 132 246 Mixcoati 12 Mixtekcn 16 73 128 189 Mochica 16 136 152 182 195 241 284 286 MojekelSl Monte Alban 126 ff. 132 146 271 f. Monte Alto 301 Montezuma 18—20 27—39 71 270 Moreno, Jiminez 157 Morley, S. Griswold 160 Mumienkult 192f. 196 Musik 57 f. 61 Mykenae 37 54 104 188 233 234 Mystery Hill 312 f. Mythologie 45

Nadaillac 211 223 Nahua 73 Narvaez, Panfilo 21 58 Nazca 197 286 Neger 288 Nina Inti 232 Noguera 143 Nuttall, Zelia 138

Oaxaca 125f. Olid, Christobal de 130f. Ollontay Tambo 54 231 Olman 65 142f. Olmeken 142-153 248 249 253 287 292 310 Ondegarde, Polo de 13 24 25

Orakel 188 f. Orelio I. 290 Ostasien 45 172f. 174 176f. 195f. 203 241 253 272 281 f. Otomi 154 Otumba 22 Oxlahuntikun 45 Pacasmayo 232 Pacatnamu 180 183 Pachacama (Pachatata) 232 285 Pachacamac 171 181 188 190 232 Pachacutec 68 190 Pachamama 232 Pajaten 286 Palenque 18 86 96-99 101 174 196 Paracas 196 Paraguay 312 Patzcuaro 131 Payon, Garcia 129 Peru 13 47 f. 83 f. 139 170 180 f. 204 f. 240 313 f. Petrie, Flinders 53 f. 292 293 f. Phönizier 202 f. 235 236 273 302 310 311 Piedras Negras 96 104 Pimentel Gurmendi, Victor 315316319 Pizarro, Francisco 46-52 Pizarro, Hernando 49 188 190f. 264 Pizarro, Pedro 23 Polynesien 276 f. Pontische Wanderung 283 f. Popol Vuh 65 Posnansky, Arthur 209 211-237 Prescott 35 67 Pucara 231 Puerto Barrios 105 Puma Punku 205 224 230 235 252 Puuc-Stil 103f. 175 196 Pyramiden 33 f. 37 53f. 81 96 129 152 162 180 f. 188 191 206 223 f. 226 f. 232 241 286

Quauhtemoc 22 32 73 86 Quechua 16 Quesada, Jiminez de la 258 Quetzalcoatl Ilf. 14 35 71 154 f. 159 168 178f. 201 290 310 Quetzalvogel 27 142 Quinantziu Tlaltecatzin 73 Quipu 277 Raimondi-Stein 195 251 279 Ramses II. 229 Ramses III. 229 Raposo, Francisco 300 Ribeira, Hernando de 297 Ricketson, William 92 f. Rimae 181 Rio, Antonio del 97 Romero 223

Sacsayhuayman 54 Sahagun, Bernardino de 11 142 154f. 182 195 241 282 Salinar-Kultur 241 Salomo 295 Sänfte 26 46 Sarmiento, Diego de 13 64 160 Savoy, Gene 313 f. Sayil 103 f. Schlangenkult 186f. 195 250 f. 257 Schliemann, Heinr. 262 Schmetterling, Myth. 134 136 152 Schrift 119 f. 152f. 294 f. 302 Secchin 222 231 Seefahrt 290 f. Seler, Eduard 90 Sierra de Lcguizano, Mario 57 Silva Ramos, Bernardo da 293-296 303 Sinchi Roca 67 Sintflutsage 42 138f. 182 Sklaverei 39 61 Sonnenkult 194 230232 256 f. 273 Sonnentor 206 215 235 f. 249 286 Speisesitten 40 46

327

Spirale 234 f. 239 240 247 283 Stelen 91 251 Stephens, John Lloyd 87ff. 109 125 Stirling, Matthew W. 144ff. Straßen 52 f. Symbole d. Herrschaft 26 f. 46 203

Tabasco 18 Tajin 128 130 132 150 196 Tangaxoan Tzintzicha 131 Tapi 42 Tarasken 16 132 153 Tariacuri 131 Taufe 45 46 Tehuantepec 126 Tello, Julio 231 237 246 247 Tenayuca 73 81 Tenochtitlan 19-22 27-39 43 56 59 71 ff. 79 80 125 131 169f. 269 Teocalli 34 f. Teopanzolco 80 Teoticalli 220 Teotihuacan 65 126 133f. 136 147 152 169 220 292 Tepaneken 73 Tepotztlan 80 Tetzcoco 22 27 30 38 59 71 73 81 Thompson, E. H. 163 ff. Tiahuanaco 58 205-237 227 f. 240 f. 249 255 262 282 287f. 292

Ticoman 137 Tikal 95 f. Tiryns 54 96 207 217 Titicacasee 204 206 209 217 220 231 242 278 Tizatlan 80 Tlacolula 127 Tlacopan 73 Tlaltelolco 38 59 80 Tlapallan 156 Tlatilco 137 Tlaxcala 19 80 Tollan (s. Tula) Tolteken Ilf. 73 82 141 154-161 162 168 f. 178 289 290 Torqucmada, Juan de 154 Totonaken 18 128 130 141 150 151 169 196 Tozzer, Alfred 90 Tres Zapotes 153 Tschudi, Johann Jakob von 76 Tula (Tollan) 12 65 72 154f. 156ff. 172 178 Tulurn 92 Tumbes 47 55 183 238 Tupac Yupanqui 68 183 248 Tzintzuntzan 131

Uaxactun 91 92 95 105 Ulloa, A. de 76 Unterwelt 45 Uramarca 69 Uru 278 Uxmal 103 104

Vilcabamba 267 320 Viracocha 11 13 14 205 f. (Kon Tiki Iliac) 243 24Í (o. Tiki-Viracocha) 256 304 Viracocha Inka 24 25 68 f. Viscosa 301 Vitcos (Machu Picchu) 51 52 83 f. Waldeck,}. F. de 76 90 97 f. Wanderung d. Maya 101 f. Wikinger 312 Woolley, L. 138 Wurster, Wolfgang 319 f. Wuthenau, Alex. v. 309

Ximenes, Gonzalo 299 Xitli 139f. Xochimilco 39 Xochipiili 253 Xoco 128 Xolotl 135 198 203 Yacata 131 f. Yahuar Huacac 68 f. Yahuar Pampa 69 Yaxchilan 96

Zacatenco 137f. Zahlen 55 153 210 Zapoteken 16 65 125 128 132 136 152 189 Zumarraga, Juan de 59

PIERRE HONORÉ ist das Pseudonym eines in Südameri­ ka ansässigen, international bekann­ ten europäischen Wissenschaftlers aus dem deutschen Sprachraum. Ne­ ben seinem Fachgebiet erwarb er sich besondere Kenntnisse der Archäolo­ gie der Alten Welt durch Reisen in den Orient, nach Griechenland, Ita­ lien, Kreta, Ägypten und Assyrien, wobei ihm seine Sprachkenntnisse — er spricht fließend fünf europäische Sprachen — zugute kamen. Nach Südamerika zurückgekehrt, wurde er Leiter eines Forschungsin­ stituts, Universitätsprofessor und Ratgeber seiner Regierung. Er be­ reiste im Regierungs- und Studien­ auftrag ganz Süd- und Mittelamerika und konnte in seiner unabhängigen Stellung einen großen Teil der Zeit dem Studium der indianischen Ar­ chäologie widmen. Es gibt keinen Grabungsort, keine Privatsammlung, kein Museum der indianischen Kultu­ ren, die er nicht aufgesucht und gründlich studiert hätte. Nach 15jäh­ rigem Studium schrieb er sein Buch über den Weißen Gott der Indios, be­ wußt in populärer Form, um einen großen Leserkreis die faszinierende Welt der vor fast 450 Jahren unterge­ gangenen Hochkultur Amerikas er­ schließen zu helfen.

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