Howard Shores Filmmusik zu "The Lord of the Rings - The Fellowship of the Ring". Konfliktdarstellungen mithilfe der Leitmotivtechnik und der Einfluss Richard Wagners auf Shores Musik 9783346828453, 334682845X

Bachelorarbeit aus dem Jahr 2021 im Fachbereich Musik - Musik der Gegenwart, Note: 1,3, Ruprecht-Karls-Universität Heide

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Howard Shores Filmmusik zu "The Lord of the Rings - The Fellowship of the Ring". Konfliktdarstellungen mithilfe der Leitmotivtechnik und der Einfluss Richard Wagners auf Shores Musik
 9783346828453, 334682845X

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Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Howard Shores Musik zu The Lord of the Rings
3. Die Leitmotivtechnik: Richard Wagner bis Howard Shore
4. Das Leitthema der Gefährten und dessen musikalische Antagonisten
5. Die Einführung und Entwicklung des Fellowship-Themas
6. Szenenanalysen musikalischer Konflikte zwischen den Gefährten und den Mächten Isengarts sowie Mordors
7. Einflüsse Richard Wagners auf die Filmmusik von Howard Shore
8. Schlusswort
9. Quellenverzeichnis

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Patric Seib

Howard Shores Filmmusik zu "The Lord of the Rings - The Fellowship of the Ring". Konfliktdarstellungen mithilfe der Leitmotivtechnik und der Einfluss Richard Wagners auf Shores Musik

Bachelorarbeit

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Impressum: Copyright © 2021 GRIN Verlag ISBN: 9783346828453

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Patric Seib

Howard Shores Filmmusik zu "The Lord of the Rings The Fellowship of the Ring". Konfliktdarstellungen mithilfe der Leitmotivtechnik und der Einfluss Richard Wagners auf Shores Musik

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Universität Heidelberg Musikwissenschaftliches Seminar WS 2020/21 Bachelorarbeit

Bachelorarbeit

Howard Shores Filmmusik zu The Lord of the Rings - The Fellowship of the Ring Konfliktdarstellungen mithilfe der Leitmotivtechnik und der Einfluss Richard Wagners auf Shores Musik

Vorgelegt von: Patric Seib Bachelor Musikwissenschaft/ Philosophie 11. Semester

Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung .............................................................................................................1 2. Howard Shores Musik zu The Lord of the Rings .................................................4 2.1 Kurzportrait: Howard Shore ...........................................................................4 2.2 Tolkiens Roman und seine Verfilmung..........................................................5 2.3 Die Konzeption der Filmmusik ......................................................................7 3. Die Leitmotivtechnik: Richard Wagner bis Howard Shore .................................8 3.1 Die Leitmotivtechnik Richard Wagners .........................................................9 3.2 Die Leitmotivtechnik in der frühen Filmmusikkomposition ........................11 3.3 Die Leitmotivtechnik Howard Shores ..........................................................13 4. Das Leitthema der Gefährten und dessen musikalische Antagonisten ..............14 4.1 Das Fellowship-Leitthema ...........................................................................14 4.2 Leitthemen und -motive Isengarts sowie Mordors .......................................16 4.2.1 Das Five-beat Pattern .........................................................................16 4.2.2 The Threat of Mordor ..........................................................................17 5. Die Einführung und Entwicklung des Fellowship-Themas ...............................18 5.1 Three is Company: Frodo und Sam als Kern der Gemeinschaft ..................19 5.2 The Nazgûl: Die Gemeinschaft wächst ........................................................20 5.3 The Council of Elrond: Die Gemeinschaft ist vollzählig .............................23 6. Szenenanalysen musikalischer Konflikte zwischen den Gefährten und den Mächten Isengarts sowie Mordors .........................................................................25 6.1 Saruman the White .......................................................................................26 6.2 The Bridge of Khazad-dûm ..........................................................................28 6.3 Farewell to Lórien: ......................................................................................34 6.4 The Great River ............................................................................................37 6.5 Parth Galen ..................................................................................................40 7. Einflüsse Richard Wagners auf die Filmmusik von Howard Shore ..................43 7.1 Wagners Prinzipien in der Konzeption der Filmmusik ................................44 7.2 The Lord of the Rings – Eine Opernkomposition? .......................................45 7.3 Der Umgang mit der Leitmotivtechnik: Howard Shore und Richard Wagner im Vergleich .......................................................................................................47 8. Schlusswort ........................................................................................................50 9. Quellenverzeichnis .............................................................................................53

1. Einleitung Der im fiktiven Mittelerde spielende Roman The Lord of the Rings von J.R.R. Tolkien begeistert seit seiner Publikation in den 1950er Jahren Fantasy Fans weltweit. Der große Erfolg der Romanverfilmung lässt sich allerdings nicht ausschließlich auf die literarische Vorlage Tolkiens zurückführen. Die Filmmusik von Howard Shore leistete hierzu einen bedeutsamen Beitrag. In Umfragen nimmt diese regelmäßig den ersten Platz der beliebtesten Filmmusiken aller Zeiten ein.1 Diese Arbeit widmet sich Shores Nutzung der Leitmotivtechnik zur musikalischen Untermalung der Filmhandlung. Hierzu werden Szenen aus The Fellowship of the Ring, dem ersten Teil der Trilogie, untersucht und ein besonderer Schwerpunkt auf das musikalische Thema der Gefährten gesetzt. Konkret werden die Konflikte der Gefährten mit ihren Widersachern im Hinblick auf deren musikalische Umsetzung analysiert und es wird erörtert, inwiefern diese Konflikte am Leitthema der Gefährten sichtbar werden. Hierbei nimmt vor allem die Leitmotivtechnik eine zentrale Rolle ein und es wird untersucht, inwiefern Einflüsse Richard Wagners zu verorten sind. Im ersten Abschnitt wird zunächst auf den Komponisten Howard Shore und seine berufliche Laufbahn eingegangen. Anschließend geht es um den Prozess der Verfilmung von Tolkiens Roman und die Konzeption der Filmmusik, bei der musikalische Themen eine große Rolle spielen. Diese werden in Kapitel 3 aufgegriffen und mit dem problematischen Begriff des „Leitmotives“ konfrontiert. Daraufhin wird der ebenso wenig problematische Begriff der „Leitmotivtechnik“ vorgestellt und eine kurze historische Entwicklung anhand von Beispielen Richard Wagners, der Filmmusikkomposition des frühen 20. Jahrhunderts und Howard Shore dargestellt. Darüber hinaus werden die verschiedenen Entwicklungsstufen zueinander in Beziehung gesetzt, da viele Filmmusikkomponisten Gebrauch von der Leitmotivtechnik machten. Gerade der Abschnitt über Richard Wagner ist entscheidend, da hier Kriterien seiner Kompositionsweise mit der Leitmotivtechnik

1

Vgl. Tobias M. Eckrich: „Tolkiens Mittelerdebücher“, in: Deutsche Tolkien Gesellschaft e.V. (Hrsg.), 02.01.2021.

1

vorgestellt werden, welche am Ende der Arbeit mit Shores Konzeption der Filmmusik und seinem eigenen Gebrauch der Technik verglichen werden. Im vierten Kapitel wird anfangs das Leitthema der Gefährten vorgestellt, welches im Verlauf des Films Gegenstand zahlreicher leitmotivischer Veränderungen ist. Es wird auf verschiedene musikalische Parameter, wie zum Beispiel Harmonik, Melodik, Rhythmik oder Periodik untersucht. Darüber hinaus finden Leitmotive oder -themen Isengarts und Mordors Erwähnung, welche die Rolle der musikalischen Antagonisten zum Thema der Gefährten einnehmen. Darauf folgt in Kapitel 5 die Einführung und Entwicklung des Themas der Gefährten im Film. Hier wird anhand von drei Szenen der Prozess erläutert, in dessen Verlauf sowohl in der Musik als auch im Film die Gefährten zu ihrer vollständigen Besetzung gelangen. Mit dem nächsten Kapitel ist der Hauptteil der Arbeit erreicht, in dem anhand verschiedener Szenen die Konflikte der Gefährten mit ihren Feinden untersucht werden. In all den zu untersuchenden Szenen ist das Thema der Gefährten stets von hoher Wichtigkeit. Es wird auf verschiedene Weisen verändert, so dass es den dramatischen Kontext der jeweiligen Szene in sich aufnehmen kann. In diesem Zusammenhang kann auch das Wechselspiel mit anderen Leitmotiven sowie themen oder das Verhältnis von Musik und Bild entscheidend sein. Im abschließenden Kapitel der Arbeit soll beleuchtet werden, inwiefern die musikalische Umsetzung der Filmmusik Shores von Richard Wagner beeinflusst ist. Dazu ist zunächst die Konzeption der Filmmusik von Interesse, da diese, gerade hinsichtlich der Leitmotivtechnik, Ideale Wagners in sich aufnimmt. Darauf folgt ein kurzer Vergleich zwischen Opernkomposition und Filmmusikkomposition, der zeigen soll, dass sich The Lord of the Rings in mancher Hinsicht von anderen Filmmusiken

unterscheidet

und

somit

das

Potenzial

aufweist,

einige

Voraussetzungen Richard Wagners Leitmotiv-Kompositionstechnik umzusetzen. Diese Voraussetzungen werden unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Analyse-Abschnittes diskutiert. Im letzten Teil soll gezeigt werden, dass Howard Shore Techniken in seine Filmmusik integriert, die bereits Richard Wagner nutzte. Hierbei wird anschließend diskutiert, inwiefern der Einsatz gleicher oder ähnlicher Techniken wirklich auf den Einfluss Richard Wagners zurückzuführen ist. Die Forschungsliteratur zu der in dieser Arbeit behandelten Fragestellung ist begrenzt. Es gibt viel Literatur zur Leitmotivtechnik, vor allem in Verbindung mit 2

Richard Wagner oder im filmmusikalischen Kontext. Wagners Werke und seine Kompositionstechniken sind ebenfalls sehr gut dokumentiert. Weniger Literatur gibt es jedoch zu Wagners möglichen Einflüssen auf die Filmmusik von The Lord of the Rings, welche in der Forschungsliteratur ohnehin nicht sehr umfangreich beschrieben wurde. Doug Adams ist der einzige Autor, der sich ausschließlich mit der Filmmusik der Trilogie beschäftigt. Dieser geht hierbei äußerst detailliert auf die verschiedenen musikalischen Themen ein, darunter auch das Thema der Gefährten. Die Leitmotivtechnik und deren Anwendung hingegen finden bei ihm keine allzu ausführliche Erwähnung. Dabei ist besonders hervorzuheben, dass er, wenn auch in einem begrenzten Maße, Shores Konzeption der Filmmusik mit Wagnerschen Methoden vergleicht. Monika Retter und Matthew Bribitzer-Stull nehmen einen ähnlichen Vergleich vor, wobei Retter sich ausschließlich auf die Musik von The Lord of the Rings und die verschiedenen Einflüsse Wagners beschränkt. Bribitzer-Stulls Fokus liegt hingegen mehr auf der Beeinflussung des Gebrauchs der Leitmotivtechnik verschiedener Filmmusikkomponisten durch Richard Wagner. Es fand sich keinerlei Literatur dazu, wie in The Lord of the Rings mithilfe der Leitmotivtechnik auf der Ebene der Musik Konflikte erzeugt werden. Hierbei wurden in erster Linie durch Höranalysen Kenntnisse gewonnen, welche durch Beiträge unterschiedlicher Autoren ergänzt wurden. Diese Arbeit trägt somit zum Forschungsstand bei, da sie die zuvor beschriebenen, in der Literatur voneinander separat betrachteten Aspekte zusammenführt und eine neue Perspektive hinsichtlich der Veränderung des Gefährten-Themas und der damit einhergehenden Konflikterzeugung eröffnet.

3

2. Howard Shores Musik zu The Lord of the Rings 2.1 Kurzportrait: Howard Shore Howard Leslie Shore, geboren am 18. Oktober 1946 in Toronto, ist ein kanadischer Komponist, Orchestrierer und Dirigent.2 Er begann im Alter von acht Jahren mit dem Musizieren und spielte bereits ab seinem 13. Lebensjahr in verschiedenen Bands.3 Da ihm früh klar wurde, dass er eine musikalische Laufbahn einschlagen will, begann er ein Studium am Berklee College of Music in Boston.4 Im Laufe seiner Karriere ging Shore verschiedenen Tätigkeiten nach. In den Jahren 1969-72 war er Alt-Saxophonist, Songwriter und Arrangeur der kanadischen Jazz-Rock Band Lighthouse.5 Er arbeitete während dieser Zeit außerdem als musikalischer Direktor der kanadischen Fernsehshow The Hart and Lorne Terrific Hour und später für Saturday Night Live.6 Seine erste Filmmusik schrieb Shore zu dem kanadischen Horrorfilm I Miss You, Hugs and Kisses aus dem Jahre 1978. In den folgenden Jahren komponierte er Musik für Psycho-Thriller des kanadischen Filmproduzenten David Cronenberg, mit dem sich eine langjährige Zusammenarbeit entwickelte.7 Darunter Filme wie The Brood (1979), The Fly (1986) oder Dead Ringers (1988).8 Die Filmmusik zu Martin Scorseses Komödie After Hours aus dem Jahre 1985 stellte eine seiner ersten Arbeiten für den amerikanischen und internationalen Film dar. Darüber hinaus schrieb er die Musik für Filme wie Gangs of New York (2002), The Aviator (2004) oder The Departed (2006) des selben Direktors.9 Seine größten Erfolge verzeichnet Howard Shore jedoch mit seiner Musik zu der The Lord of the RingsTrilogie. Neben zahlreichen Auszeichnungen wurden die Partituren zu The Fellowship of the Ring und The Return of the King mit Oskars prämiert. Shores Musik erfreute sich einer so hohen Beliebtheit, dass sie in Form der 2004 2

Durrell Bowman: „Shore, Howard Leslie“, Updated Version (25.11.2018), , 02.01. 2021. 3 Marcy Donelson: „Howard Shore“, 18.12.2020. 4 Durrell Bowman: „Shore, Howard Leslie“, Updated Version (25.11.2018), , 02.01. 2021. 5 Bowman: „Shore, Howard Leslie“, (Wie Anm. 3), 02.01. 2021. 6 Ebd., 02.01. 2021. 7 Ebd., 02.01. 2021. 8 Ebd., 02.01. 2021. 9 Ebd., 02.01. 2021.

4

fertiggestellten The Lord of the Rings Symphony international auf die Bühne gebracht wurde.10

2.2 Tolkiens Roman und seine Verfilmung Weder die Filmtrilogie noch die dazugehörige Filmmusik wären ohne die Romanvorlage John Ronald Reuel Tolkiens, welche in drei Bänden zwischen den Jahren 1954 und 1955 publiziert wurde, möglich gewesen.11 The Lord of the Ring war ursprünglich als ein einziger, eigenständiger Roman konzipiert, der zusammen mit dem Silmarillion eine Duologie bilden sollte.12 Finanzielle Bedenken der Verleger führten jedoch zu einer Dreiteilung des Romans.13 Diese bewahrheiteten sich allerdings nicht: Die Bücher verkauften sich gut und wurden später im Zusammenspiel mit dem großen Erfolg der Verfilmungen weltbekannt.14 In Umfragen der BBC (2003) und des ZDF (2004) wählten die Befragten den The Lord of the Rings-Roman auf Platz eins auf einer Liste von insgesamt 200 Romanen.15 In den späten 1990er Jahren begann Regisseur und Drehbuchautor Peter Jackson mit den Co-Autoren Fran Walsh und Philippa Boyens, Tolkiens Roman in drei Drehbüchern umzusetzen.16 Hier beginnt ein kreativer Prozess, in dessen Verlauf große finanzielle Mittel eingesetzt und großer Aufwand betrieben wurde, um Tolkiens Werk zu verfilmen. Es wurden Filmsets gebaut, Kostüme genäht, TolkienSprachwissenschaftler beschäftigt, tausende Masken entworfen und sogar Kettenhemden für ein ganzes Jahr handgebunden.17 Ein Aufwand, welcher mit dem sichergestellt werden sollte, dass man der Buchvorlage gerecht wird. Die

10

Ebd., 02.01. 2021. Pat Reynolds: „The Lord of the Rings: The Tale of a Text”, o.J., S. 2., https://www.tolkiensociety.org/app/uploads/2016/11/LOTR-The-Tale-of-a-Text.pdf heruntergeladen am 25.11.2020. 12 Reynolds: „The Lord of the Rings: The Tale of a Text” (wie Anm. 10), S. 1. 13 Vgl. Tobias M. Eckrich: „Tolkiens Mittelerdebücher“, in: Deutsche Tolkien Gesellschaft e.V. (Hrsg.), 02.01.2021. 14 Vgl. Eckrich: „Tolkiens Mittelerdebücher“ (wie Anm. 12), 02.01.2021. 15 Vgl. ebd., 02.01.2021. 16 Vgl. Doug Adams, Howard Shore und Fran Walsh: The Music of the Lord of the Rings Films. A Comprehensive Account of Howard Shore’s Scores, Van Nuys 2010. S. 1. 17 Vgl. Adams: The Music of the Lord of the Rings Films (Wie Anm. 12), S. 1. 11

5

Drehbuchautoren realisierten früh, dass die musikalische Umsetzung dieses Projektes sehr herausfordernd sein würde: „The films required nearly ten hours of musical accompaniment to be composed over an intensive four-year period. Tolkien languages, songs, and poetry had to be reinserted into the films. He [the composer] would need to invent a rich musical history that was every bit as varied and detailed as Middle-earth’s own.“18

Im Jahr 1999 wurden Schlüsselszenen aus allen drei Filmen als animierte Sequenzen von Bildern dargestellt und mit provisorischer Musik unterlegt, die von anderen Filmmusiken entliehen wurde. Damit sollte der dramaturgische Gehalt der Szenen erhöht werden.19 Fran Walsh unterlegt die Szenen mit Musik von Howard Shore aus Filmen wie The Fly, The Client, The Silence of the Lambs, Before and after, Seven und Crash.20 Die Entscheidung, welcher Komponist die Musik komponieren sollte, fiel schnell: „It wasn’t until we sat back and listened to the temp score that it struck us: what we had been reaching for all along was Howard Shore. […] he was our first and only choice to compose the score to The Lord of the Rings.“21

Howard Shore wurde an den Drehort nach Neuseeland eingeladen. Er war sehr bewegt von der Leidenschaft und Hingabe des Teams und akzeptierte sofort das Angebot, die Filmmusik zu komponieren.22

18

Vgl. ebd., S. 1. Vgl. ebd., S. XII. 20 Vgl. ebd., S. XII. 21 Ebd., S. XII. 22 Vgl. ebd., S. 2. 19

6

2.3 Die Konzeption der Filmmusik ‚The Lord of the Rings is the most complex fantasy world ever created, so I’m holding a mirror up to it, musically, and attempting to create something that’s in the image of it‘.23 Mit diesem Zitat Shores lässt sich die Konzeption seiner Filmmusik treffend zusammenfassen. Er ist davon überzeugt, dass ihm als Komponist bei Buchverfilmungen die Aufgabe zukommt, ein musikalisches Abbild des Originals zu schaffen. Aus diesem Grund beginnt Shore sofort mit dem Studium der verschiedenen Bücher, von denen er bald jeweils mehrere Kopien besitzt, um diese mit Notizen oder Illustrationen zu versehen.24 Außerdem widmet er zu Beginn viel Zeit der Recherche von Ring-Mythologien in der westlichen Tradition, um mehr über deren Bedeutung zu erfahren.25 Ein musikalisches Abbild der Worte Tolkiens zu erschaffen, erfordert eine breitgefächerte

Palette

musikalischer

Ausdrucksmittel.

Es

müssen

die

unterschiedlichen Völker und Orte Mittelerdes sowie zentrale Themen wie Freundschaft oder Opferbereitschaft musikalisch erfasst werden.26 Hierzu wurden Elemente traditioneller Volksmusik keltischer, orientalischer und afrikanischer Traditionen untersucht, Gastkünstler eingeladen und Instrumente von überall auf der Welt getestet.27 Darüber hinaus schlägt Howard Shore den Filmemachern die Integration von umfangreichen Chorälen vor, welche Gebrauch von den Sprachen Tolkiens machen sollen - Auf diese Weise wird Tolkiens Mythologie in den Film integriert.28 Am lebendigsten jedoch wird Tolkiens Welt durch die Musik mithilfe verschiedener

Leitmotive

beziehungsweise

Leitthemen

dargestellt.

Shore

entwickelt für die Filmmusik über 90 musikalische Themen29, welche die verschiedenen Völker, Orte, Personen etc. in markanten, wiedererkennbaren musikalischen Gebilden klanglich repräsentieren. Diese können je nach Kontext verändert werden und entwickeln sich im Verlauf der Trilogie zum Teil weiter.30

23

Ebd., S. 2. Vgl. ebd., S. 2. 25 Vgl. ebd., S. 2. 26 Vgl. ebd., S. 1. 27 Ebd., S. 2. 28 Ebd., S. 2. 29 Ebd., S. 11. Doug Adams bezeichnet diese als „themes“. Es handelt sich bei ihnen zum Teil um Themen, jedoch auch um Motive. Einzelheiten dazu werden im folgenden Kapitel ausgeführt. 30 Vgl. ebd., S.11. 24

7

3. Die Leitmotivtechnik: Richard Wagner bis Howard Shore Die Musik von Howard Shore in The Lord of the Rings – The Fellowship of the Ring lebt vom Einsatz der Themen und Motive. Diese werden im weiteren Verlauf als Leitthemen oder Leitmotive bezeichnet. Der Begriff des Leitmotives ist allerdings problematisch und in der Literatur umstritten. Er ist vor allem in Verbindung mit Richard Wagners Bühnenwerken populär geworden. Es wird versucht, ihn auf Wagners Œuvre zu beschränken und vom älteren Typus des ›Erinnerungsmotives‹ abzugrenzen.31 Gleichzeitig erfährt der Begriff einen Bedeutungsverlust, was sich darin äußert, dass er häufig nur verwendet wird, um ein ›immer wiederkehrendes, bezeichnendes Motiv‹32 zu beschreiben. Darüber hinaus

weisen

Begrifflichkeiten

wie

›Leitidee‹,

›Leit-instrumente‹

oder

›Leitharmonie‹ auf Unsicherheiten in Bezug auf das zu Bezeichnende hin: Es können neben melodischen und rhythmischen Elementen auch die Harmonik oder Instrumentation Bedeutungsträger werden.33 Auch der Terminus „Motiv“ ist nicht immer treffend: Ausgedehnte Themen wie das ›Abendmahlthema‹ aus Wagners Parsifal werden unter dem Begriff des Leitmotives oft genauso zusammengefasst wie kurze melodische Floskeln und oft nicht differenziert.34 Ein, in diesem Zusammenhang ebenso problematischer Begriff ist die „Leitmotivtechnik“. Seine Übertragung auf die Filmmusik ist auch umstritten.35 Das liegt vor allem daran, dass der Begriff eng mit dem Namen Richard Wagners verknüpft ist und Filmmusikkomponisten die Technik nach Wagnerschen Maßstäben häufig zu inkonsequent durchführen. Am Ende der Arbeit wird sich zeigen, ob und inwiefern der Begriff auf die Musik von The Fellowship of the Ring anwendbar ist. In der Zwischenzeit wird er aus Gründen der Einfachheit im Zusammenhang mit der Musik von Howard Shore genutzt.

31

Joachim Veit: Art. „Leitmotiv“, in: MGG2, Bd. 5, Kassel u. a. 1996, Sp. 1079. Veit: Art. „Leitmotiv“, in: MGG2 (wie Anm. 30), Sp. 1079. 33 Ebd., Sp. 1079. 34 Ebd., Sp. 1079. 35 Matthias Bückle und Manuel Gervink (Hrsg.): Art. „Leitmotiv, Leitmotivtechnik“ in: Lexikon der Filmmusik. Personen – Sachbegriffe zu Theorie und Praxis – Genres, Laaber 2012, S. 301. 32

8

3.1 Die Leitmotivtechnik Richard Wagners Wie bereits erwähnt steht Begriff der Leitmotivtechnik in engem Zusammenhang mit dem Namen Richard Wagners, da er in seinen Werken viel Gebrauch von dieser Technik machte. Doch war Wagner nicht der erste, der Leitmotive in seinen Werken einsetzte. Der Begriff des Leitmotives wird noch vor Richard Wagner geprägt. Er „entstammt der Opernkomposition und -ästhetik des 19. Jahrhunderts und wurde zuerst 1871 von Friedrich Wilhelm Jähns auf die musikalische Verarbeitung einzelner Charaktere in den Opern Carl Maria von Webers bezogen.“36 Hans von Wolzogen sprach fünf Jahre später von Leitmotiven in den Opern Richard Wagners, der den Begriff selbst allerdings nicht anwandte; er sprach von ›Grundthemen‹, ›Ahnungsmotiven‹ u.a.m.37 Hier wird abermals die Problematik des Begriffes deutlich. Er wird hier aus Gründen der Einfachheit dennoch verwendet und bezieht sich auf die Art der Handhabung der Technik durch Richard Wagner, welche im Folgenden beschrieben wird. Wagner selbst äußerte sich wie folgt zu seinem Gebrauch der Technik: „Diese Einheit gibt sich dann in einem das ganze Kunstwerk durchziehenden gewebe [sic!] von Grundthemen, welche sich, ähnlich wie im Symphoniesatz, gegenüberstehen, ergänzen, neu gestalten, trennen und verbinden: nur dass hier die ausgeführte und aufgeführte dramatische Handlung die Gesetze der Scheidungen und Verbindungen gibt.“38

Dieses Zitat lässt sich in drei Grundaussagen zusammenfassen: 1.) Die Einheit des Kunstwerks wird durch ein Gewebe verschiedener Leitmotive geschaffen 2.) Die Leitmotive treten in gegenseitige Wechselwirkung 3.) Die dramaturgische Handlung bestimmt diese Wechselwirkungen

36

Bückle und Gervink: Art. „Leitmotiv, Leitmotivtechnik“ (wie Anm. 35), S. 301. Vgl. ebd., S. 301. 38 Stephan Kunze: „Über den Kunstcharakter des Wagnerschen Musikdramas“, in: Richard Wagner. Von der Oper zum Musikdrama, Bern und München 1978, S. 16 f. 37

9

Wagners Gebrauch der Leitmotivtechnik sieht es vor, die Musik vollends in den Dienst der dramatischen Handlung zu stellen (Punkt 1), was vor allem der letzte Satz des obigen Zitates unmissverständlich verdeutlicht (Punkt 3): „[…] nur dass hier die ausgeführte und aufgeführte dramatische Handlung die Gesetze der Scheidungen und Verbindungen [der Leitmotive] gibt.“ Es handelt sich bei der Musik also um funktionale Musik. Sie ist nicht Selbstzweck, sondern unterstützt die Handlung. Ein wichtiger Aspekt sowohl bei Richard Wagner als auch bei Howard Shore ist die Veränderung der Leitmotive, welche durch die Handlung bedingt ist (Punkt 2): „[…] Grundthemen, welche sich, ähnlich wie im Symphoniesatz, gegenüberstehen, ergänzen, neu gestalten, trennen und verbinden […].“ Hierfür gibt es verschiedene Techniken wie Augmentation, Diminution, Variation der Takt- oder Tonart oder Besetzungswechsel und noch viele weitere, die im weiteren Verlauf dieser Arbeit eine zentrale Rolle spielen werden. Modifikationen an Leitmotiven können die dramaturgische Aussage in einem hohen Maße bestimmen. Durch dieses Netzwerk von Leitmotiven, die in ihrer musikalischen Form oder Textur durch die Handlung bedingt sind, in gegenseitiger Wechselwirkung zueinanderstehen und sich stetig verändern, entsteht bei Wagner letzten Endes die Einheit des Kunstwerkes. Hierin besteht auch der Hauptunterschied des Begriffes des Leitmotives zu Termini wie dem Erinnerungsmotiv: In Wagners frühen Werken bis einschließlich Lohengrin werden Erinnerungsmotive genutzt, welche die Form des Kunstwerkes betonen, jedoch nicht bestimmen.39 Die Aufgabe Wagners Leitmotive ist wesentlich umfassender.

39

Arnold Whittall: Art. „Leitmotif“, in: Grove Music Online, 04.01.2021.

10

3.2 Die Leitmotivtechnik in der frühen Filmmusikkomposition Mit dem Beginn der Tonfilm-Ära, dessen Beginn der Film The Jazz Singer 1929 kennzeichnet40, entwickelten sich in den 1930er und 40er Jahren verschiedene Kompositionstechniken, um Tonfilme mit Musik zu begleiten.41 Erwähnenswert sind Namen von Komponisten wie Erich Wolfgang Korngold und Max Steiner, die in Los Angeles auf eine Art komponierten, welche „flexibel wechselnde Affekte zu begleiten und auszudrücken [vermochte].“42 Diese Komponisten, die als erste Musik zum Tonfilm schrieben, nutzten verschiedene Techniken, um das Bild musikalisch zu unterstützen. Es soll hier jedoch in erster Linie auf die Leitmotivtechnik eingegangen werden. Viele der Komponisten in Los Angeles waren europäische Emigranten, so wie auch die zuvor erwähnten Erich Wolfgang Korngold und Max Steiner, „die aus Europa wegen der verheerenden politischen Umstände insbesondere in Deutschland und Russland nach Hollywood emigrierte[n].“43 Besonders geeignet erschien „die Symphonik und die dramatische Musik des 19. Jahrhunderts“ für die musikalische Unterlegung des Films.44 Diese Musik beinhaltet Expressivität und eignet sich daher besonders gut, um Affekte auszudrücken, „Bewegungen und Handlungen musikalisch zu begleiten und möglichst realistisch abzubilden.“45 Bei Filmmusik handelt es sich, wie auch bei Wagners Musikdrama, um funktionale Musik. Diese ist nicht unabhängig, sondern in ihrer Funktion eng mit dem Film verbunden: Sie hat „sehr schnell und eindeutig verständlich zu sein, denn ihre Einsätze und Dauern werden durch den Film vorgegeben.“46 Filmmusik steht im Grunde, wie die Musik Richard Wagners auch, vollends im Dienst der Dramaturgie der Handlung und soll diese sowohl verstärken als auch verständlich machen. Sie ist also in ihrer Grundfunktion sehr ähnlich. Es fand eine Assimilierung der Leitmotivtechnik in die Filmmusik statt, „da viele der (nicht nur europäischen) Filmkomponisten in der ersten Hälfte des 20.

40

Vgl. Elmer Bernstein: Art. „Berlin, Irving (eigentl. Israel Baline)“ in: Lexikon der Filmmusik. Personen – Sachbegriffe zu Theorie und Praxis – Genres, Laaber 2012, S. 72. 41 Vgl. Josef Kloppenburg (Hg.): Das Handbuch der Filmmusik. Geschichte – Ästhetik – Funktionalität, Laaber-Verlag 2012, S. 89. 42 Kloppenburg (Hg.): Das Handbuch der Filmmusik (wie Anm. 40), S. 89. 43 Ebd., S. 90. 44 Vgl. ebd., S. 92 f. 45 Vgl. ebd., S. 92 f. 46 Ebd., S. 90.

11

Jahrhunderts aus der Wagner- bzw. späteren musikdramatischen Tradition hervorgegangen sind.“47 Die Motivtechnik bietet sich vor allem im Rahmen der Filmmusikkomposition an, da „prägnante musikalische Gebilde der Forderung nach Erinnerbarkeit und Transportfähigkeit einer Idee am ehesten Rechnung tragen können.“48

Viele

der

ersten

Tonfilm-Komponisten

arbeiteten

mit

der

Leitmotivtechnik und verknüpften durch prägnante, musikalische Figuren bestimmte Personen, Orte, Gefühle etc. miteinander. Leitmotive schaffen also in erster Linie Struktur und Erinnerbarkeit ähnlich wie in Wagners Opern. Eine weitere Parallele zu Wagner stellen die Veränderungen dieser Motive im Laufe des Filmes dar, was wiederum „Veränderungen […] des bezeichneten Gegenstands oder der bezeichneten Person der Filmhandlung anzeigt.“49 Dies bedeutet keinesfalls, dass der Gebrauch von Leitmotiven durch Filmkomponisten

zwangsweise

zu

einer

Filmmusik

führt,

welche

die

Voraussetzungen für eine Wagnersche Leitmotivkomposition erfüllt. An dieser Stelle soll nur festgehalten werden, dass sich die Musik zum Film und die Musik des Musikdramas vor allem in der Hinsicht ähneln, dass deren primäres Ziel die Unterstützung

der

Handlung

darstellt.

Aussagen

verschiedener

Filmmusikkomponisten erklären die Nähe der beiden Gattungen. Max Steiner behauptet: „Wenn Wagner in unserem Jahrhundert gelebt hätte, wäre er die Nummer Eins unter den Filmkomponisten gewesen.”50 Der Filmproduzent Stephen W. Bush geht noch weiter und sagt: „Every man or woman in charge of the music of a moving picture theatre is, consciously or unconsciously, a disciple or follower of Richard Wagner.”51 Der hohe Stellenwert der Leitmotivtechnik in den 1930er und 40er Jahren kann an der Musik Max Steiners zu Filmen wie The Informer (1935), King Kong (1933) oder Casablanca (1943) beobachtet werden.52 Das Schaffen von Max Steiner und auch Komponisten wie Erich Wolfgang Korngold oder Alfred Newman ist, gerade

47

Matthias Bückle und Manuel Gervink (Hg.): Art. „Leitmotiv, Leitmotivtechnik“ in: Lexikon der Filmmusik. Personen – Sachbegriffe zu Theorie und Praxis – Genres, Laaber 2012, S. 301. 48 Josef Kloppenburg (Hg.): Das Handbuch der Filmmusik. Geschichte – Ästhetik – Funktionalität, Laaber-Verlag 2012, S. 202. 49 Vgl. Kloppenburg: Das Handbuch der Filmmusik (wie Anm. 47), S. 202. 50 Tony Thomas: Music for the Movies, Beverly Hills 1997, S.122. 51 Joe Jeonwon und Gilman L. Sander (Hg.): Wagner & Cinema, Bloomington 2010, S. 3. 52 Vgl. Josef Kloppenburg (Hg.): Das Handbuch der Filmmusik. Geschichte – Ästhetik – Funktionalität, Laaber 2012, S. 202.

12

in Hinblick auf den Einsatz der Leitmotivtechnik, für zahlreiche Filmkomponisten wie Howard Shore, James Newton Howard oder Hans Zimmer vorbildlich geworden.53

3.3 Die Leitmotivtechnik Howard Shores Howard Shore macht von der Leitmotivtechnik zur Darstellung der vielen Kontraste in J.R.R. Tolkiens Welt Gebrauch. Er weist den verschiedenen Völkern, Personen oder Orten Mittelerdes unterschiedliche, markante musikalische Themen zu, variiert diese und entwickelt sie im Laufe der Trilogie weiter. An dieser Stelle ist eine Differenzierung der Begriffe Motiv und Thema sinnvoll. Das Motiv ist die kleinste, sinntragende musikalische Einheit54, während das Thema mit einer Periodik und verschiedenen Phrasen vom Umfang deutlich ausgedehnter ist. Shore nutzt in The Lord of the Rings häufiger Themen, jedoch auch Motive. Das Fellowship-Thema55 nimmt unter den musikalischen Themen eine Sonderstellung ein. Es handelt sich bei den Gefährten um eine Gemeinschaft, deren Mitglieder den verschiedenen freien Völkern Mittelerdes angehören.56 Die meisten von Shores Leitthemen beziehen sich auf ein Land und sein Volk oder auf eine bestimmte Person. Das Thema der Gefährten hingegen bezieht sich auf mehrere Personen diverser Herkunft. Nachfolgend werden einige Motive und Themen der Mächte Isengarts und Mordors beschrieben, welche für die Analyse der Konfliktdarstellungen später relevant sein werden. Shore stellt häufig das Fellowship-Thema der Musik Mordors oder Isengarts gegenüber oder lässt diese nacheinander erklingen, um durch die Musik einen Konflikt zu suggerieren. Hierbei wird das Leitthema der Gefährten jeweils an den dramatischen Kontext angepasst. Er nutzt dabei eine große Vielfalt an Techniken, auf die zu einem späteren Zeitpunkt eingegangen wird.

53

Vgl. Kloppenburg: Das Handbuch der Filmmusik (wie Anm. 51), S. 202. William Drabkin: Art. „Motif [motive]“, in: Grove Music Online, 2001, 05.01.2021. 55 Die Bezeichnungen der Leitmotive und Leitthemen in dieser Arbeit sind von Doug Adams übernommen. 56 Monika Retter: Filmmusik als Wagners Erbe. Eine vergleichende Analyse von Howard Shores Filmmusik zu Peter Jacksons Filmtrilogie The Lord of the Rings, Teil 1, mit Wagners Dramaturgie und Tonsprache, Wien 2008, S. 58. 54

13

4. Das Leitthema der Gefährten und dessen musikalische Antagonisten 4.1 Das Fellowship-Leitthema Hierbei handelt es sich um das zentrale musikalische Thema der Gefährten im ersten und auch in den folgenden Teilen der Trilogie. Es untermalt musikalisch einerseits das heroische Bestreben der Gemeinschaft, ihr Leben für das Wohl der freien Völker Mittelerdes zu riskieren und andererseits die Herausforderungen, die sie auf ihrer Mission, den Ring der Macht zu zerstören, bewältigen müssen. Wie zu Beginn der Arbeit erwähnt, ist an manchen Stellen die Unterscheidung zwischen den Begriffen Thema und Motiv notwendig. Für die musikalische Begleitung der Gefährten ist der Begriff des Leitthemas treffender als der des Leitmotives.

57

Die Melodie ist in d-Moll komponiert. Sie beginnt und endet auf „d“ und es wird lediglich ein b-Vorzeichen genutzt. Die Begleitung hingegen steht in D-Dur, da sie mit einem D-Dur Dreiklang anfängt und schließt.58 Neben den leitereigenen Dreiklängen D-, G-, und C-Dur werden auch Dreiklänge der Varianttonart d-Moll genutzt wie beispielsweise F- und B-Dur. Hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass 57

Doug Adams, Howard Shore und Fran Walsh: The Music of the Lord of the Rings Films. A Comprehensive Account of Howard Shore’s Scores, Van Nuys 2010, S. 73. 58 Vgl. Doug Adams: The Music of the Lord of the Rings Films (wie Anm. 56), S. 73.

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in der Begleitung lediglich Dur-Dreiklänge gespielt werden. Der Grund hierfür liegt in der Tatsache, dass es sich bei dem Thema um ein Heldenthema handelt, dessen heroische Grundstimmung Moll-Dreiklänge nicht unterstützen würden. Im weiteren Verlauf der Arbeit wird aus Gründen der Einfachheit und Übersichtlichkeit die Schreibweise c-Moll/ C-Dur (bzw. die jeweilige Tonart in dem bestimmten Kontext) für die Bezeichnung der Tonart verwendet. Das Fellowship-Thema umfasst eine 8-taktige Periodik, welche sich in zwei Phrasen unterteilen lässt: Takt 1 bis 4 bilden die erste Phrase und Takt 5 bis 8 die zweite. Diese lassen sich wiederum in Motive unterteilen. Hier handelt es sich um eine abab‘ – Form59: Bei den Takten 1 bis 2 sowie 5 bis 6 bis zum punktierten d‘ handelt es sich um Motiv a, während Takt 3 bis g‘ des vierten Taktes Motiv b und Takt 6 bis d‘‘ des achten Taktes Motiv b‘ darstellt. In den verschiedenen Motiven kommen unterschiedliche musikalische Mittel zum Einsatz: Motiv a beinhaltet Sechzehntel-Tonrepetitionen der Note c‘ (Takt 1: d‘ – c‘ – c‘ – c‘ – d‘), was diesem Themenkopf hohen Wiedererkennungswert verleiht. Thema b und b‘ zeichnen sich vor allem durch Auf- und Abbewegungen der Melodie aus: Takt 2 f.: g - a - b; a -b - f. Doug Adams beschreibt das Thema der Gefährten wie folgt: „It is receptive and sympathetic, but at the same time steely and unaffected – a theme for a benevolent yet steadfast mission.“60 Dies trifft besonders auf die rhythmische Gestaltung zu, welche einfach gehalten ist. Das Thema steht im 4⁄4 -Takt und die Betonungen liegen auf den schweren Zählzeiten 1 und 3. Dadurch entsteht eine gewisse Stabilität und Regelmäßigkeit. Die Instrumentierung und weitere musikalische Parameter des Themas wechseln je nach Situation, in der sich die Gefährten im Film befinden, worauf vor allem in der Analyse noch eingegangen wird.

59

Vgl. Monika Retter: Filmmusik als Wagners Erbe […], Wien 2008, S. 60. Doug Adams, Howard Shore und Fran Walsh: The Music of the Lord of the Rings Films. A Comprehensive Account of Howard Shore’s Scores, Van Nuys 2010, S. 73. 60

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4.2 Leitthemen und -motive Isengarts sowie Mordors In diesem Abschnitt sollen nun kurz die für die Analyse wichtigsten Themen und Motive Isengarts sowie Mordors betrachtet werden, welche oft zusammen mit dem Fellowship-Thema auftreten. Auch hier sind die Bezeichnungen von Doug Adams übernommen und die Notenbeispiele basierend auf seinen Vorlagen eigenständig angefertigt worden.

4.2.1 Das Five-beat Pattern „Initially bound to the caverns of Isengard and the Uruk-hai’s limited sorties, the Five-beat begins to spread as the orcs tromp across Middle-Earth.“61 Bei dem Five-beat Pattern handelt es sich um ein rein rhythmisches Motiv, welches genutzt wird, um die Uruk-Hai, die Stadt Isengart oder beispielsweise auch die Orks Morias musikalisch zu unterlegen.

62

Umgesetzt wird dies in einem 5/4 Takt mit den Betonungen auf die Zählzeiten 1, 4 und 5. Als Instrumente werden Schlaginstrumente wie Amboss, große Trommel oder Taiko genutzt, um den schnell voranschreitenden Industrialismus Isengarts und die davon ausgehende Bedrohung zu repräsentieren.63 „The Five-Beat doesn’t so much develop as it virally bleeds its way into other themes and cultures. Its own content rarely progresses, and so it must seek its expansion by parasitically attaching itself to its opponent’s music.“64 Objekt dieses parasitären Befalls ist häufig das Fellowship-Thema. Auf diese Weise schafft Howard Shore auf der Ebene der Musik den Konflikt zwischen den Gefährten und der Macht Isengarts.

61

Doug Adams: The Music of the Lord of the Rings Films, (wie Anm. 59), S. 93. Vgl. ebd., S. 93. 63 Ebd., S. 93. 64 Ebd., S. 93. 62

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4.2.2 The Threat of Mordor Es handelt sich hier um ein Thema mit dem, laut Doug Adams, der Komponist Folgendes bewirken möchte: „In the first two chapters of the story, the Threat of Mordor represents Sauron’s homeland from afar.“65 Es wird oft genutzt, um Saurons Einfluss oder Präsenz in Mittelerde darzustellen, obwohl er selbst nicht anwesend ist. Das Thema erklingt in tiefer Lage und wird oft von der Tuba gespielt. Bei den ersten drei Takten handelt es sich um ein Ostinato mit jeweils einem D zu Beginn, gefolgt von drei absteigenden Viertelnoten im Sekundabstand, welche Fragmente der Molltonleiter darstellen.66

67

Das Five-beat Pattern und The Threat of Mordor sind stark am Rhythmus orientiert. Ersteres verfügt über keinen melodischen Charakter und das Zweite nur in geringem Umfang. Dieser repetitive Charakter ist typisch für viele der Themen und Motive Isengarts oder Mordors. Durch den Einsatz von Ambossen oder anderen tiefen Schlaginstrumenten im Five-beat Pattern und der tiefen Lage der Tuba im The Threat of Mordor-Thema wird musikalisch die Bedrohung deutlich, die von dem durch die Motive oder Themen Bezeichnetem ausgeht.

65

Ebd., 104. Vgl. ebd., S. 104. 67 Vgl. ebd., S. 104. 66

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5. Die Einführung und Entwicklung des Fellowship-Themas Doug Adams sieht die Entwicklung des Themas eng verknüpft mit der Handlungsebene: „Like the fellowship itself, Shores Fellowship theme is assembled by pieces throughout the first story and scattered into shards thereafter.“68 In diesem Abschnitt soll zunächst das erstmalige Erklingen des Themas betrachtet und im weiteren Verlauf auf dessen Entwicklung eingegangen werden. Dieser Entwicklungsprozess wird in der Musik vor allem erkennbar durch das Anwachsen der Besetzung. Wenn neue Mitglieder zur Gemeinschaft hinzukommen, wird dies in der Musik häufig durch das Hinzukommen neuer Instrumente gekennzeichnet. Außerdem spielen hierbei zahlreiche weitere musikalische Mittel eine Rolle wie beispielsweise die Variation der Länge des Themas, der Gebrauch anderer Taktund Tonarten, sowie melodische Modifikationen. Als Anfangspunkt des Entwicklungsprozesses wird die Szene Three is Company69 herangezogen, da es sich hier einerseits um die erste Darbietung des FellowshipThemas im Film handelt und andererseits die beiden Hobbits Frodo und Sam die einzigen Mitglieder der Gefährten sind, die im weiteren Verlauf der Trilogie an der ursprünglichen Aufgabe, den Ring der Macht zu zerstören, festhalten. Die zweite Szene, die es zu untersuchen gilt, ist The Nazgûl. Hier zählen die Gefährten nun insgesamt fünf Mitglieder: Frodo, Sam, Merry, Pippin und Aragorn. Der Entwicklungsprozess zum vollständigen Fellowship-Thema ist in der Szene The Council of Elrond70 erreicht. Hier ist sowohl auf der Bildebene als auch in der Musik die volle Besetzung vertreten. Shore nutzt in allen Szenen die Leitmotivtechnik, um das Thema weiter zu entwickeln und je nach Kontext zu variieren. Für die folgenden Abschnitte wurden zum Teil die Szenennamen aus Doug Adams Buch verwendet und die Notenbeispiele basieren auf eigenen Höranalysen.

68

Ebd., S. 72. Vgl. ebd., S. 149. 70 Ebd., S. 166. 69

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5.1 Three is Company: Frodo und Sam als Kern der Gemeinschaft Als die Mächte des Bösen herausfinden, dass der Ring der Macht wiedergefunden wurde und sich im Auenland in den Händen eines Hobbits mit dem Namen Beutlin befindet beginnen die Diener Saurons, nach dem Ring zu suchen.71 Dies veranlasst den Ringträger Frodo Beutlin, der den Einen Ring von seinem Onkel Bilbo Beutlin bekommt, das Auenland zu verlassen, um zu fliehen.72 Hier beginnt ein Prozess, in dessen Verlauf sowohl im Film als auch in der Musik die Gemeinschaft des Ringes entsteht. Die erste Etappe in der Entstehung des Fellowship-Themas stellt die Szene Three is Company dar. Noch nicht weit von ihrer Heimat entfernt, in einem Kornfeld des Auenlandes, bemerkt der Hobbit Sam, dass er so weit von zuhause entfernt ist, wie noch nie zuvor: „If I take one more step, it will be the farthest away from home I’ve ever been.“73 Als er sich schließlich überwindet, noch einen Schritt weiter zu gehen, erklingt das Thema der Gefährten: „as a story element its first tones accompany Frodo and Sam’s passage through a shire cornfield – the de facto beginning of the Fellowship.“74 An dieser Stelle wird deutlich, dass es sich bei Frodo und Sam um den Kern der Gefährten handelt. Das Thema ist an dieser Stelle noch nicht voll ausgebaut, da die Gemeinschaft des Ringes erst im Begriff ist, sich zu formen und in diesem Vorgang noch ganz am Anfang steht. Es wird lediglich die erste Hälfte der Periode gespielt.75 Das Thema erklingt in C-Dur/ c-Moll, wobei die Melodie lediglich von Englisch- und Waldhorn76 in langsamem Tempo und sehr leise gespielt wird. Die Tatsache, dass die Themenvariation in dieser Szene in C steht, könnte darauf hindeuten, dass sich

71

Vgl. John Ronald Reuel Tolkien: Der Herr der Ringe (Aus dem Englischen übersetzt von Wolfgang Krege) Erster Teil: Die Gefährten, Stuttgart 2000, S. 84/87, Originalausgabe: The Fellowship of the Ring, London 1966. 72 Vgl. J.R.R. Tolkien: Der Herr der Ringe. Die Gefährten (wie Anm. 70), S. 91. 73 Peter Jackson: The Lord of the Rings. The Fellowship of the Ring, USA, NZL 2001, DER HERR DER RINGE. DIE GEFÄHRTEN, DVD New Line Cinema 2002, 171 min., TC: 36:14 - 36:19. 74

Doug Adams, Howard Shore und Fran Walsh: The Music of the Lord of the Rings Films. A Comprehensive Account of Howard Shore’s Scores, Van Nuys 2010, S. 72. 75 Monika Retter: Filmmusik als Wagners Erbe, Wien 2008. S. 62. 76 Vgl. Doug Adams, Howard Shore und Fran Walsh: The Music of the Lord of the Rings Films. A Comprehensive Account of Howard Shore’s Scores, Van Nuys 2010, S. 149.

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die beiden Hobbits momentan noch in Sicherheit befinden. Shore nutzt zur Darstellung für Friedlichkeit häufig die Tonart C-Dur.77

5.2 The Nazgûl: Die Gemeinschaft wächst Frodo und Sam treffen auf ihrer Reise die Hobbits Merry und Pippin, deren Anschluss allerdings nicht durch das Hinzukommen neuer Instrumente begleitet wird.78 Die Hobbits suchen Unterschlupf in einem Gasthaus in Bree, wo sie Aragorn treffen, der sie vor den Nazgûl beschützt, welche ihnen dicht auf den Fersen sind.79 Danach wird die Gruppe von Aragorn in die Wildnis geführt.80 In dieser Szene entwickelt sich das Thema der Gefährten weiter, was auf den Anschluss Aragorns zurückzuführen ist: „once they have encountered Strider, the Fellowship becomes five and the theme becomes a little more formed.“81 Das Thema erklingt in dieser Szene insgesamt drei Mal. Beim ersten Mal ist eine Weitwinkelaufnahme der neuen Besetzung der sich formenden Gemeinschaft zu sehen.82 Die Melodie erklingt hier diesmal in d-Moll, einen Ganzton höher als die vorherige Themenvariation. Dadurch könnte Howard Shore möglicherweise eine dramaturgische Steigerung bezwecken, um diese Fassung von der Vorherigen abzuheben. Da auch die Zahl der Mitglieder der Gemeinschaft angewachsen ist, scheint eine solche Darstellung durch die Musik plausibel. Auch denkbar wäre, dass Shore lediglich eine Variation intendiert, damit nicht alle der Sequenzen in der gleichen Tonart stehen. Eine dritte Möglichkeit ist die Andeutung, dass die Gefahr der Nazgûl noch immer präsent ist: Der Musik Mordors ist generell die Tonart dMoll zugeordnet83 und durch das Erklingen des Fellowship-Themas in dieser Tonart wird mithilfe der Musik an die Gefahr erinnert.

77

Matthew Bribitzer-Stull: Understanding the Leitmotif. From Wagner to Hollywood Film Music, Cornwall 2015, S. 292. 78 Peter Jackson: The Lord of the Rings. The Fellowship of the Ring, USA, NZL 2001, DER HERR DER RINGE. DIE GEFÄHRTEN, DVD New Line Cinema 2002, 171 min., TC: 41:53 – 43:02. 79 Jackson: DER HERR DER RINGE. DIE GEFÄHRTEN (wie Anm. 77), TC: 48:30 – 54:12. 80 Ebd., TC: 54:49 – 55:34. 81 Monika Retter: Filmmusik als Wagners Erbe, Wien 2008, S. 59. 82 Peter Jackson: The Lord of the Rings. The Fellowship of the Ring, USA, NZL 2001, DER HERR DER RINGE. DIE GEFÄHRTEN, DVD New Line Cinema 2002, 171 min., TC: 54:49 – 54:56. 83 Vgl. Matthew Bribitzer-Stull: Understanding the Leitmotif. From Wagner to Hollywood Film Music, Cornwall 2015, S. 282.

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Ein weiterer Unterschied zur vorhergehenden Szene besteht in der Wahl der Taktart: Anstatt des 4⁄4 -Taktes wird hier nun der 3⁄4 -Takt gewählt. Diese Wahl kann in diesem Fall dadurch begründet werden, dass die sich formende Gemeinschaft auf der Flucht vor den Nazgûl ist, welche die Hobbits bereits seit ihrer Abreise verfolgen. Die Taktart wird an der neu dazugekommenen großen Trommel erkennbar, welche Viertelschläge mit der Betonung jeweils auf der ersten Zählzeit jedes Taktes spielt.

Die große Trommel gibt Aragorn musikalisch wieder. Dies wird später in der Szene The Council of Elrond deutlich. Hier spielt die große Trommel den Rhythmus des Themenkopfes des Fellowship-Themas, als Aragorn offiziell den Gefährten beitritt. Die Gleichmäßigkeit und rhythmische Stabilität setzen die Führungsposition Aragorns und sein Bestreben, die Hobbits in Sicherheit zu bringen, musikalisch um. Außerdem

neu

sind

zwei

weitere

Waldhörner,

welche

mit

hoher

Wahrscheinlichkeit Merry und Pippins Eintritt in die Gruppe kennzeichnen: ‚In earlier sections with Frodo and Sam you heard one French horn playing. Now there are three.‘84 Bei dieser ersten Themenvariation wird lediglich die erste Halbphrase des Themas gespielt. Nach der ersten Wiedergabe erscheinen kurz die Nazgûl auf der Bildfläche, um daran zu erinnern, dass die Gefährten noch immer in Gefahr sind.85 Kurz darauf erklingt der Themenkopf erneut, mit anschließender Variation der zweiten Halbphrase:

84

Doug Adams, Howard Shore und Fran Walsh: The Music of the Lord of the Rings Films. A Comprehensive Account of Howard Shore’s Scores, Van Nuys 2010, S. 156. 85 Peter Jackson: The Lord of the Rings. The Fellowship of the Ring, USA, NZL 2001, DER HERR DER RINGE. DIE GEFÄHRTEN, DVD New Line Cinema 2002, 171 min., TC: 54:55 – 54:54:58.

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Zur gleichen Zeit führen Frodo und Aragorn einen Dialog. Frodo fragt: „Where are you taking us?“, woraufhin Aragorn antwortet: „Into the wild.“86 Darauf äußert Merry sein Unbehagen: „How do we know this strider is a friend of Gandalf?“87 Die Frage wird durch die Musik aufgegriffen, indem erneut der Themenkopf erklingt, was den Schluss nahe legt, dass es sich bei Streicher tatsächlich um einen Freund Gandalfs und letzten Endes um ein Mitglied der Gemeinschaft handelt. Dem Themenkopf folgen weitere Variationen der zweiten Halbphrase. Alle Zweifel an der Loyalität Aragorns werden den Hobbits scheinbar genommen, als dieser verkündet, dass er die Gruppe nach Bruchtal führt. Sam möchte wissen: „But where is he leading us?“, Aragorn erwidert: „To Rivendell, Master Gamdee. To the house of Elrond.“ Sam: „Did you hear that, Rivendell. We’re going to see the elves!“88 Nach diesen Worten erklingt nun die 2. Phrase des Fellowship-Themas, gespielt vom Horn (ab Takt 4) mit etwas gesteigerter Dynamik im Vergleich zu den beiden vorherigen Themenvariationen.

86

Jackson: DER HERR DER RINGE. DIE GEFÄHRTEN (wie Anm. 85), TC: 54:58 – 55:01. Ebd., TC: 55:04 – 55:07. 88 Ebd., TC: 55:12 – 55:20. 87

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Diesmal zwar noch in variierter Form, jedoch nicht so stark wie es zuvor der Fall war. Die Variationen, die Howard Shore in dieser Szene nutzt, haben das Ziel, Spannung aufzubauen. Die Verfolger immer noch im Rücken und mit der Ungewissheit um die Loyalität Aragorns werden durch die Variationen musikalisch Zweifel ausgedrückt, führen aber letztendlich schrittweise näher an die endgültige Fassung des Themas heran. Die Gemeinschaft des Ringes ist, genau wie deren Thema, immer noch im Begriff, sich weiter zu entwickeln und hat seine endgültige Gestalt noch nicht erlangt. Das Thema wird noch sehr langsam gespielt, es hat sich seit dem Kornfeld im Auenland jedoch erheblich weiterentwickelt, was die verschiedenen musikalischen Mittel, die der Komponist einsetzt, gezeigt haben.

5.3 The Council of Elrond: Die Gemeinschaft ist vollzählig Aragorn und die Hobbits kommen in Bruchtal an, wo kurz darauf ein Rat einberufen wird. Dieser beschließt, dass der Ring zerstört werden muss und entscheidet, wer der Anwesenden ein Teil der Gefährten werden soll, um dieser Aufgabe nachzukommen.89 In der Szene wird das Fellowship-Thema zwei Mal komplett gespielt. Bei der Frage, wer den Ring tragen soll, gibt es Streit. Frodo meldet sich freiwillig für die Aufgabe: „I will take it […] I will take the ring to Mordor. Though, I do not know the way.“90 Nachdem Frodo das sagt, erklingt das Fellowship-Thema in CDur/c-Moll und im

4

⁄4-Takt. Es stoßen im Laufe der Szene immer mehr

Instrumenten dazu, was oft mit dem Beitritt neuer Mitglieder verknüpft ist. Der erste, der sich bereit erklärt, Frodo auf seiner Reise zu unterstützen, ist Gandalf: „I will help you bear this burden, Frodo Baggins. As long as it’s yours to bear.“91 Hier spielen Streicher den Themenkopf des Leitthemas und werden von Waldhörnern unterstützt.92 Die Dynamik ist hier im Vergleich zur vorherigen Szene erhöht. In einer Nahaufnahme von Frodo erklingen in der zweiten Halbphrase die für die musikalische Darstellung von Hobbits in der Gemeinschaft typischen Waldhörner, die nun im Vordergrund stehen und die Melodie spielen.93

89

Ebd., TC: 1:25:21 – 1:29:31. Gesamte Szene: TC: 1:23:01 – 1:29:40. Ebd., TC: 1:27:40 – 1:28:09. 91 Ebd., TC: 1:28:11 – 1:28:17. 92 Ebd., TC: 1:28:10 – 1:28:14. 93 Ebd., TC: 1:28:15 – 1:28:17. 90

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Nach Gandalf steht Aragorn auf und sichert seine volle Unterstützung zu: „If by my life or death I can protect you, I will.“94 Während Aragorn spricht, spielt die große Trommel, die schon zuvor für sein Hinzustoßen zur Gemeinschaft verwendet wurde, rhythmisch den Themenkopf der dritten Phrase. Außerdem kann ein Anstieg der Dynamik ausgemacht werden, der in der letzten Phrase seinen Höhepunkt erreicht, als Legolas und Gimli ihre Teilnahme an der Mission verkünden: „you have my bow. And my axe.“95 Dies ist das Ende des ersten Themendurchlaufes. Der Beitritt Boromirs wird nicht mit dem Fellowship-Thema begleitet. Hier werden lediglich die ersten beiden Töne c‘‘ und b‘‘ zwei Mal wiederholt. Das ist sehr interessant, da Boromir die Gefährten am Ende des Filmes verraten wird, indem er versucht, den Ring von Frodo zu stehlen. Hierbei könnte es sich um eine sehr frühe Antizipation Boromirs Verrats durch die Musik handeln. Danach erscheint der Hobbit Sam, gefolgt von Merry und Pippin, deren Auftritt zunächst mit der Musik des Auenlandes unterlegt ist. Der erste Themendurchlauf ist von der Dynamik und Instrumentierung noch sehr zurückhaltend. Es erklingen Streicher, Hörner und die große Trommel. Von Blechbläsern oder Pauken wird hier noch kein Gebrauch gemacht.96 Es erklingt zwar in seiner vollen Länge, sein Potenzial ist jedoch nicht vollständig ausgeschöpft. Mit den Worten Merrys „Anyway, you need people of intelligence on this sort of… mission. Quest. Thing.“97 erklingt der zweite Themendurchlauf, nur diesmal in vollständiger Fassung hinsichtlich der Besetzung, denn nun sind auch die Gefährten vollzählig. Elrond verkündet: „Nine companions. So be it.“98 Zu hören ist hier ein Tutti-Abschnitt99, wo nun unter anderem auch Trompeten, Paukenwirbel und ein Beckenschlag neu hinzukommen, um das Klangbild zu vervollständigen. Es wird nun auch hörbar lauter gespielt als die erste Wiedergabe des Themas.

94

Ebd., TC: 1:28:20 – 1:28:24. Ebd., TC: 1:28:32 – 1:28:36. 96 Vgl. Monika Retter: Filmmusik als Wagners Erbe, Wien 2008, S. 59 f. 97 Peter Jackson: The Lord of the Rings. The Fellowship of the Ring, USA, NZL 2001, DER HERR DER RINGE. DIE GEFÄHRTEN, DVD New Line Cinema 2002, 171 min., TC: 1:29:14 – 1:29: 20. 98 Jackson: DER HERR DER RINGE - DIE GEFÄHRTEN (wie Anm. 98), TC: 1:29:27 – 1:29:31. 99 Vgl. Doug Adams, Howard Shore und Fran Walsh: The Music of the Lord of the Rings Films. A Comprehensive Account of Howard Shore’s Scores, Van Nuys 2010, S. 75 für alle zu hörenden Instrumente. 95

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Der Entwicklungsprozess des Fellowship-Themas zu seiner Ausgangsgestalt kann mit der Version dieser Szene als abgeschlossen betrachtet werden. Es könnte argumentiert werden, dass das Thema in der Szene The Ring Goes South erst zu seiner Ausgangsgestalt kommt, da hier durch verschiedene musikalische Mittel wie „Forte-Einsatz mit Beckenschlag, ständiges Crescendo bis zum FortissimoSchluss“100 sowie durch die Wahl der Tonart A-Dur, der Heroismus der Gemeinschaft, die gerade auf ihre Reise aufbricht, noch deutlicher repräsentiert wird. Es handelt sich in The Council of Elrond allerdings um die erste Szene, in der das Thema in seiner vollen Länge dargeboten wird und ist somit, gerade im Hinblick auf die vorhergehenden Szenen, das Endergebnis eines Prozesses: Sowohl in der Musik als auch in der Handlung des Films.

6. Szenenanalysen musikalischer Konflikte zwischen den Gefährten und den Mächten Isengarts sowie Mordors Im vorigen Abschnitt wurde deutlich, wie Howard Shore die Leitmotivtechnik nutzt, um das Fellowship-Thema zu seiner fertigen Gestalt zu entwickeln. In den folgenden Szenen wird untersucht, wie die Konflikte der Gefährten mit den Mächten des Bösen musikalisch dargestellt und inwiefern diese an deren Leitthema erkennbar werden. Es gibt wichtige Unterschiede zwischen den verschiedenen Arten der Konflikte, die es zu beachten gilt. In der Szene Saruman the White findet der Konflikt allein auf der Ebene der Musik statt. Hier ist die Musik dem Film einen Schritt voraus. In anderen Szenen wie beispielsweise in Moria oder Lothlórien werden Auseinandersetzungen sowohl im Film als auch in der Musik erkennbar. Durch substanzielle Veränderungen der musikalischen Parameter des Leitthemas der Gefährten werden die verschiedenen dramatischen Kontexte umgesetzt. Die Notenbeispiele des folgenden Kapitels beruhen auf eigenen Höranalysen.

100

Monika Retter: Filmmusik als Wagners Erbe, Wien 2008, S. 63.

25

6.1 Saruman the White Die Kamera filmt zunächst Gandalf den Grauen beim Ritt auf seinem Pferd. Kurz darauf wird durch einen Kameraschwenk auch sein Ziel erkennbar - Isengart.101 Er sucht Antworten auf die Frage, wie mit der Tatsache verfahren werden soll, dass sich der eine Ring im Besitz eines Hobbits im Auenland befindet und dass sich Sauron möglicherweise über dessen Aufenthaltsort im Klaren ist. Der in Isengart ansässige Saruman der Weiße, ein alter Freund und der Vorsitzende des Weißen Rates, dem auch Gandalf angehört, könnte Antworten haben.102 Gandalf wird von Saruman vor dem Orthanc empfangen. Sie wechseln Worte, Gandalf folgt Saruman in den Turm und als erkennbar wird, dass Saruman sich mit Sauron verbünden möchte, beginnt ein Kampf.103 Der Konflikt besteht im Grunde darin, dass Gandalf den Ring nicht in den Händen des Feindes sehen möchte, während Saruman, der sich bereits unter dem Einfluss Saurons befindet, den Ring zu bekommen versucht, um seine eigene Macht noch zu vergrößern.104 Gleich zu Beginn der Szene wird keine zuversichtliche oder vertrauenserregende musikalische Atmosphäre erzeugt, was Doug Adams als „a dark take on the fellowship theme“105 bezeichnet. Zwar erklingt eine ganze Periode des FellowshipThemas, jedoch ist von dessen heroischen Charakter nichts zu hören. Es wird nur von einem einzigen Instrument, dem Horn, gespielt, was einen Eindruck von Unsicherheit und Alleingelassenheit vermittelt. Und in der Tat ist Gandalf hier ganz auf sich allein gestellt. Diese Variation des Themas steht im Kontrast zur im Film vorherigen Szene Three is Company, in der Frodo und Sam musikalisch als der Kern der Gefährten etabliert werden. Dies geschieht durch Englisch- und Waldhorn, welche das Motiv gemeinsam spielen. Frodo und Sam sind auf ihrer gefährlichen Reise nicht allein, Gandalf allerdings schon.

101

Peter Jackson: The Lord of the Rings. The Fellowship of the Ring, USA, NZL 2001, DER HERR DER RINGE. DIE GEFÄHRTEN, DVD New Line Cinema 2002, 171 min., TC: 36:55 – 37:04. 102 Jackson: DER HERR DER RINGE. DIE GEFÄHRTEN (wie Anm. 102), TC: 33:36 – 33:42. 103

Ebd., TC: 37:22 – 40:08. Vgl. J. R. R. Tolkien: Der Herr der Ringe (Aus dem Englischen übersetzt von Wolfgang Krege) Erster Teil: Die Gefährten, Stuttgart 2000, S. 338 f., Originalausgabe: The Fellowship of the Ring, London 1966. 105 Adams, Doug: The Music of the Lord of the Rings Film - A Comprehensive Account of Howard Shore’s Scores, Alfred Publishing, First Edition – Second Printing 2011, S.152. 104

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Der Unsicherheit, die in dieser Szene zum Ausdruck kommt, wird noch eine subtile Bedrohlichkeit hinzugefügt, welche sowohl durch das fortissimo und die aggressive Artikulationsweise des Horns106, stetige Paukenschläge, Wirbel auf Pauke und Becken als auch durch schnelle, sich wiederholende Streicher-Arpeggien musikalisch erzeugt wird. Auch Liegetöne in den Streichern, die über fast den gesamten Ritt gehalten werden, verstärken diesen Eindruck von Bedrohung. Außerdem wird die Melodie bei Halbschluss variiert107:

In Takt 4 erklingt bei dieser Variante eine ganze Note d‘‘, während in der ursprünglichen Fassung des Themas dieser Ton erst durch eine Abwärtsbewegung aus einer halben Note und zwei Viertelnoten erreicht wird. Außerdem ist das Thema verkürzt. In Takt 7 wird die Note g‘‘ nach nur einem Motiv erreicht. In der Originalfassung folgen noch zwei weitere. Gandalf steht bei seiner Suche nach Antworten unter großem Zeitdruck, da die Schwarzen Reiter bereits auf der Suche nach dem Ring sind. Dieser Zeitdruck wird musikalisch durch die eben erwähnte Verkürzung des Themas erreicht, durch Verwendung eines höheren Tempos als in der vorherigen Szene und die Sechzehntel-Figuren der Streicher108, welche zusammen mit dem Bild eine gehetzte Atmosphäre schaffen. Gandalf erreicht den Orthanc, den Turm Sarumans, welcher sich in der Mitte Isengarts befindet. Hier wird er von Saruman mit folgenden Worten begrüßt: „The hour grows late and Gandalf The Grey rides to Isengart seeking my council. For that is why you have come, is it not? My old friend.“109 Noch während Saruman diese Worte der Begrüßung an Gandalf richtet, erklingt das The Threat of Mordor106

Vgl. Monika Retter: Filmmusik als Wagners Erbe, Wien 2008, S. 62. Vgl. Retter: Filmmusik als Wagners Erbe (wie Anm. 107), S. 62. 108 Monika Retter: Filmmusik als Wagners Erbe, Wien 2008, S. 62. Die Autorin argumentiert, dass die Sechzehntel-Figuren das Threat of Mordor-Thema darstellen, welches sie selbst als „Bass-Motiv“ der Ringgeister bezeichnet. Das ist schwer zu sagen, da es in sehr hohem Tempo gespielt wird. Erklingt während Gandalfs Ritt tatsächlich besagtes Thema, so handelt es sich um eine sehr authentische Darstellung des Wettlaufes zwischen Gandalf und den Ringgeistern. Sowohl Gandalf als auch die Nazgûl wollen zu Frodo, um ihn im Falle Gandalfs zu beschützen oder im Falle der Ringgeister ihm den Ring abzunehmen und zu Sauron zu bringen. 109 Peter Jackson: The Lord of the Rings. The Fellowship of the Ring, USA, NZL 2001, DER HERR DER RINGE. DIE GEFÄHRTEN, DVD New Line Cinema 2002, 171 min., TC: 37:11 – 37:27. 107

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Thema. Es wird von der Tuba in tiefer Lage gespielt. Bei den ersten drei Takten handelt es sich um ein Ostinato mit jeweils einem D zu Beginn, gefolgt von drei absteigenden Viertelnoten im Sekundabstand. In der Szene erklingt es in c-Moll.

110

Hier wird nicht nur Saurons Heimat musikalisch repräsentiert, sondern in diesem Falle viel mehr noch dessen Einfluss auf Saruman. Während das The Threat of Mordor-Thema erklingt, ist auf der Ebene des Filmes noch unklar, dass Saruman sich mit Sauron verbündet hat. Es gibt zu diesem Zeitpunkt keinerlei Hinweise darauf, es wirkt wie ein Treffen zwei alter Freunde. Der musikalische Konflikt lebt in diesem Falle von der leitmotivischen Veränderung des Fellowship-Themas sowie dem Einsatz von The Threat of Mordor und wirkt somit Konflikt-antizipierend. Während das Thema der Gefährten einen Konflikt andeutet, konkretisiert das Mordor-Thema diesen. Später im Film wird die Musik bestätigt, es kommt zu einem Kampf der beiden Zauberer, aus dem Saruman siegreich hervorgeht und Gandalf gefangen nimmt.111

6.2 The Bridge of Khazad-dûm In dieser Szene befindet sich die Gemeinschaft des Rings in den Mienen Morias und muss es dort mit verschiedenen Feinden aufnehmen. Zuerst bekämpfen die Gefährten eine Gruppe Orks und einen Höhlentroll.112 Aus diesem Kampf gehen sie siegreich hervor, woraufhin die Flucht zur Brücke von Khazad-dûm ergriffen wird. Auf dem Weg werden sie von einer großen Zahl Orks verfolgt und letztendlich umzingelt. Diese ergreifen allerdings die Flucht, als sich ihnen ein Balrog nähert. Die Gefährten fliehen weiter zur Brücke und überqueren diese.113

110

Vgl. Doug Adams, Howard Shore und Fran Walsh: The Music of the Lord of the Rings Films. A Comprehensive Account of Howard Shore’s Scores, Van Nuys 2010. S. 104. 111 Peter Jackson: The Lord of the Rings. The Fellowship of the Ring, USA, NZL 2001, DER HERR DER RINGE. DIE GEFÄHRTEN, DVD New Line Cinema 2002, 171 min., TC: 40:27 – 41:20. 112 Jackson: DER HERR DER RINGE. DIE GEFÄHRTEN, TC: 1:52:10 – 1:55:54. 113 Ebd., TC: 1:56:50 – 2:01:30.

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Die Szene endet mit der Sequenz, in der Gandalf und der Balrog in die Tiefe stürzen114, was den Rest der Gefährten im Glauben lässt, Gandalf sei gefallen. Nach dem Kampf der Gefährten gegen die Orks und den Höhlentroll, schlägt Gandalf die Flucht zur Brücke von Khazad-dûm vor, da weitere Angreifer sich nähern, welche von der Musik in Form des Five-beat pattern angekündigt werden.115 Daraufhin erklingt eine sehr heroische Variation des FellowshipThemas.116 Diese gilt dem erfolgreichen Kampf gegen die Gruppe von Orks und dem Höhlentroll, den alle Gefährten ohne schwerwiegende Verletzungen überstanden haben. Adams betont: „Only in Moria is the entire nine-member Fellowship ever called to action. Here the brave theme appears in a fluid 3⁄4 time directly opposing the Orc’s 5

⁄4.”117 Es wird diesmal die Tonart A-Dur/ a-Moll und ein 3⁄4 -Takt genutzt. Shore

greift für besonders heroische Darstellungen des Themas auf Tonarten mit mehr Kreuzvorzeichen zurück.118 Die Variation der Szene The Ring goes South stand ebenfalls in A-Dur und das zweite Fellowship-Thema in Moria wird sogar in FisDur erklingen. Es wird in diesem Kontext nicht mehr nur als Variation, sondern als Mittel der Steigerung eingesetzt. Durch die Wahl des 3⁄4 -Taktes werden die Notenwerte der Melodie kürzer, was den Eindruck eines höheren Tempos erweckt und dieser Variante eine gehetzte Stimmung verleiht.119 Dies verdeutlicht musikalisch die Flucht der Gefährten vor deren Widersachern. Außerdem handelt es sich hier um die bisher lauteste Wiedergabe des Fellowship-Themas. Eröffnet wird das Thema von einem Beckenschlag. Es erklingt das volle Blechbläserensemble, dessen Klangfarbe eine aggressive, kriegerische Atmosphäre schafft.120 Unterstützt wird diese Atmosphäre durch die große Trommel. Trompeten stehen in der gesamten Periode im Vordergrund und spielen die Melodie.121 Außerdem erklingen Achtel-Figuren der Streicher mit einem deutlichen Akzent auf

114

Ebd., TC: 2:03:54. Ebd., TC: 1:56:44 – 1:56:49. 116 Ebd., TC: 1:56:50 – 1:57:06. 117 Doug Adams, Howard Shore und Fran Walsh: The Music of the Lord of the Rings Films. A Comprehensive Account of Howard Shore’s Scores, Van Nuys 2010, S. 179. 118 Vgl. Monika Retter: Filmmusik als Wagners Erbe, Wien 2008, S. 60. 119 Vgl. Retter: Filmmusik als Wagners Erbe (wie Anm. 120), S. 64. 120 Vgl. ebd., S. 64. 121 Vgl. ebd., S. 64. 115

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dem jeweils ersten Achtel, welche die gehetzte Stimmung hervorheben.122 Es erklingt das Fellowship-Thema in voller Länge mit einer melodischen Variation in der 2. Phrase. Das Thema endet nicht auf der Tonika, sondern auf einem „quasiDominantseptakkord ohne Terz.“123 Die harmonische Spannung der Dominante wird aufrechterhalten, es findet keine Auflösung statt, denn die Gefahr ist noch nicht überwunden. Noch immer auf der Flucht zur Brücke Khazad-dûms tauchen mehr und mehr Orks auf124 und das Erreichen der Brücke scheint unwahrscheinlicher zu werden. Durch das Aufrechterhalten der Spannung des quasi-Dominantseptakkordes werden durch die Musik Zweifel daran ausgedrückt, ob es die Gemeinschaft des Rings rechtzeitig zur Brücke oder gar lebendig aus den Minen Morias herausschafft. Diese musikalisch formulierten Zweifel werden auf der Bildebene durch die ängstlichen Gesichter der Gefährten125 bestätigt. Der quasi-Dominantseptakkord leitet über in die Musik der Angreifer126, was das Gefühl von Unsicherheit verstärkt. Gänzlich vom Bild bestätigt wird dieses Gefühl, wenn die Gefährten einige Augenblicke später von zahllosen Widersachern umzingelt werden.127 Während der Flucht zur Brücke setzt die Musik der Angreifer ein. Es wird hier Gebrauch vom markanten Five-beat pattern gemacht, das für gewöhnlich Isengart und seine Uruk-Hai repräsentiert. Bei den Verfolgern der Gefährten handelt es sich zwar nicht um Uruk-Hai aus Isengart, das Motiv erfüllt dennoch den Zweck, die von den Angreifern ausgehende Bedrohung zu verdeutlichen. Die Musik an dieser Stelle ist überwiegend am Rhythmus orientiert. Musikalische Mittel, mit denen die Bedrohlichkeit gut zum Ausdruck gebracht wird, sind dissonant klingende Sekundreibungen zwischen Horn und Violine oder auch plötzlich auftretende sforzati.128 Der Spannungsaufbau erfolgt hauptsächlich durch Liegetöne der Streicher, welche die ganze Szene begleiten. Die ersten Liegetöne sind h‘‘ und c‘‘. Aus einem polyphonen Geflecht von verschiedenen Violinstimmen entsteht im

122

Peter Jackson: The Lord of the Rings. The Fellowship of the Ring, USA, NZL 2001, DER HERR DVD New Line Cinema 2002, 171 min., TC: 1:56:58 – 1:57:02. 123 Monika Retter: Filmmusik als Wagners Erbe, Wien 2008, S. 64. 124 Peter Jackson: The Lord of the Rings. The Fellowship of the Ring, USA, NZL 2001, DER HERR DER RINGE. DIE GEFÄHRTEN, DVD New Line Cinema 2002, 171 min., TC: 1:56:58 – 1:57:06. 125 Jackson: DER HERR DER RINGE - DIE GEFÄHRTEN (wie Anm. 126), TC: 1:56:58 – 1:57:04. 126 Ebd., TC: 1:57:06 – 1:57:46. 127 Ebd., TC: 1:57:44 – 1:57:47. 128 Ebd., TC: 1:57:13. DER RINGE. DIE GEFÄHRTEN,

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Verlauf der Szene eine sich immer höher steigernde Linie, begonnen von h‘‘ über c‘‘, d‘‘, e‘‘, f‘‘ bis hin zum Höhepunkt g‘‘, die auch in der Dynamik stetig zunimmt.129 Die Liegetöne sorgen vor allen anderen musikalischen Mitteln in diesem Abschnitt für den Spannungsaufbau und erschaffen die intendierte bedrohliche Atmosphäre, indem immer höhere Töne gespielt werden, je bedrohlicher die Situation für die Gefährten wird. Der Spannungshöhepunkt wird durch das gänzliche Verstummen der Musik erreicht: Die Musik setzt für einen Augenblick aus130, die Gefährten werden aus der Ferne gezeigt, umzingelt von unzähligen Feinden, gegen die ein Sieg ausgeschlossen zu sein scheint. Der Argumentation Monika Retters zufolge machen „die musiklosen Stellen die Musik im Film dort, wo sie vorhanden ist, wichtig und aussagekräftig“ und „die absolute Stille [wirkt] stärker als ein Schrei oder ein Riesenknall – das emotionale Ausdruckspotential dieser tonlosen Stellen ist gewaltig!“131 Und so verhält es sich auch an dieser Stelle. Der Konflikt auf der Bildebene wird bekräftigt, indem die Musik für einen Moment ganz beiseitegelassen wird. Außerdem wird die Stille genutzt, um einen noch gefährlicheren Feind musikalisch, und später auf der Bildebene einzuführen – den Balrog. In dieser ersten Verfolgungsszene findet der Konflikt auf der Ebene der Musik und des Bildes statt. Die triumphierende musikalische Stimmung, die dem erfolgreichen Kampf der Gefährten gegen die Orks mit dem Höhlentroll zuzuschreiben ist, beginnt sich auf der Ebene der Musik und des Bildes in Zweifel umzuwandeln, was dem Dominantseptakkord und den ängstlichen Gesichtern der Gefährten geschuldet ist. Der Übergang in die bedrohlich klingende Musik der Orks und die anschließende Stille, als die Gefährten ausweglos umzingelt sind, verstärken diesen Eindruck der Unsicherheit noch um ein Vielfaches. Das Fellowship-Thema wird entscheidend verändert, sodass es die Gefährten in diesem dramaturgischen Kontext klanglich passend repräsentieren kann. Die Wahl der Takt- und Tonart, Instrumentierung, Spielweise, Klangfarbe etc. stellt zunächst eine triumphierende und zuversichtliche Gemeinschaft dar, die im weiteren Verlauf

129

Shore, Howard: „The Bridge of Kazad-Dûm“, auf: The Lord of the Rings, The Fellowship of the Ring, Original Motion Picture Soundtrack, CD Reprise Records 2001. TC: 42:18 - 42:38. 130 Peter Jackson: The Lord of the Rings. The Fellowship of the Ring, USA, NZL 2001, DER HERR DER RINGE. DIE GEFÄHRTEN, DVD New Line Cinema 2002, 171 min., TC: 1:57:45 – 1:58:26. 131 Monika Retter: Filmmusik als Wagners Erbe, Wien 2008, S. 29.

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des Themas vor allem durch den Einsatz des letzten Akkordes als zweifelnd dargestellt wird. Die Angreifer der Gefährten ergreifen die Flucht, als diese merken, dass sich ihnen ein Balrog nähert. Es handelt sich bei der musikalischen Begleitung des Balrogs um eine typische Darstellung von Bedrohung. Ein aus 60 Männern bestehender Chor begleitet diesen mit sehr tiefem und rhythmischem, staccatoartigem Gesang.132 Oft wählt Shore bei der Darstellung von Bedrohung durch die Mächte des Bösen tiefe Lagen und nutzt eine rhythmusbetonte Begleitung. Auch hier beim MännerchorGesang ist die melodische Einfachheit auffällig. Er besitzt keinen großen Tonambitus. Auch diese Sequenz lebt von einem starken rhythmischen Fundament, welches neben dem Gesang noch durch den stetigen Einsatz von Schlagwerk ergänzt wird. Melodisch ist das Klangbild überwiegend von Blechbläsern dominiert, es kommen jedoch auch Streicher zum Einsatz. Im Laufe der Szene werden häufig sforzati genutzt und es entstehen zwischen den verschiedenen Stimmen oft dissonante Klänge133, die die bedrohliche Wirkung verstärken. Doug Adams spricht der Sequenz Ritualcharakter zu: „like an arcane ritual gone horribly awry.“134 Wie in der Sequenz der Ork-Verfolger wird hier ein Spannungsbogen erzeugt, indem die Tonhöhen gesteigert werden. Diese Technik findet ihren Höhepunkt in einem crescendo kurz vor dem zweiten Erklingen des FellowshipThemas.135 Verfolgt vom Balrog und immer noch auf der Flucht, kommen die Gefährten zu einer steinernen Treppe, welche im Begriff ist, einzustürzen. Nach und nach springen sie über den Abgrund zum anderen Teil der Treppe. Als letzte schaffen Aragorn und Frodo den Sprung und es erklingt abermals eine volle Periode des Fellowship-Themas.136 Dieses Mal erneut in einem ¾ Takt, da die Gefährten immer noch auf der Flucht sind, allerdings in der Tonart Fis-Dur/ fis-Moll. Mit drei Kreuzvorzeichen mehr als A-Dur/ a-Moll handelt es sich um eine Steigerung und

132

Vgl. Doug Adams, Howard Shore und Fran Walsh: The Music of the Lord of the Rings Films. A Comprehensive Account of Howard Shore’s Scores, Van Nuys 2010, S. 180. i.V.m. Peter Jackson: The Lord of the Rings. The Fellowship of the Ring, USA, NZL 2001, DER HERR DER RINGE. DIE GEFÄHRTEN, DVD New Line Cinema 2002, 171 min., TC: ab 1:58:24. 133 Vgl. Adams: The Music of the Lord of the Rings Films (wie Anm. 134), S. 180. 134 Ebd., S. 180. 135 Peter Jackson: The Lord of the Rings. The Fellowship of the Ring, USA, NZL 2001, DER HERR DER RINGE. DIE GEFÄHRTEN, DVD New Line Cinema 2002, 171 min., TC:2:00:04 – 2:00:19. 136 Jackson: DER HERR DER RINGE - DIE GEFÄHRTEN, TC: 2:01:31 – 2:01:48.

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es wird durch die Wahl der Tonart zusätzlich Spannung aufgebaut. Schließlich handelt es sich beim Balrog um den gefährlichsten Gegner, mit dem es die Gefährten zu tun bekommen, was Gandalfs Aussage bestätigt: „This foe is beyond any of you. Run!“137 Dies rechtfertigt die Wahl der Tonart und es erklingt hier eine noch viel aggressivere und kriegerische Fassung des Themas.138 Eröffnet wird das Thema mit einem Beckenschlag. Das Klangbild ist, wie zuvor auch, von Blechbläsern dominiert.139 Trompeten spielen die Melodie und zum Schlagwerk kommt nun auch die Pauke hinzu, die den kriegerischen Charakter weiter verstärkt.140 Die Streicher spielen nicht mehr die Achtelfiguren, wie in der vorherigen Variante, sondern einen Triller in der dreigestrichenen Oktave auf Tonika und Dominante mit oberer Wechselnote.“141 Die Wahl eines solchen musikalischen Mittels in diesem Kontext ist interessant. Bereits in der Szene The Ring goes South, als sich die Gemeinschaft auf den Weg in Richtung des Caradhras macht, ist dasselbe musikalische Mittel zu hören: „after a striking A Major French horn statement of the Shire nestled amidst a piping trill of strings.”142 Hier tritt es in Verbindung mit Musik des Auenlandes auf, hat jedoch einen ähnlichen Effekt: Es wirkt wie ein Gefahrensignal oder als würde Spannung aufgebaut werden. Möglicherweise war es die Intention des Komponisten, dadurch die große Gefahr anzudeuten, die eine Reise über den Caradhras beziehungsweise durch die Minen von Moria mit sich bringt. Die Gemeinschaft des Rings wird in dieser letzten Themenvariation als heldenhaft, kriegerisch und standhaft abgebildet. Shore nutzt jedoch auch Mittel, die Rückschlüsse auf Zweifel zulassen oder sogar den Tod Gandalfs antizipieren. In der letzten Variante gab es lediglich den quasiDominantseptakkord, der den Schluss zulässt, dass die Musik einen Rückschlag der Gefährten vorausdeutet. Mit den Vibrati der Streicher gibt es nun zwei solcher Mittel.

137

Ebd., TC: 1:58:40 – 1:58:43. Vgl. Monika Retter: Filmmusik als Wagners Erbe, Wien 2008, S. 64. 139 Vgl. Retter: Filmmusik als Wagners Erbe, S. 64. 140 Vgl. ebd. S. 64. 141 Ebd., S. 64. Hierbei handelt es sich allerdings nicht um ein Vibrato, sondern um einen Triller. i.V.m. Peter Jackson: The Lord of the Rings. The Fellowship of the Ring, USA, NZL 2001, DER HERR DER RINGE. DIE GEFÄHRTEN, DVD New Line Cinema 2002, 171 min., TC: 2:01:31 – 2:01:35. 142 Doug Adams, Howard Shore und Fran Walsh: The Music of the Lord of the Rings Films. A Comprehensive Account of Howard Shore’s Scores, Van Nuys 2010, S. 170. 138

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6.3 Farewell to Lórien Die Gemeinschaft des Rings schafft es ohne Gandalf aus Moria heraus, woraufhin sie Schutz bei den Elben in Lothlórien sucht. Verunsichert und in großer Trauer über den Verlust ihres Anführers bekommen die Gefährten von den Elben Zuflucht gewährt, um ihre Kräfte zu sammeln.143 Frodo blickt nachts in den Spiegel Galadriels und sieht Dinge, die passieren werden, wenn er als Ringträger auf seiner Mission versagt. Er sieht das Auseinanderbrechen der Gemeinschaft, seine Versklavung durch die dunklen Mächte und das Auenland, wie es in Flammen steht.144 Galadriel weiß, was er gesehen hat. Als Frodo seinen Blick vom Spiegel abwendet, klärt sie ihn auf: „It is, what will come to pass if you should fail. The fellowship is breaking, it has already begun. He will try to take the ring. You know of whom I speak. One by one, it will destroy them all.“145 Galadriel spricht von Boromir, der den Ring sehr begehrt und ihn benutzen möchte, um das Volk der Menschen wieder zu ihrer alten Größe zurückzuführen.146 Die Rasse der Menschen strebt mehr als alle anderen Völker Mittelerdes nach Macht und ist somit sehr viel anfälliger, von der Macht verführt zu werden, die vom Einen Ring ausgeht.147 Entgegen der Auffassung Boromirs wissen Gandalf und Elrond, dass der Ring nicht gegen seinen Meister eingesetzt werden kann. Sein Träger würde nur von Saurons Macht korrumpiert werden. Der Ring der Macht hat einen eigenen Willen. Sauron schmiedete ihn, um alle anderen Ringträger in Mittelerde zu kontrollieren und übertrug in diesem Prozess einen Großteil seiner Macht auf den Ring.148 Der Ring gehorcht nur seinem Meister und kann von niemand anderem eingesetzt werden. Er hat darüber hinaus die Fähigkeit, den Verstand seines Trägers zu manipulieren und Zwietracht unter den Feinden Saurons zu stiften. Auf diese Weise versucht er zu seinem Meister zurückzukehren.149 Es wird an mehreren Stellen im Film deutlich gemacht, dass Boromir eindeutiges Interesse an dem Ring hat. Bereits in der Ratssitzung in Bruchtal schlägt Boromir vor, den Ring gegen den Feind einzusetzen und ihn mit seiner eigenen Waffe zu 143

Peter Jackson: The Lord of the Rings. The Fellowship of the Ring, USA, NZL 2001, DER HERR DER RINGE. DIE GEFÄHRTEN, DVD New Line Cinema 2002, 171 min., TC: 2:04:26 – 2:07:45. 144 Jackson: DER HERR DER RINGE. DIE GEFÄHRTEN (wie Anm. 145), TC: 2:13:14 – 2:14:47. 145

Ebd., TC: 2:15:15 – 2:15:36. Vgl. J. R. R. Tolkien: Der Herr der Ringe. Aus dem Englischen übersetzt von Wolfgang Krege, Erster Teil: Die Gefährten, Stuttgart 2000, S. 349. 147 Vgl. Tolkien: Der Herr der Ringe […] Die Gefährten, S. 318 f., 330 f. 148 Vgl. ebd., S. 349. 149 Vgl. ebd., S. 82. 146

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schlagen.150 Der Ring manipuliert Boromirs Verstand im Laufe des Filmes so weit, dass er in der Szene Amon Hen am Ende des Films versucht, Frodo den Ring abzunehmen. Der Konflikt Boromirs mit Frodo ist im Grunde ein Konflikt der dunklen Mächte mit den Gefährten, da der Ring durch seinen verräterischen Charakter Boromir verführt und ihn Verrat begehen lässt. Dies ist für die Szenenanalyse von großer Bedeutung. Bereits in Moria beginnt sich, durch den vermeintlichen Tod Gandalfs, das Zerbrechen der Gemeinschaft abzuzeichnen, welches durch Galadriels Zukunftsvoraussagen nahegelegt und am Ende des Films erreicht wird. Die Variation des Fellowship-Themas in der folgenden Szene kann einerseits als Momentaufnahme der Verfassung der Gemeinschaft gesehen, und andererseits als der Beginn des nahenden Bruchs der Gefährten gedeutet werden, welche Gandalfs Tod und die Zukunftsvorhersagen Galadriels musikalisch in sich aufnimmt. Am Anfang der Szene werden die Gefährten in Booten der Elben gezeigt, wie sie sich gerade über den Anduin auf den Weg in Richtung Mordor aufmachen.151 Anfangs ist Frodo in der Nahaufnahme zu sehen. Er macht ein trauriges, entmutigtes Gesicht.152 Die Szene ist geprägt von Unsicherheit, Trauer und Zweifel, was auf der Ebene des Films durch die graue Kulisse verstärkt wird. Ungewissheit, wie die Mission nun ohne ihren Anführer Gandalf glücken soll und Trauer über den Verlust. Die nachfolgende Themenvariation unterscheidet sich grundlegend von jenen der vorherigen Szenen. Doug Adams bemerkt diesbezüglich: „Shore develops a somber variation out of the Fellowship theme in the cor anglaise and violins, incorporating a few concluding strands of the Lothlórien melody.”153 Die Melodie des Themas steht in a-Moll und wird bis kurz nach der ersten Phrase von Hörnern mit einer Variation im vorletzten Takt gespielt:

150

Peter Jackson: The Lord of the Rings. The Fellowship of the Ring, USA, NZL 2001, DER HERR – 1:24:21.

DER RINGE. DIE GEFÄHRTEN, DVD New Line Cinema 2002, 171 min., TC: 1:23:57 151 Jackson: DER HERR DER RINGE. DIE GEFÄHRTEN (wie Anm. 152), TC: 2:19:05. 152

Ebd., TC: 2:19:07. Doug Adams, Howard Shore und Fran Walsh: The Music of the Lord of the Rings Films. A Comprehensive Account of Howard Shore’s Scores, Van Nuys 2010, S. 189.

153

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Sie ertönt, als die Gefährten Lothlórien in den Booten der Elben verlassen. Die Melodie wird im Hintergrund kaum hörbar gespielt, während im Vordergrund ein Frauenchor154 langgezogene Notenwerte um einen a-Moll Akkord mit großer None singt. Der Gesang ist geprägt von Tonrepetitionen. Es wird das elbische Abschiedslied Namárië gesungen, was so viel bedeutet wie „Lebewohl.“155 Die Besetzung ist im Vergleich zu den Sequenzen in Moria stark reduziert. Es gibt weder Schlagwerk noch tiefe Streicher oder Bläser, welche die Melodie unterstützen. Dem Thema wurde das Dur-Akkord-Fundament entzogen156, von dem es seine heldenhafte Wirkung bezieht. Zudem ist hier Dynamik und Tempo stark zurückgenommen, was dem Thema den triumphalen, heroischen Klangcharakter gänzlich nimmt. Es setzen immer wieder Streicher an, die einen Triller auf demselben Ton c‘‘‘ beginnen und dann abbrechen.157 Bereits in Moria wurden solche Triller ebenfalls in der dreigestrichenen Oktave genutzt, um das Unglück, das Gandalf widerfahren ist, zu antizipieren. An dieser Stelle kann dieses musikalische Mittel generell als Veranschaulichung des zerrütteten Zustandes der Gefährten gesehen aber auch als Vorbote von Bedrohung oder Unglück, wie beispielsweise der Verrat durch Boromir oder der Angriff der Uruk-Hai später im Film verstanden werden. Mit diesen verschiedenen musikalischen Mitteln wird eine Atmosphäre von Unsicherheit, fast schon Traurigkeit geschaffen, die in starkem Kontrast zur Moria-Szene steht. Es wird der geschwächte Zustand der Gefährten zum Ausdruck gebracht und so drängt sich die Frage auf, inwiefern die Mission nun noch glücken kann. In der folgenden Szene wird durch die Musik das Gefühl von Unsicherheit und Bedrohung weiter bestärkt und der Bruch unter den Gefährten greifbar gemacht.

154

Vgl. Adams: The Music of the Lord of the Rings Films (wie Anm. 155), S. 189. Vgl. Ebd., S. 188. 156 Vgl. Monika Retter: Filmmusik als Wagners Erbe, Wien 2008, S. 65. 157 Peter Jackson: The Lord of the Rings. The Fellowship of the Ring, USA, NZL 2001, DER HERR DER RINGE. DIE GEFÄHRTEN, DVD New Line Cinema 2002, 171 min., TC: 2:19:11 – 2:19:18. 155

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6.4 The Great River In dieser Szene sind die Gefährten in ihren Booten zu sehen, die im Begriff sind, einen Flussarm durchfahren, um auf den Anduin zu gelangen.158 Es erklingt hier lediglich der Themenkopf des Fellowship-Themas in F-Dur/ f-Moll woran bereits eine erste konkrete Andeutung des Bruchs der Gefährten gesehen werden kann. Das Thema wird nicht mehr in seiner vollen Länge dargeboten, es erklingt nur noch verkürzt. Ein unvollständiges Thema wurde zu Beginn des Filmes zur Darstellung der unvollständigen Gemeinschaft genutzt, was hier als Antizipation des Verrates durch Boromir und des daraus resultierenden Bruchs unter den Gefährten verstanden werden kann. Der Auflösungsprozess, welcher in der vorherigen Szene als angedeutet gesehen werden kann, ist hier bereits im Gange. Die Melodie wird von Hörnern gespielt, die harmonisch von Posaunen begleitet werden.159 Darüber hinaus ist auch eine Pauke zu hören, die mit Schlägen und Wirbeln diese Variation im ersten Moment etwas heroischer anmuten lässt als die Vorherige. Der Themenkopf steigert sich in einem crescendo gegen Ende, bricht dann allerdings wieder ab. Es wirkt vorerst, als wollten die Gefährten, welche ihre Reise nach einem längeren Aufenthalt fortsetzen, gerade neuen Mut schöpfen. Das wird allerdings durch die Musik unterbunden. Stattdessen wird übergeleitet in ein bedrohlich klingendes crescendo mit Trommeln und den Tönen f und as der Posaune. Es scheint, als stünden die Chancen der Gefährten gleich zu Beginn ihrer Weiterreise nicht gut. Darauf folgt eine thematische Verarbeitungsphase des Fellowship-Themas160, ebenfalls in f-Moll. Die Tonrepetitionen und das abwärts gerichtete Terzintervall sind hier die Motive, die an das ursprüngliche Thema erinnern. Es erklingen Hörner, die leise und in mittlerer Geschwindigkeit die Melodie spielen und von Posaune sowie Trommeln begleitet werden. Die Melodie lässt sich nicht gut in Noten darstellen, da die Geschwindigkeit nicht konstant ist. Die

folgende

Darstellung

dient

lediglich

der

Anschaulichkeit

und

Nachvollziehbarkeit:

158

Peter Jackson: The Lord of the Rings. The Fellowship of the Ring, USA, NZL 2001, DER HERR DVD New Line Cinema 2002, 171 min., TC: 2:19:56 – 2:20:00. 159 Vgl. Monika Retter: Filmmusik als Wagners Erbe, Wien 2008, S. 65. 160 Peter Jackson: The Lord of the Rings. The Fellowship of the Ring, USA, NZL 2001, DER HERR DER RINGE. DIE GEFÄHRTEN, DVD New Line Cinema 2002, 171 min., TC: 2:20:07 – 2:20:30. DER RINGE. DIE GEFÄHRTEN,

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Die Melodie basiert überwiegend auf einem f-Moll Dreiklang. Anfangs wird das Intervall der verminderten Quarte as-e gespielt, welches eine Dissonanz darstellt. Darauf folgt die Auflösung as-f, eine kleine Terz. Dabei spielen die Hörner den Ton as zwei Mal, jedoch deutlich langsamer als im Original. Außerdem wird im ursprünglichen Thema zu Beginn ein Sekundintervall genutzt. Der Komponist könnte sich hier für die kleine Terz entschieden haben, da diese den eher traurigen, fast leidvollen Charakter des Verarbeitungsabschnittes besser unterstützt als das Sekundintervall. Ein weiterer Unterschied zu dem ursprünglichen Thema ist die Tatsache, dass nicht auf der Tonika, sondern auf der kleinen Terz begonnen wird. Die Melodie kehrt ursprünglich im Themenkopf des Fellowship-Themas zu ihrem Ausgangspunkt, der Tonika zurück, was eine gewisse harmonische Stabilität bewirkt. Diese ist im Verarbeitungsabschnitt nicht gegeben, möglicherweise absichtlich. Hierdurch und durch den dissonanten Beginn wird in der Musik eine Instabilität herausgearbeitet, die auch schon längst unter den Gefährten herrscht und auf der Ebene des Films in Form von Frodos Mimik161 ausgedrückt wird. Außerdem erklingt in den Trompeten der Schlusstakt des ursprünglichen Themas.162 Dies stellt den letzten Bestandteil dar, der noch original aus dem Thema der Gefährten stammt, welcher allerdings nur schwach im Hintergrund erklingt. Möglicherweise will Howard Shore mit diesem Mittel den Heldenmut der Gemeinschaft in Moria als Teil der Vergangenheit darstellen, der nun unwiederbringlich verloren ist. Der Abschnitt endet auf einem offenen Klang ohne Terz (f-g-b-c), der die Unsicherheit verstärkt.163 Durch den Verarbeitungsabschnitt wird der Auflösungsprozess des Fellowship-Themas, der bereits in der letzten Wiedergabe des Themas begonnen

161

Peter Jackson: The Lord of the Rings. The Fellowship of the Ring, USA, NZL 2001, DER HERR DVD New Line Cinema 2002, 171 min., TC: 2:20:24 – 2:20:28 162 Vgl. Monika Retter: Filmmusik als Wagners Erbe, Wien 2008, S. 65. i.V.m. Howard Shore: „The Great River“, auf: The Lord of the Rings. The Fellowship of the Ring, Original Motion Picture Soundtrack, CD Reprise Records 2001., Nr. 15, TC: 1:06 – 1:12. 163 Monika Retter: Filmmusik als Wagners Erbe, Wien 2008, S. 65. DER RINGE. DIE GEFÄHRTEN,

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wurde, weiter fortgeführt und der Bruch der Gefährten weiter konkretisiert. Auf diesen Abschnitt folgt das Five-beat pattern der Uruk-Hai, welche der Gemeinschaft dicht auf den Fersen sind. Hier wird nun auf der Ebene des Filmes ein Grund offenbart, der die Atmosphäre von Unsicherheit der letzten Sequenzen rechtfertigt. Denn letztendlich sind es einerseits die Uruk-Hai und andererseits der Verrat Boromirs, welche die Gemeinschaft scheitern lassen. Der Bruch der Gefährten wird noch greifbarer als diese die Argonath, Steinstatuen vergangener Menschenkönige, passieren. Es erklingt zunächst die Chorfassung von Elessars Eid.164 Daraufhin werden die Gefährten in einer Nahaufnahme zu den Füßen der Statuen gezeigt. Nun ertönt das History of the Ring-Thema.165 Adams erläutert, dass das Thema bewusst eingesetzt wird und führt aus: „The melody is heard whenever the One Ring changes hands or makes significant progress in its journey.“166 Es wird den Statuen alter Menschenkönige unterlegt, womit hervorgehoben werden soll, dass Menschen anfälliger für die Verlockungen des Rings sind, welcher stets mit der Illusion von Macht verführt. Auch Boromir erliegt in seinem Streben nach Macht diesen Verlockungen. Adams Beschreibung des Themas folgend, könnte das Ziel dieser Sequenz die Frage sein, ob der Ring tatsächlich seinen Besitzer wechselt, was somit auch den Verrat Boromirs vorausdeutet. Der bevorstehende Konflikt mit Boromir und das damit verbundene Zerbrechen der Gemeinschaft wird hier mithilfe des Themas deutlicher antizipiert als in Lothlórien. Kurze darauf legen die Gefährten am Ufer an, um eine Rast einzulegen. Alle Andeutungen des Konfliktes Boromirs mit dem Ring werden erst sehr nahegelegt, als plötzlich sowohl Boromir als auch Frodo verschwunden sind und vollends bestätigt, als Boromir im Wald versucht, Frodo den Ring abzunehmen, was erneut durch das History of the Ring-Thema begleitet wird. Er begeht somit Verrat, was letztendlich einen Auslöser des Zerbrechens der Gemeinschaft darstellt.

164

Vgl. Doug Adams, Howard Shore und Fran Walsh: The Music of the Lord of the Rings Films. A Comprehensive Account of Howard Shore’s Scores, Van Nuys 2010, S. 191. 165 Peter Jackson: The Lord of the Rings. The Fellowship of the Ring, USA, NZL 2001, DER HERR DER RINGE. DIE GEFÄHRTEN, DVD New Line Cinema 2002, 171 min., TC: 2:21:56 – 2:22:30. 166 Doug Adams, Howard Shore und Fran Walsh: The Music of the Lord of the Rings Films. A Comprehensive Account of Howard Shore’s Scores, Van Nuys 2010, S. 15.

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6.5 Parth Galen: Der Verrat Boromirs und das Ende der Gemeinschaft Es folgt eine ausgedehnte Kampfszene, in der die Gefährten die angreifenden UrukHai bekämpfen. Die Diener Sarumans haben den Auftrag, den Ring mitsamt dem Halbling, der ihn trägt, zu ihm zu bringen. Frodo schafft es, durch ein Ablenkungsmanöver von Merry und Pippin zu entkommen.167 In einer der letzten Szenen des Films werden erst Aragorn, Legolas und Gimli vor dem gefallenen Boromir gezeigt168 und kurz darauf Frodo, der alleine am Ufer steht und gedenkt, seine Reise alleine fortzusetzen, damit nicht noch mehr der Gefährten dem Ring verfallen. Die Vorhersage von Galadriels Spiegel, dass der Ring die Gemeinschaft zerstören würde, ist eingetreten. Die Gemeinschaft in ihrer ursprünglichen Funktion hat nun versagt, was durch eine Variation des Fellowship-Themas anschaulich gemacht wird. Es ertönt nun lediglich der Themenkopf anstatt des ganzen Themas, was erneut unterstreicht, dass sowohl im Film als auch in der Musik die Gemeinschaft des Ringes zerbrochen ist. Das unvollständige musikalische Thema hat die Funktion, die unvollständige Gemeinschaft musikalisch zu repräsentieren. Frodo und Sam machen sich etwas später im Film zu zweit auf den Weg nach Mordor169, womit der Punkt erneut erreicht ist, an dem sie ganz zu Beginn ihrer Reise waren. In der Szene Three is Company wurden die beiden Hobbits lediglich vom Themenkopf der Melodie begleitet. Es findet also im Verlauf des Filmes erst ein Aufbau und danach wieder ein Abbau des Themas statt, was Adams gut auf den Punkt bringt: „Like the fellowship itself, Shores Fellowship theme is assembled by pieces throughout the first story and scattered into shards thereafter.“170 In dieser Version ertönt der Themenkopf in E-Dur/ e-Moll. Eine Tonart, die bisher noch nicht genutzt wurde. Die Variante ist langsamer und mit einer Lautstärke, die zwischen piano und mezzopiano wechselt,171 auch deutlich leiser als alle zuvor. Die Besetzung ist relativ klein gehalten: Das Horn spielt weitestgehend die Melodie, welche in den letzten drei Takten von der Posaune im Terzabstand ergänzt wird. Es

167

Peter Jackson: The Lord of the Rings. The Fellowship of the Ring, USA, NZL 2001, DER HERR – 2:30:48.

DER RINGE. DIE GEFÄHRTEN, DVD New Line Cinema 2002, 171 min., TC: 2:30:30 168 Jackson: DER HERR DER RINGE. DIE GEFÄHRTEN, TC: 2:37:33 – 2:37:55. 169

Ebd., TC: 2:40:10. Doug Adams, Howard Shore und Fran Walsh: The Music of the Lord of the Rings Films. A Comprehensive Account of Howard Shore’s Scores, Van Nuys 2010, S. 72. 171 Monika Retter: Filmmusik als Wagners Erbe, Wien 2008, S. 67. 170

40

ergeben sich hierdurch in den Takten 6 und 7 ein E-Dur durch die Töne gis und e‘‘ und ein G-Dur Akkord durch die Töne g und d‘‘. In den Takten 5 und 6 findet eine melodische Variation statt, die hier das erst mal beobachtet werden kann: Der Grundton e‘‘ in Takt 4 wird in Takt 5 einen Halbtonschritt abwärts zum Leitton geführt, um in Takt 6 wieder nach e‘‘ aufzulösen. Darüber hinaus begleitet eine Pauke die Melodie, deren Schläge nun jedoch in der Lautstärke stark reduziert sind und somit nicht die heldenhafte Wirkung hervorruft, wie noch in vorhergehenden Varianten. Ganz zu Beginn ist auch ein Kontrabass zu hören.172

Dieser kadenzhafte Charakter vermittelt eine gewisse Endgültigkeit. Auf eine ähnliche Weise, wie eine Kadenz am Ende eines Musikstückes ausdrückt, dass das Stück nun zu Ende ist, entsteht hier der Eindruck, dass die Gemeinschaft des Rings nun ein für alle Mal versagt hat und dass an dieser Tatsache nichts mehr zu ändern ist. Die Besetzung ist sehr klein gehalten, um die Gesamtlautstärke in einem gewissen Rahmen halten zu können. Entscheidend in dieser Sequenz ist vor allem der Einsatz des Tempos und der Dynamik. Die Musik begleitet fast synchron die Bewegungen der verschiedenen Akteure. Zuerst ist Gimli zu sehen, der nach dem Scheiden von Boromir langsam den Kopf senkt, kurz darauf Aragorn in der Nahaufnahme, dem eine Träne über die Wange rollt.173 Erwähnenswert ist auch, dass mit dem Kamerawechsel von Gimli auf Aragorn erst der erste Ton des Themenkopfes erklingt und dann der Zweite. Dynamisch ist dieser Übergang mit leichten crescendi von piano nach mezzopiano umgesetzt174, welche ebenfalls die Kamerawechsel im Bild berücksichtigen. Diese Sequenz wäre mit schnellerer Musik nicht denkbar gewesen, da so die Trauer und die Niedergeschlagenheit der

172

Howard Shore: „Amon Hen“, auf: The Lord of the Rings. The Fellowship of the Ring, Original Motion Picture Soundtrack, CD Reprise Records 2001, Nr. 16, TC: 4:27 – 4:30. 173 Peter Jackson: The Lord of the Rings. The Fellowship of the Ring, USA, NZL 2001, DER HERR DER RINGE. DIE GEFÄHRTEN, DVD New Line Cinema 2002, 171 min., TC: 2:37:36 – 2:37:39. 174 Vgl. Monika Retter: Filmmusik als Wagners Erbe, Wien 2008, S. 67.

41

Gefährten nicht authentisch hätte eingefangen werden können. Auch die Dynamik der Sequenz ist sehr gut angebracht. Sie übersteigt nie einen bestimmten Punkt an Lautstärke, damit ist sie nicht zu präsent ist, denn der Hauptfokus soll das Bild sein. Dennoch ist sie nie zu leise und lässt die Sequenz durch die crescendi gewissermaßen lebendiger erscheinen. Alle vorherigen Konflikte der Gefährten resultieren musikalisch in dieser letzten Variation des Fellowship-Themas. Es stellt das Produkt eines langen Prozesses dar, in dessen Verlauf die jeweilige Themenvariation in ihrer Beschaffenheit immer an der Handlung orientiert war und durch leitmotivische Veränderungen den jeweiligen Kontext musikalisch ausgedrückt hat. Vor allem durch die sehr langsame und leise Wiedergabe des Themenkopfes, sowie das Erreichen des Grundtones mit dem Leitton wird mithilfe dieser Variation das Ende der Gemeinschaft klanglich abgebildet.

42

7. Einflüsse Richard Wagners auf die Filmmusik von Howard Shore Dieser letzte Abschnitt der Arbeit hat das Ziel, die aus der Analyse gewonnenen Erkenntnisse über den Einsatz der Leitmotivtechnik Howard Shores mit der Richard Wagners zu vergleichen und zu untersuchen, inwiefern diese sich ähneln oder voneinander abweichen. Dies liegt nahe, denn bereits Tolkien hat Handlungselemente von Richard Wagners Oper Der Ring des Nibelungen für seinen The Lord of the Rings Roman übernommen. Den Erläuterungen Renée Vinks, einer Expertin für Tolkiens Literatur und Wagners Musik175 zufolge sind die Gemeinsamkeiten nicht so umfangreich, zuvor angenommen wurde.176 Einige dieser Gemeinsamkeiten sind darauf zurückzuführen, dass sowohl Tolkiens Roman als auch Wagners Ring auf den gleichen Quellen beruhen. Bei diesen Quellen handelt es sich um nordische Heldensagas wie die Poetische Edda, Prosa Edda und die Völsunga saga.177 Nachdem Vink die Gemeinsamkeiten herausfiltert, die auf gleiche Quellen zurückzuführen sind, bleiben etwa 12 Punkte, bei denen dies nicht der Fall ist und wo eine Beeinflussung Tolkiens durch Wagner stattgefunden haben muss. Viele dieser Punkte haben mit dem Ring zu tun, hier drei dieser Gemeinsamkeiten: 1.) Ein magischer Ring, der dem Träger Macht verleiht, aber eine Art Fluch mit sich bringt.178 2.) Um das Wiedererlangen des Rings durch den Verursacher des Bösen zu verhindern, muss der Ring zu dem Element zurückkehren, von dem er stammt.179 3.) Wenn der Ring zerstört ist, ist auch die böse Macht besiegt.180

175

Vgl. Renée Vink: Wagner and Tolkien. Mythmakers, Zürich und Jena 2012, Abschnitt „About the Author“. 176 Vgl. Vink: Wagner and Tolkien (wie Anm. 177), S. 15. 177 Vgl. ebd., S. 106. 178 Vgl. ebd., S. 15. 179 Vgl. ebd., S. 24. 180 Vgl. ebd., S. 25.

43

An dieser Stelle soll es reichen festzuhalten, dass es Gemeinsamkeiten zwischen dem Roman Tolkiens und Wagners „Ring“ gibt und dass diese zum Teil darauf zurückzuführen sind, dass Tolkien Elemente von Wagner übernommen hat. Da Howard Shore sich im Vorfeld zu seiner Arbeit für die Filmmusik mit RingMythologien und deren kulturellen Einflüssen befasst hat181, scheint es gerade im Hinblick auf die Ähnlichkeiten zwischen dem Roman und Wagners Oper sinnvoll, nach möglichen Einflüssen Richard Wagners in Howard Shores Filmmusik zu suchen.

7.1 Wagners Prinzipien in der Konzeption der Filmmusik Tatsächlich rücken einige Aussagen, zum Teil von Shore selbst, seine Filmmusik konzeptionell nah an Wagner heran. In dem Buch The Music of the Lord of the Rings Films, welches in Zusammenarbeit mit dem Komponisten selbst realisiert wurde, vergleicht der Autor Doug Adams den Konzeptionsprozess der Filmmusik mit gängiger Wagner-Praktik: „In The Lord of the Rings each racial group, rather than each character, gets a tune. When Wagner was writing he was trying to boil down the story to what was important to him. What deserves a motif? If something was important enough to be a motivic principal in the plot, then it got its own tune.“182

Der Begriff „tune“ bezieht sich auf die verschiedenen Leitmotive oder -themen, von denen Shore Gebrauch macht. Weiter wird diese Vorgehensweise mit der des Filmmusikkomponisten verglichen: „Howard Shore has basically chosen, as his mythic motives, the cultures of Middleearth. That’s what he interprets the story as being about: How do we create a global culture that resists the flattening sameness of corporate sprawl? How can we preserve cultural integrity and diversity and, at the same time, get along together and cooperate? That’s a strong parallel to Wagner.“183

Hierbei handelt es sich in der Tat um eine starke Parallele. Eine solche Bindung der Musik an die Handlung stellt die Grundvoraussetzung dar, um eine Dramaturgie im

181

Vgl. Doug Adams, Howard Shore und Fran Walsh: The Music of the Lord of the Rings Films. A Comprehensive Account of Howard Shore’s Scores, Van Nuys 2010, S. 2. 182 Adams: The Music of the Lord of the Rings Films (wie Anm. 183), S. 9. 183 Ebd., S. 9.

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Sinne Wagners zu schaffen, in der die dramatische Handlung selbst die Beschaffenheit der Musik bestimmt.

7.2 The Lord of the Rings – Eine Opernkomposition? Shore selbst sieht seine Filmmusik zu The Lord of the Rings konzeptionell als Oper: „The Lord of the Rings is an opera in concept. And what I mean is, it’s three acts. It’s three films. And it has the complexity and the relationships of what we think of as opera music, because it so goes beyond what you think of as a film score.“184 Der größte Unterschied zwischen Filmmusik und Oper ist in der Regel der Umfang der Komposition.185 Die meisten Filme sind schlicht zu kurz, als dass deren Filmmusik mit einer Opernkomposition vergleichbar wäre. Beispielsweise umfasst der Opernzyklus Der Ring des Nibelungen, WWV 86186 von Richard Wagner eine Spielzeit von über 15 Stunden, was weitaus umfangreicher ist als ein Großteil der Filme bzw. deren Filmmusiken. Filmmusik ist normalerweise nicht in der Lage, solch vielfältige Beziehungen und Entwicklungen in der Musik herzustellen, wie es die Oper potenziell durch ihre längere Spielzeit vermag. Die The Lord of the RingsTrilogie stellt hier jedoch eine Ausnahme dar. Die Gesamtspielzeit der Blu-ray Extended-Versionen der Filme beträgt knapp über 12 Stunden187, was vom Umfang definitiv vergleichbar mit Opernkompositionen ist. Somit verfügt Howard Shore über einen zeitlichen Rahmen, der es ihm erlaubt, mithilfe seines Netzes von Leitmotiven

und

Leitthemen

eine

ähnlich

beziehungsreiche

und

weiterentwickelbare Musik zu schaffen, wie die Oper. Es ist vor allem diese Weiterentwickelbarkeit der Musik, welche Bribitzer-Stull als das notwendige Kriterium für Kompositionen jedes Genres sieht, um als Wagnersche Leitmotivkompositionen zu gelten: „The true test of Wagnerian leitmotivic composition in any genre is, however, evidence that thematic development occurs

184

Fred Karlin und Rayburn Wright: On the Track. A Guide to Contemporary Film Scoring, New York 2004, S. 141 f. 185 Vgl. Matthew Bribitzer-Stull: Understanding the Leitmotif. From Wagner to Hollywood Film Music, Cornwall 2015, S. 263. 186 Laurenz Lütteken: Wagner Handbuch, Kassel 2012, S. 332. 187

45

to match changing dramatic contexts and to achieve a concomitant layering of emotional associations.“188 In den Analysen des vorherigen Kapitels wurde ersichtlich, dass Shore das Thema der Gefährten durch verschiedenste Techniken immer dann thematisch weiterentwickelt, wenn es der jeweilige Handlungskontext verlangt. Das Fellowship-Thema beginnt mit Frodo und Sam als Themenkopf und nach einem langen Prozess endet es in der Amon Hen-Szene auch wieder als dieser. Somit stellt sich hier nun die Frage, ob das ästhetische Ideal Wagners, dass die Einheit des Kunstwerkes durch eine Vielzahl von Leitmotiven, welche sich zum einen „gegenüberstehen, ergänzen, neu gestalten […]“189 und zum anderen in ihrer Zusammensetzung nach der dramatischen Handlung richten, in der Filmmusik Shores oder genauer gesagt in seiner Behandlung des Fellowship-Themas verwirklicht ist. Hier noch einmal die zusammengefassten Kriterien Wagners vom Angang der Arbeit: 1.) Die Einheit des Kunstwerks wird durch ein Gewebe verschiedener Leitmotive geschaffen 2.) Die Leitmotive treten in gegenseitige Wechselwirkung 3.) Die dramaturgische Handlung bestimmt diese Wechselwirkungen Im Folgenden soll untersucht werden, inwiefern die Ergebnisse der Analysen Aufschluss darüber geben können, ob Wagnersche Ideale in Howard Shores Komposition eingeflossen sind. Hierbei handelt es sich nicht um einen umfassenden Vergleich, es werden lediglich Ähnlichkeiten angedeutet. Von der „Einheit des Kunstwerkes“ kann hier nicht gesprochen werden, da in der Analyse lediglich das Thema der Gefährten untersucht wurde und nicht die Filmmusik als Ganze. Den gesamten Entwicklungsprozess betrachtend, ist der Begriff „Einheit“ jedoch zutreffend, da das Thema der Gefährten, die Handlung begleitend über einen längeren Zeitraum weiterentwickelt oder variiert wird und zum Schluss ein gewisser Endpunkt in der Entwicklung erreicht ist. Den gesamten Prozess vollzieht das Thema stets an der Handlung orientiert und diese unterstützend, was die stärkste Parallele zu Wagner darstellt. Wie bereits zu Beginn 188

Matthew Bribitzer-Stull: Understanding the Leitmotif. From Wagner to Hollywood Film Music, Cornwall 2015, S. 284. 189 Vgl. Anm. 37.

46

der Arbeit erwähnt, bestand Wagners Leistung nicht in der Verwendung von Leitmotiven,

sondern

in

ihrer

neuartigen,

handlungsorientierten

und

werkstrukturierenden Bedeutung. Damit ist Punkt 3 erfüllt. Es kann argumentiert werden, dass Punkt 1 ebenfalls erfüllt ist. Leitmotive treten gelegentlich in Wechselwirkung miteinander, wie beispielsweise in der Szene Gandalf the White, wo laut Monika Retter das Thema der Ringgeister als Bassbegleitung für das Fellowship-Thema fungiert. Weitere Beispiele wären das Wechselspiel zwischen Five beat-pattern und dem Thema der Gefährten in der Szene The Bridge of Khazad-dûm, wo sich Leitmotive „gegenüberstehen“. Oder die Kombination des Fellowship-Themas mit dem Elbenchor in Farewell to Lórien. Hier würden sich Leitmotive „ergänzen“ und insofern „neu gestalten“, da sie zusammen etwas Neues musikalisch abbilden. Damit ist auch Punkt 2 erfüllt.

7.3 Der Umgang mit der Leitmotivtechnik von Howard Shore und Richard Wagner im Vergleich Nachdem gezeigt werden konnte, dass die Musik von Howard Shore konzeptionell zum Teil auf Idealen von Richard Wagner beruht, werden hier ein paar Beispiele des konkreten Einsatzes der Leitmotivtechnik beider Komponisten diskutiert und miteinander verglichen. Hierfür werden Beispiele aus Wagners Musikdrama Das Rheingold, WWV 86A190 herangezogen. Die erste typische Wagner-Technik, die es zu diskutieren gilt, nennt sich „change of mode“191, was mit „Veränderung des Modus“ übersetzt werden kann. Allgemein wird, wie die Bezeichnung der Technik nahelegt, der Modus des Motives oder des Themas verändert, was einen neuen dramaturgischen Aussagegehalt bewirkt. In den meisten Fällen findet ein Wechsel von Dur nach Moll statt oder umgekehrt. Ein Beispiel hierfür findet sich bei Shore in der Szene Farewell to Lórien, in der die Gefährten aus dem Waldlandreich abreisen. Es erklingt hier lediglich die Melodie des Fellowship-Themas, das harmonische Fundament wird weggelassen, was aus dem

Dur-Moll

Hybridthema

ein

reines

Moll-Thema

macht

und

den

190

Vgl. Laurenz Lütteken: Wagner Handbuch, Kassel 2012, S. 341. Matthew Bribitzer-Stull: Understanding the Leitmotif. From Wagner to Hollywood Film Music, Cornwall 2015, S. 284.

191

47

dramaturgischen Aussagegehalt grundlegend verändert. Die Gemeinschaft des Rings wird hier durch die Musik als zweifelnd und um ihren gefallenen Führer Gandalf trauernd präsentiert, was einen signifikanten Unterschied zur musikalischen Begleitung der Gefährten in Moria darstellt. Auch bei Wagner ist diese Technik zu finden. Ein passendes Beispiel stellt das Rheinmotiv aus Wagners Bühnenwerk Das Rheingold, WWV 86A dar. Das Rheinmotiv, bestehend aus einem aufsteigenden Dreiklang, ist zunächst mit dem Rhein assoziiert. In der 4. Szene wird es zur Mollvariante, was nun Erdas Motiv repräsentiert und nun nicht länger den Rhein musikalisch darstellt, sondern das drohende Schicksal der Götter ankündigt.192 Das Voranschreiten der Handlung verlangt hier auch eine Anpassung des Motives und eine andere musikalische Aussage, welche jedoch vom selben Leitmotiv ausgeht. Eine weitere Technik, die Richard Wagner häufig nutzt, ist die „Thematische Fragmentierung“: „Thematic Fragmentation [is used] to capture the sense of emotion associated with the emergence or departure of an important dramatic element (including a character).“193 Entscheidend ist hier allerdings, dass nicht das gesamte Thema oder Motiv des bezeichneten Gegenstandes erklingt, sondern nur ein

Teil

davon.

Shore

nutzt

diese

Technik

während

des

gesamten

Entwicklungsprozesses des Fellowship-Themas. Anfangs erklingt lediglich der Themenkopf, der die Entwicklung der Gefährten einleitet, die im ersten Teil der Trilogie mit ihrer Aufgabe, den Ring der Macht zu zerstören, eine zentrale Rolle einnehmen. Bei Wagner wird auf ähnliche Weise ein wichtiges Element der Handlung durch thematische Fragmentierung angekündigt. In Szene II werden die Riesen Fasolt und Fafner angekündigt, indem der Rhythmus ihres Motives den Worten Freias unterlegt wird.194 Der Gott Wotan ließ die beiden Riesen eine Burg für ihn bauen, wofür er ihnen als Gegenleistung Freia, die Schwester seiner Frau verspricht.195 Die thematische Fragmentierung des Motives der Riesen leitet hier einen Konflikt zwischen den Riesen und Wotan ein, der den Verlauf des ganzen Dramas bestimmen wird.

192

Vgl. Laurenz Lütteken: Wagner Handbuch, Kassel 2012, S. 344. Vgl. Matthew Bribitzer-Stull: Understanding the Leitmotif. From Wagner to Hollywood Film Music, Cornwall 2015, S. 289. 194 Vgl. Kurt Pahlen und Rosmarie König (Hg.): Richard Wagner. Das Rheingold. Der Ring des Nibelungen, Mainz 41985. S. 56. 195 Vgl. Laurenz Lütteken: Wagner Handbuch, Kassel 2012, S. 342. 193

48

Eine weitere, häufig von Richard Wagner genutzte Technik findet sich in der Szene Saruman the White. Die „Thematische Ironie“196 tritt hier auf, als die beiden Zauberer vor dem Orthanc stehen, das The Threat of Mordor-Thema erklingt und Saruman Gandalf „Seinen alten Freund“ nennt. Bild und Ton sagen hier Gegenteiliges aus, daher der Name der Technik. Auch in Wagners Rheingold wird Ähnliches durch die Musik erreicht: Wotan möchte einerseits Freia den Riesen nicht als Lohn für den Bau der Burg geben aber andererseits auch den Ring besitzen, den Loge als Ersatzlohn für die Riesen Fasolt und Fafner vorschlägt. 197 Das „Liebesverzichts-Motiv“ erklingt, als Loge Wotan ein solches Entsagen nahe zu legen scheint. Das ist ironisch, denn diesen Verzicht hat der Zwerg Alberich bereits geleistet, indem er den Ring schmiedete.198 Ebenfalls typisch für Richard Wagners Umgang mit der Leitmotivtechnik ist die Technik der „Associative Transposition.“199 Das Thema oder Motiv erklingt in einer anderen Tonart, welche mit einem anderen Kontext assoziiert ist. In The Lord of the Rings ist dies an der Szene The Nazgûl zu beobachten. Die Melodie der Gefährten erklingt hier in d-Moll. Diese Tonart ist generell im Film mit den Mächten des Bösen assoziiert.200 Die Verwendung dieser Tonart kann in diesem Fall darauf zurückgeführt werden, da die entstehende Gemeinschaft noch von den Nazgûl verfolgt wird, welche sie eine Szene zuvor in einem Gasthaus angriffen.201 Zuletzt noch eine Technik, die Wagner oft nutzt und die auch in der Filmmusikkomposition weit verbreitet ist: Das „Foreshadowing“. Wie bereits erwähnt, übernimmt bereits Tolkien Elemente von Wagners Oper für The Lord of the Rings. Vor allem Elemente, die mit dem Ring zu tun haben. In der musikalischen Umsetzung gibt es interessante Parallelen zwischen der Musik Howard Shores und der von Richard Wagner in Bezug auf die korrumpierende Wirkung des Ringes. Shore nutzt das Foreshadowing in der Szene The Great River,

196

Vgl. Matthew Bribitzer-Stull: Understanding the Leitmotif. From Wagner to Hollywood Film Music, Cornwall 2015, S. 293. 197 Vgl. Laurenz Lütteken: Wagner Handbuch, Kassel 2012, S. 341 ff. 198 Vgl. Kurt Pahlen und Rosmarie König (Hg.): Richard Wagner. Das Rheingold. Der Ring des Nibelungen, Mainz 41985. S. 82. 199 Vgl. Matthew Bribitzer-Stull: Understanding the Leitmotif. From Wagner to Hollywood Film Music, Cornwall 2015, S. 292. 200 Vgl. Matthew Bribitzer-Stull: Understanding the Leitmotif. From Wagner to Hollywood Film Music, Cornwall 2015, S. 282. 201 Peter Jackson: The Lord of the Rings. The Fellowship of the Ring, USA, NZL 2001, DER HERR DER RINGE. DIE GEFÄHRTEN, DVD New Line Cinema 2002, 171 min., TC: 53:30 – 53:55.

49

um Boromirs Verrat zu antizipieren, indem er den Argonath-Statuen das The History of the Ring-Thema unterlegt, was auf diese Weise sein Machtstreben und das Verlangen nach dem Ring symbolisieren soll. Ähnlich verhält es sich auch in Wagners Rheingold: Fricka erwähnt Wotans Machtstreben und es erklingt das Ring-Motiv202 als Vorausdeutung, was dieses noch anrichten wird. Es wird der Konflikt antizipiert, der letztendlich durch das Machtstreben Wotans ausgelöst wird. Dieser will für den Bau seiner Burg den Riesen Fasolt und Fafner nicht den versprochenen Preis zahlen: Freia. Mit Loges Hilfe wird versucht, einen anderen Lohn für die Riesen zu finden: Der Ring des Nibelungen, welcher sich zu der Zeit im Besitz des Zwerges Alberich befindet. Später führt dieser Ring zum Konflikt zwischen den beiden Riesen, was darin endet, dass Fasolt seinen Bruder Fafner tötet.203

8. Schlusswort Nach sorgfältigen Untersuchungen verschiedener Szenen aus The Fellowship of the Ring wurde deutlich, dass Howard Shore Gebrauch von vielfältigen Mitteln macht, um Konflikte in der Musik darzustellen. Dabei spielt die Leitmotivtechnik eine zentrale Rolle, da die Veränderung der musikalischen Parameter immer in Abhängigkeit von der Handlung gestellt wird. Häufig werden Motive und Themen, die für jeweils Gut und Böse stehen, gegenübergestellt, um einen Konflikt zu suggerieren. Die Themen Isengarts und Mordors zeichnen sich dabei meist durch einfache

Melodik,

starke

rhythmische

Orientiertheit

und

überwiegend

Blechbläserbesetzung aus. Sie stellen dadurch einen Kontrast zum FellowshipThema dar. Bei dieser Gegenüberstellung ist die Technik der Antizipation erwähnenswert, mit welcher Konflikte durch die Musik in Verbindung mit dem Bild angedeutet werden können, wie zum Beispiel in der Szene Saruman the White oder Parth Galen. Der Spannungsaufbau oder die Konflikterzeugung durch ein Wechselspiel zwischen Ton und Bild war vor allem deutlich in der Szene Khazaddûm zu erkennen. In allen untersuchten Szenen werden die musikalischen Parameter des Themas der Gefährten manipuliert, um dem jeweiligen dramatischen 202

Vgl. Kurt Pahlen und Rosmarie König (Hg.): Richard Wagner. Das Rheingold. Der Ring des Nibelungen, Mainz 41985, S. 52. 203 Vgl. Laurenz Lütteken: Wagner Handbuch, Kassel 2012, S. 341 ff.

50

Kontext zu entsprechen oder um auf einen Konflikt hinzuweisen. Auf diese Weise wird dieser häufig unmittelbar am Thema erkennbar. Die Gemeinsamkeiten zwischen dem Schaffen Richard Wagners und The Lord of the Rings hören nicht bei der Romanvorlage Tolkiens auf. Bereits in der Konzeption der Filmmusik Shores werden Wagnersche Elemente miteinbezogen. Wie bereits zu Beginn der Arbeit deutlich wurde, hat die Musik im Film und in Wagners Opernkompositionen eine entscheidende Gemeinsamkeit: Sie hat die Aufgabe, die Handlung zu unterstützen oder zu verstärken. Aus diesem Grund eignet sich die Leitmotivtechnik auch so gut für den filmischen Kontext. Sie unterstützt das Bild durch Assoziation mit markanten, wiedererkennbaren musikalischen Gebilden. Leitmotivtechnik nach Wagnerscher Definition umfasst allerdings auch den besprochenen entwicklungs- und einheitsstiftenden Charakter. Bei diesen Punkten hören die Gemeinsamkeiten der meisten Filmmusiken mit Richard Wagner auf, da sie nicht über den gleichen zeitlichen Rahmen verfügen wie Wagners Opernkompositionen. Diese starke zeitliche Einschränkung gibt es bei der Filmmusik von The Lord of the Rings nicht. Zudem konnte aufgezeigt werden, dass Shores Fellowship-Thema einerseits über den Aspekt der Entwicklung verfügt und andererseits kann, den gesamten Prozess der Entwicklung des Themas betrachtend, eine gewisse Einheit festgestellt werden. Dabei handelt es sich um starke Parallelen zu Richard Wagner. Im Buch The Music of the Lord of the Rings Films, an dem Shore beteiligt war, gibt es einen Abschnitt „Wagner‘s Ring“ mit einem Foto vom Komponisten, der neben einer Steinstatue Richard Wagners steht.204 Es handelte sich dabei um einen Besuch des Herrenhauses Richard Wagners in Luzern, wo dieser Siegfried Idyll komponierte, welche in Siegfried, eine der vier Opern aus Der Ring des Nibelungen aufgenommen wurde.205 Shore stellte darüber hinaus im Vorfeld der Komposition seiner

Filmmusik

Nachforschungen über den

kulturellen Einfluss von

Ringmythologie an. Es scheint an dieser Stelle naheliegend, dass Howard Shore Wagners „Ring“ zumindest kannte. Darüber, wie genau er ihn kannte und ob er sich von ihm hat inspirieren lassen, kann allerdings nur spekuliert werden. Auffällig ist, dass er Techniken nutzt, die typisch für Richard Wagner sind und vor allem die 204

Vgl. Doug Adams, Howard Shore und Fran Walsh: The Music of the Lord of the Rings Films. A Comprehensive Account of Howard Shore’s Scores, Van Nuys 2010, S. 8 205 Vgl. Adams: The Music of the Lord of the Rings Films (wie Anm. 205), S. 8.

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musikalische Umsetzung des Machtstrebens in Verbindung mit dem Ring-Thema der von Wagner im Ring des Nibelungen ähnelt. Dennoch kann hier nicht angenommen werden, dass es sich um eine direkte Beeinflussung handelt. Shore könnte seine Inspiration auch von anderen Opernoder

Filmmusikkomponisten

bezogen

haben.

Shores

Gebrauch

der

Leitmotivtechnik nimmt allerdings zum Teil ästhetische Vorstellungen Richard Wagners auf. Monika Retter weist darüber hinaus in der Musik von The Lord of the Rings Einflüsse von Kompositionsmerkmalen Wagners wie beispielsweise die „unendliche Melodie“, „musikalische Prosa“ oder „die Kunst des Übergangs“ nach.206 Solche Untersuchungen wären sehr aufschlussreich im Hinblick des Einflusses von Richard Wagner auf die Filmmusik Howard Shores, allerdings würde dies den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Ebenfalls interessant wäre eine Betrachtung der Weiterentwicklung des Fellowship-Themas über die restlichen zwei Teile der Trilogie. Dadurch könnte eine genauere Aussage darüber erreicht werden, inwiefern Shores Nutzung der Leitmotivtechnik von Wagner beeinflusst ist.

206

Vgl. Monika Retter: Filmmusik als Wagners Erbe, Wien 2008, S. 109 ff.

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9. Quellenverzeichnis Adams, Doug; Shore, Howard und Walsh, Fran: The Music of the Lord of the Rings Films. A Comprehensive Account of Howard Shore’s Scores, Van Nuys 2010. Bernstein, Elmer: Art. „Berlin, Irving (eigentl. Israel Baline)“ in. Lexikon der Filmmusik. Personen – Sachbegriffe zu Theorie und Praxis – Genres, Laaber 2012. Bribitzer-Stull, Matthew: Understanding the Leitmotif. From Wagner to Hollywood Film Music, Cornwall 2015. Bückle, Matthias und Gervink, Manuel (Hrsg.): Lexikon der Filmmusik. Personen – Sachbegriffe zu Theorie und Praxis – Genres, Laaber 2012. Drehmel, Jan; Jaspers Kristina und Vogt, Steffen: Wagner Kino. Spuren und Wirkungen Richard Wagners in der Filmkunst. Das Buch erscheint anlässlich der Film- und Veranstaltungsreihe »Wagner Kino« im Zeughauskino am Deutschen Historischen Museum, Berlin 25. April bis 31 Mai 2013. Jeonwon, Joe und Sander, Gilman L. (Hrsg.): Wagner & Cinema. Bloomington 2010. Karlin, Fred and Wright, Rayburn: On the Track. A Guide to Contemporary Film Scoring, New York 2004. Kloppenburg, Josef (Hg.): Das Handbuch der Filmmusik. Geschichte – Ästhetik – Funktionalität, Laaber 2012. Kunze, Stephan: Über den Kunstcharakter des Wagnerschen Musikdramas in: Richard Wagner: Von der Oper zum Musikdrama, Bern Jurins Druck und Verlag, 1978. Lütteken, Laurenz (Hrsg.): Wagner Handbuch, Kassel 2012. Pahlen, Kurt und König, Rosmarie (Hrsg.): Richard Wagner. Das Rheingold, Der Ring des Nibelungen. Mainz 41985. Retter, Monika: Filmmusik als Wagners Erbe. Eine vergleichende Analyse von Howard Shores Filmmusik zu Peter Jacksons Filmtrilogie The Lord of the Rings, Teil 1, mit Wagner’s Dramaturgie und Tonsprache. Wien 2008. Rümenapp, Peter: Zur Rezeption der Leitmotivtechnik Richard Wagners im 19. Jahrhundert, Wilhelmshaven 2002. Thomas, Tony: Music for the Movies, Beverly Hills 1997. Tolkien, J[ohn] R[onald] R[euel]: Der Herr der Ringe. Band 1. Die Gefährten, Stuttgart 2000. Veit, Joachim: Art. „Leitmotiv“, in: MGG2, Bd. 5, Kassel u. a. 1996. Vink, Renée: Wagner and Tolkien. Mythmakers, Zürich und Jena 2012.

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CDs Shore, Howard: The Lord of the Rings - The Fellowship of the Ring, Original Motion Picture Soundtrack, Der Herr der Ringe - die Gefährten, CD, Reprise Records, 2001.

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04.01.2021. Links 11.01.2021.

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