Hochschule und Priesterseminar Königstein: Ein Beitrag zur Vertriebenenseelsorge der katholischen Kirche 9783412212070, 9783412210830

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Hochschule und Priesterseminar Königstein: Ein Beitrag zur Vertriebenenseelsorge der katholischen Kirche
 9783412212070, 9783412210830

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FORSCHUNGEN UND QUELLEN Z U R K I R C H E N - U N D K U LT U R G E S C H I C H T E OSTDEUTSCHLANDS IM AUFTRAGE DES INSTITUTES FÜR OSTDEUTSCHE KIRCHEN- UND KULTURGESCHICHTE HERAUSGEGEBEN VON PAUL MAI Band 46

Hochschule und Priesterseminar Königstein Ein Beitrag zur Vertriebenenseelsorge der katholischen Kirche

von

Rainer Bendel

2014 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gedruckt mit Unterstützung durch den Fonds ‚Königstein‘ beim Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz. Die kirchliche Druckerlaubnis wird für die Veröffentlichung erteilt. Coloniae, die 11 decembris 2013 Jr. Nr. 106 250 I 90 Dr. Stefan Heße vic. gen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Kommission für Zeitgeschichte, Bonn; Archivalien Königstein. Bildmaterial

© 2014 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Lektorat und Satz: Martin Wambsganß, Tübingen Druck und Bindung: UAB Balto print, Vilnius Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Lithuania ISBN 978-3-412-21083-0

INHALT GELEITWORT .......................................................................................... 15 GELEITWORT .......................................................................................... 17 VORWORT DES HERAUSGEBERS....................................................... 19 VORWORT DES AUTORS ...................................................................... 21 ZUR ERSTEN ORIENTIERUNG: EINE ÜBERSICHT ÜBER DIE WICHTIGSTEN EREIGNISSE................................................................. 23 Initiativen und Intentionen .......................................................................................... 24 Die zentralen Aufgaben .............................................................................................. 26 Die weitere Entwicklung............................................................................................. 26

EINLEITUNG............................................................................................ 29 Stand der Informationen und Diskussionen – einige Fragen ...................................... 30 Zum Hintergrund und zu den Intentionen der Initiatoren..................................... 30 Forschungsstand.......................................................................................................... 38 Materialgrundlage ....................................................................................................... 39 Akten ...... ............................................................................................................ 39 Publikationen........................................................................................................ 40 Zielsetzung/Frageperspektiven ................................................................................... 40 a) Binnenkirchlich: ............................................................................................... 41 b) Gesellschaftlich/politisch ................................................................................. 41 Zum Aufbau der Arbeit............................................................................................... 42

ABSCHNITT I: SEELSORGE IN VERTREIBUNG UND ANKOMMEN............................................................................................ 45 1. Wie erlebten die Gläubigen ihre Situation............................................................ 45 Veränderungen...................................................................................................... 52 2. Wie erlebten die Priester ihre Situation ................................................................ 56 2.1. Stellenprobleme – Unterschiede zwischen den Regionen.......................... 57 2.2. Besoldungsprobleme.................................................................................. 59 2.3. Die Sorge um die Geistlichen aus dem Osten – ein Beispiel: die Diözesanvertriebenenseelsorgertagung 1947............................................. 60

6

Inhalt

2.4.

Die Diözesanvertriebenenseelsorgerkonferenz im Spiegel der fortschreitenden Eingliederung.................................................................. 67 3. Die Bischöfe und die Ankunft der Vertriebenen .................................................. 71 3.1. Zwischen Rückkehr, Eingliederung und Sonderseelsorge......................... 71 3.2. Wahrgenommen wurden die Vertriebenen vor allem in der caritativen Perspektive................................................................................................. 78 3.3. Differierende Zielsetzungen im Umgang mit der Problematik.................. 81 4. Ein neues Aufgabenfeld braucht neue Strukturen ................................................ 84 4.1. Vertriebenenseelsorge auf Diözesanebene – einige Beispiele ................... 84 4.2. Die Arbeit der Kirchlichen Hilfsstellen ..................................................... 92 4.3. Der Katholische Flüchtlingsrat .................................................................. 97 4.4. Wie konnte die besondere Seelsorge organisiert werden? ....................... 102

ABSCHNITT II: DIE VERTRIEBENENBISCHÖFE ............................ 109 1. Maximilian Kaller (1946 – 1947) ....................................................................... 109 1.1. Kallers Initiativen für eine situationsgerechte Seelsorge nach Flucht und Vertreibung ....................................................................................... 109 1.2. Zentrale Aufgaben des Sonderseelsorgers für die Vertriebenen.............. 116 1.3. Das Amt des Flüchtlingsbischofs............................................................. 128 2. Ferdinand Dirichs (1948).................................................................................... 129 Der Referent des Vertriebenenbischofs .............................................................. 135 3. Franz Hartz (1949 – 1953).................................................................................. 136 4. Julius Döpfner (1953 – 1957) ............................................................................. 142 5. Die Aufgaben und das Profil des Vertriebenenbischofs Heinrich Maria Janssen (1957 – 1982) – „Dienen bleibt gerade in unserer Situation wohl oberstes Gesetz“ ................................................................................................. 145 5.1. Weltweite Perspektive ............................................................................. 148 5.2. Heimatrecht.............................................................................................. 150 5.3. Königsteiner Anstalten............................................................................. 151 6. Gerhard Pieschl (1983 – 2009) ........................................................................... 153 6.1. Sein Programm vor dem Katholischen Flüchtlingsrat 1983 .................... 154 6.2. Echte Versöhnung ist ein schwieriger Prozess: „Ich bin Josef Euer Bruder“ .................................................................................................... 155 6.3. Im Gedenken an den ersten Vertriebenenbischof .................................... 156 6.4. Umstrukturierungen in der Vertriebenenseelsorge .................................. 158 6.5. Politische Einsprüche des Vertriebenenbischofs ..................................... 161 7. Fazit: Die Vertriebenenbischöfe ......................................................................... 163

ABSCHNITT III: DIE PROMOTOREN KÖNIGSTEINS...................... 167 Am Anfang standen eine Initiative, ein Meer von Sorgen und drei Priester............. 167 1. Albert Büttner als Seelsorger der Auslandsdeutschen ........................................ 172 1.1. Die Aufgaben des RKA ........................................................................... 173 1.2. Umsiedlungen im Krieg........................................................................... 174

Inhalt

1.3.

7

Die Kirchliche Hilfsstelle für seelsorgerliche Sonderaufgaben in Frankfurt und mit einer Außenstelle in München.................................... 175 1.4. Das RKA unterstützt Kindermann in Prag – Fortführung der Idee und Kooperation in Königstein? ..................................................................... 178 1.5. Verhandlungen und Schwierigkeiten ....................................................... 182 2. Büttner, Kaller und die Leitung Königsteins ...................................................... 190 2.1. Landsmannschaften, Ämter, Einflussnahmen.......................................... 192 2.2. Ein Trägerverein soll die Zuständigkeitsprobleme lösen......................... 195 2.3. Büttners Vorstellungen für die zentralen Organe der Vertriebenenbetreuung............................................................................. 196 2.4. Der Seminarrat für Königstein................................................................. 197 2.5. Enttäuschung über eine kurze Übergangslösung ..................................... 197 2.6. Die Resignation Büttners ......................................................................... 198 2.7. Der Versuch einer Einordnung im Rückblick.......................................... 200 3. Adolf Kindermann.............................................................................................. 202 3.1. Ein wohlwollendes Andenken – das traditionelle Bild und biographische Eckdaten ........................................................................... 202 3.2. Studienzeit und erste Tätigkeit als Priester und Professor ....................... 205 3.3. Nachkriegszeit: erste Initiativen............................................................... 209 3.4. Charakterisierung durch Franz Lorenz .................................................... 210 3.5. Kindermanns Engagement und Erfahrungen vor Flucht und Vertreibung .............................................................................................. 214 3.6. Vorschläge zur Neugliederung der Bistümer nach 1938 ......................... 216 3.7. Das Prager Theologenkonvikt.................................................................. 218 3.8. Die Bedeutung der Religion in der Volkstumsarbeit der Zwischenkriegszeit.................................................................................................. 226 3.9. Die Kooperation von Kindermann und Sladek ........................................ 227 3.10. Glaubensleben und pastorale Praxis während der Internierung 1945 ...... 230 3.11. Kindermann und die Vertriebenenseelsorge ............................................ 233 3.12. ‚Passiver Widerstand’ – das Rückrufsrecht des Heimatbischofs ............. 236 3.13. Sorge um den Priesternachwuchs ............................................................ 238 3.14. Bau von katholischen Gotteshäusern ....................................................... 239 3.15. Die Aufgaben der Seelsorger ................................................................... 240 3.16. Aufklärung und Dechristianisierung im sudetendeutschen Katholizismus .......................................................................................... 243 3.17. Kommunismus und Vertreibung als Folge der Säkularisierung des Abendlandes............................................................................................. 245 3.18. Die Sorge für die Katholiken hinter dem Eisernen Vorhang ................... 246 3.19. Christentum und Kommunismus ............................................................. 247 3.20. Die Haltung der Christen zu den Menschen im kommunistischen Machtbereich ........................................................................................... 248 3.21. Religion und Eingliederung ..................................................................... 249 3.22. Kirche und Volksgruppe .......................................................................... 250

8

Inhalt

3.23. Die theologische Einordnung der Vertreibung: Deutung der und Umgang mit der Vertreibungssituation.................................................... 251 Exkurs: Religiöser und geistiger Hintergrund: „Schlesischer“ und „sudetendeutscher“ Katholizismus ............................................................................ 254 Die Situation an der Universität in Breslau ................................................. 257

ABSCHNITT IV: ETAPPEN DER ENTWICKLUNG KÖNIGSTEINS ....................................................................................... 267 1. Erste Phase des Aufbaus 1946/47....................................................................... 267 1.1. Suche nach einer Regelung für die Verwaltung Königsteins................... 269 1.2. Unsicherheit der Rechtslage .................................................................... 272 1.3. Klarheit in der Finanzierung .................................................................... 273 2. Die Bischöfe und der Ausbau Königsteins ......................................................... 275 Voten der Bischöfe ............................................................................................. 275 3. Eine ernste Gefahr für die Königsteiner Initiativen............................................ 278 4. Der Aderlass nach Erfurt .................................................................................... 281 5. Ein Dauerbrenner: Die Zielsetzung des Königsteiner Priesterseminars ............. 284 5.1. Vorbehalte der westdeutschen Bischöfe .................................................. 284 5.2. Aus römischer Perspektive ...................................................................... 285 5.3. Diskussionen der Mitgliederversammlung 1954 ..................................... 286 5.4. Königstein als Hindernis für die Integration? .......................................... 287 5.5. Eine Stellungnahme der Bischofskommission 1954................................ 288 6. Klärung der Leitungs- und Verwaltungsstruktur ................................................ 290 6.1. Die Problematik der Dominanz Kindermanns ......................................... 290 6.2. Modifikation der Satzung ........................................................................ 294 6.3. Langwierige Durchführung der Verwaltungsreform ............................... 295 6.4. Transparenz durch klarere Zuordnung der Aufgaben .............................. 297 6.5. Schwierige Meinungsbildung im Vorstand.............................................. 300 6.6. Das Ringen um die Eigenständigkeit der einzelnen Einrichtungen ......... 302 6.7. Mitwirkungsmöglichkeiten der Mitglieder – ein Beispiel ....................... 303 7. Erste Anzeichen für eine drohende finanzielle Schieflage ................................. 305 8. Turbulenzen in den ausgehenden sechziger Jahren ............................................ 307 9. Die neue Ostpolitik............................................................................................. 310 Stefan Kruschina zur neuen Ostpolitik ............................................................... 311 10. Neue Modelle der Seminarerziehung im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils........................................................................................ 314 11. Weitere Verschärfung der prekären Finanzlage zu Beginn der 70er-Jahre ........ 319 12. Blockaden in den letzten Jahren unter Kindermanns Leitung 1969-1974 .......... 322 12.1. Finanzielle Engpässe und Missstände...................................................... 322 12.2. Vorsichtige Versuche für einen Wechsel in der Leitung ......................... 326 13. Die Nachfolge Kindermanns .............................................................................. 330 13.1. Neustart oder Kontinuität mit Stefan Kruschina? .................................... 330 13.2. Absage, weil der Neuanfang versäumt war ............................................. 333

Inhalt

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14. Wiederholte Mahnungen zu Reflexion, Standortbestimmung und Neuausrichtung von 1967 bis 1984 .................................................................... 336 14.1. Memorandum von Josef Rabas von 1967 ................................................ 336 14.2. „Das ganze Konzept Königstein nüchtern und sachlich neu zu bedenken“ – Ein weiterer Vorschlag: 1975 ............................................. 341 14.3. Antrag des HdB bei der Deutschen Bischofskonferenz 1977 .................. 343 14.4. Vorstellungen der Bischofskonferenz 1977/78........................................ 345 14.5. Rabas 1980............................................................................................... 347 14.6. Ein neuer Anfang in überschaubarem Rahmen........................................ 349 14.7. Suche nach einem Leiter und einem Konzept 1977................................. 350 14.8. Zurückhaltung der Bischofskonferenz ..................................................... 351 14.9. Wie weit tragen die Verdienste der Vergangenheit?................................ 352 14.10. Notwendige strukturelle Neuordnung...................................................... 354 15. Konzeptionelle Perspektiven unter Karl Kindermann 1984 – 1994 ................... 373 Zur Würdigung der Vorstandschaft Karl Kindermann: ...................................... 383 16. Der letzte Vorsitzende als Konkursverwalter? ................................................... 385 16.1. Schritte der Auflösung ............................................................................. 391 16.2. Der Widerstand ........................................................................................ 393

ABSCHNITT V: PRIESTERAUSBILDUNG......................................... 397 1. Hochschule und Priesterseminar......................................................................... 397 1.1. Das Oberhaus wird für Hochschule und Seminar vorbereitet.................. 398 1.2. Unsicherheit der Rechtslage .................................................................... 401 1.3. Die personelle Situation........................................................................... 403 2. Das Priesterseminar ............................................................................................ 405 2.1. Intention und Gründung........................................................................... 405 2.2. Die Regenten............................................................................................ 407 2.3. Spirituale am Priesterseminar .................................................................. 409 2.4. Das Leben im Seminar............................................................................. 410 3. Die spezifische Zielsetzung der Hochschule ...................................................... 415 4. Eine kontinuierliche Aufgabe: Rechtfertigung der Existenz von Hochschule und Priesterseminar......................................................................... 423 5. Misstrauen der Leitung schmälert die Identifikation des Lehrkörpers mit den Aufgaben Königsteins?.......................................................................... 427 6. Die Grundordnung der Hochschule .................................................................... 430 7. Hochschule und Öffentlichkeit ........................................................................... 433 8. Die „Königsteiner Blätter“ ................................................................................. 437 9. Hochschullehrer in der Zeit vom SS 1947 bis WS 1977/78 ............................... 443 10. Die Studenten ..................................................................................................... 457 10.1. In den 1940er und 50er Jahren................................................................. 457 10.2. Die 1960er Jahre ...................................................................................... 459 10.3. Die Integrationskraft der Königsteiner Ideen für die Studenten .............. 460 10.4. Feiern im Leben der Hochschule – das Beispiel 1955............................. 463 10.5. Die verfasste Studentenschaft, Studentenvertretung................................ 464

10

Inhalt

10.6. Der „Studentenprotest“ in Königstein...................................................... 465 10.7. Studienbegleitende Aktivitäten................................................................ 474 10.8. Studiengebühren ...................................................................................... 475 10.9. Was wurde aus den Studierenden?........................................................... 476 11. Die Schwestern als Stütze des Königsteiner Betriebs......................................... 480 12. Die Institute ........................................................................................................ 484 12.1. Das Institut für Kirchengeschichte........................................................... 487 12.2. Das Institutum Balticum .......................................................................... 497 12.3. Das Institut für Soziologie/Sozialforschung ............................................ 498 12.4. Das Institutum Sinicum............................................................................ 507 12.5. Das Institutum Slavicum.......................................................................... 508 12.6. Die Ostakademie...................................................................................... 508 12.7. Das Katholische Institut für Ostkunde ..................................................... 510 13. Die Sistierung – Würdigung ............................................................................... 514 13.1. Rückblick und Zusammenfassung ........................................................... 522 13.2. Genügte die Sistierung der Hochschule oder musste die Neuordnung weiter gehen? ........................................................................................... 525

ABSCHNITT VI: GYMNASIUM UND KONVIKT ALS REKRUTIERUNGSFELD FÜR THEOLOGIESTUDENTEN?............. 533 1. Die Schulleitung – ein Überblick ....................................................................... 533 2. Die Anfänge der Schule...................................................................................... 537 2.1. Grundlagen und Trägerverein .................................................................. 537 2.2. Eine erste Phase der Konsolidierung ....................................................... 540 3. Der Ausbau der Schule und der Neubau............................................................. 550 3.1. Vollgymnasium........................................................................................ 550 3.2. Die Ausrichtung der Schule ..................................................................... 551 4. Ein Schuljahr ...................................................................................................... 554 5. Herkunft der Schülereltern und Familiensituation.............................................. 554 6. Der Gesundheitszustand der Schüler .................................................................. 555 7. Zäsur 1968 .......................................................................................................... 556 8. Schulhausneubau ................................................................................................ 557 Exkurs: Bischof Johann Nepomuk Neumann als Schulbischof ................................ 561 9. Der Mangel an Finanzen als ständiger Begleiter ................................................ 563 10. Notwendige Umgestaltungen.............................................................................. 565 10.1. Klagen über Lehrermangel ...................................................................... 565 10.2. Exemplarische Daten zur Entwicklung der Schülerzahlen ...................... 565 10.3. Etablierung eines Elternbeirats ................................................................ 566 10.4. Kurssystem............................................................................................... 566 10.5. Profil ........................................................................................................ 566 10.6. Hausaufgabenbetreuung........................................................................... 567 10.7. Kollegiumstage ........................................................................................ 567 10.8. Kollegiale Leitung ................................................................................... 567 10.9. Noch einmal: Neubaupläne...................................................................... 568

Inhalt

11. 12. 13. 14.

15. 16.

11

10.10. Die konfessionelle Identität in Gefahr? ................................................... 569 10.11. Öffnung für die Koedukation................................................................... 570 10.12. Probleme in der Leitungsstruktur: Wunsch nach mehr Mitbeteiligung ... 572 Geänderte Strukturen im Trägerverein ............................................................... 573 Zur Statistik der Bischof-Neumann-Schule........................................................ 575 Ein Rückblick auf die Atmosphäre der Schule................................................... 576 Das Schülerkonvikt............................................................................................. 579 14.1. Leitung von 1947 bis 1967 ...................................................................... 579 14.2. Zielsetzung des Konviktes ....................................................................... 579 14.3. Einschnitte in den Jahren 1967/68 ........................................................... 581 14.4. Alltag im Konvikt .................................................................................... 581 14.5. Spannungen zwischen Konviktsleitung und Vorstand............................. 584 14.6. Neue personelle Situation 1967 ............................................................... 585 14.7. Offener Brief der Konviktsschüler 1969.................................................. 586 14.8. Der Weg zur Auflösung des Konvikts ..................................................... 588 Schülerzeitungen ................................................................................................ 591 Die Verbundenheit der ehemaligen Schüler mit Königstein .............................. 593

ABSCHNITT VII: INITIATIVEN FÜR DIE SEELSORGE .................. 595 1. Die Sorge für die Seelsorger............................................................................... 595 Das Priesterreferat .............................................................................................. 595 2. Die Priesterwerke ............................................................................................... 600 2.1. Die Spannweite des Aufgabenfeldes am Beispiel des Sudetendeutschen Priesterwerkes (SPW) ............................................................. 600 2.2. Zum Südostdeutschen Priesterwerk ......................................................... 614 2.3. Zum Schlesischen Priesterwerk ............................................................... 616 2.4. Die Glatzer Priestergemeinschaft ............................................................ 620 2.5. Das Nordostdeutsche Priesterwerk .......................................................... 620 3. Die Ostpriesterhilfe............................................................................................. 623 3.1. Geistige Grundlagen und Intentionen ...................................................... 626 3.2. Ausstattungen für die Priester.................................................................. 628 3.3. Festungen für Gott ................................................................................... 629 3.4. Der Bauorden........................................................................................... 630 3.5. Die Kapellenwagenmission ..................................................................... 639 3.6. Konkurrenz in der Diasporaseelsorge ...................................................... 647 3.7. Die ‚Kirche in Not’ in der Neustrukturierung der Königsteiner Trägervereine ........................................................................................... 649 3.8. Der Verein der Ostpriesterhilfe................................................................ 650 3.9. Finanzielle Unterstützung Königsteins .................................................... 652 3.10. Neue Situation nach Kindermanns Tod ................................................... 653 3.11. Kann die Internationale Ostpriesterhilfe Königstein übernehmen? ......... 653 3.12. Resümee................................................................................................... 657 4. Die Begegnung mit dem Osten........................................................................... 660 4.1. Das Haus der Begegnung – die Kongresse ‚Kirche in Not’..................... 660

12

Inhalt

4.2. 4.3. 4.4. 4.5. 4.6.

Grundsätzliches Anliegen der Kongresse ................................................ 661 Ein großes Tagungshaus: Das Haus der Begegnung (HdB) .................... 666 Die künstlerische Einordnung des Gebäudes........................................... 667 Die Kongresse ‚Kirche in Not’ ................................................................ 669 Kindermanns Nachfolge in der Leitung des Hauses der Begegnung: Richard Hackenberg MdL........................................................................ 697 4.7. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten im Haus der Begegnung............... 700 4.8. Die Stadt Königstein und das Haus der Begegnung ................................ 703 4.9. Die Stadt Königstein übernimmt das ‚Haus der Begegnung’ .................. 705 4.10. Wahrnehmung in der Öffentlichkeit ........................................................ 709 5. Pater Augustin Reimann..................................................................................... 714 6. Father Emanuel Reichenberger........................................................................... 717 7. Foren der Vertriebenenbetreuung ....................................................................... 719 7.1. Diözesanvertriebenenseelsorgertagungen und ihre Themen.................... 719 7.2. Zu den Publikationen ............................................................................... 723

ABSCHNITT VIII: FAZIT, EINORDNUNG, AUSBLICK ................... 759 1. Atmosphärisches................................................................................................. 759 1.1. Die Desillusionierung der Rückkehrhoffnungen ..................................... 759 1.2. Der Korpsgeist der Gründungsphase ....................................................... 760 2. Zentrale Charakteristika und Probleme .............................................................. 764 2.1. Die ‚Rollenverteilung‘ am Anfang .......................................................... 764 2.2. Ergänzende oder parallele Seelsorge ....................................................... 765 2.3. Der Sondercharakter Königsteins: Kindermanns Streben nach Unabhängigkeit........................................................................................ 767 2.4. Das geforderte Opfer................................................................................ 768 2.5. Der Sprecher der sudetendeutschen Priester............................................ 769 2.6. Landsmannschaftliche Rivalitäten ........................................................... 770 2.7. Kindermann – Organisator und Patriarch ................................................ 771 2.8. Strukturelles Chaos .................................................................................. 772 2.9. Die Unfähigkeit, rechtzeitig ein Ende zu setzen ...................................... 773 2.10. Königstein – ein ungeliebtes Kind? ......................................................... 774 2.11. Die Auflösung.......................................................................................... 774 3. Theologische und spirituelle Grundlinien in Königstein .................................... 776 3.1. Kriegs- und Vertreibungserfahrungen und ihre Deutungen in Königstein................................................................................................ 776 3.2. Katholische Erziehung im Weltanschauungskampf als Fortführung der aus dem Getto agierenden Anti-Haltung der NS-Zeit? ...................... 784 3.3. Spiritualität in Königstein ........................................................................ 786 4. Zentrale politische und gesellschaftliche Themen und Anliegen in Königstein. 788 4.1. Der Antikommunismus............................................................................ 788 4.2. Das Heimatrecht ...................................................................................... 789 4.3. Vertriebenenseelsorge und politische Situation – ein Plädoyer für eine engere Zusammenarbeit von Pastoral und Politik.................................... 791

Inhalt

4.4. 4.5.

13

Ökumene in Königstein ........................................................................... 796 Königstein und der Prager Frühling......................................................... 797

BILDTEIL................................................................................................ 801 QUELLEN ............................................................................................... 817 LITERATUR............................................................................................ 828 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ............................................................ 879 REGISTER............................................................................................... 880 DOKUMENTATION .............................................................................. 888 1. Katholische Morgenfeier am 20. Juli 1947......................................................... 888 2. Iura Antistitum [vor Ende 1947]......................................................................... 893 3. Arbeitsbericht der Dienststelle des Beauftragten der Bischofskonferenz für die Vertriebenenseelsorge [ca. 1950]............................................................ 895 4. Tätigkeitsbericht über das Jahr 1964 .................................................................. 900 5. Errichtung eines Seminares für Flüchtlingstheologen ........................................ 902 6. Besitzeinweisung [2. Juli 1946].......................................................................... 904 7. Brief Büttner an Kaller, 30.7.1946 ..................................................................... 906 8. Vorläufiger Mietvertrag [1946] .......................................................................... 909 9. Theologenkonvikt für Ostflüchtlinge [2.9.46].................................................... 912 10. Vorschlag für die Verwaltung des Konviktes..................................................... 919 11. Fragen, die einer möglichst baldigen Klärung zugeführt werden müssen .......... 921 12. Ramatschi an Kaller [18.1.1947] ........................................................................ 922 13. Kaller an Seminarrat für Königstein [3.1. 1947] ................................................ 927 14. Hessisches Staatsministerium – Genehmigung der Hochschule [20.4.1949]..... 929 15. Hessisches Staatsministerium – Anerkennung der Prüfungen [22.11.1949] ...... 930 16. Die Bitten der ostvertriebenen Priester für die Fuldaer Bischofskonferenz 1950 [14.8.50] .................................................................................................... 931 17. Archidioecesis Coloniensis [18.10.1950] ........................................................... 934 18. Aufstellung des Raumbedarfs des Albertus-Magnus-Kollegs [14.11.1950] ...... 935 19. Schreiben an Frau Oberregierungsrat Dr. Schnell [24.11.1950]......................... 939 20. Bundesminister für Gesamtdeutsche Fragen, Brief vom 6.2.1951 ..................... 940 21. Bischofskommission für die Fragen der Königsteiner Anstalten [1.9.54].......... 941 22. Liste Einrichtungen Königstein [vermutl. 1955] ................................................ 946 23. Grundordnung für die Philos.-theol. Hochschule Königstein/Ts. [19.6.1956] ... 950 24. Studienordnung (nach dem „Jaeger-Plan“)......................................................... 958 25. Prüfungsordnung Hochschule............................................................................. 959

14 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41.

Inhalt

Anzahl der Theologiestudenten in den Jahren 1947 – 1978 ............................... 960 Dozenten und ihre Fächer................................................................................... 962 2. Hochschulkonferenz im Wintersemester 1969/70 [28.1.70] .......................... 978 Hausordnung Priesterseminar [1968] ................................................................. 982 Tagesordnung des Priesterseminars Königstein/Ts. ........................................... 985 Rede des AStA-Vorsitzenden bei der Hochschulkonferenz am 3.7.1970 .......... 986 Neufassung Satzung Kolleg [22.4.1969] ............................................................ 990 Königsteiner Blätter – Inhalt .............................................................................. 994 Genehmigung der Eröffnung der St. Albertus-Schule [28.12.46] .................... 1007 Liste der an der St. Albertus Schule tätigen Lehrkräfte [1946] ........................ 1009 Liste der Lehrkräfte für die Reifeprüfungslehrgänge am Theologenkonvikt in Königstein/Taunus [1946]............................................................... 1010 Statut der St. Albertschule ................................................................................ 1011 Dr. Wenzel Weiß – Die neue Schule [15.11.1966] .......................................... 1014 Das Schülerkonvikt des Albertus-Magnus-Kollegs – Statuten [1968] ............. 1016 Broschüre Schülerkonvikt ................................................................................ 1019 Urfaust, eine Aufführung des Schülerkonvikts................................................. 1023

DOKUMENTATION – TEIL 2: ÜBERBLICK .................................... 1025

GELEITWORT

Mit diesem Buch wird Ihnen ein bedeutsamer Abschnitt der deutschen Kirchengeschichte vorgestellt. Für viele Katholiken, die jetzt im heutigen Deutschland leben, ist es Erlebnisgeschichte oder Bekenntnisgeschichte, d.h. Geschichte der Vertriebenen oder ihrer Angehörigen. Königstein ist bis heute für die Katholiken aus den ehemaligen deutschen Gebieten ein Begriff mit zahlreichen Assoziationen. Viele konnten nach der Vertreibung im Gymnasium und Konvikt die schulische Ausbildung beginnen oder fortführen, viele Priesteramtskandidaten haben dort ihre theologische Ausbildung erhalten, viele Vertriebene fanden dort ihren Ehepartner und viele haben neuen Lebensmut bekommen. Von den Regenten des Priesterseminars konnte ich selbst noch Professor Dr. Erich Kleineidam als Dozent der Philosophie in Erfurt erleben und kann mir damit vorstellen, mit welcher Kraft der Neuanfang in Königstein verbunden war. Die maßgeblichen Gestalten von Königstein werden uns mit diesem Dokumentenband in Erinnerung gebracht: Bischof Maximilian Kaller, Weihbischof Dr. Adolf Kindermann und Pater Werenfried van Straaten. Ihnen wurde mit diesem Buch zusätzlich zum sichtbaren Denkmal in Königstein ein schriftliches Denkmal gesetzt. Ein solches Buch kann jedoch auch das Umfeld der drei genannten Geistlichen beschreiben und die übrigen Zeugen des Neuanfangs würdigen, denen die katholische Kirche in Deutschland heute zu Dank verpflichtet ist, weil sie sieht, welche Kraft zur Versöhnung und zum Neubeginn im Evangelium steckt. Dr. Reinhard Hauke, Weihbischof in Erfurt, Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für die Vertriebenen- und Aussiedlerseelsorge

GELEITWORT

Am späten Nachmittag des 18. Oktober 1948 bin ich mit dem „Feurigen Elias“, der Königsteiner Kleinbahn, in Königstein eingetroffen. Der äußere Eindruck, den der vierzehnjährige Schüler machte, muss ganz gut gewesen sein, weil man mich zunächst dem Schülerkonvikt der evangelischen Inneren Mission zuwies. Rasch aber erwies sich dies in der „Villa Andreae“ als Irrtum. Schuld daran war gewiss mein Reisegepäck: ein Kartoffelsack mit dem Federbett als Inhalt und ein als Koffer benutzter Persilkarton. „Du gehörst doch in die Kaserne am Bahnhof, Dingweg 3!“ So begann mein mehrjähriger Aufenthalt in der Albertus-Magnus-Schule, der bis zum Abitur 1956 führte, danach das Studium an der phil.-theol. Hochschule mit dem Abschluss 1961. Zeit genug, um den Aufbau der „Königsteiner Anstalten“, das Vaterhaus der Heimatvertriebenen, die Zeiten größter wirtschaftlicher Not, die Auseinandersetzung mit dem gottlosen Kommunismus, der Hilfen aus dem Ausland, das Erstarken der eigenen Kräfte aus dem christlichen Glauben heraus körpernah mitzuerleben. Es wird wohl damals kaum irgendwo ein Schülerkonvikt und ein Priesterseminar gegeben haben, in dem bis in die Kleidung hinein größere soziale Gleichheit herrschte, so dass sich Schüler, Lehrer, Studenten, Professoren kaum voneinander unterschieden. „Königstein“ mit seinen vielseitigen Einrichtungen und Aktivitäten war zu einem prägenden Begriff für die Seel- und auch Fürsorge an den katholischen deutschen Heimatvertriebenen geworden. Es zeigte sich, dass die Not der Zeit ein Anruf Gottes ist, weil sie auch ungeahnte Kräfte des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe freisetzt. Wer eine Überschrift sucht, mag sich getrost dem Grabdenkmal zweier „Königstein“ prägender Persönlichkeiten anvertrauen: „Venerunt ex magna tribulatione“ und „Caritas Christi urget me“, der Wahlspruch des Bischofs von Ermland Maximilian Kaller und für Weihbischof Adolf Kindermann: „Spes contra spem“.

18 Als „Alt-Königsteiner“ und von 1983 bis 2009 Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für die Seelsorge an den deutschen katholischen Heimatvertriebenen und Aussiedlern und damit auch zuständiger Bischof für die Königsteiner Einrichtungen danke ich Herrn Prof. Bendel, dass er mit dem vorliegenden Buch auf den eindringlichen Rat der Thora hinweist: „Denk an die Tage der Vergangenheit, lerne aus den Jahren der Geschichte“: Denn die Vergangenheit, so sagt man, ist nicht tot; sie ist noch nicht einmal vergangen. Sie wirkt fort. Und tatsächlich, wenn man richtig hinschaut, lassen sich in der Geschichte Königsteins Spuren des Heils für Deutschland und die katholische Kirche und weit darüber hinaus entdecken. Sie geben dem, der nicht blindlings vorwärts stolpern will, Standpunkte für die Gegenwart und Wegweisung für die Zukunft.

Dr. h.c. Gerhard Pieschl, Weihbischof in Limburg

VORWORT DES HERAUSGEBERS

Die Hochschule und das Priesterseminar in Königstein im Taunus entwickelten sich nach der Vertreibung der Deutschen aus ostdeutschen Gebieten 1945/46 zu einem Schwerpunkt und Markenzeichen der deutschen katholischen Vertriebenenseelsorge und Vertriebenen-Theologenausbildung. Die Sorge um die aus dem Osten stammenden verstreuten Priester einerseits und die Notwendigkeit andererseits, den aus dem Osten stammenden jungen Menschen die Möglichkeit zu bieten, ihr Theologiestudium abzuschließen bzw. den Weg über ein Gymnasium und eine PhilosophischTheogische Hochschule zum Priestertum zu gehen, waren die Anstöße für die Gründung der sogenannten Königsteiner Anstalten. In den ab 1946 genutzten Räumen ehemaliger Kasernen in Königstein entwickelten sich Zug um Zug eine Philosophisch-Theologische Hochschule – offiziell gegründet im April 1949, bestehend bis Februar 1978 –, ein Priesterseminar, ein Gymnasium mit Schülerkonvikt, ein Haus der Begegnung u.a. Die Philosophisch-Theologische Hochschule sollte die Tradition der theologischen Ausbildungstätten von Breslau, Weidenau, Braunsberg und Prag fortsetzen. Namen wie Bischof Maximilian Kaller, Prof. Dr. Adolf Kindermann, Pater Werenfried van Straaten, sind untrennbar mit Königstein verbunden. Aber auch die Geschichte unseres Instituts für ostdeutsche Kirchen- und Kulturgeschichte e.V. ist ohne Königstein nicht denkbar. Denn aus der Vorstufe eines 1951 in Hildesheim ins Leben gerufenen „Arbeitskreises für ostdeutsche Kultur- und Kirchengeschichte“ entstand 1952 in Königstein die „Akademie für Ostdeutsche Kultur und Geschichte“ unter Leitung von Dr. Kurt Engelbert, die ihrerseits 1954 in Königstein in das „Institut für Kultur und Geschichte Ostmitteleuropas“ umgewandelt wurde. Dieses Institut umfasste eine sudentendeutsche und eine ostdeutsche Abteilung, letztere für Schlesier und Ermländer. Schließlich wurde am 10. Dezember 1958 in Königstein im Taunus unser Institut für ostdeutsche Kirchen- und Kulturgeschichte gegründet. Die Geschichte unseres Instituts und der anderen mit Königstein verbundenen Institute wird in diesem Bande daher auch behandelt. Es freut mich, dass unser derzeitiger 2. Vorsitzender des Instituts für ostdeutsche Kirchen- und Kulturgeschichte, Prof. Dr. Rainer Bendel, die Geschichte von Hochschule und Priesterseminar Königstein aufgearbeitet hat, auf einer Quellengrundlage und in einem Umfang, die Bewunderung abnötigen. Ich begrüße es, dass diese fundamentale Arbeit über die Königsteiner Anstalten in unserer Institutsreihe der „Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands“ als Band 46 erscheint. Bendel ist in dieser Reihe kein Unbekannter: Von ihm liegen als Monographien bereits die Bände 27 „Der Seelsorger im Dienst der Volkserziehung“ (1996) und Band 34 „Aufbruch aus dem Glauben? Katholische Heimatvertriebene in den gesellschaftlichen Transformationen der Nachkriegsjahre 1945–1965“ (2003) vor, außerdem fungierte er für etliche Tagungsbände unseres Instituts als verantwortlicher Herausgeber.

20 Zum Schluss darf ich dem Autor für die Mühe der Erstellung dieser äußerst respektablen Arbeit danken, die in der deutschen Vertriebenengeschichte eine echte Lücke schließt. Außerdem danke ich dem Böhlau-Verlag für den sorgfältigen Druck und dem Finanzgeber – Fond Königstein beim Verband der Diözesen Deutschlands – für die über Autorenkontakt bereitgestellten Mittel! Msgr. Dr. Paul Mai 1. Vorsitzender des Instituts für ostdeutsche Kirchen- und Kulturgeschichte e.V.

VORWORT DES AUTORS

Kirchliche Vertriebenenseelsorge sollte nach dem Willen der Bischöfe keine Sonderseelsorge sein, also möglichst wenig parallele Strukturen evozieren. Viele Vertriebene waren dankbar für Kontinuitäten im Lebensvollzug in der Fremde, dazu gehörte für einen großen Prozentsatz auch die religiöse Praxis, gehörten Gemeinschaftserfahrungen in Wallfahrten und eigenen Gottesdienstformen, in der Betreuung durch Priester, die aus der eigenen Region kamen, vertrauten Dialekt sprachen und die spezifischen Nöte und Sehnsüchte der Vertriebenen aus eigener Erfahrung kannten. So nimmt es nicht wunder, dass sie Angebote einer spezifischen Seelsorge für die Vertriebenen gern annahmen, dass sie ihre Besonderheiten gern weiter pflegen wollten und dafür auch geeignete Priester brauchten. Insofern griff Kindermann mit seiner Überzeugung, zum Erhalt des Gruppenbewusstseins der Vertriebenen aus den unterschiedlichen Herkunftsregionen der Vertriebenen gehörten wesentlich die Priester, eine verbreitete Stimmung und Suche auf. Eine so verstandene Hilfe brauchte Foren und auch Strukturen; diese siedelten sich u.a., hier aber in deutlicher Konzentration, in Königstein an. Königstein wurde – wie Studienorte so oft – zu einem Identifikationsort, zu einem Erinnerungsort. Die Nennung des Namens weckt bei vielen Emotionen. Der Lauf der Zeit und die Umbrüche erfordern auch Modifikationen solcher Fokussierung, die oft schmerzlich sind. Das macht das Thema für den Historiker nicht leichter, verschärft die Pflicht zur Differenzierung und zur Benennung und Einordnung auch unangenehmer, gern verschwiegener und verdrängter Entwicklungen. Ziel einer solchen Studie kann auch nicht sein, die scheinbare Authentizität der Erinnerungen – wie sie gern beschworen und ihr Verlust mit dem Rückgang der Erlebnisgeneration bedauert werden – zu vermitteln, sondern im Prozess der Historisierung aus unterschiedlichen Perspektiven und aus der Distanz in der Analyse und Einordnung der Quellen, die noch vorhanden und zugänglich sind, Perspektiven zum Verständnis der Akteure, der Handlungen und der Intentionen zu entwickeln – in einem per se sehr heterogenen Bereich, da die Vertriebenen unterschiedlichen sozialen Schichten entstammten, aus verschiedenen Regionen kamen und zwischen dem Emsland und dem Bayerischen Wald sehr differierende Erfahrungen im Ankommen und in der Aufnahme machen konnten – homogenisiert allein durch das Fremdsein. Viele haben mir im Lauf der Studie von ihren Erfahrungen in Flucht, Vertreibung, Ankommen und Aufnahme, von ihren Studien in Königstein, von der Lektüre der aus Königstein verschickten Literatur erzählt. Ihnen allen danke ich für das bunte Bild, das ich dadurch bekommen habe – immer in dem Bewusstsein, dass Erinnerung und Geschichtsschreibung zwei sehr unterschiedliche Zwillinge sind. Viele dieser Erinnerungen rekonstruieren aus der Retrospektive, wozu Zeitgenossen nicht die Zeit fanden, es aufzuzeichnen, weil es wichtiger war, die Not zu mildern als zu dokumentie-

22 ren, weil es nicht zum Problem wurde, weil kein aktenkundig gewordener Streit daraus erwuchs... Vieles lief ungewohnt in Königstein, manches pragmatisch, manches auch ungeordnet, Akten wurden dabei oft nicht abgelegt oder gingen verloren…, manches mag vernichtet worden sein in einer Reihe von Umzügen in Königstein, manches auch in der Auflösung – das bereitet Schwierigkeiten in Rekonstruktion und Nachvollzug. So sind auch die Quellenlage und die Aufbereitung der Quellen, gerade bei den Organisationen der Vertriebenen sehr unterschiedlich. Allen Archivarinnen und Archivaren, allen voran der Bistümer und Erzbistümer, danke ich für die entgegenkommende und anregende Zusammenarbeit herzlich, ebenso den Vertretern der katholischen Vertriebenenorganisationen, die mir die Arbeit mit ihren Unterlagen ermöglichten und mir in Gesprächen viele Hinweise gaben. Vor allem aber danke ich der Kommission für Zeitgeschichte, Bonn, deren Geschäftsführer Herrn Prof. Dr. Karl-Joseph Hummel, und Herrn Dr. Andreas Burtscheidt, der mir unermüdlich und unverdrießlich das gewünschte Quellenmaterial aus den Königsteiner Archivbeständen auf den Schreibtisch im Bonner Albertinum stellte. Ohne finanzielle Grundlage hätte das Projekt nicht durchgehalten werden können. Hier danke ich dem emeritierten Beauftragten der Bischofskonferenz für die Seelsorge der Spätaussiedler und Vertriebenen, Weihbischof Gerhard Pieschl, für seinen Einsatz für das Projekt und den Mitgliedern des Vergabeausschusses für die Mittel aus dem Fonds Königstein beim Verband der Diözesen Deutschlands für die Förderung des Projekts und die Übernahme der Kosten zur Drucklegung. Für kontinuierliche Unterstützung bei den Schreibarbeiten und in der technischen und redaktionellen Bearbeitung des Textes danke ich Frau Monika Ölschläger und Herrn Martin Wambsganß von Herzen. Msgr. Dr. Paul Mai danke ich herzlich für die Bereitschaft, die Arbeit in die Reihe des Institutes für ostdeutsche Kirchen- und Kulturgeschichte aufzunehmen, herzlich und nicht zuletzt dem Verlag und Herrn Johannes van Ooyen für die umsichtige Betreuung. Rainer Bendel

ZUR ERSTEN ORIENTIERUNG: EINE ÜBERSICHT ÜBER DIE WICHTIGSTEN EREIGNISSE

Im November 1946 wurden in Königstein zwei Abiturientenkurse für Kriegsteilnehmer eingerichtet. Aus diesen erwuchs in der Folgezeit das humanistische Gymnasium St. Albert, die spätere Bischof-Neumann-Schule. Auf einer Sitzung eines Seminarrates am 4. Februar 1947, bestehend aus mehreren Bischöfen, an der Kardinal Frings als Vorsitzender teilnahm, konnten Maximilian Kaller und Albert Büttner die Einrichtung eines philosophischen Kurses für die Theologen aus den Ostgebieten durchsetzen. So konnte im Sommer 1947 das erste Semester in Königstein mit über 50 Studenten eröffnet werden. Am 4. Dezember 1947 wurde der Trägerverein Albertus-Magnus-Kolleg e.V. gegründet; zu dessen Vorsitzendem wurde Professor Adolf Kindermann gewählt. Kurz nach dem Tod des Limburger Bischofs Ferdinand Dirichs am 27. Dezember 1948, der sich für den Ausbau Königsteins sehr stark engagiert hatte, wurde am 28. April 1949 die Philosophisch-Theologische Hochschule in Königstein eingeweiht, wenn auch die Bedenken und Friktionen sich bis in die Eröffnungsveranstaltung hinein auswirkten. Die Währungsreform im Juni 1948 drohte das Scheitern für Königstein zu bringen, wären da nicht zahllose opferwillige Flüchtlinge und Wohltäter gewesen. Am 10. Juli 1948 wurde Kardinal Frings zum „Hohen Protektor“ des gesamten Flüchtlingswesens in Deutschland ernannt. Mit dem 24. November 1949 wurde Prälat Franz Hartz von Schneidemühl als Nachfolger des verstorbenen Bischofs von Limburg Ferdinand Dirichs und des ermländischen Bischofs Maximilian Kaller zum Verantwortlichen für das Flüchtlingswesen berufen; die Oberaufsicht über das Königsteiner Seminar wurde Wilhelm Kempf, dem Bischof von Limburg, als Ortsordinarius übertragen. Er setzte sich in der Folgezeit, wie bereits zuvor, nachhaltig für die Königsteiner Interessen ein. Ende 1949 erschien das erste ‚Königsteiner Jahrbüchlein’ für 1950; im Januar 1950 wurde die Errichtung des Verlages ‚Königsteiner Rufe’ vom Bischöflichen Ordinariat in Limburg genehmigt. Die erste Fahrende Kirche wurde 1950 eingesetzt. 1950 drohte die Beschlagnahme der Königsteiner Kasernen durch die Amerikaner. In dieser Situation gelang es dem Nuntius Alois Joseph Muench, das Ende Königsteins zu verhindern. Am 8. Februar 1951 fand in Holland der erste Kongress ‚Kirche in Not’ statt; ebenfalls 1951 wurde die erste ‚Internationale Theologentagung’ ausgerichtet. Am 3. November 1952 konnten die Königsteiner Kasernen vom Land Hessen gekauft werden. In den Folgejahren unternahm Kindermann wiederholt Werbefahrten in

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Zur ersten Orientierung

die Vereinigten Staaten, ausgerüstet mit einem Empfehlungsschreiben des Nuntius Muench, um dort Spenden für Königstein zu sammeln. Nachdem Ende 1952 die Königsteiner Anstalten käuflich erworben worden waren, fuhr Kindermann im Frühjahr 1953 zum ersten Mal in die USA, um sich dort eine päpstliche Anstalt anzusehen, die als Muster und Vorbild für Königstein dienen sollte.1 Am 21. April 1952 wurde das Haus Werenfried als Tagungs- und Kongresshaus eingeweiht.2 Im April 1952 wurde eine Kommission zur Klärung der rechtlichen Stellung des Priesterreferates eingesetzt. Am Ende des Wintersemesters 1951/52 ging Rektor und Regens Erich Kleineidam nach Erfurt. Nach dem Tode des päpstlichen Beauftragten für die Seelsorge der Heimatvertriebenen, Prälat Franz Hartz, am 15. Februar 1953 übernahm die Aufgabe des Beauftragten der Bischofskonferenz für die Heimatvertriebenen der Würzburger Bischof Julius Döpfner3, dessen Nachfolger im September 1957 für viele Jahre Bischof Heinrich Maria Janssen von Hildesheim wurde.

Initiativen und Intentionen Mit dem 1. Dezember 1947 kamen zum ersten Mal die monatlichen „Mitteilungen für die heimatvertriebenen Priester aus dem Osten“ heraus. Im Mai 1949 erschien die erste Ausgabe der Zeitschrift „Königsteiner Rufe“, einem Mitteilungsblatt, das vor allem den Informationskontakt mit den Förderern und Spendern Königsteins aufrecht erhalten sollte. Neben dem Einsatz für Konvikt, Schule und Philosophisch-Theologische Hochschule bestimmte zunehmend die Aufgabe der Betreuung der vertriebenen Seelsorger, besonders in den Diasporagebieten, den Einsatz Königsteins. Auf eigenen Tagungen sollten die Flüchtlingsseelsorger ihre Anliegen besprechen können und in gegenseitigem Austausch und in Exerzitien neue Kraft für ihre Arbeit schöpfen. Im November 1948 kam erstmals Pater Werenfried van Straaten nach Königstein. Der Initiator der Ostpriesterhilfe und Organisator der Kapellenwagenmission war künftig engstens mit den Königsteiner Werken verbunden.

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Vgl. dazu das erste Heft der Mitteilungen des Sudetendeutschen Priesterwerkes im November 1959, S. 4. Vgl. dazu den Bericht zur Volkswagenweihe und Sendungsfeier der Kapellenwagen in Königstein, in: Mitteilungen für die heimatvertriebenen Priester aus dem Osten, Nr. 5, Mai 1952, S. 36-40. Julius Döpfner, in: Erwin GATZ (Hg.), Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1945 – 2001. Ein biographisches Lexikon. Berlin 2002, S. 386-394 (Künftig zitiert als GATZ, Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1945 – 2001).

Eine Übersicht über die wichtigsten Ereignisse

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Unterstützung erhielten die Vertriebenenseelsorger seit dem Sommer 1950, vor allem im Diasporabereich, durch die Kapellenwagen, die von Königstein aus auf Missionsfahrt gingen. Mit der Einweihung der Schutzmantelmadonna „Mutter der Vertriebenen“ 1952, die von dem aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft heimgekehrten schlesischen Bildhauer Erich Jaekel geschaffen worden war, entwickelte sich Königstein zu einem Wallfahrtszentrum für die vertriebenen Katholiken. Im Herbst desselben Jahres fand zum ersten Mal der internationale Kongress ‚Kirche in Not’ in Königstein statt. Die Vertriebenen wollten ihren Blick über die Grenzen, auch über die Grenzen des eisernen Vorhanges richten und die dortige Lage, vor allem der Verfolgten und der Katholiken, kennenlernen und wo es ging mithelfen zu lindern. So heißt es in der Entschließung des Kongresses: „Der Kongress beschwört alle Glaubensbrüder und -schwestern, sich ihrer christlichen Verantwortung für die leidenden Glieder am Leibe Christi bewusst zu werden. Das setzt die Kenntnis der Vorgänge in den betroffenen Ländern und ein warmes Mitgefühl für die leidenden Brüder voraus.“4 1953 startete der Bauorden in Königstein. 1954 konnte der Grundstein zum „Haus der Begegnung“ gelegt werden, ein Projekt, das Kindermann sehr am Herzen lag und keinesfalls unumstritten war.5 Seit dem Februar 1953 erschien der katholische Informationsdienst für Vertriebenen- und Ostfragen „Expulsus“, der ab 1958 umbenannt wurde in „Digest des Ostens“. Seit 1955 wurden die „Königsteiner Blätter“, eine wissenschaftliche Beilage zu den „Mitteilungen für die heimatvertriebenen Priester aus dem Osten“ herausgegeben, aus denen später die „Königsteiner Studien“ erwuchsen. 1954 begann man in Königstein Seminare über den dialektischen Materialismus abzuhalten, um Informationen über den Marxismus und Leninismus zu bieten – eine der grundsätzlichen Zielsetzungen Königsteins, wohl sehr stark auf die Initiative Kin-

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Zitiert nach Bericht zur Volkswagenweihe, S. 35. „Als die Großgarage der „fahrenden Kirche“ (Kapellenwagen) ein solides Dach brauchte, kam die Idee mit dem „Haus der Begegnung“: „Wenn schon“, sagte Kindermann, „ein Dach, dann gleich einen Kongress-Saal und weitere Unterkünfte für das pilgernde Volk!“ Gelegentlich eines Besuches schilderte er uns, wie er mit dem Architekten Busch die Großanlage und die Ausführung Stück um Stück geplant habe. Nur die besten Stoffe sollten verwendet werden. Durch eine Glaswand wurde die Taunuslandschaft baum- und haushoch einbezogen. Einer der schönsten Kongress-Säle im ganzen Rhein-Main-Gebiet! Rund um den Neubau die Häuser Werenfried, St. Michael, St. Georg. Jetzt war es möglich, auch große Tagungen und Zusammenkünfte auf einem Gelände und unter einem Dach zu veranstalten. Dass das „Haus der Begegnung“ im September 1955 während des Kongresses ‚Kirche in Not’ eingeweiht wurde, war von symbolischer Bedeutung. Hier war eine Heimburg Gottes entstanden, die sich allen öffnete, allen Nationen, vor allem denen des Ostens, die sich in ihrer Gewissensfreiheit und ihrer Treue zur Kirche verfolgt sahen. (Franz LORENZ, Weihbischof Adolf Kindermann. Ein Lebensbild, in: Leben, Werk und Wirken, S. 12-24, hier S. 18f.)

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Zur ersten Orientierung

dermanns zurückgehend. Die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus wurde auf der kämpferischsten Ebene gesehen. 1956 wurde die „Ostakademie“ Königstein ins Leben gerufen, ein Forum für die Informationsarbeit zur Ost-West-Problematik. Am 17. Dezember 1957 entstand neben dem Albertus-Magnus-Kolleg Königstein ein eigener Rechtsträger, der Verein Haus der Begegnung Königstein. Aufgabe dieses neuen Vereins war es vor allem, Tagungen, Exerzitien, Lehrgänge zu organisieren und den Unterhalt der wissenschaftlichen Institute und Zeitschriften zu sichern. Im Spätherbst des Jahres 1963 wurde mit dem Neubau der Bischof NeumannSchule des Gymnasiums in Königstein begonnen. 1960 wurde das Institutum Balticum gegründet und das Haus St. Michael gebaut.

Die zentralen Aufgaben Diese Organisationen und Medien dienten den zentralen Anliegen Kindermanns: Priester aus den Reihen der Vertriebenen und für die Seelsorge an den Vertriebenen auszubilden, die das kulturelle Erbe der Vertriebenen und ihrer Herkunftsregionen weiter pflegten und die Erfahrungen der Vertreibung in ihrer Arbeit wirksam machen sollten, den Zusammenhalt und die Spendenbereitschaft unter den vertriebenen Gläubigen erhalten, für das Heimatrecht der vertriebenen Deutschen eintreten, die weltanschauliche Auseinandersetzung mit dem Kommunismus aufnehmen und die Kenntnis der Geschichte, Geistigkeit und religiösen Traditionen der Völker Osteuropas wach halten.

Die weitere Entwicklung 1958 trafen sich zum ersten Mal die „Alt-Königsteiner“. Ein Jahr später wurde Kindermann zum Sprecher der sudetendeutschen Priester ernannt. 1960 wurde das Institutum Balticum gegründet. Die sechziger Jahre wurden geprägt durch die Neuerungen durch das Zweite Vatikanische Konzil, die Bischofsweihe Kindermanns 1966 und die Diskussionen um den deutsch-polnischen Briefwechsel auf Bischofsebene und die Neuorientierungen in der Ostpolitik der Bundesregierung und des Vatikan. Gleichzeitig wurde ein deutlicher Rückgang der Studentenzahlen an der Hochschule sichtbar, der zunächst durch Franziskaner aus den Ordensprovinzen Bosnien, Herzegowina und Kroatien aufgefangen werden konnte. Gleichzeitig geriet die finanzielle Entwicklung ins Defizit. Ein Höhepunkt für Königstein und dessen Leiter war die Seligsprechung Johann Nepomuk Neumanns 1963.

Eine Übersicht über die wichtigsten Ereignisse

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Die erste Hälfte der siebziger Jahre war geprägt durch die schwere Krankheit Kindermanns und dessen Tod 1974. Erst im Sommer 1974 konnten sich die Trägervereine der Königsteiner Anstalten dazu durchringen, den inzwischen todkranken Vorsitzenden Kindermann im Vorstand abzulösen: Vorsitzender des Trägervereins des Hauses der Begegnung wurde Richard Hackenberg, Vorsitzender des Albertus-Magnus-Kolleg e.V. wurde Stefan Kruschina. 1975 kehrte P. Werenfried van Straaten mit der Ostpriesterhilfe von Rom nach Königstein zurück. Schwere finanzielle Probleme taten sich in der Hochschule und im Haus der Begegnung auf: es wurde eine Kommission eingesetzt, die Vorschläge zur effizienteren Wirtschaftsführung erarbeitete. Wegen ständig rückläufiger Studentenzahlen musste die Hochschule im Wintersemester 1978/79 den Lehrbetrieb einstellen. Die Mitteilungen für die heimatvertriebenen Priester aus dem Osten erschienen seit 1973 nicht mehr. Mit der Sistierung der Hochschule legte Kruschina den Vorsitz im Albertus-Magnus-Kolleg (AMK) e.V. nieder; Anton Janko übernahm die kommissarische Leitung. Im Juli 1980 wurden die beiden Trägervereine zusammengeführt; Karl Braunstein hatte am 1. September 1978 die Leitung des AMK e.V. übernommen und war ab 1. März 1979 auch Leiter des Hauses der Begegnung. In diesen Jahren galt es eine Neukonzeption der Aufgaben der Königsteiner Anstalten zu entwickeln; es gab manche Vorschläge, aber es fehlte nicht zuletzt die Kooperationsbereitschaft in der Leitung, um manch hoch fliegenden Plan realisierbar zu machen. Am 29. Dezember 1982 wurde Weihbischof Pieschl Beauftragter für die Flüchtlings- und Vertriebenenseelsorge. Nachdrücklich forderte er gleich zu Beginn seiner Tätigkeit neue Konzepte für die kirchliche Vertriebenenarbeit, speziell für Königstein; die zunehmend prekärer werdende Finanzlage bekam eine größere Aufmerksamkeit als unter seinem Vorgänger. Im Juli 1984 wurde Pfarrer Karl Kindermann Vorsitzender des Trägervereins der Königsteiner Anstalten und Geistlicher Direktor; gleichzeitig blieb er Krankenhausseelsorger in Wiesbaden. 1989 übernahm die ‚Kirche in Not’ das Unterhaus. 1990 ging die Trägerschaft der Bischof-Neumann-Schule auf das Bistum Limburg über. Nach langen und schwierigen Verhandlungen übernahm 1991 die Stadt Königstein das Haus der Begegnung. 1994 wurde P. Norbert Schlegel OPraem, Vorsitzender des Sudetendeutschen Priesterwerkes, Leiter des AMK. 1995 fand der letzte Kongress ‚Kirche in Not’ in Königstein statt. Die Mitgliederversammlung des AMK beschloss 1996 die Auflösung des e.V. Die Liquidation war 2000 abgeschlossen.

EINLEITUNG

Was der Kölner Dom für die rheinischen Katholiken sein sollte, wollte Königstein für die Vertriebenen sein. Es wollte als ‚Vaterhaus’ der Vertriebenen ein Ort sein, an dem Priesternachwuchs ausgebildet wird, an dem sich Seelsorger treffen und austauschen, ihre Arbeit und Sorgen mitteilen und reflektieren. Es wollte religiöses Erbe, dem der Verlust drohte, bewahren, religiöse Heimat bieten, mit seinen Publikationen informieren, insinuieren und Zusammenhalt schaffen. Es wollte gewohnte Wallfahrtsstätten ersetzen. Kindermann strebte mit seinen Initiativen in Königstein eine mentale Identifikation der Vertriebenen an. Königstein wollte Vaterhaus sein für die Vertriebenen, ein Zentrum der Betreuung der katholischen Vertriebenen durch die katholische Kirche. Strukturell gesehen war es von Anfang an ein superadditum zur grundsätzlich diözesan und territorial pfarrlich strukturierten Seelsorge der Kirche. Damit waren Überschneidungen, Konkurrenz auch, vorprogrammiert. Es war ebenso ein superadditum zur Diözesanvertriebenenseelsorge und den Kirchlichen Hilfsstellen. Ein Geburtsfehler Königsteins liegt also darin, dass es außerhalb der ordentlichen Strukturen, außerhalb der klar geregelten diözesanen Zuständigkeit entstand: Ein Vertriebenenbischof mit Sonderauftrag, aber ohne eigenes Bistum stand am Anfang. Hinzu kamen der Bischof von Osnabrück als Protektor des ehemaligen Reichsverbandes für die katholischen Auslandsdeutschen (RKA), damit auch der Hilfsstelle, die Prälat Albert Büttner leitete, sowie der Kölner Kardinal Josef Frings als Hoher Protektor des Flüchtlingswesens und nicht zuletzt der Bischof des Belegenheitsbistums Limburg. Konnte aus dieser Startsituation ein Zentrum erwachsen? Wollte die katholische Kirche ein solches Zentrum? Oder rangen die Träger der Königsteiner Anstalten all die Jahre darum, ein solches Zentrum zu werden? Lag in diesen Intentionen nicht der Keim zur Überforderung? Trübte die kontinuierliche Überforderung den Blick für die aktuell geforderten Aufgaben?

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Einleitung

Stand der Informationen und Diskussionen – einige Fragen1

Zum Hintergrund und zu den Intentionen der Initiatoren „Aus der Überzeugung heraus, dass die Flüchtlingsfrage im Vordergrund steht, weil sie mit ihren Konsequenzen bis in die letzte Dachkammer und in den tiefsten Keller reicht, bat ich Eminenz Frings diese Frage vor der Konferenz behandeln zu dürfen...“ schreibt der ermländische Bischof Maximilian Kaller im Vorfeld der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz 1946.2 Eine Koordinationsstelle wollte Kaller mit seinem päpstlichen Sonderauftrag für die Betreuung der Vertriebenen und Flüchtlinge, den er im Juni 1946 übertragen bekommen hatte, aufbauen. In erster Linie freilich seien für die seelsorgliche, die caritative und die soziale Arbeit die Ordinarien verantwortlich. „Alle Vertreter der Ordinarien, noch besser, alle Ordinarien selbst müssten gemeinschaftlich die Richtlinien für die Arbeit in der Flüchtlingsbetreuung festsetzen.“ Albert Büttner, der Leiter des RKA, der ermländische Bischof Maximilian Kaller und nicht zuletzt der vormalige Prager Kirchenrechtsprofessor Adolf Kindermann schufen mit Königstein eine derartige Koordinationsstelle, ein Zentrum. Eine Konzentration der Pläne und Aufgaben Kindermanns, der rasch zur zentralen Leitungsfigur in Königstein avancierte, auf die Priestererziehung, die Unterstreichung der Rolle des Priesters für das rechte Weiterbestehen der katholischen Kirche und der Sittlichkeit im Volk hatte sich in seinen Tätigkeitsschwerpunkten vor der Vertreibung bereits deutlich abgezeichnet. Nach der Vertreibung setzte Kindermann seine intensive Sorge um den Priesternachwuchs der Sudetendeutschen fort. Seinen Einsatz für das Prager Seminar widmete er um in die Verantwortung für die Königsteiner Anstalten. In der Sorge um den Klerus ergaben sich Interessensaffinitäten mit den Anliegen Albert Büttners. Kindermann war bereits in seiner Prager Zeit mit dem Vorsitzenden des Reichsverbandes für das katholische Deutschtum im Ausland (RKA) in engem freundschaftlichem Kontakt gestanden, war doch das Prager Theologenkonvikt zu einem erheblichen Teil vom RKA mit finanziert worden. Eine neue, nicht unumstrittene Ebene der Zusammenarbeit von Büttner und Kindermann ergab sich 1946 in der Betreuung der vertriebenen Ostpriester und der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge.3 Büttner hatte sein Büro zu Kriegsende teilweise von Berlin nach Karlstadt am Main verlegt. Er war in dieser Zeit ein wichtiger Ansprechpartner für Flüchtlinge, 1

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Vgl. dazu Rainer BENDEL, Aufbruch aus dem Glauben? Katholikinnen und Katholiken in den gesellschaftlichen Transformationen der der Nachkriegsjahre 1945 – 1965. Köln, Weimar, Wien 2003 (Forschungen und Quellen zur ostdeutschen Kirchen- und Kulturgeschichte 34). Kaller, Quellenverzeichnis, Nr. 1150 und 1153; Archiv Ermlandhaus. Vgl. Maria LABONTÉ, Albert Büttner, Ein Leben für Glaube und Kirche in der Fremde. Mainz 1978, vor allem S. 91-143.

Einleitung

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Durchziehende, für die seiner Obhut anvertrauten Seelsorger. Auf dem ersten Treffen der Fuldaer Bischofskonferenz im August 1945 legte er den Jahresbericht über die Tätigkeit des RKA zwischen August 1944 und August 1945 vor und ersuchte die Bischofskonferenz, die Neuerrichtung der Kirchlichen Hilfsstelle zu bestätigen. „Denn Büttner brachte zugleich den wohldurchdachten Entwurf einer den neuen Zeitverhältnissen angepassten ‚Kirchlichen Hilfsstelle‘ nach Fulda mit. Es ging um die caritative und seelsorgliche Fürsorge für die aus Ost- und Südosteuropa rückwandernden Deutschen, ihre wirtschaftliche und kulturelle Eingliederung, Einrichtung einer Suchstelle nach vermissten Familienangehörigen, Ausbau eines Informationsund Austauschamtes, Weitergabe von Anregungen an den kirchlichen Nachrichtendienst. Mit dem Schatz seiner Erfahrungen und Verbindungen stellte er sich der Aufgabe zur Verfügung.“4 So charakterisiert Maria Labonté5, seine langjährige Mitarbeiterin, rückblickend die Neuorientierung von Büttners Arbeit nach dem Krieg. Tatsächlich wurde dem Protokoll der Fuldaer Bischofskonferenz von 1945 die Anlage beigefügt, die die Aufgaben der Kirchlichen Hilfsstelle in der neuen Form skizzierte. So sollte die 1943 beim Bischöflichen Ordinariat Osnabrück errichtete Hilfsstelle für seelsorgerliche Sonderaufgaben künftig mit den folgenden Aufgaben betraut werden: Die Betreuung der Flüchtlinge aus den Ost- und Südostgebieten, und zwar wird an erster Stelle die seelsorgliche Betreuung der Flüchtlinge genannt, dann die Betreuung der Geistlichen und der Theologen, eingeschlossen die Sorge für ihren zweckentsprechenden Einsatz. Schließlich wird unter dem ersten Punkt angesprochen, dass die Hilfsstelle dafür sorgen solle, dass die Flüchtlinge möglichst in konfessions- und berufsgleiche Gebiete kommen. An zweiter Stelle der Aufgaben steht die Seelsorge für deutsche Zivilarbeiter im Ausland. Gedacht ist an deutsche Arbeiter, die zu Aufbauarbeiten ins Ausland gebracht werden. Das dritte Aufgabenfeld umfasst die Betreuung der kriegsgefangenen Theologiestudenten; ihnen sollen wissenschaftliche Bücher beschafft und zugestellt werden, eine Aufgabe, die ein Jahr später vom Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz dem Caritasverband übertragen wurde. Viertens sollten die ausländischen Priester und Theologen in Deutschland von der Kirchlichen Hilfsstelle betreut werden. Gedacht war vor allem an die ukrainischen unierten Priester und an litauische und lettische Priester und Theologen.

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LABONTÉ, Büttner, S. 94. Labonté, geb. 1904, war seit 1933 bei Büttner zunächst in der Jugendarbeit, dann bis zu dessen Tod seine Sekretärin und damit auch in die Arbeit des RKA und der Kirchlichen Hilfsstelle zuinnerst eingebunden. Die 1978 im Grünewaldverlag erschienene Biographie mit vielen Auszügen aus Quellen wollte nicht zuletzt die Rolle Büttners am Beginn der kirchlichen Vertriebenenseelsorge herausarbeiten und ihn vor Vorwürfen in Schutz nehmen, er sei wegen seines Einsatzes für die deutschen Katholiken im Ausland und der Förderung ihrer Kultur ‚braun angehaucht’ (Bruno Wittenauer im Geleitwort zur Biographie, S. 9) gewesen.

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An fünfter Stelle wird die Vorbereitung einer kirchlichen Auswandererberatung gefordert.6 In der Betreuung der Heimatvertriebenen, zu einem großen Teil Büttners ehemalige auslandsdeutsche Katholiken, sollte Königstein eine zentrale Rolle spielen. Nach der Schilderung von Labonté stand am Anfang die Sorge um die Sammlung der Theologiestudenten aus Südosteuropa, dem Sudetenland und auch den ostdeutschen Gebieten. Sie hatten an der Universität in Breslau oder Prag, der Hochschule in Braunsberg oder Weidenau, in Leitmeritz oder den Priesterseminarien des Südostens studiert. Büttner dachte an die Errichtung eines Priesterseminars für die Ostgebiete, motiviert nicht zuletzt durch die Hoffnung, dass die jungen Priester später wieder ihrer Heimatdiözese zur Verfügung stehen könnten. Er hatte zunächst Kloster Eberbach favorisiert, wurde aber Ende 1945 vom Königsteiner Bürgermeister Hubert Faßbender auf die dortigen Baracken aufmerksam gemacht, die 1926 für die französischen Besatzungstruppen gebaut worden waren und während des Zweiten Weltkrieges als Unterkunft für Schwerverwundete gedient hatten.7 Die intensiven Überlegungen und Verhandlungen über den Kauf der Baracken und des Areals in Königstein schildert Labonté. Verhandlungspartner waren vor allem Bischof Alois Joseph Muench, der Apostolische Visitator in Deutschland, und Pater Ivo Zeiger SJ, Professor für Kirchenrecht an der Gregoriana, Rektor des Germanicums, der Muench zum Mitarbeiter gegeben worden war. In den letzten Monaten des Jahres 1945 und im ersten Halbjahr 1946 war Büttner mit seiner Kirchlichen Hilfsstelle weitestgehend auf sich allein gestellt. Er suchte nach Möglichkeiten, ein Seminar für ostdeutsche Theologiestudenten zu gründen. Bei den Bischöfen fand er kaum Sympathie.8 So wandte er sich im Frühjahr 1946 mit seinem Plan, ein Seminar für Ostflüchtlinge zu errichten, schriftlich an den Papst. Am 6. Mai 1946 erhielt er eine Bestätigung und erste finanzielle Hilfen.9 Kindermann konnte sich auf ein Schreiben von Bischof Berning10 von Osnabrück, dem Beauftragten der Bischofskonferenz für das Auslandsdeutschtum berufen, das den Auftrag enthielt, in dieser Frage mitzusondieren.11

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Vgl. Anlage 7 zum Protokoll der Fuldaer Bischofskonferenz 1945, in: Ludwig VOLK (Bearb.), Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933 – 1945, Bd. VI, Mainz 1985 (=VKZG A 38), S. 706f. Vgl. LABONTÉ, Büttner, S. 99f. Wie zur Bestätigung fügt Labonté eine Stelle aus den Erinnerungen des Kölner Kardinals Josef Frings bei, der unterstreicht, dass der eigentliche geistige Urheber des Königsteiner Werkes Albert Büttner gewesen sei, der diesen Plan durchdrückte, obwohl er den Bischöfen sehr suspekt erschien. Auch Frings dokumentiert in seinen Erinnerungen, dass er den Plan zunächst für kaum ausführbar hielt. – Vgl. LABONTÉ, S. 101. Der Brief ist abgedruckt bei LABONTÉ, Büttner, S. 102f. Klemens August RECKER / Wolfgang SEEGRÜN, Hermann Wilhelm Berning (1877 – 1955), in: GATZ, Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1945 – 2001, S. 422-427. Vgl. den zitierten Bericht von Adolf Kindermann in der Königsteiner Chronik, in: Königsteiner Rufe: Sonderausgabe zum Mai 1997, S. 32.

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Eine oberhirtliche Stütze und eine erste Aussicht auf Systematisierung der vielfältigen und unterschiedlichen Aktivitäten in der Betreuung der Vertriebenen tat sich auf, als der Papst den Flüchtlingsbischof Maximilian Kaller am 24. Juni 1946 zum päpstlichen Sonderbeauftragten für die heimatvertriebenen Deutschen bestellte; dieser war damit eigentlich für Königstein zuständig. Büttner setzte darauf Hoffnungen: „Soeben erfahre ich, dass der Heilige Vater Euere Exzellenz zum Flüchtlingsbischof ernannt hat. Wenn ich auch noch keine nähere Kenntnis über den Umfang des Auftrages habe, so hoffe ich, dass durch die Beauftragung die Vorbedingungen für eine planmäßige Lösung aller Seelsorgsfragen für die Flüchtlinge und Ausgewiesenen gegeben sind. Von ganzem Herzen beglückwünsche ich Euere Exzellenz zu diesem zwar unsäglich schweren Amt, das aber in sich trägt die Möglichkeit zu einem bischöflichen Wirken von größter Fruchtbarkeit im apostolischen Sinne.“12 In dieser Zeit erhielt die Kirchliche Hilfsstelle das Kasernengelände in Königstein in Pacht mit Vorkaufsrecht. Durch den Apostolischen Visitator und seinen Mitarbeiter, durch Kindermann und durch den Papst gestärkt, unterzeichnete Büttner den Pachtvertrag über die Königsteiner Anlagen am 2. Juli 1946.13 Am 14. August 1946 kam Professor Kindermann mit dem Bestand der Bücherei des deutschen Theologenseminars in Prag in Königstein an. Labonté wollte wohl die enge Freundschaft mit Kindermann und Büttners Wunsch, diesen in das KönigsteinProjekt einzubinden, unterstreichen, wenn sie formuliert: „Mit Sehnsucht erwartete er [Büttner] die Rückkehr von Professor Kindermann...“14 Wie drängend Büttner die Aufgabe der Kirche in der Nachkriegssituation und besonders angesichts der Not der Vertriebenen und Flüchtlinge sah, formulierte er im Schlusswort einer Tagung von über 100 heimatvertriebenen deutschen Seelsorgern, die vom 6. bis 8. August 1946 in Eichstätt stattfand. Viele Menschen erwarteten in dieser Not von der Kirche Hilfe. Das sei eine große und herrliche Stunde für die Kirche und den Priester. Auf dieser Eichstätter Tagung wurde eine Eingabe an die deutsche Bischofskonferenz formuliert mit der Bitte, die ostdeutschen Theologen in einem gemeinsamen Seminar in Königstein zu sammeln, damit diese Theologen nach den Bedürfnissen der verschiedenen Diözesen für die Diasporaseelsorge und ggf. für eine spätere Auswandererseelsorge – ein Aspekt, der gerade in den ersten Jahren in den Planungen einen überdimensionalen Raum einnahm – besonders geschult würden.15 Ein weiterer wichtiger Schritt in der Hilfe für vertriebene Seelsorger war die Stiftung des Opus Confraternitatis, ein Hilfswerk priesterlicher Bruderliebe, das letztlich seinen Grundstock durch einen Bittbrief Büttners vom Josephstag 1946 erhielt, der an

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Büttner an Kaller am 30. Juli 1946, zitiert in LABONTÉ, Büttner, S. 112; vgl. Dokument Nr. 7 im Anhang. Vgl. Dokumente Nr. 6 und 8 im Anhang. LABONTÉ, Büttner, S. 101. Vgl. ebd., S. 104. Die Protokolle sind ediert von Rainer BENDEL, Quellen zur Vertriebenenseelsorge – Teil II: Tagung ostdeutscher Priester Bayerns in Eichstätt vom 6. bis 8. August 1946, in: ASKG 60 (2002), S. 9-85 (Künftig zitiert als BENDEL, Quellen zur Vertriebenenseelsorge II).

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die Priester im Ausland gerichtet war: Sie sollten im Geiste des Grenzen, Staaten und Völker überschreitenden Priestertums die Liebe über den Hass siegen lassen und den deutschen Priestern und Theologiestudenten helfen, in erster Linie mit Büchern, wissenschaftlichen Werken, mit Kleidung, Lebensmitteln und Geldspenden. Vor allem für die Seelsorger in der sowjetisch besetzten Zone konnten tonnenweise Liebesgaben verschickt werden. Nach dem unerwartet raschen Tod Kallers am 7. Juni 1947 war plötzlich das Amt des Sonderbeauftragten verwaist. Labonté wies darauf hin, dass sich Unklarheiten über die genaue Zweckbestimmung von Königstein ergaben. Bezüglich der Umbauten der Gebäude und der Einrichtung musste disponiert werden. Die Trägerschaft für den Komplex lag – immer noch nur provisorisch geregelt – in den Händen der Frankfurter Kirchlichen Hilfsstelle, die Verwaltung bei einer eigens bestimmten Kommission. Büttner wünschte sich die Gründung eines eingetragenen Vereins; er sah die Notwendigkeit der Trennung zwischen der Hilfsstelle und Königstein, auch wenn dieses bisher wesentlich von der Hilfsstelle finanziell getragen worden war.16 Im Kontext dieser Unsicherheiten und ungeklärten Zuständigkeiten verortete Labonté Verleumdungen und ungute Nachreden über Büttner: Unterschlagungen wurden ihm unterstellt. Labonté warf Kindermann vor, er habe um das verletzende Gerede gewusst, dazu aber geschwiegen, ein Vorwurf, der offensichtlich in Königstein sehr lange anstößig nachwirkte. Bei vielen Priestern, die Kindermann als Autorität geschätzt haben, habe dies als Zustimmung gegolten.17 Anfang Dezember 1947 schied Büttner aus der Leitung der Königsteiner Werke aus. Labonté sprach von einer herben Enttäuschung, die dem Initiator der Königsteiner Anstalten bereitet wurde. In einer Zeit, da das Werk auf unsicherem Boden stand, da er um Akzeptanz ringen musste, sei er allein gewesen. Zu dem Zeitpunkt, als die Etablierung halbwegs gelungen war, wurde Königstein aus dem Zusammenhang mit der Kirchlichen Hilfsstelle gelöst und ein eigenständiger Verein „St. Albertus Magnus Königstein“ gegründet, dessen Leitung Professor Kindermann übernahm. Diese Neukonstituierung und Übertragung geschah auf einer Konferenz am 4. Dezember 1947, auf der der Kölner Kardinal Josef Frings18, Bischof Ferdinand Dirichs19 von Limburg, der Domkapitular Josef Lamay von Limburg20, der ermländische Propst Arthur Kather, Prälat Franz Hartz, Prälat von Schneidemühl, der Glatzer Großdechant Franz

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LABONTÉ, Büttner, S. 113. Vgl. dazu LABONTÉ, Büttner, S. 114. Zu Frings Norbert TRIPPEN, Josef Kardinal Frings (1887 – 1978). Band I: Sein Wirken für das Erzbistum Köln und für die Kirche in Deutschland. Paderborn u.a. 22003, für die Vertriebenenseelsorge v.a. S. 164-194. Ferdinand Dirichs (1894 – 1948), Bischof von Limburg 1947 – 1948. GATZ, Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1945 – 2001, S. 317-319. Josef Lamay, geb. 1892. Priesterweihe 1914 in Limburg. Seit 1943 Domkapitular. Vorsitz im Diözesancaritasverband. Gestorben 1961. DA Limburg Priesterkartei. Klaus Schatz: Geschichte des Bistums Limburg. Mainz 1983, S. 273.

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Monse21, Kindermann, Büttner u.a. teilgenommen haben.22 Dass ihm die Leitung entzogen wurde, verwundete Büttner sehr.23 Zwei Tage später legte Büttner auch den Vorsitz im Verwaltungsrat des St. Albertus Magnus Kollegs in Königstein nieder. Kindermann war damit auch dessen Leiter und konnte nun Königstein nach seinen eigenen Intentionen gestalten. Seinem Freund und jetzigen Bischof von Limburg, Ferdinand Dirichs, stellte Büttner die Frage, was aus der Kirchlichen Hilfsstelle Frankfurt nach der Herauslösung von Königstein aus deren Zuständigkeitsbereich werden sollte. Büttner wollte in einer gewissen Verbitterung auch die Leitung der Kirchlichen Hilfsstelle abgeben und in die Seelsorge zurückkehren.24 Mit allem Nachdruck bewegte Dirichs seinen Freund, die Leitung der Kirchlichen Hilfsstelle weiter zu behalten.25 Für den 28. Dezember 1948 hatten Bischof Dirichs von Limburg und Büttner einen Gesprächstermin vereinbart, auf dem die weitere Aufgabenkonzeption der Kirchlichen Hilfsstelle besprochen werden sollte. Einen Tag zuvor verunglückte Dirichs tödlich.26

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Vgl. Michael HIRSCHFELD, Prälat Franz Monse. Großdechant von Glatz. Sigmaringen 1997. Vgl. dazu vor allem LABONTÉ, Büttner, S. 114-119. Ebd., S. 115. Ein Brief an Bischof Ferdinand Dirichs von Limburg am 26. Januar 1948. Die Antwort Dirichs ist bei Labonté teilweise abgedruckt (S. 117f.). Im Begleitbrief zu diesen Erinnerungen Jankos (Anton Janko, Priester des Bistums Königgrätz, Prof. in Königstein, Alttestamentler – vgl. PRIESTERREFERAT KÖNIGSTEIN (Hg.): 8. Königsteiner Schematismus. Königstein 1988, S. 46; künftig zitiert als PRIESTERREFERAT, 8. Königsteiner Schematismus) an die frühe Phase der Königsteiner Anstalten, gerichtet an den früheren Leiter des Instituts für Kirchengeschichte, Böhmen, Mähren und Schlesien, Kurt Augustinus Huber, geht Janko zusätzlich auf die Rolle des Limburger Bischofs Ferdinand Dirichs in der Heimatvertriebenenseelsorge und für Königstein ein. Er notiert dessen Schwierigkeiten, vor allem mit süddeutschen Ordinarien, die vertriebene Priester auf vakante Pfarrstellen setzten, die Dirichs unter dem Aspekt der Vertriebenenseelsorge lieber in Norddeutschland in der Diaspora gesehen hätte. Dirichs habe über die Königsteiner Anstalten alle Vollmachten gehabt und auch einmal mit Kindermann eine heftige Diskussion geführt, wohl weil dieser durch seinen Führungsstil ein nicht ungetrübtes Verhältnis zu seinen Helfern, vor allem zu den Lehrern des Gymnasiums hatte. Weiter berichtet Janko von einer Auseinandersetzung auf der Bischofskonferenz in Fulda 1948 im Hinblick auf Königstein, weil einige Bischöfe den Antrag gestellt hatten, die Königsteiner Anstalten aufzulösen und die dortigen Theologen auf die verschiedenen Diözesen ihres Wohnsitzes nach der Vertreibung zu verteilen. „Es muss da eine harte Diskussion gewesen sein, so dass sich unser Bischof (= Dirichs) noch des Nachts hinsetzte und ein ausführliches Referat über dieses Thema schrieb. Dieses Referat und vor allem seine Persönlichkeit, die sich mit ganzem Herzen für Königstein einsetzte, hat die Existenz der Königsteiner Anstalten gerettet.“ Die Bischöfe haben daraufhin offensichtlich ihren Plan zurückgezogen, die Königsteiner Anstalten nicht länger finanziell zu unterstützen. Aber nicht nur Dirichs, sondern auch der Nuntius Muench und der Kölner Erzbischof Kardinal Frings standen hinter Königstein. (Brief von Anton Janko an Augustinus Kurt Huber am 19. Februar 1981, in: Dossier Kindermann). Die folgende Arbeit der kirchlichen Hilfsstelle ist vor allem in zwei größeren Projekten noch für die Vertriebenenintegration interessant: Die erste Maßnahme war die Ansiedlung von ungarischen Weinbauern auf dem Exerzierplatz Griesheimer Sand bei Darmstadt, wo auf etwa 80 Hektar Land 40 ungarndeutsche Familien angesiedelt wurden. 1950 hatte die Siedlung bereits über

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Wem ist die entscheidende Initiative für die Philosophisch-theologische Hochschule in Königstein zuzuschreiben – im Bild des Königsteiner Denkmals gesprochen: Wer sollte in dem Denkmal zu sehen sein, und in welcher Größe? Im Februar 1981 setzte sich Anton Janko27, der langjährige Alttestamentler in Königstein und kommissarische Leiter des AMK nach dem Rücktritt Stephan Kruschinas 1977, in einer ausführlichen Aufzeichnung seiner Erinnerungen an die ersten Jahre von Königstein mit der Schilderung von Maria Labonté kritisch auseinander und modifizierte deren Bild über die Anfänge der Königsteiner Anstalten, das Mitwirken Maximilian Kallers und Büttners Stellung in diesem Kontext:28 Kindermann gehörte bis Ostern 1947 nicht zum Leitungsgremium von Schule und Konvikt. Er war von Bischof Kaller mit Aufbau und Leitung des Priesterreferates betraut worden, das die ostvertriebenen Priester sammeln und betreuen sollte. Er trug zu dieser Zeit für die Königsteiner Häuser noch keine Verantwortung. Er war nach dem Ausweis Jankos seelsorgerlich tätig; vor allem an Sonntagen hielt er Gottesdienste für Vertriebene in den verstreuten hessischen Diasporagemeinden.29 Auch Janko bestätigte Büttners Initiative für die Sammlung der Theologen der deutschen Ostgebiete, die bereits auf die Zeit 1945/46 zurückgehe. Deutliche Belege für diese Position waren ihm der Brief Pius‘ XII. und die Verhandlungen mit dem hessischen Staatsministerium, die Labonté dokumentierte. Diese Initiative sei in der Folgezeit allein Kindermann zugesprochen worden.30 Zusammen mit dem Lehrerkollegium der St. Albert Schule habe Büttner den Plan eines großen katholischen Gymnasiums für den Frankfurter Raum verfolgt, während er den philosophisch-theologischen Kurs, das Hauptanliegen Kindermanns, auslaufen lassen wollte. Das Bistum Limburg sei dem Plan offensichtlich wohlwollend gegenübergestanden; Kindermann und die „schlesischen Herren“ hätten hingegen verständlicherweise eine gegenteilige Position eingenommen. Sie setzten sich vehement für ein Priesterseminar mit Hochschule ein. Das Schülerkonvikt sollte bestehen bleiben; man

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500 Bewohner. 1953 erhielt sie auch eine eigene Kirche. Die zweite größere Aktion ist die Ansiedlung von Bukowinadeutschen in der Kolonie Turen in Venezuela seit 1950. Büttner versuchte, für die sich in den folgenden Jahren immer weiter vergrößernde Kolonie vor allem einen Seelsorger zu finden. Schließlich setzte er sich nicht zuletzt auch für die südosteuropäischen Priester in der Nachkriegszeit nachhaltig ein. (Vgl. dazu LABONTÉ, Büttner, S. 126-136). Anton Janko (1909 – 2000); vgl. Nachweise zu den Dozenten auf S. 449. Labonté sei zwar bestrebt gewesen, objektiv zu schreiben, doch seien seine Erinnerungen nicht in allen Punkten mit der Auffassung von Labonté identisch. Vgl. Institut für Kirchengeschichte Böhmen-Mähren-Schlesien, Dossier Kindermann, S. 1. Vgl. ebd., S. 2. „Nach Ausscheiden Büttners aus der Leitung der Königsteiner Anstalten (Dez. 1947) ist später der Name Büttner auch mit der de facto Einrichtung des Priesterseminars noch unter seiner Leitung kaum mehr in Verbindung gebracht worden, sondern nur der von Kindermann. Grund dafür mag vielleicht sein: Einmal, dass die Errichtung der Phil.-Theol. Hochschule Königstein im April 1949 vor allem den Bemühungen Kindermanns zu verdanken ist. „Böse Zungen“ wollten wissen, dass er sie den deutschen Bischöfen „abgetrotzt“ habe; sodann aber auch und noch mehr der Umstand, dass bald nach dem Tod von Bischof Kaller (Juli 1947) Unklarheiten über die weitere Zweckbestimmung von Königstein entstanden.“ (Ebd., S. 3).

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wollte eine Rekrutierungsstätte für den Priesternachwuchs. Der Vorrang sollte aber eindeutig dem Priesterseminar eingeräumt werden.31 Nach Büttners Ausscheiden aus der Leitung der Königsteiner Anstalten sei diese Auffassung von Kindermann den deutschen Bischöfen gegenüber immer wieder verfochten worden. Diese Entwicklung sah Janko als Grund dafür, dass in späterer Zeit Büttner als unbestrittenes Verdienst zuerkannt wurde, dass er für die Königsteiner Werke die dortigen Kasernen erworben, nicht aber, dass er ein eigenes Priesterseminar für Osttheologen in Königstein intendiert und dafür den Grund gelegt habe.32 Diese unterschiedlichen Zielsetzungen haben laut Janko zwischen Büttner und Kindermann – dieser damals in Übereinstimmung mit den schlesischen Herren – mehr und mehr das gegenseitige Vertrauen zerstört und zu einer gewissen Gereiztheit geführt.33 Die eigenständige überdiözesane Ausbildung der Osttheologen in Königstein wäre demnach dem hartnäckigen Einsatz Kindermanns zu verdanken, während Büttner, der Einheimische eher den Weg der integrierenden Lösung favorisierte: Konvikt und Gymnasium in Königstein sollten zwar Rekrutierungsstätte für Priesternachwuchs sein, die Theologiestudenten aber an den bereits bestehenden Ausbildungsstätten unterrichtet werden.34

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Vgl. ebd., S. 3. Ausführlich geht Janko auf die Konferenz in Köln vom 4. Dezember 1947 ein, auf der der Verein Albertus Magnus Kolleg Königstein gegründet wurde, dessen Vorsitz Kindermann übertragen wurde – die Konferenz, auf der Büttner aus seinem Leitungsamt gedrängt wurde: „Was der eigentliche Grund für die Ablösung Büttners gewesen sein mag, darüber konnte nur gerätselt werden. Man sprach von Abneigung des Kardinals Frings gegenüber Büttner, die sich auf gewisse Vorfälle stütze, wie eigenmächtiges Vorgehen Büttners (s. LABONTÉ, Büttner, S. 117), man wies auch hin auf Büttners labilen Gesundheitszustand und darauf – sehr diskret –, dass der Kardinal darum gewusst habe, dass Büttner sich mit Opium spritze, um stets fit zu sein.“ (Vgl. Dossier Kindermann, S. 5). Welche aufschlussreichen Skurrilitäten die Gereiztheit annehmen konnte, zeigt ein Beispiel, das Janko anführt: „Prälat Büttner machte damals u.a. den Vorschlag, im Speisesaal der Theologen (im OH) sollte mit den Theologen zusammen die gesamte Hausgemeinschaft, also neben den Schülern auch alle Angestellten männlichen und weiblichen Geschlechts gemeinsam die Mahlzeiten einnehmen. Das schiene ihm schon aus erzieherischen Gesichtspunkten sinnvoll und gut. Darauf antwortete Regens Ramatschi sehr gereizt: 'Herr Prälat, von Theologenerziehung verstehen Sie einen Dreck', stand auf und verließ das Zimmer. Die Sitzung war jäh zu Ende, sie war zugleich die letzte.“ Eine Szene vom Beginn des Wintersemesters 1947/48, die nicht zuletzt ein bezeichnendes Licht auf das differierende Verständnis von Kleruserziehung und das Selbstverständnis des Königsteiner Leitungspersonals wirft. (Dossier Kindermann, S. 4). Das Verhältnis Kindermanns zu Büttner sei anfangs ohne Zweifel freundschaftlich gewesen. Die Meinungsverschiedenheiten um die Zielsetzung von Königstein habe diese Freundschaft aber getrübt bis hin zu deren Bruch, nachdem Kindermann die Leitung der Königsteiner Anstalten übernommen hatte. Das Verhältnis Kindermanns zu den schlesischen Leitungsfiguren in Königstein bezeichnet Jankowww als aufrichtig und gut, während der Mitarbeiter des apostolischen Nuntius, Pater Ivo Zeiger, ein Freund Büttners, Kindermann gegenüber eher zurückhaltend, wenn nicht leicht ablehnend gewesen sei. Janko deutet verhalten an, dass die gesellige Art Kindermanns mit zunehmenden Aufgaben in Königstein immer seltener wurde, Hochschule und

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Forschungsstand Eine Monographie zum Vaterhaus der Vertriebenen fehle, konstatierte Michael Hirschfeld in seiner Dissertation zum Thema Vertriebene und Katholisches Milieu im Oldenburger Land35. Diese Feststellung stimmt immer noch. Hirschfeld selbst behandelte Königstein eher beiläufig auf knapp zwei Seiten als ein Beispiel einer Makrostruktur, um die Milieubindung durch den Priesternachwuchs weiterzugeben; dabei wird die darin involvierte Frage nicht explizit beantwortet. So ist man für einen Informationsüberblick weitgehend auf die Jubiläumsausgaben der „Königsteiner Rufe“ angewiesen – etwa zum 40-jährigen Bestehen 1986 oder auch die Sondernummer 1997, die den Reigen der Rufe beendet hat.36 Jüngst ist auf der Grundlage der in den ‚Geburtstagsschriften’ zusammengestellten Informationen zur Einweihung des Königsteiner Denkmals eine weitere Festschrift vorgelegt worden.37 Der Autor dieser Arbeit hat selbst in seiner Habilitationsschrift unter den Initiatoren der Vertriebenenseelsorge, also im Kontext von Kindermann, die unterschiedlichen Königsteiner Initiativen aus dem damals noch ungeordneten und unverzeichneten Archivmaterial vorgestellt, freilich nicht in dokumentarischer Absicht und schon gar nicht mit dem Anspruch, dieses Thema umfassend und erschöpfend behandelt zu haben.38 Dort habe ich auch die bis dato erschienene Literatur zum Thema berücksichtigt und zusammengestellt. Meine damalige Quellengrundlage – in einem weiteren Verständnis von Quelle – bildete der seinerzeit noch ungeordnete Bestand des Archivs in Königstein (jetzt zum Teil bei der Kommission für Zeitgeschichte, zum Teil wohl noch im Archiv des Instituts für Kirchengeschichte Böhmen – Mähren – Schlesien (KGBMS)) und die Rückblicke Büttners und einiger Professoren der ersten Stunde. Orientieren konnte ich mich für den Bereich der Hochschule immer wieder an der Studie von Josef Pilvousek über das Philosophisch-Theologische Studium in Erfurt.

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Seminar hätten ihr Eigenleben und das vorrangige Interesse Kindermanns gefunden. Wenn Kindermann nach dem Abendessen im Kreis des Kollegiums erschienen sei, „dann hatte er meist ein Anliegen bzw. eine neue Idee, für die er den Rat oder vielmehr die Zustimmung einholen wollte.“ En passant ein Hinweis auf die Leitungsmethode Kindermanns. Michael HIRSCHFELD, Katholisches Milieu und Vertriebene. Eine Fallstudie am Beispiel des Oldenburger Landes 1945 – 1965 (Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands 33). Köln, Weimar, Wien 2002. Vgl. dazu auch das letzte Heft der Königsteiner Rufe, red. von Norbert SCHLEGEL und Rudolf GRULICH, Sonderausgabe Mainz 1997. FREUNDESKREIS WERENFRIED-DENKMAL (Hg.), Königstein. Stadt des Aufbaus und der Versöhnung. Festschrift zur Einweihung des Denkmals für Bischof Maximilian Kaller, Bischof Adolf Kindermann, P. Werenfried van Straaten. Nidda 2011. Rainer BENDEL, Aufbruch aus dem Glauben?

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Materialgrundlage

Akten Der zentrale Bestand der Königsteiner Überlieferung liegt, so weit er die diversen internen Umzüge in Königstein und die Endphase der Königsteiner Anstalten überdauert hat, verzeichnet bei der Kommission für Zeitgeschichte in Bonn. Flankiert wird dieser Bestand durch Teile, die an das Institut für Kirchengeschichte Böhmen – Mähren – Schlesien gegangen sind, in erster Linie der sog. Nachlass Kindermanns, der vor allem seine private Korrespondenz umfasst, dazu diverse thematisch strukturierte Sammlungen, Dossiers, die der langjährige Leiter des Instituts und Professor für Kirchengeschichte an der Hochschule, Augustinus Kurt Huber, angelegt hat. Sie werden nach den Namen der Dossiers zitiert. Für die Quellenlage, soweit sie den Archivbestand der Königsteiner Anstalten betrifft, hat Karl-Joseph Hummel einen Überblick über den inzwischen bei der Kommission für Zeitgeschichte lagernden Bestand vorgelegt.39 Zu beachten ist, dass in den Protokollen des Institutes für Kirchengeschichte Böhmen-Mähren-Schlesien deutlich darauf hingewiesen wird, dass der persönliche Nachlass Kindermanns in den Räumen des Institutes verwahrt wurde und solange er nicht inventarisiert sei, auch von Nicht-Mitgliedern nicht eingesehen werden dürfe. Es ist anzunehmen, dass damit ein gewisser Bestand des Nachlasses nicht nach Bonn kam, sondern beim Institut verblieben ist, vor allem die private Korrespondenz Kindermanns. Bei einer Vielzahl von Personen gilt für die Personalakten noch die Sperrfrist. Eine umfangreiche Parallelüberlieferung findet sich im Bistumsarchiv Limburg qua Belegenheitsbistum und seit 1982 Sitz des Beauftragten für die Vertriebenenseelsorge. Das Historische Archiv des Erzbistums Köln verwahrt ebenfalls eine reiche Parallelüberlieferung, weil Kardinal Frings als Hoher Protektor für das Flüchtlingswesen in die zentralen Entscheidungen in und um Königstein eingebunden war. Für die Anfangsjahre ist dazu die Überlieferung im Diözesanarchiv Osnabrück mit einzubeziehen, da Berning als Protektor des RKA der Vorgesetzte Büttners und dessen häufiger Korrespondenzpartner war. Letztlich findet sich in jedem Diözesanarchiv ein Bestand zu Königstein, da Jahresberichte und Informationen an alle Diözesen geschickt wurden, um die Bischöfe, die wiederholt in ihren Konferenzen Fragen zu Königstein zu behandeln hatten, auf dem aktuellen Informationsstand zu halten. Nicht

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Karl-Joseph HUMMEL, Katholische Flüchtlinge und Heimatvertriebene. Ein Forschungsprojekt der Kommission für Zeitgeschichte, Bonn. In: Rainer BENDEL / Stephan JANKER (Hg.), Vertriebene Katholiken – Impulse für Umbrüche in Kirche und Gesellschaft? Münster 2005, S. 201212.

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nur die Bischöfe, auch die Visitatoren wurden regelmäßig informiert – in diesen Kreisen besonders ergiebig ist der Bestand der Apostolischen Visitatur Breslau, da der Visitator regelmäßig im Vorstand des AMK war. Darüber hinaus bietet das Diözesanarchiv Rottenburg mit dem Nachlass Kruschina reiche Zusatzinformationen vorrangig für die 1960er und 70er Jahre, als Kruschina Regens in Königstein und dann Leiter des AMK war.

Publikationen Einen wichtigen Informationsbestand bilden die in Königstein herausgegebenen Periodika, die allesamt durchgesehen und ausgewertet wurden. Bei den zentralen Zeitschriften wurde ihr Inhalt zusammengestellt. Teils ist er im Anhang der vorliegenden Arbeit dokumentiert, teils ist er im Internet bei www.rainer-bendel.de verfügbar. -

Mitteilungen für die heimatvertriebenen Priester aus dem Osten“

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Königsteiner Blätter, dann Königsteiner Studien (Vgl. Dokument Nr. 33 im Anhang.)

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Mitteilungen des Sudetendeutschen Priesterwerks

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Königsteiner Rufe

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Expulsus, ab 1958 Digest des Ostens

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Publikationen der Professoren und der Forschungsinstitute Zentrale Quellen werden im Anhang dokumentiert, dort aber nicht mehr ausführlich kommentiert und eingeführt, der Kontext erschließt sich aus der vorgeschalteten Studie. Zitate in der Arbeit werden, wo es den Sinn nicht verändert, der heutigen Rechtschreibung angeglichen.

Zielsetzung/Frageperspektiven Königstein ist ohne Zweifel ein Fokus der kirchlichen Sorge für die Vertriebenen; nachdem ich die Initiatoren und Initiativen untersucht habe und nachdem auch der Blick von unten von Hirschfeld und mir (Bayernstudie und Rottenburgstudie) die Situation von Betroffenen in den Gemeinden und Diözesen und Regionen untersucht, nachdem das Projekt Pilvousek/Preuss die Lage der Vertriebenen in der katholischen Kirche in der SBZ/DDR aufgreift40 und dabei auch der Klerus eigens in den Blick genommen wird (Winterstein)41, sehe ich den Fokus Königstein als einen zentralen

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Josef PILVOUSEK / Elisabeth PREUß (Hg.), Aufnahme – Integration – Beheimatung. Flüchtlinge, Vertriebene und die ‚Ankunftsgesellschaft’. Berlin 2009. Ulrike WINTERSTEIN, Vertriebener Klerus in Sachsen 1945 – 1955. Paderborn u.a. 2010 (= Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte. Reihe B 118).

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ergänzenden Baustein für ein Gesamtbild ‚Katholische Kirche und Vertriebene von 1945 bis 2000’, also zur Auflösung Königsteins. Angeregt wurde diese Arbeit in erster Linie als Dokumentation der vielfältigen Aktivitäten für die Sorge der katholischen Kirche um die Vertriebenen, die von Königstein ausgingen und dort ihren Sitz hatten. In diesem Fokus ‚Königstein‘ bündeln sich die vielfältigsten Initiativen, Organisationen und Ämter: Vertriebenenbischöfe, Flüchtlingsrat, Vertriebenenseelsorger, Vertriebenenklerus. Damit ist letztlich auch die immense Tragweite und Komplexität des Themas genannt:

a) Binnenkirchlich: -

DOKUMENTATION der vielfältigen und vielschichtigen Tätigkeiten, der Rolle der Protagonisten, der Elite,

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die Frage nach der REICHWEITE DER MASSNAHMEN: Blieben sie wirklich ‚milieuintern‘, waren sie Milieu stabilisierend?

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die Frage nach dem THEOLOGISCHEN UND PASTORALEN AUFBRUCH, der von den Impulsen Königsteins für das religiöse Leben in den Gemeinden ausging.

b) Gesellschaftlich/politisch Die Vertriebenen sind in ihren Lebensentwürfen durch Krieg und Nachkriegszeit massiv in Frage gestellt worden; mit ihren Lebenswelten führten sie zu Verfremdungen in der Nachkriegsgesellschaft; sie konnten manchen Mangel aufdecken, manche Scheinwelt entlarven, da sie die Fähigkeit des Fremden hatten, die Verhältnisse mit anderen Augen zu sehen, sie zu analysieren und Alternativen zu entwickeln. Das macht das Thema „Integration Vertriebener“ und „Vertriebenenseelsorge“ auch auf der Ebene der Gesamtgesellschaft und in der Perspektive der Mentalitäts- und Sozialgeschichte interessant. Im Katholischen Sonntagsblatt Nr. 43 vom 22. Oktober 1951 findet sich ein Bericht über die Akademie-Veranstaltung in der eben erst gegründeten Akademie der Diözese Rottenburg in Hohenheim „Vertriebenenschicksal in Volk und Kirche“; dort skizzierte Hans Schütz42 die Seelsorge-Aufgabe an den Vertriebenen. Er wies auf die

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Hans Schütz, geb. 24.2.1901 in Hemmhübel in Nordböhmen, gest. 24.1.1982 in München. Betätigung in christlichen Gewerkschaften in Nordböhmen, im „Reichsbund der Deutschen Katholischen Jugend“ in der CSR. 1924 Gewerkschaftsvorsitzender und Parteivorstandsmitglied der DCV. 1935 Abgeordneter der DCV in Prag. 1938 Rückzug aus der aktiven Politik. 1946 Mitglied der CSU in Bayern und Vorsitzender der Ackermann-Gemeinde, 1949 – 1962 Bundestagsabgeordneter der CSU für den Wahlkreis Dillingen. 1962 Staatssekretär des bayer. Arbeitsministeriums, 1964 bayer. Staatsminister für Arbeit und soziale Fürsorge. Hans Schütz, Aktivist,

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Einleitung

völlig neuartige soziologische Struktur Westdeutschlands hin. Eindringlich bat er die versammelten Seelsorger um Weckung der Herzen und der Gewissen zur bereitwilligen Verwirklichung einer durchgreifenden Sozialreform. Die Stimmung der einheimischen Pfarrer und die verständliche Angst auf Seiten der Einheimischen gegen die Diskussion um die Bodenreform waren deutlich zu spüren. Vergleichbare Analysen und Beschreibungen, Aufgabenformulierungen und Appelle wurden in zahlreichen Tagungen in Königstein von den Vertriebenenseelsorgern über die Ackermann-Gemeinde bis zum Katholischen Flüchtlingsrat formuliert. Solche Konkurrenz und Konfliktivität – von der Auffassung über die Ausgestaltung des Lastenausgleiches über die Diskussion über Art und Intensität heimatlicher Kulturpflege bis hin zum Heimatrecht – können durchaus integrationsfördernd im politischen und sozialen Prozess wirken, muss doch Integration nicht zwangsläufig auf vollkommenen Konsens und Stabilität abzielen, sondern kann durchaus eine Funktionalität im Blick haben, die auch den integrierenden Charakter des Konfliktes ernst nimmt. Denn soziale Konflikte sind gerade in extremen Situationen wie Flucht und Vertreibung unvermeidbar und leisten dort, wo die Konfliktpartner noch auf einem gemeinsamen Boden von Grundüberzeugungen kommunizieren, einen Beitrag zum sozialen Wandel, zur Weiterentwicklung des Instrumentariums des sozialen Ausgleichs im politischen Prozess. Integration kann nur dort gelingen – und darin unterscheidet sie sich fundamental von der Assimilation –, wo die neue Gemeinschaft als Ganze durch den Integrationsvorgang, durch den Integrationsprozess anders wird, im Wandel bleibt. Insofern haben die Vertriebenen mit ihrer Bedürfnislage, mit ihren Forderungen einen Handlungsbedarf geschaffen mit vielfältigen Impulsen und Konsequenzen in den unterschiedlichen Sektoren des gesellschaftlichen Lebens, ja vielleicht konnten sie – nicht zuletzt durch die Stütze und Impulse der Vertriebenenseelsorge – geradezu Katalysatoren für den politischen, sozialen, kulturellen und mentalen Aufbau werden.

Zum Aufbau der Arbeit Königstein soll in seiner Bedeutung im Kontext der Vertriebenenseelsorge der katholischen Kirche gewürdigt werden. Die Situation der Vertriebenen und die daraus erwachsenen neuen Aufgaben für die Seelsorge werden exemplarisch und kursorisch als

christlicher Gewerkschafter, maßgeblich an der Flüchtlings- und Lastenausgleichsgesetzgebung beteiligt, gehörte zu den Gründern der Ackermann-Gemeinde – er wusste, wie wichtig Initiative ist, daß man die Interessen nur über den politischen Prozeß durchsetzen kann. 1966 Beendigung der aktiven politischen Laufbahn. – Lit.: Horst GLASSL / Otfried PUSTEJOVSKY, Ein Leben – drei Epochen, FS für Hans Schütz zum 70. Geburtstag, München 1971 mit Bibliographie und Literatur. ACKERMANN-GEMEINDE (Hg.), Hans Schütz – Helfer und Wegweiser in schwerer Zeit. Gewerkschafter, Sozialpolitiker, Jungaktivist, Vertriebenenpolitiker, Europapolitiker. München 1982. Rudolf OHLBAUM, Hans Schütz, in: Hans Schütz – Helfer und Wegweiser in schwerer Zeit, S. 13-25.

Einleitung

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Hintergrund in einem ersten Schritt aufgezeigt. Korrespondierend werden die ersten Initiativen und Schritte der Vertriebenenseelsorge und der Selbstorganisation der katholischen Vertriebenen in ihren Grundzügen und Intentionen skizziert; damit entsteht der Kontext, in dem Königstein ‚Zentrum‘ sein wollte. Alle an der Vertriebenenseelsorge Beteiligten trafen sich und tagten regelmäßig in Königstein. Alle zentralen politischen und sozialen Fragen, die die Vertriebenen betrafen, wurden in Gremien und auf Veranstaltungen in Königstein beraten und nicht selten entsprechende Memoranden formuliert. So lag es nahe, den Kontext der gesamten Vertriebenenseelsorge der katholischen Kirche in den ersten Schritten einzubeziehen. Qua Auftrag standen die Vertriebenenbischöfe in einem engen Konnex mit Königstein: sie werden daher mit ihren Intentionen und den Themenschwerpunkten ihrer Arbeit vorgestellt. Besonders der Hildesheimer Bischof Heinrich Maria Janssen versuchte die Königsteiner Initiativen nach Kräften zu unterstützen, bis zu dem Schritt, dass er sich für die Bischofsweihe Kindermanns einsetzte und es ermöglichte, dass dieser Weihbischof in Hildesheim wurde, seinen Sitz und sein Arbeitspensum aber in Königstein behalten konnte. Dem Limburger Weihbischof Gerhard Pieschl lag als Alt-Königsteiner die Neuausrichtung der Arbeit Königsteins besonders am Herzen; ihm kam die undankbare Aufgabe zu, die Auflösung Königsteins begleiten zu müssen. Die Protagonisten Königsteins, Albert Büttner, der ermländische Bischof Maximilian Kaller und Adolf Kindermann werden in ihrem Herkunftskontext, damit auch in ihrem Erfahrungshintergrund, der zugleich Erfahrungsraum vieler katholischer Vertriebener war, mit ihren Motivationen und Mentalitäten ausführlich vorgestellt. Die äußere Entwicklung des Gesamtkomplexes Königstein, der beiden hauptsächlichen Trägervereine wird im vierten Hauptkapitel nachgezeichnet, dabei können Wiederholungen nicht ganz vermieden werden, da die einzelnen Kapitel auch für sich gelesen werden können, bei der engen Verflechtung der Königsteiner Einrichtungen aber viele Entwicklungen zwangsläufig parallel verliefen. Die folgenden Kapitel sind den zentralen Einrichtungen vorbehalten, einmal dem Herzstück, der Hochschule und dem Priesterseminar, dem Haus der Begegnung und seinen Kongressen ‚Kirche in Not‘, den unterschiedlichen Forschungsinstituten, dann dem Gymnasium und nicht zuletzt den Tätigkeiten des Priesterreferates. Die Publikationsorgane werden vorgestellt als Bindeglieder zum weiten Kreis der Vertriebenen, vor allem zu den Spendern. Die Tätigkeit der landsmannschaftlichen Priesterwerke wird exemplarisch am Sudetendeutschen Priesterwerk, einem zentralen Träger der Königsteiner Anstalten, weil über lange Jahre im Vorsitz in Personalunion verbunden mit den beiden zentralen Königsteiner Trägervereinen und wichtiger Geldgeber für Baumaßnahmen, aufgezeigt. Das Hilfswerk ‚Kirche in Not’ hatte einen eigenen Trägerverein und über lange Jahre seinen Hauptsitz in Königstein; es trug wichtige Initiativen Königsteins wie die Kapellenwagenmission und den Kongress ‚Kirche in Not’ wesentlich mit, half immer wieder mit Finanzspritzen, blieb aber selbstständig und war mit seiner Zielsetzung bald über den eigentlichen Adressatenkreis der Königsteiner Einrichtungen für die Vertriebenenseelsorge hinausgewachsen. Es wird deshalb mit seinem Gründer, dem

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Einleitung

„Speckpater“ Werenfried van Straaten43, auch in einem Überblick vorgestellt, kann aber erst dann monographisch erarbeitet werden, wenn die Archivalien erschlossen sind – Vorarbeiten dazu sind offensichtlich angelaufen. Die einzelnen Abschnitte sollen jeweils auch für sich gelesen werden können; daher lassen sich bei der mitunter komplex verflochtenen Situation der Königsteiner Einrichtungen Wiederholungen nicht vermeiden. Seit den ersten Planungen für die vorliegende Studie wurde die dokumentarische Intention unterstrichen, dieser Zielsetzung kommen die im Anhang zusammengestellten für die Geschichte der Königsteiner Einrichtungen und Initiativen zentralen Quellen ebenso entgegen wie die ausführliche Zitation der Quellen im Text.

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Vgl. auch den Nachruf zu Pater Werenfried in den „Mitteilungen des Sudetendeutschen Priesterwerkes“ 1/2003, S. 5f., der sehr allgemein Bekanntes skizziert, nicht gezeichnet ist, vermutlich aus der Feder Grulichs stammt und mit einer interessanten Wendung schließt, nämlich mit der Behauptung, Pater Werenfried van Straaten habe das Erbe Königsteins hochgehalten, wohin er 1975 den internationalen Sitz seines Werkes verlegte.

ABSCHNITT I: SEELSORGE IN VERTREIBUNG UND ANKOMMEN

1.

Wie erlebten die Gläubigen ihre Situation

Die Situation der Vertriebenen, ihren Verlust, ihre Armut skizzierte Kindermann in einer Ansprache in einer katholischen Morgenfeier am 20. Juli 1947 in Königstein1, als Bedingung und Grundlage für die christliche Liebe. Als konkretes Beispiel und Vorbild stellte er den erst knappe zwei Wochen zuvor verstorbenen und in Königstein begrabenen ermländischen Bischof, Maximilian Kaller vor. Die Situation der Vertriebenen, speziell auch die kirchliche Situation in ihrer unmittelbaren Ankunftsphase ist bereits mehrfach skizziert worden. Für viele war es eine kalte Heimat. Für manche dauerte das Ankommen und heimisch werden lange. Für manche ging es einfacher und schneller. Die Konstellationen sind so vielfältig wie die beteiligten Menschen vielfältig sind. Von daher ist die Gefahr, bei solchen Skizzen in Pauschalisierungen zu verfallen, sehr groß. Es möge für den Kontext dieser Arbeit genügen, einige Grundlinien festzuhalten, wie sie sich aus den Wahrnehmungen, Analysen und Aufgabenbeschreibungen der Seelsorger in der unmittelbaren Situation ergaben. Exemplarisch seien hier die Skizzen und Mitteilungen des Flüchtlingsseelsorgers von 1946 herausgegriffen, hektographiert, an die Vertriebenenpriester verteilt, der Anfang der Zeitschrift „Christ unterwegs“. Die Skizzen und Mitteilungen wurden erstmals im Mai 1946 verteilt von der Kirchlichen Hilfsstelle unter Monsignore Büttner. Die Hauptschriftleitung hatte Dr. Richard Mai in der Kirchlichen Hilfsstelle, Zweigstelle München.2 Für den schlesischen Teil war Alfred Schulz, für den sudeten-

1 2

Vgl. Dokument Nr. 1 im Anhang. Richard Mai, geb. 1900 in Aachen, von 1922 bis 1940 Mitarbeit beim Reichsverband für das katholische Auslandsdeutschtum. 1946 gründete er den Verlag ‚Christ unterwegs’ in München; dazu Paulus SLADEK, Not ist Anruf Gottes. Aus Veröffentlichungen, Rundschreiben, Predigten und Briefen. Dokumente zur Geschichte der Vertriebenenseelsorge. Hg. von Rudolf OHLBAUM. München, Königstein/T. 1991, S. 526. – Richard MAI, Mit …00 fängt’s an. Ein Mensch erlebt das 20. Jahrhundert. Privatdruck Starnberg-Söcking 1989, S. 74-76: „Die Notleiter für die Vertriebenen Die erste Pflicht des Kriegsheimkehrers war die Arbeitssuche. Denn seine Arbeitsstelle in Berlin war ausgelaufen. Wie sollte ich seine große Familie ernähren? Zunächst versuchte ich, in meinem journalistischen Urberuf eine angemessene Unterkunft zu finden. Meine Hoffnung, dass ich als Nichtparteigenosse willkommen sei, trog. Die wenigen Stellen waren schon besetzt. Zufällig erfuhr ich, wohin sich mein früherer Chef vom RKA in Berlin abgesetzt hatte, nach Karlstadt

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Abschnitt I

am Main. Dorthin schlängelte ich mich von Fahrgelegenheit zu Fahrgelegenheit durch. Nachdem der RKA von den Zeitläufen überholt worden war, versuchten wir, eine neue Aufgabe im kirchlichen Raum zu finden, die den neuen Nachkriegsnöten angepasst war und zugleich einen Bezug zu unserem früheren Wirkungskreis hatte. Da waren die vielen Flüchtlinge über die deutschen Lande verteilt, da waren die Massen deutscher Vertriebener zu erwarten, die teils noch in den Lagern saßen, dem Hunger, der Kälte und dem Tod ausgesetzt. Aus dem ganzen Osten und Südosten sollten sie nach Westdeutschland abgeschoben werden. Dank unserer Arbeit im Reichsverband für das katholische Auslandsdeutschtum (RKA) waren unter diesen Vertriebenen, deren Heimatentwurzelung beschlossene Sache der Sieger war, viele Freunde aus unserem bisherigen Wirkungsraum. In meinen Beratungen mit Prälat Büttner in Karlstadt verdichtete sich in uns die Idee, diese auf uns zukommende oder bereits in Bewegung geratene Nachkriegsnot vom Baltikum bis weit hinein in die balkanischen Gefilde in einer eigenen Organisation mit unseren bisherigen Freunden aus diesem Bereich aufzufangen. Am 6. Oktober 1945 begründeten Prälat Büttner, Hans Schütz, P. Sladek und ich in einem Zimmer des Drittordens-Krankenhauses in München-Nymphenburg die „Kirchliche Hilfsstelle für katholische Heimatvertriebene“. Sie wurde verbunden mit der gleichnamigen Organisation, die Prälat Büttner nach seinem Umzug von Karlstadt nach Frankfurt kurz vorher organisiert hatte und aus der auch die berühmten Königsteiner Anstalten als Auffang für den jungen Nachwuchs, insbesondere auch für den Klerus der Vertriebenen hervorgewachsen sind. Von den drei Gründern im Nymphenburger Krankenhaus wurde mir die Verwaltungsleitung der „Kirchlichen Hilfsstelle für katholische Heimatvertriebene“ anvertraut, während Hans Schütz die Politik und Pater Sladek die Seelsorge und die Sammlung und Wegführung des vertriebenen Klerus in die notleidenden Wohnbezirke der Heimatvertriebenen zu ihren Sonderaufgaben machten. Etwas später nahm die „Kirchliche Hilfsstelle“ Prof. Diplich und Pfarrer Bensch für die Südostdeutschen bei sich auf. Aus dem Schoß der Kirchlichen Hilfsstelle ging die Ackermanngemeinde für die Sudetendeutschen hervor, die heute noch ein reiches Leben entfaltet und ebenso Organisationen für die Südostdeutschen. Viele führende Persönlichkeiten der Vertriebenenarbeit in Bayern fanden hier ihren Sammelort. Dort konnten die Vertriebenen Auskünfte, Adressen, Arbeitsmöglichkeiten, Familienzusammenführungen, Hilfen aller Art, später auch Lebensmittelspenden finden. Ihnen wurden auch die Wege zu den verschiedenen Behörden und Ämtern geebnet. Kardinal Faulnaher und Weihbischof Neuhäusler hatten immer ein offenes Ohr für besondere Nöte der Vertriebenen und für alle Sorgen, die die „Kirchliche Hilfsstelle“ an sie herantrug. Mir fiel die besondere Aufgabe zu, das Kulturerbe der Heimatvertriebenen zu pflegen und sie durch publizistische Mittel miteinander zu verbinden. So gründete ich die erste Zeitschrift für Vertriebene, den „Christ unterwegs“, deren erste Nummer 1946 erschien, und später die Zeitung „Der Volksbote“. Auch die ersten Kalender für die verschiedenen Volksgruppen sind aus diesem Arbeitsbereich hervorgegangen. Ebenso wagte ich mich an die Herausgabe von Büchern, z.B. die Bildbände für einzelne Heimatgebiete, Erzähl-Literatur usw. In diesem Kreis erschien das erste Dokumentarwerk „Tragödie Schlesiens 1945/46 von Dr. Joh. Kaps. Uns vertraute das Bundesministerium für Vertriebene die mehrbändige „Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa“ zur Kommission an, die das Gesamtschicksal der Vertreibung der Deutschen für die Nachwelt festhielt. Als 1950 die amerikanische Besatzungsmacht den Weg für die Landsmannschaften freigab, konnten wir ihnen den größeren Teil unserer Aufgaben überlassen. Die kirchliche Arbeit lief in den einzelnen Volksgruppen-Organisationen weiter, die die Kirchliche Hilfsstelle in ihren Anfängen gegründet hatte. Die verlegerischen Arbeiten, z.B. die Zeitschrift „Christ unterwegs“ und Heimatliteratur der Vertriebenen nahm ich auf meine eigene Kappe oder überließ sie Verlegern aus den Reihen der Vertriebenen. Ein Abschnitt meines Lebens lief aus. Stimmungsbild aus der Nachkriegsnot der Enterbten

Seelsorge in Vertreibung und Ankommen

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deutschen Teil Pater Paulus Sladek verantwortlich. Die erste Ausgabe hatte einen Umfang von 49 Schreibmaschinenseiten, die hektographiert verschickt worden waren. Den vertriebenen Priestern wurden neue Anschriften ostdeutscher Priester ebenso mitgeteilt wie persönliche Nachrichten und Mitteilungen. Da ging es um die Mitteilung von Todesfällen, von Geburtstagen. Vorgaben der Verwaltung für die Flüchtlingsunterbringung wurden publiziert, ebenso Exzerpte aus Briefen, die die Schwierigkeiten der Aufnahme schilderten: Die Ausnützung der Flüchtlinge bis zum Äußersten. Nur selten fanden sie Liebe und Verständnis. Viele suchten nach einer Ausflucht, indem sie Gedanken an die Auswanderung nach Übersee schmiedeten, in Lethargie verfielen oder sich der Hoffnung verschrieben, bald wieder in die Heimat zurückkehren zu können. Positionen, die über der Situation stehen, reflektieren und einzuordnen

Welche Stimmung unter den Bombengeschädigten und Flüchtlingen im Juli 1945 herrschte, beschreibt ein Brief, den ich im Juli 1945 an den Landrat einer Würmtalgemeinde am Stadtrand von München richtete. Darin heißt es u.a.: „Ich traf hier meine aus dem Kampfgebiet an der Oder geflüchtete Frau und meine 5 Kinder im Alter von 2 Monaten bis 10 Jahren. Sie waren in letzter Minute aus der Kampfzone abtransportiert worden und konnten nur das mitnehmen, was sie am Leibe hatten. Man hat sie in der Zufluchtgemeinde bei München sehr freundlich mit Bezugscheinen aller Art versehen. Der Einkauf von Haushaltswaren im Gesamtwert von RM 95.--, gewiss ein bescheidener Betrag angesichts der Größe meiner Familie. Nun sind nach dem Zusammenbruch die Bezugsscheine ungültig erklärt werden. Seitdem haben wir nichts mehr davon gehört, wie man die Flüchtlingsnot zu steuern gedenkt. Sie können sich denken, wie es einem Heimkehrer zumute ist, wenn er seine Familie in den allerdürftigsten Verhältnissen vorfindet. Es ist nicht schlimm, wenn meine Kinder im Sommer barfuß laufen, was sollen sie aber bei Eintritt der schlechten Witterung machen? Meinem fünfjährigen sind die Zehen buchstäblich durch das Oberleder seiner einzigen Schuhe gewachsen. Schuhwerk, das reparaturbedürftig ist, machen uns die Handwerker nicht. Wir sind ja nur „Flüchtlinge“ und keine Dauerkundschaft. Trotzdem der Bürgermeister uns einen Schuhmachermeister zugewiesen hatte, sind wir von ihm nicht angenommen worden. Der Herr Schuhmachermeister braucht die Behörden nur, um Material zu bekommen. Meine Frau hatte auf ihren Bezugschein ein Stück Stoff für ein Sommerkleid bekommen. Aber keine Schneiderin hat den bisher angenommen. Sie sind alle mit Arbeit überlastet! Glauben Sie, diese Schneiderinnen würden nur für die wirklich Bedürftigen, die Flüchtlinge und Ausgebombten arbeiten? Wohin treibt man uns, fast die Hälfte des Volkes, die der Krieg völlig enterbt hat. Können wir auf die Dauer ruhig bleiben, wenn die noch Besitzenden nicht zu ihrem Teil an der Not teilnehmen? Denn wer heute noch Besitz hat, verdankt ihn nicht mehr wie früher dem Verdienst der Ahnen oder der eigenen Leistung, sondern einem glücklichen Zufall, er gehört ihm also gerechterweise viel weniger zu eigen als zu irgendeiner früheren Zeit. Wäre es beispielweise nicht gerecht, wenn einer, der ein Bett nicht wirklich belegt, es dem zur Verfügung stellen müsste, der keines hat? Man muss befürchten, dass das, was nicht von oben gemacht wird, von unten gemacht wird. Kein vernünftiger Mensch wird den Plünderungen zustimmen. Sie haben nur unrechtes Gut an den unrechten Mann gebracht. Aber was hinter der Plünderungswut steckt, das Grollen der Enterbten, sollte man oben nicht überhören.“ Dieser Brief aus den ersten Monaten nach dem Kriege enthält viel Bitterkeit, ist ein Hilfeschrei der Enterbten, kündet ein unterirdisches Grollen. Er gibt ein eindrucksvolles Stimmungsbild der ersten Nachkriegsnot. Man darf aber darüber nicht vergessen, dass es auch viele Nochbesitzende, viele Einheimische gab, die den Enterbten nach Kräften zu helfen versuchten, Früchte und Gemüse aus ihren Gärten, Brot unter dem Ladentisch, Geschirr-Reste aus einer verlorenen Ecke, Wollsachen zum Aufzupfen, sogar Bettwäsche usw. mitleidenden Herzens dahingaben.“

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versuchen, waren eher selten zu vernehmen. Sie sind daher als besonders anregende Beispiele vermehrt in die Skizzen und Mitteilungen aufgenommen worden. „Es waren ja auch sehr böse Monate. Stets in Angst um die körperliche Unversehrtheit und dazu die Sorgen um meine beiden Kinder und die materiellen Nöte daneben. Wenn uns auch alles verloren ging, so kommt es uns trotz der schmerzlich vermissten Selbstständigkeit vor, wie im Paradies hier, wo wir bei den Eltern meines Mannes einen Unterschlupf gefunden haben. Trotz aller Nöte der Gegenwart haben wir, Dank einem tiefen Gottesglauben, niemals die Hoffnung auf einen guten Ausgang unseres Wanderweges verloren und so sind wir auch sicher, dass auch für uns wieder einmal die Zeit kommt, da wir einen neuen Haushalt beginnen können. Und die Vorbereitungen dazu sind gewiss auch Bringer vieler Freuden.“3 Obdach finden, die Begegnung mit den Einheimischen, wieder in Arbeit kommen, waren die großen Aufgaben, die keine Selbstläufer waren, sonst hätte Pater Paulus Sladek nicht quasi zum Einstieg in die Skizzen und Mitteilungen einige Gedanken und Anregungen mitgegeben zur Begegnung in Christus. Es sind Erinnerungen daran, in Armen, Kranken, Hungernden und heimatlosen Christus zu entdecken. „Ihr alle, Männer und Frauen, in Haus und Hof, in Werkstatt und Büro, Ihr Heimatlosen in den Baracken und auf den Straßen, Reiche und Arme, Satte und Hungrige hört doch! Was lauft Ihr aneinander vorbei, als wären Abgründe aufgerissen zwischen Euch! Was schaut Ihr misstrauisch und neidisch, verängstigt und abweisend aufeinander und gönnt einer dem anderen nicht das Stücklein Brot, das er in den Händen hält. Hört doch! Christus … will von einem zum anderen gehen und den Abgrund überbrücken. Die Mauern zwischen Euch niederreißen, den Neid auslöschen und den Hass zunichte machen. Ein Mensch kommt zu Dir. Siehst Du nicht, dass Christus zu Dir kommt? Glaube doch, dass Christus kommt, wenn der Geringste seiner Brüder zu Dir kommt und Du wirst unter der Armut, unter dem Neid und vielleicht auch dem Hass das verkümmerte Bild Christi hervorschimmern sehen, wie unter Lumpen …“4 Dieser Wegweisung folgend wurden zwei Predigtskizzen eingefügt in die erste Ausgabe des „Flüchtlingsseelsorgers“. Eine Predigtskizze an die einheimische Bevölkerung und eine an die Heimatlosen zu Trost und Ermunterung. Die Predigt an die einheimische Bevölkerung erinnerte an die Menschenpflicht, die Massenausweisungen zu verhindern oder einzuschränken. Da dies aber nicht in der Macht der Menschen in Deutschland stand, blieb ihnen die größere Aufgabe, die unabwendbaren Ereignisse aufzufangen, die Flüchtlinge aufzunehmen, sie zu betreuen und ihnen den Weg zu einem neuen Dasein zu ebnen. Dafür mussten sie zunächst die Situation der Ausgewiesenen wahrnehmen, ihre Klagen um die Toten, die zerrissenen Familien, eine Zeit ungeahnter Bitterkeit auch nach Ende des Krieges. Verlust von Habe und Heimat, Verlust des Arbeitsplatzes und des sozialen Kontextes, der Wertschätzung. „Alles in allem: die Ausgewiesenen und Flüchtlinge gehören zu den Ärmsten der Armen. Sie leiden Mangel an den notwendigsten Dingen und an der

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Christ unterwegs Jg. 1, einzusehen u.a. bei den Beständen Königstein bei der KZG Bonn, S. 39. Ebd., S. 3f.

Seelsorge in Vertreibung und Ankommen

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Seele sind sie tief verwundet. Es gehört darum zu den elementarsten Menschenpflichten, dass wir ihnen nach Kräften helfen, den Hungernden Brot, den Kranken ein Bett, den Kindern eine Wiege, den Ausgeplünderten ein Kleid, den Männern Arbeit und den Frauen einen Herd verschaffen, trotz eigener Not, die schwer auf uns lastet.“5 Jeder Einzelne sei hier gefordert. Es genüge nicht, den Behörden und caritativen Einrichtungen die Sorge für die Ausgewiesenen zu überlassen. Bezeichnend war, dass Sladek die Eindringlichkeit seines Appells damit zu steigern versuchte, dass er die gemeinsame Volkszugehörigkeit der Ausgewiesenen unterstrich. Dahinter stand die Erfahrung, dass viele als aus dem Osten kommend vermeintlich keine Deutsche mehr waren. Man wunderte sich, dass Menschen, die aus Schlesien kamen, deutsch sprechen konnten. Sladek erinnerte daran, in den Ausgewiesenen mehr das Eigene und weniger das Fremde zu sehen und wollte so den Brückenschlag erleichtern. Gleichzeitig mahnte er die Einheimischen, die Kriegsfolgen gemeinsam zu tragen und nicht einseitig auf die Ausgewiesenen in der ganzen Last abzuwälzen, denn die Ursachen hätten sie auch beide gemeinsam zu verantworten, die Ausgewiesenen und die Einheimischen. Diese Ursache benannte Sladek im Mai 1946 ganz klar als die fatale Auswirkung einer Entwicklung hauptsächlich seit 1933. Sehr nüchtern und zukunftsweisend erinnerte er die Einheimischen an die großen Aufgaben, die damit auf sie zukamen und wollte so unterstreichen, dass die Aufgabe keinesfalls eine kurzzeitige sein könne, sondern die Vertriebenen kämen und würden bleiben und würden die Bevölkerung verändern, würden die Wirtschaft verändern, denn sie brächten ja auch Fähigkeiten, Impulse, positive Werte mit und seien nicht nur Aufgabe. Sie sollten auch als eine Chance begriffen werden. Sladek wollte Sensibilität wecken für die Notwendigkeiten und Aufgaben eines langwierigen Integrationsprozesses. An die Adresse der Heimatlosen richtete sich der Appell, nicht in Schwermut und Verzagtheit zu verfallen, die Lage nicht als auswegs- und aussichtslos zu sehen, denn jede Not sei vorübergehend und heilbar, das lehre der Rückblick in die Geschichte. „Ohne Zweifel treffen die Ereignisse am schwersten die ältere Generation, die mit allen Fasern ihres Herzens an der früheren Heimat hängt. Man möge ihr gütig begegnen. Die Jüngeren dagegen mit ihrem Überschuss an Zeit und Kraft setzen sich leichter über die Schwierigkeiten hinweg und blicken zuversichtlich in die Zukunft. Es ist erstaunlich, wie viel Lebensenergie in den Umsiedlern zutage tritt. „Wenn wir nur irgendwo Wohnung und Arbeit finden“, so sprechen oder denken sie. Das andere wird sich dann schon geben. Sie haben Recht. Mit Geduld und Tatkraft lässt sich scheinbar Unmögliches meistern. So urteilen wir aus menschlicher Erfahrung und wir stützen es in unserem Fall aus religiösen Gründen.“6 Diese religiösen Gründe waren: die ‚Umsiedlung’ konnte Leben und Religion nicht auseinander reißen, sondern habe ihre Zusammengehörigkeit bekräftigt. Auch wenn die Gräber und die steinernen Kirchen in der alten Heimat geblieben seien, was in der Religion lebendig ist, das wanderte

5 6

Ebd., S. 6. Ebd., S. 12.

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mit. Es sind die Priester, die zusammen mit den Gemeinden ihr Haus verlassen haben und sich irgendwo in der Fremde eine neue Bleibe suchen. Es ist der Glaube, der mitgewandert ist und es ist die Zusage Christi, dass er mitten unter den Vertriebenen sei. Das spreche er auch zu den aus der Heimat Vertriebenen. Solche grundsätzlichen Sonntagspredigten im Alltag erlebbar zu machen und weiterzuführen, bedurfte langer und mühsamer Arbeit vieler Vertriebenenseelsorger. Dazu dienten viele Treffen mit Gottesdiensten, Wallfahrten, gewohnte Andachten mit heimischen Liedern und die Verehrung heimatlicher Heiliger. So verwundert es auch nicht, dass bereits in den ersten Skizzen und Mitteilungen für die Vertriebenenseelsorger eine Betrachtung über St. Hedwig, Schlesiens Landespatronin, eine bayerische Fürstentochter begegnet – ein Brückenschlag zwischen der Heimat und dem Aufnahmegebiet. Für manchen Schlesier ein Brückenschlag zwischen dem Osten und dem Süden. Gemeinsamkeiten und Verbindungslinien wurden unterstrichen. Entscheidend war Vorurteile abzubauen, um das Fremde verständlicher zu machen. Informationsveranstaltungen über die Eigenart, die religiöse Mentalität der Einheimischen, vor allem aber auch der vertriebenen Gruppen, die ankamen, sollten durchgeführt werden. So setzte sich ein Artikel mit den Sudetendeutschen, „Was sind das für Menschen?“, auseinander. Er beschäftigte sich vorrangig mit der religiösen Art und Tradition der unterschiedlichen Gruppen der Sudetendeutschen.7 Ganz praktische Hinweise gab Pater Paulus Sladek, wenn er seelsorgerliche Aufgaben gegenüber den Ausgewiesenen skizzierte und hier an die erste Stelle caritative Aufgaben rückte. Grundsätzlich wichtig sei eine gute Aufnahme der Vertriebenen durch die Einheimischen. Die ersten Notstände müssten beseitigt werden. Dafür müsste die Pfarrgemeinde durch eine Predigt über das Flüchtlingsproblem vorbereitet werden. Die Ausgewiesenen sollten bei ihrer Ankunft im Ort durch den Seelsorger begrüßt werden. Der Seelsorger sollte bei der Unterbringung der Ankömmlinge mithelfen und mit seinen eigenen Räumen im Pfarrhof Beispiel gebend umgehen. Sladek schlug einen eigenen Begrüßungsgottesdienst vor, bei dem die Ausgewiesenen in den ersten Bänken säßen. Eine gemeinschaftliche Koch-, Wasch- und Badegelegenheit solle geschaffen werden, weil meistens die Stube beim Bauern, die den Ausgewiesenen überlassen werde, keine Kochgelegenheit habe und aus der Benützung des gleichen Herdes oft Streitigkeiten entstünden. Die Schaffung einer Gemeinschaftsküche für die Vertriebenen beseitige manchen Anlass von Streit und Verbitterung. Ebenso die Gelegenheit zum Wäsche waschen und baden. Den Bedürftigen solle man mit Kleidern, Wäsche und Schuhwerk aus der Caritassammlung aushelfen, eine Nähstube für die Ausgewiesenen schaffen und im nächsten Schritt ihnen helfen, eine neue Existenz aufzubauen. Folgende Wege dafür schlug Sladek vor: Der Seelsorger solle Hausbesuche machen, die Möglichkeit zu einer Aussprache geben, damit die Ausgewiesenen sich auch seelisch erleichtern könnten. Er solle Zusammenkünfte der Heimatlosen in Gegenwart

7

Ebd., S. 20-23.

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des Seelsorgers und Bürgermeisters initiieren, um die anliegenden drängenden Fragen besprechen zu können. Regelmäßige Gottesdienste für die Flüchtlinge sollten etwa alle vier Wochen gehalten werden. Dort sollten die gewohnten Lieder gesungen werden. Die Predigt sollte auf die spezifische Lage und die Schwierigkeiten der Ausgewiesenen eingehen. Aus den Reihen der Ausgewiesenen sollte ein caritativ seelsorgerliches Apostolat aufgebaut werden, damit die Vertriebenen zu einem intensiveren religiösen Leben verpflichtet würden, damit sie sich nicht nur umsorgt vorkämen, sondern auch selber Aufgaben übernähmen. Der Pfarrer solle vermitteln zwischen Einheimischen und Ausgewiesenen, Schwierigkeiten und Missverständnisse beilegen helfen. Die wichtigste und schwierigste Aufgabe des Seelsorgers liege in diesem Bereich, wenn er für die jeweilige Eigenart der unterschiedlichen Gruppen um Verständnis werbe. Für die Kinder und Jugendlichen unter den Vertriebenen müsse gesorgt werden, ebenso spezifisch für die Unterbringung der Alten und Kranken. Schließlich sei es Aufgabe des Seelsorgers, bei Stellenvermittlung und Arbeitsbeschaffung mitzuhelfen und sich auch der Fürsorge der Kriegsversehrten anzunehmen.8 Der „Christ unterwegs“ wurde sehr schnell zum grundlegenden Pastoralblatt für die vertriebenen Seelsorger und die vertriebenen Katholiken. Immer wieder begegnen unter den Autoren Mitarbeiter Königsteins. So etwa Domkapitular Weißkopf9 in „Christ unterwegs“ 3, 1949, Heft 1, S. 3 und Heft 2, S. 1 zum Thema „Vom Recht der Heimatvertriebenen“. Edmund Piekorz10, der spätere Regens in Königstein, berichtete in „Christ unterwegs“ 2, 1948, über die Selbsthilfe der Heimatvertriebenen und skizzierte dabei die Nothilfe der heimatvertriebenen Laubaner, die 1947 insgesamt annähernd 30.000 Reichsmark für die gegenseitige Nothilfe gesammelt hatten. Ein Zeichen, dass der Heimatgedanke bei den Vertriebenen nicht nur Sentimentalität war, sondern Kräfte größter Opferfreudigkeit weckte. Piekorz war Seelsorger im schlesischen Lauban gewesen für etwa 3.000 Katholiken unter 22.000 evangelischen Christen. Sie waren über alle vier Besatzungszonen zerstreut. Als seine Aufgabe sah es Piekorz als Pfarrer, den Pfarrangehörigen zu helfen, sich gegenseitig wieder zu finden. Deswegen gab er seit Oktober 1945 monatliche Suchlisten und Anschriftenverzeichnisse heraus, in denen er auch die evangelischen Laubaner berücksichtigte. So konnte er in knapp drei Jahren über 5.000 Familienanschriften sammeln. Der „Gemeindebrief“ hatte eine Verbindung geschaffen. Auf diesem Weg wurde die Solidarität geweckt. Die Heimatlosen hatten gelernt, irdischen Besitz als Verpflichtung zur Teilung mit Besitzlosen anzusehen. Sie wussten, wie wichtig Solidarität war. „In den „Gemeindebriefen“ wurden – unter Fortlassung der Namen – Dankschreiben von unterstützten Laubanern bekannt gegeben, aus denen hervorging, wie die Laubaner Nothilfe nicht bloß materielle Hilfe in äußerster Not bedeutet, sondern mehr noch das

8 9 10

Ebd., S. 27f. Joseph Weißkopf, Art. Böhmische Brüder, in: Lexikon für Theologie und Kirche Band 2, 21958, Sp. 563-565. Dr. Edmund Piekorz, geboren am 15. August 1899, wurde am 17. März 1923 zum Priester geweiht, gestorben am 25. März 1979. Bischöfliches Zentralarchiv Regensburg P 5025.

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Abschnitt I

Gefühl gibt, in der Fremde doch noch einer geistigen Heimat anzugehören und so vor dem Schlimmsten der Verzweiflung bewahrt zu bleiben.“11 Die Gemeindeidentität, die Gruppenidentität evozierte offensichtlich eine größere Solidarität, als wenn die Vertriebenen für andere Vertriebenengruppen hätten spenden müssen. Es blieb ein vertrauter, überschaubarer Raum. Piekorz war überzeugt, dass die Vertriebenen alles aus sich herausholen würden, wenn man ihnen die Möglichkeit gäbe, zusammen mit ihren engeren Mitbürgern und Landsleuten, also ähnlich wie die Laubaner auf Gemeindeebene überkonfessionell, sich eine neue Heimat aufbauen zu können. „Dieser Heimatgedanke, der zu unerhörten Opfern anfeuert, stärkt durch eine heimatliche Notselbsthilfe, belebt alle in der jetzt noch weitgehend empfundenen Heimatlosigkeit.“12 So werde auch der lähmendste Gedanke der Heimatvertriebenen zerschlagen, dass für sie nichts getan werde. Erich Puzik13 schließlich setzte sich mit der geistigen Lage und Aszese des heimatvertriebenen Priesters auseinander.14

Veränderungen Als ein Beispiel für die Situation der Ausgewiesenen drei Jahre nach der Ankunft wurde in „Christ unterwegs“ 4, 1950, ein hessisches Dorf unter die Lupe genommen.15 Ein Bauerndorf mit früher 320 Einwohnern war auf 560 Einwohner angewachsen. Die Einweisung war als behördlich angeordnete Zwangsmaßnahme empfunden worden. Die Habenichtse waren bei den bodenständigen Bauern auf stärkste Ablehnung gestoßen. Unterschiede im Dialekt, in der Religion, in den Sitten, den Lebensgewohnheiten wurden als Barrieren wahrgenommen. „Verständnis für die Ursachen und Hintergründe der Aussiedlung, menschliche Hilfsbereitschaft und Mitgefühl für die vom Schicksal unverschuldet hart getroffenen fand sich nur in den seltensten Fällen.“16

11 12 13

14 15 16

Edmund PIEKORZ, Selbsthilfe der Heimatvertriebenen, in: Christ unterwegs 2 (1948), S. 6-8, hier S. 6. Edmund PIEKORZ, Selbsthilfe der Heimatvertriebenen, in: Christ unterwegs 2 (1948), S. 6-8, hier S. 7. Erich Puzik (1901 – 1993) war von 1934 bis 1942 Spiritual am Priesterseminar in Breslau, von 1947 bis 1948 in Königstein und von 1948 bis 1967 in Neuzelle. Von 1967 bis 1970 war er Regens des Priesterseminars in Neuzelle. Franz Georg FRIEMEL, Erich Puzik, in: Michael HIRSCHFELD / Johannes GRÖGER / Werner MARSCHALL (Hg.), Schlesische Kirche in Lebensbildern. Band 7. Münster 2006, S. 250-256. (Künftig zitiert als HIRSCHFELD et al., Schlesische Kirche, Band 7) Erich PUZIK, Zur geistigen Lage und Aszese des heimatvertriebenen Priesters, in: Christ unterwegs 2 (1948), Nr. 5, S. 8ff. und Nr. 6, S. 11ff. MORAVICUS, Ein hessisches Dorf unter der Lupe. Drei Jahre nach der Einweisung der Heimatvertriebenen, in: Christ unterwegs 4 (1950), Heft 1, S. 7-9. MORAVICUS, Ein hessisches Dorf unter der Lupe, S. 7.

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Die Gegensätzlichkeiten bestanden auch drei Jahre später noch und behinderten ein menschliches Näherkommen. Willkommene Aufnahme fanden die Heimatvertriebenen als landwirtschaftliche Arbeitskräfte. Sie wurden den bisherigen zwangsverpflichteten Ostarbeitern in Behandlung und Entlohnung oftmals gleichgesetzt. Die Heimatvertriebenen waren zunächst zufrieden, sich satt essen zu können, sie forderten nur in den seltensten Fällen Bezahlung. „Diese offensichtliche Ausnützung, die in krassen Fällen bis zur Ausbeutung hilfsloser, wirtschaftlich abhängiger Menschen geht, und zwar durch eigene Volksgenossen, trug mehr als alles andere zu der tiefen Kluft bei, die unsere Dörfer in zwei Schichten teilt: hier die Besitzenden, dort die neue Dorfarmut.“17 Das Dorf hatte seine Lebensgewohnheiten nicht geändert. Es hatte zwar die Heimatvertriebenen aufgenommen, aber als Fremdkörper. Solche blieben sie zunächst auch. Trotz all der Barrieren wurden zwar zwischen Einheimischen und Vertriebenen bereits drei Mischehen geschlossen. Aber ansonsten blieben vor allem in der älteren Bevölkerung die beiden Gruppen, Einheimische und Vertriebenen, bei allen Gelegenheiten gesondert. Die Eingliederung der Heimatvertriebenen in das wirtschaftliche Leben des Dorfes war über erste Ansätze kaum hinausgekommen, so dass die Aufgaben für die Zukunft sehr groß waren. Trotz der bitteren Erfahrungen und Enttäuschungen, hieß es im Artikel, müssten die Vertriebenen versuchen zu vermitteln und auszugleichen. Walter Menges18 schrieb im März 1955 über den Einfluss der Heimatvertriebenen auf das kirchliche Leben in der Diaspora. Er untersuchte die Veränderungen in der konfessionellen Struktur durch die Zuwanderung der Heimatvertriebenen ebenso wie die katholischen Heimatvertriebenen im kirchlichen Leben ihrer neuen Heimat. Dabei kommen auch viele Selbstverständlichkeiten zur Sprache, etwa dass die vertriebenen Katholiken in den Diasporagebieten einen stärkeren Einfluss auf das religiöse Leben den neuen Gemeinden nehmen konnten als die Vertriebenen, die in einheimische Gemeinden kamen. Andererseits wurde kontinuierlich geklagt, dass vielen Katholiken die Diasporareife fehlte. Sie kamen im weit verzweigten Filialsystem der Seelsorge in der Diaspora nur schwer zurecht. Ihre religiöse Mentalität entsprach in manchen Elementen nicht der der ansässigen einheimischen Katholiken. „Nachdem seit der Zuwanderung der Heimatvertriebenen jetzt nahezu zehn Jahre ins Land gegangen sind und die erste Etappe der gesellschaftlichen Eingliederung abgeschlossen ist, wäre es durchaus erwünscht und für die Gestaltung der Seelsorge zweckdienlich, exakte Aussagen darüber zu haben, wie sich diese Zuwanderung in die Diaspora in ihrem kirchlichen Leben ausgewirkt hat, welche Spannungen entstanden sind und welche Schwierigkeiten noch fortdauern.“19

17 18 19

MORAVICUS, Ein hessisches Dorf unter der Lupe, S. 7. Vgl. J. DELLEPOORT / N. GREINACHER, W. Menges: „Die deutsche Priesterfrage“. Mainz 1961. Walter MENGES, Über den Einfluss der Heimatvertriebenen auf das kirchliche Leben in der Diaspora, in: Christ unterwegs 9 (1955), Heft 3, S. 1-4, Zitat S. 3.

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Abschnitt I

Anschließend stellte Menges die Ergebnisse einer Feldstudie vor, die er vor allem in Schleswig-Holstein, also in Diasporagebiet, durchgeführt hatte und kam zu folgenden Erkenntnissen: die kirchliche Bindung und Betätigung sei bei den heimatvertriebenen Katholiken größer als bei den Einheimischen. Heimatvertriebene Katholiken konnten trotz der widrigen Umstände in der Mehrzahl ihre mitgebrachte religiöse Substanz bewahren. Sie bewirkten eine echte Bereicherung des kirchlichen Lebens, in quantitativer wie qualitativer Hinsicht.20 In erster Linie den konfessionellen und kirchlichen Folgen der deutschen Binnenwanderung der Nachkriegszeit waren Beiträge von Walter Menges in „Christ unterwegs“ 1955, Nr. 10 und 1956, Nr. 5 gewidmet.21 Der Schwerpunkt seines Interesses lag wiederum auf den Diasporagebieten – nicht zuletzt auf Schleswig-Holstein. Sah er doch die sogenannte zweite Wanderung der Vertriebenen auch als eine Korrektur der in den konfessionellen Verhältnissen eingetretenen Verschiebungen und Verzerrungen. So waren etwa die katholischen Vertriebenen in überproportionalem Maß an der Abwanderung aus Schleswig-Holstein beteiligt. Diese Abgewanderten ließen sich vor allem in katholischen Ländern und Landesteilen der Bundesrepublik nieder. Das bedeutete aber auch für die kirchliche Arbeit, sich an diese ständig neu ändernden Verhältnisse anzupassen. Menges forderte für die Binnenwanderer besondere seelsorgerliche Bemühungen, damit sie am Ort der neuen Niederlassung reibungslos in die kirchliche Gemeinschaft aufgenommen und einfügt werden könnten. Quasi als dritte Folge zum Themenfeld ‚Integrationsvorgänge und die Situation in den Gemeinden’ ist eine Reflexion von Richard Hackenberg22 zu sehen, der als Leiter der Aktion „Kirche und Heimat“ der ’Katholischen Aktion im Bistum Limburg und als Landtagsabgeordneter im Hessischen Landtag über ungelöste Vertriebenenprobleme sprach. Hackenberg wehrte sich dagegen, die Vertriebenenarbeit einseitig als eine Eingliederungsaufgabe zu sehen. Man habe damit die Problematik zu stark auf die wirtschaftliche Ebene abgeschoben; als solche war sie gegen Ende der fünfziger Jahre/Anfang der sechziger Jahre in einem erfreulichen Ausmaß gelöst. Nach Hackenbergs Einschätzung übersah man dabei aber, dass Eingliederung auch eine seelische, kulturelle und geistige Bedeutung aufweise. Dort lägen die eigentlichen Aufgaben, die noch immer vor der Gesellschaft stünden. Die Summe menschlicher Beziehungen, die heimatliche Geborgenheit ausmachten, sei keineswegs erreicht. „Und auch um die einzelnen Posten dieser wichtigen Rechnung ist es schlecht bestellt, macht man sich die Mühe des Lokalaugenscheins in den Dörfern und Städten. Wir dürfen nicht vergessen, dass es hier um Menschen geht, die nicht nur von Haus und Hof, sondern aus ihrem angestammten, tausendfach strukturierten

20 21 22

MENGES, Über den Einfluss der Heimatvertriebenen..., S. 4. Walter MENGES, „Wandernde Kirche“. Konfessionelle und kirchliche Aspekte der westdeutschen Binnenwanderung, in: Christ unterwegs 10 (1956), Heft Nr. 5, S. 3f. Richard Hackenberg (1909 – 1995), MdL Hessen. Vgl. Jochen LENGEMANN, Präsident des Hessischen Landtags (Hg.): Das Hessen-Parlament 1946–1986. Biographisches Handbuch des Beratenden Landesausschusses, der Verfassungsberatenden Landesversammlung und des Hessischen Landtags (1.–11. Wahlperiode). Frankfurt/M. 1986.

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Lebensumkreis vertrieben worden sind, so dass ein psychisches Trauma und soziologische Störungen notwendige Folge sind. Man spricht zu Recht von der Unabdingbarkeit einer vielgestaltigen und neuen emotionalen Verwurzelung, mit deren Gelingen die Eingliederung erst abgeschlossen sein wird.“ Man müsse das Vertriebenenproblem, vor allem den Anspruch auf das Heimatrecht der Vertriebenen, als ein internationales Thema, eine internationale Aufgabe sehen. Dafür sei notwendig, in die Politik so einzuwirken, in ihr mitzuwirken, dass sie sich nicht isoliere, sondern ein Bestandteil der Weltpolitik bleibe. Vertriebenenproblem und Ostfragen müssten ein gesamtdeutsches Anliegen bleiben. „Jedes Recht hat nur insoweit Aussicht auf Realisierung, als seine Träger gewillt sind, Opfer zu bringen. Es soll hier nicht vom Ja zu unseren Bündnisverpflichtungen, zur Nato und den Verteidigungsanstrengungen die Rede sein, sondern von dem gesunden Beharrungsvermögen auf dem eigenen, als Recht erkannten Standpunkt. Hier darf die Geduld nicht erlahmen und die sittliche Verpflichtung keinem bequemen Desinteresse weichen. Unser Kampf um das Recht lebt aus dem leidenschaftlich bewegten Gewissen und ist auf die Treue und den Einsatz jedes Einzelnen angewiesen.“ Hackenberg unterstrich dabei selbstverständlich, dass die Forderungen nach dem Recht auf Heimat und auf Selbstbestimmung mit friedlichen Mitteln verwirklicht werden müssten. Der Kreislauf von Unrecht, so dass Unrecht neues Unrecht zeugt, müsse durchbrochen werden.

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Abschnitt I

2.

Wie erlebten die Priester ihre Situation

Viele Priester aus dem Osten, aus dem Sudetenland und aus dem Südosten Europas hatten das Schicksal der Gläubigen geteilt, hatten nur notdürftig eine Unterkunft gefunden, versuchten mit den Gläubigen ihrer Heimatgemeinden Kontakt zu halten und waren in den weiten Diasporagemeinden Mittel- und Norddeutschlands im Einsatz.23 Sie brauchten für die Startphase materielle Unterstützung in ihrer Seelsorgearbeit, sie brauchten ein Forum zur Begegnung, zum Austausch ihrer Erfahrungen und Nöte, einen Ort, wo Seelsorge an den Seelsorgern möglich war. Das wollte Königstein mit dem Priesterreferat und den Tagungen für die vertriebenen Seelsorger sein. Die Priester teilten das Schicksal mit den Laien. Auch sie hatten alles zurücklassen müssen. Viele hatten Schikanen erdulden müssen und viele wurden nicht besonders wohlwollend aufgenommen. Und doch blieb einem Großteil von ihnen keine Verschnaufpause, um ihr Schicksal zu deuten und zu ordnen: Sie waren gefragt und sollten den Gläubigen – oft den Angehörigen aus den Herkunftsgemeinden, mit denen sie über Rundschreiben und Gemeindebriefe Kontakt suchten und hielten und den Gläubigen, vor allem den Vertriebenen in den Ankunftsgemeinden – beistehen, materiell und ideell, ihnen Trost spenden, sie ermutigen, Perspektiven aufzeigen. Ein Beispiel dafür ist Bischof Kaller, ein anderes Kindermann. Trotz ihres vielfältigen Engagements auf den unterschiedlichsten Ebenen konzentrierten sie ihre Ausführungen immer wieder auf das Grundproblem des Eigentums bzw. der Besitzlosigkeit und mahnten so die Einheimischen an die Gemeinwohlverpflichtung des Eigentums, an die Pflicht zu Solidarität und Nächstenliebe und die Vertriebenen an die notwendige Haltung der Gelassenheit in der Armut: Sie sollten ihr Schicksal als Chance für ein intensiver verwirklichtes Christsein begreifen und ergreifen.24 „Mach dir nicht allzu große Sorgen um irdisch Gut. Haben wir nicht alle miteinander erleben müssen, gerade in der letzten Zeit, wie leicht uns irdisch Gut entschwindet?... Wir alle müssen freier werden in unserer Haltung zu den Dingen dieser Welt.“25 Als Beispiel stellte Kindermann den knapp zwei Wochen zuvor verstorbenen Bischof Kaller vor: „Er hatte fürwahr sein Leben und Wirken in die Liebe gehoben treu seinem Wahlspruch: uns treibt die Liebe zu Christus. Doch ganz groß wird diese Liebe und für uns ein leuchtendes Vorbild, da er, allen Glanzes bar, sich 23

24 25

Hier kann nur exemplarisch verwiesen werden auf HIRSCHFELD, Katholisches Milieu und Vertriebene, v.a. S. 372-508. – Alfred PENKERT, Höhere Mächte haben entschieden. Flucht, Vertreibung und Ankommen ostpreußischer Katholiken im Spiegel ihres Briefwechsels mit Bischof Maximilian Kaller. Mit einem Abriss der ermländischen Nachkriegsgeschichte. Berlin 2008, v.a. S. 23-164. – Ulrike WINTERSTEIN, Vertriebener Klerus in Sachsen 1945 – 1955. Paderborn u.a. 2010. Kindermann, Katholische Morgenfeier am 20. Juli 1947, masch. 6 Seiten, KZG Bonn, Bestand RKA D XI. 11a. Vgl. Dokument Nr. 1 im Anhang. Ebd., S. 4.

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dem großen Strom der Heimatvertriebenen eingliedern muss. Er trug das Kreuz der Armut als eine Auserwählung Gottes und wollte fürder nicht mehr anders sein als arm. So wird er freier für des anderen Not…“26 Die Priester hatten einen Beruf, der gebraucht wurde – in manchen Gegenden sogar dringend gebraucht wurde, was wiederum zu eigenen Schwierigkeiten führte, nämlich der Verteilung der Seelsorger in den unterschiedlichen Aufnahmeregionen der Vertriebenen. Etwa ein Drittel der katholischen Vertriebenen war in die sowjetisch besetzte Zone gekommen, aber nur 25 % der Seelsorger ließen sich bewegen, dorthin zu gehen. Viele wollten in geschlossen katholisches Gebiet gehen und dort ihre Aufgaben aufnehmen. Viele suchten einen Ort für die Seelsorge, wo sie auch ihre Angehörigen mit unterbringen konnten. Auch die Wohnraumsituation spielte also bei der Wahl des Ortes eine wichtige Rolle. Viele fühlten sich unverstanden, nicht akzeptiert von den Mitbrüdern. Viele litten darunter, dass sie nicht entsprechend ihrer letzten Stellung wieder angestellt werden konnten. Überhaupt spielte die Frage der Versorgung, der Besoldung eine zentrale Rolle. Manche scheiterten an den neuen großen Aufgaben. Sie hatten Gemeinden zu versorgen, sie sorgten sich auch um die Gemeinden ihrer Herkunftsorte, nicht selten durch Rundschreiben. Viele mussten ihre Arbeit in der Diaspora verrichten. Ihnen fehlte ausreichende Verpflegung und Kleidung. Nicht zuletzt dieser Notlage ist die Gründung der Ostpriesterhilfe verpflichtet. Ihre Sorgen und Nöte tauschten die Priester auf den Diözesanvertriebenenseelsorgerkonferenzen aus.

2.1.

Stellenprobleme – Unterschiede zwischen den Regionen

Die Schwierigkeiten und Belastungen der Diasporaseelsorger hat Alfred Penkert in seiner Auswertung des Briefwechsels der ermländischen Pfarrer in der Diaspora mit ihrem Bischof, Maximilian Kaller, eindringlich vor Augen gestellt.27 Penkert hat die Situationen sehr differenziert dargestellt, die Aufgabenschwerpunkte und Lasten des Seelsorgers der sowjetischen Besatzungszone im Nordwesten und im Süden Deutschlands vorgestellt. „Doch auch diese Mühseligkeiten und Beschwernisse waren noch nicht alle Anforderungen, die vom Seelsorger in jenen Regionen und Zeiten abverlangt wurden und wiederum hatte Dekan Basner den herausragenden Auftrag des hier wirkenden Priesters zum Ausdruck gebracht: Missionar sein, d.h. Gründer und Erbauer neuer Gemeinden, einschließlich ihrer gesamten Infrastruktur. Mit größtem Erstaunen ist nachzulesen, was er beispielsweise Bischof Kaller am 5. Juli 1946 über alle seine Unternehmungen in seinem Weimarer Bezirk in den letzten Monaten zu berichten hatte. Zunächst einmal musste der Religionsunterricht organisiert werden, wofür er sieben nebenamtliche Lehrer und Lehrerinnen fand, sodann konnte er zwei hauptamtliche Gemeindehelferinnen anstellen und schließlich noch dreißig Vertrauensleute

26 27

Ebd., S. 6. Vgl. Alfred PENKERT, „Auf den letzten Platz gestellt?“, S. 117-216.

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einsetzen. Außerdem begründete er die Pfarrcaritas in Verbindung mit dem wichtigen Suchdienst. Überdies kümmerte er sich um die Schriftenmission und den Devotionalienverkauf und nicht zuletzt führte er seine Helfer in die Gestaltung von Laiengottesdiensten, wie in die Krankenseelsorge ein.“28 Vor allem ältere Flüchtlingsgeistliche taten sich schwer, bei den Ordinariaten wieder Stellen zugewiesen zu bekommen und in der Weite der Diaspora waren sie nicht selten schnell überfordert aufgrund der langen Fußmärsche, die notwendig waren, um in die jeweiligen Einsatzorte zu kommen. Ebenso war es schwierig für arbeitsunfähige Priester, einen Altersruhesitz zu finden. Wie froh war hier Kaller gewesen, dass der Freiburger Erzbischof Gröber29 ihm anbot, Pensionäre zu übernehmen. „ … vornehmlich in den west-, süd- und südwestdeutschen Bistümern erfuhren sich nicht wenige von ihnen (von den ermländischen Vertriebenenpriestern) als hilflose und ohnmächtige Fremdlinge. Im Gegensatz zu ihren Mitbrüdern in den Diasporagebieten Mittel- oder Nordwestdeutschlands, die im allgemeinen in einer bescheidenen Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit ihren pastoralen Verpflichtungen nachgehen konnten, befanden sie sich fast ausnahmslos in abhängigen Arbeitsverhältnissen, erhielten vielfach nur wenig Anerkennung und empfanden sich häufig bestenfalls als geduldet. Erstaunlicherweise zahlten jedoch die Mehrheit der Ostpriester und auch die Mehrheit aller ermländischen Geistlichen diesen hohen Preis, um manche Vorteile, vor allem in den materiellen Lebensbedingungen, so wie in den sicher weitaus geringeren physischen Beanspruchungen verbuchen zu können.“30 Penkert hat die verletzenden Aspekte alle zusammengestellt. Es steht an der Basis verständlicherweise die berufliche Zurückstufung, die Probleme um die Stellenfrage, um die rechtlichen Klärungen, auch die oft dürftige Besoldung, der Nahrungsmangel bei vielen Priestern in der Diaspora, die Situation des Hilfsseelsorgers, der mit anderen kooperieren muss, obwohl er über Jahrzehnte hinweg die Selbständigkeit gewohnt war, das nicht selten fehlende Taktgefühl der Obrigkeit im Umgang mit den Priestern. „Ganz sicher ließ es auch Bischof Berning von Osnabrück an Fingerspitzengefühl fehlen, als im Herbst 1945 der soeben aus sowjetischer Gefangenschaft entlassene Pfarrer Dr. Gerhard Fittkau31 seinen Antrittsbesuch machte, um eine seelsorgliche Aufgabe zu erbitten. Statt des erwarteten freundlichen Wortes zur Begrüßung musste er zwar nicht den in dieser Situation recht ironisch klingenden Satz: „Mit wie viel Pferden kommen Sie?“ hören, womit etwa zur gleichen Zeit ein ebenfalls heimkehrender und um eine Anstellung bittender ermländischer Mitbruder dort empfangen wurde, sondern nur ein ziemlich belangloses: „Was wollen Sie?“32

28 29 30 31 32

Alfred PENKERT, „Auf den letzten Platz gestellt?“, S. 127. Erwin GATZ, Conrad Gröber (1872 – 1948), in: GATZ, Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1945 – 2001, S. 210-212. Alfred PENKERT, „Auf den letzten Platz gestellt?“, S. 176. Gerhard Fittkau (1912 – 2004) war später bis zum Tod Bischof Kallers dessen Sekretär. Vgl. PENKERT, Höhere Mächte haben entschieden, S. 29. Alfred PENKERT, „Auf den letzten Platz gestellt?“, S. 190.

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2.2.

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Besoldungsprobleme

Welche Sorge die Besoldung der vertriebenen Priester gerade für die Diasporadiözesen mit sich brachte, illustriert sehr deutlich ein Brief des Paderborner Erzbischofs Jaeger33 an seine Bischofskollegen vom 13. Januar 1949.34 Jaeger sprach dort von einer drohenden unmittelbaren Katastrophe bzgl. der Besoldung der heimatberaubten Seelsorger, denn trotz größter Anstrengung seien die Diözesen mit großer Diaspora nicht länger in der Lage, eine auch nur halbwegs hinreichende Gehaltszahlung an die vertriebenen Geistlichen zu leisten. „In einer Konferenz der Diasporadiözesen am 20. November 1948 in Paderborn erklärten mehrere Vertreter, dass sie nicht mehr wüssten, wie sie das wachsende Defizit in der Besoldungskasse selbst unter Einschaltung aller erdenklichen Hilfsmaßnahmen auch weiterhin ausgleichen sollen … Wenn uns die Nachricht erreicht, dass in einem mitteldeutschen Jurisdiktionsbezirke die Zuschussleistung an die einzelnen neuen Seelsorgestellen auf monatlich 100,- Ostmark herabgesetzt werden musste (eine Summe, die nach dem Normalkurs in den Berliner Westsektoren einen Wert von 27,- Westmark darstellt), so werden solche Verhältnisse, wenn sie länger anhalten, zu einem Absinken der Priester ins Proletariat führen.“35 Diese Zahlen illustrieren auch, was gemeint war mit der Bereitschaft zu einem Leben in Armut, das die Priester in der Diaspora auf sich nehmen sollten und warum man bereits beim Priesternachwuchs mit der Ausbildung einer solchen Gesinnung und Haltung beginnen müsse, damit man ausreichend Seelsorger für den Diasporaeinsatz zur Verfügung habe. Jaeger klagte, dass nicht in allen Diözesen die erforderlichen Maßnahmen zu den entsprechenden Kollekten erfolgt seien. Er bedauerte, dass es nicht eine für alle deutschen Diözesen einheitliche Besoldungsordnung gab, dass die Seelsorger in Notwohnungen untergebracht waren, also oft einer Dienstwohnung entbehrten, vor allem in den Diasporagebieten, und dass sie in den armen Flüchtlingsgemeinden auch nicht den sonst gewohnten wirtschaftlichen Rückhalt fänden.36 Die Verteilung der Priester entsprechend der Aufgabenlage in der Seelsorge, die Versorgung der Priester in den Diasporagemeinden, die zum Teil räumlich sehr weit ausgedehnt waren, die Sorge um das seelische Wohlergehen der vertriebenen Priester, um ihre Stärkung, um die Begleitung in den neuen Aufgabenfeldern, die Pflege der Gemeinschaft waren Kernaufgaben der Seelsorge an den Seelsorgern, die teils vom Priesterreferat in Königstein aus geleistet wurde und teils vom Vertriebenenbischof.

33 34

35 36

Erwin GATZ, Lorenz Jaeger (1892 – 1975), in: GATZ, Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1945 – 2001, S. 439f. Annette MERTENS, Akten deutscher Bischöfe seit 1945. Westliche Besatzungszonen 1948 – 1949 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe A: Quellen, Bd. 55), Paderborn [u.a.] 2010, S. 465-467, Dokument 161 (Künftig zitiert als ‚Akten deutscher Bischöfe 1948 – 1949’). Akten deutscher Bischöfe 1948 – 1949, S. 465. Akten deutscher Bischöfe 1948 – 1949, S. 466.

60

Abschnitt I

2.3.

Die Sorge um die Geistlichen aus dem Osten – ein Beispiel: die Diözesanvertriebenenseelsorgertagung 194737

Die Hintergrundsituation der Anfangsphase Königsteins und der entsprechenden Überlegungen über die weiteren Akzentsetzungen in Königstein findet sich quasi fokussiert in Besprechungen der Diözesanflüchtlingsseelsorger anlässlich der Arbeitstagungen, die in Königstein durchgeführt wurden. Diese Tagungen dienten nicht nur zum Austausch, nicht nur zur Besprechung der anstehenden Probleme in den Diözesen und wurden damit zu einem Spiegelbild der drängendsten Aufgaben, sondern sie wurden immer wieder auch als ein Forum zur Willensbildung und Willensbekundung der Diözesanvertriebenenseelsorger eingesetzt. Es wurden Memoranden verabschiedet, Resolutionen beschlossen und dann an die entsprechenden Stellen weitergegeben. So sei hier exemplarisch die Frühjahrstagung der Diözesan-Flüchtlings-Seelsorger im März 1947 in Königstein herausgegriffen. Die Diözesan-Vertriebenen-Seelsorger trafen sich mit dem Weihbischof von Limburg, mit einigen Herren aus Königstein und mit Bischof Kaller am 25. und 26. März 1947 im Priesterseminar in Königstein. Weit ausholend umriss Bischof Kaller in seiner Begrüßung die weiten Aufgabenbereiche seines Amtes und der Vertriebenenseelsorge: Es sei zum einen eine Verbindungsbrücke, die die Kooperation verschiedener Einrichtungen erleichtern sollte, um die Not der Flüchtlinge und Vertriebenen zu lindern. Zu diesen Einrichtungen gehörten staatliche Behörden, Militärverwaltungen, der Bonifatiusverein, der Caritasverband, auch die Caritasorganisationen aus dem Ausland. In diese Vermittlungstätigkeit wollte Kaller auch die Diözesan-Flüchtlings-Seelsorger einbezogen wissen. Der zweite Sektor war für ihn die Sorge um die Priester und den Priesternachwuchs. Die materielle Not der Priester sollte das Opus Confraternitatis überwinden helfen.38 Gleichzeitig wollte man der geistigen Not gegensteuern mit der Beschaffung von Büchern und Literatur. Daneben war man darum bemüht, Gebetbücher und Katechismen aufzulegen. Kaller unterstrich, dass man über den seelsorgerlichen Aufgaben die sozialen nicht vergessen dürfe. Büttner begrüßte als Leiter der Kirchlichen Hilfsstelle und strich die Kontinuität seiner Aufgabenstellung von 1940 bis 1947 heraus. Er verwies auch vor diesem Forum darauf, dass die Heimatverweisung bereits 1940 begonnen hatte. Er bezeichnete es als tragisch, dass die Deutschen selbst die Aussiedlung ins Rollen gebracht hatten. Angesichts dieser Entwicklungen sei im RKA bereits 1943 die Kirchliche Hilfsstelle gegründet worden, die sich nach 1945 des Schicksals der Vertriebenen in den Besatzungszonen annahm und um die Ausbildung der Priester und damit um die Ausbil-

37

38

Vgl. dazu ergänzend: Rainer BENDEL, Quellen zur Vertriebenenseelsorge – Teil I: Tagung ostdeutscher Priester Bayerns in Eichstätt vom 5. bis 7. August 1947, in: ASKG 59 (2001), S. 9117 (Künftig zitiert als BENDEL, Quellen zur Vertriebenenseelsorge I). – DERS., Quellen zur Vertriebenenseelsorge II, S. 9-85. Das Opus Confraternitatis war von Büttner ins Leben gerufen worden und bei der Kirchlichen Hilfsstelle in Frankfurt angesiedelt. Vgl. dazu LABONTÉ, Büttner, S. 107-111.

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dungsstätte Königstein sorgte.39 Das Protokoll hielt die Intentionen folgendermaßen fest: „Hier sollten sich die Lehrenden und Lernenden um die innerste Not der Heimatverwiesenen kümmern. Mit Königstein verband sich frühzeitig der Gedanke einer theologischen Fakultät in Frankfurt. Frankfurt sollte Prag, Breslau und Braunsberg eine Erneuerung werden. Im Augenblick kann man noch nichts sagen, was aus dieser Fakultät wird. Das Kultusministerium sei sehr interessiert daran. Wenn die Fakultät genehmigt werde, so sollte sie in Königstein ihren Sitz haben. Eine besondere Erinnerung verdiene das Opus Confraternitatis. Die Kirchliche Hilfsstelle habe die neue Aufgabe übernommen, als ihre alten Aufgaben ruhten und wird zu ihren alten Aufgaben zurückkehren, wenn sie ihr Werk getan hat und die alte Aufgabe wieder ersteht. Es sei möglich, dass dieser Augenblick bald eintrete.“40 Der erste Vortragende war Kindermann, der sich zur Heimatvertriebenenseelsorge, zum aktuellen Stand und zu den nächstfolgenden Aufgaben äußerte: Die Vertriebenenseelsorge – im konkreten Verständnis meinte er wohl seine Aufgabe im Priesterreferat – müsse sich der aktuellen Gesamtlage der Heimatvertriebenen und ihrer Priester widmen, in einem zweiten Punkt der rechtlichen Lage der Heimatvertriebenen und ihrer Priester, drittens der persönlichen Lage des vertriebenen Priesters und viertens Schlussfolgerungen ziehen. Ein zweiter Hauptteil seiner Ausführungen widmete sich den unmittelbaren Aufgaben, nämlich dem organischen Aufbau des Vertriebenenklerus, seiner Erfassung, Verteilung und schließlich der zusätzlichen Betreuung des Vertriebenenklerus.

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„Der zweite Vortragende, Monsignore Büttner, begrüßte herzlich die Gäste und berichtete über seine Arbeit und seine Ziele. Königstein verwirkliche das, was es von Anfang an habe sein wollen und sollen, die geistigen Kräfte der Heimatverwiesenen zu sammeln. Die Zeit der Heimatverweisung habe bereits 1940 begonnen. Tragisch sei es, dass der Deutsche selbst die Aussiedlung ins Rollen gebracht habe. Diese Aussiedlung sei ein grausames Geschäft gewesen, aber vielleicht sei es noch tragischer, dass die Welt dem Beispiel folge. Als Leiter des RKA habe er mit dieser Frage sich ausgiebig beschäftigen müssen. Damals haben wir bereits die Not der Heimatverwiesenen anschauen müssen. Damals seien Tausende und Zehntausende in den Osten verschickt und als Wall aufgeworfen worden. Damals schon seien viele Katholiken in Bezirke, seelsorglicher Not im Osten gekommen. Darum sei es nahe liegend gewesen, dass wir uns nach dem Zusammenbruch in sinngemäßer Fortsetzung unserer früheren Arbeit mit der neuen Frage der Umsiedlung und Heimatverweisung beschäftigten. Die Kirchliche Hilfsstelle sei bereits 1943 gegründet worden, allerdings mit einer anderen Aufgabe. 1945 habe man sie mit der seelsorglichen Betreuung der Flüchtlinge betraut, denn neben caritativen Aufgaben mussten die seelsorglichen Aufgaben angefasst werden. Wir haben uns seinerzeit in München gesammelt und in Frankfurt unsere Zentrale errichtet. Wir begannen mit der Sammlung von Berichten mit der Beeinflussung der Auslandspresse, mit der Beschaffung von Seelsorgshilfsmitteln, mit der Herausgabe einer Zeitschrift, mit Herausgabe von Predigtskizzen. Wir nahmen uns der Theologiestudenten an, als sie noch herumwanderten und von den Seminaren nicht gerne aufgenommen wurden. Wir wollten ihnen wieder eine geistige Heimat geben. Die Stimme, die mir Mut gab – es will mir rückschauend wie Übermut und Leichtsinn scheinen – war die Stimme des Heiligen Vaters. Königstein sollte nicht eine Stelle für nicht unterzubringende Theologiestudenten werden, sondern Bildungsstätte für die Diaspora, die russische Zone und das Ausland. ADCV Protokoll der Arbeitstagung der Diözesanflüchtlingsseelsorger, 39 S. masch., Zitat S. 1f. ADCV Protokoll der Arbeitstagung der Diözesanflüchtlingsseelsorger, 39 S. masch., Zitat S. 1f.

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Abschnitt I

Die Gesamtlage der Heimatvertriebenen zeichnete Kindermann mit dem Hinweis auf die zwei Wanderströme, die auch die staatlichen Behörden unterschieden, in denen jeweils auch Priester mitgekommen seien. Der erste Strom war die Fluchtwelle vor den heranrückenden Truppen aus dem Osten – Kindermann bezeichnete sie pauschal als die Bolschewisten. Der zweite Strom setzte erst nach dem Krieg ein, also nach der Potsdamer Konferenz: der Strom der Vertriebenen. „Wahrlich der Höhepunkt moderner Barbarei, Vergewaltigung elementarster Grundrechte, Ausdruck eines Rassenwahns, wie ihn die Welt noch kurz zuvor als unsittlich und verbrecherisch angeprangert und abgelehnt hatte.“41 Das Ergebnis waren die etwa elf Millionen Flüchtlinge und Vertriebene, etwa die Hälfte davon Katholiken. Um die Relationen herzustellen, verwies Kindermann darauf, dass das beinahe ebenso viele Katholiken seien wie in Österreich lebten oder zweimal so viel wie in der Schweiz oder etwa so viele wie in ganz Bayern mit seinen acht (sic!) Bistümern. „Mit dem Riesenstrom des gläubigen Volkes wurden auch dessen Priester aus der Heimat gejagt und es ist gut so gewesen, dass wir bei unseren Landsleuten bleiben und ihr Kreuz mit ihnen gemeinsam tragen durften. Das hat viel Segen gebracht und war eine untrügliche Absage und Antwort auf die Versuche der letzten Jahre, einen Keil zu treiben zwischen Klerus und Volk. Wie viele Priester mussten mit dem Volk aussiedeln bzw. ihre alte Heimat verlassen? Wir sind seit Monaten daran, dies festzustellen. Wir können wohl heute schon sagen, dass es mehr als 2.000 sind, vielleicht 2.300; noch etwas mehr, wenn wir die aus der Kriegsgefangenschaft kommenden Priester dazunehmen. Schon in dieser Zahl allein ist die große religiöse Tragik der Ostvertriebenen zu erschauen – zunächst die große Zahl, die aufhorchen lässt, und doch wieder die relativ kleine Zahl der Priester – oder sagen wir besser klein gewordene, zusammengeschrumpfte Zahl – wenn wir sie mit der Zahl der Ostvertriebenen vergleichen. Es entfallen im Durchschnitt auf einen Ostpriester über 2.600 Ostvertriebene.42 In den Augen Kindermanns ist das ein Missverhältnis. Er spricht von einer großen Priesterarmut unter den Ostflüchtlingen. Die Zahl der Priester sei von 4.500 auf etwa die Hälfte gesunken. Wieder verweist er auf die bayerischen Verhältnisse, wo ähnlich wie bei den Vertriebenen etwa 6.000.000 Katholiken leben und von etwa 7.000 Priestern betreut werden, also mehr als dreimal so viele Seelsorger wie für die Vertriebenen zur Verfügung stehen, obwohl die Priester in Bayern in normalen Verhältnissen leben und arbeiten, während die Ostpriester mit leeren Händen dastehen, ohne Gotteshaus und Hilfsmittel, ohne Gläubigengemeinde und sakralen Raum. Es verwundert kaum, dass der Kirchenrechtler sehr ausführlich auf die Rechtslage der Heimatvertriebenen und ihrer Priester hinweist. „Ziemlich klar ist die kirchenrechtliche Lage unserer Gläubigen. Sie erhalten durch ihr Einwandern oder wenigstens durch ihren mehrmonatlichen Aufenthalt in einer Pfarrei bzw. Diözese ihren neuen zuständigen Pfarrer und Bischof. Dem Heimatbischof bleiben sie nur insofern verbunden, als sie ihn auch noch als zweiten zuständigen Bischof haben, der jedoch für sie rein äußerlich gesehen fast ohne Bedeu-

41 42

ADCV Protokoll der Arbeitstagung der Diözesanflüchtlingsseelsorger, 39 S. masch. ADCV Protokoll der Arbeitstagung der Diözesanflüchtlingsseelsorger, 39 S. masch., S. 4.

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tung wird. Sie gehen eben voll und ganz in die Zuständigkeit des neuen Seelenhirten in der neuen Heimat über.“43 Die heimatvertriebenen Priester hingegen stünden rechtlich gesehen in einer Beziehung zu ihrem Ordinarius der Heimatdiözese, zum Aufnahmebischof und zum Bischof für die Vertriebenen. Das Rechtsverhältnis zum Heimatbischof sei dadurch charakterisiert, dass der heimatvertriebene Priester seiner Heimatdiözese weiterhin inkardiniert bleibe. Daran sollten die heimatvertriebenen Priester nicht rütteln, so der deutliche Appell Kindermanns. Sie sollten also jede Exkardination und jede Inkardination vorderhand unterlassen. Sie sollten erst die Friedensverträge abwarten, dann würden sicherlich neue Weisungen ergehen. Der Heimatbischof behalte ein wenn auch nur entferntes Aufsichtsrecht über die persönliche Lebensführung des vertriebenen Priesters. Persönliche Gesetze der Heimatdiözese gelten auch in der Aufnahmediözese und vor allem habe der Heimatbischof das Rückrufrecht. An den Aufnahmebischof sei jeder Vertriebenenpriester zunächst so gebunden wie jeder Laie. Der Vertriebenenpriester habe im Aufnahmebischof seinen Ordinarius zu sehen. Er unterstehe ihm also dem Gerichtsstand und der Strafgewalt nach. Der Aufnahmebischof habe das direkte Aufsichtsrecht über alle Priester, die sich in seinem Jurisdiktionsbereich aufhalten. Übernehme ein Vertriebenenpriester in der Aufnahmediözese ein Amt oder einen kirchlichen Dienst, dann sei der Aufnahmebischof auch Dienstherr. Der Aufnahmebischof könne den Vertriebenenpriester auch versetzen. Freilich solle dies, so Kindermann, im Einverständnis mit dem Heimatbischof geschehen. Schließlich umschrieb Kindermann das Rechtsverhältnis des Vertriebenenpriesters zum Sonderbeauftragten des Papstes, zu Bischof Kaller. „Der Auftrag ist kein jurisdiktioneller, weil ja keine quer über die deutschen Diözesen sich erstreckende Sonderseelsorge mit eigener Jurisdiktion geschaffen werden soll. Jurisdiktionsmäßig unterstehen die Vertriebenenpriester dem Heimatbischof, weil ihm noch inkardiniert, und dem Aufnahmebischof, vor allem, wenn sie bei ihm dienstlich tätig sind. Damit aber ist nicht gesagt, dass das Sonderamt des Vertriebenenbischofs keine Notwendigkeit wäre; denn es gibt auch in der Kirche Gottes zu jeder Zeit und ganz besonders in abnormalen stürmischen Zeiten sehr wichtige Aufgaben zu lösen, die außerhalb jeder Jurisdiktion liegen. Jurisdiktion über die Vertriebenenpriester besitzt Exzellenz Kaller nur, insoweit sie ihm von den Bischöfen übertragen wird. Aufgrund des Sonderauftrages hatte er keine eigene Jurisdiktion erhalten.“44 Vor allem seelsorglich sei dieser Sonderauftrag zu verstehen. Die persönliche Lage des Vertriebenenpriesters und diese Skizzen könnten laut Kindermann alle auch auf die Situation der Theologiestudierenden übertragen werden – sie war charakterisiert durch die Heimatlosigkeit, durch die Trennung von den Herkunftsgemeinden, durch die Armut, in die der Vertriebenenklerus gestürzt wurde, durch das oft mangelnde Verständnis der einheimischen Bevölkerung, auch des einheimischen Klerus, durch die Diasporasituation, in der das Priesterleben zu einem

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ADCV Protokoll der Arbeitstagung der Diözesanflüchtlingsseelsorger, 39 S. masch., S. 6. ADCV Protokoll der Arbeitstagung der Diözesanflüchtlingsseelsorger, 39 S. masch., 8.

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Abschnitt I

Opferleben eines modernen Missionars wurde – oft auch durch den Gesundheitszustand, der im Ostklerus erschreckend sei, durch die große Einsamkeit. Bei vielen oft nahe an der Verzweiflung. Als Konsequenz aus der Schilderung der Situation bei den vertriebenen Laien und beim Klerus formulierte Kindermann als eine erste Grundnotwendigkeit: Die Vertriebenen sollten wo immer möglich durch vertriebene Priester betreut werden; dieser Grundsatz sei psychologisch begründet. Ein Vertriebenenpriester könne empathisch die Vertriebenen stabilisieren und Brücken zu den Einheimischen schlagen.45 Weil diese Aufgabe eine längerfristige sei, müsse auch der Priesternachwuchs entsprechend ausgebildet werden – für Kindermann ein starkes Votum für Königstein und seine Intentionen. Schließlich war ihm die Versorgung der Gemeinden mit ausreichend Priestern im Fall einer Rückkehr in die angestammte Heimat ein großes Anliegen. Diese Grundforderung habe nicht nur aktuelle Valenz, sondern werde auch als Notwendigkeit für die Zukunft gesehen. Auch künftig werden die Vertriebenen die besondere Betreuung und Zuwendung durch ihnen in Mentalität und Erfahrung nahe stehender Seelsorger brauchen. Daher bestehe die Notwendigkeit, diese spezifischen Aufgaben in der Ausbildung des Klerus in Königstein zu berücksichtigen und gleichzeitig sie nicht nur für die Integrationsaufgaben vorzubereiten, sondern auch für eine evtl. Rückkehr in die angestammte Heimat. Diese wurde zu der Zeit und in diesem Kontext immer noch für möglich gehalten. Dort sollten sie dann aufbauend und missionarisch tätig sein können.46

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„Aus der geschilderten Lage unserer Vertriebenenpriester und ihrer Gläubigen ergeben sich nun einige grundsätzliche Folgerungen, die unsere Aufgaben für die nächste Zukunft bestimmen: 1. Grundfolgerung: Unser Vertriebenenvolk, das eine Glaubensprobe sondergleichen zu bestehen hat, benötigt unbedingt eine ganz besonders intensive und warme religiöse Betreuung, die ihm zunächst und vor allem durch seine eigenen Heimatpriester gewährt werde soll. Darum erster Grundsatz in unserer Vertriebenenseelsorge: Der Vertriebenenpriester gehört zum vertriebenen Volk. Das ist psychologisch begründet. Das aus der Heimat verjagte Volk klammert sich in der Verbannung an jeden Faden, der es mit der alten Heimat verbindet und mit Recht so, denn die alte Heimat und die Anhänglichkeit an sie, bieten ihm innerlich noch einen gewissen Halt… Der Vertriebenenpriester hat somit aufgrund der landsmannschaftlichen und schicksalsmäßigen Verbundenheit mit den Vertriebenen am leichtesten die Möglichkeit, an seine Landsleute heranzukommen und verstanden zu werden, die Verbindung zwischen ihm und dem einheimischen Seelsorger so wie der einheimischen Bevölkerung herzustellen und dadurch die Einwurzelung der Zugewanderten wirksam zu fördern.“ ADCV Protokoll der Arbeitstagung der Diözesanflüchtlingsseelsorger, 39 S. masch., S. 15. „Angesichts dieser Aufgaben und der eigenartigen Lage des vertriebenen Priesters, wird es eine geraume Zeit notwendig sein, dass der vertriebene Priester auf seine Aufgaben ausgerichtet, beraten, unterstützt und geistig wie auch materiell betreut werde. Wir haben jede Hilfe, die uns in der Vergangenheit geboten wurde freudig begrüßt. Wir wissen, wie schwer unsere Aufgaben sind. Wir spüren aber auch, dass sich ein ganz neuer Priestertyp entwickelt. Er wird allem Anschein nach von uns aus gehen. Jedenfalls drängt uns der Herr dazu. Es ist ein Priestertyp, der hinauswachsen wird über die Form des Seelsorgers in normalen Verhältnissen. Der zwar kein Missionar sein wird, wohl aber nicht selten diesen an Haltung und Opfergeist zu übertreffen hat.“ Ebd.

Seelsorge in Vertreibung und Ankommen

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Die zweite Grundfolgerung war, dass die vertriebenen Kleriker dazu beitragen sollten, den Heimatverlust aufzufangen, zu helfen, eine neue Heimat zu finden, gerade auch religiös gesehen. Denn die Vertriebenen seien noch nicht eingewachsen in der neuen Heimat. Sie seien noch nicht heimisch geworden in der aufnehmenden Pfarrgemeinde. Gesundes Wachstum brauche Zeit.47 Die momentan unumgängliche Notwendigkeit, in der neuen Umgebung Wurzeln zu schlagen werde vielen nur gelingen, wenn sie neben der normalen Seelsorge für eine gewisse Zeitspanne eine zusätzliche seelsorgerliche Betreuung erhielten. Es sei aber nicht nur die religiöse Eigenart, die berücksichtigt werden müsse, sondern auch die materielle Notlage der Heimatvertriebenen, die eine besondere zusätzliche caritative Betreuung in jeder Pfarrei erfordere.48 Das sind die Ausgangsbedingungen und die Zielsetzungen, die der Priesterausbildung in Königstein zugrunde gelegt werden sollten. In erster Linie sollten Priester für die Betreuung der Vertriebenen herangebildet werden. Diese seien besonders in der russischen Zone nötig, da nur im Rest der Erzdiözese Breslau, also in der Umgebung von Görlitz, genügend Geistliche vorhanden seien. Alle anderen Diözesen riefen dringend nach priesterlicher Hilfe. Etwa 120 junge Priester fehlten in der russischen Zone, um die größte religiöse Not zu bannen. Priester fehlten ebenfalls, so Kindermann weiter, in der britischen Zone: Die Diaspora rufe vor allem nach dem katholischen Seelsorger. So bat Hildesheim um 56 Priester, Osnabrück bräuchte sofort 30 junge Priester und auch in der Diaspora Oberhessens und im Odenwald sei Priesternot zu verzeichnen. Es sei also vor allem Aufgabe der Diözesen im geschlossen katholischen Gebiet, für eine gerechte Verteilung der Priester zu sorgen, und es sei auch Aufgabe der Priester selbst, sich zu prüfen, ob sie nicht für eine Aufgabe in der Diaspora zur Verfügung stehen könnten. Wichtig sei die religiöse Betreuung am Vertriebenenklerus mit entsprechenden Hilfsmitteln: etwa durch die Hilfsstellen in Frankfurt und München, durch Tagungen, durch Beratungen zwischen Diözesanflüchtlingsseelsorgern, Jugendseelsorgern, diözesanen Seelsorgeämtern und den diözesanen Caritasdirektoren, durch Gebiets- bzw. Dekanatskonferenzen der Vertriebenenpriester, durch Priesterexerzitien und nicht zuletzt auch durch ein eigenes Pastoralblatt. Die Vertriebenenseelsorge stand im Kontext der Weltkirche. Das kam auf der Diözesanvertriebenenseelsorgerkonferenz Anfang 1947 in Königstein durch die Teil-

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„Die beste Lösung all dieser schweren Fragen wäre ja, wenn die Unseren wieder heimkehren dürften. Es ist das wohl die einzige Lösung, die verantwortet kann und die man öffentlich immer wieder betonen müsste. Alle anderen Lösungen wie Auswandern in Übersee oder Einbürgerung hier sind erzwungene Notlösungen, die nicht zu verantworten sind. Aber wir tragen dafür nicht die letzte Verantwortung, dennoch dürfen wir uns keinen Illusionen hingeben und müssen als Seelsorger unseren anvertrauten Seelen in jeder Lage betreuen, auch in entsetzlichen Notlagen und Zwangslösungen. Einstweilen sind die vielen Millionen Ausgesiedelten hier und wir müssen versuchen, sie hier auch religiös einheimaten.“ ADCV Protokoll der Arbeitstagung der Diözesanflüchtlingsseelsorger, 39 S. masch., S. 15. ADCV Protokoll der Arbeitstagung der Diözesanflüchtlingsseelsorger, 39 S. masch., S. 16.

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Abschnitt I

nahme des apostolischen Delegaten, Bischof Muench,49 zum Ausdruck, der das große Verständnis des Papstes für die Vertriebenen unterstrich. Königstein bekam in der Folgezeit wiederholt das Wohlwollen des Papstes zu spüren. Der weltkirchliche Kontext wurde auch sichtbar, als Muench auf die Katholiken in den USA verwies, die viel für die Caritas leisteten und dadurch den Bedürftigen in Deutschland zu Hilfe kämen. Muench war Königstein über die Jahre hin wohlwollend zugetan und ebnete Kindermann manchen Weg in die USA und zum Serra-Club. Eng vernetzt waren die Beratungen der Diözesanflüchtlingsseelsorger mit der politischen und weltanschaulichen Deutung der Situation der Vertriebenen im vorpolitischen und parteipolitischen Raum: Die Stellungnahme von Hans Schütz skizzierte die anstehenden Aufgaben im sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bereich. Die Kernaussage des sudetendeutschen christsozialen Politikers und vormaligen Gewerkschafters lautete: „Die vier Gruppen der Vertriebenen, der Ausgebombten, der Kriegsversehrten und der Opfer der Demontagen sind das eine Deutschland und die mehr oder minder Verschonten das andere. Wenn es zwischen den beiden Deutschlands zu keiner Verständigung komme, werde der Osten Deutschland mit oder ohne Russen erobern.“50 Ähnlich wie Kindermann aus seiner Erfahrung als Leiter des Prager Priesterseminars für die deutschen Theologen, beklagte der vormalige Breslauer Regens, Paul Ramatschi51, den rasant rückläufigen Priesternachwuchs in allen Diözesen. Die zweite drängende Aufgabe, die Ramatschi vor den Diözesanvertriebenenseelsorgern formulierte, war der regionale Ausgleich der vertriebenen Priester. Man müsse von den Ordinarien der bayerischen Diözesen kategorisch verlangen, dass die ostdeutschen Theologen zu ihren Landsleuten geschickt werden.52

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Alois Muench (1889 – 1962) 1935 zum Bischof von Fargo in North Dakota ernannt. 1946 als Repräsentant des Heiligen Stuhles bei der Vatikanischen Mission in Kronberg im Taunus, seit 1949 Verweser der Nuntiatur in Deutschland. 1959 an die römische Kurie berufen und zum Kardinal ernannt. Sein Vater war im Böhmerwald geboren und im 19. Jahrhundert in die Vereinigten Staaten ausgewandert. Zu Muench vgl. Elisabeth HERBRICH, Alois Kardinal Muench. Ein Lebensbild. Limburg [1969] (= Schriftenreihe des sudetendeutschen Priesterwerkes XII). Über Muench hatte Kindermann sowohl Kontakte in die USA für seine dortigen Bettel- und Studienreisen bekommen wie auch zur amerikanischen Besatzungsmacht, spez. zum Serra-Club in Heidelberg, dessen Hilfe Königstein viel verdankte. (HERBRICH, S. 74). ADCV Protokoll der Arbeitstagung der Diözesanflüchtlingsseelsorger, 39 S. masch., S. 30. Paul Ramatschi (1898 – 1975); vgl. Nachweise zu den Dozenten auf S. 453. „Aus den Aussagen der Theologen gehe hervor, dass man sie den süddeutschen Seminarien nicht mit dem Blick auf den deutschen Osten schule. Der Episkopat habe es abgelehnt, Königstein voll auszubauen. Nur das erste Semester sei genehmigt worden. In sechs Jahren erst könnten die ersten Priester in die russische Zone gehen. Man könne die Befürchtung nicht loswerden, dass die Theologen auch für die Zukunft nicht in ihre Heimat zurückkehren werden. Man könne sie auch nicht zurückrufen, da sie nicht inkardiniert sind. Keine Diözese dürfe sich auf Kosten des deutschen Ostens bereichern wollen.“ ADCV Protokoll der Arbeitstagung der Diözesanflüchtlingsseelsorger, 39 S. masch., S. 31.

Seelsorge in Vertreibung und Ankommen

2.4.

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Die Diözesanvertriebenenseelsorgerkonferenz im Spiegel der fortschreitenden Eingliederung

Ein zeitlicher Sprung von etwa fünf Jahren zeigt den Verlauf, den Fortschritt der Integration der Vertriebenen, auch im kirchlichen, religiösen Bereich. So bietet der Blick auf die Konferenz der Diözesanflüchtlingsseelsorge in Königstein am 19. und 20. Oktober 1953 einen weiteren Fokus auf die Wahrnehmung der Situation und der Aufgaben im Bereich der Vertriebenenseelsorge einerseits und der Hilfestellungen, der Präsentation der Angebote, die sich in Königstein inzwischen entwickelt hatten, andererseits. Manche Einrichtungen hatten sich inzwischen institutionalisiert, wie etwa das Amt des Diözesanflüchtlingsseelsorgers, für den auf der besagten Tagung Statuten beraten wurden. Manches war zu berichten, das sich eingespielt und eine gewisse Tradition erlangt hatte, wie etwa das Amt des Beauftragten für die Vertriebenen und Flüchtlinge auf der Ebene der Bischöfe. Es gab einen neuen Flüchtlingsbischof, auch nach dem Tode des Nachfolgers von Kaller und Dirichs, nämlich des Prälaten Franz Hartz. 1953 wurde der damalige Würzburger Bischof, Julius Döpfner, zum Flüchtlingsbischof ernannt. Ebenso wurden die Situation nach den Bundestagswahlen beleuchtet, die Priesterwerke vorgestellt und Folgerungen für die Arbeit der Vertriebenenseelsorge aus der Bundestagswahl gezogen. Naturgemäß bekam das Thema der Versorgung und der Inkardination sehr rasch hohe Relevanz bei den Treffen der Priester. Eben die Problematik der Inkardination spielte in der Frage nach der Existenzberechtigung Königsteins eine zentrale Rolle – zum einen der bereits geweihten Priester, vor allem der sudetendeutschen, die in der Vertreibung keinen eigenen Ordinarius hatten, damit teils auch als Clerici vagi bezeichnet wurden. Ein Status, der unter allen Umständen vermieden werden sollte – kirchenrechtlich und auch mental. Diejenigen, die die vertriebenen Priester betreuten, vor allem Kindermann, hatten große Sorge, dass sich dieser Status mental verfestigen könnte; dieses Argument warfen sie wiederholt mit Nachdruck in die Waagschale, wenn sie die Existenzberechtigung Königsteins herausstreichen wollten. Für diese Clerici vagi sollte Königstein ein mentaler, sozialer, geistig-geistlicher und seelischer Sammelpunkt sein. Gleichzeitig bemühte man sich aber auch, auf der rechtlichen Ebene die Frage der Inkardination zu klären. Die Priester sollten sich einem Bischof und einer Diözese zugehörig fühlen und wissen, sie sollten aber gleichzeitig offen bleiben für ihre Herkunftsdiözese, für den Fall der Rückkehr in die Heimat, so dass sie also aus der Verfügungsgewalt des Bischofs derjenigen Diözese, in der sie aktuell wohnten und arbeiteten, entlassen würden in die Verfügungsgewalt der Diözese ihrer angestammten Heimat, auf die sie geweiht worden waren. Ein zusätzliches Problem brachten die Theologiestudenten, die in Königstein studierten. Es war für die Bischöfe ein sehr wichtiges Argument, dass sie nicht auf den Titel ihres Aufnahmebistums, sondern auf den Titel ihrer Herkunftsdiözesen geweiht werden und im Falle der Rückkehr in ihre Heimat sofort dort entsprechende Aufgaben übernehmen sollten.

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Abschnitt I

Kindermann konturierte als Kirchenrechtler zehn Jahre nach der Gründung Königsteins die Situation bzgl. der Weihe der aus den Ostgebieten vertriebenen Theologen so: „In diesen Tagen sind es zehn Jahre her (14. April 1946), dass Papst Pius XII.53 durch sein Staatssekretariat ein erstes Dekret über die Weihen der Osttheologen erließ. Die Zeit hat manche Änderung mit sich gebracht und auch manche Fragen gelöst, die in diesem Weihedekret enthalten waren. Aber an dem eigentlichen Grundproblem, nämlich der Vertreibung und der erhofften Rückkehr in die geraubte Heimat hat sich bis heute kaum etwas geändert. Der Osten Europas ist seit Jahren in den Händen kommunistischer Gewalt und die Aussicht, bald heimzukehren, besteht nicht. Dennoch halten die Vertriebenen – und das mit Recht – an ihrer angestammten Heimat fest. Sie betonen das Recht auf die Heimat und versuchen auf das Ganze gesehen, so gut wie nur möglich sich die Rückkehrfähigkeit zu erhalten.“54 Die erwähnte Rückkehrfähigkeit bedeutete für Kindermann bei gegebener Situation eine Notwendigkeit, da er es als Naturrecht des Menschen begriff, seine Heimat zu besitzen und seine Heimat auch nicht im Stich zu lassen. An dieses Recht und diese Pflicht zu erinnern sei immer Aufgabe der Kirche als Hort des Naturrechts gewesen. Zu dieser Rückkehrfähigkeit gehört auch die Frage nach der Zugehörigkeit der in Königstein zu weihenden Theologen. Vorläufig geregelt war das Problem mit einem römischen Dekret vom 14. April 1946 worden, das durch eine weitere Stellungnahme des Papstes vom 15. Februar 1955 im Wesentlichen bekräftigt und etwaige Unklarheiten beseitigt worden waren. Die Problematik bestand vor allem hinsichtlich jener Osttheologen, die zum Zeitpunkt der Vertreibung noch keine Kleriker waren, nun aber in der Vertreibung die Erteilung der Tonsur erbaten und keine Verbindung zu ihrem ehemaligen Ordinarius hatten oder haben konnten. Diese Theologen hätten sich nach den Vorgaben des allgemeinen Rechtes weihen lassen können mit einem zuständigen Weiheordinarius, den sie durch das qualifizierte Domizil finden könnten. Eine Vielzahl von Osttheologen aber wollte diese Lösung nicht. Sie hatten die alte Heimat vor Augen. Sie wollten sich ihre Rückkehrfähigkeit offen halten. Sie wollten nicht auf Dauer in der durch die Vertreibung zugeteilten Diözese bleiben. Es gab also die Möglichkeit, auf den Titel der Aufnahmediözese geweiht zu werden. Es gab bei denen, die ihren Ostordinarius erreichen konnten, die Möglichkeit, von diesem die Dimissorien zur Weihe zu erhalten. Theologen, die ihren Oberhirten im Osten nicht erreichen konnten, waren vor allem die aus dem Sudetenland und dem Südosten; sie hatten die Möglichkeit, nach den Ausnahmebestimmungen des päpstlichen Erlasses von 1946 geweiht zu werden. Tatsächlich sind nach den Ausführungen Kindermanns in der Zeit von 1945 bis 1955 etwa 90 sudetendeutsche und zehn südostdeutsche Theologen zu Priestern geweiht worden. Bei 95 von ihnen konnte bzgl. der Weihe festgestellt werden: 18 erhielten Dimissorien der alten Heimatdiözese oder hatten daheim bereits die erste Ton-

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Eugenio Pacelli (1876 – 1958), als Pius XII. Papst von 1939 bis 1958; vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Eugenio_Pacelli, aufgesucht am 13.8.2013. Adolf KINDERMANN, Die Weihe der aus den deutschen Ostgebieten vertriebenen Theologen (Osttheologen), in: Königsteiner Blätter I (1956), 10-21.

Seelsorge in Vertreibung und Ankommen

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sur bekommen. Sie sind also der alten Heimatdiözese inkardiniert. 25 wurden den Westdiözesen inkardiniert, weil sie entweder die Weihe nach dem Dekret vom Jahre 1946 nicht erbeten hatten oder weil ihnen die Bitte nicht erfüllt worden war. 52 von den 100 Theologen sind nach dem päpstlichen Reskript geweiht worden. Bei diesen entstand die Frage, in welcher Diözese diese Kleriker inkardiniert waren. Kindermann skizzierte drei Möglichkeiten: Sie waren entweder in der neuen Aufnahmediözese inkardiniert, was aber kaum anzunehmen ist, denn dann hätten sie ja nach den allgemeinen Normen des Kirchenrechts geweiht werden müssen. Einen solchen Schwebezustand aber möchte das Kanonische Recht ja gerade vermeiden, denn es entstünde damit der sogenannte Clericus vagus. Hier präzisierte das Reskript des päpstlichen Staatssekretariats vom 5. Februar 1955 im Hinblick auf die Flüchtlingsstudenten, die Priester werden wollten: Bischöfe können sie in ihre Diözese inkardinieren, wenn sie ihrer Rückkehr zustimmen, sobald die Rückkehr dieser Kleriker in ihre Herkunftsdiözese möglich ist und der Ordinarius der Herkunftsdiözese sie anfordert oder zweitens, dass die Kleriker selber sich bereit erklären zu solcher Rückkehr. D.h. die neue Regelung schuf die Möglichkeit einer bedingten Inkardination. Der Kirchenrechtler Kindermann begrüßte diese Entscheidung, denn so würden in Zukunft keine Zweifel mehr wegen der Inkardination bestehen. Die so geweihten Priester erfahren eine volle Beheimatung und stehen den Einheimischen in dieser Hinsicht keineswegs nach. Sie werden mit ihren einheimischen Weihekollegen rechtlich gleichgestellt. Es dürfte auch bei Besetzung von kirchlichen Ämtern in den Diözesen von der rechtlichen Seite her keine Schwierigkeit mehr geben. Gleichzeitig trugen die neuen Bestimmungen auch dem Ostanliegen in den Augen Kindermanns Rechnung. Der Rückkehrwille und die Entlassungspflicht wurden festgehalten. Die Heimat und damit der deutsche Osten blieben im Blickfeld des jungen Theologen, der nun wusste, dass es sich dabei nicht nur um eine theoretische Rückkehrwilligkeit handelte, sondern der sich ganz praktisch feierlich verpflichtete, für die alte Heimat und für die Rückkehr dorthin. D.h. es gab auch die Entlassungspflicht des inkardinierenden Bischofs im Falle des Rückrufes. Gerade für diese Bestimmung, so Kindermann, müsse man angesichts der Kirchenverfolgung im Osten sehr dankbar sein. So sei dem Ostanliegen in jeder Beziehung, bei voller Beachtung der westlichen Interessen, genügend Rechnung getragen. „Die päpstliche Regelung deutet wenigstens indirekt an, dass wir die alte Heimat nicht vergessen dürfen. Gerade der Priester hat die Pflicht, bei aller Sorge um eine gute Eingliederung bzw. organisches Einwachsen, auch die Heimkehrfähigkeit und -willigkeit zu pflegen. Er trägt deshalb auch eine gewisse Verantwortung für die Entwicklung und die Arbeit unter den vertriebenen Volksgruppen, die wie niemand anders aus ihrem eigenen Schicksal heraus ihr Heimatrecht betonen und es zu verwirklichen suchen. Für Letzteres bedarf es in vorderster Linie auch heimkehrwilliger Priester.“ Rom habe mit diesem Entscheid nicht nur vom Heimatrecht gesprochen, sondern es praktiziert. Insofern war sicherlich das päpstliche Reskript ein wichtiger Beitrag zur Konsolidierung der Situation. Festhalten lässt sich, dass die Seelsorger für die Heimatvertriebenen – in der Regel selbst Vertriebene – für die Integration, für die Heimat in der Fremde zentrale Identi-

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Abschnitt I

fikationsfiguren wurden. Sie waren Gestalter wie Teil eines kollektiven Gedächtnisses als wichtige Träger heimatlicher religiöser Kultur. Die Vertriebenenseelsorger und Priester der Heimatorte schufen eine Atmosphäre der Heimat in Sondergottesdiensten, bei lokalen und überregionalen Heimattreffen und besonders bei den vielen Wallfahrten. Sie setzten in der Betreuung der Vertriebenen mit den Rundbriefen und katholischen Vertriebenenzeitschriften auch neue Methoden ein.55 Sie dokumentierten nicht zuletzt in den Zeitschriften religiöses Kulturgut, das ohne Verlust nie so intensiv beschrieben und reflektiert worden wäre. Sie ermunterten die Gläubigen immer wieder, ihr Schicksal positiv zu bewältigen, es in Anlehnung an alttestamentliche Exilerzählungen auch als Chance für den Glauben, für einen Aufbruch aus dem Glauben zu sehen.56

55 56

Vgl. dazu auch Rainer BENDEL, Vertriebene – katholische Kirche – Gesellschaft in Bayern 1945 bis 1975. München 2009, S. 194-220. Vgl. dazu das Votum des ermländischen Erzpriesters Josef Lettau auf der ersten Sitzung des Katholischen Flüchtlingsrates am 23. August 1948 unter dem Punkt „Die christliche Gestalt des Flüchtlings“: „Erzpriester Lettau zeigte auf, wie die heutige Not des Leiblichen und Seelischen in der Gestalt des Flüchtlings offenbar wird und wie der „christl. Flüchtling“ wiederum den Anruf Gottes in die Menschheit sichtbar macht. Er soll in sich den suchenden Christus erkennen, der die Menschen heimführen will zur ewigen Heimat. In Christus ist die Flucht des Menschen vor Gott zu Ende gekommen. Seine Botschaft der Bergpredigt soll im „Flüchtling“ der heutigen Zeit und durch den Flüchtling gepredigt werden. So entstehen die Begegnung und die Gemeinschaft der Menschen, die von der „Gerechtigkeit“ nicht geschaffen werden kann. Das besagt aber nicht, dass die Erstreitung der Gerechtigkeitsfragen überflüssig wäre, aber von Mensch zu Mensch soll die Caritas herrschen.“ (Kurzprotokoll der ersten Sitzung des KFR am 23. August 1948, Frankfurt, 5 Seiten masch., S. 3. Archiv des Bistums Augsburg GV 815).

Seelsorge in Vertreibung und Ankommen

3.

3.1.

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Die Bischöfe und die Ankunft der Vertriebenen

Zwischen Rückkehr, Eingliederung und Sonderseelsorge

Bereits im Herbst 1945 griffen die Bischöfe das Thema auf. Sie artikulierten die Sorge, dass die entwurzelten Menschen in der Diaspora keine neue Heimat finden könnten. Zentrales Anliegen war, dass die alliierten Behörden die Vertriebenen so einwiesen, dass konfessionell geschlossene Gebiete entstanden.57 Die zweite Sorge, die sich in den Äußerungen der Bischöfe artikulierte, ist auf der caritativen Ebene anzusiedeln: Sie beschrieben die Not der Flüchtlinge aus dem Osten, angesichts derer alle Hilfe wie ein Tropfen auf einen heißen Stein wirken müsse.58

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Vgl. dazu den Brief des Hildesheimer Bischofs Godehard Machens vom 26. September 1945 an den Regierungspräsidenten Kopf von Hannover, wo er formulierte: „Der unaufhörliche Strom der Flüchtlinge, der sich in das Gebiet der Provinz Hannover ergießt, bringt eine Fülle schwerster Probleme mit sich. Ich erlaube mir, das Augenmerk auf eines dieser Probleme zu lenken, das im Rahmen der übrigen trotz seiner Wichtigkeit infolge der Not der Zeit weniger beachtet werden könnte. Die Lenkung des Flüchtlingsstromes ist bislang ohne Rücksicht auf das religiöse Bekenntnis erfolgt. Katholische Flüchtlinge sind in großem Umfange in rein evangelischen Gebieten untergebracht. So geschah es bereits bei den Evakuierungen der Saar-Bevölkerung im Jahre 1939 und des westlichen Rheinlandes 1944 trotz aller gegenseitigen Eingaben damals mit ausdrücklicher Absicht. Die Folge davon war nicht bloß, dass der Seelsorge größte Schwierigkeiten bereitet wurden, sehr viele ohne die Tröstungen der Religion in der Fremde starben und der Religionsunterricht der Kinder weithin unmöglich gemacht wurde, sondern auch, dass die Rückgeführten sich doppelt unglücklich fühlten, umso mehr je mehr sie in der Heimat ein reges religiöses Leben gewöhnt waren. Nicht anders ist es jetzt, wenn auch die antireligiöse und antichristliche Tendenz aus der behördlichen Lenkung des Flüchtlingsstromes geschwunden ist. Die Flüchtlinge sind in der neuen Umgebung doppelt heimatlos, wenn sie weder Kirche noch Pfarrhaus ihrer Konfession vorfinden, wenn ihnen der gewohnte Kirchenbesuch – und dieser ist im katholischen Volksteil zumeist sehr rege und das Verlangen nach dem Kirchenbesuch wächst zudem in der Fremde, wie die Tatsachen erwiesen haben – nicht oder nur unter großen Schwierigkeiten, die bei Mangel an Kleidung und Schuhwerk übergroß sind, möglich ist, wenn sie mit einem Geistlichen ihres Glaubens nur schwer oder gar nicht Fühlung aufnehmen können, wenn die Betreuung durch die ihnen wohlvertraute Caritas unvollziehbar geworden ist.“ Der Brief ist abgedruckt in: Ulrich HELBACH, Akten deutscher Bischöfe seit 1945. Westliche Besatzungszonen 1945 – 1947 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe A: Quellen, Bd. 54, Teilband I, Paderborn [u.a.] 2011, S. 251-253, Zitat S. 251. (Künftig zitiert als ‚Akten deutscher Bischöfe 1945 – 1947’). Etwa der Mainzer Bischof Stohr an Papst Pius XII. am 08. Dezember 1945. Der Brief ist abgedruckt in: Akten deutscher Bischöfe 1945 – 1947, S. 302-307, „Die Problematik der Ostflüchtlinge“ vor allem auf S. 304 – ein weiterer Ausdruck dieser Sorge ist etwa ein Brief von Frings

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Drittens ist die Sorge zu spüren, wie man das Seelsorgeangebot für die Vertriebenen gestalten könne. Diese Sorge wurde die längste Zeit überlagert, auf den Rang verwiesen durch die Schulfrage, die weitgehend die Debatte und die Überlegungen und das Sorgen der Bischöfe in den ersten Nachkriegsjahren dominierte. Diese Sorge wurde geprägt durch das Bestreben, die Seelsorge künftig möglichst diözesan zu strukturieren, die Gestaltungskraft und den Einfluss der die Diözesen übergreifenden Verbände möglichst gering zu halten. Dazu gewissermaßen im Kontrast stand manches Engagement der katholischen Vertriebenen zur Selbsthilfe. Einer der nachhaltigsten Schritte aus der Frühzeit der Suche und des Ringens der katholischen Vertriebenen war die Gründung der Ackermann-Gemeinde in München am 13. Januar 1946, die sich als Instrument der katholischen Aktion, damit den Geistlichen und den Bischöfen zugeordnet, verstand, sich aber doch sehr schnell diözesanübergreifend, ja Besatzungszonen übergreifend entwickelte – also ein Stück weit den Charakter eines Verbandes annahm. Eine weitere Sorge der deutschen Bischöfe war, mit zwei unterschiedlichen Zielrichtungen für das Problem Öffentlichkeit zu schaffen: Zum einen, um die Menschen in den westlichen Besatzungszonen über das Leid und die Not der Vertriebenen zu informieren, an sie zu appellieren, den Vertriebenen mit entsprechendem Verständnis, Wohlwollen und Offenheit entgegenzukommen. Andererseits hatten die Bischöfe die Amtskollegen des westlichen Auslandes, die Behörden der Besatzungsmächte und den Papst als Adressaten im Auge, die umfassend informiert werden sollten – vor allem um zu erreichen, dass die Vertriebenen schnellstmöglich in ihre Heimatgebiete zurückkehren könnten. Nur so könne das gravierende Problem letztlich gelöst werden. Die markantesten Vertreter dieser Forderung waren der Münchner Erzbischof Michael Kardinal Faulhaber59 und der Freiburger Erzbischof Conrad Gröber. In einem umfangreichen Bericht des Paderborner Erzbischofs Jaeger für Papst Pius XII. vom 1. Januar 1946 formulierte er im letzten Punkt mit der Nr. 15 die Bitten – unter ihnen an erster Stelle die Hilfe für den deutschen Osten. Jaeger wies auf das Verbrechen hin, die Schlesier und Ostpreußen aus ihrer Heimat zu vertreiben. Im Hintergrund auch dieses Hinweises stand der Wunsch, die Vertriebenen in ihren Gebieten zu belassen bzw. wieder dorthin zurückzuführen. „Wenn sich die Austreibung nicht mehr verhindern lässt bei dem abgrundtiefen Hass der Polen und Tschechen, dann soll sie wenigstens human durchgeführt werden, nicht im Winter, und nicht nach Ausraubung alles persönlichen und lebensnotwendigen Eigentums (Kleidung, Wäsche etc.), erst wenn in den Aufnahmegebieten Unterkommen und Arbeit für die Ankömmlinge bereitge-

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an Kaller vom 14. Dezember 1945, in dem der Kölner Erzbischof schreibt: „Während des Krieges haben wir im Westen die Hauptlast des Krieges getragen, aber was sich jetzt im Osten abspielt, spottet jedes Vergleiches.“ In: Akten deutscher Bischöfe 1945 – 1947, S. 310-312, Zitat 310. Vgl. zu Michael Faulhaber GATZ, Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1945 – 2001, S. 377-382.

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stellt ist; sonst werden diese Nachkriegsverbrechen schlimmer sein als die Kriegsverbrechen und den Hass zwischen den Völkern nie zum Erlöschen kommen lassen.“ 60 Der Wunsch der Bischöfe, die Vertriebenen sollten in ihren Heimatgebieten bleiben dürfen, war unabhängig von der endgültigen Festlegung der deutschen Grenzen. Deutsche könnten auch außerhalb der Grenzen eines deutschen Staates siedeln, wenn ihnen dort die entsprechenden Minderheitenrechte zugesichert würden. Dieses Argument bemühte auch Frings in einem Schreiben an den Alliierten Kontrollrat vom 11. Januar 1946, in dem er die Alliierten bat, dass die Deutschen, die ihren Wohnsitz nicht verlassen wollten und im neuen Staatsverband loyal mitarbeiten wollten, gestattet werde, in ihrer Heimat zu bleiben.61 Frings wandte sich in einem Memorandum für Truman62 vom 16. Januar 1946 gegen die Art der Aussiedlung der Deutschen aus dem Osten. Er verwies auf das in der Potsdamer Konferenz festgelegte Prinzip, die Umsiedlungen in geordneter und menschlicher Art und Weise durchzuführen. Entsprechend sollte während der harten Wintermonate die Ausweisung gestoppt werden. Bei der Vertreibung möge eine Frist von mindestens 24 Stunden gewährt werden, die den Vertriebenen auch die Möglichkeit gab, die notwendigsten Dinge mitzunehmen. Mütter und Kinder, alte und kranke Menschen sollten während der kalten Wintermonate nicht umgesiedelt werden.63 Eine zentrale Äußerung der Bischöfe zum Thema Vertreibung stellte die Kanzelverkündigung der westdeutschen Bischöfe vom 30. Januar 1946 dar, in der die Bischöfe unterstrichen, dass sie nicht länger zum furchtbaren Los der mehr als zehn Millionen Ostdeutschen schweigen könnten, die aus Gebieten ausgewiesen wurden, in denen sie schon sieben- bis achthundert Jahre gesiedelt hatten. „Alle diese Menschen sind mit gewaltsamer Vertreibung aus ihrer angestammten Heimat bedroht, ohne dass sie ihr Hab und Gut mitnehmen können, ohne dass ihnen in Westdeutschland eine ausreichende und menschenwürdige Existenz gegeben werden könnte. Millionen sind schon von diesem entsetzlichen Schicksal ereilt. In Schlesien allein dürften es mehrere Millionen sein. Die Austreibung ist mit furchtbarer Brutalität unter Nichtachtung aller Menschlichkeit erfolgt … Wir wissen, dass gerade in jenen Gebieten Deutsche furchtbare Verbrechen an den Angehörigen anderer Nationen begangen haben. Aber

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Der Bericht Jaegers für Pius XII. vom 1. Januar 1946 in: Akten deutscher Bischöfe 1945 – 1947, S. 334-346, Zitat S. 342. „In einer Eingabe vom 23. August 1945 hatte der unterzeichnete Vorsitzende, der in der Fuldaer Bischofskonferenz vereinigten katholischen Erzbischöfe und Bischöfe Deutschlands, die dringende Bitte ausgesprochen, dass bei der etwaigen Ausführung der vorläufigen Potsdamer Beschlüsse vom August 1945 über die Neufestsetzung der deutschen Grenzen jenen Bewohnern der vom deutschen Staatswesen abzutrennenden Gebiete, die ihren Wohnsitz nicht verlassen und in ihrem neuen Staatsverband loyal mitarbeiten wollen, gestattet wird, auf ihrem von den Vorfahren ererbten Heimatboden zu verbleiben.“ In: Akten deutscher Bischöfe seit 1945, S. 358360, Zitat S. 358. Harry S. Truman (1884 – 1972) war von 1945 bis 1953 Präsident der USA. Alonzo HAMBY, Man of the People: A Life of Harry S. Truman. New York 1995. Frings an Truman am 16. Januar 1946 in „Akten deutscher Bischöfe seit 1945“, S. 367-370.

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seit wann ist es erlaubt, an Unschuldigen sich zu rächen und Verbrechen durch Verbrechen zu sühnen? Man soll die wirklich Schuldigen zu unerbittlicher Rechenschaft ziehen. Aber wer will das Massensterben von Kindern, Müttern, alten Leuten verantworten? Wer will die Verzweiflung so vieler Tausende auf sich nehmen, die in ihrem entsetzlichen Elend ihrem Leben selbst ein Ende machen! Wir bitten und flehen, die Weltöffentlichkeit möge ihr Schweigen brechen. Diejenigen, die die Macht in Händen haben, möchten verhüten, dass Macht vor Recht gehe und dass aufs Neue eine Saat des Hasses ausgestreut werde, die neues Unheil in sich bergen kann. Im Namen der Gerechtigkeit und der Liebe erheben wir unsere Stimme für unsere Landsleute im Osten. Wir bitten die Gläubigen, in ihren Gebeten immer wieder dieser Not zu gedenken, und wenn die Ostflüchtlinge zu uns kommen, sie mit ganzer Opferbereitschaft christlicher Liebe zu empfangen.“64 Im März 1946 hielten die westdeutschen Bischöfe auf ihrer Konferenz noch einmal ausdrücklich die dringliche Aufgabe fest, die aufnehmenden Gemeinden seelisch vorzubereiten. Es dürfe kein Abwehrgefühl entstehen, keine allzu kühle Aufnahme von vornherein zuviel Misstrauen entstehen lassen In froher Aufnahmebereitschaft solle den Ankommenden ein Hauch warmer Christenliebe entgegenwehen. Vor allem in ländlichen Gemeinden sollten ein bis zwei Predigten am Sonntag gehalten werden, die die entsprechende Stimmung vorbereiten sollten. Einige Laien, vor allem Frauen, sollten eingesetzt werden, um über praktische Fragen in dieser Beziehung zu sprechen. Eine Pastoralkonferenz sollte die einschlägigen seelsorgerlichen Fragen gründlich durchsprechen.65 Auch die Konferenz der bayerischen Bischöfe im Frühjahr 1946 nahm sich des Themas an und formulierte die unüberwindlichen Schwierigkeiten, vor denen sich die caritative Fürsorge durch das Flüchtlingselend gestellt sah. Beklagt wurde die seelische und materielle Verelendung der entwurzelten und heimatlosen Menschen, die religiös sittlichen Verfallserscheinungen, die sich bereits zeigten und die vor allem nur schwer aufzufangen seien, wenn die Vertriebenen nicht in konfessionsgleiche Gebiete eingewiesen würden.66 Mitte des Jahres 1946 hatte der größere Teil der deutschen Bischöfe, wie Kaller bereits 1945 erkannt, dass eine rasche Rückkehr der Vertriebenen in ihre Heimat nicht möglich sei. Daher dürfe man bei den Vertriebenen auch keine unbegründeten Hoffnungen wecken. Umso wichtiger sei die Aufgabe, ein allmähliches Hineinwachsen

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„Akten deutscher Bischöfe seit 1945“, S. 388f., Zitat S. 389. Im Protokoll der Konferenz der westdeutschen Bischöfe 26. – 28. März 1946 in „Akten deutscher Bischöfe 1945 – 1947“, S. 435-449, der Punkt III.3 zur Flüchtlingsseelsorge auf den Seiten 445f. Aus Protokoll der Konferenz der bayerischen Bischöfe, Eichstätt 9. – 10. April 1946 in „Akten deutscher Bischöfe 1945 – 1947“, S. 463-471, der Punkt „Flüchtlingselend“ II, S. 465f.

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des Flüchtlings in die Gemeinde, zu unterstützen. So wiederum die westdeutschen Bischöfe bei ihrer Konferenz in Pützchen am 17. – 19. Juni 1946.67 Vor allem auf die Förderung der Schüler und auf die Notwendigkeit, das Siedlungswesen für Flüchtlinge zu fördern, wies der Caritas-Verband in einer Denkschrift zur Flüchtlingshilfe am 29. Juli 1946 hin. Er unterstrich den Auftrag des gesamten Volkes im Rahmen des Möglichen, die Vertriebenen in ihrer rechtlichen Stellung der alteingesessenen Bevölkerung auf allen Gebieten gleich zu stellen. Man müsse mit allen Kräften darauf hinwirken, dass den Flüchtlingen eine gewisse Entschädigung für ihre Verluste an Hab und Gut zuteil werde.68 Der Mainzer Bischof Albert Stohr69 arbeitete für die Fuldaer Bischofskonferenz im August 1946 ein Referat zur Vertriebenenseelsorge für den Episkopat aus und sprach dort vor allem die Schwierigkeiten in der Verteilung der Priester an, formulierte also die Not der Diasporaseelsorge. Im Folgenden griff er die Planungen des Königsteiner Seminars für Ostpriester auf und warf die rechtliche Frage nach dem Eintritt der Priester in die Diözese auf.70 In einfachen Worten brachte Gröber in einem Schreiben an Papst Pius XII. am 28. Oktober 1946 seine Ungeduld und Resignation über die Möglichkeit der dauerhaften Eingliederung der Vertriebenen im Westen zum Ausdruck und damit auch die Forderung, die Vertriebenen müssten letztlich wieder in ihre Heimat zurückkehren.71 Sei67 68 69 70

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„Akten deutscher Bischöfe 1945 – 1947“,. S. 550-562, „Die Vertriebenenfrage firmiert unter den Seelsorgsfragen“, dort vor allem auf den S. 557-559. „Akten deutscher Bischöfe 1945 – 1947“, S. 630f. Friedhelm JÜRGENSMEIER, Albert Stohr, in: GATZ, Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1945 – 2001, S. 356-359. Das Referat Stohrs vom 20. August 1946 in „Akten deutscher Bischöfe 1945 – 1947“, S. 700702. Dort heißt es in Punkt IV.B „Die Planung des Königsteiner Seminars für Ostpriester. Hier will man nicht bloß überhaupt eine priesterliche Ausbildungsstätte schaffen zum Ersatz für die verlorengegangenen Hochschulen in Breslau, Prag, Braunsberg und Weidenau, sondern vor allem eine Erziehungsstätte für die ungeheuer schwierige und entsagungsreiche Aufgabe der Seelsorge an den Ostflüchtlingen. Wenn auf diese Weise der Gedanke apostolischer Armut und Einfachheit, apostolischen Heldenmutes und vollkommener Hingabe in die Reihen dieser Priester getragen würde, dann könnte viel gewonnen sein.“ Zitat S. 702. Das Schreiben Gröbers an den Papst in „Akten deutscher Bischöfe 1945 – 1947“, Teilband II, S. 828-832. „Dazu jetzt die vielfache Belastung mit den Flüchtlingen aus dem Osten. Von einer Besserung der Lage kann noch keine Rede sein. Im Gegenteil: Statt dass diese Menschen aus dem Osten und Nordosten bei uns verwurzeln, treten Gegensätzlichkeiten zwischen den Einheimischen und Eingewanderten auf, von denen ich nicht weiß, wie wir sie bezwingen. Die ganze konfessionelle Landkarte hat sich geändert. Weite Gegenden, namentlich im nördlichen Teil des Erzbistums, die fast ausschließlich protestantisch bevölkert waren, sind nun durch den Zustrom vom Osten überwiegend katholisch geworden. Es blieb nichts anderes übrig, als den protestantischen Oberkirchenrat zu bitten, die Kirchen in diesen Gegenden auch für den katholischen Gottesdienst zur Verfügung zu stellen. Aber woher nehmen wir die Geistlichen? Leider sind sehr häufig die zuständigen Pfarrer und Seelsorger aus dem Osten oder Nordosten nicht gekommen, oder sie sind mit den neuen seelsorgerlichen Verhältnissen nicht vertraut. So wogt nun alles noch, ohne feste Formen anzunehmen, hin und her. Eine Zeitlang habe ich geglaubt, dass

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nen eindrücklichen Wunsch, dass die Vertriebenen wieder rückgesiedelt werden möchten, formulierte Gröber an Georges Bidault72 am 16. Februar 1947, wo er für die Friedenskonferenz in Moskau, die am 10. März beginnen sollte, die Bitte mitgab, die Ostflüchtlinge wieder zurückzuführen.73 Zu Gröbers Einstellung zu Königstein ist ein Schreiben von Gröber an Pater Leiber zu berücksichtigen, das er am 19. Juli 1947 im Umfang von fünf Schreibmaschinenseiten sandte.74 Er würdigte dort Kaller als lieben und guten Bischof, der viel gelitten und außergewöhnlich viel für die Ostflüchtlinge getan habe. Er unterstrich im gleichen Atemzug, dass er nicht wisse, wie es nun mit Königstein werde und er immer dagegen gewesen sei. Nicht aus Oppositionslust, sondern, weil er der Ansicht war, dass das Unternehmen die finanzielle Kraft überstiege. „Auf der Konferenz wird wahrscheinlich wieder beschlossen werden, Königstein bleibt. Wer an die Stelle Kal-

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eine definitive Ansiedlung möglich werde. Aber langsam schwindet mein Glaube dahin, und ich finde für das ganze Problem keine andere Lösung als: Wieder in die Heimat im Norden oder Nordosten zurück. Damit gewinnt die Aufgabe von Exzellenz Kaller eine größere Bedeutung, als ich anfangs vermeinte. Die Ostflüchtlinge hängen, wenn ich mich so ausdrücken darf, in der Luft. Sie gehören nicht zu uns, weil sie nicht zu uns gehören wollen. Und sie gehören nicht in ihre Heimat, denn sie ist vorerst verloren. Exzellenz Kaller hat damit eine überdiözesane Tätigkeit und auch einen Grund dafür, dass er eine Studienanstalt in Königstein errichtet hat. Ursprünglich dachte ich anders. Ich wollte die armen Ostflüchtlinge in jeder Hinsicht als volle Diözesanen betrachten. Ich stellte meine ganze Caritas in ihren Dienst. Ich wollte die Priester aus dem Osten und Nordosten als Diözesanpriester incardinieren und so bezahlen, wie innerhalb der Diözese bezahlt wird. Aber nun hat sich die Situation geändert. Ganz von meinem Plan bin ich nicht abgekommen. Aber er scheitert am Widerstand der Zugezogenen und an der Möglichkeit, dass die armen Leute doch wieder in ihre Heimat zurückkehren können. Bis dahin wollen wir ihnen helfen, so gut wir können und uns Mühe geben, die Gegensätze zu mildern, die Verbitterung und damit den Kommunismus abzuwehren und durch Zusammenkünfte religiöser Art oder Wallfahrten in großem Umfang die armen Glaubensbrüder zu stärken.“ (830f.) Die Resignation des Freiburger Erzbischofs resultiert meines Erachtens daraus, dass er wohl zunächst die Komplexität und die lange Perspektive der Aufgabe der Vertriebenenseelsorge unterschätzt hat und er nicht damit rechnete, dass die Vertriebenen auch eigene Vorstellungen und Wünsche haben und einbringen könnten. Der zweite interessante Aspekt, der hier formuliert wird, ist die Motivation, trotz der vielfältigen Widerständigkeit dieses Aufgabenfeldes doch so weit wie möglich zu helfen. Königstein wird damit zum Zugeständnis, das aus der Resignation resultiert. Man will die Verbitterung der Vertriebenen vermeiden, die sie in den Kommunismus führen könnte. Georges Bidault war von 1944 bis 1946 französischer Außenminister, 1946 Ministerpräsident und von 1947 bis 1954 erst Außenminister, dann Verteidigungsminister und Ministerpräsident. „Akten deutscher Bischöfe 1945 – 1947“, S. 1008f.: „Aus meinen gewonnenen Erfahrungen weiß ich, dass eine Ansiedlung im deutschen Westen unmöglich ist und nur dazu dienen muss, eine neue Gefahrenquelle für den Frieden Europas zu bilden. Wäre es da nicht zu erwägen, ob nicht der Strom der Ostflüchtlinge wieder in seinem Ursprung zurückgeleitet werden kann? Mit der Aufteilung des früheren deutschen Besitzes im Osten hat das nichts zu tun. Warum sollten nicht deutschsprechende Menschen innerhalb des polnischen Staates wohnen können, der nach zuverlässigen Nachrichten gar nicht in der Lage ist, das durch die Ausweisung freigewordene Gebiet zu besetzen. Und wenn auch nicht alle zurückkehren können, so sollte doch erwogen werden, ob nicht wenigstens ein Teil der Ostflüchtlinge wieder heimkehren dürfte.“ (S. 1009) „Akten deutscher Bischöfe 1945 – 1947“, S. 1181-1184.

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lers in der seelsorgerlichen Zusammenfassung der Ostflüchtlinge treten wird, hängt vom Heiligen Stuhl ab. Eigentlich bräuchte es nur eine sehr lose Zentralisierung, denn tatsächlich sind die in den einzelnen Diözesen wohnenden Ostleute subditi der Ordinarien geworden. Es bestand schon unter Kaller eine eigentümliche Lage. Sie wussten nicht, gehören sie zum Diözesanbischof oder zum päpstlichen Bevollmächtigten."75 Kaller wandte sich eigens in einem Schreiben an Gröber vom 20. Februar 1947 gegen die wiederholte und nachdrückliche Forderung auf Rückkehr der Ostvertriebenen. Er unterstrich seinen bereits im August 1945 gewonnenen Standpunkt, den er dann auch immer wieder in die Öffentlichkeit getragen hatte, in Predigten auch den Vertriebenen nahe gebracht hatte, dass eine Rückkehr nicht möglich war.76 Demgegenüber unterstrich auch die Konferenz des bayerischen Episkopats im Frühjahr 1947 noch einmal die Forderung, dass die Flüchtlinge in ihre Heimat zurückgehen könnten.77 Als Ziel der Seelsorge wurde dort formuliert, dass Vertriebene ganz in die Pfarrseelsorge eingegliedert werden. Es wurde also das Prinzip der territorialen Zuständigkeit ein weiteres Mal deutlich unterstrichen. Nur als Zusatz wurde die Konzession verstanden, dass zwei bis drei Flüchtlingsseelsorger in einer Diözese eingesetzt werden sollten, um den besonderen Bedürfnissen der Flüchtlinge Rechnung zu tragen und von Zeit zu Zeit auch einen eigenen Flüchtlingsgottesdienst zu halten. Die Konferenz der deutschen Bischöfe in Fulda vom 19. bis 21. August 1947 befasste sich erneut mit der Sorge für die Deutschen aus dem Osten. Die Bischöfe konstatierten, dass seit der letzten Konferenz vor einem Jahr eine kleine Besserung eingetreten sei. Eine Schaffung eigener Räume für den Gottesdienst wurde als wünschenswert unterstrichen, da viele Geistliche während der ganzen Woche keine Möglichkeit zu zelebrieren hatten. Damit im breiteren Maße Religionsunterricht erteilt werden könne, müssten Laienkatecheten in Schnellkursen ausgebildet und eingesetzt werden. Sehr zu beklagen sei das Fehlen von Religions- und Gebetsbüchern. „Das Gefühl der

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„Akten deutscher Bischöfe 1945 – 1947“, S. 1181. Kaller an Gröber am 20. Februar 1947 in „Akten deutscher Bischöfe 1945 – 1947“, S. 1016/1017. „ … dass wir wohl alle ohne Ausnahme der Überzeugung sind, dass das Beste eine 100%ige Rücksiedlung der aller Heimatvertriebenen wäre. Wie glücklich wären restlos alle, wenn dieser Plan verwirklicht würde. Doch dieser Hoffnung stehen leider sehr begründete Zweifel gegenüber. Aufgrund der Tatsachen kann man kaum annehmen, dass das ganze bisherige Verhalten nur ein Theater war; dahinter steckt sicher die Absicht, das jetzt occupierte Land zu behalten. Wenn jetzt von Westsiedlung gesprochen wird, geht das von dem Gedanken aus, dass durchaus nicht alle nach dem Osten zurückkommen und dass die Leute Heimat finden müssen, und Heimat ist nun mal unbedingt mit dem Boden verbunden. Und wenn man von der Überseesiedlung spricht, wobei die selbstverständliche Voraussetzung die ist, dass diese Siedlung erst nach Friedensschluss und nach Rückkehr unsrer Kriegsgefangenen in die Wege geleitet werden kann, so geschieht dies, um unseren Leuten wenigstens noch Hoffnung zu geben. Die Heimatvertriebenen sind weithin der Verzweiflung nahe. Man kann sie unmöglich nur in der einen Hoffnung lassen, dass sie wieder zurückkommen, weil beinahe zu 100 % das Gegenteil angenommen werden muss.“ (S. 1016f.) Protokoll der der Konferenz des bayerischen Episkopats, Freising 22. – 23. April 1947 in „Akten deutscher Bischöfe 1945 – 1947“, S. 1083-1090. Das Flüchtlingsproblem unter „I Religiöse Zeitfragen“, vor allem S. 1084f.

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Heimatlosigkeit ist noch nicht überwunden, selbst die Jugend findet nicht immer den rechten Anschluss an die einheimischen Jugendgruppen. Gelegentliche kirchliche Feiern, Wallfahrten usw. für die Ostvertriebenen bringen diesen Trost und Freude. Zu häufig sollen sie jedoch nicht sein.“78 In der materiellen Notlage wurde vorgeschlagen, die Pfarrhilfe, also die Hilfe von Familie zu Familie, von Person zu Person stärker einzusetzen. Auch hier wurde noch einmal unterstrichen, dass das Problem innerhalb der Grenzen des jetzigen Deutschlands nicht lösbar sei, wenn nicht der größte Teil der Vertriebenen die Möglichkeit zur Auswanderung oder zur Rückkehr in die Heimat bekäme. Bezüglich Königstein wurde auf der Konferenz 1947 beschlossen, dass ein eingetragener Verein gebildet werden solle als Träger der Anstalt. Das Seminarium Majus, also das Priesterseminar, solle mit Ostern 1948 aufgehoben werden. Das Seminarium Minus, also das Schülerkonvikt, werde aufrechterhalten. Dafür wurde für 1948 ein Zuschuss von 150.000 RM bewilligt. Falls der Papst keinen Bischof als Sonderbeauftragten für die Ostflüchtlinge in der Nachfolge Kallers mehr ernennen sollte, dachte die Bischofskonferenz daran, den Bischof von Limburg als Referenten für das Flüchtlingswesen zu bestellen.79 Dieser Vorschlag wurde in einem Schreiben von Kardinal Frings an Pius XII. vom 24. September 1947, in dem er über die Beratungen in Fulda berichtete, weitergegeben. Frings unterstrich dort, dass es schwierig sein werde, eine Kaller-adäquate Persönlichkeit zu finden.80 Im Schreiben an den Papst arbeitete Frings noch einmal die Schwierigkeit heraus, die Vertriebenen in Westdeutschland einzugliedern, wenn ihnen nicht die Möglichkeit gegeben werde, in die angestammte Heimat zurückzukehren.81

3.2.

Wahrgenommen wurden die Vertriebenen vor allem in der caritativen Perspektive

Eine Reihe von Bischöfen ließ in ihren öffentlichen Worten anfangs die Sensibilität für die Probleme von Flucht, Vertreibung und Aufnahme vermissen. Das ist von den Betroffenen viel beklagt worden und weitgehend bekannt. Diese Ablehnungshaltung hat auch der aus dem Ermland vertriebene und vom Papst 1946 mit der besonderen

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„Akten deutscher Bischöfe 1945 – 1947“, Protokoll der Plenarkonferenz des Deutschen Episkopats, Fulda 19. – 21. August 1947, S. 1253-1268, hier S. 1259. „Akten deutscher Bischöfe 1945 – 1947“, S. 1261. Frings an Pius XII., Köln 24. September 1947 in „Akten deutscher Bischöfe 1945 – 1947“, S. 1330-1332 „Eine solche Persönlichkeit zu finden, ist außerordentlich schwer. Der verstorbene Bischof Kaller vereinigte in seiner Person nicht nur eine reiche Erfahrung auf dem ihm zugewiesenen Sondergebiet mit einer erstaunlichen Entschlusskraft und überquellenden Arbeitsfreudigkeit, sondern konnte auch seine Zeit restlos der neuen Aufgabe widmen, da er durch den tatsächlichen Verlust seines Bistums frei geworden war.“ „Akten deutscher Bischöfe 1945 – 1947“, S. 1330. „Akten deutscher Bischöfe 1945 – 1947“, S. 1332.

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Sorge um die Heimatvertriebenen betraute Bischof Maximilian Kaller buchstäblich am eigenen Leib erfahren müssen. Ein beredtes Beispiel ist der Münchner Erzbischof Michael Kardinal Faulhaber, der in seinen Hirtenworten zwar die besondere Notlage der Flüchtlinge benannte, im gleichen Atemzug aber davor warnte, dabei die Not der Ausgebombten zu übersehen. In ihrem Hirtenwort zur Fastenzeit 1946 sahen die bayerischen Bischöfe denn auch kaum eine Möglichkeit, die Vertriebenen längerfristig aufzunehmen, sie appellierten an die Staatsmänner, „den Millionen vertriebener Deutschen ihr Land und ihre Heimat wieder zurückzugeben und sie vor der Verzweiflung zu retten“.82 „Das Furchtbarste, was die Nachkriegszeit mit sich gebracht hat, ist das wahrhaft grauenvolle und im vollen Sinne des Wortes unmenschliche Elend der Flüchtlinge. Ein Riesenstrom von ärmsten Menschen ergießt sich aus dem Osten über unser Vaterland. Sie alle sind verstoßen aus Heim und Heimat, mussten verlassen den teuren Boden, den schon ihre Vorfahren durch Generationen und Jahrhunderte hindurch bebaut haben und mit dem sie mit allen Fasern ihrer Seele verwachsen sind. Sie müssen die Heimat verlassen als Bettler, kaum notdürftig gekleidet; Tausende wurden bereits ein Opfer der unmenschlichen Formen und Methoden, in denen die Vertreibung vor sich geht... Das um ein Fünftel seines Umfanges verkleinerte Deutschland kann die vielen Millionen der Wanderer nicht unterbringen, noch weniger auf die Dauer ernähren und beschäftigen. Sollen sie wirklich zum Tode durch Hunger und Elend verurteilt sein? Wer kann ein solches Todesurteil verantworten?“83 Die caritative und spontane Sorge der Kirche und der Kirchen um die Vertriebenen wurde bislang noch eher wahrgenommen und dokumentiert. Staatliche Stellen haben sie geschätzt, teils sogar eingefordert – so war Kaller als Sonderbeauftragter im März 1946 zu Beratungen mit der bayerischen Verwaltung in München.84 Wie der Rottenburger Bischof Joannes Baptista Sproll, so hat auch der Freiburger Erzbischof Conrad Gröber in einem Fasten-Hirtenbrief 1946 das Flüchtlingselend thematisiert. Gröber stellte die neue Aufgabe in den großen Kontext der Vertreibungen, die sich bereits im Alten Testament finden lassen und unterstrich, dass es trotz alledem wider Recht und Gesetz sei, Vertreibung als ein Mittel der Politik zu benutzen. Die Frage nach der Rechtlichkeit und der Ruf nach Solidarität der Katholiken auch anderer Länder angesichts der Vertreibung der Deutschen bestimmten auch den Fasten-Hirtenbrief Gröbers, der politischer argumentierte als Sproll, der vor allem die caritative Notlage in den Ankunftsgebieten hervorhob, wohingegen Gröber auf die Gräuel in Flucht und Vertreibung selbst abhob, die ihm in vielen Zuschriften geschildert worden seien. „Gröber hat durch diesen Fasten-Hirtenbrief erstmals eine breitere Öffentlichkeit über die Vertreibungen informiert. Die Zensurbestimmungen der alliierten Besatzungsmächte hatten eine Berichterstattung über die Vertreibungen in den Medien bisher verhindert. Es scheint, als könne und wolle Gröber angesichts des 82 83 84

Würzburger Diözesanblatt 92 (1946), Nr. 5, S. 35-40, hier S. 39. Ebd., S. 38f. Archiv Visitatur Ermland: Nachlass Fittkau. Ordner Kaller Nachkriegszeit. Eintrag Taschenkalender.

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Elends der Vertreibungen nicht schweigen. Die Erkenntnis, Stellung beziehen zu müssen ohne Rücksicht auf die Folgen von Seiten der Besatzungsmächte, mag auch aus der Reflexion seiner eigenen Rolle während der Zeit des Nationalsozialismus entstanden sein.“85 Freilich fehlten auch in Gröbers Fasten-Hirtenbrief nicht die deutlichen Appelle an die Gläubigen, die Vertriebenen in ihrer Notlage wahrzunehmen, ihnen zu helfen und ihnen Verständnis und Geduld entgegenzubringen.86 Annahme nicht Ablehnung bräuchten die Vertriebenen, Verständnis nicht Zurückweisung, sollten sie in ihrem Glauben nicht unsicher gemacht werden. Wie in anderen Diözesen auch stießen katholische Vertriebene in katholischen Gemeinden der Ankunftsregion auf Ablehnung, auch auf Klischees und Vorurteile. Sie waren die Fremden, die Dahergelaufenen, nicht selten das Zigeunervolk.87 Die Pflicht der Nächstenliebe versuchte Gröber den Katholiken der Erzdiözese Freiburg als Grundlage für ihr Verhalten gegenüber den Vertriebenen einzuschärfen.88 Doch ließ das Interesse des Bischofs an den Vertriebenenthemen auch in dieser Diözese im Lauf der Jahre nach – aus welchen Gründen auch immer; Holzapfel vermutet, es sei das dominierend werdende Thema der Bekenntnisschule gewesen. Vielleicht herrschte auch die Einschätzung vor, das Integrationsthema würde sich durch die Eingliederung in die Pfarrgemeinden,

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Christoph HOLZAPFEL, Katholisches Bekenntnis als Mittel zur Integration? Der Beitrag der Bischöfe von Freiburg, Hildesheim und Rottenburg zur Integration der Vertriebenen, in: Christoph HOLZAPFEL / Gabriele VOGT, Durch den gemeinsamen Glauben eine neue Heimat finden. Münster 2002, S. 11-113, hier S. 62. Der Hirtenbrief wird zitiert nach Bruno SCHWALBACH, Erzbischof Conrad Gröber und die nationalsozialistische Diktatur. Karlsruhe 1986, hier S. 282: „Lasst unsere Mitbrüder vom Osten in unseren Familien ein Stück katholischer Gemeinschaft finden und in unseren Gotteshäusern als Gleichberechtigte, ja als Bevorzugte durch ihr Leiden beim gemeinsamen Opfer und Empfang der heiligen Sakramente einen Ehrenplatz einnehmen. Pflegen wir sie, die von der langen Wanderschaft abgehetzten und müden und wärmen wir sie, denn sie haben so viel körperliche und seelische Kälte lange Monate hindurch erlitten. Verlangen wir nicht sofort, dass sie mitschaffen im täglichen Geschäft und so ihr Brot sich selber verdienen. Sie brauchen zuerst ein wenig Ruhe und sie müssen sich erst langsam an so manches Trennende und Störende, vielleicht auch Weh tuende angewöhnen, das sie umgibt.“ Vgl. hierzu ein Interview des Autors mit Helga Barth am 19. Januar 2009. Frau Barth schildert dort ihre Aufnahme in die damals etwa 2.000 Einwohner zählende rein katholische Gemeinde Höpfingen, wo sie zusammen mit ihrer Familie in ein Schwesternhaus, dem Pfarrhaus benachbart, eingewiesen wurden. Von den Schwestern wurden sie gut aufgenommen. Sie bekamen auch Zuwendungen. Im Ort aber mussten sie sich mit den entsprechenden Vorurteilen auseinandersetzen. Diese Klischees hielten sich durchaus bis Ende der fünfziger Jahre. „Mein Fasten-Hirtenbrief über das Flüchtlingselend ist verlesen worden. Ich erinnere von Neuem daran, dass sowohl der Klerus als auch die ganzen katholischen Gemeinden nunmehr der Pflicht der Nächstenliebe bis zum Äußersten entsprechen müssen. Es wäre mir außerordentlich peinlich, wenn von verschiedenen Teilen meiner Erzdiözese Klagen einlaufen würden, die beweisen, dass man die Pflicht der Stunde noch nicht recht erkannt hat. Geben wir ein gutes Beispiel und lassen wir uns von anderen nicht übertreffen. Wir bringen damit nicht bloß den Evakuierten und Flüchtlingen Segen, sondern auch uns selbst. Der Sorgen habe ich genug. Ich möchte wenigstens die eine Freude erleben, dass meine Erzdiözesanen in der praktischen Nächstenliebe nicht verzagen.“ Erzbischöfliches Archiv Freiburg, G 55.44 Vol. 1, Freiburg 30. März 1946.

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wofür ja durch die Hirtenworte der Weg gebahnt werden sollte, auf regulärem Weg erledigen lassen. Dazu kamen unterstützend spezifische Frömmigkeitsformen, wie etwa die Wallfahrten oder die Pflege der Marienfrömmigkeit, die religiöse Heimat, Geborgenheit, Vertrautheit und auch Brücken zu den Einheimischen bilden sollten.

3.3.

Differierende Zielsetzungen im Umgang mit der Problematik

Für die Anfangszeit sei grundsätzlich und beispielhaft auf die Studien von Gabriele Vogt für Hildesheim und Christoph Holzapfel (Rottenburg, Freiburg und Hildesheim vergleichend) hingewiesen. Mit diesen Studien lassen sich erste Antwortansätze auf grundlegende Fragen für die Bewertung der Aufgaben, für die Schwerpunktsetzungen im deutschen Katholizismus und für die Bestimmung des Verhältnisses der Kirche zur Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg herausschälen. Die Aufnahme der Vertriebenen wurde durchweg als immenses materielles und damit zunächst caritatives Problem gesehen – manche blieben auch nach der ersten Phase, in der die materielle Not im Vordergrund stand, in ihrer Wahrnehmung auf dieser Ebene stehen. Integration aber, wie sie als grundsätzliches Ziel zumindest von den Vertriebenen angestrebt wurde, forderte mehr und berührte weitere Aufgabenbereiche: Hildesheim als Diasporabistum etwa wurde wesentlich von den aufgenommenen Vertriebenen geprägt; die Diözese, das kirchliche Leben erhielt ein neues Gesicht. Trotz der immensen Dimensionen der neuen Aufgaben hielt sich der Bischof zunächst für den für sein Bistum zuständigen Seelsorger – die Vertriebenen wurden kirchenrechtlich mit der Wohnsitznahme in den Gemeinden des Bistums in die Pfarreien und die Diözese integriert und damit den Aufgabenbereichen der ordentlichen Seelsorger eingefügt. Somit war der Bischof an erster Stelle und übergreifend, in der Pfarrei der Ortsseelsorger zuständig für die Betreuung der vertriebenen Katholiken. Protagonisten der Vertriebenenseelsorge waren auf Bistumsebene – in ungleicher Position – der Bischof und der Diözesanvertriebenenseelsorger. Im Gegensatz zu Freiburg hatte Rottenburg eher zögerlich und Hildesheim sehr rasch die Forderung führender Vertriebenenseelsorger und der Bischofskonferenz, Diözesanvertriebenenseelsorger einzusetzen, realisiert. In diesen beiden Protagonisten trafen verschiedene Erfahrungsräume und Zielsetzungen aufeinander. Wenn sich auch die Bischöfe der Probleme der Vertriebenen annahmen, versuchten sie doch verständlicherweise auch das Erbe und die Eigenarten der Einheimischen zu bewahren. Paradigmatisch ist hier der Streit um das diözesane Liedgut im Bistum Rottenburg. Offen bleibt dabei die Frage: Mit welcher Intensität und wie lange hat die Bischöfe das Vertreibungsproblem beschäftigt? Haben sie es rein auf der caritativen Ebene oder auch strukturell begriffen?

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Abschnitt I

Ein Beispiel für die Aufgeschlossenheit gegenüber den neuen Aufgaben war der Hildesheimer Bischof Godehard Machens89, der von den einheimischen Geistlichen als vertriebenenfreundlich eingestuft wurde. Er setzte die Vorgaben der Bischofskonferenz, Diözesanvertriebenenseelsorger einzusetzen, rasch um – für den in dieses Amt berufenen Josef Engelbert gute Voraussetzungen. Trotzdem wuchs kein kommunikativer Austausch zwischen den Protagonisten; Gründe dafür mögen in unterschiedlichen Persönlichkeitsstrukturen zu suchen sein, in Verunsicherungen über die wechselseitige Fremdheit, in differierender Gewichtung der Probleme und Zielsetzungen. Waren die verzweifelten Bitten des Vertriebenenbischofs Kaller oder der Diözesanflüchtlingsseelsorger nur Positionsverteidigungen im Ringen um den Interessensausgleich oder sind sie Ausdruck der Frustrationen darüber, dass die einheimischen Katholiken, allen voran die Seelsorger und die Bistumsleitung die Vertriebenen nicht als Katalysatoren der drängenden Aufgaben und der verdrängten Probleme wahrnahmen, so dass überkommene Seelsorgskonzepte nicht mehr genügten, dass die Pastoral nicht länger ungestraft ganze Dimensionen des gesellschaftlichen Lebens ausblenden konnte – allen voran die sozialpolitische? Die Angst vor der politischen Dimension in der Aufgabe der Vertriebenenintegration zeigte sich bei Machens deutlich. Vertreibung wurde als ein caritatives und dann als ein rechtliches Problem gesehen. Machens dachte in Konfessionalisierungskategorien: Katholische Tradition und Kultur sollten sich wieder durchsetzen im bislang mehrheitlich protestantischen Niedersachsen. Die Vertriebenenbetreuung sollte im politikfreien Raum agieren – letztlich wurden die Vertriebenen aber dennoch für ganz andere Aufgaben, nämlich den Schulkampf, auf den sich die Auseinandersetzung fixiert hatte, instrumentalisiert, die eigentlichen Aufgaben und Probleme wurden in den Hintergrund geschoben, verdrängt. Die Säkularisierung sollte durch die Rechristianisierung auf der weltanschaulichen Ebene rückgängig gemacht werden, die sozialpolitische Dimension, die mentalen und psychologischen Probleme des Alltags wurden ausgeblendet: Traditionen, Erfahrungsräume, Dialekte und Mentalitäten prallten aufeinander; misstrauisch wurde von allen beteiligten Seiten deren jeweilige Erhaltung eingefordert. Der Glaube, die Konfession, war eben nicht automatisch Integrationsfaktor, wie es manche Bischöfe gern gehabt hätten. In der Studie von Gabriele Vogt werden vorrangig die organisatorische Ebene, Beispiele für Integrationssituationen und -probleme vor Ort untersucht. Bei Christoph Holzapfel steht die Analyse der inhaltlichen Positionen der Bischöfe im Mittelpunkt. Kontrastierend schälen sich zusätzliche Erkenntnisse heraus: die caritativen Probleme wurden überall wahrgenommen, ihnen wurde abgeholfen, situativ ließ man Neuerungen zu, wo sie erzwungen wurden: Laieneinsatz im Bistum Hildesheim, Berücksichtigung des Traditionsgutes der Vertriebenen (nicht aber in Rottenburg), Individualseelsorge, nachgehende Seelsorge als Teilmodernisierungen, weil sich die Inhalte

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Godehard Machens, in: GATZ, Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1945 – 2001, S. 262264.

Seelsorge in Vertreibung und Ankommen

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(Menschenbild, Gesellschaftssicht, Verständnis des politischen Prozesses als Weltanschauungskampf, weil drohende Säkularisierung) nicht wirklich änderten. Unterschiedliche Themenfelder schoben sich in kurzen aufeinander folgenden Zeitabschnitten im Bereich der Vertriebenenseelsorge auf der Ebene der Bischöfe und der Bischofskonferenzen in den Vordergrund. Naturgemäß waren es anfangs die Appelle der Bischöfe in ihren Diözesen an die Priester und an die Gläubigen zu caritativem Einsatz, zu einem offenen Empfang der fremden Katholiken, zu einer freundlichen Aufnahme und zu einem Ausgleich zwischen Einheimischen und Vertriebenen. Sehr rasch tauchte nach der Ankunft der Vertriebenen die Frage nach einer Sonderpastoral für die Vertriebenen auf. Ließen sich die Nöte und Probleme allein mit den bisherigen Instrumenten der ordentlichen Seelsorge bewältigen? Viele Bischöfe errichteten das Amt eines Diözesanvertriebenenseelsorgers. Neue Strukturen mussten in den Diasporagebieten geschaffen werden, die ankommenden Geistlichen mussten untergebracht und versorgt werden. Rechtliche Probleme taten sich auf: die Frage der Zuordnung der jungen Männer aus dem Kreise der Vertriebenen, die Theologie studieren und Priester werden wollten. Es waren also organisatorische und rechtliche Fragen, die dann in den Vordergrund rückten. Drittens das Thema Königstein, also die Frage nach einer eigenen Hochschule bzw. einem eigenen Priesterseminar für Priesteramtskandidaten aus den Reihen der Vertriebenen und die Schwierigkeiten der Finanzierung desselben. Schließlich viertens die Diasporanot, d.h. vor allem die Verteilung der Seelsorger, der Vertriebenenseelsorger in erster Linie zwischen katholischen und überwiegend evangelischen Gebieten, zwischen dem Süden und dem Norden bzw. vor allem dem Osten des geteilten Deutschlands. Generell ist sehr deutlich zu sehen, dass die unterschiedlichen für die Vertriebenen relevanten Themen im Laufe des Jahres 1948, vor allem 1949 deutlich zurücktraten gegenüber den Themen, die die politische Entwicklung in den Vordergrund rückte, indem das Grundgesetz diskutiert wurde und die Schulfrage eindeutig die Überlegungen zu dominieren begann.

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Abschnitt I

4.

4.1.

Ein neues Aufgabenfeld braucht neue Strukturen

Vertriebenenseelsorge auf Diözesanebene – einige Beispiele

Vertreibung brachte auch kirchlich die Zerstreuung. Gewachsene Strukturen und Organisationen fingen nicht mehr selbstverständlich ein und auf. Man knüpfte zwar an, versuchte fortzuführen, geregeltes Leben zu gestalten. Gleichzeitig waren neue Initiativen notwendig, und an vielen Orten entstanden sie in unterschiedlicher Gestalt. Die Pionierleistungen des vormaligen Breslauer Stadtpfarrers Alfons Maria Härtel (1900 – 1970) für die Vertriebenenseelsorge, vor allem für die Betreuung der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge in der Diözese Rottenburg, wo er 1946 – 1949 Beauftragter für die Seelsorge an den Heimatvertriebenen Deutschen war, wurden in der Literatur bereits mehrfach unterstrichen90. Der Stadtpfarrer von St. Dorothea in Breslau und Leiter der Rundfunkarbeitsgemeinschaft der deutschen Katholiken am Reichssender Breslau kam Anfang 1946 in die Diözese Rottenburg, wo er zum Beauftragten für die Heimatvertriebenenseelsorge ernannt wurde. Er wollte, dass die vertriebenen Priester und Gläubigen gerade in der Diasporaumgebung des Bistums mit ihrem Suchen, ihren Irritationen, ihren Problemen, Konflikten aber auch Sehnsüchten und Hoffnungen wahrgenommen wurden. Er zelebrierte Gottesdienste bei Heimattreffen. Er gab religiöse Kleinschriften heraus, u.a. bereits 1946 ein Gebetbuch für die Vertriebenen unter dem Titel Heilige Heimat, und versuchte die einheimischen Geistlichen und die Bistumsleitung auf die Erfordernisse der neuen Situation, auf die bislang unbekannten Aufgaben aufmerksam zu machen und Konzepte zu entwickeln. So gehörte Härtels ganzes Engagement von 1945 – 1949 der Vertriebenenseelsorge, dann wurde er mit der Seelsorge und dem Aufbau einer Gemeinde in Stuttgart-Möhringen betraut, wo er 1951 mit dem Kirchenbau begann. Die Hedwigskirche in Möhringen wurde zu einem Wallfahrts- und Identifikationsort für die katholischen Schlesier im Südwesten.

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Vgl. Joachim KÖHLER, Alfons Maria Härtel in: Johannes GRÖGER / Joachim KÖHLER / Werner MARSCHALL (Hg.), Schlesische Kirche in Lebensbildern, Band 6. Sigmaringen 1992, S. 193-196 (Künftig zitiert als GRÖGER et al., Schlesische Kirche in Lebensbildern, Band 6). – Joachim KÖHLER, Alfons Maria Härtel und die Anfänge der Flüchtlings- und Vertriebenenseelsorge im Bistum Rottenburg in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 7 (1988), S. 111-125. – Joachim KÖHLER, Ein Bericht des bischöflichen Kommissars für die Heimatlosenseelsorge in der Diözese Rottenburg Alfons Maria Härtels aus dem Jahre 1949, in: ASKG 45 (1987), S. 221-236. – Rainer BENDEL, Störung im Milieu. Die kirchliche Betreuung der „Umquartierten“ in Altötting als frühes Experiment der Vertriebenenseelsorge, in: Werner CHROBAK / Karl HAUSBERGER (Hg.), Kulturarbeit und Kirche. FS Msgr. Dr. Paul Mai zum 70. Geburtstag. Regensburg 2005, S. 267-274.

Seelsorge in Vertreibung und Ankommen

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Härtel war, als Breslau 1945 zur Festung erklärt worden war, am 18. Februar 1945 nach Altötting gekommen; der alte bayerische Wallfahrtsort wurde sein Ausweichquartier, weil er ihn von Wallfahrten vorangegangener Jahre kannte. Der Rundfunkseelsorger, der mit den Kulturkreisen der gemischt konfessionellen schlesischen Bistumsstadt Breslau vertraut war, kam hier an einen Ort konzentrierter bayerischer Religiosität und Volksfrömmigkeit – Altötting, der Wallfahrts- und Gnadenort sollte bald für die Vertriebenen eine besondere Bedeutung erhalten, waren doch Wallfahrten ein wichtiges Medium für die Religiosität der vertriebenen Katholiken, um Kraft zu schöpfen für die Vertreibungssituation, auch um sich wiederzufinden, sich auszutauschen, Interessen zu bündeln und zu artikulieren: ein Stück weit eine zeitlich begrenzte Nische im Geschick der Heimatlosigkeit91. Den Zusammenhang von Wallfahrtund Heimatverlust hat bereits 1968 Georg Schroubek92 in einer umfangreichen Studie untersucht und dabei auch aufgezeigt, wie sich die Sakrallandschaft Bayerns durch eine Vielzahl neuer Wallfahrten durch die Heimatvertriebenen veränderte93. Dieser außerordentliche Gnadenort Altötting zog die Heimatvertriebenen quasi als Sammelpunkt und Ersatzstätte für ihre gewohnten Wallfahrtsorte an; dort suchten sie Zuflucht in ihren Nöten, Problemen und Anliegen. Die Bedeutung der Altöttinger Vertriebenenwallfahrten lässt nicht zuletzt bereits die Wallfahrt 1947 aufscheinen, bei der die Vertriebenen in großer Zahl gelobten, auf Rache und Geltung zu verzichten, ein Gebet das eine zentrale Vorstufe der Charta der Heimatvertriebenen von 1950 wurde, ja im Kern die mäßigende, ausgleichende, zur Versöhnung mahnende zukunftsweisende Botschaft bereits enthielt. Mit den Wallfahrten zeigt sich also ein erstes ganz wichtiges Medium einer Sonderseelsorge für Heimatvertriebene und so nimmt es nicht Wunder, dass gerade in einem Zentrum des Wallfahrtens nicht nur verschieden geartete religiöse Mentalitäten aufeinander treffen wie der Einheimischen und der unterschiedlichen Vertriebenengruppen und die damit verbundenen Schwierigkeiten reflektieren, sondern dass sich auch in einem solchen Zentrum die Frage nach der Berechtigung für eine Sonderseelsorge an den Vertriebenen entzündete. Jedenfalls spürte Härtel diese Spannungen, diese Problemzuspitzung und beginnende Wahrnehmung ganz neuer Aufgabenbereiche während seiner Evakuierung in Altötting. So schickte er am 13. November 1945 einen Bericht, ein Plädoyer, ein Memorandum an den Passauer Bischof Simon Konrad Landersdorfer94. Er sah sich zu diesem Bericht veranlasst, weil ihm Stimmen zu 91 92

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Vgl. dazu auch den Beitrag von Paul MAI, Schlesierwallfahrten in Süd- und Westdeutschland. Ein Beitrag der Vertriebenen zur Aussöhnung der Völker, in ASKG 51/52 (1994), S. 77-88. Georg Schroubek (1922 – 2008), böhm. Volkskundler. Helge GERNDT (Hg.), Stereotypvorstellungen im Alltagsleben: Beiträge zum Themenkreis Fremdbilder – Selbstbilder – Identität; Festschrift für Georg R. Schroubek zum 65. Geburtstag. Münchner Vereinigung für Volkskunde. München 1988. Georg R. SCHROUBEK, Wallfahrt- und Heimatverlust. Ein Beitrag zur religiösen Volkskunde der Gegenwart. Marburg/Lahn 1968 (= Schriftenreihe der Kommission für ostdeutsche Volkskunde in der deutschen Gesellschaft für Volkskunde 5). Vgl. zu Simon Konrad Landersdorfer OSB (1880 – 1971) Stephan HAERING in: Friedrich Wilhelm BAUTZ, ab Band 3 fortgeführt von Traugott BAUTZ (Hg.), Biographisch-Bibliographisches

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Abschnitt I

Gehör kamen, die die Position vertraten, eine Sonderseelsorge für Flüchtlinge sei nicht notwendig. Von den einheimischen geistlichen Mitbrüdern hatte er ebenfalls das Votum bekommen, eine Sonderseelsorge wäre einer gedeihlichen Pfarrseelsorge hinderlich. Härtel wollte mit seinem Plädoyer diese unterschiedliche Lageeinschätzung dem Bischof vortragen, ohne dass er zu dezidiert votierte. Freilich ist bereits das Faktum und die Art seiner Stellungnahme ein deutlicher Fingerzeig: „Obwohl z.B. in der Jugendseelsorge besonders an der erwachsenen Jugend der Umquartierten und auch sonst noch manches zu tun wäre, glaube ich doch, mir in dieser Hinsicht um eines gedeihlichen Arbeitens willen Zurückhaltung auferlegen zu müssen. Euer Exzellenz werden die Güte besitzen, für die Art der Ausübung der Umquartiertenseelsorge noch Weisungen zu erteilen. Vielleicht kann dabei im Amtsblatt auch die Frage der Notwendigkeit erörtert werden95.“ Als Härtel diesen Bericht an den Passauer Bischof schickte, hatte Bayern noch keine Erfahrungen mit der hohen Zahl an Vertriebenen gesammelt, die 1946 vor allem aus dem Sudetenland nach Bayern eingeschleust wurden. Es waren bislang die Flüchtlinge, die Evakuierten aus den Großstädten und aus dem Westen des Reiches, die vor den Fliegerangriffen und den herannahenden Truppen vor allem in den bayerischen Dörfern Schutz gesucht hatten. Die Masse der Vertriebenen, die dann auch mit weniger Rückkehrhoffnung 1946 aus dem Sudetenland und aus Schlesien kamen, hob die Probleme, die hier angesprochen werden, in eine neue Dimension. Umso wichtiger erscheint dieser frühe Versuch, der Notlage, die man nicht auf eine punktuelle Sondersituation hin deuten zu können glaubte, mit neuen Formen, Methoden und Konzepten Herr zu werden. Härtel meinte mit seiner Wahrnehmung und seinen Vorschlägen gerade im Bistum Passau, das für seine weitsichtigen Seelsorgspläne bekannt war96, auf offene Ohren zu stoßen. Die ordentliche Seelsorge, die im gewohnten Stil weiter arbeitete, um die Einheimischen zu versorgen, kam oftmals an die einquartierten Katholiken gar nicht heran. Härtel führte diese Dissonanz, diese Kluft auf die seelische Lage zwischen Einheimischen und Hinzugekommenen zurück, die unüberbrückbar war: „Hier die an materiellen Gütern Ungeschädigten und Leidlosen – da die oft völlig Mittellosen und Verzweifelten; hier die wenn auch durch den Verlust der Angehörigen im Feld Trauernden, aber durch die Eigenart des Gnadenortes im Religiösen Gestärkten – dort die oft

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Kirchenlexikon. 14 Bände (+ bisher 19 reine Ergänzungsbände), Hamm bzw. Herzberg bzw. Nordhausen 1975 – 2012 (künftig zitiert als BBKL), Band 4 (1992), Sp. 1064-1067. August LEIDL, Bischof Simon Konrad Landersdorfer OSB 1880-1971, in: Ostbairische Grenzmarken 13 (1971), S. 294-298. GATZ, Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1945 – 2001, S. 447-449. DA Passau OA Varia 1,18f. Bericht Härtels über die Notwendigkeit einer besonderen Seelsorge an Umquartierten im Gnadenort Altötting im Hinblick auf die Notwendigkeit dieser Seelsorge im Allgemeinen, 14 Seiten Maschinenschrift plus Anschreiben an den Bischof, Zitat aus dem Anschreiben vom 13.11.1945. Vgl. dazu u.a. Theodor MAAS-EWERD, Simon Konrad Landersdorfer – Wegbereiter und Steuermann der Liturgischen Erneuerung im deutschen Sprachgebiet, in: Bibel und Liturgie 45 (1972), S. 42-52. GATZ, Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1945 – 2001, S. 447-449.

Seelsorge in Vertreibung und Ankommen

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durch mehrfachen Verlust an Angehörigen außerdem Geschlagenen und dazu durch die Großstadt entnervt und religiös arm Gewordenen; hier die landschaftlich Harten, dialektisch schwer Verständlichen, traditionell oft Festgefahrenen – da die weicheren, anpassungsfähigeren, redsameren Naturen97.“ Die Entwurzelten, in die Unsicherheit und Ungewissheit Geworfenen, die um das eigene Ich kämpfen, sie werden als Fremdlinge nicht akzeptiert, sondern abgelehnt. Härtel konstatierte eine ganze Fülle von Gegensätzen, die eine kluge Seelsorgspraxis berücksichtigen musste, d.h. sie musste nach einem eigenen Seelsorger rufen, der hier einen gewissen Ausgleich schaffen konnte. Mit Vorwürfen und Abwertungen versuchten Einheimische teilweise die Einquartierten abzuwehren. Bereits in dieser Frühphase vernimmt man aus dem Munde der einheimischen Geistlichen den Vorwurf, dass mit den Umquartierten das Niveau der Gemeinden herabgedrückt werde. Mit diesem Vorwurf musste sich auch Härtel auseinandersetzen. Freilich sah er bereits die ganze Spannung, die in dieser Konfrontation steckte. Hier die Fragen, die Kritik der Einquartierten, ja die Anfrage, die das bloße Dasein der Einquartierten bereits bedeutete, und dort die oft vermeintlich hochstehende religiöse Praxis der Einheimischen, die sich erschöpfte im Aufrechterhalten des Gangs der alten Tradition und der seit Jahrzehnten eingerissenen Fehler. Härtel meinte, dass die Umquartierten durchaus ein Prüfstein für das Niveau der Einheimischen sein könnten, da sie eine Caritas erforderten, die nicht nur etwas vom Besitz abgibt und an der Pfarrhaustür abgibt, sondern zum Teilen im eigenen Haus zwingt. „Da zeigt es sich zu welchem Niveau in Jahrzehnten die priesterliche Tätigkeit eine Gemeinde gebracht hat und ob große Gnaden große Verpflichtungen auslösen98.“ Seelsorge muss zwar alle ansprechen, Einheimische und Umquartierte, muss aber diejenigen, die in einer besonderen Notlage sind, auch noch einmal gesondert von den anderen ansprechen und behandeln dürfen. „Schon der Begriff „Heimat“ hat für die Umquartierten einen völlig anderen Klang und Sinn wie für die „Einheimischen“; und um die Heimat geht es bei diesen immerfort99.“ Die Berücksichtigung und Erfassung dieses seelischen Ausnahme- und Sonderzustandes der Heimatsuchenden sei die vornehmste Aufgabe der Umquartiertenseelsorge. Sie könne nicht ersetzt werden, auch nicht durch die Caritas, denn die Caritas sei nicht dazu in der Lage, auch von ihrer Zielsetzung her nicht dazu bestimmt, die alte Heimat wiederzugeben und zu dieser Heimat- und Geborgenheit, zu diesem Behaust- und Vertrautsein gehört für Härtel hier die Herzensgüte, das mütterliche Verständnis – also eine Heimat konstituiert durch Werte, durch Atmosphäre, durch Mentalität, durch Verstehen, die aber nicht primär an den Ort gebunden ist. Der Umquartierte habe aufgrund seiner Lage auf die caritative Mildtätigkeit, auf die Gaben mehr oder weniger ein Anrecht, aber ein verständnisvolles Wort, eine Hoffnungsperspektive, die ihm die Seelsorge eröffnen könne, könne unter Umständen weit mehr wert sein als ein Mantel oder eine Suppe.

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Über die Notwendigkeit einer besonderen Seelsorge, S. 2. Über die Notwendigkeit einer besonderen Seelsorge, S. 12. Über die Notwendigkeit einer besonderen Seelsorge, S. 2.

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Abschnitt I

Um dem seelischen Sonderzustand der Umquartierten entgegenzukommen, ihm gerecht werden zu können, durften die religiösen heimatlichen Werte nicht verloren gehen, nicht vergessen werden, sondern mussten gepflegt werden. Man musste die Differenzen auch in der religiösen Praxis klar wahrnehmen und in dieser Unterschiedlichkeit auch pflegen dürfen. Zu diesen Unterschieden rechnete Härtel etwa, dass die schlesischen Katholiken viel stärker den Volksgesang pflegten. Sie mussten das Gedenken an verstorbene Bischöfe ihrer Heimatdiözese, an Bistumspatrone pflegen dürfen. Es war wichtig, dass die Seelsorge an den Umquartierten auch zerrissene familiäre Bande berücksichtigte, womöglich Familien wieder zusammenführte, Hinweise auf Aufenthaltsorte usw. gab. Der Umquartiertenseelsorger musste Eucharistie feiern und Andachten halten. Er wurde am besten akzeptiert auch als Mittler bei Missverständnissen, er musste Unterschiede in der Frömmigkeitspraxis erklären über das wahre Wesen der Frömmigkeit aufklären – gerade an einem Gnadenort wie Altötting, wo viele Fremde eine falsche Anschauung und überspannte Erwartungen von Menschen eines Gnadenortes hatten. Insofern formulierte Härtel hier das Anforderungsprofil eines Vertriebenenseelsorgers, eines Seelsorgers an den Umquartierten, wie er es in den letzten Monaten in Altötting ausgeübt hatte. Ausdrücklich honorierte Härtel das volle Verständnis der Bistumsleitung für die besondere Notlage der Umquartierten. Musste doch in Passau mit den Flüchtlingslagern die Not gleichsam vor der Haustür wahrgenommen werden. Vor allem unterstrich Härtel die Bedeutung des Bischofswortes über wahre Caritasgesinnung weil sie große Spannungen gelöst habe, die durch die Kluft zwischen Begüterten und Habenichtsen entstanden war.100 „Manche wohnten nämlich hier bei begüterten Bürgern und hatten Einblick in die Lebensmittelrationen und den Lebensraum derselben. Sie sahen die erhaltene Substanz von Hab und Gut, aber auch die Zurückhaltung von Raum und Nahrung, also immer wieder die Frage, wie ist diese Zurückhaltung mit katholischer Frömmigkeit vereinbar. Daneben von anderer Seite die offenkundige Ausbeutung der Not, Härte und unverständliche Lieblosigkeit. Wer darauf hinwies, konnte niemals Sympathie bei den Einheimischen haben101.“ Er unterstützte die Haltung des Bischofs, dass in dieser Situation priesterliche Zurückhaltung in schwebenden und brennenden Fragen nicht angebracht sei. Vielmehr waren Worte verständnisvollen Mitfühlens und mutigen Zurechtweisens gefragt. Insofern haben die Hirtenbriefe des Passauer Bischofs den zweifelnden Heimatsuchenden Sicherheit gegeben; und dies gerade angesichts der Abwesenheit des Vertriebenenproblems in den Predigten der ordentlichen Seelsorge, die einfach das Problem in seiner Schärfe nicht wahrnehmen wollte. „Wenn in manchen nicht einmal der Versuch dazu gemacht wurde, wurde eine Gelegenheit verpasst, den Leuten zu zeigen, dass man es mit ihren Sorgen ernst nimmt. Sie gingen in andere Gemeinden, trugen ihre Klagen herum und man konnte ihnen nicht einmal Unrecht geben. Manche schämten sich, zu ihrem eigenen Pfarrer betteln zu gehen. Es war gut, wenn ein eigener Seelsorger für sie vermit-

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Über die Notwendigkeit einer besonderen Seelsorge, S. 11. Über die Notwendigkeit einer besonderen Seelsorge, S. 10.

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telte102.“ Oftmals wurde durch die ordentliche Seelsorge nicht nur Leid nicht gelindert, sondern durch das Übersehen auch noch verschärft, etwa wenn bei kirchlichen Totenfeiern die gefallenen Helden der Einheimischen genannt wurden, nicht aber die verstorbenen Angehörigen der Vertriebenen. Angesichts der besonderen Sensibilität der Heimatvertriebenen, bedingt durch den Verlust der gewohnten Umgebung, der Sicherheiten, der Ungewissheit für die Zukunft, wurde jedes Wort des ordentlichen Seelsorgers besonders interpretiert und gewogen. Umso verheerender waren manche vielleicht unbedacht hingeworfene Etikettierungen und Floskeln der Seelsorger. Dabei wollte Härtel als außerordentlicher Seelsorger dem Pfarrer alle Katholiken, für die er die letzte Verantwortung trug, auch zur Seelsorge zuführen. „Man konnte dann beobachten wie die Leute jedes Wort aus dem Mund des Pfarrers, in dessen Pfarrei sie zu Gaste sein mussten, abwogen und wie sie Schlüsse daraus zogen, ob ein Verständnis für ihre Heimatlosigkeit vorliegt oder nicht. Im Allgemeinen hatten sie den Eindruck des stillen Hinweises, sie möchten dem Gnadenort seinen Charakter nicht nehmen und ihren Aufenthalt als wirklich nur vorübergehend auffassen. Das tat manchen schon weh, ist aber vom Standpunkt des Pfarrers aus verständlich. Mit einem herzlichen Willkommen hatten sie nicht zu rechnen. Ein Pfarrer sieht auch die Dinge vom Standpunkt seiner Gemeinde aus, für die bei einem solchen Gnadenort die Fremden störender auf die Eigenart und Geschlossenheit des Ortes einwirken konnten als anderwärts103.“ Wie also sollten die Vertriebenen ihre Eigenart wahren, ihre Traditionen weiter pflegen, ihre Identität auch halten und neu finden, sich neu orientieren können, wenn sie am besten so tun sollten als ob sie nicht existent wären, wenn sie in der Erwartung des ordentlichen Seelsorgers sich möglichst nicht lange aufhalten oder, wenn sich dies nicht umgehen ließe, assimilieren sollten? Härtel hielt, das lässt sich als Fazit festhalten, die Sonderseelsorge in Altötting nicht nur für eine gerechtfertigte, sondern für eine notwendige Maßnahme. Es war eine Sonderseelsorge, die sich im Rahmen und immer in Hinordnung auf die Pfarrseelsorge ergänzend bewegte. „Vielleicht könnte man die Ansicht vertreten, die Umquartierten hätten von vornherein in der Pfarrei aufgehen können, sie hätten es ja auch irgendwie machen müssen, wenn man keinen besonderen Seelsorger für sie bestellt hätte. Ein so bedeutender Gnadenort ist aber mit anderen Maßstäben zu messen, wie hier nachgewiesen wurde“104. Härtel ließ keinen Zweifel daran, dass diese Sondersituation nicht nur des Gnadenortes, sondern der Vielzahl der Umquartierten in Bayern zu Kriegsende und in den Nachkriegswochen eine besondere Seelsorge erforderte. Vor allem müsse die ordentliche Seelsorge davon Abstand nehmen, ihre Erwartung dahingehend zu formulieren, dass die Leute bald wieder fortzögen. In erster Linie an Orten, an denen Umquartiertenlager mit ständiger Fluktuation eingerichtet waren, müsste die außerordentliche Seelsorge darauf achten, dass die Fremden die hohe

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Über die Notwendigkeit einer besonderen Seelsorge, S. 11. Über die Notwendigkeit einer besonderen Seelsorge, S. 12. Über die Notwendigkeit einer besonderen Seelsorge, S. 13.

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Abschnitt I

Schwelle zur ordentlichen Seelsorge, die nicht zuletzt durch die oft abweisende Haltung der Einheimischen gelegt wurde, überwinden könnten. Sie brauchten gesonderte und auch zusätzliche Angebote, die die ordentliche Seelsorge allein nicht leisten konnte. Damit war freilich die Eingliederung in die Pfarrfamilie noch nicht gelungen. Härtel wollte damit darauf hinweisen, dass diese Eingliederung ein langwieriger Prozess sei, der Weitblick und Geduld verlangte und sich nicht in einem reinen Verwaltungsakt der Aufnahme mit der Wohnortnahme erschöpfen konnte. Insofern verwundert der Ruf, der von vielen Seiten an ihn herankam, nicht, dass in vielen Teilen des Landes eine intensivere und sensiblere, rücksichtsvollere Betreuung an den Umquartierten geleistet werden sollte. Aus den Störungen in einem Konzentrationspunkt bayerischer katholischer Religiosität erwuchs hier dank der Sensibilität eines Großstadtpfarrers das Anforderungsund Aufgabenprofil, auch eine bestimmte Grundlage an Konzepten und Methoden einer spezifischen Vertriebenenseelsorge, deren Kontinuierung, deren Einrichtung auf Grund dieser halbjährigen Erfahrungen in Altötting dem Ordinariat nahe gelegt wurde. Man kann hier, noch bevor die Kirchliche Hilfsstelle in München sich etablieren konnte, bevor vertriebene Geistliche in größerer Zahl ausgesiedelt wurden und sich um ihre ehemaligen Heimatgemeinden kümmerten, einen Keim der Vertriebenenseelsorge sehen mit der Intention, diese auf Bistumsebene zu verankern. Für dieses Konzept der diözesanen Vertriebenenseelsorge konnte Härtel den Rottenburger Bischof Joannes Baptista Sproll105 gewinnen. Härtel begann am 23. Februar 1946 sein Amt als Bischöflicher Kommissär für die Heimatlosenseelsorge in Stuttgart. Ähnlich konzeptionell arbeitete auch Josef Engelbert in Hildesheim. Das Bild der diözesanen Vertriebenenseelsorge variierte stark, abhängig von den Personen, die als Vertriebenenseelsorger eingesetzt waren. Trotz dieser Variabilität lassen sich bestimmte Grundlinien ausmachen, die das Amt und die Aufgabe des Diözesan-Vertriebenenseelsorgers bestimmten – eine erste Aufgabenumschreibung hat der Hildesheimer Diözesanvertriebenenseelsorger Josef Engelbert106 geliefert. Auf sie bezogen sich Härtel und der Regensburger Kollege Erwin Triller immer wieder. Deren Intentionen gingen dahin, die Vertriebenenseelsorge einen Teil der normalen Hirtensorge des Bischofs werden und bleiben zu lassen, die sich darum bemühte, das Nebeneinander oder gar Gegeneinander einheimischer und vertriebener Katholiken abzubauen und die verschiedenen Gruppen zu einer neuen, von allen Beteiligten ge-

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Joannes Baptista Sproll (1870 – 1949), seit 1927 Bischof von Rottenburg. Vgl. zu Sproll GATZ, Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1945 – 2001, S. 467-470. – Dominik BURKARD, Joannes Baptista Sproll. Bischof im Widerstand. Stuttgart 2012. Zu Engelbert: Christoph HOLZAPFEL / Gabriele VOGT, Durch den gemeinsamen Glauben eine neue Heimat finden. Münster 2002 (= Arbeiten zur schlesischen Kirchengeschichte 13); darin: Christoph HOLZAPFEL, Katholisches Bekenntnis als Mittel zur Integration? Der Beitrag der Bischöfe von Freiburg, Hildesheim und Rottenburg zur Integration der Vertriebenen (S. 11-113) und Gabriele VOGT, „Die Not ist groß, ist riesengroß.“ Bischof Dr. Godehard Machens (1934 – 1956) und die Vertriebenenseelsorge im Bistum Hildesheim 1945-1953 (S. 115-208, v.a. S. 143155).

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tragenen kirchlichen Gemeinschaft wachsen zu lassen107. Diese Aspekte einer persönlichen Pastoral, eines verstehenden, einführenden, nach- und mitgehenden Seelsorgens sind signifikant für das Bemühen der Vertriebenenseelsorger – gerade im Kontrast zum eher verwaltungstechnisch denkenden Betreuen durch staatliche Behörden, aber auch durch viele einheimische Seelsorger. Nicht zuletzt aus diesem Grund mag es wichtig gewesen sein, dass für die Betreuung der Vertriebenen in den Diözesen eigens heimatvertriebene Priester bestellt wurden, die die Vertriebenenseelsorge auf Bistumsebene koordinierten und Impulse gaben.108 Im Verantwortungsbereich des Diözesanvertriebenenseelsorgers lagen die außerordentlichen Seelsorgsveranstaltungen der Heimatvertriebenen, bei Treffen auf Wallfahrten und Glaubenskundgebungen, aber auch mit Vorträgen und Predigten in den Gemeinden – nicht nur an die Adresse der Heimatvertriebenen, sondern auch an die Heimatverbliebenen, um ihnen die Welt der Heimatvertriebenen näher zu bringen, gegenseitiges Verstehen und gegenseitige Achtung aufzubauen und somit den Ausgleich zu schaffen, Spannungen zu beseitigen. Auch gegenüber den außerkirchlichen Landsmannschaften versuchte der Diözesanvertriebenenseelsorger einen ausgleichenden Einfluss einzubringen, da viele weltliche Vertriebenenorganisationen sich immer wieder sehr radikal zeigten und damit eher niederrissen als aufbauten. Gegenüber der Diözesanleitung war der Diözesanvertriebenenseelsorger Sprecher und Vertrauensmann der heimatvertriebenen Priester und Gläubigen. Er vertrat deren Anliegen und Nöte, trat für ihre Rechte und Ansprüche ein und bemühte sich, Benachteiligung und Zurücksetzung der neu hinzugekommenen Katholikinnen und Katholiken zu verhindern. Auf Dekanatskonferenzen sollte er Referate über Vertriebenenprobleme halten und die Dekanatsvertriebenenseelsorger auswählen helfen. Der Eichstätter Diözesanvertriebenenseelsorger, Georg Zischek109, später in der Leitung des AMK, formulierte als eine vordringliche Aufgabe für die diözesane Vertriebenenseelsorge in den ersten Jahren nach der Vertreibung, die Vertriebenen nicht in einen religiösen Defätismus, in Gleichgültigkeit und Motivationslosigkeit abgleiten zu lassen.110 Zu den genuinen Aufgaben und Sorgen der Diözesanvertriebenenseel-

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Vgl. dazu etwa die Richtlinien für die Vertriebenenseelsorge im Bistum Rottenburg von Alfons Maria Härtel vom 15. Januar 1952 im DAR, Bestand G 1.6-64. „Seine Wirksamkeit ist notwendig im Interesse der heimatvertriebenen Priester und Laien aber ebenso im Interesse der Heimatverbliebenen. Er soll der große Brückenbauer sein zwischen Heimatverbliebenen und Heimatvertriebenen und diese in echt katholischer Weitherzigkeit zu heiliger Gemeinschaft zusammenzuführen suchen.“ Joseph ENGELBERT, Die heutigen Aufgaben des Diözesanvertriebenenseelsorgers. In: Christ unterwegs 1953, S. 10-12, hier S. 10. Georg Zischek, geboren am 16. Februar 1892 in Blisowa, Kreis Bischofteinitz, 1915 zum Priester geweiht, seit 1933 Domkapitular in Leitmeritz, seit 1946 Vertriebenenseelsorger in der Diözese Eichstätt, Mitglied im Vorstand des AMK e.V. Gestorben am 14. September 1979. – Zu Zischek vgl. Martin KASTLER, Die Integration der Heimatvertriebenen in den fränkischen Diözesen am Beispiel Eichstätts. In: Rainer BENDEL / Stephan JANKER (Hg.), Vertriebene Katholiken – Impulse für Umbrüche in Kirche und Gesellschaft? Münster 2005, S. 99-116. Vgl. EBA München Pastoralkonferenz 1946, Dekanat Miesbach: „Eine besondere Sorge der Nachkriegszeit stellt auch für die Seelsorge das Problem der Flüchtlinge, sie sollen religiös in

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Abschnitt I

sorger gehörte nicht nur die Organisation der Seelsorge, nicht nur das Erreichen einer möglichst großen Zahl von Heimatvertriebenen und auch Heimatverbliebenen, sondern auch das Mühen um die rechte Art der Seelsorge, um die Feinfühligkeit in der Seelsorge.111

4.2.

Die Arbeit der Kirchlichen Hilfsstellen

Ein Initiator, in dem sich wie in einem Fokus das Ungenügen bisheriger pastoraler Bemühungen um die Vertriebenen in formaler wie auch in inhaltlicher Hinsicht sammelt, war der Augustinerpater Paulus Sladek. Er beschränkte sich in seinen Initiativen und Forderungen nicht auf den bisherigen eng verstandenen Bereich von Seelsorge, sondern nahm die Not des Menschen im seelischen wie im materiellen Bereich wahr und suchte für beide Bereiche nach neuen Konzepten. Der Aufbau der Flüchtlingsseelsorge durch die Kirchliche Hilfsstelle Süd verdankte Paulus Sladek112 wesentliche Initiativen und wurde von ihm auch tatkräftig mit durchgeführt. Die Arbeitsfelder waren sehr breit gefächert. Der Schwerpunkt lag auf der Erziehungs- und Bildungsarbeit und dem sozialen Engagement. Daneben war den Mitarbeitern der Kirchlichen Hilfsstelle in München von der Bischofskonferenz vor allem die ‚Volksgruppenarbeit‘ für die Sudeten- und Südostdeutschen zugewiesen worden. Dass eigene Flüchtlingsseelsorger bestellt, dass Flüchtlingsgottesdienste gehalten, die Flüchtlingswallfahrten veranstaltet wurden, Tagungen der Flüchtlingsseelsorger stattfinden konnten, auf denen Erfahrungen ausgetauscht und Handreichungen für die Vertriebenenseelsorge erarbeitet werden konnten, wo aber auch Wünsche an die Kirchenleitung und die einheimischen Seelsorger formuliert wurden, war in der Anfangsphase im wesentlichen Paulus Sladek zu verdanken. Sladek regte die Vertriebenenpriester an, über Pfarrbriefe zu den Gläubigen der ehemaligen Pfarrgemeinde Kontakt zu halten. Dazu war die vertriebene Geistlichkeit zu erfassen, waren Anschriftenlisten herzustellen und zu verbreiten. Sladek entwarf 1946 Leitsätze der kirchlichen Flüchtlingsarbeit für die Diözese und war maßgeblich beteiligt an der Redaktion der Arbeitshilfen „Flüchtlingspriester, Mitteilungen und Skizzen“, die die Kirchliche Hilfsstelle München vom Frühjahr 1946 an herausbrachte. Diese Arbeitshilfen, auch „Der Heimatlose in der Pfarrseelsorge. Blätter für den einheimischen Klerus“ betitelt, gingen im Dezember 1946 in

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unseren Pfarreien Wurzeln fassen. Die Liebe und Teilnahme die wir ihnen merken lassen können, wird hierfür entscheidend sein, dass wird aber grundsätzlich die Kernfrage der religiösen und sittlichen Aufräumarbeit in der Seelsorge bleiben: Die verstehende Liebe die keinen abstößt und das soziale Verständnis….“ Ein Beispiel für die Anliegen der Vertriebenenseelsorge sind die Bitten, die sie 1950 für die Fuldaer Bischofskonferenz formulierten; vgl. Dokument 16 im Anhang. OHLBAUM, Not ist Anruf Gottes.

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der neuen Monatsschrift „Christ unterwegs” auf. Sie darf als die erste Vertriebenenzeitschrift angesehen werden.113 Der „Christ unterwegs” diente der Kommunikation zwischen vertriebenen und einheimischen Katholiken; obwohl Sladek noch sehr konfessionell dachte, ist doch der allgemeinere Titel gewählt. Sladek unterstreicht sein Anliegen, zu einem gegenseitigen Verstehen beizutragen. Dazu gehört für ihn notwendigerweise das ehrliche Benennen von Fehlern und Schwächen. Aus einem derart ehrlichen Umgang könne die Bereitschaft, sich gegenseitig zu helfen, erwachsen. Als sich die Ausweisung der Deutschen aus der Tschechoslowakei im Jahr 1946 intensivierte und regelmäßig größere Vertriebenentransporte in Bayern eintrafen, mit denen Sladek in erster Linie konfrontiert wurde, wandte er sich sofort direkt an die Ausgewiesenen. Sein Anknüpfungspunkt war die unmittelbare Erfahrung, die aktuelle Situation, die Transporte, die Schicksalsgenossen, die die Heimat verloren hatten, der unerträgliche äußere und innere Druck der letzten Jahre, die unsichere, aber deutliche Erwartung und vielfach die folgende Enttäuschung. In dieser Hoffnungslosigkeit helfe nur das Vertrauen auf Gott und die Einsicht, dass es an diesem Punkt notwendig sei, mit dem Christentum endlich ernst zu machen. Diese Situation der Hoffnungslosigkeit sei ein Krisispunkt, der nicht in die Verzweiflung, sondern in das Hören des Rufes Gottes einmünden müsse. Sladek interpretierte diese Situation der Hoffnungslosigkeit wiederum als Teilnahme am Werk der Erlösung. Er mahnte aber, dass die religiöse Haltung nicht auf dieser theologischen Ebene stehen bleiben dürfe, sondern sich auch in einem tätigen Apostolat der Glaubensverbreitung auswirken müsse. Entsprechend der außergewöhnlichen Situation müssten außergewöhnliche Mittel eingesetzt werden. Sladek forderte das besondere apostolische Engagement der Laien, wozu sie kraft Taufe und Firmung befähigt und gerade in der Diaspora verpflichtet seien.114 Er suchte von den Laien, „von unten“ her zu denken, indem er sie ermunterte, in diesem Glaubenseinsatz Sauerteig und Mittelpunkt zu sein, um den andere sich sammeln zu Gebet, geistlicher Lesung, gegenseitigem Trost, zur Schriftlesung. Sladek verwies auf Anregungen und Hilfestellungen der Hilfsstelle Süd, die aber nur exemplarisch sein könnten. Künftig sei es Aufgabe der Laien, selber ein geeignetes Buch oder geeignete Schrifttexte zu suchen. Über das Engagement für eine spirituelle Stärkung hinaus forderte er den praktischen Einsatz vor Ort: die Idee und zentrale Intention der Ackermann-Gemeinde.115 Von dieser Gruppe der Katholischen Aktion – wie sie Sladek verstanden wissen wollte – gingen vielfältige caritative, sozialpolitische Impulse aus: da kann man an

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Zu den Publikationsorganen und Medien der Vertriebenenseelsorge Hans-Jürgen GAIDA, Die offiziellen Organe der ostdeutschen Landsmannschaften. Ein Beitrag zur Publistik der Heimatvertriebenen in Deutschland. Berlin 1973 (= Beiträge zur Politischen Wissenschaft 15). Vgl. OHLBAUM, Not ist Anruf Gottes, S. 110. Zur Ackermann-Gemeinde vgl. BENDEL, Aufbruch aus dem Glauben?, S. 95-109.

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Abschnitt I

die Tätigkeit von Martha Krause-Lang116 im Bereich der Flüchtlingsverwaltung im bayerischen Innenministerium ebenso erinnern wie an das Engagement von Hans Schütz in der Union der Vertriebenen (UdV) oder in der Sozialpolitik.117

Die Arbeitsstelle für Vertriebenenseelsorge (Nord) Der Leiter der in Abgrenzung zur Münchner Hilfsstelle später so bezeichneten Kirchlichen Hilfsstelle Nord, Oskar Golombek, wurde am 4. Mai 1898 in Wieschowa im Kreis Beuthen in Oberschlesien geboren. In Tarnowitz und Gleiwitz besuchte er das Gymnasium und legte das Abitur ab, in Breslau und München studierte er. Am 17. März 1923 wurde er von Kardinal Bertram118 zum Priester geweiht. Nach mehreren Kaplansstellen in Oberschlesien war er Mitarbeiter beim Reichstagsabgeordneten Prälat Carl Ulitzka.119 1934 wurde er Pfarrer von St. Andreas in Hindenburg, einer Pfarrei mit über 40.000 Gläubigen, die in seiner Amtszeit in drei selbständige Seelsorgeeinheiten aufgeteilt wurde. Nach seiner Vertreibung 1945 stellte Golombek seine Kräfte in den Dienst der Kölner Caritas, unter deren Dach er seit 1946 für die Flüchtlingshilfe zuständig war. Er zog durch das Erzbistum Köln, um mit Hilfe von Predigten bei den Einheimischen die Türen für die Vertriebenen zu öffnen. 1948 berief ihn Kardinal Frings zum Diözesanseelsorger für die Heimatvertriebenen des Erzbistums Köln. Mit der Errichtung der katholischen Arbeitsstelle (Nord) für Heimatvertriebene in Köln 1952 wurde er mit der Leitung dieser Stelle betraut. Golombek, der auch dem Schlesischen Priesterwerk vorstand, wurde 1964 von der Fuldaer Bischofskonferenz zum Sprecher der vertriebenen Priester der Erzdiözese Breslau in den Diözesen der Bundesrepublik Deutschland bestimmt. Sein Biograph Waldemar Grosch bezeichnet Golombek als eine der führenden Persönlichkeiten in der kirchlichen Vertriebenenarbeit nach dem Zweiten Weltkrieg.120

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Rainer BENDEL, Grenzen überschreiten. Martha Krause-Lang in ihrem caritativen und seelsorgerlichen Einsatz für Frauen, in: Lydia BENDEL-MAIDL (Hg.), Katholikinnen im 20. Jahrhundert. Bilder, Rollen, Aufgaben. Berlin 2007, S. 187-199. Rainer BENDEL, Hans Schütz und die Sozialpolitik der Vertriebenen. In: Sudetenland 44 (2002), S. 296-303. Vgl. Friedrich Wilhelm BAUTZ: Adolf Bertram. In: BBKL, Band 1 (1975). 2., unveränderte Auflage Hamm 1990, Sp. 557-558. – Joachim Köhler: Das Bertrambild in der deutschsprachigen Forschung, in: ASKG 54 (1996) 9-54. Kazimierz Dola: Bertram aus der Sicht der polnischen Geschichtsschreibung, in: ebd., 55-70. Rainer Bendel: Die Seelsorge im Pontifikat Kardinal Bertrams – ein Blick auf Desiderate in der Forschung, in: ebd., 219-234. – Jüngst: Sascha Hinkel: Adolf Kardinal Bertram: Kirchenpolitik im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Paderborn, München, Wien, Zürich 2010. Zu Ulitzka vgl. Joseph GOTTSCHALK (Hg.), Schlesische Priesterbilder, Bd. 5. Aalen 1967, S. 100-103 (Künftig zitiert als GOTTSCHALK, Priesterbilder). Waldemar GROSCH, Oskar Golombek (1898 – 1972), in: GRÖGER et al., Schlesische Kirche in Lebensbildern, Band 6. Sigmaringen 1992, S. 176-180 – von Grosch erwarten wir eine umfassende Biographie zu Golombek.

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Er war, wie Grosch zu Recht unterstreicht, ein Seelsorger und Mann der Caritas. Er nahm die Not und die Fragen der Einzelnen ernst. Er konnte mit seinen Predigten zusammenhalten. Ihm lag es auch zu repräsentieren. Dass er Gerhard Moschner als persönlichen Referenten gewinnen konnte, prägte der Arbeit der katholischen Arbeitsstelle Nord den unverkennbaren Stempel auf. Denn das vielfältige Engagement der Arbeitsstelle erhielt seine wesentlichen Impulse von Moschner.121 Der Leiter der Arbeitsstelle Süd, Paulus Sladek, wies in einem Schreiben an den Beauftragten der Fuldaer Bischofskonferenz für die Heimatvertriebenenseelsorge, Prälat Dr. Hartz, vom 27. Mai 1952 auf ein unmittelbar zurückliegendes Gespräch mit Kindermann und Golombek in Königstein hin. Sie waren dort zusammengekommen, um die aktuellen Sorgen und Aufgaben der Arbeitsstellen zu besprechen. Einige Pläne, die dabei konkretisiert wurden, legte Sladek Prälat Hartz vor.122 Grundsätzlich waren die drei Männer, die man als die führenden Vertriebenenseelsorger bezeichnen kann, im Mai 1952 der Auffassung, dass die Aufgabe der Diözesanflüchtlingsseelsorger in den letzten Jahren nicht geringer geworden sei, vielmehr komme zu der bisherigen Tätigkeit unter den Vertriebenen verstärkt die Verpflichtung hinzu, bei den kirchlichen Stellen und Organisationen und beim einheimischen Klerus Einfluss zu nehmen, damit die Vertriebenen in jeder Hinsicht entsprechend berücksichtigt und Brücken des Verständnisses zwischen Einheimischen und Vertriebenen von beiden Seiten aus geschlagen würden. Offensichtlich waren sie besorgt aufgrund der Wahrnehmung, dass die Problematik der Situation der Vertriebenen nicht mehr im Vordergrund stand.123 Um den anstehenden Aufgaben gerecht werden zu können, forderten die Vertriebenenseelsorger für alle Diözesen Diözesanflüchtlingsseelsorger, die hauptamtlich für diese Aufgabe eingesetzt werden sollten. Zweitens baten sie, dass über die Amtsblätter der Diözesen für die ‚Aktion katholische heimatvertriebene Jugend’ geworben werde, drittens präsentierten sie den Vorschlag Golombeks, eine norddeutsche Ausgabe des Volksboten herauszubringen, ein Plan, der nie realisiert wurde. Viertens wollten sie der drohenden Gefahr, dass sich das Verhältnis zwischen Einheimischen und Vertriebenen gerade auf dem Land nach der Annahme des Lastenausgleichsgesetzes durch die Gesetzgebungsorgane noch weiter verschärfte, dadurch entgegenwirken, dass die Kirche in ihrer Tätigkeit auf die Schaffung des sozialen Friedens zwischen diesen Bevölkerungsgruppen hinwirkte. Die Bischöfe sollten einen entspre-

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Matthias LEMPART, Der Breslauer Domvikar und Jugendseelsorger Gerhard Moschner als Organisator der vertriebenen katholischen Schlesier. Ostfildern 2001 (= Arbeiten zur schlesischen Kirchengeschichte 12). Prälat Dr. Franz Hartz als Beauftragter der Fuldaer Bischofskonferenz für die Heimatvertriebenenseelsorge wird hier nicht eingehender berücksichtigt. Seine Aufgaben, Initiativen und seine Position in der Thematik sollen der Behandlung des Themas auf bischöflicher Ebene vorbehalten bleiben. Vgl. dazu den Bestand im Archiv der Arbeitsstelle Süd, jetzt integriert in das Archiv der Ackermann-Gemeinde. Hauptstelle München, zugänglich über das EBA München und Freising.

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Abschnitt I

chenden Hirtenbrief veröffentlichen oder zumindest einen entsprechenden Passus in ihre kommenden Hirtenbriefe einbauen. In seinem Antwortschreiben versuchte Hartz Sladek nicht nur in Bezug auf die bischöfliche Verlautbarung zum Lastenausgleich zu bremsen, er teilte ihm auch mit, dass die Annäherung der Vertriebenenseelsorge an den deutschen Caritasverband vorläufig gescheitert sei und er diese Entwicklung für gut halte.124 Zugleich drückte Hartz dort seine Sorge über den damaligen Aufgabenbereich der Arbeitsstelle in Köln aus: Es sei zu eng zu meinen, dass sich die Arbeit in der Propagierung der Eichendorff-Gilde erschöpfen dürfe – dafür seien die Kirchlichen Hilfsstellen nicht da. Eine deutliche und scharfe Kritik. Als Aufgabenbereiche der Arbeitsstellen für die Vertriebenen – Golombek wollte sie als zentrale Arbeitsstelle Kirche und Heimat bezeichnen, eine Titulierung, die nicht zu kirchlich und nicht zu weltlich klinge, wie er in einem Begleitschreiben an Paulus Sladek begründete125 – formulierte Golombek insbesondere zwei: erstens die Koordinierung der Arbeit der Diözesanseelsorger in ihrem Bemühen, den einheimischen Klerus über die aktuellen Vertriebenenprobleme zu informieren und die Verbindung zu den einzelnen Ordinariaten zu halten. Hinzu kam die Mitsorge um den Vertriebenenklerus, und zwar gedacht als Unterstützung der Tätigkeit des päpstlichen Sonderbeauftragten; dessen bisherige Aufgabenfelder sollten die Arbeitsstellen verbreiternd wahrnehmen, nämlich Predigten und Vorträge bei Tagungen, Treffen, Schulungen und Wallfahrten, um für die Vertriebenenprobleme Verständnis zu wecken und christliche Nächstenliebe zu aktivieren. Golombek war Sprecher der schlesischen Priester und Vorsitzender des schlesischen Priesterwerkes. In dieser Funktion äußerte er sich auf der Mitgliederversammlung des schlesischen Priesterwerkes 1959 über die Aufgaben schlesischer Katholiken für die Erhaltung der Erzdiözese Breslau.126 Die Konzentration der Bildungsarbeit und der geistigen Auseinandersetzung auf den Kreis der Seelsorger, speziell auf die Geistlichkeit, ist auffallend. Dass die Caritashelferinnen ab 1958/59 eigene Jahresta-

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„Ich habe nichts gegen den Herrn Dr. Püschel, kenne ihn seit vielen Jahren, schätze seine Arbeit und habe ihn auch in den Flüchtlingsrat aufgenommen. Aber bezüglich der von Ihnen geplanten Verbindung habe ich Bedenken. Zumindestens muss die Sache vorher gründlich besprochen werden. Ich möchte mich und meine Arbeit nicht einfach auffressen lassen. Zudem weiß ich aus mehreren Gesprächen, dass Dr. Püschel den Arbeitsstellen in der gegenwärtigen Form nicht sympathisch gegenübersteht und darin hat er Bundesgenossen bis in den Episkopat hinein, wo man immer lauter die Meinung hören kann, es sei nicht der Sinn kirchlicher Subventionen, damit landsmannschaftliche Aufgaben zu finanzieren.“ (Prälat Dr. Franz Hartz an Paulus Sladek am 3. Juni 1952.). Vgl. Archiv der Hilfsstelle Süd München, Brief von Oskar Golombek an Paulus Sladek vom 14. Juni 1951 mit der Anlage eines Exposés über die Aufgaben der zentralen Arbeitsstellen „Kirche und Heimat“. Vgl. Protokoll der Mitgliederversammlung des schlesischen Priesterwerkes Königstein, Haus der Begegnung, 11. August 1959, S. 4. Abgelegt im Archiv der Apostolischen Visitatur Breslau in Münster unter Schlesisches Priesterwerk, Ordner Mitgliederversammlung/Vorstandssitzungen.

Seelsorge in Vertreibung und Ankommen

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gungen mit ähnlicher inhaltlicher Füllung wie die schlesischen Priester und Theologen erhielten, ging im Wesentlichen auf eine Initiative von Gerhard Moschner zurück.

4.3.

Der Katholische Flüchtlingsrat

Der Limburger Bischof Ferdinand Dirichs hatte als Vertriebenenbischof für den 31. März 1948 zu einer Besprechung über Fragen der katholischen Flüchtlingshilfe nach Limburg geladen. Angezielt war eine Absprache und Arbeitsteilung unter den Organisationen, die im Bereich der Vertriebenenarbeit in der katholischen Kirche tätig waren.127 Für den Deutschen Caritasverband (DCV) nahmen teil: der Präsident Dr. Benedikt Kreutz128, Generalvikar Franz Wosnitza129, Direktor Anton Wopperer, Elisabeth Denis130 und Dr. Erich Püschel, für den Raphaelsverein nahm Pater Friedrich Fröhling teil, für die Kirchliche Hilfsstelle Albert Büttner und Pater Paulus Sladek und vom Bistum Limburg Domkapitular Joseph Lamay; das Priesterreferat in Königstein und der Bonifatiusverein hatten sich entschuldigt. Das Gespräch kam zu dem Ergebnis, dass sich die Flüchtlingshilfe der katholischen Kirche in vier Bereiche gliedere, nämlich die Seelsorge, die Caritas, einschließlich Auswanderung, die Volksgruppenarbeit und die Selbsthilfe und Siedlung. Die Gesprächsteilnehmer schlugen die Bildung einer Arbeitsgemeinschaft für katholische Flüchtlingshilfe unter dem Vorsitz des Beauftragten der Fuldaer Bischofskonferenz vor. Dieser Arbeitsgemeinschaft, der das Priesterreferat, die Kirchliche Hilfsstelle, der DCV und der Bonifatiusverein angehören sollten, wollte die stete Zusammenarbeit fördern und den Gedanken- und Erfahrungsaustausch kontinuieren. Als zweites wichtiges Ziel wurde die Vorbereitung eines Katholischen Flüchtlingsrates (KFR) beschlossen, „dem in der Mehrheit namhafte Flüchtlinge aller Stämme und Stände angehören sollen“.131 „Gegenüber den bereits bestehenden Einrichtungen und Flüchtlingsausschüssen soll der Katholische Flüchtlingsrat das Flüchtlingsproblem in allen seinen Beziehungen und in seiner ganzen räumlichen Ausdehnung selbstverantwortlich mitberaten und mittragen.“132 Die Berufung in den Flüchtlingsrat, so wollte es die Runde, sollte auf Vorschlag der Arbeitsgemeinschaft für katholische Flüchtlingshilfe in Verbindung mit den landsmannschaftlichen Gruppen durch den Beauftragten der Fuldaer Bischofskonferenz erfolgen. Generalvikar Wosnitza, der in Frankfurt die Aufgabe übernehmen sollte, einen Fachausschuss für

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KZG Bonn, Bestand Königstein 3074. Zu Benedikt Kreutz vgl. Konrad HILPERT, Kreutz, Benedikt, in: BBKL, Band 4 (1992), Sp. 650652. Maik SCHMERBAUCH, Prälat Franz Wosnitza (1902 – 1979). Ehemaliger Generalvikar von Kattowitz. Münster 2010 (= Arbeiten zur schlesischen Kirchengeschichte 21). Martin PATZEK, Im Dienste der Jugend – offen dem Anruf der Zeit: Elisabeth Denis und IN VIA – Deutscher Verband katholischer Mädchensozialarbeit. Freiburg Univ. Diss. 1989. KZG 3074, Protokoll der Besprechung vom 31. März 1948, zwei Seiten masch., S. 2. Ebd.

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Abschnitt I

caritative Flüchtlingshilfe aufzubauen, wurde gebeten, die vorbereitenden Arbeiten für die Bildung eines Flüchtlingsrates zu übernehmen. Die Arbeitsgemeinschaft für katholische Flüchtlingshilfe tagte noch einmal am 14. Juli 1948 in Limburg mit deutlich mehr Teilnehmern als im März, konnte sich aber nach Dirichs Tod nicht auf Dauer etablieren. Umgesetzt hingegen wurde Punkt zwei der Märzbesprechung: Am 23. August 1948 traf sich erstmals der Katholische Flüchtlingsrat in Frankfurt am Main, dann am 7. Dezember 1948 in Köln-Hohenlind.133 Dass der Arbeitsgemeinschaft als Koordinations- und Beratungsgremium Bedeutung beigemessen wurde, zeigt die deutlich erweiterte Teilnehmerzahl an der Sitzung am 14. Juli 1948. Zusätzlich zu den oben genannten Organisationen und Personen vermerkt das Protokoll drei Teilnehmer des Bonifatiusvereins, Kindermann für das Priesterreferat, einen Vertreter des Katholischen Siedlungsdienstes, Gerhard Moschner134 für die Jugendzentrale Haus Altenberg, den ehemaligen Oberpräsidenten Dr. Hans Lukaschek135, den Münchner Landtagsabgeordneten Hans Schütz, den ermländischen Erzpriester Josef Lettau136, Dr. Konrad Theiss137, der die Caritasflüchtlingshilfe in Stuttgart mitaufgebaut hatte, Ordinariatsrat Dr. Gustav Braun und Dr. Ludwig Hinz aus Rulle bei Osnabrück. Heftig diskutiert wurde nach Ausweis einer Protokollskizze über die Träger der Flüchtlingsseelsorge – während Kindermann dafür votierte, dass die vertriebenen Priester die geborenen Seelsorger der Vertriebenen seien, opponierte Prälat Gabriel vom Bonifatiusverein mit der Forderung, verstärkt einheimische Geistliche in diesem Aufgabenfeld einzusetzen –, über die Möglichkeit, Königstein zu erhalten und auszubauen und über den Lastenausgleich; in diesem Punkt hielt die Skizze „ziemlich scharfe gegenständliche Standpunkte“ fest.138

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Das Protokoll der ersten Sitzung in KZG 3074, vier Seiten masch. Zu Moschner: LEMPART, Domvikar Gerhard Moschner. Hans Lukaschek (1885 – 1960) Oberpräsident von Oberschlesien 1929 – 1933; 1947 – 48 Amtsgerichtsrat in Königstein/Ts., 1949 Leiter des Hauptamtes für Soforthilfe in Bad Homburg, Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte 1949 – 1953, Vorsitzender des Katholischen Flüchtlingsrates. Hans-Ludwig ABMEIER, Hans Lukaschek, in: GRÖGER et al., Schlesische Kirche in Lebensbildern, Band 6, S. 65-69. Josef Lettau 1898 in Königsberg geboren, 1959 in Warburg/Westfalen gestorben, Erzpriester von Wormditt, Caritasdirektor und Leiter des Seelsorgeamtes im Bistum Ermland, 1948 übernahm er die Leitung der Caritas-Schulungsstätte auf Schloss Vinsebeck, seit 1950 beim Diözesan-Caritasverband Paderborn, seit 1952 Religionslehrer am Gymnasium in Warburg. Otto HARWARDT, Prälat Lettau zum Gedächtnis, in: Ermlandbriefe 13 (1960), Nr. 3, S. 3f. Zu Theiss vgl. BENDEL, Die Fremde wird zur Heimat, S. 173-176. Die Skizze wie das vierseitige Protokoll in KZG Bestand Königstein 3074 – das Protokoll vermerkt die hitzige Debatte nicht mehr, hält als Ergebnis nur das Votum fest: „Die Behebung der gegenwärtigen sozialen Notstände ist weitgehend abhängig von dem bevorstehenden gesetzlichen Lastenausgleich. Der Episkopat möge an die zuständigen Staatsstellen einen Appell richten, dass dieser Lastenausgleich in voller Würdigung der moralischen und politischen Konsequenzen für das Volksleben, insbesondere für die Heimatvertriebenen gestaltet werde. Wirksame Hilfe ist nicht vom Buchstaben des Gesetzes und seiner bürokratischen Handhabung zu erwarten, sondern von der moralischen Bereitschaft der deutschen Menschen in den Gemeinden, Berufsverbänden usw.“ (S. 3) Das Protokoll vermerkt auch nicht mehr die in der Skizze fixierte

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Die Funktion der Aufgabenumschreibung, Koordinierung, des Ausgleichs zwischen den unterschiedlichen Interessengruppen, der Stimme nach außen, übernahm rasch der aus dieser Arbeitsgemeinschaft erwachsene Katholische Flüchtlingsrat.139 Dessen Aufgaben wurden von Dirichs in der zweiten Sitzung am 7. Dezember 1948 noch einmal kurz umrissen und im seelsorglichen, kulturellen, sozial-wirtschaftlichen und politischen Bereich verortet. Auf dieser Sitzung wurde Lukaschek, von 1949 bis 1953 der erste Vertriebenenminister im ersten Kabinett Adenauer, zum ständigen Vorsitzenden des Katholischen Flüchtlingsrates ernannt.140 Die freie Tagesordnung dieser Sitzung schälte die dringlichsten Aufgabenbereiche der Vertriebenenseelsorge 1948 heraus und umschrieb damit auch die zentralen Aktionsfelder des KFR: Für die Seelsorge wurden die Versorgung der Diaspora mit ausreichend Priestern und die Sorge für die Ausbildung des Priesternachwuchses (Votum für ein Vollseminar in der Ostzone und Ausbau Königsteins zum Vollseminar) markiert. Die Caritas als unentbehrliche Seelsorgshilfe müsse nach der Währungsreform noch intensiviert werden. Ausführlich besprochen wurde das sozialpolitische Aufgabenfeld: Die Kirche müsse ihre weitbeachtete Autorität bewahrheiten und zur Besserung der sozialen Lage der

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Aufgabe an Kindermann, in Verbindung mit Kardinal Frings ein Gutachten zum Lastenausgleich auszuarbeiten, das den Gedanken der iustitia distributiva entsprechend würdigen sollte. Dazu war in der ersten Sitzung des KFR am 23. August 1948 im Katholischen Studentenhaus in Frankfurt festgehalten worden: „An den letzten Punkt des Berichtes [gemeint ist der Bericht über die bisherige Arbeit der Vertriebenenseelsorge, v.a. des Vertriebenenbischofs und der Arbeitsgemeinschaft für Katholische Flüchtlingshilfe; Anmerkung des Autors] schloss sich eine ausführliche Diskussion über den „Flüchtlingsrat“ an, die folgende wertvolle Gedanken brachte: Wir möchten nicht als Fordernde stehen, sondern sind dankbar, wenn die Bischöfe unsere Stimme hören, denn es ist die Tragik der Flüchtlingsfrage, dass uns der Westen n i c h t hört (Lukaschek). Die Fronten zwischen den Einheimischen und den Flüchtlingen haben sich versteift. Durch die Ernennung des Bischofs Dirichs ist die Bresche in die Front der Einheimischen geschlagen. So wie sich der „Flüchtlingsbischof“ [e.A. gemeint ist hier Kaller als Bischof von Ermland, selbst ein Vertriebener, als erster Sonderbeauftragter für das Flüchtlingswesen] einen Rat von Einheimischen hätte zusammenholen müssen, um ernstlich an die Lösung des Flüchtlings-Problems zu gehen, so sollte nun der „Flüchtlingsrat“ sagen, was die Meinung der kath. Menschen in der Flüchtlingsfrage ist (Hinz). Darüber hinaus sollte die Führung der Flüchtlinge vom Kirchlichen her sichergestellt werden (Schütz). Allgemein wird eine immer größere Radikalisierung der Flüchtlinge sichtbar, so läge auch eine wesentliche Aufgabe des Flüchtlingsrates darin, den Wildwuchs unter den Flüchtlingen zu vermeiden (Nahm). Auch in die Öffentlichkeit im Land und in der Welt sollte der Flüchtlingsrat seine Stimme erheben (Theiss). Kurzprotokoll der ersten Sitzung des Katholischen Flüchtlingsrates, Frankfurt/M., am 23.8.1948, 5 Seiten masch., S. 2f. Der neu ernannte Vorsitzende skizzierte den Rahmen der Aufgaben des Gremiums: „Dr. Lukaschek betonte nochmals, dass das Flüchtlingsproblem nicht von der Bürokratie gelöst werden könne sondern nur von der Gesellschaft. Diese müsse durch das Kirchenvolk beeinflusst und unterstützt werden, um den wirtschaftlichen und moralischen Verfall aufzuhalten. Der Kath. Flüchtlingsrat wolle hierzu beisteuern, indem er die Lage der Heimatvertriebenen studiere u. dem Episkopat die Stimme des Flüchtlingsvolkes zu Gehör bringe. (KZG Bonn, Bestand Königstein 3074, Protokoll vier Seiten masch, S. 4.

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Heimatvertriebenen voll einsetzen.141 Der KFR votierte gegen die Gründung einer eigenen Flüchtlingspartei, da eine solche Gründung die Zersplitterung der konstruktiven politischen Kräfte mit sich brächte. Er kritisierte deutlich die ersten Schritte zum gesetzlichen Lastenausgleich; sie dienten allenfalls der Entlastung der öffentlichen Wohlfahrt, könnten aber nicht als wesentlicher Ansatz zum Lastenausgleich gewertet werden.142 „Weite Kreise der notleidenden Flüchtlinge sind damit überhaupt nicht erfasst, und es muss daher mit aller Beschleunigung das endgültige Lastenausgleichsgesetz zur Verabschiedung gelangen... Der Lastenausgleich hat ein hochpolitisches Gesicht (vor allem im Hinblick auf die Ostgefahr) und ist daher von der Staatsgewalt mit aller Gründlichkeit zu verwirklichen. Der Lastenausgleich hat aber auch ein sittliches Gesicht, so dass die Kirche für seine wirksame Gestaltung sich einsetzen muss im Sinne einer christlichen Harmonisierung der einheimischen und eingewiesenen Bevölkerung. Der Kath. Flüchtlingsrat hält die Einrichtung eines besonderen Lastenausgleichs-Amtes für erforderlich. In einer solchen staatlichen Behörde, welche den Lastenausgleichsfonds zu verwalten hätte, müsste auch die Kirche vertreten sein, um ihre Sachauffassung zur Geltung bringen zu können.“143 Dem Flüchtlingsrat stand – zeitlich beinahe parallel zur Amtszeit des Hildesheimer Bischofs Heinrich Maria Janssen als Vertriebenenbischof (1957 – 1982) – Peter Paul Nahm vor, eine zentrale Gestalt in der (kirchlichen) Vertriebenenintegration.144 Im rückblickenden Dankeswort zur Feier der 25-jährigen Amtszeit als Vertriebenenbischof erwähnte Janssen ihn eigens namentlich und dankte auch den Politikern aus den Reihen der Heimatvertriebenen ausdrücklich.145 Auf der Tagung des Katholischen Flüchtlingsrates am 28. und 29. November 1960 in Köln-Hohenlind übertrug Josef Kardinal Frings von Köln, der Protektor der Vertriebenen, nach dem Tod des früheren Bundesvertriebenenministers Hans Lukaschek (1885 – 1960) Peter Paul Nahm das Amt des Präsidenten des Katholischen Flücht-

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Ebd., S. 2. Ebd. Ebd. Rainer BENDEL, Peter Paul Nahm (1901 – 1981), in: HIRSCHFELD et al., Schlesische Kirche in Lebensbildern, Band 7, S. 227-231. „Dass dabei immer auch Schwestern und Brüder, helfende Menschen, zur Seite stehen, nicht nur mitgehen, sondern auch in Gottes Auftrag oder, von ihm angetrieben, mit zupacken, das möchte ich auch bei diesem Anlass besonders dankbar bekennen. Ich will keine Namen mehr nennen, nur den einen noch, der heute noch nicht gefallen ist: Peter Paul Nahm – Staatssekretär Dr. Nahm. Ich nenne ihn, weil gerade er als Laie mir auch im seelsorglichen Bereich so sehr geholfen hat. Ich nenne ihn, weil er stets für die Politiker, die im Bereich der Heimatvertriebenen ungewöhnlich viel getan, getragen, durchgestanden und dann auch erreicht haben, einstand. Das möchte ich heute als Vertriebenenbischof besonders dankbar sagen: Vieles in der Seelsorgearbeit wäre gar nicht möglich gewesen, wenn nicht unsere Politiker aus den Reihen der Heimatvertriebenen so an unserer Seite gestanden, in einer so guten Weise uns geholfen hätten, diesen unseren Dienst zu erfüllen.“ Heinrich Maria JANSSEN, Ein Wort des Dankes, in: KATHOLISCHER FLÜCHTLINGSRAT (Hg.), Bischof H. M. Janssen – 25 Jahre Vertriebenenbischof. Limburg [1982], S. 59-63, 61.

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lingsrates, „unter großem Beifall der Teilnehmer“, wie das Protokoll ausdrücklich vermerkt. Prälat Gustav Braun, der stellvertretende Vorsitzende des Rates, beglückwünschte ihn zu diesem Ehrenamt und hob hervor, dass Nahm zwar kein Heimatvertriebener oder Flüchtling sei, aber dem Flüchtlingsrat schon seit vielen Jahren als Mitglied angehöre und sich vor allem im staatlichen Bereich den Ruf eines erstrangigen Experten und Sachwalters im Vertriebenen- und Flüchtlingssektor erworben habe. Oft begegnete Nahm als Redner auf Tagungen und Zusammenkünften heimatvertriebener Geistlicher. Ihm genügte es nicht, der Not der Heimatlosen mit Verwaltungsmaßnahmen zu begegnen; er nahm das Schicksal jedes einzelnen Menschen wahr und ernst. In seinen Schriften steckt viel von seinen Intentionen, seiner Haltung, seiner Weltsicht, auch seiner Empathie. Diese Publikationen, die auf seinen Erfahrungen in der langjährigen Praxis der Eingliederung der Vertriebenen beruhen und jeweils die neuesten Erkenntnisse der Vertriebenenforschung auch weiteren Kreisen der einheimischen Bevölkerung und den Politikern bekannt machen wollten, sind Plädoyers für eine nachgehende Seelsorge, für ein vielschichtiges Wahrnehmen der Probleme der Eingliederung der Vertriebenen, die sich nicht auf berufliche und ökonomische Dimensionen reduzieren ließ. Ganz selbstverständlich sprach er bereits in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts von der psychologischen Dimension dieser Aufgabe – die Heimatlosigkeit erfordere eine eigene Therapie. Sein mit allem Nachdruck und mit Hartnäckigkeit verfolgtes Ziel lautete Integration der Vertriebenen, ein Prozess, der in Nahms Augen alle Anstrengung, viel Geduld und die Bereitschaft, Gewohnheiten und Sicherheiten aufzugeben, erforderte. An die Adresse der Vertriebenen appellierte er, der Realität Stand zu halten und bereit zu sein zum Engagement in der Aufnahmegesellschaft, zur Selbsthilfe, zum selbstbewussten Wahrnehmen der Aufgaben und Rechte – an die der Einheimischen, das Vertriebenenschicksal im eigenen Volk nicht zu verdrängen oder zu marginalisieren. Nahm bedauerte, dass die Bevölkerung die Aufgaben und Chancen nicht ausreichend wahrgenommen habe, Chancen, die er sehr positiv bewertete, nicht nur wegen des Aufbaus der Vertriebenenindustrie oder der Stärkung des ökumenischen Bewusstseins und Verhaltens, sondern wegen der Impulse evolutionärer Art, die von den Vertriebenen hätten ausgehen können. Er ermunterte die Vertriebenen, die die Sicherheiten und Gewohnheiten von Tradition und Milieu verloren hatten, diesen Verlust auch als Chance zu begreifen, zur Triebkraft in der Gesellschaft zu werden und ihre Erlebnisse in der Literatur, in der bildenden Kunst, in der Philosophie sich niederschlagen zu lassen; die kritische Auseinandersetzung mit dem Vergangenen müsse zu wirklich entscheidenden Schritten nach vorwärts führen. Nahm, selbst nicht Vertriebener, warb um Verständnis für die Position der Einheimischen bei den Vertriebenen und umgekehrt und forderte alle Beteiligten in diesem umfassenden und vielschichtigen Prozess der Integration zur Reflexion und Korrektur ihrer eigenen Standpunkte und Haltungen auf. Die Bedeutung der Religion, der Kirchen für den Beheimatungsprozess erkannte Nahm sehr früh und schätzte ihn hoch ein. Dass die Heimatpfarreien zerschlagen wurden, sah er als eine Radikalisierung der Entwurzelung an, die die Aufnahme in die

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Abschnitt I

Ankunftsgemeinde umso notwendiger, aber auch schwieriger und mit großer Sensibilität zu handhaben machte. Auch hier galt für ihn: Die Aufnahme als purer Verwaltungsakt, allenfalls flankiert von caritativen Maßnahmen, genügte nicht den Bedürfnissen der Vertriebenen, die mit einer „seelischen Sonderlast“ ankamen, „die im umgekehrten Verhältnis zum Flucht- und Ausweisungsgepäck der Vertriebenen stand“. Seine Sensibilität und Wahrnehmungsbreite ließen ihn die Trümmer in Geist und Seele erkennen und führten ihn zu der Überzeugung, dass die Vertriebenen im Aufnahmebereich von Anfang an den Reichtum ihres kulturellen und religiösen Erbes einbringen und das Leben in den Gemeinden aktiv mitgestalten sollten. Er warnte die Vertriebenen davor, sich im Selbstmitleid zu verlieren und die Kausalität zu übersehen: als Grund des Übels konstatierte er deutlich die „nationalistische Irrlehre“. Seine Wertschätzung für den Einsatz der vertriebenen Geistlichen für die Vertriebenen und als Brückenbauer, als die Mittler, die den Einheimischen die religiöse Eigenart der Vertriebenen erklärten, brachte Nahm an vielen Stellen zum Ausdruck. Als langjähriger Präsident des Katholischen Flüchtlingsrates unterstützte und förderte er das Engagement der Laien, deren Mitarbeit in den Parteien und in den kirchlichen Gruppen und Organisationen. Den Einsatz gerade der christlich orientierten Politiker für die Entspannung der sozialen Lage der jungen Bundesrepublik durch das zähe, aber auf Ausgleich bedachte Ringen um die entsprechende Gesetzgebung würdigte Nahm nicht zuletzt in seinen „Skizzen zur Lage, Haltung und Leistung der Vertriebenen, Flüchtlinge und Eingesessenen nach der Stunde Null“.146 Er arbeitete für die Integration der Vertriebenen, kannte eine Unzahl von Einzelfällen, wusste um die Rechtslage, um deren Ausgestaltung, um deren Gestaltungsmöglichkeiten und Grenzen und arbeitete in seinen Publikationen gleichzeitig über die Integration der Vertriebenen, er systematisierte, reflektierte, appellierte auch, ohne die Vielzahl und Vielfalt der Schicksale aus den Augen zu verlieren, ja in einem eigenen Band dokumentierte er sie sogar.147

4.4.

Wie konnte die besondere Seelsorge organisiert werden?

Es kristallisierten sich unterschiedliche Modelle heraus: Vom Kardinal-Bertram-Werk in Hildesheim über die Hedwigswerke, vor allem in den nordwestdeutschen Diözesen bis zu den Eichendorff-Gilden im Süden und Südwesten und der AckermannGemeinde, dem Hilfsbund für die Karpatendeutschen und dem Gerhardswerk für die Südostdeutschen148.

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Peter Paul NAHM, ...doch das Leben ging weiter. Skizzen zur Lage, Haltung und Leistung der Vertriebenen, Flüchtlinge und Eingesessenen nach der Stunde Null. Köln, Berlin 1971. Peter Paul NAHM, Nach zwei Jahrzehnten. Erlebnisberichte über Flucht, Vertreibung und Eingliederung. Wolfenbüttel 1965. Vgl. dazu ausführlicher Rainer BENDEL, Die Fremde wird zur Heimat. Integration der Vertriebenen in der Diözese Rottenburg. Berlin 2008, v.a. S. 311-412.

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Das Modell der Hedwigswerke Die Hedwigswerke waren, analog dem Kardinal-Bertram-Werk in der Diözese Hildesheim, diözesan orientiert. Sie wollten Vertriebene aller Herkunftsgruppen in der entsprechenden Diözese zusammen führen. Das St.-Hedwigswerk für die Erzdiözese Paderborn und für die Diözese Osnabrück beispielsweise wurde 1947 auf den Heimattagen in Lippstadt gegründet. Es verstand sich als ein Bildungswerk der katholischen Heimatvertriebenen auf dem Boden der Diözese und der Pfarrei. Wichtig war die diözesane Verfasstheit dieser Organisation; sie entsprach deutlicher den Vorstellungen der Katholischen Aktion als etwa die Eichendorff-Gilden und die Ackermann-Gemeinde. Mit diesem kirchlichen Verein sollten die katholischen Ostvertriebenen zur religiösen Betreuung zusammengefasst werden, wobei auch die kulturellen Werte der Heimat gepflegt wurden.149 An der Spitze des Hedwigswerkes stand der Diözesanbischof, der aus der Reihe der ostvertriebenen Geistlichen den Diözesanpräses wählte. In jeder Pfarrei mit einer größeren Anzahl Ostvertriebener sollte ein eigener Hedwigskreis gegründet werden, dessen Präses der Ortspfarrer oder ein von ihm beauftragter Geistlicher war.150 Ausdrückliches Ziel des Hedwigswerkes war es, den Caritas- und Fürsorgeempfängerflüchtling als Kulturträger des deutschen Ostens zu präsentieren, das Selbstgefühl zu wecken und zu stärken und so die Verantwortung des Heimatvertriebenen für die Heimatwerte zu sensibilisieren. Es sollte den entwurzelten Menschen ein Stück geistiger Heimat gegeben und gleichzeitig eine Vermittlung zur neuen Heimat eröffnet werden, ohne das Recht auf die angestammte Heimat aufzugeben. Die Ackermanngemeinde verfolgte ein Prinzip der kirchlichen Vertriebenenbetreuung, das vor allem von der Kirchlichen Hilfsstelle Süd in München verfochten wurde und die effizienteste Art der Vertriebenenseelsorge darin sah, die Vertriebenen in Gruppen nach ihren Herkunftsregionen zu betreuen: also die Eichendorffgilde für die Schlesier zu unterstützen, die Ackermanngemeinde für die sudetendeutschen Vertriebenen, den Hilfsbund der Karpatendeutschen und nicht zuletzt das später dann St. Gerhardswerk genannte Hilfswerk für die Deutschen aus dem Südosten Europas.

Landsmannschaftlich und damit überdiözesan ausgerichtete Organisationen Die Eichendorff-Gilde „ist ein Zusammenschluss schlesischer Katholiken ohne Unterschied des Standes oder Herkommens. Sie hat nicht die Form eines straff geführten Vereins mit Statuten, Satzungen, Vereinsfahne und Abzeichen, die von den anderen absondern und abschließen sollen, sondern ist eine mehr durch die Idee und Aufgabe verbundene Arbeitsgemeinschaft, die sich immer nur als Teil des Ganzen und zum

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Vgl. das St.-Hedwigswerk, ein Bildungswerk der katholischen Heimatvertriebenen, in: Archiv der Apostolischen Visitatur Breslau in Münster, Karton Korrespondenz mit St.-Hedwigswerken. Dort gibt es auch umfangreiche Manuskriptfragmente zur Geschichte der St.-Hedwigswerke. St.-Hedwigswerk, ein Bildungswerk der katholischen Heimatvertriebenen, S. 49.

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Abschnitt I

Dienst am Ganzen verpflichtet fühlt. Die einzelnen Gilden genießen daher eine weitgehende Selbständigkeit und arbeiten nach den örtlichen Gegebenheiten, verpflichten sich jedoch zu einem gewissen Beitrag pro Kopf ihrer Mitglieder an die Zentralstelle, die von der ‚Arbeitsgemeinschaft der Eichendorff-Gilden‘ getragen wird.“151 Über Verbreitung, Mitglieder, Struktur, den schwankenden Erfolg, auch über die Zielsetzung der Eichendorff-Gilde informiert die Arbeit von Rainer Bernd.152 Sehr deutlich wird deren Idealität an den Umschreibungen der Zielsetzungen: Sie richten sich auf der materiellen Ebene auf eine umfassende brüderliche Hilfestellung und Hilfsbereitschaft in der Not, beruhend auf der religiösen Grundlage. Auf der geistigen Ebene soll das religiös-kulturelle Erbe der Heimat bewahrt und im Westen das Wissen um die Leistung und die Aufgabe der Schlesier und Schlesiens geweckt und vertieft werden, damit ein Brückenschlag zwischen Vertriebenen und Einheimischen möglich werde. Tiefer noch zielt das Anliegen, das Vertriebenenschicksal solle aus der Kraft des Glaubens gemeistert werden, die Treue zur Heimat und das Verantwortungsbewusstsein für die Heimat solle religiös begründet werden. „So will sie ein gesundes Selbstbewusstsein der Schlesier trotz aller äußeren Verluste wecken, das Wissen um die Schicksalsgemeinschaft der Schlesier bestärken, ihre wirtschaftliche und soziale Eingliederung und Sicherstellung fördern, zugleich aber auch die Voraussetzung für eine echte Verständigung mit den Einheimischen schaffen und so die Fragen der Erhaltung und Wiedergewinnung des deutschen Ostens als eines Landes jahrhundertealter abendländisch christlicher Tradition als gemeinsame Aufgabe dem ganzen deutschen Volke vor Augen stellen.“153 Die Arbeitsgemeinschaft der Eichendorff-Gilden kooperierte eng mit der katholischen Arbeitsstelle Süd unter Paulus Sladek und der Arbeitsstelle Nord unter Oskar Golombek. Die Arbeitsstellen hielten die Verbindung zum Episkopat und zu den anderen katholischen landsmannschaftlichen Organisationen.154 Das Heimatwerk schlesischer Katholiken Gerhard Moschner war wesentlicher Mitinitiator des ‚Heimatwerks schlesischer Katholiken‘, das auf einer Versammlung in Königstein am 25. und 26. Mai 1960 aus der Taufe gehoben wurde. Auf einer Präsidiumssitzung des Heimatwerks am 4. Oktober 1960 in Köln wurde Moschner zum Geschäftsführer gewählt.155

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ARBEITSGEMEINSCHAFT DER EICHENDORFFGILDEN (Hg.), Schlesien als Erbe und Aufgabe. Was ist und will die Eichendorffgilde? Grundsätze und Werkmaterial. München o.J. [1952], S. 3-5. Rainer BERND, Die Anfänge der Eichendorff-Gilde – einer bewusst katholischen Vertriebenenorganisation der ersten Stunde. Wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung des ersten Staatsexamens für das Lehramt an Gymnasien an der theologischen Fakultät in Trier, eingereicht 1997. ARBEITSGEMEINSCHAFT DER EICHENDORFFGILDEN, Schlesien als Erbe und Aufgabe, S. 4. Ebd., S. 5. Vgl. Archiv der Apostolischen Visitatur Breslau in Münster, Ordner Heimatwerk schlesischer Katholiken, Protokoll der Sitzung des Heimatwerks schlesischer Katholiken, Präsidium, am 4. Oktober 1960 in Köln, Georgstraße 20.

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„Das Heimatwerk schlesischer Katholiken ist der Zusammenschluss der Vereine und Gemeinschaften, die ihre Aufgabe in der Sammlung der heimatvertriebenen schlesischen Katholiken sehen. Es will die Ziele dieser selbständigen Vereine und Gemeinschaften fördern und eine geschlossene Repräsentanz des schlesischen Katholizismus in der Bundesrepublik schaffen.“156 Als Aufgaben wird eine breite Palette formuliert: die Verbundenheit mit der Heimatdiözese und das Gemeinschaftsbewusstsein durch den Zusammenschluss der schlesischen Katholiken zu fördern, das religiöse Leben aus den Kräften der religiös-kirchlichen Tradition der Heimat zu aktivieren, kulturelles Erbe und schlesisches Volkstum zu entwickeln und zu pflegen, im kirchlichen, sozialen und politischen Bereich an der Beheimatung der Vertriebenen mit zu arbeiten und sich auf der rechtlichen Ebene für die Anerkennung des Heimat- und Selbstbestimmungsrechtes wie für die Wiedervereinigung des deutschen Vaterlandes in Frieden und Freiheit einzusetzen.157 Zusammengeschlossen wurden im Heimatwerk schlesischer Katholiken die Eichendorff-Gilde, der Matthesianerverband, die Vereinigung katholischer Edelleute Schlesiens, das schlesische Priesterwerk und die Aktion junges Schlesien.158 Daneben wurden die Gemeinschaft der aus Schlesien stammenden Caritasfürsorgerinnen, das Heimatwerk schlesischer Katholiken in der Diözese Hildesheim und das Heimatwerk schlesischer Katholiken in der Diözese Münster aufgenommen.159 Die Initiativen auf religiösem Gebiet, die vom Heimatwerk ausgehen, unterscheiden sich nicht von denen der Gliedgemeinschaften. Sie stammen im Wesentlichen von Moschner. Ein Beispiel für eine landsmannschaftlich orientierte katholische Vertriebenenorganisation: Die Ackermann-Gemeinde Die Ausführlichkeit der folgenden Ausführungen ist nicht allein dem Umstand geschuldet, dass die Ackermann-Gemeinde mit Abstand zur mitgliederstärksten katholischen Vertriebenenorganisation wurde, sondern auch dem Faktum ihrer engen Verbundenheit als sudetendeutsche Organisation mit Königstein. Sie entwickelte sich zu einem wichtigen Vehikel der Ideen und Initiativen in die sudetendeutsche Volksgruppe hinein, auch zu einem wichtigen Medium der Betreuungsarbeit Paulus Sladeks.160

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Vgl. Satzung Heimatwerk schlesischer Katholiken, in: Protokoll der Sitzung des Heimatwerks schlesischer Katholiken 4.10.1960, § 1. Vgl. Satzung Heimatwerk schlesischer Katholiken, §1. Vgl. in Satzung Heimatwerk schlesischer Katholiken den § 4 über die Gründungsmitglieder. Vgl. Archiv der Apostolischen Visitatur Breslau in Münster, Ordner Heimatwerk schlesischer Katholiken, Punkt 4 des Protokolls der Tagung des Heimatwerks schlesischer Katholiken am 25./26. Mai 1960 in Königstein, S. 6. Bernhard Joachim PIEGSA, Die „Ackermann-Gemeinde“ in Bayern, Magisterarbeit an der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth 1995, 103 Seiten MS und Matthias RICHTER, Die Selbstdarstellung der Ackermann-Gemeinde in ihren Publikationen unter Berücksichtigung ihrer Entstehung und historischen Entwicklung, Magisterarbeit Universität München 1986, 104 Seiten MS.

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Abschnitt I

Anfang Januar 1946 bereits plante Sladek die Schaffung einer religiösen Gemeinschaft der Flüchtlinge.161 Die Flüchtlinge seien durch den Verlust der Heimat entwurzelt worden, ein Vorgang, der sich in religiöser Hinsicht verheerend ausgewirkt habe. Sladeks Anliegen war die Konkretisierung seines Ideals des Laienapostolats durch die Errichtung einer kirchlich approbierten Bruderschaft, und zwar überall dort, wo sich eine größere Anzahl von Flüchtlingen befand – die kirchliche Approbation strebte er deswegen an, damit die Bruderschaft ohne besondere Unterstützung durch die Ortsseelsorge religiös tätig werden konnte. Die Bruderschaft sollte kollegial von einem Rat von drei oder vier Männern und Frauen geleitet werden. Richtlinien und Anregungen zur Arbeit sollten von einer Zentrale kommen, die sich Sladek wohl an der Kirchlichen Hilfsstelle in München dachte, die also von ihm selber ausgehen könnten. Die Bruderschaft sollte sich regelmäßig treffen und Andachten abhalten. Ähnlich wie er sich die sudetendeutsche Jugendbewegung als Sauerteig für den völkischen Aufbruch, ja für das gesamte Sudetendeutschtum gedacht hatte,162 bestimmte Sladek diese Bruderschaft als eine Kernschar bei der seelsorgerlichen Einflussnahme auf alle übrigen Flüchtlinge. Sie sollte sich dem Pfarrer für Seelsorgshilfe und caritative Betreuung der Vertriebenen zur Verfügung stellen. Durch regelmäßige Gottesdienste im Abstand von zwei oder vier Wochen und in großen Wallfahrten sollten Brücken zu den übrigen Vertriebenen geschlagen werden. Die Sammelbewegung Bruderschaft sollte in regional gegliederte Apostolate ausdifferenziert werden. Intentionen waren ein vorbildliches christliches Leben, ein geduldiges Ertragen des Flüchtlingsschicksals im Geist der Sühne und der Armut und der Kampf gegen Hass und Rachegedanken. Einen zentralen Stellenwert nahm die Verehrung der Gottesmutter als Mutter der Heimat ein – Gedanken aus dem Sühnegebet der Heimatlosen wurden auch hier aufgegriffen und integriert. Der Gründerkern der Kirchlichen Hilfsstelle Süd in München, Paulus Sladek, Hans Schütz und Richard Mai, bildete weitgehend auch den Initiativkreis für die Ackermann-Gemeinde, neben den beiden Erstgenannten kam noch Franz Haibach hinzu.163 Weil eine reine Flüchtlingsorganisation von der Militärregierung verboten war, was Sladek auch für richtig hielt, da die Ausgewiesenen ja in das einheimische, kirchliche, kulturelle und wirtschaftliche Leben eingegliedert werden sollten, nahm er das Angebot der „Katholischen Jungen Mannschaft”164 in München unter der Leitung von Franz Steber an, aus dieser Organisation einen eigenen Kreis zu bilden, nämlich die Ackermann-Gemeinde. Männer und Frauen im Alter von 25 bis 40 Jahren, sozial

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Vgl. ein Memorandum im Archiv der kirchlichen Hilfsstelle Süd, München, vom 7.1.1946. S. u. bei Jugendbewegung. Es soll hier nicht eine vollständige Geschichte der Gründung der Ackermann-Gemeinde ihrer Aktivitäten und ihrer Organisation geboten werden. Diese Aufgabe ist einem anderen Schwerpunkt des Forschungsbereiches zugewiesen. An dieser Stelle geht es in erster Linie um die Impulse, um die inhaltlichen Akzentsetzungen, die von Paulus Sladek her kamen. Franz Haibach (1899 – 1958) vgl. Mitteilungen der Ackermann-Gemeinde 9 (1958), Nr. 2, S. 5.

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tätige Kräfte im Katholizismus, sollten dort erfasst werden, möglichst die Mitglieder aller früheren katholischen Gruppen der Heimat. Das heißt, die AckermannGemeinde wurde zu einer typischen Laiengruppe der actio catholica. Das Rundschreiben, das Paulus Sladek an Weihnachten 1945 an die ehemaligen Angehörigen des Bundes Staffelstein schickte165, sollte die früheren Freunde und Mitstreiter wieder zusammenführen und eine neue Gemeinschaft begründen helfen. Ähnliche Intentionen verfolgte der Weihnachtsbrief des folgenden Jahres 1946 an die Katholische Junge Mannschaft. Er bestärkte das Bestreben, mitten in der schweren Notlage kleine Gemeinschaften, kleine Inseln zu bilden, die fest zusammenhielten und im Vertrauen auf Gott neu anfingen.166 Die Freunde aus allen früheren Gruppen der katholischen Jugend des Sudetenlandes wurden zu dieser neuen Gemeinschaft zusammengerufen unter dem Namen der bedeutendsten mittelalterlichen Dichtung des böhmischen Raumes, dem Ackermann von Böhmen.167 Zusammen mit der Katholischen Jungen Mannschaft und deren Leiter Franz Steber168 wollten sie gemeinsam an die Arbeit gehen, wollten sie eine zielbewusste Gemeinde werden, in der einer den anderen trage und fördere. Wo immer einer der Landsleute in Not sei, müssten sie sich aufgerufen fühlen. Sie sollten sich zu einer einfachen Lebensführung nach den Grundsätzen des christlichen Glaubens verpflichten, vor allem das Gebot der Liebe verinnerlichen. Nach Einschätzung des Leiters der Hilfsstelle Süd fänden nur 10 bis 20% der Vertriebenen den Weg zum kirchlichen Leben in der neuen Pfarrgemeinde. Die Situation sei also so brisant, dass die Seelsorger alle Kräfte anstrengen müssten, vor allem auch viele Laien mobilisieren müssten, um die Vertriebenen entsprechend zu erziehen.169 Der religiösen Gleichgültigkeit und einer durch die Umstände verstärkten Säkularisierung unter den Vertriebenen sollten sie entgegenwirken, damit Sladeks Befürchtung, die „totale Entwurzelung” könne zur Entstehung einer „ungeformten Masse”

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Dieses Rundschreiben ist abgedruckt bei OHLBAUM, Not ist Anruf Gottes, S. 103-106. Dieses Rundschreiben ist abgedruckt bei OHLBAUM, Not ist Anruf Gottes, S. 199f. Johannes von Schüttwa, auch Johannes von Saaz genannt, hatte um 1400 den Ackermann aus Böhmen, ein Streitgespräch zwischen dem Ackermann, dem der Tod seine Frau geraubt hat, und eben diesem Tod verfasst. Der Ackermann lehnt sich auf gegen das Schicksal, gegen den Tod, unterwirft sich aber schließlich doch dem Schiedsspruch Gottes. Genau diese Haltung sieht Sladek als beispielhaft für die Situation der Vertriebenen. Sie sollten nicht unfruchtbar, nur retrospektiv in der Erinnerung an die Heimat leben, sondern ihre besten Kräfte dafür einsetzen, eine neue Heimat aufzubauen. In der Schicksalsgemeinschaft müsste diese Wende, so Sladek, leichter möglich sein. Freilich sollten sich die Vertriebenen dabei nicht gettoisieren, sondern sich mitten in die katholische Generation des Aufnahmelandes hineinstellen, „um uns gemeinsam mit ihnen um ein neues christliches Deutschland und um eine Erneuerung des Abendlandes zu bemühen.“ OHLBAUM, Not ist Anruf Gottes, S. 199. Zu von Schüttwa vgl. Hellmut ROSENFELD, Johannes von Tepl. In: BBKL, Band 3 (1992), Sp. 593-595. Franz Steber (1904 – 1983) war bereits im Sudetenland in der Jugendarbeit tätig gewesen, leitete nach 1945 die ‚Katholische Junge Mannschaft‘ in München, vgl. OHLBAUM, Not ist Anruf Gottes, S. 506. Vgl. dazu ausführlicher BENDEL, Aufbruch aus dem Glauben? S. 95-112.

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Abschnitt I

führen, nicht Realität werde.170 Diese Angst vor einer Vermassung scheint Sladek sehr bewegt zu haben. War es die Situation des Wohnens auf engstem Raum in Lagern oder Notunterkünften, die diese Angst nährte? War es die Sicht der neuzeitlichen Entwicklung, die gerade aufgrund der Technisierung eine Vermassung befürchtete, wie es etwa Guardini 1950 in seinem „Ende der Neuzeit” einige Jahre danach beschrieb?171 War es das Schreckgespenst des Kommunismus, befürchtete doch Sladek immer eine Anarchie? Von Seiten des Kapitalismus wie des Kommunismus scheint für Sladek diese letztlich entmenschlichende Perspektive auf. Daher sein intensives Bemühen, eine Konkretisierung zu finden für den von ihm forcierten „dritten Weg”, einer auf dem Glauben aufruhenden Gemeinschaft, die die christliche Einfachheit lebte und damit zu einem wahren Ausgleich in der Gesellschaft und zu einer friedlichen neuen Ordnung beitragen könnte. Bezeichnend ist daher auch die Selbstbezeichnung als „Gemeinde”. Stand für den Augustiner-Eremiten dabei auch die gute und lange böhmische Tradition im Hintergrund, die letztlich bis in die Reformbewegungen des 14. Jahrhunderts zurückreicht? Im Kampf um die Vertriebenen sah Sladek die Kirche in Konkurrenz zu den politischen Parteien, vor allem der SPD und der CSU. Sladek favorisierte die CSU, in der Hans Schütz172 mit ehemaligen Mitarbeitern aus den christlichen Gewerkschaften tätig war. Entsprechend ihrer Aufgabe als „Sauerteig” war eine besondere Erziehungs- und Bildungsarbeit für die Mitglieder der Ackermann-Gemeinde notwendig.173 Der Appell an die Mitglieder der Ackermann-Gemeinde in einem Vortrag zum Thema „Vertriebenenschicksal als unsere Aufgabe“ auf der Ackermann-Tagung am 19./20. November 1949 in Fürstenried lautete, Träger einer neuen sozialen Ordnung im christlichen Sinn zu werden. Zwei grundsätzliche Aufgaben formulierte Sladek, nämlich die soziale und die nationale.

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Die Gefahr des Unglaubens und der politischen Radikalisierung beschwor Sladek in einem Rundschreiben an die sudetendeutschen Priester 1946/47. Er zeichnete eine sehr desolate Lage. Romano GUARDINI, Das Ende der Neuzeit. Ein Versuch zur Orientierung. Würzburg 1950. Vgl. zu Guardini Hanna-Barbara GERL-FALKOVITZ, Romano Guardini: Konturen des Lebens und Spuren des Denkens. Mainz 2005. Vgl. dazu auch Rainer BENDEL, Hans Schütz und die Sozialpolitik der Vertriebenen, in: Sudetenland 44 (2002), S. 296-303. Im Weihnachtsbrief des Jahres 1947 an die Ackermann-Gemeinde plädiert Sladek wiederum für die Bewährung der Liebe im Alltag. Die Vertriebenen sollten nicht nur die Nächstenliebe der Einheimischen anmahnen, sondern was sie von den anderen an Gutem erwarten, auch selber zu tun bereit sein. Sladek sieht im Individualismus der Neuzeit eine negative Tendenz, nämlich dass das eigene Ich des Menschen, sein Glück und Wohlergehen jeweils in die Mitte gestellt wird und der Nächste dabei übersehen wird. Bezeichnend ist aber, dass nur eine negative Tendenz verurteilt wird, nicht die neuzeitliche Entwicklung zum Individualismus hin pauschal, wie bei vielen anderen zeitgenössischen Theologen. Freilich braucht diese Einschätzung, diese Egozentriertheit eine deutliche Korrektur: „Die christlichen Maßstäbe sind anders. Nicht du allein stehst in der Mitte, der andere gehört mit zu dir.“ Vgl.: Der Andere gehört mit zu dir. Weihnachtsbrief an die Ackermann-Gemeinde 1947, abgedr. bei OHLBAUM, Not ist Anruf Gottes, S. 204f.

ABSCHNITT II: DIE VERTRIEBENENBISCHÖFE

1.

1.1.

Maximilian Kaller (1946 – 1947)

Kallers Initiativen für eine situationsgerechte Seelsorge nach Flucht und Vertreibung1

Maximilian Kaller wurde am 10. Oktober 1880 in Beuthen/OS als zweites Kind einer Kaufmannsfamilie geboren. Nach dem Besuch des Städtischen Katholischen Gymnasiums in Beuthen immatrikulierte sich Kaller 1899 an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität Breslau. Am 20. Juni 1903 wurde er von Kardinal Kopp zum Priester geweiht. Von 1903 bis 1905 war er Kaplan in GroßStrehlitz. Die folgenden zwölf Jahre war Kaller Seelsorger in Bergen auf Rügen, zuerst als Pfarradministrator, dann als Pfarrer. Mit dem kraftvollen schlesischen Katholizismus als Basis2, einem ausgeprägten Organisationstalent und großem seelsorgerlichen Eifer kam Kaller nach Rügen und baute dort die Seelsorge für die polnischen Saisonarbeiter wie für die katholischen Badegäste und Sommerfrischler systematisch auf und aus und errichtete Kirchen und Kapellen. Vielfältige Erfahrungen sammelte Kaller danach in der Großstadtseelsorge in Berlin (1917 – 1926): Das Berlin der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts wurde vielfach als ein „Laboratorium der Moderne“ bezeichnet. Die Situation der Hauptstadt wurde geprägt von rasantem Bevölkerungswachstum, Zuzug, faszinierendem kulturellem Leben, aber ebenso von Arbeitslosigkeit, sozialen Ghettos und Armut. Breite Schichten der Bevölkerung, Kriegshinterbliebene, Alte, Dauerarbeitslose gerieten zunehmend in die Verelendung. Berlin-Kreuzberg war damals bereits ein sozialer Brennpunkt: „Die weitaus meisten Pfarrangehörigen wohnen im Seitenflügel oder Quergebäude eines Hinterhauses, meist in den obersten Stockwerken oder im Keller. In manchen Straßen wohnen be-

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Rainer BENDEL, Maximilian Kaller – ein Lebensbild des Vertriebenenbischofs, in: Thomas FLAMMER / Hans-Jürgen KARP (Hg.), Maximilian Kaller. Bischof der wandernden Kirche. Flucht und Vertreibung – Integration – Brückenbau – Päpstlicher Sonderbeauftragter für die heimatvertriebenen Deutschen. Münster 2012, S. 23-54. Vgl. zu diesem Hintergrund die Skizzen des Exkurses zu einigen Charakteristika des schlesischen Katholizismus in der vorliegenden Arbeit.

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Abschnitt II

sonders viele Ledige, die nur eine Schlafstelle innehaben. Es gibt Häuser, in denen sogar 23 verschiedene katholische Parteien (Familien oder Ledige) wohnen. In den Straßen, in denen fast nur kleine Leute wohnen, haben die Katholiken auch die Vorderseite der Häuser inne. Die Armut ist also charakteristisch für die Gemeinde.“3 Beruflich liegt der Schwerpunkt auf dem unteren Mittelstand und den Arbeitern. Für die Pastoral verschärfte sich die Not durch die exorbitante Größe der Gemeinde und durch die extreme Diasporasituation der Katholiken in Berlin: St. Michael hatte knapp 17.000 Katholiken bei einer Bevölkerungszahl von ca. 150.000 Menschen auf dem Gemeindegebiet. Kaller hat seine seelsorgerlichen Antworten auf diese Herausforderungen in den neun Jahren seiner Tätigkeit in St. Michael in seinem 1925 erstmals erschienen Buch „Unser Laienapostolat in St. Michael“ vorgestellt. Dort sind die Ansätze und Initiativen des Praktikers festgehalten, kein Buch großartiger Reflexionen, sondern ein Impuls für Seelsorger, der auch den geistigen Hintergrund aufzeigt: Kaller orientierte sich an dem 1909 erschienenen Buch des Wiener Pastoraltheologen Heinrich Swoboda4 über die Großstadtseelsorge. Wie der Titel bereits signalisiert, suchte Kaller entschieden die Laien in die Seelsorge einzubeziehen, zum einen auf der geistlichen Ebene durch das Apostolat des Gebetes, der Sühne und des guten Beispiels, besonders aber durch die praktischen Initiativen, die er weit ausführlicher behandelte; sie bündeln sich im vorbereitenden Apostolat, in den Werken der leiblichen und denen der geistlichen Barmherzigkeit.5 Der Presse in Form des Sonntagsblattes maß Kaller grundlegende Bedeutung bei – katholisches Schrifttum sollte mit Hilfe von Laien, regional fest organisiert, in alle katholischen Haushalte kommen. Als Kaufmannssohn war Kaller auf ein entsprechendes „fundraising“ für diese apostolischen Zwecke bedacht. Breiten Raum nahmen die caritativen Initiativen ein.6 Es begegnet eine gewisse Pragmatik in der Ökumene im sozialen Bereich, bei aller Verwerfung der Mischehen: 3 4 5

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Maximilian KALLER, Unser Laienapostolat. Was es ist und wie es sein soll. Leutesdorf am Rhein 1925; hier wird zitiert nach der zweiten, erweiterten Auflage Leutesdorf 1927, S. 27. Heinrich Swoboda (1861 – 1923) war seit 1895 Professor für Pastoraltheologie und Katechetik in Wien. Breit rezipiert wurde sein Hauptwerk Großstadtseelsorge, Regensburg 1909. Notwendige propädeutische Arbeit (vorbereitendes Apostolat) für eine gelingende Seelsorge im spezifischen Kontext der Großstadt war in den Augen Kallers die Erarbeitung einer Kartothek, d.h. einer Kartei, in der alle Katholiken der Pfarrei nach Straßen und Familien geordnet, mit den wichtigsten Daten erfasst sind. Nur anhand dieser Informationen lässt sich eine nachgehende, individuelle Seelsorge aufbauen, die Menschen in ihrem konkreten Umfeld, in Haus und Arbeit aufsucht und ihre Nöte entdeckt und in Dialog tritt. Daneben hat er auch Karteien mit den in den Vereinen und Organisationen der Pfarrei zusammengeschlossenen Katholikinnen und Katholiken anlegen lassen. Eine breite organisatorische Grundlage für die Seelsorgsarbeit und vor allem für die möglichst rasche Wahrnehmung von Aufgaben und die Delegation von seelsorglichen Aufgaben wurde hier geschaffen. Kaller hatte seine Gemeinde mit 17 000 Katholiken in 49 kleinere Bezirke aufgeteilt, die in Zusammenarbeit von vier Priestern, Marienschwestern und Laien seelsorgerlich betreut wurden. Sie reichen von der Organisierung von dreihundert Zentnern Kartoffeln in Ostpreußen 1923 für die ärmsten Glieder der Pfarrei bis zur Familienpflege durch Mitglieder des Dritten Ordens vom

Die Vertriebenenbischöfe

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bei den caritativen Initiativen wird nicht nach der Konfession gefragt: „Wir sind eine einzige große Gottesfamilie. Wir dürfen deshalb nicht fragen: Ist der Nächste mein Stammes- oder Glaubensgenosse?“7 Kallers Pastoral erschöpfte sich nicht in Katechese und Liturgie, sondern nahm intensiv die sozialen Probleme auf und suchte nach Hilfestellungen. Weite Problemfelder wurden besetzt, die Zuständigkeitsbereiche der Seelsorge sehr ausgedehnt – also eine intensive, nachgehende Seelsorge, die in vielem an das Wohnviertelapostolat erinnert, wie es Swoboda für Wien entwickelt hat. Kaller stand mit solchen Initiativen in Berlin nicht allein. Carl Sonnenschein8, Bernhard Lichtenberg9, der spätere Dompropst und Glaubenszeuge, Clemens von Galen10, der spätere Münsteraner Bischof, in den zwanziger Jahren Kollege Kallers in der Nachbarpfarrei St. Matthias: Sie alle standen für eine engagierte Seelsorge, die die aktuellen Fragen und Nöte der Großstadtseelsorge aufgriff – insofern könnte man auch für die katholische Seelsorge Berlin als ein „Laboratorium der Moderne“ bezeichnen – und mittendrin Kaller. Maximilian Kaller11, seit 1926 Prälat der Freien Prälatur Schneidemühl, wurde 1930 zum Nachfolger Augustin Bludaus gewählt.12 Die Wahl zum ermländischen Bischof erfolgte erst nach drei Wahlgängen mit dem Ausschlag der Stimme des Dompropstes Sander, weil von Rom gewollt. Die Bischofsweihe wurde nicht in Frauenburg, sondern noch in Schneidemühl vorgenommen. Auf den gelehrten Professor folgte der Pragmatiker und unermüdliche Aktivist. Bekannt sind die daraus sich ergebenden Anfangsschwierigkeiten des neuen Bischofs im Ermland, seine wenig glückliche Hand in der Auswahl der Mitarbeiter, seine Unsicherheiten und manchmal auch

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hl. Franziskus. Altmaterialsammlungen werden durchgeführt. Aus Mitteln der Gemeinde wird die Armenspeisung (täglich 270 Personen) ohne Rücksicht auf die Konfession der Bedürftigen durchgeführt. KALLER, Laienapostolat, S. 70. Carl Sonnenschein (1876 – 1929) kam 1918 nach Berlin in das Soziale Archiv des Volksvereins. Friedel DOÉRT, Carl Sonnenschein: Seelsorger, theologischer Publizist und sozialpolitischer Aktivist. Münster 2012. Bernhard Lichtenberg (1875 – 1943), bis 1930 Pfarrer der Herz-Jesu-Gemeinde in Charlottenburg, saß dort für das Zentrum im Stadtparlament; seit 1938 Dompropst. Nach dem Novemberpogrom 1938 betete Lichtenberg öffentlich für die Verfolgten. 1941 von der Gestapo festgenommen, starb er 1943 auf dem Weg in das KZ Dachau. Erich KOCK, Er widerstand. Bernhard Lichtenberg, Dompropst bei St. Hedwig. Berlin 1996. – Stefan SAMERSKI, Bernhard Lichtenberg. In: HIRSCHFELD et al., Schlesische Kirche in Lebensbildern, Band 7, S. 201–205. Zu Galen (1878 – 1946) vgl. Eduard HEGEL, Clemens August Graf von Galen, in: GATZ, Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1945 – 2001, S. 406-408 (dort weitere Lit.). Für einen charakterisierenden Überblick über den Forschungsstand: Hans-Jürgen KARP, Zum Stand der historischen Forschung über Maximilian Kaller (1880 – 1947). In: Rainer BENDEL (Hg.), Vertriebene finden Heimat in der Kirche. Integrationsprozesse im geteilten Deutschland in der Nachkriegszeit. Köln, Weimar, Wien 2008. Vgl. dazu Gerhard REIFFERSCHEID, Das Bistum Ermland und das Dritte Reich. Köln, Wien 1975, S. 12-14.

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Abschnitt II

Eigenwilligkeiten in Verwaltungsvorgängen und bei Ämterbesetzungen, sein oft wenig sensibler Umgang mit Menschen, auch im liturgischen Raum. Bekannt ist die deutliche Ablehnung des Nationalsozialismus durch die Bischöfe bis zum Akt in Potsdam und zum Konkordat.13 Bekannt ist die folgende Begeisterung mancher Theologen für die neue Bewegung von Adam14 bis Schmaus15 über Lortz16 und Eschweiler17 u.a. Bekannt ist die teils begeisterte Aufnahme, die das Thema ‚Aufbruch, Erneuerung‘ nach dem 30. Januar 1933 in kirchlichen Kreisen gefunden hat. Dabei darf nicht übersehen werden, dass sich Kaller spätestens seit dem Frühjahr 1934 zu einem entschiedenen Gegner des Nationalsozialismus gewendet hatte, der sich nicht scheute, wiederholt bevorzugt große öffentliche Veranstaltungen wie erstmals die Wallfahrt nach Dietrichswalde im September 1934 als Foren für seine deutliche öffentliche Kritik in der Predigt zu nutzen.18 Das drohende Kriegsende brachte ihn zu einer Einordnung und Deutung der nationalsozialistischen Katastrophe und zur Formulierung seiner Vorahnung künftiger Situationen der Pastoral: Im September 1944 schrieb Kaller ein Hirtenwort zur Pflege des Gebetslebens im Vertrauen auf die Göttliche Vorsehung. Darin sprach er von einer schweren Prüfungszeit, brachte sein Mitfühlen mit den Leiden und Sorgen zum Ausdruck.19

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Dazu etwa: Heinz HÜRTEN, Deutsche Katholiken 1918 bis 1945. Paderborn u.a. 1992, S. 178315. Ludwig VOLK, Der bayerische Episkopat und der Nationalsozialismus 1930 – 1934. Mainz 1965. REIFFERSCHEID, S. 18-34. Vgl. zu Adam Georg DENZLER, Widerstand ist nicht das richtige Wort. Katholische Priester und Theologen im Dritten Reich. Zürich 2003. Michael Schmaus (1897– 1993). Leo SCHEFFCZYK, Schmaus, Michael Raphael. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 23. Berlin 2007, S. 123f. Vgl. zu Lortz DENZLER, Widerstand ist nicht das richtige Wort. Dazu jüngst Thomas MARSCHLER, Karl Eschweiler 1886 – 1936. Theologische Erkenntnislehre und nationalsozialistische Ideologie. Regensburg 2011. – DERS., Art. Eschweiler, Karl, in: David BERGER / Jörgen VIJGEN (Hg.), Thomistenlexikon. Bonn 2006, S. 155-160. – REIFFERSCHEID, S. 37-51. Rainer BENDEL / Lydia BENDEL-MAIDL, Geschichte und Theologie in der Krisis. „Vergangenheitsbewältigung“ bei Joseph Bernhart und Michael Schmaus, in: Münchner Theologische Zeitschrift 55 (2004), S. 168-181. Brigitte POSCHMANN, Das Ermland im Spannungsfeld von Nationalsozialismus und Katholischer Aktion. Hg. von Rainer BENDEL, in: ZGAE 53 (2009), S. 77-92. „... durchaus von einer Krise des Christentums reden kann. Viele Übel, die lange im Verborgenen gewuchert haben, sind offen aufgebrochen. Die Saat der Aufklärung, des Rationalismus, des Darwinismus, des Materialismus und des Marxismus ist aufgegangen und zerstört die bisher gläubig gehütete Fiktion, die schon sehr lange abgetan sein müsste. Ich fürchte, dass wir auch in unserem Ermland, so sehr wir auch unser katholisches Leben rühmen dürfen, doch zu sehr an der Fiktion des katholischen Ermlandes festhalten... Freie Rechte der Persönlichkeit und das Gewissen werden nicht mehr geachtet, so dass die Menschheit ihre Seele und ihre Würde verliert.“ Kaller in einer Ansprache an das Domkapitel am 1. Januar 1945 AA.EE.SS., Germania, Scatola Fasc. 40/59-60.

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Kaller deutete das Kriegsende in seiner apokalyptischen Dimension als einen tiefen und nachhaltigen Umbruch: jedes Anrecht auf bürgerliche Behaglichkeit werde zerstört. Er sagte Jahre härtester Entbehrung voraus – gewaltige Anstrengungen werden nach dem Krieg bei allen Völkern nötig sein. Der Priester in christlicher Einfachheit müsse zu einem Wegweiser werden.20 Kallers Beziehung zu seinen Diözesanen und vor allem zu seiner Diözese war innig. Nur unter dem Befehl der Gestapo war er bereit, im Februar 1945 sein Bistum zu verlassen. Aufnahme fand er in Halle. Er berichtete den Bischöfen und dem Papst im Mai und Juni 1945 von seiner tiefen Hoffnung, wieder in sein Bistum zurückkehren zu können.21 Mit amerikanischer Hilfe realisierte er diesen Plan. Der Einsatz für seine Diözesanen und seine Diözese brachte ihn daher im Sommer 1945 dazu, noch einmal nach Ostpreußen zurückzukehren und die Sorge für sein Bistum vor Ort wieder zu übernehmen. Erst als er vom polnischen Kardinal Augustyn Hlond22 zum Verlassen des Ermlandes gezwungen wurde, sah Kaller ein, dass er seine angestammte Aufgabe nicht länger wahrnehmen könne. Er kehrte zurück zum Mutterhaus der Grauen Schwestern in Halle. Es liegt ein Bericht aus der Feder von Franz Scholz vor, dem damaligen Direktor der diözesanen Caritas des Erzbistums Breslau in Görlitz, über ein Gespräch am 5. Mai 1947 mit dem Berichterstatter des Hl. Vaters über die Situation in Deutschland, dem Jesuitenpater Ivo Zeiger23, in dem Scholz festhielt, dass auch Zeiger „im Zusammenhang mit der Frage des weiteren Bestehens einer deutschen Diözese Breslau uns darzulegen, was der Hl. Vater selbst über die Entwicklung in der Erzdiözese gesagt hat“ begann. Dabei unterstrich Zeiger, dass Kardinal Hlond nicht befugt war, den

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Daher müssten in der priesterlichen Lebenshaltung müssen Schlichtheit und Einfachheit zu erkennen sein. „Alkohol und Tabak müssen aus diesem Grunde sicher gerade im katholischen Pfarrhaus in Zukunft eine weit geringere Rolle spielen als das bisher üblich war.“ Der wegweisende Seelsorger und Wahrer christlicher Kultur ist in den Augen des Bischofs nötig. „Eine Periode hemmungsloser Diesseitigkeit ruft gebieterisch nach den Kräften der Übernatur. Eine Zeit des Verlorenseins an Genussgüter heischt Taten des Opfers, des Verzichtes, fordert eine Haltung, die bewusst aus dem Jenseits lebt und diesen neuen Geist im Alltag einleuchtend darstellt.“ – Die Oberhirten der deutschen Diözesen an den hochwürdigen Klerus. Juli 1944. Für den Text und die Vervielfältigung verantwortlich war Kaller. Kaller an Pius XII. am 28. Juni 1945. AEM. Verzeichnis der Quellen Kallers, Stand 2012, Nr. 959. Augustyn Hlond SDB (1881 – 1948) war seit 1926 Erzbischof von Posen und Gnesen und Primas der katholischen Kirche in Polen. 1939 floh er in den Vatikan. Im Juli 1945 kehrte er nach Polen zurück. – Franz SCHOLZ, Zwischen Staatsräson und Evangelium. Kardinal Hlond und die Tragödie der ostdeutschen Diözesen, Frankfurt/M. 1988. Wojciech NECEL, Kardynal August Hlond – Prymas Polski. Poznań 1993. P. Ivo Zeiger SJ (1898 – 1952) wurde 1928 zum Priester geweiht. Seit 1931 lehrte er als Professor des Kirchenrechts in Rom, dann in Valkenburg und in Frankfurt am Main. 1939 wurde er als Rektor des Germanikums in Rom berufen. Von 1945 bis 1951 war er an der Vatikanischen Mission in Kronberg im Taunus tätig.

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Verzicht auf das Amt des Kapitelsvikars von Piontek24 zu fordern und neue polnische Administratoren einzusetzen. Die Situation Kallers im Ermland ist analog zu beurteilen. Hlond tat es „ohne Auftrag und ohne Rechtsbasis. Die Folge davon war, dass alle Jurisdiktionsakte ungültig waren. Um Schlimmeres zu verhüten, sanierte der Hl. Vater 1946 post factum alles.“25 Zeiger hob hervor, dass Papst Pius XII. nicht daran gedacht habe, die Polen politisch zu begünstigen. Er wollte keine politische Lösung vorwegnehmen. Kardinal Hlond sei durch diesen eigenmächtigen Schritt sehr in Ungnade gefallen und nur deswegen nicht abberufen worden, weil die junge Republik Polen unterdessen die Beziehungen zum Heiligen Stuhl abgebrochen hatte. Eine Abberufung Hlonds hätte damit zur Folge gehabt, dass kein päpstlicher Gesandter mehr in Polen gewesen wäre. Bereits im Sommer 1945 erwog Kaller sehr realistisch die Möglichkeit, dass alle Deutschen aus Ostpreußen ausgesiedelt werden – ohne Hoffnung auf Rückkehr. Diese realistische Sicht wird ihn auch immer wieder dazu bringen, die Vertriebenen zu mahnen, an ihrer neuen Bleibe Wurzeln zu fassen, sich zu integrieren und nicht irgendwelchen Sehnsüchten nach einer fernen Rückkehr nachzugeben.26 Schon im September 1945 richtete er einen Hirtenbrief an die versprengten Ermländer, dessen oberstes Ziel in zwei Richtungen geht: zum einen sollten sie in ihrer Liebe zur Heimat bestärkt werden, sollten die Prägung, die religiöse Eigenart des Ermlandes nicht aufgeben. Zum anderen sollten sie desillusioniert werden. „Unsere Heimat ist uns verloren. Das ist hart, aber an harten Tatsachen dürfen wir nicht vorübergehen und unsere Trauer um die verlorene Heimat muss sich trösten und aufrichten lassen.“27 Kaller formulierte den Appell, neue Heimat zu suchen, zu finden und zu bilden, neu anzufangen; den Appell, Gemeinschaft untereinander zu halten, alte Netze wieder herzustellen, in Gerechtigkeit und christlicher Liebe. Eigentum solle gebildet werden, aber ohne Habgier und mit gutem Gewissen. Er mahnte die Flüchtlinge und Vertriebenen zur Selbsthilfe und skizzierte beispielhaft ein breites Spektrum an Aufgaben.28 Die Umsetzung dieser Anregungen

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Mehr zu Piontek auf S. 182 bzw. S. 765. Vgl. Konrad HARTELT, Ferdinand Piontek (1878 – 1963). Leben und Wirken eines schlesischen Priesters und Bischofs. Köln, Weimar, Wien 2008. Der Bericht in „Akten deutscher Bischöfe 1945 – 1947“, S. 1106 – 1108. Das Thema „Errichtung der apostolischen Administrationen im September 1945“ auf S. 1207 Vgl. Hirtenbrief Kallers an die Ermländer im September 1945 unter dem Titel „Neue Heimat“, in: Paul KEWITSCH (Hg.), Hirtenbriefe des Flüchtlingsbischofs Maximilian Kaller. Lippstadt 1951, S. 5-8. Ebd. „Fragt nicht nur nach kommunalen und kirchlichen Hilfsstellen! Richtet nach Möglichkeit mit euren Seelsorgern solche Stellen selbst ein! Helft mit, wenn sie schon vorhanden sind! Ich erwähne nur in aller Kürze: Volkskirchen, Nähstuben, Kindergärten, Waschküchen, Notwerkstätten für Handwerker, Übernachtungsheime, Fürsorgestellen für heimkehrende Soldaten, Bahnhofsmission, Stellenvermittlung für katholische Mädchen, Kinder- und Jugendfürsorge, Krankenhilfe, Altersheime oder Einzelhilfe für Gebrechliche und Alte, Fürsorge für Gefährdete... Diese caritativen Aufgaben sind riesenhaft gewachsen.“ Ebd., S. 1036.

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beschäftigte Kaller in den folgenden Monaten neben seiner Predigt und Wallfahrtstätigkeit und doch blieb er auf der Suche nach einem neuen, ihm offiziell zugewiesenen Aufgabenfeld. In einem Brief an den Papst hatte Kaller am 6. September 1946 um eine Klärung dieser Frage gebeten.29 Zunächst also aufgrund seines Schicksals als Vertriebener aus dem Ermland nahm er sich der Vertriebenenseelsorge an und wurde aufgrund seines vielfältigen Engagements und seiner Stellung als Bischof zu einem der Mitinitiatoren zentraler Instrumente der Vertriebenenseelsorge. Dazu zählen: - die Wallfahrten, Kundgebungen des Glaubens, Ausdruck der Suche und der Pilgerschaft, Möglichkeiten des Wiedersehens und des Gedankenaustausches im Rahmen der Kirche, der den Vertriebenen sonst von den Besatzungsmächten in diesem Umfang verboten war; - die Sorge um die Diözesanen und die Vertriebenen insgesamt in seinen Predigten und Hirtenbriefen, in seinen zahlreichen Einzelschreiben; - die Sorge um die vertriebenen Geistlichen und die vertriebenen Theologiestudenten. Gerade dieser dritte Sektor sollte zu einer seiner zentralen Aufgaben werden. In einer oftmals sehr schwierigen und spannungsvollen Kooperation mit dem damaligen Leiter des RKA, Prälat Albert Büttner, und dem damaligen Prager Hochschulprofessor Adolf Kindermann schuf Kaller den Grundstock für das theologische Zentrum der Vertriebenen in Königstein, das später den Titel „Vaterhaus der Vertriebenen“ erhalten sollte.30 Kallers Hirtenworte, ob geschrieben als Hirtenbriefe oder als Predigten vorgetragen, sind gesättigt vom Wissen um die oftmals desolate Situation der Vertriebenen in der Ankunftszeit. Es waren Trostworte in schwerer Zeit, im franziskanischen Geist verfasst. Er griff die Sorgen der vertriebenen Katholikinnen und Katholiken auf. Er hob sie ins Wort, er nahm sie ernst. Er sprach die Konsequenzen an und malte die Verzweiflung, die Versuchung, bitter zu werden und mit Gewalt die Verhältnisse ändern zu wollen, aus. Wenn er in diesen Kontext vor radikalen Bestrebungen warnte, weil sie nur die Gegensätze verschärften, das Leben noch schwerer machten, dann trug er in einer gewissen Weise zur Entspannung der Situation bei. Er beruhigte, wenn er das Recht auf Heimat forderte. Er würdigte den Gestus des Papstes, dass er ihn, Kaller, zum Sonderbeauftragten für die Vertriebenen, zum Vertriebenenbischof gleichsam berufen hatte, wenn er auch vorher in Briefen an befreundete Geistliche das lange Schweigen

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Der Brief war ein längerer Bericht über den Zustand des Bistums, wie er ihn bei seiner kurzen Rückkehr ins Ermland angetroffen hatte. Es war ein Bericht über die Begegnung mit Kardinal Hlond, die seinen Amtsverzicht zur Folge hatte und es war die Versicherung, dass er sich dem Papst im vollen Umfang zur Verfügung stelle und dabei auch um eine Klärung seiner künftigen Wirksamkeit bittet. Kaller an Pius XII. am 6. September 1945. AEM. Verzeichnis der Quellen Kallers, Stand 2012, Nr. 971. Vgl. dazu BENDEL, Aufbruch aus dem Glauben? v.a. S. 131-137.

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Abschnitt II

des Papstes beklagt hatte. „Wir danken dem Heiligen Vater für diesen Beweis seiner väterlichen Sorge für uns. Er steht mit seiner Liebe und mit seiner Kraft auf unserer Seite. Das ist uns Trost und Hoffnung zugleich. Durch seine Hand wird Gott auch uns wieder ein Tor in eine erträglichere Zukunft öffnen, das uns jetzt niemand öffnen kann.“31 Wie die Situation am Kriegsende deutete Kaller auch die Vertreibung als Prüfung, als Krisis. Das persönliche wie das gesellschaftliche Leben müsse neu nach dem Gesetz Gottes in der Nachfolge Christi, des Gekreuzigten, geordnet werden. Damit erhält das Schicksal Vertreibung eine Sendung, eine Botschaft an alle – eine Chance, die Seligpreisungen zu realisieren.32 Auch wenn sie in der neuen Umgebung kalt empfangen, abgelehnt werden, sind die Vertriebenen nicht Verstoßene und Verlassene, sondern in diesem Interpretationskontext Gesandte Gottes. Sie sollen Boten seiner Liebe werden. Die zentrale Frage ist die nach der Prüfung des Glaubens durch die konkrete Situation. Sie durchzieht in ihrem franziskanischen Zungenschlag viele Hirtenbriefe und Predigten Kallers.

1.2.

Zentrale Aufgaben des Sonderseelsorgers für die Vertriebenen

Die Sorge um die Priester Als besondere Aufgaben formulierte Kaller an erster Stelle die Sorge um die Priester. Er sorgte sich um ca. 1.800 Flüchtlingspriester, die erfasst werden müssten, und legte in seiner Zeit in Halle selbst eine Kartothek für die ermländischen Geistlichen an; er bemühte sich, sie in der Seelsorge unterzubringen, deren Besoldung und rechtliche Lage geklärt werden musste. Ihn trieb die Sorge um die Pensionäre, um die Ausstattung der Priester mit allem Notwendigen – vom Brevier bis zu den Paramenten – die Sorge um den Priesternachwuchs. Besonders schwer lasteten auf Kaller die Aufgaben und Sorgen der Diaspora.33 Die große Priesternot in weit ausgedehnten Pfarrgemeinden bedrückte ihn, in vielen Schulen konnte kein Religionsunterricht erteilt werden, keine Transportmittel zur Erleichterung der Seelsorge standen zur Verfügung.

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Hirtenbrief Kallers an die Ermländer, 29. September 1946 unter dem Titel „Kraft des Gottvertrauens“, in: Kewitsch, Hirtenbriefe, S. 16-19. „Nicht Verfluchte, Entrechtete, Gottverlassene seid Ihr liebe Diözesanen, sondern Auserwählte und Gesandte des Reiches Gottes. In Armut, Not und Fremde seid Ihr berufen, das Kreuz mit Christus zu tragen, zu sühnen für eigene und fremde Schuld und mit unverschuldetem und freiwillig angenommenen Leid, die Auferstehung auch unseres darniederliegenden Volkes vorzubereiten.“ Ebd. An erster Stelle nannte er hier die Not in der russischen Zone in den Diözesen Berlin, Meissen, Breslau und in den drei Diözesanteilen Thüringen, Sachsen und Mecklenburg, die zu Fulda, Paderborn und Osnabrück gehören.

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Nicht zuletzt während seines Hallenser Aufenthaltes 1945 war ihm die Größe und Schwierigkeit der Aufgabe der Vertriebenenbetreuung durch die Kirche in der SBZ klar bewusst geworden. Wie viele Briefe schrieb er an die Ordinarien und an Priester und Priesteramtskandidaten, sich für den Einsatz in der mitteldeutschen Diaspora freistellen zu lassen und die wenigen und völlig überlasteten Seelsorger in der SBZ zu unterstützen und zu entlasten. Erforderlich seien Konvikte, Gymnasien, Priesterbildungsanstalten, Laienhelfer, Ordensschwestern und vor allem Priester.34 Dabei übersah er nicht die Diasporagebiete in der britischen und amerikanischen Zone, in denen ebenso ein katastrophaler Mangel an religiösen und katechetischen Mitteln herrschte, wo die caritative Betreuung der Gläubigen nicht im erforderlichen Ausmaß durchgeführt werden konnte, wo Gottesdiensträume fehlten. Im Kontext der Reflexion seiner Aufgaben als Seelsorger für die Vertriebenen tauchte wiederholt der Gedanke der Überseesiedlung auf.35

Möglichkeiten und Grenzen kirchlicher Hilfe – der Vertriebenenbischof als Moderator Kaller formulierte als eine wichtige Aufgabe seines Amtes, auf die Aufnahmediözesen, auf Priester und Gläubige einzuwirken, da oft bei aller vorhandenen Hilfsbereitschaft der echte Geist der Liebe fehle, gerade bei solchen, die noch kein Opfer an Hab und Gut gebracht hatten. Priesterkonferenzen sollten hier Verständnis schaffen. Er müsse in diesem Amt die Flüchtlingsinteressen beim Heiligen Stuhl, bei der Bischofskonferenz, bei einzelnen Diözesen, bei den Organisationen wie Caritas, Bonifatiusverein, Jugendwerk usw. vertreten. Die Tätigkeit all dieser Ämter, Organisationen und Stellen müsse einheitlich angeregt und koordiniert werden. Schließlich sah er sich in der Aufgabe, die Flüchtlingsinteressen beim Alliierten Kontrollrat und bei den Militärregierungen zu vertreten.36 Er verwies auf die bisher

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Kaller an Pius XII. am 11. November 1946. AEM. „Die Aufgabe meiner Stelle würde sein, die Erziehung zu einer echt katholischen Gemeinschaftssiedlung durchzuführen und im Verein mit dem deutschen Caritasverband die Verhandlungen mit den Behörden und die Belehrung des Volkes in dieser Hinsicht zu übernehmen. Das Flüchtlingsproblem ist so gewaltig, dass die ganze Kirche Deutschlands zu seiner Lösung tätig sein muss. Neben dem deutschen Volk, dessen eigene Möglichkeiten mehr als begrenzt sind, muss sich auch die Weltkirche als „acies bene ordinata“ in den Dienst dieser Arbeit stellen.“ Ebd. – Immer wieder trieb Kaller im Sommer 1946 die Idee einer geschlossenen Ansiedlung, also einer Übersiedlung der Ermländer nach Übersee um. Man spürt, dass Kaller seit 1934 das Referat der „Wandernden Kirche“ der Fuldaer Bischofskonferenz geleitet hatte. Vgl. dazu Thomas FLAMMER, Migration und Milieu. Die Auswirkungen von Migration auf Kirche und Gläubige am Beispiel der Arbeit des „Katholischen Seelsorgedienstes für die Wandernde Kirche“ 1934 – 1943, in: Karl-Joseph HUMMEL / Christoph KÖSTERS (Hg.), Kirchen im Krieg. Europa 1939 – 1945. Paderborn u.a. 2007, S. 399-417. Vgl. etwa Kaller an den Hohen Alliierten Kontrollrat vom 3. September 1945. Ludwig Volk, Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933 – 1945, Bd. VI: 1943 – 1945 (Veröf-

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Abschnitt II

bereits formulierten Eingaben, die elternlose und verlorene Kinder aus Ostpreußen und Schlesien nach Deutschland herausführen, die Flüchtlingsfrauen aus Dänemark zurückholen sollten, die die Flüchtlingsinteressen bei Länderregierungen und Flüchtlingskommissaren vertraten und die den Flüchtlingen im Ausland durch Rundfunk und Presse Stimme gaben. Caritative Hilfe und soziale Maßnahmen allein könnten das Flüchtlingselend beim besten Willen nicht in den Griff bekommen. Es gebe materiell gesehen keine Überwindung der Not. Hilfe musste also von außen kommen und auch einen Ausweg nach außen aufzeigen. Die Kirche könne allein durch religiöse und sittliche Kräfte zur Lösung des Problems beitragen; genau in diesem Kontext verortete er sein Sonderamt als Flüchtlingsbischof. Kaller verstand sein Amt als eine Vermittlungs- und Ausgleichsstelle. Die religiöse Betreuung der Vertriebenen formulierte er als vordringlichste Aufgabe. Er müsse auch als Vertriebenenbischof die persönliche Fühlungnahme mit den Flüchtlingen und Vertriebenen suchen und sie freiwillig zu einem einfachen christlichen Leben hinführen.

Das Armutsideal und die Akzeptanz der eigenen Notlage sollen zur Entspannung beitragen Die Geisteserneuerung am Ideal der Armut sollte inhaltlich seine Arbeit und Predigt prägen. Kaller forderte die Ergebenheit in den Willen Gottes als die einzig weiterführende Grundhaltung, um Rache und Hass nicht die Oberhand gewinnen zu lassen. Die Vertriebenen sollten in ihrer gläubigen Akzeptanz ihres schwierigen Schicksals zur Sühne der Schuld in dieser Welt beitragen.37 Schließlich formulierte Kaller in seinem Schreiben an den Papst einen dritten weiten Aufgabensektor, nämlich die Aufgaben allgemein sozialer Natur.38 Er könne als Vertriebenenbischof zwar nicht die Tätigkeit sozialer Stellen ganz oder teilweise

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fentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe A: Quellen, Bd. 38), Mainz 1985, Nr. 1034, S. 726-729. AEM. Verzeichnis der Quellen Kallers, Stand 2012, Nr. 970. „Das ist unser großer Beitrag zum Frieden, meine lieben Heimatvertriebenen, die wir am schwersten von den Folgen des Krieges betroffen sind: im demütigen, bußfertigen Beten wollen wir in die Zulassungen Gottes einwilligen. Durch betende Teilnahme am heiligen Opfer unseres Herrn finden wir immer wieder die Kraft, unser Herz mit seinen bösen Leidenschaften, mit Habsucht und Neid, mit Rachsucht und Hass zu kreuzigen, finden wir die Kraft, unseren eigenen Willen unter Gottes Heilsratschluss zu beugen.“ Die Vertriebenen seien, wenn sie sich diesem Willen beugten und das zugefügte Unrecht freiwillig erlitten, in der besonderen Nachfolge Jesu. Sie sühnten die furchtbare Anhäufung von Schuld in dieser Welt. Nur in dieser Haltung könne die Macht des Bösen in der Welt gebrochen werden. Gebet und Sühne führten zur lebendigen Verwirklichung des Friedens und zwar des inneren Friedens von der Familie bis zum Volk, der eben abhängt von der Versöhnung im Geist der Buße und dem gegenseitigen Vergeben der Schuld. Hirtenbrief Kallers an die Ermländer zur Fastenzeit 1947 unter dem Titel „Gib uns den Frieden“, in: KEWITSCH, Hirtenbriefe, 24-27. Kaller an Pius XII. am 11. November 1946, ein Memorandum und Tätigkeitsbericht, den Kaller in der Audienz bei Pius XII. am 11. November 1946 überreicht hat. AEM.

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übernehmen, er sah sich aber wohl in der Pflicht, anzuregen und gewisse Probleme in das Blickfeld des Interesses zu ziehen.

Das weite Themenfeld der sozialen Aufgaben Zu diesen Problemen gehörte, dass Flüchtlinge in der Gefahr standen, als Arbeiter niederen Ranges herabgedrückt, also in die Tradition der Ostarbeiter eingereiht zu werden. Damit die Vertriebenen nicht allein die Lasten des Krieges tragen müssten, musste ein Lastenausgleich erstrebt werden. Das krasse Unrecht, dass die Vertriebenen ihre Rechte auf Sparkonten, Krankenkassengelder, Lebensversicherungen u.ä. verloren hatten, müsse beseitigt werden. Die Vertriebenen müssten beruflich eingegliedert werden und Wohnungen bekommen. Durch eine Bodenreform müsse Binnensiedlung ermöglicht werden. Damit formulierte Kaller grundlegende Wünsche und radikale Aufgaben, die der Krisensituation in der deutschen Gesellschaft und auch in der deutschen Kirche gerecht werden sollten, die das Bewusstsein für die kritische Situation wecken wollten. Dahinter steckte die bisherige Erfahrung, die Kaller auch mit seinen Mitbrüdern im bischöflichen Amt machen musste, litt er doch nicht wenig darunter, dass viele seiner Amtskollegen das Gespür für die Größe der Aufgabe vermissen ließen und ihn allein vor diesem gewaltigen Berg an Aufgaben stehen ließen. Eine Konkretion einer dieser grundlegend skizzierten Aufgabenbereiche brachte der Hirtenbrief Kallers an die Ermländer zur Fastenzeit 1947.39 Kaller formulierte dort die geistliche Begründung für den Lastenausgleich und mahnte die Vertriebenen, nicht der Unzufriedenheit zu verfallen. Er spürte, dass die einen im dritten Jahr ihrer Vertreibung zunehmend mutlos, die anderen radikal und kämpferisch wurden. Die Forderung nach Lastenausgleich wurde verbunden mit der Forderung an die Vertriebenen, ihr Glück nicht vom Besitz abhängig zu machen, nicht gewaltsam den Ausgleich herbeiführen zu wollen. Diese Haltung dürfe nicht eine bloße Sonntagshaltung sein, sondern sie müsse alle Tage des Lebens der Vertriebenen durchdringen. „Wie frei fühlen wir uns oft denen gegenüber, die noch krampfhaft am unverdient verwahrt gebliebenen Besitz hängen und innerlich versklavt in ständiger Versuchung sind, sich gegen die ausgleichende Gerechtigkeit und gegen die Nächstenliebe zu verfehlen. Aber wie leicht verfallen auch wir der gleichen Sklaverei des Herzens, dem Neid, wenn wir die Armut nicht als Gottes barmherzige Gabe in dieser Stunde der Prüfung erkennen.“40

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KEWITSCH, Hirtenbriefe, 24-27. – Im Zentrum stand die bange Frage nach der Sorge um die Heimat, nach der Möglichkeit zur Rückkehr in sie. Die Frage kreiste um die materiellen Grundlagen, die geschaffen und um die Perspektiven, die den Vertriebenen eröffnet werden müssten. Kaller warnte die Vertriebenen davor, sich völlig dem Gefühl der Hilflosigkeit und Preisgegebenheit hinzugeben. Gerade die Mahnungen des Heiligen Vaters, der immer wieder den Staatsmännern ins Gewissen geredet habe, dass der Friede ein Werk der Gerechtigkeit und der Völker versöhnenden Liebe, nicht der Machtgier und Rachsucht sein dürfe, könne den Vertriebenen zu Hilfe kommen. Ebd.

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Abschnitt II

Individualseelsorge durch Briefe Der Einsatz für seine Diözesanen des Ermlands zeigte sich nirgends deutlicher als in dem umfangreichen Briefwechsel41, den Kaller mit vielen Priestern und mit vielen Laien führte. Alfred Penkert hat diesen Briefwechsel – erhalten sind etwa 6.000 Briefe und Karten an Laien, die Kaller in seinen beiden Jahren als Vertriebenenbischof geschrieben hat; er hat weit mehr verschickt – aufgearbeitet. Kaller erwies sich hier als ein Samariter des Alltags.42 Persönliche Grüße und Segenswünsche, Erinnerungen auch, waren ihm ebenso wichtig wie Fragen nach Anschriften, nicht zuletzt von Eltern, die über das Schicksal ihrer Kinder, die im polnisch verwalteten Gebiet in Ostpreußen zurückgeblieben waren, Auskunft wollten, wie auch das Hilfeersuchen in materiellen Notlagen, in der Arbeitssuche, in der Wohnungssuche, bei Schul- und Studienproblemen oder die Bitte um Entlastung im Entnazifizierungsverfahren, nicht zu vergessen die vielen Anfragen nach den Möglichkeiten, den Plan, sich in Übersee neu anzusiedeln, zu verwirklichen. Den größten Teil der persönlichen Korrespondenz bildeten die persönlichen Anfragen, die Bitten um Hilfe (etwa ein Drittel der Briefe, die an Kaller gerichtet waren) und die Fragen zur Auswanderungsproblematik. Etwa 10 % machten die Bitten um Hilfe für die Entnazifizierung aus. Standpunkt und Themen in den Antwortschreiben an diejenigen, die persönlich bei ihm Hilfe suchten, die ihm ihre Notlagen schilderten und nicht selten wortreich klagten, sind vergleichbar mit den in den Hirtenbriefen und Predigten geschilderten. Es ist der Appell, die Situationen anzunehmen, wie die Vertriebenen sie vorfinden, sich in das Schicksal zu fügen, in franziskanischer Gesinnung die Mittellosigkeit anzunehmen, nicht der Resignation und auch nicht der falschen

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In dem weit gespannten Briefwechsel zeigt sich, wie sehr Kirche und kirchliche Amtsträger den Vertriebenen in den ersten Nachkriegsjahren Heimat und Neuorientierung bieten konnten. In vielen Briefen an Kaller wird die enge Bindung und Wertschätzung des Bischofs bei den Ermländern deutlich. Kaller wurde diese Form der Individualseelsorge, auch wenn sie ihm ein reiches Maß an Arbeit bescherte, nicht lästig. Er stand in brieflichem Kontakt zu vielen Ermländern und Vertriebenen aus anderen Regionen und setzte sich für sie ein. Gerade in der Diaspora sollten sie den Apostelcharakter ihrer Situation wahrnehmen und ihren Glauben zeigen. Es ist der Appell an das Laienapostolat, den Kaller in diesem Kontext konturierte. Vor allem die Jugend rief er dazu auf, Apostel zu sein. „Und so sage ich Euch: auch Ihr seid berufen, Apostel zu sein! Gerade Ihr Heimatlosen, Ihr sollt Apostel sein! Ich will Euch einen Beweis dafür geben, dass schon so manche unter Euch Apostel sind: Vor einige Wochen hatte ich Gelegenheit sowohl mit dem hochwürdigsten Herrn Erzbischof von Paderborn, als auch mit dem hochwürdigsten Herrn Bischof von Osnabrück zu sprechen. Sie kamen beide von Firmungsreisen aus der Diaspora zurück und sprachen mit Bewunderung davon, wie so manche Katholiken in der Diaspora wunderbare Apostel sind. Wie sie die ganze Gemeinde neu aufbauen: Wie sie neues katholisches Leben in diese Gemeinden hineinbringen. Dort, wo früher nicht ein Hauch von Glauben und nicht ein Hauch von Liebe zu spüren war! Durch die Heimatlosen wurde in der Diaspora dieser Glaube und die Liebe gebracht.“ Predigt Kallers an die Heimatvertriebenen bei der Wallfahrt in Werl am 29. Juni 1947. Druck: Festpredigt zur Wallfahrt der Ostvertriebenen zu unserer lieben Frau vom 29.6.1947 in Werl. Katholische Osthilfe Lippstadt 1947, S. 25-30.

Die Vertriebenenbischöfe

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Hoffnung auf eine baldige Rückkehr in die Heimat zu verfallen, sondern dort, wo Gott sie hingestellt hatte, sollten die Vertriebenen ihr Leben neu aufbauen. Vielen Ermländern tat es offensichtlich gut, ihre teils schrecklichen Erlebnisse in Flucht und Vertreibung aussprechen zu können, und die Teilnahme des Oberhirten zu finden. So wird auch von vielen Seiten bezeugt, dass die Ermländer eine besondere Liebe zu ihrem Bischof zum Ausdruck brachten. Man könne von einem guten leiblichen Vater nicht besser sprechen als die Ermländer von ihrem Bischof, den sie ganz ins Herz geschlossen hätten und umgekehrt genauso.43 Auch als Vertriebenenbischof wollte Kaller doch zuallererst Bischof von Ermland, nicht nur mit dem Titel, sondern mit dem Herzen bleiben.

‚Vergangenheitsbewältigung‘ und Zukunftsperspektive des Glaubenden Bereits in den frühen Predigten Kallers nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland findet sich eine intensive Reflexion der Situation der Geflüchteten und Vertriebenen. In dieser Reflexion wurden auch die Ursachen klar benannt, die geistigen Verwirrungen der vorangegangenen zwölf Jahre. In diesen frühen Predigten setzte schon eine Art Vergangenheitsbewältigung ein, wie man sie in dieser Extensität und Intensität bei den eingesessenen Katholiken nicht findet. Vielleicht war sie auf Vertriebenenseite vom Schicksal erzwungen. Man konnte die eigene Situation nicht ignorieren. Sie wollte erklärt sein, um halbwegs akzeptiert werden zu können, und für diese Erklärung reichte die einfache Parallelsetzung mit biblischen Bildern und Situationen in der Regel nicht aus. Die Menschen fragten radikaler. So predigte Kaller zur Caritassammlung in der Herz-Jesu-Oktav am 10. Juni 1945 zu der Frage „Wer baut die Brücken?“44 Das Bild der gesprengten Brücke wurde zum Sinnbild und Gleichnis für die abgebrochene und zerstörte Verbindung zwischen Menschen und Völkern. Das Verhältnis des Menschen zum Menschen sei an der Wurzel vergiftet und verdorben.45 Das Gift der Zerstörung werde nicht durch Worte überwunden, sondern nur durch ein Heilwerden von der Wurzel her. So skizzierte er den Brückenbauer der Gegenwart und der Zukunft: „Er sieht, dass etwas ganz Neues und ganz anderes beginnen müsste im Verhältnis vom Menschen zum Menschen, wenn er nicht überhaupt am Menschen

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Vgl. dazu Alfred PENKERT, Sie kamen aus der großen Drangsal. Ostdeutsche – insbesondere ermländische – Flüchtlinge und Heimatvertriebene im Briefwechsel mit Bischof Maximilian Kaller in den Jahren 1945 – 1947. Münster 2004, S. 30. Predigt Kallers zur Caritassammlung in der Herz-Jesu-Oktav am 10. Juni 1945 unter dem Titel „Wer baut die Brücken“. AEM. Verzeichnis der Quellen Kallers, Stand 2012, Nr. 957. „Es ist nicht nur das alte, ewig gleiche Lied von der Vergeltung und Rache. Das Neue ist: Man hat daraus eine Lehre, ein Ideal, ja ein neues Evangelium gemacht. Man hat den Hass gepredigt wie eine Erlösungslehre. Man hat Mitleid und Erbarmen als eine Schwäche hingestellt, deren man sich schämen und die man überwinden muss und dafür den brutalen und rücksichtslosen Willen zur Macht heilig gesprochen. Das war eine furchtbare Irrlehre, die das Verhältnis des Menschen zum Menschen an der Wurzel vergiftet und verdirbt.“ Ebd.

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Abschnitt II

irre werden und am Leben verzweifeln soll. Er ist ohne Glauben aufgewachsen, aber hat das Verlangen nach dem Wahren und Guten in sich bewahrt.“46 Kaller nahm die fortschreitende Dechristianisierung wahr und forderte umso mehr zum christlichen Zeugnis auf.47 Der Neuanfang müsse bei den Einzelnen in kleinen Schritten ansetzen. Kirche und Gemeinde seien gesendet zu einem neuen Anfang, zu einem neuen Verhältnis zum Menschen, zu einer neuen intensiven Form der Bruderliebe. Grundlage und Impuls für diesen Neuanfang skizzierte Kaller in seiner Pfingstpredigt 1945. Der Geist Gottes mit seiner Schöpfertätigkeit beginnt nicht beim Wiederaufbau der Häuser und Städte, sondern kümmert sich zuvorderst um die Zerstörung in den Herzen der Menschen. Kaller griff in seinen theologischen Bildern und Argumentationsgängen die verheerenden Wirkungen der Kriegserfahrungen auf, wenn er von den grauenhaften Trümmerfeldern in den Herzen sprach.48 Die apostolische Gemeinschaft der Urkirche als Heimat empfahl Kaller den Menschen in einer Predigt zum Kirchweihfest 1945. Wieder wollte er nichts wegreden von der Bitternis der Heimatlosigkeit. Er kannte die Erfahrung am eigenen Leibe, aber er wollte alles Irdische im Kontext dieser Erfahrungen als ein Gleichnis und eine Verheißung nehmen. Er appellierte an die Gläubigen, sich als Wanderer zwischen zwei Welten zu verstehen und das irdische Haus lediglich als ein Zelt oder eine Herberge zu sehen. Der Mensch muss immer wieder aufbrechen und weiterwandern. Letztlich ist es die Unruhe und die Sehnsucht des Menschen, die sie sich bewahren sollten, die Vorläufigkeit aller irdischen Heimat, die ihre Verheißung erst in der Wohnung bei Gott erfüllt sieht. „Aber schon auf der Wanderschaft ist die katholische Kirche und die katholische Gemeinde ein Anfang solch heiliger Heimat.“49 Die Menschen haben in der Notsituation tiefer als gewöhnlich erfahren, was ihnen Kirche und Gemeinde bedeuten; Kaller nennt an vielen Stellen beide Begriffe parallel

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Ebd. Er präsentierte in seinen Ausführungen die Skizze eines nicht mehr christlich sozialisierten Menschen, der vom Christentum nur dem Namen nach gehört hat, der die Kirchen als überlebte geschichtliche Größe wahrnahm und für die Zukunft nichts mehr von ihr erwartete. Kaller erinnerte die Gläubigen daran, dass sie vor diesem Hintergrund die erneuernde Kraft der Bergpredigt leben, diese Botschaft aktuell glaubwürdig werden lassen, Zeugnis geben sollten, damit solche Suchenden nicht enttäuscht werden und sich wieder abwenden. „Krieg ist immer etwas Furchtbares und bringt Furchtbares mit sich – aber nicht das war das eigentlich Schreckliche und Erschreckende, was durch die Notwendigkeit des Krieges gefordert war, sondern das, wessen der Mensch fähig ist ohne alle Notwendigkeit! Was der Mensch dem Menschen antut über alle Notwendigkeit, ja Zweckmäßigkeit hinaus in sinnloser Grausamkeit, in Freude am Schmerz des anderen, in rücksichtsloser Selbstsucht und Brutalität oder was oft noch schlimmer sein kann: in kalter, unberührbarer Gleichgültigkeit! Und wir haben mit Schrecken erfahren, was der Mensch aus dem Menschen machen kann und was aus einem Volk gemacht werden kann durch Zwang und Verlockung mannigfacher Art. Und wir alle sind mit davon betroffen, sind daran beteiligt, sind mit daran Schuld.“ Predigt Kallers Pfingsten 1945. AEM. Verzeichnis der Quellen Kallers, Stand 2012, Nr. 960. Parallelen zu Joseph Wittigs Heimatverständnis, das dieser in einem Beitrag 1947 entwickelte, sind nicht zu übersehen. Vgl. BENDEL, Aufbruch aus dem Glauben? S. 512-515.

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und denkt dabei wohl vor allem an die pfingstliche Gemeinde und die Gemeinden der frühen Kirche. Diese Gemeindeatmosphäre ist es in seinen Augen, die Heimat spendet.50 Nicht zuletzt: Die Kirche wird zur Heimat, weil sie in den Zeiten der Irrungen die Wahrheit gehütet hat. Sie hat Orientierung gegeben, wo alle Gewichte und Maßstäbe gefälscht waren.51 Die Kirche wird als eine Gegenwelt, als ein Korrektiv zum Nationalsozialismus gezeichnet. Wahrheit gegen Irrtum, Liebe gegen die Atmosphäre der Gehässigkeiten und der Verhetzung, auch wenn es Missfälligkeiten und Lieblosigkeiten auch innerhalb der Kirche gab.52 Kirche erscheint als Gegenwelt, als heilige Heimat, nicht zuletzt der Caritas wegen, die grenzen- und unterschiedslos ist und auch den Menschen aus den anderen Ländern Europas, die während des Krieges als Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt waren, als Heimat diente. Sie waren draußen ausgesetzt der Missachtung und auch der Misshandlung, in den Gemeinden aber seien sie wie Geschwister aufgenommen worden. Dort hatten sie ein Heimrecht, dort hatten sie Würde und Ehre. Kirche und Gemeinde sind den Menschen als Heimat geblieben, ja neu geschenkt worden. So sollten sie zu einem Ort der Erneuerung, des inneren Aufbaus, des neuen Lebens im Volk werden. Alle sollen hier Heimat finden und nicht nur Gäste und Fremdlinge sein, auch die, die nur für kurze Zeit in der Gemeinde sind, die auf der Wanderschaft sind. Solange sie in der Gemeinde sind, haben sie Heimatrecht und sollten sich dort zu Hause fühlen.

Kaller als Mitorganisator der außerordentlichen Vertriebenenseelsorge Speziell als Organisator erwies sich Kaller in der Verteilung der Flüchtlingshilfe aus dem Vatikan und nicht zuletzt in der Sorge um die vertriebenen Priester und den

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Dazu Rainer BENDEL, Heimat in der Religion schafft Identität in der Fremde? In: Sudetenland 50 (2008), S. 386-399. „Wir haben keine politischen Predigten gehalten, wir haben nicht zu den immer neuen Einzelheiten und Tagesfragen Stellung genommen, wir haben es auch gewagt, an all den Vorwürfen und Verleumdungen gegen Glauben und Kirche stillschweigend vorbeizugehen und sie zu überhören. Wir hatten das Vertrauen: Wenn wir nur das Licht in unsere Tage und in unsere Welt deutlich hineinleuchten lassen, werdet Ihr selbst unterscheiden, was weiß und schwarz ist; wenn wir Euch die rechten Gewichte und Maßstäbe mitgeben ins Leben, werdet Ihr selbst messen und wiegen und unterscheiden, was groß und klein, was richtig und unrichtig ist. Wir wollten Euch nicht unsere menschliche Meinung geben, sondern Mund der Kirche Christi sein.“ Kirchweihpredigt 1945 unter dem Motto „Wohl dem, der jetzt noch Heimat hat“. AEM. Verzeichnis der Quellen Kallers, Stand 2012, Nr. 975. „Sie (e. A. die Kirche) ist uns Heimat gewesen dadurch, dass wir uns in ihr vor Gottes Angesicht versammeln konnten als sein Volk vor dem Angesicht des großen und heiligen und gütigen Vaters, als seine Söhne und Töchter, in Gemeinschaft mit Christus als unseren großen Bruder. Wie tat es uns gut, dass wir hier einmal wegschauen konnten von den Bildern des Grauens und Entsetzens, einmal wegdenken konnten von unseren Sorgen und Ängsten und hineinschauen in ein großes und reines Licht, in Gottes Größe und Schönheit und Herrlichkeit…“ Ebd.

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Abschnitt II

Priesternachwuchs in Königstein. In einem Schreiben an Pius XII. vom 21. Juni 1946 wies er Rom auf die Notwendigkeit materieller Unterstützung hin. Die Caritas müsse gestärkt werden gerade angesichts der Unterstützung, die der Flüchtlingsausschuss des Weltkirchenrates am 15. Juni 1946 gefordert hatte. Kaller zitierte das Verlangen des Weltkirchenrates, die zehn Millionen heimatlos gewordenen Deutschen zu unterstützen, weil sich sonst die Gefahr eines sozialen Zusammenbruchs in Mitteleuropa im hohen Maß verschärfe.53 Die katholische Kirche müsse den Vorsprung des evangelischen Hilfswerkes auszugleichen, ja womöglich zu überflügeln versuchen. Kaller hielt es für das Wichtigste, dass in Rom eine Zentralstelle für die katholische Deutschlandhilfe geschaffen werde, weil allein der Vatikan das Ansehen habe, Verhandlungen mit Regierungsstellen zu führen und Wege und Möglichkeiten auszuloten für Hilfssendungen. Allein der Vatikan habe die Möglichkeit, die Weltöffentlichkeit über die Not der deutschen Katholiken aufzuklären. Durch die römische Zentralstelle sollten Länderhilfskomitees geschaffen werden. Die Caritas reiche organisatorisch nicht aus54, um die außergewöhnlichen Notstände wie Flüchtlingshilfe und die Betreuung der Opfer des Faschismus zu schultern. In engster Verbindung mit dem Caritasverband sollte nach Kallers Vorstellungen eine Zentralstelle geschaffen werden, die den Belangen der Verfolgten des Nationalsozialismus und der Ostflüchtlinge im Inland gerecht werden könnte. Als zweites großes Aufgabengebiet skizzierte Kaller das Siedlungs- und Auswanderungsproblem.55 Diese Vorschläge Kallers wurden nicht eins zu eins umgesetzt, wohl aber wurde Kaller als päpstlicher Sonderbeauftragter für die Ostflüchtlinge mit der Verteilung der Sendungen aus dem Vatikan betraut, daneben freilich auch Prälat Büttner vom RKA. Die Zuständigkeiten wurden letztlich nicht eindeutig geklärt. Dieses ‚Schicksal‘ trifft man wieder bei der Initiative in Königstein: Büttner, Kaller und Kindermann stehen

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Kaller an Pius XII. am 21. Juni 1946. AEM. Verzeichnis der Quellen Kallers, Stand 2012, Nr. 1108. „Die Erfahrungen aus der bisherigen katholischen Hilfswerkstätigkeit in Deutschland haben gezeigt, dass die materielle Rückständigkeit unserer Hilfsorganisationen nicht zuletzt daher rührt, dass wir in dem in vier Besatzungszonen aufgeteilten Deutschland, dessen regionale Grenzen nur mit alliierten Interzonenpässen überschritten werden können, keine überzonale und überdiözesane katholische Hilfswerkszentrale besitzen, die die notwendigen Hilfsmaßnahmen zentral lenken und planen könnte. Wohl ist der deutsche Caritasverband eine Einheit, aber jede einzelne Diözese ist in sich auch in caritativer Hinsicht selbständig und macht Versuche, Hilfe aus dem Ausland zu erhalten, so dass eine einheitliche, straffe Durchführung und Verteilung von Mitteln nicht gewährleistet ist. Das Ausland weiß bei den vielen Verhandlungsstellen der Caritas nicht, wer bei uns eigentlich zentral zuständig ist.“ Ebd. Es begegnet die bekannte Argumentation, dass Rumpfdeutschland nicht ausreichend Platz habe für die Bevölkerung, die in etwa auf dem Vorkriegsstand bestehen blieb und dass vor allem die bäuerlich geprägte Bevölkerung der Ostflüchtlinge kein Land zu Ansiedlungszwecken finden könne.

Die Vertriebenenbischöfe

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für den Anfang. Spannungen mit sehr eigenwilligen, auch verletzlichen Menschen waren vorprogrammiert. Die Spannungen zwischen Büttner und Kindermann führten schließlich zum Rückzug Büttners aus den Königsteiner Initiativen. Die Schwierigkeiten zwischen Kaller und Büttner wurden mehrfach in der Umgebung Kallers festgehalten. Er selbst hat sich wohl nicht explizit dazu geäußert, sondern versuchte in zahlreichen Anläufen Büttner entgegenzukommen und ihn positiv zu motivieren, doch auf entsprechende Kompromissvorschläge und Regelungen einzugehen. Der Papst hatte sich entschieden, Kaller die Sonderaufgabe an den Vertriebenen zumindest für eine erste Zeit zu übertragen und ihn nicht– auch das ein Vorschlag Kallers an den Heiligen Vater – mit der Mission unter den deutschen Kriegsgefangenen in Frankreich zu betrauen. „Es handelt sich um die Betreuung der katholischen Ostflüchtlinge. Nicht als ob eine quer über die deutschen Diözesen sich erstreckende Sonderseelsorge mit eigener Jurisdiktion für sie geschaffen werden sollte. Sie werden vielmehr am Ort ihrer Unterkunft von der zuständigen Pfarrei und Diözese von selbst erfasst werden und wir hören zu unserem großen Trost, dass sich die Bischöfe und Priester der Auffangdiözesen alle erdenkliche Mühe geben, um ihrer Aufgabe an den neu hinzugekommenen Gläubigen gerecht zu werden. Indes ist ein Sonderamt, das zwischen den Ostflüchtlingen und den Ordinarien der Auffanggebiete vermittelt, doch wohl notwendig wenigstens für die erste Zeit. Der Gegenstand der Obsorge dieses Sonderamtes wäre vor allem der aus den verlassenen Ostgebieten nach dem deutschen Westen und Süden kommende Klerus, seine Erfassung und seine Verteilung in die Auffangdiözesen, sodann die Sorge für die unter den Ostflüchtlingen sich findenden Priesterberufe, falls sie nicht ohne weiteres in die kirchlichen Priesterbildungsanstalten der Auffangdiözesen aufgenommen werden; endlich wird – besonders in den Fällen, wo katholische Ostflüchtlinge am Ort Unterkunft finden, an denen bis dahin weder eine katholische Kirche noch ein Priester waren, eine Reihe von seelsorglichen und caritativen Fragen auftauchen, die eine besondere Vermittlung zwischen den Angekommenen und dem Ordinarius loci wünschenswert, wenn nicht notwendig machen.“56 Der Papst unterstrich, dass er dieses Sonderamt Kaller anvertrauen wolle, weil er Klerus und Gläubige des katholischen deutschen Ostens von seiner schlesischen Heimat, von der jahrzehntelangen Tätigkeit in Berlin, in Schneidemühl und in der Diözese Ermland her kenne und weil sein erprobter Eifer in Seelsorgefragen, seine guten Beziehungen zu den anderen deutschen Oberhirten ihn dafür besonders geeignet erscheinen lassen. Der Papst betonte, dass die Kirchliche Hilfsstelle unter der Leitung von Albert Büttner der Oberleitung des Päpstlichen Beauftragten unterstehe. Das Aufgabenfeld dieses Sonderamtes umschrieb und begründete Kaller in einem Brief an den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, den Erzbischof von

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Pius XII. an Kaller am 24. Juni 1946. Päpstliche Ernennungsurkunde zum Sonderbeauftragten für die Flüchtlinge in Deutschland. AEM. Verzeichnis der Quellen Kallers, Stand 2012, Nr. 1114.

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Abschnitt II

Köln, Josef Kardinal Frings, vom 4. August 1946, der diktiert ist von der Sorge, dass das Thema Vertriebene und Flüchtlinge auf der Bischofskonferenz zu wenig Raum finden könnte.57 Kaller schilderte die Lage, trug die statistischen Angaben vor, umriss die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Eingliederung in Landwirtschaft, in Industrie und Handel und machte Vorschläge zur Überwindung der Not. Vor allem für den Bereich Seelsorge referierte er die Vorschläge, die auf der Pfingsttagung für katholische Flüchtlingsseelsorge unter der Leitung der Katholischen Osthilfe in Lippstadt 1946 stattgefunden hatte. Die dortigen Forderungen richteten sich auf die Förderung des Priesternachwuchses und der begabten höheren Schüler – es wurde von einem Theologenkonvikt in Frankfurt gesprochen.58 Die Schaffung einer zentralen katholischen Hilfsstelle in Rom wurde thematisiert, soziale Aufgaben wurden skizziert, zu deren vordringlichen die Stadtsiedlung, der Wohnungsbau, die landwirtschaftliche Siedlung und die Auslandssiedlung gehörten. Die Frage nach dem Lastenausgleich in den Bereichen, die den Grundbesitz übersteigen, wurde in diesem Kontext nicht aufgeworfen. Erst im Juli 1946 hatte Kaller Halle verlassen. Er hielt sich ab Ende September, Anfang Oktober in Frankfurt/M. auf, dem Sitz der Kirchlichen Hilfsstelle für die Vertriebenen, deren Geschäftsführung Prälat Büttner innehatte und die er durch seinen päpstlichen Sonderauftrag zu leiten hatte. Freilich betrachtete er die Frankfurter Wohnung nur als eine Übergangswohnung, weil er seinen Amtssitz in Königstein aufschlagen wollte, wo Kindermann im Sommer 1946 begonnen hatte, einen zentralen Sitz für die Vertriebenenbetreuung, speziell für die Betreuung vertriebener Priester zu erwerben. Kaller forderte in seinem Schreiben an die Bischofskonferenz eine klare Struktur, einen einheitlichen Aufbau der Diözesanhilfsstellen, die Zusammenfassung der Initiativen und Strukturen der Vertriebenenseelsorge unter einem Bischof als Referenten der Bischofskonferenz, also einen Bischof an der Spitze der deutschen Zentralstelle zur Durchführung der caritativen und sozialen Aufgaben und zur Vertretung in Rom und im Ausland. Er trug grundsätzliche Gedanken vor, wie die Notlage zu verändern sei.59 Die Wendung der Not dürfe nicht allein einer Organisation wie der Caritas übertragen und auf diese abgeschoben werden. Sie müsse von jedem persönlich mitgetragen werden.

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Kaller an Frings am 4. August 1946. AEM. Verzeichnis der Quellen Kallers, Stand 2012, Nr. 1150. Vgl. ebd. „Die Lösung des Flüchtlingsproblems ist die vordringlichste und schwierigste Aufgabe der Kirche in Deutschland, zugleich auch ihre große Chance. Nach der Prüfung des Glaubens in der nationalistischen Zeit steht vor uns die schwere Forderung der Bewährung der christlichen Liebe und wahrhaft katholischen Haltung. Das durch die Not erzwungene Zusammenleben der Einheimischen und der Fremden muss eine christliche Begegnung der Liebe werden, soll den einen Heimat geschenkt, den anderen diese erhalten werden. Mitten in dieser Begegnung steht das Kreuz, an dem beide Teile mittragen müssen.“ Ebd.

Die Vertriebenenbischöfe

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An erster Stelle müsse die praktische Abhilfe der Not, d.h. vor der Konzeption müsse die caritative Fürsorge stehen. Kaller unterstrich, dass in allen deutschen Diözesen manches zur Linderung der äußeren Not getan worden sei. Diözesane und überpfarrliche Hilfsstellen waren entstanden – meist im Rahmen des Caritasverbandes, daneben die Heimatlosenfürsorge in Hamburg, die Kirchliche Hilfsstelle in Frankfurt und München. Aber all diese Organisationen hätten nur Notverbände auf die klaffenden Wunden legen können. „Sie stehen nun in einer Krise, da sie auf sich gestellt die wachsenden Probleme nicht bewältigen können. Weder die unbedingt notwendigen seelsorglichen und caritativen Maßnahmen zu Behebungen und Milderungen der gegenwärtigen Not, noch die gewaltigen sozialen Aufgaben können durchgeführt und gelöst werden mit den bisherigen Hilfsstellen und Hilfsmitteln.“60 Bei der Formulierung der Vorschläge konkreter Maßnahmen zur Nothilfe stützte Kaller sich weitgehend auf die Flüchtlingsseelsorgertagung an Pfingsten 1946 in Lippstadt. Dort wurden Perspektiven entwickelt, um die Not auf weitere Sicht hin zu beheben. All diese Forderungen trug Kaller in seinem Schreiben ein. Es ist nicht ersichtlich, dass er eigene Überlegungen hinzufügte. In erster Linie führte die Orientierung am Vorbild und am Konkurrenten Evangelisches Hilfswerk die Feder. Dass sich Kaller vor allem als Interessenvertreter und weniger als eine konzeptionelle Figur sah, kann man auch dem Schreiben an Pius XII. vom 11. November 1946 entnehmen, wo er quasi als Antwort auf seine Ernennung zum Sonderbeauftragten die Aufgaben seines Amtes inhaltlich konkretisierte. Konzeptionell fällt die Formulierung der Grundoption der religiösen Betreuung der Vertriebenen auf: Es sei notwendig, eine persönliche Fühlungnahme mit den Flüchtlingen herzustellen. Der Individualseelsorge kommt in den Augen des Bischofs ein hoher Stellenwert zu.61 Mit den Aufgaben allgemein sozialer Natur, die sein Auftrag auch mit sich bringe, die mit den Flüchtlingsproblemen im engsten Zusammenhang stünden, formulierte er die Forderung eines Lastenausgleiches. Er unterstrich, dass es nicht im Sinne seines Amtes liege, die Tätigkeit sozialer Stellen ganz oder teilweise zu übernehmen, wohl aber müsse er anregen und akzentuieren, gewisse Probleme in das Blickfeld des Interesses ziehen. Die Charakterisierung des Flüchtlingsbischofs, die der Vorsitzende der Fuldaer Bischofskonferenz in seinen Redenotizen für die Begrüßung der Bischofskonferenz 1947 in Fulda vorbereitet hatte, kann quasi als Fazit und Würdigung dienen. Frings skizzierte dort, dass Kaller es verstanden habe, etwas aus dem Sonderauftrag des Hl. Vaters zu machen. Er bezeichnete ihn als den „Vater aller Flüchtlinge“ und unterstrich als Spezifikum den unermüdlichen Seeleneifer Kallers. Seine Prognose: Kaller

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Ebd. Zentrale Intention dieser Seelsorge ist die Formung einer bestimmten Haltung: die Vertriebenen sollen zu einem einfachen christlichen Leben hingeführt werden. Das franziskanische Ideal der Armut soll einen wichtigen Beitrag leisten zur Erneuerung des Geistes und des tätigen Glaubenslebens.

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Abschnitt II

„wird neben Kardinal von Galen als Zierde des deutschen Episkopats genannt werden.“62

1.3.

Das Amt des Flüchtlingsbischofs

Das Amt des Flüchtlingsbischofs war nie eindeutig umschrieben, auch nicht als Maximilian Kaller mit dem römischen Ernennungsschreiben vom 24. Juni 1946, das erst Anfang August 1946 in die Hand des ermländischen Bischofs gelangte, mit den Aufgaben eines Flüchtlingsbischofs betraut worden war. Denn die ausgewiesenen Kleriker waren zunächst dem Ordinarius der aufnehmenden Diözese unterstellt. Der Beauftragte für die Flüchtlingsseelsorger war befugt, gemäß Kanon 144 des CIC, Priester zurückzurufen und an den Orten seiner Wahl einzusetzen. Hier gab es also konkurrierende Zuständigkeiten. Genau dieses Versetzungsrecht des Vertriebenenbischofs wäre der zentrale Schlüssel für eine angemessene Verteilung des Vertriebenenklerus entsprechend den regional anstehenden Aufgaben gewesen. Diese Verteilung aber musste nicht nur am Unwillen vieler Geistlicher, sondern auch an der mangelnden Bereitschaft der Bischöfe, Kleriker für die Diaspora im Norden Deutschlands und vor allem im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands zur Verfügung stellen, scheitern. Die römische Kreation des Amtes des Flüchtlingsbischofs war eine schnelle Reaktion auf die Erfordernisse der Situation mit deutlichen Geburtsfehlern. Einer davon war die nicht näher beschriebene Oberleitung über die Kirchliche Hilfsstelle und der andere die konkurrierende Zuständigkeit bei der Verteilung des Vertriebenenklerus. Auch die spezielle Sorge um ostdeutsche Priesterberufe wurde dahingehend eingeschränkt, als sie sich vor allem auf die bezog, die nicht in die Priesterseminare der Auffangdiözesen aufgenommen wurden. Man hatte also das Ortsprinzip, das Prinzip der Zuständigkeit des Diözesanbischofs letztlich nicht durchbrechen wollen und damit den Vertriebenenbischof in seinen Möglichkeiten so beschnitten, dass er auf das Entgegenkommen und die wohlwollende Unterstützung seiner Mitbrüder im Bischofsamte auf Gedeih und Verderb angewiesen war. Hinzu kamen die unmittelbaren Seelsorgetätigkeiten des Vertriebenenbischofs, vor allem bei Wallfahrten und Sondergottesdiensten der Heimatvertriebenen und die Aufgabe, Referent der entsprechenden Anliegen der Vertriebenen im Kreise der Bischofskonferenz zu sein.63

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Akten deutscher Bischöfe 1945 – 1947, S. 1255, Anmerkung 8. Zur Aufgabenumschreibung vgl. im Anhang (Nr. 3) die sieben Punkte, die Gustav Braun in den fünfziger Jahren zusammengestellt hat; dort ebenfalls als Nr. 4 der zweiseitige Tätigkeitsbericht für 1964 (zur Dienststelle!).

Die Vertriebenenbischöfe

2.

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Ferdinand Dirichs (1948)

Im Conveniat der westdeutschen Bischöfe vom 3. bis 5. Februar 1948 wurde die Nachfolge von Bischof Kaller als Vertriebenenbischof beraten. Die westdeutschen Bischöfe formulierten die Bitte an den Papst, dem frisch ernannten Bischof von Limburg, Ferdinand Dirichs, jene jurisdiktionellen Rechte über die heimatverwiesenen Priester zu übertragen, die im Schreiben des Vorsitzenden vom 14. Mai 1947 Bischof Kaller zugedacht waren. Gleichzeitig sollte der Limburger Bischof Referent der Fuldaer Bischofskonferenz für die Seelsorge und Betreuung der Ostverwiesenen sein. Das Protektorat über die Flüchtlingsseelsorge übernehme der Vorsitzende der Konferenz. Dort wurde auch der Vorschlag zu Papier gebracht, dem Bischof von Limburg einen Beirat zur Seite zu stellen – also den späteren katholischen Flüchtlingsrat, dem vor allem die derzeitigen und ehemaligen Ordinarien der Ostdiözesen angehören sollten. „Seine Erweiterung durch die Berufung anderer geeigneter Mitglieder bleibt dem Bischof von Limburg überlassen.“64 Der Bischof von Limburg wurde bereits mit einer ganz konkreten Aufgabe betraut, nämlich die Auseinandersetzung zwischen der Kirchlichen Hilfsstelle und dem Opus Confraternitatis beizulegen. Die Option lautete, das Opus Confraternitatis bei der Kirchlichen Hilfsstelle zu belassen. Der Limburger Bischof sollte auch auf eine möglichst klare Scheidung der Kompetenzen der Kirchlichen Hilfsstelle und Königsteins drängen. Schließlich war auch die Universitätsfrage in Frankfurt in diesem Referat angesiedelt, war von ihr doch abhängig, ob in Königstein ein Theologiestudium eingerichtet werden sollte und konnte oder nicht. Anfang Februar war jedenfalls eine Lösung der bestehenden Schwierigkeiten, in Frankfurt eine theologische Fakultät zu errichten, noch nicht gefunden.65 Mit Dirichs wurde ein Diözesanbischof mit dem Amt betraut, in dessen Diözese zeitgleich ein wichtiges Zentrum für die Ausbildung der vertriebenen Priester entstand. Viele sahen eine deutliche Chance auch darin, dass ein Einheimischer diese Aufgabe übertragen bekommen hatte. Dirichs versuchte von Anfang an, die unterschiedlichen Organisationen, die in der Betreuung der Vertriebenen tätig waren an einen Tisch zu bringen, um die Arbeit stärker als bisher koordinieren zu können. Diesem Ziel dienten die drei Sitzungen der „Arbeitsgemeinschaft für katholische Flüchtlingshilfe“ im Jahre 1948 und in der Folge der dort vorbereitete und für den 23. August 1948 erstmals einberufene Katholische Flüchtlingsrat.66

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Das Protokoll des Conveniats der westdeutschen Bischöfe vom 3.-5. Februar 1948 in Akten deutscher Bischöfe 1948 – 1949, S. 97-102, Punkt 1: Seelsorge und Betreuung der Ostverwiesenen, S. 97f., Dokument Nr. 16. Akten deutscher Bischöfe 1948 – 1949, S. 98. Vgl. die Protokolle in KZG, Bestand Königstein 3074.

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Abschnitt II

Ferdinand Dirichs setzte sich in dem einen Jahr seines Wirkens – er verunglückte am 27. Dezember 1948 bei einem Autounfall tödlich – intensiv für die Aufgaben der Vertriebenenseelsorge und für die Ausbildungsstätte Königstein ein: Am 16. Dezember 1947 besuchte er das Albertus-Magnus-Kolleg in Königstein, an der Besprechung der katholischen Flüchtlingshilfe in Limburg am 31. März 1948 nahm er teil, am 6. Juni an der Wallfahrt der Heimatvertriebenen nach Marienthal, ebenso am 14. Juli an der Konferenz der heimatvertriebenen Seelsorger in Limburg, am 18. und 19. Oktober an der Konferenz der Seelsorger der Heimatvertriebenen, am 31. Oktober an der Bekenntnisfeier der heimatvertriebenen Jugend in Wetzlar und schließlich am 7. Dezember an der Tagung des Katholischen Flüchtlingsrates des Beratungsgremiums aus Laien in Köln.67 Dirichs war als Vertriebenenbischof von den Betroffenen, also von den Heimatvertriebenen und auch vom Vertriebenenklerus, begrüßt worden. Er war als charismatischer, aufgeschlossener Seelsorgebischof willkommen und beliebt. Er konnte auf die Menschen zugehen, nahm sie in ihren Notlagen ernst und versuchte, wo immer er konnte, zu helfen. Wie Kaller bekam auch Dirichs sehr viele Schreiben von Vertriebenen. Ihm wurden viele Bitten vorgetragen. Naturgemäß konnte er nur einen Teil davon erfüllen. Dirichs war ein Kümmerer, darin sehr verwandt mit Kaller. Das unterstreicht auch das ihm gewidmete Gedenkbuch. Bekanntschaft, ja gar Freundschaft, verband ihn mit Albert Büttner. Daher unterstützte er auch die Pläne Büttners in Bezug auf eine eigene Ausbildungsstätte für den Ostvertriebenenklerus und war Königstein wohlwollend zugewandt. Das betonte Büttner in einem Gedenkwort für Dirichs im Hessischen Rundfunk: „Zu aller ihn bedrückenden Sorge glaubte der Heilige Vater, ihm auch die Last des Flüchtlingsbischofs aufbürden zu dürfen. Es ist unmöglich, im Einzelnen darüber zu berichten, was er an Liebe und Hilfe gab, an Sorge und Not dafür nahm. Er kümmerte sich um das Albertus-Magnus-Kolleg in Königstein mit tiefem Verständnis für diese junge Gründung zur Heranbildung priesterlicher Jugend aus den Heimatvertriebenen für ihre Landsleute; er aktivierte die Tätigkeit der Laien und Organisationen. Lebendiger Glaube, Mut und Verantwortung, ins Leben zu wirken, standen an der Wiege seines jüngsten Werkes, des St. Georgswerkes, um armen Heimatlosen und Ausgebombten zu Heim und Geborgenheit zu verhelfen. Er war ein Freund der Armen, nicht nur in menschenfreundlichen Gefühlen und Gebeten, sondern auch in der schlichten Tat, wenn er telefonierte, um eine Wohnung oder dass eine Frau ihre Christbäume verkaufen dürfe.“68 Das Amtsjahr Dirichs als Vertriebenenbischof war zum einen geprägt, vom Bemühen, seinen Freund Büttner in die Arbeit der Vertriebenenseelsorge, soweit sie über die Kirchliche Hilfsstelle in Frankfurt und die Zweigstelle in München lief, eingebunden zu lassen, obwohl dieser aus Enttäuschung und Verärgerung den Aufgabenbereich Vertriebenenbetreuung aufgeben und eine Pfarrei übernehmen wollte. Mit 67 68

Vgl. den Terminkalender von Bischof Dirichs in Karl JANISCH (Hg.), Ferdinand Dirichs. Bischof von Limburg. Frankfurt/M., 1963, S. 89-92. Albert BÜTTNER, Ein Gedenkwort im Rundfunk, in: JANISCH, Dirichs, S. 83-87, Zitat S. 85.

Die Vertriebenenbischöfe

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Schreiben vom 28. August 1948 bat Büttner seinen Bischof, ihm die Pfarrei Breitenau zu übertragen.69 Die Aufgaben des Vertriebenenbischofs erstreckten sich vor allem auf die seelsorgerliche Betreuung der Priester, auch auf die Rechtsaufsicht, auf die Leitung von und Teilnahme an Wallfahrten und Sondergottesdiensten, auf die Zusammenarbeit mit dem Beratungsorgan Katholischer Flüchtlingsrat und vorrangig auf die Aufgabe, Referent für diesen Sachbereich für die Deutsche Bischofskonferenz zu sein. Die Aufgaben der Referenten der entsprechenden Bereiche hatte die Bischofskonferenz 1948 in Richtlinien festgelegt.70 Darin hieß es, dass die Referenten der Fuldaer Bischofskonferenz die Aufgabe haben, das betreffende Sachgebiet laufend zu verfolgen und der Konferenz darüber Bericht zu erstatten und entsprechende Vorschläge zu unterbreiten. Im Einvernehmen mit dem Vorsitzenden konnte ein Referent einen Mitarbeiterstab bilden und auch Räte einberufen. In den Richtlinien heißt es, die Interessenten des Sachgebietes seien das eine oder andere Mal im Jahr zu versammeln. In einem besonderen Auftrag der Konferenz bereiteten die Referenten der jeweiligen Sachgebiete größere Arbeiten vor – immer in ständiger Fühlung mit dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz. Nicht berechtigt war ein Referent namens der Bischofskonferenz öffentliche Erklärungen abzugeben, Eingaben an kirchliche oder staatliche Behörden zu machen oder gar Rechtsgeschäfte zu tätigen. Wie zentral Dirichs seine Aufgabe als Seelsorger, Betreuer und Motivator der Priester nahm, zeigt sich in zwei Schreiben an die Geistlichen bzw. an angehende Priester, die ganz im Geiste Kallers getragen waren von dem Appell, sich dem Ruf in

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Büttner an Dirichs am 28. August 1948 in: Akten deutscher Bischöfe 1948 – 1949, S. 313-315, Dokument Nr. 99. Dirichs schrieb dort: „Schon nach der vorjährigen Bischofskonferenz war mir klar, dass der damalige Beschluss, das Arbeitsgebiet der Kirchlichen Hilfsstelle in mehrere Teile zu zerteilen, ohne das Restgebilde, das ich jetzt verwalte, in einen größere Einheit hineinzustellen, zu unüberwindlichen Schwierigkeiten führen wird. Die Loslösung von Königstein und die Abtrennung des Priesterreferates waren vorgesehen und auch besprochen auf der Konferenz der Westdeutschen Bischöfe im Mai 1947, aber unter anderen Bedingungen. Damals lebte Bischof Kaller noch und die Kirchliche Hilfsstelle sollte mit dem Rafaelverein vereinigt werden. Es wurden dann in Fulda 1947 die Konsequenzen gezogen, ohne dass die Voraussetzungen erfüllt wurden.“ (Zitat S. 313f.) Daraufhin habe Büttner Berning gebeten, sein Amt zur Verfügung stellen zu dürfen, weil die Kirchliche Hilfsstelle ihres ursprünglichen Arbeitsgebietes beraubt und damit in ihrer Wirkungsmöglichkeit allzu sehr eingeschränkt worden sei. Berning wiegelte ab mit dem Hinweis auf die Vorläufigkeit der Beschlüsse. Nach Dirichs Wahl zum Bischof von Limburg hatte Büttner die Aussicht bekommen, Referent für die Flüchtlingsangelegenheiten beim Vertriebenenbischof, also bei Dirichs, zu werden. „Nach einem Jahr hat sich alles anders entwickelt und zwar in der Richtung, dass die Auflösung und der Zerfall meines Arbeitsgebietes in die verschiedensten Teile fortgeschritten sind. Ich habe in der ganzen Zeit den Standpunkt vertreten, dass ich mich nicht um die Aufgabe bemühen darf, sondern auf den Auftrag meiner kirchlichen Vorgesetzten warten muss. Wenn ich nun heute um die Pfarrei Breitenau bitte, so deshalb, weil ich spüre, dass ich nicht mehr mit der Hingabe und Aufopferung auf meinem jetzigen Posten schaffen werde, wie es eigentlich sein müsste und auch deshalb, weil ich nicht mehr die Möglichkeit einer wirklichen fruchtbaren Arbeit vor mir sehe.“ (Zitat S. 314). Akten deutscher Bischöfe 1948 – 1949, S. 313, Dokument 98.

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Abschnitt II

die Diaspora nicht zu verweigern, dort Seelsorger zu sein, wo die Not am größten war. Ganz unkompliziert sprach der Vertriebenenbischof die künftigen Diasporaseelsorger als Freund an und rief sie „dorthin, wo täglich viele katholische Christen zerbrechen an Leib und Seele, weil sie keinen Priester haben, der ihnen die Frohe Botschaft verkündet, der ihnen das Brot des Lebens reicht, der den Schwachen, Kranken und Sterbenden Trost und Kraft vom Kreuze her bringt. Für jede Seele dieser aus ihrer Heimat verbannten Menschen, die verloren geht, wird Gott einmal Rechenschaft fordern.“71 In ähnlichem Ton schrieb er am 8. Dezember 1948 an die Priesteramtskandidaten und wies sie auf die große Seelsorgenot in der Diaspora hin, bereitete sie darauf vor, einmal offen zu sein, eine Aufgabe in diesen Notgebieten zu übernehmen. Er forderte sie auf, sich entsprechend vorzubereiten und Ostern 1949 in das Priesterseminar in Königstein im Taunus überzusiedeln.72 Dirichs beschrieb in seinem Brief an die Priesteramtskandidaten auch seine Aufgaben als Vertriebenenbischof in den zurückliegenden Wochen und Monaten. Er betonte seine echte und ehrliche Sorge um die Ostvertriebenen, die er in den Diasporagebieten seiner eigenen Diözese bei der Firmspendung zum Ausdruck brachte, wo er aber auch die Sorgen und Nöte kennen lernte: „In den überfüllten evangelischen Kirchen begrüßten die treuen Katholiken aus dem Sudetenland ihren Bischof. Große Freude war überall bei den Seelsorgern, die sich hier mit aller Liebe und allem Eifer bemühen und bei den Gläubigen, die in den fremden Verhältnissen heimisch zu werden versuchen und die doch die Sehnsucht nach der Heimat nicht in ihrem Herzen auslöschen können. Da wurde mir oft gesagt, Herr Bischof, senden Sie uns noch einen Seelsorger. Wir müssen zu weite Wege gehen. Ich aber konnte diesen Wunsch nicht erfüllen, da ich keine Priester mehr zur Verfügung habe. Größere Not aber als in der

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Akten deutscher Bischöfe 1948 – 1949, S. 313, Dokument 115, Schreiben Dirichs vom 1. November 1948 an zukünftige Diasporaseelsorger, S. 343-345. „Diesen Brief schreibt Ihnen ein Bischof, den Sie wohl noch nie sahen. Und doch stehen Sie dem Herzen dieses Bischofs nahe, wie ein Sohn dem Vater nahe steht. Bischof Maximilian Kaller, den Papst Pius XII. zu seinem Sonderbeauftragten für die heimatvertriebenen Deutschen bestellt hatte, ist tot. Er hat uns allen ein Beispiel gegeben. Er war der „Gute Hirte“ seiner verstreuten Herde … Auch sie durften in ihm ihren Vater sehen. An seiner Stelle hat der Heilige Vater inzwischen mich beauftragt, die heimatvertriebenen Priester (und Priesterkandidaten) in meine Sorge zu nehmen. Gedrängt von der gleichen Liebe, aber auch von ähnlicher Unruhe, wie sie Tag und Nacht den verewigten „Flüchtlingsvater“ verfolgte, komme ich heute, lieber Freund, zu Ihnen.“ (Zitat S. 343f.). Dirichs an Priesteramtskandidaten, Limburg 8. Dezember 1948, Akten Deutscher Bischöfe 1948 – 1949, S. 397-399, Dokument 139. – Der Königsteiner Chronist der Hochschule, damals Rektor Kleineidam, unterstrich die Überraschung, die dieser Brief und dieses deutliche Votum in Königstein hervorgerufen hatten. Zwar stammte ein Entwurf aus dem Lehrkörper Königsteins, nämlich von Dr. Matern, man hatte aber offensichtlich keineswegs mit einer solch deutlichen Unterstützung gerechnet. Sehr aufmerksam wurde in Königstein die Unruhe und die Aufregung, die Dirichs Schreiben bei den Regenten der anderen Seminare hervorgerufen hatte, registriert. Chronik der Hochschule, S. 35.

Die Vertriebenenbischöfe

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Diözese Limburg herrscht in den großen Diasporadiözesen des Nordens und Ostens.“73 Im November hatte er eine Tagung der Flüchtlingsseelsorger der Diözese Hildesheim in Hannover besucht und dort die noch viel größere Not als im Bistum Limburg gespürt. Selbstverständlich berichtete er auch von seinem Treffen mit den Diözesanflüchtlingsseelsorgern in Königstein im Priesterseminar der Flüchtlingstheologen und auch von seiner Sorge um die Einrichtungen in Königstein. „Da hörte ich die Berichte aus dem ganzen Reich von der Not der Flüchtlinge in den weiten Diasporagebieten und in den Flüchtlingslagern. Überall gibt es Arbeit für den Seelsorger, und der Arbeiter im Weinberg des Herrn sind so wenig. Wir sprachen auch von der Gefahr der Verbürgerlichung für unsere Theologiestudenten. Prüfen Sie sich selbst, lieber Freund, ob Ihr Herz Sie hinzieht zu den Landsleuten in der Diaspora, umarmt zu sein mit den Armen und traurig zu sein mit den Traurigen, um aber auch fröhlich zu machen mit der Frohbotschaft des Herrn.“74 Die Diasporanot war also ein ganz zentrales Problem für Dirichs, wie es vordem für Kaller gewesen war und in diesem Kontext ist auch das Engagement Dirichs, in enger Kooperation und Abstimmung mit Büttner bzw. fußend auf den Einschätzungen und Voten Büttners, für Königstein zu sehen. So schrieb Büttner am 28. Januar 1948 an Dirichs, dass die Studenten rein zahlenmäßig in den bestehenden Priesterseminaren Unterkunft finden und mit den hiesigen Theologen zusammen erzogen werden könnten. Er erachtete es aber trotzdem für notwendig, das Diasporaproblem in den Vordergrund zu stellen. Denn werde dieses Problem nicht gelöst, würden Millionen der Kirche verloren gehen und der Proletarisierung anheim fallen. Um das zu vermeiden, brauche es aber entsprechend viele Seelsorger und brauche es die Heranbildung des Priesternachwuchses spezifisch für die Aufgaben der Diaspora. Daher erklärt sich das starke Votum Büttners für die Errichtung eines Diasporaseminars. Diese Argumentation konnte Dirichs für sich so übernehmen. Büttner konnte sich damals noch vorstellen, in Banz ein Diasporaseminar einzurichten und Königstein zu einem Gymnasiastenkonvikt mit guter Schule für etwa 400 bis 450 Gymnasiasten aufzubauen und auszubauen.75 Ähnlich wie Kaller erkannte auch Dirichs schnell die Schwierigkeiten in seinem Aufgabenbereich als Vertriebenenbischof. Er brachte sie jedenfalls am 25. Juli 1948 in einem Brief an den Prälaten Kaas76 in Rom sehr deutlich zum Ausdruck.77 Dieser

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Akten Deutscher Bischöfe 1948 – 1949, S. 397f. Akten Deutscher Bischöfe 1948 – 1949, S. 398. Büttner an Dirichs am 28. Januar 1948 in Akten Deutscher Bischöfe 1948 – 1949, S. 94-96, Dokument 15 Ludwig Kaas (1881 – 1952), Theologe und Zentrumspolitiker. Martin PERSCH, Kaas, Ludwig, in: BBKL, Band 3 (1992), Sp. 907-915. Dirichs an Kaas am 25. Juli 1948 in Akten Deutscher Bischöfe 1948 – 1949, S. 248f., Dokument 77. „Ich erinnere mich mit Freuden an meinen Besuch bei Ihnen und muss Ihnen noch einmal danken für Ihre Anteilnahme an dem Schicksal der Flüchtlinge in unserem Vaterland. Durch den besonderen päpstlichen Auftrag werde ich von vielen Seiten um Hilfe angegangen.

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Abschnitt II

Brief an Kaas zeigt auch, dass der Limburger Bischof mit voller Überzeugung, weil der sachlichen Notwendigkeit geschuldet, hinter Königstein stand, die Probleme eindeutig im finanziellen Sektor sah. Selbstverständlich fungierte Dirichs als Referent für die Vertriebenenseelsorge auf der Fuldaer Bischofskonferenz vom 24. bis 26. August 1948 und berichtete der Konferenz von den großen Schwierigkeiten in der seelsorgerlichen Betreuung der Ostflüchtlinge, eben wegen des großen Priestermangels gerade in der Ostzone.78 Dirichs bat seine Kollegen im Bischofsamt, dass die Osttheologen, die in den verschiedenen Diözesen geweiht wurden, nicht in diesen Diözesen eingesetzt, sondern ihm als päpstlichen Beauftragten zur Verfügung gestellt werden. Auch erstattete er einen ausführlichen Bericht über das St. Albertus-Magnus-Kolleg in Königstein mit der Bitte an seine Amtsbrüder, den Beitrag für 1948 umgehend zu überweisen. Seine Enttäuschungen formulierte Dirichs in einem Brief an den Apostolischen Visitator Muench.79 Er hatte erfahren müssen, dass die Ordinariate und die Ostpriester kein besonderes Ohr hatten für die drängenden Aufgaben in der Diaspora und den dortigen Priestermangel. Sein Wunsch, dem Vertriebenenbischof die Verfügung über die Neupriester aus den Osttheologen zu geben, hatte in Fulda keinen Widerhall gefunden.80 „Zusammenfassend möchte ich sagen, der nächste Schritt wird für mich die Abberufung einer größeren Zahl Ostpriester aus ihren jeweiligen Stellungen in Bayern ohne vorherige Befragung sein. Anschließend werde ich die Neupriester aus den Osttheologen abberufen, soweit es notwendig erscheint, bis einmal die Theologen des Königsteiner Seminars zum Priestertum gelangen und dann restlos und selbstverständlich in die Diaspora der West- und Ostzone gesandt werden können.“81

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Fast unmöglich ist es, der Seelsorgsnot der Flüchtlinge abzuhelfen, auch wegen des Verhaltens mancher Ordinarien und vieler Priester im Süden Deutschlands, die den Mut nicht mehr haben, in der Ostzone seelsorgerisch tätig zu sein. Ich muss versuchen, das Seminar Königstein mit aller Liebe zu pflegen, damit dort Priester für die Seelsorge in der Diaspora des deutschen Nordens und Ostens herangebildet werden. Aber gerade die Königsteiner Anstalten machen mir am meisten finanzielle Sorgen. Wir waren jetzt zu einer Konferenz zusammen bei dem Herrn Kardinal von Köln und vor zehn Tagen hatten wir hier in Limburg eine Konferenz der großen katholischen Verbände. Die Lösung haben wir noch nicht gefunden. Wir können nur den Etat zusammenstreichen, müssen aber doch das Ganze erhalten. Ich hoffe, dass die hochwürdigsten Ordinarien Deutschlands auf der Fuldaer Bischofskonferenz die Aufgabe Königsteins richtig erkennen und ihre weitere finanzielle Unterstützung nicht versagen. Jedoch muss ich auch alle anderen Hilfsquellen in Anspruch nehmen.“ (Zitat S. 248f.) Und zu den anderen Hilfsquellen rechnete Dirichs auch die Möglichkeit, dass Rom über die Kirchliche Hilfsstelle und das Konto des Opus Confraternitatis noch eine bestimmte Summe überweisen könne. Protokoll der Fuldaer Bischofskonferenz vom 24. – 26. August 1948, in Akten Deutscher Bischöfe 1948 – 1949, S. 285-299, Dokument 92, Tagesordnung: Vertriebenenseelsorge, S. 294f. Dirichs an Muench am 10. Dezember 1948 3 Seiten masch. KZG Bonn 3074. Ebd., S. 3. Ebd.

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Der Referent des Vertriebenenbischofs Bischof Dirichs als Vertriebenenbischof und Limburger Diözesanbischof war für seine Aufgaben im Vertriebenensektor Gustav Joseph Braun zugeordnet, der seit Juli 1947 Diözesanvertriebenenseelsorger in Limburg war. Braun war Priester des Erzbistums Breslau und dort von 1937 bis 1946 Ordinariatsrat. Geboren am 17. März 1896 in Nakel an der Netze wurde er am 23. April 1922 in Breslau zum Priester geweiht. Auch für Dirichs Nachfolger, den Prälaten Franz Hartz, war Braun von 1949 bis 1953 Referent in Fulda und dann von 1953 bis 57 für den Würzburger Bischof Julius Döpfner. Von Würzburg aus versah er dieses Amt dann auch noch bis 1959 für Heinrich Maria Janssen, den Hildesheimer Bischof als Beauftragten der Fuldaer Bischofskonferenz für die Vertriebenenseelsorge. Seine Hauptaufgabe als Geschäftsstellenleiter des Vertriebenenbischofs lag in der kirchenamtlichen Unterbringung der etwa 2.500 ostdeutschen Priester, in der Versorgung der kirchlichen Angestellten und der Pensionäre. 1951 hat er im Archiv für Katholisches Kirchenrecht eine grundsätzliche Studie über die kirchenrechtliche Lage des heimatvertriebenen Klerus in Deutschland publiziert und damit eine Rechtsgrundlage vorbereitet, die die Existenzgrundlage der Vertriebenenseelsorge, nämlich die Besoldung des heimatvertriebenen Klerus, schuf.82 Nicht nur die Sicherung der Existenz- und Versorgungsgrundlage der vertriebenen Priester, ihre Rechtsstellung in den Aufnahmediözesen und hinsichtlich der Herkunftsdiözesen beschäftigte Braun, sondern auch die ganz konkrete Seelsorge, indem er sich sehr früh dafür einsetzte, möglichst in jeder Diözese einen hauptamtlichen Vertriebenenseelsorger einzusetzen, der für die Heimatlosen zusätzlich zur ordentlichen Pfarrseelsorge Gottesdienste, Wallfahrten und Treffen organisieren sollte und somit auch heimatliches, religiöses Brauchtum sichern und weiterentwickeln half.83 Seit 1948 war Braun zudem Geschäftsführer und Vizepräsident des Katholischen Flüchtlingsrates in Deutschland und seit 1964 Vorsitzender des Presserates der Katholischen Vertriebenenorganisationen, den Braun mitgegründet hatte und der den Informationsdienst West-Ost, IWO, herausgab. Braun lag daran, dem Anliegen der Vertriebenen publikatorisch Stimme und Gehör zu geben.84

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Gustav BRAUN, Zur kirchenrechtlichen Lage des heimatvertriebenen Klerus in Deutschland, in: Archiv für Katholisches Kirchenrecht 1951/52, S. 267-277. Grundsätzliche Überlegungen legte er auch in der Gedenkschrift für Kurt Engelbert vor: Gustav BRAUN, Der ostvertriebene, deutsche Klerus in kirchenrechtlicher Sicht, in: Bernhard STASIEWSKI (Hg.), Beiträge zur Schlesischen Kirchengeschichte – Gedenkschrift für Kurt Engelbert. Köln 1969, S. 571-584. Wie wichtig ihm dieses christliche Heimaterbe war, zeigt ein Beitrag, den er publiziert hat: Eberhard SCHWARZ / Gustav BRAUN (Bearb.), Christliches Heimaterbe – Beiträge der Konfessionen zur Kultur- und Heimatpflege der deutschen Ostvertriebenen, hg. vom Evangelischen Ostkirchenausschuss und Katholischen Flüchtlingsrat. Hannover, Würzburg, 1964. Zu Braun vgl. Johannes GRÖGER, Gustav Joseph Braun, 1896 – 1976, in: GRÖGER et al., Schlesische Kirche in Lebensbildern, Band 6, S. 160-163.

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Abschnitt II

3.

Franz Hartz (1949 – 1953)

Nach dem plötzlichen Tod Dirichs folgte der Schneidemühler Prälat Franz Hartz als Beauftragter für die Vertriebenenseelsorge im Amt. Damit war nicht länger ein Ordinarius mit dem Amt betraut. Es tat sich also die Frage nach dem Dienstsitz auf und auch nach der Finanzierung des Referenten, der bisher als Priester im Bistum Limburg – vorher Vertriebenenseelsorger in Limburg – tätig war. Das Amt war nicht länger einem Diözesanbischof übertragen worden, weil man meinte, dass die Aufgaben dieses Referates so vielfältig seien, dass ein Diözesanbischof sie nicht auch noch zusätzlich übernehmen könne. Das war eines der ausschlaggebenden Argumente, dieses Referat dem Prälaten Hartz zu übertragen. Er bekam auch die Rechte, wie sie der verstorbene Bischof von Limburg als Flüchtlingsreferent hatte.85 Franz Hartz war 1882 geboren, 1908 zum Priester des Bistums Münster geweiht worden. Für das Bistum Münster ging er 1921 in die Seelsorge nach Berlin, wurde dort 1931 Domkapitular und als Nachfolger des zum ermländischen Bischof geweihten Maximilian Kaller 1931 Leiter der Freien Prälatur Schneidemühl. Als solcher musste er mit seinen Diözesanen 1945 fliehen. Ihn verschlug es nach Fulda. Hartz stammte aus Hüls bei Krefeld. Das war für Kardinal Frings auch das Argument, warum er, von Geburt nicht Ostdeutscher sondern Rheinländer, als Leiter des Hauses Königstein nicht in Frage kam, sondern Frings seinerzeit eindeutig für Kindermann votierte. Daneben schien ihm Prälat Hartz für diese Aufgabe auch bereits zu alt, so Frings in einem Schreiben an den Apostolischen Visitator in Deutschland, Aloisius Joseph Muench, vom 28. Januar 1948.86 Schon vor seiner Berufung in das Amt des Vertriebenenbischofs, hatte sich Hartz sehr eindeutig für das Seminar in Königstein eingesetzt. Er sah darin eine wesentliche Hilfe für die Behebung des Priestermangels in der Diaspora.87 Freilich wies Hartz auf die finanziellen Schwierigkeiten hin, aber die Aufgabe, ostdeutschen Jungen eine höhere Schulbildung zu ermöglichen und sie zum Priesterberuf hinzuführen, sei viel größer. Königstein müsse eine besondere Pflegestätte östlicher Kultur sein. „Ohne dieses Moment zu unterschätzen, wollen wir auch nicht die Vorteile übersehen, die darin liegen, dass die ostdeutschen Theologen auch mal in andere Verhältnisse hineinkommen. Ermland und Schneidemühl und in den Kriegsjahren auch Kulm hatten Priester aus Münster und Köln, die bei uns sehr gut gearbeitet haben, denen es gut gefiel … Heute ist ganz Deutschland mehr oder weniger Diaspora, wodurch diese

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Vgl. dazu Protokoll der Fuldaer Bischofskonferenz vom 23. – 25. August 1949 in: Akten 1948/49, Dokument 291, S. 760-775, dort vor allem S. 765. Akten 1948/49, S. 92-94, Dokument 14, Frings an Muench vom 28. Januar 1948. Hartz an Frings am 12. März 1948, in: Akten 1948/49, S. 150-153, Dokument 37.

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Mischung ihre besondere Bedeutung bekommt.“88 Hartz votierte 1948 eindeutig für eine kooperative Leitung in Königstein von Vertriebenen und Einheimischen. Es müsse ein Einheimischer mit an maßgebender Stelle stehen, um dem Projekt eine größere Resonanz zu verschaffen. Der Bischof von Limburg als Beauftragter für die Vertriebenenseelsorge könne diesen großen Aufgabenbereich nicht noch zusätzlich schultern. Man müsse dort ganz konkret die Union zwischen Neu- und Altbürgern schaffen, die beiden Seiten nur nützen könne. Die in Königstein ausgebildeten Theologen sollten spezifisch für ihre spätere Verwendung präpariert sein, vor allem im Geiste der Armut und des Verzichtes. „Sehr richtig gesehen ist die Schwierigkeit der Unterbringung der Osttheologen an den Universitäten oder Seminarien, wie ich noch in den letzten Wochen feststellen konnte. Fulda hat so viele Meldungen aus der eigenen Diözese, dass anderweitige Aufnahmen unmöglich sind. Der Dekan in Münster schrieb mir, er könne keine feste Zusage geben, da sehr viele Meldungen vorlägen und bei der Aufnahme auch die Militärregierung und die Parteien mitzusprechen hätten. Dieser Umstand bestimmt mich, der vorläufigen Fortführung des Großen Seminars trotz sonstiger Bedenken zuzustimmen, wobei die Entscheidung nicht endgültig zu sein braucht. In ein bis zwei Jahren wird ja sicher eine Entscheidung über die Ostgebiete so oder so fallen müssen.“89 Der Paderborner Erzbischof Jaeger90 legte Hartz nahe, von Fulda nach Limburg überzusiedeln, das Büro des Vertriebenenbischofs in Limburg zu belassen, wo Ordinariatsrat Dr. Braun bereits Büroraum, Schreibkraft usw. zur Verfügung habe und auch bislang von der Diözese finanziert worden sei, „so dass dort Gehalts-, Büromiete und Büromaterial kostenlos wie bisher zur Verfügung stehen. Sie selbst brauchten nur den Umzug von Fulda nach Limburg finanziert zu bekommen und dass ist eine erschwingliche Ausgabe. Ihr Gehalt steht sowieso auf dem Etat des Diasporakommissariates. So würde Ihre Arbeitsstelle komplett und arbeitsfähig sein, ohne dass Sie einen Pfennig neue Ausgaben verlangen würde. Sie säßen dazu in Limburg viel zentraler und für die Flüchtlingspriester schon wegen der Nähe Königsteins viel erreichbarer als in Fulda. Mir scheint das der gangbarste, beste und billigste Weg zu sein, um Ihren Auftrag zu erfüllen.“91 Wie Kaller und Galen war auch Hartz in der Zwischenkriegszeit als Seelsorger nach Berlin gekommen. Er wurde 1921 Kaplan von St. Matthias und damit engster Mitarbeiter des damaligen dortigen Pfarrers, des späteren Bischofs von Münster, Graf 88

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Akten 1948/49, S. 151. Hartz sprach in diesem Schreiben auch die Causa Büttner an und bedauerte es, dass man Büttner herausdränge, da dieser trotz allem (was immer Hartz damit gemeint haben mag) über ein ungewöhnliches Organisationstalent verfüge. Außerdem könnten Büttners Auslandsbeziehungen der Sache Königstein nur dienlich sein. Akten 1948/49, S. 152. Zu Jaeger vgl. GATZ, Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1945 – 2001, S. 439f. Akten 1948/49, Dokument 317, S. 842f. Jaeger an Hartz am 16. Dezember 1949. Vorausgegangen war ein Brief des Prälaten Hartz an Erzbischof Jaeger, in dem er als Finanzbedarf der Dienststelle des Vertriebenenbischofs 18.000,- DM jährlich zzgl. zu seinem Gehalt namhaft gemacht hatte. Jaeger sprach von einem nicht gelinden Schrecken, der dieser Brief ihm eingejagt habe.

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von Galen.92 „Als er dann Oktober 1949 den Auftrag der Fuldaer Bischofskonferenz für die gesamte Vertriebenenseelsorge und päpstliche Vollmachten hierfür erhielt, war dies ihm zunächst rein persönlich recht willkommen; denn wie den meisten Vertriebenen so erging es auch dem damals 67-jährigen Prälaten: Er wollte kein Gnadenbrot essen, nicht anderen zur Last fallen, sondern seine Kräfte nützen, um mitzuschaffen an der Behebung der Notstände und am Wiederaufbau des Vaterlandes. Aus diesem Grunde und beseelt von echtem Hirtengeist übernahm er bereitwilligst das Amt, in welchem er fortan in Deutschland den fünfeinhalb Millionen Katholiken unter den Heimatvertriebenen und den fast 3.000 vertriebenen Priestern seine besondere Obsorge zuwenden sollte … Seine verbindlich-ausgleichende Wesensart erwies sich als besondere Befähigung zur Meisterung schwieriger pastoraler und kirchenaufsichtlicher Aufgaben, wie sie im zweisprachigen ostdeutschen Grenzgebiet von jeher sich anboten … In ständiger Verbindung mit den Diözesanbischöfen, den Diözesanflüchtlingsseelsorgern und dem Bonifatiusverein verschaffte er sich eine umfassende Übersicht über die seelsorgliche Situation der Vertriebenen, die er nach Möglichkeit durch Anregungen und Vorschläge zu fördern suchte. Gern und oft nahm er an Heimattreffen und Wallfahrten der vertriebenen Landsmannschaften in allen Gebieten Deutschlands teil. Ebenso besuchte er regelmäßig die in gewissen Zeitabständen in Königstein im Taunus stattfindenden Konferenzen aller vertriebenen Priester, wie er auch wiederholt nach Berlin reiste, um dort die in der sowjetischen Besatzungszone lebenden Ostpriester zu seelsorgerlichen Beratungen um sich zu scharen. Unablässig war er zugleich bemüht, mit Hilfe der Diözesanbischöfe bzw. aufgrund der ihm vom Heiligen Stuhl verliehenen Sondervollmachten die heimatvertriebenen Seelsorger über die deutschen Diözesen zweckmäßig zu verteilen.“93 Diese Würdigung des engen Mitarbeiters des Leiters der Geschäftsstelle des Vertriebenenbischofs unterstreicht, dass Hartz auch den sozial-caritativen Aspekt des Vertriebenenproblems einen großen Stellenwert beimaß, nicht zuletzt aus der Tradition seiner Arbeitsschwerpunkte als Prälat der Freien Prälatur Schneidemühl, wo er sich um den Aufbau der Caritas als Organisation und der caritativen Arbeit große Verdienste erworben hatte. In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Caritasverband und der Ostpriesterhilfe Pater Werenfrieds versuchte er immer wieder, so die Würdigung Brauns, den Vertriebenen auch materielle Hilfe zu vermitteln. Ausdrücklich wies Braun auch auf das Rundschreiben des Katholischen Flüchtlingsrates94 an alle Seelsorger vom 16. März 1950 hin, das Hartz und Lukaschek ge-

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Vgl. dazu auch PRIESTER DER FREIEN PRÄLATUR SCHNEIDEMÜHL (Hg.), Prälat Dr. Franz Hartz zum Gedenken am 50. Jahrestage seiner Heiligen Priesterweihe. Hildesheim 1958. Gustav Braun. „Vater der Heimatvertriebenen“, in: Prälat Dr. Franz Hartz zum Gedenken, S. 4650, Zitat S. 48. „Dem gleichen Ziele diente seine führende Mitarbeit im Katholischen Flüchtlingsrat. Dieser schon unter Bischof Dirichs vom Limburg gegründete Arbeitskreis von vertriebenen und einheimischen Persönlichkeiten stand unter dem Vorsitz des Bundesvertriebenenministers Dr. Lukaschek, dem Kardinal Frings und dem Prälaten Hartz als Beratungsorgan zur Seite, um die Entwicklung des Vertriebenenproblems besonders in sozialpolitischer Hinsicht zu studieren und

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meinsam unterzeichnet hatten und in dem sie eindringlich die Vertriebenenfrage als sittliche Aufgabe darstellten, d.h. eine Argumentationsgrundlage für den Lastenausgleich schufen. Ähnlich breite Öffentlichkeit fand auch das zweite Rundschreiben von Hartz am 20. Februar 1951, gerichtet an alle Seelsorger in Deutschland, in dem er die moralische Seite des Lastenausgleichs beleuchtete. „Die ganze Vielschichtigkeit des Vertriebenenproblems brachte es mit sich, dass die Dienststelle des Beauftragten der Fuldaer Bischofskonferenz für die Vertriebenenseelsorge ebenso vielfältig in Anspruch genommen wurde, sowohl von unzähligen Einzelnen, wie auch von kirchlichen und staatlichen Behörden. Gerade auch von Regierungsseite wurde immer wieder die kirchliche Mitarbeit an der Lösung des Vertriebenenproblems begrüßt, weil die deutsche Not so groß ist, dass es der Weckung aller moralischen Kräfte im Volke bedarf, um aus dem Notstand zu einer tragfähigen Neuordnung des Sozialgefüges zu kommen.“95 In der Charakterisierung der Arbeitsschwerpunkte der Stelle des Vertriebenenbischofs wies Braun ausdrücklich darauf hin, dass es sowohl um wirtschaftliche, um sozialpolitische, wie auch um kulturelle Belange ging, nämlich dazu beizutragen, das heimische Kulturerbe der vertriebenen Deutschen als wesentlichen Bestandteil der seelischen Beheimatung zu erhalten. Aus diesem Grund setzte sich Prälat Hartz auch nachhaltig für die Beibehaltung der Katholischen Arbeitsstelle für Heimatvertriebene in München ein, die gerade die Aufgabe der Förderung der Kultur und des religiösen Brauchtums bei den einzelnen Vertriebenengruppen entsprechende Unterstützung gewähren sollte. Außerdem setzte er sich dafür ein, dass die Katholische Arbeitsstelle für Heimatvertriebene in Köln neu eingerichtet wurde. „Auch die Schaffung eines Zentralen Katholischen Kirchenbuchamtes für die Heimatvertriebenen sowie die vorläufige Versorgung der ostvertriebenen Kirchenpensionäre aus dem geistlichen- und Laienstande ist wesentlich auf seine Bemühungen bei der Fuldaer Bischofskonferenz und bei der Bundesregierung zurückzuführen.“96 Am 14. Februar 1953 ist Franz Hartz gestorben. Viele Priester in der Vertriebenenseelsorge waren dankbar für Handreichungen vom Beauftragten für die Vertriebenen und Flüchtlinge. Eine solche kam beispielsweise von Hartz, im Februar 1951. Sie sollte die Verabschiedung des Gesetzes zum Lastenausgleich im Bundestag argumentativ flankieren. Die Vorbereitung des Gesetzes hatte bereits viel Zündstoff zwischen den Vertriebenen und Einheimischen angehäuft. Die Vertriebenenseelsorger befürchteten, dass die Durchführung des Lastenausgleichs die Spannungen noch steigern werde und damit auch die Seelsorge belastete. „Darum halte ich es für wichtig und notwendig, den Seelsorgsklerus rechtzeitig auf diesen Gefahrenpunkt aufmerksam zu machen, ihm ein ruhiges Wort der Aufklärung zu bieten, das den Lastenausgleich nach seiner sittlichen und sozialen

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nach Möglichkeit zu beeinflussen.“ Gustav Braun. „Vater der Heimatvertriebenen“, in: Prälat Dr. Franz Hartz zum Gedenken, S. 49. Gustav Braun. „Vater der Heimatvertriebenen“, in: Prälat Dr. Franz Hartz zum Gedenken, S. 50. Gustav Braun. „Vater der Heimatvertriebenen“, in: Prälat Dr. Franz Hartz zum Gedenken, S. 50.

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Seite beleuchtet, um so in Predigt und Vortrag der Durchführung des Gesetzes einen Weg zu bereiten, der vielleicht der weiteren Verschärfung der Situation vorbeugt.“97 Hartz formulierte die gewünschte Wirkung: die Aufklärung über den Lastenausgleich in der Predigt und im geschriebenen Wort möge die rechte Haltung der Einheimischen fördern und auf die Stimmung der Vertriebenen beruhigend wirken. So sollte sich die Argumentationshilfe für den Lastenausgleich aus dem sittlichen und sozialen Denken der katholischen Soziallehre heraus um die Lösung einer Aufgabe bemühen, die ein Kernstück des inneren Friedens des deutschen Volkes bedeutete. Grundlegend sollten die Seelsorger dahin wirken, das Fehlurteil aufzulösen, das den Heimatvertriebenen die Schuld an den zu übernehmenden Lasten zuschob. Das ganze Volk habe den Krieg verloren. Ein Teil des Volkes wurde dadurch extrem belastet durch den Verlust seiner gesamten Habe und der Heimat. Sie hätten damit, so die Argumentation des pastoralen Schreibens, „schon einen großen Teil der Kriegsreparationen (ge)tragen, während weite Schichten der übrigen deutschen Bevölkerung noch im Besitz beträchtlicher Vermögen und in gesicherter Existenz geblieben sind“.98 Nur mangelnde Einsicht könne behaupten, dass der Lastenausgleich im geplanten Umfang nicht erforderlich sei. Den Einheimischen stünde laut Statistik immer noch durchschnittlich doppelt so viel Wohnraum zur Verfügung wie den Vertriebenen. Immer noch lebten ca. 300 000 Vertriebene in Lagern, darunter viele Familien mit Kindern. Die Arbeitslosenrate liege bei den Vertriebenen zwei- bis dreimal über der der Einheimischen. „Hinter diesen kurzen Angaben verbirgt sich eine katastrophale wirtschaftliche und moralische Not. Für letztere wird der Seelsorger ein besonderes Augenmerk haben müssen. Das ist für viele Heimatvertriebene außerordentlich bedrückend und zermürbend, dass sie aus der alten Heimat und Existenz hinausgewirbelt wurden und nun schon jahrelang um eine menschenwürdige Bleibe und Lebensmöglichkeit ringen müssen. Sie wollen arbeiten und schaffen und können es nicht, weil es den einen an Arbeitsplatz oder Betriebsmitteln fehlt und anderen durch den Mangel an Wohnraum die Berufsausübung unmöglich gemacht ist. Kann man es diesen Arbeitswilligen und denen, die nach Verlust ihres heimatlichen Besitzes nun als Alte und Kranke auf erbärmliche Unterstützungsbeträge angewiesen sind, verdenken, wenn sie verbitterte Klagen ausstoßen und sich durch große Interessenverbände fordernd an die Öffentlichkeit wenden?“99 Eine vernünftige Überlegung könne nur zu einer Lösung kommen: ein Ausgleich der Lasten, die die Not so ungerecht verteilt hatte. Der Lastenausgleich sei zudem gut biblisch begründet. Freilich werde er im Gesetzestext immer Kompromiss und damit Stückwerk bleiben – nicht zuletzt angesichts der damals noch schwachen Gesamtwirtschaft Deutschlands. „Die Lasten, die dieses Gesetz den Besitzenden auferlegt, wer-

97 98 99

Aus einem Schreiben von Franz Hartz an den Erzbischof von Köln, Joseph Kardinal Frings vom 8. Januar 1951. DAR G 1.1 Nr. A 17.4 p. Rundschreiben des Päpstlichen Beauftragten für die Heimatvertriebenen an alle Seelsorger. 6 Seiten masch. DAR G 1.1 Nr. A 17.4 p. Ebd., S. 3.

Die Vertriebenenbischöfe

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den fühlbar sein, aber den Heimatvertriebenen wird es in vielen Fällen nur unzulängliche Hilfe bringen. Dennoch muss der Versuch nach Maßgabe des Möglichen gemacht werden.“100 Ein geordneter Ausgleich verhindere Radikalisierung und Gewaltanwendung und stehe nicht im Widerspruch zum Recht auf Privateigentum. Die Seelsorger sollten wiederholt an die Christenpflicht erinnern, gerechte Gesetze mit sittlicher Bereitwilligkeit zu erfüllen.

100

Ebd., S. 4.

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4.

Julius Döpfner (1953 – 1957)

Nach dem Tode des Prälaten Hartz, als Beauftragten für die Vertriebenenseelsorge, 1953 wurde das Modell diskutiert, dass Kardinal Frings als Hoher Protektor für das Flüchtlingswesen in Deutschland die Iura Antistitum101 wahrnehmen sollte und der bisherige Geschäftsführer der Dienststelle, Gustav Braun, die Leitung als Beauftragter der Fuldaer Bischofskonferenz der Dienststelle erhalten sollte. Das sah zumindest ein Vorschlag Brauns an Frings vom 28. Mai 1953 vor. D.h. er hätte die Geschäfte von Hartz übernommen als bisheriger Geschäftsführer des Vertriebenenbischofs und die bischöflichen Rechte und die Vertretung in der Bischofskonferenz wären an den Hohen Protektor in Köln übergegangen. Dagegen aber wandten sich die Vertriebenen, die dies als ein „abgehalftert werden“ verstanden. Es sollte wiederum ein Ordinarius mit dieser Aufgabe betraut werden, der dann auch mit Sitz und Stimme in der Fuldaer Bischofskonferenz vertreten war, zusätzlich zum Hohen Protektor. Es sollte aber, zumindest nach Meinung des Kapitularvikars von Limburg 1947, also nach dem Tode Dirichs geäußert, kein Inhaber eines kleinen Bistums sein, weil doch sehr viele Geschäfte für den Vertriebenenbischof anfielen und die zusätzlich zur Leitung eines Bistums einen Bischof ohne zusätzlichen Gehilfen schnell überfordern könnten.102 Man favorisierte bei den westdeutschen Bischöfen das von Braun entworfene Modell und wollte es so in die Fuldaer Bischofskonferenz einbringen. Die Entwicklung kam dann aber anders. Es wurde erneut ein Ordinarius mit dieser Aufgabe betraut, nämlich Bischof Döpfner von Würzburg als Nachfolger des Prälaten Franz Hartz. „Unter die Mitglieder der Fuldaer Bischofskonferenz sind für besonders wichtige Aufgabengebiete der kirchlichen Arbeit eigene Referate verteilt. Ein solches Referat wurde nach 1945 auch für die Vertriebenenseelsorge eingerichtet. Indem die Fuldaer Bischofskonferenz nunmehr zum 2. Male dieses Referat einem nichtvertriebenen Diözesanbischof übertragen hat, bringt sie damit erneut zum Ausdruck, dass die Lösung des Vertriebenenproblems eine gemeinsame Aufgabe für die Vertriebenen und Nichtvertriebenen sein muss. Dass die Wahl gerade auf mich gefallen ist, mag u.a. auf die zentrale Lage meines Amtssitzes zurückzuführen sein.“103 Wie unspektakulär die Nachfolge von Prälat Hartz als Beauftragter für die Vertriebenenarbeit ablief, zeigt der kurze Eintrag im Protokoll der Westdeutschen Bischofszusammenkunft, wo es heißt, dass der Conveniat den Vorschlag begrüße, die Geschäftsführung der Vertriebenenseelsorge bei Monsignore Dr. Braun angesiedelt zu lassen und Eminenz Frings möge als Hoher Protektor die Iura Antistitum wahr-

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Vgl. Dokument Nr. 2 im Anhang. HAEK CR II 25.20e,5. KZG Bonn, 2246, Schreiben Brauns an Döpfner vom 20.11.1953, beigelegt drei Seiten masch. Die Antworten für ein Interview, Zitat S. 1.

Die Vertriebenenbischöfe

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nehmen. Ein endgültiger Vorschlag nach Rom soll von der Plenarkonferenz in Fulda formuliert werden.104 Nachfolger von Franz Hartz im Amt des Vertriebenenbischofs wurde der junge Würzburger Diözesanbischof Julius Döpfner, der keine eigenen Erfahrungen der Vertreibung in dieses Amt mitbrachte, außer den Erfahrungen, die er mit der Integration der Vertriebenen in seinem Bistum gemacht hatte. Döpfner wurde 1913 in Hausen bei Bad Kissingen geboren, hatte in Würzburg und Rom Theologie studiert. 1939 wurde er in Rom zum Priester geweiht, 1941 mit einer Arbeit über Kardinal Newman zum Dr. theol. promoviert. Danach kehrte er in sein Bistum zurück und wurde Kaplan in Schweinfurt. 1946 berief ihn der Würzburger Bischof zum Subregens des Priesterseminars. Am 11. August 1948 wurde Döpfner zum Bischof von Würzburg ernannt. In dieser Funktion wurde er 1953 zum Beauftragten für die Seelsorge an den Heimatvertriebenen bestellt. Döpfner wurde von diesem Amt entpflichtet, als er 1957 auf den Berliner Bischofsstuhl transferiert wurde. Die bisherigen biographischen Überblicke zu Döpfner erwähnen dieses Sonderamt des Würzburger Bischofs gar nicht.105 Obwohl Klaus Wittstadt106, bislang der Biograph Döpfners, in erster Linie freilich mit dem Interesse am Moderator des Zweiten Vatikanum, die Heimatliebe und Heimatverbundenheit des jungen Würzburger Bischofs, des Franken, in der Würzburger Diözese herausarbeitete, obwohl er die Notsituation der Nachkriegszeit, die Trümmer in Würzburg, die Devise Döpfners, dass Wohnungsbau Vorrang habe vor dem Dombau, ausführlich würdigte, kommt die Tatsache, dass Döpfner von 1953 bis 1957 auch Beauftragter der Bischofskonferenz für die Heimatvertriebenen war, nicht zur Sprache.107 Breiter referierte Wittstadt die Initiativen Döpfners für die Laienarbeit, seine Bemühungen um die Jugend und die Arbeiter. Seine Initiativen aber für die Vertriebenen, die – unabhängig von seiner speziellen Beauftragung für diesen Personenkreis – im Bistum Würzburg, in das viele Vertriebene eingeströmt waren, interessant gewesen wären, sind auf zwei kurze Abschnitte gepresst. Sie fußen auf zwei kurzen Zeitungsmeldungen.108

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Vgl. HAEK CR II 2.19,12, Protokoll des Conveniats der westdeutschen Bischöfe vom 01. – 03. Juni 1953 in Limburg. Vgl. dazu Klaus WITTSTADT, Julius Döpfner. Sein Weg zu einem Bischof der Weltkirche in Bilddokumenten. Würzburg 2001. Guido TREFFLER (Bearb.), Julius Kardinal Döpfner. Konzilstagebücher, Briefe und Notizen zum Zweiten Vatikanischen Konzil. Regensburg 2006, dort vor allem die Seiten XI – XXIII. Klaus WITTSTADT, Julius Kardinal Döpfner (1913 – 1976). Anwalt Gottes und der Menschen. München 2001. Klaus Wittstadt (1936 – 2003), Kirchenhistoriker. Wolfgang WEIß, Klaus Wittstadt, in: BBKL Band 30 (2009), Sp. 1588-1591. Klaus WITTSTADT, Julius Kardinal Döpfner. Anwalt Gottes und der Menschen. Klaus WITTSTADT, Julius Kardinal Döpfner. Anwalt Gottes und der Menschen, S. 89: „Lange bevor Döpfner 1953 Beauftragter der Fuldaer Bischofskonferenz für die Flüchtlinge und Vertriebenen wurde, kümmerte er sich in seinem Bistum intensiv um diesen Personenkreis. Am Sonntag in der Dreikönigsoktav, dem Fest der Heiligen Familie, besuchte er das Regierungsflüchtlingslager auf dem Galgenberg bei Würzburg. Dort waren 1.000 Heimatvertriebene in Ba-

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Abschnitt II

Assistierend, ausgleichend schaltete sich Döpfner in die Schwierigkeiten der Neugliederung der Zuständigkeitsbereiche und der Verwaltung in Königstein in den fünfziger Jahren ein. Er schrieb an Kindermann die Bitte, doch auf die Linie des Limburger Bischofs einzuschwenken, dessen Anliegen nach einer transparenten Gestaltung der Zuständigkeiten und Abläufe nachzukommen, da ihm, so der Eindruck Döpfners, die Erhaltung Königsteins ein „Herzensanliegen“ sei. Döpfner intervenierte hier als Bischof von Würzburg.109 Die Entscheidungen waren immer wohl vorbereitet durch den Leiter der Dienststelle. Mehr noch als seine Vorgänger und Nachfolger stützte sich Döpfner bis in die letzten Formulierungen hinein auf die Vorgaben Brauns. „Ich schicke voraus, dass nach der allgemeinen Kirchenordnung die Vertriebenenseelsorge in erster Linie jedem Bischof in seiner Diözese obliegt. Als Sonderbeauftragter der Fuldaer Bischofskonferenz habe ich die Frage dieses Seelsorgszweiges in umfassender Weise zu studieren und im Benehmen mit den Diözesanbischöfen zu erörtern. Zudem sind mir vom Hl. Vater besondere jurisdiktionelle Vollmachten für den dienstlichen Einsatz der heimatvertriebenen Priester verliehen. Es ist natürlich für mich nicht leicht, neben der Leitung des eigenen Bistums auch noch den Sonderauftrag für die Heimatvertriebenen in ganz Deutschland zu erfüllen. An meinem guten Willen soll es jedoch nicht fehlen. Im Übrigen steht mir eine gut eingearbeitete Dienststelle zur Verfügung, die bislang zu Fulda war und jetzt nach Würzburg verlegt ist. Ihre Leitung hat, wie bisher, Msgr. Dr. Braun.“ So die Charakterisierung des Aufgabenbereiches und der Aufgabenerfüllung des Vertriebenenbischofs Döpfner in den vorgefertigten Antworten Brauns für ein Interview Döpfners.110

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racken untergebracht. Der Bischof besuchte mehrere Wohnbaracken. Mutig sagte er zu den Menschen: „Die Kirche protestiert gegen das himmelschreiende und widersinnige Unrecht, das den Flüchtlingen widerfahren sei.“ Am 05. November 1949 besuchte Döpfner das Flüchtlingslager Hammelburg. Über diesen Besuch wird berichtet: „Heute ergriff der Bischof ausdrücklich von ihnen Besitz und erklärte sie zu seinen Kindern.““ Die Quelle ist jeweils das „Würzburger Katholische Sonntagsblatt“, hier Nr. 48 vom 27. November 1949, S. 421. Eigene Ausführungen zum Aufgabenbereich Beauftragter für die Vertriebenenseelsorge fehlen. Döpfner an Kindermann am 23.11.1956. KZG Bonn 497. – „Seit ich von Königstein und der Besprechung mit dem Hochwürdigsten Herrn Bischof von Limburg zurückgekehrt bin, geht die Sorge um die Zukunft Königsteins mit mir. Dabei ist mir wieder klar geworden, dass eine klare Neuordnung der verschiedenen Bereiche des Königsteiner Werkes unerlässlich ist. Von Ihnen wird das Opfer gefordert, auf manche Handlungsfreiheit und kraftvolle Improvisation der Gründerjahre zu verzichten. Ich weiß, wie schwer Ihnen das fällt, und es ist mir eine rechte Sorge, dass Sie in der gegenwärtigen Stunde zu einem inneren Kurzschluss kommen könnten.“ KZG Bonn, 2246 Schreiben Brauns an Döpfner vom 20.11.1953, beigelegt drei Seiten masch. Die Antworten für ein Interview, Zitat S. 1.

Die Vertriebenenbischöfe

5.

145

Die Aufgaben und das Profil des Vertriebenenbischofs Heinrich Maria Janssen (1957 – 1982) – „Dienen bleibt gerade in unserer Situation wohl oberstes Gesetz“

Dieser Schlusssatz eines Briefes des Vertriebenenbischofs Heinrich Maria Janssen111 an Franz Scholz könnte gleichsam als sein Motto angesehen werden.112 Auch dort, wo die Entscheidungen nur schwer zu fällen waren, weil die Strukturen sehr undurchsichtig waren, wie bei manchen Schwierigkeiten und Klagen in und aus Königstein, versuchte Janssen zu helfen, wo es nur ging. „Nun durchschaue ich die Dinge nicht mehr so und kann nur das tun, was ich bisher tat: zur Hilfe bereit sein, wenn irgendwo Hilfe gefordert wird.“113 So Janssen im Schreiben an Scholz. Heinrich Maria Janssens Biographie weist Parallelen zu der seines Vorvorgängers auf: Wie Hartz stammte Janssen vom Niederrhein (geb. 1907), wurde 1934 in Münster zum Priester geweiht, danach stellte er sich für die Seelsorge in der Freien Prälatur Schneidemühl zur Verfügung: Janssen war seit 1937 Seelsorger in Schneidemühl; die SS hatte ihn Ende 1945 ausgewiesen. Bis 1947 half er Hartz bei der Sammlung und Betreuung der Katholiken aus der Freien Prälatur. 1949 wurde er Pfarrer im größten Marienwallfahrtsort in Nordwestdeutschland, in Kevelaer. 1956 wählte ihn das Hildesheimer Domkapitel zum Bischof, 1957 wurde er mit der Vertriebenenseelsorge beauftragt. Wo setzte Janssen seine Schwerpunkte in der Vertriebenenseelsorge? Er kannte ja seine ostdeutschen Katholiken und deren Schicksal der Vertreibung, war er doch als Münsteraner Diözesanpriester in Schneidemühl tätig gewesen. Sah er es als seine Aufgabe, sich als Vertriebenenbischof auch in die Politik einzumischen, gerade in den Debatten um die neue Ostpolitik der Bundesregierung und des Vatikans oder war auch er bevorzugt der Seelsorgebischof, der das Thema vor allem binnenkirchlich besetzte? Heinrich Maria Janssen war 25 Jahre Vertriebenenbischof – in einer Phase, in der die hauptsächlichen Strukturen und Organisationen der Vertriebenenseelsorge geschaffen waren: die Diözesanvertriebenenseelsorge, die Kirchlichen Hilfsstellen Nord

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Zu Janssen vgl. allgemein Thomas SCHARF-WREDE (Hg.), Heinrich Maria Janssen. Bischof von Hildesheim 1957 – 1982. Regensburg 2008. Darin vor allem Rainer BENDEL, Die Vertriebenenseelsorge und Heinrich Maria Janssen als Vertriebenenbischof, S. 161-175. KATHOLISCHER FLÜCHTLINGSRAT/AMK E.V. (Hg.), Bischof H. M. Janssen. 25 Jahre Vertriebenenbischof. Königstein o.J. [1983]. Dort wurden die Laudationes zur Feier des silbernen Jubiläums des Vertriebenenbischofs am 24. September 1982 in Königstein abgedruckt. Janssen an Professor Franz Scholz am 25.4.1961 KZG Bonn, Königstein 2590, Bestand Vertriebenenbischof. Ebd.

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Abschnitt II

und Süd, die Einrichtungen in Königstein, der Katholische Flüchtlingsrat, die diversen Laienorganisationen.114 Janssen war Koordinator und Moderator dieser Vielfalt, nicht selten auch Schlichtungsinstanz bei Meinungsdifferenzen auch innerhalb der einzelnen Gruppen und Organisationen und schuf die Verbindung zur Bischofskonferenz. Er war besten Willens, als Diener zur Verfügung zu stehen, dabei in vielen Wahrnehmungen und Einschätzungen schlicht und in der Folge zu wenig strukturell und politisch denkend in einer sich dramatisch verändernden Phase der 1960er und 1970er Jahre, in der eine deutliche Positionsbeziehung in der Öffentlichkeit nötig gewesen wäre. Eine enge Abstimmung pflegte Janssen all die Jahre hindurch mit dem Leiter der Dienststelle, die zu Beginn seiner Amtszeit von Würzburg nach Hildesheim verlegt und mit Franz Ziegler115 besetzt worden war. Janssen sparte auch nicht an würdigenden Worten für den Leiter der Dienststelle.116 Im Rückblick machte Janssen 1970 deutlich: Das Fundament für die Arbeit des Vertriebenenbischofs für die seelsorgliche Arbeit an den Vertriebenen sei in der Haltung der höchsten kirchlichen Autorität, des Papstes, gelegt, der als Rufer und Helfer für die deutschen Vertriebenen eingetreten war, der sich mit eigenen Worten an die Vertriebenen selbst gewandt und einen eigenen Flüchtlingsbischof ernannt hatte. Dazu kam nach Janssen, dass sich bereits 1945 einzelne deutsche Bischöfe bemühten, das Einströmen der Millionen heimatvertriebener Katholiken in ihre Diözesen aufzufangen und in eine geordnete Seelsorge zu bringen. Eine andere starke Initiative kam nach Janssens Einschätzung aus den Reihen der Heimatvertriebenen selbst, also von unten. Von den Seelsorgern, von engagierten Katholiken waren Initiativen ausgegangen, die Versprengten zusammenzuhalten, die Verlorenen zu sammeln, Kontakte zu knüpfen, wo es ging.117 „Unmittelbar nach dem Zusammenbruch war eine Planung oder ein auf Konferenzen erarbeitetes, gemeinsames Vorgehen gar nicht möglich. Spontane Aktionen einzelner Seelsorger waren der Anfang einer Vertriebenenseelsorge, die verhältnismäßig schnell in eine organisierte und gut disponierte Form kam.“118 – so der beschönigende Rückblick Janssens auf

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Vgl. dazu HIRSCHFELD, Katholisches Milieu und Vertriebene, und BENDEL, Aufbruch aus dem Glauben? Franz Ziegler (1914 – 1975) wurde 1959 Diözesanvertriebenenseelsorger in Hildesheim und Leiter der Dienststelle des Beauftragten der Bischofskonferenz für die Vertriebenenseelsorge. Johannes GRÖGER, Franz Ziegler, in: GRÖGER et al., Schlesische Kirche in Lebensbildern, Band 6, S. 326-328. Die enge Abstimmung und Berichterstattung, auch Schilderung der Erlebnisse bei Veranstaltungen zeigt exemplarisch ein ausführlicher Brief Janssens an Ziegler vom 13.11.1965 aus Rom. KZG Bonn 2596. Vgl. dazu Heinrich Maria JANSSEN, Kirche der Heimatlosen, in: DERS., Unterwegs – Heinrich Maria Janssen – 25 Jahre bischöflicher Dienst. Hildesheim 1982 (Künftig zitiert als JANSSEN, Unterwegs). Der Beitrag, der zunächst 1970 im „Rheinischen Merkur“ abgedruckt war, ist dort erneut abgedruckt auf den Seiten 195 bis 201. JANSSEN, Kirche der Heimatlosen, S. 197.

Die Vertriebenenbischöfe

147

eine Situation, in der manches in Konkurrenz entstand und die Bischofskonferenz diesen Punkt auf ihren Beratungen weitgehend ausgeklammert hatte. Dankbar würdigte Janssen im Rückblick die Initiative zur Errichtung der Kirchlichen Hilfsstelle in Frankfurt und München unter Leitung Büttners und dann die Initiative aus den Reihen der Vertriebenen: „Eine erste große Zusammenkunft von vertriebenen Priestern und von einheimischen Seelsorgern unter den Vertriebenen war im August 1946 in Eichstätt. Der damalige Bischof Rackl119 von Eichstätt hat durch seine ausstrahlende Güte diesem ersten großen Treffen von entwurzelten Priestern eine besondere Prägung gegeben und das Vertrauen auf die Hilfe der Kirche und das Wissen um die Geborgenheit in der Kirche zu stärken verstanden. In Eichstätt wurde die klare Forderung gestellt nach einer eigenen Vertriebenenseelsorge, nach einem eigenen Seminar für die aus den Ostgebieten kommenden Theologen, nach Beauftragten für die Vertriebenenseelsorge in den einzelnen Diözesen.“120 Janssen bezeichnete das Amt des Vertriebenenbischofs für die Entwicklung der Vertriebenenseelsorge als sehr wichtig, denn damit hatte die Vertriebenenseelsorge eine kirchlich autorisierte Spitze, die für die Koordinierung und für viele notwendige Initiativen die verantwortliche Leitung übernahm.121 Dazu kamen die konkreten Aufgabenfelder, die ein Vertriebenenbischof offensichtlich gerne wahrnahm, wie die eigenen Wallfahrtstage und Begegnungsmöglichkeiten, die die Vertriebenen seit 1946 organisierten. Daneben nannte Janssen das Zentrum für die Vertriebenenseelsorge in Königstein im Taunus – einen Kristallisationspunkt aller katholischen Bemühungen um die Flüchtlinge, wie er ihn mit den Worten von Kardinal Frings bezeichnete. „Vor allem sind dort die sogenannten Priesterwerke entstanden und beheimatet. In ihnen haben sich die vertriebenen Priester nach ihrer früheren Diözesanzugehörigkeit zusammengeschlossen und haben gerade in Königstein, auf Kongressen, Tagungen und regelmäßigen Konferenzen ihre Ausrüstung und Wegweisung erfahren für ihren Dienst unter den Vertriebenen. Dort treffen sich jährlich die Diözesanvertriebenenseelsorger und die Mitglieder der Priesterwerke.“122 Den Katholischen Flüchtlingsrat, der den Episkopat in Fragen der sozialen, politischen und kirchlichen Eingliederung beriet, erwähnte Janssen ebenso wie die Sorge um das religiös kulturelle Erbe der Heimatvertriebenen, die vor allem durch die Ackermanngemeinde, die Eichendorffgilde, das Hedwigswerk, das Kardinal Bertram-Werk, die Ermlandfamilie und das Heimatwerk Danzig wahrgenommen wurde. In einer Predigt für eine Eucharistiefeier mit den Abgeordneten des Achten Deutschen Bundestages am 12. Juni 1980 unterstrich Janssen, dass man aus der kirchlichen Arbeit den politischen Bereich nicht ausklammern könne. Vor allem als Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für die Heimatvertriebenen könne er sich

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Michael Rackl (1883 – 1948) seit 1935 Bischof von Eichstätt. Karl HAUSBERGER, Rackl, Michael, in: BBKL, Band 7 (1994), Sp. 1185-1188. JANSSEN, Kirche der Heimatlosen, S. 198. JANSSEN, Kirche der Heimatlosen, S. 199. JANSSEN, Kirche der Heimatlosen, S. 200.

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Abschnitt II

unmöglich aus den politischen Überlegungen heraushalten. Die Verflochtenheit des Politischen mit dem Sozialen und Seelsorgerlichen sei sehr eng.123 Janssen würdigte die Integrationsleistung der Bundesrepublik; die Integrationswilligkeit der Vertriebenen habe das Problem nicht nur via Versorgung gelöst, sondern durch echte Integration der vertriebenen Menschen.124 Es ist aber bezeichnend für die letztlich unpolitische Haltung des Vertriebenenbischofs, dass er keine konkreten Maßnahmen der Politik würdigte. Er ging mit keinem Halbsatz auf den Lastenausgleich ein oder auf die Gestaltung der Sozialpolitik. Es war deutlich, dass vor allem die Sorge um die Spätaussiedler die Amtszeit Janssens als Vertriebenenbischof gefüllt hat.

5.1.

Weltweite Perspektive

Janssen sah seine Aufgabe immer auch darin, die Erfahrungen, die in Deutschland mit dem Vertriebenenproblem und der Integration der Vertriebenen gesammelt wurden, in den Notsituationen weltweit zum Einsatz zu bringen. Er forderte bei der Eröffnung des 31. Kongresses ‚Kirche in Not’ 1981 in Königstein, der sich mit dem Flüchtlingsthema befasste, eine weltweite Instanz, zuständig für die Auflösung der Lager. Die Lagersituation, die in vielem als eine Dauerlösung gesehen werde, wo man meine, es genüge eine sozial-caritative Betreuung, führe auf Dauer zu enormen gesellschaftlichen Verwerfungen bis hin zur Anarchie und Terrorismus.125 Janssen bezeichnete bei diesem Anlass Königstein als Stätte der Beratung und Hilfe durch fast vier Jahrzehnte für manche Heimatlose. Dadurch sei es zum Zeichen der Hoffnung und des Neubeginns geworden. Königstein habe vielen Suchenden einen neuen Weg gewiesen und manchem Verzweifelten Mut zugesprochen, auch ein schweres Leben anzupacken und zu bewältigen. „Das ist in den zurückliegenden Jahren unterschiedlich mal stärker, mal weniger intensiv geschehen. Es mag auch sein, dass es nur weniger stark in die Öffentlichkeit drang. Als der von der Deutschen Bischofskonferenz Beauftragte für die Vertriebenenseelsorge möchte ich aber bei der Eröffnung des diesjährigen Kongresses eindringlich sagen: Königstein muss dieses Vertriebenenzentrum bleiben! Königstein muss gestützt und gestärkt werden, damit es für die Bewältigung aller Flüchtlingsfragen bereit und befähigt bleiben kann.“126 Dass die Sudetendeutschen mit Weihbischof Kindermann einen Bischof bekamen, war für viele sicher ein Ausdruck der Wertschätzung durch die Kirchenleitung und wichtiger Beitrag zur kirchlichen Neubeheimatung. Dass dieser Schritt vollzogen werden konnte war entscheidend Janssen als Vertriebenenbischof zu verdanken, der

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Der Wortlaut dieser Predigt in: JANSSEN, Unterwegs, S. 201-205. Vgl. JANSSEN, Unterwegs, S. 205, wo er den Kontrast in vielen Regionen der Welt skizziert, in denen vertriebene Menschen in Lagern versorgt werden. Die Ansprache Janssens zur Eröffnung des 31. Kongresses ‚Kirche in Not’ abgedruckt in: JANSSEN, Unterwegs, S. 211-215. JANSSEN, Unterwegs, S. 213.

Die Vertriebenenbischöfe

149

sich bereit erklärte, Kindermann als Weihbischof in Hildesheim anzunehmen, ohne dass dieser dort Residenz nehmen musste. D.h. dass nur mit einer bedingten Mithilfe Kindermanns zu rechnen war, wenn der weiterhin in Königstein für die Vertriebenenangelegenheiten zuständig sein sollte. Ein entscheidender Motor in der Berufung eines sudetendeutschen Weihbischofs und vor allem auch in der Besetzung dieses Amtes durch Kindermann war offensichtlich Hans Schütz. Janssen gibt dies zumindest in der Schilderung einer Episode im Gedenkbuch für Hans Schütz preis.127 Janssen war Vertriebenenbischof in einer Phase, die angefüllt ist mit Infragestellungen: 1958/59 mussten sich die Hilfsstellen gegenüber der Bischofskonferenz legitimieren; in den 1960er Jahren kamen die Anfragen an die Versöhnungsbereitschaft der Vertriebenen in einer Weise, die die Vertriebenen nicht selten als Verrat empfanden.128 Nur sehr vorsichtig tastete sich Janssen an den Themenbereich EKDDenkschrift heran; die Materie war ihm als Bischof zu politisch. Er hätte solche Aufgaben gern dem Katholischen Flüchtlingsrat zugeschoben: „Auf unserer Seite sollte man ruhig fragen, was hat die Kirche, nachdem sie seelsorglich sicher weit mehr getan hat, denn politisch getan? Wie hat sie die wichtigen Fragen unseres Volkes ethisch und religiös unterbaut und so vorbereitet für die andrängenden Entscheidungen? Haben da unsere Laiengremien nicht eigentlich wenig geleistet? Der Flüchtlingsrat? Die Abteilung „Glaube und Heimat“ beim Zentralkomitee? Vielleicht kann dafür die Denkschrift eine Art „Denkzettel“ werden!“129 Er sprach von einer miesen Stimmung wegen der EKD-Denkschrift, die er als mutig, aber zum falschen Zeitpunkt publiziert bezeichnete; sie sei politisch nicht ausreichend überzeugend, weil darin nicht in hin-

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Heinrich Maria Janssen. Ein Oberhirte für seine Landsleute – sein Herzensanliegen, in: Hans SCHÜTZ, Helfer und Wegweiser in schwerer Zeit. München 1982, .S. 49: „Prälat Kindermann hatte oft vom Schütz Hans gesprochen und immer klang ein Grundton von Herzlichkeit, Freundschaft und Fröhlichkeit durch. Sie waren per Du miteinander und überzeugten mich von der Notwendigkeit, aus den Reihen der sudetendeutschen Priester einen zum bischöflichen Dienst zu bekommen. Prälat Kindermann hielt sich zurück. Ihm genügte „seine Position“ in Königstein, wo er ja als „Nicht-Inthronisierter“ seine Residenz hatte. Hans Schütz setzte mir mit einer unausweichlichen Liebenswürdigkeit und einer ebenso intensiven wie schalkhaften Überzeugungskraft auseinander, dass diese größte Volksgruppe unter den Vertriebenen einen eigenen Bischof brauche. Dabei ging es ihm nicht so sehr um die Repräsentation durch einen Mitregenten. Er verstand es vielmehr, überzeugend deutlich zu machen, dass seine Landsleute im Bischof die Anerkennung ihrer Kirchentreue und ihrer in der Vertreibung stark wachsenden Kirchlichkeit sehen würden. Es war nicht schwer, ihm klarzumachen, dass es nicht möglich sei, einen eigenen Ordinarius für alle Sudetendeutschen zu bekommen. Als wir dann über einen möglichen Weihbischof sprachen, hat er mich festgenagelt und wusste alle Bedenken gegen eine Übernahme für Hildesheim mit so viel Charme und Fröhlichkeit hinwegzureden, dass ich vor ihm kapitulieren musste. Dabei sprach auch aus seinem oft scherzenden Drängen eine solche ehrliche Sorge um seine Landsleute und ihre kirchliche Einbindung, dass ich ihm zeitlebens dankbar bleibe für die Hilfestellung, die er dann auch mir gab in dieser Angelegenheit.“ Vgl. dazu als ein Beispiel für diese Einschätzung noch aus den 1990er Jahren Herbert CZAJA, Unterwegs zum kleinsten Deutschland? Mangel an Solidarität mit den Vertriebenen. Marginalien zu 50 Jahren Ostpolitik. Frankfurt/M. 1996, v.a. Teil E. Brief Janssens an Ziegler vom 13.11.1965 aus Rom. KZG Bonn 2596, Zitat S. 2.

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Abschnitt II

reichender Weise gesagt werde, „welche Elemente hinter der Vertreibung und diesem Völker-Verschieben stehen.“130 Der Wandel in der Ostpolitik der Bundesregierung zeigte sich zunehmend deutlicher; Änderungen in der vatikanischen Ostpolitik deuteten sich an. Janssen wies in seinem Brief aus Rom an Franz Ziegler, den Leiter der Dienststelle, wo er am Konzil teilnahm, darauf hin, dass Rom die Wahl des ermländischen Kapitularvikars Hoppe131 nicht bestätigt habe; kompensiert wurde die Zurückhaltung auf der rechtlichen Ebene durch die Verleihung eines Titels.

5.2.

Heimatrecht

An der Entwicklung der Behandlung des Themenbereichs Heimatrecht zeigt sich sehr deutlich zum einen die Entwicklung der Integration der Vertriebenen, zum anderen die Entwicklung in der politischen Großwetterlage. Am Anfang stand die Frage nach dem Heimatrecht, nach der Rückkehr in die Heimat, verbunden mit der Warnung, gerade von Seiten der Seelsorger, vor einem zu großen Optimismus auf eine rasche Rückkehr in die Heimat und damit die Warnung vor einer Integrationsunwilligkeit. In einer zweiten Phase ist es der Kirchenkampf im Ostblock, die bedrängte religiöse Situation und damit das Wachhalten und die Spendenbereitschaft für die Menschen in den Ländern des Ostblocks, die im Zentrum stehen. In den 60er und beginnenden 70er Jahren beherrschen die Fragen nach dem Heimatrecht die Debatte, auch angesichts der Aussöhnungsversuche zwischen Deutschen und Polen und der Neuorientierung in der Ostpolitik, die kirchlicherseits sehr rasch begleitet wurde von einer Neuumschreibung der Bistümer in den Vertreibungsgebieten. Die Vertriebenen nahmen 1972 auch eine sehr romkritische Haltung ein. „Was die Vertriebenen seit den jüngsten ostpolitischen Auseinandersetzungen empört und was sie bei der vatikanischen Entscheidung über die Neuerrichtung von Diözesen für polnische Katholiken von neuem betroffen registrieren, ist die allgemeine Gleichgültigkeit, mit der überall Politiker und öffentliche Meinung, jetzt also auch die römische Kurie über die Vertreibung der Deutschen, deren millionenfache Verletzung der Menschenrechte hinweg gehen, als wäre dies eine längst erledigte Sache, seitdem die Vertriebenen bei der Caritas nicht mehr um ein Hemd zu betteln brauchen. Es geht aber doch nicht um Klostersuppe oder um Heimweh, sondern um das verletzte Rechtsbewusstsein von Millionen und um ein „in der Geschichte Europas einmaliges Ereignis“ (Pius XII.), durch das nicht nur Staatsgrenzen, sondern die jahrhundertealten Siedlungs- und Kulturverhältnisse Mitteleuropas gewaltsam verändert worden sind.“132 Noch einmal geht es in der Verteidigung des Heimatrechts der Vertriebenen um eine gerechte Lastenverteilung, um eine Mithaftung auch der Heimatverbliebenen in 130 131 132

Ebd. Zu Paul Hoppe vgl. PENKERT, Höhere Mächte haben entschieden, S. 363-404. Pater Paulus SLADEK, Rom weckt Zweifel unter den Vertriebenen, in: Volksbote vom 07. Juli 1972, wieder abgedr. bei OHLBAUM, Not ist Anruf Gottes, S. 311-313, hier S. 311.

Die Vertriebenenbischöfe

151

Westdeutschland an den Folgen des Unrechts der Nationalsozialisten und des verlorenen Krieges. „Aber der damit verbundene Verzicht auf die Heimat bedeutet, dass die Vertriebenen allein die Kosten für die deutsch-polnische Versöhnung bezahlen müssten, die doch vom ganzen deutschen Volk zu tragen wären. Bei der geringen nationalen Solidarität der Deutschen haben, wie es Friedrich Sieburg einmal formuliert, nur die Schlesier Schlesien verloren. Die westdeutsche Bevölkerung empfindet den Verlust der ostdeutschen Provinzen durchaus nicht zu tief schmerzlich, wie Professor Reiser behauptet. Das zeigt sich schon darin, dass nicht nur die Regierung Brandt, sondern auch die öffentliche Meinung in der Bundesrepublik, mit wenigen Ausnahmen, die Vertriebenen bei der Verteidigung ihrer Rechte im Stiche lässt.“133 Auch die Diözesanvertriebenenseelsorger erklärten im April 1971 in zwölf Punkten ihre Position zur Ostpolitik.134 Die neue Politik habe bei den meisten Heimatvertriebenen große Verbitterung hervorgerufen, sie sprechen von einer zweiten Vertreibung der Vertriebenen. Die Vertriebenen erwarteten von ihren Bischöfen und Seelsorgern „jede moralische Stärkung in der Bewältigung ihres schweren Schicksals“.135 Verbittert waren die Vertriebenen darüber, dass sie als Betroffene nicht oder zu wenig in Entscheidungsprozesse einbezogen wurden, dass manche die wichtige Aufgabe des Versöhnens nicht im Sinne eines ‚schweren Verzeihens’ (Paul Ricoeur) begreifen wollten, vielleicht auch weil dies noch mehr Anstrengung und Geduld erfordert hätte. Aufgabe Janssens war es, solche Positionsbestimmungen in den (amts-)kirchlichen Diskurs außerhalb der Vertriebenenkreise einzubringen.136

5.3.

Königsteiner Anstalten

Während Janssens Amtszeit erfolgten in Königstein große bauliche Erweiterungen: der Bau des Hauses der Begegnung und der Neubau der Bischof Neumann-Schule. Persönlichkeitsstruktur und autokratischer Führungsstil Kindermanns erschwerten die Kooperation der Leitungsgremien in Königstein, verhinderten eine Vielfalt von Initiativen und Konzepten. Es entstand zwar eine Vielzahl von Medien, um den Kontakt mit dem Klerus zu halten, um die – vor allem spendenfreudigen – Gläubigen über die Erfolge und Schwierigkeiten Königsteins zu informieren, die Konzepte wurden aber trotz der Vielzahl der modernen Medien inhaltlich nicht auf ihre gegenwärtige Tragfähigkeit und Zukunftsoffenheit hin befragt. Persönliche Kontakte wusste Kindermann geschickt für seine Interessen zu nutzen. Spannungen entstanden aber gegenüber einer Vielzahl anderer Stellen, die mit

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SLADEK, Heimatverzicht als christliches Opfer, in: OHLBAUM, Not ist Anruf Gottes, S. 408. DAR Akz. 08/1991 NL Kruschina. Vier Seiten masch. Ebd., S. 3. Vertriebene und Ostpolitik, resp. Vatikanische Ostpolitik: Karl Joseph HUMMEL, Der Heilige Stuhl, deutsche und polnische Katholiken 1945 – 1978, in: Archiv für Sozialgeschichte 45 (2005), S. 165-214.

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Abschnitt II

der kirchlichen Vertriebenenbetreuung betraut waren, weil Kindermann zumindest unterschwellig die Alleinvertretung der Vertriebenenanliegen beanspruchte. So verwundert es auch nicht, dass im „Königsteiner Spiegel“ am 24. Juli 1973 in einer Zusammenstellung von kritischen Zitaten, die sich gegen Kindermanns autokratisches Regime in Königstein wandten, auch das Haus der Begegnung zur Zielscheibe der Kritik wurde. Die Vertriebenen, die für Königstein gespendet hätten, heißt es dort, hätten für den Priesternachwuchs, nicht aber für einen grandiosen Bau des Hauses der Begegnung gespendet, das künstlich von Kindermann immer wieder zum Herz und Kopf des Ganzen dogmatisiert worden sei. Es wird eine bischöfliche Untersuchungskommission gefordert, die der Manipulation ein Ende bereiten solle. „Um die Völkerscharen zu fassen, musste mit dem Scherflein der armen Witwe ein Kongress-Saal gebaut werden, der fast das ganze Jahr leer steht.“137 Damit sind zentrale Aufgaben des Vertriebenenbischofs skizziert; sie wurden mit dem Tod Kindermanns 1974 nicht leichter. Janssen agierte dabei nicht konsequent und nachhaltig genug; über manchen Fehlbetrag sah er in seiner großen Gutmütigkeit und seinem Wohlwollen für Königstein hinweg. Der drastische Rückgang der Studentenzahlen ließ die Frage nach der Berechtigung der Hochschule nicht verstummen, bis sie schließlich 1977 sistiert wurde. Damit waren freilich die finanziellen Probleme Königsteins keineswegs gelöst. Das waren nur einige Schlaglichter auf die großen Tätigkeitsfelder und Problemzonen der Vertriebenenseelsorge, von den zahllosen einzelnen Beschwerden und Streitfällen, die geschlichtet sein wollten, war gar nicht die Rede. Dabei war es vor allem die Seelsorge, die Janssen am Herzen lag, die Begegnung mit den Vertriebenen bei Wallfahrten und landsmannschaftlichen Treffen, die Besuche in den Lagern, die Gottesdienste der Vertriebenen bei den Katholikentagen. Er besuchte so oft als möglich die Konferenzen der Diözesanvertriebenenseelsorger; seit 1967 etablierte sich als neues Koordinationsgremium das Konveniat der Vertreter der ostdeutschen Diözesen und der Sprecher der sudetendeutschen und der südostdeutschen Priestergruppe. Engen Kontakt konnte Janssen 1965 bei Veranstaltungen zum Jahr der Menschenrechte zum BdV knüpfen. Seine offene, zugängliche und gewinnende Art schuf ihm auf vielen Ebenen rasch Kontakte.

137

Königsteiner Spiegel, Nr. 2 vom 24.7.1973, im Institut für Kirchengeschichte Böhmen-MährenSchlesien, Dossier Kindermann, S. 2.

Die Vertriebenenbischöfe

6.

153

Gerhard Pieschl (1983 – 2009)

Mit dem Limburger Weihbischof Gerhard Pieschl wurde 1982 ein gebürtiger Mährer (geb. 1934 in Mährisch-Trübau) und ein ‚Alt-Königsteiner’ Beauftragter der Bischofskonferenz für die Vertriebenenseelsorge. 1946 kam die Familie nach Bößgesäß im Kreis Büdingen in die katholische Diaspora. Sein Abitur legte Pieschl in Königstein ab. Theologie studierte er in Königstein und Freiburg/Br. 1961 wurde er in Limburg zum Priester geweiht. 1968 wurde er Militärdekan und 1977 zum Weihbischof in Limburg berufen. Die einschneidensten Aufgabenschwerpunkte des Vertriebenenbischofs Pieschl waren erstens die Entwicklung einer neuen Konzeption, zweitens die Liquidierung der Anlagen in Königstein und drittens die Veränderungen im Rahmen des Statuts der Deutschen Bischofskonferenz vom 10. August 1998, gemäß dem die apostolischen Visitatoren für Breslau, Ermland und Schneidemühl und die kanonischen Visitatoren für Branitz und Glatz nicht länger Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz waren. Damit einher ging eine neue Reflexion der Notwendigkeiten und Aufgabenschwerpunkte der Vertriebenenseelsorge.138 Dazu kam die Zusammenarbeit mit den katholischen Vertriebenenorganisationen, nach wie vor die Gottesdienste im Kontext der Vertriebenentreffen und die jährlichen Vertriebenenwallfahrten. Sein Verständnis des Amtes umschrieb Pieschl so: „Vertriebenenseelsorge ist in diesem Sinn eine ‚Gemeinschaften’-Seelsorge. Dies ist in der Kirche nichts Unübliches. Gemeinschaften und Gruppen haben ein Recht auf kirchliche Begleitung ihrer Tätigkeit, wenn sie es wünschen und wenn ihre Tätigkeit kirchlichen Aufgaben nicht widerspricht. Vertriebenenseelsorge wird also so lange ‚noch’ nötig sein, solange die Herkunftsheimat und das erlebte Schicksal der Vertreibung gemeinschaftsbildende Kraft haben. Vertriebenenseelsorge als Teil der Gesamtseelsorge unterliegt den gleichen Kriterien wie jede andere Seelsorge und da gilt: jedwede Seelsorge ist die Antwort des Glaubens auf die Nöte und Gefährdungen, die Freude und die Hoffnung im Leben der Menschen ihrer Zeit. Dabei findet die Seelsorge zwei Vorgaben vor: einmal das in Jesus erwirkte Heil, das sie den Menschen zu vermitteln hat in Gottesdienst (Liturgia), Zeugnis (Martyria) und Bruderdienst (Diakonia), ihren Inhalt also – und zum andern den Ort und die Situation, wo sie konkret wird, sich

138

Vgl. dazu auch das Kapitel 6, Die Vertriebenenseelsorge in der Gegenwart, in Gerhard PIESCHL, „Vergesst vor allem nicht die Armen und Kranken, die Heimatlosen und Fremden“. Vertreibung – Aufnahme – Heimatsuche. Eindrücke, Erfahrungen, Aufgaben eines Vertriebenenseelsorgers. Hg. von Rainer BENDEL. Berlin 2009, S. 77-84. Dort gab Pieschl zu seiner Emeritierung als Vertriebenenbischof einen Rückblick auf die Vertriebenenseelsorge und ihre aktuellen Aufgaben.

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spezifiziert und ihren Heilsdienst umzusetzen trachtet. Plakativ kann ich es so ausdrücken: Vertriebenenseelsorge ist eine Ortsangabe, keine Inhaltsangabe.“139 Pieschl wollte sein Amt als Vertriebenenbischof mit neuem Schwung beginnen. Er wollte inspirieren, die Aufgaben neu und überzeugend formulieren, in Kooperation mit seinen engsten Mitarbeitern, den Visitatoren und den Diözesanvertriebenenseelsorgern. Er startete Umfragen unter den Diözesanvertriebenenseelsorgern, so dass sie die Schwerpunkte ihrer Arbeit skizzieren, vor allem aber auch die Probleme benennen sollten. Enttäuschend war aber das Resultat: Es kamen kaum Antworten und die, die kamen, waren sehr flüchtig skizziert. Man spürt kein Engagement, keine Bereitschaft zu einer Kooperation und zur Entwicklung von neuen Konzeptionen. Jeder erwartete vom anderen die zukunftsweisenden Konzepte und keiner schrieb eines. Das war offensichtlich nicht nur in Königstein das Problem, sondern insgesamt in der Vertriebenenseelsorge. Pieschls Position in seinen Aufgaben als Vertriebenenbischof, seine zentralen Themen lassen sich aus seiner Vorstellung herausarbeiten, die er beim Katholischen Flüchtlingsrat als neu berufener Vertriebenenbischof gab, zweitens aus einer Predigt beim Sudetendeutschen Tag, in dem er das Bild „Josef Euer Bruder“ verwendete und sich auf diesem biblischen Hintergrund mit dem Thema „schweres Verzeihen“ auseinandersetzte, und drittens eine Gedenkrede unter dem Thema „Versöhnung – bleibende Herausforderung für die Vertriebenenseelsorge. Aber was ist mit Versöhnung gemeint?“, die er zum 50. Todestag von Bischof Maximilian Kaller am 6. Juli 1997 in Königstein hielt.

6.1.

Sein Programm vor dem Katholischen Flüchtlingsrat 1983140

Pieschl schlug zuallererst eine Kombination verschiedener Aktivitäten vor, z.B. des Erfahrungsaustausches zwischen den Diözesanvertriebenenseelsorgern und den Beratungen der apostolischen Visitatoren. Grundsätzliche Überlegungen erbat er zur Einbindung der Vertriebenenseelsorge in die Gesamtseelsorge der einzelnen Bistümer. Pieschl wünschte sich zu Amtsbeginn einen Ort für die katholische Vertriebenenarbeit, an dem sie zu Hause sei. Das bedeutete zu dem Zeitpunkt bereits, dass das Schicksal des Tagungsortes Königstein der Klärung bedurfte. Er forderte ein Konzept ein. Überprüft werden sollten die Zusammenarbeit mit den Landsmannschaften und die Darstellung in der Öffentlichkeit. Er forderte auf allen Ebenen und in allen Gremien Beratung über die Frage, wie die Arbeit auf die Zukunft hin ausgerichtet werden könne, wie die heranwachsende Generation einbezogen werden könne. „Als Seelsorger dürfen wir nicht Einzelkämp-

139 140

Vgl. dazu auch das Kapitel 6, Die Vertriebenenseelsorge in der Gegenwart, in PIESCHL, „Vergesst vor allem nicht die Armen und Kranken, die Heimatlosen und Fremden“, S. 83. Grußwort zur Tagung des KFR, 10./11. Mai 1983.

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fer sein, die eine Gruppe versorgen. Die Vertriebenen und Flüchtlinge, die den Seelsorgern anvertraut sind, müssen sich als mündige Christen begreifen und dies auch in der Zusammenarbeit erfahren können. Ich glaube, auf diesem Feld gibt es viel zu tun.“ Die einseitige geistige Ausrichtung in der Gesellschaft auf Westeuropa hin wollte er aufbrechen durch das Interesse für die osteuropäischen Länder, für deren Literatur, Kunst und Musik.

6.2.

Echte Versöhnung ist ein schwieriger Prozess: „Ich bin Josef Euer Bruder“

„Josef aber rächte sich nicht, sondern prüfte sie hart. Als er merkte, dass sie sich gewandelt hatten trat er voller Rührung vor seine Brüder und sagte: Ich bin Josef Euer Bruder, den Ihr nach Ägypten verkauft habt …“ Pieschl unterstrich, dass die deutschen Heimatvertriebenen aus ihrer Lebensgeschichte die Erfahrungen von Leid und Unglück ebenso kannten wie jene Hoffnungszeichen, die nach der Katastrophe von Krieg und Vertreibung zu erleben waren: „Es hat sich erwiesen, dass die Worte von Ausgleich, Verständigung und Versöhnung keine hohlen Phrasen sind, wenn die Vertriebenen sich schon fünf Jahre nach der Vertreibung in ihrer Charta der Heimatvertriebenen141 der Realität stellten und – im Blick zurück – Rache und Gewalt eine Absage erteilten und – im Blick nach vorn – mitwirken wollten am Aufbau eines vereinten und versöhnten Europa. Es hat sich erwiesen, dass die Solidarität mit der verfolgten Kirche in der Zeit des Kommunismus gerade von den Heimatvertriebenen praktiziert wurde. Ich denke auch hier an Königstein mit seinen Kongressen ‚Kirche in Not’. Es ist sicher nicht falsch, da auch eine Wurzel für das Hilfswerk der Deutschen Kirche für die Kirche des Ostens ‚Renovabis’ zu sehen. Es waren Christen, die oft unter großen Wagnissen Schritte aufeinander zugingen, um so Versöhnung zwischen Feinden zu ermöglichen. Unvergessen die Botschaft der polnischen und deutschen Bischöfe während des Zweiten Vatikanischen Konzils: ‚Wir bitten um Vergebung und gewähren Vergebung.’ “ Dies alles waren Schritte in die richtige Richtung, Hoffnungszeichen für eine bessere Zukunft, die nach Pieschls Ansicht ein solides Fundament brauchten: die Wahrhaftigkeit, die ihrerseits wiederum der kontinuierlichen Klein- und Grundlagenarbeit nicht zuletzt in Geschichtsschreibung und Geschichtsunterricht bedarf. In diesem Aufgabenfeld erwies sich Pieschl als Kritiker an frühzeitiger Euphorie – die Verständigung über die Geschichtsbilder bezeichnete er wiederholt als langwierige und schwierige Aufgabe.

141

Rainer BENDEL, „... weil Hass und Racheleidenschaft den Menschen innerlich degradieren“. Der Gewaltverzicht der Vertriebenen und die katholische Kirche nach 1945. Zum 60. Jahrestag der Charta der Vertriebenen, in: Sudetenland 52 (2010), S. 386-393.

156

6.3.

Abschnitt II

Im Gedenken an den ersten Vertriebenenbischof

Kondensiert sind seine Überlegungen zum Thema ‚Versöhnung – bleibende Herausforderung für die Vertriebenenseelsorge’ in seinem Vortrag zum fünfzigsten Todestag von Bischof Maximilan Kaller, wo er eigens nach dem Verständnis von Versöhnung fragte. Das Urwort der Seelsorge, der es immer um die Versöhnung mit Gott und der Menschen untereinander gehe, habe die Vertriebenenseelsorge in all den Phasen ihres Wirkens zu sprechen versucht und geleistet. Die erste Phase bezeichnete Pieschl als caritative Phase. Dabei lehnte er sich an die Gliederung von Kindermann an. Die Vertriebenenseelsorge, allen voran der päpstliche Beauftragte für die Vertriebenenseelsorge Kaller, habe Trost und Zuversicht gespendet, sei der Armut der vertriebenen Bevölkerung zu Hilfe gekommen und habe die Mutlosen und Verzagten ermutigt, habe das Schicksal von der Botschaft des Kreuzes her gedeutet. Nachdem die nötigsten materiellen Grundlagen gelegt waren, folgte die Bemühung um die wirtschaftliche, gesellschaftliche und kirchliche Eingliederung – nach Pieschl die zweite Phase der Vertriebenenseelsorge. Als die dritte Phase bezeichnete er die der geistigen Auseinandersetzung, wohl wissend, dass die Phasen zeitlich nicht nur aufeinander folgten, sondern auch parallel liefen. Die geistige Auseinandersetzung mit den großen Zusammenhängen von Schuld und Unschuld, von Leid, vom Sinn des ganzen Geschehens fand von Anfang an statt. Pieschl wies auf die entsprechenden Stellen bei Kaller hin und führte auch Pater Paulus Sladek an mit seinem Bemühen um Versöhnung seit dem Ende des Krieges. Die Heimatvertriebenen setzten sich sehr früh mit Nationalismus, Nationalsozialismus, Kommunismus und Atheismus und ihren Folgen auseinander. Die dritte Phase, die der geistigen Auseinadersetzung mit dem Vertreibungsgeschehen, sei nicht abgeschlossen, so Pieschl. Sie werde fortgeführt durch neue Entwicklungen gerade in den neunziger Jahren: durch die große Zahl der Aussiedler, aber auch durch die neu aufgekommene Diskussion über die Vertreibung in den Vertreiberländern. Das habe für die Vertriebenenseelsorge die Aufgaben noch einmal neu akzentuiert. Es gelte, das Vertreibungsschicksal philosophisch-theologisch aufzuarbeiten, die Frage zu stellen, was die Kirche zur Beheimatung des heutigen Menschen zu leisten vermöge. „Nach der Wende 1989 wurden die Möglichkeiten der Begegnung und so auch eine gemeinsame Auseinandersetzung mit der Geschichte größer. Es zeigte sich, dass – nicht zuletzt durch die Arbeit der Vertriebenenseelsorge – für die katholischen Heimatvertriebenen eine gute Ausgangslage für die nun mögliche offene Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte von Vertriebenen und Vertreibern vorlag.“142 Zu dieser guten Ausgangslage zählte Pieschl auch die Königsteiner Erklärung der deutschen Vertriebenenseelsorger von 1972, in der sie ausdrücklich unterstrichen hatten, dass sie denen verziehen, die ihnen Unrecht getan hatten, dass sie sich grundsätzlich einsetzten für die Verteidigung des Heimatrechtes, sich dabei aber von 142

„Versöhnung – bleibende Herausforderung für die Vertriebenenseelsorge. Aber was ist mit Versöhnung gemeint?“ Vortrag im Rahmen der Festakademie anlässlich des fünfzigsten Todestages von Bischof Maximilian Kaller am 6. Juli 1997 in Königstein, 7 Seiten kopiert, Zitat S. 4.

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Verbitterung, Abneigung und Gedanken der Vergeltung freihalten wollten. Und dass sie die Menschenrechte der in ihrer Heimat siedelnden Menschen, also der Polen und Tschechen, nämlich freie Existenz und angemessene Entfaltung, berücksichtigten und dass sie unter Ablehnung jeder Gewaltpolitik zu einem Ausgleich mit Polen bereit seien, der von beiden Seiten als gerecht angesehen werden könne. Nach den längeren Ausführungen zur Kontinuität des Anliegens von Versöhnung in der Vertriebenenseelsorge stellte Pieschl die präzisierende Frage nach der Versöhnung: Das Profil dieses Begriffes musste für ihn unabdingbar Wahrheit und Gerechtigkeit beinhalten. Dieses eminent religiöse Wort dürfe nicht politisch instrumentalisiert werden. Versöhnen könnten sich letztlich nur Menschen, nicht Staaten. Politik könne Versöhnung ermöglichen, aber nicht zwingend schaffen. „Nichts ist schädlicher für die Versöhnung zwischen Menschen und Völkern, als wenn diese autoritär verordnet wird.“143 Pieschl bezog sich hier auf die deutsch-tschechische Deklaration und wollte differenzierend unterstreichen, dass nicht jeder, der politische Einwände gegen diese Deklaration äußerte, gleich verdächtigt werden durfte, ein Gegner der Versöhnung zwischen den Völkern zu sein. So dürfe man auch in der Kirche nicht autoritär dekretieren, wie die Diskussion um die Deklaration geführt werden müsse. Man dürfe nämlich nicht nur eine politische Linie mit moralischen Kategorien stützen und sie gleichermaßen als höhere christliche Moral darlegen. „Dahinter verbirgt sich – vielleicht unreflektiert – ein autoritäres Verständnis, das in der katholischen Kirche eigentlich seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil überwunden zu sein schien.“144 „Von Anfang an war es Grundsatz der Vertriebenenseelsorge, mitzuwirken an einer Friedensordnung, die auf Wahrheit und Gerechtigkeit aufbaut. Von Anfang war es auch ihre Überzeugung, dass Versöhnung und Wahrheit, Versöhnung und Liebe, Versöhnung und Gerechtigkeit, Versöhnung und zumutbare Wiedergutmachung sich nicht widersprechen und ausschließen, sondern sich bedingend und einander stützend aufbauen.“145 Diese Haltung, so Pieschl, habe ihren Grund in der Lebenserfahrung vieler Heimatvertriebenen. So sei die einzige tragfähige Grundlage für ein neues, besseres, zukunftsfähiges Miteinander zwischen Vertriebenen und Vertreibern die gemeinsame wahrhaftige Aufarbeitung der Geschichte, die Bereitschaft zur Vergebung und die gemeinsame Suche nach tragfähigem, politischem Ausgleich. Dabei darf bei diesen Argumentationen mit dem Blick in die Geschichte nicht übersehen werden, dass die Geschichte auch nicht nur bis 1918 zurückgehen könne, sondern eben auch die Erfahrungen der Vertreibervölker im 19. Jahrhundert mit berücksichtigen müsse.146 Am 1. November 1996 findet sich in der Katholischen Nachrichtenagentur (KNA) eine Stellungnahme Pieschls zur deutsch-tschechischen Erklärung zur Aussöhnung

143 144 145 146

Ebd., S. 6. Ebd., S. 6. Ebd., S. 7. Dazu u.a. die einführenden Überlegungen in Friedrich PRINZ, Geschichte Böhmens 1848 – 1948. München 1988. – DERS., Böhmen im mittelalterlichen Europa. Frühzeit, Hochmittelalter, Kolonisationsepoche. München 1984, dort v.a. S. 180-208.

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unter dem Titel „Schlimmer als der Heimatverlust wäre der Rechtsverlust“. Bei der deutsch-tschechischen Erklärung gehe es um die Zukunft. Pieschl bedauerte dass der Text in nicht-öffentlichen Verhandlungen vorbereitet und die Sudetendeutschen als Betroffene in diesen Prozess nicht einbezogen wurden.147 Ein fundamentales Anliegen brachte Pieschl in einem Grußwort „Fünfzig Jahre danach – Gedenken der Heimatvertriebenen“ am 10. Juni 1995 im Maternushaus in Köln zur Sprache; er unterstrich dort, die Erfahrungen aus der Vertreibung zu bewahren, um für Recht und Frieden zu wirken. Er forderte eine theologische Deutung des Heimatverlustes; das mit und in der Vertreibung Erlebte sollte auf die heilsgeschichtliche Ebene gehoben, also quasi im Hegelschen Verständnis aufgehoben, aufbewahrt werden.148

6.4.

Umstrukturierungen in der Vertriebenenseelsorge

a) Dotationen In den Beratungen des Katholischen Flüchtlingsrates (KFR) vom 8./9. November 1996 in Münster kam die Neuregelung der Vertriebenenseelsorge zur Sprache: die staatlichen Dotationen für die apostolischen und kanonischen Visitatoren wurden verhandelt. Überlegung war zu dieser Zeit, die Dotationen jährlich um zehn Prozent zu kürzen und in zehn Jahren auslaufen zu lassen. Es fanden Gespräche zwischen dem Katholischen Büro Bonn und der Bundesregierung statt über eine Einmalzahlung anstelle der laufenden Kürzung. Beabsichtigt war, dass der Verband der Diözesen Deutschlands (VDD) die ausfallenden staatlichen Beträge übernahm. In der Sitzung des KFR am 17./18.10.1997 berichtete Pieschl, dass die Frage der Dotationen zwi-

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„Es darf doch nicht überkommen, dass die Sudetendeutschen nach dem Verlust ihrer Heimat und ihres Eigentums nun erfahren müssen, dass dies auch rechtens war, denn schlimmer als der Heimatverlust wäre der Rechtsverlust und Rückschritt auf dem Weg zu Ausgleich und Versöhnung. Nach alldem, was ich bislang von der deutsch-tschechischen Erklärung höre und lese, und wenn ich die Aktivitäten der reisenden Parteivorsitzenden und Diplomaten richtig deute, kann ich nur beten, „Gott eile zu helfen“ und nicht „hilf zu eilen“!“ „Auch für die hier in Köln versammelten deutschen Heimatvertriebenen geht es um ein Aufbewahren für alle Zeit, um ein Aufheben, ein Erinnern. Es geht darum, das Erlebte der Vertreibung aufzuheben, es auf eine andere Ebene zu bringen, in der eigenen Geschichte, Heilsgeschichte erkennbar zu machen: Die Tragik des Heimatverlustes weist über das Irdische weit hinaus auf die ewige Heimat. Theologisch gesprochen: Christen wissen: hinter Karfreitag erscheint Ostern … Deshalb sind wir heute hier versammelt: aufzubewahren für alle Zeit, die Erfahrungen unseres Lebens und die Stütze, die uns der Glaube ist. Jeder von uns wird seiner Erfahrungen gedenken, auch seiner Gebete, die er an anderen Orten, in anderen Lebensbedingungen gesprochen hat … Doch es geht nicht um Rückblick oder Nostalgie. Wir erinnern gleichzeitig an unsere Chancen und Pflichten, die allen Menschen bewusst sein müssen, wenn neue Weltkatastrophen verhindert werden sollen. Wir wissen, dass wir in der noch nicht erlösten Welt die Aufgabe haben, für Recht und Frieden einzutreten. Dies wollen wir auch in Zukunft mit Gottvertrauen tun.“

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schenzeitlich geklärt worden sei. Es wurde eine Abfindung von 2,5 Mio. von der Bundesregierung gezahlt und damit wurden die Dotationszahlungen eingestellt.

b) Nachfolge der Visitatoren Zur Debatte stand die Nachfolge für die ausgeschiedenen und aus dem Amt scheidenden Visitatoren: Es wurde überlegt, keine apostolischen Visitatoren als Nachfolger zu ernennen, sondern nur von der Bischofskonferenz benannte. Die Konferenz der Vertriebenen- und Aussiedlerseelsorge vom 16. Oktober 1998 fasste einen Beschluss zur Neustrukturierung der Vertriebenen- und Aussiedlerseelsorger und verabschiedete ein Votum zu den Überlegungen in der Deutschen Bischofskonferenz zur Neuordnung der Vertriebenen- und Aussiedlerseelsorge. Darin wurde bedauert, dass mit der Neuordnung die Apostolischen Visitatoren nicht mehr vom Heiligen Stuhl ernannt wurden und die apostolischen und kanonischen Visitatoren aus der Deutschen Bischofskonferenz ausschieden. In diesem Vorgehen wurde objektiv eine Minderung der Vertriebenenseelsorge festgestellt. Die Konferenz unterstrich, dass die Vertriebenen- und Aussiedlerseelsorge um der Menschen willen trotzdem weiterhin die Seelsorge der Kirche für die Heimatvertriebenen und Aussiedler gestalten werde. Drei Aufgabenschwerpunkte wurden im Konsens mit den Formulierungen der Deutschen Bischofskonferenz aufgeführt: die Sorge um die geistliche Betreuung der Heimatvertriebenen, das Engagement für die Aussöhnung mit den Menschen in der alten Heimat und die Hilfe für die ‚Kirche in Not’. Die Vertriebenenseelsorge wurde als eine notwendige Ergänzung der territorialen Seelsorge verstanden. Entsprechend wurde vom VDD eine finanzielle Ausstattung für die Arbeit der Visitatoren und der Gremien der Visitatoren und des Katholischen Flüchtlingsrates gefordert. c) Künftige Aufgaben der Vertriebenenseelsorge Ein Papier für die Mitglieder der Konferenz der Katholischen Vertriebenenseelsorger vom 4. September 1998 skizzierte als künftige Aufgaben der Vertriebenenseelsorge die Aufarbeitung des Geschehenen und Schritte zu tragfähiger Aussöhnung, die Wahrung der Identität bei aller Integration in die neue Umgebung, einen Beitrag dafür, dass das Bewusstsein in der Öffentlichkeit und in der Kirche für das Unrecht der Vertreibung lebendig bleibt, und den Brückenschlag zur alten Heimat. Strukturell wurde gewünscht, den Vertriebenenbischof innerhalb der Deutschen Bischofskonferenz stärker zu gewichten. Außerdem sollte ein Mitglied der Pastoralkommission für folgende Aufgaben ernannt werden: Es sollte beratendes Mitglied im Ständigen Rat und Vorsitzender der Konferenz der Vertriebenen- und Aussiedlerseelsorger sein; ihm sollte der Katholische Flüchtlingsrat in Deutschland als Beratungsgremium zugeordnet werden. Außerdem sollte der Vertriebenenbischof Mitglied der Deutsch-Polnischen Bischofskommission sein und mitwirken bei den Kontakten zur Tschechischen Bischofskonferenz. Sowohl bezüglich der kirchlichen wie der staatlichen Kontakte zu den Vertreiberländern wünschte er einbezogen zu werden. Aus dem

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Bereich der Flüchtlings-, Vertriebenen- und Aussiedlerseelsorge sollten Vertreter in die Kommissionen ‚Weltkirche und Migration’ sowie in die Unterkommission ‚Renovabis’ berufen werden. Mit einem Schreiben vom 19. Juni 1997 an ‚Renovabis’ beklagte Pieschl, dass der Internationale Kongress Renovabis die Tradition der Kongresse ‚Kirche in Not’ von 1951 bis 1995 nicht wahrnehme und würdige. Aus dem Programm gehe hervor, dass man die Verbindung zur Vergangenheit nicht für erwähnenswert halte. Daher wollte Pieschl auch nicht am Kongress teilnehmen.

d) Neuordnung der Gremien Im Nachgang zur Neuordnung der Vertriebenenseelsorge wurden die Gremien neu geordnet.149 Aus dem Rücklauf der Antworten ergab sich ein Votum, die Konferenz der Vertriebenenseelsorger in der bisherigen Zusammensetzung aufzulösen. Die neuen Gremien und Mitglieder sollten sein: die Arbeitsgruppe der Pastoralkommission, die sich zusammensetzte aus dem Beauftragten der Deutschen Bischofskonferenz für Vertriebenen- und Aussiedlerseelsorge, dem Geschäftsführer und den Mitgliedern, nämlich den Visitatoren und dem Vorsitzenden des Katholischen Flüchtlingsrates, der Katholische Flüchtlingsrat, die Konferenz der Vertriebenenseelsorger, wobei hier die Mitglieder sich zusammensetzten aus dem Beauftragten der DBK, den Visitatoren, den Leitern der Arbeitsstellen Süd und Nord und den Diözesanvertriebenenseelsorgern die Sprecher der Priester und Gläubigen, der Nunc- und Tunc-Diözesen, der Sonderseelsorger, Lagerpfarrer und des Katholischen Flüchtlingsrats. Selbstverständlich wurde Pieschl auch in die Umstrukturierungen der Arbeitsgemeinschaft der katholischen Vertriebenenorganisationen (AKVO) involviert, die ihre zentrale Stelle aufgrund der gekürzten Finanzmittel durch den VDD (Verband der Diözesen Deutschlands) weitgehend aufgeben musste, konnte hier aber aufgrund der Finanzlage keine Änderungen bewirken. Der IWO (Informationsdienst West-Ost) als Presseorgan der AKVO musste Ende 1999 sein Erscheinen einstellen. Pieschl wollte sich 1990 von der Aufsicht über das Sudetendeutsche Priesterwerk entpflichten lassen. Zu diesem Schritt hatte er sich veranlasst gesehen, weil ihm der jährliche Tätigkeits- und Kassenbericht nicht vorgelegt worden war. Der Vorstand des Sudetendeutschen Priesterwerkes war davon ausgegangen, dass sie dem Vertriebenenbischof nicht wie einem Belegenheitsbistum auskunftspflichtig seien, dass Pieschl nicht ein äquivalentes Aufsichtsrecht und eine Aufsichtspflicht über das Priesterwerk hätte. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz stimmte dieser Auffassung nicht zu.

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Diözesanarchiv Limburg. Bestand: Weihbischof Pieschl, Vertriebenenbischof, Ordner: Konferenz der Diözesanvertriebenenseelsorger. Schreiben Pieschls an die Mitglieder der Konferenz der Katholischen Vertriebenen- und Aussiedlerseelsorge vom 11. Juni 1999.

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2002 plädierte Pieschl für die Zusammenlegung der beiden Arbeitsstellen Nord und Süd für die Vertriebenenseelsorge. Er initiierte eine der veränderten Finanzlage angemessene Umstrukturierung, von der er sich auch eine Effizienzsteigerung versprach. Seit 2004 gab er den Informationsdienst „Kirche und Heimat“ in Königstein und Limburg heraus. Er wurde getragen von Ernst Benz und Rudolf Grulich, wobei noch zu klären ist, wie viele Nummern überhaupt erschienen sind.

6.5.

Politische Einsprüche des Vertriebenenbischofs

Am 26. Juni 2000 schrieb Pieschl an den damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau150 und betonte eine tiefere Resignation in der Volksgruppe der Sudetendeutschen, weil sie mit ihren Anliegen von der eigenen Regierung ignoriert würden. „Warum werden unsere Interessen tabuisiert?“ formulierte er. Das ist ein deutliches Beispiel neben den vielen anderen, dass Pieschl sein Amt viel stärker als seine Vorgänger, vor allem auch sein unmittelbarer Vorgänger, als eine auch politische Aufgabe verstand. Damit hob er sich deutlich von seinem Vorgänger ab, ja er bedauerte es, dass Janssen seinen Auftrag in einem klassischen Sinn ausschließlich seelsorgerlich verstehen wollte. Politisch sein bedeutete in den 27 Jahren, in denen Pieschl Vertriebenenbischof war, nicht mehr Sozialpolitik, sondern schwerpunktmäßig die Themen „Recht auf Heimat“, „Versöhnung“ und „Erinnerung“. In diesem Themenfeld war es ihm von Anfang an entscheidend, Wahrheit und Gerechtigkeit im Ausgleich zu behalten. Er wollte nicht aus Bequemlichkeit oder Opportunismus einen Weg gehen, der um eines sogenannten „lieben Friedens willen“ auf historische Wahrheit und Gerechtigkeit verzichtete. Sein Motto war Barmherzigkeit: „Ohne Gerechtigkeit ist Barmherzigkeit die Mutter der Auflösung, und Gerechtigkeit ohne Barmherzigkeit ist Grausamkeit.“ Unter diesen Koordinaten ist auch Pieschls Standpunkt im Ringen um das Zentrum gegen Vertreibungen zu sehen: Pieschl trat durchweg für Berlin als Sitz eines solchen Zentrums ein. Das belegt die Korrespondenz mit dem polnischen Bischof Straczynski ebenso wie ein Interview mit der KNA.151 Das Interview hat offensicht-

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Johannes Rau (1931 – 2006). Uwe BIRNSTEIN, Johannes Rau der Versöhner. Ein Porträt. Berlin 2006. Hier haben wir einen Brief Pieschls an Straczynski vom 18. August 2005 und ein KNAInterview, wo Pieschl eindeutig für Berlin eintritt. Pieschl an Straczynski, 18. August 2005: „Sie werden sicherlich verstehen, dass ich mit größter Verwunderung Ihr Statement vernommen habe. Wenn Sie sich der kleinen Mühe unterziehen, werden Sie klar feststellen aus den Unterlagen des Bundes der Vertriebenen zum geplanten Zentrum gegen Vertreibungen, dass Sie niemals sagen können: „Solange nicht hinreichend klar ist, was mit dem Zentrum gegen Vertreibungen gemeint ist.“ In aller Öffentlichkeit ist dieses Projekt glasklar dargestellt! Darf ich Sie auch daran erinnern, dass Sie vor einem Jahr schon mit der Präsidentin des Bundes der Vertriebenen Gespräche geführt haben, worin Ihnen sicherlich

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lich gerade in Vertriebenenkreisen große Zustimmung, ein breites Echo gefunden. Pieschls Äußerungen sind dort wie überall kurz, direkt, humorvoll, ohne Umschweife und deutlichst. Pieschl bekam mit seiner Position zu Vergeben und Versöhnen in der Bischofskonferenz oft wenig Unterstützung. Er wurde als störende Stimme in der Verständigung zwischen Deutschen und Polen und zwischen Deutschen und Tschechen wahrgenommen. Pieschl fand dennoch Wege, seine Kollegen mit den Untiefen der Thematik zu konfrontieren. Ein Beispiel ist, wie er mit einem kritischen Brief des Vorsitzenden des Heimatwerks der Schlesier verfuhr: Der Historiker Josef Joachim Menzel hatte einen ausführlichen kritischen Brief zur Erklärung der Deutschen Bischofskommission „40 Jahre deutsch-polnische Erklärung“ geschrieben. Pieschl bat hier die Bischofskollegen um Hilfe bei der Formulierung der Antwort. Das hatte zur Folge, dass sich die Bischofskollegen zum einen mit der Problematik auseinandersetzen mussten und seine Position – verpackt in der Position Menzels, eines Historikers und Fachmannes – offeriert bekamen. Die ausführliche Antwort formulierte schließlich der Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz, Hans Langendörfer SJ. Der entscheidende Punkt in diesem Kontext für Pieschl war das Hirtenschreiben der polnischen Bischöfe vom 10. Februar 1966 an die Gläubigen des Landes, das Pieschl als Rücknahme des Briefes von 1965 interpretierte, weil es dort hieß: „Wir sagen, wir bitten um Vergebung. Hat die polnische Nation einen Grund, unsere Nachbarn um Vergebung zu bitten? Sicherlich nicht. Wir sind überzeugt, dass wir als Nation im Laufe der Jahrhunderte dem deutschen Volk kein politisches, wirtschaftliches und kulturelles Unrecht getan haben.“ Die Antwort Kardinal Karl Lehmanns war, solche Erklärungen wie zum 40-jährigen Jubiläum des Deutsch-polnischen Briefwechsels seien keine historische Analyse, sondern diplomatische Texte, die auch in die Zukunft schauen wollen. Bei solchen Texten müsse man auf die Wirkungsgeschichte achten. Und die habe eindeutig der deutsch-polnische Briefwechsel gemacht, nicht die angebliche Rücknahme des Briefes von 1965 durch das Hirtenschreiben, das man im staatlichen, gesellschaftlichen Kontext Polens der sechziger Jahre lesen müsse.

klar geworden ist, was dieses Zentrum bedeuten soll. Ihr Vertragspartner war auch immer die Stiftung. Und auch Ihr Wort vom „gesellschaftlichen Konsens“ ist höchst sonderbar. Seit wann wird in welchen Fragen ein gesellschaftlicher Konsens zur absoluten Bedingung gemacht? Warum verstecken Sie sich als Kirchenmann hier? Es ist doch klar, dass gerade die polnische und auch die tschechische Seite kein Interesse daran hat, einzugestehen, welche Rolle sie auch als Kirche bei den Vertreibungen gespielt hat. Muss ich Sie an Kardinal Hlond erinnern? Und warum sollen gerade wir Deutsche darauf verzichten, auch auf unsere eigenen Opfer hinweisen zu können, zumal dieses immer im Kontext mit allen Vertreibungen vom Konzept her schon angelegt ist.“

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7.

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Fazit: Die Vertriebenenbischöfe

Die Übersicht über die Vertriebenenbischöfe spiegelt den Wandel der Situation der Vertriebenen, deren Integrationsfortschritt und damit auch den Wandel der Aufgaben der kirchlichen Vertriebenenbetreuung. Sie zeigt aber auch die unterschiedlichen Herkunftskontexte der Vertriebenenbischöfe: Kaller, der Schlesier auf dem ermländischen Bischofsstuhl, war von Flucht und Vertreibung betroffen wie kaum ein anderer. Seine franziskanische Haltung in der Frömmigkeit, in der Caritas und in der theologischen Einordnung der Vertreibung schenkte ihm Authentizität und mit ihr ein großes Vertrauen, ja Zuneigung der Vertriebenen; ihr Bischof wurde ihnen rasch zu einer Identifikationsfigur, die ihnen jäh genommen wurde. Bischof Dirichs von Limburg arbeitete wie sein Vorgänger mit aller Kraft für eine der Aufgabenverteilung angemessene Streuung der vertriebenen Geistlichen, auch er allerdings mit bestenfalls mäßigem Erfolg. In dem einen Jahr seines Wirkens als Vertriebenenbischof setzte er sich massiv für die Errichtung der Hochschule in Königstein ein und versuchte die Spannungen zwischen der Kirchlichen Hilfsstelle in Frankfurt, die sein Freund Büttner leitete, und den führenden Vertretern in Königstein zu überwinden. Hartz’ Wirken als Beauftragter für die Vertriebenenseelsorge wurde zuvörderst geprägt von der Debatte um die Gestaltung der für die Sicherung der Existenz der Vertriebenen notwendigen sozialpolitischen Gesetze. Er warb im vorpolitischen Raum, in den Kirchengemeinden bei den Einheimischen und Vertriebenen für die Notwendigkeit des Lastenausgleichs. Mitten aus der Diskussion riss der Tod ihn heraus. Die Frage muss hier offen bleiben, ob er seine Argumente hätte noch direkter in die Willensbildung und den politischen Prozess einbringen können. Döpfner kannte das Problem der Vertriebenen in den Ankunftsgebieten aus seinem Bistum Würzburg und aus den Problemen, die eine stark zerstörte Bischofsstadt mit der Aufnahme von Vertriebenen hatte. Wohnungsbau sollte Vorrang vor dem Dombau bekommen signalisierte er mit dem Motto ‚Wohnungsbau ist Dombau’. Bei ihm, dem gebürtigen Unterfranken, herrschte naturgemäß die Sicht des Einheimischen vor, der auch in den fünfziger Jahren bedeutende Schritte zur Integration bereits gegangen sah, mit der Lösung der grundlegenden Probleme der materiellen Versorgung die hauptsächliche Dringlichkeit des Aufgabenbereichs bereits in der Vergangenheit wähnte. Janssen, der Unpolitische, der Geduldige, der den führenden Vertriebenenseelsorgern keinen Wunsch abschlagen wollte, kannte die ostdeutschen Katholiken aus seinem Seelsorgeeinsatz in der Zwischenkriegszeit. Wo immer es ihm möglich war, war er auf den Kongressen in Königstein anwesend; er unterstützte die Arbeit Kindermanns, wo es nur ging. Mancher hätte sich in den politischen Debatten des Vierteljahrhunderts seines Wirkens eine deutlichere Position für die Vertriebenen in der Öffentlichkeit oder einen größeren Einfluss in der Sache der Vertriebenen bei den

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Abschnitt II

Kollegen im Bischofsamt gewünscht. In dieser Hinsicht enttäuscht waren daher nicht nur die Vertreter markanter Positionen der Vertriebenenarbeit wie Herbert Czaja.152 Als Pieschl das Amt des Vertriebenenbischofs übernahm, waren wichtige Weichen in der politischen Diskussion, in der Ostpolitik und in der Neuordnung der Diözesangrenzen im Osten bereits unter seinem Vorgänger gestellt worden. Eine Reihe von Aufgaben der Vertriebenenseelsorge, vor allem auf der caritativen Ebene war erfüllt. Im Vordergrund standen jetzt die Fragen nach der Wirksamkeit des kulturellen Erbes der Vertriebenengruppen und der Volksgruppenrechte – beide Themenkomplexe wurden von Seiten der einheimischen Katholiken nicht als dringlich angesehen – es waren Spezialthemen einer Minderheit. Mit Pieschl übernahm ein Vertreter aus der zweiten Generation das Amt; die Vertreibung hatte er als Kind erlebt. Zum ersten Mal brachte er die Erfahrung der Sudetendeutschen mit: sie waren eine große katholische Volksgruppe, sehr rege in der Vertriebenenarbeit, gewohnt, dass man sich auf Strukturen nicht selbstverständlich verlassen konnte. Die zentralen Themen in der Amtszeit Pieschls als Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für die Vertriebenenfragen waren zum einen die Zusammenarbeit mit den Gremien und das Selbstverständnis der Gremien. Das zeigten nicht zuletzt die Diskussionen in den Sitzungen des Katholischen Flüchtlingsrates, wem man zugeordnet war: dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz oder dem Vertriebenenbischof, wen man primär zu beraten hatte, wer den Vorsitzenden berief etc. Ein weiterer Schwerpunkt lag in der Diskussion um das Zentrum gegen Vertreibungen, damit auch in der Beschreibung des Standes und der Entwicklungen im deutsch-tschechischen und deutsch-polnischen Verhältnis. Solche Positionsbestimmungen wurden jeweils zu den Jahrestagen des Gedenkens an das Kriegsende bzw. an die deutsch-polnische Erklärung erwartet. Eine äquivalente Verständigung wie mit den polnischen Bischöfen wurde mit den tschechischen Nachbarn auf Bischofsebene vorbereitet. Dabei drängten die Sudetendeutschen darauf, die eigenen Positionen zu beachten, einzubringen, zu bewahren. Wesentliche Termine waren jährlich wiederkehrend die Vertriebenentreffen, der Sudetendeutsche Tag und der Tag der Heimat; auf vielen sudetendeutschen Tagen predigte Pieschl. Viele Kontakte pflegte er nach Böhmen und Mähren; wann immer es ging feierte er Gottesdienst mit seinen tschechischen Amtsbrüdern, auch in der mährischen Heimatregion. Pieschl forderte von der Vertriebenenseelsorge zum einen eine theologische Aufarbeitung dessen, was geschehen war, und eine theologische Deutung dessen, was zur Bewältigung dienen konnte, und warnte vor einer Tabuisierung der Thematik Vertreibung. Im Sinne der historischen Vollständigkeit müsse man sich auch diesem Kapitel der Geschichte stellen. Konnten seine Anliegen, die offenen Aufgaben der Vertriebenenseelsorge in die nächste Generation getragen werden? Integration wird zunehmend in Publikationen

152

CZAJA, Unterwegs zum kleinsten Deutschland? V.a. S. 409ff. Vgl. zu Czaja Christine CZAJA (Hg.), Herbert Czaja – Anwalt für Menschenrechte. Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen. Bonn 2003.

Die Vertriebenenbischöfe

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als Generationen übergreifender Vorgang wahrgenommen. Werden daraus Konsequenzen gezogen? Kultur speist sich wesentlich aus der Religion; Verständigung braucht je neu als Basis die Vergebung. Werden die daraus erwachsenden Aufgaben für die spezifischen religiösen Lebenswelten, die Kultur und Geschichte wahrgenommen?153

153

Rainer BENDEL, Überlegungen für eine künftige Zielsetzung und organisatorische Struktur für die Kirchen- und Kulturgeschichte Ostmitteleuropas, in: Paul MAI (Hg.), Institut für ostdeutsche Kirchen- und Kulturgeschichte e.V. 1988 – 2008. Köln, Weimar, Wien 2011, S. 25-31.

ABSCHNITT III: DIE PROMOTOREN KÖNIGSTEINS

Am Anfang standen eine Initiative, ein Meer von Sorgen und drei Priester... Zu ihnen gehörte der erste Vertriebenenbischof Maximilian Kaller. Die vorausgegangenen Ausführungen zu seiner Person haben gezeigt, dass der Anteil Kallers an der praktischen Hilfe, an dem spontanen seelsorgerlichen Einsatz für die Vertriebenen eine zentrale wegweisende Initiative für die Vertriebenenseelsorge war. Kallers Seelsorge war an allen seinen Wirkungsorten vor der Vertreibung und erst recht nach der Ausweisung aus seinem Bistum caritativ ausgerichtet und sprengte die Mauern von sozialen Schichten und ethnischen Gruppen. Kaller sorgte sich um seine Priester und Gläubigen, um die seelsorgerliche Betreuung der Vertriebenen in den Aufnahmegebieten umso mehr, als er der Ansicht war, sie müssten sich dort dauerhaft etablieren. Der Vertriebenenbischof hatte von Anfang an auch das Problem der weiteren Ausbildung der Theologen aus dem Osten, die aus Krieg und Gefangenschaft heimkehrten und ihr Studium fortsetzen oder neu aufnehmen wollten, in seinen Überlegungen. Er dachte an ein Auffangseminar und traf sich in diesen Überlegungen mit Vorschlägen des Osnabrücker Bischofs Wilhelm Berning, dem Protektor des vormaligen Reichsverbandes für die katholischen Auslandsdeutschen (RKA). Eine inhaltliche Füllung der Hilfsmaßnahmen, die von einem Zentrum für die vertriebenen Seelsorger ausgehen sollten, brachte die Stiftung des Opus Confraternitatis, ein Hilfswerk priesterlicher Bruderliebe, das letztlich seinen Grundstock durch einen Bittbrief Büttners vom Josephstag 1946 erhalten hatte, der an die Priester im Ausland gerichtet war: Sie sollten im Geiste des Grenzen, Staaten und Völker überschreitenden Priestertums die Liebe über den Hass siegen lassen und den deutschen Priestern und Theologiestudierenden helfen – in erster Linie mit Büchern, wissenschaftlichen Werken, mit Kleidung, Lebensmitteln und Geldspenden. Nicht zuletzt für die Seelsorger in der sowjetisch besetzten Zone konnten tonnenweise Liebesgaben verschickt werden. Ein Grund legender Schritt zur Begründung der Studienanstalten für die Osttheologen war der Transfer der Bücherei des deutschen Theologenseminars in Prag durch Kindermann nach Königstein am 14. August 1946. Fast gleichzeitig hatte die Tagung von über 100 heimatvertriebenen deutschen Seelsorgern vom 6. bis 8. August 1946 in Eichstätt1 eine Eingabe an die Deutsche Bischofskonferenz formuliert mit der Bitte, 1

BENDEL, Quellen zur Vertriebenenseelsorge II, S. 9-85.

168

Abschnitt III

die ostdeutschen Theologen in einem gemeinsamen Seminar in Königstein zu sammeln, damit diese Theologen nach den Bedürfnissen der verschiedenen Diözesen für die Diasporaseelsorge und ggf. für eine spätere Auswandererseelsorge besonders geschult werden. Diese Initiativen und Überlegungen fielen in die Zeit, da Kaller von Papst Pius XII. mit dem Sonderauftrag für die Vertriebenen betraut wurde und mit diesem Auftrag die „Oberleitung“ für all diese Maßnahmen übernehmen sollte. Im November 1946 konnten in Königstein die ersten zwei Abiturientenkurse für Kriegsteilnehmer eingerichtet werden. Aus diesen erwuchs in der Folgezeit das humanistische Gymnasium St. Albert, die spätere Bischof-Neumann-Schule. Mit einem ausführlichen Schreiben vom 21. Juni 1946 trat Kaller nach langem Warten an eine neue Aufgabe, an eine neue Beschreibung seines Amtes als vertriebener Bischof aus dem Ermland an den Heiligen Vater mit Vorschlägen heran, wie die Hilfsmaßnahmen für die Vertriebenen gestaltet werden könnten. Als die vordringlichste Aufgabe für die katholische Kirche bezeichnete er dort die Bekämpfung der Hungersnot in Deutschland. Nicht zuletzt in konfessioneller Konkurrenz wurde dieses Thema argumentativ entfaltet. Das evangelische Hilfswerk zeigte entsprechendes Engagement. Das Engagement entfaltete eine attraktive Wirkung auf die Gläubigen, vor allem auf die Vertriebenen auch aus der katholischen Kirche. Dem musste Einhalt geboten und gegengesteuert werden. So schlug Kaller vor, in Rom eine Zentralstelle für die Katholische Deutschlandhilfe zu schaffen. Eine zweite Maßnahme, die er in der Dringlichkeit und Bedeutung als der ersten ebenbürtig bezeichnete, sei, ein katholisches Hilfswerk in der Welt wirksam werden zu lassen, die Schaffung von Länderhilfskomitees durch die römische Zentralstelle, und dann sei es drittens wichtig, die notwendigen Hilfsmaßnahmen in Deutschland über die Zonengrenzen hinweg zentral lenken und planen zu können. Auf fünf maschinenschriftlichen Seiten entfaltete Kaller dieses Thema, das in Parallele, auch in Konkurrenz zu Büttners Hilfsstelle gesehen werden kann. Kaller formulierte als zweite Aufgabe das Siedlungs- und Auswanderungsproblem. Noch einmal zwei Seiten verwendete er für die Argumentation in dieser Thematik.2 Im Februar 1947 berichtete Kaller an mehrere Adressaten von den Plänen bzgl. Königsteins. Es war der Plan nach der Beschlusslage des sogenannten Seminarrates, der Anfang Februar verspätet durch die Witterungsverhältnisse in Königstein getagt hatte. Er hatte beschlossen, ein Priesterseminar und ein Konvikt zu errichten, letzteres mit 200 Schülern, dazu ein Gymnasium, in dem zunächst vier Klassen eingerichtet werden sollten, sowie ein philosophischer Seminarkurs mit akademischen Vorlesungen zunächst für die ersten vier Semester. Der Seminarrat, sechs von der Fuldaer Bischofskonferenz bestimmte Bischöfe, hatte für die Fortführung dieses Werkes

2

Vgl. Archiv Ermlandhaus, A 20/135, das Schreiben ist abgeschickt in Halle an der Saale am 21. Juni 1946.

Die Promotoren Königsteins

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150.000 RM bewilligt. Die Restsumme müsse auf eine andere Weise – gedacht war wohl zuvorderst an Spenden – aufgebracht werden.3 Dieses Engagement für Königstein war insofern Kallers ureigenstes Anliegen, als er diesen Weg als den einzig möglichen sah, damit die sowjetische Besatzungszone zu Priestern komme. Diese Überzeugung war in Kaller herangereift, nachdem seine unterschiedlichsten Bemühungen, die vertriebenen Priester doch in Mitteldeutschland in der Diaspora zu halten, gescheitert waren. In einem Brief an Josef Negwer4 schreibt er: „Es gehört zu meinen undankbarsten Aufgaben, diesen Kampf führen zu müssen, weil ich von beiden Seiten Schläge erhalte. Doch ich muss dieses im Interesse der Sache hinnehmen. Du ahnst nicht, welche Kämpfe ich führe. Augenblicklich stehe ich im Kampf um das Priesterseminar in Königstein. Solange unsere heimatvertriebenen Theologen in den Priesterseminarien von Bayern und auch einigen Diözesen des Westens herangebildet werden, haben wir nur wenig Aussicht, diese später für die Diaspora der russischen Zone zu gewinnen, deshalb mein Kampf um Königstein. Vorläufig stehe ich allein auf weiter Flur. Jede Diözese verlangt, dass alle Theologen in ihrem Bezirk und nach ihren Methoden erzogen werden und wollen für später diese Theologen natürlich für sich behalten. Ich würde Dir und vielen andern sehr dankbar sein, wenn Du in diesem Gesichtspunkt auch für Königstein eine Lanze brechen möchtest. Wenn in dieser Richtung eine ähnliche Anstalt in der russischen Zone möglich wäre, würde ich mich sofort dafür einsetzen. Vorläufig sehe ich aber keine Möglichkeit dazu.“5 Dieser Einsatz Kallers unterstreicht, dass sich der Bischof ganz mit den Plänen für Königstein identifizierte. Damit musste er, zumindest in Büttners Augen, zu einem Konkurrenten werden. Am 12. Dezember 1946 hatte Büttner offensichtlich eine Aussprache mit Kaller, bei der er die Versicherung erhielt, dass die Missverständnisse vom Bischof aufgeklärt würden. Kaller wollte unbedingt mit Büttner zusammenarbeiten auf der Basis größten Vertrauens. Wenn dieses Vertrauen gestört worden sei, so Büttner weiter, so liege es zum großen Teil daran, dass Kaller den rein rechtlichen und sachlichen Zusammenhang nicht durchschaute und dass gewisse Menschen dieses Vertrauen zu stören suchten. Büttner sprach sich gleichzeitig gegen die Umbenennung der Kirchlichen Hilfsstelle in Päpstliches Hilfswerk aus, weil auch nicht klar sei, welche Rechtsform das Päpstliche Hilfswerk haben sollte. Sollte es an die Stelle der Kirchlichen Hilfsstelle treten? Welche Aufgabenbereiche sollten ihm zu- bzw. untergeordnet sein? Der Name Päpstliches Hilfswerk sei zu umfassend und missverständlich für die Aufgabe der Stelle des Sonderbeauftragten des Hl. Vaters. Es würden dann auch alle caritativen

3 4

5

Vgl. dazu Kaller in einem Brief an P. Jean Brass in Paris vom 18. Februar 1947 – Archiv Ermlandhaus, Briefwechsel mit Geistlichen. Joseph Negwer (1882 – 1964), Generalvikar des verstorbenen Breslauer Erzbischofs Adolf Kardinal Bertram. Konrad HARTELT, Josef Negwer (1882 – 1964). Der letzte deutsche Generalvikar des Erzbistums Breslau. Münster 2012. Kaller an Josef Negwer am 18. März 1947 – Archiv Ermlandhaus, Briefwechsel mit Geistlichen.

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Abschnitt III

Aufgaben darunter verstanden. Es käme eine Flut von Aufgaben auf diese Stelle zu, die nicht bearbeitet werden könnten, d.h. es würden Erwartungen aufgebaut, die nicht gefüllt werden könnten. Das Fazit Büttners in dieser Aktennotiz lautete, die Rechtsunsicherheit sei groß. Vor allem müsse er mit der Kirchlichen Hilfsstelle unter den gegebenen Umständen die Verantwortung für die Finanzierung und Entwicklung von Königstein ablehnen, weil der Finanzplan nicht vorgelegt und genehmigt sei, weil große Verzögerungen eingetreten seien infolge der unklaren Verhältnisse und weil nach dem vatikanischen Schreiben die volle Verantwortung bei Bischof Kaller liege. Dass die Kooperation mit Büttner für Kaller ungeklärt war, zeigt sich nicht zuletzt in einem Schreiben Kallers an den exilpolnischen Bischof Gawlina6 vom 25. April 1947. Darin deutete Kaller an, dass er durchaus bereit sei, Monsignore Wosnitza näher in die Arbeit in Königstein einzubinden, aber er brauche vorher noch eine Klärung bzgl. der weiteren Mitarbeit von Büttner: „Es ist hierin noch nicht alles klar, weil mein jetziger Hauptmitarbeiter, Monsignore Büttner, sich noch nicht entschlossen hat, ob er bleibt oder ob er ein anderes Arbeitsfeld übernimmt.“7 Nicht zuletzt nach den Mitteilungen und Berichten des Sekretärs Kallers, Gerhard Fittkau, scheint die Kooperation zwischen Kaller und Büttner doch sehr spannungsvoll gewesen zu sein. Das geht aus einem Antwortschreiben des Freiburger Erzbischofs Gröber an Fittkau vom 26. August 1947 hervor. In diesem Schreiben brachte Gröber seine Empörung über die Behandlung Kallers zum Ausdruck; der Freiburger Erzbischof drückte dort auch seine Hoffnung aus, dass es einen Beschluss gebe, dass Büttner nicht mehr direkt und auch nicht indirekt mit Königstein zu tun habe.8 In einem Brief vom 3. Januar 1947 berichtete Kaller den Mitgliedern des inzwischen gebildeten Seminarrates für Königstein, dem Kölner Kardinal Josef Frings, dem Paderborner Erzbischof Lorenz Jäger9, dem Osnabrücker Bischof Wilhelm Berning, dem Limburger Bischof Antonius Hilfrich10, dem Speyrer Bischof Joseph Wendel11 und Monsignore Albert Büttner, dass am 15. November 1946 das Seminarium Minus mit 65 höheren Schülern eröffnet worden sei, die zu Ostern 1947 das Abitur erreichen wollten. Gleichzeitig berichtete Kaller, dass inzwischen auch das zweite große Haus übergeben, damit die Möglichkeit geschaffen worden sei, das Seminarium Maius zu eröffnen. Es seien unverbindliche Vorverhandlungen mit den Patres von St. Georgen in Frankfurt eingeleitet worden, um den Studienplan und die Professoren zu bestimmen.

6 7 8 9 10 11

Vgl. Andrzej K. KUNERT (Hg.), Józef Feliks Gawlina Biskup Polowy Polskich Sił Zbrojnych, in: Emigracyjna Rzeczpospolita 1939 – 1990, Band III. Warszawa 2002. Kaller an Gawlina am 25. April 1947 – Archiv Ermlandhaus. Vgl. diesen Brief Gröbers an Fittkau vom 26. August 1947 – Archiv Ermlandhaus. Zu Lorenz Jaeger (1892 – 1975), Erzbischof von Paderborn von 1941 bis 1973 vgl. GATZ, Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1945 – 2001, S. 439f. Zu Antonius Hilfrich (1873 – 1947), Bischof von Limburg von 1930 bis 1947 vgl. GATZ, Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1945 – 2001, S. 316f. Zu Joseph Wendel (1901 – 1960), von 1943 bis 1952 Bischof von Speyer vgl. GATZ, Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1945 – 2001, S. 382-386.

Die Promotoren Königsteins

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Gleichzeitig bat Kaller in diesen Schreiben um eine Zusammenkunft des Seminarrates zur Besichtigung der Örtlichkeit Anfang Februar.12 Auf einer Sitzung eines Seminarrates am 4. Februar 1947, bestehend aus mehreren Bischöfen und Kardinal Frings als Vorsitzendem, konnten Maximilian Kaller und Albert Büttner die Einrichtung eines philosophischen Kurses für die Theologen aus den Ostgebieten durchsetzen. Im Sommer 1947 konnte in Königstein das erste Semester mit über 50 Studenten eröffnet werden. Kurz nach dem Tod des Limburger Bischofs, Ferdinand Dirichs, am 27. Dezember 1948, der sich für den Ausbau Königsteins stark engagiert hatte, wurde am 28. April 1949 die Philosophisch-Theologische Hochschule in Königstein eingeweiht, wenn auch die Bedenken und Friktionen sich bis in die Eröffnungsveranstaltung hinein auswirkten. Es lässt sich aufgrund der Unterlagen der Kirchlichen Hilfsstelle im Nachlass Büttners bzw. der Korrespondenz zwischen Büttner und Berning sehr gut rekonstruieren, dass die Initiative für Königstein, für ein sammelndes Seminar für Theologen, die aus dem Krieg zurückkehren und nicht mehr in ihre angestammten Seminare zurückkehren konnten, von Büttner kam.13 12 13

Kaller an Mitglieder des Seminarrates für Königstein vom 3. Januar 1947, Diözesanarchiv Osnabrück, Generalia 06-36-46-82. Vgl. Dokument Nr. 13 im Anhang. Vgl. im Diözesanarchiv Osnabrück die Aktennotiz Büttners, für Berning bestimmt, die am 28. Dezember 1946 in Osnabrück in der bischöflichen Kanzlei eingegangen ist. Dort heißt es auf S. 4: „Zum Verständnis muss ich auch da etwas weiter ausholen. Im November vorigen Jahres wurde ich von verschiedenen Seiten auf die Notwendigkeit aufmerksam gemacht, die Flüchtlingstheologen in eigenem Haus zu sammeln. Da ich mit der Sorge für die Theologiestudenten von der Bischofskonferenz beauftragt war, durfte ich diese Wünsche und Bitten nicht überhören. Dazu kam, dass ich von ernstzunehmender Seite hörte, der Hl. Vater habe die Gedanken der Sammlung der Flüchtlingstheologen ausgesprochen. Ich habe mich in dem Schreiben an den Hl. Vater vom 01. April 1946 lediglich auf die Beauftragung durch die Bischofskonferenz in Fulda für die Flüchtlingstheologen zu sorgen berufen, nicht aber gesagt, ich hätte den Auftrag bekommen, in Königstein ein Seminar zu errichten. In meinem Schreiben habe ich auch keinen Auftrag des Hl. Vaters erwähnt, sondern nur die Hoffnung ausgesprochen, nach den Intensionen des Hl. Vaters gehandelt zu haben. Alle Schritte habe ich im Einverständnis mit meinem kirchlichen Vorgesetzten, dem damaligen Protektor der Kirchlichen Hilfsstelle, Bischof Berning, getan, der mich immer zur Gründung ermunterte und die Bemühungen unterstützte… Dabei war mir stets vollkommen klar, dass zur Errichtung die Zustimmung des Deutschen Episkopats notwendig sei. Es war mir ferner klar, dass die Zustimmung des Deutschen Episkopats die selbstverständliche Voraussetzung für alle Unterstützung und Billigung des Hl. Vaters sei… Eine Rundfrage bei den einzelnen Bischöfen war praktisch unmöglich. Einmal wegen des damals noch schwierigen Postweges, dann aber auch, weil eine solche Angelegenheit nur in einer gemeinsamen Besprechung geregelt werden konnte. Hätte ich aber mit der Pachtung der Gebäude in Königstein warten wollen, bis die Bischofskonferenz war, so wären die Gebäude längst anderen Zwecken zur Verfügung gestellt gewesen (5)… Ich glaubte, die Verantwortung auch ohne die ausdrückliche Genehmigung der Bischofskonferenz tragen zu müssen, da ich vernünftigerweise hoffen durfte, dass sie noch erteilt würde, mich auf die Zustimmung meines kirchlichen Vorgesetzten und allgemeine und grundsätzliche, wenn auch bedingte Billigung des Hl. Vaters stützen dürfte. Auch in der Frage Königstein sind selbstverständlich Schwierigkeiten entstanden durch die Ernennung von Bischof Kaller. Der Aufbau war zu dieser Zeit gerade in voller Entwicklung. Sämtliche Verträge habe ich im Namen der Kirchlichen Hilfsstelle unterschrieben, also Rechtsträger und

172

Abschnitt III

1.

Albert Büttner als Seelsorger der Auslandsdeutschen

Albert Büttner war 1937 von Bischof Dr. Wilhelm Berning von Osnabrück in die Zentrale des Reichsverbandes für das Katholische Deutschtum im Ausland berufen worden. Büttner, 1900 in Frankfurt/M. geboren, hatte in Würzburg und Fulda Philosophie und Theologie studiert und war am 18. November 1923 vom Limburger Bischof Augustinus Kilian14 zum Priester geweiht worden. Von 1933 bis 1935 war er Jugendpfarrer in Frankfurt. Er schloss dort Bekanntschaft und Freundschaft mit dem Generalpräses des Katholischen Jungmännerverbandes Ludwig Wolker15 und in seiner Zeit als Pfarrvikar von Frankfurt-Hausen auch die Bekanntschaft mit Prof. Friedrich Dessauer16, den Herausgeber der „Rhein-Mainischen Volkszeitung“, wie auch mit dem Verlagsleiter Dr. Josef Knecht. Als Jugendpfarrer in Frankfurt vermochte er offensichtlich zu begeistern und sich für noch größere Aufgaben berufen zu machen. Am 8. Juli 1935 schrieb der Kölner Kardinal Karl Joseph Schulte zum Abschied aus Frankfurt – Büttner war zum Generalsekretär und Reichspräses des Kolpingwerkes Köln berufen worden. „Wenn Sie nun die Diözese verlassen, die Ihre Diözese bleiben wird, so dürfen Sie das frohe Bewusstsein mit sich nehmen, dass Sie seit dem Eintritt in das Priestertum in allen Ihren Stellen treu gearbeitet und namentlich auch jederzeit der Jugend ihre besondere Sorge in liebevoller Hingabe zugewandt haben. Das haben wir stets anerkannt und wir sprechen Ihnen jetzt noch einmal unseren aufrichtigen Dank dafür aus und insbesondere für Ihre Tätigkeit, die Sie in den letzten drei Jahren

14 15 16

verantwortlich war bis zur Ernennung von Bischof Kaller, die Kirchliche Hilfsstelle, ihr Leiter und schließlich ihr bisheriger Protektor Bischof Berning. Ich hatte aber geplant und auch der Bischofskonferenz vorgeschlagen, dass die Anstalt in Königstein selbstständig und eigene Rechtsperson würde (5f.). (Die Situation scheint mir die zu sein, dass nunmehr meine Tätigkeit missbilligt, das Ergebnis dieser Tätigkeit anerkannt, aber der bisherigen Leitung entzogen wird.)“ (7 …Nach den Ausführungen scheine ich annehmen zu müssen, dass ich als Leiter der Kirchlichen Hilfsstelle nicht mehr anerkannt werde, wobei mir nicht klar ist, warum ich nach einjähriger, sehr mühevoller Arbeit, die nicht ohne Erfolg war, abgesetzt werden soll. Schließlich ist alles, worauf Bischof Kaller jetzt aufbaut, das Ergebnis einer mehr als einjährigen Arbeit der Kirchlichen Hilfsstelle und ihrer Leitung, alle Mittel und Einrichtungen aber Eigentum des RKA.“ (8) Dieter SKALA, Augustinus Kilian. In: BBKL, Band 3 (1992), Sp. 1477-1478. Ludwig Wolker (1887 – 1955), Mitbegründer des BDKJ. Maria WEGO, Ludwig Wolker. Seelsorger und „General“, in: Düsseldorfer Jahrbuch 76 (2006), S. 207-250. Vgl. Michael HABERSACK, Friedrich Dessauer (1881 – 1963): eine politische Biographie des Frankfurter Biophysikers und Reichstagsabgeordneten. Paderborn, Schöningh 2011. – Bernd HAUNFELDER, Reichstagsabgeordnete der Deutschen Zentrumspartei 1871 – 1933. Biographisches Handbuch und historische Photographien (= Photodokumente zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 4). Düsseldorf 1999, S. 304.

Die Promotoren Königsteins

173

als Jugendpfarrer in oft sehr schwierigen Verhältnissen mit nie versagendem Eifer und mit recht erfreulichem Erfolg entfaltet haben.“17

1.1.

Die Aufgaben des RKA

Nur zwei Jahre später musste Büttner nach Berlin umziehen zum RKA. Der Schirmherr dieses Verbandes, der Bischof von Osnabrück, hatte Büttner dazu bestimmt, die Leitung dieses Verbandes, der für die religiöse Betreuung der deutschen Katholiken im Ausland sorgen sollte, zu leiten. Der RKA war am 5. Oktober 1918 gegründet worden. Der Erste Vorsitzende war Kuratus Clemens August Graf von Galen, der spätere Bischof von Münster und Kardinal. Galen war zu der Zeit Pfarrer von St. Matthias in Berlin (1919 – 1929). Der Vorstand des RKA bestand 1924 aus dem Reichskanzler Dr. Wilhelm Marx, Schriftführer war Prälat Dr. Georg Schreiber18, der Kirchenhistoriker in Münster. „Der Verband, unter die Obhut des hl. Bonifatius gestellt, übernahm die gesamte kirchliche Arbeit am Katholischen Auslandsdeutschtum. Er half in Erziehungs-, Caritas- und Unterhaltsfragen. Er plante und sorgte, gab Auskunft und Rechenschaft. In seiner Registratur zeugten allein 300 Mappen von der tätigen Verbindung mit deutschen Ordensgenossenschaften und Kongregationen, deren Missionseinsatz zugleich deutsche Kulturarbeit war, die mitwirkten beim Aufbau der deutschen Seelsorge in deutschen Heimen, Schulen, Krankenhäusern des Auslandes. Zu allen tragenden kirchlichen Vereinen und Behörden wurden Beziehungen unterhalten …“19 Man stand nicht nur in Verbindung mit den bischöflichen Ordinariaten und der Nuntiatur in Berlin, mit den Priesterseminaren des In- und Auslandes, mit den Schriftleitungen der Bistumszeitungen, dem Deutschen Institut für Auslandskunde in Münster, dem Deutschen Auslandsinstitut in Stuttgart, auch mit der Evangelischen GustavAdolf-Stiftung in Leipzig und dem Volksbund für das Deutschtum im Ausland. Man fühlte sich zuständig für etwa 16,5 Mio. deutschsprachige Katholiken außerhalb der Reichsgrenzen. Als Schwerpunkte der Arbeit unterstreicht Labonté, die im Sekretariat des RKA in Berlin mitarbeitete, die seelsorgerliche Arbeit und alle dafür nötige Unterstützung, Beihilfen zu Kirchenbauten und Kircheneinrichtungen, Altargeräte, Paramente, Kurse zur Pflege des deutschen Kirchenliedes etc. 1939 etwa wurden für ca. 120.000,- RM Bücher verschickt, 1.500 Kunstmappen, 200 Bildbände, über 40.000 Hefte katechetische Literatur, Zeitschriften theologischen Inhalts, Kirchenzeitungen, Tausende von Gesang- und Gebetbüchern deutscher Diözesen. Es wurden

17 18

19

So der Generalvikar von Limburg in einem Schreiben am 12. Juni 1935. Das Zitat aus LABONTÉ, Büttner, S. 22f. Georg Schreiber (1882 – 1963), Kirchenhistoriker und Zentrumspolitiker. Rudolf MORSEY, Georg Schreiber (1882 – 1963), in: DERS. (Hg.), Zeitgeschichte in Lebensbildern. Band 2. Münster 2000, S. 177-185. – Rudolf MORSEY, Schreiber, Georg. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 23. Berlin 2007, S. 529f. LABONTÉ, Büttner, S. 28.

174

Abschnitt III

Wanderbibliotheken eingerichtet und Theologenbücherreihen für die Seminaristen zusammengestellt. Dazu gehörte auch die Bibliothek des Deutschen Priesterseminars in Prag. Seit 1926 erschien das Jahrbuch des Reichsverbandes für das katholische Deutschtum im Ausland mit wissenschaftlichen Aufsätzen und Erfahrungsberichten. Das letzte Jahrbuch war 1939 noch in Druck gegangen, konnte aber nicht mehr erscheinen. Noch 1938 wurde das RKA durch beträchtliche staatliche Beihilfen, damals noch im Umfang von 200.000,- RM unterstützt. Im Osten und Südosten wurde vor allem das Priesterseminar in Bukarest, in Temeschwar und Tschernowitz sowie eben in Prag unter der Leitung von Adolf Kindermann unterstützt. Als besonders rege bezeichnet Labonté die Verbindung mit Prag.20 Man müsste hier noch stärker die Intentionen sowohl des Osnabrücker Bischofs Berning wie auch Georg Schreibers und nicht zuletzt Büttners für die Arbeit an den Katholiken im Ausland untersuchen. Dazu bedürfte es auch einer eingehenderen Analyse der Beiträge zum Jahrbuch des RKA.

1.2.

Umsiedlungen im Krieg

Als in den ersten Kriegsjahren die Deutschen aus Bessarabien und der Bukowina umgesiedelt wurden, engagierte sich auch das RKA. Büttner stand in Verbindung mit Pfarrer Walther Kampe, dem deutschen Seelsorger der bessarabischen Pfarrei Emental, dem späteren Weihbischof in Limburg.21 Büttner berichtete den deutschen Bischöfen am 21. Juni 1941, dass durch die Umsiedlung aus Bukowina, Bessarabien und der Dobrudscha 195.000 Deutsche, darunter 70.000 Katholiken, betroffen waren, für deren religiöse Betreuung der RKA die Sorge bis zur Ansiedlung übernommen habe. 37 Priester und neun Theologen seien mit umgesiedelt worden. Der RKA bemühe sich um die Eingliederung des Klerus in das deutsche kirchliche Leben und um die Unterbringung der Theologen zur Fortsetzung ihres Studiums. Für die Seelsorge in den Lagern habe der RKA reichhaltiges pastorales und katechetisches Material zur Verfügung gestellt.22 Wir finden damit in nuce bereits die zentralen Aufgaben, die Büttner unmittelbar nach Kriegsende in einem weit größeren Ausmaß anging. Es wäre zu prüfen, wie weit sich diese Aufgaben mit Aufgaben der „Wandernden Kirche“23 überschnitten und sich damit auch eine Verbindung von Büttner und Kaller in dieser Zeit und über diese Aufgaben ergab.

20 21 22 23

LABONTÉ, Büttner, S. 40. Zu Walther Kampe (1909 – 1998), Weihbischof in Limburg von 1952 bis 1984 vgl. GATZ, Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1945 – 2001, S. 322-324. Bericht Büttners an die deutschen Bischöfe vom 21.06.1941, zitiert bei LABONTÉ, Büttner, S. 45. Vgl. dazu Thomas FLAMMER, Migration und Milieu – Die Auswirkungen von Migration auf Kirche und Gläubige am Beispiel der Arbeit des „Katholischen Seelsorgedienstes für die Wandernde Kirche“ (1934 – 1943). In: Karl-Joseph HUMMEL / Christoph KÖSTERS (Hg.), Kirchen im Krieg. Europa 1939 – 1945. Paderborn u.a. 2007, S. 399-418.

Die Promotoren Königsteins

175

Büttner bemühte sich intensiv um die seelsorgerliche Betreuung der Umgesiedelten. Relativ rasch kam die Sorge um die Kriegsgefangenen hinzu, für die er vor allem Bücher und religiöse Schriften bereitzustellen suchte. Dieser Aufgabenbereich führte rasch zu Kompetenzüberschneidungen mit dem Caritasverband – auch das ein Phänomen, das bis in die Nachkriegszeit hinein weiterwirken sollte. Die 1940 Zwangsumgesiedelten und die schwierige Lage des Klerus in den osteuropäischen Diözesen führten zur Errichtung der „Kirchlichen Hilfsstelle für seelsorgerliche Sonderaufgaben“ in Berlin 1940. „Der Aufgabenkreis umschloss bald auch die Hilfeleistung für die in große Bedrängnis geratenen und verarmten Bischöfe, Priester, Ordinariate und Pfarreien der mit Rom unierten Ostkirche, vor allem der griechisch-katholischen Kirche der Ukraine, die den Papst als Oberhaupt anerkannte, aber ihren byzantinisch-slawischen Ritus beibehalten hatte.“24 Neben der Unterstützung der ostkirchlichen Priester in der Ukraine stand die Unterstützung der in Deutschland lebenden Ukrainer.

1.3.

Die Kirchliche Hilfsstelle für seelsorgerliche Sonderaufgaben in Frankfurt und mit einer Außenstelle in München

Büttner hatte sein Büro zu Kriegsende wenigstens teilweise von Berlin nach Karlstadt am Main verlegt. Er war in dieser Zeit ein wichtiger Ansprechpartner für Flüchtlinge, Durchziehende, für die seiner Obhut anvertrauten Seelsorger. Auf dem ersten Treffen der Fuldaer Bischofskonferenz im August 1945 legte er den Jahresbericht über die Tätigkeit des RKA zwischen August 1944 und August 1945 vor und ersuchte die Bischofskonferenz, die Neuerrichtung der Kirchlichen Hilfsstelle zu bestätigen. „Denn Büttner brachte zugleich den wohldurchdachten Entwurf einer den neuen Zeitverhältnissen angepassten ‚Kirchlichen Hilfsstelle‘ nach Fulda mit. Es ging um die caritative und seelsorgliche Fürsorge für die aus Ost- und Südosteuropa rückwandernden Deutschen, ihre wirtschaftliche und kulturelle Eingliederung, Einrichtung einer Suchstelle nach vermissten Familienangehörigen, Ausbau eines Informationsund Austauschamtes, Weitergabe von Anregungen an den kirchlichen Nachrichtendienst. Mit dem Schatz seiner Erfahrungen und Verbindungen stellte er sich der Aufgabe zur Verfügung.“25 So charakterisiert Maria Labonté, seine langjährige Mitarbeiterin, rückblickend die Neuorientierung von Büttners Arbeit nach dem Krieg. Tatsächlich wurde dem Protokoll der Fuldaer Bischofskonferenz von 1945 die Anlage beigefügt, die die Aufgaben der Kirchlichen Hilfsstelle in der neuen Form skizzierte.26 So sollte die 1943 beim bischöflichen Ordinariat Osnabrück errichtete Hilfs-

24 25 26

LABONTÉ, Büttner, S. 62. Ebd., S. 94. Vgl. den Abdruck der Anlage zum Protokoll der Fuldaer Bischofskonferenz 1945, in: LABONTÉ, Büttner, S. 94f.

176

Abschnitt III

stelle für seelsorgerliche Sonderaufgaben künftig mit den folgenden Aufgaben betraut werden: Die Betreuung der Flüchtlinge aus den Ost- und Südostgebieten, und zwar wird an erster Stelle die seelsorgliche Betreuung der Flüchtlinge genannt, dann die Betreuung der Geistlichen und der Theologen, eingeschlossen die Sorge für ihren zweckentsprechenden Einsatz. Schließlich wird unter dem ersten Punkt angesprochen, dass die Hilfsstelle dafür sorgen solle, dass die Flüchtlinge möglichst in konfessions- und berufsgleiche Gebiete kommen. An zweiter Stelle der Aufgaben stand die Seelsorge für deutsche Zivilarbeiter im Ausland. Gedacht war an deutsche Arbeiter, die zu Aufbauarbeiten ins Ausland gebracht wurden. Das dritte Aufgabenfeld umfasste die Betreuung der kriegsgefangenen Theologiestudenten; ihnen sollten wissenschaftliche Bücher beschafft und zugestellt werden, eine Aufgabe, die ein Jahr später vom Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz dem Caritasverband übertragen wurde. Viertens sollten die ausländischen Priester und Theologen in Deutschland von der Kirchlichen Hilfsstelle betreut werden. Gedacht war vor allem an die ukrainischen unierten Priester und an litauische und lettische Priester und Theologen. An fünfter Stelle wird die Vorbereitung einer kirchlichen Auswandererberatung gefordert. Die Kirchliche Hilfsstelle sollte dem Protektorat des Bischofs von Osnabrück unterstehen und von Albert Büttner geleitet werden. Der fuhr am 6. Oktober 1945 nach München. Diese Reise sollte wegweisend werden, da Büttner dort Richard Mai, Hans Schütz und Paulus Sladek über die Einrichtung der Kirchlichen Hilfsstelle in Frankfurt informierte und sie mit den Plänen zur Gründung einer Zweigstelle in München konfrontierte.27 Büttner bemühte sich 1945 darum, das Ausland über die Lage im Nachkriegsdeutschland, vor allem über die katastrophale Lage der Flüchtlinge und Vertriebenen zu informieren und aufzurütteln. Einen großen Teil seiner Kräfte beanspruchte das Organisieren von Arbeitsgrundlagen. So mag es nicht verwundern, dass er sich in diesen turbulenten Monaten die Rückkehr in die Seelsorgearbeit, verbunden mit Zeit und Muße zum Studium wünschte.28 Die Aufgaben aber, die die Zeitsituation an ihn herantrugen, ließen für diese resignative Phase keinen größeren Raum. „Die Menschen, die jahrzehntelang in seiner Obhut gestanden hatten, wandten sich hilfesuchend an Büttner, vor allem auch, weil die ungeregelte gewaltsame Vertreibung der Deutschen aus den polnisch verwalteten Gebieten östlich der Oder-Neiße, aus dem Sudetenland, aus Ungarn, Rumänien, Jugoslawien und den baltischen Staaten erst gegen Ende 1947 zu einem gewissen Stillstand kam.“29

27 28 29

Vgl. dazu BENDEL, Vertriebene – Katholische Kirche – Gesellschaft in Bayern 1945 bis 1975, S. 103-110. Vgl. ebd., S. 98. Ebd., S. 99.

Die Promotoren Königsteins

177

Die Kontinuität in der Arbeit des Reichsverbandes für das Katholische Deutschtum im Ausland30 zur Kirchlichen Hilfsstelle unterstrich ein Brief Büttners vom 11. Oktober 1945 an Kardinal Faulhaber, in dem er sich auf einen Vorschlag Bernings für die Bischofskonferenz berief. Dort hieß es, der RKA ruhe bis zu seiner offiziellen Auflösung oder Neubelebung. Seine Aufgaben würden von der Kirchlichen Hilfsstelle übernommen. Die Kirchliche Hilfsstelle, hauptsächlich für die seelsorglichen Aufgaben in den Ostgebieten gegründet, übernahm u.a. die Versorgung der unierten Priester in der Ukraine. Weil die Kirchliche Hilfsstelle die Aufgaben des RKA fortsetzen sollte, plädierte Büttner dafür, sie auch in die Arbeiten der seelsorgerlichen Betreuung der Flüchtlinge, die größtenteils frühere Auslandsdeutsche sind, einzubinden, ähnlich wie der Reichsverband in den Jahren 1940 und später die seelsorgliche Betreuung der Umsiedler übernommen habe.31 In dieser Tradition wünschte Büttner, der Kardinal solle einen Flüchtlingspriester mit der Seelsorge der Flüchtlinge im Gebiet der Erzdiözese München betrauen. Vorgeschlagen wurde Pater Dr. Paulus Sladek, der zusammen mit Dr. Mai, dem Mitarbeiter des RKA, einen Stützpunkt bilden sollte. „Die Notwendigkeit einer besonders intensiven seelsorglichen Hilfeleistung ergibt sich aus der außerordentlichen seelischen Not der Flüchtlinge. Diese dürften am besten von solchen Priestern verstanden werden, welche das Leid der Verbannung und Heimatlosigkeit selbst erfahren haben. Aus dem Dargelegten dürfte es sich schon ergeben, dass es sich bei der Bestellung eines Flüchtlingspriesters in München nicht um die Errichtung einer neuen Organisation handelt, auch nicht um eine Einrichtung, die in das Aufgabengebiet des Caritasverbandes eingreifen soll. Andererseits könnte die Tätigkeit eines Flüchtlingspriesters ohne Zweifel dem Caritasverband Anregung geben und sie wohl auch manchmal unterstützen und ergänzen.“32 Die Hilfsstelle war eine Art Modifikation des RKA, das seine bisherige Arbeit unter den Umständen nach der Kapitulation Deutschlands nicht mehr weiterführen konnte. Die Arbeit des RKA wurde erst nach 1948/49 modifiziert, dann wieder neu aufgenommen, indem die Katholiken im Ausland betreut wurden und sich Büttner schwerpunktmäßig vor allen Dingen den Katholiken in Lateinamerika zuwandte. Weil das RKA einen Arbeitsschwerpunkt neben den Sudetendeutschen in der Betreuung der Katholiken im Südosten Europas hatte, war auch der Kirchlichen Hilfsstelle die Betreuung der vertriebenen Deutschen aus dem Südosten Europas ein zentrales Anliegen – ein Anliegen, das spezifisch der Stelle in München übertragen wurde. Damit musste es zu Unschärfen, auch zu Kompetenzüberschneidungen mit den Initia-

30

31 32

Aus den Akten im Diözesanarchiv Osnabrück geht hervor, dass beim RKA nach der Kapitulation nicht unerhebliches Archivmaterial vernichtet wurde, das als inopportun bezeichnet wurde. Und schließlich lässt sich auch nachvollziehen, wie Dr. Mai Archivmaterial des Verlags „Christ unterwegs“ und damit auch der Kirchlichen Hilfsstelle München an das Bundesarchiv in Koblenz verkauft hat. Vgl. das Schreiben Büttners an Faulhaber vom 11. Oktober 1945, Diözesanarchiv Osnabrück, Generalia 06-36-46-81. Diözesanarchiv Osnabrück, Generalia 06-36-46-81.

178

Abschnitt III

tiven in Stuttgart, allen voran Georg Lebers33, kommen – wie überhaupt in den kirchlichen Initiativen dieser Zeit, um die Notlage zu beheben, sehr vieles parallel und gegeneinander lief, Zuständigkeiten oft nicht genau abgegrenzt wurden und damit sehr viel Leerlauf bzw. Reibungsverluste entstanden. Kompetenzstreitigkeiten entstanden auch zwischen der Flüchtlingshilfe durch die Caritas und der Betreuung durch die Kirchliche Hilfsstelle, sprich durch Albert Büttner. Hier kam es zu einem scharfen Dissens zwischen Büttner und dem Präsidenten des deutschen Caritasverbandes, Benedict Kreutz. Die Caritas und ihr Präsident gingen davon aus, dass die neuen Aufgaben der Flüchtlings- und Vertriebenenbetreuung per se zum Aufgabenbereich der Caritas gehörten. D.h., dass von Seiten der Caritas die Bemühungen der Kirchlichen Hilfsstelle als völlig überflüssig angesehen wurden. Wobei Berning als Protektor der Kirchlichen Hilfsstelle der Caritas die materielle Betreuung zuschreiben wollte und der Hilfsstelle die ideell seelsorgerliche Betreuung, gerade auch die Betreuung der vertriebenen Priester unterstellt wissen wollte. Schließlich geben die Akten Aufschluss über die Kompetenzstreitigkeiten zwischen Bischof Kaller und Büttner, die vor allem daher rührten, dass Kaller in Rom die Oberhoheit des päpstlichen Sonderbeauftragten für die Vertriebenen über die Kirchliche Hilfsstelle erreichen konnte, wohl nicht wissend – und auch in Rom fehlte das entsprechende Wissen oder wurde ignoriert – dass bereits Bischof Berning von Osnabrück der Protektor für das RKA und damit auch für die modifizierte RKA-Hilfsstelle war. Die Kirchliche Hilfsstelle wurde wiederholt in Frage gestellt, bereits kurz nach der Währungsreform 1948.34 Die Bedrohung durch Auflösung blieb in den Folgejahren bestehen. Sie wurde noch einmal 1951 sehr konkret.

1.4.

Das RKA unterstützt Kindermann in Prag – Fortführung der Idee und Kooperation in Königstein?

Die Verbindung Kindermanns mit Büttner war bereits in den Kriegsjahren intensiv gewesen: Im Dezember 1939 besprachen sie sich in Berlin – nicht zuletzt über die Frage der Ausbildung deutscher Theologen im Osten. Die Prager Ausbildungsstätte für deutsche Theologen wurde vom RKA finanziell unterstützt.35 Büttner gewann Kindermann für den Plan, die Theologiestudenten aus dem Baltikum und aus ganz

33

34

35

Georg Leber, Internationales Biographisches Archiv 30/2000 vom 17. Juli 2000 (gi), ergänzt um Nachrichten durch MA-Journal bis KW 34/2012, im Munzinger-Archiv (Artikelanfang frei abrufbar). Hier findet sich im Diözesanarchiv Osnabrück, Generalia 06-36-46-83, ein reiches Unterschriftenmaterial, Eingaben zur Rettung der Kirchlichen Hilfsstelle speziell nach der Währungsreform 1948. Es gab handschriftliche Briefe. Meist aber sind vorgedruckte Formulare verwendet worden, die in unterschiedlicher Ausführung für die Sudetendeutschen und die Südostdeutschen vorliegen. LABONTÉ, Büttner, S. 39f.

Die Promotoren Königsteins

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Südosteuropa zum Studium, zur Ausbildung nach Prag zu schicken. 1941 fragte Kindermann Büttner nochmals nach dem Stand der diesbezüglichen Planungen: „Wie steht denn die Sache mit den Bukowina-Theologen? Platz im Hause haben wir, ja wir würden eine Auffüllung durch auswärtige Theologen sehr, sehr begrüßen.“36 Das Modell also gab es bereits, und nach der Potsdamer Konferenz im August 1945 auch die Situation, dass die ostdeutschen Theologiestudierenden von Braunsberg über Breslau bis Prag nicht an ihre Hochschulen und in ihre Seminare zurückkehren konnten. In dieser Situation ergriff Büttner die Initiative und sondierte im Raum Frankfurt nach Möglichkeiten, ein Konvikt für diese Theologiestudierenden einzurichten und sie nach Möglichkeit in St. Georgen an der Jesuitenhochschule studieren zu lassen. Auf Wunsch Bischof Maximilian Kallers rekonstruierte Büttner im Rückblick seine Initiativen Anfang September 1946 so: Er habe bereits im Herbst 1945 die Notwendigkeit erkannt und erörtert, für ausgewiesene Theologen ein eigenes Konvikt zu errichten. „Man erwartete damals noch, dass die heimkehrenden Theologiestudenten die Diözesanseminare füllen würden, zumal ein nicht unbedeutender Teil der Seminare und Konvikte zerstört, beschädigt oder anderweitig belegt war. Es war damals anzunehmen, dass für die große Zahl der ausgewiesenen Theologiestudenten aus den östlichen Gebieten kein Raum mehr sei. Es wurde damals auch vielfach darauf hingewiesen, dass unter den Theologen selbst der begreifliche Wunsch bestünde, nicht auf viele Seminarien verteilt zu werden, sondern in einem für Flüchtlinge errichteten Konvikt gemeinsam eine neue Heimat zu finden.“37 Unterstützung habe Büttner durch Pater Ivo Zeiger SJ erhalten, der auch von der Einschätzung des Papstes sprach, dass die Flüchtlingstheologen in einem eigenen Konvikt gesammelt werden sollten. So ging also Büttner im Februar/März 1946 auf die Suche nach einem geeigneten Haus. Zunächst hielt er das Kloster Eberbach im Rheingau dafür geeignet. Eine Besichtigung aber zeigte, dass die Gebäude ungeeignet waren. „Ich wurde dann auf die Gebäude in Königstein aufmerksam gemacht, die früher als RAD-Führerschule gedient hatten. Die Besichtigung ergab, dass die Gebäude wie für eine solche Verwendung geschaffen waren. Der gesamte Komplex bietet hinreichend Raum für ein Theologenkonvikt, ein Gymnasiastenkonvikt, für Wohnungen von Schwestern und Professoren. Es musste ein schneller Entschluss gefasst werden, da viele Interessenten sich um die Gebäude bewarben. Die innere Mission, die bereits ein sehr großes Anwesen in Königstein erworben hatte, um ein Knabenkonvikt einzurichten, bewarb sich auch um die RAD-Kaserne. Ferner waren Professoren, die die Gebäude als Heilanstalt benutzen wollten, verschiedene Ministerien, die Regierung von Wiesbaden und die Stadt Frankfurt daran interessiert. Ich glaubte, verpflichtet zu sein, eine vorläufige Sicherstellung für den genannten Zweck erstreben zu müssen, die auch bald nach schwierigen Verhandlungen durchgeführt wurde.“38 36 37 38

LABONTÉ, Büttner, S. 40. RKA D XI. 8c Rückblick Albert Büttners unter dem Thema „Theologenkonvikt für Ostflüchtlinge“ vom 2. September 1946, 10 Seiten masch., Zitat S. 1. Rückblick Albert Büttners , S. 2.

180

Abschnitt III

Die unmittelbare Initiative also ging nicht von Kaller oder Kindermann, sondern von Büttner aus – das bestätigte im Rückblick auch Pater Paulus Sladek. Pate stand freilich eindeutig das Modell Prag. Damit war indirekt auch Kindermann bereits am Anfang beteiligt. Büttner holte die Zustimmung des Papstes ein; Bischof Berning von Osnabrück, der Protektor des RKA, hatte bereits im März 1946 dem Plan zugestimmt. Büttner unterstrich, dass er sich daraufhin bemüht hatte, den Plan einer konkreten Verwirklichung zuzuführen, den Plan weiter auszuarbeiten und ihn dann den Bischöfen zur Entscheidung vorzulegen. Ihm war wichtig, festzuhalten, dass er die Bischöfe nicht vor ein Faktum stellen, sondern bereits in der Planungsphase einbeziehen wollte. „Aus verschiedenen Gründen, u.a. deshalb, um störende Einflüsse anderer Kreise vor einer endgültigen Besitzeinweisung zu verhindern, hielt ich den Plan soweit als möglich geheim. Zu meiner eigenen größten Überraschung und Bedauern, wurde der Plan dann durch den Vatikansender und den Londoner Sender bekannt gegeben, bevor ich die Möglichkeit hatte, ihn der Gesamtheit der deutschen Bischöfe vorzulegen.“39 Büttner hatte bereits zuvor den Plan den bayerischen Bischöfen bei ihrer Konferenz in Eichstätt, den westdeutschen Bischöfen bei ihrer Zusammenkunft in Pützchen unterbreitet. Er hatte aber zu dem Zeitpunkt, als die Initiative publik gemacht wurde, von den Bischöfen noch keine schriftliche Antwort. Ungeachtet dieser Panne aber wollte Büttner den Plan nicht fallen lassen, nachdem Papst Pius XII. seine Zustimmung gegeben und ihm bereits 3.000 $ dafür in Aussicht gestellt hatte. Der Papst hatte die Notwendigkeit hervorgehoben, dass die vertriebenen Theologen in ein eigenes Seminar kämen, um auf ihre spezifischen Aufgaben der Seelsorge an den Vertriebenen vorbereitet zu werden. Diese spezifischen Aufgaben der Vertriebenenseelsorge erforderten auch eine entsprechende Verteilung der Priester, nämlich vor allem in der sowjetischen Zone und im Norden Deutschlands, also in den Diasporagebieten. Nachweislich aber hatten die bayerischen Diözesen die meisten der Theologiestudenten in ihre Seminare aufgenommen. Es war also eine den anfallenden Aufgaben inadäquate Verteilung abzusehen. „Es ist begreiflich, wenn die hochwürdigsten Herren Bischöfe die Osttheologen in ihre Anstalten aufnehmen wollen, um dadurch dem Mangel an eigenem Priesternachwuchs abzuhelfen. Die Verteilung der Theologen muss aber Rücksicht auf die Gesamtbedürfnisse des klein gewordenen Deutschland nehmen. Zur Zeit studiert ein großer Teil von Theologen in bayerischen Diözesen. Es wird aber notwendig sein, dass der größere Teil von ihnen einmal in der Diaspora tätig sein wird, da in der Diaspora der Priestermangel bereits groß ist und der Bedarf an Seelsorgern sich in viel höherem Maße steigern wird, als in katholischen Gegenden. In der Diaspora müssen Seelsorgstellen eingerichtet werden, während in katholischen Gegenden auch die Flüchtlinge von der normalen Seelsorge erfasst werden können und nur in einzelnen Fällen besondere Maßnahmen notwendig sind. Es besteht also die Gefahr, dass die Theologen selbst in die Verhältnisse der Diözese, in deren Seminare sie studieren,

39

Rückblick Albert Büttners, S. 3.

Die Promotoren Königsteins

181

sich einleben und den begreiflichen Wunsch haben, auch dort einmal tätig sein zu können. Es ist aber nötig, dass die Theologen in der Bereitschaft erzogen werden, ihren Landsleuten zu folgen, insbesondere gilt dies für drei Zwecke: 1. für die Diaspora, 2. für die von den Russen besetzten Gebiete und 3. für künftige Auswandererseelsorger. Diese Ziele können aber besser in einer eigens hierfür errichteten Anstalt erstrebt werden, als in den einzelnen Diözesanseminarien.“40 Büttner dachte darüber hinaus bereits Anfang September 1946 an die Notwendigkeit, für die russische Zone ein eigenes Priesterseminar und ein eigenes theologisches Studium gerade auch im Hinblick auf die Ausbildung von geeigneten Seelsorgern für die Vertriebenenbetreuung zu errichten. Er befürchtete aber unüberwindbare Hindernisse in der sowjetischen Besatzungszone, nicht zuletzt in Punkto Finanzierung. Daher erschien es ihm sinnvoll, dort eine Anstalt zu errichten, wo sie möglich war. Nachdem Büttner breit die Aufgabenstellung und die Notwendigkeit der Sammlung ostdeutscher Theologen in einer eigenen Ausbildungsstätte erörtert hatte, insbesondere die Einbindung in eine heimatliche und Heimat schaffende Gemeinschaft mit Professoren aus dem Osten, die die spezifische Problematik und Mentalität kennen, kam er auf die Vorzüge der Gebäude in Königstein zu sprechen und legte – dieser Rückblick ist geschrieben für die Bischöfe – die Vorzüge der Häuser in Königstein dar: „Das obere größere Haus ist bereits geräumt worden und kann nach einigen Renovierungsarbeiten bezogen werden. Es sind darin vorhanden: ein geeigneter Raum für Kapelle, Speisesäle, Hörsäle, Bibliothek, Tagesräume. Alle Räume sind licht und hell. Das ganze Haus ist in verhältnismäßig gutem Bauzustand.“41 Auch die Ausstattung war reichhaltig und würde für den Start genügen: 500 Betten mit Matratzen, 1.000 Wolldecken, 250 Spinde, 300 Tische, 1.000 Stühle. Kindermann konnte zu diesem Zeitpunkt konstatieren, dass eine theologisch-philosophische Bibliothek von 10.000 Bänden bereits in Königstein untergebracht war. Ziel war von Anfang an nicht nur ein Konvikt, sondern es ging um den Aufbau eines Studienbetriebes. Büttner entwickelte drei Modelle: Zum einen eine Verbindung des Konvikts mit einer in Frankfurt geplanten Theologischen Fakultät. Gegenüber diesem Plan hatte der Bischof von Limburg große Bedenken. Eine Alternative wäre das Seminar in Königstein als Filiale der Philosophisch-Theologischen Lehranstalt in St. Georgen zu errichten, damit wäre die staatliche Anerkennung gesichert; eine dritte Variante wäre die Anstalt in Königstein als eine selbständige Bildungsanstalt zu errichten und die staatliche Anerkennung zu suchen. Wie sollte das konkrete Vorgehen aussehen? „1. Es wird vorgeschlagen, ab Oktober Gymnasiasten, die vor dem Abschluss ihrer Studien standen und Theologie studieren wollen, zu sammeln und durch Privatunterricht auf die Ablegung der Matura vorzubereiten. Es liegen schon jetzt zahlreiche

40 41

Rückblick Albert Büttners, S. 5. Rückblick Albert Büttners, S. 7.

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Abschnitt III

Anfragen vor, so dass wahrscheinlich rund 50 bis 70 Mittelschüler der höheren Klassen gesammelt werden können. Mit ihnen wird der Betrieb eröffnet und die nötigen Vorbereitungsarbeiten für Einrichtung der theologischen Bildungsanstalt getroffen. 2. Die theologische Bildungsanstalt wird mit dem Sommersemester 1947 errichtet. Bis zu diesem Zeitpunkt können alle Vorbereitungen getroffen sein. Es werden in die theologische Bildungsanstalt übernommen, die bereits in Königstein vorbereiteten Gymnasiasten und die Theologen, die bereits in anderen Seminaren studieren und sich für die Diaspora, für die russisch besetzten Ostgebiete oder für die Auswandererseelsorge vorbereiten wollen. In erster Linie kommen jene Theologen in Frage, die zwar bereits an theologischen Anstalten studieren, aber keine Aufnahme in das Konvikt fanden, wie das an mehreren Plätzen der Fall ist. Wenn alle diese jungen Kandidaten zusammengefasst werden, dürfte die Zahl von 150 bis 200 Studenten erreicht werden. 3. Gleichzeitig wird dann Ostern 1947 mit dem Aufbau eines Knabenkonvikts begonnen. In der Zwischenzeit muss eine Kommission die Vorbereitungen für den Studienbetrieb sowohl an der theologischen Lehranstalt als auch an der Mittelschule treffen.“42 Damit waren zeitlich und inhaltlich sehr konkrete Pläne entwickelt worden. Sie waren soweit gediehen, dass Bischof Kaller als der päpstliche Beauftragte für die Vertriebenen am 13. September 1946 an seine Mitbrüder in der Fuldaer Bischofskonferenz eine Notiz zur Vermeldung und zur Bekanntmachung schicken konnte, dass in Königstein im Taunus durch die Kirchliche Hilfsstelle ein Studienhaus errichtet worden sei, das den Flüchtlingsschülern der höheren Schulen, die bisher aus wirtschaftlichen Gründen nicht das Abitur ablegen konnten oder deren Studium durch das Kriegsereignis unterbrochen wurde, Gelegenheit biete, sich auf die Reifeprüfung vorzubereiten. In erster Linie würden Schüler aufgenommen, die Theologie studieren wollten. Es könne aber auch anderen der Eintritt gewährt werden, wenn noch Platz vorhanden sei. Der voraussichtliche Beginn wurde auf den 1. November 1946 festgelegt. Am selben Tag schrieb Kaller an den Kapitelsvikar des Erzbistums Breslau, an Dr. Ferdinand Piontek, den einstigen Kursgenossen Kallers, die Bitte, den bisherigen Regens des Breslauer Priesterseminars, Paul Ramatschi, für das neue Priesterseminar in Königstein im Taunus, das voraussichtlich im April 1947 eröffnet werde, freizustellen.43

1.5.

Verhandlungen und Schwierigkeiten

Büttner hatte bereits Ende 1945/Anfang 1946 den Rat von Professoren, die von Hochschulen im Osten kamen, eingeholt. U.a. hatte er sich am 15. Februar 1946 mit Bernhard Panzram44 besprochen, der es für wünschenswert und nützlich hielt, in Frankfurt eine Theologische Fakultät zu gründen, da eine ganze Reihe von Diözesen überhaupt 42 43 44

Rückblick Albert Büttners, S. 9f. RKA D XI. 8c. Vgl. Paul MAI, Bernhard Panzram (1902 – 1998), in: HIRSCHFELD et al., Schlesische Kirche in Lebensbildern, Band 7, S. 238-243.

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keine Lehranstalt hatten und ihre Theologen auch vorher bereits nach Frankfurt geschickt hatten. Panzram machte auch bereits konkrete Vorschläge für die Besetzung einzelner Professuren.45 Auf dem Hintergrund dieser Besprechungen richtete Büttner ein Schreiben an den Frankfurter Oberbürgermeister, in dem er für die Errichtung einer Katholisch-Theologischen Fakultät nach der Wiedereröffnung der Universität plädierte.46 Es seien nach dem Wegfall der Katholisch-Theologischen Fakultäten in Breslau, Prag, Olmütz, Wien, in Braunsberg, Leitmeritz und Weidenau zu wenige Katholisch-Theologische Anstalten vorhanden. Studenten der weggefallenen Lehranstalten seien zum Großteil in die englische und amerikanische Zone ausgesiedelt worden, von daher sei es notwendig, eine Theologische Fakultät in Frankfurt zu errichten, da Frankfurt ein kulturelles und geographisches Zentrum der drei westlichen Zonen sei. Eine Reihe von Professoren der Katholischen-Theologischen Fakultäten habe sich bei Büttner bereits zur Übernahme eines Lehrstuhls angemeldet. In einem ausführlichen Schreiben an die Konferenz der Hochwürdigsten Herren Erzbischöfe und Bischöfe von Bayern vom März 1946 über die Seelsorgeflüchtlinge und über die Lage der ausgewiesenen Priester kam Büttner auch unter Punkt 5 auf die Betreuung der geflüchteten Theologiestudenten zu sprechen.47 „Bis jetzt haben über 300 Theologen, die ausgewiesen wurden oder in ihre Heimat nicht zurückkehren können, in Priesterseminaren oder Konvikten Aufnahme gefunden. Weitere Flüchtlingsstudenten sind aus dem Sudetengau und anderen Flüchtlingsgebieten zu erwarten. Ferner eine große Anzahl von solchen Theologiestudenten, die sich zurzeit auch in Kriegsgefangenschaft befinden. Vielfach fahren diese Theologen von Seminar zu Seminar, bis sie irgendwo Aufnahme finden. Auch hier ist eine Lenkung durch eine Zentralstelle notwendig. Es wird deshalb vorgeschlagen: eine Rundfrage bei allen theologischen Konvikten und Seminaren, wie viele Flüchtlingstheologen noch aufgenommen werden können und Meldung an die Kirchliche Hilfsstelle. Bereitstellung von Stipendien für mittellose Theologiestudenten. Hierzu ist die Schaffung eines zentralen Ausgleichsfonds notwendig. Bereitstellung von Erholungsplätzen für ausgewiesene Theologiestudenten. Schaffung eines Zentralseminars für ausgewiesene Theologiestudenten.“48 Als ideelle und auch materielle Basis regte Büttner in einem Schreiben an den Papst vom 24. Mai 1946 die Errichtung eines Hilfswerkes priesterlicher Bruderliebe unter dem Namen „Opus confraternitatis“ an. Büttner wollte, dass die Priester im Inund Ausland die Sorge für geflüchtete Priester und Theologiestudenten solidarisch

45 46 47 48

RKA D XI. 2a, Notiz der Besprechung mit Universitätsprofessor Bernhard Panzram, Regensburg 15.02.1946. Schreiben an den Frankfurter Oberbürgermeister vom 04. März 1946, RKA D XI. 2a. RKA D XI. 2a masch. 7 Seiten. Schreiben an die Konferenz der Hochwürdigsten Herren Erzbischöfe und Bischöfe von Bayern vom März 1946, Zitat S. 6f. Grundsätzliche Überlegungen zu diesem Aufgabenfeld sind dokumentiert im Anhang Nr. 5; dazu auch der Bericht Büttners vom 2.9.1946 im Anhang Nr. 9.

184

Abschnitt III

mittragen. „Wenn eine Liebe über allen Hass siegen kann, dann die Caritas fraterna der katholischen Priester! Von diesem unerschütterlichen Vertrauen beseelt will sich Unterzeichneter an die Mitbrüder im In- und Ausland wenden mit der Bitte, sie möchten deutschen Priestern und solchen, die auf dem Wege zum Priestertum sind, helfen.“49 Wenn Büttner den Mangel beschrieb, dann berührte er damit alle Bereiche des täglichen Lebens und der Amtsausübung des Priesters, nämlich vom schwarzen Stoff für Anzug und Talar bis hin zu wissenschaftlich-theologischer Literatur. Bei der Beratung mit verschiedenen Professoren wurden Büttner auch die Schwierigkeiten der Gründung einer Katholisch-Theologischen Fakultät oder einer Ausbildungsanstalt der künftigen Priester geschildert. So hat ihn etwa Prof. Stonner50 in München in einem Gespräch am 4. Januar 1946 vor unerhörten Schwierigkeiten gewarnt, die der Plan, eine Flüchtlingsuniversität zu gründen, bewältigen müsste. Die große Hürde dürfte es danach sein, einen Bischof zu finden, der diese Theologen aufnehme, der Raum und Bibliotheken zur Verfügung stelle und die technischen Fragen lösen könne. Darüber hinaus sei die kirchenrechtliche Problematik in Bezug auf die Weihen zu bedenken: wohl kaum ein Bischof werde einige hundert Theologen aufnehmen und beschäftigen können. In dieser frühen Sondierungsphase erkundigte sich Büttner auch, was mit dem Kloster Banz geplant sei und ob dieses Kloster nicht als Lehranstalt für Flüchtlingstheologen verwendet werden könne.51 Büttner ließ sich durch die Bedenken Stonners nicht entmutigen. Am 20. Januar 1946 suchte er das Gespräch mit dem Referenten für Universitätsangelegenheiten im Frankfurter Stadtrat Heun52, den er freilich nicht antraf. Er wurde weitergeleitet zum Verbindungsmann zwischen Bürgermeisteramt und Universität, an den Amtmann Hartmann. Bei ihm erfuhr Büttner, dass der Plan zur Gründung einer theologischen Fakultät schon länger bestünde, dass aber der Kultusminister noch keine Bewilligung zur Errichtung dieser Fakultät erteilt habe. Sowohl die Universität wie auch der Bürgermeister von Frankfurt begrüßten es, wenn die kirchliche Seite diesen Plan forcierte. Hartmann riet zu einer Vorsprache im Kultusministerium und zu einem schriftlichen Vorschlag an den Oberbürgermeister mit Nennung konkreter Namen von Flüchtlingsprofessoren, die für die Lehrstelle in Frankfurt/M. in Frage kämen. Hartmann ging soweit, dass er persönliche Bewerbungen an den Oberbürgermeister empfahl. Dass eine solche Institution, die zusätzlich zu den diözesanen Bildungsanstalten entstand und das Diözesanprinzip durchbrach, durchaus mit Skepsis der Bischöfe rechnen musste, war auch Büttner bewusst. Daher nahm er nicht nur mit Bischof Berning von Osnabrück, dem Protektor des RKA, Kontakt auf, sondern sprach auch beim

49 50 51 52

RKA D XI. 2a, Büttner an Pius den XII. am 24. Mai 1946, 4 Seiten masch., Zitat S. 2. Vgl. zu Stonner DENZLER, Widerstand ist nicht das richtige Wort. RKA D XI. 8a, Aktennotiz Büttners über die Besprechung mit Prof. Dr. Stonner, München am 04. Januar 1946. Bernhard Heun (1899 – 2000). Ein Retter der Frankfurter Universität. Ehemaliger Stadtrat Bernhard Heun wird heute 100 Jahre alt. In: FAZ vom 16. August 1999. (Für den Hinweis danke ich Herrn Volker Harms-Ziegler vom Institut für Stadtgeschichte in Frankfurt/Main herzlich.)

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Kölner Kardinal Frings vor, der, so Büttner in einem Brief an Bischof Berning in Osnabrück vom 4. Juni 1946, großes Verständnis für den Plan der Errichtung eines Konvikts für Theologiestudenten und Gymnasiasten gezeigt habe und ihn billige.53 Kindermann konnte in einem Gespräch mit dem Münchner Kardinal Faulhaber diesen ebenfalls für den Plan einer eigenen Hochschule, eines Konvikts und eines Gymnasiums für die Vertriebenen gewinnen, wenn auch Faulhaber seine Meinung unterstrich, dass die Errichtung in Bayern zweckmäßiger sei. Nachdem im Sommer die Bedenken der Bischöfe ausgeräumt worden waren, galt es, die zugesagten Gebäulichkeiten in Königstein zu sichern und gleichzeitig nach Lehrpersonal für die Hochschule und auch für den Reifekurs, also die ersten Anfänge des Gymnasiums zu suchen. Für die westdeutsche Bischofskonferenz im Juni 1946 stellte Büttner zwei Voten zusammen: für die Errichtung einer Katholisch-Theologischen Fakultät in Frankfurt/M. und für das Opus Confraternitatis. Für die Errichtung der Katholisch-Theologischen Fakultät verwies Büttner einmal mehr auf die Tradition des theologischen Studiums in Prag, Breslau, Braunsberg, Leitmeritz und Weidenau, auf die Notwendigkeit, dass den Flüchtlingstheologen aus dem Osten damit eine geeignete theologische Lehrstätte fehlen würde. Es gelte, die Tradition und Eigenart der drei Ostfakultäten zu erhalten und auf diese Weise den Flüchtlingstheologen ein Stück Heimat zu bieten. Dort könne eine spezifische Vorbereitung geboten werden, abgestimmt auf die Herkunft der Theologen, auf ihre ehemalige Heimat und im Hinblick auf die neuen schwierigen Aufgabenbereiche, die auf den Seelsorgepriester unter Flüchtlingen warte. In vielen Fächern könnten diese besonderen Aspekte eine ausdrückliche Berücksichtigung und Behandlung erhalten.54 Nicht nur den Theologen, sondern auch den vertriebenen Theologieprofessoren könne man somit ein neues Stück Heimat schaffen. „Die Errichtung einer Katholischen Fakultät neben dem Priesterseminar für die Flüchtlingstheologen würde sicherlich von allen Katholiken, die als Ausgewiesene in den Westen kommen, als ein weiteres sichtbares Zeichen angesehen werden, wie ernst es die Kirche mit ihrer Sorge um das religiöse Leben der Flüchtlinge meint. Die neue Fakultät würde über ihren gewöhnlichen Wirkungskreis hinaus ein geistiger Mittelpunkt werden für alle religiös-wissenschaftlichen und auch religiös-praktischen Probleme der nach dem Westen geflüchteten Katholiken.“55 Die westdeutsche Bischofskonferenz konnte sich freilich zu einer klaren Entscheidung nicht durchringen. Sie sprach sich nicht für die Errichtung eines Seminars für vertriebene Theologen aus, sondern nur für die Prüfung des Planes und für die evtl. Einrichtung eines Knabenkonviktes. Es gab kein entschiedenes Gegenvotum, aber auch kein klares Plazet für Büttners Projekt.56 Daraufhin formulierte Büttner einen

53 54 55 56

RKA D XI. 8a, Büttner an Berning am 04. Juni 1946. RKA D XI. 2b, die Anmerkungen Büttners vom 08. Juni 1946 zur Vorlage bei der westdeutschen Bischofskonferenz umfassen 1 ½ maschinengeschriebene Seiten des Zitats auf S. 1. Büttner , S. 1f. RKA D XI. 2? , Schreiben Büttners an Bischof Berning in Osnabrück vom 27. Juni 1946.

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Abschnitt III

ausführlichen, von der Sorge über die Vertriebenen gesättigten Brief an Berning, in dem er nochmals die Situation beschrieb und die Notwendigkeit, ein eigenes Seminar zu errichten, unterstrich.57 Wenigstens die Genehmigung sollte Berning geben, das Haus sicherzustellen, damit es nicht von anderen in Anspruch genommen werden kann. Büttner konzedierte, dass es sich voraussichtlich nur um eine vorübergehende Einrichtung handeln werde, da die Zeitumstände keine Planung auf Jahrzehnte genehmigten. „Wenn in drei oder fünf Jahren das Seminar für vertriebene Theologen überflüssig würde, könnte man es ja auflösen. Ich bin aber überzeugt, dass es bis dahin eine notwendige und nicht zu übersehende Aufgabe erfüllt haben wird. Die materielle Not der Flüchtlinge ist groß. Die Hilfsmöglichkeiten sind gering. Die wichtigste Funktion zur Hilfe hat die Kirche durch die seelsorgliche Betreuung. Die seelsorgliche Not wird nicht kleiner, sondern mit jedem Monat größer.“58 Positive Antwort erhielt Büttner vom Frankfurter Stadtrat Dr. Heun, der ihm am 18. Juli 1946 mitteilte, dass in der Beigeordnetenbesprechung die Übereinstimmung erzielt worden sei, dass die Kaserne in Königstein nicht für Zwecke des Stadtgesundheitsamtes in Betracht gezogen werde, sondern als Vorstufe für die beabsichtigte Katholisch-Theologische Fakultät an der Frankfurter Universität. Die Stadtbehörde wollte die räumliche Trennung des neuen Instituts von der Frankfurter Universität auf längere Perspektive hin aufheben. Die Fakultät sollte in Frankfurt errichtet und unter-

57

58

„Freilich haben bereits 200 Theologen Aufnahme gefunden (in den diözesanen Priesterseminaren). Es sind noch viele in Kriegsgefangenschaft, viele noch in der Heimat, die aber bald vertrieben werden. Viele schon in Deutschland, die noch kein Unterkommen gefunden haben. Viele, die Theologie studieren wollten und noch kein Abitur gemacht haben. Es handelt sich schließlich um den Priesternachwuchs aus einem Bevölkerungsteil von mindestens 8 Mio. Wenn die deutschen Seminare, obwohl viele zerstört sind, heute noch Platz haben für Flüchtlingstheologen, so ist das nach meiner Ansicht ein ernstes Zeichen, für Mangel an Priesternachwuchs. Eigentlich müssten die Seminare nach sieben Kriegsjahren überfüllt sein. Die Statistik der Priester aus dem Sudetenland zeigt eine erschreckende Überalterung des Klerus und eine erschreckende Zahl nicht einsatzfähiger Priester. Der Priesterbedarf wird wachsen, besonders für Diaspora. Ferner für eine kommende Auswanderung. Eure Exzellenz darf versichert sein, dass ich immer wieder geprüft habe: ist wirklich ein Seminar nötig? Ich bin nur zu dem Resultat gekommen, dass die Notwendigkeit besteht, und dass ich jetzt nicht verantworten kann, den Plan aufzugeben und ihn wieder vorlegen zu müssen. Die Ungewissheit, ob der deutsche Episkopat zustimmen wird, lähmt und hemmt die Vorbereitungen. Ich hatte folgende Pläne: ich wollte für diejenigen, die sich auf das Abitur vorbereiten sollten, einen oder mehrere Studienräte einsetzen, damit sie den jungen Männern bei der Vorbereitung auf das Abitur helfen. Ich wollte wenigstens einige Schwestern gewinnen und das Haus einrichten lassen, so dass der Betrieb im Oktober beginnen könnte. Ich finde überall bei allen Laien, bei allen Behörden, vom Bürgermeister von Königstein angefangen bis zu den großhessischen Ministern größtes Entgegenkommen, Förderung und Hilfe. Im Hause ist fast alles vorhanden. U.a. 1.500 Zentnern Kohlen, von denen ich sicher hoffe, dass ich sie erwerben kann, Betten, Küchengeschirr usw. Vom Vatikan erhalte ich bereits wichtige Lebensmittel, wie Fette, Kakao usw. Was soll ich tun?!“ RKA D XI. 2b, Schreiben Büttners an Berning vom 27. Juni 1946, 4 S. masch., Zitat S. 1f. Schreiben Büttners an Berning, S. 2.

Die Promotoren Königsteins

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gebracht werden.59 Auch der Frankfurter Oberbürgermeister unterstützte nachdrücklich Büttners Plan.60 Ende Januar 1947 berichtete Büttner an die Fuldaer Bischofskonferenz eingehend über die Entstehungsgeschichte des Planes, in Königstein ein Konvikt für Theologiestudenten, eine Theologische Ausbildungsanstalt und ein Knabenkonvikt mit Gymnasium zu gründen. Wichtig war ihm dabei der ausdrückliche Hinweis, dass die Königsteiner Institute nicht allein den heimatvertriebenen Theologiestudenten eine Studienmöglichkeit bieten wollten, das wäre auch in anderen Seminarien möglich, sondern die eigentliche Intention dahin gehe, die Ausbildung dieser Theologen ganz auf die besonderen Bedürfnisse der Flüchtlingsseelsorge auszurichten. So wie in anderen Ländern zurzeit wegen Verfolgung oder aus anderen Gründen Missionsseminare errichtet würden, so solle in Königstein eine Art Missionsseminar für die Vertriebenen und speziell für die Vertriebenen in der Diaspora aufgebaut werden. Die Theologen sollten dafür besonders geschult werden, gerade auch für das russisch besetzte Gebiet und auch in einer eventuellen Auswanderungsseelsorge eingesetzt werden können. Eine zweite Grundintention war nach der Aussage dieses Berichtes, dass Königstein ein geistiger Mittelpunkt für die Flüchtlingsseelsorge würde und zwar einer Flüchtlingsseelsorge mit dem Ziel der Eingliederung und der seelischen Heimatschaffung. Das Spezifikum erschöpfte sich nicht in der Formulierung dieser Ziele, sondern bezog sich auch auf die Lebensformen. So sollten etwa die Theologieprofessoren ihre Fächer nicht nur wie an einer Hochschule oder Universität dozieren, sondern eine Arbeitsgemeinschaft bilden, um das ungeheuere Problem der Flüchtlingsseelsorge mit allen seinen Notwendigkeiten stets zu studieren und die entsprechenden Hilfsmittel zu bedenken, und sie sollten die geistigen Güter des Ostens und Südostens bewahren und sie fruchtbar machen. „Aus dieser Arbeit sollte eine wissenschaftliche Zeitschrift oder gelegentliche Arbeiten entstehen, eine pastoral-pädagogische Zeitschrift, wie sie bereits in der jetzigen Zeitschrift „Christ unterwegs“ begonnen ist, sollte weiter ausgebaut werden. An diesen Arbeiten sollten auch die Theologiestudenten beteiligt werden.“61 Büttner sprach in dem Bericht auch die Schwierigkeiten, die Hemmungen und Verzögerungen in der Planung für Königstein an, die nicht zuletzt darin lagen, dass eine Entscheidung, ob und in welcher Form diese Pläne verwirklicht werden könnten und sollten, vor dem Zusammentritt der Bischofskonferenz nicht zu erreichen waren. Anfangsschwierigkeiten gab es auch bzgl. der Lehrkräfte, die Büttner aber bereits Anfang 1947 als überwunden bezeichnete. Die St. Albertus-Schule, also das Realgymnasium in Königstein, hatte nach diesem Bericht mit dem Schreiben vom 28. Dezember 1946 vom Kultusministerium die Genehmigung erhalten. Unterhaltsträger war zu diesem Zeitpunkt die Kirchliche Hilfsstelle. Mit Blick auf die Hochschule entstanden durch die Verzögerungen insofern Nachteile, als die Flüchtlingsprofesso59 60 61

RKA D XI. 2b, Heun an Büttner am 18. Juli 1946. Schreiben des Oberbürgermeisters an Büttner vom 22. Juli 1946. Kaller an Mitglieder des Seminarrates für Königstein vom 3. Januar 1947, Diözesanarchiv Osnabrück, Generalia 06-36-46-82.

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Abschnitt III

ren, die im Juli 1946 bereits ihre Mitwirkung zugesagt hatten, teils inzwischen anderweitig tätig waren. Im Blick auf die Rechtsgrundlage formulierte Büttner in diesem Bericht, dass die Kirchliche Hilfsstelle – bisher Träger dieses Königsteiner Institutes als rechtliche Abteilung des Ordinariates Osnabrück – auf Dauer nicht würde Träger sein können, da nicht ein einzelnes Ordinariat die Verantwortung für einen derartigen Komplex übernehmen könne. Daher wurde der Vorschlag vorgebracht und unterstützt, dass das Institut Königstein unter der rechtlichen Form einer Stiftung errichtet werde, die vor allem die drei Ziele Flüchtlingsseelsorge, Diasporaseelsorge und Auswandererseelsorge vor Augen haben sollte. Entsprechend sollten dem Kuratorium der Stiftung Kaller als der Vertreter der Flüchtlingsseelsorge, der Erzbischof von Paderborn als Vertreter der Diasporaseelsorge und Berning von Osnabrück als Vertreter für die Auswandererseelsorge, wie auch der Bischof von Limburg als der Bischof des Belegenheitsbistums und der Vorsitzende der Fuldaer Bischofskonferenz, also der Kölner Kardinal, angehören. Dieses Kuratorium müsste, so der Vorschlag Büttners, einen Geschäftsführer bestimmen, der im Auftrag des Kuratoriums die volle Verantwortung und die Leitung des Aufbaues habe, einheitlich sämtliche Verhandlungen führe und die notwendigen Rechtsverträge abschließe. Grundlage müsste das Stiftungskapital der Stiftung sein, die von den deutschen Diözesen zu erbitten sei. Für den Beginn des theologischen Studiums und der Einrichtung des Theologenkonviktes wurde das Sommersemester 1947 ins Auge gefasst. Büttner hielt folgende Varianten für denkbar: Ein philosophischer Kurs für Anfänger, also für die Semester eins bis vier, danach wären Dozenten für die Fächer Philosophie, Fundamentaltheologie, Kirchengeschichte, Kirchengeschichte des Ostens und Exegeten notwendig. Ein philosophischer und theologischer Kurs für alle Semester, also Semester eins bis zehn oder eins bis acht, dann wären zusätzlich Professoren für Dogmatik, Moral, Kirchenrecht, Pastoral, Kunst, Geschichte notwendig. Büttner dachte an insgesamt etwa zehn Dozenten. Die dritte Variante: ein volles philosophisches und theologisches Studium und ein eigentliches Seminar, also für die Semester eins bis zwölf, dann bedürfte es auch einer Besetzung der Lehrfächer Sakramentenverwaltung, Pastoral, Homiletik, Katechetik, Liturgik und Rubrizistik. Schließlich wäre als vierte Variante denkbar gewesen: Lediglich ein Priesterseminar, also nur den Pastoralkurs, d.h. für die Semester elf bis zwölf oder neun bis zwölf. Zu den Räumlichkeiten bemerkte Büttner: „In Haus eins sind für 125 Studenten und Dozenten Wohnungen vorhanden. Wenn die Dozentenwohnungen vorläufig bescheiden aus einem Zimmer bestehen müssten, so ist eine Besserung zu erwarten, sobald die beiden Wohnhäuser vor dem Haus zwei zur Verfügung stehen werden. Die größten Schwierigkeiten dürften in der Bereitstellung der nötigen Lehrkräfte liegen.“62

62

Kaller an Mitglieder des Seminarrates für Königstein vom 3. Januar 1947, Diözesanarchiv Osnabrück, Generalia 06-36-46-82, S. 5.

Die Promotoren Königsteins

189

Das Knabenkonvikt sollte laut dieser Planungen im Haus zwei eingerichtet werden. Büttner sprach von bereits vorliegenden 60 bis 70 Anmeldungen. Auch für einen eventuellen Sonderkurs für Spätberufene lägen bereits 24 Anmeldungen vor. Schließlich listete er die bisher geleisteten Arbeiten auf63, nämlich eine ‚Entwesung’ der beiden Häuser. Der größte Teil von Haus eins wurde zudem frisch getüncht. Es wurde eine vorläufige Kapelle eingerichtet. Die Einrichtung der Küche wurde verbessert, ein neuer Herd angeschafft. Eine Telefonanlage mit 25 auswärtigen und 50 Hausanschlüssen war in Arbeit. Die Sanitäranlagen wurden ausgebessert. Mit der Erweiterung wurde begonnen. Die Wohnungen für Kaller, für den Regens und die Studienräte waren zum Teil fertig, teils noch in Arbeit. Eine Waschküche mit zwei Waschmaschinen war eingerichtet, daneben gab es eine Schusterwerkstatt mit entsprechenden Maschinen, eine Schreinerwerkstatt, eine Schlosserwerkstatt, und kleine und größere Ausbesserungsarbeiten wie das Schaffen von Durchbrüchen, Ausbesserungen und Instandsetzung von Öfen seien vorgenommen worden.

63

Kaller an Mitglieder des Seminarrates für Königstein vom 3. Januar 1947, Diözesanarchiv Osnabrück, Generalia 06-36-46-82, S. 6.

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Abschnitt III

2.

Büttner, Kaller und die Leitung Königsteins

Am 24. Juni 1947 wandte sich Büttner an Bischof Berning von Osnabrück wegen der Zuordnungsschwierigkeiten, die er mit Bischof Kaller hatte. Kaller hatte in einem Brief am 11. Juni geschrieben, dass die bisherigen Dispositionen in Bezug auf Königstein sich ändern sollten, obwohl nach Einschätzung Büttners mit Kaller besprochen gewesen sei, dass er, Büttner, bis zur Errichtung des eingetragenen Vereins Königstein in seinen bisherigen Funktionen bliebe, zumal bis zu dieser Übertragung der Einrichtung in Königstein aus der Trägerschaft der Kirchlichen Hilfsstelle auf den eingetragenen Verein Büttner als Leiter der Hilfsstelle verantwortlich bleibe. Es dürfe nicht übersehen werden, dass die Kirchliche Hilfsstelle und nicht Bischof Kaller der Träger von Königstein sei. „Es ist ja schließlich so, dass die Kirchliche Hilfsstelle an Bischof Kaller die Einrichtung in Königstein abtritt und doch auch berechtigte Wünsche und Bedingungen zu stellen hat.“64 Der Streitpunkt lag wohl in einer Personalie. Kaller wollte Generalvikar Wosnitza65 mit Arbeiten der Flüchtlingsseelsorge betrauen, das konnte Büttner nicht verhindern, aber Wosnitza sollte doch erst als Geschäftsführer in einen neuen e.V. eintreten und nicht davor bereits Büttner ersetzen. Der zweite Grund für den Dissens war ein Brief Kallers vom 12. Juni, mit dem er das Opus Confraternitatis von Büttner auf Kindermann übertrug, obwohl Büttner vorher mit Kaller besprochen habe, dass er seine Tätigkeit in dieser Organisation zu einem Abschluss bringen wolle und dann ein anderer übernehmen solle.66

64 65 66

Büttner an Berning vom 24. Juni 1947, Diözesanarchiv Osnabrück, Generalia 06-36-46-82. Zu Wosnitza vgl. SCHMERBAUCH, Prälat Franz Wosnitza. Im Hintergrund stand Kallers Schreiben an Büttner vom 11. Juni 1947, wo er formulierte: „Er (das ist der Bischof von Osnabrück) wünsche nicht, dass Sie zum Geschäftsführer des neuen e.V. ernannt werden. Er wünsche ferner, dass die Kirchliche Hilfsstelle in Frankfurt und die in München Geschäftsstellen des Raphaelsvereins würden, die Sie übernehmen sollten. Diesem Vorschlag stimmten die anderen hochwürdigsten Herren, besonders Herr Kardinal Frings und Herr Erzbischof Jaeger, denen der Herr Erzbischof von Osnabrück vor seiner Abreise diese Mitteilungen gemacht hatte, bei. Im Einzelnen wurde nun präzisiert, dass Sie die Sorge für die Volksdeutschen aus dem Südosten, also Rumänen, Ungarn, Bulgaren, Schwarzmeerdeutschen, Polen, Ukrainer übernehmen sollten, danach ändern sich unsere bisherigen Dispositionen, indem Sie ein von meinem Arbeitsgebiet vollständig getrenntes Arbeitsfeld erhalten. Da bis zur Bischofskonferenz alles, besonders der e.V., geregelt sein soll, ich Sie aber trotz mehrfachen Anrufes nicht erreichen konnte, habe ich Herrn Generalvikar Wosnitza gebeten, hierher zu kommen und an Ihrer Stelle in die Arbeit einzutreten. Ob er es tut, weiß ich noch nicht. Ich nehme es aber an. Er muss möglichst bald kommen, damit in der Arbeit keine Unterbrechung stattfindet. Es tut mir leid, dass ich diese Dinge nicht persönlich mit Ihnen besprechen konnte. Seit meiner Rückkehr von Hardehausen waren Sie nicht zu erreichen. Nunmehr bleibe ich längere Zeit fort, weil ich in die Schweiz und zu verschiedenen Wallfahrten reise. Sobald ich zurückkomme, werden wir endgültige Richtlinien festsetzen.“ (Diözesanarchiv Osnabrück, Generalia 06-36-46-82, Schreiben Kallers an Büttner vom 11. Juni 1947)

Die Promotoren Königsteins

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Das Ringen um die Selbständigkeit, die Spannungen mit der Leitung und damit die Spannungen zum RKA bringt ein Brief Ramatschis an Kaller vom 13. Februar 1947 auf den Punkt. „Die letzte Besprechung über die Angelegenheiten des Seminars und Konviktes in Königstein hat die alten Bedenken von neuem wieder aufleben lassen. Die plötzliche Änderung der in der vorletzten Sitzung beschlossenen Planung erregt die Befürchtung, dass die räumliche und sonstige Selbständigkeit des Seminars wieder in Frage gestellt werden könnte. Darum halte ich es für meine Pflicht, noch einmal die dringende Bitte auszusprechen, dass dem Seminar die volle Selbständigkeit gewährt wird, dass alle Räume des zweiten und dritten Stockwerkes, mit Ausnahme des Magazinraumes für das Opus, dem Seminar zur Verfügung stehen, auch alle bisher als Wohnung benützten Zimmer beider Stockwerke. Ferner, dass wir mit zu Rate gezogen werden bei der Auswahl, Gestaltung und Umänderung der Seminarräume (Kapelle u.a.). Es geht auch nicht an, dass unter dem Gesichtspunkt der Übergangszeit die Verfügung und Entscheidung über alles beansprucht wird. Wenn wir mit der Selbständigkeit bis zur endgültigen Fertigstellung aller Einrichtungen warten sollen, dann wird das Seminar nie zu seinem notwendigen Eigenleben kommen. Alle das Seminar selber betreffenden Dinge u.a. auch die Frage der Aufnahmen gehören lediglich vor das Forum des Bischofs und der Seminaroberen. Nicht Freude an der Kritik oder mangelnde Bereitschaft zur Zusammenarbeit lassen mich diese Zeilen schreiben, sondern die ernste Verantwortung, die mir wieder durch das bedeutungsvolle Wort seiner Eminenz des Hochwürdigsten Kardinals von Köln, der doch gewiss als Fachmann für Fragen eines Priesterseminares angesehen werden kann, zum Bewusstsein gebracht wurde: „Was würde es auch nützen, wenn wir die äußeren Einrichtungen für die Heranbildung unserer Theologen aus dem Osten hätten, die Ausbildung selber aber unter starker Behinderung stünde und nicht das leisten würde, was sie soll und was von ihr erwartet wird.““67 Gleichsam kondensiert erscheinen hier die Vorbehalte der schlesischen Geistlichkeit gegenüber Büttner, von denen Janko in seinem Rückblick an die Anfänge von Königstein in Auseinandersetzung mit dem Buch von Maria Labonté spricht.68 Büttner habe sich wohl zu stark in die Erziehung der Theologen eingemischt. „Das Verhältnis zwischen Ramatschi und Büttner war wohl von Anfang an eher zurückhaltend bis kühl. Das Gleiche gilt auch von den anderen schlesischen Herren (Kleineidam69, Puzik, Krzoska70). Mir gegenüber als dem Präfekten des Schülerkonvikts war Büttner immer sehr freundlich, ein Zug, der ihn

67 68 69 70

RKA D XI.11b, Ramatschi an Kaller am 13. Februar 1947. Die Erinnerungen Jankos umfassen 11 S. masch. Janko berichtet auf S. 4 seiner Erinnerungen auch von einem Zwischenfall zwischen Büttner und Ramatschi. Erich Kleineidam (1905 – 2005); vgl. Nachweise zu den Dozenten auf S. 450. Josef Krzoska, geb. 1903 in Deutsch Piekar/OS, 1924 – 1928 Theologiestudium in Breslau und München, 1929 Priesterweihe. Zwischen 1929 und 1946 in verschiedenen kirchlichen Funktionen, u.a. 1934 – 1942 Präfekt im Knabenkonvikt zu Glogau und 1943 – 1946 Pfarrer in Streelen. 1939 kam er wegen staatsfeindlicher Jugendarbeit vor ein Sondergericht, wurde aber wegen des Kriegsausbruchs amnestiert. 1946 Ausweisung. Er starb 1990.

192

Abschnitt III

überhaupt auszeichnete. In der Auseinandersetzung betreffend Priesterseminar und Schule bekannte ich mich aber offen zur Meinung von Kindermann mit den anderen Geistlichen des Oberhauses.“ Man wollte sich in Seminar- und Hochschulangelegenheiten bzw. in den Vorstufen der Hochschule im philosophischen Studium nicht vom Ideengeber und Initiator des Königsteiner Unternehmens Albert Büttner hineinreden lassen. Das schweißte offensichtlich die Schlesier und Kindermann zusammen – so jedenfalls Janko in seinem Rückblick. Er sprach von Gegensätzen zwischen Büttner einerseits und Kindermann in Übereinstimmung mit Ramatschi und den übrigen Geistlichen im Oberhaus andererseits.71 Janko vermutete, es sei die Präferenz Büttners für ein katholisches Gymnasium in Frankfurter Raum gewesen, die seine Pläne für Königstein bestimmt hatten, wohingegen die schlesischen Geistlichen und Kindermann, die aus der Priesterbildung kamen, den Gedanken der Hochschule und des Priesterseminars in den Vordergrund rückten und sich damit auch nicht mit der Vorläufigkeit des philosophischen Studiums auf Dauer abfinden konnten, denn es war ja zunächst nur an ein viersemestriges, einmaliges Unternehmen im Philosophiestudium gedacht. Die weitere Zukunft war offen.

2.1.

Landsmannschaften, Ämter, Einflussnahmen

Auseinandersetzungen um die Ämter in Königstein hatte es von Anfang an gegeben. So intervenierte etwa der Schlesier Johannes Kaps72 bereits Ende Juni 1946 mit dem Hinweis auf die Stimmung im schlesischen Priesterkreisen, die Vorbehalte anmeldeten, weil das geplante ostdeutsche Zentralseminar in Königstein vom sudetendeutschen Prof. Kindermann als Regens geleitet werden sollte, obwohl doch etwa 180 Theologen aus Schlesien und Ermland 45 Sudetendeutschen im Studium gegenüberstanden. Kaps sah sich als Beauftragen der Erzdiözese Breslau; in dieser Mission bat er um Aufklärung über den gegenwärtigen Stand der Seminarfrage. Intention war, dass der vormalige Breslauer Regens Ramatschi in diesem Amt in Königstein verbleiben sollte. Auch für das zentrale Knabenseminar in Königstein machte Kaps schlesi-

71

72

Vgl. Anton JANKO, Erinnerungen an die Anfänge von Königstein verbunden mit Anmerkungen zum Buch von Maria Labonté: Albert Büttner – ein Leben für Glaube und Kirche in der Fremde. Mainz 1975, S. 3 (Manuskript für Augustinus Kurt Huber im Institut für Kirchengeschichte Böhmen – Mähren – Schlesien; künftig zitiert als ‚Erinnerungen an die Anfänge von Königstein’). Johannes Kaps (1906 – 1959), Jurist und Theologe, berichtete in mehreren Publikationen über die Situation in Schlesien bei und nach Kriegsende, berichtete darüber am 10. Oktober 1945 in einer Privataudienz auch Papst Pius XII.; er war Leiter des Kirchenbuchamtes in München und Mitbegründer der Eichendorff-Gilden. Joseph GOTTSCHALK, Johannes Kaps, in: GOTTSCHALK, Priesterbilder, Bd. 5, S. 221-225.

Die Promotoren Königsteins

193

sche Vorschläge.73 Zu diesen Platzkämpfen bemerkte Büttner: „Ihre Bemerkung vom 28. Juni hat mich eigentlich sehr traurig gemacht. Ist wirklich das die wichtigste Frage, ob ein Sudetendeutscher oder ein Schlesier Regens wird? Über diese Frage ist bis jetzt noch nichts bestimmt. Ich selbst maße mir in keiner Weise zu, darüber zu befinden. Das ist einzig und allein Sache der kirchlichen Autorität. Herr Prof. Kindermann ist für den Gedanken des Seminars sehr begeistert und auch bereit, mitzuarbeiten. Er würde sicher bereit sein, Regens zu werden, aber ebenso sicher ist, dass er bereit ist, das Amt einem Schlesier zu überlassen. Ich habe absichtlich wenig über die Gründung vorher geredet. Mein Gedanke war der, wenn die Gründung gelungen wäre, sie gleichsam als Geschenk des einheimischen Klerus an die ausgewiesenen Theologen und schließlich auch dem ausgewiesenen Klerus zu machen. Ich war so fest überzeugt, dass der ausgewiesene Klerus und Theologenschaft sich darüber freuen würde, dass ich gar nicht auf den Gedanken kam, es könnten gerade aus diesen Kreisen Schwierigkeiten und Gegnerschaften kommen. Ich musste auch deshalb recht vorsichtig sein, um das geplante Haus überhaupt zu bekommen. Dass es wegen seiner günstigen Lage und seiner sonstigen Eigenschaften sehr umworben ist und von vielen Stellen, u.a. auch von der Inneren Mission, in Anspruch genommen werden sollte. Ich habe das Haus nunmehr für den geplanten Zweck in sicheren Händen. Mag die Bischofskonferenz nun endgültig entscheiden.“74 Ähnliche Verwerfungen scheint es auch in der Personalplanung für das Gymnasium gegeben zu haben, warnte doch Ramatschi in einem Schreiben an Kaller, dass zu viele einheimische Lehrkräfte angestellt werden, vor allem, dass Büttner plane, den Direktor nicht aus den Reihen der vertriebenen Lehrkräfte zu nehmen, sondern einen Einheimischen zur Leitung zu bestellen. Ramatschi dachte wohl, in Kaller einen Verbündeten zu finden, um die Lösung im Sinne der Vertriebenen gestalten zu können. „Ich möchte nur zu bedenken geben, dass es doch eigenartig wirken müsste, wenn in einem Gymnasium, das grundsätzlich nur Schüler aus dem Osten aufnimmt, in dem ganz gewiss die größere Zahl der Lehrkräfte ebenfalls aus dem Osten seien, ausgerechnet der Leiter ein Herr aus dem Westen ist. Zumal er dem Alter nach jünger sein dürfte als die meisten Kollegen. Das müsste auf die Lehrkräfte, die nicht bloß Stellung, Hab und Gut, sondern auch die Heimat verloren haben, doch einen sehr peinlichen Eindruck machen. Darum bitte ich dringend, dass dem Charakter der Anstalt auch darin Rechnung getragen wird, dass an seine Spitze ein Herr aus dem Osten gestellt wird. Ich halte es auch für notwendig, dass die Bestellung der Lehrkräfte des Gymnasiums ebenso wie die der Dozenten des Seminars in gemeinsamer Beratung festgelegt wird.“75 Zu welcher Position Kaller sich in der Frage der Leitung durchgerungen hat, ist nicht festgehalten. In der Frage der Weiterbeschäftigung von Dr. Triller, auch wenn der sich mit der Bezahlung unzufrieden gezeigt hatte, notierte Kaller

73

74 75

RKA D XI.8b, Schreiben von Johannes Kaps, dem Beauftragten des erzbischöflichen Ordinariats Breslau-Görlitz, für die westlichen Gebiete an Albert Büttner am 28. Juni 1946 und am 10. Juli 1946. RKA D XI.8b, Brief Büttners an Kapps vom 16. Juli 1946, 2 S. masch., Zitat S. 2. RKA D XI.12, Schreiben Ramatschis an Kaller vom 13. Februar 1947.

194

Abschnitt III

freilich am Rande des Schreibens und mit diesem Notat gab er den Brief auch an Büttner weiter, dass er für die Beibehaltung Trillers als Lehrer in Königstein votiere. Das ist nicht verwunderlich, war Triller doch der Ehemann der Archivarin des ermländischen Bistums. Die verschiedenen Intentionen und unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen zwischen Kaller und Büttner, dann auch zwischen Kaller, Büttner und Kindermann mussten zwangsläufig immer wieder zu Schwierigkeiten, Enttäuschungen und Verwerfungen führen – nicht nur im Verhältnis von Büttner und Kaller, sondern auch im Hinblick auf die Erwartungen, die einzelne Mitarbeiter in Königstein hegten. So war offensichtlich etwa Studienrat Dr. Schwarz aus Oberstdorf an die St. Albert-Schule nach Königstein gekommen, weil ihm von Kaller zugesichert wurde, er könne am Priesterseminar in Königstein philosophische Vorlesungen halten. Diese Zusicherung war nach Kallers Tod hinfällig geworden, wie aus einer Aktennotiz von Dr. Schwarz im Juni 1948 hervorgeht. Auch bezüglich der Versorgung wurden die Vereinbarungen, die seinerzeit zwischen der Kirchlichen Hilfsstelle und den Lehrkräften der St. AlbertSchule geschlossen worden waren, als nicht mehr bindend hingestellt. Es bestehe keine Rechtskontinuität zwischen dem Albertus-Magnus-Kolleg Königstein e.V. und der Kirchlichen Hilfsstelle.76 Offensichtlich haben sich die Bischöfe in den Spannungen, die sich zwischen den Geistlichen, den Professoren und der Konviktsleitung in Königstein und Büttner aufbauten, auf die Seite Königsteins geschlagen. Das registrierte auch Kaller Anfang Juni 1947, der trotz seines gespannten Verhältnisses zu Büttner unterstrich, er könne und wolle von sich aus nichts dazu beitragen, um Büttner zu veranlassen, das von ihm gegründete Werk zu verlassen. Weiter unterstrich Kaller, dass er aber vor einigen Tagen bei einer Bischofskonferenz in Hardehausen war, an der auch die meisten Mitglieder des Königsteiner Seminarrates teilgenommen hatten. An Generalvikar Wosnitza schrieb er dazu: „Ich war besonders eingeladen worden, um über meine Aufgaben zu referieren. Im Laufe des Gesprächs kam der Wille zum Ausdruck, Monsignore Büttner eine andere Aufgabe zu übertragen. Sonach bin ich frei und wende mich nun mit der Bitte an Sie, ob Sie mir zur Seite treten wollen. Das Nähere über Ihre Stellung, über Ihre Rechte und über Ihre Pflichten können wir noch umrahmen.“77 Hier wird also sehr schnell eine andere Figur auf das Schachbrett geschoben, die sich vernachlässigt fühlte und die die Spannungen zwischen dem Projekt in Königstein und der Kirchlichen Hilfsstelle in Frankfurt und der Caritas immer wieder unterstrichen hat. Von den Bischöfen hielt wohl Dirichs von Limburg zu Büttner, seinem alten Freund, aber er konnte sich nicht gegenüber seinen Kollegen durchsetzen und Büttner in der Stellung als Leiter von Königstein halten.

76 77

RKA D XI.13b. Kaller am 6. Juni 1947 an Generalvikar Wosnitza AEM, Briefwechsel Kaller.

Die Promotoren Königsteins

2.2.

195

Ein Trägerverein soll die Zuständigkeitsprobleme lösen

Nachdem am 6. Juli 1947 Bischof Kaller gestorben war, drängte der Protektor für die Flüchtlingsseelsorge, der Kölner Erzbischof, Kardinal Frings mit einem Schreiben an den Regens des Königsteiner Priesterseminars, Prälat Ramatschi, auf die Bildung eines eingetragenen Vereins als Träger von Königstein. Der Vorstand dieses Vereins solle vom Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz ernannt werden.78 Das bedeutete eine Herauslösung Königsteins aus dem Zuständigkeitsbereich der Kirchlichen Hilfsstelle. Daher sollte die Sorge für die Deutschen aus Südosteuropa und die wissenschaftliche Behandlung des Flüchtlingsproblems als Aufgabenbereich bei der Hilfsstelle verbleiben. Außerdem wünschte der Kölner Kardinal mit eben diesem Schreiben, dass der philosophische Kurs nur noch bis Ostern 1948 weitergeführt werden solle. Ab diesem Zeitpunkt sollten nur noch das Konvikt und das Gymnasium bestehen. Das Priesterreferat, das Kaller vom Papst als Aufgabe übertragen bekommen hatte, sollte Kindermann in der bisherigen Weise weiterführen. Weiter vorangebracht wurden die Planungen für den Trägerverein auf einer Sitzung nach der Beerdigung Kallers, an der Büttner, der Regens von Königstein, Ramatschi, und der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Kardinal Frings, teilnahmen. Es wurde die Frage der Weiterverwaltung des Königsteiner Institutes eingehend besprochen. Büttner vertrat die Auffassung, dass Berning als Protektor der Kirchlichen Hilfsstelle auch das Protektorat über die Institute in Königstein habe. Außerdem habe der Kölner Kardinal gegenüber Ramatschi unterstrichen, dass das Opus Confraternitatis eine Abteilung der Kirchlichen Hilfsstelle sei und als solche weitergeführt werden solle, falls die Fuldaer Bischofskonferenz nichts anderes bestimme. Nach dem Tod Kallers drängte die Etablierung des Trägervereins. Der Kölner Kardinal berief für den 4. Dezember 1947 in Köln-Hohenlind eine Gründungsversammlung des Albertus Magnus-Kolleg Königstein e.V. ein. Anwesend waren Kardinal Frings, der Limburger Bischof Dr. Dirichs, Prälat Hartz, Prälat Monse, Propst Kather79 für die Ermländer, Prälat Büttner und Prof. Kindermann, außerdem der Geistliche Rat Lamay aus Limburg. Dort wurde der Satzungsentwurf für den Verein besprochen und diskutiert und dann längere Zeit über die Bestellung des Leiters beraten. Das Ergebnis dieser Beratungen war insofern eine Überraschung, als Büttner gehofft hatte, selbst zum Leiter dieses Vereins und damit des Albertus-Magnus-Kollegs in Königstein berufen zu werden. Bestimmt aber wurde Prof. Kindermann aus Königstein.80 Dieses überraschende Ergebnis kann wohl nicht nur auf Spannungen zwischen Kindermann und Büttner zurückgeführt werden. Zwar sei es, so zumindest ein Gedächtnisprotokoll der Besprechung vor der Kölner Fahrt aus der Feder Kindermanns, der Wunsch der Königsteiner gewesen, dass für den Fall, dass Prälat Büttner von den 78 79 80

Eine Abschrift dieses Schreibens in RKA D XI.3. Arthur Kather (1883 – 1957); vgl. Alfred PENKERT, Höhere Mächte haben entschieden. Berlin 2008, S. 297-350. Vgl. Bestand Königstein Nr. 795, Niederschrift der Sitzung, 1 S. masch.

196

Abschnitt III

Bischöfen zum Leiter vorgeschlagen werden sollte, die Königsteiner zwar einverstanden sind, dann aber festgesetzt werden müsse, dass die Internatsleiter die Herren im Haus seien. Ansonsten würde kein Geistlicher seinen Posten behalten, wenn diese Hoheit nicht respektiert werde. Für den Fall, dass Büttner von den Bischöfen nicht vorgeschlagen werde, solle Kindermann ihn von Königstein aus auch nicht vorschlagen. Für den Fall, dass Kindermann damit die Königsteiner Stimmung zutreffend wiedergab, bedeutete das, dass die Königsteiner, so auch die Schlesier und Ermländer in Königstein, zu diesem Zeitpunkt Büttner nicht zum Leiter der Königsteiner Einrichtungen bestimmt haben wollten.

2.3.

Büttners Vorstellungen für die zentralen Organe der Vertriebenenbetreuung

Nach dem Tode Kallers tauchte die Frage auf, ob die Kirchliche Hilfsstelle unter dem Dach des Raphaelsvereins arbeiten solle, wie bisher überlegt worden war, oder ob sie in ihrem alten Programm, wie es der Bischofskonferenz 1946 vorgelegt worden war, weiterarbeiten solle. Wäre das Konzept Büttners so durchgeführt worden, dann wäre in der Tat der Bischof von Osnabrück der Protektor der Vertriebenenseelsorge geworden, dem die Beobachtung der besonderen Bedürfnisse der Seelsorge an Flüchtlingen und Ausgewiesenen zugesprochen wurde, der für eine Übergangszeit die notwendige Sonderbetreuung der Flüchtlinge und Ausgewiesenen begleitet hätte, die Vertretung der Flüchtlingsseelsorge vor den Deutschen Zentralbehörden, den Militärregierungen etc. übernommen, die Verbindung mit dem Hl. Stuhl gepflegt hätte und die Koordinierung der Flüchtlingsseelsorge mit der ordentlichen Seelsorge geleistet hätte. Büttner schlug vor, dass der Protektor, also der Osnabrücker Bischof, einen Rat berufen solle, dessen Vorsitz er führe. Dieser Rat sollte aus Vertretern der Volksgruppen, soweit als möglich auch aus Ordinarien der Heimatdiözesen, bestehen. Die Mitglieder des Rates sollten die spezifischen Bedürfnisse und Schwierigkeiten der von ihnen vertretenen Volksgruppen vorlegen und die Richtlinien für die Flüchtlingsseelsorge mit dem Sonderbeauftragten beraten. Büttner stellte damit Mitte Juli 1946 dem Osnabrücker Bischof das Grundkonzept des Katholischen Flüchtlingsrates vor. Schließlich sollte die Kirchliche Hilfsstelle, und damit deren Leiter Büttner das Organ des Protektors zur Durchführung der praktischen Seelsorgshilfe sein. Folgende Arbeitsgebiete sollte diese Hilfsstelle umfassen: das Priesterreferat, die Sorge um die Theologen und den Priesternachwuchs, das Opus Confraternitatis, das Schrifttum, Presse und Rundfunk, die volkssoziale Arbeit und die Volksgruppenarbeit. D.h. alle Aufgabenbereiche Königsteins und der Kirchlichen Hilfsstelle in München sollten unter der Leitung der Kirchlichen Hilfsstelle in Frankfurt, also unter Büttners Leitung zusammengeführt werden bzw. bleiben.

Die Promotoren Königsteins

2.4.

197

Der Seminarrat für Königstein

Die Fuldaer Bischofskonferenz setzte für Königstein einen Seminarrat ein. Auf der Tagung dieses Rates in Königstein am 4. Februar 1947 besichtigten die Mitglieder ein Hauptgebäude des Komplexes Königstein und beschlossen, dass außer dem Realgymnasium, für das bereits die staatliche Genehmigung erteilt worden war, verbunden mit dem Konvikt, ein philosophischer Kurs mit vier Semestern eingerichtet werden solle. Dieser Kurs sollte in Verbindung mit der Philosophisch-Theologischen Lehranstalt St. Georgen in Frankfurt/M. durchgeführt werden. Bereits bei dieser Sitzung wurde beschlossen, dass der juristische Träger der Königsteiner Einrichtungen ein eingeschriebener Verein sein solle. „Zur Finanzierung steht zur Verfügung: ein Beitrag von Reichsmark 190.000, der für die geplante Einrichtung als Geschenk bereits im Mai 1946 zur Verfügung gestellt wurde. Ferner soll der Betrag von Reichsmark 120.000 für die Einrichtung des Konvikts und der von Reichsmark 30.000 für den philosophischen Kurs vom deutschen Episkopat bereitgestellt werden. Die weiteren notwendigen Mittel sollten durch Gaben von Verbänden, insbesondere des Werkes der Hl. Kindheit, des Ludwig-Missionsvereins, der Kirchlichen Hilfsstelle u.a. erbeten werden. Weitere Mittel werden durch Patenschaften der Gläubigen für einzelne Schüler durch gelegentliche Sammlungen und freiwillige Spenden erhofft. Als Name für die gesamte Einrichtung wurde „Haus Königstein“ bestimmt.“81 Der Seminarrat entschied, dass der philosophische Lehrgang in Königstein am 20. Mai 1947 mit den Vorlesungen beginnen sollte. Im Namen dieses Rates bat Kaller den Rektor der Lehranstalt St. Georgen in Frankfurt um die Ernennung eines Studienpräfekten, der die Verbindung von Königstein zu St. Georgen herstellen sollte und zwar in einer Weise, die den Jesuiten geeignet erschien. Gleichzeitig schlug er vier Professoren für den Lehrbetrieb in Königstein vor, nämlich: Prof. Jakob Barion, Professor für Philosophie in Braunsberg, dann Prof. Dr. Erich Kleineidam, den früheren Hochschulprofessor am Priesterseminar in Weidenau für Philosophie und Fundamentaltheologie, dann Prof. Dr. Kindermann, früher Regens des Priesterseminars in Prag für Kirchengeschichte und Monsignore Dr. Ramatschi, den früheren Privatdozenten in Breslau und Regens des dortigen Priesterseminars.

2.5.

Enttäuschung über eine kurze Übergangslösung

Am 13. März 1947 hatte Ramatschi einen Brief an Kardinal Frings geschrieben, in dem er seine Verwunderung zum Ausdruck brachte, dass für die Theologen nur ein philosophisches Studium eingerichtet werden sollte, zumal doch, auch wenn das Studium der Theologen in den ersten Semestern deutlich einen philosophischen Schwerpunkt hatte, es immer Studium der Theologie hieß. Ramatschi wandte sich offensicht-

81

RKA D XI.8d, Bericht über die Tagung des Seminarrates in Königstein am 03 u. 04. Februar 1947, 3 S. Maschinenschrift, Zitat S. 2f.

198

Abschnitt III

lich indirekt gegen die Vorsichtsmaßnahme von Frings und anderen westdeutschen Bischöfen, die Königstein nur eine kurze, vorübergehende Phase zur Ausbildung der Theologen zugestehen wollten und deswegen unter der Leitung der Jesuitenhochschule St. Georgen in Frankfurt nur einen philosophischen Kurs einrichten wollten, zumindest für die Anfangsphase, in der große Unsicherheit herrschte. Große Unsicherheit bestand hinsichtlich der Möglichkeit, wie ein solches Extra-Ordinariat an Studienort und Studienmöglichkeit finanziert werden sollte. Ramatschi brachte in seinem Schreiben indirekt zum Ausdruck, dass eine solche Kurzvariante nicht den Erwartungen der Geistlichen und der Theologiestudenten aus dem Osten entsprach. Ihm schwebte wohl als klares Ziel ein volles Theologiestudium vor Augen. Dessen Leiter sollte ein Schlesier sein. Da er die Möglichkeit, diesen umfassenden Plan zu realisieren, deutlich in Frage gestellt sah, stellte Ramatschi seinen Posten in Königstein und damit seine Mitarbeit in Königstein zur Disposition, indem er Frings anbot, in die Seelsorge zu gehen, vor allem in die Seelsorge der nord- oder mitteldeutschen Diaspora, wo zunehmend und dringlicher Seelsorger benötigt würden. Von diesem Plan wollte Frings ihn in seinem Antwortschreiben vom 24. März 1947 ganz klar abbringen, da er doch andere Fähigkeiten einzubringen habe. Frings habe auch bereits in Bonn vorgefühlt, ob Ramatschi nicht dort eine Professur bekommen könne. Er versuchte, Ramatschi die abwägende, vorsichtige, zögernde Haltung der westdeutschen Bischöfe zu plausibilisieren, die sich ganz bewusst vorerst nur für den philosophischen Kurs entschieden hätten, da es in der gegenwärtigen Situation völlig unklar sei, wie eine solche Einrichtung finanziert werden könne.82

2.6.

Die Resignation Büttners

Büttner hatte mit einem Schreiben an den Verwaltungsrat in Königstein vom 6. Dezember 1947 den Vorsitz niedergelegt, nachdem am 4. Dezember der Verein Albertus-Magnus-Kolleg gegründet und Kindermann als Leiter bestimmt worden war. „Da Prof. Kindermann in absehbarer Zeit auch offiziell die Leitung von Königstein übernehmen wird, halte ich es für angebracht, wenn ich schon jetzt den Vorsitz im Verwaltungsrat niederlege und damit Herrn Prof. Kindermann die Gelegenheit gebe, die Angelegenheiten von Königstein so zu regeln, wie es seinen Plänen entspricht. Obwohl bis zur Eintragung des Vereins Albertus-Magnus-Kolleg Königstein die Kirchliche Hilfsstelle Träger bleibt, delegiere ich Herrn Prof. Kindermann für die Leitung des Kollegs, soweit sie bisher von mir ausgeübt wurde. Die vermögensrechtliche Auseinandersetzung wird sobald als möglich erfolgen. Es wird festgestellt, was von dem in Königstein vorhandenen Mobiliar Eigentum der Kirchlichen Hilfsstelle ist und diese Aufstellung sobald als möglich überreicht werden. Für die Übergangszeit wird 82

Vgl. dazu HAEK CR II 25.20b,8, „Allgemeines“, betreffend die Vertriebenen. Der Brief Ramatschi an Frings vom 13. März 1947, das Antwortschreiben von Frings an Ramatschi vom 24. März 1947.

Die Promotoren Königsteins

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von der Kirchlichen Hilfsstelle ein Betriebskredit zur Verfügung gestellt. Der bis 31.12.1947 bereits verbrauchte Betriebskredit wird eine Höhe von 150.000 RM erreichen. Sollten bis zum 31.12.1947 weitere Gelder dem Kolleg noch nicht zugeflossen sein, kann der Kredit um etwa 50.000 RM erhöht werden. Bis dahin ist zu hoffen, dass Gelder, die für das Kolleg bestimmt sind, eingegangen sind. Es ist zu empfehlen, sofort ein Bankkonto Albertus-Magnus-Kolleg einzurichten, für das Herr Prof. Kindermann zeichnungsberechtigt ist.“83 Der Bischof von Limburg kommentierte den Schritt Büttners so: „Da erhalte ich Deinen Brief und den Durchschlag Deines Briefes an Herrn Prof. Kindermann. Dass ich nicht wenig darüber erschrocken bin, kannst Du Dir vorstellen, denn Dein Brief ist doch ehrlich gesagt nichts anderes, als das Zuschlagen der Tür nach der Neuregelung, der Abbruch einer guten und gedeihlichen Zusammenarbeit im Interesse Deines Werkes in die kommende Zeit hinein. Das tut mir herzlich leid! Ich verstehe die Schwierigkeit Deiner Situation voll und ganz. Es war mir nicht leicht, bei der Besprechung in Köln in dieser Richtung zu entscheiden, aber ich glaubte nach Rücksprache mit dem Herrn Kardinal und nach Überlegung aller Gründe für und wider so entscheiden zu müssen im Interesse des Ganzen. Damit solltest Du nicht desavouiert werden, sondern ich wollte eine Übergangszeit schaffen, in der sich die Dinge klären sollten durch eine vertrauensvolle Zusammenarbeit von Dir und mir auf der einen Seite und den Herren aus dem Osten auf der anderen Seite. Ich wollte Dir niemals mein Vertrauen entziehen, wollte aber auch in dieser Lage die Spannung, die nun einmal durch persönliche Dinge besteht, aufheben und eine günstigere Gesamtlage schaffen. Es tut mir sehr leid, dass Du hier das Persönliche vor das Sachliche stellst. Du hast doch gemerkt, dass es Prof. Kindermann selbst nicht lieb ist, diese Lösung als Last auf sich zu nehmen und dass er selbst Deiner Hilfe bedarf und darum gebeten hat. So ergibt sich doch ganz ungezwungen Deine Weiterarbeit bis zu einer Lösung in einem glücklicheren Zeitpunkt. Wir sprachen auch noch darüber, dass wenigstens noch ein halbes Jahr ins Land gehen könnte, bis eine endgültige Übertragung der Verantwortung an den neuen Leiter des Albertus-Magnus-Kollegs e.V. vollzogen werden kann. Wenn Du dieser Lage nun Rechnung getragen hättest, dann wäre es doch für Dich und die Sache viel besser gewesen. Wenn Du jetzt aus persönlicher Überreiztheit, und ich kann Deine Verärgerung aus den dummen Gerüchten, die herumlaufen, wohl verstehen, einen Kurzschluss vollziehst, so ist doch weder Dir noch der Sache Königstein geholfen. Ist es denn nicht möglich, diese unsachliche Entscheidung zu revidieren?“84 Dirichs wollte Büttner eine goldene Brücke bauen, appellierte daran, an die Sache zu denken und sich in einer günstigeren Zukunft in persönlicher Selbstlosigkeit von dem Werk in Königstein zu trennen. Die goldene Brücke bestand darin, dass er ihn bat, bei seinem Besuch in der kommenden Woche in Königstein ihn zu begleiten und dort den ganzen Komplex mit den dazu notwendigen Herren, die Büttner ja besser kenne als Dirichs, zu besprechen. Er bot Büttner auch

83 84

Diözesanarchiv Limburg, 16A/1. Ferdinand Dirichs am 11. Dezember 1947 an Büttner, Diözesanarchiv Limburg, 16A/1.

200

Abschnitt III

zuvor eine persönliche Aussprache in Frankfurt an. Aber sein Heimatbischof konnte diesen nicht umstimmen, die Entscheidung des Rücktritts zu revidieren.

2.7.

Der Versuch einer Einordnung im Rückblick

Im Februar 1981 äußerte sich der ehemalige Professor an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Königstein, Dr. Anton Janko85, in einer ausführlichen Aufzeichnung seiner Erinnerungen an die ersten Jahre von Königstein gegenüber der Schilderung von Maria Labonté hinsichtlich der Anfänge der Königsteiner Anstalten, des Mitwirkens Maximilian Kallers und Büttners Stellung in diesem Kontext:86 Die Autorin sei zwar bestrebt gewesen, objektiv zu schreiben, doch seien seine Erinnerungen nicht in allen Punkten mit der Auffassung von Labonté identisch.87 Janko war nach einer kurzen Kaplanszeit im Bistum Mainz nach seiner Vertreibung im Juni 1946, wohl auf Vorschlag Kindermanns, vom Vertriebenenbischof Kaller zum Präfekten für das Schülerkonvikt, das Ostern 1947 eröffnet wurde, berufen worden. Kindermann gehörte in dieser Zeit nicht zum Leitungsgremium von Schule und Konvikt. Er war von Bischof Kaller mit Aufbau und Leitung des Priesterreferates betraut worden, das die ostvertriebenen Priester sammeln und betreuen sollte. Er trug zu dieser Zeit für die Königsteiner Häuser noch keine Verantwortung, sondern war intensiv und extensiv seelsorgerlich tätig; vor allem an Sonntagen hielt er Gottesdienste für Vertriebene in den verstreuten hessischen Diasporagemeinden.88 Auch Janko bestätigte Büttners Initiative für die Sammlung der Theologen der deutschen Ostgebiete, die bereits auf die Zeit 1945/46 zurückgehe. Deutliche Belege dafür sind ihm der Brief Pius‘ XII. und die Verhandlungen mit dem hessischen Staatsministerium, die Labonté dokumentiert. Diese Initiative sei in der Folgezeit allein Kindermann zugesprochen worden.

85

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Anton Janko, 1909 in Muckenbrunn im Kreis Iglau geboren, studierte 1930 bis 1939 in Rom Philosophie, Theologie und Bibelwissenschaft. 1935 wurde er in Rom zum Priester geweiht. Während des Zweiten Weltkriegs in der Pfarrseelsorge wurde er am 25. April 1947 von Kaller als Präfekt an das Schülerkonvikt in Königstein berufen. Von der Gründung der Hochschule bis zu ihrer Sistierung lehrte Janko Altes Testament, zuerst als Lehrbeauftragter, dann als Dozent und seit dem 1. September 1957 als Professor für alttestamentliche Exegese und biblische Sprachen. Vom 1. September 1977 bis 1. September 1978 leitete er das AMK kommissarisch. „Er verstand es meisterhaft, als Professor und Priester bei seinen Studenten die Liebe für die Heilige Schrift und die hebräische Sprache zu wecken. Seine enge Verbundenheit mit dem Königsteiner Werk zeigt seine Beliebtheit bei den zahlreichen Pilgern, die er auf den Pilgerfahrten von Königstein aus nach Rom, Lourdes, Fatima, Mariazell begleitete. Besonders seine Wallfahrten ins Heilige Land sind bei den Pilgern noch in lebhafter Erinnerung.“ Gestorben ist Janko am 26. August 2000. Vgl. Institut für Kirchengeschichte Böhmen-Mähren-Schlesien, Dossier Kindermann. Vgl. ebd., 1. Janko in Mitteilungen des Sudetendeutschen Priesterwerkes 3-2000, S. 19. Vgl. ebd., S. 2.

Die Promotoren Königsteins

201

Zusammen mit dem Lehrerkollegium der St. Albert Schule habe Büttner den Plan eines großen katholischen Gymnasiums für den Frankfurter Raum verfolgt, während er den philosophisch-theologischen Kurs auslaufen lassen wollte. Das Bistum Limburg sei dem Plan offensichtlich wohlwollend gegenübergestanden. Kindermann und die „schlesischen Herren“ hätten hingegen verständlicherweise eine gegenteilige Position eingenommen. Sie setzten sich vehement für ein Priesterseminar mit Hochschule ein. Das Schülerkonvikt sollte bestehen bleiben; man wollte eine Rekrutierungsstätte für den Priesternachwuchs. Der Vorrang sollte aber eindeutig dem Priesterseminar eingeräumt werden.89 Nach Büttners Ausscheiden aus der Leitung der Königsteiner Anstalten sei diese Auffassung von Kindermann den deutschen Bischöfen gegenüber immer wieder verfochten worden. Diese Entwicklung sieht Janko als Grund dafür, dass in späterer Zeit Büttner als unbestrittenes Verdienst zuerkannt wurde, dass er für die Königsteiner Werke die dortigen Kasernen erworben, nicht aber, dass er ein eigenes Priesterseminar für Osttheologen in Königstein intendiert und dafür den Grund gelegt habe. Diese unterschiedlichen Zielsetzungen haben laut Janko zwischen Büttner und Kindermann – dieser in Übereinstimmung mit den schlesischen Herren – mehr und mehr das gegenseitige Vertrauen zerstört und zu einer gewissen Gereiztheit geführt. 90 Das Verhältnis Kindermanns zu Büttner sei anfangs ohne Zweifel freundschaftlich gewesen. Die Meinungsverschiedenheiten um die Zielsetzung Königsteins habe diese Freundschaft aber getrübt bis hin zu deren Bruch, nachdem Kindermann die Leitung der Königsteiner Anstalten übernommen hatte. Das Verhältnis Kindermanns zu den schlesischen Leitungsfiguren in Königstein bezeichnet Janko als aufrichtig und gut,91 während der Mitarbeiter des apostolischen Nuntius, Pater Ivo Zeiger, ein Freund Büttners, Kindermann gegenüber eher zurückhaltend, wenn nicht leicht ablehnend gewesen sei.

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91

Vgl. ebd., S. 3. Welche aufschlussreichen Skurrilitäten die Gereiztheit annehmen konnte, zeigt ein Beispiel, das Janko anführt: „Prälat Büttner machte damals u.a. den Vorschlag, im Speisesaal der Theologen (im OH) sollte mit den Theologen zusammen die gesamte Hausgemeinschaft, also neben den Schülern auch alle Angestellten männlichen und weiblichen Geschlechts gemeinsam die Mahlzeiten einnehmen. Das schiene ihm schon aus erzieherischen Gesichtspunkten sinnvoll und gut. Darauf antwortete Regens Ramatschi sehr gereizt: 'Herr Prälat, von Theologenerziehung verstehen Sie einen Dreck', stand auf und verließ das Zimmer. Die Sitzung war jäh zu Ende, sie war zugleich die letzte.“ Eine Szene vom Beginn des Wintersemesters 1947/48, die nicht zuletzt ein bezeichnendes Licht auf das differierende Verständnis von Kleruserziehung und das Selbstverständnis des Königsteiner Leitungspersonals wirft. (Dossier Kindermann, S. 4). Ebd., S. 4.

202

Abschnitt III

3.

Adolf Kindermann

Nicht allein das Grab Kindermanns in unmittelbarer Nachbarschaft zum ersten Vertriebenenbischof Maximilian Kaller, sondern auch die Gedenkschrift „Weihbischof Dr. Adolf Kindermann. Leben, Werk und Wirken“,92 wie auch die bisher publizierten kurzen biographischen Skizzen wollen die zentrale Position Adolf Kindermanns für die bundesdeutsche Vertriebenenseelsorge zum Ausdruck bringen und ihn als einen „Vater der Vertriebenen“, der den entwurzelten ostdeutschen Katholiken ein Begegnungs-, Studien- und Wallfahrtszentrum verliehen hat, würdigen.93 Mit seinen Initiativen für die zahlreichen und vielfältigen Einrichtungen und Foren zur Vertriebenenseelsorge und für die Begegnungen (vor allem der vertriebenen) Katholiken mit den Kirchen im Ostblock war Kindermann ohne Zweifel ein zentraler Initiator und Träger der Vertriebenenseelsorge; als solcher soll er hier vorgestellt werden – nicht nur mit den Daten zu seinem Lebenslauf, sondern mit seinen grundlegenden Ansichten und Anliegen und einigen markanten Stimmen zur Einordnung und Bewertung seiner Arbeit. Wenn in diesem Kapitel die Grundgedanken und Ziele Kindermanns, die er in seinen unzähligen Vorträgen und vielen Zeitschriftenbeiträgen entfaltet hat, analysiert werden, dann sind damit durchgängige Perspektiven vorgetragen, die das Wirken Kindermanns in Königstein, das im äußeren Verlauf in den folgenden Abschnitten und Kapiteln weiter ausgeführt wird, motivierten und prägten.

3.1.

Ein wohlwollendes Andenken – das traditionelle Bild und biographische Eckdaten

Rudolf Mattausch, Lehrer am Gymnasium, zeitweise stellvertretender Direktor und Mitarbeiter Augustinus Hubers im Institut für Kirchengeschichte, stellte in seiner Kurzbiographie Kindermanns den sudetendeutschen Prälaten von Königstein in einen weiten und berühmten familiären Horizont94: Er griff bis auf den geadelten Bischof von Leitmeritz, Ferdinand Kindermann, den Schulreformer und Schulorganisator unter Kaiserin Maria Theresia zurück.95 Die Brücken wurden bis zu einem eindeuti-

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95

SUDETENDEUTSCHES PRIESTERWERK, KÖNIGSTEIN/TS. (Hg.), Weihbischof Dr. Adolf Kindermann, Leben, Werk und Wirken, dargestellt von Mitbrüdern, Mitarbeitern und Freunden (= Schriftenreihe des Sudetendeutschen Priesterwerkes in Königstein). Königstein/Ts. 1976, S. 22. Vgl. dazu BENDEL, Aufbruch aus dem Glauben? S. 113-160. Rudolf MATTAUSCH, Adolf Kindermann, der sudetendeutsche Prälat von Königstein, in: Sudetenland, Vierteljahresschrift für Kunst, Literatur, Wissenschaft und Volkstum 7 (1965), S. 8183. Ferdinand Kindermann (1740 – 1801). Kurt A. HUBER, Ferdinand Kindermann, in: Erwin GATZ, Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1648 – 1803. Ein biographisches Lexikon. Berlin

Die Promotoren Königsteins

203

gen Vertreter aufklärerischen Geistes geschlagen, es sind gleichzeitig Brücken in die soziale und volksreligiöse Herkunft. Kindermann kam wie sein bedeutender Namensvetter aus einer bäuerlichen Familie. Am 8. August 1899 in Neugrafenwalde bei Schluckenau geboren, war er ein typischer Vertreter des sogenannten böhmischen Niederlandes, eine besondere Variante des katholischen Milieus, wie aus der Charakterisierung, die Karl Braunstein96 skizzierte, hervorgeht. Schluckenau, Rumburg und Warnsdorf bilden die nördlichste Spitze Böhmens. Sie sind eine typische Grenzlandschaft: Offen für Außenkontakte und Brückenfunktionen, von außen Impulse aufnehmend, von Tendenzen, die den böhmischen Katholizismus prägten, allenfalls marginal berührt. Sie blieben von mancher geistigen Entwicklung des böhmisch-sudetendeutschen Raumes unberührt. Die Leute lebten in einer anmutigen Landschaft, meist als Landwirte oder Weber. Mattausch ordnete Kindermann aufgrund dieser Herkunft kritische Wachheit und bäuerlich gesunde Beständigkeit zu.97 Das Jahr war reich und tief von der Volksfrömmigkeit strukturiert.98 Das Wallfahren, das sich speziell auf den Marienerscheinungsort Philippsdorf bezog, und die Feier von Heiligenfesten, wobei besonders das Annafest von Bedeutung war, sind ein Indiz entweder für Relikte oder für Reaktionen auf die aufklärerischen

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1990, S. 224-226. – Eduard WINTER, Ferdinand Kindermann Ritter von Schulstein (1740/1801), der Organisator der Volksschule und Volkswohlfahrt Böhmens. Ein Lebensbild nach archivalischen Quellen. Augsburg 1926. Siehe zu Braunstein S. 447 in den Nachweisen der Dozenten. Vgl. Mattausch, in: Sudetenland, S. 81. Diese beschreibt Karl Braunstein in seinem Beitrag über Kindermann, den Bischof des böhmischen Niederlandes folgendermaßen: „Die meisten waren Bauern oder Weber. Herzhaft feierten sie die Kirchenjahre mit. In Vorfreude stapften sie durch den Schnee zur frühzeitigen Rorate, um mit dem „Sieh es wird der Herr sich nahn“ die Adventsmesse zu beginnen. Dann wurden Weihnachtskrippen – mitunter über die halbe Stube – aufgebaut. Bei den Fastenpredigten wechselten die Nachbarsgeistlichen untereinander ab. Nach der Auferstehungsfeier am „Heiligen Grab“ sangen die Osterreiter die Osterbotschaft durch die Gemeinden und trugen als Herolde Gottes die österliche Zuversicht bis ins letzte Haus: Gott zerstört sein Werk nicht, er vollendet es! In den Herzen leuchtete das dreifache „Lumen Christi“ auf: Nicht die Sünde, sondern die Gnade, nicht das Leid, sondern die Freude, nicht der Tod, sondern das Leben hat das letzte Wort. Unvergesslich schließlich unsere Fronleichnamsprozessionen – wie wir da z.B. in Hainspach mit den historischen Zunftfahnen durch die Lindenallee zogen und mit den Bläsern das „O Engel Gottes, eilt hernieder“ anstimmten! Das Annafest auf dem Annaberg und Mariä Himmelfahrt zu Wölmsdorf wurden eine ganze Oktav lang mit Früh- und Abendgottesdienst und jeweiliger Predigt begangen. Wiederum weitete die das Irdische sprengende Zielrichtung der echten christlichen Hoffnung das katholische Herz. Wie viele endlich hielten Rast, holten sich Lossprechung, Trost und Kraft im Kapuzinerkloster zu Rumburg und – die letzten Jahrzehnte – im Wallfahrtsort der „Helferin der Christen“ zu Philippsdorf, dessen neuerbaute Basilika die beim Volke beliebten Redemptoristenpatres betreuten. Wortgewaltige Prediger standen nicht nur sonn- und festtags auf der schlichten Kanzel der dicht gefüllten Kirche.“ (Karl Braunstein: Adolf Kindermann – Ein Bischof des böhmischen Niederlandes, in: FS Kindermann, S. 48-53; 48.)

204

Abschnitt III

Maßnahmen. Die zentralen kirchlichen Feste des Jahres strukturierten weit über den engeren kirchlichen Raum hinaus das gemeindliche, private und Vereinsleben. In diesem katholisch volksfrommen Milieu wuchsen zahlreiche Priesterberufe heran. Braunstein hob die acht Geistlichen des Niederlandes heraus, die neben Kindermann nach der Vertreibung in Königstein vor allem in der Lehre wirkten; auch Braunstein selbst gehörte als Kirchenrechtler und damit Nachfolger Kindermanns erst auf dem Lehrstuhl für Kirchenrecht, später auch in der Leitung des Königsteiner Trägervereins Albertus-Magnus-Kolleg e.V. (AMK), dazu. Nicht ohne Stolz erwähnte Braunstein die acht Priester des böhmischen Niederlandes, die die Bischofswürde erlangten. In die Reihe der bischöflichen Vorgänger suchte er denn auch Kindermann thematisch einzuordnen: Der unüberwindliche Vorsehungsglaube und vor allem die Überzeugung von der Bedeutung des Naturrechts, habe ihn mit Wenzel Frind99 verbunden. Persönlich seien die ‚Niederland’bischöfe anspruchslos gewesen, und längst vor dem Zweiten Vatikanum habe Kindermann das Amt als Dienst aufgefasst. Geistige Gewecktheit, Tätigkeitsdrang und kirchliche Verbundenheit bescheinigte Braunstein in Übereinstimmung mit Augustinus Kurt Huber den „Niederländern“. Zentrales Charakteristikum war schließlich die enge Verbundenheit mit der Kirche, die sich bei Kindermann in den zahlreichen Predigten über die Mutter Kirche manifestierte. Kindermanns Marienverehrung war sehr ausgeprägt, exemplarisch fassbar an besonderen Ereignissen. Zum 100. Jahrestag der Errichtung der Wallfahrt in Philippsdorf wallfahrtete er 1966 nach Maria Zell. Königstein selbst machte er mit der „Mutter der Vertriebenen“, einer Statue, die die Kollegskirche seit 1952 schmückt, zum Wallfahrtsort.100 Der erste Julisonntag wurde als Königsteiner Wallfahrtstag etabliert. Neben der Wallfahrt zeichnete sich die Marienverehrung vor allem durch die zahlreichen Maiandachten aus, wie Kindermann sie nicht zuletzt durch die Jesuitenschule in Maria Schein gewohnt war. Für die Wahl des Priesterberufes schrieb Kindermann seiner Mutter großen Einfluss zu. Er sah sich geradezu bestätigt, in der Konstatierung der Mutterfreude, wie sie schöner nicht gedacht werden könne, wenn sich die Mutter beim täglichen Empfang der Eucharistie geradezu königlich gefühlt habe. „Am 15. August lasen wir in der Zeitung (Prager Tagblatt) meine Ernennung zum ao. Universitätsprofessor. Wie sich doch die Mutter freute! Da stiegen ihr wohl die Bilder der Jugend im Geiste auf, wie ihre Kinder alle noch klein waren, wie sie alle großgezogen, zu guten Menschen ge-

99

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Vgl. Robert A. KANN, „Frind, Wenzel Anton“, in: Neue Deutsche Biographie 5 (1961), S. 615 [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd137507844.html, aufgesucht am 14.10.2013. Zur Schutzmantelmadonna und der Marienwallfahrt nach Königstein vgl. Rudolf GRULICH, Ein Jubiläum in Königstein – 50 Jahre Mutter der Vertriebenen, in: Mitteilungen des Sudetendeutsches Priesterwerkes 2/2002, S. 5-6. – DERS., Maria – Königin des Ostens. Wallfahrten zu marianischen Pilgerorten Osteuropas. München 2011, S. 19-23.

Die Promotoren Königsteins

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macht hatte und wie nun wieder alle die Ihren an ihr, der Mutter, hingen, sie liebten und verehrten.“101 Eine enge Mutterbindung Kindermanns und seine Faszination an der Frömmigkeit der Mutter belegt der Auszug aus dem Tagebuch zu seiner Zeit als Weihbischof, der in dem Erinnerungsband „Leben, Werk und Wirken“ abgedruckt ist.102 Der häufige Empfang der Eucharistie, der tägliche Besuch der Frühmesse in der Krankenhauskapelle, ein ausführliches Morgengebet vor der Mutter-Gottes-Statue und eine bewundernswerte Ergebenheit gegenüber Gott dem Herrn – dies unterstrich Kindermann als Grundzüge der Frömmigkeit seiner Mutter. Selbst als Kindermann zu seiner Eröffnungsvorlesung nach Prag fuhr, nahm er gleich wieder den Nachmittagszug, um zu seiner schwächer gewordenen Mutter heimzukommen. „Die Mutter hing innigst an mir. Wir waren auch ein Herz und eine Seele. Es ruht ein mächtiger Segen auf einer Familie und besonders auf einer Mutter, die dem Herrn einen Priester schenkt.“103 Als frühe prägende indirekte Erfahrungen, die er über seine Eltern erzählt bekam, gehörte der Rumburger Katholikentag, ein wichtiges Ereignis in den Auseinandersetzungen zwischen der katholischen Kirche und der nationalliberalen Los-von-RomBewegung. „Von hier waren aber auch jene starken Impulse katholischer Gemeinschaftsbildung und festen Zusammenschlusses ausgegangen, an denen der junge Theologe aus dem Niederlande einen besonderen Anteil haben sollte.“104 Für diese neue Bewusstmachung des Katholischen dürfte Kindermann die erste Prägung auf dem Jesuitengymnasium in Maria Schein erhalten haben, wo er 1919 die Matura erworben hatte.

3.2.

Studienzeit und erste Tätigkeit als Priester und Professor

Mindestens so deutlich, wie die distanzierte Sicht der böhmischen Verhältnisse, die Kindermann laut Mattausch in Rom gewonnen haben soll, hat sich wohl auch die Kindlichkeit gegenüber der Mutterkirche in Rom verstärkt bzw. ausgebildet. Von 1920 bis 1924 studierte er an der internationalen Missionshochschule der Propaganda Fide in Rom. Mattausch war es wichtig, auf junge Professoren und Kommilitonen Kindermanns hinzuweisen, die später wichtige Posten an der Kurie erhalten haben, so die Kardinäle Tardini105, Ruffini106 und Ottaviani107. Letzteren scheint Kindermann

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Ebd., S. 104. Vgl. FS Kindermann, Krankheit und Tod der Mutter Kindermann aus dem Tagebuch des Weihbischofs, S. 104-108. Ebd., S. 105. MATTAUSCH, S. 81. Vgl. zu Tardini Carlo F. CASULA, Domenico Tardini (1888 – 1961). L'azione della Santa Sede nella crisi fra le due guerre. Ed. Studium. Rom 1988. Vgl. zu Ruffini Angelo ROMANO, Ernesto Ruffini. Caltanissetta 2002.

206

Abschnitt III

besonders geschätzt zu haben, was Vorvermutungen über seine Ausrichtung durchaus zulässt. Ottaviani war ein streng konservativer, strukturhöriger, traditionell denkender Theologe an der Spitze des Sacrum Officium, der über die Reinheit der katholischen Lehre wachte. Das Studium an der Propaganda-Universität war streng auf die neuthomistische Philosophie und Theologie fixiert. Nüchtern hielt Augustinus Kurt Huber fest, dass die Berührung mit modernen Gedankengängen sich vor allem in polemischer Auseinandersetzung, in der Verteidigung der kirchlichen Lehre und Überlieferung vollzogen habe. Es sei um Systemwissen, um klare Begriffe und Definitionen gegangen, wohingegen der praktischen Theologie, dem Bibelstudium und der Kirchengeschichte wenig Raum gewährt wurde. 108 Der zweite Studienaufenthalt Kindermanns in Rom (1928 – 1931) war dem weltlichen und kirchlichen Recht gewidmet, das er an der Lateranhochschule hörte. 1933 erlangte Kindermann die Advokatur an der römischen Rota und der Apostolischen Signatur, der höchsten Appellationsinstanz. Gleichzeitig lernte Kindermann in seiner Romzeit wohl sehr gut Tschechisch und Italienisch und entwickelte eine ausgeprägte Liebe zur Ewigen Stadt. Er sei, so Augustinus Kurt Huber, in Rom verliebt gewesen. Man könne es nicht anders nennen. Deswegen war er auch im Lauf seines Lebens wiederholt in der Ewigen Stadt und selbst von der schweren Krankheit gezeichnet, hat er gegen allen medizinischen Rat noch ein Jahr vor seinem Tod einen Flug nach Rom erzwungen. Das Erlebnis der Ewigen Stadt und des Papsttums hat ihn tief geprägt.109 Huber unterstrich vor allem die positiven Folgen: Jeglicher Provinzialismus war ihm unbehaglich wegen der Enge und Begrenztheit, da er den ganzen Erdkreis irgendwie als Heimat empfunden habe; sein Blick sei seit seinem Romaufenthalt immer ins Universale gegangen.110 Dennoch bezog sich Kindermann immer wieder sehr

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Vgl. zu Alfredo Ottaviani (1890 – 1979) E. CAVATERRA, Il prefetto del Sant’Offizio. Mailand 1990. Augustinus Kurt HUBER, Adolf Kindermann: Studium, akademische Laufbahn und Wissenschaft von, in: FS Kindermann, S. 25-30. Vgl. HUBER, in: FS Kindermann, S. 27. Aufschlussreich ist ein Hinweis Hubers im zweiten Gedenkartikel, den er zum 65. Geburtstag Kindermanns geschrieben hat, wo er relativ ausführlich auf das Romstudium Kindermanns zu sprechen kommt. Er setzt sich mit dem gängigen Urteil auseinander, dass man dem Romstudium deutscher Kleriker nicht immer vorurteilslos gegenübergestanden sei, da es von den Nöten und Problemen des eigenen Volkstums und der engeren Heimat zu weit entfernt habe. Huber kann diesem angeblichen Vorurteil nicht zustimmen. Er lehnt es aber auch nicht völlig ab. Er wendet es insofern ins Positive, als er zum Ausdruck bringt, dass jedes Auslandsstudium eine Distanz zum Eigenen mit sich bringe, und zwar nicht nur in räumlicher Hinsicht. Das sei sogar die Intention eines Auslandsstudiums. Der Distanzgewinn durch die römischen Studien sei bei Professor Kindermann besonders günstig gewesen. „Oft mit größerer Klarheit und Treffsicherheit als andere erkennen solche ‚Römer‘ die Gefahrenstellen und Nöte ihres Volkes und ihrer Heimat. Es wäre dem Sudetendeutschtum bekömmlicher gewesen, wenn nach 1918 dem Auslandsstudium mehr Bedeutung beigemessen worden wäre. So erfuhr z.B. die Offenheit für universale menschheitliche Bezüge der Zwischenkriegszeit nicht die gebührende Wertschätzung.“ (Bohemia, 5 (1964), S. 489) Provinzialismus sei Kindermann immer suspekt gewesen. Gerade für Königstein sei es bezeichnend, dass der Leiter immer weltweite Kontakte unterhalten konnte.

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deutlich auf die provinziell engere Heimat, mit der er sich engstens verbunden wusste, mit deren Vertretern er sich zuhauf umgab. Eine weitere Konsequenz des Romaufenthaltes nannte Huber en passant, nämlich dass für Kindermann alles, was von Rom kam, unantastbar, für Kritik unzugänglich blieb. Erst im letzten Jahrzehnt seines Lebens hätten sich Zeichen der Ungeduld gezeigt, als der Vatikan gegenüber den kommunistischen Ländern die harte Linie der Piuspäpste verließ und eine diplomatischere Politik trieb. Diese tastenden Versuche der Aussöhnungspolitik haben bei Kindermann Zeichen der Ungeduld hervorgerufen. „Endgültig in die Heimat zurückgekehrt, empfand der ‚Römer‘ den nationalen Kampf als lästig und kleinkariert. Erst die Vertreibung – dieser ungeheuerliche Rechtsbruch – hat ihn in der Tiefe zum Nationalen geführt, ohne ihm die Freude an der Universalität der Menschheit und an der Vielfalt der Völker, zumal der slawischen Nachbarn, zu nehmen.“111 Am 5. April 1924 wurde Kindermann zum Priester geweiht. Er hatte inzwischen in Rom den theologischen Doktorgrad erworben und kehrte danach in die Heimat zurück, war Seelsorger im Duxer Industriegebiet, ein Aufgabenbereich, der in sozialer, nationaler und konfessioneller Hinsicht eine ganze Reihe von Schwierigkeiten bot. Während seines zweiten Studienaufenthaltes in Rom war er Kaplan an der deutschen Nationalkirche in Rom, an der Anima. Nach seiner Rückkehr in die Leitmeritzer Diözese wurde er Religionsprofessor in Aussig, hielt in der Zeit auch Vorlesungen am Priesterseminar in Leitmeritz und bereitete seine Habilitation im Kirchenrecht an der Prager Universität vor, die 1933 mit der Arbeit über „Das landesfürstliche Ernennungsrecht“ durchgeführt wurde.112 1937 wurde Kindermann zum außerordentlichen Professor für Kirchenrecht in Prag ernannt. 1940 wurde er Prodekan der theologischen Fakultät der deutschen Karls-Universität in Prag und Gründer und Leiter des deutschen Theologenkonviktes in Prag. Gerade in den letzten Jahren der tschechoslowakischen Republik hatte sich Kindermann intensiv mit dem Verhältnis von Kirche und Staat auseinandergesetzt, etwa in einem Vortrag auf dem internationalen Juristenkongress 1934 in Rom.113 Nach dem sogenannten Anschluss des Sudetenlandes an das Deutsche Reich 1938 entwarf Kindermann sehr schnell in einer anonym veröffentlichten Schrift „Kirche im Sudetenland“ eine Neuorganisation der Kirche und Seelsorge in den Sudetenländern entsprechend den neuen politischen und verwaltungstechnischen Verhältnissen.114 Nach dem Scheitern der gemeinsamen tschechisch-deutschen Priestererziehung im Prager Seminar stand Kindermann am Beginn des Erbes des Nationalitätenhaders. Der Hausgemeinschaft der deutschen Theologiestudenten war nur eine kurze Dauer vergönnt gewesen.115 Wiederholt verfolgte und verhörte die Gestapo ihren Leiter,

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Ebd., S. 27. Warnsdorf 1934. De statu ecclesiastico-civili in Republica Cecoslovacia, Rom 1937. Kirche im Sudetenland, S. 1939. Aus einer Umfrage P. Paulus Sladeks unter den ehemaligen Theologen des deutschen Priesterseminars in Prag für das Gedenkbuch „Kindermann“ die Antwort von Heinrich Bruckner,

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Würzburg vom 8. September 1975: „Ich habe Dr. Kindermann als Regens nur kurze Zeit erlebt (zwischen Arbeitsdienst und Luftwaffe, Oktober 39 und Juli 40). Der erste Eindruck war: ein Mann, der tief in der Arbeit steckte; nervös, wenig Zeit; korrekt, eher streng und unpersönlich. Wenn man ihn aber dann in seinen Konferenzen für die Theologen erlebte, merkte man sehr bald, dass er ein frommer Mann war. In der Theologie wurde ein umfassendes Wissen erkennbar, eine streng kirchliche Gesinnung, aufgeschlossen für die Fragen der Zeit, kritisch gegenüber Überholtem. Der Maßstab kam aus dem zutiefst seelsorglichen Grundanliegen. Ich habe mich einige Male mit ihm persönlich ausgesprochen, dafür hatte er einfach Zeit; er nahm sie sich einfach auf Kosten der Nachtruhe oder Erholung. Er hörte einem aufmerksam zu, ging auf die Probleme des Einzelnen ein, ohne jede Schablone. Da erlebte ich den grundgütigen Menschen, dem man alles anvertrauen konnte, der Rat wusste, auf den man sich verlassen konnte. Er diktierte eine Entscheidung nicht auf, aber von seiner kraftvollen Persönlichkeit ging so viel Ausstrahlung über, dass von daher sich Probleme sicher lösten. So ein Seelsorger wie er, wollte man werden. Wir hatten selbstverständlich eine feste Ordnung, aber an die hielt man sich aus Einsicht. Ich kann mich erinnern, dass es besonders wohltuend war, dass man uns sehr großes Vertrauen schenkte, uns alle Freiheit gewährte. Ich kann mich an keine Kontrollen erinnern … Für sein deutsches und besonders sudetendeutsches Volk setzte er sich voll ein. Die Hauptsorge allerdings galt den seelsorglichen Belangen. Jeder Nationalismus aber war ihm fremd. Schon darum musste er den Nationalsozialismus entschieden ablehnen.“ Die Antwort von Rudolf Knotek an Sladek am 19.8.1975: Knotek spricht von der festen Überzeugung Kindermanns, dass Gott ihn zu einer besonderen Aufgabe berufen habe. Seinen Eindruck Kindermanns charakterisiert er so: „Nach der Entlassung der deutschen Theologiestudenten aus dem erzbischöflichen Seminar war er d e r V a t e r d e r T h e o l o g e n geworden. Väterlich-verständnisvoll, an besondere disziplinäre Schwierigkeiten oder Entlassungen könnte ich mich nicht erinnern. Er bedauerte es, dass die deutschen Theologen politisch ungeschult gelassen wurden.“ Aus einem Schreiben Augustinus Kurt Hubers an Sladek vom 22. Oktober 1975: „Ich stelle ja nirgends in Abrede, dass die Schischkower Hausgemeinschaft unter Kindermann eine wunderbare Sache gewesen ist. Die Studenten haben Kindermann von seiner besten Seite erlebt. Sie können und dürfen daher nur Positives berichten. Ich leugne (und unterdrücke) auch nicht seine seltenen Gaben und dergleichen. Nur sah ich (damals schon!) Symptome für weniger Beeindruckendes. Den Fragebogen werde ich nicht verbrennen: ein künftiger Historiker wird, wenn er wirklich Wissenschaftler ist, den kritischen Äußerungen eines Menschen, der Jahrzehnte lang in allernächster Nähe Kindermanns gelebt hat, und der sich in seinen wissenschaftlichen Äußerungen durch ein ausgewogenes Urteil ausgewiesen hat … gewiss Rechnung tragen. Ich fürchte daher nicht, dass auf mich kein gutes Licht fallen wird. Der Historiker spürt schon heute die Relativität des Kindermannschen Werkes – gegen den Strom der Laudationswelle, der bis auf weiteres die Stunde gehört und gehören soll. Ungefragt äußere ich mich nicht darüber. Alles das steht heute nicht zur Frage. Das Volksbuch soll – wie ich schon einmal schrieb – ein Dokument der Verehrung und Dankbarkeit sein.“ Vorausgegangen war ein Schreiben Sladeks an Huber vom 13. Oktober 1975. Dort schrieb Sladek: „Dein Urteil über den Kindermann des Theologenkonvikts ist meiner Meinung nach zu scharf, zu sehr gesehen im Lichte von Königstein. Kindermann hat offensichtlich gewisse negative Neigungen (zum alleine alles selber tun usw.) im Lauf der Jahre auf Kosten seiner menschlichen Qualitäten übersteigert. Die Aussagen der Mitbrüder über Kindermann als Rektor sind so positiv, dass ich das auch darstellen musste, zumal auch mir die Situation damals und die Stimmung im Theologenkonvikt wieder lebendig geworden sind. Es war unter den Theologen eine wunderbare Gemeinschaft, die sichtlich auch auf Kindermann positiv wirkte. Auch in unserem kleinen Kreis war es doch sehr schön und erfreulich, trotz der Zurückhaltung Kindermanns. Ich

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nämlich Adolf Kindermann. 1945 wurde er durch die Russen verhaftet und mehrere Monate interniert. Im unmittelbaren Anschluss half er den Prager Deutschen auf karitativer und seelsorgerlicher Ebene. „Damals reifte in ihm ein fester Plan, aus den Trümmern des Alten etwas Neues in Deutschland zu schaffen, eine neue Stätte der Priestererziehung, die für die aus der Heimat Vertriebenen und für die alte Heimat wirksam werden sollte.“116

3.3.

Nachkriegszeit: erste Initiativen

Für die Nachkriegszeit verwies Mattausch vor allem auf die Leistungen Kindermanns in Königstein: Kindermann habe mit Albert Büttner und Maximilian Kaller am Anfang dieses Sammelpunktes ostdeutscher Theologen und Theologiestudenten gestanden und nach dem frühen Tod des Vertriebenenbischofs neuen Schwung durch seine planende Initiative verliehen.117 Der zweite wichtige Komplex von Tätigkeiten und Einfluss Kindermanns, der angesprochen und herausgehoben wurde, war seine Freundschaft zu Pater Werenfried van Straaten und seiner Ostpriesterhilfe, die in den Königsteiner Anstalten eine Heimat fand. Das wissenschaftliche Interesse Kindermanns blieb bei alledem in der Nachkriegszeit erhalten, zumindest im Hinblick auf die Wissenschaftsorganisation, wie sein Einsatz für die philosophisch-theologische Hochschule in Königstein, seine dortige Lehrtätigkeit und die verschiedenen wissenschaftlichen Institute, die in Königstein im Laufe der Jahre geschaffen wurden, bezeugten. Inhaltlich stand die Nachkriegszeit für Kindermann in einer heftigen Auseinandersetzung mit dem Kommunismus, für die man in Königstein die Katholiken wachrütteln und die Theologen entsprechend ausrüsten wollte, nicht zuletzt in den jährlich stattfindenden Kongressen ‚Kirche in Not’. Die Bedeutung der Frömmigkeit, vor allem der Heiligenverehrung, für das bleibende Selbstverständnis der Heimatvertriebenen zeigte sich an Kindermanns engagiertem, unermüdlichen und oft bei ihm charakteristisch ungeduldigen Einsatz für die Seligsprechung des aus dem Böhmerwald stammenden Bischofs von Philadelphia, Johann Nepomuk Neumann. Das würdigende Fazit Mattauschs: „Der Bauernsohn aus dem nordböhmischen Niederland, der letzte Prodekan und einzige überlebende Professor der Theologischen Fakultät der deutschen Karls-Universität zu Prag, der römische Prälat Pius' XII., den

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möchte Dir daher den Fragebogen wieder zurücksenden, damit Du ihn verbrennst. Ich will nicht, dass er in einem Archiv erhalten bleibt und dann nur auf Dich kein gutes Licht wirft.“ – Die Rückläufe der Umfrage Sladeks im Institut für Kirchengeschichte Böhmen – Mähren – Schlesien. Haus Königstein Nidda, Bestand Sladek (eine Sammlung, die Huber angelegt hat, die aber nicht weiter geordnet und verzeichnet ist) MATTAUSCH, S. 82. Vgl. ebd., S. 82.

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Abschnitt III

Johannes XXIII.118 zum Protonotar ernannte und damit mit der höchsten kirchlichen Würde unter dem Bischofsamt auszeichnete, hat die Komplexität der Kirche in dieser Welt mit dem Schicksal der Vertreibung aus der Heimat als einen weltweiten Anruf erkannt und darauf auf seine Weise die Antwort gegeben.“119

3.4.

Charakterisierung durch Franz Lorenz

Das bisher ausführlichste Lebensbild von Weihbischof Adolf Kindermann zeichnete Franz Lorenz.120 Der Hinweis auf die Schwerpunktsetzungen dieser Würdigung möge genügen; gleichzeitig ergibt sich damit ein Ausblick auf die zentralen Themen Kindermanns. Lorenz121 schlug, ähnlich wie Mattausch, Brücken zum Schulreformer Kindermann, und zwar werden sowohl der Name wie auch die „Ritterschaft“ zweifelhafte Brücken für diese Eloge. Adolf Kindermann attestierte er angeborenes Rittertum gegenüber verfolgten, bedrängten und geschundenen Menschen.122 Er sei ein Kämpfer gewesen. Seine Waffen waren das Recht, das er gegen die millionenfache Verletzung der Menschenrechte eingesetzt habe. Bezeichnend ist darüber hinaus, dass Lorenz ausführlich auf die Lehrer in Rom hinwies, auch hier Tardini, Ruffini, Ottaviani, die später als Bischöfe und Kardinäle in die Leitung der Kirche berufen wurden – die

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Johannes XXIII. (1881 – 1963), Papst von 1958 – 1963. MATTAUSCH, S. 83. – Zwei weitere würdigende Skizzen zu Kindermann hat Augustinus Kurt Huber, der langjährige Leiter des Instituts für Kirchengeschichte in Königstein, entworfen. Augustinus Kurt HUBER, Prälat Professor Dr.Dr. Adolf Kindermann, in: Bohemia, Jahrbuch des Collegium Carolinum 1 (1960), S. 385-387, und Bohemia 5 (1964), S. 489f.) Sie lehnen sich inhaltlich und in der Wertung sehr stark an die Skizze Mattauschs an. An zusätzlichen Aspekten führt Huber an, dass Kindermann in seiner Zeit als Religionsprofessor an der Realschule in Aussig gemeinsam mit dem Soziologen Walter Simon den Bund der „Klausener“, eine Vereinigung christlicher Akademiker gegründet habe mit dem Ziel, die Bildung zu vertiefen, um für die Auseinandersetzung in den Zeitfragen zu wappnen.(Vgl. Bohemia 1 (1960), S. 386). Als ein Indiz für die Sorge Kindermanns um die Probleme und Nöte der Heimat wertet Huber zudem, dass Kindermann die Herausgeberschaft des sudetendeutschen „Katholischen Kirchenblatts“ übernommen hatte. Der Einsatz Kindermanns in Königstein für die wissenschaftliche Behandlung der kirchlich-kulturellen Überlieferung der alten Heimat wird ebenso gewürdigt, wie die Förderung der Untersuchungen über das Heimatrecht als Naturrecht. „Die sudetendeutschen Katholiken, die keinen kirchlichen Jurisdiktionsträger mitgebracht hatten, sehen in Königstein und seinem Leiter in besonderer Weise ihren kirchlichen Mittelpunkt.“(Bohemia 1 (1960), S. 387). Diese Zuspitzung hin auf Kindermann stimmt so freilich nicht, denn mit dem Prager Weihbischof Remiger ist durchaus ein kirchlicher Jurisdiktionsträger vertrieben worden. Franz LORENZ, Weihbischof Adolf Kindermann. Ein Lebensbild, in: Weihbischof Dr. Adolf Kindermann, Leben, Werk und Wirken, S. 12-24. Franz Lorenz, geb. 1901 in Peiperz/Sudetenland, promovierte 1926 mit einer Arbeit über Aufklärung und Romantik in Böhmen an der Universität Prag und war nach der Vertreibung als Mitarbeiter zahlreicher Zeitschriften publizistisch tätig. U.a. war er Chefredakteur von 'Echo der Zeit'. Im Auftrag der AKVO gab er 1980 Dokumente zur kirchlichen Vertriebenenarbeit heraus. Vgl. LORENZ, Lebensbild, S. 12.

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Verbindungen mit Rom versuchte Kindermann auch später immer wieder für seine Pläne für Königstein zu aktivieren. Die letzte Phase der Prager Zeit Adolf Kindermanns bezeichnete Lorenz als eine apokalyptische, die er in Anknüpfung an den heiligen Augustinus mit dem Untergang des römischen Weltreiches parallelisierte: Wie seinerzeit aus der civitas terrena ein Teufelsstaat geworden sei, weil die Menschen von Hassgier besessen waren und sich an die Stelle Gottes setzten und gegen Menschen wüteten, so sei es auch im Prag des Jahres 1945 gewesen. In diesem unmenschlichen Gewühl und Gewüte habe sich Adolf Kindermann in seinem caritativen und vor allem priesterlichen Einsatz in unvergesslicher Weise bewährt. Die zupackende Art Kindermanns in den frühen Stadien Königsteins imponierte dem 1901 im sudetendeutschen Peiperz geborenen Lorenz. Dass Kindermann, ohne nach Amt und Kompetenzen zu fragen, zugegriffen habe beim Aufbau der Ostmission, der Seelsorge in der deutschen Diaspora, der Priesterbildung und beim Schaffen einer Heimat für die vertriebenen Priester unterstrich er. Einen besonderen Beistand, Freund und Mitstreiter habe Kindermann im deutsch-amerikanischen Bischof Alois Joseph Muench, der von Pius XII. 1946 zum apostolischen Visitator in Deutschland berufen worden war, erhalten.123 Muench selbst stammte über seine Großeltern aus dem Böhmerwald. Er hatte bei der Kommandozentrale der amerikanischen Besatzungsbehörde für Kindermann die Erlaubnis erwirkt, nach Prag zu fahren und dort die 10.000 Bände umfassende Bücherei des Prager deutschen Theologenkonvikts nach Königstein zu überführen.124 Eine weitere wichtige Stütze erwuchs Kindermann in seinem Freund, dem Prämonstratenserpater Werenfried van Straaten125 und in der von ihm geleiteten Kapellenwagenmission und Ostpriesterhilfe.

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Zu Muench vgl. Elisabeth HERBRICH (Bearb.), Alois Kardinal Muench. Ein Lebensbild. Königstein 1969 (= Schriftenreihe des Sudetendeutschen Priesterwerkes XII). Vgl. LORENZ, Lebensbild, S. 17. Philipp van Straaten wurde am 17. Januar 1913 in den Niederlanden geboren. 1932 begann er an der Universität Utrecht das Studium der klassischen Philologie. Soziale Fragen motivierten ihn 1934 zum Eintritt in die Prämonstratenserabtei Tongerlo. Er nahm den Namen Werenfried an. 1940 wurde er zum Priester geweiht – Belgien war bereits von den deutschen Truppen besetzt. 1947 hörte er eine Rundfunkansprache über die Situation im Nachkriegsdeutschland, die ihn elektrisierte. Er wollte zum einen die Kenntnis über die Notsituation verbreiten helfen und zum anderen selbst aktiv Hand anlegen, um die Not lindern zu helfen. Mit diesem Impetus kam er 1948 nach Königstein. 1964 trennte er das Hilfswerk ‚Kirche in Not’ von der Abtei Tongerlo, verlegte die Zentrale nach Rom und unterstellte sich dem Generalabt der Prämonstratenser in Rom. Ganz neue Wirkmöglichkeiten taten sich für Pater Werenfried van Straaten, den Speckpater, nach 1989 auf. ‚Kirche in Not’ unterstützte verfolgte und bedrohte Christen in über 140 Ländern. Kurz nach der Feier seines 90. Geburtstages am 17. Januar 2003 im Limburger Dom starb Werenfried van Straaten am 31. Januar 2003. Er ist auf dem Friedhof in Königstein begraben. Eine wissenschaftliche Würdigung van Straatens steht bislang aus; die jüngste Publikation von Markus TRAUTMANN, Mit Glaubensglut und Feuereifer. Werenfried van Straaten und Johannes Leppich. Zwei charismatische Gestalten im deutschen Nachkriegskatholizismus. Vallen-

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Kindermann habe sich besonders um die kirchenrechtliche Eingliederung der Vertriebenen, vor allem des Vertriebenenklerus verdient gemacht. Kirchliche Eingliederung gehe freilich noch darüber hinaus, es müsse das ganze leidgeprüfte Volk integriert werden. Einen wichtigen Schritt auf dieses umfassende Ziel hin sei die Bestellung Kindermanns zum Bischof gewesen, sah sich doch damit die stärkste Gruppe unter den deutschen Heimatvertriebenen, nämlich die Sudetendeutschen, als eine Großgemeinde und Großfamilie bestätigt. Vor allem seine seelsorgerliche Tätigkeit in den Predigten auf den Großveranstaltungen wie auf dem sudetendeutschen Tag hob Lorenz hervor. „Einheimische, die keine Vorstellung davon haben, wie einmal der Los-von-Rom-Liberalismus des 19. Jahrhunderts zu Entfremdungen im Sudetendeutschtum geführt hat, vermögen kaum zu würdigen, dass dieser Bischof in der sudetendeutschen Landsmannschaft als Autorität geachtet und verehrt wurde.“126 Trotz aller irdischen Sorgen und allen irdischen Wagens und Organisierens habe Kindermann in Königstein immer wieder auf das Transzendente, über den Menschen Hinausgreifende verwiesen.127 Er habe beigetragen zur Selbstfindung und Eingliederung der Vertriebenen und sah dann die Zeit gekommen, das Schicksal der Vertreibung metaphysisch als Heilsgeschichte zu deuten: „Er legte dar, wie nationalistischer Absolutismus, liberalistischer und marxistischer Materialismus über „Los-von-Rom“ zum „Los-vom-Menschen“ geführt haben. Jetzt kann der Mensch nur durch Heimkehr zu Gott gerettet werden. Menschenrechte durch Anerkennung einer von Gott geordneten Natur.“128 Kindermann wurde am 6. November 1959 von Kardinal Frings zum Sprecher für die sudetendeutschen Priester und zum Beauftragten der Fuldaer Bischofskonferenz für den sudetendeutschen Priesternachwuchs und die sudetendeutschen kirchlichen Fragen bestellt. Am 22. Juni 1962 wurde er zum Apostolischen Protonotar ernannt. Damit wollte der Papst auch Kindermanns Schaffen in den Königsteiner Einrichtungen würdigen. Am 11. Juli 1966 wurde Adolf Kindermann von Papst Paul VI.129 zum Weihbischof von Hildesheim bestellt, der Hildesheimer Bischof als Vertriebenenbischof hatte großzügig dieses Modell möglich gemacht und den Sudetendeutschen so eine späte Genugtuung verschafft; der neue Hildesheimer Weihbischof sollte aber seinen Sitz in Königstein behalten und weiter seine Aufgaben als Leiter dieser Anstalt wahrnehmen.130

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dar 2009, verfolgt Intentionen der Pastoral. – Werenfried van Straaten, Ein Bettler für Gott. Autobiographische Aufzeichnungen und ausgewählte Gedanken des Speckpaters. München 1991. LORENZ, S. 20. Vgl. ebd., S. 22. Ebd. Paul VI. (1897 – 1978), Papst von 1963 bis 1978; vgl. http://www.kathpedia.com/index.php? title= Paul VI., aufgesucht am 13.8.2013. Stefan Kruschina brachte einen würdigenden Artikel im Publikationsorgan des sudetendeutschen Priesterwerks anlässlich der Bischofserhebung Kindermanns. (Stefan KRUSCHINA, Contra spem in spe, in: Sudetendeutsches Priesterwerk, Königstein/Ts., November 1966, S. 91-94). Er

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1970 wurde Kindermann in einer schweren Operation ein Gehirntumor entfernt. 1971 und 1972 stürzte er sich noch einmal voll in seine Arbeit, bis er immer deutlicher von seiner Krankheit gezeichnet wurde. Kindermann starb am 24. Oktober 1974. Die kirchliche Integration der sudetendeutschen Vertriebenen vollzog sich – so die Argumentation von Lorenz – in der Hinordnung auf und Begeisterung für die Identifikationsfigur Bischof. Durch die Aufnahme Kindermanns in den deutschen Episkopat wurden die sudetendeutschen Katholiken nicht nur anerkannt, sondern dies sei ein wesentlicher Schritt der Integration in den westdeutschen Katholizismus gewesen. Die Integrationsleistung des Bischofs, durch dessen Einordnung in die kirchliche

beginnt den Artikel mit einer weit ausholenden Auslegung des Wahlspruches „Gegen alle Hoffnung auf die Hoffnung (vertrauen)“ in der Lebensgeschichte Kindermanns, der immer wieder motiviert durch die Hoffnung, wo die Lage selbst vielfach hoffnungslos erschien, zum Durchhalten, zum Weitermachen animierte, auch wenn manche Realisten daran Anstoß genommen hätten. Kruschina stellt darüber hinaus die Tatsache heraus, dass damit eine schon fast verloren geglaubte Hoffnung in Erfüllung gegangen war, nämlich dass die Sudetendeutschen wieder einen Bischof bekommen hatten. „Dankbar aber sind wir alle auch dafür, dass der neue Bischof – laut päpstlichem Dekret – seinen Wohnsitz weiterhin in Königstein haben wird und dass sein bisheriges Wirken und sein Einsatz im Dienste der Heimatvertriebenen für Recht und Gerechtigkeit keine Schwächung, vielmehr eine besondere Hervorhebung erfährt. Damit ist von allerhöchster kirchlicher Stelle ganz deutlich dokumentiert, dass die Problematik der Vertreibung und die Fragen der Heimatvertriebenen von der Kirche nicht als gelöst, die Menschen aus dem Osten etwa infolge wirtschaftlich materieller Vorgänge nicht als ‚eingegliedert‘ angesehen werden.“ (Ebd., S. 91) Man spekuliere zwar nicht mehr unmittelbar auf eine Rückkehr in die Heimat, aber die Klärung der Fragen der Heimatvertriebenen sei durch den Fortgang der Zeit nicht einfacher, sondern viel schwieriger geworden. Die bisherigen Intentionen und Ausrichtungen der kirchlichen Arbeit seien gerade durch die Berufung des Leiters der Königsteiner Anstalten von höchster kirchlicher Stelle bestätigt worden. Auch wenn führende Politiker des Ostens immer wieder polemisierten und ihnen die Arbeit, das Wirken Kindermanns in Königstein ein großer Stein des Anstoßes sei, müsse auch künftig eine versöhnende, ausgleichende, helfende und zu einer menschlich brüderlichen Begegnung zwischen Ost und West führende Haltung intendiert werden. Freilich wird durch diese versöhnliche Haltung nicht der klare Rechtsanspruch der Heimatvertriebenen aufgegeben; gerade im Hinblick auf die Zukunft dürfe Unrecht nicht akzeptiert werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt dieses würdigenden Artikels ist die Deutung der bischöflichen Insignien, die Aussagen ihrer Symbolik, auch der Hinweis darauf, dass all die verschiedenen Gruppen der Vertriebenen ihren Beitrag in Zusammenarbeit geleistet haben. „Dieses in den sichtbaren Zeichen der bischöflichen Würde zum Ausdruck gebrachte Zusammenstehen aller Gruppen der Heimatvertriebenen ist ein Zeichen echter Gemeinschaft, dass jede dieser einzelnen Gruppen sich bewusst hineinstellt in die von mitmenschlich brüderlicher, christlicher Verantwortung getragene Sorge für die Vertriebenen, für die Völker in der östlichen Heimat und damit für Friede und Freiheit aller; ein Zeichen auch dafür, dass in keiner dieser Gruppe Radikalismus oder Rachegefühle aufkommen konnten, sondern dass sich alle ihrer dienenden und helfenden Verpflichtung bewusst geblieben sind. Diese Gemeinschaft zeugt aber auch davon, dass es unter den Heimatvertriebenen trotz mancher Verschiedenheit in den Meinungen im Grunde keine Gegensätze gibt und damit auch keine unüberbrückbaren Gegensätze zu den Völkern im Osten, in der alten Heimat, das alle um die völkerverbindende Kraft helfender Leibe wissen: Wenn das nicht ein ganz starkes Zeichen der Hoffnung ist!“ (Ebd., S. 94)

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Hierarchie, konnte sogar – so Lorenz in seiner Begeisterung – Verluste auf dem religiösen Terrain, Säkularisierungsphänomene, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen, wieder rückgängig machen. Wichtig scheint darüber hinaus zu sein, dass Lorenz die politische Ausrichtung Kindermanns hervorkehrte, wusste er doch, dass die Zukunft der Heimatvertriebenen nur auf der politischen Ebene mitgelöst werden konnte, dass es in dieser Frage letztlich keinen politikfreien Raum gab.131 Die Lebensbilder, die alle von Mitgliedern des Königsteiner Lehrkörpers, großteils noch zu Lebzeiten Kindermanns gezeichnet wurden, weisen grundlegende Parallelen auf. Sie prägten die Breitenwahrnehmung dieser zentralen Figur der Vertriebenenseelsorge, sie drücken Erwartungen aus, akzentuieren Bedeutungszuweisungen, transportieren etwas von der Stimmung in Königstein. Auch die Photos gleichen sich: Kindermann mit dem Bischofskreuz steht am Beginn des Gedächtnisbuches, das ihm seine Mitbrüder, Mitarbeiter und Freunde gewidmet haben. Ein robuster Kopf, alles andere als weltfremd, ein leichtes Lächeln, zurückhaltend, verhalten, nicht durch Schüchternheit oder Scheu, eher durch Strenge. Es soll gewisse Distanz schaffen. Es steckt ein Wille zum Herrschen dahinter, der verdeckt wird. Der Blick ist kühl, durchdringend, das rechte Auge halb zugekniffen. Auch damit schafft er Abstand. Kindermann erscheint als ein kühler Organisator. Er ist um das Heil der Menschen besorgt, aber um das Heil, wie es in seinen Ideen und Plänen vorkommt.

3.5.

Kindermanns Engagement und Erfahrungen vor Flucht und Vertreibung

Mit den römischen Prägungen, dem kurialen Freundeskreis, den rechtlichen und organisatorischen Fähigkeiten haben die Würdigungen bereits wichtige Aspekte herausgestellt. Im folgenden Kapitel soll Kindermanns pastorale Schwerpunktsetzung in wichtigen bzw. extremen Handlungsfeldern untersucht werden. Man mag Eduard Winter132 in seinen Erinnerungen der Parteilichkeit zeihen, die Einschätzung Kindermanns in der gemeinsamen Zeit als Professoren an der theologischen Fakultät der Deutschen Universität in Prag, die er aus seinen Tagebuchaufzeichnungen zitierte, erscheinen nicht ohne fundamentum in persona.133 So notierte er zum ersten Mal für den 14. Oktober 1937 ein Gespräch bei einem Abendessen im Kreis der deutschen Theologieprofessoren, wo er u.a. mit Kindermann und Czer-

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Vgl. LORENZ, Lebensbild, S. 20. Zu Winter vgl. Ines LUFT, Eduard Winter zwischen Gott, Kirche und Karriere: vom charismatischen Führer des katholischen Staffelstein zum schulbildenden Osteuropahistoriker der DDR. Leipzig 2008. Eduard WINTER, Mein Leben im Dienst des Völkerverständnisses. Nach Tagebuchaufzeichnungen, Briefen, Dokumenten und Erinnerungen, Band 1. Berlin 1981, vor allem S. 98-123.

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mak134 ins Gespräch kam. Übereinstimmung konstatierte Winter bezüglich der Sorge um die Weiterentwicklung in der Kirche. Den Dissens macht er am gesteigerten Optimismus Kindermanns und Czermaks fest, während Winters Einschätzung dahin ging, dass die Kirche immer mehr den Aufgaben und Fragen der Zeit hinterher hinke. „Dies zeigt sich jedenfalls in ihrer Einstellung zu der zentralistisch-bürokratischpolitischen Verholzung in der römisch-katholischen Kirche, die es nicht mehr erlaubt, sich geistigen Bewegungen rasch anzupassen und sie in der Tiefe zu überwinden.“135 Als Aufgaben formulierte Winter eine innigere Verknüpfung mit Christus, eine größere Selbständigkeit der Volkskirche, die in enger Verbindung mit dem Volk anzustreben sei, und weniger politisches als religiöses Bemühen. Gerade in diesem Punkt war Winter eindeutig anderer Meinung als der Großteil des sudetendeutschen Katholizismus, der sich in der Christlich-sozialen oder in der Gewerkschaftsbewegung engagierte. In dieser Grundfrage des Katholizismus in Deutschböhmen differierte er auch von der Position Kindermanns oder der von Hans Schütz.136 Das Volkstum wollte Winter hervorgehoben wissen; daher insistierte er auch bei Kindermann am 21. April 1938 bei einem Mittagessen im Bohemicum, dieser solle die Studien von Wenzel Frind über Volk und Kirche fortsetzen und ein Buch über Volkstum und Codex Iuris Canonici schreiben. „Es gilt, ernstes Christentum einfach, schlicht christlich zu leben; ein Christentum der Liebe und des Dienstes am Menschen ist notwendig.“137 Rückblickend formulierte Winter, dass ihm das Klerikal-Kirchliche immer, obwohl er Priester geworden war, fremd geblieben sei.138 Gerade im August 1938 habe er sich intensiv mit seinem Kollegen Kindermann über die institutionelle Rechtskirche auseinandergesetzt. Kindermann sei die Kirche als Institution, die von der römischen Kurie dirigiert werde, schon qua Fach nahe gestanden; Winter wird wohl einige Einwände gerade auch wegen des Versagens der römisch-katholischen Kirche dem Nationalsozialismus gegenüber im Reichskonkordat von 1933 angesprochen haben. Er bezeichnete die öffentliche Diskussion, die auf diesem Staffelstein-Bundestag geführt wurde, zwar als freundschaftlich, sie habe aber zu keiner Annäherung der Standpunkte geführt. Es war aus Winters Sicht ein Abschiedsgespräch, charakteristisch und entscheidend für die Lebenswege beider.139 Für den 28. Oktober 1938, den 20. Gründungstag der tsche134

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Theodor Czermak (1882 – 1948) war Professor für Fundamentaltheologie in Prag. Theodor CZERMAK, Über die deutsche nationale Bewegung aus katholischer Sicht (1938), in: AKBMS VIII 2003, S. 95-105, dort eine Einleitung von Augustinus Kurt Huber auf den Seiten 95-99, die Czermak charakterisiert. Vgl. auch Emil VALASEK, Der Kampf gegen die Priester im Sudetenland 1938 bis 1945. Eine Dokumentation. Königstein 2003 (= Archiv für Kirchengeschichte von Böhmen-Mähren-Schlesien XVI), S. 44. Winter, Mein Leben, S. 98. Hans Schütz (1901 – 1982), vgl. Rudolf OHLBAUM, Hans Schütz, in: ACKERMANN-GEMEINDE (Hg.), Hans Schütz – Helfer und Wegweiser in schwerer Zeit. München 1982, S. 13-25 (= Schriftenreihe der Ackermann-Gemeinde Heft 32). Ebd., S. 104. Vgl. ebd., S. 109. Vgl. ebd., S. 109.

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choslowakischen Republik, notierte Winter endlose Gespräche mit den geistlichen Mitbrüdern Grüner140, Kindermann und Diessl141. Er stieß auf eine tiefe Ängstlichkeit, die ihn zu der Überzeugung brachte, dass man mit der Geistlichkeit nichts machen könne. Das Gespräch drehte sich hauptsächlich um innerklerikale Sorgen. Winters Vorgehen hingegen ging in die Richtung, kleine Gefolgschaften zu bilden, die langsam vergrößert werden sollten und von unten her revolutionieren müssten. Er wollte gegen einen Katholizismus vorgehen, wie er gegenwärtig vor ihnen stehe. Sein Ziel war es, das Christentum in kleinen Kreisen in engster Verbindung mit dem Volk zu pflegen, aber ohne Rücksicht auf die päpstliche Kurie. Wegen seiner Anschauungen und Positionen konnte Winter mit Professor Kindermann nicht klar kommen. Kindermann sah er als einen Kirchenrechtler, der in Rom geschult wurde, was beider Anschauungen in eine entgegengesetzte Richtung trieb. So bekam Winter auch keine Hilfe von Kindermann, als seine Stellung an der Prager theologischen Fakultät immer schwieriger wurde.142

3.6.

Vorschläge zur Neugliederung der Bistümer nach 1938

Die Kindermann spätestens seit den dreißiger Jahren vorrangig bewegende Sorge war die der notorischen Unterversorgung im sudetendeutschen Katholizismus mit Geistlichen. Die Sorge prägte bereits seine Zustandsbeschreibung des Katholizismus aus dem Jahr 1939. Diese weit ausholende, ja oberflächliche Zustandsbeschreibung, ist die Grundlage, der Argumentationskontext für seine Vorschläge der Bistumsneugliederungen nach dem Anschluss des Sudetenlandes an das Deutsche Reich nach dem Münchner Abkommen vom 30. September 1938. Kindermann bemühte dort für die Situationsanalyse und Charakterisierung des sudetendeutschen Katholizismus die bekannten Klischees, die von der tiefen Verwundung in der Hussitenzeit bis hin zur intensiven Prägung durch Aufklärung und Josephinismus und die Gefahr des Liberalismus im 19. Jahrhundert reichen.143 Kindermann teilte die breite Begeisterung für den Anschluss des Sudetenlandes an das Deutsche Reich. Er glaubte an die Erneuerung von Volk und Religion. Er glaubte, dass sich mit einer Verbesserung der religiösen Situation, die er auch durch eine Neustrukturierung der Bistümer grundlegen wollte, die historischen Traumata überwinden ließen. „Später suchte man die religiöse

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Josef Grüner, (1883 – 1943) war Domkapitular in Prag. Wilhelm Maria Diessl (1888 – 1957) war letzter Dekan der Theologischen Fakultät der deutschen Universität Prag. VALASEK, Der Kampf gegen die Priester im Sudetenland, S. 47. „11. April. Bitterkeit ist mir im Herzen aufgestiegen beim Gedanken, dass ich von Prof. Kindermann nicht einmal zum Wohnen in das Seminar für deutsche Theologen in Prag aufgenommen werde, damit er sich beim Erzbischof ja nicht durch mich kompromittiert. Dabei ist er doch sicher ein lieber und edler Mensch und Priester. Das beste Zeichen, wie hartherzig diese römisch-kirchliche Erziehung macht.“ (Ebd., S. 123) Vgl. dazu Adolf KINDERMANN, Kirche im Sudetenland, 1939 (im Selbstverlag in Prag erschienen).

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Frage nicht mehr so sehr durch äußeren Druck, sondern vielmehr durch religiöse und seelsorgliche Maßnahmen zu lösen (neue Bistümer, Gliederung in Vikariate). Aber der entsetzliche Priestermangel, der im Lande herrschte, wirkte überall hemmend und hindernd. Priesternot war gleichsam als chronischer Fehler im Sudetenlande immer daheim, bis herauf in unsere Tage. Zu manchen Zeiten wurde zwar der Mangel durch fremde Priester beseitigt, aber es war das gewöhnlich nicht zum Segen der Seelsorge.“144 Diesem Trauma des Klerusdefizits, dessen Ursachen Kindermann bis in die Phase der spätmittelalterlichen böhmischen Reformbewegungen bis zur Zeit des Hussitismus zurückführte, stellte sich die Verurteilung der Aufklärung und des Josephinismus an die Seite: „Liberal war die Gesetzgebung, liberal ein Teil des Klerus, liberal eben der ganze Geist seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts bis in unsere Tage. Ein religiös trostloses Bild. Die liberale Religion hatte kein Rückgrat und keine Knochen. Der Gemeinschaftsgedanke, wie er wunderbar im Opfer und um das Opfer zum Ausdrucke kommt, ging bei vielen verloren. Damit oft auch die objektive männliche Frömmigkeit. Der liberale Christ suchte sein Verhältnis zu Gott für sich allein zu lösen und fand nicht mehr in die Gemeinschaft vor Gott.“145 Die Affinitäten zu nationalsozialistischem Gedankengut, wie Gemeinschaftsgedanke, Opfer, das Gemeinschaft stiftet, die objektive männliche Frömmigkeit, die Abwertung der Gottesbeziehung des Einzelnen lassen sich nicht überhören und sind keineswegs nur die Farben, mit denen Kindermann das Bild des sudetendeutschen Katholizismus malt, sondern sie sind letztlich auch die tieferen Motive für Kindermanns Wirken in Königstein, für sein Ringen um Priester für die sogenannte sudetendeutsche Volksgruppe und vermutlich auch für seine Konzeption der Priesterbildung. Man liest in der Einführung zu den Gedanken des Kirchenrechtlers die Begeisterung des Anfangs146, die man für 1933 noch eher verstehen mag, die aber offensichtlich die Katholiken in Österreich im März 1938 ebenso ergriff, wie dann eine Vielzahl von Katholiken, auch von Amtsträgern im Sudetenland im Herbst 1938. Und dies 144 145 146

Ebd., S. 17. Ebd., S. 20. „Mit dem Aufstieg des Deutschen Reiches stieg auch das Volksbewusstsein der Sudetendeutschen. Eine neue Volksgemeinschaft entstand unter der Führung Konrad Henleins und schart die weitesten Kreise der Sudeten um sich. Der Großteil der Katholiken stand bereits im Lager der neuen Volksgemeinschaft, als die letzten politischen Sondergruppen fielen. Und als die Endphasen des Befreiungskampfes anbrachen, war das Sudetendeutschtum geeinigt. Wie eine Mauer stand es da. Das Volk hinter seinen Führern und mitten im Volke und mit dem Volke auch seine Priester. Sie haben in ihrer erdrückenden Mehrheit mit dem Volke mitgekämpft und mitgelitten. Kaum je einmal zuvor stand das Sudetendeutschtum so geeint vor aller Welt da. Kirche und Volkstum haben hier zurzeit der größten Not engste Gemeinschaft gehalten. Haben einander geholfen und ermuntert. Sie sollen beieinander bleiben. Aber vertieft müssen sie werden und jedes muss sich nach seiner Art auf seine große Aufgabe besinnen. Religiöse Vertiefung unter Berücksichtigung der völkischen Eigenart! Das ist der Ruf der Stunde für die Kirche in den Sudeten.“ Ebd., S. 22f. Zu Henlein: Konrad Henlein (1898 – 1945) gründete 1933 die Sudetendeutsche Heimatfront, dann Sudetendeutsche Partei. Vgl. Ralf GEBEL, „Heim ins Reich!“: Konrad Henlein und der Reichsgau Sudetenland (1938 – 1945). München 1999.

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obwohl es davor bereits die klaren Signale Hitlers gegeben hatte, vom Röhm-Putsch über die Nürnberger Gesetze bis hin zu den Devisenprozessen gegen die Geistlichen. Bereits 1939, als Kindermann als junger Professor an der Prager theologischen Fakultät die Aufgabe zugefallen war, für die sudetendeutschen Theologiestudenten ein Konvikt zu eröffnen und zu leiten, habe der Aktivist in Kindermann den Gelehrten verdrängt. Der Wissenschaftler habe das Gebiet der Forschung immer mehr verlassen und sei zum Seelsorger, zum praktischen Unternehmer, zum Initiator geworden.147

3.7.

Das Prager Theologenkonvikt

Kindermanns Einsatz für ein Theologenkonvikt eröffnet einen weiteren Blick auf seine Anliegen und Interessen: Schwierigkeiten in der Ausbildung der sudetendeutschen Priester hatten sich durch den sogenannten Anschluss der sudetendeutschen Gebiete an das Deutsche Reich Ende September 1938 insofern ergeben, als der Großteil der sudetendeutschen Gebiete – eine Ausnahme bildeten nur das Bistum Leitmeritz und die zur Breslauer Erzdiözese gehörenden Gebiete in Sudeten-Schlesien – von ihrer Diözesanverwaltung, die im tschechischen Bereich lag, getrennt wurden. Die neu entstandene Staatsgrenze zwischen dem sudetendeutschen Gebiet und dem tschechischen Gebiet war für den Personenverkehr fast unüberwindbar. Daher wurde es für die deutschsprachigen Theologen schwierig, ihr Studium weiterhin in Prag zu absolvieren. Nachhaltig diskutiert wurde der Plan, die Deutsche Universität in Prag nach Reichenberg zu verlegen, ein Plan, der durch die weiterführenden gewalttätigen politischen Entwicklungen nie das Stadium der Realisierung erreichen sollte. In dieser zugespitzten Situation – etwa die Hälfte der Studierenden wechselte das Berufsziel – setzte sich Kindermann für die beim Fach verbliebenen Reste der deutschen Theologen ein.148 „Nach der Einkehr des Sudetenlandes ins große Mutterreich musste auch das Theologiestudium neu geregelt werden. Da die Deutsche Universität und mit ihr die Theologische Fakultät in Prag verblieben, andererseits aber ein Unterbringen der deutschen Theologen im erzbischöflichen Priesterseminar nicht mehr möglich war, so ergab sich die dringende Notwendigkeit, die deutschen Theologen anderwärts in einem eigenen Hause zu sammeln. Diese Notwendigkeit wurde umso drängender, je mehr sich die Reihen der Theologen in den letzten Monaten lichteten.“149 So lautete die knappe Skizze Kindermanns zur Begründung dieser Sondersituation der deutschen Theologenausbildung in Prag nach dem Anschluss des Sudetenlandes an das Dritte Reich und der Zerschlagung der Resttschechoslowakei im Frühjahr 1939. Ende

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HUBER, Adolf Kindermann. Studium, akademische Laufbahn und Wissenschaft, S. 28f. Paulus SLADEK, Adolf Kindermann – Rektor des Prager Theologenkonvikts, in: Weihbischof Dr. Adolf Kindermann, Leben, Werk und Wirken, S. 38-47, hier S. 38. So Kindermann in einem Schreiben an den Reichsverband für das katholische Deutschtum im Ausland, also an Prälaten Albert Büttner. Das Schreiben ist undatiert, stammt aus dem Jahr 1939-RKAD XXII 2cc.

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1938 war klar, dass die deutschen Theologen der Prager Erzdiözese nicht länger im erzbischöflichen Priesterseminar wohnen konnten, dass aber die Vorlesungen weiterhin an der Deutschen Universität in Prag stattfinden konnten. Vom Prager Kardinal Kašpar150 bekam Kindermann den Auftrag, ein geeignetes Haus zu suchen. Kindermanns Wahl fiel auf das Gebäude der Kreuzschwestern von Eger, die in Prag in der Dworschakgasse 22 ein Wohnheim für berufstätige Frauen und Mädchen eingerichtet hatten. Das wurde umgewidmet für ein Theologenkonvikt. Am 7. Januar 1939 begannen die Vorlesungen an der Fakultät und nahmen die ersten Theologiestudenten Wohnung bei den Kreuzschwestern in Prag Zizkov. Am Ende des Semesters waren bereits 88 Studierende dort zusammengekommen. Kindermann hatte die Leitung und die Verantwortung für das Konvikt. Er kümmerte sich zunächst als Rektor auch selbst um die Gestaltung des religiösen Lebens. Anfang Mai 1939 gelang es Kindermann, den Jesuiten Alois Maier als Spiritual zu gewinnen. Im Herbst 1939 kam für diese Aufgabe auch noch Pater Dr. Augustinus Kurt Huber vom Prämonstratenserstift Tepl hinzu, der das Amt des Vizerektors übernahm. „Von den ersten Tagen an hatte Kindermann die in den Priesterseminarien übliche Ordnung des gemeinsamen religiösen Lebens eingeführt. Er feierte, später abwechselnd, mit dem Spiritual und Vizerektor, mit den Theologen täglich die Heilige Messe und gab ihnen dreimal in der Woche die Puncta für die Betrachtung. Der Theologengottesdienst am Sonntag war auch für die deutschen Katholiken der Nachbarschaft, denen Kindermann auch regelmäßig Beichtgelegenheit gab, zugänglich. Die Theologen nahmen außerdem noch oft am Akademischen Gottesdienst in der Salvatorkirche teil, den der Lehrbeauftragte für Dogmatik, Pater Dr. Paulus Sladek OSA, der bis 1942 im Konvikt wohnte, als Akademischer Prediger hielt.“151 Kindermann hatte bereits hier einen Auftrag des Bischofs sofort angenommen und umgesetzt, ohne sich vorher um den langwierigen Prozess der kirchlichen Anerkennung zu kümmern. Der Prager Kardinal war der Meinung, dafür sei Rom zuständig, da es sich um ein überdiözesanes Seminar handle. Die Ausgangslage wird später in Königstein ähnlich sein. Das Seminar galt es nun zu einem Konvikt umzugestalten und vor allen Dingen lag Kindermann daran, eine entsprechende Bibliothek aufzubauen, die er dann ja auch 1946 nach Königstein transferieren konnte und die den Grundstock für die Königsteiner Bibliothek bilden sollte.

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Vgl. zu Kašpar Eduard WINTER, Mein Leben im Dienst des Völkerverständnisses. Nach Tagebuch, Aufzeichnungen, Briefen, Dokumenten und Erinnerungen. Band 1. Berlin 1981, S. 82-89. – Rene KÜPPER, Kirchen und Religion in der zweiten Tschechoslowakischen Republik, in: Martin SCHULZE WESSEL / Martin ZÜCKERT (Hg.), Handbuch der Religions- und Kirchengeschichte der böhmischen Länder und Tschechiens im 20. Jahrhundert. München 2009, S. 299-316. Pater Paulus Sladek in seinem reflektierenden Rückblick auf Adolf Kindermann, in: Weihbischof Dr. Adolf Kindermann. Leben, Werk und Wirken, S. 40.

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Abschnitt III

Das Konvikt war aus der Situation geboren, ohne dass es offensichtlich konkrete Pläne für die Zukunft gegeben hätte.152 In diesem ersten Jahr studierten im Prager Konvikt 95 deutsche Theologen, auch zwei aus der Slowakei. So berichtete Kindermann dem RKA bei einem Besuch in Berlin am 26. Oktober 1939.153 Da das Seminar Ende Oktober 1939 kanonisch anerkannt wurde als ein erzbischöfliches, katholisches deutsches Seminar in Prag, konnten auch Theologen aus anderen Diözesen als Gäste zugelassen werden. Die Kreuzschwestern von Eger hatten ein Wohnheim für berufstätige Frauen und Mädchen eingerichtet, das sie jetzt angesichts der Notlage bereitwillig zu einem Theologenkonvikt umfunktionieren ließen. „Es war von vornherein klar, dass Professor Kindermann die Leitung und die Verantwortung, damit aber auch eine unübersehbare Arbeitslast zur Sicherung und Erhaltung des neuen Theologenkonviktes übernehmen musste. In den ersten Monaten kümmerte sich der neue Rektor selber um die Gestaltung des religiösen Lebens im Konvikt.“154 Ausdrücklich wies Pater Paulus Sladek, der bis 1942 selbst im Konvikt wohnte und als akademischer Prediger an der Salvatorkirche tätig war, darauf hin, dass die Andachten und Gottesdienste nach den Anregungen von Pius Parsch155, also nach den Vorgaben der volksliturgischen Bewegung gestaltet wurden. Dadurch waren Liturgie und Frömmigkeitsübungen stark von denen der tschechischen Theologen unterschieden, die viel stärker gefühlsbetont Gottesdienst feierten. Die Aufzeichnungen Kindermanns über das Konvikt deutscher Theologen in Prag zeugen von der nationalen Begeisterung, die dort herrschte: die Studenten hörten die Reden des ‚Führers’ am Radio; auch Schikanen gegen die Theologen konnten die nationale Euphorie nicht trüben. Ebenso dürfte Kindermann in dieser Zeit ein sehr deutsch-bewusster Priester gewesen sein.156 Pastorale Notwendigkeiten hätten, so Sladek weiter, im Vordergrund von Kindermanns Überlegungen gestanden, nicht nationale Machtinteressen.157

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Vgl. dazu Kindermann an Büttner am 05. Juni 1939, wo er formuliert, dass ihn und seine Mitarbeiter die Pläne der Zukunft bzgl. Konvikt und Fakultät stark beschäftigten, ein klares Bild aber bis heute noch nicht gemacht werden könne. RKA D XXII 2cc. Die entsprechende Aktennotiz in RKA D XXII 2cc. Ebd., S. 39. Zu Pius Parsch (1884 – 1954), durch dessen praxisbezogene Werke die Liturgische Bewegung in weite Kreise der Gläubigen weit über den deutschsprachigen Raum hinaus wirken konnte vgl. Norbert HÖSLINGER / Theodor MAAS-EWERD, Mit sanfter Zähigkeit. Pius Parsch und die biblisch-liturgische Erneuerung. Klosterneuburg 1979. Die Aufzeichnungen über das Konvikt im Institut für Kirchengeschichte Böhmen – Mähren – Schlesien im Haus Königstein in Nidda. Der erste Teil der Aufzeichnungen (18 Seiten masch.) dürfte erst in Königstein verfasst worden sein, der zweite Teil dürfte in Prag entstanden sein; ein Teil davon ist auch von Studenten geschrieben. In der Festschrift für Bernhard Panzram bereitet Kindermann seine Erinnerungen an die letzten Prager Wochen, die er zum Teil zusammen mit Bernhard Panzram verlebt hat, auf. Es sind stolze Erinnerungen an eine kurze gemeinsame Dozententätigkeit an der ältesten Universität diesseits der Alpen. Mehrmals weist Kindermann darauf hin, dass Panzram es gewesen sei, der am 5. Mai 1945 die letzte deutsche Vorlesung an der theologischen Fakultät gehalten habe, kurz be-

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Paulus Sladek gehörte nach eigenen Aussagen zum engeren Kreis im Prager Theologenkonvikt, mit dem der Rektor die Schwierigkeiten und Sorgen um die Sicherung und Zukunft des Theologenkonviktes regelmäßig bei Tisch besprach.158 Er verschwieg nicht, dass Kindermann trotz der brüderlichen Atmosphäre des kleinen Kreises kritische Äußerungen über schwierige kirchliche oder politische Fragen unterließ. Das habe seiner Eigenart entsprochen. Dass keiner von dieser kleinen Gemeinschaft den verbrecherischen Charakter Hitlers durchschaut habe, liege an dem grenzenlosen Vertrauen des Auslandsdeutschen, „dass doch im deutschen Vaterland nur Männer zur Regierung kommen könnten, denen es in erster Linie um das Wohl des deutschen Volkes und um Gerechtigkeit und Frieden in der Welt ginge“.159 Seine eigenen Erfah-

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vor die Revolution ausgebrochen sei, wie er die Ereignisse Anfang Mai in Prag deute und kurz bevor das Haus, in dem Dozenten und Studenten der theologischen Fakultät der Deutschen Universität in Prag wohnten, vom Mob der Straße gestürmt worden sei. Kindermann bringt anschließend eine kurze Replik auf die würde- und wechselvolle Geschichte der Prager Universität. Am ausführlichsten geht er dabei auf die national bedingten Auseinandersetzungen nach dem Zerfall der Donaumonarchie 1918 ein und würdigt vor allem die Haltung des damaligen Rektors der deutschen Universität, des Kirchenhistorikers Professor Naegle, der am 29. Oktober 1918 eigens den akademischen Rat zusammengerufen und verkündet hatte, dass die deutsche Universität in Prag am Ideal des geistigen Zusammenhanges des gesamten deutschen Volkes festhalten wolle. Das Jahr 1938 behandelt Kindermann unter der generellen politischen Lage, die sich im tschechoslowakischen Staat zusehends verschärft habe und wo die Einschätzung und Haltung der Menschen vor allem durch äußere Eindrücke gesteuert wurden, nämlich durch die wirtschaftliche Blüte jenseits der Grenzen im Deutschen Reich einerseits und die große Arbeitslosigkeit unter den Sudetendeutschen andererseits. „Es war einleuchtend, dass die äußeren Tatbestände vom Volke zunächst gesehen wurden, ohne genügend Kenntnis von den anderen geistigen und religiösen Notständen im Reiche zu haben und zu nehmen. So wurde der Nationalsozialismus in seinen letzten Grundhaltungen auf sudetendeutscher Seite nicht oder viel zu wenig erkannt.“ Um die Entwicklung der religiösen Lage in der ersten Tschechoslowakischen Republik zu charakterisieren, rekurriert Kindermann ausführlich auf das Verhältnis der Priesterzahlen zwischen den Tschechen und den Deutschen. Wichtig ist es für ihn, fast ist es ihm ein Triumph, dass die Zahl der deutschen Priesteramtskandidaten sich im Laufe der 20er und 30er Jahre so erhöht, dass sie die Zahl der tschechischsprachigen Priesteramtskandidaten deutlich überschreitet, obwohl zwei Drittel der tschechoslowakischen Katholiken Tschechen und nur ein Drittel Deutsche sind. Nach einer ausführlichen Schilderung der eigenen Erlebnisse in der sogenannten Mairevolution 1945 schlägt Kindermann versöhnliche Töne an. Es sei ein Gefühl von Sehnsucht und Trauer, das ihn befalle, wenn er auf die Prager Jahre zurückblicke. Unvergessen seien ihm Geschichte und Kultur Prags, auch die Tatsache, dass es unter den Tschechen viele gute Menschen gegeben habe. Die Prager Jahre hätten ihn mitten unter einem anderen Volk lebend für das ganze Leben bereichert, ihn für die künftige Zeit mitgeformt und ermahnt, wie segensreich eine echte slawisch-deutsche Partnerschaft für den mitteleuropäischen Raum für beide Seiten sein könnte. (Adolf Kindermann. Das Prager Intermezzo, in: Ulrich Mosiek / Hartmut Zapp (Hg.): Ius et salus animarum. Festschrift für Bernhard Panzram, Freiburg 1972, S. 11-24, Zitat S. 12f.). Zu August Naegle (1869 – 1932, Kirchenhistoriker in Prag) vgl. Anton LANDERSDORFER, Naegle, August, in: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 18. Berlin 1997, S. 706. Vgl. ebd., S. 43. Ebd.

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rungen mit der Gestapo deutete er eher als Willkürakte einzelner Menschen, denn als eine wesentliche Verhaltensform des Regimes. Mit den zum Militär eingezogenen Theologiestudenten hielt Kindermann über Rundbriefe, persönliche Schreiben und Paketsendungen engen Kontakt. Neben diesen Rundbriefen versuchte er auch, seinen ehemaligen Studenten Unterrichtsmaterial zur Theologie zu schicken, eine Art Fernstudium zu pflegen. Zwischen 1939 und 1942 gab er das Prager Kirchenblatt für die deutschen Katholiken Innerböhmens heraus.160 Das Prager Kirchenblatt etablierte sich offensichtlich relativ rasch, konnte es doch im vierten Quartal 1939 bereits eine Auflage von 5.000 Stück mit etwa 4.000 festen Abnehmern vorweisen. Zu der Zeit war auch noch die Lieferung des Kirchenblattes in die Slowakei geplant, wobei offensichtlich noch nicht klar war, wie dies erfolgen könnte. Man schickte aber wohl 1.200 Stück dort hin. Adolf Kindermann konnte bei seinem Wirken in Königstein beinahe nahtlos anknüpfen an seine Tätigkeiten und Erfahrungen in seinem Prager Aufgabenbereich von 1938/39 bis 1945/46: Es waren nicht nur die Erfahrungen, es waren auch die Begleiter, die Kindermann treu blieben: Schon das Konvikt in Prag für die deutschen Theologiestudierenden wurde von Prälat Büttner vom RKA über all die Jahre hinweg finanziell und ideell unterstützt. Dazu kamen reiche Büchergaben, die über das Bonifatiuswerk für das Theologenkonvikt in Prag geschickt worden waren und dort zum Aufbau einer theologischen Fachbibliothek einen wesentlichen Grundstock bildeten. Büttner unterstützte auch das zweite Aufgabengebiet Kindermanns in der Prager Zeit, nämlich die Etablierung des Prager Kirchenblattes. Beide Tätigkeitsfelder, die Priesterausbildung und die katholische Pressetätigkeit, werden Kindermanns Einsatz für die Vertriebenen nach 1946 wiederum entscheidend prägen: Am Anfang von Königstein stand die Sorge um Studium und geistliche Ausbildung der Theologen und das Presseapostolat mit den ‚Königsteiner Rufen’, mit dem ‚Königsteiner Jahrbüchlein’ und speziell, als Leiter des Priesterreferates, die Seelsorge an den Priestern mit den ‚Mitteilungen für die heimatvertriebenen Priester aus dem Osten’ bzw. dann speziell mit den ‚Mitteilungen für die sudetendeutschen Priester’. Freilich wurden diese Presseorgane nicht nur für die Seelsorge geschaffen, sondern dienten auch der Einwerbung von Spenden, einem zentralen Baustein für den Haushalt Königsteins. Nicht nur mit den Gebäuden und den Institutionen, Organisationen, Vereinen, Veranstaltungen in Königstein wurde eine heimatliche Ersatzwelt geschaffen, sondern für breitere Kreise im Land wurde gerade auch vermittels der Publikationsorgane, durch deren Inhalte, durch die Informationen über die Entwicklung der Heimat, über die vertriebenen Priester etc. ein Zusammengehörigkeitsgefühl aufgebaut und über die Jahre hinweg erhalten.

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Vgl. ebd., S. 46. – Das Katholische Kirchenblatt diente ab dem 8. April 1939 als Informationsblatt für die deutschen Katholiken des Protektorates. Mit dem 31. Januar 1942 musste es sein Erscheinen einstellen. Zum Geburtstag Hitlers am 20. April 1940 hatte es aus dem Katholischen Feldgesangbuch ein in nationalsozialistischer Färbung formuliertes Gebet für Führer, Volk und Wehrmacht abgedruckt. Die Ausgaben des Kirchenblattes von 1935 bis 1942 sind gesammelt im Institut für Kirchengeschichte Böhmen – Mähren – Schlesien im Haus Königstein in Nidda.

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Kindermann wollte wohl nicht nur die Theologenausbildung, nicht nur das Presseapostolat in Prag konzentrieren, sondern auch eine Begegnungsstätte schaffen im Haus des Konviktes – auch dies eine Idee, die er in Königstein dann mit dem Haus der Begegnung erneut realisieren wollte und konnte. Wiederholt dachte Kindermann an Räume für die deutsche Seelsorge, für Exerzitien, Konferenzen, schlicht an eine Zentrale der deutschen kirchlichen Arbeit im Protektorat und auch an eine Absteige, eine Einkehr für Reisende. „Das Haus eigne sich bestens als Mittelpunkt des deutschen kirchlichen Lebens.“ So eine Aktennotiz einer Besprechung mit Kindermann im RKA am 20. Dezember 1939.161 Rechtzeitig vor Weihnachten versäumte Kindermann auch nicht, seinem Geldgeber Wünsche zu übermitteln. „Es ist mir dieser Wunsch heuer ein großes Herzensbedürfnis, waren es ja gerade Sie und Ihre Institution, die uns in diesem Jahre stets treuer Freund und Helfer blieb, auch dann, wenn fast alle an uns irre werden wollten. Dafür haben Sie gerade an der Jahreswende herzinnigen Dank. Sie mögen wissen, dass Sie einen ganz wesentlichen Anteil hatten an der Priestererziehung und der Sorge um den deutschen Priesternachwuchs für fast mehr als eine Million deutscher Katholiken im Grenzlande, und dass ist doch viel und wirkt beruhigend. Bleiben Sie uns auch weiterhin recht gewogen. Es sollen aber diese Wünsche nicht bloß des Konviktes und der amtlichen Angelegenheiten wegen ausgesprochen sein, ich möchte sie Ihnen auch gesagt haben als persönlicher Freund und Konfrater in Christo. Freunde in der heutigen Zeit sind wertvoll und nicht mit Geld zu bezahlen. So schüttle ich Ihnen als Freund in Dankbarkeit die Hand und wünsche Ihnen alles Beste.“162 Die noch nicht klaren Pläne wurden im Jahr 1940 im Gedankenaustausch zwischen Kindermann und Büttner konkretisiert. Man wollte in Prag ein Zentralseminar errichten für deutsche Theologiestudierende vom Baltikum bis zum Südosten. Damit war das Vorbild für Königstein noch griffiger geworden. Zum Jahresende 1940 rechnete Kindermann auch ganz konkret mit den volksdeutschen Theologen, die nach Prag kamen und die mittlerweile die durch den Kriegseinsatz der Prager Theologiestudenten gelichteten Reihen im Seminar wieder auffüllen sollten. Kindermann hoffte, dass etwa 14 oder gar mehr Studierende am 10. Januar 1941 in Prag eintreffen könnten. Für sie würde ein Übergangskurs gehalten werden. Je nachdem, wie der Stand ihrer Studien ist, müssten sie vorbereitet werden, bevor sie in den ordentlichen Lehrbetrieb in Prag integriert werden könnten.163 Aber es ging nicht ohne Schwierigkeiten, denn am 3. Februar 1941 schrieb Kindermann nach Berlin an Büttner: „Möchte Sie nur bitten, dahin zu wirken, dass die besprochenen Volksdeutschen doch noch zu uns kämen, wenn es irgendwie möglich wäre. Wir sind nach Ostern ohne Hörer. Heute rückten wiederum zehn ein. Die anderen werden geweiht und gehen nach Hause bzw. rückten auch ein. Es bleiben dann nur die Ukrainer. Da würde also eine Auffüllung von der Seite der Volksdeutschen her sehr gut tun.“164 161 162 163 164

RKA D XXII 2cc. RKA D XXII 2cc. Kindermann in einem Brief an Büttner am 16. Dezember 1940. RKA D XXII 2cc. Kindermann an Büttner am 03. Februar 1941. RKA D XXII 2cc.

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Der Plan ließ sich freilich rein pragmatisch nicht klären. Es bedurfte grundsätzlicher Erwägungen, und es bedurfte einer Eingabe an staatliche Stellen. Letztlich war es trotz vieler Gespräche sowohl Kindermanns wie Büttners mit den zuständigen staatlichen Stellen nicht gelungen, vom Reichskirchenministerium das Placet erhalten für diese Regionen übergreifende Lösung in Prag. So formulierte Kindermann in seinem Weihnachtsbrief an Büttner: „Es war ein hartes Jahr (1941) mit viel Sorgen und Problemen. Sie haben uns aber wesentlich geholfen und hatten immer ein bereites Ohr und eine noch bereitere Hand für uns. So sage ich Ihnen nun innigen Dank und kleide ihn ein in die Gebete, die tagtäglich von den Unsrigen bei der Mittagsbesuchung für unsere Wohltäter gesprochen werden. Und zu diesen gehören Sie ja in erster Linie. Die Bilanz dieses Jahres ist eben kriegsmäßig. Wir haben noch 22 Studenten im Hause, davon einen Deutschen und einen Volksdeutschen. An die 90 fast stehen draußen im Dienste des Vaterlandes. Acht davon starben in diesem Jahre den Heldentod. Wohl eine Zahl, die relativ gemessen kein anderes Seminar im ganzen großdeutschen Reiche aufzuweisen hat. Die Haltung unserer lieben Gefallenen war ganz einzig und fast beneidenswert. Wenn wir im Konvikte nichts anderes erzielt hätten, als eine letzte Festigung unserer jungen Leute, bevor sie hinauszogen fürs Vaterland, es wäre genug gewesen. Die anderen, die draußen stehen, halten sich im großen Ganzen recht gut. Dass über manchen eine Krise kommt, ist nur allzu leicht begreiflich, ja fast gut.“165 Bis einschließlich 1941 konnte die Prager Kirchenzeitung erscheinen. Der Seminarbetrieb ging letztlich bis in die letzten Kriegswochen weiter, eingeschränkt nur in der Zahl der Studierenden. Die Begründung für eine eigenständige theologische Fakultät für die deutschen Studierenden in Prag zielte darauf, dass sich mit der politischen Abspaltung des deutschen Gebietsanteiles vom Prager Erzbistum das Verhältnis zwischen der deutschen theologischen Fakultät und dem Prager erzbischöflichen Stuhl grundlegend verschoben habe. Die deutsche theologische Fakultät habe ihren Charakter als Dienerin diözesaner Ziele abgestreift und sei wieder stärker zur freien Pflegestätte kirchlicher Wissenschaft geworden. „In dieser Rückkehr zur Tradition des Stifters liegt für sie, wie für die gesamte Prager Deutsche Universität ein Höchstmaß nationaler Verpflichtung eingeschlossen. Der Dienst an der Wissenschaft kann in unseren Tagen weniger denn je reiner Selbstzweck sein. Er muss sich dem höheren Ziele des Dienstes am Volke, der Förderung seines leiblichen und geistigen Wohles einordnen. Damit ist für die Deutsche Theologische Fakultät eine neue Existenzbasis gegeben und erwachsen ihr für die Zukunft eine Reihe von Sonderaufgaben, denen sie nur bei ungeschmälertem Weiterbestand am bisherigen Wirkungsort und bei intensivem innerem und äußerem Weiterausbau voll gerecht zu werden vermag.“166 Die dringendste Sonderaufgabe liege in der Heranbildung volkseigener und volksbewusster Priester für die Zwecke des deutschen Inlandskatholizismus. „Eine nicht minder wichtige Sonderaufgabe für

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Kindermann an Büttner 13. Dezember 1941. RKA D XXII 2cc. Eine Denkschrift der Deutschen Theologischen Fakultät in Prag. RKA D XXII 2bee.

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die Deutsche Theologische Fakultät ergibt sich sodann aus ihrem Verhältnis zum Klerus der befreiten Gebiete. Die Frequenzausweise aus diesen Gebieten bezeugen für die letzten 20 Jahre eine Steigerung der Besucherzahl fast um das Vierfache. Diese Orientierung nach Prag, welche auch durch die neue Grenzführung keine nennenswerte Einbuße erlitten hat, gründet in dem doppelten Verlangen der Hörerschaft nach vertiefter wissenschaftlicher Ausbildung und einer völkisch ausgerichteten, ihrer jeweiligen Eigenart Rechnung tragenden Erziehung.“167 Kurz wird eine vierte Sonderaufgabe gestreift und dort das weit ausholende Ziel der Einbeziehung der Theologiestudenten aus dem Südosten Europas angeschnitten. Die Prager Deutsche Theologische Fakultät solle tätig mitwirken bei der Herstellung engerer und herzlicherer Beziehung zwischen der deutschen Nation und den Völkern des europäischen Südostens.168 In einem Memorandum an das Reichskirchenministerium bzw. an den Staatssekretär Frank169 in Berlin liest sich die Begründung für das deutsche Konvikt in Prag mit weit ausgreifendem Einzugsbereich so: „ Die politische Neugestaltung Mitteleuropas, welche in ihrem Ablauf auf die Zurückführung der Deutschen Universität in Prag in den unmittelbaren Besitz des ostdeutschen Reiches mit sich brachte, hat damit zugleich diese älteste Hochburg deutschen Geistes über den Bereich des rein wissenschaftlichen heraus vor einer Reihe nationaler und völkischer Sonderaufgaben gestellt, deren Zielsetzung teils den seit jeher von ihr beherrschten Sudetenraum, teils die demselben im Osten und Süden vorgelagerten Länder und Völker umfasst. An dieser nationalen Mission ist auch die Prager Deutsche Theologische Fakultät in beträchtlichem Maß beteiligt.“170 Angesichts deren Adressaten ist verständlich, dass die große Bedeutung herausgestrichen wird, die die Heranbildung eines volkseigenen und volksbewussten Klerus habe. Leider seien sowohl in der Slowakei wie in Ungarn und in Rumänien – und damit ist der Blick wieder gen Südosten gerichtet – die derzeitigen Verhältnisse nicht günstig. „Der gänzliche Mangel deutscher Seminare nötigt die deutschen Theologen, ihre Ausbildung an nichtdeutschen Lehranstalten und aus der Hand nicht deutscher Professoren zu suchen. Dies bedeutet für sie nach der geistigen Seite hin in der Regel einen empfindlichen Ausfall fachlich beruflichen Wissens, da die meisten dieser Lehranstalten, sei es was Studienbetrieb anbelangt nur in höchst unzulänglichem Maße ausgerüstet sind, nach der seelischen Seite hin aber das fast völlige Ausscheiden einer volksbewussten Erziehung. Hier kann einzig der Besuch

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Die dringendste Sonderaufgabe liege in der Heranbildung von volkseigenen und volksbewussten Priestern für die Zwecke des Deutschen Inlandskatholizismus. RKA D XXII 2bee, Denkschrift der Deutschen Theologischen Fakultät in Prag am 09. Dezember 1938, vier Seiten masch., Zitat S. 4. Karl Hermann Frank (1898 – 1946), nationalsozialistischer Politiker, 1939 Staatssekretär beim Reichsprotektor in Böhmen und Mähren, 1943 dort deutscher Staatsminister. Verantwortlich für die Massaker von Lidice und Ležáky wurde er 1946 in Prag zum Tode verurteilt; vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Hermann_Frank, aufgesucht am 17.9.2013. Memorandum undatiert, vermutlich aber Juni bzw. Juli 1940 in RKA D XXII 2bee, sechs Seiten masch., Zitat S. 1.

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Abschnitt III

einer wissenschaftlich hoch stehenden, national eingestellten Fakultät wirksam Wandel schaffen.“171 Das sollte das ausschlaggebende, überzeugende Argument sein, das für die Prager Deutsche Theologische Fakultät und damit auch für das Priesterseminar in Prag sprach: Prag liege zentral im Hinblick auf den Nordosten und den Südosten.

3.8.

Die Bedeutung der Religion in der Volkstumsarbeit der Zwischenkriegszeit

Zur Vorgeschichte der Initiative Kindermanns und nicht zuletzt des Verhältnisses von Büttner und Kindermann ist ohne Zweifel die Frage nach dem religiösen Faktor und nach der Wissenschaft in der sogenannten Volkstumsarbeit in der Zwischenkriegszeit zu bedenken. Die eigene Identität empfand man als eine an den Rand gedrängte, für die man kämpfen musste, die man in einer engen Verbindung von „völkisch“ als Ersatz für den nicht erhaltenen Nationalstaat und „religiös“ erneuern wollte. Für diese religiöse Erneuerung waren charismatische, begeisternde Priestergestalten notwendig, die selbstverständlich, sollten sie in dieser engen Verquickung der eigenen religiösen und völkischen Erneuerung dienen können, auch aus der eigenen, ethnischen Gruppe kommen sollten. Man brauchte für die Sudetendeutschen, die in der Zwischenkriegszeit in vielen Gemeinden von tschechischen Pfarrern betreut wurden, entsprechend viele junge Kleriker von den Sudetendeutschen. Diese Kleriker sollten das kulturelle und wissenschaftliche Leben der Volksgruppe entscheidend mitprägen können. Diese Intentionen und die Initiativen dafür wurden, nachdem die Deutschen im Südosten und auch in der ersten Tschechoslowakischen Republik nach dem Zerfall der Donaumonarchie 1918 in die Minderheitenposition geraten waren, kirchlicherseits entscheidend unterstützt durch den Reichsverband für das katholische Auslandsdeutschtum. Daher ist die Verbindung Kindermann-Büttner vor 1945 in mehrfacher Hinsicht höchst aufschlussreich. Ota Konrád wies jüngst in seinem Beitrag über die Zusammenarbeit zwischen der Nord- und Ostdeutschen Forschungsgemeinschaft und der Deutschen Universität Prag von 1935 bis 1938 zu Recht darauf hin, dass die Kontakte, die die Deutsche Universität Prag in der Zwischenkriegszeit mit Deutschland unterhielt, bisher systematisch noch nicht analysiert wurden. Das gilt auch für die Priesterausbildung in Seminar und Fakultät nach der Trennung in ein Tschechisches und ein Deutsches Priesterseminar 1939. Wie die Kooperation und Stützung der deutschen Wissenschaftler in Prag durch die reichsdeutschen Forschungseinrichtungen das Thema der Untersuchungen Konráds ist, so wäre es wichtig, die theologische Forschung in ihrer Positionierung zum neuen Staat der ersten Tschechoslowakischen Republik, zur eigenen Volksgruppe und dann zu den Deutschen im Reich zu untersuchen. Denn auch für sie

171

Memorandum S. 4.

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gilt, was Hermann Aubin172, der Historiker an der Universität Breslau, angesichts der Reichenberger Hochschulwoche 1935 geschrieben hat: Kulturarbeit bei den Sudetendeutschen stehe unter zwei einander entgegenlaufenden Bedingungen. Es gehe darum, das Bewusstsein der Gemeinschaft mit allen Deutschen, also mit den Deutschen im Reich zu stärken, auf der anderen Seite aber auch die Sudetendeutschen in ihrer Gruppenidentität zu stärken. Zwei Zielrichtungen, die einander durchaus entgegenlaufen könnten.173 Die deutsche Theologie außerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches hatte mit Kindermann einen wichtigen Förderer im RKA erhalten. Insofern leistete das RKA den katholischen Beitrag zur sogenannten Volkstumsarbeit in der Weimarer Republik.174 „Mit Volkstumsarbeit wurden seinerzeit Aktivitäten bezeichnet, die heute nur noch dem speziell Kundigen etwas von dem politischen und emotionellen Gehalt assoziieren lassen, der in der deutschen Öffentlichkeit der Zwischenkriegszeit mit diesem Begriff verbunden war. Das Thema Grenze und Auslandsdeutschtum erlangte nach 1918 fast einen Rang, den im Kaiserreich die Kolonial- oder die Flottenpolitik eingenommen hatte.“175

3.9.

Die Kooperation von Kindermann und Sladek

In der bisher umfangreichsten Biographie zu Pater Paulus Sladek von Rudolf Ohlbaum176 wird die Zusammenarbeit Sladeks mit Kindermann in Prag nur kurz gestreift, nicht näher charakterisiert. Ohlbaum spricht lediglich davon, dass Sladek die Bemühungen Kindermanns, nach dem Anschluss der sudetendeutschen Gebiete an das Deutsche Reich 1938 die deutschen Theologiestudenten, die bislang im für Tschechen 172

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Hermann Aubin (1885 – 1969) in Reichenberg, Nordböhmen geborener Historiker, der die Ostforschung in der Zwischenkriegszeit und im Nationalsozialismus entscheidend mitgeprägt hat. Aubin war von 1929 bis 1945 Professor an der Universität Breslau. Nach dem Krieg war er von 1946 bis 1954 Professor für mittelalterliche Geschichte an der Universität Hamburg. Vgl. Ferdinand SEIBT, Hermann Aubin. Eine Würdigung zu seinem 80. Geburtstag. In: Sudetendeutscher Kulturalmanach 6 [1965], S. 172-175. – Ferdinand SEIBT, Ostkunde und Ostforschung mit neuen Zielen, in: Horst GLASSL / Franz OLBERT (Hg.), Gräben und Brücken. Berichte und Beiträge zur Geschichte und Gegenwart Ostmitteleuropas. Festschrift für Ernst Nittner zum 65. Geburtstag. München 1980. – Hans-Erich VOLKMANN, Hermann Aubin, in: Ingo HAAR / Michael FAHLBUSCH (Hg), Handbuch der völkischen Wissenschaften. Personen – Institutionen – Forschungsprogramme – Stiftungen. München 2008, S. 58–62. Vgl. Eduard MÜHLE (Hg.), Briefe des Ostforschers Hermann Aubin aus den Jahren 1910 – 1968. Marburg 2008, S. 214-217 – Ota KONRÁD, Ex Germaniae lux? Die Zusammenarbeit zwischen der Nord- und Ostdeutschen Forschungsgemeinschaft und der Deutschen Universität Prag 1935 – 1938, in Bohemia 50 (2010), S. 273-300. Vgl. zu dieser Volkstumsarbeit Gerhard WEIDENFELLER, „Volkstumsarbeit“ in der Weimarer Republik, zur Struktur und Ideologie einer Bewegung, in: Essener Unikate 6/7 (1995), S. 143149. WEIDENFELLER, „Volkstumsarbeit“, S. 143. Pater Paulus Sladek – sein Weg und Wirken, in: OHLBAUM, Not ist Anruf Gottes, S. 445-534.

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Abschnitt III

und Deutsche gemeinsamen Priesterseminar in Prag Dejwitz studiert hatten, in einem überdiözesanen Deutschen Theologenkonvikt unterzubringen, unterstützt habe.177 Sladek hatte bis 1941, als er Pfarradministrator bei St. Thomas in Prag wurde, im Deutschen Theologenkonvikt gewohnt, wenn er wöchentlich für zwei Tage zu den Vorlesungen nach Prag kam. Die deutschen Theologen, die in Prag studiert hatten, wurden von ihrem bisherigen dortigen Regens, Monsignore Beran, dem späteren Prager Kardinal angehalten, sich an einer Reichsdeutschen Hochschule einzuschreiben, da es nach der Trennung des Priesterseminars unklar war, wann an der Prager Deutschen Theologischen Fakultät die Vorlesungen wieder beginnen würden. Für die Theologen bedeutete das eine höchst unsichere Situation, denn wer in ein österreichisches oder ein bayerisches Priesterseminar eintrat, hatte die Perspektive vor Augen, nach der Priesterweihe oder mit der Priesterweihe in die entsprechende Diözese inkardiniert zu werden, also dort Seelsorger zu werden und nicht für das Sudetenland zur Verfügung zu stehen. „Die Prager Theologen waren besonders verunsichert, weil sie doch weiterhin an der Deutschen Theologischen Fakultät Prag weiterstudieren wollten. Wobei damals viel von einer Verlegung der Deutschen Universität nach Reichenberg gesprochen wurde. Es ist begreiflich, dass in dieser Zeit der Ungewissheit über die Weiterführung des Theologiestudiums und angesichts verlockender Stellenangebote etwa die Hälfte der sudetendeutschen Theologen den Priesterberuf aufgab. In dieser Situation war es für Prof. Kindermann, wie er selbst sagt, auch ohne besonderen kirchlichen Auftrag „ein Gebot des Gewissens, die letzten Reste der deutschen Theologen aufzufangen“.“178 In diesem Rückblick auf Kindermann als den Rektor des Prager Theologenkonvikts brachte Sladek auch seine eigene Aufgaben in dieser Zeit in Prag mit ein und machte damit auch direkt und indirekt Aussagen über sein Verhältnis zu Kindermann zwischen 1938 und 1946. Am 29. Juni 1939 konnte der Prager Kardinal neben den tschechischen Diakonen auch zehn Diakonen aus dem Deutschen Theologenkonvikt die Priesterweihe im Prager Veitsdom spenden. Sladek bezeichnete die ersten zwei Jahre trotz aller Umbrüche und Übergänge als die Blütezeit des neuen Theologenkonviktes. Es war eine große Zahl von Theologen aus verschiedenen Diözesen und Ordensgemeinschaften im Kloster der Kreuzschwestern. Viele kamen aus der Jugendbewegung, aus dem Bund Staffelstein oder dem Quickborn und prägten den Geist des Hauses in ihrer Kameradschaftlichkeit sehr stark mit.179 „Sie hatten auch den Selbstbehauptungskampf ihrer Volksgruppe gegen einen Staat, der sich als Tschechoslowakischer Nationalstaat verstand und die nichttschechischen Volksgruppen höchstens als „Untermieter“ wertete, bewusst miterlebt. Nach

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Pater Paulus Sladek – sein Weg und Wirken, in: OHLBAUM, Not ist Anruf Gottes, S. 450. So Pater Paulus Sladek in seinem reflektierenden Rückblick auf Adolf Kindermann, in: SUDETENDEUTSCHES PRIESTERWERK, Weihbischof Dr. Adolf Kindermann, Leben, Werk und Wirken, S. 38-47, Zitat S. 38f. „Einmal war eine verhältnismäßig große Zahl der Theologen aus verschiedenen Diözesen und Ordensgemeinschaften da. Ein Teil von ihnen war im Staffelstein oder Quickborn gewesen. Sie nahmen jetzt Einfluss auf die Gemeinschaft im Geist der dort erlebten Kameradschaftlichkeit.“ SLADEK, Kindermann, S. 41.

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dem Anschluss ihrer Heimat an das Reich, wollten sie auch unter dem Nationalsozialismus beweisen, dass sich die Treue zum Glauben und zur Kirche sehr wohl mit der Treue zum eigenen Volk verbinden lasse. Angesichts der Kirchenfeindlichkeit des Nationalsozialismus, die sie sehr bald auch am eigenen Leibe durch eine diffamierende Behandlung seitens der Gaustudentenführung verspürten, bekannten sie sich bewusst und voller Begeisterung zu der Aufgabe, Christus im deutschen Volke zu verkündigen. In diesem Geiste schreckten sie auch dann als Soldaten nicht vor dem letzten Einsatz im Dienst für Heimat und Volk, wie sie es damals sahen, zurück. In dieser Gesinnung wussten sie sich mit Kindermann einig.“180 Sladek unterstrich in dieser Skizze des Rektors Kindermann, dass er Vertrauen schenkte und Vertrauen erntete. Die Priester berichteten, dass sie Kindermann als idealen Regens, als einen väterlichen, verständnisvollen Freund erlebt hatten, der sich für ein persönliches Gespräch mit den Theologen immer Zeit genommen habe. Er habe klare Forderungen gestellt und die jungen Theologen für Kirche und Priestertum begeistern können. Wichtiger aber als die Liebe zum eigenen Volk sei die Unbedingtheit bewussten religiösen Strebens gewesen. Das komme vor allem in den Soldatenbriefen Kindermanns an seine ehemaligen Studenten zum Ausdruck.181 Sladek unterstrich in seinem Rückblick, dass Kindermann seine Bemühungen, seine Schwierigkeiten und Sorgen nicht zuletzt auf der Suche nach der Möglichkeit, ein Haus in der Dworschakgasse kaufen zu können – was dann letztlich scheiterte –, mit seinen Mitbrüdern, dem Spiritual, dem Vizerektor und ihm, Pater Sladek, besprochen habe. Trotz der brüderlichen Atmosphäre des kleinen Kreises habe sich Kindermann „seiner Eigenart entsprechend“ in dieser Runde mit kritischen Äußerungen über heikle kirchliche oder politische Fragen zurückgehalten.182 Wenn er auch seine eigenen Erfahrungen mit der Gestapo machen musste, so führte er diese doch nicht auf eine Methode des Regimes zurück, sondern deutete sie als Willkürakte Einzelner. Sladek unterstreicht, dass Kindermann, nachdem Sladek, Pater Huber und Pater Maier 1941/42 das Konvikt verlassen mussten, immer mehr in eine Isolierung hineingeriet.

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SLADEK, Kindermann, S. 41. „Als Rektor des Theologenkonviktes schenkte Kindermann Vertrauen und erntete auch Vertrauen. Bis heute berichten die Priester, die damals im Prager Konvikt studiert hatten, dass sie Kindermann als idealen Regens, als einen väterlichen verständnisvollen Freund, der sich für ein persönliches Gespräch mit den Theologen immer Zeit nahm und als seeleneifrigen frommen Priester erlebt hatten, der, wenn notwendig, auch klare Forderungen stellte und die jungen Theologen für Kirche und Priestertum begeistern konnte. In seinem ganzen Reden und Tun verspürten sie seine starke Verbundenheit mit der Kirche und mit Rom, aber auch mit dem eigenen Volke.“ SLADEK, Kindermann, S. 42. Die ‚nationale Erneuerung’ stieß in diesen Jahren sicher nicht allein bei Sladek auf gewisse Sympathien. Das zeigt nicht zuletzt das Memorandum des Philosophielehrers an der Prager deutschen theologischen Fakultät Theodor Czermak von 1938. Im Hintergrund stand die Erregung in Fakultät und Kirche im Juni 1938, weil die Theologiestudenten am 3. Mai geschlossen die Aufnahme in Henleins Sudetendeutscher Partei beantragt hatten. Rom hatte daraufhin den Aufschub der Priesterweihe der sudetendeutschen Kandidaten verfügt. Vgl. CZERMAK, Über die deutsche nationale Bewegung, S. 95-105.

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Abschnitt III

3.10. Glaubensleben und pastorale Praxis während der Internierung 1945 Neben den Bedrängnissen durch die Gestapo und dann durch die Tschechen ab Anfang Mai 1945 kam auf Kindermann eine neue schwierige Aufgabe zu: Bis September 1945 wohnte er im Theresianum auf der Kleinseite Prags, einem Internierungslager für deutsche Priester und Schwestern. Nachdem er entlassen worden war und in seine Wohnung zurückkehren konnte, wurde er durch eine internierte Rot-Kreuz-Schwester mit dem Schicksal der Abertausenden von Deutschen, die im Prager Stadion unter freiem Himmel zusammengepfercht waren, konfrontiert. Kindermann stellte sich dieser Aufgabe, den Schwerkranken und Sterbenden, den von Krankheit, Hunger und Willkür Geplagten materiell und seelsorgerlich beizustehen. Die eigene Internierung führte Kindermann nach dem Ausweis seiner Notizen in seinem Tagebuch zu einer konzentrierten Glaubenshaltung, zum Versuch der ausgewogenen Sicht auch gegenüber den Peinigern. Er erwähnte z.B., dass sich auch tschechische Menschen für ihn und die Schwester Oberin eingesetzt hätten.183 Er versuchte seine Frömmigkeitspraxis als Orientierungsrahmen beizubehalten, vor allem die tägliche Heilige Messe zu lesen. Auch in der Lagerumgebung konnte die kirchliche Liturgie die entsprechende Feierlichkeit verbreiten. Sie schaffte ein heimeliges Beisammensein. Dass viele zur Kommunion gingen, vermerkte Kindermann mit Genugtuung und fügte gleich die Frage an, ob sie es daheim auch getan hätten, um daraus die Folgerung zu ziehen, dass der Herr die Menschen manchmal durch ein Dunkel führen müsse, damit sie erwachten und sich wieder nach dem wahren Licht sehnten. Schöner habe er die Weihnachtstage kaum gefeiert, als im Lager in Prag, notierte er am 28. Dezember 1945. Die Konzentration auf das Wesentliche begrüßte er; er zeigte Genugtuung, dass die Kirche in dieser Situation als einzige noch helfen könne und dass die Lagerinsassen auf dieses Angebot quasi angewiesen seien. In der Skizze seiner Lagerseelsorge spricht er viel vom liturgischen Leben und von der Sakramentenspendung. Wichtig war ihm, das Wort Gottes in der Muttersprache zu lesen und zu künden. Das mag sich weniger gegen die Praxis der lateinischen Liturgie, als vielmehr gegen das Verbot einer deutschsprachigen Gottesdienstfeier durch die Tschechen gerichtet haben.184 Im Mittelpunkt stand der Einsatz tradierter Mittel und die Erhaltung herkömmlicher Wertordnungen. Es waren wenig persönliche Gespräche, von denen er berichtete, vielmehr die sakramental institutionalisierte Form der Beichtgespräche. Diese so ganz anheimelnde, bisweilen auf die dingliche Ebene reichende Dimension der Religiosität zeigte sich auch bei einem Abschiedsgottesdienst im Lager: Kindermann gefiel es offensichtlich, dass die Menschen zu ihm kamen um ein kleines Andenken, um ein Heiligenbildchen, das sie wie eine Reliquie ehren und als Erinnerung mitnehmen wollten. „Ein Erinnerungszeichen wollten sie haben für die kom-

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Vgl. SUDETENDEUTSCHES PRIESTERWERK, Weihbischof Dr. Adolf Kindermann, Leben, Werk und Wirken, S. 59-72, hier S. 59. Vgl. ebd., S. 66.

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menden Wochen und Monate. Es waren große Exerzitien, eine Zeit, da man Erkenntnisse gewinnt, die sonst nie im Leben gekommen wären.“185 Im Internierungslager waren ihm das Gebet und die Auslegung der Schrift sehr wichtig. Er predigte zum Teil täglich: Die Sühne und die verzeihende Liebe waren zentrale Themen.186 Je einschneidender die Maßnahmen wurden, je weniger Verkehr zur Außenwelt blieb, um so inniger wurde die Konzentration auf das Gebet, die Stütze, die er in der Ergebenheit in Gottes Willen suchte – nach dem Motto: „Je größer das Leid, um so näher Gott“.187 So predigte er in der letzten Juniwoche 1945 und im Juli über die Hoffnung, über Gestalten des Glaubens, über den Willen Gottes, der die Richtschnur menschlichen Handelns sei, über Christus und den irdischen Besitz, am 22. Juli über den Widerstand der Juden und den Abfall des Abendlandes, über die Verhärtung des deutschen Volkes und schließlich über die Hilfe des sakramentalen Christus.188 Sein Fazit notierte er am 22. September 1945, als er wieder in seine Wohnung zurückkehren konnte. „Glückliche Tage, stille Einsamkeit, die hinter uns liegen! Ich habe sie lieb gewonnen. Man ist innerlich wieder auf das Wesentliche gestoßen worden. Quid prodest homini ...? Restlose Hingabe an den Willen Gottes – kompromisslos ohne zu handeln und zu feilschen. – Auch in aussichtsloser Lage und auch dann und gerade dann, wenn man einmal so ganz zertreten wird.“189 Das Herz-Jesu-Bild gab ihm Trost, Zuversicht und Mut. Das offene Herz Jesu, das ihn im Angesicht seines im Wesentlichen unversehrt gebliebenen Heimes und Besitzes zurief, dass nichts nötig sei, außer dass das Herz in Ordnung ist. Kindermann spürte die Einsamkeit nach dem Lagerleben mit den anderen Geistlichen und den Schwestern. Mit dem Schicksal des heiligen Johannes Nepomuk wusste er sich in den letzten Stunden in Prag verbunden, des Heiligen, der den Deutschen in Böhmen soviel Identität spendete und der in der Schicksalsgemeinschaft des Verfolgtseins, des Bedrängtwerdens und Standhaltens Mut und Orientierung geben konnte. Kindermanns Fazit über diese Epoche, sein geistlicher Ertrag dieser Zeit läuft hin auf das Kreuz, das in Zukunft mehr betrachtet werden müsse. Es gehöre viel stärker in das Leben hinein, als wir es wahrhaben wollen.190 In seinen Tagebucheinträgen über die Lagermonate in Prag zeigt sich sehr deutlich Kindermanns Genugtuung und Freude über den religiösen Aufbruch, den er bei vielen Lagerinsassen miterleben konnte. Er reflektierte freilich an keiner Stelle, dass es ein

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Ebd., S. 69. „Zur Vorbereitung auf das Herz-Jesu-Fest hielten wir ein Triduum. Ich predigte über den ersten Teil des Epheserbriefes, also das Christusgeheimnis, Jesus in der sühnenden Liebe, wir mit unserer Sühne; sodann über unsere apostolische Aufgabe als Christen und abschließend am 3. Sonntag nach Pfingsten über die verzeihende Liebe Jesu (Parabel vom verlorenen Sohne). ... Wie der Vater verzeiht, so verzeihen auch wir, das Christlichste der christlichen Liebe. ...“ (Ebd., S. 62) Vgl. dazu ebd., S. 63. Vgl. ebd., S. 63. Ebd., S. 64. Vgl. ebd., S. 64.

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erzwungener religiöser Aufbruch war, eine Situation, die ob ihrer Außergewöhnlichkeit auch andere als nur herkömmliche Mittel erforderte; ein Aufbruch, der vielleicht auch nur vorübergehend anhielt. Voll Erstaunen trug er am 24. Dezember 1945 ein, dass mehr Männer als Frauen zur Weihnachtsbeichte gekommen seien, also der Trend der religiösen Praxis der Kirche eigentlich umgekehrt sei. Unmittelbar darauf folgte das fest gefügte Bild vom jeweiligen Stand: „Es ist doch etwas Wundersames, wenn der Mann sich zum Herrn bekehrt! Etwas so Ehrliches und Kerniges!“191 Wie eng Kindermann im Rahmen der eigenen Konfession dachte, zeigt ein Eintrag von Ende Februar 1946: Ein 20-jähriger evangelischer Junge, an Tuberkulose erkrankt, kurz vor dem Sterben. Er liegt mit zwei Katholiken auf dem Zimmer, die bei Kindermann wiederholt kommuniziert haben, mit denen Kindermann nach der Kommunion gemeinsam gebetet hat. Das mag in dem jungen Mann das Verlangen geweckt haben, katholisch zu werden. Dieser Fall wurde zum Auslöser, die Leere der evangelischen Christen und die Fülle des Angebotes der katholischen Kirche zu unterstreichen.192 So ist signifikant, dass Kindermann beim Reflektieren des Lebens in den Lagern nicht die Einzelschicksale im Auge hatte, sondern das Bedauern zum Ausdruck brachte, dass sich die christlichen Ansichten von Familie auflösten; das Lagersystem zersetze die Familie.193 Wichtig wurde ihm, den Menschen nahezubringen, dass sie sich in Gottes Ordnung fügen, dass sie das Leid als einen Stachel zum Wachwerden begreifen und vor allem dass sie Hass und Rache begraben, dass sie einen Schlusspunkt unter das kontinuierliche Prinzip der Vergeltung setzen sollten.194 Die Gesinnung und Haltung Jesu Christi zu verkünden, sei die wichtigste Aufgabe im Lager. Nicht zuletzt in Kindermanns Weihnachtsschreiben aus den ersten Jahren in Königstein an Paula Schetka, seine Mitarbeiterin aus der Prager Zeit – dort hatte sie bereits in der Redaktion des Kirchenblattes gearbeitet – zeigt sich auch die Stimmung, in der sich Kindermann und sicher nicht er allein befand: Er war angekommen in Westdeutschland und schuf sich dort eine Eigenwelt. Die Resignation, die sich bei vielen Vertriebenen nach 1947 zunehmend breit machte und erst mit Beginn der fünfziger Jahre wieder einer besseren Stimmung wich, wird greifbar. Sie ist auch bei Kindermann 1948 deutlich herauszuhören. Die Frage muss offen bleiben, wie weit sie

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Lagermonate in Prag. Aus dem Tagebuch des Weihbischofs, in: Weihbischof Dr. Adolf Kindermann, Leben, Werk und Wirken, S. 65-72, hier S. 65. „Immer wieder wollte er einen Priester haben; vielleicht einen katholischen. Er erklärte der Schwester: „Schade, dass ich nicht katholisch bin.“ Der evangelische Pastor war an diesem Abend im Hause; er kam zu ihm, redete mit ihm. Der Junge aber wollte beten. So machte die Schwester den Pastor darauf aufmerksam; und so beteten sie dann gemeinsam das Vater unser. Was ist es doch Wunderbares um den katholischen Glauben, wenn es zum Sterben kommt, ist die Mutter Kirche da mit all ihrer Fülle. Gerade im Sterben spürt man die Leere der evangelischen Christen. Es ist alles so kalt. Christi Fülle ist in der katholischen Kirche ... Wo immer sie in ihrer Fülle und aus ihrer Fülle wirkt, zieht sie an, beglückt, getröstet.“ (Ebd., S. 67) Vgl. ebd., S. 67. Vgl. ebd., S. 69.

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nach 1950 zu einem Aufbruch in die neue Situation hinein geführt hat, bzw. wie weit sie Motor der Abschottung, der Gettoisierung war. Einen Eindruck, den man in Königstein nie ganz von der Hand weisen kann.195

3.11. Kindermann und die Vertriebenenseelsorge196 Im Amtlichen Statistischen Jahrbuch der katholischen Kirche Deutschlands hatte Kindermann 1951 den Beitrag über die Heimatvertriebenen unter dem religiös seelsorgerlichen Aspekt übernommen.197 Dort charakterisierte er die Situation der Vertriebenen und entsprechend die Aufgaben der Vertriebenenseelsorge so: Die religiöse Haltung der Heimatvertriebenen werde in erster Linie durch den Verlust der natürlichen Geborgenheit des Lebens und durch das Ringen um den notwendigen Lebensraum in der neuen Heimat geprägt; sie werde von den materiellen Grundbedürfnissen mitbestimmt, daher kam Kindermann zunächst auf die Nahrungsnot, die Wohnraumnot und die Arbeitsnot zu sprechen. Das Problem der vielen Menschen, die noch in Lagern lebten, und die entsprechenden moralischen Auswirkungen, die die Seelsorger hier sahen, werden ebenso breit verhandelt, wie der relativ hohe Prozentsatz der Arbeitslosen unter den Heimatvertriebenen. Es fällt auf, dass Kindermann sehr früh die weit reichenden Folgen der

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Vgl. dazu noch einmal den Weihnachtsbrief Kindermanns an Schetka vom 24.12.1948, KZG Bonn, Archiv Königstein, Bestand G, Geschäftsführung, S. 962. Da ist zwar der Appell zum Durchhalten zu spüren, aber man meint, es sei eher seelsorgerliche Pflicht, wenn er schreibt, nicht mutlos und verzagt zu sein, ein Mut, den er auch sich selber zuspricht, wenn er gleich im nächsten Satz formuliert: „Vielleicht haben wir alle schon am längsten Weihnachten gefeiert und ist unser ewiges Weihnachten nahe.“ Es ist also deutlich, die Resignation an der gegenwärtigen Situation zu spüren. Zu Kindermann vgl. auch den würdigenden Artikel von Michael HIRSCHFELD, Ein Anwalt der Vertriebenen. Der Gründer der Königsteiner Anstalten wurde vor 100 Jahren geboren. In Königsteiner Jahrbuch, 1999, S. 122-123. Adolf KINDERMANN, Die Heimatvertriebenen, religiös seelsorglich gesehen, in: Franz GROHNER (Hg.), Kirchliches Handbuch. Amtliches Statistisches Jahrbuch der katholischen Kirche Deutschlands. Köln 1951, S. 203-218. – Kindermann steigt ein mit einer Reflexion der Begriffe Flüchtlinge und Heimatvertriebene, zitiert aus dem Potsdamer Abkommen den entscheidenden Passus, diskutiert die ordnungsgemäße und humane Überführung der deutschen Bevölkerung im Osten und bringt eine Statistik der Ostvertriebenen. Ein zweiter Abschnitt des Artikels ist der religiösen Lage der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen gewidmet, vor allen Dingen den sechs Millionen Vertriebenen, die der katholischen Kirche angehören. Kindermann verweist hier vor allem auf die nordostdeutschen Katholiken aus den Bistümern Ermland, Danzig, Berlin, Kulm und der freien Prälatur Schneidemühl, die durch Krieg und die Nachkriegsereignisse die wohl am schwersten betroffene Gruppe gewesen sei. Gleichzeitig hält er fest, dass eine spätere Geschichtsschreibung „diese für die Kirche glorreiche und durch viel Martyrerblut gesegnete Zeit einmal eingehender würdigen müsse(n)“. (Ebd., S. 207) Kindermann kommt in den folgenden Absätzen vor allem auf die zahlenmäßigen Verluste der einzelnen Volksgruppen zu sprechen und geht dann noch kurz auf die Situation des Vertriebenenklerus ein. Bezeichnend für ihn ist, dass er hier die Tragik der Austreibung so recht offenbar werden sieht.

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Abschnitt III

Entwurzelung der Vertriebenen sah und sie als viel schlimmer bezeichnete, als man allgemein annehme. Durch die Entwurzelung verliere der Heimatvertriebene den natürlichen Halt.198 Diese Gefährdung werde durch die Erfahrung in der Aufnahme verschärft. Die Vertriebenen seien nicht in ein aufnahmefähiges, menschenarmes, fruchtbares, nicht zerstörtes Land gekommen, so dass nach den Wochen der Ausweisung eine zweite, nicht weniger schwere Phase einsetzte, nämlich im Aufnahmebereich eine neue Lebensexistenz zu erringen.199 Die vielfachen Nöte, mit denen die Heimatvertriebenen konfrontiert waren, ließen sie nur schwer eine neue Heimat finden. Die Folgen der Entwurzelung durch die Vertreibung seien viel schlimmer als man allgemein annehme. Der Heimatvertriebene habe den natürlichen Halt verloren und sei damit in seiner Glaubenstreue verletzbar, anfälliger geworden. Kindermann war der Überzeugung, dass die Entwurzelung leichter überwunden worden wäre, wenn die Vertriebenen in ein „aufnahmefähiges“, nicht bereits überbevölkertes Land gekommen wären, das zudem durch den Krieg stark zerstört worden war.200 Die fehlende natürliche Basis, wie Kindermann die Heimat bezeichnete, sei nicht ohne Einfluss auf die religiöse Haltung des Flüchtlings, setze doch die Gnade die Natur voraus. Wenn die natürlichen Gegebenheiten zusammenbrechen, stürze nicht selten auch das religiöse Leben zusammen. Bei vielen Heimatvertriebenen schätzte er diese Gefahr als sehr groß ein. Das religiöse Leben, das für einfache Verhältnisse gerade noch ausreiche, sei der außerordentlichen Belastung dieser Vertreibungssituation nicht gewachsen. Daher bestehe große Gefahr, dass viele an Gott, der Kirche, an den Priestern und am Menschen irre würden.201202 Problematisch war die Aufnahme sowohl im katholischen Land wie auch in der Diaspora.203 Die Stabilisierung der konfessionellen Identität in der Diaspora war Kin198 199

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KINDERMANN, Die Heimatvertriebenen, S. 210. KINDERMANN, Die Heimatvertriebenen, S. 210: „Der Anfang war umso schwerer, als die Austreibung, Ausgeraubte, wie eine Handvoll Sand verstreute, vor allem aber seelisch kranke Menschen in völlig fremde und unbekannte Verhältnisse brachte. Anstelle dessen, was man ihnen in der alten Heimat geraubt hatte, stellte sich nun die mannigfachste Not bei ihnen ein: Die Enge des Lebensraumes, die Wohnraumnot, Ernährungsschwierigkeiten, die Existenznot, die Not des Arbeitsplatzes, die Umstellung in der Arbeit, die Not des Ausweichberufes. Dazu kam oft noch die seelische Not des Getrenntseins und der Vereinsamung. Alle diese Sorgen und noch andere mehr umgaben wie eine Gespensterschar den Heimatvertriebenen, als er mit seiner kargen Habe endlich in sein Ziel eingewiesen wurde.“ Neben der Nahrungs- und der Arbeitsnot sei vor allem die Wohnungsnot ein zentrales Problem des sozialen Lebens geworden. Die Enge des Raumes wirke sich im verbliebenen Westdeutschland am furchtbarsten aus, denn sie erdrücke den Menschen und das Gute in ihm, löse letzte Bindungen auf und lasse jede Hemmung schwinden. „Die Bewohner dieser Lager sind vielfach mit Gott und auch mit den Menschen zerfallen. Sie sind bereits in eine letzte Verlorenheit versunken. Sie bauen sich ihr Leben nach ihren eigenen Regeln auf.“ Ebd., S. 211. Vgl. ebd., S. 212. Ebd., S. 67f. „Das Kernproblem des Flüchtlings in dem katholischen Land ist die Begegnung. Es ist nicht böser Wille, wenn sie nur schwer gelingt. Die abwartende, zurückhaltende, ja nicht selten ableh-

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dermann verständlicherweise ein zentrales Anliegen. Dafür fehlten 2.000 Kirchen; über 250 Seelsorgestellen in der Diaspora waren wegen Priestermangels nicht besetzt. Kindermann veranschaulichte das folgendermaßen: Es handle sich dabei um ein Gebiet mit rund 6.000 Städten und Dörfern, also ein Land etwa von der Größe Bayerns. Die Eingliederung der Vertriebenen verlaufe weder in den rein katholischen Gebieten noch in der Diaspora reibungs- und problemlos.204 Der Heimatvertriebene in der Diaspora aber habe es noch schwerer als der Flüchtling im katholischen Land, denn dort fehle das katholische Milieu. Dort fehlten Kirche und Priester, dort fehlte die katholische Luft. Da der Großteil der Flüchtlinge nicht diasporareif sei, da sie kaum Berührung mit Andersgläubigen hatten, seien sie besonders gefährdet; gerade die Sudetendeutschen seien davon betroffen205. Die Kirche habe in den ersten Jahren der Austreibung allein die ganze Problematik des Flüchtlings getragen. Flüchtlingstage und Wallfahrten hätten sich zu einem tiefen religiösen Erlebnis gestaltet, seien ein Versuch gewesen, das harte Schicksal aus dem Glauben heraus zu deuten und zu tragen, ein Stück neue Heimat zu geben.206 Kindermann idealisierte diese Phase: „Eine wunderschöne Parallele zu der stürmischen Zeit des Frühmittelalters, da oft auch die Bischöfe ex jure devolutivo alle Sorgen, auch die irdischen, in die Hände nahmen. In letzter Zeit allerdings versuchen die Heimatvertriebenen wieder mehr selbständig zu werden.“207 Zeichen für dieses Selbständigwerden waren für Kindermann der Zusammenschluss der Vertriebenen in Landesverbänden und in Landsmannschaften, was zwar eine natürliche Entwicklung sei, vom religiösen Aspekt her aber nicht ohne Besorgnis gesehen werden könne. Kindermann wähnte offensichtlich die Exklusivität der Bindung an die Kirche dadurch gefährdet.

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nende Haltung des Einheimischen wirkt auf den überempfindlichen, nach Enttäuschungen mit übertriebenen Hoffnungen und Erwartungen kommenden Flüchtling nicht bindend, sondern vielmehr trennend. Hier kann nur wirkliches Christentum auf beiden Seiten die Kluft überbrücken. Ein weites Feld nachgehender Seelsorge tut sich da für den Geistlichen auf. Einer noch größeren Belastung ist der Heimatvertriebene in der Diaspora ausgesetzt. Hier fehlt das katholische Milieu, sozusagen die katholische Luft. Hier fehlen Kirche und Priester. Der Großteil der Flüchtlinge ist nicht diasporareif.“ (S. 213) Erschwerend komme für die Heimatvertriebenen dazu, dass sie oftmals in eine unreligiöse Umgebung gekommen seien. Aber auch in katholischen Gegenden verlaufe die Eingliederung nicht konfliktfrei. Interessant ist, wie Kindermann das katholische Milieu charakterisierte, an welchen Charakteristika er es fest machte: Diejenigen, die um den Kirchturm lebten, denen die Kirche im Ort selbstverständlich war, wo der Seelsorger da war, wenn man ihn brauchte, reflektierten nicht weiter über den Glauben. Sie waren selbstverständlich in das Kirchenjahr eingebettet, lebten die religiösen Bräuche, so wie man sie von den Eltern übernommen hatte, waren Glied einer großen Pfarrfamilie, Werte, die für selbstverständlich gehalten wurden. In der Diaspora aber, wo es beschwerlicher sei, das Christentum zu leben, gewöhne man sich langsam an den Sonntag ohne heilige Messe. Für Kindermann war dies offensichtlich der Indikator für praktiziertes Christentum. Seine Argumentation bewegt sich ganz in überkommenen amtskirchlichen Schemata. Vgl. ebd., S. 217. Ebd.

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Abschnitt III

Neben dem Appell, die religiöse Identität zu wahren208, ja die Identität durch die Religiosität zu wahren, mahnte er die Landsleute, auch den leidenden Brüdern in der sowjetisch besetzten Zone und den in der Heimat verbliebenen Deutschen zu helfen. Und er hielt deutlich fest, dass sie sich auch mit den tschechischen und slowakischen Brüdern verbunden fühlen sollten. Die Deutschen hatten die Heimat verloren, die Tschechen und Slowaken die Freiheit. Kindermann mochte nicht entscheiden, welcher Verlust schwerer wog. Die Priesternot der Heimatvertriebenen in der Diaspora trieb Kindermann auch auf der theoretischen, reflektierenden Ebene um; es war das grundlegende Problem, das den Königsteiner Anstalten den Sinn gab. Sie sollten Priester heranbilden, die einmal dorthin gehen, wo die Not am größten ist, wie Kindermann in dem Beitrag für das „Kirchliche Handbuch“ einmal mehr formulierte.209

3.12. ‚Passiver Widerstand’ – das Rückrufsrecht des Heimatbischofs Zu einer ähnlichen Einschätzung war Kindermann bereits auf der Konferenz der heimatlosen Priester vom 5. bis 7. August 1947 in Eichstätt gekommen; dort referierte er über die kirchenrechtliche Lage des heimatvertriebenen Priesters. Er unterstrich das schreiende Unrecht, das dem deutschen Volk angetan worden sei durch die Vertreibung, wandte sich gegen die Kollektivschuldthese und hob hervor, dass die Vertriebenen nur der Gewalt gewichen seien, daher riet er zum passiven Widerstand, den er realisiert sah ein einem engen Bezug zur Heimat.210

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In einem Grußwort an die Mitglieder der Ackermann-Gemeinde kam Kindermann auf seinen Lieblingsgedankengang zu sprechen: die Bewährung aus dem Glauben, der bei den Sudetendeutschen in der Vergangenheit vielen Belastungen ausgesetzt gewesen sei. Die Vertreibung habe vieles zusammenbrechen lassen, etwa die blühende Wirtschaft, den materiellen Wohlstand und den Humanismus. Es hätte sich gezeigt, dass diese nicht imstande seien, letzte Belastungsproben auszuhalten. Das könne nur der lebendige Glaube bewirken. Deswegen appellierte er an seine Landsleute, sie sollten nicht mit liberalen Tendenzen taktieren, wie es da und dort bereits wieder spürbar werde. Die Stelle im 2. Korintherbrief 9, 2, ein Lob des Paulus für die Gemeinde in Korinth, dass ihr Eifer für viele ein Ansporn gewesen sei, veranlasste Kindermann zu einer Reflexion über die Situation der ersten Christen in ihrer Gemeinschaft und in der Diasporasituation. Sie waren apostolisch tätig, sie fühlten sich verantwortlich für ihre Brüder und Schwestern. Diese Haltung, diese Sorge um die Gemeinde sollten auch die Sudetendeutschen an den Tag legen; Kindermann setzte die frühchristliche Gemeinde mit der Volksgruppe der Sudetendeutschen gleich, er nationalisierte gewissermaßen diese frühchristliche Gemeinschaft. „Auch in der neuen Bleibe haben wir ähnliche Aufgaben zu erfüllen. Die Glaubwürdigkeit der Anliegen unserer Volksgruppe muss erwiesen werden. Auf der unverrückbaren Basis christlicher Grundsätze haben wir unser Heimatproblem und alle anderen Fragen, die damit zusammenhängen, zu behandeln, zu durchdenken, zu diskutieren und einer möglichen Lösung zuzuführen. KINDERMANN, Die Heimatvertriebenen, S. 215. BENDEL, Quellen zur Vertriebenenseelsorge – Teil I, Manuskript S. 24-31, dort heißt es auf S. 25: „Darum nicht mit der alten Heimat brechen. Es ist manchmal für den Augenblick bequemer, so zu tun, aber ist es nicht gleichsam ein stiller Protest unsererseits, wenn wir von uns aus nichts

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Kindermann sah es als seine Aufgabe, für den Schwebezustand die Rechtsnormen zu skizzieren. Eine schwierige Lage, weil der Kodex Normalfälle, Normalverhältnisse regelt. Eine Grundentscheidung, ein Grundsatz dieses passiven Widerstandes war: der heimatvertriebene Priester bleibt seiner Heimatdiözese weiterhin inkardiniert. Das war in den Augen Kindermanns rechtlich ganz klar. Daran sollten die Priester nach seiner Einschätzung auch nicht rütteln. Sie sollten Friedensverträge abwarten und dann würden sicherlich auch neue Weisungen aus Rom kommen. D.h. die Priester konnten auch keine neuen Benefizien übernehmen, weil sie rechtlich im Besitz der alten bzw. ihrer Herkunftspfarreien blieben. Das hatte für die pensionsberechtigten Kleriker die Konsequenz, dass sie keine Pensionen bekamen, sondern nur Alterszuschüsse. Auch über die persönliche Lebensführung der vertriebenen Priester sollte der Heimatbischof ein wenn auch entferntes Aufsichtsrecht behalten. Schließlich behielt der Heimatbischof als bedeutendes und klarstes Recht das Rückrufrecht für seine Priester. D.h. der Heimatbischof konnte seine Priester, auch die vertriebenen, jederzeit zurückrufen, wenn diesen die Heimkehr zuzumuten war. In Konsequenz der Grundthese vom passiven Widerstand gegen das Faktum der Heimatvertreibung sprach Kindermann auch dort, wo das Gesetz keine Regelungen vorsah, wie etwa dass Bischof und Klerus vertrieben waren, dem Heimatbischof das Aufsichtsrecht und das Rückrufsrecht zu. Sollten sich Heimatbischof und Aufnahmebischof bzgl. eines Rückrufs nicht einig sein, dann sprach er dem Heimatbischof das stärkere Recht zu.211 Zumindest indirekt appellierte Kindermann dafür, auch die Rechte des vertriebenen Bischofs, also eines zusätzlich geschaffenen Amtes zu akzeptieren. Er sah vor allem die Rechte derjenigen Heimatordinarien, die nicht oder nur schwer zu erreichen waren, also der Bischöfe aus dem Südosten bzw. der Tschechoslowakei oder des Bistums Kattowitz auf den Sonderbeauftragten übergegangen. Dessen drängendste Aufgabe werde es künftig sein, die Priester gemäß den Anforderungen der Situation zu verteilen. Viele der vertriebenen Priester im besten Alter seien auf Kaplanstellen in Seelsorgebezirken eingesetzt, wo sie kaum mit Vertriebenen zu tun hatten. „Wir können es vor Gott und vor unseren Landsleuten, die eine Prüfung sondergleichen zu bestehen haben, niemals verantworten, wenn wir sie noch länger der Arbeit unter den Vertriebenen entzogen sehen. Hier gilt der Grundsatz ohne jede Einschränkung: der Vertriebenenpriester zunächst und vor allem für die vertriebenen Glaubensbrüder und Glaubensschwestern. Wenn wir heute manche Dinge mit besonderer Schärfe und Deutlichkeit sagen müssen, so soll das nur aus der ernsten Verantwortung heraus sein,

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unternehmen, sondern uns einfach drängen lassen. Viele rechtliche Bande mit der alten Heimat bestehen weiter. Sollen wir sie lösen? Wir würden unseren Landsleuten dadurch weiteren Mut nehmen, darum nicht resignieren. Auch die alten Amtstitel bleiben uns und es wäre ein Unrecht, sie uns zu nehmen. Dieser Zustand wird so lange dauern, bis unsere Verhältnisse geregelt werden. D.h. man wird mit dem passiven Widerstand aufhören müssen, wenn es hoffnungslos ist, zum alten Recht zu kommen. Es müsste also erst einmal Friede werden. Bis dorthin sind wir in einem Schwebezustand…“ Manuskript S. 24 bis 31, S. 26.

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Abschnitt III

die wir Priester und vor allem die bischöflichen Oberhirten für das Seelenheil der Ärmsten unter den Armen – und das sind doch die, die Haus und Heimat einbüßten – haben. Hier ist wirklich kein anderes Gesetz und kein anderer Grund, der uns so eindringlich werden lässt, als jener, für den wir uns ja selbst auch mit dem Einsatz unseres Lebens zu opfern haben: nämlich ‚salus animarum – suprema lex‘. Ungezählte Kinder in der Diaspora haben seit Jahren keinen rechten Religionsunterricht mehr, Tausende sterben, ohne den Empfang der Heiligen Sakramente. Nicht vielleicht, weil die Gläubigen nicht wollen, nein, weil kein Priester da ist.“212 Eine weitere Konsequenz, die sich aus dem Appell ergab, den Rechtsstatus zu wahren, zog Kindermann gegen Ende seiner Ausführungen, wenn er auf das Rechtsverhältnis des heimatvertriebenen Priesters zu den ehemaligen Pfarrkindern zu sprechen kam und dieses unterstrich: es bestehe zu Recht, solange der Pfarrer auf seine alte Pfarrei nicht resigniert habe. Daher sei es auch wünschenswert, dass der Pfarrer mit seinen ehemaligen Pfarrkindern Verbindung unterhalte. Im wilden Durcheinander der Dinge werde der alte Heimatpfarrer mit seinen Worten und Gebeten ein starker Halt und großer Trost sein können.213 „Unsere derzeitige kirchenrechtliche Lage ist die eines Schwebezustandes, den wir augenblicklich nicht ändern können. Wir können auch seine Härten nicht bannen. Diese Härten liegen vor allem darin, dass wir keine definitiven Stellen einnehmen dürfen. Es müssten aber diese Härten soweit als möglich auf andere Art gemildert werden, z.B. durch großzügiges Entgegenkommen von Seiten der einheimischen Geistlichen, durch ganz feine psychologische Behandlung, durch die Möglichkeit selbständiger Arbeit, was allerdings in der Diaspora am leichtesten der Fall ist, durch Ausgleichung an den Gehalt des einheimischen Priesters …“214

3.13. Sorge um den Priesternachwuchs Kindermann als eigens für die sudetendeutschen Heimatvertriebenen bestellter Seelsorger, als Integrationsfigur für die Katholiken dieser Volksgruppe, richtete seine Sorge in erster Linie, ja fast ausschließlich auf die Sorge um die Seelsorger, um den Priesternachwuchs aus der eigenen Volksgruppe. Bezeichnend für Kindermanns kontinuierliches Anliegen ist sein Weihnachtsbrief im Mitteilungsblatt der Ackermann-Gemeinde 1967. Kindermann war zu dieser Zeit seit einem guten Jahr Weihbischof mit dem besonderen Auftrag des Papstes, für die Heimatvertriebenen aus der Tschechoslowakei Sorge zu tragen. Darauf rekurrierte Kindermann gleich zu Beginn seines Schreibens. Die Ausführungen für seine Landsleute kreisten zunächst in einem kurzen Abschnitt ganz allgemein um die Kraft aus dem Glauben, die nötig sei, um das Schicksal der Vertreibung ertragen zu können.

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Manuskript S. 24 bis 31, S. 29. Manuskript S. 24 bis 31, S. 31. Manuskript S. 24 bis 31, S. 31.

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Gerade die Krippe des Erlösers habe in den schwersten Jahren Kraft und Trost gegeben. Wenngleich es viele Anliegen gäbe, die die Vertriebenen betreffen, widmet er sich zentral der Sorge um den sudetendeutschen Priesternachwuchs, das Thema, das er auch sonst fast exklusiv vertritt. Einbrüche in der Entwicklung der Priesterzahlen hätten der Anschluss des Sudetengebietes an das nationalsozialistische Deutsche Reich und die Vertreibung gebracht.215 Diese gelte es wieder aufzuholen. Kindermann machte deutlich, dass die Priesterfrage eine Frage auf Leben und Tod sei, und zwar nicht allein für die Kirche, sondern ebenso für die sudetendeutsche Volksgruppe. Wenn die Sudetendeutschen ihre Volksgruppe erhalten wollten, dann sei eine ausreichende Versorgung mit Priestern unerlässlich, vor allem wenn sie einmal heimkehren dürften. Ohne Priester stürben die Sudetendeutschen in ihrer Eigenart innerlich.216 Jeder Priester sei eine geistige Frucht der Volksgruppe, ein Zeichen religiösen Lebens. Der Baum aber, der keine Früchte mehr bringt, d.h. die Volksgruppe, die keine Priester mehr hervorbringt, der sollte umgehauen und ins Feuer geworfen werden. An dieser Stelle kommt deutlich Kindermanns Klerozentrismus zum Durchbruch. Er meint, dass gerade die Heimatvertriebenen in ihrer Dankbarkeit dafür, dass sie die dunklen Stunden überstanden, im Glauben an Gott und im Vertrauen auf die weise Führung Gottes bestärkt sein müssten. Der Ausdruck dieses Vertrauens müsste eine ansteigende Priesterzahl sein. „Der Glaube, den uns der Heimatpriester immer wieder stärkte, hat uns damals über Wasser gehalten. So sollten wir dankbar sein, jetzt, da wir das Leben sozusagen noch einmal anfangen und wenn du schon wieder ein wenig Boden unter den Füßen hast, so hilf mit, auf dass es Priester und genügend Priester gebe in unserer Volksgruppe.“217

3.14. Bau von katholischen Gotteshäusern Eine weitere wichtige Sorge bedeutete ihm der Bau von katholischen Gotteshäusern in der Diaspora. Es müsse mit einer angemessenen Ausstattung dieser Gotteshäuser, mit dem Aufbau von katholischen Anstalten und Schwesternhäusern wieder eine katholische Luft geschaffen werden, damit die Menschen in der Diaspora die besondere Bewährungsprobe bestehen könnten. Gerade dort nämlich komme es zu einer Scheidung der Geister, gerade dort würden die Katholiken zur Entscheidung gedrängt. „Die Guten unter unseren Landsleuten sind noch besser geworden. Unter den aktiven Laien der Diaspora finden sich nicht wenige Sudetendeutsche. Sie sind von Natur aus wendig, bescheiden, zäh, opferbereit. Wenn sie recht angegangen werden, können sie Säulen der Gemeinden werden.“218 215 216 217 218

Adolf KINDERMANN, Kirche in Not, hg. vom Sudetendeutschen Priesterwerk, Königstein/Ts. 1951. Vgl. dazu S. 34. Ebd., S. 37. Ebd., S. 41.

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Abschnitt III

Kindermann präsentierte eine detaillierte Zahlenreihe, wie viele Neupriester die sudetendeutschen Vertriebenen haben müssten, damit eine angemessene Verteilung der Seelsorger gegeben wäre und auch in Zukunft garantiert werden könnte.219 Die Seelsorge ist eindeutig klerikerzentriert. Wenn eine genügend große Anzahl an Seelsorgern vorhanden sei, könne auch sonst nichts im Argen liegen. „Auch der Missionsgedanke hat Auftrieb erhalten. Wir haben derzeit in allen Erdteilen Sudetendeutsche in der Missions- und Seelsorgearbeit, manche sogar in führender Stellung. Auch in Europa sind sudetendeutsche Priester fast in allen Ländern tätig. Ein erhebendes Bild apostolischen Einsatzes.“ Nach dem stolzen Verweis auf die Statistik, nach den tröstlichen Nachrichten formulierte er düstere Zukunftsaussichten und bat seine Landsleute mitzuhelfen, dass genügend Priesternachwuchs vorhanden sei. Eigens wies er auf das sudetendeutsche Priesterwerk hin, das finanziell und ideell jungen Männern aus der Volksgruppe in jeder Weise beistehen wolle, damit kein Priesterberuf verloren gehe. Gerade das Priesterseminar in Königstein sei sich der Verantwortung für die alte Heimat und zudem für die verfolgte Kirche im Osten bewusst. Kindermann erwähnte lobend die Opferkraft der Heimatvertriebenen, mit deren Hilfe ein Gymnasium für den Nachwuchs gebaut wurde. „Der religiöse Geist einer Volksgruppe äußert sich auch in der Zahl ihrer Priester- und Schwesternberufe. Darf ich euch bitten, dieses unser gemeinsames Anliegen dem göttlichen Kinde in der Krippe zu empfehlen.“ In seinem Grußwort an die Jahrestagung der Ackermann-Gemeinde 1963220 verwies Kindermann einmal mehr auf die Priesterzahl und auf das Bemühen der sudetendeutschen Mitbrüder, die priesterliche Verantwortung wachzuhalten, die sie für die alte Heimat haben. Im Umfeld des Konzils und vor den organisierten katholischen Laien der Sudetendeutschen kommt ein Hinweis, dass die Kirche nicht nur aus Bischöfen und Priestern bestehe, da sie ja das Volk Gottes sei; doch bleibt er marginal. „Und so sind wir dankbar und froh, wenn die große Verantwortung für das Reich Gottes unter uns Sudetendeutschen auch von aufrechten Männern und Frauen mitgetragen wird. Wenn unsere Sorgen euere Sorgen werden, unsere Bemühungen die eueren und wenn wir miteinander wetteifern im heiligen Ringen um die Seelen unserer Landsleute.“221

3.15. Die Aufgaben der Seelsorger Die Weihnachts- und Osterbriefe an seine geistlichen Mitbrüder, die Kindermann als Sprecher für die sudetendeutschen Priester und Beauftragter der Fuldaer Bischofskonferenzen für den sudetendeutschen Priesternachwuchs und die sudetendeutschen kirchlichen Fragen formulierte – er hatte 1960 dieses Amt übernommen – bildeten

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Königsteiner Spiegel, S. 2. Sudetendeutsches Priesterwerk Königstein/Ts., November 1963, Heft 3 und 4, S. 65-69. Ebd., S. 66.

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neben den Treffen der Vertriebenenseelsorger, auf denen Kindermann häufig referierte oder die er zumindest durch seine Teilnahme würdigte, die hauptsächliche Plattform der Kommunikation, Ermahnung und Ermunterung der Seelsorger. Den ersten Rundbrief verschickte er Ostern 1961. Erbaulich war sein Einstieg mit dem Hinweis auf die Ostergnade und die Osterfreude, darauf, dass die Seelsorger der Heimatvertriebenen immer wieder die österliche Erneuerung im Herrn bräuchten, die Befreiung aus ihrer Verzagtheit, denn die Not der Vertriebenen sei vielgestaltig. Er fächerte sie dreifach auf: Sie sind ausgestoßen aus der jahrhundertealten Heimat, zerstreut in alle Welt und den Strömungen der Zeit ausgeliefert. „Wenn ich die Hauptsorgen für die nächste Zukunft in wenige Worte zusammenfasse, dann sind es folgende: Kontakt mit allen sudetendeutschen Mitbrüdern; vermehrte Sorge für unseren Priesternachwuchs, der sich missionarisch verpflichtet fühlt; mit vereinten Kräften, mit Gebet und Einsatz ‚unseren Herrn Jesus Christus‘ lebendig zu erhalten in den Herzen unserer Landsleute; verpflichtende Sorge für die Kirche in unserer alten Heimat.“222 Kindermann wollte vor allem mit seinen Mitbrüdern persönlichen Kontakt halten. Die Gläubigen kamen in seinen Seelsorgsschreiben in erster Linie als Opfernde für den Priesternachwuchs in den Blick. Kindermann verwies schmerzlich auf die Mitbrüder in der alten Heimat, mit denen er keinen Kontakt aufnehmen könne, obwohl deren Lage schlimm sei. In der Bundesrepublik hingegen sei es ihm gelungen, seine Mitbrüder innerhalb eines Jahres in fast allen Diözesen zu Tagungen zusammenzurufen. Er unterstrich, dass die meisten der Mitbrüder sich noch als der sudetendeutschen Priestergruppe zugehörig fühlten und mit innerer Anteilnahme dabei seien.223 Kindermann war der Überzeugung, dass die vorbereiteten Priesterkataloge die Zusammengehörigkeit der sudetendeutschen Priestergruppe neu bestärken würden. Im zweiten Aufgabenbereich, der Sorge für den Priesternachwuchs, verwies er auf die steigende Zahl der Theologen. Wichtig war ihm die alljährliche Theologentagung in St. Johann in Degerndorf am Inn. Die Religionslehrer, besonders in der gymnasialen Oberstufe, sollten die Schüler, für die ein Theologiestudium in Frage käme, direkt ansprechen. „Das Werk Königstein, das gerade wir Sudetendeutsche so sehr gefördert haben, sollten wir auch in erster Linie füllen.“224

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Kindermann an die heimatvertriebenen sudetendeutschen Priester am 25. März 1961, Institut für Kirchengeschichte Böhmen, Mähren und Schlesien in Königstein, Dossier Kindermann. „Gottlob! Das gilt auch von unseren jungen Priestern. Abseits Stehende gilt es zu gewinnen. Wichtig ist unsere alljährliche Sommertagung in Königstein.“ Auch die Möglichkeit für Geistliche in St. Johann in Degerndorf am Inn, Erholung zu finden oder Exerzitien dort zu machen, sieht er als eine wichtige Aufgabe an, ebenso die vorbereiteten Kataloge, die Priesterverzeichnisse. – Vgl. ebd., Weihnachten 1962, als Fazit seines ersten Amtsjahres. „Auch unser Königsteiner Gymnasium sei nicht vergessen. Jungen zwischen 10 und 14 Jahren können hier ihre Studien beginnen. Wir müssten doch die Elite der alten Heimat finden, die ihren Kindern eine gediegene Internatserziehung schenken möchte. Macht auf Königstein in eueren Pfarrbriefen und überhaupt im Verkehr mit den alten Pfarrangehörigen aufmerksam. Schaut auf euere Ministranten, ob man nicht manchen nach Königstein schicken könnte. (Ebd.)

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Abschnitt III

Unter den sudetendeutschen kirchlichen Belangen, dem dritten Aufgabensektor, rangierte für Kindermann an erster Stelle die bevorstehende Seligsprechung des Bischofs Neumann. Er verweist auf die Liste der 100.000 Unterschriften, die er nach Rom gebracht habe, um für die Seligsprechung zu votieren. Diese Unterschriftensammlung habe gezeigt, wie viel religiöse Kräfte in der Volksgruppe noch da seien und wie sie sichtbar werden könnten, wenn sie sich mit einem Gedanken an die Heimat verbinden. Er weist hin auf die Seligsprechung am 23. Juni 1963 und auf die damit zusammenhängende Pilgerfahrt, die ein säkularer Höhepunkt des sudetendeutschen Katholizismus werden könne. Wiederholt bemühte Kindermann in seinen Aufrufen im sudetendeutschen Priesterwerk Königstein/Taunus die Integrationsfigur des dann seliggesprochenen Bischofs von Philadelphia, Johann Nepomuk Neumann.225 Neumann wurde zur zentralen Identifikations- und Integrationsfigur als einer, der aus seiner Böhmerwaldheimat ausgewandert war und in der Fremde Großes aufgebaut hatte, als einer, der es als eine besondere Aufgabe der katholischen Kirche in den Vereinigten Staaten sah, katholische Schulen zu gründen, um die Kinder im entsprechenden Sinn erziehen zu können. Gerade dieses Schulapostolat, damit verbunden das Bemühen, in Königstein das dortige Gymnasium auszubauen, wofür natürlich zahlreiche Spenden der Heimatvertriebenen benötigt wurden, imponierte Kindermann. „Der selige Johann Nepomuk Neumann hat als Missionar bald erkannt, dass er den Einwanderern, die gleich uns die Heimat verloren hatten und neu anfangen mussten, nichts Kostbareres geben kann als eine gute Erziehung und Ausbildung ihrer Kinder. In seinem Geiste wollen wir die neue Schule und das Schülerkonvikt weiterführen. Unser besonderes Augenmerk gilt nach wie vor den Jungen, die Priester werden wollen. Was ihr also für die Schule gebt, das gebt ihr für die Jugend, das gebt ihr auch für den Priesternachwuchs.“226 Die Gottesdienste an sudetendeutschen Wallfahrts- und an den Heimattagen wurden Kindermann ein wichtiges Medium der Betreuung der Gläubigen. Die Vertriebenenseelsorger sollten nicht müde werden, die erfolgreich eingeführten Wallfahrten fortzuführen, seien sie doch wichtige Äußerungen kirchlichen Eigenlebens. Schließlich warb er um Unterstützung für die Ackermann-Gemeinde und die ‚Junge Aktion‘, nähmen doch beide maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung der sudetendeutschen Volksgruppe und des deutschen Volkes insgesamt.

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Vgl. beispielsweise sudetendeutsches Priesterwerk Königstein/Ts., November 1963, Heft 3 und 4, S. 64. Sudetendeutsches Priesterwerk Königstein/Ts., November 1963, Heft 3 und 4, S. 64.

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3.16. Aufklärung und Dechristianisierung im sudetendeutschen Katholizismus227 Die Situation der Katholiken in der Diaspora und in einer weltanschaulich feindlich gesinnten Umgebung war für Kindermann ein zentrales Anliegen. Sehr grundsätzlich forschte er in diesem Kontext nach den Gründen dieser Situation, nach den geistigen Wurzeln und dem Kontext des Kommunismus. Die Deutung orientierte sich am Abstiegsschema des Abendlandes, der Verselbständigung der Gesellschaft gegenüber der Kirche: In traditioneller katholischer Sichtweise228 sieht er diese mit der Reformation einsetzen; ein wichtiger Fixpunkt waren die Aufklärung, dann das 19. Jahrhundert, als viele Arbeitermassen von Gott abfielen. Das führte schließlich zum ‚Los vom Menschen‘ und zum ‚Flüchtling des 20. Jahrhunderts‘, der die typische Erscheinung der letzten Station auf diesem Irrweg sei. „Der säkularisierte Mensch hat nicht nur die Sicht auf die ewigen Werte verloren, er orientiert sich schon gar nicht mehr an der Kirche. Er hat sich eine eigene Weltanschauung zurechtgelegt, eine Weltanschauung, die über die Materie des rein Sichtbaren und Greifbaren nicht mehr hinausreicht. Dadurch hat er der äußeren Not den Weg vorbereitet. Was neu dazu kommt ist der Umstand, dass er in seiner verweltlichten Haltung mündig geworden ist und gegen Christentum und Kirche Front bezieht. So wird der säkularisierte Mensch zu einer besonderen äußeren Not der Kirche.“229 Die Heimatvertriebenen trugen in den Augen Kindermanns eine dreifache Narbe bolschewistischer Spuren an sich. Sie waren entwurzelt, verproletarisiert und in der Menschenwürde zutiefst verletzt. Im Bolschewismus werden letztlich religiöse und christliche Werte abgelehnt, nämlich die abendländische Familie, das Recht auf Eigentum und der Mensch als Gottes Geschöpf und als Erlöster.230 Die Verfolgung der Kirche nahm er vor allem in der Verfolgung des Klerus und damit in der Behinderung

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Vgl. KINDERMANN, Kirche in Not. – Kindermann hat 1951 eine Broschüre publiziert, die einen Vortrag, den er auf der Ackermann-Tagung in Königstein gehalten hat, wiedergibt. Es ging dort vor allem um die Situation des Priesternachwuchses. Aufschlussreich ist das hier im Rückgriff auf Augustinus skizzierte Kirchenbild: die Kirche ist der fortlebende Christus, der Großchristus, in dem Gott Mensch geworden ist, in dem Gott die Knechtsgestalt angenommen hat und sich entäußert hat bis zum Tod am Kreuz. Deswegen sei auch die Kirche immer in Not, die in jeder Zeit anders sei, die differenziert für jedes Land, für jede Volksgruppe, für jeden Christen gesehen werden müsse. Nach diesen Präliminarien kommt er zur Not der Kirche der Gegenwart, will hier vor allem den abendländischen Raum berücksichtigen und sieht eine innere und eine äußere Not. Die innere Not ist die Gefahr der Entchristlichung, die Loslösung des Menschen vom christlichen Gedankengut, die Untreue und Undankbarkeit zu den ewigen Werten, die vor allem das Abendland begründet hätten und ihm aufgetragen waren. Vgl. das Proömium zur Konstitution „Die Filius“ des I. Vatikanum. – Rainer BENDEL / Lydia BENDEL-MAIDL, Christliche Mystik als Zugangsweise zu Nietzsche. Joseph Bernhart und Theodor Steinbüchel im Vergleich, in: Ulrich WILLERS (Hg.), Theodizee im Zeichen des Dionysos. Nietzsches Fragen jenseits von Moral und Religion. Münster 2002, S. 131-159. Ebd., S. 6. Vgl. S. 7.

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der Seelsorge und im Klostersturm wahr. Älteste Abteien beklagt er weiter, die sogar Joseph II. – für ihn ein massives Feindbild in der Geschichte – stehen ließ, wurden durch den Kommunismus wüst und leer.231 Die besondere Gefährdung des sudetendeutschen Katholizismus hat nach Kindermann Tradition im Liberalismus des 19. Jahrhunderts, im Sturm des Altkatholizismus und in der Los-von-Rom-Bewegung um die Jahrhundertwende.232 Qualitativ freilich trage der sudetendeutsche Katholizismus das Erbe des böhmisch-mährischen Raumes. Das gemilderte Staatskirchentum des Liberalismus habe er nie überwunden. Kindermann hatte gehofft, dass die Ausweisung zur Überwindung beigetragen habe.233 In dieser Deuteperspektive konnte er die Ausweisung sogar als Gnade und als einen Anruf Gottes interpretieren.234 „Das Staatskirchentum, das fast 1 1/2 Jahrhunderte über uns herrschte, hat uns eingeschläfert und entkräftet. Wir sind stärker ethisch, als sakramental geformt, eine Folge jansenistischer Einflüsse bei uns. Der Sudetendeutsche ist weniger kirchlich – und das seit der Gegenreformation, aber doch religiös.“235 Weil er weniger kirchlich sei, sei er auch weniger formal geprägt und stärker mit einer subjektiven Frömmigkeit ausgestattet. Diese Tendenz bewertete Kindermann eher negativ. Religion sei nicht reine Verstandesangelegenheit für den Sudetendeutschen, sondern auch Herzenssache, manchmal sogar zuviel Herzenssache. Neben der Diasporanot war für Kindermann vor allem die Priesternot eine logische Konsequenz aus der Geschichte des böhmischen Katholizismus.236 Als Blütezeit hingegen interpretierte er den Barock, die letzte große religiöse Bewegung im sudetendeutschen Raum.

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Vgl. ebd., S. 9. Vgl. ebd., S. 14. Diese Stunde der Entwurzelung und der Vertreibung, der Bedrängnis aber bedeutet nach Kindermann auch Gnade, da sie viele wieder zu Gott empor gerissen und zur Besinnung gebracht habe. Sie hätten sich an ihre Taufverpflichtung erinnert, und zwar sowohl im Osten Europas, wie auch bei den Vertriebenen. Kindermann referiert, dass viele Flüchtlingspriester ihm berichten, dass das Volk im Exil religiös wacher lebt als daheim. „In dieser Stunde der Not und der Gnade sind auch wir Sudetendeutsche von Gott angerufen. Wir sind zunächst einmal mit hineingezogen in die tragischen Auseinandersetzungen dieser Jahre. Das bedeutet fürs erste entsetzliche Not. Die Spuren des Bolschewismus tragen wir ganz besonders deutlich an uns: Entwurzelt, verproletarisiert, innerlich menschlich wund. Entwurzelung ist nicht nur Verlust der Heimat, sondern wir sind zerrissen wie kaum eine Volksgruppe. In alle Zonen und Gegenden sind wir zerstreut. ... in andere Sitten und Gebräuche hineingestellt ... aus dem österreichischen Raum in den Reichsdeutschen ... aus den geschlossenen katholischen Gebieten in die Tragik der Diaspora.“ (Ebd., S. 12f.) Ebd. Ebd. Sie hat ihre Wurzeln in den Hussitenstürmen, die Kindermann selbstverständlich nur negativ sehen kann. Ein zweiter Einbruch in die Zahl der Priester passiert in der Reformation, ein dritter dann unter Maria Theresia durch die Aufklärung. Das Sudetengebiet sei ein klassisches Land der Aufklärung geworden. Die Zeit des Josephinismus sei keine Zeit religiöser Blüte und Größe gewesen, hätten doch die josephinischen Generalseminare nicht den guten Hirten herangebildet, sondern den Beamten. (Ebd., S. 17-19)

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Der Geist der Aufklärung habe sich in den Sudetenländern bis zum Revolutionsjahr 1848 halten können. Eine Mitschuld an dieser Entwicklung gab Kindermann Bernard Bolzano237, der eine eigene böhmische Aufklärung geschaffen habe, deren Anhänger auch Professoren in den Priesterseminaren angehörten. Weil der sudetendeutsche Bereich so lange vom Nachwirken dieser negativen Tendenzen und Entwicklungen gezeichnet war, habe es deutlich mehr tschechischen Priesternachwuchs gegeben als deutschen.238 Der Liberalismus der Mitte des 19. Jahrhunderts habe die religiösen Kräfte im Sudetenland weiter ausgehöhlt.239 „Der Gemeinschaftsgedanke, wie er wunderbar im Opfer und um das Opfer zum Ausdruck kommt, ging bei vielen verloren.“240 Diese negativen Bewegungen von außen wären nach Kindermanns Ansicht für die Kirche nicht so schädlich gewesen, wenn das sudetendeutsche Volk mehr Priester gehabt hätte, die, im Volk stehend, die Zeichen der Zeit verstanden und sich dagegen gewehrt hätten. Dass es sie nicht gab, habe der Josephinismus mit seiner verheerenden Wirkung zu verantworten. Er habe die Seelsorge zerfressen und den Seelsorger zum Polizeibeamten erniedrigt. Die eigentliche Seelsorge sei dem Priester leider allzu oft fremd geblieben.241 Eine neue kurze Blüte machte Kindermann in den 20er und Anfang der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts aus, eine Folge vor allem der intensiven katholischen Jugendarbeit und der Staffelsteinbewegung.242

3.17. Kommunismus und Vertreibung als Folge der Säkularisierung des Abendlandes Kindermann plädierte im Abschnitt, der die innere Not der Kirche verhandelte, für eine differenzierte Sicht des Kommunismus. Er wandte sich gegen eine pauschale Angstmache vor der roten Gefahr, trug aber mit der Vehemenz, mit der er die kommunistische Ideologie sezierte, zu eben diesem Effekt selbst bei. Kindermann instru-

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Bernardus Placidus Johann Nepomuk Bolzano (1781 –1848), katholischer Priester, Philosoph und Mathematiker. – Peter DEMETZ, Bernard Bolzano - Sprachtheorie und Nationalitätenkonflikt, in: DERS., Böhmen böhmisch. Wien 2006. – Edgar MOSCHER, Bernard Bolzanos geistiges Erbe für das 21. Jahrhundert. Wien 1999. – Bernard BOLZANO, Paradoxien des Unendlichen. Mit einer Einleitung und Anmerkungen herausgegeben von Christian Tapp. (Philosophische Bibliothek, Bd. 630). Hamburg 2012. Hier fragt er eigenartigerweise nicht, ob ein verminderter aufklärerischer Einfluss dafür verantwortlich sei, sondern hier sucht er die Ursachen für den höheren tschechischen Priesternachwuchs in einem nationalen Denken. Die Tschechen hätten auf dem Weg über das Priestertum ihren Einfluss auf die Massen und das Volk geltend machen wollen. Sie hätten das Priestertum gewählt, weil sie sonst Staatsstellungen nicht erreichen konnten. (Ebd., S. 22) Vgl. ebd., S. 22. Ebd., S. 22f. Vgl. ebd., S. 23. Vgl. ebd., S. 30.

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Abschnitt III

mentalisierte zweitens die Suche nach den Ursachen des Kommunismus für eine negative Wertung der Entwicklung innerhalb der westlichen Gesellschaft. Der äußeren Not des Kommunismus, der die Welt in Atem halte und Westeuropa immer stärker bedrohe, den Christen unter kommunistischer Herrschaft zu schaffen mache, sei eine innere Not vorausgegangen, nämlich die der Verweltlichung und Entchristlichung. Das christliche Gedankengut sei dem Abendland wie keinem anderen Teil der Welt zu treuen Händen gegeben gewesen, der abendländische Mensch aber habe sich vom Christentum losgelöst. „Es ist der Weg und die Haltung des verlorenen Sohnes, welcher der Geborgenheit des Vaterhauses den Rücken kehrt und sich seine eigene Bleibe zimmert. Wir kennen diesen Weg mit den schmerzlichen Stationen ‚Los von der Kirche‘, ‚Los von Christus‘, dem dann im vorigen Jahrhundert das ‚Los von Gott‘ folgte. Dieser Abstieg muss aber schließlich zu einem ‚Los vom Menschen‘ führen, denn mit dem Loslassen des Göttlichen musste auch der Mensch scheitern. Auf den Straßen des 20. Jahrhunderts treffen wir die Massenerscheinung des ‚Flüchtlings‘.“243

3.18. Die Sorge für die Katholiken hinter dem Eisernen Vorhang Damit war Kindermann bei einem für ihn wichtigen Gedankengang angelangt, nämlich Flucht und Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg weniger in einer politischen Ursachenkette mit dem Nationalsozialismus und dem von Deutschen ausgehenden Krieg zu sehen, als vielmehr in einer Argumentationskette mit der Säkularisierung des Menschenbildes in Westeuropa und der daraus folgenden bolschewistischen Revolution und Entwicklung in Osteuropa. An dieser inneren Not des verweltlichten Menschen und des verweltlichten Christen seien alle mit schuld. Kindermann formulierte allgemein mit ‚wir’. Er nahm sich wohl selber nicht aus; das verdient, festgehalten zu werden. Er machte die Schuld nicht einseitig auf der weltlichen Seite fest, sondern suchte sie auch bei einzelnen Christen. Sie haben dazu beigetragen, dass der säkularisierte Mensch die Sicht auf die ewigen Werte verloren hat, sich nicht mehr an ihnen orientiert, dass er sich eine Weltanschauung zurechtgelegt hat, die über die Materie, über das rein Sichtbare und Greifbare nicht hinausreiche. Das letzte Ergebnis des Abfalls des abendländischen Menschen von der Kirche, von Christus und von Gott sei der Kommunismus. Gemeint sind wohl die Christen, die von der Kirche abgefallen sind, nicht ein Versagen der Kirche als Abstraktum oder Institution oder, wie er sie hier auch verstehen mag, als eine Verwalterin des depositum fidei, die durch die Art und Weise dieses Verwaltens mit dazu beigetragen hätte, die Entwicklung in Osteuropa heraufzuführen. Der apostolische Geist der Christen im Westen sei zu gering gewesen. Viele Führer des Kommunismus hätten schließlich in Westeuropa studiert, wären in ihrer Jugend Katholiken, Christen gewesen.

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Ebd., S. 115.

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„Wir Flüchtlinge und Vertriebene haben nur allzu oft unsere Sendung vernachlässigt und vergessen. Es ist doch heute offenkundig und unwidersprochen, dass unser Kreuzweg der Flucht mit den Ereignissen im Osten zusammen hängt. Sind wir nicht gleichsam als Boten und Zeugen entlassen worden in die freie Welt, auf dass wir hier Zeugnis geben von dem, was drüben hinter dem eisernen Vorhang geschieht. Haben wir genügend und klar Zeugnis gegeben vom Kreuz unserer Brüder in der Verfolgung? Oder haben wir leider nicht allzu oft diese unsere Brüder in schwerer Not vergessen und uns vom Zeitgeiste, der zur Materie drängt, einnehmen lassen?“244 Der Westen und vor allem die Christen des Westens hätten sich geistig nicht ausreichend mit dem Kommunismus auseinandergesetzt. Der Kommunismus sei zweifelsohne eine Frage an die Christenheit, die diese wohl nicht ehrlich genug zu beantworten versucht habe. Das Schlimme an der Lage im Westen, die größte Not der Kirche, sei der Verfall des christlichen Geistes, der Missklang zwischen Lehre und Leben.245

3.19. Christentum und Kommunismus Zum siebten Kongress der ‚Kirche in Not‘, der dem Thema ‚Was ist Wahrheit‘ gewidmet war und vom 23. bis 26. Juli 1959 in Königstein stattfand, sprach Kindermann ein Schlusswort über das Verhältnis der westlichen, speziell der heimatvertriebenen Katholiken zur sogenannten ‚Kirche in Not’, also zu den Christen, vor allem katholischen Christen in kommunistisch regierten Staaten.246 Kindermann fragte in seinem resümierenden Statement nach der äußeren und inneren Not der Kirche.247

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Ebd., S. 116. Vgl. ebd., S. 117. – Er zitiert hier eine Gruppe Jesuiten, die in der Slowakei in den Kerker geworfen wurden und dort ein Schuldbekenntnis formuliert haben, in der Hinsicht, dass sie den Kommunismus unterschätzt hätten, dass sie nicht einig genug in der Abwehr gewesen seien, die Arbeit zu wenig geordnet hätten, vor allem dass der Wille zur Einheit gefehlt habe. Dass sie die Gläubigen nicht auf die schweren Prüfungen, die kommen konnten, erzogen haben, dass sie die Laien nicht zu Aposteln herangebildet haben nach dem Motto jeder Christ ein Apostel und dass sie die Nächstenliebe nicht genügend ernst genommen hätten. Dieses Schuldbekenntnis der Jesuiten treffe im Kern genau das Versagen der Kirche im Westen. (Vgl. ebd., S. 118.) Adolf KINDERMANN, Wir und die Kirche in Not, in: OSTPRIESTERHILFE (Hg.), Kirche in Not VII, Was ist Wahrheit. Limburg 1960, S. 105-124. In dem Abschnitt über die äußere Not der Kirche ging es ihm vorrangig um Zahlenmaterial, um die Masse an Menschen, die bereits unter kommunistischen Regimen leben mussten und um das Verhältnis der kommunistischen Staaten zur Religion. Die Unterdrückungs- und Martyrersituation der Kirchen in den Ostblockstaaten kommt hier vorrangig in den Blick. Die Vorwürfe, die der Kommunismus gegenüber der Religion vorbringt, die Etappen, in denen er sie ausschalten will, werden angesprochen. Interessant sind die Merkmale, zum Teil gar Strukturelemente, die er in Christentum und Kommunismus parallel findet, weshalb er den Kommunismus auch als ein Pseudochristentum bezeichnet: „Der Kommunismus ist ein Christentum, aber umgestülpt wie ein Handschuh, ein Christentum ohne Christus, ja ohne Gott. An seine Stelle ist der als Materie sich fühlende Mensch getreten, der für sich göttliche Verehrung beansprucht.“ Ebd., S. 112.

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Abschnitt III

Von kirchlichen Strukturelementen über dogmatische Grundmuster, wie Messianismus oder Eschatologie, bis hin zu notwendigen Formalprinzipien, nämlich der Kirche als Auslegerin der heiligen Schriften, machte er im Kommunismus Parallelen aus; ebenso auf dem Felde der Frömmigkeitsäußerungen, Wallfahrten, Prozessionen, in der Katechese bis hinein in die Ethik. Kindermann wollte damit anzeigen, wie viel der Kommunismus vom Christentum adaptiert habe. Er räumte ein Stück weit die Mitverantwortlichkeit, ja Mitschuld der westlichen Christenheit ein, war doch der Kommunismus als Idee in Westeuropa geboren worden. Er zeigte aber interessanterweise auch, und das wurde ihm bei der ganzen Aufstellung nicht bewusst, viele mentale und strukturelle Parallelen zwischen dem als unmenschlich gebrandmarkten, totalitär die Gesellschaft und den Menschen in seinen Lebensäußerungen erfassenden Kommunismus und der katholischen Kirche auf. Freilich musste er zu dem Fazit kommen, das Christentum und die marxistischsowjetische Pseudokirche der Gottlosen stünden einander gegenüber wie Feuer und Wasser. „Die Bejahung der einen verlangt die restlose Verneinung der anderen. Es gibt keine Berührungspunkte. Hier der fortlebende Christus in der Kirche – dort eine Pseudokirche ohne Christus und Gott, gestützt auf eine Machtfülle, wie sie die Welt noch nie gesehen hat.“248

3.20. Die Haltung der Christen zu den Menschen im kommunistischen Machtbereich Auf dem Hintergrund der fundamentalen weltanschaulichen Auseinandersetzung zwischen dem kommunistischen Ostblock und dem abendländisch-christlichen Westen appellierte Kindermann, die christliche Bekehrungsforderung ernst zu nehmen und immer wieder von neuem zu vollziehen. Das Christsein müsse ernst genommen, Gott in den Mittelpunkt des Daseins gesetzt werden. Er argumentierte extensiv mit der Botschaft von Fatima: Der Bekehrung Russlands müsse die Bekehrung der Christen im Westen vorausgehen. Die Christen im Westen müssten sich zu einer Armee des Gebetes vereinigen, müssten soviel wie möglich an Informationen über die ‚Kirche in Not‘ sammeln und müssten vor allem so weit wie möglich auch die Schwestern und Brüder im Osten unterstützen. „Und sollten wir nicht vielleicht auch hie und da einen heroischen Grad von Liebe versuchen? Es heißt eines der Werke der geistigen Barmherzigkeit: Denen, die mir Unrecht getan, gern verzeihen. Manche Spannungen unter uns und unseren Völkern müssten wir mit Liebe überschütten und so aus der Kraft Gottes überwinden, und zwar ohne jeden Hintergedanken und jede Nebenabsicht.“249 Stefan Kruschina unterstrich in einem würdigenden Artikel anlässlich der Bischofserhebung Kindermanns 1966, dass es diesem nicht nur um eine materielle und

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Ebd., S. 114. KINDERMANN, Wir und die Kirche in Not, S. 123.

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technisch wirtschaftliche, sondern um eine geistige, verständnisvolle Hilfe für die Menschen in den ehemaligen Heimatgebieten der Vertriebenen gehe. Die Vertriebenen seien hier besonders gefordert, weil sie aufgrund der früheren Nachbarschaft am ehesten befähigt seien, die Nöte dieser ihrer Nachbarn zu verstehen. Diese Empathie und nicht das Aufkommen von Rachegelüsten, die Brüderlichkeit auch in der eigenen Gesellschaft und nicht Radikalismus seien Früchte des Wirkens der Kirche, zu dem die Königsteiner Werke einen gehörigen Anteil beigetragen hätten.250 Kruschina beschäftigte sich besonders ausführlich damit, dass die Heimatvertriebenen nicht zu Extremisten geworden seien und damit die ursprüngliche Rechnung des Bolschewismus, dass sie als Sprengkörper der Gesellschaft dem Kommunismus zuarbeiten könnten, nicht aufgegangen sei. Den dauerhaften Ausgleich mit dem Osten könne nur eine kontinuierliche Arbeit, die klar Recht und Gerechtigkeit einfordert, bringen – dies sei in erster Linie Aufgabe der Vertriebenen, allen voran der Vertriebenenseelsorge und eines Bischofs in der Vertriebenenseelsorge.251 Junge Studenten und Priester mit einem missionarischen Herzen müssten gesucht und vorbereitet werden für den Tag, an dem sie im kommunistischen Osten zur Missionierung eingesetzt werden könnten.252

3.21. Religion und Eingliederung Gewissermaßen ein Fazit der Arbeit der Vertriebenenseelsorge zog Kindermann zu einem Zeitpunkt, der von den politischen Ereignissen her als ein tiefer Einschnitt in der Situation der Vertriebenen erfahren wurde, nämlich angesichts der Ostpolitik der Regierung Brandt/Scheel Anfang der 70er Jahre. Kindermann blickte zurück auf die Fortschritte der Eingliederung der Vertriebenen. Kriterien waren ihm, dass sie Arbeit, eine bessere Wohnung und mehr Verständnis unter den Menschen gefunden haben. Freilich lasse auch zu Beginn des Jahres 1971 die gesellschaftliche und kirchliche Eingliederung in manchen Punkten noch zu wünschen übrig.253 Die Wunde, das Unrecht der Vertreibung, könne nur geheilt werden, wenn beide Seiten aufeinander zu-

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Vgl. KRUSCHINA, Contra spem in spe, S. 92f. „Aber nicht blinde Verzichtlerei (selbst wenn sie gut gemeint wäre) kann einen Ausgleich mit den Völkern des Ostens bringen, weil dadurch nur das Unrecht zementiert und neues Unrecht für die Zukunft herausgefordert würde; vielmehr ist es die geduldige, aber ausdauernde Arbeit besonders der Heimatvertriebenen und ihrer Werke an der Spitze wohl des Werkes in Königstein, und damit auch der neue Bischof, welche mit ihrer klaren Forderung nach Recht und Gerechtigkeit, aber auch mit ihrer echt brüderlichen Hilfsbereitschaft und Hilfstat die beste Voraussetzung schaffen helfen, für eine echte Begegnung der Völker aus Ost und West in Liebe und Friede. Ob es da nicht angemessen wäre, dass diese Arbeit der Heimatvertriebenen auch im öffentlichen Bereich anerkannt und gefördert wird, wie dies im kirchlichen Bereich jetzt durch die bischöfliche Berufung erfolgt ist?“ (Ebd., S. 93) Vgl. ebd., S. 123f. Sudetendeutsches Priesterwerk Königstein/Ts., März 1971, Heft 1, S. 1.

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Abschnitt III

gehen und durch eine freie Vereinbarung miteinander einig werden. Kindermann unterstrich, dass die Sudetendeutschen eine echte Aussöhnung mit den Völkern des Ostens wollten. Kritisch stand er aber der neuen Politik gegenüber. Sie sei ein einseitig gesprochenes Machtwort, das nicht zu einer echten Versöhnung führe. Durch die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie sei die Heimat der Vertriebenen mit einem Federstrich aufgegeben worden; dadurch habe der Kommunismus seine Ziele erreicht. 25 Jahre nach der Vertreibung stellte Kindermann in einem Weihnachtsgruß seinen Landsleuten die Parallele zwischen dem menschgewordenen Gott, der in der Herberge keinen Platz mehr fand, und den Heimatvertriebenen in der Situation ihrer Vertreibung erneut vor Augen – ein bei Vertriebenenpriestern beliebter theologischer Argumentationsgang. Vieles Schöne und Kostbare war verloren gegangen: Vaterhaus, Heimat, Kirche, Elterngrab, oft auch die Familie in alle Windrichtungen verstreut. Da hätten sich die Gläubigen beim Kind in der Krippe tief verstanden gefühlt. Maria und Josef wurden zu Vorbildern, weil sie ihr tiefes Ja zu diesen so ganz absonderlichen Dingen sprechen. Dort, wo die Gläubigen das Ja zu ihrer Lage in der Vertreibung gesprochen hätten, sei auch in ihnen der Weihnachtsfriede eingekehrt, den Gott den Menschen schenkt. „Bei völliger menschlicher Hoffnungslosigkeit wurde unser Vertrauen und unser Hoffen auf den Herrn der starke Halt für die dunkle Zeit, die uns umgab.“254 Die Nöte seien in den letzten 25 Jahren vielfach kleiner und anders geworden. Der Wohlstand übe seine Anziehungskraft aus, und doch sollten sich die vertriebenen Familien des Erlebnis der Vertreibung erinnern, es nicht gänzlich aus dem Gedächtnis streichen, da es ein Verlust für das ganze deutsche Volk sei, wenn die Vertreibung spurlos vorbeigegangen wäre.

3.22. Kirche und Volksgruppe Die Frage nach der Einheit der sudetendeutschen Volksgruppe beschäftigte Kindermann in seiner Ansprache zum Sudetendeutschen Tag 1972 in Stuttgart. Es ist bezeichnend, dass er von einer Einheit der sudetendeutschen Volksgruppe sprach und dass er diese gar metaphysisch bzw. theologisch begründete. Der Schöpfergeist Gottes habe die sudetendeutsche Volksgruppe zusammengeführt. Sie sei durch eine von Gott selbst gesetzte Naturordnung bedingt und geprägt durch all die charakteristischen Elemente, die Heimat ausmachen, wie Gegend, Heimatboden, besondere geistige Anlagen, Fleiß, Tatkraft und die Geschichte. In dieser Einheit und Volksgemeinschaft hielten die Sudetendeutschen ihre Ansprüche aufrecht, in aller Ruhe und Friedlichkeit zwar, aber doch mit Nachdruck. Es war ihm darum zu tun, die Einheit der Volksgruppe zu erhalten, solange das möglich sei, und gleichzeitig den Auftrag, den Gott in die Völker gelegt hat, wahrzunehmen, nämlich dass die Völker zusammen

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Sudetendeutsches Priesterwerk, Königstein/Ts., November 1971, S. 105.

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gehen und zusammen stehen müssen, wenn sie ihrer Bestimmung und Würde gemäß leben wollen.255 Kindermann appellierte am Pfingstfest, die Wirkung des Geistes ernst zu nehmen, der völkerverbindende Einheit schafft und trotzdem den einzelnen Völkern die Identität lässt. Er bewertete die Sonderveranstaltungen für die Vertriebenen als eine Sonderseelsorge, die nicht die reguläre Seelsorge in den Pfarrgemeinden ersetzen soll, die eine Gelegenheit geben will, vor allem auf den Wallfahrten und bei den Gottesdiensten anlässlich der Treffen der Heimatvertriebenen, in der gewohnten Weise zu beten und zu singen und auch ein Wort zu den Anliegen und Problemen der Vertriebenen zu sagen und zu hören. Mit dieser Zielsetzung habe die Vertriebenenseelsorge durch viele Jahre hindurch wesentlich dazu beigetragen, dass die Vertriebenen nicht den Mut verloren hätten, sondern in Geduld und Gottergebenheit ihr Kreuz getragen und nicht zum Sprengstoff für die Allgemeinheit geworden seien. „Die Vertriebenenseelsorge hat so ohne viel Lärm und Aufsehen dem Gemeinwohl eines hart geprüften Volkes gedient.“256 Nach der Neuregelung der Bistumsgrenzen in den ehemaligen deutschen Ostgebieten, die seit 1945 unter polnischer Verwaltung standen, prangerte Kindermann das übereilte Vorgehen Roms in dieser Frage an und klagte vor allem, dass mit dieser Neuregelung mit keinem Wort das Unrecht erwähnt worden sei, das in der Vertreibung der Millionen Deutschen liege.257

3.23. Die theologische Einordnung der Vertreibung: Deutung der und Umgang mit der Vertreibungssituation Anlässlich des Todes von Weihbischof Kindermann wurde ein Gedenkblatt herausgegeben, sein geistliches Vermächtnis, in dem Franz Lorenz zentrale Charakteristika des

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„Darum liegt es schon in der Schöpfungsordnung, dass wir Deutsche und Tschechen, die wir 1000 Jahre miteinander gegangen sind und sicherlich mehr gute und glückliche Tage erlebten als dunkle und böse, Wege und Mittel finden, um zueinander zu kommen und wieder miteinander zu gehen. Dafür muss der Boden bereitet werden und da müssen die im Wege stehenden Hindernisse nicht bloß zugedeckt und verschleiert, sondern wirklich beseitigt werden mit Geduld und Ausdauer.“ Sudetendeutsches Priesterwerk, Juni 1972, S. 49f. Adolf KINDERMANN, Nach der kirchlichen Neuregelung im Osten, in: Sudetendeutsches Priesterwerk, Oktober 1972, S. 73-80, hier S. 73. „Diese einmalige Verletzung der Menschenrechte wird durch keinen Grenzvertrag genügend beantwortet. Es ist die Frage, welcher Seite ein größeres Opfer zugemutet wird: Den vielen Millionen Vertriebenen oder den Mängeln der seelsorglichen Betreuung für die Polen in diesen Gebieten. Dazu lastet immer noch der Vorwurf auf den Verantwortlichen, für die Seelsorge jenseits der Oder/Neiße, dass man den 100.000en von deutschen Katholiken die primitivsten Menschenrechte, wie Gebrauch der Muttersprache usw., vorenthält. Viele von unseren Heimatvertriebenen werden auch dieses neue Opfer in Geduld und Ergebung zu tragen wissen, aber es besteht die Gefahr, dass doch nicht wenige ihr großes Vertrauen auf den Heiligen Stuhl verlieren.“ Ebd., S. 80.

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Abschnitt III

Wirkens Kindermanns als Vertriebenenseelsorger in enger Anlehnung an dessen Schrifttum, über weite Strecken in ausführlicher Zitation, herausstellte. Zentrales und fundamentales Thema war Kindermanns Deutung und Beurteilung der Etappen des Schicksalsablaufs der Heimatvertriebenen in der neuen Gesellschaft: Die erste Epoche bezeichnet Kindermann als die caritative Phase, in der es um das nackte Überleben, um Nahrung, Arbeit und Unterkunft ging. Die zweite Epoche war geprägt von den Bemühungen um Eingliederung auf wirtschaftlicher, kulturell-gesellschaftlicher und kirchlicher Ebene: Während es wirtschaftlich sehr schnell gelang, die Vertriebenen zu integrieren, sei es gesellschaftlich und kirchlich langsamer gegangen. Einer der Gründe dafür war der Rückkehrwille der Heimatvertriebenen. Es werde noch vieles geschehen müssen, um auch die gesellschaftliche und kirchliche Integration zu realisieren. In einer dritten Phase der Vertreibungsbewältigung hätten die Vertriebenen ihre Sorge verstärkt auf die gegenwärtige Entwicklung in der alten Heimat gerichtet; deren Not, vorrangig die Bedrängnisse des Glaubens, rückte in das Blickfeld.258 Die vierte Phase bezeichnete Kindermann als die metaphysische Epoche. Dabei ging es um das Thema ‚Erkenntnis des Vertriebenenschicksals als Heilsgeschichte‘: Viele, die ihre Religion nur mehr gewohnheitsmäßig gelebt hatten, wurden aufgerüttelt und fühlten sich in ihrem Gewissen unmittelbar vor Gott gestellt. Viele Heimatvertriebene, aus alten Bindungen herausgerissen, hätten im geheimen die Vorstellung eines Gottesreiches in Gerechtigkeit und Liebe in sich getragen. Neben der periodisierenden Deutung des Vertriebenenschicksals wurde von Lorenz als ein zweiter Themenkreis das Kirchenbild markiert: Die pilgernde Kirche in Gebet und Buße tritt als Identifikationsgröße in den Vordergrund. Heimatvertriebene lebten aus der Erfahrung, dass es keine perfekte Gesellschaft gibt. Kein Wunder, dass Kindermann begeistert war von der Idee des Wallfahrtens und Königstein mit einer modernen Herberge für die Pilger ausbauen wollte.259 Ein dritter Themenkreis in dieser metaphysischen Deutung war der Zusammenhang von Glaube und Wagnis. Der Glaube, der die Ausrichtung des Seins auf Gott hin meint, und die Hoffnung, die wichtig ist für den pilgernden Menschen im Vertrauen auf Gottes Güte, können letztlich in der Vertreibungssituation allein helfen. Als letzten das Handeln Kindermanns bestimmenden Themenkreis arbeitete Lorenz die Gestalt des Priesters heraus: In ihm sah Kindermann den Bürgen für die

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„Diese dritte Phase, wie sie Kindermann sah, führte über das einzelne Vertriebenenschicksal hinaus in die großen Zusammenhänge, die welthistorischen Verstrickungen und Ballungen, an deren Macht seelisch-geistige und sittlich-moralische Grundforderungen abzuprallen scheinen. Zwei große Themenkreise traten im Konzept Kindermanns hervor: Die Selbstdarstellung der ‚Kirche in Not‘ und die Kritik der ‚Entspannungspolitik‘ samt dem Ruf zur Versöhnung. Ebd., S. 6. Vgl. ebd., S. 11.

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Wahrung der Transzendenz, für den Lebensquell des Glaubens in Gesellschaft und Volk.260 Beim Leiter der Königsteiner Einrichtungen wurde deutlich, wie charakteristisch für sein Wirken, seinen Einsatz, seine Zielsetzungen, für die Formulierungen der Aufgaben, die Wahl der Schwerpunkte der Arbeit, für die Art wie Priester in ihrer Seelsorgearbeit begleitet wurden, wie das Studium und das Leben der Theologen in Hochschule und Seminar gestaltet wurde, der Erfahrungshintergrund war, die Prägungen, die er durch sein Studium, vor allem aber durch das religiöse Leben in seiner Herkunftsregion erhalten hatte. Die Mehrzahl der Leiter und Lehrer, die Königstein prägten, kamen aus dem schlesischen und aus dem sudetendeutschen Katholizismus. Aus der Vielfalt des religiösen Lebens in diesen heterogenen Regionen seien einige charakteristische Aufbrüche und Umbrüche herausgegriffen:

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„Für die Priester dieser geschichtsträchtigen Landschaft (i.a.: Das böhmische Niederland) war es kein Problem, Transzendenz des Glaubens mit sozialem Engagement zu verbinden. Das ist die Quintessenz seines Vermächtnisses: Für die Heimkehr des Ostens zu den Quellen des Heils bedarf es vor allem der Priester“. Ebd., S. 15. – Diese aufeinanderfolgenden und ineinandergreifenden Epochen der Integration der Vertriebenen greift der Limburger Weihbischof Gerhard Pieschl in seinem Rückblick auf die kirchliche Vertriebenenarbeit in einer Broschüre der deutschen Bischofskonferenz zur Neuordnung der Vertriebenenseelsorge Ende Januar 1990 wieder auf.

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Abschnitt III

Exkurs: Religiöser und geistiger Hintergrund: „Schlesischer“ und „sudetendeutscher“ Katholizismus261 „Überdenkt man noch einmal die Ursprünge des Quickborn, wäre zunächst darauf hinzuweisen, dass er im deutschen Osten entstanden ist. Seine Menschen suchen in der Mystik den Urgrund der Dinge, sind mitgeprägt von der Innerlichkeit als slawischem Erbe. Sie kennen Toleranz, auch im Religiösen, und besitzen als Bewohner einer Grenzregion ein waches Gefühl für geistige und politische Bewegungen. Wären später nicht das kritische und revolutionäre Erbgut des deutschen Westens und die römische Klarheit hinzugekommen, Quickborn hätte zu einer schwärmerischen Bewegung werden können.“262 In diesem Zitat aus Binkowskis autobiographischem Rückblick ist deutlich das Gemüthafte des schlesischen Katholizismus angesprochen. Es war in der Tat ein zentrales Charakteristikum. Das zeigt sich in den Wallfahrten, die vor allem auch als eine Reaktion auf aufklärerische Impulse zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Verlauf des 19. Jahrhunderts eine Blütephase erlebten und als ein wichtiges Erbgut der vertriebenen katholischen Schlesier in den gesamtdeutschen Katholizismus eingebracht wurden. Das Gemüthafte des schlesischen Katholizismus zeigt sich in den Liedern, zeigt sich auch etwa in der Maiandacht, die ihre Wurzeln wiederum im schlesischen Katholizismus des 19. Jahrhunderts hat. Das Gemüthafte wird intensiviert im Mystischen bis hin zum Schwärmerischen und wird dann als Gefahr wahrgenommen. Es gab in der Tat sehr viele „Bewegungen“ im schlesischen Katholizismus, auch hin zum Sektiererischen. Dieses Phänomen manifestiert sich ganz deutlich im Jahrhundert der Reformation, lässt sich aber auch im 19. Jahrhundert nachvollziehen, etwa wenn man an den Deutschkatholizismus des Johannes Ronge denkt oder auch an den Erfolg des Altkatholizismus im schlesischen Raum. Vielleicht trägt auch die sprichwörtliche schlesische Toleranz dazu bei, dass sich diese kleinen Gruppen entsprechend entwickeln und halten können. Die Schlesier sind Bewohner einer Grenzregion, nicht nur im geographischen, auch im sprachlichen, im kulturellen Sinn. Das Breslauer Rituale kennt eine lange Tradition der Mehrsprachigkeit in der Sakramentenspendung. Auf die Muttersprache in der Religionsausübung wurde immer ein großer Wert gelegt. Als „Grenzler“ haben die Schlesier ein waches Gefühl für geistige und politische Bewegungen. Gab es in diesem Grenz- und Brückenraum mit diesen vielfältigen kul-

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Rainer BENDEL, Zwischen „Finsternis“ und Aufbruch. Der oberschlesische Katholizismus und das Bistum Breslau im 19. und 20. Jahrhundert, in: Oberschlesisches Jahrbuch 16/17 (2000/2001), S. 49-71. Johannes BINKOWSKI, Jugend als Wegbereiter. Der Quickborn von 1909 bis 1945. Stuttgart und Aalen 1981, S. 58. Vgl. Rolf TERHEYDEN, Beruf und Berufung. Zweite Festschrift für Johannes Binkowski. Mainz 1988.

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turellen, nationalen Einflüssen so etwas wie ein Milieu, wie einen abgeschlossenen und sich abschließenden Raum katholischer religiöser Praxis? Es mag diese Milieus gegeben haben, etwa im oberschlesischen Katholizismus. Aber sie prägten nicht allein und vorrangig das Bild des schlesischen Katholizismus. Der ist in der Tat offen und aufbruchsbereit. Er ist auch urban. Er kennt die Impulse, die aus konfessionell gemischten Gebieten immer wieder kommen, und er ist sensibel für bestimmte pastorale Konsequenzen, die in einem mehrsprachigen Bistum notwendig sind. Aus dieser Buntheit, aus dieser Vielfalt heraus sind die Impulse zu verstehen: 1) Für das 19. Jahrhundert zentral war die Abstinenzbewegung, erwachsen aus einer typischen schlesischen, spezifisch oberschlesischen Notlage, dem unkontrollierten Branntweingebrauch. In den sozialen Notständen auf dem Land, vor allem aber in den rasch expandierenden Industriestätten mit dem entsprechenden Arbeiterproletariat gehörten der Hungertyphus und die Branntweinpest zu den verbreiteten sozialen Notständen. Bischof Melchior von Diepenbrock ging in einem eigenen Hirtenbrief gegen den übermäßigen Branntweingenuss vor. Eine breite Resonanz und auch nachhaltigen Erfolg konnte Johannes Fietzek, Pfarrer aus Deutsch-Piekar, verbuchen, der 1844 einen religiös motivierten Mäßigkeitsverein gründete. Fietzek weitete seine Arbeit sehr rasch auf ganz Oberschlesien aus. Der Mäßigkeitsverein hatte innerhalb kürzester Zeit eine halbe Million Mitglieder. Die Bewegung breitete sich über die Bistumsgrenzen hinaus in den Olmützer und Krakauer Bereich hinein aus. Papst Gregor XVI263. erhob die Mäßigkeitsvereine zu einer kirchlichen Bruderschaft und der Breslauer Bischof schrieb bereits zwei Jahre nach der Gründung des ersten Mäßigkeitsvereins, nämlich am 7. Juli 1846, dass dieser Verein Wunder wirke. 2) Vielfältiger sozialer Notlagen haben sich neue Orden und Kongregationen angenommen, vor allem weibliche Orden. Die Grauen Schwestern, die von Neisse ausgingen, haben Richtungweisendes vollbracht in der Pflege hilfloser Kranker. Ihr Beginn ist auf den 27. März 1842 zu datieren. Krankenpflege, Essensausteilung an Arme, Kinderheime und Kindertagesstätten waren die Hauptarbeitsfelder. In den 100 Jahren bis 1945 hatte die Kongregation ca. 500 Niederlassungen gegründet, davon 121 in der Provinz Niederschlesien und 76 in Oberschlesien. Nicht nur in ganz Deutschland und Polen, sondern auch in den skandinavischen Ländern, Italien und in den Vereinigten Staaten wirkten sie caritativ. 3) Die liturgische Bewegung: Wie weit das Bemühen um eine bewusste und aktive Teilnahme der Gläubigen an den Gottesdienstfeiern in Schlesien verbreitet war, zeigt nicht zuletzt ein Blick in die Sammelbände ‚Schlesische Kirche in Lebensbildern’ bzw. in die ‚Schlesischen Priesterbilder’.264 Führende Vertreter der liturgischen Bewegung wollten, indem sie die Liturgie verständlich machten und die aktive Teilnahme der Gläubigen am Gottesdienst förderten, nicht nur die Liturgie erneuern und das Glaubensleben der einzelnen vertiefen, sondern auch ein neues Bewusstsein für die 263 264

Gregor XVI. (1765 – 1846), Papst von 1831 bis 1846. http://www.orden-online.de/wissen/g/ gregor-xvi, aufgesucht am 12.8.2013. Vgl. GOTTSCHALK, Priesterbilder, Bd. 5.

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Abschnitt III

Kirche schaffen. Romano Guardini brachte es in dem viel zitierten Satz seines Vortrags von 1921 auf die Formel ‚Die Kirche erwacht in den Seelen’.265 Die Kirche sollte nicht länger nur als ein äußeres Gefüge, das Halt, Orientierung, Schutz und Führung gewährt und als ein prachtvoller Bau wahrgenommen werden, sondern als der eigentliche Inhalt des religiösen Lebens. Das religiöse Leben, das man als individualistisch verengt und gemeinschaftslos charakterisierte, sollte Gemeinschaft wieder stärker erfahrbar und erlebbar machen. So wird die Liturgie zu einem Auslöser für eine tiefer gehende Erneuerungsbewegung in der Kirche. Ihre Motive und Anliegen sprengen bei weitem den engeren Bereich des liturgischen Vollzuges der Kirche.266 Eine den vielfältigen Strömungen und Anliegen gerecht werdende Überblicksdarstellung über die liturgische Bewegung fehlt bislang.267 Die liturgische Bewegung ist bereits von ihren Ursprüngen her vielfältig ausgelegt, hat sie doch Wurzeln einerseits in verschiedenen Bestrebungen der Aufklärung (allen voran Anton Gottfried Steiner), wie auch in der Romantik. Die restaurativen Wurzeln und die verschiedenartigen Träger und Promotoren der liturgischen Bewegung tragen zu ihrer Heterogenität bei. Dass das gesellschaftliche Umfeld, die Veränderungen nach dem Ersten Weltkrieg ein besonders fruchtbarer Boden für ihre Ideen waren, ist Konsens. Die geistige Heimatlosigkeit vieler Soldaten, die Phänomenologie, die verstärkte Zuwendung zu religiösem Leben, etc. haben den Anliegen der liturgischen Bewegung frischen Wind gegeben. Dass die liturgische Bewegung in ihrer Zielsetzung und damit auch in der Bestimmung ihrer Aufgaben ganz unterschiedlich verstanden wurde, zeigen die beiden Protagonisten Ildefons Herwegen268 und Romano Guardini. Herwegen wollte keine Veränderung der Liturgie, sondern forderte die Mitfeier der Laien an der bestehenden Liturgie, um diese Liturgie intensiv zu erfahren, zu verstehen und zu leben. Guardini hingegen plädierte für eine Änderung der Liturgie – die Laien sollten aktiv am Gottesdienst teilnehmen können. Wenn man den Glauben aus der Liturgie erneuern wollte und die liturgische Bewegung zu einer echten Volksbewegung machen wollte, dann, so Guardini und später auch Pius Parsch, musste man die aktive Teilnahme der Gläubigen an der Eucharistiefeier ermöglichen. Guardini, von 1923 bis 1939 mit einem Lehrstuhl für Religionsphilosophie und katholische Weltanschauung an der Berliner Universität betraut, wünschte eine deutliche Widerspiegelung der „Wirklichkeit des profanen Lebens“ in der Liturgie. Auch die

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Romano GUARDINI, Vom Sinn der Kirche, 1. Auflage. Mainz 1922. Vgl. dazu Arno SCHILSON, Die liturgische Bewegung, in: Clemens RICHTER / Arno SCHILSON (Hg.), Den Glauben feiern. Mainz 1989, S. 11f. Vgl. dazu auch SCHILSON, S. 12. Ildefons Herwegen (* 27. November 1874 in (Köln-)Junkersdorf als Peter Herwegen; † 2. September 1946 in Maria Laach) war ein deutscher Benediktinermönch, Historiker und Liturgiker. Marcel ALBERT, Ildefons Herwegen, in: Sebastian CÜPPERS (Hg.), Kölner Theologen. Von Rupert von Deutz bis Wilhelm Nyssen. Köln 2004, S. 356-387.

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Frömmigkeit des einzelnen Gläubigen musste ihren Raum finden können, nicht allein „Antike und südliche Klarheit“ durften die liturgischen Formen prägen.269 Offensichtlich hat die liturgische Intensivierung und Erneuerung viele Schlesier auch in den Zeiten der Vertreibung begleitet und in ihrem Schicksal getragen. So lässt sich in einem Beitrag des Grafen Ballestrem, des langjährigen Vorsitzenden des Vereins der katholischen Edelleute Schlesiens270, den er im Grüssauer Gedenkbuch 1949 publizierte, lesen,271 dass die liturgische Bewegung im schlesischen katholischen Adel durch die Grüssauer Tätigkeit verankert worden sei und in der Zeit des Leides, des Exils und der Not helfe, über vieles hinwegzukommen. Der unentbehrliche Schott, die deutsche Übersetzung der lateinischen Messtexte, habe den Flüchtling begleitet und helfe, die Leiden der Zeit zu mildern und zu ertragen.272

Die Situation an der Universität in Breslau Wichtige Impulse gingen auch von der Katholisch-Theologischen Fakultät in Breslau aus. Diese Fakultät mag im 19. Jahrhundert kein Ruhmesblatt der schlesischen Kirche gewesen sein, wie es Erich Kleineidam in seiner Fakultätsgeschichte herausgearbeitet hat. Sie erlebte ihre Blütephase an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts konnte sie vielfältige Impulse in das theologische Denken des deutschen Katholizismus einbringen, insbesondere die Breslauer kirchenhistorische Schule, im wesentlichen zurückgehend auf Max Sdralek und seine Rezeption historisch kritischen Arbeitens in der Kirchengeschichte.273 Zu nennen sind Joseph Wittig274, Franz Xaver Seppelt275, Felix Haase276 und in der nächsten Genera-

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So Guardinis Deutung seines Bruchs mit dem Laacher Abt Ildefons Herwegen in einem Gespräch mit Erich Görner 1934 – dazu Hanna-Barbara GERL, Romano Guardini 1885 – 1968. Leben und Werk. Mainz 1985, S. 129. Zu Carl Wolfgang Graf von Ballestrem vgl. VEREINIGUNG KATHOLISCHER EDELLEUTE SCHLESIENS (Hg.), „100 Jahre Vereinigung Katholischer Edelleute Schlesiens 1890 – 1990“. Limburg/Lahn, 1993. Vgl. Grüssauer Gedenkbuch. Stuttgart 1949 (= Die Dominsel, Band 2). Vgl. Grüssauer Gedenkbuch, S. 154. Zu Sdralek vgl. Rainer BENDEL, Max Sdralek als Begründer der Breslauer kirchenhistorischen Schule, in: ASKG 55 (1997), S. 11-38. – Rainer BENDEL, Max Sdraleks Perspektiven für die Breslauer kirchenhistorische Schule und ihre Wirkungen, in: Jan HARASIMOWICZ (Hg.), Die Universität Breslau in der europäischen Kultur des 19. und 20. Jahrhunderts. Wroclaw 2013. Zu Joseph Wittig (1879 – 1949) vgl. Joachim KÖHLER, Joseph Wittig. In: Schlesische Lebensbilder, Bd. VIII, S. 255-262. Vgl. Rainer BENDEL, „Maßvoller Konservatismus“ zwischen Bistums- und Papstgeschichte: Franz Xaver Seppelt (1883 – 1956), in: ASKG 56 (1998), S. 27-58. Vgl. Rainer BENDEL, Felix Haase, in: HIRSCHFELD et al., Schlesische Kirche in Lebensbildern, Band 7, S. 87-92. – Rainer BENDEL, Theologe oder Religionswissenschaftler? Felix Haase (1882 – 1965) – ein umstrittener Schüler von Max Sdralek, in: ASKG 57, 1999, S. 33-66.

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Abschnitt III

tion auch Hubert Jedin277, nicht zu vergessen der weit über die schlesischen Grenzen hinaus bekanntgewordene Berthold Altaner278. Sdralek war aber nicht nur im engeren wissenschaftlichen Bereich schulbildend. Ihm war es ein zentrales Anliegen, die wissenschaftliche Bildung für den Klerus zu stärken als eine unabdingbare Notwendigkeit und wichtige Quelle für das pastorale Wirken: „Wer einen Einblick getan hat in die Kirchengeschichte, in das Leben der Persönlichkeiten, die der Kirche zum Segen gewesen sind oder ihr tiefe Wunden geschlagen haben, der bleibt vor vielen Fehlern in der Beurteilung der Menschen und der Welt bewahrt.“ Die Kenntnis der Kirchengeschichte bewahre vor Missgriffen in kirchenpolitischen Fragen, schärfe das Auge, um den sich ständig ändernden Zeitverhältnissen entgegen kommend neue Seelsorgemittel zu gewinnen. Die Kirche muss ihre Tätigkeit den Erfordernissen der jeweiligen Zeit anpassen, muss also in ihrer Seelsorge flexibel sein, braucht die Fortentwicklung im Prozess der Geschichte. Schließlich könne als eine Frucht des Kirchengeschichtsstudiums die Notwendigkeit der Toleranz gegenüber Personen auch anderer Glaubensüberzeugung und nicht zuletzt eine Ausprägung der Liebe zu Kirche und Vaterland wahrgenommen werden. Mit dem Fundamentaltheologen und Apologetiker Ernst Commer279 kam ein Vertreter der strengen neuscholastischen Richtung nach Breslau, der durch sein Jahrbuch für Philosophie und spekulative Theologie und dessen Mitarbeiterstab weite Netze knüpfte. Die Enge dieser neuscholastischen Entwicklung von innen aufzubrechen, versuchte der Philosophiehistoriker Clemens Baeumker durch seine historischen Mittelalterforschungen, indem er durch seine Arbeiten die scheinbar monolithische Geschlossenheit des Mittelalters sprengte und die Vielfalt des geistigen Lebens mittelalterlicher Philosophie und Theologie unterstrich.280 Damit wurden auch die Argumente, die sich unter Berufung auf die mittelalterliche Geschlossenheit, das Ziel einer einheitlichen Theologie im 19. und 20. Jahrhundert gesetzt hatten, ad absurdum geführt. Nicht nur Kirchengeschichte und Philosophie wurden durch die Ergründung der Tradition des eigenen Faches und durch den Austausch mit anderen Wissenschaften auf die Augenhöhe mit den anderen wissenschaftlichen Disziplinen der Zeit gebracht, auch in der Exegese wurden große Anstrengungen unternommen, die Ergebnisse der protestantischen Bibelwissenschaft zu rezipieren, nicht zuletzt durch den Alttesta-

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Vgl. Heribert SMOLINSKY (Hg.), Die Erforschung der Kirchengeschichte. Leben, Werk und Bedeutung von Hubert Jedin (1900 – 1980) (= Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung, Bd. 61). Münster 2001 Zu Altaner vgl. Günter J. ZIEBERTZ, Berthold Altaner (1885 – 1964), Leben und Werk eines schlesischen Kirchenhistorikers. Köln, Weimar, Wien 1997. Lydia BENDEL-MAIDL, „Historische“ Theologie – ängstlich selektiert und apologetisch systematisiert: Der Ansatz Ernst Commers (1847 – 1928), in: ASKG 56 (1998), S. 83-122. Lydia BENDEL-MAIDL, Beginn einer historisch-kritischen Philosophiegeschichtsforschung in Breslau: Clemens Baeumker, in: ASKG 55 (1997), S. 39-68.

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mentler Johannes Nikel281 und den Exegeten des Neuen Testamentes, Aloys Schäfer, der sein Fach bis 1903 an der Breslauer Fakultät vertrat282: Schäfer pflegte die Einleitungswissenschaft in das NT intensiv, also die historische Dimension seines Faches. Er setzte sich in seiner Publikation „Der Klerus und die soziale Frage“ auch mit praktischen, die engen Grenzen seines Faches übersteigenden Fragen auseinander. Überhaupt wird er als ein Exeget gesehen, der mit seinen Kommentaren nicht nur den Studierenden, sondern gerade den Priestern eine Orientierung an die Hand geben wollte. Er schrieb für die Praxis. Wenn Eugenio Pacelli283 als Berliner Nuntius meinte, an der Breslauer Fakultät dieser Jahre habe man nur eine mangelhafte Ausbildung erhalten können, kann dieses Urteil nur damit erklärt werden, dass der spätere Papst als Zögling der römischen Studienanstalten allein diese für fähig hielt, künftige Bischöfe zu bilden. In seinen Informationen zu den einzelnen Diözesanbischöfen Deutschlands formulierte er über Kaller als dem Apostolischen Administrator von Schneidemühl: „Obwohl seine philosophisch-theologische und kirchenrechtliche Bildung, da er seine Studien einzig an der theologischen Fakultät Breslau betrieb, an den Mängeln dieser Ausbildung leidet, gleicht er dies dennoch durch seine Frömmigkeit, seinen Eifer, seine tiefe Ergebenheit gegenüber dem Hl. Stuhl und der Nuntiatur aus...“284 Die Folgen des Ersten Weltkrieges zeitigten nachhaltige Wirkungen für den Katholizismus in den böhmischen Ländern. Die Erschütterung über den Untergang der Herrschaft der Apostolischen Majestät von Gottes Gnaden war allerorten greifbar. Die Minderheitensituation für die Deutschen in den Nachfolgestaaten der Habsburgermonarchie erforderte eine neue Grundlegung: Man musste sich behaupten. Nach der Dekadenz, religiös in der Los-von-Rom-Bewegung festgemacht, folgte die Neubesinnung, die Neuorientierung aus den Trümmern. Der Dechristianisierung wollte man mit der religiösen und völkischen Erneuerung entgegenwirken; man sah sie als eine Möglichkeit und Gelegenheit zur katholischen Renaissance.285

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Johannes Nikel (1863 – 1924), 1900 Prof. für alttestamentliche Exegese in Breslau. Vgl. Erich KLEINEIDAM, Die katholisch-theologische Fakultät der Universität Breslau 1811 – 1945. Köln 1961, S. 143f. Ingrid PETERSEN, Der Neutestamentler Aloys Schäfer (1853 – 1914), in: ASKG 57 (1999), S. 19-32. Eugenio Pacelli (1876 – 1958), als Pius XII. Papst von 1939 bis 1958; vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Eugenio_Pacelli, aufgesucht am 13.8.2013. Eugenio PACELLI, Die Lage der Kirche in Deutschland 1929. Bearbeitet von Hubert WOLF und Klaus UNTERBURGER. Paderborn u.a. 2006, S. 255. Vgl. etwa Miroslav KUNSTÁT, Widerspruch von Tradition und Moderne? Prolegomena zum Verhältnis von sudetendeutscher Identität und Katholizismus im 20. Jahrhundert, in: Martin ZÜCKERT / Laura HÖLZLWIMMER (Hg.), Religion in den böhmischen Ländern 1938 – 1948. Diktatur, Krieg und Gesellschaftswandel als Herausforderungen für religiöses Leben und kirchliche Organisation. München 2007, S. 49-71. – Jaroslav ŠEBEK, Nationalisierende Tendenzen im konfessionellen Bereich. Beispiele aus dem katholischen Milieu der Ersten Tschechoslowakischen Republik, in: ebd., S. 31-47.

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Abschnitt III

Beides erforderte das Sammeln der Kräfte. „Religiöse und völkische Erneuerung“, die in der CSR auch eine soziale sein musste; Seelsorge wollte einen sozialen und ideologischen Beistand geben in der Krise. Freilich gab es in diesen Fragen deutliche Meinungsverschiedenheiten zwischen unterschiedlichen katholischen Gruppierungen, Strömungen, Initiativen. Die Lösungsversuche fanden unterschiedliche Ausdrucksformen: Die gesellschaftliche Lage in den Industrieregionen des Sudetenlandes weckte das Engagement der christlichen Gewerkschaftsbewegung: gerechte Löhne für die im Zuge der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts neu entstandene Arbeiterklasse, Arbeitszeitbeschränkung, Kampf gegen Kinderarbeit, Vorsorge für Krankheit, Alter und Invalidität, Sorge um angemessene Wohnverhältnisse und vieles mehr waren zentrale Aufgaben der Arbeitervereine und Gewerkschaften. Eigene christliche Gewerkschaften hatten sich im Deutschen Reich 1894 und in Österreich 1903 etabliert. Sie wollten dem antikirchlichen Zug der freien Gewerkschaften, der daraus resultierte, dass diese die Kirche zu stark mit den herrschenden Klassen der Gesellschaft verbündet sahen, entgegentreten. So führte praktisch auch die soziale Bewegung christlicher Ausprägung in Österreich einen Kampf in zwei Richtungen, nämlich gegen den Wirtschaftsund Kulturliberalismus und gegen die aufstrebende Sozialdemokratie.286 Böhmen, Mähren und Schlesien hatte 1910 10 Millionen Einwohner, also etwa 1/5 der Einwohnerschaft von Österreich/Ungarn. Gleichzeitig aber waren in diesen Ländern 1914 75 % der Industrien angesiedelt. Diese Regionen waren hoch industrialisiert und hier wiederum vor allem die deutsch besiedelten Gebiete dieser drei Länder; dort befand sich 80 % des Industriepotentials. Neben Belgien und dem Ruhrgebiet waren die deutsch besiedelten Regionen in Böhmen, Mähren und Schlesien das dichteste Industriegebiet Europas.287 1918 bedeutete auch für die christlichen Gewerkschaften in Böhmen, Mähren und Schlesien einen neuen Anfang.288 Eine grundlegende Stabilisierung und entscheidende Impulse empfing die christliche Gewerkschaftsbewegung auf dem zweiten Ver-

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Vgl. zu diesem Hintergrund ganz kurz Erwin MACHUNZE, Die christlichen Gewerkschaften, in: Otfried PUSTEJOWSKY / Horst GLASSL (Hg.), Ein Leben – drei Epochen. Festschrift für Hans Schütz zum 70. Geburtstag. München 1971, S. 324-340, hier vor allem S. 324f. Vgl. dazu MACHUNZE, Die christlichen Gewerkschaften, S. 327f. „Es gab keinen Mittelpunkt. Karlsbad, Reichenberg, Zwittau, Freiwaldau, Troppau, alles lag soweit auseinander. Wo war der Vorort? Die Heimkehrer und die wenigen Daheimgebliebenen zusammen mit den tapferen Frauen rührten sich. Da und dort gab es zu jener Zeit auch Geistliche, die sich beim Aufbau der Organisation als Berater und Helfer einfanden. Es würde sich lohnen, einmal einen Katalog dieser Männer und Frauen aufzustellen. Zunächst gab es fünf Kernpunkte für die Sammlung christlicher Gewerkschafter. Reichenberg mit Adolf Röttig, Schluckenau mit Stefan Kratzer, Hohenelbe mit dem damals jüngsten führenden Mitarbeiter Josef Renner, Wigstadtl mit Franz Scholz und Zwittau mit Johann Domes und Anton Pohl. Freilich stehen diese Orte und diese Namen für viele andere. Aber dort bildeten sich wirkliche Kristallisationskerne. Die Schwierigkeit bestand darin, dass zunächst niemand entschied, wer zusammenfasst und wer das zusammengefasste führt.“ MACHUNZE, Christliche Gewerkschaften, S. 331.

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bandstag vom 8. bis 10. September 1920 in Grulich. Dort gelang es, die Spannungen zwischen dem böhmischen und dem mährischen Textilarbeiterverband zu überwinden und eine Verständigung herbeizuführen. Man einigte sich auf den gemeinsamen Sitz in Zwittau, die künftige Zentrale des Verbandes, und auf den erst 22-jährigen Nordböhmen Hans Schütz als Verbandsvorsitzenden. Der dritte Verbandstag des Verbandes christlicher Arbeiter und Arbeiterinnen aus der Textil-, Putz- und Bekleidungsindustrie, wie der christliche Textilarbeiterverband jetzt offiziell hieß, fand Pfingsten 1924 in Freiwaldau statt. Hier zeigte es sich, dass es innerhalb der zurückliegenden zwei Jahre gelungen war, den Verband zu konsolidieren und prospektiv zu arbeiten. Es wurden Leitsätze für die christliche Gewerkschaftsarbeit beschlossen, das später sogenannte Freiwaldauer Programm. Der erste Kongress des Gesamtverbandes der christlichen Gewerkschaften fand wiederum an Pfingsten 1925 in Zwittau statt. Bei der Kundgebung am Samstagabend auf dem Sportplatz wurden mehr als 5.000 Besucher gezählt. Der Abgeordnete der Christlich-Sozialen Volkspartei, Robert Schälzky289, und Hans Schütz referierten grundsätzlich und über die konkrete Sozialpolitik in der Tschechoslowakei. Gleichzeitig gelang es auf dieser Tagung, die Branchenverbände und Interessensgemeinschaften zum Verband christlicher Fabrik- und Bauarbeiter zusammenzuschließen. Der Vorsitzende des Textilarbeiterverbandes Hans Schütz wurde zum Vorsitzenden des Gesamtverbandes Christlicher Gewerkschaften in der CSR gewählt.290 1938 zählte der Gesamtverband christlicher Gewerkschaften 50.900 Mitglieder. Den christlichen Gewerkschaften gelang es in der ersten tschechoslowakischen Republik, einen bedeutenden Einfluss auf die sozialpolitische Entwicklung zu nehmen. Die christlichen Gewerkschaften waren eine Arbeitsgemeinschaft der deutschen christlich-sozialen Volkspartei und als solche gehalten, die Parteipolitik und Programmatik der DCV in ihren Wirkungskreisen zu vertreten. Die Gewerkschaften hatten die Möglichkeit, Anfragen und Anträge an die Parteiorgane zu richten. Ihre Aufgabe war es, an in ihren Zuständigkeitsbereich fallenden Problemen mitzuarbeiten und für die DCV die Arbeiterschaft zu rekrutieren. Hans Schütz war als Vorsitzender des Gesamtverbandes der christlichen Gewerkschaften gleichzeitig auch in die Christlich-Soziale Reichsparteileitung gewählt worden. Die Deutsche Christlich-Soziale Volkspartei in der CSR hatte sich nach dem Ersten Weltkrieg grundlegend erneuert, wurde quasi für den böhmisch-mährischen Raum neu gegründet. Sie gab sich ein neues Parteiprogramm, das vor allem von dem Prager

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Bernhard DEMEL, Schälzky, Robert, in: ÖBL 1815 – 1950. Band 10. Wien 1994, S. 26. „Nun waren Berufsverbände und Gesamtverband organisatorisch halbwegs in Ordnung. Der Sitz des Gesamtverbandes wurde bei dieser Tagung von Reichenberg nach Zwittau verlegt. In Zwittau hatten nun neben dem Gesamtverband auch noch der Tabakarbeiterverband, der neu gegründete Fabrik- und Bauarbeiterverband und der Textilarbeiterverband ihren Sitz.“ MACHUNZE, Christliche Gewerkschaften, S. 333.

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Abschnitt III

Theologen und Sozialethiker Karl Hilgenreiner291 und dem Juristen Robert MayrHarting ausgearbeitet worden war. Die Partei stand in der Tradition der christlichsozialen Bewegung in Österreich. Dieses Erbe hieß, sich für die Not des städtischen Mittelstandes einzusetzen, hieß verstärktes kommunalpolitisches Engagement, aber auch antisemitischer Einschlag und Orientierung am Ständeideal des Freiherrn von Vogelsang. Das Parteiprogramm von Mayr-Harting und Hilgenreiner wollte Basis für eine Politik sein, die ein einträchtiges Zusammenleben aller Völker, Konfessionen und Berufsstände im Staat förderte. Die DCV wollte bewusst eine Volkspartei sein, d.h. sich um einen Ausgleich der widerstrebenden Interessen der verschiedenen Stände in der Politik bemühen.292 Bei aller Offenheit und allem Ausgleichsbemühen erklärte sie sich aber als eine nationale deutsche Partei, die in erster Linie die Interessen der Sudetendeutschen vertreten und die volle politische Gleichberechtigung und eine gesicherte Selbstverwaltung für diese Volksgruppe erreichen wollte. Die DCV bekannte sich zur demokratischen Republik und zum allgemeinen Verhältniswahlrecht. Die Freiheit der Kirche und ein einträchtiges Zusammenwirken von Kirche und Staat gehörten zum Grundbestandteil des Parteiprogramms. Hilgenreiner hatte sich bereits 1917 für die Demokratie in den österreichischen Ländern eingesetzt, in enger Anlehnung an die österreichische Mai-Thronrede von 1917. Freilich überging er dabei auch nicht die Schwachstellen der Demokratie und warnte davor, in dieser Verfassungsform ein Heilmittel gegen alle öffentlichen Schäden zu sehen. Ohne eine religiöse Bindung der einzelnen Menschen hielt er ein Gelingen der Demokratie als Staatsform für nicht möglich. Auch als man 1929 die Krise des Parlamentarismus in der ersten tschechoslowakischen Republik beschwor, lehnte es Hilgenreiner ab, die demokratische Staatsform gänzlich in Frage zu stellen. Er forderte vielmehr die Erziehung der Bürger zu aufrichtigen Demokraten und zum notwendigen Verantwortungsgefühl.293

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Vgl. Lydia BENDEL-MAIDL, „Christlicher Sozialismus“ zwischen Kaiserreich und Republik. Aus dem Werk Karl Hilgenreiners, in: Europäische Kulturzeitschrift Sudetenland 1998, S. 415-442. In einem Bericht von Friedrich Stolberg über das neue Programm der christlich-sozialen Volkspartei wird positiv auf das Grundsatzprogramm der Partei aus dem Jahr 1919 abgehoben, wonach es Aufgabe dieser Partei ist, aus allen Schichten der Bevölkerung die zusammenzufassen, die die nationalen Interessen schützen, die christlichen Kulturgüter erhalten und die soziale Gerechtigkeit und den Schutz der sozial Schwachen sichern wollen. Stolberg unterstreicht aber gleichzeitig, dass diese erste Fassung sehr viel aus den Erfahrungen der alten österreichischen Partei und aus dem reichsdeutschen Zentrum schöpfe. Es sei das Programm einer Partei der Mitte, jeden Radikalismus ablehnend, das auf dem Boden der gegebenen Verhältnisse stehe. „Die Partei wird manchmal missverständlich als katholische Partei bezeichnet. Die Bezeichnung als katholische Partei ist offenbar irrig. Denn weder die Parteigrundsätze, noch die Parteiordnung enthalten irgendeinen Punkt, der Nichtkatholiken von der Partei ausschließen würde. Der Katholizismus als solcher ist auch nicht geeignet als Grundlage einer Parteibildung; denn jede politische Partei muss den Weg der Kompromisse beschreiten. Der Katholizismus aber ist grundsätzlich kompromisslos.“ Friedrich STOLBERG, Das neue Programm der christlich-sozialen Volkspartei, in: Volk und Glaube, S. 59. In dieser Hinsicht freilich ist Hilgenreiner pessimistisch. Bei rein diesseits orientierten Bürgern könne man kein Verantwortungsbewusstsein vor Gott erwarten. Hier fordert er die Erweckung

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In den sozialen Forderungen der Gegenwart sah Hilgenreiner eine Chance für eine Neuentdeckung elementarer christlicher Forderungen durch die Kirche, Forderungen, die man, solange man im Hofdienst der Fürsten stand, übersehen hatte.294 Wie im 19. Jahrhundert Bischof von Ketteler295 in seinen berühmten Adventspredigten im Mainzer Dom die Sozialpflichtigkeit des Eigentums im Rückgriff auf die Lehre des Thomas von Aquin unterstrichen hatte, so brachte auch Hilgenreiner diese Grundsatzentscheidung in das Programm der DCV ein.296 Die DCV stützte sich in ihrer Arbeit auf die christlichen Organisationen wie den Deutschen Katholikenrat, den Volksbund deutscher Katholiken, den Katholischen Frauenbund und die katholische Jugendbewegung ebenso wie selbstverständlich auf die Christlichen Gewerkschaften. Diese Organisationen waren quasi Arbeitsgemeinschaften der DCV, die das Gedankengut der Partei jeweils in ihren Wirkungskreisen verfochten, die die Mitglieder für die Partei rekrutierten und Lösungsvorschläge für die jeweils den eigenen Arbeitsbereich betreffenden Probleme erarbeiteten. Wie prägend die sozialen Aufgaben für christliche Politiker in der ersten Tschechoslowakei waren, zeigt nicht zuletzt die breite Palette an entsprechenden Beiträgen in der Festschrift für Hans Schütz.297 Die Gestaltung der Sozialpolitik in der ersten tschechoslowakischen Republik von der Gesetzgebung bis zur Gewerkschaftsarbeit und zur konkreten sozialen Absicherung der Arbeiter bildete einen wichtigen Erfahrungsraum für diejenigen Politiker in der Bundesrepublik Deutschland, die aus den Vertriebenenkreisen vor allem der Sudetendeutschen kamen, die eng kooperiert hatten mit den christlichen Politikern und der Christlich-Sozialen Volkspartei, den Christlichen Gewerkschaften, den Kirchen und nicht zuletzt mit dem Deutschen Orden. Das macht der Beitrag von Richard Hackenberg deutlich, der letztlich indirekt auch den eigenen geistigen Hintergrund, den Erfahrungsraum ausleuchtet, der für Hackenberg und seine soziale Initiative mit der Leitung des Wohnheimes in Frankfurt, wie auch

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eines Staatsgefühles, das in der Republik sicherlich nüchterner sein werde als in der Monarchie, aber auch dort nicht vernachlässigt werden dürfe. Gerade in mehrnationalen Staaten sei dies eine grundsätzliche Aufgabe einer klugen Staatsführung. Der Staatspatriotismus soll also nach Möglichkeit über die nationalen Differenzen hinweghelfen. Vgl. Katholiken-Korrespondenz 1, 1920, S. 227. Vgl. Karl BREHMER, Wilhelm Emmanuel von Ketteler (1811 – 1877) – Arbeiterbischof und Sozialethiker. Auf den Spuren einer zeitlosen Modernität. Regensburg 2009. Das Gemeinwohl ist das oberste Ziel und als solches setzt es dem Recht des einzelnen auf Privateigentum eine unbedingte Grenze. Eigentum an Produktionsmitteln hält Hilgenreiner für ökonomisch sinnvoller als Vergemeinschaftung. Die wirtschaftlich Selbständigen müssten vermehrt werden, das Interesse des Arbeiters an seiner Arbeit und am Unternehmen gefördert werden. Hilgenreiner denkt hier in der Industrie daran, den Arbeitern Anteil an der Unternehmensleitung und Gewinnbeteiligung einzuräumen. Mit den sozialen Reformen sollten neue soziale Gesetze geschaffen werden, die aber nicht Selbstzweck sind, sondern immer den sozialen Menschen zum Ziel haben. GLASSL / PUSTEJOVSKY, Ein Leben – drei Epochen.

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Abschnitt III

als hessischer Landespolitiker wichtig wurde.298 Ein Gefahren dräuendes Bild gebrauchte P. Paulus Sladek299 für einen Beitrag in ‚Volk und Glaube‘ 1936 über die religiöse Erneuerung im Sudetendeutschtum, wenn er von den „an den Bergwänden hängenden Lawinen“ sprach.300 Sladek stellte eine Kluft zwischen Volk und Kirche fest, da das Volk die Kirche nicht mehr verstehe, ja die Meinung verbreitet sei, dass die Kirche geradezu im Gegensatz zum völkischen Daseinskampf stehe. Sladek mel-

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Richard HACKENBERG, Der Deutsche Orden und die katholisch-soziale Bewegung, in: GLASSL / PUSTEJOVSKY, Ein Leben – drei Epochen, S. 341-357. Der am 28. Januar 1908 in Triebnitz bei Lobositz im Bezirk Leitmeritz an der tschechischdeutschen Sprachgrenze geborene Fritz Sladek hat 1922 am nordböhmischen Gautag des Staffelstein auf der Ruine Tollenstein teilgenommen und war beim Bundestag 1924 in Schwoika bereits Gruppenführer. 1926 hatte er auch die Reifeprüfung an der Realschule in Böhmisch-Leipa mit Auszeichnung abgelegt. Staffelstein ist die geistige Heimat, der Motivationshintergrund für die Wahl des Priestertums und den Ordenseintritt. In den Klöstern der Augustinereremiten in Prag und Böhmisch-Leipa sollten Mittelpunkte für die religiöse Erneuerung aufgebaut werden. So trat auch Fritz Sladek im Oktober 1926 als Frater Paulus bei den Augustinern ein und kehrte nach dem Noviziat in Münnerstadt in Franken 1927 nach St. Thomas auf der Prager Kleinseite zurück. Von 1927 bis 1932 studierte er an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Deutschen Universität in Prag Theologie, u.a. auch beim Dogmatiker Michael Schmaus. Im Juni 1931 im Veitsdom in Prag zum Priester geweiht, wirkte er ein Jahr als Kaplan in Böhmisch-Leipa und war daraufhin bis 1943 im Prager Augustinerkloster Klerikermagister und Brüderpräfekt. 1933 promovierte er mit einer Arbeit über den Prager Theologen der Aufklärungszeit Kosmas Schmalfus bei Professor August Naegle, dem Kirchenhistoriker, der Pater Paulus als seinen Nachfolger wünschte; dieser wurde dann aber Eduard Winter. Nachdem Schmaus 1932 einem Ruf nach Münster gefolgt war, konnte Pater Paulus Sladek ab dem Wintersemester 1934/35 die Dogmatik an der Prager Universität vertreten. Von Schmaus wurde Sladek an die scholastische Theologie herangeführt, vor allem seine Studien über Thomas von Aquin, u.a. die Habilitationsschrift „Gott und Welt nach dem Sentenzenkommentar des Heiligen Thomas von Aquin“ sind in diesem Kontext entstanden. Mit der Habilitation 1939 hatte er den Weg für eine akademische Laufbahn geebnet. Seit 1934 war Sladek akademischer Prediger an der Salvatorkirche in Prag. In dieser Funktion und als Lehrbeauftragter für Dogmatik unterstützte er Adolf Kindermann in dem Bemühen, ein zentrales deutsches Theologenkonvikt zu errichten, nachdem die Theologiestudenten nach dem Anschluss des Sudetenlandes an das Deutsche Reich 1938 aus dem gemeinsamen Priesterseminar in Prag ausziehen mussten. 1934 wurde Paulus Sladek darüber hinaus zum Geistlichen Beirat des Bundes Staffelstein bestellt. Fragen und Themen der Jugendseelsorge griff Sladek auch auf der Reflexionsebene auf, in seiner Tätigkeit als Redakteur der Beilage zum „Verbandsblatt der deutschen katholischen Geistlichkeit“, dem „Werkblatt für Jugendseelsorge“. Das Ausmaß seiner seelsorgerlichen Aktivitäten und seine Jugendarbeit machte Pater Paulus Sladek für die Nationalsozialisten verdächtig. Er meldete sich freiwillig zur Wehrmacht und wurde im März 1943 einberufen. Bis Ende April 1945 war er als Sanitäter tätig. Zu Kosmas Schmalfus vgl. Augustinus Kurt HUBER, Kosmas Schmalfus (1730 – 1811) – ein Prager Augustinertheologe der Aufklärungszeit. In: Cornelius P. MAYER / W. ECKERMANN, Scientia Augustiniana FS Adolar Zumkeller. Würzburg 1975, S. 469-511. Vgl. Paulus SLADEK (unter dem Pseudonym Franz GÄRTNER veröffentlicht): Die Lawinen hängen an den Bergwänden. Religiöse Erneuerung aus gläubig-schöpferischer Idee im Sudetendeutschtum, in: Volk und Glaube?; nachgewiesen in Königstein, Institut für Kirchengeschichte Böhmen, Mähren, Schlesien, Dossier Seelsorge.

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dete also deutliche Defizite in der Wahrnehmung dieser scheinbaren Primäraufgabe der Sudetendeutschen an. Andererseits aber ließe sich im Volk, vor allem in der Jugend, ein aufrichtiges Verlangen nach religiösen Kräften ausmachen. Die Formen der Seelsorge und des Gottesdienstes wären nicht mehr kompatibel mit diesen Ansprüchen. Die Folgen waren nach Sladek gefährlich und deutlich. Ältere religiös-suchende Menschen fielen in vielfältige Sektiererei, die jüngeren ließen sich von einem unklaren Deutschen Christentum oder einer Deutschgläubigkeit Rosenbergscher Art faszinieren. Die Bedrohung für die sudetendeutsche Kirche wurde offensichtlich nach Sladek dadurch intensiviert, dass sie unterhalb einer ruhigen Oberfläche rumorte. Nach außen schiene alles beim Alten zu sein, während doch eine stille Los-von-Rom-Bewegung durch das Land ginge.301 Die Entfremdung von Kirche und Volk wurde nach Sladek zuerst durch die Antiquiertheit der Formen des kirchlichen Lebens verursacht. Die letzten Jahrzehnte hätten eine Unmenge wertlosen und sentimentalen Tand in Lied und Ausstattung in die Gotteshäuser gebracht, der den heroischen Kern des Christentums verdeckte. Das Volk hätte in der gleichen Zeit bedeutende innere und äußere Umwandlungen erfahren durch Industrialisierung, Weltkrieg und völkischen Aufbruch. In diesem Umbruch fehlten die neuen Formen gottesdienstlicher Gestaltung, die Predigten, die den neuen Geist aus christlichem Glauben religiös zu prägen vermochten. Sehr optimistisch taxierte Sladek die volksliturgische Arbeit, aber sie wäre noch weit davon entfernt, eine ‚Bewegung‘ zu sein. In erster Linie die Jugend sei Vorreiter einer gedanklichen Neuorientierung, die wegführte vom Individualismus und Liberalismus und hinzielte auf eine ganzheitliche Betrachtung des Lebens, auf die Hochschätzung der Gemeinschaft, auf die Verbindung zu metaphysischen und religiösen Wirklichkeiten.302

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„Eine Erschütterung, ein äußerer Konflikt – und welches Widerstreits müssen wir nicht gewärtig sein! – kann die Last lösen und Verderben und Verwüstung schaffen. Kirchliche Kreise scheinen sich des Ernstes der Situation kaum bewusst, zumindest geschieht nichts Durchgreifendes, das Unheil zu verhindern – wenn dies überhaupt noch in Menschenhand liegt.“ Voraussetzung für die Überwindung der Gefahren ist eine klare Erkenntnis der vorhandenen Mängel. Es sei nicht berechtigt und auch nicht sinnvoll, die kulturkämpferische Haltung gewisser nationaler Kreise nur zu verdammen, solange die Katholiken durch Untätigkeit oder Unfähigkeit ihren Beitrag leisteten zum Versiegen der religiösen Kräfte im Volk. Das sichere Bewusstsein, die Wahrheit zu lehren, sei nicht hinreichend, wenn die Wahrheit nicht gelebt werde. „Während nun nach dem Krieg nur einige wenige aus dem Erlebnis der geistig-sittlichen Not des Volkes und jenem eben geschilderten Gemeinschaftserleben zu einer lebendigeren Erfassung des überlieferten katholischen Glaubens gelangten und dadurch Begründer einer fruchtbaren Einheit von Glaube und Volkstum wurden, die noch heute in katholischen Bünden weiter lebt, gerieten die sogenannten nationalen Kreise der jungen Generation, die vom Elternhaus her meist nur ein liberalisiertes, innerlich ausgehöhltes Christentum kannten, aus ihrem Streben nach Wahrhaftigkeit und Echtheit in vielen Fällen nur zu einem Gegensatz zu dem Christentum ihrer nächsten Umgebung, nicht aber zu einer tieferen und lebendigeren Erfassung der religiösen Glaubenswelt und der kirchlichen Lebensgemeinschaft.“ Paulus SLADEK, Und unsere Jugend? in: Katholiken-Korrespondenz 28 (1934), S. 147-168, hier 148f.

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Abschnitt III

In dem von Heinrich Donat herausgegebenen Überblickswerk über die deutschen Katholiken in der tschechoslowakischen Republik verfasste Sladek den Überblick über die katholischen Jugendbünde.303 Die Jugendorganisationen, die in ihren Wurzeln auf die Vorkriegszeit zurückgingen – eine Ausnahme war der 1920 am MariaScheiner-Katholikentag ins Leben gerufene Studentenbund ‚Staffelstein‘ – verzeichneten in den ersten Nachkriegsjahren breiten Zulauf – als Gegentendenz gegen eine in der Diktion Sladeks sozialistische Welle.304 Sladek sprach von einer Revolution der Jugend, die man Jugendbewegung genannt habe. Sie habe sich mittlerweile gesammelt und gestrafft zu einer Erziehung in den Bünden, in denen nicht mehr künstlerischer Individualismus maßgebend gewesen sei, sondern die Einordnung und der selbstlose Dienst am Ganzen.305 Als Ziele dieser Jugendbewegung bezeichnete Sladek die Umgestaltung der bisherigen alten Formen des Vereinskatholizismus und deren Erfüllung mit neuen Inhalten. Dadurch könnten dem kommenden Volksaufbau wertvollste Dienste aus katholischer Glaubenskraft heraus geleistet werden. Die positive Würdigung der zeitgenössischen Bewegungen führte Sladek schließlich zu dem Appell, die apologetische Tendenz abzulegen, die Ghettomentalität gerade in der Seelsorge zu überwinden – also die Affinitäten religiöser und volklicher Erneuerung zu betonen.

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Heinrich DONAT, Die deutschen Katholiken in der tschechoslowakischen Republik. Eine Sammlung von Beiträgen zur geistigen und religiösen Lage des Katholizismus und des Deutschtums: Warnsdorf 1934, S. 258-266. Vgl. NITTNER, Staffelstein. Vgl. DONAT, Die deutschen Katholiken, S. 259.

ABSCHNITT IV: ETAPPEN DER ENTWICKLUNG KÖNIGSTEINS

1.

Erste Phase des Aufbaus 1946/47

Nachdem sich auch die Diözesanvertriebenenseelsorger-Konferenz Anfang August 1946 in Eichstätt für die Errichtung des Konviktes in Königstein eingesetzt1 und sich die Fuldaer Bischofskonferenz für das Projekt Königstein entschieden hatte, konnte Büttner an die Konkretisierung des Planes gehen. Eine erste notwendige Maßnahme war, Schwestern zur Führung der Ökonomie zu finden. Büttner dachte zunächst an Deutsch-Ordensschwestern aus Troppau.2 Parallel dazu hatten die Sondierungen Bischof Kallers stattgefunden, der spätestens seit der Beauftragung durch den Papst als Oberhirte für die Vertriebenen den Plan Königstein mittrug und die Vorbereitungen mitverfolgte. Er schrieb an die ermländischen Katharinerinnen und wünschte, dass sie in Königstein ihre Tätigkeit aufnehmen. Mit dem 15. November 1946, dem Gedenktag des Hl. Albertus Magnus, wurde das Priesterseminar in Königstein eröffnet. Am 3. Dezember 1946 wurde der Mietvertrag zwischen dem Finanzamt Frankfurt und der Kirchlichen Hilfsstelle, vertreten durch Monsignore Albert Büttner, unterzeichnet.

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2

Wie drängend Büttner die Aufgabe der Kirche in der Nachkriegssituation und besonders angesichts der Not der Vertriebenen und Flüchtlinge sah, formulierte er im Schlusswort einer Tagung von über 100 heimatvertriebenen deutschen Seelsorgern, die vom 6. bis 8. August 1946 in Eichstätt stattfand. Viele Menschen erwarteten in dieser Not von der Kirche Hilfe. Das sei eine große und herrliche Stunde für die Kirche und den Priester – beinahe ein freudiger Ausruf, der fremd anmutet, klingt er doch nach einer gewissen Freude über die Notlage vieler Gläubigen, die der eigenen Sache Nutzen und Vorteil bringt. Es handle sich um eine Stunde von ungeheurer Verantwortung, könne doch die Kirche in dieser Krise sehr viel für das Reich Gottes gewinnen, aber auch sehr viel zerstören, wenn sie den Ruf nicht höre. „Unsere Herzen müssten größer sein. Wir müssten noch mehr Verständnis, noch mehr Liebe in uns haben, noch mehr Kraft des Herzens und der Nerven, um in dieser Zeit der Ernte für Christus und sein Reich nicht zu versagen. Das Wort Gottes wird beim Nächsten nicht wirken, wenn er nicht fühlt, dass es aus einem guten Menschenherzen kommt. Die Menschen müssen zuerst dem Menschen begegnen, damit sie dann auch den Priester finden können.“ Es spricht für ein teilweise reflektiertes und aufgeschlosseneres Konzept von Seelsorge, wenn Büttner den Menschen voranstellt und nicht den Priester in den Mittelpunkt rückt. KZG Bonn. RKA D XI.14, ein Schreiben Büttners an die Provinzoberin der DeutschOrdensschwestern in Passau vom 8. September 1946.

268

Abschnitt IV

Mit etwa zehn Lehrerinnen und Lehrern nahm die St. Albertus-Schule am 8. Januar 1947 den Unterricht auf. Dort wurden diejenigen zum Abitur geführt, die bisher die Hochschulreife noch nicht erwerben konnten. Der Reifeprüfungslehrgang für die Gymnasiasten, die, vor dem Kriegsdienst den Reifevermerk erlangt hatten und nunmehr, aus ihrer Heimat vertrieben, die Reifeprüfung nachholen wollten, um sich dem Studium der Theologie zu widmen, gliederte sich in zwei Kurse: Ein erster halbjähriger war konzipiert für die Schüler, die aus der 8. Klasse entlassen worden waren, um dann in den Krieg zu ziehen, ein zweiter für solche, die aus der 7. Klasse mit Reifevermerk entlassen worden waren. Jeder der beiden Kurse teilte sich in einen realgymnasialen und einen gymnasialen Zug – je nach Vorbildung der Kursteilnehmer. Für die Teilnehmer des realgymnasialen Zuges wurden besondere Stunden für Latein und Griechisch eingerichtet, da diese beiden Sprachen für das Studium der Theologie gebraucht wurden. Als Lehrer waren vorgesehen: Monsignore Dr. Paul Ramatschi, früher Regens und Dozent des Priesterseminars in Breslau, dann Studienrat Brix für Latein und Griechisch. Er war Flüchtling aus dem Sudetenland. Studienrat August Jobst für Englisch und Französisch, Studienrat Schwarz aus Oberstdorf für Deutsch, Geschichte und Philosophische Propädeutik, Studienrat Ricken für Mathematik, Physik und Chemie und (die) Studienassessorin Gertrud Reichel aus Ostpreußen für Erdkunde. Gemeinschaftskunde wollte Prof. Kindermann übernehmen. Der zweite Schritt nach diesem Reifeprüfungslehrgang sollte die Einrichtung einer höheren Schule für vertriebene Gymnasiasten sein, die die Absicht haben, Theologie zu studieren. Mit Schreiben vom 16. November 1946 an das Großhessische Staatsministerium für Kultus und Unterricht wurde um die Genehmigung gebeten, mit dem Aufbau einer solchen Anstalt beginnen und die Klassen Untersekunda und Obersekunda einrichten zu dürfen. Für beide Klassen liege eine genügende Anzahl von Anmeldungen vor. Zunächst sollten die oberen Klassen eingerichtet werden, weil für diese die größte Notwendigkeit bestünde, um Kriegsteilnehmern, die bereits viele Jahre verloren hatten, die Möglichkeit zum Besuch öffentlicher Schulen zu geben. Alle Schüler des Reifeprüfungslehrgangs und auch die der folgenden höheren Schule sollten in einem Konvikt unter geistlicher Leitung erzogen werden. Als Regens war Paul Ramatschi ernannt, zum Präfekten wurde Pfarrer Krzoska berufen.3 Die Zahl der Schüler für den Reifeprüfungslehrgang betrug 1946 59, von denen 13 am Halbjahreskurs und 32 am Ganzjahreskurs teilnahmen; 14 wurden auf eine Sonderreifeprüfung vorbereitet.4 Die Unsicherheit und das pragmatische Vorgehen generierten manche Unzulänglichkeit. So beklagten die Lehrer der St. Albertschule im Juni 1947, dass sie zwar schon seit Monaten ihren Dienst versahen, aber noch keine Dienstverträge abgeschlossen worden seien. Es sei ihnen zwar zugesichert worden, dass sie sowohl hin-

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KZG Bonn. RKA D XI.4, Schreiben an das Großhessische Staatsministerium für Kultus und Unterricht Wiesbaden vom 16. November 1946, 3. S. masch. KZG Bonn. RKA D XI.12, Schreiben Büttners an das Hessische Kultus- und Unterrichtsministerium vom 5. Dezember 1946.

Etappen der Entwicklung Königsteins

269

sichtlich des Gehaltes wie auch der Altersversorgung den Berufskollegen an den öffentlichen höheren Schulen gleichgestellt werden sollten. Nur unter dieser Voraussetzung hätten sie ihre Arbeitskraft der Anstalt zur Verfügung gestellt, zumal sie beamtete Stellen aufgegeben oder ausgeschlagen hatten. Diese Zusagen sollten nun auch eingehalten werden.5 Wie schwierig diese Anfänge waren, nicht nur im Hinblick auf den Erwerb der Räumlichkeiten, auf die Gewinnung von Lehrkräften und auf die Finanzierung der Projekte, sondern gerade auch auf die Konstitution der Schüler und Studierenden, zeigt ein ärztlicher Bericht über den Ernährungs- und Gesundheitszustand der Studenten vom August 1947. Nach diesem Bericht sind alle im Priesterseminar und Konvikt wohnenden 214 Studenten und Schüler untersucht worden. Nur 7% der 212 Studenten, nämlich 15, waren ausreichend ernährt. 18,6% waren schlecht ernährt und etwa drei Viertel weit unterernährt. Vor allen Dingen die Jugendlichen unter 18 Jahren waren sehr schlecht ernährt, bedeutend schlechter als die älteren. Die Unterernährung hatte weitere gesundheitliche Auswirkungen, zum Teil bis hin zu erheblichen Blutdruckstörungen und erhöhter Anfälligkeit für Infektionskrankheiten.6

1.1.

Suche nach einer Regelung für die Verwaltung Königsteins

Noch im Juli 1947 war bis zur endgültigen (rechtlichen) Festlegung als Rechtsträger der Häuser in Königstein die Kirchliche Hilfsstelle unter Albert Büttner festgelegt worden. Die Kompetenz zur inneren geistigen Ausrichtung der Häuser wurde dem Regens in Verbindung mit den Hausoberen zugesprochen, die Verwaltung war Büttner in gemeinsamer Beratung mit dem neu (?) errichteten Beirat, in dem alle wichtigen Fragen besprochen werden sollten, vorbehalten. Der Beirat setzte sich zusammen aus Büttner, Regens Ramatschi, Prof. Kindermann, dem Subregens Krzoska, Prof. Kleineidam als Rektor und Direktor Janko. Alle zwei Wochen sollten Besprechungen stattfinden, die Büttner einberufen und leiten sollte. Wurde in strittigen Themen keine Einigung gefunden, sollte der Protektor der Kirchlichen Hilfsstelle, Bischof Berning von Osnabrück, als Schiedsstelle fungieren. Als „wichtigere Fragen“, die der gemeinsamen Beratung unterlagen, galten die Anstellung und Entlassung des Personals, die Planung, der Ausbau und die Verteilung der Räume, Gehalts-, Lohn- und Unterstützungsfragen sowie die Aufstellung des Etats.7 Einen guten Monat später, am 22. August 1947, richtete Frings ein Schreiben an Ramatschi als dem Senior der in Königstein tätigen Herren, in dem er den Plan skizzierte, einen Trägerverein für Königstein zu bilden und der Kirchlichen Hilfsstelle die Sorge für die Deutschen aus Südosteuropa und die wissenschaftliche Behandlung des

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KZG Bonn. RKA D XI.12, Schreiben der Schulleitung an Bischof Kaller vom 6. Juni 1947. KZG Bonn. RKA D XI.3, ärztlicher Bericht über den Ernährungs- und Gesundheitszustand der Studenten und Schüler des Priesterseminars und des Albertus-Magnus-Kolleg in Königstein/Ts., vom 5. August 1947, 2 S. masch. KZG 3089, Schreiben an Kardinal Frings von Köln vom 11. Juli 1947.

270

Abschnitt IV

Flüchtlingsproblems zuzusprechen.8 Bis zur Gründung des Vereins sollte für die Verwaltung des Hauses die Vereinbarung gelten, die am Begräbnistag von Kaller getroffen worden war, also die im Brief an Frings skizzierten Regelungen. Ein früherer Versuch, die Verwaltung der Institute in Königstein zu regeln, datiert vom 9. Mai 1947. Dort wurde bereits die Initiierung eines e.V. ins Auge gefasst, dessen Mitgliederzahl niedrig gehalten werden sollte. Als Mitglieder waren vorgesehen der Königsteiner Bürgermeister Faßbender, der Königsteiner Pfarrer, ein Jurist, ein angesehener Bürger Königsteins, ein Vertreter der Schule, des Konvikts, der Hochschule und des Seminars. Mit diesem Verein sollten die äußeren Rechtsverhältnisse für die Königsteiner Einrichtungen, also das Gymnasium, das Knabenkonvikt, die Theologische Hochschule mit Theologenkonvikt – dieses war also im Mai 1947 bereits geplant, obwohl nur ein philosophischer Kurs zugelassen war – geregelt werden; das innere Leben sollte ein Seminarrat regeln. Bis zur Errichtung des Vereins sollte die Kirchliche Hilfsstelle nach außen Träger der Einrichtung Königstein bleiben, vertreten durch den bisherigen Leiter Albert Büttner. Der Seminarrat hatte beschlossen, dass Bischof Kaller die Oberleitung der Einrichtungen haben sollte. Zu klären war jedoch noch, ob die Verwaltungsgeschäfte allein von Bischof Kaller geleitet werden sollten oder von dem Königstein nach außen hin noch vertretenden Leiter der Kirchlichen Hilfsstelle Büttner unter Begrenzung seiner Kompetenz. Es sollte eine Verwaltungsordnung ausgearbeitet werden, die man rückwirkend zum 1. Mai 1947 in Kraft setzen wollte.9 Für die Hausverwaltung war nach der Errichtung des eingetragenen Vereins ein Ökonom vorgesehen, der eine Bürokraft als Unterstützung bekommen sollte. Um die Durchführung der anstehenden baulichen Veränderungen in dem großen Komplex überwachen und leiten zu können, werde eine zusätzliche Kraft gebraucht. Dieser Aufgabenbereich könne nicht dem Ökonom zugeschlagen werden. Bereits im Mai 1947 bestand die Konviktsleitung in Königstein aus dem Regens, dem Präfekten und dem Direktor Janko. Drei Professoren waren an der Philosophischen Hochschule tätig, dazu der Spiritual und 15 Lehrkräfte an der Schule. Die Verwaltung trugen drei Personen; Außerdem gab es zwölf Schwestern, acht Hausgehilfinnen und acht Handwerker und Arbeiter. Quasi die Ausgangslage skizzierte die Tagung des Seminarrates in Königstein vom 4. Februar 1947. Dort wurde nach ausführlichen Besprechungen zwischen dem Kardinal von Köln, dem Erzbischof von Paderborn Dr. Lorenz Jaeger, dem Bischof von Osnabrück Dr. Wilhelm Berning, dem Bischof von Speyer Dr. Josef Wendel, dem Bischof von Ermland Maximilian Kaller, und einem Vertreter des Bischofs von Limburg, nämlich dem Domkapitular Lamay sowie Albert Büttner beschlossen: „…außer dem Realgymnasium, für das bereits die staatliche Genehmigung erteilt ist, verbunden mit Konvikt, einen philosophischen Kurs von vier Semestern einzurichten. Dieser Kurs soll in Verbindung mit der Philosophisch-Theologischen Lehranstalt St. Georgen in Frankfurt/M. durchgeführt werden… Es ist geplant, drei Professoren 8 9

Vgl. auch Chronik der Hochschule, S. 26. Eine Gesprächsunterlage vom 9. Mai 1947 in KZG 3089.

Etappen der Entwicklung Königsteins

271

Lehrauftrag zu erteilen. Ein größerer Teil des zweiten großen Hauses soll für caritative Zwecke zur Verfügung gestellt werden. Die nähere Bestimmung über die Art der caritativen Einrichtung, die hauptsächlich Heimatverwiesene aufnehmen soll, soll in Gemeinschaft mit den Caritasdirektoren des Landes Hessen getroffen werden.“10 Bereits bei dieser Besprechung wurde festgelegt, dass der juristische Träger der gesamten Einrichtungen ein e.V. sein sollte, dessen Satzungen den Zweck und die Auflösungsbedingungen enthalten sollten. Finanziert werden sollte die geplante Einrichtung durch ein bereits vorhandenes Geschenk in Höhe von 190.000 RM; 12.000 RM sollte der Episkopat für die Einrichtung des Konvikts und 30.000 RM für den philosophischen Kurs zur Verfügung stellen. Die weiteren notwendigen Mittel sollten Verbände, vor allem das Werk der Hl. Kindheit, der Ludwig-Missionsverein und die Kirchliche Hilfsstelle bereitstellen. Auch hoffte man auf gelegentliche Sammlungen und freiwillige Spenden. Als Name für die gesamte Einrichtung wurde „Haus Königstein“ gefunden. Die Oberleitung der gesamten Einrichtung wurde ausdrücklich in die Hände des Sonderbeauftragten des Hl. Vaters gelegt, also Bischof Kaller übergeben, der seinerseits die Funktionen der Mitarbeiter bestimmen sollte. Fast zeitgleich scheint sich der Eindruck der Lehrer am Gymnasium verfestigt zu haben, dass sie gegenüber Priesterseminar und theologischem Studium hintangestellt würden. Sie formulierten Anfragen und Vorschläge zur Zukunft der St.-AlbertSchule. Am Beginn stand die Klage, dass die erhoffte und gewünschte enge wissenschaftliche und persönliche Zusammenarbeit zwischen der Lehrerschaft des Gymnasiums und des Realgymnasiums mit dem Lehrkörper der philosophisch-theologischen Hochschule sich nicht verwirklicht habe. Die Leitung der Königsteiner Gesamtanstalt durch einen Angehörigen des Priesterseminars habe sich nicht bewährt, da so die Erfordernisse der Schule nicht erkannt würden und die Tätigkeit und Entwicklung der Schule schwer gehemmt werde. So wünschten die Lehrer als Gesamtleiter eine neutrale Persönlichkeit, die weder dem Seminar noch der Schule angehöre. Die Schule müsse innerhalb des gesamten Komplexes Königstein eine selbständige Stellung erhalten. Als Weg in diese Richtung sah die Lehrerschaft die Ausarbeitung einer jeweils eigenen Dienstanweisung für Seminare und Schule. Sie forderte, dass die Stellung des Konvikts und der Konviktsleiter entsprechend geklärt und eine moderne Konviktserziehung gesichert werde. Bei der Einstellung von Lehrkräften solle der Schulleiter den Ausschlag geben. Von ihm solle der Vorschlag kommen, dann würden die Lehrkräfte durch die Vertreter des Unterhaltsträgers eingestellt. Außerdem solle der Schulleiter zu allen Sitzungen des Unterhaltsträgers hinzugezogen werden. Zusätzliche Lehr- und Lernmittel sollten angeschafft werden, ohne die die Schule ein Torso bliebe. Auch das ein Dauerthema, ein Dauermanko der Schule. Zur Schaffung einer engeren Verbindung mit der Elternschaft und um die Öffentlichkeitsarbeit auszudehnen, sollten ein Prospekt und Jahresberichte herausgegeben werden.11

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Bericht über die Tagung des Seminarrates in Königstein, 4. Februar 1947, in KZG 3089, drei S. masch., Zitat S. 2. Diözesanarchiv Limburg, 16A/1.

272

Abschnitt IV

Im November 1947 konnte Kindermann festhalten, dass innerhalb eines Jahres 49 Schüler in Königstein die Abiturprüfung abgelegt hatten. Bei der ersten Prüfung hatten alle Schüler bestanden, bei der zweiten am 7. und 8. November 1947, bei der sich 31 Schüler der Prüfung unterzogen, hatten ebenfalls alle das Examen bestanden. 3 davon mit Auszeichnung, 14 mit „gut“. Am 15. November 1947 wurden 15 Schüler vom Rektor in St. Georgen für das erste philosophische Semester immatrikuliert. 405 Menschen lernten und arbeiteten zu diesem Zeitpunkt in Königstein. 220 Schüler, 12 Studienräte bzw. Assessoren, 62 Hörer in beiden philosophischen Semestern, dazu Angestellte der Kirchlichen Hilfsstelle, Schwestern etc. Auch die Versorgung mit Lebensmitteln hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits günstig entwickelt. „Die Gesamtentwicklung, sowohl des Werkes in Königstein als auch der Kirchlichen Hilfsstelle bedarf allerdings einer schnellen und endgültigen Klärung. Seit Beginn machte sich die Unklarheit bzgl. der genauen Zweckbestimmung der Häuser in Königstein sehr hemmend und störend bemerkbar. Es ist unmöglich, die baulichen Veränderungen und die Einteilung der Räume vorzunehmen, wenn nicht endgültige Klarheit besteht. Zwar hat die hochwürdigste Bischofskonferenz von 1947 bestimmt, dass die Häuser in Königstein ab Ostern 1948 nur noch für Konvikt und Gymnasium Verwendung finden sollen. Aus verschiedenen Mitteilungen scheint sich jedoch zu ergeben, dass die Bestimmung doch noch keine endgültige sei. Aber es ist völlig unmöglich, Dispositionen über die Einrichtung der beiden Häuser, für die Umbauten zur Einrichtung von Klassenräumen und die Wohnungen zu treffen, wenn nicht klar ist, was werden soll. Die ständige Unsicherheit, der provisorische Charakter mancher Einrichtungen, der dadurch bedingt ist, verursachen eine Unruhe, die eine gute Entwicklung ständig hemmt…“12 Die Verbindung zur Hochschule in St. Georgen blieb auch nach der Trennung, nachdem Königstein die Eigenständigkeit erlangt hatte. Die Treffen des Königsteiner Lehrpersonals mit den Frankfurter Professoren gehörte ebenso zum Semesterablauf wie es selbstverständlich war, dass Königstein an außerordentlichen Ereignissen in Frankfurt Anteil nahm.13

1.2.

Unsicherheit der Rechtslage

Bereits am 1. Oktober 1947 sollte eine neue Rechtspersönlichkeit errichtet sein, welche die Trägerschaft der Institute in Königstein übernehmen sollte. Bis zur Errichtung dieser Rechtspersönlichkeit musste die Kirchliche Hilfsstelle die Trägerschaft weiterhin übernehmen. Für die Verwaltung wurde eine Kommission bestimmt. Eine längere Fortdauer dieser provisorischen Regelung würde nicht nur zu immer neuen Schwierigkeiten in der Regelung der laufenden Angelegenheiten, sondern auch auf die Dauer

12 13

Ebd. So vermerkt die Königsteiner Hochschulchronik, dass der Rektor, Kindermann und einige Professoren an der Festakademie zum 25-jährigen Bestehen der Hochschule St. Georgen am 8. November 1951 teilgenommen hatten. Chronik der Hochschule, S. 14.

Etappen der Entwicklung Königsteins

273

die Gesamtentwicklung des Institutes hemmen, wenn nicht sogar gefährden, so der Leiter der Hilfsstelle, Albert Büttner. Es sei ein auf die Dauer nicht tragbarer Zustand, dass die Kirchliche Hilfsstelle und ihr Leiter alle rechtliche Verantwortung nach außen, z.B. dem Finanzministerium gegenüber bzgl. des Gesamtkomplexes und dem Kultusministerium gegenüber bzgl. der Schule, trägt, andererseits ihre Kompetenzen in der Verwaltung ungeklärt und gehemmt bleiben,.

1.3.

Klarheit in der Finanzierung

Es war mit Kaller vereinbart worden, dass ab 1. Mai 1947 die Kirchliche Hilfsstelle für Königstein keine Geldmittel mehr aufzuwenden brauche. „In der Anlage überreiche ich eine Aufstellung der Aufwendungen und Einnahmen vom 1. Mai bis 31. Oktober 1947. Daraus ist ersichtlich, dass bis zum 31. Oktober die Kirchliche Hilfsstelle bereits wieder einen Betrag von fast RM 60.000 zur Verfügung stellen musste, der sich bis Ende des Jahres um schätzungsweise weitere RM 80.000 erhöhen wird. Es müsste dafür gesorgt werden, dass die für Königstein vorgesehenen Mittel nun tatsächlich auch greifbar werden. Für schnellsten Eingang von Mitteln, von den in Aussicht gestellten Beträgen (Zuschuss der Bischofskonferenz, Zuschuss der Missionswerke in Aachen usw.) müsste dringend gesorgt werden.“14 Dieses Schreiben Büttners war einer der Auslöser für die Konferenz in Köln-Hohenlind am 4. Dezember 1947, bei der die Leitung Königsteins an Kindermann übertragen wurde und ein eigener Verein als Träger der Anstalten ins Leben gerufen wurde.15 Dieser e.V. wurde am 13. Februar 1948 vom Hessischen Ministerium genehmigt. Am 17. Februar 1948 wurde der Verein beim Amtsgericht Königstein eingetragen. Ausdrücklich wurde festgehalten, dass besonders im Hinblick auf die Anstellungsbedingungen und Verträge der Lehrer im Gymnasium und Realgymnasium keine Rechtsnachfolge des e.V. gegenüber der Kirchlichen Hilfsstelle gegeben sei., Kindermann legte großen Wert darauf, dass der e.V. nicht Rechtsnachfolger der Kirchlichen Hilfsstelle sei – mit dem Hauptargument, dass strikte Sparmaßnahmen notwendig seien, da Königstein von Spenden lebte und damit den Spendern verpflichtet sei. Die Zusage Büttners, dass die Studienräte wie Lehrer an höheren Schulen in Hessen besoldet würden, konnte damit umgangen werden. Die Initiativen Kindermanns bei Frings für die Kontinuität in der Priesterausbildung zeigten erste Erfolge: Während die Bischofskonferenz 1947 beschlossen hatte, das Albertus-Magnus-Kolleg auf das Gymnasialkonvikt zu beschränken und das große Seminar, sprich das Konvikt, für die Theologiestudenten abzubauen, wollte Frings

14 15

Diözesanarchiv Limburg, 16A/1, Brief Büttners vom 20. November 1947 an Kardinal Frings in Köln, vier S. masch., Zitat S. 3f. Dem Verein gehörten an: Kardinal Frings, Bischof Dirichs, Kapitelsvikar Piontek für das Erzbistum Breslau, Prälat Hartz für die Freie Prälatur Schneidemühl, Großdechant Monse für die Grafschaft Glatz, Kapitularvikar Kather von Ermland, Msgr. Büttner von der Hilfsstelle in Frankfurt und Kindermann. – Vgl. dazu auch Chronik der Hochschule, S. 29.

274

Abschnitt IV

1948 dem Wunsch Kindermanns, der Königsteiner Professoren und auch der ostvertriebenen Priester nachgeben. Diese hatten auf der Konferenz der Diözesanflüchtlingsseelsorger in Königstein am 24. Februar eine Resolution verabschiedet16, dass wenigstens der philosophische Kurs in Königstein ermöglicht werden solle und man damit dem Wunsch der heimatvertriebenen Priester zumindest teilweise entgegenkomme. Auch eine Anfrage an den Episkopat ergab die Zustimmung der meisten Ordinarien. Allerdings müsste dafür die Aufnahme der Königsteiner Theologiestudenten als Gasthörer an anderen theologischen Hochschulen Deutschlands zur Vollendung ihres Theologiestudiums ermöglicht werden. Gleichzeitig wurde auf die finanzielle Lage Königsteins verwiesen, die so schwierig sei, dass jeder weitere Ausbau im Augenblick unmöglich erscheine, ja überlegt werden müsse, ob es nicht besser sei, die philosophischen Semester auch noch in das Gaststudium an anderen Seminaren einzubauen. Für die Zulassung des philosophischen Studiums in Königstein aber spreche, dass die wenigen Dozenten für diese Arbeit schon in Königstein vorhanden seien und die Kosten nicht zu hoch erschienen. Deutlich sieht man in dieser Phase das Ringen um die eigentliche Ausrichtung und damit die Konkretisierung der Aufgabe Königsteins. So wurde gefordert, dass der Charakter des Diasporaseminars noch stärker unterstrichen werden müsse gegenüber einem exklusiven Ostseminar. „Wichtig erscheint mir das Zusammenwirken von Priestern aus Ost und West und auch von Studienräten von Ost und West in den Königsteiner Anstalten, damit der ganzen Realität des späteren Einsatzes dieser Theologen Rechnung getragen wird und nicht durch eine zu einseitige heimwehbetonte Atmosphäre die zukünftigen Priester verbogen werden.“17

16 17

Kleineidam hielt in der Hochschulchronik für diese Konferenz heftige Auseinandersetzungen fest, ohne Gründe oder Hintergründe zu nennen. Chronik der Hochschule, S. 30. Zweiseitiges Votum bzgl. Albertus-Magnus-Kolleg Königstein, nicht gezeichnet, Diözesanarchiv Limburg, 16 a/1, Zitat S. 2.

Etappen der Entwicklung Königsteins

2.

275

Die Bischöfe und der Ausbau Königsteins

Voten der Bischöfe Kardinal Frings hatte seine Mitbrüder im Bischofsamt um ein Votum zu Königstein gebeten. Die bereits zitierte Äußerung von Franz Hartz war eine Antwort. Das Schreiben datiert auf den 27. Februar 1948.18 Auslöser war das Votum der Flüchtlingsseelsorger in Königstein, die sich am 23./24. Februar 1948 für das Große Seminar in Königstein eingesetzt hatten. Sie bezeichneten es als Kernstück der Königsteiner Anlagen, für das sich Kaller mit seiner ganzen Liebe eingesetzt habe und als (die) Stätte, an der die östliche Kultur und Frömmigkeit besondere Pflege gefunden habe. Die Flüchtlingsseelsorger sahen die finanzielle Seite nicht als das große Problem, da das Große Seminar gegenüber einem vergrößerten Konvikt kaum Mehrkosten entstehen lasse. Frings brachte sein und auch Dirichs Votum bereits in der Umfrage deutlich zum Ausdruck, indem er unterstrich, dass er sich den Gedanken der Vertriebenenseelsorger nicht verschließen wolle, sondern für die Erhaltung des Königsteiner Großen Seminars eintrete. Der Hildesheimer Bischof Machens antwortete Frings in dieser Angelegenheit am 13. März 1948.19 Er votierte gegen die Fortexistenz des Großen Seminars, also des Priesterseminars, und damit auch des Philosophischen und Theologischen Studiums in Königstein mit dem Argument, dass er für seine Diasporadiözese darin einen irreparablen Schaden sehe. Denn solange die Aufnahme von Theologen in Königstein möglich war, meldete sich kaum einer derjenigen Ostdeutschen, die im Bereich der Diözese Hildesheim wohnten und Theologie studieren wollten, beim Ortsordinarius. Machens fühlte sich uninformiert. Er wusste überhaupt nicht, wer aus seiner Diözese Theologie studieren wollte. Freilich sah er einen Vorteil darin, dass die ostdeutschen Theologen mit der Fortführung Königsteins von den süddeutschen Diözesen in größerer Zahl ferngehalten werden könnten, aber der Nachteil im Hinblick auf die Diasporabistümer überwog in seinen Augen deutlich. Wer also hatte das Recht zu entscheiden? Der Herkunftsordinarius oder der Ortsordinarius? Letztlich ging es um die Frage, ob die ordentliche Seelsorge oder eine

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Das Schreiben Frings an die Bischöfe vom 27. Februar 1948 mit der Bitte um ein Votum bzgl. Königsteins ist abgedruckt in den Akten Deutscher Bischöfe 1948 – 1949, S. 124f., Dokument 27. Machens an Frings, 13. März 1948 in Akten Deutscher Bischöfe 1948 – 1949, S. 154-156, Dokument 39.

276

Abschnitt IV

außerordentliche das letzte Wort haben. Machens Position votierte eindeutig für die Stärkung des Ortsordinarius des Aufnahmegebietes. Auch Bischof Berning von Osnabrück, der sich über Büttner und die Hilfsstelle in Frankfurt sicher Verdienste im Aufbau der Vertriebenenbetreuung und auch im Erwerb Königsteins erworben hatte, votierte für das Diözesanprinzip. Er wollte, dass die Abiturienten von Königstein möglichst bald Verbindung mit der Diözese bekommen, in der sie dann später auch unter den Vertriebenen als Priester wirken sollten. Sie sollten im Priesterseminar des Aufnahmebistums der Vertriebenen, also in den Diasporadiözesen, ihre Ausbildung haben. „Wenn die Theologen vier Jahre in Königstein bleiben und dann erst in das Priesterseminar der Diözese eintreten, für die sie sich entscheiden, bleiben die vier Jahre des Großen Seminars für die Einfügung in die Diaspora wertlos.“20 Berning fügte als Bedenken die Finanzierung einer vollen Theologischen Hochschule in Königstein hinzu, wollte aber seine Ablehnung nicht grundsätzlich verstanden wissen: mit dem Hinweis auf die Möglichkeit, dass die Gesamtkonferenz zustimmt, werde auch er sich einverstanden erklären, dass vorläufig bis Ostern 1949 der Philosophische Kurs in Königstein weitergeführt werde. Es sei dann auf der Konferenz in Fulda zu entscheiden, ob zu Ostern 1949 noch ein Theologischer Kurs aufgebaut werden soll. Dass gerade Berning eine Affinität zum weiten Aufgabenbereich der Vertriebenenseelsorge aufwies, war nicht zuletzt seiner Eigenschaft als Protektor des RKA zu verdanken. Darauf spielte er auch an, als er auf die Einladung der südostdeutschen Priester, am Treffen in Königstein vom 7. bis 9. Januar 1948 teilzunehmen, antwortete: „Es wäre mir eine besondere Freude gewesen, in Eurer Mitte zu weilen; denn als der vom Heiligen Vater ernannte Protektor der Seelsorge der deutschen Katholiken im Südosten Europas habe ich auf mehreren Reisen Eure Heimat mit ihrer landschaftlichen Schönheit, mit ihrer wechselvollen Geschichte, mit ihren seelsorglichen Bedürfnissen und Schwierigkeiten kennen– und lieben gelernt.“21 Berning unterstrich, dass er die Spezifika, auch die spezifischen größeren Schwierigkeiten der Deutschen aus dem Südosten kenne und schätze, weil sie mit dem katholischen Glauben auch die Werte der deutschen Kultur der Vorfahren bewahrten. Daher sei es notwendig, dass ihnen eine besondere Sorge zuteil werde. Er unterstrich, dass er bei der Fuldaer Bischofskonferenz beantragt und diese dementsprechend beschlossen habe, die Kirchliche Hilfsstelle solle sich in erster Linie der Brüder und Schwestern aus dem Südosten annehmen und ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen. „Sie soll Euch im kirchlichen Auftrag helfen, unter Berücksichtigung Eurer Vergangenheit und unter Wahrung Eurer Sitten und Gebräuche Euch Wegweiser und Wegbereiter in eine neue Zukunft zu sein. Darum ist es notwendig, dass alle für die Südostdeutschen tätigen Beratungsstellen, die von anderen Organisationen schon eingerichtet sind, sich in die Arbeit der Kirchlichen Hilfsstelle eingliedern, damit eine planmäßige und einheitliche Betreuung der Südostdeutschen erfolgen

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Berning an Frings am 12. März 1948 in Akten Deutscher Bischöfe 1948 – 1949, S. 149f., Dokument 36, Zitat 149. Berning an die Teilnehmer der Tagung der südostdeutschen Priester in Königstein am 3. Januar 1948 in Akten Deutscher Bischöfe 1948 – 1949, S. 64f., Dokument 2, Zitat S. 64.

Etappen der Entwicklung Königsteins

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kann. Es wird sicherlich im Interesse der Sache von allen Beteiligten in gemeinsamer Überlegung die beste Lösung dafür gefunden werden.“22 Der Paderborner Erzbischof Jaeger war qua Amt des Vorsitzenden des Diasporakommissariates kontinuierlich darum bemüht, einen Finanzausgleich zwischen den Süddeutschen und den Diasporabistümern herbeizuführen. Auf die Frage Frings nach dem Großen Seminar in Königstein antwortete der Paderborner Erzbischof Jaeger mit dem Argument, dass dieses in die Russische Zone hineingehöre. Er befürchtete die Abschnürung des Ostens vom übrigen Deutschland bereits im März 1948 und sah den zentralen Aufgabenbereich eines solchen Sonderseminars vor allem in der Sowjetischen Besatzungszone. In den Westzonen sei die Sonderausbildung nicht nötig.23 Im Übrigen wies auch Jaeger auf die finanziellen Schwierigkeiten eines Seminars in Königstein hin, vor allem nach der Währungsreform. Er wollte das Seminar nur unterstützen, wenn dadurch die Errichtung der Theologischen Fakultät an der Universität Frankfurt ermöglicht werde, die er für das katholische Deutschland für sehr wünschenswert hielt. Als 1948 Frings die Bischöfe nach der Meinung zu Königstein fragte, zeichnete sich deutlich eine Achse der Zustimmung im Süden ab. Faulhaber gab ein sehr positives Votum, auch der Bischof von Rottenburg, Sproll, wohingegen gerade die betroffenen Diasporadiözesen wie Hildesheim, Paderborn, Osnabrück gegen eine Etablierung eines Philosophisch-Theologischen Studiums in Königstein votierten, ebenso Mainz und Fulda.24

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Berning an die Teilnehmer der Tagung der südostdeutschen Priester in Königstein am 3. Januar 1948 in Akten Deutscher Bischöfe 1948 – 1949, S. 65. Jaeger an Frings am 11. März 1948 in Akten Deutscher Bischöfe 1948 – 1949, S. 148, Dokument 35. HAEK CR II 25.20d,2.

278

Abschnitt IV

3.

Eine ernste Gefahr für die Königsteiner Initiativen

Ein entscheidender Schritt der Konsolidierung war der Kauf der Königsteiner Anstalten 1952. Doch zuvor drohte der Verlust an die Besatzungsmacht. Dramatisch war die zweite Hälfte des Jahres 1950 verlaufen, nachdem im Sommer zwei deutsche Bauingenieure auf Veranlassung der Amerikaner die Kasernen in Königstein kontrolliert hatten, um zu sondieren, ob sie für die Bedürfnisse der Besatzungsmacht in Frage kämen. Am 17. Oktober rief die Frau des Königsteiner Bürgermeisters Kindermann an und teilte ihm offiziell mit, dass in den nächsten Tagen zwei amerikanische Offiziere mit der Frage kämen , welche Zeit Kindermann brauche, um eine Räumung in Königstein durchzuführen. Tags darauf fuhr Kindermann mit Kleineidam zum Vertriebenenminister Lukaschek nach Bonn zu einem Gespräch, dann zu Kardinal Frings nach Köln, der sich in einem Schreiben für Königstein einsetzte.25 Auch Bischof Kempf26 von Limburg wurde eingeschaltet. Am darauffolgenden Tag, am Donnerstag, den 19. Oktober, fuhren Kleineidam und Kindermann ins Hauptquartier der Amerikaner nach Heidelberg, um ihr Anliegen vorzubringen.27 Am 2. November suchten sie das Finanzministerium in Wiesbaden auf, wo Ersatzraum angeboten wurde. Gesprochen wurde von Kasernen in Fulda. Am 8. November besichtigten sie mit einer Kommission Adolfseck.28 Auch der Nuntius wurde eingeschaltet. Der Königsteiner Bürgermeister wandte sich mit einem Schreiben an Bundeskanzler Konrad Adenauer und setzte sich für Königstein ein. Die Königsteiner Stadtvertretung hatte sich geschlossen hinter diesen Schritt des Bürgermeisters gestellt. Der Bundeskanzler intervenierte daraufhin in Bad Homburg und erfuhr, dass man zunächst von den Häusern in Königstein absehen wolle. Für die Verteidigung Königsteins hatte Kindermann zehn Punkte zusammengestellt, die quasi die ideologische Begründung abgeben sollten und die seine Argumente für Königstein knapp zusammenfassen. Dies war erstens der Verweis auf die Hochschule und das Gymnasium mit zehn Professoren, 13 Studienräten und ungefähr 400 Studenten und Schülern. Jeder Dritte von ihnen komme aus der Ostzone. Alle seien sie Heimatvertriebene und Flüchtlinge, die nicht wieder in eine ungewisse Zukunft geworfen werden könnten. Im dritten Punkt folgte der Hinweis, dass die Königsteiner Anstalten zum größten Teil mit Opfergeldern von Flüchtlingen und Vertriebenen aufgebaut und erhalten würden. Königstein sei viertens die Ausbildungsstätte für den größten Teil der katholischen Theologen aus der Ostzone und fünftens das Vaterhaus

25 26 27 28

Vgl. Dokument Nr. 17 im Anhang. Vgl. zu Kempf Herman H. SCHWEDT, Wilhelm Kempf (1906 – 1982), in: GATZ, Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1945 – 2001, S. 319-321. Vgl. dazu Protokoll Kindermanns in KZG Bonn, Akten Bischofszimmer 16/208. Vgl. Dokumente Nr. 18 und 19 im Anhang.

Etappen der Entwicklung Königsteins

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der Heimatvertriebenen, von dem aus seit Jahren die 2.800 heimatvertriebenen Priester in allen Besatzungszonen betreut würden. Durch diese Priester, die Multiplikatoren, würden einige Millionen Heimatvertriebene betreut. Schließlich das sechste Argument, dass Königstein für den geistigen Widerstand der Ostzone arbeite. „Denn dort ist ja der Klerus, der heute noch am meisten tut und tun kann, die Menschen gegen den Kommunismus zu stärken. Diese Priester werden aber gerade von Königstein gehalten und gefördert. Es kommt alles darauf an, die Menschen in Deutschland und vor allem in der Ostzone innerlich stark und immun zu halten gegen das Gift des Bolschewismus. In diesem Bestreben hat Königstein seit Jahren größte Bedeutung.“29 Das zehnte Argument greift diesen Punkt noch einmal auf und bezeichnet Königstein als eine Division geistigen Widerstands im Kampf gegen den Bolschewismus. „Man möge sich deshalb reiflichst überlegen, an Königstein zu rühren. Eine solche Aktion würde sehr unangenehme psychologische Wirkungen zur Folge haben und gerade das vereiteln, was man erzielten möchte: die Menschen im Kampf gegen den Kommunismus zu stärken.“30 Schließlich wird in den verbleibenden Punkten an die Königsteiner Rufe, ein monatlich erscheinendes Blatt mit 100.000 Abnehmern, erinnert, die diese Intentionen aufgreifen und in die Breite transportieren... Königstein sei darüber hinaus ein Treffpunkt für viele Freunde und Vertriebene geworden mit entsprechender Reputation auch im Ausland: in Amerika, vor allem aber in Belgien und Holland. Am 4. Januar 1951 hatte das Hessische Finanzministerium ein Schreiben des hohen US-Kommissars für Deutschland erhalten, dass in den Unterbringungsplänen der Amerikaner die erforderlichen Veränderungen vorgenommen worden seien, die es gestatteten, unbegrenzt auf die Kaserne in Königstein zu verzichten.31 In würdigem Rahmen mit Bischöfen und mit dem Bundesvertriebenenminister wurde der vollzogene Kauf gefeiert. Auch Exzellenz Muench war als Vertreter des Papstes bei der Feier anwesend. Kindermann gab in seiner Ansprache einen Rückblick auf die Vorgeschichte. Er bezeichnete den Eigentumserwerb der Königsteiner Anstalten als einen Markstein in der Hausgeschichte.32 Er blickte zurück auf die problematischen Punkte der Entwicklung des Hauses, auf die Lebensmittelknappheit am Anfang, den Weggang von Regens Ramatschi und Spiritual Puzik 1948 im Frühjahr nach Neuzelle. Kindermann sprach von einer ernsten Erschütterung. Er bedauerte die fehlende Unterstützung für das Priesterseminar durch die Bischofskonferenz in Fulda 1947 – es wurde nur noch ein Semester konzediert. Die Währungsreform im Juni 1948 warf mit aller Vehemenz die Frage auf, wie es weitergehen sollte bei der ausgedehnten Belegschaft. Dazu kam

29 30 31 32

Die Sammlung der zehn Argumente auf einem Blatt masch. in KZG, Bischofszimmer 16/208 undatiert. Die Sammlung der zehn Argumente auf einem Blatt masch. in KZG, Bischofszimmer 16/208 undatiert. Schreiben des hohen US-Kommissars am 4. Januar 1951 an das Hessische Finanzministerium. Vgl. Dokument Nr. 20 im Anhang. KZG Akten Bischofszimmer, 11/203, Notizen Kindermanns für die Festansprache.

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Abschnitt IV

Ende 1950 die Bedrohung von Seiten der Besatzungsmacht. Das war schließlich der Auslöser (dafür), dass Kindermann Anfang 1951 mit den Kaufverhandlungen begann. In der Generalversammlung des e.V. im Januar 1951 wurde Kindermann beauftragt, die Vorverhandlungen zu führen, die sich über ein ganzes Jahr hinzogen. Am 3. Januar 1952 beschloss der e.V. auf der Grundlage des Angebots des Hessischen Finanzministers, den Kauf zu tätigen. Am 8. August 1952 beschloss das Hessische Kabinett einstimmig den Verkauf. Am 8. Oktober stimmte der Landtag zu. Dankbar erwähnte Kindermann all die Wohltäter, die den Kauf erst ermöglicht hätten: Die vielen Vertriebenen, die gespendet bzw. die Zeitschrift gekauft hätten, die Ostpriesterhilfe Hollands und Belgiens, den Nuntius, der für päpstliche Hilfe gesorgt habe, die amerikanischen Katholiken und schließlich einen unbekannten Wohltäter. Vermutlich spielte er damit auf den Inhaber des Bekleidungshauses Brenninkmeyer33 an, der ihm für den Kauf der Königsteiner Anstalten eine Summe von 150.000,- DM zur Verfügung gestellt hatte. „Nun haben wir durch den Kauf ein wenig festen Boden unter den Füßen. Es ist sicherlich gut so für unsere weitere Planung. So werden unsere Häuser noch besser dienen können der Kirche und dem Vaterlande und vor allem der Not der Heimatvertriebenen. Es möge uns aber nicht den inneren Schwung nehmen, den wir in unserer Ungesichertheit hatten […] Wir wollen wach bleiben.“34

33

34

Brenninkmeyer ist die deutsche und Brenninkmeijer die holländische Schreibweise des Familiennamens. Ursprünglich wird er Brenninkmeyer geschrieben. Gisa ORTWEIN, Governance in Netzwerken der Bekleidungsindustrie; Eine strukturationstheoretische Betrachtung am Beispiel des Bekleidungsunternehmens C & A, Verlag Dr. Kovac, Hamburg 2009. KZG Akten Bischofszimmer, 11/203, Notizen Kindermanns für die Festansprache.

Etappen der Entwicklung Königsteins

4.

281

Der Aderlass nach Erfurt

Die erste Phase der Konsolidierung – nachdem es Kindermann und seinen Mitstreitern im sogenannten Oberhaus, also in Hochschule und Priesterseminar, gelungen war, das Philosophisch-Theologische Studium zu etablieren und nicht nur den einmaligen philosophischen Kurs durchführen zu können – war sehr schnell „überschattet“ vom Aderlass, den der Transfer des Regens und einiger namhafter Dozenten von Königstein nach Erfurt bzw. Neuzelle bedeutete. Es handelte sich ja nicht nur um einen Aderlass im Bereich des Lehrkörpers, sondern auch bei den Studenten. Man sah in Königstein die Notwendigkeit, für die DDR eine eigene philosophischtheologische Bildungsmöglichkeit zu etablieren, aber man musste diesen Schritt auch fürchten, ging er doch an die eigene Existenz, an die eigene Berechtigung. Selbstverständlich kamen sofort die entsprechenden Fragen aus dem Kreis der Bischöfe, wofür denn nach 1952 eine Philosophisch-Theologische Hochschule in Königstein noch notwendig wäre.35 Offen war demnach die Situation in Königstein 1952. Zum einen konnte Kindermann aus der Feder des Prälaten Hartz als Beauftragten der Bischofskonferenz für die Vertriebenenseelsorge lesen, wie wichtig der Beitrag Königsteins für die Vertriebenenseelsorger in der DDR war. Von einer Konferenz mit 90 Priestern in Berlin kommend, bat Hartz, Königstein und die Ostpriesterhilfe, die Unterstützung für die Seelsorger in der DDR im kommenden Winter 1952/53 nicht auszusetzen. Die Aussichten seien ungünstig. Eine große Lebensmittelknappheit drohe, der Treibstoff für Autos und Motorräder sei fast völlig gesperrt.36 Offen war ebenfalls die Situation für das theologische Studium in der DDR und damit auch die Zukunft der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Königstein. Wie würde sie es verkraften können, wenn eine größere Zahl von Theologiestudierenden in die DDR geht, um dort zu studieren, (dort) ins Priesterseminar und (dort) in die Seelsorge zu gehen? Erfurt habe zwar mit den ersten Semestern begonnen, so Hartz, und habe noch einige Räume zur Verfügung, aber falls das Vollstudium eingerichtet werden sollte und falls damit eine größere Zahl von Theologen von Königstein nach Erfurt gehen solle, fehle es erheblich an Raum. Deswegen seine beruhigende Mahnung an Königstein: „Fangen wir zunächst mal an und warten die Entwicklung ab.“ Dazu müssten auch die Erinnerungen (teils Spekulationen) von Anton Janko in seinem Rückblick für Augustinus Kurt Huber berücksichtigt werden, der sich nicht

35

36

Vgl. für das Philosophisch-Theologische Studium und die Katholisch-Theologische Hochschule in Erfurt Josef PILVOUSEK, Theologische Ausbildung und gesellschaftliche Umbrüche. 50 Jahre Katholische Theologische Hochschule und Priesterausbildung in Erfurt. Leipzig 2002 (= Erfurter Theologische Studien 82). Franz Hartz an Kindermann am 3.11.1952 in KZG-Bestand Janssen, 2674, 1 S. masch.

282

Abschnitt IV

nur der Rolle Büttners in Königstein und den Auseinandersetzungen Kindermann/ Büttner widmete: „Bis zum Weggang von Regens Kleineidam in den sowjetisch besetzten Teil Deutschlands gab es keine eigene theologische Lehranstalt zur Heranbildung von Priestern, außer dem Pastoraljahr als Vorbereitung auf den Empfang der Weihen in Neuzelle und der Huysburg. Der größte Teil von Theologen, deren Eltern, durchwegs Ostvertriebene, drüben wohnten und deren Söhne einmal dort als Seelsorger wirken wollten, studierte in Königstein. Bischof Huhn von Görlitz ist Alt-Königsteiner aus jener Zeit37. Schon 1951 zeigte sich, dass es zu einer Verschärfung und zu einem totalen Stop der Erteilung von Zuzugsgenehmigungen für Priester und Priesteramtskandidaten seitens der Behörden von drüben kommen wird. Diese Situation zwang geradezu zur Errichtung einer eigenen Philosophisch-Theologischen Lehranstalt in der sowjetisch besetzten Zone. Die deutschen Bischöfe baten nun Regens Kleineidam, der Breslauer Diözesan war und als solcher Kapitelvikar Dr. Piontek unterstellt war, sich als Regens und Rektor für die drüben einzurichtende Theologische Lehranstalt zur Verfügung zu stellen, wozu er sich auch bereit erklärte. Wir erfuhren von Kleineidams Entschluss erst nach dem Wintersemester 1951/52, als die Studenten bereits in Ferien gefahren waren, so dass es für ihn gar keine offizielle Verabschiedung von Königstein gab.“38 Diese Situation nährte die Gerüchte: Kleineidam, der seit Beginn des ersten philosophisch-theologischen Kurses in Königstein, also von den ersten Tagen an, Philosophie gelesen hatte und nach dem Weggang von Ramatschi nach Neuzelle 1948 dessen Nachfolger als Regens wurde, der seit Bestehen der Hochschule deren erster Rektor war, der bei den Bischöfen wie auch den anderen theologischen Fakultäten und Hochschulen anerkannt war, verließ sang- und klanglos Königstein. Das musste Spekulationen über ein gespanntes Verhältnis zu Kindermann Nahrung geben. Dazu bemerkte Janko, dass Kleineidams Verhältnis zu Kindermann vielleicht etwas zurückhaltend, aber aus seiner Warte korrekt gewesen sei. Kleineidam habe zu schweigen verstanden, aber dort, wo es Not tat, wo es um Belange von Seminar und Hochschule ging, habe er auch offen und ehrlich mit Nachdruck und Bestimmtheit Kindermann gegenüber die entsprechenden Interessen vertreten. Janko bescheinigte Kindermann, dass er sich in die internen Angelegenheiten des Priesterseminars und der Hochschule nicht eingemischt habe, wenn Janko auch immer wieder unterstrich, dass der Leiter der Königsteiner Einrichtungen für die finanzielle Basis sorgte. „Dass Kleineidam von Königstein schied, empfand gerade er (e.A. Kindermann) als echten Verlust, den er bedauerte, aber hinnehmen musste. Kindermann wusste sehr wohl, dass jeder Wechsel in Königstein, im Seminar oder an der Hochschule, eine Verunsicherung, wenn nicht Erschütterung nach sich zog, zumal, wenn es sich um Personen mit hoher Verantwortung handelte wie im Fall von Kleineidam.“39

37 38 39

GATZ, Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1945 – 2001, S. 243-244. Anton Janko, Erinnerungen an die Anfänge von Königstein, S. 8. Anton JANKO, Erinnerungen an die Anfänge von Königstein, S. 8.

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Erich Kleineidam war zum ersteno Regens und Rektor der Erfurter Neugründung berufen und übernahm auch dort den Lehrstuhl für Philosophie. Janko bestritt, dass er je den Eindruck gewonnen hätte, Kleineidam habe im Lauf der Zeit eine Königstein gegenüber ablehnende Haltung entwickelt. Er unterstrich vielmehr das Gegenteil. Kleineidam habe stets mit Interesse den Fortgang der Hochschule und des Seminars in Königstein verfolgt und die Sistierung mit dem Wintersemester 1977/78 bedauert. Der Eindruck dieser Ablehnung durch Kleineidam war wohl vor allem deswegen entstanden, weil Kleineidam nach 1951/51 keine offizielle Verbindung mit Königstein bzw. mit Kindermann unterhielt. „Ein weiterer Grund für die Verdächtigung mag darin zu suchen sein, dass Kleineidam nach seinem Weggang nie wieder nach Königstein kam, wenn er zu kurzen Besuchen in der Bundesrepublik weilte. Auch Ramatschi und Puzik blieben fern. Sie klammerten Königstein bewusst aus ihrem Besuchsprogramm aus. Sie taten es aus Gründen der Vorsicht. Königstein als ‚Vaterhaus der Vertriebenen’ und Tagungsort der Kongresse ‚Kirche in Not’ galt nun einmal drüben als Zentrum von Revanchisten.“40

40

Diözesanarchiv Limburg, 16 A/1, Bericht über die Visitation der Anstalten in Königstein, 4 S. masch.

284

Abschnitt IV

5.

5.1.

Ein Dauerbrenner: Die Zielsetzung des Königsteiner Priesterseminars

Vorbehalte der westdeutschen Bischöfe

Die weiteren 50er-Jahre waren gekennzeichnet zum einen durch Fragen nach der Existenzberechtigung und der Ausrichtung der Hochschule und zum anderen durch das ungeduldige Drängen Kindermanns zum weiteren Ausbau. Auf der Zusammenkunft im März 1953 berieten die westdeutschen Bischöfe bereits über die Zukunft der Königsteiner Anstalten vor dem Hintergrund der Entwicklungen in Berlin und der DDR, vor allem der Ausbildungsstätte in Erfurt, aus der sich (wichtige) erhebliche Rückwirkungen für die Königsteiner Anstalten ergaben. Deswegen bildete das Conveniat eine eigene Bischofskommission für die Fragen der Königsteiner Institute. Als Mitglieder für diese Kommission wurden vorgeschlagen: die Bischöfe bzw. Erzbischöfe von Köln, Paderborn, Mainz und Limburg.41 Dort formulierten die westdeutschen Bischöfe ihre Vorbehalte gegen neue Pläne Kindermanns (mit dem Seminar) bzgl. des Seminars in Königstein. Es hieß, die Bischöfe hätten aus verschiedenen Gründen die größten Bedenken gegen die neuen Pläne von Herrn Prälat Kindermann, das Königsteiner Priesterseminar zu einem päpstlichen Zentralseminar nach Art des römischen Russicum zu gestalten. Die Bedenken der Bischöfe sollten durch Kardinal Frings in Rom angemeldet werden.42 1953 legte die Bischofskommission für die Königsteiner Anstalten ein Memorandum vor, das der neuen Situation Rechnung tragen wollte, die durch die Errichtung des Philosophisch-Theologischen Studiums in Erfurt und dem Transfer einer Reihe von Professoren und vieler Studenten von Königstein nach Erfurt entstanden war.. Die Bischöfe hielten in diesem Kontext das Argument, in Königstein sollten die Studenten für eine künftige Ostmission vorbereitet werden, für utopisch.43 Die westdeutschen Bischöfe befassten sich auf ihrem Conveniat vom 15. bis 17. März 1954 erneut mit Königstein und der Ostpriesterhilfe. Dort war es vor allem das Bonifatius-Werk, das sich gegen Predigten und Formulierungen von Pater Werenfried und Prof. Kindermann wandte. Die Bischöfe wollten Königstein ersuchen, sich strikt an die Vereinbarung mit dem Bonifatius-Verein vom 17. Februar 1953 zu halten. Pater Werenfried und Kindermann sollten alle Aktionen und Formulierungen vermeiden, die geeignet waren, die Stellung der Kirche in der Ostzone und die dortige Seel41 42 43

Protokoll der westdeutschen Bischöfe vom 2. bis 4. März 1953, Punkt 7 „Königsteiner Anstalten“, HAEK CR II 2.19,12. Vgl. HAEK CR II 2.19,12. Vgl. dazu HAEK CR II 25.20d,4.

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285

sorge zu gefährden. Im Übrigen steckte dieses Argument sowohl hinter der zeitlichen Befristung des Philosophischen Kurses für die Theologen wie auch in der Weisung an Pater Werenfried und Kindermann in Bezug auf Diaspora und offensiver Seelsorge gegenüber dem Osten. Man wollte die ordentlichen Strukturen der Seelsorge stärken und nach Möglichkeit zumindest keine dauernden außerordentlichen Strukturen schaffen. Das bedeutet, dass der etablierte Bonifatius-Verein natürlich in allen Fragen der Diaspora Vorrang haben musste vor einer Ostpriesterhilfe und den Initiativen Kindermanns.44 Die Königsteiner Anstalten waren ein Dauerbrenner in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre bei den Treffen der westdeutschen Bischöfe. So bat Kardinal Frings in seiner Eigenschaft als Hoher Protektor für das Flüchtlingswesen die Bischöfe von Berlin, Fulda, Limburg, Paderborn und Würzburg, eine eigene Kommission zu bilden unter dem Vorsitz von Erzbischof Dr. Jaeger von Paderborn und eine Denkschrift über die Königsteiner Anstalten für den Episkopat auszuarbeiten.45

5.2.

Aus römischer Perspektive

Die Beurteilung der Entwicklung in Königstein 1953 aus römischer Perspektive Man unterstrich in Rom die Position der Bischöfe, dass Konvikt und Schule in Königstein immer gebilligt gewesen wären und eine große Bedeutung gehabt hätten. Gegenüber dem Priesterseminar waren die Bischöfe sehr zurückhaltend. Dies wurde wohl zustimmend konstatiert, zumal Königstein eben den vorzüglichen Regens an das Priesterseminar in Erfurt abgegeben hatte. Das Seminar habe den Vorteil, dass hier Ostdeutsche durch Ostdeutsche erzogen würden, gerade angesichts der Erfahrung, dass die ostdeutschen Theologen sich in den Priesterseminaren des Westens nicht ganz wohl fühlten und die dortigen Direktoren darüber klagten, dass sie die ostdeutschen Alumnen wegen ihrer anderen Mentalität nur schwer verstehen könnten. Es wurde unterstrichen, dass das Priesterseminar in Königstein ein bemerkenswertes Niveau sichere. Anerkannt wurden die großen Verdienste durch die Sammlung von Adressen der ostvertriebenen Priester und durch deren Betreuung, gleichzeitig wurde aber das Ziel der Eingliederung der Ostvertriebenen in die bestehenden Diözesen unterstrichen. Freilich wurde konzediert, dass dies nicht auf dem direktesten Wege zu erreichen sei, sondern dass man dafür sorgen müsse, dass auch die alten Erinnerungen an die Heimat, die alten Lieder und Gebräuche gepflegt werden. Auch die Ostpriesterhilfe solle erhalten und gefördert werden. Sie sei ein sehr verdienstliches Werk. Sie habe vor allem das Verdienst, durch den Krieg entstandenen

44 45

Vgl. das Protokoll der Beratungen der westdeutschen Bischöfe vom 15. – 17. März 1954, HAEK CR II 2.19,13. Vgl. das Protokoll der Beratungen der westdeutschen Bischöfe vom 15. – 17. März 1954, HAEK CR II 2.19,13.

286

Abschnitt IV

Hass zwischen den Völkern abgebaut und Brücken christlicher Liebe geschaffen zu haben. Freilich sollte der antikommunistische Bezug weniger betont werden, stattdessen der religiöse Aspekt stärker unterstrichen. So sollten unnötige Schwierigkeiten für das Wirken in der Ostzone vermieden werden. Die Ostpriesterhilfe solle, was Kirchenbauten, Errichtung von Stützpunkten und anderes angeht, im Einvernehmen mit den betreffenden Ordinariaten und nicht zuletzt in enger Zusammenarbeit mit dem Bonifatiusverein vorgehen. Man wollte hier deutlich die Konkurrenz zum Bonifatiusverein vermeiden, da in der Vergangenheit niemand mehr für die Diaspora geleistet habe als dieser und auch niemand einen besseren Überblick über die dortige Situation und die dortigen Bedürfnisse habe.46

5.3.

Diskussionen der Mitgliederversammlung 1954

Die drängende Frage der Mitgliederversammlung von 1954 war die Existenzberechtigung der Philosophisch-Theologischen Hochschule Königsteins, die Befürchtung der Bischöfe, es könne sich ein Clericus vagus entwickeln und damit Königstein der Eingliederung hinderlich werden. Der Vorschlag von Frings sah vor, bereits geweihte Priester in etwa zweijährigen Kursen in Königstein in die Ostprobleme einzuführen. Die Entgegnungen waren eher ideologischer Natur. „An die wohlgemeinten Ausführungen seiner Eminenz schließt sich eine eingehende Aussprache an. Dabei wird besonders darauf hingewiesen, dass man für den Osten und die Stunde seiner Missionierung nicht zu sehr wissenschaftlich gebildete Spezialisten brauche, sondern vielmehr Menschen mit starkem Opfergeist. Diese müssten aber durch längere Zeit dahin geformt werden. Auch sei die politische Lage der Sowjetzone (so) zu? unsicher, um die jetzigen Gegebenheiten als dauernd zu bezeichnen, was allgemein bejaht wird. Die Heranbildung von Theologen für den Osten ist den opferwilligen Völkern der Vertriebenen ein selbstverständliches Anliegen geworden. Sie bringen deshalb dafür auch ganz erstaunliche Opfer, und dieser Opfergeist könnte aber bei einer Änderung kaum aufrechterhalten werden.“47 Geplant wurde für 1954, die Straßen und Häuser zu überholen, das Gelände einzuzäunen und zumindest die Festhalle im Rohbau zu erstellen. Die Kosten dafür wurden auf 600.000,- DM geschätzt, wobei Kindermann hoffte, diese Summe (mit)durch 100.000,- DM aus der Ostpriesterhilfe, 100.000,- DM Staatszuschüssen, 50.000,- DM Erlös aus dem Jahrbüchlein, 50.000,- DM vom Sudetendeutschen Priesterwerk und 100.000,- DM aus Spenden zusammenzubringen. Ein weiterer Wunsch der Bischöfe war, die Etats der einzelnen Königsteiner Institutionen getrennt zu verwalten. Auch das stieß auf massive Vorbehalte Kindermanns. Er argumentierte, seine Schwungkraft werde gelähmt, wenn er das Geld nur herbeizubringen habe, in der Verwendung aber nicht frei sei. Außerdem seien die Leiter der 46 47

Abschrift einer Stellungnahme aus Rom vom 30. Januar 1953 in KZG 821, 2 S. masch. Bericht über die Ordentliche Mitgliederversammlung am 11. Februar 1954, 5 S. masch., Zitat S. 3, KZG Akten Bischofszimmer 13/205.

Etappen der Entwicklung Königsteins

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Häuser, also des Priesterseminars und der Albert-Schule, froh, wenn sie nichts mit der Gesamtverwaltung zu tun hätten. Der Limburger Bischof wünschte, die einzelnen Häuser stärker zu verselbständigen. Das würde sie auch zur Mitverantwortung heranziehen und dem Ganzen dienen. Gleichsam typisch für die Situation in Königstein waren die Planungen. Der Leiter, Prälat Kindermann, trug vor, dass das Jahr 1955 die letzten Gewaltanstrengungen bringen solle, um die Königsteiner Anstalten ihrer Vollendung entgegenzuführen. Er fasste den 15. September für die Einweihung des Hauses der Begegnung ins Auge. Man wolle noch ein Stück Wiese hinzukaufen, um das Areal abzurunden. Die Notkirche müsse renoviert werden, im Führerhaus die Heizung angeschlossen werden; Priesterseminar wie Unterhaus erforderten Überholungsarbeiten. Es sollte sich aber in den darauf folgenden Jahren zeigen, dass, sobald eine Maßnahme halbwegs abgeschlossen war, bereits das nächste Projekt in Angriff genommen wurde, so dass die enorme finanzielle Belastung durch die reiche Bau- und Sanierungstätigkeit sich wie ein roter Faden durch die Geschichte Königsteins zieht.

5.4.

Königstein als Hindernis für die Integration?

Ganz klar wurden die Vorbehalte und Bedenken formuliert in einer Aktennotiz zu einer Besprechung mit den Professoren des Königsteiner Priesterseminars im Ordinariat in Limburg, an der Kindermann nicht teilgenommen hatte. Die Besprechung fand am 14. Mai 1954 statt.48 Dort heißt es ausdrücklich als Ausgangspunkt, das Seminar störe oder verhindere auf künstliche Weise den organisch sich vollziehenden Prozess einer neuen echten Beheimatung der nachwachsenden jungen Theologen aus den Kreisen der Heimatvertriebenen. Durch Königstein werde eine künstlich hervorgerufene und gleichsam anerzogene Heimatlosigkeit produziert. Mangelnde seelische Verwurzelung sei ein auf Dauer ungesunder und Gefahr bringender Zustand. Auf diesem Hintergrund war es schwierig, hinreichend überzeugende Gründe für die Fortexistenz des Kollegiums zu finden. Die Königsteiner Professoren antworteten darauf: Man sei sich darüber klar, dass das Seminar nur eine interimistische Bedeutung habe und dass die Stunde komme, wo es aufgegeben werden müsse, aber diese Stunde sehe man noch nicht kommen. Das Seminar sei vorerst noch notwendig, weil noch Priester nötig seien, die das Schicksal der schwer empfundenen Heimatlosigkeit der Vertriebenen mittragen und mit ihnen mitleiden könnten. Der Großteil der erwachsenen Heimatvertriebenen sei noch nicht echt verwurzelt in der westlichen neuen Heimat und werde es nie ganz werden. Hier trafen die unterschiedlichen Einschätzungen und Perspektiven aufeinander: Die Einheimischen, die die Integration als weitgehend abgeschlossen betrachteten und die Vertriebenen, die allenfalls einen gewissen Prozentsatz als weitgehend integriert be48

Bischofskommission für die Fragen der Königsteiner Anstalten, Schreiben an die Plenarkonferenz des deutschen Episkopates vom 1. September 1954, Diözesanarchiv Limburg, 16A/2, Anlage 2. Vgl. Dokument Nr. 21 im Anhang.

288

Abschnitt IV

trachteten, aber das Aufgabenfeld auch entsprechend ausgedehnt markierten. Allein das Bewusstsein, ein eigenes Priesterseminar zu besitzen, sei für die heimatvertriebenen Katholiken wichtig.

5.5.

Eine Stellungnahme der Bischofskommission 1954

So schnell freilich konnten offensichtlich die Dinge nicht geklärt und geregelt werden. So legte die Bischofskommission für die Fragen der Königsteiner Anstalten am 1. September 1954 erneut eine Stellungnahme für die Plenarkonferenz vor. Sie forderte dort erneut, dass die Verantwortung für die wirtschaftliche Führung und Verwaltung der Königsteiner Anstalten von einem eigens zu bildenden Kuratorium übernommen werden solle und dass die einzelnen Zweige der Königsteiner Anstalten, also das Priesterseminar, die Schule, das Priesterreferat etc., getrennte Etats aufstellen und diese auch einzeln verwalten sollten. Die Weiterexistenz des Königsteiner Priesterseminars solle man für die Dauer von drei Jahren zugestehen, danach aber das Problem neu erörtern. Die Frage nach der Existenzberechtigung von Priesterseminar und Hochschule wurde also in der Schwebe gehalten. Außerdem sprach sich die Konferenz gegen eine grundsätzliche Internationalisierung des Königsteiner Priesterseminars aus – ein Herzenswunsch Kindermanns, der zusätzlich zu den Vertriebenen Studenten aus Indien und Afrika aufnehmen wollte. Manches hatte sich offensichtlich in den letzten zwei Jahren gebessert. So etwa die Situation an der St. Albert-Schule, die sich erfreulich entwickelt habe. Die neue Leitung der Anstalt habe sich bewährt, die Gebäude seien erweitert worden. Es mangele allerdings noch an der Konsolidierung des Lehrkörpers. „Inzwischen scheint aber auch hierin bereits der richtige Weg beschritten, so dass auf längere Sicht auch diese Frage wohl gelöst werden kann.“49 Das grundlegende Problem aber war nach wie vor die Konzentration der Leitungsaufgaben auf Kindermann. Für das Priesterseminar hatte sich die Situation zusätzlich dadurch grundsätzlich verändert, dass durch die Gründung des Priesterseminars in Erfurt die Aufgaben für die Diözesen in der Ostzone dort übernommen wurden. Damit hatte sich auch die ursprüngliche Zielsetzung gewandelt. Es konnten auch keine Theologen aus den Gebieten jenseits des Eisernen Vorhanges mehr nach Königstein kommen und keine Neupriester, also Theologen, die in Königstein studiert hatten, in die DDR geschickt werden. „Im Übrigen gilt von den in Westdeutschland befindlichen künftigen Theologen aus ostvertriebenen Familien, dass sie bereits als Kinder in die westdeutschen Diözesen gekommen sind und dort weitgehend ihre Heimat gefunden haben. Aus diesem Grunde ist an sich viel natürlicher, dass sie ihre Ausbildung im Rahmen der betreffenden westdeutschen Diözesen erhalten.“50

49

50

Bischofskommission für die Fragen der Königsteiner Anstalten, Schreiben an die Plenarkonferenz des deutschen Episkopates vom 1. September 1954, Diözesanarchiv Limburg, 16A/2, Anlage 1 zur Problematik der Königsteiner Anstalten. Ebd.

Etappen der Entwicklung Königsteins

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In den Augen dieser von den Bischöfen eingesetzten Kommission war die ursprüngliche Zielsetzung für das Königsteiner Priesterseminar weggefallen. Nun sahen sich die Bischöfe mit einer neuen Ausrichtung konfrontiert , die die Weiterexistenz rechtfertigen sollte, nämlich mit dem Gedanken, Königstein zu einem zentralen Missionsseminar für die Ostgebiete zu machen, verbunden mit einem Forschungsinstitut für die Fragen der Ostkirche. „Hierzu ist zu sagen: das Anliegen, besondere Kräfte für eine kommende Ostmission rechtzeitig und fachgemäß zu schulen und für einen sofortigen Einsatz bereitzustellen, ist als solches zweifellos ernst zu nehmen. Jedoch bestehen erhebliche Bedenken, ob dieses Ziel auf dem von Herrn Prälat Kindermann geplanten Weg erstrebt werden soll.“51 Denn, so die Begründung der Kommission, fehlten für ein Forschungsinstitut bisher alle Voraussetzungen. Forschungsaufgaben würden von den entsprechenden Instituten in Rom, also dem Institutum Orientale und dem Russicum übernommen, wo auch entsprechende Wissenschaftler zur Verfügung stünden. Bislang habe sich Königstein in keiner Weise von einem sonstigen Priesterseminar unterschieden. Das Professorenkollegium sei mehr oder weniger provisorisch und bei dem viel zu geringen akademischen theologischen Nachwuchs werde es auf Dauer kaum mit qualifizierten Lehrkräften besetzt werden können. Schon jetzt zeige sich ein empfindlicher Mangel. Zum Gedanken der Internationalisierung – man wollte zu den vertriebenen Theologen zunächst vor allem Theologiestudenten aus Holland, Belgien und Frankreich für den Gedanken der Ostmission und damit für das Studium in Königstein gewinnen – äußerte die Kommission Bedenken hinsichtlich der Frage, wessen Jurisdiktion diese bunt zusammengewürfelten Theologen unterstehen sollten. Aber auch grundsätzlich konnten diese neuen Aufgaben die Kommission der Bischofskonferenz nicht wirklich überzeugen. Die an sich anerkennenswerte Aufgabe der Schulung für die kommende Ostmission lasse sich auch dadurch erreichen, dass man in Königstein Spezialschulungen für bereits geweihte Priester einrichtet. Damit könnten das Theologiestudium und damit das Priesterseminar entfallen.

51

Bischofskommission für die Fragen der Königsteiner Anstalten, Schreiben an die Plenarkonferenz des deutschen Episkopates vom 1. September 1954, Diözesanarchiv Limburg, 16A/2, S. 2.

290

Abschnitt IV

6.

6.1.

Klärung der Leitungs- und Verwaltungsstruktur

Die Problematik der Dominanz Kindermanns

Wie in den vorangegangenen Kapiteln deutlich wurde, waren Hochschule und Priesterseminar in den ersten Aufbaujahren permanent aus unterschiedlichen Richtungen und Gründen in Frage gestellt. In dieser Unsicherheit stellte sich die Aufgabe, eine effiziente Verwaltungsstruktur zu schaffen und die juristische Form des Priesterreferates zu klären. Nicht zuletzt dieser Aufgaben nahm sich eine Visitation der Anstalten in Königstein an, die am 15. Februar 1952 vorgenommen wurde. Faktisch hatten sich die einzelnen Initiativen und Organisationen so entwickelt, dass an der Spitze aller Königsteiner Unternehmungen als Träger ein e.V. stand, dessen Vorsitzender Prälat Kindermann war. Darin sahen die Diözese Limburg genauso wie der Hohe Protektor für das Flüchtlingswesen, Kardinal Frings, das Grundproblem. „Die Lage der Königsteiner Anstalten ist heute so, dass die gesamte Unternehmung mit Prälat K. steht und fällt. Vor allen Dingen ist er es, der die ganzen Anstalten finanziell durch seine umfassende Tätigkeit trägt. Prälat K. ist eine starke Persönlichkeit. Neben ihm ist bis jetzt kein zweiter Mann maßgeblich in der ganzen Einrichtung tätig. Das wird ein bedenklicher Zustand, wenn einmal Prälat K. durch irgendein Ereignis ausfallen würde.“52 Damit war die eine Gefahr dieser auf Kindermann zugespitzten Leitungssituation benannt, die andere war sein Charakter, den Kleineidam als Regens des Priesterkonviktes folgendermaßen beschrieb: Kindermann könne neben sich kaum einen anderen ertragen.53 Ziel war es also, eine transparentere und auf mehreren Schultern verteilte Leitungsstruktur für Königstein zu finden und die Befugnisse der einzelnen Leiter der verschiedenen Abteilungen gegeneinander abzugrenzen, denn die Dominanz Kindermanns ließ die übrigen Herren nicht leicht zu einem selbständigen Arbeiten kommen. „Dieser Zustand war mit ein Grund dafür, dass in den letzten Zeiten ein größerer Personalwechsel an den Anstalten zu beobachten war.“54 Daher forderte die Visitation, dass jeder einzelne Abteilungsleiter zu Beginn des neuen Jahres einen eigenen Etat aufstelle, der Kindermann vorgelegt werden müsse. Innerhalb des genehmigten Kontingents aber sei dann der betreffende Ressortleiter selbständig, so dass es nicht nötig sei, wegen einzelner Posten Kindermann anzugehen. Auch die übrigen Kompetenzen der Abteilungsleiter sollten in einer klaren Ab-

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Diözesanarchiv Limburg, 16 A/1, Bericht über die Visitation der Anstalten in Königstein, 4 S. masch. Zitat S. 1. Ebd. Ebd.

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grenzung festgelegt werden. Bis vor kurzem sei besonders die Position des Leiters des Gymnasiums durch Kindermann sehr stark zurückgedrängt worden. Daher legten die Visitatoren dem Prälaten nahe, den Leiter des Gymnasiums in den schulischen Angelegenheiten selbständig wirken zu lassen, nicht zuletzt in Bezug auf die Kommunikation mit den Schulaufsichtsbehörden des Ministeriums, in Bezug auf den Vorschlag und die Auswahl der Lehrkräfte, auf den Schriftverkehr mit Schülern und Eltern und auf den internen Betrieb der Schule. „Bezüglich der Aufnahme von Schülern muss eine Willenseinigung herbeigeführt werden zwischen dem Leiter des Gymnasiums und dem Leiter des Internates, die dann diesen Vorschlag dem Prälaten K. unterbreiteten, der vor allem über die Pensionsgeldermäßigungen entscheidet und auch im Falle der Meinungsverschiedenheit den Ausschlag gibt. Das gleiche gilt bei etwaiger Entlassung eines Schülers. Eine Berufungsstelle für alle ist der Schuldezernent des Bischofs von Limburg. Der seit kurzem eingesetzte neue kommissarische Leiter des Gymnasiums, Dr. Weißkopf (ein Priester), hat sich anscheinend bis jetzt eine bessere Position als seine Vorgänger (Laie) erringen können, vor allen Dingen gegenüber dem Internatsleiter.“55 Die Visitatoren hatten auch eine längere Unterredung mit Dr. Weißkopf, der von sich aus den Eindruck erweckte, dass er maßgeblichen Einfluss bei der Leitung des Internates erreichen wollte. So mussten die Visitatoren auch ihm vorschlagen, dass jeder Leiter einer Abteilung in seinem Bezirk selbständig sei. Der Leiter der Schule sollte also für die Schule und der Präfekt für das Internat zuständig sein. Dadurch würden Unstimmigkeiten am ehesten vermieden. Darüber hinaus sei es aus pädagogischen Gründen für den Schüler wünschenswert, dass er nicht dauernd die Augen seines Lehrers und Schulvorgesetzten über sich weiß. Ähnliche Kompetenzschwierigkeiten scheint es zunächst zwischen Kindermann und Kleineidam in der Absprache der Aufgaben des Regens und des Leiters der Theologischen Hochschule gegeben zu haben. In den Augen der Visitatoren aber hatte sich Kleineidam eine zufrieden stellende Position gesichert. Breiten Raum nahm die Frage ein, wie die sogenannten ‚Fuldaer Beschlüsse’ durchzuführen seien. Der Bischof von Limburg trug sie vor und erläuterte die Wünsche der Bischofskonferenz, ein Kuratorium zu bestellen. Freilich musste die bei Kindermann den Verdacht erregen, dass seine bisherigen Verwaltungsleistungen nicht genügten, wohingegen die Bischöfe darauf abzielten, die bisher provisorische Form der Wirtschaftsführung, die Pragmatik, die zwangsläufig in der Verwaltungsstruktur steckte, zu systematisieren und auf eine breitere Basis zu stellen. „Es dürfe nicht alles nur ‚auf zwei Augen’ ruhen. Es handle sich um ein Objekt mit Millionenwerten. Es dürfe das keine Kränkung für Herrn Prälat Kindermann sein, der als Motor des Ganzen erhalten bleiben soll. Eminenz Frings erwähnt den schweren Autounfall von Prälat Kindermann, der nahe lege, Vorkehrungen zu treffen, dass auch andere als nur Herr Prälat Kindermann in der Gesamtführung des e.V. und der Königsteiner Unter-

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nehmungen eingeweiht seien.“56 Typisch war die Entgegnung Kindermanns: Auch zur Zeit seines Unfalls sei das Haus ohne Schulden gewesen. Er könne jederzeit abberufen werden, langfristige Renditen seien nicht vorhanden. Sehr persönlich und emotional wurde er, als er auf seine Verbindungen und Befähigungen, die er in das Königsteiner Werk investiert habe, hinwies und auf die Unmöglichkeit, dieses Engagement übertragen zu können. Ein Verwalter allein genüge nicht. Es bedürfe nicht nur des ganzen, sondern des totalen Einsatzes. In späteren Jahren formulierte Kindermann, man müsse brennen für Königstein, und er vermisse dieses Engagement bei seinen Kollegen im Leitungsteam. So überzeugt von seinem Einsatz und seinen Fähigkeiten in Königstein war Kindermann, dass er sich für unersetzlich hielt. Die Leistungen von Königstein seien nur durch heroischen Einsatz möglich geworden und in ihrer Art einzigartig. Wenn man Königstein auf normale Bahnen bringen wolle, werde es versiegen,57 so Kindermann über seinen Einsatz und seine Aufgabe und Stellung in Königstein. Der Leiter unterstrich, dass die Jahresbilanz 1954 durch den Vertreter der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Solidaris in drei bis vier Tagen fertig geworden sei – sogar in der Abwesenheit Kindermanns. Er selbst habe mit dem Vertreter der Solidaris nur wenige Minuten sprechen müssen. So klar laufe die Verwaltung von Königstein. Wirklich weitergebracht werden könne etwas nur, wenn jemand treibe, der brenne. Von daher sei für ihn die Frage entscheidend, ob das Kuratorium ihn fördern oder hindern werde. Nun war es die Aufgabe des Limburger Bischofs und von Kardinal Frings, zu beschwichtigen, die Verdienste Kindermanns zu würdigen und gleichzeitig für eine Verbreiterung der Verantwortung zu plädieren. Der Kölner Kardinal brachte das Argument in die Diskussion, dass der e.V. keinen eigentlichen Vorstand habe, sondern einen einzigen Leiter, nämlich Prälat Kindermann. „Exzellenz Dr. Kempf schlägt, um allgemeine Befürchtungen und Auseinandersetzungen zu vermeiden, im Einzelnen vor, dass außer dem Leiter des e.V. auch die Leiter des Priesterseminars und der Albert-Schule, außerdem ein ausgezeichneter Fachmann, etwa der Frankfurter Bankdirektor Dr. Bach, als Berater hinzugezogen werden.“58 Im Hintergrund des Drängens nach einer Neuordnung der Wirtschaftsführung, der Verwaltung und der Abgrenzung der Zuständigkeiten in Königstein stand eine Gefahr, die man aus dem Verkehrsunfall Kindermanns 1953 sich ergeben sah, die aber auch leitende Geistliche in Königstein während der Abwesenheit Kindermanns sehen mussten. Diese zeigte sich auch in einer Aktennotiz des Limburger Bischofs Wilhelm Kempf vom 2. Juni 1955, in der er die Gedanken des Gespräches mit Regens Pie-

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Bericht über die Ordentliche Mitgliederversammlung des Albertus-Magnus-Kollegs Königstein e.V. in Köln-Hohenlind am 27. Januar 1955, 8 S. masch. Protokoll, Diözesanarchiv Limburg, 16A/2, S. 4. Bericht über die Ordentliche Mitgliederversammlung des Albertus-Magnus-Kollegs Königstein e.V. in Köln-Hohenlind am 27. Januar 1955. Bericht über die Ordentliche Mitgliederversammlung des Albertus-Magnus-Kollegs Königstein e.V. in Köln-Hohenlind am 27. Januar 1955.

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korz59 festhielt, das er am Tag zuvor bei einer Jugendseelsorgerkonferenz in Königstein geführt hatte. „Die Zeit der Abwesenheit des Herrn Prälaten Kindermann in Amerika habe für sämtliche im Hause leitenden Persönlichkeiten eine unwürdige Situation gegenüber der ‚Generalvikarin’ des Herrn Prälaten ergeben. Die Dame sei die Einzige, welche de facto wirtschaftlich regiere.“ So das Bild, das Bischof Kempf von Limburg vom Königsteiner Regens erhalten hatte.60 In diesem Gespräch erfuhr der Bischof auch, dass der Verwalter Königsteins sehr unzufrieden sei und außerdem über die Art der Rechnungsführung in Gewissensbedrängnis komme. In Königstein stehe es finanziell nicht gut, deswegen suche er eine andere Tätigkeit. Mit dem Verwalter war Heinzdieter Schleupner61 gemeint, mit dem sich der Bischof am 28. Juni 1955 besprach. Das Ergebnis glich den Eindrücken und bisher gewonnenen Erkenntnissen, dass eine ganze Anzahl von Einrichtungen in Königstein von Kindermann verwaltet und diese Verwaltung nicht übersichtlich geführt werde.62 Die Zuständigkeiten und Arbeitsbereiche der diversen Einrichtungen seien nicht klar abgegrenzt.63 Ebenso unklar blieben die Arbeitsverhältnisse der zahlrei-

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Edmund Piekorz (1899 – 1979) war von 1935 bis 1945 Stiftspropst und Pfarrer in Lauban gewesen; Stiftspropst bei den Magdalenerinnen blieb er auch nach 1945 und suchte mit dem Konvent eine neue Bleibe von 1945 bis 1947 in Rotthalmünster, von 1947 bis 1952 in Simbach/Inn; von 1952 bis 1979 war er Stiftspropst in Seyboldsdorf/Vilsbiburg. Von 1954 bis 1957 war er Regens des Priesterseminars in Königstein. Für seine Laubaner hatte er nach der Vertreibung einen konfessionell übergreifenden Gemeindebrief geschaffen. Paul MAI, Edmund Piekorz, in: GRÖGER et al., Schlesische Kirche in Lebensbildern, Band 6, S. 187-190. – Piekorz war im Sommer 1956 angeblich aus gesundheitlichen Gründen von seinem Regentenamt zurückgetreten. „… tiefer Sehende glaubten in der Krankheit eine Folge vieler unerquicklicher Auseinandersetzungen um eine normale Ordnung und um Abgrenzung der Verantwortung sehen zu können.“ (Chronik der Hochschule, S. 63.) Dem Bischof von Limburg gelang es, Piekorz umzustimmen, so dass dieser „trotz schwerster Bedenken unverzüglich wieder in seine nicht leichte Verantwortung eingetreten ist.“ (ebd.) Aktennotiz in Diözesanarchiv Limburg, 16A/2, 1 S. Maschinenschrift vom 2. Juni 1955. Heinzdieter Schleupner, 1923 in Breslau geboren, 1940 Abitur am Matthiasgymnasium, vom 3. Juni 1947 bis 1972 Verwaltungsdirektor beim Albertus-Magnus-Kolleg, wechselte dann in das Ordinariat des Bistums Limburg, war 1971 bis 1983 Finanzdezernent im Ordinariat in Limburg, 1984 bis 1995 Referent des Vertriebenenbischofs für die Königsteiner Anstalten und von 1989 bis 1995 Stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrates der Bischof Neumann-Schule GmbH. Vgl. Dokument Nr. 22 im Anhang. „Dr. Piekorz fügt hinzu, dass der Geist unter den Studenten und im Professorenkollegium gut sei. Dieser Umstand habe ihn bewogen, nach Ablauf einer Probezeit sich zum Regens vorschlagen zu lassen. Andererseits sei das Amt des Regens mit dem Amt des Leiters des e.V. in wechselseitigen Abhängigkeiten verflochten, so dass er es nicht für zweckdienlich erachte, wenn der Regens in die Geschäftsführung und Verantwortung des e.V. hineingezogen würde.“ Deswegen wollte Piekorz auch nicht länger als delegierter Vertreter des Kapitelvikars Piontek fungieren. In die aktuelle Sitzung aber war er von Piontek delegiert worden, deswegen fügte Piekorz die Kautele hinzu, in Fragen der Wirtschaftsführung des Vereins halte er sich für inkompetent. Er wolle sich in der aktuellen Sitzung auf die Wahrung der Interessen des Priesterseminars beschränken. „Auf eine Frage von Herrn Kapitularvikar Prälat Kather antwortet der Regens, dass er damit nicht die geringste Kritik an den Berichten des Herrn Prälaten Dr. Kindermann üben wolle; aber in Geldsachen könne man über Zweckmäßigkeit verschiedene Meinungen haben. Solche Mei-

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chen, bei den einzelnen Stellen tätigen Angestellten, bei manchen war auch die Bezahlung unzureichend. Auch aus diesem Gespräch ergab sich, dass eine Neuordnung der Verwaltung in Königstein notwendig war, zudem auch eine Überprüfung, ob bei den Beschäftigten die sozialen Mindestforderungen erfüllt waren. Als erster notwendiger Schritt zur Sanierung wurde die Einsetzung eines Kuratoriums ins Auge gefasst, dessen erste Aufgabe es sein müsse, ein klares Bild der in Königstein vorhandenen Verhältnisse zu erarbeiten, um dann Verbesserungsvorschläge zu machen. Als Mitglieder des Kuratoriums wurden in Aussicht genommen: Kindermann, Zischek, Ordinariatsrat Demandt64 in Würzburg, Domkapitular Karell65 von Limburg und Dr. Dickerhoff aus Limburg für die wirtschaftlichen Fragen. Mit beratender Stimme sollten hinzugezogen werden: der Regens und der Leiter der Schule, Dr. Weißkopf.66

6.2.

Modifikation der Satzung

Mit dem 22. August 1955 legte die Bischofskommission für die Königsteiner Anstalten und deren Verwaltung eine in den entsprechenden Punkten modifizierte Satzung vor, vor allem der § 9 der Satzung des e. V. Albertus-Magnus-Kolleg wurde geändert in dem Sinne, dass es nicht mehr nur einen Leiter, der vom Limburger Bischof im Einverständnis mit dem Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz berufen wird, gibt, sondern einen Vorstand im Sinne eines Verwaltungsrates, der drei Personen umfassen sollte, von denen einer Leiter ist. Der Leiter und die beiden übrigen Vorstandsmitglieder sollten vom Bischof von Limburg weiterhin im Einverständnis mit dem Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz bestellt und abberufen werden.

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nungsverschiedenheiten zwischen dem Leiter des e.V. und dem Regens seien für alle Interessen schädlich und darum unbedingt zu vermeiden. Auf eine Frage von Exzellenz Dr. Kempf sagt der Regens, dass die eben vorgetragene Ansicht sich zunächst naturgemäß auf den bisherigen Zustand beziehe.“ Alois Demandt wurde am 24. November 1893 in Berlin geboren, 1922 von Kardinal Bertram zum Priester geweiht, war Gründer und Präses des Katholischen Kaufmännischen Vereins, seit 1933 Geistlicher Direktor am Mutterhaus und Krankenhaus der Elisabethinerinnen in Breslau, 1935 Erzbischöflicher Ordinariatsrat, vertrat die Interessen der Ordensgenossenschaften der Erzdiözese Breslau in den finanzrechtlichen Auseinandersetzungen der Zeit des Nationalsozialismus. 1950 beauftragte ihn Kapitelsvikar Piontek als Kommissarischen Treuhänder für die Vermögenswerte der Erzdiözese Breslau. Dazu übernahm er die Interessenvertretung für die ostvertriebenen Ordensgesellschaften im Westen beim Hauptamt für Soforthilfe. Er war also Finanzspezialist und als solcher gefragt in der Leitung der Königsteiner Anstalten. In Bad Kissingen betreute er den Neubau des Mutterhauses der Elisabethinerinnen. Er starb am 25. Juli 1967. Heinrich Karell, geb. 1905. Priesterweihe 1931 in Limburg. Seit 1951 Domkapitular. 1955 zum Offizial ernannt. Er war Personalreferent in Limburg; zeitweise hielt er auch Gastvorlesungen in Königstein. Gestorben 1975. DA Limburg Priesterkartei. Klaus Schatz: Geschichte des Bistums Limburg. Mainz 1983, S. 475. Vgl. dazu den Bericht über die Besprechung Bischof Kempfs mit Schleupner vom 28. Juni 1955, 2 S. masch., Diözesanarchiv Limburg, 16A/2.

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Rechtsverbindlichkeit wird nur durch die Unterschrift des Leiters und die Mitunterzeichnung mindestens eines weiteren Vorstandsmitgliedes erreicht. Zweitens wurde die Neuregelung der Geschäftsordnung des Vereins gefordert.67 Im Zuge dieser Neuordnung beschloss das Professorenkollegium am 4. November 1955, dass der neuen Geschäftsordnung ein Hochschulstatut beigefügt werden solle, damit die Freiheit und Selbständigkeit der Hochschule gesichert bleiben. Der Lehrkörper verpflichtete sich, in absehbarer Zeit einen Statusentwurf zu erarbeiten und den zuständigen kirchlichen Stellen zur Genehmigung und zur Einfügung in die neu zu erlassende Geschäftsordnung vorzulegen. Das Professorenkollegium wollte bis zum Inkrafttreten des neuen Statuts die Vorschläge für die Neubesetzung der Rektorenamtes und der Lehrstühle den zuständigen kirchlichen Stellen vorlegen im Einvernehmen mit dem Vorstand des Albertus-Magnus-Kolleg e. V. Das bestätigte die bisherige Praxis. Drittens wurde gefordert, dass der Vorstand des Vereins der Professorenversammlung einen Voranschlag der Hochschule für das Haushaltsjahr 1956 zur Stellungnahme vorlegen solle. Der Plan solle alle die Hochschule betreffenden Rechnungsposten und auch nur solche enthalten. D. h. es wurde eindeutig die Mitverantwortung und Mitsprache beim Haushaltsplan für die Hochschule eingefordert. Um schließlich, viertens, den Fortbestand der Hochschule zu sichern, müsse den Lehrkräften, gerade den Neuzuberufenden, ein Gehalt geboten werden, das gleichartigen Stellungen an anderen Hochschulen oder in sonstigen kirchlichen Diensten entspreche. Man dürfe eine besondere Opferbereitschaft der Dozenten und Professoren in Ansatz bringen, aber der Lehrkörper beantrage beim Vorstand die Ausarbeitung einer neuen Gehaltsordnung im Einvernehmen mit den Antragstellern.68

6.3.

Langwierige Durchführung der Verwaltungsreform

Die Durchführung der vorgesehenen Schritte war langwierig und nicht immer leicht. So traf sich am 15. November 1955 die Studienkommission für die Königsteiner Anstalten. Bereits zwei Monate vorher am 15. September 1955 hatte sich eine außerordentliche Hauptversammlung des Vereins des Kollegs mit der Stellungnahme zu den Beschlüssen der Fuldaer Bischofskonferenz vom 22. August 1955 befasst. Hier ging es vor allem um Schaffung eines Verwaltungsrates, also um die Neuordnung des Vorstandes. Der Kölner Kardinal unterstrich, dass diese Forderungen und Punkte nichts Neues bedeuteten, dass schon die letzte Generalversammlung festgestellt habe, dass die Königsteiner Angelegenheiten so wie sie sich in die Größe entwickelt hätten, nicht weiterhin auf einer Schulter nur ruhen könnten. Einmal mehr versuchte Kindermann seine Position zu verteidigen: „Es war ein großer Vorteil, dass die Initiative in Königstein ohne jede Hemmung erfolgen konnte. Wäre von Anfang an ein Verwal-

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Diözesanarchiv Limburg, 16a/2. Beschluss des Professorenkollegiums vom 4. November 1955, Diözesanarchiv Limburg, 16a/2.

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tungsrat da gewesen, wäre nichts geschehen.“ Er habe zum Beispiel bei Herausgabe der Königsteiner Rufe oder der Jahrbüchlein die Mitbrüder im Hause um Rat gefragt, die jedoch immer dagegen waren. Er habe dann trotzdem gewagt und Erfolg gehabt. Die Fehlbeträge des Jahresetats könnten nur aus immer wieder neuen Ideen hervorgehen, bei denen ein Verwaltungsrat nur hinderlich sein könne. Andererseits seien die Sicherungswünsche des H. H. Bischofs von Limburg auch wieder durchaus verständlich. Er wolle sich nicht dagegen sträuben. Allerdings müssten die Herren, die im Verwaltungsrat mitarbeiten, von der Idee Königsteins erfüllt sein, sonst könne eine Erschwerung der Arbeit eintreten, die sich schädlich auswirke. „Ich selbst hänge nicht an einem Posten. Ich würde gern jemand anders an meine Stelle treten lassen. Wenn der Verwaltungsrat mir die Flügel stutzt, geht Königstein langsam zu Grunde.“69 Bei dieser Einstellung Kindermanns mussten der Kölner Kardinal wie auch Vertreter des Ordinariates in Limburg ausführliche Überzeugungsarbeit leisten. Sie unterstrichen, dass der Wunsch nach einer breiteren Aufstellung des Vorstandes nichts mit Misstrauen gegen Kindermann zu tun hätte und man auch dessen bisherige Verdienste in keiner Weise schmälern und beeinträchtigen wolle. Kindermanns Reaktion schwankte zwischen Widersprüchen. Einerseits wolle er Ratgeber akzeptieren – so habe er das schlesische Priesterwerk gebeten, ihm einen Fachmann in Finanz- und Wirtschaftsfragen zu benennen, woraufhin vom schlesischen Priesterwerk Ordinariatsrat Demandt genannt wurde, mit dem Kindermann durchaus zu kooperieren bereit war. Andere Reaktionen zeugten hingegen davon, dass er sich missverstanden fühlte, zutiefst verletzt war und sich durch die gewünschten Maßnahmen in seinem Ehrgefühl gekränkt sah: „Ich habe mich innerlich von Königstein gelöst. In Amerika habe ich bis über meine Kräfte hinaus mich aufgerieben. Ich habe ungeheuer Schweres hier zu leisten gehabt.“70 Schließlich wurde einmal mehr darauf hingewiesen, dass in Königstein auf engem Raum so viele Anstalten bestünden, wie sonst in einer ganzen Diözese. Ein Bistum müsse auch die nötigen Sicherungen in die Verwaltung einbauen. Nach einer langen Aussprache schritt Frings zur Abstimmung. Die von der Fuldaer Bischofskonferenz vorgeschlagene Änderung des § 9 der Satzung wurde von der Mitgliederversammlung einstimmig beschlossen. Vorstand wurde also ein Verwaltungsrat aus drei Personen, von denen einer Leiter war. Neben Kindermann sollten Ordinariatsrat Demandt und Monsignore Zischek in den Verwaltungsrat aufgenommen werden. Für Ordinariatsrat Demandt folgte später Prof. Dr. Franz Scholz dem Vorstand des Albertus-Magnus-Kollegs nach.71 69

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Kindermann in: Protokoll über die außerordentliche Hauptversammlung des Vereins AlbertusMagnus-Kolleg Königstein e.V. vom 15. September 1955 zu Königstein/Ts., 7 S. masch., Diözesanarchiv Limburg, 16A/2, Zitat S. 2. Protokoll über die außerordentliche Hauptversammlung des Vereins Albertus-Magnus-Kolleg Königstein e.V. vom 15. September 1955, Zitat S. 4. Zum Verhältnis Kindermanns zu Kempf ist anzumerken: Kindermann versuchte, wo möglich die Zuständigkeit des Belegenheitsbistums großzügig zu Gunsten Königsteins auszulegen. Ein Grund ist nicht zuletzt im Naturell der beiden Hauptagenten Kindermann und Bischof Kempf zu suchen. Kindermann kam als Kirchenrechtler nicht aus der Pastoral einer liturgisch sehr fort-

Etappen der Entwicklung Königsteins

6.4.

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Transparenz durch klarere Zuordnung der Aufgaben

Die Studienkommission für die Königsteiner Anstalten hatte sich intensiv mit der Neustrukturierung befasst, nicht zuletzt um Probleme mit dem Finanzamt zu vermeiden. Wichtige Beratungspunkte waren Steuerfragen und die Beratung einer neuen Fassung der Geschäftsordnung für das Albertus-Magnus-Kolleg. Zu den Steuerfragen berichtete Ordinariatsrat Demandt über seine Recherchen. Er hatte u.a. einen Oberregierungsrat, Dr. Fichtner, konsultiert, der auch zur Sitzung der Studienkommission kam und die Entwicklung der steuerlichen Verhältnisse der Königsteiner Anstalten erläuterte. Er betonte, dass die Königsteiner Anstalten bislang von der Steuerbehörde großzügig behandelt worden seien und wohl auch weiter so behandelt würden. Der Oberregierungsrat empfahl, die Königsteiner Rufe steuerlich nicht dem AlbertusMagnus-Kolleg, sondern dem neu zu schaffenden Verein des Priesterreferates einzugliedern. Die Geschäftsordnung für den Verein sah vor, dass die Leiter der Einrichtungen des e.V., also von Priesterseminar, Schule und Schülerkonvikt, jeweils in ihrem Bereich selbständig sind. Sie wurden durch den Bischof von Limburg auf Vorschlag des Vorstandes im Einvernehmen mit dem Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz ernannt und abberufen. Die Aufgaben des Vorstands wurden ebenso geregelt wie die Ernennung und Abberufung der Mitarbeiter der Einrichtungen des Vereins, also der Regenten, des Spirituals, der Professoren etc. Ausdrücklich wurde vermerkt, dass die Hochschule sich nach ihrer eigenen Grundordnung verwalten solle. Daraufhin wurde

schrittlich praktizierenden Arbeitergemeinde wie Kempf. Der ehemalige Limburger Weihbischof Walther Kampe würdigte in einem Festvortrag zum 75. Geburtstag des Bischofs Wilhelm Kempf als einen fortschrittlichen Konservativen, der die Zeichen der Zeit als Aufgaben der Seelsorge verstand und die Strukturen entsprechend anzupassen versuchte. Dazu gehörte die Unterstützung und Etablierung synodaler Strukturen in der Diözese und eine „großzügige Vertrauensvorgabe“ des Bischofs gegenüber seinen Mitarbeitern und dem Klerus. Als ein Bischof des Dialogs wurde er wiederholt charakterisiert. All diese Hinweise führen zu der Einschätzung, dass Kempf und Kindermann hinsichtlich ihres Naturells, ihrer Arbeitsweise, der Einbeziehung ihrer Mitarbeiter sehr verschieden waren. Aufschlussreich erscheint die Nichtnennung Königsteins in dem weiten Panorama der Aufgaben Kempfs in seinen 33 Jahren als Bischof von Limburg, das Kampe in seiner Würdigung zeichnete. Die Aufgabe der kirchlichen Integration der Vertriebenen erscheint hauptsächlich im Kontext der Frage nach notwendigen neuen Strukturen, nach Gemeindegründungen und Kirchenbau, nach der Wiederherstellung der zerstörten Strukturen der Seelsorge (KAMPE, Ein Leben, S. 32f.). Man würde dort die Erwähnung der Errichtung eines Priesterseminars und einer Hochschule für die Vertriebenen erwarten; die Erwartung erfüllt sich nicht. Auch in seinem erinnernden Rückblick zu seinem 80. Geburtstag erwähnte Kampe Königstein nicht. Herman H. SCHWEDT, Kampe, Walther. In: BBKL, Band 17 (2000), Sp. 755-759. – Walther KAMPE, Ein Leben für die Kirche. Festrede zum 75. Geburtstag von Dr. Wilhelm Kempf, 1949 – 1981 Bischof von Limburg. Frankfurt am Main 1981. – Walther KAMPE, Achtzig Jahre – und noch immer da!. Erinnerungen zum 31. Mai 1989. Als Manuskript gedruckt. Limburg 1989.

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Abschnitt IV

auch diese Grundordnung ausgearbeitet. Der Vorstand sollte in der Regel monatlich zusammentreten.72 Es gab sehr wohl Pläne zur betrieblichen Neuordnung in Königstein, die den Vereinszweck des Albertus-Magnus-Kollegs in keiner Weise antasten wollten, nämlich heimatvertriebenen, jungen Katholiken die Möglichkeit zu geben, Priester zu werden.73 An erster Stelle wurde vorgeschlagen, das Priesterwerk, also die Betreuung der heimatvertriebenen Priester, aus dem Priesterreferat herauszulösen und in den Albertus-Magnus-Kolleg Königstein e.V. einzugliedern. Desgleichen sollten die Königsteiner Rufe als Zeitschrift des Albertus-Magnus-Kollegs angesehen werden und den Priesternachwuchs fördern. Mit der Eingliederung des Priesterwerkes wollte man einen dreistufigen Aufbau des Albertus-Magnus-Kollegs erreichen, nämlich a) auf der unteren Ebene sollte der schulische Unterbau für den Priesternachwuchs stehen, dann zweitens das Priesterseminar für die Priesterausbildung und schließlich drittens das Priesterwerk für die Betreuung der Priester. Neben der Eingliederung der ‚Königsteiner Rufe’ in das AMK wurde vorgeschlagen, einen Untertitel zu wählen, etwa: ‚Monatsschrift zur Förderung des Königsteiner Priesternachwuchses’, damit offenkundig bleibe, dass der Bezieherpreis als Spendenbetrag vorgesehen war und so auch gegenüber dem Finanzamt deklariert werden konnte. Zusätzlich zu dieser klareren Strukturierung, nicht zuletzt auch um die Gemeinnützigkeit des Vereins und seines Publikationsorgans zu unterstreichen, wurde darauf gedrängt, durch neue klärende Aufgabenverteilung eindeutige Zuständigkeiten in den Arbeitsbereichen zu schaffen und damit auch klar zu sehen, welcher Bedarf an Arbeitskräften wirklich bestehe. Im Hintergrund dieser Forderung stand wohl die Vermutung, dass die 22 Angestellten, die das Priesterreferat und die Königsteiner Rufe beschäftigten, wobei drei dem Priesterreferat und 19 den Königsteiner Rufen zugedacht waren, zu viel seien.

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Wie sehr diese Konsolidierungs-, Stabilisierungs- und Klärungsprozesse Kindermann zu schaffen machten, zeigt ein Schreiben Kindermanns an den Kölner Kardinal Frings vom 7. April 1956, in dem er berichtete, dass er von der letzten Mitgliederversammlung, also am 16. Februar 1956, recht (g)bedrückt nach Königstein zurückgekehrt sei. „Die monatelangen Verhandlungen bzgl. der Neuordnung von Königstein nähern sich dem Ende. Es ergibt sich die Notwendigkeit, das Priesterreferat, das bisher neben seinen speziellen Aufgaben den Löwenanteil der Lasten des Albertus-Magnus-Kollegs getragen hat, rechtlich besser zu verankern. Nach deutschem Recht wird es voraussichtlich ein e.V. sein, der wahrscheinlich den Namen „Vaterhaus der Vertriebenen“ tragen wird. Er soll im Anschluss an die Hauptversammlung des Albertus-Magnus-Kollegs Königstein im Mai gegründet werden. Für die Fortführung der Arbeit des Priesterreferates im Rahmen des neu zu gründenden e.V. ist meiner Meinung nach ein neuer kirchlicher Auftrag nötig. Dieses Anliegen erlaube ich mir nun Eurer Eminenz zu unterbreiten.“ (Schreiben Kindermanns an Frings vom 7. April 1956, 4 S. masch., KZG Akten Bischofszimmer 13/205, Zitat S. 1). Vgl. zu den Vorschlägen KZG, Akten Bischofszimmer, 11/202, Prüfungsbericht, 33 S. masch., die Vorschläge zur betrieblichen Neuordnung, ab S. 23.

Etappen der Entwicklung Königsteins

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Die Prüfer verbanden damit die Hoffnung, dass mit dieser aufgabenmäßigen Zusammenfassung beim AMK die buchhalterischen Überschneidungen behoben werden könnten. Wenn daneben gefordert wurde, dass auf den AMK e.V. die zentralen Aufgaben des Priesterreferats übergehen sollten, also auch die Herausgabe der ‚Mitteilungen für heimatvertriebene Priester aus dem Osten’, die ‚Königsteiner Blätter’ und die Verzeichnisse der deutschen Vertriebenenpriester aus dem Osten, dann blieben letztlich keine genuinen Aufgabe des Priesterreferates mehr übrig. Angepeilt wurde also eine Überführung des Priesterreferates in den AMK, denn die Betreuung der heimatvertriebenen Priester bei entsprechenden Tagungen und Konferenzen war durchaus dem Priesterwerk zuzuordnen, das ebenfalls in das AMK eingegliedert werden sollte. „Der mit Wirkung vom 1.7.1957 neu zu gründende e.V. soll alle anderen Aufgaben, die nicht der Aufgabenstellung der gemeinnützigen Zweckrichtung des AMK und der Ostpriesterhilfe entsprechen übernehmen. Dazu gehört in erster Linie die: Zusammenarbeit mit der Ostakademie Durchführung der Tagungen, Kongresse, Exerzitienkurse usw. Durchführung der Wallfahrten Organisation und Durchführung des Wirtschaftsbetriebes.“74 Nun sollten freilich die beiden Vereine sinnvoll zusammenarbeiten können. Deswegen wurde zwar eine scharfe Abgrenzung der Aufgabengebiete empfohlen, aber doch die gleiche Personenzusammensetzung für die Hauptmitgliederversammlung und den Verwaltungsrat angestrebt. Gleichzeitig sollte der neue e. V eine voll auslastungsfähige eigene Geschäftsführung erhalten, weil seine Aufgabengebiete einer Intensivierung bedürften und er ökonomisch wirtschaften müsse–. Die Geschäftsführer der beiden Vereine dürften also in keinem Fall identisch sein. Konkret wurde wegen ihrer bisherigen verdienstvollen Tätigkeit und ihrer intensiven Kenntnis der Aufgabenstellung Paula Schetka als Geschäftsführerin vorgeschlagen. Aus diesen steuertechnischen Überlegungen und Notwendigkeiten erwuchs so der neue Verein „Haus der Begegnung Königstein e.V.“ Auch über die Bezeichnung wurde diskutiert. „Die ursprünglich gewählte Bezeichnung „Vaterhaus der Heimatvertriebenen“ dürfte wenig geeignet sein, die Anerkennung bei den zuständigen Organisationen der Heimatvertriebenen zu finden. Auch ist die Bezeichnung insofern irreführend als der neue e.V. als Dachorganisation der Königsteiner Anstalten angesehen werden könnte. Letztlich müsste in jedem Fall der in dieser Bezeichnung zum Ausdruck kommende politische Hintergrund vermieden werden. Die Bezeichnung als „Christliches Kulturwerk Königstein“ trifft jedoch die Mehrzweckrichtung des neuen e.V. auch nicht in allen Punkten. Ob mit dem Wirtschaftsbetrieb ein Kulturwerk verbunden ist, sei dahingestellt. Vielmehr wäre aus der wohl in jedem Falle zutreffenden Aufgabenstellung heraus die Bezeichnung „Haus der Begegnung Königstein e.V.“ als angebracht zu bezeichnen. Diese Bezeichnung legt sich weder nur nach der Seite der Heimatvertriebenen noch in politischer oder kultureller Hinsicht fest.“75 74 75

Prüfungsbericht, S. 26. Prüfungsbericht, S. 27.

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Abschnitt IV

Im Kontext der Klärung der Zuständigkeit und der Aufgabenbeschreibung des Priesterreferates, die auch in diesem Zusammenhang erneut angemahnt wurde, wies der Kölner Kardinal auf die eigentlichen Zwecke des e.V. hin, nämlich für den Priesternachwuchs zu sorgen und nicht Tagungen zu veranstalten. Darin war klar der Wunsch formuliert, das Haus der Begegnung einem eigenen e.V. zu übertragen und aus dem Albertus-Magnus-Kolleg herauszulösen. Dagegen sträubte sich Kindermann zunächst mit seiner Ansicht, dass bei einer solchen Trennung aller Zusammenhänge das Ganze sich ad absurdum führe.

6.5.

Schwierige Meinungsbildung im Vorstand

Die Konsolidierung, insoweit sie die klare Aufgabenumschreibung, Zuständigkeitsbegrenzung, Leitungs- und Verwaltungsstruktur betraf, war offensichtlich ein langwieriger, schmerzlicher Prozess. Das wird deutlich durch die Bemühungen des Limburger Ordinariates in verschiedenen Gesprächen mit Königsteiner Leitungspersonen und ebenso durch die schwierige Meinungsbildung im Vorstand, vor allen Dingen zwischen Kindermann und Demandt, nachdem ein Vorstand des e.V. eingesetzt worden war. Schwierigkeiten ergaben sich wohl nicht zuletzt auch aus Kindermanns Auswahl der leitenden Persönlichkeiten. Das zeigte sich nicht zuletzt an seiner „Generalvikarin“, Paula Schetka. In einer Aktennotiz des Ordinariates Limburg heißt es, sie sei das Alter Ego Kindermanns. Sie bestimme, welche Priester nach Königstein kommen dürfen und welche nicht. Sie solle aus der Verwaltung ausscheiden.76 Mehrmals besprach sich der Bischof von Limburg oder seine Vertreter mit Regens Piekorz bzw. mit Kanonikus Weißkopf77, dem Schulleiter, und auch mit Verwalter Schleupner, immer mit dem Ziel, die inneren Verhältnisse zu klären. Die Schwierigkeiten wurden an den unterschiedlichen Einrichtungen und ihren unklaren Abgrenzungen festgemacht, an den sozialen Problemen, den mehrfach genannten unzureichenden Löhnen – ausdrücklich wurde von Hungerlöhnen gesprochen – an verspäteten Nachzahlungen und peinlichen Auseinandersetzungen um die Besoldung, die bis zu Klagen vor dem Arbeitsgericht führten. Bereits 1951 forderte Limburg einen neuen Aufbau eines qualifizierten Lehrkörpers der Albertus-Schule.78 Beklagt wurde darüber hinaus die untragbare Überlastung der Schwestern durch die vielen Kurse und Tagungen, die ihnen nicht einmal in den Ferien eine Verschnaufpause ermöglichte und durch die ungenügende berufliche Fortbildung der eingestellten Lehrlinge. „Das Verhältnis der Leitung der Königsteiner Anstalten zu der Schwesternschaft scheint auch hier und da Schwierigkeiten zu bereiten. Die Zahl der weiblichen Ange76 77 78

Aktennotiz, Diözesanarchiv Limburg, 16A/3, 2 S. masch., hier S. 1. In HAEK CR II 25.20d,3 der Lebenslauf für Joseph Weißkopf. HAEK CR II 25.20d,3.

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301

stellten ist recht groß. Prälat K. nannte etwa 80. Davon sind allein in dem Priesterreferat über 20 angestellt. Die eigentliche Verwaltung der verschiedenen Anstalten ist eine überaus große Aufgabe. Es wurde dem Prälat K. empfohlen, einen eigenen Verwaltungsdirektor für diese Aufgabe zu bestellen, der auch ihn erheblich entlasten kann und manche Aufgaben, etwa dem Personal gegenüber, durchführen mag, die ihm besser wohl erspart bleiben.“79 Daneben wurden aber auch persönliche Probleme Kindermanns angeführt, nämlich sein (strukturelles)grundsätzliches Misstrauen gegen andere, vor allem wenn sie andere Meinungen vertraten als er. Er sei beratungsunfähig, erwarte von niemandem wirkliche Hilfe und meine daher, alles selbst tun zu müssen. Er zeige einen bedenklich zunehmenden Zustand der Übermüdung, der sich in gelegentlich akut werdendem Erinnerungsschwund äußere. Unberechenbar sei er in seinen Planungen und Entschließungen. Plötzlich tauchten Ideen auf, die ebenso plötzlich wieder fallengelassen würden. „Die Kombination von Unberechenbarkeit und fehlender Beratung bringt die Menschen seiner Umgebung in höchst schwierige Situationen: man weiß nie, was ist oder werden wird; der Erinnerungsschwund dehnt die Unsicherheit sogar auf die Vergangenheit aus.“80 Spannungen gebe es vor allem mit den Leitern der einzelnen Abteilungen. Für den Umgang im Vorstand scheint der Ton bezeichnend, den Ordinariatsrat Demandt in seinem Schreiben an Kindermann vom 15. Juli 1956 anschlug. Zu Beginn hielt Demandt sachlich-nüchtern fest, dass er zwar mit Poststempel, aber ohne Anschreiben, ohne Absender, ohne (Kopfbezeichnung)Briefkopf, ohne Datum und ohne Unterschrift ein Schreiben zugesandt bekommen habe, das den Entwurf eines Protokolls über die letzte Vorstandssitzung darstellt. Er kommentierte das nicht weiter, bemerkte dazu lediglich/aber, dass die Einladung zu dieser Sitzung keinerlei Angabe einer Tagesordnung enthalten habe. Man habe sich also auf die Sitzung nicht vorbereiten können. Demandt bemängelte weiter, und wünschte das auch protokollarisch festgehalten, dass er als Vorstandsmitglied in keiner Weise mit den Instandsetzungsarbeiten befasst wurde, die ja ein Finanzvolumen von immerhin ca. 370.000,- DM umfassten. Er habe nur die bereits vergebenen Arbeiten zur Kenntnis nehmen sollen. „In wichtigen Dingen vor fertige Tatsachen gestellt zu werden, liebe ich nicht und lehne auch die Verantwortung dafür ab. Insoweit verliert die Vorstandsitzung vom 9. Juli 1956 ihren Sinn. Seit der letzten Vorstandssitzung am 17. April 1956 hätte sich sicher Zeit gefunden, die Vergebungsarbeiten zu besprechen.“81 Ein weiterer gewichtiger Einwand Demandts betraf den Ausbau des Kellers zur Waschküche, die Demandt als einen unzumutbaren Arbeitsplatz bezeichnete und seinerseits vorschlug, die Wäscherei auf einen danebengelegenen freien Platz zu bauen. Sollte diesbezüglich im Vorstand keine Einigung erzielt werden, wünschte Demandt, die Entscheidung dem Bischof von Limburg zu unterbreiten.

79 80 81

Bericht über die Visitation, S. 3f. Aktennotiz, Diözesanarchiv Limburg, 16A/3, 2 S. masch., hier S. 2. Schreiben Demandts an Kindermann vom 15. Juli 1956, 4 S. masch., Diözesanarchiv Limburg, 16A/3, Zitat S. 2.

302

Abschnitt IV

Die Wäscherei wurde schließlich nach den Plänen Kindermanns gebaut. Was blieb Demandt übrig, als sich direkt an den Bischof zu wenden und seine immer größer werdenden Sorgen und Bedenken wegen Königstein zu formulieren. Demandt wünschte eine Dienstordnung und einen Geschäftsführer, was Kindermann verzögerte. „Herr Prälat Kindermann spürt wohl ganz genau, welche Auswirkung diese Dienstordnung haben würde. Auf die übrigen Punkte des Protokolls über die Sitzung am 6. August 1956, die ich weder für sachlich berechtigt noch für vertretbar halte, möchte ich hier nicht näher eingehen. Nach den Erfahrungen der letzten elf Monate kann hier wohl nur eine starke Einwirkung der kirchlichen Autorität helfen bzw. größeren Schaden verhüten. Herr Prälat Kindermann hat, wie bekannt, immer wieder erklärt, wenn es nicht nach seinen Ideen ginge und er durch einen Vorstand eingeengt wird, dann stellt er seine Tätigkeit ein und wären die priesterlichen Anstalten in sechs Wochen erledigt. Wohl hängt er an seinem Werk, aber er treibt ein Vabanquespiel. Ich weiß nicht, ob er sich überhaupt noch umstellen kann. Von Anfang an hatte er nie ernstlich daran gedacht, die durch Schaffung eines Vorstandes gegebene Verwaltungsnorm zu beachten, sondern versucht, nach wie vor fertige Tatsachen zu schaffen.“82 Demandt resignierte und bat den Bischof, seine Amtsniederlegung dem Registergericht in Königstein zuzusenden und dem Restvorstand davon Kenntnis zu geben.

6.6.

Das Ringen um die Eigenständigkeit der einzelnen Einrichtungen

Die Situation war angespannt im Sommer 1956, nicht nur im Vorstand, sondern auch zwischen den Leitern der einzelnen Anstalten. Wohl in diesem Kontext bat auch Regens Dr. Piekorz den Bischof von Limburg, resignieren zu dürfen. Kempf gab dieser Bitte nicht statt, gab aber seinerseits Kindermann zu bedenken dass aus der derzeitigen Situation heraus (möglicherweise) eine Auflassung des Priesterseminars in Königstein gefordert sei. In einem Gespräch mit Kindermann begründete er diese vor allem mit dem Blick auf das Professorenkollegium, das leistungsmäßig überfordert sei. Der eine, weil er gesundheitlich labil sei, der andere, weil er die Altersgrenze erreicht habe, ein Dritter, weil er Doppelbelastungen habe, zwei, weil sie sich andernorts habilitierten und schließlich seien die kommenden Theologen praktisch schon stark in der neuen Heimat verwurzelt. Sie würden im Prozess der örtlichen Verwurzelung durch die Ausbildung in Königstein künstlich gestört. Das Wachhalten des Interesses für die Problematik und Thematik des Ostens könne auch auf andere Weise erfolgen. Kempf fasste ins Auge, diese Thematik nicht nur mit Kindermann, sondern möglichst bald auch mit Professor Bitterlich83 zu besprechen.84 Piekorz war erst 1954

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Demandt an Bischof Kempf am 18. August 1956, Brief, 2 S. masch., Diözesanarchiv Limburg, 16A/3, Zitat S. 1f. Adalbert Bitterlich, geb. 1895. Priesterweihe 1920. Nach kurzer Kaplanstätigkeit von 1921 bis 1925 Domprediger in Leitmeritz. 1925 bis 1945 Dompfarrer und Offizial in Leitmeritz, daneben 1938 bis 1945 Professor für Moral und Kirchenrecht am Bischöflichen Seminar in Leitmeritz. 1945 bis 46 Organisator der Flüchtlingsseelsorge in Wien. Promotion 1931 in Prag mit einer

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303

mit dem Regentenamt betraut worden, nachdem sein Vorgänger Fröhlich aus gesundheitlichen Gründen sein Amt zur Verfügung gestellt hatte.85

6.7.

Mitwirkungsmöglichkeiten der Mitglieder – ein Beispiel

Die forsche, vorstoßende, zupackende Art Kindermanns, die nicht viel Raum ließ für tiefen Geist, weil nach seiner Ansicht kaum jemand so für Königstein „brennen“ konnte wie er selber, stieß bei der Mitgliederversammlung am 16. Februar 1956 doch deutlich an ihre Grenzen. So vermerkte das Protokoll, dass Kindermann mit einer ganzen Reihe von weit ausspannenden Zukunftsplänen in die Sitzung gekommen sei und die Mitglieder mit diesen Vorhaben konfrontiert habe.86 Wer nun gemeint hatte, dies sei in der Tat das Ende der ausholenden Pläne, der wurde im nächsten Satz bereits eines besseren belehrt, denn da präsentierte Kindermann den Wunsch, ein neues Schulgebäude zu errichten. Das werde kaum zu umgehen sein. Es müsse zwölf bis 23 Klassen umfassen können, etwa 450 Schüler aufnehmen; die Kosten schätzte Kindermann auf etwa 800.000,- DM. Die Finanzierung meinte er, vollständig oder mindestens zur Hälfte auf dem Weg eines billigen Kredites gestalten zu können, sei doch das Grundvermögen des Vereins bisher erst zu 19 % belastet. Lange Wartezeiten konnte und wollte Kindermann auf keinen Fall in Kauf nehmen. Man müsse noch in diesem Frühjahr mit dem Bau beginnen, solange die Wirtschaft floriere. Die Einweihung könnte dann zum 15. November 1956 zum Gedenktag des zehnjährigen Bestehens der Königsteiner Anstalten durchgeführt werden. Natürlich tauchten bei solchen Plänen die Fragen auf

84 85

86

Arbeit über biblische Drachengestalten. Die Habilitation beschäftigte sich 1936 mit der Eugenik in historischer, moral-, pastoraltheologischer Sicht. Seit 1950 Professor für Pastoraltheologie in Königstein. Gestorben 1972. Der Sudetendeutsche Klerus in der Vertreibung nach dem Stand vom 15.9.1963. Königstein/Ts. 1963, S. 48. VALASEK, Der Kampf gegen die Priester im Sudetenland, S. 37. KZG 3330 und 3331. Vgl. dazu zwei Aktennotizen über ein Gespräch am 8. September 1956 zwischen Kempf und Kindermann in Diözesanarchiv Limburg, 16A/3. Schreiben Kindermanns an Kardinal Frings von Köln am 16. Mai 1954: „Herr Regens Fröhlich hatte vor allem in der letzten Zeit, wohl aufgrund seiner Krankheit, bei den Theologen keine glückliche Hand. So hat wohl der liebe Gott selber eine Wendung herbeigeführt“ (KZG 821). „Das letzte Stück Wiese müsse gekauft werden für 15.000,- DM. Zu den Kosten des Dingweges müssten die Anrainer und damit auch der e.V. Kosten beitragen mit etwa 25.000,- DM. Eine Stiege zur Kirche würde 12.000,- DM kosten, ein kleiner Glockenturm etwa 1.000,- DM. Die Straßen im Kollegsgelände in Ordnung zu bringen, erforderte 78.000,- DM. Von den 120.000,DM, die für eine Instandsetzung des Schülerkonvikts und der St. Albert-Schule erforderlich seien, müssten in diesem Jahr mindestens 80.000,- DM verausgabt werden. Die Herrichtung der Wäscherei würde 24.000,- DM kosten, das sogenannte Führerhaus an die vorhandene Zentralheizung anzuschließen, erforderte 58.000,- DM, die Herrichtung des Sportplatzes 28.000,- DM, die man aus dem Hessentoto zu erhalten hoffte. Zusammen wären für diese Dinge etwa 250.000,- bis 300.000,- DM erforderlich. Damit wäre dann die letzte Periode der Renovierungen abgeschlossen.“ Diözesanarchiv Limburg, 16A/3, S. 15.

304

Abschnitt IV

a) welche Rolle den Mitgliedern hier überhaupt noch zugewiesen wurde – sie hatten letztlich ja gar keine andere Wahl, als mit Ja zu stimmen, b) welche Mitsprachemöglichkeit Kindermanns Kollegen im Vorstand hatten und c) wie nahe Kindermann an der Realität plante, wenn er am 16. Februar ein Vorhaben präsentierte, das Mitte der fünfziger Jahre ein Finanzvolumen von etwa 1 Mio. DM umfasste und das bis zum 15. November 1956, also nur ein dreiviertel Jahr später bereits eingeweiht werden sollte. Am Ende der Präsentation dieses überraschenden Planes – hier hat der Protokollant, Regens Piekorz, in seiner kritischen Einstellung zu Kindermann die Atmosphäre gut eingefangen – stand wiederum die Versicherung, dass mit diesem Plan, der für die Erziehung der Jugend zukunftsweisend sei, ein Abschluss aller Planungen erreicht sei.. Der Limburger Bischof als Aufsichtsbehörde wies jedoch lapidar auf die Grenzen hin, indem er erklärte, die Frage eines Schulneubaues halte er für nicht spruchreif. In seiner Begründung verwies er auf die zeitliche Begrenzung der Existenz der Hochschule und des Priesterseminars, die 1954 zunächst für drei Jahre eingerichtet waren. Also musste im Folgejahr 1957 das Thema Hochschule erneut erörtert werden. Sollte die Hochschule dann eingestellt werden, ergäben sich genügend Räume für die Schule. Kindermann hatte für diesen Fall freilich andere Pläne für die Gebäude der Hochschule des Priesterseminars. Er bezeichnete sie als besonders geeignet zum Zweck von Tagungen. Ein Vorhaben, das Kempf nicht überzeugte, denn Tagungen seien nur in kleinerem Rahmen von höchstens 30 bis 40 Personen ergiebig und fruchtbar. Außerdem wünschte der Bischof, dass zu Protokoll genommen wurde, dass die Königsteiner Tagungen mit dem Bildungswerk der katholischen Aktion Limburg koordiniert würden. Man wollte also keine Alleingänge Königsteins. Zunächst sei, so der Bischof wiederholt, die Hochschulfrage zu klären, dann könne man einen Schulneubau in Erwägung ziehen. Schließlich verschob man auch die Frage der baulichen Verbesserungen, d.h. die Mittelaufnahme von etwa 300.000,- DM, auf die nächste Sitzung.

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7.

305

Erste Anzeichen für eine drohende finanzielle Schieflage

Ein resümierender Überblick Kindermanns im Jahr 1964 bezeichnete die Königsteiner Anstalten als konsolidiert, nicht zuletzt durch die im Jahre 1958 durchgeführte rechtliche Neuordnung der Anstalten in drei verschiedene e.V., dem „AlbertusMagnus-Kolleg Königstein e.V.“ als dem eigentlichen Träger der Anstalten, dem „Haus der Begegnung Königstein e.V.“ und dem „Deutsche Ostpriesterhilfe Königstein e.V.“ Diese drei eingetragenen Vereine versuchten die beiden Seiten der Grundintention, nämlich das Aufgreifen und die Beantwortung des Flüchtlingsproblems und das sogenannte Ostanliegen, nicht zu vergessen Kindermann stand den beiden Vereinen Albertus-Magnus-Kolleg und Haus der Begegnung vor. Doch wuchs bei der diözesanen Aufsichtsbehörde, dem Limburger Bischof, der Eindruck, dass die Vorliebe Kindermanns dem Haus der Begegnung und nicht dem Kolleg galt. Der Bischof war besorgt, dass künftig nicht mehr die Sorge für den Priesternachwuchs, sondern das Haus der Begegnung mit seinen Veranstaltungen, dem Kongress ‚Kirche in Not’ und damit vor allem die antikommunistische Propaganda an erster Stelle stehen würde.87 Wo in finanzieller Hinsicht die Defizite produziert wurden, wurde bereits Mitte der sechziger Jahre deutlich: Da waren zum einen die Hochschule und das Theologenkonvikt, das mit etwa 50 Theologiestudenten keineswegs ausgelastet war. Das Unternehmen wies eine Unterdeckung von rd. DM 300.000,- auf, die beinahe ganz durch Spenden aufgewogen werden musste; dabei wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass mit der Rückläufigkeit der Spenden in Zukunft zu rechnen sei. Die Königsteiner Rufe warfen bereits Mitte der sechziger Jahre kaum noch Gewinne ab. Die Bezieherzahl war erheblich zurückgegangen, vor allem durch den Tod derjenigen Bezieher, die als vertriebene Flüchtlinge bereits im vorgerückten Alter waren. „Alles in allem gilt es jetzt, den Bestand zu erhalten und gut zu verwalten. Zweifelsohne wird auch das Haus der Begegnung bei wirtschaftlichem Rückgang gewisse Auswirkungen verspüren… Neue Planungen könnten allerdings nicht mehr verantwortet werden. Gespräche über eine neue Ladenstraße oder ein Bürohaus sollten nicht als zu

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Vgl. einen entsprechenden Brief des Bischofs von Limburg an Kindermann vom 10. September 1959, Diözesanarchiv Limburg, 16A/5 „Ich glaube feststellen zu müssen, dass das persönliche Interesse von Ew. Gnaden sich sensim sine sensu von dem e.V. Albertus-Magnus-Kolleg Königstein auf den e.V. Haus der Begegnung verlagert. Demgegenüber möchte ich Sie ebenso herzlich wie dringend bitten, unbedingt daran festzuhalten, dass der e.V. Albertus-MagnusKolleg nach wie vor den unbestrittenen Vorrang vor allen anderen Königsteiner Institutionen halten muss. Die erstaunliche Opferbereitschaft der Heimatvertriebenen und ihrer Priester gilt dem Priesterseminar und der Albertus-Schule, nicht dem Haus der Begegnung. Unter dem Sammelnamen Königstein ist dieser Akzent der Sorge für den Priesternachwuchs entscheidend und ausschlaggebend.“

306

Abschnitt IV

ernst genommen werden. Schließlich bedürften solche Planungen der Zustimmung der Organe, in denen die bischöfliche Instanz entsprechend vertreten ist.“88 Auch die Schule war auf Zuschüsse angewiesen. Wegen absehbarer Finanzprobleme schaltete Limburg 1966 das Referat für Anstaltswesen der Konferenz der Caritas-Verbände in Hessen zur Überprüfung der Jahresrechnung von 1965 und der (V)Kostenvoranschläge 1966 ein. Die Schwerpunkte der Prüfung lagen auf dem Verlust von 175.000,- DM im Jahr 1965 beim AMK. Hier wurde vor allem beanstandet, dass der Pensionspreis für Schülerkonvikt und Schulgebühr bis zum 31. Dezember 1965 nur DM 180,- betrug. Erst ab 1. Januar 1966 wurde die Summe auf DM 240,erhöht. Wäre diese Erhöhung früher vorgenommen worden, hätte sich für 1965 lediglich ein Verlust von etwa 60.000,- DM ergeben. Dabei ist freilich die prozentual hohe Anhebung des Pensionspreises nicht zu übersehen. Kindermann hatte die Erhöhung wohl bis zuletzt hinausgeschoben, damit die Schule auch allen sozialen Anforderungen gerecht werden könne. Die Caritasprüfung hingegen unterstreicht, dass der kostengerechtere Preis nach der Erhöhung von keinem der Elternteile beanstandet worden sei und auch bei kirchlichen Schulen nur kostendeckende Gesichtspunkte angewendet werden könnten.89 Das zweite Augenmerk wurde auf den Schulneubau gelegt. Zu diesem Punkt wurde angemerkt, dass es wichtig sei, künftig stärker auch um externe Schüler zu werben. Bis dato hatte wohl Kindermann Widerstand gegen diese (in Caritasaugen)aus Sicht der Caritas richtige Entwicklung geleistet. Die Einbeziehung der externen Schüler sollte nicht zuletzt einer besseren wirtschaftlichen Ausnutzung der Schule dienen. Schließlich wurde sehr klar die Existenz des Priesterseminars in Frage gestellt. Kindermann könne nicht auf der einen Seite ein völlig defizitär arbeitendes Priesterseminar weiter bestehen lassen und sich gleichzeitig für einen sozialen Internatspreis der Schule einsetzen. Das Priesterseminar sei bis auf 50 Seminaristen zusammengeschrumpft. Lediglich 14 davon kämen aus Vertriebenenkreisen. Man müsse auf die Dauer gesehen diese Fragestellung einer wirtschaftlich günstigeren Lösung zuführen. Vorgeschlagen wurde eine Koppelung mit St. Georgen.

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Der Diplomkaufmann und Diplomvolkswirt Dr. Karl Humbert aus Offenbach an die Finanzabteilung des bischöflichen Ordinariats Limburg am 22. März 1967, nachdem er um eine Stellungnahme der Abschlussrechnung 1966 und zum Voranschlag 1967 gebeten worden war, 2 S. masch., Zitat S. 2, Diözesanarchiv Limburg, 16A/6. Diözesanarchiv Limburg, 16A/6.

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8.

307

Turbulenzen in den ausgehenden sechziger Jahren

Sorge und Angst spiegelten sich in dem Wunsch von Dr. Reiß90 wider, den er am Ende der Hauptversammlung des Sudetendeutschen Priesterwerkes am 31. Juli 1969 in Königstein an Weihbischof Kindermann richtete. Nach der Versicherung, dass die sudetendeutschen Priester dem Weihbischof die Treue halten wollen, ihn nicht im Stich lassen werden, auch finanziell nicht, unterstreicht er, dass sie in Königstein die Erwartung setzten, dass im Konvikt Zucht und Ordnung herrschen solle. Es müsse gebetet und in der Schule gelernt werden. Kindermann gab die Versicherung, so merkt es das Protokoll an, dass das auch sein Wunsch und Wille sei. Dieses Schlaglicht ist kein singuläres Aufflackern, sondern beleuchtet die Ängste, Sorgen und Intentionen des Königsteiner Führungspersonals in den 68er Unruhen.91 Kindermanns Sorge über die unruhige Situation betraf nicht nur seine Tätigkeit in Königstein, sondern auch sein Amt als Weihbischof und damit als besonders Beauftragter für die sudetendeutscher Katholiken. So unterstrich er in seinem Dreijahresbericht an den Papst, dass die heimatvertriebenen Deutschen aus der ČSSR untereinander sehr zusammenhalten, sie aber unter den Heimatverbliebenen leben. Damit lasse es sich nicht vermeiden, dass sie nicht nur das Gute, sondern auch „die verschiedenen Krisen und Unruhen, die derzeit das tägliche Leben in Deutschland erschüttern“, miterleben und davon beeinflusst werden, teils sogar mehr als die Heimatverbliebenen, da ihnen mit der Heimat der feste Halt genommen sei, und die neue Heimat ihnen diese Stabilität noch nicht geben könne.92 Die Konsolidierung wurde als selbstverständlich vorausgesetzt, wenn er mit dem Begriff „Neue Heimat“ operiert und auch hinweist auf die Tatsache, dass der Geist der Bereitschaft zur Verständigung und Versöhnung von Anfang an bei den katholischen Vertriebenen da gewesen und mit den Jahren immer stärker geworden sei. Er äußere sich vor allem in den vielen persönlichen Kontakten, in den gegenseitigen Besuchen und in der großen Hilfsbereitschaft gegenüber der Kirche hinter dem Eisernen Vorhang. Auch die große Anteilnahme der Vertriebenen an der Invasion der

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Karl Reiß, geboren 1910 in Altzedlisch im Egerland, schloss seine theologischen Studien in Prag mit dem Doktorat ab, wurde Sekretär des Generalvikars Karl Bock im Generalvikariat für den deutschen Teil der Erzdiözese Prag, nach der Vertreibung Pfarrer in Heilig Kreuz in Offenbach und Vertriebenenseelsorger im Bistum Mainz. Er war seit der Gründung des Sudetendeutschen Priesterwerkes 1947 dessen 2. Vorsitzender, also Stellvertreter Kindermanns. 1974 wurde er zum 1. Vorsitzenden des SPW gewählt und am 17. November zum Sprecher der sudetendeutschen Priester und Beauftragten der Bischofskonferenz für die Sudetendeutschen ernannt. Er starb am 17. April 1985. – Friedrich BERGER, Zum Tode des Vorsitzenden unseres Priesterwerkes, in: Mitteilungen des Sudetendeutschen Priesterwerkes 1985, Heft 2, S. 2-6. Vgl. dazu DAR AKZ.8/1991, Sudetendeutsches Priesterwerk. DAR AKZ.8/1991, Sudetendeutsches Priesterwerk, Bericht Kindermann an den Papst vom 1. März 1969, 4 S. masch., Zitat S. 2.

308

Abschnitt IV

Warschauer Paktstaaten in der Tschechoslowakei war in den Augen Kindermanns ein Indiz für die Konsolidierung der Lage. Die Konsolidierung sei allerdings dort in der Krise, wo die tatsächlichen oder vermeintlichen Probleme der Vertriebenen verdrängt werden.93 Eine echte Versöhnung könne nur durch freie Partner erfolgen, die sich vom christlichen Geist leiten lassen. Positiv würdigte Kindermann einen Briefwechsel zwischen den polnischen und deutschen Bischöfen und hob hervor, dass auch die Sudetendeutschen Versöhnung mit den tschechischen Brüdern wollten. Man habe alle sich bietenden Gelegenheiten ausgenutzt, um die Bereitschaft zur Versöhnung im Kontakt mit dem Nachbarvolk zum Ausdruck zu bringen.94 Der Briefwechsel zwischen den deutschen und polnischen Bischöfen wurde grundsätzlich weitgehend begrüßt. Es wurde die offizielle Einsetzung einer Studienkommission mit dem Auftrag gefordert, die mit der Problematik zusammenhängenden Fragen zu erforschen, z.B. bzgl. Begegnung, Wiedergutmachung, Gerechtigkeit, Ausgleich. Es sollte eine Studienkommission eingesetzt werden, die die geschichtlichen Zusammenhänge für die einzelnen östlichen Länder Polen, Böhmen, Mähren und Ungarn erforscht. Es ging vor allem um das Geschichtsbild, nicht zuletzt ausgelöst durch das Geschichtsbild, das hinter den Ausführungen zur polnischen Kirchengeschichte im Hinblick auf das Jubiläum der 1.000-Jahr-Feier der polnischen Kirche 1966 stand. Neben diesen historischen Forschungsaufträgen sollte die Hilfe für die Mitbrüder in Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn gepflegt werden. Die Priesterbildung sollte in diese Richtung ausgebaut werden. Es dürften nicht nur einzelne Gruppen sich dieser Kernaufgaben der Kirche in Deutschland annehmen, sondern die gesamte Kirche müsse sich der Erkenntnis aufschließen, dass sie Pflicht und Verant93

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„Dennoch sind die durch die Vertreibung entstandenen Wunden noch nicht geheilt. Sie werden auch kaum heilen, wenn man die Verständigung und Versöhnung durch die These von der normativen Kraft der Fakten erwartet. Das völlige Totschweigen der Ereignisse im Jahre 1945/46, vor allem auch im kirchlichen Raum, fördert nicht die Versöhnung.“ (DAR AKZ.8/1991, Sudetendeutsches Priesterwerk, Bericht Kindermann an den Papst vom 1. März 1969, 4 S. masch., Zitat S. 3). Einen ähnlichen Situationsbericht gab Kindermann in der erweiterten Vorstandssitzung des Sudetendeutschen Priesterwerkes im Februar 1969 ab. Dort bezeichnete das Jahr 1968 als ein Jahr der Unruhe, des Bangens und des Unfriedens mit dem Verweis auf Israel, Biafra. Die innere Unruhe in Theologie und Kirche, die er festmachte am Essener Katholikentag, an der Enzyklika humane vitae sowie an der Angelegenheit Halbfass. All diese turbulenten Vorgänge haben die sudetendeutschen Probleme zurückgedrängt. Im Vergleich aber sei es in der sudetendeutschen Volksgruppe immer noch verhältnismäßig ruhig. (Verhandlungsschrift im DAR AKZ.8/1991, Sudetendeutsches Priesterwerk. Das Protokoll datiert auf den 21. Februar 1969 und ist die Niederschrift der Verhandlungen des erweiterten Vorstands vom 20. und 21. Februar 1969.) Kindermann an seine Mitbrüder im Geistlichen Amt Ende Januar 1966, 3 S. masch., S. 2: „Wir haben von maßgebender kirchlicher Seite ein positives Echo erhalten. Wir konnten uns deshalb vom Altare her hinter die Parole stellen: „Versöhnung: Ja, Verzicht: Nein“. Wir können die normative Kraft der Fakten nicht anerkennen. Sie heilt die geschlagenen Wunden nicht. Eine echte Versöhnung kann schließlich nur durch freie Partner erfolgen, die sich vom christlichen Geiste leiten lassen. Wir spüren alle, dass es jetzt langsam um letzte Entscheidungen geht. Die solche Entscheidungen vorzubereiten zu verantworten haben, brauchen unser Gebet. Wir wollen daran denken.“ (2) DAR AKZ.8/1991, Sudetendeutsches Priesterwerk.

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wortung gegenüber den östlichen Nachbarvölkern hat.95 Die diözesanen Bindungen und Ordnungen aus dem Osten sollten wiederbelebt werden als Auftrag und Ansatzmöglichkeiten für die Zukunft. Fast gleichzeitig zu diesen Umbrüchen und Unruhen entstand in Königstein die Notwendigkeit, weitere Kreise aufzutun, aus denen man Theologiestudenten gewinnen konnte. In der Bedrängnis der immer weiter zurückgehenden Studentenzahlen traf man sich am 11. September 1967 im Priesterseminar in Königstein mit dem Provinzial der Franziskaner aus Bosnien, Herzegowina und Kroatien und verhandelte über die Aufnahme je einer Gruppe von Klerikern aus den Ordensprovinzen des Franziskanerordens Bosnien, Herzegowina und Kroatien in das Königsteiner Priesterseminar. Aus der Provinz Bosnien sollten sechs, aus der Provinz Herzegowina und der Provinz Kroatien je fünf Kleriker geschickt werden, die verschiedenen Studiensemestern angehörten; sie sollten bereits Kenntnisse in der deutschen Sprache besitzen und besondere Fähigkeiten für die entsprechende Thematik haben. Diese Umbruchsatmosphäre wird in der Selbstwahrnehmung des Jahresberichtes 1967 allenfalls im letzten Satz angedeutet, wo darauf hingewiesen wird, dass der Arbeitskreis für Natur- und Völkerrecht sich besonders in den letzten Wochen mit dem Bensberger Memorandum beschäftigt habe.

95

DAR AKZ.8/1991, Sudetendeutsches Priesterwerk, einseitig masch., Vorschläge für Fulda vom 25.9.66, vermutlich aus der Maschine von Kruschina. „Erschließung von einer Erkenntnis von Pflicht und Verantwortung besonders der Kirche in Deutschland, für die Kirche unter den östlichen Nachbarvölkern; es kann nicht weiterhin als ein (mehr oder weniger fragwürdig gemachtes) Hobby einiger Gruppen hingestellt werden, sondern soll als ein Gesamtauftrag der Kirche in Deutschland gesehen werden, wenn wir uns der Verantwortung für die Zukunft nicht entziehen und die Verantwortung der Kirche in Deutschland für die Nachbarn nicht in Frage stellen wollen. Daher auch die Notwendigkeit der Konfrontierung mit dieser Problematik in den deutschen Seminaren sowie die besondere Ausbildung wenigstens einiger Priester in jeder Diözese im Hinblick auf diese Aufgaben.“

310

Abschnitt IV

9.

Die neue Ostpolitik

Massive Unruhe kam in die Diskussion um die Ostpolitik der Bundesregierung durch die EKD-Denkschrift über die Vertreibung. Davon blieb Königstein keineswegs unberührt. Für die Deutsche Bischofskonferenz im Herbst 1966 wurde unter Federführung des Hildesheimer Bischofs Heinrich Maria Janssen ein Memorandum über die gegenwärtige Situation der Heimatvertriebenen und die entsprechenden pastoralen Aufgaben ausgearbeitet.96 Die EKD-Denkschrift rief unter den Vertriebenen, jedenfalls unter den organisierten, eine besondere Unruhe hervor. In der auf diese Denkschrift sich entzündenden Diskussion in Funk, Fernsehen und Presse wurden „...in zum Teil verärgernden und verletzenden Sendungen und Äußerungen zu wiederholten Malen in politischen oder sozialpolitischen Fragen die Heimatvertriebenen des Chauvinismus, Revanchismus, der Unbelehrbarkeit beschuldigt oder sie für die festgefahrene gesamtdeutsche und osteuropäische Politik haftbar gemacht. Durch vorzeitige Verzichterklärung auf die Gebiete jenseits der Oder-Neiße und Forderungen nach Verzicht der Sudetendeutschen auf ihre Heimat wurden die Heimatvertriebenen sehr gereizt und sind weit empfindsamer geworden, als sie es je in den vergangenen Jahren waren. Die überaus gespannte und kritische Situation macht offenbar, dass auch heute noch eine politische Radikalisierung möglich ist.“97 Es wird festgehalten, dass die Denkschrift der EKD eine radikale Ablehnung in evangelisch-kirchlichen Kreisen gefunden habe – ebenso bei den Landsmannschaften der Vertriebenen. Auch alle katholischen Vertriebenengremien lehnten sie ab. Als eine positive Konsequenz der Auseinandersetzung über die Denkschrift wurde die intensivierte Zusammenarbeit auf der ökumenischen Ebene gesehen. Es habe sich eine bessere Verbindung von katholischen und evangelischen Vertriebenenkreisen angebahnt. Auch die Kontakte zu den Landsmannschaften seien im Zuge dieser Auseinandersetzungen während etwa zwei Jahren reger geworden. Nie zuvor habe die Katholische Kirche und ihre Vertriebenenarbeit eine solche Würdigung bei den Landsmannschaften erfahren und nie sei der Einfluss so groß gewesen wie in dieser Zeit. „Wir stehen offensichtlich an einem gewissen Wendepunkt. Die soziale Eingliederung der Heimatvertriebenen ist weithin gelungen und in gewissem Maße abgeschlossen. Darum treten zur Zeit Diskussionen über die materiellen Anliegen weit in den Hintergrund. Dafür ist aber die geistige Auseinandersetzung viel stärker nach vorne gekommen. Sie wird auch die kommende Zeit bestimmen. Umso wichtiger ist es, dass die Kirche dabei bleibt und mitspricht in der Klärung der Probleme aus ethischer Sicht und Verantwortung.“98

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6 S. masch., Archiv des Bistums Passau, OA, Nachlass Bischof Simon Konrad 359. 6 S. masch., Archiv des Bistums Passau, OA, Nachlass Bischof Simon Konrad 359, S. 1. 6 S. masch., Archiv des Bistums Passau, OA, Nachlass Bischof Simon Konrad 359, S. 2f.

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Der gesteigerte Zuspruch und Zulauf zur katholischen Vertriebenenseelsorge im Kontext dieser öffentlichen Debatten wurde dazu benutzt, davor zu warnen, Bemühungen für die Vertriebenenseelsorge zurückzufahren. Janssen sprach von seelsorgerlicher Unklugheit und von einem großen Verlust an religiöser Substanz, wenn man sie vernachlässigen oder abbauen wollte. Der Zuspruch zeige sich auch in den Wallfahrten und auf den Treffen der Landsmannschaften, bei denen Höhepunkte ganz ohne Zweifel die katholischen Gottesdienste seien, die meist besser besucht würden als die politischen Großkundgebungen. Ausdrücklich verwies er auf die Gottesdienste bei den Treffen der Sudetendeutschen. Mit deutlichen Worten warnte Janssen vor dem Rückzug. Ein solcher wäre unverantwortlich, denn man würde dann diese Hunderttausende allein der Führung politischer, oft sozialistischer oder gar zur Radikalisierung neigender Leute überlassen. Auch sei in politischen Kreisen die Besorgnis sehr groß, dass viele Heimatvertriebene in neu aufkommende rechtsradikale Parteibildungen abgedrängt werden – wie es die Zunahme der Stimmen für die NPD in vielen Landtagen in diesen Jahren belegt. Die Diskussion über die EKD-Denkschrift, wenn sie auch an manchen Stellen unsachlich geführt worden sei, habe gezeigt, dass die Vertriebenenproblematik noch nicht gelöst ist. Es sei deutlich sichtbar geworden, wie viele Wunden aufgerissen wurden, wie viele Menschen zutiefst verletzt sich zur Wehr setzten. Katholische Organisationen dürften sich nicht mit Pauschalzuweisungen und Vorwürfen begnügen, etwa Vertriebene als die ewig Gestrigen, die Unbelehrbaren und die Versöhnungshemmenden zu bezeichnen. Um sich in der öffentlichen Diskussion deutlicher, schneller und wirksamer positionieren zu können, beschlossen die katholischen Organisationen, Diözesangemeinschaften und Vertriebenenwerke, sich in ihrer Führung zu einer strafferen Arbeitsgemeinschaft zusammenzuschließen, nämlich der Arbeitsgemeinschaft der katholischen Vertriebenenorganisationen, und damit eine einheitliche Vertretung gegenüber den staatlichen und kommunalen Behörden, den Vertriebenenverbänden und Landsmannschaften zu erreichen.99 Auch der katholische Flüchtlingsrat unter der damaligen Leitung von Staatssekretär Dr. Nahm sollte als Beratungsforum für die Bischofskonferenz aktionsfähiger, vor allem jünger gemacht werden. Der Rat sei in den letzten Jahren überaltert und kaum noch aktiv gewesen.

Stefan Kruschina zur neuen Ostpolitik Auch der Regens des Priesterseminars und spätere Leiter des AMK Stefan Kruschina beteiligte sich mit einem Beitrag zur neuen Ostpolitik der Brandt-Scheel-Regierung und der vom Vatikan vollzogenen Neuordnung der Diözesangrenzen inklusive der Errichtung neuer Diözesen in den Gebieten jenseits von Oder und Neiße an der Debatte. Es wurde ein Vakuum empfunden, weil die Spitzen der Vertriebenenseelsorge sich mit Äußerungen sehr zurückhielten, ein Vorgang, der bei den Heimatvertriebe99

Vgl. dazu auch Matthias LEMPART, Der Breslauer Domvikar und Jugendseelsorger Gerhard Moschner als Organisator der vertriebenen katholischen Schlesier. Ostfildern 2001, S. 96-107.

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nen Verwirrung und Unsicherheit auslöste. Von daher sah sich Kruschina genötigt, zur kirchlichen Neuordnung der Gebiete jenseits von Oder und Neiße ein offenes Wort in ernster Sache zu formulieren.100 Die Argumente dieses offenen Wortes sind signifikant und symptomatisch. Der Warschauer Vertrag, mit dem die Gebiete jenseits der Oder und Neiße Ausland geworden sind, wird als zwielichtig bezeichnet, schillernd zwischen Gewaltverzicht und Grenzvertrag denn die Unantastbarkeit der polnischen Westgrenze sei mit diesem Vertrag garantiert. Daran ändere weder der Friedensvertragsvorbehalt noch die Entschließung des Deutschen Bundestages vom 17. Mai 1972 etwas. Die Enttäuschung der katholischen Vertriebenen entspringe nicht zuletzt der Tatsache, dass der Vatikan sich in seinem Vorgehen, die Diözesanverhältnisse in diesen Gebieten neu zu ordnen, von polnischer Seite seit Jahren habe unter massiven Druck setzen lassen und( dann) alte vatikanische Gepflogenheiten über Bord geworfen habe, nämlich echte Friedensgrenzen abzuwarten und dann erst neue Umschreibungen von Diözesangrenzen vorzunehmen. Entgegen vielfachen Beteuerungen habe die vatikanische Diplomatie die Neuordnung nicht allmählich und im Kontakt mit allen Beteiligten vorgenommen, sondern unerwartet schnell. Der Vatikan erklärte, dass die Neuordnung erfolgt sei, um für die neun Millionen polnischer Katholiken in den jetzt polnischen Gebieten die Seelsorge zu sichern. So formulierte Kruschina ganz deutlich, dass der Unmut der Heimatvertriebenen, ihrer Verbände und Sprecher sich gegen die Methoden vatikanischer Ostpolitik wende. Die Absicht, die Situation der Kirche in den Ostblockstaaten zu verbessern, sei an sich gerecht. Die Frage aber sei, ob man sich deswegen zu weitgehenden Konzessionen und zur Anpassung bereit erklären müsse, denn genau diese Politik habe weder in der Tschechoslowakei noch in Ungarn noch in Jugoslawien gefruchtet. Es stehe nun zu befürchten, dass es in Polen nicht anders verlaufen werde. „Solche Vorleistungspolitik hat bisher im staatlichen und kirchlichen Bereich eher zu einer Stärkung der bolschewistischen Vormachtstellung und zur Festigung von Verhältnissen geführt, die durch Macht und Diktat geschaffen worden sind. Solche Politik beruht auf einer Fehleinschätzung der östlichen Verhandlungspartner. Die katholischen Heimatvertriebenen wünschen trotz leidvoller Vergangenheit der Kirche Polens, die heute eine Kirche unter dem Kreuz ist, jede Stärkung und Erleichterung und sind zu echter Versöhnung mit dem polnischen Volk immer bereit.“101 Aber auch die katholischen Heimatvertriebenen sähen die Defizite hauptsächlich in der Vorgehensweise: Die Deutsche Bischofskonferenz, der Flüchtlingsbischof, die Ostordinarien und der katholische Flüchtlingsrat seien zu spät über die Vorgänge informiert und die Gründe der Veränderungen zu wenig interpretiert worden. Zudem sei die religiöse Obhutspflicht der Kirche gegenüber den in den Ostgebieten verbliebenen deutschen Katholiken zu wenig wahrgenommen worden. „Die katholischen Heimatvertriebenen bedauern, dass bei allen Erklärungen kein Wort gesagt wurde zum Verbrechen der Vertreibung der Deutschen aus diesen Gebieten. Immer wieder 100 101

2 S. masch., DAR AKZ.8/1991, Nachlass Kruschina. 2 S. masch., DAR AKZ.8/1991, Nachlass Kruschina, S. 1.

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muss festgestellt werden, wie Politiker und öffentliche Meinung über das Unrecht der Vertreibung und die Verletzung der Menschenrechte gleichgültig hinweggehen oder es totschweigen.“102 Es ist bezeichnend, dass auch die Ökumene in diesem Kontext eine Rolle spielte, wurde doch eigens bedauert, dass bei diesen Vorgängen der vatikanischen Ostpolitik kein klärendes Wort zu den heimatvertriebenen evangelischen Christen aus diesen Gebieten gesagt wurde, die zu allen persönlichen Verlusten nun auch den Verlust ihrer Kirche hinnehmen mussten, weil die Kirchen ihrer Herkunftsorte damit katholisiert wurden. Jedenfalls haben diese Vorgänge in den Augen Kruschinas die Notwendigkeit der Sonderseelsorge an den Vertriebenen im Westen nochmals deutlicher unterstrichen. So sei es nur konsequent, dass aus den bisherigen Kapitelsvikaren der früheren Ostdiözesen Apostolische Visitatoren bzw. an deren Stelle diese bestellt wurden.

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2 S. masch., DAR AKZ.8/1991, Nachlass Kruschina, S. 2, Punkt 7.

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10. Neue Modelle der Seminarerziehung im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils Zu den Umbrüchen der sechziger Jahre gehörten für Königstein keineswegs nur die nachhaltige Diskussion um die EKD-Denkschrift und der sich anbahnende Studentenprotest, sondern auch die verschiedenen Themenfelder, die im Umfeld des Zweiten Vatikanischen Konzils aufgeworfen worden waren – vorrangig die Frage um die Form der Priesterausbildung. In diesem Kontext ist eine Denkschrift von Stefan Kruschina zu lesen, der seine Erwägungen zur damaligen Form der Priesterausbildung an den Paderborner Erzbischof Lorenz Kardinal Jaeger adressierte.103 Grundsätzlich war für Kruschina die Forderung nach einer harmonischen Einheit, nach einem unbedingten Zusammenklang zwischen theologisch-wissenschaftlicher und geistlicher Bildung und Ausbildung der Priesteramtskandidaten fundamental. Grundoption müsse dabei der Primat der Seelsorge sein, und zwar für alle Kandidaten, auch für diejenigen, die später für Sonderaufgaben eingesetzt werden. Auch diejenigen, die später in der Pfarrseelsorge wirken sollten, müssten eine vollgültige theologisch-wissenschaftliche Ausbildung erfahren. So der Pastoraltheologe von Königstein, der dies natürlich dementsprechend auch für den Studienbetrieb an der eigenen Institution(forderte und) als selbstverständlich voraussetzte. Kruschina sprach sich gegen eine scharfe zeitliche Trennung zwischen wissenschaftlicher Ausbildung in den eher profanwissenschaftlich orientierten Fächern, z.B. der reinen Philosophie und der eigentlichen Theologie, auf der einen Seite und der geistig-asketischen Bildung auf der anderen Seite aus. Der Priesterkandidat brauche die Erfahrung der Welt und ihrer Gegebenheiten, aber ebenso brauche er zur gleichen Zeit und möglichst in der gleichen Intensität das Bewusstsein und die Erfahrung, wie auch die Verantwortung für das Heil.104 Entscheidend seien das zeitliche Nebeneinander und Miteinander der philosophischen und theologischen Vorlesungen in der Priesterausbildung und der vorgeschlagene theologische Grundkurs. In der philosophisch-theologischen Hochschule in Königstein sei diese Gleichzeitigkeit in Anlehnung an die Erfahrungen in den verschiedenen priesterlich-theologischen Bildungsstätten des Ostens bisher weithin schon gegeben. Bereits beginnend mit dem ersten Semester waren neben Vorlesungen aus den verschiedenen Teilgebieten der Philosophie auch Einführungsvorlesungen über ausgewählte Kapitel der Aszetik und der Fundamentaltheologie etc. gehalten worden. Geplant war nun, diese noch zu erweitern durch Vorlesungen in der Liturgiewissenschaft und sehr bald sollten im Studienverlauf Vorlesungen in Kirchengeschichte und Einführungsvorlesungen in den 103 104

Schreiben Kruschinas vom 9. April 1966 an Lorenz Kardinal Jaeger, 6 S. masch., DAR, AKZ.8/1991 Nachlass Kruschina. Ebd., S. 2.

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Bibelwissenschaften folgen. Obwohl man auch in diesem Punkt gute Erfahrungen aus dem Osten mitgebracht hatte, fehlten bisher weitere Philosophie-Vorlesungen in den höheren Semestern, und zwar aus dem praktischen Grund, dass das Abschlussexamen in Philosophie bereits nach dem vierten Semester abgelegt wurde. Eine gewisse Kompensation entdeckte Kruschina in den Vorlesungen über Fragen der Ostphilosophie. Als besondere Ergänzung der theologisch-wissenschaftlichen Ausbildung wurden Vorlesungen in Aszetik gehalten. Auch in dem Memorandum unterstrich Kruschina die Besonderheit des Königsteiner Seminars und der Hochschule in der theologisch-wissenschaftlichen wie auch der seelsorgerlich-missionarischen Ausrichtung auf Themen im Osten, wobei nicht der Rückblick auf die östliche Vergangenheit ausschlaggebend war, sondern die Fokussierung auf die missionarische Bedeutung der Probleme als Aufgabe für die Zukunft.105 Für die Anerkennung bzw. Zulassung forderte Kruschina eine eigenständige wissenschaftliche Arbeit, die im Anschluss auch den Weg zu einer späteren Promotion eröffnen könnte. Er verlangte eine Steigerung der wissenschaftlichen Fähigkeiten und Erkenntnisse, die – spezifisch für Königstein ausgelegt – von der Forderung nach einer gesteigerten missionarischen Bereitschaft und Verantwortlichkeit begleitet sein sollten, die sich sowohl in der wachsenden seelsorgerlichen Interessiertheit wie auch in der größeren Selbstdisziplin äußern müsste. In dieser Umbruchszeit Mitte der sechziger Jahre und in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre wurde sehr viel reflektiert über Priesterbildung und -ausbildung und die Neuorientierung der Seminarerziehung. In diesem Kontext findet sich im Nachlass Kruschinas eine Reihe von Gedanken zur Neuorientierung der Seminarerziehung von Klaus Radtke. Die Grundfragen beschäftigen sich damit, welches besondere geistliche Gepräge der Priester in der aktuellen Zeit brauche, welcher Priestertyp von der Zeit gefordert werde und zweitens wie die Situation des jungen Menschen aussieht, der als Priesterkandidat in das Seminar eintritt, welche Voraussetzungen er mitbringen müsse. Die zweite Frage wurde mit den gängigen pauschalen Vorurteilen und Verdächtigungen pessimistischer Zeitdiagnostiker beantwortet: Der junge Mensch (komme mit keinem) habe zunächst keinen fest fundierten Glauben, selbst die Kenntnis wichtiger Glaubenswahrheiten sei häufig kaum vorhanden und die allgemeine Verweichlichung und Bequemlichkeit der seinerzeitigen Generation komme hinzu.106 Das Bildungsni-

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Konkret wird auf folgende Veranstaltungen in den Vorlesungsverzeichnissen hingewiesen: Philosophie des Ostens, Entwicklungsgesetze der Gesellschaft im historischen Materialismus, ein Seminar Antireligiöse Publikationen im Ostblock, dann im Kontext der Kirchengeschichte die Diözesankunde der Sudetenländer, Diözesankunde Schlesiens, Diözesankunde in Nordostdeutschlands, Einführung in die Byzantinische Liturgie, Liturgie und Ikonographie der Hochfeste des byzantinischen Ritus, ekklesiologische und dogmatische Probleme in der Orthodoxen Theologie, Strukturen der Ostkirchen und ihre Entstehung und Sprachkurse in slawischen Sprachen. Klaus RADTKE, Gedanken zur Neuorientierung der Seminarerziehung, Februar 1966 in DAR AKZ.8/1991, Nachlass Kruschina, 8 S. masch.

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veau sei gesunken, die Autoritätsfeindlichkeit gestiegen etc. Alle diese Defizite müsse die Seminarerziehung auszugleichen versuchen. Wie sollte man nun dieses Ziel erreichen? Nach Radtke, indem man möglichst viele Parallelen zur Familie herstellt – echtes Familienleben in einer überschaubaren Gemeinschaft, wo sich alle Beteiligten gegenseitig erziehen, präziser: die Geschwister untereinander und die Eltern die Kinder. Von daher entsteht schnell die Forderung, dass auch die Seminargemeinschaft in Königstein in kleinere familiäre Gemeinschaften unterteilt werden sollte. Angestrebt wurde damit eine Lebens- und Arbeitsgemeinschaft. „Unter Berücksichtigung der besonderen Anforderungen an die geistliche Betreuung würde die Seminargemeinschaft in drei Gruppen zu untergliedern sein. Diese Dreiteilung legen auch die natürlichen Wohnverhältnisse des Hauses nahe, die unsere Gemeinschaft ohnehin in drei in sich abgeschlossene Wohngemeinschaften unterteilt.“107 Zusammengefasst werden sollten also das erste bis dritte Semester in der Wohnung im zweiten Stock, das vierte bis siebte Semester in der Wohnung im dritten Stock auf der Nordseite und schließlich das achte bis zehnte Semester in der Wohnung im dritten Stock auf der Südseite. Der Lebensraum jeder dieser drei Familien sollte möglichst geschlossen bleiben, gegebenenfalls auch räumlich abgetrennt. Die Familien sollten einen geistlichen Betreuer erhalten, der sich im Geiste wahrer Brüderlichkeit als ein erfahrener Konfrater, Freund, um das geistliche Wachstum der Familie und jedes einzelnen Familienmitgliedes sorgen sollte. So sollte ein Teil der bisher gängigen abendlichen Aszetikvorlesungen ersetzt werden durch ein Conveniat, wo die echte Bruderliebe und auch die correctio fraterna gefördert werden könnten. Dieses Conveniat müsse das Zusammensein der Familie bedeuten, also auch gesellschaftliche und gemeinschaftsbildende Funktionen erfüllen. Der geistliche Betreuer (werde)solle darüber hinaus auch häufig das persönliche Gespräch suchen, auch selbst initiativ werden und nicht warten, bis er aufgesucht wird. Die geringe Zahl der ihm Anvertrauten müsse ein besonderes Einfühlungsvermögen für die Einzelnen ermöglichen. Hauptziel der ersten Stufe der ersten Familie müsse es sein, den Glauben zu vertiefen und lebendig zu machen, teils durch entsprechende Vorlesungen an der Hochschule, vor allem in der Fundamentaltheologie und den anderen Einführungswissenschaften, teils durch Begleitung und Anleitung zur Schriftlesung, teils auch durch eine Art Supervision. Die zweite Familie würde das vierte bis siebte Semester umfassen. Sie habe einige grundsätzliche Probleme zu bewältigen, nämlich vor allem, die Brüche, die das Außenstudium mit sich bringe, zu integrieren. Konkret sollte das bedeuten, dass sich der Student im vierten Semester verhältnismäßig fest im Seminar eingelebt und die Seminarordnung zur persönlichen Lebensordnung gemacht habe. Dann kommt die Unterbrechung im fünften und sechsten Semester. Die Studenten des siebten Semesters sind gerade von den Außenstudien zurückgekehrt, oft mit Erfahrungen, die es schwer für sie machten, die auf der Seminarordnung aufgebaute Lebensform durchzuhalten. Sie

107

Ebd., S. 2.

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mussten sich von den Äußerlichkeiten der Seminarordnung trennen und hätten sich weitgehend eine persönliche Lebensordnung aufgebaut, die nun bei der Rückkehr wieder in die Hausordnung integriert werden müsse. Daher müsse es Ziel dieser Familie sein, zum einen das vierte Semester wirksam auf das Außenstudium vorzubereiten und zum anderen das siebte Semester in der Verarbeitung der Erfahrungen im Außenstudium zu begleiten. „Wenn sie dann mit dem achten Semester in die neue Familie eintreten, sollte der Aufruhr in ihrem Inneren, den das Außenstudium hervorgerufen hat, weitgehend abgeklungen sein. Das Ziel dieser Entwicklungsphase könnte etwa umschrieben werden als Integration der geistlichen Hilfsmittel und einer geistlichen Tagesordnung in das eigene Leben entsprechend der jeweiligen persönlichen Eigenart.“108 Die dritte Familie werde gebildet von im Glauben gefestigten Theologen, durchdrungen von die Idee der Nachfolge Christi und dem Anspruch des christlichen Apostolates. Eine Zeit der Bewährung wurde sie genannt; kritische Selbstprüfung sei dafür erforderlich, der geistliche Vater werde immer mehr zum erfahrenen Konfrater. Er wirke auf eine Vertiefung der Frömmigkeit hin. Im Vordergrund müsse die spezielle priesterliche Frömmigkeit stehen. Die Bedeutung des Priestertums werde in dieser Phase immer stärker erarbeitet und in das Leben integriert. Parallel dazu würden Veranstaltungen an der Hochschule, die Pastoralvorlesung, die Liturgievorlesung, angeboten, die entsprechend im geistlichen Leben ausgewertet werden sollten. „Gegen eine Trennung der Seminargemeinschaft in drei Familien könnte leicht eingewandt werden, dass dadurch die gute Gemeinschaft, als die gerade unser Seminar immer bezeichnet wird, zerbrochen würde.“109 Dieses Gegenargument behandelte Radtke folgendermaßen: Die Qualität der Seminargemeinschaft sei aktuell, also Mitte der sechziger Jahre, nicht mehr die, die sie noch vor wenigen Jahren gewesen war. Das brüderliche Zusammenstehen gehe immer stärker zurück. Wirkliche Kontakte bildeten sich nur noch in kleineren Gruppen auf der Basis weniger Studenten, die zum Teil exklusive Tendenz aufwiesen. Dieser Separierung sollte durch die Familien entgegengewirkt werden. Die engere Bindung in kleinere Gemeinschaften sollte zu einer fortschreitenden Selbstbindung durch die Erkenntnis des Ziels führen. Die Motivation komme also stärker vom Einzelnen und damit ließe sich die strenge Hausordnung zumindest teilweise und schrittweise abbauen. Ausschreitungen seien wegen der engen persönlichen Beziehung zum Geistlichen Vater weniger zu befürchten als bei der derzeitigen Methode: also Einsicht statt Vorschrift sollte das künftige Motto lauten. Wie weit konnte Königstein solche Entwicklungen und Neuakzentuierungen aufgreifen? „Die Hauptaufgabe in der Verwirklichung dieses vorgeschlagenen Weges fällt den geistlichen Betreuern zu. Da eine Trennung des forum externum vom forum internum eine rein logische, aber keineswegs eine tatsächlich vollziehbare ist, fällt ihnen neben der oben ausgeführten geistlichen Leitung auch die Aufgabe des Disziplinarvorgesetzten zu. Ihre Stellung entspricht ganz der des natürlichen Erziehers in der

108 109

Ebd., S. 5. Ebd., S. 6.

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Familie.“110 Mit dem ausführlichen Plan wurde das neue Bild des Erziehers mit veränderten Methoden gezeichnet, das so offensichtlich nicht praktiziert wurde – bis dahin. Dieses Prinzip schwächte eindeutig die Stellung des Regens, der im neuen Kontext viel stärker zentrale Aufgaben des Koordinators übernehmen sollte, ggf. auch die geistliche Betreuung einer Familie. Das Amt des Spirituals in seinem bisherigen Umfang würde entfallen. Die geistlichen Väter der jeweiligen Familie sollten engste Beziehungen untereinander pflegen und ihre Ausbildungskonzeption abstimmen, um eine konsequent homogene Linie in der geistlichen Bildung zu gewährleisten. Auf welche Reaktionen mussten solche Vorschläge bei der autoritären Leitung stoßen, die Königstein vom Gymnasium über das Konvikt bis hin zum Alumnat und zur Gesamtleitung unter Kindermann prägte? Ein Beispiel sind die markanten Notizen, die Stefan Kruschina nach einem Gespräch mit Kindermann formulierte. Kruschina reagierte auf die neu vorgeschlagene Hausordnung, die er nicht unterschreiben könne, weil ihr jede Übersicht über das Verhalten des Einzelnen fehle. Sollten diese Forderungen angenommen werden, dann sei jede wirkliche Ordnung und Leistung in Frage gestellt. Die reifliche Überlegung des Einzelnen sei keinerlei Gewähr auch nur für ein annähernd charaktervolles Verhalten. Noch viel weniger für ein den Voraussetzungen des Seminars und der Vorbereitung auf den Priesterstand entsprechendes Verhalten, wo doch gerade in der aktuellen Zeit mit dem Wort ein bodenloser Unfug getrieben werde. Noch einmal und stärker unterstrich er: „Ich kann und werde diese Ordnung nicht unterschreiben. Sollte sie eingeführt werden, dann ohne mich.“ Er schloss mit der Drohung, mit Ende des Semesters das Amt des Regens niederzulegen und die Wohnung im Seminargebäude zu räumen. Auch die weitere Wahrnehmung der Aufgaben des Dozenten stellte Kruschina in Frage.111 Zur Debatte stand der Vorschlag einer neuen Hausordnung, die am 11. November 1968 von den Senioren der jeweiligen Semester in einer gemeinsamen Konferenz mit Kindermann und den Professoren Janko und Kroker sowie den Dozenten Reinelt und Hampel aufgestellt worden waren. Bei der Abfassung der Hausordnung, so die Niederschrift, ließen sich alle Beteiligten von der Überlegung leiten, dass ein Zusammenleben in einer Gemeinschaft durchaus einer Ordnung bedürfe, diese Ordnung aber die besonderen Gegebenheiten und Zeitumstände weitgehend berücksichtigen müsse. Die Hausordnung zeichne sich also durch eine gewisse Flexibilität aus. Freilich stelle sie damit an den Einzelnen höchste Anforderungen bzgl. Rücksichtnahme, Mit- und Eigenverantwortung. Gerade in diesem Punkt stellte Kruschina die Fähigkeit der Alumnen in Frage. Ein zweiter Punkt hielt die Erfordernisse der Rücksichtnahme aufeinander fest, z.B. pünktliches Erscheinen zu gemeinsamen Veranstaltungen. Die Aufgaben, die die Gemeinschaft an den Einzelnen stellt, sollten pünktlich und gewissenhaft erfüllt werden, bestimmte Zeiten der Ruhe eingehalten werden etc.112

110 111 112

Ebd., S. 8. DAR AKZ.8/1991, Nachlass Kruschina, 1 S. masch., Gesprächsnotiz vom 6. Januar 1969. DAR AKZ.8/1991, Nachlass Kruschina.

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11. Weitere Verschärfung der prekären Finanzlage zu Beginn der 70er-Jahre Zukunftspläne konnten nicht zuletzt deswegen nicht realisiert werden, weil die Finanzmittel ständig fehlten. Ein großer Teil der Kräfte wurde pragmatisch für das nötigste Stopfen der Löcher verwendet. Notwendige Investitionen und Maßnahmen zur Bestandserhaltung wurden nicht selten wegen der fehlenden Mittel verschoben. Dem Albertus-Magnus-Kolleg wurde in einem Prüfungsbericht der Konferenz der Caritasverbände von 1970 bereits Krisenanfälligkeit attestiert. Es war 1969 ein Verlust von 300.000,- DM zu verzeichnen, der zur Hälfte durch den Zuschuss der Diözese gedeckt wurde. Für die kommenden Jahre wurde ein weiterer Rückgang der Spenden prognostiziert, die bei Aufrechterhaltung des Priesterseminars voll von diesem aufgezehrt werden würden (in Anspruch genommen werden müssten). Das Fazit musste also lauten, dass das AMK in den späteren Jahren ohne laufende Zuschüsse nicht auskommen werde, wenn es nicht gelinge, im Gymnasium die Klassenfrequenz zu erhöhen. Man könne nicht uferlos das Schulgeld erhöhen, da der Sozialcharakter der Schule darunter leide. Der eine Risikofaktor war demnach die Schule, der zweite das Priesterseminar. Die Seminaristen seien auf 40 Ausländer abgesunken, so das Hauptargument für die deutliche Formulierung der Frage, ob das Priesterseminar auf Dauer zu halten sei. Die Spenden von 240.000,- DM würden für das Priesterseminar voll aufgebraucht. Von daher rührte der unüberhörbare Vorschlag, interne Planungen baldmöglichst anzusetzen, um eine in die Zukunft weisende, tragfähige Konzeption zu entwickeln. Hier wurde von einer Verwendung des Priesterseminars als Studentenwohnheim oder als Altenheim gesprochen. „Eine längere Hinausschiebung dürfte auf die Dauer nicht mehr zu verantworten sein.“ Doch der Vorlesungsbetrieb der Hochschule wurde noch über sieben Jahre hinweg aufrechterhalten. Positiv präsentierte Kindermann 1969 den Anstieg der Hörerzahl an der Philosophisch-Theologischen Hochschule, nicht zuletzt durch den Zuzug von 18 Kroaten. Das Seminar habe damit seine Eigennote als missionarisches Seminar für den Osten unterstreichen können.113 Wenn auch Kindermann einen Anstieg der Hörer begrüßte, so wies doch das Gutachten der Konferenz der Caritasverbände über die Wirtschaftlichkeit mit Recht darauf hin, dass ein derartiges Priesterseminar wie die Philosophisch-Theologische Hochschule schlecht ausgenützt würden. Bei etwa 50 Theologiestudenten entfielen in den Jahren 1966/67 nur noch 2,5 Seminaristen auf einen Professor. Das veränderte sich zwar im Sommersemester 1968 mit einem Anwachsen der Theologiestudentenzahl auf 80, der Anstieg aber war weitgehend dem Zugang jugoslawischer Studenten zuzurechnen. Damit veränderte sich der Charakter der Phi113

Jahresbericht 1967 vom 20. April 1967 bis 29. März 1968, Diözesanarchiv Limburg, 16A/1, 2 S. masch.

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losophisch-Theologischen Hochschule in Königstein von einem Priesterseminar der Vertriebenen zu einem Seminar der Ausländerkirche. Kindermann bezeichnete dies als missionarischen Zug. Kindermann hatte sich auch 1972 mit der prekären finanziellen Lage des AlbertusMagnus-Kollegs Königstein plagen müssen. Er bezeichnete sie in einem Brandbrief an das Bischöfliche Ordinariat in Limburg am 11. August 1972 als ernsthaft gefährdet. Das Jahr 1971 schloss mit einem Fehlbetrag von 56.000 DM. So errechnete Kindermann nicht zuletzt mit Blick auf den Einzugsbereich der Bischof-Neumann-Schule einen Finanzbedarf für 1972 von 423.000 DM.114 So erbat Kindermann in der von ihm selbst als ernst bezeichneten Lage von der Diözese Limburg einen Zuschuss von über 400.000,- DM.115 Die Probleme waren aus dem Rückgang der Zeitschriftenauflagen, und damit auch der Spenden, erwachsen. Dies wurde auch auf der Ordentlichen Mitgliederversammlung des Albertus-Magnus-Kolleg e.V. am 19. Juni 1972 angesprochen.116 Die Hochschule brauchte nicht zuletzt deshalb große Summen, weil sie deutlich unterbelegt war. Das Ordinariat reagierte zurückhaltend. Es sicherte mit Schreiben vom 29. August 1972 einen Zuschuss zu den Betriebskosten der Bischof-NeumannSchule durcheine Abschlagszahlung in Höhe von 100.000;- DM zu. In welcher Höhe weitere Zahlungen für das laufende Jahr 1972 möglich seien, hänge zum einen davon ab, was der Diözesanhaushalt noch an Mitteln hergeben könne, zum anderen aber auch von einer Überprüfung und Weiterentwicklung der finanziellen Situation der Bischof-Neumann-Schule.117 Bereits in der Mitgliederversammlung von 1970 wies die Finanzkalkulation einen Fehlbetrag von über 147.000,- DM aus. Gleichzeitig wurde angemahnt, das Professorengehalt zumindest an die Pfarrbesoldung anzugleichen. 1970 zählte die Hochschule insgesamt 47 Studenten, davon waren 38 im Haus, vier außerhalb, vier im Außensemester und einer beurlaubt. Dazu kam eine Gasthörerin. Kruschina brachte im Januar 1974 einen kommentierenden Bericht zur a