Humor ist Chefsache: Besser führen, verhandeln und präsentieren – so entwickeln Sie Ihren humorvollen Fingerabdruck [1. Aufl.] 9783658300944, 9783658300951

Mit diesem Buch können Sie als Chef Ihren persönlichen Humorstil entdecken, trainieren und bewusst einsetzen. Humor geh

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German Pages XXIV, 438 [458] Year 2020

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Humor ist Chefsache: Besser führen, verhandeln und präsentieren – so entwickeln Sie Ihren humorvollen Fingerabdruck [1. Aufl.]
 9783658300944, 9783658300951

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XXIV
Nützlicher Humor (Eva Ullmann)....Pages 1-78
Spezifischer Humor (Eva Ullmann)....Pages 79-288
Branchenspezifischer Humor (Eva Ullmann)....Pages 289-390
Die Humortechniken (Eva Ullmann)....Pages 391-427
Back Matter ....Pages 429-438

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Eva Ullmann

Humor ist Chefsache Besser führen, verhandeln und präsentieren – so entwickeln Sie Ihren humorvollen Fingerabdruck

Humor ist Chefsache

Eva Ullmann

Humor ist Chefsache Besser führen, verhandeln und präsentieren – so entwickeln Sie Ihren humorvollen Fingerabdruck

Eva Ullmann Deutsches Institut für Humor Leipzig, Deutschland

ISBN 978-3-658-30094-4 ISBN 978-3-658-30095-1  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-30095-1 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:// dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Copyright informations, image source: https://stock.adobe.com/de/images/youngbeautiful-brunette-businesswoman-wearing-jacket-and-glasses-over-red-backgroundsmiling-and-laughing-hard-out-loud-because-funny-crazy-joke-with-hands-onbody/335964307?prev_url=detail Foto Cover: krakenimages.com via Adobe Stock Planung/Lektorat: Rolf-Guenther Hobbeling Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Für JR und AU. Danke für die Pflege meiner albernen Seiten.

Geleitwort von Andreas Ronken

In Deutschland kennt jeder den Slogan quadratisch. praktisch. gut. Dem hinter der Marke Ritter Sport stehenden, 1912 gegründeten Familienunternehmen sind – bei aller Modernität – Tradition und Werte wichtig. Ritter Sport wurde erst national, später auch international bekannt: 48 % des Umsatzes entfallen mittlerweile auf das Ausland. 2021 wird Ritter Sport international mehr verkaufen als in Deutschland. Der Gesamtumsatz liegt bei 480 Mio. Dabei investiert Ritter Sport bei aller Tradition immer wieder speziell in die Zukunft, z. B. wurden jüngst 16 Mio. EUR für ein „New-Work-Building“ ausgegeben. Humor schafft Vertrautheit zwischen Menschen Wie zahlreiche Manager beschäftige auch ich mich viel mit Führung, mit Leadership. Meine persönliche Erfahrung mit Humor im Management ist super: wenn man ihn denn richtig einsetzt. Im Alltag heißt das bei uns Lockerheit in Meetings zuzulassen und zu fördern. Die VII

VIII     Geleitwort von Andreas Ronken

Stimmung entspannen zu können, damit Mitarbeitende performen können. Humor schafft Vertrautheit zwischen Menschen. Auf der anderen Seite kann ein Witz an der falschen Stelle, oder ein kulturell unpassender Witz, auch einiges kaputt machen. Humor kann Probleme auch weglachen. Dann wird etwas weggedeckelt. In einem Unternehmen kann Humor zynisch werden über Probleme, die nicht verändert werden. Das halte ich für sehr gefährlich. Humor ist hierarchielos, er verbindet oder untermauert Hierarchien. Das ist spannend zu unterscheiden. Humor heißt für mich vor allem Haltung. Humor heißt für mich menschlich zu sein. Ich bin als Führungskraft so wie ich auch privat bin. Alles andere wäre für mich viel zu anstrengend und für unsere Mitarbeitenden demotivierend. Humor ist wie viele Dinge für mich ein Werkzeugkasten: eine Bohrmaschine ist gut zum Löcher bohren. Man kann damit aber nur schlecht einen Nagel in die Wand bekommen. Im Alltag erlebe ich immer wieder Situationskomik. Hier bei Ritter Sport nimmt sich keiner zu ernst. Situationskomik erfreut uns immer wieder. Es gibt kleine Sprüche. Der Personalleiter hat einen Abdruck auf der Stirn und ich sage: Oh, hast Du auf der Taststatur geschlafen? Wir kennen uns gut und ich weiß, bei ihm kann ich das machen. Hier bei uns sind alle ein bisschen verrückt. Ritter Sport hat bereits in den 70er Jahren in einem Fernsehspot gezeigt, also in der Zeit, in der wir als Marke bekannt geworden sind, wie eine ältere Dame sich die dunklen Biedermeier-Stühle gelb anmalt. Jede Schokoladen-Sorte bekam bei uns eine eigene Farbe. Unser humorvoller Auftritt ist Teil unserer Marke. Natürlich sind wir ein leichteres Lebensmittel, wir sind kein ernstes Produkt. Trotzdem arbeiten wir sehr fleißig und mit schwäbischer Genauigkeit. Seit vielen Jahren können

Geleitwort von Andreas Ronken     IX

wir nun mit unseren Fans interagieren: „Liebe auf den ersten Knick“, „Marzipanik“, ein Currywurst-Bild aus Mini-Ritter Sport und drüber steht: „Nix gegen Currywurst, aber dieser Imbiss hat auch was.“ Viele Tafeln auf einem Plakat. Drüber steht: „Unser Beitrag gegen einseitige Ernährung.“ Wir haben uns an vielen Stellen gegen das Gießkannenprinzip und für sehr gezielte Werbung entschieden. Wenn ein Konzern 200 Mio. für Marketing als Geiz ist geil ausgeben kann, hat auch jeder die Werbung gesehen. Als Mittelständler kann man mit 30  Mio. für Fernsehwerbung im Gießkannenprinzip weniger erreichen. Dagegen funktionieren großformatige Plakatmotive an Bahnhöfen wiederum sehr gut. „Wir verschönern Stuttgart 21“ hängt am Stuttgarter Bahnhof. Eine Schokoladenskyline prägt Frankfurt. Die Kunden bzw. Fans dürfen über ihr Lieblingsplakat abstimmen. Unsere Kunden dürfen auch Limited Editions entwickeln und manchmal entsteht tatsächlich eine Einhorn-Schokolade. Selbst Fake-Marken haben unsere ­ Fans erfunden: Rollmops-Aspirin. Ritter Sport Mett. Nein, natürlich ist das keine Sonderedition geworden. Anstatt den Verbrauchern das zu verbieten, haben wir einen Editor zur Verfügung gestellt, in dem jeder eine neue Sorte entwickeln kann. Das wird von den Fans gerne angenommen und selten missbraucht. Die „Braune Nuss“ oder „Nazipanik“ haben wir allerdings untersagt. Wir sind seit ca. 15 Jahren eine Dialogmarke und damit sehr erfolgreich. Nur unsere Aktivität in Punkto Nachhaltigkeit darf noch deutlich bekannter werden. Wir haben eine eigene Kakao-Farm, und engagieren uns schon lange für Nachhaltigkeit. Als Mittelständler können wir seit vielen Jahren gut mit den großen Playern und der Konkurrenz mithalten. Wir dürfen stolz von einer gestützten und

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ungestützten Markenbekanntheit von 98 % sprechen. Da hat das Freche und Verrückte natürlich seinen Anteil. Für mich ist Humor eine Lebenseinstellung. Ich muss mich bei aller Verantwortung auch nicht immer zu wichtig nehmen. Nicht nur mein Weg als Führungskraft ist der Richtige. Ich muss weder immer alles perfekt machen, noch mich zu ernst nehmen. Gemeinsam lachen möchte ich nicht nur zu Hause, sondern auch im Job. Das schafft hier bei uns Gemeinschaft und Zusammenhalt. Ich habe in meinem Leben viel Vereinssport gemacht und auch Leistungssport. Auch heute fahre ich viel Rad. Ich kann gut denken auf dem Rad. Auch kreative Ideen habe ich eher auf dem Rad als an meinem Schreibtisch. Höchste Performance hat man, wenn eine gewisse Leichtigkeit entsteht. Wenn ich zu sehr verkrampfe, dann liefere ich auch keine gute Leistung, dann spielt das Team kein gutes Spiel. Man kann mit Humor eingefahrene Meeting-Momente unterbrechen und Mitarbeitende entspannen. Dann sind wir alle erfolgreich. Das wird nichts, wenn alle unter Strom stehen und verkrampft arbeiten. Und für Leichtigkeit und Kreativität muss man sich erden, darf nicht intellektuell zu sehr abheben. Man benötigt für neue Ideen Bodenhaftung. Wir sind ein modernes Unternehmen mit Werten und Tradition und einer inhabergeführten Geschichte. Damit identifizieren sich auch die ca. 1500 Mitarbeitenden sehr. Als Führungskraft achte ich darauf, dass Humor menschlich bleibt und nicht auf Kosten von anderen gemacht werden darf. Humor in der Führung heißt für mich, Leichtigkeit zu ermöglichen und nicht Kalauer oder Schenkelklopfer-Witze. Nun fragt sich vielleicht mancher, ob bei einer straffen Lean-Produktion wie bei Ritter Sport überhaupt Spielraum für Humor und Leichtigkeit bleibt. Aus meiner Sicht ist das überhaupt kein Widerspruch, denn eine

Geleitwort von Andreas Ronken     XI

richtig verstandene Lean-Produktion ist wie Ordnung halten zu Hause: wenn man den Schrank aufräumen will, dann entwickelt man zunächst bei einer entspannten Tasse Kaffee ein gutes Ordnungskonzept dafür. Wenn man erstmal ein System kreativ erarbeitet hat und danach sortiert und aufräumt, dann muss man später nicht mehr so viel suchen. Dann hat man wiederum mehr Zeit für kreative Prozesse. Das fördert Teamarbeit, sichtbare Erfolge, Spaß und Freude. Man hat mehr Zeit für Kreatives, zum Durchatmen und für neue Ideen. Nun wünsche ich Ihnen jedoch erst mal viel Vergnügen mit „Humor ist Chefsache“. Andreas Ronken CEO Alfred Ritter GmbH & Co KG Waldenbuch, Deutschland

Vorwort

Bitte nur mit Vorspiel Tatsächlich beschäftige ich mich hauptberuflich mit Humor. Und das bereits seit fast 20 Jahren. Nun erwartet man von einer Humorexpertin natürlich, dass sie lustig ist. Egal, ob sie auf einer Bühne steht oder ein Buch schreibt. Warum ist das eigentlich so? Denn von einem Depres­ sionsexperten würden Sie hingegen nicht erwarten, dass er selbst depressiv ist, Sie in seinem Vortrag zu Depressionen veranlasst oder Sie beim Lesen seines Buches direkt in die nächstbeste depressive Phase führt. Ein Chirurg muss keinen Krebs haben, um diesen bei Patienten zu operieren. Und ein Wirtschaftsprüfer muss nicht Steuern hinterziehen, um Unternehmen auf Fehler zu kontrollieren. Sie wissen, worauf ich hinauswill? Es geht in meiner täglichen Arbeit also nicht darum, dass ich die witzigste Frau im Raum bin. Sondern darum, dass Sie Ihren Humor besser und präziser auf die B ­usiness-Bühnen des Alltages bekommen. Aber natürlich habe ich dieses Buch XIII

XIV     Vorwort

unterhaltsam für Sie geschrieben. Weil ich weiß, dass Sie mir dann länger „zuhören“. Ein nicht ganz unwichtiger Nebeneffekt von humorvollen Verpackungen. „Müssen wir jetzt eine Clownsnase aufsetzen?“ Diese Frage begegnet mir immer wieder im Training mit Führungskräften. Nein. Weder sollen Sie sich wie ein Harlekin schminken noch drei Witze auswendig lernen. Weder müssen Sie zum Klassenkasper mutieren noch vor Ihren Mitarbeitern zukünftig Sketche aufführen. Vielmehr geht es darum, Ihren Blick zu schärfen, Ihnen Möglichkeiten zu eröffnen und Ihren Handwerkskoffer als Führungskraft zu füllen. Aufmerksamkeit ist die härteste Währung, mit der wir im 21. Jahrhundert zahlen. Humor ist ein hilfreicher Freund. Eine Investition, die Sie im Kampf um Aufmerksamkeit unterstützt. Tatsächlich wissen wir heute über das Führungsinstrument Humor viel mehr als vor 20 Jahren, wo Humor in der professionellen Beratung noch sehr verpönt war. Als ich vor zehn Jahren mein erstes Buch über „Humor im Business“ schrieb, gab es kaum gezielt eingesetzten Humor in Unternehmen. Glücklicherweise ist in der Wirtschaft seitdem viel passiert. Die Berliner Verkehrsbetriebe sind in ihrem Marketing beispielsweise sehr erfolgreich humorvoll unterwegs. Nach anfänglicher Kritik findet ihr witziges Marketing viel Zuspruch unter Berlinern und Touristen. Auch eine große Versicherung setzt Humor ein, um als weniger rückwärtsgewandt und interessanter wahrgenommen zu werden. Eine Diakonische Stiftung kämpft wie viele Institutionen mit dem Fachkräftemangel. Um die Zusammenarbeit mit einer Zeitarbeitsfirma zu rechtfertigen, kommt Humor zum Einsatz. Und die Zeitarbeitsfirma hat längst herausgefunden, dass sie aktuell viel leichter Fachkräfte anlockt, indem sie Klischees veralteter Berufe humorvoll auf die

Vorwort     XV

Schippe nimmt und neue Berufsentwicklungen schmackhaft macht. Die Entwicklungsabteilung eines namhaften Süßwarenherstellers suchte etwas, um mehr Leichtigkeit ins Team zu bringen. Also wurde der Personalabteilung der Vorschlag gemacht, ein Lach-Yoga-Seminar zu organisieren. Die Personalleiterin war skeptisch bei dem Gedanken, sie hatte eine andere Idee: ein Humortraining, bei dem analysiert und gut trainiert wird, bei dem man sich kennenlernt, seine Präsentationen verbessert und Lust bekommt, die eigenen Ideen und Inhalte auf eine etwas andere Art zu managen und zu kommunizieren. Ein Training, bei dem auch Humorskeptiker schnell und gut mitgenommen werden. Also rückte ich an… Neben agilem Arbeiten, Digitalisierung und verschiedenen Führungsstilen kommt jetzt also noch eine Humorexpertin dazu – die Begeisterung der Teilnehmer war spürbar grenzenlos (Achtung, das war jetzt Ironie!). „Soll mir Führung auch noch 24 Stunden am Tag Spaß machen? Neben gutem betriebswirtschaftlichem Denken und dem Blick auf die Mitarbeiter soll ich das also auch noch können? Meine Aufgaben und meine Verantwortung sind schon anspruchsvoll und anstrengend genug – jetzt taucht da auch noch eine Humorexpertin auf, die das ändern will?“ So und so ähnlich klangen die verständlichen Nachfragen und völlig legitimen Befürchtungen der Führungskräfte. Keine Angst, dieses Fachbuch über Humor von Führungskräften ruft keinen neuen Trend aus. Es nimmt etwas unter die Lupe, das es unter Menschen bereits seit der Steinzeit gibt: das Lachen und die Fähigkeit, die Perspektive zu wechseln. Bereits als Kind besitzt man viel Humor und probiert spielerisch alles aus. Der Urzustand von Kindern ist das Spiel und sie lernen auf höchstmög-

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lichem Niveau dabei. Wir erleben schon früh, dass wir auf lustige Weise mit Eltern, Erziehern und Lehrern in Resonanz kommen – und haben große Lust daran, Quatsch zu machen. Übrigens: Niemand beschließt, von heute auf morgen keinen Humor mehr zu haben, vielmehr geht er uns schleichend verloren. Führungskräfte reflektieren mir gegenüber immer wieder, dass sie Humor schon lange nicht mehr genutzt haben – so zwischen schwierigen Mitarbeitergesprächen, alles entscheidenden Kennzahlen und der aktuellen BWA. Gerade deshalb rücken wir den Humor hier wieder in den Fokus. Menschen lachen gerne – übrigens auch Sie als Führungskraft. Humor gehört zum Leben und zum Menschsein dazu. Ihnen ging der Humor im Laufe der täglichen Führungsverantwortung verloren? Die gute Nachricht: Humor ist wieder aktivierbar, erlernbar – doch es bedarf etwas Übung und Training. Lassen Sie uns das Augenmerk darauf lenken, wie Ihnen Humor das Leben leichter macht. Lassen Sie uns mit den Ausgrabungsarbeiten beginnen. Ich muss Ihnen nichts Neues beibringen, denn Sie bringen alles schon mit – wir setzen das lediglich speziell in Kontext. Humor ist ein hilfreicher Begleiter, erst recht im beruflichen Miteinander. Wer andere zum Lächeln oder zum Lachen bringen kann, gewinnt Sympathiepunkte, schließt Türen und Herzen auf, belebt Situationen oder deeskaliert schwelende Konflikte. Natürlich geht es auch anders – mit dem falschen Humor an unpassender Stelle kann man sich auch selbst ein Bein stellen. Die Alltagsmacken der Mitarbeiter wie in einer bunten Zirkusarena persiflieren? Das ist mit Humor nicht gemeint. Vielmehr ist er ein geeignetes Instrument, um Meetings aufzulockern oder Flurgespräche mit nützlicher Übertreibung optimal zu gestalten.

Vorwort     XVII

Sie haben gar keinen Humor? Oder erleben sich nicht als humorvoll? Oder sind nicht so lustig wie andere? Diesen Zahn werde ich Ihnen ziehen – versprochen! Mit diesem Buch können Sie die dienlichen Aspekte von Humor betrachten, konkrete Humorangebote kennenlernen und mithilfe der Techniken sogar verschiedene Gags für die nächste Besprechung entwickeln. Sie werden feststellen: Plötzlich wird Humor einfach und machbar. Entdecken und entwickeln Sie Ihre humorvolle Seite. PS: Im Buch finden Sie so einige QR-Codes, mit denen Sie die Interviews anhören oder Videos zum Thema ansehen können – viel Spaß dabei! Eva Ullmann

Inhaltsverzeichnis

1 Nützlicher Humor 1 1.1 Humor im Unternehmen: Notwendigkeit oder Luxus? 10 1.2 Humorvoller Fingerabdruck einer Führungskraft 14 1.3 Autoritätsverlust durch Humor? 21 1.4 Humor für Skeptiker: Humor kann man lernen! 27 1.5 Der humorvolle Fingerabdruck eines Unternehmens 34 1.6 Humor in der Krise 65 Literatur 76 2 Spezifischer Humor 79 2.1 Einführung 81 2.2 Interview mit Klaus-Peter Hansen, Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Sachsen – Bundesagentur für Arbeit 85 XIX

XX     Inhaltsverzeichnis

2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 2.8

2.9 2.10 2.11 2.12

2.13

Humor in der Präsentation: die Humorverpackung 107 Interview mit René Borbonus, Spezialist für berufliche Kommunikation, Präsentation und Rhetorik 119 Humor im Vertrieb und in der Verhandlung: Messer und Löffel unterscheiden 141 Interview mit Katja Müller, Vertriebsdirektorin der Sparkassen-Versicherung Sachsen 158 Humor im Konflikt: eindeutiger Humor 178 Interview mit Sören Hammermüller, Regionalleiter Süd-Ost bei der Deutschen Fachpflege und Geschäftsführer des Heimbeatmungsservices Brambring Jaschke GmbH 190 Humor in Change- und Transformationsprozessen: Angst begleiten 205 Interview mit Reza Razavi, Changeund Transformationsberater 223 Humor im Personalwesen: Mitarbeiter finden, binden und qualifizieren 231 Interview mit Anke Haferkamp, Referentin für Vertriebsführung und -coaching an der Sparkassenakademie Bayern 239 Humor im Marketing: von Rohrkrepierern bis Viralhumor 256

Inhaltsverzeichnis     XXI

2.14 Im Interview: Frank Büch, Head of Marketing der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) 268 Literatur 285 3 Branchenspezifischer Humor 289 3.1 Wirtschaft mit Humor – TopManager im Spaßkombinat 295 3.2 Bildung mit Humor – Ich bin doch nicht der Pausenclown 306 3.3 Medizin mit Humor – Bloß nicht am Status kratzen 329 3.4 Rechtswesen mit Humor – Notarielle, die beglaubigte Meerjungfrau 347 3.5 Technik mit Humor – logisch unlogisch 368 Literatur 385 4 Die Humortechniken 391 4.1 Humorvoll den Spiegel vorhalten: gezielt deeskalieren 394 4.2 Umdeutungen: Entspannen Sie Mitarbeiter in drei Sekunden 399 4.3 Inkongruenzen: Präsentieren Sie atemberaubend 403 4.4 Absichtliches Missverstehen: Nehmen Sie die Sache nicht ernst! 404 4.5 Synonyme: ein Wort und viele Möglichkeiten 405 4.6 Die Dreier-Regel: Enttäuschen Sie eine Erwartung 406 4.7 Unsinniges Zustimmen: auch bei Beleidigungen unschlagbar bleiben 408

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4.8 Gegenkonter: Zeigen Sie klare Kante 413 4.9 Entlarvung: eine Ebene höher gehen 414 4.10 Die Heldenreise: eine uralte Technik 415 Literatur 426 Das hat ein Nachspiel 429 Nachwort von Peter Kowalsky, Begründer Bionade und Geschäftsführer INJU 433

Die Autorin

Foto: Johannes Wosilat

Eva Ullmann gilt als DIE Humorexpertin und arbeitet seit vielen Jahren als Humortrainerin, Autorin und Rednerin. Die Sozialpädagogin veröffentlichte bereits ihre Diplomarbeit zu hilfreichen Seiten von Humor in der Beratung. 2005 gründete sie in Leipzig das Deutsche Institut für Humor. Das wuchs zu einem soliden Mittelstandsbetrieb heran. Sie und ihr Team sind im deutschXXIII

XXIV     Die Autorin

sprachigen Raum in zahlreichen Vorträgen und Trainings in Institutionen und der Wirtschaft unterwegs. Das Deutsche Institut für Humor hat es sich zur Aufgabe gemacht, Humor zu trainieren und B ­ usiness-Inhalte humorvoller zu verpacken. Dabei geht es nicht um das Witze erzählen oder permanente Karnevalssitzungen. „Uns interessiert die passende Mischung aus Ernsthaftigkeit und Humor. Wir begleiten Führungskräfte zu humorvolleren Auftritten, zur Deeskalation von Konzern-Themen, zur Innovation neuer Produkte“, erklärt Eva Ullmann, Gründerin und Leiterin des Instituts. Die Veranstaltungen des Humorinstituts reichen vom Seminar über unterhaltsame Impulsvorträge bis zum Einzelcoaching von Führungskräften. Das Team ermöglicht neue Perspektiven auf Herausforderungen, Kunden und die eigene Kommunikation. Vor der Kamera war Eva Ullmann unter anderem bei ARD, MDR, arte, SWR, BR, Sat1 und Pro7 zu sehen. Über das Deutsche Institut für Humor wurde u. a. bereits bei SPIEGEL ONLINE, in der Süddeutschen Zeitung, in BRAND EINS, in der britischen Zeitschrift The Economist, in DB mobil, NIDO, dem Deutschen Ärzteblatt und der Fachzeitschrift Pädagogik berichtet. Eva Ullmann veröffentlichte das Buch „Humor im Business“ (mit Albrecht Kresse, 2008) sowie die Hörbücher „Ich rede2 – Spontan und humorvoll“ (mit Isabel García, 2009) und „Ich kann’s ja doch – die Kunst der täglichen Kommunikation“ (2011). Im Jahr 2019 veröffentlichte sie zusammen mit Katrin Hansmeier „Humor. Das Manifest für verzögerte Schlagfertigkeit“. Außerdem publiziert sie regelmäßig in Fachmagazinen. Sie ist Mitglied im Club 55 der European Marketing & Sales Experten.

1 Nützlicher Humor

Inhaltsverzeichnis

1.1 Humor im Unternehmen: Notwendigkeit oder Luxus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 1.2 Humorvoller Fingerabdruck einer Führungskraft . . . 14 1.3 Autoritätsverlust durch Humor? . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1.4 Humor für Skeptiker: Humor kann man lernen! . . . . 27 1.5 Der humorvolle Fingerabdruck eines Unternehmens . . 34 1.6 Humor in der Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

Zusammenfassung   Dieser Buchteil geht den Fragen nach, • was es mit Humor eigentlich auf sich hat. • wie sich Humor unter der Lupe der Nützlichkeit betrachten lässt. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 E. Ullmann, Humor ist Chefsache, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30095-1_1

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• wie Sie testen können, welchen Humorstil Sie selbst haben. • was passiert, wenn Sie Humor zulassen, und was, wenn nicht. • wie Sie Humorstile managen. • was Humor mit dem Hoch- und Tiefstatus zu tun hat. • warum Humor im Spiel liegt anstatt im Kampf. • welcher Humor ein hilfreicher Krisenmanager ist. Irgendwo auf dem asiatischen Kontinent. In der riesigen Bibliothek werden uralte, wertvolle und mitunter geheime Bücher verwahrt. Aufseher der Institution ist ein dickleibiger, sehr grimmiger Mönch. Hierher hat sich Doctor Strange – ein abgehalfterter Chirurg, der gleich noch zum Helden mutieren wird – verirrt, um die Weisheiten des Lebens zu ergründen. „Was passiert eigentlich, wenn ich die Bücher zu spät zurückgebe?“, will er von dem Bibliothekar wissen. „Werde ich gevierteilt? Oder wird mir nur die Hand abgehackt? Werde ich etwa ausgepeitscht? Vielleicht sogar gehängt?“ Der Mönch steht regungslos vor ihm, verzieht keine Miene, geht in keine Reaktion, macht schlichtweg gar nichts – außer immer noch sehr grimmig und steinern dreinzublicken. „Na, früher haben die Leute wenigstens noch über mich gelacht“, reflektiert Doktor Strange die Situation. Der Mönch antwortet ihm: „Dann waren das ganz sicher Ihre Angestellten.“ Diese kleine Szene aus der Marvel-Verfilmung macht deutlich, worum es geht: „Wenn der Chef lacht, gibt es zwei Möglichkeiten, warum gelacht wird: Weil er wirklich witzig ist – oder weil es eben der Chef ist.“ Dieses Zitat stammt von Klaus-Peter Hansen aus einer Anmoderation meines Humorvortrages. Er ist Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Sachsen – Bundesagentur für Arbeit. Der charismatische und sympathische Mann führt 6.000 Mitarbeiter. Für mich war schnell klar: Hier

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sitzt eine Form von liebevollem und offensichtlich wertschätzendem Humor – und diesen lässt er auch zu. Und das, obwohl er den Formen der Behörde entspricht und an vielen Stellen als Führungskraft seine Neutralität wahren muss. Übrigens: Sie dürfen ihn später auch noch im Interview erleben (vgl. Abschn. 2.2). Dieses Buch hilft Ihnen, das eine vom anderen zu unterscheiden. Und es unterstützt Sie dabei, eine neue Blickrichtung auf das Thema zu bekommen. Gerade Führungskräfte haben es mehr als alle anderen im Unternehmen schwer, mit Humor umzugehen und ihn einzusetzen. Denn von ihnen wird in erster Linie Autorität, Seriosität, Souveränität und Durchsetzungsvermögen erwartet. Muss man als Führungskraft Humor haben? Nicht zwingend! Mit Sicherheit sind Sie eine produktive, großartige und leistungsstarke Führungskraft. Sie können auch ein patenter Chef sein, ohne Humor zu „machen“. Doch Humor hilft eben auch als Bewältigungsstrategie, die sich zwar lohnt, aber keine Voraussetzung und kein Muss ist. Vielmehr soll dieses Buch eine Einladung sein. Sie können sich freiwillig dafür entscheiden, sich damit mehr oder weniger auseinanderzusetzen – und ich werde nicht sagen, dass Sie eine schlechtere Führungskraft sind, nur weil Sie keinen Humor einsetzen. Schließlich wird von einer Führungskraft auch erst einmal erwartet, dass sie einen guten Job macht, und nicht, dass sie Humor kann. Gewissermaßen ist es also ein Luxusthema, dem man sich widmet, wenn man Zeit und Lust dazu hat. Doch ich sehe es ebenso als eine Notwendigkeit, ein Ventil und eine Überlebensstrategie – gerade um die unlogischen Dinge des Unternehmensalltags gut zu bewältigen. Meiner Ansicht nach kann Humor im Business nicht nur Krisen bewältigen, sondern sogar Leben retten.

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Humor ist immer irgendwo mit dabei und es lohnt sich als Führungskraft, sich damit zu beschäftigen. Humor ist Teil eines Unternehmens – so wie Mitarbeiterpausen und wie Luft zum Atmen. In Ihrem Unternehmen wird es unter Garantie eine Humorkultur geben. Und Sie als Führungskraft haben darauf eine Wirkung, einen Einfluss. Wenn Sie Lust haben, sich damit genauer zu beschäftigen, können Sie als Führungskraft Ihren Humor sogar geschickt dosieren und nutzen. Von der attraktivitätssteigernden Wirkung des Humors profitiert der übliche Chef nicht immer. Peter McGraw (McGraw und Warner 2015) definiert Humor wie folgt: Humor entsteht, wenn eine Situation vom Rezipienten als „harmloser Verstoß“ angesehen wird. Doch manche Chefs erkennen oft da einen humorvollen Verstoß, wo das Gegenüber nicht mal einen Hauptsatz erkennt. Das führt besonders in der Mitarbeiter- und auch Kundenkommunikation dazu, dass Missverständnisse entstehen und die Beziehung belastet wird. Dabei kann gerade im Business und Berufsalltag der Humor ein pfiffiger Begleiter sein. Dabei geht es nicht darum, Witze zu erzählen oder permanente Karnevalssitzungen abzuhalten. Es geht um die passende Mischung aus Ernsthaftigkeit und Humor. Ich möchte Sie durchaus animieren, humorvollere Auftritte hinzulegen, brisante oder bittere Themen anders anzufassen und mit Humor sogar Ihre Produkte und Dienstleistungen auf innovative Weise vorzustellen. Sie haben genug kommunikative Herausforderungen mit Mitarbeitern und Kunden – da kann eine neue Perspektive doch nicht schaden, oder? Humor als Instrument von Führungskräften kann Aufmerksamkeit schnell verändern, Stress entspannen und sogar unfaire Angriffe parieren. Humor hat also offensichtliche Vorteile und kann als Handwerkszeug ein kleines spitzes Messer sein oder eine große Axt, mit der Sie durch

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das Unternehmen rennen. Die folgenden Kapitel sollen Ihnen Lust machen, den Humor, den Sie ohnehin schon haben, zu schärfen und noch geschickter einzusetzen. Und damit mehr Gelassenheit in den anspruchsvollen Alltag als Führungskraft zu bringen. Dieses Buch wird verändern, wie Sie als Führungskraft über Humor denken. Silvester sitzen wir mit Freunden in lustiger Runde zusammen. Üblicherweise wird über gute Vorsätze gesprochen. „Ich muss unbedingt fitter werden, mehr Sport machen, ein paar Kilo abnehmen.“ Sie kennen die Phrasen. Ich bin ein großer Fan von Zielen, aber nicht an Silvester. Dieser Tag birgt die kürzeste Halbwertszeit für Ihre Ziele, selbst wenn sie S.M.A.R.T. sind. Also gehe ich in die Küche, nehme dort das Spülmittel der Marke FIT in die Hand, stelle mich im Wohnzimmer in den Türrahmen und sage: „Mein Vorsatz für das neue Jahr? FIT halten!“ Es dauert einen Moment. Alle lachen. Das Thema wird gewechselt. Und plötzlich wird Humor nützlich. Darüber möchte ich mich mit Ihnen austauschen: über die Effekte von Humor in Ihrem Business. Dabei mache ich es uns an mancher Stelle nicht zu einfach. Humor kann sehr offensichtlich sein und leicht von der Hand gehen. Durch manche Aspekte von Humor werden wir uns jedoch geduldig arbeiten müssen, wie der Biochemiker durch den Citratzyklus. Ich möchte Sie ermutigen: es lohnt sich! Zwanzig angehende Oberärzte sitzen in einem Seminarraum. Sie nehmen an einer verpflichtenden Schulung zur Kommunikation für Führungskräfte an der Medizinischen Hochschule Hannover teil. Um auf anstehende Aufgaben inhaltlich und kommunikativ vorbereitet zu werden, steht auf der Agenda heute das Thema Arbeitssicherheit. Die meisten verdrehen die Augen. Einige haben schon zum Smartphone gegriffen und erledigen offene E-Mails, andere basteln an der Fachpräsentation für die Konferenz in der kommenden Woche. Die meisten haben

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schon beschlossen, nicht zuzuhören. Ich komme herein, bitte die Gruppe sich in drei gleich große Teams aufzuteilen und drücke allen einen Briefumschlag in die Hand. „Meine Damen und Herren“, sage ich in der Art einer Moderatorin. „Herzlich willkommen bei der ungewöhnlichsten Arbeitssicherheitsschulung Ihres Lebens. Hier erhalten Sie den ersten Aufgabenumschlag einer Schnitzeljagd. Es befinden sich fünf weitere auf dem gesamten Campus versteckt. Bitte suchen Sie diese mit Ihrem Team und lösen Sie die Sicherheitsaufgaben schnellstmöglich. Möge das beste Team gewinnen.“ Die Oberärzte trauen ihren Augen nicht und plötzlich kommt Bewegung in die Sache. Abgesehen davon, dass sich die Teilnehmer wie Zehnjährige auf die Aufgaben stürzen, ist diese Geschichte besonders bezeichnend für die humorvollen Effekte bei trockenen Themen. Die Teams mussten unter anderem in eine Weinhandlung und dort zwei Gefahrenstoffe abholen. Ein Gefahrenstoff war Wein und ein anderer Olivenöl. Die Arbeitssicherheit musste die Gefahrenstoffe markieren und begründen, welches der größere Gefahrenstoff ist. Es entspann sich eine absurde Diskussion, dass es wohl gefährlicher ist, vor einer Operation eine Flasche Olivenöl zu trinken – im Gegensatz zu einer Flasche Wein. Die restlichen Teilnehmer lagen am Boden vor Lachen. Die Aufmerksamkeit in dieser gesamten Sicherheitsschulung war signifikant hoch. Für mich ist das immer wieder ein Beispiel, dass es sich lohnt, Ihre wichtigen, komplexen, manchmal drögen Themen mit Humor zu verpacken. Je trockener das Thema, umso wichtiger ist die humorvolle Verpackung, mit der Sie es an Mitarbeiter weiterreichen. Funktioniert das für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gleich gut? Nein. Die Humorforscher Alexander Pundt und Laura Venz veröffentlichten 2016 eine Studie, in der Strukturbedürfnisse als Rahmenbedingungen für Humor genauer angeschaut wurden (Pundt und Venz

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2016). Das Ergebnis: Sehr strukturbedürftige Menschen können weniger mit dem Humor der Chefin oder des Chefs anfangen als Menschen mit niedrigem Strukturbedürfnis. Letztere reagieren dagegen sehr positiv auf einen Humoreinsatz. Die gute Nachricht: bei Menschen mit hohem Strukturbedürfnis machen Sie als Führungskraft durch Humor auch nicht viel kaputt. Doch bei allen anderen erhöhen Sie stärker die Aufmerksamkeit und bringen Gelassenheit ins Business. Bei uns daheim ist es morgens mitunter etwas hektisch. Das Kind hat viel zu spät gefrühstückt, noch lange keine Zähne geputzt, ich müsste längst im Auto auf dem Weg zum Vormittagstermin sein. Jetzt werde ich richtig kratzbürstig, fahrig und möchte verbal am liebsten um mich schlagen. Die Luft brennt. Aus den Augenwinkeln sehe ich noch, wie mein Mann – inmitten von Regenstiefel-anziehen und Vesperdose-einpacken – ein­ fach verschwindet. Wenige Minuten später biegt er um die Ecke, trägt plötzlich den Fahrradhelm auf dem Kopf und sagt: „So, ich rüste mich mal lieber – bevor es noch Verletzte gibt!“ Im ersten Moment bin ich irritiert, dann kann ich mir das Lachen schon nicht mehr verkneifen – die Situation entspannt sich augenblicklich. Humor unter Stress findet auf einem anderen Level statt als Humor, wenn alles okay ist, wenn es einem gut geht, man genug gegessen und ausreichend geschlafen hat. Dann geht auch der Humor leicht von der Hand. Wenn hingegen der Stresspegel steigt, dann ist das Steinzeitverhalten schnell zur Stelle. Und man geht direkt in den Keller zum Lachen. In den folgenden Kapiteln finden Sie Techniken, die Sie aus dem Keller wieder herausholen. Denn wenn uns jemand angreift, schlagen wir gerne oben drauf – mit einer frechen Bemerkung oder einer wirschen Ansage. Deeskalierend ist das nicht, eher Öl ins Feuer gießen. Jetzt sagen Sie vielleicht, Sie wollen auch gar nicht

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jede Situation deeskalieren. Völlig richtig. Und das müssen Sie unterscheiden können: Humor, der entspannt, und Humor, der beschämt. Schauen wir uns doch gemeinsam an, in welchen Momenten die Konsequenzen von Humor überlebensnotwendig sind. Gefolgt von Situationen, in denen man auch verschiedenste Humorstile und -techniken miteinander kombinieren kann. Sinn für Humor ist die Fähigkeit, etwas als lustig zu empfinden oder etwas lustig zu machen, es braucht nicht beides. Wenn sich eine Führungskraft schwer damit tut, mit Menschen in Kontakt zu treten, kann sie trotzdem Sinn für Humor haben – auch wenn die Mitarbeiter diese Person nicht gerade für den geborenen Kabarettisten halten. Die folgenden Seiten sollen dabei helfen, Humor greifbarer und wiederholbarer zu machen. So wird Humor erst recht in komplexen Führungsmomenten zu einem wichtigen Handwerkszeug, zu einem Instrument mit einer gewissen Systematik. Was ist Humor? „Humor ist das, was man nicht hat, sobald man es definiert.“ So formulierte es Rudolf Presber (Presber o.J.). Humor vollends zu definieren, ist praktisch unmöglich. Es bleibt immer ein Versuch. Humor wird manchmal auf die Fähigkeit reduziert, Witze gut erzählen zu können. Der Witz ist im Deutschen eine Erzählung, in der die Darstellung eines Sachverhaltes plötzlich eine unerwartete Wendung nimmt. Ein Pendant, jedoch mit anderer Bedeutung, hat der Begriff „Witz“ in dem englischen Wort „wit“ – hier geht es um schnelle, geistige Witzigkeit, Esprit und Lust an intelligenter Interpretation. Der Duden definiert Humor als die „Fähigkeit und Bereitschaft, auf bestimmte Dinge heiter und gelassen zu reagieren“. Humor hat viele Gesichter, Melodien, Formen und Zustände. Und immer wieder tauchen in dem Zusammenhang verschiedene Begriffe auf:

1  Nützlicher Humor     9 • Nonsens-Humor: Ulk, Komik und Amüsantes ohne offensichtlichen Sinn und Verstand. Vor zwanzig Jahren waren Monty Python, Mr. Bean, Oliver Hardy und Stan Laurel für viele Deutsche der Inbegriff von Nonsens. Inzwischen sind auch deutsche Filmregisseure wie Michael Bully Herbig und Christian Ulmen oder Komikerinnen wie Anke Engelke oder Martina Hill („Knallerfrauen“) in diesem Bereich vertreten. • Ironie: Ironie benennt das Gegenteil dessen, was in der Luft liegt, oder spricht das Gegenteil von dem aus, was man meint. Ironie begreift ein Mensch laut der Humorforschung erst im Alter von acht bis zehn Jahren, einige je nach Training und Sozialisierung bereits vorher, manche scheinbar nie. Als kleines Kind versteht man nicht automatisch, dass der Ausruf der ins Kinderzimmer kommenden Mutter ein Scherz sein soll: „Oh, hier ist es ja ordentlich!“ Selbstironie bedeutet, sich selbst nicht zu ernst und damit auf die Schippe nehmen zu können. Zum Beispiel: „Ich bin so zerstreut, dass schon der Salzstreuer neidisch wird.“ • Spott: Spott ist das bewusste Lächerlichmachen einer Person oder von deren Werten. Hohn ist eine abschätzende Haltung gegenüber anderen und dient der Demütigung. Schadenfreude ist die Freude über das Misslingen, den Schaden oder das Missgeschick anderer Menschen. Satire und Parodie sind Spottdichtungen, die Zustände und Missstände überhöht darstellen. Die Satire ist eine häufig künstlerische Form von Hohn und Spott, mit dem Wunsch zur gesellschaftlichen Veränderung – und somit ein Korrektiv für die Gesellschaft. • Sarkasmus: Sarkasmus ist beißender Spott und bitterer Hohn, ironische Bemerkungen mit pessimistischer Grundhaltung. Das Wort Sarkasmus kommt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie „sich das Maul zerreißen, zerfleischen“. Sarkasmus fand schon in der Rhetorik der Antike Anwendung: „Heirate oder heirate nicht. Du wirst beides bereuen“, spottete Sokrates. Auch Benjamin Franklin ließ gern mal sarkastische Sprüche fallen: „Wer im Leben selbst kein Ziel hat, kann wenigstens das Vorankommen der anderen stören.“ • Zynismus: Manche führen ihn auf den Kynismus zurück, also eine antike Philosophenschule, die Bedürfnislosigkeit und Genügsamkeit forderte – so erklärt es der

10     E. Ullmann Duden. Zynismus verwirft zentrale Normen und Moralvorstellungen, befindet sich außerhalb der gesellschaftlichen Normen und Werte und macht sich über diese lustig. Zum Beispiel: „Glück ist, wenn das Pech die anderen trifft“, wie Horaz es formulierte. Übrigens: Humor ist weder gut noch schlecht, weder lieb noch böse, sondern lediglich ein Perspektivwechsel. Sarkasmus und Zynismus gehören ebenso dazu wie Spott, Schalk, Komödie, Ironie, Satire, Übertreibung und viele andere Formen des Komischen. Wir unterscheiden uns allerdings darin, was jeder Mensch für Humor hält. In seinem tiefsten Kern ist Humor die Bereitschaft zur Selbstironie und damit die Fähigkeit, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen (vgl. Ullmann und Hansmeier 2019).

1.1 Humor im Unternehmen: Notwendigkeit oder Luxus? „Hier wird gearbeitet und nicht gelacht!“ Der alte Patriarch streift über das Firmengelände und blinzelt seine Mitarbeiter mürrisch an. Seine Aussage ist Programm, ein Modell, das die guten preußischen Tugenden zeigt und noch aus dem Industriezeitalter stammt. In einer Welt, in der von Kapitalisten die Rede war, in der alle Prozesse effizienzgetrieben sein mussten und Spaß als uneffektiv galt, hatte das vielleicht noch seine Berechtigung. Sicher sind wir uns einig: Diese Zeiten haben sich verändert, gehören der Vergangenheit an. Alte Traditionen werden hinterfragt, alte Gewohnheiten abgelegt. Die Forderung der Menschen nach Humor verändert sich. Ob mittelständisches Unternehmen oder Konzern: Führungskräfte dürfen sich heutzutage auch mehr als nur ein Lächeln erlauben. Doch vielerorts ist diese Botschaft noch gar nicht angekommen. Auf einem großen Patientenforum einer Krankenkasse traf ich auf einen

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ehemaligen Vorstandsvorsitzenden. Seit fünf Jahren war er nun in Rente und wir plauderten über den Humor im Businesskontext. „Eigentlich bin ich ja ein Karnevalstyp, schließlich bin ich Rheinländer, also eine Frohnatur“, öffnete er sich. „Aber auf der Arbeit, da kannte mich so keiner – im Büro, da gab es keinen Spaß.“ Auch wenn eine solche Einstellung veraltet sein sollte, ist sie noch immer geläufig. So manche Führungskraft meint noch immer: wo nicht gelacht wird, da wird ordentlich gearbeitet. Dabei zeigen Studien immer wieder, wie einträglich der Humor in Sachen Effektivität, Leistung und Gesundheit ist. Wenn Sie gerade im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements und der Arbeitssicherheit darüber nachdenken, wie Sie Menschen dazu bekommen, dass sie sich gesünder verhalten, dann ist Humor durchaus eine interessante Stellschraube. Der gesamte Aspekt der Gesundheit der Mitarbeiter ist für eine Führungskraft durchaus relevant – damit sie ihren Job gut machen können und möglichst lange dem Betrieb erhalten bleiben. In vielen Unternehmen erlebe ich allerdings, dass der Gesundheitsbeauftragte mit Äpfeln und Sportkursangeboten durch die Abteilungen streift – und keiner will davon etwas wissen. Andere Betriebe haben da schon einen eher humoristischen Zugang geschafft, beispielsweise die Unfallkassen und Berufsgenossenschaften, die als Pflichtversicherung für Unternehmen schon recht weit sind mit ihrer Strategie: Anstatt nämlich damit zu drohen, was alles passiert, wenn ein Fall oder Unfall eintritt, wird Lust auf Prävention gemacht. Die Kampagne www.kommmitmensch.de macht durch unterhaltsame Comics, interaktive Workshops und durchaus humorvolle Filme zur Arbeitssicherheit Lust auf Verantwortung. Die Macher binden das Thema in die gesamte Unternehmenskultur ein. Sie lassen die Arbeitssicherheit nicht verstaubt in einem Büro und bei einem zuständigen Mitarbeiter

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liegen. Sie machen alle Mitarbeiter einladend dafür verantwortlich. Das ist so ähnlich wie bei Marc Raschke (vgl. Abschn. 1.5), der als Leiter der Unternehmenskommunikation auf die Frage, wie viele Mitarbeiter er in seinem Team habe, antwortet: „4.100 Mitarbeiter. Denn so viele Mitarbeiter hat unser Klinikum und sie alle vertreten das Klinikum nach außen und innen. Also sind sie Mitarbeiter der Unternehmenskommunikation. Ich lade immer wieder alle ein, mit mir zusammen zu arbeiten.“ Die Einstellung der Führungskraft zum Humor prägt jedes Unternehmen. Humor kann nicht verhindert werden – wenn der Chef keine Scherze wünscht, passieren diese eben hinter verschlossener Tür oder sobald er den Raum verlassen hat. Mit dem Humor verhält es sich wie mit Kaffeeduft: Auch wenn man ihn in die Kaffeeküche wegsperren will, bahnt er sich seinen Weg durch die Ritzen und erreicht eben doch die Sinnesorgane der Menschen. Im Bestfall wird Humor ein fester Bestandteil der täglichen Arbeit. In meinen Seminaren sitzen mitunter Menschen, die gemerkt haben, dass sie bei spröden Themen ihre Leute nicht erreichen, keiner hört mehr zu. Viele wünschen sich, dass sie Inhalte mit mehr Humor gut verpacken können. Wer ein Händchen für Humor entwickelt, hat einen klaren Vorteil: Humor findet nicht mehr ungefiltert statt, sondern als nützliches Hilfsmittel – so nimmt der Humor schon mal keine destruktiven oder demoralisierenden Formen an. Es lohnt sich, Humor als wirkungsvolles Instrument der Kommunikation genauer zu betrachten. Humor kann Spannungen lösen, Aufmerksamkeit steigern und die Stimmung positiv beeinflussen. Diese und andere Vorteile der Ressource Humor sind für das Management und die Unternehmensführung durchaus relevant und interessant. Ob in Verhandlungen, Mitarbeitergesprächen oder Marketing-Kampagnen: Humor ist für Führungskräfte richtig brauchbar.

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Jede Führungskraft hat Einfluss auf das Thema Humor, steuert Einstellungen und Glaubenssätze sehr wohl. Ob Sie als Führungskraft im Betrieb Humor zulassen oder nicht, hat Auswirkungen. Übrigens: In dem Begriff Führungskraft steckt das Verführen schon mit drin. Vielleicht denken Sie jetzt bei der Verführung durch eine Führungskraft an Manipulation – die Werbung, geschulte Verkäufer und so mancher Versicherungsvertreter haben es uns ja schon vorgemacht. Anderen fällt sofort die Propaganda ein, die Massen werden zum totalen Gehorsam verführt. Keine Angst, den totalen Humorkrieg können Sie so schnell nicht ausrufen. Zu Humor kann man nur einladen, man kann ihn nicht befehlen oder beauftragen – auch wenn ein großes Technologie- und Dienstleistungsunternehmen im Dokumentenmanagement-Bereich versuchte, den Humor im Arbeitsvertrag zu verankern, was schief ging. Regelungen wie „Du musst gute Laune haben!“ oder „Du musst lustig sein!“ oder die Dienstanweisung „Nimm’s doch mal locker!“ funktionieren nicht. Humor ist eher wie ein ungeschriebenes Gesetz. Und messen lässt er sich eben auch nicht so einfach – ein Witz bringt keinen unmittelbaren Erlös wie ein verkauftes Produkt. Die Frage ist also, wie sich Humor geschickt und passend für alle Beteiligten nutzen lässt. Ein Arzt, der einer jungen Frau nach ihrem Motorradunfall mitteilte, dass es ihren Zwillingen gut geht, hat es da nicht so brillant angestellt. Sein Witz wurde nicht verstanden und so wirklich wollte er die Sache mit dem Humor auch gar nicht anfassen. Es gibt übrigens weder guten noch schlechten Humor, es gibt nur passenden oder unpassenden. Den Unterschied zu kennen und auch sensibel genug dafür zu sein, welchen Humorstil denn mein Gegenüber, mein Mitarbeiter, Kunde, Patient oder Geschäftspartner gerade benötigt, ist ein Teil des Könnens.

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Jede Führungskraft braucht Humor. Er gehört in jeden guten Handwerkskoffer der Führung. Er ist ein Instrument, um Aufmerksamkeit zu bekommen, eine Stimmungslage zu verändern oder Spannungen abzubauen. Humor baut Vertrauen auf, kann Schmerzen begegnen – und soll letztendlich nicht beschämen, sondern motivieren und mobilisieren. Mit Humor lassen sich Menschen erreichen und öffnen, er kann sogar die Lerntiefe positiv beeinflussen. Humor kann man lernen, nutzen und berechenbar einsetzen. Führungskräfte dürfen und sollen Humor einsetzen, das ist meine klare Forderung – die auch noch einen schönen Nebeneffekt hat: nämlich dann, wenn einem selbst und auch dem Team der Job wieder mehr Spaß macht. Geben Sie sich also die Erlaubnis und lassen Sie zu, dass gelacht wird im Unternehmen. Humor ist ein sehr mächtiges Instrument in der Hand einer Führungskraft. Er ersetzt auch nicht Ihre Kompetenz, sondern ergänzt sie.

1.2 Humorvoller Fingerabdruck einer Führungskraft „Humor ist der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt.“ So hat es Joachim Ringelnatz einmal treffend formuliert. Um Humor kennenzulernen und gezielt oder bewusst einzusetzen, sollten Sie erst einmal sich selbst betrachten dürfen: Welcher Humor ist bei Ihnen als Führungskraft eher ausgeprägt? Sozialer oder aggressiver Humor? Welchen Humor machen Sie aus Gewohnheit oder intuitiv? Ich lade Sie ein, das zu reflektieren. Hannah Gadsby, eine australische Comedian, hat einmal erklärt, dass für sie Witze nie eine beliebig gewählte Methode in einem Leben voller Möglichkeiten

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waren. Vielmehr war der Umgang mit Humor seit ihrer Kindheit der Weg, dem Druck der Gesellschaft zu entkommen. „Das war kein Hobby für mich, es war eine Überlebenstechnik.“ (Passmann 2018) Also werfen Sie einen Blick auf Ihre eigene Humorbiografie. Interessant ist tatsächlich auch, wie Ihr kindlicher Humorprofi mal aussah und wie gut Sie heute im Kontakt mit ihm sind. Ihr Humor beginnt, wenn Sie morgens auf die Straße gehen, unabhängig davon, ob Sie eine Führungskraft sind oder nicht. Wenn an der Ampel der kleine Kasten mit der Aufschrift „Fußgänger – bitte drücken“ steht und Sie plötzlich einen Passanten umarmen und fest drücken, hat das durchaus etwas mit Humor zu tun. Oder Sie sind in der Firma angekommen, stehen im Lift und eine andere Person fragt: „Wollen Sie nach oben?“ Dann könnte Ihre humorvolle Antwort zur Abwechslung doch lauten: „Nein danke, heute mal nach rechts!“ Werden Sie gefragt „Ist Ihr Haus denn kindersicher?“, dann überraschen Sie Ihr Gegenüber mit der Antwort: „Nein, eins hat es doch reingeschafft.“ In welcher Alltagssituation wünschen Sie sich dagegen mehr Humor? Möglicherweise in der ständig unaufgeräumten Kaffeeküche der Abteilung? Dann nehmen Sie sich doch ein Beispiel an jenem Hausmeister, der offensichtlich sehr genervt war, weil die Hausbewohner den Müll immer in der falschen Ecke abstellten. Also brachte er folgendes Schild an: „Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod? Hier Müll abstellen und Sie finden es heraus.“ Dieses Schild lässt sich ganz einfach zum Thema „Kaffeetassen in die Spülmaschine räumen“ adaptieren. Mit Überraschungen und Irritation lässt sich im Arbeitsalltag schnell etwas verändern. Oder sind Sie mit Ihrem Unternehmen schon wieder auf einer Messe präsent und wollen die Aufmerksamkeit der vorbeieilenden Besucher gewinnen? Dann machen Sie es doch wie die

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Moderatoren, die am Messestand freundlich grinsend ganz offen verkündeten: „Hier nicht stehen bleiben. Hier lernen Sie nur was. Hier haben Sie nur Spaß. Gehen Sie bitte weiter!“ Ich lade Sie ein, kurz Ihren Humor zu überprüfen. Dazu habe ich vier Situationen für Sie vorbereitet – mit jeweils zwei Reaktionsmöglichkeiten. Stellen Sie sich die Situationen vor und achten Sie darauf, was Sie dabei denken oder wie es Ihnen damit geht. Übrigens: Falls Sie keines der Beispiele amüsant finden, heißt das nicht, Sie haben keinen Humor – ich habe einfach nicht Ihren Geschmack getroffen. Selbsttest: Zu welchem Humor-Typ tendieren Sie? Stellen Sie sich vor, Sie kommen in ein Besprechungszimmer, haben die Türschwelle nicht gesehen und stolpern einmal der Länge nach hin. Sie antworten entweder „Meine Damen und Herren, das war erst mein Anfang!“ oder „Ich bin blond, wie Sie sehen, krieg ich auch nix hin. Und muss mich sogar selbst flachlegen.“ Im ersten Fall lassen Sie sich gut dastehen, im zweiten ziehen Sie sich selbst durch den Kakao. Der Tag schreitet voran, Sie sind bei einem Kunden. Mitten im Gespräch fällt ihm das Wasserglas herunter. Dieses Missgeschick kommentieren Sie entweder mit dem Satz „Sie können aber gut loslassen. Dafür muss ich jede Woche zum Yoga!“ oder mit der Bemerkung „Na, in Ihrem Alter kann man auch das Wasser nicht mehr so gut halten.“ Im ersten Fall lassen Sie den anderen gut dastehen, im zweiten ziehen Sie ihn durch den Kakao. Endlich ist Mittagspause, Sie gehen in die Kantine. Neben Ihnen sitzt ein Mitarbeiter, der sich gerade bekleckert hat. Sie antworten entweder „Niemand hat so einen einzigartigen Pullover wie du, das ist besser als Picasso!“ oder „Deine Mutti hat dir wohl auch nicht beigebracht, wie man den Löffel gerade hält!“ Im ersten Fall lassen Sie den anderen gut dastehen, im zweiten ziehen Sie ihn durch den Kakao. Ein schwieriges Gespräch mit einem Mitarbeiter steht an. Er ist verunsichert, hat Angst vor dem, was Sie ihm gleich eröffnen werden. Sie beginnen den Aus-

1  Nützlicher Humor     17 tausch mit dem Satz „Hören Sie: Ich bin seit 25 Jahren mit demselben Mann verheiratet, trage immer dieselbe Frisur und wohne schon immer in derselben Wohnung. Was Sie also von unserem Gespräch erwarten können? Ich bringe Ruhe rein in die kritische Situation und dazu brauche ich Ihre Hilfe.“ Oder Sie starten lieber mit dem Auftakt: „Na, haben Sie sich ’ne Ritterrüstung angezogen? Machen Sie sich schon mal nackig! Jetzt geht es rund.“

Wie erging es Ihnen mit diesen kleinen Alltagssituationen? Wo konnten Sie schmunzeln, was entspricht Ihrem Humor? Wenn Sie sich meistens bei den ersten Antworten sehen, dann neigen Sie eher zu Sozialem bzw. Selbstaufwertendem Humor. Ihr Lachen ist eher ein Hahaha oder Hihihi. Sie sorgen gern für Unterhaltung, ohne dass jemand dabei zu Schaden kommt. Diese Art von Humor tut keinem weh. Sie haben einen generell humorvollen Blick auf das Leben und die Tendenz, sich über die Inkongruenzen (Widersprüche) des Lebens zu amüsieren (vgl. Kuiper 1993). Sozialer Humor bedeutet auch, spontan Witze oder humorvolle Geschichten erzählen zu können, eine Situation humorvoll umzudeuten. Sie nehmen sich selbst nicht zu ernst. Ohne dass Sie sich dessen immer bewusst sind, können Sie mit Humor andere zum Lachen bringen und gleichzeitig Spannungen reduzieren. Dieser Humorstil hängt zusammen mit Extraversion, Offenheit für Erfahrungen und psychologischem Wohlbefinden. Auch Heiterkeit, Selbstbewusstsein, Intimität und Beziehungszufriedenheit sind bei diesem Humorstil sehr ausgeprägt. Dieser Stil hängt weniger zusammen mit Depression, Sorge, Ernsthaftigkeit und schlechter Laune (vgl. Martin 2007). Sozialer Humor entspannt, erheitert, lockert auf. Er wertet Beziehungen auf. Er schafft Nähe. Sozialer Humor bedeutet, Stimmungen in

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einem Team zu managen, auch als Führungskraft – ohne seine Autorität erhöhen zu müssen, ohne jemanden im Team zu beschämen. Zu diesem Stil gehört auch, dass Sie sich selbst humorvoll gut dastehen lassen können. Dann spricht man von Selbstaufwertendem Humor. Sie sind wertschätzend mit sich und können eigene missliche Situationen liebevoll karikieren. Das beginnt bereits morgens beim Blick in den Spiegel. Sie denken eher: „Na, Zuckerfee, noch ein bisschen zerknittert? Dann gibt es ja tagsüber viele Entfaltungsmöglichkeiten“ anstatt „Ich kenne dich nicht, aber wasch dich trotzdem!“ Sie gehen morgens aus der Haustür zur Arbeit und haben den Schlüssel liegen lassen. Sie denken: „Ich wollte schon immer mal ausprobieren, ob ich wie im Actionfilm meine Tür mit einer Kreditkarte aufkriege.“ Selbstaufwertender Humor bzw. Sozialer Humor wird in diesem Zusammenhang als Coping-Mechanismus, also als Bewältigungsstrategie beschrieben. Dieser Humorstil kann eine emotionale Regulierung von Alltagsstress möglich machen. Dafür muss man kein extrovertierter Mensch sein. Diese Regulierung kann nach innen oder in der Kommunikation nach außen stattfinden. In sich humorvoll zu wohnen, hat etwas mit Vertrauen und Vertrautem zu tun. Meine Humorkollegin Katrin Hansmeier schrieb ihre Diplomarbeit als Schauspielerin über den unverordneten Humor im Konzentrationslager. Tatsächlich wurde sogar in dieser extremen Lebenslage Humor gemacht, um nicht wahnsinnig zu werden. Konnten Sie bei dem kurzen Test eher immer über die zweite Variante bzw. Antwort lachen? Man erkennt es an Ihrem Hohoho-Lachen. Dann neigen Sie vermutlich eher zu schwarzem oder sarkastischem Humor. Man spricht dann auch von Aggressivem bzw. Selbstabwertendem Humor. Sie bringen andere zum Lachen, indem Sie auf eigene Kosten oder auf Kosten anderer Menschen

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Humor machen. Sie erlauben anderen, sich über Sie lustig zu machen, nehmen aber auch jedermann gern auf die Schippe. Willkommen bei den Briten: sie sind gerne sarkastisch und spotten über andere. Tatsächlich sticheln und verhöhnen Sie auch mal gern (vgl. Zillmann 1983). Sie amüsieren sich wahrscheinlich zum Beispiel über folgende Schlagzeile einer englischen Tageszeitung nach dem Fußball-WM-Ausstieg von England: „What’s the difference between England and a teabag? – A teabag stays in the cup longer.“ Aggressiver Humor bezeichnet den Impuls, lustige Dinge zu sagen, die andere verletzen. Sie denken bei der morgendlichen leeren Kaffeedose eher: „Der Kaffee ist alle, du allumfassender Trottel, eine Amöbe könnte besser für sich sorgen als du.“ Mit Selbstabwertendem Humor erzeugen Sie Distanz zu sich selbst und zur Umgebung. Für die eigene Gesundheit scheint es manchmal überlebenswichtig, sich von Beziehungen und Ereignissen, vielleicht auch von Krankheiten oder Tod distanzieren zu können. Woody Allen schrieb: „Ich habe keine Angst vorm Sterben. Ich möchte einfach nur nicht dabei sein, wenn es passiert.“ Man lacht mit anderen über sich selbst und wertet sich dabei ab. Das macht einen manchmal sehr sympathisch. Es kann wohltuend sein, sich von sich selbst zu distanzieren. Wann hat man schon Urlaub von sich und seinen Macken? Man beobachtet bei diesen Humorstilen tatsächlich weniger Beziehungszufriedenheit, weniger psychologisches Wohlbefinden und Selbstbewusstsein. Forscher gehen davon aus, dass diese Humorstile eher verteidigend und schützend benutzt werden. Diese Stile beinhalten Vermeidung von Streit und Elemente von niedrigem Selbstbewusstsein. Auch Sorge, Grübeleien und Depression sind längerfristig eine Gefahr, schreiben Rod Martin und auch

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Tabea Scheel in ihren Studien zu den Humorstilen (vgl. Martin 2003, Scheel 2016). Menschen mit diesen beiden Stilen werden im Ärger oder bei Stress auch unbedacht verletzend, zynisch und sarkastisch. Es fehlt in angespannten Situationen oft die Liebenswürdigkeit. Selbstabwertender Humor und Aggressiver Humor schaffen Distanz, verletzen, machen mundtot und sind oft beschämend. Kabarettisten nutzen Aggressiven Humor, denn sie haben den Auftrag zu kritisieren, Distanz zu einem politischen System herzustellen oder den Menschen einen Spiegel vorzuhalten. Man bekommt mit Aggressivem Humor oft einen schnelleren Lacher. Auch wenn zwei Menschen eine vertraute und stabile Beziehung haben, ist Aggressiver Humor durchaus amüsant und sinnvolle Psychohygiene. Manchmal täuschen Arbeitsbeziehungen jedoch eine Vertrautheit vor, die nicht beidseitig vereinbart ist, und Aggressiver Humor schadet dann mehr, als man vermutet. Aggressiver Humor kann Konflikte ignorieren und lässt für einen guten Witz die Stimmigkeit der Situation völlig außer Acht. Er integriert nicht, sondern untermauert Hierarchien, Unterschiede, Distanzen. Es spricht absolut nichts gegen eine gesunde Portion Aggressiven Humor zum rechten Zeitpunkt. Im Gegenteil. Aber wenn es die Situation erfordert, scheint es hilfreich, Sozialen Humor auch im Repertoire zu haben. Es ist ungefährlicher, Sozialen Humor einzusetzen. Das kann man trainieren. Wenn Sie als Führungskraft Humor in einem Mitarbeitergespräch einsetzen wollen, wenn Sie als Bereichsleiter einen schwierigen Change-Prozess begleiten, wenn Sie als Abteilungsleiter bei einem Konflikt zwischen zwei Mitarbeitern deeskalierend wirken müssen oder wenn Sie als Marketingchef eine Werbekampagne umkrempeln möchten, dann erscheint in solchen und ähnlichen Situationen ein Feingefühl bzw. Sozialer Humor

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wirksamer als Aggressiver Humor. Der situationsgerechte Humor erfordert Mitgefühl statt Abwertung. Die Grundlage von Humor bzw. des eigenen Humorstils besteht daher immer auch aus dem Faktor Empathie, der inneren Haltung und dem eigenen Selbstwert (vgl. Ullmann und Hansmeier 2019).

1.3 Autoritätsverlust durch Humor? Wichtige Voraussetzung für wirkungsvollen Humor ist, liebevoll karikieren zu können, statt Humor zynisch auf Kosten der Mitarbeiter zu produzieren. Abwertende Klischees haben vor allem im Geschäftsleben eine andere Wirkung als wohlwollende, positive Klischees. Wenn Sie nicht in die ewig gleichen Witzkerben von Männerund Frauenwitzen, Ossi- und Wessiwitzen, Ostfriesen-, Blondinen-, Undsoweiter-Witzen dreschen wollen, die oft keine wirklich entspannende Wirkung haben, lohnt es sich, über den Tellerrand dieses Humors hinauszuschauen. Es kann beispielsweise sehr heilsam sein, mit Klischees zu spielen. Eine zentrale Frage beim Einsatz von Humor in Ihrer Rolle als Führungskraft muss sein: Was wollen Sie damit erreichen? Ein aggressives Wort für eine spezifische Branche oder Berufsgruppe finden Sie schnell, doch

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für den Einstieg in ein Gespräch oder in einen Kundenkontakt eignet sich das weniger. Der Arzt und Psychotherapeut Viktor Frankl hat betont, dass es nichts gibt, was schneller Distanz herstellt als Humor. Ich ergänze das gerne mit der Behauptung, dass nichts so schnell Nähe zwischen Menschen herstellt wie Humor. Wollen Sie als Führungskraft also Humor nutzen, damit sich jemand öffnet oder um sich zu distanzieren? Dient Humor dazu, eine Situation erträglich zu machen, gewissermaßen wie ein Ventil wirkend? Falls Sie versuchen, einen Widerstand zu entspannen, werden Sie das mit Aggressivem Humor nicht schaffen. Sie sehen also: Um Humor in den Handwerkskoffer der Kommunikation aufnehmen zu können und ihn gerade auch in komplexen Führungsmomenten sofort griffparat zu haben, muss man nicht nur die Humorstile unterscheiden können, sondern auch wissen, was sich wann und wo wie eignet. Welchen Humorstil habe nicht nur ich, welchen haben meine Mitarbeiter, meine Kunden? Auch diese Ebene gilt es zu berücksichtigen. Als Führungskraft bekommen Sie ständig Humorangebote und machen welche. Es ist energieraubender mit Humorangeboten, die Sie nicht unterhaltsam finden. Der Humor kann zu Ihnen passen – und auch zu Ihrem Gegenüber. Trotzdem kommen Sie als Führungskraft nicht drum herum, Mitarbeiter zu managen, die nicht denselben Humor haben wie Sie. Das ist Ihr Job. Und als Führungskraft kommt noch eine weitere Dimension dazu: Sie sollten die Humorstile managen – also beispielsweise jemanden schützen, der nicht mitlacht, oder die Härte und Schärfe rausnehmen, wenn jemand zu fies wird. Sie tragen Verantwortung dafür, wenn ein Mitarbeiter im Team Schwierigkeiten hat und immer ausgelacht wird. Mit der Hilfe von Humor können Sie moderieren und kanalisieren genau wie befeuern und

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provozieren, wahlweise die Spannung erhöhen oder rausnehmen. Teams brauchen sogar in aller Regel heterogene Humorangebote, denn die Menschen sind so unterschiedlich. Dafür müssen Sie Energie aufbringen. Der unterschiedliche Humor von Menschen braucht Beleuchtung, Neugier und Entdeckerfreude. So mancher Chef hat Angst vor Autoritätsverlust, wenn er Humor einsetzt. Um es vorwegzusagen: Wenn Sie als Führungskraft eine Situation mit Humor füllen, bewältigen oder retten können, wird das keinen Autoritätsverlust verursachen – es kommt lediglich zu einem kurzen Statusverlust. Und mit Statusspielen sollten Sie umgehen können. Sobald Sie eine Führungsposition bekleiden, wird Ihnen ein funktionaler Status zugeschrieben. Es wird beispielsweise von Ihnen erwartet, dass Sie sich durchsetzen können. Angenommen, Sie sind in Ihrer aktuellen Situation noch genau damit sehr beschäftigt und befassen sich mit der Frage, wie Sie sich in Ihrer Rolle eigentlich auch durchsetzen können – in Ihrer Abteilung, in Ihrem Konzern. Dann sollten Sie sich tatsächlich noch nicht so sehr mit Humor befassen, sondern sich eher der Frage widmen, wie Sie Ihren Status füllen. Denn dass Ihnen per Funktion ein gewisser Status zugeschrieben wurde, bedeutet eben nicht automatisch, dass Sie ihn als Mensch auch schon füllen. Das Thema Status ist ein hochrelevantes für Führungskräfte – erst recht, wenn wir uns dem Zusammenhang von Status und Humor widmen. „Man kann nicht ohne Status kommunizieren.“ So formulierte es Keith Johnstone (Cordes 2019). Damit beschreibt er das Dominanzverhalten des Menschen – das man nicht mit der Macht des Menschen gleichsetzen darf. Johnstone interessiert sich weniger für Statussymbole oder hierarchischen Status, sondern mehr für nonverbale Wirkungen. Zwischen zwei

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Menschen kann der Unterschied im Status auch sehr gering und nuanciert sein. Sowohl im Hoch- als auch im Tiefstatus kann man viel Macht ausüben. Es ist ein verbreiteter Irrglaube, gerade in oberen Führungsetagen, dass hoher Status immer gewinnt. Selten haben zwei Menschen im Arbeitsalltag den identischen Status. Oft gibt es passende Über- oder Unterordnungen (vgl. Cordes 2006). In obersten Führungsetagen, Gremien, bei Geschäftsführer- oder Vorstandsrunden beobachte ich ­ manchmal einen reinen Schlagabtausch mithilfe von Aggressivem Humor. Oft ist das unbewusste Ziel dabei, seine Überlegenheit zu festigen, seinen Status zu erhöhen – und eben nicht, für Entspannung zu sorgen. Interessant beim Status ist, dass er sowohl angenehm als auch unangenehm wirken kann. Im Hochstatus kann man bestimmend, kontrollierend und unmenschlich wirken. Man kann aber auch charismatisch, begeisternd, fördernd und beschützend auftreten. In beiden Fällen strahlt man hohe Dominanz, Kraft und Präsenz in seinem Auftreten aus. Das heißt, man führt ein Unternehmen, leitet eine Sportgruppe, ist zuständig für eine Abteilung. Schweigen ist ein sehr beliebtes und vor allem wirksames Hochstatus-Zeichen und kann, wohldosiert eingesetzt, ­ Wunder bewirken. Tiefstatus tritt dann zutage, wenn beispielsweise eine Führungskraft Entscheidungen scheut und sich von ihren Mitarbeitern herumschicken lässt oder auch, wenn eine Führungskraft die Vorgehensweise des Projektes gut findet und den Mitarbeitern in ihren Vorschlägen und Arbeitsansagen einfach folgt. Menschen, die zu Aggressivem Humor neigen, nutzen diesen oder jenen Scherz eher dafür, um ihren Status zu heben. Manche Führungskraft hält es für ein Zeichen ihrer Intelligenz, wenn andere ihre Witze nicht verstehen. Aggressiver Humor basiert immer auf Beschämung

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– das ist prinzipiell nichts Schlechtes. Wenn es einen guten Draht und eine gute Beziehung zueinander gibt, kann man sich gegenseitig durch den Kakao ziehen. Als Führungskraft sollten Sie sich das allerdings zwei Mal überlegen und auch genug Einfühlungsvermögen besitzen, um die tatsächliche Beziehung zu Ihrem Gegenüber einzuschätzen. Wenn Ihr wichtigster Abteilungsleiter aus heiterem Himmel kündigt, weil er irgendwann Ihren Aggressiven Humor satthatte, dann haben Sie sich schlichtweg verschätzt. Wie flexibel ist Ihre Statuskommunikation? Können Sie als Führungskraft, wenn ein Witz über Sie gemacht wird, kurz in den Tiefstatus wechseln und mitlachen – und anschließend wieder die Autoritätsperson sein, die der Job als Führungskraft erfordert? Bleibt die Führungskraft permanent im hohen Experten-Status, sind die Mitarbeiter geradezu herausgefordert, ihn oder sie von seinem oder ihrem hohen Ross zu holen. Ist man als Führungskraft permanent im niedrigen Status, wird man hingegen nicht ernst genommen. Einfacher ist es, wenn man den Status wechseln kann bzw. ein möglichst breites Status-Spektrum hat. Manche Menschen sind dabei sehr talentiert, andere müssen körpersprachlichen Status trainieren. Hochstatus macht Sinn, wenn Sie: • kompetent wirken wollen. • als neue Führungskraft ernst genommen werden wollen und sich durchsetzen müssen. • jemandem eine klare Ansage machen. • einen Vortrag beginnen. • verhandeln. • ein neues Team vor sich sitzen haben, das sich nicht zu lange fragen soll, ob Sie was auf dem Kasten haben.

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• beim Start einer Besprechung Vertrauen herstellen möchten. (Nach dem Motto: Ich weiß, was ich tue, und lasse mich nicht gleich vom kleinsten Windzug umblasen.) • bei einem Akquisegespräch beim Kunden mit Ihrem ersten Auftreten einen starken Eindruck hinterlassen wollen (vgl. Ullmann und Hansmeier 2019). Tiefstatus macht Sinn, wenn Sie: • im Hochstatus bei jemandem nichts erreichen. • bei einer Besprechung Mitarbeiter in eine Diskussion einbinden wollen. • nach einem Vortrag vor einer großen Gruppe möchten, dass Zuhörer sich trauen, eine Frage zu stellen. • als Ärztin oder Arzt wollen, dass ein Patient Ihnen die Wahrheit über seinen Krankheitsverlauf erzählt. • Hilfe benötigen. • wollen, dass sich Mitarbeiter in Ihrem Team engagieren. • eine angenehme Atmosphäre erzeugen wollen (vgl. Ullmann und Hansmeier 2019). Ein Irrglaube vieler Führungskräfte ist es, ständig im Hochstatus verharren zu müssen – während die Angst vor einem Statusverlust damit einhergeht, sobald man Humor macht. Dabei macht Humor total Sinn, wenn Sie: • über längere Zeit Aufmerksamkeit halten wollen. • Widerstände und Störungen entspannen wollen. • erfahrene Verhandlungspartner ins Boot holen wollen. • erfolgreich Geschäfte machen wollen. • souverän und gelassen den Führungsalltag managen möchten.

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Wenn man als kompetente Führungskraft für einen Moment inkompetent wird, kann das für Belustigung sorgen. Und denken Sie dran: Im Humor macht man sich oft dümmer, als man ist, und wird dadurch stärker, als man scheint! Und übrigens: Humor liegt im Spiel, nicht im Kampf – also spielen Sie, auch mal mit dem Status (vgl. Ullmann und Hansmeier 2019).

1.4 Humor für Skeptiker: Humor kann man lernen! Sie werden nicht glauben, was sich in den letzten 30 Jahren alles so entwickelt hat und was wir über den Humor schon wissen – auch und erst recht im Hinblick auf die Kombination von Führungskräften und Humor. Es gibt eine gewisse Evolution, auch im Businesskontext. Noch in den 1980er Jahren war Humor als professionelle Ressource in therapeutischen und helfenden Berufen sogar „verboten“. Humor war kein Zeichen von Professionalität. Manche Therapeuten nutzten dennoch den Humor zur Gesundung der Patienten und Klienten. Inzwischen ist man auch in anderen Bereichen einige wichtige Schritte weitergekommen bezüglich der wirksamen Humordosis gegenüber Mitarbeitern, Kunden und Geschäftspartnern. Humor hilft, die Sichtweise auf die Dinge zu ändern. Er ändert nicht die Tatsachen. Aber durch die Humor-Brille betrachtet, erscheint die Tatsache in einem anderen Licht. Für so manches Erfolgsgeheimnis ist Schlagfertigkeit eine wichtige Zutat – und Humor die wesentliche Basis dafür. Ganz gut hilft Humor übrigens auch gegen Sprachlosigkeit – denn mit der verschafft sich kein Chef einen echten Kompetenzvorteil.

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Nach einem Vortrag kam eine Führungskraft auf mich zu. Der Abteilungsleiter hatte sich selbst gut erkannt: „Ich bin ein total sarkastischer Typ und habe gemerkt, dass ich meinen Sarkasmus und Zynismus gegenüber Mitarbeitern nicht anwenden kann. Ich habe beobachtet, das kommt nie so gut an, ist oft auch nicht so richtig angebracht. Ich spüre das intuitiv, verstehe nur nicht, warum das so ist. Könnte ich denn stattdessen den Sozialen Humor lernen?“ Tatsächlich lässt sich Humor trainieren, man kann ihn üben – und es gibt Antworten auf die Frage, in welchen Situationen Sie als Chef besser keinen Humor an den Tag legen sollten. Wie jetzt – Humor kann man lernen? Sind Sie gerade etwas verblüfft? Eventuell sind Sie ein Zeitgenosse, der die Erfahrung gemacht hat, nicht sonderlich humorvoll zu sein. Verglichen mit Ihrer Ehefrau oder den Spaßbomben im Team sind Sie weder so extrovertiert noch erzählen Sie in Runden mit Ihren Mitarbeitern oder Kunden eine lustige Geschichte nach der anderen. Sie genießen es, wenn andere das tun. Ich habe immer wieder mit Führungskräften zu tun, die genau wissen, dass sie einen guten Job machen, und die nicht denken, dass Humor ihre Stärke ist. Und auch mit solchen, die Humor gegenüber sehr skeptisch aufgestellt sind. Dabei schafft Humor, was viele andere Führungsinstrumente oft nicht schaffen: Er macht uns handlungsfähig in Momenten der Schockstarre. Schon in der Steinzeit entwaffneten Menschen sich gegenseitig durch Lachen. Man signalisierte: Ich tue dir nichts, ich bin ungefährlich. Menschen mögen und brauchen die heitere Gelassenheit in täglichen Prozessen, das DurchatmenKönnen in schwierigen Momenten, in geschäftlichen Besprechungen, bei Dienstübergaben, bei Stress, in dem langjährigen Job, bei Vorträgen – kurz: in angespannten Situationen. Humor passiert oft unbewusst und intuitiv. Er sorgt für körperliche und geistige E ­ntspannung. Er

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ist eine Überlebensstrategie, um an manchen Dingen nicht zu verzweifeln. Deswegen gibt es Humor bis heute und er ist in vielen Arbeitsbereichen stärker auf dem Vormarsch als je zuvor. Er wird Ihnen im Leben immer begegnen, ob Sie wollen oder nicht. Und Sie entscheiden, ob Sie ihn zulassen oder blockieren. Deswegen lohnt sich das Training. Selbst wenn Sie nur in kleinen Schritten vorwärtskommen. Humor ist zunehmend auch ein Handwerkszeug, ein Instrument, das immer geschickter eingesetzt und trainiert wird. Er ermöglicht es, mit der eigenen Rolle und dem eigenen Status zu spielen, macht sozial attraktiv, gewinnt Menschen und verführt Gruppen. Er sorgt für Aufmerksamkeit, schafft Vertrauen und kann verhärtete Situationen entspannen. Das hat jeder von uns schon einmal erlebt. Humor gibt uns Urlaub von Gewohntem, Urlaub von uns selbst. Was gar nicht so einfach ist, denn wir haben uns ja immer dabei. Humor kann jedoch auch verletzen, Konflikte eskalieren und Seriosität zunichtemachen. Humor ist ein Phänomen, das es schon lange gibt und das auch noch sehr lange existieren wird – es lohnt sich, sich als Führungskraft damit zu beschäftigen. Ich leitete ein Führungskräfteseminar bei einem Maschinenbau-Unternehmen. Auch ein Vorstandsmitglied saß mit dabei. Schon vor dem Start offenbarte er mir seine Sichtweise auf das Thema Humor: „Führung ist kein Spaß. Und den Quatsch, den meine Mitarbeiter für Humor halten, finde ich nicht lustig.“ Das Training mit der Gruppe dauerte zwei Tage. Zum Abschluss und für die Auswertungsrunde stellte ich die Aufgabe, dass jeder eine Moderationskarte nehmen und aufschreiben sollte, welche Technik er oder sie in Zukunft gerne einmal ausprobieren will. Der Vorstandsvorsitzende stellte sich grinsend wie ein Honigkuchenpferd vor die Mannschaft und hatte ein

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riesiges Flipchart-Blatt als Moderationskarte dabei, auf das er in Miniaturschrift notiert hatte: Übertreibung. Viele Menschen sind getrieben von Glaubenssätzen, die sie blockieren, sie in eine unverrückbare Position versetzen, durch die sie an einer Meinung festhalten. Die Glaubenssätze, die sich um Humor ranken, möchte ich gerne beleuchten – und entkräften. Sätze wie „Ich habe keinen Humor“ oder „Humor kann man nicht lernen“ genau wie „Ich bin nicht so humorvoll wie XY“ zählen beispielsweise dazu. Glaubenssätze schränken unseren Blick stark ein, machen uns unbeweglich. Doch um Humor bewusster einzusetzen und zu trainieren, muss man diese Glaubenssätze überprüfen. Und ich bin immer wieder beeindruckt, was Führungskräfte humorvoll leisten können, wenn sie diese Glaubenssätze erst einmal abgelegt haben. „Humor hat man oder hat man nicht.“ „Humor ist Begabung.“ „Humor kann man nicht lernen.“ „Manche Menschen haben einfach gar keinen Humor.“ Das ist zu einfach. Deswegen halte ich es schlicht für einen falschen Glaubenssatz. Humor wird sozialisiert. Als Kind lernt man Humor: Während man mit drei Jahren noch Pipi-Kacka-Humor macht, ist man mit 30 humorvoll ­ schon einige Schritte weiter. Zumindest die meisten von uns sind dann aus der Pipi-Kacka-Phase glücklicherweise wieder raus. Oder man versteht immer noch keine Ironie, weil man wenig Gelegenheit zum Üben hatte. Eltern und Erzieherinnen, die übertreiben und liebevoll ironisch sind, also Humor vorleben, werden von Kindern imitiert. Sie erlauben ihren Kindern Humor (ohne dauernd alles quatschig machen zu müssen). Durch Erklärung, Imitation und Wiederholung lernen Kinder Humor. Natürlich gibt jede Familie auch einen unterschiedlichen Humorgeschmack weiter. Worüber man lacht, ist wie Kleidungsgeschmack – darüber lässt sich bekanntlich

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streiten. Und das ist gut so! Natürlich ist Humor auch eine Begabung, die unterschiedlich verteilt ist. Humor ist jedoch auch eine Fähigkeit, die man trainieren kann und muss, wie ein Musikinstrument, wie eine Sportart – zum Beispiel wie Tennis spielen. Eine gute Rückhand übt man einige Jahre. Wenn das Leben einem harte Bälle zuspielt, kann man trainieren, diese mit guter Humor-Kraft zurückzuschlagen (vgl. Ullmann und Hansmeier 2019). „Ich bin nicht humorvoll, denn mir fällt erst zwei Stunden später etwas ein.“ In manchen Situationen wünschen wir uns mehr Schlagfertigkeit. Teilnehmer unserer Seminare sagen oft: „Erst zwei Stunden später fiel mir eine passende Antwort ein.“ Ich brauche manchmal sogar Tage, bis mir etwas Originelles einfällt – und ich bin professionelle Humortrainerin. Ich bin nur manchmal schlagfertig – na gut, eigentlich sehr oft. Aber kein Mensch hat immer sofort eine passende Antwort parat. Und Sie ärgern sich, wenn Ihnen zwei Stunden nach dem Ärger eine witzige Antwort oder Lösung einfällt? Seien Sie doch froh! Ideen, die zu spät kommen, sind trotzdem noch Ideen. Und sie bringen Sie zum Schmunzeln. Also verschwenden Sie Ihre kostbare Zeit nicht damit, sich über die verspätete Idee zu ärgern, sondern seien Sie dankbar und ein bisschen demütig, dass Ihr kreativer Kopf eine lustige Lösung ausgespuckt hat. Wir im Humorinstitut nennen das verzögerte Schlagfertigkeit (vgl. Ullmann und Hansmeier 2019). Unsere Methode dazu heißt: „Schön, wenn es so gewesen wäre!“ Und die geht folgendermaßen: Sicherlich haben Sie sich letzte Woche über etwas geärgert. Eventuell waren Sie nicht schlagfertig oder gelassen humorvoll, obwohl Sie es gern gewesen wären. Erzählen Sie dieses Ereignis in Ihrem Freundes- und Bekanntenkreis ab jetzt einfach mit lustigem Ausgang (den Sie sich im Nachhinein ausgedacht haben). Nicht die ärgerliche Real-Variante, über die Sie sich zum 500. Mal aufregen.

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Dann machen Sie eine kurze Pause. Und fügen schelmisch hinzu: „Es wäre schön, wenn es so gewesen wäre.“ Ich verspreche Ihnen, dass das mit großer Sicherheit einen Lacher gibt. Es ist ein Vergnügen für Ihren Kopf, sich zumindest vorzustellen, Sie wären schlagfertig gewesen. Damit bringen Sie zuallererst sich selbst zum Lachen. Das wiederum ist sehr wohltuend für Ihre Gesundheit und Ihre Psychohygiene. Und mit einem guten Training verkürzen Sie dann schnell die Zeit zwischen ärgerlichem Ereignis und schlagfertiger, humorvoller Antwort. Humor, der verspätet einsetzt, ist und bleibt trotzdem noch Humor (vgl. Ullmann und Hansmeier 2019). Wir werden alle als Humorprofis geboren. Im Laufe des Lebens entwickeln wir diese Fähigkeit weiter und manchmal geht sie auch verloren. Jeder Mensch hat einen persönlichen Humorfingerabdruck. Humor entwickelt sich am besten in einer „sicheren“ Umgebung – also zu Hause oder beim Spielen – und hauptsächlich in Gegenwart anderer Menschen. Worüber konnten Sie als Kind schon immer lachen? Was haben Sie von Ihrer Familie mitbekommen? Manchmal müssen wir Ernsthaftigkeit und Logik in bestimmten Momenten wieder verlernen, um humorvoll zu strahlen. Seien Sie doch mal wieder drei Jahre alt und entdecken die Lust am Paradoxen … Wenn Sie denken, Sie haben keinen Humor, dann irren Sie sich. Hören Sie auf, sich mit Partnern, anderen Führungskräften oder Mitarbeitern zu vergleichen, die extrovertierter, unterhaltsamer oder scheinbar witziger sind als Sie. Es geht hier nicht um andere, sondern um Sie! Versuchen Sie zu formulieren, was Sie unverwechselbar macht, in Ihrer ganz eigenen humorvollen Mischung, die nur Sie haben. Wann sind Sie komisch, humorvoll, entspannt? Fragen Sie Freunde und Familie, wann die Sie lustig, amüsant, komisch und unterhaltsam finden. Und bitten Sie um eine ehrliche Antwort.

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Ich bin überzeugt davon, dass man Humor trainieren kann – und den Glaubenssatz ablegen, dass man Humor hat oder eben nicht. Lassen Sie sich doch von keinem anderen und von außen zuschreiben, dass Sie nicht humorvoll seien. Wie kommt es dann, dass Kinder am liebsten zeichnen, tanzen und singen und ein Großteil der Erwachsenen mit den Glaubensätzen durch den Alltag läuft „Ich kann nicht zeichnen, ich kann nicht kochen, ich habe keinen Humor …“? Das passt nicht zu Ihnen, schon gar nicht als Führungskraft. Wenn jemand meint, er habe für Humor keine Begabung, dann verhindert das, dass man sich ausprobiert. Also lassen Sie sich von mir ermutigen. Denn Humor ist gerade in Ihrer Position so wichtig. Schärfen Sie mit Humor Ihre Fähigkeit, im Arbeitsumfeld zu dienen und gleichzeitig ein Platzhirsch zu sein. Humor macht uns handlungsfähig. Humor stärkt. Humor ist Freiheit: Freiheit im Denken, Freiheit im Wachsen. Im Humor erblickt man die Persönlichkeit des Gegenübers. Mein geschätzter Rhetorikkollege Michael Ehlers berichtete jüngst von folgender Vorstellung einer Führungskraft: „Ich bin der Geist, der stets verneint! Und das mit Recht; denn alles, was entsteht, Ist wert, dass es zugrunde geht; Drum besser wär’s, dass nichts entstünde. So ist denn alles, was Ihr Sünde, Zerstörung, kurz das Böse nennt, Mein eigentliches Element. Ja, liebe Mitarbeitende – ich wollte mich mal vorstellen: Mein Name ist Erwin Kröger und ich bin der neue Controller in diesem Unternehmen.“

Dieser überraschende Einstieg produzierte einen ordentlichen Lacher bei der Vorstellung dieser Führungskraft im Unternehmen. Dass in den Betrieben die Controller nicht gerade zum beliebtesten Personenkreis zählen, ist keine

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Seltenheit. Der Job bringt es oft mit sich, dass unliebsame Mitteilungen gemacht werden müssen. Gerade in schwierigen Berufen ist es vorteilhaft, wenn die Menschen einen guten Zugang zum Thema Humor haben. So wie dieser Controller, der sich kurzerhand selbst auf die Schippe nahm und damit sein Publikum erhöhte. Ein derart „erhebender“ Humor kann der Schlüssel zu einem guten und vertrauensbildenden Umgang miteinander sein. Auch wenn Sie zu den Humor-Skeptikern gehören, möchte ich Ihnen Mut machen, Ihren Humor etwas genauer anzuschauen. Begeben Sie sich in die Lage, den eigenen Humor und den Humor der Menschen in Ihrem Umfeld zu klassifizieren, besser zu verstehen und Humor vielschichtiger und kontextbezogen einzusetzen. Als Führungskraft tragen Sie die Verantwortung für die Kommunikation in Ihrem Umfeld selbst – Humor kann Ihnen dabei als hilfreiches Mittel dienen. Mit einem Schuss Humor geht’s einfach besser: Der richtige, also auf- oder abwertende, Humor an der passenden Stelle unterstützt Sie dabei, so manche unangenehme, stressige, knifflige oder brisante Situation zu meistern.

1.5 Der humorvolle Fingerabdruck eines Unternehmens Sie spielte in einigen der James-Bond-Filme die Rolle der „M“ und war schon als Königin Victoria und als Königin Elisabeth I. zu sehen: die erfolgreiche und mehrfach ausgezeichnete Schauspielerin Judi Dench. Ihr verdanken wir folgendes Zitat: „Das Wichtigste ist, seinen Job sehr ernst zu nehmen. Nicht aber sich selbst.“ Möglicherweise hatte eine hochqualifizierte pfiffige Frau aus der Bezirksdirektion einer namhaften Geschenkeartikel-Kette genau dieses Zitat im Hinterkopf (sicher wissen wir es natürlich nicht), als es zu dieser Situation kam: Unterwegs

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auf einer Führungskräfteveranstaltung stand sie mit in einer Runde, beim Smalltalk ging es wieder einmal um das Thema Autos. Um sich einzubringen, äußerte sie den eigentlich humorvoll gemeinten Satz: „Ich kauf mir ein Auto, dessen Hintern so breit ist wie mein Arsch.“ Was sie erntete, waren nicht nur verdutzte Gesichter, sie beschwor auch völlig entgeisterte Gemüter herauf – unter anderem bei einem der anwesenden Vorstandsvorsitzenden. Eine Woche später gab es ein Gespräch mit ihrer Chefin … Was in einem Unternehmen an Humor zugelassen wird und was nicht, hängt mit dem humorvollen Fingerabdruck zusammen. Wie erlaubt ist Humor in Ihrer Firmenkultur? Klar ist: dort, wo Humor zugelassen wird, bedeutet das gleichermaßen Kontrollverlust – denn wo er sich seine Wege sucht und welche Formen er annimmt, ist nicht zu sagen. Von intelligent über bodenständig bis zum dreckigen Ausreißer kann alles dabei sein. Falls Humor strikt untersagt wird (das braucht keinen Rahmenvertrag, sondern ist an den Gesichtern und der Körpersprache der Führungskräfte dann entsprechend abzulesen), sucht er sich eben seine anderen Kanäle – er passiert hinter dem Rücken des CEO, hinter vorgehaltener Hand, hinter verschlossenen Türen oder in der WhatsApp-Gruppe der Abteilung. Zu meinen Kunden gehören immer wieder mittelständische Unternehmen, die einiges vorzuweisen haben: 800 Mitarbeiter, die ausgeglichen sind, und Führungskräfte mit einer hohen Fürsorge, was insgesamt zu einer hohen Zufriedenheit im Betrieb führt. Was ihnen fehlt, ist mehr Humor. Oder ich begleite Teams im Konzern strategisch bei ihrer Erarbeitung von Werten – ein zentraler Wert ist dann häufig Humor. Humor lässt sich üben, man kann ihn im Laufe des Lebens verlieren, man sollte ihn pflegen, damit er erhalten bleibt – insofern handelt es sich weniger um eine in Stein

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gemeißelte Eigenschaft, sondern eher um eine, die geprägt und entwickelt wird, die also durchaus veränderbar und zu beeinflussen ist. Das gilt gleichermaßen für ein und in einem Unternehmen. Ein wichtiges Beispiel für den humorvollen Fingerabdruck eines Unternehmens ist die Berliner Stadtreinigung (BSR). Ihr ist es gelungen, mithilfe einer witzigen Marketingkampagne eine hohe Identifikation zu schaffen. Mehr dazu können Sie übrigens im Kapitel Humor im Marketing (siehe Abschn. 2.13) nachlesen. Die BSR-Mitarbeiter sind stolz, dazu zu gehören, die Berliner Bevölkerung und die Bewohner gehen respektvoller mit dem Personal der BSR um, die Touristen erfreuen sich an den spritzigen Sprüchen auf Müllfahrzeugen, Mülltonnen und Plakatwänden. Der Betrieb hat weder Fachkräftenoch Nachwuchsmangel – und das in einer Branche, die vielerorts noch immer als schmuddelig abgestempelt wird. Die Zahlen und Analysen sprechen für sich, wenn es um Krankheitstage oder Fachkräfte geht, dann besteht bei der BSR kein Mangel. Die Mannschaft fühlt sich wohl in der Firma – das hängt sowohl mit diversen unternehmerischen Aspekten zusammen als auch damit, dass die Menschen gesehen und gehört werden, dass gegenüber den Mitarbeitern ein respektvoller Umgang herrscht, dass Gehälter pünktlich gezahlt werden. Und einen großen Anteil hat eben zusätzlich auch noch der Humor. Dabei war dieser erst mal nur als Marketing-Kampagne nach außen geplant. Und plötzlich motivierte die Kampagne auch nach innen. Die Führung der BSR hat sich mit offenen Augen umgeschaut und damit Probleme gelöst, die andere Unternehmen noch nicht gelöst haben. Der Betrieb hat sich gewissermaßen neue Schuhe gekauft – und darin laufen alle schon lange sehr gut. Auf einem spannenden Weg sind auch die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Ihre Werbung ist mal aggressiv,

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mal liebevoll, in jedem Fall humorvoller geworden. Mehr darüber erfahren Sie ebenfalls im Kapitel Humor im Marketing (siehe Abschn. 2.14). Das Unternehmen steht zwar erst am Anfang, doch der Humor verändert schon jetzt das Image. Aus Perspektive der Personalabteilung gelten die Aktionen mitunter als gefährlicher Humor. Doch es zeigt sich, dass sich zunehmend Leute hier bewerben, weil sie die Werbung cool finden – bis sie dann tatsächlich den Betrieb auch so einstufen, wird es wohl noch etwas dauern. Wichtig erscheint mir dabei folgende Randbemerkung: Wenn ein Unternehmen Humor im Recruiting eingesetzt hat und sich Leute aufgrund des humorvollen Marketings bewerben, dann produziert das eine gewisse Erwartungshaltung: der Bewerber geht davon aus, dass der Betrieb genauso humorvoll ist wie seine Werbung. Doch die BVG ist ein unternehmerischer Koloss mit 13.000 Angestellten. An vielen Stellen ist der Betrieb noch verstaubt, der Humor bildet sich noch nicht durchgängig ab. Sobald sich herausstellt, dass zwischen der Werbung und der Realität noch keine absolute Deckungsgleichheit herrscht, verlassen neue Mitarbeiter das Unternehmen eben auch schnell wieder – oder steigen erst gar nicht ein. Insofern lässt sich sagen, dass auch diese Firma sich neue Schuhe gekauft hat – nun muss sie noch üben, darin zu laufen. So ist das eben mit dem Humor. Mein Appell: Wenn Sie sich für ein humorvolles Marketing entscheiden, dann hat das immer auch Auswirkungen auf das gesamte Unternehmen. Diesen humorvollen Fingerabdruck sollten Sie daher bitte bereits im Vorfeld zu Ende denken und sich der Konsequenzen bewusst werden. Dass der humorvolle Fingerabdruck eines Unternehmens eben einige Vorteile und zugleich auch Verantwortung mit sich bringt, zeigt das Beispiel vom Klinikum Dortmund: Wie lässt sich Interesse für den

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Berufsfreiwilligendienst generieren? Diese Frage stellte sich die Einrichtung und fand eine überraschend humorvolle Antwort. In Anlehnung an den ­ Volvo-Werbespot „Epic Split“ mit Action-Legende Jean-Claude Van Damme, bei dem er einen Spagat zwischen zwei fahrenden Trucks absolviert, wurde kurzerhand das Setting auf zwei nebeneinander geschobene Klinikbetten übertragen. Eine Krankenschwester aus dem Klinikum Dortmund wagte den Stunt – verbunden mit der Botschaft, sich für den Berufsfreiwilligendienst bewerben zu können (vgl. Klinikum Dortmund 2017). Dafür räumte das Klinikum nicht nur einen Preis nach dem anderen ab, sondern erhielt auch 20% mehr Bewerbungen. Die sehr wertschätzende Kampagne spiegelt einen Sozialen Humor wider – und die Personalabteilung wurde sich spätestens dann bewusst darüber, dass so etwas sehr wohl Einfluss hat auf das Image und entsprechend in der Realität aufgefangen werden muss, als auf Facebook erste kritische Kommentare auftauchten mit Inhalten wie „Behandelt ihr auch Leute oder macht ihr nur lustige Videos?“ Dann gilt es, die Verantwortung für den Humor zu übernehmen – und einen guten Umgang damit zu finden. Darf man das machen bei einem Produkt wie Gesundheit? Wenn Sie als Leitung der Unternehmenskommunikation Einfühlungsvermögen besitzen, dann ja. Es ist natürlich nicht alles witzig und vor allem unterstützt nicht jede Form von Humor Ihre Marke als Klinikum. Dortmund war das erste Krankenhaus, das mutiger und ungewöhnlicher in den Kampagnen war. Lesen Sie die hochinteressante Unterhaltung mit Marc Raschke, dem Leiter der Unternehmenskommunikation des Klinikums Dortmund, darüber, welcher Humor funktioniert und welche besonderen Anforderungen an die Markenkommunikation eine Klinik hat.

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„Bei allem Spaß, den man miteinander hat: er darf nie auf Kosten anderer gehen.“ – Interview mit Marc Raschke, Leiter der Unternehmenskommunikation am Uniklinikum Dortmund.

Eva Ullmann Schon lange folge ich dir medial, habe dich auch schon live und real getroffen – du existierst also wirklich! Schön, dass du heute Zeit für das Thema Humor hast. Marc Raschke Ja, gerne. Eva Ullmann Wie groß ist deine Abteilung? Wie groß ist das Klinikum insgesamt? Marc Raschke Eigentlich hat meine Abteilung 4.100 Mitarbeiter, denn das ist auch die Mitarbeiterzahl des Klinikums. Ursprünglich hatte ich gedacht: Mache mal alle zu Öffentlichkeitsarbeitern. Im Idealfall ist das ja auch so. Mein reales Team ist recht klein, wir sind zu fünft. Zum Glück konnte ich mir die Abteilung Stück für Stück aufbauen. Mittlerweile sind wir ein eingeschworenes Team. Das passt perfekt. Eva Ullmann 2013 ging es dem Klinikum nicht besonders gut und du hattest kein großes Team. Der Vorteil damals war, dass du alles machen durftest, aber zunächst kein Geld hattest.

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Marc Raschke Ja, das stimmt. Das ist wie in der Jugend: Man hat tausend Ideen, aber kein Geld, sie umzusetzen. So ähnlich war das. Damals stand das Haus mit dem Rücken zur Wand und ich wollte etwas unternehmen. Wie bewegt man Menschen? Über Emotionen, über Gefühle. Die Leute emotional mitzunehmen, auch über den Humor, das klappt ganz gut. Man braucht eben „nur“ eine gute Idee. Wenn sie dann da ist, dann zieht’s. So war es auch bei uns. Eva Ullmann Du bist für deine Mitarbeiter verantwortlich und nutzt Humor oft in deinen Kampagnen. Was bedeutet denn Humor für dich? Marc Raschke Humor ist für mich ein Schmiermittel, mit dem ich Dinge besser transportieren kann. Im Humor stecken auch Emotionen. Und die sind der Hebel, mit dem man menschliches Verhalten verändern kann. Deshalb ist es für mich eine Basistugend, Humor in den Alltag zu integrieren. Eva Ullmann Du hast einen unglaublich tollen Film gemacht, für den ihr mittlerweile viele Preise bekommen habt: Epic Split. Angelehnt an den bekannten Volvo-Spot macht eine Mitarbeiterin zwischen zwei Klinikbetten langsam Spagat. Warum habt ihr diesen Film gemacht? Marc Raschke Vor einigen Jahren habe ich diese Werbung mit Jean-Claude Van Damme gesehen, bei der er auf den Außenspiegeln zweier Lkw stand. Die sind dann ausgeschert, sodass er einen Spagat zwischen den Fahrzeugen machte. Das hat damals auf YouTube 85 Mio. Klicks bekommen. Ich fand das eine geniale Idee. Mir fiel nur kein Ansatz ein, wie man das Konzept auf den Klinik-Kontext übertragen könnte. Dann sagte die

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Personalabteilung, dass wir Bufdis suchen, also Leute für den Bundesfreiwilligendienst, so etwas wie die ehemaligen Zivildienstleistenden. Da dachte ich mir: Was ist deren Aufgabe? Vor allem müssen sie Betten schieben – und zwar so präzise, wie es sonst eine Volvo-Lenkung schafft. Dann war recht schnell klar, dass wir das nicht mit Volvos machen, sondern mit Betten. Über unseren Instagram-Account wusste ich, dass wir eine Krankenschwester im Haus haben, die Spagat kann. Sie hatte mal ein Bild gepostet, wie sie im Spagat einen Weihnachtsbaum schmückt. Übrigens ist der Instagram-Account des Klinikums Dortmund der reichweitenstärkste Instagram-Account eines Krankenhauses in Deutschland. Ich fragte sie also: „Könntest du dir vorstellen, zwischen zwei fahrenden Krankenhausbetten Spagat zu machen?“ Komischerweise hat sie sofort zugesagt. Damals wusste man schon: Der Raschke ist ein bisschen anders, der stellt auch mal solche Anfragen. Wir haben es vier, fünf Mal probiert und mit ganz einfachen Mitteln und mit einer Handykamera gedreht. Wir hatten nichts großartig aufgebaut oder perfekt ausgeleuchtet. Und nach einigen Versuchen hat es dann auch geklappt. Wenn es schief gegangen wäre, dann wäre 300 m weiter die Notaufnahme gewesen. Also es ging erstaunlich gut. Daraus haben wir dann eine kleine Pressemitteilung gemacht und das Filmchen auf YouTube gestellt. Und am nächsten Tag hatten wir den Fernsehsender Sat1 im Haus. Sie berichteten darüber NRW-weit. Man kann sich vorstellen, dass am Tag danach das Thema Bufdi bei uns kein Thema mehr war – denn wir hatten plötzlich ein Überangebot an Bewerbungen. Eva Ullmann Der Film ist viral gegangen. Seitdem wir uns kennen, habe ich ihn auch schon häufig in meinen Vorträgen gezeigt. Damit möchte ich andere Kliniken

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ermutigen. Denn häufig ist das Totschlagargument von Kliniken oder sozialen Institutionen: „Dafür haben wir kein Budget.“ Dann zeige ich gerne euren Film und erkläre: „Die Idee muss tatsächlich sehr gut sein. Da muss man erstmal draufkommen. Aber man muss kein großes Budget haben.“ Die Controller fragen mich dann immer, was die Prozentzahl war. Kannst du dich noch erinnern, wie viele Bewerbungen ihr bekommen habt? Marc Raschke Da das schon sieben oder acht Jahre her ist, weiß ich es ehrlich gesagt nicht mehr so genau. Aber es waren auf jeden Fall mehr als genug. Natürlich konnte es nicht gesteuert werden. Deshalb sind Controller auch meine natürlichen Fressfeinde. Eva Ullmann Meine auch. Marc Raschke Sorry an alle Controller, die das lesen. Mein Chef, der CEO hier im Krankenhaus, sagt immer: „Krankenhaus ist zu mindestens 50 Prozent Psychologie.“ Und das ist leider nur sehr schwer oder mit sehr hohem Aufwand messbar. Aber wir können auch einfach weitermachen – denn wir merken, dass es in die richtige Richtung geht. Wenn wir sehen, dass es auf eine Berichterstattung eine entsprechende Resonanz gibt, dann haben wir unseren Auftrag erfüllt. Wie viele es nun im Einzelfall waren, mag vielleicht Controller interessieren. Aber den Unternehmer interessiert, was passiert ist, dass das Problem gelöst wurde und dass es weitergeht. Eva Ullmann Das heißt, ihr hattet auf jeden Fall Bewerbungen und konntet euer Bufdi-Problem lösen? Marc Raschke Genau. Das Schöne ist: Der einmalige Aufwand, den wir bei diesem Video hatten, kann dauer-

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haft genutzt werden. Es kann von mir aus auch jeder gegenrechnen, was aufwändige Imagevideos mit Licht und Schauspielern sonst kosten. Oder man macht ein Handyvideo mit einer netten Idee, das dauerhaft im Netz bleibt. Mittlerweile haben 40.000 Leute den Clip auf YouTube gesehen. Ich denke nur noch in dieser Multimedialität: Wenn ich etwas mache, setze ich es selbstverständlich auch in den sozialen Kanälen ein, denn dort habe ich einen dauerhaften Effekt. Eva Ullmann Bei diesem Film war das Ziel ­Personal-Recruiting und nicht unbedingt Marketing für die Klinik. Trotzdem hattest du beide Effekte? Marc Raschke Ganz genau. Eva Ullmann So manche Unternehmenskommunikationen, also Abteilungen wie deine, können inzwischen mit Marketingagenturen mithalten. Früher hieß es: Drehbuch schreiben, filmen, das Hochglanzprodukt vermarkten – so etwas können nur die Profis in den Agenturen. Ich finde es spannend, dass sich gerade eine Konkurrenz entwickelt, weil auch Unternehmen und Institutionen so etwas „quick and dirty“ hinbekommen. Hat man eine gute Idee, funktioniert die eben auch, wenn sie schrottig gefilmt umgesetzt wird. Euer Film hatte ja trotzdem einen guten Drive … Marc Raschke Dieses Schrottige finde ich auch okay, weil es authentisch ist. Es ist eben nicht auf Hochglanz gestriegelt. Gleichzeitig bin ich aber skeptisch, wenn alle plötzlich behaupten: „Ach komm, das können wir auch!“ Manchmal bedarf es doch etwas mehr Gehirnschmalz. Denn es gibt nichts Schlimmeres, als wenn Inhalte dabei rauskommen, für die man sich fremdschämen muss,

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bei denen man denkt: „Oh, das ist schon ein bisschen peinlich …“. Die Idee ist das Maßgebliche. Das nennt man jetzt neumodisch Storytelling. Geschichten haben wir uns eigentlich immer schon erzählt, schon in der Steinzeit, abends am Lagerfeuer. Da hat jeder über das Mammut geredet, das er erlegt hat. Auch im Mittelalter gab es Geschichtenerzähler, nämlich Bänkelsänger, die von Dorf zu Dorf zogen. Das ist in uns drin. Unser Hirn funktioniert so. Professionell Geschichten zu erzählen und dann dafür zu sorgen, dass sie authentisch wirken – das ist die eigentliche Kunst. Ungeachtet der Tatsache, dass mittlerweile jeder sein kleines Filmchen drehen kann, kommt es halt doch auf das Drehbuch an. Eva Ullmann Ich habe auch mit Leitern und Leiterinnen der Unternehmenskommunikation von anderen Kliniken zu tun. Die Kollegen haben euch auf dem Schirm, sind an der einen oder anderen Stelle auch neidisch. Ich frage jetzt nicht: „Woher kommen die guten Ideen?“ Das ist Betriebsgeheimnis, logisch. Aber: Welchen Tipp hast du für andere Kliniken oder für Leiter der Unternehmenskommunikation, die nicht so viele humorvolle Ideen haben wie ihr? Wie macht Ihr euch auf die Suche nach Ideen? Marc Raschke Wir haben leider auch keine Maschine in der Ecke stehen, die Ideen ausspuckt. Wir müssen uns auch immer wieder neu auf die Suche danach machen. Aber grundsätzlich kann man sagen: Schaut in benachbarten Branchen, nicht in der eigenen. Macht euch erstmal locker. In manchen Häusern gibt es diese Steifheit und diesen Dünkel: „Der Patient kommt ohnehin zu uns, wir sind immerhin Uniklinik X oder Kreiskrankenhaus Y.“ Diese Zeiten sind einfach vorbei. Viele Kollegen aus Unikliniken sagen, sie könnten sich im Leben nicht vorstellen,

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so zu kommunizieren wie wir. Dann sage ich: „Okay, das ist euer Standpunkt.“ Ich glaube aber, dass in Häusern mit 5.000 bis 7.000 Mitarbeitern ein gewisses Potenzial an Humor und an ungewöhnlichen Menschen steckt. Denn das werde ich auch immer gefragt: „Wie schaffen Sie es denn, die Leute dazu zu bewegen?“ Das ist der erste große Fehler: Ich muss ja nicht gleich alle bewegen. Bei 4.100 Mitarbeitern gibt es immer Leute, die keinen Bock haben. Aber mit den drei bis zehn Prozent, die solchen Dingen tendenziell offen gegenüberstehen, ist schon viel gewonnen. Wenn die dann erfolgreich sind und plötzlich eine Dynamik daraus entsteht, dann werden die anderen auch wach und sagen: „Das ist ja spannend! Wusste ich gar nicht.“ Bei den Videos, die wir zum Beispiel für TikTok drehen, gibt es mittlerweile Wartelisten von Mitarbeitern, die mitwirken möchten. Eva Ullmann Eine Humorexpertin würde sagen: Ihr arbeitet mit Inkongruenzen, also die Mitarbeiterin im Spagat auf zwei Klinikbetten oder die herausragende Kampagne, die Desinfektionsmittel wie ein Parfüm anpreist. Das ging auch durch die Presse. Ihr bringt Dinge zusammen, die eigentlich nicht zusammengehören. Was mir dabei besonders auffällt: Ihr macht einen sehr wohlwollenden, wertschätzenden Humor, ähnlich wie die Berliner Stadtreinigung. Die Mitarbeiter werden nicht durch den Kakao gezogen. Ihr macht etwas Ungewöhnliches für die Klinik, lasst aber Menschen gut dastehen. Ein Erfolgskriterium für euch als Klinik ist, dass ihr mit einem sehr sozialen Humor arbeitet, oder wie siehst du das? Marc Raschke Absolut. Das ist mir auch sehr wichtig. Humor im Krankenhaus ist eben eine etwas andere Sache. Bei der BVG schauen alle neidisch hin und wir kichern

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auch immer, wenn wir uns anschauen, was sie machen. Aber vom Tonfall und vom Wording her könnte ich mir das überhaupt nicht in einem Krankenhaus vorstellen. Unser Kapital als Krankenhaus ist Vertrauen. Die Leute müssen wissen, dass wir weder die Patienten noch die Mitarbeiter vorführen. Das gilt nicht nur beim Personalmarketing, sondern auch bei der Öffentlichkeitsarbeit. Wenn wir Dreh-Teams im Haus haben, bin ich immer sehr darauf bedacht, dass wir nichts zur Schau stellen und niemanden vorführen. Denn das kann sehr schnell nach hinten losgehen. Ich kenne auch viele Krankenhäuser, die damit kein Problem haben und beispielsweise ein ­Dreh-Team in die Notaufnahme holen. Dabei werden zwar die Gesichter verschwommen gezeigt, aber die Gespräche, die man dort mit Patienten führt, werden eins zu eins wiedergegeben. Das würde bei mir nie im Leben passieren. Bei allem Spaß, den man miteinander hat: er darf nie auf Kosten anderer gehen. Eva Ullmann Damit schützt du die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Wenn man Humor so einsetzt, spricht sich das rum. Das ist auch ansteckend. Wenn ich Videos oder Kampagnen von euch sehe, habe ich Lust mitzumachen, weil es Spaß macht, ich aber nicht vorgeführt werde. Wenn ich weiß, du schützt mich als Verantwortlicher für die externe Kommunikation, dann vertraue ich dir nicht nur als Patient, sondern auch als Mitarbeiter … Marc Raschke Und wenn wir einen „vorführen“, dann machen wir das so bewusst, dass er davon weiß. Zum Beispiel betrifft das unseren Dr. Alexander Risse, den Leiter des Diabetes-Zentrums. Mittlerweile wird schon gefragt, ob wir ihn gecastet haben. Dann antworte ich: „Nein, der arbeitet bei uns. Er macht das freiwillig.“ Er ist ja mittlerweile sogar auf einem Baustellenschild bei uns abgebildet

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mit einem Testimonial. Er heißt eben Risse und dann kann man schön sagen: „Dieses Krankenhaus hat Risse und bald einen neuen Anbau.“ Er macht das gerne mit. Mittlerweile wird er im Haus schon fast als Maskottchen angesehen. Er kann auch in Dortmund nicht mehr Taxi fahren, ohne gefragt zu werden, ob er nicht derjenige auf dem Plakat sei. Eva Ullmann Apropos Personal-Recruiting: Ich lese meinen Kunden immer die Leviten: Bei 50 Anzeigen im Ärzteblatt blättert man über eine klassische Stellenanzeige einfach drüber und bleibt nicht hängen. Wenn man nicht überrascht oder irritiert, findet man keine MFA und auch keine Pflegekraft. In Zeiten von Fachkräftemangel muss man sich etwas anderes überlegen. Wenn euer Recruiting humorvoll ist, erwarten dann die neuen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen eine Humorkultur in der gesamten Klinik? Marc Raschke In unserem Verhaltenskodex, den wir vor ein paar Jahren aufgestellt haben, steht tatsächlich der Satz: „Humor ist erlaubt, ein Lächeln erwünscht.“ Mitunter im Bereich Patientenorientierung ist das so gewünscht und wird auch vorgelebt. Das steht nicht nur an der Fassade, das wird auch im Haus gelebt. Und nur so kann es klappen. Wenn man auf das Haus draufschreibt „Schau mal, die sind da alle so lustig“ und drinnen wäre es nicht so, dann würden die im Haus sehr wohl sagen: „Wir möchten aber nicht, dass man so für uns wirbt.“ Die Art, die Seele eines Hauses nach außen zu tragen, das ist Profi-Arbeit. Das ist eben nicht das hemdsärmelige „Wir gucken mal.“ Man muss erstmal den Puls fühlen und schauen, was man mit dem Haus machen kann. Ich kann mir vorstellen, dass es in Deutschland einige Häuser gibt, bei denen das extrem schwierig ist. Hier bei uns war es

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eben machbar. Wir haben auch viele andere ungewöhnliche Sachen gemacht. Mittlerweile weiß man im Haus, in welche Richtung das geht, wenn der Raschke anruft und irgendeine Idee hat. Und die Leute sind sofort ganz locker dabei. Doch es muss kongruent zu dem sein, was drinnen passiert. Das gilt ja im Marketing generell: Du kannst für nichts werben, wenn du nicht versprichst, es auch nach innen zu halten. Eva Ullmann Für mich unterscheidet sich humorvolles Personal-Recruiting schon von humorvoller Werbung für ein Produkt. Denn wenn ich „nur“ Produktwerbung mache, dann kauft der Kunde das Produkt und verbindet es mit einem lustigen Spot. Dabei erwarte ich als Kunde nicht, dass derjenige, der mir das Produkt im Laden verkauft oder es mir schickt, auch humorvoll ist. Wenn ihr mit einem ansprechenden, leichten Spot hingegen Recruiting macht, dann hinterfragt man das schon anders. Beim Recruiting muss man noch zwei Schritte weiterdenken. Und da muss die Unternehmenskommunikation mit der Personalabteilung zusammenarbeiten. Euer Epic-Split-Video ist ja nicht nur lustig, es hat auch eine Story. Nach dem lustigen Moment, in dem die Krankenschwester ihren Spagat macht, wird ein Grundsatz eurer Klinik eingeblendet: „Schiebt unsere Patienten nicht, als wären sie rohe Eier. Schiebt sie, weil ihr Respekt vor ihrer (Lebens-) Leistung habt.“ Dazu kommt die dramatische Musik. Aus meiner Sicht stimmt hier das Storytelling. Es ist also ein Gesamtpaket? Marc Raschke Genau. Ich persönlich bin ein sehr schlechter Witzeerzähler. Jeder Witz hat im Prinzip auch eine Geschichte und die muss man erzählen können, damit die Pointe zündet. Ich bin, glaube ich, eher ein

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Geschichtenerzähler und kann Pointen gut in Geschichten präsentieren. Eva Ullmann Euer Weihnachtslied hat mir auch sehr gut gefallen. Du hast dafür sogar mehrere Kliniken bzw. deren Mitarbeiter dazu gebracht, gemeinsam ein Weihnachtslied zu singen. Und ihr habt es dann zusammengeschnitten. Marc Raschke Genau! Halleluja! Eva Ullmann Das war ein Gänsehautmoment. In Zeiten, in denen Kliniken angehalten werden, unternehmerisch in Konkurrenz zueinander zu treten, hat so eine Kommunikation, die verbindet und vereint, etwas sehr Kraftvolles. Das ist doch genau wie beim Humor, der Mut machen und Angst nehmen darf, oder? Marc Raschke Absolut. Bei diesem Projekt durften wir gewisse Musikrechte für „Halleluja“ von Leonard Cohen für vier Wochen nutzen. Wir haben daraus ein lippensynchrones Video gemacht. Das wurde quer durchs Haus gesungen. Jeder konnte mitmachen, weil niemand wirklich singen musste, nur die Lippen bewegen. So konnten auch gesangstalentfreie Menschen mitsingen. Das ging tatsächlich durch die Decke. Das Krankenhaus ist ein sehr emotionaler Ort und den Berufen hier wird generell viel Wertschätzung entgegengebracht – in der konkreten Praxis vielleicht manchmal nicht, da wird auch geschimpft und gemeckert. Aber die Berufe genießen ein hohes Ansehen. Auch da wurden wieder mehrere Dinge in die Öffentlichkeit getragen: einmal ein lustiges Video, dann eine Form von Zusammenarbeit und ein Einblick in unsere Unternehmenskultur. Im Übrigen wird das von Bewerbern stark wertgeschätzt. Es gab letztens eine Studie, bei der die Frage lautete: „Was sind Sie bereit aufzugeben, wenn

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Sie eine neue und interessantere Aufgabe bekommen bzw. mehr Gehalt?“ Die Unternehmenskultur gehörte zu den Dingen, bei denen die Leute am wenigsten bereit waren, sie aufzugeben. In klassischen Stellenanzeigen steht nichts von Unternehmenskultur. Da stehen die vermeintlich harten Fakten: Gehalt, Vergünstigungen usw. Aber das Entscheidende, auf das die Menschen viel Wert legen, ist eben die Unternehmenskultur. Und über solche Projekte kann man diese, finde ich, am besten transportieren. Eva Ullmann Damit kann man auch Menschen anwerben, die für einen Wechsel bereit sind und nach einem neuen Arbeitgeber suchen. In unseren Seminaren sind viele Menschen, die sich eine stimmigere Kultur wünschen und dann einen anderen Job zu den gleichen finanziellen Konditionen annehmen. Sie wollen wechseln, weil die Team-Atmosphäre oder die gesamte Unternehmenskultur nicht passen. Das ist durchaus auch ein Balanceakt, kann ich mir vorstellen: Irgendwann hattest du mal ein TikTok-Video gepostet, das euch viel Spaß gemacht hat. Eine Patientin postete dazu ein Foto von sich im Krankenbett mit der Frage: „Behandelt ihr eigentlich auch oder macht ihr nur Quatsch?“ Das bringt mich zu den Risiken und Gefahren von Humor. Was musst du auf dem Schirm haben, wenn du mit humorvollen Aktionen arbeitest? Marc Raschke Es darf nicht peinlich werden oder albern wirken. Dann kann ich auch verstehen, wenn ein Patient denkt: „Sag mal, habt ihr sie nicht mehr alle?“ Was wir bislang gemacht haben, war witzig, aber meiner Meinung nach nicht wirklich albern. Dabei ist TikTok vielleicht ein besonderer Kanal. Dort werden Dinge gemacht, die man sonst überhaupt nicht macht.

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Eva Ullmann Geht es da wirklich um Content? Marc Raschke Ich finde schon, dass man über TikTok sehr viel vermitteln kann. Einige Videos haben wir so gedreht, dass wir sie auch intern verwenden, um unsere Werte zu vermitteln. Unser Kodex wird durch das eine oder andere TikTok-Video untermalt. Das bleibt bei den Leuten hängen. Sie sagen: „Stimmt, das tanzt ihr auch.“ Mittlerweile haben wir etwa 20 Videos online. Nach außen haben wir das nicht so gelabelt. Aber für uns gibt es fünf Videos, die jeweils für die fünf Oberthemen unseres Kodex stehen. Wenn man auf das Risiko schaut: Ich glaube wirklich, albern darf es nie werden. Es darf nie verletzend werden oder so, dass man jemanden vorführt. Deswegen denke ich auch, dass manche Videos, die man auf TikTok wunderbar posten kann, auf Instagram absolut falsch sind. Dort sollte man sich nicht zum Horst machen. Neulich wollte eine Klinik einen Imagefilm drehen. Sie haben ein paar Making-of-Filme gezeigt, mitunter eine Polonaise von Azubis, die lustig vor einer Kamera hin und her laufen. Ich dachte im Stillen: Eine Polonaise durchs Haus als Imagefilm für Instagram? Da hätte ich schon ein Problem mit. Ich nehme das dem Krankenhaus nicht ab, dass die Azubis dort eine Polonaise machen. Für einen Imagefilm ist es ohnehin schwierig, etwas Unaussprechliches in ein paar Minuten in möglichst krassen Bildern zu posten. Wenn man das dann noch ­Instagram-tauglich machen will – das passte für mich nicht. Man muss darauf achten, dass man den richtigen Kanal findet. Darin steckt ein Risiko. Auf LinkedIn würde man Dinge noch einmal anders darstellen als auf Instagram oder auf Jodel. Kurzum: Es darf nicht peinlich sein, man muss auf den Kanal achten und es darf Menschen nicht vorführen. Einige sagen, man muss jeden Kanal eigens bedienen. Ich glaube, dass die Übergänge teilweise fließend sind, denn

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die Schnittmengen der Zielgruppen sind schon groß. Wer auf Instagram ist, hat beispielsweise auch ein Facebookoder Twitter-Profil. Aber die Tonalität eines Kanals muss zumindest berücksichtigt werden. Wenn wir etwas produzieren, machen wir für möglichst viele Kanäle etwas und passen es noch ein bisschen an. Zum Beispiel ging es bei uns einmal um die Bilder für eine Tetris-Challenge. Dabei lagen Auszubildende mit allem an Kleidung und Tiegelchen und Pröbchen, was sie am Tag anfassen, auf dem Boden, wie bei einem Tetris-Bild. Nun kann man dieses Bild nicht großartig verändern, es wird also sowohl auf Instagram als auch auf Twitter und auf Xing gepostet. Auf LinkedIn ist das damals komischerweise richtig eingeschlagen, mit einer Reichweite von 24.000 Likes. Dann wurde plötzlich in der Fachszene diskutiert, ob das vielleicht eine neue Form für eine Stellenanzeige sei. Durch die Diskussion, die dort entstand, bekam die Aktion dann einen anderen Drive. Eva Ullmann Man muss jeden Kanal pflegen, als hätte man unterschiedliche Hobbys oder als wären es jeweils unterschiedliche Menschen. Man muss dranbleiben und schauen, wie der Kanal und wie welche Kampagne funktioniert. Man muss fragen: „Was passt zu unseren Werten?“ Doch selbst dann kann man die Reaktionen nicht immer berechnen. Während man erwartet, dass es bei Facebook durch die Decke geht, explodiert es an Zuspruch bei LinkedIn – oder umgekehrt. Ist es also ein Glücksfall, ob und wo der Humor wie funktioniert? Marc Raschke Dem, der sagt, er kann das alles berechnen, glaube ich nicht. Gerade bei Social Media ändert sich so viel so schnell. Da kann ich meine Posts noch so sehr optimieren: Wenn sich von heute auf morgen der Algorithmus ändert, hänge ich wieder hinterher. Dieses

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Bauchgefühl, das man sich über viele Jahre Erfahrung antrainieren muss, das sollte man nicht unterdrücken und stattdessen nur noch über klare, logische und vermeintlich sichere Zahlen agieren. Es gibt genug Leute, die behaupten, heute könne man alles nur noch über Zahlen und Big Data machen. Solange mir diese Zahlen nicht sagen, was ich gerne wissen möchte, sagen sie mir nur, dass etwas gemessen wurde. Aber die Interpretation muss ich selbst übernehmen. Also bin ich wieder auf mein Gefühl und auf meine Erfahrung angewiesen. Deswegen nutze ich Zahlen für meine Arbeit eher weniger. Eva Ullmann Ich stelle trotzdem noch eine Zahlenfrage: Wie wirst du gemessen? Marc Raschke In Zentimetern. Eva Ullmann Natürlich, in Zentimetern – sehr gut! Marc Raschke Wir können zwar versuchen, uns die Wirklichkeit urbar zu machen, indem wir alles in ­Excel-Tabellen pressen, aber rein praktisch ist es so, dass wir am Ende uns selbst fragen müssen: „Was hat es uns gebracht?“ Ansonsten arbeiten wir auch viel nach dem Prinzip „Trial and Error“. Denn einerseits verlangen immer alle agiles Projektmanagement, aber wenn es darauf ankommt, wollen sie am liebsten immer nur Erfolg und ständig steigende Zahlen sehen. Das geht nicht. Wenn man sagt, man möchte mehr Versuchskultur in ein Unternehmen bringen, dann muss man auch flexibler sein. Gerade beim Marketing tut es nicht so sehr weh, wenn mal was daneben geht, vor allem bei dem, was wir so machen. Da kann man eben Dinge ausprobieren. Auch bei uns zündet nicht alles. Auch wir haben ein paar Rohrkrepierer, aber daraus lernen wir.

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Eva Ullmann Regelmäßig humorvolle Ideen zu generieren, ist eben gar nicht so einfach. Comedians oder Kabarettisten wissen: Neun von zehn Geschichten landen in der Tonne, die sieht man nie auf der Bühne. Auch ein Humorprofi produziert sehr viel mehr Material, als er letztlich verwendet. Wenn ich mich auf einen Kunden vorbereite, ist das ähnlich: Mal geht es um eine Arzneimittelbehörde, dann um einen Zementhersteller und wann anders um einen Kläranlagenbetreiber. Ich war neulich auf einer Fachtagung für Klärschlamm: Mach da mal keine Scheiß-Witze … Das wird sofort sehr flach. Da suchen wir im Team nach Ideen und anschließend gibt es ein Auswahlverfahren, welche davon letztendlich auf der Bühne landen. Marc Raschke Das leben wir hier auch im Team. Es gibt eine ganze Wand mit Projekten und Ideen, die wir Woche für Woche durchgehen. Dabei rufen wir gewisse Planungsstände ab. Einige Ideen vegetieren seit einem dreiviertel Jahr an der Wand vor sich hin und es passiert nichts. Die stehen dort erstmal und man weiß noch nicht, ob wirklich etwas daraus wird. Aber wenn die Zeit für die Idee kommt, dann klappt es ganz schnell. Eva Ullmann Inwiefern ist für dich Humor in deinem Team Teil des Alltags und Teil der Kommunikation als Führungskraft? Marc Raschke Das ist so wesentlich, dass ich es gar nicht mehr rausdividieren könnte. Humor gehört für mich wirklich dazu. Ein dummer Spruch, eine zotige Bemerkung, irgendetwas Ironisches – das hängt einfach drin, auch weil es einen leichteren Zugang zu Menschen ermöglicht. Ich setze das nicht mehr bewusst ein, das ist in Fleisch und Blut übergegangen.

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Eva Ullmann Inwiefern erlebst du bei den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, dass sie eure Abteilung als humorvoll empfinden, auch wenn sie eingeladen werden, bei Kampagnen mitzumachen? Erlebst du eher Mitarbeiter, die auf euch zu kommen und sagen: „Wir hätten gern mehr von eurem Humor“? Oder gibt es mehr Menschen, die artikulieren: „Hört mal auf damit. Wir sind hier in der Klinik. Hier ist nicht so viel Platz für Humor.“? Wie ist das? Marc Raschke Wer die Rahmenbedingungen im Gesundheits- und speziell im Krankenhausmarkt kennt, der weiß, dass man eigentlich sehr viel mehr Humor bräuchte, als in ein Krankenhaus passt. Denn das, was teilweise in Berlin verhackstückt wird, prägt unseren Arbeitsalltag sehr. Und es wird immer abstruser. Dahingehend kann ich Leute verstehen, die sagen: „Es reicht mir. Ich will nicht auch noch den Kasper machen.“ Die müssen auch nicht mitmachen, es wird keiner dazu gezwungen. Und gleichzeitig sind doch alle ein bisschen stolz darauf, dass dieses Krankenhaus etwas anders ist als Krankenhäuser im Rest der Republik. Dass wir in vielerlei Hinsicht Vorreiter sind, macht die Leute schon stolz. Die, die mitmachen, sind auch mit Leib und Seele dabei. Klar ist auch: nicht jeder hat Talent zum Humor. Bei unserem Weihnachtslied war aber zum Beispiel ein Arzt dabei, der allein durch Bewegungen schon viel Humor ausgelöst hat – er ist ein humorvoller Typ, ohne dass er viel tun muss. Das ist eben Talent. Im Zweifel war ihm das gar nicht so bewusst. Das sind Schätze, die man hebt. In dieser Hinsicht war das Projekt eine Möglichkeit, sich neu zu entfalten. Es gibt auf der einen Seite Leute, die keine Lust haben, weil der Druck immer heftiger wird. Doch es bleiben viele Leute, die Lust haben und durch unsere Projekte erst richtig zu humorvollen Menschen reüssieren.

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Eva Ullmann Du bietest auch die Möglichkeit, sich noch einmal anders mit der Klinik zu identifizieren – über ein Video oder ein musikalisches Projekt zur jeweiligen Expertise. So etwas lernt man ja nicht im Medizinstudium. Eure Abteilung hat auch einen Einfluss auf die Mitarbeiterbindung. Das beschäftigt gerade viele Kliniken, Institutionen und Unternehmen: erstens, wie sie Mitarbeiter finden, aber auch zweitens, wie sie Mitarbeiter binden. Da seid Ihr ein gutes Beispiel, weil eure Kampagnen sehr einladend sind. Ist Humor also für beides gut? Marc Raschke Ich sage immer, es gibt zwei Seiten der Medaille beim Personalmarketing: Es geht nicht nur nach außen, es muss auch nach innen gehen. Nehmen wir beispielsweise unseren Ali: Er hat damals bei der Parfümkampagne mitgemacht, da war er noch Bufdi bei uns. Inzwischen ist er Auszubildender für Gesundheits- und Kinderkrankenpflege. Er wird entsprechend gefeiert, weil er durch diese Kampagne so berühmt geworden ist, dass die Mädels damals in Trauben vor seinen Bildern standen. Er sieht ganz gut aus und hat auch diesen Killerblick drauf, den konnte er in den Kampagnen ganz wunderbar spielen. Das war wirklich ein Gewinn. Dieses Beispiel zeigt im Kleinen, was wir auch in anderen Bereichen durch unsere Arbeit erreichen: Wir hatten jemanden, der als Bufdi zeitlich befristet bei uns war, und es hat ihm so viel Spaß gemacht, dass er jetzt seine Ausbildung bei uns macht. Eva Ullmann Führt das dazu, dass du mit der Personalabteilung zusammensitzt und ihr besprecht, was konkret welche Auswirkungen auf das Personal-Recruiting oder die Mitarbeiterbindung hatte? Oder wissen die von dir, aber ihr trefft euch nicht wöchentlich extra zur Besprechung?

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Marc Raschke Die wissen von mir und man wertschätzt sich an den Stellen, an denen man Berührungspunkte hat. Aber die klassische Personalabteilung war in der Vergangenheit eher verwöhnt, weil es immer ausreichend Bewerbungen gab. Dementsprechend war man dort gar nicht darauf gepolt, dass man sich neue Ideen suchen muss. Man war eher darauf aus, das Ganze zu verwalten. Diesen Punkt decken die Kollegen ab. Wenn es um Neuerungen und Innovation geht, dann sind wir gefragt. Wir laufen quasi parallel. Es ist auch gar nicht so strategisch, wie es nach außen hin scheint. Wenn wir eine Idee haben, setzen wir sie schnell um. Da werden auch nicht 26 Gespräche geführt oder große Meetings mit dem Aufsichtsrat anberaumt, alles das findet zum Glück nicht statt. Das kann nämlich jeglichen Humor schnell im Keim ersticken. Wenn ich etwas für einen Aufsichtsrat, der vielleicht tendenziell weniger Humor versteht, rundlutschen müsste, dann würde es schwierig werden. Deswegen kann ich auch Kollegen verstehen, die irgendwann frustriert sind und sagen: „Hätte ich doch mal so viel Freiheit wie du in Dortmund!“ Das ist sicher auch das Geheimrezept: dass mein Chef mich machen lässt. Ich habe hier wirklich PR-Prokura. Wenn wir morgen – was weiß ich – Schlaganfall pantomimisch tanzen und es ins Netz stellen wollen, dann dürfte ich das tun. Eva Ullmann Die Klinik hat eine heitere Gelassenheit, eine Kultur der Leichtigkeit, bei aller Schwere. Wenn man das noch mehr fördert, weil man merkt, dass man dadurch beim Job auch gut durchhalten kann, dann braucht es dafür auch eine gewisse Freiheit. Wenn alle Rahmenbedingungen genau abgesteckt sind und man immer limitiert ist – von dem Satz, den man sagt, bis hin zur kleinsten Handlung im Alltag – dann entsteht Humor auch schwer.

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Marc Raschke Mein persönlicher Worst Case ist, dass eine Station plötzlich sagt: „Komm, wir machen unseren eigenen Facebook-Kanal und stellen dann lustige ­Pflege-Videos online.“ Und die Salbe oder Creme, mit der gleich die Therapie erfolgen soll, wird dann als Kriegsbemalung ins Gesicht geschmiert. Mit solchen Bildern hätte ich als Krankenhaus eher Schwierigkeiten. Dabei macht man sich schnell zum Horst und zeigt wenig Wertschätzung für den Pflegeberuf. Da kippt es für mich. Das wirkt wieder albern. Das ist ein schmaler Grat. So sehr ich Initiativen schätze – also wenn Menschen sagen, sie hätten Lust, etwas zu machen – möchte ich sie doch bitten, vorher mit denen zu sprechen, die sie dabei ein bisschen leiten. Kommunikationsleute wie ich sollten als Türsteher gesehen werden. Eva Ullmann Im Klinikum Dortmund müssen Sie an Marc Raschke vorbei! Der Humor wird erst durch ihn geprüft. Das ließe sich mit dramatischer Musik untermalen … Marc Raschke Ich habe häufig erlebt, dass die Leute mit Schoten auffahren, bei denen man weiß, dass die Gags maximal die Station interessieren und Außenstehende es einfach nicht verstehen. Sich in Zielgruppen hineinfühlen und wissen, was draußen ankommt – dafür braucht es eben Leute, die eine Art Gatekeeper nach außen sind. Das ist wohlwollend gemeint, nicht im Sinne von „Ich lass‘ euch hier nicht durch“, sondern eher „Ich bewahre euch vor Schlimmerem“. Eva Ullmann Da kommt die Erfahrung des Profis, des Fachmanns ins Spiel. Ich finde es auch beeindruckend, wenn du über eure Werte sagst: „Humor ist erlaubt, ein Lächeln erwünscht.“ Meine Erfahrung bei Unternehmen

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zeigt, dass Humor eine Einladung benötigt. Sobald man Humor beauftragt, sobald ich zu Seminarteilnehmern sage „Ihr werdet jetzt lachen, ich werde dafür sorgen, dass ihr jetzt Spaß habt“, funktioniert Humor nicht. Deswegen finde ich es toll, wenn ein Unternehmen mit 4.000 Mitarbeitern sagt: Humor ist bei uns erlaubt. Wir dürfen ihn machen, wir müssen ihn aber nicht machen. Marc Raschke Genau. Und, das ist absolut wichtig: Lasst bitte Profis ran! Das Interview macht es deutlich, ich will es nochmals klar formulieren: Wenn Sie für Ihr Unternehmen einen humorvollen Fingerabdruck gestalten, dann geht es dabei nicht darum, einen Spaßladen aus Ihrer Firma zu machen. Doch es geht darum, auf Ihr Unternehmen neugierig zu machen und auch intern die Laune deutlich zu heben – vorausgesetzt, der Humor hat auch zwischen Teppichetage und Bürofluren seinen Platz. Mit Humor können Sie eben auch innerhalb der Firma ein Zeichen setzen – gegen die Miesepeter dieser Welt. Denn schlechte Laune ist ansteckend. Und zwar rasant schnell. In jedem Unternehmen gibt es das: Die Mitarbeiter schauen unfreundlich, die üblichen Meckerer verbreiten miese Stimmung. Zack. Keine zehn Minuten später sind auch die anderen schlecht gelaunt. Wie bei einem Schnupfen kann man gegen die ansteckende Laune scheinbar nicht wirklich etwas tun. Die gute Nachricht: Auch Humor ist ansteckend – das weiß jeder. Man ist abends mit Freunden unterwegs. Jemand erzählt eine lustige Geschichte. Daran knüpft sich sofort die nächste an und so schaukelt sich die gute Laune hoch. Am Ende des Abends weiß man nicht mehr, worüber man alles gelacht hat. Man weiß nur, es war zum Brüllen komisch. Nutzen Sie in Ihrem Unternehmen reziproke Effekte und halten Sie Ihre Führungskräfte dazu an, gezielt

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die Stimmung zu managen. Mit etwas Umsicht kann man sich mit Humor sogar vor einer direkten und permanenten Ansteckung mit schlechter Laune schützen. Mit etwas Übung behält man bei Widerständen, Widerspruch oder Anspannung sogar seine Leichtigkeit und Heiterkeit. Humor kann also eine Depotwirkung haben, wie Vitamin-C-Kapseln, die ihre Wirkstoffe erst nach und nach abgeben. Man kann sich der schlechten Stimmung entziehen. Und dann gelingt es sogar, ganze Gruppen, die mäßig bis schlecht gelaunt sind, mit guter Laune anzustecken. Das erscheint besonders sinnvoll, wenn Sie es in Ihrem Betrieb mit Projektgruppen voller Widerstände zu tun haben, wenn Sie Ihrer skeptischen Belegschaft ein bestimmtes Vorgehen nahelegen wollen, oder sogar einen Veränderungsprozess vor sich haben, vor dem sich alle Mitarbeiter fürchten. Dann ist es sogar überlebenswichtig, sich von Ängsten und Stimmungen nicht anstecken zu lassen bzw. selbst die Stimmung beeinflussen zu können. Bestimmte Situationen, die einen im ersten Moment rat- und humorlos werden lassen, lassen sich innerhalb des Unternehmens tatsächlich umdrehen. Wichtig dabei: Meiden Sie nicht nur die Stinkstiefel und Nörgler unter Ihren Mitarbeitern, sondern geben Sie ihnen weder Raum noch Möglichkeit, um sich zu entfalten. Legen Sie Ihr Augenmerk auf die gut gelaunten Menschen, dann verändert sich die Arbeitsatmosphäre zum Positiven. Führungskräfte sind nach unserer Arbeit mit ihren Teams immer wieder erstaunt, wie gut gezielt eingesetzte reziproke Effekte funktionieren. Wenn man sich der Wirkungsweise von reziproken Effekten bewusst ist, kann man nicht mehr so schnell in die Humorfalle der schlechten Laune tappen. Braucht Ihre Firma dringend mehr Leichtigkeit und Humor im Arbeitsalltag? Ob Personalgespräch oder Dienstbesprechung, ob Kontakt mit Behörden oder

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morgendliche Stimmung im Team, ob Kundengespräch oder Meeting der Abteilungsleiter: Geht es in Ihrem Unternehmen allzu langweilig und dröge zu oder ist die Besprechungsatmosphäre sogar negativ? Über Ihren unternehmerischen Fingerabdruck haben Sie die Möglichkeit, die Stimmung zu beeinflussen und die Mitarbeiter zu motivieren und zu mobilisieren. Denn wenn Sie den Raum und den Rahmen schaffen, damit sowohl Ihre Führungskräfte als auch Ihre Mitarbeiter humor-proaktiv werden, haben Sie viel gewonnen. Gläser, die in Meetings umfallen; Menschen, die Sie anrempeln; Beamer, die ausfallen; Widerstände in Besprechungen und unfaire Angriffe. Alles Situationen, in denen einem nichts Spontanes einfällt außer „Du Idiot!“ Versteinerte Mitarbeiter im Meeting oder eine Kundschaft, die heute besonders unverschämt daherkommt? Da geht man meist in die Blockade und wird humorlos. „Jetzt wird es ernst“, ruft das Stammhirn laut. „Kämpfe oder flüchte!“, fordert es einen auf. „Einer von uns muss jetzt leider sterben.“ Und schon werden die kommunikativen Keulen rausgeholt und man spielt gegeneinander statt miteinander. Ich bezeichne das als steinzeitliches Verhalten. Dieses Verhalten haben Menschen Millionen Jahre lang trainiert und es wird sich auch nicht einfach abstellen lassen. Was als Erstes passiert, wenn Sie sich angegriffen fühlen, ist, dass man aufhört zu atmen. In der Arbeit mit Humor beschäftigt mich oft, wie man dieses Verhalten verändern kann, um zu seiner Gelassenheit zurückzufinden. Der erste Schritt ist: weiteratmen! Wenn Sie das geschafft haben, kann auch Ihr Großhirn wieder Luft holen und auf humorvolle Gedanken kommen. Die beklemmende Stille von 30 Kollegen, die keine Lust auf die Präsentation haben und noch etwas unbeholfen im Raum herumsitzen, können Sie durch Kleinigkeiten auflockern: Erzählen Sie beispielsweise eine

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lustige Anekdote vom Wochenende. Fragen Sie gezielt nach angenehmen Erlebnissen. Berichten Sie von einer amüsanten Begebenheit, selbst wenn diese schon einige Zeit zurückliegt. Beginnen Sie bei der Person, die Ihnen am sympathischsten ist. Denn da stimmt auch Ihre Körpersprache und Ihre Lockerheit. Dann machen Sie weiter mit den schwierigeren Mitarbeitern. Die können sich dann manchmal der gelassenen Stimmung nicht entziehen, die sich gerade im Raum ausbreitet. Bleiben Sie selbst in einer hoffnungsvollen Stimmung. Strahlen Sie Zuversicht aus – das wirkt sich auf die gesamte Präsentation aus. Gerade auch während eines Veränderungsprozesses gibt Ihnen das eine hilfreiche Unterstützung. Mit Zuversicht meine ich nicht toxische gute Laune. Ulrich Schnabel beschreibt den ursprünglichen Begriff Zuversicht als „Sicht auf die Zukunft“ (Schnabel 2018). Mit hoffnungsvoller Stimmung meine ich nicht, täglich Karneval in der Dienstbesprechung auszurufen und so zu tun, als gäbe es keine Reibungen bei Veränderungen. Mit hoffnungsvoller Stimmung verknüpfe ich Sinnhaftigkeit. Es macht in meinen Vorträgen und Meetings absolut Sinn, dass mir Menschen zuhören. Ich möchte ihre und meine Zeit sinnvoll nutzen. Ich werde Zeit nicht verschwenden. Vaclav Havel beschreibt Hoffnung in einem sehr bekannt gewordenen Satz: „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.“ (zitiert nach Schnabel 2018) Und ja, in dieser hoffnungsvollen Stimmung lassen sich trockene, aber auch schwierige Themen, Fehler und Krisen besser klären. Egal ob Sie als Unternehmen gerade von einem ausländischen Konzern aufgekauft wurden oder Ihre Führung auf höchster Ebene aktuell wechselt: Die Fähigkeit, mit produktiver Atmosphäre in unsicheren Zeiten anstecken zu können, ist

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eine wichtige Umgehungsstraße, um nicht in die Falle der schlechten Stimmung, der Gerüchteküche und der Verweigerung zu fallen. Drehen Sie an der Humor-Stellschraube, dann werden Sie bemerken: Ihr Alltag besteht aus unzähligen Angeboten. Manche sind angenehm, andere eher nicht. Selbst die ausgebufftesten Profis sind manchmal hilf- und humorlos, wenn ungeplante Dinge dazwischen grätschen. Oft blockieren Menschen unerwartete Fragen, Diskussionen oder Situationen den Workflow. Beginnen Sie damit, Störungen und Widerstände willkommen zu heißen, denn sie sind perfektes Material zur Humorproduktion. Nutzen Sie dabei das Offensichtliche und Naheliegende an einer Situation oder an einer Person. In stressigen Situationen absorbiert Humor die Hitze. Manchmal schützt Humor uns auch vor Katastrophen, etwa wenn man Aufmerksamkeit generiert hat für wichtige Themen wie Vertrieb, Arbeitssicherheit oder wichtige Lerninhalte. Dann schützt Humor vor fehlenden Kunden, Unfällen oder eben auch vor Langeweile. Ein humorvoller Blick auf die Unternehmenskultur bedeutet die methodische Veränderung von Besprechungen, internen Schulungen und Konferenzen. Wenn man nicht mehr dauernd das Gefühl haben will, dass die Mitarbeiter viel sinnlose Zeit in Meetings, Seminaren oder Verkaufsgesprächen absitzen, sollte man anfangen, sich mit humorvollen Methoden auseinanderzusetzen. Um Menschen zum Lachen zu bringen, ist eine gute Portion Selbstironie hilfreich. Das bedeutet, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen, sich selbst auf die Schippe zu nehmen oder sich durch den Kakao zu ziehen. Das gilt für Sie als Führungskraft und das Unternehmen gleichermaßen. Diese hohe Kunst macht total sympathisch. Um dahin zu gelangen, freunden Sie sich mit dem Scheitern an. „Stay happy when you fail!“ So

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hat es Keith Johnstone formuliert, also: „Bleib locker, wenn etwas schief geht oder keiner lacht.“ Es gibt keine Garantie, dass Humor unser Gegenüber zum Lachen bringt. Aber das Risiko lohnt sich. Immer. Und man stirbt nicht, wenn keiner lacht. Oder nur ein bisschen. Momente des Nicht-Lachens gilt es, locker auszuhalten, genau das ist ein wichtiger Schritt zur gezielten Humorproduktion. Bleiben Sie spielerisch. Behalten Sie Ihre Leichtigkeit. Viele Konzerne und große Unternehmen sehen das nicht so: Scham, Perfektion und ­Null-Fehler-Management haben eine höhere Priorität als die Lust am Scheitern. Humor als Erfolgsstrategie ist in vielen Betrieben noch neu. Eine humorvolle Reaktion entsteht dadurch, dass eine Situation eine unvorhergesehene heitere Wendung nimmt. Ob dieser Humor meinem Gegenüber Spaß macht, hängt stark davon ab, ob ich mich in ihn hineinversetzen kann. Empathie, also Einfühlungsvermögen, ist die wichtigste Voraussetzung für eine passende, spontane und humorvolle Reaktion. Gerade von Führungskräften wird doch Empathie verlangt, heute mehr denn je. Und wertschätzendem Humor kann man sich oft nicht entziehen. Er schützt vor Humor-Fouls. Er verändert sofort die Stimmung in einem Gespräch oder in einer Gruppe. Michel Ehlers, den ich als Rhetorikkollegen sehr schätze und den ich bereits erwähnte, hat es einmal folgendermaßen dargestellt: In vielen Unternehmen wurden inzwischen flache Hierarchien eingeführt. Wenn man aus einer autokratischen Kultur kommt, fällt die Umstellung auf die moderne projektorientierte Form der Führung nicht leicht. Gerade ältere Führungskräfte kommen mit der neuen Nähe zu den Mitarbeitenden nicht klar. Allerdings sind es eben auch oft die erfahrenen Führungskräfte, die mit einer humorvollen Note einen Lacher produzieren und gleichzeitig Distanz aufbauen.

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Nachdem ein „Generation Y“-Emporkömmling einen unflätigen und leicht unangemessenen Spruch platziert hatte, reagierte einer dieser erfahrenen Führungskräfte im Konzern mit folgenden Worten: „Wenn ich jemanden mag, duze ich ihn. Ich finde, das sollten Sie wissen.“ Der Lacher der Gruppe war groß und die Führungskraft lächelte milde und klopfte dem jungen Mann auf die Schulter. Die körpersprachliche Aussage, also die väterliche Geste, untermauerte in dem Moment den Führungsanspruch. In diesem Kontext war das eine geschickte Form, um die gewünschte Distanz wiederaufzubauen (vgl. Ehlers 2019).

1.6 Humor in der Krise Gibt es Situationen, in denen man keinen Humor machen darf? Nein! Aber es gibt eine falsche Humordosis in schwierigen Situationen. Humor passt immer, wenn man erkennt, ob es die passende Menge an Humor ist oder eben nicht. Haben auch Sie manchmal Angst davor, Humor gezielt in heiklen oder ernsten Momenten anzuwenden, weil Sie befürchten, dass es künstlich wirkt, nicht ankommt oder Sie jemanden bloßstellen? Das ist ein hilfreiches Warnsystem. Außerdem können Sie die Wahrscheinlichkeit der passenden Humordosis erhöhen, wenn Sie Sozialen Humor in brenzligen Situationen einsetzen. Wenn Sie auf Menschen treffen, die einen wirklich anderen Humorgeschmack haben als Sie selbst, brauchen Sie etwas Ausdauer, um eine gemeinsame ­Humor-Wellenlänge zu finden. Um zu erkennen, ob Humor in einer Situation überhaupt angebracht ist, benötigen Sie Einfühlungsvermögen, also Empathie. Es ist die Fähigkeit zu erkennen, ob Ihr Gegenüber etwas mit Ihrem Humorangebot

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anfangen kann oder nicht. Außerdem – und damit haben wir uns bereits in den vergangenen Kapiteln beschäftigt – ist es hilfreich, gut zwischen Sozialem und Aggressivem Humor differenzieren zu können. In so manch witzige Situation stolpert man als Führungskraft hinein und denkt oft gar nicht darüber nach, auf welche Kosten der Humor gerade geht. So ging es einer Führungskraft in einem ­ Maschinenbau-Unternehmen, er führte die Rekrutierungsgespräche. Vor einem Bewerber, dessen Eltern Lehrer sind, wollte er sich besonders witzig geben und erklärte, dass Lehrer ja kein Beruf, sondern eine Diagnose sei. Grundsätzlich ist so eine Aussage witzig – doch schwierig gegenüber jemandem, der einem fremd ist, den man noch gar nicht kennt, dessen Humorlevel man nicht einschätzen kann. Und selbst, wenn man den Mitarbeiter, der Lehrerkind ist, gut kennt, ist diese Art von Humor nicht immer angebracht. Mitarbeiter sind oft von beschämenden Dauergags genervt. Vor allem in brenzlichen Situationen finden sie diese auch von vertrauten Kollegen und Vorgesetzten nicht mehr witzig. Und diese Form von Humor holt niemanden aus steinzeitlichem Verhalten heraus. Daher ist Sozialer Humor ein guter Einstieg und sehr viel einfacher zu handhaben. Um beim Beispiel zu bleiben: Was tun Sie also, wenn Sie erfahren, dass der potenzielle Mitarbeiter ein Lehrerkind ist? Beginnen Sie im besagten Bewerbergespräch doch mit einem positiv übertriebenen Klischee über Lehrer. Sie könnten anmerken, dass Lehrer ja die einzigen Menschen sind, die berufsbedingt Hoffnung in junge Menschen haben. Damit sind Sie ungefährlicher im Kontakt – völlig irrelevant, ob die Eltern gute Lehrer sind oder nicht. Wenn es Menschen oder dem Unternehmen sehr gut geht, ist fast jede Form von Humor im Unternehmensalltag zu finden – und auch möglich. Doch in stressigen Situationen muss Humor noch deutlicher erkennbar sein

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als sonst. Humor muss in Krisen weniger zynisch sein und das bedeutet, noch weniger „übereinander herziehen“ als in guten Zeiten. Das kann man aktuell bei der Corona-Krise sehr deutlich erleben. Wenn Sie dieses Buch in den Händen halten, werden wir mit der Bewältigung dieser Krise bereits ein Stück weiter sein. Mit Sicherheit können Sie sich noch gut an die seltsame Zeit der Ausgangsbeschränkung erinnern. Sinnvoll, trotzdem eine ungewöhnliche Zeit. Der Humor in dieser Zeit lässt sich als Beispiel für Krisenhumor sehr gut nutzen. Sicher haben Sie auch den einen oder anderen Corona-Witz gesehen. Zum Beispiel den: eine Mutter am Schreibtisch. Darüber steht: Mutti weiß, wie Home-Office geht. Hinter ihr liegen die Kinder geknebelt am Boden. Oder den: Ein Comicbild zeigt einen Sanitäter, der zu einem Notfall kommt: „Gott sei Dank, ein Herzinfarkt. Der Corona-Scheiß geht mir echt auf die Nerven.“ Zu Ostern wurde viele Witze wie „Und wo haben Sie dieses Jahr das Klopapier versteckt?“ gemacht. Und in jedem anderen Jahr wäre der Spruch: „Der Osterhase ist systemrelevant. Natürlich darf der raus!“ nicht witzig gewesen. Eine Krise fördert also bei einer Person, bei einem Unternehmen genau wie in einer Gesellschaft kontextbezogen neuen Humor. Martin Sonneborn, ehemaliger Journalist beim Titanic-Satiremagazin und nun seit vielen Jahren im EU-Parlament, postete: „Habe heute maskierte Männer an der Tankstelle bei einem Überfall gesehen. Vorbildlich.“ In der Krisenzeit wurden auch Firmenlogos verändert: Aus North Face wurde „No Touch Face“. Bei Brandts Zwieback hatte das Kind einen Mundschutz um. Aus VORWERK wurde IM WERK. Fragen wie „Muss sich Farin Urlaub nun zu Inka Rantäne umbenennen?“ kursierten durch das Netz. Zu lesen waren auch weltbewegende Visionen wie „Wenn Kirche und Puff gleichzeitig schließen, dann haben wir echt ein Problem.“

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Eine Krise verändert und beeinflusst den Humor aller Betroffenen. Interessanterweise verändert sich auch bei den Humorprofis in der Krise der Humor. Egal ob bei Jan Böhmermann oder in der heute-show: Humor wird auch bei den aggressiven Humorprofis eindeutiger. Und zeitweise ermutigender. Normalerweise riskiert die ­heute-show auch mal eine Falschinformation, um einen guten Gag über politische Entscheidungen zu machen. Je tiefer wir in die Corona-Krise gerieten, umso mehr achtete auch das Team der heute-show darauf, keine Lügen zu verbreiten und Panik nicht zu verstärken. Das war bei den letzten Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg 2019 noch anders: „Es gab mehr Menschen, die an der Wahl teilnahmen als 2014. Vielleicht waren es ja die letzten, da will man dabei gewesen sein.“ Kein Humor, der Ihre Panik verstärkt? Meine schon … Peter Wittkamp, der Hauptautor der heute-show online, schrieb im März 2020 einen treffenden Artikel über Humor in der Krise (vgl. Wittkamp 2020). Er sagte über Scherze in der Krise: 1. Keine Scherze über erkrankte Menschen oder das Leid der anderen. 2. Trage, auch wenn es nur Scherze sind, nicht zu Panik, Lügen oder Resignation bei. 3. So langsam ist es mal gut mit den Toilettenpapierwitzen. Der Spiegel-Redakteur Christoph Seidler schrieb einen tollen Artikel gegen den Lagerkoller (vgl. Seidler 2020). Unter anderem befragte er auch den kalifornischen Isolationsforscher Jack Stuster. Dieser hat als Berater der US-Weltraumorganisation NASA eine Art Handbuch zum Zusammenleben und -arbeiten auf engstem Raum geschrieben. Dafür nutzte er neben Tagebuchauf-

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zeichnungen, die insgesamt 20 US-Astronauten während ihres Einsatzes auf der Internationalen Raumstation für ihn angefertigt hatten, auch Berichte historischer Polarexpeditionen. Er hebt hervor, dass sich in einer abgeschlossenen Gruppe alles dramatischer abspielt als unter normalen Umständen. Dies in Krisen zu beachten – und damit meine ich nicht nur die ungewöhnliche Situation der Ausgangsbeschränkung zur Corona-Krise 2020 – bedeutet auch, höflicher, respektvoller und sensibler zu sein. Für den Humoreinsatz empfiehlt er den Verzicht auf Zynismus und Sarkasmus. Übereinander herziehen schwächt die Solidarität und die Gemein­ schaft. Auf genau die ist man in Krisenzeiten besonders angewiesen. In Krisenzeiten empfehle ich Führungskräften eher ermutigenden, also Sozialen Humor, als zynischen Humor auf Kosten von Familie oder Kollegen einzusetzen. Wie aber geht ermutigender Humor? Sie erinnern sich an den Sozialen Humor, den wir bereits im Kapitel zu Ihrem persönlichen humorvollen Fingerabdruck reflektiert haben: Humor erlauben und erzeugen, der einfach lustig ist und nicht beschämend. Der Humor muss eindeutig sein und von den Beteiligten verstanden werden. Dann unterstützt er in der Krise. Da Corona nicht die erste Krise war, in der Sie steckten, erlauben Sie sich einen Moment, um an vergangene Krisen zu denken. Für manchen beginnt die Krise ja bereits morgens im Badezimmer bei dem Blick in den Spiegel. Auch manche Führungskraft denkt so etwas wie „Ich kenn dich nicht, aber ich wasch dich trotzdem.“ Wenn es Ihnen gut geht, dann ist das eine völlig akzeptable Form von Aggressivem Humor. Sie nehmen sich morgens als Erstes selbst auf die Schippe – und das ist eine Kunst für sich. Wenn Sie jedoch in einer härteren Krise stecken, das kann eine Trennung sein, eine Phase mit Abteilungs-

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problemen oder eine Unternehmenskrise, dann ist eine Portion liebevoller Humor bereits zu Tagesbeginn hilfreich, um durch die schwierige Zeit zu kommen. Das gilt auch und erst recht für Sie als Führungskraft. Nehmen Sie den Spiegel ab, schreiben Sie an die Wand „Du siehst gut aus“ und wiederholen Sie diese Form von Humor ein paar Mal täglich. Das hilft tatsächlich durch eine persönliche oder unternehmerische Krise. Holen Sie sich Humor-Unterstützung, wenn Ihr Humor flöten geht. ­ Jeden verschütteten Humor kann man wieder ausgraben. Möglicherweise denken Sie jetzt auch an eine Wirtschaftskrise wie 2009 oder eine gesellschaftliche Krise wie nach dem Anschlag 9/11. Welcher Mensch und welcher Humor haben Ihnen über die schwierige persönliche oder unternehmerische Zeit geholfen? Kurz nach der Geburt meines Sohnes stand ich mit ihm vor dem Kreissaal, um mich für die hervorragende Begleitung der Hebammen und Ärzte zu bedanken. Der Kleine weinte. Ein älterer Herr kam vorbei und sagte lächelnd: „Was, wollen Sie das schon umtauschen?“ Ich musste laut lachen. Der Humor tut mir in einer erschöpften Zeit sehr gut. Der Karikaturist meta bene alias Robin Thiesmeyer zeichnet zwei brennende Kerzen. Sagt die eine: „Das Ausgehverbot macht mich fertig.“ In Zeiten eigener Humorlosigkeit tun uns Mitmenschen gut, die einen einfach zum Lachen bringen. In Zeiten einer Krise tun Sie als Führungskraft Ihrem Team oder Ihrem Unternehmen gut, wenn Sie „einfach“ Sozialen Humor machen. Zugegeben: so einfach ist es nicht immer, weil schnell Sarkasmus und Zynismus überwiegen. Ich als Führungskraft mache Humor in Krisen nicht, weil ich die Krise toll finde, mich darüber lustig machen möchte oder in ihr sofort immer eine Chance sehe. In erster Linie mache ich Humor in schwierigen Zeiten, um diese zu ertragen, durchzu-

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halten und nicht wahnsinnig zu werden. Ermutigender Humor lässt uns auch problematische Zeiten und heikle Situationen durchhalten. Und wir müssen und dürfen uns gegenseitig in schwierigen Zeiten damit anstecken. Der Spiegel-Autor Christoph Seidler, durch den ich die Isolationsforschung überhaupt erst entdeckt habe, empfiehlt Pinguin-Bilder und Pinguin-Filme. Man bekommt selten schlechte Laune, wenn man Pinguine kurz anschaut, schreibt er (vgl. Seidler 2020). „Ein bisschen Club-Feeling hat man schon, wenn man vor dm in der Schlange steht und der Türsteher einem zunickt, wenn man reindarf.“ Das ist ungefährlicher bzw. ermutigender Humor. Menschen empfinden es einfach als lustig. Es nimmt Menschen die Angst, eine Krise umdeuten zu können. Humor ersetzt nicht die Anforderungen an Sie als Führungskraft, in einer Krise Schaden vom Unternehmen abzuwenden. Humor ergänzt Ihre Krisenkommunikation. Ermutigender Humor unterbricht bei Ihren Mitarbeitern Sorgenspiralen. Hoffnungsvoller Humor verhindert Panik und Hysterie, er unterbricht Negativschleifen. Für manchen Mitarbeiter ist eine von Ihnen gezielt geführte Veränderung erst eine totale Krise und dann eine willkommene Veränderung. Eine gut begleitete Krise führt im besten Fall zu einem Change-Prozess, im besonderen Fall sogar zu einer Transformation. Wie ich schon erwähnte, beschreibt Ulrich Schnabel den Begriff Zuversicht in seiner Ursprungsbedeutung als „Sicht auf die Zukunft“ (vgl. Schnabel 2018). Sie dürfen als Führungskraft in Krisenzeiten zuversichtlichen und hoffnungsvollen Humor machen. Das wird Mitarbeitende und Kunden leichter entspannen und Sie können die Veränderung besser kommunizieren. Damit meine ich keinen schädlichen Optimismus oder gar die abgedroschene Floskel „Es wird alles gut.“ Moderate Optimisten und

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Pessimisten im Unternehmen sind hilfreiche Teamplayer. Ermutigender Humor bedeutet für mich die Erlaubnis, die Perspektive auch in scheinbar sinnlosen Momenten wechseln zu dürfen, um Sinn in der Krise bzw. in der Veränderung zu entdecken. Wenn Mitarbeitern sinnvoll erscheint, dass das Unternehmen sich verändert, dann folgen sie auch einem Veränderungsprozess. Viktor Frankl war als jüdischer Arzt selber im Konzentrationslager und verlor dort seine gesamte Familie. Er überlebte als einziger und lebte noch ein beeindruckend schaffensreiches Leben. In seinem Buch „… trotzdem Ja zum Leben sagen“ beschreibt er die Erlaubnis zu würdevollen Perspektivwechseln, die er sich trotz aller widrigen Umstände gab. Er traf sich bis zuletzt mit anderen, um Witze zu erzählen und um nicht wahnsinnig zu werden. Für ihn war der Humor eine Bewältigungsstrategie, die auch dazu diente, nach der Befreiung nicht in Traumata und Depression zu verfallen. Hoffnungsvoller Humor erlaubt, Sinn in jeder Krise zu finden, auch wenn sie sinnlos erscheint. Und natürlich haben Menschen auch Hoffnung, selbst wenn das Leben zu Ende geht. In den Fokus rückt dabei nicht die wenig hilfreiche Hoffnung, nicht sterben zu müssen. Stattdessen bekommen Menschen kurz vor ihrem Lebensende Hoffnung auf Begleitung in den letzten Stunden, auf familiären Schutz, auf wenig Schmerzen. Für jeden Menschen, also auch für den Mitarbeiter eines Unternehmens, ist gerade in Krisen das Gefühl des Gebrauchtwerdens und des Eingebundenseins so wichtig. Humor ist ein hilfreiches Instrument, um Sinn zu stiften – vorausgesetzt, man stellt es geschickt an. Sinn kann man nicht beauftragen und nicht befehlen. Als Führungskraft können Sie in Ihrem Team in Krisenzeiten nur sinnvolle Arbeit ermöglichen und Sinn stiften. Ganz klar: Sie moderieren und managen auch außerhalb der Krisenzeiten Mitarbeitende in geeigneten Aufgaben und Positionen.

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Und im Bestfall suchen auch Mitarbeitende selber nach sinnvollen Beschäftigungen. Menschen in der heutigen Zeit leiden jedoch mehr denn je darunter, nicht gebraucht zu werden. Zwar muss eine mangelnde Hingabe zu einer Aufgabe bei Menschen nicht gleich in eine psychische Erkrankung führen. Doch nach Viktor Frankls Meinung ist positive Sinnorientierung immer ein Mittel von Heilung und somit auch eine Hilfe aus der Krise. Ein extremes Beispiel dafür zeigt die Arbeit des Journalisten und Dokumentarfilmers Sebastian Junger (vgl. Schnabel 2018): Er begleitete viele Jahre Soldaten in Krisengebieten und hat sich auf Verhalten in Extremsituationen spezialisiert. Junger polarisierte durch seine These, dass viele Soldaten nach Kriegen ein Trauma haben, weil sie anschließend wieder in eine Gesellschaft eintreten, die sie weder braucht noch der sie sich zugehörig fühlen. Viele Soldaten erlebten trotz Kriegsbelastungen in ihren „Platoons“ ein extremes Zusammengehörigkeitsgefühl. Was sie taten, machte Sinn. Diesen Sinn erlebten sie in der Gesellschaft vorher und hinterher nicht wieder und das machte sie krank. Die wichtigsten Erkenntnisse in Jungers Arbeit: Für Menschen ist es wichtig, gebraucht zu werden, einer sinnvollen Tätigkeit nachzugehen und in ein Team bzw. ein Unternehmen eingebunden zu sein. Gerade in Krisenzeiten kann das Stiften von sinnvollen, helfenden Tätigkeiten demnach ein wichtiger Schritt aus der Krise sein. Humor in Krisen erfordert also mehr als sonst die Fähigkeit, Selbstwirksamkeit und Zugehörigkeit zu fördern und hervorzuheben. Humor kann genutzt werden, um von Klagen wie „Warum passiert das gerade mir?“ wegzuführen und den Blick zu richten auf Fragestellungen, die eher lauten „Wie können wir uns in der Krise helfen?“ oder „Was kann ich beitragen, um die Situation zu verbessern?“

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Der Blick auf den Team-Spirit ist ebenfalls nochmal relevant: Humor kann in einer Gruppe einen Menschen ausschließen. Das haben Sie selbst sicher schon einmal erlebt, wenn in einem Restaurant am Nachbartisch laut gelacht wird und Sie sich kurz fragen, ob Sie gemeint sind. Humor kann im Gegensatz dazu jedoch auch Solidarität und Zusammenhalt fördern. Erlauben und unterstützen Sie daher besonders während Krisen in Ihrem Team und in Ihrem Unternehmen immer wieder humorvolle Pausen, humorvolle Perspektiven und Lachen. Das können und müssen Sie als Führungskraft dosieren, manchmal verstärken oder reduzieren. Sie finden in diesem Buch viele Beispiele und besonders im Technikkapitel detaillierte Auseinandersetzungen mit jenem Humor, der Solidarität und Zusammenhalt fördert. Selbstverständlich können und müssen Sie als Führungskraft auch Humor einsetzen, der einer Person Grenzen aufzeigt, und Humor genau dann unterlassen, wenn eine Gruppe ihre Arbeitsfähigkeit verliert. Je schlechter die äußere Lage, umso mehr rücken Menschen zusammen. Interessanterweise neigen in Krisenzeiten weniger Menschen zu Depressionen. Absurd, oder? Je mehr eine Gemeinschaft bzw. ein Team das Gefühl hat, sinnvolle Arbeit zu tun und sich gegenseitig in Krisenzeiten helfen zu können, umso weniger ist der einzelne Mensch mit sich selbst beschäftigt und kümmert sich stattdessen vermehrt um Kollegen, die Krise und deren Bewältigung. Bedeutet das im Umkehrschluss, dass in jeder Organisation hin und wieder mal eine Krise herbeizuführen ist, um die Menschen zusammenzubringen? Lassen sich Krisen also bewusst nutzen? Oder erreicht man hier schnell die Grenzen von Manipulation und gezielter Einflussnahme? Da sind Sie nicht die erste Führungskraft mit der Idee – und auch mit den dazugehörigen Bedenken. Jede Kommunikationstechnik können Sie

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manipulativ anwenden, also gegen den Willen eines Mitarbeiters, um etwas Bestimmtes zu erreichen. Doch wie bei allem stellen sich die Fragen, welcher Zweck die Mittel heiligt und ob Sie am Ende damit etwas Positives bezwecken – oder es nur dem eigenen Vorteil gereicht. Auf jeden Fall holt eine Portion Humor die Menschen auch bei sehr starken Veränderungsprozessen aus der Schockstarre (vgl. Ullmann 2020). Ermutigender Humor fördert in Krisenzeiten die Widerstandsfähigkeit der Mitarbeiter. Die Fähigkeit, Krisen und belastende Lebensereignisse zu managen, nennt sich Resilienz, also Widerstandskraft – und genau die kann Humor fördern. Resilienz zu generieren und zu fördern, heißt übrigens nicht, dass man nur auf das Positive schaut. So wenig wie „hoffnungsvolle Führung“ bedeutet, dass man ständig „Alles wird gut!“ herum posaunt. Ressourcenorientierung ist nicht gleich Resilienz. Ressourcenorientierung heißt, sich am Guten und Schönen, also an Lösungen zu orientieren. Eine resiliente Führungskraft blickt jedoch nicht immer und ausschließlich auf die Lösungen. Sie nimmt sich Zeit für einen Blick auf die Krise – und der darf durchaus humorvoll sein, um das Desaster erträglich zu machen. Resiliente Führungskräfte und Mitarbeitende sind nicht unverwundbar. Sie kehren nicht unversehrt zurück in den früheren Zustand vor der Krise. Manchmal gibt es nicht mal eine Lösung, sondern man muss lernen, mit unbeantworteten Fragen zu leben. Resilienz bedeutet, gegen ungünstige Bedingungen erfolgreich anzugehen (vgl. Welter-Enderlein 2010). Nichts anderes macht resilienter Humor. Eine Umdeutung, absichtliches Missverstehen und Übertreibungen sind allesamt gute Gefährten in schwierigen Zeiten. Mit diesen Techniken werden wir uns in diesem Buch systematisch beschäftigen. Diese Tools

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werden Ihnen nach dieser Lektüre auch in Krisen als kommunikatives Werkzeug zur Verfügung stehen. Das Deutsche Institut für Humor hat übrigens im März 2020 – als aufgrund von Corona die Ausgangsbeschränkungen eingeführt wurden – einen Krisenkalender erarbeitet. Denn wir sind der Meinung, dass zwei Minuten lachen am Tag bereits Sorgenschleifen und Sorgenspiralen unterbrechen. Der Kalender steht weiterhin zur Verfügung. Hinter allerlei virtuellen Türchen verbergen sich hier humorvolle Videos mit spaßigen Anekdoten, wertvollen Hinweisen und so manchem Impuls zum Schmunzeln.

Literatur Cordes, C. (2019). Mut zur Improvisation: Ungewöhnliche Tools für Beratung und Coaching. München: Knoll & Patze Verlag. Ehlers, M. (2019). Nachwort. In E. Ullmann & K. Hansmeier (Hrsg.), Humor: Das Manifest für verzögerte Schlagfertigkeit. Leipzig: Deutsches Institut für Humor. Klinikum Dortmund (2017). Epic Split: Krankenschwester macht Spagat für BufDis, 2017. https://www.youtube.com/ watch?v=toUfHsT7SBU. Zugegriffen: 09. Apr. 2020. Kuiper, N. A., & Martin, R. A. (1993). Coping humour, stress, and cognitive appraisals. Canadian Journal of Behavioural Science, 25(1), 81–96. Martin, R. A. (2003). Individual differences in uses of humor and their relation to psychological well-being: Development of the humor styles, questionnaire. Journal of Research in Personality, 37(1), 48–75.

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Martin, R. A. (2007). The psychology of humor: An integrative approach. Burlington, San Diego, London: Elsevier Academic Press. McGraw, P., & Joel, W. (2015). The humor code: A global search for what makes things funny. New York City: Simon & Schuster. Passmann, S. (2018). Hannah Gadsby: Kein Witz. ZEITmagazin Nr.  31/2018 (25.07.2018). https://www. zeit.de/zeit-magazin/2018/31/hannah-gadsby-comedyprogramm-netflix-lob-sophie-passmann. Zugegriffen: 09. Apr. 2020. Presber, R. (o.J.). https://gutezitate.com/zitat/197198. Zugegriffen: 01. Juli 2020. Pundt, A., & Venz, L. (2016). Personal need for structure as a boundary condition for humor in leadership. Journal of Organizational Behavior. www.humorinstitut.de/media/ZPundt-und-Venz-Strukturbed%C3%BCrfnis-und-Humorin-der-F%C3%BChrung.pdf. Zugegriffen: 09. Apr. 2020. Scheel, T., Gerdenitsch, C., & Korunka, C. (2016). Humor at work: Validation of the short work-related Humor Styles Questionnaire (swHSQ). Humor: International Journal of Humor Research 29(3), 439–465. Schnabel, U. (2018). Zuversicht: Die Kraft der inneren Freiheit und warum sie heute wichtiger ist denn je. München: Blessing. Seidler, C. (2020). So vermeiden Sie den Lagerkoller. Spiegel Online (24.03.2020). https://www.spiegel.de/ wissenschaft/mensch/coronakrise-tipps-von-weltraumund-polarforschern-fuer-die-isolation-a-af21aebf-54d44d0b-a5b8-ee74c7cffdbc. Zugegriffen: 09. Apr. 2020. Ullmann, E., & Hansmeier, K. (Hrsg.). (2019). Humor: Das Manifest für verzögerte Schlagfertigkeit. Leipzig: Deutsches Institut für Humor. Ullmann, E. (2020). „Täglich eine Portion Humor hilft uns aus der Schockstarre“, Leipziger Volkszeitung Online 16.04.2020. https://www.lvz.de/Leipzig/Lokales/Expertinraet-Taeglich-eine-Portion-Humor-hilft-aus-der-Schockstarre. Zugegriffen: 29. Apr. 2020.

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Welter-Enderlein, R., & Bruno, H. (2010). Resilienz – Gedeihen trotz widriger Umstände. Heidelberg: Carl-Auer. Wittkamp, P. (2020). Kommt kein Mann in eine Bar: Scherze in der Corona-Krise. Übermedien (24.03.2020). https:// uebermedien.de/47596/kommt-kein-mann-in-eine-barscherze-in-der-corona-krise. Zugegriffen: 09. Apr. 2020. Zillmann, D. (1983). Disparagement humor. In P. E. Paul & J. H. Goldstein (Hrsg.), Handbook of Humor Research (Bd. 1, S. 85–107). New York: Springer.

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Inhaltsverzeichnis

2.1 Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 2.2 Interview mit Klaus-Peter Hansen, Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Sachsen – Bundesagentur für Arbeit . . . . . . . . . . . . 85 2.3 Humor in der Präsentation: die Humorverpackung. 107 2.4 Interview mit René Borbonus, Spezialist für berufliche Kommunikation, Präsentation und Rhetorik. 119 2.5 Humor im Vertrieb und in der Verhandlung: Messer und Löffel unterscheiden. . . . . . . . . . . . . . . 141 2.6 Interview mit Katja Müller, Vertriebsdirektorin der Sparkassen-Versicherung Sachsen . . . . . . . . . . . . . . 158 2.7 Humor im Konflikt: eindeutiger Humor. . . . . . . . . 178 2.8 Interview mit Sören Hammermüller, Regionalleiter Süd-Ost bei der Deutschen Fachpflege und Geschäftsführer des Heimbeatmungsservices Brambring Jaschke GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 E. Ullmann, Humor ist Chefsache, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30095-1_2

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2.9

Humor in Change- und Transformationsprozessen: Angst begleiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 2.10 Interview mit Reza Razavi, Change- und Transformationsberater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 2.11 Humor im Personalwesen: Mitarbeiter finden, binden und qualifizieren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 2.12 Interview mit Anke Haferkamp, Referentin für Vertriebsführung und -coaching an der Sparkassenakademie Bayern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 2.13 Humor im Marketing: von Rohrkrepierern bis Viralhumor. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 2.14 Im Interview: Frank Büch, Head of Marketing der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). . . . . . . . . . . . . . . 268 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285

Zusammenfassung  In diesem Kapitel lesen Sie •  wie Ihnen eine 250.000-fache Steigerung der Aufmerksamkeit Ihres Publikums gelingt. •  wie Sie in den für Sie wichtigen Situationen in konkrete humorvolle Handlungen kommen. •  wie Sie in den verschiedenen betrieblichen Alltagsmomenten mit Humor arbeiten. • welche Methoden Sie als Führungskraft dabei schnell und wirksam unterstützen können. •  wie Sie mit Humor den verschiedensten Anforderungen gerecht werden – ob auf der Bühne, beim Kunden oder im Konflikt. • dass man Humor als Handwerkszeug trainieren und lernen kann. •  warum rhetorisches Handwerkszeug durch Humor nicht ersetzt wird und wieso Humor ein rhetorisches

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Stilmittel ist – neben vielen anderen Bausteinen, die man als Redner in Vorträgen benötigt. •  wie Sie leichter mit unerwarteten Situationen, Störungen und Widerständen praktisch umgehen. •  wie provokatives, überraschendes und einladendes Marketing aussieht. • zahlreiche praktische Beispiele von Experten im Interview.

2.1 Einführung Es ist ein ganz normaler Arbeitstag, es könnte ein Dienstag sein oder ein Mittwoch. An der Bushaltestelle in der Innenstadt steigen zehn Personen in den Bus – an der nächsten Haltestelle steigen elf Leute aus. Je nachdem, welchen Experten man dazu nun befragt, erhält man unterschiedliche Aussagen: „Die Fahrgäste haben sich vermehrt“, sagt der Biologe. „Zehn Prozent Messtoleranz müssen drin sein“, sagt der Physiker. „Wenn jetzt einer einsteigt, dann ist der Bus leer“, sagt der Mathematiker. Auch Sie sind Experte für etwas – und das ist gut so. Sie bringen Ihre fachliche Expertise ein, wenn es um Antworten geht, Sie haben spezifisches Know-how zur Verfügung, das Sie bereitstellen können. Doch Führung bedeutet noch etwas mehr: Es geht darum, Verantwortung zu übernehmen, Bedürfnisse zwischen Geschäftsführung oder dem Vorstand und den Mitarbeitern zu balancieren, kleine und große Entscheidungen zu treffen. Darüber hinaus beeinflusst Ihre Expertise jedoch in jedem Fall Ihren Humor. Womit Sie sich den ganzen Tag befassen, was an Einflüssen auf Sie einströmt und auch das, was Sie beeinflussen, prägt und färbt Ihren Humor – das ist zum einen die Expertise und der Fachblick, zum anderen,

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wie Sie eine bestimmte Branche und Ihre Rolle in der Führung betrachten. Das schauen wir uns in diesem Buchteil etwas genauer an. Relevant ist dabei nicht der eigene Perspektivwechsel wie beispielsweise im Stau oder im Supermarkt. Vielmehr geht es darum, das Tagesgeschäft zu managen. Wir beschäftigen uns hier mit den typischen Problemen und Business-Herausforderungen einer Führungskraft: Mitarbeiterführung, Besprechungen, Präsentationen, Vertrieb, Marketing, Konflikt und Beschwerdemanagement genau wie Transformationen im Unternehmen. Dabei interessiert mich die passende Mischung aus Ernsthaftigkeit und Humor. Lassen Sie sich vom Humor zu humorvolleren Auftritten, bei der Deeskalation von betrieblichen Themen und bei der Innovation neuer Produkte begleiten. Fragen Sie sich: „Wo wünsche ich mir in meinem Führungsalltag mehr Humor? An welchen Stellen gehen wir zum Lachen in den Keller – und wann ist es nützlich, das zu ändern?“ Ganz klassisch geht es in Unternehmen um die pfiffigere Präsentation des Abteilungsleiters von aktuellen Daten, um die wöchentlichen Team-Besprechungen, um die Fragestellung, warum die letzte Marketingkampagne nicht genug Aufmerksamkeit generiert hat oder der Vertrieb irgendwie ins Stocken geraten ist. Der Wunsch nach Leichtigkeit oder Humor kann beispielsweise auch aufkommen, wenn wieder drei Mitarbeiter gleichzeitig krank sind und die im Callcenter Ihres Versicherungsunternehmens eingehenden Anrufe alle völlig überlasten. Oder in einer DSGVO-Schulung, in der das Thema wirklich keinen der Anwesenden interessiert. Oder wenn große Veränderungen bevorstehen und keiner sieht, dass die Geschäftsleitung gerade in Sorge ist. Und auch dann wäre etwas Humor hilfreich, wenn die Führungskraft im Mitarbeitergespräch zum gefühlt hundertsten Mal am selben Punkt ankommt und sich

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schon wieder im Kreis dreht oder man einmal mehr feststellen muss, dass das Konfliktgespräch überhaupt nicht zu den gewünschten Erfolgen führt, Maßnahmen im Betrieb nicht greifen oder Effekte schlichtweg ausbleiben. Wenn Führungskräfte Humor einsetzen, dann kann das – unter Beachtung von gewissen Grundlagen – Aufmerksamkeit bringen, was beispielsweise im Marketing der Fall sein sollte. Es kann Sie dabei unterstützen, Produkte und Dienstleistungen zu verkaufen oder Ihnen im Personalwesen beim Recruiting – und auch, um Mitarbeiter anschließend langfristig zu binden – ein wertvolles Hilfsmittel sein. Wichtig ist dabei zu verstehen, dass der Einsatz von Humor unterschiedliche Konsequenzen hat – und es im Unternehmen daher anders zu sehen ist, ob eben im Personalwesen, in der Mitarbeiterführung oder bei den Werbebotschaften der Humor zum Einsatz kommt. Wo setzen Sie was wie ein und mit welcher Konsequenz? Ich gebe Ihnen dazu gerne Inspiration – oder helfen Ihnen auf die Sprünge. Wie nähert man sich einem Menschen, einem Thema oder einer Situation humorvoll und was sind die Unterschiede? In vielen unternehmerischen Situationen kann Humor helfen, entspannter durch den Alltag zu gehen. Ich hoffe sogar inständig, dass Sie nach diesem Buchteil richtig Lust bekommen auf die Herausforderungen und „harten Nüsse“ – um auszuprobieren, wie Sie Humor gezielt nutzen können, um Ihre Ziele zu erreichen. Das kann Ihre nächste Präsentation genauso angehen wie den witzigen Start in Ihr kommendes Vertriebsgespräch. Oder Ihnen so manche Antwort auf die Frage liefern, welche humorvollen Bilder Sie für aktuelle Veränderungs- und Transformationsprozesse benutzen können. Gerade in der Praxis als Führungskraft, ob mit wenigen oder auch mit mehreren tausend Mitarbeitern, Kunden und Geschäftspartnern, gibt es genügend Situationen, in denen es

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lebensnotwendig erscheint, sich mit den Humorformen gut auszukennen – und sie gezielt und nutzenorientiert einzubringen. Damit Ihnen das gelingt, wird Training nötig sein. Denn Humor ist wie ein Muskel (vgl. Ullmann und Hansmeier 2019): Wenn man ihn nicht benutzt, ist er schlaff und hält nichts aus. Wenn man ihn trainiert, wird er definiert und stark. Wenn Sie Ihren Alltag regelmäßig mit Humor würzen, dann stehen Sie gut im Training. Wenn Sie den Humormuskel zu viel benutzen, streikt er. Er kann übersäuern, ist verletzungsanfälliger oder kann krampfen. Zu viel humorvolle Selbstabwertung oder zu aggressiver Humor kann dauerhaft auch ungesund sein und zur Überdosis führen. Gerade als Führungskraft geht es immer darum, das richtige Maß zu finden – und mitunter auch mal etwas loszulassen oder Dinge sein zu lassen. Dann kann Humor ein heilsamer Begleiter werden, der einen Konflikt aus der Welt schafft, die Verhandlungen endlich wieder ins Rollen bringt oder den vertrackten Knoten bei der zähen Suche nach Fachkräften löst. Und noch eines will ich Ihnen gerne mitgeben: Manchmal reicht es, auf das Humorkonto kleine Summen einzuzahlen und sich über kleine Schritte zu freuen. Dann hat man im Krisenfall in jedem Fall etwas zum Abheben, auch wenn es nur eine kleinere Reserve ist. Wer nie in guten Zeiten auf sein Humorkonto einzahlt, darf als Führungskraft nicht erwarten, in schwierigen Gesprächen oder Krisenzeiten davon abheben zu können. Als Chef missfällt Ihnen dieser Gedanke möglicherweise, schließlich sind Sie es gewohnt, große Sprünge zu machen und auf der Überholspur zu fahren. Doch beim Einsatz von Humor ist es hier und da dann doch etwas anders, da kann weniger manchmal durchaus mehr sein. Jemand, der in seiner Grundhaltung ernst und gleichzeitig gelassen Größe zeigt, ist der Vorstand der sächsischen Arbeitsagentur: Lesen Sie

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dazu das Interview mit Klaus Peter Hansen – oder hören Sie sich das gesamte Gespräch gleich im Podcast an.

2.2 Interview mit Klaus-Peter Hansen, Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Sachsen – Bundesagentur für Arbeit „Humor ist nur dann gut, wenn es eine Einladung ist“ 

Eva Ullmann Als wir uns das erste Mal trafen, fand ich Ihren Humor sofort sehr sympathisch, ein liebevoller Humor. Es gibt ja immer etwas, worüber man sich amüsieren oder lachen kann. Können Sie sich an eine Kleinigkeit erinnern, worüber Sie in den letzten Tagen schmunzeln, lächeln, lachen konnten? Klaus-Peter Hansen Eine Sache, die mich schon lange bewegt, ist der moderne Knigge. Wenn man sich an neue Regeln hält, besteht auch immer die Gefahr, dass diese neuen Regeln im Kontext auf einmal falsch funktionieren. Es gibt ja eine neue Staatsregierung in Sachsen. Einen Teil davon kennt man, einen Teil nicht. Mir ist Folgendes passiert: Im neuen Knigge gab es die Regel: Im beruflichen

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Kontext grüßt man nicht die Frau zuerst, sondern immer den Ranghöchsten. Ich bin ein DDR-Kind und da war das ganz tief drinnen: Ich begrüße zuerst die Dame. Das führte dazu, dass ich neu lernen musste, im beruflichen Kontext den Ranghöchsten oder die Ranghöchste zuerst zu grüßen. Dummerweise begegnete ich einer Gruppe von Funktionsträgern, von der mir nur die Männer bekannt waren, und schlussfolgerte daraus irrtümlicherweise, dass ich den Ranghöchsten zuerst grüßen sollte – bis mir nach der Begrüßung des ersten Mannes der zweite Mann sagte: „Wollen Sie nicht erstmal die Frau Ministerin begrüßen?“. Okay, dumm gelaufen. Das Schöne daran war: Als ich erklärte, wie das passieren konnte, war die Situation a) gelöst und b) konnten die Ministerin und ich dadurch ein sehr gutes berufliches Verhältnis aufbauen, weil wir uns immer mit einem Lächeln an diesen Moment erinnern konnten. Das zeigt schon den Zauber und die Möglichkeit, die im Humor steckt: Wenn man am Ende nicht alles auf die Goldwaage legt, sondern das Besondere, auch das Herzliche in einem Moment entdeckt. Das muss man eben auch wollen. Wenn man griesgrämig durchs Leben geht, dann hätte man den Charme in dieser Situation auch vermutlich nicht erkannt und damit eine Chance vertan, Humor als eine positive Energie zu nutzen. Eva Ullmann Man braucht also auch die Aufmerksamkeit und die Achtsamkeit, überhaupt Dinge sehen zu wollen? Oder wenn ein Fauxpas passiert oder ein Fehler, damit auch spielen zu können? Es geht um die Bereitschaft, das zu sehen und daraus etwas zu machen? Da sind wir schon mittendrin in den Vorteilen von Humor. Was würden Sie sagen als Mensch und eben auch als Führungskraft, als jemand der viel Verantwortung für Mitarbeiter übernimmt: Welche Vorteile hat Humor für Ihren Alltag?

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Klaus-Peter Hansen In meiner Rolle als Führungskraft, als Manager, sehe ich das von der biologischen Seite. Ich bin ein Freund davon, sich bewusst zu machen, dass wir in jeder Lebenssituation einen bestimmten Humorspiegel haben. Diesen kann man unter Führungsgesichtspunkten beeinflussen. Das berühmte Glückshormon oder das Bindungshormon oder das Hormon, das uns Mut finden lässt, kann man bewusst ansteuern. Man sollte sich dieses Thema auch bewusst machen. Deshalb ist Humor für mich manchmal auch ein Instrument, um einer Situation eine positive Wendung zu geben. Ich setze das nicht permanent ein, aber ich bin mir dessen, was ich damit erreichen könnte, bewusst. Sonst würde man Gefahr laufen, dass man ein Schauspieler ist – und ich will authentisch sein. Es schadet überhaupt nichts, sich klar zu machen, dass man damit eine Atmosphäre auch aktiv beeinflussen kann … Eva Ullmann Es gibt verschiedene Techniken. Ich arbeite bewusst mal mit einer Übertreibung, mit einer Überraschung oder damit, Dinge extra falsch zu machen … Klaus-Peter Hansen Die Geschichte, die ich Ihnen gerade erzählt habe, mit den zwei Landräten und der Ministerin, die habe ich schon öfter eingesetzt, um eine Situation zu entkrampfen. Man ist Mensch und wird als der auch besser wahrgenommen, wenn man seinen eigenen Kollegen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch zeigt, dass man Fehler macht. Warum fallen wir hin? Damit wir lernen, wieder aufzustehen. Dieser Ansatz ist mir erstens ganz wichtig. Zweitens setze ich Humor oft auch mit technischem Hintergrund ein. Ein Beispiel: Warum lachen wir? Da gibt es den Begriff des psychologischen Schwarzen Loches. Beim Witz funktioniert das ausdrücklich: Wenn Sie es richtig aufbauen, haben Sie dem anderen, dem Sie

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den Witz erzählen, einen Erwartungshorizont organisiert. Humor ist nichts anderes, als ihn mit einem ganz anderen Ergebnis zu überraschen. Das gelingt umso besser, je mehr Sie ihn in die falsche Richtung geführt haben. Manche Menschen können das besser, andere nicht so gut, einige meinen sogar, dass das ein Geschlechterproblem sei. Dem will ich mich jetzt so nicht anschließen. Die Erwartung, die wir aufbauen, endet also im positiven Fall in einem Witz. Diesen Mechanismus gibt es auch in der direkten fachlichen Kommunikation. Das gipfelt beispielsweise in Situationen, in denen ich dann sage: „Wenn Sie enttäuscht sind, liegt das immer an Ihnen selbst.“ Sie können zwar meinen, dass Sie Ihre Erwartungen zu Recht formuliert haben, weil Sie der Chef sind oder die Chefin, weil Sie der Meister oder die Meisterin sind, im Verhältnis zum Lehrling oder Gesellen. Aber am Ende ist, rein psychologisch betrachtet, die Enttäuschung, dass etwas nicht eingetreten ist, dass Sie erwartet haben, eigentlich immer Ihr eigenes Verschulden. Eva Ullmann Sie sagten eben: Wenn Sie eine Geschichte erzählen von einem Fehler, in den Sie hineingestolpert sind, dann macht das Sie sehr sympathisch. Ich erlebe auch hin und wieder Führungskräfte, die Angst vor einem Statusverlust haben, wenn sie Humor nutzen. Sie haben gute Erfahrungen damit gemacht, den eigenen Status einen Moment lang zu verlassen? Sie haben also wenig Angst vor Statusverlust und den Konsequenzen, wenn Sie Humor mit Absicht einsetzen? Klaus-Peter Hansen Im Prinzip ist das eine Haltung, die man entwickeln muss. Ich gehöre zu den Führungskräften, die sich dessen bewusst sind, dass sie temporär eine funktionale Autorität bekommen haben. Mein Amt gibt es, egal ob es mich gibt oder nicht. Mir hat also jemand

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zugetraut, vorübergehend eine Funktion auszuüben, und diese Funktion als solche hat eine Autorität. Ich vergebe mir doch nichts, wenn zu dieser funktionalen Autorität, die ich sowieso habe, noch eine persönliche Autorität oben draufkommt. Dann habe ich ja noch mehr Wirkung, die ich erzielen kann. Ich merke immer wieder, dass humorlose Führungskräfte sich diesen möglichen Verdoppelungsmechanismus nicht bewusst machen und dass sie genau das Gegenteil vermuten, nämlich dass sie die funktionale Autorität schmälern, indem sie auch als Mensch sichtbar werden. Meine Haltung ist: genau das Gegenteil passiert! In der Regel weiß derjenige, der mir gegenübersitzt, dass die funktionale Autorität immer wirkt. Eva Ullmann Sie füllen als Person diese funktionale Autorität mit einer persönlichen Autorität aus. Sie füllen einen hohen Status aus und Sie können auch damit spielen. Führungskräfte, die humorvoll sind, erlebe ich eben in der Fähigkeit, einen hohen Status einnehmen zu können, der Funktion gerecht zu werden und sich trotzdem nichts zu verschenken, weil sie merken, es macht mich sympathisch und nahbar. Jemand lernt mich kennen, jemand folgt mir trotzdem gut. Das verstärkt die funktionale Autorität eher als bei einer Führungskraft, die sagt: „Ich muss immer im hohen Status sein, ich muss immer auch zeigen, dass ich hier der Chef bin oder die Chefin.“ Das schmälert die Autorität eher, oder? Klaus-Peter Hansen Genau. Doch diese Haltung muss man für sich finden, diese Entscheidung muss man für sich erstmal treffen. Wie alles im Leben hat das auch seine Grenzen. Eva Ullmann Ich erlebe tatsächlich auch Führungskräfte, die die funktionale Autorität nicht ausfüllen und bei

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denen Humor dann auch nicht funktioniert, weil sie die Position eben nicht genügend ausfüllen. Wie sehen Sie das? Klaus-Peter Hansen Ich teile diese Meinung. Man kann mit diesem Verhalten nichts kompensieren. Das ist kein Ausgleichsmechanismus. Humor kompensiert keine fehlende funktionale Autorität – wenn, dann kommt er dazu. Eva Ullmann Wie sieht es mit Nachteilen von Humor aus? Humor ist ja privat erst einmal etwas sehr Angenehmes. Ich kenne keinen Menschen, der Humor nicht mag. Aus Ihrer Sicht als Führungskraft: Was sind Gefahren von Humor? Klaus-Peter Hansen Man überschreitet immer dann eine Grenze im negativen Sinne, wenn man Humor zu Lasten eines anderen macht. Es geht gar nicht darum, ob derjenige im Raum ist oder nicht. Dessen muss man sich bewusst sein. Humor zu Lasten anderer Menschen verbietet sich für mich, zumindest im funktionalen Kontext. Privat – sei’s drum. Aber im beruflichen Kontext ziehe ich da ganz klar eine Grenze. Eva Ullmann Ist das etwas, das Sie von Natur aus gut können? Wenn Sie Humor machen, geht der nicht zu Lasten anderer? Oder ist das etwas, das Sie trainieren oder bewusst auslassen müssen? Klaus-Peter Hansen Es braucht Konzentration. Da geht es auch mal mit einem durch. Ich sage nicht, dass mir alles gelingt, was ich sage.

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Eva Ullmann Wenn Sie merken, Ihnen fällt etwas ein auf Kosten von jemand anderem, dann würden Sie es auch mal zurückstellen? Klaus-Peter Hansen Man muss ab und zu mal bis drei zählen. Das hilft auch, wenn man Humor einsetzt. So bleibt Zeit, um sich zu fragen: Passt das jetzt? Eine andere Geschichte ist, wenn Humor nicht das geeignete Mittel ist, um jemanden beispielsweise aus einer Traurigkeit zu holen. Da sind wir beim Thema Bewältigung von traumatischen Erlebnissen. Jetzt einmal fiktiv: Ein Mensch, der gerade ein Gewaltverbrechen erlebt hat, dem wird es nicht besser gehen, wenn man ihn in den Zirkus oder ins Kabarett mitnimmt. Ich glaube nicht, dass so etwas funktioniert. Zum Einsatz dieses Instruments, auch aus psychologischen Gründen, gehört eine Sensitivität: Was kann Humor und was kann Humor nicht? Man muss bereit sein für Humor, auch der andere. Eva Ullmann Als Führungskraft geht es nicht darum, 24 h am Tag Humor zu haben oder zu machen. Humor bewusst einzusetzen, hat für mich überhaupt nichts mit der Häufigkeit zu tun. Es geht gar nicht darum, zehn lustige Geschichten am Tag zu benutzen. Wenn Ihnen als Führungskraft gar nicht nach Humor ist und Sie merken aber, die Situation würde es vertragen: Wie bringen Sie sich in humorvolle Stimmung? Wenn Sie wissen, es wird ein schwieriges Mitarbeitergespräch, ein zähes Gremium, eine Ausschusssitzung – und Sie würden gern Leichtigkeit hineinbringen. Gibt es da etwas, mit dem Sie sich darauf einstimmen? Klaus-Peter Hansen Da gibt es eine Technik, ich nenne das Selbstprogrammierung. Das ist interessant, wenn Sie Memoiren von Schauspielern lesen: Wie gelingt es denen,

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in einer Szene zu weinen? Drücken sie so lange auf den Augapfel, bis dann eine Träne raustropft? Das Geheimnis ist Selbstprogrammierung, das heißt: sie erinnern sich an eine Situation, die für sie selbst emotional war. Das können wir als Mensch, so funktioniert unser Gehirn, dass wir diesen gefühlvollen Moment repetieren können. Das hilft mir mitunter. Eva Ullmann Das heißt, Sie erinnern sich an eine Situation, in der es Ihnen gut ging? Klaus-Peter Hansen Es ist immer ein Versuch. Manchmal gelingt es, manchmal auch nicht, weil man selbst manchmal die Tiefe seiner Emotion verkennt. Aber oft gelingt es mir, dass ich mich noch mal an eine lustige Situation erinnere oder an einen Moment, der entspannt wirkt. Es gibt durchaus Gespräche, bei denen man denkt: „Das wird jetzt schwierig, den kann ich auch nicht leiden.“ In der Regel sagt man sich dann: „Da musst du durch, denk an deine funktionale Rolle.“ Oder: „Der andere hat ja auch eine Funktion. Ihr müsst miteinander.“ Besser allerdings ist etwas wie: „Ich muss ja nicht jeden, mit dem ich zusammen Erfolg haben will, heiraten wollen.“ Da hilft Selbstprogrammierung. Und das mit einem Lächeln zu machen, fällt leichter. Wobei ich ehrlich sage: Je mehr ich mich konzentrieren muss in einer Situation, desto weniger kann ich lächeln. Ein Beispiel: Ich bin ein leidenschaftlicher Tänzer. Wenn man einen Tanz tanzt, der eigentlich Lockerheit, Spaß und Freude vermittelt, beispielsweise ein lateinamerikanischer Tanz, und man lernt den gerade: Versuchen Sie mal, wenn Sie die ersten Samba-Schritte machen, dabei fröhlich auszusehen! Man ist so mit der Technik beschäftigt … Das heißt im Umkehrschluss, dass Routinen, die wir entwickeln, immer auch etwas Gutes sind. Die Übung macht

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den Meister. Sie gibt uns freie Ressourcen, um die Selbstprogrammierung zu verbessern. Eva Ullmann Für mich gibt es quasi keine Situation, in der Humor nicht passt. Doch ich kann mit der Abwesenheit von Humor gut leben, weil sich bestimmte Sachen gut klären lassen. Wenn ich einem Kind, das ich abends ins Bett bringe, sage: „Du gehst jetzt Zähne putzen und ins Bett“ und das Kind macht das, dann brauche ich nicht über Humor nachzudenken. Oder in einer Situation entsteht Humor, obwohl wir ihn gar nicht brauchen. Ich kann mit der Abwesenheit von Humor leben. Und ich glaube, je bedrohlicher die Situation ist – von Existenz über Krankheit bis Lebensende – desto feiner muss der Humor dosiert sein. Bei einem Ministeriumstreffen muss man eben auch feinfühlig sein und überlegen: Was ist der Knigge? Was ist die Etikette? Was sind die Themen auf der Agenda? Und dann muss man ein Händchen dafür haben, welche Dosis Humor dazu passt. Ich glaube, es gibt oft die falsche Dosis für Situationen. Kennen Sie das auch? Klaus-Peter Hansen Die Menge macht das Gift. Aber ansonsten bin ich ein großer Fan von Humor. Es gibt ja bestimmte Eigenheiten, die man als Mensch entwickelt. Wenn meine Frau und ich beispielsweise in eine Anspannung kommen und solche Sätze fallen wie „Mit dir ist das immer dasselbe …“, dann drehen wir die Situation um. Also das, was mir immer wieder passiert, wird dann kommentiert: „Wie konnte denn das sein? Das passiert mir doch sonst nicht!“ Und wenn es meiner Frau einmal passiert, dann sagen wir so etwas wie: „Es ist jedes Mal dasselbe!“ Damit nehmen wir dieser Situation die Spannung. Humor in Beziehungen, nicht nur im Arbeitskontext und abgesehen davon, dass Arbeit ja auch eine Form der Beziehung ist, wird unterschätzt – als Instrument des Miteinanders, des Zusammenbleibens.

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Warum liebt mich meine Frau und warum liebe ich sie? Weil wir zusammen lachen können, und zwar nicht nur beim ersten Mal. Eva Ullmann Und auch nicht nur in entspannten Situationen … Klaus-Peter Hansen Also, natürlich nicht beim ersten Mal … Oh Gott, das war ja fast schon Humor. Eva Ullmann Weil sie beim ersten Mal gelacht hat und dann nie wieder. Deswegen ist sie mit Ihnen zusammengeblieben, ich habe verstanden … Klaus-Peter Hansen Sehen Sie, das war das psychologische Schwarze Loch. Eva Ullmann Wenn alle entspannt sind, ist Humor erst mal leicht. Aber es ist ein anderes Level, Humor noch zu machen, obwohl der andere einem kein humorvolles Angebot gemacht hat und stattdessen die Situation eine Anspannung bietet. Klaus-Peter Hansen Es gibt auch noch eine weitere Fragestellung: Muss man in einer bestimmten Hierarchiestufe sein, um bestimmte Arten von Humor zu machen oder eine bestimmte Art von Witzen zu erzählen? Es heißt ja, die besten Behindertenwitze erfährt man in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Gibt es eine moralische Legitimation, über ein bestimmtes Thema überhaupt Witze zu erzählen? Mir ist das auch beruflich schon passiert, dass Menschen sagen: „Du kannst doch gar nicht die Empathie haben für das Thema Arbeitslosigkeit oder für Menschen, die arbeitslos sind, weil du es nie warst.“ Dann sage ich mit einem Zwinkern im Auge: „Das würde ja bedeuten, es darf keine Frauenärzte geben.“

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Eva Ullmann Ein Arzt muss nicht Krebs haben, um ihn gut heilen zu können. Das ist dann oft mein Vergleich. Klaus-Peter Hansen Es ist eine große gesellschaftliche Frage: Habe ich von der Zugehörigkeit her die moralische Instanz oder kann ich sie bedienen, obwohl ich gar nicht zu einer bestimmten Gruppe zähle? Das ist mitunter auch ein Ritt auf der Rasierklinge. Mitunter verkneife ich es mir dann einfach und hoffe, dass derjenige den Witz erzählt, der ihn erzählen darf. Umso herzlicher kann man dann manchmal lachen. Eva Ullmann Ich unterscheide bei Führungskräften zwischen Humor, der auf Kosten anderer geht, und Humor, der einfach witzig ist. Ich muss gar nicht zu einer Berufsgruppe gehören, um das Thema Beeinträchtigung oder Arbeitslosigkeit von einer anderen Seite zu sehen. Aber ich kann dafür sorgen, dass ich es nicht auf deren Kosten mache, sondern dass es mir einfach gelingt, etwas Witziges zu machen, das eben nicht beschämt. Für mich ist es auch ganz wichtig, dass Führungskräfte verstehen, dass Humor ohne Scham und mit Scham funktioniert. Eine Art Humor ohne Scham zu nutzen, ist zum Beispiel der Einsatz von merkwürdigen Bildern und Vergleichen. Dafür sind auch Sie sehr bekannt. Das habe ich in Ihrem Vortrag schon erlebt und Ihre Mitarbeiter erzählten mir auch, dass Sie gerne Bilder verwenden. Klaus-Peter Hansen Bilder sind eigentlich auch nur ein Instrument, um Menschen einzuladen, ihr Wissensnetz und mein Wissensnetz schnell abzugleichen. Da hängt auch ein psychologischer Effekt dahinter. Wir finden die Menschen sympathisch, die unsere Sprache verwenden, bei denen wir feststellen: Der hat den gleichen Ausdruck, der hat das gleiche Wissensnetz. Da gibt es Parallelen, man

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trifft sich auf seinen Inseln. Jeder von uns sitzt psychologisch betrachtet auf einer Insel – und da baut man entweder Brücken oder man stellt fest: Aha, der sieht das so wie ich, der fühlt das wie ich, der mag dasselbe wie ich – und immer dieses „wie ich, wie ich, wie ich“ findet auch in der Sprache statt. Die Bildersprache hilft gerade bei aller Komplexität, also zum Beispiel bei Fachbegriffen, wenn man nur Chinesisch hört, wie man so schön sagt, über ein Bild relativ schnell eine Verbindung zwischen zwei Menschen herzustellen. Das ist der Vorteil, wenn man Bildersprache verwendet. Das ist eine Chance, das ist wie eine Art Katalysator, wie ein Beschleuniger, wie eine Treibladung, um schneller Konsens mit Menschen herzustellen, indem man durch Bilder eine Parallelität der Empfindungen und der Bilder im Kopf ermöglicht – um so eine Brücke zu schlagen. Eva Ullmann Wenn Sie von Sprachinseln und Humorbrücken sprechen, dann arbeiten Sie da auch schon gezielt mit Bildern. Verwenden Sie so etwas oft? Klaus-Peter Hansen Was wichtig ist: Das Bild muss etwas mit mir zu tun haben. Menschen nehmen Ihnen keine Bilder ab, wenn sie nicht das Gefühl haben, Sie haben mit diesem Bild etwas zu tun. Zu Beginn meiner Amtszeit habe ich das Motto „Sachsen veredeln“ in den Raum gestellt, ich habe auch ein Kugellager für jeden Mitarbeiter produzieren lassen, das hat jeder als Giveaway bekommen. Das habe ich nur deshalb einsetzen können, weil ich als Arbeitskraft vor der Wende Oberflächen veredelt habe, also auch Kugellager. Ich weiß also, wie das geht. So standen meine Chancen gut, dass mir die Menschen dieses Bild abnehmen. Oder ein anderes Beispiel: Ich möchte gern, dass unsere Kollegen und Kolleginnen, die hier arbeiten, stolz sind auf dieses Team, mit dem sie arbeiten.

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Da habe ich versucht, das Bild von Musik und dem Team als Staatsorchester einzusetzen. Musik hat viele Möglichkeiten, viele Facetten, die man bedienen kann. Deswegen haben mir die Kollegen am Ende dann einen Dirigentenstab zum Geburtstag geschenkt. Eva Ullmann Nun sprachen wir schon über das Verhältnis zwischen Chef und Mitarbeitern. Wie verhält es sich mit dem Humor von Führungskräften auf gleicher Ebene oder auch mit Vorgesetzten? Wenn man die Gesamtorganisation Bundesagentur für Arbeit nimmt, den Gesamtkontext, in dem Sie bundesweit stehen: Verändert sich da Ihr Humoreinsatz? Klaus-Peter Hansen Je mehr ich mich im Nebel bewege, was die Reaktionsmuster anderer betrifft, desto vorsichtiger werde ich. Das macht man beim Autofahren ja auch. Ich reduziere die Geschwindigkeit. Das gilt auch für den Humor, wenn ich keine klare Sicht habe. Das ist das Erste. Das Zweite ist: Wenn ich selbst Unterstellter bin – was man wahrscheinlich immer ist, wenn man nicht Papst ist und selbst der hat noch einen Chef –, ist das für mich auch eine Frage von Vertrauen. Je wohler ich mich in einer Situation fühle, je vertrauensvoller für mich die Atmosphäre ist, desto eher erlaube ich mir dann auch, ein Stückchen mehr von mir zu zeigen. Insofern geht es mir manchmal genauso wie jedem anderen Mitarbeiter, wenn ich dann der vermeintlich Höchste im Raum bin. Das gilt für mich als Mensch genauso. Deshalb ist auch dieses Thema ein bisschen abhängig von der Situation und von der Atmosphäre. Aber in meiner Organisation darf ausdrücklich, auch wenn ich beim Vorstand bin, gelacht werden. Zumal ich denke, dass es wieder eine Frage von Haltung, von Kultur, von Organisation ist. Humorvoll, authentisch sein, Emotionen zeigen – das hat auch etwas

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mit der Akzeptanz von Diversity zu tun, also von Vielfalt. Und Vielfalt ist immer ein Quell von positiver Entwicklung. Bei dieser Uniformierung – ich weiß, wovon ich rede, auch als ehemaliger Militärangehöriger – verlieren wir ganz viel Energie, und zwar positive Energie, also die Bereitschaft, etwas anders zu machen, die Bereitschaft, die Dinge mal anders zu betrachten, neue Wege zu entwickeln, auch mal etwas hinter sich zu lassen. Deswegen: Lachen gehört dazu. Auch mal eine gewisse Leichtigkeit in ein schwieriges Thema reinzubringen, braucht es. Das ist für mich vor allem eine Frage von Kultur. Eine Organisation, in der nicht gelacht werden darf, da möchte ich nicht sein. Eva Ullmann Macht es denn aus Ihrer Sicht für Unternehmen Sinn, den Humor beim Recruiting einzusetzen? Klaus-Peter Hansen Wenn ich Humor und Witz im Recruiting einsetze, ist das momentan schick, das kommt leicht, locker, modern, easy rüber. Nur: Man muss diesen Eindruck dann auch bestätigen. Ein Betrieb kann die lustigsten Clips machen: Wenn der Bewerber dann im Recruiting-Prozess vor dem miesgelaunten Personalchef landet und das Erste, was er hautnah mitbekommt, ist die schlechte Laune, die im Team gerade existiert, dann ist der so schnell wieder weg, wie er da war. Es kann zwar ein Beerdigungsinstitut mit lustigen Spots werben, aber das muss dann auch erlebbar sein. Man baut auch da eine Erwartungshaltung auf, die Menschen wollen oder nach der sie suchen: locker, leicht, easy, alle haben sich lieb, es werden alle Probleme durch Humor bewältigt. Man kann ein Bild von sich erzeugen, wie man will. Doch der Mensch, der angesprochen oder erreicht werden soll, wird am Ende nur dann Vertrauen aufbauen, wenn das, was

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gesagt wird, auch gemacht wird – und man das, was man macht, auch sagt. Eva Ullmann Das ist eine größere Herausforderung. Ob beim Recruiting, in der Personalentwicklung oder auch bei der Personalsuche: Immer dann, wenn eine Institution wie Ihre den Humor nutzt, um nach Mitarbeitern zu suchen, ist das ein höheres Anforderungsprofil, als wenn ich einen Kaffee mit einem lustigen Werbespot verkaufe, denn dann kauft jemand einfach den Kaffee. Fertig. Klaus-Peter Hansen Das funktioniert so oder so über Beziehungsstruktur, über Atmosphäre. Und im System selbst, also im Onboarding oder wenn Menschen dann dauerhaft beschäftigt sind, versuchen wir in unserer Institution, mehr über die Realität herauszufinden, also die Mitarbeiter zu fragen: „Wie geht es euch?“ Wir nennen es den Engagement-Index, den wir durch Mitarbeiterbefragungen generieren. Wobei das jetzt nicht nur eine Frage von Atmosphäre und Gefühlslage ist, sondern auch ganz nüchterne Fragen beinhaltet: „Wie kannst du dich einbringen? Wie geht dein Chef mit dir um? Fühlst du dich wertgeschätzt? Fühlst du dich gebraucht und respektiert?“ Es ist ein wichtiges Element, die Leute abzuholen und regelmäßig danach zu fragen. Wo wir besser werden können, ist eine Baustelle, die uns bekannt ist und die wir bereits bearbeiten. Doch es gibt auch blinde Flecken. Wir meinen sehr oft zu wissen, was der Kunde möchte. Viele Unternehmen, die Dienstleistungen erbringen, meinen, das zu wissen. Doch haben wir den Kunden wirklich gefragt, was er von uns will? Ist das die Dienstleistung, die er sich von uns erhofft? Was nützt mir ein tolles WLAN in einem öffentlichen Verkehrsmittel, wenn es dann nie da ist, wenn ich es brauche? Mit Versprechungen und MainstreamMechanismen erzeugt man immer eine Erwartung, die

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man dann auch erfüllen muss. Sonst ist der Zauber schnell vorbei. Letztendlich zeigt sich in der Konditionierung und in der Erfüllung einer Aufgabenstellung, ob man dann wirklich derjenige ist, der locker, flockig, easy sich Leute holt. Eva Ullmann Oder ob es Teil der Kultur im Unternehmen ist … Klaus-Peter Hansen Oder ob es am Ende ein Knochenjob und gar nicht Teil der Firmenkultur ist, also das muss schon passen. Sonst fühlen sich die Menschen schnell manipuliert und das geht ganz schön nach hinten los. Eva Ullmann Wenn ich Unternehmen berate, die Humor im Recruiting einsetzen wollen, dann schaue ich etwas genauer hin: Was ist Teil der Kultur? Wo gehört der Humor da hin? Wie drückt er sich aus und wie findet er sich wieder? Nur so kommt man an den Punkt, nicht einfach mal das zu machen, was eine andere Organisation gemacht hat. Denn das funktioniert nicht so einfach. Klaus-Peter Hansen Ich fand neulich eine Gegebenheit mit einem Paketdienst recht amüsant: Wenn man etwas bestellt, dann sagt ja mancher Dienstleister: „Ich komme dann und dann und wenn du zwei Mal nicht da warst, dann schicke ich das an den Versender zurück.“ Ich sage mir dann: Das ist total lustig, denn ich habe das schon bezahlt. Wie gehen die eigentlich mit meinem Eigentum um? Also habe ich einmal nachgefragt: „Können Sie es irgendwo ablegen, wo ich es mir abholen kann?“ Antwort: „Nein, das können wir nicht. Der Versender hat diese Form des Hinterlegens nicht zugelassen.“ Ich bleibe hartnäckig: „Ich bin doch der Eigentümer dieses Pakets. Wieso entscheidet der, ob ich mir mein Eigentum abholen kann oder nicht?“ Das war die Situation. Man stelle sich jetzt

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vor, der Paketdienst würde ganz lustige Werbung machen: wie locker, leicht und easy man zu seinen Produkten kommt – und dann ist das Erleben auf einmal ein ganz anderes. Man muss immer überlegen, was man suggeriert. Wenn das Erlebte nicht zum Versprochenen passt, dann hat man ganz schnell eine negative Bilanz. Weil sich das heutzutage rasant schnell verbreitet. Übrigens geht mir das als Führungskraft permanent so, das ist mein innerer Prüfstein: ob ich das sage, was ich mache und am Ende auch tatsächlich das mache, was ich sage. Der Mensch beurteilt, ob er einem folgt oder nicht folgt, gar nicht immer nur danach, ob er meine Auffassung teilt, sondern danach, ob ich berechenbar bin in dem, was ich gesagt habe. Menschen folgen, wenn sie wissen: Das wird so kommen, der hat das so gesagt, der macht das so. Eva Ullmann Alexander Pundt hat gerade eine interessante Studie durchgeführt und dabei die Mitarbeiter nach dem Humor ihrer Führungskräfte gefragt. Das Ergebnis zeigt, dass je nach Strukturbedürfnis des Mitarbeiters manche mehr und andere weniger mit dem Humor vom Chef anfangen oder damit umgehen können. Ist es denn so, dass Führungskräfte einfach eine Sekunde länger darüber nachdenken müssen, ob sie Humor einsetzen, als wenn unter Kollegen Humor gemacht wird und man mal so humorvoll mitmischt? Klaus-Peter Hansen Man sagt ja immer: Sieh zu, dass du stärkenorientiert mit deinen Leuten umgehst. Wenn du weißt, dass jemand mit Humor im Kontext seiner Arbeit gar nichts anfangen will und gar nichts anfangen kann, dann macht es auch keinen Sinn, ihn beglücken zu wollen, indem man einen Witz nach dem anderen erzählt. Das ist dann für ihn sozusagen die talentfreie Zone. Die sollte man also meiden. Der gleiche Witz wirkt

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auf mehrere Leute total verschieden. Auch das gilt es dann dosiert einzusetzen. Eva Ullmann Die Sparkasse arbeitet immer wieder mit humorvollen Werbespots. Ich habe das Gefühl, dass Organisationen sich stärker als noch vor zehn Jahren erlauben, mit Humor zu arbeiten, um Aufmerksamkeit zu generieren. Aber bei einer Organisation wie Ihrer muss man auch wissen, welche Erwartung man erzeugt. Es ist etwas anderes, ob ich ein Produkt anbiete oder humorvoll nach Menschen suche. Wie bei der BVG zum Beispiel: Die Berliner Verkehrsbetriebe sind auch seit vier, fünf Jahren sehr humorvoll, da bewerben sich viele junge Leute, weil sie das Unternehmen witzig und cool finden. Jetzt sind aber nicht alle 14.000 Mitarbeiter der BVG witzig und cool. Es ist trotzdem eine öffentliche Institution mit ganz unterschiedlichen Abteilungen, ganz unterschiedlichen Kulturen. Und ich finde, das muss man eben auch beachten, wenn man mit einer humorvollen Form von Werbung arbeitet und mit dieser Form von Recruiting. Wie sehen Sie das? Klaus-Peter Hansen Dieses Monochromatische, das da entsteht, hat mit der Vielfalt der Herausforderungen eines Unternehmens dann meistens auch nichts zu tun. Sie können auch humorvoll beim Zahntechniker werben, aber ich bin mir ganz sicher, dass es auch in dem Beruf Momente gibt, wo einem nicht zum Lachen zumute ist. Dessen muss man sich im Marketing, wenn es um Recruiting-Prozesse geht, auch bewusst sein. Und ich bin mir manchmal nicht sicher, wir neigen ja zu einer Salienz von Technik. Das bedeutet, dass ein bestimmtes, alleiniges Merkmal überstrahlt und überhöht wird, zum Beispiel wenn der Chef ein neues Wort kreiert und ein halbes Jahr später verwenden alle dieses Wort. Einfach ausgedrückt:

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Wenn man das Gefühl hat, das ist gerade schick, das ist gerade der Mainstream, sollte man das in Hinblick auf Salienz eher nochmals überprüfen. Ein Beispiel: Seitdem unser ehemaliger Vorstandsvorsitzender das Wort Volatilität für den Arbeitsmarkt benutzt hat, verwendet das jeder – oder nicht jeder, Gott sei Dank, also ich zum Beispiel nicht. Aber viele andere meinten, es ist jetzt schick. So zeigt sich der Fremdworteffekt. Das ist schon fast wieder Humor, das im Nachgang so zu betrachten … Aber in dem Moment, wo man das bei manchen erlebt, wirkt es einfach nur peinlich. In jeder Sache, je nach Zugang, steckt auch ein Witz. Den muss man sich eben manchmal erschließen. Eva Ullmann Sie meinen, dass der Humor dann manchmal das eigentliche Thema überstrahlt. Klaus-Peter Hansen Genau. Man will nur unbedingt lustig sein, ohne sich die Frage zu stellen: Passt das überhaupt noch? Ein Beerdigungsinstitut kann durchaus mit Humor rekrutieren, nur … Eva Ullmann Die Frage ist wieder, in welcher Dosis. Was ich für gelungen halte, ist die Werbung der Handwerkskammer. In einem Spot beispielsweise zerfällt alles, was handwerklich gemacht wurde, sobald sich die Menschen bewegen. Also der Schreibtisch zerfällt, das Flipchart zerfällt, das Gemälde … Klaus-Peter Hansen Das ist eine super Idee, ich kenne diesen Spot. Ich war gerade in Erfurt, als der gedreht wurde. Zu dem Moment, als er das erste Mal ausgestrahlt wurde, war allerdings das furchtbare Erdbeben in Haiti. Dann saßen wir mit dem Kammerpräsidenten zusammen und fragten uns: „Ist dieser Spot, wenn er jetzt kommt,

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richtig gesetzt? Sollte man die ganze Kampagne nicht noch stoppen?“ Wenn man nämlich gerade die Bilder von Haiti sieht, wo Tausende von Menschen gestorben sind, ist es dann lustig, einen Werbespot zu zeigen, in dem alles zerfällt? Eva Ullmann Zu dem Zeitpunkt hatten Sie sich dann dagegen entschieden? Klaus-Peter Hansen Nein, hat man nicht. Aber wir haben diese Diskussion geführt. Ich denke, die Bereitschaft zu fragen ist wichtig: „Ist das jetzt gut für uns, dass wir das tun?“ Die Grundidee dieser Kampagne ist völlig in Ordnung: Was hätten wir alles nicht, wenn es das Handwerk nicht gäbe? Aber den Kontext muss man hinterfragen. Eva Ullmann Genau. Sind Sie eigentlich der Meinung, Humor darf man ein Leben lang machen? Klaus-Peter Hansen Meiner Meinung nach ja. Zumindest bis die Haare grau sind. Bei mir ist es ja eher so: Bevor meine Haare grau sind, sind sie weg. Auch eine Art von Humor. Andere legen sich Toupets zu oder versuchen, mit ihrer Resteitelkeit irgendwie klarzukommen. Und ich sage ganz schlicht: Die Natur gibt mir’s und nimmt mir’s wieder. Es ist auch immer die Frage, welche Lebenseinstellung man hat. Eva Ullmann Das zeigt eine Gelassenheit. Michael Caine hat einmal gesagt: „Ich werde immer gefragt, wie es ist, älter zu werden. Meine Antwort lautet dann: Verglichen mit den Alternativen ist es super.“ Da kommt auch ein Schmunzeln. Oder ich zitiere gern Woody Allen, der sagte: „Ich habe keine Angst vorm Sterben. Ich möchte nur nicht

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dabei sein, wenn es passiert.“ Diese Doppeldeutigkeit, so eine Ernsthaftigkeit, so eine Tragik – und gleichzeitig bekommt das Lebensende etwas Komisches. Klaus-Peter Hansen Da bin ich bei Ihnen. Ich unterstütze Spendenaktionen für krebskranke Kinder. Wenn man sich dann mal auf der Kinderonkologie aufhält, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wofür man das eigentlich alles macht, da kommt die Frage hoch: Was macht da ein Clown? Einmal gab es die Situation, dass dort alle Erwachsenen weinten, ich eingeschlossen. Die einzigen, die dort strahlen und lachen, sind die Kinder, die so ein medizinisches Gerät neben sich herschleppen. Es ist schon interessant, was uns die Natur da an Möglichkeiten mitgegeben hat. Wenn ich mit älteren Kollegen rede, sage ich gerne: „Die Jugend mag schneller sein, aber die Alten kennen die Abkürzungen.“ Das ist wie bei IKEA: Als Besucher kann man das gesamte Möbelhaus mit allen Räumen ablaufen. Das macht die Jugend – der Unerfahrene läuft die ganzen Gänge lang und der Alte weiß, wo es die Abkürzungen gibt, hat also Erfahrung. So kann man auch bestimmte Konflikte lösen – und das kann man ein Leben lang machen. Eva Ullmann Also der Situation, über die jemand nur sehr problematisch spricht, eine andere Wertigkeit geben – erst recht, wenn es sich um Themen wie Alter, Krankheit oder sogar Tod handelt … Klaus-Peter Hansen Wir haben im Rahmen dieser Spendenaktion auch für Hospize Geld gesammelt, sind auch dort gewesen. Da darf auch gelacht werden – da wird auch gelacht, Gott sei Dank. Die Menschen dort sagen: Krank oder alt werden ist halt nichts für Feiglinge.

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Eva Ullmann Ganz nach dem Buchtitel von Joachim Fuchsberger: „Altwerden ist nichts für Feiglinge“. Bei uns gibt es gerade in einem Beerdigungsinstitut eine Ausstellung über Kinder, die sehr zeitig verstorben sind. Im Fokus stehen ihre Statements und was sie Lustiges gesagt haben, ohne mit Absicht humorvoll sein zu wollen. Da gibt es dann solche Sätze wie: „Englisch ist die Sprache der Engel.“ Da haben die Macher ein ­Englisch-Wörterbuch hingestellt, auf dem „Engelisch“ steht. Oder das Zitat eines Mädchens: „Meine Oma sagt, das letzte Hemd darf keine Taschen haben. Wo verstecke ich dann meine Geheimnisse, wenn ich gehe?“ Das ist ein starker Perspektivwechsel, der mich schmunzeln und gleichzeitig traurig sein lässt, beides darf hier zusammenkommen. Alles in allem braucht Humor eine gute Grundlage – erst recht, um den Humor zu machen, der entspannt, der auch Menschen miteinander sprechen lässt. Die beste Grundlage für mich ist es, Stärken zu sehen, quer durch alle Generationen. Erst recht als Führungskraft muss man eine Stärke hervorheben oder Humor machen, der andere gut dastehen lässt. Klaus-Peter Hansen Humor ist nur dann gut, wenn es eine Einladung ist. Dann hat Humor eine Chance. Eva Ullmann Wenn man es nicht beauftragt und nicht in den Arbeitsvertrag schreibt? Klaus-Peter Hansen Humor muss eine Einladung sein den Menschen gegenüber. Und man muss auch akzeptieren, wenn dem anderen gerade nicht danach ist, dann ist es auch okay, dann muss man es lassen. Es geht auch ohne – aber nicht lange. Ich glaube schon, dass wir den Humor brauchen, wir brauchen das Lachen, weil es ein Energielieferant ist, wie ein Hormoncocktail. Humor

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gezielt anzuwenden, ist ein Werkzeug, das umso ehrlicher rüberkommt, wenn man es nicht manipulativ einsetzt. Wenn Humor eine spielerische Note hat, dann findet er auch Akzeptanz. Eva Ullmann Niemand kann im Vorfeld schon planen, ob der andere lacht. Für mich hat Humor eher etwas mit Verführen zu tun, das gilt auch für Führungskräfte. Wer eine Gruppe leitet, kann einladen, zu Humor verführen. Wenn das Konzept aufgeht und die Energie entsprechend entspannt ist, hat man Erfolg. Aber wenn das nicht passiert, ist es auch nicht schlimm. Dann hat es mit Humor nicht funktioniert, dann muss man im Zweifel etwas anderes benutzen. Klaus-Peter Hansen Es gibt für mich übrigens keinen dummen Humor – für mich hat das immer etwas mit Kompetenz zu tun. Eva Ullmann Ein kluges Schlusswort. Lieber ­Klaus-Peter Hansen, ich danke Ihnen sehr für Ihre Zeit und unser wundervolles Gespräch. Danke für Ihren scharfen und charmanten Blick auf den Humor von Führungskräften.

2.3 Humor in der Präsentation: die Humorverpackung Ich sitze in einem Besprechungsraum der Wagner Group – hinter einem kleinen Apfelhain am schönen Bodensee gelegen. Das Unternehmen gilt als einer der führenden Hersteller im Markt für Oberflächentechnologie und bietet innovative Beschichtungstechnik zur Veredelung von Oberflächen mit Pulver- und Nasslacken, Farben und anderen flüssigen Materialien an. Der Beschichtungswelt-

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meister ist ein typischer Mittelständler. Die Hälfte des Umsatzes macht das Unternehmen mit Anlagenbau, die andere Hälfte mit dem Baumarktgeschäft. Mit am Tisch sitzt heute der Geschäftsführer des ­ Start-ups IONIQ, ein Gewächs der Wagner Group. Es ist wohl das einzige Start-up, das mit einem SAP-System arbeitet, dank seines Mutterunternehmens. IONIQ entwickelt gerade ein intelligentes Sonnenspray. Warum? Weil 40 % der Menschen, die sich mit Sonnenschutz eincremen, trotzdem Sonnenbrand bekommen. Kein Mensch kann sich richtig eincremen. Das Werkzeug verändert das Beschichtungsergebnis – die Hand ist dabei das schlechteste Instrument. Es ist an der Zeit, den Kosmetikmarkt etwas aufzumischen, so der Gründergedanke. Wie wäre es mit einem intelligenten Sonnenspray, das sich dank elektrostatischer Aufladung ganz von allein über den Körper verteilt? Gesagt – getan: Die findigen Macher haben raumfüllende und tonnenschwere Beschichtungsanlagen runtergedampft auf Hosentaschengröße, sodass es dann auch in Beach Bags passt. Das Produkt besteht aus Wechselkartuschen für Sonnencreme, Bodylotion und Mückenschutz. Der Entrepreneur Dr. Valentin Langen und sein Team stehen also regelmäßig auf Kongressen mit ihren Vorträgen auf der Bühne. Zielsetzung war und ist es, über gesteigerte Unterhaltsamkeit die Aufmerksamkeit des Publikums zu erhöhen. Humor ist hier ein Vehikel. Auch stand und steht der Verkauf auf Fachkonferenzen nicht im Vordergrund, denn dort wollen die Macher mit optimalen Vorträgen Eindruck bei potenziellen Technologiepartnern hinterlassen. Kann man es schaffen, mithilfe von Humor die Aufmerksamkeit der Menschen besser zu erreichen und durch den Kauf und die richtige Anwendung von Sonnencreme noch mehr vor Hautkrebs zu schützen? Ein Produkt, das den Markt revolutionieren wird, zu entwickeln, ist das Eine. Es optimal an den Markt und die Menschen

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zu bringen, eine ganz andere Herausforderung. Wie aber kommt der Humor nun in den eigenen Vortrag oder auf gute Art in die geplante Präsentation? Willkommen im Humor-Coaching – irgendwo zwischen Apfelbäumen, Beschichtungsanlagen und B ­ aumarkt-Expertise … Im Besprechungsraum stehen drei Teilnehmer vor der Gruppe. Jeder einzelne stellt das Unternehmen und den Zusammenhang eines Beschichtungsunternehmens zur Kosmetik-Industrie vor: • Kollegin 1: „Wir sind die, die ganz dick auftragen können. Tun wir aber selten.“ • Kollege 2: „Sonnencreme wird bisher flüssig aufgetragen. Selbst Spray erreicht nicht alle Stellen am Körper. Wir sprühen jetzt intelligenter. Mit Oberflächentechnologien kennen wir uns gut aus. Wir haben Ahnung vom Beschichten. Das wollen wir nutzen und uns in die Kosmetik einarbeiten. Und auch Weltmeister für Hautexpertise werden. Man könnte sagen: Wir sind stolz auf unsere oberflächlichen Qualitäten.“ • Kollege 3: „Die Verbindung zwischen uns als Beschichtungsexperte und Experten für Kosmetik liegt nahe, wenn man an das tägliche Schminkritual der Frauen denkt. Und auch daran, dass dieses Beschichten sehr unterschiedliche Ergebnisse haben kann …“ Auch der Geschäftsführer steigt in den Kurzvortrag über das Produkt ein: „100 % von Ihnen haben sich schon mal eingecremt und trotzdem Sonnenbrand bekommen. Man denkt sich dann: das ist halt so. Wenn Sie allerdings bei einem Beschichtungsweltmeister arbeiten, ist das nicht sehr befriedigend. Erst recht nicht, wenn man weiß, dass 95 % aller Hautkrebse zurückzuführen sind auf ein Übermaß an Sonnenstrahlen und die negativen Folgen von Sonnenbrand. Wir als Firma Wagner können mit

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unserem immensen Know-how zur Problemlösung beitragen. Da bekommen unsere oberflächlichen Qualitäten plötzlich Tiefe. Es hat eine Weile gedauert, bis wir soweit waren, Ihnen ein passendes Produkt vorstellen zu können. Glauben Sie mir: Wir hatten mehr Niederschläge als der brasilianische Regenwald. Aber wir haben an den Regenschirm geglaubt! Jetzt fragen Sie sich: Woher kommt unser Know-how zur menschlichen Haut? Ganz einfach. Ich erkläre es Ihnen an einem anschaulichen Vergleich: Stellen Sie sich auf der einen Seite einen Rennwagen vor und auf der anderen Verona Pooth. Die haben viel gemeinsam – und ich rede jetzt nicht vom Fahrgestell oder der Kurvenlage. Es ist doch so: Bei beiden gibt es viel weniger Hohlraum, als man denkt. Aber die Oberfläche ist bei beiden perfekt beschichtet. Also: Haut und Blech sind gar nicht so verschieden. Nur, dass es bei dem einen Sommersprossen heißt und bei dem anderen Rostflecken.“ Sie sehen schon: das Humortraining hat durchaus schnell gefruchtet. Sie finden an verschiedenen Stellen bereits Wortwitz und treffende Metaphern, die zum Schmunzeln anregen. Die Aufgabe der ­Coaching-Teilnehmer bestand nun darin, humorvolle Bilder und Gags nicht nur zu schreiben, sondern vor Publikum dann auch auszuprobieren. Humorvolle Einlagen muss man auf der Bühne üben. Selbst wenn Sie sich von einem humorvollen Kollegen oder einer Mitarbeiterin für den nächsten Jahresempfang etwas Humorvolles ins Skript schreiben lassen: tun Sie sich bitte den Gefallen und üben es im stillen Kämmerlein oder noch besser vor einigen Zuhörern. Neue Anekdoten und Witze teste ich selbst immer auf „kleineren Bühnen“, damit meine ich einen Abend mit Freunden oder den Smalltalk am Fahrstuhl. Dort kann man ohne große Gefahr Humor testen. Probieren Sie Ihren Gag erst einmal aus – zum Beispiel in der Kantine –, bevor Sie damit dann in die Abteilungspräsentation oder eine andere Bühnensituation marschieren. Ob Anekdote, Witz oder

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humorvolles Bild: Guter Humor auf der Bühne will geübt sein. Der Humor, auf das Wichtigste reduziert und mit guten Pausen platziert, ergibt Lacher und damit Aufmerksamkeit. Ich erlebe es auch immer wieder, dass Vorgesetzte einen richtig guten Gag machen – und dann gleich weitersprechen. Bitte denken Sie daran, eine Pause länger auszuhalten. Geben Sie Ihren Zuhörern die Gelegenheit, den Humor zu verstehen und zu genießen. Im nächsten Schritt suchen wir nach merkwürdigen Bildern und damit nach einer ungewöhnlichen Hinleitung zum Thema: „Kein Mensch ist in der Lage, sich adäquat mit Sonnencreme einzucremen. Wir haben Fotos von Menschen mit UV-Filter gemacht. Woran erkennen Sie, dass sie ihren Körper ungenügend vor der Sonne geschützt haben?“ Nun galt es, daran den Humor anzuhängen. Die Teilnehmer entwickelten Ideen: • „Dass das Abendrot Sie um Ihren Anblick beneidet.“ • „Wenn ein Krebs/Flamingo/Marienkäfer Sie um ein Date bittet.” • „Wenn Sie für Veranstaltungen nur noch als roter Teppich gebucht werden.“ • „Wenn Sie sich vor der chinesischen Flagge einfach nicht mehr abheben.“ • „Wenn plötzlich jemand ruft: Die Russen kommen.“ • „Wenn ein Stier Sie angreift, sobald Sie sich bewegen.“ Witzige Bilder entstehen, wenn man den Kontext verändert. Wo finden sich normalerweise Sonnencremeflecken? Auf der Kaffeetasse, auf der Badehose. Witzig wird es, wenn sie dort auftauchen, wo wir es nicht erwarten. Am Safe, auf dem Hintern der Affäre, auf dem Rasenmäher des Nachbarn. Sie regen dazu an, Sherlock Holmes zu spielen, und können so manch untreuen Ehemann überführen. Witz entsteht durch Inkongruenzen.

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Um den komischen Aspekt zu finden, kann man Branchen ausprobieren, die nichts mit dem eigentlichen Thema/Produkt zu tun haben. Auch verschiedene Arten, eine Geschichte zu erzählen, geben einem Produkt, einem Kongress oder einem Auftritt einen humorvollen Rahmen. Das Spiel mit den Genres ist abwechslungsreich und bietet viel Platz für Humor. Bleiben wir bei der Sonnencreme und testen Branchen, die nichts mit Sonnencreme zu tun haben: • „Sonnencreme an der Hand ist wie unsere Bundeswehr – die zieht einfach nicht mehr ein!“ • „Sonnencreme ist schlimmer als Fips-Asmussen-Witze – also so richtig backig! Die wirst du nicht mehr los. Da hilft kein Waschen …“ • „Sonnencreme an der Hand fühlt sich an wie der Abend in einer schlechten Tabledance-Bar: Stundenlang gucken, aber bloß nichts anfassen!“ Warum in den USA und in Europa gerade mal zehn Milliarden Euro Umsatz mit Sonnencreme gemacht werden, hat einen triftigen Grund: Konsumenten mögen die klebrige Hand nicht. Gerade mal 38 % der Sonnenanbeter cremen sich deswegen ein. Idee des Beschichtungsweltmeisters war es also, eine Technologie zu schaffen, mit der die klebrige Hand eliminiert wird. Wie lässt sich dieser Fokus humorvoll verarbeiten? Ein Brainstorming mit unseren Gag-Schreibern brachte eine ganze Reihe an witzigen Ergebnissen: • „Wir haben eine Firewall für den Strand produziert, ein intelligentes Sonnencreme-Spray, das Sie wirklich an allen Stellen des Körpers vor Sonne schützt. Sie können sich keinen Sonnenbrandvirus mehr einfangen. Ihr Körper ist geschützt. Nicht, dass wir Ihre Affäre mit

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dem Bademeister gutheißen. Aber dafür sind Sie auch alt genug, um das zu entscheiden.“ • „Kennen Sie noch Rambo? Der konnte sich unheimlich gut verteidigen gegen Angreifer. Er ist schlagkräftig und tapfer. Leider war er ein bisschen dümmlich. Und genauso ist Sonnencreme! Die schützt uns vor UV, ist aber leider sehr dumm. Also haben wir uns gedacht: Die schicken wir nochmal in die Schule. Die braucht richtig viel IQ! Und schon wird unser Produkt auch für Jenny Elvers-Elbertzhagen echt interessant …“ • „Unsere Sonnencreme ist so schlau, die kann sogar rückwärts einparken, die überwindet jeden toten Winkel. Und Sie wissen: Ihr Körper hat sehr tote Winkel! Es gibt Stellen am Körper, da kommt keiner hin. Oder Sie müssen am Strand schwitzige, haarige Männer um Hilfe bitten. Wenn das Ihre Strategie ist, um Menschen kennenzulernen, wollen wir Sie keinesfalls davon abhalten. Ganz im Gegenteil: Mit IONIQ wirken Sie gleich viel smarter. Sozusagen für Singles mit Niveau.“ Sie sehen, man kann sich zu seinem Thema, seinem Vortrag oder der wichtigen Unternehmenspräsentation Witze und Gags auch in den Vortrag schreiben lassen. Wichtig ist dann, wie ich schon sagte, dass Sie geschriebenen Humor auch trainieren. Wir vom Humorinstitut schreiben Humor nur dann in Ihren Vortrag, wenn es in einem begleitenden Coaching geübt wird. Denn Ihre gesamte Person hat einen wichtigen Einfluss auf den gesprochenen Witz. Gründer, Unternehmer oder Führungskräfte bereiten sich schon immer auf die Präsentation ihrer Businesspläne, ihre Vorträge und ihre Auftritte vor – immer häufiger jedoch auch auf die humorvolle Verpackung ihrer wichtigen Themen. Denn die meisten haben längst

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erkannt: Bühne ist überall, das muss nicht nur als Speaker bei einer Konferenz und einem Kongress sein, sondern kann auch das wöchentliche Meeting, eine Präsentation beim Kunden oder eine Betriebsversammlung sein. Egal welche Formen die Bühne annimmt: Sie wollen Ihre Botschaften optimal vermitteln und dabei bestmöglich wirken. Der Mensch ist als Verbraucher schon überflutet mit Impulsen. Das gilt innerhalb eines Betriebes ebenfalls. Zudem dienen Präsentationen im Betrieb nicht nur der Informationsvermittlung, sondern man kann sie auch ideal zur Motivation der Mitarbeiter nutzen. Nicht zuletzt steht man als Führungskraft vorne, es geht also auch um die eigene Personal Brand. Aus diesen Gründen kann man sich durchaus Mühe machen … Nun sitzt die Führungskraft etwas zwischen den Stühlen, denn einerseits muss sie ihre Daten präsentieren, an eine Abteilung oder an den Vorstand rapportieren, einen Fachbereich oder Bezirk vertreten und gleichzeitig der Führungsspitze loyal gegenüberstehen. In ganz vielen Präsentationssituationen wird einem auf den Zahn gefühlt: „Warum werden welche Projekte wie durchgeführt, was hat das gekostet, was haben wir damit eigentlich verkauft, wo stehen wir?“ Ich gab ein ­Humor-Coaching bei einem namhaften Lotterie-Unternehmen, in dem der Chef der Informatikabteilung im Fahrstuhl permanent, vom Abteilungsleiter bis zum Vorstand, gefragt wurde, warum die Umsetzung des neuen Systems eigentlich so lang dauert. Ob beim bilateralen Fahrstuhlgespräch oder auf der großen Bühne vor Hunderten von Abteilungsleitern: Wer in dem Augenblick humorvoll Widerstände beantworten kann und sogar Zahlen, Daten und Fakten humorvoll parat hat, kann auf einer ganz anderen Ebene punkten. Nun sind es die meisten Führungskräfte eher gewohnt, den Inhalt immer auf das Notwendige zu reduzieren,

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schnell zur Sache zu kommen und den Humor schlichtweg zu unterlassen. Doch seien wir uns klar darüber: Ganz egal, ob man die Ergebnisse des Monats artikulieren oder die Menschen für ein neues Projekt gewinnen, ob man über etwas Bestehendes informieren oder für ein Produkt faszinieren will: der Humor kommt in aller Regel dabei viel zu kurz. Die Aufmerksamkeit wird häufig darauf verwendet, alles Geschnörkelte auszusparen. Was ist der Inhalt, der Inhalt, der Inhalt? Wie lassen sich möglichst viele Informationen in kurzer Zeit vermitteln? Darauf werden in der Vorbereitung viel Eifer und Sorgfalt eingesetzt – und der Humor geht leer aus. Wenn überhaupt, dann taucht ein Gag oder ein Witz eher zufällig auf, im Bestfall sogar noch aus einem intuitiven Impuls heraus. Das kann gut werden – muss es aber nicht. Humor in Ihrer Präsentation – das passiert möglicherweise oder eben auch nicht. Ich halte Sie dazu an, Ihre Präsentation, Ihren Auftritt oder Ihre Rede in eine Humorverpackung einzuwickeln und den Humor mit Absicht hineinzunehmen, die Inhalte also humorvoll zu transportieren. Denn Humor ist das einfachste Mittel, um Aufmerksamkeit signifikant zu verändern. Sie kennen das doch: Ihr Publikum starrt längst aus dem Fenster, manche Teilnehmer haben sogar schon die Augen geschlossen, einige Mitarbeiter fixieren das Smartphone, die Zuhörer spicken immer wieder auf die Armbanduhr. Sie müssen es endlich anders machen, tun Sie sich und den anderen diesen großen Gefallen. Auf einer Konferenz gab es einen Fachmann, der den 13. Vortrag hielt. Zu dem Zeitpunkt hörte wirklich keiner der Teilnehmer mehr zu. Sein Thema: Die Virussicherung, die in einem Rechner implementiert wird. Er agierte dabei als einziger aller Referenten ohne PowerPoint-Präsentation, auf der Bühne stand lediglich ­ ein Flipchart mit mehreren schwarzen großen Kreisen.

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Der Referent kam mit einer Taschenlampe auf die Bühne und strahlte einen Kreis an. Er zeigte darauf und erklärte, dass aktuell Virussoftware noch bei vielen Menschen direkt auf dem Rechner liegt. Dann trat er einen Schritt zurück, leuchtete mit der Taschenlampe mehrere Kreise an und erklärte, wie durch die im Netz liegende Virusabwehr alle Rechner geschützt werden. Das Publikum war total dankbar für diesen Rhythmuswechsel. Sie schenkten ihm sofort Aufmerksamkeit, weil er anders anfing als alle anderen – und das nach einem langen Konferenztag. Was Sie also brauchen, sind Rhythmus- und Perspektivwechsel, Überraschungseffekte, etwas mit Wachmacherwirkung – genau dafür eignet sich Humor. Einige einfache Übungen habe ich bereits zu Beginn des Kapitels anhand eines konkreten Coachings beschrieben: einen Gegenstand als Metapher ausprobieren, ungewöhnliche Vergleiche nutzen, fachfremde Branchen testen. Man kann Besprechungen spielerischer gestalten, ob Sie das ganze Zahlenmaterial mal in ein „Mensch ärgere dich nicht“ packen, ein „Meeting-Bingo“ als lockeren Einstieg nutzen oder andere Meeting-Inhalte in eine ­Radio-Show ummünzen. Eine Schnitzeljagd durch das Thema veranstalten – das wird Ihnen mit Garantie auch bei der unbeliebten Arbeitssicherheitsschulung die Aufmerksamkeit sichern. Kurzum: arbeiten Sie methodisch und didaktisch abwechslungsreicher. Lassen Sie sich doch Mal von Benedetto Bufalino (vgl. Bufalino 2017) inspirieren: Der französische Installationskünstler macht einen Betonmischer zur Diskokugel, eine Telefonzelle zum Aquarium, ein Automobil wahlweise zum Hühnerstall, Swimmingpool oder zur Tischtennisplatte und stellt ganze Häuser auf den Kopf. Mit seinen skurrilen Inszenierungen spielt er dabei mit den Sehgewohnheiten, indem er Alltagsdinge humorvoll verfremdet. „Unsere Gesellschaft ist durchweg normiert, es

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gibt Regeln, alles ist vorgeschrieben. Warum sollte man das nicht anders machen oder weiterentwickeln?“ Hinterfragen und umdeuten, gewohnte Strukturen ad absurdum treiben und somit ungeahnte Potenziale aktivieren – das ist die Idee hinter den Aktionen von Bufalino (vgl. Küfner 2018). Und das ist für Sie ein gutes Training im Perspektivwechsel. Er lädt dazu ein, sich neu zu definieren, gemeinsam andere Regeln zu finden, neue Funktionen zu entwickeln – also etwas, das gerade auch für Führungskräfte interessant ist.

Humor hat wie bereits erwähnt reziproke Effekte: Einer im Kollegium oder im Team erzählt etwas Humorvolles und schon fällt auch dem anderen etwas ein. Als Führungskraft können Sie – erst recht in Besprechungen und Präsentationen, aber eben auch auf der großen Bühne – Stimmungen verändern, indem Sie ganz gezielt mit Humor arbeiten. Unterm Strich geht es im Business-Miteinander oft um die Frage, wer gewinnt: ­ Schaffen Sie es als Chef, Ihre Mitarbeiter mit guter Laune anzustecken, oder überträgt jemand aus der Belegschaft oder dem Team seine negative Stimmung auf Sie (Deutsches Institut für Humor 2020a)? Und auch überall dort, wo Menschen eher aneinander vorbeireden, anstatt konstruktiv miteinander ins Gespräch zu kommen, ist Humor ein sinnvolles Tool – und ermöglicht es, auch unterschiedliche Positionen oder Meinungen auf einer guten Ebene zuzulassen. Insgesamt regt Humor zu mehr Effektivität an: Eine Studie von Andreas Dickhäuser

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(Dickhäuser 2015) hat das gut erforscht. Der Chemielehrer hat im Rahmen seiner Promotion mit Kindern gearbeitet, denen er lustige Comics zur Verfügung stellte – die wussten am Ende mehr als die Kontrollgruppe. Insofern die Anregung in Ihrer Rolle als Führung: Bauen Sie den Humor bewusster ein – und freuen Sie sich schon jetzt auf die wirtschaftlichen Resultate. Übrigens: Eine humorvolle Präsentation kann nicht nur „on stage“, also auf der Bühne oder im Besprechungsraum stattfinden, sondern auch auf Papier. Das macht der Ziegelhersteller Wienerberger immer wieder in seinen Jahresberichten vor: Wie jedes Unternehmen weiß auch dieser Betrieb darum, dass Jahresberichte nicht gelesen werden und folglich die Leute schlecht informiert sind. Diesem Problem nimmt man sich an, indem nicht die Ingenieurskunst präsentiert wird, sondern der mehrseitige Bericht mit sehr viel Mühe – und sehr viel Humor – verpackt wird. Inkongruente Fotos spielen dabei eine ganz wesentliche Rolle: Nach der riesigen Headline „Einer der langweiligsten Geschäftsberichte des Jahres“ auf dem Cover und der darauf aufbauenden Überschrift im Innenteil „… aber mit Sicherheit einer der entspannendsten“ sind gleich mehrere Doppelseiten mit schlafenden Mitarbeitern zu sehen. Und ja: Der Vorstand und das Management sitzen einige Seiten später hellwach um einen Besprechungstisch. Das acht prozentige Minus an Absatz in den USA wird mit dem Hinweis „Einen Einbruch des US-Wohnungsneubaus um 13 Prozent im abgelaufenen Jahr hatten wir nicht erwartet“ und einem Foto begleitet, auf dem sichtlich deprimierte Mitarbeiter in der Kaffeeküche herumlungern. Blättert man weiter, dann folgt die positive Nachricht rund um das ­22-prozentige Umsatzplus in Zentral-Westeuropa – und die Darstellung des Teams in bester Feierlaune. Wienerberger hat somit eine schöne Art gefunden, sich humorvoll zu überhöhen und auf die Schippe zu nehmen.

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Inkongruenzen, Irritationen und Disruptionen sind ein hervorragendes Mittel, um für Aufmerksamkeit zu sorgen. Je heikler Ihre Präsentation, desto eindeutiger muss Ihr Humor sein. Wenn Sie in Ihrem Vortrag über eine andere Führungskraft oder einen Spitzenpolitiker einen Witz machen, lassen Sie ihn gleichzeitig gut dastehen. Sonst kann Humor in einer Problemsituation auch viel Schaden anrichten. Wie? Das lesen Sie am besten im folgenden Interview mit meinem Rhetorikkollegen René Borbonus. Übrigens: Das gesamte Gespräch können Sie sich im Podcast anhören.

2.4 Interview mit René Borbonus, Spezialist für berufliche Kommunikation, Präsentation und Rhetorik „Humor muss auf der Bühne als solcher erkennbar sein.“

Eva Ullmann Wir haben uns neulich gestritten und ich habe viel dabei gelernt. Vor Kurzem habe ich unbedacht etwas auf Facebook gepostet. Zu dieser Zeit wurde ein Wechsel in einem Ministerium heiß diskutiert. Es gab einen Post, den ich sehr witzig fand und sofort teilte, mit folgendem Inhalt: „Verrücktes Konzept, aber wie wäre es, wenn man als Verteidigungsminister einen General einstellt, als Bildungsminister einen Pädagogen, als Gesundheitsminister einen Mediziner und halt generell Leute, die von

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dem, worüber sie bestimmen, Ahnung haben.“ Ich fand das lustig und habe nicht lange darüber nachgedacht. Daraus entspann sich sofort unsere Diskussion. Warum eigentlich? René Borbonus Du warst ja nicht die einzige, die das gepostet hat. Das lief auf den S­ocial-Media-Plattformen richtig gut. Zu meinem Hintergrund: Ich habe viel rhetorische Beratung in der Spitzenpolitik gemacht. Sechs Jahre lang war ich Rhetoriktrainer einer Bundestagsfraktion. Wenn man also ein paar Leute persönlich kennt und weiß, wie etwas im politischen Kontext funktioniert, denkt man gleich anders über die Sache. Diese Erfahrung machen Menschen immer wieder: Sobald wir uns mal mit Flüchtlingen unterhalten haben, denken und reden wir möglicherweise anders über Flüchtlinge. Mir ging das so mit Politikern. In diesem Fall halte ich außerdem etwas für faktisch falsch: Ich möchte dezidiert NICHT, dass ein General Verteidigungsminister wird. Das gibt es in Russland und in Amerika und ich weiß nicht, ob das so erstrebenswert ist. Ich möchte auch NICHT, dass ein Arzt Gesundheitsminister wird. Denn da wäre die Frage: Welcher Arzt soll das machen? Ich kenne viele Internisten. Wenn die Minister wären, würden sie vermutlich als Erstes versuchen, Zwangsimpfungen einzuführen, weil sie davon überzeugt sind, dass das der richtige Weg ist. Es geht mir aber gar nicht um das Inhaltliche. Es geht mir darum, dass ein Minister ganz andere Aufgaben hat, als ein fachlicher Experte zu sein. In der Wirtschaft kämen wir nie auf die Idee, so etwas zu fordern. Da bewundern wir Leute wie Elon Musk, der eine Firma gründet, die Raketen baut, der SolarCity, PayPal, Tesla, Hyperloops gründet. Wir sagen: „Er ist so innovativ, so kreativ.“ Er hat keine Ahnung davon, wie man Karosserien baut. Aber er ist ein Macher. Er weiß, wie man an Gelder kommt, wie man Investoren und Aktionäre überzeugt. Und das muss ein Minister auch können und sich in dem ganzen

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Wirrwarr von politischen Verstrickungen zurechtfinden. Nehmen wir mal die Verteidigungsministerin: Annegret Kramp-Karrenbauer soll keine militärischen Strategien erarbeiten. Wenn es um einen Einsatz in Afghanistan geht, wird sie diesen nicht planen, das machen Experten. Das ist auch in Unternehmen so, der CEO hat andere Aufgaben als die Experten. Kramp-Karrenbauer ist dafür zuständig, dass die Bundeswehr eine Lobby hat, dass sie mit Geldern ausgestattet wird. Einmal von der Person abgesehen, halte ich die Vorsitzende der Regierungspartei für nicht gänzlich ungeeignet, Lobbyarbeit für die Bundeswehr zu betreiben. Lange Rede, kurzer Sinn: Wir sind sehr schnell dabei, jemanden oder etwas zu verurteilen. Wir überlegen nicht mehr, hinterfragen nichts sinnvoll. Stattdessen machen wir Leute fertig. Und in diesem Fall finde ich das einfach nicht gerecht. Wir sollten erstmal schauen, was Menschen auf ihren Posten bewirken. Danach kann man darüber retrospektiv streiten, aber nicht, wenn sie gerade erst ein Amt antreten. Eva Ullmann Ich persönlich weiß zum Beispiel recht genau, was Jens Spahn macht, weil ich viel in der Gesundheitsbranche tätig bin und Trainings mit Medizinern durchführe. Ich kenne die Gesetzesentwürfe des letzten Jahres, ich schätze seine Arbeit im Gesundheitsministerium. Ich weiß allerdings weniger darüber, was Annegret Kramp-Karrenbauer macht. Was es aus meiner Sicht allerdings schon immer gibt, ist ein aggressiver Humor, eine Häme über Spitzenpolitiker. Kabarettisten wie Mathias Richling und Dieter Hildebrandt befassen sich intensiv damit. Das Geschehen wird kommentiert. Humor ist eine Strategie, um eine Distanz zu Dingen zu bekommen, die man nicht unmittelbar beeinflussen kann. Warum findest du es aktuell so gefährlich, Spitzenpolitiker undifferenziert humorvoll abzuwatschen? Das gemeine Volk – da zähle ich mich durchaus dazu – kommentiert

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doch mal mit mehr, mal mit weniger Kenntnis die aktuelle Lage in der Spitzenpolitik. Worin steckt heutzutage das Risiko, alles Mögliche zu teilen, ohne groß darüber nachzudenken? René Borbonus Ich bin Rhetoriktrainer, da spielt Humor auch eine Rolle. Humor, Ironie, Provokation funktionieren als rhetorische Mittel jedoch immer nur dann, wenn sie als solche erkennbar sind. Deswegen kann Gregor Gysi beispielsweise gut mit Ironie arbeiten. Das erkennen wir, dann hat er dieses Spitzbübische. Dann kann er auch fiese Sachen sagen, aber wir nehmen sie ihm nicht übel. Das kommt an. Wenn Angela Merkel ironisch ist, fragen wir uns zwei Wochen lang, ob sie es ernst gemeint hat. Humor muss also als solcher erkennbar sein – und auch zu einer Person passen. Der Post, über den wir sprechen, ist ja nicht an erster Stelle humorig, sondern stellt vordergründig Kompetenz infrage. Noch ein paar Beispiele: Ich schaue gerne die heute-show und in dieser Sendung wird das auch gemacht. Jens Spahn hat in einer Rede gesagt, er möchte sich um den Pflegenotstand kümmern, da gäbe es einiges zu tun. Es fehlen einfach die Leute. Man könne zum Beispiel Fachkräfte aus Osteuropa holen, doch das dauert eine Weile, bis das organisiert ist. Einige Programme sind schon angelaufen. Der Inhalt seiner Rede war: Kurzfristig versucht er, die Teilzeitkräfte zu aktivieren, damit sie kurzfristig mehr arbeiten. Das ist keine Lösung, das weiß auch Jens Spahn. Die heute-show nimmt einen einzelnen Satz aus dieser Rede und postet: „Jens Spahn möchte, dass die Altenpfleger mehr arbeiten. Die arbeiten zu wenig.“ (MEEDIA 2018) Das ist völlig verkürzt und aus dem Kontext gerissen. So entsteht ein Riesen-Shitstorm. Dasselbe ist mit Gerd Müller passiert, als er Minister für Entwicklungshilfe war. Er hielt eine Rede und sagte, dass sie in Afrika in Zukunft mehr Frauen als Männer fördern möchten. Denn sie haben die Erfahrung gemacht: Wenn

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sie einem Mann 100 EUR geben, kommen 80 am Hof an. Und wenn sie einer Frau 100 EUR geben, kommen 100 am Hof an. Für die Menschen, die seine Rede gehört haben, war das vollkommen verständlich und akzeptabel. Aber die heute-show machte daraus: Gerd Müller sagt, der Afrikaner verprasst das Geld und kann nicht mit Geld umgehen. Das war wieder verkürzt und völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Gerd Müller musste sich daraufhin im Netz alles Mögliche gefallen lassen. Das ist nicht in Ordnung. Da werden um jeden Preis Dinge verdreht, um sich über Politiker lustig zu machen. Eva Ullmann Um einen Witz zu generieren? René Borbonus Genau – und um Reichweite zu bekommen. Alles, was Wut, Hass oder Angst auslöst, bekommt im Netz sehr viele Interaktionen und geht viral. Also warum erachte ich solche Vorgehensweisen als schwierig oder gefährlich? Wenn wir den Leuten ständig sagen, dass wir von Nichtskönnern, Dummköpfen und Vollidioten regiert werden, dann suchen sie sich irgendwann eine Alternative. Und das passiert gerade – die wird sogar so genannt. Das finden wir komisch. Aber wir merken nicht, dass wir genau das immer wieder durch unser Verhalten befeuern. Das Buch „Aufklärung jetzt“ von Steven Pinker kann ich sehr empfehlen. Er erläutert darin, dass der Aufstieg der Rechtspopulisten mit drei Dingen zu tun hat. 1. Wir haben keine optimistischen Zukunftsaussichten. 2. Das Vertrauen in Institutionen, in den Rechtsstaat, in die Demokratie erodiert zunehmend. Und 3. Wir haben, außerhalb der Religion, keine wirkliche Vision. Die Stimmung, die wir produzieren, indem wir uns so derbe über Politiker lustig machen, spielt da hinein. Ich bin sehr für Kritik. Politik lebt von Diskurs, das wird kein Politiker bestreiten. Deswegen führen Regierung

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und Opposition Debatten. Die Politiker, die ich persönlich kenne, sind alle robust und scheuen den Streit nicht. Aber dieser Streit muss fair geführt werden. Und das ist meines Erachtens nach in vielen Fällen überhaupt nicht mehr der Fall. Deshalb reicht es dann für Leute wie Donald Trump, sich nur noch gegen das Establishment zu positionieren. Dann entladen sich der Druck, der Hass und die Wut, die sich aufgebaut haben. Klar: Wenn ich schreibe „Spahn will die armen Pfleger mehr arbeiten lassen“, dann regen sich hunderttausende Menschen darüber auf – obwohl er das so nicht gesagt oder gemeint hat. Und die Reaktion der Menschen folgt: „So, dem zeigen wir’s jetzt mal.“ Eva Ullmann Die Menschen informieren sich nicht. Wenn der Humor dazu einladen würde, dass ich mir die Rede von Jens Spahn komplett anschaue, wäre das produktiv. In meinem Alltag bei der Arbeit mit Unternehmen oder Führungskräften unterscheide ich sehr genau zwischen verschiedenen Arten von Humor. Mir war nicht bewusst, dass ich das bei der Spitzenpolitik genauso machen muss. Eine ähnliche Gefahr sehe ich bei SIXT: Sie haben auf den ersten Blick mit Politik nichts zu tun, sondern vermieten Autos. SIXT nutzt exemplarisch Inkongruenz, bringt also zwei Dinge zusammen, die nicht zusammengehören. Ich empfehle Unternehmen immer, mit Inkongruenzen zu arbeiten. Doch jedes Mal, wenn ein Spitzenpolitiker einen Fehler macht, nutzt SIXT das für seine Werbung. Annegret Kramp-Karrenbauer und Angela Merkel sind in zwei unterschiedlichen Fliegern zur gleichen Veranstaltung geflogen. Der Grund für die Reiserouten ist nicht bekannt, aber SIXT postet Fotos von den beiden Frauen, ein Auto darunter und den Text „Teilen könnte so einfach sein.“ Nach dem Brexit posten sie ein Foto von Boris Johnson in einem Auto mit dem Text „Haben Sie auch mal Lust,

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den Karren in den Dreck zu fahren?“ So etwas bekommt 10.000 Likes und viel Aufmerksamkeit. Auf den ersten Blick schmunzele ich – aber ich finde es auch gefährlich, weil es nicht dazu einlädt, sich mit der Politik zu beschäftigen. Soll ich also jetzt allen Humor sein lassen? Ich kann schlecht verbieten, dass die Leute sich über Spitzenpolitiker lustig machen. Was kann der Einzelne tun, um trotzdem das Vertrauen in die Institutionen zu stärken oder dem entgegenzuwirken? Also ich, als Rednerin, die öffentlich auftritt, aber auch eine Kassiererin oder eine Pflegekraft? René Borbonus Es fängt bei der Differenzierung von Humor an. Es liegt in der Verantwortung der Humoristen, wahrhaftig zu bleiben. Wenn ein Gag nicht funktioniert, darf ich die Realität nicht so weit verbiegen, bis er funktioniert. Dann muss ich eben auf einen Gag verzichten. SIXT sehe ich entspannt, weil es meistens so übertrieben ist, dass ich den Humor und den Willen zum Humor darin erkenne. Viel problematischer finde ich es, wenn Social-Media-Beiträge der heute-show als Meinungsbildung funktionieren. Du hast so wunderbare Menschen wie Richling oder Hildebrandt angesprochen. Bei denen war immer klar: Das ist Kabarett, das ist keine politische Meinungsbildung. Auch bei Volker Pispers oder Hagen Rether ist das so. Sie sind intelligent und kritisch. Eva Ullmann Sie setzen aber auch voraus, dass ich etwas über Politik und über das System der Demokratie weiß, wie ein Gesetzesentwurf und wie Exekutive und Legislative funktionieren. Da setzen sie den Humor drauf. Du würdest also SIXT nicht empfehlen, dass sie keinen Humor mehr nutzen sollen. Du würdest eher der ­heute-show empfehlen, das erkennbarer zu machen. Für dich ist Erkennbarkeit die Voraussetzung, dass Humor nicht schadet?

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René Borbonus Es muss entweder total überzeichnet sein, etwa wie die Scherze von Lutz van der Horst. Selbst wenn er Politiker bloßstellt, kommt man damit zurecht. Mich stört, wenn es in den Bereich Meinungsbildung geht, wenn ein Satz von Jens Spahn aus dem Zusammenhang gerissen wird, sodass er nicht mehr der Realität entspricht. Die Leute der Sendung „Die Anstalt“ halten sich inzwischen für Politikwissenschaftler. Das ist nicht konstruktiv. Humor kann etwas Wundervolles sein. Das möchte ich auch ganz klar sagen. Ich lache mich schlapp über die SIXT-Kampagnen. Das unterhält mich. Aber es amüsiert mich nicht, wenn jemand sagt, dass Jens Spahn ein Vollidiot ist, weil er fordert, dass Altenpfleger mehr arbeiten. Darüber kann ich nicht lachen, darüber rege ich mich nur auf. „Der Verteidigungsminister müsste ein General sein.“ Das halte ich für falsch. Da lache ich nicht drüber. Alles, was Wut und Hass schürt, möchte ich nicht verbieten, aber man kann es zumindest kritisch beleuchten. Und davor zu warnen, das sehe ich als meine Aufgabe. Eva Ullmann Unser Disput hat mich sehr beeindruckt. Wenn man unterschiedlicher Meinung ist, ist das Schöne daran, dass man daraus auch lernen kann. Wenn ich auf der Bühne einen Witz von SIXT nutze oder mich über Jens Spahn oder Annegret K ­ramp-Karrenbauer lustig mache, dann müsste ich das vorher immer in den Kontext setzen und sagen, was ich an ihnen schätze? Mein Publikum ist schließlich sehr bunt gemischt, wenn es nicht gerade Ärzte oder Experten für das Gesundheitssystem sind, sollte ich ihnen also noch mal einen Rahmen geben? René Borbonus Ich sehe es sogar noch entspannter, wenn man über die Substanz Witze macht. Volker Pispers und Hagen Rether machen beispielsweise Witze über die Entscheidungen und die Substanz. Sie zeigen, welche absurden Folgen das zum Teil hat. Aber viele vermeint-

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liche Humoristen sind extrem persönlich. Es geht dann nur darum, sich über Spahn lustig zu machen. Es wird gar nicht diskutiert, ob die Organspende gut oder schlecht ist … Eva Ullmann … sondern sie ziehen über die Person her. René Borbonus Oder Philipp Amthor – was hat er uns eigentlich getan? (Dieses Interview wurde vor der Affäre um die Nebentätigkeit Amthors geführt. Allerdings wurde auch schon damals viel Aggressiver Humor über ihn gemacht.) Klar, finde ich ihn skurril. Und wahrscheinlich wurde er beim Volleyball immer ganz am Ende gewählt. Aber das ist jemand, der Ende zwanzig ist und sich im Bundestag aufreibt – und übrigens auch ständig gegen die AfD den Kopf hinhält, was sicher auch kein Spaß ist und viele Drohungen und ähnliche Abscheulichkeiten zur Folge hat. Ich finde es gut, dass es solche Leute gibt, egal ob ich ihn als Person toll finde oder nicht. Wahrscheinlich würde ich mit ihm kein Bier trinken gehen wollen, aber ich ziehe meinen Hut davor, dass es Menschen in diesem jungen Alter gibt, die sich für Politik stark machen. Ob ich seine Inhalte gut finde oder nicht, spielt dabei überhaupt keine Rolle. Ich muss ihn ja nicht wählen. Aber wenn wir den Leuten immer zeigen, wie bescheuert die ganzen Politiker sind, dann dürfen wir uns auch nicht wundern, dass keiner mehr in die Politik geht. Und dass viele Menschen der Politik oder den Institutionen nicht mehr vertrauen. Wir legen da Maßstäbe an, die wir für uns selbst nie anlegen würden. Eva Ullmann Man sollte also eher Humor über eine inhaltliche Entscheidung machen, als eine Person an sich humorvoll abzuwatschen oder lächerlich zu machen. Wenn es einen Gesetzesentwurf gibt, den ich skurril finde, den ich aber nicht beeinflussen kann, und ich mich über ihn lustig mache, dann ist das etwas anderes. Wenn ein Journalist das Gespräch sucht und dabei aggressiven,

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beschämenden Humor nutzt, dann ist es nicht verwunderlich, wenn sich der Gesprächspartner verschließt. Für mich ist es immer interessant, auf Humor genauer draufzuschauen. Man muss über die Konsequenzen nachdenken: Suche ich das Gespräch? Möchte ich eine Situation entspannen? Dafür ist eine andere Form von Humor nötig, als wenn ich ein Ventil brauche und zu etwas Unverständlichem oder schwer Akzeptierbarem eine Distanz aufbauen möchte. René Borbonus Das ist eine schöne Differenzierung. Eva Ullmann Der Humorforscher Rod Martin spricht von Humorstilen, also von Sozialem und Aggressivem Humor. Sozialer Humor ist Humor, der nur lustig ist, der nur amüsiert, der nur einen Perspektivwechsel herbeiführt, für Überraschung sorgt. Das Gegenteil davon ist Selbstabwertender oder Aggressiver Humor. René Borbonus Es gibt auch durchaus Humoristen, die nicht auf Kosten anderer Menschen arbeiten. Loriot ist ein Beispiel. Er war ein sehr begnadeter Humorist und ich wüsste nicht einen Gag, bei dem er jemand anderen verletzt hat – außer sich selbst vielleicht. Eva Ullmann Genau. Er hat oft menschliches Verhalten überspitzt. Aber man merkt in seinem Werk, dass er Menschen mochte. Er hatte eine grundsätzlich wertschätzende, liebevolle Einstellung: „Ich mag die Menschen, aber sie machen manchmal skurrile Dinge.“ Diese Grundhaltung gefällt mir auch sehr gut. In meiner Arbeit als Rednerin oder Trainerin habe ich dieselbe Einstellung: Ich mag die Menschen, die kommen. Manchmal stecken sie in Widerständen, kommen mit verschränkten Armen und hasserfüllten Blicken, obwohl wir uns noch

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gar nicht kennen. Für mich ist es dann interessant, ob ich sie aus diesem Zustand herauslocken kann. Kann ich sie entspannen? Kann ich sie in eine Lernatmosphäre einladen, wo sie auch eine Grenze überschreiten und Sachen ausprobieren, die sie eigentlich nicht ausprobieren wollten? Das sind für mich die anderen Effekte von Humor. Du sagst, Humor ist ein wichtiger Teil der Rhetorik. Was ist für dich der Vorteil von Humor? Welche Art von Humor möchtest du gern auf die Bühne bringen? René Borbonus Es gibt diesen wunderbaren Satz: „Wenn wir über Dinge lachen können, dann haben wir sie verstanden.“ Ich glaube, dass Menschen durch Humor vieles klar wird, also durch einen entspannenden Humor. Zum Beispiel ist Loriot hinter der Unterhaltung sehr klug, was die Analyse von sozialen Interaktionen oder von Kommunikation angeht. Man kann viel über Kommunikation lernen, wenn man sich auf Loriot einlässt. Oder man kann die „Känguru-Chroniken“ von Marc-Uwe Kling lesen und auf sehr humorvolle Art und Weise einen politischen Diskurs erleben. Humor kann viel zum Verständnis beitragen und hat Unterhaltungswert. Schon Cicero hat gefordert, dass eine gute Rede auch unterhaltsam sein sollte. Ich glaube allerdings nicht, dass eine gute Rede auch humorvoll sein muss. Sie muss unterhaltsam sein, dafür gibt es verschiedene Wege. Von den fünf besten Reden, die ich je gehört habe, ist eine sehr humorvoll – und der Rest überhaupt nicht. Eva Ullmann Im großen Werkzeugkoffer der rhetorischen Techniken und Fähigkeiten ist Humor nur eine Spielform. Es gibt auch andere rhetorische Möglichkeiten, Menschen zu berühren, Aufmerksamkeit an sich zu binden. Man muss den Humor auch nicht überbewerten. Damit eröffne ich jedes Humor-Training.

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René Borbonus Es gibt vielleicht Menschen, die nicht den Sinn für Humor haben oder sich schwertun, Humor zu entwickeln. Diese Menschen setzt man mit Humor unter Druck. Es ist wichtig, Menschen zu berühren oder sie zu unterhalten und das geht auf unterschiedliche Art und Weise. Humor ist EIN Vehikel. Eva Ullmann Die häufigsten Fragen, die mir Führungskräfte in Seminaren, Vorträgen oder Coachings stellen, sind: Wie kriege ich Humor auf die Bühne? Kann man den trainieren? Kann man ihn absichtlich nutzen? Braucht man dazu nicht ein Händchen? Wenn René Borbonus oder Eva Ullmann auf der Bühne Humor machen, ist das schön – aber kann ich das auch? Wie würdest du Humor gezielter auf die Bühne bringen? René Borbonus Humor folgt bestimmten Gesetzen. Man kann Humor auch erzwingen: Wenn ich eine Erwartung aufbaue und sie dann breche, kann das sehr humorvoll sein. Viele Dinge passieren auch einfach so, durch Zufall. Wenn die Leute dann darüber lachen, kann es sein, dass nicht nur ich das lustig finde, sondern auch mein Publikum. Durch Resonanz kann man sehr viel lernen. Man muss ein bisschen achtsam sein. Ich habe auch schon einige Dinge, die ich wahnsinnig komisch finde, wieder aus Reden rausgenommen, weil ich gemerkt habe, dass ich Menschen damit auf Distanz bringe. Wenn ich zum Beispiel einen Witz über meine Frau mache, bringt das viele Leute auf Distanz, weil sie es despektierlich finden, weil sie nicht da ist und sich nicht wehren kann. Natürlich habe ich das vorher mit ihr abgesprochen, das weiß aber keiner. Wenn ich also im Vorfeld erkläre, dass ich erzählen darf, was jetzt kommt, dass ich meine Frau vorher gefragt habe, dann hat keiner ein Problem damit. Es bleibt der gleiche Witz, aber er ist ein bisschen anders gerahmt. Man muss also auf das

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Feedback achten, das man bekommt. Es gibt einige Wirkmechanismen, die komisch sind. Ich arbeite viel mit Vince Ebert zusammen. Der ist meisterlich darin, eine Erwartung aufzubauen und sie dann auf den Kopf zu stellen. Eva Ullmann Was ich ganz oft kombiniere, wenn ich eine Geschichte von meinem Mann erzähle: Ich mache ihn erst zum Helden und erzähle dann etwas Freches über ihn. Oder ich baue ihn erst auf, erzähle, dass er einen schwarzen Humor hat, und erzähle anschließend, wie er mich geschickt und empathisch aus einer stressigen Situation herausgeholt und die Situation deeskaliert hat. René Borbonus Wenn ich auf der Bühne jemanden wie meine Frau schlecht dastehen lasse, dann sollte ich vorher zwei, drei Geschichten erzählt haben, bei denen ich selbst blöd dastand. Das mache ich, damit die Leute wissen, dass es mir eher darum geht, etwas zu vermitteln, und nicht darum, mich über Leute lustig zu machen. Eva Ullmann Glaubst du denn, dass man Humor trainieren kann? René Borbonus Ich glaube, dass Humor auf bestimmten Techniken beruht, und dass man diese erlernen kann, genau wie bei der Rhetorik. Es ist eine Kunstform. Ich finde, dass auch Veranlagung eine gewisse Rolle spielt. Es gibt Menschen, die sind einfach komisch, die müssen keinen großen Gag ausbreiten und man kann schon über sie lachen – oder mit ihnen lachen. Das ist in der Rhetorik ähnlich. Und man kann die Wirkmechanismen begreifen. Nicht jeder kann Bildhauer werden, doch man kann ein paar Techniken erlernen, damit man einen Stein bearbeiten kann. Dann kann man schauen, wie weit man mit diesen Techniken kommt. Es gibt auch Menschen, die

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nicht witzig sind. Die sollten aus meiner Sicht auch nicht versuchen, witzig zu sein. Eva Ullmann Manchmal habe ich Rednerkollegen, die im Einzelgespräch herzlich und witzig sind, etwa eine lustige Geschichte erzählen. Sie haben einen entspannten, sehr guten Zugang zu ihrem Humor. Aber sobald sie auf die Bühne kommen, bekommen sie das nicht mehr umgesetzt. Dann wird es für sie Arbeit … René Borbonus Das ist so, weil viele Leute auf der Bühne eine Rolle spielen. Das betrifft nicht nur den Humor, sondern den gesamten rhetorischen Stil. Bei Tagungen treffe ich am Buffet oft Leute, die sympathisch, natürlich, ganz wundervoll sind. Nach der Pause werden sie nach vorne gerufen, um eine Rede zu halten. Und dann denke ich, irgendwo auf dem Weg nach vorne sind sie durch eine Art Operationsschleuse gegangen. Dann reden sie so elaboriert. Viele begreifen nicht, dass es eigentlich der schönste Stil ist, mit Menschen so zu sprechen, als wären sie deine Freunde. Und dann trauen sie es sich vielleicht nicht. Auf der Bühne brauchst du auch ein bisschen Scheiterbereitschaft. Wenn du mit Angst nach vorne gehst und eine Rolle spielst, dann wirkt sich das auf Vieles aus und bestimmt auch auf den Zugang zum Humor. Eva Ullmann Verletzlich und echt zu bleiben, seine Person mit auf die Bühne nehmen zu dürfen – das trainierst du in der Rhetorik? René Borbonus Da schließt sich der Kreis: Ich glaube, dass viele Menschen in ihrem Urteil unfassbar hart geworden sind. Die eigene Rede wird auf YouTube gezeigt und man muss sich den ganzen Hass darunter gefallen lassen. Das hält viele Menschen davon ab, überhaupt erst das Wort zu ergreifen. Ich glaube, viele wunder-

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schöne Dinge werden nicht ausgesprochen, aus Angst vor der Resonanz. Ich wäre froh, wenn man die Leute mehr schützen würde. Im Zweifel muss die Kommentarfunktion ausgeschaltet werden. Eva Ullmann Du würdest öffentliche Personen stärker schützen, damit sie dem nicht ungefiltert oder jederzeit ausgesetzt sind. Wie Du auch gesagt hast: Ich erlebe viele Spitzenpolitiker als robust … René Borbonus Gleichzeitig treten aber auch beinahe täglich Bürgermeister zurück. Ehrenämter werden aufgegeben und soziales Engagement wird reduziert, weil man so angegangen wird. Da würde ich mir wünschen, dass da möglichst bald etwas passiert. Eva Ullmann Werfen wir gemeinsam nochmals einen Blick auf die humorvollen Spitzenpolitiker, Gregor Gysi sprachst du schon an. Ich bin auch ein großer Fan seiner Rhetorik – unabhängig davon, ob man seiner politischen Richtung folgt. Ich höre und schaue ihm gern zu. Er macht es seinem Publikum leicht zu erkennen, wann er Humor macht. Mir fallen noch Willy Brandt, Konrad Adenauer, Winston Churchill ein. Denen wird auch Sarkasmus, Zynismus, ein bissiger Humor nachgesagt. Zu Churchill soll im Parlament mal eine Dame gesagt haben: „Wenn ich mit Ihnen verheiratet wäre, würde ich Ihnen Gift in den Tee tun.“ Und Churchill soll geantwortet haben: „Wenn ich mit Ihnen verheiratet wäre, dann würde ich ihn trinken.“ Das hat Churchill zwar nicht gesagt, aber die Anekdote wird gern mit ihm erzählt. Wer fällt dir noch ein? René Borbonus Vorher erzähle ich dir noch eine andere Anekdote von Churchill, die ist mindestens genauso gut: Es gab wohl einen Disput mit Shaw (George Bernard Shaw, irischer Dramatiker und Satiriker – Hinweis der

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Redaktion). Er hat Churchill zwei Premierenkarten geschickt mit dem Hinweis, er könne einen Freund mitbringen, wenn er denn einen habe. Churchill hat die Karten zurückgeschickt und geschrieben, er könne nicht zur Premiere kommen. Er würde zur zweiten Aufführung kommen, wenn es denn eine gäbe. Er scheint tatsächlich recht schlagfertig gewesen zu sein. Ich habe mit vielen Politikern gearbeitet, die ich für humorvoll halte. Es gibt wirklich genügend Beispiele: Wenn man den Humor sucht, findet man ihn bei Sigmar Gabriel, sogar bei Frank-Walter Steinmeier. Guido Westerwelle gehörte auch dazu, er konnte sehr selbstironisch sein. Als er Außenminister wurde, da flog ihm um die Ohren, dass er schlecht Englisch sprach. Das traf übrigens auf fast alle Außenminister zu, auch auf Joschka Fischer und Hans-Dietrich Genscher usw. Wir vergessen so etwas schnell wieder. Zurück zu Guido: Bei der ersten Fraktionssitzung in neuen Räumen standen hinten Dolmetscherkabinen. Westerwelle begann seine Rede mit folgendem Scherz: „Die Dolmetscherkabinen sind nicht wegen mir installiert worden.“ Er konnte also sehr selbstironisch sein. Es gibt einen spannenden Aufsatz von Fredmund Malik. Seine These lautet, dass charismatische Führungspersönlichkeiten nicht unbedingt produktiv sind. Er geht die Geschichte durch und untersucht das. Die charismatischen Präsidenten haben in der Regel relativ wenig Output: Barack Obama, Ronald Reagan, John F. Kennedy. Die weniger oder nicht charismatischen Präsidenten, wie Konrad Adenauer oder Dwight D. Eisenhower, haben viel Output. Eine seiner Erklärungen leuchtet ein: Charismatische Leute bekommen Anerkennung, ohne viel leisten zu müssen. Gregor Gysi bekommt sehr viel Anerkennung, ohne irgendetwas leisten zu müssen. Und Leute wie Thomas de Maizière

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oder Annegret Kramp-Karrenbauer müssen erstmal etwas leisten, damit sie Anerkennung bekommen. Eva Ullmann Überspitzt formuliert bedeuten das also, dass die Abwesenheit von Humor dafür sorgt, dass jemand arbeitet. Ich glaube, ich muss noch mal über einen Jobwechsel nachdenken … René Borbonus Wünschenswert wäre ja, dass beides geht. Übrigens suche ich nicht so sehr nach dem Humor bei Spitzenpolitikern. Bei meinem Idealbild von einem Politiker taucht Humor in den zehn wichtigsten Eigenschaften nicht auf. Aber es ist schön, wenn jemand Humor hat. Barack Obama ist auf seine Art sehr humorvoll. Das liebe ich. Da bade ich förmlich drin. Eva Ullmann Er ist ein großer Statusspieler … René Borbonus Charisma gilt ja als die Kombination aus Macht und Herzlichkeit. Das finde ich spannend, dem kann ich etwas abgewinnen. Humor macht Menschen sehr nahbar und sehr herzlich. Auch Angela Merkel kann manchmal verschmitzt humorvoll sein. Das ist selten, aber sie kann es. Jeder Politiker hat auf seine Art Humor. Wenn man so einen Job macht, braucht man ein gewisses Maß an Humor. Es gibt diesen wunderbaren Satz eines amerikanischen Kollegen: „Wenn du den Humor in den Dingen erkennst, dann überlebst du sie.“ Das ist eine Kompetenz, die viele Spitzenpolitiker auch mitbringen müssen. Eva Ullmann Also Humor als Bewältigungsstrategie – bei Führungskräften in Unternehmen oder auch in Kliniken ist das so. Wir haben gerade über Humor als Präsentationsstrategie gesprochen, als ein Instrument auf der Bühne.

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Es ist etwas anderes, wenn unfassbare Sachen passieren – Krankheit, Tod, Leiden, Krieg. Eine Kollegin von mir hat über nicht verordneten Humor im Konzentrationslager geschrieben. Dazu passt auch eine Anekdote aus John Morrealls Buch „Humor works“ (Morreall 1997): Während des Zweiten Weltkrieges, als London unter dem deutschen Bombenhagel litt, hingen an vielen beschädigten Geschäften Schilder „Open as Usual“, übersetzt heißt das „Offen wie üblich“. Die Inhaber wollten signalisieren, dass sie sich vom Krieg nicht unterkriegen lassen. Ein Laden, von dem nur noch eine Wand stehengeblieben war, pries sich mit folgendem Schild an: „More open than usual“, also „Offener als üblich“. Das zeigt bei aller Absurdität diesen Bewältigungshumor. Auch Viktor Frankl, der Entwickler der Logotherapie, sagte, er habe das KZ überlebt, weil sich die Insassen regelmäßig zum Witze erzählen getroffen haben. Das ist dann überhaupt nicht Humor für die Präsentation, um die Aufmerksamkeit von Menschen zu bekommen. Humor zur Bewältigung hat für mich eine andere Tiefe. Findest du eigentlich, dass Humor in der Spitzenpolitik oder bei Führungskräften zu- oder abgenommen hat? René Borbonus Ich kann das weder bei dem einen noch bei dem anderen feststellen. Was immer bei einer Beurteilung hilfreich ist, ist eine Distanz. Wenn Menschen einmal nicht mehr da sind, beurteilt man sie – und auch ihre Art zu sprechen – ganz anders. Nehmen wir Helmut Schmidt, heute fassen wir ihn ganz anders auf als zu den Zeiten, zu denen er wirklich eine Rolle gespielt hat. Wir haben eine Faszination für Herbert Wehner und Franz Josef Strauß, für ihre Art, Debatten zu führen. Ich könnte mir vorstellen, dass die Leute das zu deren Zeit vielleicht gar nicht so lustig fanden. Da spielen auch immer andere Zuschreibungen und Konnotationen eine Rolle. In der

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Retrospektive sind wir sehr viel milder und offener. Möglicherweise finden wir dann in vielen Jahren Angela Merkel und AKK lustig. Eva Ullmann Die Verklärung beginnt schon, das Ende der Ära Merkel naht. Ich schätze viel an ihr, aber es gibt auch viel Kritik. Und wir fangen schon an, sie zu verklären. René Borbonus Ich glaube, dass man die Dinge dann etwas entspannter sieht. Es stellt sich immer mal die Frage: Gegen wen darf man humorvoll sein? Das ändert sich. Bei Humor ist es wichtig, dass man nicht zu sehr nach unten tritt, sondern dass er auf Augenhöhe stattfindet. Vor einigen Monaten fand ich die Diskussion hochinteressant, ob man über Schwule Witze machen darf. Ich hätte immer gesagt: „Ja klar!“ Dann habe ich aber mit einigen Schwulen gesprochen. Sie werden wegen ihrer Homosexualität mehr unter Druck gesetzt als vor etwa zehn, fünfzehn Jahren. Das ging allerdings an mir vorbei, weil ich nicht Teil dieser Szene bin. Wenn dem so ist, dann ist Humor an dieser Stelle schwierig. Salopp gesagt: Ich kann Witze machen auf Kosten von Sparkassen- und Volksbankvorständen, aber vielleicht nicht auf Kosten der Jesidinnen, die jetzt gerade gerettet wurden. So ändern sich der Humor und die Zielgruppen. Jetzt ist eine gute Zeit für Humor, wie auch vor 30 und vor 40 Jahren. Es braucht momentan eben einen anderen Humor. Eva Ullmann Mein Hintergrund ist die Pädagogik, die Sozialarbeit, das therapeutische Umfeld. Ich habe meine Diplomarbeit über Humor in der Beratung und Therapie geschrieben. In den 1980ern war Humor ver-

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pönt. Als helfender Profi war die Aufgabe, neutral zu sein, sich mit seiner Meinung zurückzuhalten, gut zuzuhören. Das wurde trainiert. Humor wurde belächelt, eher sogar abgelehnt. Es gab glücklicherweise auch immer Therapeuten, die sich nicht daranhielten – Sigmund Freud, Virginia Satir, Viktor Frankl, Paul Watzlawik. Sie merkten, dass Humor etwas bewirkt: Wenn man bei etwas stecken bleibt, kommt es durch Humor wieder in Bewegung. Ich bin überzeugt davon, dass wir heute mehr über Humor wissen als vor 40 Jahren. Was im therapeutischen Umfeld gut beobachtet wurde: Welcher Humor schafft Nähe? Welcher entspannt? Welcher löst Probleme und welcher beschämt einfach nur? Welcher Humor trägt nicht zur Lösung des Problems bei, sondern verstärkt es vielleicht sogar? Das können wir heute viel besser unterscheiden, weil wir viel mehr über Humor wissen. Wenn ich vor 500 Lehrern spreche, dann steige ich nicht mit dem Gag ein: „Wir müssen bis Mittag fertig sein. Sie arbeiten ja nachmittags nicht.“ Wenn ich mich auf eine Gruppe oder eine Stadt vorbereite, in der ich einen Vortrag halte, dann fällt mir erstmal schnell der beschämende Humor ein. Aber dann überlege ich, welche Aufwertung mir einfällt. Die Lehrkräfte sind beispielsweise Helden, die optimistisch auf die Jugend schauen, während alle anderen sagen, die Jugend sei hoffnungslos verloren. Dann suche ich eine Übertreibung oder Überhöhung. Es ist manchmal mehr Arbeit, entspannenden, liebevollen Humor zu nutzen, als sich über jemanden lustig zu machen. René Borbonus Das ist ein schöner Bogen zu unserem Einstieg ins Gespräch.

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Übung für Ihr Humor-Handwerkszeug: Thema/Zielgruppe übertreiben

Person/

Nun habe ich eine ganz konkrete Humorübung für Ihre nächste Rede: Die Übertreibung Ihrer Person. Denn die haben Sie bei jeder Präsentation dabei. Humor kann spontan entstehen oder geplant werden. Diese Übung dient dem vorbereiteten Humor. Bitte versuchen Sie nicht, zu witzig zu sein, sondern erst mal das Offensichtliche zu übertreiben. An dieser Stelle haben Sie eine Probebühne. Nutzen Sie sie – den Zensor können Sie später wieder dazu schalten. Bitte denken Sie dabei an die Humorstile aus dem ersten Buchteil. Sie können sich selbst aufwertend übertreiben oder sich selbst übertrieben durch den Kakao ziehen. Übertreiben Sie die vier Bereiche, die eine Präsentation immer beinhaltet: 1. 2. 3. 4.

Ihre Person/Herkunft Ihre Zielgruppe Ihr Thema Der Ort, an dem Sie sich zum Vortrag befinden.

Testen Sie bitte beide Humorstile, auch bei Ihrer Zielgruppe. Im Moment sind wir zunächst auf der Suche nach der Komik und dem Witz. Ich mache Ihnen das an meiner Person als Rednerin einmal vor: • Meine Person/Herkunft: Ich bin offensichtlich eine kräftige Frau mit kurzen Haaren und leichtem Ost-Dialekt (kein Sächsisch übrigens). Also kann ich ­ mich selbst übertrieben aufwerten, wenn ich auf die Bühne komme und sage: „Wenn man etwas zu sagen hat, sollte man ein paar Kilo auf die Bühne bringen. Ich komme ursprünglich aus Bitterfeld/Wolfen, dem Ruhrgebiet des Ostens, wo der Farbfilm erfunden wurde. Innovation hat man bei uns also mit der Muttermilch aufgesogen.“ Oder ich kann mich durch den Kakao ziehen: „Es gibt zwei Dinge, die ich im Leben immer will: erstens abnehmen und zweitens essen. Das Dilemma daraus steht vor Ihnen. Ich komme außerdem noch aus Bitterfeld. Entsprechend hatte ich eine schwierige Kindheit. Bitte sehen Sie mir das nach, wenn Sie nun meinen Worten lauschen.“

140     E. Ullmann • Mein Thema: „Ich bin Humorexpertin. Natürlich erwartet man von einer Humorexpertin, dass sie lustig ist. Von einem Depressionsexperten würden Sie nicht erwarten, dass er depressiv ist oder Sie mit seinem Vortrag depressiv macht.“ Oder ich mache mich über mein Thema Humor lustig: „Im Osten gab es zum Sozialismus keinen Humor. Jedes Kabarett wurde zensiert. Natürlich musste ich das Deutsche Institut für Humor gründen. Natürlich sind wir da nicht lustig. Wir laufen mit langen, weißen Kitteln durch kühle Flure und testen Witze. Sowas kann man ja nicht lernen.“ • Meine Zielgruppe: Entscheiden Sie sich für EINE Zielgruppe: Banker, Ärzte, Ingenieure, Führungskräfte, Lehrkräfte, Ihre Abteilung, Ihren Vorstand. Je nachdem, wen ich gerade vor mir habe, stehen mir die passenden Formulierungen zur Verfügung: „Kardiologen wollen wir den Humor ans Herz legen, bei Urologen geht der Humor gern in die Hose. Zahnärzte sind so hart wie Zahnschmelz und gleichzeitig so sensibel wie Alginat.“ • Der Ort oder etwas aus den Tagesnachrichten: Mein Besuch in der Schweiz. 3.000 Lehrkräfte des gesamten Kantons sind zur jährlichen Bildungstagung in einer Veranstaltungshalle versammelt. Ich betrete die Bühne: „Es scheint wirklich seltsam, sich eine deutsche Humorexpertin zur Tagung zu holen. Gelten die Schweizer doch als viel gelassener und heiterer als wir Deutschen.“

Schauen Sie sich selbst an, wann der Lacher bei einer Übertreibung einsetzt (Deutsches Institut für Humor 2020b). Für Ihre eigene Person gilt: alle Witze sind erlaubt. Bei Ihrer Zielgruppe ist meine Empfehlung: den Sozialen Humor dem Aggressiven Humor vorziehen. Das ist wahrscheinlich treffsicherer, es sei denn, Sie kennen die Gruppe sehr gut, zu der Sie sprechen. Bedenken Sie: Sie sind kein Kabarettist, zu dem man freiwillig kommt und Eintritt bezahlt. In dem Fall hat man mehr Freiraum, seine Gäste zu beleidigen.

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2.5 Humor im Vertrieb und in der Verhandlung: Messer und Löffel unterscheiden Die Abteilungsleiterin im Unternehmen ist schon in jungen Jahren in einer Führungsposition und präsentiert nun den Projektstatus. Im Lenkungsausschuss fragt provokativ einer der Vorstände beim Smalltalk vor Beginn: „Schickes Kleid, gibt es das auch in Ihrer Größe?“ Die Frau bleibt gelassen und lächelt: „Das ist ja interessant, dass gerade Sie das sagen.“ Kurze Irritation. Ein erstes Kräftemessen. Der Vorstand ist sprachlos. Dann steigt sie gelassen ein in die Verhandlung um Projektressourcen, Zeit und Projektverlauf. Man könnte meinen, Humor ist im Vertrieb, wo es um Verkaufszahlen und immer das beste Produkt geht, keine bevorzugte Methode, um Kundengespräche zu führen. Schon gar nicht in einem Land wie Deutschland, das mit Hemdkragen und Schlips auch im Vertrieb zu den humorloseren Ländern gehört, so scheint es. Spießig, zugeknöpft, hölzern: Interessanterweise nutzen viele Vertriebler intuitiv und extrovertiert Humor im Vertrieb. Manche sind dabei empathisch und menschenorientiert. Doch ich erlebe den Humoreinsatz im Außendienst mitunter auch diffus, sogar katastrophal. Manchmal ist man also mit dem Humor

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erfolgreich und in anderen Situationen fällt man damit auf die Nase. Ich plädiere dafür, dass Humor auch in den Vertriebstrainings zu einem festen Bestandteil wird. Denn es geht darum, Humor als Instrument besser kennenzulernen und den Einsatz zu üben. Schauen wir uns genauer an, was Humor im Vertrieb bedeutet. Im Falle einer schwierigen Verhandlung müssen Sie Sozialen und Aggressiven Humor gut voneinander unterscheiden können, um beide Stile bewusst einzusetzen. Wollen Sie einem Verhandlungspartner auf Augenhöhe begegnen und einen Statuskampf aushalten, nutzen Sie eine Portion Aggressiven Humor. Ein Beispiel: „Sind Sie nicht zu jung für den Job?“ Die Antwort: „Sind Sie nicht zu alt für die Frage?“ Wenn Sie jemanden beschämen müssen, können Sie das auch humorvoll tun. In diesem Fall geht es nicht um Deeskalation. Einen angespannten Gesprächspartner, der unter Strom steht, und beispielsweise voller Widerstände im Verhandlungsgespräch sitzt, entspannen Sie hingegen nur mit Sozialem Humor. Und Abwertungen in Meetings? Die kann man mit einem Richtungswechsel entwaffnen. Wichtig ist, dass Sie für sich die Entscheidung treffen, ob Sie Grenzen setzen oder etwas Einladendes machen wollen. Beide Humorstile sind nützlich. Als Führungskraft sollten Sie sie allerdings bewusst dosieren können. Vor Ihnen als Verhandlungsprofi liegt unterschiedliches Besteck, Ihnen stehen sowohl Messer als auch Löffel zur Verfügung. Zwar können Sie mit dem Löffel die Suppe auslöffeln oder den Löffel abgeben – jemanden damit zu verletzen, ist ein eher schwieriges Unterfangen, genau wie beim Sozialen Humor. Ein Messer ist da schon ein etwas anderes Tool, es gleicht dem Aggressiven Humor. Und dann kommt es noch auf die Art des Messers an: Mit dem großen scharfen Messer schneiden Sie das Stück Fleisch, doch um damit die Gurke zu schälen, eignet es

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sich weniger. Mit einem spitzigen kleinen Obstmesser können Sie so manches anstellen – aber das Brötchen zum Frühstück halbieren ist eher anstrengend. Ihr geliebtes Brötchenmesser taugt wiederum nicht, um die Tomate in Scheiben zu bringen. Genau wie in der Küche sollten Sie auch im Businesskontext verschiedene Instrumente zur Hand haben – und je nachdem, zu welchem Humor Sie greifen, werden Sie unterschiedliche Effekte in Verhandlungen und Gesprächen erzielen. Kurzum: In der Verhandlung kann Humor Aufmerksamkeit steigern, eine Lage entspannen oder Widerstände reduzieren. Und im Vertrieb kann der Einsatz von Humor Spannung ins Gespräch bringen oder Reibung herunterfahren. Diese Vorteile der Ressource Humor sind für das Management durchaus relevant und interessant. Wenn Sie als Vertriebler eher eine Ritterrüstung anziehen und zum täglichen Verhandlungskampf ausschwärmen, dann ist Humor eher Ihr Schutzschild oder Ihr Schwert. Also wählen Sie auch Ihre Humorwaffen mit Bedacht bei Ihrem nächsten Kampf. Ob Preis- oder Tarifverhandlungen, ob Kaltakquise oder Fusion, ob Einwände oder Beschwerden: Solche Gespräche sind oft von einer gewissen Härte geprägt und davon, dass die beteiligten Personen von ihrer Position keinen Millimeter abrücken wollen. Als Chef liegt es nun an Ihnen, den richtigen Umgang mit Widerständen, Kritik oder Vorwürfen zu finden. Wenn Sie es richtig anstellen, können Sie entweder Grenzen setzen oder deeskalieren, Sie können die Situation anheizen oder entspannen. Ein Vertriebsingenieur wurde mit eher absurden Vorwürfen konfrontiert, als ein Einkäufer ihm gegenüber äußerte, dass er die gerade erst gekaufte Maschine getestet habe und die produzierten Späne nicht richtig funktionieren. „Das kann gar nicht sein, das sind nicht unsere Späne – denn unsere Späne hätten

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S­AP-Nummern“, war die humorvolle Antwort des Vertriebsingenieurs. Witzig, weil natürlich weder Holz- noch Metallspäne SAP-Nummern haben. Mit diesem Witz wird die Absurdität, in einem Unternehmen alles nummerieren zu können, auch den Abfall, auf die Spitze getrieben. In vielen Business-Situationen geht es darum, mit Widerständen deeskalierend umzugehen. Doch gerade in anstrengenden oder heiklen Situationen im Tagesablauf geht unser Humor oft flöten. Der produktive oder gar humorvolle Umgang mit Widerständen ist nicht nur für Berufsanfänger schwierig, sondern auch für so manche Führungskraft. Ich gehe jetzt mal davon aus, dass Sie sich als Führungskraft mit klassischer Kommunikation schon beschäftigt haben: Sie sind genervt, wenn Sie jemand unterbricht oder die Besprechung sich im Kreis dreht, wenn Mitarbeiter nicht die richtigen Antworten auf Fragen geben oder Zuhörer ständig auf ihr Handy zu schauen. In diesen Momenten fällt es Ihnen schwer, Leichtigkeit zu behalten und Konfetti zu werfen. Schnell laufen Sie in die Humorfalle der steinzeitlichen Kommunikation und verbringen viel Zeit mit Gegenangriffen, Verteidigung oder Flucht. Denn verschlossene Körpersprache, grimmiger Blick und wirsche Einwände oder patzig formulierte Fragen, das alles führt auch eine Führungskraft manchmal zu steinzeitlichen Reaktionen. Das geht Ihren Kunden und Mitarbeitern genauso. Der andere schlägt zurück, wird bissig oder verteidigt sich zynisch. Dieses Verhalten besser zu steuern, ist Grundlage vieler Führungskräfteseminare und der dazugehörigen Fachliteratur. Nur Humor als ein Werkzeug kommt in diesen Seminaren häufig nicht vor. Mit dem Content-Management-Experten Stephan Heinrich habe ich in seinem regelmäßig erscheinenden Sales-up-Call (vgl. Heinrich 2019), dem Weckruf für den

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Vertrieb, über das Thema Humor gesprochen: Im Vertrieb geht es neben aller Gesprächsplanung auch um ungeplante Momente. Wenn man einen Termin beim Kunden hat und dieser gleich zu Beginn sagt „Also, machen Sie schnell, ich habe keine Zeit. Ich gebe Ihnen zehn Minuten“ – wie reagiert man dann? Stephan Heinrich antwortet gerne positiv überraschend, zieht einfach den Vertrag aus der Tasche, nimmt den Stift in die Hand und sagt: „Dann machen wir das Wichtigste zuerst.“ Er drückt dem Kunden den Stift für die Unterschrift in die Hand und betont: „Hier auf der gepunkteten Linie.“ Das sorgt sofort für eine Überraschung und in der Regel ist der Kunde dann zu einem kurzen Vertriebsgespräch bereit. Schon hat man Zeit und Aufmerksamkeit durch Überraschung gewonnen. Auch offensichtliche Übertreibungen wie „Ich werde doppelt so schnell sprechen“ oder „Ich habe Ihnen hier eine Stunde Zeit mitgebracht. Wenn Sie mit mir jetzt zehn Minuten sprechen, schenke ich Ihnen drei Stunden Ihrer restlichen Lebenszeit“ führen humorvoll zum Erfolg. Widerstände als Angebote zu nutzen und humorvoll zu verwandeln, ist ein geschicktes Tool, das man im Vertrieb nutzen kann.

Ein anderes Beispiel: Man erreicht jemanden am Telefon und der blafft: „Machen Sie schnell, ich habe keine Zeit.“ Auch hier könnte man antworten: „Ach, das macht nichts, dann schenke ich Ihnen etwas von meiner Zeit.“ Im Vertrieb ist man durch solche kleinen Hirnverdreher erfolgreich. Das ist eine präventive Humor-Technik, weil

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ein Gespräch sich nicht gleich verschlechtert, nur weil Druck erzeugt wird. So eine erste Drucksituation gleich zu entspannen, bedeutet, dass man dann auch im restlichen Gespräch entspannter bleibt. Durch ungefährlichen Humor sorgt man gezielt dafür, dass eine Anspannung nicht größer wird oder sogar eskaliert und zum Abbruch des Gespräches führt. Humor hat im Vertrieb zwei wichtige Funktionen: Er kann Entspannung oder Distanz erzeugen. Wenn jemand unverschämt zu einer jungen Vertriebsleiterin sagt „Sind Sie nicht ein bisschen zu jung für den Job?“, dann ist es durchaus angebracht, wenn sie in dem Fall grinsend und zugewandt antwortet: „Sind Sie nicht ein bisschen zu alt für die Frage?“ Das ist eine aggressive Form von Humor, eine klare Kante, ein deutliches Stoppschild. Gerade im Vertrieb, wo eine Führungskraft oft mit extrovertierten und kommunikativ gut ausgebildeten Menschen zu tun hat, ist Humor ein solides Instrument im vertrieblichen Handwerkskoffer. Wenn Sie als junge Vertriebsmitarbeiterin mit erfahrenen Geschäftsführern zu tun haben, dann ist Ihr erstes Ziel, überhaupt ernstgenommen zu werden, einen hohen Status zu erreichen und gleichberechtigte Gesprächsführung zu erzeugen. Es ist in diesem Fall nicht das Ziel, eine Situation sofort zu entspannen, sondern Sie wollen und müssen von Ihrer Kompetenz, also von Ihrem Status überzeugen. Das heißt, Sie benötigen Spannung – keine Entspannung. Wenn ein Kunde dagegen im Widerstand ist und sagt „Ich habe keine Zeit“ oder „Sie sind zu teuer, ich will das nicht kaufen. Was wollen Sie eigentlich von mir?“, dann ist es Ihre Aufgabe, den genervten Kunden zu entspannen, dann behandeln Sie klassische Einwände. Je nachdem, wie Ihr Gesprächsziel aussieht, müssen Sie zwischen Spannung und Entspannung im Gespräch und in der Wahl Ihrer Gesprächstechniken unterscheiden können.

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Eine humorvolle Technik in der Akquise ist die Provokation. Es ist ja so, dass man im Businesskontext öfter mal vergeblich unterwegs ist. Die Kunst liegt darin, möglichst früh „tote Pferde“ zu entlarven, also Kunden oder potenzielle Kunden, bei denen es sich nicht lohnt, weiter Zeit, Energie und Geld zu investieren. Beziehungsweise genau diese Entscheidung den Kunden treffen zu lassen – indem man provoziert. Dafür gibt es bestimmte Eskalationsstufen. Stephan Heinrich hat ein Beispiel für den Fall, dass man es beim zweiten, dritten, vierten Versuch nicht geschafft hat, einen bestimmten Menschen zu erreichen, vielleicht eine eher höhergestellte Managerpersönlichkeit. Seine Empfehlung ist es, einen Brief zu schreiben, ganz kurz, in dem lediglich steht: „Sehr geehrter Herr Soundso, wann immer ich will, spreche ich mit meinem Gott. Warum nur lässt mich Ihre Assistenz nicht mit Ihnen sprechen? Mit freundlichen Grüßen.“ Das ist laut Stephan Heinrich eine provokative Form von Humor. Da muss ich ihm rechtgeben, denn dieser Satz unterstellt, dass der Kunde sich für wertvoller hält als Gott. Gleichzeitig spielt man mit Religion, was im Small Talk eher ein Tabu ist. Aber Humor ist eben ein harmloser Verstoß, auch oder eben bewusst bei Tabuthemen. Das erzeugt eine Spannung und damit eine Aufmerksamkeit. Man hat keinen wütenden Geschäftsführer, man hat niemanden, der im Widerstand ist – man hat nicht einmal Aufmerksamkeit. Der Kunde hatte bisher kein Interesse, daher ist es angebracht, überhaupt erst mal Spannung zu erzeugen. Man will Aufmerksamkeit bekommen und deswegen ist Humor, der Spannung erzeugt, in diesem Fall ein geschicktes Mittel. Wenn man als Vertriebler in einem Unternehmen das Ziel hat, eine Präsentation vor Entscheidern zu halten, und sofort kritisiert wird („SIE wollen uns doch jetzt nicht wirklich das Produkt vorstellen?“), dann könnte man ja auch ganz einfach sagen:

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„Ist ja interessant, dass gerade Sie das sagen.“ Und grinsen. Man zeigt so eine kurze Kante und gibt diesen Angriff bewusst zurück, um hohen Status zu erzeugen. Man senkt bewusst den Status des Gegenübers und signalisiert: Sie können mich gerne angreifen, aber ich kann damit gut umgehen. Willkommen im Statuskampf! Mit Aggressivem Humor kontert man einen Statusangriff. Beim Einsatz von Sozialem Humor spielt man oft mit Status. Durch das Statusspiel deeskaliert man den Angreifer, der gerade in der Steinzeit feststeckt bzw. auf Ärger aus ist. Übrigens: Sie erinnern sich, mehr zum Thema Status gab es ja bereits im Abschn. 1.3 unter der Überschrift „Autoritätsverlust durch Humor?“. Man kann also ganz bewusst Provokation im Vertrieb einsetzen, um Aufmerksamkeit zu erhöhen oder einen Angriff bewusst zu beenden. Wenn auf einer Jahresauftaktveranstaltung ein Kunde zu mir sagt „Frau Ullmann, schickes Kleid, gibt es das eigentlich auch in Ihrer Größe?“, dann kann ich so etwas heute besser parieren als vor einigen Jahren. Auch hier kann ich antworten: „Das ist ja interessant, dass gerade Sie das sagen.“ Oder: „Und das kommt ausgerechnet von Ihnen. Spannend.“ Bei mir als Person ist Sozialer Humor sehr ausgeprägt. In meiner vertrieblichen Funktion bzw. als Führungskraft musste ich Aggressiven Humor mehr üben als mancher meiner Vertriebskollegen. Hingegen sollten einige meiner Vertriebskollegen Sozialen Humor mehr üben, denn viele haben mit Aggressivem Humor schon einiges kaputt gemacht bzw. Einwände nicht deeskaliert. Also meine Frage an Sie: Zu welchem Stil neigen Sie? Welchen Humor benötigen Sie in Ihren Vertriebsgesprächen, bei Ihrer Vertriebsmannschaft, bei Ihrem Produkt? Und je nachdem, welche Ziele Sie verfolgen, können Sie den Stil, der Ihnen nicht so sehr liegt, mehr trainieren. Damit heben Sie Ihren Humoreinsatz auf ein neues Level.

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Vertriebliche Führungskräfte fragen mich oft nach kulturellen Grenzen im Vertrieb, also habe ich auch mit Stephan Heinrich darüber gesprochen. Man fragt sich, ob sich der Humor von Kollegen aus dem Norden vom Humor der Kollegen unterscheidet, die beispielsweise aus dem Rheinland sind. Vielleicht gibt es ja – je nach Geografie oder Mentalität – unterschiedliche Grundverständnisse von Humor. Das beginnt allein schon hinsichtlich der Frage, ob es so etwas wie Karneval gibt und was an Humor da oder dort erlaubt ist und was nicht. Dem Norden sagt man eher die Haltung „Hör doch auf mit dem Quatsch. Wozu brauchen wir das?“ nach, während die Rheinländer der Meinung sind: „Ohne Karneval, da fehlt uns eine Jahreszeit.“ Trotzdem ist sowohl dieser als auch jener Menschenschlag im gleichen Wirtschaftssystem untergebracht, also scheint es kulturelle Grundeinstellungen zum Thema Humor zu geben. Diese Unterschiede sind allerdings regional bezogen überbewertet. Aus meiner Sicht gibt es in Köln Menschen, die den Karneval mögen – genau wie Menschen, die den Karneval verabscheuen. Es gibt im Rheinland genauso humorvolle wie auch wenig humorvolle Menschen, wie es sie im Norden und im Süden auch gibt. Das Klischee, nur in Köln hätte man Humor, ist ähnlich wie der Stereotyp vom Baguette in Frankreich und der Humorlosigkeit der Deutschen. So etwas ist erst mal ein Klischee, was sehr verallgemeinert. Allerdings erlebe ich auch Vertriebler im Norden, die dieses Klischee selbst glauben, obwohl ich sie in Vertriebsseminaren als sehr humorvoll erlebe. Jüngst hielt ich in einem großen Unternehmen zwei verschiedene Vorträge – erst für die Verwaltung, dann für die Vertriebler. Viele Personen erwarten, dass die Vertriebler Humor besser einsetzen können als die Verwaltungskräfte. Innerhalb dieser Gruppe gab es jedoch so starke Unterschiede innerhalb

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des jeweiligen Bereiches, dass so manche Verwaltungskraft im Humoreinsatz gut mit den Vertrieblern mithalten konnte. Und mir fiel auch auf, dass so manchem Vertriebler der Humor bei aller Vertriebslogik so schwerfällt, dass er viel üben muss. Alle diese Teilnehmer waren aus der Region Köln. Innerhalb eines Teams, eines Bereiches, eines Unternehmens und einer Region erlebe ich oft eine ganz unterschiedliche Ausschlagnadel von Humor bei jedem Einzelnen – völlig egal, ob ich in Köln, Bremen, Stuttgart oder München bin. Menschen lachen ähnlich über Geschichten, wie man ähnlich über prominente Kabarettisten oder weltweit über komische Figuren wie Charlie Chaplin lachen kann. Dabei kann der regionale Anteil einer komischen Figur sehr zu der Komik beitragen. Humor kann sprachlich sehr regional oder national verstanden werden. So lassen sich Wortspiele nicht beliebig in eine andere Sprache übersetzen. Andererseits sind komische Filme, Figuren oder erstaunliche Inszenierungen wie vom Cirque du Soleil international bekannt und unterhalten weltweit. Aggressiver Humor funktioniert nicht von Region zu Region unterschiedlich, sondern von Situation zu Situation. Menschen behaupten oft, unterschiedlicher zu sein als ihre Mitmenschen in anderen Regionen, doch das ist nicht realistisch. Denn dann würden auch andere kommunikative Vertriebs-Tools schlecht regional übertragbar sein – und das ist nicht der Fall. Menschen – egal wo – lachen über ähnliche Geschichten, wohlwollenden, liebevollen und zugewandten Humor. Komplimente, die man als Vertrieblerin macht, oder auch schöne Übertreibungen funktionieren aus meiner Sicht erstaunlich gut in allen Regionen. Es lohnt sich für den Einsatz von Humor nicht, eine wesentliche regionale Unterscheidung zu machen – es sei denn, man bringt dadurch jemanden extra zum Lachen. Es gibt für mich jedoch weit

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mehr Übertreibungen, die über die Regionen hinweg funktionieren. Wie geht man nun am besten vor? Wie übt man Humor für den Vertrieb? Leute im Vertrieb sagen: „Ich bin nicht lustig, mir fällt da nichts ein. Ich kann mir auch keine Witze merken.“ Gehören Sie auch zu diesem Menschenschlag? Dann beginnen Sie mit dem Training, indem Sie Einwände umdeuten. Sie erinnern sich an die Aussage „Ich habe keine Zeit“ im Akquisegespräch – und an die Verwandlung in „Dann schenke ich Ihnen etwas von meiner.“ Oder antworten Sie doch: „Dann spreche ich doppelt so schnell, dann sind wir doppelt so schnell fertig.“ Also aus etwas Negativem machen Sie etwas Positives. Der Beamer fällt aus, es gibt eine Panne im Vortrag. Lösen Sie die Situation doch mal mit der Bemerkung: „Der Beamer ist verliebt, der will schon in den Feierabend gehen, der ist schon im Wochenende, der ist schon im Advent.“ Üben Sie gezielt Übertreibungen. Sie standen im Stau? Dann machen Sie das Drama größer: „Ich stand 17 Stunden im Stau und dann haben sich die Leute fast geprügelt, es gab fast Tote.“ Sie übertreiben Erzählungen, privat wie beruflich. Setzen Sie das bewusst ein, indem Sie eine sogenannte übertriebene Spiegelung oder humorvolle Spiegelung benutzen – immer dann und überall dort, wo Kunden in Vertriebsgesprächen ganz bestimmte Sachen sagen. Ein Kunde erklärt „Na, ich weiß noch nicht so genau, was das hier wird“ – dann nehmen Sie diesen Satz und machen ihn größer. Imitieren Sie ihn körpersprachlich, schauen ein bisschen wie Clint Eastwood und spiegeln die Aussage einfach nur zurück und sagen: „Sie schauen sich das heute mal ganz, ganz genau an, ehe Sie jetzt dem Vertriebler hier über den Weg trauen. Schauen Sie sich das erst mal ganz, ganz genau an.“ Also spiegeln Sie etwas übertrieben, was ein Kunde oder ein

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Gesprächspartner anbietet. Ein Kunde im Vertriebsgespräch sagt: „Was wollen Sie mir denn heute schon wieder andrehen?“ Und Sie sagen: „Sie befürchten einen Horrortrip. Sie haben ein bisschen die Befürchtung, ich bin hier schlimmer als die Geisterbahn. Da kann ich Sie entspannen. Ich habe sehr nützliche, neue Infos für Sie.“ Das sind ungefährliche Übertreibungen, die Sie gut am Kunden testen können. Hören Sie aufmerksam zu, was ein Kunde Ihnen anbietet, und dann üben Sie sich in liebevoller Übertreibung. Verwenden Sie das, was er von sich gibt. Greifen Sie es auf und setzen Sie es ein – genau das ist humorvolles Spiegeln. Übrigens: Im letzten Buchteil (Kap. 4) finden Sie alle Humortechniken nochmals zusammengefasst in einer Übersicht. Man sitzt im Vertriebsgespräch mit dem Entscheider und Vorstandskollegen und einer hat zwei Laptops und zwei Handys vor sich. So etwas kann man sehr gut mit einer Übertreibung spiegeln: „Ich sehe, Sie müssen noch ganz schnell die Welt retten. Geben Sie mir einfach eine kurze Info, wenn Sie damit fertig sind.“ Übertreibung im Alltag funktioniert über Sprache und Körpersprache: Muss ich vielleicht mal die Augen aufreißen, mich größer machen? Muss ich eine Geste deutlich erweitern? Ab welcher Form von Übertreibung erzeugt man einen Schmunzler? Sich selbst übertreiben und auch das übertreiben, was man von Gesprächspartnern angeboten bekommt – das ist die Technik, die sehr leicht zu üben ist. Für mich ist es das Einfachste, immer das zu verwenden, was tatsächlich da ist. Zum Beispiel in der Situation, in der ich mit einer Verspätung kämpfe. Also rufe ich den Kunden an, um dann die Übertreibung in der Sache zu nutzen: „Ich brauche eine halbe Stunde länger, bis ich bei Ihnen zum Termin bin. Das heißt, ich bringe nicht nur eine Produktlösung für Ihr Problem mit, sondern ich habe auch noch den amerikanischen

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Präsidenten abgeschafft, den Welthunger besiegt und das Ozonlochproblem gelöst. Also ich werde mit mehr Lösungen kommen, als Sie erwarten.“ Man bietet in einer Problemsituation eine Übertreibung an, und probiert in dem Moment aus, ob der Druck, der durch eine Zeitverzögerung entsteht, sich entspannt. Außerdem testen Sie damit Humor an, den Sie eventuell in einer schwierigen Verhandlung, die noch bevorsteht, weiter einsetzen können. Ein Zugbegleiter sagte mal zu einer Verzögerung der Bahn: „Vor uns steht noch ein Zug, es geht also um Vorzüge. Die Bahn ist ein System mit vielen Vorzügen und heute sind wir besonders vorzüglich.“ Das ist wieder eine Umdeutung, also aus etwas Negativem wird etwas Positives geformt, um Druck aus der Situation zu nehmen. Sie müssen so weit übertreiben, dass es lustig wird. Also wenn Sie sagen „Ich komme eine halbe Stunde zu spät, dann kann ich hier noch in Ruhe meinen Kaffee trinken“, dann ist die Übertreibung zu gering, um für den Gesprächspartner, der auch noch am Telefon ist und Ihre Mimik nicht sieht, lustig zu sein. Es muss eine ausreichend starke Übertreibung sein, damit diese auch durch den Telefonhörer zu verstehen ist. Widerstände lassen Kunden und Mitarbeiter sprunghaft in steinzeitliche Verhaltensweisen zurückfallen: Wir wollen uns verteidigen, angreifen – oder die Flucht ergreifen. Macht sich nun jemand auch noch über Widerstände lustig oder ist abwertend ironisch, dann verhärtet sich der Widerstand schnell zu einem Konflikt. Nun sind Vertriebsmitarbeiter oft schon besser ausgebildet, was den Umgang mit Widerständen und Einwandbehandlungen betrifft. Widerstände in Verhandlungen erfordern jedoch auch einen besonderen Blick auf den Humoreinsatz. Situationen, die Sie als Widerstände im Arbeitsalltag empfinden:

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• • • • • • • •

Essende Zuhörer Kunden, die im Gespräch aus dem Fenster gucken Ständiger Blick aufs Handy Jemand, der den Raum verlässt Nebengespräche im Raum Gelangweilter Blick Klapperndes Geschirr vom Büfett nebenan Beamer, der ausfällt

Aber auch Fragen und Einwände – zum Beispiel von Ihren Kunden – werden als störend empfunden: • Glauben Sie, dass die Daten wirklich relevant sind? • Das hat doch mit unserem Alltag nichts zu tun. • Sie sind doch viel zu jung, um in diesem Gebiet Expertise zu haben. • Haben Sie überhaupt Ahnung von unserem Bereich? • Sie sehen viel zu gut aus, um intelligent zu sein. • Warum müssen wir eigentlich hier sein? • Das sieht doch im Alltag ganz anders aus. (vgl. Ullmann und Hansmeier 2019) Die gute Nachricht: Es gibt Alternativen. Widerstände in Verhandlungen oder im Vertriebsgespräch kann man beobachten, benennen, ignorieren, spiegeln, überhöhen, liebevoll karikieren, diskutieren. Wie schon erwähnt, haben Sie sich im Laufe Ihrer Karriere als Vertriebsführungskraft sicher schon einige Strategien angeeignet. Gelingt es Ihnen, grundsätzlich wohlwollend zu sein und Widerstände, Befindlichkeiten und Sorgen gezielt und liebevoll zu spiegeln oder zu übertreiben, kann das zur Entspannung führen. Auch dafür habe ich bereits einige Beispiele angeführt. Humor kann zur Reduzierung von Widerständen und Störungen beitragen. Vorausgesetzt, es ist in dem Moment Sozialer Humor, den Sie machen.

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Widerstände sind unangenehme Angebote, jedoch mal wieder gutes Humormaterial! Es ist faszinierend, wenn es gelingt, Widerstände humorvoll zu entspannen und die Atmosphäre in der Gruppe aufzulockern, um anschließend Wünsche, Bedürfnisse und Fragen zu klären, die hinter den Widerständen stecken. Das gelingt am besten durch den Grundsatz: annehmen, übertreiben, entkräften. Ich komme in ein Leipziger Unternehmen. In dem Seminarraum geht der Blick direkt zum Völkerschlachtdenkmal. Es ist ein herrlich sonniger Tag. Einer der Mitarbeiter kommt unfreundlich in den Raum, zieht schon vor dem Start des Trainings ein Gesicht und ist offensichtlich pampig. Also bleibe ich empathisch und zugewandt: „Nehmen Sie Platz“, sage ich zu ihm, „und bitte: erschießen Sie mich nicht sofort.“ Er wartet einen Moment, dann sehe ich das Schmunzeln auf seinem Gesicht. Später in der Kaffeepause wird er mir dann erzählen, dass er gerade eine Ausbildung als Deeskalationstrainer gemacht hat – ganz ehrlich und nur hier unter uns: von dem Institut würde ich ja das Geld zurückfordern … In stressigen Momenten oder in einer Situation mit Widerständen ist die Technik der Übertreibung gut platziert. In der Regel produziert sie ein Schmunzeln, die Mimik verändert sich. Das gilt grundsätzlich für die Anwendung von Sozialem Humor, der wie ein Kompliment wirkt: Der andere grinst, öffnet sich in seiner Haltung, verschränkte Arme werden entknotet, ein helles und entspanntes Lachen ist zu hören. Sie werden feststellen, wie sich ein Kunde, der sich gerade beschwert, oder ein verärgerter Mitarbeiter durch Sozialen, liebevollen, aufwertenden Humor öffnen und wie Sie diesen Menschen dann wieder für sich gewinnen. Übrigens: Wenn Sie als Vertriebler oder als Führungskraft damit arbeiten, ist es wichtig, dass Sie im Nachgang an eine

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solche Situation im bilateralen Gespräch – also nicht vor versammelter Mannschaft im Team – dem nochmals nachgehen und den Widerstand klären. Auch unsinniges Zustimmen kann helfen, um professionell und kompetent mit schwierigen Situationen umzugehen – oder wenn jemand Ihre Zahlen, Fakten, Produkte angreift. Gleich vorweg: Die paradoxe Intervention ist ein Universum, dessen verschiedene Techniken man üben muss. Besonders Ihre Körpersprache und Gelassenheit sind wichtige Voraussetzungen, damit unsinniges Zustimmen nicht beleidigend wirkt. Denn in dem Augenblick, in dem Sie sich beleidigt oder angegriffen fühlen, schaltet Ihr Gehirn in den Steinzeit-Modus. Erster Schritt: weiteratmen. Zweiter ­ Schritt: zustimmen, ja sagen zur Kritik und sich im dritten Schritt für den Vorwurf begeistern. • „Sie sind ja inkompetent!“ Unsinnige Zustimmung: „Ja, das stimmt, hat bisher keiner gemerkt, dürfen Sie keinem sagen – sonst muss ich Sie töten.“ • „Sie sind ja doof!“ Unsinnige Zustimmung: „Ja, da haben wir ja was gemeinsam.“ (Übrigens: diese Antwort ist witzig, aber nicht deeskalierend.) Mein Tipp: Sammeln Sie mögliche Widerstände, Störungen, kritische Fragen und Abwertungen, die nach oder während eines Vertriebsgespräches bzw. der wichtigen Verhandlung auftreten könnten. Setzen Sie sich dann die Sherlock-Holmes-Mütze auf und schauen Sie genauer hin und auch dahinter. Vielleicht ist es Wissbegier Ihres Gegenübers? Wodurch lösen Sie selbst vielleicht die Widerstände aus? Tragen Sie eine Sammlung kreativer Problemlösungen zusammen und bereiten Sie so die Situationen nach. Wenn Sie es als Führungskraft schafften, auf Widerstände gelassen zu reagieren und sie liebevoll zu

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überhöhen, reduziert sich der Druck, jeden Widerstand lang, breit und detailliert klären zu müssen (vgl. Ullmann und Hansmeier 2019). In einem großen Pharmaunternehmen wollte keiner etwas von der Digitalisierung wissen. In einer Verhandlung ging es um mehr Raum, mehr Budget, mehr Freiheit in diesem Themenspektrum. Eine Führungskraft machte sich dafür stark, doch alle anderen wollten die Notwendigkeit weder sehen noch verstehen. „Ich will etwas anschieben und im Konzern muss ich an vielen Stellen das Thema vortragen. Doch wenn keiner die Notwendigkeit versteht, dann bekomme ich erst gar nicht die Möglichkeit, meine Vorschläge an den entscheidenden Stellen einzubringen“, erklärte mir die betroffene Person im Humor-Coaching. Im Fokus stand die Sammlung von Patientendaten über digitale Tools im Alltag. „Wir werden doch nicht als Pharmaunternehmen mit einem Technikkonzern kooperieren“, so die klare Ansage der Konzernleitung. Die Führungskraft sah sich ohnmächtig in einer Negativspirale: „Keiner konnte nachvollziehen, dass wir jede Menge Daten generieren könnten. Also warum arbeiten wir nicht mit denen zusammen, um unsere Produkte an jene Menschen zu bringen, die sie tatsächlich brauchen?“ Um in den Gesprächen endlich gehört zu werden, entschieden wir uns für die Metapher der Mondlandung. Bei der nächsten Sitzung mit dem Vorstand hatte die Führungskraft ihre ungewöhnliche Einleitung zusammen: „Unsere Situation ist vergleichbar mit dem Wettlauf zum Mond. Die alles entscheidende Frage war damals: Wer steckt als Erster die Fahne rein? USA oder Russland? Wollt ihr, dass die ‚Pharma-Russen‘, also unsere Konkurrenz, vor uns ihre Fahne auf dem Mond haben?“ Sein Vorstand war ganz Ohr. Sicher haben Sie als Vertriebler bereits vom Harvard-Prinzip in der Kommunikation gehört. Nach ­

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den Grundsätzen dieses Modells argumentieren Sie weich zur Person und bleiben hart in der Sache. Wenn man dieses Modell um den Humor ergänzt, kann man Verhandlungen humorvoll und herzlich zur Person führen und gleichzeitig hart in der Sache bleiben. Gerade dann, wenn man sich im Kreis dreht, etwas nicht vorangeht, wenn Sie auf Angriffe reagieren oder Grenzen setzen müssen. Und gerade wenn Verhandlungen feststecken, trauen Sie sich ruhig zu, mal mit einer Irritation oder Provokation zu arbeiten – das bringt schnell Dynamik in die Sache und kann so manches gut beschleunigen. Wie man als Vertriebsdirektorin die tägliche Klarheit einer Führungskraft mit Humor verbinden kann, lesen Sie im Interview mit der charmanten Katja Müller. Sie hält Humor für einen wesentlichen Erfolgsfaktor in ihrer eigenen Karriere. Das komplette Gespräch mit ihr finden Sie im Podcast.

2.6 Interview mit Katja Müller, Vertriebsdirektorin der Sparkassen-Versicherung Sachsen „Humor macht im positiven Sinne unberechenbar.“ 

Eva Ullmann Du nennst dich selbst liebevoll die Außenministerin der Sparkassen-Versicherung Sachsen. Du bist Vertriebsdirektorin und verantwortlich für den

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operativen Versicherungsvertrieb der sächsischen Sparkassen sowie die eigenen Agenturen. Katja Müller Genau. Eva Ullmann Wann hattest du das erste Mal Lust darauf, eine Führungskraft zu sein? Wann hast du gemerkt, dass du dafür geeignet bist und Spaß daran hast? Katja Müller „Wann hatte ich Spaß daran?“ und „Wann fand ich mich dafür geeignet?“ sind nicht deckungsgleich mit dem Termin, an dem ich Führungskraft geworden bin. Ich werde jetzt 38, also ist das 13 Jahre her. Mein damaliger Chef hat zu diesem Zeitpunkt etwas in mir gesehen, das ich selbst nicht gesehen habe. Er hat mich im Prinzip überzeugt, meine erste Führungsstelle mit Mitte 20 zu übernehmen. Das hätte ich zu diesem Zeitpunkt niemals selbst angestrebt. Das hat er wohl gemerkt und mich in dieser Zeit sehr unterstützt. Damals habe ich mein erstes kleines Team mit acht Leuten übernommen. Sie waren alle so alt wie ich. Das war eine der härtesten Lernstrecken als junge Führungskraft. Doch ich habe da einiges mitgenommen. Mit der Freude am Führen hat es dann noch mal etwa zwei Jahre gedauert. Heute bin ich verheiratet, habe ein Kind, über zehn Jahre Führungserfahrung und etwas Lebensreife. Ich bin unglaublich gern in der Führung. Menschen anzuleiten, mich für sie einzusetzen und ihnen zu dienen, ist für mich eine wunderbare Aufgabe. Eva Ullmann Was konntest du gut, was lag dir? Und was musstest du lernen? Katja Müller Gerade in der Anfangszeit und bei den folgenden Führungsjobs hat mir immer geholfen, dass

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ich ein gutes Verständnis für Menschen habe. Wie ticken sie? Was wollen sie? Wenn sie sich auf eine bestimmte Art und Weise verhalten, was läuft dann in ihrem Kopf ab? Da kann ich schnell andocken. So ist man gleich klar im Gespräch. Die Empathie, die dabei eine wichtige Rolle spielt, ist mein Begleiter. Was ich lernen musste: direkt sein, Nein sagen, mich nicht anstellen lassen, auf den Punkt kommunizieren – etwa, um bei Entscheidungen auf unterschiedlichen Ebenen mehr Geschwindigkeit zu generieren. Eva Ullmann Für wie viele Menschen bist du heute als Vertriebsdirektorin verantwortlich? Katja Müller In meinem Bereich sind 33 Mitarbeiter direkt beschäftigt. Gemeinsam sind wir für 49 Agenturen verantwortlich. Dort arbeiten aktuell insgesamt 383 Menschen. Eva Ullmann Früher warst du Trainerin. Was hast du davon für deinen heutigen Führungsalltag mitgenommen? Katja Müller Ich fing ganz jung als Trainerin an und hatte dann noch einige andere Stationen. Nach meiner Elternzeit kam ich als verantwortliche Leiterin des Schulungsbereichs zurück. Da lernte ich das Handwerkszeug für den Umgang mit Menschen. Die Empathie ist mein Talent, alles andere erlerntes Handwerkszeug – wie ich mit Gruppendynamiken arbeite, wie ich überzeugend bin, wie ich Struktur in die Kommunikation bringen kann. Eva Ullmann Mich interessiert Humor als Instrument für Führungskräfte. Ich erlebe dich als fröhlichen, humorvollen, einladenden Menschen und ich gehe davon aus, dass du in den letzten Tagen mal geschmunzelt oder

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gelacht hast. Kannst du dich an irgendeine Kleinigkeit erinnern? Katja Müller Heute Morgen gab es in der Firma in Dresden ein kleines Dankeschön-Frühstück mit meinem Team, mit dem ich die Jahresauftakttagung für die Sparkassen-Versicherung Sachsen organisiert habe. Die ­ fand vor zwei Wochen statt. Wir sind sehr zufrieden, weil es eine unserer besten Tagungen war. Bei diesem Frühstück haben wir das Teilnehmer-Feedback kurz ausgewertet, sowohl Lob als auch Kritik. Es gab eine kleine Kritik eines Teilnehmers, der geehrt wurde: „Nur eine Tasse und eine Schokolade als Geschenk war sehr wenig für eine Ehrung.“ Wir schmunzelten alle und dann sagte ich: „Ich habe auch ein Dankeschön für euch vorbereitet: Es ist eine Tasse.“ Da war ein Foto von uns als Organisationsteam drauf. Das war in dem Moment sehr lustig. Eva Ullmann Humor wird manchmal sehr ernst genommen und manchmal belächelt. So wie ich dich kenne, wird er von dir ernst genommen. Was sind für dich Vorteile von Humor? Wann ist für dich als Führungskraft, die für viele Menschen verantwortlich ist, Humor nützlich? Katja Müller Ich bin als Frau in einer relativ branchenunspezifischen Position tätig. Verantwortliche Vertriebsdirektorinnen im Versicherungsvertrieb, die unter vierzig sind, gibt es relativ wenige. Ich würde behaupten, dass die Tatsache, dass ich mit Humor ausgestattet bin, auch damit zu tun hat, wo ich heute beruflich stehe. Für mich ist Humor – ich spreche auch gern von einer charmanten Schlagfertigkeit – gepaart mit der Fähigkeit, sich selbst nicht allzu ernst zu nehmen, ein Kraftpaket, das sich sehr

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gut mit Führung verträgt. Damit kann ich viele ernste Situationen im Berufsleben entspannen. Ich kann Türen damit bewusst einen Spalt offenlassen, auch wenn jemand mich dazu bringen will, sie zu schließen. Das gilt gerade in einem Beruf, in dem man viel mit Männern zu tun hat und sich ein Stück weit behaupten muss. Humor ist nicht unbedingt die erste Eigenschaft, an die man bei Frauen denkt … Eva Ullmann Bei Frauen, die Führungskräfte sind? Katja Müller Genau. Man denkt eher: Diese Frauen sind etwas verbissen und vielleicht ein bisschen zickig. Wenn man da mit Humor überrascht, ist man im Grunde sofort auf Augenhöhe. Man wird ernst genommen und spielt mit. Eva Ullmann Es verändert das Zickigen-Klischee? Katja Müller Ja. Man bekommt ein bisschen Variabilität, wie man reagiert. Man wird etwas unberechenbarer – im positiven Sinne, also nicht manipulativ, sondern humorig eben. Eva Ullmann Humor macht im positiven Sinne unberechenbar. Schöner Punkt. Ich empfinde es als unfair, wenn man sagt: Ehrgeizige Männer werden als karriereorientiert bezeichnet, ehrgeizige Frauen als Zicken. Das hat sich schon weiterentwickelt, aber zum Thema Gleichberechtigung bleibt noch etwas zu tun … Helfen also Heiterkeit, Gelassenheit und der bewusste Einsatz von Humor dabei, aus der Klischee-Ecke, in die Mitarbeiter einen stellen wollen, wieder rauszukommen? Katja Müller Genau.

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Eva Ullmann Inwiefern ist Humor auch ein Vorteil gegenüber gleichgestellten Führungskräften und gegenüber Vorgesetzten? Würdest du auch da Humor benutzen? Katja Müller Immer. Und zwar ganz bewusst. Insbesondere bei wichtigen Terminen überlege ich mir sehr genau: Wie schafft man einen guten Start, auch in neue Geschäftsbeziehungen? Ein Beispiel: Wenn in der Sparkasse der Vorstand wechselt und es einen neuen Ansprechpartner gibt, dann spiele ich mit den Namen. Ich heiße ja Müller mit Nachnamen. Mein Chef im Haus, der Vertriebsvorstand und Vorstandsvorsitzender ist, heißt auch Müller. Ich werde bald 40, mein Chef ist etwas über 60 Jahre alt. Bei neuen Antrittsbesuchen fange ich immer mit dem Namensthema an. Denn ich stelle oft fest, dass man sich vor meiner Ankunft schon genauestens darüber informiert hat, ob es verwandtschaftliche Verhältnisse gibt. Das ist mir klar, also nutze ich es. Ich erzähle, dass ich weder Müllers Frau bin noch seinen Sohn geheiratet habe. Das sorgt für das erste Schmunzeln. Die anderen fühlen sich in dem Moment auch irgendwie ertappt. Ich erzähle dann noch, dass ich früher Fischer hieß. Ein Namenswechsel von Fischer zu Müller ist ja auch witzig. Vertriebsdirektorin wurde ich allerdings erst nach der Hochzeit – füge ich dann hinzu. Eva Ullmann Damit lässt du noch einmal Raum für Spekulation. Da stecken zwei Dinge drin, die ich mit Führungskräften sehr bewusst trainiere: das Offensichtliche aufnehmen – und Andeutungen machen, die man nicht auflöst. Dann können die Menschen darüber spekulieren.

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Katja Müller Ich finde, das macht den Auftritt stark. Nach dem Motto: Ich weiß, was ihr denkt. Ich weiß, was ihr erzählt. Eva Ullmann Die Mitgründerin und Leiterin des Deutschen Instituts für Provokative Therapie Dr. Eleonore Höfner hat geraten, bei Klienten einfach mal in den Busch zu schießen, wenn man Dinge vermutet. Man muss sie gar nicht sicher wissen. Man schießt in den Busch und schaut, ob ein Lacher rauskommt. Ich war auch sehr jung, als ich angefangen habe, zu trainieren. Ich stand vor Gruppen von Menschen, die älter waren als ich und sehr erfahren. Ich erinnere mich, dass ich am Anfang oft mit Status beschäftigt war: Was brauche ich, um eine Gruppe zu führen? Da war ich von Humor noch ein Stück weit entfernt. Wann kam das bei dir dazu? Wann hast du ein Händchen dafür entwickelt? War das von Anfang an da? Katja Müller Das hat auf jeden Fall gedauert. Je sicherer ich wurde, umso mehr habe ich an Humor und Entspanntheit in der Kommunikation gewonnen. Ich kann schwer sagen, wie viele Jahre es gedauert hat, vielleicht vier oder fünf. Inzwischen nehme ich es bewusst wahr. Es waren auch einige Ereignisse nötig, bis ich gemerkt habe: Ich kann auch einfach entspannt, locker, humorvoll, witzig sein. Meine Sprache muss nicht so steif sein, das tut meiner Reputation und meiner Akzeptanz überhaupt keinen Abbruch. Doch das hat schon seine Zeit gebraucht. Als ich 30 wurde, dachte ich: Gott sei Dank, ich bin so weit! Eva Ullmann Jetzt bin ich 30, jetzt kann ich auch offiziell Führungskraft sein …

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Katja Müller So ungefähr. Wahrscheinlich hat das auch mit meinem persönlichen Anspruch zu tun, denn meiner Meinung nach braucht es auch ein Stück persönliche Reife, um andere Menschen anleiten zu können. Eva Ullmann Wenn man Berufserfahrung und Felderfahrung hat, kann man anfangen, damit zu spielen und es für einen Moment nicht so ernst zu nehmen – ist es so? Katja Müller In meinem ersten Team habe ich damals ein Beurteilungsgespräch geführt. Es war wirklich das schlechteste Beurteilungsgespräch, das man sich vorstellen kann. Wir sind wutentbrannt auseinander gegangen. Mein Feedback war überhaupt nicht annehmbar, meine Struktur war Mist. Heute lachen der Mitarbeiter und ich darüber. Er ist immer noch in meinem Bereich tätig. Wir können darüber lachen, wenn ich sage: „Herr …, es war tatsächlich das schlechteste Beurteilungsgespräch meiner Karriere. Leider hat es Sie getroffen.“ Mit Abstand ist es extrem gewinnbringend, dass es so gelaufen ist. Es muss eben manchmal auch ein bisschen wehtun. Eva Ullmann Das ist sehr offen von dir, dass du sagst: „Da habe ich Fehler gemacht.“ Katja Müller Absolut. Eva Ullmann Das erlebe ich bei Führungskräften unterschiedlich, wie sie auf ihre Karriere zurückschauen. Manche sagen: „Ich habe das schon mit der Muttermilch aufgesogen und keine Fehler gemacht.“ Ich lerne viel mehr von Führungskräften, die sagen: „Da habe ich ein schlechtes Training gemacht, da habe ich ein schlechtes Mitarbeitergespräch geführt, daraus habe ich etwas

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gelernt.“ Würdest du sagen, Humor kommt intuitiv aus dir oder machst du ihn absichtlich? Oder vielleicht auch beides? Katja Müller In jedem Fall steckt ein humorvoller Mensch in mir – Gott sei Dank. Mein Vater und mein Bruder sind auch sehr humorvoll. Viele Jahre lang habe ich Humor einfach spontan eingesetzt, bin aber mittlerweile auch dazu übergegangen, es bewusst zu tun – je nachdem, wie viel Kommunikationsbedarf die Führungsrolle gerade mit sich bringt. In Vorträgen, Reden und Gesprächen ist Kommunikation heute im Prinzip meine eigentliche Aufgabe. Also bereite ich mich hauptsächlich auf diese Situationen vor. Ich baue oft ganz bewusst und gezielt Humor ein – um schwierige Botschaften zu verpacken, um einen schwierigen Teil kurz loszulassen und alle kurz zu entspannen, bevor man zum nächsten Teil kommt. Oder um am Anfang, zwischendrin oder am Ende eine gute Atmosphäre zu schaffen. Eva Ullmann Hast du ein Beispiel für geplanten Humor? Etwas, das du vorbereitet hast und das gut funktioniert hat? Damit tun sich viele Führungskräfte schwer … Katja Müller Letztes Jahr haben wir ein neues Produkt eingeführt, einen Versicherungsschutz für Unternehmen, die sich gegen Cyber-Risiken versichern wollen. Da haben wir einen „Tag des Risikos“ veranstaltet. Ich hatte dafür einen spannenden Gast eingeladen, einen Mitarbeiter vom Landeskriminalamt Sachsen. Seine Abteilung heißt ­Cyber-Crime-Kompetenz-Center Sachsen. Als er mir das erzählt hat, musste ich sehr lachen. Auf der Bühne habe ich ihn dann so angekündigt: „Freuen Sie sich auf Herrn XY vom Cyber-Crime-Kompetenz-Center Sachsen.“ Den zweiten Teil des Satzes sagte ich mit amerikanischem

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Akzent. Das klang nach CSI, nach Kriminalserie. So kam er mit einem Schmunzeln auf die Bühne und 300 Zuhörer lachten ebenfalls. Eva Ullmann So haben sie gleich geschmunzelt und wahrscheinlich trotzdem zugehört. Das kenne ich auch, wenn ich in einem Seminar bestimmte Techniken vorstelle und davon ausgehe, dass ein Teil der Anwesenden die schon kennt. Ich muss in dieser heterogenen Gruppe dafür sorgen, dass es alle verstehen und auch die Wiederholungsschleife sehr aktiv mitmachen, weil manche vielleicht noch besser werden müssen. Es ist immer ein Balance-Akt. Das gilt auch in Bezug auf den Humor gegenüber Mitarbeitern. Du hattest schon gesagt: Man muss erst in seiner Expertise wachsen, bevor das gelingen kann. Inwiefern setzt du Humor bei Mitarbeitern ein? Katja Müller Eine Form von Humor hat mich über die letzten Jahre positiv begleitet: der Humor, bei dem ich mich selbst nicht ganz so ernst nehme. Wenn man einen ziemlich hohen Anspruch an sich und seine Arbeit hat, dann nervt das Mitarbeiter oft. Wenn man sich selbst nicht ganz so ernst nimmt, auch mal Schwächen zugibt und das ein bisschen witzig verpackt, dann kommt das gut an. Es muss in der richtigen Dosis sein, man darf sich nicht dauerhaft klein machen. Aber man sollte einfach ehrlich und nuanciert sein und sich selbst nicht ganz so wichtig nehmen. Ich habe das Gefühl, da steckt die Botschaft drin: „Sie ist doch nicht so perfekt. Das ist gut für mich, denn sie braucht mich.“ Vor ein paar Jahren hatte ich ein spannendes Erlebnis, bei dem ich etwas Wichtiges gelernt habe: Ich war für den Schulungsbereich verantwortlich und meinte, ein Zertifikat für ein Spezialgebiet im gewerblichen Bereich

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abschließen zu müssen. Ich besuchte also die Seminare und machte die Prüfung. Alle Teilnehmer bekamen ihre Note durchgesagt. Doch mich rief der Trainer der Seminargruppe nach vorn und fragte – mit seinem Hintergrundwissen, dass ich die Chefin des Bereiches bin: „Sagen Sie mal, Frau Fischer, haben Sie eigentlich die Seminare besucht? Ihre Prüfungsergebnisse sind so weit weg von der Note ‚Bestanden‘. Das irritiert mich.“ Das war spannend, denn ich war selbstverständlich bei allen Seminaren dabei gewesen. Und ich hatte auch vorher viel gelernt. Doch ich musste zugeben, dass ich noch viel zu wenig im Praxisalltag unterwegs war. So bin ich also sang- und klanglos durch diese Prüfung gefallen. Am selben Tag habe ich das ziemlich bedröppelt meinen Mitarbeitern erzählt. Sie hätten Häme über mich ausschütten können. Stattdessen habe ich so viel Anerkennung und Respekt gewonnen, dass es sich mir als eines der wichtigsten Ereignisse meiner Karriere eingeprägt hat: Wenn du mal schwach bist, ist das auch okay. Eva Ullmann Denn dann haben Mitarbeiter auch mal die Gelegenheit, stark zu sein oder zu helfen? Katja Müller Genau. Und ich weiß nach diesem Lehrgang, wo meine Grenze ist und worin ich nie Experte werde. Und das strebe ich auch nicht mehr an. Ich habe fitte Mitarbeiter, die das können. Eva Ullmann Frauen können eher Verletzlichkeit zeigen und zugeben, dass sie einen Fehler gemacht haben. Bei Männern ist das oft anders – ob geschlechterspezifisch oder antrainiert, sei mal dahingestellt. Gerade in der Führung heißt es ja oft: „Zeig keine Fehler, sei ein harter Knochen, du musst immer alles können.“ Aber Verletzlichkeit gehört dazu. Die Sozialpädagogin Brené Brown

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hat viel zu Verletzlichkeit und Scham geschrieben. Sie sagt: Man kann sich auch als Führungskraft entweder so entwickeln, dass man ein harter Knochen wird, nichts an sich heranlässt, völlig unnahbar wird und ein dickes Fell hat. Oder man kann mit dieser Verletzlichkeit arbeiten. Es gibt Momente, in denen ich scheitere, oder es gibt Dinge, die ich nicht gut kann, und das mache ich auch transparent. Das macht mich sympathisch. Dabei sollte man jedoch nicht an den Punkt kommen, an dem man sagt: „Ich kann gar nichts“ oder sich sogar fragt, warum man eigentlich Führungskraft ist. Eine gute Einstellung lautet also: „Ich weiß schon, dass ich etwas kann. Doch ich mache Fehler und bin nicht perfekt. Das macht mich sehr sympathisch.“ Auch das ist Material für Humor. Hast du keine Angst vor einem Statusverlust? Katja Müller Nein, das hatte ich nie. Ich staune heute noch, dass es den Titel Vertriebsdirektorin braucht, um diese Stelle zu beschreiben. Das klingt super wichtig. Eva Ullmann Und es ist ein Statusbegriff … Katja Müller Absolut. Das ist mir allerdings nicht so wichtig. Ich würde auch ein sehr kleines Auto fahren. Ich weiß aber, dass eine gewisse Ausstattung zu diesem Job gehört und dass die passende Kleidung ein Stück weit wie eine Uniform ist. Damit habe ich mich arrangiert. Ich habe auch deshalb keine Angst vor Statusverlust, weil ich mit jedem Jahr etwas ruhiger werde. Ich weiß, was ich gut kann und was ich nicht gut kann. Das erdet mich. Deswegen habe ich vor wenigen Dingen Angst. Eva Ullmann Um diese Gelassenheit beneiden einen die jüngeren Generationen. Apropos Generationen: Ich finde Humor auch ein schönes Mittel, damit Jung und Alt in

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einer Firma in einen Dialog kommen. Den Jungen wird immer vorgeworfen, sie bleiben nicht dran, und den Alten wird vorgehalten, sie interessieren sich für nichts mehr. Ich finde die jeweiligen Stärken interessant – und was den Jungen oder den Alten Spaß macht. Liebe Katja, nun bist du weit entfernt davon, eine alte Führungskraft zu sein. Doch die Gelassenheit ist etwas, worauf man sich freuen kann, oder? Katja Müller Viele sagen, davon kommt noch mehr. Da freue ich mich tatsächlich drauf. Eva Ullmann Manche Menschen wären sehr aufgeregt, wenn sie vor 300 Leuten sprechen müssten. Da ist es auch gut, Erfahrung mit großen Gruppen zu haben. Bei mir ist die Aufregung immer noch da. Wie geht es dir da? Katja Müller Auf jeden Fall. Die ersten Male sind wirklich schlimm. Denn es gibt ja immer Augen, die auf einen schauen. Da hat der Schulungsjob extrem geholfen. Da habe ich gelernt, wie ich agiere. Man lernt den Unterschied zwischen Seminar und Bühne. Das macht Spaß, sich aktiv damit auseinanderzusetzen und genauer hinzuschauen, was gut war, was man anders machen muss. Das ist ein Reifeprozess. Eva Ullmann Eine Führungskraft ist wie ein reifer Wein, ein guter Whisky. Gibt es bei alledem auch Gefahren, gibt es aus deiner Sicht gewisse Grenzen von Humor? Gibt es Situationen, bei denen du sagst, da gehört Humor überhaupt nicht hin? Katja Müller Humor ist dann eine Gefahr, wenn man ihn nicht versteht. Ich finde die Situation ganz schwierig, wenn jemand humorig sein möchte, es aber nicht auf den

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Punkt bringt oder man es körpersprachlich nicht sieht. Wenn er dann erklären muss, dass es ein Spaß war, dann wird es schnell unangenehm. Derjenige will witzig sein, aber man fühlt sich selbst schlecht, weil man ihn scheinbar nicht verstanden hat. Das finde ich nicht ideal. Wenn Humor mal nicht ankommt, muss man sich einen guten Ausweg überlegen. Man sollte nicht sagen: „Du hast es nicht verstanden.“ Man sollte bei sich bleiben und erklären: „Ich wollte heute Morgen witzig sein. Da bin ich wohl doch nicht so gut drauf. Da muss ich noch ein bisschen üben.“ Das ist jedenfalls viel annehmbarer als zu sagen: „Es war doch ein Spa-ha-haaß!“. Eva Ullmann Oder zu entgegnen: „Sie sind wohl zu doof.“ Das gibt es auch. Darin steckt die Krux: Nehme ich mich auf die Schippe oder mein Publikum? Katja Müller Ich finde, Humor passt auch dann nicht, wenn es um Informationen geht, die sehr betroffen machen können. Oder wenn eine Angelegenheit frisch ist und man es noch nicht gut verarbeitet hat. Wenn man zum Beispiel Inhalte vermitteln muss, die einen selbst sehr betroffen machen und man dabei nicht die nötige Entspannung besitzt, um humorig zu sein, dann würde ich nicht versuchen, Humor bewusst einzusetzen. Es hat ja immer etwas mit dem eigenen Zustand zu tun: Wie geht es mir? Habe ich schon Abstand zum Thema oder nicht? Eva Ullmann Oft befürworte ich den Perspektivwechsel und den humorvollen Aspekt von Situationen. Das ist ja mein Job. Aber ich kann auch gut den Mund halten, wenn ich beispielsweise sehe, dass andere Menschen den Raum füllen. Oder wenn Humor für den Prozess überhaupt nicht notwendig ist, weil alle gerade gut und konzentriert

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arbeiten. Ich kann gut damit leben, wenn eine Situation nicht humorvoll ist. Wie ist das bei dir? Katja Müller Manchmal kann Ablenkung auch störend sein. Man braucht einfach ein Gefühl für die Situation. Aber ich finde, das sind wenige Fälle. Meist ist Humor ein guter Begleiter. Eva Ullmann Wenn du noch in keiner humorvollen Grundhaltung bist, wie bereitest du dich dann auf eine Situation vor? Wie kommst du auf eine humorvolle Idee oder wie sorgst du für Leichtigkeit – wenn du sie brauchst? Katja Müller Ich habe Vertrauen in mich selbst. Wenn plötzlich witzige Situationen entstehen, erkenne ich sie in der Regel und mache irgendetwas daraus. Das führt häufig dazu, dass man sich entspannt. Das kann man aber nicht planen, dazu braucht man ein bisschen Interaktion. Dafür habe ich ein Beispiel: Wir hatten gerade eine Vertriebstagung. Ich habe dort berichtet, dass die Vertriebler noch einen Qualifikationsnachweis machen müssen. Der Zugangscode für den Test sollte zu einem bestimmten Termin versendet werden. Dann stand ein Teilnehmer auf und verließ den Raum. Und ich sagte: „Das ist aber erst ab nächster Woche freigeschaltet.“ Das sind Momente, die man geschenkt bekommen muss. Ansonsten versuche ich bei schwierigen Themen, es vorher textlich zu planen, mir beispielsweise einige Sätze parat zu legen, sodass ich mich ein oder zwei Minuten mit dem ernsten Thema befasse und dann bewusst eine kleine Auflockerung einbaue. Eva Ullmann Das heißt, du schreibst erst mal den Text vor, mit den nötigen Zahlen, Daten und Fakten. Und dann schaust du nochmals darüber, um es mit einer leichten Prise Humor zu würzen?

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Katja Müller Meist gelingt mir das gut morgens beim Autofahren. Ich überlege, wie ich den Tag beginne: Gibt das Wetter was her? Gibt es eine Erinnerung vom letzten Jahr? Höre ich was im Radio? Oder ich habe kurz vorher noch ein Gespräch und versuche, daraus etwas kleines Humorvolles zu bauen. Eva Ullmann Ich schaue auch oft danach, welche Sachen mich anspringen. Man muss Antennen haben, um solche Offensichtlichkeiten zu übertreiben oder Sachen zu verbinden, die eigentlich nicht zusammengehören. Nun hast du auch viel mit dem Außendienst und Vertrieb zu tun. Erlebst du das als eine Branche, bei der Humor häufiger genutzt wird als vielleicht in internen Bereichen bei der Sparkassen-Versicherung Sachsen? Katja Müller Ja, das würde ich schon sagen. Denn Vertrieb ist im Hauptgeschäft Kommunikation und dabei hat man verstärkt persönlichen Umgang und Kontakt mit Menschen. Insgesamt nehme ich die Branche etwas lockerer wahr. Eva Ullmann Wenn du als Führungskraft den Vertrieblern begegnest, nutzt du da auch mal frecheren oder aggressiveren Humor? Denn Vertriebsführungskräfte müssen und sollen ja selbstbewusst sein, sie sind oft gut geschult und gut in klarer Kundenkommunikation. Wenn ich mit recht extrovertierten Menschen zu tun habe, bekomme ich auch mal einen Seitenhieb ab oder verteile einen. Ich schaue immer auf die Dosis. Man kommt dann schnell in eine Situation, in der sich alle gegenseitig kleiner machen. Da gehe ich dann bewusst wieder raus. Doch meine Bereitschaft für aggressiven Humor ist bei extrovertierten Leuten oft höher, auch bei Menschen mit hohem Status übrigens. Gleichzeitig nutze ich den

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empathischen, Sozialen, entspannenden Humor, den ich sehr mag und der zu mir als Trainerin gut passt. Verwendest du bei den Vertriebsführungskräften ein anderes Humor-Repertoire? Katja Müller Ja. Das hat aber auch damit zu tun, dass ich diese Zielgruppe schon seit vielen Jahren und sehr gut kenne. Die gut 350 Leute im Außendienst sind mir bereits aus meiner Zeit im Schulungsdienst und als Trainerin bekannt. Wir hatten viel Kontakt. Insofern halten diese Beziehungen auch mal eine Portion frechen Humor besser aus. Eva Ullmann Also Vertrauen ist da eine wesentliche Voraussetzung? Katja Müller Voraussetzung ist, dass der andere es versteht. Eine große Kraftquelle für Humor ist für mich mein Mann. Ich kann mich immer über ihn freuen und mit ihm lachen. Er hat einen ganz bissigen, schnellen Humor. Das macht viel Spaß. Ich merke, dass unsere Tochter mittlerweile auch sehr schlagfertig ist. Gestern sind wir nach Hause gelaufen und haben festgestellt, dass die Straße vor unserem Haus ab übermorgen zur Einbahnstraße umfunktioniert wird. Und unsere achtjährige Tochter sagt: „Seht es mal positiv: Wenigstens in eine Richtung könnt ihr noch fahren.“ Eva Ullmann Ich entdecke erste Eignungen als Führungskraft bei deiner Tochter: Sie kann positiv umdeuten. Apropos Nachwuchs: Ich war neulich mit meinem Sohn mit dem Auto unterwegs. Er ist dreieinhalb. Wir kommen zum Auto zurück und ich stelle mich an die Tür, hinter der sein Sitz ist, halte die Tür auf und sage: „Sir, Ihr Wagen ist jetzt vorgefahren, Sie können einsteigen. Wo

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soll ich Sie denn hinbringen?“ Und er lacht sich schlapp und sagt: „Nein, ich bin doch nicht der Chef!“ Darauf ich: „Na, du kannst doch auch mal der Chef sein.“ Und er: „Na gut, aber dann bist du später der Chef.“ Er hat sofort gemerkt, dass ich statustechnisch sonst anders mit ihm spreche. Und selbst mit seinen fast vier Jahren erlebt er das als großes Vergnügen. Das finde ich sehr beeindruckend. Eva Ullmann Du bist jetzt schon ein paar Jahre bei der Sparkassen-Versicherung Sachsen. Findest du, dass sich die Einstellung von Führungskräften gegenüber Humor verändert hat? Katja Müller Ich erlebe schon, dass meine Generation mit einer gewissen Ruhe und Akzeptanz in ihrem Job einfach locker ist. Aber da ich in meiner Generation hänge, kann ich das gar nicht miteinander vergleichen. Ich glaube, dass sich das Führungsbild verändert hat, dass sich Menschen heutzutage einen anderen Umgang mit ihren Führungskräften wünschen. Das hat für mich mehr mit Menschsein zu tun und damit, Nähe zuzulassen – im richtigen Kontext. Dabei ist Humor häufiger erlaubt, als das vielleicht in einem alten Rollenbild verankert wäre. Eva Ullmann In meinem Job erlebe ich immer wieder Führungskräfte älterer Generationen, die etwas Verschmitztes besitzen, die den Humor nie losgelassen haben, weil sie merken, damit kann man etwas bewegen. Sie kommen aber auch aus Generationen, in denen der Patriarch gesagt hat: „Wo gelacht wird, sind noch Reserven.“ Neulich traf ich bei einer Veranstaltung einen Vorstand einer Krankenversicherung, der schon in Rente war. Er sagte zu mir: „Also, Frau Ullmann, ich bin eine Köllsche Frohnatur, ich habe den Schalk immer im Nacken sitzen. Aber in meinem Job war ich ganz anders, als Vorstand war ich ein knallharter Typ, denn

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da musste gearbeitet werden.“ Das hat sich meiner Meinung nach verändert bei den jüngeren Generationen – sicherlich auch, weil man in den letzten 30, 40 Jahren mehr über Humor gelernt hat. Katja Müller Was ich sehr schätze, ist, dass ich in meiner Position meine Persönlichkeit mitbringen darf, wenn ich ins Büro komme. Das heißt nicht, dass mich jeder gut kennt. Man hat mit vielen Menschen zu tun und muss innerhalb von kürzester Zeit manchmal auch schwierige Entscheidungen treffen. Ich bin nicht mit jedem bekannt, daran habe ich auch kein Interesse. Aber grundsätzlich darf ich mich mitbringen und muss nicht meine Persönlichkeit splitten, also zu Hause bin ich so und im Beruf bin ich völlig anders. Und weil ich eben ein Humor-Gen besitze, bringe ich das auch mit ins Büro. Ihr konkretes Humor-Handwerkszeug: Gegenkonter Da wir in anderen Kapiteln verstärkt den Einsatz von Sozialem Humor üben, widmen wir uns bei dieser Übung dem humorvollen Gegenkonter, also dem Einsatz von Aggressivem Humor. Ich bitte Sie, diese Technik sehr dosiert und sparsam einzusetzen. Damit bringen Sie Spannung und keine Entspannung in ein Vertriebsgespräch. Die Technik stammt von Nicole Staudinger, Autorin und Trainerin für Schlagfertigkeit (vgl. Staudinger 2018). Für den Gegenkonter nutzen Sie einen Teil des Angriffes bzw. eines bereits vorausgegangenen Konters für den Gegenangriff: Aussage: Gibt es das Kleid auch in Ihrer Größe? Gegenkonter: Das ist ja interessant, dass gerade Sie das sagen. Aussage: Ihre Präsentation war so langweilig, dass ich nicht zugehört habe. Gegenkonter: Sie als Zuhörer sind so langweilig, dass ich fast eingeschlafen bin.

2  Spezifischer Humor     177 Autohausverkäufer zur Kundin: Wo ist denn Ihr Mann? Dann spreche ich mit ihm … Gegenkonter der Kundin: Wo ist denn Ihr Chef? Dann spreche ich mit dem … Sie sehen schon, hier gibt es einen Schlagabtausch, wenn auch humorvoll. Der Einfachheit halber benutzen Sie einen Teil des Vorwurfes, um direkt zurückzuschlagen. Diese Technik setzt man lediglich ein, wenn man seinen Status erhöhen muss, um überhaupt gehört zu werden. Man lässt sie weg, wenn man eine Führungskraft angreift, die im Widerstand ist oder in einer Problemsituation Einwände hat, die man spiegeln und bearbeiten muss. Konter: Sind Sie nicht zu jung für den Job? Gegenkonter: Sind Sie nicht zu alt für die Frage? Konter: Ihre Präsentation ist so alt wie eingeschlafene Käsefüße. Gegenkonter: Das passt doch zu einem traditionellen Unternehmen wie Ihrem. Sie sind der Toast, auf den der Käse kommt. Die Slam-Poetin und Stand-up-Comedian Hazel Brugger im Gespräch mit einem Journalisten. Frage des Journalisten: „Und wie ist es so als Frau auf der Bühne?“ Antwort der Kabarettistin: „Und wie ist es so als Journalist, wenn einem keine klugen Fragen einfallen?“ Das ist immer noch mein Lieblings-Gegenkonter. Die Technik Gegenkonter ist ein scharfes ­Humor-Werkzeug. Probieren Sie etwas herum beim Kochen Ihrer Vertriebsmahlzeit. Sie kann ein Stoppschild aufstellen bzw. Ihren Status heben. Ungeschickt eingesetzt löst sie Statuskämpfe aus und eskaliert Vertriebsgespräche.

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2.7 Humor im Konflikt: eindeutiger Humor Eine Kriminalkommissarin litt unter der schwierigen Kommunikation mit ihrer pubertierenden Tochter. Im Humor-Training schauten wir uns diese Gespräche genauer an. Es wurde deutlich, dass sie oft mit ihrer Tochter im „Kommissar-Verhör-Modus“ feststeckte und ihre Tochter regelrecht befragte. „Wo wart ihr denn? Aha, und was habt ihr gemacht? Aha. Und wer war der Marc nochmal genau? Den kenne ich gar nicht.“ In dieser Situation galt es nun, mithilfe von Humor etwas zu verändern. Also wechselte die Kommissarin beim nächsten genervten Blick ihrer Tochter in eine übertriebene Körpersprache, bat ihre Tochter Platz zu nehmen, nahm eine Schreibtischlampe, leuchtete ihr diese kurz ins Gesicht und absolvierte nun auf überspitzte Weise ihre sonst übliche Verhör-Kommunikation: „So, so. Und wo waren Sie gegen 22:43 Uhr, junge Frau? Kann das jemand bestätigen?“ Daraufhin brach die Tochter in Gelächter aus. Die liebevolle Übertreibung der Mutter führte zu einem gelasseneren Umgang mit dem Konflikt. Beide konnten auf einer anderen Ebene wieder ins Gespräch kommen. Kennen Sie so etwas auch im Zusammenhang mit Ihren Mitarbeitern? Verhören Sie auch manchmal Ihre Abteilungsleiter? Oder haben Sie nach Feierabend im Kinderzimmer einen scharfen Ton drauf, vielleicht die typischen Chef-Attitüden? Als Rednerin und Trainerin fordert mein Job eine klare Rolle und klare Ansagen: „Bitte gehen Sie nun zehn Minuten in diese Gruppenarbeit und dann treffen wir uns zur Präsentation der Ergebnisse.“ Wenn Sie nun merken, dass eine Rolle nicht in die Umgebung passt, dann können Sie das, was schon da ist, humorvoll nutzen. Wenn Sie das nicht merken,

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dann wird es komisch, also lustig. Oder seltsam komisch. Stellen Sie sich vor, ich komme abends nach Hause und sage zur Familie nach dem Abendessen: „So, nun hat jeder freie Zeit. Und Schatz, wir treffen uns in 15 Minuten im Schlafzimmer und da hätte ich gern nach zehn Minuten ein Ergebnis.“ Konflikte verabschieden sich nicht an der Tür zur Führungsetage. Im Gegenteil: Führungskräfte sehen sich eher einer höheren Anzahl von Konflikten gegenüber. Mit Vorgesetzten, Mitarbeitern, Kunden und auch mit Partnern, Kindern und Freunden. Häufig beschäftigt sich Kommunikationsliteratur für Führungskräfte mit der logischen und folgerichtigen Lösung von Konflikten. Das Repertoire kann durch die passende Dosis Humor erweitert werden. Kreative Konfliktlösungen entstehen oft durch den wertschätzenden Einsatz von Humor. Und Spannungen lassen sich durch heitere Gelassenheit deeskalieren. Das setzt allerdings, und das werden Sie meditativ oft von mir hören, etwas Empathie und einen guten Draht zum Gesprächspartner voraus. Tatsächlich sind Führungskräfte in aller Regel sehr gut in dem, was sie tun, und erst recht in ihren Führungsthemen. Tatsächlich finden sich auch viele Führungskräfte selber sehr humorvoll. Doch ob Ihr Humor ankommt, hängt auch vom Empfänger ab. Wenn ein Mitarbeiter nicht über Ihren Witz lacht, liegt das nicht nur an dessen Humorfähigkeit, sondern auch an der Qualität Ihres Humors. In manchen Situationen ist Ihr Humor als Führungskraft nicht hilfreich und es mangelt dann eher an Empathie und Einfühlungsvermögen, am sensibleren Umgang im Miteinander, an der Anteilnahme und leider auch an der Einsicht. Nicht immer arbeite ich in Einzelcoachings mit Führungskräften am bissigen Witz oder an mehr Humor. An dem mangelt es nicht immer. Oft ist es eher die Empathie, die noch besser trainiert werden muss

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– zu merken, ob das Gegenüber wirklich lachen kann. Manchmal ist es auch die Flexibilität, die ausprobiert und geübt werden muss – etwas Anderes, etwas Humorvolles anbieten zu können. Was ein Chef täglich trainiert, weil er es arbeitstechnisch braucht, ist nicht unbedingt hilfreich, um Konflikte humorvoll zu lösen. Um es zu verdeutlichen: Eine Erzieherin hat eine bestimmte Methode entwickelt, um Kindern etwas zu erklären. Wenn sie dann allerdings im Konfliktgespräch mit ihrer Mitarbeiterin so redet wie mit einer Dreijährigen, dann ist das schlichtweg nicht hilfreich – und könnte die Situation sogar verschärfen. Anspannung, Streit und Konflikte sind beruflich und privat Momente, in denen sich viele Menschen mehr Gelassenheit, Leichtigkeit, Schlagfertigkeit und Humor wünschen. Doch wie kann das Ihnen als Führungskraft gelingen? Um angespannte Momente im Unternehmen zu entspannen, kann man die Technik des „Spiegelns“ nutzen, wie es bereits in Abschn. 2.5 beschrieben wurde. Oder Sie probieren es mal mit der Technik des unsinnigen Zustimmens, dafür muss man im ersten Schritt nicht besonders kreativ sein: Jemand greift Sie an und Sie geben dem Angreifer unerwartet recht. Stimmen Sie einfach zu: „Ja, stimmt.“ Der andere ist erst mal verblüfft, der Angriff läuft ins Leere. Es ist eine kommunikative Judo-Technik, wie Paul Watzlawick sie nennt. Wenn Sie diesen ersten Schritt gemeistert haben, können Sie noch eins draufsetzen, indem Sie dem Angreifer nun anschließend sogar noch mehr zustimmen, als diesem lieb ist. Nehmen Sie den unfairen Vorwurf an und übertreiben Sie ihn. Wichtig sind dabei ein unschuldiger Gesichtsausdruck, ein liebevolles Schmunzeln und eine Offenheit in der Körpersprache. Gerade die Haltung ist dabei ein entscheidender Baustein: Zeigen Sie Ihrem Gegenüber, dass Sie ihm wohlgesonnen sind. Das machen Sie körpersprachlich, also nonverbal. Bleiben Sie wertschätzend, auch wenn

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Sie etwas sagen, das Sie nicht meinen. Der Vorwurf Ihres Angreifers ist vielleicht unfair. Sie nehmen den Angreifer ernst, aber nicht den Angriff. Unsinniges Zustimmen ist nützlich, um sich gegen unfaire Kritik, unangenehme Nörgler und Perfektionisten, die immer etwas auszusetzen haben, charmant zur Wehr zu setzen. Unsinniges Zustimmen löst keine Konflikte, aber es verändert sofort die Stimmung. Eventuell reicht das gemeinsame Lachen für den weiteren Gesprächsverlauf schon aus. Wenn nicht, nutzen Sie einfach die veränderte Atmosphäre für eine gute Klärung der Situation. Probieren Sie es einfach mal aus und stimmen Sie Ihrem Mitarbeiter oder Kunden bei einem unfairen Angriff unsinnig zu – und schauen, was passiert (vgl. Ullmann und Hansmeier 2019). Die Polizei wird von den Nachbarn zu einem häuslichen Streit gerufen. Als sie vor der Tür des Hauses steht, fliegt gerade der Fernseher aus dem Fenster. Die Polizei klingelt, ein Paar schreit von drin: „Wer ist da?“ Polizist: „Hier ist der Fernsehreparaturdienst.“ Stille im Innern des Hauses. Jemand öffnet die Tür. Die Irritation hat funktioniert. Der Streit ist unterbrochen. Der häufig erwähnte Soziale Humor erfordert vor allem in Konflikten und Notfällen einen erhöhten Einsatz und eine sensible Dosis. Führungskräfte müssen in gefährlichen Einsätzen humorlos kommunizieren können. Nur weil man um die wirksamen Effekte von Humor weiß, muss man nicht permanent humorvoll sein. Eine humorlose (ernsthafte) Kommunikation von der Führung in Notfalleinsätzen wird als funktionaler, klarer und effektiver angesehen als humorvolle Kommunikation. Sobald ein akuter Notfall unter Kontrolle ist, auch wenn der Einsatz noch nicht beendet sein sollte, scheint mir, wenn überhaupt, liebevoller, empathischer und ungefährlicher Humor eine Situation erträglicher zu machen. Da können Sie mir als

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Polizeipräsident oder Einsatzleiter bei der Feuerwehr gern widersprechen. Die Humorforschung beginnt gerade erst, dazu Studien durchzuführen. Meinen Beobachtungen und Erfahrungen zufolge hat der Einsatz von Aggressivem Humor eher eine entlastende Funktion – NACH solchen Einsätzen. Der Teamhumor bei der Feuerwehr, in einem OP-Team oder unter Polizisten kann sich durchaus als Aggressiver Humor zeigen und scheint als Ventil gerade in Notfallteams in der Nachbereitung einen guten Dienst zu tun. Alle Studien zur Bewältigung und zum Coping-Humor weisen jedoch darauf hin, dass uns ­ eine längerfristige Bewältigung durch Humor eher über Sozialen und Selbstaufwertenden Humor ermöglicht wird. Das sollten Sie als Führungskraft wissen und begleiten können. Notfälle wie bei der Feuerwehr, im Operationssaal, im Rettungsdienst genau wie im Gerichtssaal oder bei der Polizei erfordern auch in der Nachbereitung ein humorvolles Fingerspitzengefühl. Jeglicher Einsatz von Humor in Form von Klischeewitzen, dummen Sprüchen oder in abwertender Art ist gefährlich und unangemessen. Wie auch in anderen Kapiteln stellt sich hier die Frage, wie nun dieser Soziale und wenig zynische Humor für Berufe mit großem Druck funktioniert. Dieser Austausch und das Wissen um ermutigenden Humor werden in den nächsten Jahren eines der Humorinstrumente werden, mit denen Sie sich als Führungskraft ganz gezielt ausstatten können. Dafür einige Beispiele: • Im Bereich Notfallmedizin gab es ein lustiges Video von einem Sanitäter, um seinen Beruf im Notarztwagen zu erklären (vgl. Krankenwagenbelademeister 2019). Eine Million Menschen sahen diesen Film. Darauf antwortete eine Notärztin ebenso wertschätzend und witzig. Auch das bekam viel Aufmerksamkeit. Es löste

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diverse weitere Filme der Wertschätzung für diesen Notfallberuf aus (vgl. Doc Caro 2019). Kein Zynismus. Kein Humorfrust. Einfach ungefährlich witzig. So eine Form kann man zur Personalversammlung im Krankenhaus getrost als Einstieg benutzen.

• Mehr als fünf Millionen Klicks bekam die medizinische Version des Helene-Fischer-Songs „Atemlos“. Medizinstudenten erklären ihre Fassung von „Atemlos in der Nacht“ (vgl. Antonia und Lukas 2014) – gedreht im Simulatorzentrum Homburg der Universitätskliniken des Saarlandes. Einfach witzig, aufklärend und zum Schmunzeln.

• Der Hamburger Comedian Andre Kramer sorgte während der Krawalle rund um den G20-Gipfel für ein erlösendes Lachen. Hamburg war mit hochgerüsteten Polizeitruppen und randalierenden Demonstranten im Ausnahmezustand. Kramer ging mit einem Demo-Schild vor die Tür, auf dem stand: „Ich bin ­ Anwohner und will nur schnell zum Edeka. Danke.“

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Er unterbrach die Anspannung, Demonstranten lachten und sogar die Nachrichten berichteten zur Abwechslung etwas Humorvolles. Als verantwortliche Klinikleitung, Chef der Feuerwehr, eines Landrates oder als Richterin am Amtsgericht ist es hilfreich, wenn Sie um die Konsequenzen von Humor wissen und diesen auch in Konflikten und Krisensituationen anwenden können. Humor in Konflikten muss eindeutiger sein als in entspannten Momenten des Unternehmensalltages. Er muss erkennbar sein. Sie kommen als Führungskraft mit Sozialem Humor in Konflikten viel weiter als mit Aggressivem Humoreinsatz. Zumindest dann, wenn Ihr Ziel die Deeskalation, die Unterbrechung einer Panikspirale oder die Entspannung ist. Ein Tag nach dem Rücktritt von Annegret Kramp-Karrenbauer als CDU-Spitze und potenzielle ­ Kanzlerkandidatin. Das Portrait von „AKK“ prangt neben einem Auto von Sixt. „Man muss ja nicht gleich gehen“, textet die Agentur Jung von Matt dazu. Die Anzeige sorgt in den Sozialen Medien für viel Aufmerksamkeit. Es ist nicht das erste Mal, dass Sixt über Spitzenpolitiker spottet. Humor über Spitzenpolitiker und über Spitzenführungskräfte gehört zu unserem Alltag. Humor ist immer ein Fingerabdruck unserer Gesellschaft und der Zeit, in der wir leben. Als Führungskraft, als Person, die interpretiert und beobachtet wird, werden Sie auch immer Gegenstand von Übertreibungen, Spott und Witzen im Unternehmen sein. Humor spiegelt die Kultur eines Unternehmens wider. Er darf offen geäußert werden in einer Demokratie. Er wird versteckt zwischen den Zeilen angedeutet in einem Land mit Zensur oder einem Unternehmen mit patriarchischen Führungsstrukturen. Humor verschafft uns Distanz und Erleichterung. Das ist nicht zwingend nötig bei Dingen, die wir sinnvoll finden. Doch längst nicht

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alles, was in der Unternehmensspitze oder der Spitzenpolitik besprochen und umgesetzt wird, erfüllt dieses ohnehin recht individuelle Kriterium. Und scheinbar hirnrissige Vorschläge und Projekte lassen sich mit einem Lachen viel besser ertragen. Die öffentliche Aufbereitung dieses Humors hat sich allerdings geändert. Im Fernsehen hatten früher Kabarettisten wie Dieter Hildebrandt, Volker Pispers oder Mathias Richling die humoristische Deutungshoheit über den Politikbetrieb. Heute wird diese Aufgabe eher von Wochenrückblicken wie der heute-show oder dem Satiremagazin extra3 übernommen. Die Beiträge sind bissig, lustig, auf den Punkt – und finden ihr Publikum nicht nur im klassischen TV, sondern mit Zitaten und Clips auch in den sozialen Netzwerken. Dieter Hildebrandt schaute auf Gesetzentwürfe, auf die Regierung, auf das Gesamtsystem. Volker Pispers entlarvte intelligent unsinnige Finanzierungen und politische Fehlentscheidungen. Bei den Kabarettisten der alten Schule, wenn man sie so nennen will, war der Humor als solcher erkennbar – und sogar unverkennbar. Bei den neuen Humorformaten, die über Fernsehbildschirme flimmern und über Smartphones abrufbar sind, sieht es anders aus: Die Inhalte sind manchmal deutlich härter formuliert und offenbar nicht immer für jeden als Humor zu begreifen. Schwierig wird es, wenn eine Satiresendung von manchen Menschen für eine Nachrichtensendung gehalten wird. Das passiert leichter, wenn Sätze von Politikern nur für die Pointe aus dem Zusammenhang gerissen werden. Da ist zum Beispiel die von René Borbonus (vgl. Abschn. 2.4) erwähnte Forderung von Gesundheitsminister Jens Spahn, dass Pflegekräfte mehr arbeiten müssten. Eigentlich hatte er die Beschäftigten kurzfristig zu mehr Arbeit aufgefordert, um dann längerfristig das System entspannen und die Pflege stärken zu können.

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Und zwar durch verbesserte Arbeitsbedingungen. Dann könnten Pflegekräfte mehr arbeiten. Im Zusammenhang des Gesetzesvorhabens und im Rahmen seiner Rede war das eine absolut nachvollziehbare Forderung. Die ­ Satire-Sendung postete das inzwischen berühmt gewordene Zitat „Wenn von einer Million Pflegekräften 100.000 nur drei, vier Stunden mehr pro Woche arbeiten würden, wäre schon viel gewonnen“ – und riss damit die Formulierung völlig aus dem Zusammenhang. Der für sich einzelnstehende Satz löste breite Empörung in den Netzwerken aus. Kaum jemand sah sich die komplette Rede von Spahn an (vgl. MEEDIA 2018). Auf diese Weise, wenn Humor nicht mehr als solcher erkennbar ist, wird er leicht zur Meinungsbildung. Davor warnt bereits mein Kollege René Borbonus. Gerade in Zeiten von Fake News und KI-Algorithmen ist es ein schmaler Grat, wenn die heute-show mit der Tagesschau verwechselt wird. Was ist echt und wer hat was wirklich gesagt – und wie tatsächlich im Gesamtkontext gemeint? Das ist aktuell besonders gefährlich. Dann wird Humor alles andere als unbedenklich. Denn Zuversicht und Zufriedenheit haben gerade einen schlechten Stand. An allen Ecken und Enden des Landes drängen Rechtspopulisten an die Macht. Der Psychologe Steven Pinker stellt in seinem klugen Buch fest, dass Populismus unter anderem deswegen zunimmt, weil wir wenig Zuversicht in unsere Zukunft haben und den öffentlichen Institutionen nicht vertrauen (vgl. Pinker und Wiese 2018). Doch wo soll das Vertrauen eigentlich herkommen? Wenn wir – wie es die Satiresendungen manchmal nahelegen – ernsthaft glauben, dass es in der Spitzenpolitik nur noch Idioten gibt, sehen wir uns nach Alternativen um. Im wahrsten Sinne des Wortes. Und machen damit alles noch viel schlimmer. Für mich macht es einen entscheidenden Unterschied, ob man sich wie früher über politische Entscheidungen

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lustig macht oder eine Person im politischen Betrieb oder im Unternehmen komplett beschämt und als Vollidioten sarkastisch zur Pausenunterhaltung macht. Aber nicht nur die Texter der Satiresendungen sollten ihren Humorstil mit Bedacht wählen, sondern auch Sie und ich. Mein dringender Appell bezieht sich daher auf einen differenzierten Humor: Der durchschnittlich tolerante, weltoffene Bürger macht sich gern im privaten Gespräch über radikale Entwicklungen in der Politik lustig. Wenn ich aber – und verzeihen Sie mir hier bitte mein sprachliches Niveau – angesichts von Angriffen auf Meinungsfreiheit und Grundgesetz aus der rechten Ecke nur rufe „Du sch*** Nazi“, sagt der gemeine Rechtspopulist leider kaum: „Oh, danke Frau Ullmann. Wie nett, dass Sie mir den Spiegel vorhalten.“ Pauschalisierungen mit Pauschalisierungen zu bekämpfen, das wird nicht ausreichen. Sie erinnern sich noch an die Werbeanzeige mit Annegret Kramp-Karrenbauer? Vor einigen Jahren saß ich mit dem damaligen Chefredakteur der WirtschaftsWoche und einem FDP-Politiker in einer Podiumsdiskussion. Der Journalist beklagte, dass manche Spitzenpolitiker sich überhaupt nicht mehr für ein Interview öffneten. Er nannte als Beispiel Guido Westerwelle, der aus meiner Sicht durchaus ein selbstironischer und humorvoller Mensch war. Doch wie war seine Situation? Ein Großteil des öffentlichen Humors über diesen Spitzenpolitiker war beschämend und widmete sich seiner Homosexualität. Wenn Humor nur noch in diesem einen Kanal fährt, brauchen sich Journalisten nicht zu wundern, dass ein Politiker in der Folge weitere Interviews verweigert. Bedenken wir: All die Sprüche der Gag-Schreiber, der Werbetexter, von jedem Einzelnen von uns haben eine gesamtgesellschaftliche Wirkung. Viele Politikerinnen und Politiker sind hart im Nehmen. Aber irgendwann ist es auch ihnen zu viel.

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Wir können und müssen also auch von Leistungen und Erfolgen sprechen. Sonst bleibt irgendwann niemand Integeres mehr übrig, der auf dem politischen Feld arbeiten möchte. Das bedeutet, dass man den jungen CDU-Politiker Philipp Amthor als Person ja durchaus merkwürdig finden kann – und gleichzeitig anerkennen darf, dass er mitunter ganz gute Politik gegen die AfD betreibt. Andererseits darf man ihn widerum auch dafür kritisieren, dass er auf eine Art und Weise Lobbyismus für ein US-Unternehmen betrieben hat, die Korruptionsexperten bei Transparency Deutschland zumindest als „politisch fragwürdig“ beschrieben haben. Ganz klar: Spitzenpolitik muss kritisiert und unter die Lupe genommen werden. Aktuell benötigt der Humor über Spitzenpolitik jedoch auch immer wieder einmal Zuversicht und Anerkennung. Dann verkraftet das System auch manches Beispiel von beschämendem Humor – wie die Anzeige der Autovermietung. Humor kann Menschen aufwerten, wertschätzen und stärken. Er kann jedoch auch Status reduzieren, kleinhalten und beschämen. Der Sozialwissenschaftler und Supervisor Stephan Marks formuliert es so: „Scham ist die leidvollste Erfahrung, die Menschen machen. Würde ist die kraftvollste Leidenschaft, zu der ein Mensch fähig ist.“ (Marks 2011) Das erinnert mich an eine Situation nach einem Vortrag für eine soziale Institution. Meine Zuhörer waren damals Helfer-Profis, vor allem Sozialpädagogen, die jene Menschen begleiten, die eine Betreuung oder eine Vormundschaft benötigen, meist also Klienten aus zerrütteten Verhältnissen. Nach dem Vortrag kam ein Jurist zu mir, der als Betreuer für das Jugendamt tätig ist, und sagte: „Sie haben nicht darüber gesprochen, dass Humor Selbstbewusstsein erfordert. Und das ist etwas, was meine Klienten am wenigsten haben. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir nur sehr fein dosierten Humor einsetzen.“ Tatsächlich ist Humor oft eine Frage des Selbstbewusstseins: Man muss beispielsweise sehr

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selbstbewusst sein, um Aggressiven Humor annehmen zu können. Es erfordert auch Mut und Selbstsicherheit, eine Sache auf die Schippe zu nehmen oder auf die Spitze zu treiben. Solche Eigenschaften treffen in aller Regel zwar auf Führungskräfte zu, aber eben nicht unbedingt auf Mitarbeiter oder Klienten. Denn auch wenn sich jemand sehr selbstbewusst gibt, weiß man das nicht mit Sicherheit und kann oft nur schwer im Vorfeld schon entscheiden, ob der andere damit überhaupt umgehen kann. Das Wichtigste zum Einsatz von Humor in Konfliktsituationen ist demnach, dass eine Führungskraft beschämenden von nicht beschämendem Humor unterscheiden kann, also Sozialen von Aggressivem Humor. Meine Hauptarbeit als Humortrainerin – gerade, wenn ich mit Führungskräften zu tun habe – besteht genau darin, ihnen diese Differenzierung zu eröffnen. Ich helfe ihnen dabei, den Humor zu bemerken, ihn zu unterscheiden und mehr Einfühlungsvermögen zu lernen. Es ist ein wichtiger Bestandteil des Trainings, eine gewisse Sensibilität dafür zu entwickeln, ob jemand den eigenen Humor überhaupt lustig findet und ob diese Version von Humor – jemanden oder einen selbst – beschämt. Beschämender Humor hilft nicht aus Konflikten heraus, im Gegenteil: er verschärft und eskaliert Situationen und ist daher eher unangebracht. Als einfache Faustregel gilt: Sozialer Humor ist nie beschämend, Aggressiver Humor hingegen sehr oft. Als Führungskraft muss man beides kennen und gut dosieren können. Wie eine sehr junge Führungskraft mit sehr viel Verantwortung mit dem Klischee umgeht, dass viele ihn für zu jung halten, lesen Sie in dem Interview mit dem Überflieger Sören Hammermüller. Er ist ein Mann, der bereits als junge Pflegekraft stets doppelt so viel arbeitete wie andere Kollegen. Deswegen hat er heute die Mitarbeiterund Budgetverantwortung für mehr als 1.000 Mitarbeiter. Und das gestaltet er mit einer sensiblen Portion Humor.

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2.8 Interview mit Sören Hammermüller, Regionalleiter Süd-Ost bei der Deutschen Fachpflege und Geschäftsführer des Heimbeatmungsservices Brambring Jaschke GmbH „Nur weil ich einen bestimmten Humor habe, bin ich überhaupt erst zur Führungskraft geworden.“

Eva Ullmann Schön, dass Sie heute Zeit für ein Gespräch haben. Was ist Ihr Verantwortungsbereich bei der Deutschen Fachpflege und bei der Heimbeatmunsservice Brambring Jaschke GmbH? Sören Hammermüller Als Regionalleiter der Region Süd-Ost und Geschäftsführer der Heimbeatmunsservice Brambring Jaschke GmbH bin ich für sechs Gesellschaften zuständig, die im außerklinischen Intensivpflegebereich tätig sind und ihren Sitz in und um München in Sachsen und außerdem Niederlassungen in B ­aden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen haben. Aktuell habe ich in meiner Region etwa 1.400 Mitarbeiter zu führen – direkt oder indirekt. Für diesen Bereich habe ich die disziplinarische und betriebswirtschaftliche Gesamtverantwortung.

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Eva Ullmann Sie sind jetzt schon viele Jahre in der Intensivpflege. Wie sind Sie in diesen Bereich gekommen? Sören Hammermüller Eigentlich bin ich dazu gekommen, weil ich nie dorthin wollte. Als Jungpfleger war mir die sogenannte Apparatemedizin immer fremd. Mehr oder weniger zu meinem Glück wurde ich im Rahmen meiner klassischen Pflegeausbildung dazu gezwungen, im Universitätsklinikum in Leipzig auf die operative Intensivstation zu wechseln. Dort hat es mich relativ schnell erwischt und ich habe meine Leidenschaft für Intensivpflege und Intensivmedizin entdeckt. In den ersten Jahren meiner klassischen pflegerischen Tätigkeit auf der Intensivstation bin ich dann immer mehr in den Bereich der Forschung abgedriftet. Das hat mich einfach ebenfalls sehr interessiert. Ich wollte verstehen, was da passiert und wie man es verbessern kann. Eva Ullmann Wann haben Sie gemerkt, dass Sie als Führungskraft taugen? Sören Hammermüller Als ich in der Schule zum Schülersprecher gewählt wurde. Schon zu diesem Zeitpunkt merkte ich, dass man sich über gewisse Dinge, mit denen man nicht klarkommt, echauffieren kann – oder man packt sie an und versucht, eine Änderung herbeizuführen. In meiner beruflichen Laufbahn bin ich insbesondere als junger Pfleger in viele Fettnäpfchen getreten, weil ich mit einer naiven Grundeinstellung an gewisse Themen herangegangen bin, die vermeintlich politisch besser bedacht hätten werden müssen, bevor man sie anspricht. Nichtsdestotrotz war schon zu Beginn meiner wissenschaftlichen Laufbahn, als ich viel mit Studierenden aus dem medizinischen Bereich zu tun hatte, klar, dass mir die Themen Führung, Anleitung und proaktives Mitge-

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stalten ganz gut liegen, und dass ich damit bei anderen gut ankomme. Aber ich war mir möglichweise noch nicht voll bewusst, dass ich DIE Führungskraft bin. Eva Ullmann Was war nervig als junge Führungskraft? Sören Hammermüller Ich bin zum ersten Mal in einer Arbeitsgruppe zur Führungskraft gereift. Dort haben Themen wie Geltungsbedürfnis eine sehr untergeordnete Rolle gespielt, weil wir bei unserer Forschungstätigkeit alle gemeinsam ein großes Ziel hatten. Das war wie bei den drei Musketieren: einer für alle und alle für einen. Wir gingen alle sehr kollegial miteinander um. Zum Schluss war ich von meiner Grundausbildung her normale Pflegefachkraft. Alle anderen standen kurz vor ihrem dritten Examen im Medizinstudium und schrieben ihre Promotion. Als ich dann dort mehr und mehr Führungsrollen übernommen habe, war es kein großes Thema, wie jung ich war – sondern eher wie schnell und gut ich inhaltlich war. Als ich das erste Mal eine klassische Führungsrolle innerhalb einer Gesellschaft innehatte, war die Herausforderung, dass ich relativ jung aussehe. Wenn man jung aussieht, wird einem eine gewisse Skepsis entgegengebracht. Meine Fähigkeiten werden oft unterschätzt. Da fallen dann Sätze wie „Der kommt frisch von der Uni und jetzt will er hier sein an der Uni gelerntes Wissen umsetzen.“ Das ist insbesondere in so traditionellen Berufen wie der Pflege der Fall, die sehr historisch geprägt sind mit der Oberin als Ranghöchste innerhalb der Pflege, die bereits 30 Jahre Berufserfahrung hat. Das ist eine größere Herausforderung. Eva Ullmann Und wie haben Sie das gelöst?

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Sören Hammermüller Ich habe in meinem Leben mindestens doppelt so viel gearbeitet wie jeder andere in meinem Alter. Ich will damit nicht überheblich sein. Es ist einfach so passiert, weil Hobby, Beruf und Leidenschaft ineinander verschmolzen sind. Ich kann ohne Probleme 80 h pro Woche arbeiten, weil es mir einfach viel Spaß macht. Über meinen Beruf habe ich sogar meine Frau kennengelernt. Meine Berufserfahrung ist also gar nicht so gering. Allein dieses Bewusstsein und die Tatsache, dass ich immer wieder aus meinen vergangenen Erfahrungen berichte, sollte den Leuten ein Stück weit zeigen, dass ich schon weiß, wovon ich rede, und dass es nicht nur klassisches Lehrbuchwissen ist. Das ist das Eine. Zum anderen mache ich auch immer ganz klar, dass auch ich nicht unfehlbar bin. Ich finde das ganz wichtig, wenn ich meinen Mitarbeitern das Signal setze, dass auch sie mir grundsätzlich noch etwas beibringen können und dass ich nicht vollkommen bin. Insbesondere in der letzten Zeit war das für mich immer ein wirksamer Türöffner. So verstehe ich in meiner Rolle als klassischer Manager jetzt auch meine Funktion: Es geht nicht darum, alles zu können und zu wissen, sondern man muss wissen, wer’s kann. Eva Ullmann Wir haben uns bei einem ­Humor-Training kennengelernt. Für mich war spannend, dass Sie sich mit dem Humor aus wissenschaftlicher Sicht beschäftigen wollten. Wie sind Sie auf das Thema Humor gekommen? Sören Hammermüller Im Rahmen meines Masterstudiums ging es immer wieder um das Thema Führungskompetenz: Was bedeutet das? Wie entwickelt man sie? Was macht mich als Führungskraft aus? Wenn ich abends nach Hause fahre, gehe ich oft in die Selbstreflexion und denke darüber nach, wie der Tag gelaufen ist. Dabei habe

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ich immer wieder festgestellt, dass der eigentliche Türöffner des Tages war, dass ich über Humor versucht habe, alles etwas aufzulockern, auch schwierigere Situationen. So bin ich auf das Thema Humor in der Führung gekommen und habe im Studium dann dazu eine Facharbeit geschrieben. Dabei bin ich auch über Ihr Buch gestolpert. Ich bin also eigentlich eher durch Zufall zum Thema gekommen. Es war nicht so, dass ich dachte: Ich möchte als Führungskraft humorvoll sein, weil ich das mal irgendwo gelesen habe. Ich glaube, dass ich möglicherweise nur, weil ich einen bestimmten Humor habe, überhaupt erst zur Führungskraft geworden bin. Eva Ullmann Diese Erfahrung mache ich mit vielen Führungskräften, dass sie merken, dass Humor bestimmte Effekte hat – ohne dass sie sich näher damit befassen. Das funktioniert eher intuitiv. Sören Hammermüller Ganz genau. Eva Ullmann Worüber haben Sie zuletzt gelacht? Oder wann haben Sie eine Situation mit Humor aufgelockert? Sören Hammermüller Zuletzt gelacht habe ich, als mein jüngster Sohn sich heute Morgen Frischkäse in die Haare geschmiert hat. Im beruflichen Kontext lache ich, ehrlich gesagt, viel. Nicht, weil ich irgendwelche Situationen ins Lächerliche ziehen möchte, sondern weil ich der festen Überzeugung bin, dass man mindestens doppelt so gut sein kann, wenn man bei dem, was man tut, Spaß hat. Da gehört Humor dazu. Ein konkretes Beispiel: Gestern fand ein Regional-Meeting mit den Geschäftsführern meiner Region statt, wo es um das Budget und die Zahlen 2020 ging, die sich in einem hohen siebenstelligen Bereich in die geplante Richtung bewegen müssen. Dazu gehören

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viele nötige Veränderungen zum Jahreswechsel. Als Analogie habe ich mein Körpergewicht und den guten Vorsatz der Gewichtsreduzierung fürs neue Jahr genommen. Zum Schluss haben wir über viele ernsthafte und gravierende Veränderungen innerhalb der Gesellschaften gesprochen. Trotzdem war die Atmosphäre nicht allzu angespannt, weil sich alle immer über die vermeintlichen Gewichtsprobleme ihres Regionalleiters lustig machen konnten. Eva Ullmann Sie halten Humor im Alltag einer Führungskraft für wichtig. Was kann Humor für Sie als Führungskraft bewirken? Sören Hammermüller Zunächst einmal kann Humor Spannungen zwischen unterschiedlichen Hierarchieebenen nehmen. Die Situation „Ich bin der Chef und du bist mein Angestellter“ kann damit ein Stück weit aufgebrochen werden. Denn Humor bringt auch immer Menschlichkeit mit sich. Das macht die Menschen ein Stück weit gleich. Dann ist der Chef nicht der, der ein großes, dickes Auto fährt und kurz mal allen erklärt, wie’s laufen muss, sondern dann sind wir alle Menschen. Eva Ullmann Das setzt aber auch voraus, dass Sie eingangs einen klaren, hohen Status, Durchsetzungsvermögen und fachliche Kompetenz haben, womit Sie dann spielen können, oder? Sören Hammermüller In gewissen Situationen sollte man schon wissen, dass man es besser weiß – es aber trotzdem nicht sagen. Außerdem müssen die Mitarbeiter Respekt vor einem haben, sonst kann es schiefgehen. Es ist wichtig, zum richtigen Zeitpunkt den Humor auch ein Stück zurückzunehmen und ganz klare Grenzen zu setzen. Das kann man inhaltlich tun oder durch eine Veränderung der

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Körperhaltung oder der Moderationstechnik. Ich mache das auch durch Kleidung: An manchen Tagen komme ich in Anzug und Krawatte und an anderen im Hoody. Das setze ich bewusst ein. Ich weiß, wer wann im Büro ist und was an diesem Tag von mir erwartet wird. Eva Ullmann Sie haben wenig Angst vor Statusverlust, sind sich aber bewusst, dass eine Überdosis Humor auch dazu führen kann, dass Sie nicht ernst genommen werden? Sören Hammermüller Definitiv. Eva Ullmann Gibt es noch ein Risiko von Humor? Von zu viel Humor? Sören Hammermüller Wenn ich als Führungskraft neu in eine Rolle komme, gehe ich mit Humor erst einmal ganz anders um. Denn ich muss erstmal schauen, welcher Mitarbeiter mir wie gegenübertritt. Bei Mitarbeitern, die ich besonders empathisch führen muss, wird mein schwarzer Humor nicht ganz so gut ankommen. Andere Mitarbeiter kann ich mit Aggressiverem Humor auf die Schippe nehmen. Das muss man insbesondere am Anfang erstmal ein bisschen austarieren. Auch da macht mir möglicherweise mein junges Alter zu schaffen, weil ich jemand bin, der zunächst viel beobachtet. Ich komme aus der Intensivmedizin, da beobachtet man den ganzen Tag. Und je nachdem, was man bemerkt hat, reagiert man. So wird am Anfang häufig gedacht: Der ist jung und schüchtern und kriegt den Mund nicht auf. Aber ich schaue mir eben erstmal alles an – und dann gehe ich steil voran. In meiner aktuellen neuen Position bin ich seit sieben Monaten. Jetzt kann ich gerade voll loslegen, weil ich alles gemonitort habe und genau weiß, wer wo und wie steht. Das ist tatsächlich ein großes Risiko von Humor: Ich könnte mir als

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neue Führungskraft meinen Status sofort kaputt machen, wenn ich eine Situation ins Lächerliche ziehe, die ich gar nicht ganzheitlich verstanden habe und die für mein Gegenüber eine ganz andere Bedeutung hat. Eva Ullmann Peter McGraw sagt, dass Humor ein harmloser Verstoß ist. Um gegen etwas zu verstoßen, muss man jedoch erstmal den Rahmen kennen. Manchmal, wenn ich in eine Klinik komme, wo alle chronisch überarbeitet sind und akuter Pflegenotstand herrscht, komme ich mir fast lächerlich vor, wenn ich dann mit dem Thema Humor ankomme. Wie sehen Sie das? Sören Hammermüller Eigentlich ist es sogar das Gegenteil: Es gibt zu wenig Humor in der Situation. Schauen wir auf das deutsche Gesundheitssystem bzw. die Pflege: Bis vor wenigen Jahren hieß es noch Krankenpflege. Da sagte schon der Name, dass man auf das schaut, was nicht funktioniert. Deswegen wurde der Name geändert: Gesundheits- und Krankenpflege – um auch die Gesundheitsaspekte zu beleuchten. Sowohl in meiner klinischen als auch in der jetzigen außerklinischen, ambulanten Tätigkeit habe ich festgestellt, dass die Leute immer erstmal danach schauen, was nicht funktioniert. Sie fragen nicht, warum es nicht funktioniert. Sie stellen fest, es funktioniert nicht – und deswegen ist es schlecht. Da passieren meiner Meinung nach mehrere Dinge: Zunächst fehlt eine Reflexion, warum das möglicherweise so ist. Die Lösungen für die vermeintlichen Probleme wie Pflegenotstand usw. sind bekannt. Die Fachkraft muss mit der Situation trotzdem erstmal umgehen können. Da machen sich schnell Resignation und Hilflosigkeit breit, weil man die Lösungen möglicherweise nicht sieht. So entsteht eine Spirale der Hilflosigkeit, Depression und defizitorientierter Gedanken. Genau das kann man mit Humor sehr gut

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durchbrechen. Zum einen muss den Fachkräften klar werden: Sie können die Lösung selbst nicht herbeibringen. Sie können es auch nicht kompensieren. Das ist auch gar nicht ihre Aufgabe. Möglicherweise wird das ein Stück weit von ihnen verlangt bzw. der Vorwurf an sie gerichtet. Aber da muss man eine gewisse Selbsthygiene betreiben und sagen: „Das kann ich leisten, das tue ich auch gern, sonst wäre ich nicht in diesen Beruf gegangen. Aber bis dahin und keinen Schritt weiter.“ Das ist auch ein Grund für die hohen Burnout-Raten in sozialen Berufen: Man versucht immer, auf seine eigene Person zu projizieren, wie man das Versagen des Systems kompensieren kann. Meiner Ansicht nach ist es sehr sinnvoll, dort ein Stück weit mit Humor zu arbeiten. Eva Ullmann Sie haben vorhin kurz von Ihrem Sohn erzählt. Wo und wie passiert Humor bei Ihnen privat? Sören Hammermüller Vermutlich passiert das privat viel unbewusster, viel freier und enthemmter. Im beruflichen Kontext mache ich mir das deutlich mehr bewusst als im privaten Kontext. Eva Ullmann Das an sich ist schon eine spannende Feststellung: dass man Humor beruflich bewusster einsetzt … Sören Hammermüller Im engsten Freundeskreis oder mit meiner Frau passiert viel häufiger deutlich Aggressiver Humor, einfach, weil man sich viel besser kennt. Die Grenzen sind nicht so klar gesetzt, es geht nicht darum, einen Status zu bewahren. Somit kann Humor viel freier passieren. Und ich glaube zumindest, dass auch viel mehr Situationskomik als im beruflichen Kontext entsteht.

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Eva Ullmann An die man sich später gar nicht erinnern kann … Sören Hammermüller Genau – obwohl ich viel lache. Der Nachbar hat sich mal beschwert, weil ich immer so laut lache. Eva Ullmann Ich falle damit im Kino auch immer auf … Wenn man beruflich viel auf dem Schirm hat und immer für Klarheit und Leichtigkeit sorgt, dann ist man irgendwann auch erschöpft und der Akku ist alle – oder wie ist das so? Sören Hammermüller Das sehe ich ganz genauso. Im normalen beruflichen Alltagswahnsinn kommt so etwas schnell zu kurz. Ich merke immer wieder bei einem Kurzurlaub, Ausflug oder Garteneinsatz mit Freunden, dass sich das ganz schnell wieder löst und aufgesprengt wird. Das macht die Leichtigkeit der Freizeit aus: Da kann man sich einfach fallen lassen und es passiert, wie es passiert. Deswegen ist der Humor möglicherweise manchmal etwas aggressiver, weil man sich viel weniger Gedanken darüber macht. Eva Ullmann Man muss auch gar nichts dazu tun. Es passiert von allein und unbewusst. Sie haben ja auch kleine Kinder. Mein Sohn ist jetzt bald vier. Und obwohl ich die Zeit mit ihm, die einem bei allem Alltagskram noch bleibt, sehr genieße, fordert er mich manchmal mehr, als das 2.000 Zuhörer tun, vor denen ich auf der Bühne stehe. Mein Kind fordert mich und bringt mich manchmal an meine Grenzen, ist aber auch eine regelmäßige Humorquelle. Kennen Sie das auch?

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Sören Hammermüller Insbesondere beim Thema Kinder oder Partnerschaft passieren manchmal humorvolle Momente, die man vielleicht gar nicht als Humor bezeichnen würde, die aber durch einen kurzen Augenblick die letzten Stunden oder gar Tage wieder heil machen. Das passiert eigentlich ständig. Und das ist auch gut so. Wenn Familie Hammermüller mit drei kleinen Kindern in eine Gaststätte reinkommt, schütteln erstmal alle mit dem Kopf. Wenn dann der Milchreis da ist, gibt es niedliche Momente – obwohl die Leute am Nachbartisch vielleicht denken: „Oh, mein Gott!“ Aber bei allem Stress geben einem die Alltagssituationen Energie, die Außenstehende gar nicht wahrnehmen. Mein Sohn hat mich mal gefragt: „Bei der Sendung Elefant, Tiger & Co. – wer ist da eigentlich Co.?“. Eva Ullmann Eine berechtigte Frage! Mein Mann hat sich vor Kurzem in die Hand gebohrt. Wir waren sehr gefasst und sind in die Klinik gefahren. Mein Sohn war dabei, als es passierte, und fragte immer wieder und wieder: „Warum hast du das gemacht? Warum hast du dir in die Hand gebohrt?“ Und obwohl das die letzte Frage ist, die man in diesem Moment hören möchte, wurde es durch die Absurdität der Wiederholungen dann doch witzig. Dann muss man in einer eigentlich dramatischen Situation so lachen, dass es wieder Leichtigkeit reinbringt. Wir haben jetzt viel über Ihrem Humoreinsatz gegenüber Mitarbeitern gesprochen. Ich würde gern noch über Humor gegenüber Führungskräften auf der gleichen Ebene bzw. Vorgesetzten sprechen. Nutzen Sie Humor auch gegenüber Höhergestellten? Sören Hammermüller Tatsächlich nur bedingt. Es ist immer eine Frage des Rahmens. Wenn ich mit meinem Vorgesetzten im Vieraugengespräch bin, setze ich meinen

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Humor sogar relativ ähnlich ein, weil ich es fast etwas absurd finde, dass man ab gewissen Managementebenen nur noch zugeknöpft und ganz streng ist. Das möchte ich durchbrechen. Ich bin halt der junge Typ, ich habe drei Kinder zu Hause und ich kann auch mal im Kapuzenpulli kommen. Das sagt nichts über meinen Status, mein Gehalt oder meinen Dienstwagen aus. Eva Ullmann Es schadet Ihrer fachlichen Expertise nicht … Sören Hammermüller Ganz genau. Wenn wir im BoardMeeting oder in größeren Beiratssitzungen zusammensitzen, dann passt man sich unbewusst ein bisschen dem Humorlevel seines Vorgesetzten an. Da spielt dann auch mein Alter wieder eine Rolle. Mein Anspruch ist dann, mit Fachlichkeit und Quantität und dem, was wir geleistet haben, zu punkten. Aus meiner Sicht ist Humor an dieser Stelle weniger angebracht. Ich würde ihn allerdings auch nicht vollkommen ausschließen. Möglicherweise ist es in dieser Situation bei meiner aktuellen Rolle nach sieben, acht Monaten auch noch zu früh. Dort muss ich mir einen Status erarbeiten. Mit diesen Leuten habe ich viel weniger Kontakt. Also wird es länger dauern, bis ich mein Status-Level sozusagen bewiesen habe. Danach wird es möglicherweise wieder einfacher werden, mit Humor zu arbeiten. Auf der gleichen H ­ ierarchie-Ebene spiele ich damit, dass ich unterschätzt werde. Auf gleicher Hierarchie-Ebene gibt es immer ein gewisses Konkurrenzdenken. Da kann ich ganz entspannt rangehen, weil ich weiß, dass ich mit Abstand der Jüngste bin. Eva Ullmann Sie sind 31.

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Sören Hammermüller Ja. Ich bin also in einer Position, bei der alle um mich herum locker 15 bis 20 Jahre älter sind. Das bringt mehrere Dinge mit sich: Man wird zum Beispiel ein Stück weit unterschätzt. Dadurch kann man an vielen Stellen viel einfacher mit einer gewissen Naivität spielen. Ich bin mir natürlich gewisser Fettnäpfchen im System bewusst, trete dann aber trotzdem rein und sage: „Oh, das hab‘ ich noch nicht gewusst!“ Damit versuche ich, vermeintliche Tabus zu brechen. Alle haben immer gesagt, es funktioniert nicht, bis es der Erste getan hat. Eva Ullmann Das erinnert mich auch an unsere Dreioder Vierjährigen, diese Naivität oder Unschuld. Ich verwende da gern das Wort Naivität, auch wenn es von Führungskräften nicht gern gehört wird. Mein Sohn bringt mich mit seiner Naivität dazu, Dinge mit ihm zu machen, die ich vorher ausgeschlossen habe. Er übergeht das einfach und stürzt sich mit ganzem Herzen rein und weiß nichts von den Konsequenzen. Da muss ich ihm praktisch folgen. Das hat fast etwas Verführerisches. Auch beim Deutschen Institut für Humor wird in den Namen viel reininterpretiert und spekuliert. Das nutze ich und sage: „Ja, klar, wir laufen alle in weißen Kitteln rum und prüfen den ganzen Tag Witze im Labor.“ Die verschiedenen Interpretationen und Klischees nutze ich für Aufmerksamkeit – auch wenn sie falsch sind. In den 1980er Jahren war Humor verpönt. Auch ich habe damals noch gelernt: „Als Berater muss ich neutral sein, als Therapeutin zurückhaltend und Humor gehörte nicht zu Profi-Helfern.“ Da hat sich einiges geändert. Auch aus Sicht von Führungskräften. Was denken Sie darüber, wie sich das entwickelt hat?

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Sören Hammermüller Die Menschheit entdeckt, dass das Thema Emotionen einen viel größeren Stellenwert hat, als alle denken. Ein Topmanager muss nicht fachlich-quantitativ der perfekteste sein, sondern heut­ zutage eine gewisse Emotion mitbringen, eine gewisse Leidenschaft. Er muss auch leidensfähig sein, er muss vorangehen, er muss zeigen, dass er mitleidet – oder eben auch mit Spaß hat, mitfeiert. Das bewegt die Leute viel mehr. Ich persönlich habe mal eine Coaching-Ausbildung angefangen und sie schnell wieder abgebrochen. Denn ich habe festgestellt: Ich kann mich gar nicht so sehr zurücknehmen, dass ich meinem Gegenüber immer nur die grüne Wiese zeige und ihn bei der Wahl seines Weges begleite. Ich war immer der Typ, der für etwas brennt, der eine gewisse Leidenschaft mitbringt und auch in eine bestimmte Richtung will. Aber weil ich die Richtung gut zeigen kann, kann ich mit anderen gemeinsam diesen Weg gehen. Humor ist ein wunderbares Mittel, um das zu vermitteln. Das Thema Intelligenzquotient versus Emotionsquotient spielt eine immer größere Rolle. Wenn man sich mit juristischen Themen auseinandersetzt, ist der Bruch am stärksten, denn da gibt es das ja eigentlich nicht. Eigentlich. Eva Ullmann Auf der anderen Seite habe ich schon Juristinnen, Steuerberater, BWLer erlebt, die Daten, Zahlen und Fakten so geschickt in Humor verpackt haben, dass alle an ihren Lippen klebten und zuhörten. Sachlichkeit und Fakten sind trotzdem gefordert. Aber wenn man Humor einsetzt, entsteht Bewegung. Humor berührt Menschen. Vielen Dank für unser Gespräch!

204     E. Ullmann Übung für Ihr Humor-Handwerkszeug: konkretes Spiegeln Schreiben Sie eine Top-10-Liste klassischer Angriffe oder Vorwürfe aus Konflikten auf, die Ihnen regelmäßig begegnen. Im ersten Schritt spiegeln Sie diese Angriffe. Nehmen wir zum Beispiel einen klassischen Vorwurf aus der Team-Kaffeeküche: „Nie räumt hier jemand die Kaffeetassen in die Spülmaschine. Immer muss ich das tun.“ Eine klassische Spiegelung als Führungskraft wäre zum Beispiel: „Du findest, jeder im Team sollte aufräumen.“ Spiegeln bewertet nicht, macht sich nicht über den Vorwurf des Mitarbeiters lustig. Der Vorwurf betrifft oft nicht mal die Führungskraft, sondern wird lediglich an sie herangetragen. Die Technik des Spiegelns schaut genauer, was unter dem Gesagten liegt, also was eigentlich wirklich gemeint ist. Im zweiten Schritt kombinieren Sie das Spiegeln nun mit einer liebevollen Übertreibung. Angreifer, die sich im Steinzeit-Modus befinden, müssen dabei sehr eindeutig verstehen, dass humorvoll übertrieben wird. Es reicht, das Ganze ein wenig zu übertreiben, ohne sich über den Gesprächspartner lustig zu machen. Dabei ist es wichtig, dass man im Ton und in der Haltung liebevoll bleibt. Man gibt dann nicht nur Inhalte und Gefühle wieder, sondern übertreibt diese zusätzlich – und zwar auf empathische, wertschätzende Art und Weise. Humorvolle Spiegelungen des Vorwurfs „Nie räumt jemand die Kaffeetassen in die Spülmaschine!“ wären zum Beispiel: • „Du wünschst dir mehr Einsatz vom Team bei der Schmutzbeseitigung.“ • „Du findest, die Ordnung hier in der Küche ist noch optimierbar?“ • Mit einem freudigen Funkeln in den Augen: „Du meinst, dieses Team ist ein echter Saustall?“ Im besten Fall lacht die Mitarbeiterin und entspannt sich: „Ja, das meine ich.“ Und in dieser entspannten Atmosphäre besprechen Sie die weitere Vorgehensweise: Schild aufhängen, Mitarbeiter ansprechen oder gleich auf den Marterpfahl stellen. Wenn die Mitarbeiterin ein Schild auf-

2  Spezifischer Humor     205 hängen will, empfehlen Sie ihr auch da bitte eine humorvolle Herangehensweise: „Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod? Wenn Sie Ihre dreckigen Tassen nicht in die Spülmaschine stellen, finden Sie es heraus.“ Humorvolle Hinweisschilder mit ernstem Auftrag haben schon so manchen Kollegen mehr in Bewegung gesetzt also seriöse Hinweise. Hier noch ein Beispiel, das uns im Alltag öfters begegnet: Eine Kollegin kommt ins Büro: „Kann ich mal schnell kurz stören?“ • Spiegelung: „Du brauchst schnell eine Auskunft von mir?“ • Humorvolle Spiegelung: „Du möchtest also etwas von meiner leckeren Zeittorte?“ Vielleicht zaubert das schon ein kleines Lächeln auf die Lippen des Gegenübers. Und Sie können nun entscheiden, ob Sie sagen „Gut, ich gebe was ab“ oder „Komm bitte in 30 min wieder, dann bin ich ganz für dich da.“

2.9 Humor in Change- und Transformationsprozessen: Angst begleiten Um Veränderungen erfolgreich zu implementieren, werden Sie sich wahrscheinlich bereits mit Phasen der Veränderungen beschäftigt haben. Ein hilfreiches Modell für die Führung in Veränderungsprozessen ist das Phasenmodell von Klaus Doppler und Christoph Lauterburg. Es beschreibt, welche Emotionen die von Veränderung Betroffenen durchleben. Katja Kantelberg und Valentina Speidel haben die Phasen sehr praktisch in ihrem Buch „Change-Management“ beschrieben (vgl. Kantelberg und Speidel 2017). Wenn die Veränderung eintritt oder die Pläne bekannt werden, reagieren viele Mitarbeiter häufig mit Schock. Ängste machen sich breit. In dieser Phase

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müssen Führungskräfte Aufklärungsarbeit leisten. Oft folgt die Verneinungsphase. Das „Früher“ wird beschönigt. Hier sind Führungskräfte oft mit Vermittlung und Beruhigung in Einzelgesprächen beschäftigt. Dann erst folgt die rationale und emotionale Akzeptanz der Veränderung – oft begleitet von Frust und Trauer. Das geschieht trotz Einsicht, dass es Veränderungen geben muss. Menschen benötigen jedoch auch Zeit zu trauern. Dieses Tal der Tränen begleitet man als Führungskraft durch Ermutigung zur Mitarbeit. Dann erwerben Mitarbeiter durch die nun eintretende Offenheit Kompetenzen und lassen sich wirklich auf Veränderungen ein. Neugier, Enthusiasmus und Selbstvertrauen ermöglichen neue Routinen. Als Führungskraft ist in dieser Phase die Zeit für Stabilisierung entscheidend. Wie so oft ist Humor in diesen stürmischen Zeiten ein hilfreicher Begleiter. Wie jedoch im Kapitel Konflikte (vgl. Abschn. 2.7) bereits erwähnt, sind auch hier die Anforderungen an Humor sehr spezifisch: er darf ermutigend, aufbauend, ungefährlich sein und muss Angst reduzieren, nicht Panik verstärken. Kennen Sie schon die berufsbedingten Sterbebezeichnungen? Der Matrose geht von Bord, den Elektriker trifft der Schlag, der Friseur springt über die Klinge, für den Uhrmacher schlägt die letzte Stunde, der Lokführer liegt in den letzten Zügen, der Koch gibt den Löffel ab, dem Bäcker geht der Ofen aus, der Landwirt macht sich vom Acker, der Gärtner beißt ins Gras, der Jäger geht vor die Hunde, der Schornsteinfeger kehrt nicht wieder, der Zahnarzt hinterlässt eine schmerzhafte Lücke, die Putzfrau macht sich aus dem Staub und der Musiker geht flöten. Diese wundervolle Liste entwickelte mein zauberhafter Clownskollege Alfred Gerhards alias Globo aus Aachen. Können Sie darüber lachen? Herzlichen Glückwunsch! Der Tod ist für viele Menschen eine unvorstellbare Veränderung, ein echtes Tabuthema und vielen

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macht er Angst. Und Sterben wird für uns alle der größte Change-Prozess im Leben sein. Gerade, wenn es um die Bewältigung von Ängsten geht, kann Humor ein gutes Hilfsmittel sein. Möglicherweise haben Sie es in Ihrem Unternehmen auch schon erlebt: wenn es Krisen gibt oder Veränderungsprozesse anstehen, verwenden Mitarbeiter Aggressiven Humor, um Angst zu bewältigen. Was vielen Menschen Angst macht, sind Veränderungen – große genau wie kleine. Dabei ist uns diese Angst vor Veränderungen gar nicht angeboren. Es gab eine Zeit, in der jeder von uns begeistert mit Change umgegangen ist – nämlich im Alter von etwa einem Jahr, als man das Laufen lernte. Wir konnten erleben, wie wertschätzend die Menschen dabei mit uns umgegangen sind, wie oft wir stark ermutigt wurden: „Steh nochmal auf, probiere es gleich wieder, du schaffst das schon!“ Der Umgang mit neuen Dingen erschien uns ganz normal, bereitete sogar riesigen Spaß. Als kleine Kinder haben wir uns sehr großen Veränderungen gestellt. Und bei keinem gab es die Situation, dass einen die Mutter – wenn man wieder einmal umgefallen oder auf der Schnauze gelandet ist – auf den Arm genommen hat, um zu sagen: „Du bist eben nicht der Typ zum Laufen.“ Die wohlwollende Ermutigung, die Einladung zur Mitarbeit, die offene Körpersprache, das Lächeln – all das ist eine gute Unterstützung für Ihren Humoreinsatz als Führungskraft in Veränderungsprozessen. Manche Change-Prozesse beginnen durch Neugier und durch Mut, andere durch eine Krise oder einen sich abzeichnenden Trend. Und die Frage, ob wir Humor in einer Krise zu Grabe tragen müssen, haben wir im ersten Kapitel (vgl. Abschn. 1.6) bereits betrachtet. Oder ob ein Perspektivwechsel nützlich sein kann, um eine Krise überhaupt erst zu einem Change-Prozess umwandeln zu können. Führungskräfte können mit Humor Ver-

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änderungen managen, Angst begleiten und in Zeiten großer Veränderung eine drohende Schieflage ausbalancieren. Ganz klar: Wenn ein Autokonzern Tausende von Menschen entlassen muss und der Manager auf eine längerfristig anhaltende Angst trifft, ist hier eines auf keinen Fall erlaubt: Aggressiver Humor. Stattdessen geht es darum, in solchen Situationen mit Sozialem Humor gegenzusteuern, die Menschen liebevoll aus dem Widerstand herauszuholen, mit ungefährlichen und entspannenden Inhalten eine gute Atmosphäre zu schaffen. Und Humor darf und muss Rücksicht auf die Emotionen verschiedener Veränderungsphasen nehmen, die sehr schwankend und unterschiedlich sein können. Meine Erfahrung in der Begleitung von Führungskräften zeigt besonders, dass Angst und Sorge wellenförmig auftauchen und immer wieder von Mut, Zuversicht und Entspannung abgelöst werden können. Der Buchdruck veränderte das Weitergeben von Geschichten. Die Übersetzung der Bibel durch Luther wurde zur Krise für die Aristokratie und die Kirchenführung – sprachen doch nur ausgewählte Vertreter Latein und konnten somit dem einfachen Volk die Worte des heiligen Buches auf ihre Art und durch ihren Filter zugänglich machen. Welche Change- und Transformationsprozesse sich aus der Corona-Krise von 2020 ergeben, kann man bisher nur erahnen. Und damit sind wir mitten drin im Thema Humoreinsatz in Veränderungsprozessen. Und eine sehr zuverlässige Reaktion rufen Veränderungen dabei immer auf den Plan: Widerstand. Menschliche Widerstände sind, wie Valentina Speidel und Katja Kantelberg in ihrem Grundlagenbuch zu Change-Management (vgl. Kantelberg und Speidel 2017) ausführlich beschreiben, normale Begleiterscheinungen von Entwicklung. Sie zu missachten, ist ungeschickt,

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weil Sie damit Veränderung ernsthaft gefährden würden. Widerstände sind auch Chancen für Humor, nur eben unangenehme. Trotzdem oder gerade deshalb ist es überraschend, wenn eine Führungskraft Widerstände in liebevollen, entspannenden Humor verwandeln kann, der nicht beschämt, sondern zur Veränderung einlädt. Man kann Widerständen auf verschiedenste Art und Weise spielerisch begegnen, dabei muss man sie nicht immer sofort klären. Einen ersten Anfang haben wir dazu im Kapitel Konflikte gemacht. Und diese tauchen in Veränderungsprozessen ja auch genügend auf. Mitarbeiter haben die Arme verschränkt, schauen grimmig drein und verfluchen die Führungskraft, die natürlich schuld an der aktuellen Veränderung ist. Manchmal reicht es völlig aus, die Augen weit aufzureißen und zu kommentieren: „Man kriegt ein bisschen Angst, als wollten Sie mich gleich fressen. Nehmen Sie doch erst mal Platz.“ Dann nimmt man seine geplante Agenda auf und beginnt mit der Besprechung. In der Mechanik ist ein Widerstand eine Kraft, die ein System hemmt. Elektrischer Widerstand beschreibt das Verhältnis von elektrischer Spannung zu Strom in einem Bauelement. In Wider-STAND kann man stehen, standhaft sein, zu sich stehen, Haltung, Meinung, Stand der Dinge und viele andere Bedeutungen entdecken. Man bekommt durch Widerstände viele Informationen über einen Menschen, dessen Sorge, Angst oder Frust über die Veränderung man im Blick haben muss, um sie managen zu können. Therapeuten nutzen Widerstände von Klienten geschickt, da sich dahinter oft gefühlsmäßige Abwehr gegen ein Thema verbirgt. Eleonore Höfner, Meisterin der Humortherapie (Stichwort: provokativer Stil) nennt es die segensreichen Wirkungen des Widerstandes. Viele Supervisions- und Therapieausbildungen stellen den Grundsatz auf, es gäbe gar keine Widerstände,

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es gäbe nur Menschen mit Informationen, Erfahrungen und Reaktionen. Der Humor ermöglicht es, Distanz zu den eigenen Befürchtungen und Ängsten einzunehmen. Humor spricht Ängste, Befürchtungen und Abwehr nicht gleich ab, sondern übertreibt sie und relativiert sie liebevoll. Widerstände kann man beobachten, benennen, ignorieren, spiegeln, überhöhen, liebevoll karikieren, diskutieren. In keinem Fall sollten Sie sie komplett umgehen, wenn Sie aktuell eine Veränderung in Ihrem Unternehmen managen müssen. Für Institutionen und Firmen ist es oft eine große Veränderung, wenn das Unternehmen sich vergrößert und die Anzahl der Mitarbeiter wächst. Regelmäßig begleiten wir Firmen bei der Implementierung neuer Strukturen für Kommunikation. Ich durfte zum Beispiel Professor Heiko von der Leyen mit seinem Forschungsteam an der Medizinischen Hochschule Hannover begleiten, als sich dort durch Vergrößerung im Team Kommunikationsstrukturen veränderten. Was in einem kleinen Team in der Kaffeeküche zwischendurch gut zu klären war, benötigte andere Strukturen und Formen der Kommunikation, als das Team innerhalb eines Jahres um das Dreifache wuchs. Ein mittelständisches Unternehmen, das seit seiner Gründung 2012 bis zum Jahr 2020 auf 100 Mitarbeiter angewachsen ist, und damit wahnsinnig viel Bewegung erlebt, ist der Weiterbildungsanbieter „Gedankentanken“ – eine Marke, die mit einem sehr besucherstarken YouTube-Kanal Vorträge in alle Welt streamt und Weiterbildung entgegen vieler langweiliger Fortbildungserfahrungen sexy besetzt. „Gedankentanken“ baute im Laufe der Jahre Rednernächte in vielen deutschen Städten auf. Auf der Spitze des Rednernacht-Erfolges füllten sie die Kölner Lanxess Arena 2019 mit 17.000 Zuschauern. Unter anderem sprach dort der ehemalige Präsident

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der Vereinigten Staaten: Barack Obama. Obwohl das Produkt „Rednernacht“ sensationell gut lief, setzt das Unternehmen das Format „Gedankentanken“ 2020 ab, benennt seine Firma in Greator um, entwickelt eine App für Persönlichkeitsentwicklung und denkt zukunftsfähig und groß. Firmengründer Dr. Stefan Frädrich (Arzt, Redner und Geschäftsführer) war mit mir im PodcastInterview (vgl. Deutsches Institut für Humor 2020c).

Stefan Frädrich ist ein lockerer, neugieriger und umtriebiger Unternehmer, der sich schwer tut mit autokratischer Führung. Er benötigt in seinem Unternehmen Mitarbeiter, die keinen Chef brauchen, der ihnen alles vorsetzt. Das entstand eigentlich aus dem Dilemma, das viele Selbstständige haben: Er ist Redner und Trainer und damit selber das Produkt, dass die Firma vorwärtstreibt. Schnell war ihm bewusst, dass er sich als Chef selbst nicht so wichtig nehmen muss, um gute Performance zu erzielen. Viele Selbstständige haben seiner Meinung nach das „Anpack-Gen“ und sind Produkt und Leistungsträger in einem. Das macht Mittelständler einerseits oft groß und andererseits wird genau das auch zur Wachstumsbremse, zum Nadelöhr des eigenen Unternehmens. Langfristig kommt man auch in einem mittelständischen Unternehmen deshalb um Führungsstruktur nicht herum. Ungewöhnlich bei Stefan Frädrich ist jedoch seine Grundhaltung, dass nicht er als Führungskraft der Ein-

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zige ist, der die Struktur umsetzt, sondern dass man einer Struktur gestatten kann, sich zu bilden. Ihm als Führungskraft liegt in seinem 100-Mann-und-Frau-starken Unternehmen sehr daran, keine Wissensmonopole zu bilden. Neben klassischem E-Mail-Verkehr mit Kunden gibt es ein internes Chatsystem, in dem sich jeder Mitarbeiter aus jeden Bereich und Projekt die Informationen, Aufgaben und somit die Transparenz holen kann. Sein Ziel ist ein lebendiger Organismus, in dem alle Leistung bringen. Er will eine Informationskultur schaffen. Ihn irritiert, wenn Chefs sämtliche Informationen und Entscheidungen bündeln. Das führt zwangsläufig zu der Frage nach der Unternehmenskultur und wie Menschen in einer Institution arbeiten wollen. Sein Ziel war von Anfang an, das Unternehmen zu entwickeln – vom Befehlsempfänger hin zum sinnorientierten selbstständigen Arbeitnehmer. Diese Unternehmens-DNA zieht dann auch entsprechende Mitarbeiter an, die selbstständig arbeiten wollen. In Zeiten von Fachkräftemangel hat „Gedankentanken“ eine Überauswahl an Bewerbungen und kann sich die High-Performer sehr gewählt aussuchen. Humor ist für ihn eine Grundhaltung. Ich erlebe ihn als heiteren Menschen und doch nimmt er das Leben sehr ernst. Er ist ein introvertierter Typ. Auch wenn er als Redner auf Bühnen in seinem Element ist, benötigt er immer wieder als Ausgleich Tage der Ruhe und des Alleinseins. Er ist durchaus bereit, über sich selbst zu schmunzeln, nimmt sich selbst nicht immer zu ernst. Sein Humor äußert sich in einer gewissen Flapsigkeit, Gags in Vorträgen oder Komik, die sich aus dem Moment entwickelt. Humor ist für ihn ein Defibrillator. Es macht Menschen wach und aufmerksam. Als Experte für sein Thema ist er sehr offen für Humor. Für ihn setzt Humor voraus, dass der Mensch einen inneren Hochstatus hat und sich seiner selbst sicher ist. Humor mag er jedoch

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nicht als Trick und nicht nur oberflächlich machen. Es ist für ihn eine tiefe innere Haltung. Er ist im Führungsalltag jedoch auch ein Fan davon, dass sich Humor spontan entfaltet. Wenn eine Flapsigkeit von ihm mal schief geht, sieht er das entspannt und klärt es dann sofort auf. Er schreibt es auch den wenig hierarchischen Strukturen seiner Firma zu, die dann Humor nicht komplizierter machen als notwendig. In einem tradierten Unternehmen mit sehr hohem Chef-Status (dieser möchte immer korrekt mit Dr. Stefan Frädrich angesprochen werden) und steifem Umgang wäre es viel anstrengender, Humor zuzulassen. Ich muss an Loriot denken, der sein gesamtes Leben lang Humor über Hierarchien, Etikette und Strukturen gemacht hat und der auch langjährige Freunde noch siezte und in einem Interview mit Helmut Karasek (der übrigens auch ein tolles Buch über den Witz geschrieben hat, vgl. Karasek 2013) mal sagte: Es ist einfach witziger, wenn ich „Sie Arschloch“ sagen kann als „Du Arschloch“. In jedem Fall zieht „Gedankentanken“ als Unternehmen High-Performer an. Sie brauchen weniger starre Strukturen, die um ihrer selbst willen befolgt werden müssen, sondern sie benötigen – so Frädrich – eine gewisse operative Lockerheit, um lange zu bleiben. Beeindruckender Weise hat Stefan Frädrich sich „Selbstverwirklichung“ für seine High-Performer groß in die Unternehmens-DNA geschrieben. Für Gedankentanken bzw. Greator zahlt sich das aus. Change benötigt also vor allem einen Blick über den Tellerrand, Perspektivwechsel und einen Blick von außen. Jeder Change- oder Transformationsprozess wird von Führungskräften als mühsam beschrieben – vor allem die Aufgabe, Mitarbeiter aus ihren Gewohnheiten und Strukturen herauszuholen. Ein hilfreicher Partner, um Perspektivwechsel zu erreichen, das dürfte inzwischen deutlich geworden sein, ist der Humor. Merkwürdige

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Bilder, liebevolle Übertreibungen, aber auch ein spitzer Kommentar an der richtigen Stelle bringen Bewegung in einen Veränderungsprozess. Die Psychoanalytikerin und Psychologin Else Frenkel-Brunswik definierte erstmalig die Ambiguitäts­ toleranz als Fähigkeit des Individuums, positive und negative Eigenschaften in ein und demselben Objekt erkennen zu können (vgl. Streitbörger 2019). Ambiguitätsintoleranz ist auch Intoleranz gegenüber Situationen, die mehrere verschiedene Interpretationen zulassen, also eine Intoleranz gegenüber Situationen, die nicht klar definiert sind und die Kontraste oder Widersprüche enthalten. Als Führungskraft ist es nahezu unverzichtbar, eine Toleranz für ungewisse Situationen zu ermöglichen. Manche Mitarbeiter nehmen Veränderungen schneller als Bedrohung wahr und lehnen diese ab. Im Alltag Widersprüche auszuhalten bzw. sogar einen Perspektivwechsel zu ermöglichen, ist eine wichtige Funktion von Humor. Damit wird die Unsicherheitstoleranz, das heißt die Ambiguitätstoleranz, erhöht und trainiert. Das Team hat die Möglichkeit, bevorstehende Veränderungen durch Humor zu bewältigen. Humorvolle Vergleiche mit der Veränderung bieten sich an, beispielsweise ein Satz wie „Diese Veränderung ist wie eine Achterbahnfahrt“ oder „Wir haben hier gerade scheinbar den Endkampf von Harry Potter vor uns“ oder „Krieg der Sterne hat angefragt, ob Sie von uns Ratschläge bekommen können“. Der Leiter eines Jugendhauses hatte eine neue Stelle in einem Jugendheim angetreten. Die halbstarken Jugendlichen empfingen ihn nicht sehr freundlich und akzeptierten ihn nicht gleich als neuen Erzieher. Nachts hörte er sie in einem der Zimmer tuscheln: „Wir holen morgen Drahtseil und fesseln diesen Typen. Dann wird er schon sehen, was er davon hat, hier zu sein.“ Am nächsten Morgen kam der Leiter zum Frühstück, wo die

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Jungs schon tuschelten. Er sagte: „Ich fahre jetzt zum Baumarkt. Da soll es ein Sonderangebot für Drahtseile geben. Braucht sonst noch jemand was?“ Die Jungs erstarrten. Dann lachten sie laut. In dieser entspannten Atmosphäre konnte der Erzieher die aktuelle Situation ansprechen und Spielregeln für die Zusammenarbeit klären. Humor klärt also nicht komplett Konflikte oder Ängste, Humor löst jedoch oft Anspannungen und ermöglicht eine vertraute Atmosphäre, um Ängste und Sorgen besser klären zu können (vgl. Morreall 1991). Konkret erhöht sich die Toleranz, widersprüchliche, unkonkrete Situationen auszuhalten bzw. gegebenenfalls sogar humorvoll interpretieren zu können. Damit werden unsichere, komplexe und widersprüchliche Situationen weniger als Bedrohung empfunden und die verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten der Situationen sogar gezielt für die Humorproduktionen genutzt. Humoristen und Kabarettisten sind sogar ständig auf der Suche nach Widersprüchen und Ambiguitäten, da dies Material für ihre Programme bietet. Eine Personalleiterin ist seit 20  Jahren Teil eines mittelständigen amerikanisch-deutschen Unternehmens. An dem Standort, wo Sympathie und Respekt großgeschrieben wird, kennt die HR-Frau nach zwei Jahrzehnten im Unternehmen fast jedermann. Sie ist eine sympathische, herzliche und humorvolle Frau, die Leichtigkeit verbreitet, sobald sie einen Raum betritt. Sie ist fröhlich, mitreißend und kompetent in ihrem täglichen Job. Und kann auch sehr leise sein. Für sie sind Dinge oft unkompliziert, sie improvisiert, wenn mehr Teilnehmer als geplant kommen. Und das macht auch bei ihr an der Haustür nicht halt: Wenn mehr Freunde zu Besuch kommen als geplant, wird einfach die Suppe etwas gestreckt. Diese Herzlichkeit ist auch in ihren Seminaren ansteckend, bei ernsten und langwierigen Themen, wie

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zum Beispiel dem Führen von heiklen Gesprächen. Sie arbeitet gern mit humorvollen Video-Beispielen oder humorvollen Rollenspielen, wählt immer wieder heitere und leichte Settings, um Beratung und Coaching in der inzwischen von einem Konzern gekauften GmbH möglich zu machen. Die Veränderung von einem Unternehmen mit weltweit 3.000 Mitarbeitern zu einem weltweit tätigen Konzern mit 200.000 Mitarbeitern – wie erlebt diese Expertin für Personalfragen diesen Umbruch? Im Jahre 2000 wurde das Unternehmen von einem amerikanischen Konzern derselben Branche gekauft. In den ersten Jahren liefen die Strukturen des kleinen Unternehmens erst mal völlig normal weiter. Völlig autark waren alle Mitarbeiter weiterhin unter alter Flagge und bestehender Unternehmenskultur handlungsfähig. Vom Firmen-Logo bis hin zum Mitarbeiterausweis änderte sich vorerst nichts, auch wenn man bereits auf der Payroll eines international tätigen Konzerns stand. Das passte gut zu dem eingeschworenen Team, das aus einer beeindruckenden Gründergeschichte entstanden war. Besonders die wertschätzende Atmosphäre, das respektvolle Miteinander und die Heiterkeit zu erhalten, war und ist der Personalerin ein großes Anliegen. Selbst bei Widerständen schafft sie es mit einer warmherzigen Leichtigkeit, den Widerstand in konstruktive Gespräche umzuwandeln. Für sie als Führungskraft ist warmherziger Humor ein Werkzeug, um Mitarbeiter handlungs- und lernfähig zu machen. Das gilt auch und besonders in stürmischen Zeiten: Eine strategische Abteilung beschäftigte sich nach zehn Jahren im Mutterkonzern mit der stärkeren Integration der Tochterunternehmen. Erste gemeinsame Tools wurden entwickelt. Nach einem Jahrzehnt wehten vor dem Gebäude erstmalig zwei Fahnen, eine vom Tochterunternehmen, das ursprünglich eine GmbH war, und

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eine zweite Fahne des Mutterkonzerns. 2015 wurde dann eine völlig neue Organisationseinheit für Services im Konzern gegründet. Nun ist das einstige autarke Tochterunternehmen auf dem Weg zum voll integrierten Unternehmen mit angepassten Strukturen, Mitarbeiterausweisen und Unternehmensflagge am Standort vor der Tür. Da weht viel Veränderungswind – mal als leichte Windböe, mal als starker Orkan. Es gibt viele Widerstände und Widersprüche zu managen. Es gibt zwar noch alte Verträge, jedoch bereits angepasste neue JobBeschreibungen. Viele Menschen an den verschiedenen Standorten des einst selbstständigen Tochterunternehmens kennt die ­HR-Managerin seit 20 Jahren – ob in Deutschland, Singapur, Kanada oder in den USA. Selbst wenn man nicht alle 3.000 Mitarbeiter an diversen Standorten kennen kann, trifft sie bei regelmäßigen Besuchen oft bekannte Gesichter. Das verändert sich nun. Im Unternehmen gibt es viele neue Personen, veränderte Strukturen und andere Produkte. Die sehr menschliche Kultur am Standort hat sich trotz dieser wahnsinnigen Transformation erhalten. Die Verwurzelung empfindet sie als menschenwürdig und wichtig. Dass sich auch ihr Arbeitsbereich stark verändert, bleibt nicht aus. Nachdem sie weltweit für alle technischen Trainings zuständig war, werden nun Lern- und Weiterbildungsangebote durch beratende Funktionen ergänzt. Nun konzentriert sich ihre bisher weltweite Tätigkeit auf Europa, Russland und Israel. Die Veränderungen und Erneuerungen bringen nicht nur Freiheiten, sondern auch Angst mit sich. Man genießt die noch nicht ganz festgezurrten Spielregeln und verbringt bei einem Wechsel in einen neuen Konzern viel Zeit damit, nach zwei Jahrzehnten vertrauter Expertise neue Informationen, neue Produkte und Strukturen kennenzulernen. Selbst an einem Standort kann es in zwei aneinander grenzenden

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Abteilungen zu sehr unterschiedliche Kulturen kommen: Die einen tragen informelle Kleidung und pflegen lockere Begrüßung, auf dem nächsten Flur trägt man Kostüme, Anzüge und grüßt sehr formell. Gibt es bei so einer großen Veränderung eine federführende Abteilung, die das managt? Ja und Nein, lautet ihre Antwort. Es gäbe eine Abteilung für Change-Optimal-Enterprise. Aber so richtig wisse man nicht, was die warum machen. Hier kann Humor vor allem dabei helfen, diese Widersprüche auszuhalten. Der Humor am Standort verändert sich in Zeiten dieser Transformation. Insgesamt gibt es mehr Angst um den eigenen Standort und um den eigenen Job in der Produktion. Aus Sicht des amerikanischen Konzerns liegen zwei europäische Standorte sehr nahe beieinander, und es könnte die Frage aufkommen, warum es überhaupt zwei Standorte benötigt. Die Expertise der Produktion erfordert analytisches, behördenähnliches Arbeiten. Wenn die Mitarbeiter unpräzise arbeiten, kommt es zu Fehlern in der Produktion. Dieses Arbeiten basiert aber auch auf Sicherheit und Klarheit. In unsicheren Zeiten kommt in der Produktion der Humor schnell abhanden. Die Entwicklungsabteilung dagegen erlebt die Personalerin als eher humorvoll: Die Abteilung ist jung, arbeitet bereits sehr agil und experimentierfreudig, ist visionär und trägt die Historie noch nicht so lange mit sich herum. Sind also Neugier und Veränderungsbereitschaft die Voraussetzung für Humor, der einem erhalten bleibt? Oder fördert Humor in stürmischen Zeiten die Veränderungsbereitschaft durch Perspektivwechsel? Ihr eigenes Learning- und Development-Team hat extrem viel Humor, berichtet die Personalerin. Woran liegt das? Nach einigen sehr starken Veränderungen ist die Mannschaft jetzt endlich zusammengestellt, alle haben das Gefühl, neu angefangen zu haben, obwohl sich manche

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der Mitarbeiter bereits seit vielen Jahren kennen. Das Kernteam entwickelte bei diesem gefühlten Neustart sehr schnell Vertrauen zueinander – und das ist förderlich für den Humor. Sie selbst sorgte in Online-Sessions mit 300 Mitarbeitern, die erst mal nicht so wahnsinnig viel Interaktion bieten, dafür, dass sie mit ihrem Trainer-Team vor dem Bildschirm Spaß hat. Spaß steckt erst die Führungskräfte an und dann auch die Mitarbeiter. Doch genau in diesen Veränderungsprozess grätschte die Corona-Krise als zusätzlicher Stressor hinein. Die Krise führte zu zehn Prozent Entlassungen weltweit, also waren etwa 20.000 Mitarbeiter betroffen. Alles wurde schlagartig wieder auf Grundbedürfnisse und sichere Gesundheit reduziert. Immer wieder tauchte in dieser Krise die Frage nach der Sicherheit des eigenen Jobs auf. Humor und Leichtigkeit unterstützten hier, diese Krise gut durchzuhalten, die Krise auszuhalten und auch von der Krise abzulenken. Erstaunlicherweise gibt es in diesem Konzern recht wenig gehässigen Humor. Die einzige Form von schwärzerem Humor entsteht, wenn man als Tochterunternehmen viel agiler, flexibler und moderner ist als der Tanker, in den man integriert wird. Zum Beispiel wurde ein gängiges Standardtraining zum Thema heikle Gespräche im Tochterunternehmen bereits zehn Jahre zuvor weltweit in der Firma mit 3.000 Mitarbeitern ausgerollt. Nach einer heiklen Produktkrise des großen Konzerns suchte dieser nach einem guten Training für schwierige Gespräche. Nach intensiver Recherche und vielen ignorierten Angeboten der Personalerin landete der große Tanker dann bei dem Trainingsformat des Tochterunternehmens, obwohl man die vielen Angebote dieses Tochterunternehmens erst mal ignoriert hatte. Solche unlogischen Prozessentscheidungen kann man dann nur mit Aggressivem Humor begleiten und so ein Ventil ermöglichen. Galgenhumor taucht in Ver-

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änderungen bei Mitarbeitern immer dann auf, wenn sie an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit kommen, wenn man beispielsweise allein eine ganze Region verantwortet und nicht weiß, welche Spielregeln morgen gelten. Inzwischen ist in ihrem neuen eigenen Team von 40 Human-Resources-Verantwortlichen weltweit der Humor auch wieder auf stabileren Füßen. Dazu hat mit großer Sicherheit ihr menschliches und heiteres Naturell beigetragen. Der Kollege in Kanada hat den Rotwein schon ausgepackt, wenn das Online-Meeting für ihn am späten Abend stattfindet. Der italienische Kollege steckt im Corona-bedingten Ausgangsverbot und freut sich wie ein Schneekönig über die guten Spaghetti Carbonara seiner Frau. Man arbeitet positiv, heiter und wertschätzend. Und schafft sich so seinen Platz in den neuen Strukturen eines Tankers, der von seinem neuen Schnellboot noch einiges lernen kann. Hohe Ambiguitätstoleranz bei Mitarbeitern ist also die Fähigkeit, Widersprüche auszuhalten. Diese Toleranz von Ambiguitäten wird durch Humor im Unternehmen trainiert und gefördert. Das passiert auch dann, wenn man noch nicht in einem Veränderungsprozess steckt. Doch Humor ersetzt nicht die Fähigkeit, sich gegen unlogische Prozesse oder widersprüchliche Entscheidungen auch zur Wehr zu setzen bzw. diese anzuzweifeln. Gerade in Veränderungen und Krisen zeigt sich bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Fähigkeit zur Resilienz, also zur Widerstandsfähigkeit. Resilienz bedeutet, Krisen mithilfe eigener Ressourcen zu bewältigen, an einer Krise zu wachsen und nicht an ihr zu zerbrechen. Für mich ist Resilienz weit entfernt vom platten „Alles wird gut“-Optimismus. Es ist die Fähigkeit von Führungs­ kräften, das Team in schwierigen Zeiten in ihrer Fähigkeit zu stärken, eine Krise gut zu managen, anstatt wahnsinnig zu werden. Humor in Krisen zu behalten, bedeutet oft,

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resilienten Humor zu besitzen, also auch in unsicheren Zeiten die Perspektive wechseln zu können. Ganz klar: Auch das eben beschriebene Mutterunternehmen und sämtliche Tochterunternehmen hatten vor Corona bereits gewisse Krisen. Und alle haben diese durchgestanden, sonst würden sie als Unternehmen, ob groß oder klein, nicht mehr existieren. Der 11. September war eine solche große Krise für dieses Unternehmen. Die einzelne Vergangenheit der Mitarbeiter ist eine Quelle von Krisen, die derjenige überstanden bzw. durchgestanden hat. Knüpfen Sie als Führungskraft in einer Zeit kleiner oder großer Veränderungen daran an. Identifizieren Sie resiliente Mitarbeiter. Nutzen Sie Führungskräfte, die Ambiguitäten gut aushalten können. Dessen ist man sich vor allem in der Abteilung „Learning and Development“ sehr bewusst, deren Führungskraft ich zu Einzelheiten der aktuellen Veränderung befragen durfte, ohne das Unternehmen konkreter zu nennen. Vielleicht hat das Team dort deshalb auch in einer stürmischen Zeit einen so guten Zugriff auf seinen Humor. Bietet jede Krise eine Chance? Wird die C ­ orona-Krise wirklich zur Digitalfortbildung für die Welt? Profis und Führungskräfte, die seit fast 20 Jahren Online-Besprechungen durchführen und digitale Fort­ bildungen nutzen, freuen sich über die erzwungene Medienkompetenz in der Bevölkerung im Frühjahr 2020. Diese erzwungene Digitalisierung ist die beste Fortbildung unserer Zeit, um der Corona-Krise wenigstens einen Vorteil abzugewinnen. Verweigerer müssen an den Rechner. Menschen, die behaupten, ihre Arbeit gehe nur analog, arbeiten plötzlich online. Lehrkräfte müssen sich mit digitalen Methoden beschäftigen, auch wenn eine eingescannte Lehrbuchseite noch kein Digitalkonzept ist. Dabei wurden viele große Veränderungen im Laufe der Jahrhunderte selbst innerhalb dieser Branche sehr

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belächelt und als unwichtig abgetan. Der Chef des Patentamtes sagte im Jahr 1900: „Alles, was erfunden werden konnte, ist erfunden.“ Und der Chef des Filmunternehmens Warner Brothers fragte 1920: „Wer zum Teufel will Schauspieler sprechen hören?“ Ich nutze diese falschen Expertenmeinungen gern in Vorträgen, um die Vorhersagbarkeit großer Veränderungen zu relativieren, um aufzuzeigen, dass es immer schon falsche Annahmen und Ängste bei transformativen Prozessen gab. Diese müssen von Führungskräften gemeistert werden. Die Erfindung der Tonaufnahme stürzte den Stummfilm um die Jahrhundertwende in die Krise, so wie zu Corona-Zeiten Lehrkräfte nicht überleben, die keinen O ­ nline-Unterricht durchführen wollen. Das wäre im Jahre 2020 so, als wenn 1900 ein Filmschauspieler gesagt hätte: „Ich spreche jetzt doch nicht auch noch – nur weil plötzlich der Ton erfunden wurde.“ Veränderungen oder Unternehmenskrisen entstehen durch Konkurrenz, durch sich verändernde Märkte, durch Finanzkrisen, wie 2009 durch den Absturz von Lehmann Brothers oder aktuell durch eine Pandemie. Dabei ist es sicher eine wichtige Frage, welchem Trend man eben nicht hinterherhecheln muss und welche Veränderungen das eigene Unternehmen mitmachen muss, um in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben. Übrigens war auch der Humor-Begriff in den letzten 500 Jahren einem großen Change-Prozess unterlegen: In der Antike war beispielsweise von „Humor“ als Feuchtigkeit bzw. Körpersaft die Rede – je nach Zusammensetzung der Humores, also Körpersäfte, äußerten sich bei den Menschen ihre verschiedenen Charakterzüge. Danach kam die Hochkonjunktur der Hofnarren und Schausteller, auch Behinderte und „Bekloppte“ (entschuldigen Sie bitte die Wortwahl) belustigten den König – oder hielten ihm humorvoll den Spiegel vor. Die Ulknudel hatte eine

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Sondererlaubnis – doch es war eben nicht die Herrschaft, der König, die Führung, die Humor absolvieren durfte. Überhaupt den Begriff zu differenzieren, den Sinn von Humor zu untersuchen und als individuelle Eigenschaft zu betrachten, die Frage zu stellen, ob Humor eigentlich angeboren ist oder erlernt wird, ist ein noch recht junges Phänomen. Erst seit etwa 200 Jahren hat sich die Erwartung an Humor gewandelt, im Rahmen der modernen Entwicklung ist das nun Teil der Persönlichkeit (vgl. Ullmann und Hansmeier 2019). Humor taucht auf als positive Benennung in Kontaktanzeigen, die Menschen wünschen sich mehr Humor, auch im Businesskontext, wir trainieren ihn in Kommunikationsseminaren und wollen eben auch Chefs mit Humor. Humor ermöglicht eine veränderte Sichtweise auf Gegebenheiten – und genau das ist in Wandlungs- und Transformationsprozessen sehr nützlich. Der Change-Manager Reza Razavi arbeitet bei BMW und darf im Autokonzern offiziell die Frage stellen, was man denn produzieren wird, wenn Menschen keine Autos mehr herstellen – oder wie man in Zukunft auch in einem großen Unternehmen wie BMW arbeiten will. Er unterscheidet in unserem Interview auf sehr eindrückliche Weise Change- von Transformationsprozessen. Lesen Sie selbst:

2.10 Interview mit Reza Razavi, Change- und Transformationsberater „Transformation zu begleiten ist unbequem.“ Eva Ullmann Beginnen wir gleich mit dem Humor: Worüber lachst oder schmunzelst du gern?

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Reza Razavi In meiner Familie haben wir einen ganz besonderen Humor. Wir lachen viel, machen uns aber nicht über andere lustig oder bewerten sie. Wir stellen eher Themen kritisch infrage und übertreiben sie. Was ich nicht mag, sind Komiker wie zum Beispiel Oliver Pocher, die versuchen, auf Kosten anderer lustig zu sein. Das kann ich nicht nachvollziehen. Aber ich und mein Vater übertreiben gern Dinge. Das ist kein Humor, bei dem man am Boden liegt und drei Minuten am Stück lacht. Man hat eher mal häufiger ein Lächeln im Gesicht. Wir zwei ergänzen uns dabei gut. Eva Ullmann Ich bin auch ein Fan davon, eher Humor über mich selbst zu machen als über andere, insbesondere, wenn ich Menschen noch nicht so gut kenne. Ich habe einen spannenden Vortrag von dir gehört. Dabei gab es mehrere Lacher. Nutzt du Humor auf der Bühne spontan oder geplant? Reza Razavi Ich mache das sehr bewusst. Ich möchte meine Themen emotional rüberbringen. Dazu gehört auch Humor. Humor weckt die Leute. Man konzentriert sich dann noch mehr, weil es noch spannender wird. Ich nutze in meinen Präsentationen auch mal Trauer. Manchmal zeige ich sogar Fotos von Konzentrationslagern. Emotionen gehören zu Vorträgen dazu. Es gibt super coole Wissenschaftler, deren Vorträge im Prinzip zum Einschlafen sind. Das hilft uns nicht weiter. Wir müssen die Leute wachhalten. Dafür ist Humor eine sensationelle Methode. Eva Ullmann Hast du ein Beispiel für etwas, das du absichtlich in einen Vortrag verwendet hast?

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Reza Razavi Zum Thema Strategie und Planung habe ich ein Beispiel: Ich zeige ein Foto von Mike Tyson und sage: „Jeder hat so lange eine Strategie, bis er eins auf die Nase bekommt.“ Das kam in 85 % meiner Vorträge vor. Meine Vorträge entwickeln sich zwar immer weiter, aber Mike Tyson lasse ich gerne drin, weil bei diesem Satz wirklich alle im Saal lachen. Das ist wie ein Weckruf. Dann sind alle wieder wach. Ein weiteres Beispiel, das ich gern verwende, ist Steve Balmer, der sich über iPhones lustig macht, weil er denkt, dass sie sich nicht verkaufen. Auch das ist ein Lacher. Solche Elemente bringe ich sehr bewusst ein. Man muss aber auch vorsichtig sein, weil vielleicht nicht jeder den Humor versteht. Man muss etwas aussuchen, bei dem die Botschaft richtig übersetzt wird. Eva Ullmann Humor muss ja auch nicht häufig verwendet werden. In deinen Vorträgen gehst du auch in die Detailtiefe und stimmst das Publikum nachdenklich. Ich fand, das war eine gute Mischung. Reza Razavi Ich habe mal einen Vortrag bei einer Versicherungsgesellschaft gesehen, der durchweg Stand-up-Comedy war. Da kam ein Witz nach dem ­ anderen. Das war zwar unterhaltsam, aber es besteht die Gefahr, dass man nur noch lacht und nicht mehr nachdenkt. Da entsteht keine Resonanz, man denkt nicht über die nächsten Schritte nach. Wenn alles nur Witz und Lachen ist, ist das schön, aber es entsteht wenig Reflexion. Eva Ullmann Bei Kabarettisten ist das häufig so: Man lacht den ganzen Abend, kann sich aber am nächsten Tag an keinen einzelnen Witz mehr erinnern. Bei Vorträgen ist das nicht das Ziel. Als Redner nutzt du Humor also gezielt als rhetorisches Stilmittel?

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Reza Razavi Absolut. Ich finde, jede gute Präsentation braucht zwei, drei humorvolle Elemente. Ansonsten wird sie langweilig. Ich kenne viele spannende Themen von hervorragenden Wissenschaftlern, die nur in ihrem eigenen Kontext bleiben, um ihr Wissen zu übertragen. Dabei verlieren sie aber ihr Publikum. Damit die Leute am Ball bleiben, damit etwas entsteht, brauchst du humorvolle und emotionale Elemente. Es wird immer ein paar Leute geben, die eine wissenschaftliche Präsentation auch ohne das gut finden, aber der Rest wird irgendwann abschalten. Bei Humor muss man allerdings aufpassen, denn die Botschaft kann auch falsch verstanden werden. Eva Ullmann Hast du ein Beispiel, bei dem Humor schief gegangen ist? Reza Razavi Keines aus meinen Vorträgen. Aber ich war mal in einem Team mit sechs Leuten. Ein junger Mann wollte immer lustig sein und hat immer Witze über „deine Mudda“ gemacht. Gerade in meiner Kultur ist eine Mutter aber wie eine Heilige. Eva Ullmann Du bist ursprünglich aus dem Iran. Reza Razavi Ja. Er wollte immer witzig und humorvoll sein. Und ich wurde immer wütender und aggressiver. Für mich ist eine Mutter heilig, ich würde nie in diesem Tonfall und in dieser Form etwas raushauen. Und das ist eben gefährlich. Die anderen haben gelacht, aber ich fand es nicht lustig. Sowas kann nach hinten losgehen. Man muss schauen, bei welcher Art von Humor das Signal beim Großteil der Menschen richtig übersetzt wird.

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Eva Ullmann Solche Situationen habe ich auch erlebt. Du arbeitest auch mit traurigen Emotionen, um wachzurütteln. Wie machst du das? Reza Razavi Ein Beispiel sind Kinder in Konzentrationslagern, die Schmetterlinge in ihre Betten eingeritzt haben. Später hat die Trauerbegleiterin Elisabeth Kübler-Ross sie gefragt, warum sie das getan haben. Für die Kinder waren die Schmetterlinge ein Freiheitssymbol, ein Symbol für Neuerfindung und Verwandlung. Diese Botschaft wollte ich übermitteln. Der Schmetterling ist ein geniales Symbol, wenn die Kinder selbst in dieser Lage noch Hoffnung haben. Eva Ullmann Wie bist du auf Raupe und Schmetterling gekommen? Das ist ja ein zentrales Thema deiner Arbeit. Reza Razavi Wenn ich mich mit einem Thema beschäftige, versuche ich, mehrere Scheinwerfer darauf zu werfen. Bei der Transformation war einer dieser Scheinwerfer die Biologie. Ich wollte wissen, wie Transformation in der Natur funktioniert. Da kommt man sehr schnell zur Metamorphose. In der Biologie ist das das A und O, wenn es um Transformation geht. Außerdem fand ich Schmetterlinge auch früher schon sehr schön. Das passte also gut. Aus meiner Sicht gibt es kaum etwas Faszinierenderes als diese Metamorphose. Diese kleinen Tiere wiegen weniger als ein Gramm und sind dazu in der Lage, in der Natur so voranzukommen. Es gibt sie schon Tausende von Jahren und sie haben sich in der Evolution durchgesetzt. Manche Schmetterlinge reisen von Mexiko nach Kanada und zurück – da kann man nur staunen. Für mich war es das beste Symbol für Transformation.

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Eva Ullmann Durch dieses Bild habe ich sehr gut verstanden, was der Unterschied zwischen Change und Transformation ist. Du sagst: Change ist die Optimierung von etwas. Transformation ist die Verwandlung einer Organisation oder eines Produkts. Du hast erzählt, dass bei der Metamorphose Teile der DNA erhalten bleiben, aber auch Teile des Tieres absterben, damit ein neues Tier entstehen kann, das außerdem ein ganz anderes Ziel hat. In Organisationen darf man also bei Transformation die Fragen stellen: Was produzieren wir, wenn wir unser Kernprodukt nicht mehr verkaufen? Du benutzt dafür ein wirklich starkes Bild. Reza Razavi Danke. Ich finde es auch wichtig, dass die Leute diesen Unterschied verstehen. Viele wollen Transformation, versuchen aber Change. Transformation setzt voraus, dass man gerade die bestehenden Denkweisen, Metasysteme und Grundregeln infrage stellt. Man muss fragen: Passen die noch? Wenn man aber dasselbe benutzt, um etwas anderes zu werden, dann wird es nicht funktionieren. Ich glaube, es war Einstein, der gesagt hat: Man kann nicht immer dasselbe tun und auf andere Ergebnisse hoffen. Wenn man nicht versteht, dass man für die jeweiligen Prozesse andere Vorgehensweisen, andere Logiken, andere Methoden braucht, dann wird es bei beiden nicht gut funktionieren. Das möchte ich in meinen Vorträgen klar machen. Eva Ullmann Wenn du dich mit einem Thema beschäftigst, dann beleuchtest du es aus unterschiedlichen Perspektiven, mit unterschiedlichen Scheinwerfern. Wie gelingt dir das?

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Reza Razavi Als ich mich während meines Studiums für Systemtheorie und Kybernetik interessierte, habe ich nach Verbindungen zu anderen Themen gesucht. Es gab Verbindungen zwischen Management und Kybernetik, zwischen Psychologie und Kybernetik. All diese Themen habe ich auch zu verstehen versucht. Wenn du ein Thema hast, dann versuche, es mit unterschiedlichen Scheinwerfern zu beleuchten. Das kann Psychologie, Biologie oder Philosophie sein. Wenn du eine Verbindung zu anderen Disziplinen oder Wissenschaften schaffst, entsteht mehr Kreativität, es kommen neue Ideen. Die Vernetzung der Themen macht das Ganze spannend. Eva Ullmann Ich habe das bei Widerständen gemacht. Für einen Ingenieur ist ein Widerstand nicht so negativ besetzt wie für einen Redner oder Lehrer. Also in deinem Fall hat die Biologie gut zur Transformation gepasst? Reza Razavi In der Natur ist vieles schon erforscht, da findet man leicht etwas. Aber alle anderen Scheinwerfer sind genauso wichtig. Eva Ullmann Der menschliche Körper gibt sicher auch einiges zur Transformation her. Reza Razavi Es gibt sogar ein schönes Video auf YouTube, wo gezeigt wird, wie häufig der Mensch sich selbst erneuert. Eva Ullmann Du sagst, du lebst in zwei Welten, als Künstler von zwei Kulturen. Welchen Einfluss hat das auf deinen Humor?

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Reza Razavi Wenn man Iran und Deutschland vergleicht, sind gewisse Dinge auffällig, zum Beispiel, wie diszipliniert die Menschen in Deutschland sind und dass Disziplin als Wert hoch eingestuft wird. Das sah man auch in CoronaZeiten. Was das Thema Humor angeht: Auch da sehe ich Unterschiede. Ich würde behaupten: Der Perser, der Iraner ist humorvoller. Humor spielt im iranischen Leben eine etwas größere Rolle als in Deutschland. Ich würde die Deutschen nicht unbedingt als humorvolles Volk bezeichnen. Eva Ullmann Manchmal denke ich, dass ich im falschen Land lebe … Reza Razavi Was mich allerdings wundert: Das verändert sich, sobald getrunken wird. Diese Verbindung verstehe ich nicht. Vor einigen Jahren hat bei einer Feier jemand zu meiner Frau gesagt: „Wieso ist dein Mann heute so lustig? Was hat der schon getrunken?“ Diese Verbindung ist mir dort aufgefallen: Der Deutsche kann erst lustig sein, wenn er getrunken hat. Das gibt es im Iran nicht. Dort musst du nicht zwangsläufig trinken, um humorvoll zu sein. Der Humor gehört mehr zum Alltag dazu. Das vermisse ich hier schon ein bisschen. Eva Ullmann Diese Assoziation höre ich auch oft, auch in Kombination mit dem Selbstbild bzw. dem Fremdbild: Wir Deutschen sind nicht humorvoll. Die Teilnehmer in meinen Seminaren brauchen erst einmal einen sicheren Rahmen. Dann kommen sie in eine Heiterkeit und Lockerheit. Ich frage mich oft: Warum ist das nicht per se so? Lockerheit und Leichtigkeit muss immer erst erlaubt und gefördert werden. Dabei arbeiten und lernen wir besser, wenn die Atmosphäre locker und leicht ist.

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Übung für Ihr Humor-Handwerkszeug: würdiger Vergleich

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Früher haben Sklaven die Steine für gigantische Bauwerke wie die Pyramiden geschichtet – heute machen das Kräne. Solche Bilder lassen sich für einen merkwürdigen Vergleich humorvoll nutzen. Mit welcher großen Veränderung der letzten 100 Jahre würden Sie eine Veränderung in Ihrem Unternehmen vergleichen? Ist es wie die Veränderung beim Stummfilm oder der Buchdruck? Oder die Veränderung, dass man vor 30 Jahren pünktlich sonntags um 20.15 Uhr den Tatort schaute und heute zu einer selbstgewählten Zeit die Lieblingsserie in einer beliebigen Anzahl von Staffeln angeschaut wird? Schauen Sie sich eine bestimmte Veränderung genauer an – das kann eine Fusion oder auch eine private Trennung gewesen sein oder eben die Corona-Krise. Völlig egal ist an dieser Stelle, wie klein oder groß Ihr aktueller Veränderungsprozess ist. Haben Sie schon einen Vergleich gefunden? Kommt da ein merkwürdiges Bild heraus? Wenn es ein lustiges Bild wird, ein merkwürdiger Vergleich oder Sie einfach schmunzeln müssen, dann greifen Sie zu und testen Sie dieses Bild an Mitarbeitern und Ihrer Organisation.

2.11 Humor im Personalwesen: Mitarbeiter finden, binden und qualifizieren Es ist schon zum Mäusemelken: Man will mit seinem Team nach den Sternen greifen – und die Mitarbeiter streiten sich, weil nicht alle ihre Kaffeetassen in die Spülmaschine räumen. Ist das wirklich mein Problem als Personalleiterin, dieses eskalierte Gespräch zu führen? Das hatte ich mir mal anders vorgestellt … Tatsächlich ist das Aufgabenspektrum im Personalwesen – um es einmal positiv zu formulieren – bunt und vielfältig. Es reicht von den banalen Konflikten der Mit-

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arbeiter (nicht gespülte Tasse, nicht nachgefüllte Klopapierrolle, nicht nachgelegtes Kopierpapier, einer mag die Nase des Kollegen nicht, ein anderer kommt immer zu spät) bis hin zu den größeren und auch ganz großen Themen, also Mitarbeitersuche und Bewerbungsverfahren, Gespräche mit potenziellen Kandidaten und Themen wie Mitarbeiterfluktuation bis hin zur Mitarbeiterbindung und Persönlichkeitsentwicklung. Gerade im Personal Recruiting und in der Personalentwicklung ist Humor wichtig und wertvoll. Denn sogar bei attraktiven Arbeitgebern in lokalen Umfeldern herrscht längst Fachkräftemangel und sie haben gemerkt, dass die klassischen Formen und Wege, neue Mitarbeiter zu finden, schon heute und auch in Zukunft nicht mehr funktionieren. Erst recht mit Blick auf das Jahr 2030, wenn die Baby-Boomer-Generation in Rente geht, braucht es neue Mittel und Wege. Schon jetzt verändern sich Stellenanzeigen und Stellenangebote – und der Humor hat hier durchaus seinen Platz. Die Facebook-Seite OralchirurgiePlus postete ein Bild von einem Gebiss mit Zahnlücke, über der groß stand: „Du fehlst.“ Darunter: „Für eine oralchirurgische Praxis suchen wir zwei KollegInnen für die Assistenz.“ Ein Hingucker. Und dem Bewerber wird gleichzeitig humorvoll auf den Zahn gefühlt. Ebenfalls bereit zum Humoreinsatz ist die diakonische Stiftung Finneck, ein regionaler Träger der Behindertenarbeit, der Kinder- und Jugendhilfe sowie diverser Bildungseinrichtungen in Rastenberg und Sömmerda (Thüringen). Mehr als 470 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betreuen etwa 1.000 Menschen mit und ohne Behinderung. Zur Stiftung gehören Schulen und Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Ein Zuhause haben die Menschen in Wohnheimen, Außenwohngruppen sowie im Ambulanten Betreuten

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Wohnen. In einer Klausurtagung mit den 40 Führungskräften der Stiftung dürfen wir humorvoll über den Tellerrand schauen: Wie lässt sich querdenken, sowohl in den Social-Media-Kanälen als auch in der Werbung für die Behindertenwerkstatt? Was dürfen wir uns gestatten und wo müssen wir ethisch-moralische Grenzen wahren? Können wir mit Humor experimentieren – auf allen Kanälen? Und dürfen wir als Behindertenwerkstatt auch mal politisch unkorrekt kommunizieren? Diesen Fragen widmete sich das Finneck-Team unter dem Vorsitzenden Joachim Stopp. Um die passenden Antworten zu finden, gab es mit den Führungskräften zum Auftakt des Jahres einen Humor-Workshop. Hintergrund: 20 Jahre lang hatte die regional bekannte Stiftung keinerlei Personalprobleme, doch dann musste erstmals eine Zeitarbeitsfirma involviert werden. Der Blick des Teams fiel als Erstes auf die Stellenanzeigen – alle gleich, wenig unterhaltsam, sogar eher dröge. Die kleine diakonische Stiftung spielte mit Bildern und Themen, wagte sich, mal anders zu denken in der Außendarstellung. Heraus kamen pfiffige Stellenangebote: „Wir suchen Sozialhelden und bieten drei Tassen Kaffee und täglich fünf gute Witze“ heißt es heute – oder wahlweise auch Geduldsengel, Lieblingsmenschen und Motivationskünstler. Der Erfolg gibt dem Konzept recht – und viel gekostet hat das auch nicht. Mein liebstes Motiv ist die integrative Möbelfirma, die zur Behindertenwerkstatt gehört und das bereits erwähnte Plakat veröffentlichte, auf dem der Chef zu sehen war – engagiert mit Folie eingewickelt und fest verpackt an einem Stapel Europaletten. Der dazugehörige Slogan „Wir verpacken fast alles!“ ist Humor in seiner schönsten Form. Ob Management im Personalwesen oder die Personalsuche, ob Gestaltung von Stellenanzeigen oder Mitarbeiterbindung, ob Lösungen für interne Prozesse oder Außendarstellung: Bevor sich ein Betrieb damit befassen

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kann, braucht es vorab eine gute Klärung, nämlich zu der Fragestellung, wie viel Humor das Unternehmen verträgt. Das bedeutet beispielsweise, sich die eigene Wertephilosophie nochmals genauer vor Augen zu führen und in vielen Aspekten auch mal gegen den Strich zu bürsten. Denn es hilft nichts, wenn nach außen mit Humor gearbeitet wird, witzige Stellengesuche kursieren und man interessante Bewerber lockt. Wenn die dann feststellen müssen, dass das nur schöne Show war und Humor überhaupt kein zentraler Wert in der Firma oder der Institution ist, wirkt das eher schädlich anstatt beflügelnd. Humor kann man weder verordnen noch sich lediglich auf die Fahnen schreiben. Gerade im Rahmen des Employer Brandings geht es darum, den Mitarbeitern ein Bewusstsein dafür zu stiften. „Jetzt soll ich mich als Führungskraft auch noch mit Humor befassen, als hätte ich nicht schon genug zu tun. Früher genügte meine fachliche Expertise, um den Laden am Laufen zu halten“, höre ich Führungskräfte stöhnen, wenn ich ihnen Humor im Personalwesen vorschlage. Die Situation entspannt sich schnell, wenn die Führungskräfte im Austausch mit mir dann merken, dass es nicht um ein weiteres Aufgabenfeld namens Humor geht, sondern darum, die Verpflichtungen leichter abzuarbeiten und schneller zum Ziel zu kommen. Humor kann sehr nützlich sein, um die eigenen PS endlich oder besser auf die Straße zu bringen. Einen sehr ungewöhnlichen Weg, um Mitarbeiter zu finden, erwähnte ich schon im ersten Buchteil: das Klinikum Dortmund (siehe Abschn. 1.5). Das Interview mit Marc Raschke ist ein gutes Beispiel für die Zusammenarbeit von Personalsuche und Marketing. Sein eigentliches Aufgabengebiet ist die Unternehmenskommunikation, also das Marketing der Klinik. Dass er gerade bei der Suche nach Mitarbeitern anfing, sehr ungewöhnliche humorvolle Wege zu gehen, wirkt sich sowohl auf die Personalabteilung

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als auch auf das Marketing der Klinik stark aus. Die Zeit der drängenden Fachkräftesuche zwingt viele Unternehmen und Organisationen heute dazu, über ihren Tellerrand der klassischen Personalsuche zu schauen. So hat eine Zahntechnikwerkstatt in Würzburg einen Spot gedreht, der bei YouTube durch die Decke ging: Zu sehen sind fünf Leute im Auto, der Chef und die Mitarbeiter sind gerade auf Raubzug: „Wir holen uns einen Zahntechniker!“ ist die Aussage, dann setzen sie ihre Mundschutzmasken auf, fahren vor eine Praxis, schubsen die Krankenschwester zur Seite, denn die brauchen sie nicht. Schnellstens kidnappen sie den vermeintlichen Zahntechniker, bis der in seiner Verzweiflung ruft: „Ich bin doch Zahnarzt!“ Also wird er sofort wieder aus dem Wagen geworfen. Die Botschaft dahinter: Bitte bewerben Sie sich schnell auf normalem Weg, sonst sind Sie der nächste, den wir entführen. Mit wenig Budget bekam das Unternehmen ein richtig gutes Ergebnis, denn von den vier Bewerbern wurde letztendlich einer eingestellt – und zusätzlich gab es einen deutlichen Werbeeffekt. Wenn es um die Welt der Human Resources geht, haben Julia Hauska und Klaus Niedl eine Reihe an unterhaltsamen und wunderlichen Anekdoten aus der Welt zusammengetragen und dabei feststellt, „dass nichts, was wir an Universitäten und Fachhochschulen in der Theorie des Personalmanagements lehren und lernen, auch nur annähernd an die wunderbare Vielfalt menschlichen Verhaltens in der Unternehmenspraxis kommt.“ (Hauska und Niedl 2017) Folglich haben sie einige Beispiele für diese wunderbare Vielfalt in Buchform gebracht. Die in diesem Band gesammelten Anekdoten wurden von unterschiedlichen HR-Leuten beigesteuert, einige auch anonym. Die kurzen Geschichten sind ausführlich und liebevoll geschrieben. Manche Anekdoten sind eher alltäglich, andere wirklich außergewöhnlich, einige regelrecht pein-

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lich. Das Buch zeigt die ganze Vielfalt von Humor im täglichen HR-Universum. Das Buch ist eine unterhaltsame Sammlung von humorvollen Geschichten, aber eben kein Handwerksbuch für den Humoreinsatz von Personalleitungen. Einige Auszüge: • Space Manager sind, auch wenn der Name uns von der Raumfahrt träumen lässt, „im Handel tätig, erstellen Regalpläne und helfen bei der Gestaltung des Sortiments“. Auf den Posten eines Space Managers bewarb sich jedoch ein Kandidat namens „James Tiberius Kirk“. In seinem Lebenslauf konnte man über seine „Ausbildung in der Sternenflottenakademie“ lesen sowie über verschiedene andere Aufgabebereiche bis hin zur Einstellung als Kapitän der Enterprise. Diese natürlich nicht sonderlich ernst gemeinte Bewerbung stieß in der Personalabteilung auf große Erheiterung. • Eine Firma war sehr froh, endlich eine geeignete Bewerberin für einen Posten gefunden zu haben. Diese kündigte an, dann auch ihr „Hündchen“ mitzubringen, denn am Arbeitsplatz sind Hunde erlaubt. Am ersten Arbeitstag entpuppte sich das „Hündchen“ allerdings als riesengroße deutsche Dogge. Alle im Büro anwesenden Vier- und Zweibeiner hielten den Atem an, als die Neuankömmlinge den Raum betraten. Die neue Mitarbeiterin nahm Platz, die Dogge, ganz sanftmütig, ließ sich neben ihr nieder – und ließ „lautstark einen fahren. Das gesamte Team brach in schallendes Gelächter aus. Damit war der Bann gebrochen. Alle schlossen [das Riesentier] sofort ins Herz.“ Diese Anekdote zeigt, wie wunderbar sich Situationskomik eignet, um das Eis zu brechen. Lachen verbindet und schweißt gleich zu Beginn einer Arbeitsbeziehung auch zusammen.

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• Ein Beispiel für humorvolle Didaktik gelang einem jungen Mann beim Assessment Center eines Lehrinstitutes: Die Bewerber müssen für eine Lehreinheit in die vorgesehene Lehrerrolle schlüpfen und unterrichten. Die übrigen Bewerber sowie das gesamte Recruiting-Team sind die Schüler. Ein Bewerber veranstaltete dabei die Kinder-Fernsehshow, bei der es heißt: „Eins, zwei oder drei – letzte Chance, vorbei! Ob ihr wirklich richtig steht, seht ihr, wenn das Licht angeht.“ Das Ergebnis: „Sie werden es nicht glauben, aber diesem jungen Mann ist es gelungen, sogar uns alte Hasen so zu motivieren, dass wir uns wie die kleinen Kinder für das Spiel begeisterten und uns über die richtigen Antworten riesig freuen konnten. Er hat es geschafft, dass zahllose Menschen in Anzügen und Business-Kostümen durch den Raum sprangen, um ­ ja rechtzeitig auf dem richtigen Feld zu stehen, wenn das Licht angeht.“ Die Bewerbung des jungen Mannes wurde angenommen. Oft hilft eine spielerische Art oder scheinbar eher für Kinder geeignete „Spielchen“, um andere zu motivieren und für eine entspannte Atmosphäre zu sorgen. Wenn man sich den aktuellen Fachkräftemangel anschaut, werden Unternehmen sich in den nächsten Jahren noch einiges einfallen lassen müssen, um geeignete Fachkräfte zu gewinnen. Ungewöhnliche Recruiting-Methoden sind gut geeignet, um Aufmerksamkeit für ein Unternehmen zu erlangen. Das Klinikum Dortmund und das Dentallabor Würzburg haben bereits bewiesen, dass Recruiting auch ungewöhnlich erfolgen kann. Und dass die Ideenfindung mal einfach und mal eben auch mühevolle Handwerksarbeit ist.

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• Ein großartiges Beispiel für den Einsatz von Sozialem, also total ungefährlichem Humor zeigte eine Führungskraft in einer ungewöhnlichen Situation: In einem reinen Damenteam wurde ein Ersatz für die langjährige Administrationsleitung gesucht, die gute Seele der Abteilung. Die Bewerber waren allerdings fast ausschließlich Männer. Besagte Administrationsleitung, die kurz vor der Pensionierung stand, war sichtlich angesäuert. Sie kündete den zigsten Bewerber beim Gespräch mit „Schon wieder keine Dame!“ an. Der Bewerber „war zwar etwas verwundert, nahm es jedoch mit Humor und erklärte spitzbübisch lächelnd, dass er kein Problem damit hätte, künftig auch in Frauenkleidern zu erscheinen. Er hätte noch einige sehr hübsche Designerkleider. Er fügte hinzu, dass er die Kleider, die ihm seine geschiedene Frau hinterlassen hatte, normalerweise nicht trüge, aber uns zuliebe eine Ausnahme machen würde. Wir waren von seinem Humor und der lockeren Art, die er in einer sichtlich angespannten Situation bewies, so begeistert, dass wir ihn in die engere Bewerberauswahl nahmen.“ Heute arbeitet er in der „frauendominierten“ Buchhaltungsabteilung. Wenn Sie diese Form von Humor „beherrschen“, können Sie Humor auch in einem Team einsetzen, dass Ihnen noch gänzlich unbekannt ist. Für mich erhöht diese Berechenbarkeit die Attraktivität von Humor. Damit kann ich auch Führungskräfte im Training immer wieder überzeugen, dass Humor nicht nur bei langjährigen und sehr vertrauten Beziehungen eingesetzt werden kann. Was passiert, wenn eine verantwortliche Person für vertriebliche Führungskräfte Humor als Bestandteil ihrer Persönlichkeit nicht wegdenken möchte und sich das mit Herzlichkeit und Sympathie verbindet? Das können

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Sie in dem folgenden charmanten Interview mit Anke Haferkamp herausfinden. Lassen Sie sich auch die Hörversion nicht entgehen.

2.12 Interview mit Anke Haferkamp, Referentin für Vertriebsführung und -coaching an der Sparkassenakademie Bayern „Humor ist ein Teil von mir, den ich nicht missen möchte.“

Eva Ullmann Wenn es um Personalentwicklung geht, dann sind die Mitarbeiter bei Ihnen genau richtig – richtig? Anke Haferkamp Ich bin für den Themenbereich Vertriebsführung und Vertriebscoaching zuständig und mein Steckenpferd ist es, dabei auch vor Ort zu sein. Ich begleite die Vertriebsführungskräfte im Coaching, beispielsweise bei Teamzusammenlegungen, strukturellen Veränderungen oder bei Führungsthemen ganz allgemein. Wenn sich jemand zum Vertriebscoach weiterentwickelt oder sein Instrumente-Coaching professionalisiert, bin ich der Ansprechpartner. Gerade komme ich von einem zweitägigen Führungskräfte-Workshop. Der war eher für die

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alten Hasen, um sie zu einem Blick über den Tellerrand zu verführen. Eva Ullmann Und dabei wurde auch geschmunzelt und gelacht? Anke Haferkamp Ich musste tatsächlich an Sie, liebe Eva Ullmann, denken. Es gibt eine Wahrnehmungsübung, dafür wird ein Film von einer Basketballmannschaft gezeigt. Drei Sportler sind weiß angezogen und drei schwarz. Dann läuft ein schwarzer Gorilla durchs Bild. Wenn Teilnehmer nur die Aufgabe haben, die weiß Gekleideten zu beobachten, dann sehen manche den schwarzen Gorilla nicht. Das Witzige war: Die Hälfte hat den Gorilla gesehen, das waren die Männer. Die Frauen haben den Gorilla nicht gesehen. Dieser Umstand hat sich dann durch das gesamte Seminar gezogen. Jedes Mal, wenn die Frauen gerade nicht da waren, sagten die Männer: „Die suchen gerade den Gorilla!“. Eva Ullmann Auf der Suche nach dem schwarzen Gorilla … Anke Haferkamp Humor, auch wenn er bei einer wichtigen Übung entsteht, lockert die Atmosphäre spürbar und führt Menschen zusammen. Mit Humor kann man auch ganz schnell in ein Thema springen. Eva Ullmann Sie arbeiten viel mit Führungskräften. Bei denen erlebe ich immer wieder ein buntes Humorbild. Wie sehen Sie das? Anke Haferkamp Ich bin schon lange dabei und erlebe einen Unterschied zu früher. Ich habe jetzt sogar das Gefühl, dass Führungskräfte Humor brauchen, dass sie

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merken, dass es wichtiger wird, Dinge mit Humor zu sehen. Sie haben eher Lust zu lachen. Ich bin im Bankbereich tätig und finde, dass Humor nichts mit fehlender Seriosität zu tun hat. Humor wird gerade jetzt mehr denn je gebraucht. Die Führungskräfte merken auch, dass sie ihre Mitarbeiter mit Humor besser erreichen. Das bedeutet nicht, dass der Umgang dadurch zu lapidar wird oder man Kompetenz verliert. Ich erlebe, dass Führungskräfte mutiger sind und auch mehr Spaß daran haben, mehr Spaß zu haben. Das gilt auch für die Mitarbeiter. Eva Ullmann Und das war Ihrer Meinung nach früher anders? Anke Haferkamp Ja. Auch die Führungsstile verändern sich. Ganz früher, etwa während meines Praktikums, war eher der autoritäre Führungsstil angesagt. Meiner Ansicht nach haben wir damals nicht so viel gelacht. Dann kam der kooperative Führungsstil: Man war viel näher am Mitarbeiter, alles war kollegial. Jetzt sind wir beim agilen Führungsstil angekommen und lassen das Team laufen, bringen die Mitarbeiter eher in die Eigenverantwortung. Da ist auch viel mehr Raum für Humor. Eva Ullmann Das sieht man auch auf der Trainerseite. Früher war Humor verpönt, heute weiß man viel mehr über Humor als gutes Instrument. Das hat etwas mit Selbstfürsorge zu tun, das beschäftigt Sie auch in der Sparkassenakademie. In Bezug auf Mitarbeiter können Führungskräfte ungefährlichen von beschämendem Humor unterscheiden – und entsprechend einsetzen. Anke Haferkamp Absolut. Ich glaube, dass man jetzt mehr Mut dazu hat. Humor ist wichtiger geworden, weil wir in einer sehr schnelllebigen Zeit leben. Da ist viel gefühlter Druck, viel Leistungsorientierung. Da ist

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es wichtig, zwischendurch zu feiern, zu lachen und sich dessen bewusst zu werden, wie toll man mit allem fertig wird. Eva Ullmann Wir haben vor vielen Jahren schon zusammengearbeitet. Immer, wenn wir uns live treffen, stelle ich fest, dass es mir Spaß macht, Ihnen bei der Arbeit zuzuschauen. Sie bringen Schwung rein, auf charismatische Art. Sie machen Führungskräften Lust, sich mit neuen Themen zu beschäftigen. Wann haben Sie gemerkt, dass Sie in Gruppen eine gute Energie erzielen? Anke Haferkamp Ursprünglich komme ich aus dem Sport, habe lange Turnier getanzt und dort auch eine Trainerausbildung gemacht, weil ich schon immer Menschen für etwas begeistern wollte. Ich habe gemerkt, dass es sehr gut funktioniert, die Menschen für das Tanzen zu begeistern. Manchmal sind sie mit einer ernsten Miene angekommen und mit dem tiefen Seufzer „Jetzt müssen wir eine Stunde lang tanzen!“ – und sind dann absolut begeistert mit einem Lächeln wieder gegangen. Über meine Lockerheit und den Spaß haben sich die anderen daran orientiert und wir hatten eine gute Zeit. Dadurch kam ich auf die Idee, dass ich in der Weiterbildung Menschen begleiten und sie für Themen begeistern möchte. Je länger man in dem Job ist, desto eher weiß man: Soweit kann ich gehen, aber nicht weiter. Ich lache eben gern. Den Humor habe ich mir nicht angeeignet, weil er Menschen begeistert, sondern weil er mir selbst wichtig ist. Also sage ich sogar manchmal zu meinen Seminarteilnehmern: „Leute, ich möchte jetzt mal Spaß haben!“. Eva Ullmann Waren Sie zu diesem Zeitpunkt schon bei der Sparkasse?

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Anke Haferkamp Nein, damals war ich noch in der Ausbildung. Ich habe zunächst ganz normal meine Banklehre gemacht und studiert. Nebenher gab ich aber immer Tanzunterricht. Das mache ich jetzt seit mehr als dreißig Jahren. Dadurch wollte ich gern in den Weiterbildungssektor, in die Personalentwicklung. Humor ist wie Tanzen: Das kann in einem liegen. Man kann es nutzen und sich damit weiterentwickeln. Eva Ullmann Würden Sie heute sagen, Sie machen Humor intuitiv oder mit Absicht? Oder vielleicht sogar beides? Sie wissen, dass Humor eine Gruppe entspannt. Setzen Sie das gezielt ein? Oder verwenden Sie spontan etwas, das auftaucht? Anke Haferkamp Beides. Wenn es intuitiv ist, frage ich mich manchmal hinterher, ob das so gut war. Manchmal bin ich so spontan, dass ich die Einzige bin, die lacht. Dann sage ich ganz offen: „Na gut, wenigstens eine findet es lustig.“ Plötzlich lachen die anderen auch. Eva Ullmann Das ist eine Offensichtlichkeit, die man gut übertreiben kann. Anke Haferkamp Genau. Ich mache viel intuitiv. Ich suche nicht verkrampft nach Humor. Aber wenn ich merke, die Gruppe braucht etwas Lockerheit, dann fällt mir irgendetwas ein. Ich ziehe dann beispielsweise eine Sache ins Lächerliche – oder mich selbst, das mache ich sehr gern. So tue ich niemandem weh. Die meisten Leute kenne ich noch nicht so gut, dass ich einen Witz über sie machen könnte. Gerade fällt mir eine kleine Anekdote aus einem Seminar ein: Meistens sind Führungskräfte sehr hilfsbereit und fragen Mitarbeiter gleich, wie sie sie unterstützen können. In diesem Seminar haben wir trainiert,

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dass diese Frage nicht gleich am Anfang kommen sollte, wenn man Mitarbeiter begleitet. Zuerst sollte kommen: „Was wirst du tun? Was ist dein erster Schritt?“ Dieses Thema hat uns zwei Tage lang begleitet. Regelmäßig habe ich eine bestimmte Führungskraft drangenommen und mit übertriebener Stimme gefragt: „Und? Wie ist dann die Frage?“. Eva Ullmann Und daraus wurde ein Running Gag … Anke Haferkamp Da wusste ich schon nach einem halben Tag: Diese Person kann ich dafür nehmen, er hält es aus. Er fühlt sich dabei nicht angegriffen, sondern findet es eher lustig. So etwas nutze ich gern, auch um etwas in den Köpfen festzusetzen. Er wird genau diesen Inhalt und die Botschaft nie wieder vergessen und die Gruppe auch nicht. Eva Ullmann Bei vielen Referenten und Trainern und bei einigen Führungskräften habe ich die Erfahrung gemacht, dass sie merken, dass Humor die Atmosphäre lockert. Dann fangen sie irgendwann an, ihn absichtlich einzusetzen: mit einer Übertreibung, einer Spitze, einem Witz auf ihre Kosten. Sie sagen zwar, sie machen das intuitiv, aber das ist schon sehr bewusst eingesetzter Humor. Denn man weiß: Die heitere Atmosphäre erzeugt Lerntiefe. Ohne Humor würden sich die Dinge nicht so verankern. Also scheint das ein wichtiges Instrument gerade in der Weiterbildung zu sein? Anke Haferkamp Genau. Humor muss Emotionen auslösen. Alles, was Emotionen auslöst, bleibt. Menschen können über mich lachen, sie können sich über mich ärgern. Wir brauchen die Emotionen, damit ein Bild im Gedächtnis bleibt. Und es ist natürlich schön, wenn die

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Teilnehmer sich nicht über mich ärgern, sondern einfach mitlachen. Das ist die schönere Emotion. Eva Ullmann Sie müssen sich von sich selbst auch nicht alles gefallen lassen – das hat Viktor Frankl gesagt, ein Therapeut, der auch viel mit Perspektivwechseln gearbeitet hat. Inwiefern laden Sie Führungskräfte ein, auf sich selbst zu schauen? Denn Führungskräfte betrachten eher ihre Mitarbeiter. Wie sehr vermitteln Sie den humorvollen Blick auf einen selbst, auf die eigenen Stärken und Schwächen? Anke Haferkamp Das Feedback zu meiner letzten Veranstaltung war: Ich habe noch nie so viel Selbstreflexion betrieben wie in diesen zwei Tagen. Das gilt nicht nur für Führungskräfte, sondern für alle Menschen. Man nimmt sich nicht die Zeit, sich selbst zu reflektieren, sich zu fragen: Wie steht es um meine psychologischen Grundbedürfnisse? Wie bin ich da aufgestellt? Wie geht es mir mit der Bindung im Geschäft? Solche Themen gehören einfach zur Psychohygiene dazu, um leistungsfähig zu sein. Ich versuche in die Seminare genau diese Aspekte mit zu integrieren. Viele Führungskräfte oder Manager spüren sich selbst gar nicht mehr. Wenn sie sich selbst nicht fühlen, wie sollen sie dann empathisch sein? Wie können sie dann für ihre Mitarbeiter da sein, wenn es denen schlecht geht? Da ist es wichtig, bei sich selbst zu sein. In den Situationen, in denen sich Führungskräfte bewegen, mit dem Druck von oben und unten, verliert man das aus den Augen. Oft habe ich mit Führungskräften zu tun, die sich in der Mitte befinden, Geschäftsstellenleiter oder Filialleiter sind. Sie bekommen von oben Vorgaben und sollen nach unten ihre Mitarbeiter schützen. Dabei vergessen sie sich selbst. Selbstreflexion ist also enorm wichtig.

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Eva Ullmann Wenn ich mit Führungskräften neue Modelle oder neue Konzepte bespreche, zum Beispiel das Antreiber-Modell oder die Kommunikation mit dem inneren Team, ist das für manche erst mal schwierig, weil die Konzepte ungewohnt sind. Wenn ich dabei Humor ins Spiel bringe, wenn ich lustige Geschichten erzähle oder humorvolle Selbstgespräche vorschlage, dann werden die Methoden viel zugänglicher. Neues kann Widerstände auslösen – Humor macht es einfacher, sich trotzdem damit zu beschäftigen. Anke Haferkamp Absolut. Dann kommt es auch nicht so an, als würde man sagen: „Leute, das ist meine Wahrheit und die habt ihr nun zu schlucken.“ Ich kann Angebote machen und die können humor- oder liebevoll sein. Das ist nicht der Heilige Gral, aber es kann einen in der Arbeit unterstützen. Man kann spaßig damit umgehen und trotzdem eine Tiefe bewahren, also nicht in Albernheit abdriften. Wir wollen diskutieren und Freude dabei empfinden. Manchmal merke ich, dass ich die Situation wieder einfangen muss. Wenn ich humorvoll unterwegs bin, egal ob als Trainerin oder Führungskraft, dann muss ich auch sehr klar sein und sagen: „Jetzt ist gut. Jetzt gehen wir aus der Wertschätzung raus und verletzen Menschen. Jetzt ist Schluss mit lustig.“ Auch das muss man lernen. Eva Ullmann Was braucht aus Ihrer Sicht eine Führungskraft, eine Referentin, eine Trainerin, um Humor machen zu dürfen? Sie sagten, es braucht eine Klarheit, man muss aus der Albernheit wieder zurückführen und den Punkt finden können, an dem die Humordosis ausreicht. Was braucht es, um Humor immer wieder kontinuierlich einsetzen zu können, um ernst genommen zu werden?

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Anke Haferkamp Es braucht eine Kompetenzvermutung, die sich dann hoffentlich bestätigt. Wenn die anderen dann sehen „Die kann’s!“, dann ist alles gut. Man sollte im eigenen Thema sattelfest sein. Man sollte sich selbst gut kennen. Man sollte auch über sich selbst lachen können. Das ist wichtig. Wenn ich Humor austeile und nicht über mich selbst lachen kann, wenn ich mich selbst viel zu wichtig nehme, dann kommt der Humor nicht an. Eva Ullmann Wenn ich nur austeilen und nicht einstecken kann, führt Humor eher zu Widerständen anstatt zu entspannen? Anke Haferkamp Genau. Es gibt diesen schönen Spruch von Shirley MacLaine: „Wenn man über sich selbst lachen kann, hört man nie auf, sich zu amüsieren.“ Eva Ullmann In der Tat ein schöner Spruch. Anke Haferkamp An diesen Spruch muss ich immer wieder denken. Wenn dir was passiert, dann lache drüber. Auf diese Weise gelingt es, auch für andere Menschen ein Vorbild zu sein. Das gilt gerade für Führungskräfte. Früher hat man gesagt, der Chef muss der Erste morgens im Büro sein und der Letzte, der geht. Das ist inzwischen überholt. Man muss zum Lachen auch nicht mehr in den Keller gehen. Wir weichen Grenzen auf. Das finde ich schön. Eva Ullmann Wir verändern Führungsgrundsätze: Man muss nicht morgens der Erste und abends der Letzte sein, sondern man muss in einer kurzen Zeit effektiv arbeiten. Und man darf als hochrangige Führungskraft auch die Kinder von der Kita abholen. Auch das hat für mich Vorbildfunktion.

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Anke Haferkamp Wenn man Humor einsetzt, ist es sehr wichtig, empathisch zu sein. Man muss sofort spüren, wie er ankommt. Habe ich übertrieben? Muss ich mich entschuldigen, etwas zurücknehmen? Eva Ullmann Wie ist das eigentlich mit dem Humor in Krisenzeiten? Vor acht Jahren hatte ich einen Bandscheibenvorfall und war einige Monate lang nicht wirklich handlungsfähig. Irgendwann musste ich dann wieder arbeiten. Da ging mein Humor erstmal flöten. Ich finde es auch interessant, wer einen dann wieder aus so einem Tief herausholt. Ich bin mit einer guten Freundin zum Arzt gegangen. Ich konnte kaum laufen. Sie nahm mich am Arm und sagte behutsam: „So, Frau Paschulke. In wenigen Metern sind wir beim Arzt.“ Wenn man das mit einer älteren Dame macht, ist das weniger witzig. Aber in meinem Alter müsste man eigentlich laufen können. Damals haben mich meine Familie, meine Freunde und mein Partner humorvoll unterstützt. Können Sie sich an eine kleine oder größere Krise erinnern und wie Sie humorvoll wieder rausgekommen sind? Anke Haferkamp Ich hatte auch mal einen Bandscheibenvorfall. Für mich war das auch extrem, weil ich meinen Körper brauche, um mir Energie zu holen. Es war für mich grauenhaft, mich nicht bewegen zu können. Mir ist bewusst geworden: Manche Dinge kann man nicht kompensieren. Manches kann man mit Beziehungen oder Gesprächen ausgleichen, aber wenn der Körper ausfällt, fällt ein entscheidender Teil weg. Mir hat damals meine Mutter gutgetan. Sie hat viel Humor. Sie ist in Berlin groß geworden und hat eine echte Berliner Schnauze. Eva Ullmann Eine Frechheit in der Betroffenheit?

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Anke Haferkamp Genau. Und in der Reha sieht man andere Menschen, die noch größere Themen haben. Da habe ich immer gedacht: „Dir geht’s doch gut. Es wird wieder gut. Du arbeitest dran.“ Ich schaue immer auf das Gute: Für was bin ich dankbar? Was habe ich alles? Ich weiß gar nicht, ob Humor dabei eine große Rolle spielt. Aber es geht um diese positive Einstellung, um das Vertrauen, dass auch eine Krise oder Krankheit für etwas gut sein wird. Damals war es eben auch für etwas gut: Ich habe mich noch nie so sehr mit mir selbst beschäftigt. Mir ist bewusst geworden, dass ich den Ball auch mal flachhalten muss und nicht immer auf der Überholspur sein kann. Das hat mir sehr gutgetan. Danach haben Kollegen zu mir gesagt: „Du bist ja die Ruhe selbst. Dich kann man ja überhaupt nicht mehr aus der Fassung bringen!“ Das hat sich seither auch nicht mehr geändert. Jetzt habe ich eine neue Stärke und weiß: Wenn etwas passiert, dann wird es für etwas gut sein, auch wenn ich das jetzt noch nicht merke. Eva Ullmann Ich hatte auch meine Familie und Freunde gebeten, das Freche nicht zu unterlassen. „Bitte macht euch lustig, erzählt mir etwas Lustiges. Ich brauche euren Humor.“ Ich musste meinen Humor erst wiederfinden. In Extremsituationen – wie zum Beispiel bei zu hoher Arbeitsbelastung – passiert das. Direkt nach der Geburt meines Kindes empfand ich mich erstmal als sehr humorlos, weil ich sehr erschöpft war. Das ist völlig in Ordnung, das muss man dann aushalten. Vielleicht stärkt eine Krisenzeit den Humor. Man hat dann eine andere Ruhe oder Gelassenheit und schöpft wieder Kraft für den Humor. Das verändert auch die Empathie. Wenn ich aus einer Krise herauskomme, wird mein Humor feinfühliger gegenüber anderen Menschen, die gerade in einer Krise stecken. Ich will damit nicht sagen, dass eine Krise immer nur ein Vorteil ist. Eine Krise ist auch anstrengend.

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Anke Haferkamp Das lernt man im Laufe des Lebens: Es gibt Situationen, in denen es okay ist, wenn man mal nicht weiterkann oder schlecht drauf ist, selbst über einen langen Zeitraum. Das ist nicht einfach. Aber man muss die kleinen Schritte würdigen, wenn man sich weiterentwickelt. Mir gibt das Urvertrauen in das, was um uns herum ist, viel Energie. Eva Ullmann Wann ist Humor eine Gefahr? Anke Haferkamp Wenn ich merke, ich habe keinen Draht zu dem Menschen, den ich gerade begleite oder im Seminar vor mir habe, dann setze ich Humor nicht ein. Ich weiß dann nicht, wie er ankommt. Dann habe ich die richtige Wellenlänge, die richtige Schwingung noch nicht gefunden. Da lasse ich Humor lieber sein. Eva Ullmann Und doch machen Sie manchmal auch Humor mit Menschen, die Sie noch nicht so gut kennen. Sie entscheiden also schnell, ob Sie einen guten Draht zu jemandem haben? Anke Haferkamp Ja, das spüre ich sofort, wenn jemand hereinkommt. Ich merke, wie er reagiert. Nicht passend ist Humor manchmal bei jüngeren Generationen, die gewisse Zusammenhänge nicht kennen. Früher habe ich gerne mal gesagt: „Der hat gar nicht gebohrt.“ Damit konnten manche überhaupt nichts anfangen, weil die dazugehörige Zahnpasta-Werbung schon lange nicht mehr läuft. Oder wenn ich vom HB-Männchen erzählt habe, das in die Luft geht – dann haben sie mich mit großen Augen angeschaut und sich gefragt, ob ich spinne. Humor erklären zu müssen, ist wirklich blöd.

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Eva Ullmann Die Engländer werfen uns vor, dass wir Deutschen die Einzigen sind, die den Witz erklären, wenn keiner ihn kapiert hat. Der smarte Engländer wartet, „till the penny drops“. Anke Haferkamp Ja! Gefährlich ist Humor für mich nie. Wenn man empathisch ist, wenn man sich auf die Situation einlässt, dann kann Humor in allen Situationen gewinnbringend sein. Ich denke zum Beispiel an Menschen mit Behinderung. Manche sagen: „Hu! Da machen wir lieber keinen Witz drüber.“ Warum? Dieser Personenkreis findet das oft auch lustig. Beim Tanzen gibt es Rollstuhltanz, wir haben alle miteinander so viel Spaß dabei. Humor ist nicht gefährlich. Aber wie alle Dinge können wir ihn so einsetzen, dass er fies und gemein wird. Ob Gift oder Heilmittel entscheidet allein die Dosis. Man kann es auch übertreiben mit dem Humor. Dann wird es für mich, für die Teilnehmer, für die Führungskraft gefährlich. Aber wenn ich mit Humor gut umgehe, dann ist das Ergebnis toll. Eva Ullmann Ich finde auch den Humor an sich weniger gefährlich. Ich sehe eher die Gefahr darin, dass Führungskräfte nicht merken, wenn jemand nicht lacht oder es jemandem zu viel wird, dass die Situation jemanden beschämt oder verletzt. Es gibt Führungskräfte, die sehr empathisch sind und genau hinschauen. Andere machen das nicht. Wer nicht sehen kann, welche Konsequenzen Humor haben kann, dem kann es auch gefährlich werden, weil man dann gegen Wände läuft, ohne es zu bemerken. Dann muss man weniger den Humor und eher die Empathie trainieren. Eine Führungskraft schrieb in einem Artikel: „Ich bin ein sehr humorvoller Mensch. Ich kann aber auch mit der Abwesenheit von Humor gut leben.“

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Anke Haferkamp Es ist auch entscheidend, was die Hintergründe sind. Ich wüsste gar nicht, warum ich ohne Humor leben sollte. Wenn ich nicht humorvoll bin, heißt das für mich nicht, dass der Humor abwesend ist. Für mich ist meine humorvolle Seite immer dabei. Sie tritt manchmal nach hinten und schaut sich die Sache an, etwa wenn sie gerade nicht gebraucht wird. Humor ist ein Teil von mir. Die Humorvolle in mir meldet sich manchmal und manchmal nicht. Eva Ullmann Sie würden also gar nicht von der Abwesenheit von Humor sprechen? Anke Haferkamp Das wäre mir zu weit weg. Dann hätte ich das Gefühl, er ist ausgesperrt. Humor kann auch warmherzig sein. Er kann auch nur über die Mimik oder die Gestik rüberkommen, ohne etwas zu sagen. Ich würde ihn aber nicht als abwesend empfinden wollen. Denn dann würde ein Teil von mir fehlen. Und das wäre schade. Eva Ullmann Was mir immer wieder auffällt im Marketing: Die Sparkasse arbeitet in ihren Werbespots inzwischen auch stärker mit Humor. Als ich vor fünfzehn Jahren mein erstes Buch schrieb, gab es zumindest im deutschen Marketing so gut wie gar keinen Humor. Bei der Sparkasse gibt es jetzt einen Spot: Ein junges Paar kommt zu den Schwiegereltern. Der Schwiegervater steht mit dem jungen Mann am Grill und sagt: „Sie wollen also mit meiner Tochter zusammenziehen. Wovon leben Sie eigentlich?“ Der junge Mann antwortet: „Vom Dispo.“ Und die Atmosphäre gefriert. Der Slogan dazu lautet: „Sprechen Sie lieber mit den Richtigen über Geld.“ Diese lustigen Spots erhalten mehr Aufmerksamkeit. Im Schnitt bekommt die Sparkasse dafür 2.000 bis 4.000 Klicks.

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Haben Sie das Gefühl, dass Humor bei der Sparkasse ernster genommen wird, auch im Marketing? Anke Haferkamp Ja, weil es der kürzere Weg zum Kunden ist. Über Lachen erreiche ich Menschen eher. Bei der heutigen Informationsflut braucht man etwas anderes. Das kann auch Provokation sein. Man versucht, neue Wege zu gehen, gerade auch im Sparkassen- und Giro-Bereich. Ein Beispiel: Als ich noch in Baden­ Württemberg war, feierten wir die Einweihung einer Zweigstelle in einem Einkaufszentrum. Dabei konnte man rausgehen und die Menschen ansprechen. Es wurden lustige Ansprachen gehalten. Eine Kundin sagte zu mir, sie fände es toll, dass es nicht mehr so angestaubt sei wie früher. Da ist mir bewusst geworden, welches Image wir hatten. Wir arbeiten jetzt schon länger an unserem Image: Klar, kann man bei uns sicher anlegen und wir sind seriös. Bei mir gehen Seriosität und Humor in die identische Richtung. Man kann etwas überspitzen, um mehr Aufmerksamkeit zu bekommen, und dann sagen: „Wir sind für euch da.“ Wir sind auf der einen Seite seriös, auf der anderen Seite können wir auch Humor. Eva Ullmann Wir sind mit der Frage gestartet, inwiefern Humor ein Instrument für eine Führungskraft ist, wie man Humor gegenüber einer Person oder einer Gruppe einsetzen kann. Auch im Marketing ist Humor ein Instrument, beispielsweise bei der Frage: Wie wollen wir mit unserem Image in die heutige Zeit passen? Anke Haferkamp Überlegen Sie mal, wie lange es den Slogan schon gibt: „Wenn’s ums Geld geht: Sparkasse.“ Es wurde mal diskutiert, ob man den erneuern sollte. Die meisten haben abgeraten. Denn das ist, was bleibt, das Beständige. Das hält uns wie die Wurzeln einen Baum.

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Zusätzlich brauchen wir das Neue. Und da fahren wir gut mit Humor. Wir zeigen: Wir sind seriös und gleichzeitig können wir auch Zukunft, wir können Spaß und Humor. Das ist wichtig. Dadurch verändern sich unser Image, die Führung und die Beziehungen. Eva Ullmann Das hat Auswirkungen auf viele Bereiche. Man kann mutig sein und ausprobieren: Wie viel Übertreibung verträgt das Image? Anke Haferkamp Gerade fällt mir die S­ pießer-Werbung von unserem Verbundpartner LBS ein. Das kam sehr gut an. Sie haben eine Reihe davon gemacht und immer wieder das Thema Spießer in den Vordergrund gestellt. Es gab sogar Fußabtreter, auf denen „Spießer“ stand – wir haben einen davon zu Hause. Das war ganz typisch: Man macht sich bewusst, wofür man steht, übertreibt es dann und zieht es ins Lächerliche. Genau dadurch zeigt man, wie wichtig es ist. Bei einer großen Organisation finde ich es prima, wenn man sich mutig an solche Themen wagt. Deswegen ist es wichtig, dass man in der Führung, im Leben, im Miteinander immer wieder Humor wagt. Eva Ullmann Humor im externen Marketing wirkt sich auch intern aus. Das hat zum Beispiel auch in der Personalsuche Konsequenzen. Und die Mitarbeiter sagen: Wir haben herzeigbare Produkte – wir dürfen uns darüber aber auch mal lustig machen. Doch da gibt es Unterschiede: Der Humor der BSR ist viel liebevoller als der der BVG. Bei der BVG wird auch mehr diskutiert: Ist das wirklich meins? Kann ich mich damit identifizieren? Werde ich zu viel durch den Kakao gezogen? Humor hat Konsequenzen und auch darauf muss man sich als Unternehmen einlassen. Es gibt Mitarbeiter, die das gut finden,

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und andere, die es doof finden. Aber man spricht über die Produkte. Man versucht immer, das eigene Portfolio auch den Mitarbeitern ans Herz zu legen. Mit Humor schafft man also auch intern eine Diskussion. Anke Haferkamp Das stimmt. Absolut. Eva Ullmann Vielen Dank für das Eintauchen in ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt und das ich auch bei Ihnen als sehr präsent erlebe. Anke Haferkamp Sehr gerne. Mir hat es auch viel Spaß gemacht, weil man sich dabei auch selbst reflektiert. Was ich mit Führungskräften mache, habe ich jetzt mit mir selbst gerade gemacht: Ich bin mir wieder einmal bewusst geworden, wie wichtig Humor mir ist. Und dass Humor ein wichtiger Teil von mir ist. Ich möchte nicht, dass er abwesend ist. Übung für Ihr Humor-Handwerkszeug: Umdeutungen Nun ist wieder die handwerkliche Frage, wie kommen Sie schnell und gezielt an die richtige Dosis Sozialen Humors für Ihr Team? Dafür eine konkrete Aufgabe auch in diesem Kapitel. Listen Sie zehn Missgeschicke von sich selbst und Ihren Mitarbeitern auf und finden Sie positive Umdeutungen dafür. Eine Mitarbeiterin bekleckert sich in der Kantine? Nicht mal Picasso hat ein so schönes T-Shirt. Sie selbst bekleckern sich? Was auf dem Hemd landet, das landet schon mal nicht auf den Hüften. So einfach ist das. Durch die C ­ orona-Krise sitzen alle Mitarbeiter im Home-Office? Das ist doch nichts anderes als eine unglaublich lange Digitalfortbildung. Jemand hat einen technischen Fehler in einem Projekt gemacht? Sie haben in diesen Mitarbeiter erfolgreich investiert, denn diesen Fehler macht er so schnell sicher nicht wieder. Sie erinnern sich an den älteren Mitarbeiter, dem in der Besprechung das Glas Wasser herunterfällt, und die wohlwollende Umdeutung: „Sie

256     E. Ullmann können aber gut loslassen. Da lerne ich noch was.“ Diese Formen von Umdeutung sind, wie ich schon beschrieb, sehr viel ungefährlicher als der spitze Kommentar „Na, in Ihrem Alter kann man nicht mehr so gut das Wasser halten – oder?“ Das wäre zwar auch witzig, aber eben sehr beschämend. Wenn Sie Humor zur Entspannung im Team und in der Mitarbeiterführung wohlwollend einsetzen möchten, üben Sie positive, heldenhafte Umdeutungen. Und nein – selbstverständlich deuten Sie nicht 24 Stunden am Tag alles um. Das wäre schädlicher Optimismus und falsche unternehmerische Naivität.

2.13 Humor im Marketing: von Rohrkrepierern bis Viralhumor Sicher kennen Sie das Gesellschaftsspiel Scrabble. Am 23. September 2018 stellte der Herausgeber und Spielehersteller Mattel ein Video ins Netz. Darin wurde bekannt gegeben, dass das langjährige Spiel „Scrabble“, seit mehr als 50 Jahren ein Publikumsrenner von Mattel, jetzt „YOLO“ heißt, also dass man sich der jüngeren Sprache anpasst. In dem Video zu sehen sind zwei Kinder, die mit ihren Eltern sehr glücklich „YOLO“ spielen. Ein Rapper namens „Mc Fitti“ unterstreicht die Namensumbenennung. Auch ich blickte etwas irritiert drein und frage mich, ob sowas unbedingt sein muss. Einige Fans gingen sogar noch weiter: Es hagelte einen riesigen Shitstorm. Fans beschwerten sich, wie man denn Scrabble verändern könne, ob die von Mattel verrückt wären, was denn das für Marketing- und Vertriebsfuzzis wären. Es berichteten mindestens fünf große Tageszeitungen und drei Fernsehsender darüber. Drei Tage später gab es einen zweiten Film, in dem Mattel bzw. der Rapper Mc Fitti klarstellte, dass die Familie nicht echt sei, der Hund nur ein Fake war und „Scrabble“ jetzt auch nicht „YOLO“

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heiße. Stattdessen wurde „Scrabble“ zum 70. Geburtstag gratuliert mit dem Hinweis, dass das, was in den letzten 70 Jahren gut gelaufen sei, auch beibehalten werde, so erklärte es der Marketingchef von Mattel in dem Film. Zwischendurch wurden die Posts und Kommentare der Fans gezeigt, die sich in den Tagen davor fürchterlich aufgeregt hatten. Diese Kampagne arbeitete mit einer Überraschung, mit einer Verdeckung, mit einer Irritation und das Ziel ist nicht nur Begeisterung, sondern Empörung, Widerstand und Irritation. Und genau das hat der erste Film erreicht. Viele Unternehmen arbeiten vertriebs- oder marketingtechnisch zu logisch und wundern sich darüber, dass sie zu wenig Aufmerksamkeit für ihre Produkte bekommen. Die Presse beklagte sich darüber, dass Mattel gelogen habe. Zu Recht oder humorlos? Denn alle Presseanfragen zur Umbenennung von Scrabble wurden quasi „falsch“ beantwortet. Eine spannende Diskussion: ob dieser humorvolle „Verstoß“ harmlos genug ist oder ob er eben nicht mehr als Humor verstanden werden kann, um es noch einmal mit Peter McGraws Worten zu sagen. Können Sie sich noch an den Kirschbaum erinnern? An die Allianz-Werbung vor 35 Jahren? Ein Vater klaut mit seinem Sohn über den Zaun beim Nachbarn Kirschen. Der Nachbar kommt und guckt böse, bricht einen Streit vom Zaun. Ein Liedermacher besingt den Nachbarschaftsstreit. Der Vater wird von seiner Versicherung gut beraten – und am Ende verträgt man sich, aber der Sohn spielt dem Nachbarn gleich den nächsten Streich. Sie merken: Ich bin in den1980er Jahren groß geworden. Hauptsache Allianz versichert, sage ich da mal … (Allianz Deutschland 2015). Solche Werbung war nicht prinzipiell schlecht. Doch im Gegensatz zum anglo-amerikanischen Marketing war humorvolle Werbung vor 20 Jahren noch absolute

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Mangelware in Deutschland. Das hat sich verändert und diese Entwicklung sollte man nicht komplett verschlafen. Es genügt eben nicht mehr, einen Tiger auf den Messestand zu stellen. Sowohl mittelständische Unternehmen als auch Konzerne verpacken ihre Werbung inzwischen humorvoll und sorgen damit für Aufmerksamkeit. Unternehmen nutzen Humor zunehmend in der Außenwerbung und in der Unternehmenskommunikation. Heute wirbt die Allianz mit der Frage: „Die Wahrscheinlichkeit, dass dein Sohn im Garten auf Öl stößt: Null Prozent!“ (Allianz Deutschland 2019) Zugegeben: Das ist nicht der Brüller an Humor. Aber immerhin haben 1,5 Mio. Menschen den Spot gesehen. Oder lassen Sie uns über die Sparkasse nachdenken: Wir alle können uns sehr gut an „Mein Haus. Mein Auto. Mein Boot.“ (Der Bank Blog 2018) erinnern – und auf diesem Humor der 1990er Jahre baut das Finanzunternehmen heute nochmals auf, wenn der ältere und gut situierte Herr auf die ältere stilvolle Dame trifft und sich mit blankem Entsetzen über „Mein Altenheim. Mein Bad. Mein Rollstuhl.“ (Horizont 2018) wundert. Dass die Sparkasse als klassische Bank auf humorvolle Elemente setzt, führte schon zu so manchem gelandeten Knaller in der Werbung. Gerade die Sparkasse wird dabei immer mutiger, das Unternehmen traut sich mehr Humor zu und wendet diesen auch gezielter an, um jüngere Generationen zu erreichen. Dazu gehört beispielsweise der Besuch eines jungen Mannes beim potenziellen Schwiegervater. Zusammen stehen sie am Grill und unterhalten sich über die Zukunft. Dass der Kerl dabei auf einen Dispo setzt, um seine zukünftige Familie durchzubringen, gefällt dem Vater gar nicht – also hört man plötzlich Krimimusik und sieht dann den vermeintlichen Schwiegersohn an einen Baum gefesselt, wo der Alte ihn erhobenen Hauptes

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zurücklässt. Einen echten Durchbruch und 80.000 Likes hatte die Kampagne, mit der auf den „Gender Pay Gap“ aufmerksam gemacht wurde (vgl. Sparkasse 2019): Zu sehen sind verschiedene Frauen, die in Ratgebern mit amüsanten Titeln wie „Pimmel runter, Rente rauf“, „Wie Babys Frauen die Rente versauen“, „Sugardaddy finden für Doofies“, „Mann beseitigen, Rente abgreifen“, „Das erste Kind mit 70“, „Gebären auf Geschäftsreise“ oder „Traumjob Spielerfrau“ schmökern. Obgleich für eine sehr spezifische Zielgruppe und für ein bestimmtes Finanzprodukt geworben wurde, trug der Humor die Botschaft „Besser gute Beratung als schlechte Ratgeber“ bestens nach außen. Solche lustige Werbung bekommt in den Social-MediaKanälen großen Zuspruch, die Klick-Zahlen sprechen für sich. Mehr als 80.000 Menschen haben diesen Spot Mitte 2020 gesehen. Dieser Humor zahlt voll auf die Marke ein. Humorvolle Geschichten und Leitbilder sorgen dafür, dass Anbieter ähnlicher Produkte sich signifikant voneinander unterscheiden. Allerdings gibt es eines zu bedenken: Humorvolles Marketing wirkt sich unmittelbar auf den Vertrieb aus und erfordert auch dort eine Humorkompetenz. Ein Unternehmen, das die nützlichen Effekte des Humors konsequent in seiner Außenwerbung nutzt, ist die Berliner Stadtreinigung (BSR): Müllentsorgung ist nicht wirklich sexy. Die BSR besetzt das Thema Müll und Reinigung humorvoll und positiv. Inzwischen spricht in Berlin niemand mehr über die Drecksarbeit, sondern hauptsächlich über die witzigen Plakate und Slogans. Es begann schon vor 20 Jahren, als die BSR 1999 ein städtisches Unternehmen wurde und die Mitarbeiter der Müllentsorgung unfreundlich auf den Straßen Berlins angesprochen und kritisiert wurden. Beim ersten Schneefall war die BSR schuld an dem Stress in der Stadt. Da beschloss die BSR in ihrer Marketingabteilung, in der

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Stadt für bessere Stimmung zu sorgen und ihre Mitarbeiter von der besten Seite zu zeigen. Und zwar humorvoll. Die BSR begann, mit Film- und Werbeslogans zu spielen, die sehr bekannt sind. Zum Beispiel das Plakat mit den drei Mitarbeitern von der Müllentsorgung: einer hat ein T-Shirt an, einer eine Regenjacke, einer eine Schneejacke und darüber steht die Aufschrift: „Drei Wetter tough“. Witzige Mülleimeraufschriften wie „Eimer für alle“, „Für die Zigarette danach“ oder „Putzdamer Platz“ sorgten schnell für Aufmerksamkeit und wurden sogar zum beliebten Fotomotiv für Touristen. Man stelle sich vor: Touristen aus Berlin zeigen zu Hause Urlaubsfotos und eben auch Bilder von Mülleimern. Das muss man sich schon mal auf der Zunge zergehen lassen. Anschließend begann die BSR, mithilfe der Müllautos mit den Bürgern zu kommunizieren. So stand auf der Seite eines Hecklader-Müllwagens geschrieben: „Ich bringe nur schnell den Müll weg, Schatz“ oder auch „Tonnosaurus Rex“. Wenn die Müllfahrzeuge „Leer Force One“, die Straßenkehrmaschinen „Fegaro“ oder „Die mit dem Putzfimmel“ heißen, dann kann das Produkt Müll plötzlich sehr attraktiv sein. Heute ist jeder Berliner stolz auf seine BSR. Die Zahlen des Betriebes zeigen in der Kundenzufriedenheit und in der internen Mitarbeiterzufriedenheit gleichermaßen, dass die Kampagnen funktionieren. Interessanterweise habe man die Wirkung intern gar nicht als Motivation für die eigenen Mitarbeiter gedacht – das betont der ehemalige Vorstand Andreas Scholz-Fleischmann. Ein großartiger Nebeneffekt der ursprünglich auf die Außenwirkung abzielenden Kampagne war die Identifikation und Stärkung der eigenen Mitarbeiter. Man habe viel für das eigene Unternehmen gelernt, so die Reflexion des Vorstands. Es habe in der Hauptstadt einen Image-Wandel gegeben, sowohl in der öffentlichen

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I­mage-Bewertung der Bürger als auch in der Art, wie Berliner Bürger an die Mitarbeiter der BSR seither herantreten. Interessanterweise hat die BSR im Moment keinerlei Bewerbungsprobleme – das ist in Zeiten von akutem Fachkräftemangel wirklich bemerkenswert. Die BSR ist ein ideales Beispiel für eine gut durchdachte Kampagne, die in allen Bereichen überlegt, angewendet und umgesetzt wird. Immer wieder wird dabei sehr gezielt mit Sozialem Humor gearbeitet – mit Humor, der die Mitarbeiter humorvoll aufwertet. Andere Unternehmen schauen inzwischen neidisch auf den Erfolg der BSR. Das Unternehmen sorgte nicht nur bei den Berliner Bürgern für Aufmerksamkeit und Schmunzeln. Auch die Kollegen in Wien und Hamburg nutzen mittlerweile pfiffige Sprüche – eine Branche, von der man viel lernen kann. Radio Kultur, ein Sender des Mitteldeutschen Rundfunks, beschäftigte sich in einem Beitrag mit dem Geburtstag des Jazz-Musikers Glenn Miller. Die Moderation begann mit einem Perspektivwechsel: „Glenn Miller und James Brown hatten zwei rivalisierende Orchester. Glenn Miller wäre heute 100 Jahre alt geworden, also spielen wir einen Song von James Brown.“ Die Zukunft des Marketings bietet mehr Perspektivwechsel als je zuvor: Geschichten, Emotionen, Spannung und Lachen. Gut dosierter Humor im Marketing heißt: Man bekommt die ungeteilte Aufmerksamkeit der Kunden – und das ist die Währung der Gegenwart und auch der Zukunft. Übrigens haben Sie gerade im Marketing auch die Wahlfreiheit, ob Sie eher aggressiv oder sozial arbeiten, ob Sie deeskalieren oder provozieren möchten. Wenn das Land Baden-Württemberg damit wirbt, dass es alles kann außer Hochdeutsch, dann ist das eine gelungene Verknüpfung der Humorstile. Wenn die S­ IXT-Autovermietung, wie schon erwähnt, Boris Johnson mit „Viel Lärm um

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nichts“, Angela Merkel und Annegret K ­ ramp-Karrenbauer mit „Teilen könnte so günstig sein“ oder die gescheiterten Koalitionsverhandlungen mit „4 Wochen umsonst“ in Verbindung bringt, ist das extrem lustig und immer auch tagesaktuell. Es ist eindeutig Humor (vgl. SIXT o.J.). Die Fans finden diese Werbung super, Kunden guttieren das, es ist witzig und sorgt für Aufmerksamkeit – doch es heizt eine Stimmung eher an. SIXT schlägt damit immer in die gleiche Kerbe, der Humor wirkt in eine bestimmte Richtung – aber unterstützt nicht dabei, eine Situation zu entspannen (zu Humor im Konflikt vgl. Abschn. 2.7). Wenn es also um Humor in der Werbung geht, zeigt sich der Trend dahingehend, dass Verblüffendes und pfiffige Beispiele gut zum Einsatz kommen. Gerade im Marketing stehen Ihre Chancen gut, mit Humor zu arbeiten. Wenn Sie darüber nachdenken, was Sie von der Konkurrenz unterscheidet, dann rücken Sie doch mal von den klassischen Antworten ab, um beim Außergewöhnlichen zu landen. Haben Sie Mut für Disruptionen, Überraschungen und Inkongruenzen, also alles, was unlogisch erscheint. Mein Tipp: Marketing kann jeder. Schauen Sie sich bei den großen Kampagnen um – und klauen Sie, was das Zeug hält. Adaptieren Sie Ideen für sich, experimentieren Sie und probieren Sie dieses und jenes mal aus, produzieren Sie Spots oder Plakate mit einfacheren Mitteln und günstiger – das macht die Botschaft oft charmanter, auf jeden Fall aber authentischer. In vielen Fällen hat sich gezeigt, dass richtig gutes Marketing auch mit kleinem Budget möglich und machbar ist – es braucht nur ungewöhnliche Einfälle. Ritter Sport beispielsweise macht etwas logisch und humorvoll richtig: Der Schokoladenhersteller hat sich bewusst gegen TV-Werbung entschieden, weil er mit den großen Konkurrenten da nicht mithalten könnte. Trotzdem ist es dem schwäbischen Unternehmen gelungen, im Marketing aufzutrumpfen, nämlich indem ausschließlich

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an Bahnhöfen Werbung gemacht wird. Mit vielen Wortspielen wie „Abwechslungsreiche Ernährung“ als Titel eines Großplakats mit 20 verschiedenen Schokoladensorten oder „Marzipanik“ genau wie „Sie stehen vor vollendeten Tatsachen, beißen Sie zu“ werden die Menschen erreicht. Dazu trägt auch die interaktive Aktion mit den Usern im Netz bei: Wenn die Community Fake-Marken wie „Mett“ oder „Bier und Ravioli“, „Muttis Eintopf“ oder „Kopfsalat“, „Meisenknödel“ oder „Bits & Bytes“ postet, dann nutzt Ritter Sport diese Kreativität für sich und bettet sie in die eigenen Marketingstrategien ein, anstatt das zu verbieten (Ritter Sport Blog 2015, siehe auch Pinterest o.J.). Gemeinsam mit der Semiotikerin Charlotte Hager führe ich einmal im Jahr einen HumorDialog mit Unternehmen durch, die ihre Markenbeziehung überprüfen und humorvoller gestalten wollen. Charlotte Hager begleitete in den letzten Jahren das Unternehmen Almdudler, das einen ähnlichen Image-Wandel anstrebt wie die Marke Jägermeister. In vielen Analysen bestätigt, ist Almdudler die sympathischste Limonadenmarke Österreichs. In den Marktanteilen liegt sie jedoch noch um einiges hinter den „Großen“ wie Coca-Cola zurück. Die Analyse von Charlotte Hager ergab, dass Almdudler eher noch ein „entfernter Bekannter“ ist anstatt ein „täglicher Begleiter“. Mit der seit Anfang 2020 gestarteten Werbekampagne „Alm ist, wo wir sagen“ bringt die Marke sich in einen jungen und urbanen Kontext, spielt mit Klischees und überzeichnet verschiedene Alltagssituationen. Wie zum Beispiel mit dem Motiv für das Produkt „Almdudler zuckerfrei“ und dem dazugehörigen Slogan „Damit die Lederhose morgen auch noch passt.“ Gezeigt wird ein Mann in voller Lederkluft, der süffisant lächelt, während hinter ihm ein anderer Mann ganz offensichtlich interessiert abwartet (vgl. Der Standard 2020). Das Unter-

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nehmen spielt hier auch noch mit der Gay-Community, in der Almdudler eine wichtige Rolle spielt. Das familiengeführte Unternehmen fordert und fördert eine bunte und vielfältige Gesellschaft – und zeigt das eben auch in seinen Kampagnen. Was Humor für Almdudler erwirken kann: Die alten Markenbilder werden in den Köpfen erneuert, indem neue Gefühle durch neue Situationen geschaffen werden. „Alm ist, wo wir sagen“ zeigt junge Menschen auf einer Dachterrasse. Denken und Kontexte werden aufgebrochen und neu verknüpft. „Mann trägt wieder Tracht“ zeigt, wie Männer Kisten mit Almdudler (statt Bier) tragen. Charlotte Hager erklärt dazu: „Almdudler schafft es, die wichtigen Markenelemente neu zu verknüpfen, eine neue Bildsprache zu etablieren und mit der Sprache einen intelligenten Wortwitz zu neuen Denkmustern zu eröffnen.“ Hinter dem Erfolg vieler Marketing-Kampagnen stecken sogenannte Inkongruenzen. Marketing sucht inzwischen nicht mehr nach größer, schneller, weiter, sondern nach Dingen, die nicht zusammenpassen, Spots, die überraschen, Bildern, die mit der Erwartung brechen, Aspekten, die man ungewöhnlich kombinieren kann. Wir begleiten unsere Kunden in Einzel-Coachings oder in gemeinsamen Seminaren darin, sehr eindeutige Kampagnen in Bezug auf den Humoreinsatz zu entwickeln, die auch klare Ergebnisse in der Beziehung zu Kunden erzielen. Denn Inkongruenzen oder ein kontextueller Zusammenprall, humorvolle oder spielerische Kampagnen enthalten auch Zündstoff. Es gibt auch humorvolle Kampagnen in der Branche, die nach hinten los gehen. Humor kann der Marke auch schaden oder passt in manchen Fällen einfach nicht zur Institution. Der Rundfunk Berlin-Brandenburg startete ebenfalls mutig, provokant und frech in eine neue Aktion:

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Auf Reporter-Autos prangen Slogans wie „Bloß nicht langweilen“. Auf einem Übertragungswagen steht in riesengroßen Lettern: „Alter, was hier heute wieder los war“. Im Falle eines Konzertes oder Volksfestes ist das absolut passend. Im Falle eines Unfalls, einer Gewalttat oder einer Gedenkveranstaltung erleben die Mitarbeiter des Hauses das eigene Marketing jedoch als wenig hilfreich. Bürger kritisieren die unpassenden Slogans und es wird heftig diskutiert, ob Humor hier fehl am Platz ist. Neutrale Wagen wurden zusätzlich wieder eingesetzt, aber man kann im Falle eines „Notfalls“ nicht immer zusichern, dass der richtige Wagen an den Ort der Berichterstattung fährt. Humor wird immer von einem Rahmen bestimmt. Humor bricht diesen Rahmen und die Erwartungen seiner Rezipienten. Manchmal kann das nach hinten losgehen. Manchmal funktioniert der Mechanismus nicht, das weiß man vorher jedoch nicht immer. Öffentliche Verkehrsmittel sind eine gänzlich andere Werbefläche als ein Auto, das von Journalisten und Reporterinnen zur Berichterstattung vor Ort genutzt wird. Trotzdem finde ich die Kampagne mutig und interessant. Die Inspiration dafür war der Erfolg der BVG. Öffentliche Verkehrsmittel sind jedoch ein gänzlich anderes Produkt als ein Medienhaus. Nicht so einfach ist die Situation auch beim „Saftladen“ True Fruits, der Humor in seiner ganzen Bandbreite nutzt: Bei seinem Markteintritt in Österreich landete True Fruits damit sogar vor dem Werberat (vgl. Pauker 2019). Unter dem Aspekt der Aufmerksamkeit macht True Fruits auch alles richtig. In Bezug auf die Beziehungspflege hauen sie mit ihren Kampagnen den Kunden regelmäßig auch humorvoll direkt (entschuldigen Sie bitte die umgangssprachliche Formulierung) „in die Fresse“. Alles begann damit, dass True Fruits humorvolle kleine Geschichten auf seine Glasflaschen mit Frucht-Smoothies druckte. Es

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gab den Smoothie für Tänzer, für den Ordnungsjunkie oder für die Tierliebhaberin. Ziel war es, nicht nur ein Saft zu sein, sondern eine Lebenseinstellung zu transportieren. Mit Witz und Provokation war scheinbar für jeden Kunden etwas dabei. In Österreich wurde es dann politisch: True Fruits brachte einen schwarzen Smoothie in die Regale mit der Aufschrift „Schafft es selten über die Grenze“. Die Wellen schlugen hoch. True Fruits wird geliebt und gehasst gleichermaßen. Zahlt sich diese Aufmerksamkeit tatsächlich aus oder schadet das der Marke mehr als es ihr guttut? Charlotte Hager hat die Kampagne semiotisch analysiert (vgl. Hager 2017), um zu klären, ob sie wirklich einfach nur witzig oder doch rassistisch angehaucht ist – und siehe da: Der Humor hat seine Grenzen. Denn unbewusste Botschaften können dem Witz einen bitteren Beigeschmack (in dem Fall: Rassismus) geben. Auch in den letzten Jahren schrammt True Fruits immer wieder knapp an der Gürtellinie vorbei. Smoothies mit Sprüchen wie „Hier kann man gut abspritzen“ oder der Smoothie mit Chia-Samen mit dem Spruch „Bei uns gibt es keinen Samenstau“ lösten viel Empörung aus – aber eben auch viel Aufmerksamkeit. Eine Maracuja-Saft-Flasche von True Fruits sieht aus wie eine Zigarettenwerbung, die dazugehörige Aufschrift lautet: „Die Pulle danach, Smoothietrinker sterben auch.“ Im Marketing ist die Währung, mit der man rechnet, immer die Aufmerksamkeit. Daher ist im ersten Schritt die Unterscheidung von Sozialem und Aggressivem Humor eher unwichtig. In der längerfristigen Beziehung und Positionierung der Marke ist es jedoch eine zentrale Frage, um welchen Preis man Humor einsetzt. Wenn das Produkt sexistisch oder rassistisch beworben wird, ist das im Marketing immer ein Balanceakt. Tatsächlich bin ich bei den Kampagnen von True Fruits sehr ambivalent. Das Unternehmen steht zu seinem Humor und zu

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seiner polarisierenden Werbung. Andererseits nutzt es viel beschämenden Humor. Schlimmer noch: Wenn die Wellen der Empörung hochschlagen, wird jeder Kritiker als Idiot abgestempelt. Mein Fazit: True Fruits geht es somit nur um Aufmerksamkeit und nicht um Beziehung. Die Marke hinterlässt bei mir einen sehr schalen Beigeschmack. Zwei weitere Kampagnen, die aus meiner Sicht die Grenzen von Humor in der Werbung überschritten haben, möchte ich Ihnen nicht vorenthalten. Beide sind vor dem Werberat gelandet, weil sie Grundwerte einer Gesellschaft beschädigen. Das eine ist eine Kampagne einer großen Bank. Sie zeigt in einem Spot eine gelangweilte Personalerin, die Bewerbungsgespräche mit Kindern durchführt. Auf die erste Frage, was sie denn werden wollen, antworten viele Kinder Astronaut, Rennfahrerin, Ritter, Heldin. Dann nimmt die Personalerin mit aller Realität die Kinder auseinander: Das könnten sie sich abschminken, sie sollten sich lieber einen Job bei der Bank suchen mit geregelten Arbeitszeiten, Rentenversicherung, Urlaubstagen und Sozialversicherung. Die Kinder sind sehr irritiert. Der Witz, insofern das überhaupt jemand witzig finden kann, beschämt das jeweilige Kind. Amüsant ist das nur aus der enttäuschten Erfahrung eines Erwachsenen, der seine Kinderträume verloren hat. Ich als Beobachterin frage mich sofort, ob man mich auch so veralbert, wenn ich dort einmal als Mitarbeiterin anfangen würde – und erst recht, ob ich als Kundin von dieser Bank eigentlich ernst genommen werde. Aus meiner Sicht zahlt diese Kampagne nicht ansatzweise auf die Marke ein, geschweige denn, dass sich dadurch Bewerberzahlen erhöhen. Eine weitere missglückte Kampagne ist von der Rasiermarke Gillette zum Muttertag veröffentlicht worden: In einem Film werden Kinder mit ihren Vätern in unglück-

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lichen Situationen gezeigt. Ein Vater, der nicht kochen kann, ein anderer, der den Geburtstag vergisst, und der nächste, der nicht trösten kann. In sarkastischem Ton bedankt sich Gillette für die Unfähigkeit der Männer, aber Gott sei Dank gäbe es ja die Mütter. In einer Zeit, in der sich die Rolle von Vätern dahingehend verändert, dass Männer gleichberechtigt die Kindererziehung übernehmen, ihre Rolle hinterfragen und sich eine andere Beziehung zu ihren Kindern wünschen, erscheint dieser Spot so altmodisch, dass einem der Mund offen stehen bleibt. Dass im Vergleich dazu die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) auf einem spannenden Weg sind, nämlich mutig, messbar und sehr humorvoll, zeigt sich auch im Interview mit Frank Büch. Unsere Humorexpertin Katrin Hansmeier vom Deutschen Institut für Humor hatte die Gelegenheit, mit dem Marketingchef zu sprechen. Lassen Sie sich auch die Hörversion nicht entgehen.

2.14 Im Interview: Frank Büch, Head of Marketing der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) „Sich selbst nicht so ernst nehmen hilft fast immer.“ 

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Katrin Hansmeier Ich bin schon mal in den Genuss gekommen, dich persönlich zu treffen. Ich habe dich als humorvollen, flexiblen und auch ganz tiefgründigen Menschen in Erinnerung. Ich bin bekennender Fan von dir. Frank Büch Es freut mich sehr, das zu hören. Emotionalität gehört dazu: Es gibt nicht nur die lachenden Augen, sondern gelegentlich auch das weinende Auge. Das gehört zu einem Menschen dazu und das gehört auch zu einer Marke. Wenn man eine Marke verändern will, muss man stark emotional sein. Katrin Hansmeier Du leitest seit 2015 die sehr humorvolle Marketingkampagne der BVG. Hat sich in dieser Zeit dein Humor oder auch dein Wissen über Humor und seine Wirkung verändert? Frank Büch Ja, es hat sich verändert. Am Anfang waren wir nicht so sicher, ob das eine durchgehend humorvolle Kampagne wird. Das war gar nicht hundertprozentig in diese Richtung geplant. Damals haben wir tagesaktuelle Themen humorvoll betrachtet – immer in Beziehung zu unserem Unternehmen. Wir haben Dinge aufgenommen, sie in Verbindung mit unserem Thema gebracht und daraus einen humorvollen Text gemacht. Das war’s. Ich hatte damals keine Erfahrung damit. Wir haben nicht geplant, eine humorvolle Kampagne zu machen, und dann zu schauen, ob sich unser Image ändert. Es ist so entstanden. Heute habe ich einen anderen Blick darauf. Damals war alles Trial-and-Error. Wir haben viel ausprobiert, wir sind ein paar Mal auf die Nase gefallen. Aber wir hatten eben auch viel Erfolg. Heute machen wir die Kampagne gezielter, sie soll lustig und humorvoll sein.

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Wir arbeiten bewusst daran, die Menschen fröhlich zu stimmen. Katrin Hansmeier Die Kampagne damals hieß „Weil wir dich lieben“. Es ist spannend, dass Humor ein Nebenprodukt war, dass ihr gemerkt habt: Das funktioniert, das macht euch sozial attraktiv und löst Spannung. Frank Büch Genau. Liebe an sich muss ja nicht immer humorvoll sein. Sie kann auch sehr tiefgründig sein. Manchmal ist sie auch alles andere als das. Insofern war bei der Aussage „Wir lieben euch, liebe Kunden“ der Fokus noch gar nicht, humorvoll zu sein. Wir haben einfach gesagt: „Wir tun sehr viel für dich, lieber Kunde, weil wir dich liebhaben.“ Das impliziert keineswegs Humor. Katrin Hansmeier Warum habt ihr diese Kampagne damals gestartet? Was war der Auslöser? Frank Büch Wie jedes andere Unternehmen auch, müssen wir sehr viel Geld am Markt verdienen. Wir müssen auf uns aufmerksam machen und ein sympathisches Unternehmen sein, um weitere Kunden zu gewinnen. Am meisten verdienen wir mit Kunden, die bei uns ein Abonnement abschließen. Als Kunde binde ich mich aber nur an eine Marke oder an ein Unternehmen, wenn ich einigermaßen dazu stehe, wenn ich sagen kann: „Das ist etwas, das ich vor mir selbst vertreten kann.“ Deshalb wollten wir ein Stück sympathischer werden. Denn vor inzwischen fast sechs Jahren waren unsere I­mage-Werte nicht besonders gut. Man muss es klar sagen: Annähernd die Hälfte unserer Kunden haben uns gehasst. Das ist nicht die beste Voraussetzung, um Kunden langfristig an ein Unternehmen zu binden. Deshalb mussten wir etwas ändern. Man muss dazu sagen: Wir sind kein Start-up. Ein

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Start-up kann sich überlegen, wie es nach außen wirken möchte, und kann alles dafür tun, dass das so gelingt. Wir haben aber eine Tradition. Wenn wir etwas erzählt hätten, das überhaupt nichts mit uns zu tun hat, hätte man uns nicht geglaubt. Katrin Hansmeier Besonders nicht die Berliner … Frank Büch Wir brauchten eine Analogie, die mit einer langjährigen Beziehung zu tun hat. Also haben wir uns das Thema Partnerschaft angeschaut. Wir kennen das alle: Am Anfang hat man die rosarote Brille auf und sagt: „Mein Partner ist der tollste. Der macht alles richtig.“ Aber im Laufe der Zeit verändert sich das. Plötzlich merkt man, dass der Partner Essgeräusche macht und nachts schnarcht. Das ärgert und nervt einen. Daraus entsteht eine Hassliebe. Genau dieses Gefühl hatten wir auch, dass unsere Kunden dachten, ohne uns geht’s nicht, aber mit uns ist’s auch nicht so richtig cool. Dann haben wir uns gefragt: Was machen Ehepaare oder Menschen in langen Beziehungen, wenn sie merken, dass die Liebe nicht mehr ganz so frisch ist? Sie sagen einfach, dass sie sich liebhaben. Oder sie heiraten noch mal. Und das war unsere Analogie. Katrin Hansmeier Dann habt ihr das erst einmal undercover gemacht: An unterschiedlichen Orten wurde der Spruch „Weil wir dich lieben“ plakatiert und erst nach einigen Wochen aufgelöst, dass das eine BVG-Kampagne ist. Frank Büch Genau. Und wir haben erste Produktversprechen gemacht. Auf großen Plakaten, die nicht als BVG gebrandet waren, stand in Gelb mit schwarzer Schrift: „Wir haben dich um 8 Uhr zur Universität gebracht. Wir haben dich um 14 Uhr von der Universität

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abgeholt. Abends haben wir dich zum Fußballtraining gebracht und nachts um 5 von der geilsten Party deines Lebens wieder abgeholt. Das hätte nicht mal deine Mudda gemacht.“ Das war eine der ersten großen Plakataktionen ohne Absender. Aber es war irgendwie klar: Es geht um den Transport von Menschen. Die BVG ist in Berlin sehr bekannt. Deshalb konnte man schon ahnen, dass vielleicht die BVG dahintersteckt. Katrin Hansmeier In einer Paartherapie geht es häufig um den Stärkenfokus, anstatt auf das zu schauen, was alles schiefläuft. Ihr habt euch in eurer Kampagne auch mit den Stärken beschäftigt. Dabei ging es nicht in erster Linie um Humor, sondern der Tenor war eher: „Schaut mal: Wir sind für euch da.“ Frank Büch Richtig. Wenn man davon ausgeht, dass es sich wirklich um eine Art Hassliebe handelt, dann gibt es Dinge, die die Kunden offensichtlich brauchen, sonst würden sie uns ja nicht nutzen. Damit haben wir gespielt. Eine Besonderheit unseres Unternehmens ist, dass wir rund um die Uhr von jedem Ort zu jedem anderen Ort in dieser Stadt fahren. Katrin Hansmeier Dann habt ihr dazu aufgerufen: „Teilt eure schönsten Erlebnisse mit uns.“ Daraufhin gab es dann einen Shitstorm, auf den ihr recht flexibel reagiert habt. Gab es dabei ein Schlüsselerlebnis für dich? Frank Büch Ja, tatsächlich. Das ist mein Lieblingspost. In dieser Shitstorm-Zeit hat uns jemand übelst beschimpft: dass die Fahrzeuge so schmutzig sind, dass die Busse so selten kommen, dass ständig Fahrzeuge ausfallen, dass wir so ein Hurensohn-Verein sind und dass er sich nur noch über uns ärgert. Darauf haben wir geantwortet:

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„Das ist nicht ganz korrekt: Wir sind eine Hurensohn-Anstalt des öffentlichen Rechts.“ Dieser Retweet kam in der Community gut an. Viele haben uns einen Daumen nach oben geschickt und geschrieben: „Wow! Das ist tatsächlich etwas, das macht nicht jedes Unternehmen.“ Da haben wir gemerkt: diese Offenheit, das Auf-Augenhöhe-Kommunizieren, die Dinge zu über­ nehmen, die die Kunden ansprechen – das hilft uns. Das haben wir dann sehr konsequent durchgezogen mit einer Selbstironie, die wir häufig an den Tag legen. Katrin Hansmeier Das macht total attraktiv. Gerade in Deutschland sind wir das von Unternehmen nicht gewöhnt. Alle nehmen sich immer wahnsinnig ernst und man hat Angst, dass Humor die Kompetenz zerstört. Es ist ungewohnt, dass ein Unternehmen so flexibel und selbstironisch reagiert. Frank Büch Absolut. Das gilt auch für Personen: Unsere Politiker trauen sich gar nicht, humorvoll zu sein, weil sie immer glauben, niemand würde sie mehr ernst nehmen. Das ist völliger Unsinn. Katrin Hansmeier Durch diese Kampagne, durch die witzigen Sprüche steckt ihr auch die Menschen, die ihr befördert, an. Inwiefern merkt ihr, dass das reziproke Effekte hat? Werden die Fahrgäste witziger? Berichten Busfahrer, dass Leute sich anders verhalten? Frank Büch Ja, es ist tatsächlich so. Am Anfang hatte ich mit dieser Kampagne intern nicht nur Freunde. Ich kann mich an ein Erlebnis erinnern: Ich bin in eine unserer Dependancen gefahren. In diesem Nebengebäude saß ein Pförtner, der fragte, wer ich eigentlich bin. Ich habe mich vorgestellt: „Ich bin der Marketingchef und mache diese

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Kampagne.“ Seine Antwort war eindeutig: „Ach, diese Kampagne! Damit kann ich nichts anfangen. Das ist alles Mist! Das ist überhaupt nicht meine BVG.“ Er hat mich richtig zur Schnecke gemacht. Katrin Hansmeier Dit is der Berliner: Der Marketingchef kommt beim Pförtner vorbei und dann gibt’s erstmal ’ne Watsche. Frank Büch Das ist typisch Berlin. Das ist aber auch typisch für unser Unternehmen. So gehen wir miteinander um. Das hat mir ein bisschen die Augen geöffnet. Ich hatte auch viele Gespräche mit Busfahrern und viele sagten: „Das ist nicht mehr mein Laden. Das gefällt mir nicht.“ Inzwischen ist es allerdings so, dass die Busfahrer diese Kampagne sehr mögen, weil sie von den Kunden darauf angesprochen werden. Wir hatten zum Beispiel diesen Spot, in dem wir behauptet haben, dass wir alles mit Absicht machen, dass wir auslosen, welche Buslinie zu spät kommt, oder dass wir die Ansagen bewusst verzerren, indem wir mit fünf Schokoküssen im Mund sprechen. Wenn damals Kunden in den Bus gestiegen sind und der Bus fünf Minuten zu spät war, haben sie den Busfahrer angesprochen: „Ach, dann hat euer Eichhörnchen wohl diesmal diese Buslinie ausgewählt.“ Darauf kann dann auch ein Busfahrer mit seiner Berliner Schnauze reagieren: „Na, da haste völlich Recht.“ Wir haben schnell gemerkt, dass Kunden bei dieser Ansprache anders mit der Situation umgehen. Und wir haben tatsächlich auch den Busfahrern gesagt: „Sprecht, wie ihr wollt.“ Früher trainierten wir Busfahrer, damit sie verständliches Hochdeutsch sprechen. Das haben wir uns dann abgeschminkt und gesagt: „Seid authentisch und macht das so, wie ihr denkt.“ Sie sollen weiterhin freundlich sein, aber sie dürfen durchaus auch typische Berliner Ausdrücke nutzen.

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Katrin Hansmeier Ihr habt die Erlaubnis für Humor gegeben. Ihr hattet nicht nur die humorvolle Kampagne, sondern ihr habt auch in der Unternehmenskommunikation gesagt: „Wir erlauben euch, Humor zu machen. Wir erlauben euch auch, euren Humor zu machen. Wir geben nicht alles vor.“ Frank Büch Mehr Freiheit, mehr Authentizität der einzelnen Personen. Alles andere war aufgesetzt und hat ohnehin nie richtig funktioniert. Katrin Hansmeier Darauf habt ihr noch einen zweiten Spot gemacht: „Ohne dich komm‘ ich heut‘ Nacht nicht heim.“ Dabei stellt ihr im Grunde alle Bus- und ­U-Bahnfahrer als Helden dar. Frank Büch Das sind unsere Heroes. Es ist auch tatsächlich so: Wenn man nachts um drei unterwegs ist, ist es schon ein schönes Gefühl, wenn die Scheinwerfer von einem Bus auftauchen und da sitzt ein freundlicher Mensch drin und der Bus ist schön hell und warm und man weiß: Jetzt geht’s Richtung Heimat. Das ist etwas Angenehmes und das haben wir dargestellt. Katrin Hansmeier Wir würden Humor gern berechenbar machen. Menschen sagen immer: Das ist ja alles schön und gut, jetzt sind alle glücklich. Aber bildet sich das in den Zahlen ab? Woran messt ihr, dass sich der Humor rechnet? Frank Büch Wir messen unsere Image-Werte. Die werden kontinuierlich besser. Man muss dazu sagen: Die Image-Werte einer Marke zu verändern, ist so ziemlich das Aufwändigste, das man im Marketing und in der Kommunikation machen kann. Deshalb sind es Stellen

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nach dem Komma, die sich bewegen. Was ich sehen kann: In den vergangenen Jahren haben wir sehr, sehr viele Abonnements verkauft. Und wir hatten in der Vergangenheit immer eine extra Kampagne für das Abonnement gemacht. Die haben wir jetzt stark verkleinert. Denn die Marke spricht einfach für sich. Die Veränderung unserer Identität und unseres Markenbildes führt dazu, dass die Kunden wie von selbst zu uns kommen. Sie sagen: „Es ist einfach toll, mit euch zu fahren. Ihr habt einen super Humor.“ Ich konnte sehr viel Geld für die Abo-Kampagne, also etwa eine Million Euro, weitestgehend einsparen. Dieses Geld stecken wir jetzt in die I­mage-Kampagne. Das ist ein ziemlich eindeutiges Zeichen, das Geld in der Kasse spricht für sich. Da braucht man keine großen Messverfahren. Katrin Hansmeier In vielen Unternehmen ist der Fachkräftemangel ein großes Thema. Wirkt sich die Kampagne auf Bewerbungen aus? Frank Büch Aus unserem Recruiting-Team höre ich, dass ein großer Anteil der Bewerber, zwischen 80 und 90 %, durch die Kampagne auf die BVG aufmerksam wurden. Und sie sagen: „Wir möchten in einem Unternehmen arbeiten, das eine solche Kampagne fährt.“ Wir sind bestimmt nicht die, die am besten bezahlen. Aber wir sind die mit der besten Kampagne. Und deshalb kommen Menschen zu uns. Katrin Hansmeier Es gibt also eine Identifikation, sowohl bei den Menschen, die schon bei euch arbeiten, als auch bei denen, die auf euch neugierig sind. Frank Büch Exakt.

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Katrin Hansmeier Ihr arbeitet mit dem Gag-Schreiber Peter Wittkamp eng zusammen und habt die Agentur GUD.berlin sowie intern in der Marketingabteilung einige Leute. Wie kommt ihr auf witzige Ideen? Frank Büch Die Kreativen sitzen in den Agenturen. Wittkamp steht uns gelegentlich mal für einen Gag zur Verfügung. Man muss sich auch immer wieder mit neuen Themen beschäftigen und neue Leute holen. Unser Team wird immer wieder durchgetauscht. Die Ideen kommen oft aus der Tagesaktualität. Außerdem bekommen wir unendlich viel Content von unseren Kunden. Viele schicken uns über Instagram Bilder. Die muss man sich nur anschauen, dann fällt einem was Lustiges ein. Ich denke gerade an dieses Bild von einer U-Bahn im Schnee, das uns jemand geschickt hatte, und wir schrieben drunter: „Kaum ist Fashion Week, liegt wieder überall dieses weiße Pulver herum.“ Wahrscheinlich war das Bild anders gedacht, aber wir haben das daraus gemacht. Wir nutzen aktuelle Themen wie eine Fußball- oder Europameisterschaft, die Olympischen Spiele – Dinge, bei denen jeder mitbekommt, dass etwas Besonderes geschehen ist. Das setzen wir dann in den Kontext der BVG oder der Stadt Berlin. Beispielsweise hat bei der Europameisterschaft ein Schiedsrichter die Eckfahne umgerannt. Und wir haben geschrieben: „Sieht aus wie am Kotti, nachts um zwei.“ Katrin Hansmeier Du sagtest mal in einem Interview: „Man muss nur zuhören und offen sein. Die besten Geschichten schreibt ohnehin das Leben.“ Ihr seid offen und fügt dann den Humor hinzu? Frank Büch Es ist wichtig, dass man ein großes Netzwerk hat und mit vielen Menschen spricht.

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Katrin Hansmeier Ich höre da raus: Man muss sich auch selbst treu bleiben. Wenn ich in einem eurer Meetings Mäuschen spielen würde, was würde ich erleben? Was sind so eure Spielregeln? Frank Büch Die Spielregeln sind, dass wir keine haben. Jeder darf alles sagen. Es gibt zwar Hierarchien, aber sie werden nicht gelebt. Wir sind insgesamt ein ganz witziger Haufen. Das hat sich im Laufe der Zeit so ergeben. Menschen, die keine Lust darauf haben, sind gegangen. Es ist fast wie abends am Biertisch: Man plauscht über alles Mögliche und kommt dabei auf die eine oder andere Idee, die man später ausarbeiten kann. Katrin Hansmeier Ihr bringt alle Humor mit und macht es gar nicht so kompliziert, sondern lasst erstmal alle Ideen raus? Frank Büch Absolut. Es ist wichtig, dass man sich nicht von vornherein beschränkt und schon überlegt, wer alles dagegen sein könnte. Es geht auch mal ein Schuss daneben. Das muss man auch deutlich sagen. Einmal haben wir die SPD gebasht, als sie am Tiefpunkt waren. Das tut mir auch im Nachhinein noch leid, das wollten wir gar nicht. Damals haben alle darüber geredet, dass die Umfragewerte einer großen Partei wie der SPD plötzlich im einstelligen Bereich waren. Und wir haben einen U-Bahnhof von unten fotografiert: Der U-Bahnhof aus der Sicht der SPD. Das war nicht nett. Manchmal geht also etwas daneben und man überzieht ein bisschen. Das kommt vor. Aber wir versuchen, ein Auge darauf zu haben. Denn wir möchten auf keinen Fall jemanden verletzen. Eigentlich sind wir immer für die Schwachen da.

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Katrin Hansmeier Wo siehst du also die Gefahren von Humor, wenn man ihn im Marketing einsetzt? Frank Büch Man kann schon sehr großzügig mit Humor umgehen. Ich sehe nicht so viele Gefahren. Aber man muss aufpassen, wenn man auf Kosten anderer humorvoll ist – wenn dann besser auf Kosten des eigenen Unternehmens oder der eigenen Person. Das ist der entscheidende Punkt. Denn es ist einfach, sich auf Kosten anderer lustig zu machen. Es ist viel schwieriger, es neutral zu machen. Katrin Hansmeier Oder in die Aufwertung zu gehen: Ihr seid Helden, wir sind Helden. Dieses Miteinander habt ihr ja erreicht und einen Wert nach außen getragen. Inwiefern habt ihr die Kernwerte eurer Marke in diese Kampagne hineingewoben? Frank Büch Wir haben vorletztes Jahr zum Beispiel ein Frauenticket zum Equal Pay Day gemacht. Damit haben wir auf den Unterschied bei der Bezahlung von Männern und Frauen hingewiesen. Das sind 21 %. Dann haben wir an diesem Tag die Tickets für Frauen eben für 21 % günstiger verkauft. Darüber gab es eine weltweite Diskussion. Darauf waren wir sehr stolz. Das ist ein Wert, der uns wichtig und auch selbstverständlich ist. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden gleich bezahlt. Das wollten wir nach außen deutlich zeigen – und das kann man eben auch humorvoll machen. Wir hatten einen Automaten mit Geschlechtererkennung. Dort haben wir alle Produkte verkauft, auch Jahreskarten mit einer Ersparnis von fast 300 EUR. Das war eine witzige Situation: Da kamen Dragqueens und Männer, die alles Mögliche taten, um an Frauentickets zu kommen. So etwas lieben wir. Das haben wir gefilmt. Das waren humorvolle Szenen, obwohl

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es ein ernstes und wichtiges Thema ist. Werte kann man auch humorvoll nach außen bringen. Katrin Hansmeier Vielleicht lassen sich gerade ernsthafte Themen besser transportieren, wenn wir sie mit Humor angehen. Mit dem Geist dieser Kampagne öffnet ihr auch die Menschen. Frank Büch Das ist sicherlich ein Effekt. Ein anderer ist, dass andere Unternehmen zu uns kommen und lernen möchten, auch humorvoll zu sein. Katrin Hansmeier Was sagst du den Unternehmen, die das auch lernen wollen? Welche Tipps gibst du? Frank Büch Das Wichtigste: Werde dir klar, was für ein Unternehmen du eigentlich bist. Stehe zu deinem Unternehmen, zu deinem Produkt, zu deiner Dienstleistung. Du musst dafür brennen. Sei authentisch: Du bist dieses Unternehmen und du willst nicht wie ein anderes sein. Selbstironie und sich selbst nicht so ernst zu nehmen helfen fast immer. Katrin Hansmeier Wenn man nicht für seine Aufgabe brennt, hat man auch nicht den nötigen Mut. Frank Büch Man muss Entscheidungen treffen und überlegen: Kann man das aushalten? Kann man das durchhalten? Das hat mit Mut gar nicht so viel zu tun. Katrin Hansmeier In Zeiten von Corona, von Abstandhalten, von Digitalisierung, in denen man nicht mehr zusammen am Biertisch sitzt: Hat sich in der kreativen Humorarbeit etwas verändert?

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Frank Büch Ich finde es großartig, dass diese ­Corona-Krise dazu geführt hat, dass wir alle lernen, mit digitalen Medien umzugehen. Wir treffen uns jeden Tag digital und sehen uns alle auf dem Bildschirm. Am Anfang war es noch ein bisschen ungewohnt, ein bisschen kühl, jeder war noch etwas zurückhaltend. Inzwischen sind die Runden fast so, als würden wir bei mir im Büro sitzen. Man gewöhnt sich dran. Es gab eine Zwischenphase von etwa zwei Wochen, in der das alle trainieren mussten. Aber inzwischen haben wir unsere tägliche Runde, begrüßen uns morgens, erzählen uns lustige Geschichten vom Vortag, schauen, was wir machen können, und arbeiten weiter. Wir reduzieren den Verkehr. Das hat sich verändert und das ist auch ein bisschen ungewohnt. Das ist nicht der Zustand, den ich beibehalten möchte. Katrin Hansmeier Und euer BerlKönig (BerlKönig ist ein RideSharing-Dienst nach dem Prinzip des ­Anruf-Sammeltaxis im Berliner Nahverkehr, Anmerkung der Redaktion) ist auch tagsüber und nachts für Pflegekräfte gefahren. Frank Büch Das macht er immer noch. Wir haben ihn kostenfrei zur Verfügung gestellt und jeder, der in einem systemrelevanten Beruf arbeitet, wie es heute so schön heißt, darf den BerlKönig nutzen. Das finde ich eine tolle Aktion. Gerade die Pflegekräfte, die zwölf oder vierzehn Stunden arbeiten, haben es verdient, angemessen nach Hause zu kommen. Katrin Hansmeier Der Fahrdienst heißt BerlKönig und die Grundidee ist kreativ. Und dann ist viel Liebe dabei. Diese Mischung macht es so toll.

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Frank Büch Das ist ja auch unsere Kampagne: Weil wir dich lieben. Klar ist da viel Liebe drin. Katrin Hansmeier Apropos: Gibt es einen Liebling in dieser Kampagne, bei dem dir das Herz aufgeht, wenn du daran denkst? Frank Büch Wir haben einen Spot gemacht, der war in unserem Haus nicht so beliebt. Bei der „Arie“ haben wir unseren Kunden eine Plattform geboten, über uns zu meckern. Das ist für mich ein Zeichen, dass es nicht immer allen gefallen muss, denn es war am Ende trotzdem sehr erfolgreich. Ich mag diesen Spot immer noch und wenn ich ihn sehe, bekomme ich Gänsehaut. Ich finde es toll, über sein eigenes Unternehmen singen zu können: „Alles schre-e-e-e-ecklich!“. Katrin Hansmeier Ihr habt den Rundfunkchor die Antworten auf Beschwerden singen lassen. Frank Büch Das war eine Kooperation, die aus der Arie entstanden ist. Wenn man einmal klassische Musik macht, melden sich alle klassischen Musiker. Wir haben lange überlegt, was wir mit dem Rundfunkchor machen könnten. Wir sind beide alte Berliner Institutionen. Eine Kollegin kam auf die Idee, Standardantworten einzusingen. Das war eine traumhafte Aktion. Das sind tolle Stimmen, tolle Menschen. Und sie singen etwas aus unserem Kontext. Das ist schon witzig. Katrin Hansmeier Du hast mal gesagt: Das ist der geilste Job auf der Welt. Es gab Momente, die dich zu Tränen gerührt haben und du weißt, was es bedeutet zu lieben und warum du deinen Job machst. Ist das immer noch so?

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Frank Büch Absolut. Ich freu mich sehr, dass Onetoone mich zum Marketingkopf des Jahres gewählt haben. Das ist etwas ganz Außergewöhnliches – für mich zumindest. Das ist gar nicht meine Leistung, die da bewertet wird, sondern die Leistung vieler. Dahinter steht ein großes Team. Wir haben viele Preise bekommen, aber das ist sehr viel persönlicher. Natürlich macht mir mein Job nach wie vor Spaß. Ich freue mich, dass das Anerkennung gefunden hat. Warum sollte man darüber nicht glücklich sein? Übung für Ihr Humor-Handwerkszeug: Inkongruenzen Eine sehr einfache Übung, um auf ungewöhnliche Ideen zu kommen, ist die sogenannte Gegenstände-Übung. Sie nehmen sich bitte zu Hause einen beliebigen Gegenstand. Lassen Sie sich einen Moment Zeit, diesen Gegenstand mit Ihrem Expertenthema zu verbinden. Verknüpfen Sie den Gegenstand mit dem Thema Ihrer nächsten Präsentation oder Besprechung. Nutzen Sie den Gegenstand als Metapher. Ich lade Sie ein, den Gegenstand nicht „logisch“ zu verwenden, sondern nach einer eher ungewöhnlichen Verknüpfung zu suchen. • Haben Sie ein Klebeband gegriffen? Als Führungskraft haben Sie die Aufgabe, das Team zusammen zu halten. Im Moment reißt es jedoch an einigen Stellen. Deshalb haben Sie diese Besprechung anberaumt. • Sie halten das Geschenk für den morgigen Geburtstag in der Hand, das schon eingepackt ist? Für das Geburtstagskind ist das innerhalb seiner Erwartung. Wenn Sie als Führungskraft einen Vortrag im Konzern halten und mit einem Geschenk in der Hand sagen: „Ich weiß nicht, wann Sie die letzte Veränderung als Geschenk empfunden haben. Als etwas, dem Sie mit Neugierde begegnen und woran Sie Spaß haben, es zu öffnen. Dieses Bewusstsein möchte ich mit Ihnen für die aktuelle Herausforderung schaffen. Diese Veränderung darf auch Spaß machen.“ • Haben Sie ein Headset in der Hand? Eine Führungskraft ist wie ein Mikrofon, das zu jedem Headset

284     E. Ullmann gehört. Ohne Team – also ohne Kopfhörer – kommt das Mikrofon nicht zum Einsatz. Team und Führungskraft brauchen einander. Sie müssen gut in Verbindung sein und können so eine solide Leistung bringen. Ein Schild mit der Aufschrift „Außer Betrieb“ ist in einem Fahrstuhl am richtigen Platz. Wenn ich mir dieses Schild an die Brust klebe und so vor mein Team oder die Seminargruppe trete, sorgt das für Schmunzler. Nach diesen Inkongruenzen suchen wir in dieser Übung. Sie sind häufig die Grundlage für humorvolle Marketing- und ­Recruiting-Kampagnen. Die Pressesprecherin eines großen Versicherungsunternehmens hält einen Erste-Hilfe-Koffer hoch. Ihre Erklärung dazu: „Ich bekomme aus dem ganzen Unternehmen immer wieder Texte, die ich für unsere Öffentlichkeitsarbeit verwende. Und glauben Sie mir: viele davon benötigen erste Hilfe. Ich bin quasi die Ersthelferin für Pressetexte.“ Alle Führungskräfte im Seminar lachen. Ein Forscherkollege hat einen Verkehrskegel in der Hand. Alle Teilnehmer des Humortrainings lachen bereits. „Drittmittelbeantragung für Forschung ist spitze!“, sagt er und hält den orange-weiß-gestreiften Verkehrskegel nun nach oben. „Man muss pfiffige Wege finden, um Aufmerksamkeit zu bekommen!“ Dabei setzt er sich den Kegel auf den Kopf. „Und im besten Fall bekommt man das gewünschte Geld zum Forschen.“ Nun hält er den Kegel wie ein Bettler und sammelt im Publikum scheinbar Geld ein. Erneutes Lachen. Mediziner erarbeiten sich merkwürdige Bilder für ihren Arbeitsalltag. Anregungen für solche Ideen bekommen Sie auf sehr vielen Social-Media-Kanälen. Wie schon erwähnt, lohnt es sich, den Kanal der Berliner Verkehrsbetriebe zu abonnieren. Hier nur drei Beispiele: • Es ist Schachweltmeisterschaft in Berlin. Die BVG postet ein Foto von einer U-Bahn: „Wir denken schon mal ein paar Züge voraus.“ • Eine U-Bahn fährt durch eine weiße Landschaft. Die BVG kommentiert: „Kaum ist Fashion Week, schon liegt überall weißes Pulver herum.“ • Es ist Ramadan. Der aktuelle Spruch dazu: „Warten und Verzicht kennt Ihr ja von uns.“

2  Spezifischer Humor     285 Auch die Kanäle von Peter Wittkamp lohnen sich, egal ob Twitter, Instagram oder Facebook. Er ist der frühere Autor der BVG-Kampagnen und heute Autor der ­ „heute-show online“.

Literatur Allianz Deutschland (2015). Allianz Klassiker: „Kirschbaum“ – Erinnern Sie sich auch noch? https://www.youtube.com/ watch?v=xmTDYyy_9x8. Zugegriffen: 09. Apr. 2020. Allianz Deutschland (2019). Hoffe nicht auf Schwarzes Gold! Die neue Allianz Lebensversicherung ist attraktiver als Du denkst. https://www.youtube.com/watch?v=JE65qaYIzzM. Zugegriffen: 09. Apr. 2020. Antonia, W., Lukas, S. (2014). Atemnot in der Nacht. https:// www.youtube.com/watch?v=Kp51XLL0x0M. Zugegriffen: 29. Apr. 2020. Bufalino, Benedetto (2017). LE CAMION BÉTONNIÈRE BOULE DISCO. https://www.youtube.com/watch?v= D7T9XT665Xk. Zugegriffen: 09. Apr. 2020. Der Bank Blog (2018). Sparkassen Werbung: Mein Haus, mein Auto, mein Boot. https://www.youtube.com/ watch?v=DbqcRG-CT30. Zugegriffen: 09. Apr. 2020. Der Standard (2020). „Alm ist, wo wir sagen“: Wien Nord + Now mit neuer Kampagne für Almdudler, derstandard.at 24. Januar 2020. https://www.derstandard.at/story/2000113689748/almist-wo-wir-sagen-wien-nord-now-mit-neuer. Zugegriffen: 03. Juni 2020. Deutsches Institut für Humor (2020a). Wie erzeugt man Aufmerksamkeit? https://www.youtube.com/ watch?v=HKjeXLTtaFM. Zugegriffen: 29. Apr. 2020. Deutsches Institut für Humor (2020b). Humorexpertin Eva Ullmann auf großer Bühne. https://www.youtube.com/ watch?v=esbnFy6PW6k. Zugegriffen: 29. Apr. 2020.

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3 Branchenspezifischer Humor

Inhaltsverzeichnis

3.1 Wirtschaft mit Humor – ­Top-Manager im Spaßkombinat. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 3.2 Bildung mit Humor – Ich bin doch nicht der Pausenclown. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 3.3 Medizin mit Humor – Bloß nicht am Status kratzen. 329 3.4 Rechtswesen mit Humor – Notarielle, die beglaubigte Meerjungfrau. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 3.5 Technik mit Humor – logisch unlogisch. . . . . . . . . . 368 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 E. Ullmann, Humor ist Chefsache, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30095-1_3

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Zusammenfassung  In diesem Kapitel erfahren Sie • wie sich der spezifische Humor zu einem Beruf oder einer Branche gestaltet und wie man den humorvollen Umgang damit schafft. •  wie bestimmte Berufsgruppen humorvoll gesehen werden und wie sie sich selbst betrachten. •  warum manche Gags nur Insider verstehen können und wie man Außenstehende trotzdem einbindet. •  dass es eine gesunde Ventilfunktion ist, wenn man „unter sich“ auch mal Witze über „die da oben“ oder „die Anderen“ macht. • welche konkreten Hilfestellungen und welches Handwerkszeug Sie dabei unterstützen, den Humor auch abteilungsübergreifend einzusetzen. • wie Sie auch als Fachidiot nicht den Blick für das große Ganze und vor allem für alle Menschen außerhalb Ihres Berufsstandes verlieren. • warum es sich ab und zu lohnt, die Neutralität zu verlassen und aus dem eigenen Fachjargon heraus zu kommen. • dass es nicht die eigene Expertise schmälert, andere in den eigenen Humor zu involvieren, sondern bei der Verständigung hilft. Frühstück mit meinem Mann, wir unterhalten uns über Humor im Allgemeinen und wie er zu unterscheiden ist. „Weißt du, Schatz“, sagt er zu mir und beißt genüsslich vom Wurstbrot ab, „IT-Humor ist, wie im Texteditor VI zu arbeiten. Verbindender Humor ist wie Google Docs.“ Ich kratzte mich am Kopf – was meint der eigentlich? Ich stehe offensichtlich auf der Leitung. Kurz darauf bei einem Team von Ingenieuren wird folgender Witz erzählt: Treffen sich zwei Ingenieure. Einer erzählt von einer nackten Frau auf dem Fahrrad, die beim Ingenieur

3  Branchenspezifischer Humor     291

anhält und zu ihm sagt: „Du kannst von mir alles haben.“ Seine Antwort: „Natürlich habe ich das Fahrrad gewählt.“ Alle lachen. Ist das nur Klischee oder Fakt, dass Ingenieure sexlose Wesen sind? Vor einem anderen Training höre ich zwei Teilnehmer an der Kaffeemaschine plauschen. „Billardspieler wechseln zum Schach – sie finden den Queue [gesprochen: Kö] nich’“, sagt der eine und der andere bricht in herzliches Lachen aus. Ich derweil wundere mich nur. Genau wie bei dem Austausch von einigen Herren, die im Support tätig sind und sich darüber unterhalten, wie verzweifelte Kunden anrufen: „Ich sag nur PEBCAC – gestern waren da mal wieder jede Menge davon bei uns unterwegs“, meint einer in der Runde und die anderen fangen an zu grölen. Offenbar ein Schenkelklopfer – nicht für mich halt. Am nächsten Abend, als ein Freund zum Abendessen erscheint, er ist Ingenieur, gebe ich, als ich allen das erste Glas Wein einschenke, folgenden Witz von mir: „Der Optimist sagt: Das Glas ist halb voll. Der Pessimist sagt: Das Glas ist halb leer. Der Ingenieur sagt: Es ist das falsche Glas für diese Flüssigkeit.“ Er schmunzelt. Scheinbar fange ich an, branchenspezifischen Humor zu verstehen. Welchem dieser Späße konnten Sie folgen? Was hat Sie sogar köstlich amüsiert? Und was haben Sie überhaupt nicht verstanden? Finden Sie etwas davon witzig oder kommen Sie noch mit? Haben Sie so manches auch nicht verstanden? Dann willkommen im Club. Konnten Sie es einordnen, dass es bei VI um „visual“ geht und man mithilfe dieses freien Texteditors vom Zeileneditor in einen visuellen Modus umschalten kann, während Google Docs ein kostenloses ­ Software-as-a-Service-Online-Office-Angebot von Google zur Erstellung von Textdokumenten, Tabellen, Präsentationen und Fragebögen ist? Oder wissen Sie jetzt auch nicht mehr? Oder die Sache mit dem Billard-

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stab, der Queue (gesprochen: Kö) heißt – für manche echt witzig, für viele andere allerdings zu speziell. Sehr für Experten gemacht ist auch der Gag mit der Abkürzung PEBCAC, die bedeutet: „Problem exists between chair and computer“. Also für die Nicht-ITler unter uns: der Nutzer ist das Problem und zu doof. Apropos: IBM und BASF – wissen Sie, wofür diese Abkürzungen stehen? „Immer besser manuell“ sowie „bild-abweisende Schmiergel-Folie“. Ach so?! Und wie ist es mit SAP und AEG? „Sanduhr-Anzeige-Programm“ sowie „aus Ersatzteilen ­ gebaut“. Okay, einer noch: BMW = bei Mercedes weggeschmissen. Sie sehen schon, es gibt zahlreiche solcher Wort- und Spielformen. Wenn Abkürzungen – von der Firmenmarke bis hin zum einzelnen Projektabschnitt – absichtlich fehlinterpretiert werden, finden das nur manche im Konzern (oder außerhalb) lustig. Das ist sie, diese Sache mit dem berufs- und branchenspezifischen Humor: nur Insider verstehen die Gags, Außenstehende werden wahnsinnig. Humor grenzt ab und Humor verbindet. Stephanie Borgert schreibt treffend in ihrem Buch: „Niemand ist eine Insel.“ (Borgert 2015) Komplexe Systeme bewirken komplexen Humor. Und mancher Humor ist eben nur innerhalb einer bestimmten Branche oder eines komplexen Projektes verständlich – nur, wer dazu gehört, hat einen Zugang dazu. Ungünstig ist das jedoch, wenn das Projekt nach außen oder gegenüber dem Vorstand vertreten werden muss und man das mit dem falschen bzw. einem unverständlichen Witz tut. Mancher Humor zeigt Verständnis für Komplexität und ist ein Zeichen von Intelligenz. Ziel ist es also nicht, Humor weniger intelligent zu machen. Als Führungskraft ist es jedoch eine Kunst, beides zu können: spezifisch und allgemein. Und einen Vortrag im Zweifel mit allgemein verständlichem und mit branchenspezifischem Humor zu würzen.

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Auch Sie gehören zu einem Berufsstand, sind in einer bestimmten Branche beheimatet und Teil einer Organisation, eines Systems. Ob Sie wollen oder nicht: Ihr Expertenblick prägt und beeinflusst Ihren Humor. Ihr Expertenhumor kann, soll und darf Sie beflügeln – gerade in einem Expertenteam und unter Gleichgesinnten ist er so ein starkes Bindeglied. Dass es einen internen Humor gibt, den ausschließlich der Fachbereich versteht, ist legitim. Ganz klar: Jedes Unternehmen hat seine Prozesse, über die in der jeweiligen Abteilung humorvoll gelacht wird. Das ist gemeinschaftsbildend, schweißt zusammen, eint die Teammitglieder. Doch haben Sie sich schon mal gefragt, wo und wann Ihr Humor zu sehr von Ihrer Expertise beeinflusst wird? In welchen Situationen machen Sie spezifischen Humor? Und haben Sie auch schon Mal erlebt, dass das Ihre Expertise oder schlichtweg auch den Umgang mit anderen Menschen behindert? Ich habe es oft genug erlebt: Wenn Mediziner, ITler oder Anwälte unter sich sind, wird da allerlei Humor betrieben. Als Nicht-Experte sitzt man dann dabei und wird mit seiner fachlich begrenzten Auffassungsgabe ignoriert. Die Experten spielen unter sich nur den eigenen Humor aus, der wird dem Externen aber nicht erklärt, keiner ist darum bemüht oder merkt es sogar, dass da einer außen vor bleibt oder sogar aktiv ausgegrenzt wird. In einem meiner letzten Seminare war das ein großes Thema, dass nämlich der Mitarbeiter im Marketing überhaupt nicht versteht, wenn der Kollege aus der IT einen Witz reißt – und dieser Moment weder der guten Stimmung, der Harmonie oder der Kollegialität noch der Identifikation im Unternehmen zuträglich ist, manchmal sogar im Gegenteil. Interner Humor kann sehr abgrenzend sein, er schließt andere sehr deutlich aus.

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Wenn ein Kunde beim IT-Service anruft und die Fachleute dort mit zotigen Antworten reagieren, die aus reinem Nerd-Humor bestehen und auf den Kunden eher abschätzig oder sogar subtil beleidigend wirken, ist das kaum hilfreich, eher gefährlich und sogar schädlich. Das gilt auch in anderen Branchen: Es kommt eben auch nicht so gut an, wenn den Humor nur ein Chefarzt versteht, nicht aber sein Patient, der möglicherweise gerade Angst hat oder sehr hilflos ist in seiner augenblicklichen Lage. Es kommt vor, dass echte Koryphäen in ihrem Beruf gleichzeitig humoristische Fachidioten sind. Dabei kann der Humor ein verbindendes Element sein, wenn der Wirtschaftsinformatiker mit seinem Vorstand im Aufzug steht oder wenn es der Personalerin endlich gelingt, mit dem Techniker zu sprechen. Dafür ist es notwendig, aus dem eingeschworenen Humor des Berufsstandes herauszutreten und eine andere Form von Humor anzuwenden. Gerade als Führungskraft sind Sie immer die Schnittstelle zu vielen verschiedenen Ebenen und sollten daher den massenkompatiblen Humor nicht aus den Augen verlieren. Ihre Aufgabe ist es auch zu bemerken, wenn interne Witze gerissen werden und jemand Fremdes dabei ist, den so etwas ausgrenzt. Sie müssen sich dessen bewusst sein und im Optimalfall dann wieder ausbalancieren – oder auch klare Ansagen im Team machen, welcher Humor nicht funktioniert und daher gegenüber Außenstehenden (zum Beispiel Kunden) völlig unangebracht ist. In jeder Branche gibt es auch gewisse Etikette-Regeln zu berücksichtigen: So ist es unangebracht, als Schulleitung einen Schüler bloßzustellen, als Oberarzt einen Patienten in Panik zu versetzen oder als Anwalt dem Mandanten das Gefühl zu geben, ihn nicht ernst zu nehmen.

3  Branchenspezifischer Humor     295

3.1 Wirtschaft mit Humor – ­TopManager im Spaßkombinat Stellen Sie sich vor: In einem unternehmerischen Organigramm ist das Lachen der Vorstandsvorsitzende und Humor der Top-Seller, also das Hauptprodukt. Der Vorstand des Unternehmens, nennen wir es mal Spaßkombinat, setzt sich außerdem zusammen aus kaufmännischer und wissenschaftlicher Leitung. Die kaufmännische Leitung ist der Perspektivwechsel, denn er zählt die nützlichen und effektiven Seiten von Humor, er summiert Lacher und achtet bekanntlich auf Bezahlung. Außerdem hat er den Vertrieb gut im Blick. Der Vertrieb wird von keinem geringerem als dem Humor-Profi geführt: Diese knochenharte Top-Position wird abwechselnd von Kabarettisten, Comedians, Humorexperten und Humor-Trainern besetzt. Dieser Job ist nichts für Weicheier, müssen doch zahlreiche Kunden davon überzeugt werden, dass Humor reproduzierbar und trainierbar ist. Für Forschung und Lehre dagegen ist der Sinn für Humor verantwortlich. Dort sind in der Führung Sozialer Humor und Aggressiver Humor aktuell die rechte und die linke Hand. Sie haben zahlreiche Mitarbeitende, die täglich ihr Leben für die Humorstile geben und zahlreiche neue Humormodelle entwickeln. Sie experimentieren mit Witzen, Geschichten und Komödien, versuchen sich hin und wieder auch an Tragikomödien, Gedichten und Artikeln. Die Bestellung und Geschäftsführung des Vorstandes werden durch den Aufsichtsrat überprüft. Dieser setzt sich zusammen aus Satire, Zote, Sarkasmus, Situationskomik und ermutigendem Humor. Dieses Potpourri verspricht eine lebensnahe und gute Mischung der täglichen Humordosis.

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Für dieses Sachbuch konnten wir eine Mitarbeiterin aus der Abteilung Forschung und Entwicklung bitten, uns einen aktuellen Überblick zur Humorforschung und Antworten auf die Frage „Was wissen wir wirklich (nicht) über Führung und Humor?“ zu liefern. Das ist nun allerdings kein Scherz. Es folgt ein Beitrag von Dr. Tabea Scheel, Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Europa-Universität Flensburg, mit der wir vom Deutschen Institut für Humor bei diversen Forschungsprojekten sehr begeistert und ernsthaft zusammenarbeiten. Sie zwingt uns immer wieder, unsere tägliche Humor-Expertise unter der Lupe der Forschung von vielen Seiten zu betrachten. Übersicht Ein aktueller Überblick über die Humorforschung von Prof. Dr. Tabea Scheel, Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Europa-Universität Flensburg. Was ist Führung mit Humor? Auch Führungskräfte haben Humor, die meisten zumindest, und damit einen erheblichen Einfluss auf das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ein schlechter Witz zur falschen Zeit oder das gemeinsame Lachen über Situationskomik – auch für den Humor der Führungskräfte gilt, dass dieser vielfältig daherkommt und verschiedenste Funktionen erfüllen kann. Kern des Humorbegriffes ist, dass Humor auf nicht ernsthafter, sozialer Inkongruität beruht (vgl. Gervais und Wilson 2005), also zwischen Menschen stattfindet, denen Unerwartetes passiert und die dieses amüsiert. Dazu gehört die Pointe eines Witzes genauso wie Missgeschicke. Grob gefasst kann man Humor im Arbeitskontext definieren als einen kommunikativen Prozess, der Inkongruenz (Überraschung) beinhaltet und eine Reihe von Emotionen auslösen kann, entweder in dem „Humorproduzierer“ (zum

3  Branchenspezifischer Humor     297 Beispiel dem Witzeerzähler) oder dem „Humorempfänger“ – im besten Fall in beiden (vgl. Scheel und Gockel 2017). Führungskräfte verfügen in der Regel über mehr Macht als ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter; sie können mehr Entscheidungen treffen und sind weisungsbefugt. Dies hat Implikationen für das „Humorverhältnis“, da Führungskräfte mit ihrem Humor einerseits ihre Rolle zementieren, ihr Ansehen mindern oder heben sowie die Einschätzung ihrer Sympathie und Effektivität beeinflussen (vgl. ­Mesmer-Magnus 2012). Andererseits ist durch die Hierarchie aber auch klar, wer eher Witze aller Art machen darf (die Führungskraft) und wer darüber lachen sollte (die Mitarbeiter). Somit ist der Humor einer Führungskraft nicht nur für das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit der einzelnen Mitarbeiter (beispielsweise im Hinblick auf Stress und Arbeitsleistung) wichtig, sondern auch für das Team (unter anderem in Bezug auf den Zusammenhalt). Es bestehen – vor allem im deutschen Kulturraum – einige Ressentiments gegen Humor im Arbeitskontext. Sprüche wie „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“ oder „Wer lacht, hat noch Kapazitäten“ zeugen von einer Inkompatibilität von Humor und ernsthafter, anerkennenswerter Arbeitsleistung. Die Forschung spricht allerdings für eine differenziertere Perspektive: Während es durchaus einige spezifische Situationen gibt, bei denen humorlose Führungskräfte effektiver sind und Humorlosigkeit auch den berechtigten Erwartungen ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entspricht (zum Beispiel in unübersichtlichen/ chaotischen Einsatzphasen bei der Feuerwehr, vgl. Rosing 2019), zeigt das Gros der Forschung eher die Vorteile von Führungskräftehumor. Vorausgesetzt, es ist „der richtige“ Humor. Was sind nun also die Vorteile von Humor in der Führungsarbeit? Humor kann als soziales Schmier- oder Scheuermittel wirken (vgl. Martineau 1972, Janes und Olson 2015), so auch im Arbeitskontext. In der Führungsarbeit kann man sich zunutze machen, a) dass man mit Humor Aufmerksamkeit erzeugen kann und nahbarer wirkt, b) dass Humor emotional ansteckend ist und damit den Zusammenhalt fördert,

298     E. Ullmann c) dass man Status und Macht demonstrieren kann, d) dass man mit Humor bessere Verhandlungsergebnisse erzielen und Konflikte lösen kann, weil dadurch beide Seiten eher ihr Gesicht wahren können (vgl. Holmes und Marra 2006, Romero und Cruthirds 2006). e) und dass Humor hilfreich sein kann, für die Verhaltenslenkung von beispielsweise neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, wenn man die Normen und Gepflogenheiten eher „spielerisch“ vermittelt als mit hochgezogenen Augenbrauen. Neben den „zwischenmenschlichen“ Funktionen kann Humor individuell zu Perspektivwechsel und Distanz zu Problemen führen. Das macht Humor zu einem wichtigen Mittel bei der Bewältigung von Alltagsanforderungen, aber auch traumatischen Arbeitserlebnissen (vgl. Sliter 2014). Und was heißt nun „richtiger“ Humor? Die Wirkungen des Humors – auch bei Führungskräften – hängt neben der konkreten Situation auch von der Art ab. Generell als der „richtige“ Humor gilt der sogenannte positive Humor, also der Selbstaufwertende und der Soziale Humorstil. Dazu gehört, über eigene Schwächen und Missgeschicke lachen zu können, statt sich selbst zu zermürben, sowie Humor, der geteilt wird, aber auf niemandes Kosten geht – sich lustige Anekdoten erzählen, sich gemeinsam amüsieren. Potenziell „riskant“ sind die negativen Humorstile: beim Selbstabwertenden Stil macht man sich häufig über sich selbst lustig, um gemocht zu werden. Dies verringert zwar Statusunterschiede, kann dem eigenen Ansehen als Führungskraft aber schaden und ist beispielsweise verbunden mit geringem Selbstwertgefühl. Der Aggressive Humorstil, der schon von Plato, Aristoteles und Hobbes beschrieben wurde, zielt auf das Gefühl von Überlegenheit durch Herabsetzung anderer ab. Das heißt, beim Aggressiven Humor amüsiert man sich auf Kosten anderer und erlebt Freude an deren Scheitern. So verringert der Soziale Humor die „soziale Distanz“ und fördert dadurch Interaktionen, während der Aggressive Humor die soziale Distanz erhöht und dadurch Interaktionen vermindert. Diskutiert wird allerdings in der Forschung, ob der sogenannte mild-aggressive Humor durchaus günstig sein kann, z. B.

3  Branchenspezifischer Humor     299 um Kritik gesichtswahrend zu verpacken. Wichtig ist hier, auf veränderbare Verhaltensweisen und nicht auf die Person zu zielen (vgl. Martin 2003, Gockel und Vetter 2017, Romero und Cruthirds 2006). Die Arten von Humor der Führungskraft haben Konsequenzen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: In einer gemeinsamen Auswertung von 49 Studien (Meta-Analyse von Mesmer-Magnus 2012) ergaben die ­ Einschätzungen von Mitarbeitern, dass höherer positiver Humor von Führungskräften mit mehr Leistung, Arbeitszufriedenheit, Gruppenzusammenhalt und weniger Rückzugsverhalten der Mitarbeiter einhergeht. Aggressiver Humor der Führungskraft hängt dagegen mit mehr physischem und psychischem Stress des Personals zusammen (vgl. Kim 2016). Generell lässt sich sagen, dass die Zusammenhänge des Humors von Führungskräften mit sozio-emotionalen Einstellungen der Mitarbeiter stärker sind als mit deren Leistung. Neben den einzelnen Stilen kommt es aber offenbar auch auf deren Zusammenspiel an. Aus der Einschätzung der vier Humorstile von Führungskräften durch deren Mitarbeiter ließen sich drei Cluster von „Manager-Humor“ bilden, mit je eigenen Konsequenzen (vgl. Evans und Warren 2015): Im ersten Cluster waren alle vier Humorstile hoch, im zweiten Cluster nur die positiven hoch und die negativen niedrig, und im dritten Cluster nur der aggressive Humorstil hoch, die anderen niedrig. Während für letzteres Cluster der Stress der Mitarbeiter hoch und die Kommunikation, Kreativität, Führungsstärke und Arbeitszufriedenheit niedrig waren, waren für die ersten beiden Cluster umgedreht der Stress niedrig und die anderen Faktoren höher. Das Fazit dieser Studie: Vor allem positiver Humor ist wichtig und unerlässlich und Aggressiver Humor sollte als alleiniger Stil auf jeden Fall vermieden werden. Die Art und Weise, wie sie Humor im Arbeitsalltag anwenden, bedingt auch, wie Führungskräfte wahrgenommen werden. Wenn Führungskräfte einen guten Sinn für Humor zeigen (also eine humorvolle Persönlichkeit haben, vgl. Ruch 1998), werden ihnen eine Reihe von positiven Eigenschaften und Verhaltensweisen zugeschrieben. Sie werden als effektiver und intelligenter wahrgenommen, als freundlicher eingeschätzt und ihr Verhalten als passender empfunden, als wenn sie keinen Sinn für Humor zeigen. Höherer Selbstaufwertender Humor

300     E. Ullmann von Führungskräften wird mit mehr innovativem Verhalten und Effektivität der Führungskräfte in Zusammenhang gebracht. Je höher die positiven Humorstile einer Führungskraft, desto sympathischer und ansprechbarer wird sie von ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eingeschätzt, und desto mehr Zustimmung geben diese für die Führungskraft an. Der negative Humor wird mit weniger gutem Verhalten von Führungskräften assoziiert. So wird in einer Studie der Aggressive Humor mit weniger innovativem Verhalten und Effektivität der Führungskräfte in Zusammenhang gebracht. Die Befunde für negative Humorstile sind üblicherweise aber weniger eindeutig: So wurde der Selbstabwertende Humor von Führungskräften auch schon mit einer höheren Einschätzung (seitens des Personals) von individueller Berücksichtigung (einer Dimension von transformationaler Führung) in Zusammenhang gebracht (vgl. Ho 2011; Mesmer-Magnus 2012; Hoption 2013). Generell ist anzumerken, dass die Humorforschung im Arbeitskontext (beispielsweise in der Arbeits- und Organisationspsychologie) noch in den Kinderschuhen steckt. Viele Studien basieren auf anonymen Befragungen zu einem Zeitpunkt, d. h. auch kausale Aussagen sind nur schwer zu treffen. Beispielsweise ist es genauso möglich, dass einer Führungskraft der positive Humor vergeht, wenn schlechter Zusammenhalt im Team herrscht oder das Personal aufgrund von Stress beeinträchtigt ist. Auf welche Faktoren muss man noch achten, wenn man als Führungskraft Humor anwendet? Neben der Art des Humors sind die Zusammenhänge und Auswirkungen des Humors von Führungskräften auch von deren Führungsstil, der Art der Aufgabe und vor allem der Beziehung zwischen Mitarbeiter und Führungskraft abhängig. Während der transformationale Führungsstil durch intellektuelle Stimulation, Visionen und individuelle Berücksichtigung charakterisiert ist, ist kontingente Führung eher austauschund zweckorientiert. Transformationale Führung hängt mit besserer Abteilungsleistung, mehr Vertrauen und affektivem Commitment (emotionaler Verbundenheit mit der Organisation) des Personals zusammen – und dies umso mehr, je höher

3  Branchenspezifischer Humor     301 angegeben wurde, dass die Führungskraft Humor nutzt. Für kontingente Führung lassen sich diese Effekte nicht zeigen, eher im Gegenteil: mehr Humor der Führungskräfte geht bei kontingenter Führung mit schlechterer Abteilungsleistung einher und mit schlechterer Leistung von Lehrerinnen und Lehrern. Zudem gibt es Hinweise, dass die Art der Arbeitsaufgabe eine Rolle spielt: Auch über einen visionären (transformationalen) Führungsstil und eine gute Beziehung zwischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und ihre Führungskraft hinaus kann der positive Humor der Führungskraft zu mehr innovativem Verhalten führen – vorausgesetzt, die Arbeitsaufgabe erfordert überhaupt Kreativität (vgl. Avolio 1999; Hughes und Avey 2009; Vecchio 2009; Pundt 2015). Humor beeinflusst die Qualität der Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeitern (auch LMX, also Leader-Member-Exchange genannt), und die Wirkung ­ des Humors hängt wiederum von der Beziehung ab. Hat eine Führungskraft positiven Humor, ist auch eher die Beziehung von Führungskraft und Personal besser. Studien sprechen dafür, dass Identifikation mit der Führungskraft oder Zufriedenheit mit der Führungskraft hier Gründe sind: Der Soziale Humor führt zu einer Identifikation mit der Führungskraft, und dies dann zu einer als besser eingeschätzten Beziehung. Je höher der positive Humorstil, desto höher war die Zufriedenheit mit der Führungskraft – und dies wiederum hängt mit höherer Leistung (360-GradFeedback) zusammen. Der negative Humorstil von Führungskräften hängt hingehen mit weniger Zufriedenheit mit diesen zusammen – und dadurch mit geringerer Leistung. Bei Aggressivem Humor der Führungskraft war die Beziehung – unabhängig von der Identifikation – eher schlechter (vgl. Cooper 2004; Gkorezis 2014; Pundt und Hermann 2015; de Souza 2019). Doch ganz so einfach ist es nicht: Es gibt widersprüchliche Befunde, die zeigen, dass der Humorstil von Führungskräften gar nicht mit der Beziehung (LMX) zusammenhängt, es sei denn, beide – Führungskraft und Mitarbeiter – haben eher Selbstabwertenden Humor (vgl. Wisse und Rietzschel 2014). Eine andere Studie (vgl. Robert 2016) legt einen anderen Schluss nahe: Wenn die Beziehung (LMX) gut ist, ist die Art des Humors egal. Bei guter Beziehung geben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr Arbeitszufriedenheit an, sowohl bei

302     E. Ullmann Sozialem als auch bei Aggressivem Humor der Führungskraft. Wenn die Beziehung als schlecht eingeschätzt wird, ist die Arbeitszufriedenheit bei Sozialem sowie bei Aggressivem Humor niedriger. Guter Humor allein gleicht keine zerrüttete Beziehung aus, aber bei guten Beziehungen kann Humor unterstützen. Dazu passt auch, dass die Dauer der Beziehung eine Rolle zu spielen scheint: Je länger die Arbeitsbeziehung zwischen Personal und Führungskraft schon dauert, desto mehr hängt der positive Humor der Führungskraft mit höherer Arbeitszufriedenheit des Personals zusammen. Vor allem bei Personal, das kürzer im Unternehmen ist, hängt positiver Humor der Führungskraft mit höherer Handlungsfähigkeit zusammen (vgl. Gkorezis 2011) – mitunter, weil dies als Signal der Zustimmung wahrgenommen wird. Der negative Humor der Führungskraft hingegen hängt mit weniger Handlungsfähigkeit zusammenhängt – vor allem je länger das Personal ihm schon ausgesetzt ist. Auf Dauer scheint negativer Humor also zermürbend. Zusätzlich gibt es auch Hinweise, dass die Wirkung des Humors abhängig ist von persönlichen Faktoren des Personals. Vom Humor der Führungskraft zu profitieren, scheinen vor allem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit einem niedrigen Bedürfnis nach sozialer Struktur (vgl. Pundt und Venz 2017) – für sie ist der Humor der Führungskraft mit ausschlaggebend für die Beziehungsqualität (LMX). Wenn Menschen allerdings ein hohes Bedürfnis nach Struktur haben, also die soziale Umwelt gern übersichtlich, mit klaren Regeln und ohne Mehrdeutigkeiten haben, ist Humor für die Beziehungsqualität zur Führungskraft nicht hilfreich. Dies gilt es zu berücksichtigen, da eine gute Beziehungsqualität beispielsweise mit höherer Verbundenheit des Personals mit der Organisation (Commitment) zusammenhängt. Gibt es spezifische Nachteile von Humor für Führungskräfte? Wie bereits angesprochen, kann Humor nachteilig sein, weil er immer mit Mehrdeutigkeit einhergeht. Diese kann ungewollt Missverständnisse auslösen, zum Beispiel bei neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die die Gutwilligkeit des Humors noch nicht einschätzen können oder den Humor vielleicht gar nicht als solchen erkennen. In potenziell lebensgefährlichen Situationen können durch

3  Branchenspezifischer Humor     303 Humor erzeugte Missverständnisse oder Irritationen auch durchaus letal sein. Es gibt aber noch weitere „Nachteile“ von Humor bei Führungskräften – selbst wenn der Humor positiv ist. Je nachdem, ob die eigene Position „sicher“ ist und ob man als Führungsperson respektiert und anerkannt ist, kann Humor die Glaubwürdigkeit gefährden. Da gerade Frauen in Führungspositionen weniger vertreten sind, meist mehr leisten müssen und weniger anerkannt sind, bedeutet dies, dass die Wirkung von Humor hier geschlechtsabhängig sein kann. In einer Studie initiierten weibliche Führungskräfte mehr Humor in Meetings als männliche (vgl. Holmes 2003), dies könnte aber am Zweck des Humors liegen. Es gibt Hinweise, dass Frauen Humor eher für solidarische Zwecke einsetzen und Männer eher für ihre persönliche Identität und ihren Status. Damit geht einher, dass Männer über viele Studien und Kulturen hinweg höhere (Selbst-) Einschätzungen in allen vier Humorstilen haben, insbesondere aber im Aggressiven Humor (vgl. Martin 2003). Generell gelten Männer eher als Humor-Produzenten und Frauen als Humor-Konsumentinnen. Diese Sozialisation spiegelt sich auch in den Erwartungen an das Geschlechterverhalten im Arbeitskontext wider. Hier gilt der unterstützende, gemeinschaftliche Humor eher als weiblich, und der wettkämpfende, herausfordernde als männlich. Für weibliche Führungskräfte entsteht daraus eine Gratwanderung, da männlicher Humor zwar als Führungskräfteverhalten, aber nicht vom weiblichen Geschlecht erwartet wird (vgl. Schnurr 2008). In einer anderen Studie zeigten weibliche Führungskräfte geringeren positiven Humor als ihre männlichen Kollegen, wurden aber in Beziehungsverhalten und Effektivität höher bewertet als Männer (vgl. Decker und Rotondo 2001). Umgekehrt wurde der negative Humor der männlichen Führungskräfte als höher eingeschätzt als der der weiblichen Führungskräfte; die Männer wurden aber hier wiederum besser in Beziehungsverhalten und Effektivität eingeschätzt als Frauen. Hier spiegeln sich die unterschiedlichen Erwartungen an das geschlechtskonforme Verhalten wider. In der Tat gibt es Hinweise, dass Frauen für die gleiche Art des Humors bestraft werden, während ihre männlichen Kollegen profitieren: In einer experimentellen Studie präsentierten auf Videoaufnahmen je eine weibliche und eine männliche Führungskraft Quartalszahlen in

304     E. Ullmann einem Meeting – einmal mit und einmal ohne Humor (vgl. Evans 2019). Die Präsentationen und der Humor unterschieden sich nicht zwischen Frau und Mann, wohl aber deren Wahrnehmung: Der Humor des Mannes wurde als funktional, der der Frau als störend eingeschätzt. Zudem wurden Männer mit Humor als höher im Status und folglich auch besser in der Arbeitsleistung und in Führungsqualitäten eingeschätzt als Männer ohne Humor. So weit, so gut. Aber für die weiblichen Führungskräfte war es umgekehrt: In der Bedingung mit Humor wurden sie als geringer im Status und dadurch als geringer in Arbeitsleistung und Führungsqualität eingeschätzt, als wenn sie ohne Humor präsentierten. Diese aktuellen Ergebnisse unterstreichen nochmal, wie Geschlechterstereotype auch die Wahrnehmung von Führungskräften verzerren. Ist die Kombination von Frauen und Humor in Führungspositionen also ein schlechter Witz? Sicher erfordert es einige gesamtgesellschaftliche Umdenkprozesse, Frauen die gleichen Fähigkeiten und Rechte zuzusprechen wie Männern. Je mehr Frauen – und auch ihr Humor – in Führungspositionen vertreten sind, desto wahrscheinlicher wird dieses Ziel. Wenn man so viel bedenken muss, sollte man als Führungskraft dann eigentlich Humor anwenden? Da, wo Menschen sind, ist auch Humor – insofern kann man auch als Führungskraft Humor nicht vermeiden, weder den eigenen, den unfreiwilligen, noch den des Personals. Daher empfiehlt sich – statt ängstlicher Vermeidung – eher Aufmerksamkeit für den eigenen Humor und seine Wirkungen oder gar das Einholen eines Humor-Feedbacks von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

An dieser Stelle danke ich unserer Humorforscherin Tabea Scheel, die wie ich den Humor sehr ernst nimmt und immer wieder neue Erkenntnisse für Führungskräfte in der Arbeits- und Organisationspsychologie sammelt. Dieser Einblick in die Humorforschung führt mich nun noch einmal zum Spaßkombinat, dem beispielhaften Unternehmen, in dessen Organigramm der Humor seinen

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festen Platz hat. Humor kann man nicht unterdrücken. Darf die Forschungsabteilung Sinn für Humor auch in Ihrem Unternehmen zulassen? Oder hält man ihn in der Chefetage für unproduktiv? Mein Fazit: • Humor bleibt ein wesentlicher Teil jeder Unternehmenskultur und ist eine menschliche Komponente, die man unterdrücken und verbieten oder als soziales Schmiermittel im Unternehmen betrachten kann, das sehr nützlich ist. • Ob Humor arbeitsförderlich ist oder blockiert wird, dafür ist der CEO maßgeblich verantwortlich. • An vielen Stellen im Betrieb lässt sich Humor anwenden, an vielen muss er moderiert werden, um einzelne Mitarbeiter, das Team oder auch Kunden und Geschäftspartner zu schützen, in mancher Situation lässt er sich verstärken. • Je mehr eine Führungskraft über Humor weiß, umso besser kann sie ihn einsetzen, moderieren und nutzen. • Es geht nicht darum, dass alle Schritte in der Führung Spaß machen müssen. Es ist bekannt, dass Führung anstrengend und schwierig ist – und Ziel ist es nicht, mithilfe von Humor zu belustigen, sondern dabei Unterstützung zu schaffen. • Vielmehr ist Humor als Führungsinstrument zu begreifen, das Leichtigkeit und Perspektivwechsel bringen kann. • Für alle auf dem Advanced Level: Eine Führungskraft muss in Sachen Humor nicht aktiv etwas tun, es genügt, die humorvolle Grundhaltung erst einmal zuzulassen und nicht ständig zu untersagen. • Führungskräfte schauen sich in ihrer Persönlichkeitsentwicklung so viele Instrumente an – warum nicht auch mal den Humor?

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• Eine Führungskraft darf ihre Bedenken ablegen, dass der eigene Humor unpassend ist oder schlecht ankommt. Wie bei allem geht es um den passenden Stil und um die richtige Dosis. • Kein Humor ist auch keine Lösung.

3.2 Bildung mit Humor – Ich bin doch nicht der Pausenclown „Wahrscheinlich gibt es nicht viele Berufe, an die die Gesellschaft so widersprüchliche Ansprüche stellt: Gerecht soll er sein, der Lehrer, und zugleich menschlich und nachsichtig, straff soll er führen, doch taktvoll auf jedes Kind eingehen, Begabungen wecken, pädagogische Defizite ausgleichen, Suchtprophylaxe und ­Aids-Aufklärung betreiben, auf jeden Fall den Lehrplan einhalten, wobei hochbegabte Schüler gleichermaßen zu berücksichtigen sind wie begriffsstutzige. Mit einem Wort: Der Lehrer hat die Aufgabe, eine Wandergruppe mit Spitzensportlern und Behinderten bei Nebel durch unwegsames Gelände in nordsüdlicher Richtung zu führen, und zwar so, dass alle bei bester Laune und möglichst gleichzeitig an drei verschiedenen Zielorten ankommen.“ So hat es Prof. Dr. Wolf Müller-Limmroth (vgl. Müller-Limmroth 1988) einmal beschrieben. Für die Verantwortlichen im Schulwesen und in der Lehre, in Bildungseinrichtungen und in Ministerien, an Universität, Hochschule und in privaten Lernorganisationen stellt sich die Aufgabenstellung also durchaus als echte Herausforderung dar. Zugegeben: Ihre Rolle als Führungskraft, als Schuloder Institutsleitung ist keine einfache. In manchen Fällen sind Sie selbst noch als Lehrkraft tätig und haben zeitgleich den Führungshut auf – was bedeutet, dass Sie sich

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intensiv um Ihre Lehrkräfte, Ihre Schüler und deren Eltern sowie um Ihr Kollegium kümmern müssen. Eventuell sind Sie im Bildungsministerium mit der Konzeption von Schule und Hochschule beschäftigt oder Sie sind Professorin an einer Universität. In Sachen Personalführung agieren Sie in einem völlig anderen Rahmen als beispielsweise ein wirtschaftliches Unternehmen, daher ist es Ihnen nicht möglich, Personal – konkret gesagt: die Low-Performer, die Leistungsverweigerer – einfach mal so zu entlassen. Vielleicht leiten Sie neben Ihrer Lehrtätigkeit ein Dekanat und haben an manchen Tagen das Gefühl, dass nicht Studierende die einzige Herausforderung sind, sondern dass sich die Dozenten wie im Kindergarten benehmen. Sie haben zahlreiche Verwaltungsfunktionen und sollen Dozent und Manager in einer Person sein. Dabei können Sie nicht immer auf gewisse Befugnisse zurückgreifen, obwohl Sie beispielsweise einen Mitarbeiter nach seiner Qualität bemessen und beurteilen, können Sie ihn nicht entsprechend mehr belohnen oder befördern, wie es sonst jeder Mittelständler könnte. Wenn wir mal ehrlich sind: Die meisten Führungskräfte in Bildungseinrichtungen kommen aus der Lehrerexpertise oder zumindest der pädagogischen Expertise, kennen sich aber weder mit einer Leitungsexpertise noch mit Führung an sich aus. Ohne Ausbildung in Sachen Führung, ohne wesentliche Grundlagen wird das Amt gerne mal zum Desaster. Ein guter Lehrer ist noch lange kein guter Schulleiter. Eine gute Kindergärtnerin ist eben nicht automatisch eine gute Kitaleitung. Und eine Sozialpädagogin, die in ihrer therapeutischen Arbeit Klienten exzellent begleitet, führt nicht automatisch eine soziale Institution mit allen wirtschaftlichen Anforderungen auf die beste Weise. Hinzu kommen auch noch Kollegen, deren Ansprüche und Leistungsbereitschaft von gut bis miserabel reichen, manche sind fit in dem, was sie tun,

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andere gar nicht. An Sie als Führungskraft werden nun nicht nur die Wünsche von Kindern, Eltern und Mitarbeitern herangetragen, Sie sind auch noch zuständig für regelmäßige Dienstbesprechungen, Ansagen und Unterweisungen – das alles aber ohne echte Handhabe. Nicht einmal bei der Bewerberauswahl haben Sie Handlungskompetenz, schließlich wird Ihnen das Personal von den übergeordneten Landesbehörden zugeteilt. Zumindest, wenn Sie in einer Schule tätig sind. An Universitäten gibt es ein Auswahlverfahren, dass auch nicht zwingend der Handhabe von Wirtschaftsunternehmen entspricht. Gehören Sie auch zu den Schulleitern, zu den Verantwortlichen und Führungskräften, also den Machern und Entscheidern von Bildungseinrichtungen, -institutionen und -trägern (ganz gleich, wo in unserem hiesigen Bildungssystem angesiedelt), die denken, dass Schule und das Lernen – im weitesten Sinne – nichts mit Unterhaltung zu tun hat, schon gar nicht zum Spaß gedacht ist und so etwas wie Humor an Ihrer Seriosität und Glaubwürdigkeit kratzen könnte? Diesen Standpunkt erlebe ich immer wieder, nicht nur bei Lehrern, sondern auch in der Führungsetage des Bildungssystems. Dabei verhält es sich mit dem Humor im Bildungswesen völlig anders – vorausgesetzt, Sie kennen sich damit aus, was Sie wann und wie gut anwenden können und was Sie besser unterlassen sollten. Das gilt nicht nur im Umgang mit den jüngeren Generationen, sondern erst recht in Ihrer Rolle als Führungskraft. Humor kann jedoch gezielt und geschickt im Unterricht und der Lehre an Universitäten eingesetzt werden, ohne dass Sie zum Comedian oder Ihre Bildungseinrichtung zur Spaßveranstaltung abgleitet. Mal angenommen, im Studiengang Lehramt oder Erziehungswissenschaften gäbe es einen ganz neuen Kurs, in dem das Unterrichtsfach Humor gelehrt, vermittelt

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und trainiert würde. Was würden Sie da lernen? Wie könnte es Ihnen gelingen, den Einsatz von Humor so zu gestalten, dass er massenkompatibler ist, berechenbarer und vor allem ungefährlicher wird? Wie benutzen Sie Humor, um Ihr Kollegium zu managen und was sollten Sie dafür im Vorfeld wissen? Kann Humor hilfreich sein, um den Spagat zwischen Führungsebene und Unterricht hinzubekommen? Und was hat er dort zu suchen, wo Sie Rücksprache mit Eltern halten oder sich innerhalb von Ministeriumsstrukturen bewegen müssen? Unterrichtsfach Humor: Schauen wir doch einmal gemeinsam auf Ihren Stundenplan – übrigens völlig unabhängig davon, ob Sie nun ganz klassisch in der Schule sitzen, sich im Hörsaal eingefunden oder einen Kurs an der Volkshochschule gebucht haben: a) Sinn für Humor b) Humor als Lernbeschleuniger c) Humor zur Reduzierung von Störungen In diesen drei Schritten werden Sie sich in diesem Semester mit Humor befassen. Sie werden erkennen, dass jeder Mensch Sinn für Humor hat. Das gilt auch für jene Zeitgenossen, die eben mehr Zoten erzählen als andere, und hat nichts damit zu tun, ob man sich selbst für komisch hält oder auch nicht. Sie werden sogenannte Inkongruenzen kennenlernen und erfahren, warum man mit Humor das Lernen vertiefen kann. Und Sie werden etwas an die Hand bekommen, mit dem Sie die Aufmerksamkeit fesseln und gleichzeitig Störungen minimieren können – beides liegt sehr im Fokus von Lehrkräften, Pädagogen und Dozenten und kann ein echter Schmerzpunkt auch bei Führungskräften im Bildungssystem sein.

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a) Sinn für Humor Eine Dreijährige im Flugzeug denkt, der Flugbegleiter sei der Pilot, und ruft ihm laut zu: „Ich bin angeschnallt, Pilot!“ Für Erwachsene ist das amüsant, die Dreijährige meint das jedoch total ernst. Sie glaubt, der Steward sei der Pilot. Für den Alltag im Bildungswesen ist es hilfreich, Kindermund von Kinderhumor zu unterscheiden. Kindermund ist für Erwachsene amüsant, von Kindern jedoch sehr ernst gemeintes Verhalten ohne Humorabsicht. Eine Fünfjährige formuliert: „Meine Träume waren zu Ende. Deshalb bin ich aufgewacht.“ Was das Kind ernst meint, amüsiert die Eltern. „Warum versteckt man an Ostern Eier?“, fragt ein Mädchen. Antwortet die Mutter: „Damit man was zu tun hat, vielleicht.“ Sagt das Kind: „Und nicht nur rumsitzt und sich freut, dass Jesus wieder da ist?“ Kinderhumor sind Dinge, Beobachtungen, Handlungen, die Kinder wirklich auch selbst lustig finden bzw. mit Absicht falsch interpretieren: Der Vierjährige sitzt im Auto, macht Schnarchgeräusche mit offenen Augen und grinst seinen Papa an: „Meine Beine sind eingeschlafen. Hörst du das?“ Beide lachen. Kinder produzieren Humor vom Kleinstkindesalter an, weil sie merken, dass sie Aufmerksamkeit von Erwachsenen dafür bekommen. Der Humor hängt von der kognitiven Entwicklung des Kindes ab. Der Mediziner und Humorforscher Paul McGhee (vgl. McGhee 2013) geht davon aus, dass Kinder mit etwa 1,5 Jahren einen Sinn für Humor entwickeln. Wenn man ihnen Tätigkeiten vormacht, die sie gerne imitieren, wiederholen bereits Kinder in diesem Alter absichtlich falsche Handlungen, um erneutes Gelächter hervorzurufen. Sinn für Humor laut Humorforschung bedeutet erstens die Bereitschaft etwas amüsant zu finden, was jemand vormacht, und zweitens selbst in der Lage zu sein, komische Handlungen durchzuführen, über die andere Menschen lachen können.

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Anhand der lachenden Erwachsenen merken die Kinder immer mehr, dass sie etwas Lustiges gemacht haben. Sie nutzen es, Dinge mit Absicht falsch zu benennen und Begriffe wörtlich zu nehmen. Nach dem ersten Lächeln, Grimassen ziehen und den ersten Wortverdrehungen kommt die „Pipi-Kacka-Phase“, Kinder lieben in dieser Zeit verbotene Begriffe und Witze über alle Körpergeräusche. Die meisten von uns kommen aus dieser Phase glücklicherweise wieder raus. Die Humorentwicklung mit etwa sechs bis acht Jahren erweitert sich um ein erstes Gefühl für Timing und Pointe. In der ersten Klasse können Kinder nicht wie Erwachsene ihren Humor reflektieren und feststellen, dass er ihnen guttut – sie machen einfach unglaublich gerne alle Formen von Quatsch. • Ein Sechsjähriger sitzt mit seinem dreijährigen Bruder in der Wanne. Sie haben Plastebecher in der Hand, die sie mit Wasser füllen. Sie prosten sich zu und man denkt, gleich trinken sie das Wasser. Stattdessen gießen sie es sich mit viel Spaß über den Kopf. Eine erwartete Handlung wird mit überraschendem Ende ausgeführt. • Ein Siebenjähriger spielt mit seinem Vater. Die beiden kommen in einen imaginären Steinregen. „Aah, ich bin von einem Stein getroffen“, ruft der Vater. „Du bist aber nicht tot!“, sagt der Sohn. „Aber verletzt“, wälzt sich der Vater auf dem Boden. „Ja, aber das ist ein Pflasterstein. Da ist ein Pflaster drin, das kannst du drauf machen“, grinst der Sohn schelmisch. Beide kugeln sich auf dem Boden vor Lachen. Im Alter von fünf bis sieben Jahren fangen Kinder dann an, Witze zu erzählen. Oft sind Fritzchen-Witze oder Rätsel sehr beliebt. In diesem Alter merken Kinder auch, dass man mit anderen Kindern humorvoll sein kann. Es

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wird zusammen herumgealbert und Kinder sind Experten im Quatsch machen. Die Mutter kommt zum Kind ins Zimmer und ruft aus: „Na, dein Zimmer ist ja toll aufgeräumt!“ Dabei sieht es aus wie im Schweinestall. Erst in einem Alter von acht bis zehn Jahren entwickeln Kinder ein Gefühl für Ironie. Das macht es auch mit dem Humoreinsatz von Lehrkräften bei Schulanfängern nicht so einfach: In den Klassenstufen unterhalb der dritten Klasse muss man als Lehrkraft sehr eindeutig sein und deutlich machen, wenn man gerade ironisch ist. Übertreibung kann man sehr zeitig einsetzen, Ironie sollte man vorsichtig und sicherheitshalber liebevoll dosieren. Humorvolle Perspektivwechsel sind ein großartiges Geschenk der Kindheit. Wenn Kinder zu Erwachsenen werden, geht ihnen der Humor manchmal verloren oder wird verschütt. Dann sind in unseren Seminaren wieder Ausgrabungsarbeiten notwendig. Wenn wir unseren Kindern daher das Geschenk machen, Perspektivwechsel und Lachen im Leben zu erhalten und zu nutzen, um Widrigkeiten des Lebens mit heiterer Gelassenheit zu begegnen, dann wird Humor zum hilfreichen Begleiter. Werner Wicki hat eine nützliche Zusammenfassung zum Forschungsstand von Humor bei Kindern erstellt (vgl. Wicki 2000). Kurzum: Jeder Mensch hat Humor. Kinder und Erwachsene. Und doch lacht man so unterschiedlich. Für Lehrkräfte ist es überlebensnotwendig, die Humorentwicklung von Kindern zu kennen. Gerade im Schulkontext ist Humor ein wertvolles Tool – nicht nur für das Kollegium, sondern erst recht für die Schulleitung. b) Humor als Lernbeschleuniger Mit Spaß gegen den Ernst des Lebens – wie soll das bitte funktionieren? Ob das Englisch-Bingo, die Talk-

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show, eine Romeo-Szene im Mathe-Unterricht oder die Robin-Hood-Theaterszene im Englisch-Unterricht: Lehr­ kräfte können Sozialen Humor, also humorvolle Methoden nutzen. Möglichkeiten gibt es viele. Hier einige Beispiele für humorvoll gestaltete Lerninhalte: • Der Künstler „dor fuchs“ (www.dorfuchs.de) ist ein sächsischer Mathestudent, der Sozialen Humor nutzt, um für Abwechslung beim Lernen zu sorgen (vgl. DorFuchs 2013 und 2016). Er schreibt und vertont zu verschiedenen Grundsätzen und Gesetzen der Mathematik Rap-Songs. Schülerinnen und Schüler haben mit seiner Hilfe bereits häufig ein besseres Verständnis für Mathe entwickelt. • Eine der wichtigsten (und einfachsten) Grundlagen des Humors ist die Inkongruenz, also wenn etwas nicht zusammenpasst. Wenn wir überrascht sind, wenn etwas Unerwartetes geschieht, dann lachen wir und schenken dem Lehrenden sofort Aufmerksamkeit. Dieses einfache Prinzip können Sie sich zunutze machen. Bauen Sie ungewöhnliche Kombinationen und merkwürdige Bilder in Ihren Unterricht ein. So können Sie beispielsweise ein gleichschenkliges Dreieck mit einem Frosch vergleichen, dessen Schenkel gleich lang sind. Der Chemielehrer Andreas Dickhäuser hat beispielsweise Comics entworfen, in denen chemische Elemente als Comicfiguren auftreten, z. B. die Heavy Non-Metals (vgl. Seidler o.J., Ullmann und Seidler 2016, Universität Duisburg Essen o.J.) • Warum will James Bond seinen Wodka eigentlich geschüttelt und nicht gerührt? Ein Wodka Martini besteht aus großen und kleinen Teilchen. Die Geschmacksmoleküle sind die großen Teilchen. Die Alkoholmoleküle sind die kleinen Teile – Ethanol ist ein relativ kompaktes Molekül. Wenn man ein Gemisch

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aus großen und kleinen Teilchen schüttelt, sorgt der sogenannte Paranuss-Effekt dafür, dass die großen Teilchen an die Oberfläche gehen. Die finden nämlich keine Lücken, um nach unten zu gehen. Die kleinen Teilchen dagegen fallen immer nach unten. James Bond schüttelt sich also den Geschmack an die Oberfläche, weil er ein Genießer ist. Und weil er immer in Eile ist, kann er auch immer nur einen Schluck trinken; er muss ja gleich wieder weiter. Erklärungen mit Augenzwinkern – damit hat Metin Tolan viel Erfolg in seinen Vorlesungen. Er lehrt experimentelle Physik an der TU Dortmund und ist Gewinner des Communicator-Preises 2013. Um die komplexen und komplizierten physikalischen Gesetze anschaulich zu erklären, bemüht er Star Trek, James Bond und Dick und Doof (vgl. Stifterverband 2013). Mit ungewöhnlichen Kombinationen erregt er die Aufmerksamkeit der Schüler, aber auch seiner erwachsenen Zuhörer, und die Inhalte bleiben auch länger im Gedächtnis haften, wie Studien ergeben haben. Lernprozesse sind komplexe Prozesse. Humor kann dabei ein erfrischender Perspektivwechsel sein. Schülerinnen und Schüler merken sich Unterrichtsstoff nachweislich länger, wenn er humorvoll verpackt ist. Die Aufmerksamkeit bleibt auch nach der Mittagspause durch Humor erhalten und angespannte Momente können entspannt werden. Humor hat also gleich mehrere Vorteile. Tabea Scheel und Mario Sconka haben im November 2011 eine Studie über Humor im Klassenzimmer veröffentlicht (vgl. Scheel und Sconka 2011). Insgesamt untersuchten sie Humor in 16 Klassen von sieben Schulen (eine Mittelschule, sechs Gymnasien) in Sachsen. Daten von 15 Klassenleiterinnen und Klassenleitern sowie insgesamt 340 Jugendlichen der achten bis zehnten Klassen-

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stufe flossen in die Auswertung ein. Die Jugendlichen waren zwischen 13 und 17 Jahre alt, im Durchschnitt 14,9 Jahre, und zu 56,4 % weiblich. Generell erweisen sich die eigenen positiven Humorstile als eher gesundheitsförderlich, die negativen als eher ungünstig. Gereiztheit und Grübelei der Jugendlichen sind mit höherem negativen Humor verbunden sowie mit niedrigerem Selbstaufwertendem Stil. Probleme mit Schlafqualität und Elan treten vor allem auf, wenn Jugendliche zu Selbstabwertendem Humor tendieren, und treten weniger auf bei Selbstaufwertendem Humor. Auch die Humorstile der Lehrenden hängen mit dem Wohlbefinden der Jugendlichen zusammen: Sozialer Humor der Lehrenden bedeutet weniger Grübelei bei Jugendlichen, Aggressiver Stil der Lehrenden hingegen mehr Grübelei bei den Jugendlichen. Der Selbstaufwertende Stil der Lehrenden hängt mit weniger Gereiztheit der Jugendlichen zusammen, der Selbstabwertende Stil führt zu mehr Gereiztheit. Insgesamt bedeutet Sozialer Humor einen besseren Umgang mit Fehlern. Sozialer Humor verringert Fehlerbelastung. Aggressiver Humor hängt mit Fehlervertuschung, Fehlererwartung und -belastung zusammen. Aggressiver Stil führt dazu, dass weniger Risiken eingegangen werden und weniger aus Fehlern gelernt wird. Der Selbstaufwertende Humorstil von Schülern hängt mit mehr Kreativität zusammen. Nach Ansehen des per Video dargestellten Selbstabwertenden Humors sank die Leistung in einer Kreativitätsaufgabe sowie einer Rechenaufgabe. Das Anschauen von Selbstaufwertendem Humor erhöhte hingegen die Rechenleistung. Der Humorstil der Lehrenden hängt teilweise mit dem Klassenklima zusammen: Selbstaufwertender Lehrerhumor geht mit einem besserem Klassenverhältnis und weniger Mobbing der Schüler untereinander (Lästern,

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Beschimpfungen) und Ignoranz einher, Sozialer Lehrerhumor ebenfalls mit weniger Ignoranz. Selbstabwertender Lehrerhumor hingegen zeigt vermehrtes Mobbing, verbale Unterdrückung und ein höheres Mobbingausmaß. Interessanterweise gibt es jedoch weniger Einsatz von Mobbing gegenüber den Lehrkräften, wenn diese auch Aggressive Humorstile einsetzen können. Diese Untersuchung von Scheel und Sconka zeigt, wie wichtig es ist, dass Lehrkräfte zwischen Aggressivem und Sozialem Humor unterscheiden können. Es gibt inzwischen gute und solide Studien, die die Zusammenhänge zwischen Humor und Lernen aufzeigen und noch ausstehende Fragen beleuchten. Die Zusammenfassungen finden Sie auf unserer Webseite des Humorinstituts (www. humorinstitut.de) in der Rubrik Humorforschung. Schaffen Sie sich Gelegenheiten für geplanten Humor: Verwenden Sie in einer Lehrerversammlung ein Bild, das nicht typisch ist für den Schulalltag, benutzen Sie in einer Unterrichtsstunde einen Gegenstand, der mit dem Unterrichtsstoff erst einmal nichts zu tun hat. Probieren Sie etwas Merkwürdiges – so verschaffen Sie sich mit ungewöhnlichen Bildern Aufmerksamkeit. Die verschiedenen Arten von Humor unterscheiden, macht Humor für Sie als Experte zu einem wichtigen Werkzeug. Es ist ein feiner Grad, ob man mit den Kindern lacht oder die Kinder sich ausgelacht fühlen, weil Sie es doch ernst meinen. Aufgabe von Lehrkräften ist es manchmal, Schüler zu schützen, um das Lachen der Mitschüler richtig einordnen zu können. Ein Schüler hat einen Tippfehler im Arbeitsblatt gefunden. Er weist die Lehrerin darauf hin. Sie legt theatralisch den Handrücken auf die Stirn, sinkt leicht in die Knie und seufzt: „Es ist einfach sooo schwer, perfekt zu sein!“ Jeder Pädagoge

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kann den wertschätzenden, liebevollen, Sozialen Humor nutzen, der keinem weh tut. Gelegentlich kann man sich auch selbst auf die Schippe nehmen, um dann gleich wieder in den gewohnt hohen Status zurückzukehren. Ernsthaftigkeit und Humor im Unterricht schließen sich nicht aus, sondern sind hervorragende Kooperationspartner. Sozialer Humor schafft eine Kultur der Offenheit, der Kooperation und wirksamen Kommunikation. Kurzum: beste Voraussetzungen für eine ideale Lern- und Arbeitsumgebung. Mithilfe einer entspannten Atmosphäre auf der einen und ungewöhnlichem, aufmerksamkeitserregendem Material auf der anderen Seite können Sie Humor einfach und effektiv in Ihren Unterricht genau wie in Ihrer Führungsrolle einbauen. Damit bleiben sowohl Lernende als auch das Kollegium länger aufmerksam und merken sich Inhalte auch besser, selbst wenn das Thema sie nicht vom Hocker reißt. Im Bildungssystem haben die Institutionen eine Hauptaufgabe zu erfüllen: die Wissensvermittlung. Wenn das mithilfe von Humor auch noch einfacher, flüssiger und nachhaltiger gelingt – umso besser für alle Beteiligten. Das bedeutet im Einzelfall nicht immer, dass jeder Schüler sich leidenschaftlich für Chemie begeistern wird, aber wenn der Einsatz von Humor verhindert, dass der desinteressierte Schüler aus dem Fenster guckt, dann hat Humor Lerntiefe geschaffen – selbst bei wenig interessierten Schülern. Sozialer Humor entspannt, erheitert, macht locker und wertet Beziehungen auf. In Zeiten von Unsicherheit, Angst und Lerndruck tut er uns und anderen besonders gut und stärkt das Selbstwertgefühl. Das ist auch im Umgang mit dem Kollegium besonders nützlich, zum

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Beispiel in Veränderungsphasen oder wenn es Ängste und Unsicherheiten gibt. Sorge, Schreck, Frustration und Trauer wollen aufgefangen werden, bevor Neugier, Enthusiasmus und Öffnung eintreten. Liebevolle Übertreibungen beispielsweise wirken sich sofort angenehm auf die Atmosphäre aus und öffnen für den Prozess eine wertschätzende Stimmung. Ironie oder Sarkasmus, Spott, Stichelei und Hohn werden hingegen unter Stress häufig nicht verstanden, so etwas ist hier fehl am Platz, eher schädlich – ganz gleich, mit wem Sie es zu tun haben. In angespannten Unterrichtsmomenten, Konflikten mit Kollegen, Schülern oder Eltern sollte Aggressiver Humor absolut vermieden werden, wenn man die Situation nicht eskalieren lassen möchte. Aggressiver Humor sollte nur eingesetzt werden, wenn man in einer Unterrichtssituation oder einer übergriffigen Elternsituation Distanz erzeugen will. Ich begleitete eine Leipziger Schule, deren Kollegium sich gerade erst neu zusammensetzte: Die ersten zehn Lehrkräfte waren schon an Bord, die ersten Klassen dieses Gymnasiums waren mit dem ersten halben Schuljahr gestartet. Die Sommerferien nutzte das Kollegium, um sich auf das größer werdende Team vorzubereiten und eine wichtige Kraftquelle in den Blick zu nehmen: Humor. An einem gemeinsamen Trainingstag begleitete ich die Schulleiterin und das Kollegium bei diesem Veränderungsprozess. Das Team befand sich zwischen Aufbruch und Nirvana, zwischen Neugier und Überforderung. Ständig mussten sich alle auf neue Kollegen und neue Klassen einstellen. Es gab kaum Routinen in den Abläufen. In einem waren sich jedoch alle sicher, nämlich dass Humor ein gemeinsamer Wesenszug und wichtiger Wert im Kollegium und in dieser Schule sein und bleiben sollte. Deswegen vertieften wir an diesem Tag Grundlagen und Techniken im Humoreinsatz – damit der Schutz und die

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Pflege von Humor wichtige Eckpfeiler des Kollegiums sein durften. c) Humor zur Reduzierung von Störungen Mittwochvormittag. Es wurde zur großen jährlichen Dienstbesprechung am Anfang des neuen Schuljahres geladen. Das Kollegium hat sich schon eingefunden. Doch irgendetwas ist dieses Mal anders: Die Schulleiterin bittet alle plötzlich aufzustehen. Sie nimmt ein Schwert zur Hand, das sie sich aus dem Fundus der Theater AG ausgeliehen hat. Dann fordert sie das Team in feierlichem Ton auf, die linke Hand zu heben und die rechte Hand aufs Herz zu legen. „Bitte sprechen Sie mir nach: Ich schwöre, mit all meiner Kraft unsere Institution zu unterstützen.“ Erste Irritationen im Kollegium, Gemurmel im Raum. Doch die Schulleiterin macht weiter, übertreibt den Schwur auf die Spielregeln völlig: „Ich schwöre außerdem, meine Schulleitung ewig zu verehren und jeden Tag zu bekochen.“ Es gibt große Lacher. Die Schulleiterin hat sich damit eine hervorragende Grundlage für das neue Schuljahr geschaffen. Denn wenn im weiteren Verlauf jemand Frust oder Widerstand hat, kann sie mit einem liebvollen Schmunzeln zum Schwert greifen, ritterlichen Schrittes auf denjenigen zugehen und mit tiefer Stimme fragen: „Lassen Sie es uns klären. Von Ritter zu Ritter.“ Mit einem Schmunzeln erinnert sie an den Humoranker zu Beginn des Schuljahres. Dieses Bild wird ihr im Laufe des Jahres immer wieder gute Dienste leisten. Solch liebevoller Humor löst Widerstände manchmal bereits auf. Bei Furcht vor großen Veränderungen beispielsweise verändert er die Gesprächsatmosphäre. Sozialer Humor ermöglicht immer wieder produktive Diskussionen, weil er die Steinzeitklassiker Angriff, Verteidigung, Flucht senkt. Das ermöglicht eine bessere Stimmung für die immer wiederkehrenden notwendigen

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Gespräche zu Blockaden, die eine Schulleitung führen muss. Vor allem bei schwierigen, ernsten und konfliktreichen Situationen geht Humor schnell verloren. Ob im Mitarbeitergespräch oder im Unterricht: Missliche Situationen liebevoll zu karikieren und damit eine Arbeits- und Lernumgebung zu schaffen, die mit Unsicherheit, Angst und Widerständen umgehen kann, ermöglicht eine emotionale Regulierung von Alltagsstress bei allen Beteiligten. Gerade Unterrichtsstörungen sind ein großes Thema für Lehrkräfte, die in vielen Fällen versuchen, diese mit viel Ernsthaftigkeit und wenig Spaß zu lösen. Doch gerade auch solche Momente lassen sich mit Humor reduzieren. Grundlage dafür ist Sozialer Humor, da er nicht beschämt, sondern entspannt. „Du bist der beste Geschichtslehrer der Welt“, „Ohne dich wäre diese Stunde der totale Weltuntergang gewesen“, „Wir sind geblendet von dir, du bist unsere Gute-Laune-Sonne“: Sozialer Humor kann auf praktische Weise Spannungen in Gruppen oder Situationen reduzieren und ein Lächeln auf das ernste Gesicht der Schüler, Kollegen und Mitarbeiter zaubern. Ebenso wie Schüler den Unterricht „stören“, so bringen erwachsene Teilnehmende Widerstände mit in eine Besprechung. Das kann verschiedene Ursachen haben: Teilnahmezwang, unfreundliche Umgebung, persönliche Befindlichkeiten, die Art der Methoden, die Schulleitung als Person, die bisherigen Erfahrungen, schlechte Erfahrungen in der eigenen Schullaufbahn etc. Widerstände im Lehrerkollegium kann man beobachten, benennen, ignorieren, spiegeln, überhöhen, liebevoll karikieren, diskutieren. In jedem Fall sind Störungen und Widerstände eben auch Angebote zum Gespräch und für Humor – wenn auch unangenehme Angebote. Es liegt an Ihnen, ob Sie diese Angebote humorvoll nutzen, statt sie abzulehnen.

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Menschliche Widerstände sind normale Begleiterscheinungen von Entwicklung. Sie zu missachten, ist ungeschickt. Widerstände sind Chancen für Humor. Wenn eine Schulleitung sie in liebevollen, entspannenden Humor verwandeln kann, der nicht beschämt, sondern einlädt, hat das echten Überraschungswert. Man kann Widerständen auf verschiedenste Art und Weise spielerisch begegnen. Betrachten Sie also Störungen bzw. vermeintliche Störungen als Gesprächsangebote. Das gilt nicht nur im Kontext mit Schülern: Auch schwierige Kollegen während einer Präsentation oder Spätankömmlinge sind Gesprächsangebote, die man verwenden kann und mit denen man die Aufmerksamkeit der Zuhörer noch verstärkt. Bauen Sie das Unerwartete spontan und charmant in Ihre Performance ein. Das Offensichtliche anzusprechen, kann auch die Zuhörer sehr entspannen, wenn es um ein wichtiges Thema geht oder die Gruppe sich bisher nicht so gut kennt. Nutzen Sie doch mal die Technik der Spiegelung, wenn Sie es mit Störungen oder Widerständen zu tun haben. Fassen Sie dafür ganz einfach den Widerstand oder Ärger, die Sorge oder den Frust des Gegenübers humorvoll zusammen. Nach zwei, drei humorvollen Spiegelungen verändert sich die Atmosphäre, in der man Widerstände dann konstruktiv klären und diskutieren kann. Die Spiegelung löst nicht den Widerstand an sich, klärt nicht komplett Konflikte oder Ängste, sondern löst oft Anspannungen und ermöglicht eine weniger aggressive Situation, um gut zu klären. Wichtige Voraussetzung zum wirksamen Spiegeln, damit der Humor die Situation entspannt, ist eine Wertschätzung der Person – auch wenn man ihre Aussage überspitzt und spiegelt. Hier einige Beispiele:

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• Ansage: „Herr Wilhelm geht einfach an die Decke, wenn wir Kompetenzraster einführen.“ → Spiegelung: „Sie meinen, Herr Wilhelm führt sich auf wie Rumpelstilzchen.“ (wohlwollend und zugewandt mit freundlichem Lächeln) • Ansage: „Das wird eine chaotische Veränderung. Wie sollen wir denn da den Schulalltag aufrechterhalten?“ → Humorvolle Spiegelung: „Sie meinen, unser Schulalltag wird erst mal ein Atombomben-Armageddon?“ • Ansage: „Das ist ein verdammtes Chaos bei uns wegen der Differenzierung der Lehrpläne.“ → Spiegelung: „Ihnen geht das scheinbar planlose Gewurschtele hier gerade auf den Keks? Es scheint manchmal planlos zu wirken. Wir wissen jedoch sehr gut …“ Übrigens: Wo beginnt die gute Atmosphäre in Ihren Besprechungen, Unterrichtseinheiten oder Dienstberatungen? Viele antworten: zu Anfang der Besprechung, zu Beginn der Unterrichtsstunde, wenn ich in das Team, die Gruppe oder Klasse hineinkomme. Bei vielen erfolgreichen Schulleitern und Lehrkräften kann man beobachten, dass sie schon vorher eine gute Atmosphäre schaffen. Fragen Sie am Montagmorgen besser zuerst die sympathischen Kollegen nach dem Wochenende und meiden Sie Stinkstiefel, um nicht gleich zu Wochenbeginn um 8 Uhr von grimmiger Laune befallen zu werden. Das Verbreiten von und Anstecken mit angenehmer Atmosphäre nennt man reziproke Effekte. Menschen lassen sich gerne anstecken, sowohl von schlechter als auch von guter Stimmung. Gerade in Phasen der Verweigerung, des Zweifelns und der Widerstände braucht ein Kollegium Mitstreiter, die den Veränderungsprozess produktiv, wertschätzend und mit liebevollem Humor begleiten und andere damit „anstecken“. Humor ist also eine wichtige

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Umgehungsstraße, um nicht in die Falle der schlechten Stimmung, der Gerüchte und der Verweigerung zu fallen. Beklemmende Stille von 30 Schülern, die keine Lust auf Schule haben und noch etwas unbeholfen im Raum herumsitzen. Oder wildes Durcheinanderschnattern im Kollegium, das sich über die aktuellen Neuerungen aufgeregt austauscht. So etwas mit liebevollem Humor zu benennen, führt zu zwei Dingen: Menschen entspannen sich, weil man den Widerstand erkennt, ihn nicht gleich abspricht, und Widerstände werden reduziert, weil man sie übertreibt. Die meisten Schulleitungen gehen jedoch in eine körperliche Abwehr, die eher arrogant und aggressiv wirkt. Eine wohlwollende Körpersprache ist eine wichtige Voraussetzung, um mit Humor entspannend wirken zu können. Wem es gelingt, bereits durch Kleinigkeiten die Anwesenden aufzulockern, der wird erleben, dass Menschen, die bereits über angenehme Dinge gesprochen haben, sich trotz erster Unsicherheiten im Unterricht oder in der Besprechung leichter öffnen. Humor spricht Ängste, Befürchtungen und Abwehr nicht gleich ab, sondern übertreibt sie und relativiert sie liebevoll. Das, was bei Schülern im Zusammenhang mit neuem Lernstoff erwünscht ist, kann auch bei Lehrkräften hilfreich sein, um sich mit anstehenden Veränderungen zu beschäftigen. Konkret erhöht sich die Toleranz, widersprüchliche, unkonkrete Situationen auszuhalten bzw. gegebenenfalls sogar humorvoll interpretieren zu können. Damit werden unsichere, komplexe und widersprüchliche Situationen weniger als Bedrohung empfunden und die verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten der Situationen sogar gezielt für Humorproduktionen genutzt. Fazit Humor ist eine echte Ressource im Schulleiteralltag. Humor mit Feingefühl, der also nicht beschämend,

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sondern ermutigend ist, kann in vielen Situationen hilfreich sein, beispielsweise wenn • eine Lehrerin Schüler für einen Unterrichtsstoff gewinnen will, • ein Dozent eine neue unbekannte Gruppe zum Arbeiten einlädt, • ein Schulleiter zwischen zwei verhärteten Konfliktparteien vermittelt, • eine Führungskraft Menschen in Veränderungen begleitet, • Schüler sich wegen eigener Missgeschicke schämen. Mein Urgroßvater war der Dorflehrer und damit nach dem Pfarrer die zweitwichtigste Position im Ort. Wenn man ihm auf der Straße begegnete, zogen die Menschen ihren Hut vor ihm. Nicht nur der Hut ist leider aus der Mode gekommen. Diese Geschichte hat mich schon als Kind beeindruckt. Heute werden nicht nur die Institutionen schlecht geredet, sondern auch die Lehrkräfte vielfach durch den Kakao gezogen. Wenn wir als Eltern jedoch wollen, dass die Lehrkräfte unserer Kinder einen guten Job machen, dürfen und müssen wir ihnen wieder mehr Anerkennung entgegenbringen. Wir müssen endlich aufhören, jeden Lehrer als Besserwisser und jede Schule als schlecht abzuschreiben. Es gibt viele Dinge zu verändern in unserem Schulsystem. Das System wurde in der Zeit der Industrialisierung entwickelt und bereitet Lernende an vielen Stellen nicht mehr auf das vor, was zukünftige Erwachsene im Beruf brauchen. Diese Veränderungen erreichen wir jedoch kaum, wenn wir alle als inkompetent hinstellen. Auch als Lehrkraft oder als Schulleitung können Sie es sich heute nicht mehr leisten, nur schlecht von Ihrer Branche zu sprechen. Sie sind aufgefordert, selbst „Marketing“ zu betreiben bzw. auch für

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den „guten Ruf“ von Lehrkräften zu sorgen. Das beeinflusst natürlich auch, wie Eltern und Schüler über Lehrkräfte sprechen. Wenn Sie auf einer Party anerkennend und wertschätzend vom Lehrerberuf sprechen, stecken Sie damit auch andere an. Ich erlebe immer wieder Lehrkräfte, die über ihre eigene Branche am meisten meckern, von ihren Kollegen als Klugscheißern sprechen, die es immer besser wissen müssen. Damit reduziert man die Kompetenz eines Kollegen unnötig. Zwar gibt es schlechte Lehrer, so wie es auch schlechte Anwälte, Ärzte und Vorgesetzte gibt. Wer das allerdings ständig betont, darf sich nicht wundern, dass unsere Gesellschaft nicht genügend Respekt für das Bildungswesen und sein Personal zeigt. Ja, Lehrer brauchen viel Humor: Felix Gaudo erwähnt in seinem hervorragenden Buch „Lachend lernen“ ein Gutachten des Aktionsrates Bildung im Auftrag der Bayrischen Wirtschaft (vgl. Gaudo und Kaiser 2020). Dieses gibt an, dass von den 2,1 Mio. Beschäftigten im deutschen Bildungssystem rund ein Drittel über zu hohe Belastung klagt. Viele Beschäftigte berichten von chronischem Stress und psychischer Beeinträchtigung. Die Zahl der Krankheitstage hat sich in den letzten 15 Jahren verdoppelt. Das können wir ignorieren oder bearbeiten. Es gibt Unternehmen, die haben es in den letzten Jahren geschafft, die Krankentage ihrer Mitarbeiter zu halbieren. Das Buch hat der wundervolle Komiker und Rednerkollege Felix Gaudo gemeinsam mit der Grundschullehrerin Marion Kaiser geschrieben. In der Studie heben die beiden Autoren die hohe Interaktionsdichte zwischen Schülern und Lehrern, wenig Kooperation unter Lehrkräften und mangelnde Anerkennung seitens der Eltern und der Gesellschaft als besonders gesundheitsgefährdend hervor. Als Schulleitung haben Sie also eine höhere Arbeitsbelastung und weniger Anerkennung als der Dorflehrer vor 100 Jahren. Dabei entscheiden Sie im Unter-

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richt mit sehr hoher Interaktion permanent, worauf Sie reagieren oder nicht. Viele Menschen, die noch niemals unterrichtet haben, wissen nicht, wie erschöpft man nach drei Doppelstunden mit drei verschiedenen Klassen mit jeweils 30 Schülern und Schülerinnen sein kann, wenn man methodisch und didaktisch allen gerecht werden will. Trotzdem darf man als Lehrkraft und als Schulleitung auch Werbung in eigener Sache machen und etwas tun, was fast aus der Mode gekommen ist: stolz auf den eigenen Beruf sein. Humor kann dabei hilfreich sein, den eigenen Status wieder mehr zu heben. Es ist immer die Frage, wie man von außen wahrgenommen wird und was man selbst damit macht. Ein humorvolles Selbstmanagement ist dabei ein gutes Rezept: In unseren Humorseminaren sitzen regelmäßig Schulleitungen, deren Humor verloren scheint und die gerne wieder mit ihrem Humor in Kontakt kommen wollen. Als Führungsperson und in der täglichen Kommunikation mit Lehrern und Schülern muss man sich permanent mit sich selbst beschäftigen. Es scheint einer Heldentat gleich zu kommen, wenn man dabei nicht in Überarbeitung oder Burnout hineinrauscht oder gar verrückt wird. Viele verschiedene Anforderungen erwarten auch eine Führungskraft in der Bildung täglich. Das Stärken der Ambiguitätstoleranz, also das Aushalten von Mehrdeutigkeiten, lohnt sich schon beim Umgang mit den eigenen Eltern. Jeder von uns ist vom jungen Menschen zum Erwachsenen herangewachsen. Schon die eigenen Eltern waren nicht zu sparsam mit der einen oder anderen Doppelbotschaft: „Kind, ich bin stolz auf dich. Aber hast du auch einen frischen Schlüpfer an?“ An Doppelbotschaften kann man verzweifeln oder sie auch für Humor nutzen. Natürlich muss man manche Doppelbotschaften hinterfragen und aufklären. Sie mit Humor zu nehmen, ist jedoch eine weitere Variante. Das Aushalten

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von Mehrdeutigkeiten ist hilfreich in einem manchmal absurden System, das jedoch mit der ehrenvollen Aufgabe, Menschen beim Lernen zu begleiten, verbunden ist. Da ist es durchaus förderlich, den eigenen Humor genauer kennenzulernen und im Alltag gut für diesen zu sorgen. Er ist ein hilfreicher Partner in den Herausforderungen des Schulalltages. Außerdem bewahrt Humor Sie in der Regel davor, sich zu ernst zu nehmen. Also nehmen Sie sich doch mal vor, • sich selbst auf die Schippe zu nehmen, • über sich lachen zu lassen, • Menschen das Lachen über sich zu erlauben, • einen Witz über sich zu machen, • sich zu belächeln, • mit den anderen zu kichern, • über sich und andere zu grinsen, • in das Gelächter über die Unzulänglichkeiten des Lebens einzustimmen, • aus vollem Halse über Widersprüche zu lachen. Warum habe ich aus den pädagogischen Berufen gerade die Schule gewählt, um ein Beispiel für Humoreinsatz zu beleuchten? Tatsächlich habe ich mich als gelernte Sozialpädagogin schon vor 20 Jahren mit dem Thema Humor im Studium beschäftigt. Und dabei festgestellt, dass viele Therapeuten und helfende Profis schon einiges über helfenden Humor wissen: Analytiker Sigmund Freud, Familientherapeutin Virginia Satir, der sicher bekannte Paul Watzlawik, der bereits erwähnte Viktor Frankl, Hypnotherapeut Milton Erikson oder Sozialpädagoge Frank Farrelly. Sie alle haben sich mehr oder weniger strukturiert damit beschäftigt, inwiefern Humor den Menschen helfen kann, um aus ihrer Problemfixierung wieder heraus zu kommen bzw. bei Krankheit wieder

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gesund zu werden. Die Branche der lehrenden Zunft dagegen hinkt noch etwas hinterher und verwechselt hilfreichen Humor oft mit schlechter Samstagabend-Comedy. Selbstverständlich will man das nicht im Unterricht oder im Hörsaal. Viele geniale Praktiker haben jedoch gezeigt, dass Humoreinsatz im Lernraum Atmosphäre verwandeln und Aufmerksamkeit signifikant steigern kann. Das Fach Humor gehört endlich auf den Lehrplan der Erwachsenenbildung und hinein in das Lehramtsstudium. Humor kann Lernen beflügeln oder zerstören. Die Kunst ist es, mit seinem Status als Fachexperten spielen zu können, ohne dabei dauerhaft seinen Status oder seine Autorität zu verlieren. Humor erfordert im Schulleiteralltag drei Grundlagen für den wirksamen Einsatz: 1. Angebote humorvoll nutzen: Im Alltag gibt es eine Vielzahl von Chancen, eine humorvolle Perspektive zu erzeugen. Es beginnt bei der eigenen Person, der Rolle als Schulleitung, dem eigenen Auftreten. Sie als Schulleitung oder Lehrer machen Angebote durch die Art Ihres Auftretens, Ihre Stärken und Ihre Macken. Humor ist immer an eine Umgebung und Situation gebunden. „Als Schulleitung ist man ja eigentlich Hausmeister“ – diese Aussage ist als Scherz amüsanter, wenn man gerade den Müllbeutel in der Hand hat, als wenn Sie in einer Besprechung sitzen und den Dienstplan damit kommentieren. 2. Mut zum Risiko: Niemand hat eine Garantie, dass Humor immer funktioniert. Erfolgreiche Humoristen gehen dieses Risiko jedoch gerne ein, denn das Ergebnis belohnt. Hilfreich ist eine Lockerheit, wenn nicht alle Kollegen über den Humor lachen. Wer bisher nicht viel Humor in seiner Führungsrolle gemacht hat, kann experimentieren. Eine Anekdote ist sicherer, als einen Witz zu erzählen. Ein eigenes Missgeschick zu über-

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treiben, kann schon mutig genug sein. Man muss nicht gleich eine Comedy-Einlage in der Dienstbesprechung einbauen. Anekdoten kann man auch privat oder im bilateralen Gespräch testen, bevor man sie beruflich oder in einer großen Gruppe erzählt. 3. Menschlichkeit und Empathie haben Vorfahrt: Humor ist abhängig von der individuellen Verfassung, Lebenslage und Lebenswelt des Adressaten. Humor ist abhängig von Ihrer eigenen Empathie und Kommunikationsfähigkeit. Humor funktioniert nur, wenn ethische Prinzipien eingehalten werden. Sich in sein Gegenüber hineinfühlen zu können, ist eine Voraussetzung für Humor, den der andere auch wertschätzen kann, und für Humor, der den anderen „gut dastehen lässt“. Eine wichtige Voraussetzung bei der humorvollen Interaktion ist zudem das humorvolle Selbstbewusstsein, also das Wissen über den eigenen Humor. Wichtig ist der Kontakt zum eigenen humorvollen Fingerabdruck. Worüber lacht man gerne? Mit welchem Menschen fällt Humor leicht? Wann ist man für andere Menschen amüsant? Wann lachen Kollegen, weil man wirklich witzig ist, nicht nur, weil man Schulleitung ist?

3.3 Medizin mit Humor – Bloß nicht am Status kratzen In der Kantine des Klinikums. Zwischen Salatbuffet und Mahlzeitenausgabe gibt es eine Truhe mit Eiscreme. Die eiskalten Süßigkeiten sehen lecker darin aus. Bei genauerer Betrachtung der Sorten fällt eine ganz besonders ins Auge: Paracetamol 500 mg. Hier macht man bei den Patienten auf ungewöhnliche Weise Lust auf das notwendige Medikament. Ein anderes Krankenhaus, die Herren-

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toilette: An der Wand hängen drei Pissoire, die jeweils mit einer Tafel darüber eindeutig beschriftet sind. Ganz links steht „Bier“, in der Mitte dann „Wein“ und das ganz rechte Pissoir ist mit „SGLT2 Inhibitor“ beschildert. Über allen dreien ist die riesige Aufschrift an der Wand zu lesen: „Bitte helfen Sie uns zu trennen.“ Sind die Beispiele echt? Nein, die haben wir vom Humorinstitut uns ausgedacht. Für medizinische Führungskräfte. Warum? Weil sie verdeutlichen, dass so manche Diagnose besser verpackt sein muss, um Compliance oder gar Adhärenz zu erreichen. Sicherlich war es auch an Ihrer Klinik oder in Ihrer Praxis schon Thema: Trotz medizinischer Expertise nimmt der Patient das Medikament nicht oder versteht als Diabetiker nicht, warum häufiger zur Toilette zu gehen nicht doof ist, auch wenn die Kumpels lästern. Trotz aller logischen Bemühungen folgt der Patient nicht Ihrem Rat oder dem Ihrer medizinischen Mitarbeiter. Dann wird es Zeit, sich dem wirksamen Begleiter Humor auch in Ihrem Bereich zu widmen. Denn wäre es nicht schön, wenn Patienten hinter Medikamenten so her wären wie hinter einer Portion leckerer Eiscreme und man Menschen helfen könnte, mit den Nebenwirkungen von bestimmten Erkrankungen etwas leichter zu leben? Woran denken Mediziner jedoch, wenn sie Humor in der Medizin hören? Häufig an Witze wie diesen: Wofür gibt es das grüne Tuch zwischen Chirurgen und Anästhesisten? Antwort: Das ist die Blut-Hirn-Schranke. Und ich habe noch einen: Kommt eine Frau zum Psychiater. „Wissen Sie, was mein Mann macht? Er isst nach dem Frühstück immer seine Kaffeetasse und legt den Henkel dann zur Seite.“ „Was?“, fragt der Psychiater, „das ist ja fürchterlich. Der Henkel ist doch das Beste.“ Diese Witze sind witzig und sie zeigen sehr gut, was es mit dem branchenspezifischen Humor auf sich hat:

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für Eingeweihte ist so mancher Gag witzig, aber für Patienten ist dieser Witz nicht nützlich. Das Image der jeweiligen Fachmedizin kommt selten gut weg. Aber das Lachen über Witze ermöglicht Distanz und das wiederum gibt eine kurze Pause im Alltag. Diese Witze sind jedoch nicht nützlich, wenn Sie als Chefarzt eine stressige Situation zwischen Anästhesisten und Chirurg oder zwischen Somatik und Psychiatrie klären müssen. Im Gegenteil, da machen solche flachen Witze mehr kaputt als heil. Je nachdem, mit wem man als Führungskraft einer medizinischen Einrichtung oder innerhalb des Gesundheitssystems zu tun hat, ist auch der Einsatz von Humor ganz unterschiedlich. Und von nützlichem Humor im Umgang mit Patienten und Mitarbeitern handelt dieses Kapitel. Denn natürlich ist Humor in der Arzt-Patienten-Beziehung spannungsreicher, als wenn ­ Humor „nur“ auf eine Kabarettbühne zu bringen ist. Der Status ist durchaus anspruchsvoll, denn in der Klinik-, Pflegedienst- oder Stationsleitung agieren sowohl der ärztliche als auch der kaufmännische Direktor. Während der erste den hippokratischen Eid geleistet hat und seine oberste Priorität die Gesundung des Patienten ist, muss die kaufmännische Leitung die unternehmerischen Prozesse unter der aktuellen Gesetzeslage berücksichtigen – und beide haben sowohl einen Klinikprozess am Laufen zu halten als auch im Rahmen der Geschäftsführung auf die Zahlen zu schauen, also für eine gewisse Wirtschaftlichkeit zu sorgen. Das Gesundheitssystem hat schon immer eine eigene Komplexität. Jährlich gibt es zahlreiche Veränderungen. So fleißig wie Gesundheitsminister Jens Spahn – mit 16 Gesetzesentwürfen in einem Jahr – waren viele Vorgänger nicht. Davon mag der Masernimpfschutz sinnvoll erscheinen, die Pflichtspende der Organe dagegen nicht. Dazu hat jeder Mensch eine andere Meinung. Fakt ist: Während die Pflege und

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Medizin in den letzten Jahren gleich über DRG- bzw. CaseMix-Systeme abgerechnet wurden, werden Pflegeleistungen nun gesondert abgerechnet. Das muss der ärztliche Direktor mittragen und mit verantworten. Jedoch ist Pflege aus der Historie gar nicht dem Chefarzt, der ärztlichen Klinikleitung, sondern der Pflegedienstleitung unterstellt. Als Führungskraft müssen Sie, egal ob Sie Pflege oder Medizin leiten, dafür sorgen, dass beide Professionen im Einzelfall am Patienten gut zusammenarbeiten. Im Falle eines Fehlers landet es jedoch letztendlich bei der jeweiligen Direktion. Und dann sind da noch weitere personelle Gepflogenheiten: Kaum verwunderlich, wenn die Klinikleitung etwas Herrschaftliches hat – denn es gibt chirurgische und orthopädische Fachärzte, jede medizinische Profession hat ihr eigenes Grundverständnis in Sachen Beruf und Berufung. Krux der Leitungspersönlichkeit ist es, diese vielen kleinen Fürstentümer zu lenken und zu leiten – eine echte Herausforderung also. Hinzu kommt das Anspruchsdenken in der Medizin, schließlich will jeder Patient für seine Gesundheit viel Aufmerksamkeit – und die Angehörigen stehen dem in nichts nach. Gleichzeitig basiert das Gesundheitswesen auf einem solidarischen Prinzip, wonach alle in den Topf einzahlen und man sich daraus so lange bedienen kann, bis das Budget der solidarischen Kasse aufgebraucht ist. Das ist die Grundlage, auf der Kliniken und niedergelassene Ärzte arbeiten, das legt den Rahmen, die Möglichkeiten und an vielen Stellen auch realistische Machbarkeiten fest. Und das ist erst die Spitze des Eisberges. Sie sind trotzdem noch gerne klinische Leitung, Chefarzt oder Pflegedienstleistung? Herzlichen Glückwunsch. Sie können gut mit Widersprüchen umgehen und haben mit Sicherheit eine gute Portion Humor! Glücklicherweise hat sich in der Medizinausbildung und auch in den Fortbildungen in den letzten 20 Jahren

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einiges bewegt, um diesen Anforderungen gerecht zu werden. Auch die Kommunikation ist zwischenzeitlich ein wichtiger Baustein der Ausbildung. Dennoch mache ich immer wieder die Erfahrung, dass gerade Führungskräfte in dieser Branche noch nicht gut genug ausgestattet sind, um Humor kommunikativ passend anzuwenden. Dabei vergesse ich keinesfalls die Tatsache, dass die wenigsten Ärzte auf ihre Führungsposition vorbereitet sind, schließlich sind sie ja Mediziner und in ihrem spezifischen Fachwissen hervorragend ausgebildet, nicht aber mit dem besonderen Instrument namens Humor versorgt. Da ist noch viel Luft nach oben, was die verpflichtenden Fortbildungen angeht. Seit einigen Jahren gehört unser Humortraining hier in Leipzig übrigens auch zum „Erhalt der ärztlichen Kompetenz“, man bekommt als Mediziner Fortbildungspunkte von der sächsischen Ärztekammer dafür. Das ist ein nicht unwichtiger Weg für humorvolle Fortbildungen. Häufig machen Klinikleitung und auch Ärzte lieber gar keinen Humor, weil sie befürchten, sich angreifbar zu machen, oder weil sie denken, die vermeintlich humorvolle Antwort würde abwerten und bloßstellen. Es hält sich auch hartnäckig der Glaubenssatz, dass Humor dem Status schade. Viele Führungskräfte sind sich nicht bewusst, dass es auch einen Humor gibt, der sehr ungefährlich, wohltuend und entspannend ist, der uns sympathisch rüberkommen lässt. Aber natürlich gibt es auch Menschen im Klinikalltag, über deren Humor niemand lachen kann. Es ist ein Unterschied, ob der Anästhesist auf den Kommentar vom Chirurgen „Ihr trinkt ja den ganzen Tag nur Kaffee!“ antwortet „Besser Kaffee trinken, als steril verdursten“ oder mit einem Schmunzeln erwidert „Ja stimmt! Ich habe grad meinen Sevofluran-Verdampfer zum Kaffeevollautomaten umgebaut und nehme an

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der Barista-WM in Italien teil.“ Die unterschiedlichen Humoroptionen zeigen sich auch dann, wenn die Oberärztin zum Assistenzarzt meint: „Warum sind die drei Zugänge immer noch nicht aufgenommen?“ Der Assistenzarzt könnte angriffslustig antworten „Ich erkundige mich gerade, wie Fließbandarbeit richtig funktioniert“ oder charmant erwidern: „Ich sehe, Sie haben hier alles gut im Blick.“ Zwei Antworten, unterschiedliche Wirkungen. Apropos Wirkung: Jedes Medikament hat seine Wirkung. Wie bei allen Medikationen gilt auch für den Humor der wichtige Grundsatz vom ollen Paracelsus: die Dosis macht das Gift. Angenommen, wir denken einmal etwas genauer darüber nach, Humor als Medikament zuzulassen – wie könnte das konkret aussehen? Ein wichtiger Sitzungstag in Bonn. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) diskutiert heute die Zulassung des Medikamentes Humor. Eine Aufgabe, der sich die selbstständige Bundesoberbehörde endlich stellt. Sogar Fachleute des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) sind extra angereist: Die Profis des deutschen Bundesinstituts für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel wollen den Prozess unterstützen. Bevor Humor als Medikament auf den Markt kommen, auf Rezept erhältlich sein und für Behandlungen eingesetzt werden kann, muss natürlich die Qualität, die Wirksamkeit und die Unbedenklichkeit überprüft werden. Erstes Kriterium: Qualität Wie Sie bereits wissen, gibt es für Humor ganz unterschiedliche Definitionen: Im Duden ist von heiterer Gelassenheit die Rede, bei Wikipedia werden Schlagfertigkeit und Witz aufgeführt und Peter McGraw spricht von einem harmlosen Verstoß. Es ist wissenschaftlich gar nicht so einfach, die Effekte von Humor zu belegen,

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obwohl die positiven Seiten von Humor sonst so intuitiv im Alltag spürbar sind. Doch es gibt Quellen, die gerade im medizinischen Kontext bzw. im Gesundheitswesen von Interesse sind, erst recht, wenn es um die Qualitätskriterien geht: Der Psychologieprofessor Willibald Ruch konnte in zahlreichen Studien untersuchen, inwiefern Lachen die Schmerzwahrnehmung beeinflusst. Er konnte beweisen, dass dadurch Schmerzen reduziert werden (vgl. Zweyer 2004). Die Psychiaterin Barbara Wild beschäftigt sich seit vielen Jahren an der Uniklinik Tübingen und in ihrer psychiatrischen Praxis damit, dass Humor bei Depression entspannt, und schildert sehr praktisch aus ihrem Alltag als Ärztin, welcher Humor mit psychiatrischen Patienten funktioniert und welcher eben nicht (vgl. Wild 2016). Zwei große Vorteile von Humor für sie als Ärztin sind zum einen Distanz und zum anderen Beziehungsgestaltung. Distanz wird durch Humor möglich, indem Patienten über ihre Krankheit lachen können. Sie betont die Qualität von Humor und fordert von Medizinern und Psychologen den passenden Humoreinsatz, um Patienten nicht vor den Kopf zu stoßen. Humor ermöglicht einen guten Draht, also Beziehungsgestaltung, indem man als Mediziner mit den Patienten lachen kann, eine Hierarchie aufbricht und auf Augenhöhe spricht. Sie beschreibt Humor als heitere und empathische Fähigkeit, die Perspektive zu wechseln. Sie hat – neben vielen anderen Humorstudien – mit therapieresistenten Angina-Pectoris-Patienten ein siebenwöchiges Humortraining durchgeführt und konnte erhöhte Erheiterbarkeit nachweisen. Es gibt neben ihren Fachbüchern einen beeindruckenden Vortrag von ihr im Netz (vgl. RPP Institut 2016): Sie beschreibt Humor als Diagnostikum, beschreibt Patienten, die Krankhaftes auch durch Humor verdrängen oder eben Dinge durch Humor erkennen. Ihr Vortrag wird angekündigt mit einem Zitat:

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„Humor ist eines der besten Kleidungsstücke, die man tragen kann.“ Und dazu stellt sie die kluge Frage, ob man Humor auch in Psychiatrie und Psychotherapie nutzen kann – wo man doch eher den nackten Tatsachen ins Auge blicken sollte? Sie beschreibt klassische Einwände: Patienten haben doch das Lachen verlernt! Unterstützt man als Therapeut mit einer humorvollen Haltung nicht Vermeidung oder Verdrängung beim Patienten? Andererseits kann das gemeinsame Lachen die therapeutische Beziehung festigen. Es lohnt sich sehr, in den Vortrag reinzuhören, auch wenn Sie in einer anderen Fachrichtung tätig sind. Der Kinderchirurg Winfried Barthlen wies in Greifwald (vgl. Universitätsmedizin Greifswald 2016) eine Steigerung von Oxytocin nach, viele von Ihnen nennen es umgangssprachlich auch Geborgenheitshormon. Kinder, die zu einer Operation müssen, haben weniger Angst, nachdem sie einen Klinikclown zu Besuch hatten. Das sind wichtige Erkenntnisse zum klinischen Einsatz des Medikamentes Humor. Sabine Link konnte in ihrer sozialpädagogischen Dissertation bei ihrer Arbeit in einer Suchtklinik zeigen, dass ein regelmäßiger Humorkurs eine sinnvolle Unterstützung für die Gesundung und damit für den Einsatz des Klinikpersonals sein kann. Gerade bei Krankheitsbildern mit so hoher Rückfallquote und so langjähriger Erkrankung wie bei Sucht (eine Suchterkrankung „dauert“ im Schnitt etwa 30 Jahre) ist Humor ein ungewohnter Begleiter. Sabine Link konnte schon nach wenigen Kurswochen eine Verbesserung des oft verschollenen Humors der Patienten entdecken. Und damit auch ihre Mitarbeit verstärken (vgl. Link 2014). Unter welchen sonstigen Bedingungen wirkt Humor bei Ihnen als Klinik-, Pflegedienst- oder Stationsleitung? Die Qualität von Humor in der Klinik und in ärztlichen

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Praxen hängt entscheidend vom bewussten Einsatz durch Profihelfer ab. Man kann als Mediziner durch Humor viel kaputt machen, Humor kann unpassend dosiert sein – aber Humor kann eben auch zur Gesundung beitragen, Aufmerksamkeit erhöhen und Aktivität fördern. Gehen wir davon aus, dass es Ihnen gut geht, Sie genügend geschlafen haben, im Job normal gefordert sind und der Humor zufällig und oft situativ entsteht – mit Ihren Ärzten und Pflegekräften, mit Ihren Anästhesisten genau wie mit Ihrem Pflegepersonal, aber eben auch mit Patienten und deren Angehörigen. Um die Qualität von Humor genauer beschreiben zu können, ist es hilfreich, Humor unter entspannten Bedingungen – und auch die gibt es hin und wieder im Klinikalltag – zu beobachten, denn Qualität hat ganz entscheidend mit passendem Humor, also passender Dosis zu tun. Und das dürfte jedem Mediziner aus jahrelangem, pharmazeutisch studiertem Grundwissen vertraut sein. Humor kann eine geringe und eine hohe Qualität erreichen. „Zwei Blondinen werfen sich Stroh zu. Was ist das? Ein Gedankenaustausch.“ Sie haben es längst bemerkt – ein flacher Witz. Steigern wir mal das Niveau – und damit meine ich bekanntlich nicht die Faltencreme: Eine Berliner Zahnärztin wirbt mit dem Schild: „Sie müssen nicht alle Zähne putzen, nur die, die Sie behalten wollen.“ Das ist ein Hingucker und man kann sicher von einem mild Aggressiven Humor sprechen, den auch Patienten lustig finden. Der gleiche Witz in einem anderen Kontext: Sagt ein Allgemeinmediziner zu einer Mutter: „Sie müssen nicht alle Kinder impfen, nur die, die sie behalten wollen.“ – Sofort wird der Witz aggressiver und Mediziner sind sich oft sicher, so etwas nicht gegenüber einer Mutter im Gespräch zu verwenden, um sie von der notwendigen Impfung ihres Kindes zu überzeugen. Es zeigt, dass Humor immer kontextgebunden ist. Und es zeigt,

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dass Sie empathisch sind in Ihrem Humoreinsatz. Wenn Sie Stimmung beeinflussen wollen, finden Sie heraus, was andere Menschen wissen und können, auf welchem Niveau sie sich bewegen und was ihnen guttun kann. Dann wählen Sie den Humor aus. Humor kann in Ihrem Kontext immer dann nützlich sein, wenn die Qualität des Humors zum Thema passt – und zu dem Menschen, mit dem Sie es gerade zu tun haben. Humor hat eine sprachliche und eine körpersprachliche Qualität. Charlie Chaplin, Jerry Lewis und Laurel und Hardy versteht man auf der ganzen Welt. Sprachlicher Witz beschränkt sich oft auf eine bestimmte Region und Sprachkultur. Humor ist immer „out of the box“, eine Überraschung, ein Perspektivwechsel. Zweites Kriterium: Wirksamkeit bei Patienten Wie handhaben Sie das als Führungskraft und wie Ihr Mitarbeiterstab? Wie verändert sich Ihr Humoreinsatz, je nachdem, mit wem Sie es gerade zu tun haben? Nutzen Sie täglich Humor oder lassen Sie ihn lieber weg, weil er nicht zur Situation passt oder politisch unkorrekt wäre? Wissen Sie genau, welches mächtige Instrument Sie mit Humor in der Kommunikation nutzen können? Gerade in Ihrer Position lohnt es sich durchaus, den Humor zu reflektieren und ihn bewusster einzusetzen – oder bewusst zu unterlassen. Wohldosierter Humor sowohl in der Arzt-Patienten-Kommunikation als auch innerhalb der Klinikkultur kann helfen, die Compliance bzw. die Adhärenz der Patienten zu erhöhen (vgl. Martin 2003). Humor kann die Atmosphäre entspannen, z. B. bei Aufklärungsgesprächen oder kurzen Dialogen, etwa zur Narkose vor einer OP. Es werden nur wenige Sätze gewechselt, doch genau diese sind oft entscheidend. Humor ist bei den täglichen Gesprächen im

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medizinischen Kontext ein nützliches Werkzeug. Wichtig ist, dass Sie die Unterschiede kennen und erkennen: • Patient: „Dieses Medikament nehme ich nicht.“ Was dahinter steckt: „Sie haben Angst vor den Nebenwirkungen.“ • Arzt: „Es ist gut, dass Sie mir nicht gleich alles abnehmen, nur weil ich Arzt bin.“ (Antwort auf Basis von Sozialem Humor) • Alternative: „Sind Sie bei Ihrer Frau zu Hause auch immer so widerspenstig? Kein Wunder, dass sie Sie letztes Jahr verlassen hat.“ (Antwort im Rahmen von Aggressivem Humor) Oft berichten Mediziner in unseren Humor-Trainings, dass sie mit Aggressivem Humor von Patienten häufig missverstanden werden. Sie möchten gern Sozialen Humor trainieren. Denn im direkten Umgang mit Patienten empfiehlt sich meist der Soziale Humor, der niemandem auf den Schlips tritt und keinen verletzt. Aggressiver Humor ist eher im Team angebracht und da auch nützlich für die Psychohygiene (vgl. Watson 2011). Denn er kann helfen, sich von Problemen und Situationen zu distanzieren. Aggressiver Humor sollte eher im vertrauten Umfeld genutzt werden, beispielsweise unter Kollegen – wenn die Patienten nicht in Hörweite sind. Versuchen Sie es doch einmal mit humorvollem Spiegeln. Dabei wiederholen Sie das, was das Gegenüber gesagt (oder gedacht oder gefühlt) hat, in eigenen Worten. So vermitteln Sie: Ich (Arzt/Ärztin, Klinik- oder Pflegeleitung) habe verstanden, was Sie (Patient/Patientin, Mitarbeiter, Vorstand) meinen. Bei der humorvollen Spiegelung geben Sie ebenfalls in eigenen Worten wieder, was das Gegenüber gesagt hat, aber Sie formulieren es auf humorvolle Art und Weise.

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• Ansage eines Angehörigen gegenüber dem Chefarzt: „Das müssen Sie meinem Vater (also dem Patienten) erklären. Das mache ich nicht!“ • Spiegelung: „Sie möchten, dass ich Ihrem Vater die aktuelle Situation erkläre. Das wird Ihnen gerade zu viel.“ (Wenn der Angehörige sich verstanden fühlt, quittiert er die Aussage wahrscheinlich mit einer Zustimmung.) • Humorvolle Spiegelung: „Sie wollen also, dass der Sheriff das klärt?“ (Sagen Sie das mit einem Hauch von Clint Eastwood in der Stimme.) Wichtig bei dieser Technik ist, dass Sie es ehrlich meinen, dass Sie wirklich an Ihrem Gegenüber interessiert sind, dass Sie Ihre Empathie auch über Tonfall und Körpersprache vermitteln. Bei einer humorvollen Spiegelung reicht eine leichte Übertreibung dessen, worum es wirklich geht. So können Sie durch humorvolle Spiegelungen eine Situation sofort entspannen. • Vorwurf eines Patienten gegenüber der jungen Ärztin: „Kann ich endlich einen Arzt sprechen?“ • Spiegelung: „Ich sehe für Sie nicht aus wie eine Ärztin?“ • Humorvolle Spiegelung: „Soll ich noch mal rausgehen und wieder reinkommen?“ Durch eine empathische, humorvolle Gesprächsführung können Sie die Adhärenz Ihrer Patienten signifikant erhöhen. Durch kleine Überraschungen und Perspektivwechsel kommen Patienten immer wieder erstaunlich in Bewegung. Mit wohldosiertem und bewusst eingesetztem Humor lassen sich auch passive Patienten, die Ihnen nach wie vor ihre Gesundheit an der Tür zur Klinik einfach übergeben und damit nichts mehr zu tun haben wollen, aktiv ins Boot holen.

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Drittes Kriterium: Unbedenklichkeit bei Mitarbeitenden Die Oberschwester schlägt die Patientenakten auf und liest: „Am zweiten Tag war ihr Knie besser und am dritten Tag war es komplett verschwunden.“ Sie schmunzelt. Der Anästhesist bereitet sich auf die Operation am nächsten Tag vor und schaut sich die Unterlagen an, in denen geschrieben steht: „Patient hat zwei Kinder, aber keine anderen Abnormalitäten.“ Er freut sich und denkt: Made my day! Der Klinikpsychologe hat von einem Kollegen einen Fall übernommen und blättert im Archiv. „Der Patient ist depressiv, seit er begann, mich 1996 zu konsultieren“, hat sein Vorgänger notiert. Der Klinikvorstand muss vor Feierabend noch einige Unterschriften leisten, in der Mappe liegen einige Sterbefälle. Der Mitarbeiter aus der Pathologie hat auf einem gelben Klebezettel vermerkt: „Der Patient verweigert eine Autopsie.“ Humor hat verschiedene Wirksamkeiten (vgl. Martin 1996, 2003). Je nachdem, welchen Humorstil man wählt, erzielt man eine andere Wirkung. Der Oberarzt sagt zum Assistenzarzt: „Sie haben eine Stunde gebraucht, um diesen Entlassungsbrief zu schreiben. Das mach ich in fünf Minuten.“ Der Assistenzarzt könnte mit einem Grinsen antworten: „Na, als Oberarzt kann man sich Schlamperei wohl leisten …“ Oder er könnte stattdessen sagen: „Ich hab schon die Expertise, jetzt lerne ich von Ihnen noch Formel-1 zu fahren!“ Wenn Sie als Assistenzarzt nicht zwingend an Ihrer aktuellen Klinik bleiben wollen, können Sie die erste Antwort gern ausprobieren. Die erste Antwort ist Abwertender, also Aggressiver Humor, die Wirkung wahrscheinlich eskalierend, also viel gefährlicher. Die zweite Antwort nutzt Aufwertenden, also Sozialen Humor. Es handelt sich um eine sehr ungefährliche Antwort, mit der man trotzdem nicht sprachlos bleibt.

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Selbst bei einer statushöheren Person kann man Sozialen Humor einsetzen. Wenn Sie jedoch die statushöchste Person im Raum sind, werden Mitarbeitende wahrscheinlich vorsichtig sein, Ihnen gegenüber Humor zu machen. Gerade als Klinikleitung, Oberarzt oder Pflegedienstleitung sollten Sie sich deshalb mit dem Einsatz von Sozialem Humor in Stressmomenten vertraut machen. Ein Beispiel zum leidigen Thema Krankentage: Eine Ärztin und ihr Team müssen einen Tag in der Praxis mit zu vielen Patienten und zu wenig Personal überstehen. Am Ende des anstrengenden, arbeitsreichen Tages sagt die Chefin zu ihrem Team: „Das hat ja super geklappt heute, auch mit den wenigen Mitarbeitern! Das machen wir jetzt immer so.“ Sie hat es am Ende eines langen Tages einfach lustig gemeint. Das Team findet das nicht sonderlich lustig. In dieser angespannten Situation wäre Sozialer Humor hilfreicher, zum Beispiel: „Ihr habt heute alle eure Superheldenkräfte hervorgeholt. Das war tolle Arbeit! Aber das werden wir in der Form so schnell nicht wiederholen.“ Sie als Führungskraft im Klinik- bzw. Gesundheitskontext erhalten durch den Einsatz von Sozialem Humor ein deutlich positiveres Nutzen-Risiko-Verhältnis. Gerade auch unter Kollegen ist Humor ein adäquates Mittel, um im Praxis- oder Klinikalltag so manche Situation mit Konfliktpotenzial durch eine charmante Erwiderung zu entspannen: Ein junger Assistenzarzt ruft einer Person im weißen Kittel auf einige Entfernung zu: „Können Sie bitte bei Herrn Meier die Infusion aufdrehen?“ Kurze Zeit später kommt der Kollege zum Assistenzarzt und fragt: „Haben Sie noch eine Aufgabe für mich? Sonst würde ich jetzt in meine Oberarzt-Visite gehen.“ Der Assistenzarzt stutzt verlegen und der Oberarzt zieht schmunzelnd von dannen. Humor, gut dosiert und gezielt eingesetzt, kann so die Souveränität erhöhen und

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die eigene Stimmung positiv beeinflussen. Der Oberarzt hatte seine Freude daran, mit seinem Status zu spielen, und der Assistenzarzt wird diese Situation sicher niemals wieder vergessen. Denken Sie doch einmal darüber nach, wo im Klinik- und Praxisalltag schon Humor produziert wird und wo er – auch von Ihnen als Führungskraft – noch mehr zugelassen oder gefördert werden könnte. Bauen Sie dabei eher auf Sozialen als auf Aggressiven Humor und nutzen Sie zum Beispiel positive Umdeutungen, um beim Alltagsstress auch mal ein Grinsen auf Gesichter zu zaubern (vgl. Ullmann 2018). In der Arbeit mit Humor beschäftigt uns oft, wie man Verhalten in angespannten Situationen verändern kann, um zur Gelassenheit zurückzufinden. Der erste Schritt ist: weiteratmen! Wenn das geschafft ist, kann der Neocortex wieder „Luft holen“ und auf humorvolle Gedanken kommen. Dann greift auch die Technik der positiven Umdeutung beziehungsweise der Begeisterung für Probleme und unfaire Angriffe. Klingt paradox, ist es auch. Sonst wäre es nicht witzig und auch nicht überraschend. Diese Technik kann und darf jeder anwenden. Es ist ungewohnt, sich selbst oder andere aufzuwerten. Wir sind es eher gewohnt, uns selbst und andere „durch den Kakao zu ziehen“. Nur ist es in Ihrer Funktion als Oberhäuptling nicht immer ungefährlich, dies zu tun. Ob Klinikleitung, Ärzte oder Pflegekräfte: Die meisten Menschen im Gesundheitswesen arbeiten mit Engagement und Leidenschaft. Sie machen ihre Arbeit gern und sind motiviert. Sie legen Wert auf gute Kommunikation, denn sie wissen, wie schnell man zum Beispiel Widerstände entspannen kann, wenn man die Kunst des aktiven Zuhörens beherrscht. Trotz allem kostet es sie tagtäglich Kraft, wenn es unter Kollegen oder mit Vorgesetzten nicht gut läuft. Man pflaumt sich an, „Ober sticht Unter“, da wird nicht diskutiert. Oder man gerät unter Kollegen aneinander,

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weil eher der andere „schuld“ ist. Man lernt, damit zu leben, aber das hat Auswirkungen auf die gesamte Arbeitsatmosphäre, auf die eigene Gesundheit und auf Arbeitsprozesse. Wohldosierter Humor in der Kommunikation im Team und unter Kollegen kann die Arbeitsatmosphäre positiv verändern, Konflikte reduzieren, Missverständnisse und daraus resultierende Fehler verringern, die Motivation erhöhen und gesund halten. Nachdem sie jahrelang belächelt wurden, halten Humor, Positive Psychologie und Selbstfürsorge nun Einzug in die Ausbildung der Ärzte und des Pflegepersonals – weil erfahrene Klinikleitungen und Mediziner immer wieder rückgemeldet haben, dass eben diese Themen ihnen in der Ausbildung gefehlt haben. Unsere Initiative „Arzt mit Humor“ (www.arztmithumor.de) und die Stiftung „Humor hilft heilen“ (www.humorhilftheilen. de) arbeiten dafür eng zusammen, bilden Trainer aus und evaluieren die Wirkung – um das Medikament Humor für alle Mediziner, Pflegefachkräfte und helfende Berufe nutzbar zu machen. Unbedenklich ist Humor immer dann, wenn er deutlich erkennbar ist. Das gilt auch beim Humoreinsatz in Zeiten großer Veränderungen. Die größte Veränderung unseres Lebens ist sicher der Tod. Das ängstigt uns, auch uns Profihelfer, und wir gehen zum Lachen am Lebensende manchmal in den Keller. Jüngst entdeckte ich einen Grabstein, auf dem stand: „Guck nicht so doof. Ich läge jetzt auch lieber am Strand.“ Sich mit dem Lebensende zu beschäftigen, ist eine wichtige Reflexion eines jeden Mediziners. Neben den Stufen der Trauerbewältigung – zum Beispiel nach Elisabeth Kübler-Ross (vgl. Oelmann 2013) – sind für mich die humorvolle Betrachtung und die komische Perspektive ein wichtiger Baustein in der Medizinerausbildung. Wenn man auf jeden Grabstein etwas Amüsantes schreiben würde, hätten wir neben aller

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Angst eben auch ein anderes Verhältnis zum Sterben. Denn dass jeder von uns sterben muss, ist zuverlässiger als mancher Telekom-Mitarbeiter. In stürmischen Zeiten in einer Klinik bzw. einer Praxis, also wenn Stationen zusammengelegt, DRG-Abrechnungen verändert, das Pflegestärkungs­ gesetz die Abrechnung neu herausfordert oder Patientenakten digitalisiert werden, kann eine Prise Humor guttun. Auch immer dann, wenn die nächste Gesundheitsreform ansteht oder Änderungen im Pflegewesen, wenn der Gesetzgeber etwas beschließt, das Sie als Führungskraft umsetzen sollen. Jede Diskussion, die redundant wird oder stecken bleibt, lässt sich durch Humor auflockern. Politische Negativspiralen, die unproduktiv sind, lassen sich durch Überraschungen unterbrechen. Sobald Mitarbeiter und Kollegen bei Veränderungen starr vor Angst und handlungsunfähig werden, holt man diese nur mit Sozialem Humor wieder in die Beweglichkeit. Unbedenklich ist Humor, wie gesagt, wenn man ihn erkennt, also wenn Sie den Mitarbeitenden ein Angebot machen und sie schmunzeln können – nicht, wenn Sie einen Witz nach dem anderen raushauen und keiner lacht. Der Einsatz von Humor ist sehr bedenklich, wenn er nicht erkannt wird. Ich kann es gar nicht oft genug betonen. Das gilt auch und gerade dann, wenn man sich in Zeiten von verändernden Führungsleitlinien oder Umstrukturierung über alles lustig macht. Wenn man Angst hat oder unter Stress ist, sinkt die Bereitschaft, Humor zu verstehen. Sie können als Klinikleitung den Humor also weglassen – oder eindeutiger machen, größer, sozialer, ungefährlicher. Humorvolle Kommunikation im Klinik- und Praxisalltag begegnet gerade Ihnen als medizinische Führungskraft immer wieder auf drei Ebenen: 1. im Kontakt mit Patienten,

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2. in der Klinikkultur, also unter Mitarbeitenden aller Fachrichtungen, 3. bei sich selbst als Mensch mit dem eigenen Humorgeschmack. Wenn Sie als Chefarzt oder als Chefärztin mitten in der Nacht einen Unfall eingeliefert bekommen, innerhalb von 20 Minuten im OP sein müssen und überhaupt nicht wissen, was auf Sie zukommt, werde ich Ihnen nicht als Erstes Humor empfehlen. Konzentriert und schnell werden Sie Herr oder Herrin der Lage. Momente, die mit der Abwesenheit von Humor leben können, gibt es nicht nur im unfallchirurgischen Bereich genug. Eine Aspirin nimmt man jedoch auch nicht ohne Kopfschmerzen oder Tilidin verschreibt man selten bei geringen Schmerzen. Wie sieht es nun aus mit dem Humor als Medikament? Wie gelingt die Vorstellung, die passende Dosis Humor würde auch einen Patienten zum Schmunzeln bringen? Ein Versprecher von der Oberärztin könnte auflockernd wirken. Der Chefarzt nimmt sich mit einem Wortspiel mal nicht so ernst und bringt sein Pflegepersonal, das die ganze Woche schon ohne Unterlass fleißig durchhält, zum Lachen. Selbst wenn der Chefarzt zur Visite kommt und schon einen guten Draht zum Patienten aufgebaut hat: Darf er dann wirklich nicht scherzen „Wir operieren Sie heute doch nicht“? Ein leichtes Necken im Team, das den Druck rausnimmt, ein gutes Bild, das den Patienten zur Beteiligung bewegt, eine kurze Übertreibung vor der Visite, die die Spannung auflockert: Stehen Sie dahinter, dass Humor als Medikament zuglassen wird? Ich selbst habe ein hohes Interesse an der Verbreitung dieses Medikaments. Die Rezeptur von Humor ist kostenlos, also jeder Mediziner kann sie jederzeit verschreiben und auch seitens der Klinikleitung kann Humor gut und gerne verordnet werden, nur mit der Dosis

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muss man sich auskennen. Eben auch oder erst recht als Mediziner. In dem Gesundungsprozess mit entsprechender ­Leitlinien-Orientierung kann Humor wohldosiert ein hilfreicher Begleiter sein.

3.4 Rechtswesen mit Humor – Notarielle, die beglaubigte Meerjungfrau Kita-Moment des Tages: Mein Kind fragt nach der Wasserflasche. Die Erzieherin sagt darauf: „Und wie heißt das Zauberwort?“ Mein Kind antwortet – nachdem wir es an diesem Morgen rund zehn Minuten geübt haben: „Paragraph 985 BGB Herausgabeanspruch!“ Meine Meinung dazu: Läuft! Gibt es einen typischen Humor für Anwälte? Wie Sie sehen, beeinflusst auch im Rechtswesen Ihre Expertise Ihren Humor. Stellen Sie sich vor, der Sinn für Humor wäre im Grundgesetz verankert. Der Humor des Menschen ist unantastbar. Oder wenigstens im BGB dokumentiert. Verzeihung, das wäre ja dann das HGB: das Humor-Gesetz-Buch. Werfen wir einen Blick hinein: Aufbau, Inhalt und Grundbegriffe des HGB Das Humor-Gesetz-Buch gliedert sich, dem System der Pandektenwissenschaft folgend, in fünf Bücher: Allgemeiner Teil, Humor-Grundlagen, Geschäftlicher Humor, Familienhumor und Humortechniken. Für unser Kapitel hier einige kurze Auszüge: Ausschnitt aus Buchteil 1 § 1 Beginn der Humorfähigkeit Die Humorfähigkeit des Menschen beginnt mit der Vollendung der Geburt.

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§ 2 Eintritt der vollen Humorfähigkeit Die volle Humorfähigkeit inklusive Ironie- und ­Witze-Verständnis tritt mit der Vollendung des zwölften Lebensjahres ein. § 3 Witz-Sitz, Sozialisierung und deren Einfluss auf Humor Wer humorunfähig oder in der Humorfähigkeit beschränkt ist, kann ohne den Willen des gesetzlichen Vertreters einen Witz weder begründen noch aufheben. Man wird Zeit seines Lebens von der familiären Humorsozialisierung beeinflusst. § 4 Humor eines Erwachsenen Entgegen dem Glauben der meisten Bürger ist Humor veränderbar und trainierbar. Zwar haben genetische und sozialisierende Dispositionen einen wichtigen Einfluss auf die Humorfähigkeit, sie sind jedoch nicht unveränderbar. Ausschnitt aus Buchteil 2 § 1680 Tod durch Humor Kann man sich mehr als einmal im Leben halb totlachen? Kann Humor in Arbeitsbeziehungen so sehr beschämen, dass ein Mensch ausgegrenzt wird? Mit Sicherheit kann er das. Natürlich kann beschämender Humor auch das Wohl eines Kindes gefährden. Ziegen, die Füße lecken, wurden als Folterinstrument eingesetzt. Natürlich muss Lachen irgendwann aufhören. Humor bis zum Lebensende behalten zu können, erscheint dagegen als lohnenswertes Ziel. Ausschnitt aus Buchteil 3 § 14 Unternehmer 1) Unternehmer ist ein natürlicher oder juristischer Humor oder eine rechtsfähige Humorgesellschaft, die

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bei Abschluss eines Rechtsgeschäftes in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbstständigen beruflichen Tätigkeit humorvoll handelt. 2) Ein Unternehmer oder Vorgesetzter hat immer Einfluss auf Humor in der Unternehmenskultur. Handelt er ohne Wissen über Humor, wird hinter seinem Rücken gelacht. Handelt er im Bewusstsein seines humorvollen Fingerabdrucks, danken es ihm Mitarbeiter durch Anhebung der guten Laune im Unternehmen. Ausschnitt aus Buchteil 4 § 1666 Maßnahmen bei Gefährdung des Humorwohls Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl eines Kindes durch Humor gefährdet und sind die Eltern oder Lehrkräfte nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Humor-Gefahr erforderlich sind. § 1671 Zusammenleben bei unterschiedlichem Humorverständnis Erfordert das Zusammenleben von Erwachsenen mit demselben Sinn für Humor keine besondere Beachtung, ist das mutige Zusammenleben verschiedener Humortypen eine juristische Herausforderung. Kann man Humor in das Grundgesetz aufnehmen? Ist der Humor des Menschen wirklich unantastbar? Interessanterweise sagen wir als Gesellschaft häufig: „Satire darf alles.“ Wenn man den Humor von Heinz Erhardt mit dem Humor von Serdar Somuncu vergleicht, merkt man jedoch schnell, dass Humor immer auch Spiegel der aktuellen Gesellschaft ist. Heinz Erhardt mit seinen süßen Wortspielen und Filmen der 1950er Jahre hatte größten Spaß daran, den Nachbarn unerwartet mit dem Gartenschlauch zu bespritzen. Serdar Somuncu wurde durch eine

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Lesung von Textstellen aus Hitlers „Mein Kampf“ bekannt. Seine dazugehörige Tournee „Nachlass eines Massenmörders“ zeigte die Widersprüche des Nationalsozialismus auf. Er spielte das Programm auch vor ehemaligen KZ-Häftlingen und polarisiert im 21. Jahrhundert mit seiner Figur eines Diktators sein Publikum. Der deutsche Kabarettist türkischer Herkunft experimentiert oft mit den Grenzen von Humor: Er hielt eine zehnminütige Schimpftirade auf die Türken. Die Menschen im Saal waren in kürzester Zeit begeistert von seinen Hassparolen. Das Publikum johlte und tobte anerkennend. Am Ende sagte er: „Ach so, ich meinte gar nicht die Türken, sondern die Juden.“ Totenstille im Saal. Beschämte Ruhe. Wieder einmal hatte er vorgeführt, wie schnell wir uns aufwiegeln lassen und ein Klischee verstärken. Ich habe Peter McGraw und seine Definition von Humor als harmlosen Verstoß bereits zitiert. In diesem Kapitel greife ich das nochmals bewusst auf – denn ein Verstoß klingt nach etwas, das eine rechtliche Grundlage besitzt und wahlweise eine anwaltliche Unterstützung erfordert, wenn es denn hart auf hart und zu einem Verfahren kommen sollte. Kann man also gegen Humor verstoßen wie gegen die Straßenverkehrsordnung? In bestimmten Arbeitsbereichen gibt es humorvolle Geschwindigkeitsbeschränkungen. „Hier spricht die Humorpolizei. Tut mir leid, Sie sind hier humorvoll zu schnell gefahren, das bedeutet einen Strafzettel. Sie zahlen mit Sozialem Humor.“ Macht das wirklich Sinn bei einer Sache, die man nicht anordnen oder befehlen kann? Humor lässt sich nur einladen und kaum verbieten. Und doch hat jede Gesellschaft ein unausgesprochenes Humorgesetz – und das ist von Generation zu Generation unterschiedlich. Jan Böhmermanns Schmähgedicht wurde 2016 heiß diskutiert. Und plötzlich stand die Frage im Raum: Ist das noch Humor? Auf einmal durfte

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Humor also doch nicht mehr alles und war antastbar. Die katholische Kirche nimmt es heute mehr mit heiterer Gelassenheit als im Mittelalter, wo mancher Kabarettist sicher auf dem Scheiterhaufen gelandet wäre. Nicht so locker nimmt der Islam jedoch Mohammed-Karikaturen: Der terroristische Anschlag auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo, bei dem zwölf Menschen ums Leben kamen, zeigt, dass humorvolle Meinungsfreiheit nicht für jedermann unantastbar ist. 2012 stand das Magazin bereits in der Kritik, weil es in einer Zeit von aufgeheizter Stimmung in muslimischen Ländern Karikaturen über den Propheten Mohammed veröffentlichte – erste Drohungen wurden laut. Die Redaktion berief sich auf die Presse- und Meinungsfreiheit und darauf, dass es keine Religion gäbe, die Humor einschränken könnte. Viele Institutionen und Politiker – auch in Deutschland – forderten 2012 weniger Humor über Religionen. Aus meiner Sicht würde ein stärkeres Einbeziehen von Humor als Persönlichkeitseigenschaft, die es sich bei Kindern und Erwachsenen zu fördern lohnt, das religiöse Eifern schwerer machen und stattdessen Toleranz und Diversität auf der ganzen Welt fördern. Der Theaterregisseur Anthony McCarten hat das wirklich beeindruckende Buch „Funny Girl“ geschrieben (vgl. McCarten 2015). Einerseits ist das Werk sehr unterhaltsam und andererseits beobachtet der Autor detailreich und klug, wodurch man so einiges über Humor lernen kann. Es geht um ein in Deutschland lebendes türkisches junges Mädchen, das mit einem Kopftuch bekleidet ein S­ tand-up-Programm auf die Bühne bringt. Alle Widersprüche der türkisch-deutschen Gemeinschaft, der Integrationsprobleme hierzulande und der Absurdität von religiöser Humorlosigkeit werden dabei deutlich, ergreifend und doch sehr spielerisch auf den Punkt gebracht.

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Humor im Grundgesetz, Humorverstoß und unausgesprochene Humorgesetze einer Gesellschaft führen uns mitten hinein in unser Rechtswesen. Willkommen bei den objektivsten Berufen der Welt! Wie in vielen anderen Bereichen treten Sie als Anwältin/Anwalt, als Staatsanwältin/Staatsanwalt genau wie als Richterin/Richter, als Notarin/Notar und auch als Kanzleileitung seriös, rhetorisch trainiert und durchsetzungsstark auf. Gelegenheit, humoristisch über die Strenge zu schlagen, bietet sich auf den ersten Blick nicht an. Lediglich die Mittagspause mit den Kollegen erscheint geeignet, um wie damals in der Mensa mit amüsanten Geschichten zu punkten. Trotz aller Objektivität gibt es jedoch immer wieder komische Momente im Rechtswesen, die man zur Auflockerung auch im Gerichtssaal nutzen kann. Die Maskenpflicht zur Corona-Pandemie widerspricht eigentlich dem rechtlichen Gehör. Gleichzeitig kann man mit einem Augenzwinkern nach dem Vermummungsverbot fragen: Ob man das unterläuft, wenn alle Mundschutz tragen? Das kann einen kleinen Schmunzler bringen, der alle Beteiligten im Gerichtssaal kurz aufatmen lässt. Pamela Hobbs erklärt in ihrer Studie „Wie Anwälte Humor benutzen, um zu überzeugen“, dass Witz, Esprit und Humor notwendige Werkzeuge von Anwälten sind (Hobbs 2007). Humor im Rechtswesen kann für Aufmerksamkeit und Anerkennung sorgen. Er ist außerdem ein rhetorisches Stilmittel in schwierigen Verhandlungen. Ich habe ein intensives Gespräch mit einer Staatsanwältin geführt. Ihr Arbeitsalltag sieht so aus, dass sie strafrechtliche Fälle bearbeitet, die zumeist vorher von der Polizei ermittelt wurden. Ihre Aufgabe besteht darin, die Sachverhalte juristisch zu bewerten und unter anderem anhand der jeweils vorliegenden Beweislage zu entscheiden, ob ein Verfahren eingestellt oder ob gegen eine Person Anklage bei Gericht erhoben wird. Ihre Kernaus-

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sage zu ihrer Tätigkeit: „Ich arbeite für die objektivste Behörde der Welt. Meine oberste Priorität lautet: Neutralität wahren. Meine größte Verpflichtung ist es, objektiv zu sein.“ In ihrem Berufsalltag entstehen oft unfreiwillig komische Situationen, dazu erzählt sie folgende Anekdote: Eine wesentliche juristische Spielregel ist es, dass bei einem Strafverfahren immer der Auszug aus dem Bundeszentralregister vorgelesen werden muss. Bei einem bestimmten Strafverfahren umfasste der Auszug insgesamt 21 Einträge in Form von vergangenen rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilungen des Angeklagten. Diese wurden vom Richter im Saal vorgelesen und der Angeklagte äußerte sich bei den ersten 20 Punkten dazu mit dem beiläufigen Satz „Nein, war ich nicht.“ Erst beim 21. Fall sagte er plötzlich „Jupp, das war ich!“ Die Situation wurde total komisch, weil er diesen einen Verstoß zugab, während doch auch alle anderen 20 Fälle ihm zur Last gelegt werden konnten und sein Verschulden waren. Gerade in ihrer Rolle als Staatsanwältin ist sie im öffentlichen Auftreten sehr vorsichtig mit lockeren Sprüchen oder Späßen. Denn durch einen humorvollen Einwurf im Strafverfahren könnte sonst der Eindruck entstehen, dass sie voreingenommen ist. Um das zu vermeiden, wahren die beteiligten Richter, Staatsanwälte und Anwälte auch untereinander Distanz und Neutralität in der Außenwirkung, zeigen nicht zu große Herzlichkeit oder zu viel an Offenheit. Ein Richter, der mit einem Anwalt oder Staatsanwalt auf dem Gerichtsflur scherzt, mag für den betroffenen Angeklagten bzw. auch für anwesende Zeugen und die Öffentlichkeit seltsam anmuten. Witze mit Anwaltskollegen sind also im juristischen Kontext mehr als ungern gesehen, schlichtweg nicht willkommen. Erst recht im Gerichtssaal gibt es auf den ersten Blick weniger Raum für Humor, um somit die Neutralität sicher zu stellen und die Parteilosigkeit zu

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demonstrieren. Doch bei alledem passiert Humor – meist unabsichtlich und stellenweise ist er auch völlig ungefährlich. Eine weitere Anekdote der Staatsanwältin macht das deutlich: Im Gerichtssaal saß ein stattlicher Mann, dem unter anderem mehrere Diebstähle sowie Sachbeschädigung durch Graffiti zur Last gelegt wurden. Zur Verhandlung anwesend waren mehrere Bekannte des Täters. Diese mussten während der Verhandlung mehrmals unbeabsichtigt lachen, wenn nun die einzelnen Fälle und deren Umstände beschrieben wurden. Die Staatsanwältin beschreibt das in diesem konkreten Fall als eine zwar eher unübliche, aber dennoch ungefährliche Situation, da sowohl die Bekannten als auch der Betroffene über seine teilweise skurril anmutenden Handlungen lachten. „Es war anders, als wenn Schulklassen sich als Zuschauer im Gerichtssaal lustig machen und kichern. Jugendliche und Schüler, die zu Besuch sind, lachen manchmal zu viel, fühlen sich schnell erhaben und gebärden sich teilweise sogar etwas arrogant. Sie gehen vielleicht davon aus, dass so was einem ja nie passiert und sie können mit ihrem Verhalten auch die Betroffenen beschämen. So etwas macht eine Situation unangenehm – wenn Respekt, Demut und Wertschätzung fehlen, dann wird es für alle vor Ort peinlich und sogar unerträglich.“ In dem gerade beschriebenen Fall war es allerdings anders und der Humor sorgte eher für Auflockerung – sogar beim Richter. Während nämlich eine Situation näher beschrieben wurde, legte der seinen Sozialen Humor an den Tag: Ein Ladendetektiv hatte beobachtet, wie der Beschuldigte sich im Geschäft mit Nagellack die Fingernägel lackiert hatte. Der Richter unterbrach die Ausführungen, um nachzufragen: „Die Farbe würde mich jetzt schon interessieren.“ Was der Richter hier richtig gemacht hat: Er bediente sich bei Sozialem Humor, der also keines-

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falls beschämend und somit eine ungefährliche Version von Humor ist. Insgesamt ein Paradebeispiel für auflockernden Humor – gerade vor Gericht ist die Situation für viele Menschen bedrohlich, Angeklagte und auch Zeugen stehen unter Strom – auflockernder Humor ist da oft hilfreich. Die Ausschlagnadel und der entscheidende Moment, so erfahre ich immer wieder auch von anderen juristischen Experten, ist, ob der Betroffene lacht – dann können auch mal die Anwälte bzw. Staatsanwälte, Richter oder Schöffen lachen. Das ist das beste Indiz, ob der Humor passt oder nicht. Falls der Betroffene nicht lacht, ist es die Pflicht des Richters, umgehend die Situation zu moderieren, sich zu entschuldigen und darüber aufzuklären, dass er sich nicht lustig machen, sondern nur die Stimmung etwas auflockern wollte. Vor Gericht, gegenüber Angeklagten und Zeugen und in öffentlichen Situationen gehen die Rechtsexperten eher vorsichtig mit Humor um. Anders verhält es sich unter Kollegen – da tauscht man sich über Fälle aus, spricht über skurrile Situationen und wunderliche Personen, die Eigenarten bestimmter Milieus und lässt Verhandlungen gemeinsam Revue passieren. Im Rahmen dieser kollegialen Perspektive hat Humor eine Art Ventilfunktion: Man macht sich sicher auch mal lustig, weil das im Gerichtssaal eben so gar nicht möglich ist und dort stattdessen eiserne Disziplin, viel Empathie und Fingerspitzengefühl erforderlich sind. Einen solchen Ventilhumor gibt es auch in anderen Branchen, beispielsweise bei Medizinern und auch Lehrkräften: Es ist unangebracht, sich vor Mandanten, Patienten oder Kindern über sie humorvoll auszulassen – im Nachgang in einem eingeschworenen Kreis unter Gleichgesinnten ist das okay, tut sogar gut, denn sonst staut sich etwas an. Die Staatsanwältin hat dafür sofort einige Beispiele parat, so beispielsweise über einen Angeklagten, der

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nicht auf den Punkt kam und stattdessen ständig über Wildschweine im Park berichtete, damit immer wieder vom Thema abdriftete. Beim Kaffee hinterher unter den Juristen wurden die Wildschweine zum Running Gag. Ein anderer Angeklagter musste sich vor Gericht für 60-fachen Diebstahl verantworten und beteuerte: „Jetzt mache ich einmal was falsch und muss dafür wohl gleich vor Gericht.“ Dazu die Staatsanwältin: „Trotz aller Kuriosität muss man sich auch in solchen Situationen zusammenreißen und zurückhaltend sein, denn da wäre Humor schädlich.“ An vielen Stellen im Rechtsprozess ist Humor unangebracht, nicht förderlich für eine gute Atmosphäre oder nimmt sofort die Neutralität. Das gilt erst recht bei Menschen, die möglicherweise psychisch krank sind oder aufgrund ihres Bildungsniveaus ein Lachen nicht verstehen oder völlig falsch interpretieren könnten. Mein Fazit als Humorexpertin aus dem Gespräch mit der Staatsanwältin lautet: Jemandem intellektuell überlegen zu sein, darf kein Freifahrtschein sein, um sich lustig zu machen. Ich unterhielt mich auch mit einem patenten Bankrechtler, der Humor als rhetorisches Mittel gezielt einsetzt und das sehr schätzt, um in vielen Momenten seines Alltages die Aufmerksamkeit zu verändern, einen Perspektivwechsel herbeizurufen oder die Schärfe aus Situationen zu nehmen. Er arbeitet vor allem mit Wortspielen, Andeutungen und subtilen Überraschungen. Formell hält er sich immer an die Regeln, bei passender Gelegenheit arbeitet er dabei immer wieder subtil mit Überhöhungen. Eine Anekdote blieb dem Fachmann dabei besonders im Gedächtnis: Wird eine Bank wegen fehlerhafter Anlage verklagt, geht es um viel investiertes Geld und es kommt zum Verfahren. In einem Fall gab es eine tragische Komik, denn die Namen von Kläger und Angeklagtem lauteten Schwanz und Lutsch. Pennälerhaft bauten alle beteiligten

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Anwälte in jeden Schriftsatz gewisse Wortspielchen ein, die weder notwendig waren noch den Fall schneller zum Ziel brachten. Die unfreiwillige Komik bot sich einfach an. Kaum jemand kommt in solchen Momenten an dieser Form von Humor vorbei, denn sie ist ein Alltagsventil. Bei sehr trockenen und formellen Prozessen bietet Humor die Möglichkeit, mit einem Augenzwinkern alle Parteien in ein Boot zu holen. Verhandlungen mit offenem Visier erhöhen die Mitarbeit der betroffenen Parteien. Zum Beispiel wurde vor vielen Jahren durch das gesenkte Zinsniveau eine große Aufmerksamkeit auf die Widerrufsbelehrungen der Banken gelegt. Viele Verbraucher reichten Klage wegen falscher Beratung ein. Die Triebfeder dafür war, die Zinsen rückwirkend neu zu verhandeln. Sämtliche Anwälte und Kammern beschäftigten sich eine Zeit lang nur noch mit derartigen Widerrufsfällen. Wenn ein Anwalt so einen Fall begleitet, kann er formalistische Schritte mit etwas Selbstironie vortragen oder dosierte Übertreibung einsetzen. Alle Beteiligten wissen, dass man sich als Anwalt an die Form hält. Die Art des Vortragens kann jedoch verspielter, übertriebener, empörter, ernster vonstattengehen, als es sein müsste. Basis dafür sind die widersprüchlichen Vorgaben des Gesetzgebers, daher sind alle Beteiligten mit vielen Formschritten im Prozess beschäftigt. Eine wertschätzende Prise Humor signalisiert Arbeitsbereitschaft und auch Leichtigkeit im Prozess. Das bringt dem Anwalt nicht nur in seinem Standing vor dem Richter Pluspunkte, sondern macht auch alle anderen arbeitsbereit. Nur so, davon ist der Bankrechtler überzeugt, lassen sich die langen und vielen identischen Prozesse gut durchhalten. Als Anwalt sind Sie nicht immer objektiv und neutral. Sie vertreten einen Mandanten und damit vertreten Sie eine bestimmte Seite. Selbst wenn Mandanten falsche Informationen zu Maklervertrag und Immobilie

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geben oder vorher Dinge beteuern, die sie dann im Prozess anders aussagen, müssen Sie das als Anwalt mittragen. Wenn Sie mit allen Beteiligten über einen Vergleich sprechen und eigentlich froh sind, dass der eigene Mandant so glimpflich davongekommen ist, können Sie die humorvolle Möglichkeit nutzen und in gespielter Empörung entgegnen: „Ich protestiere deutlich. Dieser Vergleich ist nicht interessengerecht.“ Falls Sie sich für so etwas entscheiden, muss Ihre Körpersprache wohlwollend und zugewandt sein. Schließlich wollen Sie ja signalisieren, dass Sie einverstanden sind, aber nach vorne etwas anderes vertreten müssen. Dass sich Ihr Mandant so gar nicht clever angestellt hat, wissen Sie genau wie der Ankläger. Dann heißt es: Form wahren – doch dabei können Sie mit Körpersprache und Betonung variieren. Berücksichtigen Sie lediglich den schmalen Grat zwischen Überraschung und Veralberung. In jedem Fall verbessern Sie Ihr eigenes Standing bei Gericht mit der Fähigkeit, sich selbst nicht so ernst zu nehmen. Das kommt gerade bei Gericht gut an – und damit ist nicht der pausenlose Clown gemeint, sondern die regelmäßige Erlaubnis, Übertreibungen und Selbstironie einzusetzen. Sie werden mit einigen Richtern immer wieder zusammenarbeiten, Staatsanwälte und andere Kollegen immer wieder treffen. Nutzen Sie das Schmiermittel Humor, um diesen Motor gut laufen zu lassen. Kennen Sie eigentlich Ihren Spielraum? Der Tierfotograf Norbert Rosing hat Eisbären und Huskys in der Interaktion beobachtet: Huskys sind wie viele Hunde eine sehr spielfreudige Tierart. Bei der Begegnung beider Tierarten zeigte sich, dass der Eisbär kämpfen, der Husky aber lieber spielen wollte. Der Eisbär gab eindeutige Zeichen zum Kampf, der Husky jedoch immer wieder Spielangebote. Am Ende spielten die beiden miteinander. Nun kann man darauf pochen, dass der Angeklagte der Böse ist und die

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Bank zu den Guten gehört – oder umgekehrt, je nachdem welche Seite man als Anwältin oder Anwalt gerade vertritt. In jedem Fall haben Sie Spielraum. Ganz klar, dass Sie als Anwalt, Staatsanwältin und Richter täglich kleinere und größere Rechtskämpfe austragen. Dazu sind Sie ausgebildet worden und das müssen Sie können. Eine hübsche Form, um einen Streit zu gewinnen, kann jedoch auch die des Spielens sein. Jeder juristische Streit besitzt eine ganz Bandbreite an Spiel und Kampf – und in diesem Spektrum liegt oft der Schlüssel zum Glück. Und wie verhält es sich mit dem Humor in Schriftstücken? Hier haben Sie die Möglichkeit, ausführliche oder knappe rechtliche Bewertungen darzulegen. Das bietet im täglichen Rechtsgeschäft extrem viel Spielraum für schriftstellerische Raffinessen. Ein rhetorisches Stilmittel kann dabei der Einsatz von fiktiven Fällen sein. Dazu beschreibt der Anwalt für Bankrecht einen Fall, in dem es um eine unwirksame Zinsanpassungsklausel aus den 1990er Jahren ging. In vielen Kreditverträgen steht, dass Zinsen variabel zu handhaben sind. Der BGH beschloss 2004, eine solche Klausel sei intransparent. Seitdem werden Verträge für den Einzelfall geprüft. In vielen Fälle muss ein Bankrechtler nun mühsam dem Richter erklären, dass man hypothetisch eine andere Klausel eingesetzt hätte, wenn die Zinsanpassung nicht richtig sei. Diesen Schritt kann man vorwegnehmen, indem man bereits in den Schriftstücken einen fiktiven Fall anführt: Man stelle sich also vor, die Bank hätte es nach folgendem Grundprinzip gemacht, dann würde das das allgemeine Marktniveau verändern, dann hätte der Kunde kein Problem gehabt, weil es dem Grundsatz entspricht. Gespielte Empörung hilft im Gerichtsverfahren übrigens immer wieder mal dabei, einen Moment locker(er) zu gestalten. Ihre Aussage „Hier müssen wir eindeutig verschieben wegen einer Formalität. Es war ja

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klar, dass der BGH dazu folgende Meinung hat …“ ist ein hübscher Kniff, um der Gegenseite Recht zuzuschustern. Wenn Ihre Körpersprache und Betonung eben nicht ganz zu den formalen Schritten passen, sollte das beim gegenparteilichen Anwalt und hinter dem Richtertisch so manches Schmunzeln entlocken. Man kann durch Humor den Status des Angreifers senken oder erhöhen. Man kann unsinnige Argumentationen übertrieben anführen, ironisch auf einem Sachverhalt herumreiten und so eine wesentlich entspanntere Atmosphäre erzeugen. Vorausgesetzt allerdings, dass man alle Beteiligten wertschätzt und die Ironie und Empörung damit kombiniert. Dann wird Humor zu einem rhetorischen Stilmittel, dem sich kaum einer entziehen kann. Vor allem bei komplizierten Fällen lohnt es sich, Humor einzusetzen. Das hilft einerseits dabei, die Aufmerksamkeit zu erhöhen, und andererseits, die Sichtweise Ihres Mandanten deutlicher zu vertreten. Ein Beispiel: Eine Bank führte ein Verfahren gegen eine Familie von Großbauern. Hintergrund: Die Bank hatte die Finanzierung einer großen Biogasanlage übernommen. Was zwar gut gedacht war, entpuppte sich trotz Ergebnis als unrentabel. Denn es erforderte gigantische Ressourcen von Lebensmitteln, um die Anlage überhaupt laufen zu lassen. Die Einnahmen aus der Anlage wurden ergänzt durch Einnahmen aus erneuerbaren Energien. In diesem Fall wurde um Abtretung der Stromeinspeisevergütung, den eigentlichen Wert der Anlage und die Besitztümer gestritten. Es brauchte große Anstrengungen, um sämtliche Zusammenhänge in kürzester Zeit überhaupt vor Gericht darzustellen. Mit viel Bauernschläue wollte die Familie die Bank austricksen, um Gelder für sich zu bewahren. Der Anwalt der Anklage arbeitete deswegen in seinen Schriftsätzen immer wieder mit Zitaten aus Schillers Drama „Die Räuber“ und überhöhte den

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Schurken und den Helden. Nutzen Sie Überhöhung, Film- oder Theaterbeispiele, um deutlich zu machen, wer die guten Jungs sind und wer sich der bösen Seite der Macht verschrieben hat. Ganz klar: Selbstverständlich gibt es viele Fälle ohne humoristische Lockerheit. In manchen Fällen überwiegt auch das Erledigungsinteresse gegenüber dem Inhaltsinteresse. Dieser Satz klingt für mich als Nicht-Anwältin amüsant, obwohl er rechtlich der Richtigkeit entspricht und für Sie sicher nicht zum Schmunzeln ist. Sie wollen und müssen den Fall schnell vom Tisch kriegen, um überhaupt die Fülle der Arbeit zu bewältigen und rentabel arbeiten zu können. An manchen Stellen gibt es eben auch keinen Spielraum für Schillerzitate oder humorvoll übertriebenes Juristendeutsch. In jedem Fall gibt es jedoch – wie in jeder anderen Branche auch – in Ihrem Bereich komische Elemente. Die müssen Sie entdecken, um sie gezielt nutzen zu können. Kampfarena hin, Spielplatz her: Wenn und wo es sich anbietet, wechseln Sie auch mal ein Wort mit der Gegenseite. Trotzt Neutralität, die man in einem Gerichtssaal immer wahren muss, sieht man Gegenanwälte im Widerrufsverfahren manchmal öfter als die eigene Ehefrau. Der kommunikative Austausch auf dem Flur nach einem Prozesstag gehört dazu, vielleicht geht man auch ein Bierchen zusammen trinken und betont dabei den guten gemeinsamen Nenner im Verfahren. Das lässt auch Sie als Anwalt mit den Kollegen eine schwierige Phase gut durchhalten. Selbst nach einer schwierigen Verhandlung kann man unter Anwälten im Nachgang klären: „Sorry, dass ich Ihnen da gerade so eine Show liefern musste.“ Neben aller Inszenierung und neben aller Objektivität gestaltet man auch im Rechtswesen täglich Beziehungen neu. Ihr juristisches Ergebnis wird jedoch immer auf Ihre rhetorischen Fähigkeiten im Gerichtssaal zurückgeführt.

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Auch die Frage nach Humor als Deeskalationsinstrument in der Mediation habe ich gestellt – und dazu interessante Antworten von verschiedenen Mediatoren erhalten. Eine Mediatorin berichtete beispielsweise davon, wie sie in einem Erbrechtsstreit vermittelte: Drei Brüder saßen mit ihr am Tisch. Die Mutter war noch gar nicht verstorben. Die Ehefrauen waren imaginär auch mit in die Runde involviert. „Der Raum hier ist ganz schön eng. Soll ich noch Stühle dazu stellen?“ Verwunderte Blicke. „Wenn ich genau hinschaue, stehen Ihre Frauen scheinbar hinter Ihnen und setzen Sie auch noch unter Druck“, reflektierte die Mediatorin. Die drei Brüder mussten schon schmunzeln – und entspannten sich sofort. Mediationen sind Klärungsgespräche zwischen Streitparteien – und es ist eine Dienstleistung, daher ist der Mediator hier weniger wichtig als die Sache selbst. Gelassenheit ist eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiche Mediationen. Es wird in Bildern gesprochen, um Empfindungen zu vergrößern. Das eröffnet eine völlig andere Arbeitsweise, als wenn am Landgericht bei einer Verhandlung ein bösartiger Kollege auf der Gegenseite hinausposaunt: „Mit Ihrer Frisur können Sie auch in der Geisterbahn auftreten“ – denn dann ist niemand durch Humor entspannter. Im Gegenteil, die Fronten verhärten sich. Einen Mediator zieht man hinzu, wenn man merkt, dass es Themen oder Konflikte gibt, die man selbst nicht lösen kann. Die Aufgabe des Mediators ist es, gemeinsam mit den Konfliktpartnern einen Weg zu finden, der für alle gut gangbar ist. Das Wirksame an der Mediation für Rechtsanwälte und andere Berufsgruppen ist die im Kern relativ einfache Methode, die Konflikte Schritt für Schritt beleuchtet. Antworten auf die Fragen, was hinter den Streitparteien liegt und welche Bedürfnisse und Wünsche jeder eigentlich hat, helfen beim Deeskalieren. Es geht darum, hinter die Fassade zu schauen und zu erkennen,

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was unter der Oberfläche der Vorwürfe liegt. Mediation besteht aus drei Säulen: 1) Die Haltung als Mediator 2) Eine gewisse Struktur im Klärungsgespräch: Eröffnung, Konflikt, Hintergründe, Lösung und Einigung. Eine Mediation ist mehr als nur „mal darüber reden“. Im Herzstück steht das ressourcenorientierte Arbeiten, also der Blick auf die Bedürfnisse der streitenden Parteien. 3) Einige Methoden, die sich bewährt haben: gutes Zuhören, gutes Fragen, kein Bewerten. Man muss keinen dicken Wälzer mitnehmen und nachschlagen, was man als Mediator tun oder lassen soll, sondern das Grundmodell ist relativ einfach. Die einfache und klare Struktur im Mediationsgespräch hat für alle Beteiligten etwas Beruhigendes, Verlässliches und gibt ein Grundgerüst an Sicherheit. Auch wenn das Grundwissen der Mediation auf ein Flipchart passt: man lernt nie aus, davon sind alle Mediatoren überzeugt. Und eine große Portion Empathie und handwerkliches Geschick gehören zur erfolgreichen Mediation auch dazu. Menschen, die eine Mediation oder ein Klärungsgespräch aufsuchen, sind stets unter Spannung. Deswegen, so formuliert es der auf Mediation spezialisierte Rechtsanwalt Bernhard Böhm in einem längeren Gespräch mit mir, sei ein flotter Spruch in der Mediation absolut fehl am Platz: „Wenn man zwischen entspannender Überhöhung und beschämendem Humor nicht unterscheiden kann, ist für mich Humor fehl am Platz. Dann sollte ich als Mediator Humor lieber weglassen. Für mich ist Humor nicht unbedingt ein Witz oder Schenkelklopfer. Humor entsteht für mich eher durch Situationskomik. Einen Unterschied zwischen persönlichem und beruflichem Humor mache ich dabei nicht.“ Bernhard Böhm ist seit mehr als 20 Jahren als

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Rechtsanwalt und Mediator tätig. Für ihn ist Humor in der professionellen Konfliktklärung nicht mehr wegzudenken. Bernhard Böhm beschreibt sich selbst als einen Menschen, der im Supermarkt vor dem Regal mit zehn verschiedenen Schokoladensorten steht und sich nur schwer entscheiden kann. Es fiel ihm auch schon immer schwer, sich schnell zu positionieren. In seiner Rolle als Mediator stellt sich das als große Stärke dar. Denn er steckt Menschen weder in Schubladen noch zeichnet er Schwarz-Weiß-Bilder von Gegebenheiten. Stattdessen ist er aufgeschlossen. In einem Konflikt darf ein Mediator nicht der einen oder anderen Partei Recht geben. Wie in so vielen Arbeitsbereichen von Anwälten hat auch der Mediator eine neutrale Funktion. Bernhard Böhm arbeitet überwiegend innerhalb von Organisationen: Unternehmen, Behörden, Verwaltungen, im öffentlichen Dienst. Die Mediationsfälle dort sind häufig Konflikte zwischen Mitarbeitern und Führungskräften, sowohl im Team als auch zwischen Einzelpersonen. Es können auch Fälle innerhalb eines Teams auftreten. Dann ist die Führungskraft trotzdem nicht ganz außen vor, weil sie in einer gewissen Verantwortung steht, auch wenn sie nicht Konfliktpartei im unmittelbaren Sinn ist. Die Initiative für eine Mediation geht mitunter auch von den Mitarbeitenden aus, das hängt teilweise von deren Hierarchiestufe ab. Die konkreten Anfragen stellen meist jedoch Führungskräfte oder Personalverantwortliche – insofern ist die Führung immer auf eine Weise involviert, zumal das Unternehmen auch die Kosten übernimmt. Wiener Wurzeln und ein Freund des schwarzen Humors – so lässt sich Bernhard Böhm gut beschreiben. Über ein T-Shirt, das man bei den Wiener Friedhöfen erwerben konnte, musste er schmunzeln. Darauf stand: „Hier liegen Sie richtig.“ Über diesen typisch schwarzen Humor in Wien kann er sich gut amüsieren. „Doch so etwas sollte man in der Mediation natürlich nur sehr

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bewusst und nicht unüberlegt einsetzen. Für mich bedeutet Humor eine gewisse Gelassenheit, Themen auch einmal durch eine andere Brille zu betrachten, ein paradoxer Blick auf eine Situation, ein Schmunzeln, Dinge nicht ganz so ernst zu nehmen oder nicht so sehr an mich heranzulassen.“ Beim Einsatz von Humor in der Mediation muss man sehr vorsichtig sein: „Eine flapsige Bemerkung hält man selbst vielleicht für ungefährlich, aber bei einem Medianten bzw. Konfliktpartner kann sie eine nicht vorhergesehene Assoziation auslösen. Wenn die Konfliktparteien selbst Humor einbringen, bin ich dem gegenüber durchaus aufgeschlossen. Wenn Humor passiert und zur Situation passt, lasse ich ihn zu und lache gern mit.“ Humor kann auch bedeuten, anderen Menschen mit einem freundlichen Lächeln zu begegnen. Als Mediator kann man es so auch vermeiden, noch zusätzliche Schwere in eine ohnehin belastende Situation zu bringen. Humor in der Mediation kann also vor allem entspannend wirken. Bernhard Böhm erzählt von einer Mediation zwischen zwei älteren Kolleginnen: Am Ende der zweiten Sitzung stupste eine die andere an und sagte: „Ach komm, wir zwei Alten werden das doch auf unsere alten Tage noch schaffen, für die nächsten Jahre einen gemeinsamen Weg zu finden!“ Daraufhin mussten beide herzlich lachen. Das hatte nicht besonders viel Tiefgang, möchte man meinen, aber dieser Moment der Situationskomik brach damals das Eis. Wenn Menschen wieder lachen können, dann hat Humor etwas in Bewegung versetzt. Wann (und ob) Humor im Laufe einer Mediation auftritt, ist ganz unterschiedlich und hängt vom Eskalations- und Belastungsgrad ab. Häufig hat ein Konflikt schon eine gewisse Historie, er läuft bereits Monate oder Jahre. Am Anfang sind die meisten angespannt und es herrscht Unsicherheit: Werde ich ausreichend geschützt? Wie weit muss ich

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mich öffnen? Erfahre ich wieder Verletzungen? Da sind die involvierten Personen eher reserviert. Es ist nicht ganz ausgeschlossen, dass Menschen auch am Anfang Humor einwerfen, aber das ist eher die Ausnahme. Wenn man langsam Vertrauen findet – zunächst zum Mediator oder zur Mediatorin – und merkt, dass man sich in einem geschützten Raum öffnen kann, wenn es vielleicht weniger um Rückblick, sondern eher um kreative Gestaltung geht, dann taucht in den Sitzungen Humor eher auf. Das ist insbesondere in der Lösungsphase der Fall, wenn es auch um abstruse und paradoxe Ideen geht. Da kommt der Humor zum Tragen und ist auch mehr zu spüren. Solange das Eis noch dünn ist, sieht Bernhard Böhm Humor eher als gefährlich an. Es kann durchaus passieren, dass die Konfliktparteien selbst Humor nützen, beispielsweise indem sie Dinge überzeichnen. Was als Schenkelklopfer gedacht war, kommt dann aber oft beim Gegenüber überhaupt nicht an. Mancher will mit Humor auch bestimmte Situationen überspielen oder verdrängen. Aber die anderen Beteiligten haben dann eher das Gefühl, er nehme die Sache nicht ernst. „Das ist eine Gefahr des Humors, wenn der andere denkt, dass sich der Kollege über einen lustig macht. Der hört mir gar nicht zu und übergeht die Situation.“ Humor aus einer peinlichen Situation heraus, wenn alle ohnehin schon dünnhäutig sind, fällt oft nicht auf fruchtbaren Boden. Es ist etwas anderes, wenn Kumpels bei einem Bier zusammensitzen und einer im Spaß zum anderen sagt: „Du hast das noch nie hingekriegt. Du bist von uns der Allerschlechteste und alles, was du anpackst, geht schief.“ Da lachen vielleicht alle darüber und finden es lustig. In der Mediation findet der Kollege es – verständlicherweise – generell nicht zum Lachen. Manche sind der Meinung, Humor habe in der Mediation nichts zu suchen. Nach Bernhard Böhms

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Humorverständnis kann in der Mediation allerdings das eine und andere Augenzwinkern helfen, Dinge nicht zu ernst zu nehmen und eine gewisse Gelassenheit zu finden. Diese Art von Humor hat eine wichtige, entspannende Funktion. Es ist wichtig, als Mediator auch authentisch zu bleiben: Wenn man eigentlich eine humorvolle Frohnatur ist, sollte man sich nicht verstellen. Humor kann man als Anwalt oder Mediatorin immer erstmal auf sich selbst beziehen. Sie selbst sind als Person der „ungefährlichste Gegenstand“ für Humor. Selbstironisch kann man lediglich sich selbst als Mediator auf die Schippe nehmen. Wenn Sie erste Beziehungen und Vertrauen hergestellt haben, können Sie auch mit Ihren Mandanten Humor machen, jedoch sollten Sie zielsicher Sozialen Humor einsetzen. Wertschätzender Humor in einer Mediation ist eine Gratwanderung, eine Herausforderung. Denn Mediatoren arbeiten immer mit zwei, drei oder noch mehr Beteiligten. Und man weiß nie, welche Reaktionen man auslöst und welchen Einfluss das auf die eigene Rolle hat: Wird man dann als parteiisch wahrgenommen oder tritt man jemandem auf die Füße? Humor kann auch Mitauslöser eines Konflikts sein, zum Beispiel wenn jemand das Gefühl hat, dass andere über ihn oder sie lachen. Running Gags können lustig sein – aber eben auch verletzend. Irgendwann kann es zu viel werden. Insofern kann Humor auch Konflikttreiber sein. Man muss schauen, wo die Grenze ist. Bernhard Böhm erinnert sich an eine solche Begebenheit: Einem seiner Kollegen ist einmal das Brötchen in der Mikrowelle explodiert. Sogar die Werksfeuerwehr musste anrücken. Fast hätte der Zwischenfall einen hohen finanziellen Schaden bedeutet. Im Team war dieses Ereignis hinterher der Running Gag. Wenn dieser Mitarbeiter etwas falsch machte, hieß es sofort: „Da hast du wieder dein Brötchen in die Mikrowelle gelegt.“

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Die ersten Male konnte er noch darüber lachen, aber irgendwann wurde es ihm zu viel. Die anderen fanden es weiterhin lustig. Manchmal entpuppt sich unternehmensinterner Humor als verletzender Zynismus. Für Bernhard Böhm ist Loriot ein großes Vorbild und einer der größten Kommunikationstrainer. Von ihm kann man viel lernen, denn Loriot zieht nicht einen Einzelnen durch den Kakao. Neben Loriot ist Böhm auch ein großer Anhänger von Gerhard Polt: „Der kann auch über sich selbst lachen. Auch das ist für Humor in der Mediation spannend: sich selbst mal nicht so ernst zu nehmen, über sich selbst zu schmunzeln, über ein Missgeschick oder über Verhaltensweisen. Das kann einem auch persönlich weiterhelfen, nicht nur im Mediations-Setting, sondern zum Beispiel in der Reflexion, im kollegialen Austausch, in der Vor- und Nachbereitung, wenn man auch auf sich selbst schaut. Da macht Humor auch ein bisschen demütig. Vielleicht erreicht man irgendwann sogar, dass man über seine eigenen Triggerpunkte schmunzeln kann. Das kann sogar auf andere abfärben. Es ist aber eine hohe Gabe, über sich selbst zu lachen. Viele behaupten, es zu können, wenige schaffen es tatsächlich. Man sagt sich selbst: Ich bin nicht der wichtigste Mensch auf der Welt. Das hat auch etwas Entspannendes.“

3.5 Technik mit Humor – logisch unlogisch „There are two types of people in this world – those who can extrapolate from incomplete data.“ Sehr englisch. Sehr technisch. Selbst mit einer Übersetzung („Es gibt zwei Arten von Menschen auf dieser Welt – diejenigen, die aus unvollständigen Daten extrapolieren können.“) oft für andere Abteilungen und Bereiche nicht verständlich. Ihrer

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Branche wirft man, egal ob Sie Ingenieur, Informatiker oder technischer Experte sind, auch in der Führung, oft nerdigen Humor vor. Ist das ein Problem? Solange Sie unter technischen Experten sind: keinesfalls. Mit diesem Humor grenzen Sie sich von Menschen ab, die nicht Ihr technisches Detailwissen haben. Humor ist ein Ventil und schafft Distanz, um an dem Desinteresse und Unwissen anderer Menschen nicht zu verzweifeln. Dieser Humor kann jedoch auch ausschließen und irritieren. Wenn Sie projektübergreifend Aufmerksamkeit von anderen Abteilungen zu technischen Details wollen, ist unverständlicher Humor tatsächlich ein Problem. Wenn man den Humor nicht erkennt, ist er nicht nützlich. In angespannten Situationen kann er Ihnen als Führungskraft dann sogar schaden. Humor unter Ingenieuren, Informatikern und technischen Experten hat Tradition: Die Nerds lachen über den DAU, den dümmsten anzunehmenden User, weil der sich einfach „so unbeholfen“ anstellt. Und die User lachen über die Nerds, weil die einfach „so realitätsfern“ sind. Doch klar ist auch, dass der Ingenieur schon vor 50 Jahren nicht ohne den kaufmännischen Leiter auskam, der final entschied, ob die neue Entwicklung gebaut wird. Die technische Abteilung muss sich nach der Entwicklung neuer Software mit dem Vertrieb auseinandersetzen, denn diese Leute und der Außendienst verkaufen das Produkt. Und in der heutigen digitalen Zeit kommt erst recht niemand ohne den anderen aus. Man kann es sich als technischer Experte schlichtweg einfach nicht leisten, ausschließlich nerdigen Humor zu machen, den ausschließlich die technischen Experten verstehen. Sie müssen als technischer Experte jedoch auch nicht auf jeglichen spezifischen Humor verzichten. Hilfreich ist die Kombination aus massentauglichem Humor, den der Rest des Unternehmens versteht, und ein paar spitzfindigen

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Insidern, die nur den technischen Stab in der Besprechung zum Schmunzeln bringen. Lassen Sie uns einen ernsthaften Blick hinter die Humorkulissen werfen. Ganz klar, Sie sind Experte: Informatiker, Wirtschaftsinformatiker oder technischer Spezialist. Das, was Sie täglich beschäftigt, beeinflusst natürlich auch Ihren Humor. Was heißt das? Ihre Expertise macht auch Ihren Humor sehr besonders. Kennen Sie den schon? „A user interface is like a joke. If you have to explain it, it’s not that good.“ Oder das Comic von Hilbring, auf dem er einen Mann mit glänzendem Alu-Hut an einem Rechner sitzend am Schreibtisch zeigt. Ein anderer steht hinter ihm und fragt: „Geht mich ja nix an, aber du schreibst deine ­Bill-Gates-Verschwörungstheorien mit Word?“ Gerade an den Schnittstellen, an denen Sie als technischer Experte mit dem Rest der Menschheit zusammentreffen, sind Un- und Missverständnisse zum Greifen nahe. Auch solche Situationen tragen nicht gerade zum herzlichen Miteinander bei: Sie präsentieren im Meeting und Ihr Gegenüber unterbricht Sie mit Sätzen wie „Kommen Sie endlich auf den Punkt“ oder „Erschlagen Sie mich bitte nicht mit technischer Expertise.“ Selbst der Vorstand fragt in der Projektbesprechung: „Wie lange dauert das denn noch?“ Nicht technische Bereiche wollen häufig lediglich wissen, was die finanzielle, technische und personelle Investition denn jetzt eigentlich bringt. Wie bringen Sie als technischer Experte Ihre brillanten Ideen auf den Punkt und gewinnen Akzeptanz beim Gegenüber? Fassen Sie sich kurz. Überlegen Sie sich im Vorfeld: Was wäre der wichtigste Punkt, wenn Sie einem Team die gesamte Komplexität des Projektes in einer Minute erklären müssten? Der sogenannte Elevator Pitch, also ein Kurzvortrag, der so lange dauert wie die Fahrt in einem Fahrstuhl, ist dafür ein

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gutes Tool. Doch Vorsicht: Wenn der Chef tatsächlich im Aufzug fragt „Warum ist das Projekt so teuer?“, sollte man nicht immer versuchen, einen Witz zu machen. Dafür ist die Zeit im Fahrstuhl oft zu kurz. Wenn man diese wenigen Sekunden, die man dabei zur Verfügung hat, ausschließlich für Humor nutzt, lässt man sein Gegenüber mit einer unbeantworteten Frage zurück. Gerade bei einem Vorgesetzten ist das schwierig. Ein Witz darf dabei sein, aber er muss ein Beiwerk bleiben. Man sollte die Frage beantworten – oder man sagt, dass das Thema zu komplex sei und man sich deswegen treffen müsse. Wenn Sie als Experte von digitalen Prozessen die „Normalos“ auf Ihre Seite ziehen wollen, dann drücken Sie sich nicht umständlicher aus als unbedingt notwendig. Erklären Sie Fachbegriffe einfach, reduzieren Sie Ihre Projekterklärung auf eine Fahrstuhllänge. Bringen Sie den Nutzen und Mehrwert der neuen Tools auf den Punkt – ohne mit technischer Expertise zu erschlagen. Und denken Sie immer daran: „A user interface is like a joke. If you have to explain it, it’s not that good.“ Meiner Erfahrung nach ersetzt Humor nicht die Unfähigkeit von technischen Experten, auf den Punkt zu kommen. Erst wenn Sie eine Kernaussage treffen können und wissen, was die Essenz Ihrer Mitteilung ist, können wir uns Ihrem gezielten Humoreinsatz widmen. Stellen Sie sich vor, wie es wäre, wenn Sie Ihr Expertenwissen einem Fünfjährigen erläutern müssten. Sie müssen deswegen keinesfalls auf Komplexität verzichten, sondern lediglich auf den Punkt kommen – genau das erzeugt Aufmerksamkeit. Wenn Sie das mit humorvollen Bildern kombinieren, alle Kollegen und Mitarbeiter in der Besprechung zuhören, dann können Sie immer noch thematisch und inhaltlich ausholen. Auf den Punkt kommen hat noch eine weitere wichtige Bedeutung: Humor lebt von Timing. Kabarettisten bemühen sich ihr gesamtes Leben

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lang, ihr Timing zu perfektionieren. Ein guter Witz wirkt erst durch die Pause. Wenn Sie nicht auf den humorvollen Punkt kommen, wird es nicht witzig. Verknappen Sie eine Anekdote, kürzen Sie einen Witz, reduzieren Sie das humorvolle Bild auf das Notwendigste. Dann wird es auch lustig. Wie wäre es zum Beispiel damit: „Wie viele Programmierer braucht es, um eine Glühbirne zu wechseln? Gar keinen – es ist ein Hardware-Problem.“ Sie machen sich das Leben in Meetings, Verhandlungen und Mitarbeitergesprächen leichter, indem Sie so manchem Widerstand oder Angriff mit Gelassenheit begegnen. Wie funktioniert das? Das übliche Steinzeitverhalten wie Angriff, Flucht oder Verteidigung muss man erst mal weg atmen. Denn das kostet schnell kämpferische Energie. Folgendes Beispiel macht das deutlich: Ein technischer Experte hat nach der Präsentation in einer Bereichsleiterbesprechung mit Widerstand zu kämpfen. „Das ist schön und gut, dass die Amis mit dieser technischen Lösung klarkommen. Aber wir haben nun mal andere Probleme als die Amerikaner“, ist die Rückmeldung eines Kollegen aus dem Plenum. Die Antwort des Experten: „Nun ja, die Amis haben Trump. Wir haben die AfD. Da sehe ich schon Ähnlichkeiten.“ Kurze Irritation. Grinsen. Der kritische Kollege ist sprachlos. Jetzt kann man miteinander gelassen in die Verhandlung um technische Lösungen einsteigen. Im Falle einer schwierigen Verhandlung ist unser Ziel im Humortraining, Irritation oder Überraschung bewusst einsetzen zu können. Wollen Sie einem Verhandlungspartner auf Augenhöhe begegnen und einen Statuskampf aushalten, nutzen Sie eine Portion Aggressiven Humor. Einen angespannten Gesprächspartner, der voller Widerstände im Verhandlungsgespräch sitzt, entspannen Sie mit ungefährlichem Humor. Abwertungen in Meetings wie beispielsweise „Von der IT hört man ja überhaupt nichts“

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lassen sich mit einem Richtungswechsel entwaffnen: „Richtig. Wir sind wie das Atmen. Man sieht den Sauerstoff nicht, aber wenn er wegbleibt, wird’s schnell echt schwer.“ Oder eine andere Variante: „Richtig. Wir sind ja auch die Ninjas des Unternehmens und arbeiten wie beim SEK: Wenn es brennt, kommen wir und lösen das Problem. Leise selbstverständlich!“ Widerstände kann man mit frech-liebevollem Humor parieren. Eine gute Formel dafür lautet: Je angespannter das Gegenüber, desto deutlicher und ungefährlicher muss der Humor sein. Das können Sie tatsächlich trainieren. Humor muss von den anderen Gesprächspartnern erkannt werden, um deeskalieren zu können. Als technischer Experte, Vertriebsingenieur oder Sales Manager sollten Sie dies wissen und sich auch damit auskennen, welche Art von Humor Sie wann und wie bewusst dosieren. Der Sales-Ingenieur Stephan Richter hat sich damit bereits intensiv auseinandergesetzt. Er hat Ingenieurs-Know-how und Vertrieb von der Pike auf gelernt und lebt gewissermaßen in zwei Welten. Es ist faszinierend, wie er in seinem Business beide Sprachen spricht und als Dolmetscher zwischen Vertrieb und technischer Expertise vermittelt. Dies spielt in seinen Trainings und Vorträgen eine wichtige Rolle. Er liefert drei Beispiele für technische Experten und ihren Humoreinsatz. Technik Nummer 1: Nachlass-Hammer Dies ist ein absoluter Klassiker im Technikalltag. Dazu folgende Situation: Ein Vertriebsingenieur wird in der Verhandlung über eine Lösungseinführung mit einer provokanten Forderung des Einkaufsleiters konfrontiert. Hier der dazugehörige Dialogauszug:

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Kunde: Wir haben einen guten Eindruck von Ihnen gewonnen. Im Vergleich zum Wettbewerb müssen Sie allerdings mindestens 30 % im Preis nach unten, um mit uns ins Geschäft zu kommen. (Hinweis: Es handelt sich um eine Pauschalforderung, unabhängig vom Wettbewerbsangebot.) Ingenieur: (Nachdenkliche Pause – die ist wichtig!) Das ist interessant. Was ich mich jetzt frage: Welche Leistungen lässt der Wettbewerb weg? (Anschließend die Pause aushalten, bis der Einkaufsleiter reagiert.) Humor-Effekt: Durch die aufgeworfene Frage wird der Einkauf überrascht. Spannung im Gespräch wird gelöst, häufig ein Lächeln ausgetauscht. Der Einkauf wird erfahrungsgemäß im Fortgang über Leistungen sprechen, weniger über Konditionen. Der Vertriebsingenieur gewinnt die Chance, direkt mit Wertigkeit und Kundennutzen zu argumentieren und höhere Preise durchzusetzen. Außerdem wird die Wahrnehmung des Vertriebsingenieurs als Verhandlungspartner auf Augenhöhe gestärkt. Der Interessenausgleich zum „Win-Win“ wird erleichtert. Technik Nummer 2: Skalierungstrick Folgende Situation: Der Vertriebsingenieur hat mit dem Kunden eine gewünschte Sonderausführung eines Moduls abgestimmt. Der Kunde will perspektivisch 80 Stück p.a. in seine Systeme integrieren. Hier kommt der entsprechende Dialogauszug: Kunde: Das Modul darf maximal 150 EUR kosten. (Hinweis: niedriger Preis trotz niedriger Stückzahl) Ingenieur: Gut, dann lassen wir Ihnen in vier Wochen davon 100 Stück zukommen. Kunde: 100 Stück? Wir wollen erst einmal fünf Stück.

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Ingenieur: Die 150  EUR halten wir ab einer 100-Stück-Bestellung. Bei fünf Stück liegen wir bei ­ 320 EUR je Modul. Humor-Effekt: Durch Übertreibung der zu liefernden Stückzahl wird dem Kunden ironisch bewusst gemacht, dass die Initialkosten der Versionsanpassung auf die zugesagte Stückzahl umgelegt werden müssen. Für Kleinstmengen hat der Vertriebsingenieur einen starken Preisanker (320 EUR) gesetzt. Jetzt kann ein stückzahlkorrespondierender Modulpreis zwischen 150 und 320 EUR erzielt werden. Ein „Nein“ auf die unrealistische Preisforderung wird humoristisch vermieden. Die Lösungsfindung bleibt dadurch im Fluss. Übrigens: Diese Technik können Sie sich auf meinem YouTube-Kanal anschauen.

Technik Nummer 3: Überraschung bei Preisdruck Die dritte Situation ist ein weiterer Klassiker aus dem Vertriebsalltag: Im Falle von Preisdruck mit falschen Fakten arbeitet Stephan Richter ebenfalls mit einer Überraschung. Der Ingenieur wird im Jahresgespräch mit dem Fachabteilungsleiter oder Kunden bezüglich der Leistungsqualität im vergangenen Jahr und Preissenkungen für das neue Jahr mit taktisch übertriebener Kritik konfrontiert. Dazu passt folgender Dialog:

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Kunde: Mit Ihrem Support sind wir ja weitgehend zufrieden. Allerdings ließen die Reaktionszeiten für Problemlösungen oft zu wünschen übrig. (Hintergrund: Ziel des Kunden ist es, mit Herabwürdigung der Leistungen eine bestimmte Preissenkung durchzusetzen.) Ingenieur: (Nachdenkliche Pause machen – wichtig!) Das überrascht mich. Wie konnten wir dann gemeinsam sicherstellen, dass die vereinbarten Abschaltzeiten Ihres Systems um die Hälfte unterschritten wurden? (Pause aushalten, bis Ihr Gegenüber reagiert.) Humor-Effekt: Durch die gezeigte Überraschung und die aufgeworfene Frage wird dem Fachabteilungsleiter humorvoll vermittelt, dass seine Aussage realitätsfremd und übertrieben ist und seine Strategie durchschaut wurde. Der Kunde wird im Fortgang erfahrungsgemäß seine Übertreibung relativieren. Das eröffnet dem Vertriebsingenieur die Chance, dem Service-Level entsprechende Preise durchzusetzen. Außerdem kann er jetzt die „Ertappt!“-Situation für sich nutzen, um über zusätzliche Leistungen (und Kosten) zu sprechen. Dritter Vorteil: Die Wahrnehmung des Vertriebsingenieurs als Partner auf Augenhöhe wird gestärkt. Der Interessenausgleich zum „Win-Win“ wird somit erleichtert. Dass sich komplizierte Dinge durch verbindenden Humor vereinfachen lassen, davon ist Tobias Schrödel (www.tschroedel.de), mit dem ich ein längeres Gespräch über Humor und IT führen konnte, überzeugt. Bekannt als Blogger und Buchautor widmet er sich komplexen, technischen Sachverhalten, die er einfach und sehr unterhaltsam erklärt. „Ich glaube, es hackt: Ein Blick auf die irrwitzige Realität von Computer, Smartphone und I­T-Sicherheit“ heißt sein aktuelles Werk

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(vgl. Schrödel 2016). Vor knapp zwanzig Jahren haben bei ihm Informatik und Humor zusammengefunden. Er saß damals als Zuhörer in einer Schulung in einem Standard-Hotel – mit einem Trainer, der vom Reden keine Ahnung hatte, nur Fremdwörter nutzte und seine Technik herunterbrabbelte, nuschelte, sich wegdrehte, Folien vorlas. Alles verlief derart gruselig, dass er dachte: „Das muss besser gehen.“ Inzwischen hat er als „Deutschlands erster IT-Comedian“ (so schrieb es einmal die Zeitschrift CHIP) das richtige Verhältnis zwischen Wissensvermittlung und Unterhaltung gefunden, das dem Publikum gefällt. Dabei sieht er sich selbst nicht als Komiker und wird lieber als IT-Experte angekündigt: „Dann rechnen die Menschen ­ mit einem traurigen, langweiligen, trockenen Vortrag. Und sie freuen sich, wenn es anders wird, als erwartet.“ Eine Computer-Zeitschrift nannte ihn mal ComedyHacker – diese Formulierung verwendet er nun auch selbst, wenn auch kritisch: „Da schwingt auch eine gewisse Erwartungshaltung mit. Comedy-Hacker klingt nach Mario Barth, der Computerwitze erzählt. Aber das ist bei mir überhaupt nicht der Fall. Comedians wollen 90 min lang nur unterhalten. Deren Ziel ist nicht, dass man hinterher weiß, wie man ein sicheres Passwort erstellt und warum ein Backup wichtig ist. Aber genau das ist meine Aufgabe. Das Wort Comedy hat ein schweres Gewicht. Bei mir geht es eher um Infotainment – auch wenn ich dieses Wort nicht mag.“ Erinnern Sie sich noch an Fukushima? 2011 drohte das Atomkraftwerk zu explodieren – und explodierte dann tatsächlich. Beim Nachrichtensender N24 und anderen Medien wurde damals sehr vereinfacht erklärt, wie ein Atomkraftwerk funktioniert. Das reichte aus, um zu verstehen, wo das Problem lag. Experten können sich da etwas abschauen: Man sollte einen Schritt zurückgehen, sich gewissermaßen auf Zuhörerebene herablassen und

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in deren Sprache sprechen. Dann bekommen die Leute ein erstes Verständnis vom Sachverhalt, darauf kann man aufbauen. Es muss nicht alles an Fachwissen vermittelt werden. Beim Atomkraftwerkschema von N24 fehlten vermutlich ein paar Pumpen oder Abkühlbecken. Aber das spielt keine Rolle, wenn es darum geht, das Prinzip zu erklären. Tobias Schrödel versucht auf ähnliche Weise, den Menschen Technik einfach und reduziert zu erklären, um einen Aha-Effekt zu erzielen. Wenn er das mit einem Witz, einer Anekdote, einem Schmunzeln zwischen den Zeilen untermalt, sind die Zuhörer glücklich und nehmen etwas mit. Humor hat für Tobias Schrödel zwei Funktionen: Erstens ist es aus der Sicht des Geschäftsmanns von Vorteil, wenn die Zuhörer und der Veranstalter nach einem Vortrag zufrieden sind und ihn weiterempfehlen. Zweitens überrascht er seine Zuhörer und Zuschauer gern. Denn sie rechnen mit einer trockenen Technikvorführung, im schlimmsten Fall mit einer Schulung. Hinterher wundern sie sich, dass schon eine Stunde vergangen ist, weil es ihnen richtig Spaß gemacht hat. „Das tut mir auch persönlich gut. Die Leute sollen rausgehen und sagen: Mensch, das war richtig klasse. Und wenn der Schrödel wiederkommt, dann gehe ich gerne noch mal hin.“ Ihm geht es darum, dass bei den Menschen etwas hängen bleibt und sie das Gelernte auch gerne weitergeben. So wie bei der Sache mit den Stapel-Chips-Dosen, die er in seinen Vorträgen schon mal eingebunden hat: „Diese Dosen sind aufgrund ihrer Länge, ihres Durchmessers und der Metallbeschichtung ideal, um als Yagi-Antenne für eine ­WLAN-Verstärkung zu sorgen. Auf der Bühne baute ich aus dieser Dose eine Antenne zum Knacken eines WLANs. Das haben sich die Leute gemerkt.“ Bei einer Veranstaltung bei einer Versicherung hatte der Auftraggeber nach seinem Vortrag in der Kantine sogar auf

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jeden Tisch eine solche Chips-Dose gestellt – und einen Zettel dazu mit der Botschaft: „Na, schon das Passwort geändert?“ Einmal beim Tanken tippte ihm jemand von hinten auf die Schulter und fragte: „Sie sind der mit der Chips-Dose, oder?“ Es war fast zwei Jahre her, dass der Mann ihn gehört hatte, und er meinte: „Das mit der Dose werde ich nie vergessen!“ Im Rahmen einer normalen Schulung hätte er vermutlich wieder vergessen, wie und warum man für sichere Passwörter sorgen sollte. Wie bekommt man als technischer Experte mehr Humor in seine Themen? „Indem man sich selbst nicht so ernst nimmt. Alle wissen schließlich, dass man Experte ist. Man muss also nicht unbedingt unnahbar sein, um als Experte zu wirken. Man kann sich sozusagen vom hohen Ross herunterbegeben und etwas lockerer sein. So ergibt sich das eine oder andere nette Gespräch oder eine Pointe – es muss ja nicht immer ein Witz sein. Was spontan und locker ist, wird auch angenommen.“ Dass dieser Weg nicht funktioniert, wenn jemand auf Gedeih und Verderb lustig sein möchte, weiß Tobias Schrödel auch. Dann wirkt man verkrampft, Inhalte kommen gestellt anstatt lustig rüber. „Es gehört eine gewisse Lockerheit dazu – die entwickelt sich durch die Erfahrung und mit dem Selbstbewusstsein, dass die Zuschauer einem als Techniker gar nicht an der Goldkrone kratzen möchten, sondern froh sind, wenn sie etwas lernen. Wenn man das weiß, kann man humorvoller auftreten.“ An manchen Stellen sind allerdings Details und technische Tiefe unverzichtbar – was dann? Der Sicherheitsexperte versucht, die betreffenden Informationen in kleine Häppchen zu verpacken. Wichtig ist nur, dass man nicht am Stück Fachwörter herunter rattert, nur um sich selbst zu beweisen – dann sind die Leute gedanklich spätestens nach vier, fünf Sätzen weg und keiner hat etwas gewonnen.

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Am Beispiel einer bestimmten Angriffsmethode – dem sogenannten Social Engineering – vermittelt Tobias Schrödel wichtiges Wissen in seinen Vorträgen: Er ruft beim Automobilhersteller BMW im Werk in Dingolfing an und gibt vor, sich aus der Zentrale in München zu melden. Oft macht er die Erfahrung, dass die Menschen am anderen Ende der Leitung gar nicht überlegen, ob das wirklich ein Kollege ist. Ein Hacker muss sich also gar nicht groß rechtfertigen, sondern zelebriert gleich seinen Angriff: „Hier ist die Hotline, wir müssen gerade etwas überprüfen. Sagen Sie mir bitte mal schnell die I­ P-Adresse, die auf Ihrem Computer steht.“ Es geht schnell, sich Vertrauen zu verschaffen, um an sensible Daten zu gelangen. Im nächsten Schritt sucht sich Tobias Schrödel einen Zuhörer, an dessen Smartphone er demonstriert, wie einfach diese Methode funktioniert. „Da sind die Leute erstmal baff. Doch mir geht es darum, dass sich meine Zuhörer das dauerhaft merken, um nicht in solche Fallen zu tappen – und sie wissen, wie sie sich schützen. Das Thema ist sehr technisch und ich vermeide lieber den erhobenen Zeigefinger. Also erzähle ich noch eine wahre Anekdote.“ Und die geht so: Am Ende eines Vortrags kam einmal eine Zuhörerin zu ihm, stammelte ein wenig herum und bat ihn dann um Hilfe. Die Frau glaubte, dass ihr Mann sie mit ihrer besten Freundin betrog. Nun erhoffte sie sich, ihn überführen zu können – und bot dem Comedy-Hacker dafür sogar 50 EUR Honorar. „Das habe ich natürlich nicht gemacht!“ Kurze Pause. „Unter 100 EUR!“ Und schon hat Schrödel nicht nur einige herzhafte Lacher auf seiner Seite, sondern die Informationen sind auch beim Publikum gut abgespeichert. Nicht immer sind es nur Geschichten, in denen Humor transportiert wird. Tobias Schrödel arbeitet auch gern mit Botschaften zwischen den Zeilen – mit einer Reaktion, einer Geste oder einer Atempause. Manchmal gibt es

3  Branchenspezifischer Humor     381

Stellen in seinem Vortrag, die er persönlich richtig witzig findet, bei denen aber nie jemand lacht. Umgekehrt gibt es Momente, in denen alle lachen, die als Gag so aber gar nicht gedacht waren. „Das ist mir manchmal ein Rätsel.“ Doch Witze müssen sich entwickeln, findet Tobias Schrödel. Kein Witz, der in seinem Vortrag heute gut funktioniert und den er regelmäßig erzählt, war am Anfang genauso schon gestrickt. Wenn ein Witz gut ist, sitzt er schnell, knackig und präzise. Man muss aufpassen, dass die Heranführung nicht zu langatmig wird. Der Lacher ist kurz, also darf der Witz keine halbe Stunde dauern. Die Pause, die man in einen Witz einbauen kann, eignet sich perfekt, um einen Schluck Wasser zu trinken. „Man muss sich praktisch zurückhalten, um die Pause nicht zu überspringen, weil man sich so freut, dass die Leute gleich lachen werden.“ Übertreibung, Timing, Pausen, jede Menge ausprobieren und üben – so entsteht das Bühnenprogramm. Doch was tun bei gemischtem Publikum – also wenn sowohl Laien als auch andere Experten dabei sind? Tobias Schrödel greift da gerne auf die britische Fernsehserie „The IT Crowd“ zurück: Im Mittelpunkt stehen zwei liebevoll dargestellte Nerds, die an der Hotline arbeiten und deren Chefin so überhaupt keine Ahnung von IT hat. In der Serie werden sämtliche Nerd- und IT-Klischees ausgeweidet und sie ist bei vielen Hardcore-ITlern bekannt und beliebt. In bestimmten Vorträgen nimmt er darauf Bezug. Wenn von den 200 Anwesenden in dem Moment nur zehn Leute lachen, ist das so gewollt – denn mit diesen Insider-Witzen holt er sich bei den Experten ein paar Sympathiepunkte, schließlich langweilen sie sich sonst komplett während der Veranstaltung, die inhaltlich in der Regel ja nicht auf höchstem Fachniveau stattfindet. „Damit signalisiere ich: Eigentlich bin ich einer von euch, auch wenn ich jetzt so tue, als würde ich das alles

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nur für die anderen machen.“ Auch wenn sich 95 % der Zuhörer kurz einmal ausgeschlossen fühlen, sind solche ­Insider-Witze für Tobias Schrödel angebracht. Übrigens habe ich auch schon meine Erfahrungen mit der Sitcom „The IT Crowd“ gemacht und habe festgestellt, dass auch Nicht-Nerds wie ich vieles amüsant finden. Allerdings fällt auf, dass IT-Experten eben an anderen Stellen lachen als wir „Normalen“. Ein schöner Witz ist folgender: Einer der Hauptprotagonisten fragt einen Polizisten, welches Betriebssystem denn sein Roboter zur Bombenentschärfung hat. Der Polizist antwortet: „Windows Vista.“ Und der Nerd schreit sofort panisch: „We are going to die!“ Den finde auch ich als Nicht-Techniker unterhaltsam. Solche Feinheiten können Sie als technische Führungskraft unterscheiden und verwenden, um signifikant die Aufmerksamkeit in Ihren Präsentationen und Projektbesprechungen zu erhöhen. Genau das ist mein Ziel im Training und Coaching mit Ingenieuren, Maschinenbauern, Wirtschaftsinformatikern, IT-Fachleuten und anderen technischen Experten: sie zu befähigen, den Humor so einzusetzen, dass sie sowohl für Experten als auch Nicht-Experten etwas zum Schmunzeln haben. Wie ein Vortrag ankommt, hängt allemal vom Publikum ab. Wenn 80 Rechtsanwälte in Anzug und Krawatte im Saal sitzen, die sich gegenseitig nicht kennen, dann kann es zu einer zurückhaltenden, etwas steiferen Atmosphäre kommen. Anders verhält es sich bei den Einkäufern eines Computerladens, die sich seit zehn Jahren kennen, sich jedes Jahr bei einer Veranstaltung treffen und sich darauf freuen, abends zusammen an der Bar zu sitzen – sie lachen untereinander viel freier und sind kaum verklemmt. Je nachdem, wer im Publikum sitzt, passt Tobias Schrödel seine Erwartungen an.

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Fazit: Von der attraktivitätssteigernden Wirkung des Humors profitiert der handelsübliche technische Spezialist eher selten. Besonders in der Kundenkommunikation führt das dazu, dass Missverständnisse entstehen und die Beziehung belastet wird. Ein Wirtschaftsinformatiker beispielsweise vermittelt oft zwischen der IT und den „Kunden“. Eine Führungskraft kommuniziert dabei mit allen Abteilungen, entwirft potenzielle ­Software-Produkte und bringt komplexe Fragestellungen auf den Punkt. Projektverzögerung, Finanzierung oder technische Probleme gehören zum Alltag. „Warum ist das so teuer?“, „Wieso dauert das so lange?“ und „Wieso brauchen wir eigentlich IT, läuft doch alles!“ sind nur einige der menschlichen Tücken des IT-Projektmanagements, für die Humor ein pfiffiger Begleiter ist. Zugegeben: Kein einfaches Unterfangen, wenn Technik-Freaks und innovative Vordenker wie ITler und Wirtschaftsinformatiker, Ingenieure und Programmierer immer wieder mit Menschen zu tun haben, die digitale Deppen sind. Mein großartiger Kollege Gaston Florin bezeichnet sich und andere in dem Falle auch gerne als digitale Nacktschnecken. Auch unter uns Trainern gibt es noch solche, die ihre neuen Produkte tatsächlich noch auf VHS-Kassetten verkaufen und die bei der standardisierten Einführung von Webinaren schon beim Technik-Check erschrecken. Kaum verwunderlich also, dass technische Experten die Augen verdrehen, wenn sie auf Leute treffen, die denken, bei der iCloud handele es sich um geklaute Eier und Megabyte sei eine Party, die man nicht verpassen sollte. Auch in Ihrem Unternehmen, egal ob inhabergeführter Mittelstand oder Konzern, gibt es trotz aller digitaler Begeisterung und Notwendigkeit nach wie vor Mitarbeiter, die meilenweit vom sinnvollen Einsatz von E-Learning entfernt sind und bei

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Blended Learning denken, es handele sich um eine neue ­Sonnenschutz-Creme. Man kann Blue Prints, also verschiedene H ­ umor-Ideen für verschiedene wiederkehrende Situationen im Tagesgeschäft vorbereiten. Ingenieure und Techniker können und sollten Humortechniken genauso kennen und in die Projektplanung integrieren wie die üblichen anderen Ressourcen (Kollegen, Know-how, Zeit, Geld). Wenn auch Sie feststellen, dass Abteilungen und Mitarbeiter Ihres Unternehmens digital noch in der Steinzeit leben: Verzweifeln Sie bitte nicht am Fortbestand der Menschheit. Nutzen Sie Humor und vereinfachen Sie Komplexität. Vielleicht kann man ein Pflichtenheft für ein Mindest-Repertoire an Humor aufbauen. In Projekten könnte man Humor-Meilensteine markieren, also Anlässe für Humor sammeln und nutzen. Ein Kritischer Pfad kann blamierende Ironie sein, die man bewusst vermeidet. Es gibt nicht nur Projekt-Sprints wie den Daily Sprint, sondern auch Running Gags, die täglich auftauchen können. Und manchmal nervt so ein Daily Sprint oder Running Gag eben auch und es darf einer weniger sein. Ein Status-Meeting darf auch auf den Humorstatus schauen, nicht nur auf den Projektstand. Denn dann lässt sich selbiges eventuell auch schneller umsetzen, weil Kollegen besser zuhören und aktiver mitmachen. Nehmen Sie den Mitarbeitern die Angst und machen Sie Lust auf Neues. Nehmen Sie vor allem Mitarbeitern anderer Abteilungen die Angst, indem Sie neue Tools einfach erklären. Verpacken Sie die Einführung in eine Webinar-Software humorvoll. Lassen Sie nicht zu, dass eine Online-Besprechung eine dröge Abfolge von ­PowerPoint-Folien bleibt. Sorgen Sie dafür, dass in einer technischen Schulung gelacht werden darf. Vielleicht machen Sie sich sogar die Mühe, eine Bedienungsanleitung zu visualisieren und unterhaltsam zu schreiben. Das erhöht die Aufmerksamkeit und reduziert Widerstände.

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Humor war schon immer Schmiermittel in einer gut funktionierenden Maschine. Inzwischen wird er jedoch viel bewusster genutzt. Schimmelkulturen entstehen nicht mehr zufällig wie bei Fleming, als er im Urlaub war, sondern es wird absichtlich gezüchtet, um Penicillin herzustellen. Für Ärzte ist Humor ein dringend benötigtes Medikament, für einen Ingenieur das Schmiermittel der Maschine, für einen Informatiker die dringend benötigten Terabyte, um viel zu schaffen. Wenn man Projektmitarbeiter nach Persönlichkeitstypen wie nach INSIGHTS1 auswählt, kann man effektive Teams mit führungsstarken, kreativen und teamorientierten Mitarbeitern zusammenstellen und wirkungsvoll arbeiten lassen. Warum dann nicht auch die Humorstile der Projektmitarbeiter genauer unter die Lupe nehmen oder Humorstile im Bewerbungsgespräch erfragen? In jedem Team, das effektiv funktioniert, ist ein Mitarbeiter hilfreich – wenn nicht sogar eine Projektleitung –, die Sozialen Humor in ausgeprägter Form in das Projekt einbringt. Das verspricht bessere Konfliktklärung und mehr Zusammenhalt im Projekt.

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1INSIGHTS MDI® ist ein ganzheitliches Diagnostikinstrument zur Talenterkennung und Potenzialentwicklung. Es misst Verhalten, Motive und die emotionale Intelligenz einer Person. Unternehmen stellen so die Rekrutierung und das Talentmanagement auf eine wissenschaftlich fundierte Basis. https:// www.scheelen-institut.com/unternehmen.

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4 Die Humortechniken

Der Zweck von Humortechniken ist es nicht, dass man sich an der Definition aufhängt, sondern dass man einen zuverlässigen Ort findet, wohin man gehen kann, wenn man einen Witz braucht, und zwar sofort. Vorhaus 1994 Inhaltsverzeichnis

4.1 4.2 4.3 4.4 4.5

Humorvoll den Spiegel vorhalten: gezielt deeskalieren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 Umdeutungen: Entspannen Sie Mitarbeiter in drei Sekunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 Inkongruenzen: Präsentieren Sie atemberaubend. . . 403 Absichtliches Missverstehen: Nehmen Sie die Sache nicht ernst! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 Synonyme: ein Wort und viele Möglichkeiten. . . . . 405

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 E. Ullmann, Humor ist Chefsache, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30095-1_4

391

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4.6

Die Dreier-Regel: Enttäuschen Sie eine Erwartung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7 Unsinniges Zustimmen: auch bei Beleidigungen unschlagbar bleiben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.8 Gegenkonter: Zeigen Sie klare Kante. . . . . . . . . . . . 4.9 Entlarvung: eine Ebene höher gehen. . . . . . . . . . . . 4.10 Die Heldenreise: eine uralte Technik. . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

406 408 413 414 415 426

Zusammenfassung  In diesem Kapitel … • lesen Sie, welche zehn Humortechniken sich für den Chef-Alltag anbieten, • Sie erhalten konkrete Tipps für deren Anwendung, • Sie erweitern mit diesen Techniken Ihren humorvollen Werkzeugkasten und Ihr Repertoire, • und können letztlich entscheiden, welcher Humorstil Ihnen am meisten entspricht. John Vorhaus schrieb den absolut einzigen Satz, den es zu der Berechtigung von Humortechniken zu sagen gibt. Mir geht es auch im Technikkapitel nicht darum, Situationskomik durch Techniken zu Tode zu analysieren, sondern Ihnen einige sichere Orte zu ermöglichen, an denen Sie sofort Humor finden, wenn Sie ihn brauchen. Im Laufe des Buches sind immer wieder Humortechniken kurz aufgetaucht und Beispiele genannt worden. In diesem Buchteil finden Sie nun eine allgemeine Übersicht der technischen Errungenschaften der Humor-Profis. Von allen Techniken haben Sie im Laufe des Buches bereits gelesen. Neben dem hilfreichen und pragmatischen Überblick gibt es nun noch einige weitere konkrete Beispiele für Ihren Alltag als Führungskraft.

4  Die Humortechniken     393

• Situation: In Ihrem Jour fixe isst ein Teilnehmer. → Ihre Reaktion: „Ich sehe, Sie haben Hunger und wollen sich noch für den Vortrag und meine großartigen Inhalte stärken.“ • Situation: Im Meeting schauen Teilnehmer aus dem Fenster. → Statement der Führungskraft: „Sagen Sie mir bitte Bescheid, wenn der rosafarbene Elefant mit der blauen Schleife vorbeikommt, dann ist es Zeit für meine Tanzeinlage.“ • Situation: Klapperndes Geschirr vom Buffet nebenan. → Rednerin: „Wir machen heute gleich noch parallel eine Konzentrationsübung: zuhören, während es nebenan klappert.“ Techniken sind Handwerk, diese kann man lernen und üben. Manchmal klappt es besser, manchmal ist es zäh. Sie selbst entscheiden letztendlich darüber, wie strukturiert Sie sich mit dem Thema befassen oder ob Sie Humor weiterhin eher aus dem Gefühl heraus machen. Techniken befähigen Sie – erst recht in kritischen Situationen – zurechtzukommen, eine Handhabe zu besitzen. Doch eigentlich geht es darum, dass Sie Situationen nicht ausschließlich technisch betrachten, bis ins letzte Detail analysieren und sich dann rational für diese oder jene Humortechnik entscheiden. Es geht um etwas Übung und Routine mit den Techniken. Techniken sind etwas, das Führungskräften Sicherheit gibt. Und wenn die Technik sitzt, beginnt das wahre humorvolle (Arbeits-) Leben …

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4.1 Humorvoll den Spiegel vorhalten: gezielt deeskalieren Um angespannte Situationen im Unternehmen oder beim Kundenkontakt zu entspannen, bedarf es einer gewissen Sensibilität im Humoreinsatz. Ob Desinteresse, Widerstand oder Beschwerde, ein ärgerlicher Kunde oder beispielsweise ein Entlassungsgespräch: Sie können humortechnisch nicht alles machen, wenn es gerade knallt. Der lohnenswerte Blick dabei ist: Wie ist mein Gegenüber beschaffen? Hat er Humor? Oder hat er keinen Humor? Tatsächlich? Oder hat er nur nicht Ihren Humor? (vgl. Deutsches Institut für Humor 2020) In solchen Momenten kommt es auf die Feinheit im Ton an – und auf die Körpersprache: Angenommen, Ihr Mitarbeiter sitzt und Sie stehen. Nun gehen Sie sehr nah an ihn heran und werden in Ihrem Ton richtig schön suggestiv und fragen: „Glauben Sie, dass Sie das richtig gemacht haben?“ Sie werden sehen: Sie schaffen es binnen von gerade Mal drei Minuten, Ihren Mitarbeiter in eine Stresssituation zu versetzen. In Verhandlungen und erst recht im Vertrieb kann das ein gewünschtes Ziel sein. Bei manchem Produktverkauf wäre es für alle Beteiligten allerdings besser und einfacher, wenn man Stresssituationen geschickt in Entspannung verwandeln könnte. Dazu ist die Technik des humorvollen Spiegelns mehr als geeignet. Eine Mitarbeiterin kommt wutentbrannt mit einem Problem zum Chef und sagt: „Das müssen Sie mit den Kollegen klären. Das mache ich nicht!“ Wie reagiert nun die Führungskraft? Sie sagt: „Sie finden, das sollte ich klären?“ oder „Sie brauchen dabei meine Unterstützung?“ Hier wird bereits die Technik des Spiegelns angewendet. Eine humorvolle Spiegelung ist es dann, wenn der Chef nun mit einem Hauch von Clint Eastwood

4  Die Humortechniken     395

in der Stimme antwortet: „Sie wollen also, dass der Sheriff das hier mal regelt?“ Die Spiegel-Methode eignet sich sehr gut, um angespannte Momente zu entspannen. Die Technik ist einfach: Der Grund für die Anspannung wird angesprochen. • Beispiel 1: – Ansage: „Warum ist das Projekt so teuer?“ – Spiegelung: „Sie wollen finanziell im Plan bleiben.“ (Man fasst das Gesagte zusammen.) • Beispiel 2: – Ansage: „Ach, nerven Sie nicht mit der Zuarbeit. Die Software nutzt doch eh kein Mensch.“ – Spiegelung des Widerstands: „Ihnen ist nicht klar, warum wir diese neue Software entwickeln.“ Man muss zuerst klassische Spiegelungen üben. Das ist im Angriffsfalle schon außerordentlich schwierig. Spiegelungen müssen zur eigenen Sprache passen und dürfen nicht gestelzt wirken, sonst fühlt sich der Gesprächspartner veralbert. Das kann schon schwierig sein, wenn die Tonlage des Angreifers aggressiver und die Atmosphäre kühler wird. Wenn es trotzdem gelingt, den Angreifer zu spiegeln, nutzt man die bestmögliche Deeskalationstechnik. Wenn man das Spiegeln schon beherrscht, kann man beginnen, zusätzlich liebevoll zu übertreiben. Es lohnt sich wirklich, diese Techniken zu kombinieren – und zu üben. Aus meiner Sicht ist das humorvolle Spiegeln eine der effektivsten Techniken, um Anspannung und Widerstände in Besprechungen und Lernsituationen schnell und wirksam zu senken. Sie verwandeln mit dieser Technik Widerstände und kommen an die Gründe, die dahinterstecken. Sie sehen schon, die

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Technik des humorvollen Spiegelns liegt mir sehr am Herzen. Sie gewinnen Informationen und reduzieren Widerstände. Würzen Sie Spiegelungen noch mit einer Portion Übertreibung, gelingt eine beeindruckend deeskalierende Wirkung von Spannung. „Wofür haben wir das viele Geld eigentlich ausgegeben?“, fragt der Vorstand in der Besprechung. Eine humorvolle Spiegelung kann heißen: „Sie befürchten, ich habe mir einen Urlaub auf den Bahamas finanziert?“ Machen Sie eine Pause, bevor Sie logisch weitermachen: „Keine Angst, ich kann Ihnen jeden Projektschritt präzise verdeutlichen.“ Lassen Sie dem Humor Raum. Nach einer humorvollen Spiegelung ist eine Pause wichtig, um wirken zu können. Die Übertreibung ist der Lautstärkeregler des Humors. Ohne Übertreibung werden Sie keinen Menschen zum Lachen bringen. Wenn man zu wenig übertreibt, findet es kein Mensch lustig. Dann sieht einen das Gegenüber mit einem großen Fragezeichen im Gesicht an oder nimmt das, was man sagt, ernst. Wenn man zu viel übertreibt, fühlt sich das Gegenüber veräppelt und nimmt einen nicht mehr für voll. Die Dosis macht also das Gift oder führt zum Erfolg. Es geht darum, die passende Dosis für jede Situation und alle Beteiligten zu finden. Dann wird Humor ein hilfreicher Begleiter im Alltag von Führungskräften (vgl. Ullmann und Hansmeier 2019). Nehmen Sie also eigene „Stärken“ und „Macken“ und übertreiben diese. Dabei kommt niemand zu Schaden, denn die einzige, die Sie auf die Schippe nehmen, sind schließlich Sie selbst. Übertreiben Sie stufenweise. Ich bin so zerstreut, dass ich überall Sachen liegen lasse. Ich bin so zerstreut, dass ich schon alle Sachen doppelt habe.

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Ich bin so zerstreut, dass selbst der Salzstreuer schon neidisch ist. Ich kann so gut kochen, dass jeden Tag jemand zum Essen kommt. Ich kann so gut kochen, dass ich mein Büro in die Küche verlegt habe. Ich kann so gut kochen, dass Gott schon nach Rezepten für den Himmel fragt.

Probieren Sie das mit eigenen Macken oder Stärken selbst aus. Das wird schnell lustig. Oft übertreiben Sie mit Freunden und der Familie stufenweise und schaukeln sich gegenseitig hoch. Das kann natürlich auch mehr als dreimal sein, wie in den beiden Beispielen oben. Wenn es dann noch nicht lustig ist, übertreiben Sie gerne stärker. Ab wann können Sie schmunzeln? Das ist ein sicheres Zeichen dafür, dass die Humordosis langsam stimmt. Klischees lassen sich übrigens hervorragend für Übertreibungen nutzen. Sicher lachen Sie in Meetings oder Gesprächen öfter mal über Vorurteile, Stereotypen und Klischees. Kennen Sie den: „Was ist eine Blondine mit Wachs in den Ohren? – Hohlraumversiegelung!“ Achtung! Sie befinden sich inmitten der Gefahrenzone von abwertendem und Aggressivem Humor. Nutzen Sie doch zur Abwechslung mal positive, aufwertende Klischees. Was genau ist das? Männer sind einfach Helden, Retter und Könige. Sie trauen sich, unpassende Witze zu erzählen, halten aus, wenn keiner lacht, können auf Bühnen stehen, machen klare Ansagen, schauen sich nicht von der Seite im Spiegel an, sondern immer frontal. Frauen sind Piratinnen, Königinnen und Heldinnen. Sie jammern nicht bei Schmerz, gebären Kinder, sind schön, ziehen sich schick an, haben Mut zu großen Gefühlen, sind stark und herzlich zugleich. Wessis kennen die Welt, wissen

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sich zu präsentieren, haben Ellenbogen und eine gesunde Portion Selbstbewusstsein. Ossis sind herzlich, nahbar, bescheiden, halten zusammen, können sich ohne Telefon verabreden und sind krisenerprobt. Sozialpädagogen können gut klären, Informatiker sind logisch und gut strukturiert, Mediziner retten Menschenleben. Kurzum: Pauschalisierungen sind oft humorvoll. Nutzen Sie jedoch geschickt den Einsatz positiver Übertreibung und heldenhafter Klischees. Es ist schwer, sich dieser Wirkung wirklich zu entziehen. Eine gute Atmosphäre erzeugen Sie, wenn Sie erkennen, welche Persönlichkeit in einem Mitarbeiter oder einer Kollegin steckt, und verstehen, was er oder sie sich von Ihnen wünscht. In dieser Atmosphäre kann man gut mit Übertreibungen von Stärken, aber auch von Schwächen arbeiten. Diese Atmosphäre bringt auch oft die engagierte Beteiligung des Teams mit sich. Wichtige Voraussetzung für wirkungsvollen Humor: liebevoll karikieren anstatt zynisch auf Kosten der Mitarbeiter Humor zu produzieren. Es kann sehr heilsam sein, mit Klischees zu spielen. Schöne, wohlwollende, also aufwertende Klischees öffnen das Gegenüber. Ein schönes Beispiel ist das einer jungen Teilnehmerin im Seminar, deren Chef zu ihr vor versammelter Mannschaft sagte: „Ich will Sie nicht vorführen, sondern Ihnen nur Ihre Inkompetenz aufzeigen.“ Ihre humorvolle Spiegelung war: „Sie wollen etwas für meine Karriere tun und mir ermöglichen, mich zu verbessern. Ich bin sehr dankbar für Ihr Engagement!“ Alle Umstehenden mussten sich das Lachen verkneifen. Souverän nutzte sie Humor, um aus dieser Situation herauszukommen. Denken Sie an die Körpersprache: Die wunderbaren verbalen Übertreibungen funktionieren nur, wenn

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Sie von einer nonverbalen, also körpersprachlichen Freundlichkeit und der passenden Dosis Übertreibung begleitet werden. Das Schmunzeln in Ihren Augen, die charmant hochgezogene Augenbraue, das bewusst naiv schauende Gesicht, die hochgerissenen oder in die Hüften gestemmten Arme, der Terminator- oder Cowboy-Blick machen Ihren Humor deutlich und zeigen: Ich mache Humor, ich spiele, ich will Sie zum Schmunzeln verführen. Wenn Sie ungefährlich übertreiben wollen, seien Sie ebenso eindeutig in Ihrer Sprache wie in Ihrer Körpersprache. Natürlich gibt es auch viele Menschen, die ohne großen Einsatz von Körpersprache humorvoll sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Kollegin, die gerade verärgert ist, wirklich versteht, dass Sie etwas humorvoll meinen, erhöht sich allerdings drastisch, wenn Sie auch Ihre Körpersprache miteinbeziehen. Wer nicht spiegeln kann, der kann auch nicht liebevoll in stressigen Momenten übertreiben. Spiegeln hilft Ihnen, bei Steinzeitreaktionen durchzuatmen, um dann wieder an Ihre humorvollen Einfälle zu kommen.

4.2 Umdeutungen: Entspannen Sie Mitarbeiter in drei Sekunden Der Begriff Umdeutung (im Englischen: Reframing) oder auch Neurahmung entstammt der Systemischen Familientherapie und wird auf Virginia Satir zurückgeführt (Wikipedia o.J.). Auch in der Hypnotherapie von Milton Erikson, dem NLP (Neuro-Linguistisches Programmieren) und der Provokativen Therapie hat das Reframing einen hohen Stellenwert. Durch Umdeutung gibt man einer Situation eine andere Bedeutung bzw.

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einen anderen Sinn. Man versucht, die Situation in einem anderen Kontext oder „Rahmen“ zu betrachten. Ein Rahmen ist auch eine eingeschränkte Sicht der Situation. Verlässt man den Rahmen, verändert sich auch die Sicht auf die Dinge. Ziel einer Umdeutung ist es, den an der Situation Beteiligten einen leichteren Umgang mit dieser zu ermöglichen. Umdeutungen verwendet man nicht nur in therapeutischer Umgebung. Aber diese Technik kommt aus den helfenden Berufen, nicht aus dem Kabarett – wie zum Beispiel die Inkongruenzen. Umdeutungen im humorvollen Sinne bedeuten nicht nur, den Rahmen der Situation zu wechseln, sondern sogar einen amüsanteren Rahmen zu sehen als vorher. 2020 können Sie als Führungskraft kommentieren: „Rückblickend hat wohl 2015 niemand die Frage ‚Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?‘ richtig beantwortet.“ Da dies eine beliebte Frage im Management ist, deuten Sie die klassische Nutzung dieser Frage humorvoll um. Humorvolle Umdeutungen sind für Führungskräfte ein einfaches und vor allem ungefährliches Tool, um Anspannung bei sich selbst und Mitarbeitenden zu lösen. In der entstehenden Leichtigkeit können Themen in Besprechungen und Konflikte leichter geklärt werden. Missgeschicke und Fehler sind für viele Menschen beschämende Ereignisse, die täglich passieren. Sie sind, wie Sie sich vielleicht denken können, gleichzeitig gutes Material für Humor. Umdeuten bedeutet eine ungewöhnliche, übertriebene, positive, ja manchmal sogar absichtlich falsche Interpretation der Situation. Ziel ist es, Lachen und damit Entspannung zu erzeugen. Damit trainieren Sie Ihren aufwertenden bzw. Sozialen Humor.

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• Beispiel 1: – Missgeschick: Der Beamer fällt bei einer Präsentation vor dem Vorstand aus. – Umdeutung: „Wir tun heute etwas für die Umwelt und sparen Strom.“ – Alternative: „Der Beamer ist schon mal im Feierabend. Dann tanze ich Ihnen jetzt den Rest der Präsentation vor.“ • Beispiel 2: – Missgeschick: Sie vergesse den Namen eines Mitarbeiters. – Umdeutung: „Wie gut, dass ich öfter etwas vergesse. Sie können mir sofort helfen und ich bin Ihnen dankbar.“ Sicher fallen Ihnen noch weitere Missgeschicke des Alltags ein – das ist perfektes Übungsmaterial für diese Technik. Welche unsinnigen Vorteile hat ein Missgeschick? Welchen positiven Aspekt hat dieser Fehler? Erlauben Sie sich auch unsinnige Antworten. Finden Sie eine komische Perspektive. Probieren Sie es gleich beim nächsten Mittagessen in der Kantine aus, wenn Sie wieder in der langen Schlange stehen und gerade denken wollen: „Immer stehe ich in der längsten Schlange!“ Probieren Sie stattdessen doch mal: „Super! Zeit genug, um mit dem Kollegen über ein wichtiges Projekt zu schwatzen! Wer weiß, vielleicht kann ich den Vorgesetzten der anderen Abteilung noch superheldenmäßig von der Wichtigkeit des Projektes überzeugen.“ Die Corona-Krise mit ihren Besonderheiten wie kontaktloser Führung, Ausgangsbeschränkung, H ­ome-Office bot – bei allem Respekt vor den damit einhergehenden Schwierigkeiten – eine wahre Fülle von Umdeutungen. Was

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ist der Vorteil einer Ausgangsbeschränkung? Man muss am Wochenende mit der Familie nicht streiten, wo man hinfährt. Der Vorteil von Home-Office? Jahrelang versuchten Sie, Mitarbeitern in Ihrem Unternehmen das Home-Office zu ermöglichen – Corona machte es möglich. Die Schule Ihrer Kinder konnte keinen Elternabend online durchführen? Und Lehrkräfte waren außerstande, ein Webinar zu absolvieren? Covid-19 macht es möglich. Man kann noch kurz vor der virtuellen Besprechung die Wäsche anstellen. Im H ­ ome-Office lassen sich eben auch gewisse Freiheiten genießen. Niemand geht sich auf den Keks, weil man zu viele Leute trifft. Städte und Umwelt konnten durchatmen. Klimaziele rückten in erreichbare Nähe. Kurzum: eine kurze Pause vom Hamsterrad. Wenn man in der Warteschlange zum Drogerie-Markt steht, der Hintermann eine Bierflasche öffnet und man denkt „Das ist wohl der ­Festival-Sommer 2020“, dann deuten Sie eine eigenartige Zeit hervorragend um und verschaffen sich so eine innere Verschnaufpause. Humorvolle Umdeutungen sind kein 360-Grad-Feedback. Sie sind kein realistischer Blick ­ auf die Krise. Eine Umdeutung im Team soll bewirken, dass keiner durchdreht und keiner wahnsinnig wird. Als Führungskraft wenden Sie eine Humortechnik selten 24 Stunden am Tag an. Es geht also auch bei den Umdeutungen nicht darum, die Krise ins Lächerliche zu ziehen, sondern sie erträglich zu machen. Das gilt auch für Mediationen, Konflikte und Verhandlungen. Umdeutungen sind nur dann ungefährlich und wirksam, wenn man sie mit einer spielerischen Grundhaltung und einem Hauch von Naivität würzt: große Augen, Erstaunen, Begeisterung für den unfairen Vorwurf. Umdeutungen sind eine mächtige Technik, weil man Angriffen damit den Wind aus den Segeln nehmen kann, ähnlich wie beim unsinnigen Zustimmen (auch Paradoxe Intervention genannt). Wenn der Angriff keinen Wider-

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stand oder Gegenangriff provoziert, kann der Angreifer auch nicht noch mal nachlegen. Man geht einen Schritt zur Seite, anstatt den Treffer unter die Gürtellinie zu erwidern. Sie werden vielleicht denken: „Das muss mir in einer Konfliktsituation aber auch erst mal einfallen!“ Das muss Ihnen nicht nur einfallen, Sie müssen es auch trainieren. Oft und ausdauernd. So wie Joggen beim ersten Mal nicht sonderlich viel Spaß macht, sind die ersten positiven Umdeutungen ungewohnt. Es ist mühsam, bis man Ausdauer aufgebaut hat und es zur Gewohnheit und damit müheloser wird. Beim wöchentlichen Sport- bzw. Humorprogramm wird es aber schnell sehr angenehm. Und es ist auch durchaus vorteilhaft für Ihre Gesundheit, wenn Sie sich vor manchem Treffer unter der Gürtellinie gut schützen. Bereits in meiner Diplomarbeit als Pädagogin habe ich mich intensiv mit Humor als Bewältigungsstrategie beschäftigt: Humor als geistiges Überlebensmittel in Krisenzeiten. Die Fähigkeit zu lachen und andere zum Lachen zu bringen, war selbst in schwierigsten Lebenssituationen hilfreich. Die Technik der Umdeutungen reicht also von heiterer Gelassenheit gegenüber Alltagsbanalitäten wie einem verschütteten Glas Wasser bis zum Überleben in extremen Krisen.

4.3 Inkongruenzen: Präsentieren Sie atemberaubend Es ging bereits an einigen Stellen dieses Buches um Inkongruenzen, also merkwürdige Bilder. Eine Inkongruenz beschreibt eine Nichtübereinstimmung oder ein Nichtzusammenpassen. Wir vom Deutschen Institut für Humor arbeiten auch gern mit dem Begriff „kontextueller

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Zusammenprall“ oder sprechen vom „absichtlichen Missverstehen“. Am Ende ist es immer wieder der Versuch, ein amüsantes, merkwürdiges und komisches Bild zu finden. Im Falle einer Führungskraft verpackt das komische Bild immer einen ernsten Inhalt. Kontraste entstehen, indem Sie Bereiche kombinieren, die nicht zusammengehören. Sie können Höflichkeit und Frechheit kombinieren: „Darf ich Sie mit dem allergrößten Respekt einen apokalyptischen Spießer nennen?“ Man kann auch Bildung und Naivität kombinieren: „Ich bin dependent von Ihrem Fachwissen. Ich bin doch eine einfache Frau.“ Sie können auch klug und einfach kombinieren: „Schon die Scholastiker wussten: ohne Fürze keine Würze.“ Sie können auch Wahrheit und Fiktion kombinieren oder, wie ich schon beschrieben habe, Expertenmeinungen aufstellen, die aus heutiger Sicht erst falsch erscheinen. Bill Gates soll gesagt haben, 64 kB müssten doch nun wirklich für jeden ausreichen. Hat er nie gesagt, aber falsche Behauptungen über die Zukunft des Computers gab es ja zur Genüge. Ein Beispiel meines zauberhaften und bereits erwähnten Humorkollegen Alfred Gerhards: Der Mitarbeiter kommt fünf Minuten zu spät zur Besprechung. Als der Chef bedeutungsvoll auf die Armbanduhr schaut, fragt sein Untergebener mit strahlender Unschuldsmiene: „Kann man mit der auch tauchen?“

4.4 Absichtliches Missverstehen: Nehmen Sie die Sache nicht ernst! „Sind die Kinder im Bett?“ „Welche?“ „Unsere!“

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„Ach die, nein, ich hab auf dem Spielplatz andere mitgenommen.“ „Was?“ „Nur Spaß. Die beiden sind im Bett.“ „Wir haben drei.“ „Oh …“

So sieht ein Dialog aus, wenn Sie Ihren Partner absichtlich missverstehen. Apropos Spielplatz: Wir waren mit dem Humorinstitut in unserem wöchentlichen O ­ nline-Meeting. Viele im Team sind Eltern junger Kinder. Nach der Ausgangsbeschränkung durch Covid-19 hatten die Spielplätze gerade wieder geöffnet und wir sprachen kurz darüber, ob man da schon wieder hingehen könnte oder eben noch vorsichtig sein sollte. Unsere Kollegin Danielle Goenen, ihre Tochter ist 23 und studiert in der Nachbarstadt, sagte: „Ich wollte auch gern zum Spielplatz – aber meine Tochter wollte leider nicht.“ Mit einer absichtlichen falschen Interpretation der Situation können Sie in einer Besprechung sehr harmlos, aber auflockernd die Perspektive wechseln. Thomas Quasthoff ist ­ Bassbariton-Sänger und Professor für Gesang. Wegen einer Conterganschädigung ist er etwa 1,30 m hoch. Er versteht gerne Dinge absichtlich falsch, wenn er formuliert: „In Deutschland leben 80 Mio. Behinderte. Ich habe den Vorteil, dass man es mir ansieht.“ (Die Welt. 1. Oktober 2017) Großartiger Humor, der zu viel Mitleid definitiv vom Platz wischt.

4.5 Synonyme: ein Wort und viele Möglichkeiten Wenn man das Wort „MS“ im Wörterbuch nachschlägt, findet man sowohl den Begriff Multiple Sklerose als auch den Begriff Motorschiff. Das animierte Philipp Hubbe, einen in Mitteldeutschland sehr bekannten politischen

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Comiczeichner, der selber an MS erkrankt ist, zu folgendem Comic: Man sieht vier Schiffe nebeneinander und an fünfter Stelle steht ein Mann in einem Rollstuhl. Unter jedem Schiff steht ein Name: MS Hamburg, MS München, MS Honkong – und unter dem Mann steht MS Rainer. In einem Wort stecken oft sinnverwandte Wörter und andere Bedeutungen. Was fällt Ihnen zu Krone ein? Bierkrone, Zahnkrone, Königskrone, Krone der Schöpfung, Kronkorken, Baumkrone, Gipfel, Vollendung und „Das ist doch die Krönung“. Wenn Sie das nächste Mal beim Zahnarzt sitzen und er sagt: „Sie brauchen eine neue Krone“, dann antworten Sie: „Wie gut, dass das endlich mal jemand erkennt.“ Und schon haben Sie ein Schmunzeln erzeugt.

4.6 Die Dreier-Regel: Enttäuschen Sie eine Erwartung Viele Kabarettisten arbeiten mit einer humorvollen Wendung im Rahmen einer Aufzählung. Eckart von Hirschhausen sagt in seinem Programm: „Humor fällt uns leicht, wenn wir genug gegessen haben, genug geschlafen, wissen, mit wem wir aktuell schlafen. Dann geht er uns leicht von der Hand.“ Von meinem charmanten und humorvollen Moderatorenkollegen Ralf Schmitt und von dem Humorhaudegen John Vorhaus habe ich diese Technik übernommen. • Die erfolgreichsten Bauprojekte der letzten zehn Jahre waren der Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche, die Leipziger Universität und der Berliner Flughafen.

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• Worauf ich mich am meisten in der Rente freue: eine neue Sprache lernen, viel reisen, den Tod. Nicht witzig genug? Gut, dann weiter ausprobieren. „Was braucht man für saubere Fenster zu Hause? 1. Putzeimer, 2. Putzmittel, 3. eine Putzfrau.“ Schon besser? Mir fallen Dreier-Gags leicht, wenn ich sie aufschreibe, aber das mag bei Ihnen anders sein. Nutzen Sie diese einfache Dreier-Regel gerne bei Ihrer nächsten Präsentation oder beim Kick-Off am Montagmorgen mit dem Team. ­Unternehmens- oder bereichsinternen Humor können Sie beispielsweise so erzeugen: „Die erfolgreichsten Projekte des letzten Jahres waren erstens Erfolg A, zweitens Erfolg B und drittens Desaster C.“ Wenn Sie zwei erfolgreiche Projekte mit einem erfolglosen kombinieren und vorher versprochen haben, drei erfolgreiche Projekte aufzuzählen, setzen Sie den dritten Punkt dann nicht auf der Linie. Und das führt zum Schmunzeln, zum Lachen, zum Gelächter. Achtung: solche internen Dreier-Gags können Sie auch nur intern testen. Ihr Partner zu Hause wird sie nicht witzig finden, wenn er oder sie nicht das Projektwissen aus dem letzten Jahr hat. Aber auf diese Idee kommen Sie als kluger Mensch sicher von ganz alleine. Ich entdeckte zu Beginn meiner Karriere bei einem Praktikum in einem Unternehmenstheater folgendes Phänomen: Bei den Generalproben eines Unternehmensstückes lachten die Zuschauer, die nicht zum Unternehmen gehörten, an völlig anderen Stellen als dann bei der Aufführung die Mitarbeitenden des Kunden, der das Stück beauftragt hatte. Und wir konnten das voraussagen. Auch ein Weg, um an die berechenbaren Seiten von Humor heranzukommen. „Die Dinge, auf die ich mich diese Woche am meisten freue: 1. Die neue Software geht online. 2. Wir werden neue Kunden akquirieren. 3. Es gibt wieder Klopapier.“

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Dieses Beispiel zeigt, dass auch zwei große Ziele und ein kleines unwichtiges Thema miteinander ins Verhältnis gesetzt werden können. Oder zwei sehr kluge Aufzählungen und ein ordinärer Gedanke. Der Rhythmuswechsel macht die Aufzählung amüsant, witzig und zack – schon wieder haben Sie Aufmerksamkeit erzeugt.

4.7 Unsinniges Zustimmen: auch bei Beleidigungen unschlagbar bleiben Sie stehen am Netzwerk-Abend am Buffet, den Teller voller leckerer Sachen und plaudern als kräftiger Mann mit einem Kollegen über Sport. Plötzlich greift Sie völlig unvorbereitet die dürre Kollegin von der Seite verbal an: „Wie kann man nur so viel Sport machen und gleichzeitig so fett sein?“ Schauen Sie mit Genuss auf Ihren Teller, atmen Sie Ihre völlig berechtigte Empörung über die Beleidigung einmal durch und antworten dann: „Es ist ganz einfach, man muss nur genug essen.“ Das Beispiel stammt übrigens von meiner zauberhaften Kollegin Nicole Staudinger (vgl. Staudinger 2018). Auch das Instrument der unsinnigen Zustimmung blitzte bereits hier und da auf. Da es beim unsinnigen Zustimmen bzw. bei der sogenannten paradoxen Intervention jedoch um ein schärferes Instrument in Ihrem Handwerkskoffer geht, möchte ich diese Technik hier erneut in einem Gesamtrahmen vorstellen. Es ging schon mehrmals um den humorvollen Umgang mit angespannten und schwierigen Gesprächen. Bei unfairen Angriffen begeben sich Mitarbeitende, die wenig trainiert in Kommunikation sind, oft in die Verteidigung, den Angriff oder die Flucht. Das unsinnige Zustimmen ist eine Technik, die sehr schnell

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einen Ausweg aus diesen steinzeitlichen Klassikern bietet – vorausgesetzt, sie wird zugewandt eingesetzt. Anspannung, Streit und Konflikte sind beruflich und privat Momente, in denen sich selbst Führungskräfte mehr Gelassenheit, Leichtigkeit, Schlagfertigkeit und Humor wünschen. Also ran an die Arbeit und ab ins Vergnügen! Beim unsinnigen Zustimmen müssen Sie im ersten Schritt nicht besonders kreativ sein. Jemand greift Sie an und Sie geben dem Angreifer unerwartet Recht. Stimmen Sie einfach zu: „Ja, stimmt.“ Der andere ist erst mal verblüfft, der Angriff läuft ins Leere. Das ist die Judo-Technik, wie Paul Watzlawick sie nennt. Wenn Sie diesen ersten Schritt gemeistert haben, können Sie noch eins draufsetzen und dem Angreifer mehr zustimmen, als diesem lieb ist. Nehmen Sie den unfairen Vorwurf an und übertreiben Sie ihn. Wichtig sind dabei ein unschuldiger Gesichtsausdruck, ein liebevolles Schmunzeln und eine Offenheit in der Körpersprache. Vorwurf: „Banker sind alle nur geldgierig und karrieregeil!“. Unsinniges Zustimmen: „Ja, das haben wir lange trainiert. Meine Nettigkeit musste ich mir abgewöhnen. Es gab sogar eine Seminarreihe dazu. Und Ellenbogenwettstoßen.“ (Krempeln Sie dabei wohlwollend die Ärmel hoch und freuen sich auf den Kampf.) Vorwurf: „Immer weißt Du alles besser!“ (Das sagt der Sohn zu seiner Mutter.) Unsinniges Zustimmen: „Ja, genau, du kannst mich auch Miss Wikipedia nennen!“ (Die Mutter sagt das mit Begeisterung.) Vorwurf: „Sie sind Chef? Das sieht man Ihnen gar nicht an.“

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Unsinnige Zustimmung: „Danke. Ich bin auch undercover im Einsatz.“ (in begeistertem Ton) Vorwurf: „Sie als Chefin müssen sich doch darum kümmern.“ Unsinnige Zustimmung: „Ja, ich bin auch noch für Klimawandel und Weltfrieden zuständig. Ich bin quasi Weihnachtsmann und Christkind in einem. Schicken Sie mir einfach einen Brief mit all Ihren Wünschen!“ (völlig begeistert und unschuldig wie ein kleines Kind). Jetzt denken Sie sicher: „Solche witzigen Antworten müssen mir ja erst mal einfallen.“ Sie denken nicht nur das, sondern auch: „Sowas fällt mir doch immer erst zwei Stunden später ein.“ Richtig, das fällt Ihnen nicht nur zu spät ein, das müssen Sie sogar trainieren. Was machen wir in diesem Moment der Sprachlosigkeit eigentlich? Erst ärgert man sich, dass einem nichts Schlagfertiges eingefallen ist – und dann ärgert man sich, dass einem zwei Stunden später etwas eingefallen ist. Richtig so. Verschwenden Sie Ihre wertvolle Energie ruhig mit viel Ärger. Kommen Sie bloß nicht auf die Idee, Ihr verspätetes Humorgehirn für seine genialen Einfälle zu loben. Auch eine verzögerte Antwort ist eine gute Antwort. Wir erleben es als wichtige Erlaubnis für die Teilnehmer unserer Trainings, wenn sie zu sich selbst sagen dürfen: „Cool, ich habe schon zwei Stunden später eine lustige Antwort gefunden.“ Verzögerte Schlagfertigkeit ist Fleißarbeit Ihres Gehirns! Lassen Sie sich davon ermutigen, wenn Ihnen die Antwort schon zwei Stunden später einfällt und nicht erst drei Tage danach. (vgl. Hansmeier und Ullmann 2019). Wenn alles gut läuft, ist der Angreifer nicht nur überrascht über die unsinnige Zustimmung, sondern findet sie auch noch amüsant. Das funktioniert aber nur, wenn Sie Ihrem Gegenüber zeigen, dass Sie ihm wohlgesonnen sind. Das machen Sie körpersprachlich, also nonverbal.

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Bleiben Sie wertschätzend, auch wenn Sie etwas sagen, was Sie nicht meinen. Der Vorwurf Ihres Angreifers ist vielleicht unfair. Sie nehmen den Angreifer ernst, aber nicht den Angriff. Der Angreifer ist ein Mitarbeiter oder Kollege, den Sie respektieren, eine Führungskraft oder ein Geschäftspartner, vielleicht sogar ein sympathischer Mensch, ein Familienmitglied, das Sie sehr mögen. „Und wie geht es dann weiter?“, werden Sie fragen. Wenn man angegriffen wurde und unsinnig zustimmt, dann ist der Konflikt ja noch nicht geklärt. Korrekt. Unsinniges Zustimmen löst keine Konflikte, aber es verändert sofort die Stimmung. Selten klärt sich ein Konflikt durch „Nein, bin ich nicht.“ – „Sind Sie doch!“ – „Nein!“ – „Doch!“ und so weiter und so fort. Trotzdem verfallen auch Führungskräfte noch zu oft in dieses Steinzeitmuster. Mit einer paradoxen Antwort haben Sie eine weitere Technik an der Hand, mit der Sie sofort die Stimmung verändern können. Alle entspannen sich, vielleicht wird sogar geschmunzelt. Eventuell reicht das gemeinsame Lachen für den weiteren Gesprächsverlauf schon aus. Wenn nicht, nutzen Sie einfach die veränderte Atmosphäre für eine gute Klärung der Situation. Wie bei allen Humortechniken würde ich empfehlen, das unsinnige Zustimmen zunächst einmal im „sicheren“ Umfeld, bei Freunden und Familie auszuprobieren. Wenn Sie sich dann sicherer fühlen, können Sie ruhig auch einmal Ihrem Mitarbeiter oder Kunden bei einem unfairen Angriff unsinnig zustimmen und schauen, was passiert. Sie werden sehen, dass Sie sich mit unsinnigen Antworten Ihr Leben enorm erleichtern. Die unsinnige Zustimmung ist ein wichtiger Bestandteil der komplexeren paradoxen Intervention. Eleonore Höfner hat die paradoxe Intervention auch Provokativen Stil (ProSt) genannt (vgl. Höfner und Cordes 2018; Höfner 2019). Es ist eine Therapieform, die in den 1970er

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und 1980er Jahren erst entwickelt wurde und damit wirklich zu den Errungenschaften des 20. Jahrhunderts gehört. Diese Therapieform besteht aus dem nichtätzenden, nichtzynischen, sondern liebevollen Einsatz von Provokationen. So entsteht schnell eine Irritation und daraus eine Entspannung und Veränderung der Atmosphäre – entweder, um den Angreifer einfach loszuwerden und trotzdem auf Augenhöhe zu bleiben, oder um mit dem streitenden Kollegen im Gespräch zu bleiben. Laut Höfner funktioniert der Provokative Stil in der Therapie wie folgt: Man behauptet beispielsweise, dass der Klient sich gar nicht ändern könne, weil er zu alt, zu blond, zu intelligent, zu gutaussehend, zu doof, zu dick usw. sei. Erstaunlicherweise sind Klienten nicht beleidigt, weil die Therapeuten trotz seltsamer Aussagen liebevoll zugewandt sind und die Klienten selbst schon viel schlimmer von sich gedacht haben. Im Allgemeinen reizt das den Klienten dann zum gesunden Widerspruch. Der Provokative Stil geht dabei immer wieder davon aus, dass widersprüchliche Aussagen genutzt und nicht ständig verhindert werden müssen. Der Lebensalltag ist voller Doppelbotschaften. Unsere Eltern, Freunde, Führungskräfte oder Kollegen sagen und wollen widersprüchliche Dinge von uns. Sich selbst als Beraterin oder Führungskraft auch mal zu widersprechen, kann eine wirksame Methode sein, um sein Gegenüber zu verwirren und dadurch ein Nachdenken über dessen Situation auszulösen. Ein Beispiel: Einer Kollegin oder Mitarbeiterin, die sich permanent schwertut, selbst zu entscheiden, muss man Entscheidungen in einem Problemfall nicht abnehmen, sondern kann die Unsicherheit sogar noch vergrößern – eine Methode, die oft zur Handlung und schnelleren Entscheidungen führt. Der Kollegin kann man zum Beispiel antworten: „Mhm, ich weiß nicht genau … Aber warten Sie, ich werde es in ungefähr zwei Jahren

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nach reiflicher, strukturierter Überlegung für Sie entschieden haben.“ Viele Therapeuten haben sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts mit paradoxen Reaktionen und Empfehlungen beschäftigt. Diese Therapieform ist in den letzten Jahren immer besser beschrieben worden, vor allem auch für andere Branchen. Berater und Lehrkräfte, aber auch Anwälte und Ärzte haben den Provokativen Stil in ihre Arbeit übertragen. Ziel der Provokationen und des Paradoxen ist immer, einem Patienten oder Klienten dabei zu helfen, Probleme zu lösen und Gesundheit zu ermöglichen. Diese Technik ist ein besonders scharfes Messer in der Sammlung Ihres humorvollen Handwerkszeugs. Sie können damit blitzschnell entspannen oder sofort beschämen. Da selbst eine gute Köchin sich an scharfen Messern manchmal schneidet und wir alle als Kinder lernen mussten, mit einem Messer umzugehen, lohnt es sich hier, ein bisschen zu üben.

4.8 Gegenkonter: Zeigen Sie klare Kante Einer der Mitarbeiter ist im Büro unterwegs, er will gerade in die Kaffeeküche. Auf dem Flur kommt ihm der Sales Manager entgegen. Plötzlich muss der Mitarbeiter niesen und der Sales-Manager wünscht ihm sofort freundlich „Gesundheit!“ Daraufhin der Mitarbeiter: „Ist nicht schlimm, ist nur eine Allergie auf Sales-Manager.“ In einer entspannten Situation, vor allem oft unter Freunden, ist so ein Gegenkonter eine schöne Form von Humor. Es ist eine Variante von Wettbewerb und Wettkampf, Verhalten innerhalb einer Konkurrenzbeziehung oder ein kommunikatives Kräftemessen unter Führungs-

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kräften. Sie zeigt, wie es läuft, wenn zwei Alphatierchen sich humorvoll geben, es ist ein kleiner Kampf am Rande des Alltagsgeschehens. Der Gegenkonter ist ein Aggressiver Humorstil, dessen sollten Sie sich sehr bewusst sein. Das ist prinzipiell nichts Schlimmes – Sie sollten allerdings auch die Konsequenzen kennen. Dieser Humorstil ist nicht deeskalierend, sondern eine Kampfansage. In den meisten Fällen wird der Gegenkonter als Auftakt für den Kampf, das Miteinanderringen genutzt – und genau wie im Boxkampf passiert das nicht selten mit harten Bandagen. Diese Technik setzt Grenzen. Man stellt gewissermaßen ein Stoppschild auf. Klar und deutlich sichtbar. So wie hier: Eine andere Führungskraft kommentiert Ihr Kleid missbilligend: „Gibt es das auch in Ihrer Größe?“ und Sie antworten: „Das ist ja spannend, dass gerade Sie das sagen.“ Ein Gegenkonter nutzt einen Teil des Angriffes, um den Ball zurückzuschlagen und dafür die Mittel des Gegners zu nutzen.

4.9 Entlarvung: eine Ebene höher gehen Eine Entlarvung ist eine Benennung dessen, was gerade im Raum passiert. Ein Mitarbeiter beleidigt eine Kollegin. Sie kommentieren: „Wahnsinn, eine Beleidigung noch bevor ich das Meeting eröffnet habe. Nicht schlecht. Vielleicht können wir das auf nach dem Kaffee verschieben.“ Bei einer Entlarvung begeben Sie sich auf die sogenannte Meta-Ebene, auf der Sie das gerade Geschehene reflektieren oder bewerten bzw. einfach benennen. Ein – zugegeben sehr einfach gestricktes – Beispiel: Ein Mitarbeiter pupst aus Versehen in der Besprechung. Sie sagen:

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„Herr Wilhelm, danke für den guten Kommentar zum Projekt.“ Auch Herr Wilhelm lacht, weil Sie eine Peinlichkeit in Leichtigkeit verwandelt haben. Sie legen offen, was passiert. Und zwar nicht durch Beschämung, sondern durch Leichtigkeit. Die Technik der Entlarvung nutze ich auch oft, wenn keiner über meinen Witz lacht – was nicht der Dauerzustand sein sollte: „Das fanden Sie nun offensichtlich einen ganz schrecklichen Witz“ oder „Den muss ich wohl noch mal üben“ oder „Also ich finde die Geschichte ja wirklich witzig, ich gehe nochmal raus und komme wieder rein. Könnten Sie dann kurz lachen? Nur für mich!“ Damit hätten wir auch gleich die Frage beantwortet, was man eigentlich macht, wenn niemand lacht. Locker bleiben hilft dabei übrigens ungemein – denn niemand stirbt, wenn keiner lacht. Aber wenn nie jemand lacht, wenn Sie etwas Witziges machen, ist es wichtig, dass Sie das bemerken. Dann müssen wir reden. Ernsthaft.

4.10 Die Heldenreise: eine uralte Technik Für eine gute Geschichte, die mit Humor gewürzt werden kann, verrate ich Ihnen zu guter Letzt das Instrument der Heldenreise. Die Heldenreise ist eine der ältesten Strukturen, die man für Geschichten nutzen kann. Ist sie die Grundlage Ihrer Geschichte, können Sie ein wichtiges Unternehmensthema an den Mann und die Frau bringen und gleichzeitig Humor einsetzen, um viel Aufmerksamkeit zu bekommen. Ich erkläre Ihnen die Struktur anhand einer Geschichte: Die Medizinische Hochschule Hannover, die MHH: eine stattliche Burg, und trotzdem flink, neugierig und

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umtriebig. Im Gegensatz zu anderen Häusern ist ihre Gefolgschaft von emsigem Fleiß erfüllt. Die Burg besteht aus drei wichtigen Säulen: dem schmalen schlanken, filigranen, aber auch kreativen Turm der Forschung, ein Wildwuchs aus neuester Technik, Fernrohren, Stethoskopen, Röntgengeräten und Forscherexperimenten. Daneben eher strukturiert, einfach, eckig und doch recht hoch: der Turm der Finanzen – eher ein Geldspeicher als ein Turm. Der dritte tragende Turm, auch eher ein breiter Tower: die Krankenversorgung, mit hoher Umschlagkraft. Die drei Säulen der Burg sind auf weite Entfernung gut zu sehen. Wie eine Dame, die im ganzen Land etwas hermacht. Eine stolze Burg unter den Universitätskliniken. Wassergräben werden angelegt, Felder dazu gekauft, die Gefolgschaft bekommt Kinder. Die Medizinische Hochschule wird umgebaut, ausgebaut und Stellen werden geschaffen. Mehr als 9.000 Mann zählt sie inzwischen in ihrer Gefolgschaft. Bisher noch verfeindete Landbesitzer und Feldherren von Nachbarländereien werden zu treuen Freunden, Kostenträger zu Kooperationspartnern. Die Helden Nach den drei tragenden Säulen der Burg sind ebenso die drei wichtigsten Geschlechter der Burg benannt. Da ist zum einen Ritter KRANKENVERSORGUNG – ein Held, wie er im Buche steht. Pragmatisch, klug, stark, herzlich und streng. Sein oberstes Ziel: Gesundheit, Gesundheit, Gesundheit. Seine größte Stärke ist aber auch seine Schwäche: die Dynamik, Schnelligkeit und auch Begeisterung, mit der er sich täglich in die Unberechenbarkeiten des Gesundheitssystems wirft, sich aber auch wieder daraus zurückzieht. Ihm zur Seite steht Ritter FORSCHUNG: ein feiner, älterer und sehr intelligenter Herr mit viel Gefühl für die Situation und strategischem Weitblick. Er hat in vielen fetten Jahren enorme Dritt-

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mittel eingeworben und diese auf das Doppelte gesteigert. Ein stolzes Geschlecht, geprägt von Neugier und Erfindergeist, das offiziell davon redet, gleichberechtigt zur Krankenversorgung zu sein, sich aber doch auch für den heimlichen Helden der MHH hält. Von Zeit zu Zeit siegt er sich zu Tode, sagt man auf den Fluren der Krankenversorgung. Die vielen eingekauften W3- und W2-Professoren müssen auch mit ihrem gesamten Hofstaat von Infrastruktur und Räumen bei der Stange gehalten werden. Nicht fehlen darf in diesem Trio der drei Helden der Ritter der FINANZEN. Ein Mann von unermüdlicher Ausdauer. Er ist neben dem Forschungspoeten und dem schlagkräftigen Klinikhelden der besonnene Vernunftsritter, der Finanzen und Investitionen überprüft. Stoisch fragt er, ob kontinuierliche Personalund Sachkostensteigerungen auch notwendig sind. Nicht zu vergessen, dass er sich regelmäßig mit den Personalressourcen herumschlägt. Das Ereignis Doch eines Tages erscheint ein Bote beim Burggefolge, abgewetzt, nächtelang ist er durchgeritten. Er rutscht von seinem verschwitzten Pferd und berichtet aus dem weit entfernten Lande der Finanzen, Zuschüsse und Drittmittel: „Es wird nicht so weitergehen. Nach sieben fetten Jahren stoßen wir an unsere Grenzen. Es tönt aus aller Munde: Langsam wird es eng. Die Infrastruktur braucht sich selbst im höchsten Maße, um alle anstehenden Umbauten zu organisieren. Es fehlt an Stühlen, Laboren und rechtzeitig fertig gestellten Gebäuden. Ein neuer Umbau wird kommen. Und Sie werden jammern auf hohem Niveau“, sagt der Bote, sinkt sogleich darnieder und stirbt. Die Gefolgschaft wispert, flüstert, beginnt, die Nase zu rümpfen. Sogleich ruft die Gefolgschaft seine Helden zur Stelle: „Wir brauchen das mutige, hilfreiche

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Heldenteam der MHH!“ Forschung, Krankenversorgung und Finanzen eilen herbei. Die Gürtel müssen enger geschnallt werden. Wie lange ist der Landeszuschuss noch garantiert? Das Ritter-Trio beruhigt die ersten unruhigen Gemüter, schickt seine Helden wieder an die Arbeit, setzt sich sofort im Beratungsturm zusammen und bespricht die Zukunft. Die Menschen leiden – sie haben Angst zu hungern, zu darben. Sie haben Angst zu sterben. Das dürfen die Helden doch nicht zulassen … Die rettende Idee Ritter Forschung möchte durch diese Krise friedlich und in Einheit gehen, springt nach vielen Beratungsstunden plötzlich wie von der Tarantel gestochen auf und ruft: „Ich hab’s, wir gründen eine Stiftung!“ Ritter Krankenversorgung ist natürlich sofort begeistert: „Das würde uns seetüchtiger machen. Wir könnten selbstständiger durch die wilden Untiefen der Gesundheitsversorgung segeln.“ Ritter Finanzen ist entsetzt: „Seid ihr verrückt? Denkt keiner an das Risiko der Insolvenz? Eine Stiftung ist ein Schwert mit einer scharfen Klinge. Damit können wir uns sehr verletzten, uns gar töten.“ Ritter Forschung widerspricht ihm: „Oder es als sinnvolles Instrument zum Schneiden benutzen, gerade weil es so scharf ist. Junge Ritter aus allen Landen werden kommen und mit Stolz für die Burg kämpfen.“ – „Wir müssen nur lernen, damit umzugehen“, pflichtet Ritter Krankenversorgung dem Ritter Forschung bei. „Dann wären wir endlich raus aus der staatlichen Hängematte, könnten weiter wachsen mit unserer Burg, hätten Bauherrenrecht und müssten nicht immer den Schatzmeister des Landes fragen, um einen Stein auf einen Turm zu setzen.“

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Eine Entscheidung Das Heldenteam beginnt die mühsame Reise ins Land der Stiftungen. Sie ziehen los – ins Ungewisse, aber voller Tatendrang und Neugier. Diese Tat stärkt ihren Mut und fordert sie heraus. Sie werden von ihrem sehr fähigen Gefolge mit dem Notwendigsten ausgestattet. Ritter Finanzen holt seine große Geldtruhe aus dem Geheimversteck. Damit lassen sich viele Spenden und Aufträge fassen. Ritter Forschung ist ausgestattet mit einer Machete, um neue Wege zu schlagen, Pfade zu finden, einem Kompass für die Navigation und einer Lupe, um die Stifter genauer unter die Lupe zu nehmen und zu prüfen. Ritter Krankenversorgung kommt mit dem Notfallkoffer, Riemen, Tüchern und allerlei betäubenden Mittelchen. Ankunft in der neuen Welt Die Helden sind inzwischen im Land der Stiftung angekommen. Welch eine Pracht: Sie können sich bewegen, wie sie wollen, und bestimmen, was wann zu tun ist. Das harte Tagesgeschäft bleibt das Gleiche. Probleme müssen in gleicher Komplexität gelöst werden. Etwas größerer Handlungsspielraum fühlt sich jedoch fantastisch an. Als Erstes verhandeln sie mit einem Multimillionär, der viele Millionen aus humanitären Gründen investieren und ein paar Steuern sparen möchte. Euphorisch eilen sie weiter und klappern einen nach dem anderen ab und sind sehr erfolgreich in ihrem Sammeln und Beschaffen. Dann gelangen sie an einen hohen Berg mit einem weit entfernt sichtbaren hohen Turm. Ritter Finanzen geht voraus, angespornt von den vielen bisherigen Erfolgen. Die Wanderung ist trotzdem beschwerlich und grenzwertig. Zwischendurch rutschen die Wanderer wiederholt einige Meter vom Berg herunter.

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Eher als die beiden Ritterkollegen gelangt Ritter Finanzen am Turm an. Der Turm schien stark zu sein, aber auch uferlos, ohne Grenzen. Als er näher zum Tor kommt, vernimmt er seltsame Geräusche. Weder die einer Ritterrüstung noch die eines Schwertkampfes. Es sind speiende und kreischende Geräusche, wie die eines Tieres. Es ist tatsächlich das Speien und Wüten eines Drachen. Der Ritter späht durch den eigentlich verschlossenen Türspalt und sieht nichts, aber er ist sich sicher, einen Drachen gehört zu haben. Ritter Finanzen ist in höchster Alarmbereitschaft. Auch Ritter Krankenversorgung und Ritter Forschung blicken sich um und entdecken einen eher unheimlichen Ort: Zügellosigkeit, Unberechenbarkeit, Grenzenlosigkeit liegen in der Luft. Der Drache, so seltsam es auch ist, hält einen Vogel in seiner Kralle und fragt die Ritter: „Was, denkt ihr, ist mit dem Vogel in meiner Krallenhand? Ist er lebendig oder tot?“ Arglistig hatte er geplant, die Ritter sogleich in eine Falle zu locken. Wenn sie sagen, der Vogel lebt, würde er ihn erdrücken, und wenn sie sagen, er ist tot, würde er ihn fliegen lassen. In jedem Fall würde alles Geld ihm gehören und er die Ritter auffressen. So wollten es die unheimlichen Regeln dieses seltsamen Wirtschaftsturmes. Ritter Finanzen signalisiert seinen Kollegen zu schweigen und antwortet nach einer langen Pause: „Was mit dem Vogel passiert, verehrter Drache, das liegt in Eurer Hand.“ Stille. Aus der Nase des Drachen beginnt es zu schnauben. Qualm steigt auf. Langsam bäumt sich der Drache auf und zerspringt plötzlich in tausend Teile. Da verwandelt sich der ganze Turm in Geldtaler. So will es dieser seltsame Turm, wenn der Hausherr das Spiel verliert. Schnell sammeln die Ritter die Taler ein und machen sich mit dem vielen errungenen Geld auf den beschwerlichen Rückweg.

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Heimkehr der Helden Nach langen Tagesmärschen, die Pferde sind bei den Strapazen längst abhandengekommen, sehen sie in der Entfernung den Leuchtturm scheinen. Man hat auf sie gewartet, auch nach all der langen Zeit. Mit letzter Hoffnung schleppen sie sich zur Zugbrücke der Burg. Diese sieht anders aus, als sie sie verlassen haben. Aber es ist noch immer ihre Burg und sie bringen gute Nachrichten. Unter großem Applaus werden die Ritter in die Burg geführt. Man lässt ein Festmahl richten und es wird gegessen und getrunken. Der Hofnarr unterhält mit feinster Witzekunst. Da fragt das Gefolge: „Wo ist denn die Kiste mit dem Geld, wo ist denn der Gral?“ Die Ritter schauen weise drein und schweigen. Dann sagen sie: „Was mit dem Gral der Stiftung passiert, ob Sie diesen Gral, diese Truhe draußen vor den Toren Ihrer Burg stehen lassen oder hineinholen, das liegt in Ihren Händen!“ Und die Moral von der Geschichte? Ich durfte in den letzten Jahren mit so vielen Chefärzten, Anwälten, Steuerberatern, Schulleitungen, Geschäftsführungen und anderen Führungskräften arbeiten. Der häufigste Satz, den auch Führungskräfte sagen, ist: „Ich bin kein Witzeerzähler.“ Und ich antworte: „Nutzen Sie Geschichten, keine Witze“. In meinen Seminaren verführe ich Führungskräfte dazu, eine Anekdote, eine Geschichte oder ein Beispiel aus dem Alltag zu erzählen. Und plötzlich wird deutlich, dass alle Menschen Geschichtenerzähler sind und das oft der beste Weg zu ihrem natürlichen humorvollen Fingerabdruck ist. Jeder Mensch kann eine lustige Geschichte erzählen. Okay, manchmal muss sie gekürzt oder noch übertrieben oder der Held muss deutlicher herausgearbeitet werden. Aber jeder Mensch kann Geschichten erzählen. Daher möchte ich Ihnen nach den bisherigen Humortechniken noch diese uralte Technik

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guter Geschichtenerzähler ans Herz legen. Nutzen Sie die Struktur der Heldenreise. Dazu gäbe es noch unzählig viele Dinge zu sagen bzw. das Geschichtenerzählen verdient ein eigenes neues Buch. Wenn Sie weiterlesen wollen: Joseph Campbell hat die Heldenreise zuerst erforscht; jedes Drehbuch und Storyboard und jeder gute Werbespot basiert auf einer Heldenreise – sei sie riesengroß oder auch nur miniklein. Christian Galves hat ein Logbuch für Helden geschrieben, das sich auf die Persönlichkeitsentwicklung des Menschen bezieht (vgl. Galves 2014). Mein Kollege Alexander Christiani hat sich auch technisch mit den Raffinessen von Storytelling auseinandergesetzt (vgl. Christiani 2019) Die Trainerin Barbara Messer hat in ihrem Buch „Ungewöhnliche Trainingspfade betreten“ diese Methode gut beschrieben, um in Teams damit zu arbeiten (vgl. Messer 2014). Jede Geschichte benötigt natürlich einen Helden. Diese Helden kommen in Schwierigkeiten und erleben Abenteuer – und dabei passiert Humor. Es ist schwierig, den Humor in einem Problem zu finden. Aber es ist einfach herauszufinden, wer der Held bei diesem Problem ist, was der Schmerz ist und um welchen Einsatz es geht. Diese Elemente dann zu übertreiben ist einfach. Und schon wird es komisch. Sie sind der beste Held Ihrer eigenen Geschichten. Sie als Person, als Mensch, als Führungskraft sind oft der beste Gegenstand für eine solche humorvolle Geschichte. Sie erinnern sich: Ich als kräftige Rednerin sage: „Wenn man etwas Wichtiges zu sagen hat, darf man auch ein Schwergewicht sein, wenn man auf eine Bühne kommt.“ Meinen leichten Dialekt verknüpfe ich mit dem Ruhrpott des Ostens, aus dem ich stamme, und mit einer lustigen Anekdote einer schwierigen Kindheit, die ich übrigens nie hatte. Komödien, die uns unterhalten und anrühren, die echte und dauerhaft komische Momente erzählen, beschreiben

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oft Helden, die in die Bredouille geraten und bei denen viel auf dem Spiel steht. Seien Sie einer dieser Helden oder machen Sie Ihre Familie, Ihre Mitarbeiter oder Ihr Unternehmen zu einem Helden. Natürlich kann auch Ihre Firma der Held der Geschichte sein. Folgen Sie dem Ratschlag des Sitcom-Autors John Vorhaus, der schrieb: „Wenn Sie Ihr Publikum zum Lachen bringen wollen, bringen Sie Ihren Helden ins Schwitzen. Und zwar gründlich.“ (Vorhaus 1994). Fazit Humortechniken sind wie Freunde: Man hat den besten Kumpel, also oft die eine oder andere Technik, die man besonders mag und besonders gut kann. Dann hat man noch Freunde, die man sehr mag, aber nicht oft sieht. Und dann sind da noch die Bekannten. Manchmal sind sehr spannende Personen darunter, man müsste sie mal besser kennenlernen, aber dazu braucht man etwas Zeit. Man muss sich vertrauter werden. Und dann wird aus einem Bekannten auch durchaus ein Freund. Als Führungskraft, die für 20 oder 20.000 Mitarbeitende verantwortlich ist, empfehle ich immer eine Erweiterung des Repertoires. Aber deshalb lesen Sie ja dieses Buch. Und das erfreut mich ungemein. Denn nun haben Sie mindestens zehn Techniken zur Verfügung, die Sie ausprobieren können. John Vorhaus – mit dessen brillantem Zitat dieses Kapitel gestartet ist – hat das großartige Buch „Handwerk Humor“ geschrieben (vgl. Vorhaus 1994). Leider ist dieses Buch im Deutschen mittlerweile vergriffen, aber Gott sei Dank gibt es ja nun dieses Buch mit ebendiesem ­Technik-Teil. Er beschreibt weitere Techniken, vor allem für den geschriebenen Witz in Vorträgen und Ansprachen. Jedes Mal, wenn Sie Humor nutzen, bauen Sie eine Spannung auf und lösen diese dann auf. Sie müssen in

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einem Witz Spannung also erst aufbauen, damit sie sich im Lachen entladen kann. Zum Vergleich: • Richtiger Spannungsaufbau: Hör auf, dich selbst zu bemitleiden, du erbärmlicher Verlierer! • Falscher bzw. gar kein Spannungsaufbau: Du erbärmlicher Verlierer, hör auf, dich selbst zu bemitleiden. Für John Vorhaus bedeutet, die Wahrheit anzusprechen, also eine Entlarvung, einen komischen Effekt zu erzielen. So wie jene Führungskraft mit Glatze, die zum Wiedereinstieg nach der Corona-Ausgangsbeschränkung sagte: „Also am meisten genervt hat mich ja, dass man nicht zum Friseur konnte.“ Sie haben als Führungskraft einen sächsischen oder saarländischen Dialekt? Dann eröffnen Sie Ihren Vortrag mit der sofortigen Entlarvung, es hört sowieso jeder: „Wie Sie hören, habe ich einen Dialekt, daran werden Sie sich schnell gewöhnen. Wir Kaffeesachsen haben neben hoher Kompetenz auch noch sächsische Gemütlichkeit. Das dürfte eine gute Kombination für die schwierige Projektbesprechung werden.“ John Vorhaus genehmigt übrigens auch kleine Lügen, um komische Effekte zu erzielen. Stellen Sie sich vor, Sie stehen in einer langen Schlange. „Die Schlange ist echt lang“ wäre die Wahrheit – aber nicht lustig. „Wenn die Schlange noch länger wird, bekommt sie eine eigene Postleizahl“ – das ist eine Lüge, aber lustig. Bei Umdeutungen arbeiten wir mit absichtlich unsinnigen Begründungen und Flunkereien. Es ist egal, ob Sie das eine oder das andere machen, um an einen Witz zu kommen … Nun ist John Vorhaus ein Sitcom-Schreiber (beispielsweise für die bekannte Serie „Eine schrecklich nette Familie“) und keine Führungskraft. Als Führungskraft kann man nicht beliebig lügen, nur damit es komisch

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wird. Außerdem habe ich mich in diesem Buch mit zahlreichen Situationen beschäftigt, in denen es Ihre Aufgabe als Führungskraft ist, Spannung zu entspannen. Genau dafür sollten Sie die notwendigen Humortechniken zur Verfügung haben. Nun sind Sie als Führungskraft und erst recht als Mensch nicht unter Dauerspannung. Sie haben morgendliche Familienrituale oder freundschaftliche Sportmomente, Sie sitzen auch trotz aller Stressmomente ab und zu in entspannten Besprechungen oder befinden sich in ruhigen Gesprächen mit Mitarbeitenden. Und ich lade Sie ein, sich genauer umzuschauen, wenn in Ihrer Umgebung gelacht wird. Was haben Sie dafür getan, dass es komisch wird? Übertrieben? Umgedeutet? Unsinnig zugestimmt? Absichtlich missverstanden? Oder bewusst eine Spannung aufgebaut und diese dann aufgelöst? Wir werden noch viel von Komikern lernen können. Es reicht jedoch nicht, einen Comedy-Profi in eine ­IT-Abteilung zu setzen und zu sagen: „Mache mal eine Stunde Kabarett.“ So hart die Arbeit von 60 Minuten Kabarett auf der Bühne ist: Es reicht nicht, komisch zu sein, um kompetent zu führen. Kompetente Führung setzt sich aus vielen Aspekten und vielen Fähigkeiten zusammen. Die gut dosierte Anwendung von Humor ist nur ein Aspekt – jedoch ein wichtiger. Das macht es möglich, dass Sie gesund bleiben, und sorgt dafür, dass Sie die Herausforderungen von Führung einige Jahre durchhalten. Mögen Sie als Führungskraft eigentlich Menschen? Wie ist Ihre Grundhaltung? Bringen Sie Empathie mit ein und sind Sie sensibel? Humor besteht nicht nur aus gezielt eingesetzten Techniken, sondern ist insgesamt auch eine innere Haltung von Ihnen als Führungskraft. Eine Haltung gegenüber dem Leben und gegenüber anderen Menschen. Humor ist eine innere Haltung. Eine Bereitschaft zu Heiterkeit und Gelassenheit. So wie Ihr Verhalten und Ihre Kommunikation mit Mitarbeitenden oder

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Vorgesetzten auf einer Haltung beruht, so beruht auch Ihr humorvoller Fingerabdruck auf dieser Haltung. Technisches Know-how ist das eine – die persönliche Haltung ist allerdings noch sehr viel gewichtiger, wenn es um Humor geht. Wie ich schon mehrmals im Buch betont habe, legt Humor sich „auf“ viele Dinge des Alltags. Humor liegt in Ihrer Persönlichkeit, legt sich „auf Ihre Eigenschaften“ und auf Ihren Führungsstil. Humortechniken sind wie Hammer und Säge – doch es kommt darauf an, wer diese Instrumente einsetzt, also wie der Mensch denkt und handelt, der sie benutzt. Jemand, der wohlwollend und wertschätzend ist, bei dem werden die Humortechniken auch ein entsprechendes Ergebnis liefern. Jemand, der andere Menschen eher meidet oder sogar verabscheut, der so gar keine emotionale Brücke zu seinem Gegenüber bauen kann, bei dem kann mithilfe der Techniken der Humoreinsatz auch ätzend werden, gefährlich sein oder schlichtweg nicht funktionieren. Jemand, der andere Menschen eher meidet oder sogar verabscheut, der so gar keine emotionale Brücke zu seinem Gegenüber bauen kann, bei dem kann mithilfe der Techniken der Humoreinsatz auch ätzend werden, gefährlich sein oder schlichtweg nicht funktionieren. Jemand, der wohlwollend und wertschätzend ist, bei dem werden die Humortechniken auch ein entsprechendes Ergebnis liefern.

Literatur Christiani, A. (2019). So begeisterst du mit gutem Storytelling – im Interview mit Alexander Müller (CEO & Inhaber von GEDANKENtanken), Greator 05.03.2019. https://www. youtube.com/watch?v=kQpQiv5G27s. Zugegriffen: 17. Juni 2020.

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Deutsches Institut für Humor (2020). Spannung entspannen. https://www.youtube.com/watch?v= xqpHc6tD5VI. Zugegriffen: 29. Apr. 2020. Die Welt (2017). https://www.welt.de/welt_print/article1228975/ Ich-hab-gelernt-ueber-mich-zu-lachen.html. Galvez, C. (2014). Logbuch für Helden. München: Knaur Taschenbuch. Höfner, E. N. (2019). Glauben Sie ja nicht, wer Sie sind! Grundlagen und Fallbeispiele des Provokativen Stils. Heidelberg: Carl-Auer. Höfner, E. N., & Cordes, C. (2018). Einführung in den Provokativen Ansatz. Heidelberg: Carl-Auer. Messer, B. (2014). Ungewöhnliche Trainingspfade betreten (Training aktuell Aufl.). Bonn: managerSeminare Verlag. Staudinger, N. (2018). Schlagfertigkeitsqueen: In jeder Situation wortgewandt und majestätisch reagieren. München: Knaur Taschenbuch. Ullmann, E., & Hansmeier, K. (2019). Humor: Das Manifest für verzögerte Schlagfertigkeit. Leipzig: Deutsches Institut für Humor. Vorhaus, J. (1994). The comic toolbox. Hollywood: Silman James Press. Wikipedia (o.J.) Umdeutung. https://de.wikipedia.org/wiki/ Umdeutung_(Psychologie). Zugegriffen: 15. Juni 2020.

Das hat ein Nachspiel

Jetzt will die auch noch spielen? Ja, sie will! Schließlich habe ich Ihnen in diesem Buch viele Spielvarianten von Humor vorgestellt. Warum eigentlich? Weil Humor eine Spielvariante von Führung ist – und wie ich finde: eine sehr relevante. Ein Spiel kann verschiedene Formen annehmen, mal dauert es 90 Minuten, um das Runde in das Eckige zu bringen, mal wird es in einem Boxkampf ausgetragen. Es liegt in Ihren Händen, wie Sie spielen und was Sie daraus machen – mit oder ohne Humor. Sie können den Preiskampf in eine harmlose Verhandlung verwandeln. Und Sie können auch in Ihrer Position als Alphatier über das Spielen die Menschen dahin und dazu bringen, wo und wozu Sie sie haben wollen – ganz ohne wilde Drohungen und knallharte Ansagen können Sie Ihre Mitarbeiter, Geschäftskunden und Mitmenschen erreichen. Humor ist ein wichtiger Bestandteil von Führung. Das beginnt bei

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 E. Ullmann, Humor ist Chefsache, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30095-1

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der Selbstführung und hört bei der Personalführung noch lange nicht auf. Nutzen Sie dafür die Kraft der Selbstironie, der Übertreibung und der anderen Humorstile. Wie Ihnen das gelingt? Ganz einfach: Indem Sie mir glauben und gemeinsam mit mir fest daran glauben, dass man Humor lernen, trainieren und pflegen kann. So manchen Leser höre ich an dieser Stelle gerade sagen: „Das muss mir aber auch erst mal einfallen – erst recht in einer Stressoder Konfliktsituation!“ Sie haben völlig recht – das muss Ihnen nicht nur einfallen, Sie müssen es auch trainieren. Oft und ausdauernd – ich kann es gar nicht oft genug betonen. Denn gerade bei Angriffen oder unfairer Kritik fällt uns die Sache mit der Schlagfertigkeit so schwer. Zu schnell kochen in dem Moment die Emotionen hoch und übernehmen den Antrieb. Selbst bei klugen Führungskräften. Dann intuitiv humorvoll zu bleiben, ist eine echte Herausforderung – der Sie sich durchaus stellen dürfen. Manche können das (noch) nicht, manche hingegen schon oder werden darin immer besser. Zwei Punkte definieren eine Linie. Eine Linie weist in eine Richtung. Und eine Richtung impliziert eine Erwartung. Mit einer humorvollen Wendung enttäuschen Sie eine Erwartung. Sie überraschen eine Erwartungshaltung. Sie als Person sind als Führungskraft bekannt. Man hat gewisse Erwartungen an Ihre Rolle und an Ihre Expertise. Natürlich erfüllen Sie diese. Immer dann, wenn Sie Humor einsetzen, brechen Sie jedoch für einen Moment mit dieser Erwartung. Und dann wird es amüsant … An vielen Stellen dieses Buches haben wir uns damit beschäftigt, wie Sie die Themen des Alltages komischer gestalten können. Oft werde ich gefragt, ob man dann ein Thema, ein Problem oder gar einen Menschen nicht ernst nimmt, wenn man Humor macht. Ja, völlig richtig!

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Sie nehmen ein Problem oder einen Menschen für einen Moment nicht ernst. Für einen Moment. Für die restliche Zeit schon. Diese Mischung ist unglaublich wirksam. Erst recht in Ihrem Alltag als Führungskraft. Ich bedanke mich an dieser Stelle, dass Sie Ihre Zeit in Humor investiert haben – Zeit für ein scheinbares Luxusthema, das in schwierigen Zeiten jedoch zur Sauerstoffmaske wird, die Luft zum Atmen auch in den Tiefen der Krise geben kann. Ich danke außerdem Dr. Simone Richter für die kontinuierliche Begleitung. Ob es Struktur war, die sie in meine unbändigen und schnell vorgetragenen Ideen gebracht hat, oder die Ausdauer, an einem Gedanken dranzubleiben, der noch nicht zu Ende gebracht war: ihre Begleitung war sensationell. Danke an Rolf-Günther Hobbeling vom Springer Verlag, der schnell begeistert und noch schneller in der Umsetzung war – und das trotz vorbeipfeifenden Abgabetermins. Natürlich danke ich meinen Kollegen vom Humorinstitut für all die wilden Einfälle und schrägen Experimente, die wir zu Humor täglich durchführen – allen voran Katrin Hansmeier, die mit mir das letzte Buch und unzählige Humortechniken in noch viel unzähligeren Nächten durchdacht hat. Ein riesiges Dankeschön geht – wie bei jedem meiner Schreibprojekte, ob Artikel oder Buch – an unsere unermüdliche Dr. Kareen Seidler, die alle Interviews aus meinem Podcast „Humorexpertin fragt Führung“ transkribierte und nie müde wird, uns mit humorvollen Inspirationen aus aller Welt zu versorgen. Was wäre ich jedoch ohne meine Familie, die meine ungewöhnliche Karriere mit stoischer Geduld und als tägliche Humorquelle begleitet? Sie dürfen jedoch gewiss sein, dass es bei uns nicht nur humorvoll zugeht, sondern ebenso gestritten und gelebt wird wie in jedem Raum, wo Menschen eng zusammenleben oder arbeiten. Manchmal fällt uns der Humor in den Schoß, manchmal ist es

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humorvolle Geduld, die den Moment nicht zum Platzen bringt. Ich bin wahnsinnig interessiert an dem Austausch mit Ihnen, liebe Leserinnen und Leser: Ich bin so gespannt auf Ihre Humorerfahrungen, Ihre Erfolge und Ihr Scheitern. Sie finden mich auf vielen Kanälen, vom Buch über unsere Online-Programme bis hin zum YouTube-Kanal und auch in den bekannten Sozialen Kanälen. Dieses Buch lebt von Ihren und meinen Erfahrungen. Die Weiterentwicklung von Humor als Instrument gelingt, weil Experten wie Sie sich regelmäßig über gelingenden Humor austauschen und sich nicht einfach damit zufriedengeben, dass man Humor hat oder eben nicht hat. Einem, der wahren Humor an den Tag legte, begegnete ich im Flugzeug. Dazu muss ich erwähnen, dass ich eine miserable Fliegerin bin – je kleiner die Maschine, desto höher mein Brechreiz. Mir war also in dem Moment ganz und gar nicht zum Lachen zumute. Währenddessen beobachtete ich eine unschöne Situation: Ein Passagier ging verbal nicht nur unsanft, sondern geradezu beleidigend mit dem wirklich sehr herzlichen und liebevollen Steward um. Dieser hatte den Fluggast mehrmals schon freundlich und höflich dazu aufgefordert, endlich seinen Laptop in das Gepäckfach zu legen: „Junger Mann, das Köfferchen muss bitte noch ins Kläppchen.“ Schließlich schnauzte der Passagier ihn an: „Halt die Klappe, du schwule Sau!“ Mir stockte kurz der Atem. Die Reaktion des Stewards ließ aber nicht lange auf sich warten: „Schwul hin, schwul her. Aber das Köfferchen muss ins Kläppchen!“. Wir anderen Passagiere lachten laut auf. Es war ein beeindruckender Gegenschlag – schnell und ohne den Fluggast zu beleidigen und mit einer feinen Note an Schlagfertigkeit hatte der Steward die Situation geregelt. Das nenne ich einen weisen Einsatz von Humor. In diesem Sinne: Es lebe der Humor – im Himmel und auch auf Erden.

Nachwort von Peter Kowalsky, Begründer Bionade und Geschäftsführer INJU

Peter Kowalsky ist Braumeister und Unternehmer. In Berlin produziert er die INJU Natural Cell Tonics von Hand und schickt sie gemeinsam mit seinem Team in die Welt. Getränkepionier ist Peter Kowalsky schon länger: In der eigenen Brauerei entwickelte seine Familie das Erfrischungsgetränk Bionade. Das gleichnamige Unternehmen sowie dessen Bereiche Marketing, Vertrieb, PR und nachhaltige Entwicklung leitete er bis zum Unternehmensverkauf im Jahr 2012. Heute entwickelt und leitet er INJU.

Humor ist für mich eine Geheimwaffe in Krisenzeiten Eigentlich bin ich ein mit Gummistiefeln und zwei kräftigen Händen bewaffneter Bierbrauer – das ist das, © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 E. Ullmann, Humor ist Chefsache, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30095-1

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was ich gelernt habe, und was mir heute noch am meisten Spaß macht: wenn ich im INJU-Labor mit den ganzen Töpfen und Kesseln zugange sein kann. Als Braumeister musste ich mich aber auch schon immer mit allem Drumherum beschäftigen: was stecke ich in die Erde, wie wird das geerntet, wie wird das verarbeitet und verbraut, welche Maschinen brauche ich dafür, und wie sehen eigentlich Buchhaltung, Rechnungswesen usw. aus. Für mich ist Humor eine Haltung. Ich sehe Humor als Reflexion. Ich mag Humor, der andere nicht in die Falle tappen lässt. Wenn ich als Führungskraft ein Problem ernsthaft nicht gelöst bekomme, dann muss ich es mit Leichtigkeit versuchen. Humor ist die helle Seite, wenn es dunkel wird. Wir hatten eine alte Brauerei, so alt, dass kein Filmteam das filmen wollte, auch als Bionade schon sehr gut lief. Also strichen wir alles weiß. Das sah total absurd aus, aber das Fernsehen filmte plötzlich wieder. Als Unternehmer muss ich oft Lösungen für Situationen finden, die mich dazu zwingen, zu handeln. Wo im Unternehmensalltag etwas Schweres ist, zeigt sich auch etwas Leichtes. Je extremer die Situationen sind, umso stärker zeigt sich der Gegenpol, das Leichte. Humor ist für mich als Führungskraft eine Geheimwaffe in Krisenzeiten. Ich weiß wovon ich rede, denn ich habe einiges mitgemacht bei Bionade. Als sich die familiengeführte Brauerei meiner Eltern nicht mehr getragen hat, suchten wir nach einem zukunftsfähigen Geschäftsmodell, mit dem das Unternehmen erhalten werden konnte. Mit der Idee, eine fermentierte Limonade herzustellen, wollten wir zwei Fliegen mit einer Klatsche schlagen: Erstens wollten wir ein gesundes, biologisch hergestelltes Kindergetränk machen, als Alternative zu den herkömmlichen Limos, die immer künstlicher und süßer wurden. Der zweite Gedanke hinter der Fermentation

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war, etwas zu machen, was mit den Apparaten, dem Wissen und den technischen Möglichkeiten einer Brauerei umgesetzt werden konnte. Das sollte uns auch dagegen absichern, dass das Konzept von konventionellen Limonadeherstellern bzw. Cola & Co. übernommen wird. Wir sind dann jedoch als H ­ ipster-Getränke bekannt geworden. Nicht als Kindergetränk. Das war total frustrierend und trotzdem hatten wir großen Erfolg. Das forderte von uns Perspektivwechsel. Leichtigkeit und Humor benötigte ich jedoch bereits bei der Herstellung. Die Entwicklung von Bionade war ein Prozess mit viel Frust und Ausdauer. Mikroorganismen, die man für die Fermentation braucht, sind freie Lebewesen und haben leider die unschöne Eigenart, zu machen, was sie wollen. Meine Aufgabe war, sie aus dem Labor zu holen, in die Produktionskette reinzubringen, und alle drei Stunden zu überprüfen, ob es noch so riecht, wie es soll. Und am dritten Tag hat es jedes Mal nach Vergärung gerochen und das wollten wir ja gerade nicht. Mein Job war also sieben Jahre lang: ansetzen, warten, riechen und feststellen: Scheiße, jetzt gärt’s wieder. Da kommt man ins Zweifeln, da muss man auch lachen, man geht aber auch zum Lachen in den Keller. Natürlich haben wir als Familienbetrieb immer wieder Selbstzweifel, Schulden, neue Finanzierung und Scheitern erlebt. Erstaunlich, dass wir trotzdem durchhielten und schließlich großen Erfolg hatten. Ich war bei einem Limonaden-Symposium eingeladen. Beim Empfang standen nur Menschen aus großen Konzernen da: Coca Cola und so weiter. Ich nahm den Veranstalter beiseite und sagte: was soll ich denn hier? Uns kennt doch keiner. Er antwortete: Mensch Peter, die sind alle wegen dir hier. Irgendwann hat es dann funktioniert und wir wissen bis heute nicht genau, wieso. Trotzdem war es eine sehr

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disziplinierte Zeit. Ich war der einzige Experte, der immer wieder einen neuen Weg ausprobieren konnte. Ich glaube, dass eine gewisse Restalkoholdesinfektionsaura uns alle gerettet hat! Humor hat auch die Fähigkeit zu entlarven. Ich sage immer sehr offen, wie es ist. Und da ecke ich in dieser Performer-Welt, wo keiner einen Fehler machen darf, natürlich auch mal an. Aber ohne Fehler entwickeln Unternehmen überhaupt nichts Neues. Und Fehler mit Leichtigkeit zu kombinieren, ist die einzige Möglichkeit, neue Weg zu betreten, die noch nicht völlig ausgetrampelt ist. Ab dem Zeitpunkt hat es nochmal zehn Jahre gedauert, bis Bionade den Erfolg hatte, mit dem die Leute heute Bionade verbinden. Was auch niemand verstanden hat, war, warum Bionade dann plötzlich nicht mehr in Familienhand war. Durch das extreme Wachstum von Bionade sind wir immer wieder in Situationen gekommen, wo uns das Geld ausgegangen ist, und dadurch in eine Abhängigkeit von Investoren hineingeraten. Und dummerweise ist ausgerechnet auf dem Zenit von Bionade ein Mitgesellschafter in finanzielle Schieflage gekommen. Die Bank hat seine Anteile an einen Großkonzern verkauft, mit dem wir uns dann plötzlich arrangieren mussten. Das hat auf einer kulturellen Ebene überhaupt nicht funktioniert: Ein Konzern will Planung, Sicherheit, Vorhersehbarkeit, Kontrolle, und wir wollten innovativ, frech, unkontrolliert sein. Das ist nie richtig zusammengekommen, sodass wir uns nach drei Jahren, die wir das zusammen versucht haben, trennen mussten. Für den Großkonzern kam jedoch überhaupt nicht in Frage, seine Anteile aufzugeben, und dagegen sind wir nicht angekommen. Also mussten wir unsere Anteile hergegeben, obwohl wir eigentlich nie verkaufen wollten. Ein

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Scheitern, eine Krise ist aber nie nur traurig. Aus allem Scheitern entsteht etwas Neues. Es hätte INJU ohne diese Geschichte nie gegeben. Daher sehe ich das auch als Ausbildung und wertvolle Erfahrung. Mit der Bionade-Erfahrung im Gepäck hatte ich die Gelegenheit, jemanden kennen zu lernen, der ein Produkt hatte, das mit natürlichen Stoffen im Körper eine positive und sinnvolle Wirkung erzeugt. Bei Bionade haben die Rohstoffe und Anbauprojekte etwas Positives in die Gesellschaft gebracht. Dass INJU zusätzlich dazu einen positiven Impact im Körper der Konsumenten hat, fand ich total faszinierend. Natürlich auch, weil alle Produkte, die eine Wirkung haben, extrem groß sind: Wein, Bier, Kaffee, Cola sind riesige Kategorien, weil die Konsumenten die Wirkung interessant finden. Mit INJU und dessen Wirkkonzept hatte ich die Möglichkeit, in dem Bereich was ganz Neues zu machen: eine Alternative zu konventionellen ­Energy-Drinks zu kreieren. Etwas, das dich nicht noch mehr pusht, wie z.B. eine nie gesehene Frucht vom Amazonas, die in fünf Tagen achtunddreißig Kilo Gewichtsverlust erzeugt, dich also langfristig noch mehr auslaugt, sondern etwas, das dich versorgt und dadurch Energie gibt. Das treibt mich auch persönlich an, weil die Erfahrung von Bionade auch die ist, dass man am besten durch Krisen kommt, wenn man Stärke und Selbstvertrauen hat und dadurch Zuversicht ausstrahlen kann. Ich glaube fest daran, dass Unternehmen in Zukunft eine große Rolle spielen, indem sie etwas herstellen, mit dem man sich auf bestimmte Weise identifiziert. Auch das habe ich bei Bionade gelernt: Bionade zu trinken, war ein Statement: Wir wollen anders mit uns und der Umwelt umgehen. Das gilt natürlich auch für Apple

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mit ihrem „Think different“. Wenn bei VW mal ein Manager sitzen würde, der sich ernsthaft fragt, wie ein zukunftsfähiges Auto aussehen könnte, dann hätte VW eine Riesenmöglichkeit, den Markt dahingehend mit zu beeinflussen. Aber die fragen sich nur, was die Leute heute wollen, weil sie sich ein anderes Morgen gar nicht vorstellen können. Das Morgen ist anders als heute, und wenn es gut ist, dann ist es ein bisschen besser – ein bisschen sozialverträglicher. Gegenwärtig produzieren wir als Gesellschaft auf Kosten von allem Möglichen: auf Kosten anderer Menschen, auf Kosten unserer Zukunft, auf Kosten unserer Gesundheit. Ich kann nicht alle diese Probleme lösen, aber ich kann ein Produkt entwickeln, das nicht auf Kosten der Gesundheit der Konsumenten geht, und so wenig wie irgend möglich auf Kosten Anderer und der Umwelt. Diesen Mut finde ich immer wieder durch Perspektivwechsel, durch die Beleuchtung der hellen Seiten des Lebens: durch Humor. Peter Kowalsky Begründer Bionade und Geschäftsführer INJU