Ich betreibe Rechtsgeschichte: 119 Liebeserklärungen 9783412525538, 3412525537

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Ich betreibe Rechtsgeschichte: 119 Liebeserklärungen
 9783412525538, 3412525537

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ICH BETREIBE RECHTS GESCHICHTE 119 LIEBESERKLÄRUNGEN

GESAMMELT VON PETER OESTMANN

ICH BETREIBE RECHTSGESCHICHTE 119 Liebeserklärungen gesammelt und herausgegeben von Peter Oestmann

Böhlau Verlag wien köln

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2022 Böhlau, Lindenstraße 14, D-50674 Köln, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande  ; Brill USA Inc., Boston MA, USA  ; Brill Asia Pte Ltd, Singapore  ; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland  ; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Korrektorat  : Dore Wilken, Freiburg Einbandgestaltung  : Michael Haderer, Wien Satz  : Michael Rauscher, Wien Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-52553-8

Liebeserklärung an eine Geisteswissenschaft

Rechtsgeschichte macht Freude. Mit diesen drei Worten lassen sich die hier versammelten Beiträge auf den Punkt bringen. Die Universität bleibt ein Reich der geistigen Freiheit und eine kleine Spezialdisziplin wie die Rechtsgeschichte übt wie eh und je ihren ganz besonderen Zauber aus. Manchmal ist es wichtig, solche einfachen Wahrheiten auszusprechen. Die Idee zu dieser Selbstvergewisserung entstand 2018. Ich hatte den Eindruck, dass der Rechtsgeschichte ein wenig Werbung nicht schaden würde. Ein Nischenfach im Elfenbeinturm war sie zwar nie, aber gerade die Ausstrahlung über den engeren Kreis des Fachpublikums hinaus war und ist begrenzt. Um Außenstehende zu erreichen, benötigt man nicht nur spannende Inhalte, sondern vor allem Menschen, die dafür einstehen. Diese Menschen gibt es in ihrer ganzen Verschiedenheit. Hier sind es über einhundert. Sie alle eint die Begeisterung für ihr Fach. Nach und nach lud ich Kollegen und Mitarbeiter ein, kleine, möglichst persönliche Texte zu verfassen. Auf meiner Homepage entstand eine eigene Rubrik mit wöchentlich wechselnden Bekenntnissen. Das sprach sich herum. Mit der Zeit meldeten sich Interessenten, die ebenfalls vertreten sein wollten. Besonders freue ich mich, dass auf diese Weise nicht nur Professoren für Rechtsgeschichte zu Wort kommen. Studenten sind ebenso beteiligt wie Doktoranden. Historiker und Archivare legen ihr eigenes Zeugnis ab wie auch Rechtsanwälte, Richter und eine Verlagsmitarbeiterin. Man entdeckt einen verhinderten Basketballprofi, einen Friedhofsbesucher, leidenschaftliche Forscher oder engagierte Heimatfreunde. Ein Mitwirkender ist ganz ehrlich und schreibt, warum er keine Rechtsgeschichte betreibt. Die meisten Autorinnen und Autoren haben Fotos beigefügt. Hier reicht die Spannweite von berstend vollen Hörsälen bis zu Urlaubsaufnahmen aus der Sommeridylle. Zwischen den jüngsten und ältesten Verfassern gibt es einen Altersunterschied von sieben Jahrzehnten. Die versammelten Rechtsgeschichtsfreunde stammen großenteils aus Deutschland, Österreich und der 5

Schweiz. Aber Beiträge etwa aus Japan, Finnland, den USA, Israel, Estland oder Brasilien stehen stellvertretend für die internationale Fachgemeinschaft. Auf Vorschlag von Martin Schermaier und anderen Mitstreitern entschloss ich mich, aus den vielen Internettexten ein kleines Bilderbuch zusammenzustellen. Es ist oft von Sichtbarkeit die Rede, und vielfach meint man damit leichthin die weltweite Verfügbarkeit von Texten im digitalen Raum. Doch die hier versammelten Liebeserklärungen wollen in die Hand genommen und durchgeblättert werden. Irgendwo bleibt man bei irgendwem hängen. Vielleicht springt die Freude, die aus den ganz unterschiedlichen Bekenntnissen spricht, genau dann auf den einen oder anderen Leser über. Zwei begeisterte Rechtshistoriker, die in diesem Büchlein vertreten sind, haben das Erscheinen der Druckfassung leider nicht mehr erlebt. Filippo Ranieri und Michael Stolleis sind verstorben, während die Werbeaktion noch lief. Ranieri hinterlässt in diesem Band den überhaupt letzten Text, den er geschrieben hat. Mit dem Böhlau Verlag und seiner Programmplanerin Dorothee Wunsch wie auch der Projektmanagerin Julia Beenken hatte ich wie immer Partner zur Seite, die wie nur wenige andere für die Botschaft des Buches einstehen. Konstantin Liebrand und Mika Dahmer betreuten die redaktionelle Aufbereitung der Texte für die Drucklegung. Ihnen sei herzlich gedankt. Ganz altmodisch wünsche ich den hier versammelten Beiträgen geneigte Leserinnen und Leser, die bereit sind, sich verzaubern zu lassen. Falls jemand den Drang verspürt, ebenfalls ein Bekenntnis abzulegen, fühle er oder sie sich herzlich dazu eingeladen. Melden Sie sich gern, am besten per E-Mail (an oestmann@ uni-muenster.de). Die Rechtsgeschichte geht weiter, ihre Strahlkraft wird hoffentlich lange anhalten. Münster, im Frühjahr 2022 Peter Oestmann

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ICH BETREIBE RECHTSGESCHICHTE …

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…, weil ein ernsthafter Versuch zu begreifen, wie etwas eigentlich ist, bald auf die Frage führt, wie es so gekommen ist. Kurz gesagt also  : weil ich Jurist bin. Gregor Albers, Jurist

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…, weil »Geschichte« bereits während meiner Schulzeit mein Lieblingsfach war und ich dieses Interesse mit dem Jurastudium ideal verbinden konnte. Geschichte spiegelt sich auch und gerade im Recht wider. Unser heutiges Verständnis von Recht, also den Verhaltensregeln, die das menschliche Miteinander gewährleisten sollen, basiert auf einem langen Entwicklungsprozess. Wir können ihn anhand von Gesetzgebung und Rechtsprechung der Vergangenheit nachverfolgen. Viele Quellen, zum Teil jahrhundertealt, sind überliefert und lesen sich oft spannender als ein Krimi, denn man weiß  : Sie sind real. Ihr Studium und ihre wissenschaftliche Auswertung machen ebenso große Freude, wie darüber Studierenden zu berichten und hierdurch meine Begeisterung weiterzugeben. Anja Amend-Traut, Rechtshistorikerin

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…, weil sie etwas über den Menschen und seinen Umgang mit der ihn treffenden Verantwortung in der Welt lehrt, über die Gründe, um derentwillen er Recht braucht, und über die kulturelle Leistung, mit der der Mensch diesem Bedarf unter verschiedenen historischen Bedingungen nachzukommen versucht hat. Der Blick über das hier und heute geltende Recht hinaus in andere historische Kontexte verschafft Einblicke in sehr verschiedene Entwürfe von der richtigen Ordnung des menschlichen Lebens. Sie lehren, wie wenig selbstverständlich die in unserer Kultur vorherrschenden Ordnungsvorstellungen sind. Dabei verstehe ich das Recht als in ständiger Entwicklung begriffen. Das Recht einer bestimmten Zeit  – auch das heute geltende Recht  – steht jeweils nur für eine Momentaufnahme. Es ist nämlich nichts Statisches, ein für alle Mal Gegebenes  ; es entwickelt sich vielmehr und erweist sich in seiner relativen Richtigkeit gerade durch die Anpassung an jeweils bestehende Ordnungsbedürfnisse. Savigny hat einmal geschrieben, dass die »ganze Rechtswissenschaft selbst nichts Anderes ist als Rechtsgeschichte«. Legt man diese Auffassung zugrunde, dann geht auch der moderne Jurist mit »fortschreitender Rechtsgeschichte« um, und es ist besser, wenn er eine Vorstellung davon hat, nach welchen Grundsätzen sich diese entwickelt. Das gilt auch im Hinblick auf die zukünftigen Anforderungen an das Recht. Jherings wissenschaftlicher Produktivität lag die Überzeugung 10

zugrunde, dass derjenige, der Geschichte als vergangene Entwicklung wahrnimmt, die Fortentwicklung damit verbinden muss. So wurde er zum Wegbereiter völlig neuer Ausrichtungen des Rechtsdenkens. Die Rechtsgeschichte hält einen Schatz an Erfahrungen im Umgang mit Rechtsfragen bereit. Der Umgang früherer Generationen mit den Herausforderungen, die sich ihnen gestellt haben, gibt wertvolle Anregungen für die Bewältigung künftiger Aufgaben. Die Bedeutung dieser Erfahrungen beschränkt sich freilich nicht darauf, dass es praktisch ist, auf bewährte Lösungen zurückgreifen zu können. Vielmehr erweist sich an den Erfahrungen die tiefere Berechtigung, mit der bestimmte Regelungen überhaupt Geltung als »Recht« beanspruchen können. Martin Avenarius, Rechtshistoriker

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…, weil Geschichte Distanzierung vom Tagesgeschäft bedeutet und damit einen differenzierten Blick auf heutige Rechtsprobleme erlaubt. Aufgrund der zeitlichen Distanz bestehen bei der Beschäftigung mit historischen Rechtsfragen und Sachverhalten Unsicherheiten darüber, »wie es eigentlich gewesen ist«. Gerade dies erzieht den Betrachtenden aber zur Vorsicht und zwingt dazu, Fragen offen zu lassen und in Alternativen zu denken. Jede/r Rechtshistoriker/in muss also ständig den eigenen Standpunkt kritisch hinterfragen und die Tragfähigkeit der erwogenen Rekonstruktion überprüfen. In der Geschichtsphilosophie von Siegfried Kracauer wird diese Funktion der historischen Betrachtung auf die schöne Formel gebracht  : »History is a film«. Diese Definition lenkt den Blick auf den Zuschauer, also auf den Interpreten der Vergangenheit. Wie ein guter Film hat auch die Rechtsgeschichte die Funktion, die Wahrnehmung zu schärfen und durch die Reflektion der Vergangenheit Einsichten für die Gegenwart zu vermitteln. Ulrike Babusiaux, Rechtshistorikerin

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…, weil sie ein außerordentlich breites Spektrum an Forschungsmöglichkeiten bietet und man quasi nebenbei unglaublich interessante Entdeckungen machen kann. Wer rechtshistorisch arbeitet, der ist eben nicht festgelegt auf Kategorien wie Zivilrecht, Öffentliches Recht oder Strafrecht. Erlaubt ist, was gefällt, solange der rechtliche Kontext noch erkennbar ist. Da aber das Leben im Allgemeinen schon seit langer Zeit stark durchnormiert ist und es kaum Bereiche gibt, in denen nicht gestritten wird, ist fast alles erlaubt. Und, wie gesagt, nebenbei lässt sich allerlei entdecken  : Ein geheimnisvoller Brief, der seit 400 Jahren ungeöffnet in einer Akte liegt, kunstvolle Zeichnungen von Landschaften und Städten, die im Zusammenhang mit Grenzstreitigkeiten angefertigt wurden, Karikaturen, die ein offenbar gelangweilter Schreiber in ein Protokoll malte, ausführliche Inventarlisten in Erbschaftsstreitigkeiten, die einen detaillierten Blick in die Lebenswirklichkeit frühneuzeitlicher Bürgerfamilien eröffnen, und vieles mehr. Sarah A. Bachmann, Rechtshistorikerin

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…, weil dies einer der wichtigsten Wege ist, um die Regeln für die wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen nicht nur der Elite, sondern auch derjenigen der unteren sozialen und wirtschaftlichen Schichten der frühmittelalterlichen Gesellschaft in den Griff zu bekommen. David Bachrach, Historiker, New Hampshire/USA

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…, weil für mich die  – als Hobby ausgeübte  – Interpretation von Werken der klassischen Musikliteratur durch eine andere Art kreativer Arbeit konterkariert werden musste, wenn Musik nicht zur Profession werden sollte (Anm.: Um mich den üblichen abfälligen Bemerkungen über pensionierte Bratschisten zu entziehen, habe ich mich aus dem obigen Anlass heraus der Violine zugewandt)  ; …, weil meine Frankfurter Rechtslehrer wie vor allem anfangs Adalbert Erler und später Bernhard Diestelkamp es – nicht nur über die legendären »Frankfurter Rechtshistorischen Abendgespräche«  – verstanden, in mir die Begeisterung für vergangene, aber bis heute nachwirkende Rechtskulturen zu wecken  ; …, weil mir die Arbeit mit archivischen Quellen, die ich mir durch eine eigens dafür gewählte paläographische Ausbildung allmählich aneignete, authentische Begegnungen mit Konflikten und Streitkulturen ermöglichte und mir die Gedankenwelten und Gerechtigkeitsvorstellungen unserer Vorfahren nahebringen konnte – mit dem Ergebnis und der Erkenntnis, dass das, was uns Heutige bewegt, sich so sehr viel von dem unserer Altvorderen nicht unterscheidet  ; …, weil das Kennenlernen von Rechtslandschaften der Vergangenheit bisweilen auch deren Besuch erfordert, wie 2014 anlässlich der Jubiläumsausstellung zum Konstanzer Konzil die Orte des Konzilsgeschehen wie eines Tagungsortes des Königlichen Hofgerichts – was nach getaner Arbeit stets noch bei einem Glas Wein vertieft werden konnte. Der rechtshistorische Hintergrund verhalf mir dazu, den Besuch historischer Städte, wie der ehemaligen Freien Reichsstädte nicht touristisch, sondern aus einem rechtshistorischen Blickwinkel heraus und strukturell zu sehen  : Rathäuser, Stadtmauern, Rolande, Marktkreuze, Bettelordens-, Kathedral- und Pastoralkirchen gewannen so einen neuen Stellenwert beim Verständnis über das Gewordensein einer Stadt  ; 15

…, weil bei den jährlichen Bergtouren unserer quattuor doctores (einer von ihnen sitzt in obigem Bild am Klavier, Dr. Volker Hoffmann, ein anderer spielt Geige) rechtshistorische Probleme multiperspektivisch diskursiv und wandernd erörtert, bisweilen auch gelöst werden können. Hier entstand etwa meine satirische Abhandlung »Im Bannkreis Stalins  ? Bemerkungen zu einer Rezension, die keine ist« (Rechtshistorisches Journal  15, 1996)  ; der Zwangsaufenthalt wegen schlechten Wetters auf der Monte-Rose-Berghütte führte 1989 zur Gründung einer Judaica-Zeitschrift »Aschkenas«, die stark rechts- und verfassungshistorisch orientiert ist und mit bislang knapp 60 Halbjahresbänden noch immer erfolgreich ist. J. Friedrich Battenberg, Rechtshistoriker

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Im ersten Semester belegte ich  – wie viele andere Studierende auch – neben den Veranstaltungen im deutschen Recht die Vorlesung Römische Rechtsgeschichte. Dort stellte ich – entgegen meiner Erwartung – zunächst nur wenige Parallelen zwischen dem deutschen und dem römischen Recht fest. Es zeigte sich, dass in anderen Zeiten und an anderen Orten (unter anderem) die rechtlichen Bedürfnisse anders sind  ; und so gestaltet sich auch das Recht anders. Dies beginnt bei den Verfahrensarten und zieht sich auch durch das materielle Recht. Im Laufe der Jahre zeichnete sich aber für mich ab, dass doch immer wieder auf ganz unterschiedlichen Wegen ähnliche – oder gar gleiche – Ergebnisse erzielt werden. Auch zeigten sich bei genauerem Hinsehen faszinierende Kontinuitäten  : Das Recht in Europa hat sich mit der Zeit gewandelt, doch lässt sich immer wieder ein gemeinsamer Kern feststellen. Nun fragt man sich  : warum fremdes (altes) Recht lernen, wenn es doch das eigene Recht zu verstehen gilt  ? Erst die Erkenntnis, dass Recht auch anders sein und trotzdem zu überzeugenden Ergebnissen führen kann, hat mich das deutsche Recht hinterfragen und verstehen lassen. Wie übrigens auch die Rechtsvergleichung ermöglicht die Rechtsgeschichte einen kritischen Blick auf das eigene Recht. Rechtsordnungen sind nicht gesetzt, sondern in ihren Strukturen gewachsen. Die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen verschiedenen Rechtsordnungen zu erarbeiten und so eine Grundlage für die kritische Auseinandersetzung mit dem Recht zu schaffen, ist die spannende Aufgabe der Rechtsgeschichte. Kristin Boosfeld, Rechtshistorikerin

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Rechtsgeschichte zeigt auf, wie Heutiges geworden, aber auch, was verschwunden ist. Sie bedient nicht nur dies als Selbstzweck, sondern bietet überdies vertikale Rechtsvergleichung   : vom Staatenbund (Schweiz, Deutschland) oder vom Einheitsstaat (Österreich) zum Bundesstaat  ; von der Hausfrauenehe zur partnerschaftlichen Ehe  ; Grundrechte von Staatszielbestimmungen zu subjektiven öffentlichen Rechten. Dies erleichtert weiters die horizontale Rechtsvergleichung wie etwa das Verständnis des anglosächsischen Erbrechts und der abgestuften Sachenrechte aufgrund der Kenntnis der Ähnlichkeiten dieser Materien vor der Rezeption des römisch-gemeinen Rechts. Ähnlich dient einem europäischen Rechtsbewusstsein ein Vergleich des anglosächsischen Richterrechts mit den zumindest respektierten Schöffensprüchen der deutschen Stadtrechtsfamilien. Die ideologieverzerrte Sicht der NS-Zeit sollte nicht hindern, die bald vierhundertjährigen Forschungsergebnisse der Disziplinen »Deutsches Recht«, ins­ besondere »Deutsches Privatrecht«, weiterzuführen. Dazu kommt, dass mit zunehmendem Alter der Rechtsordnungen rechtshistorische Argumente zunehmen, wie etwa in Österreich hinsichtlich des Grundrechtskatalogs 1867 oder der Bundesverfassung 1920/29. So sehr Rechtsgeschichte dem Verständnis des geltenden Rechts dienlich sein kann, ist es ein Kulturgut an sich, wie etwa die Ägyptologie, der kein gegenwartsbezogener Nutzen abverlangt wird. So ist es auch überaus reizvoll, etwa mit dem mittelalterlichen Privatrecht ein von Funktionen und nicht von Begriffen bestimmtes Rechtssystem kennen zu lernen. Übrigens wird am Gebäude der Universität Wien die Rechtswissenschaft symbolisiert mit Rechtsgeschichte und Rechtsphilosophie  ! 18

Diese Symbolik entspricht allerdings keineswegs dem Stellenwert von Rechtsphilosophie und Rechtsgeschichte im heutigen Studium der Rechtswissenschaft – jedenfalls in Österreich. Die Wochenstundenzahl haben Studienreformen in den letzten Jahrzehnten stufenweise schließlich rapide gekürzt. Zu Beginn der Universitätslaufbahn des Verfassers 1967 betrug sie vierzehn Wochenstunden Vorlesungen für die Fächer »Deutsches Recht«, zusammengesetzt aus »Deutsche Rechtsgeschichte« (fünf Wochenstunden) und »Deutsches Privatrecht« (vier) sowie »Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte« (fünf), dazu kam noch eigens »Römisches Recht«. »Deutsches Recht« und »Römisches Recht« waren Prüfungsfächer sowohl bei der ersten Staatsprüfung wie beim rechtshistorischen Rigorosum. Die rechtshistorische Ausbildung war daher profund und weitreichend. Sie umfasste Mittelalter und Neuzeit und alle Teile der Rechtsordnung, wie es das Wissenschaftsfach Rechtsgeschichte verlangt. Mittlerweile ist das Fach »Österreichische Rechtsgeschichte«, zwar ein Diplomprüfungsfach, auf vier Wochenstunden gesunken, also fast um drei Viertel –   ! – reduziert worden. Im Vergleich mit der ursprünglichen Wochenstundenzahl ist schematisch besehen eine Stofffülle im Umfang von »Deutscher Rechtsgeschichte« sowie »Österreichischer Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte« fortgefallen  ! Einem Wissenschaftsfach wie Rechtsgeschichte entspricht dies keinesfalls. Wie wäre es beispielsweise um Fächer wie Bürgerliches Recht oder Verfassungsrecht bestellt, würden diese in gleicher Weise gekürzt  ? Die spezifisch rechtshistorischen Fertigkeiten des Auffindens archivalischer Quellen, ihrer Lesbarkeit von Kurrentschrift und Frakturdruck sowie des Verstehens ihres Textes in Latein, Mittelhochdeutsch und älterem Neuhochdeutsch seien als essentiell für die Forschung besonders betont. Es mag signifikant sein, dass Neubesetzungen von Professorendienstposten letzthin in Wien durch Berufungen aus Deutschland erfolgten. Der Fragmentierung des Faches in Teildisziplinen wurde damit jedoch nicht entgegengewirkt, der Zusammenhang etwa zwischen der Geschichte des Privatrechts und des Öffentlichen Rechts nicht gepflegt und der Quellenhorizont nicht erweitert. Wilhelm Brauneder, Rechtshistoriker

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…, weil ich damit meinen juristischen Blickwinkel erweitern kann. Durch das Erforschen der Vergangenheit können komplexe Zusammenhänge aufgedeckt werden. Viele normative Texte  – egal ob geltendes oder vergangenes Recht  – erscheinen mir erst einmal staubtrocken. Wenn man sich aber damit beschäftigt, unter welchen Umständen sie entstanden sind, kann man sie mit Leben füllen. Dann können diese trockenen Bestimmungen lebendig werden. Denn in den Normen steckt nicht nur »Recht« – sie sind auch kulturell und religiös geprägt. Rechtsgeschichte ist eben auch ein Stück Geschichte der Menschheit und zeigt uns, wieso Recht so ist, wie es ist, und welche Alternativen es in der Vergangenheit im jeweiligen juristischen Diskurs gab. Sonja Breustedt, Juristin

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…, weil das Heute und das Gestern zusammengehören. Viele Studierende und selbst gestandene Juristinnen und Juristen sind sich nicht bewusst, dass das geltende Recht nicht eine beliebige Materie ist, die der Gesetzgeber mehr oder weniger zufällig in Paragraphen gießt, sondern das Produkt eines jahrtausendealten Erfahrungsschatzes. Indem ich das Recht vergangener Zeiten untersuche, verstehe ich einerseits besser, wie Menschen früher gelebt haben, andererseits aber auch, welche alten Erfahrungen noch in unserem modernen Recht stecken. Neben dieser intellektuellen Bereicherung ist es mir besonders wichtig, bei den Studierenden ein Bewusstsein dafür zu wecken, dass die aktuell geltenden Regelungen nicht alternativlos sind, sondern auf einer bestimmten geistesgeschichtlichen Entwicklung beruhen. Unser modernes, rationales Rechtssystem ist eine große kulturelle Errungenschaft, die in jeder Generation erneuert werden muss. Wolfram Buchwitz, Rechtshistoriker

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Die Rechtsgeschichte war für mich immer eine unentbehrliche Ergänzung zu meinem Hauptberuf als Anwalt und Rechtskonsulent. (Foto  : Theodor Bühler auf der Tagung der Internationalen Gesellschaft für rechtliche Volkskunde im Kloster Engelberg 2018.) Theodor Bühler, Rechtsanwalt und Rechtshistoriker

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…, weil ich das seltene Glück hatte, gleich zu Beginn meines juristischen Studiums einem begnadeten Lehrer zu begegnen, der vermutlich »sans le savoir et sans le vouloir« etwas wachrüttelte, was in mir  – bislang unbewusst  – schlummerte, nämlich die Neigung zum Rückblick. Daraus ergab sich früh die Entscheidung, meinen beruflichen Lebensweg der Rechtsgeschichte im universitären Bereich, d.h. forschend und lehrend, zu widmen. Bereut habe ich diese Entscheidung in keinem Augenblick. Der eingeschlagene Weg führte meine Aufmerksamkeit im Laufe der Jahrzehnte recht weit und abwechslungsreich in verschiedene geschichtliche Bereiche des Rechts  : vom Schicksal der historischen Allmende und den Sorgen der Säumer der Leventina über die Bestrebungen und Wünsche der Kaufleute nach einem Sonderrecht bis zu Savigny, seiner historischen Schule und seinen Bedenken gegen eine kodifikatorische Erfassung des Rechts. Dabei blieb die Richtung des Blickes stets fest und unverändert. Auch unterwegs erlahmte die Motivation nie, auch nicht angesichts der steten Konkurrenz der ohnehin robusteren Fächer des geltenden Rechts. Sie gewann vielmehr zusehends an Relevanz und war jeder Versuchung, die Blickrichtung zu ändern, gewachsen, weil sie stets Freude mit Befriedigung verband. Jene Freude, die den Entdecker belohnt, der das Vermutete nach womöglich langem Suchen, mancherlei Umwegen oder wiederholten Rückschlägen doch noch aufspüren kann. Und mit ihr zugleich die Befriedigung, etwas vor dem überall drohenden Vergessen bewahrt zu haben. Immer deutlicher habe ich auch im Laufe der Jahre die »effrayante responsabilité« (Ch. Péguy) des Historikers verspürt, vom Untergang Bedrohtes letztlich noch zu retten. Sie hat mir stets aufs Neue Mut gemacht und mich zum Handeln angespornt. Bis auf den heutigen Tag. Pio Caroni, Rechtshistoriker 23

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Rechtsgeschichte ist eine ganz andere Art, sich mit dem Recht zu befassen. Das macht ihren Reiz aus. So spannend es ist, selbst Fälle zu bearbeiten und Rechtsprobleme zu lösen oder gar an der Schaffung neuen Rechts beteiligt zu sein – zu beobachten, wie dies andere in der Vergangenheit gemacht haben, erweitert den Horizont doch ganz erheblich. Um eine vergangene Normenwelt zu rekonstruieren, muss man sich einlassen auf (heute) fremdartige Vorstellungen von dem, was gut und angemessen ist, muss sich vertraut machen mit andersartigen Techniken der Rechtssetzung und Rechtsdurchsetzung. Das gilt auch dann, wenn man sich  – wie ich  – mit der Rechtsgeschichte des 19. und frühen 20.  Jahrhunderts befasst. Im 19.  Jahrhundert wurden zahlreiche Rechtsinstitutionen und Regelungsmechanismen geschaffen, die es im Grunde genommen auch heute noch gibt. So befasse ich mich beispielsweise mit Krankenkassen, betrieblichen Arbeitsordnungen und der internen Konfliktregulierung von Börsen. Hier spielen teilweise hergebrachte Ehrvorstellungen, hierarchisch-paternalistische Konzepte und ständische Selbstorganisationsvorstellungen eine Rolle, die heute nicht mehr prägend sind, die aber gewissermaßen zur DNA solcher Institutionen gehören. Das 19. Jahrhundert, das zwischen »Vormoderne« und »Moderne« liegt, ist daher gerade für Rechtshistoriker eine besonders spannende Zeit  : Die Gegenwart unseres Rechts hat damals schon begonnen, aber das Alte ist noch nicht vergangen. Sich damit zu beschäftigen, erfordert eine Loslösung von vertrauten Denkschemata und man muss sich auf viele kleinteilige Details einlassen. Vor allem aber bringt es einen auch in das anregende Gespräch mit jenen, die ein gleiches »abseitiges« Interesse haben, und schafft eine ganz eigene Art von Geselligkeit. Rechtsgeschichte ist somit auch eine soziale Bereicherung. Peter Collin, Rechtshistoriker 24

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…, weil Basketball allein nicht ausgereicht hätte, um meine Familie zu erhalten. Rechtsgeschichte ernährt. …, weil mein Lehrer Kroeschell in meinem 3. Semester in Freiburg i. Br. eine begeisternde Vorlesung in Rechtsgeschichte hielt — genau in dem Moment, als ich überlegte, mit dem drögen Jurastudium aufzuhören. Nun hatte ich etwas gefunden, was mich begeisterte. Später wurde mir zudem klar, dass ich mich nicht mit Publikationen abmühen will, die mit der nächsten Änderung der Gesetze oder der Rechtsprechung obsolet werden. Rechtsgeschichte macht Spaß. …, weil die Rechtsgeschichte, und zwar gerade die ältere Rechtsgeschichte, für künftige Juristen viel mehr Erkenntnisse bereithält, als die Jurastudentinnen und -studenten so denken. Die Rechtsgeschichte beispielsweise des Mittelalters ähnelt einer Zeitreise durch ferne untergegangene Welten, bei der man aber immer wieder Fundamenten begegnet, auf denen unsere moderne Gesellschaft aufbaut. Diese vertraute Fremdheit fasziniert mich, weil sie spannende Fragen aufwirft. Ich nenne einige. Welche Spolien (wörtlich  : antike Säulen, Steine und andere Überreste in den Bauten späterer Epochen) wurden bei der Errichtung einer jüngeren und auch unserer modernen Rechtsordnung wiederverwendet und welche nicht  ? Warum  ? Wie sähen unsere heutigen Staaten und unsere heutige Gesellschaft aus, wenn wir uns an anderen Vorbildern der Vergangenheit orientiert hätten  ? Dafür zwei Beispiele  : Wie sähe unsere Welt ohne Juristen aus  ? Würden erfahrene, angesehene, durch Wahlen legitimierte Mitglieder der Gesellschaft (Max Weber nannte sie Rechtshonoratioren) unsere Konflikte gerechter und nachhaltiger lösen als studierte Juristen  ? Diese Frage untersuche ich anhand des vormodernen Handels- und Seerechts. Oder  : 25

Wie sähe unsere Welt aus, wenn sie in Stadtrepubliken statt in Nationalstaaten eingeteilt wäre, wenn sich also in der Frühen Neuzeit nicht der territoriale Flächenstaat durchgesetzt hätte, der dann nationalistisch aufgeladen werden konnte  ? Auch dafür gibt es Beispiele, etwa die Stadtstaaten der griechischen Antike oder des norditalienischen Mittelalters  ; meine Wahl fiel auf die Hanse in Nordeuropa. Rechtsgeschichte bildet. …, weil die künftigen Juristen aus der Geschichte lernen sollten. Das ist nicht in dem platten Sinn gemeint, dass man die Probleme der Zukunft mit den Rezepten der Vergangenheit zu lösen sucht. Entgegen dem Zeitgeist ist es auch nicht so gemeint, dass man die Geschichte kennen soll, um ganz konkrete Fehler zu vermeiden. Die Geschichte wiederholt sich nie und die nächste Bedrohung kommt garantiert aus einer Richtung, aus der wir sie nicht erwarten. Was unsere Jurastudentinnen und -studenten hingegen lernen sollten, ist einfacher und grundsätzlicher  : kritische Distanz zu dem Instrumentarium der Macht, mit dem wir sie im Studium vertraut machen. Unsere Rechtsordnung ist historisch gewachsen und nie »alternativlos«. Sie ist entstanden und wird vergehen wie alles Menschliche. Das Recht ist ein Werkzeug dafür, unsere Welt zu einem freieren und gerechteren Ort zu machen. Die künftigen Juristinnen und Juristen müssen in den dogmatischen Fächern lernen, es kunstgerecht anzuwenden. Zugleich dürfen sie nie müde werden, sich um eine Verbesserung ihrer zeitlich nur begrenzt haltbaren Instrumente zu bemühen. In unserer Gesellschaft sitzen an fast allen wichtigen Schaltstellen Juristen. Die Rechtsgeschichte kann helfen, sie an die Endlichkeit ihrer Macht zu erinnern. Rechtsgeschichte schafft kritische Distanz. Wie heißt es in den Carmina Burana  ? Rex sedet in vertice. Caveat ruinam  ! Nam sub axe legimus Hecubam Reginam.  – Der König sitzt auf dem Scheitelpunkt. Hüte er sich vor dem Fall  ! Denn unter der Achse des Glücksrads lesen wir »Königin Hecuba«. Kennen Sie die unglückliche Königin Hecuba, Gattin des Priamos und Mutter von Hector, Paris und Kassandra, nicht  ? Dann googeln Sie sie bitte  ! Und lesen Sie anschließend Walter Jens’ kongeniale Nachdichtung von Ilias und Odyssee  ! Dort erfährt man auch etwas über den Schild des Achilleus. Auf ihn war der Idealtyp einer Gerichtsszene in einer archaischen Welt ohne Nationalstaaten und ohne Juristen eingraviert. Albrecht Cordes, Rechtshistoriker 26

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…, weil sie eine der Grundlagen ist, um unsere eigene und um fremde Rechtskulturen zu verstehen. Die Rechtsordnung eines Landes hat sich über Jahrhunderte entwickelt und zeigt noch heute vielseitige Verknüpfungen mit seiner Geschichte. Dies kann man sowohl in den materiell-rechtlichen Vorschriften der Gesetze eines Landes feststellen als auch in seiner Verfahrens- und Gerichtsordnung. Zudem bietet die Rechtsgeschichte großartige Möglichkeiten, sich mit anderen Fächern wie z. B. Kunstgeschichte, Archäologie, Geschichte, Philosophie und Politik  – um nur einige zu nennen – zu beschäftigen und so »über den eigenen Tellerrand« zu blicken. Sie lädt einen gewissermaßen zur Interdisziplinarität ein. Darüber hinaus bietet die vergleichende Perspektive der Rechtsgeschichte sehr interessante Ansätze, um zu erforschen, welche ähnlichen und verschiedenen Entwicklungen die einzelnen Rechtsordnungen durchlebt haben. Alles zusammen bereichert die Rechtsgeschichte das Studium der Rechtswissenschaft, da sie allen – Lehrenden, Studierenden und Forschenden – neue Perspektiven aufzeigt und Horizonte eröffnet. Ignacio Czeguhn, Rechtshistoriker

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…, weil es nichts gibt, was ich in der Rechtswissenschaft intellektuell erfreulicher finde, als zu verstehen, wie die Vielfalt des Rechts durch die Zeit in verschiedenen Gesellschaften zustande gekommen ist. Als ich ein Student war, habe ich mich zuerst der Rechtsphilosophie zugewandt, um festeren Grund zu finden, weil Recht mir immer viel zu abhängig von Stimmungen und Eigenheiten bestimmter Gesellschaften und Kulturen erschien, die schließlich durch den Druck starker wirtschaftlicher oder politischer Interessen gemäßigt werden. Mit anderen Worten, in meinen Augen war es keine wahre Wissenschaft. Als ich jedoch erkannte, wie vergeblich eine Suche nach Universalien in einer Wissenschaft war, deren Theorien viel mehr aus Kompromissen als aus spekulativem Denken resultieren, habe ich auch gesehen, dass das wahre Wissen des Rechts genau im Verständnis dieser kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Kräfte, die es formen, liegt. Und eine historische Perspektive ist vielleicht der beste Weg, um auf die Entfaltung all dieser Faktoren zuzugreifen und uns gleichzeitig einen Einblick zu geben, wie unsere rechtlichen Dogmen und Praktiken entstanden sind und wie sie in verschiedenen Epochen unserer eigenen Zivilisation unterschiedlich und gegenseitig fremd sind. Und vor allem fasziniert es mich, wie die Quellen die Macht haben, allen Vorurteilen und allgemeinen Theorien über die Vergangenheit zu trotzen und uns wie ein Puzzle, das immer einen einzigartigen Ansatz erfordert, zu überraschen, wenn man versucht, seine Bedeutung aufzudecken. I do Legal History because there is nothing I find more intellectually satisfying in the study of law than to understand how its diversity through time in different 28

societies came about. When I was an undergraduate student, I first turned to legal philosophy in seek of more solid grounds for the study of law, which always seemed to me way too contingent on moods and idiosyncrasies of a given society and culture, tempered eventually by the pressure of powerful economic or political interests. In other words, in my eyes it fell short of being a true science. But as I realized how futile a quest for universals was in a science whose theories result much more from compromise than from speculative thinking, I also saw that the real understanding of law lies precisely in the comprehension of these cultural, political and economic forces that shape it. And a historical perspective is perhaps the best way to access the unfolding of all these factors, while at the same time providing us with a glimpse of both how our legal dogmas and practices came into existence and how different and mutually exotic they are across different epochs of our own civilization. And, above all, it fascinates me how primary sources have the power to defy all preconceptions and general theories about the past and surprise us like a puzzle that always demands a unique approach when one seeks to uncover its meaning. Alexander de Castro, Legal Historian, Maringá/Brazil

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…, weil ich die Gesellschaft verstehen will. Schon als Kind habe ich mich sehr für Geschichte interessiert (Geschichten über Ritter  !), aber als Jurastudent habe ich verstanden, dass auch das Recht weitgehend ein Produkt der Vergangenheit ist. Wer Rechtsgeschichte studiert, erhält Einblick in die Komplexität des Rechts und kann herausfinden, wie Gesellschaften unterschiedlich organisiert sind. Ich beschäftige mich hauptsächlich mit Wirtschaftsrecht, und viele Fragen von heute sind bereits in der Vergangenheit aufgetreten. Wenn die Vereinigten Staaten eine protektionistische Handelspolitik verfolgen, erinnert dies an den Merkantilismus des siebzehnten Jahrhunderts. Banker können ihre Autonomie und Macht missbrauchen, aber sie sind auch genötigt, Unternehmen mit Kapital zu finanzieren. Außerdem  : Wenn Unternehmen so groß sind, dass sie mit dem Markt verflochten sind, kann man ihnen dann erlauben, in Konkurs zu gehen  ? Kurzum  : Wenn Grenzen gezogen werden müssen, ist es ebenso nützlich zu wissen, wie in der Vergangenheit damit umgegangen wurde. Deshalb betreibe ich Rechtsgeschichte. Dave De ruysscher, Rechtshistoriker, Tilburg/Niederlande, Brüssel/Belgien

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…, weil eine Vielzahl an für die Vormoderne relevanten Quellen nur mit dem vergangenen Recht und dem Wissen um die Tätigkeit von Gerichten und Gerichtspersonal verstanden werden kann. Besonders Prozessakten bringen zum Ausdruck, dass das Streben nach Recht gleichermaßen Herrscher und Untertanen berührte. Kurzum  : Die Rechtsgeschichte ist ein zentraler Schlüssel zum Verständnis der Vergangenheit  ! In meinen Studienjahren kam ich erstmals mit dem Reichskammergericht in Berührung. Die Vielzahl an überlieferten und mittlerweile zum Gutteil erschlossenen zehntausenden Prozessakten dieses Gerichts sind für mich bleibend ein beeindruckendes Quellencorpus, das für unterschiedlichste Fragestellungen und Themenbereiche herangezogen werden kann  : für eine Geschichte von Recht und Rechtspraxis bis hin zur Alltagsgeschichte von Menschen, die ansonsten keine Spuren in den Quellen hinterlassen haben. Im Wissen um die Grenzen des eigenen Tuns und Verstehens ist es mir als Frühneuzeithistoriker nicht zuletzt im Rahmen des Netzwerks Reichsgerichtsbarkeit (https  ://blognetzwerkreichsgerichtsbarkeit.wordpress.com/) ein großes Anliegen, den Austausch mit dann häufig auch praktizierenden Juristen zu suchen. Alexander Denzler, Historiker

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…, weil es wichtig ist zu wissen, welchen Beitrag Recht und/oder Unrecht zum Verlauf der Geschichte geleistet haben. Wodurch, z. B., wurde das Heilige Römische Reich Deutscher Nation zusammengehalten, obwohl der König/ Kaiser nicht mächtig genug war, den Zusammenhalt gewaltsam zu gewährleisten  ? Es waren zwei rechtliche Faktoren, die das bewirkten. Die Reichsstände erkannten den Herrscher als ihren Lehnsherrn an, von dem sie ihr Territorium als Lehen empfingen. Und die sich eigenständig entwickelnden Gerichtsorganisationen der Stände wurden von den beiden obersten Gerichten des Reiches, dem Reichskammergericht und dem Reichshofrat, kontrolliert, weil diese die obersten Instanzen für Appellationen (Berufungen) gegen Urteile der ständischen Gerichte waren. Diese sich schon früh abzeichnenden Grundstrukturen sind die tiefen Wurzeln des deutschen Föderalismus. Welche Rolle spielte die so weitgehende Rezeption des Römischen Rechtes für die Ausbildung der deutschen Rechtskultur  ? Auch diese Thematik hat Auswirkungen bis in die Gegenwart. Warum glaubten und glauben selbst machtversessene totalitäre Diktaturen (z. B. Drittes Reich und DDR) nicht auf wenigstens den Schein von Recht und die Mitarbeit von Juristen verzichten zu können  ? Unabhängig von solchen Erkenntnisgewinnen für das Verständnis der Gegenwart hat mich von Anfang an fasziniert, nach handschriftlichen Quellen und Büchern Konturen der Vergangenheit nachzuzeichnen, die sich nach und nach mit Farbe füllten und ein neues Bild der Vergangenheit ergaben. Diese Faszination des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses hat mich mein ganzes Leben lang zu immer neuen Entdeckungsreisen in die Vergangenheit bewegt. Sie hat auch im hohen Alter nicht nachgelassen. Bernhard Diestelkamp, Rechtshistoriker 32

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Die Rechtsgeschichte hat mich im Studium mit der Jurisprudenz versöhnt, die mir damals an der Universität sehr abstrakt und theoretisch entgegenkam und deren Stärke der Analyse komplizierter Situationen und Konstellationen ich erst später in der Begegnung mit der Praxis zu schätzen lernte. Mein Interesse für kulturelle Zusammenhänge hielt mich bei der Rechtsgeschichte bis zur Promotion und Habilitation. Sie erschloss mir, indem sie stets normative Strukturen auf konkrete soziale Verhältnisse bezog, einen Zugang zur gesellschaftlichen Wirklichkeit in ihrem historischen Wandel, damit ein Verständnis vom Werden des heutigen Europa. Als Hauptarbeitsgebiete wählte ich zunächst den Aufstieg der bürgerlichen Stadtkommunen im Mittelalter, dann die meist auf Gewohnheit beruhenden frühen Rechte der germanischen Völkerschaften, schließlich als eine Art Reflexion der eigenen Position die Wissenschaftsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Besonders fasziniert hat mich die politische, verfassungs- und wissenschaftsgeschichtliche Wirkung der Begegnung von Kaiser Friedrich Barbarossa mit den Juristen der neuen Universität Bologna im 12. Jahrhundert. Schon bei der Erarbeitung der Habilitation lernte ich als Stipendiat in Rom Europa als Teil der mediterranen Kultur und ihrer Rechtstradition kennen  ; dies bedeutete eine lebenslange Verbindung zu Italien. Niemals hätte ich, Schüler und Student im Deutschland der Nachkriegszeit, gedacht, dass das Fachgebiet Deutsche Rechtsgeschichte mich über Europa hinaus zu Vorträgen und Gastprofessuren rund um die Welt führen würde, oft im kulturellen Auftrag des Goethe-Instituts, nach Asien, neben Indien, Korea, Malaysia, China vor allem Japan, dann in die USA, mit einer Fülle freundschaftlicher kollegialer Verbindungen, gewachsen auf der Grundlage gemeinsamen wissenschaftlichen Interesses. Auch 33

hier vermittelte mir das Studium der Geschichte des Rechts den Zugang zu den kulturellen Grundlagen und Mentalitäten anderer Länder, ihrer Menschen und Gesellschaften. Aus dieser Lebensgeschichte heraus beschäftige ich mich mit der Rechtsgeschichte auch zwei Jahrzehnte nach meiner Emeritierung. Gerhard Dilcher, Rechtshistoriker

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…, weil der Impuls, den ich als Promotionsstudent bekam, fortwirkt, im Augenblick aber vor allem wohl deshalb, weil es mich immer wieder fasziniert zu sehen, dass Recht und rechtliche Argumentation in anderen Jahrhunderten, was meine These wäre, letztlich genauso wie heute funktionierten, und zwar oftmals auch im Detail, und weil es mich begeistert, über das Studium historischer Quellen, und diese haben in Gestalt etwa von Prozessakten oder Verträgen häufig eine rechtliche Dimension, einen unmittelbaren Einblick in das Leben und in die Welt von Menschen, die in anderen Jahrhunderten lebten, zu gewinnen, nicht nur deren Handschriften zu erleben, zumal mir die rechtliche Qualität derartiger Quellen als Jurist den Zugang zur Geschichte erleichtert. Matthias Doms, Richter

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…, weil ich nie Geschichte studieren wollte, sondern Rechtswissenschaft. Und obwohl ich Rechtswissenschaft studierte, fand ich mich bald doch auch in der Geschichtswissenschaftlichen Fakultät wieder. In der Kombination von beidem fand ich, was mich bis heute fasziniert  : Das Studium des Zusammenlebens von Menschen in der Vergangenheit, ihrer (anderen) Art, Konflikte zu lösen, und ihrer Weise, »Recht« zu studieren und zu lernen. In mittelalterlichen Rechtshandschriften, in frühneuzeitlichen Drucken und in Gerichtsakten des 20. Jahrhunderts ist viel zu entdecken – wenn man die richtigen Fragen stellt. Die Arbeit mit Quellen, das Aufstellen von Thesen und das ständige Infragestellen von hergebrachten Erklärungen begeistert mich Tag für Tag. Stephan Dusil, Rechtshistoriker

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… nicht, um – etwa wie ein Denkmalpfleger  – vergangenen Rechtswelten Beachtung in der Gegenwart zu sichern, sei es bei den heutigen Juristen, sei es bei der kulturell interessierten Bevölkerung. Das vergangene Recht wirkt in den heutigen Rechtsordnungen und hängt in dieser Wirkung nicht vom Bemühen des Rechtshistorikers ab. Jeder »Geltendrechtler« arbeitet mit Material historisch gewordener Natur  : »The past is never dead. It’s not even past« (Faulkner). Ich betreibe Rechtgeschichte, um die Befangenheit heutigen juristischen Arbeitens in den Denkfiguren der Vergangenheit aufzuklären. Die Aufklärung über die historisch bedingte Komposition unseres Rechtswesens sollte uns erlauben, im heutigen rechtlichen Gestalten das historisch Kontingente und Überholte zu identifizieren, womit wir für – hoffentlich – gute Lösungen unserer Gegenwartsaufgaben frei werden. In der Auffindung von Regeln mit »Ewigkeitswert« sehe ich kein Ziel  ; ebenso wenig ist es Sache des Rechtshistorikers, geltende Rechtsnormen durch Beigabe der intellektuellen Vorgeschichte intellektuell zu veredeln. Rechtsgeschichte ist nicht ein kulturelles Sahnehäubchen auf dem ansonsten schnöden Geschäft des Juristen, sondern integraler Bestandteil jedes Rechtswesens einer Hochkultur. Natürlich muss sich nicht jede rechtsgeschichtliche Untersuchung durch eine sogleich sichtbare Nützlichkeit legitimieren. Ich habe hierzu Näheres in dem Band »Das Proprium der Rechtswissenschaft« (2007) ausgeführt. Es ist vermutlich eine Idiosynkrasie  : Meine eigenen Untersuchungen nehmen ihren Ausgang durchweg von einem Nicht-Verstehen  : Wie konnte der Jurist XY das schreiben  ? Kann es stimmen, dass …? Solches irritierendes Nicht-Verstehen ist für mich der Antrieb, einer Sache auf den Grund zu gehen. Mit Ludwig Fleck 37

mache ich dann aber auch immer wieder die Erfahrung  : »Jede wissenschaftliche Erkenntnis ist in erster Linie eine Enttäuschung, denn indem sie das Erstaunen befriedigt, zerstört sie das Staunen.« Eine »Neuaufführung« schon zurückliegender Forschung ist für mich ohne Reiz  ; »re-creation« ist eben etwas grundsätzlich anderes als »creation«. Ich arbeite nicht nach einem großen Plan, mich beglückt das Weiterschreiten in der Zuversicht, dass mir Probleme zur Bearbeitung nicht ausgehen werden. Wolfgang Ernst, Rechtshistoriker

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…, weil ich Geschichten liebe. In meiner Kindheit waren das die Geschichten von Rittern und Burgen. Also habe ich mich im Jurastudium viel mehr für die Geschichte(n) des Mittelalters als für die Paragraphen verstaubter Gesetze interessiert, die man im Gutachtenstil unter vorgegebene, totlangweilige oder alberne Sachverhalte subsumieren soll. Die Geschichte des Rechts kennt einen unerschöpflichen Vorrat an spannenden Geschichten aus fast allen Epochen der Menschheitsgeschichte, angefangen z. B. beim Urteil des biblischen Königs Salomo und dem Prozess des Sokrates in Athen. Seitdem ich als angehender Doktorand zu den Hexenprozessen des ausgehenden Mittelalters und der Frühen Neuzeit geforscht habe, haben mich diese Geschichten nicht mehr losgelassen, obwohl viele von ihnen einen bösen Anfang und auch ein böses Ende haben. Das unterscheidet sie von Märchen. Darum kann man aus ihnen viel dazulernen. Ulrich Falk, Rechtshistoriker

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Wer die Geschichte verstehen will, findet im Recht einen Schlüssel zum Verständnis ganz unterschiedlicher Epochen. Wie ein Leitfaden ziehen sich rechtliche Strukturen durch die Zeit. Das Recht bestimmt eine Epoche, indem es Herrschaft bindet und den Einzelnen schützt. Oder es wird gebrochen und geht verloren in Tyrannis und Diktatur. Immer aber ist das Recht umkämpft, ein Ort, an dem die großen politischen und sozialen Auseinandersetzungen einer Zeit sichtbar und ausgetragen werden. In diesem Sinne verstehe und betreibe ich Rechtsgeschichte als elementaren Bestandteil der allgemeinen Geschichte. Dieses Verständnis habe ich selbst erst allmählich entwickelt. In meinem juristischen Studium hatte ich das Glück, von klugen Lehrern zu lernen, dass z. B. das geltende Staatsrecht überhaupt nur von seinen historischen Voraussetzungen her zu verstehen ist. So wurde die Geschichte von Staat und Verfassung mein persönlicher Schlüssel, um die Legitimität und den Wandel politischer Herrschaft genauer zu verstehen. Ich betreibe Rechtsgeschichte als Historiker, der die Institutionen des Rechts und seine Dogmatik ernst nimmt, ihre Bedeutung aber einordnet in die großen politisch-sozialen Strömungen einer Zeit und aus diesen heraus erklärt. So habe ich den Aufschwung der Verfassungsgerichtsbarkeit nach 1945, die Ein- und Ausschlusswirkungen des Staatsangehörigkeitsrechts in Europa und die politische Durchsetzungskraft moderner Verfassungsstaatlichkeit untersucht. Je länger ich darüber nachdenke, desto deutlicher wird mir, wie voraussetzungsvoll und fragil das Recht als zivilisatorische Errungenschaft ist. So gesehen schärft die Rechtsgeschichte den Blick auch für das politische Verständnis unserer Zeit. Dieter Gosewinkel, Rechtshistoriker 40

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…, weil mich Geschichte schon seit jeher begeistert. Sie erlaubt Einblicke in die Beweggründe, geistigen und kulturellen Strömungen sowie Vorstellungen vergangener Generationen, die bis heute wirken und uns maßgeblich prägen. Ohne rechtsgeschichtliche Kenntnisse bliebe meist die Frage nach dem »Warum  ?« bei der Auseinandersetzung mit dem geltenden Recht auf äußerst unbefriedigende Weise unbeantwortet. Was kann es also Schöneres geben, als sich jeden Tag aufs Neue mit Rechtsgeschichte beschäftigen zu dürfen  ? Marie Göttker, Studentin

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…, weil sie relevant, autonomiezuträglich und geistreich ist. Rechtsgeschichte ermöglicht ein tieferes Verständnis von Gesetzesund Richterrecht. Sie befreit von der Fixierung der Praxis auf Rechts- und Leitsätze. Gesetzesrecht wird umfassend im Lichte seiner geschichtlichen Herkunft betrachtet, worunter ich weit mehr als die Berücksichtigung von Entstehungsmaterialien begreife. Dass Recht nicht nur in abstrakt-genereller Form, sondern auch bei der Einzelfallanwendung ohne die jeweiligen historischen Umstände nicht in Gänze verstanden werden kann, macht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts evident – ergingen doch zu im Wortlaut unveränderten Artikeln voneinander stark abweichende Entscheidungen. Die historische Kontextualisierung von Gerichtsentscheidungen ist ein besonders aufregendes Forschungsfeld. Rechtsgeschichte führt die Dynamik normativer Quellen vor Augen und vermittelt Kenntnisse über die Formen und Inhalte, die Recht annehmen konnte. Dadurch fällt es leichter, sich vom geltenden, aber eben nur momentan gültigen Recht zu emanzipieren und alternative Gestaltungsoptionen zu bedenken. Dies ermöglicht nicht nur eine kompetentere Teilnahme an Rechtsdebatten der Gegenwart. Weil Autonomie notwendige Voraussetzung für ein gelungenes Leben ist, entfaltet Rechtsgeschichte für mich auch eine ethische Dimension. Rechtsgeschichte eröffnet durch ihre Verknüpfung mit den Geschichtswissenschaften einerseits und den Rechtswissenschaften andererseits den Zugang zu einem überwältigend breiten Spektrum an Fachvokabular, Methodiken und theoretischen Konzepten. In der Rechtsgeschichte lässt der fast ausschließlich am staatlichen Recht ausgebildete Volljurist eng gesteckte Grenzen hinter sich und 42

erlebt Recht in völlig anders geprägten Räumen und Kulturen. Mit dieser mehrfachen Entgrenzung geht eine transnationale und interdisziplinäre Forschung einher. Diese Horizonterweiterungen inspirieren und beglücken mich. Felix Grollmann, Jurist

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…, seit ich als Student das Recht durch die Beschäftigung mit der Rechtsgeschichte allmählich tiefer zu verstehen begann. Das Recht ist in allen seinen Funktionen stets kulturell geprägt und unterliegt einem permanenten Wandel. Daher ist Recht zwangsläufig ein historisches Phänomen, das in seiner geschichtlichen Dimension disziplinübergreifend zu erforschen und zu vermitteln ist. Rechtsgeschichte ist auch die Geschichte vom Zusammenleben der Menschen, von Zivilisation und Kultur. Sie befähigt uns nicht nur zu einem besseren Verständnis der Vergangenheit, sondern ermöglicht uns in allen gesellschaftlich relevanten Lebensbereichen Orientierung in der (Foto  : Vorlesung für Kinder im Auditorium Maximum der Universität St. Gallen, November Gegenwart und verhilft zu reflektier- 2019) ten Entscheidungen für die Zukunft. Rechtsgeschichte zu betreiben, heißt für mich daher stets auch, im vollen Leben zu stehen. Jungen Menschen das Recht in seiner historischen Dimension näherzubringen, macht mir viel Freude  ; sie für rechtshistorische Forschung zu begeistern, ist meine Leidenschaft. Lukas Gschwend, Rechtshistoriker

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Was gäbe es Schöneres, meinte der Göttinger Rechtshistoriker Gustav Hugo im Jahr 1789, als dass »man unsere heutigen Sitten, Verfassungen, Religionen ganz vergäße« und nur darauf ausginge, die Römer kennen zu lernen, und man sich dann dabei »wieder an das erinnerte, was vor unseren Augen und von selbst geschieht, und nachdächte, woher es komme, daß Menschen, die doch im Grunde waren wie wir, in ihren Handlungen und Einrichtungen uns oft so unähnlich sind« (Edward Gibbon, Historische Übersicht des Römischen Rechts, übersetzt, eingeleitet und kommentiert von Gustav Hugo, 1789, hier nach der von Okko Behrends herausgegebenen und eingeleiteten Ausgabe, Göttingen 1996, S. 15). Ein knorriger Mann, aber dieser Satz hat mir immer gut gefallen. Deshalb betreibe ich Rechtsgeschichte. Ich möchte mit Menschen wandeln, die mir fremd sind und sie vielleicht ein wenig kennen lernen, ihnen zuhören, über die Jahrhunderte hinweg. Es müssen nicht die Römer sein. Und lernen will ich dadurch etwas über das Denken von Menschen über Gerechtigkeit. Es gibt so viel mehr Denkmöglichkeiten als die, die wir täglich vor uns hindenken. Rechtsgeschichte ist für mich ausgelebte Neugier. Hans-Peter Haferkamp, Rechtshistoriker

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…, weil sie einen kritischen Blick auf Vergangenheit und Gegenwart erlaubt. Rechtsgeschichte bietet einen besonderen Zugang zum Umgang von Gesellschaften mit Konflikten und abweichendem Verhalten. Das Interesse daran weckte bereits mein Grundschullehrer, der (Foto  : »Galgenwanderung« der International Max Planck seine Schüler zur Richt- ­Research School on Retaliation, Mediation and Punishment) stätte des Centgerichts Starkenburg führte und über Kriminalfälle und Strafen berichtete, die er anhand von Gerichtsbüchern erforscht hatte. Die Faszination der rechtlichen Quellen und der darin enthaltenen Geschichte(n) ist bis heute geblieben und motiviert meine Forschung. Rechtsgeschichte erlaubt mir darüber hinaus, unterschiedliche Ansätze und Konzepte der Geschichts- und Sozialwissenschaften zu integrieren, um die gewonnenen Erkenntnisse zu deuten und in einen weiteren Kontext einzuordnen. Zur Faszination der vielfältigen Deutungsmöglichkeiten kommt schließlich die Vermittlung  : Rechthistorische Erkenntnisse lassen sich nicht nur trefflich mit Kolleginnen und Kollegen aus der ganzen Welt diskutieren, sondern Studierenden und einer breiteren Öffentlichkeit anschaulich und mit einem kritischen Blick auf Vergangenheit und Gegenwart vermitteln. Das vielfältige Interesse und die positive Resonanz, die ich dabei erfahren habe, waren ebenfalls ein wesentlicher Grund, »meine« Rechtsgeschichte zu betreiben und zu vermitteln, von der wissenschaftlichen Monografie bis zur »Galgenwanderung«. Karl Härter, Rechtshistoriker

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…, weil das Leben zu kurz ist, um sich zu langweilen, und ich intellektuelle Herausforderungen liebe. Die Beschäftigung mit historischen Rechtsordnungen öffnet mir die bunte Welt der Wechselwirkungen von Recht in Theorie und Praxis mit der Gesellschaft, die sich dieses Recht gegeben hat, seinen Medien sowie den Akteuren, die Recht gestalten und von ihm selbst gestaltet werden. Sie ermöglicht mir Einblicke in die spezifische Wirkkraft des Rechts und thematisiert uns selbst als Juristinnen und Juristen. Das geht über die Anwendungsperspektive, auf die sich das rechtswissenschaftliche Studium beschränkt, weit hinaus. Ich kann das Recht nicht nur handhaben – ich verstehe es und mich als Rechtsexpertin in ihm auch viel besser. Frei nach Dashiell Hammett, The Maltese Falcon  : »He felt like somebody had taken the lid off life and let him see the works.« Inge Hanewinkel, Rechtshistorikerin

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…, denn die Bedeutung der Rechtsgeschichte für unsere Zeit liegt in Folgendem  : Die Rechtsgeschichte eröffnet das Verständnis für die Rechtsbildung. Wie unsere eigene geistige Tätigkeit, so ist auch das Geistesleben eines Volkes, dessen großartigstes Zeugnis das Recht ist, in der Vergangenheit verwurzelt und kann deshalb nur aus seiner geschichtlichen Entwicklung heraus begriffen werden. Die Entwicklung des Rechts insbesondere ist als das Ergebnis geistiger Kämpfe im Zusammenwirken mit den natürlichen Lebenskräften zu deuten, wobei politische Kräfte die Träger der Rechtsbildung sind. Die Betrachtung ihrer Wirksamkeit eröffnet das Verständnis für die Rechtsbildung und die Bedeutung der einzelnen Rechtseinrichtungen. Die Rechtsgeschichte zeigt die Entfaltung des deutschen Geistes, aus dem auch die Erneuerung des geltenden Rechts schöpfen muss. Wenn Sie das genauso sehen, dann besteht zwar insoweit Konsens darüber, dass Rechtsgeschichte wichtig ist, aus therapeutischen Gründen wäre es aber ratsam, umgehend in die rechtsgeschichtliche Vorlesung zu kommen. Klar, Sie haben erkannt, dass obige Passage insgesamt (auch in ihren Kürzungen) als nicht gekennzeichnetes Zitat natürlich nicht von mir stammt (sondern  : Rudolf Bechert, Germanische Rechtsgeschichte, [Schaeffers Grundriß des Rechts und der Wirtschaft, 23. Band, 1. Teil], 1.–3. Aufl. Leipzig 1939, S. 8 f.), sind hinreichend sensibilisiert und haben längst selber erkannt, dass Grundlagenfächer wie die Rechtsgeschichte geeignet sind, zusätzliche Perspektiven auf geltendes Recht und gesellschaftliche wie politische und auch ökonomische Entwicklungen 48

mit kritischem Abstand (und auch zu zeitgeistbedingten Vereinnahmungsversuchen) zu gewinnen. Deshalb mag und suche ich sie auch. Im Übrigen trägt sogar eine formale Begründung ziemlich weit  : …, weil ich eine Professur dafür innehabe und als Beamter gelobt habe, meine Dienstpflichten nach Kräften zu erfüllen und die Juristenausbildung  – wenn auch mit gewissen Konjunkturschwankungen  – zu Recht zwingend die Beschäftigung mit Grundlagenfächern wie Rechtsgeschichte fordert. Wenn sich das dann noch so mit den eigenen Überzeugungen, Neigungen und Neugierden verbindet, erfüllt das erst recht, auch mit einem gewissen missionarischen Eifer. Im Übrigen ist die Sinnhaftigkeit von Forschung und Lehre zur Rechtsgeschichte doch selbsterklärend und die bislang nicht eingelöste Begründungslast liegt bei denjenigen, die das bestreiten und sie auf banale Nützlichkeitspostulate reduzieren. Hans-Georg Hermann, Rechtshistoriker

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Ich studiere Rechtsgeschichte, um die Welt besser zu verstehen. Um zu wissen, was unsere Gegenwart gestaltet und beeinflusst, inmitten unzähliger Traditionen und Veränderungen. Was mich besonders motiviert, ist nicht so sehr die Entstehung des Neuen, aber die Umwandlungen, Adaptationen und Fortsetzungen der Ideen der Vergangenheit, über Generationen von Personen, durch sowohl unbewusste als auch bewusste Handlungen. Ein anderer Teil der Rechtsgeschichte, der mich besonders fasziniert, ist die Erkenntnis von unterschiedlichen Weltanschauungen. Durch diese Studien sieht man, dass die Welt viel komplexer, subtiler und pluraler ist, und deshalb bemerken wir, wie vorsichtig wir sein müssen, bevor wir unsere Feststellungen über das Leben treffen. I study Legal History in order to better understand the world. I aim to know what shapes and influences our present, among various traditions and changes. What interests me the most is not as much as the creation of new concepts, ideas or institutions, but the changes, adaptations and continuities of ideas from the past, along different generations and through aware or unaware acts. Another aspect of Legal History that fascinates me is the learning of different ways of understanding and seeing the world. Through the studies of the field, we grow aware of how the world is much more complex, nuanced and plural than we are used to believe, and that, therefore, we must be very careful before arriving to conclusions about life. Bruno Arthur Hochheim, PhD Student, Brasília/Brazil

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…, um zu verstehen, wie das Recht seine heutigen Formen fand. Eine Norm kann nicht statisch und nur aus sich heraus betrachtet werden. Sie ist Produkt der Diskussion früherer Generationen aus unterschiedlichen Epochen und Gesellschaftsformen. Lässt man die Besonderheiten der jeweiligen Zeit außer Betracht, so sieht man, dass grundlegende rechtliche Unklarheiten schon lange bestehen. Bereits die römische Marktpolizei beschäftigte sich mit Rechtsbehelfen bei Mängeln oder der Prätor bzw. iudex (Foto  : Agnes Holfeld) mit der Wirksamkeit von Testamenten, wenn nur ein Legatar benannt wurde. In dieser Hinsicht hat sich das Recht über zwei Jahrtausende nicht grundlegend verändert  – vielmehr diskutieren wir in einigen Punkten noch heute auf dem Stand der Juristen der römischen Klassik. Auch betreibe ich Rechtsgeschichte, da sie stets mit interdisziplinären Aspekten verknüpft ist und man sich beispielsweise mit anderen Wirtschaftsformen oder christlich-stoischen Einflüssen auf das Recht beschäftigt. Schließlich ist die Rechtsgeschichte nicht so alltagsfern, wie mancher annehmen mag. Auch wenn man als Student das Gefühl haben kann, das Recht halte unendliche Probleme und Gestaltungsmöglichkeiten bereit, so reduziert es sich im geschichtlichen Rückblick doch auf einige Rechtsfiguren, die immer wieder begegnen. Durch die Rechtsgeschichte möchte ich mich daher auch mit der Frage beschäftigen, wieso einige Lösungen nützlicher und sinnvoller sind als andere. Wer das geltende Recht als Ergebnis dieses andauernden stetigen Wandels begreift, ist darauf vorbereitet, politisch vermeintlich notwendige Rechtsänderungen aufgrund aktueller Probleme kritischer zu hinterfragen. Raphael Holfeld, Doktorand 51

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…, weil ich durch die Beschäftigung mit dem römischen Recht festgestellt habe, wie viel man als Jurist oder Juristin aus der Geschichte über das heutige Recht lernen kann. Gerade die Betrachtungsweisen der klassischen römischen Juristen sind faszinierend komplex und schulten das juristische Denken damals genauso wie noch heute nach fast 2000 Jahren. Rechtsgeschichte hilft mir zu verstehen, warum eine Regelung so getroffen wurde, wie sie heute gilt. Gleichzeitig zeigt sie Beispiele auf, wie dasselbe Rechtsproblem anders geregelt wurde und welche Auswirkungen dies haben könnte. Und nicht zuletzt macht mir Rechtsgeschichte umso mehr Spaß, weil sie länderübergreifend und insbesondere europäisch betrieben werden kann. Über die Grundlagen des römischen Rechts kann man sich mit Juristen aus vielen Ländern unterhalten und noch spannender wird es, wenn man die unterschiedlichen Rezeptionen einzelner Rechtsinstitute betrachtet. Julia-Katharina Horn, Doktorandin

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…, weil diese vielfach untrennbar mit meinen Forschungsschwerpunkten in der mittelalterlich-frühneuzeitlichen Medizin verbunden ist. Ärztliches Handeln, der Umgang mit Patientinnen und Patienten wie auch die Spielräume medizinischer Forschung werden durch das Recht seit jeher maßgeblich beeinflusst. Angesichts der gegenwärtigen weltweiten Bedrohung durch COVID-19 (Coronavirus SARS-CoV-2) wird deutlich, welche (Foto  : Käte Hamburger Kolleg Münster Bedeutung dem Recht insbesondere ­»Einheit&Vielfalt im Recht«) in Seuchenzeiten für Ärztinnen und Ärzte, das Pflegepersonal, aber auch die Bevölkerung zukommt. Die medizinische und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Menschheitsgeißeln wie Pest, Pocken, Cholera oder Lepra war gleichsam eng mit dem Recht verflochten. Besonders deutlich Hand in Hand gehen Medizin und Recht auf dem Feld der Forensischen Medizin, deren Entwicklung zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert mein besonderes Interesse auf sich gezogen hat. Kay Peter Jankrift, Historiker

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Als ich mich anschickte, ein Rechtswissenschaftler zu werden, sollte die Rechtsgeschichte zunächst keine Rolle spielen. Ich hielt historisches Wissen für Ballast, der gewiss häufig interessant, für die wissenschaftliche Arbeit eines Juristen aber unnötig war. Als ich dann allerdings juristisch-dogmatisch zu arbeiten begann, merkte ich zusehends, dass ich den Stoff, mit dem ich arbeitete, nicht recht zu beherrschen vermochte. Mein juristisches Denken war von Begriffen eingeengt, die begriffliche Zusammenhänge implizierten, die mir bisweilen höchst problematisch schienen. Warum sollte das Deliktsrecht beispielsweise einer ganz anderen Logik folgen als die Gefährdungshaftung, wo doch jeder Rechtsvergleicher wusste, dass die Übergänge fließend und die Tatbestände funktional austauschbar waren  ? Vor diesem Hintergrund wurde die Rechtsgeschichte für mich zunächst zu einer Technik der juristischen Emanzipation. Nur wenn ich die Geschichte eines Begriffs kenne, verstehe ich, unter welchen Umständen und für welche Zwecke er geprägt wurde und wie weit er in unsere Zeiten und für die Probleme des modernen Rechts passt. Mittlerweile sehe ich, dass all das nicht nur für die Begriffe der Dogmatik, sondern auch für die Grundbegriffe unseres Rechts wie »Kodifikation« und »Geltung« gilt. Ich bin Rechtshistoriker, um mich im geltenden Recht orientieren zu können. Und ich weiß mittlerweile, dass Rechtsgeschichte häufig viel mehr Spaß macht als die Arbeit an der Dogmatik. Jedenfalls mir. Nils Jansen, Rechtshistoriker

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…, dass ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält  ! Diese große Frage verbindet mich seit fast drei Jahrzehnten mit Faust. Während der gute Alte alles Mögliche studiert hatte und darüber schier verzweifelt war, habe ich mich mit Geschichte, Germanistik und Dänisch begnügt, suche aber wie er noch täglich nach dem inneren Zusammenhalt der Welt. Ich glaube, mit der Rechtsgeschichte den richtigen Hebel gefunden zu haben, und kann dieses Fach nur jedem wärmstens empfehlen. Rechtlichen Zusammenhängen in den mehr als 80.000 Prozessakten des Wismarer Archivs, im Wismarer Verfestungsbuch oder in Privilegien der Hansekaufleute im Ausland nachzuspüren, bereitet mir täglich Freude. Immer schlägt einem das pralle Leben entgegen, immer wieder ergeben sich neue Fragen. Als Rechtshistoriker zieht man an einer endlos erscheinenden Ankerkette, den Meeresgrund wird man wahrscheinlich nie erreichen. Das erkennt man rasch, fragt sich aber wie der Seefahrer auf einem Notariatssignet aus Wismar aus dem 17.  Jahrhundert  : »Quem timebo  ?«, also  : »Wen sollte ich fürchten [, wenn Gott mit mir ist]  ?« Diesen wackeren Seemann haben wir zum Symbol für unseren Archivverein gewählt, der möglichst viele auch für die Rechtsgeschichte relevante Dokumente für die Nachwelt erhalten will. Es gibt auch noch einen rein menschlichen Aspekt  : Es gibt so viele nette und kompetente Rechtshistoriker in Europa, dass man sich freiwillig nie mit etwas anderem beschäftigen möchte  !  !  ! Nils Jörn, Archivar

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Auf die Frage, warum und wie ich Rechtsgeschichte betreibe, gibt es zwei Antworten   : eine biographische und eine ideelle (um nicht zu sagen  : eine historische und eine theoretische). Zur Rechtsgeschichte gekommen bin ich während meines Studiums in Tübingen. Gerade was die römische und griechische Antike angeht, bin ich leidenschaftlich neugierig geworden  – und geblieben. Ob es die Geschäfte und Machenschaften bei einem griechischen Seedarlehensvertrag oder die scharfsinnige Behandlung von Erbrechtsfällen durch die römischen Juristen waren  : Die Rechtsgeschichte hat mich gefesselt. In meiner Doktorarbeit habe ich die europäische Privatrechtsgeschichte in ihrer Bandbreite und doch aus einem spezifischeren Blickwinkel kennen gelernt, nämlich durch die Linse der Wissenschafts- und Literaturgeschichte. Mein persönlicher Weg zur Rechtsgeschichte hat mich dabei nach Münster geführt. Als Rechtshistoriker möchte ich vor allem, ganz im ursprünglichen Wortsinne  : erkunden, erforschen und das Erkundete erzählen (ἱστορεῖν). Das Terrain, das der Rechtshistoriker erkundet, ist dabei notwendig ein fremdes  : Man kann nicht einfach in die Vergangenheit reisen, um zu wissen, »wie es wirklich war«. Man muss sich die Elemente des Rechts und der Rechtskultur mit ihren sozialen, wirtschaftlichen und religiösen Bedingungen aus den Quellen erschließen. Dabei sprudeln die Quellen, wie jeder weiß, unterschiedlich stark  : Manche haben mehr Lücken als Worte, andere sprechen eine klare Sprache. Meine Aufgabe als Rechtshistoriker ist es, die Quellen sprechen zu lassen. Dies bedeutet einerseits, Antworten aus den Quellen zu suchen und nicht Quellen zu den Antworten. Andererseits kommt die Rechtsgeschichte nicht ohne Narrative aus, in denen die Quellen in einen größeren Interpretationszusammenhang eingebettet sind. Erkunden und erzählen – beides gehört für mich zusammen. 56

Manchmal habe ich den Eindruck, dass eher die Rechtsgeschichte mich betreibt als umgekehrt  : nämlich, wenn sie mich von der einen ungeklärten, spannenden Frage zur nächsten führt, und von dort wieder zur nächsten. Dann möchte ich tiefer bohren, der Sache auf den Grund gehen. Doch lässt die Rechtsgeschichte wenig Zweifel daran, dass der Brunnen der Vergangenheit in seiner Tiefe unergründlich ist. David Kästle-Lamparter, Rechtshistoriker

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As a legal scholar and a bioethicist, I was curious to know more about the history of…medicine. My interest in legal history and the history of the legal profession developed somewhat coincidentally (while writing a second PhD thesis on the history of medicine), after discovering obscure archival information that shed light on the legal struggle of the first woman lawyer in Mandatory Palestine, which led to a series of studies (individually or collaboratively) on the history of the legal profession. This field merged almost seamlessly with the subjects I teach – professional ethics and the history of (Israeli) legal system. Accordingly, the path to comprehensive research, which includes different research methods, and involves both the (history of the) legal and medical professions, of law & medicine, and more recently, studies of Kavod (Honor) – was a short one. One file led to the other  ; one archive led to another  ; one research led to the other – and each of them relates to each other. Digging in the archives – touching history and legal historical materials – is sort of a «time tunnel”, it almost enables a direct connection with the legal professionals, which, in return, allows a better understanding of the past, of processes, as well as current legal phenomena. Eyal Katvan, legal historian, bioethicist, historian of medicine, jurist, Rehovot/Israel

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…, weil sie nicht nur Einsichten, sondern auch Entdeckungen ermöglicht. In der Jurisprudenz geht es um Normanwendung und Wertung. Das ist ein wichtiges und faszinierendes Gebiet. Allerdings beschäftigt man sich dabei immer mit einem heute vorhandenen, eingrenzbaren Normenbestand, was auch seinen guten rechtsstaatlichen Sinn hat. Rechtsgeschichte bietet indessen die Chance, völlig unbekannte Felder zu erschließen, Rätsel zu lösen, Geheimnissen der Vergangenheit auf die Spur zu kommen. Dabei ergeben sich oft interessante Begegnungen, sei es mit unbekannten Sprach- und Begriffswelten, überraschenden Dokumenten in Archiven oder bloß mit einem seltenen alten Buch. Je mehr Details über das Recht der Vergangenheit man aufdeckt, desto mehr erschließt sich das große Ganze. Man bringt mehr über Recht in Erfahrung und lebt als Jurist bewusster. Bei jeder gewonnenen Einsicht wird man außerdem mit einer kleinen Endorphinausschüttung belohnt. All das macht den Reiz der Rechtsgeschichte aus. Thorsten Keiser, Rechtshistoriker

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Rechtsgeschichte ist für mich einerseits ein unverzichtbarer Schlüssel zum Verständnis des vorgefundenen Rechtsstoffs. Ob in altehrwürdigen Textschichten des Bürgerlichen Rechts, ob in zuweilen wie der Mond veränderlichen (»velut luna statu variabilis«) Bestimmungen des Steuerrechts  – oft lässt sich eine überzeugende Sinnermittlung oder (je nachdem, wie man es sehen will) -zuschreibung nicht bewerkstelligen, wenn man nicht weiß, »woher das Recht kommt«. Andererseits ist Rechtsgeschichte aber auch noch deutlich mehr als ein Hilfsmittel der Dogmatik. Rechtsgeschichte ist an und für sich spannend  ! Sie ist spannend, weil Geschichte spannend ist. Und da Recht sehr häufig etwas war, was Menschen wichtig war, worein sie gossen, was ihnen viel bedeutete, ist geschichtliches Recht oft wie ein Kristall(isationspunkt) in der Lösung des bunten, prallen Lebens. Rechtsgeschichte führt uns in menschliche Abgründe, aber ebenso auf menschliche Höhen, zeigt uns finstere und Lichtgestalten. Immer sind es jedoch Menschen, was uns vor Augen führt, dass es (zumindest ein Stück weit) an uns liegt, was geschieht, in welcher Gesellschaft wir leben. Insoweit kann (muss freilich nicht) Rechtsgeschichte auch zum verantwortungsbewussten Umgang mit Recht und – damit oft verbunden – mit Macht führen. Simon Kempny, Öffentlichrechtler und Steuerrechtler

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…, weil ich Historiker geworden wäre, wenn ich mich dann nicht doch für die Rechtswissenschaft entschieden hätte. Das geltende Recht verstehe ich viel besser, wenn ich seine Geschichte kenne. Das vergangene Recht fasziniert mich aber nicht nur als Vorläufer späterer oder Fortsetzung noch älterer Entwicklungen, sondern natürlich auch um seiner selbst willen. Dabei, es zu verstehen, hilft mir wiederum meine Vertrautheit mit dem geltenden Recht. Mein vom gegenwärtigen deutschen Zivilrecht geprägtes Vorverständnis kann ich nicht ablegen, wenn ich mich mit Quellen beschäftige. Es wäre aber auch zu schade, wenn wir »juristische Rechtshistoriker*innen« Rechtsgeschichte nur so betreiben würden, wie es auch jeder »Allgemeinhistoriker« (besser) könnte. Gerade unser modernes Verständnis von Normativität und System versetzt uns heutige Jurist*innen in die Lage, Fragen an das Recht der Vergangenheit zu stellen, die wenigstens manchmal zu Antworten führen, die für die Zukunft und ihr Recht von Belang sein können. Arndt Kiehnle, Rechtshistoriker

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…, weil mich das Eintauchen in vergangene Zeiten fasziniert. Wie ein Abenteurer durchstreift man Quellen und wird dabei stets nur mit einem kleinen Einblick in die Rechtsgegebenheit der damaligen Zeit belohnt. Gerade dieser kleine Einblick ist es, der neugierig auf mehr macht und einen nicht mehr loslässt. Plötzlich betreibt man Rechtsgeschichte. Man verlässt den gewohnten juristischen Pfad und weitet den Blick für das »Recht« als solches. Das kann eine willkommene Abwechslung im Jurastudium sein. Gelegentlich kann Rechtsgeschichte aber auch im Umgang mit der aktuellen juristischen Materie selbst hilfreich sein, indem man diese nicht überhöht, sondern als menschengemacht und erlernbar begreift. In erster Linie macht Rechtsgeschichte aber einfach Spaß  ! Lena Klos, Doktorandin

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…, weil sich in Kommunalarchiven eine Fülle und Vielfalt lebensnahen juristischen Schriftgutes vom Mittelalter bis zur Moderne bewahrt hat. Ob die Statuten von Zünften und Gilden, ob Bürgertestamente der Frühen Neuzeit, die dem rezipierten römischen Recht folgten, fromme Stiftungen vorreformatorischer Jenseitsvorsorge, die dem kanonischen Recht Genüge leisteten, Zivilprozesse, die an hohen oder höchsten Gerichten geführt wurden, ob die freiwillige Gerichtsbarkeit von Bürgermeistern und Stadträten im Mittelalter, die permanente Urkundenproduktion städtischer Notare oder der schöne mittelalterliche Rechtsgedanke, in einem kunstvoll gestalteten Stadtsiegel verberge und verkörpere sich die Kommune als unteilbare juristische Person  : Im Großen wie im Kleinen stößt man auf rechtliche Materien und Dispositionen, auf schriftliche Ausdrucksformen und rhetorische Stilmittel bestimmter Rechtszustände, ebenso auf die Geltung und situative Anwendung verschiedenster Gesetze und Gewohnheiten. Mit Vorliebe formiert sich archivische Überlieferung dort, wo Rechts- und Beweissicherndes den Ausschlag gab, vor allem dann, wenn Streitiges die handelnden Personen zu schriftlicher Dokumentation und langfristiger Verwahrung bewogen hat. Gerade kommunales Archivgut mit genuin rechtlichen bzw. forensischen Inhalten konserviert anschauliche historische Lebenssachverhalte sowie die Alltags-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte einer gewachsenen Stadtgesellschaft. Die Rechtsgeschichte bewegt sich beileibe nicht im Rang einer historischen Hilfswissenschaft, sondern sollte als methodisches Separatum immer gleichrangig neben anderen Teildisziplinen des Archivarsberufs stehen. Fundierte Kenntnisse deutscher Rechtsgeschichte sind jedenfalls für archivische Kompetenzen genauso wichtig wie das Beherrschen von Paläographie, Diploma63

tik, Heraldik oder Aktenkunde. Die rechtsgeschichtliche Perspektive bildet nie die ganze Wirklichkeit ab, doch ist ein scharfes Bild der Vergangenheit ohne die Hinzuziehung rechtshistorischer Aspekte nicht vorstellbar. Rechtshistoriker*innen und Historiker*innen schreiben auch in der Gegenwart oft aneinander vorbei. Daher ist auch in Zukunft viel »Beziehungsarbeit« nötig, um die beiden Disziplinen zueinanderzuführen. Das gilt für die juristische Zeitgeschichte genauso wie für die Epochen zwischen dem Sachsenspiegel und dem Code Napoléon. Matthias Kordes, Archivar

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…, weil ich neugierig bin. Ich erinnere mich noch sehr gut an mein erstes Erlebnis mit mittelalterlichen Quellen. 2005 führte mich eine Seminarfahrt nach Rheinhessen, ins ­ beschauliche Rotweinstädtchen Ingelheim am Rhein. In einem modernen Rathausbau saßen wir, wurden freundlich von der Verwaltungsspitze begrüßt und bekamen einige Haderbücher zu sehen. Das erhabene Gefühl, fünfhundert Jahre alte Handschriften in den Händen halten zu können, die unglaubliche Freude, dass ich einige Zeilen zu entziffern vermochte, diese Begeisterung für die Quellenarbeit konnte ich mir bis heute erhalten. Viele Rechtshistoriker kennen die Gespräche, in denen nach dem Sinn oder Unsinn unseres Faches gefragt wird. »Warum setzt Du Dich freiwillig viele Stunden in Archive und arbeitest an staubigen Akten  ?«, wurde ich erst neulich wieder bei einer privaten Feier gefragt. Ein befreundeter Arzt, dem ich von meiner Arbeit im Sonderforschungsbereich erzählt hatte, wollte wissen, warum der Staat gezielt diese Forschung unterstützen sollte, wenn mit dem Geld auch die Krebsheilung vorangebracht werden könnte. Um es klar zu sagen, ich halte diese Fragen nicht für unangemessen, aber auch nicht für unbeantwortbar. In einem demokratischen Staat muss auch die Wissenschaft Rechenschaft dafür ablegen, wenn sie auf die Ressourcen des Gemeinwesens zurückgreift. Die Mittelverteilung in der Wissenschaft muss demokratisch hinterfragt werden können. Eine Antwort auf die Frage, was die Rechtsgeschichte leisten kann, welche Daseinsberechtigung sie hat, ist oft versucht worden und natürlich zeitgebunden. Ich will das alles weder grundsätzlich kritisieren noch hier rezitieren. Allerdings scheint mir, dass wir mit all den verschiedenen Begründungen in der gesellschaftlichen Wahrnehmung in die Defensive zu geraten drohen. Ein Symptom ist die seit geraumer Zeit exzessive Betonung des europäischen Rah65

mens. Relevanz wird in der Historisierung gegenwärtiger Herausforderungen gesucht, die Rechtsgeschichte quasi der Politikberatung angedient. Mir scheinen diese Großnarrative nur bedingt hilfreich, um für unser Fach Begeisterung zu wecken. In Gesprächen breche ich daher bewusst die Rechtsgeschichte herunter auf meine eigenen Forschungen. Ich habe deshalb eingangs unten angefangen und lediglich gefragt, aus welchen Motiven ich persönlich Rechtsgeschichte betreibe. Wissenschaft entspringt für mich einem elementaren menschlichen Bedürfnis, der Neugier. Wir sind Menschen, eben weil wir am Wegesrand stehen bleiben, um uns eine Pflanze genauer anzusehen, weil wir schon immer wissen wollten, was sich in den unendlichen Weiten des Alls befindet und weil wir eben auch eine Begeisterung für unsere Geschichte haben. An Universitäten, Forschungsinstituten, in Vereinen und vielen anderen Formen haben wir diese Neugier kultiviert, institutionalisiert. Wenn ich also rechtshistorisch forsche, entspringt dies zuallererst meiner Neugier, meiner Faszination. Mich interessiert, welche Konzepte von Normativität in anderen vergangenen Gesellschaftsformen zu finden sind, was für die Menschen Recht war, wie ihre Gerichte funktionierten. Die Rechtsgeschichte ist für mich klar eine Grundlagenwissenschaft. Wir haben keinen Anwendungsbezug im engeren Sinne, sieht man einmal von den seltenen Fällen ab, in denen wir helfen, weit zurückreichende, aber immer noch bestehende Rechtsverhältnisse zu verstehen. Das ist aber auch kein Problem. Neugier hat nicht zwingend etwas mit Anwendungsbezug zu tun. Alexander Krey, Rechtshistoriker

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…, weil ich den allseits bekannten Satz »So haben wir das immer schon gemacht« noch nie geglaubt habe. Man kennt ihn aus Forschungseinrichtungen und Behörden und empfindet ihn immer wie eine Beleidigung. »Tradition ist Schlamperei«, soll Gustav Mahler, zumindest den Apokryphen nach, einmal entgegnet haben. Ob Legende oder nicht, ich kann seinen Widerwillen, etwas nur um der Tradition Willen fortzuführen und unbedacht weiterzutragen, sehr gut nachvollziehen. Aber genau deshalb muss man sich mehr als nur oberflächlich mit dem beschäftigen, was häufig Tradition genannt wird, um sich darauf berufen zu können. Für mich bedeutet das, dass es ohne Rechtsgeschichte nicht geht. Den heutigen Zustand der Kapitalmärkte, die (Ungleich-)Verteilung von Wohlstand, die Gefahren für die deliberative Demokratie durch die Echokammern der sozialen Medien, die Dekarbonisierung unserer Industrie, Staatlichkeit in Zeiten der Pandemie – all dies führt stets wieder zurück in die Rechtsgeschichte, und zwar nicht bloß zu ein paar Zeitungsartikeln und gut lesbaren Gesetzgebungsmaterialien der Nachkriegszeit, sondern in die Archive des 19. Jahrhunderts mit ihrer krakeligen Sütterlinschrift, in die Fürstenspiegel und Buchdrucke der Frühen Neuzeit und in die Deutung und Interpretation mittelalterlicher Urkunden. Dabei entpuppt sich die Rechtsgeschichte als das Fach mit dem womöglich größten Potential für Inter- und Intradisziplinarität. Die Rechtsgeschichte muss sich nicht erst ein neues Schlagwort wie »Empirical Legal Studies« einfallen lassen, um zu rechtfertigen, weshalb wir mit Gerichtsakten und Korrespondenzen aus den Archiven versuchen zu ergründen, wie das, was wir abstrakt »das Recht« nennen, denn tatsächlich auf die Akteure gewirkt hat und wie sie damit umgegangen 67

sind. Es heißt auch nicht »Legal History and Literature« oder »Legal History and Economics«, denn die Rechtsgeschichte ist selbstverständlich bemüht, den Aussagegehalt von literarischen Betrachtungen ebenso zu berücksichtigen wie die Ergebnisse der Wirtschaftsgeschichte. Die Rechtsgeschichte als Disziplin stelle ich mir immer als einen Raum vor, in dem ganz unterschiedliche Forschungsinteressen und -perspektiven zusammenkommen. Deshalb wird die Rechtsgeschichte übrigens auch immer ihren Platz inmitten der noch so rechtsdogmatisch am geltenden Recht orientierten juristischen Fächertrennwände haben – denn hier treffen die Vertreter des öffentlichen, privaten und des Strafrechts zwangsläufig aufeinander. In diesem Raum fühle ich mich willkommen und gut aufgehoben als jemand, der selbst unterschiedliche Forschungsinteressen in seiner Person vereint. Bei aller Freude und Bereicherung, die das bedeutet, ist es immer auch harte Arbeit an … an der Tradition. Ja, das Wort ist dann doch das richtige. Wir müssen mit ihr arbeiten, damit sie nicht zur Schlamperei wird. Die Fortsetzung von Mahlers angeblichem Aphorismus stammt übrigens von T.  S.  Eliot und lässt sich analog auch auf die Rechtsgeschichte übertragen  : »Tradition is a matter of much wider significance. It cannot be inherited, and if you want it, you must obtain it by great labour. (…) What happens when a new work of art is created is something that happens simultaneously to all the works of art which preceded it.« Jasper Kunstreich, Rechtshistoriker

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…, weil ich wissen will, wo das Recht herkommt und wo es hingehen könnte. Mit den verschiedensten Dokumenten aus Archiven in ganz Deutschland zu arbeiten, weckt in mir den Entdeckergeist. Man weiß nie, was man finden wird, und gerade das macht es so spannend. Im Austausch mit anderen Doktoranden und Studierenden, die sich mit der Rechtsgeschichte beschäftigen, lernt man viele Bereiche der eigenen Geschichte auf eine ganz neue Weise kennen. Elisabeth Lankers, Doktorandin

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…, weil mich fasziniert, wie die großen Fragen der Funktionen und Vorstellungen von Recht in unterschiedlichen Zeiten definiert, bewertet und gelöst wurden. Am besten lässt sich dies anhand konkreter Einzelbeispiele und Schlaglichter erforschen, also am historischen Quellenmaterial. Am spannendsten finde ich die Zeit des in rechtlicher Hinsicht überhaupt nicht »finsteren« Mittelalters. Wunderbar ist es, in Archiven oder Bibliotheken Rechtstexte oder Fälle zu entdecken, die vor einem selbst womöglich noch nie jemand zu Gesicht bekommen oder interpretiert hat. Das verschafft einem eine fast detektivische Entdeckerfreude, den Text und die alten Handschriften zu »knacken«, um den Kontext auszuleuchten und die »ganze Rechtswelt in einer Murmel« widergespiegelt erstehen zu lassen. Stets bereichernd ist auch das Grenzgängertum zwischen unterschiedlichen Feldern und Disziplinen, also der Austausch mit Historikern und Literaturwissenschaftlern. Gerade in der Rechtsgeschichte kann man von Forscherinnen und Forschern anderer Disziplinen sehr viel lernen über Kontexte und Dilemmata des Rechts wie der Rechtsanwendung. Beglückend ist es, sich auf dem Gebiet der mittelalterlichen europäischen Rechtsgeschichte mit Kolleginnen und Kollegen in der ganzen Welt austauschen zu können, weil in diesem Bereich noch nicht die perspektivische Engführung auf den Nationalstaat herrscht. Susanne Lepsius, Rechtshistorikerin

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…, weil ich es schon immer spannend fand, Dinge aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Schon früh habe ich mich für Geschichten aus alten Zeiten begeistern können, da diese den Blick weiten für die Vielschichtigkeit historischer, gesellschaftlicher und sozialer Prozesse. Heute kann ich diesem Interesse in meiner juristischen Tätigkeit nachgehen und arbeite gerne interdisziplinär. Gerade mein Forschungsschwerpunkt, das Familien- und Erbrecht, ist als sehr persönliches Rechtsgebiet seit jeher stark abhängig von gesellschaftlichen Gegebenheiten und lädt dazu ein, soziale Strukturen durch die historische Brille auf neue Weise zu betrachten. Geprägt durch meine Studienaufenthalte in den USA und in England liefert mir insbesondere der Vergleich des deutschen und des angloamerikanischen Rechts immer neue und interessante Anknüpfungspunkte für meine Arbeit und bereitet mir viel Freude. Saskia Lettmaier, Rechtshistorikerin

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An der Fähigkeit, Latein zu lesen, und an der Beschäftigung mit antiker Philosophie und christlicher Theologie fasziniert mich der unmittelbare Zugang zu Texten und Diskursen, die den europäischen Kulturraum prägen. Mein besonderes Interesse gilt dabei seit Studienzeiten der zielgerichteten, kritischen und methodischen Nutzung der paganen Kulturgüter (Chrêsis), durch die frühchristliche Autoren wie etwa Ambrosius und Augustinus entschieden an der spätantiken Kulturmetamorphose mitwirkten. Mit juristischem Denken kam ich dabei bis vor einiger Zeit selten bewusst in Berührung, weil das römische Recht nicht oder nicht in erster Linie Gegenstand der Texte ist, die typischerweise den Lektürekanon eines Lateinstudenten bilden (Seneca, Vergil, Tacitus, Catull). Zudem kombinieren Latinisten ihr Fach oft mit Geschichte, Theologie oder Philosophie, äußerst selten indes mit Rechtswissenschaft – andrerseits sind gediegene Lateinkenntnisse unter Juristen freilich ebenso selten wie unter Vertretern anderer geisteswissenschaftlicher Disziplinen. Anlass und Rahmen für eine beruflich und persönlich sinnvolle Beschäftigung mit juristischen Problemkreisen, Referenztexten und den entsprechenden lateinischen Begriffen bietet mir die philologische Mitarbeit im Lessius-Projekt. Meine Beschäftigung mit Rechtsgeschichte besteht darin, mich mühsam und kleinschrittig in die Sprach- und Begriffswelt einzuarbeiten, die lateinische Texte über Recht und Gerechtigkeit konstituiert. Und jesuitische Wissenschaftsprosa zu traktieren, die Ende des 16.  Jahrhunderts entstanden ist, kann bisweilen so packend sein wie die Analyse eines Prudentiusverses aus der Spätantike. Konstantin Liebrand, Latinist 72

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…, weil man Recht als das Dasein des Menschen selbst, von einer bestimmten Seite aus betrachtet, verstehen kann. Oder auch als einen Plan, dessen bessere oder schlechtere Verwirklichung vielleicht kein Aspekt des Rechts selbst mehr sei, möglicherweise aber auf künftige Pläne rückwirken müsse. Oder aber als Orakel nehmen, als göttliche Weisheit loben oder als Norm einer herrschenden Klasse brandmarken kann. Die Veränderungen menschlicher Begriffe vom Rechten und vom Rechtlichen, die vielen Gestaltungen normierten Miteinanders im Verlauf der Geschichte und das Überdauern von rechtlichen Institutionen, die Verständnisweisen von Traditionen und die Frage, wie wir selbst uns zu ihnen verhalten können – das sind die großen Themen der Rechtsgeschichte. Es ist eine unerschöpfliche Disziplin, sie lässt sich zur Kultur- und Gesellschaftsgeschichte des Menschen hin aufschließen und birgt dabei zugleich das Potential, den gegenwärtigen Rechtswissenschaften eine ihrer wenigen gemeinsamen Klammern zu liefern. …, weil sie mich damit noch immer nicht losgelassen hat. Johannes Liebrecht, Rechtshistoriker

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…, weil sie eine sehr schöne Disziplin ist. Das bezieht sich nicht nur auf die spannenden inhaltlichen Aspekte, die strahlenden und finsteren Seiten des menschlichen Zusammenlebens eingeschlossen, sondern vor allem auf ihre Anschlussfähigkeit an die Philologien, an Geschichte, Archäologie, Kunstgeschichte und andere Fächer. Darüber hinaus ist sie nicht in einem nationalen Korsett verhaftet und eröffnet  – ja, gebietet  – internationale Kooperationen. Ihre Erforschung legt Einblicke in die Bemühungen lange vor uns gewesener Generationen, die um die Sicherung des Rechtsfriedens, die Wiederherstellung des Rechts und den »gerechten« Umgang mit Rechtsbrechern bemüht waren, offen – in Gestalt wunderbarer Handschriften mit und ohne Bilder, von Gegenständen und Rechtshandlungen unter freiem Himmel und überhaupt überall … Nicht zuletzt fasziniert die wissenschaftlich-theoretische Reflexion dieser Verhaltenskomplexe in großartigen Aussagensystemen, die wir heute mit Bewunderung, aber auch mit sachlicher Kritik, zur Kenntnis nehmen und weiterentwickeln. Die Kenntnisse, die sich durch eigene Forschung und engagierte Lehre konstituieren und festigen, sind ein großer Schatz. Ihn mit anderen zu teilen, damit er sich nicht täglich verkleinern möge, empfiehlt Eike von Repgow in einer der Vorreden zum Sachsenspiegel  : Kunst is en edele scat unde also gedan, swe se ene wel han, Siu minner eme degelik (Sachsenspiegel Landrecht, MGH, Ed. K. A. Eckhardt, 1995). Er hat Recht  ! Heiner Lück, Rechtshistoriker

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…, weil es mich begeistert, die Details eines geheimnisvollen Rechtsinstituts zusammenzustückeln und zu entdecken, was für die Zeitgenossen selbstverständlich war. Die Freilegung dieser Praxis erregt allerdings nicht nur mein antiquarisches Interesse. Vielmehr bin ich davon überzeugt, dass die größten und folgenreichsten Veränderungen in der Geschichte zwangsläufig eine Auswirkung auf die Lebenswege von Einzelpersonen und Gemeinschaften hatten und ihre Spuren in den Einzelheiten des rechtlichen Diskurses und der juristischen Dogmatik hinterließen. …, weil sie mir erlaubt, alle Erscheinungsformen von Recht als menschliches Bemühen zu erforschen – Recht als Praxis, als Form der Normativität, als Tradition der Materialität, Konstellationen von Bedeutungen, zu jeder vorstellbaren Zeit und an jedem Ort. …, weil mich die Eigenschaft des Rechts, die ganze Bandbreite menschlicher Zustände vor Augen zu führen – von Würde und Rechtschaffenheit zu Verderbtheit und Ungeheuerlichkeit und alles dazwischen – fasziniert. Das Recht erhält den Frieden, unterstützt die Ordnung und schützt den Einzelnen  ; aber es rechtfertigt auch Unterdrückung, verdunkelt soziale Realitäten und schirmt die Mächtigen ab. Rechtsgeschichte ermöglicht es mir, alle diese Dimensionen menschlicher Erfahrungen zu untersuchen. I do legal history because I get a thrill from piecing together the details of arcane legal instruments, and discovering what went without saying for those who used them. Unearthing these usages has not simply excited my antiquarian intrigue, however. Instead, I have found that the largest-scale, most consequential transformations in history inevitably redounded upon the lives of individuals in 75

community and left their traces in the minutiae of legal discourse and juridical technique. I do legal history because it allows me to explore all of the dimensions of law as a human endeavor, indexing sets of practices, modes of normativity, traditions of materiality, and constellations of meaning in every time and place imaginable. I do legal history because I am fascinated by the law’s capacity to actualize the full spectrum of human states—from dignity and virtuousness, to depravity and monstrousness, and everything in between. Law preserves peace, it provides order, and protects rights  ; but it also justifies oppression, obscures social realities, and shields those in power. Legal history allows me to probe all of these dimensions of human experience. Sarah Ludin, Postdoctoral Fellow in Interdisciplinary Legal Studies, New York/USA

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…, weil ich Freiheit, Einsamkeit und Gemeinschaft schätze. Im Vergleich zu allen übrigen juristischen Berufen haben die Rechtswissenschaftler die größte Freiheit bei der Auswahl der Themen und Fälle, die sie lösen wollen  – nicht müssen wie die juristischen Praktiker. Unter den Rechtswissenschaftlern haben die Rechtshistoriker wiederum die größte Denkfreiheit, weil sie nicht unter dem Veto der Normen des geltenden Rechts stehen. Das Veto der Quellen bindet freilich auch die Rechtshistoriker, aber genau da steckt der Reiz der rechtshistorischen Arbeit. Die Quellenarbeit, Forschung als solche, ist der herrlichste Teil von unserem Beruf. Unsere Forschung verlangt und bietet Einsamkeit. Wenn man Mut hat, ziemlich allein auf dem eigenen Feld zu ackern, ist die Rechtsgeschichte der richtige Standort – man ist überall gewissermaßen »anders«, unter den Rechtswissenschaftlern, unter den Historikern, unter den Philosophen, unter den Linguisten, unter den Theologen, unter den Politikwissenschaftlern, unter den Soziologen, unter den Wirtschaftswissenschaftlern. Man könnte die Reihe der guten Nachbardisziplinen noch lange fortsetzen. Diese eigenartige Mischung und Relevanz der Ansätze von so vielen verschiedenen Wissenschaften verlangt und ermöglicht neugierige Offenheit gegenüber der Gemeinschaft mit ganz anders denkenden Nachbarn. Die Gemeinschaft mit anderen Rechtshistorikern, die alle wiederum für sich anders und ganz eigenartige Personen sind, kann aber insbesondere ein Vertreter eines Kleinvolkes schätzen.

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Zugegeben, ich versuche hier einen Zuschnitt des Wilhelm von Humboldt’­ schen Universitätsideals auf mein Fach. Ich liebe das Universitätsleben, zumal an einer ganz eigenartigen Traditionsuniversität an der Schnittstelle der verschiedenen (Rechts-)Kulturen, wie meine estnische Heimatuniversität zu Tartu (Dorpat) es bietet. Marju Luts-Sootak, Rechtshistorikerin, Tartu/Estland

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Ein Mensch kann nur dann glücklich sein, wenn er sich beruflich damit beschäftigt, was ihm gefällt und Freude bringt. …, weil ich Recht und Geschichte liebe. Allgemein kann die Rechtsgeschichte als die Erfahrung der ganzen Menschheit auf dem Gebiet des Rechts bezeichnet werden. Sie eröffnet einzigartige und sehr effektive Rechtsbegriffe und Rechtskonstruktionen, die komplizierte wirtschaftliche sowie soziale und politische Probleme lösen können (z. B. Eigentum und Vertrag im römischen und im mittelalterlichen kanonischen Recht, common law, equity und trust im englischen Recht, Wuchergesetz [1880] und Abzahlungsgesetz [1894] im Deutschen Reich usw.). Andererseits lässt uns die Rechtsgeschichte die Rechtskultur und die »Seele« eines Volkes besser verstehen. Solche Rechtsurkunden wie römische Institutionen des Gaius (um 120–180), die salfränkische Lex salica (um 507–511), der deutsche Sachsenspiegel (um 1220), die französischen Coutumes de Beauvaisis (um 1280–1288) u. a.m. können dem Leser viel Interessantes über das damalige Leben erzählen. Als ob Du in die Vergangenheit eine Reise machst  ! Und das Gespräch über diese Urkunden mit Kollegen und Studenten bringt immer sehr viel Freude  ! Olga Lysenko, Rechtshistorikerin, Moskau/Russland

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…, weil ich nicht anders kann. Geschichte ist für mich schon immer das Mittel gewesen, das mich auf die Dinge neugierig gemacht hat. Nur ein Beispiel aus meiner Kindheit  : Ich war nie wirklich an Fußball interessiert, aber dank der Faszination für die Geschichte vergangener Meisterschaften – je älter, desto besser – konnte ich einen gemeinsamen Diskussionsboden mit meinen Schulfreunden herstellen. Es war also ein natürliches Schicksal, dass ich, nachdem ich aus verschiedensten Gründen das Studium der Rechtswissenschaft aufgenommen hatte, bei der Rechtsgeschichte gelandet bin. Das historische Herangehen an die Rechtsnormen hat mir gezeigt, wie diese, in vergangenen Kulturen oder anderen Kontexten entstanden, ihre Bedeutung im Laufe der Zeit mal verlieren und mal wiederaufnehmen und ältere Weltanschauungen in veränderter Weise widerspiegeln. Das hat mir sehr geholfen, nicht nur beim Verständnis der ansonsten apodiktischen geltenden Rechtsregelungen, sondern erheblich vor allem, als ich mich wissenschaftlich mit der Jurisprudenz auseinandersetzen wollte. Ohne Rechtsgeschichte wäre das für mich nicht möglich gewesen. Giambattista Vico schrieb in seinen Principii di scienza nuova zutreffend, Neugier sei Tochter des Unwissens und Mutter der Wissenschaft (»Curiosità, ch’è figliuola dell’ignoranza e madre della scienza«). Aber dann ist die Rechtsgeschichte jene Hebamme, die meine Neugierde auf das Recht erweckt hat und noch am Leben erhält. 80

Hinzu kommt der interkulturelle Faktor. Die Entdeckung der genealogischen Zusammenhänge zwischen entfernten oder auf den ersten Blick nicht verwandten Rechtsinstituten, Rechtsordnungen oder Rechtsvorstellungen ermöglicht ihre Kontextualisierung und somit ein besseres Verständnis sowohl der eigenen als auch der fremden Welt. Salvatore Marino, Rechtshistoriker

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Ich habe mich schon immer für vergangene Gesellschaften interessiert, auch weil ich der Meinung bin, dass wir auf den Schultern von Giganten stehen und dass wir uns selbst besser verstehen können, wenn wir die Ereignisse der Vergangenheit betrachten. Ich betreibe Rechtsgeschichte, weil ihr Studium unser Verständnis für das Recht bereichert, unser Verständnis für aktuelle Probleme verbessert und uns befähigt, uns neue Alternativen vorzustellen. Das Recht ist Teil der Kultur und die Kultur Teil des Rechts. Ich betreibe Rechtsgeschichte, weil ich glaube, dass das Recht ausdrückt, wie sich Gesellschaften organisieren, wie Individuen Beziehungen aufbauen und wie sich politischer Wandel in der Gesellschaft manifestiert. Ich betreibe Rechtsgeschichte, weil ich untersuchen möchte, wie sich rechtliche Ideen, Denkfiguren und Institutionen im Laufe der Zeit verändern und wie sie den sozialen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Kontext prägen und von ihm geprägt werden. Als Rechtshistorikerin lasse ich mich nicht nur von Persönlichkeiten wie Juristen oder Regierenden leiten, sondern auch von einzelnen Akteuren, die ihre eigenen Vorstellungen von dem, was das Recht ist und sein sollte, zum Ausdruck bringen. Das Recht wirkt sich auf alle Aspekte des gesellschaftlichen Lebens aus und spiegelt sich in der materiellen Kultur wider, denn die Alltagsgegenstände spiegeln Aspekte des täglichen Lebens der einzelnen Akteure und zeigen, wie das Recht sie auf unterschiedliche Weise berührt hat. In erster Linie geht es um die materielle Analyse von Machtverhältnissen und deren Bedeutungen. Rechtsgeschichte mit dem Schwerpunkt auf der Materialität ermöglicht eine neue Art der Erforschung der Bedeutung und des Werts, die die Gesellschaft dem 82

Recht durch Verfahren und Objekte, welche Zeugen individueller Interaktionen waren, verlieh. Ich betreibe Rechtsgeschichte, weil das Recht Teil der Art und Weise ist, wie eine Kultur ihren Sinn für die Ordnung der Dinge ausdrückt. … I have always been intrigued by past societies, partly because I think that we are standing on the shoulders of giants and it is looking through past events that we can understand ourselves better. I do legal history because its study enriches our understanding of the law, enhancing our grasp of current problems and empowering us to imagine new alternatives. Law is integral to culture, and culture to law. I do legal history because I think that law expresses how societies organise themselves, how individuals establish relations and how political change manifests itself in society. I do legal history because I want to examine how legal ideas, doctrines, and institutions change over time, exploring how they shape and are shaped by social, cultural, political, and economic contexts. As a legal historian, I am not only guided by figures like jurists or governors, but also by individual actors who give voice to their own ideas of what the law is and should be. Law affects all aspects of social life, and has a reflection on material culture, because everyday objects mirror aspects of the daily life of individual actors and how law affected them in different ways. The foremost of these is the material analysis of power relations and meanings, and doing legal history with a focus on materiality enables a new way of exploring the significance and value that was given to law in society through the procedures and objects witnessing individual interactions. I do legal history because law is part of a culture’s way of expressing its sense of the order of things. Emilia Mataix-Ferrándiz, Rechtshistorikerin/ Legal Historian und Archäologin/Archaeologist, Helsinki/Finnland

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… eigentlich durch einen glücklichen Zufall  : Während meines Geschichtsstudiums teilte ich die WG mit einem Juristen, der auf das Staatsexamen lernte. Gerade war das »Mauerschützen-Urteil« des BVerfG ergangen und wir diskutierten bis spät in die Nacht über den Umgang des Rechts mit der Geschichte und den der Geschichtswissenschaft mit dem Recht. Ich fand, dass die Juristen es besser als die Historiker verstanden, Probleme zu definieren, über die man diskutieren konnte. Daher beschloss ich, dem Münchener Geschichtsstudium noch ein Bonner Jurastudium folgen zu lassen. Der Weg in das Institut für Rechtsgeschichte war damit vorgezeichnet und gleichzeitig meine Leidenschaft für die Geschichte des Rechts. Das Doppelstudium hat mir eine Art »doppelte Staatsbürgerschaft« ermöglicht. Das bedeutet gelegentlich, dass ich mich unter Juristen als Historiker und unter Historikern als Jurist fühle. Aber gerade diese in der Natur der Rechtsgeschichte angelegte Multiperspektivität, die permanente interdisziplinäre Wanderung zwischen den Welten macht für mich auch die besondere Faszination der Rechtsgeschichte aus. David von Mayenburg, Rechtshistoriker

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…, weil ich verstehen will und immer wollte, wie wir die Freiheit erlangt haben und warum man nie die Menschenrechte in Zweifel ziehen darf, wie und warum das »Gesetz« des Stärksten trotzdem manchmal der Justiz und der Gleichstellung leider überlegen sein kann. Wie vermeiden wir die Wiederkehr des Totalitarismus und jeder Form von Autoritarismus  ? Die Kenntnis der Rechtsgeschichte ist unsere friedliche Waffe gegen eine neue Verrohung. Ferdinando Mazzarella, Rechtshistoriker, Palermo/Italien

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Als junger Student der Rechtswissenschaften hätte ich mir nicht gedacht, dass die Teilnahme an Seminaren zu »römischem Recht und stoischer Ethik«, zum »syrisch-römischen Rechtsbuch«, zum »aufgeklärten Absolutismus in Preußen und Österreich« oder zu »Nationalsozialismus und Recht« tatsächlich zu einer einschlägigen akademischen Karriere führen würde. Studierenden die Faszination der intellektuellen Auseinandersetzung mit den subtilen, häufig aber bloß fragmentarisch überlieferten Texten der römischen Juristen zu vermitteln, ist mir nun aber schon seit Jahrzehnten – stets aufs Neue spannender  – Beruf geworden. Wenn ich als Vizedekan meiner Fakultät eine Tagung der europäischen Luftfahrtindustrie zur Preispolitik eröffnen muss (wie gerade heute Morgen), dann fällt einem als Romanist nicht nur das invicem se circumscribere bei Paulus’ Digesten 19,2,22,3 als Beispiel eines liberalen Zugangs ein, sondern auch die Konzeption des pretium iustum und die Vertragsaufhebung bei laesio enormis als Beispiel regulatorischer Korrektur. Als Wissenschaftshistoriker denkt man dann aber auch an die Preistheorie der (einst an unserer Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät begründeten) Wiener Schule der Nationalökonomie … Die Beschäftigung mit der juristischen Zeitgeschichte hat mir darüber hinaus auch ein praktisches Betätigungsfeld eröffnet  : Als Rechtshistoriker konnte ich zur Rückgabe einer Reihe von Kunstwerken an Opfer des Nationalsozialismus beitragen. So erst jüngst im Fall der Portraits des Ehepaars Werner von Ferdinand Georg Waldmüller, in dem der österreichische Kunstrückgabebeirat einem von mir verfassten Gutachten gefolgt ist und das Museum des Belvedere im Oktober 2019 diese Bilder des bedeutendsten österreichischen Malers des Biedermeier an die ursprünglichen Eigentümer restituiert hat. Franz-Stefan Meissel, Rechtshistoriker 86

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…, weil ich davon überzeugt bin, dass jeder, der die Zukunft bewusst gestalten will, wissen sollte, wo er herkommt und welchen Weg er gegangen ist. Das gilt für viele Wissensbereiche und eben auch und gerade für die Rechtswissenschaft. Es hilft auch dabei, sich selbst und die gegenwärtigen juristischen Auseinandersetzungen nicht so furchtbar wichtig zu nehmen. Letztlich sind wir heutigen Juristen, einem bekannten Diktum gemäß, doch nur Zwerge auf den Schultern von Riesen. Freilich ist der Weg, den diese Riesen genommen haben, nicht immer unser Weg  ; das macht es aber gerade spannend, sich damit zu beschäftigen. Bernd Mertens, Rechtshistoriker

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Aber bin ich Rechtshistoriker  ? Wenn solch eine Frage gestellt wird, kann ich sie nicht sofort bejahen. »Recht« ist für mich der Stoff, an dem ich interessiert bin. Mein Interesse an westlicher Geschichte betrifft hauptsächlich die frühneuzeitlichen Universitäten. Damalige Juristen hatten wie auch heute großen Einfluss und ihre Kompetenz war natürlich mit Gerichten, Behörden oder sogar juristischen Fakultäten tief verbunden. Daher muss »Recht« erforscht werden, wenn man die Geschichte von Universitäten erforschen will. Ein genaueres Verständnis der Rechtsgeschichte ist unerlässlich, um die christliche Gesellschaft im frühneuzeitlichen Deutschland, die sich von der japanischen Gesellschaft wesentlich unterschied, zu verstehen, weil das damalige Recht eng mit der Theologie zusammenhing, sei es katholisch, sei es evangelisch. Recht, Kirche, Universität. Diese drei Bereiche beeinflussen sich gegenseitig. Das ist der Grund, warum ich Rechtsgeschichte betreibe. Aber freilich ist genau dies zugleich auch der Grund, warum ich Rechtsgeschichte liebe. Ryo Mochizuki, Historiker, Tokyo/Japan

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…, weil sie mich über Zusammenhänge zwischen beobachteten Gegenwarten und fernen Vergangenheiten des Rechts aufklärt. Während meines Jurastudiums hat mich die Rechtsgeschichte  – trotz meines allgemeinen Interesses an Geschichte  – zunächst wenig interessiert. Das zu studierende geltende Recht gab mir aber bald Fragen auf, die meine Gesetzesgläubigkeit und Vorstellungen vom Recht als einer beständigen und festen Ordnungsgröße für Staat, Gesellschaft und Individuum bezweifelbar machten. Ich entdeckte, dass es im BGB Paragrafen gab, die gar nicht mehr galten oder die durch die Rechtsprechung sehr verändert oder durch die Rechtswissenschaft kritisiert worden waren. Einzelne Paragrafen waren von Kommentierungen so überwuchert, dass der ursprüngliche gesetzgeberische Wille kaum noch zu erkennen war. Unter verschiedenen Verfassungen (durch die Französische Revolution, im NS und in der DDR) wurde Recht plötzlich uminterpretiert und politisiert. Die Frage, warum dies so geschah, wann und durch wen und durch welche rechtlichen Formen und mit welchen Folgen, lenkte automatisch meinen Blick zurück in die Geschichte des Rechts bzw. der Rechte und deren höchst unterschiedliche Quellen. Das Recht zeigte sich keineswegs als eine statische Größe, bildete vielmehr ein ideologieanfälliges mobiles System, dem Juristen aller Zeiten und Länder die Stabilität eines »ius certum« zu verleihen suchten. Dieses besitzt heute als Prinzip der Rechtssicherheit rechtsstaatlichen Verfassungsrang. Die Methode rechtshistorischer Vergleichung erhöhte für mich immer den Erkenntnisgewinn über die möglichen Funktionen von Recht und Rechtsordnungen. Heinz Mohnhaupt, Rechtshistoriker 89

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…, weil sie dabei hilft, unser heutiges Staatssystem zu verstehen. Weder das Grundgesetz noch die Europäische Union sind »vom Himmel gefallen«. Sie sind vielmehr das Resultat einer langen, von Macht und Interessen durchzogenen Entwicklung. Besonders spannend finde ich es, einen Blick auf das 19.  Jahrhundert zu werfen, als Gedanken des Liberalismus, des Rechtstaats und auch der Demokratie aufkamen und sich gegen das Selbstverständnis der souveränen Monarchen behaupten mussten. Was unter einem »Staat« zu verstehen ist, hat sich seit dieser Zeit fundamental gewandelt. Um den heutigen Stand nachvollziehen zu können, lohnt es sich, die Anfänge dieser Entwicklung zu erforschen. Es lohnt sich insbesondere deswegen, weil die Entwicklung immer weitergeht. Und diese kann nur derjenige konstruktiv mitgestalten, der die Wurzeln versteht und nicht aus dem Blick verliert. Fabian Müller, Student

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…, weil Geschichte mich schon immer fasziniert hat. Sie hilft uns zu verstehen, wo wir heute sind und welchen Weg wir dahin genommen haben. Sie ist weder trocken noch schlicht belanglose Vergangenheit, denn sie lebt in allem Heutigen weiter. Nur wer das Gestern versteht, weiß auch das Morgen zu gestalten. Dem Recht kommt dabei eine ganz besondere Stellung zu, denn immer dort, wo Menschen waren, dort hatten sie auch ihr Recht. In Teilen starb es ab, es veränderte sich und es entstand wieder neu, aber immer war es da und begleitete die Völker durch die Zeit. Deswegen lohnt sich also die Beschäftigung mit dem Recht der Vergangenheit. Die Rechtsgeschichte ermöglicht aber auch einem einzigartigen Zugang zur Vergangenheit  : Sie erlaubt einzutauchen in frühere Lebenswelten und diese vor dem eigenen Auge wieder neu entstehen zu lassen – das ist einfach spannend  ! Fabian Müller, Student

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…, weil mir die historisch fundierte Einmischung in aktuelle Diskurse am Herzen liegt. Die Beschäftigung mit der Geschichte des Rechts erweitert die logisch-analytische Technizität unserer auf dem gelehrten Recht beruhenden Rechtsordnung im Sinne einer juristisch gebildeten (artificial) Vernunft (abgeleitet von artifex  =  Künstler). Dem Common-Law-Diskurs gegenüber der Stuartmonarchie entlehnt, beinhaltet die historisch gewachsene Kunstfertigkeit bzw. Wissenschaftlichkeit der Rechtsanwendung Herrschaftskontrolle durch Recht ebenso wie den Anspruch auf Unabhängigkeit durch Rationalität. Dabei geht es nicht um die Kunstfertigkeit juristischer Argumentation als Selbstzweck, sondern um die Nachvollziehbarkeit der im Einzelfall gerechten Entscheidung. Diese instrumentelle Sicht auf das Recht wird in der historischen Distanz besonders deutlich. Die uralte Unterscheidung »[w]as Rechtens sei (quid sit iuris)« und »ob das, was [die Gesetze] wollten, auch recht sei, und das allgemeine Kriterium, woran man überhaupt Recht sowohl als Unrecht (iustum et inustum), erkennen könne«, (Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § B) prägt die europäische Rechtskultur ebenso wie die seit den mittelalterlichen ordines iudiciarii verankerte Rationalität europäischen Gerechtigkeitsdenkens. Seit Jahren untersuche ich vergleichend Justizquellen, um die immanente Logik der angenommenen Komplementarität verfahrensgemäßer (ex ordine) und inhaltlicher (ex animo) Richtigkeit richterlicher Entscheidungen zu dekodieren. Das Interesse des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte an den historisch gemeinsamen Grundlagen der Verfahrensgarantie des Art. 6 EMRK oder die Anleihen des Supreme-Court-Urteils gegen die unrechtmäßige Parlamentssuspension (R 92

(on the application of Miller) (Appellant)  v  The Prime Minister (Respondent) Cherry and others (Respondents) v Advocate General for Scotland (Appellant) (Scotland) [2019] UKSC 41) bei Reason and Fairness (Brill 2019) zeigen das Potential der Rechtsgeschichte, sich auch in aktuellen Diskursen gestaltend Gehör zu verschaffen. Ulrike Müßig, Rechtshistorikerin

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…, weil ich mein Hobby zum Beruf gemacht habe. Schon als Kind begann ich Münzen aus dem Königreich Preußen zu sammeln, später forschte ich in alten Kirchenbüchern nach meinen Vorfahren und las das Nibelungenlied auf Mittelhochdeutsch. Im zweiten Studiensemester hielt ich mein erstes Seminarreferat, es ging um das Kompositionensystem in der Lex Salica. Da war das Feuer entfacht. Die Arbeit mit Quellen begeistert mich immer aufs Neue, gerade auch mit ungedruckten Akten im Archiv, stets auf der Suche nach der Rechtswirklichkeit vergangener Zeiten. Die Geschichte der Gerichtsbarkeit und des Verfahrensrechts fasziniert mich am meisten. In den Streitfällen der Vergangenheit werden hinter dem Recht und den Gesetzen die einzelnen Prozessparteien mit ihren Interessen ebenso sichtbar wie die Anwälte mit ihrer Taktiererei oder die Richter mit ihrer hoheitlich-bürokratischen Urteilstätigkeit. Besonders reizvoll ist es, solche Quellenfunde zu einem Buch zusammenzufügen. Das gilt für die inhaltlichen Zusammenhänge ebenso wie für das Ringen um schöne Sprache. Da geht es ganz und gar nicht um trockene Wissensvermittlung. Manchmal tauchen augenzwinkernd Querbezüge auf, etwa zu Rudolf Bultmann oder Anton Bruckner. Das braucht niemand zu bemerken, aber es macht beim Schreiben Freude. Auch der Austausch mit Kollegen öffnet mir neue Horizonte. Und die mehrtägigen rechtshistorischen Seminare mit Studierenden und Mitarbeitern regelmäßig auf der Wattstation Carolinensiel gehören für mich zu den schönsten Erlebnissen an der Universität. Peter Oestmann, Rechtshistoriker

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…, weil ich nach meinem Geschichtsstudium in Jura zwar eine beeindruckende Dogmatik und fordernde Denkspiele fand, aber mir häufig die Einbindung in die vielen Kontexte fehlte, die Recht umgeben. Die habe ich dann in der Rechtsgeschichte gefunden, also in Fragen wie  : Was hat die Störung der Geschäftsgrundlage mit dem Ersten Weltkrieg zu tun   ? Wieso denken Rechtswissenschaftler lange nicht und dann doch, es gebe Lücken im Gesetz  ? Wie wendete man das BGB von 1900 in der nationalsozialistischen Diktatur an  ? Wenn man auf diese Fragen eine Antwort weiß, hilft es einem natürlich, den gegenwärtigen Zustand des Rechts und Rechtsdenkens besser zu verstehen, und das macht kreativ und offen für andere Lösungen. Mich ganz persönlich hat allerdings noch mehr gereizt, dass die Beschäftigung mit der Einbettung von Recht und Rechtsdenken in die vielen Kontexte von Politik, Kultur, Religion und Soziologie die Möglichkeit bietet, für einen Moment von oben auf sich selbst zu sehen und zu erkennen, wie abhängig auch das eigene Denken von allen diesen Faktoren ist, die man zwar für sich selbst nicht entschlüsseln, aber doch wenigstens manchmal für die Vergangenheit vermuten kann. Susanne K. Paas, Rechtshistorikerin

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…, weil mich als Historiker, der sich mit Fragen der internationalen Beziehungen im 19./20.  Jahrhundert beschäftigt, interessiert, ob und wie durch Rechtsnormen Staatenkonflikte in der Vergangenheit beigelegt oder eingehegt werden konnten  ; weil mich dabei besonders interessiert, wie von der Staatenwelt anerkanntes Völkerrecht – etwa die Neutralität der Schweiz 1815 und Österreichs 1955  – mit zunehmendem zeitlichen Abstand ideologisch überhöht und zum Kern des nationalen Selbstbildes wurde, Völkerrecht also national integrierend wirkt, indem die historischen Umstände der Entstehung solcher Normen ausgeblendet werden  ; weil mich als Historiker und Literaturwissenschaftler, der seinerzeit breit rezipierte dichterische Texte als historische Quelle liest, die Frage bewegt, wie das Verhältnis von Recht und Macht zum Strukturelement der Fabel wird – etwa in dem mittelalterliche Stoffe verarbeitenden historischen Drama des 19. Jahrhunderts (beispielsweise Canossa-Stoff), im völkischen Heimatroman (beispielsweise westfälisches Femerecht) oder in der zeitgenössischen Novellistik (beispielsweise der österreichische Ständestaat 1934/38)  – wie also »schöne Literatur« soziale und rechtliche Konflikte der Gegenwart spiegelt  ; obwohl ich rechtsgeschichtliche Fragen und Probleme angesichts der auseinanderlaufenden Ansprüche zwischen (Exzellenz-)Forschung und abgesenkten Anforderungen in den NRW-Lehramtsstudiengängen in Seminare nicht mehr einbringen kann. Matthias Pape, Neuzeithistoriker 96

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…, weil ich mich ihrer Faszination nicht entziehen kann. Das hat viel zu tun mit dem Entziffern von Schriftzeichen und dem Übersetzen von »toten« Sprachen. Dokumente zu verstehen, die längst vergangene Kulturen vor Jahrtausenden von Jahren hinterlassen haben, ist eine unvergleichliche Herausforderung  – egal, ob sich die Menschen um eine Doppelhaushälfte gestritten oder über Gerechtigkeit nachgedacht haben. Dass mich da(Foto  : My Prof is a DJ – Vol. III  : Benefizparty bei gerade das Recht interessiert und von Studieren ohne Grenzen e. V.) nicht etwa Technik, Religion oder Kunst mag natürlich Zufall sein. Das Recht scheint allerdings zu den allerfrühesten Leistungen des menschlichen Geistes zu gehören, schon insofern hat es also eine besondere Bewandtnis damit. Und die Zusammenhänge des Rechts mit den anderen  – physischen oder metaphysischen  – Dimensionen des menschlichen Daseins werfen immer neue Fragen auf. Sehr wahrscheinlich ist meine Beschäftigung mit der Rechtsgeschichte also eine Folge der Eigendynamik von Wissen  : Wenn man einmal Geschmack daran gefunden hat, kann man einfach nicht genug davon bekommen … Guido Pfeifer, Rechtshistoriker

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…, ehrlich gesagt die längste Zeit meiner akademischen Laufbahn nur nebenbei, doch verstärkt nach meinem Eintritt in den Ruhestand. Das hic et nunc der Arbeit an einem gerechten Gemeinwesen hat mich für das Verfassungsrecht des demokratischen Rechtsstaats, wie es im Grundgesetz verwirklicht ist, begeistert. So habe ich 25 Jahre lang fast nur zum geltenden Öffentlichen Recht publiziert. Aber schon der Unterricht in »Civics« und »American History«, den ich als Austauschschüler an einer Highschool in Kalifornien besuchen durfte, hat mir die Herkunft dieses Verfassungsrechts aus der Aufklärung und der nordamerikanischen Revolution am Ende des 18.  Jahrhunderts vor Augen geführt. Durch das Diplomstudium in Frankreich erweiterte sich mein Fokus zusätzlich auf 1789. Immer öfter erwies sich auch bei der Arbeit am geltenden öffentlichen, namentlich Verfassungsrecht das Zurückgehen auf die Vorgängerverfassungen und weiter auf das lange 19. Jahrhundert wenn nicht durchgehend als zwingend erforderlich, so doch stets als äußerst lehrreich. Daraus erwuchsen Lehrveranstaltungen und ein von mir mit verfasstes Lehrbuch zur Verfassungsgeschichte. Ich betreibe Verfassungsgeschichte also hauptsächlich, weil sie in vielem einen Schlüssel zum Verständnis des geltenden Verfassungsrechts, vor allem seiner Grundsätze der Demokratie und des Bundes-, Rechts- und Sozialstaats darstellt. Sie hält darüber hinaus für Juristen unverzichtbare Lehren bereit, wenn man besonders in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts blickt. Welches Glück Deutschland mit dem Grundgesetz zuteil geworden ist, muss aber besonders den jungen Jurastudenten erst erklärt werden, weil sie dieses Rechtssystem für selbstverständlich halten und eher die auch ihm anhaftenden 98

Mängel als seine großen Errungenschaften sehen. Daher haben wir jüngst unser Lehrbuch um ein längeres Kapitel zur Bonner Republik erweitert. Schließlich führt mich mein Hobby »Recht und Literatur« immer wieder zur Rechtsgeschichte, sind doch die Grundfragen des Rechts, denen ich in großen Werken der Weltliteratur nachgehe, häufig nur im Zusammenhang mit dem jeweiligen rechtshistorischen Hintergrund zu verstehen und verständlich zu machen. Bodo Pieroth, Staatsrechtslehrer

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… aus mehreren Ursachen, die zumindest teilweise nichts mit bewussten Entscheidungen zu tun haben. Schon als ich als 16-jähriger Austauschstudent in den Vereinigten Staaten rechtliche Themen in der Highschool bei einem sehr guten Lehrer studierte, begann ich mich für soziale Bezüge des Rechts zu interessieren. In den 1980er Jahren studierte ich dann Recht an der Universität Helsinki. Das war eine wichtige Periode für die Geburt der modernen finnischen Rechtsgeschichtsforschung, und ein bisschen später, nach einigen Seitensprüngen ins praktische Rechtsleben, begann ich meine eigenen Forschungen. Sie leiteten mich fast automatisch zur spannenden Welt der vergleichenden Forschungsmethoden, die in den letzten Jahrzehnten immer populärer geworden sind. Als Professor der vergleichenden Rechtsgeschichte habe ich jeden Tag die Möglichkeit, mich meiner anderen großen Liebe Fremdsprachen zu widmen. Eines der größten Privilegien in diesem Beruf sind aber die Kontakte mit vielen wunderbaren Kollegen und Freunden in verschiedenen Ländern weltweit  ! Heikki Pihlajamäki, Rechtshistoriker, Helsinki/Finnland

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Nein, das tue ich nicht. Seitdem ich mich als juristischer und historischer Laie mit einigen rechtsgeschichtlichen Fragen beschäftigt habe, ist mir allerdings der Sinn des Rechts verständlicher geworden. Als empirisch arbeitender Soziologe hielt ich es bislang für eine Überforderung der Wissenschaft, normative Fragen beantworten zu wollen. Lässt sich wissenschaftlich begründen, warum für alle Bürger das gleiche Recht auf Religionsfreiheit gelten soll  ? Ist die Setzung von Normen wissenschaftlich ableitbar  ? Die Rechtsgeschichte hat mich gelehrt, dass Normen Reaktionen auf auftretende soziale Konflikte darstellen, die helfen sollen, das Zusammenleben der Menschen zu verbessern. Die angebotenen Lösungen müssen sich in der sozialen Praxis bewähren und sind veränderbar, wenn sie das nicht tun. Wie sich Problemlösungen und Problemstellungen zueinander verhalten, lässt sich wissenschaftlich analysieren. Rechtswissenschaft als Rechtsgeschichte wird für mich so zu einer empirischen Wissenschaft. Detlef Pollack, Religionssoziologe

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…, weil ich mich schon immer gerne mit den Quellen des rechtshistorischen Wissens beschäftigt habe. Das Warum und Wofür des Rechts in der Geschichte zu verstehen, was bleibt und was sich ändert, finde ich sehr spannend. Ich war Studentin in einem Seminar über die Geschichte der Rechtspflege, in dem der Professor es uns ermöglichte, mit den Quellen der damaligen Zeit zu arbeiten und zu verstehen, dass das Recht wirklich das ist, was gelebt wird, was angewandt wird… ius est sententiae iudicis. Die Nutzung und das Verständnis aller Quellen (Literatur, Geschichte, Chroniken usw.) und insbesondere der Rechtsquellen (Gesetzgebung, Rechtsprechung, Rechtsliteratur) ermöglicht es, die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Faktoren, auf die es reagiert, zu verstehen. Wenn also, wie Hermogenianus sagte, das Recht durch den Menschen entstanden ist (Digesten 1.5.2), dann erhält der römische Aphorismus »ubi homo, ibi societas  ; ubi societas, ibi ius  ; ergo  : ubi homo, ibi ius« in meinen rechtshistorischen Studien seine wertvolle Bedeutung. Als Rechtshistorikerin bin ich daran interessiert zu verstehen, wie Legitimität ausgeübt wird, um das tatsächlich gelebte oder angewandte Recht zu kennen. Es ist eine spannende Aufgabe, dazu beizutragen, das Recht und sein Verständnis in der Vergangenheit kennenzulernen, zu interpretieren und weiterzugeben. Yolanda Quesada Morillas, Rechtshistorikerin

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Warum wurde ich Rechtshistoriker   ? Als ich Ende der 1960er Jahre Student in Münster war, erlebte ich erstmals, wie nur die Geschichte über die, damals für einen jungen Beobachter, erstaunlichen Unterschiede zur Rechtsordnung der Heimat aufklären konnte. Diese Überzeugung begleitet mich, nach etlichen Jahrzehnten, bis heute. Die zentrale Aufgabe der Rechtswissenschaft liegt heute in der Entwicklung gemeinsamer Prinzipien und Regeln innerhalb einer einheitlichen europäischen Perspektive. Das gilt umso mehr, wenn man an die kritischen, negativen und sogar feindlichen Töne denkt, die in jüngster Zeit gegen die Idee eines vereinten Europas formuliert werden, ein Europa, das im Übrigen bisher nur aus wirtschaftlicher und nicht aus kultureller Sicht betrachtet wurde. Eine solche Herausforderung kann nur bewältigt werden, wenn man zum gemeinsamen Gedächtnis der europäischen Juristen zurückkehrt und die tiefen romanistischen Wurzeln der in allen kontinentalen Rechtsordnungen kodifizierten Rechtskategorien hervorhebt. Als Beispiel sei auf das oben abgebildete Werk hingewiesen. Common-Law-Juristen hatten, übrigens, auch historische Verbindungen zur kontinentalen Rechtskultur, die oft ignoriert und missverstanden wurden. Nur ein historischer und vergleichender Blickwinkel, der über die Kategorien hinausgeht, die den nationalen Rechtsnormen zugrunde liegen, wird es ermöglichen, die oft verborgene Herkunft bestimmter aktueller Unterschiede zwischen den europäischen Rechtsordnungen aufzuklären. Gleichzeitig wird es nur dadurch möglich, die Tragweite bestimmter normativer und konzeptioneller Gegensätze zu relativieren und den Dialog zwischen Juristen zu erleichtern, die in unterschiedlichen rechtlichen und 103

kulturellen Traditionen ausgebildet worden sind. Dies ist auch die einzig mögliche Strategie, um die Möglichkeiten realistischer Projekte zur Vereinheitlichung der Gesetzgebung in Europa heute aufzuzeigen. Schließlich ist dies der wichtigste Weg, um zu zeigen, welche Aspekte des nationalen Rechts heute nur noch die Überreste einer veralteten historischen Tradition sind, die nicht erhaltenswert ist. Das Recht der europäischen Nationen stellt in seiner Geschichte und in seiner gegenwärtigen Realität eine einzigartige kulturelle Tradition dar. Im Verständnis und in der Hervorhebung der einheitlichen Dimensionen dieser Tradition liegt heute der spezifische Grundlagencharakter des Studiums der Rechtsgeschichte. Filippo Ranieri (†), Rechtshistoriker

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Es war einmal, aber wie  ? Geschichte zu lesen, ist lehrreich, aber Rechtsgeschichte spiegelt, wie alles einmal wirklich begann auf Basis von Zeitdokumenten  : ob üble Nachrede (malum carmen) im Jahr 451 vor Christus, der Wert von Pferdeäpfeln in Trier, nomadische Rechtsformen, frühes Christentum, Bekleidungsvorschriften für Kleriker, der Osterwitz, Kriegserklärungen und Testamente, moderne Leibeigenschaft, Rechtsprechung des Reichshofrats bis zur deutschen Wiedervereinigung … alles aus dem Leben gegriffen. Reizvolle Ergebnisse findet man auch in der Überlieferungsgeschichte, die vor Missverständnissen und Fälschungen nicht haltmacht. Rechtsgeschichte arbeitet faktenbasiert und detailgetreu am historischen Bestand. Das Fragenstellen ist erlaubt als Motor der Forschung. Das macht Spaß. Wenn ich die Beiträge für die drei Abteilungen der Zeitschrift der Savigny-­ Stiftung für Rechtsgeschichte koordiniere, liebe ich seit vielen Jahren und immer wieder die Lebendigkeit der Bilder und Fakten, die über meinen Bildschirm wandern. Nicht selten hätte man gern mehr Zeit zu verweilen. Reingard Rauch, Verlagslektorin

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Wer die Sala della Pace im Palazzo Pubblico, dem Rathaus von Siena, betritt, dessen Blick fällt auf ein Fresko von Ambrogio Lorenzetti, das in allegorischer Form von der »guten Regierung« handelt. In der Mitte sitzt eine junge Frau in einem leuchtend weißen, beinahe durchsichtigen Gewand, mit einem Lorbeerkranz im Haar und einem Ölzweig in der Hand. Ihr Name ist »Pax«, Frieden. Damit deutet der Maler an, worauf es in einer Gesellschaft vor allem ankommt. Zugleich setzt er den Frieden in Beziehung zu Recht, Gesetz und Gerechtigkeit. Die Rechtsgeschichte gewährt dem, der sich ihr zuwendet, einen faszinierenden Einblick in die Mühen des Menschen um Frieden durch Recht – fraglos ein Ideal, dem näher zu kommen, eine tiefe Sehnsucht ist. Zu einem besseren Verständnis dieses Prozesses beitragen zu können, ist mir ein lohnendes Ziel, wenn ich Rechtsgeschichte betreibe. Tilman Repgen, Rechtshistoriker

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…, weil es für mich nicht nur das interessanteste und faszinierendste, sondern auch das herausforderndste Forschungsgebiet ist – es führt historische Erfahrungen zusammen. Ich kann mit inspirierenden Texten arbeiten und von sehr erfahrenen Kollegen lernen. In meiner Forschungsarbeit kombiniere ich zwei Disziplinen   : Recht(swissenschaft) und Sprache. Verschiedene Thematiken haben mich von den Quellen des römischen Rechts zur Erforschung lateinischer Rechtsbegriffe und ihrer Verwendung in estnischen Rechtstexten geführt. Darüber hinaus fasziniert mich die Analyse von neuen und historischen lateinischen Ausdrücken in diversen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes. In meiner Forschungsarbeit wird mir die Bedeutung von Rechtsgeschichte sehr bewusst. Die Kenntnis von römischem Recht und des Sprachgebrauchs historischer Juristen macht es möglich, aktuelle Fragestellungen der Rechtswissenschaft und der Rechtssprache besser zu verstehen und zu erklären. Merike Ristikivi, Rechtshistorikerin, Tartu/Estland

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Betreibe ich Rechtsgeschichte   ? Das kommt darauf an. Mal mehr, mal weniger. Denn ich betreibe auch Kulturgeschichte, Literaturgeschichte, Kunstgeschichte, Medizingeschichte, Religionsgeschichte, Wissenschaftsgeschichte, Wirtschaftsgeschichte, Sozialgeschichte und wohl noch vieles mehr. Die Fachdisziplinen, zu denen meine Arbeit passt, ergeben sich immer eher aus den Themen, an denen ich gerade sitze. Diese Themen sind Zufällen geschuldet oder auch der ganz naiven Neugier eines historisch denkenden Menschen. Ich stoße auf etwas, ich möchte mehr darüber erfahren und stelle fest, dass es darüber nichts Befriedigendes zu lesen gibt. Also fange ich selbst an zu suchen. Es ist natürlich vorteilhaft, wenn dieses Thema dann auch irgendwo im akademischen Betrieb anschlussfähig ist. Eines Tages wurde ich gefragt, welches übergeordnete Interesse meine Forschungen präge. Das ist eine unangenehme Frage, aber es geht ja immer auch um Markenbildung, also  : Ich möchte verstehen, wie die Menschen ihr Zusammenleben regeln und wie diese Ordnung gemacht und reproduziert wird. Wie im 16. Jahrhundert Väter Bücher schrieben, um ihre Verwandtschaft und damit die Beziehungen in ihrer Stadt zu strukturieren. Wie im mittelalterlichen Christentum Konflikte über körperliche Expressivität dazu führten, dass man »Tanz« als Krankheit wahrnehmen konnte. Wie im spätmittelalterlichen Nordeuropa das Paradigma des »Piraten« erfunden wurde, als eine horizontale Ordnung des Zusammenlebens im maritimen Raum durch eine vertikal strukturierte abgelöst wurde. Vielleicht betreibe ich also eher Anthropologie  ? Im Gegensatz zu all den oben aufgezählten Fächern habe ich diese immerhin studiert, oder genauer  : Völkerkunde, wie man früher sagte.

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Aber wahrscheinlich bin ich einfach ein Historiker. Die haben sich schon immer besonders für gesellschaftliche Normen interessiert. In der Rechtsgeschichte kann man dazu sehr viel lernen, weil hier eine normgebende Instanz über sich selbst und ihre Geschichte nachdenkt. Und wozu, wenn nicht zur Selbstbeobachtung, braucht eine Gesellschaft historisches Denken  ? So kommt man dazu, beinahe aus reiner Neugier Rechtsgeschichte zu betreiben. Gregor Rohmann, Historiker

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…, because I had the good fortune of turning my hobby into a job. When we want to understand a society, we need to look at its rules. Thus, legal history is not just of interest to some academic lawyers with a passion for antiquity, but to anyone with an interest in the history of a society  – including of course their own, contemporary one. While not everybody should nurture a passion for legal history, any lawyer should have some knowledge of it. Studying law is more than memorizing a number of specific rules, which often change with the passing of the time. Legal history forces us to deal with «strange” things, belonging to a context different from ours. Studying them forces us to adapt to a different context, to understand how it worked. This way, studying the past helps training for the future, because it gives flexibility. Guido Rossi, Rechtshistoriker, Edinburgh/Schottland

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…, weil mich schon als Jurastudent die Fragen faszinierten, wie Recht entsteht, wann und warum es sich verändert, unter welchen Bedingungen es funktioniert – oder auch nicht. Diese Fragen führten mich zur Rechtsgeschichte, die mir geholfen hat (und heute noch hilft), Antworten zu finden, nicht als unumstößliche Wahrheiten, aber als Annäherungen an das, was wir Recht nennen  : Denn der Blick in die Vergangenheit zeigt, welch unterschiedliche Faktoren auf das Recht einwirken  : Ökonomische genauso wie religiöse, soziale und psychische, ethische und technische. Die Beschäftigung mit der Rechtsgeschichte bringt mir eine größere Nähe zu dem, was Recht sein kann, und schafft gleichzeitig eine notwendige Distanz zu dem Absolutheitsanspruch der geltenden Rechtsordnung. Andreas Roth, Rechtshistoriker

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…, weil, nun ja, weil es sich so entwickelt hat, ohne Plan, immer wieder spontan, aus den Umständen. Zuerst stand um mich, ganz zuletzt im Studium, gewissermaßen ein persönlich (nie herablassend) und sachlich (immer informiert) begeisternder Hochschullehrer, dann kam sein immer wieder begeisterter Seminarkreis aus den verschiedenen juristischen Fächern hinzu. Und begeistert hieß voller Ernst, voller Freude, mit viel Diskussion zu den Sachen, mit deutlicher Kritik und ebenso deutlichem Lob, mit viel Niveau von vielen Seiten, mit viel Aufmerksamkeit für wissenschaftliche Arbeitsweise, kurz   : begeisternd, mit Geist und Empathie. Dass Rechtsgeschichte wichtig sei, war dabei selbstverständlich und wurde täglich praktiziert. Vielleicht war das damals vergleichsweise naiv. Heute würde ich hinzufügen  : Die Geschichte unseres Rechts und des Rechts nimmt sich die härteste und dauerhafteste Struktur unserer Gesellschaften zum Gegenstand ihrer Analysen. Was könnte wichtiger sein, als daraus zu lernen. Joachim Rückert, Rechtshistoriker

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…, weil ein begeisternder Lehrer mich beizeiten auf den Geschmack gebracht hat  : Jura, das sei viel mehr als der Dialog zwischen Sachverhalt und Norm. Normen fallen nicht vom Himmel, sind eine Antwort auf die unerschöpfliche Vielfalt sich wandelnder Welt-, Lebens- und Wertordnungen. Der Glaube, Rechtsgeschichte sei zum Luxus geworden, weil doch Gesetzgebung das Heute messerscharf vom Gestern trenne, ist ein Irrglaube. Über den Beitrag zur Auslegung hinaus glaube ich an einen praktischen Nutzen der Rechtsgeschichte. Das geltende Recht regt zur Beschäftigung mit der Geschichte an – und die geschichtliche Erfahrung hält Lehren für die Gegenwart bereit. Dass Rechtshistoriker hierzulande gewöhnlich mit einem Fuß im geltenden Recht stehen, habe ich daher stets als Vorteil empfunden. Und schließlich  : Junge Leute für die Rechtsgeschichte zu gewinnen, ist eine Aufgabe, die Freude bereitet. Stefan Chr. Saar, Rechtshistoriker

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Es war 2001, als ich zum ersten Mal die Bilderhandschrift des Sachsenspiegels gesehen habe. Damals war ich als Austauschstudent in Deutschland, um geltendes Recht zu studieren. Die mittelalterlichen Bilder mit ihren rechtlichen Inhalten weckten in mir eine so große Neugier, dass ich nach meiner Rückkehr nach Japan das Graduiertenkolleg besuchte, um dieses höchst interessante Thema vertiefend zu studieren. Seitdem beschäftige ich mich glücklicherweise mit dieser spannenden Disziplin. Rechtsgeschichte zu betreiben, stellt für mich eine Entdeckungsreise dar, die mir viel Freude bereitet. Dan Sato, Rechtshistoriker, Kyoto/Japan

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…, weil sie mich immer wieder aufs Neue zu faszinieren (laut Duden  : anziehen, beeindrucken, behexen, berauschen, betören, bezaubern, blenden, elektrisieren, erregen, fesseln, gefangen nehmen, imponieren, interessieren, mitreißen, packen, verlocken, verzaubern) vermag. Je mehr und je länger ich mich ihr widme, desto unerschöpflicher und ausgreifender scheint sie mir paradoxerweise zu werden. In ihren Quellen lässt sie die Vergangenheit jedes Mal lebendig vor uns auferstehen und bequem vom Schreibtisch aus gedanklich die Jahrhunderte durchschreiten. Sie ist das Portal, über dem – frei nach Dante (Inferno III,9) – geschrieben steht  : »Lasst, die Ihr eintretet, fahren alle Vor-Urteile  !« Denn die rechtsgeschichtliche Katabasis, wenn man sie ernsthaft unternimmt, erschüttert vorgefasste Ansichten zum Recht, indem sie angesichts des Vergangenen den kritischen Blick für das Gegenwärtige schärft und vor Fehlvorstellungen bewahrt. Als juristische Disziplin, die sie ist, schult sie zudem die juristisch unerlässlichen, aber auch anderweitig nützlichen Tugenden einer analytischen Quellenarbeit, eines präzisen Textverständnisses sowie der Interpretationsfähigkeit innerhalb einer vielgestaltigen und sich ständig wandelnden Welt und Umwelt. Im Gegensatz zu anderen juristischen Fächern macht aber die Rechtsgeschichte dabei vor disziplinären Grenzen nicht Halt  ; sie geht vielmehr fließend über in die Geschichtswissenschaften, Philologien, in die Philosophie, Theologie, Archäologie, Soziologie und viele weitere benachbarte Wissenschaften mehr. Rechtsgeschichte weitet von sich aus das thematische Blickfeld und erweitert automatisch den methodischen Horizont, sie ist in sich bereits transdisziplinär und methodenpluralistisch angelegt. – Kurzum  : Ich kenne kein anderes juristisches Fach, das dies alles der Rechtsgeschichte gleichtun könnte. Wenn ich daher Rechtsgeschichte 115

nicht zuletzt auch deshalb betreibe, weil ich meine Faszination an ihr gerne anderen Menschen weitervermitteln möchte (so wie sie damals als Student an mich weitervermittelt worden ist), so fällt mir das bei ihr besonders leicht. Denn  : Welches andere Fach könnte schon mit einer vergleichbaren Faszination (übrigens laut Duden  : etymologische Herkunft ungeklärt) aufwarten  ? Emanuel Schädler, Forschungsbeauftragter

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…, weil mich der Pluralismus historischer Epochen, Meinungen und Gegenstände fasziniert. Uns Rechtshistorikern wird niemals die Arbeit ausgehen. Im Kindergarten wollte ich Archäologe werden, später Historiker. Während des Studiums habe ich zunächst mit Bankrecht und Steuerrecht geliebäugelt, bin aber über rechtshistorische Seminare zur Rechtsgeschichte gekommen. Bereut habe ich meine Entscheidung für die Rechtsgeschichte nie. Sie bietet weitaus mehr als einen Rückzugsraum vom geltenden Recht. Zum einen eröffnet die Rechtsgeschichte die Möglichkeit zum internationalen Austausch und zum Vergleich sehr gegensätzlicher Rechtskulturen. Zum anderen schätze ich an der Rechtsgeschichte, dass sie vielleicht der einzige juristische Beruf ist, bei dem man tatsächlich alle Kenntnisse eines Einheitsjuristen anwenden kann. Frank L. Schäfer, Rechtshistoriker

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… durch einen glücklichen Zufall. Nach Abschluss meines Archivreferendariats hielt ich Ausschau nach einer Tätigkeit, bei der sich archivarische Aufgaben mit historischen Forschungen verknüpfen ließen. Und die Mitarbeit an der Erschließung der Akten des kaiserlichen Reichshofrats im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv bot hierfür ideale Voraussetzungen. Denn mit mehr als einem Regalkilometer bilden die Reichshofratsakten den größten zusammenhängenden Archivbestand, den uns das Heilige Römische Reich Deutscher Nation hinterlassen hat. Die faszinierend vielfältigen Quellen geben nicht nur Aufschluss über einzelne Prozesse im Zeitraum zwischen dem frühen 16.  Jahrhundert und 1806. Sie verraten der Forschung auch, wie sich kollegiale Rechtsfindung in einem politischen System ohne Gewaltenteilung überhaupt vollzogen hat. Neben manchen Parallelen zur Gegenwart zeigen sich dabei markante Unterschiede, die auch dem juristischen Laien die zivilisatorische Errungenschaft des modernen Rechtsstaates und seiner gesetzlichen Sicherungsmechanismen vor Augen führen. Vielleicht reizt mich dies am meisten am Fach Rechtsgeschichte als einem interdisziplinären Fach mit gesellschaftlichem Auftrag. Tobias Schenk, Historiker

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…, weil mich das »Wieso« der Lösung einer juristischen Frage mehr interessiert als das »Wie«. Jeder Jurist arbeitet mit Normen, die aus der Vergangenheit stammen. Ausnahmslos. Was diese Norm bedeutet, was in ihr drinsteckt an Vorstellungen und Wertungen möchte man doch wissen, ehe man sie anwendet. Wer nach dem Grund einer Norm sucht, kommt weit herum und lernt Höhenflüge und Seltsamkeiten unserer Zivilisation kennen. Man liest griechische Philosophen, diskutiert mit römischen Juristen und entdeckt die Handbücher christlicher Theologen. Das ist meistens anstrengend, immer aber klärend und erhellend. Man weiß am Ende meistens nicht nur, warum eine Norm so ist, wie sie ist, sondern auch, warum unser juristischer Diskurs sich an diesem oder jenem Punkt verbeißt und Argumente sich wiederholen, ohne dabei besser zu werden. Kurz  : Rechtsgeschichte ist ein Selbsterfahrungstrip für Juristen. Martin Schermaier, Rechtshistoriker

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…, weil ich in meinem ersten Semester die Vorlesung »Deutsche Rechtsgeschichte« bei Dietmar Willoweit gehört habe, der mich auf das Recht als Mittel für die Organisation des menschlichen Zusammenlebens und dessen Grundregeln aufmerksam gemacht hat. Er hat uns die Rechtsgeschichte als Teil der Kulturgeschichte erläutert und zugleich das geltende Recht im Auge behalten. Dabei habe ich gelernt, dass der Blick in die Vergangenheit einerseits zeitgebundene Lösungen erkennen lässt (z.  B. die Thinggenossenschaft und das Gottesurteil). Das Recht wandelt sich eben angesichts der Veränderung sozialer, ökonomischer und politischer Gegebenheiten. Mich hat beispielsweise der Einfluss des römischen Rechts auf die traditionale Rechtskultur seit dem hohen Mittelalter fasziniert. Ich habe aber auch verstanden, dass es andererseits überzeitliche Rechtsinstitute gibt (den Vertrag, das Eigentum, den Schadensersatz aufgrund einer Rechtsverletzung und die Teilhabe bei wichtigen Fragen, die die Gemeinschaft betreffen). Die Funktion des Rechts liegt daher für mich in der freiheitssichernden Begrenzung von Macht und Gewalt, wie sie auch heute im Rechtsstaat realisiert worden ist. Durch die Beschäftigung mit der Rechtsgeschichte hat sich mir schließlich immer wieder das geltende Recht besser erschlossen. Wer die Gegenwart richtig deuten und Entscheidungen für die Zukunft treffen will, wird nicht darum herumkommen zu erkennen, wie und unter welchen religiösen, sozialen und politischen Bedingungen die heutige Rechtsordnung gewachsen und geworden ist. Steffen Schlinker, Rechtshistoriker

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…, weil jeder Tag, den ich mit rechtshistorischen Quellen verbringe, mir Welten aufschließt und mich auffordert, anderen davon zu erzählen. Weil das Nachdenken über das gewesene und das seiende Recht permanent dazu einlädt, mich selbst zu korrigieren. Weil Quellenkunde vor Neuentdeckungen schützt, wie einer meiner Lehrer bemerkte, und so mit einem Satz ein ganzes Programm weitergab. Weil es, wenn ich Quellen erkunde, immer dort spannend wird, wo sie nicht ergiebig sprudeln, wo ich bemerke, dass sie stocken, dass sie mir Informationen vorenthalten, und wo sie mich zwingen, den Fuß vorsichtig zu setzen. Weil es schön ist, das Ruder aus dem Wasser zu heben und etwa einen in mühevollem Latein verfassten mittelalterlichen Text langsam ins Heute wachsen zu lassen, bis sich in Schatten und Nebeln Konturen abzeichnen und sich zu Bedeutungen verdichten. Und weil die europäische Universität (weit verstanden) der einzige mir bekannte reale Ort (an ganz vielen Orten) ist, der meinem Kopf alles nötige Material und einen Kreis von Kritikern bietet – und der ihn für dieses Erkunden, Wachsen-Lassen, Revidieren, Von-vorn-Beginnen und Erzählen auch noch honoriert. Adrian Schmidt-Recla, Rechtshistoriker

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…, weil man als Frühneuzeithistoriker mit einem besonderen Interesse an der Geschichte des Alten Reichs ohne rechtsgeschichtliche Quellen schlicht nicht auskommt. Doch nicht nur für die Reichsgeschichte, auch sonst gehören rechtsgeschichtliche Quellen zu den aussagekräftigsten und vielfältigsten Quellenbeständen der Frühen Neuzeit überhaupt. Gerade deswegen sind sie nicht nur für rechtshistorische Fragestellungen im engeren Sinne interessant, sondern besitzen eine erhebliche Aussagekraft für nahezu alle Bereiche des menschlichen Lebens. Das führt dazu, dass diese Quellen von Forschenden aus den unterschiedlichsten historisch arbeitenden Disziplinen mit ihren vielfältigen Erkenntnisinteressen verwendet werden. So kann man über die Arbeit an denselben Quellen einen Zugang zu ganz anderen Forschungsansätzen, Methoden und Disziplinen  – und zu den dahinterstehenden Menschen  – finden. Gerade im Bereich der Reichsgeschichte hat sich der Austausch zwischen Juristinnen und Juristen und verfassungspolitikgeschichtlich, sozialgeschichtlich sowie kulturhistorisch ausgerichteten Historikerinnen und Historikern als ungemein fruchtbar erwiesen. Ich selbst habe sehr davon profitiert – oder mit anderen Worten  : eine Menge gelernt. Matthias Schnettger, Historiker

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…, weil ich das Recht als Lenkungsinstrument in seinem jeweiligen sozialen und kulturellen Kontext und in seiner Dynamik verstehen will. Bereits in meiner Studienzeit hat mich das Bonmot von Georg Christoph Lichtenberg (Sudelbuch 1789 ff.) bewegt und geprägt  : »Wer nichts als Chemie versteht, versteht auch die nicht recht.« In die Rechtswissenschaft übertragen heißt das, dass sich das Rechtsstudium nicht auf eine Beherrschung des gerade geltenden Rechts beschränken darf. Wo immer man sich mit den Grundlagen beschäftigt, wird man an der Rechtsgeschichte nicht vorbeikommen. Gegenwart ist immer gewordene Vergangenheit und Weiterwirkung in die Zukunft. Es gehört zum Selbstverständnis des Juristen, sich diese Tatsache bewusst zu machen und so den eigenen Standort zu bestimmen. In diesem Sinne ist Rechtsgeschichte Klärung und Aufklärung und nicht zuletzt Schärfung einer kritischen Haltung. Rechtsgeschichte ist daher keine museale Dienstleistung. Ich bin und war stets gerne Jurist, allerdings mit der Überzeugung, dass sich das berufliche Profil des Juristen  – gleich ob Wissenschaftler oder Praktiker  – nicht in der bloßen Aktualität erschöpfen kann. Nach meinem Verständnis ist es die Aufgabe der Wissenschaft, die erfolgreichen und auch missglückten Linien und Strömungen, d.h. die kulturelle Produktivität der Rechtsentwicklung aufzudecken. Damit ist in meinem Sinne generell das faszinierende Tätigkeitsfeld des Rechtshistorikers umschrieben. Obwohl Rechtsgeschichte auch Teil der Geschichtswissenschaft ist, wird sie vornehmlich von Juristen betrieben und vermittelt, da die Besonderheit der Materie »Erfahrung im Recht« (Franz Wieacker) voraussetzt. Mich selbst hat es ne123

ben der Bedienung der Fächer des geltenden Rechts (Privatrecht und Rechtsvergleichung) immer wieder engagiert zur Rechtsgeschichte gezogen und ich habe schließlich dort meinen Forschungsschwerpunkt gefunden. Die damit eröffnete Horizonterweiterung ist für mich nach wie vor befriedigende Bestätigung meines Berufsverständnisses. Clausdieter Schott, Rechtshistoriker

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…, obwohl ich das eigentlich gar nicht tun wollte  ! Als Historiker der Kriminalität und des abweichenden Verhaltens, der beim Lesen von Kriminalakten und Zeugenverhören gerne in das pralle Leben der Frühen Neuzeit eintaucht, hat mich die Rechtsgeschichte oft geärgert. Ich fand, sie sei zu stark auf die Normen der Zeit fixiert und schließe daraus zu stark auf die tatsächlich geübte Praxis. Bisweilen ärgere ich mich immer noch. Aber Vorurteile sind dazu da, korrigiert zu werden. Zum einen studieren viele Rechtshistoriker/innen (mittlerweile) selbst die Quellen der Rechtspraxis. Und zum anderen bedarf auch die Geschichtswissenschaft eine solide Kenntnis des rechtlichen Rahmens, um die Lebenswelten der Frühen Neuzeit angemessen verstehen zu können. Deswegen brauchen wir als Allgemeinhistoriker die Rechtsgeschichte. Fazit  : Ich betreibe Rechtsgeschichte  ! Und das sogar sehr gerne  !  ! Gerd Schwerhoff, Frühneuzeithistoriker

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Schon während meines juristischen Studiums war ich von den rechtshistorischen Vorlesungen und Seminaren meines Frankfurter Lehrers Adalbert Erler beeindruckt. Mir wurde deutlich, dass das geltende Recht nicht »vom Himmel gefallen« ist, sondern seine Wurzeln tief in der Geschichte hat. Erkennbar wurden die Voraussetzungen für die Entstehung und den Verfall von Recht, die mir aus dieser Distanz eine differenzierte Beurteilung des Gegenwartsrechts ermöglichten. Heute gilt das beispielsweise für die im Grundgesetz verankerte und bei jeder Gelegenheit beschworene Menschenwürde, deren Bedeutung man ohne historisches Hintergrundwissen nur vordergründig begreift. Es gilt aber auch für das Verständnis der Rechtskulturen unserer europäischen Nachbarn. Selbst zum chinesischen Recht bot sich mir über dessen Geschichte ein überaus lohnender Zugang. Außerdem gibt mir die Rechtsgeschichte den Raum für wissenschaftliches Arbeiten mit noch unentdeckten Rechtsquellen. Sie befreit von den schon im juristischen Studium vermittelten positivistisch orientierten Anwendungs- und Subsumtionstechniken, die schon bei Goethe, Schiller, Heine, Novalis und anderen bedeutenden »Dichterjuristen« als blutleer und öde empfunden wurden. Geschichte und Rechtsgeschichte empfehlen sich mir – um mit Golo Mann zu sprechen – als »Mittel zur Selbsterkenntnis« und »zur Erfahrung menschlicher Möglichkeiten und Grenzen«. Auch wenn die Rechtsgeschichte weder Vorhersagen künftiger Rechtsentwicklungen ermöglicht noch ihre Kenntnis vor Fehlentwicklungen schützt, ist und bleibt sie für mich als Fundament des aktuellen Rechts eine tragende und identi126

tätsstiftende Säule der Orientierung. Ich bin mir sicher, dass die Mehrzahl meiner zahlreichen sowie beruflich erfolgreichen Schüler und Doktoranden diese Erfahrung mit mir teilt. Wolfgang Sellert, Rechtshistoriker

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Mich hat der Blick in den Spiegel der Geschichte schon immer fasziniert. Er lässt uns nicht nur schöne Geschichten hören oder lesen, sondern auch über uns selber nachdenken sowie unser Verhältnis zur Wirklichkeit und unserer Gesellschaft reflektieren, denen wir ungefragt stets angehören. In meiner Funktion als Lehrer erachtete ich es daher als Aufgabe, den angehenden Juristinnen und Juristen beizubringen, sich ein historisches Verständnis anzueignen und sich entsprechend mit der Bedeutung des Rechts in und für die Gesellschaft auseinanderzusetzen, um ihr Bewusstsein (Foto  : 2019, auf dem Stäfner Friedhof, wo sich und Engagement für das Recht in der Gegenwart und Vergangenheit ganz natürlich Gesellschaft stärker auszurichten. treffen können) In dem Sinne hatte ich auch ganz einfach Freude und Lust daran, solche Zusammenhänge zu entdecken und meinen Beitrag zu leisten, die Geschichte des Rechts von verfälschenden und rein aktualisierenden Sichtweisen ein Stück weit befreien zu helfen. Deshalb habe ich sehr gerne und leidenschaftlich Rechtsgeschichte betrieben. Marcel Senn, Rechtshistoriker und Rechtsphilosoph

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…, weil mir die Multidimensionalität des Rechts gefällt und ich die Grundstrukturen des Rechts kennen lernen will. Ganz am Anfang meines Studiums fand ich das Recht langweilig und wollte wechseln. Dann habe ich festgestellt, dass ich in der Forschung zur Rechtsgeschichte meine unterschiedlichen Hobbys und Neigungen nutzen kann und muss  : die Sprachen, die Geschichte, das Interesse für das Funktionieren der Gesellschaft und das Verhalten der Menschen. Es ist faszinierend, wie die juristischen Fragen durch die Zeiten ähnlich oder sogar identisch sind, die Lösungen und Akzente aber mal dieselben, mal unterschiedlich. Und die alten Bücher  : je älter, desto mehr zittern mir die Hände – vor Spannung, Neugier, Freude, Entdeckungslust … Übrigens stehen nicht an letzter Stelle die Rechtshistorikerkollegen  : Die Rechtsgeschichte ist so spannend und gleichzeitig herausfordernd, dass sie nicht von uninteressanten Menschen betrieben wird. Das Fach zieht Dich einfach mit, weil es so wunderbar ist  ! Hesi Siimets-Gross, Rechtshistorikerin und Römischrechtlerin, Tartu/Estland

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…, por circunstâncias da vida universitária  : encontrei um professor inspirador  ; envolvi-me com um grupo de pesquisa muito estimulante intelectualmente. Mas havia algo por trás dessas contingências todas que me estimularam e me inspiraram. Por que direito  ? Por que história  ? Com alguns mestres, aprendi a importância cultural e social do direito se ele não for compreendido como algo isolado. Estudar o direito no passado sacia a minha curiosidade de conhecer outras maneiras de concebê-lo e praticá-lo  ; estudar documentos antigos, com as suas intrínsecas estranhezas (linguagem, ideias, etc.), é fascinante. Através da curiosidade em relação às coisas do passado, encontrei a minha liberdade de pensar, esgarçando as amarras do presente. Ricardo Sontag, Historiador do Direito, Belo Horizonte/Brasilien

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…, weil Geschichte die Struktur unserer Gegenwart auf vielfältige Weise prägt. Bereits während des Studiums haben mich die Fragen, wie der Staat, die globale Wirtschaft oder das Rechtssystem funktionieren, fasziniert und zur Beschäftigung mit Rechtsgeschichte gebracht. Der rechtshistorische Zugang ist in der Lage, uns besondere Erkenntnisse über die Vergangenheit zu vermitteln. Denn Recht und Vorstellungen von Gerechtigkeit sind keine überzeitlichen Kategorien, sondern Ergebnisse gesellschaftlicher Prozesse. Persönlich schätze ich dabei die Möglichkeiten, welche die Rechtsgeschichte bietet, um diese großen theoretischen und gesellschaftlichen Fragen im Kleinen studieren zu können. Die neuen Erkenntnisse, die man dadurch gewinnt, stellen oftmals Gewissheiten infrage und eröffnen neue Perspektiven. In meiner Wahrnehmung trägt Rechtsgeschichte daher auch in erster Linie zum Komplexitätsgewinn und nicht zu dessen Reduktion bei. Und dann steht man als Forschender auch immer vor der Herausforderung, wie man diese Vielzahl an Phänomenen sprachlich adäquat beschreibt, um sie auch verständlich weitervermitteln zu können. Dies nehme ich als eine wichtige Aufgabe rechtsgeschichtlicher Forschung wahr, die mir ein besonderes Anliegen ist und auch Freude bereitet. Schließlich stellt in den meisten Fällen die öffentliche Hand den finanziellen Rahmen bereit, um diese Strukturen zu erforschen  ; es gilt daher auch, die Öffentlichkeit an den Erkenntnissen der Rechtsgeschichte teilhaben zu lassen. Sebastian M. Spitra, Rechtshistoriker

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…, weil meine Motivation, mich mit Recht und Gerichtswesen der Vergangenheit zu befassen, einfach nicht nachlässt. Die Beschäftigung mit der Geschichte ist nach meiner Überzeugung für das Verständnis der Gegenwart unverzichtbar. Goethe hat das in den bekannten Worten aus dem West-östlichen Divan zum Ausdruck gebracht  : »Wer nicht von dreitausend Jahren sich weiß Rechenschaft zu geben, bleib im Dunkeln unerfahren, mag von Tag zu Tage leben.« Dieses allgemeine historische Interesse hat mich im Jurastudium  – ganz unabhängig von Wahlfächern und Prüfungsgesichtspunkten, denn mein Wahlfach waren Insolvenzrecht und Freiwillige Gerichtsbarkeit  – zum Besuch von Vorlesungen zur deutschen und römischen Rechtsgeschichte bewegt, und aus diesem Interesse heraus habe ich mich auch für eine rechtshistorische Dissertation entschieden. Als ich nach Promotion und zweitem Staatsexamen den Richterberuf gewählt habe, hätte es nahe gelegen, die Rechtsgeschichte als abgeschlossenes Kapitel der Juristenausbildung beiseitezulegen. Aber das hätte ich als unbefriedigenden Abbruch empfunden. Viele Fragen, die sich mir im Rahmen der Dissertation gestellt hatten, waren für mich noch nicht zufriedenstellend beantwortet. So versuchte ich, ihnen neben dem Beruf in der Justizpraxis weiter nachzugehen. Bald merkte ich, dass die Beschäftigung mit der Rechtsgeschichte nicht nur in einer wissenschaftlichen Laufbahn möglich und lohnend ist. Auch nach einem Arbeitstag über Prozessakten der Gegenwart ist es gewinnbringend, Akten und Rechtstexte auszuwerten und in historische Zusammenhänge einzuordnen, die über zweihundert Jahre älter sind. Mehr und mehr wurde mir bewusst, wie sehr Rechtsgeschichte und Justizpraxis einander wechselseitig befruchten können. Wenn man als Richter das prozessuale Instrumentarium der Gegenwart anwendet und zugleich die sozialen, zutiefst menschlichen und oft für den einzelnen 132

existentiellen Schicksale wahrnimmt, die hinter manch einem Prozess stehen, sieht man vielleicht auch das Rechtsleben der Vergangenheit in einem anderen Licht. Umgekehrt kann die Kenntnis einer früheren Rechtspraxis zum Verständnis des heutigen Rechtswesens beitragen, das natürlich nicht aus dem Nichts heraus entstanden, sondern das Ergebnis jahrhundertelanger Entwicklungen ist. Ein solcher rechtshistorisch geschulter Blick kann in meinen Augen jeden in der heutigen Rechtspraxis tätigen Juristen nur bereichern. Schließlich lohnt es, sich immer weiter mit der Rechtsgeschichte zu beschäftigen, weil nie alle Quellen ausgewertet und alle Fragen beantwortet sein werden, sondern jede Antwort zugleich neue Fragen und Forschungsziele hervorbringt. Stefan A. Stodolkowitz, Richter und Rechtshistoriker

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… als Historikerin der Frühen Neuzeit, ohne Jura studiert zu haben, also sozusagen als Laie. Manche juristisch ausgebildeten Rechtshistoriker sehen das mit einem gewissen skeptischen Naserümpfen. Ich denke aber, dass dieser laienhafte Zugang auch seine Vorteile hat. Ich messe das Recht früherer Zeiten nicht an dem heute geltenden Recht und interessiere mich deshalb auch für solche Phänomene, die damals zum Bereich des Rechts gehörten, heute aber nicht mehr. Ein solches Phänomen ist das Rangrecht oder Ius praecedentiae, das in der Ständegesellschaft der Frühen Neuzeit eine wichtige Rolle spielte, heute im modernen Rechtsstaat aber nicht mehr vorkommt – weil ja heute alle vor dem Recht gleich sind. Die Rechtsgeschichte eröffnet mir faszinierende Perspektiven auf die sozialen Normen einer fremdartigen, manchmal bizarren Welt. Barbara Stollberg-Rilinger, Historikerin

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… zunächst, weil ich während des Studiums jedes Rechtsproblem und jede gesetzliche Regelung immer dann am besten verstanden habe, wenn ich nach der Entstehungszeit, nach den Akteuren und deren Interessen gefragt habe. Dann aber wuchs das Interesse an der Rechtsgeschichte weit darüber hinaus. Nun war nicht mehr der aktuelle Nutzen maßgebend. Vielmehr faszinierte mich der aus den alten Quellen hervortretende Reichtum an Lebensformen, an Beispielen des Ausgleichs und der Streitschlichtung, der Steuerung ganzer Gesellschaften durch »Recht«. Indem wir dies alles in uns aufnehmen, weitet sich der zeitliche Horizont. Andere Völker und deren Rechtskulturen werden sichtbar. Was Klischee war, löst sich auf. Unsere Werturteile können relativiert werden, unser Blick auf die Gegenwart kann kritischer, unser Blick auf die Vergangenheit differenzierter ausfallen. Michael Stolleis (†), Rechtshistoriker

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…, weil sie mir Einblicke in das historische Rechtsleben nicht nur Deutschlands, sondern Europas gewährt, wobei mich vor allem der skandinavische Norden interessiert. Seine verschiedenen Länder  – von Island über Dänemark, Norwegen (mit den Färöer, den Orkaden, den Shetlands, den Hebriden, der Insel Man und Irlands), Schweden, Finnland bis nach Russland  – hatten teils unterschiedliche, teils gemeinsame Einflüsse und Erfahrungen zu bestehen, die ihr überkommenes Recht beeinflussten und gestalteten  : das kanonische Recht der Kirche, das römische Recht, das feudale Recht des Mittelalters und später das mitteleuropäische Recht. So ist eine Entwicklung entstanden, die es zu verstehen erlaubt, warum einheimische und europäische Gedanken und Mächte das nordische Gewohnheitsrecht und das staatliche Recht beeinflusst und geändert haben, so dass ihr heutiges Recht eine lange Ahnenreihe hat, aus der man ablesen kann, wo ihre Höhen, Tiefen und Fortschritte lagen. Dieter Strauch, Rechtshistoriker

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… tja, warum eigentlich   ? Die nüchterne Antwort ist vermutlich, dass mich ein Zufall kurz vor Abschluss des Hauptstudiums von meinen Promotionsplänen im Medizinrecht abgebracht und der Rechtsgeschichte zugewandt hat. Aber erklärt das, warum ich mich immer noch als Rechtshistoriker fühle, obwohl ich meine Mitarbeit am rechtshistorischen Lehrstuhl vor neun Jahren beendete, meine Promotion vor fünf Jahren abschloss und seit sieben Jahren hauptberuflich als Anwalt tätig bin  ? Viele Persönlichkeiten haben in dieser Rubrik schon beschrieben, warum es Sinn und Spaß macht, sich der Rechtsgeschichte zu widmen, um das geltende Recht zu verstehen. Mancher hat betont, wie aufregend es ist, in Archiven und Bibliotheken auf Entdeckungsreise zu gehen und Schätze zu heben, die erst durch die Jahrhunderte zu solchen geworden sind. All dem schließe ich mich an. Aber der eigentliche und wahre Grund, warum ich niemals ganz aufhören kann, Rechtsgeschichte zu betreiben, sind die vielen interessanten Menschen, die ich in den 13 Jahren seit meinen ersten Krabbelversuchen in der Rechtsgeschichte kennen gelernt habe. Für spannende Gespräche über deren mannigfaltige Interessen muss man dabei gar nicht immer auf große Kongresse und Fachtagungen reisen. Das Bild wurde von einem stadtbekannten Bonner gezeichnet, der in den Kneipen der Bonner Altstadt für ein Trinkgeld Menschen malte. Es entstand an einem Abend der Rheinisch-Westfälischen Graduiertenschule »Recht als Wissenschaft«. Rechtsgeschichte ist ein Thema fürs Leben – und hat Freundschaften fürs Leben begründet. Thorsten Süß, Rechtsanwalt

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Es war in der Tat ein ein bisschen seltsames Kind. Während meine Schulkameraden sich für moderne Sportwagen wie Porsche begeisterten, interessierten mich Stammtafeln europäischer Königshäuser. Mein Interesse an westlicher Geschichte fand einen glücklichen Boden an der juristischen Fakultät in Tokyo. Es ist einer der besten Wege zum Verständnis des Westens, westliches Recht geschichtlich zu erkennen, weil es so wichtig und einzigartig ist. Die Begegnungen mit den hervorragenden Historikern in Japan und Deutschland brachten mich zur rechtsgeschichtlichen Forschung. Die Forschung hat kein Ende, was mein Leben von Langeweile befreit. Und die Rechtsgeschichte ist doch keineswegs ein wirklichkeitsfernes Hobby. Alle kennen die Geschichte der Zeitmaschine wie im Science-Fiction-Kino. Wenn wir andere Erkenntnisse über die Vergangenheit bekommen, muss die Gegenwart sich verändern  ! Masaki Taguchi, Rechtshistoriker, Tokyo/Japan

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…, weil ich wissen will, wie Menschen sich verhalten, wenn es für sie ernst wird. Als Rechtshistoriker blickt man in menschliche Abgründe, aufgetan durch Kriege, Krisen und Diktaturen, oft genug aber nur durch Gier und Neid. Um diese Untiefen auszuloten, muss ein Rechtshistoriker arbeiten wie ein investigativer Journalist. Denn Menschen in Konflikten sagen und schreiben öffentlich nicht immer das, was sie wirklich meinen. Aber sie schreiben es oft genug in vertrauliche Akten   : wie man den Prozessgegner über den Tisch zieht, wie man ideologische Vorurteile als rechtliche Argumente verkleidet oder wie man eine Bundesverfassungsrichterwahl parteipolitisch choreographiert – dies alles erfährt man aus den Akten. Das Gute ist  : Wenn man einige Jahrzehnte wartet, darf man alle Akten sehen, muss keine Hintergrundgespräche führen, muss dafür aber alle Quellen offenlegen. Die Spannung zu erfahren, was eine seit Generationen unberührte Akte oder eine auf den ersten Blick unleserliche Handschrift im Archiv offenbart, gehört zu den schönsten Momenten der rechtshistorischen Arbeit. Dazu kommt  : Man muss kein Falllösungsschema befolgen, sondern darf einfach eine Geschichte erzählen. Jan Thiessen, Rechtshistoriker

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…, weil die Arbeit mit jahrhundertealten Akten und das Knistern der alten Seiten und Ledereinbände Geschichte für mich lebendig und anfassbar macht. Der Blick in die Vergangenheit ermöglicht mir außerdem ein besseres Verständnis für die Mechanismen, die ich auch heute noch in meinem beruflichen Alltag erkenne und anwende. Astrid Thomsch, Richterin

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…, weil mir die Arbeit mit Quellen und alten Büchern, historischen Verfassungen und Gesetzen Freude bereitet. Es ist ein schönes Gefühl, ein altes verstaubtes Buch aufzuschlagen und in diesem Alten etwas Neues zu finden. Ich forsche zur kirchlichen Rechtsund zur Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert. Dabei geht es um politische Grundkonflikte, weshalb auch die Literatur in besonderer Weise kritisch hinterfragt werden muss. Insgesamt habe ich das Glück, dass sich mein Interesse an Recht, Geschichte, Religion und Politik zu meinem Forschungsgegenstand verdichtet. Marcel Tillmann, Doktorand

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…, weil mich diese Arbeit immer in eine andere Zeit versetzt. Besonders das Lesen von handschriftlichen Quellen gibt mir das Gefühl, der Geschichte ganz nah zu sein. Wenn ich lese, was Menschen vor mehreren hundert Jahren gedacht und gesagt haben, fasziniert es mich zu sehen, dass sich die Fragen, die man sich damals gestellt hat, gerade in juristischen Kontexten häufig kaum von unseren heutigen Problemstellungen unterscheiden. Mirja Unger, Studentin

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…, weil die Vergangenheit eine fremde Welt ist und normative Ordnungen darin vielfältige Rollen gespielt haben. Die Rechtsgeschichte versucht, diese Fremdheit erfassbar zu machen. Wie sich unser Bild von der Geschichte ändert, so wandeln sich auch unsere Fragen an sie, die Leseweisen der Quellen sowie die Zuschreibungen an die Funktionen des Rechts – und manches mehr. Sogar in meiner Lebensspanne und in meinen eigenen Interpretationen lassen sich solche Verschiebungen mühelos feststellen. Als Jurist versuche ich, Studierende der Rechtswissenschaften dafür zu interessieren oder gar dafür zu begeistern und natürlich auch auf universitäre Prüfungen und die spätere juristische Praxis vorzubereiten. Mein eigenes Interesse an der Rechtsgeschichte wurde geweckt durch kluge Lehrer und interessante Bücher. Lange Jahre meines Lebens war ich vor allem Forscher  ; später wurde die Lehre immer wichtiger. Und auch immer schöner, interessanter und erfüllender. Denn das Recht lässt sich auch wunderbar erzählen. Der interdisziplinäre Zugang der Rechtsgeschichte macht es möglich, das Recht zu analysieren, zu verstehen und zu hinterfragen. Auch Juristen und Rechtswissenschaftler und deren Theorien werden dabei kritisiert. Das Recht ist keine irrelevante oder zu vernachlässigende Größe in der Geschichte. Jeder soziale, wirtschaftliche oder politische Konflikt nimmt auf diese normative Ordnung Bezug. Das macht es so reizvoll und wichtig, darüber zu reden, zu schreiben und zu streiten. Miloš Vec, Rechtshistoriker

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…, weil sie mit ihren Methoden eine Tür zur Vergangenheit öffnet und das Recht dort innerhalb seiner gesellschaftlichen Umstände verortet. Dieser Blick regt an, auch die Umstände des gegenwärtigen Rechts und seine Veränderbarkeit nicht aus den Augen zu verlieren. Rechtsgeschichte war und ist mein Impuls, Recht aus allen Perspektiven zu betrachten. Jens Vorsteher, Doktorand

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…, weil ich glaube, dass mein auch schon vorher bestehendes Interesse an der Vergangenheit menschlichen Zusammenlebens auch im Rahmen meines Studienfachs und auf seinen Gegenstand bezogen einen Sinn hat. Ich hoffe, dass mir die Beschäftigung mit dem Recht vergangener Zeiten vor allem durch das Nachgehen der Frage nach wiederkehrenden Mustern und etwaigen Fortschrittsentwicklungen eine reflektiertere und kritischere Position in Bezug auf mein Studium des geltenden Rechts geben kann. In diesem Zusammenhang genieße ich es besonders, dass man für Fragen der Rechtsgeschichte den Kosmos des geltenden Rechts immer wieder verlassen kann und geistes- und sozialwissenschaftliche Elemente eine wichtige Rolle spielen. Kurz gefasst  : Man hat das tolle Gefühl, das Recht von oben zu betrachten … Johannes Walter, Student

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…, weil schon der römische Jurist Gaius wusste, dass man sich dem Recht, wenn man nicht dessen Ursprung und die historischen Entwicklungen kennt, gleichsam »mit ungewaschenen Händen« (illotis manibus) nähert (Gai. 1 l XII tab D. 1.2.1pr.). Und weil Jura meines Erachtens oftmals dort am spannendsten ist, wo Verbindungen zu anderen Disziplinen bestehen, sei es zur Geschichtswissenschaft, zur Sprachwissenschaft oder zur Ökonomie. Und weil sich auf diesem Gebiet immer wieder die Möglichkeit zu Kooperationen mit den gleichzeitig so umfassend gebildeten und so unglaublich sympathischen Kolleginnen und Kollegen aus dem In- und Ausland ergibt – schließlich schlägt man sich ja gerade bezüglich des römischen Rechts auch international mit derselben Quellengrundlage herum. Und, und, und. Constantin Willems, Rechtshistoriker

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…, erstens, weil man, um Menschen, Gesellschaft und Staat zu verstehen, das Ganze der Geschichte in den Blick nehmen muss und nicht nur auf den kleinen historischen Ausschnitt der Gegenwart starren darf, und zweitens, weil das Recht seit jeher zu den stärksten Motiven und Kräften gehört, um pure Machtgelüste zu bändigen und ein halbwegs geordnetes Zusammenleben der Menschen zu ermöglichen. So wie heute in der Öffentlichkeit vor allem um Rechte und über Rechtspolitik gestritten wird, haben auch in anderen Zeiten besonders Rechtsvorstellungen das Verhalten und politische Handeln bestimmt  – auch wenn das manche Historiker nicht begreifen wollen. Woraus sich drittens, weil die Vermutung ergibt, es müsse nicht zuletzt das Recht gewesen sein, das immer komplexere Organisationsformen der Gesellschaft ermöglicht und die enorme Beschleunigung der Menschheitsgeschichte seit der Jungsteinzeit – bis heute  ! – gefördert hat. Fragen solcher Art haben mich seit dem Ende der Schulzeit umgetrieben  : Wie funktioniert die Gesellschaft, die eben noch unter einer Diktatur lebte und jetzt den demokratischen Staat verstehen musste  ? Im Jurastudium eröffnete sich mir mit der Rechtsgeschichte eine faszinierende Chance, über die bloße Kenntnis des geltenden Rechts hinaus die Mechanismen und den Wandel des Rechtsdenkens umfassender kennen zu lernen. Dietmar Willoweit, Rechtshistoriker

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An der Rechtsgeschichte liebe ich die Geschichten aus der Rechtspraxis. Besonders schön ist es, wenn es dann noch die Gelegenheit gibt, sich in einer rechtshistorischen Exkursion den Hauch der Geschichte um die Nase wehen zu lassen. Aber Rechtsgeschichte ist nicht nur spannend und unterhaltsam, sondern auch nützlich  : Heute arbeite ich in einer Großkanzlei im Bereich Restrukturierungsfinanzierung, d.h., ich beschäftige mich vor allem mit Insolvenzrecht, Vollstreckungsrecht und allgemeinem Zivilrecht, insbesondere Darlehensrecht. Immer wieder staune ich, wie hilfreich mir das, was ich mir inhaltlich und an Methodik während meiner Dissertation zum Zwangsvergleich erarbeitet habe, auch im Berufsalltag ist. Unser heutiges Recht hat eine Vergangenheit. Sie zu verstehen, macht mich heute zu einer besseren Anwältin. Antonia Wolf, Rechtsanwältin

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…, weil ich mich während meines Studiums nicht entscheiden konnte, ob ich Jura oder Geschichte studieren sollte. Ich studierte dann beides, promovierte in mittelalterlicher Geschichte als Hauptfach bei Otto Brunner in Hamburg mit einer Edition der Gesetze der Stadt Frankfurt im Mittelalter und wählte (was zulässig war) als Nebenfach bei der Doktorprüfung vier öffentlich-rechtliche Disziplinen, die ich bei Herbert Krüger absolvierte. Ich wurde (lange) später in Heidelberg mit einer Arbeit über »Gesetzgebung in Europa 1100 bis 1500« für das Fach Mittelalterliche Geschichte habilitiert. Meinen Arbeitsplatz hatte ich am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte gefunden. Rückblickend kann ich sagen  : Es reizte mich nicht nur, das Recht unter der Einwirkung der Geschichte zu betrachten, sondern mehr noch umgekehrt  : die Geschichte unter der Einwirkung des Rechts. Das ist an einem meiner Hauptarbeitsgebiete deutlich zu machen. Die in der Geschichtswissenschaft als »unlösbar« bezeichnete Frage der Entstehung des Kurfürstenkollegs ist offenbar mit der traditionellen Methode der Interpretation von (hierfür fehlenden) Quellentexten nicht zu beantworten. Erkenntnisquellen können aber auch Tatsachen wie Rechtsgrundsätze und Verwandtschaftsverhältnisse sein. Rechtsgrundsätze des fürstlichen Erbrechts waren  : Abstammung (nicht nur Verwandtschaft), bei Fehlen eines Sohnes Folge der Tochterstämme  ; Gradnähe (der Dynastie) bis zum sechsten Glied, Anciennität, Ehelichkeit, Lehnsfreiheit von anderen Laien, Reichszugehörigkeit. Sie sind im Sachsenspiegel (Ldr. I 17,1  ; I 3,3  ; III 58,1  ; III 54,3  ; auch III 52,1), teilweise in der Goldenen Bulle (Art. VII und XXV) überliefert. Die Anwendung dieser (erb)rechtlichen Grundsätze auf die historisch rekonstruierbaren Nachkommenschaften 1. König 149

Heinrichs I. und 2. König Rudolfs von Habsburg auch in den weiblichen Linien führte zu dem Ergebnis  : 1. Die erstmals bei der staufisch-welfischen Doppelwahl 1198 urkundlich belegten weltlichen Königswähler aus 19 Dynastien waren identisch mit den Repräsentanten der Tochterstämme König Heinrichs I. 2. Die vier Weltlichen, die zusammen mit den drei rheinischen Erzbischöfen sich erstmals 1298 als siebenköpfiges Kurfürstenkolleg konstituierten und erstmals gemeinsam eine Urkunde ausstellten, die sie mit ihren sieben Siegeln beglaubigten, repräsentierten die Tochterstämme König Rudolfs von Habsburg. Mit dieser Urkunde wählten sie Rudolfs Sohn Albrecht von Österreich als Repräsentanten von dessen Mannesstamm zum König. König und weltliche Kurfürsten waren eine Erbengemeinschaft nach Rudolf. Das Prinzip war 1198 und 1298 gleich geblieben  : Wahlberechtigt waren die Erbberechtigten. Das Reich war ein Wahl-Königreich und ein Erb-Wählerreich. (Näheres Art. »Kurfürsten« HRG Band 3.) Armin Wolf, Historiker

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…um den sozialen, ökonomischen und ideengeschichtlichen Hintergrund der Rechtsnormen zu begreifen. Beeindruckend finde ich das Gleichnis des berühmten römischen Juristen Gaius, es erschiene geradezu als ein »Frevel«, sich unter Übergehung der Anfänge des Rechts mit dem Stoff des Rechtskommentars zu beschäftigen. Laut Gaius wäre dies, als ob jemand zu Mittag mit ungewaschenen Händen essen würde. Es geht mir aber nicht nur um die propädeutischen Zwecke, die ich hauptsächlich bei der akademischen Lehrtätigkeit im Bereich des römischen Rechts an der Universität Ljubljana verfolge. Darüber hinaus macht es mir große Freude, die unzureichend erforschten Quellen durchzublättern, Antworten auf unbeantwortete Fragen zur Debatte zu stellen und schließlich die Ergebnisse meiner Forschungen akademischen Kollegen und Studenten vorzulegen. Vid Žepič, Rechtshistoriker, Ljubljana/Slowenien

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Wie vermutlich viele meiner Kollegen betreibe ich Rechtsgeschichte nicht nur aus einem Grund. Beispielsweise finde ich es einfach fesselnd zu sehen, wie Menschen in anderen Zeiten gelebt, gedacht und ihre gesellschaftlichen Rahmenbedingungen gestaltet haben. Ein besonderer Reiz von Rechtsgeschichte liegt für mich aber immer wieder auch darin, dass ich durch sie so viel über das Recht lernen kann, das unser Zusammenleben heute regelt. Das gilt schon für eine einzelne Rechtsordnung wie das deutsche Recht, in meinem Fall also das deutsche Privatrecht. Wie sind seine Regelungen und Strukturen entstanden  ? Von welchen Vorstellungen und Erfahrungen sind sie geprägt  ? Haben sie sich bewährt oder sind sie überlebt  ? Ohne Antworten auf solche Fragen fühle ich mich beim Umgang mit dem geltenden Recht nicht auf sicherem Grund. Es gilt aber erst recht für die Rechtsvergleichung. Allein in der Europäischen Union haben wir 28 nationale Privatrechtsordnungen und einige regionale noch dazu. Wo liegen ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede  ? Diese Frage wird man noch recht einfach und ohne Rückgriff auf die historische Dimension des Rechts beantworten können. Doch der Versuch, diese Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu verstehen, führt immer wieder in die (vergleichende) Rechtsgeschichte. Wie und warum haben sich in dem einen Land bestimmte Rechtsvorstellungen herausgebildet und in dem anderen nicht  ? Welche Akteure waren für die Rechtsentwicklung maßgeblich, welche kulturellen Prägungen, ideologischen Vorstellungen, gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Rahmenbedingungen  ? Beruht die Rechtsentwicklung auf bestimmten Pfadabhängigkeiten, auf Zufällen, unterschiedlichen Quelleninterpretationen, vielleicht auf (produktiven  ?) Missverständnissen  ? Welche Erfahrungen spiegeln sich damit also in 152

den unterschiedlichen Privatrechtsordnungen  ? Aus diesen Erfahrungen können wir nicht selten Anregungen für die Anwendung oder Reform unseres eigenen Rechts erhalten. Jedenfalls aber sehen wir dessen Profil im Vergleich mit den anderen Rechtsordnungen sehr viel schärfer – ja manchmal werden wir uns seine Eigenheiten durch den historisch-vergleichenden Blick überhaupt erst bewusst. Damit ist deutlich geworden, dass für mich Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung zusammengehören. Erst die historisch-vergleichende Perspektive macht die Tätigkeit des Juristen zu einer aussichtsreichen Gebirgstour statt zu einem faden Talspaziergang auf ausgetrampeltem Pfad. Reinhard Zimmermann, Rechtshistoriker

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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

A Albers, Gregor 8 Amend-Traut, Anja 9 Avenarius, Martin 11 B Babusiaux, Ulrike 12 Bachmann, Sarah A. 13 Bachrach, David 14 Battenberg, J. Friedrich 16 Boosfeld, Kristin 17 Brauneder, Wilhelm 19 Breustedt, Sonja 20 Buchwitz, Wolfram 21 Bühler, Theodor 22 C Caroni, Pio 23 Castro, Alexander de 29 Collin, Peter 24 Cordes, Albrecht 26 Czeguhn, Ignacio 27 D Denzler, Alexander 31 De ruysscher, Dave 30 Diestelkamp, Bernhard 32 Dilcher, Gerhard 34 Doms, Matthias 35 Dusil, Stephan 36 E Ernst, Wolfgang 38 F Falk, Ulrich 39 G Gosewinkel, Dieter 40 Göttker, Marie 41 Grollmann, Felix 43

Gschwend, Lukas 44 H Haferkamp, Hans-Peter 45 Hanewinkel, Inge 47 Härter, Karl 46 Hermann, Hans-Georg 49 Hochheim, Bruno Arthur 50 Holfeld, Raphael 51 Horn, Julia-Katharina 52 J Jankrift, Kay Peter 53 Jansen, Nils 54 Jörn, Nils 55 K Kästle-Lamparter, David 57 Katvan, Eyal 58 Keiser, Thorsten 59 Kempny, Simon 60 Kiehnle, Arndt 61 Klos, Lena 62 Kordes, Matthias 64 Krey, Alexander 66 Kunstreich, Jasper 68 L Lankers, Elisabeth 69 Lepsius, Susanne 70 Lettmaier, Saskia 71 Liebrand, Konstantin 72 Liebrecht, Johannes 73 Lück, Heiner 74 Ludin, Sarah 76 Luts-Sootak, Marju 78 Lysenko, Olga 79 M Marino, Salvatore 81 Mataix-Ferrándiz, Emilia 83

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Mayenburg, David von 84 Mazzarella, Ferdinando 85 Meissel, Franz-Stefan 86 Mertens, Bernd 87 Mochizuki, Ryo 88 Mohnhaupt, Heinz 89 Müller, Fabian 90, 91 Müßig, Ulrike 93 O Oestmann, Peter 94 P Paas, Susanne K. 95 Pape, Matthias 96 Pfeifer, Guido 97 Pieroth, Bodo 99 Pihlajamäki, Heikki 100 Pollack, Detlef 101 Q Quesada Morillas, Yolanda 102 R Ranieri, Filippo 104 Rauch, Reingard 105 Repgen, Tilman 106 Ristikivi, Merike 107 Rohmann, Gregor 109 Rossi, Guido 110 Roth, Andreas 111 Rückert, Joachim 112 S Saar, Stefan Chr. 113 Sato, Dan 114 Schädler, Emanuel 116 Schäfer, Frank L. 117 Schenk, Tobias 118 Schermaier, Martin 119

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Schlinker, Steffen 120 Schmidt-Recla, Adrian 121 Schnettger, Matthias 122 Schott, Clausdieter 124 Schwerhoff, Gerd 125 Sellert, Wolfgang 127 Senn, Marcel 128 Siimets-Gross, Hesi 129 Sontag, Ricardo 130 Spitra, Sebastian M. 131 Stodolkowitz, Stefan A. 133 Stollberg-Rilinger, Barbara 134 Stolleis, Michael 135 Strauch, Dieter 136 Süß, Thorsten 137 T Taguchi, Masaki 138 Thiessen, Jan 139 Thomsch, Astrid 140 Tillmann, Marcel 141 U Unger, Mirja 142 V Vec, Miloš 143 Vorsteher, Jens 144 W Walter, Johannes 145 Willems, Constantin 146 Willoweit, Dietmar 147 Wolf, Antonia 148 Wolf, Armin 150 Z Žepič, Vid 151 Zimmermann, Reinhard 153